Frankreichs »doppelte Deutschlandpolitik«: Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944 - 1950 [1 ed.] 9783428485116, 9783428085118

Das Buch behandelt Frankreichs Deutschlandpolitik der frühen Nachkriegszeit, die der Historiographie seit jeher als komp

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German Pages 796 Year 1996

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Frankreichs »doppelte Deutschlandpolitik«: Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944 - 1950 [1 ed.]
 9783428485116, 9783428085118

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DIETMAR HÜSER

Frankreichs "doppelte Deutschlandpolitik"

Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen Herausgegeben von Heiner Timmermann

Band 77

Frankreichs "doppelte Deutschlandpolitik" Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944 - 1950

Von Dietmar Hüser

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hüser, Dietmar: Frankreichs "doppelte Deutschlandpolitik" : Dynamik aus der Defensive - Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen innen- und aussenpolitischen Krisenzeiten ; 1944 - 1950 / von Dietmar Hüser. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen e. V. ; Bd. 77) Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08511-6 NE: Europäische Akademie (Otzenhausen): Dokumente und Schriften ...

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0944-7431 ISBN 3-428-08511-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Vorwort

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die leicht gekürzte und durch die neueste Literatur ergänzte Fassung meiner Dissertation, die im April 1994 unter dem Titel "Frankreichs 'doppelte Deutschlandpolitik' . Konzeptionen, Instruktionen und Realisationen im Spannungsfeld innen- und außenpolitischer Wechselwirkungen 1944-1950" von der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes angenommen wurde. Die Wege in die Wissenschaft sind selten so eindeutig vorgezeichnet, wie die späteren Lebensläufe sie im Rückblick erscheinen lassen. Von daher sei an dieser Stelle all denen gedankt, die an wichtigen Wegmarken meines Studiums dem Zufall auf die Sprünge geholfen haben. Ohne Prof. Dr. Wilhelm Bleek (Bochumfforonto) hätte ich 1984 vermutlich nie mit dem Studium der Neueren Geschichte begonnen, ohne Dr. Hubert Schneider (Bochum) nie die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten erfahren, ohne Prof. Dr. Ursula A. J. Becher (Eichstätt) nie die Kontakte für eine sinnvolle Studienfortsetzung nach der Zwischenprüfung erhalten. Zu danken habe ich ferner dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Deutsch-französischen Jugendwerk fiir ein Stipendium, das mir 1985/86 ein Studienjahr am Institut dEtudes Politiques in Paris und eine eingehende Beschäftigung mit dem zeitgenössischen Frankreich vor Ort ermöglichte. Erste Einsichten in Strukturen und Methoden der Geschichte internationaler Beziehungen vermittelte mir damals Prof. Dr. Alfred Grosser in seinem Seminar über "Interactions entre politique interieure et politique exterieure". Das Dissertationsvorhaben selbst hätte nicht verwirklicht werden können ohne die Unterstützung von Prof. Dr. Horst Möller (München), der mir 1990/91 als damaliger Direktor des Deutschen Historischen Instituts die Finanzierung eines langfristigen Archivaufenthalts in Paris ermöglichte. Ein herzlicher Dank gebührt daneben den Nachlaßverwaltern der eingesehenen Privatarchive für ihre Ausnahmegenehmigungen sowie den Verantwortlichen und Mitarbeitern der im Anhang aufgeführten Archive. Erwähnt seien vor allem Mme Chantal de Tourtier-Bonazzi und ihre Equipe in der Section contemporaine des Archives Nationales sowie M. Fran~ois Gasnault (Service des Archives Economiques et Financieres), M. Paul Gaujac (Service Historique de l'Armee de Terre), Mme Anne Gavois (Service des Archives de l'Assemblee Nationale), Mme Marie-Andree Guyot (Archives du Ministere des Mfaires Etrangeres), M. Werner Henneke (Archives de l'Occupation Fran~aise en Allemagne et en Autriche), M. Denis Lefebvre (Office Universitaire

2

Vorwort

des Recherehes Socialistes), Mme Marie-Claire Mendes France (Institut Pierre Mendes France), Mme Dominique-Alice Robert (Division des Archives du Senat), Mme Florence Sc albert (Archives d'Histoire Contemporaine). Für die überaus rasche Zweitkorrektur sei Prof. Dr. Jörg K. Hoensch ganz herzlich gedankt, für unkomplizierte und effiziente Unterstützung sowie die Aufnahme der Studie in die Reihe der Europäischen Akademie Otzenhausen Prof. Dr. Heiner Timmermann. Dem Präsidenten und der Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes sowie - vor allem - dem saarländischen Landtag schulde ich Dank für großzügige Druckkostenzuschüsse, ohne die diese Arbeit kaum in der vorliegenden Form hätte erscheinen können. Wertvollen "Beistand" leisteten Katja Müller beim Korrekturlesen und Marcus Hahn bei der Drucklegung. Für zahllose Mensa-Diskussionen weit über das engere Promotionsthema hinaus danke ich freundschaftlich Dr. Christoph Cornelißen (Düsseldorf) und Dr. Armin Heinen (Saarbrücken), für die durchweg angenehme Arbeitsatmosphäre an der Saaruni dem gesamten "Hudemann-Team", namentlich Dr. Stefan Leiner und Annette Maas, M.A. Besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. Rainer Hudemann als akademischem Lehrer, der mit dem ihm eigenen Anspruch und Engagement seit Jahren nichts unversucht gelassen hat, mich - und andere - zu ermutigen und zu fördern. Es gibt gewiß nicht viele Lehrende, die ähnlich viel Zeit und Energie zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses - vom Erstsemester bis zum Habilitanden - aufbringen, die sich trotz permanenter Arbeitsüberlastung nie einem Gespräch über Probleme wissenschaftlicher oder persönlicher Art versagen. Unter lebens weltlichen Gesichtspunkten gilt das größte Dankeschön zunächst meinem Vater und meiner verstorbenen Mutter, die nie gefragt haben, "was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte." Sie beklagten sich nicht über wechselnde Studien- und Dienstorte, sondern nahmen diese zum Anlaß, dem 'Unistadt-Tourismus" zu frönen, so weit dies ihre Zeit erlaubte. Der freudig-selbstlose Einsatz in mancherlei "Babysitting-Woche" sei ihnen hoch angerechnet, nicht weniger meinen Schwiegereltern und meinem Schwager. Schließlich meine Frau, Judith Hüser. Trotz eigenem Studium, Examen und Promotionsprojekt hat sie sich eher selten beschwert über die Zeit, die ich mir für meine Arbeit heraus- und ihr für ihre Arbeit weggenommen habe. Ihr jederzeit offenes Ohr sowie ihr Interesse an zentralen Thesen haben die vorliegende Studie von Anfang an begleitet und nicht weniger zum Gelingen beigetragen als ihre gelegentliche Weigerung, noch zuhause fach wissenschaftliche Diskussionen zu führen. Aus gutem Grund sei dieses Buch ihr und unserer Tochter Anne-Caroline gewidmet, die gewiß gern öfter den Papa "mit dem Kind und den Barbies" spielen sähe. Im Moment möchte sie Polizistin oder Krankenschwester werden, jedenfalls nichts, wofür man studieren und ständig lange an der Uni sein muß ... Saarbrücken, 24. April 1995

Dietmar Hüser

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

............ .

1989 - 1963 - 1958 - 1950 - 1944/45 (21) - Forschungsstand und -ziel (22) - Traditionelle Sicht (24) - Besatrungs- und deutschlandpolitische Relativierungen (25) - Historiographische Rezeptionsprobleme (28) - Desiderate - Fragestellungen - Gliederung (29) - Rahmenbedingungen (29) - Deutschlandpolitik (31) - Erklärungsmuster (35) - Ansatz und Methodik (37) Archiv- und Quellenlage (39)

A. Rahmenbedingungen I.

Aspekte französischer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1940 - 1950 ..

43

1. Traumata bei Befreiung und Kriegsende: Perzeption von Politik und Öffentlichkeit ... ... .... .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . ..

43

a) Wirtschaftskrise und innerfranzösische Bürgerkriege: Dekadenzwahrnehmungen der 30erJahre ... .. .. .. .. .. .. .. ..

45

b) Niederlage und Besatzung: Bekräftigung von Deutschlandbildern und Geschichtsmythen .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

48

Schlwselerfahrungen politischer Sozialisation (45) - Nationale Identitätskrise (47) Deutschlandpolitische Relevanz der 30er Jahre (48)

Debakel und Demütigung (48) - Französisches Deutschlandbild (49) - Deutschlandbild und Deutschlandpolitik (51)

c) Kollaboration und Widerstand: die Vichyjahre zwischen nationaler Ehrenrettung und Kompromittierung

Fortsetrung innerfranzäsischer Bürgerkriege (51) - Kollaboration (52) - Grenzen und Übergänge (54) - Innerer und äußerer Widerstand (55) - "Schwarze Jahre" und Deutschlandpolitik (58)

d) Befreiung und Kriegsende: Gräben zwischen Politik und Gesellschaft in der "droie de paix" .. .... .... Grundwiderspruch und Graben (59) - Vom Freudentaumel :rur Desillusionierung (61)

51

59

- Zwischenbilanz: Traumata und Deutschland (63)

2. Faktoren französischer Innenpolitik: Regierungshandeln zwischen Problemflut und Erwartungsdruck ..................................................

64

4

Inhaltsverzeichnis

a) Politik: frühes Machtvakuum und dauerhafte Regimegefährdung

66

b) Wirtschaft und Finanzen: Ausmaß der Krise und zeitraubender Wiederaufbau ...................................................................

72

c) Soziales und Materielles: alltäglicher Mangel und langlebige Provisorien

78

d) Mentales: Ansprüche der Regierten und Wahrnehmungen der Regierenden

85

3. Grundlagen französischer Außenpolitik: Präjudizien der Kriegsjahre für Frankreich und die "Großen Drei" .. .. .. ......

91

a) Die Vereinigten Staaten: langfristige Konvergenzen trotz kurzfristiger Konfliktvielfalt?

92

b) Großbritannien: gemeinsame Abhängigkeiten und getrennte Strategien?

97

c) Die Sowjetunion: prinzipielle Divergenzen trotz relativer Konfliktarmut?

101

d) Bilanz politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte Frankreichs 1940 - 1950 . . ... .. . ... .. .. ..

109

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure in Paris 1944 - 1950 ...

112

1. Offizielle intenninisterielle Gremien: Komplexe Strukturen, vielfältige Aufgaben und begrenzte Mittel? ...........................................

112

a) Von London und Algier zur Pariser Mission militaire: langfristige Wirkungen kurzfristiger Improvisationen? ..................................

113

Befreiungs- und Durchsetzungsprozeß (66) - Legitimitätskonflikte (67) - Provisorisches Parteiensystem (69) - Hegemonie der kommunistischen Partei (71)

Schwächefaktoren (73) - Früher Teufelskreis der Engpässe (75) - Die Rolle des Staates (76) - Entwicklungslinien (77)

Demographie und Gesundheit (78) - "Magenfrage" und Hungerrevolten (80) Soziale Gärung und politische Streiks (83)

Moralische Krise und Regierungs1critik (85) - Sensibilisierung der Politik für dauerhafte Dilemmata (87) - Zwischenbilanz: französische Innenpolitik und Deutschland (89)

Die Roosevelt-Administration und das "Freie Frankreich" (92) - Konflikte und Mißperzeptionen (94) - Kriegswahrnehrnungen und Nachkriegsfolgen (95)

Churchill als französischer Mentor (97) - Kriegswahrnehmungen und Nach1criegsfolgen (99)

Moskau in der französischen Außen- und Innenpolitik (102) - Frühes "freifranzösisches" Mißtrauen (103) - Kein Geschäft mit Stalin (105) - Kriegswahrnehrnungen und Nachkriegsfolgen (106) - Zwischenbilanz: außenpolitische Grundlagen und Deutschland (107)

Probleme und Mittel (109) - Politik und Gesellschaft (110) - Innen- und Außenpolitik (110) - Blitzableiter und Instrurnentalisierung (111) - Präjudizien (111)

Inhaltsverzeichnis

5

Deutschlandgremien im äußeren Widerstand (114) - Vom Bureau d'etudes zur Mission militaire (115) - Vorentscheidungen organisationsstruktureller Unzulänglichkeiten (116)

b) Die interministeriellen Deutschlandkomitees: inhaltliche Relevanz und technisches Versagen? .....................

119

c) Das Generalkommissariat für Deutschlandangelegenheiten: "Machtkampf" zwischen Hotel de la Prt!sidence und Quai d'Orsay? ..........

125

d) Die Persistenz von Strukturdefiziten: zu viele Reformen und zu wenige Verbesserungen? ........................................................

130

2. Offiziöse innerministerielle Gremien und Sitzungen: konsensfördernde Gegengewichte administrativer Reibungsverluste?

136

a) Das Außenministerium: deutschlandpolitische Zuständigkeiten auf vielen Schultern

136

b) Das Wirtschafts- und Finanzministerium: durchsichtige Zuordnung deutschlandpolitischer Kompetenzen ....................................

141

c) Das Produktionsministerium: allseitiges Interesse an deutschlandpolitischer Mitsprache

146

d) Deutschlandabteilungen anderer Ministerien und Behörden: sachpolitische Rückschlüsse administrativer Defizite? ..................................

149

3. Institutionen und Akteure im Spannungsfeld von Kohärenz und Inkohärenz französischer Deutschlandpolitik

152

a) Personelle Stabilität und Karriereperspektiven der Beamten: Deutschlandpolitik als Sprungbrett? .. .. .. .. ..

153

Das Comire interministeriel (119) - Das Comite economique interministeriel (120)Generalsekretariat und technisch-administrative Defizite (121)

Das Commissariat general (125) - Qualität und Stabilität des Mitarbeiterstabes (126) - Anbindung an den Quai d'Orsay (128)

Reorganisationsbemühungen (130) - Fortwährende Kommunikations- und Koordinierungsprobleme (133) - Zwischenbilanz: offizielle interministerielle Gremien (134)

Die politische und wirtschaftliche Abteilung (13 7) - Deutschlandkommissi0nen (13 8) - Zusammenkünfte und ad hoc-Organe (139)

Deutschlandorgane im Wirtschaftsministerium (142) - Deutschlandorgane im Finanzministerium (143)

Generalsekretariat (146) - Deutschlandorgane (147)

Armee- und Verteidigungsministerien (149) - Erziehungsministerium (150) Landwirtschafts-, Bevölkerungs- und Wiederaufbauministerium (150) - Zwischenbilanz: offiziöse innerministerielle Gremien und Sitzungen (151)

Personalstabilität (154) - Altersstruktur von Deutschlandakteuren (155) - Karriereorientierung (156) - Deutschlandpolitische Relevanz biographischer Faktoren (157)

6

Inhaltsverzeichnis

b) Deutschlanddirektiven trotz Institutionenchaos: wer wußte was in Paris?

159

c) Deutschlandpolitische Konfliktstrukturen zwischen und in den Ministerien: Kontroversen ohne Schattenpolitiken? .............................

164

d) Bilanz deutschlandpolitischer Institutionen und Akteure in Paris 1944 .......... 1950 ...........

168

Pariser "Richtlinienfähigkeit" (159) - Geschichte der frühen Pariser Rahmenrichtlinien (161) - Verbreitungs- statt Erteilungsproblem (164)

Erklärungsmuster für Deutschlandkonflikte (165) - Kontroversen mit begrenzten Folgen (166) - Zwischenbilanz: Kohärenz- und Inkohärenzelemente (168)

Defizite und Gegengewichte (168) - Faktor "Zeit" (169) - Welche Deutschlandpolitik betreibt ein Gaullist? (170)

IH. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure 1942 - 1950: Grandeur durch ökonomische und moralische Wiederaufrichtung ................. . 172 1. De Gaulle und Frankreich: auf welchen Wegen zu Rang und Größe, Ordnung und Stabilität? ..............................................................

172

a) Gaullismus, de Gaulle und die Franzosen: Held der Nation oder Politik als B~n

................................................................... In

Kriegs- und Regierungsgaullismus (173) - Held und Politiker, Held oder Politiker? (175) - Bedarf einhelliger öffentlicher Unterstützung (176)

b) Rang und Größe durch ökonomische Wiederaufrichtung der Nation?

178

c) Ordnung und Stabilität durch moralische Wiederaufrichtung der Nation?

182

d) Frankreichprioritäten und Deutschlandprämissen: offtzielle Kongruenz und inoffizielles Widerspruchspotential? .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

190

2. Wirtschaftlicher Wiederaufrichtungs- und Modernisierungskonsens: ein neuer nationaler Mythos? ..................................................

195

a) Grandeur durch Modernisierung: konkreter Ausdruck subjektiver Erfahrungen? ..................................................................

195

Wirtschaft und nationale Größe (178) - De GaulIesche Wirtschaftsexperten (179) Wirtschaftsperzeption bei der Befreiung (180)

Retter nationaler Moral und Ehre (182) - Drei Aspekte moralischer Wiederaufrichtung (183) - "Vergangenheitsklitterung" (183) - Kompensationen und Zumutbarkeiten: der Konflikt Pleven-Mendes France (185) - Großmachtrhetorik (188) Spannungsfeld ökonomischer und moralischer Wiederaufrichtung (189)

Deutschlandkonvergenzen durch Franlcreichprämissen? (190) - Kontinuitäten eines ambivalenten Deutschlandbildes (191) - Deutschlanddivergenz durch Frankreichprämissen (193) - Zwischenbilanz: de Gaulle, Frankreich und Deutschland (194)

Generalisierter Modernisierungsdiskurs (195) - Modernisierung als Schlüsselbegriff der Epoche (198)

Inhaltsverzeichnis

b) Frankreich am Scheideweg: Modernisierung aus eigener Kraft oder Dekadenz aus freien Stücken? Modernisierung statt Dekadenz (199) - Primat nationaler Anstrengungen (200) Kredit- und Reparationsbeihilfen (201)

7

198

c) Frankreich und der Welthandel: äußerer Konkurrenzdruck als innerer 203 Modernisierungsanstoß? .. .. .... .. .. ........ Dirigismus und Liberalismus (203) - Mittelfristige Chancen und kurzIristige Schranken (203) - Bretton Woods (206)

d) Frankreich und amerikanische Finanzspritzen: rasche oder gebremste 207 Modernisierung? .. .. ........ Konsens über Kredite als Katalysator (208) - Alternativlosigkeit (209) - Zwischenbilanz: wirtschaftlicher Wiederaufrichtungs- und Modernisierungskonsens (210)

3. Moralischer Wiederaufrichtungskonsens: Primat der Innenpolitik? ...

211

a) Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl der Franzosen: gesellschaftliche Stabilisierung zu innerem wie äußerem Nutzen? ...

211

b) Materielle Kompensationsmechanismen: Modernisierung trotz oder wegen moralischer Wiederaufrichtung?

215

c) Bilanz frankreichpolitischer Prioritäten deutschlandpolitischer Akteure 1942 - 1950 ..... .....

219

Gewicht moralischer Wiederaufrichtungsprämissen (212) - Alte Traumata, neue Moral (214)

Wechselwirkungen moralischer und ökonomischer Wiederaufrichtung (215) - Breite Mehrheiten für Kompensationen (216) - Kompensationspolitik und kommunistische Hegemonie (218)

Einvernehmen über ein Primat der Innenpolitik (219) - Moralische Wiederaufrichtung und Deutschlandpolitik (221) - Wirtschaftliche Wiederaufrichtung und Deutschlandpolitik (221)

d) Resümee und Ausblick: von den Rahmenbedingungen zur "doppelten Deutschlandpolitik" ........... 222 Innen- und Außenpolitik (223) - Institutionen und Personen (223) - Frankreichprioritäten (224) - Aussichten (224)

B. "Doppelte Deutschlandpolitik" I.

DeutschiandpoUtische Konzeptionen im Entscheidungsprozeß 1942 - 1950: die "doppelte Deutschlandpolitik" ........

226

1. Krlegskonzeptionen in London und Algier: Frankreich und Deutschland im Nachkriegseuropa ............ .......... 227

8

Inhaltsverzeichnis

a) Imponderabilien der Exilplanung: konzeptionelle Flexibilität als kategorischer Imperativ? ... .. .. .. .. .. .. .. .. ..

228

b) Französische Sicherheit durch ökonomische Hegemonie: konstruktive Ansätze nur durch ein starkes Frankreich? ..............................

233

c) Perzeption und Rolle der Deutschen in Europa: welches Deutschland soll es sein? .. ... . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

239

d) Kontinuitäten von Algier nach Paris: Bewußtsein eigener Schwäche und Maximalpositionen als Ausweg? ........................................

245

2. Konzeptionen der außenpolitischen Protagonisten: schwarz-weiße Bilder und . ......... graue Realitäten? ...

252

Begrenzte Planungskapazitäten (228) - Fragen statt Antworten, Begriffsverwirrung statt -klärung (230) - Unkenntnis alliierter Deutschlandziele (231)

"Reparationsdoping" zur Verbesserung der Startposition (233) - Konzept der "integrativen relativen Dominanz" (236) - Vorbedingung eines regenerierten Frankreich (238)

Unmißverständliche Rheinlandabtrennung? (240) - Unmißverständliche Saarannexion? (242) - Unmißverständliche Revanchepolitik? (243)

Optionsvielfalt wegen Schwächebewußtsein (246) - Interpretationsfaktoren (248) Zwischenbilanz: "Freies Frankreich", Großbritannien und Morgenthau (249)

a) Charles de Gaulle: utopische Rhetorik und versteckter Realismus?

Mythos und Realität (253) - Rhetorische Luftschlösser (254) - Unpräzise Territorialplanungen (257) - Fragwürdige "Zerstückelungskonzeptionen" (260) - Durchsetzungschancen von Maximalpositionen (263) - Realziele auf "Umwegen" (264) Zwischenbilanz (265)

253

b) Georges Bidault: Maximalpositionen und Realziele? .................... 266 Mythos und Realität (266) - Außenpolitische Analogien zwischen Bidault und de Gaulle (267) - Realziele (270) - Durchsetzungschancen von Maximalpositi0nen (273) - Inaugurierung profitabler Verhandlungs muster (275) - Verhandlungstaktik: von de GaulIes "Nein, danke" zu Bidaults "Ja, aber" (277) - Kontinuität amerikanisch-französischer Verhandlungselemente (279) - Zwischenbilanz (281)

c) Robert Schuman: nationalstaatliche Motive - deutschland- und europapolitische Initiative? ..............

282

d) Jean Monnet: französische Interessen, europäischer Pragmatismus und atlantische Bindungen? ..................................................

297

Mythos und Realität (282) - Zwischen Paris und Metz (283) - Deutschlandpositi0nen (286) - Analogien zwischen Schurnan und Bidault (288) - Beständigkeit verhandlungstaktischer Ansätze (291) - Schumanplan als nationalpolitischer Problemlösungsversuch (295) - Zwischenbilanz (296)

Mythos und Realität (297) - Monnet und die "Großen Drei": de Gaulle, Bidault und Schuman (299) - Wechsel wirkungen von Innen- und Außenpolitik (302) - Durchsetzungschancen von Maximalpositionen (305) - Gleichsetzung von Deutschland- und

Inhaltsverzeichnis

9

Ruhrpolitik (307) - Verhandlungstaktik von Obstinenz zu Indulgenz (311) - Mit Krediten und Kohle auf dem Weg nach Europa? (314) - Zwischenbilanz (315)

3. Die Verwaltungsspitzen im Quai d'Orsay: Konzeptionen zwischen realistischen Grundhaltungen und maximalistischen Forderungen ................ 316 a) Herve Alphand und die Wirtschaftsabteilung: frühe Einsichten in Zwänge und Chancen französischer Deutschlandpolitik? ........................ 317 Zweckmäßigkeit und Durchsetzungschancen von Maximalpositionen (318) - Realziele: Ruhr, Saar und Reparationen (321) - Diplomatische Verhandlungstaktik (326)

b) Die politische und die Europaabteilung: bewußte Flexibilität und unbewußte Kontinuität? .. 329 Chancenlose Abtrennungsthesen (330) - Dezentralisierungsansätze (332) - Wirtschaftseinheil, Reparationen und strukturelle Verflechtungen (334) - Verhandlungskalkül (336) - Realziele 1945/46 und 1948/49 (341)

c) Das Generalsekretariat und die Botschafter bei den "Großen Drei": Deutschlandpolitik oder Verhandlungstaktik?

342

d) Exkurs: der französische Generalstab

360

Jean Chauvel (342) - Die Botschafter in Moskau und Wasltington (347) - Rene Massigli (349) - Sonstige Quai d'Orsay-Akteure (353) - Zwischenbilanz: die Verwaltungsspitzen (357)

Detenninanten der Deutschlandplanungen (360) - Ziele - Mittel (360) - Einflußrückgang (364)

4. Die technischen Ministerien: Konzeptionen im Finanz-, Wirtschafts- und Produktionsressort .......................................................... 365 a) Das finanz- und wirtschaftspolitische Führungspersonal: die Dominanz des Kohleproblems und der Ruhrfrage .................................. 366 Pierre Mendes France: "Stahlträume" (366) - Rene Pleven: Kohle und Arbeitskraft (368) - Andre Pltilip: die Ruhr (370) - Rene Mayer: Rhein, Ruhr, Europa und Atlantik (373) - Die Minister und Deutschland (378)

b) Die Spitzen beamten im Finanz- und Wirtschaftsministerium: Deutschland und Besatzung zwischen Benutzung und Belastung 379 Allgemeine Deutschlandziele (379) - Frühplanungen: Dilemmata (380) - Innen- und Außenpolitik (383) - Besatzungszone als Devisenfaß ohne Boden (384)

c) Das Produktionsministerium: begrenzter interner Realitätssinn und erhebliche äußere Zwänge? ................................................... 387 Robert Lacoste (388) - Lehren aus der deutschen Besatzung in Frankreich? (390) Reparationen in Theorie und Praxis (393) - Zwischenbilanz: die technischen Ressorts (397)

10

Inhaltsverzeichnis

d) Bilanz konzeptioneller Ansätze 1942 - 1950: von der "doppelten Deutschlandpolitik" zu den ambivalenten Deutschlanddirektiven ............... 400 Relative Kontinuität und Homogenität (400) - Konstruktivität und Destruktivi-

tät (401) - Frühe Weichenstellungen und späte Akzentverschiebungen (402) - Durch-

setzungschancen von Maximalpositionen (403) - Verhandlungstaktik und "doppelte Deutschlandpolitik" (404)

11. Deutschlandpolitische Instruktionen im Entscheidungsprozeß 1945 - 1950: ....... 405 die allgegenwärtige Ambivalenz 1. Die Rahmenrichtlinien des Comite interminisreriel 1945/46: eine offene,

originelle und ambivalente Sicherheitsstrategie ............................

405

a) "Anti-Reich" -Direktiven: "Entpreußung" als konsequente politische Dezentralisierung Deutschlands und der Besatzungszone .................. 406 Erste Rahmenrichtlinien (406) - Anti-Reich-Konsens und politische Praxis (407) Rhein-Ruhr-Saar (408) - Dezentralisierung (409)

b) Ökonomische Direktiven: Wirtschaftseinheit Deutschlands und dauerhafte 411 Überlegenheit Frankreichs .... Erste Wirtschaftsanweisungen: Deutschland und Frankreich (411) - Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit (412) - Ungelöste Dilemmata (414) - Berliner Kontrollratsbeschluß und modifizierte Wirtschaftsdirektiven (416) - Rekonstruktionspriorität für Frankreich (418)

c) Kulturelle Direktiven: "Entpreußung" als sicherheitspolitische Demokratisierungs- und Kooperationsmaxime . .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. 420 Informationspolitik (420) - Umerziehungs- und Bildungspolitik (421) - Kulturelle Sicherheitspolitik (422)

d) Politisch-administrative und "internationale" Direktiven: Besatzer und Besetzte zwischen Vierer- und Dreierzusammenarbeit

Zusammenarbeit mit deutschen Kräften (424) - Parteien, Gewerkschaften und Dezentralisierungspolitik (425) - Zentrale Emährungsfrage (426) - Interalliierte "Einheitsfront" (428) - Zwischenbilanz: Comite interministeriel (430)

423

2. Die "indirekten" Richtlinien de Gaulles vom Frühherbst 1945: Chance und Signal für neue Akzente beim Nachbarn im Osten? ........................ 433 a) "Gaullomanie", Unsicherheiten und Unzufriedenheiten des Besatzungspersonals: Nährboden "indirekter Direktiven" ........................... 434 Prestige de GaulIes (434) - Materielle und mentale Situation (435) - Politik-Ungewißheit (436)

b) De Gaullesche Reden und öffentliche Reaktionen: faktische Mehrdeutig437 keit und wahrgenommene Eindeutigkeit ...........

Inhaltsverzeichnis

11

Realität und Wahrnehmung (438) - Deutsche Reaktionen: Hoffnungsschimmer (439) - Französische Reaktionen: Hysterie (440) - Versuchsballon? (443)

c) Rhetorik als Richtlinien: deutschland- und besatzungspolitische Relevanz "indirekter Direktiven" .................................................. 443 Wahrnehmungen in Baden-Baden und Paris (444) - Legitimationsgrundlagen (447)

d) Die "indirekten Direktiven" als Ausdruck und Zeichen deutschland- und besatzungs politischer Schwerpunktverlagerungen ?

448

3. Die Deutschlandrichtlinien der Jahre 1946 - 1950: relative Dominanz von Kontinuitätslinien in Politik, Wirtschaft und Kultur ..

451

Zonales Klima (448) - Akzentverschiebung als konkretes Ziel oder als Vision? (449) - Zwischenbilanz: "indirekte" De-Gaulle-Richtlinien (450)

a) Deutschlanddirektiven 1946/47: Kontinuitäten und Akzentverschiebungen 452 Umwertung des Dezentralisierungsbegriffs (452) - Wirts.::haftliche Akzentuierungen (455) - Materialisierung von Trendwenden (457)

b) Deutschlanddirektiven 1947/50: Kontinuitätcn und Rückzüge auf Realzie-

k

~9

Trendwende oder Kontinuität, Trendwende und Kontinuität? (46U) - Weitreichende politische Dezentralisierung (461) - Wirtschaftliche Suprematie und Ruhrlösungsprimat (462) - Kultur- und Dcmokratisierungsziele (464) - "Bloe occidental" und "non-alignement" (465)

c) Direktiven zwischen inneren Zwängen und äußerer Nutzung: die Inszenierung der Macht des Schwachen .......................................... 466 Politik und Taktik in Geheimdirekti,'en (466) - Potentielle Argumentationselemente (467) - Fusionsfrage und Weststaatsgründung (469) - Zwischenbilanz: Direktiven 1946/50 (471)

d) Bilanz der Instruktionen 1945 - 1950: von der "doppelten Deutschlandpolitik" über die ambivalenten Direktiven zur "Besatzungspolitik des sowohl als auch" 473 Konzeptionen und Instruktionen: Konvergenzen und Divergenzen (473) - Interpretatorisches Gewicht konstruktiver Direktiven im Entscheidungsprozeß (475) - Relevanz der Cornite interministeriel-Anweisungen (475) - Innen- und Außenpolitik (476)

IIl. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen 1945 - 1950: die "Politik des sowohl als auch" ..

477

1. Zonale Hintergründe für Warunehmung und Umsetzung Pariser Instruktionen: Strukturdefizite und Konfliktmechanismen ........................... 477 a) Das Venvaltungschaos in einer "verkorksten" Zone: von der improvisierten Organisation zur verschleppten Reorganisation ...................... 478

12

Inhaltsverzeichnis Die Zone (478) - Verwaltungsstruktur (479) - Engpässe (482) - Reformvorhaben (484)

b) General Koenig und sein politischer Berater: ambivalente praktische Wirkungen eher destruktiver Grundhaltungen? 487 Relevanz Pariser Richtlinien (487) - Koenigsche Deutschland- und Sicherheitsprämissen (488) - Abtrennung linksrheinischer Territorien (489) - Politische Struktur eines künftigen westdeutschen Staatswesens (492) - Länderkonsolidierung und "Magenfrage" (494) - Länderkonsolidierung und Zonenabschottung (494) - Bewußtsein widersprüchlicher Besatzungsziele (496)

c) Generalverwalter Laffon und die Militärregierung: ambivalente praktische Wirkungen eher konstruktiver Grundhaltungen? 498 Laffonsche Deutschland- und Sicherheitsprämissen (499) - Opposition gegen einen Rheinstaat (500) - Zonale Verwaltungsstrukturen (501) - Französische Präferenzpolitik und zonales Handelsbilanzdefizit (503) - Die Besatzungszone und die Saar, Laffon und Grandval (504) - Theorie und Praxis, Anspruch und Wirklichkeit, Realisation und Perzeption (509)

d) Konfliktmuster: Koenig und Laffon, Paris und Baden-Baden ...........

511

2. Besatzungsrealisationen zwischen hexagonalen, zonalen und internationalen Zwängen: sowohl Destruktivität als auch Konstruktivität ...

518

Institutionelle Konfliktherde (512) - Konzeptionelle Konfliktherde (513) - Aussagekraft parteipolitischer Etikette: Gaullist vs. Sozialist? (514) - Zwischenbilanz: zonale Hintergründe (515)

a) Kontrollratspolitik: prinzipielle Kooperationsbereitschaft im Spannungs........ 518 feld politischer und ökonomischer Einheit Deutschlands Diskussions- und Entscheidungsvorbehalt (519) - Verspätete Präzisierung alliierter Büros (520) - Großbritannien, die Sowjetunion und deutsche Zentralverwaltungsstellen (523) - Pure Obstruktion? (528)

b) Aspekte praktischer Dezentralisierung: zonale Zentralisierungstendenzen und südwestdeutsche Länderkonsolidierung ............................. 528 Zonale Zentralisierungstendenzen (530) - Länder- und zonenübergreifende Parteienkontakte (531) - Rheinland-Pfalz (533) - Die Saar (534) - Südbaden und Württemberg-Hohenzollern (535) - Sowohl als auch: Zonenzentralismus und Dezentralisierung (537)

c) Aspekte französischer Wirtschaftspolitik: ökonomische Suprematie zwischen Nutzung und Rekonstruktion ..........

538

d) Aspekte französischer Demokratisierungs- und Kulturpolitik: Neuordnungsansätze zwischen Kreativität und Sendungsbewußtsein ...........

548

Nutzung der Zone (539) - Nutzen der Zone (543) - Ausbeutungskolonie? (544) Sowohl als auch: Nutzungs- und Rekonstruktionspolitik (547)

Dernokratisierungspotential (549) - Medien-, Bildungs- und Kulturpolitik im engeren Sinne (551) - Sowohl als auch: Demokratisierung und "Missionarisierung" (553) -

Inhaltsverzeichnis

13

Finanzierung (555) - Kultur zwischen Paris und Baden-Baden (556) - Zwischenbilanz: besatzungspolitische Realisationen (557)

3. Besatzungspolitik: und Besatzungsperzeption: mehrdeutige Ergebnisse der Franzosen und eindeutige Erinnerung der Deutschen ________________

559

a) Deutsche Wahrnehmung französischer Besatzung vor und nach Kriegsende: vom "Vertrauensruckstand" zur "GlaubwÜTdigkeitslücke" ________ 560 "Vertrauensrückstand" vor Besatzungsbeginn: Erinnerung und NS-Propaganda (560) - Wissen um NS-Besatzung in Frankreich (561) - Amerikanische "Schauermärchen" (562) - "Besatzungsmacht zweiter Ordnung" (563) - Legenden-Bestätigung und Extremfall-Verallgemeinerung: Exzesse, Exzeßvorsorge und -nachspiele (564)Und wieder die "schwarze Schmach"? (565) - FaktorenbÜDdel "Glaubwürdigkeitslücke": Demontage und Hunger, Siegergehabe und Mittellosigkeit, "doppelte Deutschland-", ambivalente Besatzungs- und problembeladene Innenpolitik (566) b) Französische Wahrnehmungen deutscher Öffentlichkeit nach Kriegsende: vom Unverständnis zur Desillusionierung __ ____________________________ 568 Stereotype Voreinschätzungen der Soldaten (568) - Die materielle Ebene: vom Schock zur überzogenen Kritik (569) - Die politische Ebene: vom Selbstvertrauen zur Überheblichkeit (572) - Zwischenbilanz: Teufelskreis von Besatzungspolitik und -perzeption (573) c) Bilanz französischer Realisationen 1945 - 1950: Resultate und Wahrnehmungen einer "Besatzungspolitik des sowohl als auch" ______ Nuancierungen und Relativierungen (576) - Anbindung Paris - Baden-Baden (577) "Kontinuität der Ambivalenz" (578) - Umsetzung der Sicherheitstrias (579) - Französische Innen- und Besatzungspolitik (580) d) Resümee und Ausblick: von der "doppelten Deutschlandpolitik" zu den innen- und außenpolitischen Erklärungsmustern Konzeptionen (580) - Instruktionen (582) - Realisationen (584) - Aussichten (585)

576

580

C. Erklärungsmuster I.

Hexagonale Aspekte "doppelter Deutschlandpolitik": Druckpotentiale und Verschleierungszwänge 1944 - 1950 . _ ____________ 586 1. Deutschlandpolitisches Gewicht öffentlicher und veröffentlichter Meinung: das Schreckgespenst hexagonaler Germanophobie __

587

a) Das Konzept der öffentlichen Meinung: Grenzen und Möglichkeiten ___ 588 Öffentliche Meinung und außenpolitischer Entscheidungspl"Ozeß (589) b) Die globale öffentliche Meinung: Krisenkompensations- und Mobilisierungsthema "Deutschland" .. __ .. _.... _..... __________ .. ___ . ___ .. _....... 2 Hüser

591

14

Inhaltsverzeichnis Die IFOP-Umfragen (591) - Die Präfektenberichte (594) - Krisenkompensation und Restaurationstrauma (595) - Deutschland als öffentliches Mobilisierungsthema (596) - Druckpotential (599) - Kontinuität trotz Wandel (600) - Öffentliche und veröffentlichte Meinung (601)

c) Die veröffentlichte Meinung: verselbständigte Sprachhülsen und deutschlandpolitische Selbstverständlichkeiten ................ .. .. .. . ... .

Rezeptionsdilemmata zwischen Informations- und Sensationspresse (602) - AntiReich-Konsens (604) - Wirtschaftssuprematie (609) - Kontinuitätslinien (610) Öffentlichkeit und Deutschlandpolitik (611)

601

d) Französische Öffentlichkeit und Pariser Deutschlandakteure: Druckpoten.... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 612 tiale und Druckperzeptionen ...... Druckpotential (613) - Druckperzeption (614) - Zwischenbilanz: 1918 und 1944 (616)

2. Immanente Deutschlandzwänge des (partei-)politischen Systems: vom Kitt des Tripartismus zur Bedrohung der Dritten Kraft ......................... 617 a) Der koalitions-, sach- und wahlpolitische Druck kommunistischer Hegemonie im Tripartismus: Revanchepolitik als kleinster gemeinsamer Nenner mit größtem elektoralem Nutzen? ...................................

Fortwährender Koalitionsdruck (618) - Sachpolitischer Anpassungsdruck (620) - Ein Übergangsregime als permanente Wahlkampfarena (622) - Wahlkampfobsessi0nen (623) - Deutschland im Wahlkampf (624)

617

b) Volksrepublikaner, Sozialisten und die "Gouin-Affäre": das Bidaultsche 626 Paradigma "doppelter Deutschlandpolitik" ................ "Front commun MRP-PCF" versus SFlO? (627) - Die Gouin-Affäre (631) - Bidaults "doppelte Deutschlandpolitik" (635)

c) Die Wahrnehmung der "Ersten" und "Zweiten" durch die "Dritte Kraft": Deutschland und die gaullistisch-kommunistische Zange ...............

Vom Tripartismus zur Dritten Kraft (638) - Perzeption deutschlandpolitischer RPFund PCF-Gefahren (640) - Kommunistisches Druckpotential im Diskurs des Quai d'Orsay (642)

637

d) Der Druck der Deputierten: die Parlamentsausschüsse und die Deutschlandpolitik ............................ ................. 643 Die außenpolitische Kommission (644) - Die Enquetekommission für die Besatzungszone (649) - Die technischen Kommissionen (653) - Zwischenbilanz: innenpolitische Erklärungsmuster 1944-1950 (656)

11. Internationale Aspekte "doppelter DeutschlandpoUtik": Nutzungschancen gegenüber den WestalUierten 1945 - 1950 ......................... 1. Frankreich, die Vereinigten Staaten und die deutsche Frage: relative "Macht

des Schwachen" und relative "Schwäche des Mächtigen"? .................

657 659

Inhaltsverzeichnis

a) Wechselseitige Interessenlagen: Pariser Erfahrung profitabler Verhand.... .. .... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. lungsmechanismen ... Französische und amerikanische Interessen (660) - Perzeption profitabler Verhandlungsmuster (661) - Nachweis begrenzter amerikanischer Druckmittel (663)

15

659

b) Wechselseitige Abhängigkeitsstrukturen: das Blum-Byrnes-Abkommen als Paradigma respektiver Kompromißzwänge .. . . . . . . . . . . . . . 665 Vom passiven Erleiden zum aktiven Einwirken (666) - Amerikanisch-französische Verhandlungsstrukturen (667) - Paradigma kurz- und langfristiger Abhängigkeiten (669)

c) Wechselseitige Wahrnehmungen: Kontinuität arnerikanisch-franzäsischer Verhandlungselemente ............. ... ........ 672 Amerikanische Furcht vor Kommunisten und Chaos (673) - Französisches Kalkül zwischen Hinhalten und Drohen (674) - Amerikanische Reaktion zwischen Zuckerbrot und Peitsche (675) - Französisches Selbstbewußtsein (676)

d) Wechselseitige Zugeständnisse nach amerikanischem Alleingang: deutschlandpolitische Pokerspiele .......................................

Modell "Echternach": Vorstoß, Protest und Einlenken (677) - Rückzugsgefechte als Verhandlungskalkül (680) - US-Phasen kontinentaleuropäischer Gewichtung (681)

677

2. Frankreich und die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Europa: "dop683 pelte Deutschlandpolitik" als Rezept relativer Erfolge? ............. a) Der finanzwirtschaftliche Erfolg: der "Trizonesien-Trumpf" und der Marshallplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 "Trizonesien-Trumpf' (684) - Keine Rekonstruktion in Deutschland ohne Frankreich (686) - Frankreich als kontinentaleuropäische n° 1 (688) - Erfolgsaussichten ohne Trumpf? (690)

b) Der sicherheitspolitische Erfolg: der "Trizonesien-Trumpf" und der Nordatlantikpakt .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Anglo-französische Vorstöße und amerikanische Dilemmata (691) - Londoner Empfehlungen und Vandenberg-Resolution (692) - Besatzungsstatut, Nordatlantikpakt und Ruhrstatut (694) - Erfolgsaussichten ohne Trumpf? (697)

690

c) Frankreich, Großbritannien und die Chancenlosigkeit engerer Deutschlandkooperation: das Dünkircher Beispiel ............. ' 699 Insulare und hexagonale Deutschlandzwänge (699) - Der lange Weg nach Dünkirchen (703)

d) Von Dünkirchen zum Schumanplan: Überlegungen zu britischen und französischen Europa-Optionen ....................

Dünkirchen und "doppelte Deutschlandpolitik" (707) - Frankreich, Großbritannien und Europa (708) - Europäische Integration und nationale Interessen (709) - Zwischenbilanz: hexagonale und internationale Erklärungsmuster 1944-1950 (712)

707

16

Inhaltsverzeichnis

Schlußbetrachtung .......................................................

714

Quellen- und Literaturverzeichnis .............................................

727

Personenregister .................... . ...........................................

783

Rahrnenbedingungen 1940-1950: Politik und Gesellschaft, Moral und Modernisierung (714) - "Doppelte Deutschlandpolitik" 1944-1950: Internationalisierung, Dezentralisierung, "Suprernatisierung", Demokratisierung (716) - Erklärungsrnuster 1944-1950: Innen-, Außen- und "doppelte Deutschlandpolitik" (721) - Historiographische Verortung: Bruckenschlag (723) Historische Verortung: deutsch-französische Nachkriegsbeziehungen (724)

Archive (727) - Gedruckte Quellen (733) - Periodika (735) - Reden, Memoiren, Tagebücher - Zeitgenössische Studien und Essays 1944-1950 (736) - Literatur (745)

Abkürzungsverzeichnis

Zeitschriften AiS AHR CHIRM CIMT EHQ GO GWU HZ JCH JfG

JMH

JWLG MGM NPL PVS RFSP RH RHO RHOGM RHMC

va

ZfG ZfGSG ZGO

Archiv für Sozialgeschichte American Historical Review Cabiers d'Histoire de l'Institut de Recherehes Marxistes Cabiers de l'Institut Maurice Thorez European History Quarterly Geschichte und Gesellschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historische Zeitschrift Journal of Contemporary History Jahrbuch für Geschichte Journal of Modem History Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte Militärgeschichtliche Mitteilungen Neue Politische Literatur Politische Vierteljabresschrift Revue Fran~aise des Sciences Politiques Revue Historique Revue d'Histoire Diplomatique Revue d'Histoire de la Oeuxieme Guerre Mondiale Revue d'Histoire Modeme et Contemporaine Vierteljabrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins

Publizierte Dokumente BC OBPO OHEI DM FRUS JORF

Bulletin des Commissions Oocuments on British Policies Overseas Documents on the History of European Integration Discours et Messages de Charles de Gaulle Foreign Relations of the United States, Diplomatie Papers Journal Officiel de la Republique Fran~aise

18 LNC MdG OC

Abkürzungsverzeichnis

Lettres, Notes et Camets de Charles de Gaulle Memoires de Guerre de Charles de Gaulle Oeuvres Completes de Pierre Mendes France

Archive und Forschungseinrichtungen AHC AMAE AN AOFAA APDC APGG BDIC BN DAS FNSP IFOP llITP IPMF OURS SAAN SAEF SHAT

Archives d'Histoire Contemporaine Archives du Ministere des Affaires Etrangeres Archives Nationales Archives de l'Occupation Fran~aise en Allemagne et en Autriche Archives des Postes Diplomatiques et Consulaires a l'etranger Archives Privees Gilbert Grandval Bibliotheque de Documentation Internationale Contemporaine Bibliotheque Nationale Division des Archives du Senat Fondation Nationale des Sciences Politiques Institut Fran~ais d'Opinion Publique Institut d'Histoire du Temps Present Institut Pierre Mendes France Office Universitaire des Recherches Socialistes Service des Archives de l'Assemblee Nationale Service des Archives du Ministere de l'Economie et des Finances Service Historique de l'Armee de Terre

Widerstand BECH CFLN CNF CNR

FFI GPRF MUR

Bureau d'Etudes Chauvel Comite Fran~ais de Liberation Nationale Comite National Fran~ais Conseil National de la Resistance Forces Fran~aises de l'Interieur Gouvernement Provisoire de la Republique Fran~aise Mouvements Unis de la Resistance

Pariser Ministerien und Kommissionen Ass.Nat. - Com.Aff.Etr. - Com.Agr.Rav. - Com.Def.Nat. - Com.Eco.Nat. - Com.Edu.Nat. - Com.Equ.Nat. - Com.Fin.

Assemblee Nationale Commission des Affaires Etrangeres Commission de l'Agriculture et du Ravitaillement Commission de la Defense Nationale Commission de l'Economie Nationale Commission de I'Education Nationale Commission de I'Equipement Nationale et de Ja Production Commission des Finances

Abkürzungsverzeichnis

- Com.Prod.Ind. - Com.Rec. - Com.Trav. -Com.zFO CGP EMGDN MAE - Dir.Adm. - Dir.Cult. - Dir.Eco. - Dir.Eur. - Dir.Pol. - SDir.Eur.Centr. - SDir.Eur.Nord

MEF

MEN MFIN MPI

Commission de 1a Production Industrielle Commission de la Reconstruction Commission du Travail Commission d'enquete dans les Zones Fran~aises d'Occupation Commissariat General au Plan Etat Major General de 1a Defense Nationale Ministere des Affaires Etrangeres Direction des Affaires Administratives Direction des Affaires Culturelles Direction des Affaires Econorniques Direction d'Europe Direction des Affaires Politiques Sous-direction d'Europe Centrale Sous-direction d'Europe du Nord Ministere de l'Econornie et des Finances Ministere de l'Economie Nationale Ministere des Finances Ministere de la Production Industrielle

Deutschland- und besatzungspolltische Institutionen Administration Militaire Fran~aise en Allemagne Bureau d'Etudes de l'Arrnistice Commandement en Chef Fran~ais en Allemagne Comite Economique Interrninisteriel Commissariat General aux Affaires Allemandes et Autrichiennes Contröle General des Territoires Occupes Cornite Interrninisteriel des Affaires Allemandes et Autrichiennes Commandement Superieur des Troupes d'Occupation Commission des Territoires Occupes Groupe Fran~ais du Conseil de Contröle Gouvernement Militaire (de la Zone Fran~aise d'Occupation) Haut Commissariat de la Republique Fran~aise en Allemagne Mission Militaire pour les Affaires Allemandes Office du Commerce Exterieur Secretariat d'Etat aux Affaires Allemandes et Autrichiennes SEAAA SGCGAAA Secretariat General du CGAAA SGCIAAA / SGAAA Secretariat General du CIAAA Sous-Secretariat d'Etat aux Affaires Allemandes SSEAA

AMFA BEA CCFA CEI CGAAA CGTO CIAAA CSTO CTO GFCC GM(ZFO) HCFA MMAA OFICOMEX

Internationale Institutionen und Programme AKR EAC

Alliierter Kontrollrat European Advisory Comrnission

19

20 ECA ECO EGKS ERP FMI

!ARA JCS

JElA

OECE OMGUS SHAEF SMAD UNO UNRAA

Abkürzungsverzeichnis European Cooperation Administration European Coal Organization Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl European Recovery Program Fonds Monetaire International Inter-Allied Reparations Agency Joint Chiefs of Staff Joint Export Import Agency Organisation Europeenne de Cooperation Economique Office of Military Govemment, United States Supreme Headquarters of the Allied Expeditionary Forces Sowjetische Militäradministration United Nations Organization United Nations Relief and Rehabilitation Agency

Parteien, Gewerkschaften und Verbände CGT CGT-FO

MRP

PCF PRRRS

RPF

SFIO UDSR

Confederation Generale du Travail Confederation Generale du Travail, Force Ouvriere Mouvement Republicain Populaire Parti Communiste Fran~ais Parti Republicain Radical et Radical Socialiste Rassemblement du Peuple Fran~ais Section Fran~aise de l'Internationale Ouvriere Union Democrate et Socialiste de la Resistance

Länder und Territorien

ABZ BBZ

FBZ

GB SBZ UDSSR URSS USA ZFO

Amerikanische Besatzungszone Britische Besatzungszone Französische Besatzungszone Großbritannien, Grande Bretagne Sowjetische Besatzungszone Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken Union des Republiques Sovietiques Socialistes United States of America Zone Fran~aise d'Occupation

Einleitung "... daß, wenn der Egoismus der Franzosen der deutsch-französischen Zusanunenarbeit förderlich ist, wir uns darüber freuen sollten." 1

Idealismus und Altruismus sind Eigenschaften, die in der Diplomatie keinerlei Rolle spielen: Außenpolitik war, ist und bleibt Interessenpolitik. 2 Für das deutschfranzösische Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg gilt dies nicht weniger als für andere Akteure und Bereiche zwischenstaatlichen HandeIns. Für die Zeit zwischen Kriegsende und Schumanplan gilt dies ebenso wie für die Jahre nach 1950, 1958, 1963 oder 1989. Das Problem der Verständigung zwischen den Nachbarn am Rhein sprengte damals wie heute den engeren bilateralen Bezugsrahmen, implizierte inuner auch die Frage nach Frankreichs Rolle in der Europa- und Weltpolitik sowie nach der Integration Deutschlands in eine europäische Friedensordnung.3

1989 -1963 - 1958 - 1950 - 1944/45. Auf der Ebene der "Großen Politik" haben Umbruch in Osteuropa und Wiedervereinigungsprozeß in Deutschland solche Konstanten deutsch-französischer Nachkriegsbeziehungen erneut und nachdrücklich an die Oberfläche gespült. Weiter wirksame kollektive Sorgen und Ängste der französischen "classe politique" einerseits, geringe Sensibilität seitens der deutschen Führung für Erwartungshaltungen und Empfindlichkeiten des westlichen Nachbarn andererseits, traten nun in aller Deutlichkeit zutage, nachdem eine abgehobene Freundschaftsrhetorik und Versöhnungssymbolik im Zeichen des Ost-West-Gegensatzes sie lange offiziell, häufig mühsam bemäntelt hatte. Gerade angesichts durchaus erfolgreicher jahrzehntelanger institutionalisierter Kooperationsmechanismen auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene, die eine Thematisierung der 1 Dies die realistische Einschätzung von Fran~ois Seydoux, Die Wandlung in den Beziehungen zweier Völker, in: Deutschland - Frankreich, Ludwigsburger Beiträge zum Problem der deutsch-französischen Beziehungen, hg. v. Deutsch-Französischen Institut Ludwigsburg, Bd.3, Stuttgart 1963, S.59-70 (67). 2 Der Begriff des Interesses soll weniger im Sinne der Morgenthauschen Theorie des aufgeklärten politischen Realismus als quasi-metaphysischer Machtbegriff mit dezisionistisch gesetzten Normen verstanden werden, sondern eher im Sinne der Aronschen historischen Soziologie internationaler Beziehungen als "conduite diplomatico-strategique" mit einer gewissen Verhalrenslogik und -rationalität, jedoch ohne eindeutige alleingültige Zielbestimmung oder ex ante offensichtliche Finalität; vgl. Hans J. Morgenthau, Politics among nations, 3.Auflage, New York 1963, S.27-31 sowie Raymond Aron, Paix et guerre entre les nations, 3.Auflage, Paris 1962, S.27-30. 3 Vgl. Wilfried Loth, Die deutsch-französischen Beziehungen. Verständigung und Mißverständnisse, in: ders., Ost-West-Konflikt und deutsche Frage, München 1989, S.159-172; Georges-Henri Soutou, FranceAllemagne 1870-1963, in: Henri Menudier (Hg.), Le couple franco-allemand en Europe, Paris 1993, S.17-25.

22

Einleitung

sie begleitenden Konfliktherde, Spannungen und Mißverständnisse im einzelnen kaum zuließ, mußte die offensichtliche Überforderung weiter Teile von Politik und Medien, Überreaktionen und Prestigegehabe auf der einen sowie mangelndes Einfühlungsvermögen und Unbeholfenheit auf der anderen Seite bei respektiver Revalorisierung traditioneller Länderklischees, einen bitteren Beigeschmack erzeugen und Zweifel an Substanz und Tiefenwirkung der vielbeschworenen deutschfranzösischen Aussöhnung nähren. Bei aller Anerkennung des im vergangenen halben Jahrhundert beiderseits Geleisteten gilt es dennoch zu konstatieren, daß die "Gespenster der Vergangenheit" weiterhin Faktoren der Politik bleiben 4 und die wechselseitigen Einschätzungen der Rolle des anderen ganz wesentlich mitbestimmen. Die Beispiele reichen vom Golfkrieg bis zum Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, vom Einsatz deutscher Soldaten in Krisengebieten bis zur Frage eines ständigen deutschen Sitzes im UNOSicherheitsrat, von den Maastricht-Debatten bis zu den GA TT-Verhandlungen. Und der mit den Feierlichkeiten zum 50.1ahrestag der alliierten Landung in der Normandie am 6.1 uni 1994 einsetzende Kommemorationszyklus für die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und das Ende des Krieges hat daran nichts geändert. Auf der Ebene kultureller Deutungsmuster hingegen haben die "Gespenster der Vergangenheit" offensichtlich an Virulenz eingebüßt. Paradoxerweise reagierte die breite französische Öffentlichkeit, deren verständliche Germanophobie es nach Kriegsende behutsam abzubauen und europapolitisch zu kanalisieren galt, deutlich aufgeschlossener und abgeklärter gegenüber den Entwicklungen in Deutschland als die politisch Verantwortlichen, denen diese schwierige Aufgabe damals doch gerade zufiel. Nach Befreiung und Kriegsende schränkte die antideutsche Grundhaltung der Franzosen die Spielräume der Politik beträchtlich ein. Nun schien es fast, als glaube eine stereotypenverhaftete "classe politique" dem eigenen, lange Jahre gepflegten "Aussöhnungsdiskurs" weniger als die Menschen, an die sie ihn richteten, und als erhalte sie ein unfreiwilliges Alibi durch eine bundesdeutsche Führung mit wenig ausgeprägtem Fingerspitzengefühl. War denn die deutsch-französische Verständigung nur ein großes Mißverständnis?

Forschungsstand und -ziel. Neben der kritischen Würdigung von Erfolgen und deren diachroner bzw. synchroner Verortung besteht eine wesentliche Aufgabe historischer und politologischer Forschung im Bereich deutsch-französischer Nachkriegsgeschichte darin, unbequeme Wahrheiten zu thematisieren, Interessenkonflikte offenzulegen, Aussöhnungsmythen zu hinterfragen, Mißperzeptionen abzubauen und gerade damit zu einer offenen bilateralen Streitkultur beizutragen.s Im großen und ganzen hat sie dies - nach anfänglich plausiblen Schwierigkeiten _6 in den letzten • Vgl. Rainer Hudemann, Bild und Erfahrung des anderen - Schranke oder Chance der Kooperation? in: Jochen Schlobach I Michel Grunewald (Hg.), Mediations - Vennittlungen, Aspects des relations franco-a1lernandes du XVIle siede a nos jours, Bem 1992, Bd.2, S.681-690 (682). , Vgl. mit Nachdruck Ingo Kolboorn, Dialog mit Bauchgrimmen? Die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen, in: Europa-Archiv 49 (1994) S.257-264 (262f.). 6 Einen knappen Überblick bieten Robert Picht, Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 als

Einleitung

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beiden Jahrzehnten zunehmend geschafft, volkspädagogische und franko- bzw. germanophile Anwandlungen abgeschüttelt und ein durchaus differenziertes Bild präsentiert, das über die unbestreitbaren Erfolge die markanten Defizite beiderseits des Rheins nicht vergaß. Es scheint allerdings, als habe die nahezu ausschließliche Orientierung der Untersuchungen am "Topos der Verständigung"7 dennoch eine solche Fundierung und Stringenz des bilateralen Verhältnisses suggeriert wie sie realiter nie existierten und damit trotz aller Nuancierungen im einzelnen wirkungsgeschichtlich eher die regierungsamtliche Rhetorik abgestützt. Eine gewisse Überzeichnung der "Versöhnungs-" gegenüber der "Interessenkomponente" läßt sich indessen nicht für den gesamten Nachkriegszeitraum ausmachen. Vielmehr spiegelt sich diese Forschungstendenz gleichsam am Schumanplan vom Mai 1950 als dem zwneist bis heute zentralen Einschnitt in der kollektiven Erinnerung wie auch auf der wissenschaftlichen Zeitleiste deutsch-französischer Beziehungen seit Kriegsende. Sie implizierte für den Abschnitt zwischen 1944 und 1950 eine Voreinschätzung französischer Deutschlandpolitik, die für Kontinuitätselemente über tagespolitische Ereignisse hinweg, für Ambivalenzen der praktischen Politik sowie für Komplexitäten der damaligen hexagonalen Situation als solche kaum Spielraum ließ. Dem "Topos der Verständigung" für die Periode seit dem Montanunion-Vorstoß entsprach forschungsgeschichtlich schlüssig ein "Topos des Unverständnisses" für die Phase zuvor, einer überbetonten Konstruktivität stand eine überzogene Destruktivität in der Interpretation der frühen Nachkriegsjahre gegenüber, einem Primat der Aussöhnung ein Primat der Revanche. Das Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, durch die kritische Betrachtung traditioneller Positionen bzw. durch pointierte Gegenthesen einige in Politik, Medien und Wissenschaft fortbestehende Gemeinplätze zu hinterfragen und ein neubewertendes Gesamtbild französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan auf der Basis nun zugänglicher Archivalien zur Diskussion zu stellen. Dabei kann es nicht um den Austausch eines alten schwarzen gegen ein neues weißes Bild gehen, sondern darum, Ideen, Anstöße und Materialien verfügbar zu machen, die auf einen ausgewogeneren Befund, auf ein Mosaik in Grautönen, hindeuten. wissenschaftliches Problem, in: Hartmut Elsenhans e.a. (Hg.), Frankreich, Europa, Weltpolitik, Festsdlrift für Gilbert Ziebura, Opladen 1989, S.97-106 sowie Hans Manfred Bock, Von der geisteswissenschaftlichen Frankreichdeutung zur sozialwissenschaftlichen FranJcreichforschung, in: Joachim Schild (Hg.), LändeIforschung, Ländervergleich und Europäische Integration, Ludwigsburg 1991, S.50-61. 7 Symptomatisch und programmatisch für Differenzierungsgrad wie für "Verständigungstopos" in der Fcrsdiung die Titel von Sammelbänden 2lI den deutsch-französischen Beziehungen: Marieluise Christadler (Hg.), Deutschland - FranJcreich. Alte Klischees - Neue Bilder, Duisburg 1981; Robert Picht (Hg.), Das Bündnis im Bündnis. Deutsch-französische Beziehungen im internationalen Spannungsfeld, Berlin 1982; Klaus Manfrass (Hg.), Paris - Bonn. Eine dauerhafte Bindung schwieriger Partner, Sigmaringen 1984; DeutsdJland - Frankreich. Höhen und Tiefen einer Zweierbeziehung, hg. v. Deutsch-Französischen Kulturinstitut Essen, Essen 1988; Über die Freundschaft hinaus. Deutsch-französische Beziehungen ohne Illusionen, hg. v. Deutsch-Französischen Institut Ludwigsburg, Bonn 1988; Robert Picht / Wolfgang Wesseis (Hg.), Motor für Europa? Deutsch-französischer Bilateralismus und europäische Integration, Bonn 1990; Ingo Kolboom / Ernst Weisenfeld (Hg.), Frankreich in Europa. Ein deutsch-französischer Rundblick, Bonn 1993; Patrick McCarthy (Hg.), France - Germany 1983-1993. The struggle to cooperate, London 1993.

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Einleitung

Traditionelle Sicht. Tatsächlich herrschte in der Historiographie8 bis in die 80er Jahre hinein ein weitestgehender Konsens vor, was die Beurteilung französischer Deutschland- und Besatzungspolitik von der Befreiung bis zum Schumanplan anbelangte. Dieser traditionellen Sicht9 zufolge habe die französische Deutschlandpolitik eine von de Gaulle geprägte, anachronistische Konzeption, eine verschärfte Neuauflage Poincan!scher Politik durchzusetzen versucht, territoriale Höchstforderungen bis hin zur Annexion des linken Rheinufers und des Ruhrgebiets, zumindest aber des Saarlandes verwirklichen wollen, durch eine Zwergstaaten politik eine Zerstückelung Deutschlands in eine Vielzahl souveräner Einzelstaaten angestrebt, durch ausdrückliche Vorbehalte gegen eine politisch wie wirtschaftlich einheitliche Behandlung Deutschlands die größten Schwierigkeiten im Alliierten Kontrollrat bereitet, die Etablierung zentraler deutscher Kompetenzen schon im Ansatz abgeblockt und somit die deutsche Teilung maßgeblich präjudiziert. Die französische Besatzungspraxis im Südwesten sei, abgesehen von positiven kulturpolitischen Ansätzen, überaus streng gewesen, härter und rücksichtsloser jedenfalls als in den angelsächsischen Zonen. Die Baden-Badener Militärregierung habe deutschen Verwaltungsgremien und Landtagen kaum autonomen Handlungsspielraum zugestanden, damit die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands erheblich beeinträchtigt, Parteien- und Gewerkschaftslizenzierungen am restriktivsten gehandhabt, länderübergreifende Kontakte nicht geduldet, die Besatzungszone als Objekt ungehemmter wirtschaftlicher Ausbeutung betrachtet, schließlich zugelassen, daß französische Soldaten die einheimische Bevölkerung tyrannisierten. Erst aufgrund der Polarisierung der internationalen Politik im Zuge des I Auf die traditionelle Forschungssicht soUen im folgenden nur einige Schlaglicshter geworfen werden, die ausführliche Diskussion der grundlegenden Thesen erfolgt in den entsprechenden Abschnitten der vcrliegenden Abhandlung. Einen systematischeren Zugriff auf ältere und neuere Positionen zur französisdlen Deutschland- und Besatzungspolitik erlauben die Sammelrezensionen und Forschungsberichte von Gerhard Kiersch, Die französische Deutschlandpolitik 1945-1949, in: Claus Scharf / Hans-Jürgen Sdlröder (Hg.), Politisdle und ökonomische Stabilisierung Westdeutschlands, Wiesbaden 1977, S.61-76; Rainer Hudemann, Französische Besatzungszone 1945-1952, in: Claus Scharf / Hans-Jürgen Schröder (Hg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945-1949, Wiesbaden 1983, S.205-248; Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik in Deutschland nach 1945. Neuere Forschungen über die "vergessene Zone", in: NPL 35 (1990) S.50-62; Adolf Kimmei, Die deutsch-französischen Beziehungen, in: ebd., S.472-483; Rainer Hudemann, Frankreichs Besatzung in Deutschland: Hindernis oder Auftakt der deutsch-französischen Kooperation? in: Joseph Jurt (Hg.), Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation, Freiburg 1993, S.237-254.

• Für die 50er Jahre vgl. Joseph Rovan, Hat Frankreich eine Deutschlandpolitik? in: Frankfurter Hefte 6 (1951) S.461-474; Rudolf von Albertini, Die französische Deutschlandpolitik 1945-1955, in: Schweizerische Monatshefte 35 (1955/56) S.364-376; Wilhelm Cornides, Die Weltmächte und Deutschland. Geschichte der jüngsten Vergangenheit 1945-1955, Tübingen 1957. Für die 60er Jahre vgl. Alfred Grosser, La Ne Republique et sa politique exterieure, Paris 1961, 3.Auflage, Paris 1972; Frank-Roy Willis, The French in Germany 1945-1949, Stanford 1962; Adalbert Korff, Le revirement de la politique ~ 11 I'egard de I'AlIemagne entre 1945 et 1950, Ambilly-Annemasse 1965. Für die 70er Jahre vgl. Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, Pfullingen 1970; Walter Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Bd.l: 1945-1947, Stuttgart 1977, S.498ff. Danach vgl. z.B. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945-1949, Stuttgan 1983; Wolfgang Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946-1949, FrankfurtlM. 1984; Herrnann Gram!, Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, FrankfurtlM. 1985.

Einleitung

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aufkommenden Kalten Krieges, des wachsenden Drucks seitens der USA und seiner eigenen machtpolitischen Schwäche habe Frankreich in einem permanenten Rückzugsgefecht die illusionären Deutschlandforderungen zurückgeschraubt und sei mit der Moskauer Außenministerkonferenz vom Frühjahr 1947 notgedrungen auf die anglo-amerikanische linie eingeschwenkt. Eine solch einschneidende Revision hätte eigenständige Vorschläge völlig im Sande verlaufen lassen und 1948/49 das ganze Debakel der starrsinnig-unnachgiebigen Haltung an den Tag gebracht. Frankreichs Handeln gegenüber seinem östlichen Nachbarn galt nicht zuletzt "wegen des schwierigen Quellenzugangs ... als spröder Untersuchungsgegenstand"10 und es schien, als sei die Vernachlässigung dieses Forschungsfeldes leicht zu verschmerzen, denn im ganzen berge die französische Deutschlandpolitik ohnehin "nicht viele Rätsel."l1 Alles in allem: Politik destruktiv, Bilanz negativ, Forschung defensiv!

Besatzungs- und deutschlandpolitische Relativierungen. Die Öffnung der französischen Archive seit Mitte der 80er Jahre ermöglichte eine Überprüfung der zumeist auf sehr viel länger zugänglichen angelsächsischen Materialien sowie auf persönlichen Erinnerungen von Zeitgenossen beruhenden Thesen. Sie führte zu neuen Fragestellungen, zu anderen Beurteilungen und Gewichtungen, zunächst der französischen Besatzungs-, dann auch der Deutschlandpolitik zwischen 1944 und 1950. 12 Zur Relativierung der traditionellen Sicht französischen Vorgehens im deutschen Südwesten nach Kriegsende haben neben unzähligen Artikeln besonders Detailstudien in den vielfältigst miteinander verwobenen Bereichen der Presse- und Rundfunkpolitik, 13 der Gewerkschaftspolitik, 14 der Sozialpolitik,15 der Parteien'OWoIfgang Benz, Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier·Zonen·Deutschland, München 1986, S.251. "Hans-Peter Schwarz, Vom Reich :rur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitisdien Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945·1949, 2.Auflage, Stuttgart 1980, S.L. 12 Einen Überblick bieten die Sammelbände von Jeröme VaiUant (Hg.), Französische Kulturpolitik in Deutschland 1945-1949, Konstanz 1984; Franz Knipping I Jacques Le Rider I Karl J. Mayer (Hg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland 1945-1950, Tübingen 1987; Die französische Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1949, hg. v. Institut Fran~is de Stuttgart, Tübingen 1987; Henri Menudier (Hg.), L'Allemagne V gl. Brief Debre an die Direction d'Europe, 22.07.48, AMAE Y (1944/49) 654. 26 Vermerk Debres vom 05.08.48, AMAE Y (1944/49) 654. v G~äch von Landrat Hummelsheim mit Außenminister Schuman in Paris, 20.10.48, in: Bromrner (Hg.), Quellen :zur Geschichte von Rheinland-Pfalz, S.692-695 (694). 21 Vgl. Decret portant nomination d'un Commissaire general aux affaires allemandes et autrichiennes, 25.11.1948, JORF (26.11.48) S.11494; daneben nun Alain Poher, Trois fois president. Memoires, Paris 1993, S.87. Kritisch zu Pohers Ernennung nach dessen fehlgeschlagener Bewerbung um einen Sitz im Conseil de la Republique Jacques Duclos, Memoires, Bd.4: Sur la breche, Des debuts de la lVe Re.. publique au "cornplot" des pigeons 1945-1952, Paris 1971, S.257. 21

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A. Rahmenbedingungen

Jahre leiten. Erst im Mai und Juni 1950 wurden die Services des Kommissariats endgültig den entsprechenden Abteilungen des Außenministeriums zugeschlagen. 29

Zwischenbilanz: offizielle interministerielle Gremien. Die bisherige Betrachtung eines beispiellosen institutionellen Wirrwarrs mit all seinen Neugründungen und Auflösungen, Umbenennungen und Kompetenzneuordnungen, Zuständigkeitswechseln und Wiedereinsetzungen beschränkte sich auf offizielle Pariser Behörden, die mit expliziten deutschlandpolitischen Koordinationsfunktionen ausgestattet und als obligatorische Schaltstationen zwischen der Zentrale und dem französischen Oberkommando in Baden-Baden geplant waren. Sie sollten einerseits sämtliche deutschland- und besatzungspolitischen Initiativen und Maßnahmen aus der französischen Hauptstadt koordinieren und zentralisieren, andererseits über die Transformation von Regierungsrichtlinien in praktische Besatzungspolitik sowie über die Funktionstüchtigkeit der Zonenadministration allgemein wachen. Diese theoretische Rolle als "deutschlandpolitische Zentralorgane" prädestinierte sie zu machtpolitisch wertvollen Objekten. Ging es de Gaulle aufgrund seiner ohnehin herausgehobenen Stellung im provisorischen Regierungssystem vermutlich noch primär um die eigene Oberaufsicht über alle Deutschlandangelegenheiten und um die Umsetzungskontrolle von Comite interministeriel-Direktiven, so galt es für Außenminister Bidault zunächst, sie aus dem Kompetenzbereich der nachfolgenden Regierungschefs zu lösen und dem Quai d'Orsay "einzuverleiben". Bei Integration des Commissariat general und gleichzeitiger Vernachlässigung des Comite interministeriel mußte er vorerst nicht mehr um die Desavouierung "seiner" Politik, um eine verfrühte Offizialisierung inoffizieller Positionen in der Deutschlandfrage fürchten. Die faktische Erfüllung theoretischer administrativer Ziel vorgaben gelang den "deutschlandpolitischen Zentralorganen" zu keinem Zeitpunkt, da zwischen Zuständigkeiten und verfügbaren Mitteln ein breiter Graben klaffte. Es mangelte an Kontroll-, Durchsetzungs- und Druckmitteln gegenüber den Pariser Ministerien ebenso wie gegenüber der Baden-Badener Militärregierung. Die Kompetenzen blieben letztendlich einfacher auf dem Papier zu definieren als wirksam in die Tat umzusetzen?O Die britisch-französische Vergleichsperspektive relativiert ein wenig die teilweise harschen Kritiken an den Pariser Koordinierungsgremien und legt nahe, daß die auftretenden Schwierigkeiten weder Spezifikum Frankreichs noch der IV.Republik bildeten, sondern auf strukturelle Ursachen verwiesen, auf die solche Organe in jeder anderen Demokratie, in jedem anderen Regierungssystem ähnlich gestoßen wären. Die Labour-Regierung in London rief am 22.0ktober 1945 ein Control Office for Germany and Austria unter Leitung von John Burns Hynd ins Leben.3l Es unterstand nicht dem Premier- oder Außenminister, sondern ebenso wie 29 Für den Service des affaires culturelles du CGAAA vgl. Brief der Direction generale des affaires culturelles des Quai d'Orsay an Andre Fran~ois-Poncet, 03.06.50, AMAE Rel.Cult. (1948/55) VI. J) Vgl. Debre, Memoires, Bd.2, S.68. 31 Vgl. Barbara MarshaU, The origins of post-war German politics, London 1988, S.14-17 sowie Jochen Thies, What is going on in Germany? Britische Militärverwaltung in Deutschland 1945/46, in: Claus Scharf 1 Hans-Jürgen Schröder (Hg.), Die Deutschlandpolitik Großbritanniens und die Britische Zone, Wiesbaden 1979, S.29-50 (42f.).

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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der britische Oberkommandierende in Deutschland dem War Office. Es sollte die Verbindung zwischen der Attlee-Regierung und der Berliner Kontrollkommission herstellen und dieser, nach Rücksprache mit anderen Ressorts, Instruktionen erteilen. Doch auch in Großbritannien klappte eine solche Regelung nicht zufriedensteIlend, und es stellten sich rasch exakt die gleichen Strukturprobleme ein, wie sie bei den französischen Koordinierungsorganen auftraten. Von Montgomery bei wichtigen Angelegenheiten umgangen, von den Ministerien nicht als Koordinierungsstelle respektiert, ohne Sitz im Kabinett und vor dem Unterhaus permanent in der Schußlinie, konnte es seinen Entscheidungen keine Wirkkraft verleihen. Im April 1947 wurde das Control Office samt seiner 3.000 Mitarbeiter, wie das Commissarait general Mitte August 1946 in Frankreich, dem Außenministerium "einverleibt", Hynd durch Lord Pakenharn ersetzt. 32 Mit dem Ausscheiden Lord Pakenharns im Mai 1948 blieb der Posten vakant. Alles in allem kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein solches Chaos regierungsarntlicher deutschlandpolitischer Institutionen in Paris Ambivalenzen und Inkohärenzen nach sich zog. Diese waren allerdings verwaltungstechnischer Natur, bedeuteten unnötige Reibungsverluste zwischen Paris und Baden-Baden bzw. Berlin, verhinderten häufig eine effizientere Abwicklung der "Geschäfte" und bildeten insofern ein administratives Grundübel der Zentrale. Ob sich dadurch jedoch auch inhaltliche und konzeptionelle Ungereimtheiten plausibel erklären lassen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Schließlich funktionierte als einzige Ausnahme unter den vorgestellten Einrichtungen das Comite interrninisteriel entsprechend seiner Zweckbestimmung, nicht als deutschlandpolitisches Koordinierungsinstrument, sondern als Beschlußfassungsorgan. Zwar tagte der Ausschuß bereits nach einem dreiviertel Jahr zum letzten Mal, doch trafen dort in der Frühphase der Deutschlandund Besatzungspolitik nach Kriegsende französische Entscheidungsträger tatsächliche Entscheidungen, erteilten tatsächliche Anweisungen. Wenn letztendlich die Direktiven des Comite interrninisteriel oder des Comite economique interrninisteriel keine in sich geschlossenen, widerspruchsfreien Einheiten waren, eher flexible Rahrnenvorgaben als konkrete Handlungsanweisungen für eine bestimmte Situation beinhalteten, lag dies dann nicht eher an Unsicherheiten, Sachzwängen und Strategien seitens der Akteure als an der Unfähigkeit der Comite-Generalsekretariate oder arn institutionellen Chaos allgemein? Den drei besonders hervorgehobenen offIziellen Organen haftete respektive ein gewisser Symbolwert an: dem Commissariat general für die Pariser Auseinandersetzung um deutschlandpolitische Verantwortlichkeiten, dem Comite interrninisteriel gerade für die Notwendigkeit einer differenzierten Beurteilung sachpolitischer und administrativer Leistungsfähigkeit, der Mission militaire für die Bedeutung der Algier-Paris-Kontinuitäten und der daraus hervorgehenden Präjudizwirkungen, vor allem was die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Ministerien anbelangte. Die 12 Vgl. dazu die Bemerkungen Massiglis in zwei Briefen an Interimsaußenminister Teitgen, 19.04. u. 30.04.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 80, in denen er die Unterstellung des ControlOffice unter das Foreign Office als Autoritätsgewinn Bevins wertet

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A. Rahmenbedingungen

offiziösen innerministeriellen Deutschlandgremien, die sich seit Anfang 1945 in fast allen involvierten Ressorts etablierten und zumindest manchmal den offiziellen Koordinierungs- und Kommunikationsorganen das Wasser abgruben, waren nicht zuletzt eine Konsequenz administrativer Überforderung. Sie waren aber ebensosehr deren Ursache.

2. Offiziöse innerministerieUe Gremien und Sitzungen: konsensfördernde Gegengewichte administrativer Reibungsverluste? Die Grenzen zwischen offiziellen interministeriellen und offiziösen innerministeriellen Deutschlandgremien der Pariser Zentrale sind teilweise fließend. Dennoch erscheint die vorgenommene Unterscheidung unter pragmatischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, da zunächst die langfristig angelegten verwaltungstechnischen Strukturdefizite, die Herkunft und Reformierbarkeit der vorgestellten Organe im Spannungsfeld von administrativen und inhaltlichen Aufgaben im Vordergrund stehen sollte. Dagegen geht es im folgenden primär um die vielfältigen innerministeriellen Gremien sowie die unzähligen, in den einzelnen Ressorts angesiedelten, ad hoc oder turnusmäßig stattfindenden Diskussionsrunden, die vordergründig das Institutionenchaos zusätzlich verschärften. Es gilt zu fragen, ob sie tatsächlich "Schattenpolitiken" gegenüber den Regierungsprinzipien auf den Weg brachten, oder ob sie nicht eher als Bestandteile eines dichten Kommunikationsnetzes deutschlandpolitischer Akteure kontliktrnindernde Wirkungen hatten und sich zusätzlich zu anderen Strukturfaktoren als konsens fördernde Elemente bemerkbar machten.

a) Das Außenministerium: deutschlandpolitische Zuständigkeiten auf vielen Schultern "La Quatrieme Republique pourrait cependant revendiquer une place particuliere dans la hierarchie des confusions." 1

Im Ministere des affaires etrangeres (MAE) waren nach Befreiung und Kriegsende weder Personal noch Organisation identisch verglichen mit der Zwischenkriegszeit. Noch in Algier legte Rene Massigli als Kommissar für auswärtige Angelegenheiten auf Anregung seines Kabinettschefs Guy de Charbonnieres die juristische Grundlage zur Schaffung eines "cadre complementaire", der Quereinsteigern ohne Diplome oder "coneours", aber mit Verdiensten im aktiven Kampf gegen den Feind und dessen Kollaborateure eine diplomatische Karriere ermöglichen und so die unabwendbaren Personalreduzierungen im Rahmen administrativer Säuberungsmaßnahmen

1

Grosser, IVe Republique, S.39 zur Frage "Oll reside le pouvoir reel" in Frankreichs Außenpolitik.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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bei der Liberation kompensieren sollte. 2 Erst im Sommer 1945, fast ein Jahr nach der Befreiung, gelang es schließlich, eine im Vergleich zur Vorkriegszeit neue interne Struktur des Quai d'Orsay auf die Beine zu stellen. Die Dekrete vom April und Juli 1945 sahen weiterhin ein Generalsekretariat und ein persönliches Ministerkabinett vor, doch anstatt einer einzigen existierten künftig vier Directions generales, für politische, wirtschaftliche, kulturelle sowie administrative und soziale Angelegenheiten. Die Umstrukturierungsprozesse vollzogen sich nicht ohne SChwierigkeiten, nicht ohne Konflikte zwischen klassischen Karrierediplomaten und ''Neuankönunlingen'', zumal diese die drei wichtigen Abteilungsleiterposten besetzten: 3 Couve de Murville, Inspecteur des finances, seit Anfang November 1945 Nachfolger Maurice Dejeans als Directeur des affaires politiques, Herve Alphand, Inspecteur des finances, als Directeur des affaires economiques und Henri Laugier, Recteur d'universite, seit 1946 dann Louis Joxe, Conseiller d'Etat, als Directeur des relations culturelles. Die Deutschlandkompetenzen innerhalb des Quai d'Orsay verteilten sich auf mehrere Schultern. Abgesehen von den Außenministern Bidault und Schuman selbst, von Generalsekretär Chauvel in seiner Harmonisierungs- und Schiedsrichterrolle,4 von der Direction des relations culturelles (Dir.Cult.) unter Joxe sowie der Direction des affaires administratives (Dir.Adm.) unter Raymond Bousquet waren vor allem die politische und wirtschaftliche Abteilung gefordert. Die politische und wirtschaftliche Abteilung. Der Direction generale des affaires politiques (Dir.Pol.) unterstanden vier geographisch gegliederte Abteilungen, darunter die Direction d'Europe (Dir.Eur.), zunächst geleitet von Franlfois Coulet, seit Oktober 1947 von Jacques-Carnille Paris. Innerhalb der Europaabteilung wiederum fiel Deutschland in den Zuständigkeits bereich der Sous-direction d'Europe centrale (SDirEur.Centr.), an deren Spitze Geoffroy de Courcel, 1940/41 Kabinettschef, 1943/45 stellvertretender Leiter des Kabinetts von de Gaulle, stand, von 1947 bis 1950 dann Pierre de Leusse, zuvor im Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes tätig. Seit 1948 ergänzte eine Sous-direction de la Sarre unter Leitung von Jacques de Bourbon-Busset, den Außenminister Schuman bald zu seinem Kabinettschef machen sollte und der von einem weiteren ehemaligen Charge de mission de Gaulles, Etienne Burin des Roziers, abgelöst wurde, die EuropaUnterabteilung. Diese Organisationsstruktur klärte zwar die Hierarchien, nicht aber die respektiven Befugnisse, und offenbar hingen Einflußchancen weitgehend von Persönlichkeit, Engagement und Eigeninitiative der Amtsinhaber ab. Während Coulet inhaltlich kaum in Erscheinung trat, versuchte Paris, aufgewühlt durch die offensichtliche Machtlosigkeit im neuen Amt, der Direction d'Europe stärkeres Eigengewicht zu verleihen. 5 Und in der Tat übernahm die Europaabteilung seit Zum entsprechenden Dekret vorn 24.Juli 1944 vgl. Les affaires etrangeres et le corps diplomatique Bd.2, S.59Off.; kritisch zu seinen Folgen Jean Baillou 1 Pierre Pelletier, Les affaires etrangeres, Paris 1962, S.195f. 2

fran~,

3 Kritisch dazu Jacques Dumaine, Quai d'Orsay 1945-1951, Paris 1955, S.350, der dies später als Armutszeugnis für die Karrierediplomaten auslegt • Vgl. Baillou 1 PeUetier, Les affaires etrangeres, S.45f. , Vgl. Briefe Paris an Massigli, 02.10., 07.11., 16.11.,25.11. u. 26.11.47, AMAE PAAP 217/101.

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A. Rahmenbedingungen

dieser Zeit zumindest für die konzeptionelle Ebene französischer Deutschlandpolitik einen weitaus aktiveren Part als in den Jahren zuvor. 6 Über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg, ganz besonders aber für die Phase von 1944 bis 1946, trat allerdings die Direction generale des affaires economiques, financieres et techniques (Dir.Bco.) quantitativ wie qualitativ am stärksten beim Entwerfen und Formulieren deutschlandpolitischer Ansätze in Erscheinung. Dies verweist nicht nur auf die überaus bedeutende persönliche Rolle Herve Alphands, der sich im äußeren Widerstand seit 1941 intensiv mit dem Problem einer europäischen Wirtschaftsordnung nach Kriegsende sowie der französischen und deutschen Stellung darin auseinandergesetzt und seine wichtigsten Mitarbeiter aus Algier, Pierre Baraduc und Jean-Marc Boegner, mit zurück an die Seine gebracht hatte. Es deutet darüberhinaus auf das prinzipielle Gewicht wirtschaftlicher Aspekte französischer Planungsarbeiten zum Nachkriegsdeutschland hin und damit erneut auf die Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik.

Deutschlandkommissionen. Für die frühe Beschäftigung des Quai d'Orsay mit dem östlichen Nachbarn existierten spezielle Diskussionsforen. Der Direction des affaires politiques war seit Ende Dezember 1944 eine Sous-comrnission politique pour les affaires allemandes zugeordnet, der Direction des affaires economiques seit Juni 1945 eine Sous-comrnission economique pour les affaires allemandes. In der politischen Unterkommission erörterten unter Vorsitz von Dejean deutschlandpolitisch tätige Persönlichkeiten wie Koeltz, Berthelot oder Rueff, dazu häufig weitere Mitarbeiter des Quai d'Orsay, wie Basdevant, Fouques-Duparc, de la Tournelle, Wolfrom, Boegner und Burin des Roziers, Vorschläge zur Deutschland- und Besatzungspolitik, welche die verschiedenen Abteilungen zuvor ausgearbeitet hatten. 7 Im Vordergrund der Debatten standen die französische Beteiligung an der Besatzung Deutschlands sowie vor allem die militärische, politische und wirtschaftliche Zukunft der rheinland-westfälischen Region. Seit März 1945 verliert sich die Spur dieser Sous-comrnission, und es scheint, als sei sie mit Etablierung des Comite interrninisteriel und seines Generalsekretariats Ende Juli 1945 eingeschlummert. In einem Vermerk vom 21.Juni jedenfalls hieß es, "il apparrut necssaire de rendre plus etroite la co ordination ainsi ebauchee et de transformer completement la Comrnission creee aux Affaires Btrangeres en renforr,rant largement ses pouvoirs et en lui donnant un caractere officiel."g Die Unterkommission für wirtschaftliche Deutschlandangelegenheiten sah später das Licht der Welt, doch eine längere Lebensdauer war auch ihr nicht beschieden. Trotz der analogen Titulierung zur Unterkommission der Direction politique hatte sie einen gänzlich anderen Charakter, denn sie beschränkte sich nicht auf Quai d'Orsay-Beamte, sondern verstand sich als ressortübergreifende Einrichtung. In 6 Dennoch blieb die Direction d'Europe weiterhin von gewissen Informationen über Deutschland abgeschnitten, vgl. MAE, SDir.Eur.Centr., Rober! Fabre, Note sur la transmission et l'exploitation des informations economiques a la Direction d'Europe, 10.01.48, AMAE Y (1944/49) 372. 7 Zu den Sitzungsprotokollen für Dezember 1944 bis März 1945 vgl. AMAE Y (1944/49) 686. I Note sur la coordination des affaires allemandes, 21.06.45, AOFAA Cons.pol. BIO.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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Verlängerung einer Zusammenkunft, die Alphand im November 1944 zur Frage des "ctesarrnement economique de l'Aliemagne" mit nicht im Quai d'Orsay beschäftigten Persönlichkeiten der "societe civile" organisiert hatte,9 und in Kontinuität zu Jacques Rueffs ressortüberschreitenden Zusammenkünften bei der Delegation economique et financiere der Mission militaire 10 zwischen Januar und April 1945 institutionalisierte der Directeur economique solche interministeriellen Besprechungen im Quai d'Orsay. Es beteiligten sich daran Vertreter der Ministerien für Wirtschaft und Finanzen und für industrielle Produktion, der Generalsekretär des Comite economique interministeriel sowie Abgesandte aus Baden-Baden und Berlin. ll Zwischen dem 13.Juni und dem 19.0ktober 1945 kam es in rund zehntägigen Abständen zu zwölf Zusammenkünften, während derer es in erster Linie um Reparationsfragen ging, um Exporte nach Frankreich und deren Bezahlungsmodalitäten, um zukünftige Wirtschaftskontrollmechanismen, um französische Wirtschaftsbeteiligungen und um die Ernährung der Besatzungstruppen in Südwestdeutschland. Danach lassen sich auch fiir diese Unterkommission keine Anhaltspunkte mehr in den Archiven finden, die Sitzungsteilnehmer jedoch blieben fortan in ständigem Kontakt anläßlich verschiedenster, nicht unbedingt dem Außenministerium zugeordneter interministerieller Gremien und Gesprächsrunden. Gerade die Monate nach der Befreiung können als Hochphase wechselseitiger Komrnunikationsprozesse zwischen Spitzenbeamten der deutschland- und besatzungspolitisch involvierten Ministerien gelten, die sich vielfach - wie etwa Alphand, Blum-Picard, Guindey und Marjolin - noch aus der gemeinsamen Zeit in Algier kannten, teilweise sogar länger. Beide Unterkommissionen bildeten letztlich Paralleleinrichtungen zu den politischen und wirtschaftlichen Abteilungen bereits bestehender, mit Deutschland befaßter Organe, der Mission militaire ebenso wie dem Comite interministeriel oder dem Comite economique interministeriel. Ob sie mit weiteren ressortintern verankerten Organen anderer Ministerien frühe deutschlandpolitische Emanzipationsbestrebungen gegenüber der Presidence du Gouvernement provisoire bildeten, muß offen bleiben. Ausschließen läßt es sich nicht.

Zusammenkünfte und Gd hoc-Organe. Das Ende der politischen und wirtschaftlichen Unterkornrnission fiir Deutschlandangelegenheiten markierte nicht den Schlußpunkt jeglicher deutschland- und besatzungspolitischer Zusammenkünfte inner- wie interministerieller Natur im Außenministerium. Sie fanden nun nicht mehr regelmäßig, institutionalisiert und mit festgelegtem Teilnehmerkreis statt, sondern als ad hoc-Besprechungen,12 sei es bei der Unterabteilung Zentraleuropa, bei der Direction politique oder der Direction economique, sei es bei Bidault selbst oder beim Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes nach dessen Integration in den Quai d'Orsay im August 1946 unter Federführung Schneiters, Savarys, Lapies oder Debres. Und selbst zur Etablierung von organisatorisch stärker verfestigten Vgl. Proces-verbal de la reunion sous la presidence de M. Alphand, 09.11.44, SAEF B 8786. Zu den Sitrungsprotokollen vom 20Januar bis rum 6.April 1945 vgl. SHA T 8 P 25. 11 Die Sitrungsprotokolle liegen von Mitte Juni bis Ende Oktober 1945 vor, AN F12 10104. 12 Zur inhaltlichen Diskussion der dort behandelten Deutschlandfragen vgl. Kapitel B II 3a - 3c.

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A. Rahrnenbedingungen

Gremien konnte es in der Folgezeit inuner wieder konunen. Die sogenannte Commission Berthelot fertigte in sechs Sitzungen zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 1946 die Entwürfe zur territorialen und verfassungsmäßigen Organisation Deutschlands an,13 aus denen die Memoranden an die Regierungen der "Großen Drei" vom 17.Januar 1947 hervorgingen "relatif a l'organisation provisoire de l'Allemagne" bzw. "relatif a l'organisation constitutionnelle de l'Allemagne."14 Ein weiteres vom ehemaligen Generalsekretär des Comite interrninisteriel geleitetes Gremium, die Anfang März 1948 begründete Commission pour l'examen des affaires allemandes, sollte sich auseinandersetzen mit den "trois grandes questions que pose ... la reorganisation de l'Allemagne: P) question de la reunion d'une Assemblee constituante ... ; 2°) question de la constitution future de l'Allemagne; 3°) question du regroupement territorial des Länder."ls Schließlich entstand im Dezember 1946 eine Deutschlandabteilung in der Direction generale des relations culturelles, die offensichtlich nicht völlig auf originär deutschland- und besatzungspolitische Instrumentarien verzichten wollte. 16 Unter Leitung von Roger Lalouette veranstaltete sie in Absprache mit dem Service des affaires interieures et culturelles des Commissariat general ressortübergreifende Sitzungen, etwa zur Vorbereitung von Programmen für französische "manifestations culturelles en Allemagne."17 Diese Liste deutschlandpolitischer Gremien und Gesprächskreise innerhalb des Außenministeriums erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, erscheint aber gerade deshalb in vielerlei Hinsicht eindrucksvoll. Sie belegt einerseits die Existenz einer Vielzahl in Kompetenz- und Zuständigkeitszuschreibungen nicht grundsätzlich gegeneinander abgegrenzten potentiellen Ei nflußzentren , die im nachhinein das Chaos, nicht die Ordnung, als organisationsstrukturelle Grundelemente französischer Außen- und auch Deutschlandpolitik der Nachkriegsjahre erscheinen lassen, erst recht, ergänzt man sie durch das geschilderte Wirrwarr offizieller Pariser Koordinierungsinstanzen sowie durch die noch zu schildernden Organe anderer Ministerien. Sie verweist jedoch andererseits auf mögliche Kompensationsmechanismen institutioneller Defizite, auf mögliche inhaltliche Homogenisierungstendenzen in den prinzipiellen Stoßrichtungen und langfristigen Zielvorstellungen von Entscheidungsträgern, eben weil Parallelbearbeitungen inuner wieder zusätzliche Absprachen inner- oder interministerieller Art erforderten, eben weil die daran teilnehmenden 13 V gl. Projet d'organisation territoriale de 1'A11ernagne, 04.11.46, AMAE Y (1944/49) 289; Projet d'crganisation oonstitutionnelle de I'Allemagne, 14.11.46, ebd.; Projet d'organisation constitutionnelle de l'A!1emagne, 07.12.46, AMAE Y (1944/49) 290. Vgl. auch Brief Bidault an Koenig, 22.01.47, AMAE Y (1944/49) 291. "VgI. ~ntsfr~relatifs HAllemagne (AoOt 1945 - Fevrier 1947), Paris 1947, S.42-45 bzw. 46-56. " Seance de la Commission pour I'examen des affaires allemandes, 09 .03 .48, AMAE Y (1944/49) 654 sowie Seance du vendredi 12 mars 1948, AMAE Y (1944/49) 301. 16 Vgl. Brief loxe anSchneiter, 10.12.46, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 44; Antwortschreiben Savary an loxe, 16.12.46, ebd. 17 Vgl. das Einladungsschreiben von Lalouene, Dir. Cult. , Affaires allemandes et autrichiennes, an Saint-Hardouin, 26.07.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45. Weitere Hinweise auf solche Sitzungen in Schreiben von Lalouette an das CGAAA, 21.08.47 sowie von loxe an Koenig, 20.10.47, ebd.

Ir. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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Beamten relativ lang die entsprechenden Ämter innehatten, eben weil sie sich gut kannten und ähnliche Erfahrungen während der Kriegsjahre gemacht hatten. Abgesehen von Georges Bidault, der all seine diplomatischen Erfahrungen unter de Gaulle machte und davon unter sachpolitischen wie verhandlungs taktischen Gesichtspunkten deutlich mehr geprägt wurde als er später selbst zugeben wollte, und Robert Schuman, abgesehen noch von Jean Chauvel, der erst vier Monate vor der Liberation nach Algier kam, entstanunten sämtliche relevanten deutschlandpolitischen Akteure im Quai d'Orsay zwischen Befreiung und Schumanplan der äußeren Resistance. Dies galt für die Direction politique mit Dejean, Couve de Murville oder die Direction d'Europe bzw. die Sous-direction d'Europe centrale mit Coulet, Paris, de Courcel und de Leusse, für die Direction economique mit Alphand, Baraduc und Boegner, die Direction culturelle mit Joxe und sogar für die Botschafterposten bei den "Großen Drei" mit Bonnet, Massigli und Catroux.

b) Das Wirtschafts- und FinaDZministerium: durchsichtige Zuordnung deutschland politischer Kompetenzen "Je me permets d'attirer a nouveau votre attention sur les longs d61ais qui s'ecoulent entre le moment ou nous envoyons nos progranunes a Paris et celui ou i1s nous font retour ... Ces delais presentent pour les services econorniques de la zone des inconvenients majeurs et ont une incidence sur le rendement de notre travail. "I

Anders als der französische Außenminister Georges Bidault, genauso aber wie dessen Verwaltungsspitzen gingen die Wirtschafts- und Finanzminister der ersten beiden Jahre nach der Befreiung - mit Ausnahme von Aime Leperq, der nach zwei Monaten Amtszeit im November 1944 tödlich verunglückte - aus dem äußeren Widerstand hervor: PierreMendes France, Wirtschaftsminister bis April 1945, Rene Pleven, Mendes France-Nachfolger von April bis November 1945 und Leiter des Finanzressorts von November 1944 bis Januar 1946, Andre Philip, Wirtschafts- und Finanzminister zwischen Januar und Juni 1946, und auch der Kommunist Fran~ois Billoux, seit 1943 in Algier, seit April 1944 Comrnissaire d'Etat der Provisorischen Regierung, als kurzzeitiger Chef des Wirtschaftsministeriums im letzten Kabinett de Gaulles von Ende November 1945 bis zum 20Januar 1946. Im Gegensatz wiederum zum Quai d'Orsay blieben die meisten Führungsposten des Ministere de l'economie nationale (MEN) sowie des Ministere des finances (MFIN) in Händen derer, die sie auch vor der Befreiung innehatten. Von den achtzehn Direktionen der zentralen Wirtschafts- und Finanzverwaltung erhielten nur drei neue Leiter, darunter Fran~ois­ Didier Gregh, ehemaliger Directeur des finances interieures im Finanzkommissariat Couve de Murvilles in Algier, als Directeur du budget im Finanzressort sowie I Brief Laffon über CGAAA an Minisrere de I'econornie nationale, Service des affaires econorniques allemandes, Examen des {rogranunes d'achats de la France en ZFO par la commission des approvisionnements, 12.02.46, AOFAA Cab.Laffon, c.19. Die Kommission unterstand Pierre-Paul Schweitzer als Leiter des Service für Deutschlandangelegenheiten im Wirtschaftsministerium.

10 Hüser

142

A. Rahrnenbedingungen

Robert Marjolin, im Mai 1940 von Jean Monnet nach London geholt und seitdem einer seiner engsten Mitarbeiter, als Directeur des relations economiques exterieures im Wirtschaftsministerium.

Deutschlandorgane im Wirtschaftsministerium. Sowohl im Wirtschafts- als auch im Finanzministerium gab es seit Sommer 1945 deutschland- und besatzungspolitische Koordinierungs- und Diskussionsorgane in institutionalisierter Form. Am 8.August 1945 gab das Comite economique interministcriel grünes Licht "pour que M.Pleven cree au Ministere de l'Economie Nationale un Service des affaires economiques allemandes qui travaillera en liaison intime avec le Secretariat general des affaires allemandes ... afin de centraliser les informations d'ordre economique et l'elaboration des progranunes de prestation et de reparation etablis par les ministeres techniques interesses."2 In der drei Tage zuvor vom Wirtschaftsministerium ausgearbeiteten Begründung für die Etablierung eines zusätzlichen deutschlandpolitischen Gremiums hieß es genauer, das Comite interministeriel könne zwar Direktiven geben, nicht aber die technisch komplexen konzeptionellen Grundlagen dafür. Vor dem Hintergrund der äußerst heiklen Aufgabe "de concilier au mieux de nos interets deux necessites dans une certaine mesure contradictoires qui sont celles des reparations et celle du desarmement economique et financier" seien für kohärente wirtschaftspolitische Ansätze gegenüber Deutschland die einschlägigen Ministerien verantwortlich, und es stünde dem Wirtschafts ministerium zu, dabei die "role de centralisation et de coordination" zu übernehmen. 3 Handelte es sich in erster Linie um einen Vorschlag zur Verbesserung der deutschlandpolitischen Organisationsstrukturen oder primär um eine Kampfansage an das Außenministerium? Hatte es nicht bereits zehn Monate zuvor eine Auseinandersetzung zwischen Wirtschaftsund Außenministerium gegeben um die Frage der Zuständigkeit für internationale Wirtschaftsverhandlungen, die de Gaulle schließlich eindeutig zugunsten Bidaults und zuungunsten von Mendes France entschied"r Für den Quai d'Orsay jedenfalls, vor allem für Alphand, der doch im Rahmen seiner interministeriellen Zusammenkünfte genau diese Koordinierungsfunktion wahrzunehmen gedachte, konnte dies zumindest so aussehen. Und da auch künftig Konflikte nicht ausblieben, läßt sich die "Schattenpolitik-Manie" im Außenministerium einigermaßen nachvollziehen. Sollte sich nicht schon kurze Zeit danach Rene Pleven im Comite interministeriel aus finanzökonomischen Motiven gegen den offiziellen Kurs der Provisorischen Regierung in der Frage zentraler deutscher Finanzverwaltungsstellen aussprechen und als unsicherer Kantonist für französische Maximalpositionen erweisen?s

2

Compte rendu de la seance du 8 aoftt 1945 (Document n '191 du CEn, AN F60 901.

Vgl. Note, Creation d'une direction des affaires economiques allemandes, 05.08.45, AN F60 901. Vgl. Pro&s verbal de la seance du 9 octobre 1944 (Document n'68 du CEn, SAEF B 33001; ausführlich dazu Michel Margairaz, La mise en place de l'appareil de direction economique 1944-1947. Des objectifs lointains aux choix du moment, in: La France en voie de modernisation, 36 S. (5f.). , V gl. MFIN, Direction du tresor, Administration financiere de I'Allemagne (Document n '26), 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 3

4

n. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

143

Der Service des affaires economiques allemandes wurde als eine von drei Unterabteilungen 6 der Direction des relations economiques exterieures zugeordnet, und Robert Marjolin, später sein Nachfolger Roger Nathan, übernahm als deren Chef gleichzeitig die Leitung des Service. Den beiden Unterabteilungen, der einen für Reparationen und Restitutionen, der anderen für Besatzungsfragen und allgemeine Angelegenheiten, standen R. de Frondeville sowie Hubert Roussellier vor. 7 De Frondeville, immer bemüht "de coordonner toutes questions relatives au probleme des reparations et restitutions entre les differents departements ministerieIs interesses," legte in der Folgezeit seinen Ministern Tätigkeitsberichte der Dienststelle vor,8 erarbeitete als Diskussionsgrundlage für das Comite economique interministeriel ausführliche Zusammenfassungen deutscher Reparations- und Restitutionsleistungen seit der Befreiung, 9 wirkte ganz im Sinne der geschilderten Koordinationsorgane als postalische Zwischenstation zwischen den Ressorts, leitete ökonomische Direktiven des Quai d'Orsay für die Besatzungszone an den Wirtschaftsminister weiter,IO machte aber auch selbst Vorschläge zur Lösung des Deutschlandproblems. ll Auch Rousselliers Unterabteilung verstand sich nicht nur als ressortübergreifende oder innerministerielle administrative Schaltstelle, 12 sondern auch als konzeptionell tätiges Organ, das sich zutraute, zur "nature des contröles aimposer a l'Allemagne" eine "doctrine sur l'ensemble du probleme" vorzulegen,13 und Briefe bei deren Weiterleitung ausführlich zu kommentieren. 14

Deutschlandorgane im Finanzministerium. Das Pendant zum Service des affaires economiques allemandes im Wirtschaftsministerium bildete eine gleichlautende Stelle im Finanzressort, über das sich allerdings noch weniger Informationen zusammentragen ließen. Zumindest aber für den Zeitraum 1945/46 hat ein solcher Service des affaires allemandes als Unterabteilung der Direction du tresor existiert, geleitet vom elsässischen Inspecteur des finances Pierre-Paul Schweitzer, während des Krieges von den Nationalsozialisten nach Buchenwald deportiert. 15 Dieser arbeitete eng mit Guillaume Guindey zusammen, seit April 1945 Directeur adjoint du tresor, gleicher Inspecteur des finances-Jahrgang wie Couve de Murville und einer seiner Abteilungsleiter im Finanzkommissariat der Provisorischen Regierung 6 7

Vgl. Organisation du Ministere de I'econornie nationale, 01.11.45, SAEF 5 A 19. Vgl. Note de Service nOl: Organisation du Service des affaires allemandes, 03.10.45, AN F37 189.

• Vgl. Rapport sur I'activite de la sous-direction des reparations et restitutions, 06.02.46, AN F37 189. • V gl. Secretariat general du CEI, Inventaire des programmes d'importation depuis la Liberation, Annexe IIa-f: Reparations et restitutions allemandes, Ende Oktober 1947, SAEF 5 A 13. 10 Vgl. Note pour M. le Ministre, Instructions confidentielles, 09.01.48, SAEF B 30979. 11 Vgl. Pour la solution du probleme allemand, 10.06.46, AMAE Y (1944/49) 370. U Vgl. z.B. Note pour la Direction du tresor aI'attention de M. Schweitzer, 18.04.46, SAEF B 8831. 13 V gl. Note pour le Ministre, 11.05.46, SAEF B 8846 . .. Vgl. Jean Fili}TJi, Fiche pour le General CCFA, 13.03.48, weitergeleitet von Roussellier an Guindey, 18.03.48, SAEF B 8817. "' Ein einfiihlsames Kurzportrait Schweitzers, Neffe Albert Schweitzers und Edvard Munchs, Großvetter Jean-Paul Sartres, erstellt Louis Franck, 697 rninistres. Souvenirs d'un directeur general des prix 1947-1962, Paris 1990, S.135.

144

A. Rahmenbedingungen

in Algier. Im Oktober 1946 machten heide gemeinsam weitere Schritte auf der Karriereleiter der Finanzverwaltung: Guindey stieg zum Directeur des finances exterieures auf, Schweitzer zum Directeur adjoint. 16 Da sich seit diesem Zeitpunkt jegliche Hinweise auf den Service des affaires allemandes verlieren, sich Schweitzer in ständigem Kontakt mit Guindey jedoch nach wie vor mit deutschlandpolitischen sowie Fragen europäischer Wirtschaftskooperation beschäftigte, kann man annehmen, daß zwar die Institution als solche verschwand, nicht aber das Interesse des Finanzministeriums an Deutschland- und Besatzungspolitik und ebensowenig die federführende Rolle von Pierre-Paul Schweitzer in diesem Bereich. 17 Seit den frühesten interministeriellen Zusammenkünften zu ökonomischen Aspekten französischer Deutschlandpolitik waren Guindey und/oder Schweitzer zugegen und übernahmen dabei als Vertreter des Ministere des finances einen aktiven Part. 18 Daran sollte sich in den Folgejahren nichts ändem. 19 Schweitzer nahm im übrigen gelegentlich, wie auch sein Kollege Roussellier vom Service des affaires allemandes des Wirtschaftsministeriums, an diplomatischen Verhandlungen teil, etwa bei den britisch-französischen Expertengesprächen zur Ruhrfrage in Paris von Anfang Mai 1946. 20 In permanentem Kontakt zu den führenden Finanzfachleuten der BadenBadener Militärregierung, vor allem Jacques Auboyneau, wie auch der französischen Kontrollratsgruppe, vor allem Rene Sergent und Leroy-Beaulieu, hielt er sich immer auf dem laufenden, was die neuesten Entwicklungen in Deutschland anbelangte. Die Korrespondenz nahm nur teilweise den amtlich vorgeschriebenen Weg über das Generalsekretariat des Comite interministeriel bzw. des Commissariat general, nicht wenige Schreiben gingen direkt von der Rue de Rivoli nach BadenBaden oder Berlin und umgekehrt. Dies hatte nun aber nichts mit dem Versuch zu tun, eine wie auch immer geartete Schattenpolitik in Gang zu setzen, denn es geschah völlig unabhängig von der inhaltlichen Bedeutung der übersendeten Botschaften. So konnte ein eher weniger wichtiger Brief, der zum dutzendsten Mal auf die "insuffisance vrairnent desastreuse de la Division des Finances aBerlin" bzw. auf die zunehmend schlechteren "conditions materielles de logement et de ravitaillement" in Südwestdeutschland aufmerksam machte/lohne Zwischenstation den " V gl. Annuaire general du Ministere des finances et des affaires eronomiques, Edition 1965, Paris 1965, S.975 u. 1318. 17 Zu Guindey und Schweit:rer als Symbol einer "nouvelle generation de hauts fonctionnaires, degages de I'inertie des annees 30, voire insurges contre elle, jeunes ou rajeunis par la Resistance, " einer" groupe social influent" von Leuten, die "travaillent en commun, se tutoient, s'appellent par leur prenom," vgl. Bonin, Histoire ecconomique de la IVe Republique, S.163f. 11 Guillaurne Guindey tauchte erstmals in einer Sitzung der Delegation economique et financiere des MMAA auf, vgl. Compte rendu de la reunion du 20 janvier 1945, SHA T 8 P 25, Pierre-Paul Schweit:rer kur7tl Zeit später in den Gesprächsrunden der Sous-commission eronomique pour les affaires allemandes im Quai d'Orsay, vgl. z.B. Proces-verbaI de la reunion du 8 septembre 1945, AN F37 189. 19V9I. z.B. Einladungsschreiben zu einem Treffen bei Alphand am 15.Februar 1947 über das deutsche Industrieniveau, 13.02.47, SAEF B 8788. :D Vgl. Conversations entre experts britanniques et fran~ais, 07.-08.05.46, AMAE Y (1944/49) 397. 21 Vgl. BriefLeroy-Beaulieu aus Berlin an Guindey, a I'attention de M. Schweitzer, 04.02.46, SAEF B 8817 bzw. Brief Auboyneau an Schweit:rer, 04.01.46, ebd.

11. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

145

Adressaten erreichen, während ein bedeutsameres Telegramm, das Schweitzer zur Erteilung von "instructions sur l'attitude aprendre au Comite des frais d'occupation" aufforderte, erst über das Generalsekretariat zu seinem Zielpunkt gelangte. 22 Einer der wesentlichen deutschland- und besatzungspolitischen Arbeitsbereiche Schweitzers bildete die Begrenzung der Besatzungskosten im Rahmen gesamtmilitärischer Einsparungen, auf die schon Pleven früh so großen Wert legte23 und die aufgrund der katastrophalen finanzökonomischen Lage Frankreichs für seine Nachfolger eine der größten ständigen Sorgen blieb. Dabei galt es sich um konkrete Probleme, wie der "installation en Allemagne des familles des militaires des troupes d'occupation"24 ebenso zu kümmern wie um allgemeinere, aber angesichts der wachsenden "Dollarlücke" umso bedeutendere Fragen nach der Devisenbelastung, die Frankreich aus der Teilnahme an der Besatzung in Deutschland erwuchs. 25 Eine Vielzahl weiterer finanzwirtschaftlicher Aspekte französischer Deutschlandpolitik wird später inhaltlich noch näher zu beleuchten sein. Neben den Services des affaires economiques allemandes wäre im Wirtschaftsund Finanzministerium schließlich auf zwei interministerielle Gremien hinzuweisen, für die Deutschland und die Besatzungszone obligatorische Themen bildeten: zum einen die Commission des accords economiques, zunächst kurzzeitig von Alphand, dann von Marjolin, ab März 1946 schließlich von de Fouchier geleitet, in der seit der ersten Sitzung vom 4.0ktober 1944 all diejenigen einen Platz hatten, die im weitesten Sinne unter ökonomischen Gesichtspunkten deutschlandpolitisch tätig wurden;26 zum anderen das Comite des exportations, in dem sich unter Vorsitz von Roger Nathan Vertreter des Wirtschaftsressorts mit solchen vom Ministerium für industrielle Produktion versammelten, um in sieben branchenspezifischen Unterkommissionen die Exportchancen der französischen Wirtschaft zu erörtern. 27 An Diskussionsforen und Kontaktrnöglichkeiten mangelte es der französischen Deutschlandpolitik weder ressortübergreifend noch ressortintern. Dies gilt offensichtlich für das Wirtschafts- und Finanzrninisterium. Es gilt genauso - wenn auch in geringerem Maße - für das Produktionsministerium, das auf eine eigene deutschlandpolitische Abteilung ebensowenig verzichten mochte wie sämtliche Ministerien, die sich mit Aspekten des Deutschlandproblems zu befassen hatten.

Z2 Vgl. Weiterleitung eines Telegramms von Sergent aus Berlin "a l'attention de M. Schweitzer" durch das CGAAA, 25.02.46, SAEF B 8824. 23Vgl. z.B. den zwölfseitigen Rapport concemant une enquete sur les economies a l'epoque d'avril-mai 1945 fiirRenePleven, 19.06.45, SAEF 5 A 19 oderPlevens Interview mit Serge Bromberger "Armer ou reconstruire", in: Samedi-soir, 08.09.45, SAEF 5 A 7. 24 Dazu eine Note an M. le Secretaire general pour les affaires allemandes, 16.10.45, SAEF B 8830 sowie an M.le Ministre, 10.12.45, ebd. 1> Vgl. Note sur les charges en devises qu'impose l'occupation en Allernagne, 14.02.46, SAEF 5 A 182 bzw. SAEF B 8830; vgl. daneben Schweitzers Ausführungen 7ll den "frais d'occupalion en Allemagne" für Minister Robert Schuman, AoQt 1946, SAEF B 8824. 26 Vgl. die Sit711ngsprotokolle für die Zeit von Oktober 1944 bis Mai 1946, SAEF B 33016. TI Vgl. Teile der Unterkommissionssitzungen von 1944 bis 1946, SAEF B 33015.

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A. Rahrnenbedingungen

c) Das Produktionsministerium: allseitiges Interesse an deutschlandpolitischer Mltsprache

a

"On oe peut pas communiquer avec la Ruhr. Le seul poste pouvant communiquer avec Paris, Berlin, dans le voisinage de la Production Industrielle, es! celui de M. Sergent, mais par relais de Baden, on peut passer un message de Paris 11 Berlin, au poste de la Production Industrielle." 1

Mit Ausnahme der dreizehn Monate von November 1945 bis Dezember 1946, in denen es der Kommunist Marcel Paul mit Parteigenossen zu "kolonisieren" versuchte,2 versah Robert Lacoste während des gesamten Zeitraums zwischen Befreiung und Schumanplan das Amt des Ministers im Ministere de la production industrielle (MPI), das sich seit Januar 1947 Ministere de !'industrie et du commerce nannte. Ehemaliger Generalsekretär der Federation generale des fonctionnaires, in den 30er Jahren in vielfältigen Reformzirkeln aktiv, im Krieg Mitbegründer von Libe-Nord, Mitglied des Conseil national von Libe-Sud und seit April 1942 einer der vier ersten von "neuf sages de la Resistance" im Comite general d'Etudes, 3 fand er sich im August 1944 zunächst als Secretaire general ala Production industrielle wieder, mit der Gründung eines speziellen Industrieministeriums dann als Ressortleiter. Die Säuberungen bei den ministeriellen Verwaltungsspitzen waren weitreichender als im Wirtschafts- und Finanz-, allerdings weniger weitreichend als im Außenministerium, nicht zuletzt weil de Gaulle Mitte Januar 1945 persönlich bei Lacoste intervenierte, diese doch rasch abzuschließen. 4

Generalsekretariat. Zum Generalsekretär im Produktionsministerium ernannte der Ministerrat Ende September 1944 Laurent Blum-Picard,s Directeur des Mines, vor dem Krieg gemeinsam mit Herve Alphand an der Aushandlung deutsch-französischer Handelsabkommen beteiligt/ seit Ende 1943 für die äußere Resistance Leiter des Comite d'etudes economiques in London, zwischen April und Juli 1944 Vorsitzender der Commission d'etude des problemes economiques de l'apres-guerre in Algier. In diesen Funktionen war er früh und eng mit Planungsarbeiten zu deutschland- und europapolitischen Fragen der Nachkriegszeit betraut. Als Generalsekretär sollte er sich auch künftig mit solchen Problemkreisen abgeben, sei es als Koordinator und Initiator7 im Ministerium selbst, sei es bei ressortübergreifenden 1 Mission fran(iaise de contröle du charbon en Allemagne, Perrin-Pelletier, Eclaircissements sur le mlcanisme de la distribution et de I'exportation du charbon a1lemand et les röles respectifs de ECO et de Berlin, 26.09.45, AN F12 10098. 2 Vgl. dazu die Schilderung bei Elgey, IVe Republique, Bd.l, S.2lf. 3 V gl. Diane de Bellescize, Les neuf sages de la Resistance. Le Comite general d'etudes dans la cIandestinite, Paris 1979; die Liste der Mitarbeiter des CGE findet sich auch bei Claude Bellanger, e.a. (Hg.), Histoire generale de la presse fran(iaise, Bd.4: De 194011 1958, Paris 1975, S.122f. • Brief an Lacoste, 13.01.45, zit. nach Margairaz, L'Etat, les finances et I'economie, S.775/Anrn.5. 'Vgl. Conseil des ministres, Seance du 27 septembre 1944, Releve de decision, AN F60 2768. • Vgl. Alphand, L'etonnement d'etre, S.131. 7 Vgl. seine schriftJ.idle Aufforderung an die Beamten des MPI, sich einige der vom MMAA organisierten Informationsvorträge über Deutschland anzuhören, 26.02.45, AN F12 10103.

11. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

147

Zusammenkünften zu ökonomischen und industriellen Perspektiven französischer Politik im deutschen Südwesten. Das Ministere de la Production industrielle fand sich gleich nach der Liberation ausgesprochen stark in die Deutschlandentwürfe der Provisorischen Regierung involviert. Dies galt zum einen für die von Pierre Lion geführte Section de la Production industrielle, die sich rasch als aktivste Abteilung der Delegation economique et financiere Jacques Rueffs innerhalb der Koeltzschen Mission militaire erweisen sollte. Das Arbeitsprogramm der Section definierte Lion, der in ständigem Kontakt zu Blwn-Picard stand, als "extremement vaste, mais simple adefinir," da doch die zu erreichenden Ziele in Deutschland unzweideutig vor Augen stünden, die Politik selbst müsse man "fixer de maniere precise entre les divers departements ministerieis ou organismes fran~ais appeles a participer a son elaboration" und "le plus rapidement possible."8 Dies galt zum anderen aber auch für sämtliche Abteilungen im Ministerium, spätestens seitdem sie Anfang Februar 1945 von Rueff mittels Blwn-Picard aufgefordert worden waren, auf zwei bis drei Seiten grob nachzuzeichnen "a) les methodes employees par l'administration militaire allemande en France ... en vue de tirer de notre pays le maximum de ressources au profit de l'economie allemande; b) les methodes employees par l'administration fran~aise afin de se soustraire al'emprise allemande; c) les enseignements atirer de cette experience en vue de la mise au point des methodes envisagees par les alliees et par nous-memes en vue de l'occupation en Allemagne."9 Innerhalb der folgenden zehn Wochen lieferten neun von zehn Direktionen sowie das Secretariat general au commerce et a l'organisation economique Antworten ab, die teils erheblich über den erforderlichen Umfang hinausgingen und in den Abschnitten zu den Lehren aus der deutschen Besatzung indirekt Aufschlüsse über die persönlichen Einschätzungen der Abteilungsleiter zu französischen Chancen und Hemmnissen in den einzelnen Sektoren der deutschen Industrie vermittelten. IO Der alles in allem regen konzeptionellen Einbindung des Produktionsministeriums in die frühen Pariser Deutschlanddiskussionen stand allerdings eine auf Minister- wie auch auf Expertenebene im Vergleich zum Finanz- und Wirtschaftsministerium geringere Präsenz von dessen Vertretern in ressortübergreifenden Zusammenkünften gegenüber.

Deutschlandorgane. Zur Etablierung einer mit Studien-, Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben bedachten eigenen Deutschlandbehörde im Produktionsministerium kam es Ende August 1945. Dieser Service des affaires allemandes et autrichiennes unterstand der Direction de la Coordination industrielle, der ehemaligen Direction de la vie industrielle, die sich bis dahin der Ausarbeitung von Memoranden zur Reparationsfrage, zu Höhe und Abwicklung deutscher Lieferungen, angenommen hatte. 11 Der Deutschland-Service sollte nun vor allem eine Schalt• Vgl. Pierre Lion, Programme de travail, 24.01.45, AN F12 10105. Brief Rueff an Lacoste, a I'attention de M. Blum-Picard, 07.02.45, AN F12 10102. IOVgI. die Sammlung sämtlicher Antwortschreiben zwischen Ende Februar und Mitte April 1945, auf die an anderer Stelle noch inhaltlich einzugehen sein wird, AN F12 10102. 9

148

A. Rahmenbedingungen

stelle innerhalb des Ministeriums bilden wie auch zwischen diesem und anderen Ressorts und interministeriellen Organen "pour toutes les questions interessant le Ministere et se rapportant a la gestion industrielle des territoires occupes ainsi qu'a la politique des reparations et des prelevements."12 Seine Leitung übernahm der damals 34-jährige Inspecteur de l'industrie Jean Valabregue, der den Posten in den nächsten Jahren versah. 13 Wie seine Kollegen von den Services des affaires allemandes im Wirtschafts- und Finanzministerium nahm Valabregue an den interministeriellen Besprechungen zur Deutschland- und Besatzungspolitik teil. Wie sie korrespondierte er, teils auf direktem Wege, teils über das Generalsekretariat des Comite interministeriel bzw. des Commissariat general, mit den für Industriepolitik zuständigen Abteilungsleitern in Berlin und Baden-Baden, mit de Boysson als Directeur de la Production industrielle der Kontrollratsgruppe und mit Philippe Coste als Directeur de la Production industrielle der französischen Militärregierung, zuvor noch Directeur des Mines in der Pariser Zentrale. Wie sie sah er sich mit seiner Behörde allseitiger Kritik ausgesetzt, was die Effizienz bei der Erfüllung von Koordinierungsfunktionen anbelangte. Wie sie versuchte er, neben den administrativen Aufgaben, die dem Service zufielen, konzeptionell tätig zu werden. Dennoch erlangte der Deutschland-Service im Produktionsministerium nie die inhaltliche Bedeutung wie der im Wirtschafts-, erst recht nicht wie der im Finanzministerium unter Pierre-Paul Schweitzer. Er war faktisch weniger Planungs- als Verwaltungs organ, was nicht zuletzt daran lag, daß er anders als diese nicht weitgehend allein für Deutschland zuständig war, sondern darüberhinaus fast sämtliche Direktionen aufgrund ihrer branchenspezifischen Kompetenzzuschreibungen deutschland- und besatzungspolitisch operieren mußten, sei es bezüglich Reparationslieferungen aus Südwestdeutschland, sei es bezüglich Verteilungsfragen im Hexagon. Das gewisse Maß größerer Eigenständigkeit, die stärker ausgebildeten direkten Kontakte zwischen Zentrale und Besatzungszone in den technischen Ressorts im engeren Sinne, neben dem Produktions- vor allem das Wiederaufbauministerium, beruhte offenbar nicht zuletzt auf deren Rolle als unmittelbare Ansprechpartner privater Unternehmen oder nationalisierter Betriebe für den Erhalt deutscher Restitutionen bzw. Reparationen in Form von Maschinen, Roh- und Baustoffen. Gerade die Abteilungen für Bergbau, für Stahl-, für mechanische und elektrische, für chemische, für Textil- und Lederindustrie sowie die Direction du Bois et des Industries diverses traten in Erscheinung, entwarfen Projekte für die sie betreffenden Branchen und schlugen sich mit den zumeist schwierig zufriedenzustellenden Besatzungszonen-Missionen der respektiven Industriezweige herum. Aus Effektivitätsgründen suchten sie den direkten Kontakt zu den entsprechenden Baden-Badener Stellen, ohne immer Valabregues Service, und damit wiederum das Generalsekreta-

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11 Vgl. z.B. Bude des prestations reclamer I'Allemagne, 08.11.44, AN F12 10086; Fonctionnement des commandes allemandes, 15.03.45, ebd. 12 Brief Lacoste a.s. Service des affaires allemandes, 26.08.45, AN F12 10103. 13 Der späteste Hinweis auf Valabregue als Vertreter der Deutschlandabteilung im Produktions- und Handelsministerium ließ sich im August 1948 anläßlich einer Sitzung im Commissariat general au Plan unter Vorsitz Monnets finden, Compte rendu de la reunion, 20.08.48, AN 80 Al 267.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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riat des Comite interministenel oder des Commissariat general einzuschalten, hielten sie doch schon die Prozeduren für Reparations- und Restitutionslieferungen selbst fiir viel zu komplex. 14 Die französischen Repräsentanten in Deutschland beschwerten sich immer wieder darüber, daß sie über die von den Ministerien entsandten Missionen nicht im voraus infonniert würden, daß die Militärregierungs- und Kontrollratsgruppenabteilungen unmittelbar von den Ministerien Anweisungen erhielten. Berthelot als Adressat solcher Klagen, die sich nicht nur gegen das Produktionsministerium richteten, sondern letzten Endes auch gegen sein Generalsekretariat, konnte kaum mehr unternehmen, als Valabregue darauf hinzuweisen, er habe bereits "a maintes reprises proteste contre ces proCectes."15 Faktisch unterbinden ließen sie sich dort ebensowenig wie in anderen technischen Ministerien.

d) Deutschlandabteilungen anderer Ministerien und Behörden: sachpolitische Rückschlüsse administrativer DerlZite? "Vous avez bien voulu au cours de ces dernieres semaines m'associer al'etude preparatoire faite par vos services des questions economiques qui seront al'ordre du jour de la Conference de Moscou. "I

Annee- und Veneidigungsministerien. Neben den Ressorts für Wirtschaft, für Finanzen und für industrielle Produktion waren weitere Ministerien oder Behörden wenig gewillt, auf spezifische deutschland- und besatzungspolitische Verwaltungsund Koordinationsorgane zu verzichten. Im Ministere des armees fanden sich für die Jahre 1945/46 Spuren einer Section de liaison pour les affaires allemandes et autrichiennes unter Leitung von Commandant J. Vial. 2 Es unterstand direkt dem Cabinet militaire von Minister Edmond Michelet, "ancien de Dachau" und gaullistischer MRP-Abgeordneter, der sich während seiner Amtszeit zwischen November 1945 und Dezember 1946 für eine drastische Reduzierung der Besatzungstruppen in Deutschland einsetzte. 3 Auch im Ministere de l'armement, später im Ministere de la defense nationale, die abgesehen von der einmonatigen Unterbrechung während der homogen sozialistischen Übergangsregierung Blum zwischen November 1945 und Mai 1947 den Kommunisten zufielen, gab es unter Charles Tillon und Fran~ois Billoux einen Service des affaires allemandes, dem es oblag "d'assurer la coordination des questions concernant l'Allemagne et l'Autriche et relevant des directions

"Vgl. BriefParisot an den Chef de la Section chimie du GMZFO a.s. Retard dans la transmission d'un telegramme, 22.11.45, AN F12 10103, in dem dieser kritisch anmerkt "si, dans le cas particulier, je n'avais pas ete saisi directement ... il en serait resulte soit une immobilisation sterile du materiel roulant, soit une repartition bative d'un produit actuellement tres rare, indispensable a !'industrie fran~ise." 15 Brief Berthelot an Valabregue, 31.10.45, AN F12 10103. I Brief Monnet an Bidault, 03.03.47, AN 80 AI 266. 2 Vgl. Anhang eines Briefes von Kriegsminister Diethelm an Koeltz, 26.07.45, SHAT 6 P 10. 3 Vgl. Auditions de M. Michelet, SAAN Com.Det.Nat. 12.12.45, 30.01. u. 18.09.46.

