Fiktive Auslandszustellung: Die Fiktion der Zustellung von Hoheitsakten an im Ausland wohnende Empfänger aus verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht [1 ed.] 9783428445684, 9783428045686


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German Pages 215 Year 1980

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Fiktive Auslandszustellung: Die Fiktion der Zustellung von Hoheitsakten an im Ausland wohnende Empfänger aus verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht [1 ed.]
 9783428445684, 9783428045686

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BERTHOLD SCHMITZ

Fiktive Auslandszustellung

Schriften zum Internationalen Recht Band 18

Fiktive Auslandszustellung Die Fiktion der Zustellung von Hoheitsakten an im Ausland wohnende Empfänger aus verfassungs· rechtlicher und völkerrechtlicher Sicht

Von

Dr. Berthold Schmitz

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

© 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04568 8

Meiner Mutter

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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TeilA Anwendungsbreich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung der fiktiven Auslandszustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 TeilB Fiktive Auslandszustellungen und das im Grundgesetz garantierte rechtliche Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Kapitell Die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG und Ansätze zu ihrer Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Figur des nachträglichen rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reduktion des rechtlichen Gehörs nach Maßgabe der Prozeßgesetze 3. Die restriktive Interpretation des Art. 103 Abs. 1 GG durch die wohl h . M ......... . ..... . ........... . ... . .. ............ . .. .. ........ . . . . 4. Bestimmung der Grenzen nach dem Vorbild der vom BVerfG vorgenommenen Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . 5. Einschränkung durch die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . 6. Gemeinschaftsgüter als immanente Schranken jedes Grundrechts . . 7. Rechtfertigung fiktiver Auslandszustellungen durch Annahme eines Verzichts auf das rechtliche Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einschränkung des Art.103 Abs.l GG infolge Konkurrenz mit anderen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Interpretative Einschränkung des Art. 103 Abs.l GG aus dem Gedanken der Prozeßverantwortung des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einem anderen Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einer verfassungsrechtlichen Instituts- oder institutionellen Garantie . . 12. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einem verfassungsrechtlich geschützten Gemeinschaftsinteresse . . . .

43 50 53 55 59 59 61 62 63 66 72 78 79

Kapitel2 Die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem nicht von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten Recht auf Gehör und Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Die verfassungsrechtliche Fundierung des nicht von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Begründung aus einzelnen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

8

Inhaltsverzeichnis b) Begründung aus einem Prinzip der allgemeinen Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Begründung aus der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 d) Begründung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 e) Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Grenzen dieses rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Kapitel3 Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post und rechtliches Gehörs 95 1. Die Vereinbarkelt der Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post mit dem rechtlichen Gehör des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Fallgruppe: Die Zustellung d. A. z. P . ist vorgesehen, wenn trotz vorherigen Verlangens kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Fallgruppe: Die Zustellung d. A. z. P. ist vorgesehen, wenn ohne vorheriges Verlangen kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Fallgruppe: Die Regelungen der Konkurs- und Vergleichsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelfragen Kapitel4 Die Vereinbarkelt der öffentlichen Auslandszustellung mit dem rechtlichen Gehör des GG .......................... . ................. .. .... 1. Erste Fallgruppe: Die öffentliche Zustellung ist die einzige Zustellungsmöglichkeit, und der Adressat hat dies zu vertreten ... . .. . . .. 2. Zweite Fallgruppe: Die öffentliche Zustellung ist aus Gründen, die der Adressat nicht zu vertreten hat, die einzige Zustellungsmöglichkeit ................... . ................... . ............... ... .... 3. Die öffentliche Bekanntmachung nach der KO und VglO . . . . . . . . . . .

96 96 97 103 106

109 109 113 128

Kapitel5 Die Vereinbarkelt der Auslandszustellung durch Postrückschein mit dem rechtlichen Gehör des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Kapitel6 Die Vereinbarkelt der Zustellung gern. § 183 AO mit dem rechtlichen Gehör des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Kapitel7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Teile Die Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art.19 Abs. 4 GG 136

Kapitell Problematik und Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Kapitel2 Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post und Rechtsschutzgarantie

141

Kapitel3 Öffentliche Auslandszustellung und Rechtsschutzgarantie .. . ........... 142

Inhaltsverzeichnis

9

Kapitel4 Andere fiktive Auslandszustellungen und Rechtsschutzgarantie . .. ..... 145 TeilD Die Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 3 GG . ....... 147 TeilE Die Vereinbarkeit der öffentlimen Zustellung mit dem verfassungsremtUchen Smutz der Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Teil F Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht . . . . . . . . . . . . 157 Kapitell Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

160

1. Die.. ~e~einb.ar~eit der Auslandszustellung d. A. z. P. mit dem Sou-

veranltatsprlnZlP ........ .. . . . . . .. . . . .. . . .. .. . .. .. .. ....... .. ...... 165 2. Die Vereinbarkeit der öffentlichen Ausla ndszustellungen mit dem Souveränitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Die Vereinbarkeit anderer fiktiver Auslandszustellungen mit dem Souveränitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Kapitel2 Fiktive Auslandszustellungen und völkerrechtliches Diskriminierungsverbot . .... ... . .. . ....... .. .. ...... . ... . ...... . ........ . ...... . ..... .. 180 KapitelS Fiktive Auslandszustellungen und Menschenrechte des allgemeinen Völkerrechts ........ . ........ . . ..... ................................. . ... 181 Kapitel4 Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtlicher Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Literaturverzeichnis

203

Einleitung Staatliche Hoheitsakte bedürfen zu ihrer Wirksamkeit meist der Zustellung. Für deren Vornahme ist bedeutsam, ob sich der Zustellungsempfänger im In- oder Ausland befindet. Wohnt er im Ausland, wird in der Regel auf dem Weg über die internationale Rechtshilfe zugestellt. Mitunter ist dieser sog. Requisitorialweg jedoch nicht gangbar oder soll aus anderen Gründen nicht beschritten werden. Damit man auch dann noch zustellen kann, greift das deutsche Recht auf Zustellungsfiktionen zurück. Die folgenden Überlegungen beleuchten derartige fingierte Zustellungen an Adressaten im Ausland unter verfassungsund völkerrechtlichen Aspekten. Den wichtigsten verfassungsrechtlichen Maßstab bietet dabei das Prinzip des rechtlichen Gehörs. Die Annahme seiner Verletzung durch Zustellungsfiktionen liegt nahe, weil solche Zustellungen keine Gewähr bieten für die Kenntnisnahme oder auch nur eine realistische Möglichkeit zur Kenntnisnahme des zugestellten Schriftstücks durch den Adressaten. Dennoch wurde bisher kaum einmal und jedenfalls nicht mit hinreichender Sorgfalt versucht, die fiktiven Auslandszustellungen an dieser Elle zu messen. Das überrascht um so mehr, als die Diskussion des rechtlichen Gehörs inzwischen einen so großen Umfang angenommen hat, daß man sie kaum noch überblicken kann. Die weiteren verfassungsrechtlichen Erwägungen beziehen sich auf die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes, den Gleichheitsgrundsatz und den verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre. Die völkerrechtlichen Erwägungen beschränken sich auf das allgemeine Völkerrecht. Sie setzen i. w. zum einen bei dem als Regel des Völkergewohnheitsrechts anerkannten Territorialitätsprinzip an, zum anderen bei individualrechtliehen Positionen des allgemeinen Völkerrechts, die wir in Gestalt des menschen- und fremdenrechtliehen Mindeststandards kennen.

TEIL A

Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung der fiktiven Auslandszustellungen Jede Zustellung ist ein Staatshoheitsaktl. Deswegen können Zustellungen an einen im Ausland wohnenden Adressaten nicht in gleicher Weise wie inländische Zustellungen abgewickelt werden. Dem steht die Souveränität des betroffenen ausländischen Staates entgegen. Die Souveränität2 gibt jedem Staat grundsätzlich die alleinige Befugnis, innerhalb seiner Grenzen staatliche Hoheitsakte vorzunehmen3 • Mithin darf jeder Staat innerhalb seiner Grenzen die Zustellungen so regeln, wie es den Belangen seiner Bürger und seinen Interessen am besten entspricht4• Er braucht nicht zu dulden, daß fremde Gerichte oder Behörden auf seinem Staatsgebiet Zustellungen bewirken. Dabei ist gleichgültig, ob die Zustellungsadressaten eigene Staatsangehörige sind oder nicht. Auf der anderen Seite darf kein Staat auf dem Gebiete eines anderen ohne dessen Zustimmung5 Hoheitsakte setzen6 , also auch keine Zustellungen vornehmen7 • Demgemäß bestehen unter dem Gel Zu ihrem Charakter als Realakt vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, § 21 II, S. 171; Bruns, ZPR, § 15 Il, S. 134. 2 In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf die Wandlungen an, denen der völkerrechtliche Begriff der Souveränität derzeit unterworfen sein mag, vgl. Dahm, Völkerrechtliche Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit, S. 153 ff.; ders., Völkerrecht, Bd. I, S. 152 ff.; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 80 f., stellt insoweit unter Hinweis auf Scheuner (JIR 12 [1965], 11, 23 f.) fest, das Souveränitätsprinzip stelle nicht nur eine Abstraktion anerkannter völkerrechtlicher Regeln dar, sondern beruhe auf einer bestimmten Struktur der internationalen Beziehungen; gerade diese Grundlage des Souveränitätsprinzips sei jedoch einem ständigen Wandel unterworfen. s Insoweit spricht man von der Territorialität des Geltungsbereichs staatlicher Hoheitsakte, vgl. dazu Meessen, ebd., S. 15 f.; Klaus Vogel (Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 2) spricht vom "intransitiven Anwendungsbereich" statt vom "Geltungsbereich". 4 Vgl. z. B. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 49 m. w. N. 5 Die Zustimmung kann ausdrücklich (z. B. in Form einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder einer diplomatischen Note) oder stillschweigend erteilt werden, vgl. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 15 m. w. N. 8 Dieses Verbot ist als Regel des Völkergewohnheitsrechts anerkannt, vgl. z. B. Geck, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, WVR 1 (1960), 795 m. w. N. 7 Dahm, Völkerrecht Bd. I, S. 250, bezeichnet die fremde Staatsgewalt insoweit als "undurchdringlich". Kegel spricht in Soergel I Siebert, Kommentar zum BGB Rdnr. 376 vor Art. 7 EGBGB, von einem "Übergriff".

Teil A: Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

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sichtspunkt des Souveränitätsprinzips erhebliche völkerrechtliche Bedenken, wenn etwa ein deutsches Gericht einen deutschen Staatsangehörigen, der sich in einem anderen Staat befindet, durch eingeschriebenen oder auch einfachen Brief zu einem Gerichtstermin als Zeugen oder Partei lädt oder wenn eine deutsche Behörde einer ausländischen Gesellschaft eine Verfügung gleich welcher Art mit Postbrief zustellt. Wie ernst das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im Ausland gerade auch bei den Zustellungen genommen wird, zeigt Art. 6 Abs. 1 Ziff. 1 i. V. m. Abs. 2 des HZPrÜbk von 19548 , das insoweit mit dem alten HZPrAbk von 1905 übereinstimmt. Danach steht dem betroffenen Staat bei Auslandszustellungen durch Postbrief ein Widerspruchsrecht zu. Wenn unter Verletzung des Souveränitätsgrundsatzes zugestellt wird, muß man hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen den völkerrechtlichen Konsequenzen und denen nach innerstaatlichem Recht unterscheiden. Die in der Zustellung liegende Verletzung fremder Souveränität ist ein völkerrechtliches Delikt, das nach völkerrechtlichem Deliktsrecht einen Wiedergutmachungsanspruch zur Folge hat. Der betroffene ausländische Staat kann danach von dem zustellenden Staat verlangen, den Zustellungsadressaten so zu behandeln, als sei die völkerrechtswidrige Zustellung nicht erfolgt9• Die innerstaatlichen Rechtsfolgen ergeben sich aus dem Recht des Staates, der völkerrechtswidrig zugestellt hat. Für das deutsche Recht ist von Art. 25 GG auszugehen. Danach sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts10• Der Souveränitätsgrundsatz gehört zu diesen Regeln11 • Deshalb verstößt eine ihn verletzende Zustellung auch gegen innerstaatliches deutsches (Bundes-) Recht, ist also rechtswidrig. Ob sie darüber hinaus auch unwirksam ist, kann man nicht so ohne weiteres sagen. Wir werden dem noch an anderer Stelle unserer Untersuchung nachzugehen haben12• An dieser Stelle ist es noch nicht nötig, da es uns hier nur darum geht, Gründe für die Existenz und damit den Anwendungsbereich unserer Zustellungsfiktionen herauszuarbeiten. Deshalb kann uns das schon gefundene Zwischenergebnis genügen: 8 BGBl 58 li 577; außerdem abgedruckt z. B. bei Baumbach I Lauterbach, ZPO, Anhang zu § 202. u Vgl. Schüle, "Delikt, völkerrechtliches", WVR 1 (1960), S. 326 ff.; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, 1975 (3. Aufi.), § 80 Rdnr. 1233. 1o Dabei stehen sie zwischen Verfassungs- und einfachem Bundesrecht, Maunz I Dürig I Herzog (MDH), Art. 25 GG Rdnr. 25 m. w. N.; Seidl-Hohenveldern, ebd., § 40 Rdnr. 417. 11 Vgl. MDH, Art. 25 GG Rdnr. 20. 12 Vgl. Teil F, Kap. 1, 1.

14

Teil A: Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

Wegen des Souveränitätsprinzips stoßen Auslandszustellungen, die ohne Mitwirkung des fremden Staates erfolgen, auf dessen Gebiet zugestellt werden soll, auf erhebliche völkerrechtliche Bedenken13• Diese lassen sich am besten durch internationale Zusammenarbeit ausräumen, indem die Staaten bei der Zustellung einander Rechtshilfe leisten. Auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe wird heute auch durchweg an einen im Ausland lebenden Adressaten zugestellt. Diesen sog. Requisitorialweg wollen wir jetzt kennenlernen. Im Rahmen unserer Untersuchung, der es hier nur darum geht, den Anwendungsbereich der fiktiven Auslandszustellungen deutlich zu machen, genügt dabei ein kurzer Überblick. Für ihn wird der zivilprozessuale Requisitorialweg exemplarisch herausgegriffen, einmal weil die internationale Rechtshilfe auf diesem Gebiet am weitesten gediehen ist, zum anderen weil die für den Zivilprozeß gefundenen Wege vielfach Vorbild für die Regelung der Auslandszustellung auf anderen Rechtsgebieten waren14• Ausgangspunkt sind die §§ 199 - 202 ZPO. Sie gelten grundsätzlich15 dann, wenn nach den allgemeinen Regeln der ZPO zuzustellen ist und der Zustellungsempfänger im Ausland16 wohnt. Im Hinblick auf die Souveränität des ausländischen Staates und dessen daraus fließende Gerichtshoheit regeln diese Vorschriften ebensowenig wie andere innerdeutsche Rechtsnormen17, ob und wie zugestellt 1s Vgl. RFH RStB11925, S. 214; BFH BStBl1959 Ill 181; BSG NJW 73, 1064; (unveröffentlichtes) Urteil der II. ZK des Obergerichts des Kantons Zürich v. 18. 12. 1969, Nr. 161 A (R). a Das zeigt sich etwa bei der Requisitorialzustellung nach dem VwZG, die sich kaum von der zivilprozessualen unterscheidet; vgl. dazu Werner Vogel, VwZG, § 14, und Kohlrust I Eimert, § 14, v. a. Anm. 2 b. Überhaupt keine Rechtshilfeabkommen gibt es für das Kartellverwaltungsverfahren, vgl. Stockmann WuW 75, 243. Zur wenig ausgebildeten Requisitorialzustellung auf dem Gebiet des Strafprozeßrechts vgl. Löwe I Rosenberg, StPO, § 37 Anm. I 8 und Kleinknecht, StPO, § 37 Anm. 7 sowie die RiVASt. 16 In den Fällen der §§ 841, 844 Abs. 2, 875 ZPO ist die betreffende Prozeßhandlung entbehrlich, wenn im Ausland zuzustellen wäre. In anderen Fällen (§§ 829 Abs. 2 S. 4, 835 Abs. 3 i. V. m. 829 Abs. 2 S. 4 ZPO) wird die Requisitorialzustellung durch die Zustellung gern. §§ 175, 192 bzw. 213 ZPO ersetzt. Gern. § 688 Abs. 2 ZPO ist die Auslandszustellung im Mahnverfahren unzulässig, wobei für EG-Länder gern. § 36 des AusführungsG zum EuGÜbk v. 27. 9. 68 (BGBl 72 II 774) eine Ausnahme besteht, vgl. dazu Poser Rpfleger 73, 353 ff. Für Zustellungen an Mitglieder der NATO-Streitkräfte gelten die §§ 199 ff. ZPO gleichfalls nicht, sondern die Art. 32, 36 des 10. Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (BGBl 61 II 1218). 1& d. h. außerhalb der BRD einschließlich (West-)Berlin; vgl. BGH NJW 69, 1428; Zöller, ZPO, § 199 Anm. 1 m. w. N. 17 Vgl. dazu die in § 19 des "Gesetzes betreffend die Organisation der Bundeskonsulate sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsuln" getroffene Regelung. Dort heißt es, "Bundeskonsuln können innerhalb ihres Amtsbezirks an die dort sich aufhaltenden Personen auf Ersuchen der

Teil A: Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

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wird. Das ergibt sich vielmehr aus Verträgen über zwischenstaatliche Rechtshilfe18• Für die Ausführung der Requisitorialzustellung, die Angelegenheit der Justizverwaltung ist, gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten. Die erste ist der unmittelbare Geschäftsverkehr zwischen den Behörden beider betroffenen Staaten, zu dem nach innerstaatlichem deutschem Recht (§ 27 ZRHO) allerdings i. d. R. nur die in § 9 ZRHO bezeichneten Behörden berechtigt sind19• Für die Praxis ist dieser Weg der weitaus wichtigste, da die BR Deutschland entsprechende Vereinbarungen mit wohl allen Staaten getroffen hat, mit denen ein umfangreicher Rechtshilfeverkehr besteht20 • Die zweite Möglichkeit besteht im konsularischen Weg, der zu den meisten Ländern wenigstens auch gegeben ist21 • Er sieht so aus, daß der Konsul des um die Zustellung ersuchenden Staates die Erledigung des Ersuchens22 durch die zuständige Behörde des ersuchten Staates vermittelt oder die Zustellung selber vornimmt. Welche Befugnisse er im einzelnen hat, richtet sich nach den jeweils geltenden Staatsverträgen und nach dem Recht des Staates, in dem zugestellt werden soll23 • Die dritte Möglichkeit ist der diplomatische Weg, bei dem die diplomatische Vertretung des ersuchenden Staates die Erledigung des Zustellungsersuchens durch die zuständige Behörde des ersuchten Staates vermittelt. Das Ersuchen i. S. v. § 202 ZPO ist also an die diplomatische Vertretung zu richten. Dieser Weg ist zu wählen, wenn der konsularische Weg nicht zugelassen ist oder wenn tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder andere Gründe es angezeigt erscheinen lassen (vgl. § 6 ZRHO). Behörden eines Bundesstaats Zustellungen jeder Art bewirken. Durch das schriftliche Zeugnis des Konsuls über die Zustellung wird diese nachgewiesen." Die Frage, ob den Konsuln eine solche Befugnis eingeräumt wird, beantwortet sich nach bi- oder multilateralen Staatsverträgen, z. B . Art. 6 Abs. 1 Ziff. 3 HZPrÜbk, dem das HZPrAbk insoweit entspricht. ts Vgl. Baumbach I Lauterbach, ZPO, Anh. § 168 GVG Anm. 1; Stein I Jonas I Pohte, ZPO, vor § 1 Anm. VIII D. 19 Vgl. auch Stein I Jonas I Pohle, ZPO, vor § 1 VIII C; § 199 Anm. VI. 2o Vgl. im einzelnen den Länderteil der ZRHO ; ähnlich ist es bei der Requisitorialzustellung gern. § 14 VwZG. Nach AVV 18 Nr. 2 (abgedruckt z. B. bei Vogel, VwZG, § 14) können die Verwaltungsbehörden ihre Zustellungsersuchen unmittelbar an die entsprechenden ausländischen Behörden richten. 21 Die Zustellungstätigkeit der Konsuln ist allgemein in Art. 5 j des Wiener Übereinkommens v. 24. 4. 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl 1969 II 1585) geregelt, das zwischen der BR Deutschland und 46 Staaten in Kraft ist. Danach gehört die Zustellung zu den konsularischen Aufgaben, soweit dies geltenden internationalen Übereinkünften entspricht oder in Ermangelung solcher mit dem Recht des Empfangsstaats vereinbar ist. 22 Zu den erforderlichen Anlagen zum Ersuchen vgl. § 32 Abs. 2, 3 ZRHO. 23 Vgl. dazu den Länderteil der ZRHO.

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Teil A: Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

Welcher dieser drei möglichen Wege im konkreten Einzelfall gangbar ist, ergibt sich aus den Rechtshilfeabkommen der BR Deutschland, soweit sie Zustellungsfragen regeln. Die wichtigsten multilateralen Abkommen dieser Art sind die Raager Verträge über den Zivilprozeß24 und das "Übereinkommen über Zustellungen und Benachrichtigungen gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Randelssachen" 25, das nach seinem Art. 22 für seine Vertragsstaaten, soweit sie zugleich Partner der Raager Verträge sind, deren Zustellungsregelung (Art. 1- 7) ersetzt. Beide Abkommen lassen alle drei geschilderten Zustellungswege

zu26.

24 Zu unterscheiden sind das Haager Abkommen vom 17. Juli 1905 und das Haager Übereinkommen vom 1. März 1954, die beide auch für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten (vgl. dazu Stein I Jonas I Pohle, vor § 1 VIII C 4 m. w. N.; Neumeyer, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, 9. Bd. (1899), 453 (456). Da nicht alle Vertragsstaaten auch dem neuen Übk beitraten, gilt das alte Abk noch im Verhältnis zu Island (vgl. Stein I Jonas I Pohle, vor § 1 VIII C 1, Fußn. 9) und Israel, das Baumbach I Lauterbach, ZPO, Einl. IV 3 A, fälschlich zu den Vertragsstaaten des neuen Übk rechnen. Dieses bildet für die BR Deutschland im Verhältnis zu 25 Staaten die Grundlage des Rechtshilfeverkehrs in Zivil- und Handessachen. Seit 1960 sind auch die meisten osteuropäischen Staaten beigetreten. Die DDR hat am 8. 4. 1965 das alte Abkommen von 1905 für anwendbar erklärt (GBl der DDR 1965, S. 133). Vgl. i. ü. wieder den Länderteil der ZRHO. 2s Diesem Vertrag kommt besondere Bedeutung zu, weil die USA ihm beigetreten sind und sich damit erstmals an einem von der Haager Konferenz erarbeiteten multilateralen Abkommen beteiligt haben. Weitere wichtige Vertragsstaaten: Großbritannien, Japan, die vier skandinavischen Staaten. Zu Einzelheiten dieses Vertrages vgl. Arnold JZ 71, 19 ff. 26 Das HZPrÜbk sieht grundsätzlich den konsularischen Weg vor (Art. 1 Abs. 1), wobei die Konsuln nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 stets zur Selbstvornahme befugt sind, i. ü . nur dann, wenn ein besonderes Abkommen besteht oder der fremde Staat nicht widerspricht. Einzelheiten dazu ergeben sich wieder aus dem Länderteil der ZRHO; z. B. ist in den Zusatzvereinbarungen mit Schweden und den Niederlanden bestimmt, daß die Zustellung an alle Personen mit Ausnahme der dortigen (schwedischen bzw. niederländischen) Staatsangehörigen erfolgen darf. Der diplomatische Weg ist gern. Art.1 Abs. 3 HZPrübk auf Verlangen eines Vertragsstaates statt des konsularischen zu wählen. Der unmittelbare Geschäftsverkehr zwischen den Behörden des ersuchenden und des ersuchten Staats ist gern. Art. 1 Abs. 6 nur bei Vorliegen besonderer Vereinbarungen zulässig. Die BRD hat sie mit mehreren Staaten geschlossen. Vgl. die Aufzählungen bei Stein I Jonas I Pohle, vor § 1 VIII C 1 (a. E.) und bei Baumbach I Lauterbach, Anh. § 202, 2 Bem. zu Art. 1 HZPrÜbk.; speziell zum dt.-österr. Abkommen v. 6. 6. 59 (BGBl 60 II 1246) vgl. Nehlert JR 58, 121. Ähnliche Vereinbarungen, die den unmittelbaren Geschäftsverkehr zulassen, bestehen auch auf anderen Rechtsgebieten, etwa im Besteuerungsverfahren, vgl. dazu die Übersicht bei Kohlrust I Eimert, VwZG, § 14 Anm. 6. Beispielhaft seien hier Art. 4 und 7 des dt.-finnischen Abkommens über Rechtshilfe in Steuersachen v. 25. 9. 35 (RGBl 36 II 37) genannt, das gern. Bek. v. 31. 7. 54 (BGBl II 740) wieder anwendbar ist. Das neue Zustellungsübereinkommen will zwar einen besonderen einheitlichen Übermittlungsweg zwischen allen Vertragsstaaten eröffnen. Denn gern. Art. 2 und 18 besteht die Verpflichtung, zentrale Behörden einzurichten oder zu ernennen, an welche die Zustellungs-

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Daneben gibt es mit Staaten, die an den multilateralen Abkommen nicht beteiligt sind, zweiseitige Verträge, in denen auch die jeweiligen Auslandszustellungen geregelt sind27 • Meist sind sie nach dem Muster des Raager Übereinkommens gestaltet28 • Schließlich ist der Requisitodalweg sogar zu einigen der Staaten gangbar, mit denen die BR Deutschland keine bi- oder multilateralen Vertragsbeziehungen hat29 • So besteht zu Monaco und Andorra der konsularische Weg, wie er aus dem HZPrÜb bekannt ist30• Mit Liechtenstein besteht sogar eine Verständigung, daß der unmittelbare Geschäftsverkehr zwischen den beiderseitigen Justizbehörden zugelassen wird31 • Schon diese wenigen Andeutungen lassen erkennen, daß die Auslandszustellung auf dem Requisitodalweg fast immer eine mühselige und komplizierte Angelegenheit ist. Zudem ist sie auch noch zeitraubend. So richtet das deutsche Gericht oder die Behörde bei der konsularischen Zustellung das Zustellungsersuchen über die in § 27 ZRHO vorgesehene Prüfstelle an den zuständigen deutschen Konsul. Falls dieser nicht zur Selbstvornahme befugt ist, leitet er das Ersuchen an die zuständige Stelle des fremden Staates weiter, die dann - möglicherweise wieder ersuchen zu richten sind und deren Aufgabe es ist, die Ersuchen entgegenzunehmen und die Zustellungen zu veranlassen (vgl. dazu § 6 des dt. AusfG). Daneben gibt es jedoch weiterhin die Möglichkeit, den konsularischen oder diplomatischen Weg zu beschreiten, sowie einige andere Übermittlungswege, darunter auch den der direkten Postübersendung (vgl. Art. 8- 10). Insbesondere bleiben bestehende Vereinbarungen über einen unmittelbaren Geschäftsverkehr in Kraft. Die Bundesregierung beabsichtigt allerdings, diese anderen Wege durch Einlegung eines Widerspruchs gern. Art. 10 auszuschließen. 21 Vgl. den Überblick bei Stein I Jonas I Pohle, vor § 1 Anm. VIII C 3. 28 Das gilt für die Verträge mit Tunesien (Abk. v. 19. 7. 66, in Kraft getreten am 13. 3. 70, vgl. dazu Arnold NJW 70, 1478 ff.), Griechenland (Abk. v. 11. 5. 38, RGBl 39 II 849, wieder in Kraft seit 1. 2. 52, BGBl 52 II 634) und der Türkei (Abk. v. 28. 4. 29, RGBl 30 II 7, wieder in Kraft seit 1. 3. 52, BGBl 52 II 608). Dagegen weicht das dt.-britische Abkommen (v. 20. 3. 28, RGBl II 624, wieder in Kraft seit 1. 1. 53, BGBl 53 II 116), das zugleich für die meisten Commonwealth-Staaten gilt (vgl. die Aufzählung bei Baumbach I Lauterbach, Einl. IV 3 A), in mehreren Punkten vom HZPrÜbk ab, weil es auf das angelsächsische Rechtssystem Rücksicht nimmt. 29 Hier kann nur eine formlose Zustellung, wie sie auch in Art. 2 HZPrÜb vorgesehen ist, erfolgen. Sie besteht in der einfachen Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger, wenn dieser zur Annahme bereit ist. Diesen Rechtsgedanken bringt § 70 Abs. 2 ZRHO zum Ausdruck. Hierbei finden auf dt. Seite die dt. Zustellungsregeln keine Anwendung (§ 68 Abs. 1 ZRHO). Danach wird also von dt. Seite im vertraglosen Zustand so zugestellt, wie es weder den dt. noch den ausländischen Zustellungsregeln entspricht. In der Regel wird Rechtshilfe ohne vertragliche Grundlage nur auf der Basis der Gegenseitigkeit geleistet; vgl. die Angaben im Länderteil der ZRHO, etwa zu Bolivien, Bulgarien, Cuba. Eine Aufzählung der Staaten, denen die BRD gegenseitige Rechtshilfe leistet, findet man bei Stein I Jonas I Pohle, vor § 1 VIII D. 30 Vgl. jeweils den Länderteil der ZRHO. 31 Vgl. Bek. v. 25. 3. 59 (BAnz Nr. 73 S. 1). 2 Schmitz

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unter Einschaltung verschiedener Behörden - für die Ausführung der Zustellung sorgt. Dieser Weg kann leicht mehrere Wochen dauern und damit den Prozeß oder das Verwaltungsverfahren in die Länge ziehen, zumal der Zeitverlust bei jeder Zustellung neu eintritt. In geringerem Umfang ergibt sich selbst noch beim unmittelbaren Geschäftsverkehr eine zeitliche Verzögerung32 • Von daher besteht ein Bedürfnis für eine einfachere und schnellere Zustellungsmöglichkeit33. 34• Wie wir noch sehen werden, befriedigen fiktive Auslandszustellungen dieses Bedürfnis. Darin liegt der erste Grund für ihre Existenz. Der zweite resultiert daraus, daß es Fälle gibt, in denen der Requisitorialweg versagt. Das kann verschiedene Gründe haben. Möglicherweise ist der genaue ausländische Aufenthalt des Adressaten nicht bekannt. Hier hilft auch ein ohne Schwierigkeiten gangbarer Requisitorialweg nicht weiter. Möglicherweise besteht dieser Weg aber gar nicht. Es kann sein, daß zwischen der BRD und dem fremden Staat kein die Zustellungen regelndes Abkommen besteht und der fremde Staat der Vornahme von Zustellungsakten auf sonstige Weise weder ausdrücklich, beispielsweise in einer diplomatischen Note, noch stillschweigend zugestimmt hat. Dann kann, da infolge des Souveränitätsprinzips im vertragslosen Zustand keine rechtliche Verpflichtung zur Leistung internationaler Rechtshilfe besteht, ein Zustellungsersuchen ohne jede Begründung abgelehnt werden, sogar einfach unbeachtet bleiben. Diese Rechtslage besteht bei der Zustellung von Verwaltungsakten im Kartellverwaltungsverfahren, etwa einer Auskunftsverfügung gern. § 46 GWB. Derzeit gibt es wohl keine völkerrechtlichen Vereinbarungen der BR Deutschland, nach denen die Zustellung von Kartellverwaltungsakten im Ausland zulässig wäre35• Das schließt allerdings noch nicht aus, daß 32 So läßt z. B. das dt.-österr. Abkommen v. 6. 6. 59 (BGBl 60 II 1264; Text auch bei Baumbach I Lauterbach, ZPO, Schlußanh VB 3) zwar den denkbar kürzesten Weg zu, indem sich das dt. Gericht direkt an das Österreichische wenden darf und umgekehrt. Jedoch schaltet die dt. ZRHO auch die Prüfstelle gern. § 27 ein, vgl. Nehlert JR 58, 121. In ähnlicher Weise geht in Österreich das Ersuchen über das zuständige Gerichtspräsidium. 33 Das zeigt auch § 32 Abs. 1 S. 2 ZRHO, wonach vor Einleitung der Requisitorialzustellung geprüft werden soll, ob nicht durch Aufgabe zur Post zugestellt werden kann. 34 In die gleiche Richtung weist auch eine von Nagel (Nationale und Internationale Rechtshilfe, S. 203 ff.) durchgeführte Umfrage, der zufolge eine leicht rückläufige Tendenz der Zustellungsersuchen zu beobachten ist. Angesichts zunehmender internationaler Verflechtungen muß das verwundern. Der Grund liegt möglicherweise darin, daß die Umständlichkeit der Requisitorialzustellung (vgl. Redeker I v. Oertzen, VwGO, §56 Anm. 9; Hohmann, S. 99 Fn. 285) und ihre von Nagel (S. 93 ff.) herausgearbeiteten Unzulänglichkeiten die Gerichte und Verwaltungsbehörden veranlassen, einen einfacheren Übermittlungsweg einzuschlagen. 35 Diese Aussage beruht lediglich auf einer überschlägigen Sichtung. Sie müßte im einzelnen überprüft werden, wenn der jeweils betroffene Staat feststeht. Dafür ist auf den Fundstellennachweis B des Bundesgesetzblatts zurückzugreifen.

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ein Staat auf andere Weise der Zustellung derartiger Verfügungen ausdrücklich oder stillschweigend zustimmt. Manche Staaten sind jedoch auf diesem Gebiet sogar so empfindlich, daß sie die Zustellung von ausländischen Kartellverwaltungsakten ausdrücklich verboten haben. Dazu gehört die Schweiz. Sie hat die Zustellung juristischer Urkunden verboten, auch soweit sie durch einfachen Postbrief vorgenommen werden soll36. Wenn entgegen diesem Verbot doch zugestellt wird, so ist diese Zustellung nach deutschem Recht (Art. 25 GG) jedenfalls rechtswidrigll1. Eine nachträgliche Heilung kommt nur bei Ausschaltung des Rechtswidrigkeitsgrundes in Betracht, hier also der Verletzung des Souveränitätsprinzips. Die Schweizer Behörden müßten dieser Verletzung also nachträglich zustimmen. Angesichts des prinzipiellen Zustellungsverbots der Schweiz ist das kaum vorstellbar. Die Zustellung auf dem Requisitodalweg ist auch nicht in den erwähnten Fällen gewährleistet, in denen Rechtshilfe geleistet wird, obgleich es dafür keine vertragliche Grundlage gibt. Denn auch hier besteht keine rechtliche Verpflichtung zur Ausführung eines Zustell ungsersuchens38 • Der Requisiterialweg versagt weiterhin, wenn sämtliche diplomatischen Beziehungen, etwa im Falle eines Krieges, abgebrochen sind; 36 Vgl. die Entscheidung der Polizeiabteilung vom 7.1. 56, Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 26 (1956), S. 26; nach Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 16, haben die USA die Anerkennung dieses Verbots zugesagt (Aide-memoire des Department of State an die Schweizer Botschaft in den USA vom 28. 11.61 (AJIL 56 [1962], 794). Als Anerkennung ist wohl auch das Verhalten der EG-Kommission im Farbstoffe-Fall (ABL 1969 L 195, S. 11) zu werten; nachdem sie auch die außerhalb der EG ansässigen Firmen per Einschreiben von den Beschwerdepunkten unterrichtet und die Baseler Firma Geigy AG den Brief unter Hinweis auf den Rechtsstandpunkt der Schweiz zurückgeschickt hatte, achtete die Kommission darauf, alle späteren Zustellungsakte innerhalb der EG vorzunehmen. So wurde insbesondere die Bußgeldentscheidung so zugestellt, daß eine Ausfertigung zu Händen der in Frankfurt/Main ansässigen Tochtergesellschaft der Geigy AG per Einschreiben gegen Rückschein ging. S7 Ob sie darüber hinaus auch nichtig ist, kann hier noch offenbleiben; vgl. dazu Teil F, Kap. 1. ss An eine rechtl. Verpflichtung könnte man nur dann denken, wenn man annimmt, die lang andauernde Übung, sich auch ohne Vertrag Rechtshilfe bei den Zustellungen zu leisten, habe zu Völkergewohnheitsrecht geführt. Das scheitert aber am fehlenden rechtlichen Verpflichtungsbewußtsein. Die Rechtshilfe erfolgt hier aufgrund der "comitas gentium" nach den Regeln der "Courtoisie internationale", die gerade nicht rechtsverbindlich sind. Demgemäß liegt bei Verweigerung eines Zustellungsersuchens in einem solchen Fall nur ein unfreundlicher Akt vor. Vgl. dazu im einzelnen Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 32 ff., 274; Nußbaum, Grundzüge, S. 212; ders., Deutsches intern. Privatrecht, S. 410; Rudolf, Völkerrecht und dt. Recht, S. 82 ff.; Lunz, Intern. Zivilprozeßrecht, S. 75; Riezler, Intern. Zivilprozeßrecht, S. 674. Zur Lehre von der "Courtoisie internationale" vgl. u. a. Lunz, S. 75; Dahm, Bd. II, S. 435; Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 176.

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ferner wenn in dem fremden Staat aus irgendwelchen Gründen (Naturkatastrophen, Revolution etc.) keine geordneten staatlichen Einrichtungen bestehen, welche die Zustellungen durchführen könnten, und wenn zugleich etwaige deutsche Konsuln nicht berechtigt sind, die Zustellung selber vorzunehmen. Schließlich scheidet die Requisitorialzustellung immer aus, wenn die ausländische Behörde die Zustellung nicht annimmt und die deutschen Konsuln zur Selbstvornahme nicht befugt sind. Allerdings besteht ein Recht zur Ablehnung des Zustellungsersuchens nach den Raager Verträgen (Art. 4), dem Zustellungsübereinkommen von 1965 (Art. 13 Abs.1) und nach einigen bilateralen Verträgen39 nur in einem einzigen Fall, wenn nämlich der ersuchte Staat die Durchführung des Ersuchens für geignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden4o,u. Mit diesen Fällen, in denen die Requisitorialzustellung versagt, ist zugleich der wichtigste Anwendungsbereich der fiktiven Auslandszustellungen umschrieben. Denn wenn ein Prozeß oder ein Verwaltungsverfahren nicht an fehlenden Zustellungsmöglichkeiten scheitern soll, müssen andere Rechtsinstitute die Lücken in der internationalen Rechtshilfe bei Zustellungen füllen. Genau dies tun die fiktiven Auslandszustellungen42. Damit haben wir den Anwendungsbereich der fiktiven Auslandszustellungen umrissen: zum einen schließen sie die Lücken bei der Requisitorialzustellung, zum anderen kann man mit ihrer Hilfe die Nachteile des Requisitorialwegs vermeiden. Nunmehr wollen wir die fiktiven43 Auslandszustellungen rechtlich charakterisieren und ihre verschiedenen Arten kennenlernen. Das gemeinsame Charakteristikum besteht darin, daß die Zustellung an den im Ausland wohnenden Empfänger nicht durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücksam ausländischen Wohnort, sondern durch eine im Inland vorzunehmende Handlung erfolgt. Da die Zustellung nicht 39 Vgl. etwa Art. 3 f des dt.-britischen Abk. von 1928 und Art. 4 des dt.griechischen Abk. von 1938. 40 Wann das für die BRD der Fall ist, erläutert §59 Abs. 3 ZRHO; vgl. auch die Beispiele bei Neumeyer, S. 457; eine negative Konkretisierung der obigen Versagungsklausel enthält Art. 13 Abs. 2 des Zustellungsübk. von 1965. 4t Vgl. auch OLG Stuttgart Justiz 68, 176. 42 Diese sind für den Zivilprozeß nicht etwa durch die Haager Verträge ausgeschlossen worden, vgl. dazu Neumeyer, S. 457. Andererseits ist zu beachten, daß stets auf dem Requisitorialweg zugestellt werden kann, auch wenn die Zustellung d. A. z. P. zulässig ist (allg. M., so schon RG JW 00, 13). 43 Zum rechtl. Begriff der Fiktion vgl. BVerfGE 31, 314 (350 f.) = NJW 71, 1742 m.w.N.

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in der Übergabe an den Empfänger selbst, an einen Empfangsbevollmächtigten oder auch nur an eine Ersatzperson besteht, wie sie ansonsten nach deutschem Recht44 für jede Zustellung, auch die an einen im Ausland wohnenden Adressaten erforderlich und charakteristisch ist45 (vgl. z. B. §§ 170 Abs. 1 ZPO, 2 Abs. 1 VwZG), ist sie notwendigerweise fiktiv. Bei ihr kommt es folgerichtig nicht darauf an, daß die Kenntisoahme des Zustellungsempfängers vom Inhalt des Schriftstücks sicher gestellt ist. Die wichtigsten Formen fiktiver Zustellung sind die Zustellung durch Aufgabe zur Post46 und die öffentliche Zustellung. Bei der Zustellung d. A. z. PY wird die Übergabe durch die Aufgabe zur Post ersetzt. Mit ihr gilt das Schriftstück als zugestellt. Die Aufgabe besteht in der Übergabe an die Postanstalt, vornehmlich durch Einwurf in den Briefkasten. Mit der Übergabe an die Post wird die Zustellung durch Aufgabe zur Post vollzogen48 • Sie erfolgt also am Ort der Aufgabe und demgemäß stets im Inland, so daß eine Verletzung fremder Souveränität - so will es jedenfalls die herrschende Meinung - von vornherein ausscheidet49 • 44 Dem dt. Recht folgt z. B. die österr. ZPO, vgl. Stagl I Miehelmayr, Kommentar zur Österreichischen ZPO (Wien 1960), Art. 121 Anrn. 2. Anders ist es in den Staaten, die dem französischen System der ." remise au parquet" folgen. Danach erfolgt die Zustellung grundsätzlich zwar ebenfalls durch Übergabe des Schriftstücks (Art. 68 code de procedure civile). Anders ist es aber, wenn sich der Adressat im Ausland befindet. Dann erfolgt die Zustellung bereits durch die "remise au parquet", damit durch eine Fiktion, und zwar regelmäßig, nicht nur - wie im dt. Recht - ausnahmsweise. Von der so erfolgten Zustellung erhält der Adressat erst später durch die sog. notification Kenntnis (Art. 69 Ziff. 10). Diese besteht in der Übersendung einer Kopie des zugestellten Schriftstücks. Viele europäische Staaten haben dieses System übernommen, z. B. Belgien, Luxemburg und Griechenland (Art. 135 ff. der griechischen ZPO, vgl. dazu Baumgärtel I Ramnos, Das griechische Zivilprozeß-Gesetzbuch mit Erläuterungsgesetz, 1969). Zur "remise au parquet" insgesamt vgl. z. B. v. Normann, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 18 f. 45 Das zeigen auch die Zustellungsdefinitionen in RGZ 124, 22 und BGHZ 8, 346: danach ist Zustellung die in gesetzlicher Form geschehene und beurkundete Übergabe eines Schriftstücks. 48 Im folgenden abgekürzt: d. A. z. P. 47 Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Zustellungsform vgl. C. Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilproceßordnung, §§ 153, 154 a. A.; zur allgemeinen rechtlichen Charakterisierung vgl. RG JW 00, 13; Bley I Mohrbutter, VglO, § 118 Anm. II 4; Böhle-Stamsehräder, VglO, § 118 Anm. 1; Dassler I Schiffhauer, ZVG, § 4 Anm. 2; Eyermann I Fröhler, VwGO, §56 Anm. 9; Klinger, VwGO, §56 Anm. C; Jaeger I Weber, KO, § 77 Rdnr. 1; Seheld JVBl 65, 25 (28). 48 Demgemäß bestimmt sich der genaue Zeitpunkt der Zustellung nach dem Einwurf, nicht nach der Entleerung, vgl. Stein I Jonas I Pohle, ZPO, § 175 Anm. III 3 m. w. N. 49 Vgl. u. a. KG ZZP 13, 373; OLGE 13, 157m. w. N.; RGZ 57, 334 f.; 98, 139; Stein I Jonas I Pohle, § 175 Anm. III pr.; Baumbach I Lauterbaeh, § 175 Anm.

