Forschungen auf dem Gebiete der Attischen Redner und der Geschichte ihrer Zeit, Band 1 [Mehr als Bd. 1 nicht ersch. Reprint 2020 ed.] 9783111569093, 9783111197531


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Forschungen auf dem Gebiete der Attischen Redner und der Geschichte ihrer Zeit, Band 1 [Mehr als Bd. 1 nicht ersch. Reprint 2020 ed.]
 9783111569093, 9783111197531

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Forschungen auf dem Gebiete der

Attischen Redner und der

Geschichte ihrer Zeit. Von

Karl Georg Böhnecke.

„In der Wahrheitsliebe vollenden sich die Tugenden deS Geschichtschrciberö?'

Ersten Bandes erste Abtheilung.

Berlin, 1843. Druck und Verlag von G. Reimer.

Dkm Andenken

seines großen Lehrers

Bartold Georg Niebuhr

der Verfasser.

Vorrede. wine Geschichte des Hellenischen Volkes seit dem Tode deö EpaminondaS bis auf die Zeit, wo der Makedoner Obmacht völlig entschieden war und

die Freiheit der Rede zu Grabe ging — nach gewissenhafter, möglichst

vollständiger, kritischer Benutzung des aus dem Alterthume Ueberlicferten bearbeitet und in einer Darstellung, die nicht zurückbliebe hinter der Würde

des Gegenstandes — ist die Aufgabe, welche lange mich beschäftigt hat. Seit ich den Gedanken hierzu faßte, hat ihre Größe und eigenthümliche Schönheit mich mit Liebe und Begeisterung erfüllt, aber auch ihre end­

losen,

scheinbar unauflöslichen Schwierigkeiten mir mannigfache Sorge

bereitet und den Muth oft wankend gemacht.

Bis auf die Schlacht bei Mantinea ist die Hellenische Geschichte in nationalen Meisterwerken verfaßt, welche an classischer Vollendung und

Frische der Darstellung kein Späterer zu erreichen vermag und mit denen wetteifern zu wollen thöricht erscheint.

Aber die Quellen, woraus die

Kunde der spätern Zeit entnommen wird, find nur in zerrissener und

dürftiger Gestalt aus uns gekommen, die großen gleichzeitigen Historiker

alle, ja die meisten Redner untergegangen; aus jenen theils nur Auszüge späterer Schriftsteller erhalten, welche gewöhnlich höchst eilfertig zu Werke

gingen und denen meist der Sinn fehlte, das Wichtige vom minder Wich­ tigen zu unterscheiden,

theils durch die ganze alte Literatur zerstreute

Bruchstücke: diese äußerst selten in solcher Anzahl, daß, wer einmal die

Masse des Stoffes durchdrungen hat, nach ihnen Inhalt und Plan der ursprünglichen Werke mit Sicherheit aufdecken, oder mit Wahrscheinlichkeit

vermuthen kann.

Die ergiebigste, sür die Geschichte dieser Zeit bei wei­

tem noch nicht erschöpfte Quelle bieten die Attischen Redner; aber gerade

sie find die verdächtigsten Zeugen historischer Wahrheit, stärker als sie haben nicht leicht Schriftsteller gegen diese sich vergangen. Atur vieljäh­ rige, unablässige Studien können dem Urtheile über sie dje gehörige Reife und Bildung verleihen und die Weise lehren, wie sie sür die Geschichte zu benutzen sind.

Mehr als auf irgend einem andern Gebiete ist hier

eine besonnene und tief eindringende Kritik unerläßliches Geschäft des

Vorrede. wine Geschichte des Hellenischen Volkes seit dem Tode deö EpaminondaS bis auf die Zeit, wo der Makedoner Obmacht völlig entschieden war und

die Freiheit der Rede zu Grabe ging — nach gewissenhafter, möglichst

vollständiger, kritischer Benutzung des aus dem Alterthume Ueberlicferten bearbeitet und in einer Darstellung, die nicht zurückbliebe hinter der Würde

des Gegenstandes — ist die Aufgabe, welche lange mich beschäftigt hat. Seit ich den Gedanken hierzu faßte, hat ihre Größe und eigenthümliche Schönheit mich mit Liebe und Begeisterung erfüllt, aber auch ihre end­

losen,

scheinbar unauflöslichen Schwierigkeiten mir mannigfache Sorge

bereitet und den Muth oft wankend gemacht.