150

A. Rahrnenbedingungen

techniques du Ministere," der jedoch kurz nach dem Rücktritt von Billoux aufgelöst und ins Commissariat general integriert wurde. 4

Erziehungsministerium. Im Ministere de l'ectucation nationale ließ sich eine seit November 1944 aktive Comrnission de la recuperation artistique ausmachen, die mit dem Vormarsch der alliierten Truppen in Deutschland nach von den Nationalsozialisten gestohlenen Kunstgegenständen Ausschau hielt. s Eine "Exposition des chefsd'oeuvrerecuperes en Allernagne" fand im Frühjahr 1946 in Paris statt. 6 Die eigentliche deutschlandpolitische Abteilung des Erziehungsministeriums bildete jedoch der Service des affaires allemandes et autrichiennes, der für die "coordination et la centralisation de toutes les questions ressortissant a l'ectucation nationale dans les territoires occupes" sorgen sollte. Den Posten des Directeur du Service erhielt Cesar Santelli, Agrege d'allemand und nach dem Ersten Weltkrieg unter anderem Gymnasiallehrer in Metz, der dem Minister persönlich zugeordnet war: zunächst 1944/45 im Kabinett des Linksgaullisten Rene Capitant, seit 1929 Rechtsprofessor in Straßburg, aufmerksamer Beobachter des nationalsozialistischen Aufstiegs in Deutschland und Warner vor der "pangermanistischen Gefahr";7 dann - anschließend an ein zweimonatiges Zwischenspiel von Paul Giacobbi - im Kabinett des Sozialisten Marcel-Edmond Naegelen, seit 1919 Professor der Beole normale und seit 1944 zweiter Bürgermeister in Straßburg, Erziehungsminister vom Januar 1946 bis zu seiner Ernennung als Gouverneur general de l'Algerie im Februar 1948. In Absprache mit der Direction des relations culturelles im Quai d'Orsay sowie der von Erziehungs- und Außenministeriun gemeinsam begründeten Association fran~aise d'action artistique begutachtete Santelli sämtliche "projets de manifestations theatrales, musicales, ainsi que tous les projets d'expositions," bevor sie in Deutschland verwirklicht werden konnten. 8 Das dichte Kommunikationsnetz und der breite Schriftverkehr zwischen der Quai d'Orsay-Kulturdirektion und der Deutschlandabteilung im Erziehungsministerium deutet auf ein hohes Maß an Harmonisierungsbedürfnis des Pariser kulturpolitischen Vorgehens hin, ohne daß dies zunächst unterschiedliche Standpunkte zu Einzelproblemen, wie der Wahl des sinnvollsten Zeitpunkts für Studentenaustauschprograrnme, 9 ausgeschlossen hätte. Landwirtschajts-, Bevölkerungs- und Wiederaujbauministerium. Im Landwirtschaftsministerium existierte ebenfalls ein deutschlandpolitisches Gremium, das Bureau des affaires allemandes et autrichiennes als Unterabteilung der Direction des 4 Ygl. Proces..verbal sommaire de la reunion tenue 11 I'EMGDN relative 11 la suppression du service des affaires allemandes presidee par le Colonel Moraillon, 31.05.47, AN 457 AP 65. S Ygl. Arrete de Rene Capitant, Ministre de l'education nationale, 24.11.44, SHAT 8 P 26. 6 v gl. Brief Henraux, Otef de la Cornrnission de la recuperation artistique, an Laugier, Directeur des relations culturelles im Quai d'Orsay, 01.03.46, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 179. 7Ygl. dazu Louis Dupeux, Rene Capitant et l'analyse ideologique du nazisme 1934-1939, in: Francia 5 (1977) S.627-637. • Vgl. Brief des Directeur de l'Association fran~aise d'action artistique an MAE, Dir.Cult., Expansion artistique en Allemagne occupee, 19.04.46, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 184. 9 Ygl. Brief Santelli an Joxe a.s. Echanges de correspondance entre etudiants fran~ais et etudiants allemands, 27.10.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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affaires economiques, das sich für die Amtszeit des sozialistischen Bretonen FranIrois Tanguy-Prigent zwischen September 1944 und Oktober 1947 ebenso nachweisen läßt wie für die des Christdemokraten Pierre Pflirnlin, damals Gemeinderat in Straßburg und Abgeordneter des Bas-Rhin. Im Ministere de la population gab es eine Commission intenninisterielle de l'immigration, die als wesentlichen Themenschwerpunkt die Frage der "immigration volontaire en France d'une main-d'oeuvre allemande destinee ase substituer acelle des prisonniers de guerre" behandelte. 10 Im Ministere de la reconstruction et de l'urbanisme gab es einen Charge des questions allernandes als Ansprechpartner für die entsprechenden Abteilungen von Militärregierung und Kontrollratsgruppe in Deutschland. ll Die Liste scheint - obwohl vermutlich längst nicht erschöpfend - beeindruckend, erst recht dann, wenn man neben diesen innenninisteriellen Gremien solche Persönlichkeiten berücksichtigt, die erhebliches Gewicht im deutschlandpolitischen Entscheidungsprozeß der Zentrale hatten, ab Anfang 1947 etwa Vincent Auriol als erster Präsident der IV.Republik oder - während des gesamten Zeitraumes - lean Monnet, zunächst als "Sonderbeauftragter in Sachen US-Dollarbeschaffung", dann als Commissaire general au Plan in Absprache mit dem Außenministerium. 12

Zwischenbilanz: öffiziöse innerministerielle Gremien und Sitzungen. Es kann auf der einen Seite kein Zweifel daran bestehen, daß die Etablierung einer solchen Vielfalt innerministerieller Koordinierungs- und Diskussionsorgane vor allem der Absicht der Ministerien entsprang, jeweils eigenverantwortlich deutschland- und besatzungspolitisch tätig zu werden, die direkten Drähte zu den eigenen Repräsentanten in Südwestdeutschland und Berlin nicht abbrechen zu lassen und damit die Effizienz des eigenen Vorgehens zu steigern. Selbst wenn dies in Einzelfällen gelingen konnte, so vergrößerte doch ihre Existenz zusätzlich zu den vorhandenen interministeriellen Gremien das vermeintliche Pariser Institutionenchaos, verschärfte die administrativen Defizite und beschwor fast zwangsläufig Rückschlüsse auf sachpolitische Inkohärenzen herauf, obwohl nie zur Debatte stand, Schattenpolitiken im Sinne fundamental divergierender Ansätze zu denen der Regierung den Weg zu ebnen. Vielmehr gilt es auf der anderen Seite hervorzuheben, daß all diese Komitees, Kommissionen und Abteilungen häufig Ausgangspunkte für Absprachen zur Deutschland- und Besatzungspolitik bildeten, die einen breiten Informationsfluß gewährleisteten und damit eher konzeptionelle Homogenisierungstendenzen begründeten als Infragestellungen der Eckpfeiler regierungsamtlicher Deutschlandprinzipien. Sowohl die diachrone als auch die synchrone Perspektive unterstreicht die beträchtliche personelle Kontinuität und Stabilität, sowohl die Betrachtung der Akteure bei inter- wie innenninisteriellen Sitzungen im Zeitverlauf zwischen 1944 und 1948 als auch deren Analyse in den mannigfaltigsten Gremien zu einern be10 Vgl. MAE. Dir.Adm .• Note a.s. Le probleme demographique allemande. 13.01.46. AN 457 AP 63. Die erste Sitzung fand am 11.01.46 im Ministere de la population statt. 11 Vgl. CCFA. GFCC, Chef du Service de la reconstrution et du logement, Rapport sur les entretiens a Paris, 25.04.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45.

llVgl. Briefe Monnet an Bidault vom 22.02.47. AN 457 AP 7, vom 03.03.47. AN 80 Al 266 und vom 20.02.48, AN 457 AP 21.

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A. Rahmenbedingungen

stimmten Zeitpunkt dieser Periode. Doppel- oder Mehrfachbesprechungen gewisser Problemfelder in nur geringfügig veränderter Zusammensetzung der Teilnehmerkreise entsprachen auch einer erheblichen Kommunikationsvernetzung. Als "Zeitverschwendung" lassen sie sich aufgrund ihres durchaus funktionalen Charakters kaum kennzeichnen. Dieses Mißverständnis beruht auf der mangelnden Berücksichtigung des unterschiedlichen Zeitverständnisses und der daraus erwachsenden verschiedenartigen Kommunikationsnachfrage und Arbeitsorganisation französischer Diplomaten im Verhältnis zu angelsächsischen. 13 Das polychrone französische Zeitverständnis mit hoher Kontextreferenz erfordert eine Beschäftigung mit vielen Dingen gleichzeitig und eine beträchtliche Akzeptanz für Unterbrechungen und Veränderungen im Arbeitsablauf, stellt interpersonelle Beziehungen über die strikte Einhaltung von Terrninplanungen und Tagesordnungspunkten. Verhandlungsteilnehmer gehen wie selbstverständlich davon aus, jeder besäße das gleiche Grundgerüst an Kenntnissen zum Thema und bedürfe nur gewisser Zusatzinformationen. In krassem Gegensatz dazu steht das monochrone angelsächsische oder deutsche Zeitbewußtsein mit niedriger Kontextreferenz, das die Konzentration auf eine einzige Aufgabe und deren chronologische Abfolge fördert und bei dem die Gesprächspartner als gegeben annehmen, der Gegenüber habe keine oder geringe themen spezifische Einblicke und benötige deshalb möglichst rasch ein Maximun an Informationen. Solche beachtlichen interiorisierten kulturellen Differenzen präjudizieren einerseits unvermeidlich Mißverständnisse, Spannungen und Fehlperzeptionen in internationalen Verhandlungen, daneben aber andererseits voreilige historiographische Rückschlüsse über die Effizienz des einen oder anderen Zeit- und Sprachsystems. Mit dem Wirwarr deutschlandpolitischer Organe in Paris jedenfalls lassen sich Inkohärenzen und Ungereimtheiten französischen Vorgehens gegenüber dem östlichen Nachbarn nicht plausibel begreiflich machen.

3. Institutionen und Akteure im Spannungsfeld von Kohärenz und Inkohärenz französischer Deutschlandpolitik Die Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität sowie nach Kohärenz und Inkohärenz französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan sollen weiterhin im Blickfeld bleiben. Bislang konnten Hinweisen auf inkohärenzfördernde Faktoren, vor allem die zahllosen innen- wie außenpolitischen Zwangslagen von Politikern und Verwaltungsspitzen, die absehbaren diplomatischen Nutzungschancen der äußerst prekären Lage im Innern sowie die damit verbundenen potentiellen taktischen "Dienstleistungen" deutschlandpolitischer Maximalpositionen im Spannungsfeld von Innen- und Außenpolitik, wesentliche kohärenzbegünstigende Elel3 Vgl. Edward T. Hall I Mildred Reed Hall, Guide du comportement dans les affaires internationales. Allernagne, Etats-Unis, France, Paris 1990, S.206-209 sowie ausführlicher zum unterschiedlichen Zeitverständnis von Amerikanern, Deutschen und Franzosen Edward T. HaU, La danse de la vie. Temps culturel, temps vecu, Paris 1984, S.129-145.

11. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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mente gegenübergestellt werden: die relative Konkordanz politischer Sozialisierungsmuster inden 30er Jahren bei deutschlandpolitischen Nachkriegsakteuren, die Ähnlichkeit der Widerstandserfahrungen außerhalb des Hexagons, die persönlichen Affinitäten aus dieser Zeit über politisch-ideologische Grundhaltungen hinweg, nicht zuletzt die außergewöhnliche personelle Vernetzung und Kommunikationsdichte aufgrund des frankreichspezifischen polychronen Zeitverständnisses mit daraus erwachsenden ständigen Kontakt- und Informationsmöglichkeiten in inner- wie interministeriellen Zusammenkünften. Dieses kontrastreiche Bild gilt es im folgenden durch weitere Mosaiksteine zu ergänzen. Zunächst stehen die Fragen nach Ämterstabilität, Altersstruktur und Karriereorientierung des Pariser Deutschlandpersonals im Vordergrund, dann das Verhältnis von Institutionenchaos und "Richtlinienfähigkeit" anweisungsbefugter Deutschlandgremien, schließlich die Erklärungshintergründe für Konflikte zwischen den Ministerien.

a) Personelle StabiUlät und Karriereperspektiven der Beamten: Deutschlandpolltik als Sprungbrett? "Je suis effraye du Iravail du Quai. Ce sont pour la plupart des jeunes gens qui manquent d'experience."'- "Mr. Marquand ... was impressed by intelligence and youth ofhighest officiaIs."2

Das beachtliche Gewicht, das die vorgestellte Interpretation französischer Deutschlandpolitik den biographischen Erklärungsfaktoren 3 einräumt, fand schon mehrfach Erwähnung, sei es im Rahmen ähnlicher politischer Sozialisationserfahrungen während der Krisen in den 30er Jahren, sei es bei der Untersuchung des massiven Übergewichts später deutschlandpolitisch involvierter Politiker und Beamter aus äußeren Widerstandskreisen gegenüber solchen aus der inneren Resistance. Die Geltungskraft, die solchen Elementen im politischen Entscheidungsprozeß zukommt, läßt sich nicht quantifizieren, selten quellenmäßig belegen. Vielmehr beruht sie auf Plausibilitätserwägungen und Gewichtungen sowie auf der Verortung von Politik innerhalb eines breiteren gesellschaftlichen Kontextes, erscheint dadurch jedoch nicht weniger glaubwürdig. Wer würde ernsthaft bestreiten wollen, daß die fast durchgängige Existenz qualifizierter, engagierter und karrierebewußter Persönlichkeiten, die sich zumeist über mehrere Jahre teilweise oder ausschließlich mit der Pariser Deutschlandpolitik beschäftigten, Konsequenzen für das französische Vorgehen nach Kriegsende zeitigen mußte? 'Rene Massigli in einem Gespräch bei Vincent Auriol, in: Auriol, JournaI1947, S.116ff. (116). 2 HA Marquand, Secretary of the Department cf Overseas Trade, hielt sich vom 18. bis rum 21.September 1945 ru Gesprächen mit französischen Kollegen in Paris auf. Die zitierte Bemerkung stammt aus einem Bericht vom 24.September 1945, vgl. DBPO J/V, S.236/Anm.III. 3 Die folgenden Exgebnisse beruhen vor allem auf der Auswertung des Who's Who in France. Recueil de notices biographiques, Bd.l (1953/54), Paris 1953 bis Bd.26 (1994/95), Paris 1994. Der Untertitel lautet ab Bd.3 (1957/58), Paris 1957 "Dictionnaire biographique".

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A. Rahmenbedingungen

Personalstabilität. Was die personelle Stabilität deutschlandpolitisch relevanter Spitzenverwaltungspositionen anbelangt, so offenbarte sie sich für inner- wie interministerielle Gremien als gleichermaßen beeindruckend. Die drei wichtigen Direktionsposten im Außenministerium blieben während der ersten Nachkriegsjahre in den Händen derselben Persönlichkeiten, die allesamt deutschlandpolitische Planungserfahrungen aus Algier mitbrachten. Couve de Murville leitete die politische Abteilung zwischen 1945 und 1950, Alphand die wirtschaftliche zwischen 1944 und 1950, Joxe die kulturelle zwischen 1946 und 1952. Während Jean Chauvel als Generalsekretär des Quai d'Orsay ebenso zwischen 1945 und 1949 im Amt blieb wie sein früherer Mitarbeiter im Bureau d'etudes Raymond Bousquet als Directeur des affaires administratives von 1945 bis 1950, erwies sich die Fluktuation in der Europaabteilung als höher, allerdings eher vordergründig als tiefgreifend. Die beiden ehemaligen Kabinettschefs de Gaulles im äußeren Widerstand, Fran~ois Coulet und Geoffroy de Courcel, wurden zwar 1947 als Directeur d'Europe bzw. Sous-directeur d'Europe centrale abgelöst, doch deren Nachfolger waren alles andere als Neulinge in Deutschlandfragen: Jacques-Carnille Paris, Chef des Service nord-americain et asiatique im Commissariat des affaires etrangeres Massiglis in Algier, mit diesem dann als Conseiller d'ambassade in London und dort ständig mit deutschlandpolitischen Themen im anglo-französischen Spannungsfeld konfrontiert; Pierre de Leusse, während des Krieges Repräsentant des CFLN in der Schweiz, kurzzeitig als Vorgänger von Paris Botschaftsberater in London, dann Charge des services politiques et economiques du Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes. Desgleichen unterstreichen die Botschafter bei den "Großen Drei" personelle Kontinuitäten. Henri Bonnet und Rene Massigli sollten von 1944 bis 1955 als Botschafter in den Vereinigten Staaten bzw. in Großbritannien bleiben, Georges Catroux immerhin von 1945 bis 1948 in der Sowjetunion. Es ließen sich weitere Persönlichkeiten benennen, die zwischen Befreiung und Schumanplan immer wieder deutschlandpolitische Aktivitäten entfalteten: so der Rechtsprofessor Andre Gros, als Conseiller juridique zwischen 1942 und 1947 in London, zunächst im Kommissariat für auswärtige Angelegenheiten, dann bei der Mission aupres des gouvernements alMs, schließlich in Massiglis Botschaft, zwischen 1947 und 1950 Jurisconsulte der Pariser Zentrale; so Pierre Baraduc, von 1943 bis 1950 wichtigster Mitarbeiter der Alphandschen Wirtschafts abteilung; so Raymond Offroy, zwischen 1945 und 1949 Leiter der Presse- und Informationsabteilung im Quai d'Orsay, sowie Offroys Stellvertreter zwischen 1945 und 1948, Jean Basdevant; so Arrnand Berard, von 1945 bis 1949 Conseiller d'ambassade in Washington und dort deutschlandpolitisch mindestens so aktiv wie seine Kollegen Jacques-Carnille Paris und Louis de Guiringaud in London. Im Anschluß an die beiden halbjährigen Engagements an der Spitze der Generalsekretariate von Comite interrninisteriel und Commissariat general durch Marcel Berthelot und Rene Mayer, die jedoch beide weiterhin in Verwaltung bzw. Politik eng mit französischer Deutschlandpolitik zu tun hatten, blieb Schneiter mit kurzen Unterbrechungen, in denen dann Savary oder Debre den Posten interims-

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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mäßig versahen, immerhin für drei Jahre als Commissaire. Eine deutlich stabilere Personalstruktur offenbarten die leitenden Beamten innerhalb des Kommissariats: der bis Januar 1946 dem de Gaulleschen Kabinett angehörende Diplomat Jean Sauvagnargues von 1946 bis 1949, Roger Bloch wie Mlle Brest-Dufour von 1945 bis 1950, Colonel Marty wie Rene Cannac von 1945 bis mindestens 1949, Rene Plas von 1945 und Philippe Rivain von 1946 bis 1949/53, Paul Moroni von 1946 bis 1949/51 und J acques Bouchacourt von 1947 bis 1949/52, schließlich Alain Poher und Jean Donnadou von 1948 bis 1950/52. Altersstruktur von Deutschlandakteuren. Doch nicht nur die personelle Stabilität auf deutschland- und besatzungspolitisch relevanten Posten bildete ein für in- wie ausländische Beobachter gleichermaßen hervorstechendes Merkmal bei Formulierung und Durchführung französischer Vorstellungen gegenüber dem östlichen Nachbarn, sondern auch das geringe Alter der Inhaber solcher Verwaltungsspitzenpositionen, und dies in einem höchst sensiblen, für die Nation ebenso bedeutsamen wie öffentlichkeitswirksamen Sektor. Von den oben genannten Beamten im Quai d'Orsaywaren nur zwei vor der Jahrhundertwende geboren, Jean Chauvel 1897 und Raymond Bousquet 1899, nur ein weiterer überschritt 40 Jahre, der 1901 zur Welt gekommene Louis Joxe. Damit waren sie die einzigen, für die der Erste Weltkrieg noch ein konstitutives Ereignis politischer Sozialisation bilden konnte, denn alle anderen waren 1918 jünger als 13 Jahre. Mit Chauvel, Bousquet und Joxe ergibt sich bei Ende des Zweiten Weltkriegs ein bereits bemerkenswertes Durchschnittsalter von weniger als 40 Jahren, ohne sie sogar von weniger als 38 Jahren. Ergänzt man die aufgeführten Personen durch weitere, die vor allem in der Direction d'Europe nach 1947 in Erscheinung traten, Robert Fabre, Fran~ois Puaux, J acques de In den Deutschlandabteilungen technischer Ressorts sah es kaum anders aus. Roussellier und de Frondeville im Wirtschafts-, Guindey und Schweitzer im Finanz-, Valabregue im Produktions- und Santelli im Erziehungsministerium waren durchweg zumindest zwischen 1944/45 und 1949, teils länger, deutschlandpolitisch aktiv und tauchten während des gesamten Zeitraumes immer wieder bei entsprechenden ressortübergreifenden Zusammenkünften auf. Selbst bei Robert Marjolin beschränkte sich die Beschäftigung mit Deutschland nicht auf die relativ kurze Phase, während der er als Vorgänger Nathans die Direction des relations economiques exterieures im Wirtschaftsministerium leitete. Sowohl in London und Algier 1943/44 als auch nach 1946 im Commissariat general au Plan Jean Monnets trat er durch konzeptionelle Ansätze oder in internationalen Verhandlungen zur Deutschland- und Besatzungspolitik hervor. Im Commissariat selbst arbeitete seit Dezember 1945 außer Marjolin ein weiterer enger Mitarbeiter Monnets aus Widerstandszeiten, Etienne Hirsch, der zwischen 1946 und 1949 stellvertretender, dann zwischen 1952 und 1959 Planungskommissar sein sollte, daneben Monnets Kabinettschef Felix Gaillard, ehemaliger Mönick-Mitarbeiter, der nach seiner Wahl in die Nationalversammlung im November 1946 den politischen Karriereweg einschlug, 1957 mit 38 Jahren zum jüngsten President du Conseil der IV.Republik avancierte.

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A. Rahmenbedingungen

Bourbon-Busset und Etienne Burin des Roziers, gelangt man auf einen Schnitt von knapp über 35 Jahren. Dagegen waren die Botschafter in Washington, London und Moskau geradezu alte Herren. Catroux zog als 37-jähriger Kommandant in den Ersten Weltkrieg, Bonnet und Massigli, beide Jahrgang 1888, nahmen schon 1918 an der diplomatischen Liquidierung eines Weltkriegs teil. Das Eingangszitat Massiglis über die jungen unerfahren Diplomaten in Paris gewinnt von daher tatsächlich eine Generationenkonflikt-Dimension, sah sich doch der ehemalige Commissaire des affaires etrangeres aus Algier einer Garde junger und elan voller Kollegen gegenüber mit anderem Sozialisationshintergrund, mit unkonventionellen Methoden und suspektem Verhandlungskalkül sowie mit einem nicht allzu ausgeprägten Interesse daran, den "alten Hasen" in London mit Informationen aus erster Hand zu überschütten. Die im Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes zwischen 1945 und 1950 über mehr oder weniger lange Zeiträume Leitungsfunktionen ausübenden Beamten und Politiker, also Rene Mayer, Pierre Schneiter, Pierre-Olivier Lapie, Alain Savary, Michel Debre und Alain Poher, waren bei Kriegsende durchschnittlich knapp über 38 Jahre alt. Berücksichtigt man zusätzlich die sieben mit Geburtsdaten bekannten Chefs de Service, so sinkt das Durchschnittsalter auf unter 35 Jahre. Die in Wirtschafts-, Finanz- und Produktionsministerium primär mit Deutschland befaßten Beamten waren 1945 mit Ausnahme des 1897 geborenen Nathan durchweg unter 40 Jahre alt: Marjolin 34, Roussellier 33, de Frondeville 28, Guindey 36, Schweitzer 34 und Valabregue ebenfalls 34.

Karriereorientierung. Ein drittes wesentliches biographisches Element, das es neben dem geringen Alter deutschlandpolitischer Akteure sowie der fast ausnahmslos mehrjährigen Auseinandersetzung mit der Deutschlandfrage auf zumeist einem, manchmal zwei Posten zu unterstreichen gilt, bildete die offensichtliche und nachdrückliche Karriereorientierung der jungen Politiker, Verwaltungskräfte oder Ingenieure. Führte schon die weitverbreitete Wahrnehmung, die Jahre nach Befreiung und Kriegsende böten trotz aller Sachzwänge eine so rasch nicht wiederkehrende Chance, der Nation ein neues Gesicht zu verleihen, zu einem hohen Potential persönlichen Engagements, so konnten sie sich darüberhinaus aufgrund des allgegenwärtigen Mangels an Fachpersonal und Experten zweifellos gute langfristige Laufbahnperspektiven ausrechnen. Die Aussicht guter Karrierechancen bei entsprechender Leistung mußte als Motivationsverstärker wirken. Unter deutschland- und besatzungspolitischen Gesichtspunkten war damit zwar weder grundSätzlich noch notwendigerweise ein eindeutiges Engagement in konstruktivem oder destruktivem Sinne vorgezeichnet, wohl aber ein Engagement schlechthin, vielleicht sogar ein deutschland- wie besatzungspolitisch eher produktiver Grundzug. Wie hätte man sich sonst für höhere Aufgaben qualifizieren sollen? Und machte sich nicht als berufliche Referenz etwas, das man materiell oder immateriell mit Kreativität sichtbar aufgebaut hatte, immer noch besser als etwas, das man mit Sinn für Tradition dauerhaft zerstört hatte?

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Die Betrachtung der persönlichen Karrieremuster läßt deutlich hervortreten, daß einem Großteil der Pariser Akteure ein glänzender professioneller Werdegang bevorstand, der deutschland- und besatzungspolitische Einsatz in den ersten Nachkriegsjahren zwar nicht ausschließlich, aber eben auch ein Karriere-Sprungbrett darstellte. Ohne Vollständigkeitsanspruch sei im politischen Bereich hingewiesen auf zwei Premierminister der V.Republik, Michel Debn! von 1958 bis 1962 und Maurice Couve de Murville - nach 10 Jahren als de GaulIes Außenminister - von 1968 bis 1969; auf zwei weitere Quai d'Orsay-Chefs, Jean Sauvagnargues von 1974 bis 1976 und dessen Nachfolger Louis de Guiringaud von 1976 bis 1978; auf eine Vielzahl von Ministern der IV. und V.Republik, von der Pariser Ebene etwa Pierre Schneiter von 1948 bis 1951 oder Alain Savary von 1981 bis 1984, von der Besatzungsebene Pierre Koenig von 1954 bis 1955, Raymond Schmittlein von 1955 bis 1956 oder Gilbert Grandval von 1962 bis 1966; auf einen President du Senat zwischen 1968 und 1992 und Gegenkandidaten George Pompidous im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen von 1969, Alain Poher. Die Karrieren im diplomatischen Bereich führten bis auf die politisch bedeutendsten und begehrtesten Botschafterposten in Washington (Alphand 1956-1965), in Moskau (loxe 1952-1955; Dejean 1955-1964), in London (Chauvel 1954-1962; De Courcel 1962-1972), in Rom (Berard 1962; Burin des Roziers 1967-1972; Puaux 1975-1981), in Bonn (Joxe 1955/56; F. Se)doux 1958-1962; Sauvagnargues 1970-1974; Wormser 19741977) oder bei der NATO in Brüssel (De Leusse 1959-1962 u. 1965-1967). Von den deutschlandpolitischen Führungskräften im Wirtschafts- und Finanzministerium fanden sich nicht wenige an der Spitze internationaler Organisationen wieder: Robert Marjolin schon von 1948 bis 1955 als Generalsekretär der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, von 1958 bis 1967 als Vizepräsident der Kommission der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft, Guillaurne Guindey von 1958 bis 1963 als Directeur general de la Banque des reglements internationaux oder Pierre-Paul Schweitzer von 1963 bis 1973 als Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds. Weitere Persönlichkeiten gelangten in die Vorstandsetagen internationaler Organisationen, so J acques-Camille Paris als Generalsekretär des Europarats von 1949 bis 1953, Pierre-Olivier Lapie als französischer Repräsentant bei der Haute-autorite der Montanunion von 1959 bis 1967 und Präsident des Comite inter-executif europeen de I'energie von 1960 bis 1967, Rene Plas als Gouverneur du Fonds de retablissement du Conseil de l'Europe von 1956 bis 1968/71, Rene Sergent als stellvertretender Generalsekretär der NATO seit 1952 und seit 1955 als Nachfolger Marjolins auf dem Posten des Generalsekretärs der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, Jacques Rueff als Kammerpräsident des EGKS-Gerichtshofes seit 1952 und als Richter am Gerichtshof der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1958 bis 1962, Andre Gros als Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag seit 1964.

Deutschlandpolitische Relevanz biographischer Faktoren. Alles in allem läßt die Betrachtung von Ämterstabilität, Altersstruktur und Karrieremustern kaum Zweifel daran zu, daß an Formulierung und Umsetzung französischer Deutschlandpolitik 11 Hüser

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zwischen Befreiung und Schumanplan eine relativ kleine, aber hochkarätige Verwaltungsriege ebenso engagierter wie qualifizierter und aufstrebender Persönlichkeiten in der Pariser Zentrale teilhatte. Für zahllose der zumeist aus den äußeren Widerstandskreisen hervorgegangenen Verwaltungsexperten bildeten die deutschland- und besatzungspolitischen Aufgaben nach Befreiung und Kriegsende eine erste bedeutende berufliche Herausforderung im Hexagon, die sich langfristig als Karrieresprungbrett herausstellen sollte. Diese konstitutive Erfahrung erster großer Schritte auf der Karriereleiter erklärt zumindest teilweise, warum viele mehr oder weniger bekannte Akteure dieser Zeit dauerhaft der Entwicklung des östlichen Nachbarn auf die eine oder andere Weise verbunden blieben, als sie sich beruflich längst nicht mehr primär damit auseinanderzusetzen hatten. 4 hn Kontext der Leitfrage nach kohärenz- bzw. inkohärenzfördernden Strukturfaktoren französischer Deutschlandpolitik wäre vor allem noch einmal darauf hinzuweisen, daß es sich bei den 1944/45 "Eingeweihten" um einen sehr kleinen Kreis von Ministern und Spitzenfunktionären mit Zugang zu oder im engsten Umkreis von den interministeriellen anweisungsbefugten Organen handelte, der sich in der Folgezeit nur geringfügig vergrößerte. Die notwendige Differenzierung zwischen deutsch1andpolitischen "insidern", zu denen sich längst nicht alle der oben aufgeführten Beamten zählen durften, und "outsidern", denen etwa das diplomatische Maximalpositionenkalkül in der Deutschlandfrage kaum im Detail bekannt sein konnte und für die immer wieder vorgebrachte Utopievorstellungen französischen Realforderungen gleichkamen, erklärt zweierlei wenigstens teilweise: einmal, weshalb auf der administrativen Ebene Unverständnis und Verwirrung bei Diplomaten wie Gary, Fabre oder Puaux, die 1947 neu zur Direction d'Europe stießen, über die Aufrechterhaltung deutschlandpolitischer Maximalpositionen im diplomatischen Verkehr so groß waren; zum zweiten, weshalb im politischen Bereich der sozialistische Nachfolger de Gaulles im Amt des Präsidenten der Provisorischen Regierung, Felix Gouin, ganz selbstverständlich davon ausging, eine qualitativ andere Deutschlandpolitik im Vergleich zur bisherigen zu verfolgen, obwohl sie doch - wäre sie offiziell beibehalten worden - realiter nicht mehr als den von Bidault als zu früh erachteten Wandel im taktischen Vorgehen nach innen wie außen auf den Weg gebracht hätte. Die Frage, wer was wußte, spielt auch bei der Betrachtung Pariser Direktiven eine entscheidende Rolle.

• Exemplarisch sei auf zwei der ganz jungen Mitarbeiter im Commissariat general verwiesen, Roger Bloch und Pierre Maillard, deren Bücher über Deutschland für sich sprechen. Für die besatzungspolitische Ebene sind in dieser Hinsicht höchst aufschlußreich die Zeitzeugenbeiträge vielzähliger damals in Südwestdeutschland tätiger Ingenieure und Verwaltungskräfte während eines Saarbrücker Kolloquiums, abgedruckt bei Hudemann I Poidevin (Hg.), Die Saar 1945-1955.

11. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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b) Deutschlanddirektiven trotz Institutionenchaos: wer wußte was in Paris? "Ai-je besoin de vous rappeler que presque personne, en fait, sinon des fonctionnaires irresponsables, n'a Iris de decision veritable a l'egard de I'AUemagne." 1 - "Mais comment faire vivre une administration arythme d'une politique quand on ignore celle-ci. Ce n'est pas facile.'"

Der nahezu absolute Konsens darüber, daß die Unfähigkeit der Pariser Zentrale, Direktiven für die praktische Politik in Baden-Baden und Berlin zu erteilen, als die ausschlaggebende Ursache für Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten französischer Deutschland- und Besatzungspolitik angesehen werden müsse/ hat bislang keine Beschäftigung mit bürokratietheoretischen Ansätzen, die doch etwas Licht in das Dunkel solch pauschaler Aussagen bringen könnten, nach sich gezogen. 4 Dies scheint urnso überraschender, als eine kritische Durchsicht des Quellenmaterials zutage fördert, daß die involvierten Akteure selbst immer wieder das Verhältnis von Politik und Verwaltung reflektierten, sei es im Rahmen offizieller Beschwerden, sei es, durchaus häufiger und offener, im Rahmen persönlicher Kontakte. Die Eingangszitate haben in diesem Zusammenhang durchaus exemplarischen Charakter. Während die mit der Umsetzung Pariser Richtlinien befaßte Spitzenebene der Besatzungszone über die "Bürokraten" klagten, die offenbar die Pariser Politik bestimmten, gaben diese den Schwarzen Peter an die verantwortlichen Politiker weiter und rechtfertigten sich, sie hätten als Verwaltungsfachleute eine Politik zu betreiben, deren Grundsätze sie überhaupt nicht kannten. Doch gab es tatsächlich keine Direktiven, waren die deutschlandpolitischen Zielvorstellungen französischer Politik wirklich gänzlich unbekannt? Pariser "Richtlinienjähigkeit". Der allseitige Vorwurf an entscheidungsbefugte Gremien und Personen der Zentrale, es gäbe keine Direktiven für das Vorgehen in und gegenüber Deutschland, findet sich als durchgängiger Topos deutschland- und besatzungspolitischer Kritik seit der Liberation. Schon Ende September 1944 wurde "l'absence de toute directive gouvernementale" kritisiert und darauf hingewiesen, daß zwar "la technique peut aider le politique mais elle ne le remplace jamais."s Ganz in diesem Sinne lassen sich für die Folgezeit zahllose Aussagen zusammentragen, die nicht nur von den Verwaltungs spitzen der Besatzungszone vorgebracht wurden,6 sondern auch aus den Reihen des außenpolitischen Ausschusses der 1 Brief Laffon an Morin, Kabinettschef Bidaults, 08.11.46, AMAE PAAP 338/15. , Brief Debre an Couve de Murville, 15.04.48, AMAE Y (1944/49) 304. 3 Vgl. schon Willis, The French in Germany, S.88f.

• Als Ausnahme vgl. Annin Heinen, Bürokratische Entscheidungsfindung im politischen Raum. Zur französischen Wirtschaftspolitik an der Saar, in: Hudemann / Poidevin (Hg.), Die Saar 1945-1955, S.159-173. , Note d'Andre Gros sm les problemes de desarrnement economique, 25.09.44, SAEF B 8786. • Vgl. als frühe Beispiele Brief bzw. Telegramm de Lattre an de Gaulle, 30.04. bzw. Anfang Juni 1945, in: Oe Lattre, Reconquerir, S.259f. bzw. 338f.; Saint-Hardouin an Bidault, Mise au point sur la situation actuelle en Allemagne, 11.07.45, AN 457 AP 62; Laffon an Koenig, Rapport über seine ersten sechs Wochen in Baden-Baden, 17.09.45, AMAE Y (1944/49) 282; Koenig an Mayer, Politique fran~aise en Allemagne, o.D., Mai 1946, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2.

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A. Rahmenbedingungen

Nationalversamrnlung/ der politischen Parteien,8 der deutschlandpolitischen Koordinierungsorgane,9 der französischen BotschafteriO und selbst des Quai d'Orsay, wo Chauvel mit ironischem Unterton anmerkte: "ll m'est difficile de r&liger pour Bidault les instructions du Gouvernement qui ne tombent a cote."11 Tatsächlich aber gab es durchaus Pariser Direktiven. Allein für den Zeitraum zwischen Juli 1945 und März 1946 verabschiedeten die dafür zuständigen Organe, das Comite interministeriel des affaires allemandes et autrichiennes sowie das Comite economique interministeriei, unter Vorsitz de GaulIes bzw. Gouins weit über 50 solcher Richtlinien fiir Oberbefehlshaber und Militärregierung in Deutschland. Überdies ging selbst das 'Einschläfern" der interministeriellen Ausschüsse seit dem Frühjahr 1946 nicht mit einem generellen Stop der Erteilung von Direktiven einher. Diese entsprangen künftig nicht mehr einem dafür vorgesehenen Gremium, sondern verschiedenen Quellen, wobei erneut die Bedeutung ressortübergreifender, zumeist nicht institutionalisierter Sitzungen seit April 1946 unterstrichen werden muß, deren Diskussionsergebnisse die zuständigen Stellen im Commissariat general anschließend als Direktiven ausarbeiteten. 12 Abgesehen von schwierig zu gewichtenden Persönlichkeitsfaktoren 13 scheint demzufolge das Direktiven-Problem weniger in der Inexistenz von Richtlinien an sich bestanden zu haben, sondern eher im administrativen Verbreitungs- und inhaltlichen Präzisierungsgrad. Während die inhaltliche Seite der Anweisungen später noch ausführlich zur Sprache kommt, gehört die Frage nach der Bekanntheit erstrangiger Pariser Instruktionen bei Deutschlandakteuren in den Bereich institutioneller und personeller Rahmenbedingungen französischer Politik. Herkunft und Weiterleitung der vielzitierten ersten Direktiven des Comite interministeriel vom 19 Juli 1945 lassen darüber einige Rückschlüsse ZU. 14 7 Vgl. z.B. Expose Grumbach sur la situation dans la ZFO en Allemagne, SAAN Com.Aff.Etr. 12.12.45 oder den Bericht von Gilbert de Chambrun als Leiter einer Unterkommission des FBZ- Untersuchungsauschusses, SAAN Com.ZFO 14.03.46. I Vgl. La situation en Allemagne - Rapport d'une delegation officieuse du parti socialiste sur un voyage en Allemagne occupee du 6 au 15 octobre 1945, FNSP-AHC Papiers Cletta et Daniel Mayer 22.3. • Für die MMAA vgl. General Koeltz, Fiche pour le General Chef d'EMGDN, 09.06.45, SHAT 8 P 25; furdas CGAAA vgl. Pierre de Leusse, Note sur la situation a Baden-Baden, 10.09.45, AMAE PAAP 338/15 oder Rene Mayer an Massigli, 07.01.46, AMAE PAAP 217/63 bzw. Note Mayer an de Gaulle über seine Reise nach Deutschland, 15.01.46, AN 363 AP 6. 10 Dies gilt nahe2IJ während des gesamten Bearbeitungszeitraumes für Rene Massigli, vgl. z.B. Massigli an Fouques-Duparc, 15.01.45, AMAE PAAP 217/97 oder Massigli an Auriol, 28.05.48, in: Auriol, Journal 1948, S.248. 11 Brief Chauvel an Massigli, 18.03.47, AMAE Y (1944/49) 399. 12 Vgl. z.B. die Sitzung im Quai d'Orsay vom 08.04., die Note von de Courcel vom 09.04. sowie die Reaktion von Koenig vom 25.04.46, AMAE Y (1944/49) 435. 13 Die größten "Direktiven-Nörgler" waren gleichzeitig diejenigen, die auf ihren respektiven Posten am meisten unter vorgeblicher deutschland- oder besatzungspolitischer Einflußlosigkeit litten. Hätte nicht Laffon gern - wie sein Kollege Clay auf amerikanischer Seite - die unbestrittene Führungsrolle innerhalb der französischen Besatzungsverwaltung in Deutschland gespielt; hätte nicht Debre vielleicht schon damals lieber selbst - wie dies sein eigener späterer Werdegang andeutet - die Politik bestimmt als Verwaltungsaufgaben erledigt? •• Vgl. SGClAAA, Directives poor notre action en Allemagne (Document nOl) sowie Note sur le

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

161

Geschichte der frühen Pariser Rahmenrichtlinien. Die ersten Spuren dieser beiden allgemeinen Direktiven tauchen in einem siebenseitigen Vermerk vom 20Juni 1945 für die politische Abteilung des Quai d'Orsay auf. 15 Der Autor Tarbe de Saint-Hardouin, den das Außenministerium kurz darauf als Berater General Koenig in Baden-Baden zur Seite stellen sollte, fragte darin nach den Vor- und Nachteilen einer zonal bzw. gesamtdeutsch ausgerichteten französischen Politik, plädierte vehement für eine alliierte Zusammenarbeit im ureigensten Interesse Frankreichs und fand dafür Anklang bei Chauvel, der handschriftlich anmerkte, daß "cette note me parait tres sage."16 Einige Ausdrücke und Sätze der Ausführungen Saint Hardouins finden sich wörtlich in den beiden Direktiven des Comite interministeriel wieder, doch zunächst flossen sie in die weiteren Planungen der Directi on politique ein. Diese entwarf am lOJuli 1945 eine Notiz für Bidault, die als Basisfassung der späteren Direktiven gelten kann, da ganze Passagen bis auf geringe stilistische Abweichungen völlig identisch sind und selbst die für diese Richtlinien so charakteristischen Hinweise auf inhärente Widersprüche und unumgängliche Geschmeidigkeit des französischen Vorgehens nicht fehlen. Die Federführung dieser Version oblag zweifellos Maurice Dejean als damaligem Leiter der Direction politique, der mit seinem Füller handschriftliche Verbesserungsvorschläge in den Text hineinredigierte. Es folgten sechs Tage danach zwei weitere Fassungen, von denen die eine nun bereits den Titel "Directives pour notre action en Allernagne" trug, die andere mit "Note sur la position du probleme allemand" überschrieben war,17 und die beide wortwörtliche Abschnitte der endgültigen, am 19Juli erstellten und am 20Juli im Comite interministenel verabschiedeten Anweisungen enthielten. Bis zum Zeitpunkt der Billigung der Direktiven durch das Comite interministeriel beschränkte sich demzufolge der Kreis der "Eingeweihten" auf einige wenige führende Persönlichkeiten im Quai d'Orsay samt Außenminister sowie auf die Sitzungsteilnehmer vom 20Juli, nämlich Regierungschef de Gaulle, neben Bidault die Minister Pleven, Diethelm, Mayer, Lacoste und Dautry, dann die Generäle Juin als Generalstabschef und Koenig bzw. Bethouart als Oberbefehlshaber der besetzten Gebiete, schließlich J oxe und Berthelot als Generalsekretäre der Provisorischen Regierung bzw. des Comite interrninisteriel. Durch wen erweiterte sich in den kommenden Tagen und Wochen die Gruppe derjenigen, die im Bilde waren über die frühen Pariser Direktiven, die doch immerhin sofort nach vollzogener Verabschiedung die französische Deutschlandpolitik orientieren sollten?

probleme allemand (Document n03), 19.07.45, z.B. AN F60 3034/2; abgedruckt bei Lattard, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.302-323 sowie bei Menudier (Hg.), L'Allemagne occupee, S.169-182. lS V gl. Note a.s. Politique de zone ou politique de contröle quadripartite en Allemagne, 20.06.45, AMAE PAAP 288/60. 16 Randanstreichungen und die zitierte Schlußbemerkung Chauvels finden sich im Bidaultschen Exemplar der Note, AN 457 AP 61. 11 Vgl. MAE, Dir.Pol., Note pour le Ministre, 10.07.45, AMAE Y (1944/49) 687 sowie Directives pour notre action en Allemagne, 16.07.45, AMAE Y (1944/49) 433 u. Note sur la position du probleme allemand, 16.07.45, AMAE Y (1944/49) 282.

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A. Rahrnenbedingungen

Dazu gehörten zunächst die übrigen, nicht dem Comite interministeriel angehörenden Ressortchefs, da die Instruktionen die Billigung des Conseil des Ministres vom 24Juli 1945 erfuhren. Presse und Öffentlichkeit erhielten dagegen nur sehr dürftige Informationen. Ein kurzes Ministerrats-Kommunique berichtete über Vorträge von Bidault und Pleven zu den "conditions de la politique et de l'action economique fran~aises en Allemagne et en Autriche" sowie über die Verabschiedung von Direktiven. Die mündlichen Kommentare, mit denen Jean Donnedieu de Vabres, Charge de mission des de Gaulleschen Kabinetts, das wenig aussagekräftige Kommunique ergänzte, blieben inhaltlich ebenfalls mehr als vage und boten keinerlei Aufschluß über Details "pour toutes sortes de raisons que vous comprenez fort bien."18 Auf offiziellem Wege erlangten nur noch die Botschafter Frankreichs in London, Washington, Moskau, Brüssel, Rom, Ankara, Prag sowie beim Heiligen Stuhl Kenntnis von den ersten Comite interministeriel-Dokumenten, die ihnen Bidault Ende Juli 1945 durch Dejean als "information personnelle et confidentielle" zukommen und hinzufügen ließ, die Presidence du Conseil habe diese an die Oberbefehlshaber weitergeleitet "en vue d'orienter leur action durant une periode initiale dont seule l'experience permettra de fixer la duree."19 In welchem Umfang die Direktiven im Außen- bzw. in den technischen Ministerien Verbreitung fanden, kann mit Bestimmtheit kaum festgestellt werden. "Flugblattcharakter" jedenfalls hatten sie nicht, denn dazu treten sie in den Quai d'Orsay-Archivalien zu spärlich zutage, in denen der Deutschlandabteilungen technischer Ministerien überhaupt nicht, und auch eine Berufung auf die Richtlinien durch die Pariser Beamten erfolgte sehr selten. 20 Bei der Frage nach der Relevanz der frühen Direktiven für die praktische Politik in Südwestdeutschland und Berlin kam es vor allem auf deren Wahrnehmung und Übermittlung durch die besatzungspolitischen Transmissionsriemen Koenig und Laffon an. Der erste hatte sie als Oberbefehlshaber und Comite-Mitglied an seine Stellvertreter zu übersenden, der zweite hatte ihnen als Verantwortlicher der Zonenadministration auf den mittleren und unteren Ebenen der Besatzungsverwaltung Geltung zu verleihen. Es wäre freilich in Kenntnis normaler administrativer Gepflogenheiten verfehlt, anzunehmen, die Pariser Instruktionen hätten auf direktem Wege sämtliche Verwaltungsebenen und Behörden der Zone erreichen kÖnnen. 21 Dennoch scheint die zweigesichtige Besatzungsspitze mit respektiven "Alleinvertretungsansprüchen" Koenigs und Laffons eine doppelte Direktivenfilterung zur Folge gehabt zu haben, und dies was den inhaltlichen Konkretisierungs- wie auch den administrativen Verbreitungsgrad anbelangte. Am 8.August 1945 schickte Koenig die "Directives pour notre action en Allernagne" mit einer eigenen ausführlichen Conseil des ministres, 24.07.45, Communique de presse et commentaires, AN F60 2772. Telegramm an französische Botschafter, 30.07.45, AMAE Y (1944/49) 282. 20 Vgl. CGAAA an Bidauit, Note pour le Conseil de contr6le, 19.01.46, AMAE Y (1944/49) 284; MAE, SDir.Eur.Centr., Note pour le Ministre a.s. Organisme central allemand des finances, 22.02.46, AN 457 AP61; MAE, SDir.Eur.Centr., Elections en Allemagne, 03.10.46, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 34. 21 In diesem Sinne der Diskussionsbeitrag von Rainer Hudemann, in: Knipping / Mayer / Le Rider (Hg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland, S.261. 11

19

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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Interpretation versehen an Laffon, Koeltz und Monsabert und betonte den "caractere secret" des Dokuments, das "constitue neanmoins la base des directives que vous pourrez etre conduit a donner aux autorites subordonnees."22 Laffon wiederum, dessen institutionalisierte Nicht-Teilnahme an den Comite interministeriel-Sitzungen seine innere Akzeptanz kaum erhöhten, zumal er sich als Leiter der Zivilverwaltung unvermeidlich stärker an den tatsächlichen Gegebenheiten und Sachzwängen vor Ort ausrichten mußte, übermittelte den Verwaltungsleitern in Baden-Baden und den Zonenländern am 20.August 1945 die "Principes de notre action en Allemagne occupee" als Anweisungen, eine Kompilation aus persönlichen Ideen und Deutungen einerseits, aus wörtlichen Abschnitten der Pariser Direktiven selbst wie auch der Koenigschen Kommentierungen andererseits. 23 Eine solche Übernahme ganzer Textpassagen deutet ebenso auf das Gewicht hin, das die obersten Zonenspitzen den Pariser Instruktionen als Richtschnur eigenen Handelns beimaßen, wie spätere Dokumente, in denen sie sich ausdrücklich auf diese bezogen. Dies gilt etwa für Saint-Hardouin Ende Januar 1946/4 für Koenig noch im April 1947, als er in einem rückblickenden Arbeitsbericht für Bidault unter den "directives gouvernementales les plus importantes" zunächst explizit auf die ersten Dokumente des Comite interministeriel verwies, die niemand mehr durch nachfolgende Anweisungen aufgehoben oder in Frage gestellt habe.2.5 Dieser subjektiven Bedeutungszumessung stand allerdings auch in der französischen Besatzungszone ein unausbleiblich begrenzter Wirkungskreis gegenüber. Von den Mitarbeitern der Militärregierung 26 bzw. Länderverwaltungen waren vermutlich nur äußerst wenige mit den Originaldirektiven vertraut, ein paar mehr wahrscheinlich mit den kommentierten Versionen. Kann es unter diesen Umständen verwundern, daß die "Zusatzinstruktionen" , welche die de Gaulle-Reden während seiner Inspektionsreise durch die von Frankreich besetzten Gebiete in Deutschland Anfang Oktober 1945 faktisch bildeten, auf eine solche Resonanz in der Besatzungsadministration stieß, schließlich eine solche Bedeutsamkeit als Rückhalt für größere tagespolitische Flexibilität gewinnen sollte?

Koenig an Laffon, Koeltz und Monsabert, 08.08.45, AOFAA Cons.pol. BIO. Vgl. Laffon an die Directeurs generaux, directeurs et adrninistrateurs de pays, Principes de notre action en Allemagne occup6e, 20.08.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2. 2' Vgl. Saint-Hardouin an Koenig a.s. de la cr6a1ion d'un Office allemand du ravitaillement pour la ZFO, 24.01.46, AMAE Y (1944/49) 434. 2' Vgl. Koenig an Bidault, Orientation politique a adopter en Allemagne apre.s la Conference de Moscou et reorganisation de l'occupation, 30.04.47, AN 457 AP 65. ,. Den Abteilungsleitem der Militärregierung gingen offenbar neben den Laffonschen "Prinzipien für unser Handeln in Deutschland" vom 20.08.45 die jeweils ihren Zuständigkeitsbereichen entsprechenden Spezialdirektiven des CIAAA zu; deren Relevanz unterstreicht, daß sie sich in der Folgezeit immer wieder ausdrücklich auf diese beriefen. Vgl. für Jean Filippi als Directeur general de l'econornie et des finances, Directives de la politique econornique et financiere, o.D., vermutlich Mitte November 1945, am 25.12.45 an Andre Fran'i'ois-Poncet nach Paris gesandt, AN 462 AP 26 sowie Expose devant la Commission d'enquete parlementaire, 02.02.46, SAEF B 8787; vgl. für Jean Amaud als Directeur de !'information, Brief an das CGAAA, 12.03.46, AMAE Z Europe (1944/49) URSS 52 sowie Rapport sur l'oeuvre de demilitarisation, denazification et de democratisation entreprise par la Direction de l'information, 08.01.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45. 22

23

A. Rahmenbedingungen

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Verbreitungs- statt Erteilungsproblem. Geht man davon aus, daß es den späteren Direktiven im Verhältnis zu den ersten kaum anders erging, so lassen sich Kenntnisstand und Verbreitungsgrad für die Pariser wie auch für die Besatzungsebene als recht begrenzt einstufen. Ohne den später zu behandelnden Faktoren deutschlandpolitischer Inkohärenz, vor allem dem Maß inhaltlicher Konkretisierung der Direktiven sowie den Umsetzungsschwierigkeiten durch anderweitige besatzungspolitische Sachzwänge vorauszugreifen, scheint doch das Direktiven-Problem in institutioneller Perspektive eher auf deren nur relative Bekanntheit als auf deren Inexistenz hinzudeuten. Das Institutionenchaos präjudizierte zwar administrative Defizite, nicht aber die Richtlinienunfähigkeit anweisungs befugter Persönlichkeiten und Gremien. Vielmehr gilt es erneut und dezidiert auf den komplexen Charakter und die taktische Komponente französischer Deutschlandpolitik im Spannungsfeld innerer Druckund äußerer Nutzungspotentiale aufmerksam zu machen, die zumindest in der Zentrale den Kreis der "Eingeweihten" ohne erhöhte Desavouierungsrisiken gering halten, eine ausufernde Popularisierung vermeiden, einer frühen definitiven Festlegung auf das konkrete Agieren vor Ort ausweichen und damit den besatzungspolitischen Akteuren breite Interpretations- und Handlungsmargen eröffnen mußte. Die Konsequenzen für das Verhältnis von Politik und Verwaltung 27 lagen im Bereich der Deutschlandfrage auf der Hand. Auf der einen Seite konnte die Politik angesichts des öffentlichen Druckpotentials der eigenen klassischen Funktionszuschreibung nicht gerecht werden, konnte weder durch kontroverse Debatten zur öffentlichen Aufklärung beitragen noch eindeutige Entscheidungen und stimmige Zielvorgaben auf der Basis breitester Mehrheiten sicherstellen. Auf der anderen Seite kamen die Verwaltungsspitzen kaum umhin, gelegentlich als "Ersatzpolitiker" tätig zu werden. Nur hatte dies eben nicht unbedingt mit der Unfähigkeit der Politik zu tun, wie es die Kritik an diesen Tendenzen zumeist nahelegte.

c) DeutschlandpolItische Konfliktstrukturen zwischen und In den Ministerien: Kontroversen ohne SchattenpolItiken? "Mendes France vient Ire voir pour me dire qu'en cas de crise ministerielle il faudrait creer un ministere un seaetariat dEtat independant pour les Relations economiques exterieures ... n se plaint de ce que le Quai d'Orsay soit constamment en contradiction avec I'Economie nationale.'"

Oll

Neben den institutionellen und biographischen Hintergründen sowie dem Problem von Existenz und Verbreitung von Direktiven scheinen vor allem die faktischen Konfliktstrukturen zwischen und in den Ministerien, zwischen Ressortchefs und/oder Verwaltungsspitzen, Aufschlüsse für die Frage nach Kohärenz und Kontinuität französischen Vorgehens gegenüber dem Nachbarn im Osten bieten und als Feuerprobe für die bereits mehrfach angedeutete These beachtlicher konzeptioneller Il

Angelehnt an Heinen, Bürokratische Entscheidungsfindung, S.158.

1 Gespräch

zwischen Auriol und Mendes France, 10.06.48, in: Auriol, Journal 1948, 5.264.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

165

Homogenität relevanter Deutschlandakteure in Paris gelten zu können. Ohne nun im einzelnen die gesamte Palette der Auseinandersetzungen vorwegnehmen zu wollen, sollen doch schon an dieser Stelle schlaglichtartig einige Erklärungsmuster solcher Kontroversen angedeutet werden. In der Tat, und wen kann das verwundern, läßt sich seit der Rückkehr der Provisorischen Regierung an die Seine eine erkleckliche Anzahl Meinungsverschiedenheiten aufspüren, doch ging es dabei in den seltensten Fällen um grundlegend divergierende Deutschlandoptionen der involvierten Kontrahenten, doch kam es offensichtlich im Ergebnis nie zu Paralleldirektiven seitens der jeweils "Unterlegenen" und damit zu ressortspezifischen Schauenpolitiken gegenüber dem offiziellen deutschlandpolitischen Handeln.

Erklärungsmuster für Deutschlaruikonjlikte. Vielfach spielten für Auseinandersetzungen um Deutschlandfragen persönliche Animositäten der jeweiligen Akteure eine ganz bedeutende Rolle. Dies galt für die Konflikte zwischen Jean-Marc Boegner und dem von Finanzkomrnissar und künftigen Wirtschaftsminister Mendes France2 protegierten Finanzchef der französischen Delegation bei der Comrnission interalliee pour l'etude de l'armistice, Fran~ois Walter, für den es sich mit den Alliierten leichter über die Zukunft des Kriegsgegners verhandeln ließ als mit dem Außenministerium, und der es für sinnvoller hielt "qu'il ne soit plus question de moi dans vos negociations avec M. Boegner."3 Einen zweiten wichtigen Erklärungshintergrund bildeten die respektiven außenpolitischen Grundorientierungen zwischen Entscheidungsträgern, vor allem zwischen "Atlantikern" und "Engländern". Dies galt bei Massigli gegenüber Pleven, dem er gleich jegliche diplomatische Verhandlungskompetenz absprechen wollte, denn, so in einem persönlichen Brief an Chauvel, "vous savez quelle est la politique de Pleven: nous appuyer sur l'Amerique, aucune entente avec I'Angleterre."4 Ein drittes Muster zur Erläuterung von Kontroversen hat mit dem offensichtlichen Machtzuwachs zu tun, den eine ministerielle Schirmherrschaft über gewisse Gremien bzw. eine Prädominanz bei der Zuschreibung gewisser Kompetenzen mit sich brachte. Neben der bereits erwähnten Überführung des Comrnissariat general von der Presidence du Gouvernement provisoire in den Quai d'Orsay galt dies vor allem fur das Verhältnis vom Produktions-, Finanz- und Wirtschafts- zum AußenministerilUIl, an dessen Spitze sich Bidault im Dezember 1944 trotz de GaulIes KlarsteIlung vom Oktober weiterhin vor allem gegenüber Mendes France6 genötigt sah, seine 2 Vgl. Briefwechsel Mendes France mit Massigli a.s. Clauses eronomiques et financieres de l'armistice avec I'Allemagne, 12.08. u. 17.08.44, AMAE GU (1939/45) 1529. 3 Note pour MM. Guindey et Clermont-Tonnerre (et eux seuls), 04.11.44, SAEF B 8786. • Vgl. Brief Massigli an Chauvel, 03.08.45, AMAE PAAP 217/94. Auf das gleiche Deutungsmodell verweist ein Protestbrief Massiglis an Bidault llJ angeblich auf Pleven zurückgehende Ausführungen Marjolins im Londoner Comite europeen du charbon, 18.05.45, AMAE DEEC (1945/60) 223. 'Vgl. Proces-verbal de la seance du 9 octobre 1944 (Document n068 du CE!), SAEF B 33001. 'Pierte Mendes France, dessen Traum von der Leitung eines "grand Ministere de l'economie nationale" sich bei der Befreiung nicht erfüllt hatte, versuchte in der Folgezeit alles Erdenkliche, um durch Beanspruchung und Unterstellung anderswo angesiedelter Organe und Kompetenzen sein politisches Gewicht und das seines Ministeriums llJ potenzieren. Vgl. z.B. Brief Mendes France an Lacoste,

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A. Rahmenbedingungen

Kompetenz zu untermauern und zu präzisieren, daß "au sein de mon Departement, la Direction des Affaires economiques est chargee de tous les travaux ayant pour objet les problemes d'ordre economique relatifs al'Allemagne."7 Als viertes ließe sich auf die unvermeidbar divergierenden Ansätze, Blickwinkel, Interessen und Rücksichten der involvierten Ministerien bei gewissen Deutschlandproblemen hinweisen. Dies galt für den Dissens über die Nutzbarmachung deutscher Patente im Bereich der chemischen Industrie zwischen dem Außen- und Produktionsministerium, das - stärker auf den konkreten und kurzfristigen Profit für die eigenen Fabrikationen bedacht - einem nationalen Alleingang den Vorzug einräumte, während der Quai d'Orsay - am Nachweis französischer Kooperationsfähigkeit mit den "Großen Drei" in technischen Bereichen, aber auch an den Patenten der übrigen drei Zonen interessiert - eine gemeinsame Vorgehensweise bevorzugte und es für unmöglich hielt "d'exploiter ces brevets sans une cooperation interalliee."8 Ein fünfter mehrfach angedeuteter und höchst aufschlußreicher Faktor zur Erläuterung deutschlandpolitischer Differenzen französischer Akteure stellten deren unterschiedliche Einstellungen dar zur Frage, auf welche Weise und mit welchen taktischen Vorgaben Frankreich die größten Chancen habe, gesamtpolitisch zu einer Optimierung seines Handeins zu gelangen und letztlich möglichst viel herauszuholen. Dies galt besonders im Quai d'Orsay selbst, wo zunächst de Gaulles kalkulierte Provokationstaktik und Maximalpositionen in Einzelfällen bis hin zum Außenminister auf Unverständnis und unverhohlene Kritik stießen,9 denen jedoch nach dem Rücktritt des "homme du 18 juin" gerade Bidault, dann auch Alphand mangels potentiell erfolgreicherer Alternativen ein langes Leben bescherten.

Kontroversen mit begrenzten Folgen. Solche idealtypischen Erklärungsmuster von Kontroversen Pariser Deutschland-Akteure, die sich realiter vielfach überlagern und summieren konnten, offenbaren zwar einerseits Konflikte in und zwischen den Ministerien, zwischen Ressortchefs und Beamten, relativieren aber andererseits die originär deutschlandpolitischen Wurzeln solcher Meinungsverschiedenheiten sowie deren sachlich-inhaltlichen Gehalt. Es kam daneben allerdings auch zu Konflikten, wo das konkrete Vorgehen in und gegenüber dem östlichen Nachbarn den wesentli27.11.44, AN F12 10086 sowie sein Ministerratsexpose vom 17.11.44, IPMF DPMF 44-1; rum GesanU!J.sarnJrenhang vgl. Bonin, Histoire ecconomique de la IVe Republique, S.67ff. und Margairaz, L'Etat, les finances et I'Economie, S.781f. Auch das Eingangsstatement von Mendes France, das die Konfliktstrukturen zwischen Wirtschafts- und Außenministerium bewußt übertreibt, muß vor diesem Hintergrund gesehen werden. 7 Vgl. Brief Chauvel i.A. Bidault an Lacoste, Pleven und Mendes France a.s. Problemes allemands, 11.12.44, AN F12 10086; rum Problem mangelnden Informationsflusses vom Quai d'Orsay in die tedmischen Ministerien vgl. Briefwechsel zwischen Jacques Brunet, Directeur du tresor au Ministere des finances, und Maurice Dejean, 27.06. u. 27.07.45, AMAE Y (1944/49) 369. • Vgl. Andre Gros, Note sur les brevets allemands, 09.11.44, AN F12 10105; MPI, Direction des industries chimiques, Robin a.s. Exploitation des brevets allemands concemant l'industrie des matieres plastiques, 17.05.45, ebd. • Vgl. z.B. ru Bidaults Reaktion auf die Absage seines Regierungschefs, mit Roosevelt nach dessen Rückkehr aus Jalta in A1gier zusammeD7lltreffen, Commission executive du MRP, Compte rendu de la reunion du 22 fevrier 1945, AN 350 AP 45 sowie Bidault, D'une Resistance a l'autre, S.85f.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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chen Hintergrund bildete, wo es tatsächlich um divergierende Handlungspräferenzen in einzelnen, essentiellen Sektoren französischer Deutschlandpolitik ging und um die potentielle Infragestellung von deren Grundpfeilern durch amtierende Wirtschaftsund Finanzminister. Dazu zählt zweifellos die Befürwortung zentraler deutscher Finanzverwaltungsstellen durch Rene Pleven im Comite interministeriel, eine technisch-pragmatische, aus finanzökonomischer Sicht mehr als nachvollziehbare Position, 10 die aber de Gaulles Vorstellungen politisch-inhaltlich wie verhandlungstaktisch entgegenlief. Dazu zählt weiter der Vorstoß von Andre Philip, in den alliierten Deutschlandverhandlungen die Festlegung des künftigen deutschen Industrieniveaus an die Akzeptanz der französischen Forderung nach Internationalisierung des Ruhrgebiets zu knüpfen, eine Position, die in krassem Gegensatz zur offiziellen "these fran~aise" stand, derzufolge ''l'internationalisation de la Ruhr ne devrait exercer aucune influence sur les decisions de Potsdam relatives a la roouction du potentiel industriel de l'Allemagne dans son ensemble," und die in Augen der Quai d'Orsay-Beamten ohne Not und Gegenleistungen Verhandlungsmaterial preisgab.!! Dazu zählten schließlich die Bedenken Robert Schumans gegen die Franc-Einführung an der Saar bzw. den vorgesehenen Wechselkurs, 12 eine Position, die sich für viele nur aus dem Blickwinkel eines "depute mosellan" erklären ließ, die aber eine Entscheidung durchkreuzt hätte, die politisch längst überfällig schien. 13 Selbst bei solchen Differenzen in Grundsatzfragen schimmern die vorgestellten Erklärungsmodelle deutschlandpolitischer Meinungsverschiedenheiten der Pariser Ministerien ansatzweise durch. Überspitzt ließe sich Plevens Argumentation als eine eng-finanzökonornische gegenüber einem breit angelegten politischen Primat bezeichnen, Philips Verhandlungsvorschlag als eher realistisch-defensiv gegenüber einem maximalistisch-offensiven Kalkül titulieren, Schumans Saarvorbehalte als eher elsässisch-Iothringisch orientiert gegenüber einer innenpolitisch-national Rücksicht nehmenden Ausrichtung kennzeichnen. Die Ergebnisse dieser drei Kontroversen waren vorprogrammiert, die Wirkungen blieben auf der Ebene regierungsinterner Debatten und Entscheidungsfindungen begrenzt und damit ohne konkrete Konsequenzen für die offizielle französische Haltung und Politik, sei es weil sich die deutschlandpolitische Kompetenzzuschreibung und Einflußverteilung als allzu eindeutig herausstellte, sei es weil interministerielle Diskussions- und Beschlußfassungsforen bis hin zum Ministerrat letzten Endes als konflikthemmender Mechanismus wirkten. Damit schien potentiellen Schattenpolitiken und Paralleldirektiven seitens der technischen Ministerien, die an den Pfeilern offizieller Deutschlandprinzipien gerüttelt hätten, weitestgehend ein Riegel vorgeschGben zu sein, und die Bitten einzelner Ressort-Vertreter in Baden-Baden oder Berlin l4 änderten daran 10 Vgl. MFIN, Direction du tresor, Administration financiere de I'Allemagne (Document n026), 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 11 Vgl. Alphand, Note pour le Ministre, 21.02. u. 04.03.46, AN 457 AP 60. 12 Vgl. Schumans Ausführungen in den Ministerratssitzungen vom 24.09. u. 14.11.47, in: Auriol, Journal 1947, S.448f. u. 543. U Vgl. den historischen Abriß zur Saarfrage von Bidault, SAAN Com.Aff.Etr. 14.11.47. 14 Vgl. z.B. GFCC, Delegation economique et financiere, Division de la production industrielle, Note

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A. Rahmenbedingungen

ebensowenig wie dementsprechende Behauptungen der politischen Öffentlichkeit an der Seine. ls War es Zufall, daß es ein solches Gegeneinander, wie es sich in den Vereinigten Staaten zwischen War und State Department vielfach offenbarte,16 daß es eine vom Außenministerium unabhängige, eine geradezu gegenläufige Linie seitens eines anderen Ressorts, wie sie dort das Pentagon teilweise gegenüber dem State Department verfolgte und wie sie schließlich auf die praktische amerikanische Politik in Deutschland durchschlug,17 in Frankreich nie gegeben hat?

Zwischenbilanz: Kohärenz- und Inkohärenzelemente. Im Rahmen der Leitfragestellung nach Kontinuität und Diskontinuität sowie nach Kohärenz und Inkohärenz französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan förderte die Betrachtung Pariser Konfliktstrukturen sowie einiger Erklärungsmodelle zutage, daß von Paralleldirektiven und Schauenpolitiken im Sinne einer Durchkreuzung offizieller Nachkriegsaxiome seitens der involvierten Ressorts nicht die Rede sein kann. Zusammen mit der Untersuchung von Ämterstabilität, Altersstruktur und Karrieremustern deutschlandpolitischer Akteure auf der einen sowie von Existenz, Herkunft und Verbreitung deutschlandpolitischer Direktiven auf der anderen Seite, treten damit weitere Elemente hervor, die eher für eine gewisse Kohärenz im Vorgehen der Zentrale sprechen als dagegen, die eher auf eine gewisse konzeptionelle Homogenität hindeuten als dagegen. Das Verhältnis von institutionellem Wirrwarr und inhaltlichen Orientierungen gestaltete sich jedenfalls wesentlich komplexer, als dies eine automatische Gleichsetzung von Gremienquantität und Politikinkohärenz vermuten läßt.

d) Bilanz deutschland politischer Institutionen und Akteure in Paris 1944 - 1950 "80% du Quai d'Orsay est gaulliste. De meme en Allemagne ... 1

Defizite und Gegengewichte. Die eingehende Betrachtung institutioneller und personeller Rahmenbedingungen französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan, der vielfältigen offiziell-interministeriellen wie offiziösinnerministeriellen Gremien samt ihrer Leiter und Mitarbeiter sowie der Rückwirkungen Pariser Organisations spezifika auf deutschlandpolitische Kontinuität und Kohärenz Frankreichs, ergibt alles in allem ein überaus kontrastreiches Bild, das vor pour M. Sergent, 24.08.45, AN F12 10105; Compte rendu de mission en Allernagne, M. l'Ingenieur en chef Chalvet an sämtliche Direktionen des Produktionsministeriums, 27.09.45, AN F12 10103; Telegramm Sergent an Schweitzer, 25.02.46, SAEF B 8824. lS

Vgl. z.B. die Aussagen Femand Greniers, SAAN Com.Aff.Etr. 06.08.47.

16

Vgl. ausführlicher Kapitel C II la u. Ib.

n Vgl. John Gimbel, Administrative Konflikte in der amerikanischen Deutschlandpolitik, in: Foschepoth (Hg.), Kalter Krieg, S.III-128. Zur französischen Perzeption der Konflikte zwischen Außen- und Kriegsministerium vgl. z.B. Telegramm Bonnet, 12.08.47, AMAE Y (1944/49) 376. 1

Vgl. Salomon Grumbach in einem Gespräch mit Vincent Auriol, in: Auriol, Journal 1949, S.388.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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allem voreilige und vordergründige Schlußfolgerungen nicht zuläßt. In diesem Sinne können zwar aus dem Durcheinander deutschlandpolitischer Organe auf der Pariser Ebene gewichtige admininistrative Defizite und Reibungsverluste, nicht aber ohne weiteres chaotische Verhältnisse bei Formulierung und Entscheidungsfindung oder Inkohärenz und Inkonsistenz der Deutschlandpolitik selbst gefolgert werden. Es gilt historiographisch wie sachgeschichtlich vor allem die Bedeutung vielzähliger ressortübergreifender, institutionalisierter oder ad hoc anberaumter Sitzungen zu unterstreichen. Einerseits fördern die dort stattfindenden, nicht-öffentlichen kontroversen Diskussionen häufig mehr über einzelne Positionen wichtiger Akteure, über divergierende Ansätze und Blickwinkel der Ministerien zutage als so manches ellenlange Memorandum. Andererseits sollten die Häufigkeit von Besprechungen in geringfügig veränderter Zusammensetzung über ähnliche Themen sowie die potentielle Mehrfachdiskussion gewisser Aspekte vor dem Hintergrung eines polychronen Verständnisses weniger als Verschwendung kostbarer Zeit fehlinterpretiert werden, sondern als wirksames inhaltliches Gegengewicht administrativer Defizite, zu denen sie nur vordergründig selbst einen Beitrag leisten. Damit verweisen sie letztendlich auf Entscheidungsfindungsprozesse der Pariser Zentrale, die sich innerhalb einer kleinen, nach Altersstruktur und Karriereorientierung, nach politischer Sozialisation und Widerstandserfahrungen, nach personeller Vernetzung und Kommunikationsdichte sowie nach - wie im folgenden näher auszuführen sein wird - frankreichpolitischen Prioritäten über parteipolitische Grenzen bzw. ideologische Grundhaltungen hinweg relativ homogenen Gruppe abspielten. Unter dem Gesichtspunkt deutschlandpolitischer Kontinuität und Kohärenz wird verständlich, daß es zwar unter Umgehung der offiziellen Kommunikationswege zu Kontakten zwischen den Ministerien und deren Repräsentanten in den Baden-Badener und Berliner Abteilungen durchaus kam, daß ein solches Vorgehen jedoch auf Effizienzerwägungen beruhte, keine sachliche Hintertreibung regierungsamtlicher Prinzipien intendierte, den Rahmen der weiten und flexiblen französischen Deutschlandpolitik nicht sprengte und demzufolge weder von Paralleldirektiven noch von Schattenpolitiken die Rede sein kann. Es scheint tatsächlich, als seien Inkohärenzen und Ungereimtheiten nicht primär auf die wirren institutionellen Rahmenbedingungen zurückzuführen, sondern darüberhinaus und vor allem auf die gravierenden Sachzwänge im Spannungsfeld von Innen- und Außenpolitik, die ein widerspruchsfreies Vorgehen gegenüber und in Deutschland kaum erlaubten. Faktor "Zeit". Im Zusammenhang der gewaltigen inneren und äußeren Problemüberhänge nach Befreiung und Kriegsende gilt es auf einen anderen, im weitesten Sinne institutionellen Aspekt französischer Deutschlandpolitik hinzuweisen, der als Erklärungsmoment konzeptioneller Inkohärenzen bislang kaum Beachtung gefunden hat: den Zeitfaktor. 2 Es erscheint mehr als plausibel, daß die diplomatischen Arbeitsbedingungen in einem Frankreich, das damals Deutschlandplanungen nie allein, 2 Vgl. auch Rainer Hudemann, Die Besatzungsmächte und die Entstehung des Bundeslandes BadenWürttemberg, in: Meinrad Schaab I Gregor Richter (Hg.), Baden-Württemberg und der Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989, Stuttgart 1991, S.I-18 (14).

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A. Rahmenbedingungen

erst recht nicht ausschließlich im Blickfeld haben konnte, das auf der Ebene internationaler Politik als "verspätete Siegermacht" selbst nach der Liberation weiter um Anerkennung ringen mußte, das in weitestgehender Unkenntnis des Planungsstandes der "Großen Drei" pennanent unter Zugzwang stand, konzeptionell" aufzuholen" und Optimierungsstrategien zu entwickeln, nicht gerade dazu einluden, alle möglicherweise auftretenden Probleme in Kenntnis sämtlicher Bestimmungsfaktoren bis in Einzelheiten vorzuplanen und auszudiskutieren. Und dies galt für die Spitzen kräfte der einschlägigen Ministerien in gleicher Weise wie für Regierungschef de Gaulle selbst, dessen Terminkalender zwischen alltäglichen Pariser Verpflichtungen, Inspektionstouren in die Provinz oder zu den Truppen und Beanspruchungen durch diplomatische Unterredungen vermutlich wenig Freiraum für eine Beschäftigung mit Einzelfragen ließ. Seine persönliche Arbeitsüberlastung schloß es vermutlich von vorneherein aus, daß er sich als "Retter Frankreichs" um jedes deutschland- und besatzungspolitische Detail kümmern konnte. Quantität und Qualität der globalen französischen Problemlagen, Komplexität und Dialektik der dringlichsten Schwierigkeiten sowie Zeitdruck und Zugzwang bei der Ausarbeitung von Lösungsansätzen und dem Fällen von Entscheidungen mit Präjudizwirkung förderten zweifellos eher den Trend zu allgemeinen Rahmenrichtlinien als zu Instruktionen im Sinne konkreter Handlungsanweisungen an die Zonenspitzen in Südwestdeutschland für jedwede Eventualität vor Ort.

Welche Deutschlandpolitik betreibt ein Gaullist? Die Frage, wer denn eigentlich die französische Deutschlandpolitik gemacht habe, führte schon in der zeitgenössischen Diskussion fast unabwendbar zum Verweis auf die sogenannten Gaullisten, den die Historiographie umstandslos aufgriff und bis heute hochhält.} Als Gaullisten gelten demnach bis Januar 1946 der Präsident der Provisorischen Regierung selbst, danach im weitesten Sinne tatsächliche oder vorgebliche, ehemalige oder spätere Mitarbeiter de GaulIes in der Besatzungszone sowie im Quai d'Orsay. Dabei wird nahegelegt, die Charakterisierung eines deutschland- oder besatzungspolitischen Akteurs als Gaullist sei gleichbedeutend mit einer unnachgiebigen Deutschlandposition, mit einer Politik der harten Hand, mit einer bestimmten inhaltlichen, eben gaullistischen Orientierung, demnach mit klar definierbaren Auswirkungen auf Haltung und Vorgehen gegenüber dem Nachbarn im Osten.4 Doch unabhängig davon, ob sich nun jemand selbst als Gaullist bezeichnete oder von anderen dafür gehalten wurde oder nicht, bleibt das maßgebliche Problem der sachpolitischen Aussagekraft einer solchen Titulierung in Bezug auf Deutschland bestehen. Schon für den "Retter Frankreichs" sollten Prestige, Autorität und Führungsanspruch in der Außenpolitik nicht dazu verleiten, de Gaulle zum alleinigen "Macher", zur singulären Quelle von Entscheidungen und Instruktionen hochzustilisieren und sein später so gehegtes und gepflegtes Selbstbildnis mit der historischen Realität zu verwechseln. Ob de Gaulle tatsächlich "faisait seulla politique etrangere, 3

Vgl. schon flÜh Frank-Roy Willis, France, Gennany and the new Europe, Stanford 1968, S.35f.

• Zur besatmngspolitischen Irrelevanz der Kennzeichnung von zonalen Spitzenkräften als "gaullistisch" vgl. Kapitel B III 1d.

II. Deutschlandpolitische Institutionen und Akteure

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assiste de Georges Bidault au Quai d'Orsay, sans intervention des autres membres du gouvernement,"s läßt sich bereits aufgrund des Ablaufs von Comite interrninisterielSitzungen bezweifeln, bei denen jeder betroffene Ressortleiter seine Vorstellungen durch Diskussionsbeiträge oder Vorlagen in den Entscheidungsprozeß einbringen konnte, bei denen de Gaulle Dokumente als Direktiven für die Besatzungsverwaltung akzeptierte, die aus den technischen Ministerien stammten. Bereits vor diesem Hintergrund erscheint für das Außenministerium der Begriff des Gaullisten als analytische Kategorie deutschlandpolitischer Haltungen fragwürdig, es sei denn man bezeichnete nicht jemanden als Gaullisten, dem eine eindeutige, konkrete und meist destruktive Deutschlandpolitik vorschwebte, sondern jemanden, der eine weite, durchaus nicht widerspruchsfreie Vorstellung von erreichbaren deutschlandpolitischen Grundsätzen hatte, der die innerfranzösische Germanophobie sowie andere hexagonale Sachzwänge nie aus den Augen verlor, der unter Berücksichtigung französischer Durchsetzungschancen im internationalen Verkehr gewissen, im äußeren Widerstand bewährten Verhandlungsoptionen anhing und der schließlich versuchte, sich seinen eigenen Reim auf de Gaullesche Luftschlösser, Konsenshülsen und Orakelsprüche zu machen. War Gaullismus nach Befreiung und Kriegsende vielleicht doch eher eine relativ unbestimmte politische Doktrin als ein konkretes Handlungsprogramm, war de Gaulle damals vielleicht doch eher der prestigeüberhäufte Befreier Frankreichs als eine erfahrene Führungsfigur im politischen Tagesgeschäft, die selbst alles und zugleich zu regeln imstande war?

, Gerbet e.a., Le relevement, S.234; ganz in diesem Sinne Grosser, IVe Republique, S.41.

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A. Rahrnenbedingungen

111. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure 1942 - 1950: Grandeur durch ökonomische und moralische Wiederaufrichtung Deutschland bildete für die Pariser Führung nach Befreiung und Kriegsende ein wichtiges, jedoch längst nicht das wichtigste, erst recht nicht das vordringlichste Politikfeld, mit dem man sich auseinanderzusetzen hatte. Frankreichs Vorgehen gegenüber dem östlichen Nachbarn läßt sich letzten Endes nur als abhängige Variable der Verhältnisse im Hexagon angemessen verstehen. Diese sind deshalb im folgenden als dritter und letzter wesentlicher Aspekt französischer Rahmenbedingungen deutschlandpolitischen Handeins neben den allgemeinen mentalen, innenund außenpolitischen Hintergründen sowie dem Zusammenwirken institutioneller und personeller Faktoren zu thematisieren. Dabei soll zunächst de GaulIes Frankreichentwurf im Vordergrund stehen (III.l.), dann die Einstellung der "classe politique" zu den beiden Eckpfeilern seiner Vorstellungen für eine Retablierung von Rang und Größe der "Grande Nation", der wirtschaftlichen (III.2.) sowie der moralischen Wiederaufrichtung des französischen Volkes (III.3.).

1. De GauUe und Frankreich: aufweichen Wegen zu Rang und Größe, Ordnung und Stabilität? Charles de Gaulle war unzweifelhaft bis zu seinem Rücktritt von der Präsidentschaft der Provisorischen Regierung Frankreichs am 20.1 anuar 1946 die prägende Persönlichkeit für Innen- und Außenpolitik. Fehleinschätzungen de GaulIes, seines politischen Stils und Selbstverständnisses, seiner Rolle als "Retter der Nation" nach der Befreiung sowie seiner Frankreichpläne müssen zwangsläufig Verzerrungen im Bild französischer Deutschlandkonzeptionen zur Folge haben. Trotz gewisser Neubewertungen europapolitischer Grundhaltungen und trotz vereinzelter Differenzierungen der traditionellen Sichtweise gaullistischer Deutschlandansätze hat die Geschichtswissenschaft bislang die Aufgabe einer realistischen Bestimmung der deutschlandpolitischen Absichten de Gaulles bei Befreiung und Kriegsende kaum zufriedenstellend gelöst. Die Frage, wie aus dem "Annexionisten" und "Zerstückeler" von 1944 bis 1946 der" Aussöhner" von 1958 bzw. 1963 wurde,l harrt weiterhin einer kohärenten Interpretation. Mehrere Faktoren könnten dafür verantwortlich sein: zunächst möglicherweise die Unterschätzung von Flexibilität und Pragmatismus des Gaullismus als politischer Ideologie sowie die Überschätzung de Gaulles als "decideur" auf allen Ebenen; dann womöglich die Vernachlässigung der politischen Konsequenzen, die sich aus dem 1

Diese Frage wirft bereits Edmond Pognon, Oe Gaulle et l'histoire de France. Trente ans 6claires par

vingt siecles, Paris 1970, S.294 auf, ohne sie allerdings zu beantworten; Leo Hamon, De Gaulle dans la

Rep...blique, Paris 1958, S.64 meint, das Deutschlandbild des "troisieme gaullisme" seit Mai 1958 stünde in eklatantem Widerspruch Zll dem des "premier gaullisme" der Widerstandsjahre und des "second gaullisme" Zll RPF-Zeiten, führt jedoch genausowenig Erklärungen für diesen Bruch an.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

173

bewußt geförderten Mythos des "homme du 18 juin" für dessen eigene Handlungschancen und -schranken als Führungspersönlichkeit in der Tagespolitik ergaben; schließlich vielleicht die Ausblendung der ehrgeizigen gaullistischen Frankreichpläne für die Nachkriegszeit sowie deren unmittelbare Rückwirkungen auf und Zielkonflikte mit deutschlandpolitischen Vorhaben.

a) Gaullismus, de GauUe und die Franzosen: Held der Nation oder Politik als Beruf! "Cetait ma deuxieme idee: ce que j'appelais I'arbitrage par I'abstention ... Le röle d'arbitre ... I'obligeant il concilier les contraires tout en les fortifiant de ses encouragements, nous tenons lil une des causes de I'arnbiguite et du vague de la rh6torique gaullienne. Le vague, deguise en noblesse ou en archaismes de langues, ou en allusions, en sous-entendus jamais elucides ensuite, est une constante du style gaullien.'"

Kriegs- und Regierungsgaullismus. Der Gaullismus hat sich zu de Gaulles Zeiten nie als eine einmal für immer festgelegte politische Doktrin mit hoher programmatischer und personeller Konsistenz verstanden, so daß eine Annäherung an das, was ihn konkret ausmacht, grundsätzlich seine Einordnung in den jeweiligen historischen Kontext erfordert. 2 Es wäre demnach umso übertriebener, im "gaullisme de guerre" zwischen 1940 und 1944 bzw. im "gaullisme de gouvernement" zwischen 1944 und Anfang 1946 ein ausgefeiltes Gedankenkonstrukt, ein fest umrissenes politisches Projekt sehen zu wollen. Eher läßt sich für diese Periode mehr noch als für spätere eine auf potentielle Optionschancen und Ersatzlösungen bedachte "methode d'action"3 konstatieren. Sie verband sich mit einigen bonapartistisch inspirierten 4 "idees forces",5 von einer "certaine idee de la France", einer geschichtsmächtigen Vorstellung von Größe und Unabhängigkeit der Nation, über das Idealbild der Sammlung aller Franzosen hinter seiner Person bis hin zur Verpflichtung gegenüber den konstitutionellen Prinzipien einer autoritären Demokratie. Damit entsprach der Gaullismus einer politischen Ideologie, die sich - nicht anders als die bonapartistische Tendenz innerhalb des rechten Spektrums politischer Strömungen Frankreichs seit der Großen Revolution - durch eine breite Palette verschiedener sachpolitischer Impulse sowie ein hohes Maß situationsspezifischer Flexibilität auszeichnete. De Gaulles persönliche Vorstellungen waren häufig geheimnisumwiUert, seine politischen Aussagen häufig unbestimmt, seine Handlungsspielräume bei deren 'Jean-Fran~is Revel, Le style du general, Paris 1959, S.59 bzw. 62.

Vgl. z.B. Touchard, Le gaullisme, S.51. Vgl. Jean-Christian Petitfils, Le gaullisme, 2.Auflage, Paris 1981, S.28. • Vgl. vor allem Remond, Les droites en France, S.322-333; unter methodisch-komparatistischen Gesichtspunkten ders., Bonapartisme et gauUisme. Reflexions sur une comparaison, in: Karl Hammer I Peter Claus Hartmann (Hg.), Le bonapartisme, Phenomene historique ou mythe politique, Paris 1975, S.119-129; unter ideologisch-geistesgeschichtlichen Gesichtspunkten Francis Choisel, Bonapartisme et gaullisme, Paris 1987; zuletzt Jean Charlot, Le gaullisme, in: lean Fran~ois Sirinelli (Hg.), Histoire des droites en France, Bd.l: Politique, Paris 1992, S.653-689. , Jacques SousteIle, Vingt-huit ans de gaullisme, Paris 1968, S.46. 2

3

12 Hüser

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A. Rahmenbedingungen

praktischer Umsetzung allerdings dementsprechend weit. De GaulIes Politikstil war häufig der einer "incertitude calculee",6 seine Rolle im provisorischen Regierungssystem zwischen Vichy und der IV .Republik allerdings dementsprechend bedeutend. Die Schwäche für einsame Entscheidungen, die Geringschätzung parlamentarischer Gepflogenheiten 7 und die Abneigung gegenüber kontroversen Diskussionen im Ministerrat8 unterstreichen den autokratischen Regierungsstil, offenbaren jedoch auch de GaulIes Unsicherheit und Erfahrungsmangel im Umgang mit demokratischrepublikanischen Institutionen. Bereits in London und Algier machte dies der "poignee de republicains du debut: Cassin, Boris, Lapie, Hauck et quelques autres" zu schaffen angesichts eines Chefs der "Freien Franzosen", der "revolte, cherchait sa voie et a eu besoin de concours bien orientes des le debut."9 Allem Anschein zum Trotz hat de Gaulle keineswegs faktisch in sämtlichen innen- wie außenpolitischen Materien allein die politische Marschroute bestimmt und die relevanten Beschlüsse gefällt,IO handelte häufig gemäß der alten Offiziersregel, nach der "un chef ne doit pas exercer un commandernent inferieur a son rang."11 Vielfach begnügte er sich mit der Rolle eines Unparteiischen, die es ihm erlaubte, keinen dezidierten Beschluß sachlicher oder personeller Art zu fassen. 12 Daneben scheinen allerdings Zweifel an der "Allein- und Überallentscheidungsfähigkeit" de GaulIes schon aufgrund eigener Arbeitsüberlastung angesichts von Problemvielfalt, unzähligen Provinzreisen und Vorträgen 13 seit Sommer 1944 durchaus angemessen und begründet. Spätere gaullistische "Selbstbeweihräucherungstendenzen" sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbst ein Nationalheld rein physische Schranken nicht zu überspringen vermochte. Entsprachen die Selbstbildnisse zwischen Mythos und Realität l4 der 'Margairaz, L'Etat, les finances et I'economie, S.749f.; ähnlich Kuisel, Le capitalisme et I'Etat, S.316. 7

Vgl. Brief Andre Philip an de GauBe a.s. Assemblee consultative 11 Alger, 07.03.44, AN 72 Al 567.

Vgl. zB. Pierre Viansson-Ponte, Les gauBistes. Rituel et annuaire, Paris 1963, S.45; vgl. als Zeitzeugen Teitgen, Faites entrer le temoin suivant, S.173. I

9 Vgl. Brief Rene Cassin an Pierre Bloch als Kommentar zu dessen Buch "Oe GauBe au temps des mepris, Paris 1969", in dem er ihm vorwirft, dem Einfluß der "frühen Republikaner" auf de GauBe zu wenig Beachtung zu schenken, 02.05.69, AN 382 AP 79. Vgl. als weiteren Zeitzeugen Claude Bouchinet-SerreuBes, France libre: etait-il un apprenti dictateur? in: Le Nouvel Observateur n° 1244 (9 au 15 septembre 1988) S.53f. 10

Vgl. z.B. Olivier Guichard, Le pouvoir gauBiste au quotidien, in: L'Histoire n° 134 (1990) S.42f.

JJ

Vgl. Paul-Marie de la Gorce, Oe GauBe entre deux mondes, Paris 1964, S.359.

Vgl. z.B. die Beilegung des vehementen Konflikts um die Frage von Lohnerhöhungen bei der Befreiung zwischen Finanzkommissar Mendes France und dem Kommissar für Soziales, Adrien Tixier, in deren Rahmen er letztlich beiden halbwegs zustimmte, vgl. "Conseil des commissaires", Resume des d&.isions prises au cours de la seance du 21 mars 1944, AN F60 2768. Ein ähnliches "Konfliktlösungsmodell" läßt sich beim Streit zwischen Mendes France, nun Leiter des Wirtschaftsressorts, und Landwirtschaftsminister Tanguy-Prigent über die Getreide- und Brotpreise erkennen, vgl. Comite economique interministeriel, Compte rendu de la seance du 2 octobre 1944, SAEF B 33001. 12

B Von den knapp acht Wochen zwischen Mitte September und Anfang November 1944 beispielsweise brachte de GauBe allein drei Wochen außerhalb der Zentrale zu, weil er sechs Provin:ueisen von jeweils drei- bis viertägiger Dauer absolvierte, vgl. Olivier Gerrnain-Thomas I Philippe Barthe\et, Charles de GauBe jour apres jour, Paris 1990, S.86ff.

14 Zu den Interpretationsproblemen des "phenomene de Gaulle" zwischen Mythos und Realität vgl. Pascal Ory, DeGauBe ou I'ordre du discours, Paris 1978, S.56f.; Raoul Girardet, Mythes et mythologies politiques, Paris 1986, S.7lf.; Fran~ois Goguell lean Lacouture, Debat: Oe GauBe a-t-il invente de

III. Frankreichprioritäten der Oeutschlandalcteure

175

Wahrnehmung der Franzosen? Sahen sie in de Gaulle eher den "grand liberateur" oder den "homme politique", der als politisch Verantwortlicher seinen tagtäglichen Verpflichtungen und Amtsgeschäften nachkommt? Held und Politiker, Held oder Politiker? Der 25.August 1944 erschien vielen Franzosen als Beginn einer neuen Ära der französischen Geschichte. 15 Tatsächlich aber symbolisierte der Pariser Befreiungstag in vielerlei Hinsicht Kontinuität statt Bruch, Widersprüchlichkeit statt Einmütigkeit, Mythenbildung statt Realitätsbezogenheit, Aspekte, die allesamt als Belastungsfaktoren für die französische Deutschlandpolitik nachwirken sollten. Mit der Befreiung von Paris "libere par lui-meme, libere par son peuple avec le concours des armees de la France, avec l'appui et le concours de la France toute entiere, de la France qui se bat, de la seule France, de la vraie France, de la France eternelle" 16 sowie dem Triumphzug durch die Menschenmassen auf den Champs-Elysees vierundzwanzig Stunden später erneuerte der "Mann des l8.Juni", den Menschen in Paris bestenfalls vom Radio her bekannt, seine UrsprungslegitimitäL 17 Doch der "gaullisme unanimiste"18 dieser Tage und Wochen barg Mißverständnisse und Ambivalenzen, denn er basierte einzig und allein auf der Perzeption de GaulIes als Ehrenretter der französischen Nation während der letzten vier Jahre, auf seinem nahezu unermeßlichen Prestige und den Emotionen, die ihm die Volksmengen entgegenbrachten, auf seinem Auftreten, das "un peu comme une apparition, comme l'aboutissement d'une legende" erschien. 19 Es beruhte dagegen nicht auf der einhelligen Zustimmung und Unterstützung sämtlicher aus der Resistance hervorgegangener politischer Kräfte oder gar des gesamten französischen Volkes für sein Geschichtsbild, seine Leitideen, seine in Augenschein genommenen Maßnahmen. Die frühen IFOP-Umfragen 20 spiegeln dies ebenso deutlich wider wie die Monatsberichte der Präfekten, die zwar auf der einen Seite das unglaubliche Ansehen de GaulIes betonten/I die große Erleichterung, mit der Gaulle? in: L'Histoire n0134 (1990) S.8-15; Pierre Nora, L'historien devant de Gaulle, in: Oe Gaulle en son siede, Bd.l: Oans la memoire des hommes et des peuples, Paris 1991, S.I72-178; Lucien Sfez, La symbolique gaullienne, in: ebd., Bd.2: La Republique, Paris 1992, S.36-43; Alain Lancelot, Oe Gaulle et I'opinion. Naissance d'un mythe ou reconnaissance d'un heros? in: ebd., Annexband, Sondages et enquetes d'opinioo, Paris 1992, S.7ff. "Vgl. Chapsal, La vie politique en France, S.101 oder Fauvet, IVe Republique, S.21. 16 Oiscours prononce 11 (,hötel de ville de Paris, 25.08.44, in: Oe Gaulle, OM I, S.439f. 17 Bis heute bilden "appel du 18 juin" und "Liberation" für die Franzosen die politischen Akte de GaulIes, die mehr als alle anderen sein Ansehen und seinen Platz in der französischen Geschichte neben Karl dem Großen und Napoleon Bonaparte determinieren. Vgl. Le Monde, 09.11.90; der Gesamtabdruck der SOFRES-Urnfrageergebnisse läßt sich nachlesen in: Oe Gaulle en son siecle, Annexband, vor allem S.33-39 u. 67-87. 11 Vgl. Serge Berstein, Les gaullistes. Oe la Liberation 11 la creation du RPF, in: Espoir n055 (1986) S.30-43 (3lff.). 19 Vgl. Voyage du General de Gaulle en Normandie, Recit d'un ternoin, 0.0., vermutlich Anfang Oktober 1944, AMAE GU (1939/45) 1208. '"'Vgl.Jean Charlot (Hg.), Les Fraol;ais et de Gaulle, Paris 1971, S.21-38, 172-177, 185f. u. 194-200. 21 Vgl. z.B. RP Loire 30.10.44, AN FlcIII 1220; RP Bouches-du-Rhöne Oecembre 1944, AN FlcIII 1210; RP Alpes-Maritimes 09.01.45, AN FlcIII 1208; RP Marne 05.02.45, AN FlcIII 1222; RP Moselle 01.08.45, AN FlcIII 1222; RP Savoie 15.12.45, AN FlcIII 1226.

176

A. Rahrnenbedingungen

die departementalen Öffentlichkeiten seine Wiederwahl zum Regierungschef im November 1945 aufnahmen,22 die aber auf der anderen Seite zunehmend auf kritische Stimmen aufmerksam machten, wenn es um de Gaulle als Verantwortlichen für das tages-, vor allem innenpolitische Geschäft ging?3 Auch Duff Cooper, britischer Botschafter an der Seine, verwies als scharfsinniger ausländischer Beobachter auf die Zwiespältigkeit de GaulIeschen Prestiges und mutmaßte, "the less he says during this period of election speech and counter-speech the better for his reputation."24 Die Begeisterung des Widerstands- und Sammlungs gaullismus bedeutete eben nicht zugleich die Sanktionierung einer Art Regierungsprograrnm für das Nachkriegsfrankreich, die Einmütigkeit hinter dem "Retter" bei der Befreiung sollte sich letztlich als vordergründig und situationsbedingt erweisen, denn sie wurzelte ganz wesentlich im Vergessen der jüngsten Vergangenheit und im Verkennen der nahen Zukunftsprobleme. 2S

Bedarf einhelliger öffentlicher Unterstützung. Für die Verlängerung seiner

du salut public",26 für seine langfristige Durchsetzung als Integrationsfigur gegenüber den politischen Parteien,27 für die Umsetzung seines Anspruchs, dauerhaft im Sinne eines "gaullisme unanimiste" über Parteigegensätze und -grenzen hinweg die Geschicke Frankreichs zu lenken, war de Gaulle auf die möglichst einhellige Unterstützung durch die hexagonale Öffentlichkeit mehr als angewiesen,28 waren persönliche Popularität und Geltung sein größtes politisches Kapital,29 waren selbst Rücksichtnahmen und Befriedigungsstrategien gegenüber den Franzosen nahezu unabdingbar, erst recht in solchen Bereichen, für die man andernfalls mit empfindlichen Reaktionen zu rechnen hatte. Dies konnte gutgehen, solange sich die politischen Kräfte mit der Wieder- bzw. Neugründung der eigenen Gruppierungen sowie der Diskussion von Kooperations- und Koalitionsmustern ausreichend beschäftigt sahen, solange sie selbst im ureigensten Interesse auf de Gaulle als Gallionsfigur nach innen und außen an der Spitze der Nation setzten, solange der "h~gitimite

22 Vgl. RP Bas-Rhin 15.11.45, AN F1cIIl 1224; RP Dordogne 15.11.45, AN FlcIIl 1217; auf der Basis der regionalen Presse für die Savoyer Departements vgl. die Untersuchung von Yvonne Quenard, La IXe&Se savoyarde la liberation (AoCIt 1944-Janvier 1945), T.E.R. d'histoire, Universite de Grenoble 1987, S.64-71. Z3VgI. z.B. RP Savoie 16.03.45, AN FlcIII 1226; RP Bouches-du-Rhone 16.03.45, AN FlcIIl1210; RP Haute-Savoie 15.06.45, AN FlcIIl1226; RP Seine-et-Oise 31.01.46, AN FlcIIl1228. '" Cooper an Bevin, 16.10.45, DBPO IIV, S.233-236.

a

2S In diesem Sinne A1fred Fabre-Luce, Le plus illustre des Franyais, Paris 1960, S.157; vgl. auch Rernond, Notre siede, S.344.

26

Oe Gaul1e, MdG IIl, S.28; ähnlich Azema, De Munich

ala Liberation, S.35l.

Zu den Parteien, die de Gaul1e als Partikularinteressen vertretende, primär auf Machterhalt bedachte Organisationen und geradem als Sinnbild der "guerres franco-franyaises" erschienen vgl. mletzt Uo Hamon, Le role des partis dans l'Etat vu par le general de Gaul1e, in: Oe Gaul1e en son siecle, Bd.2, S.287-304 sowie Marc Sadoun, Oe Gaul1e et les partis politiques, in: ebd., S.323-327. 2' Vgl. Jean Chauveau de Lignac, Oe Gaul1e et l'opinion franyaise de 1944 1946, in: Espoir n066 (1989) S.22-33 (23); Azema, Oe Munich la Liberation, S.35l. TI

a

a

,. So schon in weiser Voraussicht Mendes France in Algier: vgl. Brief an Georges Boris, 30.03.44, in: Mendes France, oe II, S.34f., in dem er de Gaul1e vorwirft, er scheue "Ie risque de l'irnpopularire," und sich.bekIornrnen fragt "Que sera-ce quand nous serons sur placeT

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

177

Eindruck vorherrschte, daß "ce serait folie - oui folie - que de priver le pays du concours d'un homme qui lui a deja tant donne et qui reste celui autour duquel peut et doit se faire l'union profonde et resolue de tous les bons Fran~ais pour la reconstruction et le relevement de notre pays."30 Die zunehmende Klärung parteipolitischer Fronten sowie vor allem die beginnende "Wahlfrenesie" seit den Gemeindewahlen vom 29.April und 13.Mai 1945 und die damit einhergehende Beanspruchung staatlicher Schlüsselpositionen durch Parteiführer aufgrund ihrer Legitimation als direkt vom Volk Gewählte führte zwangsläufig zu Legitimationskonflikten zwischen diesen und dem "provisorischen" Regierungschef. Latenten Auseinandersetzungen, beispielsweise zwischen de Gaulle und den Sozialisten um die Frage der persönlichen ''Erwählung'' von Ministern oder deren Delegierung durch die Partei,3l kamen nun offen zum Ausbruch, ließen wachsende Zweifel an de GaulIes demokratischer Grundhaltung und Vorahnungen eines "desir d'accroer plus tard a un pouvoir personnel"32 aufkeimen und die Möglichkeit seiner Ablösung zum ernsthaften internen Diskussionsthema werden, obgleich die Ansicht vorherrschte "qu'il ne faut pas effectuer d'operation prematuree vis-a.-vis de de Gaulle et qu'il vaut mieux au contraire lui laisser perdre de lui-meme de sa popularite dans le pays."33 Vor diesem Hintergrund verband der Rücktritt des Regierungschefs vom 20Januar 1946 in der Tat "fennete de la strategie" und "mooiocrite de la tactique". 34 Er bildete letztlich den verzweifelten Versuch, eine "populistische" Unmutswelle im Hexagon zu provozieren, die ihn rasch wieder, und zu seinen Bedingungen, an die Macht zurücktragen sollte,35 schlug jedoch in jederlei Hinsicht fehl. Die Demission traf zwar zunächst auf eine "opinion publique surprise et mal preparee,"36 rief eine gewisse "inquietude" hervor,3? ließ solche Gefühle aber rasch in Enttäuschung und Unverständnis umschlagen und die Präfekten konstatieren, daß "Ies conditions dans lesquelles il a quitte le pouvoir ... ont d'ailleurs porte, au moins momentanement, une atteinte sensible au prestige dont il jouissait. "38 Von einem Ruck, der durch die Bevölkerung ging, war in keinem einzigen Departement die Rede, wohl aber von ''l'indifference et l'apathie qui ont accueilli le depart du premier Resistant de France" aufgrund einer "malaise moral qui pese sur l'opinion de toutes les couches sociales."39 Offensicht30 Dies der Schlußabschnitt eines Artikels von Pierre Mendes France im Courrier du Neubourg, 26.09.45, in: Mendes France, OC II, S.155ff. 31 Vgl. Compte rendu de l'entretien avec le General de Gaulle d'une delegation du cornire directeur du parti socialiste, 17.11.44, AN 456 AP 4; Entrevue General de Gaulle - Daniel Mayer, 02.02.45 sowie Lettre du cornite directeur au General de Gaulle, 10.02.45, OURS SFIO Corn.dir. 1 (1944/45). 12 Brief Andre Philip an de Gaulle, 29.10.45, AN 72 Al 567. " Dies die Einschätzung des künftigen Erziehungsrninisters Marcel-Edmond Naegelen, Cornite directeur, Reunion du 9 janvier 1946, OURS 5FlO Com.dir. 2 (1945/46). " Vgl. Charlo!, Le gaullisme d'opposition, 5.64-68. 35 Dies legt zB. Rene Cassin in einem persönlichen Brief an de Gaulle nahe, 22.01.46, AN 382 AP 74; Antwort de Gaulles aus Marly, 11.02.46, ebd. 36 RP Seine-et-Oise 31.01.46, AN FlcIII 1228. 11 Vgl. RP Landes 13.02.46, AN FlcIII 1219. " RP 5eine-et-Oise 15.02.46, AN F1cIII 1228 . ., RP Lot-et-Garonne Janvier-fevrier 1946, AN F1cIII 1222.

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A. Rahmenbedingungen

lich hatten bislang de Gaulles Frankreichprioritäten einer wirtschaftlichen und moralischen Wiederaufrichtung der Nation noch keine allzu großen Früchte getragen.

b) Rang und Größe durch ökonomische Wiederaufrichtung der Nation? "Le general de Gaulle ... etait un militaire.... Il faut aussi dire que, de par sa formation, les problemes economiques lui etaient etrangers, mais qu'il avait une culture extraordinaire ..... ,

Wirtschaft und nationale Größe. Trotz des Fehlens eines präzisen Gesamtentwurfs samt seiner Durchsetzungsmethoden für die französische Politik nach Befreiung und Kriegsende besaß de Gaulle recht gen aue Vorstellungen über die Prioritäten, welche die Provisorische Regierung zu setzen hatte. Er ließ dabei keinen Zweifel daran, daß der Endzweck künftiger Anstrengungen in der Eroberung und dauerhaften Etablierung einer Führungsposition der "Grande Nation" in Westeuropa und nicht zuletzt gegenüber Deutschland bestand, die auf lange Sicht Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte auf der weltpolitischen Nachkriegsbühne garantierte. 2 Die Mittel einer solch ehrgeizigen und volontaristischen Zielsetzung ergaben sich aus der Situationsdiagnose für die französische Nation im Sommer 1944 sowie aus der Ursachenperzeption für die Dekadenz der 30er Jahre, die Frankreich erst über Kriegsniederlage, Besatzungsherrschaft und Vichyregime dorthin gebracht hatten. Die Franzosen sollten das moralische Tief überwinden, Selbstachtung zurückgewinnen, um alle vorhandenen Kräfte in die wirtschaftliche Wiederaufrichtung und Modernisierung stecken zu können, denn nur wer beizeiten eine ökonomisch respektable Rolle spielte, durfte langfristig Größe und Rang im internationalen Mächtegefüge der Nachkriegsjahre beanspruchen. 3 Charles de Gaulle war von Hause aus kein Ökonom. Die Welt der Zahlen und der Wirtschaft war ihm fremd, sein Interesse an spröden, technischen finanzökonomischen Details gering, so daß er sie vorzugsweise seinen Mitarbeitern überließ. 4 Dennoch mangelte es ihm offenbar nicht an prinzipiellem Sachverstand in WirtsChaftsfragen,5 nicht an Ehrgeiz und Lernbereitschaft 6 in einem während seiner , So Gaston Cusin, Conference-discours, Comite d'histoire de la Deuxieme Guerre mondiale, Cornmission d'histoire economique et sociale, AN 72 AJ 383. 2 Vgl. z.B. die Radioansprache de Gaulles vom 29.08.44, in: De Gaulle, DM I, S.44lf. 3 Zu de Gaulle vgl. Shennan, Rethinking France, S.72ff., 268f. u. 294; vgl. allgemein z.B. Serge Berstein, French power as seen by the political parties after world war 11, in: Becker / Knipping (Hg.), Power in Europe, S.163-183 (171) oder Bonin, Histoire economique de la IVe Republique, S.65. • Vgl. Pierre-Henri Chalvidan, Les methodes de travail a Londres et aAlger, in: Pilleul (Hg.), L'entourage, S.156-161 (l56f.) , In diesem Sinne Philippe Ratte, Dimension politique de l'economie en France et en Allemagne apres 1945, in: Manfrass / Rioux (Hg.), France - Allemagne 1944-1947, S.159-176 (163); ähnlich, allerdings mit dem Rueff-Pinay-Plan von 1958/59 argumentierend, Anthony Rowley, Le general meprisait-il I'intendance? in: L'Histoire n °134 (1990) S.36-39. , Vgl. die Bemerkung Rene Mayers in seinem Journal 1944-1945, in: Mayer (Hg.), Rene Mayer,

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

179

Ausbildung kaum geförderten Bereich,7 vor allem aber nicht an Auffassungsgabe und Einsichtigkeit in die Zusammenhänge von Wirtschaftskraft und machtpolitischem Status eines Landes, die wesentlich die Vorrangstellung einer Erholung und Erneuerung der französischen Industrie in der innenpolitischen Dringlichkeitshierarchie für das befreite Frankreich determinierten. 8

De GaulIesche Winschajtsexpenen. Seit der frühesten Exilzeit in London hatte der Chef der "Freien Franzosen" eine junge Garde aufstrebender Wirtschafts- und Finanzfachleute wie Georges Boris, Rene Pleven, Andre Diethelm, Robert Marjolin, Etienne Hirsch oder Pierre Denis um sich geschart. Neue Kräfte kamen im Laufe der Zeit hinzu, teilweise weitere junge Verwaltungsexperten wie Herve Alphand, Maurice Couve de Murville, Guillaume Guindey, Franlfois-Didier Gregh oder Jean Uvi, teilweise zusätzliche Persönlichkeiten mit Erfahrungen in der Privatwirtschaft wie Jean Monnet und Rene Ma}ef, teilweise bereits während der Volksfront wirtschaftsund finanzpolitisch Verantwortliche wie Andre Philip oder Pierre Mendes France. Deren Gedanken, unabhängig davon, ob man sie vom wirtschaftspolitischen Ansatz her eher zu den "Neoliberalen" oder eher den "Sozialisten" zurechnete, kreisten schon damals nicht allein um den Kriegserfolg, sondern eben auch schon um die Krise französischer Wirtschaft und Industrie und Möglichkeiten ihrer Behebung, um die Rekonstruktion und Modernisierung Frankreichs zu einer westeuropäischen Wirtschaftsrnacht. Die völlige Unterordnung unter dieses Ziel machte sie relativ unanfcHlig für Machtspiele und Intrigen in der algerischen Hauptstadt und zur "Harmonisierungsavantgarde" zwischen den CFLN-Kopräsidenten de Gaulle und Giraud, prädestinierte sie zu Flexibilität in der Auswahl der Mittel wie auch in der Herangehensweise an andere Politikbereiche. De Gaulle sah sich demzufolge von vornherein mit Technokraten und Verwaltungskräften umgeben, deren antimalthusianistische wie antiprotektionistische Grundhaltung verbürgt war, die Einfluß im Sinne einer Transformation finanzwirtschaftlicher Strukturen und Mentalitäten ausüben wollten und die ihn mit Informationen über das sozioökonomische Szenario bei der Befreiung sowie über internationale Wirtschafts verhandlungen fütterten. Über Mangel an Hintergründen zur Lage der Nation und potentiellen Reformvorhaben mußte er sich nicht beklagen, zumal er sich durch den Vorsitz des Comite economique interrninisteriel, der ihm als Präsident des CFLN zustand, an maßgeblicher Stelle interner Entscheidungsprozesse über die kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen befand. 9 Mehrfach setzten sich vor allem Pierre Mendes France und Jean Monnet in Algier und Paris bei de Gaulle ein, um den eigenen Konzeptionen Gehör zu verschaffen und S.292-375 (307) zur CEI-Sitzung vom 26.April 1944 unter Vorsitz de GauUes: "Vraiment bonne seance, et il semble que le General y prend goOl" Vgl. Jean-Marcel Jeanneney, in: Lacouture / Mehl (Hg.), Oe Gaulle ou l'etemel deti, S.480. Vgl. Stanley Hoffmann, Le heros politique. Petain, de Gaulle, Mendes France, in: Preuves n0197 (1967) S.21-33 (30); zuletzt etwa Kaspi, La Liberation, S.243. 7 t

a

• Vgl. Projet de liste des questions norrnaIement soumises l'examen du Comire economique (Document n02 du CE!), 19.04.44, AMAE GU (1939/45) 644. Alphand, L'etonnement d'etre, S.I77 notierte am 30.April 1944 in sein Tagebuch, "mon Comite economique a bien debute et de Gaulle s'y interesse."

180

A. Rahmenbedingungen

Gewicht im Rahmen der Nachkriegsplanungen zu verleihen. Die Einschätzungen des Finanzkommissars schwankten dabei zwischen Bangen und Hoffen, zwischen Rücktrittsgesuch und einem Brief an seinen Freund und Mitstreiter für eine rigorose und kompromißlose Sparpolitik bei der Liberation, Georges Boris, dem er zuversichtlich mitteilte, "je crois qu'a la longue nous aurons gain de cause. Je crois meme que dans son for interieur le General est convaincu maintenant." 10 Monnet ließ ebensowenig davon ab, de Gaulle die Priorität von Rekonstruktion und Modemisierung nahezubringen, weder nach seiner Ankunft in Nordafrika, noch nach Kriegsende von Washington aus, als er ihm in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen versuchte, daß nur mit Krediten aus den Vereinigten Staaten "la modernisation pourra s'effectuer a une cadence acceleree." 11 Die Schaffung des Monnetschen Planungskommissariats gemäß dessen Vorschlägen durch ein Dekret vom 3.Januar 1946 spricht ebenso für die Einflußchancen, die der "König des persönlichen Gesprächs"12 gegenüber de Gaulle besaß, wie für die gegenseitige Wertschätzung, die sich beide allen Differenzen zum Trotz auch künftig entgegenbringen sollten. 13

Wirtschajtsperzeption bei der Befreiung. Es läßt sich allerdings kaum abschließend klären, ob de Gaulle - wie Monnet dies glaubte und für sich beanspruchte _14 der Überzeugungskraft der Technokraten überhaupt bedurfte und deren Ratschlägen folgteiS oder ob nicht vielmehr die Vorstellungen von Dekadenzbekämpfung, Wiederaufbau und Modernisierung nicht ohnehin konvergierten l6 und Initiativen von Mitarbeitern sein Gespür für ökonomische Realitäten bei der Befreiung l7 höchstens zusätzlich akzentuierten. Die künftig in Paris staatliche Schlüsselpositionen bekleidenden außen-, finanz- und wirtschaftspolitischen Akteure jedenfalls gingen trotz ursprünglich gegenteiliger Befürchtungen noch vor der Liberation davon aus, de Gaulle wünsche" avant tout remettre la France a sa pi ace, maintenir tous ses droits, donner aux Fran~ais la mystique de la reconstruction, les unir sans les tyranniser." 18 Ebensowenig läßt sich mit letzter Bestimmtheit ermitteln, ob de Gaulle erst durch die Besichtigung zerstörter Städte, Landstriche und Industrieanlagen während seiner 10 Brief an Boris, 08.08.44, in: Mendes France, OC H, S.48f.; zur "Rücktrittsmanie" von Mendes France vgl. die Bemerkung von Rene Mayer, Journal 1944-1945, in: Mayer (Hg.), Rene Mayer, S.345. 11 Vgl. Propositions a.s. du Plan de modemisation et d'equipement adressees au general de Gaulle, 04.12.45, abgedruckt bei Mioche, Plan Monnet, S.114-117. 12 In diesem Sinne Andre Kaspi, Jean Monnet, in: Politique Etrangere 51 (1986) S.67-73 (72). 13 Aufschlußreich dazu der "dialogue des morts entre deux genies" von Paul Delouvrier, Quelques souvenirs sur Jean Monnet et le premier plan de modemisation et d'equipement, in: Bernard Cazes I Philippe Mioche (Hg.), Modemisation ou d6cadence, Contribution a l'histoire du Plan Monnet et de la planification en France, Aix-en-Provence 1990, S.261-299 (289-299), den er sich als Pointe seines Zeitzeugenbeitrags ausgedacht hat. ,. Vgl. Monnet, Erinnerungen, S.291, 300, 303f. u. 306. "So Gillingham, Cool, steel and the rebirth of Europe, S.139f.; Elgey, IVe Republique, Bd.3.1, S.573 führt aus, Monnet habe de Gaulle die Idee eines Planungskomrnissariats "verkauft". 16 Dies die Meinung von Palewski, Memoires, S.225ff., der nicht nur einer der engsten Vertrauten de Gaulles, sondern auch ein guter Freund Monnets war. n Vgl. de Gaulle, MdG 111, S.5-1O. 1i Alphand, L'etonnement d'~tre, S.179.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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Provinzreisen den Anstoß für finanzökonomische Prioritätsetzungen sowie für einen wirtschaftlich definierten Machtbegriff in den künftigen internationalen Beziehungen erhielt. War er nicht vielleicht bereits durch seine Vorkriegsbeziehungen zu Paul Reynaud, der ihn als President du Conseil im Juni 1940 mit dem Posten eines Soussecretaire d'Etat a la defense nationale et a la Guerre betraute, bei dem im übrigen während seiner Zeit in der Rue de Rivoli 1938/39 zwei spätere "bedingungslose Gaullisten", Michel Debre und Maurice Couve de Murville, erste wichtige Schritte auf der administrativen Karriereleiter erklommen hatten, von einer unabdingbaren industriellen Stärkung überzeugt, wenn Frankreich nach Kriegsende wieder die gewünschte Rolle auf internationalem Parkett spielen wollte? Fest steht jedenfalls, daß de Gaulle sich bereits in Algier für eine stärkere Weltrnarktorientierung der französischen Wirtschaft ebenso einsetzte wie für Reformmaßnahmen als Voraussetzung des künftigen "bien-etre du peuple franlrais."19 Fest steht, daß er sich und anderen schon dort die Schwierigkeiten verdeutlichte "de dire a la nation, qui a si durement souffert, que l'arrivee des forces franlraises et alliees ne marquera pas du tout le commencement de l'euphorie."2o Fest steht schließlich, daß seine ersten Ansprachen von September/Oktober 1944 in Paris und in der Provinz 21 weder den Jubel über das Erreichte noch den Haß auf das noch endgültig zu besiegende Deutsche Reich in den Vordergrund rückten, sondern die harte Wirklichkeit, die fortdauernden Belastungsproben und die künftigen Strapazen. Obwohl de Gaulle nichts mehr benötigte als die ungeteilte Zustimmung der Menschen, bestand seine Botschaft nicht aus popularitätsheischenden Lobgesängen auf das französische Volk, sondern im Aufruf an alle Franzosen, den innerfranzösischen Bürgerkriegen ein für allemal abzuschwören, sich hinter seiner Person zu sammeln, sich der gemeinsamen Aufgabe zu stellen und sich mit aller Kraft für Wiederaufbau und Größe der Nation zu engagieren. "Produire" lautete das Gebot der Stunde, der nächsten Monate und Jahre. 22 Es bildete für fast zweieinhalb Jahre einen der wenigen echten Konsenspunkte innerhalb der Dreiparteien-Regierungskoalition aus Christdemokraten, Sozialisten und Kommunisten. Der Regierungschef selbst wurde nicht müde, es zwischen Befreiung und Rücktritt als erste Bürgerpflicht zu proklamieren und kundzutun, daß künftige Sicherheit nur auf eigener Stärke, nicht - wie nach dem Ersten Weltkrieg zu Unrecht und mit langfristig fatalen Folgen propagiert - primär auf der Nutzung deutscher Ressourcen beruhen konnte. 23 '9 Herve Alphand, Note concemant les etudes relatives a l'organisation de I'Europe occidentale, 25.10.43, SAEF B 30002 sowie Note pour M. Massigli, 02.03.44, AMAE GU (1939/45) 717. 2f) Discours devant I'Assemblee consultative provisoire, 18.03.44, in: Oe Gaulle, DM I, S.380-390. 21 Vgl. VII allem die Rede de GaulIes im Palais de Chaillot vom 12.09.44, in: Oe Gaulle, DM I, S.443451 (449f.); zu den wichtigsten Äußerungen während seiner Provill7Ieisen dieser Zeit vgl. de Gaulle, LNC V: Juin 1943-Mai 1945, Paris 1983, S.315ff. (Orleans), S.319f. (Nancy), S.321-325 (Lilie), S.328334 (Louviers, Evreux, Neubourg, Caen) u. S.345f. (Dijon). 22 Vgl. die de Gaulle-Rede vor der Beratenden Versammlung, 02.03.45, in: Oe Gaulle, DM I, S.521532 (526); Radi~ vorn 24.05.45, in: ebd., S.553-557 (555) oder Rede in Bethune, 11.08.45, in: ebd., S.597-601 (600f.). 23 Martina Kessel, Westeuropa und die deutsche Teilung, S.70 bezeichnet dies ganz zurecht als "gaullistisches Credo".

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A. Rahrnenbedingungen

Mangelndes Interesse und fehlende Sachkenntnis in Wirtschafts-, Finanz- und Industrieangelegenheiten waren dem Präsidenten der Provisorischen Regierung nicht vorzuwerfen. Dies bekräftigen die detaillierten wöchentlichen Berichte, die er sich seit Ende Oktober 1944 persönlich im Produktionsministerium erstellen ließ, und die neben der Wiederherstellung des Transportnetzes Aufschluß gaben über die Lage und Entwicklung, Fortschritte und Hemmnisse der einzelnen Industriezweige, von Kohle und Stahl über Elektrizität und Chemie bis hin zu Maschinenbau und Ölimporten. 24 Er setzte all sein Prestige für Wiederaufbau und Modernisierung ein und stachelte die Franzosen zu erhöhten Produktionsleistungen an. Seine ökonomischen Grundsatzentscheidungen, zu denen aufgrund der zumindest kurzfristigen negativen Rückwirkungen auf das Rekonstruktionstempo im Hexagon die fortgesetzten Kriegsanstrengungen bis zur endgültigen Niederlage Hitler-Deutschlands ebenso gehörten wie die Bevorzugung der mit weniger sozialen und materiellen Härten für die Menschen verbundenen finanzökonomischen Strategie Plevens gegenüber derjenigen von Menctes France, unterstreichen jedoch, daß de Gaulle wirtschaftliche Sachverhalte nie in technizistischer Perspektive betrachtete. Er setzte sie in Bezug zu einer Gesamtpolitik, die weder das internationale Umfeld noch das Handeln und Leiden der Menschen außer acht lassen durfte, die Größe nach außen und moralische Wiederaufrichtung im Innern als zwei Seiten einer Medaille erscheinen ließ. c) Ordnung und Stabilität durch moralische Wiederaufrichtung der Nation? "Jamais il n'avait ere aussi necessaire de faire un choix entre le supportable et I'impossible, entre I'abstrait et le roncret, entre l'ideal et le reel." ,

Retter nationaler Moral und Ehre. Die gaullistische Zielsetzung, die Moral des französischen Volkes zu stärken, ihm seine Selbstachtung zurückzugeben, neues Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl einzuflößen, trat bei Befreiung und Kriegsende vielfach, explizit wie implizit, deutlich zutage. Unter diesem Gesichtspunkt unterschied sich der August 1944 nicht vom Mai 1958, der Mai 1945 nicht vom März 1962, Beide Male hielt de Gaulle beim Machtantritt in Paris die Aufhebung der innerfranzösischen politischen Zerrissenheit für eine seiner vorrangigsten Aufgaben, beide Male ging es bei Kriegsende nicht zuletzt darum, der Nation einen ehrenvollen Abgang zu verschaffen, in kritischen und verzweifelten Situationen "Je sens des evenements" umzukehren, um auf diese Weise trotz der seelischen Erschütterungen der Jahre 1940/44 und 1958/62 für eine rasche Retablierung des französischen Selbstwertgefühls und für eine Kanalisierung von Infragestellungen und Selbstzweifeln durch zügigen Übergang zur Tagesordnung zu sorgen. 2 ,.. Vgl. AN F12 10111; 21J[ inhaltlichen Seite der Berichte vgl. Kapitel A I 2b. , Joxe, Victoires sur la nuit, S .267. 2 V gl. dazu Stanley lInge Hoffmann, Oe Gaulle as political artist The will to grandeur, in: Stanley Hoffmann, Decline or renewaJ, France since the 1930s, New York 1974, S.202-253 (234); Aron, Memoires, S.386; Remond, Notre siecle, S.605f.; Weisenfeld, Charles de Gaulle, S.9.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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Die profunden Ursachen für die Katastrophe von 1940 und die erniedrigende, in jederlei Hinsicht verlustreiche Besatzungszeit sah der Regierungschef nicht primär in der Stärke des Gegners, nicht nur in den militärisch-strategischen Unfähigkeiten der Armeespitze, sondern vor allem in der moralischen, sozioökonomischen und politischen Krise der 30er Jahre, in den "divisions [frenetiques] entre les citoyens" als Nährboden der "paralysie grandissante de nos institutions politiques" sowie des "empoisonnement chronique de nos discussions sociales."3 Die Bevorzugung von Selbstentzweiung und Schwächung angesichts drohender Gefahren gegenüber Sanunlung und Stärkung zum Nutzen und zur Verteidigung der Nation machte die Franzosen in den Augen de GaulIes "en partie, je dis en partie, ... responsables" für die Tragödie der letzten vier Jahre und setzte sie dem trotzig-drohenden Appell aus, sie müßten "se retablir, non pas comrne ils etaient, mais sous des formes nouvelles, du point de vue politique, du point de vue economique, du point de vue social et meme du point de vue moral."4 Selbstmitleid jedenfalls schloß der "homme de la Liberation" als legitime Reaktion auf die prekären materiellen und sozioökonomischen Verhältnisse unmißverständlich aus. Vielmehr galt es, "dans l'ordre, '" dans le travail, ... dans l'union,"s nacheinander und in gemeinsamem Einsatz für ein neues Frankreich, die wesentlichen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Drei Aspekte moralischer Wiederaufrichtung. Vielerlei Äußerungen und mannigfache Symbolhandlungen, Entscheidungen oder Versäumnisse lassen sich aus London und Algier wie aus Paris zusammentragen und offenbaren den hohen Stellenwert, den de Gaulle der Wiederherstellung des französischen Nationalstolzes, dem "vital spring of action" Frankreichs,6 im Rahmen seiner Prioritätenskala einräumte. Angesichts einer materiell deprimierenden Realität und einer absehbar schleppenden Besserung des allgegenwärtigen Mangels bildeten jedoch die Stärkung von Moral, Selbstwertgefühl und Verantwortungsbewußtsein der Franzosen, die einträchtige Sanunlung hinter dem "Ehrenretter Frankreichs" und seiner Regierung der nationalen Union sowie die einmütige Konzentration aller Kräfte auf Wiederaufbau und Modernisierung von Wirtschaftsstrukturen und -mentalitäten ein schwieriges Unterfangen. Selbst bei kurzfristigen Erfolgen mußte es langfristig Mißverständnisse und Widersprüche nach sich ziehen und damit wiederum negative Rückwirkung auf Selbstvertrauen, Wirtschaft und Politik. Drei gaullistische Ansätze zur moralischen Wiederaufrichtung der Nation samt der jeweils komplexen Wirkungen sollen im folgenden kurz skizziert werden. "Vergangenheitsklitterung". Eine erste Strategie war die de GaulIesche Form französischer "Vergangenheitsbewältigung", die sich weniger an der Suche nach der

; Discours prononce aAlger a I'occasion du troisierne anniversaire du rnouvernent de la France libre, 18.06.43, in: De Gaulle, DM I, S.301-305 (302f.). • Conference de presse a Paris, 25.10.44, in: Oe Gaulle, DM I, S.456-469 (466). 'Discours prononce a Nancy le 25 septernbre 1944, in: Oe Gaulle, LNC V, S.319f. 'Vgl. Stanley Hoffrnann, De Gaulle's foreign policy. The stage and the play, the power and the glory, in: ders., Decline or renewal, S.283-331 (284).