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Die auf dem Wege der Aufgabe zur Post vorgenommene Zustellung eines Schriftstücks gilt auch dann als erfolgt, wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt50, etwa weil der Adressat unter der angegebenen Adresse gar nicht wohnt, oder wenn sie erwiesenermaßen überhaupt nicht an ihren Bestimmungsort gelangt ist, etwa weil sie auf dem Postweg verlorengegangen ist. Unter welchen Voraussetzungen Auslandszustellungen auf dem Wege der Aufgabe zur Post durchgeführt werden dürfen, welche Schriftstücke dafür in Betracht kommen, welche Personen zuständig sind und welche Modalitäten bei der Ausführung zu beachten sind, ergibt sich aus den jeweils einschlägigen Verfahrensregelungen. Damit wird sich der folgende Abschnitt noch näher befassen. Gegenüber der Requisitorialzustellung hat die Zustellung d. A. z. P. für den im Ausland wohnenden Adressaten beträchtliche Nachteile. So gelten etwa für die zivilprozessualen Einspruchs- und Einlassungsfristen gemäß §§ 339 Abs. 2, 262 Abs. 2, 499 Abs. 2 ZPO bei der Requisitorialzustellung besondere, dem Adressaten günstige Regelungen; auch die Ladungsfristen (§ 217 ZPO) sind nach h. M.51 großzügig zu bemessen (vgl. auch § 33 Abs. 2, 3 ZRHO). Alle diese Vorteile hat der Empfänger einer Zustellung d. A. z. P. nicht. Der größte Nachteil für ihn liegt jedoch im Wechsel des Übermittlungsrisikos, d. h. der Gefahr, daß er vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks überhaupt und zudem rechtzeitig Kenntnis erlangt. Bei der Requisitorialzustellung trägt- wie grundsätzlich auch sonst - der Zustellende dieses Risiko52'. Bei der Zustellung d. A. z. P. trägt es der Adressat, weil die Zustellung bereits mit der Übergabe an die Postanstalt vollzogen ist. Das kann beispielsweise zur Folge haben, daß eine Rechtsmittelfrist bei Eintreffen der Sendung bereits abgelaufen ist. Wie die Zustellung d. A. z. P. ist auch die öffentliche Zustellun~ fiktiv. Bei ihr wird die Übergabe durch die öffentliche Bekanntmachung in bestimmten Formen ersetzt. Demgemäß ist der Eintritt der Zustellungswirkungen auch für den Fall vorgesehen, daß der Zustellungsempfänger von der Vornahme der Zustellung und vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks überhaupt keine Kenntnis erhält54· ss, 56. Außer der Bekanntmachung ist grundsätzlich nichts anderes 1 C und § 199 Anm. 1; a. A. lediglich die ohne Widerhall gebliebene Entscheidung OLG Harnburg OLGE 13, 155. 50 So ausdrücklich z. B. § 53 Abs. 3 S . 2 FGO, § 89 S. 2 AO a. F. 51 Vgl. etwa Zöller, ZPO, § 199 Anm. I. 52 Vgl. Stein I Jonas I PohZe, § 199 Anm. li. ss Zu ihrer Geltung in früheren dt. Rechtsordnungen vgl. C. Hahn, Materialien, §§ 179 - 182 C.P.O. (a. A.). 54 Aus diesem Grunde erhält der Empfänger das Schriftstück auch nicht ausgehändigt, wenn er sich wider Erwarten auf die Bekanntmachung hin meldet; vgl. u. a. OLG Harnburg OLGE 23, 141; Stein I Jonas I PohZe, § 204 Anm. 1; Baumbach I Lauterbach, § 204 Anm. 2 A.

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nötig, insbesondere auch keine Maßnahmen, die sicherstellen könnten oder sollten, daß der Adressat tatsächlich Kenntnis erhält. Die Art und Weise der Bekanntmachung ist in den einzelnen Verfahrensordnungen verschieden geregelt. Gleiches gilt für die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung. Das wird der folgende Abschnitt über die einfachrechtlichen Ausgestaltungen fiktiver Auslandszustellungen noch im einzelnen aufzeigen. Öffentliche und d. A. z. P. bewirkte Zustellungen sind die wichtigsten Arten fingierter Auslandszustellung. Die jetzt noch darzustellenden Formen haben geringere Bedeutung. Da ist zunächst die Zustellung durch Postrückschein, eine nur in bestimmten Gesetzen vorgesehene Sonderform der Zustellung57• Sie wird speziell für Auslandszustellungen in § 197 Abs. 2 S. 2 BEG, in § 41 S. 4, zweiter Halbs. BRückErstG, in § 4 (a. E.) des Bremischen Allsführungsgesetzes zum Gesetz über die Angelegenheiten der FGG und in Nr. 3 der Verwaltungsvorschrift zu § 27 GVwVerfKOV angeführt. Der Rückschein ist eine besondere Versendungsform i. S. d. Post058, die nur bei bestimmten Sendungsarten, v. a. dem Brief per Einschreiben, zulässig ist. Als qualifizierte Form der Empfangsbestätigung dient er Absendern im privaten wie öffentlichen Bereich als formeller Auslieferungsbeweis-'19. Er ist gern. Art. 37, § 1 Weltpostvertrag (WPVertr) auch im internationalen Postverkehr zulässig60• Wird ein Schriftstück auf besondere gesetzliche Anordnung hin durch Einschreiben gegen Rückschein zugestellt, so gilt - wie bei der Zustellung d. A. z. P. der Tag der Aufgabe zur Post als Zustellungstag61 • Demgemäß kann die Weigerung des Empfängers, den Rückschein gern. §§ 28 Abs. 3, 31 55 Deshalb war die Ansicht des OLG Dresden (NJ 48, 165; dagegen Nathan, ebd.) falsch, die öffentliche Zustellung habe den Sinn, dem Adressaten Kenntnis vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks zu verschaffen. Mit dem Wesen der öffentlichen Zustellung ist auch nicht die Meinung des LG Bielefeld (NJW 60, 1817) zu vereinbaren, wonach wegen der vorauszusehenden Unmöglichkeit der Kenntnisnahme eine Zustellung ganz unterbleiben dürfe; richtig insoweit LG Berlin NJW 59, 1374. 56 Nach den rechtstatsächlichen Feststellungen Hohmanns (S. 133) dürfte es in der Zustellungspraxis auch kaum einmal vorkommen, daß der Zustellungsadressat auf die Veröffentlichung reagiert. 57 BGH NJW 60, 1763 (1764). ss Vgl. dazu die Übersicht bei Ftorian I Weigert, PostO, vor Abschnitt III, s. 592. 59 Zur Rechtsnatur des Postscheins vgl. im einzelnen Küsgen I Gerbeth, Handwörterbuch des Postwesens, "Rückschein", S. 560, und Florian I Weige·l't, § 31 Anm. 1 a und 2 b. eo Vgl. Florian I Weigert, § 31 Anm. 1 c; vgl. auch Art. 137 VollzO zum WPVertr. 61 Vgl. Fraenkel JR 65, 10 (11); die gleiche Ansicht vertritt mittelbar auch BGH RzW 62, 470 (Nr. 35), denn der Leitsatz b) dieser Entscheidung wäre ansonsten unverständlich.

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Abs. 1 PostO zu vollziehen, obgleich sie gern. §59 Abs. 2 Nr. 1 als Verweigerung der Annahme und die Sendung damit als unzustellbar i. S. d. PostO gilt62, die Wirksamkeit der Zustellung nicht mehr beeinflussen, eben weil der Zustellungsakt mit der Aufgabe des Schriftstücks zur Post und der gleichzeitigen Aufforderung an die Postanstalt, später die Bescheinigung des Empfängers vorzulegen, bereits vollendet worden ist63• Der Unterschied zur Zustellung d. A. z. P. liegt darin, daß § 213 bzw. § 192 ZPO nicht gilt, der Postrückschein vielmehr den Beurkundungsausgang ersetzt. Auf eine fiktive Zustellung lief auch die Regelung hinaus, die in § 219 Abs. 1 S. 2-5 AO a. F.64 für die Bekanntgabe eines einheitlichen Feststellungsbescheids i. S. v. § 215 AO a. F. sowie der dazu ergehenden Rechtsbehelfsentscheidungen und der mit dem Feststellungs- oder Rechtsbehelfsverfahren zusammenhängenden sonstigen Verfügungen und Mitteilungen an mehrere Gesellschafter oder Gemeinschafter getroffen war65. Denn wenn das Finanzamt, falls entgegen § 219 Abs. 1 S. 2 AO a. F. kein Vertreter benannt war, den Feststellungsbescheid oder die sonstigen Entscheidungen und Mitteilungen gern. § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. nur einem der Feststellungsbeteiligten bekanntgab, so wirkte das auch gegenüber den anderen, selbst wenn der betreffende Beteiligte die anderen unter Verletzung seiner Mitteilungspftichten66 über den Erhalt des Bescheids etc. nicht unterrichtete. Diese Regelung sollte nicht zuletzt für im Ausland wohnende Gesellschafter und Gemeinschafter gelten. Darauf deutete die Formulierung in § 219 Abs. 1 S. 2 AO a. F. hin, wonach ein im Inland wohnhafter Zustellungsbevollmächtigter zu ernennen war. Gegen diese Regelung wurden von der Literatur verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, auf die wir später noch eingehen werden. Obwohl die finanzgerichtliche Rechtsprechung diese Bedenken nicht teilte, versuchte die Finanzverwaltung, ihnen mit übereinstimmenden Ländererlassen gerecht zu werden67 • Die AO 1977 hat in ihrem § 183 die u. U. auf eine Fiktion hinauslaufende Bekanntgabe an einen gemeinsamen Bevollmächtigten im GrundVgl. Florian I Weigert, § 31 Anm. 2 b (a. E.). Vgl. Fraenkel JR 65, 10 (11). 64 Eine inhaltlich gleiche Regelung enthielt i. ü. § 15 Abs. 3 ErbStDV, der aber gern. Art. 8 ErbStRG schon seit 1974 nicht mehr gilt. 65 Ausführliche Darstellung bei Just, S. 4 f. 66 Solche Mitteilungspflichten ließen sich wenn überhaupt - allenfalls aus allg. gesellschaftsrechtl. Überlegungen herleiten, vgl. dazu Hübschmann I Hepp I Spitaler, AO, § 219 Anm. 4 b und Kohlrust DStZ, Ausgabe A, 1961, S. 4, Fußn. 28. 67 Vgl. BStBl 1961 Teil li S. 80 ff.; vgl. auch den Abdruck bei Becker I Riewald I Koch, AO, § 219 Anm. 2 (3). 62

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satz beibehalten. Sie hat dabei jedoch i. w. die Modalitäten übernommen, die schon zuvor aufgrund von Forderungen der Rspr.68 galten. ·Nunmehr wollen wir uns die wichtigsten Fälle fiktiver Auslandszustellungen im einfachen Verfahrensrecht anschauen, zudem die jeweiligen Voraussetzungen und Durchführungsmodalitäten umreißen. Da dies für die weniger bedeutsamen Formen fiktiver Auslandszustellung bereits im Zuge der vorangegangenen Darlegungen erfolgt ist, brauchen sich die Überlegungen hier nur noch mit den Zustellungen d. A. z. P. und den öffentlichen Zustellungen zu befassen. Das zivilprozessuale Verfahren kennt die Auslandszustellung d.A.z.P. in mehreren Fällen69 • Die grundlegende Regelung findet sich in den §§ 174, 175 ZPO. Diese Vorschriften gelten - wie überhaupt die gesamte Zustellungsregelung der ZP0 70 - mehr oder weniger modifiziert auf vielen anderen Rechtsgebieten, selbst im Verwaltungsverfahren71 • Die Auslandszustellung d. A. z. P. ist nach den §§ 174 Abs. 2, 175 ZPO zulässig, wenn die im Ausland wohnende Partei ihrer gern. § 174 Abs. 2 ZPO ohne vorherige gerichtliche Anordnung bestehenden Pflicht nicht nachkommt, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der am Ort des Prozellgerichts oder in dem Amtsgerichtsbezirk wohnt, in dem das Prozellgericht seinen Sitz hat72• In aller Regel wird die ausländische Partei diese Regelung nicht kennen73' und schon deshalb keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellen, zumal das Gericht sie auf ihre Verpflichtung nach h. M. nicht hinzuweisen braucht74 • Das aber bedeutet, da sich der Adressat auch nicht auf die Unkenntnis dieser Vorschriften berufen kann75, daß der 68

Kohlrv.st, S. 2, gibt einen Überblick über die Anforderungen der Rspr.

Zu ihrer relativ geringen Bedeutung in der gerichtlichen Zustellungspraxis vgl. Hohmann, S. 65. 10 Vgl. dazu Fraenkel JR 65, 10. 11 Hier haben z. B. die nach den Kriegsfolgegesetzen Berechtigten ihren Wohnsitz oft außerhalb der BRD. Ihre Ansprüche sind zwar i. d. R. auf Verwaltungsebene geltend zu machen, gehen dann aber im Falle einer Beschwerde teilweise auf die Zivilgerichtsbarkeit über, so daß die zivilprozessuale Zustellungsregelung gilt, vgl. z. B. §§ 210, 218 f. BEG und § 42 BRückErstG. 72 So die h . M. aufgrund des Wortlauts des § 174 Abs. 2 i. V. m . Abs. 1 S. 1 ("daselbst wohnende"), vgl. BGH NJW 61, 1067; a. A. OLG Frankfurt NJW 60, 1954 und neuerdings auch Wieczorek, 2. AuH., § 174 AI (a. E.) und AI c. 73 Auch ansonsten ist das Institut des Zustellungsbevollmächtigten in der Zustellungspraxis nur wenig bekannt, vgl. Hohmann, S. 55. 74 BGH MDR 63, 486; RzW 63, 380; 64, 405; vgl. auch Stein I Jonas I Pohte, § 175 Anm. II und Fraenkel JR 65, 10 (11); anders das unveröffentlichte Teilurteil des OLG Köln 11 U 35161 vom 11. 5. 62 ; anders unter bestimmten Voraussetzungen jetzt auch W i eczorek (2. Aufl. 1976 - im Ggs. zur 1. Aufl.), §174 Anm. BI a.E. 69

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Weg für eine Auslandszustellung d. A. z. P. praktisch immer offen steht76• Aufgegeben werden darf alles, was zuzustellen ist, also auch Urteile, v. a. Versäumnisurteile77• Von diesem Grundsatz gibt es nur eine, allerdings gewichtige Ausnahme: vor Rechtshängigkeit gibt es keine Zustellung d. A. z. P., insbesondere kann eine Klageschrift nicht auf diesem Wege zugestellt werden78 • Die Voraussetzung für diese Zustellung- die Verletzung der Pflicht aus § 174 Abs. 2 ZPO zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten - besteht erst nach Rechtshängigkeit, die mit Zustellung der Klageschrift eintritt (§ 261 ZPO). Denn erst dann besteht ein Prozeßverhältnis, das eine Prozeßförderungspfl.icht, wie sie der Regelung des § 174 Abs. 2 ZPO zugrunde liegt, begründen kann79• Diese Erwägung gilt entsprechend in anderen als den Klageverfahren (z. B. Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren80) und auch außerhalb der ZPO für alle Fälle, in denen die Zustellung d. A. z. P. zulässig ist, wenn und weil kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde81 • Sie gilt dagegen nicht, wenn der im Ausland wohnende Adressat die Rolle des Klägers hat. Für ihn besteht die Prozeßführungspflicht bereits mit Einreichen der Klageschrift. Deshalb muß er einen Zustellungsvertreter sofort benennen82 • Die Zustellung d. A. z. P. ist bei der Partei- wie bei der Amtszustellung möglich. Die einzigen Vorschriften über die bei ihr zu beachtenden Förmlichkeiten finden sich in den§§ 192 bzw. 213 ZP083. - Weitere Fälle der Auslandszustellung d. A. z. P. kennt die ZPO in den §§ 210 a Abs. 2, 244 Abs. 2 S. 3 i. V. m. 175, 829 Abs. 2 S. 4, 835 Abs. 3 i. V. m. 829 Abs. 2 S. 4, 994 Abs. 2 S. 2 und 1001 i. V. m. 994 Abs. 2 S. 2. 75 h. M., vgl. BGH RzW 63, 380 (Nr. 29); 62, 470 (im Hinblick auf den Prozeßbevollmächtigten). 76 So auch Baumbach I Lauterbach, § 204 Anm. 3 a. E. 77 Vgl. RGZ 57, 334; KG ZZP 13, 373. 78 BGH NJW 72, 1004. 79 So die heute geläufige Argumentation, vgl. BGH ebd.; Stein I Jonas I Pohle, § 174 Anm. II; Wieczorek, 1. Aufi., § 174 Anm. AI a; außerdem lassen sich Argumente aus dem Wortlaut des § 174 anführen, vgl. dazu z. B. G. v. Wilmowski IM. Levy, CPO, § 160 (heute: § 174 ZPO) Anm. 2 c. so Vgl. Wieczorek, 2. Aufi., § 174 Anm. A. st Für die Zustellungsregelung des ZVG vgl. insoweit Dassler I Schiffhaue~. ZVG, § 8 Anm. 1. 82 Im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten ist das der RegelfalL Der im Ausland wohnende Adressat ist hier grundsätzlich der Verfolgte, der als Kläger Ansprüche geltend macht; vgl. Pentz RzW 64, 51 (53). Entsprechendes gilt im Verwaltungsverfahren vor den Entschädigungsbehörden, wo die §§ 174, 175 ZPO analog gelten, wie noch zu zeigen ist. sa Vgl. dazu BGH MDR 67, 475; Koenigk JVBl 62, 25 ff., Fraenkel JR 65, 10 (11/12).

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Auch im schiedsrichterlichen Verfahren84 gibt es diese Zustellungsform. Förmliche Zustellungen, die es nur im Fall des § 1039 ZPO gibt, richten sich hier nach der allgemeinen Zustellungsregelung, so daß an einen ausländischen Empfänger (auch) d. A. z. P. zugestellt werden kann85• Um zu klären, ob das Konkursverfahren Auslandszustellungen d. A. z. P. kennt, ist von § 73 Abs. 2 KO auszugehen. Danach gibt es Einzelzustellungen nach Maßgabe der ZPO, soweit die KO keine Spezialregelung hat (§ 72 KO). Somit sind Auslandszustellungen auch d. A. z. P. gern. §§ 208, 174 Abs. 2, 175, 213 ZPO analog grundsätzlich möglich. Daneben hat die KO in der öffentlichen Bekanntmachung eine ihr eigene Zustellungsart. Bei ihr handelt es sich um eine besondere Form der öffentlichen Zustellung, deren Durchführung im Vergleich zur Regelung der ZPO (vgl. §§ 204 ff.) vereinfacht ist und die auch nicht die Voraussetzungen des § 203 ZPO kennt86• Teilweise ist die öffentliche Bekanntmachung ausdrücklich vorgeschrieben87• Darüber hinaus kann sie die Einzelzustellungen stets ersetzen. Das folgt aus § 76 Abs. 3 KO: indem er bestimmt, daß die öffentliche Bekanntmachung "auch" dann als Zustellung gilt, wenn neben der Bekanntm::.chung die Einzelzustellung vorgeschrieben ist, sagt er zugleich, daß Einzelzustellungen in allen anderen Fällen erst recht durch die Bekanntmachung ersetzt werden können88 • Somit hat das Konkursgericht regelmäßig die Wahl zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Zustellung (ggf. durch Aufgabe zur Post). Wenn es sich für die öffentliche Bekanntmachung entscheidet, ist daneben keine Zustellung mehr nötig. Besonderes gilt für die Fälle der §§ 111 Abs. 3, 179 Abs. 1 S. 3, 198 Abs. 2 i. V. m. 111 Abs. 3 KO insoweit, als die KO hier neben der öffentlichen Bekanntmachung Einzelzustellungen vorschreibt, die dann gern. § 77 Abs. 1 S. 1 KO generell, also auch bei Auslandszustellungen, durch Aufgabe zur Post erfolgen können, ohne daß die Voraussetzungen des § 174 ZPO vorliegen müßten. Diese ausnahmsweise vorgesehenen Einzelzustellungen haben für den Zustellungsvollzug jedoch keine Bedeutung, wie sich aus § 76 Abs. 3 KO ergibt. Das Gebot besonderer Zustellung neben der öffentlichen Bekanntmachung ist daher stets nur eine Ordnungsvorschrift i. S. einer Dienstanweisung an den Konkursrichter, deren Verletzung keinen Verfahrensmangel darstellt89• 84 8&

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Zu dessen Rechtsnatur vgl. Habscheid NJW 62, 5. Vgl. etwa RG LZ 23, 649. Jaeger I Weber, KO, § 76 Anm. 2.

§§ 81, 93, 98, 111, 116, 151, 163, 179, 190, 198, 203, 205 KO.

Vgl. Jaeger I Weber, KO, § 76 Anm. 2. Vgl. Böhle-Stamschräder, KO, § 76 Anm. 2; Mentzell Kuhn, KO, § 76

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Für uns bleibt festzuhalten, daß auch die KO Auslandszustellungen d. A. z. P. kennt. Die Zustellungsregelung der Vergleichsordnung gleicht weitgehend derjenigen der KO. Auch hier sind von Amts wegen durchzuführende Einzelzustellungen vorgesehen(§ 118 VglO). An einen im Ausland wohnenden Adressaten erfolgen sie per Einschreibung durch Aufgabe zur Post (§ 118 Abs.l, 2 VglO}, wobei die Regeln der ZPO analog gelten (§ 115 VglO i. V. m. §§ 208, 175 ZPO). Das bedeutet allerdings nicht, daß die Zustellung d. A. z. P . nur unter den Voraussetzungen des§ 174 Abs. 2 ZPO stattfinden dürfte90 • Dagegen spricht einmal der Wortlaut des § 118 Abs. 1 S.1 VglO, zum anderen die Existenz des § 118 Abs. 3 S. 2 VglO; diese Vorschrift wäre überflüssig, wenn § 174 ZPO analog anzuwenden wäre. Anders als in der KO ist die Zustellung d. A. z. P. hier nicht fakultativ, sondern zwingend91 • Außer der Einzelzustellung gibt es wieder die öffentliche Bekanntmachungu, neben der in einigen Fällen zusätzlich die Einzelzustellung angeordnet ist93'. Diese wird gern. § 119 Abs. 4 VglO in ihren Wirkungen aber stets durch die öffentliche Bekanntgabe ersetzt, so daß in der Unterlassung wieder nur die u. U. zum Schadensersatz verpflichtende- Verletzung einer Ordnungsvorschrift, aber kein Verfahrensmangel liegt94• Für Zustellungen im Zwangsversteigerungs- und -verwaltungsverfahren gelten die §§ 3 ff. ZVG mit Ausnahme der Zustellung von Anordnungs- und Beitrittsbeschlüssen (vgl. § 8 ZVG) und der Zustellungen, die im Gegensatz zu § 3 ZVG ausnahmsweise im Parteibetrieb erfolgen95• In diesen beiden Fällen greifen die §§ 166 ff. ZPO ein. Denn da das ZVG inhaltlich alsTeil der ZPO anzusehen ist (vgl. § 869 ZPO), gelten deren (Zustellungs-)Regelungen subsidiär. Somit können in den obigen beiden Fällen Auslandszustellungen unter den Voraussetzungen des § 174 ZPO auch durch Aufgabe zur Post gern. § 175 ZPO analog Anm. 4; Jaeger I Weber, §§ 77 Anm. 1 und§ 76 Anm. 2; ohne Bedeutung sind in unserem Zusammenhang die möglichen disziplinarrechtliehen Folgen und Amtshaftungsansprüche gern. Art. 34 GG, § 839 BGB. 90 Ebenso wohl Bley I Mohrbutter, VglO, § 118 Anm. II 4 und III 5, die nur § 175 und nicht auch § 174 ZPO erwähnen. 91 Bley I Mohrbutter, § 118 Anm. III 5, ziehen daraus. den Schluß, eine Auslandszustellung auf dem Requisitorialweg sei entbehrlich. Dagegen meint Böhle-Stamschräder, § 118 Anm. 3, sogar, der Requisitorialweg sei ausgeschlossen. 92 Sie ist vorgeschrieben u. a . in den §§ 11 Abs. 1, 12, 19 Abs. 5, 20, 22 Abs. 1, 60 Abs. 2, 65 Abs. 2, 77 Abs. 4, 94 Abs. 2, 98 Abs. 3 VglO. 93 z. B. in §§ 22 Abs. 2, 60 Abs. 2, 65 Abs. 2, 81, 98 Abs. 3 VglO. 94 Vgl. Bley I Mohrbutter, § 119 Anm. 5; Böhle-Stamschräder, § 119 Anm. 3; Vogels I Nölte, VglO, § 119 Anm. II. 95 So bei der Vorpfändung gern. §§ 22 Abs. 2 ZVG, 845 ZPO und bei der anderweitigen Verwertung in Form einer Forderungsüberweisung gern. §§ 65 Abs. 1 ZVG, 835, 829 Abs. 2 S . 4 ZPO.

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erfolgen. Ähnliches gilt aber auch für die anderen Zustellungen im Zwangsversteigerungs- und -verwaltungsverfahren. Da die für sie gültigen §§ 3 ff. ZVG es nicht verbieten, kann man auch für sie auf die zivilprozessuale Regelung zurückgreifen. Somit sind auch insoweit Auslandszustellungen d. A. z. P. möglich (§§ 3 ZVG, 869, 208, 174 Abs. 2, 175 ZPO). Zustellungen im arbeitsgerichtliehen Urteilsverfahren erfolgen analog der zivilprozessualen Regelung, nur daß die Urteile von Amts wegen zugestellt werden (vgl. §§ 46 Abs. 2; 50 Abs. 1; 64 Abs. 2, 3; 72 Abs. 3, 4 ArbGG). Für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren gilt nichts anderes (vgl. §§ 80 Abs. 2, 87 Abs. 2, 92 Abs. 2 ArbGG). Somit gelten die §§ 174, 175 ZPO analog, so daß auch hier ins Ausland durch Aufgabe zur Post zugestellt werden kann96• Im Strafprozeß gelten die Zustellungsregeln der ZPO gern. § 37 Abs. 1 S. 1 StPO analog, also nur soweit sie sich für die Anwendung im Strafprozeß eignen. Das trifft bei den Zustellungen d. A. z. P . nicht zu97• Denn zur Eigenart des Strafprozesses paßt nicht, gegen den Willen des Beteiligten einem anderen als ihm selbst zuzustellen. Deshalb kann ihm - abgesehen von den einschlägigen Spezialregelungen der StP098 - kein Zustellungsbevollmächtigter aufgezwungen werden. Infolgedessen kann es auch nicht zu einer Zustellung d. A. z. P. gern. § 175 analog kommen. Ob das verwaltungsgerichtliche Verfahren Auslandszustellungen d. A. z. P. kennt, ist streitig. Die VwGO verweist für die Durchführung von Zustellungen in §56 Abs. 2 auf das VwZG. Für Auslandszustellungen bedeutet das grundsätzlich die Verweisung auf den Requisitorialweg gern. § 14 VwZG. Daneben trifft die VwGO jedoch für Adressaten, die im Ausland wohnen, insoweit eine Sonderregelung, als sie gern.§ 56 Abs. 3 VwGO auf Verlangen des Gerichts99 einen Zustellungsbevollmächtigten benennen müssen. Ob und welche Sanktionen eine Verletzung dieser Pflicht auslöst, sagt §56 Abs. 3 VwGO nicht. Daraus os Dieser Zustellungsart kommt im Arbeitsprozeß sogar eine erhöhte Bedeutung zu, weil das Prinzip der Lokalisation der Anwaltschaft hier nicht gilt (vgl. Stein I Jonas I Pohte, § 78 Anm. VII B). Infolgedessen werden häufiger als im ordentlichen Verfahren Prozeßbevollmächtigte bestellt, die wie die von ihnen vertretene Partei im Ausland wohnen und die damit die Voraussetzung des § 174 Abs. 2 ZPO erfüllen, sofern sie keinen im fraglichen Gerichtsbezirk wohnhaften Zustellungsvertreter benannt haben. Zur entsprechenden Problematik im Entschädigungsverfahren vgl. BGH RzW 6~, 470 (Nr. 35); 63, 518 (Nr. 36); auch Stein I Jonas I Pohte, § 174 Anm. IV. 97 Vgl. z. B. Löwe I Rosenberg, StPO, § 37 Anm. I 2 c. es §§ 116 a Abs. 3, 127 a Abs. 2, 132 Abs. 1 Nr. 2, 145 a Abs. l StPO. oo Außerhalb der mündl. Verhandlung genügt auch ein Verlangen des Vorsitzenden, vgl. BVerwG DOV 64, 567; Redeker I v. Oertzen, VwGO, §56 Anm. 9 ; a. A. Eyermann I Fröhler, VwGO, §56 Anm. 4; Kohlrust I Eimert, VwZG, § 8 Anm. 4 a cc (S. 47).

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wird z. T. gefolgert, es bleibe bei der allgemeinen Regelung des § 56 Abs. 2 VwGO, was den Ausschluß der Auslandszustellung d. A. z. P. bedeutet100 • Vor allem unter Hinweis auf die ratio legis des §56 Abs. 3 VwGO kommt die Gegenansichtl 01 zu Recht zu dem Ergebnis, Verstöße gegen diese Norm seien über § 173 VwGO i. V. m. § 175 ZPO mit der Möglichkeit zu sanktionieren, d. A. z. P. ins Ausland zuzustellen. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß Streit besteht, ob §56 VwGO auch für das Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO gilt. Mit der h. M. 10t ist das abzulehnen, v. a. weil die Widerspruchsfrist gern. § 70 Abs. 1 VwGO nicht die Zustellung, sondern lediglich die Bekanntgabe des Verwaltungsakts voraussetzt. Somit richtet sich die Möglichkeit von Auslandszustellungen d. A. z. P. im Widerspruchsverfahren danach, ob und inwieweit es diese Zustellungsart überhaupt im Verwaltungsverfahren gibt. Darauf wird später eingegangen werden. Für das sozialgerichtliche Verfahren gibt es in § 63 Abs. 2, 3 SGG eine inhaltlich mit §56 Abs. 2, 3 VwGO übereinstimmende Regelung. Daher ergibt sich für die Auslandszustellungen d. A. z. P. die gleiche Problematik. Die Meinungen sind auch hier geteilt103 • Anders als beim Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geht die ganz h. M. für das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit v. a. unter Berufung auf § 85 Abs. 3 S. 1 SGG davon aus, daß die sozialgerichtlichen Zustellungsvorschriften auch für das Vorverfahren gelten104, so daß hier d. A. z. P. zugestellt werden kann, wenn man dies auch für das gerichtliche Verfahren bejaht. Im finanzgerichtlichen Verfahren ist die Zustellung d. A. z. P. gern. §53 Abs. 3 FGO zulässig, wenn ein Beteiligter, der weder Wohnsitz (i. S. d. § 8 AO) noch Sitz (§ 11 AO) im Geltungsbereich der FGO hat, dem gerichtlichen Beschluß 105 zur Bestellung eines Zustellungsvertre1oo Vgl. KHnger, §56 Anm. C; Eyermann I Fröhler, §56 Anm. 4, 17; Köhler, VwGO, §56 Anm. IV; Kohlrust I Eimert, VwZG, § 14 Anm. 1; Vogel, VwZG, §8 Anm.4d. 1o1 VG Bremen MDR 69, 1042; Redeker I v. Oertzen, VwGO, §56 Anm. 9; Schunck I de Clerck, VwGO, §56 Nr. 1 a; Baumbach I Lauterbach, ZPO, § 174 Anm. 4 ist unklar; vgl. auch Maeder I Mittelsteiner, FGO, §53 Erl. V (zur entspr. Regelung des §53 Abs. 3 S. 1 FGO). 1o2 u. a. VG Stuttgart DÖV 55, 523 f.; Redeker I v. Oertzen, §56 Anm. 2; Schunck I de Clerck, § 56 Nr. 1; a . A v. a. Eyermann I Fröhler, § 56 Anm. 23. 1os Für die Zulässigkeit von Zustellungen d. A. z. P. z. B. Hofmann I Schroeter, SGG, § 63 Anm. 3; dagegen Peters i Sautter I Woljj, SGG § 63 Anm. 1 (a. E.) und Kohlrust I Eimert, VwZG, § 8 Erl. 4 a cc. 104 So etwa BSG NJW 74, 1064 m . w. N.; Peters I Sautter I Wolff, § 63 Anm. 6 und § 85 Anm. 6 c; Hofmann I Schroeter, § 63 Anm. 3; Mellwitz, SGG, § 63 Anm. 3; a. A. Dersch I Knoll u. a ., RVO, § 135 Anm. 4. 1os Ziemer I Birkholz, FGO, §53 Rdnr. 42; nach Maeder I Mittelsteiner, FGO, §53 Erl. V, genügt auch eine richterliche Anordnung.

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ters nicht nachkommt. Diese Regelung gilt nur für das gerichtliche Verfahren, nicht auch für das Besteuerungs- und das außergerichtliche Vorverfahren, insbesondere also nicht bei der Zustellung von Einspruchs- und Beschwerdeentscheidungen, soweit dort überhaupt eine Zustellung angeordnet ist (vgl. § 366 A0)1 00• In der freiwilligen Gerichtsbarkeit bedürfen gerichtliche Entscheidungen zu ihrer Wirksamkeit der Bekanntmachung (§ 16 Abs. 1 FGG). Für deren Form ist zwischen den in§ 16 Abs. 2 S. 1 und S. 2 angesprochenen Fällen zu unterscheiden. Bei § 16 Abs. 2 S. 2 FGG kann die Bekanntmachung grundsätzlich ohne besondere Form erfolgen, die Landesjustizverwaltung kann hierzu jedoch Näheres bestimmen. Soweit das geschehen ist, hat sie in einigen Fällen - vgl. etwa § 4 des Bremischen Ausführungsgesetzes zum FGG107 - festgelegt, daß die Bekanntmachung auch im Wege der förmlichen Zustellung und dabei auch durch Zustellung d. A. z. P. nach Maßgabe der zivilprozessualen Regelung bewirkt werden kann. Soweit landesrechtliche Regelungen nicht bestehen, ist die Form der Bekanntmachung in das Ermessen des Gerichts gestellt108• Das gilt auch für Sendungen ins Ausland. Nach seinem Ermessen kann sich das Gericht dann also auch für die Zustellung d. A. z. P. entscheiden. Bei den von § 16 Abs. 2 S. 2 FGG erfaßten Fällen109 wird nach den für die Zustellung von Amts wegen geltenden Vorschriften der ZPO (§§ 208 ff. i. V. m. 166 ff.) bekannt gemacht, sofern die FGG nicht bestimmte Zustellungsformen vorschreibt, was sie oft tut110• Da die zivilprozessualen Regelungen analog anzuwenden sind, kommen sie nur zum Zuge, wenn sie mit den Eigenheiten des Amtsbetriebs der freiwilligen Gerichtsbarkeit vereinbar sind. Für Auslandszustellungen d. A. z. P. besteht Einigkeit, daß sie in Verfahren, an denen mehrere mit gegenteiligen Interessen beteiligt sind, gern. §§ 16 Abs. 2 S. 1 FGG, 208, 174 Abs. 2, 175 ZPO durchgeführt werden können111 • Dabei wird wegen des Amtsbetriebs in der freiwilligen Gerichtsbarkeit überwiegend § 175 Abs. 2 ZPO dahin modifiziert, daß der Urkundsbeamte ohne Bindung an Anträge der Beteiligten nach seinem Ermessen entscheidet, ob das Schriftstück "eingeschrieben" aufgegeben wird112• Dazu Ziemer I Birkholz, § 53 Rdnr. 3. Weitere Fälle bei Jansen, FGG, § 16 Rdnr. 38. tos Vgl. Jansen, ebd. 109 Dazu v. a. Keidell Winkler, FGG, § 16 Rdnr. 30. uo Vgl. die Aufzählung bei Keidell Winkler, ebd., Rdnr. 22. 111 Vgl. den Beschluß des KG v. 25. 7. 55, auf den Knapp, WM IV, Bd. 2, 1308 ff. (1312), verweist; Schlegelberger, FGG, § 16 Anm. 33; Keidel l Winklei', § 16 Rdnr. 33, 40; Jansen, § 16 Rdnr. 29; B'umiller I Winkler, FGG, § 16 Anm. 6. 112 Vgl. etwa Jansen, § 16 Rdnr. 29. 106 101

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Im Kartellbeschwerdeverfahren vor den Kartellsenaten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs richten sich die Zustellungen gern. § 72 Nr. 2 GWB nach der zivilprozessualen Regelung über Amtszustellungen. Daher ist eine Auslandszustellung d. A. z. P. gern. §§ 72 Nr. 2 GWB, 208, 174 Abs. 2, 175 ZPO zulässig. Im Verwaltungsverfahren wird zugestellt nach dem Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes oder den Zustellungsgesetzen der einzelnen Länder, die hinsichtlich der möglichen Zustellungsarten alle auf das VwZG verweisen113• Dessen ursprünglicher Entwurf enthielt in § 15 noch Bestimmungen, die in Anlehnung an die §§ 174, 175 ZPO (Auslands-)Zustellungen d. A. z. P. vorsahen. Später wurden diese Vorschriften dann aber ersatzlos gestrichen11 4, so daß es die Zustellung d. A. z. P. im VwZG heute nicht gibt. Somit sind nach dem VwZG des Bundes und den insoweit inhaltsgleichen Zustellungsgesetzen der Länder Allslandszustellungen d. A. z. P. nicht möglich. Für einige besondere Verwaltungsverfahren gibt es davon jedoch Ausnahmen. Im Verfahren vor den Entschädigungsbehörden, deren Bescheide nach § 196 Abs. 1 BEG zuzustellen sind, kann an einen im Ausland wohnenden Adressaten nicht nur nach den einschlägigen Vorschriften des VwZG (§§ 14, 15), sondern gern. § 197 Abs. 2 S. 1 BEG auch durch Aufgabe zur Post in entsprechender Anwendung der§§ 174 Abs. 2, 175 ZPO zugestellt werden. Wie im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten, für das die §§ 174, 175 ZPO unmittelbar geltenm, sind somit Auslandszustellungen d. A. z. P . auch im Verwaltungsverfahren vor den Entschädigungsbehörden zulässig. Sie kommen in der Praxis auch oft vor, weil die Entschädigungsberechtigten häufig Ausländer sind116 • - Aus der Verweisung auf die zivilprozessuale Regelung(§ 174 Abs. 2 ZPO) folgt, daß der Verfahrensbeteiligte nicht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert zu werden braucht117 • Er braucht nach h. M.118 auch nicht über die Zustellungsmöglichkeit d. A. z. P. belehrt zu werden. 113 Vgl. z. B. für NRW § 1 Abs. 1 LZG NW und für Niedersachsen § 1 NdsVwZG. 114 Vgl. Bericht des BT-Ausschusses für Rechtswesen u. Verfassungsrecht v. 4. 4. 52, BT-Drucksache I Nr. 3288. 115 So mit Recht Pentz RzW 64, 51 (52); dagegen mißverständlich v . Dam I Loos, BEG, § 197 Anm. 4. 116 Aus der Rspr. vgl. u. a. BGH RzW 61, 512; 62, 470; 63, 518; 64, 277 mit Anm. Pentz; 64, 559; 64, 277. 117 Vgl. BGH RzW 63, 517; a. A. sind wohl nur scheinbar v. Dam I Loos, § 197 Anm. 4 und Becker I Huber I Küster, BErgG, § 94 Anm. 12, denn beide sagen zwar, in analoger Anwendung der §§ 174, 175 ZPO sei der Bevollmächtigte auf Verlangen zu bestellen, begründen das jedoch auch nicht andeutungsweise. 118 Vgl. z. B. BGH RzW 63, 380; a. A. OLG Köln v. 11. 5. 62, 11 U 35/61 (nicht veröffentlicht) m. w. N.

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Eine dem § 197 Abs. 2 BEG inhaltlich entsprechende Regelung enthält§ 41 S. 4 des Bundesrückerstattungsgesetzes119• Auch hier sind Auslandszustellungen d. A. z. P. in Analogie zur zivilprozessualen Regelung möglich. Im Besteuerungsverfahren wird gern. § 122 Abs. 5 S. 2 AO nach dem VwZG zugestellt. so daß es keine Auslandszustellungen d. A. z. P. gibt. Nach der alten, bis Ende 1976 gültigen AO war das anders. Ihr § 89 enthielt speziell für Auslandszustellungen eine auch nach Erlaß des VwZG weitergeltende120 und den § 14 VwZG ergänzende121 Regelung, die im Hinblick auf den Charakter des Besteuerungsverfahrens als eines Massenverfahrens Auslandszustellungen erleichtern wollte. Danach mußten Steuerpflichtige, die ihren Wohnsitz (vgl. § 13 des in der neuen AO aufgegangenen StAnpG) oder Sitz (vgl. § 15 Abs. 3 StAnpG) im Ausland hatten, unter bestimmten Voraussetzungen dem Finanzamt auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Taten sie das nicht, konnte gern. § 89 S. 2 AO a. F. durch Aufgabe zur Post zugestellt werden. Das galt auch im Verfahren über die außergerichtlichen Rechtsbehelfem. Im Verfahren nach der Justizbeitreibungsordnung ist die Auslandszustellung d. A. z. P. gem. §§ 3 JBeitrO, 208, 174 f. ZPO möglich. Für die Einziehung von Ansprüchen, die nicht auf bundesrechtlicher Regelung beruhen, gilt die Justizbeitreibungsordnung nicht unmittelbar. Allerdings gibt es insoweit in allen Bundesländern landesrechtliche Verweisungen auf sie, beispielsweise für Nordrhein-Westfalen in § 2 des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung i. V. m. § 4 LZG NW. Die Hinterlegungsordnung verweist in § 16 Abs. 2 S.1 ebenfalls über § 208 ZPO auf die §§ 174, 175 ZPO, so daß Auslandszustellungen d. A. z. P. möglich sind. Auch soweit die RiO als Landesrecht anzuwenden ist, bleibt diese Verweisung gültig. Für NRW z. B. ergibt sich das aus § 4 LZG NW. Auch die Bundesrechtsanwaltsordnung kennt einen Fall der Auslandszustellung d. A. z. P. 123• Wer als Rechtsanwalt nach § 29 BRAO 119 Zum Anwendungsbereich dieser Norm vgl. Kamper I Burckhardt, BRückErstG, § 41 Anm. 3. 120 Vgl. BFH BStBl 1959 111, 181; Stellungnahme der Verwaltung in BB 61, 117; Becker I Riewald I Koch, AO, § 89 Anm. 3, 2. 121 Vgl. Tipke I Kruse, AO, § 89 Anm. 1; Kühn I Kutter, AO, § 89 Anm. 1; Hübschmann I Hepp I Spitaler, AO, § 89 Anm. 1; a. A. Mattern I Messmer, AO, § 89 Tz. 421 und Kohlrust I Eimert, VwZG, § 8 Anm. 4 a aa. 122 So z. B. Sudau I Brauel, AO und FGO, S. 289. 12s Dazu v. a. Wieczorek, ZPO (2. Aufl.), § 174 Anm. A II a 1; Kalsbach, BRAO, § 30 Anm. 3; amtl. Begründung der BRAO, Textausgabe Beck, zu§ 30.