Bis auf die Schlacht bei Mantinea ist die Hellenische Geschichte in nationalen Meisterwerken verfaßt, welche an classischer Vollendung und

Frische der Darstellung kein Späterer zu erreichen vermag und mit denen wetteifern zu wollen thöricht erscheint.

Aber die Quellen, woraus die

Kunde der spätern Zeit entnommen wird, find nur in zerrissener und

dürftiger Gestalt aus uns gekommen, die großen gleichzeitigen Historiker

alle, ja die meisten Redner untergegangen; aus jenen theils nur Auszüge späterer Schriftsteller erhalten, welche gewöhnlich höchst eilfertig zu Werke

gingen und denen meist der Sinn fehlte, das Wichtige vom minder Wich­ tigen zu unterscheiden,

theils durch die ganze alte Literatur zerstreute

Bruchstücke: diese äußerst selten in solcher Anzahl, daß, wer einmal die

Masse des Stoffes durchdrungen hat, nach ihnen Inhalt und Plan der ursprünglichen Werke mit Sicherheit aufdecken, oder mit Wahrscheinlichkeit

vermuthen kann.

Die ergiebigste, sür die Geschichte dieser Zeit bei wei­

tem noch nicht erschöpfte Quelle bieten die Attischen Redner; aber gerade

sie find die verdächtigsten Zeugen historischer Wahrheit, stärker als sie haben nicht leicht Schriftsteller gegen diese sich vergangen. Atur vieljäh­ rige, unablässige Studien können dem Urtheile über sie dje gehörige Reife und Bildung verleihen und die Weise lehren, wie sie sür die Geschichte zu benutzen sind.

Mehr als auf irgend einem andern Gebiete ist hier

eine besonnene und tief eindringende Kritik unerläßliches Geschäft des

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Historikers, um die Berichte der Redner von den zahlreichen Uebertrei­ bungen, Verfälschungen, ja l§rdichtungen, worin fle die Thatsachen gehüllt haben, zu fichten und das festzustellen, was als wahrhafte Ausbeute histo­ rischen Stoffes Glauben und Anerkennung verdient. Für ihre Pflege hat die neueste Zeit mehr als irgend eine frühere und gerade unser Vater­ land Großes und Dauerndes gethan. Von dieser Zeit hebt eine neue Aera ihres Verständnisses an. Wie könnte ich hier die Verdienste über­ gehen, welche mein verehrter Lehrer Bö ckh durch seine Staatshaushaltung der Athener, das große Jnschriftenwerk, so manche treffliche Abhandlung und noch jüngst durch seine meisterhafte Auslegung der Piraeus-Urkun­ den wie um das Hellenische Alterthum überhaupt, so namentlich um das Demosthenische Zeitalter fich erworben hat. Diese Verdienste möchten wol so lange lebhaft anerkannt werden, als den folgenden Geschlechtern das Alterthum Mittel und Muster der Bildung bleiben wird. Hiernachst find die Arbeiten zu rühmen, wodurch unter andern vorzüglich Platner, Meier und Schümann die Kenntniß des Attischen Gerichtswesens geför­ dert haben; auch eine strenge Kritik wird vor Entdeckung neuer Quel­ len nur wenig zu ihrer Berichtigung und Ergänzung hinzufügen können. Außer Immanuel B ekk er's gründlicher,Tertrecension der Attischen Redner und der schätzbaren Ausgabe der Griechischen Rhetoren von Walz, ver­ dient endlich auch das Viele Dank, was als Beitrag zu einer künftigen Geschichte der Attischen Beredsamkeit früher von Ruhnken, neuerlich von Westermann, und zur Erläuterung der Redner theils in besondern Schriften und Abhandlungen, theils in Ausgaben und Uebersetzungen ein­ zelner und gesammelter Reden niedergelegt worden ist. Ist nun durch diese höchst erfreulichen, zum Theil großartigen Be­ mühungen die innere und äußere Kunde der Blüthezeit der Attischen Redner in unsern Tagen nach Verhältniß mehr als irgend eine andere Periode des Hellenischen Alterthums vorgeschritten, so hat doch die eigentliche politische Geschichte von dem Punkte an, wo Xenophon abschließt, noch keine solche Bearbeitung erfahren, wie fie die seltene Ausbildung der Anschauung Hellenischer Zustände, deren unsere Zeit sich rühmen darf, zu fordern berechtigt ist. Englische unb Französische Erzähler, welche diese Arbeit unternommen, haben theils weder über eine Parthei sich erheben, noch ihrer Phantasie Zügel anlegen können, theils find sie ohne gründliches Quellenstudium, ja oft ohne hinlängliches Verständniß der Hellenischen Sprache an eine Aufgabe gegangen, die als Endziel höchst mühsamer und verwickelter Untersuchungen eine wahrhaft große ist und nur von einem philologischen Geschichtsforscher gelöst werden kann. Was