184

A. Rahmenbedingungen

historischen Realität orientierte als am Aufspüren möglicher Instrumentalisierungschancen, 7 die eine bestimmte Geschichtsinterpretation für die Gegenwart und eine bestimmte Form der Erinnerung für die "batailles politiques de I'apres-guerre" bereithielt. 8 Dabei ging es um die Akzentuierung des "mythe fondateur d'apresVichy"9 durch Konstruktion und Verbreitung eines quasi-offiziellen Geschichtsbildes mit einer doppelten Stoßrichtung. Es sollte auf der einen Seite Handeln und Leiden der Franzosen während der Vichy-Jahre, Niederlage und Besatzung durch die Nationalsozialisten und damit die Mehrheitserinnerung der Menschen durch die Propagierung der These eines "guerre de trente ans"lO in einem größeren Zeitrahmen amalgamieren, der etwas abgeschlossenes Ganzes symbolisierte, der noch dazu die Versäumnisse und Krisen der 30er Jahre urnfaßte, dank des Kriegsgewinns vom Mai 1945 sogar positiv-sinnstiftend umwertete, und der für die Zukunft alle Möglichkeiten offenließ. Es sollte auf der anderen Seite nicht nur Vichy und die Kollaboration vollkorrunen auslöschen, sondern auch den inneren Widerstand auf ein geradezu nebensächliches Hilfsorgan der "Freien Franzosen" reduzieren, de Gaulle dagegen, der doch selbst - und damit auch Frankreich - immer auf der "richtigen" Seite gestanden habe, zum unbestrittenen Helden der gesamten Resistance zwischen 1940 und 1944 hochstilisieren: "La Resistance, c'est de Gaulle; de Gaulle, c'est la France; donc, la Resistance, c'est la France." 11 Die Verbreitung solcher Sichtweisen erfolgte in viererlei Weise: zum einen durch unablässig wiederholte, rhetorisch überhöhte Äußerungen, wie beispielsweise die ebenso stereotype wie historisch unrichtige Behauptung, Frankreich habe sich aus eigener Kraft befreit; zum zweiten durch die ausdrückliche Dekretierung bestimmter Vorgehensweisen in sensiblen Politikbereichen, wie der Epuration, bei der es nach gaullistischer Konzeption in erster Linie auf eine möglichst rasche Abwicklung der Verfahren zur möglichst raschen Beendigung der innerfranzösischen Auseinandersetzungen ankam; zum dritten durch symbolhafte und geschichtsmächtige Akte des Regierungschefs, wie - gleich bei der Befreiung - seine Weigerung, die Republik auszurufen, die für ihn "n'a jamais cesse d'etre," da "la France Libre, la France Combattante, le Comite fran((ais de la liberation nationale I'ont, tour atour, incorporee;"12 zum vierten schließlich durch die Schaffung eines spezifisch gaullistischen Erinnerungsmechanismus, durch die Umbenennung von Straßen und Plätzen, durch die Schaffung und Instrumentalisierung von Gedenkstätten und -veranstaltungen, 7

Vgl. ausführlich Narner, BatailIes pour la memoire, S.6.

• Vgl. Jean-Pierre Rioux, Associations et souvenir de la Seconde Guerre mondiaIe en France, in: Wahl (Hg.), Memoire de la Seconde Guerre mondiale, S.291-301 (297f.). • Rousso, Le syndrome de Vichy, S.26. 10 Oe GaulI~Rede anläßlich des Gedenkens an die Opfer des Ersten Weltkrieges arn WaffenstilIstandslag, 11.11.45, in: De Gaulle, DM I, S.645f. 11 Rousso, Le syndrome de Vichy, S.loo. 12 Vgl. de Gaulle, MdG 11, S.374f. In die gleiche Richtung wies die Zurückdrängung des CNR-Vorsitzenden und künftigen Außenministers Georges Bidault ins zweite Glied beim Marsch der Widerstandsgruwen über die Champs-Elysees arn Tag darauf; vgl. Bidault, D'une Resistance a I'autre, S.65ff. sowie Teitgen, Faites entrer le temoin suivant, S.153f.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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durch eine Mischung aus kaltem politischen Kalkül und ausdrucksstarker Inszenierungslyrik, die einerseits die Gefangenen, Deportierten und hexagonalen Widerstandskämpfer aus dem kollektiven Gedächtnis der Nation ausschließen, die andererseits im auschließlichen Rekurs auf die "France combattante" alle Franzosen zu Kämpfern während der "annees noires" befördern und die es ermöglichen sollte, "de passer a l'apres-guerre."13 Die Frage nach den Wirkungen der de Gaulleschen Art französischer Vergangenheitsbewältigung durch Geschichtsklitterung und Vergessen erfordert eine differenzierte Antwort. Kurzfristig riß sie innerhalb der neuen politischen Eliten, je nach Herkunft aus der inneren oder äußeren Resistance, zusätzliche Wunden auf, während die große Masse der Franzosen die "Sonderangebote" zur Versöhnung mit der jüngsten Vergangenheit und dem eigenen Verhalten gewiß dankend annahm. Langfristig präjudizierte sie im Zusanunenwirken mit der kommunistischen Erinnerung, deren Konzeptualisierung die frühen "commemorations de l'unanimite"14 rasch zu Hegemonialkämpfen um das kollektive Gedächtnis der Nation ausweiteten,IS das bis heute fortbestehende obsessionelle Verhältnis der Franzosen zu Vichy und Kollaboration. 16 Kompensationen und Zumutbarkeiten: der Konflikt Pleven - Mendes France. Ein zweiter gaullistischer Ansatz zugunsten der moralischen Wiederaufrichtung der Franzosen bestand in der bewußten Berücksichtigung der psychologischen Verfassung des Landes sowie der möglichst weitgehenden Antizipation potentieller Reaktionen der breiten Öffentlichkeit bei Beschlüssen, die im weitesten Sinne Folgen für die materielle Situation des einzelnen hatten. Angesichts verinnerlichter Traumata der letzten Jahre, angesichts wenig rosiger Zukunftsperspektiven für eine rasche und spürbare Behebung der tagtäglichen Engpässe, angesichts der Notwendigkeit eigener Akzeptanzoptimierung bei gleichzeitiger kommunistischer Konkurrenz und angesichts der Gefahren einer Infragestellung der Wiederaufbauprämissen entschied sich der Präsident der Provisorischen Regierung ausnahmslos für Lösungen, die kurzfristig möglichst wenig zusätzliche Härten für die Menschen und möglichst wenig zusätzliche Risiken für seine Politik mit sich brachten, selbst wenn sie auf lange Sicht finanzwirtschaftlich nicht gerade zweckmäßiger erschienen. Dazu gehörten die 50%igen Lohnsteigerungen vom September 1944, die Anhebung der Farnilienbeihilfen vom Oktober, die Erhöhung der Angestellten- und Beamtenbezüge vom Januar 1945, die neuerlichen 30%igen Lohnzuwächse als Inflationsausgleich vom März. 17 In seinen Augen ließen sich solche Fragen bei Befreiung und Kriegsende nicht ausschließlich unter langfristigen Effizienzgesichtspunkten betrachten, 13

Ygl. ausführlich Namer, Batailles poor la memoire, vor allem S.23, 41,88,1401'.,158 u. 161ff.

Ygl. Robert Frank, Apropos des commemorations fran~aises de la Deuxieme Guerre mondiale, in: Wahl (Hg.), Memoire de la Seconde Guerre mondiale, S.281-290 (289). 14

Ygl. die einschlägigen Beiträge bei Courtois I Lazar (Hg.), 50 ans d'une passion fran~aise. I'Ygl. die Bemerkungen von Pascal Ory, Histoire et memoire de la collaboration, in: Kantin I Manceron (Hg.), Les echos de la memoire, S.45-49; vgl. daneben die Einleitung von Kapitel Alle. 13

17 Zu den "psychologischen Gründen" für die Lockerung der Preiskontrollen bei der Befreiung vgl. Hennan van dec Wee, Der gebremste Wohlstand. Wiederaufbau, Wachstum, Strukturwande11945-1980, München 1984, S.18.

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A. Rahmenbedingungen

nicht ausschließlich monetaristisch-technizistisch und abgehoben vom politischen, sozioökonomischen und mentalen Umfeld, sondern vielmehr mit beträchtlichem Fingerspitzengefühl für Machbarkeiten und Zumutbarkeitsgrenzen der Nation. Ein solches Ansinnen offenbarte sein Umgang mit den Austeritäts-Protagonisten, die ihn seit Ende 1943 immer wieder auf einen eisernen und kompromißlosen Sparkurs einschwören wollten. Dies galt vor allem für Pierre Mendes France, für den die wesentlichen Argumente "paraissent militer en faveur d'une politique vigoureuse d'assainissement financier, monetaire et economique aussitöt apres la liberation"l8 und nach dessen Einschätzung "a la rigueur necessaire, on a substitue la facilite."l9 Dies galt ebenso für dessen engste Mitarbeiter, Gabriel Ardant, für den "en 1945 comme en 1918 le premier probleme dans I'ordre d'urgence est celui de I'assainissement des finances publics et des finances prives,"20 sowie für Georges Boris, der bereits fünf Tage nach de GaulIes Rücktritt für eine radikale Wende französischer Wirtschafts- und Finanzpolitik eintrat. 2l Der Regierungschef hielt ein striktes Austeritätsprograrnm für blanke Theorie und begrenzte materielle Befriedigungsmaßnahmen für unabdingbar. In der Frage der Getreide- und Brotpreise hob er beispielsweise gegenüber seinem Wirtschaftsminister darauf ab "qu'il ne s'agit pas de prendre une ctecision isoh~e" und daß "Ie Gouvernement doit en outre ne pas oublier la situation politique et morale du pays."22 V or dem Hintergrund der politischen und moralischen Situation des Landes gewann de GaulIes Bevorzugung der finanzwirtschaftlichen Vorschläge von Rene Pleven gegenüber denen von Pierre Mendes France im April 1945, die schließlich zu dessen Rücktritt führte, symbolischen Charakter. Er wollte den Franzosen eine radikale Währungsreform nach belgischem Muster mit Blockierung aller Bankkonten, aller Löhne und Gehälter sowie der Schaffung einer Kapitalsteuer zur Eindämmung von Inflation, Schwarzmarkt, Tauschhandel und Korruption nicht zumuten,23 optierte stattdessen für die sozialpolitisch verträglichere Konzeption Plevens "a une epoqueet dans une matiere ou il n'y a aucune chance que quiconque soit satisfait,"24 zu einer Zeit, in der Frankreich "n'etait pas ... en etat de supporter la vigueur d'un tel remroe," in der "c'efit ete un choc excessif pour elle."2'i Die Ent11 Vgl. Premiere lettre de demission au general de Gaulle, 15.03.44, IPMF OPMF 44-1; vgl. daneben Note sur les questions monetaires et tinancieres, Periode illUl16diatement posterieure ala Liberation, Mai 1944, ebd.; La po1itique financiere de la France liberee, 0.0., Juni-Juli 1944, ebd.; Expose au Conseil des ministres sur le progranune du Ministere de l'economie nationale, 17.11.44, ebd. 19 Vgl. Lettre de demission au general de Gaulle, 18.01.45, IPMF OPMF 44-3.

'" Vgl. Les finances de la France a l'issue de la guerre 1914-1918 & en 1945, ~ns a tirer de cette comparaison, 0.0., vermutlich Anfang 1945, SAEF 5 A 182; vgl. daneben Note au Ministre sur le probleme financier de la reconstruction, Septembre 1944, SAEF 5 A 183. 21

V gl. Brief Boris an Blum, 25.01.46, IPMF OPMF 46.

11

Vgl. CEI, Compte rendu de la seance du 20ctobre 1944, SAEF B 33001.

n Auf die faktische Undurchführbarkeit eines solchen Progranunes verweist selbst Fran~ois BlochLaine, Profession: fonctionnaire. Entretiens avec Fran~oise Carriere, Paris 1976, S.73. 24 Vgl. de Gaulle, MdG III, S.143. '" So de Gau1le im Juni 1958 zu Roger Goetze, dem Kabinettschef von Mendes France im Jahre 1945; vgl. Roger Goetze, in: Oe Gaulle en son siede, Bd.3: Moderniser la France, Paris 1992, S.283.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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scheidung entsprang nicht einem Mangel an Klarsicht, 26 sondern lag in der Logik de Gaullescher Ansätze seit den ersten Debatten über wirtschafts- und finanzpolitische Handlungsmöglichkeiten nach der Befreiung, die materiellen Härten soweit wie möglich abzudämpfen und keine schlafenden Hunde ohne Not zu wecken. 27 Zwei weitere Faktoren begünstigten den Beschluß und machten ihn mit den psychologischen Blockaden im Grunde alternativlos: einmal die kaum überwindbaren technischen Hindernisse, die Inexistenz von Geldscheinen für die vorgesehene Umtauschaktion und Unmöglichkeit effektiver Kontrollmechanismen in ganz Frankreich/ 8 zum anderen die internationalen Rahmenbedingungen, der Abschluß der amerikanisch-französischen Leih-Pacht-Abkommen vom Februar 1945, die "permettent a notre economie de se relever, sans qu'elle soit obligee de subir les regles severes qu'une Tresorerie appauvrie serait en droit de lui dicter."29 Für die große Mehrheit der "classe politique" ging es weniger um den Gegensatz "entre rigeur et laxisme, mais entre dogmatisme et realisme, entre theorie interventionniste et esprit pratique."30 Nur wenige Politiker waren wie Jules Moch oder Andre Philip31 bereit, durch einen chirurgischen monetären Schnitt die moralische und materielle Lage der Franzosen kurz vor den Gemeindewahlen vom 29.April und 13.Mai 1945 weiter zu strapazieren,32 und viele der späteren Pleven-Kritiker setzten sich damals nicht so vehement für dessen Widersacher ein. 33 Anders als die Abschaffung der Brotkarte im November 1945, die ein Wahlgeschenk und eine Anleihe auf die Zukunft ohne zuverlässige Bürgschaft darstellte,34 bildete die de GaulIesche Option zugunsten Plevens einen nach allen Seiten abgewogenen und in Kenntnis der Schwachstellen gefaßten Beschluß. Wie überlebensnotwendig und alternativlos er in der Phase der "drole de paix" auch sein mochte, rnittel- und langfristig erleichterte er es den finanzund wirtschaftspolitisch Verantwortlichen nicht, Inflation und Lohn-Preis-Spirale in ,. Dies unterstellt z.B. Julliard, Quatrieme Republique, S.37. TI Ähnlich Kramer, La crise economique de la Liberation, S.41, der de GaulIes Wirtschaftsbeschlüsse als "Ie pendant de sa politique de reconciliation durant la periode de l'epuration" interpr-etiert. 21 Vgl. Bonin, Histoire 6conomique de la IVe Republique, S.I06. '" Dies die Ansicht des damals noch von Alphand geleiteten CEI-Generalsekretariats, vgl. Note sur les accords pr!t-bail franc~americain, o.D., vermutlich Mitte Februar 1945, AN F60 920. 10 So Rene Pleven in einem Interview mit Jean Lacouture am 6.Mai 1980, zit. in: Jean Lacouture, Pierre Mendes France, Paris 1981, S.168. 11 Vgl. Moch, Une si longuevie, S.182f.; Loic Philip, Andre Philip, Paris 1988, S.86f.; vgl. daneben die Mendes France-Bemerkungen vom 26.01.46, Philip "s'efforcera de faire la m!me politique que moi," Chronologie de la crise ministerielle de janvier 1946, IPMF, DPMF 46. " In der Forschung herrscht inzwischen weitestgehender Konsens über die moralisch-sozialen Hintergründe der Präferenz de GaulIes, der Parteipmminenz und der Banque de France für Pleven. Vgl. z.B. Maurice Parodie, Histoire recente de l'economie de la societe fran~aise, in: Duby (Hg.), Histoire de la France, Bd3, S.333479 (356f.) sowie aus der Memoirenliteratur Franck, 657 ministres, S.56 oder Joxe, Victoires sur la nuit, S.216f. u. S.264ff. " Vgl. z.B. implizit die Bemerkungen von Auriol, Journal 1947, S.20/Anm.12 bzw. explizit den Artikel von Edouard Depreux, Pleven ou Mendes France, in: L'Observateur, 27.07.50, AN 456 AP 4 . .. Vgl. die entschiedenen Vorhaltungen von Antonin Gros, von Mrne Gallicier und von anderen gegenüber Landwirtschafts- und Ernährungsminister Tanguy-Prigent im entsprechenden Ausschuß der Nationalversamm1ung, nachdem die Brotkarte zwei Monate später wieder eingeführt werden mußte, vgl. SAAN Com.Agr.Rav. 13.12.45.

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A. Rahmenbedingungen

den Griff zu bekorrunen, mittel- und langfristig förderte er Unzufriedenheit und Regirnekritik der Menschen, nicht dagegen die Basis für materielle Verbesserungen und moralische Wiederaufrichtung.

Großmachtrhetorik. Ein dritter, an dieser Stelle nur andeutungsweise vorzustellender Ansatz de GaulIes zur Stärkung von Moral und Selbstvertrauen der Franzosen bildete die rhetorische Überhöhung identitätsstiftender Großmachtträume der "Grande Nation". Sie eigneten sich bestens zur politisch-mentalen Instrumentalisierung sowie zur Ablenkung innerer Spannungen nach außen, denn wer in Frankreich war nach den Erniedrigungen der letzten Jahre nicht empfänglich für eine volontaristische Außenpolitik, die sich die Rückeroberung einer Spitzenstellung innerhalb des internationalen Mächtegefüges der Nachkriegsära auf die Fahnen schrieb. Die in der Öffentlichkeit weitverbreitete Ansicht, Frankreich sei aufgrund seiner begrenzten machtpolitischen Mittel keine wirkliche Großmacht mehr,3s stand dabei durchaus nicht im Widerspruch zum ungebrochenen Bedürfnis nach Wiedererlangung von Rang und Grandeur. 36 De Gaulle schien die einzige Person zu sein, die dies zumindest ansatzweise in die Realität umzusetzen vermochte,37 und nicht zuletzt deshalb blieb das außenpolitische Renorrunee des "horrune du 18 juin" bis zu seinem Rücktritt im Januar 1946 intakt. Selbst Bidault sollte danach von der öffentlichen Nachkriegsdisposition für nationales Prestigedenken profitieren und mit dessen Betonung noch lange auf fast einhellige Zustirrunung stoßen. 38 In krassem Gegensatz zu seinen innenpolitischen Äußerungen, wo de Gaulle es für unabdingbar erachtete, die Nation über die problembeladene Zukunft in aller Deutlichkeit aufzuklären, verleiteten ihn die durch außenpolitische Rhetorik scheinbar leicht zu erntenden Früchte zur Schöpfung von Luftschlössern und Konsenshülsen, die sich nahtlos ins vorherrschende Meinungsklima und Wunschdenken einfügten, zwar gewisse Zukunftsvisionen berühren mochten, realistische Möglichkeiten französischer Politik jedoch eher kaschierten als präzisierten. Es bedarf kaum einer Erwähnung, daß Deutschland in diesem Zusanunenhang angesichts allgemeiner Germanophobie in Frankreich eine besondere Rolle zukam, die in der Tat weidlich und symbolträchtig, beispielsweise unter Berufung auf die deutschlandpolitisch unmißverständlich konnotierten Foch und Clemenceau,39 genutzt wurde. Die Wirkungen eines nahezu ausschließlich an Maximalpositionen und Utopievorstellungen ausgerichteten Deutschlanddiskurses, den de Gaulle und fast sämtliche Spitzenpolitiker pflegten, erwiesen sich erneut als eher mehr- denn eindeutig. Kurzfristig hätte jede von höchster Stelle geäußerte konziliantere Haltung gegenüber "Ygl. RPBouche.Hlu-Rhöne 15.07.45, AN FlcIII 1210; RP Charente-Maritime 10.06.45, AN FlcIII 1214; RP Creuse 16.06.45, AN FlcIII 1216; RP Meuse 08.04.46, AN FlcIII 1222; RP Haut-Rhin 05.09.45, AN FlcIII 1224. "Ygl. RP AIpes-Maritimes 18.07.45, AN FlcIII 1208; RP Doubs 15.03.45, AN FlcllI 1217; RP BasRhin Septembre 1945, AN FlcIII 1224; RP Savoie 15.10.45, AN FlcIII 1226. J7 Ygl. z.B. RP Loire 15.12.44, 22.01. u. 16.03.45, AN FlcIII 1220. " Ygl. dazu mit entsprechenden Quellenverweisen Kapitel B I 2b zur Deutschlandpolitik Bidaults. ,. Ygl. Discours prononce sur la tombe de Georges Clemenceau, 12.05.46, in: De Gaulle, DM I1, S.3f.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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dem Kriegsgegner und Besatzer die inneren Unwägbarkeiten über alle Maßen erhöht, der Erwartungshaltung und dem Selbstwertgefühl der Menschen einen weiteren herben Schlag versetzt, die diplomatische Ausgangslage wesentlich beeinträchtigt und insofern gewiß keine angemessene gesamtpolitische Alternative dargestellt. 40 Mittel- und langfristig allerdings verstärkte ein solcher Diskurs die antideutschen Züge der öffentlichen Meinung, verschärfte damit den durch die fortdauernden Kriegsanstrengungen ohnehin schon beträchtlichen Erwartungsdruck, den es irgendwann für jedermann sichtbar mit etwas materiell "Vorzeigbarem" einzulösen galt und der ein noch so geringfügiges offizielles Abweichen von der kompromißlosmaximalistischen Linie zu einem regimegefährdenden Drahtseilakt erwachsen ließ.

Spannungs/eid ökonomischer und moralischer Wiederaufrichtung. Die de Gaullesche Prämisse einer moralischen Wiederaufrichtung des französischen Volkes war kein philanthropisches Anliegen. Angesichts der offensichtlichen Wechselwirkungen von wirtschaftlicher und moralischer Erneuerung der Nation, von verbesserter materieller Lage und erhöhtem Selbstwertgefühl, von gesteigertem Selbstbewußtsein und potenzierter Arbeitsmotivation, beruhte sie vielmehr auf der Wahrnehmung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Interessen und bildete nicht zuletzt einen integralen Bestandteil seiner eigenen Überlebensstrategie als überparteiliche politikbestimmende Integrationsfigur. Allerdings wiesen die drei skizzierten Wege durchweg erhebliche inhärente Widersprüche auf, da die kurzfristig praktisch alternativlosen Verhaltensmuster unausbleiblich mittel- und langfristig negative Rückwirkungen nach sich ziehen mußten. Sie offenbarten damit Sachzwänge, die ein wirklich kohärentes Vorgehen de Gaulles und seiner Nachfolger in keinem sensiblen Politikbereich wirklich ermöglichten. Nachkriegssituationen, erst recht die Situation in Frankreich 1944/45, sind keine Modelle rationaler Entscheidungsfindung, erfordern Optionen zwischen dem Erträglichen und dem Unmöglichen, wie es das Eingangszitat von Louis Joxe treffend zum Ausdruck bringt. Gerade deutschlandpolitisch förderten die drei geschilderten "Selbstvertrauenspender" einen Zielkonflikt zutage, nämlich den zwischen moralischen und ökonomischen Wiederaufbauprioritäten. Er betraf nicht nur die Fortsetzung der Kriegsanstrengungen während der "drole de paix",41 sondern ebenso die Handlungsgrundlagen nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen .

.., Vgl. Hüser, Frankreich, Deutschland und die französische Öffentlichkeit, z.B. S.39. (1 Oe Gaulle war dieser Zielkonflikt voll und ganz bewußt. Die speziell für ihn vom Generalsekretariat des Produktionsministeriums erstellten Wochenberichte machten ihn mehrfach auf die durch Kriegsbediirfnisse fehlenden Wiederaulbauressourcen aufmerksam; vgl. z.B. Note sur la situation de !'industrie fran~aise, 06.12.44, AN F12 10111. Er hielt jedoch wie die gesamte Pariser Führungsriege eine Beteiligung an allüerten Kriegsanstrengungen langfristig in moralischer und ökonomischer Rekonstruktionsperspektive für eine absolute Notwendigkeit.

13 Hüser

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A. Rahmenbedingungen

d) Frankreichprioritäten und Deutschlandprämissen: offIZielle Kongruenz und inoffIZielles Widerspruchspotential? "Tous les grands hommes politiques ont un trait commun; ils presentent selon leurs interlocuteurs des facettes souvent fort differentes et quelquefois rneme contradictoires." 1

Angesichts materieller Notlagen und finanzwirtschaftlicher Ungewißheiten, sozialer Gärung und regimeimmanenter Sachzwänge, latenter Krisenverschärfungsrisiken sowie der GeHihrdung ökonomischer und moralischer Wiederaufrichtungsprioritäten im Hexagon scheinen Zweifel angebracht, ob für de Gaulle tatsächlich Olle sort de l'Allemagne est le probleme central de l'univers."2 Vielmehr gilt es seine Deutschlandansätze als abhängige Variablen der hochfliegenden Frankreichpläne zu betrachten, so daß die Prämissen ökonomischer und moralischer Wiederaufrichtung der Nation auf Motivationen und Ziele gegenüber dem östlichen Nachbarn zurückwirken mußten. Doch entstanden nicht bei gleichzeitiger Realisierung dieser Prämissen zwangsläufig deutschland- und besatzungspolitische Ungereimtheiten?

Deutschlandkonvergenzen durch Frankreichprämissen ? Vordergründig betrachtet, sah dies zunächst nicht so aus, schien es recht unkompliziert, ökonomische und moralische Wiederaufrichtung der Franzosen deutschlandpolitisch unter einen Hut zu bringen. Was die psychische Stärkung der Menschen anbelangte, so drängte es sich geradezu auf, Selbstachtung und Selbstbewußtsein gegen etwas aufzubauen, gegen ein Feindbild, gegen ein Deutschland, das doch durch Krieg und Besatzung für die Traumata seit Sommer 1940 entscheidend verantwortlich war. Was lag näher als ein knallharter antideutscher Revanchediskurs, der Ordnung und Stabilität nach innen sichern half und nahelegte, gleiches mit gleichem zu vergelten, um politisch endgültig und dauerhaft die Oberhand über den Kriegstreiber aus dem Osten zu gewinnen? Was Wiederaufbau und Modernisierung der Industrie anbelangte, so drängte es sich geradezu auf, das nationale Potential auf Kosten des Kriegsgegners zu erhöhen, der doch für die sozioökonomische Misere durch seine "occupation presse-citron" entscheidend verantwortlich war. Was lag näher als eine knallharte Ausbeutungspolitik ohne Rücksicht auf deutsche Bedürfnisse, der Rang und Größe nach außen suggerieren half und nahelegte, gleiches mit gleichem zu vergelten, um wirtschaftlich endgültig und dauerhaft die Oberhand über dem Kriegstreiber aus dem Osten zu gewinnen. Beide Aspekte verstärkten sich gegenseitig. Ein Rekonstruktionsprozeß, der sich primär auf deutsche Ressourcen, auf Reparationen und Restitutionen, auf Kohle und Arbeitskräfte stützte, mußte wiederum das Selbstwertgefühl steigern, dieses wiederum die Leistungsbereitschaft der Franzosen, die Wiederaufbauerfolge wiederum Selbstsicherheit und nationales Identitätsbewußtsein, etc. Eine solche Argumentation erschien auf Anhieb ebenso logisch wie widerspruchsfrei, zumal niemand innerhalb wie außerhalb des Hexagons eine konstrukti1 Zeitzeugenbeitrag von Jean-Marie 50utou, in: Rene Girault (Hg.), Pierre Mendes France et le röle de la France dans le monde, Grenoble 1991, 5.142. 2

Rede vor der Beratenden Versammlung, 22.11.44, in: Oe Gaulle, DM I, 5.480-491 (483).

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

191

vere Haltung Frankreichs gegenüber einem besiegten Deutschland erwartete, zumal sich eine rein destruktive Haltung de Gaulles wie selbstverständlich in die vorgeblichen politisch-militärischen Sozialisationsmuster sowie in das Deutschlandbild des Brigadegenerals einpaßte. Doch wirft nicht bereits das offenbar so stromlinienförmige gaullistische Deutschlandbild mehr Fragen auf, als es Antworten gibt, wird ihm doch im Grunde bis zum Ende der 40er Jahre, vielfach bis zum "Wunder von Colombey" im September 1958, jegliche Wandlungsfähigkeit abgesprochen? Kontinuität eines ambivalenten Deutschlandbildes. In der Geschichtsschreibung findet sich dazu traditionell eine Kontinuitätskonstruktion, deren Eckpfeiler zwischenkriegszeitliche Publikationen de Gaulles, seine offIziellen deutschlandpolitischen Erklärungen als Präsident der Provisorischen Regierung und seine Reaktionen auf die Pariser Außen- und Deutschlandpolitik nach der Demission vom Januar 1946 darstellten. Dieser Interpretationslinie folgend bewies die massive Kritik an den Londoner Empfehlungen vom l.Juni 1948 die deutschlandfeindliche Einstellung zwischen 1944 und 1946/ reihte sich nahtlos ein in die schon immer vorherrschende antideutsche Gesinnung, wie sie sich aus Thesen zum ständigen, geradezu zwangsläufigen Aufeinanderprallen von "Germanen" und "Galliern" aufgrund des unterschiedlichen Nationalcharakters ergaben, die de Gaulle der klassischen Erbfeindschaftsideologie der nationalistischen Rechten Frankreichs in den 20er Jahren entlehnt hatte. Eine solche Sichtweise gerät jedoch in arge Erklärungsnöte angesichts erster Wiederaufbau- und Zusarnmenarbeitsformeln während de Gaulles Inspektionstour durch die französische Besatzungszone Anfang Oktober 1945, angesichts öffentlicher verständnisvoller und auf Kooperation bedachter Anmerkungen gegenüber Westdeutschland bzw. der Bundesrepublik seit dem Frühjahr 1949, erst recht angesichts seiner aktiven Aussöhnungspolitik seit 1958. Die Retrospektivinterpretation basiert vor allem auf einer methodisch fragwürdigen begrifflichen Vermischung von Kontinuität und Identität politischen Vorgehens, "comme si une politique continue etait une politique toujours semblable. "4 Sie beruht auf der Fehlannahme eines nicht wandlungsfähigen Deutschlandbildes und der mangelnden Berücksichtigung wechselnder innenpolitischer Kontexte als Grundlage jeweils unterschiedlicher Motivationen für vordergründig ähnliche Äußerungen in der Öffentlichkeit. Konkret verkennt die Interpretation innenpolitisch einerseits für die Zeit des "gaullisme de gouvernement" sämtliche Faktoren, die es im Nachkriegsfrankreich unmöglich machten, konstruktive Komponenten öffentlich zu vertreten. Andererseits übersieht sie für die Phase des beginnenden "traversee du desert" den verzweifelten Versuch de Gaulles, nach dem offensichtlichen Scheitern seiner mittelmäßigen Rücktrittstaktik durch die Gründung des RPF im April 1947 als Führer einer Massenpartei an die Macht zurückzukehren. Dieser Zweck heiligte offenbar alle Mittel bis hin zu einer "politique du pire",s einem Frontalangriff gegen 3 Vgl. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S.192; Willis, The French in Germany, S.56ff. • In dieser Weise äußerte sich de Gaulle laut Andre Malraux selbst zum Problem von Kontinuität und Diskontinuität seiner Politik, vgl. Andre Malraux, Les ebenes qu'on abal, Paris 1971, S.202. , V gl. Jean Charlot, Le gaullisme, Paris 1970, S.25.

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A. Rahmenbedingungen

das Regierungssystem der IV.Republik bzw. gegen die Politik ihrer Aushängeschilder in sämtlichen Bereichen. Sie schloß nicht zuletzt eine Deutschlandpolitik ein, die sich zwar faktisch seit seinem Abtritt kaum gewandelt hatte, deren Anprangerung jedoch vermehrte Anhängerschaft und erhöhte Wählergunst versprach. Parallel zum Abschwächen des enormen Anfangselans der gaullistischen Bewegung kam es zu durchaus konzilianteren deutschlandpolitischen Auftritten de GaulIes in der französischen Öffentlichkeit.6 Schon zuvor, auf dem Höhepunkt der de GaulIeschen Kampagne gegen die Londoner Empfehlungen, entbehrte es nicht einer gewissen Mehrdeutigkeit, daß ein Gaullist der allerersten Stunde wie Jacques SousteIle, Generalsekretär des RPF, ein vehementes Plädoyer für eine westeuropäische Föderation unter Einschluß der westdeutschen Staaten in einer international angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift publizierte, 7 oder daß andere enge de GauBe-Mitarbeiter wie Rene Capitant, Jacques Chaban-Delmas, Raymond Triboulet oder Louis Terrenoire die europäische Karte spielten, indem sie sich der interfraktionellen Gruppe europäischer Föderalisten in der französischen Nationalversammlung anschlossen. 8 Unter der oberflächlichen vorgeblichen Kontinuität deutschlandpolitischer Maximalpositionen de Gaulles zwischen 1944 und 1948 trat eine profundere tatsächliche Kontinuität hervor, eine durchaus ambivalente Kontinuität mit geringer Aussagekraft für die praktische Politik. Diese läßt sich vielleicht schon im Schwanken zwischen Furcht und Bewunderung, Haß und Respekt während der Zwischenkriegszeit geistesgeschichtlich festrnachen/ danach selbst während der Kriegszeit, in der seine Urteile bei aller Verdammung nationalsozialistischer Grausamkeiten "une certaine moderation" aufwiesen, Hitler nicht mit den Deutschen gleichsetzten,10 schließlich sogar während der Jahre zwischen 1958 und 1969, in denen Ambivalenzen und Mißverständnisse bei allen allgemeinen Aussöhnungs- und Freundschaftsbeteuerungen Bestandteil des deutsch-französischen Tagesgeschäfts bleiben sollten. ll Die konkreten Ausformungen dieses Deutschlandbildes, eher Hinweis auf wechselnde Strategien als Ausdruck fundamentaler Veränderungen in der Einschätzung des Nachbarlandes,12 konnten zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedlich sein. ·Vgl. zB. die Pressekonferenzen vom 29.03.49 bzw. vom 14.11.49, in: De GauBe, DM 11, S.267-281 (276) bzw. S.319-332 (327f.) sowie die Rede in Bordeaux vom 25.09.49, ebd., S.304-31O (309f.). 7 Vgl. Jacques SousteIle, France, Europe and peace, in: Foreign Affairs 26 (1948) S.497-504 (499502). • Vgl. Weisenfeld, Welches Deutschland soll es sein, S.39; ähnlich Jean-Paul Brunet, Le RPF et l'id6e de puissance nationale 1947-1948, in: Girault I Frank (Hg.), La puissance fran""ise, S.362-384 (365). Zur Rolle der gennanten Politiker im damaligen Oppositionsgaullismus vgl. Viansson-Ponte, Les gauBistes, S.81ff., 87-92, 178-183, 184 u. 186. ·Vgl. Charles Bloch, De Gaulle et I'Allemagne, in: Eli Barnavi I Saul Friedländer (Hg.), La politique etrangere du general de GauBe, Paris 1985, S.112-136 (112ff.); Peter Schunck, De GauBe und seine deutschen Nadlbarn bis 2lII" Begegnung mit Adenauer, in: Loth I Picht (Hg.), De GauBe, Deutschland und Europa, S.21-43 (23-26). 10 V gl. dazu die aufschlußreiche Episode, die Andre Philip rückblickend aus seiner Zeit im Londoner Widerstand über de GauBe berichtet, Andre Philip, Par lui-meme Oll les voies de la liberte, Paris 1971, S.25Of.; in diesem Sinne MaiBard, De Gaulle et I'Allernagne, S.78-82 u. 100. 11 Vgl. z.B. Grosser, Affaires exterieures, S.182-187. 12

V gl. Ory, De GauBe, S.33.

Ill. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

193

Sie waren aber zu jedem Zeitpunkt vielschichtig, bei Befreiung und Kriegsende jedenfalls allemal komplexer, als die öffentlichen Verlautbarungen dies zum Ausdruck brachten und lassen bereits gewisse Vorstellungen von einer langfristig für Frankreich notwendigen und vor allem sicherheits-, welt- und wirtschaftspolitisch nutzbringenden Zusammenarbeit ahnen. 13 Dies schloß freilich dreierlei nicht aus: zunächst eine kurzfristige, angesichts nationalsozialistischer Ausbeutungspolitik im Hexagon für legitim erachtete materielle Inanspruchnahme deutscher Ressourcen zur Regeneration und Rekonstruktion Frankreichs; dann eine deutschlandpolitische Verhandlungstaktik gegenüber den "Großen Drei", die sich an allseits erwarteten Maximalforderungen orientierte und trotz de Gaulles wirtschaftlicher Sensibilisierung primär auf politische, nicht ökonomische Argumentationsmuster setzte; schließlich eine noch näher zu beleuchtende, offene, entwicklungsfähige Deutschlandkonzeption aus sowohl eher kreativen als auch eher destruktiven Elementen. 14

DeutschlanLidivergenz durch Frankreichprämissen. Damit erweist sich nicht nur das gaullistische Deutschlandbild als wenig eindeutig und nicht rein negativ. Auch für die deutschlandpolitische Konvergenz wirtschaftlicher und moralischer Wiederaufrichtungsprämissen der Nation bleiben bei genauerer Begutachtung vielerlei Fragen unbeantwortet. Zwar ließ sich in der Tat moralische Stärkung der Franzosen nicht zuletzt durch germanophobe Rhetorik erreichen, nach der fortgesetzten Kriegsanstrengung während der "drole de paix" nicht zuletzt durch greifbare deutschlandpolitische Erfolge, doch galt dies in gleicher Weise für wirtschaftliche Stärkung durch radikale Ausbeutungspolitik in Deutschland? Gab es nicht Erfahrungen der ersten Nachweltkriegszeit, die darauf hindeuteten, daß sich dauerhafte Sicherheit nicht auf den mentalen Trümmern eines beim Verlierer als Karthagofrieden empfundenen Friedensschlusses gründen ließ? Gab es nicht die in die Kriegsniederlage mündenden 30er Jahre, die nicht zuletzt de Gaulle eher als Phase politischen, sozioökonomischen und moralischen Verfalls der Nation wahrnahm denn als unaufhaltsamen Aufstieg des Nationalsozialismus? Gab es nicht innerhalb der de Gaulleschen Modernisierungsprioritäten Aspekte, die wie beispielsweise die Abkehr von Autarkie und Malthusianismus durch sukzessive Marktöffnung und erhöhten Konkurrenzdruck französischer Industrie nicht nur gegen einen Rekonstruktionsprozeß sprachen, der sich primär aus der dauerhaften Nutzung deutscher Potentiale speiste, sondern auch gegen eine vor sich hindümpelnde unproduktive deutsche Wirtschaft? Gab es nicht darüberhinaus die Sorge, ein agrarisiertes Deutschland und ein damit entstehendes völliges Machtvakuum in Mitteleuropa könne ein gefundenes Fressen 13 Vgl. Renata Fritsch-Bournazel, Die Wende in der französischen Nachkriegspolitik 1945-1949: die "deutsche Gefahr" verliert an Priorität, in: Die französische Deutschlandpolitik, S.7-25 (14); noch dezidierter der Diskussionsbeitrag von Rene ChevaI, ebd., S.45; weitere Hinweise bei Debrc~, Memoires, Bd2, S.72f. u. 78; DeP In diesem Sinne Annie Lacroix-Riz, La perception fran~se de la politique americaine en Europe de 1945 a 1948, in: CHIRM n025 (1986) S.119-154 oder Yves Durand, Naissance de la guerre froide 1944-1949, Paris 1984, S.13Off.; dagegen etwa Bloch-LainetBouvier, La France restauree, S.124. I'

19

m. Franlcreichprioritäten der Deutschlandakteure

207

die allmähliche Integration einer in Westeuropa bald wirtschaftlich dominierenden französischen Nation in den Weltmarkt. Die Stellungnahmen deutschlandpolitischer Nachkriegsentscheidungsträger, was die Rolle Frankreichs im künftigen Welthandel anbelangte, wiesen seit Sommer 1943, teilweise seit früheren Zeitpunkten,26 erstaunlich konstante Argumentationslinien auf. Ausgehend von Erfahrungen und Perzeptionen der vergangenen beiden Jahrzehnte erschien ihnen eine möglichst rasche Abkehr von Protektionismus und Autarkiepolitik als ein wesentliches Element der Modernisierung französischer Wirtschaftsstrukturen und -mentalitäten, sobald das Land eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt haue. 27 Für die Analyse französischer Deutschlandpolitik birgt ein solch breites Einvernehmen erhebliche Sprengkraft, untergräbt es doch entscheidend die klassische Interpretation vom Anhängsel amerikanischer Deutschiand- und Westeuropapolitik spätestens seit dem Blum-Byrnes-Abkommen vom Mai 1946.28 Konnte denn handelspolitischer Druck Frankreich auf die deutschlandpolitische Linie der Vereinigten Staaten zwingen, wenn man ohnehin in Paris grundsätzlich - gewiß nicht immer im Detail - mit dem, was diesen Druck inhaltlich ausmachte, konform ging?

d) Frankreich und amerikanische Finanzspritzen: rasche oder gebremste Modernisierung? "Desbesoins [de capital] seront enormes, et nous avons le plus grand interet ales satisfaire, puisque le relevement du pays depend de la rapidite de la reconstruction de l'outillage. ,,'

Ein breiter Konsens herrschte nicht nur darüber vor, daß der Wiederaufbau zuallererst auf der Mobilisierung sämtlicher innerfranzösischer Energien beruhen müsse, sondern ebenso über die Tatsache, daß neben möglichen Reparations- und Restitutionsleistungen aus dem besiegten Deutschland vor allem Finanzierungshilfen und Kredite für den Import industrieller Güter als Katalysator des Rekonstruktionsprozesses wirken konnten. Als potentieller Geldgeber kamen nur die Vereinigten Staaten in Frage, und auch wenn eine der vier Schlußresolutionen der Konferenz in Hot Springs, die "prets a long terme par les pays riches aux pays insuffisarnment 26 Vgl. die vier Directives de la Sous-commission sociale a la Comrnission pour l'etude des problemes d'3{Ies-guerre d'crdre eoonomique, financiere et sociale, 31.03.42, AMAE GU (1939/45) 172, von denen die erste lautete: "L'organisation economique doit etre internationale." TI Dies auch die Einschätzung von Young, France, the Cold War and the Western Alliance, S.10 und Gerard Bossuat, La modernisation de la France 1945-1949: une affaire europ6enne? in: Fridenson / Strauss (Hg.), Le capitalisme fran~ais, S.307-325 (308). Eine Verbindungslinie von den freihändlerischen Haltungen der Wirtschafts- und Finanzexperten der "Freien Franzosen" zur französischen Europapolitik nach Kriegsende zieht Bonin, Histoire economique de la IVe Republique, S.19OO. 21 So dezidiert Annie Lacroix-Riz, Negociations et signature des accords Blum-Byrnes (Octobre 1945Mai 1946) d'apres les archives du Ministere des affaires etrangeres, in: RHMC 31 (1984) S.418-447. 'BriefPierre Denis an Mendes France a.s. politique monetaire, 13.03.44, SAEF B 33002.

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A. Rahmenbedingungen

outilles pour leur pennettre d'ameliorer leurs methodes agricoles et creer des industries secondaires"2 lautete, dies nicht explizit zum Ausdruck brachte, so gab es dennoch daran keinerlei Zweifel.

Konsens über Kredite als Katalysator. Das frühe Einvernehmen über den Nutzen amerikanischer Finanzspritzen oder Direktimporte schlug wiederum Brücken über unterschiedliche wirtschaftspolitische Ansätze und verschiedene geographische Ausrichtungen, von eher liberalen zu eher sozialistisch vorgeprägten, von eher amerikanophilen zu eher anglophilen Persönlichkeiten: Problemdruck, in diesem Fall "le caractere aigu de notre situation en dollars," wie Mayer und Mendes France an Monnet in Washington telegraphierten/ schien zu verbinden. Blieben demnach Unstimmigkeiten über die prinzipielle Notwendigkeit amerikanischer Kredite aus, so galt dies nicht für die Frage, wie man diese denn am besten "einheimsen" könne. Mit unterschwelliger Kritik an de GaulIes Taktik der kalkulierten Provokation gegenüber dem Amerika Roosevelts bemerkte Rene Massigli im Oktober 1943, "puisque le concours americain ... sera indispensable anotre relevement, c'est pour nous un devoir de creer des maintenant les conditions les plus propres a nous le menager: la tradition de l'arnitü: americaine doit etre soigneusement maintenue."4 Von dieser, de GaulIes verhandlungstaktischen Prämissen diametral entgegenlaufenden Haltung läßt sich eine direkte Linie ziehen zu Massiglis Vorbehalten gegenüber dem Kalkül offizieller deutschlandpolitischer Maximalpositionen im diplomatischen Verkehr, die seit Anfang 1946 mehr und mehr zutage traten. Ähnliche Wurzeln hatte der Vorwurf Couve de Murvilles an die Adresse von Jean Monnet, dieser verhandle mit den Vereinigten Staaten aus einer Position der Schwäche heraus, gerade weil er über so gute Kontakte verfüge und deshalb keinen einträglichen Konfrontationskurs steuern könne. 5 An der Zweckdienlichkeit amerikanischer Hilfsleistungen an sich zweifelte er ebensowenig wie seine Kollegen. Bei Befreiung und Kriegsende schloß der Konsens die gesamte "classe politique" ein. Neben den zitierten Massigli und Couve de Murville war im Quai d'Orsay auch Herve Alphand von negativen politischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen überzeugt, die ein Ausbleiben amerikanischer Hilfsleistungen nach sich ziehen würde. 6 Außen minister Bidault selbst machte das "il nous faut obtenir des crooits"7 zu einer seiner wichtigsten Leitlinien und bildete nach de GaulIes Rücktritt die tragende Säule einer Außen- und Deutschlandpolitik, der es gerade auch darum ging, möglichst viele finanzökonomische Vorteile für Frankreich aus den diplomatischen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten herauszuschlagen. 8 Im Wirt2 Die Resolutionen, die im übrigen die französische Delegation mit Alphand, Maljolin und Valensi vorgeschlagen hatte, finden sich in einem Konferenzbericht von Ende Mai 1943, SAEF B 33000. 3 Vgl. Telegramm Mayer u. Mendes France an Monnet, 21.03.44, SAEF B 33002.

• Vgl. Note du Commissaire aux affaires etrangeres, 23.10.43, AN 364 AP 3. 'Vgl. Rappcrt a.s. La position de I'Amerique a l'egard de certains problemes fran~is, 20.02.45, zit. bei Mioche, L'invention du Plan Monnet, S.24. 'Vgl. Alphand im Comite economique tripartite, Reunion du 16 fevrier 1945, SAEF B 33014. 7 Vgl. Audition de M. Georges Bidault, SAAN ComEco.Nat. 27.03.46.

Ill. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

209

schafts- und Finanzministerium wies Pleven immer wieder auf" de tres gros besoins de devises" hin sowie auf eine finanzielle Lage, die trotz der Steigerung der "production interieure" zur Umgehung massiver Importe momentan nur durch amerikanisches Entgegenkommen zu verbessern sei. 9 Der Mendes France-Vertraute Gabriel Ardant mahnte, daß sich nur mit US-Krediten ein rascher Wiederaufbau gewährleisten ließe und "a defaut d'une reconstruction et d'un reequipement assez rapide, la France demeurera un pays pauvre." 10 Angesichts der geplanten Kreditverhandlungen Uon Blums in Washington unterbreitete er seinem neuen Minister Andre Philip detaillierte Empfehlungen für die einträglichste Vorgehensweise des sozialistischen Ambassadeur extraordinaire. ll Georges Boris hielt eine Verbesserung der finanziellen Situation Frankreichs nur durch eine Reduzierung des Budgetdefizits sowie durch Auslandskredite für möglich. 12 Gaston Cusin stimmte ein, daß "un redressement rapide ne pourrait etre obtenu que par des moyens exceptionnels de transports et des crooits internationaux qui permettraient de larges importations."13 Der Konsens umschloß den Generalstab,14 darüberhinaus die drei Regierungsparteien, nicht nur Bidaults Christdemokraten, sondern auch die Sozialisten lS und selbst zunächst noch die Kommunistische Partei, deren Abgeordnete sich Ende Dezember 1945 im Finanzausschuß der Nationalversammlung ebenso jeglicher antiamerikanischer Kommentare zu den Bretton Woods-Vereinbarungen enthielten wie deren Parteizeitung noch Ende Mai 1946 anläßlich des Blum-Bymes-Abkommens. 16 Die PCFKritik an der Regierungspolitik richtete sich noch nicht gegen den Abschluß von Krediten mit den Vereinigten Staaten, sondern gegen die Deutschlandpolitik, der es nicht gelang, Ruhrkohle in solchen Mengen für Frankreich verfügbar zu machen, daß sie auf amerikanische Finanzhilfen, nicht zuletzt für den Import von Kohle, weniger angewiesen war. 17

Altemativlosigkeit. Die Frage nach alternativen Strategien finanzökonomischer Wiederaufrichtung der Nation erübrigte sich für die gesamte Palette französischer Politiker und Verwaltungsspitzen der Zeit, da das Ausmaß der Sachzwänge, mit denen sich die Akteure bei Befreiung und Kriegsende konfrontiert sahen, wie auch • Vgl. symptomatisch die Ausführungen Bidaults vor dem MRP-Exekutivausschuß am Tag des de Gau1Ieschen Rücktritts; Reunion de la Commission executive, tenue au Quai d'Orsay le 20 Janvier 1946, AN 350 AP 45, abgedruckt bei Teitgen, Faites entrer le temoin suivant, S.565-575. • Vgl. z.B. Audition de M. Pleven, SAAN Com.Fin. 06.12.45. 10 Vgl. Gabriel Ardant, Relation entre le developpernent des echanges franco-americaines et le relevement economique de la France, o.D., Ende 1945, SAEF 5 A 182. 11 Vgl. Gabriel Ardant, Negociations eronomiques avec les Etats-Unis, 01.01.46, SAEF 5 A 182. 12

V gl. Brief Boris an Blum, 25.01.46, IPMF DPMF 46.

Vgl. Note sur la situation et la conjoncture economiques, Januar 1946, SAEF 5 A 12. Vgl. z.B. den Artikel "La vie eronomique de la Franre", in: Bulletin de renseignement de la detense nationale n °8 vom 25.03.45, hg. v. EMGDN, 4e Section, AN F60 995. 1S Vgl. die Hinweise von Christian Pineau, Andre Philip bzw. Salomon Grumbach in den SFlOVorstandssitzungen vom 16.11.45,09.01. bzw. 26.03.46, OURS SFlO Com.dir. 2 (1945/46). 16 Vgl. Audition de M. Pleven, SAAN ComFin. 23.12.45 sowie L'Humanit6, 29.12. bis 01.06.46. 13

14

17 Vgl. Pierre Delon, II nous faut le charbon de la Ruhr, in: L'Humanite, 01.12.45 oder von Georges Cogniot, Le probleme de la Ruhr et ses solutions "sensees" et "insensees", in: ebd., 22.12.45.

210

A. Rahrnenbedingungen

die Perzeption französischer Interessen auf lange Sicht für sie deckungsgleiche Lösungen und eindeutige Optionen präjudizierten. Es galt sämtliche produktiven Kräfte der Nation auf die Modernisierungsprämisse hin zu orientieren und zusätzliche Ressourcen, die diese Zielperspektive abzustützen vermochten, so weit wie möglich zu nutzen. Für die Betrachtung der amerikanisch-französischen Deutschlandverhandlungen provoziert der breite Konsens der Pariser Führung über die Bedeutung amerikanischer finanzieller Unterstützung für eine innenpolitisch geradezu unabdingbare, möglichst schnelle Aufwärtsentwicklung von Industrie, Wirtschaft und Handel regelrecht die Frage nach Stellenwert und Realitätsgehalt von Maximalpositionen und Utopievorstellungen bzw. deren Aufrechterhaltung bis weit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem selbst der letzte französische Diplomat die Durchsetzungschancen als gegen Null tendierend eingeschätzt haben muß. Neben den Erfordernissen solcher Maximalismen zur Befriedigung und Befriedung im Innern deuten sich zunehmend die Nutzungschancen nach außen an. Das Primat der Innenpolitik bedingte eine konsequente Außen- und Deutschlandpolitik.

Zwischenbilanz: wirtschaftlicher Wiederaujrichtungs- und Modernisierungs-

konsens. An der Existenz eines umfassenden Konsenses innerhalb der neuen politi-

schen Führungsriege über ein Primat der Innenpolitik, über die Priorität einer ökonomischen Wiederaufrichtung der Nation bei Befreiung und Kriegsende kann kein Zweifel bestehen. Bei allen Einschätzungsunterschieden über konkrete Vorgehensweisen in Einzelfragen, bei allen Differenzen über Planification-Konzepte oder Austeritätsprogramrne bleibt im Kontext von Außen- und Deutschlandpolitik das allgemeine Einvernehmen zum kategorischen Imperativ französischer Modernisierung maßgeblich, einer Modernisierung als neuem nationalen Mythos, dessen Endzweck nicht wirtschaftlich, sondern eminent politisch-strategisch war. Nur Modernisierung, nur ein Frankreich als gewichtige Industrienation versprach langfristig Anerkennung, Einflußreichtum, Größe, Rang und damit auch Sicherheit. 18 Doch nicht nur über das Ziel als solches herrschte Übereinstimmung, sondern ebenfalls über wesentliche Mittel, die Frankreich auf diesen Weg bringen konnten. Dazu zählte in erster Linie der Ansatz, sich weniger auf andere und mehr auf sich selbst zu verlassen, durch Strukturreformen und "Produktionskampf' , durch Amerikanisierung von Wirtschaftsweise und -denken, durch Weltmarktorientierung und Nutzung des Konkurrenzdrucks als Vehikel innerfranzösischer Transformationsprozesse. 19 Dazu zählte auch der Rekurs auf zusätzliche Quellen, besonders Finanzhilfen aus den Vereinigten Staaten sowie deutsche Reparationsleistungen. Die Betrachtung der Modernisierungsansätze in London und Algier vermittelt keinerlei Euphorie, sondern vielmehr einen - für Kriegsendphasen von Siegerstaaten " Zur Anwendung politisch-strategischer Kategorien und Denkschemata auf Wirtschaftsleben und Wirtschaftsstil Frankreichs vgl. Ammon, Der französische Wirtschaftsstil, S.116-123. 19 Das Ziel industrieller WeUbewerbsfähigkeit stand nicht erst dem Montanunionprojekts - vgl. Matthias Kipping, Les töles avant les casseroles. La competitivite de I'industrie franyaise et les origines de la constructioneuropeenne, in: Entreprises et Histoire n05 (1994) S.73-93 - im Mai 1950 Pate, sondern galt seit 1943/44 vielen Nad!kriegsakteuren als entscheidende Voraussetzung künftiger Größe und Sicherheit

In. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

211

geradezu untypischen - Realitätssinn und ein ausgesprochenes Gespür für Grenzen der Machbarkeit, die offenbar Exilsituation und Durchsetzungskampf der "Freien Franzosen" widerspiegeln, daneben Lehren aus der Ersten Nachweltkriegszeit und den 30er Jahren sowie Wahrnehmungen der eigenen aktuellen Schwäche. Als Zielperspektive erscheint ein prosperierendes Europa mit politischer Führungsrolle eines prosperierenden Frankreich. Bedurfte es womöglich eines damiederliegenden Deutschlands gar nicht, vorausgesetzt es prosperierte dauerhaft weniger als Frankreich selbst? Doch hätte eine weniger rigide deutschlandpolitische Haltung in diesem Bereich nicht andererseits das zweite, mit Wiederaufbau und Modernisierung eng verflochtene Primat desavouiert, die moralische Wiederaufrichtung der Franzosen?

3. Moralischer Wiederaufrichtungskonsens: Primat der Innenpolitik? Das Frankreichprimat möglichst rascher wirtschaftlicher Erneuerung als Vorbedingung künftiger Geltung und Autorität auf der internationalen Nachkriegsbühne entsprach den Vorstellungen der gesamten "classe politique". Wie verhielt es sich aber mit der Prämisse einer moralischen Wiederaufrichtung der Nation? Bildeten nicht mentale Defizite der Franzosen, Apathie und Lethargie, enttäuschte Hoffnungen und subjektive Perspektivlosigkeit einen fruchtbaren Nährboden für neue Heilsideologien und Sozialkonflikte, ein beträchtliches Risiko für die Durchsetzung des staatlichen Machtrnonopols im Hexagon sowie für die Stabilisierung des aufzubauenden politischen Systems, eine ausgesprochene Gefahr für die wirtschaftliche Wiederbelebung? Waren somit moralische Wiederaufbauprämissen nicht zwingende Ergänzungen zum wirtschaftlichen Prioritätenkatalog, aber eben auch potentielle Widerspruchsquellen zu diesem, erst recht in deutschlandpolitischer Hinsicht?

a) Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl der Franzosen: geseUschatlliche Stabilisierung zu Innerem wie äußerem Nutzen? "11 reste que nous etions conscients que, queUe que rot I'imperieuse necessite de faire un effort d'investissement massif, qu'une amelioration lente et graduelle des conditions d'existence d'un peuple qui avait tant souffert s'imposait si I'on voulait eviter des tensions vives, qui pourraient mettre en danger I'oeuvre d'ensemble.'"

Die Frage nach den Belastbarkeitsgrenzen der durch Krieg und Besatzung moralisch angeschlagenen Franzosen, die es nicht zu überschreiten galt, beschäftigte künftige deutschlandpolitische Entscheidungsträger in London und Algier durchgängig seit dem Frühjahr 1942, Damals ging es in der Cornrnission pour l'etude des problemes d'apres-guerre in Anwesenheit von Herve Alphand, Georges Boris, , Marjolin, Le travail d'une vie, S.165f.

212

A. Rahrnenbedingungen

Robert Marjolin, Pierre Maisonneuve und anderen ersunals um die Möglichkeit momentaner Opfer der Arbeiterschaft zugunsten eines beschleunigten Rekonstruktionsprozesses im Nachkriegsfrankreich. 2 Es bedurfte kaum der düsteren Stimmungsbilder der Commissaires de la Republique aus den einzelnen Departements während der "drole de paix", deren vehementer Kritik an fehlendem "sens civique", "sens moral", "sens profond de la responsabilite individuelle", "gout de la liberte" und "gout du travail" sowie "trop d'egolsme, trop d'apathie, trop de desinteressement de la chose publique,"3 um die neue Pariser Führungsriege aufzuklären, wie es um den Seelenzustand der Nation bestellt war und welche Konsequenzen mangelndes Fingerspitzengefühl in sensiblen Politikfeldern haben konnte. 4

Gewicht moralischer Wiederaujrichtungsprämissen. In den verschiedensten innen- wie außenpolitischen Zusammenhängen lassen sich vielfältigste Hinweise auf das Gewicht moralischer Wiederaufbau prämissen finden. Als Kontrapunkte zur Wahrnehmung innerfranzösischer Bürgerkriege während der letzten beiden Jahrzehnte spielten dabei die Schlüsselbegriffe "union" und "rassemblement" eine entscheidende Rolle. Sie waren eingebettet in den bei de Gaulle ständig wiederkehrenden Argumentationsstrang, nur der Zusammenhalt und die Sammlung aller Franzosen über politisch-ideologische und soziale Differenzen hinweg erlaube die Überwindung der gravierenden Engpässe und Zwangslagen. Ganz in diesem Sinne empfand beispielsweise Rene Pleven die Einheit der Nation und die Solidarität aller Widerstandstendenzen gegenüber der Provisorischen Regierung als "un facteur qui, pour un ministre des finances, vaut des centaines de milliards."s Vielfach zielten künftige Deutschlandakteure noch im Widerstand auf die große Bedeutung außenpolitischer Erfolge für eine gemeinsame französische "Nachkriegsfront" im Innern ab. So würdigte etwa Maurice Dejean gegenüber Rene Massigli das de GaulIesche diplomatische Auftreten ohne jeglichen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den "Großen Drei" nicht zuletzt in Anbetracht des Wunsches "de rassembier tous les Fran~ais aquelques exceptions pres pour le grand redressement national."6 Georges Boris warnte angesichts der amerikanischen Vorstellungen, der deutschen Besetzung Frankreichs eine alliierte folgen zu lassen, mit allem Nachdruck, daß "les Fran~ais n'oublieraient et ne pardonneraient jamais, si on les soumettait aun regime ressemblant meme de loin a celui de l'Italie dite liberee" und hob eindringlich hervor, daß "le moral de la population fran~aise, ses sentiments a l'egard des nations etrangeres, son attitude future sur !es grands problemes internationaux, sont en jeu."7 Der 2 VgI. Conunission pour I'etude des problemes d'apres-guerre, Premiere seance pleniere, Compte rendu, 31.03.42, AMAE GU (1939/45) 172. 3 RP Haute-Savoie 15.04.45, AN FlcIII 1226; RP Belfort 09.01.45, AN FlcIII 1210; RP Rhöne 16.03.45, AN FlcIII 1225.

4

V gl. ausführlicher Kapitel A I Id u. A I 2d.

, Discours de M. Rene Pleven aLimoges le 3 decembre 1944, SAEF 5 A 7. 6 Telegramm Dejean an Massigli, 08.08.44, AMAE GU (1939/45) 653.

1 Copie dune note adressee par M. Boris a M. d'Astier a.s. de la fixation du cours du franc metropolitain au moment de la liberation, 06.03.44, SAEF B 33002; vgl. auch Georges Boris, Servir la Republique, Textes et temoignages, Paris 1963, S.337-341.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

213

Konunissar für auswärtige Angelegenheiten selbst sah vor allem in der "intervention effective et victorieuse dans la bataille de la totalite des forces organisees par le CFlN" die große Chance, dessen internationale Autorität zu festigen und die "unification morale de la France liberee" zu gewährleisten. 8 Schon früh trat der einheits stiftende und selbstsicherheitfördernde Gehalt einer angemessenen militärischen Beteiligung an der Befreiung des eigenen Territoriums sowie vor allem an der Eroberung deutscher Gebiete fast gleichberechtigt neben die Tragweite, die man einem solchen alliierten Zugeständnis langfristig für internationale Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte Frankreichs über die Nachkriegsordnung beimaß. Es galt besonders, die Briten und Amerikaner von der moralischen Dimension und den damit verbundenen ordnungspolitisch stabilisierenden Rückwirkungen eines französischen Militärengagements zu überzeugen. Jede Aussage westalliierter Politgrößen, die dies befürworteten, wurde mit Befriedigung registriert. Dementsprechend freudig telegraphierte beispielsweise Pierre Vienot aus London, Churchill habe in einem Gespräch darauf hingewiesen "qu'il comprenait tout l'interet moral que la question presentait pour nous, en particulier vis-a-vis de la population parisienne."9 Die fortdauernden militärischen Anstrengungen über die Liberation hinaus besaßen in der Konzeption des äußeren Widerstandes nicht nur eine außen-, sondern auch eine innenpolitisch eminente Funktion. Realiter sollten sie aber am Anfang der sich in der Folgezeit verbreiternden Kluft zwischen Gesellschaft und Politik, zwischen Erwartungshaltungen und Erfüllungsmöglichkeiten im Innern stehen. Sie ließen den deutschlandpolitischen Druck seitens der Öffentlichkeit regelrecht ins Unermeßliche anwachsen, diese unfreiwillige zusätzliche Belastungsprobe schleunigst durch greif- und vorzeigbare Resultate im Sinne maximalistischer Forderungen kompensiert zu sehen. In den diplomatischen Gesprächen mit den Angelsachsen über Deutschlandfragen wie auch über Wirtschaftshilfen nach der Befreiung schimmerte seitens französischer Verhandlungsführer mehrfach durch, welches Gewicht sie der mentalen Stärkung der Franzosen beimaßen und in welchem Maße internationale Erfolge dazu beitrugen. lo Sie stellten dabei ganz bewußt einen engen Zusammenhang her zwischen moralischem Wiederaufrichtungsanspruch und der Retablierung von staatlichem Machtmonopol, zwischen innerfranzösischer Ordnung und Kanalisierung der kommunistischen Gefahr,l1 die den Amerikanern und Briten so am Herzen lagen. Doch argumentierten nicht nur die Diplomaten im Quai d'Orsay auf diese Weise. Selbst Lean Blum machte die Dialektik von psychologischer, also innenpolitischer Stabilisierung der Nation und amerikanischen Krediten zu einem Angelpunkt seiner Verhandlungstaktik in Washington zwischen März und Mai 1946. Er unterstrich, Vgl. Note sur les cIauses essentielles d'un arrnistice, 10.02.44, AMAE Y (1944/49) 278. Vgl. Telegramme Vienot an Massigli, 29.09. u. 27.12.43, AMAE GU (1939/45) 1488. 10 Vgl. z.B. die Äußerungen de GaulIes und Bidaults gegenüber Churchill in Anwesenheit von Massigli, Palewski und Chauvel, 11.11.44, AMAE PAAP 217/53. I

9

11 Vgl. Telegramm Joseph Grew, Unterstaatssekrtär im US-Außenministeriurn, an Byrnes über Gespräch zwischen Bidault und Caffery, 07.02.45, FRUS (Malta and YaIta) 1945, S.356f.

214

A. Rahmenbedingungen

daß Frankreich noch moralisch unter dem Desaster vom Sommer 1940 leide, sein Selbstvertrauen noch nicht zurückgefunden habe: "Les negociations produiront donc en France un choc psychologique aussi important que l'aide materielle. Elles aideront la France aretrouver la confiance en elle-meme et le sentiment de l'aide qui lui est fournie sera pour la France un sentiment de liberation morale."12 Für den gesamten Bearbeitungszeitraum finden sich fortwährend Hinweise auf die aus verschiedenen Gründen als unabdingbar angesehene moralische Wiederaufrichtung der Franzosen. Pleven beschloß seine Rede vor der Beratenden Versammlung mit dem Wunsch, "le moral et le patriotisme du pays" mögen ihm doch künftig den Rücken stärken, denn Frankreich sei ein Land, in dem "tout ... est une question de moral."13 Philip beschrieb in einem Brief an de GauBe als gewichtigstes Problem der Nation - wichtiger noch als der Hunger - den mangelnden Enthusiasmus und Tatendrang des französischen Volkes, das sich langweile und dem man unbedingt "une nouvelle foi" vermitteln müsse. 14 Mendes France konstatierte, weder die Vereinigten Staaten noch Großbritannien befänden sich "en presence de taches aussi immenses, aussi colossales en ce qui concerne son redressement moral, sa reconstruction interieure, son relevement diplomatique."15 Der Generalstab befand, nicht nur die materielle, sondern auch die moralische Stärke Frankreichs bilde eine unabdingbare Voraussetzung einer wirksamen Deutschlandpolitik. 16 Die Liste ließe sich durch zusätzliche Fingerzeige in der Memoirenliteratur oder der zeitgenössischen Presse verlängern.

Alte Traumata, neue Moral. Alles scheint darauf hinzudeuten, daß angesichts der Traumata der zurückliegenden Jahre von einem breiten Einvernehmen der Pariser "classe politique" über Sinn und Zweck einer Hebung von Moral und Selbstwertgefühl der Nation ausgegangen werden kann wie auch über den de GaulIeschen Ansatz, innere Ordnung und Stabilität bedürfe einer Gesellschaft, die an sich selbst glaubt, verantwortungsbewußt handelt, ohne Larmoyanz und unter Zurückstellung innerer Bürgerkriege die anstehenden Beschwernisse angeht. Doch welche Maßnahmen konnten in Anbetracht der in jederlei Hinsicht prekären Lage bei der Befreiung dazu substantielle Beiträge leisten? Geschichtsklitternde Rhetorik, außen- und deutschlandpolitische Erfolge schienen zwar notwendig, reichten freilich allein kaum aus, zumal jeder Fortschritt auf dem internationalen Parkett automatisch Erwartungen hochschnellen ließ und die Sachzwänge indirekt wieder erhöhte. Man kam nicht umhin, über andere, konkretere, für den einzelnen greifbarere Kompensationsmechanismen nachzudenken, die im Bereich materieller Bedürfnisbefriedigung der Franzosen lagen. Die Diskussionen, die seit 1942 im äußeren Widerstand zu Lohnerhöhungen und Nahrungsmittelrationen geführt wurden, stehen in diesem Zu12 U

Causerie Leon Blurn, 13.05.46, FNSP-AHC Papiers Leon Blum 4 BL 1 d.6. Discours programme de M. Pleven, 04.07.45, SAEF B 33.013.

"BriefPhilip an de Gaulle, 29.10.45, AN 72 Al 567. " Artikel im Courrier du Neubourg, 26.09.45, in: Mendes France, OC 11, S.155ff. 16 Ygl. EMDN, Iere et 4e Sections, Note d'orientation rel. au traite de paix a imposer a l'AJlemagne, 06.12.46, AMAE Y (1944/49) 356 bzw. AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2.

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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sammenhang. Sie erbringen einerseits weitere Nachweise für den breiten Konsens über moralische Wiederaufrichtungserfordernisse, dokumentieren aber andererseits das Bewußtsein, daß diese erhebliche Zielkonflikte mit den ökonomischen Rekonstruktions- und Modernisierungsprämissen aufwiesen und daß rationale Entscheidungsfindung für die frühe Nachkriegszeit eine Utopie bleiben mußte.

b) MaterieUe Kompensationsmechanismen: Modernisierung trotz oder wegen moraUscher Wiederaufrichtung? "Pour Georges Bidault, iI n'etait pas question d'une politique de rigueur dans l'immOOial 11 me le dit: 'J'ai besoin de six mois pour montrer aux Fran~s qu'un parti chretien peut etre un parti social. API'es, vous ferez ce que vous voudrez.'"

Wechselwirkungen moralischer und ökonomischer Wiederaufrichtung. Die moralische stand mit der ökonomischen Erneuerung der Nation in einem vielschichtigen Spannungsverhältnis.2 Materielle Anreize und verbesserte Lebensbedingungen förderten auf der einen Seite Kaufkraft und Selbstwertgefühl der Menschen, begünstigten Motivation und Leistungsbereitschaft im Produktionsprozeß, verringerten soziale Protesthaltungen und Streikwilligkeit, zeitigten also positive sozioökonomische und politische Wirkungen. Die dadurch entstehenden Kosten reduzierten aber auf der anderen Seite die Mittel für Investitionen und Importe, verringerten die Produktivität in Industrie und Landwirtschaft, zogen den Rekonstruktionsprozeß in die Länge, perpetuierten die Provisorien, wirkten aufgrund des erhöhten Geldumlaufs schwarzmarkterhaltend, inflationsfördernd und preis-lohn-spiralenanfachend. Sie erhöhten letztlich entgegen der ursprünglichen Absicht Unzufriedenheit, Selbstzweifel und Leistungsunwille, zogen negative sozioökomische Konsequenzen nach sich. Materielle Entschädigungen zugunsten moralischer Wiederaufrichtungsprioritäten, die theoretisch im Sinne nachfrageorientierter ökonomischer Modelle wirtschaftspolitisch stimulierend zu wirken vermochten, konnten demzufolge unter den spezifischen Bedingungen bei der Liberation rasch Bumerang-Effekte für Wirtschaft und Moral erzeugen. Doch ließ sich politisch auf sie verzichten? Zu Beginn der Diskussionen über die künftige Ernährungs-, Lohn- und Preispolitik gingen die Meinungen innerhalb der CFLN-Führung durchaus noch auseinander. Im Laufe der Zeit jedoch vereinheitlichten sich die Einschätzungen. Es entstand eine weitestgehende Einmütigkeit über die Unabdingbarkeit von psychologischen Rücksichtnahmen auf die Franzosen trotz der dadurch entstehenden Zusatzbelastungen für Wiederaufbau und Modernisierung. So plädierte Robert Marjolin im März 1942 für , So Pierre Mendes France, dem Bidault im Juni 1946 das Finanzministerium angetragen hatte, in einem Interview mit Georgette Elgey am 25.Juni 1963, zit. in: Elgey, IVe Republique, Bd.3.1, S.211. 2 Vgl. allgemein z.B. Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders, S.238; zur Bedeutung des psychologischen FaktCI's für die Förderleistungen der Bergleute in den französischen Gruben vgl. Tremp6, Les trois bataiIIes du charbon, S.196f.

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A. Rahmenbedingungen

"un sacrifice momentane des masses ouvrieres afin de permettre la reconstruction de la France."3 Im August 1943 war er dagegen der Ansicht, daß "une hausse [des salaires] de l'ordre de 20% sera probablement necessaire immediatement," wolle man keine sozialen Unruhen samt unvorhersehbarer politischer Folgen heraufbeschwören.4 Rene Pleven, der Ende Oktober 1943 im Comite de reconstruction mit seiner Auffassung, daß gegenüber den Lebensmitteleinfuhren "la priorite doit etre reservee exclusivement aux approvisionnements en matieres industrielles," völlig isoliert war,s beschwerte sich einen Monat später über Ungenauigkeiten im Sitzungsprotokoll, nuancierte die ursprünglichen Aussagen erheblich. Damit unterschied sich seine Haltung nur noch geringfügig von der im Comite zum Ausdruck gebrachten, explizit von Philip und Mayer vertretenen Mehrheitsmeinung, man müsse "une priorite egale aces approvisionnements [alimentaires] et aux maticres industrielles" ins Auge fassen. 6

Breite Mehrheiten für Kompensationen. Seit dem Frühjahr 1944 läßt sich das Einvernehmen der Kommissare in Algier bzw. der Minister in Paris über Kompensationsmechanismen materieller wie auch symbolischer Art, und damit über die Bedeutung der moralischen Wiederaufrichtung der Nation, besonders am Widerstand gegen die sukzessiven Vorschläge von Pierre Mendes France ablesen, die sie bei aller theoretischen Wünschbarkeit kurzfristig unter sozialen und deshalb politischen Gesichtspunkten für katastrophal hielten. Ein erstes Beispiel bildeten die Auseinandersetzungen über die Frage der Lohnerhöhungen bei der Befreiung vom März 1944, die vor allem Produktionskommissar Paul Giacobbi und den Kommissar für Soziales Adrien Tixier mit Mendes France aneinandergeraten ließen. Während der Finanzkommissar über eine Ankündigung von Lohnzuwächsen bei der Befreiung als mentalen Stimulus nicht hinausgehen wollte, ging es Tixier darum, bei Ankunft in Frankreich "un choc psychologique par une hausse immediate des salaires" zu erzeugen.? Ebenso wie Giacobbi glaubte er, daß dies eine "premiere mesure de justice et de paix sociale" sei sowie "une condition essentielle du maintien de la paix sociale:,a Bei seinen Kollegen stieß Mendes France auf taube Ohren. Und die Kompromißformei, die J oxe dem Chef der "Freien Franzosen" als Schlichtungsmöglichkeit eingeflüstert hatte und die eine sofortige Lohnanhebung vorsah, aber unter seiner Oberaufsicht, 9 konnte ihn nicht befriedigen. Wie sehr Menctes dies als persönliche Niederlage empfand, beweist nichts besser als die Abfassung seines ersten Rücktrittsschreibens einige Tage später, in dem er 3 MaIjolins Ausfüluungen in der Conunission pour l'etude des problemes d'apres-guerre, Premiere seance pleniere, Compte rendu, 31.03.42, AMAE GU (1939/45) 172. • Vgl. La politique economique fran~ise, 08.08.43, AMAE GU (1939/45) 1535. > Vgl. Proces-verbal de la seance du 24 septembre 1943, 27.09.43, SAEF B 33001. 'Vgl. BriefPleven an Monnet, 27.10.43, SAEF B 33001. 1 Dies die Zusammenfassung des Streits von Louis Joxe, Note pour le General de Gaulle a.s. de la politique monetaire et fiscale du Corrute, 01.03.44, AN F60 914. • Adrien Tixier, Note sur le probleme des salaires a la Liberation, AMAE GU (1939/45) 702. 9 Vgl. Note pour le General de Gaulle a.s. Politique du Comite en matiere de salaires, 06.03.44, AN F60 914; "Conseil des Commissaires", Resume des decisions prises, 21.03.44, AN F60 2768.

III. FranJcreichprioritäten der Deutschlandakteure

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weiter rein finanzpolitisch argumentierte und kategorisch festhielt, daß solche Probleme "ne se pretent pas toujours a la souplesse qu'on pourrait souhaiter."lO Eine zweite "Anti-Mendes-Front", nun zugunsten des Landwirtschaftsministers Tanguy-Prigent, provozierte seine Haltung in der Frage der Getreide- und Brotpreise, welche die Provisorische Regierung im Oktober 1944 erörterte. Der Wirtschaftsminister trat für die Beibehaltung der aktuellen Getreidepreise ein sowie für die Erhöhung der Brotpreise "a un niveau tel que les charges financieres de subventions de l'Etat soit integralement ou en tout cas tres largement resorbees," blieb jedoch mit diesem Vorschlag ohne Zustimmung. Der Kompromißlösung de Gaulles, der diese ausdrücklich mit der notwendigen Berücksichtigung der "situation politique et morale du pays" begründete, also mit einem deutlichen Seitenhieb auf die in seinen Augen zu geringe Sensibilisierung von Mendes France in diesen Bereichen, schloß sich auch Außenminister Bidault entschieden an, denn "il est necessaire de donner une satisfaction meme symbolique aux paysans franr;ais."ll Dies war eine weitere und nicht die letzte Enttäuschung für Mendes France, aber auch ein weiterer Hinweis auf die bedeutende Rolle innenpolitischer Determinanten für die Formulierung außenpolitischer Ansätze durch den Leiter des Quai d'Orsay Y Ein drittes Beispiel, das den fast vollständigen Konsens der Provisorischen Regierung über eine angebots orientierte Kompensations- bei gleichzeitiger nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik untermauert, war die mäßige Unterstützung für das Austeritätsprogramm von Mendes France im April 1945, die schließlich zu dessen Rücktritt führte. 13 Im Ministerrat fanden sich trotz prinzipiell höchst divergierender wirtschaftspolitischer Ansätze ganze zwei Befürworter seiner Vorschläge, die Sozialisten Adrien Tixier, Innenminister, und Augustin Laurent, Postrninister. In einem vierseitigen Brief mit neunseitigern Annex versuchte Pleven stellvertretend für die Ministerratsmehrheit, Mendes France die Gründe seines Scheiterns nahezubringen. Er erläuterte, die Einschätzungsunterschiede lägen nicht in den Zielen, sondern in den Mitteln, Möglichkeiten und Zeiträumen, diese zu erreichen. Pleven unterstrich, er hielte selbst Lohnerhöhungen für eine denkbar ungeeignete Lösung, verteidigte aber gleichzeitig die Zuwächse vom September 1944, da "un refus brutal ... aurait declenche des troubles sociaux d'une extreme gravite." Mendes France warf er vor, er verteidige seinen unnachgiebigen Austeritätsstandpunkt in der Lohnfrage ausschließlich im engen Kreise des Ministerrats, nicht jedoch vor der Öffentlichkeit, und betonte, daß "les masses ouvrieres ne comprennent pas ou ne veulent pas comprendre que le blocage des salaires est au fond dans leur interet." Für Pleven ließen sich keine einschneidenderen Maßnahmen durchführen, bevor sich die materielle und Ernährungslage nicht verbessert habe, bevor nicht der Eindruck Premiere lettre de demission au general de GauBe, 15.03.44, IPMF DPMF 44-1. Vgl. CEI, Compte rendu de la seance du 2octobre 1944, SAEF B 33001. 12 Vgl. ganz irn Sinne des Eingangszitats von Pierre Mendes France, Poidevin, Schurnan, S.145 u. 148, der den von Bidault gegenüber Schuman geäußerten Wunsch hervomebt, daß "il s'agit surtout de tenir jusqu'aux elections en evitant de prendre des mesures impopulaires." IlKuisel, Le capitalisme et I'Etat, S.329-332; Joxe, Victoires sur la nuit, S.265f.; Philip, Philip, S.86. 10 11

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A. Rahmenbedingungen

vorherrsche "qu'il y a enfin quelque chose de change." Wer dies trotzdem proklamiere, so schloß er, betreibe nichts anderes als eine unfruchtbare Zerstörungspolitik, schaffe letztlich Zusatzprobleme in einer ohnehin problemüberladenen Zeit. 14

Kompensationspolitik und kommunistische Hegemonie. In einer Phase, als die französische Diplomatie die kommunistische Karte mehr und mehr gegenüber den Vereinigten Staaten und Großbritannien einzusetzen versuchte, veranschaulichen solche Argumentationen, wie wenig die dort beschworenen Gefahren aus der Luft gegriffen waren und wie sehr nicht-kommunistische Entscheidungsträger das eigene V orgehen in verschiedensten Bereichen an den perzipierten Risiken im Innern ausrichteten. Und die Kommunisten waren derart virulent gegen einen Sparkurs, IS der die Lage der breiten Masse zumindest kurzfristig verschlechtern, die Chancen der PCF als Regierungspartei kurz vor den ersten großen Nachkriegswahlen verringern mußten, daß noch im Januar 1946 in erster Linie Thorez und Duclos für die Nicht-Berufung von Mendes France als Wirtschafts- und Finanzminister in die Gouin-Regierung verantwortlich zeichneten. 16 Unabhängig davon, ob nun Mendes France wirtschafts theoretisch Recht hatte und behalten sollte oder nicht, schien ihm doch in der konkreten Situation 1944/45 der Blick fürs Ganze, das Gespür für politische Machbarkeiten, das Fingerspitzengefühl für öffentliche Zumutbarkeitsschwellen, das Bewußtsein für unvermeidliche Entschädigungen ein wenig zu fehlen, gerade solche Eigenschaften, die den Großteil der Pariser "classe politique" der Zeit kennzeichneten. Deren Zielperspektive - nicht anders als diejenige von Mendes France - bildete die Retablierung der Anerkennung und Größe Frankreichs durch möglichst rasche Wiederaufbau- und Modernisierungsprozesse. Wollte man dieses "oeuvre d'ensemble" - wie es Marjolin im Eingangs zitat auf den Punkt bringt - nicht langfristig aufs Spiel setzen, bedurfte es kurzfristiger Rücksichten und Maßnahmen, die wirtschaftlich fragwürdig, moralisch und politisch jedoch unumgänglich waren. Ein Dilemma, das sich kaum lösen ließ, ein Zielkonflikt zwischen ökonomischer und moralischer Wiederaufrichtung, der regierungsamtliche Kompensationsangebote in anderen, etwa außenpolitischen Bereichen regelrecht provozieren mußte. Wo hätte man auf einen fruchtbareren öffentlichen Nährboden stoßen können als in der Politik gegenüber dem Kriegsgegner und Besatzer, dem "Erbfeind" eben?

Vgl. Brief Pleven an Mendes France, 17.04.45, SAEF 5 A 7. " Vgl. z.B. Kramer, La crise economique de la Liberation, S.4Of. I. Vgl. Duclos, Memoires, Bd.4, S.7Of. 14

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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c) Bilanz frankreichpolitischer Prioritäten deutschlandpolitischer Akteure

1942 -1950

"Enfin, il est peut-etre excessif de parler de politique [etrangere] fran~aise depuis la fin de la guerre, alors que l'autorite de de Gaulle l'avait amene a se retirer et que les problemes interieurs absorbaient l'essentiel de notre vie politique. ,,'

Einvernehmen über ein Primat der Innenpolitik. Die Betrachtung frankreichpolitischer Prioritäten deutschlandpolitischer Entscheidungsträger, wie diese sie während der Widerstandsjahre bzw. während der "drOle de paix" zum Ausdruck brachten, läßt einen weitestgehenden Konsens hervortreten. Er bestand vor allem darin, nach der Retablierung einer Position formaler Gleichberechtigung mit den "Großen Drei" durch Beteiligung an den fortzusetzenden Kampfhandlungen und der Erlangung einer Besatzungszone in Deutschland Frankreichs Ansehen und Größe auf lange Sicht weniger klassisch machtpolitisch, womöglich militärisch-territorial zu definieren, sondern eher über eine wirtschaftliche Modernisierung und gesellschaftliche Erneuerung der Nation. Dieses Einvernehmen schloß de Gaulle ein, obschon er aufgrund seiner Erziehung und Ausbildung nicht gerade für solche Ansätze prädestiniert schien. Die Katastrophe vom Juni 1940 sowie die Deutung der innerfranzösischen Ursachen, der Kriegsverlauf sowie die ausschlaggebende Wirkung der "immense industrie des Etats-Unis,"2 besonders aber seine strategische Betrachtungsweise der Dinge erlaubten letztlich die Erkenntnis, daß künftig innenpolitische Stabilität und Ordnung, und damit seine eigene Legitimität als Regierungschef, ganz wesentlich mit einer moralischen Wiederaufrichtung, internationale Anerkennung und Autorität mit einer wirtschaftlichen Wiederaufrichtung der Nation zusammenhingen. Spätestens der 8.Mai 1945 markierte das Ende militärischer Bevorzugungen, über deren Folgen für die zivile Produktion er sich während der "drole de paix" persönlich auf dem laufenden halten ließ. Spätestens die Kürzung des Fabrikations- und Ausrüstungsprogramms der Armee im Conseil de la detense nationale vom 4.Juni sowie die massiven Einschnitte, die er am 6.September, exakt einen Monat nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima, schriftlich seinen Ministern mitteilte, attestieren eine gewisse Distanzierung von traditionellen militärischen Denkkategorien und Machtdefinitionen. 3 Die gemeinsame vorrangige Zielperspektive einer ökonomischen und moralischen Wiederaufrichtung Frankreichs bei Befreiung und Kriegsende beruhte ganz wesentlich auf ähnlichen Erfahrungen und ähnlichen Interpretationen der jüngsten Vergangenheit, auf ähnlichen Diagnosen und Rückschlüssen für Gegenwart und Zukunft. Im Hintergrund stand der Befund, daß "ce monde des annees vingt et trente ... nous 'Brief Massigli an den kanadischen Historiker Serge Bernier, 15.10.80, AMAE PAAP 217/91. Lautete denn nicht die dem "Appei du 18 juin" 2llgrundeliegende These, daß die industriewirtsd!aftIidten Möglichkeiten und Kapazitäten letzten Endes über den Kriegsausgang entscheiden mußten? Vgl. de Gaulle, DM I, S.3f. 3 Vgl. ausführlich da211 Jean Oelmas, Oe Gaulle, la detense nationale et les forces armees. Projets et realites (1944 - janvier 1946), in: RHDGM n0110 (1978) S.7-24 (19-24). 2

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A. Rahmenbedingungen

apparaissait conune lbistoire d'une faillite intellectuelle et morale (au sens de faillite des volontes) complete,"4 daß die wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen dieser Zeit mit all den politischen Konsequenzen, die sie nach sich zogen, keinesfalls wiederholt werden durften. 5 Im Vordergrund stand spätestens bei der Rückkehr ins Hexagon die Einsicht in kaum lösbare Sachzwänge aufgrund der unüberbrückbaren Kluft zwischen Problernfülle der Akteure und Erwartungshaltung der Franzosen, das Bewußtsein für eigene Stärken und Schwächen, für pragmatisch-realistische Ansätze, schließlich für Vorsicht und Geschmeidigkeit im Umgang mit der Öffentlichkeit. Die relevanten Deutschlandakteure im Paris der frühen Nachkriegszeit bildeten in der Tat eine "politische Generation".6 Ein breites Einvernehmen herrschte jedoch nicht nur über die Ziele vor, sondern auch über die Mittel, die Frankreich dorthin bringen konnten. Dies gilt im Bereich moralischer Stärkung und innenpolitischer Stabilisierung ohne Zweifel für die Unerläßlichkeit von mentalen und materiellen Abfindungsangeboten trotz negativer Rückwirkungen auf Rekonstruktion und Modernisierung. Dies gilt im Bereich ökonomischer Erneuerung gewiß für die Vorrangigkeit der Mobilisierung sämtlicher eigener Kraftreserven, für die allmähliche Einbindung der französischen Wirtschaft in den Weltmarkt als Vehikel innerfranzösischer Reformbestrebungen, nicht zuletzt für den Rekurs auf amerikanische Kredite zur Stützung und Beschleunigung des Rekonstruktionsprozesses. Das Wissen um solche Prämissen schon zu Zeiten des Widerstands läßt bereits an dieser Stelle Vorwürfe als fragwürdig erscheinen, die einen Ausverkauf französischer finanzökonomischer Interessen im Rahmen späterer Kreditverhandlungen mit den Vereinigten Staaten nahelegen: Viele der "Konzessionen", welche die Amerikaner im Zeichen der "open-door-policy" Frankreich abverlangten, empfanden schon Jahre zuvor die Wirtschafts- und Finanzexperten als langfristig heilsam und sinnvoll. An einern Primat der Innenpolitik, wenn auch - von de Gaulle bis Monnet - mit außen- und europapolitischen Hintergedanken, was die Rolle Frankreichs auf der internationalen Nachkriegsbühne anbelangte, kann kein Zweifel bestehen. Deutschlandpolitik unter den Bedingungen der zweiten Nachweltkriegssituation war notwendigerweise eine abhängige Variable frankreichpolitischer Prioritäten der Provisorischen Regierung, somit zugleich involviert in deren inhärente Widersprüche und Zielkonflikte. Die Doppelfixierung auf eine ökonomische und moralische Stärkung der Nation ließ deutschlandpolitisch prinzipiell alle Wege offen, und die Begutachtung de Gaullescher Voreinstellungen förderte letztlich nichts anderes zutage. Rein destruktive Ansätze schienen jedenfalls nicht vorherbestirnmt, ebensowenig freilich rein konstruktive. Marjolin, Le travail d'une vie, S.16l. 'Vgl. Aron, Memoires, S.197. • Zum Begriff der "politischen Generation", der weniger auf das Geburtsjahr der jeweiligen Akteure abhebt als auf die entscheidende Periode politischer Sozialisation, vgl. Donald C. Watt, Bemerkungen mit dem Ziel einer Synthese, in: Norbert Wiggershaus I Roland G. Foerster (Hg.), Die westliche Sicherheitsgemeinschaft 1948-1950, Gemeinsame Probleme und gegensätzliche Nationalinteressen in der Gründungsphase der Nordatlantischen Allianz, Boppard 1988, S.343-372 (360). 4

III. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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Moralische Wiederaufrichtung und Deutschlandpolitik. Die moralische Wiederaufrichtungsprämisse erforderte fürwahr eine vollkommen kompromißlose und unerbittliche Haltung gegenüber einem Land, das Frankreich zum dritten Mal in 75 Jahren in den Krieg gestürzt, das Frankreich während der letzten vier Jahre mental wie wirtschaftlich ausgesaugt hatte. Hätten nuanciertere regierungsamtliche Positionen nicht den Erwartungshaltungen der Franzosen diametral entgegengestanden? Hätten sie nicht die ihnen abgeforderten drastischen Sonderopfer durch fortgesetzte Kriegsanstrengungen als absurd und überflüssig, da ohne entsprechende Entschädigung geleistet, erscheinen lassen? Hätten sie nicht die innenpolitische Lage ohne Not gewaltig angeheizt? Hätten sie nicht einer Durchsetzung des staatlichen Machtmonopols und einer Konsolidierung der inneren Ordnung zusätzliche Steine in den Weg gelegt? Hätten sie nicht die Legitimität der neuen Pariser Führungsriege untergraben, in die Provisorische Regierung selbst einen Keil getrieben und damit der Aushöhlung der nationalen Union, so oberflächlich diese auch sein mochte, zugunsten neuerlicher innerfranzösischer Bürgerkriege die Schleusen geöffnet? Hätten sie nicht den Verzicht auf öffentliche Befriedung und Befriedigung in einem der wenigen konsensfähigen Politikfelder bedeutet, den Verzicht auf Umleitung innerer Spannungen in außenund deutschlandpolitische Gefilde? Hätten sie nicht das auf den Regierenden lastende und von diesen als solches wahrgenommene Druckpotential erhöht und als Hypothek für die Realisierung von Reformen in anderen Bereichen gewirkt? Hätten sie nicht schließlich die potentiellen Nutzungschancen offizieller Maximalpositionen in internationalen Verhandlungen zunichte gemacht? Doch war das, was sich als offizielle Haltung unter taktischen Gesichtspunkten im Kontext innen- und außenpolitischer Korrelationen alternativlos darstellte, auch langfristig notwendigerweise sinnvoll? Entsprach es tatsächlich der Pariser Politik?

Wirtschaftliche Wiederaufrichtung und Deutschlandpolitik. Die ökonomischen Wiederaufbauprämissen lassen dies als weniger eindeutig erscheinen. Selbstverständlich hätte eine konsequente und dauerhafte Ausbeutungspolitik in ganz Deutschland bzw. in der Besatzungszone eine hegemoniale Stellung in Westeuropa begründen können. Doch mußte nicht ein Wiederaufbau, der sich fast gänzlich auf deutsche Ressourcen verließ, einem Rückfall französischer Wirtschaftsweisen und -mentalitäten in Protektionismus und Malthusianismus Vorschub leisten? Mußte nicht eine Zerstörung deutscher Produktionskapazitäten den gesamten europäischen Wiederaufbau in Frage stellen, beim Nachbarn selbst Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen, womöglich einen neuen "Führer" und einen neuen Krieg hervorbringen? Mußte sie nicht einer langfristigen Verwirklichung europapolitischer Ansätze, wie sie sich in Algier - in welcher Form auch immer - als integrale Bestandteile wirtschaftlicher Zukunftsvorstellungen im Interesse Frankreichs formuliert fanden, das Wasser abgraben? Mußte nicht eine auf Dauer angelegte Reparations- und Restitutionspolitik entweder zu einer ökonomisch fragwürdigen Lieferung ausgelaugter Maschinen und veralteter Industrieanlagen führen oder zu Lieferungen aus laufender Pro15 Hüser

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A. Rahmenbedingungen

duktion, die allerdings Rekonstruktionsmaßnahmen voraussetzten? Mußten nicht politische Abtrennungen deutscher Territorien als realistische Option für wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die deutsche Nachkriegsindustrie schon aufgrund mangelnder Durchsetzungschancen nicht nur gegenüber den Angelsachsen, sondern sogar gegenüber den Sowjets, relativ früh kritisch hinterfragt werden? Mußte nicht Kohle, die Frankreich für Wiederaufbau und Modernisierung mehr brauchte als alles andere, vor allem aus dem Ruhrgebiet kommen, einerseits der deutschen Waffenschmiede par excellence, andererseits Hauptkohlelieferant des weltweit größten Importlandes vor dem Krieg? Und mußte nicht die Ingangsetzung der Ruhrkohleförderung in der britischen Besatzungszone bei gleichzeitiger dauerhafter Etablierung von Kontroll-, Mitsprache- und Verfügungsrechten über diese eines der ganz wesentlichen Mittel darstellen für eine Absicherung des französischen Vormachtanspruchs im Westeuropa der Nachkriegszeit? Ließ vielleicht eine Grandeur-Konzeption, die sich nicht vorrangig traditionell militärisch-territorial verstand, bei der die eigene moralische und wirtschaftliche Stärke größeres Gewicht besaß als die Schwäche des anderen, eine praktische Deutschlandpolitik erahnen, der es für die dauerhafte Etablierung einer westeuropäischen Führungsrolle und damit für künftige französische Sicherheit weniger auf eine absolute Schwächung des östlichen Nachbarn ankam als auf eine relative im Verhältnis zu Frankreich, der es gerade deswegen so sehr auf Demokratisierungs- und kulturpolitische Ansätze als flankierende sicherheitspolitische Maßnahmen ankam, in einem Land, das man aus eigenem Interesse eben nicht für alle Zeit darniederliegen sehen wollte?

d) Resümee und Ausblick: von den Rahmenbedingungen zur "doppelten Deutschlandpolitik" "Dans ces relations [internationales], l'histoire diplomatique etudie les initiatives Oll les gestes des gouvernements, leurs d6cisions et, dans la mesure oll elle le peut, leurs intentions. Cette etude es! indispensable, mais elle es! bien loin de suffire a apporter les elements d'explication. Pour comprendre l'action diplomatique, il faut ehereher apercevoir les influences qui en ont oriente le cours.'"

Französische Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan läßt sich nicht als quasi autonome, von anderen innen- wie außenpolitischen Politikfeldern vollkommen abgeschottete Spielwiese eines de Gaulle, Bidault oder Schuman verstehen und angemessen analysieren. Es geht durchaus darum, den Einfluß einzelner Persönlichkeiten auf den Gang der Ereignisse zu bestreiten, von einem biographischen in einen strukturellen Determinismus zu verfallen. Wohl aber geht es darum, aufzuzeigen, in welcher Lage, in welchem Bereich, in welchem Ursachengeflecht und in welchem Maße sich potentielle Handlungsspielräume von politisch Verantwortlichen innerhalb eines demokratischen Systems drastisch verringern können. , Renouvin I DuroseIle, Introduction al'histoire des relations internationales, S.lf.

111. Frankreichprioritäten der Deutschlandakteure

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Innen- und Außenpolitik.. Das erste Kapitel zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Frankreichs veranschaulichte vor allem, wie sehr mentale, politische und sozioökonomische Konstellationen in den Monaten nach der Liberation Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenpolitik auf den Weg brachten, wie sehr sie deutschlandpolitische Ambivalenzen präjudizierten und wie sehr sich solche Rahmenbedingungen als dauerhafte Strukturelemente französischer Deutschlandpolitik etablieren konnten. Die Untersuchung der Traumata bei Befreiung und Kriegsende, der innerfranzösischen und internationalen Problemfelder förderte eine markante Diskrepanz zutage zwischen der fast unbeschreiblichen Fülle von gleichzeitig zu lösenden Problemen und den äußerst begrenzten Möglichkeiten der neuen Pariser Führung, diese in den Griff zu bekommen. Aufgrund der nach Jahren der Demütigung, Unterdrückung und Leiden ebenso verständlichen wie utopischen Erwartungshorizonte der Franzosen, liberation sei gleichbedeutend mit dem Ende aller Sorgen, ließen die fundamentalen Divergenzen zwischen den Prioritäten der "classe politique" und den Interessenlagen der Menschen während der "drole de paix" einen fundamentalen Grundwiderspruch zwischen Politik und Gesellschaft, zwischen Regierenden und Regierten hervortreten, den es in irgendeiner Form zu überwinden galt, wollte man nicht sämtliche Hoffnungen und Projekte der letzten vier Jahre von vornherein in Frage stellen. Angesichts anhaltender materieller Not- und finanzökonomischer Zwangslagen, wachsender sozialer Gärung und regimeimmanenter Systemzwänge, kommunistischer, später kommunistisch-gaullistischer Regimegefährdung und latenter Krisenverschärfungsrisiken konnte ein solcher Grundwiderspruch nicht ohne Auswirkungen auf Artikulation und Präsentation sensibler Politikbereiche bleiben. Die Nachkriegsregierungen waren im Interesse der Regimekonstituierung bzw. erhaltung auf kurzfristige taktische Winkelzüge angewiesen, die allerdings langfristig häufig andere Zielkonflikte und neuerliche Sachzwänge mit sich brachten. Die Deutschlandpolitik war ein solcher Bereich, in dem ein völlig kohärentes Vorgehen im innen- und außenpolitischen Bedingungsgeflecht kaum realisierbar erschien. Institutionen und Personen. Das zweite Kapitel zu den deutschlandpolitischen Institutionen und Akteuren in Paris dokumentierte, daß entgegen einer ebenso vordergründigen wie weitverbreiteten Annahme das geradezu undurchschaubare Geflecht deutschlandpolitischer Koordinierungs-, Mitsprache- und Entscheidungszentren weder effektive Regierungsbeschlüsse zur Deutschland- und Besatzungspolitik sowie Direktiven an die zuständigen Stellen in Baden-Baden und Berlin prinzipiell verhinderte, noch Schatten- oder Parallelpolitiken im Sinne einer Desavouierung und Konterkarierung der offlziellen Richtlinien zur Folge hatte. Vielmehr offenbarten sich - bei allen administrativen Defiziten und Reibungsverlusten, die das Pariser Institutionenchaos unvermeidlich heraufbeschwor - eine beträchtliche Ämterstabilität, ähnliche Sozialisierungsmuster, Altersstruktur und Karrieremuster sowie eine erstaunliche personelle Vernetzung und Kommunikationsdichte deutschlandpolitischer Akteure als wirkungsvolle Gegengewichte inhaltlicher Art, letztlich als Faktoren, die einen höheren Grad an Kohärenz, Konsequenz und Kontinuität französischer Deutschlandpolitik erwarten ließen als vielfach angenommen.

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A. Rahrnenbedingungen

Frankreichprioritäten. Das dritte Kapitel zu den frankreichpolitischen Prioritäten deutschlandpolitischer Akteure führte den Nachweis einer relativen Bedeutungslosigkeit der deutschen Frage im Verhältnis zu den innerfranzösischen Prämissen, vor allem der moralischen und ökonomischen Wiederaufrichtung der Nation zugunsten innerer Ordnung und Stabilität sowie äußerer Anerkennung und Größe. Dieser weitestgehende Konsens entsprach gleichermaßen lang- und kurzfristigen Situationsanalysen mit übereinstimmenden Resultaten, entsprach ebenso den Rückschlüssen aus der jüngsten Vergangenheit des Landes wie den Folgerungen aus der vorgefundenen Lage bei der Liberation. Er bildete damit nicht zuletzt die Reaktion auf den Grundwiderspruch zwischen unermeßlichem Handlungsbedarf und bescheidenen Handlungsmitteln, zwischen utopischen Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit und kümmerlichen Erfüllungsmöglichkeiten seitens der neuen Pariser Führungsriege. Offensichtlich versprach nur ein Primat moralischer und ökonomischer Stärkung, eine rasche Retablierung von Selbstwertgefühl und Verantwortungsbewußtsein der Franzosen sowie eine substantielle Verbesserung der materiellen und sozioökonomischen Verhältnisse im Hexagon, die tiefen Gräben zwischen Politik und Gesellschaft halbwegs zu schließen. Aussichten. Die Erfolgsperspektiven waren allerdings denkbar ungünstig, da nicht zügige und allgegenwärtige Fortschritte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zwischen 1944 und 1950 kennzeichneten, sondern die Persistenz von Provisorien. Das Ausmaß fortwährender materieller Sorgen und Notlagen der Franzosen im täglichen Leben schien jedenfalls nicht dazu angetan, die "annres noires" aus dem kollektiven Bewußtsein zu streichen, Zukunftsangst und Mutlosigkeit zu kompensieren, das nationale Selbstwertgefühl zu heben, Motivationsbereitschaft und Leistungskraft zu fördern, eine Konzentration sämtlicher Energien auf Wiederaufbau und Produktion zu ermöglichen. Allgemeine Unzufriedenheit, materielle Zwangslagen sowie immer wieder enttäuschte Hoffnungen steigerten einerseits die Neigung der Öffentlichkeit, nach Blitzableitern und Ventilen zu suchen und erhöhten die Empfänglichkeit für Instrumentalisierungsstrategien. Anhaltende Entfremdung und Krisis zwischen Regierenden und Regierten verstärkten andererseits die Disposition politischer Führungskreise, im offiziellen Diskurs gewisse politische Zumutbarkeitsgrenzen der Öffentlichkeit nicht zu überschreiten, nach Kompensationsmechanismen Ausschau zu halten und inneren Druck nach außen abzulenken. Bot sich die Deutschlandpolitik dazu nicht förmlich an? Deutschland war der einzige Politikbereich, bei dem sich viele Fliegen mit einer Klappe schlagen, viele verschiedene und widersprüchliche Anforderungen gleichzeitig erfiillen ließen. Es bildete den einzigen Politikbereich, der öffentlichkeitswirksam genug war, um Revanchegelüste der Franzosen zu befriedigen und sie von alltäglichen Sorgen abzulenken, und der gerade deshalb glaubwürdig genug war, der amerikanischen Administration die innenpolitische Brisanz außenpolitischen Nachgebens ohne entsprechende Gegenleistungen plausibel vor Augen zu führen. Mußten nicht Maxirnalpositionen und Utopieziele - unabhängig davon, wie dieser oder jener Entscheidungsträger Realitätsgehalt und Durchsetzungschancen einschätzte - einen

III. FrankreichprioritäteD der Deutschlandakteure

225

ganz wesentlichen Beitrag zur moralischen Wiederaufrichtung der Nation leisten, da doch die französischen Traumata seit den 30er Jahren nicht zuletzt auf dem Verhältnis zum östlichen Nachbarland beruhten? Mußten sie nicht zumindest kurzfristig einen ganz wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Aufrichtung der Nation leisten, sei es direkt durch deutschland- und besatzungspolitische Konzessionen der Alliierten, sei es indirekt durch amerikanische Finanzspritzen für nicht zugestandene Konzessionen? Mußten sie nicht einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, den Grundwiderspruch zwischen Politik und Gesellschaft innenpolitisch abzumildern und außenpolitisch zu nutzen? Doch wie stand es um die Konsequenzen für die französische Deutschlandpolitik selbst, für Konzeptionen, Instruktionen und Realisationen zwischen Befreiung und Schumanplan? Produzierte nicht der Revanchediskurs notwendigerweise neue Zwänge für die Regierenden, spätestens dann, wenn sich Retuschen der ursprünglichen Haltung als unabdingbar erweisen sollten? Präjudizierte nicht eine solch komplexe und flexible Vorgehensweise gegenüber dem Nachbarn im Osten, die bei jedem Schritt die Kategorien innerer und internationaler Wechselwirkungsprozesse gebührend zu berücksichtigen hatte, zwangsläufig erheblich stärkere Ambivalenzen und Widersprüche? Welche Alternativen hatten denn französische Nachkriegsregierungen? Was hätte Frankreich angesichts seiner machtpolitischen Schwäche nach Kriegsende auf internationalem Parkett ohne die Rolle der "grande geneuse" überhaupt noch deutschlandpolitisch gegenüber den Alliierten, aber eben auch finanzökonomisch und damit letztendlich innenpolitisch gegenüber den USA, zu erreichen vermocht? Was hätte die Provisorische Regierung ohne Rücksichtnahme auf Erwartungshaltungen der öffentlichen Meinung, ohne Grandeurrhetorik und Maximalpositionen seit der Befreiung an fatalen psychologischen und politischen Konsequenzen im Innern in Kauf nehmen müssen? Und wäre nicht die Doppelpriorität wirtschaftlicher und moralischer Wiederaufrichtung Frankreichs angesichts einer noch schnelleren Restauration Deutschlands bereits erheblich früher desavouiert worden? Bevor es ausführlich um die Untersuchung solcher Mechanismen geht, soll zunächst die französische Deutschlandpolitik selbst im Vordergrund stehen, wie sie in den allgemeinen Konzeptionen, den konkreten Instruktionen und den praktischen Realisationen zum Ausdruck kam.

B. "Doppelte Deutschlandpolitik" I. Deutschlandpolitische Konzeptionen im Entscheidungsprozeß 1942 - 1950: die "doppelte Deutschlandpolitik" Eine angemessene Betrachtung der französischen Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan läßt sich weder durch die Wiedergabe von de GaulleReden oder durch die Darlegung diplomatischer Forderungskataloge gewährleisten, noch durch eine permanente Vermischung verschiedener Ebenen des politischen Prozesses oder durch eine Gleichbehandlung unterschiedlich zu gewichtender Quellenzeugnisse. Vielmehr bedarf sie der pragmatischen Differenzierung von Konzeptionen, Instruktionen und Realisationen im Spannungsfeld innen- wie außenpolitischer Wechselwirkungen. Die Konzeptionen erlauben Aussagen über das ganze Spektrum verschiedenartigster Ansätze und Motive, die Instruktionen geben Aufschlüsse über das Resultat der darauf beruhenden regierungsinternen Diskussionsund Entscheidungsabläufe unter dem konkreten Handlungsdruck der Nachkriegszeit, die Realisationen in Südwestdeutschland bzw. Berlin gestatten Erkenntnisse über die Relevanz von Pariser Direktiven für die praktische Politik vor Ort, für die Aktivitäten von Militärregierung bzw. Kontrollratsgruppe und somit wiederum Rückschlüsse auf Intentionen der Provisorischen Regierung. Demnach erschließt sich Deutschlandpolitik nicht als eine der drei vorgestellten Komponenten, sondern im Zusammenwirken aller drei. Es gilt allerdings aufgrund der Komplexität innerfranzösischer Entscheidungsprozesse der Zeit einschränkend hinzuzufügen, daß eine solche Unterscheidung kein Allheilmittel darstellen kann, da die Grenzen zwischen den drei Ebenen nicht immer leicht zu ziehen sind. Zunächst wird die konzeptionelle Ebene als erste Stufe französischer Deutschlandpolitik im Vordergrund stehen. Dabei soll es nicht darum gehen, jedwede Aussage von einzelnen oder Gruppen, Parteien oder Verbänden, öffentlicher oder veröffentlichter Meinung zum Nachkriegsvorgehen Frankreichs gegenüber dem Nachbarn im Osten zu sanuneln und zu referieren, sondern darum, sich auf entscheidungsrelevante Vorstellungen entscheidungsrelevanter Akteure zu konzentrieren und diese im gesamtpolitischen Kontext zu analysieren. Nach der Untersuchung deutschlandpolitischer Planungsarbeiten des äußeren Widerstandes (1.1.), die deutlich stärker in die Entwürfe nach der Befreiung einflossen als die der inneren Resistance, folgen das außenpolitische Führungspersonal (1.2.), die außenpolitische Bürokratie (1.3.) sowie die technischen Ministerien (1.4.). Neben den aus den bisherigen Ausführungen ableitbaren Fragen nach Kontinuität, Homogenität und Konstruktivität konzep-

1. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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tioneller Ansätze soll vor allem auf die Wahrnehmung von Realisierungschancen deutschlandpolitischer Maxirnalforderungen sowie auf die verhandlungs taktischen Grundmuster im Umgang mit den "Großen Drei" zwischen 1944 und 1950 als maßgebliche Leitfäden rekurriert werden. Läßt sich nicht eine Vorgehensweise, die gegenüber der französischen Öffentlichkeit und im diplomatischen Verkehr offiziell maxirnalistische Positionen vertrat, welche Pariser Akteure jedoch in regierungsinternen Zusammenkünften oder persönlichen Korrespondenzen zumindest ab der Jahreswende 1945/46 für nicht sinnvoll und/oder für nicht durchsetzbar hielten, als "doppelte Deutschlandpolitik" bezeichnen?

1. Kriegskonzeptionen in London und Algier: Frankreich und Deutschland im Nachkriegseuropa Es wäre angesichts der Kriegs- und Exilsituation vermessen, davon auszugehen, die Widerstandspläne in London und Algier hätten die Zukunft Deutschlands in bunten fröhlichen Farben gezeichnet. Trotz vielfältiger Ungewißheiten, die solche Vorüberlegungen begleiteten, sollten sie möglichst realistische Grundlagen angesichts des Handlungsbedarfs bei Rückkehr nach Frankreich und Übernahme der Regierungsgewalt schaffen und innen- wie außenpolitische Determinanten gebührend berücksichtigen. Als Vergleichs maßstab für die Bewertung konstruktiver oder destruktiver Komponenten kann deshalb weder eine idealtypische Retrospektive europäischer Einigung noch eine praktische Politik zu späterem Zeitpunkt und unter anderen Bedingungen dienen, sondern die Kriegskonzeptionen der "Großen Drei" für das besiegte Deutschland und vor allem die der Angelsachsen, da diese doch scheinbar den "geradezu bizarren Vorstellungen"l der Franzosen so diametral entgegenliefen. Am Ende des Kapitels werden dazu einige Überlegungen vorgestellt. Die Deutschlandplanungen des äußeren Widerstandes fanden bislang in der Zeitgeschichtsforschung wenig Beachtung. 2 Auf der Suche nach den geistesgeschichtlichen Grundlagen der europäischen Integration lag das historiographische Schwergewicht zunächst auf den Konzeptionen der inneren Resistance, obwohl diese kurzfristig von deutlich geringerer politischer Relevanz waren. 3 Die Projekte der "Freien Franzosen" spielte man unbesehen mit dem Fingerzeig auf den de GaulIeschen Nationalismus herunter, den der nichtkornrnunistische Widerstand im Hexagon angeblich soeben überwunden hatte. 4 Tatsächlich aber sind sie zumindest

1

VgI. Steininger, Ein neues Land an Rhein und Ruhr, S.44.

Ausnahmen vgI. Pierre Guillen, Ideologie et relations internationales. Les Fran~is !ibres et l'idee europeenne, in: Saul Friedländer e.a. (Hg.), L'historien et les relations internationales. Reeueil d'etudes en hommage a Jacques Freymond, Genf 1981, S.295-308 sowie nun Soutou, Frankreich und die Deutschlandfrage 1943 bis 1945, S.86-83. 2 AIs

3 Unter dem Blickwinkel langfristiger Relevanz sind aufgrund der starken personellen Kontinuitäten selbst die Ausarbeitungen des Bureau d'etudes Chauvel bedeutsamer als die der inneren Resistance und finden, obwohl in Paris entstanden, im folgenden Berücksichtigung.

228

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

in einem zweifachen Sinne von höchstem Interesse. Unter dem Gesichtspunkt deutschlandpolitischer Kohärenz nehmen sie inhaltlich wie taktisch vieles von dem vorweg, was Diskussion und Entscheidungsfindung nach der Liberation bestimmte. Unter dem Gesichtspunkt deutschlandpolitischer Kontinuität tragen sie erheblich dazu bei, die scheinbare "revision dechirante"S französischer Deutschland- und Europaansätze seit 1947/48 zu relativieren. Denn von vornherein standen die Skizzen des äußeren Widerstandes in einem weiteren Zusammenhang, ging es doch immer um die künftige Rolle Frankreichs im Nachkriegseuropa, eine Rolle, die sich nur im Vergleich zum Nachbarn im Osten definieren ließ. Dies soll im folgenden die Leitlinie bilden, wobei zuerst die technisch-administrativen und statusbedingten Unwägbarkeiten thematisiert werden, dann die Rolle Deutschlands für den französischen Rekonstruktionsprozeß sowie die Wahrnehmung und Gestalt des Kriegsgegners im Nachkriegseuropa, schließlich einige Kontinuitätslinien sachpolitischer wie strategischer Art, die den Bogen schlagen von 1942/43 bis zum Ende der 40er Jahre. a) Imponderabilien der Exilplanung: konzeptionelle Flexibilität als kategorischer Imperativ? "Nous n'engagerions pas de ce fait la France dans une voie rigoureusement definie mais nous re. serverions I'avenir en fournissant au Gouvernement de demain la possibilire de suivre une politique de f6d6ration avec 1'00est du bassin Rheno-W estphalien si une teile politique apparaissait la fois possible et souhaitable." 1

a

Vielerlei Unwägbarkeiten und Ungewißheiten prägten von Beginn an die Deutschlandplanungen in London und Algier. Diese waren technisch-administrativer Art wie auch statusbedingt, denn von einer völkerrechtlichen Anerkennung des "Freien Frankreich" als legitimer Vertretung des französischen Volkes durch die "Großen Drei" konnte während der Widerstandsjahre keine Rede sein. Und selbst nach der Befreiung wartete die Provisorische Regierung noch bis Ende Oktober darauf. Welchen Platz man künftig auf internationalem Parkett zugewiesen und welche Mitsprache- und Teilhaberechte man künftig bei alliierten Entscheidungen über die deutsche Nachkriegsordnung eingeräumt bekommen würde, stand zwischen 1942 und 1944 noch weitgehend in den Sternen. Den Konkretisierungsgrad französischer Nachkriegsvorhaben erhöhte dies gewiß nicht.

Begrenzte Planungskapazitäten. Die außenpolitischen Planungskapazitäten im Exil waren in der Tat sehr begrenzt. 2 Gerade für gestandene Diplomaten mit lang• KlassisdJ. Walter Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik, S.194-198. In Nachfolge dieser Interpretation bis heute vgl. z.B. Dankert, Deutschlandpolitische Vorstellungen, S.21lff. 5 Maurice Valsse, Georges Bidault, in: Politique Etrangere 51 (1986) S.75-83 (78). 1 CFLN, Louis Joxe, Note a.s. La securite de la France et le desannement economique de 1'A1lemagne, 18.03.44, AN F60 889. 2 Zur Fruhphase in London vgl. Jean-Baptiste DuroseIle, Une creation ex nihilo. Le ministere des affaires etrangeres du General de Gaulle 1940-1942, in: Relations internationales n031 (1982) S.313322 sowie Les affaires etrangeres et le corps diplomatique fran~is, Bd.2, S.561-580.

I. Oeutschlandpolitische Konzeptionen

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jähriger Erfahrung stellte sich zwangsläufig der Vergleich mit den gewohnten Verhältnissen im Quai d'Orsay, der die aktuellen Arbeitsmöglichkeiten als katastrophal erscheinen lassen mußte. Rene Massigli fand sich als Kommissar für auswärtige Angelegenheiten nur schwerlich damit ab, beklagte gegenüber de Gaulle, daß "la penurie de personnel devant laquelle je me trouve place est, en effet, telle que je dois attirer votre serieuse attention sur ce point."3 Sein Freund und Kollege Pierre Vienot, CFLN-"Botschafter" in London, sah sich nicht in der Lage, selbst für gravierende verwaltungstechnische Defizite irgendeine Verantwortung zu übernehmen. 4 In Algerien machte sich nicht nur der Personalmangel negativ bemerkbar, sondern darüberhinaus die Inexistenz von Archiven und statistischen Materialien, so daß es dort nahezu unmöglich war, konkrete Wirtschaftsberechnungen anzustellen, französische Bedarfsmengen zu kalkulieren oder einen Vergleich der respektiven Produktionsvermögen der Kohlegebiete an Ruhr und Saar vorzunehmen. Dies erklärt den zunächst überraschenden Befund, daß die Ruhrfrage trotz des Bewußtseins der überragenden Bedeutung der dortigen Kohlevorkommen für den europäischen Wiederautbau,s trotz des Wissens um die französische Abhängigkeit von der Ruhrkohle nicht zu elaborierten Projekten führte. Die Diskussion gelangte über allgemeine Internationalisierungsvorstellungen kaum hinaus, während sich gleich nach der Rückkehr in die französische Hauptstadt die Anzahl von Ruhr- zu Saardokumenten radikal umkehrte, das Ruhrkohleproblem bald zum alles überragenden Gegenstand deutschlandpolitischer Planungsstäbe erwuchs. In Algier lag die Saar noch näher als die Ruhr, denn die Widerstandsüberlegungen richteten sich eng an der Wahrnehmung potentieller Machbarkeiten und sofortiger Zugriffschancen aus. Kurzfristig verlangte die Undurchführbarkeit quantifizierender Studien in Nordafrika nach einer gewissen Diversifizierung wirtschafts orientierter Planungungsarbeiten zum Nachkriegsdeutschland. 6 Diese entstanden nun partiell in London, wo drei Gremien gleichermaßen und in ständiger Absprache verantwortlich zeichneten, die Mission diplomatique aupres des gouvernements allies unter Leitung Maurice Dejeans, das Comite d'etudes economiques von Laurent Blum-Picard sowie die Gruppe um den Germanisten Edmond Vermeil, der seit 1919 Professor in Straßburg, seit 1934 an der Sorbonne lehrte und dessen Deutschlandmemoranden de GauBe persönlich zugingen. 7 Angesichts der auch dort nicht vermeidbaren Unsicherheiten blieben allerdings die Erwartungen im Kommissariat für auswärtige Angelegenheiten eher gedämpft. Herve Alphand empfahl zwar Anfang April 1944 eine Fortsetzung der Londoner Arbeiten, fügte jedoch zugleich einschränkend hinzu, es sei mangels qualifizierter Mitarbeiter und elaborierter Statistiken wenig wahr3

Brief Massigli an de Gaulle, 13.10.43, AMAE GU (1939/45) 1479.

• Vgl. Telegramm Vienot, Pour le General de Gaulle, 23.10.43, AMAE GU (1939/45) 1488. , Vgl. z.B. Brief Mendes France an seine Komrnissariatskollegen, Negociations avec la Belgique et la Hollande, 20.03.44, SAEF B 33002. , Vgl. Massigli, Une comedie des erreurs, S.4l. 7 Vgl. Brief de Gaulle an Vermeil, 21.10.43, in: Oe Gaulle, LNC V, S.92.

230

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

scheinlich, daß "Ies etudes entreprises, quelle que soit la bonne volonte de nos experts puissent nous permettre de nous arreter ades conclusions serieuses."s

Fragen statt Antworten, Begriffsverwirrung statt -klärung. Es kann daher nicht verwundern, daß die angefertigten Studien häufig mehr Fragen aufwarfen als sie Antworten gaben. Als symptomatisch kann der vielzitierte Vermerk Rene Mayers für de Gaulle und Massigli über "Ies questions relatives a l'organisation d'une Fecteration Economique de I'Europe Occidentale" von Ende September 1943 gelten, bei dem auf eine knappe Einleitungsseite vier Seiten mit Fragen zu diesem Themenkomplex, vor allem zum Rheinproblem folgten, vier Seiten mit der Darlegung von Ansätzen und deren Alternativen, mit der Abwägung von Vor- und Nachteilen der einen oder anderen Lösung, ohne selbst klar Position zu beziehen. 9 Rund einen Monat später verfaßte Alphand einen Bericht über die eventuellen Folgen einer westeuropäischen Wirtschaftsunion für Frankreich, der fast ausschließlich aus Fragen bestand, vier Hypothesen zur Zusammensetzung einer solchen Union vorstellte, diese jeweils in ihren demographischen, landwirtschaftlichen und industriellen Konsequenzen diskutierte, ohne eine von diesen zu bevorzugen. Es könne momentan nur darum gehen, dem CFLN allgemeine Schlußfolgerungen als Informationshintergrund an die Hand zu geben, nicht aber darum "d'exarniner dans le detail toutes les incidences d'une semblable politique."lo Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem über 40 Seiten langen Londoner Memoire sur le desarmement economique du Reich von Mitte Januar 1944, das nach über 30 Seiten zum Reparations- und Entwaffnungsproblem nach dem Ersten Weltkrieg in seiner Schlußbetrachtung drei mögliche Vorgehensweisen benannte, ohne sich für eine unter ihnen auszusprechen. ll In einem vermutlich für de Gaulle gedachten zusammenfassenden Vermerk zum Londoner Entwurf brachte CFLN-Generalsekretär Joxe sein Bedauern darüber zum Ausdruck, daß bei diesen Problemen "d'importantes divergences de vues se manifestent des que I'on tente de determiner selon quelles methodes I'on s'efforcera d'atteindre ce but," mußte freilich zugestehen, daß sich letztlich keiner der drei Vorschläge uneingeschränkt befürworten lasse. 12 Die deutschlandpolitischen Konzeptionen in London und Algier präjudizierten oder implizierten keinerlei Beschlüs• Herve Alphand, Note sur les projets d'organisation eoonomique europ6enne, 03.04.44, SAEF B 30002. Schon einen Monat 7llvor bedauerte Alphand, Note pour M. Massigli, 02.03.44, AMAE GU (1939/45) 717 "Ies etudes ... encore tres incompletes"; am 24.03.44 ergänzte Alphand einen in seinem Auftrag von Jean-Marc Boegner für Finanzkomrnissar Mendes France abgefaßten Brief handschriftlich: "Les travaux entrepris a ce sujet sont tout-a-fait insuffisants et il est indispensable que nous reprenions avec vous I'ensernble de I'affaire aAlger", SAEF B 30002. 9 Vgl. Note Mayer an de Gaulle und Massigli, 30.09.43, AN 363 AP 3; daru Poidevin, Rene Mayer, S.73f. oder Pierre Gerbet, La construction de I'Europe, Paris 1983, S.51. 10 Herve Alphand, Note concernant les etudes relatives a I'organisation de I'Europe occidentale, 25.10.43, AMAE GU (1939/45) 728. 11 Vgl. Mission diplomatique fran~ise aupres des gouvernements allies, Affaires aUemandes, Memoire sur le desarmement eoonomique du Reich, 17.01.44, AMAE GU (1939/45) 654. Eine identische, vom 26.01.44 datierende Version findet sich im Bidault-Nachlaß, AN 457 AP 63. Das Dokument entstand in Kooperation der drei erwähnten Londoner Gremien. 12 Vgl. CFLN, Louis Joxe, Note a.s. La securite de la France et le desarmement eoonomique de 1'A1lemagne, 18.03.44, AN F60 889.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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se in Einzelfragen, erlaubten zwar die Ableitung allgemeiner Zielperspektiven der "Freien Franzosen", gaben aber kaum Aufschluß über konkrete Absichten. Die umfangreichen Ausarbeitungen blieben abwägende Beschlußvorlagen, über die nicht annähernd sachgerecht entschieden werden konnte. Die langfristig besonders aufschlußreichen sprachlichen Unschärfen bei der Charakterisierung deutschlandpolitischer Ambitionen untermauern das planerische Zaudern. Bislang eindeutig, zumeist völkerrechtlich konnotierte, zentrale Begrifflichkeiten französischer Deutschlandpolitik verwischten und vermischten sich in den Dokumenten derart, daß sie kaum mehr fest umrissene Inhalte auszudrücken vermochten. Der "decentralisation de I'Allemagne" entsprach plötzlich die "federation de pays allemands",13 "demembrement" und "decentralisation" erschienen als Schattenspiel, nicht als krass voneinander abweichende Herangehensweisen, 14 "ecartelement de I'industrie" mit eventueller "amputation territoriale" korrespondierte mit "decentralisation industrielle", 15 Annexion der Saar und "rattachement ala France" fanden sich als synonym verwendete Termini,16 europapolitisch ergab sich eine Gleichsetzung von "federation economique entre la France, la Belgique, la Hollande et le Luxembourg" mit "une sorte de confederation politique" zwischen diesen Ländern. 17 Solche babylonischen Sprach verwirrungen innerhalb eines Textes, wenn es etwa darum ging, der Zielvorstellung einer möglichst weitgehenden Dezentralisierung in Deutschland Ausdruck zu verleihen, deuten darauf hin, daß die genannten Begriffe und Formeln schon in London und Algier weder im Sinne klar präzisierter staats- oder völkerrechtlicher Definitionen verwendet, noch unzweideutige politische Forderungen mit ihnen verbunden wurden. Im Grunde genommen spiegelten die Unklarheiten in der Grauzone zwischen Zerstückelung und Föderalismus eine häufig nur rhetorisch überwölbte Unentschlossenheit wider, drohten somit allerdings, langfristig zu verselbständigten Sprachhülsen zu werden, die in der Wahrnehmung innerhalb wie außerhalb Frankreichs klareren Positionen entsprachen, als dies realiter der Fall war. Gerade vor dem Hintergrund eines regierungsamtlich geförderten antideutschen Meinungsklimas bestand die Gefahr, offizielle Dezentralisierungsforderungen tendenziell eher weit als eng zu interpretieren.