3 Schmitz

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ausnahmsweise keine Kanzlei zu unterhalten hat, ist nach § 30 Abs. 1 BRAO verpflichtet, bei dem Gericht, bei dem er zugelassen ist, einen dort wohnhaften ständigen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Tut er das nicht, kann gern. §§ 30 Abs. 3 BRAO, 175, 192 bzw. 213 ZPO d. A. z. P. zugestellt werden, auch wenn der Empfänger im Ausland wohnt124• Einen besonderen Fall der Zustellung d. A. z. P. findet man im Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung. Die hiernach erlassenen Verwaltungsakte können nach dem Ermessen der Behörde zwar zugestellt werden125• Grundsätzlich genügt aber gern. § 27 Abs. 1 die Bekanntmachung. Das gilt auch, wenn der Empfänger im Ausland wohnt' 26 • Für diesen Fall enthält § 28 Abs. 3 GVwVfKOV jedoch zusätzlich eine Regelung für die Bekanntmachung, die der Zustellungsregelung in den §§ 53 Abs. 3 FGO und 89 AO a. F. gleicht: falls der im Ausland wohnhafte Bekanntmachungsempfänger auf Verlangen keinen Empfangsbevollmächtigten bestellt, gilt die Bekanntmachung mit der Aufgabe des Schriftstücks zur Post als erfolgt. Schließlich sei noch § 4 des Gesetzes zur Ausführung des schon erwähnten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen127 erwähnt. Auch danach ist unter Voraussetzungen, die im wesentlichen denen des§ 174 Abs. 2 ZPO entsprechen, die Zustellung d. A. z. P. nach Maßgabe der §§ 175, 192, 213 ZPO zulässig. Die bedeutendste Regelung der öffentlichen Zustellung enthalten die §§ 203 ff. ZP0 128 • Denn diese Vorschriften gelten nicht nur für alle der ZPO unterstehenden Verfahren. Auf sie wird auch vielfach verwiesen. Zudem dienten sie als Vorbild für die Regelung der öffentlichen Zustellung in anderen Bereichen, z. B. im VwZG. § 203 ZPO sieht die öffentliche Zustellung für mehrere Fälle vor. Von ihnen kommen die in Abs. 1 und 2 geregelten für Auslandszustellungen in Betracht129• Der für§ 203 Abs. 1 ZPO nötige, allgemein130 unbekannte Vgl. den Sachverhalt in BGH RzW 64, 405. Vgl. § 27 Abs. 3 und SchönleiteT I Hennig, GVwVfKOV, Kommentar, § 27 Erl. 1. 126 Vgl. Nr. 3 der Verwaltungsvorschrift zu § 27 (abgedruckt bei SchönleiteT I Hennig, zu § 27). 127 BGBI 1972 I 1328 ff. 12s Zur nicht ganz unerheblichen Bedeutung der öffentlichen Zustellung für die Zustellungspraxis vgl. Hohmann, S. 62, 67, 129 ff. 12u Dabei stellt Abs. 1 den für die Praxis wichtigeren Fall dar, vgl. Roh124

12s

mann, S . 130.

130 Vgl. dazu RGZ 59, 263; Kegel DRZ 49, 9. Beiheft, S. 11 ff. (12) m. w. N.; BFH BStBl 65 III S. 76 (zu § 15 VwZG).

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Aufenthalt einer Partei, die keinen Zustellungsvertreter i. S. d . §§ 171 bis 173 ZPO hat, kann auch bei einem im Ausland wohnenden Empfänger gegeben seints1. Während also Abs.1 die öffentliche Zustellung an einen im Ausland wie Inland lebenden Adressaten ermöglicht, sieht § 203 Abs. 2 ZPO diese Zustellungsform speziell an einen im Ausland wohnenden Empfänger in zwei Fällen vor. Sie ist einmal zulässig, wenn die regelmäßige Requisitorialzustellung unausführbar ist. Auf diese Fallkonstellationen wurde schon hingewiesen, als der Anwendungsbereich von fingierten Auslandszustellungen umrissen wurde. In der Praxis bilden sie heute einen relativ seltenen Ausnahmefall. Erheblich bedeutender waren sie in den Nachkriegsjahren, als die Requisitorialzustellung in vielen Ländern, vornehmlich den sozialistischen, nicht möglich war132• Weiterhin kann gern. § 203 Abs. 2 ZPO öffentlich zugestellt werden, wenn der Requisitorialweg keinen Erfolg verspricht. Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn in dem fremden Staat eine Revolution stattfindet, welche die normale staatliche Tätigkeit zum Erliegen bringt. Denkbar ist auch, daß der fremde Staat die im allgemeinen gewährte Rechtshilfe für diesen Einzelfall aller Voraussicht nach verweigern wird; so lehnen die sowjetischen Behörden die Erledigung von Zustellungsanträgen in Ehesachen ab, wenn beide Parteien nach Auffassung der sowjetischen Behörden die sowjetische Staatsbürgerschaft besitzen und zumindest eine Partei in der UdSSR wohnt133• Weiterhin ist hier daran zu denken, daß die Rechtshilfe aus politischen Gründen verweigert wird, etwa bei der Klage eines politischen Flüchtlings. Voraussichtlich erfolglos i. S. v. § 203 Abs. 2 ZPO ist der Requisitorialweg nach h. M.l 34 ferner, wenn die Erledigung eines Zustellungsersuchens erfahrungsgemäß so lange dauert, daß dem Zustellenden nicht zugemutet werden kann, dies abzuwarten135. Welche Wartezeit dabei noch als zurnutbar angesehen werden kann, ergibt sich nicht aus der ZP0136. Auf diese und andere Fragen zum Verständnis des § 203 ZPO werden wir noch später unter verfassungsrechtlichen Aspekten einzugehen haben. Nachdem die öffentliche Zustellung für jeden einzelnen Fall durch besonderen Beschluß bewilligt worden ist (vgl. § 204 Abs. 1 ZPO), wird sie gern. § 204 Abs. 2 ZPO von der Geschäftsstelle in der Form ausgeführt, daß eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift an die Ge131 132 m 134 136 136

Vgl. z. B. OLG Frankfurt NJW 47148, 105 f. Zur damaligen Situation OLG Celle NdsRpftg 47, 78. Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 60, 204. z. B. Stein I Jonas I Pohle, § 203 Anm. III 3. Ein Bsp. für den Wechselprozeß findet sich in MDR 70; 426. Stein I Jonas I Pohle, stellen z. B. auf die Billigkeit ab.

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richtstafel geheftet wird. Das gilt für alle Fälle des § 203 ZPO. Nach der ab 1. 7.1977 geltenden Vereinfachungsnovelle zur ZP0137 wird allerdings gern. § 204 Abs. 2 S. 2 für Ehe- und Kindschaftssachen eine Ausnahme gemacht. Hier "wird die öffentliche Zustellung dadurch ausgeführt, daß ein Auszug des Schriftstücks an die Gerichtstafel angeheftet wird". Gleiches gilt gern. § 204 Abs. 2 S. 3 ZPO n. F. auch, soweit in einer Scheidungssache das zuzustellende Schriftstück zugleich eine Folgesache betrifft. Enthält das zuzustellende Schriftstück eine Ladung oder eine Be,. kanntmachung von Terminen, so ist neben der Anheftung gern. § 204 Abs. 2 ZP0138 ein Auszug aus dem zuzustellenden Schriftstück, dessen Inhalt sich nach § 205 ZPO bestimmt139, in den Bundesanzeiger einzurücken140. Darüber hinaus kann das Gericht in allen Fällen laut § 204 Abs. 3 S. 2 ZPO von Amts wegen nach seinem Ermessen anordnen, daß der Auszug auch noch in anderen Blättern und/oder mehrfach veröffentlicht wird. Stein I Jonas I Pohle 141 weisen zu Recht darauf hin, daß diese Regelung den Sinn hat, die tatsächliche Kenntnisnahme seitens des Adressaten in höherem Maße zu ermöglichen, als es die bloße Anheftung kann. Nach Ablauf der in § 206 Abs. 1 und 2 ZPO festgelegten Fristen tritt dann ohne Rücksicht darauf, ob und wann der Adressat Kenntnis von der Zustellung erhalten hat, die Zustellungswirkung ein. Die öffentliche Zustellung kann in allen Verfahren erfolgen, die der ZPO unterstehen, so etwa auch in den Fällen der §§ 72, 76 ZPO gegenüber dritten Personen. An den Drittschuldner (§ 829 Abs. 2 S. 1 ZPO) wird jedoch nicht öffentlich zugestellt; weil er nicht "Partei" i. S. d. § 203 ZPO istl 42. In den Fällen der §§ 763, 829, 835, 841, 844, 875 ZPO kann eine Zustellung unterbleiben, wenn sie öffentlich erfolgen müßte143. Soweit im schiedsrichterlichen Verfahren eine Zustellung erfolgt (§ 1039 ZPO), kann sie auch öffentlich geschehen144. Dafür gelten die Regeln der ZPO hinsichtlich der Voraussetzungen wie der Durchführung. 1s1 Nach h. M. gilt § 204 Abs. 2 S. 2 ZPO hier analog, vgl. z. B. Stein I Jonas I Pohle, § 204 Anm, III 2. 138 Nach der Neufassung ist das § 204 Abs. 3 S . 1 ZPO. 139 Einzelheiten dazu bei Engelhardt Rpftg 65, 3 ff. und Kohl Rpftg 65, 104. 140 In den von Hohmann untersuchten Fällen war dies in 43% der öffentlichen Zustellungen der Fall, vgl. Hohmann, S. 131 f. t41 Ebd. Vgl. AG Bonn MDR 66, 597; Thomas I Putzo, § 203 Anm. 2 a. 143 Vgl. z. B. Zöller, ZPO, § 203 Anm. I 4. 144 Vgl. etwa Baumbach I Lauterbach, § 1039 Anm. 3 B. 142

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Mit Rücksicht auf die häufig hohe Anzahl der von einem Konkurs betroffenen Gläubiger, die zudem oft unbekannt sind, hat die KO in Form der öffentlichen Bekanntmachung eine ihr eigene Zustellungsart, die eine besondere Form der öffentlichen Zustellung darstellt und sich in Voraussetzungen und Durchführung von der zivilprozessualen Regelung unterscheidet. Häufig ist die öffentliche Bekanntmachung ausdrücklich vorgeschrieben145• Im Zuge der Darstellung der Zustellungen d. A. z. P. wurde bereits gesagt, daß die öffentliche Bekanntmachung gern. § 76 Abs. 3 KO stets auch die in der KO vorgesehenen Einzelzustellungen146 ersetzen kann, so daß für diese Fälle das Konkursgericht nach seinem Ermessen zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Einzelzustellungwählen kann147· 148• Die Bekanntmachung hat keine besonderen Voraussetzungen, unterscheidet insbesondere nicht zwischen Empfängern im Inland oder Ausland, gilt aber auch für letztere. Sie erfolgt gern. § 76 Abs. 1 KO durch einmaliges Einrücken in das landesrechtlich bestimmte Amtsverkündungsblatt des Konkursgerichts, wobei auch die Einrückung eines auf den wesentlichen Inhalt beschränkten Auszugs genügt149• Darüber, sowie über weitere Bekanntmachungen (§ 76 Abs. 2 KO) - sei es durch zusätzliche andere Blätter, z. B. den Bundesanzeiger oder Lokalblätter, oder sei es auf andere Weise, etwa durch Anschlag an die Gerichtstafel - entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Für diese Ermessensentscheidung ergeben sich aus verfassungsrechtlichen Überlegungen Richtlinien, wie sich später erweisen wird. Einige wichtige Beschlüsse müssen über § 76 KO hinaus auszugsweie auch im Bundeanzeiger veröffentlicht werden150• Im Verfahren nach der VglO wird an im Ausland wohnende Adressaten gern. § 118 Abs. 2 VglO grundsätzlich per Einschreiben durch Aufgabe zur Post zugestellt. Wenn das infolge unbekannter Adresse ausscheidet, wird gern. § 118 Abs. 3 VglO nicht etwa öffentlich zugestellt151. Die dann vorzunehmende Bekanntmachung gilt vielmehr auch als Zustellung gegenüber solchen Beteiligten. Wie im Konkursverfahren ersetzt die öffentliche Bekanntmachung gern. § 119 Abs. 4 VglO jede Einzelzustellung, auch die gern. § 118 Abs. 2 VglO, so daß das Vergleichsgericht praktisch ein Wahlrecht hat. Das gilt auch, wenn neben 145 Vgl. §§ 81 Abs. 1, 93 Abs. 2, 98, 111 Abs. 1, 116, 151, 163 Abs. 2, 179 Abs. 1 190 Abs. 2, 198 Abs. 2 i. V. m. 111, 203, 205 Abs.l KO. 148 §§ 111 Abs. 3, 179 Abs.1 S. 3, 198 Abs. 2 i. V. m. 111 Abs. 3 KO. 147 Jaeger I Weber, KO, § 76 Rdnr. 1. us Zum Anwendungsbereich der öffentlichen Bekanntmachung vgl. auch Gutzschebauch BB 50, 880. ue Dazu Jaeger I Weber, KO, § 76 Rdnr. 1. 150 Vgl. § 111 Abs. 2 sowie § 111 Abs. 2 i. V. m . §§ 116 S. 2, 163 Abs. 3, 190 Abs. 3, 198 Abs. 2, 205 Abs. 2 KO. 151 Vgl. Bley/ Mohrbutter, VglO, § 118 Anm. 7.

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der öffentlichen Bekanntmachung eine besondere Zustellung angeordnet ist152• Die Durchführung der Bekanntmachung regelt § 119 Abs. 2 und 3 VglO. Sie entspricht der konkursrechtlichen Regelung, nur daß die auszugsweise Veröffentlichung im Bundesanzeiger zwingend vorgeschrieben ist (§ 119 Abs. 3 VglO). In den Verfahren der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung gibt es keine öffentliche Zustellung. Gern. § 6 Abs. 1 ZVG wird vielmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 203 ZPO ein Zustellungsvertreter bestellt. Eine Ausnahme besteht für die Zustellung des Anordnungs- oder Beitrittsbeschlusses, für die § 6 ZVG gern. § 8 ZVG nicht gilt. Hier wird dann gern. §§ 203 ff. ZPO, die über § 869 ZPO Anwendung finden, öffentlich zugestellt, und zwar gern. § 3 ZVG von Amts wegen153• Für das arbeitsgerichtliche Urteils- wie Beschlußverfahren gilt, wie schon bei der Darstellung der Zustellungen durch Aufgabe zur Post dargelegt wurde, die zivilprozessuale Zustellungsregelung, nur daß die Urteile stets von Amts wegen zugestellt werden. Infolgedessen gibt es auch die öffentliche Zustellung nach Maßgabe der§§ 203 ff. ZPQ154• Öffentliche Auslandszustellungen gibt es auch in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Für ihre Darstellung soll zwischen den in § 16 Abs. 2 S. 1 und S. 2 FGG geregelten Fällen unterschieden werden. Die Verweisung auf die Zustellungsregelung der ZPO in § 16 Abs. 2 S.1, 1. Halbs. FGG steht unter dem Vorbehalt, daß die Anwendung der zivilprozessualen Regeln mit dem Amtsbetrieb der freiwilligen Gerichtsbarkeit vereinbar ist155• Die Möglichkeit, überhaupt öffentlich zustellen zu können, wird durch diesen Vorbehalt nicht berührt. Mithin ist in der ersten Fallgruppe des § 16 Abs. 2 FGG die öffentliche Zustellung gern. §§ 16 Abs. 2 S. 1 FGG, 208, 203 ff. ZPO grundsätzlich156 zulässig. Innerhalb der Fallgruppe des § 16 Abs. 2 S. 2 FGG ist zu unterscheiden, ob die für zulässig erklärten landesrechtliehen Regelungen bestehen oder nicht. Bestehen sie nicht, so daß es allein bei § 16 Abs. 2 Vgl. z. B. §§ 22 Abs. 2, 60 Abs. 2, 65 Abs. 2, 81, 96 Abs. 4 S. 2 VglO. Vgl. DassleT I Schiffhauer, ZVG, § 8 Anm. 1. 154 Vgl. auch W. HeTschel, Arbeitsrecht, 5. Teil III c. 155 Vgl. SchlegelbeTgeT, FGG, § 16 Anm. 31. 156 Eine Ausnahme besteht gern. § 89 S. 2 FGG für die Ladung zum Termin bei der Nachlaßauseinandersetzung. -Bedeutendere Modifikationen gegenüber der zivilprozessualen Regelung bestehen für die Bekanntmachung der Löschungsankündigung im Handelsregisterverfahren (vgl. § 141 Abs. 2 FGG) sowie der Entscheidungen im Personenstandsverfahren (vgl. § 48 a PStG), bei denen die zusätzliche Bekanntmachungspflicht (Abs. 1 S. 2) bemerkenswert ist. Zu weiteren Sonderregelungen vgl. die Aufzählungen bei Keidel I WinkleT, FGG, § 16 Rdnr. 22, 39, und bei Jansen, FGG, § 16 Rdnr. 35. 152

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Teil A : Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

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S. 2 FGG verbleibt, steht die Art der Bekanntmachung im Ermessen des Gerichts. Es kann sich für die förmliche Zustellung entscheiden und dabei auch die öffentliche Zustellung wählen, die u. U. sogar die letzte und einzige Möglichkeit darstellt157• Sofern landesrechtliche Regelungen bestehen158, ist teilweise festgelegt, daß die Bekanntmachung auch durch öffentliche Zustellung erfolgen kann, so etwa in § 4 BremAGFGG, der auf die §§ 208, 203 ff. ZPO verweist und zudem eine Sonderregelung für die Bekanntmachung enthält. Die Strafprozeßordnung unterscheidet in § 40159 zwei Fälle öffentlicher Zustellung. Abs. 1 bezieht sich auf einen Beschuldigten, der noch nicht, Abs. 2 auf einen Angeklagten, der schon zur Hauptverhandlung geladen wurde. An beide muß bei Vorliegen der Voraussetzungen öffentlich zugestellt werden, gleichviel ob es um eine Ladung, eine Entscheidung oder um eine andere Mitteilung geht. Die öffentliche Ladung gern. § 40 Abs. 1 StPO hat jedoch nur beschränkte Bedeutung, weil bei ihrer Erfolglosigkeit die Hauptverhandlung gern. § 232 Abs. 2 StPO nicht durchgeführt werden darf160• Bei § 40 Abs.1 StPO laufen die Voraussetzungen der öffentlichen Ladung auf die gleichen hinaus, die auch § 203 ZPO aufstellt161 • Die öffentliche Zustellung gern. § 40 Abs. 2 StPO setzt dagegen lediglich voraus, daß die Zustellung nicht in der vorgeschriebenen Weise im Inland bewirkt werden kann. Die Durchführung der Bekanntmachung erfolgt bei § 40 Abs. 1 StPO durch vollständige Veröffentlichung des zustellenden Schriftstücks in einem in- oder ausländischen Blatt oder durch Aushang an der Gerichtstafel. Welche Möglichkeit gewählt wird, entscheidet die Zustellungsbehörde (§ 36 StPO). Bei § 40 Abs. 2 StPO erfolgt die Bekanntmachung durch Anheftung des gesamten Schriftstücks an die Gerichtstafel, bei Urteilen und Beschlüssen162 nur des entscheidenden Teils. § 40 StPO findet nur auf Zustellungen an den Beschuldigten bzw. AnVgl. die Hinweise bei Jansen, FGG, § 16 Rdnr. 40 (a. E.). Übersicht bei Jansen, FGG, § 16, Rdnr. 38. 159 Die Norm gilt gern. § 435 Abs. 1 StPO analog für den Einziehungsbeteiligten, vgl. auch Löwe I Rosenberg, StPO, § 37 Anm. I 3 c. t6o Davon machte das frühere Recht in Abwesenheitsverfahren (§§ 276 ff. StPO) eine Ausnahme (vgl. § 279 StPO a. F.). Die Auswirkungen jener Regelung wurden allerdings dadurch abgemildert, daß es in § 282 c Abs. 2 a. F. einen besonderen Wiederaufnahmegrund gab, der zwischen dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Verfahrens und dem Interesse des Angeklagten an einer effektiven Verteidigung vermittelte; vgl. dazu Rüping, S. 169 f.; zur verfassungsrechtl. Problematik des früheren Abwesenheitsverfahrens vgl. Dahs, S. 85. 161 Vgl. im einzelnen Löwe I Rosenberg, § 40 Anm. 2, 3. 162 Ihnen stehen Verfügungen gleich, vgl. Löwe I Rosenberg, ebd., Anm. 4. 157

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geklagten Anwendung. Auch an andere Beteiligte des Strafprozesses (Privatkläger, Nebenkläger etc.) kann jedoch öffentlich zugestellt werden. Insoweit gelten dann über § 37 Abs. 1 StPO die §§ 203 ff. ZPO analog163. In den Verfahren, deren Zustellungen sich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz richten (vgl. § 1 VwZG}, also vor allem im Verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Verfahren (§§ 36 Abs. 2 VwGO, 63 Abs. 2 SGG, 53 Abs. 3 FGO), gibt es als "ultima ratio" 164 die öffentliche Zustellung gern. § 15 VwZG. Deren Voraussetzungen entsprechen der zivilprozessualen Regelung, soweit es um die öffentliche Auslandszustellung geht (vgl. § 15 Abs. 1 a) und c) VwZG)165. Für die Durchführung der öffentlichen Bekanntmachung sagt§ 15 Abs. 2 S. 1 VwZG, daß die Behörde oder das Gericht das zuzustellende Schriftstück in vollem Umfang an der hierfür allgemein bestimmten Stelle (Gerichtstafel, Tafel für öffentliche Bekanntmachungen) aushängen muß. Nach ihrem Ermessen kann die Behörde oder das Gericht aber auch nur eine Benachrichtigung i. S. v. § 15 Abs. 2 S. 2 VwZG anheften. Eine Ermessensfrage ist auch, ob ein Auszug des zuzustellenden Schriftstücks gern. § 15 Abs. 4 VwZG zusätzlich in anderen Blättern veröffentlicht wird. Als Ermessensrichtlinie wird genannt, daß der Verwaltungsaufwand im Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu den Erfolgsaussichten stehen mußl&&. Über die Regelung der ZPO geht die in § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG konstatierte Benachrichtigungspflicht hinaus, deren Erfüllung für die Wirksamkeit der Öffentlichen Zustellung allerdings irrelevant ist (vgl. § 15 Abs. 5 S. 3 VwZG)167. Auch im Besteuerungsverfahren erfolgen die Zustellungen nach Maßgabe des VwZG (vgl. §§ 1 VwZG, 122 Abs. 5 S. 2 AO n. F. = 91 Abs. 1 S. 3 AO a . F.). Demgemäß gibt es auch hier die öffentliche Auslandszustellung gern. § 15 VwZG. Außerdem ist§ 15 Abs. 2 und 3 VwZG gern.§ 216 Abs. 2 AO auch bei der Bekanntgabe von Verfügungen anzuwenden, durch die sichergestellte Sachen in das Eigentum des Bundes überführt werden. Hierbei kann öffentlich zugestellt werden, wenn der Empfänger unbekannt ist. Das kann auch ein im Ausland wohnender Empfänger sein. 18S Vgl. Kleinknecht, StPO, § 37 Anm. 6; Löwe I Rosenberg, § 37 Anm. I 3 c und § 40 Anm. 1. 184 Das stellt auch Nr, 19 Abs. 1 AV-VwZG klar. Deren Text findet man u. a. bei Peters I Sautter I Wolff, SGG, § 15. 185 Sie werden in Nr. 19 Abs. 2 AG-VwZG erläutert. 188 Vgl. dazu Höllig Betrieb 72, 1261. 187 Deshalb hat sie in der Praxis auch kaum eine Bedeutung, vgl. Hohmann,

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Kartellbehördliche Verfügungen werden ebenfalls grundsätzlich nach Maßgabe des VwZG zugestellt (§ 57 Abs. 1 S. 2 GWB). Mithin kennt auch das Kartellverwaltungsverfahren die öffentliche Zustellung (§ 57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 15 VwZG). Sie erfolgt gern. §57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 15 Abs. 2 VwZG regelmäßig durch Aushängung des zuzustellenden Schriftstücks an einer von der Kartellbehörde hierfür allgemein bestimmten Stelle. Für Verfügungen, die in kartellrechtlich~n Verfahren nach den §§ 20-24 a GWB ergehen, trifft §57 Abs. 1 S. 4 GWB eine Sonderregelung168• Hier erfolgt die öffentliche Zustellung durch Bekanntmachung der gesamten Verfügung im Bundesanzeiger. Damit ist eine Bekanntmachungsart vorgesehen, die gegenüber § 15 Abs. 2 VwZG den Vorteil hat, daß auch im Ausland unschwer von der Veröffentlichung Kenntnis genommen werden kann, und die zudem - anders als bei § 15 Abs. 4 VwZG- zwingend vorgeschrieben ist. Den öffentlichen Zustellungen im Kartellverwaltungsverfahren kommt in der Praxis erhöhte Bedeutung zu, weil sie oftmals die einzige Möglichkeit darstellen, an ein Unternehmen mit Sitz im Ausland zuzustellen. Wie wir gesehen haben, scheiden Requisitorialzustellungen hier weitgehend aus. Ansonsten können kartellbehördliche Verfügungen nur durch Zustellung an einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten oder eben öffentlich zugestellt werden. Die Zustellung an einen Bevollmächtigten setzt aber voraus, daß das ausländische Unternehmen ihn überhaupt bestellt hat. Dazu ist es jedoch nicht verpflichtet. Die insoweit im allgemeinen geltende Regelung des § 57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 VwZG ist nur eine Kannvorschrift, und auch die besondere Regelung in §57 Abs. 1 S. 3 GWB für die Verfahren gern. §§ 20 - 25 a GWB verpflichtet nicht zur Bestellung eines Zustellungsvertreters. Zustellung an einen Bevollmächtigten kommt also grundsätzlich nur in Betracht, wenn das ausländische Unternehmen ihn von sich aus bestellt hat1 69 • Hat es das nicht getan, so ist nicht etwa eine Sanktion in Form der Zulassung von Zustellungen d. A. z. P. vorgesehen. Wenn demgemäß die öffentliche Zustellung die einzige Möglichkeit für eine fingierte Auslandszustellung darstellt, so bedeutet das wegen des Ausfalls der Requisitorialzustellungen in diesem Bereich zugleich, daß sie die einzige Möglichkeit darstellt, überhaupt eine kartellbehördliche Verfügung an ein Unternehmen mit Sitz im Ausland zuzustellen, wenn dieses keinen Bevollmächtigten ernannt hat. 1es Vgl. dazu Barnike!, Wirtschaftsdienst 74, 284 (287).

1eu Eine begrenzte Ausnahme ergibt sich aus § 36 Abs. 2 GWB für die

eines Vertreters bei bestimmten Kartellen (vgl. § 36 Abs. 1 GWB), der zugleich zustellungsbevollmächtigt ist. Bestellun~

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Teil A: Anwendungsbereich, Rechtsnatur, Arten und Ausgestaltung

Für die meisten Verwaltungsverfahren, die nicht dem VwZG des Bundes unterfallen, gelten die Landeszustellungsgesetze. Da sie hinsichtlich der möglichen Zustellungsarten sämtlich auf das VwZG verweisen, gibt es die öffentliche Zustellung auch in den Verfahren nach Maßgabe der Landeszustellungsgesetze. Hier gelten die Ausführungen zum VwZG entsprechend. Abschließend sei auf einige weitere Fälle der öffentlichen Zustellung nur hingewiesen. Es gibt sie im Rahmen der Justizbeitreibungsordnung gern. § 3 JBeitrO i. V. m. §§ 208, 203 ff. ZP0170 bei crer Einziehung von Ansprüchen, die nicht auf bundesrechtlicher Regelung beruhen und damit auch nicht unmittelbar der Justizbeitreibungsordnung unterfallen, gern. §§ 2 des Gesetzes über Kosten im Bereich der Justizverwaltung NRW, 4 LZG NW (bzw. der entsprechenden Verweisungsnormen in den anderen Bundesländern) i. V. m. §§ 3 JBeitrO, 208, 203 ff. ZPO, weiterhin im Rahmen der Hinterlegungsordnung gern. §§ 16 Abs. 2 S. 1 HiO i. V. m. 208, 203 ff. ZPO. Nur hingewiesen sei auch auf einige Fälle, in denen die zivilprozessuale Regelung der öffentlichen Zustellung im Rahmen des BGB Anwendung findet. Hierbei handelt es sich um die §§ 176, 2361 Abs. 2, 1507 i. V. m. 2361 Abs. 2, 2368 Abs. 3 i. V. m. 2361 Abs. 2 BGB. Öffentliche Zustellungen sind schließlich auch im Kostenfestsetzungsverfahren gern. § 19 BRAGebO, das ein Anwalt gegen seinen Auftraggeber betreibt, möglich171 • Sie erfolgen hier nach Maßgabe der zivilprozessualen Regelung (§§ 203 ff. ZPO), die hier zumindest analog anwendbar ist. Damit soll der Überblick über die Regelungen beendet sein, welche die fiktiven Auslandszustellungen im einfachen Verfahrensrecht gefunden haben. Er hat gezeigt, wie oft unser Verfahrensrecht diese Zustellungsformen vorsieht und daß sie nach Voraussetzungen und Durchführung von Fall zu Fall verschieden ausgebildet sind. Bei der Erörterung der verfassungs- und völkerrechtlichen Fragen werden wir auf diese Zusammenstellung zurückgreifen.

170 Daß die Verweisung in § 3 JBeitrO auch für die öffentl. Zust. gilt, zeigt die Bezugnahme auf § 204 ZPO in § 3 S. 3 JBeitrO. 171 Vgl. LG Berlin NJW 59, 1374; auch LG Bielefeld NJW 60, 1816, das die grundsätzliche Möglichkeit zur öffentl. Zust. nicht bestreitet.

TEIL B

Fiktive Auslandszustellungen und das im Grundgesetz garantierte rechtliche Gehör Kapitell Die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG und Ansätze zu ihrer Lösung Nachdem wir die fiktiven Auslandszustellungen unter verschiedenen Aspekten kennengelernt haben, können wir uns ihrer verfassungsrechtlichen Prüfung zuwenden. Erster Prüfungsmaßstab soll der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sein. Das Grundgesetz spricht von ihm in Art. 103 Abs. 1. Der sachliche Geltungsbereich dieser Vorschrift ist beschränkt. Sie gilt nur für Verfahren vor staatlichen Gerichten, wie sich aus dem klaren Wortlaut ("vor Gericht") ergibt und auch unstreitig istl. Man kann diese Geltungsbeschränkung zwar möglichst gering halten, indem man mit der h. M. annimmt, Art. 103 Abs. 1 GG entfalte seine Wirkungen in wirklich allen Gerichtsverfahren2 • Dann kommt es z. B. nicht darauf an, ob das Gericht echte Rechtsprechung i. S. v. Streitentscheidung oder ob es materiell Verwaltung ausübt, so daß etwa das gesamte Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit diesem Verfassungsartikel unterfällt3 , obgleich es dort z. T. nicht um materielle Rspr. geht4• Aber auch dann werden sämtliche Verfahren vor Verwaltungsbehörden sowie diejenigen vor nicht-staatlichen Gerichten, insbesondere Schiedsgerichten, nicht durch Art.103 Abs. 1 GG abgedeckt. Vgl. statt vieler MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 84. Zur Bedeutung dieser Aussage vgl. die Aufzählung bei Hamann I Lenz, GG, Art. 103 Anm. B 2 a. 3 So die heute ganz h. M., z. B. BVerfGE 19, 49; BGHZ 35, 1 (8); 56, 114 (116); 62, 333 (334 f.); 63, 355 (338); MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 851 Jansen, FGG, § 12 Anm. 7; Keidel I Winkler, FGG, § 12 Anm. 70 ff.; Beitzke FamRZ 60, 506; Röhl NJW 64, 273 (276); Keidel, S. 67 ff.; Grunsky, Grundlagen, § 25 I. 4 Das gilt v. a. für die Grundbuch- und Registersachen sowie für einen Teil der Vormundschafts- und Nachlaßsachen, vgl. im einzelnen Keidel, s. 4ff. 1

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Alle diese Verfahren kennen jedoch ebenfalls fiktive Auslandszustellungen6, so daß bei ihnen die gleiche verfassungsrechtliche Problematik wie bei den von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten Verfahren besteht, falls auch dort das Prinzip des rechtlichen Gehörs mit Verfassungsrang gilt. Auf diese Problematik werden wir später einzugehen haben. Vorerst geht es uns nur darum, die Vereinbarkeit der fiktiven Auslandszustellungen mit Art.103 Abs. 1 GG zu untersuchen. Bevor wir die Problematik dieser Untersuchung erläutern, wollen wir noch kurz auf den subjektiven Geltungsbereich des Art. 103 Abs.1 GG eingehen. Möglicherweise bestehen auch für ihn Einschränkungen. Die Frage nach der Vereinbarkeit fingierter Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG stellt sich einmal, wenn der Zustellungsempfänger Deutscher ist und im Ausland wohnt. Sie stellt sich weiterhin bei Auslandszustellungen an ausländische Rechtssubjekte, wenn Art. 103 Abs. 1 GG auch für sie gilt. Ohne weiteres kann das für ausländische natürliche Personen bejaht werden. Denn Art. 103 Abs. 1 GG spricht das Recht auf Gehör "jedermann" zu, beschränkt es also nicht auf Deutsche. Auch ausländische juristische Personen6 können sich auf diese Norm berufen. Zwar ist im allgemeinen streitig, ob sich ausländische juristische Personen auf Grundrechte berufen können. Für die Art. 2-16 GG verneint das die h. M. mit Recht unter Berufung auf den insoweit eindeutigen und nicht ungehbaren Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG 7• Für das Recht auf Gehör - wie für die formellen Grundrechte der Art. 17 und 19 Abs. 4 GG sowie die anderen sog. Justizgrundrechte der Art.101 ff. GG- macht man davon jedoch allgemein eine Ausnahme8 • Vgl. im einzelnen den soeben beendeten Überblick. Zur Bestimmung der Ausländereigenschaft greift die h. M. auf ein Kriterium zurück, welches das Internationale Privatrecht nutzt, um in Kollisionsfällen die maßgebliche Rechtsordnung einer jur. Person zu bestimmen. Entscheidend ist danach der Ort des tatsächlichen Sitzes der jur. Person; vgl. MDH, Art. 19 Rdnr. 50; v . Mangoldt I Klein, Bd. I, S. 566; Wernicke in Bonner Kommentar, Art. 19 Anm. 11 3 a; aus der Lit. zum IPR vgl. Kegel in Soergell Siebert, BGB (9. Aufl.), Art. 10 EGBGB, Anm. 5. 7 BVerfG in st. Rspr., z. B. BVerfGE 18, 441; 21, 207 (209); 23, 229 (236); aus der Lit. vgl. MDH, Art.19 Rdnr. 50; Meessen JZ 70, 602 ff. m. w. N.; a. A. Ritter NJW 64, 279 ff., der Art. 19 Abs. 3 GG analog anwenden will; im Ergebnis ebenfalls a. A. Mattern in Neumann I Nipperdey I Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2, S. 631, und Giese, GG für die BRD (4. Aufl. 1954), Art. 19 Anm. 5; gegen die h. M. wendet sich ferner Rupp-v. Brüneck, Festschrift Arndt, S. 349 ff. (381 ff.). s Anders ist es allenfalls, wenn sich die BRD in völkerrechtlichen Verträgen verpflichtet hat, inländische und ausländische juristische Personen gleich zu behandeln. Diese Frage wurde zum Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag mit den USA (BGBl 56 II 488 diskutiert, vgl. Meessen AWD 70, 491 ff., und Niessen NJW 68, 1017 (1019), der auch weitere Verträge mit Gleichbehandlungsklausel anführt. 5

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Durchweg wird das im Anschluß an das BVerfG9 mit einem Hinweis auf den Wortlaut ("Jedermann") und mit einem nicht näher präzisierten Rückgriff auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit begründet: wollte man den ausländischen juristischen Personen die allen anderen Verfahrensbeteiligten, v. a. auch ihren Prozeßgegnern, zustehende Berufung auf Art. 103 Abs.1 GG versagen, ,,so würde darin ein Einbruch in eines der zentralen Prinzipien des Grundgesetzes, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, liegen" 10• Somit kann die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG bei fiktiven Auslandszustellungen an Deutsche, die sich im Ausland befinden, an ausländische natürliche und an ausländische juristische Personen gestellt werden. Man mag sich fragen, wieso fiktive Auslandszustellungen überhaupt an Art. 103 Abs. 1 GG gemessen werden sollen und was Zustellungen überhaupt mit rechtlichem Gehör zu tun haben. Die Antworten werden deutlich, wenn man sich den Sinn jeglicher Zustellung klar macht, die ja nicht Selbstzweck sind. Zum einen liegt er darin; daß die Zustellung dem Zustellenden (Gericht, Partei, Behörde etc.) durch Beurkundung den Nachweis ermöglicht, daß, wann und wie das zugestellte Schriftstück übergeben wurde11 • Dieser Dienst am Zustellenden ist jedoch nur Nebensache. Hauptsächlich dient die Zustellung dem Empfänger. Ihm bietet sie eine zuverlässige Möglichkeit, vom Inhalt des zustellenden Schriftstücks Kenntnis zu nehmen1!. Damit aber verschafft sie ihm die Möglichkeit, sich zum Inhalt des zugestellten Schriftstücks zu äußern. Wird ihm z. B. eine verwaltungsbehördliche Verfügung zugestellt, so verschafft ihm das die Möglichkeit, sich zu dieser Verfügung zu äußern. Wird ihm eine Ladung zu einem gerichtlichen Termin zugestellt, ermöglicht ihm das, vor Gericht zu dem Prozeßstoff Stellung zu nehmen. Damit aber wird dem Empfänger die Möglichkeit verschafft, vor Gericht rechtliches Gehör zu erlangen. Unter "rechtlichem Gehör" wird dabei ganz allgemein die einem Verfahrensbeteiligten gewährte Möglichkeit verstanden, durch Äußerungen aller Art auf eine hoheitliche Entscheidung Einfluß zu nehmen. Diese allgemeine Bestimmung genügt in diesem Zusammenhang. Denn schon so wird deutlich, daß die Zustellung den Adressaten vor der u z. B. BVerfGE 12, 6 (-) = NJW 61, 19; 18, 441 (447); 399 (403; BGHSt 11, 288 (292); Meessen JZ 70, 602 m. w. N . 10 BVerfGE 12, 6 (8); vgl. auch 13, 139. n z. B. Baumbach I Lauterbach, Übers. § 166 Anm. 1; Ziemer I Birkholz, FGO, § 53 Rdnr. 5. 12 z. B. Thomas I Putzo, ZPO, Vorbem. § 166 Anm. 1; zur gleichen Funktion

der (erstmaligen) Klagezustellung im amerikanischen Recht, des "service of process" als Teil der "personal jurisdiction", vgl. Friesinger AWD 72, 12 ff. (16).

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Gefahr einer Versagung des rechtlichen Gehörs schützt. Zustellungen dienen also (auch) der Garantie des rechtlichen Gehörs18• Fiktive Auslandszustellungen können die Erfüllung dieser Aufgabe nicht gewährleisten. Da sie keine Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Empfänger kennen, sondern die Zustellung aufgrund einer Handlung fingieren, deren Vornahme dem Empfänger keineswegs bekannt zu sein braucht, stellen sie nicht sicher, daß er vom Inhalt des Schriftstücks überhaupt und rechtzeitig erfährt. Diese Gefahr ist nicht gering zu erachten. Bei der öffentlichen Zustellung wird sie regelmäßig zumindest dann verwirklicht sein, wenn durch Aushang an der Gerichts- oder Behördentafel bekanntgemacht wird. Denn es ist kaum zu erwarten, daß ein im Ausland wohnender Adressat von der Anheftung am "Schwarzen Brett" irgendeines deutschen Gerichts oder irgendeiner Behörde Kenntnis erhält14• Aber auch d. A. z. P. zugestellte Schriftstücke werden ihren Empfänger häufig nicht rechtzeitig erreichen. Denn die postalischen Gegebenheiten in vielen Ländern können mit den hier gewohnten nicht verglichen werden. Hier mag fast jede Postsendung ihr Ziel erreichen. Anderswo muß das durchaus nicht so sein. Hier mag man mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß eine Sendung in bestimmter Frist ihr Ziel erreicht. In anderen Ländern kann diese Wahrscheinlichkeit schon infolge häufiger Streiks erheblich geringer sein. Diese Hinweise genügen, um die auch mit der Zustellung d. A. z. P. verbundenen Gefahren anzudeuten. Hinzu kommt, daß der im Ausland wohnende Adressat einer durch Aufgabe zur Post bewirkten Zustellung in der Regel dieses deutsche Rechtsinstitut nicht kennt und infolgedessen nicht ahnt, daß diese Zustellung zur Folge hat, daß Fristen - z. B. für die Einlegung eines Rechtsmittels - bereits mit dem Tage der Aufgabe zur Post beginnen und nicht erst, seit er die Möglichkeit der K enntnisnahme von dem zugestellten Schriftstück hat. In Rspr. und Lit. wird diese Problematik kaum behandelt15 • Die wenigen Stellungnahmen gelten zudem durchweg allein der öffentlichen Zustellung und beschränken sich meist ohne Erläuterung auf 13 Diese Funktion wird auch allgemein anerkannt, zumindest wird der Zusammenhang zwischen rechtlichem Gehör und Zustellungswesen gesehen; vgl. u. a. BVerfGE 25, 158 ff. (163); BGH NJW 54, 915; Ba yVerfGHE 9, 123 ff. (126 f.); OLG Nürnberg MDR 57, 45 f.; LG Nürnberg-Fürth Rpfieger 70, 440; Maunz I Dürig I Herzog, GG, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 47; Baur AcP 153, 393 (403); Couture ZZP 67, 141; Kolb, S. 66 Fußn. 4; Röhl NJW 58, 1272; Dahs, S. 84. Geimer NJW 72, 1624 sieht in der Gewährleistung recht!. Gehörs sogar den einzigen Normzweck des Zustellungsrechts. Das geht zu weit, da hier die Interessen des Zustellenden nicht beachtet werden. u Diese Aussage wird durch die rechtstatsächlichen Feststellungen Hohmanns (S. 87, 133) bestätigt. 15 So schon Geimer NJW 74, 1631.