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nun deutsche Leistungen betrifft, so können Leider auch wir nur unvollkommne ausweisen. In Flathe'S Makedonischer Geschichte, die sich mehr durch eine beredte Darstellung, als gereifte Forschung auSzeichnet, ist die Hellenische nur nebenbei behandelt. Vor allem entbehrt der Theil, welcher Philippos betrifft und hier zu berücksichtigen ist, einer sicheren chronologischen Grundlage. Das Leben des Königs erscheint in dürftiger Gestalt, von dem innern Staatsleben Athens und den Mannern, die zum Guten oder Bösen ausgezeichnet wirksam gewesen sind, ist nur ein höchst mangelhaftes, ost ver­ kehrtes Bilv gegeben, Demosthenes' Streben, die einzelnen Hellenischen Staa­ ten zu einem Bunde zu vereinen, so wie die Stellung nicht hinlänglich gewürdigt, welche Athen kurz vor der Schlacht bei Charvneia unter den Hellenischen Staaten und dem Könige gegenüber einnahm. Eine einfa­ chere, schmucklosere Darstellung, aber auch größere Gründlichkeit und Be­ sonnenheit des Urtheils tritt uns in B rückn er's Arbeit entgegen. Leider ist auch er nicht über die zahlreichen Schwierigkeiten derselben Herr ge­ worden und fast überall, wo er eine bestrittene Frage der Prüfung und Untersuchung unterwirft, nur zu schwankenden, selten zu völlig überzeu­ genden Resultaten gelangt. Ueberdieß dürste sich Herausstellen, daß sowol Flathe als Brückner, wenn man von den Rednern absieht, bei weitem nicht die Halste der aus den Alten auf uns gekommenen, freilich sehr zerstreuten Notizen gekannt und berücksichtigt haben, aus denen dieser Theil der Geschichte aufzuhellen ist. Endlich haben beide der Entwicklung, welche Wissenschaften und Künste in den von ihnen behandelten Zeiträu­ men genommen, ihre Aufmerksamkeit nicht geschenkt. — Anziehend durch die Liebe, womit er seinen Stoff behandelt, ist die Geschichte Athens seit dem Tode Alexanders d. Gr. bis zur Erneuerung des Achaischen Bundes von Grauert, allein tadelnswerth, weil eben diese Liebe in blinde Partheilichkeit für Athen ausartet. In Wahrheit bedürfen die Philippika — denn so können wir mit Recht die Geschichte eines von PhilippoS begründeten Zeitalters nennen, wenn wir diese auch noch über seinen Tod hinausdehnen — angestrengter Forschung und einer mehr umfassenden und zusammenhängenden Darstel­ lung, als ihnen bisher zu Theil geworden ist. Jedermann der durch das Alterthum seine Bildung empfangen hat, kennt das hohe Interesse und die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Periode. Zu einer'Zeit, wo in unserm deutschen Vaterlande bei dem geistigen Aufschwünge der Wissen­ schaften und Künste zugleich auch der Sinn sür öffentliche Verhandlungen und politisches Leben immer lebendiger wird, ist die Betrachtung und Ver­ gegenwärtigung einer Geschichts-Epoche des geistreichsten Volkes beleh-