Unkenntnis alliiener Deutschlandziele. Die Unkenntnis alliierter Deutschlandziele verringerte zusätzlich die Neigung, exakte Ansprüche zu formulieren. Zunächst war es an den "Großen Dreien", die Karten auf den Tisch zu legen, und nicht an einer Exilregierung, deren nationale wie internationale Zukunft durchaus noch nicht gesichert schien. Gerade die Briten, für die doch Frankreich der wichtigste Pfeiler 13Vgl. Memorandum von Lt. Heller-Huart, Contribution a la securite de la France au lendemain de la :lerne guerre mondiale, 29.06.42, AN 382 AP 57. I' Vgl. Edmond Vermeil, Le probleme aUemand, o.D., November 1943, AMAE PAAP 288/40. I> Vgl. Mission diplomatique fran~ise aupres des gouvernements a1lies, Affaires aUemandes, Memoire sur le desarmement economique du Reich, 17.01.44, AMAE GU (1939/45) 654 u. 700. 16 V gl. Telegramm Dejean an Massigli, 08.08.44, AMAE GU (1939/45) 653 und Note de la Mission diplomatique aLondres sur Le probleme a1lemand, 21.08.44, AN 457 AP 60. 17 So Maurice Dejean während eines Gesprächs mit Paul-Henri Spaak im Londoner Exil, 06.03.42, AMAE GU (1939/45) 172.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

zur Stabilisierung Europas nach dem mutmaßlichen Rückzug der amerikanischen Truppen darstellte, pochten auf detailliertere Informationen,I8 doch stießen sie damit auf wenig Gegenliebe. Jegliche Festlegung mußte künftige Handlungsspielräume und Optionschancen einschränken. Flexibilität lautete das Gebot der Stunde: "TI fallait sonder, etudier, ne rien compromettre, ne pas laisser ... prejuger des solutions, ne pas s'engager, ce qui ne voulait pas dire rester inactif. Toutes avenues devaient derneurer ouvertes et toutes etudes etre entreprises."19 Über die Notwendigkeit, sich alle Türen offenzuhalten, herrschte absoluter Konsens in den Führungskreisen des äußeren Widerstandes, nicht aber darüber, wie denn dies im diplomatischen Verkehr umzusetzen sei, ob eher durch Herunterschrauben der offIziellen Ansprüche bei absoluter Kooperationsbereitschaft gegenüber den "Großen Drei" oder eher durch eine Politik der Maxirnalpositionen bei Fortsetzung der gaullistischen Strategie einer kalkulierten Provokation. All die deutlich zutage tretenden Unsicherheiten angesichts begrenzter Planungskapazitäten und beschränkter Planungsgrundlagen, angesichts des ungewissen künftigen Status Frankreichs, der unbekannten Deutschlandvorhaben der "Großen Drei" und der völlig unklaren Nachkriegssituation östlich des Rheins können nicht über das äußerst scharfe Bewußtsein für die eigene machtpolitische Schwäche hinwegtäuschen, fiir die Abhängigkeit eigener Möglichkeiten von innen- wie außenpolitischen Konstellationen bei der Befreiung, für inhärente Widersprüchlichkeiten der eigenen Forderungen sowie für die notwendige Reflexion über die langfristigen Konsequenzen des eigenen Handeins. Offenbar bildeten tiefe Unsicherheit und hohes Reflexionsniveau zwei Seiten einer Medaille. Bei aller Härte der Forderungen gegenüber dem Kriegsgegner vermitteln doch die Deutschlandkonzeptionen der "Freien Franzosen" nur ganz ausnahmsweise, etwa im Bereich von Bevölkerungstransfers, den Eindruck unbegrenzter Machbarkeiten bei Ende der militärischen Auseinandersetzungen. Wie schon bei den frühen Rekonstruktions- und Modernisierungsansätzen für die Nation erwiesen sich die künftigen Deutschlandakteure nicht als Utopisten, auch wenn dies nach außen so scheinen mochte. Die Projekte für das Nachkriegsverhältnis von Frankreich und Deutschland in Europa auf wirtschaftlichem Gebiet bestätigen die bereits bei de Gaulle angeklungene Neigung, deutschlandpolitisch möglichst viel herausholen zu wollen, zunächst alles zu beanspruchen, was für Frankreich innen- wie außenpolitisch nutzbringend sein könnte, all das zu nehmen, was sich kriegen läßt. Doch sollte dies im Bewußtsein geschehen, daß die durch das Dritte Reich zugefügten Schäden auch nicht ansatzweise zu ersetzen seien und daß dauerhafte Friedenssicherung nach Kriegsende nicht auf einer konsequenten Revanchepolitik, sondern auf der Begründung von Kontroll-, Kooperations- und Integrationsmechanismen zu beruhen habe. 11 Vgl. Albrecht Tyrell, Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten 1941-1945, FrankfurtIM. 1987, S.521. 19 Massigli, Une comedie des erreurs, S.39.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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b) Französische Sicherheit durch ökonomische Hegemonie: konstruktive Ansätze nur durch ein starkes Frankreich? "La solution de ces problemes [des reparations] ne peut ~tre trouvee que dans un contröle etroit de I'economie allemande, contröle envisage non point seulement du point de vue des reparations, mais en vue d'integrer detinitivement I' economie allemande dans I' eronomie europeenne. La question des reparations ne saurait, en effet, etre dissociee de I'organisation economique de I'Europe de demain. "I

Die Ausführungen zur wirtschaftlichen Wiederaufrichtungspriorität Frankreichs bei der Befreiung hoben besonders auf den Volontarismus der sozioökonomischen Nachkriegsplaner ab, dies primär aus eigener Kraft zu leisten und sich nicht allein auf andere zu verlassen. Demgegenüber waren potentielle deutsche Beiträge als Katalysator französischer Rekonstruktion in den Überlegungen zu frankreichpolitischen Prioritäten von begrenzterem Stellenwert. Der breite Konsens über die beschleunigende Wirkung amerikanischer Kreditspritzen deutete allerdings bereits an, daß es der Nation kurzfristig darum gehen mußte, sämtliche zur Verfügung stehenden Quellen möglichst weitgehend zu nutzen, und deutsche Reparationsleistungen gehörten zweifellos dazu. In den internationalen Konzeptionen der "Freien Franzosen" spielten diese daher eine größere Rolle als in den innerfranzösischen, obwohl beide Aspekte eng miteinander zusammenhingen. Schließlich stilisierte man das Modernisierungstopos nicht um seiner selbst willen zum neuen nationalen Mythos hoch, sondern wegen seiner Bestimmung als Garant künftiger Sicherheit.

"Reparationsdoping" zur Verbesserung der Startposition. Die Tendenz, Sicherheit ökonomisch zu begreifen und die Zielperspektive, durch eine wirtschaftliche Führungsrolle Frankreichs gegenüber Deutschland in Westeuropa dem Kontinent auf Dauer Sicherheit, Frieden und Lebensqualität zu verbriefen, bildete ein durchgängiges Leitmotiv deutschlandpolitischer Projekte im äußern Widerstand. 2 Es ließ sich schon früh - wenn auch mit gewissen unterschiedlichen Akzentuierungen, was die Wege dorthin anbelangt - bei Monnet und de Gaulle finden. Monnet, der seine europapolitische Argumentation von der Erwartung ableitete, daß "la France redevient la premiere puissance continentale," 3 de Gaulle, der Ansätze zu vermeiden suchte, deren Konsequenz es sei "d'avantager !'industrie allemande en Europe."4 Ein Alphand-Vermerk von Anfang 1943 formulierte die Zielperspektive einer Ablösung Deutschlands als erster Kraft bei der schwerindustriellen Produktion in Europa. 5 "Abolir la position maitresse que !'industrie allemande s'etait assuree a l'egard de I Brief Alphand an Dejean, 06.03.44, AMAE GU (1939/45) 727; ähnlich Alphand, Note pour le Comite (projet) a.s. Problemes economiques de I'Armistice, 03.03.44, AMAE GU (1939/45) 717.

2 In diesem 5inne z.B. Marie-Therese Bitsch, Un reve fran~ais. Le desarmement economique de l'Allemagne 1944-1947, in: Relations internationales n051 (1987) 5.313-329 (313f.) oder Alan 5. Milward, La p1anification fran~ et la reconstruction europeenne, in: Cazes / Mioche (Hg.), Modernisation ou decadence, 5.77-115 (78). 3 4

Note de reflexion, 05.08.43, in: Rieben (Hg.), Naissance d'un continent nouveau, 5.115-128 (119). De Gaulle-Äußerung, 17.10.43, in: Rieben (Hg.), Guerres europeennes, 5.286-291 (290).

'Vgl. Herve Alpand, Note, 03.12.43, AN 457 AP 82.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

certaines entreprises etrangeres," entsprach gleichermaßen einer von drei Prämissen, die laut Dejean, Blurn-Picard und Vermeil in London jede Wirtschaftskonzeption für ein friedliches Nachkriegseuropa zu berücksichtigen hatte. 6 Eine möglichst rascher und fruchtbarer Rekonstruktions- und Modernisierungsprozeß im Hexagon selbst bildete die unabdingbare Voraussetzung einer solchen Führungsrolle. Der künftige Frieden "dependra pour nous avant tout de la rapidite et de l'efficacite de notre redressement interieur face a l'est."? Frankreich sollte bei Kriegsende mit einem deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Deutschland ins Rennen gehen, denn nur bei einer günstigeren Startposition ließ sich damit rechnen, langfristig gegenüber dem Nachbarn und Konkurrenten einen Vorsprung zu behalten. Die Ausgangskapazität und der Zeitfaktor, die Garantie, daß "les pays les plus touches par la guerre ... doivent avoir tout le temps necessaire a leur reconstruction,"8 spielten demzufolge die entscheidende Rolle für die Etablierung einer wirtschaftlichen Vorrangstellung. In diesem Ansatz sollten die Wurzeln des amerikanisch-französischen Konfliktpotentials seit Mitte 1946 liegen, als den Vereinigten Staaten der Wiederaufbau Deutschlands für die westeuropäische Sicherheit immer dringlicher erschien, denn zu diesem Zeitpunkt war die Basis der erhofften, sicherheitspolitisch notwendigen Überlegenheit in Wirtschaft und Industrie längst noch nicht geschaffen. Nach einhelliger Ansicht der Planungsstäbe, von Monnet, Mayer und Alphand über Marjolin und Philip bis hin zu Massigli, Couve de Murville und der Londoner Mission diplomatique um Dejean, erforderten eine zügige Modernisierung und eine günstige Ausgangsposition der Nation nicht nur die Mobililisierung aller innerfranzösischen Kräfte und amerikanischer Hilfsleistungen, sondern überdies einen ebenso kurzfristigen wie beträchtlichen Obolus aus dem besiegten Deutschland. Die Vorstellungen all dieser Persönlichkeiten hatten allerdings nicht das geringste mit der naiven 'L'Allemagne paiera"-Stimmung seit der Endphase des Ersten Weltkriegs zu tun, denn gerade die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit dienten als permanent hervorgekehrte kategorische Antireferenz selbst derer, die sie aufgrund ihres geringen Alters gar nicht mehr selbst machen konnten. Daher waren die Reparationskonzepte ein bemerkenswertes Gemisch historischer Perzeptionen: der gescheiterten Reparationspolitik nach 1918 und deren Folgen auf der einen Seite, der malthusianistischen Wirtschafts- und Industriepolitik der 30er Jahre und deren Folgen auf der anderen. Dies erklärt den vielfach zum Ausdruck kommenden zwiespältigen Eindruck, allein der Ausdruck "Reparationen" bereite schon Bauchschmerzen, auf sie zu verzichten, bedeute jedoch einen herben Rückschlag für die frankreichpolitische Wiederaufbauprämisse und damit fiir die europäische Sicherheit. Dies erklärt weiter, weshalb die Reparationsdokumente den ambivalenten Charakter solcher Moderni'Ygl. Mission diplomatique fran~se aupres des gouvernements allies, Affaires allemandes, Memoire sur le desarmement economique du Reich, 17.01.44. AMAE GU (1939/45) 654. 7 Bureau d'etudes Chauvel, Perspectives allemandes. Mars 1943. AMAE Papiers 1940 BECH 113. • So schon das Memorandum von Lt. Heller-Huart. Contribution main de la leme guerre mondiale. 29.06.42. AN 382 AP 57.

a la securite de la France au lende-

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sierungsbeiträge so stark betonen, weshalb sie so erschöpfend kurz- und langfristige Konsequenzen eigenen Handeins gegeneinander abwägen, weshalb sie im Ergebnis eher Skepsis als Zuversicht ausstrahlen, weshalb sie hervortreten lassen, daß "aucune des solutions envisagees dans le seul cadre des reparations" möglich erschien. 9 Bereits die erste ausführlichere Auseinandersetzung der äußeren Resistance mit der Reparationsfrage, ein Vermerk Robert Marjolins von Ende März 1943, machte auf viele, später wieder und wieder thematisierte Probleme aufmerksam. Marjolin gelangte zu fünf Schlußfolgerungen: zum ersten die Ablehnung von Geldleistungen und die alleinige Akzeptanz von Sachwerten, wobei es ihm auf Reparationen im engeren Sinne ankam, nicht auf Restitutionen, die zumeist nur "un outillage use et vieilli ... qui ne pourrait qu'encombrer l'economie des pays liberes" beträfen; zum zweiten die Abstimmung des Zeitraums von Reparationslieferungen mit der Besatzungszeit durch die Alliierten; zum dritten die Fixierung eines "espace de temps aussi court que possible" für Reparationen aus Deutschland, einer "periode ou l'indignation contre I'aggression, les massacres et le pillage, dont elle s'est rendue coupable, sera encore vivante," keinesfalls länger als 10 Jahre; zum vierten eine Orientierung an der "capacite de prestation de I'Allemagne" und nicht an den "dommages soufferts par les pays occupes" für die Berechnung der Reparationshöhe, denn "il ne saurait etre question d'exiger la reparation de la totalite des pertes;" zum fünften die Ausarbeitung eines gerechten Verteilungsschlüssels deutscher Lieferungen für die besetzten Länder. 10 Eine Studie Alphands für Massigli nahm ein dreiviertel Jahr später diese Aspekte auf: Anerkennung des Restitutionsprinzips nur, wenn es auch "restitutions de remplacement" abdeckt; ausschließliche Berücksichtigung von "reparations en nature"; Maschinenentnahmen nur in gewissen Fällen, da "Ie jeu de reparations de l'autre guerre a contribue a equiper l'Allemagne et arenforcer sa puissance industrielle;" stattdessen massiver Einsatz deutscher Arbeitskräfte sowie Reparationen "sous forme de prelevements en nature sur la richesse allemande," industrielle Fertigprodukte und Rohstoffe, die den Empfängerländern "donneront la possibilite de produire eux-memes."11 In einem Entwurf für einen Vermerk an Dejean ergänzte Alphand seine Ausführungen um zwei Prinzipien. Zum einen erklärte er die Vorstellung, "I'Allemagne assumera la charge integrale de la reparation des dommages de guerre," für völlig illusorisch. Zum zweiten stimmte er in den Chor derjenigen ein, die "tant acause des besoins urgents des vainqueurs que de la vanite d'organisation repressive a longue echeance" für eine möglichst kurze Reparationsperiode plädierten, denn - so Alphand weiter - "il est, en effet, un fait d'experience que les nations democratiques manquent de la constance morale et mentale indispensables ala poursuite d'une longue repression." 12 Vgl. Herve Alphand, Note pour M. Massigli, 02.03.44, AMAE GU (1939/45) 717. Vgl. Note preliminaire sur le probleme des reparations, 26.03.43, AMAE GU (1939/45) 1487. 11 Dir.Eco., Note pour M. Massigli, Restitutions & reparations, 24.11.43, AMAE GU (1939/45) 717. 12 Herve Alphand, Projet de note a M. Dejean a.s. Reparations des dommages de guerre, 26.01.44, AMAE GU (1939/45) 717. 9

10

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Konzept der "integrativen relativen Dominanz". Die Ambivalenzen deutscher Reparationsleistungen waren bei aller Wünschbarkeit für den nationalen Wiederaufbau überdeutlich. Nicht alles ließ sich auf die eine oder andere Art nach Frankreich ZUTÜcktransferieren, nicht jeder Beitrag war gleichermaßen nützlich und ohne negative Rückwirkungen. Durch die Konfiszierung alter deutscher Maschinen waren französische Modernisierungsmaßnahmen schwerlich in Gang zu setzen,13 während ein solches Handeln jenseits des Rheins doch die Chance barg "a perfectionner l'outillage industrieldu Reich."14 Auf Reparationen allein wollte man sich schon 1943/44 keinesfalls verlassen, nicht erst seit dem Marshallplan. 15 Im übrigen folgte der Forderung nach einer "contribution immediate et massive" im gleichen Atemzug die skeptische Frage, "dans quel etat de destruction ou d'epuisement sera !'industrie allemande au lendemain de sa defaite, et si des prestations immediates - en dehors des restitutions d'objets certains - pourront lui etre imposees."16 Die Abwägung kurz- und langfristiger Folgen des eigenen Handeins läßt sich anhand der Reparationsplanungen besonders anschaulich aufzeigen, denn der reparationspolitische Grundgedanke sofortiger und massiver Lieferungen stand in einem weiteren, europapolitischen Zusammenhang. Er fand sich als roter Faden nicht nur bei den erwähnten Marjolin, Alphand und Diethelm, sondern ebenso bei Rene Massigli, der auf "prelevements immediats et massifs" hoffte, die vom deutschen Volk leichter akzeptiert würden "sous le coup de la defaite que des exigences plus tardives qui favoriseraient une nouvelle campagne d'excitation contre notre pays."17 Jean Monnet trat für eine möglichst rasche Wiederherstellung der vom Besatzer entwendeten nationalen Produktionsmittel ein, denn "il importe, en effet, que la France puisse aborder la phase de la reconstruction avec le maximum de ses moyens."18 Nicht weniger insistierten Blum-Picard, der Marinekommissar Louis Jacquinot oder der Generalstabschef Bethouart, vom günstigen Augenblick der Niederlage zu profitieren. 19 Die Kürze einer solchen, als legitim empfundenen Inanspruchnahme der deutschen Wirtschaft war vor allem deshalb so bedeutsam, 13 In diesem Sinne zB. Louis Joxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Clauses d'un arrnistice eventuel avec I'Allemagne, 15.04.44, AN F60 889. 14 Vortrag Maurice Dejean an der Londoner Universität, La politique exterieure franlj'aise, 17.04.44, AMAE PAAP 288/42. " Diese Behauptung beherrscht weiter die Forschungslandschaft; vgl. z.B. Wemer Abeishauser, Wirtschaftsgeschidlte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, FrankfurtlM. 1983, S.62; Donald C. Watt, Hauptproblerne der britischen Deutschlandpolitik 1945-1949, in: Scharf / Schröder (Hg.), Die Deutschlandpolitik Großbritanniens, S.15-28 (25); Bossuat, La France, l'aide arnericaine et la construction europeenne, z.B. S.287-294. 16 Cornmissariat a la production, Andre Diethelm, Stipulations d'un arrnistice eventuel avec !'Allemagne, 22.03.44, AN F60 889. 17 Vgl. Brief Massigli an den Generalstabschef Antoine Bethouard über eventuelle Waffenstilistandsbedingungen, 23.05.44, AMAE GU (1939/45) 716. 11 Jean Monnet, Note pour le CFLN, 15.10.43, AMAE GU (1939/45) 1502. 19 Vgl. Laurent Blum-Picard, Memoire sur le desannement econornique de I'Allernagne, 08.11.43, AN F12 10105; Louis Jacquinot, Etude d'une Convention d'arrnistice avec !'Allernagne, 29.04.44, AMAE GU (1939/45) 716; EMDN, Iere Section, Memoire concemant les desiderata et points de vue particuliers de la France, a faire valoir notarnrnent al'egard des allies, 13.05.44, ebd.

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weil sie mittel- und langfristige deutsch-französische Kooperations- sowie europäische Integrationschancen nicht kompromittieren sollte. Die Argumentation, derzufolge nach einer ergiebigen Reparationsperiode zügig wirksame Kontrollmechanismen für die deutsche Industrie in die Wege geleitet, die so reorganisierte deutsche Wirtschaft dann in ein von Frankreich geführtes Europa integriert werden müßte, bildete einen Gemeinplatz in den Konzeptionen des äußeren Widerstandes. Das Stichwort einer organischen Kontrolle des deutschen Wirtschaftspotentials durch ein gestärktes Frankreich im europäischen Kontext, von dem aus neuere historiographische Studien zum Ruhrproblem zurecht Kontinuitätslinien zwischen frühen deutschlandpolitischen Ansätzen nach der Befreiung und dem Schumanplan herleiten,2o stammte realiter bereits aus den Jahren 1943/44, fand sich implizit wie explizit bestätigt. Der beliebte Gegensatz von Integrationskonzepten der nichtkommunistischen inneren und Dominanzkonzepten der äußeren Resistance wird selbst bei einem so sensiblen Problemfeld wie dem der Reparationen ad absurdum geführt. Schon bei den für die Deutschlandpolitik bei Befreiung und Kriegsende maßgeblichen Ausarbeitungen aus London und Algier verschwimmen die Grenzen, finden sich Dominanz und Integration konzeptionell vereint. Die kurzzeitig weitgehende Nutzung deutscher Ressourcen bei Kriegsende als Kompensation eigener Schäden aus den Besatzungsjahren schloß eine anschließende ökonomische Integration Deutschlands nicht nur nicht aus, sie stellte deren Voraussetzung dar. Nur aus einer Position der relativen Stärke heraus erschien den künftigen Deutschlandakteuren eine konstruktive Haltung möglich. Die offIZielle europapolitische Umorientierung der späten 40er Jahre war noch vor der Rückkehr an die Seine als eine Art Konzept der "integrativen relativen Dominanz" vorformuliert. Es liegt auf der Hand, daß solche Überlegungen wenig mit idealistischen Anwandlungen germanophiler Diplomaten zu tun hatten, sondern mit einem ausgeprägten Bewußtsein für Realitäten und mit dem Abwägen dessen, was auf Dauer Frankreich am meisten diente. Dies offenbart spätestens die Betrachtung von Ansprüchen auf deutsche Arbeitskräfte. Wenn es einen Bereich innerhalb der Exilplanungen gab, der zumindest teilweise aus dem realistisch-reflektierten Gesamtrahmen herausfiel, so handelte es sich um den der "mouvements de population" vor dem Hintergrund potentieller französischer Bedürfnisse und deutscher demographischer Überlegenheit, die sich für viele dauerhaft als eines der heikelsten Sicherheitsprobleme darstellte. Der Vorschlag Blum-Picards, dessen Ansätze ansonsten keinerlei utopische oder extreme Züge aufwiesen, zu versuchen "de repartir 20 millions d'Allemands a travers le monde, en les disseminant de fa~on que nulle part ils ne puissent former des minorites agissantes, des groupes autonomes"21 bildete das hervorstechendste, die Forderung nach Trennung männlicher und weiblicher Arbeitsplätze in Deutsch20 Vgl. ausführlich John Gillingham, Die französische Ruhrpolitik und die Ursprunge des SchumanPlans. Eine Neubewertung, in: Vfz 35 (1987) S.I-24 sowie knapp ders., CoaI, steel and the rebirth of Europe, S.153f.; als Zeitzeuge vgl. Monnet, Erinnerungen, S.373. 21 Laurent Blum-Picard, Memoire sur le desarmement economique de I'Allemagne, 08.11.43, SAEF B 33002.

16 Hüser

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land zur Senkung der Geburtenrate22 das skurrilste Beispiel in diesem Zusammenhang. Doch gab es daneben weitaus nüchternere Töne, seriösere Studien 23 und allgemeinere Hinweise auf die Notwendigkeit eines massiven Appels an deutsche Arbeitskräfte. Das Ausmaß des Einsatzes deutscher Kriegsgefangener blieb ebenso umstritten wie das inhärente Risikopotential. Während das Comite de Defense nationale Mitte November 1943 beschloß, deutsche Soldaten gleich als Pfand in Frankreich zu behalten und der Generalstab ein halbes Jahr danach die Zahl von mindestens 500.000 für den Wiederaufbau des Landes ins Spiel brachte,24 warnte etwa das Kommissariat für Auswärtiges vor der Fehlannahme einer dauerhaften Verfügungsmöglichkeit über deutsche Kriegsgefangene, vor einer "infiltration deja trop redoutable" sowie vor Arbeitslosigkeit in Frankreich bis zum Anlaufen der Produktion. 2S Auch Diethelm machte auf "un certain nombre de problemes delicats" bei der Präsenz einer bedeutenden Anzahl deutscher Zwangsarbeiter auf französischem Boden aufmerksam, räumte allerdings ein, diese seien wegen der "penurie aigue de main-d'oeuvre qui se manifestera des l'armorce d'une reprise economique" in Kauf zu nehmen. 26

Vorbedingung eines regenerienen Frankreich. Idealismus war offenbar keine relevante Motivation. Für die Planer kam eine "Morgenthauisierung" Deutschlands deshalb nicht in Frage, weil eine Zerstörung des deutschen Wirtschafts- und Industriepotentials nicht nur im Herzen Europas verheerende Konsequenzen zeitigen mußte, sondern dem europäischen Wiederaufbau insgesamt eine entscheidende Quelle entzog. Niemand bestritt ernsthaft die fundamentale Bedeutung eines produzierenden Deutschland im Nachkriegseuropa bestritten hätte. Es galt die deutsche Wirtschaftskraft zu bändigen, zu kontrollieren und langfristig zu integrieren, nicht zu ruinieren. Es galt sie zu nutzen, nicht zu verschleudern. Es galt sie relativ zu schwächen, nicht absolut. Es galt "de ne point priver I'Europe de la contribution tres efficace que le travailleur allemand peut apporter a la prosperite generale."27 Es galt zu bedenken, daß Deutschland am Ende der Auseinandersetzungen "pourrait se trouver dans la position d'avoir la seule industrie capable de fonctionner."28 Es galt darauf zu achten, daß Europa nicht seinem eigenen Wiederaufbau zusätzliche Steine 22 Vg1. C1auses II€paratoires de la Paix 11 inserer dans la Convention d'arrnistice avec I'Allemagne, o.A., 10.03.44, AMAE GU (1939/45) 653. 2) Vgl. Comrnissariat aux affaires sociaIes, Les problemes de la main-d'oeuvre 11 la Liberation de la France, 28.01.44, AMAE GU (1939/45) 702; Robert Maljolin, Note preliminaire sur le probleme des reparations, 26.03.43, AMAE GU (1939/45) 1487. "Vgl. Extrait de la decision de la seance du 12 novembre 1943, 12.11.43, AMAE GU (1939/45) 653 und EMDN, Iere Section, Memoire concemant les desiderata et points de vue particuliers de la France, 11 faire vaIoir notamment 11 I'egard des aIlies, 13.05.44, AMAE GU (1939/45) 716. 2l Vgl. Nae sur les cIauses essentielles d'un arrnistice avec I'Allemagne, 10.02.44, AMAE Y (1944/49) 278 sowie Remarques sur le futur arrnistice, 27.04.44, AMAE GU (1939/45) 716. 26 Vgl. Stipulations d'un arrnistice eventuel avec I'Allemagne, 22.03.44, AN F60 889. TI So schon Dejean in einem Gespräch mit Paul-Henri Spaak, 06.03.42, AMAE GU (1939/45) 172. 2' Note de reflexion de Jean Monnet, 05.08.43, in: Rieben (Hg.), Naissance d'un continent nouveau, S.115-128 (126).

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1. Deutschlandpolitische Konzeptionen

in den Weg legte: "Nous avons peut-etre interet et avantage machines allemandes atoute vitesse."29

a faire tourner les

Die Rolle des Bändigers stand Frankreich zu, konnte in den Augen der "Freien Franzosen" nur durch "une France forte et regeneree" garantiert werden, das sich den inneren Problemlagen gewachsen gezeigt hatte,l° das moralisch und ökonomisch wieder wer war, das sich eine wirtschaftliche Führungsrolle im Nachkriegseuropa zutraute. Nur ein solchermaßen gestärktes Frankreich vermochte sich Respekt und Ansehen in Deutschland zu verschaffen und damit auch konstruktive Maßnahmen gegenüber dem Nachbarn in die Wege zu leiten. Eine Realisierung der moralischen und ökonomischen Wiederaufrichtungsprioritäten sollte sich jedoch angesichts der Vielfalt und Komplexität der innen- und außenpolitischen Problemlagen der Nation nach der Befreiung als äußerst schwierig erweisen, wirkte damit wiederum auf die Formulierung deutschlandpolitischer Ansätze zurück. Offiziell wurden integrative europapolitische Konzepte für die folgenden drei Jabre nicht mehr thematisiert,ll erst recht im Zusammenhang mit Deutschland. Das Reparationsproblem bildete ein Paradebeispiel für die deutschlandpolitischen Exilplanungen, für hohes Reflexionsniveau trotz mangelnder statistischer Grundlagen, für hohes Komplexitätsbewußtsein und beträchtlichen Realitätssinn trotz vielflUtiger Unwägbarkeiten, für die Mischung aus Destruktivität und Konstruktivität, aber auch für das Vermeiden einer kristallklaren Entscheidung.

c) Perzeption und Rolle der Deutschen in Europa: welches Deutschland soll es sein? "La these que nous nous efforcerons de faire triompher dependra en grande partie des possibilites qui nous seront offertes, et a ceux de nos allies qui seront principalement interesses a la question, de separer strategiquement et economiquement la Rhenanie du reste de I'Allemagne, et de la rattacher a une federation occidentale qui comprendrait la France, la Belgique, la Hollande, le Luxembourg, et eventuellement la Grande Bretagne. ",

Die Europaaspekte der Exilplanungen "Freier Franzosen" waren nicht bloß Floskeln zur Verschleierung rigider deutschlandpolitischer Forderungen, sondern besaßen ernsthaftere Antriebe. Dies unterstreicht allein die Ausführlichkeit der Europaplanungen, aber auch die Tatsache, daß kein einziges Dokument auf die Integrationsperspektive einer reorganisierten deutschen Wirtschaft verzichtete, eben weil '" Dies der Kommentar von Andre Gros, Comite interallie pour l'etude de l'armistice, Proces-verbal de la trente-sixieme seance tenue a Londres, 08.03.44, AMAE GU (1939/45) 715. J) Vgl. Note eines Vermeil-Mitarbeiters in London, Manfred Simon, La politique a mener vis-a-vis de I'Allemagne lorsqu'elle sera vaincue, o.D., Ende 1943, AMAE PAAP 288/40. 31 Vgl. z.B. Etienne Burin des Roziers, 1940-1946. Le CNL, le GPRF et l'Europe, in: Espoir n087 (1992) S.4-15 (14). , Brief Alphand an Dejean, 06.03.44, AMAE GU (1939/45) 727.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

ein prosperierendes Nachkriegseuropa eines produzierenden, nicht eines darniederliegenden Deutschlands in seiner Mitte bedurfte. Vor diesem Hintergrund führte der V orsatz, Sicherheit und Wohlstand des Kontinents durch eine französische Führungsrolle, durch Kontrolle und Verfügungsgewalt über deutsche Industriezentren im europäischen Kontext zu gewährleisten, zwangsläufig zur Thematisierung von Gebietsabtrennungen in Westdeutschland, an Rhein, Ruhr und Saar. Die Fragen nach Separierung deutscher Territorien und/oder der Schaffung eines Rheinstaates waren freilich von Beginn an umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil sich nicht für alle, die damit befaßt waren, gleiche Inhalte hinter den Schlagwörtern verbargen, weil beispielsweise "Rhenanie" in manchen Konzeptionen das Ruhrgebiet umfaßte, in anderen dagegen nicht, weil der Grundwiderspruch zwischen politischer und wirtschaftlicher Abtrennung nicht aufgelöst wurde. Dieses Problem brachte nur Laurent Blum-Picard wirklich auf den Punkt. Im Rahmen seiner fast 40-seitigen Studie über die ökonomische Organisation Europas nach dem Krieg sprach er sich gegen eine wirtschaftliche Eingliederung des Rheinlandes in einen westeuropäischen Verbund aus, da "une union economique liant la Rhenanie a l'Ouest europeen conduirait a un morcellement politique de l'Allemagne qui n'est pas souhaitable et qui est impossible."2 Mit der grundsätzlichen Ablehnung einer wirtschaftlichen Integration der rheinisch-westfälischen Industrie in eine westeuropäische Union stand Blum-Picard ebenso allein wie mit der Betonung des Zusammenhangs von einer solchen Lösung und der politischen Struktur eines künftigen Deutschlands.

Unmißverständliche Rheinlandabtrennung? Andere Persönlichkeiten des äußeren Widerstandes machten es sich einfacher, indem sie auf praktische politische Folgen nicht näher eingingen. Dies erklärt, warum die Differenzen zwischen einzelnen Projekten von Befiirwortern einer ökonomischen Einbindung für das Rheinland eher gering blieben, warum sie sich in den Konsequenzen für die betreffenden Gebiete wie für das restliche Deutschland eher geringfügig unterschieden. Mayer befürwortete eine "fecteration de l'Europe de l'Ouest" mit eventueller Beteiligung eines "Etat rhenan comprenant le bassin de la Ruhr,"3 de Gaulle eine "unite economique [qui] pourrait comprendre: la France, la Belgique, le Luxembourg, la Hollande, peut-etre la Rhenanie, peut-etre l'Italie, l'Espagne et la Suisse,"4 Monnet ein "pays industriel europeen compose notamment de la Ruhr, de la Sarre, de la Rhenanie, du Luxembourg,"S Massigli eine "fecteration de l'Europe occidentale englobant les PaysBas, la Belgique, le Luxembourg et la France," bei der "le rattachement ... , au moins sur le plan economique, du groupe industriel Rheno-Westphalien devra etre envisage,"6 Alphand die eingangs zitierte "fecteration occidentale." Der geringe Konkretisierungsgrad solcher westeuropäischen Einbindungskonzepte, die kein Wort 2 Laurent Blum-Picard, Premier memoire sur l'organisation economique de I'Europe d'apres guerre, erstellt am 01.12.43, am 25.02.44 Mendes France 7lIgesandt, AN 363 AP 3. 3 Note Mayer an de Gaulle und MassigJi, 30.09.43, AN 363 AP 3.

• So de Gaulle während eines gemeinsamen Mittagessens mit Monnet, Alphand, Mayer u. Diethelm in Algier, 17.10.43, in: Rieben (Hg.), Guerres eur0p6ennes, S.286-291 (290). , So Monnet gegenüber de Gaulle, in: Rieben (Hg.), Guerres europeennes, S.286-291 (289f.). • Note sur la politique etrangere de la France, 23.10.43, AN 364 AP 3.

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über praktische Vorgehensweisen und konkrete Durchsetzungsmöglichkeiten enthielten, machte diese konsensfähig, barg aber auf Dauer die Gefahr, sie zu rhetorischen Selbstläufern werden zu lassen. In einern Brief an Massigli von Ende Februar 1944 verlangte de GauBe Präzisierungen über "les conditions strategiques et econorniques dans lesquelles la 'separation' de la Rhenanie et de I'Allemagne placerait la France, la Belgique, les Pays-Bas et I'Angleterre" sowie über "les conditions econorniques dans lesqueBes pourrait vivre une Rhenanie separee du Reich et federee avec I'Ouest."7 Gewiß läßt sich die de GaulIesche Ausgangsposition, die Vorstellung, künftige französische Sicherheit durch ein von Deutschland separiertes Rheinland als startegische Grenze zu garantieren, kaum bestreiten, doch war seine Haltung weder starr und unverrückbar noch unabhängig von äußeren Einflüssen und Konstellationen.· Gewiß faßte er eine Rheinlandabtrennung als gewichtige Planungsoption ins Auge, doch gehörte die Frage auch in den breiteren Zusammenhang der Unsicherheiten und Unwägbarkeiten in London und Algier, die zwingend vorschrieben, deutschlandpolitisch grundsätzlich alles nur Erdenkliche in Erwägung zu ziehen und konzeptionell aufzubereiten. Wem es in erster Linie darum ging, Maximales zu beanspruchen, möglichst rasch möglich viel innen- wie außenpolitisch Nützliches in den Händen zu halten, der konnte darauf kaum verzichten, unabhängig davon ob er den eigenen Standpunkt für sinnvoll und realisierbar hielt.

Massigli zeigte sich in der Tat skeptisch, warnte in seiner Antwort von Anfang März 1944 davor, eine "revendication territoriale proprement dite" zu erheben, die deutsche Einheit von außen zu zerstören, die "occupation comme une servitude" zu definieren und die sozioökonornischen Schwierigkeiten eines autonomen Rheinlandes zu unterschätzen. Er betonte dagegen die Abhängigkeit künftiger Sicherheit vom "redressement fran~ais", von der Ausweitung momentan geschwundenen französischen Prestiges. 9 Viele von Massiglis Argumenten gegen einen Rheinstaat finden sich bei anderen Akteuren in gleicher Weise, nähren Zweifel am blinden politischen Abtrennungswillen der "Freien Franzosen" und unterstreichen deren zumeist realistische Einschätzungen und deren Bewußtsein für die Risiken einer solchen Politik. Bereits Ende Mai 1943 hatte sich Jacques Tarre de Saint-Hardouin in einer ausführlichen Studie an Rene Mayer schon allein deshalb ablehnend gegenüber einern autonomen Rheinstaat geäußert, weil "la constitution d'un etat Rhenan, replique de la vieille Lotharingie, entrainerait un inconvenient indeniable concemant nos provinces de lEst" und zöge regionalistische Tendenzen in Elsaß-Lothringen nach sich. 10 Laurent Blum-Picard erschien die Entwicklung an der Saar nach dem Ersten Weltkrieg als abschreckendes Beispiel, daß "de tels demembrements econorniques 7 Brief de GaulIe an Massigli, 24.02.44, AMAE GU (1939/45) 1479. Der Brief ging auf eine Vorlage von Rayrnond Offroy zurück, die de Gaulle "konstruktiv" überarbeitete, vgl. Offroy, Passer outte, S.60. I

9 HI

Vgl. nun auch Soutou, Frankreich und die Deutschlandfrage 1943-1945, S.77. Vgl. Massigli, Le probleme de la paix avec I'Allemagne, 02.03.43, AMAE GU (1939/45) 1487. Vgl. Tarne de Saint·Hardouin, Le probleme allemand et la paix en Europe, 25.05.43, AN 363 AP 3.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

creeront des n!actions puissantes de la part des Allemands en exaltant leur esprit patriotique et que l'on accumulera ainsi les explosifs qui sauteront un jour."ll Rene Ma}ef sorgte sich in seiner Notiz für de Gaulle ebenfalls um einen neuen deutschen Nationalismus, um "une tendance irresistible vers le germanisme" innerhalb einer "Lotharingie industrielle" sowie um die Aufnahme solcher Forderungen bei den Alliierten. 12 Herve Alphand machten nicht nur die Reaktionen der "Großen Drei" gegenüber solcherlei "manifestations du sentiment fran~ais" Kummer, sondern auch die der Deutschen, als er argwöhnisch fragte, ob denn eine wirtschaftliche Angliederung des rheinisch-westfälischen Gebiets an eine westeuropäische Union überhaupt möglich sei "sans provoquer, au sein des populations de l'Allemagne occidentale, des reactions qui placeraient la longue les Allies devant la necessite, soit d'abandonner le controle de l'economie rMnane, soit de pratiquer une politique de coercition."13 Ob die Abtrennungsthesen tatsächlich von Anfang an taktischen Charakter hatten,14 mag dahingestellt bleiben. Fest steht jedoch, daß von Anfang an der Glaube an deren Durchsetzbarkeit ziemlich gering war, das Bewußtsein für die langfristig negativen Konsequenzen einer solchen Politik dagegen ziemlich hoch.

a

Unmißverständliche Saarannexion? Die Saarfrage bildete ebenso wie das Problem einer politischen Abtrennung des Rheinlandes einen Bereich, in dem die Forderung, selbst radikalste Vorstellungen in Erwägung zu ziehen und konzeptionell zu erfassen, mit praktischen Planungsarbeiten korrespondierten, die teils vehement auf die Gefahren eines solchen Vorgehens hinwiesen und Annexionen - von ganz wenigen Ausnahmen, die auch diese Option offengehalten wissen wollten _15 durchweg ablehnten. Dies galt schon implizit für de Gaulle und seine Direktiven von Ende Oktober 1943. 16 Dies galt explizit für Produktions- und Ernährungskommissar Diethelm, der "de clauses voisines de celles du traite de Versailles" forderte, "du moins tant que les projets esquisses d'un cartel europeen de charbon ne seront pas entres effectivement en application."17 Dies galt für Rene Mayer, dem eine "occupation qui pourrait etre immooiatement productive pour la France" vorschwebte, eine "mesure conservatoire qui presenterait un avantage considerable pour la reconstruction immooiate de la France."18 Dies galt für den Generalstab, der für die Besetzung "des territoires sarroises et voisines de la Sarre et de la Moselle, en raison Memoire sur le desarmement eronomique de I'Allemagne, 08.11.43, AN F12 10105. Vgl. Note Mayer an de Gaulle und Massigli, 30.09.43, AN 363 AP 3. IJ Brief Alphand an Dejean, 06.03.44, AMAE GU (1939/45) 727 . .. So Kessel, Westeuropa und die deutsche Teilung, S.8. "'VgI. Dejean an Massigli, 08.08.45, AMAE GU (1939/45) 653, der meinte "qu' une annexion totale ou partielle, ouverte ou voilee, ne devait pas etre rejetee d'emblee, meme si elle devait s'accompagner de la deportation d'une partie de la population de souche et de sentiments p1Ussiens." 16 Vgl. Raymond Poidevin, La politique allemande de la France en 1945, in: Va:isse (Hg.), 8 Mai 1945, S.221-238 (222). 17 Andre Diethelm an de Gaulle, Stipulations d'un armistice eventuel avec I'Allemagne, 22.03.44, AMAE GU (1939/45) 716. 11 Rene Mayec an de Gaulle, Note sur les clauses inserer dans un eventuel armistice avec I'Allemagne, 29.03.44, AN F60 889. 11

11

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des interets economiques particuliers que la France revendique sur ces territoires" plädierte. 19 Dies galt für Rene Massigli, dem es bei allem französischen Interesse an der Verfügung über die Saargrubenproduktion der Nachkriegsjahre darauf ankam "d'eviter un trace dont la propagande allemande prendrait pretexte pour denoncer de nouveau des visees annexionnistes de la France." 20 Die Herleitung anti-annexionistischer Saarpolitik entsprach den Begründungen einer Untersuchung des Pariser Bureau d'etudes Chauvel. Es betonte den seit der Volksabstimmung vom 13.Januar 1935 erst recht evidenten deutschen Charkter des Landes, der eine "argumentation historico-sentimentale" wie 1919 nicht mehr möglich erscheinen lasse, und gelangte zu fünf Schlußfolgerungen: erstens Reduzierung der Saarforderung auf eine kleine Grenzberichtigung unter Einschluß des Wamdt; zweitens Verzicht auf historische Argumente; drittens Rechtfertigung durch praktische Wirtschaftserfordernisse; viertens Transfer der nicht im Kohlebergbau beschäftigten lokalen Bevölkerung nach Deutschland; fünftens Einweihen der amerikanischen und britischen Regierung. Unter ökonomischen Gesichtspunkten unterstrich es schließlich, daß an der Saar nur "certaines qualites de charbon" gefördert würden und die französische Wirtschaft gar nicht der gesamten Saarproduktion bedürfe. 21 Unmißverständliche Revachepolitik? All diese Zitatstellen verdeutlichen, daß es den meisten "Freien Franzosen" - bei aller Nuancierung der einzelnen Positionenin der Diskussion um die Abtrennung deutscher Territorien 22 nicht primär um den politisch-strategischen Charakter solcher Maßnahmen ging, sondern um wirtschaftliche Kontroll- und Verfügungsrechte. Es ging nicht um eine Revanchepolitik, sondern um eine Nutzungsstrategie für Wiederaufbau und Modernisierung im eigenen Land als Voraussetzung einer Integrationspolitik gegenüber der deutschen Wirtschaft aus eigenem Interesse. Es ging nicht um Abtrennung als Ziel an sich, sondern als Mittel, das sich - sollten sich Kontrollmechanismen und Einflußmöglichkeiten auf andere Art und Weise dauerhaft etablieren lassen - durchaus revidieren ließ. Es ging nicht um die Formulierung künftig unumstößlicher Deutschlandziele, sondern 19 Vgl. EMDN, Iere Section, Memoire concernant les desiderata et points de vue particuliers de la France, Haire valoir notamment aJ'egard des allies, 13.05.44, AMAE GU (1939/45) 716. 1D Brief Massigli an Bethouard, 23.05.44, AMAE GU (1939/45) 716. 21 V gl. Le pl"Obleme de la Sarre et d'une rectification des frontieres fran~aises, 0.A., o.D., AMAE Papiers 1940 BECH 115. 22 Auf eine Analyse der vagen Vorstellungen zur künftigen politischen Struktur Gesamtdeutschlands soll im folgenden verzichtet werden; es sei allerdings unter Vorbehalt der erwähnten sprachlichen UnschäIfen in diesem Bereich darauf aufmerksam gemacht, daß in den zuvor vielfach zitierten Dokumenten Saint-Hardouin, Monnet, Massigli, Vermeil, Blum-Picard und Dejean ausdrücklich die Gefahren eines von außen auferlegten "demembrement" bzw. "morcellement" hervorhoben, teilweise allerdings von innen heraus zutage tretenden partikularistischen oder separatistischen Tendenzen nicht abgeneigt gegenüberstanden. Am deutlichsten im Sinne einer eventuellen Selbstauflösung der Einheit des Reichs, ohne diese jedoch wegen langfristig kontraproduktiver Konsequenzen von außen fördern zu wollen: Vortrag Maurice Dejeans an der Londoner Universität, La politique exterieure fran~aise, 17.04.44, AMAE PAAP 288/42; am prägnantesten zur These, "l'unite allemande se scellera d'autant plus intimement que nous pretendrons la dissocier ou semblerons vouloir le faire," Commissariat aux affaires etrangeres, Remarques sur le futur armistice, 27.04.44, AMAE GU (1939/45) 716.

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um die Diskussion sämtlicher Verhandlungsoptionen. Auf die inhärenten Risiken wiesen die Planer selbst hin, auf die geringen Durchsetzungschancen einer solchen, von ihnen selbst als maximalistisch erachteten Politik wird noch einzugehen sein. Gegen die Einschätzung einer Revanchepolitik sprechen darüberhinaus die vielfältigen Umerziehungs- und Entpreußifizierungsaspekte der Exilplanungen ebenso wie die Hinweise, daß bei Kriegsende eine Politik, welche Haltungen und Verhalten, materielle Bedürfnisse und Lebensstandard der Deutschen überhaupt nicht berücksichtige, kontraproduktive Wirkungen zeitigen müsse. Die Verantwortung Bismarcks und Preußens für Hitler und den Nationalsozialismus zog im Umkehrschluß die Ablehnung einer Kollektivschuld des deutschen Volkes für die in seinem Namen begangenen Verbrechen nach sich und ließ die Deutschen nicht generell als Nazis erscheinen. 23 Die Einstellung gegenüber den Nachbarn im Osten, wie sie in den Planungen von London und Algier zum Ausdruck kam, war einerseits vom klassischen französischen Sendungsbewußtsein als Heilsbringer der Ideen von 1789 geprägt, andererseits aber von tiefem Respekt und beträchtlichem Schwächebewußtsein, das auf dem rasanten wirtschaftlichen und demographischen Aufstieg Deutschlands seit dem letzten Drittel des 19.Jahrhunderts und den psychologischen Nachwirkungen der Katastrophe ebenso zu beruhen schien wie auf einer Beurteilung machtpolitischer Realitäten bei Kriegsende, die bereits das sowjetische Nutzungsund Infiltrationspotential chaotischer Verhältnisse in Deutschland zum Schaden Frankreichs als bedenkenswerten Faktor beinhaltete: Rapallo war immer präsent. An einer vor sich hindarbenden deutschen Nachkriegswirtschaft und damit an einer am Hungertuch nagenden deutschen Bevölkerung konnte Frankreich nicht nur wegen der Bedeutung deutscher Ressourcen für den europäischen Wiederaufbau, sondern auch aus diesem Blickwinkel keinerlei Interesse haben. Deshalb ging das völlige Fehlen von Agrarisierungsprämissen für Deutschland einher mit der in jedem Dokument anzutreffenden Forderung, daß "I'Allemagne devra conserver une activite industrielle suffisante pour nourrir sa population et lui assurer un niveau d'existence convenable,"24 daß in Deutschland "un niveau de vie suffisamment eleve pour que les masses allemandes ne soient pas tentees a nouveau par des solutions extremistes a I'interieur et a I'exterieur" aufrechterhalten werden müsse. 2S Unter den harten Bedingungen der Nachkriegsjahre "une formule inspiree du regime sovietique a certainement de grandes chances a I'emporter," jedenfalls sei es nur ein Schritt vom 23 Vgl. fiir de Gaulle z.B. seine Rede in der Universität Oxford, 25.11.41, in: De GauUe, DM I, 5.138146 (142-145). Vgl. auch den Einfall Chauvels, Brief an Koeltz, Articles a publier dans la presse allemande au moment de l'arrnistice, 25.06.44, AMAE GU (1939/45) 1529, Presse artikel vorzubereiten, die "rOOiges sur UD ton impartial, auraient pour objet de faire connaJ"tre aux Allemands les exactions et violences des troupes et des autorites d'occupation en France;" Billigung des Vorschlags in der Commission d'6tudede l'arrnistice, Proces-verbal de la reunion du 19 juillet, 20.07.44, AMAE GU (1939/45) 716 mit der Präzisierung, daß die Artikel "doivent s'abstenir d'une maniere absolue de tout caractere polemique ou de haine." 2A Mission diplomatique fran~ise aupres des gouvernements allies, Affaires allemandes, Memoire sur le desarmement economique du Reich, 17.01.44, AMAE GU (1939/45) 654. 2S Vgl. z.B. Herve Alphand, Note pour le Comite (projet) a.s. Problemes economiques de I'Armistice, 03.03.44, AMAE GU (1939/45) 717.

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"national-socialisme au national-sovietisme."26 Die Vermutung einer Annexionspolitik der Sowjetunion im Osten des Reiches und eines damit verbundenen Machtzuwachses, die völlige Unkenntnis der "veritables intentions sovietiques" für Gesamtdeutschland27 sowie die Annahme eines raschen amerikanischen Truppenrückzugs aus Europa am Ende der militärischen Konfrontationen führte noch während des Krieges zu einer Revitalisierung des Rapallo-Syndrorns. Gerade deshalb war es für Frankreich so wichtig, im besetzten Deutschland nicht allein, sondern mit den "Großen Drei" gemeinsam zu handeln, sich nicht übermäßig zu exponieren,2s sondern die Verantwortung für Sanktionsmaßnahmen diesen zu überlassen, vor allem der Sowjetunion, deren Amoralismus 29 und Skrupellosigkeit "aux depens de l'Allemagne" den besten Garant dafür bilde, daß es nicht zu einem "rapprochement entre le Reich et la Russie" komme. 30 Die Frage, von wem denn nach Kriegsende letztlich die größere Gefahr für die französische Sicherheit ausginge, stellte man sich durchaus schon während des Exils mit vollem Ernst, nicht zuletzt mit Blick auf die zukünftige innenpolitische Landschaft im Hexagon. Dies sollte sicherheitspolitisch in der Tat eines der Dilemmata französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan bleiben.

d) Kontinuitäten von Algier nach Paris: Bewußtsein eigener Schwäche und Maximalpositionen als Ausweg? "Nous aurions d'autant plus interet a diluer le probleme des reparations proprement dit dans le cadre general d'une reorganisation de l'eoonornie europ6enne que l'opinion des pays anglo-saxons se mOßtrerait probablement hostile sinon imm6diatement, tout au moins a la longue aune politique purement repressive.'"

Die Betrachtung der deutschland politischen Planungsarbeiten des äußeren Widerstandes fördert vielerlei Kontinuitätslinien zutage, die auch nach Kriegsende für das V orgehen Frankreichs gegenüber dem östlichen N achbam im innen- und außenpolitischen Kontext prägend bleiben sollten. Dies betraf einerseits inhaltliche Aspekte, denn vieles von dem, was man in London und Algier vorformulierte, wanderte in Paris nicht als Makulatur in den Papierkorb, sondern floß unter den vorgefundenen Handlungsbedingungen in die konkretisierten Konzeptionen ein. 26

Bureau d'etudes Chauvel, Perspectives allemandes, Mars 1943, AMAE Papiers 1940 BECH 113.

TI

Vgl. Herve Alphands Konzeptionen, z.B. seine Note vom 03.12.43, AN 457 AP 82.

2. Eine Studie des Bureau d'etudes Chauvel, Le desarmement de 1'A1lemagne, o.A., o.D., AMAE

Papiers 1940 BECH 115 forderte "que nous restions volontairement le plus a1'6cart possible." 29 Zum "amoralisme du totalitarisme russe" vgl. Pierre Vienot, zit. nach Louis Joxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Politique de la France en Rhenanie, 02.02.44, AN F60 889 . ., Vgl. Comrnissariat aux affaires etrangeres, Remarques sur le futur arrnistice, 27.04.44, AMAE GU (1939/45) 716.

• Herve Alphand, Note poor le Cornite (projet) a.s. Problemes eoonorniques de I'Annistice, 03.03.44, AMAE GU (1939/45) 717; ähnlich Brief Vienot an Massigli a.s. Conditions d'arrnistice a imposer a 1'A1lemagne, 05.02.44, AMAE GU (1939/45) 653.

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Dies betraf andererseits mentale und taktische Prädispositionen, denn dazu gehörte bereits die Berücksichtigung der inneren Sachzwänge bei der Befreiung und der Erwartungshaltungen der französischen Öffentlichkeit, 2 dazu gehörte bereits ein ausgeprägter Sinn für zwangsläufige deutschlandpolitische Widersprüche und für die langfristigen Konsequenzen bestimmter Politikansätze,l dazu gehörte bereits und vor allem ein weitverbreitetes Bewußtsein eigener machtpolitischer Schwäche und der Eindruck geringer Durchsetzungschancen maximalistischer Positionen.

Optionsvieljalt wegen Schwächebewußtsein. Das ausgeprägte Schwächebewußtsein kam implizit wie explizit in mannigfacher Form zum Ausdruck. Es läßt sich aus dem profunden Respekt vor den Deutschen ebenso ableiten wie aus den frühen Sorgen um die künftige Rolle der Sowjetunion auf dem Kontinent, im Umkehrschluß aus Beschwörungen, es gäbe doch keinerlei Grund "d'eprouver ... un complexe quelconque d'inferiorite"4 ebenso wie aus Bekenntnissen, es habe wenig Zweck, zu ehrgeizige Ziele zu verfolgen. s Im übrigen dürfe man bei der Besatzung Deutschlands nicht "ni par sa duree, ni par son ampleur, excooer nos possibilites rnilitaires et politiques."6 Vor diesem Hintergrund hegte man nicht nur in der Frage deutscher Gebietsabtrennungen wegen vorhersehbarer angelsächsischer Widerstände gewisse Zweifel an den faktischen Verwirklichungsmöglichkeiten. Man hatte sie ebenso in der Frage einer territorialen Zerstückelung "qui consisterait essayer de ramener 1..es Allemagnes' au point Oll elles en etaient au 18e siecle"7 oder in der Reparationsfrage, wie das Alphandsche Eingangszitat nahelegt. Solch frühe Skepsis gegenüber den Durchsetzungschancen von Maximalpositionen bildete demzufolge neben der Einsicht in deren langfristig potentiell kontraproduktive Wirkungen und Gefahren den zweiten maßgeblichen Bestimmungsfaktor deutschlandpolitischer Ansätze, und dies über die Liberation hinaus.

a

2 Vgl. neben den in Kapitel A 111 3 zitierten Dokumenten z.B. Note du professeur Vaucher sur l'etude des problemes d'apres-guerre, 09.06.42, AN 382 AP 57 oder de Gaulle, der während des mehrfach erwähnten Mittagessens in Algier vom 17.0ktober 1943 die vocaussehbare öffentliche Germanophobie der Nation andeutete, als er gegenüber Monnet einwarf, er sehe "difficilement, apres cette guerre, les Franyais et les Allemands faire partie d'une meme union economique," in: Rieben (Hg.), Guerres europeennes, S.286-291 (290).

3 Vgl. beispielsweise das wiederholte Hervorkehren der Tatsache, daß Frankreich mit einer Besatzungszone in Deutschland nicht nur ein Nutzungsobjekt nationaler Rekonstruktion, die Alliierten mit der Regierungsübernahme beim östlichen Nachbarn nicht nur ein Pfand künftiger Sicherheit erhielten, sondern sich auch eine beträchtliche Last und Verantwoctung aufbürdeten; vgl. z.B. Comrnissariat aux affaires etrangeres, Note sur les clauses essentielles d'un arrnistice avec I'Allemagne, 10.02.44, AMAE Y (1944/49) 278.

• Telegramm Dejean an Massigli, 08.08.44, AMAE GU (1939/45) 653. 'Vgl. Laurent BlUß}-Picard, Premif2' memoire sur l'ocganisation economique de I'Europe d'apres guerre, erstellt am 01.12.43, am 25.02.44 Mendes France zugesandt, SAEF B 30002. 6 Vgl. Comrnissariat aux affaires etrangeres, Remarques sur le futur arrnistice, 27.04.44, AMAE GU (1939/45) 716. 7 Tarbe de Saint-Hardouin, Le probleme allemand et la paix en Europe, 25.05.43, AN 363 AP 3; vgl. daneben z.B. CFLN, Secretariat general, Louis loxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Politique de la France en RMnanie, 02.02.44, AN F60 889, der auf die reservierte Reaktion Londons und Washingtons auf die damals noch akuten Moskauer Aufteilungspläne aufmerksam machte.

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Der Konsens über den eigenen machtpolitischen Schwächezustand, auf dessen biographische Erklärungsmuster nicht noch einmal hingewiesen werden muß, korrespondierte mit einem Konsens über Aexibilität als kategorischem Imperativ jeglicher konzeptioneller Vorarbeiten, nicht aber mit einem Konsens, was das deutschlandpolitische Vorgehen im internationalen Verkehr anbelangte. BlumPicard, Massigli oder Vü!not traten dafür ein, möglichst gar nicht präzis Stellung zu beziehen, denn "en nourissant des projets trop ambitieux, on risque de courir ades echecs dont l'effet materiel et moral serait plus dangereux que l'adoption de mesures qui pourraient, apremiere vue, apparaitre comme trop liberale." 8 Andere, wie Louis Joxe in einem Vermerk an de Gaulle von Mitte April 1944, vertraten die gegenteilige Auffassung, die sich über die Befreiung hinaus als bevorzugtes Verhandlungskalkül deutschlandpolitischer Entscheidungsträger durchsetzen sollte: Reservierung der Zukunft und Aufrechterhaltung aller Optionen durch das Einklagen maximalistischer Ansprüche. 9 Gerade wenn die Aussichten gering schienen, galt es zu insistieren,lo gerade wenn die Vorschläge als "solution hardie" erschienen, galt es zumindest zu versuchen, sie obsiegen zu lassen,11 gerade wenn die Ausgangsposition Frankreichs nicht großartig schien, galt, daß "sa faiblesse meme lui impose l'offensive."12 Und es galt dies umso mehr, als davon auszugehen war, daß ausschließlich die in der "convention d'armistice" fixierten Ansprüche Frankreichs in späteren internationalen Verhandlungen überhaupt Diskussionsanspruch und damit Realisierungschancen besäßen. 13 Mußte man nicht demzufolge maximalistische Positionen einnehmen und so glaubwürdig wie möglich vertreten? Mußte man nicht demzufolge offizielle und inoffizielle Positionen pragmatisch voneinander trennen? Damit waren selbst die verhandlungstaktischen "Extrempositionen" innerhalb der Pariser Zentrale, zwischen die sich seit Sommer 1945 ein Bidaultscher, eher an de Gaulle orientierter Ansatz etablieren sollte, bereits zu Widerstands zeiten markiert. Mit Massiglis Wechsel auf den Botschafterposten nach London blieben bei der Liberation die Differenzen zunächst noch verdeckt, traten dann seit Mitte 1946 allerdings zunehmend durch interne Konflikte im Quai d'Orsay an die Oberfläche. Die realistische Einschätzung machtpolitischer Möglichkeiten führte jedenfalls in Algier zu zwei grundverschiedenen taktischen Varianten, zu einer idealtypisch von Massigli verkörperten "Understatement-Variante" und einer gaullistischen "Overstatement-Variante". Angesichts der ebenso fundamentalen wie folgenschweren Frage, wie man am sinnvollsten mit der eigenen machtpolitischen Schwäche umgehen solle, ging es dabei primär um die Funktionen offizieller Positionen für die • Brief Vienot an Massigli a.s. Conditions d'armistice, 05.02.44, AMAE GU (1939/45) 653. Vgl. CRN, Secretariat general, Louis loxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Clauses d'un armistice eventuel avec I'Allernagne, 15.04.44, AN F60 889. [0 Vgl. Telegramm Monnet an Mayer, 15.12.43, SAEF B 33001. [[ Vgl. Herve Alphand, Note pour M. Massigli, 02.03.44, AMAE GU (1939/45) 717. 12 lacques Rueff, Note sur la pn!paration des prochaines negociations financieres et rnonetaires, o.D., vermutlich August oder September 1944, SAEF B 33000. 13 Vgl. CRN, Secretariat general, Louis loxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Politique de la France en Rbenanie, 02.02.44, AN F60 889. 9

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künftige Deutschlandpolitik gegenüber den "Großen Drei", letztlich um die geeignetsten Herangehensweisen zur Maximierung des nationalen Nutzens, weniger um die Positionen selbst.

Interpretations!aktoren. Von verschiedenen deutschlandpolitischen Schulen kann nur sehr bedingt die Rede sein. Die Frage nach konstruktiven oder destruktiven Ansätzen stellte sich in dieser Form überhaupt nicht, reizt den Historiker heute mehr als damals die Akteure. Diesen ging es in erster Linie um das nationale Interesse, so wie sie es verstanden, um Frankreichprioritäten und um die Rolle, die das Nachkriegsdeutschland bei deren Verwirklichung spielen konnte. Im übrigen lassen sich stichhaltige Aussagen über Konstruktivität und Destruktivität nur mit äußersten V orbehalten machen. Es gilt nicht nur die Widerstands- und Kriegssituation zu berücksichtigen, nicht nur das Gebot, wegen der vielfältigen Unsicherheiten sämtliche Eventualitäten konzeptionell vorzubereiten, sondern auch den unterschiedlichen Charakter des produzierten Materials. Jedenfalls formulierten die Waffenstillstandsdokumente bevorzugt weitreichendere Forderungen im Verhältnis zu den allgemeinen Deutschlandplanungen, und nur dort stößt man beispielsweise auf "la necessite de separer administrativement la 'zone de securite' du reste de l'Allemagne" als rein politisch-strategische Sicherheitslösung, ohne gleichzeitig die europäische Komponente zu betonen. 14 Doch selbst bei den Waffenstillstandsplänen fanden sich nicht grundsätzlich germanophobe Züge, zumindest dann nicht, wenn sie den Charakter interner Vorüberlegungen und die Außenwirkung somit nicht einzurechnen hatten. Die Memoranden, welche die mit Deutschland befaßten Kommissare de Gaulle auf dessen Aufforderung hin zwischen Ende März und Ende April 1944 unterbreiteten, zeichneten sich laut Joxe durch "la relative moderation des demandes qu'ils contiennent" aus. In seinem zusammenfassenden Bericht l5 führte er aus, die Forderungen zeugten "d'un reel souci de rester dans le domaine de la stricte legalite et de menager l'economie allemande." Einen "ton de moderation" empfand Joxe in erster linie bei den Empfehlungen von Massigli, Mayer, aber auch bei denen von Maurice Couve de Murville, die realiter von Guillaurne Guindey, seinem Abteilungsleiter im Finanzkommissariat abgefaßt waren l6 und gegen eine zu hohe Abwertung der Reichsmark zu Felde zogen, gegen wilde Demontagen und gegen alle Maßnahmen, welche die deutsche Wirtschaft zerstörten und damit ein Hindernis für die zum französischen Wiederaufbau unabdingbaren Restitutionen darstellten. Exzessive Interpretationen, erst recht solche, die völlig einseitig auf die eine oder die andere Komponente abheben, scheinen kaum angebracht. In Anbetracht einer gänzlich entgegengesetzten traditionellen Sicht muß gleichwohl unterstrichen werden, daß der durchgängig bekundete Lernwille aus den Erfahrungen der ersten .. Vgl. Clauses rreparatoires de la Paix ii inserer dans la Convention d'annistice avec l'Allemagne, o.A., 10.03.44, AMAE GU (1939/45) 653. " V gl. CFLN, Secretariat general, Louis Joxe, Note pour le General de Gaulle a.s. Clauses d'un annistice eventuel avec I'Allemagne, 15.04.44, AN F60 889. " Vgl. Maurice Couve de Murville an de Gaulle, Elements pour la rreparation des c1auses economiques et financieres d'une convention d'annistice avec l'Allemagne, 07.04.44, AN F60 889; Guillaume Guindey, Vermerk mit gleichlautendem Titel und Text, 07.04.44, SAEF B 8786.

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Nachweltkriegsjahre eine Revanchepolitik ausschloß,17 auf lange Sicht durchaus zukunftsträchtige Überlegungen implizierte, vor allem aber zur Erkenntnis beitrug, man müsse vor allen Dingen eine äußerst geschickte und flexible Politik gegenüber dem östlichen Nachbarn auf den Weg bringen. Die hervorstechenden Merkmale der deutschlandpolitischen Exilplanungen, sieht man einmal von den ex post feststellbaren sachlichen wie strategischen Kontinuitätslinien ab, waren bewußte Flexibilität, Offenheit und Entwicklungsfahigkeit der Konzeptionen, welche die zukünftigen Handlungsspielräume nicht einengen und viele Wege und Optionen offenhalten sollten. Bei der Befreiung entschieden vor allem die heiklen äußeren Umstände und der allseitige Handlungsdruck über die Betonung der einen gegenüber anderen Aspekten innerhalb dieses weitgefaßten Rahmens, was jedoch nicht bedeutete, daß diese faktisch in Vergessenheit gerieten und keine Grundlagen für spätere Anknüpfungspunkte mehr bieten konnten.

Zwischenbilanz: "Freies Frankreich", Großbritannien und Morgenthau. Die Flexibilitätsprämissen beruhten nicht zuletzt auf den "Grenzen rationaler Planungen",18 die für die "Freien Franzosen" aufgrund der dünnen Personaldecke sowie der immensen technisch-administrativen Schwierigkeiten noch weitaus stärker ins Gewicht fielen als bei den Briten, die doch über intakte Planungsstäbe, angemessene Planungskapazitäten und relevante Planungs grundlagen verfügten. Der durchschnittlich höhere Konkretisierungsgrad britischer Kriegskonzeptionen für das Nachkriegsdeutschland kann somit kaum überraschen. Darüberhinaus unterschieden sich die Ausgangsbedingungen. Großbritannien lag nicht Grenze an Grenze zu Deutschland und bildete keine Kontinentalmacht, es hatte weder den Krieg verloren, noch war es besetzt, sah sich weitgehend von den Erschütterungen der Franzosen seit dem Sommer 1940 verschont und, was Moral, Selbstvertrauen und nationale Identität anbelangte, weniger in Mitleidenschaft gezogen. 19 Es gab allerdings daneben parallele, für Deutschlandkonzepte fundamentale Erfahrungshorizonte beiderseits des Kanals, vor allem das Scheitern der Ersten Nachweltkriegszeit, die Krisen der 30er Jahre in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie das diplomatische "appeasement"-Trauma. Es gab ähnlich gelagerte Interpretationen der neueren deutschen Geschichte und ähnliche Deutschlandbilder. 20 Es 17 Die Einschätzung von GramI, Die Alliierten und die Teilung Deutschlands, S.108, eine "solide Mehrheit" französischer Akteure habe bei Kriegsende "noch ausschließlich in den außenpolitischen Kategorien der Zwischenkriegszeit" gedacht, entbehrt schon für die Jahre im äußeren Widerstand jeglicher Grundlage. 11 So der Titel der Schlußbetrachtung bei Kettenacker, Krieg zur Friedenssicherung, S.517. 19 Vgl. zu den divergierenden Ausgangslagen knapp Clemens Wurm, Die Integrations- und Europapolitik Frankreichs und Großbritanniens, S.335-344; zur These, daß auch Großbritannien 1940 von langfristig wirksamen, traumatischen Erfahrungen nicht verschont blieb, daß der "glorious battle of Britain" eher Mythos als Realität war vgl. das provokante Buch von Clive Pointing, 1940. Myth and reality, London 1990. 20 Zu Großbritannien vgl. Adolt M. Birke, Geschichtsauffassung und Deutschlandbild im Foreign Office Research Department, in: HJb 104 (1984) S.372-391 sowie Lothar Kettenacker, PreußenDeutsdJIand als britisches Feindbild im Zweiten Weltkrieg, in: Bemd Jürgen Wendt (Hg.), Das britische Deutschlandbild im Wandel des 19. und 20.Jahrhunderts, Bochum 1984, S.145-168.

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gab überdies gleichgerichtete Antriebe mit dem Ziel langfristiger Friedenssicherung auf dem Kontinent. Und es gab in der Tat vielerlei konvergierende Deutschlandansätze im Rahmen der Planungen von 1943/44, die letztlich die traditionell behaupteten diametralen Gegensätze relativieren. Ohne ins Detail gehen zu wollen, so seien zumindest einige Aspekte knapp benannt, die in den Deutschlandstudien britischer wie "frei-französischer" Planungsstäbe gleichermaßen, mit nur graduellen Abweichungen zum Ausdruck kamen: zunächst ein vergleichsweise ausgeprägtes Bewußtsein machtpolitischer Schwäche und begrenzter Machbarkeiten seitens der Führungseliten, das auf der Insel gewiß weniger akzentuiert war als in Nordafrika, 21 in der diplomatischen Praxis hier zur Prämisse anglo-amerikanischer Partnerschaft führen sollte, dort zu einer offiziellen Hängepartie zwischen West und Ost;22 eine primär wirtschaftlich geprägte Sicherheitsdefinition, denn Deutschland bildete offenbar für Großbritannien - nicht anders als für das "Freie Frankreich" - weder während des Krieges noch danach das wichtigste, geschweige denn das vordringlichste Politikfeld,23 denn die Projekte der Briten spiegelten nicht weniger als die der Franzosen innere Prioritätensetzungen für die Nachkriegsjahre wider und die innerbritische Wirtschaftslage dominierte deutlich die diplomatischen Entscheidungsprozesse;24 ein Ansatz industrieller Abrüstung, der sich im Ergebnis nicht an einer Zerstörung des deutschen Wirtschaftspotentials, sondern an dessen Bedeutung für den europäischen Wiederaufbau, an dauerhafter Prosperität und Sicherheit orientierte;2'i eine britische Reparationskonzeption, welche die inhärenten Risiken langfristiger Ansprüche noch deutlicher in den Vordergrund rückte als die französische angesichts der deutschen Ausbeutungspolitik im Hexagon;26 eine augenfällige Sorge um die Rolle der Sowjetunion auf dem Nachkriegskontinenf 7 und um deren Nutzungschancen sozioökonomisch chaotischer Verhältnisse in Deutschland, die allerdings aufgrund der Inexistenz einer 2lVgI. dazu Victor H. Rothwell, Britain and the Cold War 1941-1947, London 1982, S.2f.; Kennedy, Realities behind diplomacy, S.36lf.; Ebersold, Machtverfall und Machtbewußtsein, S.84ff. 22 Vgl. für Großbritannien z.B. Anne Deighton, Introduction, in: dies. (Hg.), Britain and the fIrst Cold War, London 1990, S.1-8 (4); vgl. dam ausführlicher Kapitel A I 3b. 13 Vgl. z.B. Marshali, Origins of post-war Gerrnan politics, S.8f. "Vgl. Anthony Adamthwaite, Britain and the world 1945-1949: the view from the Foreign Office, in: Becker I Knipping (Hg.), Power in Europa, S.9-26 (12f.) sowie Anne Deighton, Towards a "western" strategy. The making of British policy towards Gerrnany 1945-46, in: dies. (Hg.), Britain and the fIrst Cold War, S.53-70 (54). 2j Vgl. z.B. Tyrell, Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten, S.484-489 sowie S.500ff., vor allem das zitierte, nach Branchen aufgeschlüsselte Dokument zu "economic obligations to be imposed on Gerrnany", das sich - abgesehen von der Höhe künftig zulässiger Stahlproduktion - nur geringfügig von ~n Planungen unterschied, was die Beseitigung und Beschränkung sicherheitspolitisch relevanter deutscher lndustriezweige anbelangte. Zur fIxen Idee industrieller Entwaffnung britischer Akteure bei Kriegsende vgl. Alec Caimcross, The price of war. British policy on Gerrnan reparations 1941-1949, Oxford 1986, S.222 u.230. 26 Vgl. z.B. Caimcross, The price of war, S.12. 'II Vgl. differenziert zur Ambivalenz britischer Weitsichtigkeit gegenüber der Sowjetunion während des Krieges, David DiIks,lntroduction, in: ders. (Hg.), Retreat from power, Studies in Britain's foreign policy ofthe twentieth century, Bd.2: After 1939, London 1981, S.1-65 (7-12).

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gesellschaftlich wie kulturell hegemonialen kommunistischen ParteeS weder die gleichen innenpolitischen Gefahren noch die außenpolitischen Nutzungspotentiale bergen sollte; schließlich vor allem Diskussionsprozesse, die etwa eine Zerstückelung Deutschlands ebenso in Erwägung zogen wie die der "Freien Franzosen", sowie Ausarbeitungen, die solche Zielperspektiven unterstützten 29 und für Frankreich zur generellen historiographischen Feststellung völliger Destruktivität führten. Während man fiir Großbritannien betont, es gäbe zwar konstruktive und destruktive Ansätze verschiedener Londoner Planungszentren, doch hätten sich letztere am Ende eben nicht durchzusetzen vermocht, so setzt man für Frankreich vereinzelte Dokumente mit der praktischen Politik gleich, Konzeptionen mit Beschlüssen. Darüberhinaus verzichtet man darauf, Faktoren mit potentiell einschränkender Wirkung auf maximalistische Interpretationen, beispielsweise regierungsinteme Entscheidungsprozesse oder den taktischen Charakter französischer Maximalpositionen nach innen wie außen, ansatzweise in Rechnung zu stellen. Während ein Namenszug de Gaulies unter ein dem Morgenthauplan ähnliches Dokument zweifellos als endgültiger Beweis einer dezidierten französischen Revanchepolitik a la Poincare hochstilisiert würde, ganz unabhängig davon, ob es der Ausrichtung sonstiger Planungsarbeiten entspräche oder nicht, schwächt man die Bedeutung des Projekts für den inneramerikanischen Entscheidungsprozeß des Sommers 1944 als völlig irrelevant ab. 3D Roosevelts Paraphe vom 15.September 1944 unter das Konzept seines Finanzministers gilt als Zeichen seiner "Neigung zu einem harten Frieden" im Sinne einer Schwächung Deutschlands durch nachbarstaatliche Kontrolle,31 die Signatur Churchills gilt im Sinne seiner Memoiren schlicht als unüberlegter Akt. 32 Gewiß nahm und nimmt der Plan in einem Teil der Geschichtsschreibung sowie in der breiten Öffentlichkeit einen Platz ein, der seinen tatsächlichen Stellenwert übersteigt. 33 Selbstverständlich sind sowohl die Deutschlandkontroversen innerhalb der US-Administration angemessen zu berücksichtigen als auch Chur21 Die Popularität der Sowjetunion in der britischen öffentlichen Meinung gegen Ende des Krieges bildete allerdings auch für britische Diplomaten ein gewisses Problem, das bereits auf die "Politik des Schwarzen Peters" zwischen Angelsachsen und Sowjets auf den internationalen Nachkriegskonferenzen hindeutete; vgl. Kennedy, Realities behind diplomacy, S.360; Elisabeth Barker, The British between the superpowers 1945-1950, London 1983, S.l1 oder Anne Deighton, "The frozen front". The Labour govemment, the division of Germany and the origins of the Cold War 1945-1947, in: International Affairs 63 (1987) S.449-465 (453). Zum "Schwarzen Peter" vgl. z.B. Ludolf Herbst, Option für den Westen. Vom Marshallplan zum deutsch-französischen Vertrag, München 1989, S.40. "'Vgl. knapp Steininger, Ein neues Land an Rhein und Ruhr, S.28-33; ausführlich Kettenacker, Krieg zur Friedenssicherung, S.479-494 sowie Tyrell, Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten, S.429-467. 30 Vgl. z.B. Wolfgang Krieger, Die Deutschlandpolitik der amerikanischen Besatzungsmacht 19431949, in: Wolfgang-Uwe Friedrich (Hg.), Die USA und die Deutsche Frage 1945-1990, FrankfurtIM. u. New York 1991, S.79-104 (82f.). 3t Vgl. Graml, Die Alliierten und die Teilung Deutschlands, S.26f. 12 Vgl. Lothar Kettenacker, Die anglo-amerikanischen Planungen für die Kontrolle Deutschlands, in: Foschepoth (Hg.), Kalter Krieg, S.66-87 (70). Il Vgl. z.B. Steininger, Deutsche Geschichte, Bd.l, S.34f.; die zeitgenössische französische Diplomatie überschätzte das Gewicht des Planes ohnehin nicht, vgl. Brief Massigli an Bidault u. Pleven a.s Traitement de I'Allemagne et le plan Morgenthau, 11.12.44, SAEF B 8786.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

chilis Ansinnen, Finanzminister Morgenthau für einen großen Kredit zu gewinnen. Doch läßt sich nicht die Tatsache bestreiten, daß der amerikanische Präsident und der britische Premier ein Dokument unterzeichneten, das in solcher Radikalität den ''Freien Franzosen" gar nicht erst aus den Federn flOß. 34 Die britische und die französische Deutschlandpolitik nach Kriegsende divergierten aufgrund unterschiedlicher innenpolitischer Zwänge und darauf beruhender diplomatischer Taktiken ohne Zweifel erheblich voneinander. Die tatsächlichen Absichten und Zielperspektiven, wie sie sich bei allen Unsicherheiten und Grenzen rationaler Planung bereits während des Krieges offenbarten, klafften jedoch weitaus weniger auseinander, als daß sich ein Vergleich in den idealtypischen Kategorien von Konstruktivität auf der einen, von Destruktivität auf der anderen Seite, rechtfertigen ließe.

2. Konzeptionen der außenpolitischen Protagonisten: schwarz-weiße Bilder und graue Realitäten? Bei der Vorstellung der deutschlandpolitischen Protagonisten zwischen 1944 und 1950, Charles de Gaulle, Georges Bidau1t, Robert Schuman und Jean Monnet, kann der Anspruch nicht darin bestehen, jeweils vollständige Biographien zu erstellen, nicht einmal für den Bearbeitungszeitraum. Vielmehr geht es darum, in groben Zügen, eher strukturell als strikt chronologisch, bewußt forschungsorientiert und thesenartig, wesentliche Charakteristika der vier herauszuarbeiten. Jeder von ihnen fiel auf seine Weise posthumer Mythenbildung im Positiven wie im Negativen anheim, so daß die Heroisierung bzw. Anti-Heroisierung unter deutschlandpolitischen Gesichtspunkten kritisch zu hinterfragen sein wird. Neben dem Problem der Wahrnehmung zwischen Mythen und Realitäten sollen den Ausführungen besonders die Fragen nach der Chancenbewertung maximalistischer Deutschlandansprüche gegenüber den "Großen Drei", nach den verhandlungstaktischen Prämissen sowie nach Kontinuität und Diskontinuität deutschlandpolitischer Realziele zwischen Befreiung und Schumanplan als Leitlinien zugrundeliegen.

'" Noch im August 1945 versuchte Roosevelt-Nachfolger Truman beschwichtigend, de Gaulle und Bidault in Washington davon abzubringen, an eine künftige Gefiihrdung des Friedens durch Deutschland 2ll glauben, da "taut le monde ... est d'accord pour maintenir I'Allemagne dans un etat d'inferiorite et pour qu'elle devienne un pays surtout agricole;" vgl. Compte rendu des conversations de Gaulle-Truman, 22.08.45, AMAE Y (1944/49) 19. Laut Michael Wala, Winning the peace. Amerikanische Außenpolitik und der Council on foreign relations 1945-1950, Stuttgart 1990, S.125 verhinderte noch im Februar 1946 die "residual power of the Morgenthau group" im State Department eine offene Diskussion über die Modifizierung der JCS 1067.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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a) Charles de Gaulle: utopische Rhetorik und versteckter Realismus? "Puis on revient aux difficultes actuelles de la France. De Gaulle n'aurait pas fait mieux, dit-il en parlant de lui-meme a la troisieme personne. II ne depend du pouvoir d'aucun homme de relever la France a10cs que les moyens de ce relevement - notamment le charbon - lui sont refuses. Seulement moi, j'arrusais les Fran~ais avec des drapeaux. Je les amusais avec le Rhin. Bref, je leur faisais oublier leur misere et i1s prenaient patience." 1

De Gaulles Haltung in europa- 2 und deutschlandpolitischen Fragen3 war nach Befreiung und Kriegsende offenbar deutlich komplexer als man lange annahm, als gerade de Gaulle-kritische Historiker immer wieder behaupteten4 und damit im Rahmen historiographischer Demaskierungsversuche des angeblich traditionellen französischen Nationalisten letztlich dessen selbstproduziertem Mythos aufsaßen, er habe für jede Frage, auch für die deutsche, über eine kristallklare Antwort und passende Lösung verfügt. Diese "legende gaullienne"s wurde bislang selten von der historischen Forschung auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft. Dies erscheint umso überraschender, als die sich auftürmenden inneren und äußeren Zwänge der neuen politischen Führungseliten sowie das Spannungsverhältnis moralischer und wirtschaftlicher Wiederaufrichtungsprioritäten taktische Winkelzüge von Regierungsseite geradezu herausforderten.

Mythos und Realität. Allerdings machen solche Wechselwirkungen sowie die Unzugänglichkeit der "persönlichen" de Gaulle-Akten, sieht man von der Auswahl seines Sohnes in den Lettres, notes et carnets einmal ab, eine eindeutige Bestimmung seiner tatsächlichen Zielperspektiven zu einem schwierigen Unterfangen, das so manches interpretatorische Rätsel aufgibt. Eine potentielle Annäherung an de GaulIesche Ambitionen erfordert "Umwege", bedingt neben der Hinterfragung gängiger Einschätzungen besonders eine gebührende Berücksichtigung des gesamtpolitischen Urnfeldes 6 in all seinen Facetten, des allgemeinen Klimas, in dem sich 1 Dies berichtet C1aude Mauriac, Un autre de Gaulle. Journal 1944-1954, Paris 1970, S.252 von einem Besuch bei de Gaulle am 02.02.47. 2 Vgl. Wilfried Lolb, De Gaulle und Europa. Eine Revision, in: HZ 253 (1991) S.629-660; kritisch dazu Andreas Wilkens, Das Jahrhundert des Generals. Die historische Forschung zu de Gaulle steht erst am Anfang, in: Francia 20/3 (1993) S.181-191 (19Of.). Tatsächlich finden sich schon seit den 60er Jahren in der Literatur nuancierte Einschätzungen de Gaullescher Europaideen; vgl. z.B. Philippe Manin, Le Rassenillement du peuple fran~ et les problemes europ6ens, Paris 1966; Edmond Jouve, Le General de Gaulle et la construction de I'Europe 1940-1966, 2 Bde, Paris 1967; Pierre Gerbet, Les partis politiques et les communautes europ6ennes sous la Quatrieme Republique, in: Joel Rideau e.a. (Hg.), La France et les communautes europeennes, Paris 1975, S.77-99 (91-96). 'Es sei noch einmal verwiesen auf Maillard, De Gaulle et l'Allemagne, S.I1-15 oder die Beiträge von Schunck, Loth, Hudemann und Weisenfeld in: Lolb / Picht (Hg.), De GauUe, Deutschland und Europa.

• Vgl. z.B. Walter Lipgens, Bedingungen und Etappen der Außenpolitik de GaulIes, in: va 21 (1973) S.52-102 (64-70). , Vgl. Jean-Pierre Rioux, Tour d'horizon, in: De Gaulle en son siecle, Bd.l, S.295-301 (297); zu den Interpretationsproblemen des "ph6nomene de Gaulle" zwischen Mythos und Realität vgl. mit ausführlichen Literaturangaben Kapitel A III 1a. , In diesem Sinne auch Jacques Freymond, Western Europe since Ibe war. A short political history, New YorkILondon 1964, S.36. 17 Hüser

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

politische Entscheidungsfindung vollzog und bestimmte Beschlüsse als notwendig, möglich, unangemessen oder illusorisch erwiesen. Die 'Umfeld-Aspekte", die als Basis quellenkritischer Auseinandersetzung mit der de Gaullescher Deutschlandpolitik zwischen Liberation und Schumanplan unabdingbar sind, bilden vor allem die bereits ausführlich vorgestellten frankreichpolitischen Prioritäten des "homme du 18 juin" in ihren deutschlandpolitischen Rückwirkungen sowie seine grundsätzliche Wahrnehmung des Nachbarlandes, die sich nun in der Tat als höchst ambivalent und eben nicht als eindeutig erbfeindschaftsorientiert offenbarte, nicht einmal während des Krieges und in den Jahren danach. 7 Dazu gehören ferner die später näher zu beleuchtenden Durchsetzungschancen, die der Chef der Provisorischen Regierung maximalistischen Deutschlandpositionen zugestand sowie die Dialektik von inneren Handlungsschranken und äußeren Nutzungschancen, der Maximalforderungen unterlagen, schließlich de Gaulles Stil, Selbstverständnis und Herangehensweise in der Außenpolitik.

Rhetorische Luftschlösser. Das gaullistische "Modell" außenpolitischen Handelns 8 beruhte primär auf einem ausgesprochenen Pragmatismus und Realitätssinn, auf einer ständigen Anpassung an sich verändernde politische Verhältnisse, ohne dabei das Hauptziel, dem Interesse und der Größe Frankreichs in der Welt zu dienen, aus den Augen zu verlieren. De Gaulle hütete sich davor, alles auf eine Karte zu setzen. Er versuchte immer, gangbare Optionschancen in der Hinterhand zu behalten, die gegebenenfalls eine zuvor präferierte Option ersetzen konnte, ohne die eigene, prinzipiell weit angelegte Gesamtpolitik und damit sich selbst zu desavouieren. Internationale Politik - so hatte er es in London und Algier am eigenen Leib erfahren - war ein permanenter Kampf, in dem es machtpolitische Unterlegenheit zu ignorieren und durch taktische Winkelzüge möglichst weitgehend zu kompensieren galt. Die strikte Befolgung vorgefertigter Patentrezepte wäre dabei nur hinderlich gewesen. Rhetorische Luftschlösser und Konsenshülsen im Rahmen öffentlicher Vorträge, Erklärungen oder Pressekonferenzen sind nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu betrachten. Sie verschleierten nicht nur aus innen- wie außenpolitischen Motiven tatsächliche und realistische Vorstellungen, 9 sondern implizierten nichts weniger als eine bestimmte unabänderliche Politik und deren Mittel. 10 Dabei war der inhaltliche Präzisierungsgrad solcher "Orakelsprüche" einerseits gering genug, um die Basis einer pragmatischen Politik zu legen und sich größtmöglichen Handlungsspielraum für eine prekäre Zukunft zu sichern, andererseits groß genug, damit sich jeder etwas darunter vorstellen konnte und schließlich zu wissen glaubte oder zumindest zu 7

Vgl. Kapitel A III 1d.

• Vgl. Hoffmann, Oe Gaulle's foreign policy, S.312-320; in diesem Sinne knapp Anton W. OePorte, Charles de Gaulle. Observations d'outre-Atlantique, in: Politique Etrangere 51 (1986) S.93-106 (94). • Vgl. Poidevin, La politique allemande de la France, S.229f.; als "Taktik des Nuancierens und des Offenhaltens" bei Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S.61. 10 Vgl. ebenso polemisch wie aufschlußreich Revel, Le style du General, S.54f. und Fabre-Luce, Le plus illustre des Fran~ais, S.183ff., der sich den Widerspruch zwischen seinen Darlegungen 7lI politischem Stil und praktischer Politik de GauUes allerdings nicht bewußt macht oder machen will.

I. Oeutschlandpolitische Konzeptionen

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wissen versuchte, was der Regierungschef nun konkret mit ihnen gemeint haben könnte. 11 Im Laufe seiner Karriere hat de Gaulle mehrfach eine beeindruckende außenpolitische Flexibilität an den Tag gelegt, die für viele schon an Selbstverleugnung grenzte, und dies unter Umständen selbst dann, wenn er durch seine politische Sozialisation auf einen bestimmten Lösungsweg festgelegt schien. Im Algerienpolitik nach dem 13Mai 1958 stellte er offenbar bewußt weitreichende Erwartungshaltungen, machtpolitische Dispositionen und doktrinäre Vorgaben im langfristigen Interesse Frankreichs zurück, überwand sie, um seine Handlungsfähigkeit als Politiker nicht einzubüßen und adäquat auf eine von der ursprünglichen Lagebeurteilung abweichende Herausforderung reagieren zu können. Als Hoffnungsträger einer Algerie fran~aise an die Macht zurückgeholt, bahnte er schließlich Algerien 1962 unter dem Druck der Umstände den Weg in die Unabhängigkeit. De Gaulles Taktik, von vornherein durch Leerformeln und Sprachhülsen sämtliche involvierte Gruppen gleichzeitig zu verunsichern und für sich einzunehmen, um zunächst eine konkrete Entscheidung zu vermeiden und die Zukunft weitestgehend offenzuhalten, läßt die Geschichtswissenschaft bis heute unvermindert darüber spekulieren, welche Intentionen denn de Gaulle wirklich im Sommer 1958 hatte. 12 Die Klarheit, die er später in Kenntnis der Entwicklung seiner Politik zuschrieb, ließ sich damals jedenfalls noch nicht erkennen. 13 Ohne die Analogie zu weit treiben zu wollen, so spricht doch vieles dafür, daß diese gaullistische Integrationsmethode, daß dieses gewisse Maß an Verschlagenheit, das de Gaulle als notwendige Eigenschaft politischer Führungskraft betrachtete,14 nicht weniger für die frühe französische Deutschlandpolitik eine Rolle gespielt hat. So dezidiert er häufig persönlich kurzfristige Entscheidungen traf, so abwartend schien er sich zu verhalten, wenn es um die Konkretisierung von Visionen,15 um die Umsetzung konzeptioneller Ansätze in praktische Politik und klare Anweisungen 16 ging. Es läßt sich nicht ausschließen, daß für ihn selbst aufgrund eigener Arbeits11

In diesem Sinne Weisenfeld, Charles de Gaulle, S.24.

12Vgl. Rene Remond, Leretour de de Gaulle, Brüsse11987, S.108-118; Robert-Charles Ageron, Repli, rrKrt ou transfiguration de la France coloniale? Oe la decolonisation la cooperation, in: Jacques Thobie e.a., Histoire de la France coloniale, Bd.2: 1914-1990, Paris 1990, S.485-559 (539-542); Denise Bouche, Histoire de la colonisation fran~aise, Bd.2: Flux et reflux 1815-1962, Paris 1991, S.486-491; Guy Perville, De I'Empire fran~aise a la d6colonisation, Paris 1993, S.204-207. 13 Allgemein zu diesem Aspekt des gauUistischen Politikstils Ory, Oe GauUe, S.76f. '4 Vgl. Charles de Gaulle, Le fil de I'epee, ND Paris 1961, S.48-55. "VgI. dam Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition, S.38ff., der aus den frühen Direktiven des Comit6 interrninisteriel zurecht eine geostrategische Vision de GaulIes für ein "Europa vom Atlantik bis zum Ural" herleitet und damit implizit auf die Kontinuität gaullistischer Europavorstellungen über die IV.Rep1blik hinaus verweist, eine Vision allerdings, aus der sich keine relevanten Rückschlüsse für eine ganz bestimmte politische Praxis herleitet. .6 S~ dafür erscheint die Vorgehensweise Gilbert Grandvals, seit September 1945 Delegue Superieur an der Saar und noch ohne Kenntnis Pariser Saarplanungen, der während einer Autofahrt mit de Gaulle und Koenig am 5.0ktober von Saarbrücken nach Trier vergeblich auf Direktiven für seine Arbeit wartet und sich schließlich aufgrund allgemeiner Äußerungen de GaulIes eine Politik zurechtlegt, wie er sich vorstellt, de Gaulle würde sie betreiben. V gl. APGG d.4.

a

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

überlastung, geringer Kenntnisse alliierter Deutschlandziele und einem geschärften Bewußtsein dafür, daß die Monate nach Befreiung und Kriegsende keine Periode grenzenloser Machbarkeit darstellte, noch Vieles im Halbdunkel lag. Im Außenministeriumjedenfalls herrschte ziemliche Unklarheit über die wirklichen Ziele des Regierungschefs, 17 hielt man Maximalforderungen auch für ein Mittel zur Kaschierung eigener Unsicherheiten und Widersprüche. 1B Die Vermutung liegt nahe, daß die immer und immer wieder erhobenen Forderungen nach einem "detachement politique" von Rheinland und Ruhr sowie nach einem "demembrement" des restlichen Deutschlands, der unablässig bekräftigte Wille Frankreichs "d'etre sur le Rhin" nicht nur, aber eben auch als Ablenkungsangebote an eine moralisch wiederaufzurichtende, von materiellen Sorgen abzulenkende öffentliche Meinung, als Versuchsballons im diplomatischen Verkehr, als inhaltlich noch konkreter zu füllende Wendungen konzipiert waren. Der französischen und internationalen Öffentlichkeit dagegen galten sie selbstverständlich als bester Beweis für den allseits von Frankreich und de Gaulle als "theoricien de l'offensive"19 erwarteten maximalistischen Standpunkt, und das sollten sie wohl auch. Die gaullistische Konzeption außenpolitischen Handeins bildete nicht den einzigen zusätzlichen 'Umfeld-Aspekt", der gewisse Zweifel an einer harten, unumstößlichen und widerspruchsfreien deutschlandpolitischen Position der Provisorischen Regierung, an einer revanchistischen Deutschlandpolitik de Gaulles sowie an einer Identität zwischen regierungsamtlichen Maximalpositionen und faktischer Haltung gegenüber dem östlichen Nachbarn nährte. Die Ernennung Rene Mayers zum Leiter des Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes Ende Dezember 1945 durch de Gaulle ließe sich als weiteres Element anführen. Sie paßt ebenfalls nicht in das Bild einer an tatsächlichen Extremzielen orientierten Deutschlandpolitik, denn Ma)cr zeichnete sich schon in Algier im Umkreis von Monnet, Pleven und Alphand eher durch differenzierte europapolitische Vorstellungen aus. In seinem neuen Amt sollte er sich rasch und pragmatisch für industrielle Wiederaufbaumaßnahmen in Deutschland stark machen, da man sonst das Besatzungsgebiet ernähren müsse "avec des dollars arraches anos propres reserves."20 Als weiterer Umfeld-Aspekt wäre die germanophobe Öffentlickeit zu benennen. Die fast durchweg negativen, teils hysterischen Reaktionen auf Andeutungen langfristiger Kooperationsmöglichkeiten zwischen Deutschen und Franzosen während der Inspektionstour durch die FBZ, auf die ebenfalls noch detaillierter einzugehen sein wird, konfrontierten de Gaulle erneut mit der deutschlandpolitischen Zumutbarkeitsschwelle der öffentlichen Meinung. 21 Es gab angesichts solcher Erfahrungen 17 V gI. Briefe von Chauvel, Generalsekretär des Außenministeriums, an Massigli, Botschafter in London, 30.12.44, 04.01.45 und 16.04.45, AMAE PAAP 217/94. 11 Dies die Meinung Massiglis in einem Brief an Chauvel, 14.03.45, AMAE PAAP 217/94. 19 Lacouture, De Gaulle, Bd.2, 5.322. Xl Vertrauliche Note Mayer an de Gaulle über seine Deutschlandreise, 15.01.46, AN 363 AP 6. VgI. auch Pleven, Rene Mayer et l'Europe, 5.238-260. 21 Zur vehementen Kritik seitens der Kommunisten vgl. z.B. Debn!, Memoires, Bd.l, 5.416 u. Bd.2,

I. Oeutschlandpolitische Konzeptionen

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keinen einleuchtenden Grund, sie in nächster Zeit wieder zu überschreiten. Gab es dagegen nicht Gründe genug, dies nicht zu tun?

Unpräzise Territorialplanungen. Schon die Dokumente aus London und Algier lassen keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Der CFLN- und GPRF-Präsident übernahm die Rolle des Inspirators von Konzeptionen für alle Eventualitäten einerseits, die Rolle der Präsentators von Schlagwörtern und Allgemeinplätzen für die hexagonale und internationale Öffentlichkeit andererseits. 22 Völkerrechtlich unzweideutige Begrifllichkeiten sucht man vergebens, nur Annexionen schloß er dort wie später in Paris mehrfach kategorisch aus. 23 Die Territorial- und Europaplanungen der Exiljahre erschienen zwar häufig in ihren Konsequenzen reflektiert und realistisch, ließen zwar - wie bereits umfassend dargelegt - eine ökonomisch geprägte Sicherheitskonzeption mit Frankreich als führender Industriernacht auf dem Kontinent erahnen, enthielten jedoch insgesamt ein weites Spektrum von Ansätzen und waren aufgrund vielerlei Unwägbarkeiten wenig präzise, entscheidungs- bzw. "durchsetzungsorientiert". Weitreichende Aufschlüsse über de GaulIes persönliche Einschätzungen erlauben sie kaum. Einerseits kann man davon ausgehen, daß ihm in seinem Innersten 1943/44 eine wie auch immer geartete Rheinlandabtrennung vorschwebte, andererseits waren seine Ideen vielschichtiger und entwicklungsfähiger, als dies lange den Anschein hatte. Als interpretatorisch ergiebig erwiesen sich die Ausarbeitungen und zusammenfassenden Berichte, die Louis Joxe eigens für seinen Chef erstellte,24 besonders unter taktischen Gesichtspunkten, beinhalteten sie doch bemerkenswerte Hinweise auf die Notwendigkeit eines prinzipiell gewandten und anpassungsfähigen Vorgehens. Für eine glasklare Bestimmung de Gaulleseher Deutschlandintentionen eigneten sie sich allerdings genausowenig wie etwa die Instruktionen an de Lattre während der "drole de paix", während der fortgesetzten Befreiung der restlichen französischen Provinzen und der Besetzung deutscher Gebiete. Es mußte doch gerade aufgrund des eigenen Schwächebewußseins selbstverständlich darum gehen, möglichst alles zu fordern, vom linken Rheinufer über die badischen Gebiete bis hin zu einem rechtsrheinischen Korridor über Wiesbaden nach Köln hinauf, möglichst alles zu nehmen, was man nur irgendwie in die Hände bekam, unabhängig davon, ob man bereits ganz konkrete Nutzungsstrategien entwickelt oder gar endgültige EntscheiS.71 oderPierre Durand, Lapolitique allemande de la France de 1945 a 1955, in: CIMT27 (1972) S.3846 (39); ausführlich dazu Kapitel B JI 2b. 12 Vgl. z.B. de GaulIes Rede vor der Assemblee consultative in Algier, 18.03.44, in: Oe Gaulle, DM I, S.38()'390 (387f.). 23 Vgl. z.B. die Pressekonferenzen in Washington am 10.07.44 u. 24.08.45, in: Oe Gaulle, DM I, S.415-422 (419f.) u. S.602-609 (607) sowie diejenige in Paris am 12.10.45, ebd., S.627-641 (630). Zu Unrecht vom Ziel einer "Annektierung des linken Rheinufers und des Ruhrgebiets" spricht dagegen HansJürgen Wünschei, Die Teilungspläne der Alliierten und die Forderungen Frankreichs nach Abtrennung des linken Rheinufers 1943-1947, in: JWLG 5 (1979) S.357-372 (361). ,. Vgl. ver allem Note pour le General de Gaulle a.s. Politique de la France en Rhenanie, 02.02.44, AN F60 889; Note a.s. La s6curitil de la France et le desarmement econornique de I'Allemagne, 18.03.44, AN F60 889; Note pour le General de Gaulle a.s. Oauses d'un arrnistice eventuel avec I'Allemagne, 15.04.44, AN F60 889.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

dun gen gefällt haue. 2S Es mußte doch gerade aufgrund der zusätzlichen Opfer, welche die unvermutete Kriegsanstrengung den Franzosen abverlangte, darum gehen, möglichst alles zu vermeiden, was das nationale Prestige verminderte und moralische Wiederaufrichtungsprämissen in Frage stellte. Es mußte doch gerade aufgrund einer Besatzungskonzeption, die Kooperationschancen über die Anerkennung französischer Stärke durch die Deutschen definierte, darum gehen, möglichst alles zu umgehen, was in Augen der Besetzten als Autoritätsverlust gedeutet werden konnte. 26 Der Adressat maximalistischer Deutschlandrhetorik waren nicht nur die Franzosen und die "Großen Drei", sondern letztlich auch die Deutschen, nicht weil man sie selbst notwendigerweise für bare Münze nahm, sondern weil es die anderen taten und damit alle Möglichkeiten nach allen Seiten offenblieben. Unmißverständliche Absichten de GaulIes lassen sich jedenfalls aus solchen "drole de paix"Archivalien allein ebensowenig herleiten wie aus den unzähligen Reden und Pressekonferenzen oder aus Bekundungen gegenüber alliierten Diplomaten. Die dort nach der Befreiung zum Ausdruck gebrachten Deutschlandvorstellungen konkretisierten sich kaum. Die altbekannten Schlagwörter und Formulierungen zu Rhein, Ruhr und Westeuropa blieben,27 und mit ihnen die Unsicherheiten und der Verzicht auf Präzisierung von Realisierungsmöglichkeiten. Geheime Ausarbeitungen de GaulIes sind nicht bekannt, regierungsinterne Schriftstücke, die dem Präsidenten der Provisorischen Regierung Worte und Thesen in den Mund legen, deshalb mit gebührender Vorsicht zu genießen. Dies gilt beispielsweise für ein mit "Entretiens du 8 Octobre 1945 avec le General de Gaulle" überschriebenes Dokument, in welchem dem Regierungschef folgende Aussage als schlagkräftiger Beweis seiner Annexionsabsichten für die Saar zugeschrieben wird: "La France n'annexera pas ces etats [les regions occidentales qui so nt voisines de la France]. n doit en aller autrement pour le territoire de la Sarre, ... "28 Abgesehen von inhaltlichen Aspekten, denn sprachlich erscheint der Annexionswille selbst hier nicht ganz eindeutig, sind es gravierende methodische Vorbehalte, die einer solchen Interpretation entgegen2! Vgl. das von de Gaulle unterzeichnete Schriftstück zur Frage "quelles regions il [le gouvernement franl;llis] aurait l'intention d'occuper au cas ou il serait d6cide que l'occupation comporterait une zone prqrerrentfran~aise," 02.02.45, AN 457 AP 61; daneben Pierre Lassalle, Note sur la delimitation de la zone franl;llise d'occupation, in: Oe GauUe et la nation face aux problemes de detense, S.227ff. 26 Gilt es nicht die Zwischenfälle in Straßburg und Stuttgart auch in diesem Sinne zu verstehen? Vgl. Briefe de Gaulle an de Lattre und Eisenhower, 01.01.45 sowie an Juin, 03.01.45, in: Oe Lattre, Reconquerir, S.145ff.; Telegramm de Gaulle an de Lattre, 28.04.45 bzw. Antworttelegramrn de Lattre an de Gaulle, 28.04.45, in: ebd., S.254 bzw. 258. ZI Vgl. z.B. die Pressekonferenz vom 22.010.44, in: De Gaulle, DM I, S.456-469 (457f. u. 460). 21 Vgl. Entretiens du 8 Octobre 1945 avec le General de Gaulle, o.A., AMAE Y (1944/49) 394, auszugsweise abgedruckt bei Schreiner, Bidault, S.181, inzwischen vollständig abgedruckt bei Rolf Steininger (Hg.), Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Britische, französische und amrikanische Quellen, Düsseldorf 1988, S.34Of.; knappe kritische Auseinandersetzung mit der darauf aufbauenden Annexionsthese von Schreiner, Bidault, S.40 sowie nun ausführlicher bei Rainer Hudemann, Die Saar zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1947, in: ders. / Poidevin (Hg.), Die Saar 1945-1955, S.13-34 (23-31, vor allem 28) als Reaktion auf eine Rezension von Wilfried Loth, in: ZfGSG 38/39 (1990/91) S.198-202, die Schreiners Thesen aufgreift. Erneute polemische Auseinandersetzung Loths mit Hudemann im Rahmen einer Rezension des zitierten Sammelbandes, in: ZfGSG 40/41 (1992/93) S.300-303.

L Deutschlandpolitische Konzeptionen

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zubringen sind, denn sie widerspricht jeglichen geschichtswissenschaftlichen Grundsätzen innerer wie äußerer Quellenkritik. Der Text wurde weder von de Gaulle selbst verfaßt noch von ihm gezeichnet. Der Autor bleibt ebenso unbekannt wie die Gesprächsteilnehmer. Es handelt sich um eine Durchschrift wie auch um ein Einzelexemplar, das in keinem bislang zugänglichen anderen Bestand ein weiteres Mal aufgetaucht wäre. Die Auslegung der zitierten Passage steht sowohl im Widerspruch zu vorherigen de Gaulle-Bekundungen, die ausdrücklich anti-annexionistischen Charakter hatten, als auch zur geheimen, von de Gaulle persönlich signierten SaarDirektive vom 25.August 1945, die das Comite interministeriel unter seinem Vorsitz am 3.September verabschiedete. 29 Sie läßt den diplomatischen Kontext, in den das Dokument gehört, völlig außen vor, ging es doch um eine Dienstbesprechung vor den ersten informellen Londoner Ruhrverhandlungen, bei denen es, unabhängig von Verwirklichungschancen, französische Maximalpositionen einzubringen galt. Das Saar-Statement, das Couve de Murville vier Tage nach der Mitschrift des Gesprächs mit de Gaulle im Foreign Office abgab, war jedenfalls noch unpräziser und verklausulierter als die entsprechende Textpassage, denn der Leiter der politischen Abteilung im Quai d'Orsay führte aus, die französische Regierung "did not wish for the annexation of any territory, subject to a reserve on this point with regard to the Saar, with which some specially elose union might have to be established."3o Das Dokument bildet in der Tat keinen stichhaltigen Beleg gaullistischer Annexionsabsichten. Vielmehr scheint es ein zusätzlicher Hinweis auf de GaulIesches Zögern und Zaudern, wenn konkrete Beschlüsse und präzise Richtlinien anstanden, ein zusätzlicher Hinweis auf einen "Politikstil der kalkulierten Unschärfe". De Gaulle wich in Bereichen mit beträchtlichen Unsicherheiten und Unkenntnissen oder mit geringem Stellenwert3l dezidierten Entscheidungen aus, bettete allgemeine Vorstellungen in einen gewaltigen und beeindruckenden Wortschwall einund überließ jedem mehr oder weniger selbst, was er damit konkret anfing und auf welche Passagen seiner Ausfiillrungen er sich schließlich stützte. 32 Dies unterstreichen nicht zuletzt die divergierenden Aussagen ehemaliger Mitarbeiter zu verschiedenen Zeiten. Außenminister Bidault behauptete im September 1946 gegenüber Byrnes und Bevin, er habe sich erfolgreich gegen die Annahme von Annexionsthesen durch seinen damaligen Regierungschef gewehrt,33 nunacierte dies jedoch später im Sinne 29 Vgl. Directives particulieres concernant la Sarre, 25.08.45 (Document n013 du ClAAA), AN F60 3034/2, deren Ausarbeitung die Wirtschaftsabteilung im Außenministerium vornahm, wie aus dem Privatnachlaß Bidaults hervorgeht, AN 457 AP 60; Decisions prises par le ClAAA dans sa seance du 3 septembre 1945,08.09.45, AOFAA Cab. Koenig Pol. I B 3.

DRepcrtonfirstinformai anglo-french conversation concerning the Rhineland und Ruhr, 12.10.45, in: DBPO IIV, S.208-213 (210). 31 Vgl. Pohlmann, Die Saarfrage und die Alliierten, S.35f., der davon ausgeht, de Gaulle habe aufgrund eigenen Desinteresses die Formulierung der Saarpolitik 1945/46 nicht wesentlich beeinflußt. 11 Das Argument, "de Gaulle habe gesagt, daß ... " besaß in der Tat eine Art "Sesam-öffne-dich-Effekt", der offenbar alle rnJglichen Einwände vom Diskussionstisch fegte und demjenigen, der es benutzte, einen Teil gaullistischer Aura verlieh. Beispielsweise im Zusammenhang mit der FBZrlnspektion de GaulIes wird darauf noch zurückzukommen sein.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

einer ökonomischen Annexion bzw. eines nicht realisierbaren Wunsches aufgrund unüberwindlicher politischer Schwierigkeiten. 34 Dagegen beteuert Michel Debn:, einer der engsten Vertrauten des Generals und späterer Koordinator der Pariser Saarpolitik, in seinen Erinnerungen, dieser habe nie eine Annexion angestrebt. 35 Ganz in diesem Sinne äußerte sich rückblickend Gilbert Grandval, seit September 1945 Delegue Superieur an der Saar, später einer der führenden Linksgaullisten. 36 Es erscheint durchaus wahrscheinlich, daß de Gaulle, wie viele seiner Mitarbeiter, mit dem Gedanken an eine Annexion der Saar gespielt halo37 ging es doch letztlich darum, alles in Erwägung zu ziehen, was der Nation potentiell von Nutzen sein und zu einem relativen wirtschaftlichen Übergewicht beitragen konnte. Der Nachweis, daß er eine Annexion wirklich durchsetzen wollte, daß sie einem de Gaulleschen Realziel entsprach, steht allerdings weiterhin aus, nicht anders als der Beleg, daß er dies nie ins Auge gefaßt habe. Doch das hatte niemand behauptet. Fragwürdige "Zerslückelungskonzeplionen". "Plus de Reich centralise"38 war mehr als eine Floskel, inhaltlich konkreter als die Abtrennungsforderungen, gleichbedeutend mit einem ersten und wesentlichen Schritt hin zu dauerhafter Sicherheit mit dem Nachbarn, 39 den de Gaulle noch zwei Tage vor seinem Rücktritt als Regierungschef im Comite interrninisteriel 40 wie auch in späteren Erklärungen immer wieder akzentuierte. Das nicht nur in Frankreich vorherrschende Geschichtsbild, nach dem sich Nationalsozialismus und Hitler geradlinig aus dem preußisch dominierten Deutschen Reich von 1870/71 herleiten ließen, führte konsequent zur Forderung nach einer Zerstörung Preußens bzw. dessen, was man dafür hielt, als maßgebliche Vorbedingung dafür, daß Deutschland künftig "hors d'etat de nuire"41 blieb und die Franzosen ihre Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sahen.

Was bedeutete aber "plus de Reich centralise" in der praktischen Politik gegenüber dem Kriegsgegner? Ein zweiter Westfälischer Friede fast drei Jahrhunderte später? Eine Zersplitterung Deutschlands in kleinste territoriale Einheiten? Stellten nicht Vgl. MAE, Conversation entre M. Bidault et M. Byrnes le 23 septembre 1946, 24.09.46 sowie MAE, Conversation entre M. Bidault et M. Bevin le 24 septembre 1946, 24.09.46, APGG d.6. "Vgl. Bidaults Zeitzeugenbericht in einer Fernhsehsendung des Saarländischen Rundfunks von 1976, zit. nach Küppers, Bildungspolitik, S.67/Anm.21 bzw. in einem Gespräch mit Hudemann, zit. bei Hudemann, Die Saar zwischen Frankreich und Deutschland, S.23. " Vgl. Debn~, Memoires, Bd.2, S.52. ,. Vgl. die Einleitung seiner nicht mehr abgeschlossenen Memoiren, S.12f., APGG d.4. J7 In diesem Sinne Jacques Freymond, The Saar conflict 1945-1955, London 1960, S.15f. "Vgl. de GauJle, MdG III, S.57. " Zum "kOlIp'Olllißlosen Dezentralisierer" vgl. Rainer Hudemann, Zentralismus und Dezentralisierung in der französischen Deutschland- und Besatzungspolitik 1945-1947, in: Winfried Becker (Hg.), Die Kapitulation von 1945 und der Neubeginn in Deutschland, Köln 1987, S.181-209 (188). "'Vgl. DecisionsrrisesparleCIAAA dans saseance du 18janvier 1946, AMAE Y (1944/49) 651; die Sitzung beschreibt in extenso Jules Mach, Rencontres avec de Gaulle, Paris 1971, S.113-118. Vgl. daneben die Note manuscrite du general a.s. Administrations centrales des finances, am 19.01.46 von Burin des Roziers an Koenig gesandt, AMAE Y (1944/49) 284. 4' Vgl. die Reden vor der Pariser Assemblee consultative vom 21.12.44, in: De GauJle, DM I, S.486491 (487) sowie in Bar-le-Duc vom 28.07.46, in: ders., DM H, S.12-17 (13); dort auch Näheres zu de Gaulles Perzeption der neueren deutschen Geschichte.

33

1. Oeutschlandpolitische Konzeptionen

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schon die Kommissare in London und Algier Sinn und Zweck eines solchen Vorgehens in Frage und warnten vor langfristig negativen Rückwirkungen einer aktiven Politik der Zerstückelung und Zersplitterung in kaum lebensfähige Zwergstaaten? Räumte nicht de GauBe selbst ein, er sähe "aucun inconvenient aune federation de ces etats dans laqueBe chacun jouira de ses droits naguere ecrases par Je Reich"?,,2 Doch was unterschied denn Einzelstaaten, die sich zu einer Föderation zusammenschlossen, von einem Reich, das doch trotz der "resonance historique du mot" nicht mehr und nicht weniger bedeutete als die Formierung eines deutschen Staatwesens?,,3 Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es de Gaulle um eine möglichst weitgehende Dezentralisierung in Deutschland ging und um möglichst weitreichende Kompetenzzuschreibung zugunsten der Gliedstaaten. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß de GauBe über den absoluten hexagonalen Konsens in der Dezentralisierungsfrage hinaus seine Forderungen offensiver, konsequenter und vehementer vortrug und auf griffige Formeln brachte. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß dies im Rahmen deutschlandpolitischer Verhandlungsstrategien ein Primat politischer gegenüber ökonomischen Argumentationsmustern zur Folge hatte, das sich erst nach seiner Demission umkehren ließ und der französischen Diplomatie zu größerer argumentativer Flexibilität verhalf. Allerdings können ebensowenige Zweifel daran bestehen, daß zwischen Zerstückelung und Dezentralisierung, zwischen Staatenbund und Bundesstaat eine weite Grauzone existierte, und eine einfache Gleichsetzung de GauBescher Äußerungen mit dem Ziel einer Rückkehr zu Kleinstaaterei und Zwergstaatenpolitik als zu schematisch erscheint. Die Ablehnung deutscher ZentralverwaltungssteBen mit Staatssekretären an der Spitze, wie sie das Potsdamer Abkommen verlangte, kann ebenfalls nicht als Nachweis dafür herhalten, stand sie doch in einem weiteren Zusammenhang diplomatischen Verhandelns mit den "Großen Drei". Sie verwies im übrigen darauf, daß die eine gewichtige Ursache de GauBescher Zentralismusfurcht in der Wahrnehmung der sowjetischen Gefahr im Verhältnis zur deutschen lag, zumal sich eine deutsche Bedrohung zumindest für die nahe Zukunft ausschließen ließ. 44 Im Gegensatz zum (!

Zit nach Aron, Memoires, S.252.

Diese Frage stellt Raymond Aron, Memoires, S.252f., der die Widersprüchlichkeit de Gaullescher Dezentralisierungsmaximen unterstreicht; Gerbet e.a., Le relevement, S.447/Anm.6, macht darauf aufmerksam, daß "la difference entre 'Bundesstaat' et 'Staatenbund' semble avoir ete meconnue, peut-~tre volontairement, par le general de Gaulle"; Maillard, Oe Gaulle et I'Allemagne, S.88 u. 11Of. verweist ebenfalls auf Ambivalenzen und Interpretationsprobleme der "nation de federalisme" im Rahmen gaullistischer Oeutschlandforderungen; Poidevin, Schuman, S.185 setzt den de Gaulle-Ausspruch "Plus de Reich oentralise" gleich mit dem Wunsch nach einer "structure federale, chaque etat du corps disposant d'une large autonomie"; schließlich verweist Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition, S.59 auf den "Verlust einheitlicher Sprachregelungen und Konzepte", was den Föderalismusbegriff in der französischen Deutschlanddiskussion anbelangt. Vgl daneben als höchst aufschlußreich die Analyse von Brian Bond, Britische Ansichten über die Zukunft Deutschlands 1943-1945, in: Messerschrnidt / Guth (Hg.), Die Zukunft des Reiches, S.13-35 (14f.), der den Begriff der Zerstückelung als "schlecht definierten Begriff mit vielen Varianten" innerhalb der britischen Oeutschlanddiskussion zwischen 1943 und 1945 kennzeichnet und die begrifflichen Unschärfen zwischen "Zerstückelung" und "irgendeiner Art von Dezentralisierung" auf den Punkt bringt 43

.. Vgl. de Gaulle, MdG III, S.56f., 66, 242 u. 257.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Großteil der französischen Bevölkerung, zum prosowjetischen Klima, das nicht vor Anfang 1947 vereinzelt, nicht vor Mitte 1947 auf breiter Front aufbrach, hegte de Gaulle schon aufgrund Stalins Behandlung der "Freien Franzosen", schon aufgrund der in Politik und Gesellschaft dominanten Position der französischen Kommunisten als potentielle Speerspitze sowjetischen Einflusses im eigenen Land, erhebliches Mißtrauen gegenüber der neuen östlichen Großmacht. 45 Die Betonung der Sorgen um ein russisches Vordringen bis zum Rhein bildete keineswegs ein rein taktisches Manöver, sondern entsprach durchaus auch einer Zukunftsvision, in die Preußenund Rußlandbilder ebenso einflossen wie der Glaube an einen amerikanischen Truppenrückzug46 und die Überlegung einer sowjetischen Infiltration in einem machtpolitisch geschwächten, mit sozioökonomischen und materiellen Schwierigkeiten kämpfenden Deutschland: "Whoever dominates Saxony and Prussia also dominates Germany; any central government set up in Germany falls inevitably in Russian's hands; ... for us it is a matter of whether or not France is to continue as an independant nation.''''? In einer Mitteilung de GaulIes an die amerikanische Botschaft mit dem Ziel, die bilateralen Mißverständnisse auszuräumen, unterstrich er am 20.November 1945 in aller Deutlichkeit, daß die deutsche Frage "secondary to the Russian" sei,48 während öffentlich weiter das Paradigma galt, daß "le sort de I'Allemagne est le probleme central de l'univers."49 Ohne jeden Zweifel war de Gaulle Realist genug, künftige französische Sicherheitsinteressen schon bei Befreiung und Kriegsende nicht nur gegenüber Deutschland, sondern auch gegenüber der Sowjetunion zu definieren. Wer vollkommen eindeutige, konkrete und präzise Deutschlandansprüche sucht, findet beim "Retter Frankreichs" nicht mehr als Annäherungen, weite, vage und unablässig wiederholte Vorstellungen, die zwar seine eigenen Unsicherheiten sowie die Unwägbarkeiten der Situation aufdecken, nicht aber, ob sich hinter Orakelsprüchen und Konsenshülsen prägnante Absichten samt Durchsetzungsrnittel verbargen. Aus der mangelnden Klarheit de Gaullescher Deutschlandkonzeptionen ., Vgl. ausführlich Kapitel A I 3 c; unter deutschlandpolitischen Gesichtspunkten vgl. z.B. die Diskussionsbeiträge von Rovan, Vaillant und Hudemann, in: Die französische Deutschlandpolitik, S.42, 43f. u. 56f. sowie DuroseIle, L'abime, S.52Of. 4' Vgl. MAE, Secretariat des conferences, Le probleme rhenan-westphalien et la situation fran~aise, 22.01.45, AN 457 AP 60, wo der Verfasser erklärte: "Si l'on croit M. Dejean, le General de Gaulle ne se ferait point d'illusion sur la duree de la participation aroericaine et ~me anglaise a l'occupation de demain. Tres rapidement, la France serait amenee a en assumer la charge majeure, sinon la charge entiere." Laut Klaus Schwabe, The origins of the United States' engagement in Europe 1946-1952, in: Francis H. Heller I John R. Gillingham (Hg.), NATO, The foundation of the Atlantic Alliance and the integration of Europe, London 1992, S.161-192 (162) bildete die Furcht vor einem raschen Abrug der amerikanischen Truppen den Hintergrund französischer Ansprüche auf territoriale Abtrennungen, ein Ziel, das - wie er zurecht unterstreicht - die USA niemals unterstützten. Zu den frühen Pariser Bemühungen rugunsten eines dauerhaften militärischen US-Engagements auf dem Kontinent vgl. Georges-Henri Soutou, France and the German rearmament problem 1945-1955, in: Rolf Ahmann I Adolf M. Birke I Michael Howard (Hg.), The quest for stability, Problems of West European security 1918-1957, Oxford 1993, S.487-512 (49lf.). ~ Vgl. Telegramm Caffery an Byrnes, 03.11.45, FRUS 1945 (Ill) S.89Of. .. Übersetzt zit. aus unveröffentlichten amerikanischen Akten bei Wall, L'influence fran~ise, S.64 . ., Vgl. Rede vor der Beratenden Versammlung, 22.11.44, in: De Gaulle, DM I, 5.480-491 (483).

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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allerdings aufrein destruktive Vorhaben bzw. auf die Verschleierung rein destruktiver Vorhaben zu schließen, scheint im Kontext innen- wie außenpolitischer Wechselwirkungen nicht angemessen. Ließen sich nicht de GaulIes Intentionen eher als über symbolträchtige öffentlichkeitswirksame Äußerungen oder maximalistische diplomatische Aussagen durch die Direktiven des Comite interrninisteriel gewinnen, eher als über Konzeptionen durch Instruktionen? Die später noch ausführlich zu analysierenden rund 60 frühen Direktiven an den Oberbefehlshaber in der französischen Besatzungszone, General Koenig, die das Comite interrninisteriel unter Vorsitz de GaulIes vom Sommer 1945 bis Anfang 1946 verabschiedete und die der Chef der Provisorischen Regierung nach eingehendem Studium persönlich unterzeichnete,50 bildeten die als Substrat aus einer Vielzahl unterschiedlichster Entwürfe im Rahmen interner Pariser Entscheidungsfindung heraus gefilterten Richtlinien für die praktische Politik. Sie ergaben ein im Verhältnis zur traditionellen Sicht französischer Deutschlandpolitik durchaus nuancierteres Bild. Es entsprach einem bewußt weitgespannten, zeitlich wie inhaltlich flexiblen Konzept mit teils eher restriktiven, teils eher konstruktiven Ansätzen. Es förderte letztlich eine ebenso ambivalente wie originelle Sicherheitsstrategie zutage, deren tragende Pfeiler im Aufbau möglichst dezentraler politischer Strukturen in Deutschland, in der Etablierung dauerhafter wirtschaftlicher Suprematie gegenüber dem östlichen Nachbarn, schließlich in der Schaffung von Grundlagen für langfristige Kooperationsmechanismen durch eine Kultur- und Demokratisierungspolitik gemäß französischen Vorstellungen bestanden. 51

Durchsetzungschancen von Maximalpositionen. Was nun die Verwirklichung deutschlandpolitischer Maximalforderungen gegenüber den Alliierten anbelangt, so setzte de Gaulle, offenbar überzeugt vom britischen und amerikanischen Einspruch,52 eher Hoffnungen auf die Sowjetunion, wenn auch ohne allzugroße lllusionen über die Natur des kommunistischen Partners und ohne die Rückwirkungen auf die französische Innenpolitik aus den Augen zu verlieren. 53 Die Moskaureise im NovemberlDezember 1944 mußte jedoch mehr als ernüchternd wirken. An eine sowjetische Unterstützung offizieller französischer Lösungsvorschläge für eine deutsche Westgrenze war nicht zu denken. 54 Die diplomatischen Gespräche mit den Angelsachsen bis Herbst 1945 boten ebensowenig konkrete Anhaltspunkte für Konzessionsbereitschaft in Fragen territorialer Garantien wie die Reaktionen der Alliierten auf das Memorandum, das die französische Delegation während der Londoner Außenministerkonferenz Mitte September vorlegte. 55 '" Vgl. Brief Berthelot an Bidault, 13.12.45, MAE Y (1944/49) 651. " Vgl. ausführlicher dazu Kapitel BIll. Vgl. dam allgemein Raymond Aron, Conservatrice ou revolutionnaire? La France dans le monde actuel, Ebenhausen 1960, S.44ff. u. 66. 16 Über PCF-Interna hielt sich Bidault durch gemeinsame Mittagessen mit Georges Cogniot, den er während der Kampagne gegen die "munichois" kennengelernt hatte, auf dem laufenden, vgl. Georges Cogniot, Parti pris. Bd.2: De la Liberation au Pl'0gramme commun, Paris 1976, S.33. 17 VgI. sein Engagement für die Aufrechterhaltung der tripartistischen Regierungskoalition, deren Bruch Teile der MRP-Rihrung beim Rücktritt de Gaulles m vollziehen bereit waren, Reunion de la Commission executive, tenue au Quai d'Orsay le 20 Janvier 1946, AN 350 AP 45.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

269

Dazu gehörte ein beträchtliches Mißtrauen gegenüber der künftigen Rolle und Position der Sowjetunion in Europa, ein frühes Bemühen um ein langfristiges militärisches US-Engagement auf dem Kontinent und eine "wertegebundene" Westorientierung, welche die offizielle Schaukelpolitik lange verdeckte. 18 Dazu gehörte der kategorische Imperativ, sich nicht von den angelsächsischen Mächten zum bedeutungslosen Juniorpartner degradieren zu lassen. 19 Dazu gehörte ein Deutschlandbild, das die Deutschen nicht mit den Nationalsozialisten identifizierte, das die Abscheu vor den NS-Verbrechen 20 mit Respekt vor den wirtschaftlichen und demographischen Potentialen des Nachbarlandes, mit der Sorge um sozioökonomisches Chaos und Arbeitslosigkeit verband, denn "le dilemme est donc le suivant: ou la reindustrialisation de l'Allemagne ou le chömage de millions d'affames."21 Dazu gehörte eine zunehmend wirtschaftliche Sicherheitsdefinition, deren Schwergewicht mehr auf einer relativen Überlegenheit Frankreichs als auf einer totalen Schwächung Deutschlands beruhte, der es um die Modifizierung der "structure economique de notre pays ... pour en faire une grance puissance industrielle" ging,22 um die Ablösung Deutschlands als erster Kraft bei der schwerindustriellen Produktion in Europa und die Besetzung deutscher Stahlmärkte23 und die neben dem bequemen Mythos einer deutschen Gefahr24 bereits früh die sowjetische im Blickfeld hatte.2.5 Dagegen fiel kaum ins Gewicht, daß er in die deutschland- und europapolitischen Diskussionen in l..ondon und Algier nicht bis ins letzte eingeweiht war, denn wesentliche, dort 11 Vgl. dazu nun Soutou, Bidault, S.269 u. 272f. Für den Quai d'Orsay allgemein vgl. Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition, S.58, 67, 77f. u. 255. J9 Vgl. dazu zB. die el"ste von drei Bidaultschen Bedingungen für die Schaffung eines Comite eoonomique eurcp!en, bei der "il s'agit, en aucune f~on, de placer une organisation europ6enne, soit sous I'egide de I'Angietel"re, soit sous I'egide de I'Angleterre et des Etats-Unis," Brief Bidault an Jacques-Camille Paris, Prqjet britannique de Cornmission economique europ6enne, 14.09.44, AMAE DE-CE (1945-1960) 222; diese Vorausset211ng findet sich in der Folgezeit mehrfach wiederholt, vgl. Brief Bidault an Wirtschaftsminister Mendes France, Comite economique europ6en, 26.03.45, ebd. 20 V gl. den Artikel von Robert Destez, Une de la Resistance - Mlle Bidault fut traquee, torturee, emprisonne, in: France-Soir, 16.12.44 über die Schwester des Außenministers Marcelle Bidault.

21 MAE. DirAdm, N2 Vgl. Mayers Tagebucheintragung vom 11.September 1944, in: Mayer (Hg.), Rene Mayer, S.342; Antoine Mayer fiel wenige Tage später im Rahmen einer Fallschirmlandeaktion der Forees Fran~ses Libres in der Franche-Comte, vgl. ebd., S.355. 53 Brief Mayer an Schneiter, 10.12.47, AMAE Y (1944/49) 380. 54 Vgl. Audition Bidault - Mayer, SAAN Com.Aff.Etr.lCom.Fin.lCom.Eco.N at. 30.06.48, Bulletin des Commissions, Assemblee Nationale, Premiere Legislature, Bd.3, Paris 1951, S.1633f. 55 V gl. Examen des conclusions du rapport de M. Rene Mayer sur le projet de loi tendant a la ratification du Pacte de I'Atlantique, SAAN Com.Aff.Etr. 05.07. u. 06.07.49, zusammengfaßt in: Bulletin des Conunissions, Assenillee Nationale, Premiere Legislature, Bd.6, Paris 1951, S.2518f. sowie Rene Mayer, Le pacte de I'Atlantique. Paix ru guerre, Paris 1949, ein Band "a la memoire de I'aspirant Antoine Mayer, mort pour la France a 19 ans, le 16 septembre 1944." 56 Vgl. dazu bereits die Ausführungen Mayers im Ministerrat Anfang November 1949, in denen er darauf drängte, daß im künftigen Europa "Ie chef de file soit la France et non pas I'Allemagne"; abgedruclct in: Auriol, Journal 1949, S.400-406 (405).