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die Feststellung, daß diese Zustellungsform nicht ohne weiteres mit dem rechtlichen Gehör zu vereinbaren ist111. Daneben wird mitunter noch gesagt, die öffentliche Zustellung sei nötig und müsse deshalb trotz aller Bedenken zulässig bleiben. Auch das wird nicht näher begründet17. Am deutlichsten äußert sich noch der Kommentar von Maunz I Dürig I Herzog18. Er führt zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der öffentlichen Zustellung an, daß unser Prozeßrecht hier gezwungen sei, einen Kompromiß mit den gleichfalls zu schützenden Rechten anderer einzugehen. "Ohne die Möglichkeit öffentlicher Zustellung käme oft der Prozeßgegner ungerechtfertigt zu Schaden, weil er sein Recht nicht durchsetzen könnte (Verjährung u.s.w.)." Etwas ausführlicher ist auch die Stellungnahme in Kolbs Dissertation19, die allerdings die gesamte Problematik verkennenn dürftei!O. Sie geht davon aus, daß rechtliches Gehör nicht unbedingt eine Zustellung voraussetze. Denn man könne sich ja auch ohne Zustellung vor Gericht äußern, wenn man nur im Termin erscheine. Soweit aber eine Zustellung zur Wahrung des Gehörs erforderlich sei, wenn und weil der Betroffene sein Äußerungsrecht sonst nicht wahrnehmen könne, müsse das Gericht zwar tätig werden, aber nur im Rahmen seiner objektiven Möglichkeiten. Diese erlaubten ihm nicht mehr als die öffentliche Zustellung. Wenn der Betroffene das darin liegende Gehörangebot nicht wahrnehmen könne, sei das seine Sache. Die eventuelle Nichtanhörung beruhe dann auf der Nichtausnutzung der Äußerungsmöglichkeit, nicht aber auf einer Nichtgewährung dieser Gelegenheit. Somit liege eine Verletzung des Gehörs bei einer Entscheidung nach einer öffentlichen Zustellung nicht vor. Hiergegen lassen sich mehrere Argumente anführen, von denen nur die wichtigsten genannt seien. Einmal wird hier die Problematik verkannt. Sie betrifft die Frage, ob und inwieweit die öffentliche Zustellung, wie sie in den verschiedenen Verfahrensordnungen positiviert ist, mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar ist. Diese Verfassungsnorm stellt 16 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 64, 1085; OLG Braunschweig NJW 71, 1710; OLG Hamm MDR 72, 259; OLG Stuttgart NJW 74, 284; Baur AcP 153, 393 (408); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 16 III; Brilggemann JR 69, 361 (370); Dahs, S. 85 (zur öffentl. Ladung gern. § 279 StPO); Hamann AnwBl 58, 141 (142 f.); Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 247; Kurth, S. 62 f.; Rilping, S. 169 ff.; Schänke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 81112. 11 Auf Einzelheiten dieser Stellungnahmen werden wir ggf. noch im Zuge der folgenden Überlegungen eingehen. 1s Art. 103, Abs. 1 Rdnr. 47; ebenso Hohmann, S. 210. 19 S. 66 Fußn. 4. 2o Seine Überlegung erstreckt sich auch auf die öffentl. Ladung gern. § 279 StPO. Hier besteht die Problematik in der Tat nicht, allerdings aus anderen Gründen als Kolb meint: Der Gesetzgeber hat hier den Bedenken aus dem Gehör Rechnung getragen und in § 232 Abs. 2 StPO die Hauptverhandlung nach erfolgloser öffentl. Ladung untersagt.

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einen Prüfungsmaßstab dar, weil sie (auch) eine objektive Verfahrensnorm beinhaltet21 • Für die Frage, ob die Regeln des einfachen Rechts über die öffentliche Zustellung diesem Maßstab gerecht werden, ist irrelevant, daß der Betroffene zu dem öffentlich zugestellten Schriftstück später doch noch Stellung nehmen kann, weil er von dessen Inhalt nicht infolge der Zustellung, sondern irgendwie anders Kenntnis erlangt hat. Zum zweiten kann der Ansicht Kolbs, das Gericht habe mit der die öffentliche Zustellung ausmachenden Bekanntgabe alles ihm Mögliche getan, jedenfalls für die hier relevanten Auslandszustellungen nicht zugestimmt werden. So könnte das Gericht im Falle des § 203 Abs. 1 ZPO beispielsweise den Betroffenen außerdem durch einfachen Brief vom Inhalt des öffentlich zugestellten Schriftstücks benachrichtigen. Zum dritten kann man wohl kaum von einer ernst zu nehmenden Gelegenheit zur Äußerung sprechen, wenn der Adressat der öffentlichen Zustellung infolge deren Eigenheiten tatsächlich keine Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks erhält. Somit ist die Ansicht Kolbs abzulehnen. Außer diesen Stimmen finden wir mehrere Stellungnahmen zu einem Teilaspekt unserer Frage nach der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs.1 GG. Sie gelten der bereits vorgestellten Zustellung gern. § 219 Abs.1 S. 3 AO a. F. Ausgangspunkt waren einige Literaturstimmen22, die mit allerdings nur angedeuteter Begründung diese Vorschrift, teilweise auch § 105 Abs. 3 AO a. F.n, im Hinblick auf die Art. 3, 19 Abs. 4. und eben auch 103 Abs. 1 GG für verfassungsrechtlich bedenklich hielten24 • Die finanzgerichtliche Rspr. bis hin zum BFH widersetzte sich dem von Anfang an25 und wurde darin vom 21 Das wird heute weithin anerkannt, vgl. BVerfGE 7, 198 (205) = NJW 58, 257; 9, 89 (96); 17, 356 (361) = NJW 64, 1412; 25, 256 (263) = NJW 69, 1161; 30, 173 (188 ff.) = NJW 71, 1645; 33, 303 (330 f.) = NJW 72, 1561; 39, 1 (41 F. 47) = NJW 75, 573; BayObLG FamRZ 65, 104; Leibholz I Rinck, GG, Art.103 Anm. I 3; MDH, GG, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 7 f., 16; Heiss NJW 61, 1094 (1095); Kenneweg, S. 40 ff. (v. a. 44, 46); Kolb, S. 32 ff., 43 ff.; anders Böckenförde NJW 74, 1537 f., der - ausgehend von der These einer einheitlichen verfassungsmäßigen Grundrechtstheorie - die objektivrechtliche Komponente negiert, worauf wir noch eingehen werden (s. u. in diesem Kap., 9). 22 Ernst StuW 1958, Sp. 509; Kohlrust, S. 1 ff.; Just, S. 11 ff.; Oswald RWPBl D 14 AO II B, Einzelfragen, 655, S. 7 ff. (13); Becker I Riewald I Koch, AO, § 219 Anm. 2 (3); Tipke I Kruse, AO, § 219 Anm. 1 (2./3. Aufl.). 23 Vgl. Becker I Riewald I Koch, AO, § 105 Anm. 3. 24 Ernst (ebd.) meint darüberhinaus,bereits die Verpflichtung gern. § 219 Abs. 1 S. 2 AO a. F. zur Bestellung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten, die in der AO n. F. (§ 183 Abs. 1 S. 1) in eine Soll-Bestimmung geändert worden ist, stoße auf verfassungsrechtliche Zweifel. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Da sie unsere Problematik allenfalls am Rande berührt, sei zur Begründung lediglich auf die insoweit überzeugenden Ausführungen Kohlrusts (S. 3 f., Punkt 111 2, 3) hingewiesen. 25 Vgl. die Nachweise bei den in der vorigen Fußn. angeführten Literaturstellen. Die wohl letzte Auseinandersetzung des BFH mit diesen Fragen

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BVerfG bestätigt, das überhaupt keine Zweifel an der Verfassungskonformität des § 219 Abs. 1 S. 2 - 5 AO a. F. hatte26• Dagegen nahm die Finanzverwaltung die Bedenken ernst und versuchte, ihnen mit übereinstimmenden Ländererlassen gerecht zu werden27 • Da wir in Rspr. und Lit. keine überzeugenden Antworten gefunden haben, gilt es, nach anderen Lösungswegen zu suchen. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, daß Art. 103 Abs. 1 GG seinem klaren Wortlaut nach keinerlei Eingriffe in das rechtliche Gehör zuläßt. Es gibt keinen Gesetzesvorbehalt und auch keine Regelungsbefugnis, aus der man nicht nur die Befugnis zu gesetzlicher Ausgestaltung, sondern auch die zu Grundrechtsbegrenzungen ableiten könnte28 • Dem Wortlaut nach gilt Art.103 Abs. 1 GG also unbeschränkt und unbeschränkbar. Bliebe es dabei, wären sämtliche fiktiven Auslandszustellungen verfassungswidrig, da sie ja ihrer Natur nach die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs unmöglich machen können. Dieses Ergebnis wäre jedoch wenig sinnvoll und sogar seinerseits vielleicht kaum mit dem GG zu vereinbaren. Denn möglicherweise sind die Interessen, die den Gesetzgeber zur Einführung dieser Zustellungsformen bewogen haben29 , ihrerseits auch verfassungsrechtlich geschützt. Diese Überlegung macht einsichtig, daß die Prüfung der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG auf dem Hintergrund der Frage nach den Grenzen dieser Verfassungsnorm zu sehen ist. Dieser Frage gelten somit die nächsten Erwägungen. Dabei werden wir zunächst verschiedenen Wegen nachgehen, auf denen man bisher versucht hat, einem dem Wortlaut nach unbeschränkten und unbeschränkbaren Grundrecht, insbesondere dem Art. 103 Abs. 1 GG, Grenzen zu ziehen. Der ersten Gruppe dieser Versuche ist gemeinsam, daß sie die Lösung in einer inhaltlichen Reduktion des Art. 103 Abs. 1 GG sucht.

findet sich in BFHE 94, 517 = BStBl II 1969, 250. Auch hier wird die Verfassungsmäßigkeit des § 219 Abs. 1 S. 2 - 5 AO a. F . bejaht. Die Entscheidung bleibt allerdings bei einer bloßen Meinungsbekundung stehen und bringt keine Begründung. Das gilt auch für frühere Urteile, etwa BFH BStBl 1960, 96 und BFHE 67, 35. 26 Die gegen die Entscheidung BFHE 94, 517 erhobene Verfassungsbeschwerde wurde mit dem nicht veröffentlichten Beschluß 2 BvR 216169 v. 7. 7. 69 durch den Dreierausschuß als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluß hat keine materiellen Ausführungen zur Begründung. 21 Vgl. BStBl 1961 Teil li S. 80 ff.; vgl. auch den Abdruck bei Becker I Riewald I Koch, AO, § 219 Anm. 2 (3). 28 Die Befugnis zur Ausgestaltung beinhaltet zwar keinesfalls immer auch eine Berechtigung zur Begrenzung von Grundrechten. Mitunter fließen jedoch die Übergänge (etwa bei Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG), so daß das eine das andere mit umfaßt; vgl. Hesse, Grundzüge,§ 10 Im. w. N. 29 Vgl. dazu die Darlegungen zum Anwendungsbereich der fiktiven Auslandszustellungen, oben Teil A. 4 Schmitz

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör 1. Die Figur des nachträglicllen reehtlicllen Gehörs

Der erste Weg führt über die Figur des nachträglichen rechtlichen Gehörs30• 31 • Die Verfechter dieses Lösungsweges meinen, daß mit Art.l03 Abs. l GG u. U. auch durch eine Gehörgewährung genügt ist, die erst nach Erlaß der Entscheidung erfolgt, zu welcher der Betroffene zu hören ist. Dadurch werde nicht das rechtliche Gehör selber tangiert. Nur der Gehörzeitpunkt werde verschoben. Rspr. und Lit. vertreten diese Ansicht ganz überwiegend für die jeder Verfahrensordnung32 bekannten Eilverfahren33, in denen der Betroffene vor Entscheidungs30 Vgl. allgemein zu dieser Ansicht BayVerfGHE 23, 143 (148); Hamann I Lenz, GG, Art. 103, Erl. B 1 c; Schmidt I Bleibtreu I Klein, GG, Art. 103, Erl. 6; Kolb, S. 66 f.; Lesser DRiZ 60, 421; Pawlowski ZZP 80, 361; Röhl NJW 64, 274; Zeuner, Festschrift Nipperdey, S. 1032 f.; dagegen lehnen diese Konstruktion grundsätzlich ab Löwe, S. 55 f., 221; Rüping, S. 128; Eser JZ 66, 660 (664).

31 Davon ist zu unterscheiden die Problematik einer nachträglichen Gehörgewährung für den Fall, daß eine Entscheidung gesetzeswidrig ohne vorheriges Gehör erging. Die h. M. will dann im Rechtsmittelzug nachträgliches Gehör gewähren und damit den Fehler der Vorinstanz heilen. Dadurch wird vermieden, daß die Sache aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen werden muß. Vgl. dazu BVerfGE 5, 9 (10); 8, 184 (185); 19, 93 (99 f.); BVerwGE 17, 279; NJW 74, 158 f. (hier will das BVerwG diese Art von nachträglicher Gehörgewährung sogar im Verhältnis zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß anwenden); BayObLG NJW 67, 1235; Kolb, S. 65 (dagegen Renkl, S. 138 f.); MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 83; Grunsky, Grundlagen, § 25 III 2; Henckel ZZP 77, 321 (343); Röhl NJW 64, 273 (274); Ule DVBl 59, 541.- Zur Gegenansicht vgl. v. a. LG Aachen NJW 63, 873; Kenneweg, S. 128; Kopp, S. 28 (Fußn. 33), 32. 32 Im Zivilprozeß ist es das einstweilige Verfügung- und das Arrestverfahren (§§ 916 ff. ZPO), im Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsprozeß das Verfahren der einstweiligen Anordnung(§ 123 VwGO bzw. § 32 BVerfGG) und im Strafprozeß das Verfahren bei Erlaß eines Haftbefehls (§§ 112 ff. StPO), bei einer Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) und bei einer Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO). Weiterhin gibt es Eilentscheidungen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Form von einstweiligen Anordnungen, vgl. § 24 Abs. 3 FGG. 33 Für den Zivilprozeß vgl. u. a. Blomeyer, ZPO, § 16 III 1; Stein I J onas ! Pohle, Vorbem. § 128, IX 2 c (a. E.); Grunsky, § 25 I 1; Kurth, S. 173 f.; Rosenberg I Schwab, ZPO, § 85 VI; Zeuner, Festschrift Nipperdey, S. 1032 f.; Prager AcP 133, 143 (178). Für den Verwaltungsprozeß vgl. z. B . VGH Baden-Württemberg ESVG 13, 102 (104) m. w . N . Für den Strafprozeß vgl. u . a. BVerfGE 9, 89 (98 f.); 18, 399 (404) ; 25, 158 (165 f.) = NJW 69, 1103 (1104); BGHSt 19, 7 (17); OLG Hamm MDR 60, 424; OLG Harnburg NJW 64, 2315; OLG Karlsruhe Justiz 68, 146 (147); Löwe I Rosenberg I Schäfer, StPO, Einl. Kap. 11 B 7, 2; E. Schmidt, StPO, Tl. 1 Nr. 341 N 29 (8.193 f.); Grünewald, S. 56; Oske MDR 68, 884. Für den Finanzprozeß vgl. FG Saarland EFG 64, 609. Für das allgemeine Verwaltungsverfahren vgl. u. a. BVerfG DÖV 70, 53; VGH Mannheim NJW 66, 356 (366); Heinzmann, S. 65; Renkl, S. 69 ff.; König, DVBl 59, 189; Kopp, S. 27, 32. Für das Finanzverwaltungsverfahren vgl. FG Baden-Württemberg EFG

72, 612.

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erlaß gar nicht gehört werden kann, wenn man die Existenz solcher Verfahren nicht aufs Spiel setzen will. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung wird dabei gefordert, den Betroffenen in jedem Fall nach Erlaß der Entscheidung anzuhören, sei es in einem späteren Verfahrensabschnitt oder auch erst in der nächsten Instanz. Derart nachträgliches Gehör genüge dem Art.103 Abs. 1 GG, weil nur der Zeitpunkt der Gehörgewährung verschoben, der Grundsatz selbst aber gewahrt sei. Wollte man diesen, für die Eilverfahren vertretenen34 Gedanken auf unsere Problematik der fiktiven Auslandszustellungen übertragen, bedeutete das: Diese Zustellungsformen sind verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern nur das Gehör noch nachträglich gewährt werden kann. Dies kann in einem späteren Verfahrensabschnitt oder aber in einem Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsverfahren geschehen, das nicht an einer Verfristung scheitern darf, wofür durch großzügige Handhabung der Regeln über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Sorge zu tragen ist35. Steht nach der einschlägigen Verfahrensordnung kein Rechtsmittel oder -behelf (mehr) zur Verfügung, ist an die Gewährung einer außerordentlichen Wiederaufnahmeklage3'6 oder ein besonderes Nachverfahren37 zu denken, damit auf jeden Fall das nachträgliche Gehör sichergestellt und damit dem Art. 103 Abs. 1 GG Genüge getan ist. Ungefähr solche Überlegungen klingen denn auch in Rspr.38 und Lit. 39 zur Rechtfertigung fiktiver Zustellungen bisweilen an, wobei allerdings der Gedanke, daß mit dem nachträglichen Gehör dem Art.103 Abs. 1 GG genügt ist, nicht so deutlich ausgesprochen wird wie bei den erwähnten Eilfällen. So geht Brüggemann40 davon aus, daß "der Form Für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl. BayObLGZ 1970, 277 (278); 1971,217 (220f.); Jansen, S.24f., Keidel, S.191; Säcker Rpfleger 71, 164. 34 Innerhalb des Strafverfahrens wird der Gedanke des nachträglichen Gehörs zudem nicht nur für die Eilfälle, sondern auch für das Strafbefehlsverfahren fruchtbar gemacht (vgl. Kleinknecht, StPO, Einl. 1 F g; Dahs, S. 120; a. A. Eser JZ 66, 660 f.), früher auch für das Strafverfügungsverfahren, vgl. Eser, ebd., m. w. N.; OLG Stuttgart JZ 66, 683 (hat wie Eser Bedenken wegen Art. 103 Abs. 1 GG). 35 Ähnlich das BVerfG für d as Strafbefehls- und Bußgeldverfahren, vgl. zuletzt BVerfG NJW 75, 1355; 76, 513; von einer zusätzlichen Möglichkeit zur Wiedereinsetzung sprechen u. a. OLG Frankfurt NJW 72, 1095; OLG Celle NJW 72, 2097 (L). 36 So MDH, Art.103 Abs. 1 Rdnr. 47 (a. E.); Hohmann, S . 210, 213. 37 So OLG Braunschweig NJW 71, 1710; E. Schmidt, Nachtrag Bd. I, § 33 a Rdnr. 8; Löwe I Rosenberg I GoHwitzer, StPO, § 311 Anm. 3 b; Kleinknecht, §33a Anm.4. as OLG Karlsruhe NJW 64, 1085 (1086); OLG Frankfurt NJW 72, 1095. 39 Brüggemann JR 69, 361 (370); MDH, Art. 103 Abs. 1, Rdnr. 47. 40 Ebd.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

nach" das rechtliche Gehör auch bei den fiktiven Zustellungen41 gewahrt ist, will aber dennoch wenigstens nachträgliches Gehör gewähren, notfalls auf dem Wege über eine außerordentliche Wiederaufnahmeklage42. Nicht ganz klar wird dabei, ob für ihn nun der verfassungsrechtlichen Gehörmaxime in vollem Umfang genügt ist oder nicht. Sollte das zu bejahen sein, wird nicht recht deutlich, was dann noch das nachträgliche Gehör soll. Allen Überlegungen, die Figur des nachträglichen Gehörs der Lösung unserer Problematik dienstbar zu machen, steht jedoch entgegen, daß dieser Weg schon seinem Ansatz nach auf Zweifel trifft43 • Der Inhalt des Art.103 Abs. 1 GG wurde bereits dahin umrissen, daß der Verfahrensbeteiligte Gelegenheit haben muß, sich zu allen Fragen des konkreten Verfahrens zu äußern, und daß die zur Entscheidung berufene Stelle diese Äußerungen auch berücksichtigt. Bereits diese grobe Inhaltsumschreibung läßt erkennen, daß der Forderung des GG nur dann entsprochen ist, wenn sich das rechtliche Gehör zeitlich auf die jeweils zu treffende konkrete Entscheidung bezieht. Sein Bezugspunkt ist nicht das Verfahren in der jeweiligen Instanz und erst recht nicht das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluß. Ein "nachträgliches Gehör" erscheint daher als "contradictio in se". Der Begriff verstellt nur den Blick auf die Erkenntnis, daß in Fällen wie den Eilverfahren, in denen aus unabweisbaren und sachlich legitimen Gründen das Gehör versagt wird, weil nämlich ansonsten solche (notwendigen) Verfahren überhaupt nicht mehr durchgeführt werden könnten, echte Ausnahmen vom Grundsatz des Gehörs vorliegen. Mit dem Begriff des nachträglichen Gehörs läuft man nur Gefahr zu verschleiern, daß in derartigen Fällen ein Widerstreit entsteht zwischen der im Individualinteresse liegenden Äußerungsmöglichkeit und einem im öffentlichen Interesse gebotenen raschen Zugriff, dessen Lösung zu einem ausnahmsweisen Ausschluß des Gehörs führen kann44 • Wegen dieser grundsätzlichen Bedenken scheint uns die Konstruktion des nachträglichen Gehörs kein überzeugender Lösungsansatz für unsere Problematik der fiktiven Auslandszustellungen zu sein. Wir müssen auch hier sehen, daß solche Zustellungen, wenn wir sie letztlich für 41 Die Ausführungen Brüggemanns beziehen sich zwar nur auf die öffentl. Ladung, können aber wohl sinngemäß auf alle öffentl. Zustellungen erweitert werden. 42 Im Anschluß an MDH, ebd., die § 282 c StPO analog anwenden wollen; dagegen Henckel ZZP 77, 321 (369). 43 Im Ergebnis ebenso Löwe, S. 55 f.; Eser JZ 66, 660 (664) für das Strafbefehls- und -verfügungsverfahren. 44 Damit soll der h. M. zur Gewährung rechtlichen Gehörs in den Eilverfahren widersprochen werden, soweit es um die Ergebnisse geht. Die Zweifel beziehen sich auf den Weg, auf dem die h. M. zu ihren Ergebnissen gelangt.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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zulässig halten sollten, echte Ausnahmen vom Prinzip des rechtlichen Gehörs bilden, und dürfen uns den Blick für diese Einsicht nicht durch verschleiernde Begriffe wie das nachträgliche Gehör verstellen. 2. Reduktion des redatlidlen Gehörs nada Maßgabe der Prozeßgesetze

Die radikalste Reduktion eines verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Gehör hat der Bayrische Verfassungsgerichtshof zu dem inhaltlich mit Art. 103 Abs.1 GG übereinstimmenden Art. 91 BayVerf vertreten411• Ihm sind für Art. 103 Abs. 1 GG das Kammergericht% und vereinzelte Stimmen aus dem Schrifttum47 gefolgt. Nach dieser Meinung ist das rechtliche Gehör verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe des einschlägigen Prozeßrechts gewährleistet. Infolgedessen sind sämtliche Einschränkungen des Gehörs, also auch diejenigen, die durch fiktive Auslandszustellungen entstehen, verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern sie nur in den verschiedenen Verfahrensrechten positiviert sind. Diese Ansicht geht von der historischen Entwicklung aus, die zu einem verfassungsrechtlich geschützten rechtlichen Gehör führte 48 • Bei ihm handelt es sich um einen althergebrachten prozessualen Grundsatz, der seit langem für alle Verfahrensarten gilt49 • Anders als in England, Frankreich, den USA und anderen Ländern50 fehlte dem recht45

BayVerfGHE 4, 21 (28 f.); 9, 123 (126); 10, 1 (3); vgl. auch BayObLGZ 56,

54 (61 f.).

NJW 54, 1410. v. a. Peters JZ 58, 435 m. w. N.; ähnlich Schütz NJW 61, 582. 48 Dazu v. a. Rüping, S. 12 ff.; Kotb, S. 1 ff.; Kenneweg, S. 5 ff. und Röhl NJW 53, 1531. 49 Mit einigen, allerdings wesentlichen Einschränkungen gilt das sogar für die NS-Zeit (vgl. Rüping, S. 90 ff.), für deren Rechtslehre das Prinzip des rechtl. Gehörs zur "volkstümlichen Rechtspflege" gehörte, vgl. Dahm, Deutsche Justiz 1937, 1608 f. (1611). 50 Eine Übersicht gibt Rüping, S. 87 f. Hier soll nur kurz die amerikanischc Rechtslage erläutert werden. Einschlägig sind die amendments V und XIV zur VP.rfassung der USA, die schon nach dem amerikanischen "Bürgerkrieg" beschlossen worden waren. In amendmentXIV heißt es: " ... nor shall any state deprive any person of life, liberty, or property without due process of law." Diese Garantie des "due process of law" wurde zu einem Grundpfeiler des amerikanischen Staatsrechts (aus der deutschsprachigen Lit. vgl. dazu z. B. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung [1961], S. 199 ff.; Fraenket, Das amerikanische Regierungssystem [1962], S. 171 ff.; Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten [1959], s. 510 ff.) . In Form des "substantive due process of law" wurde sie zur Gewähr dafür, daß ein vom Parlament beschlossenes Gesetz vernünftig, gerecht und verfassungskonform ist. Als "adjective due process of law" aber entwickelte sich dieses Prinzip zu einer prozessualen Fundamentalnorm (vgl. Couture, S. 135 f. m. w. N.), aus welcher der Supreme Court eine Vielfalt von Forderungen ableitete, insbesondere den Grundsatz, daß ein Gesetz verfassungswidrig ist, das dem Beklagten nicht eine vernünftige Möglichkeit eröffnet, von dem Prozeß Kenntnis zu erhalten und zur Verhandlung zu erscheinen (vgl. Grannis v. Ordean, 234 U.S. 385, 394 [1914]; Roller v. Holly, 176 U.S. 398, 46 47

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

liehen Gehör in Deutschland jedoch bis zur Entstehung des GG und der neuen Länderverfassungen der Verfassungsrang51• Wegen der fehlenden übergeordneten Positivierung wurde es mit Rücksicht auf die spezifischen Erfordernisse eines jeden Verfahrens verschieden gehandhabt. Ungeachtet aller so entstandenen Modalitäten in der Gehörgewährung schälte sich jedoch aus der Jahrhunderte währenden Beschäftigung in Lehre und Rspr. mit dem Gehör sowie aus den Unterschieden und Übereinstimmungen in den Positivierungen der verschiedenen Verfahrensordnungen ein Begriffskern des Gehörs heraus, der allen Einzelfällen und allen Verfahrensordnungen gemeinsam war. Dieser Kern galt gewissermaßen als selbstverständliche Voraussetzung jedes gerichtlichen Verfahrens52• Er beinhaltete die Forderung, daß dem Verfahrensbeteiligten Gelegenheit geboten werden muß, sich zu allen einschlägigen Fragen des konkreten Verfahrens zu äußern, und daß das Gericht diese Äußerungen zu berücksichtigen hat53• Diese Rechtslage fand der Grundgesetzgeber vor. Den Ausführungen des Herrenchiemsee-Konvents gemäß erhob er das Gehör in den Verfassungsrang, um für die Rechtsstaatlichkeit eine weitere Kautele zu schaffen54• Dagegen dachte er nicht an die Schaffung eines neuen Rechtssatzes, der allen Prozeßordnungen als höherrangige Norm vorgegeben war. Anknüpfend an die vorgegebene Rechtslage ging er vielmehr von dem Begriffskern aus, der sich bereits für das Gehör als Institut des einfachen Verfahrensrechts herausgebildet hatte. Diesen Kern nahm er in die Verfassung auf55• Aus dieser historischen Entwicklung zieht die hier dargestellte Ansicht zu den Grenzen des Art. 103 Abs.l GG nun den Schluß, diese Norm bestimme sich inhaltlich nach den Verfahrensregelungen des einfachen Rechts, so daß alle Beschränkungen dort auch für den verfassungsrechtlichen Gehöranspruch verbindlich seien. Diese Meinung ist nicht haltbar56• Sie führt dazu, daß bereits beim unbeabsichtigten Fehlen einer gehörgewährenden verfahrensrechtlichen 407, 409 [1900], dargestellt bei Couture, S. 146), sowie das rechtliche Gehör (vgl. die Hinweise bei Rüping, S. 103, Fn. 15; außerdem Wilson v. Stanfeder, 184 u.s. 399, 415 [1902]). 51 Die WRV ging auf das rechtl. Gehör nur in Art. 129 Abs. 3 S. 2 ein, der

einen ganz speziellen Fall betraf. 52 Deshalb sagt BayVerfGHE 4, 21 (28) mit Recht, das Gehör sei seit jeher ein Eckpfeiler eines jeden geordneten Verfahrens gewesen. 53 Vgl. MDH, Art. 103 Abs. 1, Rdnr. 28. 54 Vgl. Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiernsee vom 10. bis 23. August 1948, München o. J. (HChE), kommentierender Teil, S. 94 (zu Art. 135 des Entwurfs); zur Entstehungsgeschichte vgl. auch BK, Art. 103 GG, Erl. I. 55 Vgl. BVerfGE 9, 89 (95 f.); BayVerfGHE 4, 21 (25); 11, 190 (194); KG NJW 54, 1410; Schütz NJW 61, 582; Kolb, S. 71.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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Vorschrift die Verfassungsgarantie gegenstandslos wird. Das aber ist mit dem Ziel einer rechtsstaatliehen Sicherung, das die Verfassungsgeber des Bundes und der Länder mit der Erhebung des Gehörs zu einem verfassungsmäßigen Recht verfolgten57, nicht zu vereinbaren. Vor allem ist diese Ansicht nicht mit dem Verfassungsrang des Art. 103 Abs. 1 GG in Deckung zu bringen. Denn sie unterstellt Inhalt und Umfang des Gehörs der Disposition des einfachen Gesetzgebers, der aber kein Grundrecht in seinem sachlichen Gehalt einschränken darf. 3. Die restriktive Interpretation des Art. 103 Abs. 1 GG durch die wohl h. M.

Die Frage nach den Grenzen des Art.103 Abs. 1 GG, in deren Rahmen die verfassungsrechtliche Problematik der fiktiven Auslandszustellungen zu sehen ist, suchen die wohl meisten Stimmen in Rspr.58 und Lit.59 durch eine restriktive Interpretation der Norm zu beantworten. Die Restriktion liegt darin, daß der Anspruch auf Gehör als ein inhaltlich weitgehend vom nichtverfassungsrechtlichen Verfahrensrecht abhängiges Grundrecht angesehen wird. Das grundgesetzliche Gehör kann danach in verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch die einzelnen Verfahrensordnungen modifiziert werden. Das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG richtet sich in der "Form" 60 , in seiner "Art und Weise"&1 , in seinem "Umfang nach Inhalt und Voraussetzungen" 62 nicht nach dem Verfassungsrecht, sondern nach dem "insoweit vorrangigen Verfahrensrecht"63. Für diese Abhängigkeit des Gehörrechts werden zwei Gründe angeführt, wobei die Betonung einmal mehr auf dem einen, einmal mehr auf dem anderen liegt. Der erste Grund wird aus der bereits angesprochenen Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 1 GG abgeleitet: 56 Vgl. u.a. BVerfGE 9, 89 (96); 19, 49 (51); 20, 280 (282); 21, 132 (137); BGHSt 19, 7 (14 f.); MDH, Art. 103 Abs. 1, Rdnr. 23; Baur, S. 395, Fußn. 5; Kolb, S. 72 f.; Dahs, S. 7; Heiss NJW 61, 1094 (1095); Tiedemann NJW 64, 364; der BayVerfGH hat sich später selber aufgegeben, vgl. E 17, 44 f.; 23, 143 (147); 24, 178 (180). 57 Vgl. HChE, kommentierender Teil, S. 94. ss BVerfGE 9, 89 (95 f.); 18, 399 (405); BGHSt 13, 123 (124); 19, 7 (17 f.); BGHZ 48, 327 (333 f.); BVerwGE 7, 230; 11, 328 (330); BayVerfGHE 17, 41 (44); 23, 143 (147); 24, 178 (180); OLG Köln NJW 56, 1925 (1926). 59 MDH, Art. 103 Abs.1, Rdnr. 44 f.; Hohenester DRiZ 59, 214; Jagusch NJW 59, 265 (266); Kenneweg, S. 56 ff.; König DVBl 59, 189 (192); Kolb, S. 70 ff.; Lesser DRiZ 60, 420; Löwe I Rosenberg I Schäfer, StPO, Einl. Kap. 11 B 7, 2; Lorenz MDR 62, 626; Peters I Sautter I Wolff, SGG, § 62; Röhl NJW 53, 1531 (1533); Rilping, S. 128 f.; v . Winterfeld NJW 61, 849 (851). &o BVerwGE 11, 328 (330). &1 OLG Köln NJW 56, 1926. &2 BVerwGE 7, 230. &3 Rilping, S. 128 f.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Weil der Grundgesetzgeber keinen neuen Rechtssatz aufstellen, sondern nur den in den einzelnen Verfahrensrechten unterschiedlich ausgeprägten Grundsatz verfassungsrechtlich habe garantieren wollen, knüpfe Art.103 Abs. 1 GG an die Ausgestaltung des Gehörs im einfachen Recht an. Deshalb bestimme sich die Verfassungsgarantie inhaltlich nicht nach dem Verfassungsrecht, sondern nach dem insoweit vorrangigen Verfahrensrecht64 • Zum anderen wird die Abhängigkeit des Gehörrechts vom einfachen Verfahrensrecht mit der Unmöglichkeit erklärt, dem rechtlichen Gehör für die einzelnen Verfahren mit ihren verschiedenen Sacherfordernissen eine einheitliche Gestalt und einen einheitlichen Umfang zu geben65, 66. Anders als die zuvor geschilderte Meinung weist die hier dargestellte dem Art.103 Abs. 1 GG jedochtrotzseiner weitgehenden Abhängigkeit vom einfachen Verfahrensrecht nach Inhalt und Umfang einen eigenen rechtlichen Aussagewert zu. Sie erkennt also eine Grenze für die inhaltliche Abhängigkeit des Grundrechts an. Die Schwierigkeit liegt darin, sie im Einzelfall genau festzulegen. In aller Regel begnügt man sich damit, sie abstrakt zu umreißen: die Grenze für die Dispositionsbefugnis des einfachen Gesetzgebers liege dort, wo es um den Kerngehalt des Gehörs gehe, der allein in Art. 103 Abs.1 GG garantiert sei. Dieses Minimum müsse unberührt bleiben. Diese Aussagen helfen uns kaum weiter. Sie lassen die Fragen offen, wie weit denn nun die Dispositionsbefugnis des einfachen Gesetzgebers geht, wie weit er das Recht aus Art.103 Abs. 1 GG durch Verfahrensvorschriften des einfachen Rechts modifizieren darf und welcher Maßstab zur Verfügung steht, um die Verfassungsnormen vor der Gefahr zu schützen, durch Änderung der Prozeßvorschriften ausgehöhlt zu werden. Eine eindeutige Antwort auf alle diese Fragen läßt sich nicht mit der obigen abstrakten Abgrenzung geben. Sie enthält keine materiellen Kriterien, an denen man seine Entscheidungen im konkreten Einzelfall ausrichten könnte. Noch weniger Aussagekraft zeigt diese Ansicht, wenn man versucht, von ihrem Boden aus die uns interessierende Frage zu klären, ob die fiktiven Auslandszustellungen mit dem seinem Wortlaut nach unbeschränkten und unbeschränkbaren Art. 103 Abs. 1 GG zu vereinbaren sind. Das müßte diese Meinung verneinen, wenn sie konsequent an ihrer Aussage festhält, daß die Dispositionsgewalt des einfachen Gesetzgebers am Kern des rechtlichen Gehörs endet, den Art. 103 Abs. 1 GG ihr zufolge ja gerade garantiert. Denn so eng man diesen Kern auch 64

Dies betonen z. B. KG NJW 54, 1410 f . und BGHSt 13, 123 (124).

66

BVerfGE 9, 89 (95 f.) spricht beide Aspekte an.

65 Dies betont etwa OLG Köln NJW 56, 1925 (1926).

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ziehen mag, in ihn wird eingegriffen, wenn der im Ausland wohnhafte Adressat infolge einer fiktiven Auslandszustellung sich überhaupt nicht äußern kann. Dieses Ergebnis wird jedoch durchweg - zu Recht abgelehnt67 • Zur Begründung kann man in Anlehnung an das BVerfG68 darauf verweisen, daß gerade solche Einschränkungen des rechtlichen Gehörs in den Verfahrensregelungen, die auf seine völlige Ausschaltung hinauslaufen, auf legitimen Gegeninteressen beruhen. Diese kann man nicht einfach übergehen, indem man derart weitreichende Gehörbeschränkungen für prinzipiell verfassungswidrig erklärt. Gemäß dieser Einsicht treiben manche Stimmen in der Lit.69 und wohl auch das BVerfG70 die inhaltliche Reduktion des Art.103 Abs. 1 GG noch weiter. Aufgrund der Abhängigkeit des verfassungsrechtlichen Gehöranspruchs vom einfachen Verfahrensrecht wirke diese Verfassungsnorm "nur unter Wahrung des Systems des Prozeßrechts und der Struktur der einzelnen Verfahrensarten" 71 • Infolgedessen müsse Art.103 Abs.1 GG zurücktreten, "wenn sich aus dem Zweck und der Besonderheit einzelner Verfahren system- und sachgerecht zwingend Beschränkungen des rechtlichen Gehörs" ergäben. Dabei handele es sich nicht um Einschränkungen des Art. 103 Abs. 1 GG, vielmehr reiche diese Norm von vornherein inhaltlich nicht weiter. Diese apodiktische Aussage überzeugt nicht. Sie ist mit dem Wortlaut der Verfassung kaum zu vereinbaren. Art. 103 Abs. 1 GG fordert das rechtliche Gehör vor Gericht ohne jede Einschränkung. Das kann jedenfalls mit dieser Begründung - nicht dahingehend interpretiert werden, daß mitunter kein rechtliches Gehör gewährt wird. Auf dem Wege der Interpretation kann man nicht zu einem Ergebnis kommen, das dem Wortlaut der zu interpretierenden Norm diametral gegenübersteht. Soweit man also die Reduktion des Art. 103 Abs. 1 GG mit dessen Sinn und Zweck zu begründen sucht72 , muß man dem entgegenhalten, daß die ratio legis dieser Norm nicht ihre völlige Ausschaltung fordern kann. Ferner ermöglicht diese restriktive Interpretation die Ausschaltung der Verfassungsnorm aufgrund von Erwägungen, die nicht im Bereich des Verfassungsrechts, sondern des einfachen Prozeßrechts liegen. Das widerspricht dem übergeordneten Rang der Verfassungsnorm. Wenn sie schon trotz ihrer scheinbaren Unbeschränktheit in bestimmten FälAnders allein Hamann AnwBl 58, 143 (sub 2 b, bb). &s v. a. die Ausführungen in NJW 58, 427. 69 Am deutlichsten die Darstellung bei MDH, Art. 103 Abs. 1, Rdnr. 44, auf die fast immer verwiesen wird. 10 v. a. BVerfGE 9, 89 (99), aber auch 7, 95. n MDH, ebd. 72 Vgl. z. B . MDH, ebd. &7

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

len zurücktreten soll, so müßte sich dafür ein methodischer Ansatz finden, der auf verfassungsrechtlicher Ebene liegt. Schließlich ergibt sich ein Argument gegen die Ansicht, unzureichende Gehörgewährung generell durch restriktive Interpretation rechtfertigen zu wollen, auch noch daraus, daß sie nicht alle Ausnahmen erklären kann. Weil sie vom "vorverfassungsrechtlichen Gesamtbild des Prozeßrechts" 73 ausgeht, kann sie nur die Berechtigung solcher Ausnahmen erklären, die in den Verfahrensordnungen bei Inkrafttreten des GG bestanden. Dagegen kann sie nicht begründen, warum auch solche Ausnahmen zulässig sein sollen, die erst nach diesem Zeitpunkt geschaffen wurden74 . Dürig scheint auch selber zu sehen, wie fraglich seine Ansicht ist. Denn in seiner Stellungnahme zur Verfassungskonformität der öffentlichen Zustellung75 begnügt er sich ausdrücklich nicht mit dem Hinweis auf die legitimen Interessen, die hinter dieser Zustellungsart stehen und ihre Existenz auch unter dem grundgesetzliehen Gehörgebot fordern. Vielmehr führt er hier das zusätzliche und von seinem Standpunkt aus eigentlich überflüssige Element der Interessenahwägung ein. Dafür fehlt allerdings eine systematisch und methodisch überzeugende Begründung. Für uns bleibt festzuhalten: Die wohl h . M. zur Frage der verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 1 GG gibt keine überzeugende Lösung des Problems, ob und inwieweit die völlige Ausschaltung des rechtlichen Gehörs infolge fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar ist. Sie bejaht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, ohne überzeugend zu erklären, warum Art. 103 Abs. 1 GG hier sogar in seinem Kern zurücktreten soll. Sie schafft keine klar abgrenzbaren, systematisch und methodisch gerechtfertigten Ausnahmen, sondern bietet nur eine auf Zweckmäßigkeitsgedanken beruhende Kompromißlösung an. Schon aus methodischen Gründen genügt es jedoch nicht, die Berechtigung für solche Einschränkungen des Gehörs, die zu seiner Ausschaltung führen, letztlich mit dem Hinweis zu begründen, sie seien notwendig, weil die Gegeninteressen, die auf dem Spiel stünden, legitim seien. Als Zwischenergebnis können wir feststellen: Die Versuche, die infolge fiktiver Auslandszustellungen auftretenden Einschränkungen des rechtlichen Gehörs allein durch eine restriktive Interpretation des Art.103 Abs. 1 GG zu erklären, können nicht überzeugen. Man muß schon davon ausgehen, daß hier echte Ausnahmen vom Gehörprinzip 73 BVerfGE 9, 95 f. 74 Das gilt etwa für § 123 VwGO; vgl. dazu ausführlich Kolb, S. 68. 75 MDH, ebd., Rdnr. 47.