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rend und lohnend, in welcher nachdem Wissenschaften und Künste zurherrlichsten Blüthe sich entfaltet, die Philosophie vornehmlich die Bildung

künftiger Staatsmänner sich zum Ziele setzte, worin die Beredtsamkeit durch Demosthenes, LykurgoS und Hvpereides ihre höchste ethische Vollendung er­

reichte und das lebendige Wort Alles leitete. Wer könnte auch nur irgend eine

der Demosthenischen Demegorien lesen, ohne die Unzulänglichkeit aller unserer bisherigen historischen Untersuchungen darüber schmerzlich

zu empfinden

und lebhaft den Wunsch zu hegen, genauer die Zustände kennen zu lernen, unter denen diese Musterreden gehalten worden sind und den Erfolg zn

erfahren, den eiue jede derselben gehabt haben möge.

Kein Zeitalter der

classischen Geschichte hat in unsern Tagen selbst aus demSchooße der Erde

eine so schätzbare Bereicherung für die Erweiterung und Sicherstellung unserer Kunde erhalten, als das Demosthenische durch die Auffindung der PiräeuS-

Urkunden.

Nicht leicht möchte irgend ein Theil der bekanntern Hellenischen

Geschichte reichern Stoff zu Untersuchungen bieten, vielleicht auch keiner durch eine neue, den Forderungen der Wissenschaft genügende Behandlung

eine so durchgreifende Umgestaltung zu erfahren haben, als gerade die Philippika. Bevor aber ihre Darstellung unternommen werden kann, ist es un­

umgänglich nöthig, einen festen Grund zu legen, worauf der künftige Bau ruhen soll. Das Werk, welches hiermit den Freunden des Hellenischen Alterthums

dargeboten wird, hat die Absicht, einer Philippischen Geschichte den Weg zu bahnen und vor allen die Grundlage für sie festzustellen.

Außer einer

Untersuchung über die zwölfjährige Finanzverwaltung des Lykurgos *) und

*) Da es zum Verständniß der Demosthenischen Zeitgeschichte durch­ aus erforderlich ist, über diesen höchst wichtigen, in jüngster Zeit so vielfach besprochenen Gegenstand gleich von vorn herein im Klaren zn seyn: so theile ich das Resultat meiner Untersuchung schon hier nebst einigen Gründen mit, den vollständigen Beweis mir vorbehal­ tend. — In Uebereinstimmung mit dem 01. 114,1 für die Kinder des Lykurgos geschriebenen Demosthenischen Brief, welchen ich für ächt halte, setze ich die zwölfjährige Finanzverwaltung des Lykurgos in den Anfang seiner politischen Wirksamkeit (S. 1474,1^. Ixtlvot; 7«Q aviov lv tw ntol diotxTiQovQta zur Zeit von Aleranders erstem Einfall in Stand gesetzt waren: aus einem andern Beschluß des KallistheneS. (N. 105.) Bereits 01. 109,1. hatten die Athenäer die Ver­ theidigung ihres Landes und den Krieg innerhalb Attika'S in Be­ rathung gezogen (Phil. II. S. 74,14), und um dieselbe Zeit wurden nach DrymoS und Panaktum