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Die Minister und Deutschland. Die vollständige Ermittlung von Positionen der vier zwischen Befreiung und Schumanplan deutschlandpolitisch relevanten Minister für Finanzen und Wirtschaft bildet kein leichtes Unterfangen und erfordert eine ausgiebigere und systematischere Sichtung und Auswertung der Bestände im Service des Archives economiques et financieres. Im Rahmen dieser Arbeit ging es um einige Schlaglichter im Verhältnis zu de Gaulle und den Akteuren im Quai d'Orsay sowie um deren Anbindung an Kontextfaktoren, die Antworten auf die Frage nach Homogenität und Kontinuität Pariser Planungsarbeiten erlauben. Alle vier waren bereits an den frühen deutschlandpolitischen Überlegungen in Algier federführend beteiligt. Alle vier teilten die frankreichpolitischen Prämissen wirtschaftlicher und moralischer Wiederaufrichtung, das Primat nationaler Modemisierung mit dem Ziel, Frankreich langfristig wieder zu Größe und Rang auf dem internationalen Parkett zu verhelfen. Je zwei von ihnen, Mendes France und Philip bzw. Pleven und Mayer, schätzten sich besonders und stimmten stärker überein, was die finanz- und wirtschaftspolitischen Rezepte bei der Befreiung anbelangte. Alle vier hatten ständige, mehr oder weniger konfliktträchtige Kontakte zum Außenministerium, konstruktive Beziehungen zu Jean Monnet und alle vier waren "kritische Gaullisten" die aus ihrer Zuneigung zum "homme du 18 juin" , zum "gaullisme unanimiste" keinen Hehl machten, dennoch ließen sie sich nie gänzlich und bedingungslos vereinnahmen und taten - aus verschiedenen politischen Traditionen stammend - den Schritt zum "gaullisme partisan" nicht mit bzw. lehnten diesen strikt ab. In deutschlandpolitischer Perspektive erscheinen vor diesem Hintergrund einige wesentliche Erkenntnisse möglich. Alle vier vertraten - in Übereinstimmung mit dem Außenministerium - eine ökonomisch geprägte Sicherheitsdefinition gegenüber dem östlichen Nachbarn, betrachteten eine dauerhafte schwerindustrielle Überlegenheit Frankreichs als beste Friedensgarantie. Alle vier standen einer klassischen Reparationspolitik skeptisch gegenüber, setzten im Bewußtsein der maßgeblichen Rekonstruktionsengpässe auf Kohle und Arbeitskräfte als deutschen Beitrag zur französischen Modernisierungspolitik in Ergänzung zur Mobilisierung sämtlicher verfügbarer hexagonaler Potentiale und zu den amerikanischen Kredithilfen. Alle vier engagierten sich für eine Begrenzung der Besatzungskosten, für eine Verwaltungsreform zur Verringerung von Reibungsverlusten und für eine wirtschaftlich einheitliche Behandlung Deutschlands bei Kriegsende. Pleven, Philip und Mayer besaßen darüberhinaus ein ausgeprägtes Gespür für innerfranzösische Druckpotentiale aufgrund begrenzter Möglichkeiten zur Befriedigung hochgeschraubter materieller Erwartungshaltungen nach Befreiung und Kriegsende, berücksichtigten dies weitgehend und waren aufgeschlossen für die komplexen Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik, obschon in den technischen Ressorts die Diskussion diplomatischer Verhandlungsmuster selbstverständlich nicht im Vordergrund stand. Es bleibt festzuhalten, daß sich auf der Ebene des finanz- und wirtschaftsministeriellen Führungspersonales - bei aller Unterschiedlichkeit der vorgestellten Persönlichkeiten im 51 Vgl. dazu, wenn auch in der Rückschau zu idealistisch, Rene Mayer, Europäische Integration oder Zusammenarbeit, in: Deutschland-Frankreich, Bd.2, S.33-41.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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einzelnen - gravierende konzeptionelle Divergenzen hinsichtlich deutschlandpolitischer Zielperspektiven nicht feststellen lassen. Galt dies in gleicher Weise für die dort mit Deutschlandfragen befaßten Spitzenbearnten? b) Die Spitzenbeamten im Finanz- und WIrtschaftsministerium: Deutschland und Besatzung zwischen Benutzung und Belastung nButs aatteindre: Faire travailler l'industrie allemande sous marque fran~se et sous reseau commercial fran~s, de maniere permettre l'industrie franlj'aise concurrente de prendre inunediatement la place disponible sur les marches. n'

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Die Planungsarbeiten der mit Deutschland befaßten Verwaltungsspitzen im Finanz- und Wirtschaftsressort zeichneten sich durch ein hohes Maß an Pragmatismus aus, durch Sinn für in Deutschland Machbares, schließlich durch sehr konkrete Vorstellungen über Zukunftsperspektiven und -erwartungen für die französische und europäische Wirtschaft sowie über die Notwendigkeit internationaler Handels- und Wirtschaftsverflechtungen. Diese Einstellungen zogen nicht zwangsläufig deutschland- oder besatzungspolitische Konstruktivität nach sich, doch tendierten die Mitarbeiter der jeweiligen "services allemands" sowie die später näher zu untersuchenden Repräsentanten der Ministerien in der Besatzungszone offensichtlich aufgrund fachspezifischer Ausbildung, ressortspezifischer Prämissen und geringerer Erfordernisse politischer Rücksichtnahmen eher in Richtung Wiederaufbau und Verflechtung zugunsten Frankreichs als in Richtung Zerstörung deutscher Wirtschaftsstrukturen, aus der doch auch die Franzosen langfristig keinen Gewinn zögen.

Allgemeine Deutschlandziele. Allgemeine Deutschlandentwürfe oder -äußerungen, die über die finanzwirtschaftlichen Aspekte des Problems hinausgegangen wären, blieben eine Seltenheit, fanden sich höchstens noch im Kontext der Waffenstillstandsdiskussion zwischen Liberation und Kriegsende, später, seit Frühherbst 1947, im Zusammenhang mit der französischen Außenhandelskrise. Aufgrund der Unzweideutigkeit frankreichpolitischer Bedürfnisse, aufgrund des Konsenses über moralische und ökonomische Wiederaufrichtung der Nation, über Rekonstruktion und Modernisierung von Strukturen und Mentalitäten, erübrigten sich ausschweifende Diskussionen über relevante Deutschland- und Sicherheitsziele. Sie fügten sich ein in die bisher vorgestellten, durchweg wirtschaftlich geprägten Perspektiven, ohne daß sie ständig hätten aufgerollt werden müssen. Daher sucht man vergeblich nach breit angelegten Überlegungen zum Für und Wider wesentlicher Deutschlandforderungen und stößt stattdessen zumeist auf knappe Abschnitte, in denen diese geradezu als natürlich benannt und in den jeweiligen finanziellen und wirtschaftlichen Rückwirkungen auf Frankreich untersucht werden. 2 Der Endzweck deutsch, Vgl. MEN, Service des affaires economiques allemandes, Les problemes poses par le travail afalj'On, 26.03.46, SAEF B 8831. 2 Dies gilt loB. für das RuhrkOOleproblem, zu dessen Bedeutung jegliche Debatte überflüssig schien und das in der ausschließlichen Verhandlungskompetenz des Außenministeriums lag.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

land- und sicherheitspolitischen Handeins, die Rückkehr Frankreichs zu einer allseits anerkannten weltpolitischen Stellung durch den Aufstieg zu einer modemen Industriernacht in Europa3 stand ebenso außer Frage wie der Wille, die Chance der deutschen Kriegsniederlage dazu zu nutzen, sei es durch "la tutelle des marches exterieurs et ... l'irnportance des reparations en bien d'equipements,"4 sei es - wie das Eingangszitat nahelegt - durch strukturelle Verflechtungen, durch industrielle und handelspolitische Abhängigkeiten von Frankreich, die eine baldige "remise en route des usines allernandes" sowie die "fourniture des matieres premieres aux usines allemandes" nicht nur erlaubten, sondern erforderten. 5 Eine vollkonunene Selbstverständlichkeit bildete die Forderung nach zusätzlichen deutschen Kohlelieferungen, zeitigte doch deren Ausbleiben unter wirtschafts- wie unter finanzpolitischen Gesichtspunkten gleichermaßen gravierende, sich wechselseitig bedingende Konsequenze. Zum einen verschleppte der Kohlemangel die "reprise de notre production" und damit erhöhte Exportrnöglichkeiten zum Erwerb von Devisen. Zum anderen gebot die unzureichende Versorgung mit Ruhrkohle "les importations onereuses" des "schwarzen Goldes" aus Drittländern, verbreiterte den bestehenden "dollar gap" Frankreichs, reduzierte über Gebühr die ohnehin beschränkten Handlungsspielräume, was den anderweitigen Deviseneinsatz zugunsten von Wiederaufbau und Modernisierung anbelangte, verschärfte wiederum die absolute Dringlichkeit arnerikanischer Kredithilfen 6 und damit die Suche nach diplomatischen "Druckmitteln" des Kleinen gegenüber dem "Großen". Die Kohleund Ruhrproblematik blieben zentrale Aspekte deutschlandpolitischer Beschäftigung im Finanz- und Wirtschaftsministerium, und noch 1948 galt "la main-mise sur la Ruhr" neben einern föderalistisch organisierten deutschen Staatswesen als beste Garantie gegen ein "rearrnement economique et militaire de I'Allemagne." Die Wirksamkeit finanzieller Kontrollmechanismen schien dagegen äußerst zweifelhaft, höchstens als flankierende Maßnahmen sinnvoll, gerade bei der Hypothese eines "etat froeral", der "exigerait un personnel nombreux et qualifie.'07

Frühplanungen: Dilemmata. Als frühe Ausarbeitung mit konkreten deutschlandpolitischen Ansprüchen ließe sich ein Memorandum Fran~ois Walters von Oktober 3 Vgl. z.B. de Frondeville, Pour la solution du probleme aIlemand, Le röle de la France, 10.06.46, AMAE Y (1944/49) 370. Diese Stellungnahme de Frondevilles bildet die einzige auffindbare "Einmischung" eines Beamen des Finanz- und Wirtschaftsministeriums in die frühen verhandlungstaktischen Diskussionen im Quai d'Orsay, empfahl er doch mehrfach eine Aufgabe von IdeaI- zugunsten von ReaIlösungen, schien ihm doch für den zweiten Abschnitt der Pariser Außenministerralstagung, daß "la Franre ajusqu'a present bien cIairement exprime ses wes ideales sur le probleme aUemand, une attitude conci\iante lui permettra tout au moins de faire, vis avis des Anglo-Saxons, figure de partenaire possible pour une nouvelle organisation tripartite de 1'A1lemagne occidentaIe."

• MEN, Service des affaires economiques allemandes, Note, 11.05.46, SAEF B 8846. 'Vgl. MEN, Service des affaires economiques aIlemandes, Les problemes poses par le travail a f~n, 26.03.46, SAEF B 8831. 'Vgl. z.B. GabrielArdant, Note au Ministre, Negociations economiques avec les Etats-Unis, 01.02.46, SAEF 5 A 182 sowie ders., Rapport au President du Gouvernement sur la gravite de la situation finaneiere et I'insuffisance des mesures prises, 25.03.46, SAEF 5 A 154. 1

Vgl. Note pour Schweitzer, Le contröle finaneier de 1'A1lemagne, Anfang 1948, SAEF B 8817.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

381

1944 zitieren, das vor allem auf die Lieferung von Rohstoffen, auf die Nutzung des deutschen Arbeitskräftepotentials, auf die Zuteilung von Patenten, auf den Transfer von Industrieanlagen sowie auf eine privilegierte Beteiligung an der Wirtschaft der Gebiete abhob, die künftig ein "statut politique special" erhalten sollten. Es galt eine doppelte Gefahr zu vermeiden, "un exces d'exigences pratiquement impossibles satisfaire" ebenso wie "un defaut d'energie ou de vigilance dans le contröle de l'Allemagne," denn beides könne ein Wirtschaftschaos zur Folge haben und damit "un centre de troubles europeens."s Sein Kollege Clermont-Tonnerre thematisierte einen Monat später in gleicher Weise den konzeptionellen Drahtseilakt zwischen der Notwendigkeit wirtschaftlicher Entwaffnungsmaßnahmen in Deutschland und der Unverzichtbarkeit deutscher Beiträge zum europäischen Wiederaufbau. Zu weitgehende Desindustrialisierung bedeute Ressourcenbegrenzung für den Wiederaufbau kriegsgeschädigter Länder und Verzögerungen für die Wiederherstellung internationaler Prosperität, bedeute ökonomisches Chaos im Nachbarland und Verdammung des deutschen Volkes zu Elend und Verzweiflung, bedeute letztlich eine Kompromittierung zukünftigen Friedens. Dagegen impliziere eine zu weitgehende Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von Produktionskapazitäten das Risiko, Deutschland als "usine de la reconstruction europeenne" und damit als "puissance industrielle dominante en Europe Centrale sinon dans l'Europe entiere" zu retablieren. Clermont-Tonnerre übernahm die regierungs amtliche Forderung nach Abtrennung des rheinland-westfälischen Gebiets, nach einem "ctemembrement economique de I'Allemagne," als Vorschlag zur Aufösung des beschriebenen Dilemmas, und Walter machte seinem Unmut Luft, als er den Eindruck gewann, der Quai d'Orsay verfolge das Rhein-Ruhr-Ziel, die Erlangung einer "position privilegiee dans l'economie westphale rMnane," mit geringerem Nachdruck als zuvor. 9

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Aus der Feder der deutschlandpolitisch relevanten Akteure im Finanz- und Wirtschaftsressort bei Befreiung und Kriegsende, vor allem Guindey und Schweitzer auf der einen, Marjolin, de Frondeville und Roussellier auf der anderen Seite, ließen sich keine Forderungen nach politischer Abtrennung deutscher Territorien oder wirtschaftlicher Aufteilung Deutschlands auffinden. 1O Verschiedenste Überlegungen zur Schaffung von finanzwirtschaftlich nützlichen Organen in Deutschland legten ganz selbstverständlich ein einheitlich zu behandelndes Gebiet zugrunde, das Bureau statistique d'etudes financieres beispielsweise bei seinen Plänen für deutsche "services fiscaux"ll oder die Finanzabteilung der Laffonschen Militärregierung in BadenBaden in Absprache mit dem Pariser Ministerium bei der Vorbereitung einer deutI MEN, Fran~ois Walter, o.T., 10.10.44, SAEF B 8786. • Vgl. handschriftliche Note pour MM. Guindey et Clermont-Tonnerre (et eux seuls) sur le projet de memorandum relatif a I'Allemagne, 04.11.44, SAEF B 8786; vgl. auch Kapitel A II 3c. 10 Erst eine systematischere Untersuchung zu deutschlandpolitischen Positionen und Äußerungen aus dem Finanz- und Wirtschaftsministerium kann allerdings endgültige Aufschlüsse geben; zumindest eine gewisse Skepsis scheint sich jedoch selbst auf der vorliegenden Quellenbasis ableiten zu lassen und die Annahme zu stützen, daß die prioritären Deutschlandprobleme dort von vornherein andere waren. 11 MEF, Bureau statistique d'etudes financieres, Plan d'etude, Allemagne: L'organisation des services fiscaux, o.D., vermutlich Ende 1944, SAEF B 33849.

25 Hüser

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

schen Zentralbank im letzten Drittel des Jahres 1945. 12 Ob solche Vorschläge, die doch dem offiziellen Deutschlandkurs eindeutig entgegenliefen, auf der Unkenntnis der Finanzbeamten beruhte, ob sie die ökonomische Einheit Deutschlands als historisch gewachsene Realität für unumstößlich hielten oder ob ihnen vielleicht die administrativen Reibungsverluste eines ökonomisch zerteilten Nachbarlandes als Widerspruch zu eigenen Interessen erschien, läßt sich letztlich mit Bestimmtheit nicht klären. Für die - bereits mehrfach erwähnte - Anmahnung wenigstens provisorischer Zentralverwaltungsstellen durch Finanz- und Wirtschaftsminister Pleven im September 1945 jedenfalls war offenbar letzteres verantwortlich, lag doch die Verringerung von Verwaltungs kosten ganz auf der Linie seines beherzten besatzungspolitischen Sparkurses. Im Außenministerium führte weiter jede "zentralistische" Anregung aus der Rue de Rivoli umgehend zum obligatorischen Protestbrief. 13 In einem ausführlichen Kommentar, den die Außenhandels abteilung des Wirtschaftsministeriums Ende November 1944 zu einem Memorandenprojekt des Quai d'Orsayabfaßte, spielte die Abtrennungsfrage ebenfalls keine Rolle. Angesichts des finanzwirtschaftlichen Chaos im Land ging es ausschließlich um den zweckmäßigsten Einsatz deutscher Ressourcen für Abstützung und Beschleunigung der in die Wege geleiteten innerfranzösischen Wiederaufbauprozesse. Trotz offensichtlicher Kenntnis der kurz zuvor angefertigten Empfehlungen von Walter und ClermontTonnerre, deren Hauptaugenmerk dem Dilemma von ökonomischen Entwaffnungszwängen und unabdingbaren deutschen Wiederaufbauhilfen für die europäische Wirtschaft galt, stand die Frage nach Rekonstruktionsnotwendigkeiten beim östlichen Nachbarn gar nicht erst zur Debatte und fand sich überlagert durch das Problem der Nutzungschancen im Zeitverlauf. Die Provisorische Regierung müsse zwischen zwei Verhaltensweisen wählen, je nachdem, ob sie eine zügige Entschädigung durch deutsche Reparationen "dans un tres court delai (1 ou 2 ans)" anvisiere oder deren Verteilung über "un certain nombre d'annees" hinweg vorziehe. Der Autor plädierte fiir eine klare schwerpunktmäßige Option zwischen beiden Tendenzen, obwohl sie sich nicht absolut gegenseitig ausschlossen. Kurzfristig berge die Überführung deutscher schwerindustrieller Ausrüstungen ein erhebliches Modernisierungspotential für die französische Industrie, vor allem für den völlig veralteten Maschinenpark der lothringischen Stahlbranche, bilde "la mainmise sur divers gages, " besonders die Beschlagnahme der Saargruben, einen unverzichtbaren Trwnpf. Langfristig erlaube die Aufrechterhaltung deutscher Produktionskapazitäten "la foumiture aux Allies de prestations en nature."14 Die Bedeutung schneller Reparationslieferungen aus Deutschland entsprach einem allgemeinen Konsens,15 doch durften diese nicht eine "deterioration systematique" 12 Vgl. GMZFO, Direction des finances, Michel Mitzakis, Note sur les emissions de marks d'occupation, 25.08.45 u. Propositions a.s. du futur statut monetaire de I'Allemagne, 20.12.45, SAEF B 8846. 13 Vgl. Brief Bidault an Andre Philip u. Rene Mayer, 13.06.46, SAEF B 8846 . .. Brief Mendes France an Bidault, erstellt von MEN, Direction du commerce exterieur, 5e Bureau, Projet de memorandum traitant des questions franco-allemandes, 27.11.44, SAEF B 8786. " Vgl. z.B. die Bemerkungen von Robert MaIjolin und Herve Alphand im Rahmen einer Sitzung der

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I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

deutscher Produktionsmittel bewirken. 16 Daneben bestand Einigkeit darüber, daß sie nicht mit in jederlei Hinsicht kontraproduktiven "prelevements desordonnes" seitens der Besatzungstruppen einhergehen sollten. I? Bei potentiellen Reputationseinbußen Frankreichs gegenüber den "Großen Drei" auf der einen Seite ließ der in solchen Fällen noch weniger zu gewährleistende reibungs- und verlustfreie Ablauf von Transport, Lagerung und Verteilung l8 den Wert für Wiederaufbau und Modernisierung der französischen Wirtschaft auf der anderen Seite höchst zweifelhaft erscheinen. Vor allem Schweitzer verurteilte immer wieder wilde Demontagen, schien es ihm doch "preferable de ne pas 'carotter' et de payer en dollars (avec malgre tout 20% de gain) qui permettront aux autorites fran~aises d'occupation d'acheter, par exemple, l'outillage necessaire ala Sarre."19

lnnen- und Außenpolitik. Das Gewicht innen- und außenpolitischer Wechselwirkungen hatten die Spitzenbeamten des Finanz- und Wirtschaftsministeriums genauso verinnerlicht wie die jeweiligen Ressortchefs selbst, die sich als Parteipolitiker unterschiedlicher Provenienz den Schwankungen öffentlicher Meinungsströme ausgesetzt sahen, Es maß sich allerdings nicht nach Wahlergebnissen auf den verschiedenen Ebenen, sondern wurzelte in einem signifikanten Rollen- und Selbstverständnis der teilweise ganz bewußt gegen die Übernahme politischer Ämter optierenden Verwaltungs spitzen als Schrittmacher nationaler Modernisierung und Gralshüter ihrer finanziellen Grundlage,20 das ein Denken jeglicher deutschland-und besatzungspolitischer Ansätze in Kategorien innerfranzösischer Konsequenzen im finanzwirtschaftlichen Sektor nach sich zog, Die Staatsfinanzen befanden sich jedoch bei der Befreiung in einem katastrophalen Zustand, und so sahen sich die Beamten vor eine dreifache Aufgabe gestellt: "faire face l'Mritage du passe; assurer la continuation de la guerre et la vie economique du Pays; preparer et commencer la reconstruction, "21 Diese Zwangslage erforderte nicht nur einen Sparkurs, dessen Rigorosität und Schwerpunktsetzungen nicht zuletzt von der Wahrnehmung sozialpolitischer Handlungsspielräume durch die amtierenden Minister abhing, Sie

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Soos-commission pour les affaires allemandes im Außenministerium, 04.08.45, AN F12 10104, bei der Alphand sich für die Anerkennung französischer Beteiligungen an deutschen Unternehmen als Reparationsleistungen einsetzte, während Marjolin demgegenüber den "transfert d'equipements" vorzog. 16 So bereits in Algier Guillaume Guindey, Note, Elements pour la preparation des clauses economiques et financieres d'une convention d'armistice avec I'Allemagne, 07.04.44, SAEF B 8786. 17 Vgl. z.B. die einhelligen Äußerungen von Robert Marjolin, Pierre Paul Schweitzer, Jacques Rueff und Herve Alphand in verschiedenen interministeriellen Sitzungen, Conference interministerielle du 8 ooobre 1945 au MAE dans le bureau de M. Alphand, handschriftliches Protokoll, AMAE Y (1944/49) 362 oder Reunion du 13 octobre 1945, AMAE Y (1944/49) 433.

"Vgl. zum überaus komplexen Verfahren, de Frondeville, Note explicative sur le fonctionnement des reparations et restitutions, 22.03.46, AN F37 189 sowie ders., Note sur l'organisation de la repartition et du transfert des materiels en provenance des reparations allemandes, 30.10.47, SAEF 5 A 13.

'9 Schweitzers Ausführungen während der zitierten Sitzung im Außenministerium, Reunion du 13 octobre 1945, AMAE Y (1944/49) 433. Vgl. dazu die Hinweise bei Bloch-Laine / Bouvier, La France restauree, S.85-107. Vgl. dazu die Berichte des Mendes France-Vertrauten Gabriel Ardant, z.B. Note au Ministre sur le IIobleme financier de la reconstruction, Septernbre 1944, SAEF 5 A 183, Bilan financier, o.D., vermutlich Ende 1945, SAEF 5 A 182 sowie Rapport au Ministre, 31.12.45, ebd. :!l 21

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

erklärt daneben die einhellige Befürwortung amerikanischer Kredithilfen über alle wirtschafts theoretischen Tendenzen hinweg sowie die Bedeutung der Berliner Kontrollratsentscheidung vom 20.September 1945 über deutsche Im- und Exporte22 für die Akzentuierung des Realitätssinns in der Pariser Finanz- und Wirtschaftsadministration, was konkrete Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten deutschland- und besatzungspolitischer Ressourcen anbelangte.

Besatzungszone als Devisen/aß ohne Boden. Minister Rene Pleven hatte am 11.September 1945 den Ton angegeben, als er im Nationalen Wirtschaftsrat zur Frage französischer Holzimporte unterstrich "qu'il ya peu a esperer du cote allemand par suite des conditions de paiement imposees pour ces prestations."23 In den folgenden Tagen und Wochen versuchten Plevens Beamte anläßlich vielzähliger ressortübergreifender Zusammenkünfte, die Kollegen 24 dafür zu sensibilisieren, daß es die Alternative, "acheter en grande quantite dans les pays ou nous sommes obliges de payer en dollars" oder "prendre en Allemagne les stocks de materiaux ... et de materiel industriel," überhaupt nicht existiere, da Frankreich solche Lieferungen aus Deutschland ebenfalls in Dollar zu begleichen habe. 25 In völlig neuem Licht stellte sich damit unweigerlich die Frage nach der Legitimation des kostspieligen französischen Engagements in Südwestdeutschland und in Berlin. Der Zwang, die knappen Devisen möglichst produktiv zugunsten von Wiederaufbau und Modernisierung der Nation einzusetzen, beförderte die Kostenreduzierung zum vorrangigen deutschlandund besatzungspolitischen Thema im Finanz- und Wirtschaftsministerium, das sich beispielsweise am Problem der Ernährung von in Deutschland tätigen Franzosen festmachen ließ. Vor diesem Hintergrund waren Vorschläge, ob man nicht in Frankreich eingesetzte Kriegsgefangene "par prelevements effectues dans notre zone" ernähren könne, nur als äußerst unzweckmäßig abzuqualifizieren, da - wie Schweitzer betonte - "cela aura pour consequence d'augmenter le montant de nos paiements en dollars effectues pour assurer le ravitaillement de la zone."26 Dies galt freilich nicht weniger für die Zl Die vom AKR verabschiedete Regelung sah vor, rückwirkend zum I.August 1945 deutsche Exporte von Gütern aus laufender Produktion bzw. aus Lagerbeständen in Dollar abzurechnen, wobei die E.rqlfangerländer mindestens 80% der von den Militärgouverneuren fixierten Preise zu bezahlen hatten, während die restlichen 20% auf den respektiven Reparationskonten verbucht werden konnten. Vgl. ausführlich Buchheirn, Die Wiedereingliederung Westdeutschlands, S.I-9; zur Forschungsdiskussion um den Außenhandel in der französischen Besatzungszone vgl. zuletzt ebd., S.35-42 sowie demnächst die Saarbrücker Habilitation von Armin Heinen zu Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955. 23 MEN, Conseil de l'economie nationale, Compte rendu, 11.09.45, SAEF 5 A 15. ,.. Vor allem diejenigen aus dem Industrie- und dem Rekonstruktionsministerium, die sich angesichts geplünderter Produktionsstätten und zerstörter Städte kurzfristig dem größten Druck mehr oder weniger organisierter Interessen ausgesetzt sahen. 2S Dies Schweitzers Antwort auf die Ausführungen des Repräsentanten des Rekonstruktionsministeriums Dherse, MAE, Proces-verbal de la Sous-commission economique pour les affaires allemandes et autrichiennes. 13.09.45, AMAE Y (1944/49) 363. Vgl. ebenso die Hinweise Marjolins als Direktor für Außenwirtschaftsbeziehungen im Wirtschaftsministerium, Proces-verbal de la reunion des Secretaires generaux pour les affaires allemandes, 26.10.45, SAEF 5 A 15. 16 MAE, Proces-verbal de la Sous-commission economique pour les affaires allemandes et autrichiennes, 13.09.45, AMAE Y (1944/49) 363.

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Versorgung der französischen Besatzungsbeamten und -truppen, denn unabhängig davon, ob man die Nahrungsmittel aus zonalen Beständen entnahm oder aus Frankreich herbeibrachte, "la consequence est approximativement identique et aboutit a une depense en dollars." Da "la situation actuelle de la France, au point de vue devises, est catastrophique," schlug Guindey drei Lösungsansätze seitens des Finanzministeriums vor: "faire venir le ravitaillement de France, ne pas envoyer les familles en Allemagne et reduire les effectifs des troupes d'occupation et des Gouvernements militaires.'027 Der Kampf gegen die Installierung von etwa 30.000 Familien französischer Militärs in der Besatzungszone erhielt geradezu symbolische Bedeutung, zog doch deren Ernährung in jedem Fall "une charge supplementaire en dollars" nach sich, sei es - bei deren Versorgung von Frankreich aus - durch direkte Zuteilung der in den Vereinigten Staaten gekauften Lebensmittel, sei es - bei deren Versorgung aus dem Besatzungsgebiet selbst - durch erhöhte Einfuhren für die Menschen in der Zone, deren Devisenkosten sich aus den Exporterträgen nicht decken ließen. Im übrigen zeitige eine solche Familienzusammenführung die politisch wenig wünschbare Nebenwirkung einer lokalen Bevölkerung mit dem Bild, daß "ces consommateurs supplementaires vivent a ses depens."28 Die Gefahr einer Verstrickung Frankreichs in einem potentiellen "Selbstausbeutungskreislauf' hatte man in der Rue de Rivoli sofort erkannt und regierungsintern weiterzugeben versucht. 29 Ein solcher Kreislauf basierte auf der volkswirtschaftlich kaum vertretbaren Abnahme selbst zweitrangiger zonaler Exportprodukte zu 80% in Dollar als indirekte Finanzhilfe für das Besatzungsgebiet. Beabsichtigt war, durch diese Devisen unentbehrliche Nahrungsmittelimporte für Baden-Baden finanzierbar zu machen, ohne die ausgeglichene Leistungsbilanz zu gefahrden. Der Einsatz Schweitzers, Guindeys oder Brunets für eine Reduzierung besatzungspolitischer Ausgaben, die wiederum verringerte Importe von Zonenprodukten erlaubt hätte, entsprach einem Kampf für einen sinnvollen Einsatz der knappen französischen Devisenreserven und gegen deren exzessiven Abfluß nach Südwestdeutschland als indirekte Zuschüsse, die offenbar weniger "unbeabsichtigt"3o als "II MAE, Reunion de la Sous-commission economique pour les affaires allemandes et autrichiennes, 19.10.45, AMAE Y (1944/49) 363. ,. Vgl. die von Schweitzer elaborierten und von Brunet als damaligem Directeur du tresor gezeichneten Stellungnahmen zur Imtallation en Allernagne des familles des militaires des troupes d'occupation, die am 16.10.45 an Marcel Berthelot, am 10.12.45 in überarbeiteter Form an Finanzminister Pleven gingen, SAEF B 8833. Zur Diskussion im CIAAA zu diesem Problem vgl. Kapitel B 11 la. Zum krassen Gegensatz zwischen der Realität französischer Emährungspolitik und deren Perzeption in Südwestdeutschland mit gravierenden kurz- und langfristigen Folgen für die Gesamteinschätzung Frankreichs als 3a u. 3b. Besatzungsmacht vgl. ausführlich Kapitel B 2. Der Quai d'Orsay war nicht nur durch das Finanzministerium über die Problematik informiert, sondern daneben ständig durch Berlin und Baden-Baden. Vgl. z.B. Telegramm Koeltz an Berthelot, 28.09.45, AN F12 10104, in dem dieser erneut auf die Kontrollratsentscheidung hinwies, nach der "Ies exportations allemandes adestination de la France doivent etre reglees en devises, provisoirernent sur la base de 80%," und deshalb dezidiert für eine Revision der Reparationsliste des Wirtschaftsministeriums eintrat sowie für die vorllehaltlose Streichung sämtlicher "produits superllus ou d'interet secondaire que certains pourraient etre tentes de faire venir d'Allemagne, dans I'illusion qu'ils ne coOteraient rien."

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30

Die These von Buchheim, Die Wiedereingliederung Westdeutschlands, S.42, zur bis 1947 unbe-

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

sachzwangbedingt geleistet wurden. Wie sollte man denn in einer ebenso erwartungsfrohen wie germanophoben Öffentlichkeit angesichts sich vielfältig überlagernder hexagonaler Krisen und angesichts der wachen Erinnerung an vier Jahre Besatzungs- und Ausbeutungspolitik Verständnis dafür finden, daß man - volkswirtschaftlich betrachtet - die Besatzungszone seit dem Kontrollratsbeschluß über die Dollarklausel für deutsche Exporte sinnvollerweise wie jedes andere ausländische Wirtschaftsgebiet zu behandeln habe, diesem womöglich durch direkte Finanzspritzen zu Lebensmitteleinfuhren verhelfen müsse?3l Konnte man nicht gegebenenfalls einer breiten öffentlichen Meinung, deren Vorstellungskraft sowohl die Dollarklausel als auch die französischen Nahrungsmiuellieferungen in den deutschen Südwesten angesichts verschärfter Rationierungen im eigenen Land übersteigen mußten und deren Informationen darüber sicQ in Gerüchten erschöpften, selbst Zonenausfuhren sekundärer Bedeutung im Sinne deutschlandpolitischer Befriedigungsstrategien als Reparationsleistungen "verkaufen"? Konnte man nicht vielleicht sogar - deutschlandpolitisch betrachtet - dem französischen Vorgehen ein wenig mehr Legitimation abgewinnen, bildete doch die Exportorientierung durch Prämierung fruchtbarer Aktivitäten, durch Herausbildung wirtschaftlicher und kommerzieller Verflechtungen und Kreisläufe, durch Produktionsorientierung auf Frankreich hin einen günstigen Nährboden für die langfristige Integration des Nachbarn in ein westeuropäisches Wirtschaftssystem unter französischer Führung?32 Und war nicht damit eine der maßgeblichen sicherheitspolitischen Zielvorstellungen sämtlicher Pariser Deutschlandakteure seit Befreiung und Kriegsende auf den Pnukte gebracht? Zum vollen Weltmarktpreis und nicht mehr nur zu 80% bezahlten die Franzosen seit Anfang 1947 die Importe aus der Zone, nicht zuletzt wegen des massiven Einsatzes gegen die Pariser Präferenzpreispolitik durch die Baden-Badener Militärregierung, vor allem durch Laffon und Filippi,33 für die das - den Deutschlandakteuren in der Rue de Rivoli am Herzen liegende - Außenhandelsargument und damit die Andeutung volkswirtschaftlicher Eigentore zum "Königsweg" wurde, eine besatzungspolitische Trendwende endgültig auf den Weg zu bringen. Der Beschluß zur 100%igen Fakturierung fiel anläßlich einer Zusammenkunft in Anwesenheit von Finanz- und Wirtschaftsminister Philip, der sich dazu bereit erklärte, daß "la France consente ce sacrifice en devises etrangeres."34 Die sich dramatisch zuspitzende

absichtigt geleisteten französischen "Finanzbilfe für unentbehrliche Dollarimporte der Zone" durch die Einfuhr von 85% der FBZ-Exporte bedarf jedenfalls einer genaueren Prüfung. " V gl. dazu z.B. die Bedenken Koenigs gegenüber einer Veröffentlichung der Entscheidungen zur künftigen Bezahlung deutscher Exporte Zll Weltmarktpreisen bzw. zur Erltöhung des südwestdeutschen Lebensstandards während einer Sitzung im Pariser Außenministerium, Reunion du 13 Janvier, AMAE Y (1944/49) 654. 31 Vgl. durd!aus in diesem Sinne Robert Frank, France - Grande Bretagne. La mesentente commerciale 1945-1958, in: Relations internationales n055 (1988) S.323-339 (328 u. 332ff.). D Vgl. z.B. BriefLaffon an Sdmeiter, Limites et modalires de la politique preferentielle suivie en faveur de la France dans la ZFO, 31.10.46, AOFAA Cab.Laffon c.19 oder die Äußerungen Filippis im Rabmen einer CGAAA-Sitzung, Politique preferentielle de la zone fran~se d'occupation en faveur de la France, Compte rendu de la reunion, 28.11.46, SAEF B 8837.

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Außenhandelskrise im Frühherbst 1947 zwang Paris schließlich dazu, seine Dollarimporte auf ein absolutes Mindestmaß herabzusetzen. Die Leistungsbilanz der französischen Besatzungszone drohte zunehmend in rote Zahlen abzurutschen,3s erst recht mit einer wirtschaftlichen Angliederung der Saar an Frankreich,36 und zu einer künftigen Zusammenarbeit mit den beiden Westzonen gab es keine Alternative mehr. Allerdings - und darin stimmte er mit den federführenden "Verhandlungsstrategen" im Quai d'Orsay überein - galt es den Bindungsversuch des Saarwirtschaftsanschlusses an eine Fusion der drei Westzonen abzulehnen, die Trumpfkarte der Zonenfusion, die nach Ansicht Guindeys innenpolitisch noch nicht durchsetzbar war, für eine andere Gelegenheit im Ärmel zu belassen und lieber zeitweise die durch den Ausgleich des Handelsbilanzdefizits zwischen französischer und Bizone anwachsenden Dollarbelastungen mit amerikanischen Marshallplangeldern zu kompensieren. 37 c) Das Produktionsministerium: begrenzter interner Realitätssinn und erhebliche äußere Zwänge?

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"ll ne faut pas perdre de vue que le premier objectif atteindre est d'emp&her le retour de l'hegemonie allemande dans certaines branches d'industrie."l

Im Produktionsressort kümmerte man sich zwar um verhandlungstaktische Belange französischer Deutschlandpolitik durchaus noch weniger als im Finanz- und Wirtschaftsministerium, besaß allerdings ein ebenso ausgeprägtes Bewußtsein für die komplexen Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik, für deutschlandpolitische Erwartungshaltungen und Druckpotentiale angesichts öffentlicher Germanphobie und materieller Zwangslagen und die möglichen "modernisierungsfeindlichen" Konsequenzen. Dabei sind vor allem zwei maßgebliche Ansprechpartner voneinander zu unterscheiden, die es gleichermaßen in die "bataille de la production" einzubinden, auf die es gleichermaßen Rücksichten zu nehmen galt: zum einen die private Unternehmerschaft bzw. die Führungskräfte nationalisierter Betriebe, die größtes Interesse an Restitutionen, Reparationen und günstigen Rohstoffen aus Deutschland hatten und dies auch kundtaten; zum anderen die Gewerk"Corrpe rendu de la reunion dans le cabinet de M. le Sous-secretaire d'Etat aux affaires etrangeres en presence de M. le Ministre de l'economie nationale et des finances, 10.01.47, SAEF B 8837. "Vgi. zB. MF1N, Direction des finances exterieures, Frais d'occupation, Renseignements fournis a M. Ramadier par M. Meyer, 07.10.47, SAEF B 8828. 36 Vgl. dazu Fran~is Walter, Note relative a l'incidence du rattachement de la Sarre a la France sur la balance des comptes de la zone fran~ise d'occupation et de la France, 30.09.47, SAEF B 34172. "Vgl. die heiden N~ pour le Ministre, o.A., vermutlich Guillaume Guindey, Incidences du rattachement ewnomique de la Sarre sur la situation de la balance des comptes de la zone fran~aise d'occupation en Allemagne, 12.02.48, SAEF B 34172 sowie vermutlich ders., Projet d'accord relatif au rattachement economique de la Sarre a la France et au reglement des echanges commerciaux entre la zone fran~aise d'occupation et la bizone, 16.02.48, ebd. 1 MPI, Direction des industries mecaniques et electriques, Note pour M. le Secretaire general a la production industrielle, 20.04.45, AN F12 10104.

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schaften in sensiblen Sektoren wie dem Kohlebergbau, die jederzeit die Prämisse, Wiederaufbau und Modernisierung zunächst einmal aus eigener Kraft in die Wege zu leiten, ad absurdum führen konnten. Der Kampf von Robert Lacoste bei seiner Rückkehr in die Rue de Grenelle Mitte Dezember 1946 gegen die kommunistische Vorherrschaft in den nationalisierten Kohlegruben Nordfrankreichs,2 die Marcel Paul, ehemaliger Buchenwald-Häftling,3 und sein Staatssekretär Auguste Lecoeur während des 13-monatigen Interims systematisch zu einer Art "autonomer kommunistischer Volksrepublik" ausgebaut hatten,4 war jedenfalls zumindest in dreierlei Hinsicht symptomatisch: einmal für Lacoste selbst, der als "planiste des annees 30" den Blick durch die Modernisierungsbrille fiir die einzig legitime Betrachtungsweise überhaupt hielt, der die nahezu einmalige Chance der Nation nach Befreiung und Kriegsende nicht verpassen wollte und mit äußerster Vehemenz gegen jedes denkbare hexagonale Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung seines "Traums" vorzugehen gedachte; zum zweiten für die Bedeutung der Kohle als Kernelement französischer Bemühungen, das Land möglichst rasch zu einer modernen Industrienation zu machen und damit für die neuerlich parallele Prioritätsetzung und interministerielle Homogenität; zum dritten schließlich für das Konterkarierungspotential das nicht-kommunistische Akteure lange vor Beginn der ersten massiven Streikwellen PCF und CGT - trotz Stabilisierungsrhetorik und Regierungspräsenz - zutrauten und das es nicht grundlos deutschland- und besatzungspolitisch aufzurühren galt.

Robert Lacoste. Die Zukunft Frankreichs, seine Rückkehr zum Status einer "Grande Nation" hing für Robert Lacoste vom Erfolg sozioökonomischer Modernisierung ab, von der Behebung der materiellen Zerstörungen und vom Aufholen der industriellen Rückstände, hinter denen "les preoccupations quotidiennes, si absorbantes et si imperieuses soient-elles" erst einmal zurückstehen mußten. s Seine Bemühungen im Außenministerium um den künftigen Einsatz saarerprobter französischer Ingenieure "pour assurer la conservation et l'exploitation des mines de la Sarre,"6 seine Anstrengungen gegenüber de Gaulle zur diplomatischen Absicherung einer möglichst zügigen "remise en marche" der Ruhrgruben, 7 seine herbe Kritik an Koenig wegen der angeblichen Zurückhaltung von rund 3.500 Kohlewaggons in der Besatzungszone, welche die Ruhrkohlelieferungen der Briten an Frankreich verhinderten, 8 2 Zur antikommunistischen Eindämmung von Lacoste im Bereich betrieblicher Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen 1944 vgl. Bloch-Laine I Bouvier, La France restaurie, S.72 u. 217. 3 Vgl. dazu Marcel Paul, Les SS se faisaient des abat-jour en peau hurnaine - M. Paul revete les horribles punitions infligees aBuchenwald, in: L'Humanite, 21.04.45. • Vgl. Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders, S.105; Holter, The battle for coa1, S.101-106 sowie Elgey, IVe Republique, Bd.l, S.18, derzufolge 80% der im nordfranzösischen Kohlerevier beschäftigten Ingenieure nach der Befreiung der CGT beitraten. Zur "conquete de la CGT par les communistes" vgl. allgemein Lefranc, Les experiences syndicales, S.151-168. 'Vgl. Robert Lacoste, Note, 23.12.44, AN F12 10086. • Brief Lacoste an Bidault, 25.09.44, AN F12 10043. 7 V gl. Brief Lacoste an de Gaulle, 09.03.45, SHAT 8 P 25. t Vgl. Brief Lacoste an Koenig, 27.10.45, AN 1'1210103.

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spiegeln prägnant den Stellenwert wider, den die Versorgung des Landes mit deutscher Kohle zur Realisierung dieser Ziele einnahm. Dies galt im übrigen nicht weniger fiir Marcel Paul.9 Die Verinnerlichung des Produktions- und Kohlekampfes, den sich seine Partei seit der Liberation auf die Fahnen geschrieben hatte, ließ ihn nicht nur für die vorrangige Erzeugung exportierbarer Gebrauchsgüter gegenüber Konsumartikeln eintreten,1O sondern ebenso unermüdlich für die dazu notwendige Kohlebedarfsdeckung aus dem Ausland, sei es aus Deutschland,lI aus Großbritannien l2 oder selbst aus den Vereinigten Staaten. 13 Die Rückkehr Lacostes ins Amt änderte weder dessen Prioritäten noch dessen Einstellungen. Weiterhin "bete noire" der Kommunisten,14 bewahrte er sein waches Bewußtsein fiir die Gefahr utopischer Versprechungen 15 sowie die andauernden und beschwerlichen Rücksichtnahmen auf eine "opinion publique qui a, belas, besoin qu'on lui explique tellement de choses qu'on ne sait, quelquefois, par quel bout commencer," beispielsweise im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, erst recht aber in Fragen der Deutschlandpolitik. 16 Die Franzosen müßten lernen, aus pragmatischen Gründen über den eigenen mentalen Schatten zu springen, selbst wenn dies schwer fiele. Zwar habe er Verständnis für die psychologischen Probleme, welche die geplante lohnmäßige Gleichstellung deutscher Kriegsgefangener in den Gruben mit französischen Bergleuten hervorrufe, doch angesichts fehlender Ersatzarbeiter, katastrophaler Kohleknappheit und immenser Zusatzkosten für erhöhte Importe müsse man dem Gefangenen die gleichen Vorteile zugestehen "pour l'attacher a la mine, et pour qu'il n'ait pas le sentiment d'etre un esclave." Vor dem Produktionsund vor dem Wirtschaftsausschuß der Nationalversammlung unterstrich er die fundamentale Rolle der Kohle für die Erlangung der Monnetplan-Ziele und die Aufwärtsentwicklung zentraler wirtschaftlicher Aktivitäten, betonte den ebenso beharrlichen wie vergeblichen Einsatz des Ministeriums für erhöhte Lieferungen der Ruhr an Frankreich und verwies auf die Vielzahl konstruktiver Vorschläge französischer Bergbauingenieure im Ruhrgebiet und in Berlin gegenüber den Engländern ·VgI. Intern.ew mit Marcel Paul, in: L'Humanite, 05.12.45; vgl. daneben viele weitere Artikel dort zu Beginn von PaulsAmszeit, z.B. Georges Cogniot, Hommes de gouvernement, in: L'Humanite, 05.12.45 oder Marcel Paul Sarrebruck, in: ebd. (o.A.), 11.01.46. 10 Vgl. Marcel Paul, SAAN Com.Equ.Nat. 02.02.46. 11 Vgl. Pauls Bemerkungen zu den ständig steigenden Schwierigkeiten bei der Belieferung mit Ruhrkohle, SAAN Com.Equ.Nat. 02.08.46.

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Zu Pauls Beteiligung an der Essener Kohlekonferenz, April 1946, vgl. Poidevin, Rene Mayer, S.77.

Vgl. BriefPaul an Bidault, Importation de charbon des Etats-Unis, 05.10.46, AN 457 AP 80. Seit seinem Amtsantritt im September 1944 sah sich Lacoste kommunistischen Kampagnen ausgesetzt, vgl. z.B. Georges Cogniot, Le ministre qui ne porte pas son nom, in: L'Humanite, 14.10.44. \S Dies galt schon für seine erste Amtszeit zwischen September 1944 und November 1945, vgl. den Artikel zur Rede Lacostes in Limoges, Hier Limoges M. Robert Lacoste a expose le probleme de la production, in: Le Parisien Libere (o.A.), 13.07.45, wo er vor übertriebenen Hoffnungen auf Ruhrkohlelieferungen warnte; dies galt ebenso für die Monate, in denen er kein Ministeramt bekleidete: so beglückwünschte er im Wirtschaftsausschuß der Konstituante, SAAN Com.Eco.Nat. 27.03.46, Außenminister Bidault "d'avoir mis l'opinion en garde contre des espoirs exageres de crewts miracuieux," was die Aussichten Leen Blums bei seinen Kreditverhandlungen in Washington anbelangte. 16Vgl. Audition de M.le Ministre de la production industrielle, SAAN Com.Prod.lnd. 13.03.47, a.i.f. \3

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zur Verbesserung der Förderleistungen. 17 Der Bidaultsche Versuch, auf der Moskauer Außenrninisterkonferenz eine Steigerung des deutschen Industrieniveaus von der Aufstockung französischer Kohleanteile abhängig zu machen, erhielt seine volle Unterstützung. Dennoch warnte er vor allzu großem Optimismus. Weder amerikanische noch deutsche Importe könnten das Problem allein lösen, so daß die Nation vor allem weiter auf sich selbst setzen müsse und auf eine "amelioration du rendement individuel." 11

Lehren aus der deutschen Besatzung in Frankreich? Innerhalb der Ministerialverwaltung des Produktionsministeriums waren die Deutschlandansätze häufig weniger weitsichtig als bei den Kollegen im Finanz- und Wirtschaftsressort, weitaus stärker auf kurzfristige Bedürfnisbefriedigung ohne Berücksichtigung langfristiger Folgewirkungen ausgerichtet, auf Dominanz ohne Integration. Die Antwortschreiben der einzelnen Abteilungen an Generalsekretär Blum-Picard, der Anfang Februar 1945 die Aufforderung Jacques RuefIs weitergeleitet hatte, sich Gedanken über die Lehren aus der deutschen Besatzung in Frankreich für die französische Besatzung in Deutschland zu machen, 19 ließen eine solcbe Grundtendenz zutage treten. Dennoch wiesen sie im einzelnen gewisse Nuancen auf, strahlten vor allem keinen unerschütterlichen Optimismus aus, was die Erfolgschancen einer Ausbeutungspolitik anbelangte. Grundsätzlich bestand Einigkeit in zweierlei Hinsicht, einerseits über das Ziel "d'obtenir un concours extremement important de I'Allemagne la restauration des pays devastes,"20 andererseits über die Unabdingbarkeit einer möglichst strikten und direkten Kontrolle des Produktionsprozesses vom Beginn bis zum Ende. 21 Dies erforderte wiederum unerläßliche besatzungsadministrative Voraussetzungen. Zum einen galt es den Kontrollorganen "les moyens de leur politique" zuzugestehen und sie mit "des contingents importants de personnel qualifie" zu besetzen. 22 Zum zweiten galt es "les defauts de l'organisation allemande et particulierement la dualite de l'autorite responsable" zu umgehen,23 um deutschen Industriellen möglichst wenig Schlupflöcher zu gewähren.24 Zum dritten, und eng damit zusammenhängend, galt es Deutschland als ökonomische Einheit zu behandeln und die Verwaltung zu zentralisieren, sowohl durch die Einsetzung eines "seul organisme fran~ais ... competent en territoire allemand" mit ihm direkt unterstehenden regionalen Stellen 2S als auch

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Vgl. Audition de M. Robert Lacoste, SAAN Com.Eco.Nat. 26.03.47. " Vgl. dazu auch MPI, Direction des mines, E. Ventura, Perspectives de l'approvisionnement de la France en charbon et coke en pl"Ovenance d'A1lemagne, SAEF B 34171. 19 Vgl. Brief Rueff an Lacoste, l'attention de M. Blum-Picard, 07.02.45, AN F12 10102. 20 Vgl. MPI, Secretariat general au commerce et a I'organisation econornique, 15.03.45, AN F12 10102; die jeweils gesetzten Prioritäten richteten sich selbstverständlich nach den durch die Abteilungen vertretenen Branchen, so daß beispielsweise A. Bureau, Directeur de la siderurgie, Note, 13.03.45, ebd., befürwortete, daß "c'est surtout sur la siderurgie allemande que nous devons porter notre effort." 21 Vgl. z.B. MPI, Direction des textiles et des cuirs, Note, 19.03.45, AN F12 10102. 22 Vgl. MPI, Direction de la coordination industrielle, Service des Etudes, 06.03.45, AN F12 10102. 23 Vgl. MPI, Direction des industries chirniques, 01.03.45, AN F12 10102. ,. Vgl. z.B. MPI, Direction des rnines, Service des rninerais et metaux, 02.03.45, AN F12 10102. '" Vgl. MPI, Direction des industries chirniques, 01.03.45, AN F12 10102. 11

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durch die Konzentration in einem "organisme unique pour tout ce qui concerne un meme produit."26 Allerdings fehlte es nicht an Warnrufen vor übertriebenen Erwartungen, denn "il est toujours difficile pour l'occupant d'etre tenu au courant de la production reelle du pays occupe meme en pretendant contröler toute son industrie. "27 Und gerade die kontraproduktive Wirkung des strengen Regiments, der direkten Eingriffe seitens kompetenter deutscher Beamter im Kohlebecken des Nord-Pas-de-Calais scheine doch zu widerlegen, daß "une ingerence de fonctionnaires etrangers dans la marche des entreprises soit profitable."28 Nach deutschlandpolitischem Differenzierungsgrad und gedanklicher Durchdringung hob sich ein Antwortbrief deutlich von den anderen ab, der nicht einer branchenspezifischen Abteilung des Produktionsministeriums entstammte, sondern dessen Secretariat general au commerce et al'organisation economique. Der Autor sprach sich angesichts der Erfahrungen nach 1918 und nach 1940 für Reparationen in Sachleistungen aus und für die Aufrechterhaltung des Bewirtschaftungssystems in Deutschland bei Kriegsende. Das Vorgehen der Sieger müsse sich auf "des principes de justice" stützen, schon allein um "ne pas compromettre le futur gouvernement allemand anti-nazi en lui faisant endosser la responsabilite politique des reparations et de la haine qu'engendrent toujours les occupations militaires de territoire."29 Das größte Risiko alliierten Scheiterns läge darin, daß "le defaut d'unite de vue et de methode eut pour resultat des traitements differents des populations de chaque zone occupee et la constitution de chaque region occupee en unite economique." Nur eine "reglementation uniforme pour toute I'Allemagne" sowie normale Austauschbeziehungen zwischen den Landesteilen könnten ein Scheitern des "effort moral de l'occupant" durch unterschiedliche Lebensstandards in den respektiven Besatzungsgebieten abwenden. Schließlich - und damit deutete er als einziger das bevorstehende deutsche Außenhandelsdilemma an - solle man sich nichts vormachen, was die Einträglichkeit der Reparationspolitik anbelange. Abgesehen vom Zerstörungsgrad der Industrieanlagen und der Kommunikationsmittel käme Deutschland nicht umhin, Gebrauchsgüter zu exportieren, um die unerläßlichen Lebensmitteleinfuhren finanzieren zu können, "ce qui ... reduira sensiblement ses facultes de prestation, main-d'oeuvre exceptee." Zu solchen Einsichten in die komplexen Realitäten künftiger Deutschlandpolitik gelangten die Abteilungsleiter im Produktionsministerium im März 1945 noch nicht, offenbar zum Bedauern von Laurent Blum-Picard, der selbst unerfüllbaren Versprechungen und hochgeschraubten Erwartungshaltungen skeptisch gegenüberstand und dem es oblag, Rueffüber die Reaktionen zusammenfassend Bericht zu erstatten. Dem Generalsekretär schien ein Vergleich nationalsozialistischer Ausbeutungsmethoden und französischer Besatzungspolitik in Deutschland durchaus Kopf,. Vgl. MPI, Direction des carburants, 09.03.45, AN F12 10102. Vgl. MPI, Direction des mines, Service des mat6riaux de construction, 26.02.45, AN F12 10102; in diesem Sinne MPI, Direction du service central des recherches techniques, 14.03.45, ebd. 21 Vgl. MPI, Direction des mines, Service de la production, 02.03.45, AN F12 10102. '" MPI, Secretariat au commerce et I'organisation economique, 15.03.45, AN F12 10102, a.i.f. TI

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schmerzen zu bereiten, nahm er doch einleitend zu den "enseignements atirer" eine deutliche qualitative Unterscheidung zwischen deutschen und französischen Intentionen vor, zwischen dem Willen "de tirer le maximum de ressources de la France" und dem Ziel "de restreindre la production allemande pour la contenir dans certaines limites."30 Diese Abgrenzung, die eine Abschwächung des Ausbeutungsaspekts alliierter Besatzungspolitik zum Ausdruck brachte, fand sich in den Vorlagen weder wörtlich noch sinngemäß wieder, fügte sich allerdings in Äußerungen Blum-Picards zu Zeiten des äußeren Widerstands in London ein. Sie bedeute im übrigen keineswegs einen Verzicht auf die Zielperspektive der Besatzungsmächte "d'obtenir un concours extremement important et immediat de l'Allemagne a la restauration des pays devastes, tout en contenant, il est vrai, certaines fabrications dans les limites justifiees par les seuls besoins civils."31 Das Hauptaugenmerk Blum-Picards, schon im Widerstand mit seinen Ansichten ebenso originell wie umstritten, galt nach Befreiung und Kriegsende der Lösung des Kohleproblems, das den ersehnten "take off" der französischen Industrie hintertrieb. Ende März 1945 stellte der Ingenieur des mines ein mehr als 20 Seiten umfassendes Memorandum vor, in dem er sich für "une politique europeenne du charbon" einsetzte.32 Dabei schwebten ihm zwei durch interalliierte Gremien unabhängig voneinander verwaltete "Kohlesphären" vor, eine östliche und eine westliche, wobei "les deux plus importants bassins allemands [Ruhr/Aix et Silesie] concourraient ... a l'approvisionnement de chacun de ces deux groupes." Frankreich sollte als "principal importateur mondial de charbon" seinen Bedarf aus Großbritannien, Belgien, Holland und Deutschland decken, der Einfluß der Mitgliedstaaten innerhalb des "eartel europeen du charbon" sich nach der jeweiligen Fördermenge sowie nach dem jeweiligen Eigenverbrauch bemessen. Die Einschätzung seines Stellvertreters Jenn, dem die Kohlesituation an der Ruhr wenige Tage vor Kriegsende relativ günstig erschien, so daß "l'extraction pourra reprendre rapidement et atteindre un chiffre important,"33 teilte Blum-Picard nur bedingt. Anläßlich einer von Lacoste präsidierten französisch-alliierten Zusammenkunft im Produktionsministerium richtete er sich kurze Zeit später vor allem an Amerikaner und Briten, forderte eine sofortige Hilfe, die "ne semble pas pouvoir provenir de la Sarre ou de la Ruhr Oll la production est tres reduite et les stocks peu importants, et Oll d'autre part, les moyens de transport font ctefaut."34 Man brauchte möglichst rasch möglichst viel Kohle, egal woher. Die Saargruben wollte man, so gut es ging, unterstützen, doch räumte das Produktions., Brief Blum-Picard an Rueff, 12.03.45, mit 7-seitiger Note vom 09.03.45, AN F12 10102. 31 Zweite Version einer Zusammenfassung von Blum-Picard, Note sur les methodes employees par l'administration militaire allemande en France et les methodes employees par I'administration fran~se afin de sesoumaire a l'emprise allemande, 17.04.45, AN F12 10102, die einige der zitierten Vorschläge des Secretariat general au commerce et l'organisation economique msätzlich berücksichtigte. 32 Vgl. MPI, Secretariat general la pr-oduction indwtrielle, 30.03.45, AN F12 10042, a.i.f. n L'ingenieur des mines adjoint au Secretaire general la pr-oduction industrielle, Note sur le bassin de la Ruhr, 03.05.45, AN F1210043. "Proces..verbal de la reunion franco-alliee au Ministere de la pr-oduction industrielle SQW la presidence de M. Lacoste, 28.05.45, AN F12 10042.

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ministerium den hexagonalen Bergwerken weiter eine Ausstattungspriorität ein, reagierte äußerst verstimmt auf Informationen, die Mission fran~aise en Sarre verweigere eine Rückgabe der von den Deutschen entwendeten Grubenausrüstungen. 3S Die Frage, "quelle satisfaction et quelle priorite on donnera aux Mines de la Sarre pour la fourniture des materiels dont la France est tres deficitaire," fand eine klare Antwort, denn letztendlich "il ne pouvait etre question de mettre sur le meme plan mines fran~aises et sarroises."36

Reparationen in Theorie und Praxis. Die Reparationskonzeptionen des Produktionsministeriums nach der Liberation standen in vielerlei Hinsicht in Kontinuität zu den Grundtendenzen der Widerstandsplanungen in London und Algier und gingen weitgehend konform mit den gleichzeitig elaborierten Ansätzen im Quai d'Orsay, vor allem was die Verknüpfung kurzfristiger Nutzung und langfristiger Integration des deutschen Industriepotentials anbelangte sowie den scharfen Blick für die Konsequenzen des eigenen deutschlandpolitischen Vorgehens. Nach ersten allgemeinen Vorüberlegungen, bei denen es um die Eingrenzung der Frage- und das Aufzeigen der Problemstellung ging,37 legte man am 21.Februar 1945 ein fast 40seitiges Memorandum zur wirtschaftlichen Entwaffnung Deutschlands vor, dessen langfristige sicherheitspolitische Zielperspektive das Ende der industriellen Hegemonie Deutschlands in Europa bildete. 38 Dazu galt es das deutsche Aggressionspotential zu neutralisieren, möglichst weitreichende und schleunigst vollzieh bare Reparations- und Restitutionsmaßnahmen auf den Weg zu bringen und sämtliche Vorkehrungen zu treffen "propres a favoriser, dans l'avenir, l'economie fran~aise." Neben den eigentlichen Kriegsindustrien, die zerstört oder in die alliierten Länder transferiert werden sollten, widmete man den Industriesektoren Energie, Chemie, Werkzeug- und Maschinenbau sowie Metallverarbeitung und vor allem Stahl bevorzugte Aufmerksamkeit. Für die Kohlegruben war eine rigorose Kontrolle der Produktion und besonders der Verteilung deutscher Kohle durch die Alliierten vorgesehen, für den Stahlbereich ein Mittelweg zwischen unzureichenden liberalen und weder praktizier- noch wünschbaren extremen Lösungen, die ein "bouleversement trop grand de l'economie allemande" mit gravierenden sozioökonomischen und politischen Konsequenzen nach sich zögen. 39 Die Siegermächte dürften sich bei der Übernahme von Leitungsfunktionen gegenüber der deutschen Wirtschaft nicht durch Rachegefühle inspirieren lassen, sondern von der Tatsache, daß das industrielle Gleichgewicht Deutschlands einem "facteur certain de l'ordre economique europeen" " Vgl. Brief Blum-Picard an M. le OIef de la Mission fran~aise en Sarre, 21.07.45, AN Fl2 10043. 36 MPI, Direction des mines, Note pour M.le Ministre, 10.09.45, AN Fl2 10043. 37 Vgl. z.B. MPI, Projet de plan d'une etude sur le desannement economique de 1'A1lemagne, o.D., vermutlich Ende 1944, AN F12 10105 oder MPI, Direction de la vie industrielle, Note pour Messieurs les Secretaires generaux, Etudes des prestations arecIamer a I'Allemagne, 08.11.44, AN F12 10086. "Vgl. MPI, Desannement economique de I'Allemagne, 21.02.45, AN F12 10105, a.i.f. 3. Die saarländische Stahlindustrie sollte vollständig einer direkten französischen Administration unterstellt werden, an der Ruhr dagegen sollten die Alliierten, "etant donne I'enorme echelle alaquelle se presentent les problemes ... par I'entremise des grands organes directeurs de la profession," wie dem Stahlwerks- oder dem Roheisenverband, agieren.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

entspräche. Selbst wenn es unabdingbar erschiene, dem Nachbarn in vielen Bereichen seine Vorrangstellung zu nehmen, sei es unzweckmäßig, seine Industrie auf ein "niveau exagerement bas" zurückzuschrauben. Drei Klippen müsse man vermeiden: einen chaotischen Zustand der deutschen Wirtschaft, die "dans l'interet bien compris des nations alliees, devra etre assuree d'une stabilite suffisante;" einen "etat de denuement" der deutschen Bevölkerung, deren Lebensstandard zwar unterhalb des Niveaus der kriegsgeschädigten europäischen Völker liegen, dennoch einem "standing moyen" gleichkommen solle, "en restant aussi eleve que les circonstances le permettront;" schließlich eine zu hohe Arbeitslosigkeit während der friedensnotwendigen wirtschaftlichen Anpassungsprozesse, was im übrigen den Einsatz vielzähliger deutscher Arbeitskräfte in Frankreich erlaube. Als grundSätzlich günstigste Möglichkeit für eine ökonomische Entwaffnung Deutschlands wurde mehrfach die politische Abtrennung des Rhein-Ruhr-Gebietes bezeichnet, dennoch bildete "l'hypothese Oll ni la Rhenanie ni la Westphalie ne ferait l'objet d'un detachement definitif' den Ausgangspunkt der Studie.40 Und hatte sich nicht Blum-Picard bereits Anfang Dezember 1943 gegen eine Ruhrabtrennung ausgesprochen,41 und sollte er nicht Anfang September 1945 gegenüber Alphand - ohne allerdings die offiziellen Deutschlandpositionen in Frage zu stellen - neuerlich auf die Bedeutung einer organischen Kontrolle der deutschen Schwerindustrie hinweisen, die allein eine Internationalisierung lebensfähig machen könne?,2 Ähnliche Stichworte und Forderungen fanden sich in einem weiteren Vermerk zur Reparationsfrage aus dem Frühjahr 1945, von organischer Kontrolle über Dominanz und Integration bis hin zu massiven und kurzzeitigen Lieferungen. Die immer wieder anzutreffende Formel, derzufolge "le plus grand nombre de livraisons possibles devront etre obtenues dans les plus courts delais possibles," beruhte einerseits auf dem sofortigen Bedarf Frankreichs zur Reduzierung kostspieliger Importe aus Übersee, andererseits auf dem Bewußtsein einer Chancenminderung französischer Ansprüche, je länger die Kapitulation zurückläge. Der aufgrund voraussichtlicher Desorganisation der deutschen Wirtschaft bei Kriegsende in Frage stehende Erfolg eines solchen Vorgehens erfordere allerdings daneben eine langfristige Reparationspolitik, die jedoch nicht dauerhaft einen Strafcharakter haben und Deutschland zu große Lasten auferlegen dürfe. Sie habe sich vielmehr einzufügen in die "politique generale de reconstruction europ6enne, a laquelle l'Allemagne devra apporter sa contribution sur une base qui, tout en etant avantageuse pour les pays liberes, n'empechera pas une reconstitution de l'economie allemande sur des bases pacifiques et saines."43 40 V gl. MPI, Desannement economique de I'Allemagne - Mesures 11 imposer a I'industrie allemande, 21.02.45, AN F12 10105 . ., Vgl. Laurent Blum-Picard, Memoire sur le desannement economique de I'Allemagne, 08.11.43, SAEF B 33002 sowie dazu Massigli, Une comedie des erreurs, S.46 . ., Vgl. Brief Blum-Picard an Alphand, Note pour M. Alphand, 05.09.45, AN F12 10105. Gegen eine Annexion Kehls hane er allerdings offenbar nichts eiD2lJwenden, vgl. Proces-verbal de la reunion de la Sous-commission pour les affaires allemandes, 08.09.45, AN F37 189.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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Die komplexen Mechanismen und administrativen Vorbereitungen für Sichtung, Transport, Verteilung und Begleichung deutscher Produkte und Maschinen 44 waren gewiß nicht dazu angetan, den regulären Reparationsprozeß zu beschleunigen und wilde Demontageversuche zu unterbinden. Und der Kontrollratsbeschluß vom 20.September 1945, deutsche Produkte zu 80% in Dollar zu bezahlen, brachte das Produktionsministerium erst recht in die Zwickmühle. Der Bedarf verschiedenster Industriezweige war weiter ungebrochen, nicht aber - aufgrund der zusätzlichen Devisenbelastungen - die Vorstellung unzweideutiger Modernisierungswirkungen ohne negativen Beigeschmack. Die Meinung der Missionsleiter, sich ohne Rücksichten und Reibungsverluste in der französischen Besatzungszone bedienen zu können, war weiter ungebrochen, bald aber nicht mehr - aufgrund mühevoller Einsichten in deutschland- und besatzungspolitische Realitäten - deren Verhältnis zu den Verbindungsstellen in der produktionsministeriellen Administration, der doch gerade an einer engen Zusammenarbeit zugunsten gemeinsamer Anstrengungen für Rekonstruktion und Modernisierung soviel lag. Die Verinnerlichung der Dollarklausel des Berliner Kontrollrats sowie deren Konsequenzen auf französische Einfuhren vollzog sich im Produktionsressort nicht weniger rasch als im Finanz- und Wirtschafts ministerium. Die Abteilung für Textilien und Lederwaren beispielsweise empfahl Anfang Oktober 1945, zu berücksichtigen, daß das Importprogramm für das Jahr 1946 "devrait normalement s'intl~grer dans le plan general d'importations toutes origines de la dite annee, sans qu'au surplus il ya lieu de considerer que les achats a effectuer en Allemagne sont sensiblement plus interessants, sous l'aspect financier, que ceux d'autres pays."45 Während man bei dieser Importstudie noch eine Bezahlung zu 80% in Dollar zugrundelegte, so hieß es bereits einige Tage später in einem verfahrens technischen Vermerk, daß letztlich die Commission des approvisionnements, von Laffon vielfach wegen ihrer Schwerfälligkeit kritisiert, 46 über die Zweckmäßigkeit entscheide "d'acheter la marchandise qui est payable 100% en dollars,"47 was im übrigen sogar geschah. 48 Was für die Ministerialbeamten galt, galt nicht in gleicher Weise für diejenigen, die sich unablässig mit Anfragen an diese wendeten. Der SN CF-Generaldirektor, nach dessen Informationen die deutsche Industrie gen au die Produkte liefern könne, 43 MPI, Note a.s. des reparations, 0.0., vermutlich Ende März 1945, am 04.04.45 vom Generalsekretariat des Produktionsministeriums an die einzelnen Abteilungen weitergeleitet, AN F12 10105 . .. Vgl. z.B. den Handzettel Guide pour les achats en Allemagne, 0.0., AN F12 10606; Schreiben der Oirection de la coordination industrielle an Blum-Picard, Fonctionnement des commandes allemandes, 15.03.45, AN F12 10086; Robert Lacoste, Note pour Messieurs les Secretaires generaux, Oirecteurs et Chefs de service, Voyages en Allernagne, 30.10.45, AN F12 9974. 45 MPI, Secretariat general au commerce et a l'organisation economique, Direction des textiles et des cuirs, Allemagne - Programme d'achat, 08.10.45, AN FI2 10642. ... Vgl. zB. BriefLaffon an CGAAA, Examen par la Commission des approvisionnements des programmes d'achats de la France en ZFO, 12.02.46, AOFAA Cab.Laffon c.19. ~ MPI, Diredion des textiles et des cuirs, Note, Pr0c6dure normale pour les importations d'Allemagne, 14.10.45, AN F12 10642. "EinRappcnsur le voyage de M. Haour en Allernagne, 01.04.46, AN FI2 10642, führte aus: 'Tai pu voir M. Filiwi qui m'a donne son accord sur leur [des peaux de renards] expedition en France, payement en dollars au cours mondial."

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B. "Doppelte Oeutschlandpolitik"

die man im Rahmen des für 1946 erstellten "programme de besoins" dringend benötige, erbat gleich mehrfach eine Autorisierung, um diese in Deutschland anzufordern.49 Die zuständige Abteilung für mechanische und Elektroindustrie befand dagegen, daß die Herstellung dieser Artikel in Frankreich keinerlei Probleme bereite und es deshalb nicht schiene, daß "la passation de commandes en Allemagne soit souhaitable puisque celles-ci doivent etre payees raison de 80% en dollars." hn übrigen rechtfertige der aktuelle Zustand der deutschen Industrie keinerlei "espoirs de livraisons importantes et rapides."50 Daneben bieten die Berichte der Missionsleiter an die für sie einschlägigen Abteilungen des Produktionsministeriums glänzendes Anschauungsmaterial, sowohl für deren Erwartungshaltungen vor Antritt,51 als auch für deren Enttäuschung nach Abschluß der Reisen in die französische Besatzungszone. Die Beschwerden, die allein in der unter anderem für die französische Parfümindustrie zuständigen Division art & creation innerhalb der Direction des bois et des industries diverses eingingen, waren in der Tat quantitativ wie qualitativ bemerkenswert.52 Solche Klagen lassen im Umkehrschluß wiederum gewisse Grundhaltungen von Repräsentanten des Produktionsministeriums in Baden-Baden und Berlin erkennen, die in ständigem, teils vorschriftswidrig direkten, teils vorschriftsmäßig indirekten Kontakt zum Pariser Ressort standen. Dies gilt etwa für Jean-Louis Gendre, verantwortlich für Recherches techniques in der Direction de la production industrielle der Militärregierung, der sich Mitte September 1945 gegen eine Zerstörung der technischen und wissenschaftlichen Forschung in Deutschland aussprach und für eine gemeinsame Nutzung, sei es durch eine internationale, sei es durch eine deutsch-französische Organisation unter Führung Frankreichs.53 Dies gilt erst recht für Philippe Coste, erster Directeur de la production industrielle in BadenBaden sowie R. de Boysson, Leiter der entsprechenden Abteilung bei der Berliner Kontrollratsgruppe, die beide früh auf einen raschen Abschluß der extensiven Nutzungsphase im französischen Interesse drängten. 54

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Dennoch schien das Potential produktionsministerieller Schattenpolitiken zumindest theoretisch durchaus bedeutender als das im Finanz- und Wirtschaftsressort, war man doch auf der einen Seite bereits 1944/45 weniger stark in die interministeriellen Deutschlanddiskussionen eingebunden, auf der anderen Seite viel direkter .. Vgl. die Briefe des Oirecteur general de la SNCF an Lacoste, 10.09. u. 11.10.45, AN F12 10103. so MPI, Oirection des industries mecaniques et electriques, Note pour M. le Secretaire general a la production industrielle, 19.11.45, AN F12 10103. SI Vgl. z.B. den Brief von Henri Chamousset, Secretaire general du Syndicat fran~s des textiles artificieIs an Lucien Renaud, Charge de mission par le MPI, Oirection des textiles et des cuirs, 12.04.45, AN F12 10606. S'l Vgl. dazu ausführlich Kapitel B III 2c. S3 Vgl. lean-Louis Gendre, Propositions pour une politique fran~ise en maliere de recherehes techniques en Allernagne, 12.09.45, AN F12 10103 sowie ders., Note, 08.10.45, ebd. " Vgl. z.B. Philippe Coste an M. Piette-Eynaud, Generalsekretär für Handelsfragen im Produktionsministerium, Compte rendu de I'activite de la Oirection de la production industrielle au cours du 3eme trimestre 1945 (ler trimestre de mise en place), 03.10.45, AN F12 10105; R. de Boysson, Note pour M. Sergent, 24.08.45, ebd. oder ders., Rapport sur le desarmement economique de l'Allemagne, 0.0., Eingangsstempel MPI 02.11.45, ebd.

1. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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konfrontiert mit den ganz selbstverständlichen französischen Ansprüchen auf Rückerstattung und Kompensation aus dem besiegten Nachbarland. Der Druck kam von allen Seiten, von der lokalen wie auch von der nationalen Ebene, von Befreiungskomitees,55 von Gewerkschaften 56 wie auch von Industrie und Handel. Und mußte nicht das Produktionsministerium auf der Suche nach kooperationswilligen Ansprechpartnern für eine möglichst reibungslose und risikobeschränkte Verwirklichung der Modernisierungsprämissen gerade auf diese Kräfte bauen, dementsprechend deren deutschland- und besatzungspolitischen Bedürfnissen und Erwartungshaltungen wenigstens ansatzweise Rechnung tragen? Ob daraus allerdings tatsächlich Schattenpolitiken erwuchsen, die regierungsamtliche Deutschlandlinien radikal in Frage stellten, läßt sich auf der Basis des vorliegenden Materials eher verneinen.

Zwischenbilanz: die technischen Ressorts. Aus der eher schlaglichtartigen Analyse von Finanz-, Wirtschafts- und Produktionsministerium lassen sich dennoch einige allgemeine Aussagen ableiten, die vermutlich selbst für andere technische Ressorts, beispielsweise Wiederaufbau oder Landwirtschaft, für andere deutschlandpolitisch involvierte verwaltungstechnische Organe und Einflußzentren, beispielsweise die französischen Delegationen bei interalliierten Reparationskonferenzen unter Leitung von Jacques Rueff, Geltungskraft besitzen könnten. 57 Zwischen den untersuchten Ministerien selbst waren die kurz- und langfristigen Zielperspektiven vollkommen unstrittig. Kurzfristig sprang Ministern wie Verwaltungsspitzen aufgrund der Eindeutigkeit wirtschaftlicher Bedürfnisstrukturen Frankreichs gegenüber Deutschland die überragende Bedeutung von Kohlelieferungen ins Auge, daneben die rasche, möglichst extensive, aber temporäre Nutzung deutscher Ressourcen als Beitrag zur französischen Rekonstruktion und Modernisierung bis hin zum massiven Einsatz deutscher Arbeitskräfte in Industrie und Landwirtschaft, schließlich die Begrenzung der Besatzungskosten auf ein Minimum. Langfristig bestand weitgehende Einigkeit über die Grundlegung einer Ablösung Deutschlands als führende europäische Industrienation. Es ging um die sicherheitspolitische Prämisse relativer, aber beständiger ökonomischer Überlegenheit Frankreichs gegenüber dem Nachbarn als Vorbedingung für Kontrolle durch Verflechtung, für eine notwendige Integration der deutschen Wirtschaft in die gesamteuropäische Rekonstruktion und Friedensordnung. " Vgl. z.B. Comite parisien de la Liberation, Uo Hamon an Robert Lacoste a.s. des difficultes de la situation economique de la region parisienne, 13.06.45, AN F12 10086 oder Comite departernental de la Liberation des Cotes-du-Nord an MPI, 14.08.45, AN F12 10104, der "la requisition immediate dans le territoire allemand dont I'occupation lui est irnparti, des stocks industrieis et des produits de premiere necessite ... eIi quantites au moins egales aux requisitions allemandes en France" forderte. 56 Vgl. z.B. Union des syndicats des ouvriers metallurgistes de la MoseUe, Projet de proclamation sur la reprise des activites economiques du departement de la Moselle, 10.06.45, AN F12 10042, die eine "recup€ration prioritaire au profit des industries de la Moselle des machines-outils, d'outillage, matieres premieres, ou autres moyens mecaniques de production dans la zone allemande occup€e par I'armee fran~aise" einklagte, "pour compenser au moins partiellement les dommages causes ou les vols commis au detriment des usines mosellanes." Y1 Die folgenden Anmerkungen sollen einige Hinweise auf bemerkenswerte Ähnlichkeiten deutschlandpolitischer Argumentationen und Optionen innerhalb nicht näher untersuchter technischer Ministerien oder Gremien geben, deren Relevanz allerdings eingehender überprüft werden müßte.

26 Hüser

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Gerade das ausgeprägte Bewußtsein für die Zwangslagen von Industrie, Wirtschaft und Finanzen, für die Fortdauer materieller Engpässe und die hexagonalen Störpotentiale geregelter RekonstruktionS! wirkte als Motivation für eine nationale Modernisierung primär aus eigener Kraft, für die Durchsetzung ökonomischer Strukturreformen, für die Etablierung Frankreichs als Industriernacht, für eine Abkehr von protektionistischen und malthusianistischen "Machenschaften" der Vergangenheit hin zu Praktiken einer stärker weltrnarktorientierten Handelsnation. Die genaue Bezifferung der erlittenen Schäden durch die nationalsozialistische Besatzungspolitik verdrängte nicht die Einsicht in den strukturellen Schwächezustand der französischen Wirtschaft vor Kriegsbeginn und zog weder eine konsequente Revanchekonzeption noch eine übermäßige Ausbeutungseuphorie nach sich. Das Schwanken zwischen dem Wunsch nach emotionaler Befriedigung des französischen Gerechtigkeitsgefühls und der Einsicht in Realitäten, Möglichkeiten und Zweckmäßigkeiten der eigenen Politik, zwischen maximalistischen Ansprüchen und realistischen Einschätzungen,S9 mochte zwar ressortinteme Diskussionen prägen, doch schlug letztendlich das konzeptionelle Pendel im Finanz-, Wirtschafts- und selbst im Produktionsministerium nie gänzlich in Richtung kurzsichtiger, rein destruktiver Ansätze mit exklusivem Blick auf eine dauerhafte finanzwirtschaftliche Ausbeutung Deutschlands aus. Pragmatismus und Sinn für deutschlandpolitisch Machbares offenbarte sich nicht zuletzt in den Reparationsplanungen, in denen die Dilemmata zwischen wirtschaftlicher Entwaffnung des Nachbarn und europäischen Wiederaufbauzwängen immer wieder thematisiert wurden und zur Schlußfolgerung führten, daß einer kurzzeitigen extensiven Nutzung der Ressourcen die sukzessive Integration einer kontrollierten deutschen Wirtschaft in den europäischen Rekonstruktionsprozeß folgen sollte.6C Die Bedeutung deutscher Lieferungen schätzten relevante Akteure, Minister wie Verwaltungsspitzen in den untersuchten Ressorts realistisch ein. 61 Eine primär auf Reparationsleistungen des Kriegsgegners gestützte Modernisierungskonzeption existierte selbst 1944/45 nicht, erschien ebenso sehr illusorisch und auf Dauer kontraproduktiv wie morgenthauähnliche Desindustrialisierungsprojekte. " V gl. da:ru auch die Ausführungen von Jacques Rueff, Conference intenninisterieUe du 8 octobre 1945 au MAE dans le bureau de M. Alphand, handschriftliches Protokoll, AMAE Y (1944/49) 362, zum Problem des Einsatzes deutscher Kriegsgefangener: "Mais il faut eviter qu'un jour, par suite d'une decision internationale, le depart des prisonniers arr~te nos industries ... 11 faut prevoir le passage au contrat lihre. Pour l'instant, il est impossible d'implanter des familles allemandes en France, a cause de la C.G.T. (ce sera etudie en Conseil des ministres)." 59 Vgl. dam auch Landwirtschafts- und Ernährungsminister Tanguy-Prigent, SAAN Com.Rav.Agr. 13.12.45, der der scharfen Kritik der Kommissionsmitglieder an der französischen Rekuperationspolitik in Südwestdeutschland entgegenhielt, daß schließlich auch die Deutschen leben müßten; Arbeitsminister Parodi verdeutlichte, daß man trotz des immensen Arbeitskräftebedarfs den für Frankreich günstigen Kriegsgefangenen-Status deutscher Arbeiter nicht über Jahre hinweg aufrechterhalten könne, Reunion du comite economique pour les affaires allemandes, 24.08.45, AN F12 10104. 60 Es ging weder in Algier noch nach der Befreiung um eine "modemisation par l'ecrasement de I'Allemagne," um französischen Wiederaufbau auf den "decombres de I'Allemagne" bzw. den "ruines allemandes" oder um eine "destruction de l'economie allemande," wie dies Bossuat, La France, l'aide arnericaine et la construction europ6enne, S.63, 77, 81, 294 u. 899 behauptet. 61 V gl. dazu auch Valabregue als Leiter des Service des affaires allemandes et autrichiennes im Produktionsministerium, Note relative a la reunion des affaires etrangeres, 13.10.45, AN F12 10104.

I. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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Gewisse Besonderheiten deutschlandpolitischer Ansätze der technischen Ministerien gegenüber dem Quai d'Orsay, ressortspezifische kurzfristige Motivationen, Herangehensweisen und Zwangslagen waren in der Tat unübersehbar. Dazu gehörte das Fehlen nahezu jeglicher Hinweise auf verhandlungstaktische Aspekte französischer Deutschlandpolitik, sei es in Form von Vorschlägen, sei es in Form von Kritik an regierungs amtlichen Ansätzen. Allgemeine Ratschläge für diplomatische Zusammenkünfte, daß "la France n'y retrouvera sa place que si elle compense l'inferiorite de sa position politique par une initiative constante," daß "sa faibles se meme lui impose l'offensive,"62 blieben eine Rarität. Die notwendigerweise stärkere Frankreichzentrierung ließ die Frage nach dem sinnvollsten Vorgehen gegenüber den "Großen Drei" kaum aufkommen, erst recht seit der eindeutigen Klärung außenwirtschaftlicher Verhandlungskompetenzen durch de Gaulle zugunsten des Quai d'Orsay.63 Abschreckende Wirkung besaß diese Entscheidung nicht nur für eine ausgiebige Beschäftigung mit solchen Fragen, sondern offenbar auch für detaillierte Untersuchungen des Ruhrproblems. Trotz des permanent thematisierten Kohlemangels als maßgeblichem Hinderungsgrund für einen raschen Rekonstruktionsund Modernisierungsprozeß, trotz des öffentlich wie intern betonten Gewichts der Ruhrkohle konnte von einer konzeptionellen Aufbereitung durch die Ministerialverwaltungen im Sinne argumentativer Abwägungen französischer Handlungsmöglichkeiten oder elaborierter konkreter Vorschläge keine Rede sein. "Einmischungen" in die Saarplanungen - sieht man von den Vorbehalten Finanzminister Schumans ab erfolgten erst, als die Diskussionen um eine Wirtschafts angliederung und deren mögliche Rückwirkungen auf die Außenhandelsbilanz der französischen Besatzungszone, auf die zusätzlichen Belastungen für den eigenen Devisenhaushalt, in ein akutes Stadium traten. Die Frage politischer Abtrennungen deutscher Territorien spielte ohnehin nur am Rande eine Rolle, sei es wegen der Einsicht in die Chancenlosigkeit eines solchen Anspruchs, sei es wegen der Erkenntnis zweifelhaften wirtschaftlichen Nutzens eines solchen Unterfangens. 64 Es kann nicht überraschen, daß der kurz- bzw. langfristige ökonomische Nutzen

für Frankreich der nahezu ausschließliche Maßstab deutschlandpolitischer Vorstel-

lungen war, daß eher politisch orientierte Begründungen oder diplomatische Rücksichtnahmen geringere argumentative Durchschlagskraft aufwiesen als im Quai d'Orsay. Geradezu symptomatisch war die durchweg zentralistische Ausrichtung bei der Planung französischer oder deutscher Verwaltungsbehörden im Nachbarland. Sie wurde als völlig selbstverständlich betrachtet, zog sie doch potentiell die geringsten Reibungsverluste nach sich und damit die geringsten Kosten für die Besatzungspolitik. Die Notwendigkeit, Deutschland als politische Einheit zu behandeln, sich nicht auf die verwaltungstechnisch und finanzwirtschaftlich unvorteilhaft abge62 V gl. Jacques Rueff, Note sur la preparation des prochaines negociations financieres et monetaires, o.D., vermutlich Ende September 1944, SAEF B 33000. " Vgl. GPRF, Comite economique interministerieI, Proces-verbaI de la seance du 9 octobre 1944 (Document n'68 du CE!), 09.10.44, SAEF B 33001. .. Vgl. Jacques Rueff, Brief an Alphand, 03.10.45, AMAE Y (1944/49) 362, demzufolge sich eine Abtrennung des linken Rheinufers höchstens politisch, nicht aber wirtschaftlich legitimieren ließ.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

grenzte Besatzungszone zurückzuziehen, stand außer Frage. Bei allen Differenzierungen im einzelnen bleibt dennoch als augenfällig zu konstatieren, daß in prinzipiellen Motiven, Optionen und Zielen weitgehende Übereinstinunung zwischen Entscheidungsträgern im Außenministerium sowie in den technischen Ressorts herrschte. Dies galt neben der Internalisierung des Modernisierungsmythos für die Erkenntnis machtpolitischer Schwäche Frankreichs und begrenzter Durchsetzungschancen maximalistischer Deutschlandforderungen. Dies galt für das Vorhaben, der Nation wieder zu Größe und Rang zu verhelfen und diese Stellung in erster Linie ökonomisch-industriell statt militärisch-territorial zu gewährleisten. Dies galt für den sicherheitspolitischen Ansatz dauerhafter wirtschaftlicher Überlegenheit gegenüber Deutschland und die konzeptionelle Verbindung von Dominanz und Integration. Dies galt schließlich für die Wahrnehmung einer wachsenden Bedrohung der angestrebten Führungsrolle in Europa und die Sorge um einen durch internationale Krisenverschärfung bedingten rascheren deutschen Rekonstruktionsprozeß verglichen mit dem in Frankreich. 6s Ganz offensichtlich sprengten die ressortspezifischen konzeptionellen Ausprägungen der technischen Ministerien nicht den vom Quai d'Orsay vorgegebenen Gesamtrahmen. Die Gründe waren vielfältiger Natur.

d) Bilanz konzeptioneller Ansätze 1942 - 1950: von der "doppelten Deutschlandpolitlk" zu den ambivalenten Deutschlanddirektiven "La politique fran~aise de 1944 etait fondee sur la conviction que, les Allies ne pouvant rien sans le concours de la France, la France pouvait, obtenir beaucoup des Allies. Le raisonnement s'appliquait notamment a la politique du gouvernement fran~is al'egard de I'Allemagne.'"

Relative Kontinuität und Homogenität. Die Vermutung, daß biographisch-personelle und strukturell-sachpolitische Analogien und Konstanten, wie sie im ersten Hauptteil der Untersuchung herausgearbeitet wurden, nicht ohne Rückwirkungen auf die Ausprägung deutschlandpolitischer Planungen Pariser Entscheidungsträger zwischen Liberation und Schumanplan bleiben konnten, eher konzeptionelle Kontinuitäts- und Homogenitäts- als Diskontinuitäts- und Diversitätstendenzen stützen muBten, scheint nicht völlig abwegig zu sein. Eine solche relative Dominanz deutschlandpolitischer Homogenitätselemente und Kontinuitätslinien zwischen 1944 und 1950 bedeutet nicht vollkonunen synchrone und diachrone Identität vollkonunen klarer widerspruchsfreier und konkreter Absichten sämtlicher relevanter Akteure sämtlicher Ebenen. Vielmehr steht sie für eine seit Algier durchgängig als konsensfähige deutschland- und sicherheitspolitische Zielperspektive thematisierte dauerhaf., Vgl. zB. CCFA, GFCC, Delegation economique et financiere, Service reconstruction et logement, J. Delune, Rawat sur entretiens aParis au Ministere de la reconstruction et de l'urbanisme, Miniswre de la production industrielle et Miniswre des affaires etrangeres, 25.04.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45; Jacques Rueff im Gespräch mit Vincent Auriol am 29.Mai 1947, in: Auriol, Jouma11947, S.246f. 'Vgl. Jean Chauvel, Note pour le Ministre, 10.02.48, zit. nach Dalloz, Bidauit, S.157.

1. Deutschlandpolitische Konzeptionen

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te Umkehrung industriewirtschaftlicher und damit politischer Machtverhältnisse in Europa zugunsten Frankreichs, für einen aufgrund vielzähliger innerer wie äußerer Unsicherheitsfaktoren und Zwangslagen weitgefaßten Ansatz mit möglichst langem Offenhalten möglichst vieler Optionschancen auf dem Weg dorthin, für eine Konstanz von Motivationen und Besorgnissen, Strategien und Zielsetzungen zwischen Befreiung und Schumanplan, die innerministerielle Differenzen über Realisierungsmöglichkeiten ebensowenig ausschloß wie unterschiedlich gelagerte Ressortprioritäten. Diese Zielperspektive erforderte vor allem eine Einordnung deutschlandpolitischen Handelns in die jeweiligen zeitlichen Zusammenhänge innen- und außenpolitischer Wechselwirkungen, deren Variablen sich verändern mochten, nicht aber deren komplexe Mechanismen.

Konstruktivität und Destruktivität. Angesichts von Exil- und Kriegssituation, angesichts von nationalsozialistischer Besatzungs- und Ausbeutungspolitik in Frankreich, aber auch angesichts paralleler angelsächsischer Deutschlandentwürfe lassen sich schon die frühesten Planungsarbeiten nicht als rein destruktiv, als Fortschreibung und Verschärfung Clemenceauscher oder Poincarescher Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg, abqualifizieren. Es kann gewiß nicht verwundern, daß die Retablierung der französischen Nation im Vordergrund stand wie auch die Tendenz, alle sich der Provisorischen Regierung bietenden Chancen möglichst weitgehend wahrzunehmen, die Situation bei Kriegsende zu nutzen, um zugunsten Frankreichs kurzfristig möglichst viel herauszuholen. Verwunderlich erscheint vielmehr, daß dies nicht blindlings ohne Rücksicht auf langfristige europäische Entwicklungsperspektiven geschehen sollte, daß die Nachkriegsjahre nie als Zeit unbegrenzter Machbarkeit in einem "Traumland" rationaler Entscheidungsfindung galten, daß unter den französischen Führungspersönlichkeiten in Politik und Verwaltung anders als innerhalb der globalen Öffentlichkeit von einer "l'Allemagne paiera"-Stimmung keinerlei Rede sein konnte. Die Konsequenzen des künftigen Handelns wurden differenziert in Rechnung gestellt, nüchternes Kalkül obsiegte gegenüber blinden Haßgefühlen, eine Zerstörungskonzeption für die deutsche Industrie stand außer Frage, mußte sie doch einerseits den europäischen Rekonstruktionsprozeß zumindest verlangsamen, andererseits im Nachbarland zu unvermeidbarer Arbeitslosigkeit, inakzeptablem Lebensstandard, sozioökonomischem Chaos, neuerlicher ideologischer Heilssuche und sowjetischer Instrumentalisierung führen. Die dominanzorientierten Ansätze sollten keine absolute, sondern eine relative ökonomische Überlegenheit begründen. Sie waren weder Ausdruck einer Revanchepolitik noch purer Selbstzweck, sondern nicht zuletzt Mittel und Voraussetzung für eine integrationsorientierte Politik, für eine als nützlich und sinnvoll betrachtete Rückführung der deutschen Wirtschaft in den europäischen Kreislauf. Von vornherein herrschte ein signifikantes Bewußtsein inhärenter, aufgrund innerer und äußerer Zwangslagen kaum entwirrbarer deutschlandpolitischer Widersprüche vor, die eben nicht in der Existenz institutioneller Strukturdefizite wurzelten. Allseits thematisiert fanden sich beispielsweise die konzeptionellen Ungereimtheiten in der Reparationsfrage, doch ließen sie sich nicht klipp und klar lösen: weder

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

eindeutig fiir noch eindeutig gegen Reparationen, weder eindeutig für noch eindeutig gegen wirtschaftliche Entwaffnungen in Deutschland. Als Ausweg blieb eine "Politik des sowohl als auch" mit einer zeitlichen Differenzierung in eine kurze extensive Nutzungsphase zur Verbesserung der französischen Startposition, solange die Alliierten und die Deutschen "mitspielten", dann - sobald die Franzosen "mitspielten" - eine rasche Umorientierung in Richtung organischer Kontrollen und struktureller Verflechtungen. Die Frage nach Konstruktivität und Destruktivität französischer Deutschlandpolitik stellte sich den zeitgenössischen Akteuren nicht wie der zeitgeschichtlichen Forschung. Für sie stand vielmehr die unmittelbare Abwägung kurz- und langfristiger Interessen Frankreichs angesichts innen- und außenpolitischer Zwänge und Chancen im Vordergrund. Mit Idealismus hatten jedenfalls konstruktive Ansätze nicht das geringste zu tun, weder 1950 noch 1944.

Frühe Weichenstellungen UM späte Akzentverschiebungen. Die Inkubationsphase französischer Deutschlandpolitik war tatsächlich der Zeitraum zwischen Frühjahr 1944 und Anfang 1946. In dieser Phase sind Diskussion und Herausbildung der maßgeblichen sachpolitischen und verhandlungstaktischen Weichenstellungen anzusiedeln sowie der wesentlichen Tragpfeiler einer vielschichtigen, komplexen und entwicklungsfähigen, Dominanz- und Integrationstendenzen miteinander verbindenden, zwischen rückwärtsgewandter mentaler Konfrontationsstimmung und zukunftsgerichtetem Kooperationspragmatismus lavierenden Sicherheitskonzeption. Die vielzitierten Brüche, die berühmte Wende im März/April 1947 auf der Moskauer Außenministerkonferenz, im April 1948 durch die Garantie amerikanischer Marshallplanhilfen oder im Mai 1950 mit der Präsentation der Montanunion, entspringen letztlich der Vermischung zweier inkongruenter Ebenen, einer offiziellen und einer inoffiziellen Ebene französischer Deutschlandpolitik. Sobald man das Vorgehen Frankreichs in dieser Zeit nicht an den maximalistischen regierungsamtlichen Positionen mißt, sondern an internen Äußerungen und Konzepten mit teilweise beträchtlichen Differenzierungsgraden, reduziert man solche Ereignisse von vorgeblich epochalen realpolitischen Zäsuren auf Etappen neben anderen innerhalb eines längst inaugurierten Prozesses, auf Schwerpunktverlagerungen innerhalb bewußt weit und flexibel gewählter Planungsansätze. Solche konzeptionellen Etappen und Schwerpunktverlagerungen von mehr oder weniger großem Bekanntheitsgrad, die erneut auf die Unterscheidung von Kontinuität und Identität verweisen, lassen sich vielfaltig erkennen, beispielsweise im Frühjahr 1946, als die Chancenlosigkeit von Maximalforderungen längst auf der Hand lag. Damals gedachte der Quai d'Orsay der amerikanischen Kredittaktik gewisse rhetorische Deutschlandofferten entgegenzusetzen, ohne gleich die traditionellen Forderungen aufgeben zu müssen. Er erstrebte auf internationaler Ebene zumindest gegenüber den Angelsachsen eine gewisse Korrektur des Störenfried-Images, ohne gleich die ursprüngliche Prämisse, mit maximalem Insistieren realistische Ziele durchzusetzen, zu kompromittieren. Es ging wenigstens im diplomatischen Verkehr von einer primär politischen zu einer primär wirtschaftlichen Argumentationsweise über, ohne gleich die künftige Organisationsstruktur Deutschlands aus den Augen zu

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verlieren. Selbstverständlich bildeten die "Großereignisse" ebenfalls solche Etappen und Schwerpunktverlagerungen, jedoch nicht im Sinne einer fundamentalen Revision bisheriger Konzepte oder einer prinzipiellen Neuformulierung bisheriger Zielperspektiven, sondern - wie die Londoner Empfehlungen vom Juni 1948 - im Sinne eines höchstens offiziellen Umschwungs durch das öffentliche Abrücken von einer Politik, die man doch längst inoffiziell für unergiebig und obsolet hielt, oder wie die Verkündung des Schumanplans im Mai 1950 - im Sinne einer Übernahme der politischen Verantwortung für eine ohnehin längst in der Luft liegende Initiative.

Durchsetzungschancen von Maximalpositionen. Die zwei Ebenen französischer Deutschlandpolitik basierten auf der Einsicht relevanter Entscheidungsträger in die geringen Durchsetzungschancen maximalistischer Positionen. Deren Formulierung war nicht zuletzt Folge der unsicheren eigenen Nachkriegsrolle bzw. der unbekannten alliierten Vorhaben und entsprach dem, was In- und Ausland als französische Ansprüche erwarteten. Die vielfach bereits zuvor zutagetretende Skepsis an der Realisierbarkeit von Maximalforderungen wurde spätestens mit den gescheiterten Rhein-Ruhr-Gesprächen in den Hauptstädten der "Großen Drei" Ende 1945, vielfach allerdings deutlich früher, zur Gewißheit. Allerdings brachte sie nicht deren Annullierung mit sich, sondern deren Beibehaltung gegenüber der französischen Öffentlichkeit sowie im diplomatischen Verkehr. Den Hintergrund bildeten eine durch utopische Rhetorik und Befriedigungskalkül zusätzlich verschärfte Germanophobie im Inneren sowie eine seit den Washingtoner Gesprächen Ende August 1945 augenscheinliche außenpolitische Instrumentalisierungsmöglichkeit innenpolitischer Sachzwänge gegenüber den Vereinigten Staaten. Der sich aufschaukelnde Kalte Krieg, der die sicherheitspolitische Notwendigkeit einer ökonomischen Vorrangstellung Frankreichs gegenüber Westdeutschland in den Augen der amerikanischen Administration grundsätzlich fragwürdiger werden ließ, änderte nichts an der Dialektik dieses Modells, machte höchstens eine französische Offizialisierung inoffizieller Einschätzungen im Innern risikoreicher und nach außen lukrativer. Diese zentralen Verhandlungsmuster beruhten nicht nur auf einer innen- und außenpolitischen Interessenabwägung, sondern daneben auf der realistischen Einschätzung der eigenen machtpolitischen Schwäche bei Befreiung und Kriegsende sowie den Wahrnehmungen und Erfahrungen fast einer ganzen politischen Klasse während der letzten drei Jahrzehnte, wie sie sich in den Stichworten Versailles 1918/19, München 1938 und France libre 1940/44 manifestierten. Die gescheiterte Friedensordnung der Zwischenkriegszeit konnte noch zu unterschiedlichen Lernprozessen und Schlußfolgerungen Anlaß geben, Münchener Abkommen und äußerer Widerstand jedoch wiesen dieselbe Richtung. Es galt die offensichtliche Schwäche nicht als Verhandlungselement gegenüber offensichtlich Stärkeren zu akzeptieren. Es galt sich der Trümpfe des "Kleinen" gegenüber den "Großen" bewußt zu werden und diese geschickt einzusetzen. Es galt anfangs möglichst Maximales zu fordern, um letztendlich wenigstens Minimales zu erlangen. Es galt so lange wie möglich keinerlei Konzessionsbereitschaft zu offenbaren, offizielle Positionen erst zu räumen, wenn deren Aufrechterhaltung mehr Nach- als Vorteile mit sich zu bringen schien, und

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

selbst dann nur Stück für Stück bei entsprechender Gegenleistung. Es galt weiterhin als deutschlandpolitisch schwieriger Partner aufzutreten, eher Nein- als Jasager zu sein, um von einer prekären innenpolitischen Lage außenpolitisch weitestgehend zu profitieren. Über die eigene Schwäche, die Diskordanz von deutschlandpolitischen Maximalforderungen und machtpolitischen Minimalmitteln war man sich durchaus im klaren, versuchte aber, sie zu einer Strategie größtmöglichen diplomatischen Nutzens zu erheben und die Instrumentalisierungschancen im Bedingungsgeflecht von Innen- und Außenpolitik angemessen zu verwerten, verdeckte damit allerdings faktische Zukunftsperspektiven, die eben nicht den Maximalpositionen entsprachen.

Verhandlungstaktik und "doppelte Deutschlandpolitik". Zu Dimension und Dauer eines solchen Vorgehens existierten seit Algier divergierende Einschätzungen, die sich idealtypisch als Massiglische "Understatement-Variante" und de GaulIesche "Overstatement-Variante" qualifizieren ließen. Der Rücktritt des Präsidenten der Provisorischen Regierung im Januar 1946 und die Außenseiterposition des Botschafters jenseits des Kanals machten den Weg frei für eine Bidaultsche Variante, die de Gaulles Ansätze in modifizierter Form weiterführte, die in gleicher Weise die Wechselwirkungen von Innen- und Außenpolitik berücksichtigte, die ständige öffentliche Verkündung von Maximalpositionen implizierte, bei internationalen Zusammenkünften allerdings weniger kompromißlos und kompensations orientiert war, eher zu einem "Ja, aber" als zu einem konsequenten "Nein" tendierte. Häufig spiegelten die deutschlandpolitischen Konfliktlinien innerhalb des Quai d'Orsay weniger Unstimmigkeiten über die anzustrebenden Zielperspektiven wider als über die einzuschlagende Taktik, um diese halbwegs durchzusetzen, symbolisierten weniger Kontroversen um fundamental divergierende Haltungen als einen Disput um das unter gesarntpolitischen Prämissen einträglichste Verhandlungsmodell. Das französische Vorgehen gegenüber dem Kriegsgegner und Nachbarn - und dies zeigt bereits die Analyse der konzeptionellen Ebene -läßt sich in der Tat als Kalkül der "doppelten Deutschlandpolitik" charakterisieren, einem Kalkül, das nicht machiavellistisch und von langer Hand geplant war, sondern aus der Not, aus massiven inneren Sachzwängen heraus geboren sowie durch die Erkenntnis in daraus nach außen profitabel einsetzbare Trümpfe ermöglicht wurde. Bereits die frühesten Planungen korrespondierten zumindest teilweise nach Differenzierungsgrad und Weitsichtigkeit nicht mit den gleichzeitig erhobenen maximalistischen Deutschlandforderungen und verweisen damit auf deren taktischen Gehalt. Doch spätestens seit der bewußten öffentlichen und diplomatischen Aufrechterhaltung von Maximalpositionen trotz Einsicht in deren Chancenlosigkeit um die Jahreswende 1945/46 muß von einer "doppelten Deutschlandpolitik" die Rede sein, sozusagen als geringstes Übel und fruchtbarste Lösung zur Verkleisterung eines Übermaßes an sozioökonomischen, psychologischen, innen- und außenpolitischen Widersprüchen und Zwängen. Die Betrachtung der Ebene Pariser Instruktionen an den Oberbefehlshaber der französischen Besatzungszone in Baden-Baden als Ergebnis interner Diskussionsund Entscheidungsprozesse auf der Basis der analysierten Konzeptionen wird dem Bild der "doppelten Deutschlandpolitik" weitere Mosaiksteinchen hinzufügen.

II. Deutschlandpolitische Instruktionen

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11. Deutschlandpolitische Instruktionen im Entscheidungsprozeß 1945 - 1950: die allgegenwärtige Ambivalenz Zur Betrachtung französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan erfolgt als zweiter Schritt nach der Untersuchung konzeptioneller Ansätze in Paris die Analyse von Instruktionen der Zentrale an den Oberbefehlshaber der französischen Besatzungszone in Deutschland, wie sie sich seit Mitte 1945 in regierungsinternen Debatten und Entscheidungsprozessen herauskristallisierten. Dazu gehörten die bislang noch nicht systematisch untersuchten frühen Pariser Richtlinien, die das Comite interministeriel des affaires allemandes et autrichiennes sowie - zusätzlich für Wirtschaftsfragen - das Comite economique interrninisteriel unter Vorsitz de GaulIes verabschiedeten (11.1.), aber auch die häufig in Absprache mit anderen Ressorts im Außenministerium koordinierten Anweisungen der Folgezeit (11.3.). Darüberhinaus soll an dieser Stelle (11.2.) ausführlicher auf die Inspektionsreise de GaulIes nach Südwestdeutschland Anfang Oktober 1945 eingegangen werden und die "indirekten Instruktionen", die seine Reden für das besatzungspolitische Personal und zumindest teilweise für die Verwaltungsspitzen des Quai d'Orsay darstellten.

1. Die Rahmenrichtlinien des Comite interministeriel 1945/46: eine offene, originelle und ambivalente Sicherheitsstrategie Aufgrund mangelnder Zugänglichkeit zu den Ministerratsprotokollen I bilden die Direktiven und Sitzungsmitschriften des Comite interrninisteriel des affaires allemandes et autrichiennes die beste und einzige Möglichkeit, die frühen französischen Absichten gegenüber dem Kriegsgegner und Nachbarn nicht allein aus den vielfältigen, im einzelnen schwierig zu gewichtenden Deutschlandplanungen zu bestimmen, sondern aus den konkreten Ergebnissen nicht-öffentlicher Pariser Diskussions- und Entscheidungsabläufe, und dies auf der Basis eines kompletten, wenn auch über verschiedene Archive verstreuten Bestandes. 2 Gab es sachliche Differenzen oder verschiedene Schwerpunkte zwischen der Planungs- und der Beschlußfassungsebene, zwischen Konzeptionen und Instruktionen der Zentrale? Wie stand es um den Konkretisierungsgrad der Richtlinien, wie um Aexibilität, Ambivalenz und Konstruktivität der Komitee-Anweisungen im Verhältnis zu den frühen programmatischen Vorüberlegungen? In welchen Politikfeldern traten Konflikte zwischen den Mitgliedern des Comite interrninisreriel zutage, wie fanden sie sich gelöst, wer setzte sich durch? In weichem Maße schlugen sich die immensen inneren und äußeren Zwänge der Provisorischen Regierung, die komplexen Wechselwirkungen von 1 Es lassen sich weiterhin ausschließlich die recht unergiebigen "ordres du jour", die "releve.s de decision" sowie die "cornrnunique.s de presse" innerhalb der F60-Serie der Archives nationales mit entsprechender Ausnahrnegenehmigung einsehen. 2 Allgemein

zum Comire interministeriei, zu Arbeitsweise und Sitzungsverlauf vgl. Kapitel A 11 Ib.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Innen- und Außenpolitik, auf die Ebene der Instruktionen nieder? Läßt sich letzten Endes aus diesem Gesamtbestand deutschlandpolitischer Anweisungen von 1945/46 eine sicherheitspolitische Strategie der Provisorischen Regierung herleiten und was kennzeichnete siä Dieser Katalog umreißt die maßgeblichen Leitfragen der folgenden Betrachtung früher Pariser Direktiven zu vier Themenkomplexen, zur politischen Struktur Deutschlands, zur Wirtschaftsproblematik, zu Kultur- und Demokratisierungsaspekten sowie zum besatzungspolitischen und internationalen Umfeld.

a) "Anti-Reich"-Direktiven: "Entpreußung" als konsequente politische Dezentralisierung Deutschlands und der Besatzungszone "Notre but essentiel est la destruction, non seulement de I'oeuvre hitlerienne, mais aussi de I'oeuvre prussienne. "I

Erste Rahmenrichtlinien. Die Prämissen der französischen Sicherheits strategie legte das Comite interministeriel weniger als sechs Wochen nach Kriegsende. Die Dokumente n° 1 und n03, die "Directives pour notre action en Allernagne" und die "Note sur le probleme allernand" vom 19.Juli 1945 sowie die Anmerkungen de GaulIes während der interministeriellen Zusammenkunft einen Tag danach 2 repräsentieren die frühen deutschlandpolitischen Schlüsseldirektiven an General Koenig in Baden-Baden zwecks Umsetzung in praktische Besatzungspolitik. Die dort niedergelegten "idees directrices" und "principes generaux" stellten nicht den Anspruch eines kohärenten, die besatzungspolitische Praxis in allen Einzelheiten vorbestimmenden Gesamtplans. Vielmehr war man sich bewußt über unvermeidliche innere Widersprüche zwischen Pariser Interessen und Sachzwängen vor Ort, zumindest für die Frühphase der Okkupation. Gerade der "caractere incoherent" der von den "Großen Drei" nachträglich bewilligten französischen Zone, die weder unter politisch-administrativen noch unter ökonomischen oder kulturell-mentalen Gesichtspunkten ein einheitliches Gebilde war, die historisch gewachsene Infrastrukturen und Kommunikationslinien - vor allem in Baden und Württemberg - durchschnitt zugunsten strategisch-militärischer Bedürfnisse/ ließ der Provisorischen Regierung eine "politique unique" utopisch erscheinen. Ohne eine künftige Revision der Zonenabgrenzungen mit den Amerikanern aus den Augen zu verlieren, wies sie Koenig deshalb eindringlich zu einer "politique compartimentee" mit möglichst großer Beweglichkeit eben auch gegenüber den für Frankreich nicht völlig gleichwertigen 3 Die Umsetzung einer solchen Strategie bzw. die Umsetzung der sie konstituierenden Elemente in praktische Politik wird Untersuchungsgegenstand von Kapitel B In 2a - 2d sein. 1 Vgl. SGCIAAA, Note sur le probleme allemand (Document n03), 19.07.45, AN F60 303412. 2 Vgl. SGCIAAA, Directives pour notre action en Allemagne (Document n01), 19.07.45, AN F60 3034/2; SGCIAAA, Document n03, 19.07.45, ebd.; Compte rendu de la seance du CIAAA, 20.07.45, ebd. Zur Entstehungsgeschichte der Direktiven vgl. ausführlich Kapitel A 11 3b. 3 Das Bedauern über die als struktureller Nachteil empfundene Zonenabgrenzung und die Hoffnung auf eine spätere Neugliederung tauchte insgesamt sechs Mal im Dokument n °1 auf!

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Teilen des Gesamtbesatzungsgebiets an sowie vor allem zu einer "politique soupie menageant l'avenir et cherchant en vue de cet avenir, a tirer le meilleur parti de l'etat provisoire actuel." Es galt aus der momentanen deutschlandpolitischen Situation größtmöglichen Nutzen für Frankreich zu ziehen, allerdings durch ein flexibles Vorgehen sich nicht die Zukunft zu verbauen, sich nicht mögliche Perspektivenwechsel zu versperren, sich alle Wege offenzuhalten, um - ganz im gaullistischen Sinne - angemessen mit vorgefaßten Akzentverschiebungen auf noch nicht völlig absehbare Entwicklungen reagieren zu können. Angesichts all dieser fortdauernden Unsicherheiten sowie der unumgänglichen Prämisse ersatzlösungsorientierter Flexibilität war es wenig erstaunlich, daß die frühen Direktiven des Comite interministenel keine bis ins Letzte konkretisierten und präzisierten Handlungsanweisungen für sämtliche deutschland- und besatzungspolitische Eventualitäten darstellten, sondern Rahmenrichtlinien, die den ausführenden Organen in Baden-Baden und Berlin in vielen Bereichen breite Spielräume für eine Umsetzung in praktische Politik eröffnen sollten. Politische Anpassungsfähigkeit bedeutete zwar nicht gänzliche Konturenlosigkeit, jedoch ebensowenig völlige Eindeutigkeit: "considerations de politique pure" erschienen zunächst vorrangig im Vergleich zu wirtschaftlichen Erwägungen und verwiesen auf de Gaulles Handschrift im Umgang mit den "Großen Drei". Doch ließ sich dies nicht ohne weiteres sicherstellen, vor allem ließ sich beides in der Praxis kaum voneinander trennen, wie die eher auf Alphands Wirtschaftsabteilung im Quai d'Orsayhindeutende Einschränkung signalisierte, daß "ceci ne veut pas dire que les considerations de politique pure doivent nous faire negliger les autres." Auch die Folgedokumente - gleich das Dokument n° 4 beschäftigte sich mit den "recuperations afaire en Allemagne"4 - wiesen in die gleiche Richtung. Als Endzweck betrachtete die Pariser Führung selbstverständlich die Schaffung von Grundlagen, die Frankreich auf Dauer Sicherheit vor dem Nachbarn im Osten zu gewährleisten vermochten, wenn auch "la reconstitution de l'Allemagne ne represente sans doute pas un danger immectiat."s Damit es künftig dabei blieb, durfte in französischer Sicht zunächst einmal das "Reich allemand unifie" bzw. die Vorstellung, die man sich davon machte, nicht wieder auferstehen.

Anti-Reich-Konsens und politische Praxis. Ganz unabhängig von Grad und Modalitäten herrschte im Nachkriegsfrankreich ein breiter Konsens über die griffige gaullistische Formel sowie darüber, daß die preußisch-deutsche Reichseinheit die wesentliche Vorbedingung für die Entstehung eines deutschen Aggressionspotentials bildete, das sich während der letzten 75 Jahre dreimal nicht zuletzt gegen Frankreich entladen hatte. Forderungen nach Zerstörung des Reichs, die in kategorischen Imperativen wie "plus de Reich centralise" oder "plus de Reich unifie" zum Ausdruck kamen, erschienen als unabdingbarer Aspekt künftiger französischer Sicherheit vor Deutschland. Wie stellte sich das Comite interrninisteriel eine "de• Vgl. SGCIAAA, Note de M. le Ministre de la reconstruction sur les recupirations magne (Document n °4), 10.08.45, AN F12 10104. S Vgl. SGCIAAA, Document n° 1, 19.07.45, AN F60 3034/2.

a faire en Alle-

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B. "Doppelte DeutschlandJXllitik"

prussianisation" der deutschen Verhältnisse in machtpolitisch-administrativer Hinsicht durch die Militärregierung in Baden-Baden vor? Was konnte diese konkret gegen die Wiederherstellung eines politisch einheitlichen Staatsgebildes auf deutschem Boden unternehmen: Zerstückelung Deutschlands? Annexion deutscher Gebiete? Unterstützung föderalistischer, autonomistischer oder gar separatistischer Kräfte und Gruppen? Aktives Hinwirken auf eine möglichst weitreichende Dezentralisierung? De Gaulle wendete sich - wie schon in seinen öffentlichen Erklärungen - auch in den geheimen Richtlinien an Koenig gegen jegliche annexionistische Absichten. Die Verhinderung, daß "1'Allemagne soit annexee par une puissance quiconque,"6 nahm er nicht nur für sich selbst in Anspruch, sondern bezog sie gleichermaßen auf die Sowjetunion. Er thematisierte damit auch im vertraulichen Kreis deren Gefahrenpotential und akzentuierte schon zu diesem Zeitpunkt die Besorgnis der französischen Führung gegenüber der künftigen sowjetischen Rolle in Europa.

Rhein-Ruhr-Saar. Was die Rhein-Ruhr-Frage anbelangte, so stand sie innerhalb der Komitee-Dokumente wahrlich nicht im Zentrum des Interesses. Abgesehen von der Ablehnung eines eigenständigen "Etat rhenan" durch de Gaulle, erschien sie in Form von Anspielungen oder geradezu klassischen, dutzendweise an anderer Stelle auffindbaren Formulierungen, daß Frankreich "se maintienne sur le Rhin," es den Rhein kontrollieren und für die Ruhr ein "regime special" schaffen müsse, daß die Rheinprovinzen einer militärischen, administrativen, politischen und ökonomischen Abtrennung vom Restdeutschland bedürften. Es blieb bei solchen, im Quai d'Orsay längst bezüglich Durchsetzbarkeit und Zweckmäßigkeit kritisch hinterfragten Formeln in den Dokumenten n 01 und n03 vom 19.Juli 1945. Und es gab - weder dort noch später - Hinweise auf konkrete Durch- und Umsetzungs möglichkeiten, es gab nie Ratschläge für die Baden-Badener Instanzen, wie sich diese in praktische Politik umwandeln ließen, es kam nie zu einer speziellen Ruhr- oder Rheinlanddirektive, nicht einmal zu einem eigenen Tagesordnungspunkt zum Rhein-RuhrKomplex zwischen Juli 1945 und März 1946. Dies deutet nicht unbedingt darauf hin, daß Paris die Verwirklichungschancen der öffentlich unablässig wiederholten Separierungsforderungen allzu hoch veranschlagte, wohl aber darauf, daß die fortschreitenden interalliierten Klärungen offenbar im Rahmen regierungs interner Entscheidungsprozesse ihre Wirkungen entfalten, daß die Potsdamer Ergebnisse in der Sicht französischer Akteure die Aussichten einer Europavision vom Atlantik bis zum Ural ebensowenig erhöht hatten wie die Resultate der Londoner Außenministerkonferenz die Chancen für politische Abtrennungen westdeutscher Gebiete. Das Saarproblem lag näher, vor allem galt die Anerkennung einer Lösung in französischem, noch genauer zu spezifizierendem Sinne durch die "Großen Drei" als wahrscheinlicher: "La France possede en Sarre des interets speciaux d'ordre economique. La Sarre devra donc, des le debut, faire l'objet d'efforts particuliers pour etre rattachee ulterieurement au systeme franlfais."7 Dennoch verrieten Formulierungen • Vgl. Campte rendu du ClAAA, 20.07.45, AN 303412. SGClAAA, Docwnent n° 1, 19.07.45, AN F60 303412.

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II. Deutschlandpolitische Instruktionen

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und Konkretisierungsgrad auch in diesem Bereich die diplomatische Verunsicherung und Offenheit der Provisorischen Regierung. Sie kennzeichneten eher an Entscheidungsvorlagen als an tatsächlichen eindeutigen Beschlüssen orientierte Richtlinien, die das Stadium traditioneller französischer Saarreflexionen noch nicht überschritten hatten und kaum Aufschlüsse darüber erlaubten, welche Art von "rattachement" man denn anstrebte und wie man dies zu realisieren gedachte. Zur Saar diskutierte und billigte das Comite interministeriel am 25.August 1945 eine spezielle Direktive, 8 doch fand sich die Hoffnung auf präzisierende Handlungsanweisungen größtenteils enttäuscht. Politisch verblieb sie wenig aussagekräftig bei einer "union a la France, caracterisee par une incorporation economique et la creation d'une administration autonome a direction franlfaise" und einer "politique d'assimilation tres poussee" ganz im Sinne Abel Verdiers, ökonomisch bei Gemeinplätzen wie "le charbon est au premier plan de nos preoccupations," ohne konkrete Schritte anzudeuten. Diese traten allerdings auf dem Gebiet förderungsWÜTdiger kultur- und bildungspolitischer Aktivitäten zutage: verstärkter Französischunterricht an den Schulen, Paris- und Nancy-Stipendien für saarländische Studenten, Ferienlager für Saarkinder in Frankreich, Wiederaufnahme der saarländisch-französischen Sportbeziehungen, Wiedereröffnung der Kinos mit französischen Filmen, etc. Diese Aufforderungen verweisen bereits auf einen gewichtigen Unterschied gegenüber den konzeptionellen Deutschlandansätzen durch eine sicherheitspolitisch definierte Kultur- und Kontaktpolitik, die noch unter veränderten Vorzeichen für die gesamte Besatzungszone zu beleuchten sein wird. Es fehlte aufRegierungsebene an kohärenten und präzisen territorialen Richtlinien für Rhein, Ruhr und Saar. Doch auch andere Möglichkeiten, auf die Verhinderung einer künftigen politischen Einheit hinzuarbeiten, fanden keine vorbehaltlose Unterstützung. Das Comite interministeriel zeigte sich nicht nur deutschen Föderalismusanhängern gegenüber skeptisch, da es vermutete, diese hätten nur aus taktischen Erwägungen dem Einheitsstreben abgeschworen, sondern warnte Koenig ebenso vor vergeblichen Versuchen, separatistische Gruppen zu fördern. Höchstens autonomistische Tendenzen außerhalb der eigenen Zone, in Hamburg, Hannover und Bayern, sollten - wie auch immer - vorsichtig in ihrem Handeln bestärkt werden. 9

Dezentralisierung. Vielmehr lag das Hauptaugenmerk der "Anti-Reich"-Regierungsrichtlinien in einer möglichst konsequenten Dezentralisierungspolitik gegenüber der Zone und gegenüber Gesamtdeutschland, einer Politik, die Frankreich den Deutschen nicht aufoktroyieren, sondern im eigenen Interesse zusammen mit denjenigen Kräften durchsetzen wollte, die selbst deren kurz- und langfristige Vorteile erkannten und zu nutzen beabsichtigten. Dabei ging es gewiß um eine weitreichende Dezentralisierung der deutschen politischen Strukturen, doch sollte sie sich letzten Endes auf sämtliche Politikfelder erstrecken, ausdrücklich beispielsweise auf den Mediensektor. 1o Das Dezentralisierungsideal entsprang im übrigen der Einsicht, daß • Vgl. Directives particulieres concemant la SaITe (Document nOl3), 25.08.45, AN 457 AP 60. • Vgl. SGClAAA, Docurnent n° 1, 19.07.45, AN F60 303412.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

ein "effacement trop complet de l'unite allemande" zu einem machtpolitischen Ungleichgewicht in Europa führe und deshalb gegen französische Interessen verstoße. ll Es war demnach durchaus nicht - auch nicht im Juli 1945 - gleichbedeutend mit einer völligen Zerstückelung Deutschlands, zumal Frankreich die sowjetische Gefahr realistisch und gebührend in seinen Deutschlandinstruktionen berücksichtigte. Praktische politische Wirkungen konsequenter Dezentralisierung zeigten sich auf zonaler Ebene besonders in dem Versuch, die einzelnen FBZ-Länder zunächst so weitgehend wie möglich voneinander abzuschotten sowie in der Ablehnung eines einheitlichen Rheinstaates, aber auch in Vorgaben an den Oberkommandierenden in Deutschland, einer zu frühzeitigen nationalen Ausrichtung politischer Parteien und Gewerkschaften kritisch gegenüberzustehen,12 wodurch Dezentralisierungs- und Demokratisierungsprärnissen unvermeidlich in ein starkes Spannungsverhältnis gerieten. Auf interalliierter Ebene instruierte der interministerielle Ausschuß Koenig, die Schaffung der vom Potsdamer Abkommen vorgesehenen deutschen Zentralverwaltungsstellen mit deutschen Staatssekretären als politischen Beamten an der Spitze im Alliierten Kontrollrat zurückzuweisen,13 und machte geltend, daß "toute concession, meme atitre provisoire, faite ala doctrine de centralisation ne pourrait plus etre reprise dans l'avenir."14 Erstmals in den Comite-Beschlüssen vom 25.September 1945 festgelegt, 15 wurde die ablehnende Position in den Folgesitzungen mehrfach bestätigt, zuletzt am 18,Januar 1946, zwei Tage vor de Gaulles Rücktritt als Präsident der Provisorischen Regierung, angesichts eines Vorschlags von Montgomery zur Etablierung eines Zentralorgans für finanzpolitische Koordination in Berlin. 16 Die französische Dezentralisierungsmaxime als Reaktion auf ein negativ besetztes Preußenbild mußte jedoch zwangsläufig zu Zielkonflikten mit anderen deutschlandund besatzungspolitischen Direktiven führen. Dies war nicht zuletzt im Wirtschaftsbereich der Fall, wo ohnehin nicht gerade ein Mangel an Widerspruchspotentialen bestand.

10 Vgl. SGClAAA, Note de M. le Ministre de l'information; Projet d'instruction concemant l'information en Allemagne occupCe (Document n05 = Document nOI9), 06.08.45, AN F60 3034/2. 11 Vgl. SGClAAA, Document n03, 19.07.45, AN F60 3034/2. 12 Vgl. Decisions prises par le ClAAA, 15.10.45, AOFAA Cons.pol. B 14; Decisions prises par le ClAAA, 07.11.45, AN F60 303412; Decisions prises par le ClAAA, 09.03.46, AMAE Y (1944/49) 651. 13 Auf die regierungsinternen Differenzen in dieser Frage wird ebenso noch zurückzukommen sein wie auf die komplexere Realität in Berlin und die vielfältig taktisch verbrämten Haltungen von rumindest zwei der drei anderen Besatzungsmächte. 1< SGClAAA, Organisation de I'administration financiere en Allemagne (Document n025), 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. "Vgl. D6cisions prises par le ClAAA, 25.09.45, AN F60 3034/2. 16 Vgl. Proces-verbal des d6cisions prises par le ClAAA, 18.01.46, AMAE Y (1944/49) 651; vgl. daneben Note manuscrite du general [de Gaullei a.s. Administrations centrales des finances, am 19.01.46 von Burin des Roziers an Koenig gesandt, AMAE Y (1944/49) 284.

II. DeutschIandpolitische Instruktionen

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b) Ökonomische Direktiven: Wirtschaftseinheit Deutschlands und dauerhafte Überlegenheit Frankreichs "Buts a atteindre: a) Desannement complet de l'Allemagne ... ; b) Restitution de spoliations effectuees au clettiJrent des Allies; c) Amenagement de l'economie allemande en vue de satisfaire: 1) aux besoins militaires des allies ... , 2) aux reparations au profit des Nations Unies, 3) aux besoins legitimes des autres pays ... , 4) aux beroins si indispensables des Allemands, notamment en vue d'eviter les desordres, les epidernies , etc... ; d) Enfin, ulterieurement, integration de l'economie allemande dans l'economie generale, en evitant que ... la reconstitution allemande ne puisse se faire dans des conditions plus favorables que celle des Allies.'"

Eine Betrachtung französischer Wirtschaftsdirektiven an die Oberbefehlshaber Frankreichs in Deutschland, zunächst General de Lattre de Tassigny, dann General Koenig, läßt sich nicht auf das COmite interrninisteriel beschränken. Selbst nach dessen Konstituierung blieben die deutschland- und besatzungspolitischen Aufgaben des Comire economique interrninisreriel erhalten, ergaben dementsprechend eine Art konkurrierende Kompetenzzuschreibung zwischen beiden Organen und spiegelten die gerade im Wirtschaftssektor bedeutenden ressortübergreifenden Verschränkungen wider, wie sie schon das Eingangszitat aus einer Instruktion vom Mai 1945 nahelegt, die wahrscheinlich das Produktions- in Zusammenarbeit mit Außen-, Finanz- und Wirtschafts ministerium erstellt hatte. Diese Anweisung kann allerdings nicht nur unter organisatorisch-institutionellen Gesichtspunkten, sondern darüberhinaus nach Inhalt und Ambivalenz als symptomatisch und richtungsweisend gelten, thematisierte sie doch im Kontext französischer Innen- und Außenpolitik der Zeit kaum auflösbare, langfristig wirksame Drahtseilakte und Ungereimtheiten ökonomischer Ansprüche zwischen Sicherheit und Nutzung, Entwaffnung und Reparationen, zwischen rascher Ausbeutung und dem "Umschalten" auf integrative Ansätze, zwischen notwendiger Aufrechterhaltung eines angemessenen Produktionsniveaus und Absicherung eines Vorsprungs französischer Rekonstruktion und Industriemacht, zwischen dem Lebensstandard in den kriegs- und besatzungs geschädigten europäischen Ländern und dem in den respektiven, untereinander Vergleichen ausgesetzten vier Zonen der Siegermächte in Deutschland.