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vorliegen, und versuchen, diese Ausnahmen verfassungsrechtlich zu begründen. 4. Bestimmung der Grenzen nach dem Vorbild der vom BVerfG vorgenommenen Einsdtränkung des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG

Hamann76 versucht, die Grenzen des Art.103 Abs. 1 S. 1 GG nach dem Vorbild der vom BVerfG für Art.12 Abs.1 S.1 GG gefundenen Lösung zu bestimmen, indem er eine Parallelkonstruktion zu den Gedankengängen des Gerichts im sog. Apothekenurteil77 entwickelt. Er meint, dort sei es darum gegangen, das "gesetzesfeste" Grundrecht der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) unter dem Aspekt seiner Einschränkungsmöglichkeit auszulegen. Das gleiche Problem stelle sich bei Art. 103 Abs. 1 GG, für den auch keine Einschränkungsmöglichkeit vorgesehen sei. Wende man nun die vom BVerfG für das Grundrecht der Berufswahl entwickelten Einschränkungsmöglichkeiten auf das rechtliche Gehör an, so bedeute dies, daß Einschränkungen zugunsten überragender Gemeinschaftsgüter in Betracht kämen. Diese Ansicht übersieht, daß das BVerfG in dem Recht auf Berufswahl gerade kein vorbehaltfreies Recht sieht. Vielmehr erstreckt es die Regelungsbefugnis in Art.12 Abs. 1 S. 2 GG, die sich dem Wortlaut nach allein auf die Berufsausübung bezieht und die nicht nur die Befugnis zur gesetzlichen Ausgestaltung, sondern auch diejenige zu vom GG nicht näher konkretisierten Begrenzungen umfaßt'8 , auch auf das Recht zur Berufswahl. Diese Möglichkeit eröffnet sich dem BVerfG, weil es davon ausgeht, daß Art. 12 Abs. 1 GG ungeachtet seiner Aufgliederung in Berufswahl und Berufsausübung ein einheitliches Grundrecht gewährleistet. Im Gegensatz zu Art.12 GG fehlt bei Art.103 Abs.1 GG jedoch jeglicher Regelungs- oder Gesetzesvorbehalt, den man extensiv interpretieren könnte. Dieser Unterschied entzieht der Parallelkonstruktion Hamanns den Boden. Sie ist deshalb abzulehnen. 5. Einschränkung durdt die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 1 GG

Vom Standpunkt der sogenannten Muttergrundrechtslehre aus, die das BVerfG79, die obersten Bundesgerichte80 sowie ein Teil der Lit.81 AnwBl 58, 141 (142). BVerfGE 7, 377 = NJW 58, 1035. 78 Vgl. Hesse, Grundzüge;§ 10 I. 79 z. B. BVerfGE 4, 52 (57); 6, 32 (36 f.); 8, 274 (327 ff.); 9, 3 (11); 11, 105 (110); 18, 315 (327 ff.); 20, 150 (154 ff.); 35, 35 (39). so z. B. BGHZ 24, 72 (78). BI z. B. Dürig JZ 52, 260; NJW 54, 1394; 55, 730; Hamann BB 55, 105; 57, 229, 343; Hamann I Lenz, GG, Art. 2, Anm. A 3 a; Huber DÖV 56, 135; Krüger NJW 55, 201; Maunz, Staatsrecht, § 14 III; MDH, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 6 ff. m.w.N. 76

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vertreten, liegt der Gedanke nahe, die dem "Muttergrundrecht" des Art. 2 GG gezogenen Schranken unmittelbar oder mittelbar auch auf alle anderen Grundrechte zu übertragen, insbesondere auf die ihrem Wortlaut nach uneingeschränkten Grundrechte, zu denen Art. 103 Abs. 1 GG ja zählt. Die in Art. 2 Abs. 1 GG genannten Schutzgüter würden dann auch Einschränkungen des rechtlichen Gehörs rechtfertigen. Diese Auffassung von einer auf die "Schrankentrias" des Art. 2 Abs. 1 GG zurückgehenden Uniformität der Grundrechtseinschränkungen ist weit verbreitet82• So wenden sich beispielsweise Maunz I Dürig I Herzog zwar gegen eine unmittelbare Übertragung der Schrankentrias auf alle Grundrechte, gelangen aber dennoch trotz gegenteiliger Beteuerung im Ergebnis dorthin, wenn sie ausführen, daß für alle Grundrechte der Soweit-Satz des Art. 2 Abs. 1 GG mittelbar als "Verfassungsvorbehalt zur Interpretation immanenter Grundrechtsschranken" wirke83 • In die gleiche Richtung geht die Ansicht von Zippelius84, daß zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen eine auf dem Prinzip der Güterahwägung beruhende grundrechtsimmanente Schranke anzunehmen sei und daß sich die Würdigung, welche Gemeinschaftsinteressen bei dieser Güterahwägung insbesondere zu berücksichtigen seien, an der Rechtsgütertrias des Art. 2 Abs. 1 GG zu orientieren habe. Auch die Rspr. zieht sich häufig auf die Schranken aus Art. 2 Abs. 1 GG zurück, wenn es um die Frage der Einschränkung schrankenlos gewährter Grundrechte geht85· 86• Wenn man sich diesen Standpunkt zu eigen machte und von ihm aus versuchte, Grenzen des Art. 103 Abs.1 GG aufzufinden, um auf diesem Wege die Problematik der fiktiven Auslegungszustellungen in den Griff zu bekommen, käme vor allem die "verfassungsmäßige Ordnung" als einschlägige Grenze in Betracht. Darunter versteht das BVerfG87 in Übereinstimmung mit der h. M. "die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind". Dazu können auch die Vorschriften über fiktive Auslandszustellungen zählen. Dieser Lösungs82 Vgl. außer den im folgenden genannten Autoren Heiss NJW 62, 2323 (unmittelbare Anwendung der Schrankentrias bei anderen Grundrechten); Maunz, Staatsrecht, § 14 I 2; OH NJW 64, 1149 m. w. N. (jeweils mittelbare Anwendung). 83 MDH, ebd., Rdnr. 72, vgl. auch Rdnr. 4. 84 In BK (Zweitbearbeitung), Art. 4 Anm. 65. 85 So etwa bei der Begrenzung der dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 GG nach unbeschränkten Freiheit der Kunst, vgl. BGH GA 61, 240; BayObLG NJW 64, 1149 f.; LG Harnburg NJW 63, 675. 86 Das BVerfG hat allerdings bisher zu der Frage, ob sich aus der Schrankentrias des Art. 2 Abs.l GG für dem Wortlaut nach unbegrenzte Grundrechte unmittelbar oder mittelbar irgendwelche Bindungsvorbehalte ableiten lassen, noch nicht Stellung genommen (vgl. MDH, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 9). Da es die "Muttergrundrechtslehre" akzeptiert, ist jedoch zumindest nicht auszuschließen, daß es auch jene Bindung in irgendeiner Form anerkennt. 87 z. B. BVerfGE 6, 32; kritisch dazu Peters BayVBl 65, 37.

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vorschlag kann jedoch nicht überzeugen. Die Vorstellung, alle Grundrechte, auch die ihrem Wortlaut nach unbeschränkten, stünden unter einem einheitlichen, an der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Vorbehalt, ist nicht vereinbar mit dem sorgfältig austarierten System von Grundrechtseinschränkungen, das wir im GG vorfinden. Diese Einschränkungen mögen bisweilen unverständlich sein88. Sie mögen daran kranken, daß kein System erkennbar ist, das hinter ihnen steht, weshalb man sie mit einiger Berechtigung sogar als "Schrankenwirrwarr"89 bezeichnen mag. All dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß das GG nach seinem klaren Wortlaut verschieden abgestufte Einschränkungen enthält. Die Sorgfalt, mit der diese Differenzierung durchgeführt ist, läßt erkennen, daß es sich hier um eine Vielfalt handelt, die der Grundgesetzgeber bewußt herbeigeführt hat. Angesichts dessen verbietet sich aber jede Lösung, die von einer Uniformität der Grundrechtseinschränkungen ausgeht. Denn sie würde letztlich alle sorgfältigen Differenzierungen des GG doch nur wieder einebnen und die Einschränkungsprobleme, die sich eben für jedes Grundrecht neu und verschieden stellen, im Ergebnis "über einen Kamm scheren", auch wenn gerade dies von den Vertretern dieses Lösungswegs geleugnet wird90 . 6. Gemeinschaftsgüter als immanente Sehranken jedes Grundrechts

Wir haben gesehen, daß die auf der "Muttergrundrechtslehre" aufbauende Meinung annimmt, jede Grundrechtsausübung stoße auf bestimmte "Nichtstörungsschranken" 91 , deren Verletzung die Ausübung eines Grundrechts unzulässig mache. Das gelte auch für die Grundrechte ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt. Bei ihnen ergäben sich die "Nichtstörungsschranken" aus dem für alle Grundrechte geltenden mittelbaren Verfassungsvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG. In ähnlicher Weise hat früher auch das BVerwG92 in Zusammenhang mit Art.19 Abs. 2 GG versucht, für jedes Grundrecht gültige Schranken zu konstruieren. Nach dieser Rspr. besteht für jedes Grundrecht insofern eine immanente Schranke, als von ihm keinesfalls dann Gebrauch gemacht werden darf, wenn dadurch "die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" . Mit der Konstruktion eines derartigen Gemeinschaftsvorbehalts mag das BVerwG zwar ein berechtigtes Anliegen verfolgen. Seine Ansicht fin88 89

uo ut 92

Das gilt etwa für die Einschränkungen in Art. 13 GG. So Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 3. Etwa von MDH, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 70 a. E. MDH, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 70. BVerwGE 1, 48 (52); 92 (94); 2, 89 (94); 295 (300); 4, 95 (96); 5, 153 (159).

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det jedoch im GG selber nicht die geringste Basis, so daß die ganze Konstruktion letztlich "in der Luft hängt". Sie verstößt gegen den Grundsatz, daß die Grenzen des Art. 103 Abs.1 GG in der Verfassung fundiert sein müssen. Das BVerfG hat diese Rspr. deshalb mit Recht abgelehnt93• 7. Reclttfertigung fiktiver Auslandszustellungen durclt Annahme eines Verzichts auf das rechtliche Gehör

Man könnte daran denken, die Versagung rechtlichen Gehörs infolge fiktiver Auslandszustellungen verfassungsrechtlich mit der Rechtsfigur des Verzichts zu erklären. Für die fiktiven Auslandszustellungen d. A. z. P. ließe sich dieser Gedanke dahin präzisieren, daß der im Ausland wohnende Empfänger dadurch, daß er seiner Verpflichtung zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht nachkommt, zugleich stillschweigend zu erkennen gibt, daß er auf die Zustellung an einen Vertreter und damit auf die insoweit gebotene effektive Gehörmöglichkeit verzichtet. Für die öffentliche Zustellung an einen im Ausland wohnhaften Empfänger, dessen Adresse nicht bekannt ist (vgl. z. B. § 203 Abs. 1 ZPO), ließe sich sagen, der Adressat habe auf sein Gehörrecht verzichtet, indem er an einen unbekannten Ort verzogen sei. Eine ähnliche, auf dem Verzichtsgedanken aufbauende Konstruktion ließe sich auch für andere fiktive Auslandszustellungen denken, allerdings nicht für alle. So ist beispielsweise kein Weg ersichtlich, die öffentliche Auslandszustellung gern. § 203 Abs. 2 ZPO auf diese Weise zu erklären. In Lit. und Rspr. wurde eine derartige Konstruktion bisher jedenfalls nicht ausdrücklich versucht. Es gibt lediglich einige Entscheidungen, die den Gedanken nahe legen, daß sie Einschränkungen des Gehörs letztlich mit dem Verzichtsgedanken erklären wollen94 • Dem braucht jedoch nicht genauer nachgegangen zu werden. Denn es zeigt sich sehr schnell, daß die bei dieser Konstruktion verfassungsrechtlich relevante Frage, ob ein vorheriger Verzicht auf das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG überhaupt zulässig ist, verneint werden muß. Zwar wird häufig gesagt, auf dieses Recht könne man "verzichten" 95 , indem man von der gebotenen Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch mache. Das ist jedoch kein wirklicher Verzicht, sondern betrifft nur die Frage, ob ein Beteiligter von seinem Recht Gebrauch macht oder nicht. Um das festzustellen, muß man ihm jedoch erst einmal zustellen. Eine echte Verzichtsmöglichkeit liegt dagegen nur vor, wenn BVerfGE 7, 377 (411). v. a. OLG Karlsruhe NJW 64, 1085 (1086 a. E.). 95 BayObLGZ 1951, 70 (72); OLG Frankfurt NJW 62, 449 (450); MDH, Art. 103 Abs. 1 GG, Anm. 49; Baur, S. 405; Keidel, S. 38; Kurth, S. 113 f.; Röhl 93

94

NJW 53, 1532 ; Wolff NJW 53, 1656.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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ein Beteiligter sich von vornherein der ihm später zu bietenden Äußerungsmöglichkeit begeben kann. Einen Verzicht in diesem Sinne hält man einmütig für unzulässig. Denn weil das Gehör einen essentiellen Bestandteil jedes geordneten rechtsstaatliehen Verfahrens darstellt, steht es nicht zur Disposition der Beteiligten96 • Mithin bietet auch dieser Weg keinen Lösungsansatz für unsere Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit fiktiver Auslandszustellungen. 8. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge Konkurrenz mit anderen Grundrechten

Im Interesse einer möglichst umfassenden Ausgangsposition soll nun noch ein Weg diskutiert werden, der bisher zwar noch nicht zur Auffindung von Grenzen des rechtlichen Gehörs vorgeschlagen wurde, der aber immerhin geeignet scheint, einen Lösungsansatz für die Begrenzung aller ihrem Wortlaut nach unbeschränkten Grundrechte zu bieten, zu denen auch Art. 103 Abs. 1 GG gehört. Eine Einschränkung dieser Norm könnte sich infolge ihrer Konkurrenz mit einem anderen Grundrecht ergeben, das im GG positivierte Grenzen hat. Diese Grenzen könnten dergestalt Auswirkungen auf Art. 103 Abs. 1 GG haben, daß auch dieses Grundrecht nur im Rahmen des in größerem Umfang bzw. überhaupt eingrenzbaren und damit schwächeren Grundrechts ausgeübt werden darf9 7 • Zur Verdeutlichung sei auf einen Fall hingewiesen, den das BVerwG zu entscheiden hatte98 • Dort klagte ein Grundstückseigentümer, dem wegen des Verbots der Neupflanzung von Weinreben untersagt worden war, den Beruf eines Weinbauern aufzunehmen. Die Frage war, ob er sich nur auf eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG oder auf eine Verletzung der schärferen Voraussetzungen für Beschränkungen der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1) berufen kann und ob damit die weitergehende Einschränkungsmöglichkeit des Art. 14 GG Auswirkungen auf die engeren Grenzen des Art. 12 GG hat. Die aufgeworfene Problematik ist für unsere Suche nach Grenzen des Art.103 Abs.1 GG nur relevant, wenn man zum ersten die Möglichkeit von Grundrechtskonkurrenzen überhaupt bejaht, zum zweiten die Auffassung vertritt, das schwächere, weil stärker einschränkbare Vgl. BDiszHE 3, 100 (107); Henkel ZZP 77, 321 (338 ff.); Rüping, S. 146. Zu dieser Problematik vgl. v. a. Berg, Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte; Bachof in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III, 1. Halbbd., S. 169 ff.; v. Mangoldt I Klein, GG, Vorbem. B XV 2 b; Peters, Festschrift für K. Arnold, S. 117 ff.; Böckenförde DOV 66, 30 (v. a. 33 f.); Rüfner, Grundrechtskonflikte, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 453 (474 ff.); ders. in: Der Staat, Bd. 7 (1968), S. 41 ff. 9s BVerwGE 5, 171. 96 97

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Grundrecht habe im Konkorrenzfall den Vorrang, so daß es bei einem Zusammentreffen mit einem uneingeschränkten Grundrecht wie Art.103 Abs. 1 GG insoweit siege, als sich die Beurteilung des Sachverhalts an den weitergehenden Einschränkungen auszurichten habe. Beides ist streitig. Nach Meinung derer, für die es kein Problem der Grundrechtskonkurrenz gibt, handelt es sich bei den insoweit diskutierten Fällen lediglich um eine Frage der exakten Abgrenzung der Normbereiche der beteiligten Grundrechte sowie eine saubere Trennung der einzelnen Elemente des vorliegenden Sachverhalts99• Auf einem dieser beiden Wege lasse sich immer erreichen, daß nur ein Grundrecht zum Zuge komme und Grundrechtsüberschneidungen somit vermieden würden. Daran ist richtig, daß sich die Frage der Grundrechtskonkurrenz oft als Scheinproblem erweist, wenn man nur das Verhältnis der in Frage kommenden Grundrechte richtig überdenkt (v. a. im Hinblick auf die Möglichkeit einer Konsumtion), wenn man eine restriktive Interpretation der beteiligten Grundrechte in Erwägung zieht und wenn man den zu beurteilenden Sachverhalt vernünftig in seine Einzelteile zerlegt und darauf die einzelnen Grundrechte getrennt anwendet. Auf diesen Wegen läßt sich in der Tat oft erreichen, daß nur ein Grundrecht anzuwenden ist und Grundrechtsüberschneidungen damit vermieden werden100• Dennoch läßt sich auf diese Weise nicht jedes Konkurrenzproblem umgehen. Das zeigt schon das obige Beispiel, bei dem kein Spezialitätsverhältnis der einschlägigen Grundrechte vorliegt, eine restriktive Interpretation der beteiligten Grundrechte nicht weiterhilft und eine vernünftige Zerlegung des Sachverhalts mit dem Ziel, auf die einzelnen Sachverhaltsteile dann die einzelnen Grundrechte gesondert anzuwenden, nicht möglich ist. Infolgedessen ist die Möglichkeit von Grundrechtskonkurrenzen zu bejahen. Dann aber stellt sich die Frage, ob im Konkurrenzfall das stärkere oder das schwächere Grundrecht das Maß der verfassungsrechtlich zulässigen Grundrechtseinschränkung bestimmt. Sie ist streitig101 • Für den Vorrang des schwächeren Grundrechts sind, wenn auch aus verschiedenen Gründen, etwa von Mangoldt I Klein102 und Rüfner103• Folgt man dieser Auffassung, kommt man für den Konkurrenzfall zu einer Einschränkung von dem Wortlaut nach uneingeschränkten Grundrechten. Für unsere Problematik bedeutet das, daß sich der Empfänger einer fiktiven Auslandszustellung, der sich durch diese nicht allein in Art. 103 Abs. 1 GG, sondern zugleich auch in einem anderen, mit einer positiven Schranke versehenen Grundrecht verletzt sieht, für die Frage einer Verletzung 99 Vgl. Wehrhahn AöR 82, 250 (273); Bachof, ebd., S. 169 f. 1oo Ausführlich Rüfner, Grundrechtskonflikte, S. 474 ff. 101

Zum Meinungsstand Berg, Konkurrenzen, S. 56 ff., 59 ff.

1o3

In: Der Staat, S. 54; anders jedoch in: BVerfG und GG, S. 477.

1o2 GG, Vorbem. B XV 2 b.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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seines Rechts auf Gehör auf die Schranke des anderen Grundrechts verweisen lassen muß. Diese Schranke bestimmt den Umfang, in dem eine fiktive Auslandszustellung auch den Art.103 Abs. 1 GG einschränken darf. Gegen diese Auffassung sträubt sich zu Recht unser Gerechtigkeitsempfinden. Ihr Ergebnis ist nicht haltbar. Es kann nicht sein, daß der Grundrechtsschutz eines menschlichen Verhaltens schwächer ist, wenn es nicht allein durch ein schrankenloses oder nur in geringem Maße einschränkbares Grundrecht, sondern zusätzlich auch noch durch ein anderes Grundrecht geschützt wird, auch wenn dieses großzügigeren Einschränkungsmöglichkeiten unterliegt. Die Vervielfachung des Grundrechtsschutzes kann nicht letztlich zu seiner qualitativen Verschlechterung führen 104 • Damit ist deutlich geworden, daß die Auffassung, von mehreren schrankendivergenten Grundrechten bestimme das jeweils schwächste den Umfang des grundrechtliehen Schutzes, nicht haltbar ist. Zugleich steht auch fest, wie das Problem der Konkurrenz schrankendivergierender Grundrechte im Ergebnis zu lösen ist. Dem stärkeren Grundrecht gebührt der Vorrang. Für seinen Anwendungsbereich bestimmt es ganz alleine, in welchem Umfang es einschränkbar ist105. Die noch ausstehende Begründung dieser Lösung braucht hier nicht geliefert zu werden. Für unseren Zusammenhang genügt die jetzt schon mögliche Feststellung, daß auf dem Wege der Grundrechtskonkurrenz keine Grenze eines dem Wortlaut nach unbeschränkten Grundrechts wie Art.l03 Abs. 1 GG auszumachen ist. In den Ansichten, die wir bisher kennengelernt haben, konnten wir noch keine überzeugenden Antworten auf unsere Frage nach den Grenzen des scheinbar unbeschränkten Art. 103 Abs.l GG finden, die uns zugleich auch einen Lösungsansatz für das uns letztlich interessierende Problem der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dieser Verfassungsnorm geboten hätten. Deshalb werden wir nun versuchen, eigene Antworten auf beide Fragen zu finden. Dabei lassen manche der soeben vorgestellten Lösungsvorschläge den Hinweis angebracht erscheinen, daß die Grenzen des Art. 103 Abs. 1 GG wie die eines jeden Grundrechts ausschließlich im GG gesucht werden dürfen. Denn in gleicher Weise wie die grundrechtliehen Gewährleistungen durch die Verfassung begründet werden, können auch die Grenzen dieser Gewährleistungen ihre Basis allein in der Verfassung finden106• Deshalb kann das Verfahrensrecht mit seinen Ausprägungen Vgl. Lepa DVBl 72, 164; Berg, Konkurrenzen, S. 82 ff. Das dürfte auch h. M. sein, vgl. u. a. Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, S. 293 f.; Stern, Studien, S. 64 f. 100 In diesem Sinne auch BVerfGE 30, 173 = NJW 71, 1645 (1646). t04

105

5 Schmitz

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und reChtliches Gehör

des rechtlichen Gehörs insoweit keine Rolle spielen. Es kann die Durchführung und die Modalitäten der Gehörgewährung für das jeweilige Rechtsgebiet regeln. Für die inhaltliche Bestimmung der verfassungsrechtlichen Gehörgarantie ist es ohne Bedeutung. 9. Interpretative Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG aus dem Gedanken der Prozeßverantwortung des Bürgers

Die Grenzen eines Grundrechts aufzuzeigen, bedeutet zugleich seine inhaltliche Präzisierung. Sie erreicht man durch Interpretation. Deshalb werden wir im folgenden zunächst versuchen, die Grenzen des Art.103 Abs.l GG im Wege der Interpretation insoweit aufzufinden, als das für die Frage nach der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem rechtlichen Gehör relevant ist. Bei jeder Grundrechtsinterpretation stößt man jedoch auf die grundlegende Schwierigkeit, daß bis heute noch keine Einigkeit herrscht über den bei der Interpretation der Verfassung im allgemeinen und der Grundrechte im besonderen einzuschlagenden Weg107• In den letzten Jahren dürfte die Diskussion hierüber eher noch stärker geworden sein. Ohne auf sie im einzelnen einzugehen, scheint es doch angebracht, auf den eigenen methodischen Ansatz hinzuweisen. Er geht davon aus, daß jede der verschiedenen methodischen Positionentos ihre Schwächen hatl 09 , so daß man keine ohne weiteres bevorto7 Zu den Gründen dafür, die in einem strukturellen Unterschied zwischen Normen der Verfassung und solchen des einfachen Rechts zu suchen sind, vgl. z. B. Hesse, Grundzüge, § 2 II 1; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 77 ff.; Böckenförde NJW 76, 2091; 74, 1629; Zippelius NJW 75, 914; Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, S. 10; Huber, Gedächtnisschrift für Imboden, S. 191 ff. tos Im Anschluß an Böckenförde (NJW 76, 2089) lassen sich i. w. fünf Positionen unterscheiden: die in mehreren Variationen auftretende topische Methode (vgl. dazu Scheuner VVDStRL 22, 61 f.; Ehmke VVDStRL 20, 62 ff.; Hummel, S. 56; Häberle JZ 75, 297 ff.); die wirklichkeitswissenschaftlich orientierte Methode i. S. Smends (Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 188 ff.), bei der es sich im Kern um eine soziologische Verfassungsinterpretation handelt (so Böckenförde NJW 76, 2095); die konkretisierende Methode nach Hesse (z. B. Grundzüge, § 2 III 2) und F. Müller (Juristische Methodik, v. a. S. 68 ff.); schließlich die klassische Interpretationsmethode, die insbesondere von Forsthoff (Rechtsstaat im Wandel, 2. Aufi., S. 130 ff.; vgl. auch Maunz, Staatsrecht, § 9 II; Peters, Entwicklung und Grundfragen, S. 46 f.) und- jedenfalls theoretisch - auch vom BVerfG (BVerfGe 1, 299, 312 = NJW 52, 737; 6, 55, 72, 75; 11, 126, 130; 33, 265, 294; 35, 263, 278; 40, 353, 365 = NJW 76, 414) und den oberen Bundesgerichten (BVerwGE 1, 159, 161; BGHZ 10, 297, 299; BFHE 55, 277) gefordert wird. In der Rechtsprechungspraxis finden sich allerdings zunehmend auch topische Interpretationselemente (vgl. z. B. BVerfGE 34, 269; 36, 1; 39, 334 = NJW 75, 1641; 40, 296 = NJW 75, 2331; vgl. auch die Hinweise bei Hesse, Grundzüge, § 2 II, Fußn. 11 - 20, und bei Hummel, S. 56 f., Fußn. 50; vgl. ferner die Darstellung Roelleckes, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 22 ff.), so daß man von einem Methodenpluralismus der Verfassungsrechtsprechung reden kann. tou Dazu im einzelnen Böckenförde NJW 76, 2089 ff.

Kap. 1: Vereinbarkelt mit Art. 103 Abs. 1 GG

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zugen und keine vollständig verwerfen kann. Von daher scheint vertretbar, den Art. 103 Abs. 1 GG jedenfalls zunächst nach den klassischen Methoden zu interpretieren. Dafür spricht, daß diese Methoden auch bei dem topischen und dem ihm nahestehenden hermeneutischkonkretisierenden Ansatz ihren legitimen Platz behalten, wenn auch mit anderem, geringerem Stellenwert110• Sollten wir auf diesem Wege nicht weiterkommen, können wir immer noch andere Problemlösungsgesichtspunkte i. S. d. topischen Methoden, denen letztlich der Vorzug zu geben ist, heranziehen. Dieses Vorgehen ist vom topischen Standpunkt ebenso zulässig wie dann, wenn man mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Methodenpluralismus praktizieren will. Es dürfte selbst für diejenigen annehmbar sein, welche die klassischen Auslegungsregeln grundsätzlich auch im Bereich der Grundrechts- und sonstigen Verfassungsnormen anwenden wollen. Denn selbst ihr Protagonist Forsthoff räumt ein, daß zur Auslegung einer Verfassungsnorm u. U. doch auf topisches Denken zurückgegriffen werden müsse, wenn die herkömmlichen Methoden nicht weiterhelfen könnten111 • Zu den auf Savigny zurückgehenden, herkömmlichen Auslegungsregeln zählen die grammatische, die entstehungs- und entwicklungsgeschichtliche, die systematische sowie die teleologische Methode. Zu prüfen sind also Wortlaut, Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, systematischer Zusammenhang sowie Sinn und Zweck des Art.103 Abs.1 GG. Dem Wortlaut der einzelnen Tatbestandsmerkmale dieser Norm lassen sich keinerlei Anhaltspunkte für Einschränkungsmöglichkeiten entnehmen. Auch die historische Auslegungsmethode hilft nicht weiter. Die Protokolle des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee und des Parlamentarischen Rates geben keinen Aufschluß über die Grenzen des Art.103 Abs. 1 GG. Ihnen lassen sich noch nicht einmal Hinweise zum Inhalt des Begriffs "rechtliches Gehör" entnehmen112• Man kann auch nicht auf andere Vorschriften zurückgreifen, die bei der Schaffung des Art. 103 Abs.1 GG als Vorbild gedient haben könnten. Denn Art. 103 Abs. 1 GG stellt im Vergleich zu den früheren deutschen Bundesverfassungen ein Novum dar. Auch in den (Bundes-) Ländern ist es erst nach 1945 zu den ersten verfassungsrechtlichen Positivierungen des Gehörs gekommen113• Da sie mit Art. 103 Abs. 1 GG 110 Sie werden zu partiellen, frei heranziehbaren, in ihren Ergebnissen aber nicht verbindlichen Problemlösungsgesichtspunkten, vgl. Hesse, § 2 II. 111 In: Der Staat 8 (1969), S. 525. 112 s. o. Fn. 54 zu diesem Kapitel. 113 Die 1946 ergangenen Verfassungen von Bayern (Art. 91 Abs. 1) und

s•

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

wörtlich übereinstimmen, geben sie für unsere Untersuchung nichts her. Wie der entstehungsgeschichtliche hilft auch der entwicklungsgeschichtliche Ansatz nicht weiter114 • Zwar hat das BVerfG versucht, aus der Geschichte des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör Hinweise für seine Grenzen abzuleiten. Daß uns dies jedoch nicht weiterhilft, haben wir schon gesehen. Von den klassischen Auslegungsmethoden bleibt damit nur die systematisch-teleologische Methode, die auf die ratio legis sowie auf Leitgedanken und Grundsätze des GG abstellt. Einer dieser Leitgedanken, der seinen deutlichsten Ausdruck in Art. 1 Abs. 1 GG findet, ist die Subjektstellung des Menschen, die auch in jedem Verfahren zu beachten ist. Wird der Mensch als eigenständiges Subjekt anerkannt, so bedeutet das zugleich auch, daß er für sein Tun und Lassen selber verantwortlich ist. Auch dies gilt in jedem Verfahren und konkretisiert sich dort in der jeden verfahrensbeteiligten Bürger treffenden Verantwortung, die ihm gebotenen prozessualen Möglichkeiten auch auszunutzen und widrigenfalls die Konsequenzen zu tragen. Diesem, der h. M.115 entsprechenden Gedanken ist in vollem Umfang zuzustimmen. Denn auch unser zur Achtung der Menschenwürde verpflichteter Rechtsstaat stellt keinen verfahrensrechtlichen Wohlfahrtsstaat dar, der dem prozeßbeteiligten Bürger jedes mit dem Verfahren verbundene Risiko abnähme und ihn damit auch der Sorge enthöbe, sich um die Wahrnehmung der ihm in seinem eigenen Interesse gegebenen Einflußmöglichkeiten zu kümmern. Wenn wir den Gedanken der Verfahrensverantwortung auf Art. 103 Abs. 1 GG anwenden, so bedeutet das: Die Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert nicht unbedingt die tatsächliche Anhörung des Beteiligten. Vielmehr ist dem Gehör schon genügt, wenn dem Beteiligten verfahrensrechtlich und faktisch die bloße Gelegenheit zur Äußerung geboten wird116• Das hat zur Folge, daß keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, wenn eine Gelegenheit zur Äußerung zwar geboten, aber bewußt nicht genutzt wird. Thüringen (Art. 51 Abs. 1) sowie die Verfassung Sachsen-Anhalts (Art. 66 Abs. 1) von 1947 enthielten jeweils eine mit dem späteren Art. 103 Abs. 1 GG übereinstimmende Vorschrift; zu den Verfassungstexten vgl. Wilhelm Wegener, Die neuen deutschen Verfassungen, Essen 1947, S. 132 (Bayern), S. 177 (Thüringen) und S. 190 (Sachsen-Anhalt). 114 Zu diesem Ansatz vgl. BVerfGE 12, 205 (230 ff.) = NJW 61, 547 (548 f.). 115 Vgl. statt vieler MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 6. 116 Vgl. u. a . BVerfGE 1, 418 (429) = NJW 53, 177; 3, 359 (365); 7, 53 (57); 8, 184 (185); 9, 261 (266 f.); 10, 274 (283); 13, 132 (144); 15, 214 (218); 24, 119 (155); 36, 92 (98) = NJW 74, 133; BGH NJW 59, 1330; BSGE 3, 209 (212); 7, 209 (211); BFHE 94, 517 (520); 98, 412 (415); HFR 1973, 576; BVerwG NJW 1962, 124 (125); OLG Köln OLGZ 68,324 (328); MDH, Art. 103 Abs.1 Rdnr. 6, 28, 48 ff. m. w. N.; Baur AcP 153, 408 m . w. N.; Röhl NJW 53, 1432; 58, 1272; 64, 276; Just, S.18 m. w. N .; Keidel, S. 38m. w . N.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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Die aus solcher Nichtausnutzung für das rechtliche Gehör sich ergebenden Nachteile muß der Beteiligte dann hinnehmen. Gleiches gilt aber auch, wenn die Gelegenheit nicht bewußt, sondern nur aus Nachlässigkeit verpaßt wird. Auch hier hatte der Beteiligte die Möglichkeit zur Äußerung, womit dem rechtlichen Gehör genügt war. Demnach ist das Recht auf Gehör stets dann nicht verletzt, wenn eine Partei die gebotene Möglichkeit zur Stellungnahme aus Gründen, die sie zu vertreten hat, nicht ausnutzt. Dieses Verständnis des rechtlichen Gehörs ist unstreitigm. Unsere bisherigen Überlegungen stellten auf den Normalfall der Gehörgewährung vor Gericht in einem laufenden Verfahren ab. Wenn wir den Gedanken, daß der Bürger infolge seiner persönlichen Verfahrensverantwortung das Seine tun muß, um vor Gericht Stellung zu nehmen, auf unsere spezielle Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem rechtlichen Gehör anwenden, so ergibt sich folgendes: Sollten fiktive Auslandszustellungen und die mit ihnen verbundene Gefährdung des rechtlichen Gehörs vom einfachen Verfahrensrecht gestattet werden, wenn und weil der Zustellungsadressat bewußt oder nachlässig versäumt hat, eine ihm vom Gesetz gebotene andere Zustellungsmöglichkeit ohne Gehörgefährdung und damit zugleich auch die Möglichkeit, sein rechtliches Gehör sicherzustellen, auszunutzen, so sind derartige fingierte Zustellungsregelungen mit Art. 103 Abs.l GG vereinbar. Denn wenn der Adressat hier infolge der fiktiven Zustellung kein rechtliches Gehör erhält, so hat er sich das selber zuzuschreiben. Er hat die gebotene Gehörmöglichkeit ausgeschlagen, indem er die Gelegenheit verpaßte, für eine sichere andere Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die sein rechtliches Gehör nicht gefährdete. In gleicher Weise, wie der Bürger eine ihm gebotene Gehörchance nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen verpassen darf, darf er es auch nicht schuldhaft dazu kommen lassen, daß ihm in einer Weise zugestellt wird, die ihm die Wahrnehmung seines rechtlichen Gehörs unter Umständen unmöglich macht. In beiden Fällen muß er die Konsequenzen seines schuldhaften Verhaltens tragen. Mit diesem Ergebnis können wir uns noch nicht zufrieden geben. Denn es läßt offen, wann genau die Grenze zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs überschritten ist. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen könnten wir etwa durchaus die These vertreten, dem Art.103 Abs.l GG sei durch jede noch so entfernte und noch so abstrakte Möglichkeit zur Stellungnahme Genüge getan. Wäre sie richtig, wäre beispielsweise jede öffentliche Zustellung ohne weiteres mit 117

Vgl. statt vieler BVerfGE 36, 92 (98)

=

NJW 74, 133 (134).

70

Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Art.l03 Abs.l GG vereinbar. Denn in der Bekanntmachung- sei es durch Aushang am "Schwarzen Brett" des Gerichts oder der Behörde oder durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder sonstwie -liegt ja eine Möglichkeit zur Kenntnisnahme und damit auch zur Stellungnahme. Daß u. U. praktisch keine Chance zur Realisierung dieser Möglichkeit besteht, ist für diese Position irrelevant. Nach den bisherigen Überlegungen läßt sich aber genausogut die Meinung vertreten, das verfassungsrechtlich garantierte Gehör sei erst dann gewährt, wenn dem Beteiligten eine Position geboten worden sei, von der man annehmen durfte, daß er sie ohne weiteres zur Äußerung nutzen würde. Irgendwo zwischen diesen beiden Polen liegt die Grenze zur Verletzung des Art. 103 Abs.l GG. Um sie aufzufinden, wollen wir auf einen Gedanken zurückgreifen, den wir vielleicht mit dem Schlagwort von der möglichst effektiven Realisierung der Grundrechte am besten kennzeichnen und der mit der sog. sozialstaatliehen Theorie der Grundrechte118 zusammenhängt. Das führt uns zu der für jede Grundrechtsinterpretation maßgeblichen Frage nach der verfassungsmäßigen Grundrechtstheorie119, über die seit langem mit eher noch steigender Tendenz gestritten wird120• Da hier nicht der Ort ist, sich mit diesem Streit auseinanderzusetzen, wollen wir uns damit begnügen, in Einklang mit der wohl h. M.1 21 festzustellen, daß jede der hauptsächlichen Theorien122 ihren Geltungsbereich beanspruchen kann, so daß wir zu einer komplexen Grundrechtstheorie kommen, die auch den sozialstaatliehen Ansatz umfaßt. Dessen Grundgedanke zielt darauf ab, den Auseinanderfall von rechtlicher und realer grundrechtlicher Gewährleistung zu überwinden. Für die Interpretation von Grundrechten bedeutet das (u. a.), sie stets so auszulegen, daß sie sich für den Begünstigten möglichst umfassend und vollständig realisieren. 118 Vgl. dazu u. a. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), 69 ff.; kritisch Martens, ebd., 28 ff.

119 Zum Zusammenhang zwischen Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation vgl. Böckenförde NJW 74, 1529 m. w. N. 12o Von den Stellungnahmen der letzten Zeit seien beispielhaft genannt: Meessen, Verbändegesetz, S. 14 ff.; Böckenförde, ebd.; Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, S. 29 ff.; Häberle VVDStRL 30 (1972), 69 ff.; Martens VVDStRL 30 (1972), 28 ff.; Ossenbühl NJW 76, 2104 f.; Rupp AöR 101 (1976), 161 ff.; Saladin, Grundrechte im Wandel, 2. Aufl. (1975); Weigand DVBl 74, 657; Zacher, in: Der Staat 14 (1975), S. 127 f. 121 Vgl. statt vieler Meessen, Verbändegesetz, S . 14 f. m. w. N.; a. A. v. a. Böckenförde NJW 74, 1529, der die These von einer ausschließlichen Geltung der bürgerlich-rechtsstaatliehen Grundrechtstheorie vertritt. 122 Das sind: die liberale oder bürgerlich-rechtsstaatliche, die institutionelle, die demokratisch-funktionale und die sozialstaatliche Grundrechtstheorie sowie die Werttheorie.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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Den gleichen Gedanken finden wir in der Rspr. des BVerfG, wenn sie fordert, daß "derjenigen Auslegung der Vorrang zu geben ist, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet" 123• Wenn wir diesen Gedanken der möglichst effektiven Realisierung der Grundrechte auf die Auslegung des Art. 103 Abs.1 GG anwenden, können wir unser bisheriges Interpretationsergebnis wie folgt verfeinern: Zwar ist dem rechtlichen Gehör schon genügt, wenn dem Beteiligten die bloße Gelegenheit zur Äußerung geboten wird. Diese Gelegenheit darf jedoch nicht nur theoretisch bestehen, sondern muß auch realisierbar in dem Sinne sein, daß der Beteiligte eine auch in der Praxis wirklich ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme erhält. Ob eine Möglichkeit in diesem Sinne ausreichend ist, hängt von den persönlichen Umständen des Betroffenen ab. Stellt man an ihn Anforderungen, die er nach seinen persönlichen Umständen und Fähigkeiten gar nicht erfüllen kann, wird die Möglichkeit, von seinem Äußerungsrecht Gebrauch zu machen, für ihn bereits eingeschränkt und sein Gehöranspruch damit verletzt. Auf der anderen Seite ist die das rechtliche Gehör ausmachende Äußerungsmöglichkeit erst dann als gewahrt anzusehen, wenn ihre Nichtausnutzung dem Beteiligten vorgeworfen werden kann, wobei sich die Vorwerfbarkeit eben nach den individuellen Möglichkeiten des Betroffenen richtet. Man kann die hier umschriebene Grenze auch in gleicher Weise, wie es die Rspr. z. T. bei Art. 19 Abs. 4 GG tut124, um dessen Effektivitätsgrenze festzulegen, mit dem Begriff der Unzumutbarkeit umschreiben. Dann darf die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Art. 103 Abs. 1 GG fordert also um seiner Effektivität willen die Beseitigung unzumutbarer Hindernisse auf seiten des Bürgers, wobei die Unzumutbarkeit von den individuellen Verhältnissen des Beteiligten abhängt. Diese Erwägungen zur Realisierbarkeit des rechtlichen Gehörs waren wieder auf den Normalfall zugeschnitten, daß einem Beteiligten in einer gerichtlichen Verhandlung Gehör zu gewähren ist. Wir müssen sie wieder auf unsere spezielle Problematik der Vereinbarkeit fiktiver 12a st. Rspr., z. B. BVerfGe 6, 55 (72) = NJW 57, 417; 32, 54 (71) = NJW 71, 2299; 39, 1 = NJW 75, 573 (575); insbesondere in seiner Rspr. zu Ar't. 6 Abs. 1 GG geht das BVerfG sogar so weit, daß es für die Grundrechtsinterpretation von einem allgemeinen Prinzip der Grundrechtseffektivität spricht; kritisch dazu Ehmke VVDStRL 20, 87 ff., 102, und Hesse, Grundzüge, § 2 II! 2 b cc, Fn. 34; zur Effektivität des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG vgl. Lerche ZZP 78, 17 f., und d a s dissenting vote Geigers NJW 76, 1393 (1394). 124 z. B. BVerfGE 10, 264 (268) = NJW 60, 331; 40, 272 = NJW 76, 141; NJW 76, 513.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Auslandszustellungen mit dem rechtlichen Gehör übertragen. Dabei ergibt sich im Anschluß an unser obiges Zwischenergebnis zu dieser Problematik: Wenn das einfache Verfahrensrecht dem im Ausland wohnenden Adressaten eine rechtlich und faktisch effektive Chance gibt, für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die keine Gefahr für sein Recht auf Gehör mit sich bringt, und wenn das Verfahrensrecht die fingierte Zustellung zuläßt, wenn und weil der Adressat diese Chance aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nutzt, dann ist diese Regelung mit dem rechtlichen Gehör unserer Verfassung vereinbar. Damit haben wir einen ersten Ansatz zur Lösung unserer Problematik gefunden. Der auf ihm aufbauende nächste Schritt unserer Untersuchung wird darin bestehen, die verfahrensrechtlichen Regelungen fiktiver Auslandszustellungen unter dem Gesichtspunkt dieses Lösungsansatzes daraufhin zu überprüfen, ob sie mit Art.103 Abs.l GG vereinbar sind. Bevor wir uns damit befassen, wollen wir jedoch zunächst noch nach weiteren Lösungsmöglichkeiten suchen. 10. Einsdlränkung des An. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einem anderen Grundredlt

Den zweiten Weg, Grenzen des grundgesetzliehen Rechts auf Gehör und darüber eine Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit diesem Recht zu finden, weist die Figur der Grundrechtskollision. Anders als bei der Grundrechtskonkurrenz geht es hier um eine Frontstellung, ein Gegeneinander und nicht um ein Nebeneinander mehrerer Grundrechte. Solche Kollisionen finden wir häufiger im GG. Sie sind keine verfassungsrechtliche Paradoxie, sondern Ausdruck der Notwendigkeit, den verschiedenen Forderungen unserer Realität eine angemessene Verfassungsform zu geben125• Obwohl die Figur der Grundrechtskollision seit langem bekannt ist126, wird kaum gesehen, daß sie zu ungeschriebenen Schranken von dem Wortlaut nach unbegrenzten Grundrechten führt. Aus der Rspr. kann man insoweit nur das "Mephisto-Urteil"IZ7 und einen Beschluß vom 125 Demgemäß finden wir Gegensätze selbst noch in den Fundamentalprinzipien des GG, wobei hier nur an den Gegensatz zwischen Rechts- und Sozialstaat erinnert sei, vgl. dazu Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat, S. 611 ff., v. a. 641. 12e Vgl. z. B. BVerfGE 14, 263 (281 f.) = NJW 62, 1667; 28, 243 = NJW 70, 1729 (1730); 30, 173 = NJW 71, 1645 (1646); Hess StGH NJW 68, 31 (34 f.); BVerwGE 14, 21 (27 f.) = NJW 62, 1532 (1534); BAGE 19, 217 = NJW 67, 843; Hesse, Grundzüge, § 2 III 2 b cc m. w. N. und § 10 II 1 a, 2; Hanau JuS 69, 213 ff.; Böckenförde DÖV 66, 30 f. (33 f.); Peters, Entwicklung und Grundfragen, S. 46; Rüfner, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 453 ff.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 125 ff.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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8. 11.1960 anführen128• Dieser befaßte sich mit einem Strafgefangenen, der seinen Mithäftlingen Tabak für den Fall eines Kirchenaustritts versprach. Hier kollidierte das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die auch das Recht zur Abwerbung umfaßt, mit Art. 1 GG, wobei das BVerfG der Menschenwürde den Vorrang gab und zugleich den seinem Wortlaut nach unbegrenzten Art. 4 Abs.1 GG einschränkte. Im "Mephisto-Urteil" betonte das Gericht erheblich deutlicher, daß es um einen Konflikt zwischen zwei grundrechtlich geschützten Rechtspositionen ging, nämlich zwischen der scheinbar unbeschränkten Kunstfreiheitsgarantie gern. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich (v. a. Art. 1 Abs. 1 GG). Auch hier nahm das Gericht eine sorgfältige Abwägung vor, deren Ergebnis wiederum in der Einschränkung eines dem Wortlaut nach uneingeschränkten Grundrechts (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) bestand. Von den Stimmen aus der Lit. sei auf Hesse und Peters hingewiesen. Hesse 129 führt aus, im Falle der Kollision dürfe nicht in vorschneller "Güterabwägung" oder abstrakter "Wertabwägung" das eine Rechtsgut auf Kosten des anderen zum Zuge kommen, vielmehr stelle das Prinzip der Einheit der Verfassung130 die Aufgabe einer Optimierung: beiden Gütern müßten Grenzen gezogen werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen könnten. Unter dem Aspekt der Verfassungseinheit ergäben sich auf diese Weise Grenzen auch für Grundrechte ohne ausdrückliche Begrenzungen131 • Die Aufgabe der optimalen Zuordnung bezeichnet Hesse als "praktische Konkordanz". In ähnlicher Weise schreibt Peters, im Konflikt zwischen mehreren Grundrechten sei im Wege der Auslegung ein Ausgleich zu suchen, der dem Grundgedanken jeder einzelnen Vorschrift und bei verschiedenwertigen Grundsätzen dem höheren Prinzip den entsprechenden Raum lasse132• Die Feststellung, inwieweit der einen oder anderen verfassungsrechtlich geschützten Position Raum gebühre, sei Aufgabe einer dem Gesamtinhalt der Verfassung gerecht werdenden Auslegung133• Diese Ausführungen machen auch ohne weitere Erläuterung deutlich, daß bei einer Kollision den beteiligten Grundrechten ansonsten nicht gekannte und im Grundgesetz nicht positivierte Grenzen erwachsen. BVerfGE 30, 173 = NJW 71, 1645 (1646). BVerfGE 12, 1 (4) = NJW 61, 211. 129 Grundzüge, § 2 III 2 b cc. 130 Zu diesem Prinzip der Verfassungsinterpretation vgl. v. a. Ehmke VVDStRL 20, 53 ff. (81 ff., 102); Scheuner VVDStRL 20, 125; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 125 ff. 131 Hesse, Grundzüge, § 10 II 1 a. 132 Festschrift für Arnold, S. 122, 127. 133 Peters, Entwicklung und Grundfragen, S. 46. 127

12s

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Das gilt nicht nur für ohnehin eingeschränkte Grundrechte, sondern auch für solche, die ihrem Wortlaut nach keine Grenzen kennen. Für den Fall der Grundrechtskollision ergibt sich aus dem bisher Gesagten also, daß der Wille des GG, bestimmte Grundrechte ohne jede Einschränkung zu gewähren, undurchführbar ist, weil er nicht zu anderen Äußerungen ebenfalls des GG paßt, an denen man im Interesse der Einheit der Verfassung nicht vorbeigehen darf. Gegen die Richtigkeit dieser Aussage bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, die aus Art. 19 Abs. 1 S . 1 GG folgen. Er basiert auf der Vorstellung, Grundrechte seien nur in den vom GG selber vorgesehenen Fällen und nur in dem gleichfalls grundgesetzlich bestimmten Umfang einschränkbar134• Auch Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zeigt, daß das GG von dieser Vorstellung ausgeht. Seine Funktion liegt darin, "zusätzliche, versteckte Grundrechtsbeschränkungen unmöglich zu machen" 135• Diese Aufgabe kann er aber nur erfüllen, wenn und weil er davon ausgeht, daß Grundrechtseinschränkungen allein nach Maßgabe des Art.19 Abs. 1 S. 1 GG möglich sind, also nur dann, wenn ein Grundrecht einen Gesetzesvorbehalt aufweist, der dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu Grundrechtseinschränkungen eröffnet136, Will man nun der obigen Ansicht folgen, wonach bei einer Grundrechtskollision auch den vorbehaltsfreien Grundrechten Schranken erwachsen können, so muß man sich darüber klar sein, daß dies mit Art. 19 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, eben weil beideSätze dieser Vorschrift davon ausgehen, daß Grundrechte ohne Schranken auch schrankenlos bleiben sollen. Infolgedessen steht man hier vor der Wahl, entweder dem Art.19 Abs. 1 GG und der dahinter stehenden Vorstellung gerecht zu werden oder aber der Aufgabe, die Einheit der Verfassung zu wahren, was zu der obigen Ansicht führt. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist nicht ersichtlich. Die klare Umschreibung dieser Alternative präjudiziert zugleich die Entscheidung. Die Wahrung der Verfassungseinheit ist eine höherrangige Aufgabe, der gegenüber die Beachtung der den Art.19 Abs.1 GG beherrschenden Vorstellungen zurücktreten muß. Ansonsten wäre eine vernünftige Lösung der Konfrontationsfälle nicht möglich, man stünde vielmehr vor zwei einander widersprechenden Ergebnissen und müßte für solche Fälle ein teilweises Versagen des GG feststellen. Somit ändern diese Bedenken nichts an dem oben gefundenen Ergebnis, daß bei einer Kollision zweier Grundrechte auch für ein uneingeschränktes Grundrecht Schranken entstehen können. 134 135 136

Vgl. Hesse, Grundzüge, § 10 IV 1. BVerwG NJW 70, 908 (909) m . w. N.; vgl. auch BVerfGE 5, 16. Vgl. BVerfGE 24, 367 (397).