Erste Wirtschaftsanweisungen: Deutschland und Frankreich. Die frühesten Wirtschaftsanweisungen verdeutlichen, wie wenig der Entscheidungsprozeß bereits zum Abschluß gekommmen, wie schwierig trotz aller Vorarbeiten der Schritt von den Konzeptionen zu den Instruktionen unter den Handlungsbedingungen der ersten Nachkriegswochen war, die immer noch keinen Einblick in die Vorhaben der "Großen Drei" mit sich gebracht hatten. Mehrfach folgte der Verabschiedung einer Richtlinie das Dementi auf dem Fuße, zog ein interalliierter Beschluß prompt eine "orientation nouvelle" nach sich. 2 , Directives pmvisoires pour le contröle de l'industrie allemande, oA., vermutlich MPI, o.D., vermutlich Mai 1945, transmis au General Koeltz le 1er Juin 1945, AN F12 10105. 2 Vgl. z.B. die Verabschiedung einer Note pour le Ministre a.s. des restitutions et des pr-estations (Document n0168 du CE!), 28.05.45, AN F60 900, durch das Comite economique interministeriel, die bereits zwei Tage später aufgrund von Vereinbarungen des Londoner Comite economique europ6en eine Neuorientierung erforderte, vgl. Herve Alphand, Note, 30.05.45, AMAE DECE (1945/60) 223.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Als erste relevante, wenn auch unbefriedigende und unzureichende Handlungsanweisung der Pariser Zentrale nahmen die Finanz-, Wirtschafts- und Industrieabteilungen in Baden-Baden und Berlin die Direktive des Comite economique zur finanziellen und wirtschaftlichen Entwaffnung Deutschlands vom 7.Juli 1945 zur Kenntnis,3 die in enger Kooperation - wie Bidault einleitend betonte - zwischen Quai d'Orsayund den interessierten technischen Ressorts in der Comrnission economique pour les affaires allemandes entstanden war. 4 Sie beinhaltete sechs allgemeine Zielperspektiven: erstens die militärische und finanz ökonomische Entwaffnung Deutschlands sowie Reparationsleistungen, sofern diese nicht "en contradiction avec la mise en oeuvre du desarmement" standen; zweitens eine strikte Kontrolle des deutschen Wirtschaftslebens sowie eine militärische Besetzung der wichtigsten Industriezentren; drittens die Gewährleistung von Ordnung und Stabilität im Nachbarland, da "Ie desarmement ne peut etre mene abien dans un pays trouble" und da "I'inflation compromet le sort des reparations;" viertens die Reduzierung des deutschen Industriepotentials auf Friedensniveau und die Ausnutzung dieser Lage "pour modifier la structure econornique de notre pays et pour en faire une grande puissance industrielle;" fünftens die Ablehnung einer Zerstörung oder Agrarisierung der deutschen Wirtschaft zugunsten enger Kontrollmechanismen, einer Zerschlagung oder Transferierung von Kriegsindustrien oder auch einer permanenten Ruhr- und Saarabtrennung im Westen; sechstens schließlich die Schwächung des demographischen Potentials des ehemaligen Reiches, nicht zuletzt durch den Einsatz deutscher Arbeitskräfte in Frankreich. Besonderes Augenmerk galt der Schwerindustrie. Die Internationalisierung der Ruhr sowie die Integration der Saar in das französische Wirtschaftssystem schien die Absicherung einer "preponderance durable sur la siderurgie allemande" durch Frankreich, Belgien und Luxemburg zu ermöglichen. Im eigenen Interesse galt es keinesfalls die Förderleistungen der deutschen Steinund Braunkohlegebiete zu beschränken, sondern " au contraire de les mettre en valeur au maximum." Offen blieb die "question de principe qui commande toute notre action en Allernagne" nach der deutschen Wirtschaftseinheit: solle man diese bewahren, "ce qui a pour avantage de faciliter notre action de contröle et le paiement des reparations" oder solle man eine "decentralisation progressive" befürworten, "ce qui compliquerait la tache du Conseil de Contröle et rendrait plus difficile les paiements des reparations?"

Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit. Die Antwort darauf gab das Comite economique nur sechs Tage später mit der Verabschiedung einer Anweisung, die zwar größtenteils die erwähnten Ziele und Schwerpunkte übernahm, , Vgl. GFCC, Delegation econornique et financiere, Division production industrielle, R. de Boysson, Note pour M. Sergent, 24.08.45, AN F12 10105; ders., Rapport sur le desarmement econornique de I'Allemagne, o.D., Eingangsstempel MPI 02.1.1.45, ebd.; GFCC, Delegation econornique et financiere, Cornite du niveau de l'industrie, Note, Determination du niveau de l'industrie allemande, 07.01.46, AMAE Y (1944/49) 370 oder Telegramm GFCC, Rene Serge nt an CGAAA, 27.02.46, ebd. • Vgl. MAE, Dir.Eco., Note a.s. desarmement econornique et financier de I'Allemagne (Document n0183 du CE!), 07.07.45, AN F37 189, a.i.f.

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allerdings einige nicht unwesentliche Präzisierungen aufwies. s Dazu gehörte in erster Linie das dezidierte Eintreten für eine einheitliche wirtschaftliche Behandlung Deutschlands durch die Alliierten, da "une politique fran~aise d'administration independante, meme si elle avait pour objet une dislocation des territoires restes allemands, presenterait plus d'inconvenients que d'avantages," zumal die bizarr abgegrenzte französische Zone "un gage de moindre valeur que les autres zones" repräsentiere. Daher müsse man eine "politique d'administration ou de contröle commune aux quatre puissances occupantes" anvisieren und "rester sur la reserve quant aux tendances federatives qui pourraient se manifester dans notre zone." Die Entscheidung zugunsten deutscher Wirtschaftseinheit fand sich in der Sitzung des Comite economique vorn 13.Juli 1945, in der die Diskussion des zitierten Dokuments auf der Tagesordnung stand, bestätigt und bildete in den künftigen Instruktionen die Leitlinie französischer Politik. Als konsensfähige Minimalforderung offenbarte sich im Wirtschaftskomitee unabhängig vorn Ausgang der Potsdamer Konferenz die Verwirklichung einer "direction unique du contröle entre les mains des Albes de l'Ouest" sowie die Schaffung einer "banque centrale d'emission".6 In der Debatte um das sinnvollste Vorgehen in Deutschland, entweder einer Politik "tendant a la stabilisation de l'economie a un niveau adeterminer" oder einer "politique de prelevements rnassifs ... quelles qu'en puissent etre les consequences pour l'economie allemande," fiel während dieser Zusammenkunft der einstimmige Beschluß, daß "le but immediat a atteindre est le contröle integral par les Allies de l'economie de l'Allernagne, de son credit et de sa monnaie," um eine "organisation systematiq ue de la faillite realisee au lendemain de la guerre 1914-1918 par Schacht" von vornherein auszuschließen. In beiden Richtlinien, der Ausgangsversion wie auch dem ergänzten "rapport definitif', 7 erschien im übrigen die Ruhrabtrennung als ein Kontrollmittel unter anderen. Beide Richtlinien hielten schon das konzeptionelle Instrumentarium für den Fall eines Scheiterns des Separierungsprojekts bereit, um Frankreich bei langer militärischer Besetzung des Gebiets durch industrielle Beteiligungen und Verschränkungen sowie durch effiziente Arbeit internationaler Gremien die erstrebten Kontroll-, Verfügungs- und Verteilungsrechte an der dortigen Kohle-, Koks- und Stahlproduktion dauerhaft zu sichern. Von den ursprünglichen Forderungen nach einer möglichst weitreichenden Dezentralisierung blieb im regierungsinternen Entscheidungsprozeß für den Wirtschaftsbereich sehr rasch sehr wenig übrig. Spätestens im Juli 1945 gab es - bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der politischen Dezentralisierungsmaxime - einen breiten Konsens über die Notwendigkeit einer ökonomisch einheitlichen Behandlung Deutschlands, und dies ging nicht nur auf Initiativen der technischen Ressorts zurück. Selbst im Quai d'Orsay plädierte man Mitte Juli 1945 für ein Deutschland als "entire econornique unique" und für eine gemeinsame alliierte Kohle-, Industrie-, S Vgl. MAE, Dir.Eoo., Note a.s. desarmernent eronomique et financier de I'A11ernagne (Docurnent n0185 du CEI), 13.07.45, AN 457 AP 63. 6 Vgl. CEI, Reunion du 13 juillet 1945 (Docurnent n0185 du CEr), 13.07.45, SAEF 5 A 13. 7 MPI, Valabregue an Jenn mit Übersendung des Docurnent n0185, 25.09.45, AN F12 10105.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Landwirtschafts-, Reparations-, Lohn-, Preis-, Geld-, Banken-, Steuer-, Import- und Exportpolitik sowie für gemeinsame Maßnahmen bei der Bewältigung der Transport- und Kommunikationsprobleme. Zur Wahrnehmung der Aufsichtsfunktionen des Alliierten Kontrollrats über die deutsche Wirtschaft sah man gar die Schaffung von "organismes administratifs allernands" vor. 8 Nur wenige Tage später führte die erste Direktive des Comite interrninisteriel weitere Gründe auf, die gegen eine besatzungspolitische Autarkiepolitik Frankreichs sprachen: "ll faut eviter que notre politique en Allemagne soit pour nous une charge inutile et se limite a assurer les frais d'administration et d'entretien d'une region qui n'a pas, elle seule, des moyens d'existence suffisants. La politique de zones ... parait offrir, au stade actuel, plus d'inconvenients que d'avantages .... Si nous voulons eviter que cette zone ne tombe la charge de la communaute fran~aise ... il ne faut pas que cette zone soit coupee des sources de ravitaillement et de debouches que constituaient pour elle les autres regions de I'Allemagne."9

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Vor dem Hintergrund der sozioökonornischen Situation im eigenen Land veranlaßten vor allem französische Wirtschaftsinteressen und die Furcht vor einem ökonomisch wie ps~hologisch fatalen "Subventionsunternehmen FBZ" das Komitee demnach zur Ablehnung einer wirtschaftszonalen Abschottung von den übrigen deutschen Gebieten und zur Befiirwortung einer deutschen Wirtschaftseinheit, sofern dies zunächst dem "interet majeur d'une decentralisation politique" nicht entgegenstand. Kurz: politische Einheit, nein; ökonomische Einheit, ja!IO Nicht ohne Grund war es immer wieder Finanz- und Wirtschaftsminister Pleven, der eine realistische Haltung zur deutschen Wirtschaftseinheit forderte, sich im Comite interrninisteriel sogar - allerdings vergeblich - für eine provisorische zentrale Finanzverwaltung im Sinne des Potsdamer Abkommens bis zum Zeitpunkt der Realisierung einer politischen Dezentralisierung Deutschlands engagierte und damit explizit in Oppositon zur de Gaulleschen Haltung trat. 11

Ungelöste Dilemmata. Die Ungereimtheiten in der Frage Entwaffnung und/oder Reparationen bzw. Zerstörung und/oder Rekonstruktion harrten weiterhin einer eindeutigen Antwort, fanden auch in den frühen Instruktionen des Comite interministeriel keine eindeutige Klärung. In seinen Ergänzungen zu den während der ersten Zusammenkunft des Komitees verabschiedeten Richtlinien nahm de Gaulle zweifach zur französischen Wirtschaftspolitik in Deutschland Stellung. Zum einen unterstrich er Frankreichs "interet vital atirer de I'Allemagne le plus de reparations possibles," zum anderen betonte der Regierungschef, daß "le probleme de la reconstruction doit egalement retenir notre attention d'une fa~on urgente."12 Wie sollte die • Vgl. MAE, Dir.Pol., Directives relatives au contrÖle de l'Allernagne, o.D., vermutlich 12.07.45, AMAE Y (1944/49) 687. • SGClAAA, Docwnent n° 1, 19.07.45, AN F60 303412, a.i.f. 10 In diesem Sinne schon Rainer Hudemann, Wirkungen französischer Besatzungspolitik, S.176f. 11 Vgl. SGClAAA, MFIN, Direction du tresor, Administration financiere de I'Allernagne, 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 12 Compte rendu du ClAAA, 20.07.45, AN 3034/2.

ll. Deutschlandpolitische Instruktionen

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Militärregierung in Baden-Baden den fortdauernden Zielkonflikt aus in sich widersprüchlichen Anordnungen lösen? Wie sollte sie gleichzeitig eine möglichst weitreichende Nutzung der deutschen Wirtschaft zugunsten französischer Wiederaufbauund Modernisierungsmaßnahmen und eine ökonomische Rekonstruktion in der Besatzungszone bewerkstelligen? Wie sollte sie der vom Comite economique am gleichen Tag erhobenen Forderung gerecht werden nach einem Reparationsmechanismus "a la fois simple et suffisamment soupie pour pouvoir etre adapte aisement aux conditions changeantes qui seront celles de l'Europe au cours des annees qui suivront la guerre?"13 Von einer Auflösung des "Reparationsdilemmas" konnte keine Rede sein, weil es sich offenbar in den Augen relevanter Pariser Akteure nicht auflösen ließ. Am Bewußtsein für das Widerspruchspotential, für die Dringlichkeit "de concilier au mieux de nos interets deux necessites dans une certaine mesure contradictoires qui soient celle des reparations et ce11e du desarmement economique et financier"14 fehlte es jedenfalls nicht. Der regierungsinterne Diskussions- und Entscheidungsprozeß führte in der Reparationsfrage trotz vielzähliger Appelle einzelner Ministerien nicht zu einem greifbaren Ergebnis oder einer unmißverständlichen Schwerpunktsetzung. 1s Die beiden Aspekte des Problems standen weiter unverbunden nebeneinander, und es blieb letztlich Besatzungsverwaltung und -offizieren überlassen, ob sie eher Ausbeutungs- oder Rekonstruktionstendenzen zuneigten, denn durch Direktiven gedeckt war im Grunde beides. Die Comite economique-Anweisungen vorn 7. und 13.Juli 1945 legten eine nicht genauer spezifizierte chronologische Abfolge nahe, bei der sukzessive Rekonstruktion und Integration einer strikt kontrollierten und des Aggressionspotentials entledigten deutschen Wirtschaft 16 auf eine kurze Phase extensiver Nutzung folgen sollte, von der letztlich nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die moralische Wiederaufrichtung der Nation abhing, "non seulement le bien etre materiel de nos sinistres mais aussi le reconfort de nos populations."17 Zumindest die wilden Demontagen aber versuchte Paris mit klaren Anweisungen seit Ende August 1945 in geordnete Bahnen zu lenken. 18 Selbst der Arbeitseinsatz deutscher Kriegsgefangener in Frankreich, einhellige Reparationsforderung deutschlandpolitischer Akteure in Paris, blieb von Wider13CEI, Nctegenerale sur le probleme des reparations (Document n0167 du CEI), 20.07.45, AMAE Y (1944/49) 363. 14 CEI, Ncte a.s. de la creation d'une Direction des affaires economiques allemandes (Document n° 188 du CEI), 05.08.45, AN F60 901. "Vgl. dazu auch die Reparationsdirektiven für Jacques Rueff als Leiter der französischen Delegation bei der Cornmission internationale des reparations, Note pour M. Rueff, 31.08.45, AN F37 189. 16 Vgl. in diesem Sinne die Ausführungen Herve Alphands gegenüber dem Direktor der Finanz- und WirtsdJaftsabteilung der Baden-Badener Militärregierung Jean Filippi mit Instruktionscharakter, MAE, SDir.Eur.Centr., Reunion du 13 octobre 1945, AMAE Y (1944/49) 433. 17 SGCIAAA, Note de M. le Ministre de la reconstruction sur les recup6rations afaire en A1lemagne (Document n °4), 10.08.45, AN F12 10104. 11 Vgl. die bei Marie-France Ludmann-Obier, Les prelevements unilateraux en zone fran~se d'occupation 1945-1946, in: Jurt (Hg.), Besatzungszeit, S.110-12.0 (113) zitierte Pariser Direktive vom 30.August 1945, deren Herkunft leider nicht näher spezifiziert wird.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

sprüchlichkeiten zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten nicht verschont. Die intern diskutierten, vor allem vielfach nach außen getragenen Zahlen in einer Größenordnung von 1.5 MiO.\9 bis 1.75 Mio. 20 Arbeitskräften, stießen durch die sozioökonomische Lage sowie die öffentliche Germanophobie im Hexagon an faktische Grenzen. In den geheimen Zusammenkünften des Comite economique jedenfalls äußerte man sich eher vorsichtig, sorgte sich um Bezahlungsmodalitäten, um Kost-, Logis- und Bekleidungsmöglichkeiten, um das Verhältnis zu den französischen Arbeitern, um das internationale Prestige der Nation. Für Pleven etwa, für den sich das Arbeitskräfteproblem an zweiter Stelle hinter der Kohlefrage in der deutschlandpolitischen Zielhierarchie befand, stand trotz des offensichtlichen Bedarfs außer Frage, im Winter "une masse excessive de prisonniers" zu erhalten, "dont nous ne pourrions assurer dans des conditions normales le ravitaillement et le logement."2\ Berliner Kontrollratsbeschluß und modifizierte Wirtschajtsdirektiven. Der Kontrollratsbeschluß vom 20.September 1945, rückwirkend zum 1.August 1945 deutsche Exporte von Gütern aus laufender Produktion bzw. aus Lagerbeständen in Dollar abzurechnen, wobei die Empfängerländer mindestens 80% der von den Militärgouverneuren fixierten Preise zu bezahlen und die restlichen 20% auf den respektiven Reparationskonten zu verbuchen hatten, modifizierte grundlegend die regierungsinterne Reparationsdiskussion. Er brachte eine deutliche Schwerpunktverlagerung mit sich, die sich selbstverständlich in der Ausrichtung der Direktiven an Baden-Baden niederschlug. Er führte zu einer Debatte, die sich vorrangig um die Bezahlungsmodi für deutsche Exporte, um Außenhandels- und Ernährungsfragen sowie um das Problem der Stationierung und Versorgung der Besatzungstruppen drehte. Dabei spielte die Gefahr eine wichtige Rolle, als kriegsgeschädigter, finanzwirtschaftlich ausgebluteter Kriegsgewinner durch Abnahme deutscher Ausfuhren indirekte Finanzhilfen für das Besatzungsgebiet zu leisten, Devisen für unentbehrliche Nahrungsmittelimporte zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung des Berliner Kontrollrats fiel allerdings nicht aus heiterem Hinunel. Bereits Ende Juni 1945 wies ein von Außenminister Bidault gezeichnetes, im Comite economique diskutiertes Dokument auf die potentiellen reparationspolitischen Rückwirkungen einer solchen Regelung hin: "Avant de beneficier des reparations les pays victimes de la guerre devront commencer par payer en devises les fournitures qu'ils se procureront en Allemagne et que ces devises seront affectees aux achats que l'Allemagne sera autorisee aeffectuer au dehors. TI n'est pas douteux que cette notion risque de porter une atteinte tres serieuse au systeme des reparations tout entier."ll Als für Frankreich noch vorteilhafteste "solution moyenne" schlug das interministerielle Wirtschaftskomitee vor: erstens die Beibehaltung des Transfers von Produktionsgütern, Fabrikanlagen, Werkzeugen, von "materiel necessaire a la reprise economique" in Frankreich; zweitens die Bezahlung deutscher Exporte aus Vgl. sGCIAAA, Document n04, 10.08.45, AN F12 10104. Vgl. Document n0185 du CEI, 13.07.45, SAEF 5 A 13. 21 CEI, Compte rendu de laseance (Document n0202 du CE!), 25.10.45, SAEF 5 A 13. 7lCEI, Note du MAE, Paiement des reparations (Document n0184 du CE!), 26.06.45, AN 539 AP 1. 19

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II. Oeutschlandpolitische Instruktionen

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laufender Produktion, wie Kohle, "a concurrence de x% en devises," um Deutschland "au developpement de ses exportations" zu interessieren und zu motivieren; drittens die Gewährleistung von Vorschüssen der Lieferländer an Deutschland für die ersten Monate, um das deutsche Irnportvolumen begrenzt zu halten. Gleich nach Bekanntwerden des Kontrollratsbeschlusses erfolgte eine Neuorientierung der Reparations- und Wirtschaftsdirektiven. Importe deutscher Güter aus laufender Produktion und Lagerbeständen "seront payables par le Gouvernement franl(ais en devises dans une proportion de 80% et qui pourront etre etendue a 100%."23 In einern Vermerk vorn 1.0ktober 1945 rekapitulierte Berthelots Generalsekretariat des Comite interministeriel die Grundprinzipien der Juli-Instruktionen, die das Comite economique abgesegnet hatte, bestätigte deren Zielperspektiven, plädierte aber, nicht zuletzt aufgrund der Sorge um eine französische "Selbstausbeutung" durch eine extensive Nutzungspolitik, für einen neuen Ansatz mit anderen Schwerpunkten. Die anfänglichen zonalen Entnahmen "en ordre disperse et sans plan pre-etabli" könnten Frankreich nicht vollkommen zweckdienlich sein, vor allem aber zu einer Desorganisation der dortigen Wirtschaft führen und auf diese Weise "une situation politique contraire a nos interets" schaffen. Daneben stiegen die Devisenausgaben für Nahrungsmittelexporte nach Deutschland infolge französischer Besatzungstruppen, die "vivent sur le pays." Das zentrale Problem bestünde in der Festlegung des "niveau de vie allemand" sowie des "volume de la production allemande," da nur dies eine Auflösung des Grundwiderspruchs zwischen Entwaffnung und Reparationen erlaube und Frankreich ein gutes Abschneiden ermögliche "lorsqu'il s'agit de comparer la situation des differentes zones d'occupation entre elles." Es gelte den Mittelweg zwischen einern "regime trop severe" und einern "regime trop avantageux" zu finden, das wiederum "risque de creer a la reconstruction allemande des conditions plus favorables qu'a la reconstruction franl(aise. "24 Die Wirtschafts direktive des Comite interrninisteriel von Ende Oktober 1945 nahm diese Anregungen auf und thematisierte vor allem: das "niveau de vie en Allernagne," das nicht unterhalb des "niveau de vie des zones avoisinantes" liegen durfte; dann die Ernährung der Besatzungstruppen, die entweder direkt aus Frankreich oder aus in Dollar abgerechneten zonalen Nahrungsmittelüberschüssen erfolgen sollte; anschließend die Dringlichkeit einer Limitierung französischer Dollarausgaben durch eine Reduzierung der Militärs in Deutschland sowie einen Stop des Farniliennachzugs; schließlich die Notwendigkeit eines Wandels bei der Entnahme von Produktionsgütern, beim Transfer von Fabrikanlagen und Maschinen, die nur noch in Absprache mit und nach Einwilligung vorn Berliner Kontrollrat vollzogen werden konnten. Zur Begleichung deutscher Exporte sah die Anweisung vor, diese zu 80% der von den respektiven Zonenoberbefehlshabern festgelegten Preise vorzunehmen, eine Regelung, die "s'appliquerait pour chaque zone."2S Trotz Abspra23

Vgl. Directive complementaire

ala directive du 30 aoClt 1945 au sujet des prestations allemandes,

0.0., vermutlich Ende September 1945, AMAE PAAP 33819. ,. Vgl. Secretariat general des affaires allemandes et autrichiennes, Note, 01.10.45, AN F12 10104. 25

SGCIAAA, Projet de directives economiques (Document n °36), 31.10.45, AOFAA eons.pol. B 14.

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B. "Doppelte Oeutschlandpolitik"

chen und Konsens zwischen Außen- und Finanzministerium in diesem Sinne26 fiel ein definitiver Beschluß dazu erst nach längeren Diskussionen. Schon die Comite interministeriel-Sitzung vom 7.November 1945, in der das Direktivenprojekt zur Debatte stand, modifizierte es und begrenzte den Anwendungsbereich der 80%Disposition "aux regions de l'Allemagne et de l'Autriche qui ne sont pas occupees par la France"27 und schloß demnach die französische Besatzungszone davon aus. Bereits drei Tage später wandte sich Bidault direkt an de Gaulle, trat unter Berufung auf einen Beschluß des Berliner Kontrollrats "auquelle representant fran~ais a formellement adhere" sowie auf Entscheidungen des Ministerrates und des Wirtschafts komitees für die Befolgung der alliierten Übereinkunft ein, für eine Bezahlung sämtlicher deutscher Ausfuhren, samt derjenigen aus dem eigenen Besatzungsgebiet, zu 80% der Weltrnarktpreise bei gleichzeitiger Anrechnung des Restbetrages von 20% auf das Reparationskonto. 28 Dies machte eine neuerliche Diskussion auf der folgenden Zusammenkunft des interministeriellen Ausschusses am 27.November 1945 erforderlich, der sich schließlich dem Außenminister anschloß und die zuvor erteilte Instruktion dementsprechend abänderte. 29 Bidaults Motive basierten auf kurz- und langfristigen Optionen für die französische Wirtschaft. Er wollte offenbar zum einen nicht auf die Vorteile verzichten, die der "fonds general de devises", den primär die übrigen industrielleren Zonen mit ihren Exporten speisten, für die Bezahlung deutscher Ausfuhren in Dollar bot. Zum anderen sah er in der Regelung keinerlei Nachteile für die vom Comite interministeriel angestrebte "correlation entre l'economie fran~aise et l'economie de la zone."30 Die Ambition enger Verbindungslinien zwischen deutscher und französischer Wirtschaft manifestierte sich gleichermaßen in der Aufforderung an Koenig von Mitte Oktober 1945, für die Wiederaufnahme von Korrespondenzmöglichkeiten zwischen Geschäftsleuten und Industriellen beider Länder zu sorgen. 31 Die Beschaffung von Aufträgen für die französische Industrie bildete dabei ein Hauptmotiv, doch auf lange Sicht erschienen Wirtschaftsverflechtungen als wirksamer Sicherheitsmechanismus, der Kontrolle und Einfluß auf das ökonomische Potential Deutschlands, vor allem der an Frankreich grenzenden Regionen, versprach.

Rekonstruktionspriorität für Frankreich. Das Gewicht wirtschaftlicher Fragen für die Pariser Regierungsspitze im Zusammenhang mit hexagonalen Wiederaufbauprämissen spiegelte auch die Anweisung wider, den nach Deutschland entsandten Abordnungen dort "des conditions de vie materielles et de circulation" einzuräumen, "qui n'existaient pas jusqu'ici."32 In die gleiche Richtung wies das Antwortschreiben ,. V gl. Brief Alphand an Bidault, Note pour le Ministre, 06.11.45, AMAE Y (1944/49) 434. TI Decisions prises par le ClAAA, 07.11.45, AN F60 303412. 21 Vgl. Brief Bidault an de GauUe (Docurnent n044), 10.11.45, AN F60 303412. '" Vgl. Oecisions prises par le ClAAA, 27.11.45, AMAE Y (1944/49) 651. D Document n044, 10.11.45, AN F60 303412. " Vgl. SGClAAA, Reprise de la correspondance conunerciale avec I'Allemagne et I'Autriche (Document n °36), 0.0., am 15.10.45 verabschiedet. Es existieren demnach zwei Oocuments n °36. 3! SGClAAA, Organisation des missions fran~ses (Document n °38),02.11.45, AN F60 3034/2.

11. Deutschlandpolitische Instruktionen

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zu einem amerikanischen "Memoraridum über Reparationen und die deutsche Wirtschaft in Friedenszeiten", welches das Comite interministeriel am 18.Januar 1946 billigte. In Kontinuität der frühen, wenig eindeutigen Richtlinien beinhaltete es die Forderung nach dauerhafter Sicherheit durch Vernichtung des deutschen "potentiel de guerre" und "desarmement industriei" ebenso, wie es die Grenzen eines solchen Vorgehens aufzeigte. Das deutsche Volk sollte ein "niveau de vie decent" wiedererlangen und Deutschland nach Ableistung seiner Reparationen in der Lage sein, "d'exister sans aide exterieure." Worauf es allerdings in dieser Stellungnahme ganz besonders ankam, war das mehrfach erwähnte künftige Verhältnis derjenigen Länder zu Deutschland, die unter Nationalsozialismus und Krieg gelitten hatten und nun - allen voran Frankreich - vor enormen Rekonstruktionsproblemen standen. Es handelte sich um den französischen Anspruch, die Bedürfnisse solcher Staaten prioritär befriedigt zu sehen, um deren Wiederherstellung schneller voran schreiten zu lassen als die Deutschlands. Angesichts wenig hoffnungsfroh stimmender Informationen über Kontrollratsdebatten in Berlin zu Lebensstandard und Industrieniveau Deutschlands wollte man die Amerikaner beim Wort nehmen, die versicherten, daß "a partir du chaos economique laisse par la guerre en Europe, I'Allemagne, pays aggresseur, ne sera plus capable de retablir pendant le temps de paix son niveau de vie plus vite que les pays qui ont ete ravages par elle.'033 Diese ökonomische "Relativitätstheorie" französischer Sicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg kam nicht nur immer wieder in den Konzeptionen verschiedener Pariser Mitsprachezentren, sondern auch in den Instruktionen des Comite interministenel zum Ausdruck. Es ging nicht um die wirtschaftliche Ruinierung Deutschlands oder gar des Besatzungsgebietes, sondern darum, die deutsche Wirtschaft auf ein "friedliches" Fundament zu stellen, den Kriegsgegner von gestern einen beträchtlichen Beitrag zur Gesundung des Kontinents leisten zu lassen, der französischen Ökonomie eine dauerhafte Suprematie und Kontrolle über die deutsche zu sichern, dem Partner von morgen auf dieser Basis die Rückgliederung in den europäischen Wirtschaftskreislauf in Aussicht zu stellen. Entscheidender als die künftige deutsche Wirtschaftskraft als solche war in dieser Sichtweise die Perpetuierung eines Zustandes französischer Überlegenheit, auf welchem Niveau auch immer. Dafür mußte Frankreich selbstverständlich Austausch- und Einflußmechanismen sowie strukturelle Abhängigkeiten etablieren, die Nutzung des Potentials - was einen vorherigen kontrollierten Wiederaufbau unabdingbar machte - in der Zone und im restlichen Deutschland anstreben. Schließlich galt es zu versuchen, Hilfsleistungen und eine absolut vorrangige Behandlung bei Kreditvergaben seitens der Vereinigten Staaten zu erhalten. Gerade diesen Aspeki schien die französische Regierung knapp sechs Wochen nach einem als unzureichend empfundenen Kredit der Export-Import-Bank mit ihrem Antwortbrief den Amerikanern, aber auch der Militärregierung in BadenBaden, veranschaulichen zu wollen. D SGClAAA, MAE, Dir.Eco., Projet de reponse au memorandum americain concemant les reglements des reparations et reoonomie allemande du temps de paix (Document n055), 14.01.46, AMAE Y (1944/49) 651.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

c) Kulturelle Direktiven: "Entpreußung" als sicherheitspoHtische Demokratlsierungs- und Kooperationsmaxime "11 eonvient en premier lieu de se garder de donner ii la presse contrö)ee une nuance de propagande prernaturee.... 11 faut done donner aux journaux qui seront publies une apparence de simple information aussi objective que possible. La presentation du journal ... aura pour but de faire entendre ii la population que cette presse nouvelle lui apporte une verite qui a ete cachee ou travestie ii ses yeux pendant 12 ans. "I

Französischen Einfluß auf die deutschen Verhältnisse der Nachkriegszeit hielt das Comite interministeriel nicht auf dem Wirtschaftssektor, sondern gerade auch im kulturpolitischen Bereich für eine maßgebliche Sicherheitskomponente. Bereits im Dokument n° I fanden sich dazu allgemeine Leitlinien, vor allem zur Medien- und Bildungspolitik in der Besatzungszone, die auf den engen Zusammenhang von Kultur-, Informations-, Entnazifizierungs- und Umerziehungspolitik im französischen Verständnis hinwiesen: "Retablir un embryon de presse; orienter cette presse; creer, si possible, un grand journal ... qui ... pourrait franchir les limites de notre zone et etre un agent d'influence fran~aise dans le reste de l'Allemagne; n!tablir un poste de radio. Rouvrir rapidernent les ecoles primaires et secondaires et les doter de nouveaux manuels ou de manuels anterieurs a 1933. Filtrer soigneusement les instituteurs. Chercher aprendre de l'influence dans les universites de Fribourg et de Tübingen."2 Injonnationspolitik. Knapp drei Wochen später entwickelte Informationsminister Jacques Soustelle ein "Projet d'instruction concernant l'information en Allemagne oCCUpee,"3 dessen präzisierende Direktiven das Comite interministeriel am 25.September 1945 guthieß. Sie enthielten erneut die Aufforderung, für eine möglichst rasche Retablierung von Presse-, Verlags- und Rundfunkwesen zu sorgen. Auch die Kinos sollten wieder eröffnet werden. Die deutschsprachige Presse, vor allem Tageszeitungen, galt es vorrangig zu behandeln und deren "decentralisation regionale au sein de la zone fran~aise" zu fördern. Dabei hatte die Besatzungsverwaltung darauf zu achten, daß Presse und Rundfunk nicht mit dem Stigma reiner Propagandawerkzeuge belegt und als Übermittier von weitestgehend objektiven Informationen akzeptiert wurden. Der Aspekt französischer Eigenwerbung und Gegenpropaganda kam dennoch nicht zu kurz. Großen Raum wollte man neben weltpolitischen und lokalen Ereignissen Frankreich, seinem Wiederaufbau, seinem Empire sowie seiner Armee einräumen. Dagegen sollten Hinweise auf Sabotageakte, Differenzen zwischen den Alliierten und deren Besatzungspolitiken, politische Grabenkämpfe in Frankreich sowie französische Schwierigkeiten in seinen Kolonien außen vor bleiben. Das Bild und der Name Adolf Hitlers war nur im Zusammenhang mit dem Ruin und dem Unglück der Bevölkerung zitierfähig, als Beitrag zur "desin1

2

SGCIAAA, Document n05/19, 06.08.45, AN F60 3034/2. SGCIAAA, Document n01, 19.07.45, AN F60 303412.

'SGCIAAA, Document n05/19, 06.08.45, AN F60 303412.

II. Deutschlandpolitische Instruktionen

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toxication". Zur Einhaltung solcher Vorgaben unterlagen die Presseerzeugnisse einer Genehmigungspflicht sowie weiteren Kontroll- und Zensurbestimmungen durch die zuständigen Stellen der Militärregierung.

Umerziehungs- und Bildungspolitik. Stärker noch als bei den frühen medienpolitischen Richtlinien trat bei den Anweisungen zur Umerziehungs- und Bildungspolitik in der Besatzungszone, die das Generalsekretariat des Comite interrninisteriel Anfang November 1945 in Absprache mit Erziehungsminister Rene Capitant entworfen hatte, das Spannungsverhältnis von Kreativität und Sendungsbewußtsein hervor. Die beiden Hauptziele französischer Umerziehungspolitik bestanden darin, "1. de rendre aux Allernands le sentiment de la responsabilite individuelle, ce qui implique la restauration en Allemagne d'un regime democratique ... ; 2. de preparer la rentree de l'Allemagne dans le concert des peuples, en orientant la pooagogie nouvelle vers l'adhesion spontanee des Allemands vers une morale internationale ... " Den Weg dorthin erblickte das Komitee, das all diesen Vorschlägen während der Sitzung vorn 7.November 1945 zustimmte, in einer "reorganisation de l'enseignement". Es instruierte Koenig, nicht nur die Anstrengungen der "reooucateurs" auf die Befreiung der Deutschen von deren wirklicher Obsession, der "preoccupation raciale", zu lenken, sondern vor allem das Innenleben des Schulwesens umzugestalten "en yetablissant entre maitres et eleves une veritable collaboration fondee sur la libre discussion," denn "c'est exactement cela qu'en derniere analyse nous appelons ctemocratie." Den Universitäten galt ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit. Eine "reorganisation totale" sollte der deutschen Wissenschaft wieder zu menschlichem Antlitz verhelfen, sie denationalisieren und demilitarisieren. Für das Lehrpersonal sah man Spezialkurse vor, um ihm "une culture veritable, fondee sur une science ayant valeur universelle" nahezubringen, "une pooagogie nouvelle" eben, "visant ala liquidation du nazisme et ala restauration de l'Humanisme dans le monde."4 Noch in seiner letzten Sitzung arn 9.März 1946 wies das Comite interrninisteriel Koenig ausdrücklich an tode faire accelerer au maximum les operations de denazification."s All diese konstruktiven Ansätze, gerade auch deren missionarischer Charakter, erklären sich - wie schon die "Anti-Reich"-Direktiven - aus einern Leitmotiv französischer Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit, nämlich der "Entpreußung" Deutschlands. Für Frankreich entsprach die Zerschlagung Preußens der Zerstörung der nationalsozialistischen Grundlagen, repräsentierten die Preußen "des elements ala fois les plus forts, les plus disciplines, les plus efficaces, les plus acquis a la notion de superiorite de l'Etat et les moins accessibles aux idees occidentales de liberte et de respect de l'individu."6 Vielfache weitere Hinweise auf dieses, im übrigen nicht nur in Kreisen deutschlandpolitischer Entscheidungsträger in Frankreich vorherrschende Preußenbild bzw. auf die daraus zu ziehenden besatzungspolitischen Konsequenzen finden sich in den Dokumenten des Comite interrninisteriel. • Note sur les problemes de reeducation dans la ZFO en A1lemagne (Document n041), 03.11.45, AOFAA Cons.pol. B 14. , Decisions prises par le ClAAA, 09.03.46, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 6 SGClAAA, Document n° 1, 19.07.45, AN F60 303412.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Kulturelle Sicherheitspolitik. In seiner politischen Umsetzung umfaßte das "Entpreußungsideal" demnach einen doppelten Aspekt. Zum einen richtete es sich unter machtpolitisch-administrativen Gesichtspunkten - wie bereits gezeigt - gegen jegliche Art politischer Zentralisierungsbestrebungen im Sinne potentieller Präjudizierungen einer künftigen deutschen Zentralregierung. Zum anderen zielte es unter kulturell-missionarischen Gesichtspunkten auf die Umformung des perzipierten "preußisch-deutschen Volkscharakters", auf die Ausrottung von Nazismus und Militarismus und die Unterweisung der Deutschen in französische Demokratie- und individuelle Freiheitsvorstellungen. "Entpreußung" als politische Dezentralisierungsmaxime bedeutete demnach eher die defensive Seite, "Entpreußung" als Demokratisierungs- und langfristige Kooperationsrnaxime eher die offensive Seite ein und derselben französischen Sicherheitspolitik gegenüber dem schwierigen Nachbarn. Damit entsprangen kulturpolitisch kreative und zukunftsträchtige Direktiven der Pariser Zentrale nicht einern wenige Monate nach Kriegsende ohnehin kaum glaubwürdigen, wie auch immer gearteten französischen Idealismus, sondern - und gerade darin lag ihre Originalität - der Wahrnehmung und Wahrung eigener Interessen auf lange Sicht durch die Provisorische Regierung. 7 Der langfristige sicherheitspolitische Gewinn kurzfristiger kulturpolitischer Initiativen ließ sich nicht ohne den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel bewerkstelligen. Der Aufbau von Bibliotheken oder Universitäten, das Ingangsetzen von Presse und Rundfunk, das Drucken von Schulbüchern und Lehrrnaterialien, die Organisation von Theatertourneen französischer Schauspieltruppen oder von Vortragsreihen französischer Persönlichkeiten war gerade zu Zeiten allumfassender Engpässe in Deutschland, aber eben auch im grenznahen Frankreich, ein höchst kostenintensives und heikles Unterfangen, das zwangsläufig finanz- und wirtschaftspolitischen Prämissen widersprach, denenzufolge doch die Besatzung in Südwestdeutschland und Berlin möglichst geringe Auslagen für Frankreich und damit möglichst geringe negative Rückwirkungen für Wiederaufbau und Modernisierung mit sich bringen sollte. Diese Tatsache unterstreicht urnso nachdrücklicher, wie ernst es dem interministeriellen Ausschuß mit dem kulturellen Element französischer Sicherheitspolitik war und wie er trotz aller hexagonalen Zwangslagen und frankreichpolitischen Primate, trotz aller inneren Druckpotentiale besatzungspolitische Initiativen stützte und anregte, deren Kosten ebenso auf der Hand lagen wie eine Kreativität, die jeglichem deutschlandpolitischen Revanchegedanken spotten mußte. Auf Widerstände einzelner Ressortleiter angesichts der offensichtlichen Zusatzbelastungen für das französische Budget fanden sich keinerlei Hinweise. Daher gilt es zumächst einmal festzuhalten, daß die einvernehmlich verabschiedeten Pariser Instruktionen an Baden-Baden im Kulturbereich weiter gingen und vor allem konkretere Schritte vorsahen, als dies in den Konzeptionen der wirtschaftlichen und politischen Abteilungen der Fall war. Es gilt festzuhalten, daß solche Initiativen einen breiten ministeriellen Rückhalt sowie eine Zustimmung des Regierungschefs voraussetzten, Ini7 Zur französischen Kultur- als Sicherheitspolitik vgl. erstmals Hudemann, Kulturpolitik im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik, S.l9ff.

II. Deutsehlandpolitisehe Instruktionen

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tiativen, die unweigerlich konstruktive Konsequenzen in der politischen Praxis vor Ort zeitigen mußten. Auf welches Pariser Einflußzentrum letztlich die in den Direktiven n° 1 und n° 3 verankerte "Kultursicherheitspolitik" zurückging, läßt sich aus dem vorliegenden Quellenmaterial nicht abschließend ermitteln. Ob möglicherweise dem Erziehungsministerium, dessen Deutschlandarchive für diese Zeit von den zuständigen Pariser Stellen bis auf Bruchstücke nicht auffindbar sind, ein mehr oder weniger wichtiger Part zukam, bleibt eine offene Frage. Es erscheint allerdings plausibel, daß die Demokratisierungs- und Umerziehungsaspekte der völkerpsychologischen Deutungsmuster deutscher Mentalität und Geschichte durch Edmond Vermeil über die Federn Saint-Hardouins bzw. Dejeans einflossen und damit - bei aller Fragwürdigkeit seiner Thesen - im Kontext der frühen Rahmenrichtlinien des Comite interministeriel konstruktive Wirkungen entfalteten. Dafür sprechen nicht zuletzt die Konsequenzen, welche die Autoren ganz in Vermeils eher Argumentation als Elemente der politisch-administrativen Richtlinien zum Verhältnis von Besatzern und Besetzten in Südwestdeutschland aus den Volkscharakteransätzen ableiteten, nämlich ein Auftreten des französischen Personals mit vorgeblich "preußischer" Autorität, Strenge und Gerechtigkeit und ohne Anzeichen von Schwäche und Unordnung. Dementsprechend beruhten paradoxerweise selbst die Verhaltensinstruktionen für Besatzungstruppen und -verwaltung in Deutschland, denen die Durchführung einer "cteprussianisation" oblag, auf der dominanten französischen Preußen wahrnehmung. Konnte man nicht nur mit "preußischen Franzosen" die Deutschen "entpreußen"?

d) Politisch-administrative und "internationale" Direktiven: Besatzer und Besetzte zwischen Vierer- und Dreierzusammenarbeit "Une striete diseiplioe, une attitude severe, mais correcte, excIuant non seulement les actes de spoliation, mais eneore toutes les operations irregulieres, doivent !tre les marques essentielles du comportement exterieur de tous les militaires fran~s en Allemagne dans la periode actuelle d'occupation. 11 importe de ne pas donner I'impression de desordre ou d'indisciplioe aux Allemands et de savoir ainsi eonserver leur respect'"

Die Umgangsformen der französischen Truppen gegenüber der deutschen Bevölkerung lagen Paris in der Frühphase der Besatzung sehr am Herzen. Schon die Direktiven General de Lattres als Oberbefehlshaber der Ersten Armee an die Commandants des Grandes Unites und die Chefs de Service,2 die zitierten Richtlinien der Zentrale an die Verbindungsoffiziere in Deutschland oder die in der ersten Zusarmnenkunft des Comire interministenel diskutierten Dokumente deuteten mehrfach 1 Dejean an Koeltz, Directives pour les Officiers de liaison fran~s en Allemagne, o.D., vermutlich Mitte Juli 1945, AMAE Y (1944/49) 687. 2 Vgl. de Lattre de Tassigny, lostruction sur "la preparation moraIe de I'artnee a I'occupation de I'Allemagne", 06.04.45, SHA T 10 P 224.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

den Zusammenhang von Preußenklischees und Verhaltensrichtlinien für die Soldaten an: "Nous ne devrons, en aucune region, nous departir d'une juste severite, ... n nous faudra donner une impression de force et de resolution. L'Allemand meprise la faiblesse. Or, l'injustice gratuite et l'indiscipline de notre commandement ou notre administration seraient interpretees par lui comme des preuves de faiblesse." An anderer Stelle warnte das Komitee vor untolerierbaren Zügellosigkeiten und Plünderungen als Zeichen französischer Schwäche gegenüber den Deutschen und Bestätigung des deutschen Frankreichbildes, so daß "une condition essentielle du succes de la politique fran~aise d'occupation reside dans la parfaite tenue de nos troupes, clans leur discipline et leur sens de justice envers une population qui ne con~oit pas la force sans l'ordre le plus rigoureux."3 Genau das, was man für typisch deutsche Charakterzüge hielt, sollte nun das Auftreten der Franzosen in Deutschland bestimmen, um ihnen Respekt gegenüber den einheimischen Bewohnern und genügend Autorität zur Durchsetzung der französischen Politik zu verschaffen. Vom ungebrochenen Selbstbewußtsein einer Siegernation zeugte eine solche Haltung nicht unbedingt. In gleicher Weise galten solche Verhaltensmaßregeln für die Besatzungsverwaltung, die angewiesen wurde, "ehrlich, gerecht, schnell und effizient" zu agieren sowie eine Kontrolle auszuüben, die nicht überall zum Stillstand führte. Auch de Gaulle selbst forderte eine korrekte, konsequente und gerechte Einstellung gegenüber den lokalen Bevölkerungen "de maniere a nous les concilier."4 Nicht anders als bei Anweisungen in anderen Bereichen standen für Paris hinsichtlich des alltäglichen Umgangs mit den Deutschen der Besatzungszone nicht Revanchegelüste im Vordergrund, sondern ein Benehmen, das die sicherheitspolitischen Intentionen, das Ziel langfristiger Einflußnahme und Kontrolle durch Etablierung von strukturellen Abhängigkeiten und Kooperationsmechanismen nicht von vornherein durchkreuzte.

Zusammenarbeit mit deutschen Kräften. In die gleiche Richtung wiesen die Direktiven, bei denen es um die konkrete Zusammenarbeit mit den Deutschen ging. Der Provisorischen Regierung war klar, daß man zur Überwindung der Schwierigkeiten, welche die Verwaltung eines Besatzungsgebietes mit sich bringen mußte, auf deutsche Mitwirkung unter französischer Aufsicht nicht verzichten konnte. Dabei galt es diejenigen zu finden und zu ermutigen, die "sincerement chercheraient des voies nouvelles."s Die französischen Hoffnungen stützten sich besonders auf "les elements jadis democrates, centristes, syndicalistes, sociaux-democrates," auf "les associations professionnelles,,6 und "les forces du catbolicisme,"7 auf alle Kräfte, die von sich aus ein politisch-administrativ dezentralisiertes Deutschland befürworteten. V on der Kooperationsbereitschaft der zonalen Bevölkerung machte das Comite 3

Vgl. sGClAAA, Docurnent nOI u. Docurneot 0°3, 19.07.45, AN F60 3034/12.

• Compte rendu du ClAAA, 20.07.45, AN 303412. S Vgl. SGClAAA, Docurnent n03, 19.07.45, AN 303412. 6 SGClAAA, Docurnent nOl, 19.07.45, AN F60 303412. 7 SGClAAA, Relations avec I'episcopat aIlemand (Document n033), 10.10.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3.

II. DeutschJandpolitische Instruktionen

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interministeriel auch die Fraternisierungsfrage abhängig. Ein kategorisches Fraternisierungsverbot stand ebensowenig zur Debatte wie ein Heiratsverbot zwischen ehemaligen französischen Kriegsgefangenen und Deutschen. 8

An einer Vielzahl weiterer Instruktionen für Koenig läßt sich nachweisen, daß im internen französischen Entscheidungsprozeß eher die "Konstruktivisten" gegenüber den "Destruktivisten" die Oberhand behielten. Trotz verschiedener Einwände pflichtete das Comite interrninisteriel Mitte Oktober dem kommunistischen Luftfahrtminister Charles Tillon bei und akzeptierte "la collaboration en France de techniciens allemands de l'air et de differentes branches de l'activite economique."9 Ende November 1945 verwarf es einen von General Juin unterstützten Vorschlag der Berliner Kontrollratsgruppe "sur l'internement eventuel et la mise au travail d'environ 7.000 hommes (et ieurs farnilles), choisis parmi les cadres de forces militaires et pararnilitaires allemandes, estimes dangereux au point de vue de la renaissance du militarisme en Allernagne. "10 Es entsprach, zumindest zum größeren Teil, der Bitte des bayrischen Roten Kreuzes, einige Kategorien deutscher Kriegsgefangener freizulassen ll und ordnete entgegen der divergierenden Haltung des Außenministeriums und der Direction des prisonniers de l'axe die Wiederaufnahme des Austauschs saarländischer Kriegsgefangener im Hexagon und französischer Kriegsgefangener im Saarland an. 12 All diese Beschlüsse als Resultat interner Pariser Debatten veranschaulichen, daß die Akteure in der Zentrale einen Kooperationskurs zwischen Franzosen und Deutschen, vor allem denjenigen im französischen Besatzungsgebiet, einem Konfrontationskurs vorzogen, zumindest solange dies nicht deutschlandpolitisch negative Rückwirkungen für die französischen Sicherheitsprämissen in anderen Bereichen nach sich zog und innenpolitisch unvorhersehbare Konsequenzen für die moralischen Wiederaufrichtungsbestrebungen weitgehend auszuschließen waren. Parteien, Gewerkschaften und Dezentralisierungspolitik. In diesem Kontext zeichnete sich somit neben den französischen DemokratievorsteJlungen, denenzufolge das politische Leben in Deutschland Schritt für Schritt und unter genauer französischer Aufsicht wiedererstehen sollte, eine zweite Ursache für die Zurückhaltung der Pariser Führung bei der Genehmigung von Gewerkschaften und politischen Parteien ab. Die Sorge um die potentielle Eigendynarnik einmal im lokalen oder regionalen Rahmen etablierter Parteien in Richtung eines nationalen politischen Engagements zugunsten einer deutschen Zentralregierung ließ es im Sinne französischer Sicherheitsdefinition notwendig erscheinen, sich diesem Problemkreis mit I

Vgl. D6cisions prises par le CIAAA, 15.10.45, AOFAA Cons.pol. B 14.

• SGCIAAA, Emploi de techniciens aIlemands dans la zone fran~aise et en France pour les besoins fran~s (Document n034), am 15.10.45 verabschiedet, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 10 SGCIAAA, Intemement en France de cadres de forces militaires aIlemandes (Document n047), 13.11.45, AN F60 3034/2. 11 Vgl. SGCIAAA, Lettre de la Croix Rouge bavaroise (Document n049), 29.09.105.11.45, AN F60 3034/2. 12 Vgl. CGAAA, Note sur les prisonniers de guerre sarrois (Document n03 der CIAAA-Sitzung vom 09.03.46),07.03.46, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

aller Vorsicht zu nähern. Das Ziel politischer Dezentralisierung besaß für das Komitee in diesem Fall einstweilen Vorrang gegenüber den Kooperationschancen, die das Einverständnis zur frühzeitigen Bildung national orientierter politischer Parteien eventuell geboten hätte. Doch ließ sich dies in der Praxis vor Ort so leicht realisieren, wie man in Paris hoffte, mußte nicht Baden-Baden Interesse an einer institutionalisierten Form der Zusammenarbeit mit deutschen politischen Kräften haben? Mit der Entscheidung des Zielkonflikts zugunsten der Dezentralisierung verzögerte sich zunächst die Zulassung politischer Parteien bis zum 7.November 1945, als das Comite interrninisteriel "la creation ou la reconstitution dans la zone d'occupation des partis politiques, a condition que ceux-ci acceptent des principes nettement democratiques et hostiles au national-socialisme" befürwortete und Koenig dementsprechend instruierte. 13 Noch vier Monate später empfahl es dem Oberkommandierenden, der Angliederung regionaler Parteien an nationale entgegenzuwirken. 14 Die Dezentralisierungsvorstellungen der Regierungsspitze lasteten weiterhin auf der Besatzungsverwaltung und verstellten in ihrer Konsequenz vielfach den Blick für andere, eher kooperative Ansätze aus Paris.

Zentrale Ernährungs/rage. Die wesentliche Grundlage für eine Zusammenarbeit zwischen Franzosen und Deutschen sowie für die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, konstruktive Vorhaben von französischer Seite als solche anzuerkennen, bildete eine von ihr als halbwegs befriedigend wahrgenommene zonale Ernährungslage. Diese war jedoch bei Übernahme der Besatzungsgewalt durch die französische Militärregierung mehr als kritisch. Im Bewußtsein der Bedeutung materieller Grundlagen fiir die Realisierung französischer Sicherheitskonzeptionen bemühte man sich auf Regierungsebene sichtlich um deren Verbesserung. Es handelte sich um ein Engagement, das nicht zuletzt aufgrund des gewaltigen hexagonalen Protestpotentials angesichts vergleichbar miserabler Lebensbedingungen beim ehemaligen Kriegsgeschädigten und jetzigen Kriegssieger die Gemüter bewegte und Debatten und Beschlüsse des Comite interrninisteriel von der ersten bis zur letzten Sitzung durchzog. Setzte man sich zunächst noch allgemein für die Sicherung der Lebensgrundlage und eines Minimums an Lebensstandard in der Besatzungszone ein, so forderten die dort vorherrschenden Verhältnisse bald konkrete Maßnahmen: Mitte August 1945 ersuchte der Ausschuß Koenig, die Versorgung der Bevölkerung nicht ausschließlich mit zonalen Nahrungsmitteln zu gewährleisten, sondern durch Berücksichtigung der Ressourcen Gesamtdeutschlands. ls Im Oktober legte es ihm - als Beginn einer monatelangen breiten ressortübergreifenden Debatte - die Verringerung der Besatzungstruppen nahe, deren Konsum aus FBZ-Ernten im übrigen - so das Komitee - als deutsche Exporte betrachtet und auf Dollarbasis von Frankreich abzurechnen war, und plädierte für einen Stop des Nachzugs von Familien französischer Offiziere in das Besatzungsgebiet. 16 Anfang November sprach es sich dezidiert IJ Vgl. .. Vgl. IS Vgl. 16 Vgl.

D6cisions prises par le CIAAA, 07.11.45, AN F60 303412. D6cisions prises par le CIAAA, 09.03.46, AMAE Y (1944/49) 651. D6cisions prises par le CIAAA, 13.08.45, AOFAA Cons.pol. B 14. Documentn036 duCIAAA, 30.10.45, AOFAA Cons.pol. B 14.

n. Deutschlandpolitische Instruktionen

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gegen einen Ausgleich des Handelsbilanzdefizits durch ein "abaissement des rations alimentaires" aus und verlangte, daß "la zone fran~aise ne soit pas moins favorisee que les zones anglaises et arnencaines."17 Ende des Monats stimmte es der Verlängerung amerikanischer Ernährungshilfen zu und bat Koenig erneut, "de soumettre au Gouvernement des propositions concernant: 1. la reduction eventuelle de l'effectif des troupes d'occupation, 2. la quantite de vivres ... qui pourraient etre importes de France pour contribuer al'alimentation des effectifs restants."18 Schließlich sah man noch im März 1946 vor, schnellstens zu prüfen, "quelles categories et quelles quantites de denrees peuvent etre fournies par nous, sans prejudice grave pour le ravitaillement national," 19 eine nationale Ernährung, für deren Regelung nach kurzzeitiger Abschaffung gerade wieder Lebensmittelkarten eingeführt worden waren. Die Ernährungsfrage bildete zweifellos eines der ganz zentralen Probleme im innen- und außenpolitischen Spannungsfeld, an dem sich vielzählige Strukturelemente französischer Deutschland- und Besatzungspolitik ablesen ließen, von der unumgänglichen Berücksichtigung der gennanophoben Öffentlichkeit sowie der finanzwirtschaftlichen Zwangslagen im eigenen Land über die wechselseitigen amerikanisch-französischen Abhängigkeiten und Instrumentalisierungsversuche bis hin zu den langfristig wirksamen mentalen Belastungen, die das Vorgehen Frankreichs auf deutscher Seite hervorrief und die Perzeption des Nachbarn sowie der deutsch-französischen Beziehungen bestimmte. Darauf wird bei der Analyse praktischer politischer Umsetzung noch ausführlicher zurückzukommen sein. Die sich in den Direktiven niederschlagenden Anstrengungen der Provisorischen Regierung, das Ernährungsniveau in dem ihr anvertrauten Gebiet zu verbessern, macht zunächst zweierlei deutlich: zum einen den Stellenwert dieses Problems angesichts einer Politik, die dem Vergleich mit den angelsächsischen Zonen standzuhalten hatte und eben auch darauf aus war, die deutsche Bevölkerung durch materielle Anreize für französische Positionen zu gewinnen; zum anderen die Schwierigkeiten, denen sich Frankreich angesichts der immensen Versorgungsengpässe und des Hungers im Hexagon bei der Verwirklichung effektiver Fortschritte der zonalen Ernährungssituation gegenübersehen mußte. Letztlich galt es auf die Zusammenarbeit mit den übrigen Besatzungsmächten zu setzen, vor allem auf Getreidelieferungen aus den Vereinigten Staaten zu hoffen. Das Verhältnis französischer Besatzer und südwestdeutscher Besetzter hing somit nicht zuletzt vom Verhältnis der Besatzer untereinander ab. Die Hoffnung der Franzosen beschränkte sich nicht allein auf amerikanische Getreidelieferungen, sondern auf eine enge alliierte Kooperation in gesamtdeutschen Angelegenheiten. Politische und ökonomische Motivationen lagen dieser Haltung gleichermaßen zugrunde. 17 SGCIAAA, Ravitaillement de la population civile dans les zones d'occupation (Document n039), 01.11.45, AN F60 3034/2. I' Decisions prises par le CIAAA, 27.11.45, AMAE Y (1944/49) 651. 19 CGAAA, Note sur la situation aIimentaire des zones fran~ises d'occupation (Document n02 der CIAAA-Sitzung vom 09.03.46), 07.03.46, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Interalliierte "Einheitsfront". Abgesehen von der in Kreisen französischer Deutschlandakteure konsensflihigen Einschätzung, Frankreich könne sich als machtpolitisch schwächster Partner sowieso keinen Alleingang ohne fatale Folgen erlauben, und abgesehen von der Furcht, Deutschland würde Zwistigkeiten unter den Alliierten konsequent zu seinen Gunsten ausnutzen und so die französische Sicherheitsstrategie untergraben,20 gab es vor allem gute wirtschaftliche Gründe, die Paris prinzipiell auf das Funktionieren der Vier-Mächte-Verwaltung erpicht sein ließ. Das deutsche Territorium und dessen Wirtschaftspotential bildeten eine für Frankreich nützliche "gage commun", die erstens verhindern sollte, daß ein Teil dieses Potentials einem der drei anderen allein zufieFl und die zweitens dazu beitragen sollte, daß die französische Wirtschaft von den stärker industrialisierten Zonen mitprofitierte. Dies hätte es ermöglicht, auf eine ökonomische Ausbeutung zugunsten des eigenen Wiederaufbaus zu verzichten und eine Desavouierung konstruktiver Vorhaben auszuschließen. Die gemeinsame Nutzung deutscher Wirtschaftsressourcen repräsentierte unter der Prämisse eines Gelingens alliierter Zusammenarbeit für die Provisorische RegIerung eine große Chance zur Verwirklichung sicherheitspolitischer Ziele in Deutschland, nämlich der dauerhaften ökonomischen Überlegenheit bei gleichzeitiger Annäherung in anderen Bereichen. Allerdings galt dies tatsächlich nur unter der genannten Prämisse. Frankreich besaß grundsätzlich keinerlei Interesse an einem Scheitern alliierter Kooperation und einem Rückzug auf das eigene Besatzungsgebiet. Bezeichnenderweise erwähnte das Comite interministeriel dies in seinen ersten Direktiven an Koenig als "l'hypothese la plus defavorable."22 Der Pariser Zentrale lag - wie sich schon anband der CIAAA-Dokumente nachweisen läßt - nicht wenig an der Funktionstüchtigkeit des Alliierten Kontrollrats in Berlin. So setzte sich im internen Entscheidungsprozeß zur Frage der Bezahlung deutscher Exporte Außenminister Bidault nicht zuletzt deshalb durch, weil er - wie gezeigt - auf einen vom französischen Vertreter mitgetragenen Kontrollratsbeschluß pochte, hinter den man nicht mehr ohne beträchtlichen Glaubwürdigkeitsverlust zurückgehen könne. 23 Ebenso erklärte sich die Reaktion des interministeriellen Ausschusses auf das "Projet britannique de proc1amation retablissant la liberte syndicale"24 vom August 1945 aus der Sorge um die Zusammenarbeit der vier Besatzungsmächte, hielt er doch die britische Initiative für eine versteckte Provokation, die "peut avoir pour effet, sinon pour but, de fausser des le debut le fonctionnement du systeme quadripartite, et d'y substituer un contröle tripartite qu'il n'est pas de notre interet, actuellement, de favoriser."2S Die "unite du front allie" stellte für Paris folglich zugleich Chance und Notwendigkeit dar. Der Einsatz für eine AufJl Damit trat die auf konzeptioneller Ebene vielfach anzutreffende Mischung aus realistischem Schwächebewußtsein und Respekt vor Deutschland auch auf der Ebene der Instruktionen 2lltage. 21 Vgl. SGCIAAA, Document n° 1, 19.07.45, AN F60 303412. 11 SGCIAAA, Document n03, 19.07.45, AN 3034/2. 23 Vgl. Document n044 du CIAAA, 10.11.45, AN F60 3034/2. '" Vgl. SGCIAAA, Projet britannique (Document n°7), 0.0., AN F60 303412. '" Note du SGCIAAA sur la liberte syndica1e (Document n06), 03.08.45, AN F60 3034/2.

II. Deutschlandpolitische Insttuktionen

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rechterhaltung dieser Einheit geriet jedoch rasch, genau seit dem Bekanntwerden des Potsdamer Abkommens am 31.Juli 1945 und der darin enthaltenen Forderung nach zentralen deutschen Verwaltungsabteilungen mit Staatssekretären an der Spitze, in Konflikt mit der französischen Zentralismusfurcht. Schon zwölf Tage zuvor hatte das Comite interministeriel Koenig gewarnt, die gemeinsame Kontrolle dürfe nicht "ctevier vers 1e retablissement d'une autorite centrale en Allemagne."26 Dieser Leitlinie entsprachen auch die Instruktionen der Folgemonate, Schritte in diese Richtung abzulehnen. 27 Doch die alliierte Kooperation im Berliner Kontrollrat litt nicht nurwie noch zu zeigen sein wird - unter französischen Vorbehalten gegenüber den Potsdamer Behörden. Trotz der Vorteile, die man sich von einer geglückten Zusammenarbeit und einem einheitlichen Vorgehen in Deutschland versprach, planten Pariser Regierungskreise die Möglichkeit eines Scheiterns gebührend ein. Die mißtrauische Grundhaltung Frankreichs gegenüber der sowjetischen Politik trug dazu erheblich bei, und de Gaulle hellte bereits in der ersten Sitzung des Komitees diesen Zusammenhang auf: 'En cas d't5chec du systeme aquatre, nous pourrons essayer de nous rabattre sur un systeme de coopt5ration a trois. Mais il est a craindre que celui-ci, par suite d'un depart des americains a plus ou moins breve t5cheance, ne devienne un systeme a deux, qui sera peut-etre aleatoire."28 Mit dieser weitsichtigen internen Aussage antizipierte der Regierungschef im Juli 1945 drei Sachverhalte, die in der Folgezeit gerade gegenüber den "Großen Drei" Grundlage und Rückendeckung für die französische Deutschlandpolitik boten. Zum einen verdeutlichte er im engen Kreis relevanter Akteure das Risiko, das die sowjetische Deutschlandpolitik in seinen Augen für die künftige französische Sicherheit darstellte, ein Risiko, das eine kurzfristige taktische Zusammenarbeit zwar erlaubte, doch unter keinen Umständen die naive Hoffnung auf eine langfristige Partnerschaft implizierte. Zum zweiten räumte er den Konflikten zwischen Angelsachsen und Sowjets deutlich Priorität sowie qualitative Andersartigkeit gegenüber den Schwierigkeiten ein, die französische Deutschlandpositionen hervorrufen konnten, so daß Frankreich zu keinem Zeitpunkt wirklich und ernsthaft befürchtete, von einer Dreier-Koalition der anderen Besatzungsmächte ausmanövriert zu werden. Zum dritten bezog er unmißverständlich Stellung für den Fall eines definitiven Auseinanderbrechens der Vier-Mächte-Zusammenarbeit: Paris wußte von Anfang an sehr wohl, welchen politisch-ideologischen Werten es sich verpflichtet fuhlte, welchem Lager es sich im Ernstfall zuzuwenden hatte, mit wem sich auf lange Sicht Kooperationschancen ergaben und mit wem nicht. Dies konnte weder Großbritannien noch den Vereinigten Staaten gänzlich verborgen bleiben. Gewiß beteiligte sich die französische Regierung nicht grundlos am SGClAAA, Document nOl, 19.07.45, AN F60 3034/2. Vgl. SGClAAA, Organisation de l'administration des transports en A1Jemagne (Document n024), 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3; SGClAAA, Document n °25, 19.09.45, ebd.; Decisions prises par Je ClAAA, 25.09.45, AN F60 3034/2; Decisions prises par Je ClAAA, 15.10.45, AOFAA Cons.pol. BI 4; Decisions prises par Je ClAAA, 18.01.46, AMAE Y (1944/49) 651. ,. Vgl. Compte rendu du ClAAA, 20.07.45, AN 3034/2. 26

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28 Hüser

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Comire anglo-americain de contröle des informations en Allemagne,z9 einer Behörde, deren Effizienz sie einerseits durchaus in Zweifel zog, von der aber andererseits die Sowjetunion ausgeschlossen blieb. Durch die französische Mitarbeit gelangten Filme und Publikationen aus Frankreich in das amerikanische und britische Besatzungsgebiet, während sich die französische Zone für angelsächsisches Informationsmaterial öffnete. An einem solchen Austausch und am Aufbau eines solchen Kommunikationsnetztes mit der Sowjetunion bestand bei den Westmächten offenbar kein allzu großes Interesse.

Zwischenbilanz: Comire intenninisteriel. Alles in allem kommt den Direktiven des Comite interministeriel an den französischen Oberkommandierenden in BadenBaden eine Schlüsselrolle für die Einschätzung der konkreten Deutschlandpolitik der Pariser Zentrale für den Zeitraum 1945/46 zu. Die Diskussionen im Komitee liefen mehr oder weniger konfliktträchtig ab. Bei aller Homogenität, was die langfristigen Zielperspektiven anbelangte, fehlte es doch nicht an aufeinanderprallenden Meinungen der unterschiedlichen Handlungs- und Mitsprachezentren: das gesamte Comite interministeriel gegen Finanz- und Wirtschaftsrninister Pleven bezüglich deutscher Zentralverwaltungsstellen;30 Koenig gegen Pleven bezüglich der Personalbasis für besatzungspolitische Kreditberechnungen;31 Koenig gegen Tillon bezüglich des Einsatzes deutscher Luftfahrttechniker für französische Zwecke;32 Koenig und Juin gegen Pleven, aber auch gegen die politische und wirtschaftliche Abteilung im Quai d'Orsay,33 bezüglich des Nachzugs von Familien französischer Besatzungsoffiziere nach Südwestdeutschland;34 Koenig gegen Innenrninister Tixier und Ernährungsrninister Pineau bezüglich touristischer Aktivitäten im Besatzungsgebiet;3S erneut Koenig gegen Pleven und Tixier bezüglich der Forderung von 350 neuen Polizeibeamten für die Zone;36 Koenig und der kommunistische Arbeitsrninister Croizat gegen Bidault bezüglich des Gefangenenaustauschs zwischen dem Saarland und Frankreich. 37 Die Aufzählung ließe sich verlängern. Die Ressortleiter gelangten nichtsdestotrotz über das Stadium kontroverser Debatten hinaus, und das Cornite interministeriel zeigte sich durchaus in der 29 V gl. SGClAAA, Participation fran~aise au Comite anglo-americain de controie des informations (Document n021), 15.09.45, AN F60 303412. J) Vgl. SGClAAA, Document n026, 19.09.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 31 Vgl. SGClAAA, Note presentee par le Ministre des finances au sujet de l'effectif des personneis de gouvernement, d'administration et de contrOle dans les territoires occupes en Allemagne et en Autriche (Document n031), 15.10.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 3Z Vgl. SGClAAA, Document n °34, o.D., am 15.10.45 verabschiedet, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3. 33 Vgl. Herve Alphand, Note pour le Ministre, 06.11.45, AMAE Y (1944/49) 434 sowie MAE, SDir.Eur.Nord, Note pour le Ministre a.s. Installation en Allemagne et en Autriche des fami\les des militaires des troupes d'occupation, 07.11.45, ebd. :w V gl. SClAAA, Installation en Allemagne des fami\les des militaires des troupes d'occupation (Document n °37),01.11.45, AN F60 303412. 35 Vgl. SGClAAA, Tourisme en Allemagne (Document n045), 24.10./22.11.45, AN F60 3034/2. 36 Vgl. SGClAAA, Effectüs de la sOrete (DocUllllint n °48), 25.10.-11.11.45, AN F60 3034/2. "$I Vgl. CGAAA, Document n03 der ClAAA-Sitzung vom 09.03.46,07.03.46, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3.

II. Deutschlandpolitische Instruktionen

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Lage, Beschlüsse zu fällen und Instruktionen nach Deutschland weiterzuleiten, kurz, aus theoretischen Planungen Handlungsanweisungen zu entwickeln. Der Ausschuß funktionierte letztendlich trotz des Wirrwarrs Pariser Institutionen gemäß seiner Zweckbestinunung. Von fehlenden Versuchen seitens der Provisorischen Regierung, die französische Besatzungsverwaltung und deren Aktivitäten inhaltlich an die Pariser Richtlinien anzubinden, konnte zumindest zu Zeiten des Comite interrninisteriel keine Rede sein. Inwieweit solche Versuche adäquat waren, ob sie sich als erfolgreich erwiesen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Was nun die Ergebnisse der internen Entscheidungsprozesse in der französischen Hauptstadt anbelangte, so offenbarte sich die häufig behauptete Diskrepanz zwischen einer vergangenheitsorientierten Deutschlandpolitik auf Regierungsebene und einer teilweise zukunftsweisenden Besatzungspolitik der in fast völliger Unabhängigkeit von der Zentrale agierenden Militärregierung und Besatzungsadministration nicht. Die Direktiven des Komitees zeichneten sich gewiß in manchen Bereichen durch eher traditionelle Züge aus. Daneben stachen jedoch bereits wenige Wochen nach Kriegsende vielfaItige eher kreative Ansätze hervor bzw. Maßnahmen, die konstruktive Konsequenzen geradezu heraufbeschworen. Dies galt für den Sektor der Kultur-, Informations- und Bildungspolitik, aber auch im Bereich der Wirtschaftskooperation zwischen Frankreich und der Besatzungszone, der Nahrungsmittelbeschaffung oder gar der Verhaltensregeln für die Franzosen in Deutschland gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Die Regierungsrichtlinien konnten demnach zweifellos - ebenso wie die anschließend näher zu beleuchtenden Reden de GaulIes während seiner Inspektionsreise durch die Zone - all denjenigen Kräften Rückendeckung bieten, die in den einzelnen Politikfeldern auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen aus verschiedenen Gründen konstruktiven Ideen und Initiativen den Weg ebnen wollten, vorausgesetzt allerdings, die Anweisungen erreichten sie überhaupt. Sie boten allerdings ebenso Material für die Vertreter einer Revanchepolitik. Im Falle eines Konflikts zwischen einer eher harten und einer eher kooperativen Position neigte das Comite fast immer letzterer zu, vor allem wenn es sich um "humanitäre" Fragen handelte. Die Tatsache, daß gerade Koenig und Pleven am häufigsten solche Meinungsverschiedenheiten austrugen, bildet einen wichtigen Hinweis auf ebenso massive wie divergierende Sachzwänge, denen gerade sie unterlagen: Koenig als Oberkommandierender in Deutschland, der die häufig nicht ganz unzweideutigen, teilweise Kompromißlösungen darstellenden Instruktionen in praktische Besatzungspolitik umwandeln mußte; Pleven als Finanz- und Wirtschaftsminister, der angesichts französischer Rekonstruktions- und Modernisierungsprioritäten die Besatzungszone nicht zu einer ungebührlichen zusätzlichen finanzökonomischen Belastung werden lassen durfte. Die Anweisungen des Comite interrninisteriel entsprangen in der Tat keinem kohärenten widerspruchsfreien Gesamtplan. Ebensowenig beanspruchten sie, besatzungspolitische Maßnahmen in detaillierter Form vorzuformulieren. Allerdings erscheinen diese frühen Direktiven im Lichte heutiger Betrachtung als durchaus eigenständiger französischer Sicherheitsentwurf in der Pariser Zentrale, entsprachen

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

einer offenen, durchaus originellen und ambivalenten deutschlandpolitischen Sicherheitsstrategie, die unter Berücksichtigung des innen- und außenpolitischen Kontextes hinter den Einzelbeschlüssen hervortrat. Eine Strategie, die sich den Aufbau möglichst dezentraler politischer Strukturen in Deutschland und der Zone, die Etablierung einer dauerhaften ökonomischen Überlegenheit gegenüber dem östlichen Nachbarn sowie die Schaffung von Grundlagen für Kooperation und Annäherung durch Kultur- und Demokratisierungspolitik gemäß französischen Vorstellungen zum Ziel setzte. Sie war offen insofern, als sie angesichts vielfacher, über das Kriegsende hinaus fortbestehender innerfranzösischer Sachzwänge und angesichts eines noch nicht beendeten deutschlandpolitischen Klärungsprozesses zwischen den Alliierten breite Umsetzungsspielräume für die ausführenden Organe bot, bei Bedarf Ersatzlösungsvarianten implizierte und Akzentverschiebungen präjudizierte ohne den Gesamtrahmen der Sicherheitsprinzipien wirtschaftlicher Überlegenheit, politischer Dezentralisierung und kulturell-demokratischer Neuanfange zu sprengen. Sie war originell insofern, als konstruktive Elemente integraler Bestandteil der Pariser Sicherheitsstrategie waren, als deutschland- und besatzungspolitische Legitimationsgrundlagen für kreative Initiativen dienen konnten und somit einen gewissen Umdenkprozeß im Vergleich zu 1918/19 andeuteten. Sie war ambivalent insofern, als sich insgesamt sehr unterschiedliche, dominanz- und integrationsorientierte Aspekte in dieser Strategie konzeptionell vereinigt fanden, die inhärente Widersprüche aufwiesen und in der praktischen politischen Umsetzung vor Ort zwangsläufig zu Zielkonflikten und Mißverständnissen führen mußten. Ambivalenzen und Antagonismen der Pariser Deutschlandpolitik hatten ihre Wurzeln demzufolge nicht in erster Linie im Institutionenchaos der Zentrale, sondern eher in den verschiedenartigen inhaltlich-sachpolitischen Zielperspektiven der französischen Sicherheitsstrategie selbst, die ihrerseits wiederum Ausdruck des Übermaßes gravierendster innerer wie äußerer Problemkonstellationen waren, denen sich das neue Führungspersonal bei Befreiung und Kriegsende gegenübersah. Die vielfältigen Zwänge erlaubten keine völlig unzweideutigen Anweisungen, machten eine rationale Entscheidungsfindung nahezu unmöglich, förderten dann, wenn es um ganz konkrete Fragen ging, vielfach eher eine Tendenz zur Entscheidungsverlagerung von der Pariser auf die nachgeordnete zonale Ebene, wo sich dem Besatzungspersonal innerhalb der Rahmenrichtlinien breite Handlungsspielräume eröffneten. Schon allein deshalb konnte der weite Konsens an der Seine über gewisse Zielvorstellungen und Grundprinzipien französischen Vorgehens nicht in eine klare. widerspruchsfreie politische Linie in Südwestdeutschland einmünden. Die Instruktionen existierten, doch gab es wirklich eine Politik? Die eigentliche Kohärenz französischer Politik und den Zusammenhalt des provisorischen Systems dieser Monate repräsentierte Charles de Gaulle, weniger als Anwalt eines bestimmten Programms oder als parteipolitische Führungsfigur denn als Retter und Befreier der Nation, als Symbolfigur des "guten" Frankreich und Hoffnungsträger der Nation für eine bessere Zukunft. Es war genau diese Integrationsrolle eines mythenumrankten charismatischen Regierungschefs, welche den Einfluß und die Bedeutung der de

11. Deutschlandpolitische Instruktionen

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Gaulle-Reden während seiner Inspektionsreise durch die Besatzungszone Anfang Oktober 1945 zu erklären vermag und deren Qualifizierung als "indirekte Instruktionen" begründet.

2. Die "indirekten Richtlinien" de GauUes vom Frühherbst 1945: Chance und Signal für neue Akzente beim Nachbarn im Osten? Ohne Zweifel bilden die rund 60 Direktiven, die das Comite interministeriel des affaires allemandes et autrichiennes zwischen Juli 1945 und März 1946 unter dem Vorsitz de GaulIes verabschiedete, eine wertvolle Quelle früher gaullistischer Deutschlandpolitik nach Befreiung und Kriegsende. Die Mischung aus eher vergangenheits- und eher zukunftsorientierten Ansätzen fügt sich nahtlos ein in das bislang gezeichnete Bild eines symbolüberladenen Regierungschefs, dessen Deutschlandhaltung komplexer war als man lange Zeit annahm. Neben den Anweisungen des Comite interministeriel können die Ansprachen, die der Präsident der Provisorischen Regierung während seiner Reise durch das französische Besatzungsgebiet vom 3. bis zum 5.0ktober 1945 an verschiedenen Orten und vor unterschiedlichem Publikum hielt, den Anspruch erheben, ein zusätzliches Mosaiksteinchen bei dem Versuch zu sein, das gaullistische Deutschlandbild der ersten Nachkriegsmonate und dessen praktische Konsequenzen zu rekonstruieren. Doch mehr noch, als in einer weiteren Bestätigung der ambivalenten Anschauungen de GaulIes sowie seiner Rolle innerhalb des provisorischen Regierungssystems in Frankreich, lag die Relevanz dieser Reden in deren Wahrnehmung durch maßgebliche Pariser Akteure und das Besatzungspersonal in Südwestdeutschland. Gerade die erhöhte tagespolitische Aexibilität bei der Umsetzung von Handlungsanweisungen der Zentrale oder der Zonenspitzen in die politische Praxis vor Ort, die de GaulIes Äußerungen Mitarbeitern der Militärregierung oder Besatzungsoffizieren ermöglichten, die mit den Originaldirektiven des Comite interministeriel vermutlich wenig vertraut waren, lassen deren Kennzeichnung als "indirekte Direktiven" und deren Behandlung im Rahmen deutschlandpolitischer Instruktionen angemessen und gerechtfertigt erscheinen. In diesem Zusammenhang soll es im folgenden um den mentalen und administrativen Nährboden der Wirkkraft de Gaullescher Äußerungen bei zonalen Verwaltungsbeamten und Militärs gehen, um die möglichen verschiedenartigen Interpretationsansätze, die sie gestatteten, um die tatsächliche Auslegung und Umsetzung durch relevante Entscheidungsträger, die sie nach sich zogen, schließlich um das Gewicht im Gesamtkontext der frühen Deutschland- und Besatzungspolitik, das ihnen zukam und erste Schlaglichter auf die im dritten großen Abschnitt, in den Realisationen, näher beleuchteten Wechselwirkungen von zentralem und zonalem Vorgehen zu werfen vermag.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

a) "GauUomanie", Unsicherheiten und Unzufriedenheiten des Besatzungspersonals: Nährboden "indirekter Direktiven" "Enfin, je suis vraiment heureux! Et mart aux Boches et Vive la France! Vive de Gaulle qui nous a donne les mayens de nous battre, et de venger nos camarades tombes avant nous.'"

Die Tatsache, daß die Ansprachen, die de Gaulle während seiner Inspektionsreise durch die Frankreich zugewiesene südwestdeutsche Zone2 vom 3. bis 5.0ktober 1945 in mehreren Städten an die deutsche Bevölkerung und das französische Besatzungspersonal richtete/ auf eine solche Resonanz stießen, beruhte auf verschiedenen Faktoren, von denen drei besonders hervorgehoben werden sollten: die Wahrnehmung von Persönlichkeit und Charisma des "homme du 18 juin" durch die Franzosen im Besatzungsgebiet; die materielle Lage vor Ort und die Schwierigkeiten aller Art, denen sich Besatzungsverwaltung und -truppen ausgesetzt sahen; schließlich die Defizite der Kommunikationsstrukturen zwischen Paris und Baden-Baden sowie mangelnde Informationsweiterleitung zwischen Militärregierung und den untergeordneten administrativen Instanzen der Länder.

Prestige de GaulIes. An der Rolle de Gaulles als nationale Integrationsfigur zur Überwindung der innerfranzösischen Bürgerkriege und Traumata der letzten Jahrzehnte, an seiner Bedeutung für die Einbindung sämtlicher politischer Kräfte und die Durchsetzung und Etablierung des neuen Regimes nach der Liberation, an seiner Position als Spender neuen Selbstwertgefühls nach Jahren der Ausbeutung und Erniedrigung, als Stifter "restaurierter" nationaler Identität kann kein Zweifel bestehen. Das immense de Gaullesche Prestige in der französischen Öffentlichkeit beruhte eher darauf, was er für die Franzosen symbolisierte, als darauf, wie er im Rahmen seiner politischen Verantwortlichkeit als Präsident der Provisorischen Regierung seinen tagtäglichen Verpflichtungen und Amtsgeschäften nachkam und welche Entscheidungen er im einzelnen traf. Lange tat die zunehmende Kritik an den fortwährenden sozioökonomischen und materiellen Zwangslagen, an den Ergebnissen der Tagespolitik seit der Befreiung, de Gaulles Prestige keinen Abbruch, führte man dies doch vor allem auf seine jeweiligen Ressortchefs oder auf seine vorgeblich inkompetenten Berater, seine "entourage", zurück. 4 Die relative Unantastbarkeit de Gaulles, seine begrenzte Verantwortlichkeit für das politische Tagesgeschehen im Hexagon und seine vorrangig symbolorientierte Funktionswahrnehmung kommen in den frühen ''t~tat d'esprit"-Dokumenten der Besatzungstruppen in gleicher Weise , Aus211g eines Briefes von SlLieutenant Petorin an seine Eltern, 02.02.45, in: Resumes des lettres de militaires de la Premiere Armee Fran~ise, JanvierlFevrier 1945, SHA T 10 P 223. 2 Einen lebhaft geschilderten Reisebericht bietet Marc HilIei, L'occupation fran~aise en Allemagne 1945-1949, Paris 1983, S.199-208. 'Vgl. Redeauszüge in L'Annee politique 1944/45, S.336f.; die vollständigen Texte der Ansprachen in Trier, Koblenz, Freiburg, Sasbach und Baden-Baden sind abgedruckt in De Gaulle, LNC VI, S.91-98. ·VgI. z.B. RP Moselle 01.08.45, AN FlcIII 1222, wo der Metzer Präfekt berichtete, daß "la personne du Chef de I'Etat n'est attaque par personne," daß aber "on semble souhaiter qu'il prenne une part plus directe dans la gestion des affaires du pays, et qu'il impose ses directives ses collaborateurs."

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zum Ausdruck, zusätzlich zur Rolle als Hoffnungsträger, die dem General als Chef des Armees und Vorsitzenden des Comite de Defense nationale zukam. Herbe Kritik richtete sich an Kriegsminister Diethelm, der "a du manger a la popote du General" und "n'est pas venu voir le pauvre tirailleur qui dans la merde, combattant depuis 4 mois sans releve, n'aspire qu'a deux choses: le repos et les permissions," nicht an de Gaulle selbst, dessen Erklärungen zur Zukunft der französischen Armee "renforcent la confiance que les militaires n'ont ces se de manifester au Chef du Gouvernement,"S dessen "ouvrages sont tres demandes" und dessen "personnalite n'est pas discute."6 De Gaulle war der Einzige, dem man zutraute, daß er "mette vite bon ordre acette situation qui ne peut pas durer. "7 Ganz ähnlich lautete ein anderer Briefauszug: "La France actuelle ressemble fort a une femme dont seule la tete est belle; le corps est pourri .... Le General de Gaulle qui, il n'y a pas de doute, a repare dans la mesure du possible les consequences des erreurs commises avant la guerre par tous les lascars qui font tant de mal actuellement. ... La tele, c'est sans doute le General de Gaulle, le corps, son entourage."8 Obwohl "eloignee de la France, privee d'ailleurs en grande partie de nouvelles," obwohl die Truppe "reagit surtout aux conditions du moment (froid, nourriture, etc.)," habe sie "en plusieurs occasions (cinemas en particulier) son attachement au General de Gaulle" manifestiert. 9 Und dies galt für die Truppen in Deutschland wie für die an anderen Stationierungsorten außerhalb des Hexagons. 10

Materielle und mentale Situation. Die katastrophale materielle Lage der Soldaten, Bekleidungs-, Bewaffnungs-, Ernährungs- und Materialprobleme fernab der Heimat, ein daraus erwachsender Minderwertigkeitskomplex der Armee "tant vis-a-vis d'elle-meme qu'aux yeux de la population allemande et qu'aux regards inquisiteurs des Allies," die Umwandlung "du stade 'armee d'operation' au stade 'armee d'occupation'" samt der damit verbundenen unvermeidlichen Konsequenzen für Struktur, Beschäftigung und Einsatz der Streitkräfte, die antimilitaristische Welle ll in Frankreich, wo "on dispute a cette lI11IlCe sa victoire," und das Gefühl mangelnder Rückendeckung aus Paris,12 schließlich die allgemeine moralische Misere einer "armee de > Iere Annee Franl;aise, Synthese des informations sur le moral des unites de la Iere Annee Franl;aise, Extrait des correspondances des militaires: Annexe I: Perrnissions, Janvier 1945, SHAT 10 P 223. 6 GPRF, Service central des liaisons, EM, Rapport de tendance pour la periode du 1er au 28 fevrier 1945, SHAT 8 P 26. 7 Ihe Annee Franl;aise, Synthese des informations sur le moral des unites de la Iere Annee Franl;aise, Extrait des correspondances des militaires: Annexe III: Lassitude, Janvier 1945, SHA T 10 P 223. • Auszug eines Briefes von Sergent-Chef Claude Rielle an seine Eltern, 31.01.45, in: ResllITlis des lettres de militaires de la Premiere Armee Franl;aise, JanvierlFevrier 1945, SHA T 10 P 223. 9 Ygl. Zone franl;aise de Berlin, EM, 2e Bureau, Le General de Beauchesne, Synthese periodique sur le moral pour le mois de novembre 1945,04.12.45, SHAT 3 U 156. 10 Ygl. z.B. Division de Constantine, EM, 2e Bureau, General P. 1. Andre, Rapport sur le moral de l'armee, Mois de janvier 1945, in: Jean-Charles Jauffret (Hg.), La guerre d'Algerie par les docurnents, Bd.1: L'avertissement 1943-1946, Yincennes 1990, S.146-149 (146). II Zu den Ursachen vgl. Paul-Marie de la Gorce, La Republique et son armee, Paris 1963, S.425ff. 12Ygl. dazu ausführlich CCFA, CSTO, EM, 2e Bureau, General de Goislard de Monsabert an Kriegsminister Diethelm, Moral des troupes d'occupation, 01.09.45, SHAT 3 U 154.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

transition" in der "crise de l'apres-guerre"l3 mußten gegenüber dem Retter der Nation Heroisierungstendenzen fördern und jeder Aussage de Gaulles ganz besonderes Gewicht verleihen. Gerade angesichts vielfältiger Klagen der Besatzungssoldaten über ein zu lasches Vorgehen, über eine "attitude conciliante prise par certains chefs ou administrations militaires al'egard de la population allemande" 14 kam den konstruktiven Aspekten der de Gaulleschen Ausführungen erhebliches Gewicht zu. Diese entsprachen nicht den allgemeinen Erwartungen, widersprachen den ständigen öffentlichen Bekundungen Pariser Deutschlandakteure einschließlich de Gaulle und führten - unabhängig davon, ob der einzelne sie nun zur Richtschnur des eigenen künftigen HandeIns machte oder nicht - zwangsläufig zur Einleitung eines besatzungspolitischen Denkprozesses, vielleicht eines Umdenkprozesses. Dies galt gewiß in kaum geringerem Maße für die verschiedenen Ebenen des Besatzungsapparates, der nicht weniger als die französischen Soldaten die Arbeitsbedingungen, die "situation materielle assez defavorab1e"15 bemängelte. Koenigs Kritik gegenüber de Gaulle sechs Tage nach seinem Eintreffen in Baden-Baden, gespickt mit vielfältigen Hinweisen über die mentalen und politischen Folgen der zonalen Ausstattungsprobleme jeder Art, folgten unzählige Initiativen in die gleiche Richtung seitens Pariser Repräsentanten auf Deutschlandinspektion sowie durch Laffon als Militärregierungs- und damit Zivilverwaltungschef. Daneben bildete die allgemeine Unsicherheit über die in Südwestdeutschland zu verfolgende Politik einen wichtigen Erklärungsfaktor für die Empfänglichkeit der Administration gegenüber dem de Gaulleschen Diskurs. Für die Zonenspitzen Koenig und Laffon, denen die Direktiven des Comite interministeriel direkt zugingen, beruhte diese Unsicherheit in erster Linie auf den inhärenten Ungereimtheiten und dem mangelnden Konkretisierungsgrad der Anweisungen sowie auf den Schwierigkeiten, diese angesichts der beträchtlichen Sachzwänge vor Ort in praktische Politik umzusetzen. Für die französischen Verwaltungs beamten auf Länder- und Kreisebene bestand das Problem hauptsächlich darin, überhaupt Richtlinien für das konkrete Vorgehen und den tagtäglichen Umgang mit den Deutschen an die Hand zu bekommen und damit eine Abschätzung von möglichen Handlungsspielräumen vornehmen zu können. Politik-Ungewißheit. Die Pariser Instruktionen gelangten selbstverständlich nicht unmittelbar vom Comite interministeriel über Koenig und Laffon auf sämtliche Verwaltungsebenen und Behörden der Zone. Vor allem aber scheint die doppelte Filterwirkung der zweigesichtigen Besatzungsspitze mit respektiven "Alleinvertretungsansprüchen" zu einer weiteren Verminderung von inhaltlichem Konkretisierungs- und administrativem Verbreitungsgrad geführt zu haben. 16 Ernile Laffon, im Gegensatz zu Koenig nicht Mitglied des Pariser Komitees, leitete die Instruktionen nicht in der Originalversion an seine Abteilungs1eiter in der Militärregierung 13

Doise / Valsse, Diplomatie et outil militaire, S.479 u. 485.

Vgl. ZlJSammenfassend CCFA, CSTO, EM, 2e Bureau, General de Goislard de Monsabert an Kriegsminister Diethelm, Moral des troupes d'occupation, 01.09.45, SHA T 3 U 154. " Brief Koenig an de Gaulle, 05.08.45, AN F60 3034/2. 14

16

Vgl. dazu ausführlicher Kapitel A TI 3b.

n. Deutschlandpolitische Instruktionen

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sowie die Delegues supeneurs in den Ländern weiter, sondern behielt sich vor, diese als Kompilation aus wörtlich übernommenen Abschnitten, Koenigschen Kommentaren und eigenen Vorstellungen zu übersenden. Es bedürfte einer systematischen Untersuchung, um festzustellen, bis auf welche administrative Ebenen beispielsweise Laffons "Prinzipien unserer Aktion im besetzten Deutschland" 17 gelangten. Es läßt sich nicht ausschließen, daß de GaulIes Reden in der Zone von Anfang Oktober 1945, direkt erlebt, durch Kollegen kolportiert oder auszugsweise auf den vordersten Seiten der neuen Truppenzeitschrift nachgelesen,18 für nicht wenige Franzosen des subalternen Besatzungspersonals der erste Kontakt mit Pariser Deutschlandäußerungen - noch dazu aus dem Munde des Befreiers der Nation - war, der über das hinausging, was man an öffentlichen Reden und regierungsamtlichen Prämissen über die nationale Presse und interne Informationsquellen herauslesen konnte und dazu weitestgehend in offensichtlichem Gegensatz stand. Zwar repräsentierten de GaulIes Aussagen keine konkreten Handlungsanweisungen für den Einzelfall, doch konnte jeder erstmals eine Vorstellung vom Spektrum französischer Positionen, von der Bandbreite besatzungspolitischer Möglichkeiten vermittelt bekommen und diese unter Berufung auf den Regierungschef für die alltägliche Arbeit und das eigene Verhalten in Anspruch nehmen. Die Reduzierung von Unsicherheiten und die Zunahme an Flexibilität waren maßgebliche Konsequenzen der Ansprachen, ohne daß dies ein Mehr an besatzungspolitischer Konstruktivität notwendigerweise präjudizierte. Den Nährboden für ihre Resonanz bildete neben einem weiterhin prestigeüberhäuften Regierungschef die Unkenntnis von Ambivalenz und Offenheit inoffizieller Pariser Haltungen sowie die Komplikationen, die aus materiellen Unzulänglichkeiten, administrativen Defiziten und mangelnder Richtlinientransmission zwischen oberen und unteren Verwaltungsebenen in Südwestdeutschland erwuchsen.

b) De Gaullesche Reden und öffentliche Reaktionen: faktische Mehrdeutigkeit und wahrgenommene Eindeutigkeit "En ce qui conceme la politique exterieure, certaines reactions se sont manifestees a la suite des declarations du General de Gaulle en Allernagne. Dans ce departement qui a ORADOUR, on est choque d'entendre parler d'une politique d'indulgence a l'egard de I'Al1emagne et d'un plan de reconstruction de ses mines, avant que les nötres ne soient relevees. "I

Die Reise de GaulIes Anfang Oktober war seine dritte Inspektionstour des Jahres 1945 nach Deutschland. 2 Einem ersten Truppenbesuch gleich nach der Rheinüberquerung der französischen Armee am 6. und 7.April, der laut de Lattre "a fait le plus grand bien dans I'Armee" und den Regierungschef die fürchterliche Verwüstung Vgl. Principes de notre action en Allemagne occupee, 20.08.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2. Vgl. La Revue de la zone fran\(aise n° 1, 15.11.45, S.I-10. 1 RP Haute-Vienne 15.10.45, AN FlcIII 1233. 11 11

2

Vgl. Germain-Thomas I Barthelet, Charles de Gaulle jour apre.s jour, S.93, 95 u. l00f.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

der badischen Hauptstadt Karlsruhe konstatieren ließ,3 folgte am 19. und 20.Mai eine zweite Stippvisite nach Stuttgart, Konstanz und Augsburg. Dort griff de Gaulle den beklagenswerten Zustand des zerstörten Deutschlands auf, dessen Ausmaß in seinen Augen die "psychologie des Allemands" tiefgreifend verändern und das Land für lange Zeit von Eroberungsambitionen heilen mußte. 4 Ob er damals wirklich - wie es später im nach Einzug ins Hotel Matignon 1958 fertiggestellten und nach Übersiedlung in den Palais de l'Elysee 1959 veröffentlichten dritten Band seiner Kriegsmemoiren5 hieß - "des possibilites d'entente que le passe n'avait jamais offertes" wahrnahm, läßt sich letztlich nicht klären. Seine Ausführungen zwischen dem 3. und 5.0ktober 1945 fügen sich jedenfalls nahtlos in diese Bemerkungen ein und deuten darauf hin, daß ihm die Aussöhnungsperspektive keinesfalls fremd und zumindest als eine Seite de Gaullescher Deutschlandansätze nach Befreiung und Kriegsende durchaus ernst gemeint war.

Realität und Wahrnehmung. In seinen Ansprachen vennied der Präsident der Provisorischen Regierung jegliche Anspielungen auf deutsch-französische Antagonismen der Vergangenheit, auf Kriegsgeschehen, nationalsozialistische Verbrechen und Leiden der Franzosen während der Besatzungsjahre. Er lenkte seinen Blick auf die Erfordernisse der Gegenwart und Zukunft, auf Wiederaufbau und Annäherung. 6 Die Welt habe sich stark gewandelt, man müsse künftig enger zusammenarbeiten, die historischen Bande zwischen Frankreich und den linksrheinischen Gebieten, Baden und Württemberg, erneuern und langfristig zusammenarbeiten, die schwierigen Aufgaben der Nachkriegszeit seien nur von allen (West-)Europäern gemeinsam zu lösen. In Trier erklärte er, daß "la France n'est pas ici pour prendre, mais pour faire renaitre et pour que vous renaissiez avec elle."7 Im Kurhaus von Baden-Baden wendete er sich explizit an "le gouvernement militaire, son personnel et son action, et ... bien entendu, ... l'armee d'occupation," als er das wesentliche besatzungspolitische Ziel "d'installer la France ici" definierte. Die Zonenländer sollten eine Einheit mit Frankreich bilden, "une union economique et morale, une presence, un controle inctefini." Daneben standen Aufforderungen nach Beistand und Hilfsleistungen Frankreichs für die zerstörten Städte und nach Orientierung der Territorien in Richtung eines "esprit occidental", eines "Europe occidentale". Diese Entwicklung vorzubereiten, darin bestand für de Gaulle die vorrangige Aufgabe der französischen Militärregierung. 8 De Gaulles Erklärungen während seiner Zonenrundreise waren erneut weder wirklich konkret noch sonderlich eindeutig und geben für sich allein keine unmiß3

Brief de Lattre an Juin, 09.04.45, SHAT 10 P 224; de Gaulle, MdG lII, S.183.

• Vgl. de Gaulle, MdG III, S.24lf. 'Vgl. dazu spöttisch Fabre-Luce, Le plus illustre des Fran~s, S.186. 6 Vgl. nun Rainer Hudemann, Oe Gaulle und der Wiederaufbau in der französischen Besatzungszone nach 1945, in: Loth I Picht (Hg.), De GauBe, Deutschland und Europa, S.153-167 (156-162). 7 Allocution prononcee a Treves devant les membres du gouvernement locaI et les personnalites de la ville, 03.10.45, in: De GauBe, LNC VI, S.9lf. (92). • Allocution prononcee "au Kurhaus" a Baden-Baden, 05.10.45, in: Oe Gaulle, LNC VI, S.95-98.

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verständlichen Aufschlüsse über seine deutschland- und besatzungspolitischen Absichten. Die Formulierungen blieben typisch gaullistisch, eher pathetisch als präzise, und die europäische Perspektive französischer Deutschlandansätze in Anlehnung an die Algier-Ideen von 1943/44, die Vorstellung einer "union de l'Occident" erschien weiterhin eher als "un leitmotiv discret, pas une formule politique, une tendance."9 Vor dem Hintergrund der bereits mehrfach erwähnten intern deutlich ambivalenteren und komplexeren Haltung de Gaulles zum Vorgehen in und gegenüber Deutschland, die nicht seinen offiziellen und öffentlichen Positionen entsprach, erhalten seine Aussagen allerdings eine Dimension, die eine Interpretation als geschickt verpackte Auffrischung traditioneller Rheinbundpläne und als rein taktisch verbrämtes Unterfangen 10 unzulässig erscheinen läßt.

Deutsche Reaktionen: Hoffnungsschimmer. Dies unterstreichen nicht zuletzt die unterschiedlichen Reaktionen, die sie in Deutschland und Frankreich auf den Plan riefen und die paradoxerweise auf ein und derselben Erwartungshaltung beruhten, nämlich der Kongruenz der de Gaulleschen Ausführungen in Deutschland mit den seit der Befreiung unablässig verkündeten regierungsamtlichen Maximalpositionen. Beiderseits des Rheins war das eigentlich Überraschende und Auffällige, das man wahr- und zur Kenntnis nahm, nicht die Ambivalenz der Reden, sondern die auf das Ingangsetzen von Rekonstruktionsmaßnahmen im Besatzungsgebiet sowie auf die Entwicklung einer tragfähigen deutsch-französischen Zusammenarbeit hin ausgerichteten Abschnitte, die so sehr mit den bislang zu vernehmenden Verlautbarungen von Regierungsseite kontrastierten. Die zonalen Presseorgane stürzten sich selbstverständlich sofort auf die hoffnungsvollen Redeteile. Die Rheinpfalz vom 3.0ktober empfand den Auftritt de Gaulles in Neustadt als "Zeichen des Aufbruchs", der Mittelrheinkurier vom 6.0ktober witterte den ersten Schritt in Richtung eines neuen Europa, die Rastätter Nachrichten vertraten am gleichen Tag den Standpunkt: 'Der Ton macht die Musik."ll Bei allen Vorbehalten gegenüber den Möglichkeiten der Redakteure, sich unter Besatzungsbedingungen kritisch zu äußern, springt doch die Uniformität der Rezeption ins Auge, die - sollte sie tatsächlich nur auf französischen Vorzensurmaßnahmen beruht haben - dann wenigstens neuerlich ein Schlaglicht auf die Perzeption der Ansprachen durch die dafür zuständigen Stellen werfen würde. Die Reaktionen deutscher Politiker, deren ausschließliche Informationsquelle die über Presse und Rundfunk übermittelten Positionen de Gaulles bildeten, die noch dazu aufgrund der Kenntnis nationalsozialistischer Verbrechen beim westlichen Nachbarn weitgehend den eigenen Erwartungen entsprachen, deren Verwirklichung man aber als vernichtenden Schlag gegen die demokratische Entwicklung Deutschlands betrachtete,12 waren ebenfalls positiv und hinterließen nicht nur bei Gebhard • Kommentar von Le Monde, 13.10.45, zit. nach Massigli, Une comOOie des erreurs, S.64. 10 Vgl. in diesem Sinne Gerd-Friedrich Nüske, Württemberg-Hohenzollem als Land der französischen Besatzungszone in Deutschland 1945-1952. Bemerkungen zur Politik der Besatzungsmächte in Südwestdeutschland, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 19 (1983) S.103-194 (126-130). 11 Vgl. das Pressedossier "Visite du General de Gaulle en ZFO 1945", AOFAA Cons.pol. C II 4. 12 Typisch die Eingabe des Vorsitzenden des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, Henßler, an die Militärregierung!U Stadt Dortmund zu Forderungen des französischen Staatschefs de Gaulle, 29.08.45,

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Müller bleibende Eindrücke,13 sondern beispielsweise auch bei Konrad Adenauer: Hochgradig verständnisvoll und hellsichtig, was die Ursachen deutscher Mißperzeptionen französischer Politik im Südwesten anbelangte,14 erkannte er offenbar auf Anhieb die potentielle Wirkung solcher Aussagen sowie die Chance, diese gegenüber der britischen Besatzungsmacht zu instrumentalisieren. ls Selbst in seinen Memoiren vergaß er nicht, diesen frühen Hoffnungsschimmer für das künftige Verhältnis beider Länder in Europa hervorzuheben. 16

Französische Reaktionen: Hysterie. Einer erfreuten Aufnahme in Deutschland sowie in den angelsächsischen Ländern 17 entsprach in Frankreich ein lebhafter Proteststurm gegen de GaulIes Kooperationsformeln. Wie vage diese auch immer erscheinen mochten, so sahen sich doch die Franzosen erstmals mit deutschlandpolitischen Bemerkungen konfrontiert, die alles in allem dem widersprachen, was sie seit der Liberation zu Ohren bekommen hatten, die sie zu diesem Zeitpunkt und in ihrer Lage aus de GaulIes berufenem Munde nicht für möglich hielten und die offensichtlich ihr Gerechtigkeitsgefühl verletzten. Kaum mehr als ein Jahr nach der Befreiung, knapp fünf Monate nach Kriegsende und angesichts einer weiterhin besorgniserregenden sozioökonomischen und materiellen Situation im Hexagon, für die sie völlig zurecht die deutsche Besatzungs- und Ausbeutungspolitik in Frankreich entscheidend mitverantwortlich machten, waren die Wunden längst nicht verheilt und erklären die teilweise hysterischen Reaktionen auf die Schlagworte von Zusammenarbeit mit bzw. Wiederaufbau in Deutschland. Von Bestürzung der departementalen Öffentlichkeit berichtete nicht nur der eingangs zitierte Präfekt des Oradour-Departements Haute-Vienne, sondern ebenso Kollegen aus anderen Teilen Frankreichs, beispielsweise aus den Bouches-duRhöne!S Die nationale Presse griff fast ausnahmslosl 9 die Inspektionsreise ausführlich auf. Dabei war das Einstimmen der kommunistischen Presse in den Chor allgemeiner Fassungslosigkeit und Entrüstung der globalen öffentlichen Meinung, in: Wolfgang Hölscher (Hg.), Nordrhein-Westfalen. Deutsche Quellen zur Entstehungsgeschichte des Landes 1945/46, Düsseldorf 1988, S.163ff. 13 Vgl. da711 Hudemann, De Gaulle und der Wiederaufbau, S.156f. I ( Vgl. Capitaine Stenger, Entretien avec M. Adenauer, Oberbürgermeister a Cologne, 18.09.45, AMAE Y (1944/49) 282. '" Vgl. Adenauers Aktennotiz über ein Gespräch mit ausländischen Pressevertretern, 09.10.45, in: Adenauer, Briefe 1945-1953, hg. v. Rudolf Morsey 1 Hans-Peter Schwan, bearb. v. Hans-Peter Mensing, Bd.l: 1945-1947, Berlin 1983, S.123f. 16 Vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.l: 1945-1953, Stuttgart 1965, S.41. 17 Britische und amerikanische Tageszeitungen berichteten ebenso überrascht wie befriedigt über die Inspektionsreise des Regierungschefs, die Journalisten nutzten seine Kemaussagen für die Schlagzeilen ihrer Artikel. Vgl. die Headlines angelsächsischer Zeitungen zur de Gaulle-Reise, 7llsammengestellt vom Centre d'etudes et de documentation du SGAAA, 12.10.45, AOFAA Cons.pol. C II O. l' Vgl. RP Bouches-du-Rhöne 15.10.45, AN FlcIIl1210. 19 Eine solche Ausnahme bildete überraschenderweise der christdemokratische L'Aube, dessen vorrangiger Deutschlandkommentator, Maurice Schumann, die persönliche Treue zum Regierungschef über das eigene tlstaunen stellte; jedenfalls enthielt das MRP-Organ neben einem kurzen ungezeichneten Sachartikel vom 5.0ktober 1945 keinerlei Meinungsäußerung 7ll den Reden de Gaulles in der FBZ. Der sozialistische Populaire dieser Tage thematisierte die Inspektionsreise überhaupt nicht

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wie sie die Präfektenberichte zum Ausdruck brachten, fast noch weniger aufschlußreich für die Perzeption einer qualitativen Differenz zwischen de Gaulles Aussagen beim Nachbarn und den deutschlandpolitischen "Selbstverständlichkeiten" in Frankreich als die allgemeine Sprachlosigkeit der veröffentlichten Meinung. Im Grunde raffte sich nur Le Monde am 6.0ktober zu einem ad hoc-Kommentar auf, verhielt sich bedächtig und zurückhaltend, empfahl zunächst ein Abwarten der "suites de ce premier rapprochement" und verwies mißtrauisch darauf, daß "les experiences d'hier nous ont enseigne que la generosite ne doit jamais bannir la prudence et la fermete."2o Die anderen Organe veröffentlichten nach längeren Reportagen am 4., 5. und 6.0ktober mit Zusammenfassungen de Gaullescher Ausführungen entweder wie Le Figaro oder France-Soir - entgegen sonstiger Gepflogenheiten überhaupt keine Kommentierungen mehr oder äußerten sich erst nach einer gewissen Bedenkzeit. Philippe Barres fragte skeptisch in Paris-Presse vom 7./8.0ktober, "que pensent-ils, ces Allemands, ... encore une fois, que se passe-t-il sous les cranes rases etroses."21 Combat gab in seinem Editorial vom 9.0ktober zu bedenken, daß "cette Allemagne en ruines n'est pas une ruche, mais probablement un guepier. "22 Im Parisien-libere machte Guy de Cardailhac ebenfalls am 9.0ktober geltend, daß nun die Alliierten einsehen müßten, daß Gaullismus deutschlandpolitisch "le contraire du Poincarisme" darstelle. 23 In L'Aurore publizierten nach tagelanger Stille verschiedene Autoren zwischen dem 10. und dem 13.0ktober Artikel zum Deutschlandproblem, die sich zwar nicht unmittelbar mit der Inspektionsreise des Regierungschefs auseinandersetzten, offensichtlich aber dessen Aussagen durch Verweis auf die eigene prekäre Lage konterkarieren und durch Mahnung der Leser zur Vorsicht relati vieren sollten. 24 Die" Selbstverständniskrise" , die de Gaulles Bekundungen in Südwestdeutschland auslösten, die enormen Schwierigkeiten, sie innerhalb des traditionellen, maxirnalistisch orientierten Diskurses zu verorten, waren augenfällig. Die kommunistische Presse,25 in Paris wie in der Provinz,26 hatte deutlich geringere Einordnungs- und Bewertungsprobleme, reagierte prompt mit scharfer Mißbil'" Raymond Millet, Les enseignements du voyage, in: Le Monde, 06.10.45. 21 Philippe Barres, Avec le General de Gaulle en Rbenanie, in: Paris-Presse, 07.108.10.45. Zl Editorial, in: Combat (o.A.), 09.10.45. 73 Guy de Cardailhac, Le probleme rMnan, in: Le Parisien-Libere, 09.10.45. 1A Vgl. z.B. Jean Piot, L'Occident ne demande qu'a vivre, in: L'Aurore, 10.10.45; Philippe Lachampt, Zone fran~se d'occupation - L'A1lemand n'a pas encore appris a croire a notre force, in: ebd., 11.10.45; ders., ZFO - Malgre les privations les nazis ne desesperent pas de l'avenir, in: ebd., 12.10.45; Tour d'horizon - Le General de Gaulle dec1are: Il n'y aura plus de Reich, in: ebd. (o.A.), 13.10.45. "VgI. allgemein zur vehementen Kritik seitens der Kommunisten aus Sicht von gaullistischen Zeitzeugen, SousteIle, France, Europe and peace, S.500 oder Debre, Memoires, Bd.l, S.416 u. Bd.2, S.71; aus wissenschaftlicher Sicht vgl. z.B. Durand, La politique allemande, S.39. Zur amerikanischen Perzeption kOlIlllUIlistiscdeGau11e-Kritik vgl. Telegramm Caffery an Byrnes, 06.10.45, FRUS 1945 (111) S.880; zur britischen Wahrnehmung vgl. Cooper an Bevin, 16.10.45, DBPO IIV, S.233-236 (233), der die konsequente Feindseligkeit der PCF als "ODe of the official party lines" bezeichnete und die kommunistischen Attacken gegenüber dem General hervorhob "for having showed too much sympathy for the German people during bis tour of the French zone of occupation." U Vgl. z.B. den Präfekten in den Bouches-du-RhtlDe, der die kommunistisch kontrollierte Tageszeitung La Marseillaise zitierte, RP Bouches-du-Rhöne 15.10.45, AN FlcIII 1210.

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ligung. Bereits am 3.0ktober betitelte Georges Cogniot in L'Humanite seine massive Kritik an de GaulIes Erklärungen mit "La France d'abord"27 und drei Tage später hieß es im auffällig plazierten Seitenkommentar, jeweils rechts und links des Zeitungsnamens: "Au temoignage de tous les visiteurs, on mange magnifiquement en Allernagne. Que n'apporte-t-on en France un peu de viande de Hi-bas. Du betail du Wurtemberg! Ce serait plus raisonnable que de parler de la renaissance de I'Allemagne pendant que les Fran~ais meurent de faim."28 In seiner Wochenendausgabe vom 7 .I8.0ktober geißelte das kommunistische Parteiorgan die verkündeten WiederaufbaumaBnahmen in Deutschland angesichts französischer Städte "en ruines" und fragte, über wen man sich denn eigentlich lustig machen wolle, wenn man "veut nous apitoyer sur la situation alimentaire des Allemands."29 Am 9.0ktober brandmarkte es erneut französische l.ebensmittellieferungen nach Deutschland und zitierte extensiv aus einer Rede von Maurice Thorez vor 25.000 Zuhörern in Straßburg, wo der PCF-Generalsekretär seiner außerordentlichen Überraschung gegenüber de Gaulles Erklärungen Ausdruck verlieh, "seion lesquelles nous ne sommes pas venus (en Allernagne) pour prendre mais pour faire renaitre."30 Selbst in den folgenden zwei Wochen verging kein Tag, an dem L'Humanite nicht die neue Qualität französischer Politik, die der Iournalistenstab aus den Bemerkungen des Regierungschefs im deutschen Südwesten herauslas, aufs Schärfste verurteilte, und mit ihr die christdemokratische, vorgeblich vom Vatikan gesteuerte Diplomatie des Quai d'Orsay.31 Diese hysterischen Reaktionsmuster/2 die noch einmal auf die nahezu ausschließliche Wahrnehmung der konstruktiven Passagen de Gaullescher Äußerungen während seiner Inspektionsreise im Vergleich zu eigenen Erwartungen und zum bisher regierungs amtlich gepflegten Diskurs hindeuten, die noch einmal die Brisanz des Themas "Deutschlandpolitik" für die Pariser Führung im Zusammenwirken von TI 21

Georges Cogniot, La France d'abord, 03.10.45, in: L'Humanite, 03.10.45. Seitenkommentar, in: L'Humanite, 06.10.45.

"'En l'honneur du "bloc occidental" on nous convie arebitir Treves, Coblence, Sarrebruck, Mayence, Neustadt et Fribourg, in: L'Humanite, 07.108.10.45. J) Un comble - A la suite du voyage du president du Gouvernement provisoire la France va envoyer des vivres en Allemagne sowie Maurice Thorez aStrasbourg, acclame par 25.000 auditeurs, demande justice pour l'Alsace et la France, in: L'Humanite (o.A.), 09.10.45.

31 Vgl. dazu die fünfteilige Artikelserie von M. Magnien und R. L'Hel1llitte über das Außenministerium, in: L'Humanite, 14.115., 16.,17.,18. u. 19.10.45. l! Aufschlußreich das Gewicht der de GauUe-Reise im späteren kommunistischen Diskurs als Wende von einer französischen Reparations- zu einer RekoD. Vgl. z.B. persönlicher Brief Paris an Koenig, 20.12.48, AMAE PAAP 217/101. 'Gilbert Keith Chesterton, zit., nach Wilhelm Röpke, Die deutsche Frage, 2.Auflage, Erlenbach-Zürich 1945, S.219.

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Tat mehr Konvergenzen zutage als ursprünglich erwartet. Vielerlei Eigenschaften, welche die Rahmenrichtlinien kennzeichneten, ließen sich bereits auf der Planungsebene herausarbeiten. Dazu gehört erstens - über alle Meinungsverschiedenheiten im einzelnen hinaus - die Dominanz von Homogenitäts- gegenüber Diversitätstendenzen, was die grundlegenden Prinzipien anbelangte, sowie eine Konstanz von Motivationen und Besorgnissen, von Strategien und Zielsetzungen, deren Wurzeln in den ausführlich vorgestellten biographischen und strukturellen Analogien lagen. Dazu gehört zweitens die bewußte Flexibilität angesichts fortwährender innerfranzösischer Zwangslagen und interalliiertem Klärungsbedarf, das Offenhalten möglichst vieler Optionschancen über möglichst lange Zeiträume sowie das frühe Durchdenken von Ersatzlösungsvarianten und Akzentverschiebungen im Rahmen unverrückbarer sicherheits- und deutschlandpolitischer Zielperspektiven. Dazu gehört drittens die seit Befreiung und Kriegsende bei einzelnen Mitsprache- und Entscheidungszentren, seit der Jahreswende 1945/46 durchgängig feststellbare Skepsis gegenüber Durchsetzungschancen und Zweckmäßigkeit deutschlandpolitischer Maximalismen, wie sie öffentlich und diplomatisch noch Jahre das Bild französischer Ansätze prägen sollten. Dazu gehört viertens die Widerspiegelung hexagonaler Kontliktlagen und internationaler Verhandlungsmuster vor dem Hintergrund innenpolitischer Problemkonstellationen und möglicher außenpolitischer Instrurnentalisierungschancen. Dazu gehören fünftens inhärente sachliche Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, die Verflechtung von eher traditionellen und eher zukunftsträchtigen Momenten. Die Betonung anfänglich nicht solchermaßen vermuteter äußerlicher Affinitäten von Konzeptionen und Instruktionen darf allerdings nicht zu einer völligen Einebnung der Unterschiede in Gewichtung der Ergebnisse sowie in Konsequenzen für die praktische Politik auf diesen Ebenen des Entscheidungsprozesses führen. Es ließen sich viele Beispiele zusammentragen, die interpretatorisch in mancherlei Zusammenhängen alles andere als irrelevant sind. Dies gilt beispielsweise für die Konfliktstrukturen zwischen den oder innerhalb der Pariser Ressorts, die sich konzeptionell aus der Zusammenschau von nebeneinander betrachteten Planungsansätzen ergaben. Im Rahmen der Instruktionen erhielten sie eine völlig andere Dimension, fanden sie sich doch teilweise aufgrund der komplexen inneren- wie äußeren Situation nicht zu Ende diskutiert, mündeten sie doch häufig nicht in einen klaren Beschluß mit "Gewinner" und "Verlierer", sondern in eine mehrere Seiten befriedigende Kompromißformel, die eine Entscheidungsverlagerung auf die nachgeordnete zonale Ebene zur Folge hatte. Dies gilt weiter für das "Unthema" politischer Abtrennungen deutscher Territorien innerhalb der Instruktionen, das nicht gerade für die sachliche Relevanz solcher öffentlich und diplomatisch bis Mitte 1948 unablässig betonten Forderungen spricht. Dies gilt daneben für die gegenüber den Konzeptionen stärkere Akzentuierung von Kultur- und Demokratisierungstendenzen als sicherheitspolitische Maßnahmen, die auf unmißverständliche Einsichten in langfristige Notwendigkeiten seitens der obersten entscheidungsrelevanten Pariser Akteure schließen läßt. Dies gilt im übrigen grundsätzlich für die kreativen

11. Deutschlandpolitische Instruktionen

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Elemente innerhalb der Pariser Anweisungen an Baden-Baden, die als Resultat regierungsinterner Filtermechanismen von deutlich höherem Aussagewert für die Einschätzung französischer Deutschlandpolitik sind als ein konstruktiver Hinweis in Projekten dieses oder jenes involvierten Gremiums. Gewiß sind nicht die Konzeptionen einfach schwarz, die Instruktionen einfach weiß. Beide Ebenen stellen sich in Grautönen dar, deren Abstufungen allerdings eine unterschiedliche interpretatorische Gewichtung erfordern. Interpretatorisches Gewicht konstruktiver Direktiven im Entscheidungsprozeß. Damit stellt sich über das Problem der Abgrenzung von Planungsarbeiten und Rahmenrichtlinien hinaus die Frage nach der Bedeutsarnkeit der Direktiven im Rahmen der Pariser Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan insgesamt. Die Antwort fallt eindeutig aus, denn gerade unter Berücksichtigung regierungsinterner Entscheidungsprozeduren kann das Gewicht, das konstruktiven Aspekten neben restriktiven von vornherein in den Anweisungen zukam, nicht hoch genug veranschlagt werden. Nicht weniger unzutreffend, als es die Behauptung einer Versöhnungspolitik 1944/45 wäre, erweist sich die forschungsprägende Annahme einer puren Revanchepolitik Poincareschen Stils für die zweite Nachweltkriegszeit. Die historische Realität war komplizierter und die kurz- und langfristigen Interessen, wie sie die jeweiligen Akteure definierten und zum Maßstab des politischen Handelns machten, weniger eindeutig. Von einem rein vergangenheitsorientierten, womöglich morgenthauähnlichen Herangehen an die deutsche Frage konnte jedenfalls nach Befreiung und Kriegsende konzeptionell keine Rede sein, instruktioneIl galt dies erst recht. Und das, was sich im Laufe der folgenden Monate und Jahre an Akzentverschiebungen vollzog, fand sich bereits mehr oder weniger explizit in den frühesten Anweisungen thematisiert und verweist damit auf Kontinuitätslinien zwischen 1944 und 1950. Relevanz der Comite interministeriel-Anweisungen. Der wegweisende Charakter der frühen Rahmenrichtlinien des Comite interministeriel steht in diesem Zusammenhang außer Frage. Gewiß entsprangen sie - was unter den gegebenen Umständen nicht verwundern dürfte - keinem kohärenten widerspruchs freien Gesamtentwurf. Gewiß vermochten sie nicht besatzungspolitisches Handeln genauestens zu präjudizieren. Dennoch können sie im Lichte heutiger Betrachtung als eigenständiges, offenes, originelles und ambivalentes Sicherheitskonzept der Pariser Zentrale gelten, das gerade aufgrund seiner Vielschichtigkeit und Entwicklungsfähigkeit die Bezeichnung der Jahre 1944 bis 1946 als Inkubationsphase französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan rechtfertigt. Die dort zum Ausdruck gebrachten drei Pfeiler künftiger Sicherheit gegenüber dem östlichen Nachbarn, die Schaffung möglichst dezentraler politischer Strukturen in Deutschland und der Zone, die dauerhafte Etablierung einer wirtschaftlichen Vorrangstellung Frankreichs in Westeuropa sowie die Grundlegung für langfristige Kooperations- und Annäherungmechanismen durch Kultur- und Demokratisierungspolitik gemäß französischen Vorstellungen, blieben die maßgeblichen Realziele über hexagonale und internationale Veränderungen hinweg.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Innen- und Außenpolitik. Für die Grundanlage der Untersuchung förderte die "kleine Geschichte Pariser Direktiven französischer Deutschlandpolitik" zwischen 1945 und 1950 ebenso wesentliche wie unerwartete Erkenntnisse und Bekräftigungen zutage. Die Tatsache nämlich, daß die Direktiven als Ergebnisse interner Diskussions- und Entscheidungsprozesse solche Wechselwirkungen überhaupt reflektierten, wirft ein neuerliches Schlaglicht auf die realen oder perzipierten, in der praktischen Konsequenz jedenfalls äußerst begrenzten Handlungsspielräume der Regierenden im Kontext von Innen- und Außenpolitik. Es fanden sich in den Rahmenrichtlinien sämtliche Bestimmungsfaktoren, Zwänge wie Chancen, wieder, die bereits den Planungsarbeiten den Stempel aufdrückten: vom innerfranzösischen Druckpotential bis zu Befriedungs- und Befriedigungsansätzen öffentlicher Erwartungshaltungen; von machtpolitischen Schwächen bis zur diplomatischen Inszenierung der Macht des Schwachen; vom Bemühen, inneren Druck nach außen abzulenken bis zum Versuch, diesen durch geschicktes Verhandeln für die Verwirklichung deutschlandpolitischer Realziele sowie das "Loseisen" amerikanischer Finanzund Militärhilfen zu instrumentalisieren. Das Übermaß innerer wie äußerer Problemlagen, wie es sich selbst in den Direktiven offenbarte, machte eine konsequente und widerspruchsfreie Linie nahezu unmöglich. Es verhinderte rationale Entscheidungsfindungen schon im Ansatz und bildete den wesentlichen Hintergrund Pariser Ambivalenzen und Antagonismen. Darüberhinaus belastete es die ohnehin vor Ort überforderten Besatzungsspitzen in Baden-Baden mit weiteren Hypotheken und implizierte fast zwangsläufig eine Umsetzung der aus der Not geborenen "doppelten Deutschlandpolitik" in eine "Besatzungspolitik des sowohl als auch". In Südwestdeutschland war seit Sommer 1945 vieles möglich und machbar, im Grunde alles, Konstruktives wie Destruktives, sowohl aufgrund der Ambivalenz als auch aufgrund der Ignoranz Pariser Anweisungen.

III. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen

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III. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen 1945 - 1950: die "Politik des sowohl als auch" Als dritte Stufe französischer Deutschlandpolitik zwischen Befreiung und Schumanplan nach der Begutachtung von Pariser Konzeptionen und Instruktionen stehen im folgenden die deutschland- und besatzungspolitischen Realisationen im Vordergrund. Die Untersuchung von Konzeptionen erlaubte Aussagen über das Spektrum unterschiedlicher Ansätze, Schwerpunkte und Motivationen relevanter Akteure der Zentrale, die Analyse der Instruktionen Aufschlüsse über die Ergebnisse interner Diskussions- und Entscheidungsprozeduren unter dem Handlungsdruck der Zeit. Doch erst die Betrachtung der Realisationen vor Ort gestattet Hinweise auf die Bedeutung dieser Anweisungen ffir die Aktivitäten von Militärregierung und Zonenverwaltung im Nachbarland sowie auf das komplexe Bedingungsgeflecht zwischen Paris und Baden-Baden bzw. Berlin. Auf der besatzungspolitischen Ebene hat sich nun zu zeigen, welche Wirkungen die sachpolitischen Ambivalenzen und inhärenten Antagonismen der Instruktionen in der Praxis entfalteten, welche Aspekte der "Sicherheitstrias" aus politischer Dezentralisierung, ökonomischer Suprematie und kultureller Annäherung unter welchen Umständen in welcher Form und mit welchem Erfolg darin Eingang finden konnten. Die schlaglichtartige Auswertung der Direktivenumsetzung in praktische Politik (III.2.) wird eingerahmt durch zweierlei Kontextüberlegungen. Einmal geht es um Determinanten deutschland- und besatzungspolitischer Wechselwirkungen zwischen materiellen und administrativen Unzulänglichkeiten, zwischen Baden-Badener Eigengewicht und vielzähligen Konfliktmechanismen institutioneller, persönlicher oder konzeptioneller Natur (III.l.). Zum anderen werden respektive deutsch-französische Wahrnehmungswelten unter Besatzungsbedingungen thematisiert. Sie sollen Aufschluß geben über die Gründe für den breiten Graben, der sich weiter zwischen Besatzungsrealität und -wahrnehmung im kollektiven Gedächtnis auftut, und an dem kein Historiker, der sich mit Frankreich und Deutschland zwischen 1944 und 1950 beschäftigt, vorbeikommt (111.3.).