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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Wir haben also einen weiteren Weg zur Einschränkung des Art.103 Abs.l GG gefunden. Der näheren Erläuterung bedarf jedoch noch, auf welche Weise Grundrechtskollisionen zu lösen sind. Wir haben bisher gesagt, grundrechtliche Kollisionen seien mit dem Ziel zu harmonisieren, die Einheit der Verfassung zu wahren. Dadurch soll jedem betroffenen Grundrecht eine möglichst weitgehende Wirkung erhalten bleiben. Es darf also nicht dazu kommen, daß ein Grundrecht auf Kosten eines anderen mehr als unbedingt nötig zurückgedrängt oder gar vollständig verdrängt wird. Jedes Grundrecht soll vielmehr seine Wirkungskraft so stark entfalten, wie es das andere kollidierende Grundrecht unter Berücksichtigung aller Einzelheiten des konkreten Falls zuläßt. Denn alle beteiligten Grundrechte gehören zu den Wesensbestandteilen der verfassungsmäßigen Ordnung137• Diese Grundsätze sind ziemlich abstrakt und deshalb wenig praktikabel, wenn man sie zur Entscheidung konkreter Fälle heranziehen will. Deshalb muß man nach Kriterien suchen, die den Ausschlag für die Bevorzugung des einen oder anderen Grundrechts geben können. Die erste Entscheidungshilfe kann sich aus der Überlegung ergeben, welches der kollidierenden Grundrechte am stärksten von dem zu beurteilenden Sachverhalt betroffen ist. Das stärker betroffene Grundrecht verlangt auch die stärkere Berücksichtigung. Dieses Kriterium wird für unsere Problematik der fiktiven Auslandszustellungen unter zwei Aspekten relevant. Der erste folgt aus der besonderen Beziehung zwischen Gehör und Zustellungsform. Eine fingierte Zustellung führt nicht zwangsläufig zum Ausschluß des rechtlichen Gehörs, sondern birgt "nur" die Gefahr dafür in sich. Der zweite liegt in der Überlegung, daß durch die fingierten Auslandszustellungen die Möglichkeit, sich zu dem zugestellten Schriftstück zu äußern, also das rechtliche Gehör, um so stärker tangiert ist, je geringer die Chance ist, daß der Zustellungsempfänger von dem fiktiv zugestellten Schriftstück tatsächlich Kenntnis erhält. Diese Chance ist z. B. bei der Zustellung d. A. z. P., bei der immerhin versucht wird, dem Empfänger das zugestellte Schriftstück zugänglich zu machen, größer als bei der öffentlichen Zustellung. Innerhalb der öffentlichen Zustellung ist sie geringer, wenn die Bekanntmachung durch Anschlag an der Gerichtstafel erfolgt, dagegen größer, wenn sie durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger geschieht. Denn man kann eher davon ausgehen, daß der im Ausland wohnhafte Empfänger den Bundesanzeiger liest, kaum jedoch davon, daß er den Aushang irgendeines deutschen Gerichts studiert. 137 Von daher ist Hesse (Grundzüge, § 2 111 b cc) zuzustimmen, w enn er sagt, die Grenzziehungen müßten "verhältnismäßig" sein.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Ein zweites Kriterium zur Bewältigung der Optimierungsaufgabe liefert die Überlegung, welchem der kollidierenden Grundrechte im gesamten Verfassungsgefüge ein höherer Stellenwert zukommt138. Allerdings kann diese Erwägung nur in beschränktem Umfang weiterhelfen. Denn es gibt keine durchgängige Ranghierarchie der Grundrechte. Sie sind vielmehr prinzipiell gleichrangige und selbständige Gewährleistungen139• Das folgt schon aus dem Gedanken der Einheit der Verfassung, der Rangunterschiede zwischen einzelnen Normen allenfalls ausnahmsweise zuläßt. Trotz dieses grundsätzlichen Vorbehalts läßt sich der Gedanke des Stellenwerts für unsere Problematik der fiktiven Auslandszustellungen unter folgendem Aspekt verwerten. Bei Art. 103 Abs.1 GG fehlt jeglicher Gesetzesvorbehalt. Zwar kann man nicht annehmen, daß ein Grundrecht ohne Vorbehalt schon allein deshalb höherrangig ist; das verbietet sich von selbst, wenn man die Grundrechte ohne Vorbehalt (z. B. Art. 8 Abs. 1 GG) neben solche mit Vorbehalt (z. B. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) stellt, wobei man sogleich sieht, daß die vorbehaltsfreien nicht stets gewichtiger sind140. Immerhin bietet die im GG vorgesehene Abstufung der Einschränkungsmöglichkeiten aber doch wohl ein Indiz für den Rang der Grundrechte untereinander. Wenn der Verfassungsgeber ein Grundrecht wie Art. 103 Abs.l GG ohne jede Einschränkung gewährt, dann spricht das schon für eine besondere Bedeutung dieses Grundrechts, der im Rahmen der Optimierung der kollidierenden Grundrechte Rechnung zu tragen ist. Der Wille der Verfassung, ein Grundrecht ohne Vorbehalt zu gewähren, kann sich also im Kollisionsfall nicht vollkommen durchsetzen, bleibt aber auch nicht ohne jede Bedeutung, sondern eine positivrechtlich relevanet Aussage mit Indizbedeutung141. Als Indiz für die Bedeutung eines kollidierenden Grundrechts im gesamten Verfassungsgefüge kann weiterhin seine Nähe zu der in Art. 1 GG geschützten Menschenwürde angesehen werden142, weil diese das "tragende Konstitutionsprinzip" unserer Verfassung ist. Je enger die Verbindung eines Grundrechts zu diesem Grundwert ist, desto höher ist sein Rang im Gefüge der Grundrechte einzuschätzen. Auch von Art. 103 Abs. 1 GG aus läßt sich eine Brücke zu diesem Prinzip schlagen. Diese Verbindung ist aber nicht stärker als die bei allen Grundrechten vorliegende Verbindung zur Menschenwürde143• Deshalb 138 Vgl. BVerfGE2, 1 (72f.) = NJW52, 1407; 28,243 = NJW70, 1729 (1730). 139 Scheuner DOV 71, 509; Hesse, Grundzüge, § 9 III. uo Vgl. Hesse, Grundzüge, § 10 II 1 (a. E.). 141 In diesem Sinne wohl auch MDH, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 4 (a. E.), 70 (a. E.). 142 So zuletzt BVerfGE 39, 1 (43).

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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scheidet dieser Aspekt als Indiz für einen erhöhten Stellenwert des Art. 103 Abs. 1 GG im Verfassungsgefüge aus. Neben den Überlegungen, welches der kollidierenden Grundrechte im konkreten Fall am stärksten betroffen ist und welchem Grundrecht der höhere Stellenwert zukommt, bietet die Garantie des Art.19 Abs. 2 GG ein drittes Kriterium zur Bewältigung der sich im Kollisionsfall stellenden Optimierungsaufgabe. Auf Art. 19 Abs. 2 lassen sich zwei Erwägungen stützen. Einmal stellt die Wesensgehaltsgarantie die untere Grenze für das Zurücktreten einer kollidierenden Rechtsposition dar. Zum anderen folgt aus Art. 19 Abs. 2 GG, daß der Schutz eines Grundrechts in seinem Kernbereich stärker ist als in den Randzonen144, also den Bereichen, die für die jeweiligen Grundrechte weniger typisch sind145• Die Optimierung im Kollisionsfall hat deshalb eher auf Kosten von Rechtspositionen zu erfolgen, die in den Randzonen der betroffenen Grundrechte liegen14&. Schließlich sei noch auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden147 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen, der bei der Optimierung stets zu beachten ist 148• Er fordert u. a., daß eine Grundrechtsbeschränkung der zu bekämpfenden Gefahr angepaßt ist1 49 und daß ein 143 Vgl. dazu im einzelnen die späteren Ausführungen zur Herleitung des rechtl. Gehörs aus der Menschenwürde. 144 Vgl. BVerfGE 28, 243 (261) = NJW 70, 1729 (1730); 32, 40 (46) = NJW 72, 93; Berg, S. 134 ff. 145 Rüfner (in: BVerfG u. GG, Bd. II, S. 465) weist zu Recht darauf hin, daß Grundrechtskollisionen meist nur in solchen Randzonen auftreten. 146 Auf die Schwierigkeiten, den Wesensgehalt eines Grundrechts i:n Einzelfall konkret festzulegen, kann hier nicht eingegangen werden (dazu etwa Maunz, Staatsrecht, § 16 I 2). Angebracht scheint nur der Hinweis, daß Art. 19 Abs. 2 GG nur dann einen Beitrag zur Lösung der Optimierungsaufgabe leisten kann, wenn man ihn i. S. d. "absoluten Theorie" der h. M. (u. a. BVerfGE 2, 284 f.; 6, 32 [41]; 7, 377 [411]; 16, 194 [201]; 22, 180 [218 f.]; 30, 47 [53 f.]; BGH DVBl 53, 370; BGHSt 4, 375 [377]; BVerwGE 1, 244; v. Mangoldt I Klein, GG Art. 19 Anm. V 4 d [2. Aufl.]) versteht und nicht relativ sieht, indem man den Wesensgehalt eines Grundrechts dort beginnen läßt, wo die Möglichkeiten zulässiger Begrenzung enden (vgl. z. B. Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 234 ff.; Hesse, Grundzüge, § 10 IV 1 b). Denn dann bezeichnet die Wesensgehaltgarantie nichts anderes als die sich im Zuge der Optimierung ergebenden Grundrechtsschranken, um deren Auffindung es hier aber gerade erst geht. 147 So die st. Rspr., z. B. BVerfGE 23, 127 (133); 29, 312 (316); außerdem leitet das BVerfG den verfassungsrechtl. Rang des Verhältnismäßigkeitsprinzips unmittelbar aus den Grundrechten ab, vgl. z. B. BVerfGE 19, 342 (348 f.); aus der Lit. z. B. Raether, S. 74 f. m. w. N. 148 Aus der zahlreichen Rspr. allein des BVerfG zu diesem Prinzip vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (407); 19, 342 (347 f.); 20, 45 (49 ff.); 32, 373 (379 f.); 34, 369 (380 ff.); aus der Lit. vgl. z. B. Raether, S. 74f.; Grabitz AöR 98, 568 ff.; entsprechend dem Sprachgebrauch des BVerfG wird "Verhältnismäßigkeit" hier als Oberbegriff für Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) verstanden. 149 z. B. BVerfGE 2, 266 (280).

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

beabsichtigter Eingriff zu dem ihn auslösenden Anlaß in angemessenem Verhältnis steht150• Es muß also ein vernünftiges Verhältnis des gewählten Mittels zu dem damit verfolgten Zweck vorliegen161 • Das Mittel darf nicht ohne zwingenden Grund über das angemessene Maß hinausgehen und den Bürger übermäßig belasten152• Es muß geeignet und notwendig sein153 • Nachdem jetzt klar ist, auf welche Kriterien bei der im Falle von Grundrechtskollisionen gebotenen Optimierung insbesondere zu achten ist, wird der nächste Schritt unserer Untersuchung in der Prüfung bestehen, ob und inwieweit die Überlegungen zur Grundrechtskonfrontation einen Beitrag zur Lösung der Problematik von fiktiven Auslandszustellungen leisten können. Diese Fragen wollen wir jedoch zurückstellen, bis wir alle Lösungsansätze herausgearbeitet haben. 11. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einer verfassungsrechtlichen Institutsoder institutionellen Garantie

In gleicher Weise wie zwei Grundrechte kollidieren können, können auch ein Grundrecht und ein verfassungsrechtlich gesichertes Institut oder eine institutionelle Garantie kollidieren1 ~4 • Dies gilt z. B. für das subjektive Recht auf Pressefreiheit und das Institut der freien Presse, wie das BVerfG im sog. Spiegel-Urteil155 hat anklingen lassen. Dort heißt es, das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und das in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG garantierte Institut "freie Presse" könnten unter bestimmten Voraussetzungen in einem Spannungsverhältnis stehen, das zur Einschränkung des subjektiven Rechts führen könne156• Ein weiteres Beispiel bietet das Recht auf Ehescheidung, das bei der ab 1. 7. 1977 geltenden Neuregelung des Scheidungsrechts ja erheblich ausgeweitet wurde. Hier kommt es zu einem Konflikt zwischen der Entfaltungsfreiheit gern. Art. 2 Abs. 1 GG, auf die sich der scheidungswillige Partner berufen kann, und dem in Art. 6 Abs. 1 GG besonders geschützten Rechtsinstitut der Ehe, für das die grundsätzlich unauflösliche Lebens1so z. B. BVerfGE 16, 194 (201 f.); 17, 108 (117 f.); 27, 211 (219). 151 z. B. BVerfGE 10, 354 (364). 152 BVerfGE 10, 364. 153 z. B. BVerfGE 20, 162 = NJW 1603 (1613); zu weiteren Differenzierungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips vgl. v. a. Grabitz AöR 98, 568 ff. 154 Diese von Carl Schmitt (vgl. z. B. Verfassungslehre [1928], S. 170 ff.) entwickelten Rechtsfiguren waren allerdings nie unstreitig, kritisch z. B. Hesse, Grundzüge, § 9 li pr., Fußn. 4. Zum Unterschied zwischen beiden, der in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung ist, vgl. MDH, Art. 1 GG Rdnr. 97 f. 155 BVerfGE 20, 162 ff. = NJW 66, Hi03 ff. 1so BVerfGE 20, 175 f.; vgl. dazu auch MDH, Art. 5 GG Rdnr. 181, 186.

Kap. 1: Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 GG

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gemeinschaft der beiden Ehepartner charakteristisch ist157• In ähnlicher Weise könnte es auch zu Konfrontationen zwischen dem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG und einem verfassungsrechtlich geschützten Institut kommen. Die Kollisionsfälle zwischen grundgesetzlich gesichertem Institut und subjektivem Grundrechtsanspruch sind in gleicher Weise wie die Fälle der Grundrechtskollision zu lösen. Auch hier stellt sich also die Optimierungs- oder Harmonisierungsaufgabe. Bei ihrer Lösung sind die oben entwickelten Kriterien in entsprechender Weise zu beachten. Die Prüfung, ob und ggf. wie diese Möglichkeit zur Einschränkung des Art. 103 Abs.1 GG unserer Untersuchung der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dieser Norm dienlich gemacht werden kann, soll wieder zurückgestellt werden. 12. Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG infolge einer Kollision mit einem verfassungsrechtlich gescllützten Gemeinscllaftsinteresse

Neben den beiden bisher geschilderten gibt es noch einen dritten KollisionsfalL Bei ihm steht ein Grundrecht oder eine Verfassungsgarantie einem Gemeinschaftsinteresse gegenüber, dessen Wahrung so wichtig sein kann, daß es sogar Grundrechten vorgeht. Zur Verdeutlichung seien auch hier einige Beispiele aus der Rspr. angeführt. Das BVerfG hatte zu entscheiden, ob bei Verweigerung militärischer Dienstleistungen durch einen Soldaten, der noch nicht rechtskräftig als Kriegsdienstverweigerer anerkannt war, die Bewertung seines Verhaltens als Dienstvergehen gegen das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG verstößt158• Hierbei war eine Konfrontation dieses Grundrechts, das keine positivierten Schranken hat, mit der im Gemeinschaftsinteresse stehenden Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gegeben, die beide verfassungsrechtlichen Rang haben, da Art. 12 a Abs. 1, 73 Nr. 1 und 87 a Abs. 1 S. 1 GG die Wehrpflicht zu einer verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht und eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Verteidigung getroffen haben. Als weiteres Beispiel sei die Kollision des Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) mit dem Gemeinschaftsinteresse in Form des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat in den Fällen der Untersuchungshaft genannt159• Diese Art von Kollisionsfällen ist ebenfalls im Wege der Optimierung oder Harmonisierung unter dem Aspekt der Verfassungseinheit zu lösen. Dabei können sich wiederum auch für dem Wortlaut nach BVerfGE 10, 55 (66). BVerfGE 28, 243 = NJW 70, 1729 (1730). 1su BVerfGE 20, 45 (49) = NJW 66, 1259; 19, 342 (347 f.) 157

158

=

NJW 66, 243.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

uneingeschränkte Grundrechte Grenzen ergeben, also auch für Art.103 Abs.1 GG. Daß Gemeinschaftsinteressen Grundrechte beschränken können, dürfte i. ü. unstreitig sein. Zum gleichen Ergebnis gelangt etwa die schon ältere Rspr. des BVerwG zu Art. 19 Abs. 2 GG160 ebenso wie die gleichfalls schon behandelte Ansicht von Maunz I Dürig I Herzog161 • Die Unterschiede liegen zum einen in der Begründung und Herleitung für diesen Vorbehalt zugunsten der Gemeinschaftsinteressen. Zum anderen kommen für die hier angesprochene Einschränkung des Art. 103 Abs.1 GG durch Gemeinschaftsinteressen nur solche in Betracht, die verfassungsrechtlich geschützt sind. Nur solche Interessen sind von ihrem Rang her geeignet, ein grundrechtlich gechütztes Interesse einzuschränken. Nur bei ihnen stellt sich auch im Kollisionsfall die Aufgabe, die Einheit der Verfassung zu wahren und zu diesem Zweck praktische Konkordanz herzustellen. Das Ergebnis dieses Abschnitts läßt sich wie folgt zusammenfassen: Um die Vereinbarkeit der fiktiven Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs. 1 GG zu klären, braucht man Ansätze für eine Einschränkung dieses seinem Wortlaut nach unbegrenzten Grundrechts. Dafür haben sich zwei Möglichkeiten ergeben. Die erste folgt aus einer auf dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers basierenden Interpretation und läuft darauf hinaus, daß solche Regelungen des einfachen Rechts mit Art. 103 Abs.1 GG vereinbar sind, die Zustellungsfiktionen zulassen, wenn und weil der Adressat bewußt oder fahrlässig versäumt hat, eine ihm vom Gesetz gebotene andere Zustellungsmöglichkeit, die sein rechtliches Gehör nicht gefährden würde, auszunutzen. Die zweite Möglichkeit ist gegeben, wenn das Grundrecht aus Art. 103 Abs.1 GG, auf das sich der Adressat einer fingierten Auslandszustellung berufen kann, mit einem anderen Grundrecht, einem verfassungsrechtlich geschützten Institut oder einem Gemeinschaftsinteresse kollidiert. Die Lösung solcher Konflikte im Wege der harmonisierenden Verfassungsinterpretation kann zu Einschränkungen eines dem Wortlaut nach unbegrenzten Grundrechts wie Art. 103 Abs. 1 GG führen. Die Prüfung, ob und wie diese Ansätze uns bei unserer Untersuchung der Verfassungskonformität fiktiver Auslandszustellungen weiterhelfen können, haben wir bisher zurückgestellt. Wir wollen sie auch jetzt noch nicht durchführen, sondern zunächst auf eine Erwägung zurückkommen, die am Anfang des jetzt abgeschlossenen Kapitels stand.

tso Vgl. etwa BVerwGE 5, 153 (158) = NJW 58, 232 (234). Art. 2 Abs. 1 GG Rdnr. 74 (a. E.), 75.

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Kap. 2: Vereinbarkeit mit dem nicht von Art. 103 GG erfaßten Gehör

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Kapitel2

Die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem nicht von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten Recht auf Gehör und Lösungsansätze Wir haben bereits gesehen, daß Art. 103 Abs. 1 GG nur für Verfahren vor staatlichen Gerichten gilt. Bei unserem Überblick über die einfachrechtlichen Ausgestaltungen fiktiver Auslandszustellungen haben wir ferner gesehen, daß auch außergerichtliche, insbesondere Verwaltungsverfahren diese Zustellungsformen kennen. Sollte auch in diesen Verfahren das Prinzip des rechtlichen Gehörs mit Verfassungsrang gelten, so stünden wir vor den gleichen Fragen, die wir im vorigen Kapitel im Hinblick auf das durch Art.103 Abs. 1 GG garantierte Gehör behandelt haben. Deshalb wird in diesem Kapitel zunächst geprüft, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch außerhalb des sachlichen Geltungsbereichs von Art. 103 Abs. 1 GG mit Verfassungsrang gilt. Sollte das zu bejahen sein, werden wir überlegen müssen, wie wir die dann gegebene Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit diesem Recht auf Gehör anzugehen haben. 1. Die verfassungsrechtliche Fundierung des nicht von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten rechtlichen Gehörs

Der Gedanke liegt nahe, die weiterreichende verfassungskräftige Geltung des Gehörs mit einer analogen Anwendung des Art. 103 Abs.1 GG zu begründen. Dann müßten die von dieser Norm unmittelbar nicht erfaßten, außergerichtlichen Verfahren den gerichtlichen Verfahren so nahe stehen, daß man sagen kann, es handele sich um zwei vergleichbare Größen mit ähnlicher Interessenlage, die eine Analogie rechtfertigen. Dies ist jedoch wegen einiger Charakteristika jeglichen Gerichtsverfahrens nicht gegeben. Bei ihm handelt es sich um ein streng förmliches Verfahren, an dessen Ende eine der Rechtskraft fähige Entscheidung steht. Eine vergleichbare justizförmige Ausgestaltung gibt es in keinem außergerichtlichen Verfahren. Schon deshalb kann auf sie Art. 103 Abs. 1 GG nicht analog angewendet werden1 • Andere Ansatzpunkte zur Beantwortung der Frage, ob und inwieweit das Gehörprinzip über Art. 103 Abs. 1 GG hinaus mit Verfassungsrang gilt, ergeben sich nur, wenn man sich klar macht, auf welchen Grundlagen die allgemeine Gehörmaxime ruht, die in Art. 103 Abs. 1 GG für einen bestimmten Teilbereich ausdrücklich Verfassungsrang erhalten hat. Die folgenden Erwägungen müssen also die Basis des 1 Ausführlich dazu Renkl, S. 18 ff.; vgl. auch MDH, Art. 103 Abs. 1 GG Rdnr. 92.

6 Schmitz

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Grundsatzes vom rechtlichen Gehör im allgemeinen und damit auch des Art. 103 Abs.l GG klären. Zur "rechtlichen Begründung", "Ableitung" oder zum "Geltungsgrund" des rechtlichen Gehörs gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen und Abhandlungen2 , weil man auf diesem Wege Hilfen zur inhaltlichen Präzisierung des Art.103 Abs.l GG zu gewinnen suchte, der wie alle Grundrechtsnormen äußerst knapp gefaßt ist3 • Dennoch hat sich bis heute noch keine Übereinstimmung hinsichtlich der richtigen Begründung ergeben. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die einschlägigen Erörterungen von den verschiedenen Ausformungen beeinflußt sind, die das rechtliche Gehör in den einzelnen Verfahrensordnungen erfahren hat. So liegt z. B. nahe, daß ein Zivilrechtler, der das beiderseitige Gehör im Zivilprozeß vor Augen hat, das mit der dort geltenden Verhandlungsmaxime eng verknüpft ist, das Gehörprinzip anders begründet als ein Verwaltungsjurist, der an die im Verwaltungsprozeß herrschende Untersuchungsmaxime denkt. Demgemäß wird eher von Zivilrechtlern die These vertreten, das Gehör folge aus (dem im Zivilprozeß als Ausfluß der Verhandlungsmaxime geltenden "Prinzip der Waffengleichheit" und damit aus) Art. 3 GG4 • Auf der anderen Seite liegt es für einen Juristen, der sich unter dem Aspekt des Verwaltungsprozesses unserer Frage zuwendet, näher, mit Rücksicht auf die Untersuchungsmaxime die innere Rechtfertigung des Gehörs in seiner sachaufklärenden Funktion zu suchen5 • Schon vor der (partiellen) verfassungsrechtlichen Erhöhung des rechtlichen Gehörs durch das GG wurden verschiedene Begründungen für dieses Prinzip gegeben6 • Auf sie braucht hier nicht eingegangen zu werden. Denn weil sich Lehre, Rspr. und Gesetzgebung damals nur mit den verschiedenen Erscheinungsformen des Gehörs in den einzelnen Verfahrensarten beschäftigen konnten, entwickelte sich auch kein 2 Exemplarisch seien genannt: BVerfGE 7, 275 (278); 9, 89 (95); 12, 6 (8); BGHZ 35, 1 (8); BGHSt 17, 28 (33); BVerwGE 24, 264 (266); BFHE 69, 33 (35); BayObLG NJW 66, 409; OLG Stuttgart NJW 63, 1161; OLG Frankfurt NJW 62, 449 (450); MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 4 f.; Hamann I Lenz, Art. 103 Erl. A 1; Dahs, S. 1 ff.; Keidet, S. 29 ff.; Kenneweg, S. 18 ff.; Kurth, S. 23 ff.; Renkt, S. 29 ff.; Rüping, S. 112 ff.; Schönke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 8 III 1; Wintrich BayVBl 57, 137 (139). 3 Außerdem konnte man auf diesem Wege die Geltung des rechtlichen Gehörs im allgemeinen Verwaltungsverfahren begründen (vgl. z. B. Kopp, S. 30 ff.; Renkl, S. 29 ff.; MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 92), was heute wegen dessen Normierung in den neuen Verwaltungsverfahrensgesetzen nicht mehr nötig ist. 4 Vgl. dazu im einzelnen die späteren Ausführungen. 5 Vgl. dazu u. a. BVerfGE 7, 275 (278); 9, 89 (95); OVG Lüneburg OVGE 5, 347; me DVBl 59, 537 (541); Kenneweg, S. 20 ff.; Rüping, S.118; König DVBl 59, 189 (190 f.). s Dazu Kotb, S. 10 ff.

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allgemein anerkannter Geltungsgrund und erst recht keiner mit Verfassungsrang. Die nach Entstehung des Art. 103 Abs.1 GG vertretenen Herleitungen kann man einteilen in solche außerverfassungsrechtlicher und solche verfassungsrechtlicher Art. Die außerverfassungsrechtlichen Herleitungen7 sind für unsere Untersuchung ohne Bedeutung. Denn wir wollen ja klären, ob das rechtliche Gehör über Art.103 Abs. 1 GG hinaus gerade mit Verfassungsrang gilt. Dafür brauchen wir aber eine tragfähige Grundlage im Verfassungsrecht. Somit brauchen wir uns nur den i. ü. auch weitaus häufiger vertretenen verfassungsrechtlichen Gehörbegründungen zuzuwenden. a) Begründung aus einzelnen Grundrechten

Manche von ihnen stützen sich auf einzelne Grundrechte, insbesondere die Art. 2 Abs.1 und 3 Abs.1 GG. Der Versuch, das rechtliche Gehör aus dem Recht zur freien Persönlichkeitsentfaltung herzuleiten8 , überzeugt schon im Hinblick auf den 7 Von ihnen sind die meisten nur schlagwortartige Charakterisierungen, die man kaum als wirkliche Gehörbegründungen bezeichnen kann (Nachweise bei Kolb, 5 . 12). Ernst zu nehmen sind nur drei. Die erste will das Gehör aus anderen Prozeßmaximen ableiten, v. a. dem Verhandlungs- (vgl. RGZ 160, 157 [162]); Seuffert I v. Walsmann, ZPO, 1. Bd. [12. Aufl.), § 128, 1; Grunsky, Grundlagen, 5. 151; wohl auch Baumann, Grundbegriffe, 5. 53; OLG Frankfurt NJW 62, 449 (450) spricht zwar auch von dem "Verhandlungsgrundsatz" als der Gehörbasis, meint damit aber die kontradiktorische Verhandlungsform) und dem Mündlichkeitsprinzip (vgl. RGZ 40, 373 [374]; Sydow I Busch u. a., ZPO, 22. Aufl.., § 128, 8; für das Verwaltungsverfahren will König [DVBl 59, 190 ff.] das Gehör mit allgemeinen Verfahrensgrundsätzen begründen, dagegen Renkl, 5. 34 f.; Kurth, 5. 28 ff.; Löwe, 5. 14 f.; Prager, 5. 145 ff.; Rilping, 5.113). Nach der zweiten, von Baur (AcP 153, 393 ff. ; auch in JZ 64, 662) entwickelten Ansicht ist das Gehör im Justizgewährungsanspruch (dazu Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, 1925, 5. 78, 138, 263; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 1950, 5. 5 ff.; Rosenberg, ZPO, § 2 II 3 a; Baur, 5. 396 ff. m. w. N.) enthalten und deshalb aus einer sog. Unrechtsabwehrtendenz herzuleiten (zustimmend, wenn auch z. T. mit Modifikationen: Dahs, 5. 8 ff.; Hohenester DRiZ 59, 214; Kurth, 5. 53 ff.; Nakano ZZP 79, 99 (109); Siegert AcP 155, 28 ff.; Wolf JZ 71, 405 ff.; ablehnend: MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 88, 97 m. w . N.; Hummel, 5. 63; Kolb , 5. 23; Renkl, 5. 31; Zeuner JZ 64, 622; Rilping, 5.116). Die dritte nichtverfassungsrechtliche Begründung sucht die innere Rechtfertigung des rechtl. Gehörs in dessen Aufgabe der 5achaufklärung (vgl. dazu BVerfGE 7, 275 [278); 9, 89 [95); OVG Lüneburg OVGE 5, 347 [dagegen Baur, AcP 153, 405); aus der Lit. vgl. u. a. Arndt, NJW 59, 1297 [1300]; Ule DVBl 59, 537 [541]; Blomeyer, ZPO, § 16 I 1; Löwe I Rosenberg I Schäfer, Einl. Kap.ll B 4; Kenneweg, 5. 20 ff.; Werner DRiZ 58, 287 [288]; Rüping, 5.118; König DVBl 59, 189 [190 f.]; ablehnend äußern sich v. a. Baur, AcP 153, 393 [402); Schönke I Kuchinke, ZPO, 5. 33; Kolb, 5. 21; vgl. auch OLG 5tuttgart NJW 63, 1161). Dieser Gedanke ist in der Tat geeignet, zur Gehörbegründung beizutragen (vgl. v. a. Rilping, 5 . 117 ff.), was hier aber nicht erläutert zu werden braucht.

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Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Zwar dürfte kaum festzulegen sein, was genau mit der "freien Entfaltung der Persönlichkeit" gemeint ist, so daß man auf vorsichtige und dementsprechend wenig aussagekräftige Formulierungen wie die von Maunz9 angewiesen ist, wonach hier die Freiheit des Handeins gemeint ist und damit das Recht, sein Handeln gemäß der eigenen Entscheidung einzurichten. Immerhin läßt sich aber schon an diesem vorsichtigen Definitionsversuch erkennen, daß der von Art. 2 Abs. 1 GG angesprochene Bereich beim rechtlichen Gehör nicht zur Debatte steht. Hier geht es nicht um Persönlichkeitsentfaltung, was immer im einzelnen darunter zu fassen sein mag, sondern um die Einräumung einer bestimmten Verfahrensposition. Rechtliches Gehör hat nichts damit zu tun, daß man sein Handeln gemäß der eigenen Entscheidung einrichten kann. Infolgedessen ist das Gehör nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten10• Den Gedanken, das Gehör auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu gründen, findet man- wie erwähnt- v. a. bei Zivilrechtlern11 • Sie folgern das im Zivilprozeß geltende beiderseitige Gehör aus dem "Prinzip der Waffengleichheit" im Prozeß, das eine spezielle Ausprägung des grundrechtliehen Gebots darstellt, Gleiches auch gleich zu behandeln, und das die Forderung beinhaltet, allen Parteien gleicherweise und unter den gleichen Voraussetzungen die gleichen prozessualen Rechte zuzugestehen12• Die Vorstellung, daß ein Zusammenhang zwischen Gleichheit und Gehör besteht, ist nicht neu13 und findet sich heute noch in der Begründung, die das Schweizer Bundesgericht dem Gehörprinzip gibt14• s So v. a. Heinzmann, S. 36 ff.; weniger entschieden, aber im gleichen Sinne Holtkotte in BK, Art. 103, Anm. 111 (a. E.) und wohl auch BFHE 69, 33 (35). 9

Staatsrecht, § 14 III.

to Ebenso Renkl, S. 40 ff.; Kolb, S.17 ff. 11 Vgl. v. Mangoldt, Das Bonner GG, BerliniFrankfurt 1953 (1. Aufl.), Art. 3 Anm. 3; Hamann, GG (1. Aufl.), Art. 103 Anm. C 1; Habscheid JR 58, 361 "364 f.); Siegert AcP 155, 42; ähnlich auch Ule DVBl 59, 537 (542); und Kurth,

s. 52.

12 Zum Prinzip der Waffengleichheit u. a. BGH NJW 71, 879 (882); Stein I Jonas I Pohle, ZPO, Vorbem. IX 1 vor§ 128; Blomeyer, ZPO, § 15, 4 und§ 16; Rosenberg, ZPO, § 39 IV; Bettermann JurBl 1972, 57 (63); Bötticher, Gleich-

heit vor dem Richter, S. 7, 9 ff., 21 ff. 13 Dazu Rüping, S. 113. 14 Das SchwBG sieht in Art. 4 S. 1 der Bundesverfassung ein umfassendes Fairness-Gebot, vergleichbar der angelsächsischen due-process-Klausel. Daraus leitet es dann u. a. das recht!. Gehör ab, dessen Funktion im Schutz vor willkürlicher, also den Gleichheitssatz mißachtender Machtausübung gesehen wird. Somit leitet diese Rspr. das Gehör aus dem Gleichheitssatz ab; vgl. dazu BGE 85, 201 (202); 97, 881 (885); 98, 172 (175); zum recht!. Gehör im Schweizer Recht vgl. i. ü. Rolf Tinner, Das rechtliche Gehör, Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Bd. 83 (2. Halbbd.), S. 295 (311, 405).

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Alle Versuche, das rechtliche Gehör als Ausfluß des Gleichheitssatzes zu begreifen, müssen jedoch an der Überlegung scheitern, daß dem formalen Gebot der Gleichheit auch dann Genüge getan wäre, wenn beiden Parteien das Gehör in gleicher Weise verkürzt würde. Mithin scheidet Art. 3 GG als Grundlage des rechtlichen Gehörs aus15 •

b) Begründung aus einem Prinzip der allgemeinen Verfahrensgerechtigkeit Übedegenswert scheint auch, das rechtliche Gehör auf eine ungeschriebene Klausel des Verfassungsrechts zu stützen, deren Inhalt ein allgemeines Gebot der Verfahrensgerechtigkeit ist. Das wäre ein ähnliches Institut, wie sie das anglo-amerikanische Recht in der Klausel vom "due process of law" hat, vergleichbar auch der umfassenden Klausel, die das Schweizer Bundesgericht aus Art. 4 S. 1 der Schweizer Bundesverfassung gemacht hat. Auch in der deutschen Rechtswissenschaft hat es schon Ansätze zur Entwicklung einer derartigen Generalklausel gegeben16• Die Überlegung dürfte jedoch an ihrer mangelnden grundgesetzliehen Fundierung scheitern. Man findet nicht nur keinen konkreten Anhaltspunkt im GG, der für die Existenz eines Verfassungssatzes der allgemeinen Verfahrensgerechtigkeit spräche. Vielmehr spricht das System, bestimmte einzelne Verfahrensgrundrechte zu gewähren, gerade gegen eine solche Konstruktion.

c) Begründung aus der Menschenwürde Sehr häufig wird heute zur Begründung des rechtlichen Gehörs die in Art. 1 GG angesprochene Menschenwürde angeführt17• Damit der Zusammenhang zwischen beiden deutlich wird, muß der Begriff der Menschenwürde inhaltlich konkretisiert werden. Das geschieht fast immer in Form einer negativen Begriffsbestimmung, die bei der Verletzung der Menschenwürde ansetzt. Am häufigsten wird dabei die von Wintrich18 entwickelte Objekts-Formel benutzt19. Danach 1s Ebenso (z. T. mit anderen Argumenten) Baur, AcP 153, 403; Löwe, S. 15 f., 21 f.; Kolb, S . 11. 16 Vgl. z. B. Scheuner VVDStRL 17, 238. 17 Vgl. u.a. BVerfGe 7, 53 (58); 9, 89 (95); BGHZ 35, 1 (8f.); BGHSt 17, 28 (33); BVerwGE 19, 93 (99); 24, 264 (266); KG NJW 61, 2166 (2168); OLG Stuttgart NJW 63, 1161; BayObLG NJW 66, 409 ; 67, 1235; MDH, Art.103 Abs. l GG Rdnr. 4, 5 und Art. 1 Rdnr. 36; Arndt NJW 59, 6, 1298; Brüggemann JR 69, 361; Goeckel, S. 74; Jansen, Wandlungen, S. 18; Keidel, S. 33 f.; Kopp, S. 30; Röhl NJW 58, 1268; Schütz NJW 61, 584; Waechter Betrieb 71, 289; v. W i nterfeld NJW 61, 851; Zeuner, S. 1015. 18 BayVerwBl 57, 137 (139).