1. Zonale Hintergründe für Wahrnehmung und Umsetzung Pariser Instruktionen: StrukturderlZite und KonOiktmechanismen Deutschlandpolitik und Besatzungspolitik sind nicht prinzipiell miteinander gleichzusetzen, sie sind jedoch ebensowenig völlig voneinander zu trennen. Besatzungspolitisches Handeln der Zonenspitzen in Baden-Baden konnte nicht in einer lückenlosen, geradlinigen und unmittelbaren Umsetzung von Instruktionen in Realisationen bestehen, es konnte ebensowenig ohne jegliche Anbindung an die Pariser V orgaben erfolgen bzw. ohne jegliche Rückwirkungen auf das künftige Vorgehen der Zentrale. Als mitbestimmende intervenierende Determinanten sollen im folgenden die geographisch-historische und sozioökonomische Struktur des französischen Besatzungsgebiets im deutschen Südwesten betrachtet werden, die administrativen 31 Hüser

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Provisorien und Defizite zwischen Baden-Baden, Berlin, Mainz, Tübingen und Freiburg, dann die persönlichen Konzepte der zonalen Protagonisten Koenig, SaintHardouin und Laffon, schließlich die Hintergründe der Auseinandersetzung zwischen Oberbefehlshaber und Generalverwalter sowie die deutschlandpolitische Relevanz besatzungspolitischer Konfliktmechanismen. Es geht letztlich um Verstärkereffekte, die strukturellen, materiellen und institutionellen Faktoren vor Ort innewohnten, um aus einer "doppelten Deutschlandpolitik" erst recht eine "Besatzungspolitik des sowohl als auch" entstehen zu lassen. a) Das Verwaltungschaos in einer "verkorksten Zone": von der improvisierten Organisation zur verschleppten Reorganisation "La periode d'incertitude des 2 derniers mois a serieusement cornprornis l'Administration de la Zone en Allernagne. U n effort conti nu doit eire fourni pour redresser cene situation." 1

fran~aise

Die Zone. Ganz wesentliche Belastungen für ein kohärentes Vorgehen in Südwestdeutschland ergaben sich nicht bloß aus den Ambivalenzen Pariser Instruktionen, sondern ebenso aus besatzungsgeographischen und -administrativen Strukturproblernen. Besonders hervorzuheben sind die Folgen einer verzögerten Anerkennung Frankreichs als vierter Besatzungsmacht in Deutschland mit eigener Zone im Februar 1945, einer verspäteten definitiven Festlegung der Grenzen des französisch zu besetzenden Gebietes im Juli sowie einer strukturell in jederlei Hinsicht "verkorksten" Doppelzone aus einem linksrheinischen Dreieck im Norden und einem rechtsrheinischen im Süden, die sich gleichsam klappsymmetrisch an einem schmalen Brückenkopf über den Rhein spiegelten. Diese südwestdeutschen Regionen, nachträglich aus den angelsächsischen Gebieten in schwierigen Verhandlungen auf dem politisch-militärischen Reißbrett zusarnmengeschustert, 2 entsprachen weder historisch-kulturell noch administrativ einem einheitlichen Gebilde. Aufgrund fast überall inexistenter Infrastrukturen galt es anders als in der amerikanischen oder britischen Zone zunächst einmal, neue Kommunikationsmöglichkeiten und Verwaltungszentren zu schaffen. Unter demographischen wie wirtschaftlichen Gesichtspunkten war das französische das bei weitem strukturschwächste Besatzungsgebiet. Sein Anteil, inklusive der Saar, am Produktionsaufkommen wichtiger Industriezweige aller vier Zonen betrug nach den Zahlen von 1939 für den Bergbau 12%, für das Bekleidungsgewerbe 11 %, für die chemische Industrie 10%, für das Textilgewerbe 9%, für die Eisen- und Metallgewinnung bzw. für die Herstellung von Eisen-, Stahlund Metallwaren 9% bzw. 7%, für den Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau 6%, schließlich für die Elektrotechnik 4%/ wobei sich fast die gesamte Kohleförderung Brief Koenig an de Gaulle, 05.08.45, AN F60 3034/1. ausführlich Tony Sharp, The wartime alliance and the zonal division of Gennany, Oxford 1976, S.165-203; das endgültige Zonenprotokoll vorn 26.07.45, ebd., S.204-208. 3 Wilhelm Bauer, Der allgemeine wirtschaftliche Charakter der Zonen, in: Wirtschaftsprobleme der Besatzungszonen, hg. v. Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 1948, S.5-21 (I8f.). 1

2 Vgl.

III. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen

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sowie der allergrößte Teil der Schwerindustrie auf die Saar konzentrierte. 4 Die Wirtschaftsstruktur in diesem "pays mi-agricole, mi-industriel", das alles andere als eine "entite economique" darstellte,S schien eher für eine Vierer-Kooperation zu sprechen als für eine partikularistische Wirtschafts- und zonale Ausbeutungspolitik. Zusätzliche Komplexität barg das Nord-Süd- und "West-Ost-Gefälle"6 französischer Interessenlagen, die sich in den verschiedenen Besatzungsregionen völlig unterschiedlich darstellten und vom Rheinland und der Saar über Südbaden bis hin zu Württemberg-Hohenzollern auf der Bedeutungsskala qualitativ abstuften: war das nördliche Besatzungsdreieck grundsätzlich bedeutsamer als das südliche, so war es darin das westliche Gebiet gegenüber dem östlichen. 7 Auf dem rechten Rheinufer kennzeichnete nichts diese regionale Hierarchie besser als die seit dem Frühjahr 1945 permanent gegenüber Washington vorgebrachte Pariser Forderung, auf einen Tausch des französisch besetzten Würuemberg-Hohenzollern gegen das amerikanisch besetzte Nordbaden samt seiner Hauptstadt Karlsruhe einzugehen, um die historischen Einheiten Baden und Württemberg wiederherzustellen. Den vielfältigen Vorstößen des Quai d'Orsay in diese Richtung war jedoch nicht der geringste Erfolg vergönnt. Damit blieb aber das "verkorkste" Besatzungsgebiet ebenso bestehen wie die unterschiedliche Wertigkeit seiner Bestandteile. In der Praxis zog dies häufig verschiedenartige Akzentuierungen in den einzelnen Regionen nach sich und damit in den Augen der Öffentlichkeit - weitere Widersprüchlichkeiten und Schikanen französischer Besatzungspolitik. Entscheidend mitverantwortlich dafür waren die kurze Vorbereitungszeit und die zwangsläufig improvisierten Planungsarbeiten der "verspäteten Siegermacht" Frankreich, die nicht nur in Paris institutionelle Strukturmängel hervorriefen, sondern ebenso beim organisatorischen Aufbau der Besatzungsbehörden in Baden-Baden und Berlin.

Verwaltungsstruktur. Während der elfwöchigen Übergangsphase zwischen Kriegsende und der Einrichtung der Militärregierung in Baden-Baden seit Ende Juli 1945 verfestigten sich unter dem Oberkommando von General Jean de Lattre de Tassign1' die Probleme, die mit der Übergabe der Administration besetzter Gebiete • Vgl. dazu Klaus Holtennann, Die Wirtschaft der französischen Zone, in: Wirtschaftsprobleme der Besatzungszonen, S.179-187 (180). >Vgl. den Bericht der Finanz- und Wirtschaftsabteilung der Militärregierung, Situation economique et activite de la ZFO, 08.12.45, am 15.12.45 von Filippi an Fran~ois-Poncet geschickt, AN 462 AP 26. 6 Dazu Rainer Hudemann, Die Besatzungsmächte und die Entstehung des Bundeslandes BadenWürttemberg, S.4. 7 Zur Situation bei Übernahme der Regierungsgewalt vgl. z.B. für Rheinland-Hessen-Nassau. General Billotte, Rappen &ur la situation politique dans la zone fran~aise de Rhenanie et Hesse-Nassau, 17.08.45, AMAE Y (1944/49) 689; für Württemberg vgl. den Bericht der Service de statistiques et d'etudes eoonomiques des GMZFO für November 1945, abgedruckt bei Hansmartin Schwarzmaier (Hg.), Landesgeschichte und Zeitgeschichte, Kriegsende 1945 und demokratischer Neubeginn am Oberrhein, Karlsruhe 1980, S.148ff.; für Baden vgl. den 35-seitigen Bericht von Commandant Jean Prunet, Rapport sur les conditions de l'occupation fran~aise du pays de Bade, 15.08.45, SHAT 3 U 239 sowie rückblickend Teil XI der 50-seitigen Studie von Juli 1946 aus der politischen Abteilung des Quai d'Orsay "Les problemes de Bade", AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 33. I Aufschlußreich zur Rechtfertigung einer "politique dite de prestige alors qu'eUe etait d'education,

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

in Deutschland vom 5.Büro der Ersten Französischen Armee9 an das nachrückende, in vierwöchigen Lehrgängen seit Ende Dezember 1944 ausgebildete AMFA-Personal lo entstanden waren,l1 vor allem die mangelnde Trennschärfe zwischen zivilen und militärischen Verwaltungsstellen. 12 Erst am 23.J uli 1945, mehr als fü nf Wochen nach der Festschreibung von Zuständigkeiten eines Commandant en chef fran'tais en Allernagne, wurde General Pierre Koenig, Held von Bir Harkeim, ernannt, einen Tag darauf seine drei Stellvertreter: Emile Laffon als Chef des Gouvernement militaire de la zone fran'taise d'occupation en Allernagne, also der Zivilverwaltung, General Joseph de Goislard de Monsabert als Befehlshaber der Besatzungstruppen und General Louis Marie Koeltz als Leiter der französischen Kontrollratsgruppe in Berlin. Am 27.Juli, einen Tag nach der endgültigen Fixierung der Zonengrenzen in Deutschland durch den EAC, vollzog sich die nicht g~rade reibungslose Amtsübergabe de Lattres an Koenig. 13 Dieser bezog am 31.Juli seinen Amtssitz im Baden-Badener Hotel Brenner, Laffon folgte einen Tag danach ins Hotel Stephanie, wo sich die Zivilverwaltung einquartierte. Anders als die übrigen Besatzungsmächte, die bis zum Herbst 1945 zumindest den Schwerpunkt ihrer Militärregierung nach Berlin verlegt hatten, verblieben Koenig, Laffon und de Monsabert in der Zone und machten sich dort gegenseitig das Leben l'amorce necessaire d'une oeuvre de longue haleine" als "l'expression d'une politique determinee" das Schluß kapitel von de Lattres Erinnerungen "L'esprit 'Rhin et Danube'''. vgl. Jean de Lattre de Tassigny. Histoire de la Premiere Armee Fran~se. Rhin et Danube. Paris 1949. S.612-621 (617f.). 9 Das von Lieutenant-Colonel Jean Robert Tbomazo geleitete 5.Büro publizierte die alliierten Bekanntmachungen und Gesetze. erstellte daneben in bester napoleonischer Verwaltungstradition wöchentliche "etat d'esprit"-Berichte für die besetzten Gebiete und zeichnete verantwortlich für Instruktionen an die Militärregierung im Bereich der Ersten Armee. Die Auflösung des 5.Büros erfolgte am 15.Juli 1945. 10 Zum Bedarf an qualifiziertem Personal für die Verwaltung der besetzten Gebiete, um "le prestige fran~is" und ''l'avenir de notre politique exterieure" zu gewährleisten. vgl. Brief Diethelm an Juin samt Memorandum rur Administration militaire de I'Allemagne. 06.10.44, SHA T 7 P 127; zum ersten Kurs vgl. Diethelm an Juin e.a., Administration militaire fran~aise en Allemagne. 28.12.44, ebd.; zu den Sdtwierigkeiten der Rekrutierung und Ausbildung des AMFA-Personals vgl. Koeltz an Joxe, 29.03.45, AN F60 3034/1 sowie den kritischen Rückblick von Commandant Vial, Anhang eines Briefes von Kriegsminister Diethelm an Koeltz, 26.07.45. SHAT 6 P 10 sowie ausführlicher Kapitel A II 1a; zur möglichen Wirkung der über Deutschland vermittelten Inhalte und Bilder vgl. Kap. B III 3b. 11 Zur Verfestigung besatzungsadrninistrativer Problemstrukturen während dieser knapp drei Monate sowie rur langfristigen Signifikanz des Lindauer Interregnums voller Extravaganzen des "general du theaue", wie amerikanische Offiziere de Lattre tauften, vgl. allgemein schon Willis, Tbe French in Gennany, S.73-77; später z.B. Henke, Aspekte französischer Besatzungspolitik in Deutschland. S.18Of.; sehr anschaulich Hillei, L'occupation fran~aise, S.136-148. 11 Vgl. dazu Jean de Lattre. Note de service de la Premiere Armee Fran~se, Atrributions respectives du Gouvernement rnilitaire et du Commandement des troupes. 23.05.45, SHA T 10 P 223. 13 Oe Lattre fühlte sich offenbar bereits selbst als Commandant en chef, wie sich aus einem Brief an de Gaulle, Organisation du commandement en Allemage occupee, 23.06.45, AN F60 3034/1 ablesen läßt, erfuhr dann aber Anfang Juli durch "certaines indiscretions" von der Oesignierung Koenigs, wie er in einem weiteren Brief an den Präsidenten der Provisorischen Regierung, 02.07.45, in: De Lattre. Reconquem. S.342-345 mitteilte; ausführlich Bernard Sirniot, De Lattre, Paris 1994, S.294-298. Die "passage de commandement" am 27.Juli in Lindau. von der de Lattre angeblich zuerst über Radio-Paris erfahren hatte. wie f2: de Gaulle erbost in einem Telegramm, 25.07.45. in: ebd., S.35Of. wissen ließ. spielte sich in eisigster Atmosphäre ab; vgl. dazu die Erinnerungen des künftigen Kabinettschefs von Koenig, Henri Navarre, Le temps des verires, Paris 1979, S.196f.

III. Deutschland- und besatzungspolitische Rea1isationen

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schwer. Der Oberkonunandierende erschien nur zu den Kontrollratssitzungen in der ehemaligen Reichshauptstadt, während die GFCC unter Koeltz dort die laufende Arbeit übernahm, vor allem die französische Präsenz im Koordinierungsausschuß und rund 200 weiteren Organisationen gewährleistete. Der ausnahmslos für die Zonenpolitik zuständige Laffon war demnach im Gegensatz zu seinen angelsächsischen Kollegen Clay und Robertson nicht im Alliierten Kontrollrat vertreten. Die Struktur der Besatzungsverwaltung hinderte ihn daran, ein "richtiger" Zonengouverneur zu sein. Schon allein solche institutionellen Unbestimmtheiten schienen Auseinandersetzungen vorzuprogrammieren zwischen Koenig und Laffon, um deren Hintergründe sich seit langem wissenschaftliche Kontroversen ranken. Auf den verschiedenen administrativen Spitzenebenen gab es neben Koenig und Laffon weitere Persönlichkeiten in Baden-Baden, die an Ausarbeitung und Umsetzung besatzungspolitischer Maßnahmen teilhatten. Dazu gehörte vor allem der - de jure nur mit konsultativen Kompetenzen ausgestattete - einflußreiche und allgegenwärtige Jacques Tarbe de Saint Hardouin, vom Quai d'Orsay als politischer Berater des Oberkommandierenden abgestellt. Daneben sind die Abteilungsleiter im "Mittelbau" der Zivilverwaltung zu nennen, die über breite Handlungsspielräume verfügten und deren Mitarbeiter das französische Vorgehen in den Ländern zu orientieren trachteten und damit häufig komplizierten. 14 Dort waren es die Delegues superieurs, die in der Frühphase der Besatzung aufgrund zerstörter Transport- und Kommunikationsstrukturen, später aufgrund des Pariser Ansinnens, die Länderkonsolidierung voranzutreiben, über ein hohes Maß an Eigenständigkeit verfügten, Claude Hettier de Boislambert im späteren Rheinland-Pfalz offenbar noch mehr als Pene in Baden und Widmer in Württemberg-Hohenzollern. 15 Für Grandval galt dies ohnehin wegen der Sonderbehandlung, die Frankreich der Saar innerhalb der französischen Besatzungszone zugedachte, aber auch wegen seiner umtriebigen Persönlichkeit mit exzellenten Kontakten bis in die höchsten Pariser Stellen hinein und unabhängig von parteipolitischen Affinitäten. 16 Den Ländergouverneuren wiederum gelang es nicht immer, ihrer Autorität bis auf die Ebene der Kreisverwaltungen hinunter Geltung zu verschaffen, so daß selbst dort noch verschiedentlich Freiräume entstanden, die einer kohärenten Politik nicht gerade förderlich waren. I? Besser als lange angenommen, .. vgl. z.B. Vermerk de Varreux, Chef du Cabinet civil du Commandant en chef, an Navarre, Chef du Cabinet personnel du Commandant en chef, 14.10.45, AOFAA Cab.Koenig Pol.III A I, dieser solle Laffon ldarmacben, daß die Präsenz der Leute von Filippi auf Länderebene die Arbeit dort nur erschwere, zumal die Delegues superieurs "assez grand gar~n" seien, um die Probleme selbst zu lösen. " V gl. Rainer Hudemann, Grundprobleme der französischen Besatzung in Deutschland, in: Die französische Deutschlandpolitik, S.27-40 (35). '6 Vielfältige Hinweise in den Vorarbeiten seiner Erinnerungen, vgl. APGG d.4, z.B. unter dem Stichwort "Ceremonie du 22 d&embre 1946 aReden", wo er beschreibt, wie es ihm gelang, über seinen Freund Robert Blum kurzfristig eine Audienz bei dessen Vater Leon Blum zu ergattern und mit der persönlichen Rückendeckung des damaligen Präsidenten der Provisorischen Regierung doch noch seine eigenen Vorstellungen zum Ablauf der Zeremonie durchzusetzen; diese Grandvalsche Notiz findet sich inzwischen zit. bei Dieter Marc Schneider, Gilbert Grandval. Frankreichs Prokonsul an der Saar, in: Martens (Hg.), Vom "Erbfeind" zum "Erneuerer", S.201-243 (222f.1Anm.l02). 17 Einen knappen Überblick über die Ebenen französischer Besatzungsverwaltung aus eigener Sicht bietet La Rewe de la zone fran~e n °3, Janvier 1946, S.5f.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

wenn auch nicht prinzipiell zufriedenstellend, 18 funktionierte seit Ende 1945 die Verbindungslinie zwischen Baden-Baden und Berlin. Die entgegen der Weisung des Comite interrninistenel 19 und de Gaulles 20 unternommenen Koordinierungsansätze in politischen und ökonomischen Angelegenheiten mündeten ab Mitte 1946 in sogenannte Conferences Berlin-Zone, die in regelmäßigen Abständen, nun auch mit Billigung und Beteiligung des Commissaire general aus Paris, stattfanden. 21

Engpässe. Die materielle Lage in Berlin allerdings war von Beginn an besonders besorgniserregend. Zur schlechten Lebensmittelversorgung, den katastrophalen Wohnverhältnissen und sanitären Bedingungen gesellten sich kommunikationstechnische Schwierigkeiten aller Art, da es an Flugzeugen, Autos und Benzin, an Telefonen und einer zuverlässigen Postzustellung mangelte. 22 Dementsprechend dürftig funktionierte der Informationsfluß von und nach Paris. 23 Absprachen mit der Militärregierung in Baden-Baden, wo die entsprechenden technischen Abteilungen häufig mit ehemaligen Kollegen aus den Ministerien in der Hauptstadt besetzt waren, bildeten in dieser Situation ein Muß zur Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit im Kontrollrat. Eine "situation materielle assez defavorable" stellte auch im Besatzungsgebiet neben administrativ-institutionellen Elementen eine wesentliche Ursache für die Unzulänglichkeiten des FBZ-Verwaltungsapparates dar. Geradezu euphemistisch deutete dies der Commandant en chef berei ts sechs Tage nach seinem Eintreffen in Baden-Baden an, als er de Gaulle auf die negativen Folgen der Ausstattungsprobleme in der Zone, auf die Transportschwierigkeiten, den Mangel an qualifizierten Offizieren, die quantitative wie qualitative Personalkrise der Militärregierung sowie die "regrettable confusion entre les pouvoirs administratifs et militaires" aufmerksam machte. 24 Ebenso wie schon einen Monat vor Koenigs Klagen Saint-Hardouin seinem Außen minister aus Lindau die gleichen Defizite vorgetragen hatte25 und ebenso wie dies einen Monat danach de Leusse im Rahmen .. Vgl. die kritische Bilanz des CGAAA vom 27.12.46 im Rahmen zweier Dokumente, zum einen betitelt mit "Schema d'organisation des affaires allemandes", AN 457 AP 65, zum anderen "Expose des mXifs", AN 457 AP 60, wo darauf abgehoben wurde, daß die AKR-Beamten zu wenig über die zonalen Problemstellungen, die Verwaltungsfachleute im Besatzungsgebiet hingegen zu wenig über die im Kontrollrat zu berücksichtigenden internationalen Aspekte französischer Deutschlandpolitik wüßten. 19 Vgl. D6cisions prises par le CIAAA, 13.08.45, AOFAA Cons.pol. B 14. :!lVgl. Emile Laffon, Note d'information, 01.09.46, AMAE PAAP 338/18; in diesem Sinne später die Ausführungen Laffons gegenüber Auriol, 19.02.47, in: Auriol, Journal 1947, S.88f. (89). 21 Vgl. Roger u. Jacqueline Bloch, L'Europe d6chir6e. Le probleme allemand, Paris 1988, S.40. Zl Vgl. zB. Brief de Boysson, Directeur de la production industrielle du GFCC, an Valabregue im MPI, 27.08.45, AN F12 10105, der zum Exgebnis kam, daß "la vie actuelle a Berlin est incomparablement plus dure et plus dangereuse qu'elle n'etait a Hanoi ou Saigon;" MAE, Dir.Eco., Note pour le Ministre sur la situation a BerIin et en ZFO, 06.09.45, AN 457 AP 62; Brief Leroy-Beaulieu, Directeur des finances du GFCC, an Guindey u. Schweitzer im MEF, 04.02.46, SAEF B 8817. "Vgl. z.B. die Telegramme von Koeltz nach Paris, 29.10. u. 15.12.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 3 sowie weitere Hinweise ebd. 2. Vgl. Brief Koenig an de Gaulle, 05.08.45, AN F60 3034/1; vgl. gut fünf Wochen später mit der gleichen Klage "sur la petite quantite et la mewocre qualite du personnel recrute en France" den Brief Koenig an de Gaulle, 11.09.45, AN F12 10103. 2> VgI. Brief Saint-Hardouin an Bidault, Mise au point de la situation actuelle en Allemagne, 11.07.45, AN 457 AP62.

III. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen

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einer Zoneninspektion höchst anschaulich wiederholen sollte,26 schilderte sie schließlich Laffon Mitte September 1945 in einem ausführlichen Bericht an Koenig über seine ersten sechs Dienstwochen. Dabei stellte er seine Ausführungen in den Zusammenhang der Gefahr eines raschen Prestigeverlustes Frankreichs im Vergleich zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten bei der deutschen Bevölkerung angesichts der "absence de moyens materiels" und der "extraordinaire mediocrite du personnel mO}en et subalterne. "27 Für einen solchen Zusammenhang war die Pariser Zentrale überaus sensibilisiert, und dies zurecht wie beispielsweise britische Reaktionen auf die "material shortage" in Baden-Baden nahelegen. 28 Die Provisorische Regierung blieb demnach über die Besatzungszwänge und engpässe, über administrative Inkohärenzen und Unzulänglichkeiten durchaus nicht gänzlich uninfonniert. Prinzipiell aber war es um die Kommunikations- und Koordinationsmechanismen zwischen der französischen und der zonalen "Hauptstadt" ganz und gar nicht zum Besten bestellt. Nur gut eine Woche nach den ersten Beschwerden vom 17.September 1945 äußerte Laffon gegenüber loxe, daß "nos transmissions sont deplorables et ne s'arneliorent en rien."29 In den Folgemonaten änderte sich dar an wenig, denn jede Seite beklagte sich in regelmäßigen Abständen über die ungenügenden Informationen, die man darüber erhalte, was denn die andere Seite gerade diskutiere, entscheide und umsetze. 3D Der leidige Konflikt zwischen Zivilisten und Militärs schwelte ebenfalls, sozusagen quer zu den Rivalitäten und Reibungen zwischen den einzelnen Verwaltungsebenen, weiter. Am 22.August 1945, einen Tag, nachdem Zivilverwaltungschef Laffon beim Oberkommandierenden die "delimitation des pouvoirs que le commandement des troupes et le gouvernement militaire exercent dans la zone d'occupation ... pour mettre fin aune certaine confusion dont vous connaissez les effets"31 eingeklagt hatte, erging eine Verordnung Koenigs, 2. Vgl. Pierre de Leusse, Note, Situation dans la zone fran~aise en Allemagne, 06.09.45, AMAE Y (1944/49) 436 bzw. ders., Note sur la situation a Baden-Baden, 10.09.45, AMAE PAAP 338/15, der neben den malfriellen Zwängen VII allem bemängelte, daß "Ie systeme est trop lourd," daß "I'armee atout asa disposition ... les civils n'ont rien," daß "Ie personnel superieur ... est de premier ordre," jedoch habe es nur "un personnel moyen et subalterne de tres mauvaise qualite" zur Seite, daß "Ie niveau moral du personnel tres bas" sei und die "densite de forces d'occupation beaucoup trop considerable," daß es schließlich "trop de troupes de couleur" gäbe, die besser gar nicht dort stationiert sein würden. TI Vgl. Rapport Laffon an Koenig, 17.09.45, AMAE Y (1944/49) 282. ,. Vgl. Telegramm Strang an Bevin, 26.10.45, DBPO l/V, S.251-254 (253), wo es ebenso verständnisvoll wie zutreffend weiter hieß: "All deficiences have to be considered in the light of corresponding ronditions in France. The French Press react immediately to any suggestion that the Gennan is better off in any single respect than the Frenchman, which has a discouraging effect on attempts to improve conditions within the zone." 2ll Brief Laffon an Joxe, 25.09.45, AN F60 3034/1. 30 Vgl. dazu ausfilhrlich Kapitel A 11 2b u. 2c. Eine Tendenzwende set:zle erst mit zunehmender Integration der Besatzungsspitzen in Pariser Diskussions- und Entscheidungsprozesse im Rahmen interoder innenninisterieller Zusammenkünfte seit Sommer 1946 ein. Und obwohl dies keine Garantie gegen künftige Klagen über Kommunikationsprobleme darstellte, fanden sie sich doch zunehmend überlagert von Konflikten über Sachfragen und kanalisiert in der breiten Diskussion um die Reorganisation der Besatzungsstruktur, auf die noch zurückzukommen sein wird. 31 Note pour M. le General commandant en chef, 21.08.45, AOFAA Cab.Koenig Pol. III AL

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

die eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der Verwaltung der Besatzungstruppen unter de Monsabert und der Militärregierung vornahm und dieser die alleinige Zuständigkeit für die zonale Administration übertrug. 32 Damit war das Problem zwar de jure geklärt, de facto bestand die Einflußnahme der Militärs auf das Gouvernement militaire, die besonders das Mißtrauen der "combattants" gegenüber den "bureaucrates" mit häufig dubioser politischer Vergangenheit widerspiegelte,33 in verschiedenen Bereichen der Zonenverwaltung weiter fort, komplettierte und perpetuierte somit das besatzungs administrative Chaos. Massive Kommunikations- und Koordinierungsprobleme belasteten die Kohärenz französischer Deutschland- und Besatzungspolitik nicht nur in Paris und zwischen Paris und Baden-Baden bzw. Berlin, sondern ebenso in der "FBZ-Hauptstadt" selbst sowie zwischen diesen und den Ländergouverneuren in Koblenz, Freiburg, Tübingen und Saarbrücken. Ein solch spannungsgeladenes Beziehungsgeflecht zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen und administrativen Ebenen, das mit dem Pariser Wirrwarr deutschlandpolitischer Gremien "glänzend" korrespondierte, bildete nicht nur in der Früh- und Übergangsphase ein Strukturmerkmal französischer Präsenz in Südwestdeutschland, sondern durchaus darüberhinaus.

Rejormvorhaben. Die Diskussion um eine Reforrnierung des Besatzungsapparates begann gewissermaßen bereits im Zuge seiner Etablierung in Südwestdeutschland und hielt - schubweise - bis zur Urnstrukturierung der Zonenverwaltung im Frühjahr 1948 an. Sie stand im weiteren Kontext nationaler Budgeteinsparungsmaßnahmen, die auch vor exzessiven Kosten der Besatzung durch unverhältnismäßig hohe Personalstärken im militärischen und zivilen Sektor sowie durch übermäßige administrative Reibungsverluste nicht halt machen konnten. Vom Finanzministerium wieder und wieder angemahnt, 34 vom Quai d'Orsay rasch aufgegriffen und von der Nationalversammlung mehrfach weitergetragen, entwickelte sich die Frage der Besatzungskostenreduzierung zu einem wesentlichen Deutschlandthema der politischen Öffentlichkeit. Die Verringerung französischer Truppenkontingente fand sich relativ einvernehmlich gelöst zwischen Paris, wo über die absolute Notwendigkeit einer solchen Maßnahme breiter Konsens herrschte, und Baden-Baden, wo Koenig selbstverständlich daraufhinwies, die Deutschlandpolitik habe eben ihren Preis. Die ursprünglich auf nahezu 300.000 Mann geschätzte Besatzungsarmee33 reduzierte sich Schritt für Schritt auf rund 211.000 Soldaten Anfang Dezember 1945,16 auf rund 120.000 Ende Januar 1946,37 auf rund 103.000 Ende März 1946,38 auf rund 3! 33

Vgl. Arrete n02 du CCFA, 22.08.45, AOFAA Cab.Koenig Pol.lII At. Vgl. Lattard, Arbeitgeber und Gewerkschaften, S.26f.

"Vgl. dazu Kapitel BI 4d. 33 Vgl. Pierre de Leusse, Note sur la situation a Baden-Baden, 10.09.45, AMAE PAAP 338/15. ,. Vgl. Audition de M. Michelet, Ministre des annees, SAAN Com.Def.Nat. 12.12.45, der unter Vorbehalt die Zahl 211.243 nannte. JI Vgl. Audition de M. Midtelet, Ministre des annees, SAAN Com.Def.Nat. 30.01.46, der vorbehaltlich darauf hinwies, daß ein Abzug von "80.000 hommes sur un effectif de 200.000 ne peut se faire sans desorganisation des services," gleichzeitig ankündigte, daß die Annee in Deutschland "pourrait etre reduite a 90.000 hommes" und Studien dazu bereits in Angriff genommen seien. Mit dieser weiteren

m. Deutschland- und besatzungspolitische Rea1isationen

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75.000 im Dezember 1946,39 auf rund 54.000 im Februar 1947,40 wo für Koenig allerdings endgültig die Schmerzgrenze erreicht zu sein schien. 41 Nicht weniger kontinuierlich gab es seit Ende 1945 Debatten um eine Neugestaltung der administrativen Besatzungsstrukturen zur Erhöhung der Effizienz und zur Verminderung von Kompetenzgerangel.42 Durch wachsenden öffentlichen Druck aus Paris 43 und Zwängen, die sich aus dem voran schreitenden regierungsinternen Klärungsprozeß zur Bildung eines Rheinstaates ergaben,44 entstanden im Sommer 1946 zusätzliche Anstöße für eine Beschäftigung mit solchen Reformen im breiteren Planungskontext der Verfassungsorganisation eines künftigen deutschen Staatswesens. Ein auf mehrfache Anweisung des Quai d'Orsay schließlich a..lJl lOJuli 1946 vorgelegtes Koenigsches Projekt45 reichte Paris jedoch nicht aus,46 und auch danach gaben Koenigs Konzepte durchweg Anlaß zu kritischen Bemerkungen und Rückfragen,47 stießen auf geringe Akzeptanz in der Zentrale, brachten somit kein greifbares Ergebnis. Parallel dazu beraumte das Commissariat general Anfang Dezember 1946 eine "enquete sur le coOt et le rendement des services civils et militaires" in Südwestdeutschland an. Er bat Koenig, dem Verantwortlichen für die Untersuchung, Andre Lebelle, die Arbeit zu erleichtern und Büro, Sekretärin und Transportmittel zur Verfügung zu stellen. 48 In seinen drei Denkschriften, die der deutschlanderfahReduzierung um 30.000 Soldaten schien Michelet das Ende sinnvoller personeller Einsparungen erreicht, denn "vis-a-vis des Trois Grands, nous ne pouvons arriver a un effectiftrop ridiculement faible." ]I Vgl. die Ausführungen Rene Mayers im Comite de defense nationale du 7 feYrier 1946, SAEF 5 A 183, wo er sich im übrigen gegen eine weitere Verringerung der Truppenstärke unter die l00.000-MannGrenze einsetzte; vgl. in diesem Sinne Brief Mayer an Gooin, 08.02.46, AN 363 AP 6. J>

Vgl. Andre Lebelle, Note sur I'occupation militaire de l'Allemagne, AN F60 941 .

., Vgl. General Sevez, Organisation des troupes d'occupation en Allernagne, 19.02.47, SHAT 3 U 55. " Zur Debatte um eine erneute Truppenschrumpfung im August/September 1947 vgl. die Hinweise in SHAT 3 U 225 sowie zur Reaktion des Oberkommandierenden vor allem den Brief Koenig an Kriegsminister Coste-Aoret, Occupation militaire en Allernagne, 18.08.47, SHAT 3 U 55; in diesem Sinne Koenigs erneuter Brief an Coste-Aoret, Effectifs des Arrnees de Terre, de Mer et de I'Air, 09.09.47, SHA T 3 U 225 sowie seine Note a.s. de la rtSduction projetee des effectifs de I'ArrntSe de Terre en Allemagne occupee, 10.10.47, AN 457 AP 65. Cl Vgl. z.B. Fran~is Puaux, stellvertretender politischer Berater Koenigs, Creation d'une Direction des affaires politiques, 22.12.45, AMAE Y (1944/49) 434. 43 Vgl. dazu die kurz darauf von der Konstituante angenommene Resolution der außenpolitischen Kommission, abgedruckt in: Bulletin des Commissions, Assemblee Nationale Constituante, Tome unique, Du 11 Decembre 1945 au 26 AYriI 1946, Paris 1946, S.419.

.. Zum Zusammenhang von Rheinstaat und Zonenreorganisation vgl. z.B. die Instruktionen von Bidault an Koenig, 04.07.46, AMAEPAAP 338/8 . .. Vgl. Brief Koenig an Schneiter, 10.07.46, AMAE PAAP 338/8. •• V gl. SSEAE, Fiche de renseignements pour M. le President Bidault, Indications sur la lettre du General Koenig en date du 10 Juillet relative a la reforme de l'organisation administrative de la Rive Gauche du Rhin, 23.07.46, AMAE PAAP 338/15, wo man "sur le plan administratif' als Folge eine "oomplication de la structure administrative" bei gleichzeitiger "diminution du oontrßle" befürchtete. " Vgl. Brief Koenig an Schneiter, 12.10.46, AMAE Y (1944/49) 437 zur nach Gründung von Rheinland-Pfalz erforderlichen Differenzierung des französischen Vorgehens in der Nord- und in der Südzone sowie das spöttische Begleitschreiben des Leiters der politischen Abteilung im CGAAA Sauvagnargues, 22.10.46, ebd., der ihn an Bidault weiterleitete . .. Vgl. Telegramme Schneiterbzw. Sauvagnargues an Koenig, 04. bzw. 06.12.46, SHAT 3 U 225.

486

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

rene Inspecteur des Finances bereits arn 21.Dezember 1946 vorlegte, räumte er mit drei Mißverständnissen auf: zum einen mit dem Glauben, die Präsenz möglichst vieler Franzosen in Deutschland sei emährungspolitisch "desirable dans l'interet collectif' und bilde eine Erleichterung für die französische Wirtschaft;49 zum zweiten mit dem Standpunkt, eine ausgeglichene Handelsbilanz des Besatzungsgebiets ließe sich selbst 1947 weiter aufrechterhalten;50 zum dritten mit der Einschätzung, die rund 75.000 noch in Deutschland stationierten Soldaten seien unersetzlich und "aptes a remplir leur mission."51 Lebelle legte zwar keine Vorschläge für eine effizientere Besatzungsstruktur im engeren Sinne vor, dürfte allerdings den Pariser "Reformeifer" eher bekräftigt haben. In die entscheidende Phase traten die Neuordnungsprojekte seit September 1947. Inzwischen lagen drei große Entwürfe vor, einer, durch das Commissariat general eingefordert, von Koenig, ein zweiter, auf Initiative der Contröle general des territoires occupes, von Rene Plas und schließlich ein dritter, im Auftrag der Commission du cout et du rendement des services publics, von Andre Lebelle. 52 Bei allen Differenzen im einzelnen herrschte doch Einigkeit über eine Stärkung der Kreis- und Länderebene, einen Abbau von "l'exces de centralisation aBaden," eine Vermeidung von "superpositions des services" und deren Vereinheitlichung bzw. Reduzierung, eine Fusion der Berliner mit den zonalen Abteilungen der Militärregierung sowie nicht zuletzt eine "suppression du poste d'Administrateur general."53 Die endgültige Reform erfolgte nach Rückkehr Schneiters von einer Inspektionstour durch Deutschland zwischen dem 25 Januar und dem 2.Februar 1948. 54 Der Staatssekretär kündigte sie arn 18.Februar dem außenpolitischen Ausschuß der Nationalversammlung an, ließ sie arn 26.März im Kabinett absegnen und arn 4.April als Erlaß veröffentlichen.55 Das Amt des Generalverwalters fand sich abgeschafft, nachdem Koenig es seit Laffons Rücktritt im November 1947 kommissarisch mitverwaltet hatte .

.. vgl. Note, CoOt des Fran~s residant dans notre zone d'occupation en AUemagne, 21.12.46, AN F60 941. Ende Oktober 1945 hatte die Gesamtzahl der in Südwestdeutschland :ru versorgenden Franzosen inklusive der Familien rund 450.000 betragen, vgl. die Sitrung des Baden-Badener Grand Conseil du Gouvernement, Situation dans la zone fran~aise d'occupation au 22 octobre 1945, 23.10.45, AMAE Y (1944/49) 433; genau ein Jahr später waren es noch rund 166.000, vgl. Briefe Saint-Hardouin an Bidault a.s. recensement des Fran~ais en Allemagne, 30.10. u. 05.11.45, AMAE Y (1944/49) 428. '" Vgl. Note sur le rendement de l'occupation fran~aise en Allemagne, 21.12.46, AN F60 941. " Vgl. Note sur l'occupation militaire de I'Allemagne, AN F60 941. Sl Die Empfehlungen von Lebelle waren vollständig nicht aufrufinden; eine Zusammenfassung bietet Laffons Kabinettschef Maurice Grimaud, Re.surne succinct du Rapport Lebelle, o.D., AMAE PAAP 338/14; :ru denen - jeweils über 50 Seiten lang - von Koenig und Plas vgl. Briefe Koenig an Bidault, Refcrnrs de structure de notre administration d'occupation, 18. u. 27.09.47, AN 457 AP 65 sowie Rene Plas, Rapport Monsieur Yvon Delbos, Ministre dElat, sur l'organisation et la situation des effectifs des services fran~ais d'administration et de contröle en AUemagne, 20.09.47, ebd.

a

" Resum€e des points essentiels des trois rapports sur les retormes de structure (General Koenig, M. Lebelle, M. Plas), 0.0., vermutlich Ende September 1947, AN 457 AP 65 . .. Vgl. Expose du voyage de M. Pierre Schneiter en AUemagne, SAAN Com.Aff.Etr. 18.02.48. "VgI. da:ru La France en Allemagne n 09 (1948) S.96f. Die einzelnen administrativen Veränderungen vaansd!aulidlt Dietmar Henke, Politik der Widersprüche. Zur Charakteristik der französischen Militärregierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Scharf 1 Schröder (Hg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs, S.49-89 (58ff.) durch drei Schemata.

III. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen

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Über die ganzen Nachkriegsjahre hinweg befand sich die französische Administration in der "verkorksten" Zone, Zivilisten wie Militärs, in ständiger Bewegung und kam nie wirklich zur Ruhe. Die Debatten um Truppenreduzierungen und Reorganisation des Verwaltungsapparates, horizontale wie vertikale Kommunikations- und Koordinationsprobleme, gravierende Ausstattungsmängel und Reibungsverluste durch persönliche Konflikte und konzeptionelle Divergenzen in Südwestdeutschland bildeten selbst ohne die Ambivalenzen Pariser Direktiven bereits genügend gewichtige "Impulse" für ein "richtiges patchwork"56 und genügend gewichtige Belastungsfaktoren für eine kohärente Besatzungspolitik. Doch war sie damit zugleich eine "Politik des als ob", der "Tarnung und Verschleierung"?S7 b) General Koenig und sein politischer Berater: ambivalente praktische Wirkungen eher destruktiver Grundhaltungen? "Abstraction faite de la Sarre ... la securite de la FRANCE exige ... que la rive gauche du Rhin tout entiere reste occupU en permanence par des garnisons alliees ... Quant a la Ruhr, par contre, peut-etre serait-il possible de reviser le point de vue fran~ais, de le rapprocher du point de vue allie, dans le but d'ailleurs d'obtenir rapidement gain de cause en ce qui conceme la Sarre et la rive gauche du Rhin ... , Notre diplomatie aurait peut-etre la une concession a faire pour obtenir en compensation l'accord des A1lies sur les deux premiers points juges essentiels." 1

Eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung von Instruktionen in Realisationen, von Pariser Direktiven in praktische Politik vor Ort, spielten neben besatzungsadministrativen und -strukturellen Bestimmungsfaktoren zweifelsohne die persönlichen Deutschlandkonzeptionen der zonalen Führungspersönlichkeiten. Sie flossen zwangsläufig - bewußt oder unbewußt - ein in die inhaltliche Wahrnehmung von Handlungsanweisungen aus der Zentrale und kamen in vielfältigen Denkschriften und Memoranden der Zonenspitzen zum Ausdruck.

Relevanz Pariser Richtlinien. Es lag in der Verantwortung des Oberkommandierenden und seines Generalverwalters, inwieweit Direktiven aus der Hauptstadt Eingang in die praktische Besatzungspolitik finden konnten, bildeten sie doch die obligatorischen Transmissionsriemen 2 zwischen Paris und Baden-Baden, die obligatorischen Multiplikatoren zwischen Baden-Baden und Mainz, Freiburg bzw. Tübingen. Am 8.August 1945 schickte Koenig die "Directives pour notre action en Allemagne" mit dem ausdrücklichen Hinweis auf deren Absegnung durch den interministeriellen Ausschuß unter Vorsitz de Gaulles an Koeltz, Laffon und Monsa,. Joseph Rovan, in: Die französische Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1949, 5.46. Den Begriff verwendet erstmals Richard Gilmore, France's postwar cultural policies and activities in Germany 19451956, WashingtonID.C. 1973,5.284, der die "patchwork results" auf das Verwaltungschaos zurückführt. SI Diese Einschätzung bei Henke, Politik der Widersprüche, 5.50 u. 78. 1 Brief Koenig an Mayer, Politique fran~aise en Allernagne, o.D., vermutlich Mai 1946, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2. 2 Zu den technischen Aspekten von Übermittlung und Weiterleitung von Anweisungen sowie zur "doppelten Direktivenfilterung" durch Koenig und Laffon vgl. Kapitel A II 3b.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

bert: "Ce docwnent doit avoir un caractere secret. ... 11 constitue, neanmoins, la base des directives que vous pourrez etre conduit adonner aux autorites subordonnees." Aus den Diskussionen innerhalb des Comite hob er drei Schwerpunkte heraus: Opposition gegen die Wiedererrichtung einer deutschen Zentralregierung; Verhinderung exklusiver oder prädominanter Einflußnahme einer einzelnen Macht auf Deutschland; Durchsetzung einer Zonenneuabgrenzung und einer "position preeminente en ce qui conceme la RMnanie."3 Als Leitlinien "sur le plan plus pratique de notre politique irnm&Iiate" gab er aus: Beeinflussung der deutschen Grundhaltungen zur Erleichterung eines "detachement" der rheinischen Länder und einer engeren Kooperation mit den westlichen Nationen; Berücksichtigung der Projekte seitens der französischen Regierung bzw. der Alliierten durch die Offiziere und Erlangung von Respekt und Wertschätzung bei der deutschen Bevölkerung; tadelloses Verhalten aller Militärs, um "ne pas provoquer par des injustices et des exaction inutiles, le rassemblement des esprits contre notre influence;" Vermeidung von Vergleichen mit den Truppen der übrigen Besatzungsmächte zuungunsten Frankreichs. Koenigs Kommentare blieben teilweise ebenso unklar wie die entsprechenden Abschnitte des Docwnent n° I selbst. Dennoch schienen ihm zwei sachliche Aspekte vorrangig: zum einen das Ziel, langfristig die deutschen, besonders die rheinischen Verhältnisse zu kontrollieren und zu beeinflussen, was ein korrektes Auftreten der Soldaten erforderte, aber auch Maßnahmen, welche die Härten der Besatzung und Kontrolle dämpften; zum zweiten der Wille, ein politisch und administrativ möglichst dezentralisiertes Deutschland zu schaffen. Diese Perspektive beinhaltete ebenso ein rückblickender Arbeitsbericht des Oberkommandierenden an Bidault von Ende April 1947, in dem er die drei "directives gouvernementales !es plus importantes" als Fundament seines Handeins aufzählte und dabei zuerst das Document n° 1 des Comite interministeriel erwähnte. Es habe in seinen Augen empfohlen "- de baser notre action sur la decentralisation politique et administrative, - de ne pas couper les liens economiques entre les autres regions de l'Allemagne et notre zone, en vue d'eviter que celle-ci tombe a la charge de la France."4 Diese Bestrebungen seien durch die beiden späteren Direktiven von Schneiter nicht in Frage gestellt worden. Vielmehr habe der Commissaire general in einem Brief vom 17.September 1946 "l'action menee en zone" ausdrücklich gebilligt. Politische Dezentralisierung und wirtschaftliche Einheit Deutschlands erschienen demzufolge während der gesamten Besatzungszeit Prioritäten des Koenigschen Vorgehens. Sie sagen allerdings über die konkreten Maßnahmen noch nicht viel aus, ließen sich im übrigen äußerst schwierig - wie man auch in Paris wußte - praktisch miteinander vereinbaren.

Koenigsche Deutschland- und Sicherheitsprämissen. Pierre Marie Koenig war

Militär und profund geprägt vom Chef der "Freien Franzosen", dem er sich nur einen

Tag nach dessen "appei du 18 juin" anschloß und unter dem der "Held von Bir 3 Brief Koenig an Koeltz. Laffon u. Monsabert, Directives pom notre action en Allernagne, 08.08.45, AOFAA Cons.Pol. BIO.

• Brief Koenig an Bidault, Orientation politique a adapter en A11emagne Moscou et reorganisation de I'occupation, 30.04.47, AN 457 AP 65.

apres la conference de

III. Deutschland- und besatzungspolitische ReaIisationen

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Harkeim" rasch Schritt für Schritt auf der Karriereleiter erklonun. Nach Befreiung und Kriegsende war er Gaullist wie viele damals Gaullisten waren, eher bezogen auf den Glorienschein des "Retters der Nation" als auf ein festgelegtes politisches Programm, eher dem traditionellen Bild de Gaullescher Deutschlandvorstellungen, wie dieser sie national und international von sich zu zeichnen pflegte, verhaftet als der faktischen gaullistischen Ambivalenz in Deutschlandfragen Rechnung tragend. Vor diesem Hintergrund läßt sich zwar eine Charakterisierung Koenigs als Gaullist bei aller Vagheit, die dies implizierte, durchaus vertreten, die Kennzeichnung seines Vorgehens in Deutschland als gaullistisch trifft jedoch den Kern der Sache nicht, entsprach vielleicht Koenigs Wahrnehmung und Anliegen, weniger der historischen Realität. s Tatsächlich orientierte es sich an regierungsamtlich-maximalistischen Positionen, die jedoch nur eine Seite der "doppelten Deutschlandpolitik" abdeckten. Und er blieb dieser Ausrichtung noch treu, als Paris an Durchsetzung und Zweckmäßigkeit von Maximalforderungen längst nicht mehr glaubte und de Gaulle längst in Colombey weilte. Die Folie Koenigschen wie auch Laffonschen Handeins bildeten die offiziellen deutschlandpolitischen Ansprüche der Regierung. Laffon glaubte, dagegen ankämpfen zu müssen, obwohl er konzeptionell spätestens seit Ende 1945 eher auf der Linie Pariser Realziele lag als der Zonenoberkonunandierende. Koenig empfand die durchgängige Deutschlandrhetorik in der Zentrale im Kontext innerer Befriedungsund äußerer Nutzungschancen zunächst als Bestätigung, später als Rückendeckung für sein Verhalten im deutschen Südwesten und sein Festhalten am Streben nach Territorialgarantien auf dem linken Rheinufer. Die Wahrnehmung der Pariser Politik durch die Zonen spitzen war analog, die daraus jeweils abgeleiteten Handlungsprämissen gingen auseinander.

Abtrennung linksrheinischer Territorien. Künftige Sicherheit gegenüber dem östlichen Nachbarn wollte Koenig primär auf traditionelle Weise gewährleistet sehen, durch eine politische Abtrennung der linksrheinischen Gebiete, und darin stinunte er mit seinem Conseiller politique, Tarbe de Saint-Hardouin, überein. Die Rheinfrage dominierte alle anderen Probleme. Zwar übersah er nicht die Hindernisse, vor allem den Widerstand seitens der Alliierten und der Deutschen, doch schien ihm ein Scheitern der Separierungspläne als Katastrophe, nicht zuletzt für das Prestige Frankreichs in der Welt und in Deutschland selbst. Ungeduldig aufgrund des in seinen Augen zögerlichen Vorgehens in Paris, schlug er deshalb Ende Oktober 1945 de Gaulle konkrete "mesures economiques et administratives d'un rattachement" als diplomatische Versuchsballons vor. Solche Maßnahmen ließen sich gegenüber den "Großen Drei" als seine persönlichen Initiativen "verkaufen", so daß die Provisorische Regierung sie desavouieren könne, ohne das Gesicht zu verlieren. 6 , Vgl. dazu Kapitel BIll Id. 'Vgl. Brief Koenig an de Gaulle, o.D., vermutlich Ende Oktober 1945, AOFAA Cab.Koenig Pol. I B 2. Als geeignete Schritte führte Koenig z.B. die Errichtung einer Zollgrenze, die Einführung des Franc, die Etablierung des französischen Bildungssystems oder das Angebot einer kulturellen Autonomie des Rheinlandes an.

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B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Vielfach ließ er Kompromißbereitschaft in anderen Bereichen, selbst in der Frage deutscher Zentralverwaltungsstellen, zugunsten territorialer Ansprüche erkennen, 7 und der abwartenden Pariser Haltung folgten weitere Vorstöße. In völliger Verkennung der dortigen Prioritäten empfahl er mehrfach eine Revison der französischen Ruhrposition und deren Annäherung an die Haltung der Alliierten, forderte er Konzessionen in der Ruhrfrage zugunsten einer Durchsetzung französischer "Hauptziele" an der Saar und vor allem im Rheinland. Das Koenigsche Eingangszitat vom Mai 1946 veranschaulicht diese Mißperzeption ebenso wie einige Wochen später sein Insistieren, daß "si nous devons lacher du lest, c'est sur la Ruhr et non pas sur la Rhenanie que doivent porter nos concessions pour des raisons geographiques et aussi politiques."s Der interalliierte Klärungsprozeß, welcher der Regierung die Chancenlosigkeit von Abtrennungsforderungen immer deutlicher vor Augen führte, der eine Debatte über die praktische Umsetzung französischer Dezentralisierungsmaximen zur Folge hatte und schließlich eine Umwertung des Dezentralisierungsbegriffs 9 nach sich zog, bot für den Oberkommandierenden die Möglichkeit, seine Rheinlandpositionen weiterzuverfolgen. Ob er nun die seinen Motiven entgegenlaufende Tendenz der Zentrale, ein konsolidiertes Gebilde auf dem linken Rheinufer langfristig in ein föderal zu organisierendes Deutschland einzubinden, zur Kenntnis nahm oder geradezu als Opfer der "doppelten Deutschlandpolitik" nicht, zumindest die Chance, das Separierungsproblem offenzuhalten, blieb bestehen. Und Paris navigierte geschickt zwischen internen Föderalismus- und Koenigschen Abtrennungsfronten. 1o Die Planspiele des Commandant en chef sahen ein "ensemble administratif allemand" ohne Saar und mit Hessen-Nassau auf dem linken, ein "lien fooeral de nos parties du Bade et du Wurtemberg" auf dem rechten Rheinufer vor. Die Zonenadministration in Baden-Baden galt es zu dezentralisieren, den Bedürfnissen anzupassen, die den jeweils unterschiedlichen politischen Zielen an der Saar, im Rheinland und auf der rechten Rheinseite entsprangen, schließlich den Übergang von der Verwaltung der besetzten Gebiete zu einer Kontrollpolitik einzuleiten. ll 7 Vgl. Telegramm Koenig an Mayer, Frantieces occidentales de I'Allemagne, 03.02.46, AMAE Y (1944/49) 284.

• Brief Saint-Hardouin an Bidault, Position de la France devant le Jll"oblerne allemand, Point de vue du General Koenig, 03.07.46, AMAE Y (1944/49) 286. • Vgl. Kapitel B 11 3a. IOVgl. COß1Urendu delarWnion du lundi 12 aoOt 1946, AMAE Y (1944/49) 436, wo die endgültige Entsd!eidung für eine Landesgründung fiel und man sich auf Koenigs Projekt einigte, das alle Optionen offenhiell In diesem Sinne auch Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition, S.56-59, der deutlicher als Hudemann, Entstehung des Landes und seiner Verfassung, S.71-75, die "destruktiven" Abtrennungsmotivationen von Koenigs Eintreten für eine Länderstärkung auf dem linken Rheinufer betont, obwohl sie zweifelsohne nicht zu unterschätzende konstruktive Wirkungen entfalteten. 11 V gl. Brief Koenig an Mayer, Reorganisation politique et administrative de la zone fran~aise, 06.03.46, AMAE PAAP 338/8. Ganz in diesem Sinne bereits Vermerk Saint-Hardouin an Koenig, 10.01.46, abgedruckt in: Brammer (Hg.), Quellen zur Geschichte von Rheinland-Pfalz, S.142ff. oder Tarbe de Saint-Hardouin, Note, Organisation de l'occupation fran~aise en Allernagne, 09.02.46, am 22.02.46 an Chauvel, AMAE Y (1944/49) 434, allerdings mit ausdrücklichem Hinweis auf den Ab-

III. Deutschland- und besatzungspolitische Rea1isationen

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Zweifelsfrei gebührte der politischen Abtrennung der linksrheinischen Regionen das Hauptaugenmerk Koenigs wie auch Saint-Hardouins. Dies unterstreicht nicht nur die nachdrückliche Differenzierung französischen Handelns für den Nordteil der Zone auf der einen, für den Südteil auf der anderen Seite,12 sondern vielfache explizite Äußerungen in diesem Sinne. 13 Der Conseiller politique brachte dabei seine Separierungsabsichten deutlich offener zum Ausdruck als der Cornrnandant en chef, was ebenso wie die Tatsache, daß dieser mit Memoranden in dessen Sinne inhaltlich "nachzog", als Indiz für den Einfluß betrachtet werden kann, den Saint-Hardouin offensichtlich auf Koenig ausübte. Erst weit über ein Jahr nach der Pariser Einsicht in die Aussichtslosigkeit territorialer Abtrennungsansprüche lassen sich für den Oberbefehlshaber solche Erkenntnisfortschritte konstatieren. In einem Gespräch mit dem zwei Wochen zuvor zum ersten Präsidenten der IV.Republik gewählten Vincent Auriol erklärte er Anfang Februar 1947, daß "on n'obtiendrajamais la separation politique de la Rhenanie, de la Westphalie d'avec l'Allemagne."14 Bei SaintHardouin klang noch Anfang Mai 1947 eine gewisse Zuversicht an "fl separer la Rhenanie du reste de l'Allernagne."IS Seinen vehementen Einsatz gegen jegliche Zonenzentralisierung 16 und für die Stärkung der Länder gilt es in der Tat vor diesem Hintergrund zu betrachten. Indessen sollten die rechtsrheinischen Besatzungsgebiete Baden und Württemberg - sei es als retablierte historische Einheiten bei einem Kompromiß mit den Amerikanern, sei es zunächst als Zusarnmenschluß von Südbaden und Würuemberg-Hohenzollern - "faire partie de l'Allemagne de demain,"17 trennungswiUen der linksIheinischen Gebiete, betonte er doch, daß "notre politique Ihenane n'est (ll"ecise que sur un point: cette region doit etre detachee du reste de I'Allemagne." 12 Zum Eintreten Koenigs mgunsten einer Stornierung des Pariser Beschlusses vom 8.April 1946, in särntlichen FBZ-Ländem im September und Oktober Gemeinde- und Kreiswahlen abmhalten und einen Verfassungsgebungs(ll"ozeß in Gang 7ll bringen, für die "territoires de la rive gauche du Rhin," um nicht "notre politique Ihenane" 7ll kompromittieren vgl. Brief Koenig an Schneiter, 25.04.46, AMAE Y (1944/49) 435. Allgemein 7llm unterschiedlichen Vorgehen in Nord- und Südzone vgl. für Koenig z.B. BriefanSchneiter, 12.10.46, AMAE Y (1944/49) 437, Brief an Laffon, 08.01.47, AMAE PAAP 338/8 oder Brief an CGAAA, 30.01.47, ebd.; für Saint-Hardouin vgl. z.B. Brief an de Leusse u. Chauvel, 27.04.46, AMAE Y (1944/49) 435 mit der bangen Nachfrage, ob es - wie Laffon aus Paris kolportiert habe - denn stimme, daß selbst Regierung und Quai d'Orsay "n'etaient plus si partisans de cette reorganisation de la zone qui, comme vous le savez, doit etre faite dans un sens decentralisateur." 13 Vgl. z.B. Tarbe de Saint-Hardouin, Note, Organisation de l'occupation fran~aise en Allernagne, 09.02.46, am 22.02.46 an Chauvel, AMAE Y (1944/49) 434 oder später Brief Saint-Hardouin an de Courcel, 18.07.46, AMAE Y (1944/49) 435, wo es hieß, daß "notre but essentiel en Rhenanie est de creer un:Etat assez forte pour pouvoir le separer, si possible, du reste de I'Allemagne et, en tout cas, ne le maintenir li6 a la Confederation allemande par des liens tres ISches. " 14 Ausführungen Koenigs vom 1.Februar 1947, in: Auriol, Journal 1947, S.45f. (45); vgl. daneben Brief Koenig an Bidault, Statut particu1ier de la Rhenanie, 09.04.47, AMAE P AAP 338/8, in dem er die Einbindung des Rheinlandes in einen deutschen Staatenbund bei Erlangung von angemessenen Entmilitarisierungs- und Besat7llngsgarantien als Rückzugsposition für akzeptabel hielt.

Brief Saint-Hardouin an Bidault, 06.05.47, AMAE Y (1944/49) 440. Vgl. neben den zit. Dokumenten, in denen dies durchgängig eine Leitlinie bildete, z.B. Saint-Hardouins Opposition gegen die Schaffung eines zonalen Ernährungsbüros, Note pour le General Koenig !LS. de la cr6ation d'un office allemand du ravitaillement pour la zone fran~aise d'occupation, 24.01.46, AMAE Y (1944/49) 434. 17 Tarbe de Saint-Hardouin, Note, Organisation de l'occupation fran~ise en Allemagne, 09.02.46, am 22.02.46 an Chauvel, AMAE Y (1944/49) 434. 15

16

492

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

eines künftigen Deutschlands, an dessen staatenbundlicher Struktur für beide kein Weg vorbeiführte. Bei aller Unbestimmtheit der verwendeten Begrifflichkeiten, derer man sich in Baden-Baden im übrigen bewußt war,18 traten doch sowohl Koenig, zunächst wiederum offener und verklausulierter,t9 als auch Saint-Hardouin, wiederum dezidierter und in entwaffnender Offenheit, für einen Föderalismus im Sinne einer "Ligue d'Etats (Staatenbund),,20 ein und hinkten damit auch in dieser Frage deutlich hinter der internen Pariser Entwicklung her, wo doch die Commission Berthelot die Weichen inzwischen eher bundes staatlich stellte.

Politische Struktur eines künftigen westdeutschen Staatswesens. Die späte Erkenntnis der Chancenlosigkeit einer französischen Rheinlandabtrennung ließ bei beiden die Frage nach der künftigen politisch-verfassungsmäßigen Struktur noch stärker in den Vordergrund ihrer sicherheitspolitischen Zielperspektiven treten, obschon in jeweils spezifischer Ausprägung. Saint-Hardouin, dessen "anticommunisme" nicht weniger zweifelsfrei war als sein "antiprussianisme", plädierte seit Anfang 1947 zunehmend energisch für eine westeuropäische Lösung des deutschen Problems, wobei sich argumentative Anachronismen und weitsichtige Pragmatismen die Waage hielten. Dem Conseiller politique schwebte eine Verbindung der "idee fecteraJiste avec l'espoir d'une fecterati on europeenne" vor, geradezu als Attraktion für "les plus honnetes parmi les Allemands,"21 aber auch als Hemmnis dafür, daß Deutschland "devient anouveau la premiere puissance de l'ouest europeen."22 Äußerst mißtrauisch gegenüber jedem deutschen Europaidealisten, für den die Europaidec ein Schwelgen in "ses reves d'ambition et d'expansion" erlaube, schien ihm dennoch, daß zur Abwehr von "1'Allemagne de Guillaume 11 ou celle de Hitler, il faut surtout que l'Allemagne se democratise, s'hurnanise au contact des autres peuples, qu'entre lui et eux s'etablisse un courant de multiples echanges." Seit Mitte August 1947 schienen ihm gar Studentenaustauschprograrnme als probates Mittel für eine "amelioration des relations franco-allemandes,"23 nachdem er dies noch neun Wochen zuvor als mit "plus d'inconvenients que d'avantages" behaftet abgelehnt hatte. 24 Statt nun noch sowjetitI V gl. pointiert Brief Christian Desplaces de Channassc, Nachfolger von Fran~ois Puaux als Adjoint au Conseiller politique, an Außenminister Bidault as. Etat federal ou confooerations d'Etat, 10.06.46, AMAE Y (1944/49) 286 . • 9 Vgl. Brief Saint-Hardcuiu an Bidault, Point de vue du General Koenig, 03.07.46, A.\1AE Y (1944/49) 286; Note personnelle redigee par le General Koenig a la suite de la reunion de 6 novembre 1945 [tatsächlich 1946, D.H.) a Paris, AMAE Z Europe (1944/49) Sarre 17; CCFA, Cabinet, Le fooeralisme et l'economie allemande, 18.12.46, AMAE Y (1944/49) 290.

'" Persönlicher Brief Saint-Hardouin an Fouques-Duparc, 26.07.46, AMAE Y (1944/49) 286, wo es in Absctmng eines PrQjektes tU Commission Berthelot hieß: "Cest pourtant celle-ci [la Ligue d'Etat) que nous devons defendre si nous ne vOllIons pas que le fooeralisme soit une pure duperie et n'äbOlltisse tres vite, comrne le f6de.ralisme bismarkien Oll le fooeralisme de Weimar aune unite a peine camouflee. " Vgl. daneben Tarne de Saint-Hardouin, Observations sur le projet d'organisation territoriale et constitutionnelle de I'Allemagne, 15.01.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 82. 21 Brief Saint -Hardouin an Bidault, 27.10.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 36. 22 Brief Saint-Hardouin an Bidault, Considerations sur une politique fran~ise al'egard de I'Allemagne, 20.01.48, AMAE Z (1944/49) Allemagne 82, ai.f. 23 BriefSaint-HardOllin

an Bidault as. Echange d'etudiants, 13.08.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 45.

III. Deutschland- und besatzungspolitische ReaIisationen

493

sche Angebote aus der Defensive ernstzunehmen, so riet er Bidault im April 1948, solle er besser mit der "politique europeenne" ernst machen und vor allem als Franzose die Initiative ergreifen.2.S Und auch Schuman versuchte er ein halbes Jahr später den Zusammenhang von "Union europeenne" und "reconciliation francoallemande" nahezubringen. 26 Den Hintergrund dieser Ansätze bildete für SaintHardouin wie für seinen neuen Adjoint Franlrois Seydoux der Kalte Krieg sowie Respekt, Mißtrauen und Furcht gegenüber den Deutschen und deren Ausnutzung der "surenchere" seitens der westlichen bzw. östlichen Weltmacht/ 7 die der Conseiller politique seit Sommer 1946 nicht aufgehört hatte zu geißeln. 28 Anders als bei seinem politischen Berater führte die Konzentration auf die künftige Struktur des deutschen Staatsgebildes bei Koenig nicht zu einer ähnlich ausgeprägten und offensiven europapolitischen Ausrichtung. Vielmehr beschränkte er sich in Kontinuität seines konsequenten Eintretens für Länderkonsolidierung und Zonendezentralisierung trotz der Schwierigkeiten, die dies in der praktischen Umsetzung mit sich brachte, auf die Durchsetzung einer möglichst weitreichenden Kompetenzzuschreibung zugunsten der Länder und zulasten der Bundesgewalt. Dies bestätigt beispielsweise seine Zuversicht nach der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz von Anfang Juni 1947, von der er wie auch die französische Kontrollratsgruppe den Eindruck hatte, daß ''l'Assemblee des Ministres-Pn!sidents, composee selon les principes que nous des irons rendre valables pour l'avenir, a propose des solutions qui ne sont pas contraire aux conceptions franlraises."29 Mehrfach empfand Koenig, daß "les Allemands eux-memes se montrent, sur quelques points, plus froeralistes que certains de leurs occupants,"30 und die Folgezeit schien dies zu erhärten.31 2( Vgl. Brief Saint-Hardouin an Laffon a.s. Echanges interscolaires entre la France et I'Nlemagne, 07.06.47, AMAE Rel.Cult. (1945/47) 47. 25 Vgl. Telegramm Saint-Hardouin an Bidault, 10.04.48, in: Auriol, Journal 1948, S.593ff. u. Brief Saint-Hardouin an Bidault, Rapports franco-aUemands, 30.04.48, AMAE Z Europe (1944/49) AUemagne 82; wie wenig letztlich auch bei Saint-Hardouin Europaansätze mit Idealismus zu tun hatten, veranschaulicht seine gleichzeitige Warnung, daß die Idee einer europäischen Gemeinschaft bei den Deutschen "est malee ... de reminiscences imp6rialistes et hitleriennes qui continueront longtemps a nourrir l'orgueil allemand." ,. Vgl. Brief Saint-Hardouin an Schuman a.s. "Politique exterieure allemande" et Union eur0p6enne, 19.10.48, AMAE Z (1944/49) Allemagne 39. TI Für Seydoux vgI. Brief an Bidault, Les allies et l'economie allemande, 06.03.48, AMAE Y (1944/49) 372; Brief an Schuman a.s. Situation politique en Nlemagne a la veille de ['etablissement d'un Gouvernement fMeral, 19.03.49, AMAE Z Europe (1944/49) Nlemagne 42 sowie sein Telegramm aus Berlin nach Paris, Baden-Baden und Frankfurt, 28.03.49, ebd. 21 Vgl. dazu die Briefe Saint-Hardouin an Bidault, Les chances de ['NIemagne, 04.08.46, AMAE Y (1944/49) 287, La surenchere alliee aupres des Niemands, 28.08.46, ebd. u. Discours de Lord Pakenharn, 29.06.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 80. ,. Brief Koenig an Bidault, Resolutions adoptees, 07.07.47, AMAE Y (1944/49) 295. Jl AusfiIhrungen Koenigs zu den Berliner Dreiparteiengesprächen während der Verhandlungspause der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz, Brief an Massigli, 15.04.48, AMAE PAAP 217/65. 31 Vgl. z.B . Telegramm Saint-Hardouin an MAE über die Koblenzer Rittersturzkonferenz vom 8. bis zum lO.Juli 1948, 10.07.48, AMAE Y (1944/49) 310 oder die Hinweise im Telegramm Saint-Hardouin an MAE, Oe la part du General Koenig, 27.07.48, AMAE Y (1944/49) 311 zur Konferenz der westzonalen Ministerpräsidenten mit den Militärgouvemeuren der drei Zonen in Frankfurt vom 26.Juli 1948.

32 Hüser

494

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

Länderkonsolidierung und "Magenjrage". Der dezidierte Einsatz des Oberbefehlshabers für eine Stärkung der Länder, zunächst noch zum Offenhalten der Abtrennungsfrage für das Rheinland, dann mehr und mehr zum Nachweis einer möglichen Autonomie des französischen Besatzungsgebietes gegenüber der Bizone, zeitigte durchaus konstruktive Folgewirkungen für deren Bewohner. 32 Seit August 1945 hatte sich Koenig in Paris um eine Verbesserung der zonalen Ernährungssituation bemüht. 33 Die Etablierung von Ländern auf dem linken und rechten Rheinufer ließ dies dringlicher denn je erscheinen, zumal der Winter vor der Tür stand. Im Bewußtsein, daß die Akzeptanz der Landesgründungen seitens der deutschen Bevölkerung, letztlich die Akzeptanz der Franzosen als Besatzer im Vergleich zu den Amerikanern, vor allem von der "Magenfrage" abhing, engagierte sich Koenig fortwährend und mit aliemNachdruck für Nahrungsmittellieferungen aus der Metropole. Selbst wenn "les Fran~ais sont choques ala pensee d'aider les Allemands," so schrieb er Anfang November 1946 an Bidault, "l'aide de la France doit etre immediate."34 Angesichts der Regierungskrise in Südbaden warnten er und Laffon Mitte Mai 1947 Paris vor einer Kompromittierung der französischen Demokratisierungspolitik in einern "pays sous-alimente."35 Und in Paris ergänzte Koenig, daß "la condition necessaire de l'inctependance de la zone est la possibilite de l'alimenter."36 Vorn Beginn der Besatzung an bildete die ungenügende Ernährungslage in Südwestdeutschland einen maßgeblichen Hemmfaktor für eine günstigere Wahrnehmung französischen Handeins. Koenig wies die Zentrale ausdrücklich auf solche ps}t:hologischen, für die eigene Sicherheit langfristig kontraproduktive Folgen hin. 3? Saint-Hardouin stieß ins gleiche Horn. Gegenüber Jacques-Carnille Paris erläuterte er im Oktober 1947, daß die Kritik der Deutschen gegenüber der französischen Besatzungsmacht in erster Linie auf den Nahrungsmittelentnahmen beruhten, diese wiederum auf den ausbleibenden Lieferungen aus dem Hexagon: "Ainsi que le sait le Departement la responsabilite de ces prelevements n'incombe pas a l'Administration fran~aise en Allemagne."38 Genau sechs Wochen zuvor hatte die Regierung Rarnadier die tägliche Brotration in der Metropole von 250 auf 200 gr. senken müssen, nachdem sie bereits im Mai 1947 von 300 auf 250 gr. reduziert worden war.

Länderkonsolidierung und Zonenabschottung. Entsprachen die Koenigschen Anstrengungen zugunsten hexagonaler Getreidezustellungen einer positiven Rück" Vgl. dazu allgemein Hudemann, Wirkungen französischer Besatzungspolitik, S.178. n Vgl. Kapitel B II 1d. "Ncte personnelleredigee par le General Koenig a la suite de la reunion de 6 novembre 1945 [tatsächlich 1946, D.H.], AMAE Z Europe (1944/49) Sarre 17. Ähnlich Brief Koenig an Schneiter, 26.11.46, AMAE Y (1944/49) 438, in dem er insistierte, er wisse sehr wohl, daß "l'opinion publique fran(illise n'est pas favcrable aux envois que je vous demande assurer," doch diiIfe man andererseits nicht "se dissirnuler qu'une politique fran(illise en Allemagne ne pourra etre poursuivie qu'a ce prix." .. Brief an Schneiter, Crise survenue au sein du Cabinet badois, 17.05.47, AMAE PAAP 338/11. ,. MAE, CGAAA, Reunion du 21 mai au MAE, 22.05.47, AMAE PAAP 338/8. 11 Vgl. Brief an Bidault, Situation econornique de la zone fran(illise, 06.12.46, AMAE PAAP 338/9. "Telegramm Saint-Hardouin an Paris, 11.10.47, AMAE PAAP 2171101.

a

m. Deutschland- und besatzungspolitische Realisationen

495

wirkung seines Trachtens nach einer Länderstärkung mit begrenztem indirektem Erfolg durch massiven Truppenabbau in Südwestdeutschland, so bildete das sture Festhalten am zonalen Abschottungsdogma eine negative Konsequenz. Koenig wollte stabilisierte Länder. Nach erfolgreicher Wirtschafts angliederung der Saar39 und erfolgten materiellen Anschubhilfen aus Frankreich sollten sie potentiell für sich selbst sorgen und bei stärkerer Berücksichtigung deutscher Bedürfnisse in der Gebrauchsgüterproduktion mit erhöhter Akzeptanz seitens der einheimischen Bevölkerung rechnen können. Es galt den Nachweis zu erbringen für die Überlebensfähigkeit eines autonom verwalteten Besatzungsgebiets in Südwestdeutschland trotz der wirtschaftlichen Anziehungskraft der Bizone. 4o Im Gegensatz zur Berliner Kontrollratsgruppe wendete er sich früh und entschieden gegen eine zunehmende Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken in der französischen und den angelsächsischen Zonen, die in seinen Augen dem Ziel einer Etablierung dauerhafter struktureller Abhängigkeiten zwischen den besetzten Regionen und Frankreich völlig widersprach. 41 Nicht zuletzt das überaus spannungsgeladene Verhältnis mit Clay42 ließ Koenig offenbar die Fusion als Aufgabe nationaler Interessen und als Kapitulation Frankreichs vor den Vereinigten Staaten erscheinen, während sich bei Saint-Hardouin eher antibritische Affekte erkennen lassen. 43 Die fortwährende regierungs amtliche Ablehnung einer Trizone in Paris, wo es allerdings intern längst darum ging, wie man eine solche Fusion innenpolitisch ohne systemgefährdende Konsequenzen rechtfertigen und wie man außenpolitisch eine ,. Zur Orientierungslosigkeit bezüglich Pariser Saarabsichten vgl. das 14-seitige Schreiben Koenig an de Gaulle, 16.01.46, AOFAA Cab.Koenig Pol. III K 2. Zum Vorschlag, selbst ohne offizielle Zustimm.mg da: "Großen Drei" Schritte für einen Wirtschaftsanschluß auf der Basis ihrer stillschweigenden Zustimmung einzuleiten, vgl. Brief Koenig an Schneiter, Rattachement economique de la Sarre a la France, 07.06.46, AMAE PAAP 338/11. Zum inständigen Bitten um eine sofortige Saarlösung vgl. z.B. Brief Saint-Hardouin an Bidault, Position de la France devant le probleme allemand, Point de vue du General Koenig, 03.07.46, AMAE Y (1944/49) 286; Brief Koenig an Schneiter a.s. Territoires de la zone, 14.09.46, AMAE Y (1944/49) 436; persönlicher Brief Koenig an de Courcelles, 10.11.46, APGG d6. Zur ''Petition'' an den Finan.zrninister, doch seine "lothringischen Bedenken" gegen eine ökonomische Angliederung der Saar aufzugeben, vgl. persönlicher handschriftlicher Brief Koenig an Schurnan, 21.09.47, AMAE PAAP 73/10. S~rnatischerweise finden sich die Folgekosten eines Saarwirtschaftsanschlusses, vor allem die Bezahlung der Kohleirnporte in Dollar, bei Koenig ebensowenig thematisiert wie die Folgen für die FBZ-Handelsbilanz, über die im Wirtschafts- und Finanz., aber auch im Außenrninimerium befugst diskutiert wurden und die Laffon - wie noch zu zeigen sein wird - als Hauptargument für eine triwnale Fusion immer wieder in die Debatte einbrachte. "'Vgl. Koenig an Bidault, Situation economique de la wne fran~ise, 06.12.46, AMAE PAAP 33819. 41 Zum Konflikt zwischen Koenig und dem Leiter der GFCC-Wirtschafts- und Finanzabteilung Rene Sergent vgl. Telegramm Sergent an Alphand, 22.12.46, AMAE Y (1944/49) 438 sowie Schreiben Koenig an Blurn, Orientation economique de la zone, 30.12.46, ebd . .., In einern Telegramm an Mayer, 04.03.46, AMAE Y (1944/49) 284 schrieb er zu einern Gespräch mit Clay, daß "des qu'ü s'agit pour nous d'obtenir quelque chose que nous n'avons pas ... on nous jette a la figure le probleme des adrninistrations centrales d'une rnaniere teUement enfantine qu'on ne peut repondre sans dire aI'interlocuteur qu'j( est de mauvaise foi. Et il est evidernment de mauvaise foi." Zur C1ayschen Grundhaltung gegenüber Frankreich vgl. etwa John H. Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay. Der Weg zur Bundesrepublik 1945-1949, München 1983, S.135 u. 223f.

"VgI. z.B. Brief Saint-Hardouin an Bidault, Discours de Lord Pakenharn, 29.06.47, AMAE Z Europe (1944/49) A1lernagne 80; Brief Saint-Hardouin an Massigli, 17.08.47, AMAE PAAP 217/63 oder Telegranun Saint-Hardouin an MAE über die Bizonenstreikwelle, 12.11.48, AMAE Y (1944/49) 381.

496

B. "Doppelte Deutschlandpolitik"

solche Konzession möglichst gewinnbringend instrumentalisieren konnte, bot dem Oberbefehlshaber ein ganzes Spektrum argumentativer Möglichkeiten. Dies reichte vom Eingehen auf Bidaultsche Verhandlungkalküls für Zeitgewinn und "monnaie d'echange"44 über eine Betonung zusätzlicher Belastungen für Frankreich, die höchstenfalls eine "politique d'accords avec les Anglo-Saxons" erlaube,45 bis hin zur Beschwörung einer anwachsenden Nationalisierungstendenz politischer Parteien. 46 Selbst eine Ausdehnung französischer Kulturaktivitäten über die Grenzen des Besatzungsgebietes hinaus, glaubte Koenig gegenüber der Kulturabteilung des Außenministeriums - allerdings erfolglos - ablehnen zu müssen. 47 Obwohl sich neben Laffon die Wirtschafts- und Finanzabteilung der Berliner Kontrollratsgruppe, vermutlich mit Rückendeckung der entsprechenden Pariser Ressorts, seit Dezember 1946 zunächst vorsichtig, dann offen für die Trizone stark machte48 und obwohl selbst sein Kabinett inzwischen zu differenzierteren Ergebnissen gelangte,49 blieb Koenig bei seiner Haltung. Er suchte nach Stützen in der Hauptstadt, fand beispielsweise Anfang November 1947 Bestätigung und Rückendeckung bei Präsident Auriol50 oder Mitte Juni 1948 in den Vorbehalten der Nationalversammlung gegenüber den Londoner Empfehlungen, die er gegen Schneiter auszuspielen versuchte. 51 Bewußt nahm er Konflikte mit dem Quai d'Orsay in Kauf,52 der ihn doch längst zur Einleitung von wirtschaftspolitischen Parallelrnaßnahmen zum Vorgehen in der Bizone angewiesen hatte.

Bewußtsein widersprüchlicher Besatzungsziele. Der Commandant en chef war sich über den Grundwiderspruch französischer Besatzungsziele im Spannungsfeld von "Einfluß-" und "Nutzungszone",53 zwischen deutschen Wiederautbauerforder.. Note personnelle Koenig an Bidault, 04.03.47, AN 457 AP 7 .

., Vgl. Brief Koenig an Bidault, Orientation politique aadopter en Allernagne Moscou et reorganisation de I'occupation, 30.04.47, AN 457 AP 65.

apres la conference de

"VgI. Koenigs Erklärungen in Paris, MAE, CGAAA, Reunion du 21 mai au MAE, 22.05.47, AMAE PAAP 338/8 cxItr Brief Koenig an Schneiter, Relations interzones entre personnalites politiques allemandes, 25.02.48, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 38 . • 7 Vgl. Schreiben Koenig an Joxe, 29.09.47, zit. nach Antwort Joxe an Koenig a.s. Organisation des manifestations culturelles en Allemagne, 20.10.47, AMAE ReI.Cult. (1945/47) 45. "Vgl. z.B. Rene Sergent, Fusion des zones americaine et britannique, 18.12.46, AMAE Y (1944/49) 378; P. Renouf, Bude de la balance des comptes de l'Allemagne avec I'etranger, 11.02.47, SAEF B 8788; Telegramm Sergent an Schweitzer, 08.03.47, ebd.; Schreiben Paul Leroy-Beaulieu an Noiret, Consequenres d'un echec eventuel de la conference de Londres sur le plan financier et sur I'organisation angloaI1II!ricaineenAllemagne, 09.08.47, AMAE Y (1944/49) 379; Rene Sergent, ler comptement au rapport du 15 octoIre sur la bizone, 03.11.47, AMAE Y (1944/49) 380; Paul Leroy-Beaulieu, Problemes poses par la fusion de la zone fran~se avec la bizone, 05.03.48, AMAE Y (1944/49) 381 . •• Vgl. CCFA, Cabinet, Pr6ambule a une etude sur une eventuelle fusion economique des zones occidentales, 02.11.47, AMAE PAAP 33819. Vgl. Gespräch Auriol mit Koenig, in: Auriol, Journal 1947, S.519f. Vgl. Telegramm Koenig an Schneiter, 22.06.48, AMAE Y (1944/49) 307. "VgI. dazu z.B. die vielzähligen Beschwerden von Jacques-Carnille Paris: Note pour M. de BourbonBusset, 10.11.48, AMAE PAAP 217/101; persönlicher Brief an Massigli, 10.11.48, ebd.; persönlicher handschriftlicher Brief an Massigli, 20.12.48, ebd.; persönlicher Brief an Koenig, 20.12.48, ebd. Sl

SI

"VgI. CCFA, Cabinet, Projet de plan triennal pour I'administration de la zone fran~se en Allemagne, 10.09.45, AOFFA Cab.Koenig Pol. I B 2.

III. Deutschland- und besatzungspolitische ReaIisationen

497

nissen und französischen Rekonstruktionsprioritäten,s4 schon rasch nach seiner Amtsübernahme vollkonunen im klaren, doch wollte oder konnte er ihn nie wirklich auflösen, sei es - wie in der Ernährungsfrage - weil Paris selbst furchtbar unter Druck der eigenen Öffentlichkeit stand, sei es - wie in der Reparations- und Demontagefrage - weil die nachgeordneten Ebenen der Besatzungsverwaltung, nicht zuletzt die für Reparationen zuständigen Stellen, ein gewaltiges Eigengewicht besaßen. 33 Seine Grundhaltung zum Reparationsproblem läßt sich nicht eindeutig klären. Ganz im Sinne seiner politisch-militärischen Sicherheitsdoktrin, die wenig Platz und Verständnis ließ fiir eine primär ökonomisch geprägte Argumentation,36 und ganz im Sinne seines Strebens nach Länderkonsolidierung im Besatzungsgebiet tendierte er nach Abschluß der ersten Ausbeutungsmonate offenbar eher zu einer nachsichtigeren Linie in der Reparationsfrage37 und lehnte weitere Maschinenentnahmen unter Hinweis auf die zonale Stimmung kategorisch ab. 38 Seit der Schumanschen Amtsübernahme im Quai d'Orsay Ende Juli 1948 pochte er dagegen auf das Festhalten der auf internationalen Abkommen beruhenden Demontageprinzipien. 39 Dieses Bild war es jedoch, das die kollektiven Erinnerungen der Zeitgenossen dauerhaft prägen und konstruktive Aspekte der französischen Politik in Südwestdeutschland gänzlich überlagern sollte. Dabei kam es den Besatzungsspitzen, Koenig wie Laffon, seit Sommer 1945 gerade auf eine positive Wahrnehmung durch die Bevölkerung an, erkannten sie doch, daß davon die Beurteilung von Erfolg und Mißerfolg Frankreichs beim östlichen Nachbarn abhing. Die Schaffung von Grundlagen fiir eine solche Perzeption verhinderten nicht die ambivalenten Pariser Vorgaben, sondern in erster Linie innerfranzösische Druckpotentiale und Problemkonstellationen, von öffentlicher Germanophobie bis zur nicht enden wollenden Ernährungskrise, die sich wechselseitig verstärkten und ihrerseits mental wie materiell nicht zuletzt in der deutschen Kriegs- und Ausbeutungspolitik im okkupierten Frankreich wurzelten. Im Grunde führte eine direkte Linie von diesen Erinnerungen der Franzosen an die "annees noires" über die Zwangslagen der Pariser Führung bei " Vgl. Brief Koenig über Rene Mayer an de Gaulle, Politique de la reconstruction en zone franl;aise d'occupation en Allernagne, 22.12.45, AMAE Y (1944/49) 434. " In diesem Sinne angedeutet bei Wotfrum, Jammert im Leid der Besiegte, S.36. > Vgl. Agulhon, La Republique, Bd.2, S.185f.; Remond, Notre siecle, S.348f.; Rioux, Quatrieme RepJblique. Bd1, S.25-29; Fran,.ois Boudot, Le retour des prisonniers de guerre, in: La Liberation de la France, S.705-719; ClJristophe Lewin, Le retour des prisonniers de guerre fran~s 1945, in: GMCC n °147 (1987) S.49-79 sowie zuletzt Fran,.ois Cochet, Fran~ais retour d' Allernagne, in: L'Histoire n °179 (1994) S.70-75.

614

C. Erklärungsmuster

rationalen Auseinandersetzung über die komplexen Ursachen bei, sondern eher zu emotionalen Schuldzuweisungen und zur Suche nach "Ventilen". Ähnlich der Tendenz in der französischen Besatzungszone, den Besatzer auch für solche Schwierigkeiten verantwortlich zu machen, für die er nun gerade nichts konnte, schien ein erheblicher Teil der Franzosen dazu zu neigen, die Gründe für sämtliche Probleme und Defizite ausschließlich in den "annres noires" zu suchen. Angesichts dieser "Blitzableiterfunktion" Deutschlands zur Überwindung französischer Traumata und materieller Notlagen war es nur zu plausibel, wenn die Öffentlichkeit eine sofortige und möglichst weitreichende wirtschaftliche Ausbeutung des verbliebenen deutschen Potentials nicht nur als legitim, sondern als kategorischen Imperativ erachtete, konstruktive Ansätze im Nachbarland als völlig indiskutabel ablehnte. Es war nicht weniger verständlich, wenn sich das Pariser Führungspersonal auf diese öffentliche Disposition angesichts des wachsenden Grabens zwischen Politik und Gesellschaft gern einließ, aber eben auch einlassen mußte, wollte es nicht zusätzliche hexagonale Konfliktdimensionen provozieren.

Druckperzeption. Tatsächlich nämlich existierte das öffentliche Druckpotential in Deutschlandangelegenheiten nicht nur, es wurde von den relevanten Stellen und Personen auch als solches wahrgenommen. Die Druckrealität entsprach voll und ganz der Druckperzeption und fand von Beginn an gebührende Berücksichtigung in Planung und Durchführung deutschlandpolitischer Ansätze und Ziele sowie bei deren Darstellung nach außen. Das schlagkräftigste Argument für verinnerlichte Risiken hexagonaler Germanophobie durch französische Spitzen akteure bildet die Tatsache, daß diese sie nicht nur im diplomatischen Verkehr mit den Westmächten verhandlungstaktisch einsetzten, sondern ständig und dezidiert - in mündlicher oder schriftlicher Form - im regierungsinternen Entscheidungsprozeß als Schranke eigenen Handeins thematisierten. Bei den Protagonisten französischer Diplomatie kamen neben den Risiken miteinander verschränkter deutschlandpolitischer und sozioökonomischer Druckpotentiale jeweils spezifische Akzente hinzu, die Fingerspitzengefühl für Stimmungslagen der Nation und Rücksichtnahmen auf öffentliche Meinungsströme mehr als geboten erschienen ließen. Für Charles de Gaulle ging es auch um die langfristige Absicherung seiner bonapartistisch inspirierten Volkslegitimität vom 18.Juni 1940 bzw. 25.August 1944 durch möglichst einhellige Zustimmung der Franzosen zu seiner "überparteilichen" Politik. Für den Parlamentarier und Parteipolitiker Georges Bidault ging es auch darum, sich nicht im Kampf um die Wählergunst von den Kommunisten und deren zunehmender antideutscher Propaganda distanzieren zu lassen. Für Robert Schuman ging es auch um die Vereinbarkeit einer besonderen Berücksichtigung seiner departementalen Öffentlichkeit durch den Pariser Politiker mit der allgemeinen Beruhigung und Zufriedenstellung der Franzosen auf nationaler Ebene durch den Lothringer. Für Jean Monnet ging es auch um die Grundlegung eines proamerikanischen Klimas neben dem bzw. statt des weitgehend prosowjetischen zur Erhöhung der hexagonalen Akzeptanz von Krediten aus Übersee und zur Minderung kommunistischer Konterkarierungsmittel für Rekonstruktion und Moderni-

I. Hexagonale Aspekte

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sierung. 6 Alle vier räumten der antideutschen Grundhaltung im Land beträchtliches Gewicht für die eigene Argumentation und Präsentation ein. Alle vier sahen einen "Gefahrenzusammenhang" von öffentlicher Gennanophobie, materiellen Erwartungshaltungen und - bei "Nichterfüllung" - potentiellem Nutzungswillen einer kulturell hegemonialen kommunistischen Partei. Alle vier benutzten den Begriff "öffentliche Meinung" im Sinne einer kommunistisch dominierten, für regime- und/oder rekonstruktionsbedrohende Politikansätze zugänglichen Öffentlichkeit. Alle vier versuchten, die bestehenden, als gravierend empfundenen inneren Gefährdungen nach außen zu nutzen. Die außenpolitischen Protagonisten stellten demnach schon bei Kriegsende die hexagonale Gennanophobie angemessen in Rechnung, doch nicht nur sie. Sowohl auf den unmittelbar nachgeordneten Verwaltungsebenen als auch bei Ministern und Spitzenbeamten der technischen Ressorts war sie ein zentrales Problem Diskussions- und Entscheidungsprozeß. Dies galt für die Mission militaire pour les affaires allemandes, 7 das Comite economique interministeriel' oder das Commissariat general aux affaires allemandes et autrichiennes,9 für die verschiedenen Abteilungen im Quai d'Orsayo oder die Botschafter bei den "Großen Drei", 11 für das Finanz- und Wirtschafts-,12 das Produktions- 13 oder sogar das Erziehungsressort. 14 Es war die 6 Zu de Gaulle vgl. awführlich mit Quellenbelegen Kapitel A m la, zu Bidault Kapitel B I 2b u. CI 2b, zu Schuman Kapitel B I 2c sowie zu Monnet Kapitel B I Zd. 7 Vgl. z.B. MMAA, Division eoonomique, Memorandum sur les participations financieres, o.D., vermutlich Ende Juni/Anfang Juli 1945, AN F12 10104. I Vgl. Gaston Cwin, La situation et la conjoncture economiques, Januar 1946, SAEF 5 A 12. 9 Vgl. z.B. Brief Rene Mayer an Albert Gazier, 15.03.46, AN 363 AP 6 oder Telegramm Rene Mayer an Koenig, 19.03.46, ebd.; in diesem Sinne dann als Drohung gegenüber den Briten eingesetzt, Expose Rene Mayer, lere seance pleniere de la Conference d'Essen sur le charbon, 12.04.46, AMAE PAAP 25Iß; Pierre-Olivier Lapie, Reunion d'inforrnation , 13.01.47, AMAE Y (1944/49) 654; Pierre Schneiter in einern persönlichen Gespräch mit Jacques-Carnille Paris, von diesem zit. in Brief an Massigli, 29.11.47, AMAE PAAP 217/101. IOVgI. z.B. HerveAlIiJand, Note a.s. problemes allemands, 18.07.46, AN 457 AP 60; die Äußerungen vonFran~CouIet, Corrperendu de la reunion du lundi 12 aoOt 1946 sur le projet de creation d'un etat menan, AMAE Y (1944/49) 436; Rayrnond Offroy, Note pour M. Couve de Murville, 22.08.46, AMAE Y (1944/49) 287; Brief Chauvel an Massigli, 25.02.47, AMAE PAAP 217/55; Brief Louis Joxe an CGAAA a.s. Formation d'instituteurs allemands dans des eooles normales fran~ses, 24.03.47, AMAE Rel.Cull (1945/47)45; HerveAl(i1and, Note, 21.07.47, AMAE Y (1944/49) 375; Note pour le Ministre a.s. conversations franco-arnencaines sur l'A1lernagne, o.A., 20.08.47, AN 457 AP 62; Jean Chauvel, NIXe, 06.11.47, AMAEPAAP217/65; Brief Jacques-Camille Paris an Massigli, 06.01.48, AMAE PAAP 217/101; Maurire Ccuve de Murville, Note pour le Ministre, 10.05.48, AMAE Y (1944/49) 305; MAE, Dir.Eco., Note pour Bidault, Reparations allemandes, 04.06.48, AN 457 AP 19; Robert Fahre, Note, 12.06.48, AMAE Y (1944/49) 399. 11 Vgl. z.B. persönIidu Brief Massigli an Chauvel, 22.02.46, AMAE PAAP 217/94; Telegramm Paris an Bidault, 03.04.46, AMAE Z Europe (1944/49) Grande-Bretagne 36 sowie Brief Paris an Bidault, Projets d'aIIiance franco-britannique, 05.04.46, ebd.; Brief Massigli an Bidault a.s. Affaires allemandes, 27.07.46, AMAE PAAP 217/63; Telegramm bzw. Brief Massigli an Blwn, 09.01.47, FNSP-AHC Papiers LOOn Blum4 BL 3 Dr.2; Georges Catroux im Gespräch mit Vincent Auriol, 23.05.47, in: Auriol, Journal 1947, S.236f. 12 Vgl. z.B. Brief Pleven an Mendes France, 17.04.45, SAEF 5 A 7; Brief Schweitzer an Schneiter, Frais d'occupation en Allernagne, AoOt 1946, SAEF B 8824; Awführungen Philip vor dem sozialisti-

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C. EEldärungsßlllSter

Furcht vor einer Verschärfung der innenpolitischen Krise, vor zunehmender Unzufriedenheit, vor deren Instrumentalisierung, vor Infragestellung der wirtschaftlichen und moralischen Wiederaufrichtungsprämissen, die lange ein schrittweises Heranführen der Bevölkerung an deutschlandpolitische Realitäten verhinderte, obwohl dies die innen- und außenpolitische Flexibilität Frankreichs mittelfristig untergraben mußte. Gerade das, was die Pariser Akteure sich ursprünglich durch einen maximalistischen Deutschlanddiskurs zu ersparen suchten, die Schaffung vermeidbarer Zusatzprobleme zu den ohnehin existierenden, konnte auf Dauer nicht gelingen. Erschien demnach bereits eine allmähliche öffentliche Anpassung der Maximal- an die Realziele innenpolitisch nicht ohne eine Zuspitzung der Schwierigkeiten zu haben, so war dies bei einem spontanen Kurswechsel vor der französischen Öffentlichkeit erst recht der Fall.'s Die Beharrung auf Maximalpositionen besaß kurzfristig höchst positive Rückwirkungen als Beschwichtigungs-, Ablenkungs- und moralisches Wiederaufrichtungsmittel für die Franzosen, mit fortschreitender Zeit jedoch auch negative Folgen, die sich für die Regierungen in einem Zwang zur Verschleierung der wirklichen Deutschlandpositionen äußerte. Der kommunistisch orchestrierte öffentliche Sturm der Entrüstung bei der Annahme der Londoner Empfehlungen Anfang Juni 1948 läßt ahnen, wie stark der Druck in den Jahren zuvor gewesen sein muß. Er veranlaßte die Provisorische Regierung zu einer Politik zwischen Ablenkung und Verschleierung im Innern und mündete mit der Aufrechterhaltung maximalistischer Ansprüche in eine "doppelte Deutschlandpolitik". Gemessen an den realen Zwängen der Zeit konstatierte Bidault völlig zurecht - und nicht nur aus Gründen apologetischer Selbstbeweihräucherung rückblickend: "TI fallut du temps, au lendemain de la guerre, pour laisser s'eloigner les mauvais souvenirs et pour reorienter la politique de la France dans un sens plus conforme aux donnees du reel et plus fidele asa tradition historique."'6

Zwischenbilanz: 1918 und 1944. Eine erhöhte Sensibilisierung von Politikern eines demokratisch verfaßten Staates gegenüber mentalen und materiellen Schwierigkeiten der Menschen sowie ein gesteigertes Fingerspitzengefühl für Zumutbarkeitsgrenzen in bestimmten Politikfeldern scheinen zu den Spezifika von Nachkriegs-, erst recht von Nachweltkriegssituationen zu gehören. Unabhängig von vielfachen fundamentalen Unterschieden zwischen den Jahren nach 1918 und nach 1944, von dem völlig andersgearteten Friedensprozeß an sich über die gänzlich verschiedenen weltpolititischen Konstellationen bis hin zur gewandelten Einschätzung eigener machtpolitischer Grenzen und Chancen, spielte die Germanophobie der französischen Öffentlichkeit in den Nachkriegsjahren und die Wahrnehmung sehen Comite directeur, Reunion du 29 janvier 1947, OURS SFlO Com.dir. 3 (1946/47); Guillaurne Guindey, Note pour le Ministre, 12.02.48, SAEF B 34172. 13VgI. z.B. Compte rendu de la Conference pronoßl:ee devant les dirigeants des Offices professionneIs et des principaux syndicats patronaux industrieIs par M. Philippe Coste, 13.10.45, AN F12 10642. W VgI. Brief Naegelen an Bidault, 20.03.47, AMAE ReI.CuIt. (1945/47) 45. IS Vgl. z.B. Auriol, Journal 1947, S.XLIII, ähnlich Grosser, IVe Republique, S.207 u. 209. 16 VgI. Bidault, D'une Resistance a I'autre, S.150; ähnlich ebd., S.90 u. 163.

I. Hexagonale Aspekte

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eines daraus erwachsenden Druckpotentials für die Fonnulierung der Deutschlandpolitik eine maßgebliche Rolle. Dies war nach dem Zweiten nicht anders als nach dem Ersten Weltkrieg. Die praktische Politik allerdings, die im Bedingungsgeflecht von Innen- und Außenpolitik daraus erwuchs, war es umso mehr.

2. Immanente Deutschlandzwänge des (partei-)politischen Systems: vom Kitt des Tripartismus zur Bedrohung der Dritten Kraft Das Druckpotential der öffentlichen und veröffentlichten Meinung zugunsten einer Revanchepolitik bildete nicht den einzigen hexagonalen Zwang, den die Pariser Führung bei Planung und Darstellung von Deutschlandansätzen zu berücksichtigen hatte. Als weitere Erschwernis für eine allmähliche Parallelisierung von Maximalforderungen und Realzielen müssen die Blockierungen eines zunächst provisorischen, dann instabilen Regierungssystems gelten sowie die eingeschränkten Spielräume, die sich für systemtragende Parteien und Politiker daraus ergaben. Die zunehmende Aufwertung der IV. Republik in verschiedenen, vor allem sozioökonomisehen Sektoren stößt bei aller berechtigten Betonung ministerieller bzw. administrativer Kontinuitäten an Grenzen, wenn es um institutionelle Fragen geht, um Regierungsinstabilität und Koalitionspolitik gouvernementaler "Zweckgemeinschaften" . Ein Versuch, deren Relevanz für die regierungs amtliche Deutschlandpolitik genauer zu betrachten, soll im folgenden unternommen werden. Dabei geht es zunächst um den koalitions-, sach- und wahlpolitischen Anpassungsdruck, der angesichts einer hegemonialen antideutschen kommunistischen Partei während des Tripartismus von Januar 1946 bis Mai 1947 auf den gemäßigteren Kräften lastete, dann um das Damoklesschwert der Deutschlandmaximalismen seitens der gaullistisch-kommunistischen Regimeopposition während der Dritte Kraft-Regierungen der Folgejahre.

a) Der koalitions-, sach- und wahlpoUtische Druck kommunistischer Hegemonie im Tripartismus: RevanchepoUtik als kleinster gemeinsamer Nenner mit größtem elektoralem Nutzen? "Une dizaine de scrutins en trente rnois, une douzaine meme si l'on compte les deux tours des elections rramicipaies et cantonaIes de 1945, ce n'est plw une fonction pour les partis politiques, c'est devenu une obsession, une maladie. Leurs dirigeants n'ont plw depuis trop longtemps qu'une idee fixe: une election dans quelques mois, dans quelques semaines, dans quelques jours, une election, c'est-a-dire un combat et un jugement, une question de '!ie ou de mort. En verite, on ne dira jamais assez le mal que ces scrutins repetes ont fait au pays et peut-etre au regime." 1

Mehr als drei Jahre, seit de Gaulle sie im April 1944 in sein CFLN-Kabinett aufgenommen hatte, verblieben Repräsentanten des PCF in der französischen 1 J acques Fauvet, Les partis politiques dans la France actuelle. Etudes critiques suivies de noles sur I'organisation et les effectifs des partis, Paris 1947,5.9.

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C. Erklärungsmuster

Regierung. Aufgrund des hohen moralischen Resistance-Prestiges, der nicht zuletzt darauf beruhenden Wahlerfolge sowie des offensichtlichen Stabilisierungskurses der Kommunisten erschien dies nach außen als völlige Selbstverständlichkeit. Aufgrund der politischen, sozioökonomischen und kulturellen Hegemonie des PCF und der Sorge um einen möglichen Strategiewechsel erschien dies de Gaulle und den volksrepublikanischen bzw. sozialistischen Parteiführern vor allem als absolute Notwendigkeit: ''La seule solution est donc un gouvernement tripartite des trois grands partis qui constituent la majorite. TI faut jouer le jeu honnetement et totalement. ... C'est le seul mO)en de les [les communistesl engager dans la solidarite gouvernementale et, je ne dirais pas d'eliminer, mais de roouire pour eux, des possibilites de double jeu malhonnete auquel ils se sont livres depuis un an."2 Für nichtkommunistische Parteien und Politiker war die vorgebliche "parti des 75.000 fusilles" ein unersetzlicher "Partner", mit dem sich nach Befreiung und Kriegsende zumindest zeitweise breiteste Schichten der Bevölkerung in das neue Regime und dessen Wirtschafts- und Produktionsprioritäten einbinden ließen. 3

FortwähreruJer Koalitionsdruck. Der überraschende Rücktritt de Gaulles, dem "Retter der Nation" und "überparteilichen" Präsidenten, nahm dem provisorischen Regierungssystem am 20Januar 1946 einen wesentlichen politischen und sozialen Integrationsfaktor. Auf der einen Seite trat damit die hegemoniale Stellung des "communisme au visage nouveau",4 der kommunistischen Partei als Formation mit den meisten Wählern und Mitgliedern, mit größter hexagonaler Breiten- und sozialer Tiefenwirkung, mit massenwirksamsten Satellitenorganisationen und Medienmulti plikatoren, mit modernstem Auftreten und intellektuellem Flair, umso stärker zutage.s Auf der anderen Seite manifestierte sich für die sozialistische und volksrepublikanische Partei das Spannungsverhältnis zwischen parteipolitischen Eigeninteressen und koalitionspolitisch-regimeimmanenten Zwängen umso deutlicher. Denn der tripartistische Ausweg aus der "Rücktrittskrise" war keine Selbstverständlichkeit. Von den drei nach Wählerstimmen großen Parteien der Zeit verspürten offensichtlich die Kommunisten das dringendste Bedürfnis, weiter Regierungsverantwortung zu übernehmen. Der Duc1os-Vorschlag, Maurice Thorez zum neuen Regierungspräsidenten zu küren, fand sich allerdings gleich bei den ersten Gesprächen am 23Januar abgeblockt. 6 2 Brief Philip an de Gaulle, 29.10.45, AN 72 Al 567, acht Tage nach den Legislativwahlen, die theoretisch sowohl eine SFlO-PCF- als auch eine SFlO-MRP-Regierung mit jeweils absoluter Mehrheit in der Assemblee constituante erlaubt hätten. , Vgl. ausführlicher Kapitel A I 2a. • Vgl. De la Gorce, Naissance de la France modeme, Bd.1, S.75. > Vgl. z.B. Maurice Einaudi, Present-day forces and issues, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Foreign governments, The dynamics cl politics abroad, New York 1949, S.213-235 (216f.) sowie vor allem Williams, Crisis and compromise, S.22, 82 u. 387 und KriegeI, Le pani communiste fran~is, la Resistance, la Liberation et retablissement de la IV e Republique, S.175. • Vgl. Proce.s-verbaI des premieres conversations tripartites aParis, 23.01.46, abgedruckt in: Revue du Nord n0227 (1975) S.594-598 (594); dazu schon Vemon van Dyke, The position andprospects ofthe communists in France, in: Political Science Quarterly 63 (1948) S.45-81 (68).

I. Hexagonale Aspekte

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Die Führung der Sozialisten diskutierte seit dem Pariser Nationalkongreß von Mitte August 1945, wo ein hexagonal noch nahezu unbekannter Guy Mollet mit massiven Zweifeln - obschon zunächst fast ohne Resonanz - an der Zweckmäßigkeit einer Regierungsbeteiligung vorgeprescht war,7 zunehmend über Bündnismöglichkeiten.8 Unter regimeerhaltenden und demokratiestabilisierenden Aspekten galt eine Tripartismuslösung als die beste, doch sicherte sie daneben der SFIO die Rolle als Achsenpartei, die mit Unterstützung von links den Klerikalismus des MRP, mit Beistand von rechts den sozialreformerischen hnpetus des PCF zu bremsen vermochte. Eine tripartistische Koalition schien demnach den eigenen Interessen durchaus nicht völlig entgegenzulaufen. Dem innerparteilichen Wunsch nach mehr Eigenständigkeit und sachpolitischer Profilierung ließ sich jedoch nur begrenzt Rechnung tragen. Der Versuch Leon Blums, diesen Eindruck zu zerstreuen,9 konnte ihn im Grunde nur erhärten. Und die Folgemonate sollten zeigen, daß der Anpassungsdruck, der von kommunistischer Seite ausging, beträchtlich war, nicht zuletzt in der Deutschlandpolitik. Den volksrepublikanischen Spitzenpolitikern fiel die Entscheidung zugunsten einer Regierung der "großen Drei" nach de Gaulles Demission schwerer als den Sozialisten. Tatsächlich war die Position als Koalitions-Rechtsaußen nicht sonderlich attraktiv. Das möglicherweise entstehende Bild einer klassisch konservativklerikalen Gruppierung konnte nicht nach dem Geschmack einer Partei sein, deren Führung - weniger jedoch deren Wähler - ein beträchtliches sozialreformerisches Potential barg. Vor allem stand für die "Partei der Treue" bei einer Regierungsbeteiligung der "Alleinvertretungsanspruch" im de Gaulleschen Windschatten auf dem Spiel, der sich bislang als ungemein wählerwirksam erwiesen hatte. Unter elektoralistischen Gesichtspunkten schien - wie Bidault anmerkte - die Etablierung des MRP als oppositionelle "grand parti modere demeurant le parti de la fidelite" profitabler. lo Zur Wahrung eigenständigen Profils galt es deshalb zumindest Bedingungen an die Übernahme einer gouvernementalen Rolle zu knüpfen, besonders eine Garantie gegen einen "systematischen Antiklerikalismus" von PCF und SFIO auszuhandeln, so wenig realistisch dies auch sein mochte. Mit dem Eintritt in das tripartistische Regierungsbündnis trotz beachtlicher und bedenkenswerter Vorbehalte stellte die MRP-Spitze parteipolitische Interessen hinter den Willen nach der Festigung des "republicain way of life"l1 zurück, den "electoralisme" - wie Andre Colin die Ausführungen Bidaults zusarnmenfaßte - hinter "l'interet superieur du pays et la sauvegarde de la democratie menacee."12 Vgl. dazu Denis Lefebvre, Guy Mollet. Le mal aime, Paris 1992, S.8OO. Vgl. Reunion du 16 novembre 1945 bzw. du 9 janvier 1946, OURS SPIO Comdir. 2 (1945/46). 9 Vgl. Cornite directeur, Reunion du 5 fevrier 1946, OURS SPIO Comdir. 2 (1945/46), wo er ausführte: "11 sera necessaire que nous ayons une position qui, cette fois, se distingue nettement, sans confusion possible, et des communistes d'un c&e et du MRP de l'autre." 10 Vgl. Reunion de la Commission executive, 20.01.46, AN 350 AP 45. 11 Kapitelüberschrift UNH bei Dorothy M. Pickles, France between the Republics, London 1946. 12 Reunion de la Commission executive, 20.01.46, AN 350 AP 45. 7 I

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C. Erklärungsmuster

Für Sozialisten wie Volksrepublikaner markierten koalitionspolitische Notwendigkeiten zur demokratischen Absicherung der werdenden IV .Republik die Grenzen respektiver Eigenständigkeitswünsche. Eine tripartistische Regierung mit Einbindung bzw. Einrahmung kommunistischer Minister blieb oberstes Gebot der Stunde und perpetuierte die Unterstützung von PCF und CGT für die "stachanowistische Produktionsschlacht" ,13 für Rekonstruktion und Modernisierung der Nation, die beide als vorrangig betrachteten. 14 Sachpolitischer Anpassungsdruck. Die dargelegten Hintergründe dieser Vernunftheirat, die widersprüchlichen Hintergedanken der drei "Partner" sowie die jeweils innerparteilich betonten Profilierungsbedürfnisse ließen kaum auf ein kohärentes Regierungsprogramm, erst recht nicht auf eine kohärente Politik, hoffen. Bereits durch die ausdrückliche Verpflichtung der involvierten Gruppierungen, mit allen Mitteln "de maintenir et de developper au gouvernement, dans l'Assemblee, la presse et le pays un esprit de solidarite loyale,"ls glich die "Charte du tripartisme" vom 24.Januar 1946 eher einem "Nichtangriffspakt" als einer politisch relevanten Koalitionsabsprache. 16 Die "großen Drei" teilten die Ministerien untereinander auf, nur das aufgrund der miserablen Versorgungslage höchst unpopuläre Ernährungsressort war nicht "vermittelbar" und fiel an den Radikalsozialisten Renri Longchambon. 17 Faktisch offenbarte sich bald in verschiedensten Politikfeldern ein flagranter regierungsinterner Bürgerkrieg,18 ein Eindruck, der durch die gängige Praxis parteipolitischer "Kolonisierung" bzw. "Dekolonisierung" in den jeweiligen Ministerien zusätzlich verstärkt wurde. Gerade Sozialisten und Volksrepublikaner hatten als moderate Kräfte der Koalition eine ausgeprägte innere Disziplin und äußere Komprornißbereitschaft an den Tag zu legen, sich unweigerlich an den extremen Positionen der Kommunisten zu orientieren. 19 Es galt vielfach kurzsichtige, den realen Grundhaltungen der Parteiführungen kaum entsprechende Einschätzungen zu vertreten und nach öffentlichkeits13

'4

Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders, S.105f.

In diesem Zusanunenhang spielten äußere Aspekte innerer Systemstabilisierung, konkret die Relevanz amerikanischer Kredite für möglichst rasche Wiederaufuaufortschritte, in beiden Parteivocständen eine gewichtige Rolle und fanden sich eingehend im Rahmen der respektiven BÜDdnisdiskussionen thematisiert; MRP wie auch SFIO kamen mehrheitlich zu dem Schluß, daß eine sozialistischkonununistische Regierung künftigen Finanupritzen aus den Vereinigten Staaten kaum zuträglich sein dürfte; ausführlicher dazu Kapitel C I 2c. Die von Georgette Elgey, IVe Republique, Bd.l, S.101-104 aufgestellte und von Billotte, Les chemins de l'aventure, S.417-422 bestätigte These, erst ein Brief von Billotte an Maurice Schumann mit deutlichen Hinweisen auf eine amerikanische Militärintervention im Falle einer SFIO-PCF-Regierung habe den MRP zur Beteiligung an der tripartistischen Lösung bewogen, kann inzwischen als widerlegt gelten; vgl. dazu Charlot, Le gaullisme d'opposition, S.48ff. 13

Zit. nach Pierre Avrill Gerard Vincent, La IVe Republique. Histoire et soci6te, Paris 1988, S.186.

.. Zu den Auseinandersetzungen bei der Abfassung der Charta vgl. Jacques DebQ-Bridel, Les partis contre de Gaulle. Naissance de la IVe Republique, Paris 1948, S.117 . • 7 Zur Dreiteilung des "Regierungs kuchens" vgl. Chapsal, La vie politique en France, S.151; zu Longchambon vgl. Bloch-Mochange, Les politiciens, S.27f. u. 31ff. 11 Vgl. Gocdon Wright, Thereshaping ofFrench democracy, New York 1950, S.222.

"VgI. R.e!mnd, Naresiecte, S.380; zuvor bereits Williams, Crisis and compmmise, S.387 oder Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders, S.105.

I. Hexagonale Aspekte

621

relevanten Politikfeldern zu suchen, in denen Formelkompromisse noch am ehesten innerparteilich verträglich und nach außen glaubwürdig schienen. Dabei schieden innenpolitische Problemstellungen fast völlig aus, denn in den Führungsetagen von MRP und SFIO besaßen sie einen unvergleichlich höheren Stellenwert als außenpolitische Fragen 20 und mußten Übereinkünfte selbst offizieller Natur zu einem umso komplizierteren Unterfangen machen. Bot sich dementsprechend die Deutschlandpolitik nicht als ein solcher formaler "Konsensbereich" geradezu an, zumal angesichts virulenter Germanophobie im Hexagon? Für den "gaullisierten" MRP war dies leicht zu akzeptieren. Seit August 1944 war er durch "seinen" Außenminister deutschlandpolitisch involviert. Bidault selbst war von Beginn an mit öffentlichen Druckpotentialen und Ablenkungszwängen bestens vertraut, daneben seit August 1945 mit den internationalen Nutzungschancen kommunistisch inspirierter hexagonaler Germanophobie. Die SFIO-Spitze, die Quai d'Orsay-Interna und taktische Bedingtheiten maximalistischer Positionen nicht im Detail kennen konnte, tat sich indessen schwerer. Zumindest einige Sozialisten wollten unter Federfi.ihrung Uon Blums eine realistischere Deutschlandhaltung auch offiziell vetreten sehen und internationalistische, an kollektiven Sicherheitsmechanismen ausgerichtete Konzeptionen stärker öffentlich berücksichtigt wissen. Der Konflikt zwischen Außen minister Bidault und dem Nachfolger de Gaulles als Präsident der Provisorischen Regierung, dem Sozialisten Felix Gouin, auf den im Folgekapitel ausführlicher einzugehen sein wird, spielte sich vor diesem Hintergrund ab. Die formale Beilegung der Kontroverse durch das Ministerratskommunique vom 5.April 1946, das die Aufrechterhaltung der bislang offiziell vertretenen maximalistischen Deutschlandpositionen in allen Punkten bestätigte, war in vielfacher Hinsicht aufschlußreich. Vor allem unterstrich sie erneut die "Anziehungskraft" von PCF-Haltungen auf die bei den anderen Regierungsparteien. Das sozialistische "Rückschwenken" signalisierte jedenfalls, daß die kommunistische Partei zwar nicht die reale Politik bestimmte, wohl aber den Ton, der nach außen drang. Das Interesse an einer Aufrechterhaltung des "tripartisme" , die Furcht vor einem abrupten Ende des sozialen Friedens beim Scheitern der Zusammenarbeit auf höchster Ebene, ließen Volksrepublikaner und Sozialisten selbst dann noch regierungsamtlich eine auf die PCF-Anschauungen abgestimmte Deutschlandposition einnehmen, als der Quai d'Orsay diese längst als Utopie entlarvt hatte und MRP bzw. SFIO diese längst kontrovers diskutierten. 21 Das Vorgehen gegenüber dem östlichen Nachbarn in der Tradition de Gaullescher und Bidaultscher Maximalforderungen war in der Tat das tripartistische Politikfeld, in dem sich das wechselseitige Einverständnis offiziell am längsten bewahren ließ. 22 Es gab eben kaum einen '" Die systematische Durchsicht von Protokollen der Vorstandssitzungen bei SPIO und MRP seit der Befreiung und die 2lltage tretende überraschend geringe Häufigkeit von Deutschlanddiskussionen unterstreicht nachdrücklich die nur relative Bedeutsarnkeit deutschlandpolitischer Fragen im Verhältnis 2llffi Übermaß an hexagonalen Schwierigkeiten mit potentiell regimebedrohendem Charakter. 21 Zum MRP vgl. Schreiner, Bidault, S.73-81 u. 122-129; 2llr SPIO vgl. Loth, Sozialismus und Internationalismus, S.49-52 oder Bombois, La SPIO et I'Allemagne, S.29-35. 22 Dies auch die Einschätzung von Berstein I MiIza, Histoire de la France, Bd.3, S.49f., die ansonsten 40 Hüser

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C. Erldärungsnwster

wichtigen Sektor, in dem selbst Formelkompromisse überhaupt möglich, noch dazu innenpolitisch notwendig und außenpolitisch nützlich waren.

Ein Übergangsregime als permanente Wahlkampfarena. Ein koalitions- und sachpolitischer Anpassungsdruck an den hegemonialen "Linksaußen" im Parteienspektrum wäre in einem fest etablierten, stabilen Regierungssystem leichter zu ertragen, wenn nicht zu umgehen gewesen. In einer weiterhin verfassungslosen Übergangsphase allerdings, wo trotz aller Provisorien zumindest demokratischen Ansprüchen Genüge getan werden sollte und wo auf nationaler Ebene eine Wahl die nächste jagte, war dies nicht ohne weiteres möglich. Der Reigen sukzessiver Urnengänge zwischen Mitte 1945 und Ende 1946 war mehr als bemerkenswert. Auf die Gemeindewahlen vom 29.April und 13.Mai, die Kantonalwahlen vom 23. und 30.September, die Volksabstimmung zur Organisation der politischen Übergangsphase und die Auswahl von Deputierten für die Assemblee constituante vom 21.0ktober 1945 als erstem Legislativvotum der Franzosen seit den "Volksfront-Wahlen" von AprilJMai 1936 folgten im Jahre 1946 ein Verfassungsreferendum am 5.Mai, die erneuten Wahlen zu einer Assemblee constituante am 2.Juni, ein zweites Verfassungsreferendum am 13.0ktober, dann die Stimmabgaben für die Abgeordneten der Nationalversammlung am 1O.November, für die "grands electeurs" des Conseil de la Republique am 26.November, schließlich für die "conseillers generaux" in den französischen Departements am 8.Dezember. 23 Die Spitzenpolitiker befanden sich im Dauerwahlkampf, reisten in den Wochen vor der Abstimmung kreuz und quer durchs Land, standen dabei unter permanenter Beobachtung der regionalen wie auch der nationalen Presseorgane. 24 Sie sahen sich ständig gezwungen, gegenüber dem Wahlvolk Rechenschaft über das eigene Handeln bzw. das der Partei abzulegen, über Erfolge und Gründe für Mißerfolge, vor allem über die Ursachen für fortwährende materielle Provisorien und Zwangslagen. "sur tous les problemes un cIivage chaque jour plus grand entre le parti communiste et les autres formations politiques du gouvernement" im Laufe der tripartistischen Regierungsarbeit seit Januar 1946 konstatieren, ebd., S.46; in diesem Sinne Gerbet e.a., Le relevement, S.257 oder Jean-Jacques Becker, Paul Ramadier et I'annee 1947, in: Berstein (Hg.), Ramadier, S.221-237 (227). 23 Zit nach Julliard, Quatrieme Republique, S.40; eine erschöpfende wahlsoziologische und -geographische Analyse der Legislativwahlen von Oktober 1945, Juni und November 1946 sowie der Referenden von Mai und Oktober 1946 bietet in bester Siegfriedscher Tradition Fran~is Goguel, Chroniques electorales. La Quatrieme Republique, Paris 1981, S.27-42, 45-63 u. 65-92. '" V gl. z.B. die ausführliche Wahlkampfberichterstattung des nicht parteigebundenen France-Soir vor der Abstirrurung übel" die Zusammensetzung der ersten konstituierenden Versammlung im Oktober 1945, die neben täglichen Artikeln über die programmatischen Aussagen der wichtigsten Gruppierungen :ru Innen- und Außenpolitik vielerlei Reportagen über Äußerungen von Parteispitzen bei Veranstaltungen in der Provinz umfaßte; vgl. z.B. Yves Grosrichard, A travers les circonscriptions, in: France-Soir, 20.10.45 mit Schlaglichtern :ru Andre Diethelm, Georges Bidault, Claude Bourdet, Pierre-Henri Teitgen, Louis Jacquinot. In den parteinahen Gazetten berichteten "Sonderkorrespondenten" über die Tourneen der respektiven "Matadore", beispielsweise L'Aube vornehmlich über Bidault oder Schumann: vgl. z.B. Georges Mamy, Rassembler la France, in: L'Aube, 16.10.45 über "Ies etapes vibrantes de cet unique periple electoral" von Bidault; Jean Richard, Dans le Nord bouillonnant Maurice Schumann jette avec passion les semences de verite, in: ebd., 18.10.45; Pour une Republique juste et rigoureuse, pour une France fcrte et pr6sente dans le monde, in: ebd. (o.A.), 20.01.45 als Abdruck eines "discours radiodiffus6" von Bidault mit Anspielungen auf Marechal Foch.

I. Hexagonale Aspekte

623

Die Legislativwahlen waren selbstverständlich von besonderem Gewicht, gerade für das zahlreiche neue politische Personal 25 aus dem Reservoir der inneren und äußeren Resistance, denn schließlich versprach nur ein Mandat im Palais Bourbon die Befriedigung des über Jahre zurückgestauten Handlungsdrangs und die Chance, die eigenen Vorstellungen von einem in jederlei Hinsicht modernisierten Frankreich zu realisieren. Dementsprechend groß war das persönliche Engagement und der Einsatz der Mittel. Doch nicht nur die Parlamentswahlen waren relevant. Selbst primär lokal und regional bedeutsame Urnengänge, in denen die Parteispitzen nicht als Kandidaten in Erscheinung traten, bildeten einen nationalen Test, fanden sie doch in ganz Frankreich am gleichen Tag statt.

Wahlkampfobsessionen. Eine systematische Aufarbeitung des "ministeriellen Absentismus" aus Wahlkampfgrtinden in der Pariser Zentrale wäre in diesem Zusanunenhang höchst aufschlußreich, allerdings praktisch kaum durchführbar. Es läßt sich jedoch gewiß davon ausgehen, daß die Ankündigung von Finanz- und Wirtschaftsminister Pleven gegenüber dem Regierungspräsidenten, "que je compte etre absent de Paris a partir du mercredi 10 octobre pour me consacrer exclusivement jusqu'au 21 octobre a ma campagne electorale"26 alles andere als einen Einzelfall darstellte. Das Antwortschreiben de Gaulles an Pleven, immerhin eine der ersten bedeutenden Stützen der "Freien Franzosen" in London, war im übrigen nicht weniger signifikant und veranschaulichte seine wachsende Distanz zu Parteienregime und Wahlfrenesie, beorderte er ihn doch amüsiert bis abschätzig noch für den 18.0ktober in den Ministerrat. 27 Im Quai d'Orsay wurde vor jedem größeren wahlpolitischen Ereignis Klage über das Bidaultsche Engagement in der Innen- und Parteipolitik gefiihrt, das die aufgrund internationaler Verpflichtungen ohnehin hohe Absentismusrate des Außenministers weiter ansteigen ließ. Nach den Legislativwahlen vom 21.0ktober 1945 lamentierte Massigli, daß "votre absence de Paris" die Prüfung des in seinen Augen akzeptablen britischen Kompromißvorschlages in der Frage deutscher Zentralverwaltungsstellen unmöglich gemacht und eine angemessene Entscheidung verhindert habe. 28 Vor dem Urnengang vom 1O.November 1946 beanstandete Generalsekretär Chauvel, Bidault sei "a peu pres completement absorbe par ses preoccupations de politique interieure."29 2>

V gl. Charlot, Les elites politiques, S.89ff.

Brief Pleven an de Gaulle, 09.10.45, SAEF 5 A 9, in dem er weiter ausführte: "Vous savez que je defends la position du gouvernement dans le departement des Cötes-du-Nord. Je dois done faire un effort particulierement difficile pour I'emporter sur mes coneurrents dont les tetes de Iistes sont toutes des fonetionnaires de I'Etat en conge et qui ont pu loisir preparer le terrain et continueront jusqu'au 21 octobre se eonsacrer leur campagne." 26

a

a

a

ZI Vgl. Brief de Gaulle an Pleven, 15,10.45, in: Oe Gaulle, LNC VI, S.I00: "On me dit que vous )Xefereriez ne pas as.ruter au Conseil des ministres de jeudi prochain. Je n'y puis eroire. Vous devez y etre. Les soucis electaaux peuvent avoir leur valeur, mais le minimum d'activite ministerielle et la presenee du Minislre des finanees et de I'economie nationale au dernier Conseil de mon gouvernement, passent avant tout. Ajeudi done, mon eher ami, ..... 2J

Vgl. Brief Massigli an Bidault, 26.10.45, AMAE PAAP 217/92.

2. Brief Massigli, 25.10.46, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 80; vgl. daneben Jean Chauvel,

Note, 06.11.46, AMAE Y (1944/49) 289 sowie Note pour la Dir.Eur., o.A., 09.11.46, ebd.

624

C. Fzklärungsmuster

Im diplomatischen Verkehr fand sich das "Wahlkarnpfargument" nicht anders gegenüber den Angelsachsen instrumentalisiert als das der Regierungsinstabilität oder das des explosiven Gemischs aus öffentlichem Antigerrnanismus und sozialer Gärung. Und überall schien man ein gewisses Verständnis für die inneren Zwänge französischer Diplomatie aufzubringen?O Auch in diesem Fall handelte es sich um eine relative, eine aus der Not geborene Trumpfkarte, denn die Besorgnis nichtkommunistischer Politiker in Frankreich über weitere mögliche Stimmen- und Machtzuwächse des PCF waren realer Natur, wie regierungsinterne Debatten über öffentliche Zurnutbarkeitsgrenzen gerade vor Wahlen veranschaulichen. Nicht ohne Grund bat jedenfalls Philip als dezidierter "Europäer" de Gaulle gleich nach den Oktoberwahlen 1945, öffentliche Bekenntnisse zum vehement von kommunistischer Seite bekämpften Westeuropagedanken für die nächsten acht Monate, bis nach den folgenden Legislativwahlen, auf Eis zu legen: "Ce n 'est qu'apres les elections de Juin qu'il sera possible de s'engager plus avant dans cette voie."31 Und nicht ohne Grund bat auch Bidault gleich nach seiner Ernennung zum Gouin-Nachfolger seinen Finanzminister Schuman mehrfach inständig, bis zu den Novemberwahlen keine unpopulären finanzpolitischen Entscheidungen zu treffen und den Franzosen keine zu großen zusätzlichen Opfer abzuverlangen. 32 Deutschland im Wahlkampf Angesichts virulenter Germanophobie, fortdauernder materieller Problernlagen und potentieller Regimebedrohung übte die zwischen Mitte 1945 und Ende 1946 fast ununterbrochene "Konfrontation" mit einern Wahlvolk, dessen immense Erwartungshaltungen seit der Befreiung wieder und wieder enttäuscht worden waren, einen gewaltigen Zwang auf die nicht-kommunistischen Gruppierungen und Spitzenpolitiker aus. Unabhängig von zunehmenden regierungsinternen Differenzierungen oder innerparteilichen Diskussionen über Sinn und Zweck rnaximalistischer Deutschlandforderungen galt es wenigstens nach außen eine eher destruktive Linie zu bevorzugen und auf dem ebenso utopischen wie identitätsstiftenden Diskurs im Kontext hexagonaler Befriedigungs- und Ablenkungstaktik zu beharren. Tatsächlich war zu einern Zeitpunkt, als die Franzosen noch massiv unter Hunger und Kälte, unter Bekleidungs- und Versorgungsschwierigkeiten vielfältigster Art, zu leiden hatten, ein solcher Revanchekurs ein glänzendes Wahlkarnpfargument. 33 Auch Konrad Adenauer schien sich darüber im Klaren: Vor Parteidelegierten erklärte er sich die Undurchsichtigkeit französischer Deutschlandpolitik nicht zuletzt dadurch, "daß die Franzosen, ich glaube am 2.September, wiederum Wahlen haben, und zwar Wahlen, die dann wohl das Kräfteverhältnis im Innern festlegen sollen, und offenbar wird erfahrungsgemäß eine Partei und eine Regierung zögern, unmittelbar vor einer solchen Wahl irgend eine entschiedene ]) VgI. z.B. Entretien entre M. BidauIt et M. Bevin, 11.10.46, AMAE PAAP 217/63; ausführlich zur deutsdllandpolitisdJen Wahlkampfinstrumentalisierung BidauIts gegenüber den Vereinigten Staaten und Großbritannien bzw. zu deren Rücksichtnahmen vgI. Kapitel C II 1 u. 2. 31 Brief Philip an de Gaulle, 29.10.45, AN 72 AI 567. 32 VgI. Poidevin, Schuman, S.145 u. 148. n Darauf verweist völlig zurecht Henri Rollet, L'intervention de la France dans la question allemande vue par les trois autres Grands, in: Manfrass 1 Rioux (Hg.), France - Allernagne, S.119-136 (129).

I. Hexagonale Aspekte

625

Wendung im außenpolitischen Kurs vorzunehmen, weil sie sich zu leicht dadurch Angriffen der parteipolitischen Gegner aussetzt."34 Gerade in den Vorwahlwochen galt es sich gegenüber den kommunistischen "Rache- und Haßgesängen gegen den Erbfeind"3s als rhetorisch ebenbürtig zu erweisen und mit ähnlichen "Geschützen" aufzufahren, um nicht bereits beim Mobilisierungsthema 'Deutschland" an Terrain zu verlieren. Selbst ein minimales offizielles Abrücken von den maximalistischen Ansprüchen, welche die maßgeblichen Deutschlandakteure den Franzosen bislang "eingebläut" hatten, mußte sich Bidault allein schon wegen des Dauerwahlkampfes als eine Überlebensfrage des provisorischen Regimes darstellen. 36 Es hätte vermutlich beträchtliche Stimmeneinbußen für die Volksrepublikaner nach sich gezogen 37 und den Kommunisten sozusagen einen "Alleinvertretungsanspruch" für offizielle Revanche- und Ausbeutungsambitionen der Nation gegenüber dem östlichen Nachbarn eröffnet. Ob vielleicht der bemerkenswerte Rückgang der Sozialisten bei den Legislativwahlen von 135 Mandaten im Oktober 1945 auf 115 im Juni und 91 im November 1946 dadurch erklärt werden kann, daß sich einzelne hochrangige SFIO-Repräsentanten am weitesten in der öffentlichen Kritik an der offiziellen Deutschlandpolitik vorgewagt, statt Maximalpositionen - wie der MRP - wahltaktisch zu nutzen/ 8 läßt sich zwar nicht nachweisen, jedoch ebensowenig als ein Element - neben anderen strukturellen Faktoren der Wähler- und Mitgliedererosion _39 ausschließen. Jedenfalls war es wenig verwunderlich, wenn beispielsweise Andre Diethelm während seiner "tournee electorale" durch die Vogesen im Oktober 1945 "aime mieux parler de la rive gauche du Rhin" als über die alltäglichen Nöte und Sorgen der anwesenden Leute. 40 Es war kaum verwunderlicher, daß selbst die SFIO unter Generalsekretär Daniel Mayer sämtlichen Kandidaten für die erste Assemblee constituante nahelegte, sich zwar gegen "toute division et tout morcellement de l'Allemagne" auszusprechen, daneben aber dezidiert für eine rigorose Reparationsund Restitutionspolitik einzutreten sowie für die Einrichtung einer "zone de securite des pays rhenans."41 Und es war schließlich ebensowenig verwunderlich, daß es :w Eröffnungsreferat Konrad Adenauers anläßlich der Tagung des Zonenausschusses der CDU in Neuenkirchen, 01.08.46, in: Hölscher (Hg.), Nordrhein-Westfalen, S.515-518 (517). "Vgl. Lüthy, Frankreichs Uhren gehen anders, S.95. " V gl. Bidaults Ausführungen im Rahmen der Reunion chez le President Bidault a.s. des affaires allemandes, 06.11.46, AMAE Y (1944/49) 289. '$I Gegenübec dem amerikanischen Bolschafter in Paris erklärten volksrepublikanisehe Parteiführer, ein offizieller deutschlandpolitischer Wandel durch Bidault "means suicide for MRP;" vgl. Telegramm Caffery an Byrnes, 08.04.46, FRUS 1946 (V) S.422-425 (424). Ganz in diesem Sinne Loth, Die französische Deutschlandpolitik und die Anfange des Ost-West-Konflikts, S.87. "Dies die Ansicht von Caffery, 03. bzw. 04.06.46, zit nach Wall, L'influence americaine, S.86. ., Vgl. dazu ausführlich Bergounioux/ Grunberg, Le long re mords du pouvoir, S.174-197 . •• Dies die sarkastische Kommentierung von Sonderberichterstatter Jacques Lemarchand, M. Andre Diethelm oublie les requisitions militaires, in: Combat, 19.10.45 . •• Vgl. Schema de conference sur la politique exterieure du Parti socialiste, am 10.0ktober 1945 von Daniel Mayer an Guy Mollet gesandt mit dem Hinweis, daß "tous nos candidats" ein solches "Vortragsschema" erhalten hätten, Fonds Guy Mollet 1945.

626

C. Erldärungsmuster

sogar vor den Gemeindewahlen vom Oktober 1947 in einem internen Vermerk für Außenminister Bidault noch hieß, selbst bei übereinstimmenden arnerikanischfranzösischen Deutschlandpositionen könne Frankreich weder Eile noch Interesse haben, dies öffentlich zu demonstrieren, denn selbst der Anschein eines Verzichts auf traditionelle Deutschlandforderungen würde arn Vorabend des Urnengangs nicht nur durch kommunistische Propaganda ausgeschlachtet, sondern kaum weniger von gaullistischer Seite.42

b) Volksrepublikaner, Sozialisten und die "Gouin-Affäre": das Bidaultsche Paradigma "doppelter Deutschlandpolitik" "La these que Bidault aura mission de defendre se rapproche sensiblement de la nötre. n appartiendra donc au gouvernement de tenir la main a ce que la these soit defendue avec fermete. 11 faut bien concevoir que la these d'un gouvernement de coalition ne peut cadrer completement avec la these du socialisme international. 11 est bien vrai qu'un morcellement durable est contraire a l'histoire et a la logique des faits. Bidault sera appele a lacher du lest.'"

All die bislang vorgestellten Faktoren, vom germanophoben öffentlichen Meinungsklima im Land über systemimmanente koalitions- und sachpolitische Anpassungszwänge bis hin zum Problem hexagonaler Dauerwahlkämpfe erleichtern nicht gerade die Ermittlung realer deutschlandpolitischer Grundhaltungen französischer Parteien in den Monaten nach Befreiung und Kriegsende. 2 Ein völlig monolithisches Bild mit durchgängiger Forderung nach einer kompromißlosen Revanchepolitik gibt nach außen nur die kommunistische Partei ab, ein Bild, das zumindest solange vorherrschen wird wie das Parteiarchiv der historischen Forschung verschlossen bleibt. Prinzipiell wird sich jedoch gewiß feststellen lassen, daß nicht nur zwischen relevanten Deutschlandakteuren und globaler Öffentlichkeit, sondern auch zwischen jeweiliger Partei spitze und Parteibasis differenziert werden muß. Und gewiß wird grundSätzlich festzuhalten sein, daß in den respektiven Führungsetagen die Deutschlandpositionen quer zu den Parteigrenzen verliefen. Dies galt nicht nur für SFIO und MRP, sondern auch für die kleinerem Formationen. Bei der UDSR waren die Einschätzungen Rene Plevens durchaus nicht dekkungsgleich mit denen eines Edouard Bonnefous, dem bei aller Europarhetorik noch nach Griindung der Bundesrepublik germanophobe Losungen leicht über die Lippen Vgl. dazu Fonvieille-Vojtovic, Ramadier, Bd.2, 5.652-662 u. 701-708; Becker, Ramadier, 5.223231; Wall, L'influence americaine, 5.100-108. • B.D. Graham, The French socialists and tripartisme 1944-1947, LondonlCanberra 1965, 5.264f. 7 Korff, Le revirement de la politique franl;llise, 5.184f. • Die Reden finden sich abgedruckt bei De Gaulle, DM n, 5.5-11 u. 26-33. • Vgl. den Gründungsaufruf vom 29.06.46 sowie das Programm der Union gaulliste pour la Ne Republique, AN FIA 3354. 2

3

I. Hexagonale Aspekte

639

den Mooeres zugerechnet wurden. 10 Nun liefen seit Januar 1947 die Vorbereitungen zum Aufbau einer Massenbewegung mit überparteilichem Selbstverständnis auf Hochtouren. Auf die de Gaullesche Andeutung von Bruneval am 30.März, seine Ankündigung von Straßburg am 7.April sowie seine Präzisierungen am 14. und 24.April ll folgte ein unglaublicher Ansturm auf RPF-Karten: "La France devient gaulliste."12 Nach wenigen Monaten zählte der RPF rund 400.000 Mitglieder, lag damit zwar hinter den etwa 630.000 Genossen des PCF, jedoch weit vor der SPIO, vom MRP bzw. den anderen kopflastigen Honoratiorenparteien ganz zu schweigen. 13 Die Gemeindewahlen von Oktober 1948 bestätigten eindrucksvoll die anhaltende Dynamik der Gaullisten. 14 Sie erlangten landesweit knapp 40% der abgegebenen Stimmen in den Gemeinden über 9.000 Einwohnern und zogen mit Bürgermeistern in die Rathäuser der 13 größten französischen Städte ein. Am Tag nach dem zweiten Wahlgang, am 27.0ktober, forderte de Gaulle die Auflösung der Nationalversanunlung und Neuwahlen auf der Basis eines Mehrheitswahlsystems "pour foumir au futur Parlement une majorite coMrente." IS Die Regierung lehnte ab. Ramadier ließ sich am 28.0ktober die zwischen den beiden Urnengängen vorgenommene Kabinettsumbildung mit knapper Mehrheit durch die Nationalversammlung bestätigen. De GauBe wies einen Staatsstreich - obschon er mit dem Gedanken gespielt haben soll _16 letztlich von sich. Und die folgenden Parlamentswahlen fanden ganz regulär am Ende der fünfjährigen Legislativperiode im Juni 1951 statt, offenbarten zwar die elektor ale Stabilisierung des RPF auf hohem Niveau, jedoch nicht seine Dominanz innerhalb des französischen Parteiensystems. 17 Das Hauptziel der Bewegung war der Sturz von "le systeme" als Synonym für "Parteienfilz" und machtlose Exekutive sowie die Ablösung von "ces princes qui nous gouvement."18 Auf diese absolut prioritäre Zielbestimmung hin, auf die Sammlung der Franzosen "pour promouvoir et soutenir l'effort de la renovation nationale Vgl. Goguel, Otroniques electorales, S.65. Vgl. Oe Gaulle, DM 11, S.41-46, 48-55 u. 55-73 sowie - für die Presseerldärung vom 14.AprilL'Annee politique 1947, S.326. U Jacques Foccart, Foccart parle. Entretiens avec Philippe Gaillard, Bd.l, Paris 1995, S.70. 13 Vgl. Charlot, Le gaullisme d'opposition, S.86ff. '4 Vgl. da2ll Bon I Jaffre, Les resultats des elections municipales de 1947, vor allem S.15ff. "Vgl. Dec1aration, 27.10.47, in: De Gaulle, DM n, S.135ff. (136). 16 Über Staatsstreichgedanken im engeren de Gaulleschen Umkreis im Anschluß an die Gemeindewahlen vom Oktober 1947 sowie über die Auffassung einer baldigen Rückkehr de GaulIes an die Macht bei Rene Mayer, Robert Laroste oder Andre Philip berichtet Lacouture, De Gaulle, Bd.2, S.322ff. Zu den Gespiichen zwischenPalewski und Caffery im OktoberINovember 1947 sowie 2lIr prinzipiellen, obschon nicht vorbehaltlosen amerikanischen Unterstüt2llDg einer de GaulIeschen Machtübernahme 2lI diesem Zei1plnkt, vgl. auf der Basis unveröffentlichter US-Akten Wall, L'influence americaine, S.123-131; daru auch Telegramme Caffery an MarshalI, 24.10., 26.10. u. 29.10.47 bzw. Lovett an Caffery, 25.10.47, FRUS 1947 (111) S.79O-795. 17 Zum Gaullisten und Kommunisten massiv benachteiligenden Wahlsystem vgl. Avrill Vincent, La IVe Republique, S.23ff.; daru, daß beide Formationen 2lISammen selbst nach dem 1946 angewandten reinen Verhältniswahlsystem 1951 eine absolute Mehrheit der Sitze knapp verpaßt hätten, vgl. Purtschet, Le Rassemblement du peuple fran~s, S.320. 11 Vgl. Debre, Ces princes qui nous gouvernent, vor allem S.19-55. 10

11

640

C. Eddärungsmuster

et les reformes qui doivent mettre l'Etat republicain en mesure d'y conduire la Nation,"19 hatten die RPF-Protagonisten sämtliche Aktivitäten und Äußerungen auszurichten. Bei diesem Frontalangriff gegen das Regierungssystem heiligte offenbar der Zweck alle Mittel und ließ die RPF-Spitze selbst die bedeutungslosesten politischen Kontroversen zu "une lutte nationale sinon une guerre civile" hochstilisieren. 2o Die Konsequenz war eine gaullistische "politique du pire"21 in verschiedensten Bereichen. Ein solches Vorgehen zeigte sich nicht zuletzt in einem maximalistischen Deutschlanddiskurs,22 der Raymond Aron als damaligem Parteimitglied "quelque peu ridicule" anmutete. 23 Mit seiner augenscheinlichen Realitätsferne reihte es sich jedoch nahtlos ein in die RPF-Donquichotterien dieser Jahre und begann sich erst zu ändern, als dies gegenüber Öffentlichkeit und Wahlvolk ertragreicher erschien als ein Festhalten an den traditionellen Forderungen. 24

Perzeption deutschlandpolitischer RPF- und PCF-Ge!ahren. In der Tat entsprach die gaullistische und kommunistische Deutschlandrhetorik während der frühen Dritte-Kraft-Regierungen einem der Sektoren, wo sich "solidarites de fait"25 beider Formationen, die sich ideologisch als "Faschisten" bzw. "Separatisten" bis aufs Messer bekämpften, durch das gemeinsame Interesse an einem "Prozeß der IV.Republik" am deutlichsten erkennen lassen. Das fortbestehende Mobilisierungsthema "Deutschland" bildete für RPF wie PCF ein ausgezeichnetes Terrain elektoraler Profilierung, auf dem man sich des breiten Zuspruchs der französischen Öffentlichkeit sicher sein konnte. Und obwohl das Regime im Herbst 1947 weder durch die kommunistisch orchestrierten bürgerkriegs ähnlichen Streikbewegungen noch durch die gaullistischen Wahlerfolge und Appelle aus den Angeln zu heben war, stand es auch in den kommenden Monaten unter dem zweiseitigen Druck von Parteien,26 die das Meinungsklima der Zeit wesentlich bestimmten und in einer bequemen Oppositionsrolle für rhetorische Exzesse keinerlei politische Verantwortung auf nationaler Ebene übernehmen brauchten. Sie schränkten damit die deutschlandpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Regierenden beträchtlich ein und ließen den Vollzug einer offiziellen Trendwende weiterhin als Drahtseilakt sondergleichen erscheinen. Im Kontext innen- und außenpolitischer Wechselwirkungen erscheint weniger die Analyse innerparteilicher Deutschlanddiskussionen bei RPF und PCF wesentlich, 19 Vgl. Art.2 der RPF-Vereinsstatuten vom 29.Mai 1947, zit. nach Charles de Gaulle. La conqui!te de I'histoire, Exposition ii la BibliotMque NationaleIParis, Juin-Octobre 1990, Paris 1990, S.118.

'" Vgl. zeitgenössisch Fauvet, Les partis politiques dans la France actuelle, S.36. 21 Vgl. OIarlot, Le gauIlisme, S.25. 22 Vgl. z.B. den Palewski-Rapport zur internationalen Lage auf dem ersten RPF-Parteitag in Marseille: Expose de M. Palewski, La situation internationale, in: Rassemblement du peuple fran~s, Prernieres assises natiooales, Marseille, 16 et 17 avril 1948, Paris 1948, S.53-74, vor allem 61-65. Zur RPF-Motion über "Les pmblemes allemands" vgl. ebd., S.109f. 23 Vgl. Aron, Memoires, S.227.

'" Vgl. Brunet, Le RPF et I'idee de puissance nationale, S.367 u. 378 sowie Manin, Le Rassemblement du peuple fran~s et les pmblemes europeens, S.77. " Vgl. Serge Berstein, Le parti communiste fran~s et de Gaulle sous la IVe Republique: confrontations et convergences, in: Courtois I Lazar (Hg.), 50 ans d'une passion fran~se, S.79-95 (92). '" Vgl. z.B. Williams, Crisis and Compromise, S.397; Remond, Notre siecle, S.407.

I. Hexagonale Aspekte

641

sondern die Betrachtung struktureller Zwänge durch die respektiven Parteidiskurse, wie sie relevante Akteure wahrnahmen und tagespolitisch berücksichtigten. Dabei bleibt festzuhalten, daß sich fiir die beiden gewichtigsten systemtragenden Formationen, für SFIO und MRP, durch den Regierungsaustritt der Kommunisten bzw. die Parteigründung der Gaullisten prinzipiell wenig geändert und sich der Druck zur Beibehaltung maximalistischer Forderungen eher erhöht als gesenkt hatte. Angesichts systemoppositioneller Virulenz war Deutschland wieder "Regierungskitt" .27 Bei den Sozialisten ging freilich die Meinung darüber, ob nun die "Erste" oder die "Zweite" als größere Gefahr für die "Dritte Kraft" und das Überleben des Regimes einzuschätzen sei, auseinander. L&m Blum sah sich seit den frühesten de Gaullesehen Verfassungsvorstößen Mitte Juni 1946 primär veranlaßt, mit aller "antibonapartistischen" bzw. "antiboulangistischen" Vehemenz eines in den 80er Jahren des 19Jahrhunderts sozialisierten Republikaners gegen die "pouvoir personnel-Gelüste" des ehemaligen Regierungschefs zu Felde zu ziehen. 21 Bei Innenminister Jules Moch29 oder Staatspräsident Vincent Auriol überwog dagegen die Furcht vor einem "cornplot communiste", einer "vaste organisation communiste", einem" coup de force de !'interieur" bzw. einer PCF-Sabotage tode la prosperite fran~aise" bei weitem die Sorge um gaullistische Manöver. 3o Paul Ramadier wiederum stand eher für die "Äquidistanz-These", schien ihm doch, daß "ll y a danger simultane des deux cDteS."31 Damit lag der Sozialist Rarnadier auch in dieser Hinsicht ganz auf der Linie des Volksrepublikaners Bidault, der zumeist die Verantwortung beider großen Oppositionsparteien fiir seine Zwangslagen anführte32 und auch rückblickend das "doppelte Druckpotential" betonte: "En ce qui concerne la France, il fallait la gouverner avec 3 ou 4 voix de majorire, avec une Constitution imparfaite, rendue encore plus imparfaite par les assauts qui etaient donnes au gouvernement. Car, pendant qu'il cheminait en tirant le fardeau, se massaient sur le bord de la route des groupes nombreux, Z7 Für Daniele Uraffa-Dray, Histoire de la France: d'une Republique a I'autre 1918-1958, Paris 1992, S.I71 oder Becker, Histoire politique de la France, S.50 war es die Außenpolitik insgesamt, welche die Dritte Kraft-Regierungen entscheidend 7lISammenhielt.

2J Vgl. z.B. die Blumschen Artikel im Vorfeld des zweiten Verfassungsreferendums vom 13.0ktober 1946, Uon Blum, Quo vadis?, Le pouvoir personnel u. Le systeme de Gaulle, in: Le Populaire, 21., 24. u. 26.09.46. Selbstverständlich war Blum nicht blind für die von kommunistischer Seite drohenden Risiken, doch im Fxgebnis räumte er de Gaulle letztlich doch breiteren Raum ein; vgl. z.B. Discours de Leon Blum, Grand meeting sociaIiste au velodrome dbiver, in: Le Populaire, 17.10.47, hier zit. nach FNSP-AHC Papiers Leon Blum 4 BL 4 Dr.1.

'" Vgl. etwa die von Moch angeregten, seit Heft n l vom 20.12.47 allmonatlich erscheinenden regierungsintemen Notes d'crientation politique des Innenministeriums, AN 363 AP 8, die dem PCF breitesten Raum im Zusammenhang mit regierungsarntlicher Austeritätspolitik und internationaler KIimaveränderung widmeten oder die Geheimdienstberichte, die im Zusammenhang mit lokalen kommunistischen Streiks wie in Marseille die Anwesenheit von "d'instructeurs sovietiques sp&:ialistes du combat de rue et de I'erneute" seit 1946 signalisierten, DEC, Renseignements, Activite de I'URSS en France, 03.12.47, AN 457 AP 84. O

Xl 31

Vgl. Auriol, Joumall947, S.88, 132, 247n23 bzw. ders., Journal 1948, S.469f. u. 574. Reunion du 22 octobre 1947, OURS SAO Com.dir. 4 (1947/48).

" Vgl. z.B. Comrnission executive [du MRP1, Reunion du 3 juin 1948, AN 350 AP 46.

642

C. Erklärungsmuster

relevant du gaullisme et du communisme ... Je ne gemis pas de ces folies ... mais elles expliquent que pendant toute une periode, on n'a pas pu avancer davantage sur le plan qu'il fallait, avec la rapidite qui eut ete desirable.'033

Kommunistisches Druckpotential im Diskurs des Quai d'Orsay. Im Außenministerium fanden sich ebenfalls - wie das Eingangzitat aus dem Vorfeld der Gemeindewahlen von Ende Oktober 1947 nahelegt - beide "Risikogruppierungen" diskutiert, obschon in sehr unterschiedlichem Maße. Die Thematisierung einer gaullistischen im Vergleich zu einer kommunistischen Bedrohung spielte eine untergeordnete Rolle. Das unablässig wiederholte Argument notwendiger deutschlandpolitischer Rücksichtnahmen auf die Öffentlichkeit deutete fast ausnahmslos auf die Risiken potentieller Instrumentalisierung durch den "premier parti de France" bzw. dessen Satellitenorganisationen. Die Gründe liegen auf der Hand. Einmal bestand die Wahrnehmung einer PCFGefährdung längst vor Ende des Tripartismus. Sie bildete einen konstitutiven Bestandteil des politischen "Nachkriegsbefreiungsbewußtseins" in weiten Kreisen des neuen nicht-kommunistischen Pariser Führungspersonals im Quai d'Orsay wie in anderen Ressorts. Zum anderen gestanden diese Akteure auch nach Gründung des RPF und Regierungsaustritt des PCF den Kommunisten ein unvergleichlich höheres sozioökonornisches Zerstörungspotential zu. Vielleicht war de Gaulle ein Staatsstreich sogar zuzutrauen, kaum jedoch Mobilisierung einer Massenbewegung, die Produktionsstätten lahmlegte und Rekonstruktions- bzw. Modemisierungsprioritäten durchkreuzte, die doch de Gaulle kaum weniger verinnerlicht hatte als sie selbst. Bereits 1945 fand das kommunistische Schreckgespenst explizit in vielfachen Zusammenhängen Eingang in die deutschlandpolitische Argumentation, sei es als "kommunistische Karte" nach außen im Bewußtsein angelsächsischer Sensibilisierung,34 sei es als Damoklesschwert nach innen im Rahmen inner- bzw. interministerieller Diskussions- und Entscheidungabläufe3s oder im Rahmen persönlicher Korrespondenzen zwischen relevanten Akteuren. 36 Die diplomatische Beunruhigung und Berücksichtigung der "partis amis de l'URSS"37 blieb durchgängig wesentlicher Aspekt der Debatten um ein sinnvolles und durchsetzbares Vorgehen gegenüber dem östlichen Nachbarland, etwa angesichts der PCF-Propaganda gegen den MarD Vgl. Georges Bidault, Le point Entretien avec Guy Ribeaud, Paris 1968, S.167f. .. Aufschlußreich beispielsweise Telegramm Grew an Roosevelts Außenminister Hopkins über ein Gespräch zwischen Jefferson Caffery und Georges Bidault, 07.02.45, FRUS (Malta and Yalta) 1945, S.956f. odeI' Record by Mr. Harvey of a conversation with M. Couve de Murville, 27.10.45, DBPO IN, S.285-289 (285f.) . .. Vgl. z.B. die Ausführungen von Jacques Rueff, Conference interministerielle du 8 octobre 1945 au MAE dans le bureau de M. Alphand, handschriftliches Protokoll, AMAE Y (1944/49) 362 zur UnrOOglichkeit des Einsalzes deutscher Kriegsgefangener in Frankreich auf Vertragsbasis wegen der CGTOpposition oder die Note von Alphand an Bidault a.s. des problemes que soulevera eventuellement a Londres la question des reparations, 08.09 .45, AN 457 AP 61. " Vgl. Brief Pleven an Mendes France, 17.04.45, SAEF 5 A 7 oder Brief Philip an de Gaulle, 29.10.45, AN 72 AJ 567. TI Rene Massigli, Note pour le President du Gouvernement, 02.08.46, AN 457 AP 78.

I. Hexagonale Aspekte

643

shallplan als zwangsläufiges Ende deutscher Reparationsleistungen 38 oder angesichts der Kampagne gegen eine französische Annahme der Londoner Empfehlungen. 39 Gewiß repräsentiert die allgemeine Wahrnehmung einer kommunistischen Bedrohung und Systemgefährdung seit Befreiung und Kriegsende durch eine Vielzahl der wichtigsten ''Deutschlandpolitiker'' keinen historiographischen "Zauberstab", der allein die französische Politik zwischen 1944 und 1950 zu erklären vermag. Sie trägt allerdings ganz maßgeblich dazu bei, die vielfach als reale Deutschlandforderungen Frankreichs gekennzeichneten Maximalpositionen zumindest seit der Jahreswende 1945/46 in ihrer tatsächlichen Bedeutung zu relativieren, die vorgebliche Destruktivität französischer Ansätze verglichen mit den angelsächsischen zu nuancieren und die Ergebnisse Pariser Anstrengungen unter schwierigsten hexagonalen Bedingungen zu revalorisieren. Im Grunde traf ein Diplomat aus der Mitteleuropaabteilung des Quai d'Orsay Anfang April 1948 den Nagel auf den Kopf, als er schrieb: ''La demagogie anti-allemande du neo-patriotisme communiste et le souvenir vivace des souffrances de l'occupation ont concouru depuis la liberation a entretenir dans l'opinion et ainspirer au Gouvernement une volonte d'intransigeance dans nos revendications a l'egard de l'Allemagne. n etait sans doute impossible de lutter contre cette tendance a laquelle il serait injuste d'imputer les deceptions auxquelles nous nous heurtons.,,4o

d) Der Druck der Deputierten: die Parlamentsausschüsse und die Deutschlandpolitik "Nous avons donc ici rewmrnence les rnemes erreurs qu'a Munich oll l'on a rejete cette grande puissan-

ce [l'UdSSRj qui, quel que soit son regime, est absolument indispensable pour assurer notte equilibre et notte securite. Ern second lieu, l'accord qui vient d'etre signe codifie la division de I'Allemagne en deux et, par consequent, fait de la Ruhr une plate-forme ... Notte pays, par le fait meme de ces accords condus hier, est donc domine par cette grande puissance industrielle allemande. Nous avons perdu.'"

Einen weiteren wesentlichen Erklärungsfaktor "doppelter Deutschlandpolitik" bildete neben öffentlicher Germanophobie und systemimmanenten Zwängen der Druck eines großen Teils der Parlamentarier, die wiederum unter dem Druck der ständig zum Urnengang angehaltenen Wählerschaft standen, wußten sie doch, daß ein Abweichen vom offiziellen Kurs, daß "any move to reunify Germany was abhorrent to French voters."2 Und in der Tat, Olle depute doit penser asa reelection."3 Dies "VgI. dam MAE, Dir.Eoo., Note pour le President a.s. Plan Marshali et reparations, 25.07.47, AMAE Y (1944/49) 366. "VgI. Telegramm Bidault an Massigli, 31.05.48, AMAE Y (1944/49) 305 oder MAE, Dir.Eco., Note pour Bidault, Reparations allemandes, 04.06.48, AN 457 AP 19. 4. MAE, SDir.Eur.Centr., Robert Fabre, Note sur les aspects economiques du probleme allemand, 01.04.48, AMAE Y (1944/49) 372. • So cU Kommmist AcriImnd Bonte in Anwesenheit von Außenminister Schuman einen Tag nach der Veröffentlichung des Ruhr-Statut-Entwurfs vom 28.Dezember 1948, SAAN Com.Aff.Br. 29.12.48. 2 Murphy, Diplomat among warriors, S.303.

644

C. Erldärungsmuster

gilt es angesichts der antideutschen Grundhaltung der Franzosen bei der Einschätzung von Äußerungen der Volksvertreter im Palais Bourbon zu berücksichtigen. Doch selbst wenn zurecht während der Jahre 1944 bis 1947 gewisse Nuancen nicht völlig hinter der Abstinunungsfassade eines "appui total et maintes fois confInne"4 für die rnaximalistischen Ansprüche verschwinden sollten, so erscheint doch die These von einem eindeutigen Bekenntnis zur "Föderation der freien Völker", zum "Prinzip der Supranationalität" oder zum "Ausbau der kollektiven Sicherheit unter Anerkennung aller Nationen"s als abwegig, selbst bei ausschließlicher Betrachtung sozialistischer Redebeiträge, die letztlich weniger eindeutig konstruktiv wirkten als die heftigen Attacken aus den Reihen des PCF restriktiv. 6 Alles in allem hinkten die Positionen des an außen- und deutschlandpolitischen Fragen ohnehin nur begrenzt interessierten Plenums 7 weit hinter den zunehmenden Differenzierungen französischer Diplomatie. Es spielte eher eine Bremser- denn eine Initiativrollei für die OffIzialisierung inoffIziell verfolgter Realziele. Während die Zeitgeschichtsforschung die öffentlichen Deutschlanddebatten der Nationalversammlung bereits vielfach ausgewertet hat, steht eine Betrachtung der relevanten parlamentarischen Kommissionen unter deutschlandpolitischen Gesichtspunkten noch aus. Dies soll abschließend in aller Kürze versucht werden, denn als 'battiefields" der politischen Gruppen "away from public view"9 erlaubt sie zusätzliche Aufschlüsse über deutschlandpolitisches Meinungsklima und hexagonale Meinungsführerschaft im politischen Leben der frühen IV.Republik, mit denen sich die jeweils vorgeladenen Ressortieiter konfrontiert sahen.

Die außenpolitische Kommission. In den ersten Monaten nach Kriegsende war Kritik an der regierungsamtlichen Deutschlandpolitik eine Seltenheit. Der außenpolitische Ausschuß der Konstituante bemängelte zwar - wie noch im Kontext der FBZ-Enquetekommission zu zeigen sein wird - vielerlei besatzungspolitische V orgänge und DefIzite,IO doch führte er diese offenbar nicht primär auf Versäumnisse der Zentrale zurück, sondern auf die "contradiction flagrante existant entre les instructions donnees par M. le general de Gaulle et l'application qui en est faite actuellement par l'adrninistration civile et militaire franlraise."ll Bidault trat um die 'Vgl. Dies bezeichnenderweise der einleitende Satz von Grosser, IVe Republique, S.79 mr Rolle des Parlaments in der Außenpolitik und :rum Handeln der Abgeordneten. • Korff, Le revirement de la politique fran~ise, S.233 u. 259. SLipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik, Bd.l, S.221. 6 Vgl. z.B. den Redebeitrag von Florimond Bonte in der Beratenden Versammlung, JORF, Debats 1944/45,21.11.44, S.309-313. 1 Vgl. die Tabelle bei Philippe Pondaven, Le parlement et la politique exterieure sous la IVe Re.. publique, Paris 1973, S.28, derzufolge die Zeilenanzahl im JORF 1lI außenpolitischen gemessen an sämtlichen Debatten 1947 bei 5.6%,1948, bei 7.8%,1949 bei 8.6% und 1950 bei 3.8% lag. • Vgl. Grosser, IVe Republique, S.101. • WiUiams, Crisis and Compromise, S.242; mrecht etwas nuancierter mr faktischen Geheimhaltung der Diskussionen in den Ausschüssen Gerbet e.a., Le relevement, S.248. 10 V gl. Expose Grurnbach sur la situation dans la zone fran~aise d'occupation en Allernagne, SAAN Com.Aff.Etr.12.12.45. 11 So der MRP-Abgeordnete Ernest Pezet, SAAN Com.Aff.Etr. 21.12.45.

1. Hexagonale Aspekte

645

Jahreswende 1945/46, als doch im Quai d'Orsay die Zweifel an der Durchsetzung von Maximalpositionen endgültig zur Gewißheit ihrer Chancen10sigkeit wurden, durchaus zurückhaltend auf, kennzeichnete den Ausgang der Londoner Außenministerratstagung vorsichtig als "un insucces momentane" und dämpfte utopische Erwartungen, was Reparationen und Restitutionen aus dem Nachbarland anbelangte. 12 Selbstverständlich hielt er an der Verteidigung französischer Reparationsansprüche und politischer Abtrennungen in Deutschland fest, und Nachfragen der Kommissionsmitglieder zur deutschen Westgrenze, zu Saar und Rheinland, 13 der Vorwurf einer "exploitation des ressources allemandes insuffisante"14 haben den Außenminister gewiß nicht darin bestärkt, sich freimütiger zu äußern.

hn Frühjahr 1946 änderte sich - bei aller fortwährenden Kritik an den Verhältnissen in Südwestdeutschland - wenig an der Primärrolle des Ausschusses als Stütze der Pariser Maximalpositionen. Nicht anders als in der tripartistischen Regierung war es ein Sozialist, der Kommissionsvorsitzende Salomon Grumbach, der vereinzelte kritische Vorstöße unternahm, damit jedoch letztlich ebenso allein auf weiter Flur blieb wie offenbar Gouin Anfang April 1946 im Ministerrat. Jedenfalls blies dem SFIO-Deutschlandexperten nach seinem Diskussionsbeitrag der Gegenwind scharf ins Gesicht, angefacht durch Repräsentanten aller anderen politischen Richtungen, auf der Rechten vor allem Marin und Mutter, bei den Volksrepublikanern Oberkirch und Ott und bei den Kommunisten Bonte, Rosenblatt, Biscarlet und Wallon. ls Gerade von kommunistischen Abgeordneten ließ sich keinerlei Krittelei vernehmen, und selbst die Vereinbarungen von Bretton Woods, die Ende Dezember 1945 im Ausschuß wie im Plenum zur Abstimmung vorlagen, entlockten ihnen nicht einen Hauch skeptischer Bemerkungen und fanden sich "a l'unanimite moins quelques abstentions" gebilligt. 16 Eine Verhaltens änderung begann sich erst seit Ende Juli 1946 anläßlich der Diskussion um das Blum-Byrnes-Abkommen abzuzeichnen. hn Anschluß an die Vorträge von Bidault und Blum, die beide die politisch gegenleistungslosen amerikanischen Kooperationsofferten betont hatten, sah sich der Außenminister erstmals den bohrend kritischen Fragen von Kommunisten und Progressisten ausgesetzt,l? die künftig immer häufiger und schärfer seine Auftritte vor der Kommission begleiten sollten. Zwar prägte die kommunistische Joumalistin Madelaine Braun die ausgleichende Formel, man solle doch weder die "philantropie americaine" noch die "charges fran~aises" übertreiben und mehr auf die Hoffnung abheben "que ces accords nous permettent de former en soulignant davantage l'effort de production des 12

Vgl. SAAN ComAff.Etr. 12.12.45.

Vgl. die Fra~en von Ernest Pezet, Andre Mutter und dem Kommunisten Guy-Marie de Boysson, SAAN ComAff.Etr. 05.12.45 . 13

.. Abmahnung des UDSR-Abgeordneten Pierre Bourdan, SAAN ComAff.Etr. 19.12.45. " Vgl. SAAN ComAff.Etr. 09.04.46. Vgl. SAAN ComAff.Etr. 26.12.45.

16

11 Vgl. die Vorbehalte von Jacques Duc1os, SAAN ComAff.Etr. 26.07.46 sowie von Gilbert de Chambrun, ebd. 30.07.46; dort auch das folgende Zitat von Madelaine Braun.

646

C. Eddärungsmuster

ouvriers franlrais," doch der modifizierte Tonfall im Vergleich zur Bretton WoodsDiskussion war augenscheinlich. Auch die deutschlandpolitische Kritik im engeren Sinne nahm nun graduell, aber konstant zu. Als der Chef des Quai d'Orsay Anfang Oktober 1946 erstmals behutsam anklingen ließ, daß "les affaires allemandes vont mal" und in der Rhein-Ruhr-Frage bislang keine positiven Antworten im Sinne politischer Abtrennungen vorlägen, als er seine grundsätzliche Bereitschaft zu Zonenfusion und Byrnes-Entwurf eines Entmilitarisierungsvertrages zum Ausdruck brachte, waren es erneut die kommunistischen bzw. progressistischen Parlamentarier, welche die anschließenden Diskussionen dominierten. Sie hegten trotz Bidaults Durchhalteparolen "de tenir ferme sur nos positions et de ne pas les abandonner" offensichtliche Zweifel an Konsequenz und Kontinuität regierungs amtlicher Deutschland- und "Schaukelpolitik" zwischen Ost und West. u Mit der Wahl des Humanite-Direktors Marcel Cachin zum Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der ersten regulären Nationalversammlung seit der Befreiung 19 setzte sich geradezu symbolisch die längst spürbare Trendwende fort. Der deutschlandpolitische Anpassungsdruck verschärfte sich 20 bereits einige Monate vor dem Zusammenbruch des Tripartismus auf Regierungsebene Anfang Mai 1947. Er offenbarte sich mit zunehmender Virulenz in den Wochen danach und ging bis zu den Diskussionen um den Schumanplan im Mai 1950 nicht mehr zurück. Dabei taten sich - auf hohem Reflexions- und Informationsniveau - vor allem zwei Progressisten hervor, der zum christlichen Flügel gehörige Gilbert de Chambrun, Jahrgang 1909 und 1945 Nachfolger seines Vaters als Volksvertreter des Departement Lozere im Palais Bourbon, sowie der zur laizistischen Strömung zu rechnende Grenobler Rechtsanwalt Pierre Cot, Jahrgang 1885, in den 30er Jahren dezidierter radikalsozialistischer Befürworter der Volksfront und zwischen 1936 und 1939 Luftfahrtminister in den Regierungen Blum und Chautemps bzw. Leiter des Handeisressorts in den Folgekabinetten Blum und Daladier. 21 Als Progressisten,22 die anläßlich der Legislativwahlen Listenverbindungen mit den Kommunisten eingingen und sich in der Nationalversammlung der PCF-Gruppe anschlossen, engagierten sie 11

Vgl. vor allemPourtalet, Biscarlet, de Chambrun, Bonte, SAAN Com.Aff.Etr. 04.10.46.

Vgl. SAAN ComAff.Etr. 19.12.46; Salomon Grumbach, der sein Abgeordnetenmandat zugusten eines Sitzes im Conseil de la Republique aufgegeben hatte, wurde Ende Januar 1947 zum Vorsitzenden der außenpolitischen Kommission der zweiten Kammer im Palais du Luxembourg gewählt, vgl. DAS Com.Aff.Etr.29.01.47. :!l Vgl. SAAN Com.Aff.Etr. 05.02.,12.02. u. 19.03.47. 19

21 Zur Diskussion um Cot als vorgeblichem "Spitzenagenten" des KGB vgl. Wolton, Le grand recrutement, S.302-314; als umgehende entschiedene Gegenposition vgl. Vidal-Naquet, Le trait empoisonne, S.83f. sowie nun Serge Berstein, Pierre Cot etait-i1 un agent sovi6tique? Entretien, in: L'Histoire n° 185 (1995) S.6ff. Bersteins Einschätzung beruht auf den Ergebnissen einer vierkiipfigen Historikerkommission, der neben ihm selbst Robert Frank, Nicolas Werth und Sabine Jansen angehörten und um deren Einsetzung Cots Kinder zur Prilfung der Woltonschen Vorwürfe gebeten hallen. 21 Vgl. Jacques Vaudiaux, Le progressisme en France sous la lVe Republique. Les hommes, l'organisation, les electeurs, Paris 1968. Zur Zusammenarbeit mit und Abgrenzung vom PCF vgl. ebd., S.19-25; zum "neutralisme actif, lheme central des progressistes," vgl. ebd., S.109-131 sowie zeitgenössisch Gilbert de Chambrun, Y a-t-i1 une alternative la politique etrangere de la France? in: Politique Etrangere 14 (1949) S.355-364.

a

1. Hexagonale Aspekte

647

sich für eine Beibehaltung der traditionellen Deutschlandthesen, für eine Durchsetzung französischer Reparationsansprüche23 sowie für ihre Konzeption eines "aktiven Neutralismus" Frankreichs in den künftigen internationalen Beziehungen. Ein solcher Entwurf schloß selbstverständlich eine "Inferioritätspolitik" gegenüber den Vereinigten Staaten ebenso aus wie eine Politik der Teilung Europas in zwei Blöcke,24 diese wiederum eine mögliche Zonenfusion in Deutschland sowie jedwede reparationspolitische Konzessionen. 25 Zwar hatte de Chambrun dem Marshall-Plan noch prinzipiell zugestimmt und die US-Hilfe als "juste et souhaitable" bezeichnet,26 doch die amerikanisch-französische Aushandlung seiner Durchführungsbestimmungen und der am 28.Juni 1948 vollendete "accord bilateral" ließen ihn und Cot in die kommunistische Kampagne zum Ausverkauf französischer Unabhängigkeit einstinunen und gegenüber Bidault Klage führen, daß "nous mettons les Americains en posture de nous mettre le couteau a la gorge."27 Auch nach der Ablösung Bidaults durch Schuman blieben die Progressisten bei ihrer Linie, forderten entschieden eine Durchführungsverzögerung der Londoner Empfehlungen, ein Insistieren auf deutsche Reparationsleistungen, 28 eine fortwährende Unabhängigkeit der französischen Besatzungszone als letztem verbliebenen Sicherheitspfand, zumal "l'Allemagne se releve tres vite" und "les reparations semblent etre arrivees au point mort."29 Laut Cot barg eine westeuropäische Lösung der deutschen Frage deutlich mehr Nach- als Vorteile, vor allem ein Stop der Demonatgen, eine ökonomische Dominanz des Nachbarlandes aufgrund des Ungleichgewichts zwischen "une Allemagne ascendaIlte et une France declinante" sowie eine "reaction probable du cote sovietique."30 Laut de Chambrun waren - wie er noch acht Tage vor Verkündung des bundesrepublikanischen Grundgesetzes zu verdeutlichen versuchte - Dreier-Verhandlungen mit den Angelsachsen nur geeignet" a abandonner de nouveau certaines positions fran~aises originales ou primitives."3! Im Rahmen der Komrnissionsdebatten um den Schumanplan formulierten beide erneut die präzisesten Fragen. 23

Vgl. z.B. die Darlegungen von Cot, SAAN Com.Aff.E:tr. 21.05.47.

1A

Diese Vorwürfe von Cot gegenüber Bidault in dessen Abwesenheit, SAAN Com.AffEtr. 23.07.47.

25Vgl. dieGedankenspiele von Cot und de Charnbrun, SAAN ComAff.Etr. 19.11.47. Ganz in diesem Sinne formulierte de Chambrun seine Motion mr Ablehnung der Landoner Empfehlungen, welche der Ausschuß allerdings mit 24 gegen 13 Stimmen bei 5 Enthaltungen verwarf, SAAN ComAff.E:tr. 09.06.48: ''LarommissiondesAffaires etrangeres, apres avoirpris connaissance des recommandations de la Conference de Landres sur I'Allemagne, les considere comme inacceptables car ils ruineraient l'independance fran~se par l'abandon des reparations et de tOllte veritable garantie de serunte." 26 Vgl. SAAN ComAff.Etr. 21.05.48. IJ

21

Pierre Cot, SAAN ComAff.Etr. 26.06.48; ähnlich heftig SAAN Com.Aff.Etr. 29.06.48. Vgl. de Chambruns Ausführungen, SAAN Com.Aff.E:tr. 11.08.48.

,. De Charnbruns Plädoyer in Anwesenheit Schumans, SAAN ComAff.Etr. 24.11.48. ,. Reaktion von Cot auf einen Rapport de M. Teitgen sur I'integration de l'Allemagne dans I'Europe nouvelle, SAAN Com.Aff.Etr. 06.04.49; ähnlich drei Monate später seine Sorge um ein Frankreich "en face d'une Allemagne forte et d'une Russie hostile" anläßlich des Examen des conc1usions du rapport de M. Rene Mayer sur le projet de loi tendant ala ratification du Pacte de l'Atlantique, SAAN ComAff.Etr. 05.07.49. 31 De Charnbrun, SAAN ComAff.E:tr. 15.05.49.

648

C. Erklärungsmuster

Pierre Cot sah das Projekt als "mal etudie et dangereux a double titre: renforcement de l'Allemagne et constitution d'un cartel a prooominance allemande." Ganz im Sinne des "aktiven Neutralismus" der Progressisten schloß er "qu'il faut s'engager dans une voie differente: negocier entre l'est et l'ouest. Et tout de suite, car ces negociations deviendront de jour en jour plus difficiles .. ."32 Die massiven Kritiken an der offiziellen Deutschlandpolitik durch die Kommunisten selbst, wie sie seit dem Frühjahr 1947 mehr und mehr zum Vorschein kamen, besaßen letztlich die gleiche Stoßrichtung, zumal doch der "aktive Neutralismus" der Progressisten durchaus in der Tradition des kommunistischen "Westblocktraumas" seit der Befreiung stand. Der Tonfall der" Anklagen", die vor allem Fran\tois Billoux, Alfred Biscarlet, Florimond Bonte, Madelaine Braun, Fernand Grenier und Marcel Rosenblatt an die Adresse der Dritte-Kraft-Regierungen richteten, war allerdings zumeist um einiges rüder. Dabei reichten die Vorwürfe zunächst von der rhetorischen Frage im September 1947, ob Frankreich noch "une politique nationale vis-avis de l'Allemagne" habe,33 über den Protest im November 1947, Frankreich werde "le vassal de la Ruhr" als künftigem" centre de la metallurgie europeenne" sein,34 bis hin zur Beschuldigung im Dezember 1947, Frankreich leiste "une petite somme de reparations de 400 millions [Frs] par mois payee aux Allemands" durch Lieferung der Saarkohle in die französische Besatzungszone. 3s Die Hauptansatzpunkte der Kritik an Außen- und Deutschlandpolitik Bidaults bzw. Schumans blieben in kommunistischer Sicht das Einlassen auf den amerikanischen Imperialismus, der Ausverkauf französischer Interessen, die Willensschwäche, stärker mit der Sowjetunion zu kooperieren,l6 das Hinarbeiten auf eine Trizone beim östlichen Nachbarn,37 die Vernachlässigung legitimer Ansprüche auf Reparationen und Demontagen sowie die Zusammenarbeit der Westalliierten in der Ruhrfrage unter Ausschluß der Sowjetunion und zugunsten deutscher Wirtschaftskraft.38 Aus Anlaß der Londoner Empfehlungen erläuterte Biscarlet klipp und klar: "La Ruhr est donnee aux Allemands et aux trusts americains. La France a abandonnee les reparations et la securite."39 Und Anfang April 1949 bedauerte der Elsässer Rosen32 V gl. die Fragenka1aloge von de Chambrun und Cot angesichts des Rapport d'infonnation de M. Andre Philip, SAAN ComAff.Etr. 17.05.50. n Vgl. die Äußerungen Biscarlets, SAAN ComAff.Etr. 23.07.47. 34 V gl. die Erklärungen von Bonte 211 amerikanischen Rekonstruktionsbestrebungen an der Ruhr, SAAN Com.Aff.Etr. 12.11.47 . .. Vgl. die Ausführungen Biscarlets gegenüber Schneiter, SAAN ComAff.Etr. 17.12.47.

" Vgl. dazu z.B. die nachdrücklichen Darlegungen von Billoux 2llm "pacte atlantique", SAAN Com.Aff.Etr.06.07.49. 31 V gl. schon die Anfrage Rosenblatts "si des propositions ont faites ou des engagements pris concernant la trizone" im Oktober 1947, SAAN Com.Aff.Etr. 22.10.47. 31 Vgl. schon die Nachfrage Biscarlets, SAAN Com.Aff.Etr. 19.11.47, ob die anvisierte Ruhrkontrolle "ne serait pas quadripartite, mais seu1ement tripartite, .. was B idault wie gewöhlich stoisch verneinte, obwohl er doch schon im Spätsommer 1945 gegenüber de Gaulle seiner Furcht vor einer sowjetischen Beteiligung an einer Kontrolle des Ruhrpotentials Ausdruck verliehen hatte.

ere

~ SAAN ComAff.Etr. 09.06.48. Ähnlich Biscarlet, Behange de vues sur le plan anglo-americain de reorganisation des industries-c1es de la Ruhr, SAAN Com.Aff.Etr. 18.11.48, wo er die seines Erachtens

I. Hexagonale Aspekte

649

a

blatt "qu'on continue la politique definie Montoire (industrielle, France: jardin) et qu'on a liquide les reparations et remis l'Allemagne aux mains des nazis."40 Diese Haltung modifizierte die Gründung zweier deutscher Staaten überhaupt nicht. In kommunistischer Sicht war das Ergebnis der regierungsamtlichen Deutschlandpolitik während der letzten Jahre, "I que les anciens proprietaires, criminels de guerre, sont de nouveau les maitres de la Ruhr avec l'appui des Anglo-Americains; 2 que les reparations ont ete abandonnees, que la France paie le charbon allemand plus cher que les Allemands eux-memes; 3 que notre securite a ete sacrifiee. "41 Der Schumanplan vom Mai42 sowie das Plevensche Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft von Oktober 1950 mit Beteiligung deutscher Kontingente43 konnte die Kommissionsmitglieder des PCF in dieser Sichtweise nur bestärken. 0

0

0

Die Progressisten und Kommunisten waren nicht die einzigen Kritiker der DeutschlandpolitikBidaults bzw. Schumans, wie sie sich seit 1947 halböffentlich im außenpolitischen Ausschuß der Nationalversammlung darstellte. Auf der Rechten standen ihnen der bei Kriegsende immerhin 74-jährige Lothringer Louis Marin oder General Adolphe Aumeran, Abgeordneter in Algier, durchaus nicht nach, was Häufigkeit der Interventionen und Heftigkeit der Verteidigung von Maximalpositionen anbelangte. Beide repräsentierten jedoch in erster Linie sich selbst, nicht aber eine streng durchstrukturierte hegemoniale politische Kraft im Land mit kohärentem Weltbild, mit mobilisierbaren Satellitenorganisationen und dem festen Willen, dem Regime den Garaus zu machen. Die Leiter des Quai d'Orsay, von denen die Kommission doch durchschnittlich alle zwei bis drei Wochen Rechenschaft verlangte, sahen sich nahezu permanent mit kommunistischen Attacken konfrontiert, und dies deutlich unmittelbarer als im weiten, Distanz schaffenden Plenum des Palais Bourbon. Angesichts fortwährender öffentlicher Germanophobie und schleppender materieller Verbesserungen bei gleichzeitiger Konsolidierungspriorität für die junge IV.Republik mußte das Interesse relevanter Deutschlandakteure schon aus rein innenpolitischen Motiven weiterhin gering bleiben, eine rasche Offizialisierung inoffizieller Standpunkte vorzunehmen.

Die Enquetekommission für die Besatzungszone. Durch den vordergründigen Deutschlandkonsens des Tripartismus verlagerten sich Regierungskritik und -kontrolle im außenpolitischen Ausschuß der beiden Konstituanten stärker auf die Ebene

a

schwache Ruhrposition Frankreichs darauf zurückführte, daß "Ie gouvernement fran~is a renonce des negociations 4," obwohl 'TURSS est pr!te nous appuyer pour obtenir le contröle international de la Ruhr, mais pas pour un contröle limite aux puissances occidentales."

a

a

Cl SAAN ComAff.Etr. 06.04.49; zuvor hatte Bonte die Stimmung angehei:z1, indem er prophezeite, das Resultat einer deutschen Integration "dans I'Europe nouvelIe" im Sinne Teitgens "serait d'enlever la France I'utilisation des richesses pour les remettre sous la direction des Allemands remis en place par les Amfricains." Zu den Reparationen vgl. eine Woche später den Rapport d'information de M. Biscarlet sur les reparations, SAAN Com.Aff.Etr. 13.04.49 .

a

• 1 Dies der Text eines zur Abstimmung im Ausschuß vorgebrachten, mit 18 gegen 13 Stimmen bei 2 Enthaltungen jedoch abgelehnten Antrages von Marcel Rosenblatt, abgedruckt in: Bulletin des Commissions, Assemblee Nationale, Premiere Legislature, Bd.8, Paris 1951, S.3385f. Cl

Vgl. dazu z.B. den Fragenlcatalog von Billoux, SAAN Com.Aff.Etr. 23.05.50.

43

Vgl. die Darlegungen von Billoux, Biscarlet und Cachin, SAAN Com.Aff.Etr. 15.11.50.

650

C. Erklärungsmuster

der Besatzungspolitik. Und während sich die Kommission in diesen Monaten als Stütze offizieller Maximalpositionen erwies, war sie gleichzeitig und nicht weniger parteiübergreifend eine scharfe Kritikerin vielerlei Defizite und Unzulänglichkeiten französischen Handeins im deutschen Südwesten, die versuchte, den Quai d'Orsay in Zugzwang zu bringen. Es war der UDSR-Politiker Pierre Bourdan, der am 12.Dezember 1945 die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Besatzungszonen in Deutschland und Österreich verlangte. 44 Eine Woche später wurden technische Fragen wie Ausschußgröße und Reisemodalitäten abgeklärt. Als Berichterstatter führte Bourdan fünf wesentliche Kritikpunkte der "gestion fran~aise en Allemagne" auf: "1. defaut de politique generale et de coordination au sommet, 2. nature du personnel dvil et militaire ... , 3. nature du personnel allemand ... , 4. gabegie financiere, 5. exploitation des ressources allemandes insuffisante.... "45 Der von Bidault umgehend geforderten Umbennenung in "Commission d'examen" oder "Commission d'information", zumindest aber "sous une telle forme que cette demarche ne signifie pas un bläme pour le Gouvernement" wurde nicht entsprochen. 46 Am 18Januar 1946 konstituierte sich die Commission parlementaire chargee d'enqueter dans les zones d'occupation fran~aises d'Allemagne et d'Autriche nach Parteiproporz aus Mitgliedern sämtlicher Ausschüsse der Konstituante und wählte Grumbach zum Vorsitzenden.47 Durch de Gaulles Rücktritt verschob sich der ursprünglich für den 22.Januar ins Auge gefaßte Abreisetermin auf den 31.Januar, was es dem Generalkommissar für Deutschland- und Österreich angelegenheiten erlaubte, noch zwei Tage zuvor einen ausführlichen Vortrag über die zonalen Verwaltungs strukturen und Kompetenzabgrenzungen zu halten. 41 Der Rückkehr nach Paris schloß sich eine Debatte über das Problem einer Veröffentlichung der erzielten Erkenntnisse an. Während es dem Volksrepublikaner Philippe Livry-Level, Berichterstatter für Armeefragen, geradezu unmöglich erschien "de publier que des centaines d'avions de chasse se trouvant au camp de Ludwigshafen ne peuvent voler," war der Kommunist Andre-Fran~ois Mercier der Meinung "que meme dans le cas des avions il faut rendre ces conclusions publiques."49 Die Rapports sollten schließlich in den Dokumentenbänden des Journal

.. vgl. Bourdans Intervention im Anschluß an einen Vortrag Grumbachs zur Lage in der FBZ, SAAN Com.Aff.Etr.12.12.45 . ... Bericht von Bourdan, SAAN Com.Aff.Etr. 19.12.45. "VgI. die VcrsdtJ.äge Gecrges Bidaults, SAAN Com.Aff.Etr. 21.12.45; in seiner abschlägigen Antwort verwies Salomon Grumbach auf die französische Parlamentstradition und bezweifelte, daß ein Untersuchungsausschuß tatsächlich das Prestige der Provisorischen Regierung angreifen könne. Noch am gleichen Tag wurde die Untersuchungskommission durch die Assemblee constituante eingestzt, vgl. JORF, Debats 1945/46, 21.12.45, S.291ff. ., Zur "BenennllllgSlXOZfdur" vgl. z.B. SAAN ComEdu.Nat. 28.12.45 sowie die nach Partei711gehörigkeit aufgeschlüsselte vorläufige bzw. endgültige Mitgliederliste, Centre d'etudes et de documentation du CGAAA, 17. bzw. 19.01.46, AN 363 AP 6; zur Wahl Grurnbachs vgl. SAAN Com.ZFO 18.01.46. .. Vgl. Bulletin des Commissions, Assemblee Nationale Constituante, Tome unique, Du 11 Decembre 1945 au 26 Avril1946, Paris 1946, S.118 u. 145 sowie SAAN Com.ZFO 21. u. 29.01.46 . ., SAAN ComZFO 26.02.46.

I. Hexagonale Aspekte

651

officiel zum Abdruck kommen,50 doch schon zuvor drangen gewisse Vorwürfe an die Presse,51 die diese derart aufbauschte, daß selbst Grumbach befürchtete, sie würden "l'opprobre sur toute la France" werfen.52

Am 28.Februar begannen die ausschußintemen Diskussionen der Berichte. Dabei kamen einerseits technisch-administrative Schwierigkeiten und Versäumnisse zur Sprache wie beispielsweise die unzureichenden Kommunikationsstrukturen, die Konflikte zwischen zivilen und militärischen Stellen, die mangelhaften Säuberungen des französischen Personals, die freundschaftlichen Kontakte ehemaliger Kollaborateure mit nationalsozialistischen Elementen,53 schließlich der Eindruck "que nous sommes les plus impopulaires de tous les occupants.,,54 Andererseits brachten die Referenten Unverständnis zum Ausdruck darüber "qu'on ait suivi, en matiere de recuperation, une politique trop legaliste, ,,55 denn materiell schien es den Deutschen durchaus besser zu gehen als den Franzosen. Ein Zustandsvergleich südwestdeutscher und hexagonaler landwirtschaftlicher Nutzflächen fiel deutlich zuungunsten Frankreichs aus,56 die schlechten Verhältnisse bei Kleidung und Schuhen französischer Soldaten kontrastierten gewaltig mit der Vielzahl sinnvollerweise zu requirierenden "articles d'habillement ... dans les maisons allemandes"57 oder den "880.000 paires de chaussures en stock a Pirmasens."5S Bei abnehmender Präsenz der Kommissionsmitglieder zog sich die Prüfung der jeweiligen Berichte bis zum 2.April 1946 hin. 59 Sie mündete in einen dem Plenum zu unterbreitenden Resolutionsvor50 Vgl. die einzelnen Berichte zur französischen Zone in Deutschland in: JORF, Documents de I'Assemblee Nationale Constituante, elue le 21 octobre 1945, Annexes aux proces-verbaux des seances, Projets et Propositions de lois, Exposes de motifs et Rapports, Paris 1946, Annexes n0917-n0926, S.902-917 sowie Grumbachs Rapport general, ebd., Annexe n0959, S.942-944.

SI Zum Katalysatoreffekt besatzungspolitischen Drucks durch die Pariser Presse, die gewiß nicht zufällig seit dem Einsatz des Untersuchungsausschusses Sonderberichterstatter in die FBZ schickte und un7iihI.ige, teilweise arg sensationsheischende Artikel publizierte, vgl. z.B. die Serien in: Les Echos, 10., 12.,17. u. 19.01.46, in: Le Figaro, 28. u. 30.131.12.1945 sowie 02. u. 03.01.46 oder in: Franc-Tireur, 04.,06.107. u. 09.01.46. 52

SAAN Com.ZFO 14.03.46.

"Noch am g1eidlen Tag sandte Grumbach im Namen des außenpolitischen Ausschusses einen Brief an Generalkommissar Mayer und verlangte die umgehende Abberufung aller Beamten "ayant servi d'une maniere assez prolongee le Gouvernement de fait dit de Vichy;" der vollständige Brief vom 28.Februar 1946 findet sich abgedruckt in: Bulletin des Commissions, Assemblee Nationale Constituante, Tome unique, S.38Of. "Stellungnahme de Chambrun, SAAN Com.ZFO 14.03.46. " V gl. Rapport Louis Bemard (pCF) zur Lage der Industrie, SAAN Com.ZFO 28.02.46. 56 Vgl. den Rapport des Volksrepublikaners Andre Bas zu landwirtschaftlichen Fragen, SAAN Com.ZFO 28.02.46. Deutlich akzentuierter, was an forst- und landwirtschaftlichen Produkten und Maschinen noch aus der FBZ herauszuholen sei, stellte dies Bas vor dem landwirtschafts- und emährungspolitischen Ausschuß der Nationalversammlung dar, vgl. Expose de M. Bas sur les travaux de la mission parlementaire en zone occupee, SAAN Com.Agr.Rav. 03.04.46. 51 Rappcrt Philippe Livry-Level (MRP) zur Besatzungsarmee, SAAN Com.ZFO 06.03.46; am 29.März wurde er im Palais Bourbon deutlicher: "L'Allemagne est encore riche et nous pouvons I'exploiter.... Nous avons la-bas un territoire a exploiter.", vgl. JORF, Debats 1945/46, 29.03.46, S.1240. ,. Rapport Bernard, SAAN Com.ZFO 28.02.46. "Vgl. SAAN Com.ZFO 02.04.46; weit weniger als die Hälfte der Mitglieder waren anwesend, von den Fehlenden gerade einmal 2 entschuldigt

652

C. Erldärungsmuster

schlag, dessen Hauptforderung in der Ernennung eines "Ministre responsable pour les zones d'occupation" durch die Provisorische Regierung lag und die am 24.April von der Konstituante bei einer Enthaltung einstimmig angenommen wurde. 60 Da "dans l'ensemble, les conclusions de la Commission d'enquete n'ont ete que peu ou pas appliquees,"61 blieb der besatzungspolitische Druck über die Auflösung des Untersuchungsausschusses hinaus bestehen. Einem offenbar als wenig befriedigend erachteten Vortrag Pierre Schneiters, der nun zum "Dauergast" im außenpolitischen Ausschuß avancierte,62 folgte eine neuerliche Regierungsrüge in Form eines einstimmig verabschiedeten Antrags, doch endlich die Schlußfolgerungen der Enquetekommission praktisch umzusetzen. 63 Doch wiederum erschienen einige Monate später die Wirkungen begrenzt und vor allem die administrativen Defizite unverändert. 64 Anfang Mai 1947 war erstmals von einer weiteren "Commission d'enquete parlementaire" für die französische Zone in Deutschland die Rede. 6s Trotz der Vorbehalte Bidaults, der angesichts der internationalen Verhandlungen kein Interesse daran hatte "qu'on dise ... que la zone fran~aise est moins bien administree que les autres zones," konstituierte sie sich am IlJuni 1947 mit Pierre-Henri Teitgen als Vorsitzendem. 66 Die Ende Juli vorgestellten Ergebnisse waren kaum schmeichelhafter als die vom Frühjahr 1946. Wie damals wurden "les doubles-emplois et les chevauchements" und "un rendement meruocre" in der Besatzungsverwaltung bemängelt, der "caractere de feodalite" im Umkreis der Spitzenbeamten oder die Trägheit des Generalkommissariats für Deutschlandangelegenheiten, das "ne joue aucun rOle."67 Während Teitgen versuchte, konstruktive und eher gemäßigte Kritik zu üben, beispielsweise den Konflikt zwischen Koenig und Laffon herunterzuspielen, ging es dem Kommunisten Femand Grenier um eine völlige Desavouierung der französischen Besatzungspolitik durch detaillierte Beschreibung des "train de vie exagere de certains hauts-fonctionnaires &l Vgl. die sieben Forderungen der "proposition de resolution" des außenpolitischen Ausschusses, SAAN Com.Aff.Etr. 08.04.46; zum Votum vgl. SAAN Com.Aff.Etr. 24.07.46. 61 Schlußfolgerung de Chambrun, Rapport d'information sur la situation dans les zones fran~ises d'occupalion en A1lemagne et en Autriche, SAAN Com.Aff.Etr. 24.07.46. "Vgl. seinen ausführlichen Vortrag, SAAN Com.Aff.Etr. 21.08.46 sowie seine Folgeauftritte, einmal zur Entnazifizierung, SAAN Com.Aff.Etr. 18.09.46, zum anderen zur FBZ-Verwaltungsorganisation und -reform, SAAN Com.Aff.Etr. 25.09.46. " Vgl. die "motion" vom 4.September 1946 in: Bulletin des Commissions, Deuxieme Assemblee Nationale Constituante, Tome unique, Du 18luillet 1946 au 5 Octobre 1946, Paris 1947, S.214 . .. Vgl. Rapport d'information de M. de O!.ambrun sur les resultats de I'enquete parlementaire dans les zones d'occupation fran~ises d'Allemagne et d'Autriche, SAAN ComAff.Etr. 26.02.47 sowie die "Ohuvations de Pierre-Olivier Lapie" als zuständigem Unterstaatssekretär im Quai d'Orsay während der Blumschen Übergangsregierung, SAAN Com.Aff.Etr. 05.03.47. " Vgl. SAAN Com.Aff.Etr. 07.05.47 . .. Vgl. SAAN ComAff.Etr. 23.05. u. 11.06.47. Der Sozialist lean Bouhey wurde Vice-president, Gilbert de O!.ambrun Secretaire und der Radikalsozialist Felix Gaillard Secretaire-adjoint. Die definitive Zusammemetzung der Kommission wurde Bidault am 20.1uni mitgeteilt, vgl. Brief Assemblee nationale, Commission des affaires etrangeres, Note pour M. Falaize, 20.06.47, AN 457 AP 67. ~ Ausführungen Teitgens und Greniers, ConcIusions bzw. Cornpte rendu de la commission d'enqu8te, SAAN Com.Aff.Etr. 25. bzw. 30.07.47, a.iJ.

I. Hexagonale Aspekte

653

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... superieur celui du President de la Republique," durch Hervorhebung von "offiders qui s'occupent des ecuries de courses, des chasses, etc.," durch den Vorwurf an Grandval "de faire travailler des prisonniers construire une pisdne." Am 6.August 1947 beschloß der außenpolitische Ausschuß einstinunig, die Regierung zu veranlassen, ein Staats sekretariat für Deutschlandfragen einzurichten und eine Reorganisation der Besatzungsadministration vorzunehmen. 68

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Zwar blieben auch danach zonale Unzulänglichkeiten weiterhin ein Thema in der außenpolitischen Konunission der Nationalversamrnlung,69 doch wurden sie im sich aufheizenden Kalten Krieg zunehmend durch übergeordnete Deutschlandthemen überlagert. Die in dieser Phase von kommunistischer Seite geäußerten harschen besatzungspolitischen Vorwürfe, zu wenig an Reparationen aus der Zone herauszuholen und legitime französische Ansprüche zu "verramschen", liefen für den Quai d'Orsay nun parallel mit scharfen deutschlandpolitischen Protesten und Regimeopposition des PCF. Zu Zeiten des Tripartismus allerdings war dies anders, denn den fehlenden Mißfallensäußerungen an regierungs amtlichen Maximalpositionen standen pennanente, von allen drei Parteien 70 getragene Beanstandungen am französischen Vorgehen und Verhalten im deutschen Südwesten gegenüber. Die halböffentliche besatzungspolitische Kritik als Ersatz für offizielle deutschlandpolitische Kritik warf ein Schlaglicht auf die Vordergründigkeit des trip artistischen Konsenses und setzte schon damals de Gaulle und Bidault, der doch "particulierement sensibles aux difficultes parlementaires"71 war, den Pressionen der Deputierten beim wahlkampfrelevanten "Mobilisierungsthema" Deutschland aus. Nach außen, gegenüber den Angelsachsen, schien Bidault das Bekanntwerden gravierender Besatzungsmängel erst recht als zusätzliches Hemmnis. Die Übersendung eines Exemplars der Berichte aus dem Untersuchungsauschuß an Massigli endete mit dem Hinweis, daß "il [cet exemplaire] ne doit en aucun cas etre remis aux joumalistes anglais."72

Die technischen Kommissionen. Die unmittelbare Konfrontation mit deutschlandpolitischen Maximalforderungen der Abgeordneten im Rahmen von Parlamentsausschüssen war kein "Privileg" der Außenminister. Auch die Leiter technischer Ressorts konnten sich über ein Ausbleiben maximalistischer "Anregungen" nicht beklagen. Diese bezogen sich fast durchgängig auf die Frage deutscher Reparationen und "VgI. Bulletin de.s CommissiOllS, Assemblee Nationale, Premiere Ugislature, Bd.2, S.765; ausführlich diskutiert, SAAN Com.Aff.Etr. 06.08.47. 69 VgI. z.B. SAAN ComAff.Etr. 26.11., 18.02. o. 29.12.48; eine Untersuchungskommission de.s Conseil de la Republique hielt sich kurz vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland, vom 25. bis zum 30.April 1949, in der Besatzungszone auf, vgI. Brief de Leusse an Koenig und Fran~ois-Poncet, 13.04.49, AMAE Y (1944/49) 401. 10 Zum Versuch der Parteien, sich ein eigenes Bild von der Situation im Besatzungsgebiet 1ll machen, vgI. für die SFIO: La situation en Allemagne, Rapport d'une delegation officieuse du parti socialiste Rapport sur un voyage en Allemagne occup6e du 6 au 15 octobre 1945, FNSP-AHC Papiers Cletta et Daniel Mayer 22-3 sowie für den MRP: Groupe parlementaire MRP, Bulletin hebdomadaire d'information du groupe n °7 (6 Mars 1946), AN 350 AP 76. 71 Rene Massigli, Brief an Serge Bernier, 15.10.80, AMAE PAAP 217/91. 12 Brief Bidault an Massigli, 16.10.46, AMAE Y (1944/49) 437. 42 Hüser

654

C. Erklärungsmuster

Restitutionen und wurden schon 1945/46 zumeist am lautstärksten von kommunistischen Deputierten vorgebracht. Im Wirtschaftsausschuß tat sich besonders Virgile Barel hervor. Während einer Vorstellung des Plan d'equipement et de modernisation durch Robert Marjolin, die nicht einen einzigen Hinweis auf einen deutschen Rekonstruktions- und Modernisierungsbeitrag fiir Frankreich enthielt, signalisierte er "l'existence en Allemagne d'outillage" und fragte sybillinisch "si la requisition serait utile a l'industrie fran~aise.'t73 Nicht weniger dezidiert bestand sein Kommissions- und Parteikollege Jean Christofol darauf, daß "a l'egard de l'Allernagne, il est indispensable que la France obtienne des reparations substantielles et qu'elle puisse compter sur un contingent important de marchandises et de rnachines outils preleves dans ce pays."74 Und erneut waren es die beiden Kommunisten, die das Reparationsproblem zur Sprache brachten, als de Menthon, Schneiter, Alphand und Nathan es geflissentlich übergingen. Barel etwa machte einmal mehr auf die Unmenge von Schuhen "en souffrance Pirmasens" aufmerksam, deren "importation entrainerait un benefice net de 1.500.000 dollars pour le Tresor: Qu'attend-t-on pour les faire entrer en France?,,7s

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Ganz ähnlich stellte sich die Situation im Finanzausschuß dar. Beim ersten Auftritt Rene Plevens nach der Wahl der Konstituante, bei dem der Finanzminister nachdrücklich aufWiederaufbaubemühungen aus eigener Kraft bzw. mit amerikanischen Krediten abhob, dagegen Deutschland nicht mit einem Wort erwähnte, preschte der ehemalige Rumanite-Chefredakteur Georges Cogniot vor und äußerte seine Verwunderung "qu'on n'ait pas parle ici de cette question [des reparations]," denn abgesehen von der unbestreitbaren Notwendigkeit eines "effort immense que doit fournir le pays" bleibe doch "une question de justice, un droit banal et imperieux" bestehen, "et nous voudrions bien savoir comment ce droit se traduira en chiffres." Vollkommene Unterstützung fand Cogniot nicht nur bei seinem nordfranzösischen Parteigenossen Arthur Ramette, der "la recuperation d'outillage dans les ports allemands pour retablir la prosperite des nos ports fran~ais" einklagte, sondern auch bei Renri Meck. Der elsässsischen Volksrepublikaner fragte an, weshalb man erforderliche Pferde und Kühe, Fensterglas und Baurnaterialien aus Baden und Wiirttemberg über die Grenze schaffen könne und konstatierte, daß "nos populations ne comprennent pas qu'on ne procecIe pas une recuperation des choses dont nous avons absolument besoin chez nous."76 Gegenüber Plevens Nachfolger Philip war es ebenfalls Cogniot, der im Anschluß an dessen Vortrag das Wort ergriff und versuchte, die Diskussion auf die bislang unerwähnte deutsche Frage zu lenken, auf Reparationslieferungen und Ruhrkohle. 77

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73 Vgl. Audition de M. Marjolin, SAAN Com.Eco.Nat. 17.04.46; als "Reparationsskeptiker" verwies Marjolin auf die Zuständigkeit der Brusseler Agence interallicle des reparations und fügte an, daß "de plus, les forma1ites de transport sont fort longues."

7. Vgl. die Aussprache über die "accords de Washinton", SAAN Com.Aff.Etr. 31.07.46. 73

SAAN Com.Eco.Nat. 27.09.46.

7. Audition de M. Pleven, SAAN Com.Fin. 06.12.45. 77

Vgl. Audition de M. Andre Philip, SAAN Com.Fin. 07.02.46.

I. Hexagonale Aspekte

655

hn vom späteren PCF-Generalsekretär Waldeck-Rochet präsidierten Ausschuß für Landwirtschaft und Ernährung traten allerdings weniger die kommunistischen Abgeordneten Rene Camphin bzw. Antonin Gros, deren Engagement eher Rationierungspraxis und Versorgungsengpässen galt, als Verteidiger französischer Reparationsinteressen in Erscheinung, sondern der Volksrepublikaner Andre Bas sowie der Unabhängige Andre Chabannes. Unablässig verlangten sie die "recuperation des vaches laitieres" und "des importations de lait et de beurre de la zone d'occupation." Sie plädierten für einen "plan d'exploitation agricole de la zone occupee" und zogen die von SFIO-Minister Tanguy Prigent angeführte Zahl von 2.700 bislang zurückgeholten Milchkühen ins Lächerliche, denn - so Chabannes - "il Y en a plus d'un million dans la zone fran~aise d'occupation."78 In einem Referat über die landwirtschaftlichen Verhältnisse im französischen Besatzungsgebiet konstatierte Chabannes entrüstet, daß es dort weder einen französischen Nutzungsplan noch bedeutende Reparationsanstrengungen gäbe, daß "en resurne, nous ne tirons rien de cette zone mais elle nous a coute jusqu'a ce jour 19 millions de dollars."79 Und Bas berichtete über die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, daß "les chevaux sont tres nombreux en Allernagne," daß die deutschen Rationen, verglichen mit französischen, alles in allem eher besser als schlechter ausfielen, daß "certaines fermes possectent des etables de 40 vaches," daß "les forets allemandes sont intactes, et devraient etre plus exploitees," etc. 80 Auch in der Kommission für nationale Verteidigung war es vor allem ein MRP-Abgeordneter, Philippe Livry-Level, der sich überaus kritisch hervortat. Angesichts vielzähliger französischer Maschinen in den anderen drei Besatzungsgebieten fragte er etwa sarkastisch nach, ob denn "nos Allies, dans un sentiment aimable vis-a-vis de la France, nous les rendent?"81 Während im außenpolitischen Ausschuß der Konstituanten bzw. der Nationalversammlung das Problem deutscher Reparationen und Restitutionen bis zum Sommer 1947 eine eher untergeordnete Rolle spielte, bildete es in den technischen Kommissionen ein höchst brisantes Thema. Der wiederholte Rekurs der Abgeordneten auf die speziellen Alltags- bzw. Wiederaufbaubedürfnisse in Heimatregion und Wahlkreis, die sich durch bestimmte, in Deutschland verfügbare Produkte oder Materialien ansatzweise decken ließen, verdeutlicht den Druck, den sie gerade als Mitglieder entsprechender Kommissionen verspürten. Den Vorwurf reparationspolitischer Versäumnisse und mangelnden Eifers bei der Befriedigung legitimer Ansprüche Frankreichs erhoben tatsächlich nicht nur PCF-Deputierte, doch - wie zumindest die ausgewerteten Protokolle der Parlamentsausschüsse nahelegen - quantitativ am häufigsten und qualitativ am schärfsten. Sie prägten wesentlich das kommissionsinterne Meinungsklima zur deutschen Frage, erwiesen sich durchweg als Vertreter maximalistischer Reparationsforderungen gegenüber Ressortleitern, die aufgrund der Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg gerade in diesem Bereich - bei aller Ze71 Audition de M. le Ministre de I'agriculture et du ravitaillement, SAAN Com.Agr.Rav. 13.12.45. ,. Expose de M. Chabannes sur la situation agricole de la ZFO, SAAN Com.Agr.Rav. 19.12.45. Il Expose de M. Bas, SAAN Com.Agr.Rav. 03.04.46. 11 Vgl. SAAN Com.Def.Nat. 12.12.45.

656

C. Erklärungsmuster

lebrierung von Deutschlandmaximalismen in anderen - zu hohe Erwartungshorizonte dämpfen und eine neuerliche "l'Allemagne paiera-Stimmung" vermeiden wollten.

Zwischenbilanz: innenpolitische Erklärungsmuster 1944 - 1950. Alles in allem lassen sich die sach-, koalitions- und wahlpolitischen Zwänge eines Regierungssystems kaum bestreiten, dessen demokratisch-republikanische Absicherung zunächst alles andere als garantiert erschien, dessen gemäßigte Repräsentanten sich der ständigen Konfrontation mit dem Wähler aussetzten und das sich nach dem Zerfall der tripartistischen Vernunftehe einer potentiell systemsprengenden Opposition aus Gaullisten und Kommunisten gegenübersah, die bei divergierenden langfristigen Optionen gemeinsam das Ziel verfolgten, Regime und Regierung aus den Angeln zu heben. Aus dem "Deutschlandkitt" des Tripartismus erwuchs ein Damoklesschwert für die Dritte Kraft und damit eine wesentliche hexagonale Determinante für die Fortsetzung der Bidaultschen "doppelten Deutschlandpolitik" . Die nicht-kommunistischen Pariser Akteure betätigten sich durchaus nicht als Advocatus diaboli. Selbst wenn sie die potentielle Blitzableiterfunktion einer ausgeprägten Revancherhetorik erkannten, verspürten sie doch von Anfang an den Druck einer antideutschen Öffentlichkeit, den kommunistische Revanchetiraden und parlamentarische Reparationsambitionen potenzierten. Er schien ihnen kaum Alternativen zur Rekapitulation von Maximalpositionen zu lassen, ohne Zusatzschwierigkeiten heraufzubeschwören. Doch so unumgänglich die Maximalismen kurzfristig auch sein mochten, mittelfristig mußten sie die öffentlichen Erwartungshaltungen erhöhen sowie - angesichts der Dauerhaftigkeit sämtlicher "Befreiungsprovisorien" langfristig eine Offizialisierung realistischerer Deutschlandhaltungen erschweren. Die zugrundeliegenden Handlungsmotive des Außenministers bei seinem "Kampf' um die "doppelte Deutschlandpolitik", wie sie sich paradigmatisch in der "GouinAffare" oder der "Blankoscheck-Politik" gegenüber Ramadier offenbarten, warfen ein Schlaglicht auf das zweifache Interesse Frankreichs an der offiziellen Beibehaltung von Maximalismen. Sie dienten nicht nur dazu, dem öffentlichen Meinungsklima Rechnung zu tragen und das Regime zu konsolidieren, sondern sollten ferner in internationalen Verhandlungen dazu beitragen, möglichst viel für Frankreich "herauszuholen". Genau dies kennzeichnet nämlich den internationalen Schlüssel "doppelter Deutschlandpolitik" neben dem vorgestellten hexagonalen und damit erneut die enge Wechselwirkung von Innen- und Außenpolitik in den Nachkriegsjahren. Denn wenn schon die Akteure bei sämtlichen Deutschlandbeschlüssen eine germanophobe französische Öffentlichkeit und eine hegemoniale kommrnunistische Partei zu fürchten hatten, warum sollte dann nicht wenigstens versucht werden, solche Imponderabilien durch maximalistische Ansprüche nach außen zu nutzen. 82

'2 Aus der überzogenen "Schwarzmalerei", die französische Akteure als Mittel zur Erhöhung von Kreditd!ancen im diplomatischen Verkehr selbstverständlich betrieben, läßt sich allerdings nicht einfach der ausschließlich taktische Charakter der "kommunistischen Karte" ableiten, wie dies bei A1an S. Milward, Was the Marshall Plan necessary?, in: Diplomatic history 13 (1989) S.231-253 (244) gemehl Die internationalen Instrumentalisierungsversuche beruhten auf der "Realperzeption" hexagonaler Regirnebedrohung durch relevante Entscheidungsträger.

II. Internationale Aspekte

657

11. Internationale Aspekte" doppelter Deutschlandpolitik ": Nutzungschancen gegenüber den Westalliierten 1944 - 1950 Diplomatische Erklärungsfaktoren "doppelter Deutschlandpolitik" bildeten die Instrumentalisierungsmöglichkeiten, die eine Aufrechterhaltung von Maximalismen gegenüber Großbritannien und vor allem gegenüber den Vereinigten Staaten bargen. Ein solches Verhandlungskalkül war darauf ausgerichtet, hexagonale Schwierigkeiten in internationale Trümpfe zu verwandeln. Es erschien Pariser Akteuren, allen voran Georges Bidault, ergiebiger als frühe Kooperationssignale an die Angelsachsen, die - so die mehrheitliche Diagnose - in Frankreich selbst beträchtliche Zusatzprobleme heraufbeschworen und vielleicht das provisorische Regime ohne Not ins Wanken gebracht hätten. Tatsächlich beruhte der "Einsatz" von Maximalpositionen nach außen auf real existierenden bzw. real perzipierten Zwängen im Innern. Dagegen konnte von einem "Zwang zur Entscheidung zwischen Ost und West"l nach Ausbruch des Kalten Krieges keine Rede sein. Frankreich lavierte nie wirklich zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Die nicht-kommunistische französische Führung wußte sehr wohl, nicht zuletzt aufgrund der Dominanz des politischen Lebens durch die PCF und aufgrund des beachtlichen Einmischungspotentials, das die östliche Großmacht damit auf Vorgänge im Hexagon besaß, welchen Werten sie sich verpflichtet und welchem Lager im Ernstfall zugehörig fühlte. Die Skepsis gegenüber langfristigen Kooperationschancen mit der Sowjetunion und die Art der Entscheidung bei deren Ertraglosigkeit signalisierten bereits die frühesten Grundsatzdirektiven des Comite interministeriel trotz des eminenten Interesses, das Frankreich einer Vier-Mächte-Zusammenarbeit in Deutschland prinzipiell beimessen mußte. Eine dauer- und ernsthafte Alternative zu Washington und London repräsentierte Moskau für Paris zu keinem Zeitpunkt und in keinerlei Hinsicht, höchstens kurzzeitig eine taktische. Damit standen die französisch-sowjetischen Nachkriegsbeziehungen in deutlicher Kontinuität zum Verhältnis der später deutschlandpolitisch involvierten "Freien Franzosen" zur Sowjet-Führung während der Widerstandsjahre. Fand schon damals die Suche nach einem nutzbaren diplomatischen Gegengewicht gegen die erdrückende machtpolitische Überlegenheit der Westalliierten nie seinen Niederschlag in einer Moskauer Unterstützung französischer Positionen, so sprang auch bei der offIZiellen Schaukel politik Frankreichs zwischen Befreiung und Moskauer Außenministerratstagung im Frühjahr 1947 weder - sieht man einmal von Lippenbekenntnissen ab _2 ein "Deutschlanddeal" mit Stalin heraus 3 noch eine fruchtbare Zusammenarbeit in anderen Bereichen. 4 Selbst 1 Vgl. Fritsch-Boumazel, Die Wende in der französischen Nachkriegspolitik, S.23ff.; ähnlich z.B. Bossuat, La France, l'aide arnericaine et la construction europeenne, S.96ff., 294 u. 900. 2 Zur Wahrnehmung solcher Lippenbekenntnisse vgl. Telegramm Catroux an Bidault über Gespräch mit Stalin, 20.03.45, AN 457 AP 82; CatrOllX, Entretiens avec M. Molotov, 10.08.45, AMAE Z Europe (1944/49) URSS 52; Brief Alphand an Bidault über Gespräche mit Stalin u. Molotov, 18.12.45, AMAE Y (1944/49) 396; Geoffroy de Courcel, Allemagne, 28.01.46, AMAE Y (1944/49) 284.

3 Zu den suk=iven Enttäuschungen, was eine konkrete so~etische Unterstützung offizieller französisdlecPositionen anbelangt, vgl. z.B. Telegramm Bidault an CatrOllx, 29.05.45, AMAE Y (1944/49) 362;

658

C. Erldärungsmuster

der Bündnispakt vom 1O.Dezember 1944 erwies sich unter verhandlungs taktischen Gesichtspunkten als "Rop" , denn "a aucun moment, au cours de l'annee 1945, Moscou n'a donne a la France un appui direct en ce qui concerne la question rhenane."s Die Sowjetunion war zwar - wie schon in Algier vielfach befürchtet - potentielle innenpolitische Interventionskraft, nicht aber - wie seinerzeit noch gehofft potentielle außenpolitische Stütze. Das Scheitern einer engeren Kooperation zwischen Frankreich und den Angelsachsen während der frühen Nachkriegszeit war nur vordergründig in grundsätzlich unvereinbaren deutschlandpolitischen Zielperspektiven angelegt. Es wurzelte maßgeblich in der Dialektik respektiver innenpolitischer Durchsetzbarkeiten und außenpolitischer Nutzbarkeiten. Paris glaubte, den vielfaItigen hexagonalen Schwierigkeiten besser mit der Beibehaltung offizieller "Schaukelpolitik" und "Deutschlandutopien" gerecht zu werden als mit einer a priori-Akzeptierung anglo-amerikanischer Auffassungen. Wollte Frankreich als schwächster Partner überhaupt etwas erreichen, durfte es schon allein aus verhandlungs taktischen Erwägungen heraus keinen "Schmusekurs" einschlagen, sondern mußte zunächst Maximalforderungen präsentieren und möglichst lang eine Preisgabe seiner wahren Minimalvorstellungen, seines echten Widerstandspunktes verhindern. 6 Es soll im folgenden darum gehen, durch die Untersuchung der Verhandlungsmuster zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten (11.1.) in der fIiihen Nachkriegszeit die internationalen Aspekte "doppelter Deutschlandpolitik" nachzuzeichnen und zu fragen, ob diese nicht - ganz abgesehen von den schwer zu messenden innenpolitischen Erträgen außenpolitisch profitabler war als es die These vom Debakel Pariser Maximalismen nahelegt? Stellten nicht gerade Marshallplan und Nordatlantikpakt relative Erfolge einer intransigenten Haltung dar? Und legten nicht gerade diese finanziellen und militärischen Errungenschaften einen Grundstein für den Vorschlag einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl als "Vernunftehe" aus deutschlandpolitischen Kontinuitätselementen seit 1944/45 und vielfältigen Konjunkturfaktoren Ende der 40er Jahre (11.2.)? Telegrarrun Calroux an Bidault über Gespräch mit Molotov, 25.08.45, AN 457 AP 61; Brief Massigli an Bidault, 0.0., Anfang September 1945, AMAE PAAP 217/53; Telegramm Catroux an Bidault über Gespräch mit Molotov, 06.11.45, AMAE Y (1944/49) 395; GesprächsprotokoUe Alphand-Molotov, 12.12.45, AMAE Y (1944/49) 395 sowie 22.12.45 u. 02.01.46, AMAE Y (1944/49) 396; Telegramme Catroux an Bidault, 02. u. 17.02.46, ebd.; Conversation du General Catroux avec M. Bogmolov, 29.04.46, AMAE Z Europe (1944/49) URSS 52; Herve Alphand, EIements en vue d'une conversation eventueUe avec M. Molotov, 15.06.46, AMAE Y (1944/49) 286 u. Note pour le Ministre, Conversation avec M. Dekanosov, 20.06.46, AMAE Y (1944/49) 377; Brief Massigli an Bidault, 27.07.46, AMAE PAAP 217/63; Telegramm Catroux an Bidault über Gespräch mit Molotov, 20.02.47, AMAE Y (1944/49) 292; Fran~is CouIet, Note, Contentieux franco-sovi6tiques, 05.03.47, AN 457 AP 82; Telegrarrune Catroux an Bidault, 08.08. u. 02.11.47, AN 457 AP 83 sowie 06.11.47, AN 457 AP 84. • VgI. zB. Herve A1)i!and, Brief a.s. relations franco-russes, 06 .07.45, Note pour le Ministre, 26.11.45, Note pour le Ministre, 17.12.45 sowie Rapport sur les negociations economiques franco-sovietiques, 02.01.46, AN 457 AP 82. s MAE, Dir.Eur., Note pour le Ministre, URSS, 28.10.45, AMAE ZEurope (1944/49) URSS 52. • Vgl. dam allgemein Craig / George, Zwischen Krieg und Frieden, S.175-191 (179ft.); DuroseIle, TOllt empire perira, S.241-247.

II. Internationale Aspekte

659

1. Frankreich, die Vereinigten Staaten und die deutsche Frage: relative "Macht des Schwachen" und relative "Schwäche des Mächtigen"? Für die Entstehung des Kalten Krieges auf westlicher Seite hat sich die "superpOwer thesis" längst als "oversimplification" erwiesen, 1 welche die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Traditionalismus, Revisionismus und Postrevisionismus lange Zeit überdeckt hatte. Nach Öffnung der britischen Archive zeigte sich, daß aufgrund des Einflusses Großbritanniens auf die Diskussions- und Entscheidungsvorgänge jenseits des Atlantiks amerikanisch-sowjetische Aktions-Reaktionsmuster allein zur Erklärung des Kalten Kriegs kaum mehr ausreichten. 2 In welchem Maße Pariser Akteure die skeptischen Einschätzungen britischer Kollegen, was die künftige Rolle der Sowjetunion in der Alten Welt anbelangte, teilten, ohne dies öffentlich zur Schau stellen zu können, dürfte hinlänglich veranschaulicht worden sein. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die Supermacht-These auch insofern einer Relativierung bedarf, als sie einen kausalen Nexus zwischen gewaltigem machtpolitischen Potential eines Landes und unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten dieser Macht in der Tagespolitik transatlantischer Beziehungen nahelegt. Tatsächlich erscheint jedenfalls für das amerikanisch-französische Verhältnis zwischen Befreiung und Schumanplan ein solcher Zusammenhang nicht durchweg zwingend. Daher sollen die Fragen nach den ein- bzw. wechselseitigen Interessen, Abhängigkeiten, Wahrnehmungen, Nötigungen und Kompromissen, nach den potentiellen Durchsetzungsmöglichkeiten des "Schwachen" gegenüber dem "Starken", nach den Instrumentalisierungschancen Pariser "doppelter Deutschlandpolitik" gegenüber den Vereinigten Staaten im Zentrum der folgenden Ausführungen für die Jahre 1945 bis 1947 stehen. Abschließend werden einige Schlaglichter auf die durchgängig konsequente Anwendung und die relativen Erfolgschancen französischer Deutschlandtrümpfe in der Zeit bis zum Schumanplan geworfen sowie die Ergebnisse bilanziert.

a) Wechselseitige Interessenlagen: Pariser Erfahrung profitabler Verbandlungsmechanlsmen "Aus niederem Stand gelangt man zur Größe eher durch Betrug als durch Gewalt. ... Oft täuscht man sich, wenn man durch Bescheidenheit den Hochmut zu besiegen glaubt." ,

Die Interessen-, Konflikt- und Abhängigkeitsstrukturen zwischen Frankreich als machtpolitisch "Schwachem" und den Vereinigten Staaten als machtpolitisch "Star, Vgl. z.B. Terry H. Anderson, The United Stales, Great Britain and the Cold War 1944-1947, Columbia/Mass. 1981, S.VIII. 2 Vgl. zuletzt Deighton, The impossible peace, S.3f. , Niccolo Machiavelli, 13. u. 14.Kapitel im 2.Buch der Rede über die erste Dekade des Titus Livius, in: Politische Betrachtungen über die alte und die italienische Geschichte, übers. u. eingel. v. Friedrich von Oppeln-Bronikowski, hg. v. Erwin Faul, 2.Auflage, Köln u. Opladen 1965, S.170-173.

660

C. Erklärungsmuster

kern" waren in den Nachkriegsjahren nicht einseitiger, sondern wechselseitiger Natur. Sie waren im übrigen trotz der wachsenden Ost-West-Polarisierung auf der internationalen Bühne und trotz des damit einhergehenden Bedeutungsgewinns von Deutschland gegenüber Frankreich für die amerikanische Europapolitik auf dem Kontinent keinem grundlegenden Wandel unterworfen.

Französische und amerikanische Interessen. Das Interesse Frankreichs an den Vereinigten Staaten lag nach Befreiung und Kriegsende entsprechend seiner Wiederaufbau- und Modernisierungsprämissen im Bereich finanzökonomischer und materieller Hilfsleistungen, für die nach Lage der Dinge niemand sonst in Frage kommen konnte. Vor allem eine Bewilligung von Auslandskrediten jenseits des Atlantiks versprach einen beschleunigten Rekonstruktionsprozeß und damit ein zusätzliches Plus, um dauerhaften wirtschaftlichen Vorrangin Westeuropa und künftige französische Sicherheit zu garantieren. 2 Neben dem prioritären wirtschaftlichen Interesse gab es von vornherein ein militärisches. Gerade die frühe Einsicht in die kurzfristig gegenüber der deutschen Gefahr bedeutendere sowjetische Bedrohung sowie das fortwirkende RapalloTrauma ließen einen fortwährenden Verbleib amerikanischer Soldaten auf dem Kontinent unabdingbar erscheinen. In vordergründigem Kontrast zu seiner wenig konzilianten Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten befürwortete de Gaulle im April 1945 in seinen Instruktionen an die französische Delegation für die UNOGründungskonferenz von San Francisco eine dauerhafte Präsenz amerikanischer Truppen in Europa zur Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts. 3 Und die sowohl von de Gaulle als auch von Bidault Ende 1945 bzw. Anfang 1946 gebilligten, schließlich vom neuen Regierungschef Gouin vereitelten US-Missionen General Billottes4 zur Verteidigung seiner Idee einer amerikanisch-französischen Sicherheitspartnerschaft legen Zeugnis davon ab, wie ernst es den Pariser Entscheidungsspitzen damit war und wie wenig sich die gegenüber den Angelsachsen mehrfach geäußerte Furcht vor den Russen am Rhein auf ein rein taktisches Argument im diplomatischen Verkehr reduzieren läßt.s Die ständige Sorge "que le militaire amencain se desinteresse du sort de l'Europe" und die Berücksichtigung der "hypothese d'une evacuation anticipee de la zone americaine" bei Deutschlandplanungen im Quai d'Orsay 6 spiegelten nur zu deutlich das Pariser Interesse an 2

Vgl. dazu ausführlich Kapitel A III 2d.

'Vgl. den Diskussionsbeitrag von Georges-Henri Soutou, in: De Gaulle en son siec1e, Bd.5, S.517. Zu de GaulIes pessimistischer Einschä1:rung, was die Verbleibdauer von US-Truppen in Deutschland anbelangte, vgl. sd!on MAE, Secretariat des Conferences, Le probleme rMnan-westphalien et la situation fran~ise, 22.01.45, AN 457 AP 60. ·Vgl. Billotte, Letemps des armes, S.403409 u. 429437; vgl. daneben Elgey, IVe Republique, Bd.1, S.118 sowie Dalloz, Bidault, S.131. >Vgl. dazu audt Bidaults Bemerkungen vor dem außenpolitischen Ausschuß der Konstituante, SAAN Com.Aff.Etr. 05.12. u. 12.12.45, wo er als wesentliches Argument gegen deutsche Zentralverwaltungsstellen im Sinne des Potsdamer Abkommens anführte, daß mit deren Etablierung die amerikanische Administration sofort ihre Soldaten aus Deutschland abzögen. ·Vgl. Bidault an die Botsdtafter in Moskau, Prag, Washington u. London a.s. repercussion de la crise morale des troupes americaines en Allernagne, 27.02.46, AMAE Y (1944/49)419.

II. Internationale Aspekte

661

einem militärischen Engagement der Vereinigten Staaten neben dem finanzwirtschaftlichen wider. 7 Das amerikanische Interesse an Frankreich war durchaus komplementär. Washington wußte - trotz der vielfaltigen Konflikte mit den "Freien Franzosen" zwischen 1940 und 1944 und trotz der fortdauernden Provokationen de Gaulles seit der Befreiung - sehr wohl um das Gewicht eines politisch stabilen und wirtschaftlich rekonvaleszenten französischen Staates. Er mußte einerseits den Angelpunkt künftiger kontinentaleuropäischer Sicherheit bilden, konnte andererseits erhöhte Absatzchancen für Waren aus der Neuen Welt sowie verbesserte Investitionsmöglichkeiten im Rahmen der "open-door-policy" eröffnen. 8 Die Amerikaner brauchten Frankreich sicherheits- wie wirtschaftspolitisch und teilten dies den Pariser Entscheidungsträgern während der "drole de paix" mit, so oft es nur ging: "We want to see you prosperous again for a variety of reasons among others the practical one of our desire to export and we cannot export if you are not prosperous enough."9 In welehern Maße die Vereinigten Staaten auf Frankreich setzten und bereit waren, Rücksichten auf die Verhältnisse im Hexagon zu nehmen, sollten die Folgemonate unter Beweis stellen. lo

Perzeption profitabler Verhandlungsmuster. Die Gespräche, die de Gaulle, Bidault und weitere hohe Beamte des Quai d'Orsay Ende August 1945 mit den respektiven Amtskollegen in Washington führten, besaßen in vielerlei Hinsicht geradezu symbolischen Charakter. Dies gilt für die Aussichtslosigkeit maximalistischer Deutschlandforderungen und die Nützlichkeit deren offizieller Beibehaltung auf französischer Seite wie auch für die Rücksichtnahme auf die angespannte hexagonale Lage und die beschränkten Druckmittel angesichts eigener Interessen in 7 Vgl. z.B. Schreiben Massigli an Bidault, 18.11.44, AMAE PAAP 217/92; MAE, Secretariat des Confecences, Le probleme rhenan-westphalien et la situation fran~aise, 22.01.45, AN 457 AP 60:ru den Sergen de Gaulles; zu Bidault, Dejean u. Chauvel vgl. MAE, Conference franco-hollandaise, 19.03.45, AMAE Y (1944/49) 388; vgl. daneben Brief Dejean an Bonnet, 07.07.45, AMAE Y (1944/49) 419 mit der Bitte herauszufinden, welche unterschiedlichen Positionen es innerhalb der amerikanischen Administration :rur Frage amerikanischer Truppenstationierung in Deutschland gäbe und wie es um deren Erlolgsaussichten stünde; Briefe Massigli an R. Mayer, 22.12.45 bzw. an Bidault, 16.01.46, AMAE PAAP 217/63; Briefe R. Mayer an Bidault, 08.02.46, AN 457 AP 61 bzw. an Gouin, 08.02.46, AN 363 AP 6; Telegramm Bonnet an Bidault, 27.03.46, dann als Brief Bidault über R. Mayer an Saint-Hardouin a.s. desarmement de l'Allemagne, 04.04.46, AMAE Y (1944/49) 356. I Vgl. dam für Westeuropa und nicht zuletzt für Frankreich Ernst-Otto Czempiel, Das amerikanische Sicherheitssystem 1945-1949. Studie :rur Außenpolitik der bürgerlichen Gesellschaft, Berlin 1966, S.271-275 u. 298ff. oder zuletzt Costigliola, France and the United States, S.44-47. 9 Vgl. Caffery in einem Gespräch mit de Gaulle, Telegranun an Byrnes, 05.05.45, FRUS 1945 (IV) S.686f.; daneben ein Artikel über die Kriegsfolgen für Frankreich, den Caffery für das American Magazine verfaßte und dessen Schluß abschnitte übertitelt waren mit "Pour une France forte et prospere", übersetzte Version, Decembre 1944, AMAE B Arnerique (1944152) Etats-Unis 119. Dort ebenso eine Vielzahl weiterer Hinweise wie im Bidault-Nachlaß, AN 457 AP 80.

10 Zu Unredlt von der Annahme eines amerikanischen "philo-gennanisme" geht aus Annie Lacroix-Riz, Une "politique douce" preooce: Paris face 11 la politique allemande de Washington 1944-1945, in: RHMC 38 (1991) S.428-457 bzw. dies., "Bonne Allemagne" Oll reconstruction prioritaire. Paris-Washington du depart du general de Gaulle 11 la Conference de Moscou Ganvier 1946-printemps 1947), in: GMCC 43 (1993) S.137-175.

662

C. Erklärungsmuster

Frankreich auf amerikanischer Seite. Schon vier Tage vor dem Abflug gab man sich in Paris selbstbewußt. In einem vorbereitenden Papier kalkulierte Maurice Dejean, daß einerseits die amerikanische Administration "est parfaitement consciente du fait que notre pays constitue la piece maitresse de toute construction continentale," daß sie "est d'autre part tres frappee de cet autre fait que le parti commmuniste fran~ais est le second parti communiste du monde."ll Diese Diagnose fand sich durch die Unterredungen in Washington voll und ganz bestätigt. Zwar war den amerikanischen Diplomaten nicht die leiseste Andeutung zu entlocken, die auf eine Unterstützung der französischen Rhein-Ruhr-Forderungen hätten schließen lassen,12 doch brachten sie gleichzeitig in aller Deutlichkeit den Wunsch zum Ausdruck "d'aider la France a restaurer, le plus vite possible, et meme d'augmenter sa capacite de production"13 sowie den Willen, die innerfranzösische Situation vor Referendum und Legislativwahlen nicht zu komplizieren. 14 Noch deutlicher als Präsident und Außen minister formulierten die State Departrnent-Beamten sowohl die massiven amerikanischen Vorbehalte, was die offiziellen Pariser Deutschlandziele anbelangte, als auch die Relevanz eines starken, stabilen und nicht-kommunistischen Frankreichs in Westeuropa. Alphand zufolge ließen sämtliche Gesprächspartner verlauten "que l'existence d'une France forte est un axiome actuel de la politique americaine" und betonten zwei wesentliche Konsequenzen: "a) le desir de voir la France restauree economiquement, b) celui de lui permettre de participer plus activement aux reglements internationaux." Vor allem aber schienen sie - so Alphand weiter - "desireux, d'une part, de ne pas s'engager trop profondCment avant les elections et, d'autre part, de lui [le gouvernement fran~aisl donner des satisfactions lui permettant de se consolider devant l'opinion fran~aise," da sie "redouteraient en effet l'arrivee au pouvoir d'un gouvernement d'extreme gauche."ls Die offensichtlichen amerikanischen Sorgen gegenüber zunehmendemEintluß der PCF innerhalb der Provisorischen Regierung sowie die Bereitwilligkeit des State Departrnent, bei der Behandlung außen- und deutschlandpolitischer Fragen die inneren Belastungen und elektoralen Bewährungsproben nichtkommunistischer Minister und Parteien angemessen zu berücksichtigen, boten der französischen Diplomatie die Möglichkeit, eben diese hexagonalen Zwangslagen in internationale Trümpfe zu verwandeln. Lag es für den Quai d'Orsay nicht auf der Mauriee Dejean, Note, 17.08.45, AMAE Y (1944/49) 19. einem Brief Chauvels an Massigli, 02.09.45, AMAE PAAP 217/59, betonte der Generalsekretär des Quai d'Orsay zwar den "accueil favorable" sowie die Tatsache, daß "d'apres Alphand, le passage du General a ete rmnte comme le lan~ge d'une marque de dentifrice;" deutschlandpolitisch jedoch habe sich "aueune comprehension de notre de point de vue ni de noo preoccupalions" erkennen lassen, und "Ies expliealions donnres sur la Rbenanie n'ont ni convaincu ni m!me retenu I'attention des interlocuteurs de nos gens." 13 Compte rendu des conversations de Gaulle-Trurnan, 22.08.45, AMAE Y (1944/49) 19. ,. Vgl. Conversation entre Bidault et Byrnes, Washington D.C., 23.08.45, AMAE Y (1944/49) 19 sowie Note de l'audience donnre par M. Byrnes a M. Bidault, 24.08.45, AMAE PAAP 217/59. 1> MAE, Dir.Amer., vermutlich verfaßt von Herve Alphand, Conversations a Washington et a New York sur certains problemes europ6ens, 31.08.45, AMAE PAAP 217/59; vgl. daneben Resurne des conversalions de M. Alphand aWashington, 26.08.45, AN 457 AP 80. 11

12 In

ll. Internationale Aspekte

663

Hand, daß die Vereinigten Staaten alles tun würden, um das Land politisch und sozioökonomisch zu stabilisieren und eine Verschlinunerung des innerfranzösischen Chaos zu vermeiden? Lag es für das .State Department nicht auf der Hand, daß deutschlandpolitischer Druck angesichts der öffentlichen Germanophobie und kommunistischen Hegemonie die Gefahr einer Eskalation barg? Lag es nicht auf der Hand, daß Washington demzufolge seine machtpolitische Stärke nur begrenzt und unter Risiken, keineswegs aber beliebig und jederzeit zu Erpressungsversuchen nutzen konnte und bedächtig mit politischen Drohgebärden umgehen mußte?l6 Lag es nicht auf der Hand, daß der finanzkräftige Alliierte jenseits des Atlantiks versuchen würde, französische Zugeständnisse in der Deutschlandpolitik auf andere und weniger interessengefährdende Art und Weise zu erlangen?l? Die bilateralen Unterredungen vom August 1945 zeichneten Komponenten eines Verhandlungsmechanismus vor, der mittelfristig profitabel erschien und auf der Einschätzung beruhte, daß unter den Bedingungen der frühen Nachkriegszeit die Verteilung der Trumpfkarten zwischen beiden Ländern durchaus nicht der Verteilung der Machtpotentiale entsprach. Deutschlandpolitische Obstinenz entsprang nicht mehr bloß einer inneren Notwendigkeit zur Befriedigung und Ablenkung der Franzosen, sondern gleichzeitig der Chance eines lohnenswerten Einsatzes von "bargaining chips"18 nach außen, unabhängig von den Aussichten, die man den eigenen Ansprüchen zugestand. Seit den Gesprächen in der amerikanischen Hauptstadt fanden jedenfalls zuvor eher sporadisch eingebrachte l9 Gerrnanophobie-, PCFund "peur sociale" -Argumentationen zusehends Eingang in den diplomatischen Verkehr. Der bevorstehende Wahl- und Referendenzyklus bot dafür eine ideale Grundlage, und tatsächlich sollte die Auseinandersetzung um die deutschen Zentralverwaltungsstellen erweisen, wie schwierig der Einsatz von Druckmitteln für das State Department in Anbetracht der wechselseitigen Dependenzstrukturen war, wollte es nicht ureigenste frankreich- und europapolitische Interessen untergraben.

Nachweis begrenzter amerikanischer Druckmittel. Amerikanisch-französische Konfliktpotentiale bestanden trotz der skizzierten Interessenkonstellation und trotz der allgemeinen Klimaverbesserung seit dem Amtsantritt Trumans im April 1945 weiterhin. Knapp auf den Punkt gebracht basierten sie deutschlandpolitisch zunächst vor allem auf der französischen Weigerung im Alliierten Kontrollrat, die Etablierung deutscher Zentralverwaltungsstellen im Sinne des Potsdamer Abkonunens zu unterstützen, dann, als das State Department selbst gesamtdeutsche Strategien inuner skeptischer und schließlich ablehnend beurteilte, auf dem amerikanischen Vorsatz, 16

V gl. ausführlicher Kapitel B I 2b.

Ganz in diesem Sinne bereits Ireland, Creating the entangling alliance, S.16, der völlig zum Schluß kommt, daß "the American desire to restore France and to prevent such a collapse [from withinl often meant that V.S. policies for Germany could be held hostage by French politica1 instability." 11 Gillingham, Coal, steel and the rebirth of Europe, S.156. 19 Vgl. z.B. Telegramm Grew an Hopkins über Gespräch zwischen Caffery und Bidault, 07.02.45, FRVS (Malta and Yalta) 1945, S.956f. oder die Schlußbemerkungen Alphands gegenüber amerikanismen und britisdien Verhandlungsführern im Rahmen einer Sitzung des Comite economique tripartite, Reunion du 16 fevrier 1945, 16.02.45, SAEF B 33014. 17

664

C. Erklärungsmuster

unter allen Umständen und mit höchstem Tempo die Deutschlandpolitik Frankreichs nun auch offIziell mit den angelsächsischen Positionen in Einklang zu bringen, um der Welt- und der inzwischen stärker internationalistisch-antisowjetischen USÖffentlichkeit die Isolierung der östlichen Großmacht nachdrücklich vor Augen zu führen. Das amerikanische Interesse an einem starken Frankreich verhinderte jedoch die Anwendung rigoroser Zwangsmaßnahmen gegenüber der französischen Regierung zur Lösung solcher Konflikte im Sinne der Vereinigten Staaten. Einen ersten Prüfstein dafür bildete das Verhalten des State Department in der Frage deutscher Zentralverwaltungsstellen. Die Vereinigten Staaten waren im Grunde die einzige Besatzungsmacht, die zunächst vorbehaltlos eine Realisierung des Potsdamer Abkommens in diesem Bereich anstrebte. 20 Dennoch lehnten es Außenminister Byrnes sowie seine Spitzenbeamten grundsätzlich ab, Frankreich zur Zustimmung zu gesamtdeutschen Organen, wie sie die "Großen Drei" damals fixiert hatten, zu zwingen. In Washington herrschte allerdings durchaus keine einheitliche Meinung dazu, die regierungsinternen Divergenzen waren beachtlich und sollten weit bis über das Ende dieser Auseinandersetzung hinaus das Bild amerikanischer Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg prägen. Während vor allem Clay,21 der wie kein anderer wesentlicher US-Akteur an der Vision einer Zusammenarbeit mit den Sowjets im Herzen des alten Kontinents festhielt, 22 ständig über Kriegsminister Patterson, aber durchaus auch einmal über Landwirtschaftsminister Anderson,23 versuchte, das State Department zur Ausübung jeder nur möglichen Art von Druck auf die Provisorische Regierung zu bewegen, unternahm dieses "no steps to bring pressure to bear upon the French to cooperate with the other members of the Control Council"24 und winunelte ein solches Ansinnen in der Folgezeit durchweg als kontraproduktiv ab.2.5 " Ausführlicher Kapitel B III 2a. 21 Zur kritischen V Telegramm Caffery an Byrnes, 28.01.47, FRUS 1947 (III) S.689. 1A Brief Bonnet an Blum a.s. Rapport Colmer, 06.01.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 76.

676

C. Erklärungsmuster

Steuerzahlers zu reduzieren.27 Selbstverständlich gab es Versuche, statt deutschlandeher besatzungspolitischen Druck auf Frankreich auszuüben,l8 die Saarfrage ex post an die Schaffung der Trizone zu binden 29 oder vollendete Tatsachen zu schaffen, die allerdings häufig - wie an der Frage der bizonalen Industrieniveauerhöhung noch exemplifiziert werden soll - in eine Art Echtemacher Springprozession ausartete: drei Schritte vor und zwei zurück mit einem deutschlandpolitischen "Fortschritt", mit dem sich die Franzosen zumeist intern längst einverstanden erklärt oder abgefunden hatten und mit dem sie nun zumindest realzielorientierte Kompensationen erlangen konnten.

Französisches Selbstbewußtsein. Die hexagonalen Entscheidungsträger setzten jedenfalls auf amerikanische Rücksichtnahmen, hatten nicht den Eindruck, die Vereinigten Staaaten könnten sich frankreichpolitisch desengagieren 30 und fühlten sich deutschlandpolitisch weniger konkret unter Druck gesetzt oder von Repressalien bedroht als umworben: "Actuellement, c'est nous qui sommes sollicites."31 Sie traten nicht als "Almosenempfänger" auf, sondern durchaus selbstsicher im Bewußtsein, daß - wie Herve Alphand akzentuierte - die Vereinigten Staaten interessengeleitet handelten, transatlantische Wirtschaftshilfen keine" operation charitable", keine "politique du Pere NoeI" darstellten, sondern auf faktischen "avantages reciproques" beruhten, die "d'autres contre-parties" nicht zuließen. 32 In einem Gespräch mit George Kennan erläuterte der Leiter der Wirtschafts abteilung im Quai d'Orsay, daß der Erfolg der Vorschläge Marshalls "presente un double interet economique et politique pour les Etats-Unis," denn "sans aide americaine al'Europe, ce continent ne sera plus le client qu'il etait autrefois pour les Etats-Unis" und "risque d'etre le theatre de crises sociales et politiques extremement graves qui rendraient impossible al'avenir le maintien du genre de civilisation qui est ala fois commun al'Amerique et l'Europe occidentale."33 Und auch Jean Monnet, zunehmend im Schnittpunkt Pariser Deutschlandpolitik zwischen nationalen Interessen, europäischen Notwendigkeiten und atlantischen Verbindungslinien, legte Bidault in einem Memorandum 77VgI. BriefBonnet an Bidault a.s. Rapport de M. Lewis H. Brown sur 1'A1lemagne, 07.11.47, AMAE Z Europe (1944/49) Allemagne 77. 2' Vgl. z.B. Brief Laffon an Savary, 08.11.46, AMAE PAAP 338/15 oder Brief Koenig an Bidault, Situation economique de la zone fran~aise d'occupation, 06.12.46, AMAE PAAP 338/9. "Vgl. dazu Armand Berard, Note, 23.09.47, AMAE Y (1944/49) 399 sowie die dezidiert ablehnende Haltung inMAE, Dir.Eco., 07.11.47, AMAE Y (1944/49) 380 oder in Telegramm Bidault an Bonnet u. Massigli, 14.11.47, ebd. 30 Französisches "Nachhaken" brachte immer Ergebnisse, obgleich nie in dem Maße wie gewünscht Vgl. z.B. die französische Bitte um Getreidelieferungen in Telegramm Bonnet an Marshall, 08.04.47, untecstiit21 VOll Telegramm C1ayton an Acheson, 23.04.47, teilweise zugestanden in Telegramm Acheson an Bonnet, 07.05.47, FRUS 1947 (III) S.696f., 70lf. u. 707f. sowie schließlich noch einmal erhöht laut BriefRamadiec an Bidault, 16.05.47, AN 457 AP 80; vgl. auch den 250 Mio. Dollar Kredit der International Bank for Reconstruction and Developrnent, die Hälfte der Summe, die die französische Regierung nad!gefragthatte, 09.05.47, FRUS 1947 (Ill) S.708f. trotz der "reticences" des Bankpräsidenten McCloy, vgl. Telegramm MAE an Bidault in Moskau, 15.04.47, AN 457 AP 80. 31

Bidault zu einer Frage über die Zonenfusion, SAAN Com.Aff.Etr. 23.05.47.

12

Vgl. Herve Alphand, Rede vor dem American Club in Paris, 10.07.47, AMAE Y (1944/49) 228.

n MAE,

Dir.Eco., Note über Gespräch Alphand-Kennan in Paris, 02.09.47, AN 80 AJ 266.

677

II. Internationale Aspekte

dar, daß der angelsächsische Plan einer Einbindung Westdeutschlands in den Wiederaufbau der Alten Welt unverzichtbar sei, daß aber "cette entreprise ne peut pas reussir sans la collaboration de la France." Frankreich müsse darauf eingehen, "mais le fait que la question allemande se trouve etre un element essentiel de la solution qui sera apportee l'oblige a ne la donner - acause de son opinion publique - que si certaines conditions sont remplies."34 Das amerikanisch-französische Verhältnis in Deutschlandfragen glich vor diesem Hintergrund seit Herbst 1945 einem Pokerspiel mit Maximalpositionen, bei dem beide Seiten wn den Bluff des anderen wußten. Frankreich verwendete sie im Bewußtsein amerikanischer Sorgen um die innere Stabilität im Hexagon, um Realziele möglichst weitgehend durchzusetzen. Die Vereinigten Staaten verwendeten sie, um durch die Schaffung von vollendeten Tatsachen von einer möglichst guten Verhandlungsbasis aus dem Partner jenseits des Atlantiks Zugeständnisse machen und damit Abhängigkeiten aufrechterhalten zu können. Im Gegensatz zur amerikanischen Vorgehensweise mußte die französische eher rezeptiven Charakter haben, da eine vehemente Reaktion auf erwartete US-Initiativen größeren Nutzen versprach als ein eigenes Vorpreschen mit konstruktiven Realzielvorschlägen, welche die innenpolitische Lage zusätzlich angeheizt und die diplomatische Ausgangsposition verschlechtert hätte. Damit nahm der Quai d'Orsay bewußt in Kauf, daß - von außen betrachtet - die französische Deutschlandpolitik als ständiges Rückzugsgefecht erschien, obwohl dies doch inhärenter Bestandteil der Verhandlungsmethode war. d) Wechselseitige Zugeständnisse nach amerikanischem AUeingang: deutschlandpolitische Pokerspiele "Nous avODS 180 COIIIlDlOO1es qui disent: le Plan Marshali, c'est l'Allemagne d'abord. Si quelque chose leur pennet avec des raisons apparentes ou reelles de le repeter, je vous dtlclare, le Gouvernement ne survivra pas. Je ne suis pas en mesure de surmonter les oppositions simultanees du General de GauBe, du Parti communiste et d'une fraction de mes propres amis .... Bien entendu, il n'est pas question de ne pas relever I'Allemagne. Cest un peuple aujourd'hui malheureux. Mais si l'on fait un geste spectacu1aire contre lequelje devrais protester,je le repete, je ne pourrais me maintenir la place que j'occupe.'"

a

Modell "Echternach": Vorstoß, Protest und Einlenken. Ein Musterbeispiel für das wechselseitige Abringen von Konzessionen bildete das Problem des bizonalen Industrieniveaus im Sommer 1947 während der Pariser Marshallplan-Konferenz. Für Bidault und seine Verwaltungsspitzen lag eine Erhöhung seitens der Angelsachsen schon länger in der Luft. 2 Nach Informationen der Berliner Kontrollrats" Jean Monnet, Memorandum pour Georges Bidault, 22.07.47, AMF 14/113 u. 14/114. , Entretien de M. Bidault et de M. Harriman über das Clay-Robertson-Abkommen zur Erhöhung der bizonalen Stahlproduktion, 16.07.47, AN 457 AP 80. 2 Bidault hane bereits auf der Moskauer Außenministerkonferenz grundsätzlich einer Anhebung des deutsdien Industrieniveaus 2lIgestimmt, vorausgesetzt Frankreich erhielte gewisse Garantien als Gegenleistung, vor allem Ruhrkohle. Vgl. Brief Monnet an Bidault, 03.03.47, AN 80 AJ 266 sowie MAE, Dir.pol., Note, 11.08.47, AN 457 AP 60.

678

C. Erkliinlngsmuster

gruppe von Anfang Juni 1947 war eine Anhebung der jährlichen Stahlproduktion auf 11 bis 12 Mio. Tonnen geplant. 3 In einem Gespräch mit William Clayton, dem Under Secretary of State for Economic Affairs, zog Bidault einen Monat später alle innenpolitischen Register bis hin zum "grand argument des communistes [qui] consiste a d&:larer que les Etats-Unis et la Grande-Bretagne souhaite que l'on s'occupe de la reconstruction de l'Allemagne avant celle de la France," um diesen von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß "aucune d&:ision relevant sensiblement le niveau industriel allemand ne soit prise actuellement."· Die Vereinbarungen der beiden angelsächsischen Oberbefehlshaber in Deutschland, welche die jährliche Stahlproduktion auf 10.7 Mio. Tonnen festsetzten und die Rückgabe der Grubenverwaltung an der Ruhr in deutsche Hände vorsahen, konnten die Franzosen jedenfalls nicht überraschen. Sofort nach deren Bekanntwerden am 16.Juli 1947 startete die französische Diplomatie mit allem Nachdruck - wie schon das Eingangszitat anschaulich nachweist - eine Offensive gegen die Beschlüsses und auch die folgenden Tage im Quai d'Orsay waren geprägt von sprudelnden Aktivitäten. 6 Unter ständigem Hinweis auf die absehbare Reaktion der französischen Öffentlichkeit, der Kommunisten und Gaullisten, blieb Bidault strikt in der Sache, drohte mehrfach mit Rücktritt, warnte vor einer Desavouierung des Marshallplans sowie der bislang inoffiziell vollzogenen amerikanisch-französischen Annäherung. Weiter forderte er Zugeständnisse zugunsten seiner Zielperspektiven einer Wiederautbaupriorität für Frankreich und einer Internationalisierung der Ruhr sowie Garantien für die Marshallplanhilfen, zog vehement gegen die Präjudizierung einer künftigen deutschen Grubenverwaltung zu Felde, kündigte schließlich Konzessionsbereitschaft in der Zonenfusions- und Industrieniveaufrage an für die Zeit nach der Londoner Konferenz im NovemberIDezember 1947, falls man Frankreich bis dahin entgegengekommen sei. Die französische Sorge, ohne sonstige deutschlandpolitische Konzessionen einer Zonenfusion zustimmen zu müssen, erwies sich rasch als unbegründet, denn das State Department signalisierte prompt Verständnis und Gesprächsbereitschaft. In einem Brief an Bidault vom 18.Juli 1947 erkannte Marshali "tbe delicacy of your position" an, drei Tage später gestand er zu, die Publikation des revidierten Indu-

3 Vgl. Telegramm de Boysson an CGAAA, 09.06.47, SHAT 7 P 127. • Conversation du 9 juillet 1947 entre MM. Bidault et Clayton, 09.07.47, AN 457 AP 62. > Vgl. Entretien de M. Bidault et de M. Harriman, 16.07.47, AN 457 AP 80; Gespräch von Chauvel, A1pumd, Couve de Murville und de Carbonnel mit britischen und amerikanischen Repräsentanten, P.V. de la reunion tenue le 16 juillet 1947 aux Affaires etrangeres a.s. de l'A1lemagne, 16.07.47, ebd.; Telegramm Massigli über Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter in London, 16.07.47, AMAE Y (1944/49) 399; Telegramm Bidault an Bonnet, 16.07.47, AMAE Y (1944/49) 379.

• Vgl. vor allem die offizielle französische Protestnote an den britischen und amerikanischen Außenminister, Remis par M. Bidault a MM. Duff Cooper et Jefferson Caffery le 17 juillet 1947, AMAE Y (1944/49) 295; Brief Bidauit an Marshali, 17.07.47, FRUS 1947 (In S.99lf.; Brief Bidault an Bonnet a.s. Attitude du gouvernement fran~ l'egard de la fusion des zones, 17.07.47, AMAE Y (1944/49) 379; Gespräch Chauvel mit Hall-Patch, 18.07.47, AN 457 AP 62; Telegramm Chauvel an Massigli u. Bonnet, 18.07.47, AMAE Y (1944/49) 376; Telegramm Bidault an Bonnet, 19.07.47, AN 457 AP 62.

a

n. Internationale Aspekte

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strieniveauplans ZU verschieben, akzeptierte den Diskussionsvorbehalt seines französischen Kollegen. 7 Die beste Interpretation bot die Befindlichkeit Clays in Berlin: Er empfand das Vorgehen seines Außenministers als gravierende Brüskierung der eigenen Politik, als neuerliche Kapitulation vor den Franzosen und bot nachdrücklicher als sonst seine Demission an. 8 Eine gemeinsame Anweisung von State und War Department, das bei früheren deutschlandpolitischen Konflikten für die Ausübung massiven politischen und wirtschaftlichen Drucks auf Frankreich eingetreten war, gab zwar Clay formal recht und unterstützte seinen Industrieniveauplan, blieb aber bei der Aufschiebung einer Veröffentlichung und machte deutlich, daß man die allgemeinen Entwicklungsbedingungen Europas, die Erfolgschancen des Marshallplans sowie die Gefahr eines "collapse of democracy in France" adäquat zu berücksichtigen habe. 9 Seit Ende Juli 1947 fanden informelle amerikanisch-französische Vorgespräche statt, in deren Verlauf Monnet und Bidault gegenüber Clayton einer Erhöhung der deutschen Produktion sowie der Notwendigkeit einer Fusion der drei Westzonen prinzipiell zustimmten, sich zu dessen Befriedigung von der bislang vorgetragenen offiziellen Forderung nach Abtrennung und Internationalisierung der Ruhr zu lösen bereit waren bei amerikanischer Anerkennung einer "overriding international authority of which Germany would, clothed with power of allocating production as between domestic and foreign."lo Der Einladung Marshalls an Bidault zu Gesprächen mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten vom 8.August 1947, die eine Diskussion von Verwaltung und Kontrolle der Ruhrgruben einschließen sollten, 11 folgten weitere vorbereitende Unterredungen mit beiderseitigen Versuchen, durch verhärtete Positionen Verhandlungsvorteile zu erlangen. 12 Die Dreier-Unterredungen erfolgten vom 22. bis zum 27.August 1947 in London. In ihren Eingangsvorträgen hoben Massigli und Alphand die für Frankreich entscheidenden Punkte hervor: kein deutscher Wiederaufbau vor dem französischen; Junktim zwischen deutscher Industrieniveauanhebung und französischen Kontrollrechten an der Ruhr; garantierter Exportanteil der Ruhrkohle proportional zur 1 Vgl. Briefe MarshaIl an Bidault, 18.07.u. 21.07.47, FRUS 1947 (11) S.I003/Anm.39 u. l003f. Zu den Informationen, die Marshall zwischenzeitlich über Reaktionen aus Paris zukamen, vgl. Caffery an Marman üm Ge.\'(ridl mit Bidault, 17.07.47, FRUS 1947 (11) S.9911Anm.l9 sowie über Gespräche mit Maurice Schumann und anderen US-freundlichen Politikern und Ministern 2ll den Konsequenzen des revidierten Industrieniveauplans in der französischen Innenpolitik, 18.07.47, FRUS 1947 (1l1) S.722ff. I Vgl. Gespräch Howard Petersen, Stellvertretender Kriegsminister, mit Clay, 24.07.47, in: Smith (Hg.), Thepapersof General Lucius D. Clay, S.385-388; vgl. auch Murphy an Bymes, 25.07.47, FRUS 1947 (11) S.lOO8f.

• Vgl. Kriegsministerium an Clay, 26.07.47, FRUS 1947 (11) S.I009f. IOVgI. TeiegranunClaytonan Loveu über Gespräch mit Monnet vom 29.07.47,30.07.47, FRUS 1947 (II) S.lOllf. sowie Telegramm von Clayton an MarshalI über Gespräch mit Bidault und Monnet vom 06.08.47,07.08.47, FRUS 1947 (11) S.1022ff. 11

Vgl. MarshaIl an Bidault über Caffery, 09.08.47, AMAE Y (1944/49) 376.

Vgl. Telegramme Caffery an MarshalI, Gespräche von Caffery, Douglas u. Clayton mit Bidault, Monnet, AI(iIand u. Cwve de MurviIIe vom 12. u. 13.08.47, 13. u. 14.08.47, FRUS 1947 (11) S.1029ff. u. 1031ff.; Telegramm Caffery an MarshalI, 19.08.47, ebd., S.I04lf. 12

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C. FIklärungsmuster

Produktionssteigerung im Sinne des Moskauer "Prozentkohlenabkommens"; kein Präjudiz für die Gruben- und Industrieverwaltung an der Ruhr. 13 Bei all diesen Ansprüchen machten - wie das Schlußkommunique vom 28.August 1947 ausweist die Angelsachsen den Franzosen gewichtige Konzessionen und damit Hoffnung für das weitere Vorgehen. 14 Dies galt vor allem in der Ruhrfrage, für die Zugriffsrechte auf die Kohle ebenso wie für das Problem der Besitzverhältnisse der Gruben, und dies galt für die Bindung deutscher Wiederaufbaufortschritte an die französischen, für den "caractere progressif de la reconstruction allemande" im Vergleich zur europäischen. Selbst die Übereinkunft, daß "les mesures envisagees ne devraient pas avoir pour consequence de donner a la reconstruction de l'Allemagne une priorite par rapport a la reconstruction des pays democratiques de l'Europe," fand sich schriftlich fixiertY Sie bildete im Hinblick auf die seit dem 12.Juli 1947 in Paris laufenden Marshallplan-Verhandlungen mehr als ein floskelhaftes Zugeständnis, 16 ließ es doch für die künftige Zuteilung der amerikanischen Hilfsleistungen eine prioritäre Behandlung Frankreichs erwarten, und dies durchaus zurecht, wie sich bald zeigen sollte. Als Gegenleistungen nahm Frankreich die Veröffentlichung des Clay-Robertson-Abkommens am 29.August 1947 sowie die Beibehaltung der auf jährlich I 0.7 Mio. Tonnen festgelegten Stahl produktion hin. Doch lag nicht eine Erhöhung der westdeutschen Produktion bei entsprechenden Garantien im französischen Interesse 17 und hatte nicht die Bizone selbst das im ersten Industrieplan von März 1946 fixierte Niveau von jährlich 7.5 Mio. Tonnen noch nicht erreicht?18

Rückzugsgefechte als Verhandlungskalkül. Von einem "effondrement de la politique allemande"19 und einem Einschwenken auf die Linie der Angelsachsen kann keine Rede sein, es sei denn, man nimmt die französischen Maximalforderun13 Vgl. Vorträge von Massigli und Alphand, 22.08.47, AMAE PAAP 217/64. Als zusätzliches Verhandlungselement, das in den Vorgesprächen keine Rolle gespielt hatte, brachte Alphand die Forderung nach Bindung des Indwtrieniveauplans an einen Demontageplan ein. "Vgl. zufrieden und optimistisch Jean Monnet, Note sur les conversations Bidault-Clayton, 19.08.47, AMAE PAAP 217/63; ausführlich zit. in Kapitel BI 2d. U

Vgl. Communique final franc