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verletzen alle Maßnahmen die Menschenwürde, die den Menschen zum reinen Objekt eines Verfahrens machen. Hinter dieser Formel steht eine auf Kants Autonomiebegriff20 zurückgehende Vorstellung von Menschenwürde, wonach dem Individuum mit seiner Anlage zur Selbstbestimmung ein Staat mit lediglich dienender Funktion gegenübersteht, der den Menschen nicht zu einem bloßen Mittel staatlicher Zwecke herabwürdigen darf. Genau das geschieht aber, wenn das Gehör versagt wird. Dadurch wird die Anlage des Menschen zur Selbstbestimmung insoweit geleugnet, als man ihm die Chance nimmt, sich in dem gerichtlichen Verfahren selber zu verwirklichen. Dieser Begriff von Menschenwürde vermag nicht voll zu überzeugen, soweit er erläutern soll, warum in Art. 1 GG die Basis des rechtlichen Gehörs liegt. Er ist auf Eingriffe in die durch autonome Selbstbestimmung charakterisierte Subjektstellung des Menschen zugeschnitten und zielt deswegen vorwiegend darauf ab, dem Staat derartige Eingriffe zu verbieten. Damit ist der Gehalt des verfassungsrechtlichen Gehörgebots aber nicht ausgeschöpft. Es verlangt nach allgemeiner Meinung nicht nur, daß der Staat alles unterläßt, was die Wahrnehmung des Gehörs stört, sondern auch, daß die staatlichen Stellen ggf. von sich aus aktiv werden21 • Diese Seite des verfassungsrechtlichen Gehörs bleibt unberücksichtigt, wenn mit Hilfe der Objekts-Formel dargelegt werden soll, warum das rechtliche Gehör in der Menschenwürde wurzelt. Somit ist davon auszugehen, daß eine negative Deutung der Menschenwürde von ihrer Verletzung her nicht ausreicht, um in ihr den Geltungsanspruch des rechtlichen Gehörs zu erblicken. Deshalb muß man nach einer positiven Definition der Menschenwürde suchen. An Versuchen hierzu hat es nicht gefehlt22• Soweit man in ihnen überhaupt mehr als nur plakative Formulierungen sehen kann, variieren sie im wesentlichen nur den bereits erwähnten, durch 19 Vgl. BGHZ 35, 1 (8 f.); MDH, Art.1 Rdnr. 15, 36; Art.103 Abs. 1 GG Rdnr. 5; Zeuner, S. 1015; Röhl NJW 58, 1268. 2o Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Hrsg.: Karl Vorländer), Leipzig 1920, 2. Abschn., S. 58 ff. 21 Vgl. u. a. BVerfGE 7, 275 (280); BVerwGE 2, 343; OLG Hamm MDR 54, 427; VGH Kassel NJW 69, 1399; Rüping, S. 168; Just, S. 18; Keidel, S. 42. 22 Dazu nur einige Beispiele: Menschenwürde ist "jener Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des einzelnen untersteht (BGHZ 26, 349, 354). Sie ist "der Eigenwert und die Eigenständigkeit, die Wesensheit, die Natur des Menschen schlechthin, die an den Anfang und in den Mittelpunkt der gesamten Ordnung gestellt wird" (Nipperdey, in: Die Grundrechte, Bd. II, S. 1). Sie besteht darin, "daß der Mensch als geistiges und sittliches Wesen seinsmäßig darauf angelegt ist, in Selbstbewußtsein und Freiheit sich selbst zu bestimmen, sich zu gestalten und sich in der Umwelt auszuwirken" (Wintrich BayVBl 1957, S.138). Weitere Beispiele u. a. bei Maunz, Staatsrecht, § 14 li 1; Wernicke in BK, Art. 1, Erl. I1 1 a; v. Mangoldt I Klein, GG, S. 148 (2. Aufl.).

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die Anlage zur Selbstbestimmung charakterisierten Begriff von der Menschenwürde und führen damit nicht weiter als die negative Interpretation. Grundlage für ein uns weiterhelfendes Ergebnis ist der Hintergrund unserer Prüfung. Wir suchen nach einer positiven Definition der Menschenwürde, weil wir wissen wollen, ob in ihr die maßgebliche Basis des Gehörs liegt. Unter diesem Aspekt sind die obigen Definitionsversuche schon von ihrem Ansatz her zum Scheitern verurteilt, weil sie versuchen, die Menschenwürde durch eine umfassende Bestimmung auf einen Nenner zu bringen. Denn das führt zwangsläufig dazu, daß sie wenig konkret sind und kaum einen Ansatzpunkt für die Ableitung des Gehörs bieten. Wir wollen stattdessen davon ausgehen, daß eine abschließende inhaltliche Bestimmung der Menschenwürde gar nicht möglich ist. In diesem Begriff kulminieren so viele ethische, philosophische und rechtliche Forderungen, daß er sich letztlich rechtlich.er Bestimmtheit und Bestimmbarkeit entziehtu. Eine sämtliche Bestandteile der Würde umfassende Bestimmung ist für unseren Zusammenhang aber auch gar nicht nötig, weil wir ja nur eine auf das Gebiet des Prozeßrechts beschränkte Konkretisierung der Menschenwürde brauchen. Sie zu finden hat insbesondere Rüping24 versucht25 • Er geht von der Situation eines Gerichtsunterworfenen aus. Dessen Interessen gebieten, ihn in jedem Falle - sei er Kläger, Beklagter, Angeklagter oder sonstiger Beteiligter - an dem Verfahren zu beteiligen. Dieser Beteiligung ist nicht nur instrumentelle Funktion für die Arbeit des Gerichts, sondern auch ein Eigenwert insoweit beizumessen, als sich im Prozeß die Menschenwürde in diesem Beteiligungsrecht äußert. Denn dadurch erhält der Gerichtsunterworfene die Möglichkeit zur Selbstbehauptung, deren Achtung zur Respektierung des Menschen als selbstverantwortlicher Person, also zur Achtung der Menschenwürde gehört. Rüping versucht also, die Menschenwürde für den Bereich des Prozeßrechts mit dem Begriff der Selbstbehauptung positiv zu erfassen. Dabei erschöpft sich die Selbstbehauptung nicht darin, einen Anspruch gegen das Gericht zu gewähren, vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu erhalten. Vielmehr ist das Gericht in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat verpflichtet, die Selbstbehauptung von sich aus tätig zu verwirklichen. An allen diesen Überlegungen ist sicherlich richtig, daß Menschenwürde und rechtliches Gehör zusammenhängen. Das beweist hinreiStaatsrecht, § 14 II 1. S.l33 ff. Einen Ansatz zu solcher Konkretisierung unternimmt auch Keidel

2s Maunz, 24 21

(S. 33 f .).

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

chend jeder politische Schauprozeß. Die Frage ist nur, ob man diesen Zusammenhang so zu begreifen hat, daß in der Menschenwürde der Geltungsgrund für das rechtliche Gehör liegt. Daran bestehen Zweifel, die sich auf mehrere Erwägungen stützen26 • Eine Verbindung zum Prinzip der Menschenwürde gibt es bei allen Grundrechten. Denn sie alle zielen ja darauf ab, dem Individuum zu seinem Schutz gegenüber der staatlichen Machtfülle durchsetzbare Berechtigungen zu geben. Insofern basieren letztlich alle Grundrechte auf dem Grundsatz der Menschenwürde als oberstem Verfassungsprinzip27 • Es ist aber kein Grund dafür ersichtlich, daß die Verbindung zwischen Menschenwürde und rechtlichem Gehör enger ist als jene allgemeine Verbindung zwischen allen Grundrechten und der Menschenwürde. Dann aber ist die Zurückführung des Gehörs auf die Würde nicht geeignet, einen Beitrag zu leisten zu der Frage nach dem rechtlichen Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gehörmaxime. Zur Herleitung aus Art. 1 Abs. 1 GG paßt weiterhin nicht, daß sich eine (inländische wie ausländische) juristische Person wohl auf das rechtliche Gehör28 , nicht aber auf die Menschenwürde berufen kann. Dies folgt, sofern man in Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt ein Grundrecht sehen wi1129 , aus Art.19 Abs. 3 GG. Die Menschenwürde ist "ihrem Wesen nach" nicht auf eine juristische Person anwendbar30. Aber auch soweit man den Grundrechtscharakter des Art. 1 Abs.1 GG ablehnt, verbietet das Wesen dieses Rechts seine Anwendung auf juristische Personen, weil sie nicht in den Schutzbereich dieser Norm fallen können. Würde kann nur ein Menschen haben, nicht auch eine juristische Person, die ja lediglich eine rechtliche Fiktion ist3t. Somit geht jedenfalls für juristische Personen die Zurückführung des rechtlichen Gehörs auf Art. 1 Abs. 1 GG am Charakter dieses Rechts vorbei. Nach der schon mehr als ausgiebigen Diskussion, die Art. 103 Abs. 1 GG seit Mitte der 50er Jahre bis heute erfahren hat, kann man heute für den Regelfall davon ausgehen, daß gegen das rechtliche Gehör nur 26 Kritisch äußern sich v. a. Dahs, S. 1 f.; Kenneweg, S. 23 ff.; Kolb, S. 15 f.; Renkl, S. 38 f.; Ule DVBl 59, 537 (541 f.). 27 Vgl. BVerfGE 6, 36; MDH, Art. 1 GG Rdnr. 14; Dahs, S. 2.

2s Das wurde schon dargelegt. Bezeichnenderweise leitet das BVerfG das Gehör nicht aus der Menschenwürde, sondern aus der Rechtsstaatlichkeit ab, wenn es Art. 103 Abs. 1 GG auf jur. Personen anwendet (vgl. BVerfGE 12,

6, 8).

29 Zu dieser alten Streitfrage vgl. etwa BVerfGE 12, 123; 13, 152; MDH, Art. 1 GG Rdnr. 14; v. Mangoldt I Klein, S. 146. 30 MDH, Art. 19 Abs. 3 GG Rdnr. 53. 31 So die von Savigny entwickelte und herrschende "Fiktionstheorie". Auf die Gegenansichten (v. a. "Theorie der realen Verbandspersönlichkeit") braucht nicht eingegangen zu werden, da sie zum gleichen Ergebnis kommen.

Kap. 2: Vereinbarkeit mit dem nicht von Art. 103 GG erfaßten Gehör

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versehentlich und nicht in gravierender Weise verstoßen wird. Für derartige Fälle fällt es aber schwer, die Menschenwürde tangiert zu sehen, was jedoch der Fall sein müßte, wenn sie wirklich die Basis des Gehörs wäre. Zwei kleine Beispiele mögen das verdeutlichen. Ein Kläger versäumt die Berufungsfrist des § 516 ZPO und stellt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Berufungsgericht gibt diesem Antrag statt, ohne vorher den Beklagten zur Stellungnahme aufzufordern. Hier liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor3~. Ist dabei auch irgendein Bezug zur Menschenwürde erkennbar? Ein Kläger klagt vor einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht. Als er das merkt, verweist das Gericht gern. § 276 ZPO, ohne zuvor dem Beklagten Gelegenheit zu geben, zur Frage der Zuständigkeit Stellung zu nehmen. Auch hier ist das rechtliche Gehör versagt worden, weil der Beklagte vor Erlaß der gerichtlichen Entscheidung keine Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat. Wiederum erscheint aber sehr fraglich, ob zugleich auch die Menschenwürde berührt ist. Legt man die gewöhnliche negative Bestimmung der Menschenwürde zugrunde, so wäre das dann der Fall, wenn im ersten Bsp. der Kläger, im zweiten der Beklagte durch die Versagung des Gehörs zum Objekt des Verfahrens degradiert worden, d. h. wenn er "entpersönlicht" 33, "verdinglicht"34, "zu einem bloßen Mittel . .. herabgewürdigt" 3'5 worden wäre. Dafür aber sind die Folgen der Gehörversagung in beiden Fällen doch wohl viel zu geringfügig. Somit ergibt sich, daß die Schwere des Eingriffs bei der Frage, ob eine Verletzung der Menschenwürde infolge Gehörversagung vorliegt, eine entscheidende Rolle spielt. Dies gilt auch, wenn man mit Rüping die Würde für das Prozeßrecht mit dem Begriff der Selbstbehauptung erfassen will. Bei vernünftiger Betrachtungsweise kann wieder wohl kaum die Rede davon sein, daß in den beiden Beispielsfällen dem Kläger bzw. Beklagten die Möglichkeit zur Selbstbehauptung im Prozeß genommen und damit seine Würde mißachtet worden ist. Wenn es aber Fälle gibt, in denen das Gehör versagt wird, ohne daß damit zugleich auch die Würde betroffen ist, reicht sie jedenfalls alleine zur Begründung des rechtlichen Gehörs nicht aus.

32 33 34 35

Vgl. BVerfGE 8, 253 = NJW 58, 2011. Wintrich, BayVB11957, 138. Arndt NJW 59, 6. MDH, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 28.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör d) Begründung aus dem Rechtsstaatsprinzip

Schon die Väter des GG dachten an das Rechtsstaatsprinzip, als sie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in den Herrenchiemmseer Entwurf (Art.l35 Abs. 1) aufnahmen:!i!. Auch heute wird dieses Prinzip fast immer zur Begründung des rechtlichen Gehörs herangezogen, sei es allein oder in Verbindung mit anderen Geltungsgründen37• Warum im Rechtsstaatsprinzip die Basis des Gehörs liegen soll, wird allerdings nur selten versucht zu sagen38• Zumeist begnügt man sich mit allgemeinen Hinweisen auf "rechtsstaatliches Denken", "rechtsstaatliche Erwägungen" oder "allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze", welche die Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern sollen39• Immerhin ist man sich ja - wie Baur4° sagt - schon gefühlsmäßig einig, daß ein Verfahren nur dann rechtsstaatliehen Anforderungen genügt, wenn es den Beteiligten Gehör einräumt41 • Die wenigen genaueren Stellungnahmen laufen auf die Vorstellung hinaus, daß zur Rechtsstaatlichkeit auch die Regelhaftigkeit staatlicher Rechtspflege gehört42. Dabei hat man einen Rechtsstaat vor Augen, der u. a. von einer Gruppe rechtsförmlicher Verfahrensgrundsätze gebildet wird43, wozu neben dem rechtlichen Gehör etwa das Verbot der Ausnahmegerichte und des ae Vgl. Bonner Kommentar, Art. 103 GG, Anm. I (S. 3). 37 Vgl. u. a. BVerfGE 1, 332 (337, 347); 7, 95 (99); 9, 89 (95); 12, 6 (8); BGHZ 12, 96 (98); 22, 258 (267); BGHSt 17, 28 (33); BayVerfGHE 4, 21 (28); OLG Köln NJW 56, 155, 1925; VGH Mannheim NJW 66, 365 (366); MDH, Art. 103 Abs. 1 GG Rdnr. 4; Hamann I Lenz, GG, Art. 103 Anm. A 1; Leibholz I Rinck, GG, Art. 103 Anm. I 1; Arndt NJW 59, 1298; Dahs, S. 2; Goeckel, S. 74; Hamann AnwB158, 141; Jagusch NJW 59, 265; Keidel, S. 33 f.; Kolb, S. 24 ff. ; Raether, S. 64; v. Winterfeld NJW 61, 849 (851). 38 Vgl. z. B. BGHZ 48, 327 (333); Leibholz I Rinck, GG, Art. 103 Anm. I 1; Hamann I Lenz, GG, Art. 103 Anm. A 1; Jagusch NJW 59, 265; Arndt NJW 59, 1297 (1298); vgl. weiter die Hinweise bei Kolb, S. 25. 39 Das gilt auch für das BVerfG, z.B. in DVB158, 174ff.; 59,777. 40 AcP 153, 401. 41 Vielleicht beruht die großzügige Handhabung des Rechtsstaatsprinzips, die wir auch in anderen Bereichen finden (vgl. die Kritik bei Ule DVBl 63, 475, 482, und Fuß DOV 64, 577 Fn. 5), auch auf einer Eigenart des Rechtsstaatsbegriffs, die man bei mehreren staats- und verfassungstheoretischen Begriffen findet, etwa der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" i. S. d. GG: Er gehört zu jenen vom Wortsinn her undeutlichen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich allein aus sich heraus nicht genau definieren lassen, sondern offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, ohne sich dabei indessen inhaltlich völlig zu verändern. Zur Offenheit des sozialen Rechtsstaats, S. 5; Peters, Entwicklung und Grundfragen, S. 195 ff.; Raether, S. 122 ff., Scheuner, Entwicklung, s. 248. 42 So etwa BVerfGE 1, 332 (347); MDH, Art.103 Abs. 1 GG Rdnr. 3 f.; Haverkämper, S . 161; Dahs, S. 2 und wohl auch Ule DVB159, 537 (541 f.). 43 So ausdrücklich v. a. Raether, S. 60.

Kap. 2: Vereinbarkeit mit dem nicht von Art. 103 GG erfaßten Gehör

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Entzugs des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) und der Grundsatz des unabhängigen Richterturns (Art. 92, 97 GG) zählen. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Herleitung des rechtlichen Gehörs ist bei diesem Ansatz die Einsicht, daß das Gehör infolge seiner Aufnahme in das GG nicht mehr nur Prozeßmaxime, sondern Verfassungsgrundsatz ist. Damit aber dient es nicht mehr alleine dem Prozeßbetrieb und der Verfahrenstechnik, sondern erhält v. a. die Aufgabe, die Grundrechte zu sichern44 • Es ist als Hilfsgrundrecht zu verstehen, d. h. als Grundrecht formeller Art, das der Sicherung und Durchsetzung der materiellen Grundrechte dient45 • Als Prozeßgrundrecht ist dem rechtlichen Gehör eigen, daß es selbst keine materiellen Rechte gegenüber dem Staat schafft, sondern formelle Rechte und Möglichkeiten zur Erzwingung der von ihm vorausgesetzen materiellen Rechte gibt. Unter diesem Aspekt läßt sich dann das rechtliche Gehör insofern mit dem Rechtsstaatsprinzip begründen, als zur Rechtsstaatlichkeit auch die formellen Sicherungen gehören, welche die Würde und Freiheit des Individuums garantieren sollen. Zu diesen formalen Sicherungen zählt aber auch ein geordnetes Verfahren mit ausreichendem Gehör. Diesen Überlegungen kann man zwar grundsätzlich zustimmen. Allerdings erscheint fraglich, ob die Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip für sich alleine zur Begründung des rechtlichen Gehörs ausreicht. Die Zweifel ergeben sich, wenn man bedenkt, welch umfassender Inhalt heute dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs gegeben wird. Nach allgemeiner Ansicht46 erschöpft es sich nicht in einem Anspruch, Gelegenheit zur Stellungnahme zu bekommen. Es geht vielmehr über solch passive Funktionen der zur Gehörgewährung verpflichteten Stelle hinaus und umfaßt z. B. auch die Forderung an den Richter, das Gehörte auch aktiv zu verwerten47 oder die Beteiligten von sich aus aufzufordern, zu gerichtsbekannten48 oder offenkundigen49 Tatsachen Stellung zu nehmen. Alle diese weitergehenden Forderungen werden bei den obigen Herleitungen des rechtlichen Gehörs aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht mehr erfaßt. Denn wenn man in der Regelhaftigkeit staatlicher Gewaltausübung das für die Gehörableitung maßgebliche Element des Vgl. BVerfGE 15, 307. MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 3. n u. a. Baur AcP 153, 409 f.; MDH, Art.103 Abs. 1 Rdnr. 30; Rüping, S. 198. 47 z. B. BVerfGE 11, 218 (220); 22, 267 (273); 27, 248 (252); 36, 92 (97); 298 (301); BGHSt 22, 336 (339); OLG Köln OLGZ 1968, 324 (328); Dahs, S. 38; Hamann, S. 148; Kurth, S. 83; .Renkl, S. 95; Zeuner, S. 1037. 48 z. B. BVerfGE 12, 110 (112 f.); BGHSt 6, 292 (295); BVerwGE 43, 250 (252); Rüping, S. 153 f.; Schultz MDR 59, 175. 49 z. B. BVerfGE 10, 177; BSGE 22, 19; Bärmann, FGG und Notarrecht § 16 I 2; Grunsky, Grundlagen, § 40 II 3 a. 44 45

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Rechtsstaats sieht, so liegt dem die klassische Konzeption eines Rechtsstaats zugrunde, der dem Bürger durch Abwehr unzulässiger staatlicher Eingriffe Freiräume verschaffen will. Damit aber sieht man das Rechtsstaatsprinzip durch eine negative Abwehrfunktion charakterisiert, mit der man auch nur die Abwehrfunktion des rechtlichen Gehörs50 erfassen kann. Dagegen erfaßt man mit dieser rechtsstaatliehen Ableitung des Gehörs nicht mehr dessen oben angedeuteten weitergehenden Inhalt. Damit ergibt sich, daß auch das Rechtsstaatsprinzip nicht als alleinige Basis des Gehörs in Betracht kommt, obschon es dafür von maßgeblicher Bedeutung ist.

e) Eigener Vorschlag Unsere Überlegungen haben ergeben, daß sich das Gehör auf die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip stützen läßt51 • Jeder dieser Ansätze kann eine wesentliche Funktion des Gehörs erfassen, keiner reicht jedoch hin, um das Gehör in allen seinen Ausstrahlungen zu erklären. Das entspricht im Ergebnis durchaus der wohl h. M.52• Sie läßt die beiden Geltungsgründe aber kumulativ nebeneinander stehen, ohne ihr Verhältnis zueinander zu klären53• Das führt zwar zu recht prägnanten Formulierungen, zufrieden geben darf man sich mit diesem bloßen Nebeneinander aber nicht. Denn die Geltungsgründe, auf die das Gehör zurückgeführt wird, dürfen nicht völlig heterogen sein54 und beziehungslos nebeneinander stehen. Sie müssen vielmehr schon so miteinander in Verbindung stehen, daß man in ihnen eine gemeinsame Basis für das Gehör erblicken kann55• Damit stellt sich so Vgl. dazu MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 28 f. s1 Außerdem wird man es wohl aus seiner sachaufklärenden Funktion

herleiten können. Da dieser Ansatz außerverfassungsrechtlich ist, kann er - wie wir gesehen haben - für unsere Untersuchung unbeachtet bleiben. 52 So etwa BVerfG NJW 59, 427; BGH NJW 68, 354 (355); MDH, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 4 f.; Leibholz I Rinck, GG, Art. 103 Anm. I 1; Arndt NJW 59, 1298; Coeckel, S. 74; v. Winterfeld NJW 61, 851; undeutlich die Begründung der Bundesregierung zu§ 24 VwVerfG (BT-Drucksache 7/910, S. 51), wo als innere Begründung des Gehörs zwar das Rechtsstaatsprinzip genannt, dies dann aber mit der Objektsformel Wintrichs begründet wird, die auf die Herleitung aus der Menschenwürde abzielt. 53 Vgl. statt vieler BVerfG NJW 59, 427. 54 Vgl. die allerdings nicht näher begründete Kritik Rüpings, S. 119, Fußn. 78. 55 Insoweit kommt der von Kalb, S. 8 f., entwickelten These von der "Unteilbarkeit des Geltungsgrundes" eine gewisse Bedeutung zu. Ihr zufolge ist es unzulässig, das rechtl. Gehör auf Erwägungen zu stützen, "die jeweils nur für einen Teil der Anwendungsfälle des rechtl. Gehörs zutreffen" (S. 9). Diese These wird der Vielfalt von Anliegen nicht gerecht, die mit der Gewährung von Gehör verfolgt wurden und werden. Das zeigt sich deutlich, wenn man sich die Geschichte des rechtl. Gehörs daraufhin ansieht, aus

Kap. 2: Vereinbarkeit mit dem nicht von Art. 103 GG erfaßten Gehör

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die Aufgabe, eine Verbindungslinie zwischen Menschenwürde und Rechtsstaat zu ziehen. Dafür bietet sich der Begriff des materiellen Rechtsstaats an, der im Zuge der historischen Entwicklung56 des Rechtsstaats im Gegensatz zum formellen RechtsstaatsbegriffS7 entstand58• Der materielle Rechtsstaat verpflichtet alles staatliche Handeln zur Beachtung bestimmter oberster Wertes9. Demgemäß bindet der grundgesetzliche Rechtsstaat an die Wertordnung des Grundgesetzes. Dessen obersten Wert bildet aber die Menschenwürde. Somit umfaßt die Idee der materiellen Rechtsstaatlichkeit die Achtung vor der Menschenwürde. Einen Staat, der darin nicht eines seiner wesentlichen Ziele sieht, kann man nicht Rechtsstaat nennen60 • Von daher kann man das rechtliche Gehör als eine Forderung des Rechtsstaates bezeichnen, die in der Achtung vor der Würde des Menschen wurzelt61 • Wir haben die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Basis des Gehörs gefunden. Beide Prinzipien sind welchen Gründen eine Rechtsordnung jeweils rechtl. Gehör gewährte. Das hing nicht zuletzt von den verschiedenen, sich im Laufe der Zeit wandelnden Vorstellungen über die Funktion eines Verfahrens ab. Vgl. dazu etwa die Zusammenfassung von Rüping, S. 98 f. 56 Zu den drei Phasen der Entwicklung des Rechtsstaatsbegriffs vgl. v. a. Böckenförde, in: Festschrift für A. Arndt, S. 53 ff.; Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaats, S. 7 ff.; E . R. Huber, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S . 590 ff. 57 Danach ist "Rechtsstaat" ein Staat, in dem "jeder Staatsakt zurückführbar sein muß auf eine staatlich gesetzte Norm, also auf ein einfaches Gesetz oder die Verfassung unmittelbar" (MDH, Art. 20 Rdnr. 58 f.) und in dem somit eine absolute Bindung aller Staatsgewalt an das Gesetz herrscht. Die Legalität jeder staatlichen Willensäußerung ist nur von der äußeren Form abhängig. Ist sie richtig, ist zugleich die Sache selbst gerechtfertigt. Jede Freiheit besteht nur in der Freiheit von ungesetzlichem Zwang. So am deutlichsten G. J ellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte (2. Aufl. 1905), S. 82, und R. Thoma, Rechtsstaatsidee und Verwaltungswissenschaft, JöR 4 (1910), S. 196 (v. a. 201). ss Ähnlich Kenneweg, S. 22; Hamann AnwB158, 141; Dahs, S. 2. 59 Definitionen des materiellen Rechtsstaats finden sich z. B. bei MDH, Art. 20 Rdnr. 58; ähnlich E. R. Huber, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 594; v. Mangoldt I Klein, GG Art. 20 Anm. VI 1 (S. 600); Hamann I Lenz, GG, Einf.IDl; Peters, in: Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. 3, 8.65; ähnliche Formulierungen auch in der Rspr.: BVerfGE 21, 378 (388) = NJW 67, 1651; 33, 367 (383) = NJW 72, 2214 (2216). 60 BGH MDR 60, 856; Kleinknecht, StPO, Einl. 1 E m. w . N.; Hesse, Rechtsstaat im Verfassungssystem, S. 573; Rüping, S . 124 m. w. N.; ähnlich MDH, Art. 20 GG Rdnr. 70. 61 Diese Vorstellung hat vielleicht auch v. Winterfeld (NJW 61, 852), der ohne Erläuterung von einer "Verschmelzung" des Würde- und des Rechtsstaatsgedankens spricht. Seine Berufung auf BVerfGE 9, 89 (95 f.) trifft aber nicht zu, da dort die beiden Geltungsgründe einfach nebeneinander gestellt werden.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Leitlinien unseres Grundgesetzes, die es umfassend charakterisieren und seinen vielen Einzelbestimmungen einen inneren Zusammenhalt geben6 ll. Das rechtfertigt, im rechtlichen Gehör eine Forderung zu sehen, die über den von Art.103 Abs.1 GG gesteckten Rahmen hinaus mit Verfassungsrang gilt. Infolgedessen stellt sich für alle fiktiven Auslandszustellungen das im zweiten Kapitel dargestellte Problem ihrer Vereinbarkeit mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs, mag dessen verfassungsrechtliche Fundierung nun in Art.103 Abs. 1 GG oder in den Grundsätzen von Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit zu finden sein. 2. Grenzen dieses reclltlidlen Gehörs

Zu Beginn dieses Kapitels wurde für den Fall, daß wir die Geltung des rechtlichen Gehörs über Art.103 Abs.1 GG hinaus bejahen könnten, gesagt, wir müßten überlegen, wie wir die insoweit gegebene Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem Gehör angehen könnten. Dafür bieten sich die gleichen Wege an, die wir für die gleiche Frage im Hinblick auf Art.103 Abs.1 GG gefunden haben. Wir müssen also wieder nach Möglichkeiten zur Einschränkung des rechtlichen Gehörs suchen, nur daß es diesmal nicht um das in Art. 103 Abs.1 GG positivierte Recht geht, sondern um jenes, das aus Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit folgt. Die erste Möglichkeit dazu liegt in der interpretativen Präzisierung des rechtlichen Gehörs aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers. Er gilt für das aus Rechtsstaat und Würde fließende rechtliche Gehör in gleicher Weise, wie er für Art. 103 Abs. 1 GG galt. Die aus ihm folgende "Einschränkung" konkretisiert ja nur den Inhalt des grundgesetzliehen Gehöranspruchs. Der aber wird durch eine Änderung der verfassungsrechtlichen Basis nicht berührt. Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährt "rechtliches Gehör" in gerichtlichen Verfahren; die v. a. aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Garantie geht gleichfalls auf das "rechtliche Gehör", nur eben in den von Art.103 Abs. 1 GG nicht erfaßten Bereichen. In beiden Fällen sagt das Grundgesetz selber nicht unmittelbar, was unter "rechtlichem Gehör" zu verstehen ist. Dann aber ist nicht ersichtlich, warum die Gehörgarantie des GG einen verschiedenen Inhalt haben sollte, je nachdem, ob ihre Basis in Art.103 82 Zum Rechtsstaatsprinzip vgl. insoweit BVerfGE 2, 380 (403); 7, 194 (196); 6, 32 (41); BVerwGE 10, 282 (288); BAGE 1, 85 (90) ; Abendroth, Zum Begriff des sozialen und demokratischen Rechtsstaats, S. 110 f.; Kopp, S. 54; MDH, Art. 20 Rdnr. 58 ff.; Leibholz I Rinck, GG, Art. 20 Anm. III; Hesse, Rechtsstaat im Verfassungssystem, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, s. 560.

Kap. 3: Auslandszustellungen d. A. z. P. und rechtliches Gehör

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Abs. 1 GG oder dem Rechtsstaatsprinzip liegt. Infolgedessen gilt die Interpretation aus der Verfahrensverantwortung des Bürgers unabhängig von der jeweiligen Grundlage des Gehörs im Grundgesetz. Weitere Grenzen des auf Würde und Rechtsstaat gestützten Gehörs konnten sich - wieder parallel zu der für Art.103 GG gefundenen Lösung - im Wege der Kollision mit einem Grundrecht, einer verfassungsrechtlich geschützten Instituts- oder institutionellen Garantie oder mit einem Allgemeininteresse ergeben. Diese Kollisionen sind gleichermaßen denkbar, wenn auf der einen Seite das Grundrecht aus Art.103 Abs. 1 GG steht, wie wenn stattdessen die inhaltlich gleiche, aus Rechtsstaatlichkeit und Würde fließende Gehörposition steht. Auch die auf Herstellung praktischer Konkordanz zielende Lösung bleibt gleich. Denn stets stehen sich verfassungsrechtlich geschützte Positionen gegenüber, für deren Behandlung das Gebot der Verfassungseinheit gilt, das durch harmonisierende Verfassungsauslegung zu erfüllen ist. Somit gelten alle Möglichkeiten, die für die Einschränkung des Art.103 Abs. 1 GG gefunden wurden, und damit alle Ansätze, die fiktiven Auslandszustellungen mit diesem Grundrecht zu vereinbaren, in gleicher Weise, wenn es um das rechtliche Gehör außerhalb des von Art. 103 Abs. 1 GG erfaßten Bereichs geht. Dieses Ergebnis erlaubt es uns, die folgenden Untersuchungen für alle fiktiven Auslandszustellungen gemeinsam zu führen. Der Maßstab, an dem sie gemessen werden, ist das in unserer Verfassung umfassend garantierte rechtliche Gehör ohne Rücksicht auf dessen grundgesetzliehe Verankerung.

Kapitel3 Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post und rechtliches Gehör Wir sind in unseren Überlegungen jetzt so weit gekommen, daß wir uns der mehrfach zurückgestellten Frage zuwenden können, ob und wie uns die verschiedenen Ansätze, die wir zur "Einschränkung" des rechtlichen Gehörs gefunden haben, bei unserer Untersuchung der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs weiterhelfen können. Bei unserem Überblick über die einfachrechtlichen Ausgestaltungen dieser Zustellungsformen haben wir gesehen, daß jede eigene Voraussetzungen und Durchführungsmodalitäten hat. Deshalb kann die fol-

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

gende Untersuchung nicht gemeinsam für alle fingierten Auslandszustellungen geführt werden. Sie muß vielmehr getrennt nach den verschiedenen Zustellungsarten erfolgen. Zudem wird sich zeigen, daß teilweise auch noch innerhalb dieser Arten verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden sind. Begonnen wird mit der Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post1• 1. Die Vereinbarkeit der Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post mit dem rechtlichen Gehör des GO

Nach unserem ersten Teilergebnis waren fiktive Auslandszustellungen mit dem rechtlichen Gehör insoweit zu vereinbaren, als das Verfahrensrecht sie zuläßt, wenn der Adressat bewußt oder nachlässig versäumt hat, eine ihm gebotene Zustellungsmöglichkeit auszunutzen, die keine Gefahr für sein rechtliches Gehör mit sich brachte. Wie wir gesehen haben, muß die Chance, für eine sichere Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, effektiv sein, wobei auf die persönlichen Umstände des Adressaten abzustellen ist. Unter diesem Aspekt lassen sich mehrere Fallgruppen unterscheiden.

a) Erste Fallgruppe: Die Zustellung d. A. z. P. ist vorgesehen, wenn trotz vorherigen Verlangens kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde Die erste Gruppe ist dadurch charakterisiert, daß die fingierte Zustellung zulässig wird, nachdem der Adressat keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, obgleich er auf diese Verpflichtung hingewiesen worden war, indem das Gericht oder die Behörde die Bestellung verlangte. Die wichtigsten Fälle dieser Gruppe finden sich in den §§ 56 Abs. 3, 173 VwGO, 175 ZPO analog; 63 Abs. 3, 202 SGG, 175 ZPO analog; 53 Abs. 3 S. 2 FGO; 244 Abs. 2, 175 ZPO; 28 Abs. 3 GVwVfKOV2 • In diesen Fällen hat der Adressat eine effektive Chance gehabt, für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die sicherstellte, daß er von allen zuzustellenden Schriftstücken tatsächlich Kenntnis erhielt. Denn die Zustellung an den Bevollmächtigten steht nach allgemeinen Grundsätzen des Vertretungsrechts3 derjenigen an den Vertretenen, also den Adressaten, rechtlich gleich. Ob und wann der Zustellungsvertreter das ihm zugestellte Schriftstück in Erfüllung seiner Pflichten aus dem 1 Zur Fragwürdigkeit dieser Zustellungsart auch unter nicht-verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vgl. Karger, ZZP 50, 198 f. und Friederichs, ZZP 50, 199 ff. 2 Zur Einordnung der einfachrechtlichen Regelung in diese wie in die folgenden Fallgruppen wird auf den Überblick im ersten Kapitel des Teils A verwiesen. s Vgl. z. B. § 164 Abs. 1 BGB.

Kap. 3: Auslandszustellungen d. A. z. P. und rechtliches Gehör

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Innenverhältnis mit dem Adressaten an diesen auch tatsächlich weitergibt, gehört allein zu dessen Verantwortungs- und Risikobereich. Die Chance auf eine sichere Zustellungsmöglichkeit gab dem Adressaten mittelbar zugleich aber auch die Chance, dafür zu sorgen, daß er zu allen ihm später zuzustellenden Schriftstücken sein Recht auf Gehör wahrnehmen konnte. Beide Chancen hat er nicht genutzt, wenn und weil er keinen Bevollmächtigten benannte. Das hat er auch bewußt oder infolge von Nachlässigkeit nicht getan. Denn weil er vom Gericht oder der Behörde aufgefordert worden war, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, kannte er diese Verpflichtung. Wenn er sie dennoch nicht erfüllt, hat er die sich daraus ergebenden Nachteile zu tragen. Infolgedessen ist für diese Fälle davon auszugehen, daß dem Prinzip des rechtlichen Gehörs genügt ist.

b) Zweite Fallgruppe: Die Zustellung d. A. z. P. ist vorgesehen, wenn ohne vorheriges VerZangen kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde Die zweite Gruppe besteht aus Fällen, in denen das Verfahrensrecht die Zustellung d. A. z. P. erlaubt, wenn der Adressat keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, ohne daß dies zuvor von ihm verlangt und er damit auf seine Bestellungspflicht hingewiesen worden ist. Wichtigstes Beispiel für diese Gruppe ist die zivilprozessuale Regelung der §§ 174 Abs. 2, 175 ZPO, auf die vielfach auch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen verwiesen wird, etwa in§§ 8 ZVG, 3 JBeitrO, 16 Abs. 2 S.1 HiO, 197 Abs. 2 S.1 BEXJ, 16 Abs. 2 FGG (eventuell i. V. m. Landesrecht, z. B. § 4 BremAGFGG), 73 Abs. 2 i. V. m. 72 KO. Darüber hinaus gibt es Vorschriften, die diese Regelung auch ohne Verweisung auf die ZPO vorsehen. Ein Beispiel dafür ist die vereinfachte Form der Zustellung nach § 4 ZVG4 • In allen diesen Fällen nutzt der Adressat ebenfalls nicht die Chance, für eine sichere Zustellungsmöglichkeit zu sorgen und damit zugleich sein Recht auf Gehör sicherzustellen. Dagegen ist fraglich, ob man auch hier von Nachlässigkeit sprechen kann. Ob der Adressat einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, hängt ohne entsprechenden Hinweis des Gerichts oder der Behörde von seinen Kenntnissen des deutschen Rechts ab und geschieht ohne solche Kenntnis allenfalls zufällig. Die Nachlässigkeit könnte somit lediglich darin liegen, daß sich der Adressat keine Kenntnisse des deutschen Zustellungsrechts angeeignet hat. Das aber ist kein Umstand, den er zu vertreten hat. Es wäre unzumutbar, von einem im Ausland wohnenden und meist auch ausländischen Adressaten derartige Kenntnisse 4

Vgl. dazu Dassler I Schiffhauer, ZVG, § 4 Erl. 2.

7 Schmltz

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

zu verlangen, wenn er sich als Kläger, Antragsteller oder in einer vergleichbaren Position an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde wendet. Das gilt erst recht, wenn er als Beklagter oder in einer ähnlichen Rolle in das Verfahren gezogen wird. Die gegenteilige Ansicht würde bedeuten, dem Adressaten die Verantwortung dafür aufzuerlegen, daß er die gesetzlich vorgesehene, aber nicht effektiv ausgestaltete sichere Zustellungsmöglichkeit an den Zustellungsvertreter und die davon abhängige Gehörgewährung erst seinerseits effektiv macht. Das aber kann nicht seine Aufgabe sein. Aus diesem Grunde sind auch die Fälle nicht anders zu beurteilen, bei denen der Adressat seine Verpflichtung zwar zufällig kennt, dennoch aber keinen Bevollmächtigten bestellt. Die Verfassungsmäßigkeit der fraglichen Zustellungsnormen kann nicht von diesem Zufall abhängen. Damit steht als Zwischenergebnis fest, daß die Fälle dieser Gruppe nicht mehr schon infolge der geschilderten, auf dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers beruhenden Interpretation mit dem rechtlichen Gehör vereinbar sind. Von dieser Aussage müssen wir jedoch den Fall des § 30 BRAO ausnehmen. Ein Anwalt muß seine Pflicht zur Bestellung eines Zustellungsvertreters kennen, zumal sie eine Konsequenz aus seiner Befreiung von der Residenzpflicht ist (§§ 29, 27 Abs. 2 BRAO). Das gilt auch, wenn er Ausländer ist: wenn er sich um die Zulassung bei einem deutschen Gericht bemüht und sie auch erhält, ist ihm durchaus zuzumuten, sich seiner Anwaltspflichten zu vergewissern. Demnach handelt ein Anwalt, der entgegen § 30 Abs. 1 BRAO keinen Bevollmächtigten bestellt, zumindest nachlässig, obgleich er nicht eigens zur Bestellung aufgefordert und damit auf seine Pflicht hingewiesen worden ist. Da abgesehen von diesem Sonderfall die Interpretation aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers und die damit verbundene "Einschränkung" ausscheidet, sind die Fälle dieser Gruppe mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs nur dann in Einklang zu bringen, wenn einer der geschilderten5 Kollisionsfälle vorliegt. Dann müßte der an der Zustellung d. A. z. P. Interessierte sich auf Instituts- oder institutionelle Garantien oder auf Grundrechte berufen können, denen im Zuge der Optimierungsaufgabe der Vorrang einzuräumen ist, oder hinter den gesetzlichen Zustellungsregelungen müßten gleich- oder höherrangige Allgemeininteressen stehen, die gerade auch die fehlenden Hinweispflichten rechtfertigen. Kollidierende Instituts- oder institutionelle Garantien sind nicht ersichtlich. Als kollidierendes Grundrecht kommt allenfalls Art. 3 Abs. 1 GG aufgrundfolgender Überlegung in Betracht: Für die Zustellung an 5

Teil B, Kap. I, 2 - 4.

Kap. 3: Auslandszustellungen d. A. z. P. und rechtliches Gehör

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einen im Inland wohnenden Verfahrensbeteiligten braucht der umständliche, komplizierte und zeitraubende Requisitorialweg nicht beschritten zu werden. Deshalb könnte man daran denken, es widerspreche dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, daß der an der Zustellung Interessierte diesen Weg beschreiten soll, wenn der Zustellungsempfänger im Ausland wohnt. Deshalb müsse die fiktive Zustellung zugelassen werden. Diese Erwägung ist schnell widerlegt. Der Gleichheitssatz, der auch im Verfahrensrecht gilt6 , ist ein allgemeines Willkürverbot. Er will verhindern, daß sachfremden, d. h. nicht in den jeweiligen Tatbeständen sachlich begründeten Differenzierungen Raum gegeben wird. Deshalb ist er erst dann verletzt, wenn für eine Differenzierung "ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund sich nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß" 7 • Das ist bei den Requisitorialzustellungen jedoch nicht der Fall. Denn sie sind aus völkerrechtlichen Gründen unumgänglich, wenn man eine Verletzung der Souveränität des fremden Staates vermeiden und sich völkerrechtskonform verhalten will8 • Gerade wegen der Konsequenzen aus dem Souveränitätsgedanken sind Auslands- und Inlandszustellungen auch gar keine rechtlich vergleichbaren Tatbestände, sondern rechtlich ganz verschieden zu beurteilen. - Andere Grundrechte des an der Zustellung Interessierten, welche die Zustellungen d. A. z. P. der hier behandelten Gruppe verfassungsrechtlich rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kommen hier nicht solche grundrechtlich geschützten Interessen in Betracht, die darauf hinauslaufen, daß der Gegner des Zustellungsadressaten ohne die Möglichkeit, d. A. z. P. zuzustellen, an der Durchführung des Verfahrens und damit der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert wäre. Solche Interessen haben nichts damit zu tun, ob der Adressat von Gesetzes wegen auf seine Pflicht, einen Bevollmächtigten zu bestellen, hinzuweisen ist oder nicht. Zu prüfen bleibt, ob gleich- oder höherrangige Allgemeininteressen im Spiel sind. In den Materialien zur ZPO, deren Regelung die wichtigste dieser Gruppe ist, findet man eine Begründung, warum § 174 Abs. 2 die Bestellung schon von Gesetzes wegen fordert und nicht erst- wie bei§ 174 Abs.1 ZPO- auf ein gerichtliches Verlangen hin, das den Adressaten zugleich über seine Verpflichtung aufklärt. Sie o So zuletzt BVerfGE 34, 25 (331) und BVerfG NJW 76, 1391. 7 st. Rspr., z. B. BVerfGE 1, 14 (52); 4, 144 (155); 31, 212 (218); 33, 367 (384); NJW 76, 843 (844); 1391; 2117 (2118); BGH NJW 76, 709; Hesse, Grundzüge, § 12 li 3. s s. o. Kap. 1.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

geht dahin, daß die mit den Requisitorialzustellungen verbundenen "vielfachen, mit dem raschen energischen Gange einer mündlichen Prozedur unvereinbaren Verschleppungen des Verfahrens" vermieden werden sollen9 • Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Requisitorialzustellung ausgeschaltet, indem sichergestellt wird, daß die Zustellung entweder an den benannten Bevollmächtigten oder durch Aufgabe zur Post erfolgt. Obgleich sich in Rspr. und Lit. keine ausdrücklichen Hinweise finden, kann man davon ausgehen, daß diese Interessenbegründung allgemein akzeptiert wird, da sie zunächst durchaus einsichtig erscheint. Denn für die gern. § 20 Nr. 7 RpflG dem Rechtspfleger übertragene Entscheidung über die Bestellung eines Zustellungsvertreters ist eine fakultativ mündliche Verhandlung (§ 128 ZPO) nötig. Die Entscheidung ist nach § 329 Abs. 3 ZPO zuzustellen oder formlos mitzuteilen und kann gern. § 11 Abs. 1 RpflG mit der Erinnerung an den Richter angefochten werden. Das alles kostet Zeit, Geld und Mühe, die scheinbar gespart werden, wenn der Adressat schon von Gesetzes wegen zur Bevollmächtigtenbenennung verpflichtet istl0 • Die Frage ist nur, ob man in diesen Interessen gleich- oder höherrangige Allgemeininteressen zu sehen hat. Das Bestreben, Zeit, Geld und Mühe zu sparen, liegt zwar regelmäßig im Interesse der Allgemeinheit, ist auch legitim und wichtig. Andererseits ist jedoch evident, daß es auf keinen Fall so wichtig ist, daß ihm gegenüber eine rechtsstaatliche Sicherung wie das Gehörrecht zurücktreten müßte11 • Infolgedessen erübrigt sich insoweit eine den Konflikt zwischen diesem Interesse und dem Gehörgebot harmonisierende Verfassungsinterpretation12. 9 Vgl. Hahn, Materialien, §§ 153, 154 CPO. 10 Die Haltung des Gesetzgebers der ZPO wird i. ü. verständlich, wenn man bedenkt, daß die ZPO wie alle damaligen Kodifikationen dem Geist ihrer Zeit gemäß stärker von einem eigenverantwortlichen Bürger ausging, der nach seinen intellektuellen und sozialen Möglichkeiten sich selber ausreichend um sein Recht u. dessen Durchsetzung kümmern konnte. Die unter dem Gedanken des (auch) prozessualen Rechtsstaats vornehmlich im öffentlichen Recht entstandenen jüngeren Verfahrensgesetze sehen die Möglichkeiten des Bürgers dagegen wohl zu Recht viel bescheidener und wollen ihm deshalb die Durchsetzung seiner Rechte möglichst erleichtern. (Diese Tendenz zeigen auch die mehreren, mit der "Vereinfachungsnovelle" zur ZPO eingeführten gerichtlichen Belehrungspflichten, z. B. in §§ 276 Abs. 2, 340 Abs. 3 S . 4). Deshalb ist es auch kein Zufall, wenn alle neueren Kodifikationen, welche die Zustellung d. A. z. P. bei fehlendem Bevollmächtigten kennen, diese Zustellungsart nur zulassen, wenn der Adressat trotz vorherigen Hinweises keinen Vertreter benannt hat. u Bezüglich des Zeitaufwands ebenso Sailer NJW 77, 25 (allerdings in anderem Zusammenhang); vgl. auch Eser JZ 66, 665. 12 Bei näherem Hinsehen ergibt sich zudem, daß praktisch kein Aufwand an Zeit, Mühe und Geld erforderlich ist, um von einem Adressaten die Vertreterbenennung zu verlangen und ihn damit auf seine Pflicht hinzuweisen. Dies soll hier nicht näher ausgeführt werden, da es für unsere Untersuchung nicht wesentlich ist.

Kap. 3: Auslandszustellungen d. A. z. P. und rechtliches Gehör

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Damit ergibt sich bis jetzt: Die Zustellungen d. A. z. P. in den Fällen der hier behandelten Gruppe sind nicht mit dem verfassungsrechtlichen Gehörprinzip vereinbar, da sie weder durch Grundrechte anderer noch durch zumindest gleichrangige Allgemeininteressen zu rechtfertigen sind. Gesetzliche Vorschriften, die gegen das GG verstoßen, sind verfassungswidrig und damit in aller RegeJ1 3 auch nichtig, es sei denn, daß eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist. Ist sie möglich, muß sie auch gewählt werden14• Für eine verfassungskonforme Auslegung der hier besprochenen Fallgruppe müßte man die jeweiligen Vorschriften so interpretieren können, daß sie eine dem Prinzip des rechtlichen Gehörs gerecht werdende Aufforderungspflicht seitens der Gerichte und Behörden und die damit verbundene Hinweispflicht erhalten. Wir müßten also über ihren Wortlaut hinaus etwas in sie hineinlesen. Das hat jedoch schon rein begrifflich mit dem methodischen Instrument der Auslegung nichts mehr zu tun und ist auch im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung nicht angängig15• Hier kann nur eine verfassungskonforme Rechtsergänzung in Form der Lückenfüllung durch Analogie16 weiterhelfen17. Dafür müßte zunächst eine Lücke in der gesetzlichen Regelung vorhanden sein. Sie besteht zumeist dergestalt, daß der Wortlaut des Gesetzes zu eng ist und dadurch bestimmte Tatbestände nicht erfaßt. Dieser Fall liegt nicht vor. Hier besteht die "Lücke" vielmehr in der fehlenden Hinweispflicht, die das einfache Verfahrensrecht in zahlreichen anderen Fällen18 in der Form vorsieht, daß der Bevollmächtigte erst auf Verlangen des Gerichts oder der Behörde zu bestellen ist. Zu den Ausnahmen vgl. zuletzt BVerfG NJW 76, 2205 (2208). st. Rspr., z. B. BVerfGe 2, 267 (282); 8, 28 (33); 32, 383 f.; 36, 271; aus der Lit. z. B. Schack JuS 61, 269 (270 f.); Michel JuS 61, 274 (276). 16 So zu Recht Zippelius, in: BVerfG und GG, Bd. li, S. 108 (110 f.). Das BVerfG trennt allerdings nicht so genau zwischen Auslegung und Rechtsergänzung, vgl. BVerfGE 2, 340 f. und 30, 88 ff. Am deutlichsten BVerfGE 35, 278 f., wo es heißt, die Auslegung brauche am Wortlaut der Norm nicht haltzumachen. Schon der RFH unterschied i. ü. nicht zwischen Auslegung und Ergänzung, vgl. v. a. RFHE 27, 67 (70). Diese unsaubere Trennung wird verständlich, wenn man den engen Zusammenhang zwischen beiden Methoden bedenkt, vgl. dazu Larenz NJW 65, 1 f. 16 Außer der Analogie gibt es noch andere Grundlagen für die Rechtsergänzung, z. B. die "Natur der Sache", vgl. dazu Larenz NJW 65, 4 ff. Diese anderen Möglichkeiten kommen hier jedoch nicht in Betracht. 17 Vgl. dazu allgemein Larenz, Methodenlehre (1960), S. 256 ff., 273 ff., 309 ff.; Stein NJW 64, 1745; Zippelius NJW 64, 1981 ; zur Zulässigkelt dieses methodischen Instruments auch im Verfassungsrecht vgl. zuletzt Zippelius in BVerfG und GG, Bd. li, S. 121 ff. m. w. N.; kritisch Stern NJW 58, 1435; aus der Rspr. z. B. BVerfGE 2, 336 (340 ff.); 19, 342 ff.; 30, 388 ff. 18 Vgl. die oben zur ersten Fallgruppe genannten Fälle. 13 14

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Auch eine derartige "Lücke" kann jedoch im Wege verfassungskonformer Ergänzung geschlossen werden. Denn der Grundgedanke dieses Vorgehens, daß der Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung einer bestimmten Regelung auf im wesentlichen gleichartige Fälle erfordere19, trifft auch hier zu: stets geht es um die Bestellung eines Zustellungsvertreters und ggf. um die Zustellung d. A. z. P. Die Lückenausfüllung scheidet aus, wenn sie Analogieverbote verletzt!il. Die hier vorgeschlagene Erstreckung der Aufforderungs- und der damit verbundenen Hinweispflicht auf die Vorschriften, die von einer allein kraft Gesetzes bestehenden Pflicht zur Bevollmächtigtenbestellung ausgehen, verstößt jedoch gegen kein Analogieverbot. Wir befinden uns hier im Bereich des Verfahrensrechts, wo die Analogie stets zulässig ist. Hier gilt ja noch nicht einmal das Analogieverbot des (materiellen) Strafrechts (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, 7 MRK, § 1 StGB)21 • Eine verfassungskonforme Rechtsergänzung per Analogie hat ferner dort Schranken, wo schon die Interpretation auf Grenzen stößt. Sie ist deshalb nicht möglich, soweit sie sich zu dem erkennbaren Zweck des Gesetzes in Widerspruch setzen würde. Die von uns intendierte Ergänzung verstößt nicht gegen den Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit der Zustellung d. A. z. P. ohne vorherigen Hinweis auf die Pflicht zur Bevollmächtigtenbenennung verfolgt hat. Wie schon dargelegt, sollte damit der Requisitorialweg umgangen werden, um die aus dem ausländischen Wohnsitz des Adressaten folgenden Schwierigkeiten zu vermeiden. Diese legislatorische Intention wird nicht tangiert, wenn man aus verfassungsrechtlichen Gründen die Aufforderungspflicht auch dort bejaht. wo sie gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Damit steht einer verfassungskonformen Ergänzung auch unter diesem Aspekt nichts im Wege. Somit steht jetzt fest: Hier ist eine verfassungskonforme Rechtsergänzung im Wege der Analogie möglich und damit zugleich auch geboten. Demnach sind Regelungen des Verfahrensrechts, welche die Zustellung d. A. z. P. bei fehlendem Zustellungsbevollmächtigten erlauben, ohne daß der Adressat zuvor zur Bestellung eines solchen Bevollmächtigten aufgefordert und damit auf seine Pflicht, ihn zu benennen, hingewiesen worden ist, im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gehörprinzip dahingehend verfassungskonform zu ergänzen, daß der Adressat zur Bestellung durch das Gericht oder die Behörde aufgefordert werden muß. 19 20 21

Vgl. etwa BVerfGE 2, 340 ff. 30, 388 ff. Vgl. dazu Zippelius, S. 121 m. w. N. Vgl. BGHSt NJW 59, 347; Kleinknecht, StPO, Einl. 9 D b.

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c) Dritte Fallgruppe: Die Regelungen der Konkurs- und Vergleichsordnung

Die nach Konkursrecht zulässigen Auslandszustellungen d . A. z. P. gehören zu keiner der bisher behandelten Gruppen, soweit sie neben einer öffentlichen Bekanntmachung vorgenommen werden können (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 KO). Durch die geschilderte Interpretation des rechtlichen Gehörs aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers können sie nicht gerechtfertigt werden. Sie sind deshalb nur im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung mit diesem Recht in Einklang zu bringen, wenn einer der geschilderten Kollisionsfälle vorliegt, in denen auch dem scheinbar unbeschränkten Recht auf Gehör Grenzen erwachsen. Dann müßten für die Zulassung der Zustellung d. A. z. P. in diesen Fällen Interessen sprechen, die durch Grundrechte oder verfassungsrechtliche Instituts- oder institutionelle Garantien geschützt sind, oder aber zumindest gleichrangige Allgemeininteressen. Nur letztere kommen aufgrund folgender Überlegung in Betracht. An einem Konkursverfahren sind nicht selten sehr viele Personen beteiligt, vornehmlich Konkursgläubiger. Das Konkursverfahren ist also ein Massenverfahren. Diesem Charakter muß das Gesetz auch im Hinblick auf die Zustellungsmöglichkeiten Rechnung tragen. Sie dürfen das Massenverfahren jedenfalls nicht so weit beeinträchtigen, daß seine Durchführung praktisch illusorisch wird22• Die Zulassung der Zustellung d. A. z. P. im Konkursverfahren ist jedoch keine unumgängliche Voraussetzung für dessen Praktikabilität. Dagegen spricht schon die gesetzliche Regelung in § 77 Abs. 1 S. 1 KO, wonach die Einzelzustellung d. A. z. P. durchgeführt werden kann, aber nicht muß. Das Gesetz selber geht also nicht davon aus, daß diese Zustellungsart für den Konkurs unbedingt nötig ist. Auch sonst spricht nichts dafür, daß sich ein Konkursverfahren ohne Zustellungen d. A. z. P. praktisch nicht durchführen läßt. Somit kann man das Allgemeininteresse an der Durchführbarkeit dieses Verfahrens nicht zur Rechtfertigung solcher Zustellungen heranziehen. In Betracht kommt ferner das Allgemeininteresse, das Konkursverfahren möglichst rationell durchzuführen. Wenn schon Einzelzustel22 Mit einer ähnlichen Argumentation bejaht die h. M. die Zulässigkeit der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post (§ 182 ZPO) im Strafbefehlsverfahren; vgl. z. B. BVerfGE 26, 315 (318) = NJW 69, 1531; LG Karlsruhe NJW66, 64; Endemann NJW69, 1198; Riiping, 8.170; a.A. z.B. LG Hannover NJW 68, 416 mit einer auf das rechtliche Gehör gestützten Begründung. Die gleiche Argumentation wurde auch für die Ersatzzustellung im früheren Strafverfügungsverfahren vorgebracht; vgl. BVerfGE 25, 158 (164 f.) = NJW 69, 1103; BGHSt 13, 182 (184 f.) = NJW 59, 1741.

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lungen vorgenommen werden sollen, dann kommen Zustellungen d. A. z. P. diesem Ziel am weitesten entgegen. Denn sie sparen Zeit, Geld und Mühe, gerade wenn der Zustellungsempfänger im Ausland wohnt. Wie schon einmal gesagt wurde, ist jedoch allein dieses Interesse keinesfalls derart wichtig, daß eine rechtsstaatliche Sicherung wie das Gehörrecht ihm gegenüber zurücktreten müßte. Nach den bisherigen Überlegungen ergibt sich also, daß neben einer öffentlichen Bekanntmachung nötige Einzelzustellungen entgegen § 77 Abs. 1 S. 1 KO nicht d. A. z. P. zugestellt werden dürfen. Vielleicht ergibt sich etwas anderes im Zuge einer verfassungskonformen Auslegung23 der Vorschrift. Nach h. M.24 hat diese Auslegung zwei Schranken. Die erste ist der Gesetzeswortlaut, über den prinzipiell keine Auslegung hinausgehen darf. Zum zweiten darf man nicht dazu kommen, daß man ein dem Gesetzgeber vorbehaltenes Regelungsermessen ausübt. Insoweit kann in einer verfassungskonformen Auslegung insbesondere dann ein unzulässiger Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegen, wenn dieser in Kenntnis der verfassungsrechtlichen Grenzen eine zwar ganz andere, aber gleichfalls verfassungsrechtlich zulässige Regelung getroffen hat25• Wenn hier mit Rücksicht auf das rechtliche Gehör die Ansicht vertreten wird, Zustellungen, die nach der KO neben einer öffentlichen Bekanntmachung nötig sind, dürften nicht d. A. z. P. erfolgen, so läßt sich dies nicht mit dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 S.1 KO vereinbaren. Auch eine verfassungskonforme Auslegung hilft da nicht weiter. Die deshalb naheliegende Schlußfolgerung, § 77 Abs. 1 KO sei verfassungswidrig, trifft dennoch nicht zu. Denn bei den bisherigen überlegungen blieb ausgeklammert, daß die neben der öffentlichen Bekanntmachung vorzunehmenden Einzelzustellungen für die Wirksamkeit der Zustellung ohne Bedeutung sind, wie sich aus § 76 Abs. 3 KO ergibt26• Deshalb gehört die Frage, ob die konkursrechtliche Zustellungsregelung insoweit mit dem grundgesetzliehen Gehörprinzip vereinbar ist, in den 2s Zu diesem Interpretationsprinzip vgl. zuletzt Zippelius, in: BVerfG und GG, Bd. 11, 8.108 ff.; Seetzen NJW 76, 1997. 24 Vgl. u. a. BVerfGE 1, 299 (312); 2, 266 (282); 3, 162 (182); 19, 247 (253); 25, 296 (305) ; 38, 41 (49) = NJW 74, 1901 (1902) ; Dü.rig JZ 53, 462 (463) ; Spanner AöR 66, 503 (510 f.). 25 Diese auch bei der verfassungskonformen Rechtsänderung bekannte Schranke folgt aus dem Gewaltenteilungsprinzip. Danach kann "eine vom Gesetzgeber unterlassene Regelung nicht durch die Gerichte nachgeholt werden" (BVerfGE 2, 340), und niemand hat die Möglichkeit, ein Gesetz unter dem Aspekt der allgemeinen Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen und damit seine Meinung von Gerechtigkeit und der optimalen Lösung derjenigen des Gesetzgebers zu substituieren (vgl. u. a. BVerfGE 3,

182; 4, 219). 26

s. o. Teil B, Kap. 1.

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Rahmen der Überprüfung der öffentlichen Bekanntmachung. Dabei wird dann sogar positiv zu berücksichtigen sein, daß die KO in einigen Fällen neben der öffentlichen Bekanntmachung Einzelzustellungen vorschreibt und damit die Gefahr eines Verstoßes gegen das Prinzip des rechtlichen Gehörs zumindest erheblich verringert27• Soweit die Vergleichsordnung Einzelzustellungen neben einer öffentlichen Bekanntmachung vorschreibt28 , gelten die soeben für die gleiche Problematik im Konkursverfahren angestellten Überlegungen entsprechend. Deshalb steht nur noch der Fall zur Überprüfung an, daß das Vergleichsgericht ohne gleichzeitige öffentliche Bekanntmachung gern. §§ 118, 115 VglO, 208, 215 ZPO analog durch Aufgabe zur Post zustellt, wofür es der Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 ZPO nicht bedarf. Das ist jedenfalls auf den ersten Blick mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs nicht vereinbar. Weder hilft dessen Interpretation aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers weiter, noch läßt sich eine Rechtfertigung durch kollidierende Grundrechte, Institute oder Allgemeininteressen finden. Insbesondere hängt auch die Durchführbarkeit des Vergleichsverfahrens nicht von der Möglichkeit ab, durch Aufgabe zur Post zustellen zu können. Somit stellt sich wieder die Frage der verfassungskonformen Auslegung. Ausgangspunkt dafür ist, daß das Vergleichsgericht in keinem Falle gezwungen ist, sich für die Zustellung d. A. z. P. zu entscheiden. Statt ihrer kann es immer die öffentliche Bekanntmachung wählen, wie sich aus § 119 Abs. 4 VglO ergibt. Man könnte nun meinen, dies müsse das Gericht auch tun, weil die Zustellung d. A. z. P. hier mit dem Gehörprinzip unvereinbar sei. Soweit also das Gericht nach seinem Ermessen zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Zustellung d. A. z. P. wählen könne, müsse es die erste Möglichkeit wählen. Gegen diese Lösung bestehen Bedenken. Wenn dem Gehöranspruch schon durch die öffentliche Bekanntmachung29 genügt ist, dann muß das auch für eine stattdessen vorgenommene Zustellung d. A. z. P. gelten. Denn sie bietet dem Adressaten eine größere Chance, vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks Kenntnis zu nehmen und infolgedessen sein rechtliches Gehör wahrnehmen zu können, als es die öffentliche Bekanntmachung tut. Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß sich die Chance des Adressaten, von der Zustellung Kenntnis zu erhalten, dadurch erhöht, daß die Bekanntmachung gern. § 119 Abs. 2 VglO auszugsweise 27 28

In diesem Sine wohl auch Jaeger I Weber, KO, § 76 Anm. 2 (a. E.). s. o. Teil A.

Deren Vereinbarkeit mit dem Gehörrecht wird noch darzulegen (und zu bejahen) sein. 29

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

im Bundesanzeiger veröffentlicht werden muß, eine Anheftung an die Gerichtstafel also nicht ausreicht. Damit ergibt sich im Ergebnis auch für die Zustellungsregelung der VglO, daß sie mit dem Gehörprinzip des GG, das sich hier, weil es um ein gerichtliches Verfahren geht, aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt, vereinbar ist. 2. Einzelfragen

Im folgenden soll das Verhältnis zwischen dem Prinzip des rechtlichen Gehörs und den verfahrensrechtlichen Regelungen der Auslandszustellungen d. A. z. P. näher ausgeleuchtet werden, indem wir prüfen, ob sich aus dem rechtlichen Gehör Konsequenzen für einige Modalitäten der Zustellung d. A. z. P. ergeben. Die erste Untersuchung gilt dabei der Überlegung, ob das rechtliche Gehör nicht von dem Gericht oder der Behörde verlangt, den im Ausland wohnenden Adressaten darauf hinzuweisen, daß als Konsequenz seiner Nichtbestellung eines Bevollmächtigten die Zustellung d. A. z. P. zulässig wird und damit die Gefahr entsteht, daß er sein Recht auf Gehör nicht mehr wahrnehmen kann. Solch ein Hinweis wäre mehr als die für die obige zweite Fallgruppe verlangte Pflicht, den Adressaten auf seine Aufgabe hinzuweisen, einen Zustellungsvertreter zu benennen. Müßte man eine derartige zusätzliche Belehrungspfiicht bejahen, so könnte man zum einen mit noch größerer Berechtigung sagen, der Adressat handele nachlässig und verspiele damit sein Recht auf Gehör; zum anderen könnte diese Hinweispflicht durch das Prinzip des rechtlichen Gehörs gefordert werden, weil sie für den Adressaten die Gefahr, sein Gehör infolge einer Zustellung d. A. z. P. zu verlieren, erheblich vermindert. Denn mancher Adressat dürfte seiner Benennungspflicht eher nachkommen, wenn er weiß, was für ihn auf dem Spiele steht; Ähnliche Erwägungen hat es zeitweilig in der Rspr. gegeben. In einem unveröffentlichten Teilurteil vom 11. 5. 196230 hat das OLG Köln ausgeführt, eine Zustellung d. A. z. P. sei nur dann als ordnungsgemäß und gültig anzuerkennen, "wenn der im Ausland lebende Beteiligte vorher auf die Möglichkeit, daß diese Zustellungsart gewählt werden kann, und ihre Folgen hingewiesen worden ist". Zur Begründung führt das Gericht allerdings keine verfassungsrechtliche, sondern prozeßtechnische Aspekte an: der Beteiligte sei "nämlich sonst in aller Regel nicht in der Lage zu erkennen, daß die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen wird und die Rechtsmittelfrist von diesem Zeitpunkt an läuft (§§ 175 und 213 ZPO). Bei einer verspäteten Rechtsmitteleinlegung müßte deshalb meist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Diese Schwierigkeiten werden vermieden, wenn die so Az: 11 U (Entsch) 35/61.

Kap. 3: Auslandszustellungen d. A. z. P. und rechtliches Gehör

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Zulässigkeit der Zustellung d. A. z. P. an die Voraussetzung der vorherigen Belehrung der im Auslande lebenden Parteien geknüpft wird31 ." Das OLG beschränkt seine Meinung zwar ausdrücklich auf den Entschädigungsrechtsstreit, doch paßt die angeführte Begründung genausogut auf andere Fälle. Der BGH32 hat diese Ansicht ebenso zurückgewiesen wie einige Literaturstimmen33, die sich auf ihn berufen. Zur Begründung wird lediglich auf den Gesetzeswortlaut verwiesen, dem zufolge solche Belehrungen nicht nötig seien. Verfassungsrechtliche Aspekte werden nicht berücksichtigt. Wir wollen sehen, ob sie die Ansicht des OLG Köln rechtfertigen. Zur Begründung einer Hinweispflicht bietet sich als methodischer Ansatz die verfassungskonforme Auslegung oder auch Ergänzung an. In beiden Fällen müßte das grundgesetzliche Gehör die Hinweispflicht jedoch überhaupt fordern. Das ist aber nicht der Fall. Wie erwähnt, gibt das GG den Gehöranspruch dem wachen Bürger, der verantwortlich und aktiv an der Gestaltung seiner Verfahren mitarbeitet. Das GG geht deshalb davon aus, daß sich ein Beteiligter grundsätzlich selbst über die Konsequenzen seines Tuns und Lassens unterrichten muß. Dem selbstverantwortlichen Bürger braucht nicht dauernd gesagt zu werden, was passiert, wenn er dies tut oder jenes läßt. Dieser Einstellung mag die Tendenz des modernen Gesetzgebers, immer neue Belehrungspflichten einzuführen, widersprechen34. Das ändert jedoch nichts am Inhalt der grundgesetzliehen Vorschriften. Das rechtliche Gehör des GG verlangt somit nicht die Einführung zusätzlicher Hinweispflichten der geschilderten Art. Für eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung oder Rechtsergänzung des Verfahrensrechts ist deshalb kein Raum. Ob sich solche Hinweispflichten statt unter verfassungsrechtlichem Aspekt vielleicht aus einer Fürsorgepflicht des Gerichts oder der Behörde ergeben, kann hier offen bleiben. In einigen Vorschriften wird angeordnet, daß Zustellungen d. A. z. P. an einen im Ausland wohnenden Empfänger generell (vgl. z. B. §§ 118 Abs. 2 VglO, 4 ZVG) oder doch unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. z. B. § 175 Abs. 2 ZPO) per Einschreiben erfolgen. Die meisten Regelungen sehen das nicht vor (vgl. z. B. §53 Abs. 3 FGO, 41 BRück31 Die folgenden Belegzitate des OLG (v. Dam I Loos, BEG, § 197 Anm. 4; Becker I Huber I Küster, BErgG, § 94 Anm. 12) sind nicht korrekt. In beiden

Kommentaren wird nur gesagt, daß der Zustellungsbevollmächtigte erst auf Verlangen zu bestellen sei. Daß diese Forderung nicht durch den Gesetzeswortlaut gedeckt wird, dürfte in beiden Fällen einfach übersehen worden sein, da jegliche Begründung fehlt. 32 RzW 63, 380; 64, 405. 33 Fraenkel JR 65, 10 (11 a. E.) m. w. N. ; Blessin I Giessler, Bundesentschädigungsschlußgesetz, § 197 Anm. I 3 b. 34 Vgl. die schon erwähnten Belehrungspflichten nach der ZPO-Novelle.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

ErstG, 28 GVwVfKOV, 197 Abs. 2 BEG). Bei einem Einschreiben ist die Gefahr eines postalischen Verlustes oder einer Verspätung des zuzustellenden Schriftstücks erheblich geringer als bei einem einfachen Brief. Gerade aus diesem Grunde sieht das Gesetz in den angegebenen Fällen auch das Einschreiben vor35• Werden diese Gefahren aber geringer, so mindert sich zugleich auch die Gefahr, daß der Adressat infolge der Zustellung d. A. z. P. sein rechtliches Gehör verliert. Aus diesem Grunde erscheint es angebracht zu überlegen, ob nicht im Hinblick auf das Prinzip des rechtlichen Gehörs bei den Vorschriften, die das Einschreiben nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsehen, eine verfassungskonforme Auslegung dahin angebracht ist, das durch Aufgabe zur Post zugestellte Schriftstück in jedem Falle als Einschreiben zu schicken. Sollte das zu bejahen sein, läge es nahe weiterzufragen, ob nicht eine auf das gleiche Ergebnis zielende verfassungskonforme Ergänzung bei den Vorschriften in Betracht kommt, die gar nichts von einem Einschreiben sagen. Die intendierte verfassungskonforme Interpretation ist jedoch nicht möglich, weil man mit ihr in das allein dem Gesetzgeber zustehende Regelungsermessen eingreifen würde. Ob das Schriftstück, das ja bereits mit der Aufgabe zur Post zugestellt ist, danach mit einfachem Brief oder per Einschreiben weiterbefördert wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Im Hinblick auf das rechtliche Gehör des Adressaten wäre es zwar wünschenswert, wenn ihm das Schriftstück per Einschreiben übermittelt wird. Diesen Wunsch kann jedoch nur der Gesetzgeber erfüllen. Der Weg über die verfassungskonforme Auslegung oder Ergänzung ist dafür nicht geeignet. Diese Beurteilung schließt allerdings nicht die Forderung aus, das Gericht oder die Behörde solle die Erwägung, daß ein Einschreiben mit Rücksicht auf das rechtliche Gehör zu bevorzugen ist, nach Möglichkeit berücksichtigen. Dafür hat es Gelegenheit, wenn das Gesetz es dem Ermessen der zustellenden Stelle überläßt, ob sie einen einfachen oder eingeschriebenen Brief wählt. Hier stellt sich die Rücksichtnahme auf das rechtliche Gehör als eine entscheidende Erwägung im Rahmen der Ermessensausübung dar. Noch wichtigere Erwägungen lassen sich kaum denken, insbesondere muß jegliches Kostenargument zurücktreten. Wenn die zustellende Behörde also die Wahl zwischen einfachem und eingeschriebenem Brief hat, wird sie sich prinzipiell für das Einschreiben entscheiden müssen.

ss Für die Regelung der VglO vgl. Bley I Mohrbutter, VglO, § 118 Anm. III

5 (a. E.).

Kap. 4: Öffentliche Auslandszustellung und rechtliches Gehör

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Kapitel4

Die Vereinbarkeit der öffentlichen Auslandszustellung mit dem rechtlichen Gehör des GG Wie bei den Zustellungen d. A. z. P. wollen wir auch bei der Prüfung der Verfassungskonformität öffentlicher Auslandszustellungen getrennt nach Fallgruppen vorgehen. Das erste Einteilungskriterium folgt dabei aus der Erwägung, daß es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung nicht ohne Bedeutung sein kann, ob sie die einzige und letzte Möglichkeit ist, überhaupt an den im Ausland wohnenden Adressaten zuzustellen. Innerhalb der Zustellungen, auf die das zutrifft, soll wiederum zunächst geprüft werden, ob ihnen mit jener Interpretation des rechtlichen Gehörs beizukommen ist, die auf dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers beruht. Dann müßte die Anwendung der öffentlichen Zustellung auf eine Nachlässigkeit des Adressaten zurückzuführen sein. Er selber müßte es also zu vertreten haben, daß die öffentliche Zustellung als "ultima ratio" anzuwenden ist. 1. Erste Fallgruppe: Die öffentliche Zustellung ist die einzige Zustellungsmöglicbkeit, und der Adressat hat dies zu vertreten

Das kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen die öffentliche Zustellung erfolgt, wenn und weil der Adressat unbekannten Aufenthalts ist. Wichtigstes Beispiel hierfür ist § 203 Abs. 1 ZPO, auf den mehrfach verwiesen wird (vgl. etwa §§ 8, 3 ZVG, 869, 203 ZPO; 16 Abs. 2 S.l FGG, 208, 203 ZPO). Weitere Beispiele sind die §§ 40 Abs.1 StPO und 15 Abs. 1 a VwZG. Allerdings braucht es keineswegs immer so sein, daß ein Adressat die Unbekanntheit seines Aufenthaltsorts zu vertreten hat. Sie kann vielmehr auf kriegerische, politische oder andere Verwicklungen zurückgehen. Ihrem Wortlaut nach umfassen alle obigen Vorschriften jedoch auch derartige Fälle. Infolgedessen sind die Regelungen dieser Fallgruppe jedenfalls nicht schon auf der Basis der "restriktiven" Interpretation mit dem rechtlichen Gehör zu vereinbaren. Denn dafür müßte ja gerade eine zu vertretende Nichtausnutzung der gebotenen Gehörchance vorliegen. Als Ausweg bietet sich eine verfassungskonforme Interpretation an. Sie liefe darauf hinaus, daß die einschlägigen Vorschriften nur solche Fälle erfassen, bei denen die Unbekanntheit des Aufenthalts auf eigenes Handeln des Adressaten zurückgeht. Wenn das richtig wäre,

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

müßte diese Fallgruppe mit dem rechtlichen Gehör aufgrund dessen "einschränkender" Interpretation aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers vereinbart werden können. Im Ergebnis stimmte diese Auslegung zwar mit einer Ansicht überein, die unter den besonderen Bedingungen der Nachkriegszeit zeitweilig von Rspr. und Lit. zu § 203 Abs. 1 ZPO, der wichtigsten Regelung dieser Fallgruppe, vertreten wurde1 • Danach war die Vorschrift im Hinblick auf ihre ratio legis restriktiv zu interpretieren: sie beruhe auf dem Gedanken der Gefahrenübernahme; wer freiwillig seinen bisherigen Lebenskreis verlasse, ohne zu sagen, wohin er gehe, müsse sich die öffentliche Zustellung als Konsequenz seines eigenen Verhaltens gefallen lassen. Von daher erscheine es nicht angebracht, auch an solche Adressaten öffentlich zuzustellen, die ohne eigenes Handeln, vielmehr infolge von kriegerischen, politischen oder anderen Ereignissen ihren alten Lebensbereich hätten verlassen müssen2• Dieses restriktive Moment sei vom Gericht bei seiner Ermessensentscheidung über die Zulassung der öffentlichen Zustellung gern. § 204 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen. Die Rspr. hat das auch getan, besonders in Ehesachen während der Nachkriegsjahre, als infolge der damaligen Wirren viele Menschen unbekannten Aufenthalts waren3 • Heute wird diese Einschränkung des § 203 Abs. 1 ZPO, die rein zivilprozessual und nicht etwa (auch) verfassungsrechtlich begründet wurde, zu Recht übereinstimmend verworfen, da sie mit Wortlaut und Zielrichtung der Vorschrift unvereinbar ist4. Genau daran scheitert aber auch die von uns erwogene verfassungskonforme Auslegung. Die ratio legis des § 203 Abs. 1 ZPO und aller ihm nachgebildeten Vorschriften geht dahin, die bei unbekanntem Aufenthalt des Empfängers, mag er das zu vertreten haben oder nicht, einzig noch verbliebene Zustellungsmöglichkeit, eben die öffentliche Zustellung, zu gestatten. Mit diesem Gesetzeszweck wäre es nicht vereinbar, den Anwendungsbereich der Norm auf die Fälle zu beschränken, in denen der Adressat die Unbekanntheit seines Aufenthalts zu vertreten hat. Außerdem bestehen gegen das Ergebnis einer derartigen t Vgl. u. a. OLG Celle NiedersRpflg 47, 22 Nr. 12; OLG München NJW 471 48, 632; OLG Hessen NJW 47148, 555; LG Göttingen MDR 56, 302; Jagusch SJZ 47, 300; Kegel DRZ 1949, 9. Beiheft, S. 11 f.; a. A. Stein I Jonas I Pohle, § 203 Anm. II 1; Baumbach I Lauterbach, § 203 Anm. 1. 2 Es gab noch andere Ansätze zur Einschränkung des § 203 Abs. 1 ZPO. So lehnte das OLG Celle (MDR 47, 239) die öffentl. Zust. wegen Unschlüssigkeit der Klage ab, weil dann das Rechtsschutzinteresse fehle; dagegen mit Recht Stein I Jonas I Pohle, § 203 Anm. II 4. s Z. B. OLG Dresden SJZ 47, 96; LG Koblenz NJW 53, 1797. 4 Vgl. z. B. Baumbach I Lauterbach, § 203 Anm. 1, und Stein I Jonas I Pohle. § 203 Anm. II.

Kap. 4: Öffentliche Auslandszustellung und rechtliches Gehör

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verfassungskonformen Auslegung verfassungsrechtliche Bedenken. Sie hätte nämlich zur Folge, daß an Adressaten, die ihren unbekannten Aufenthalt nicht zu vertreten haben, gar nicht zugestellt werden könnte. Damit aber nähme man dem Gegner eines solchen Adressaten die Möglichkeit, vor Gericht um Rechtsschutz nachzusuchen. Das ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar, wie die sogleich folgenden Untersuchungen noch im einzelnen ausführen werden. Somit kann man den Anwendungsbereich des § 203 Abs. 1 ZPO und der ihm entsprechenden Normen nicht im Wege der verfassungskonformen, restriktiven Interpretation auf die Fälle einengen, in denen der Adressat die Bebekanntheit seines Aufenthalts vertreten muß. Zu überlegen bleibt, ob die Fälle dieser Gruppe infolge der geschilderten Interpretation des rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich zulässig sind. Dann müßte der sich an einem unbekannten Ort im Ausland befindliche Adressat von Gesetzes wegen eine effektive Chance für eine sichere Zustellungsmöglichkeit und damit eine sichere Gehörchance gehabt, diese aber aus von ihm zu vertretenden Gründen vertan haben. Für den Regelfall ist die Zustellung auf dem Requisitorialweg vorgesehen. Sie garantiert, daß der Adressat von dem zugestellten Schriftstück Kenntnis nehmen und damit sein rechtliches Gehör wahrnehmen kann. Indem sich der Adressat aus seinem bisherigen Lebenskreis entfernt, ohne einen Hinweis auf seinen neuen Aufenthalt zu hinterlassen, macht er diese Zustellungsart unmöglich. Das hat er auch zu vertreten, wenn er die Unbekanntheit seines jetzigen Aufenthalts zu vertreten hat5 • Damit ergibt sich bislang: Öffentliche Zustellungen an einen Adressaten unbekannten Aufenthalts im Ausland sind mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs vereinbar, soweit der Adressat die Unbekanntheit seines Aufenthalts und damit den Ausschluß aller Zustellungsmöglichkeiten bis auf die öffentliche Zustellung zu vertreten hat. Ungeachtet dessen muß die mit diesem Ergebnis zwangsläufig verbundene Einschränkung des rechtlichen Gehörs wegen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips und im Hinblick auf die Forderung nach möglichst effektiver Grundrechtsrealisierungs möglichst gering gehalten werden. Dafür müssen wir nach Modalitäten suchen, welche den Erfordernissen des rechtlichen Gehörs soweit wie möglich entgegenkommen. Dabei handelt es sich um solche Modalitäten, die geeignet sind, die mit der öffentlichen Zustellung verbundene Gefahr s Für öffentliche Zustellungen im Inland dürfte dies angesichts der gesetzlichen Meldepflichten (z. B . §§ 1, 2, 19 MeldeG NW) erst r echt gelten. 6 s. o. Teil B, Kap. 1, 9.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

für das rechtliche Gehör, daß der Adressat vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks nichts erfährt, weitestgehend auszuschalten. Insoweit bieten sich zwei Möglichkeiten an. Um den Kreis der betroffenen Fälle auf das Unvermeidliche zu beschränken, kann man zum einen die diese Fallgruppe (u. a.) charakterisierende Voraussetzung, daß der Adressat unbekannten Aufenthalts und die öffentliche Zustellung deswegen "ultima ratio" ist, sehr eng auslegen. Das Gericht oder die Behörde muß dann alles ihm bzw. ihr Mögliche zur Auffindung des Aufenthaltsorts getan haben, bevor von dessen Unbekanntheit ausgegangen werden darf. Wie sich diese Forderung auf das Verständnis der einfachrechtlichen Regelungen von öffentlichen Zustellungen der hier behandelten Fallgruppe im einzelnen auswirkt, werden wir später noch aufzeigen. Die zweite Überlegung in diesem Rahmen bezieht sich auf das Bekanntmachungsmittel. Die Art und Weise der bei einer öffentlichen Zustellung durchzuführenden Bekanntmachung hat Auswirkungen auf die Höhe der Chance des Adressaten, von dem öffentlich zugestellten Schriftstück Kenntnis zu erhalten. So ist die Chance eines ausländischen Unternehmens, von einer öffentlich zugestellten kartellbehördlichen Verfügung Kenntnis zu nehmen, größer und überhaupt erst realistisch, wenn die Zustellung durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger erfolgt. Sie ist dagegen praktisch nicht vorhanden, wenn durch Aushang am "Schwarzen Brett" der Behörde veröffentlicht wird. Generell kann man zur Wahl des Veröffentlichungsmittels bei einer öffentlichen Zustellung an einen im Ausland wohnenden Adressaten sagen, daß nur die Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder - wenn der Aufenthaltsort des Adressaten bekannt ist - in einem dort verbreiteten Blatt dem Zustellungsempfänger eine realistische und den Forderungen des Effektivitätsgebots genügende Chance gewährt, von der Zustellung Kenntnis zu nehmen. Auf der anderen Seite ist diese Chance am geringsten, wenn durch Anschlag an der Gerichts- oder Behördentafel veröffentlicht wird. Auf welche Weise diese Forderung nach einem angemessenen Veröffentlichungsmittel mit den bestehenden Regelungen des einfachen Verfahrensrechts in Einklang zu bringen ist, werden wir noch darzustellen haben. Vorerst können wir unsere Überlegungen zur Vereinbarkeit von öffentlichen Zustellungen der hier besprochenen Gruppe mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs wie folgt zusammenfassen: Soweit die öffentliche Zustellung die einzig mögliche Zustellungsart ist und der im Ausland wohnhafte Adressat dies zu verantworten hat, ist sie mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren, sofern man ihm möglichst weitgehend zu entsprechen sucht, indem man

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die betroffenen Vorschriften des Verfahrensrechts in zwei Richtungen verfassungskonform auslegt oder ergänzt7: die öffentliche Zustellung muß wirklich die letzte Möglichkeit sein; an das Vorliegen dieser Voraussetzung ist ein strenger Maßstab anzulegen; das Gericht oder die Behörde muß ein angemessenes Veröffentlichungsmittel wählen; bei einem im Ausland wohnenden Adressaten ist das vornehmlich der Bundesanzeiger. 2. Zweite Fallgruppe: Die öffentliche Zustellung ist aus Gründen, die der Adressat nicht zu vertreten hat, die einzige Zustellungsmöglidlkeit

Soweit das Verfahrensrecht die öffentliche Zustellung gestattet, auch ohne daß der Adressat dies zu vertreten hat, kann das mannigfache Gründe haben. Sein Aufenthalt kann ohne sein Zutun unbekannt sein. Der Adressat kann gänzlich unbekannt sein, wovon etwa § 216 Abs. 2 S. 2 AO n. F. ausgeht. Insbesondere kann es an den in den §§ 203 Abs. 2 ZPO, 15 Abs.1 c VwZG, 40 StPO und in etlichen anderen Vorschriften genannten Gründen liegen, daß in der öffentlichen Zustellung die letzte Möglichkeit liegt. Die weitaus meisten öffentlichen Zustellungen fallen in diese Gruppe, wie der Überblick am Anfang unserer Untersuchung gezeigt hat. Die Vereinbarkeit mit dem grundgesetzliehen Gehör ergibt sich in allen diesen Fällen mangels Verschuldens beim Adressaten nicht schon infolge der von uns als Lösungsansatz gefundenen Interpretation des rechtlichen Gehörs aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers. Sie sind deshalb nur im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung mit diesem Prinzip in Einklang zu bringen, wenn einer der geschilderten Kollisionsfälle vorliegt, in denen auch dem rechtlichen Gehör Grenzen erwachsen8 • Dann müßte der an der öffentlichen Zustellung Interessierte sich auf Grundrechte oder verfassungsrechtlich geschützte Institute berufen können, denen das Gehörgebot bei einer harmonisierenden Verfassungsauslegung ganz oder teilweise weichen muß, oder für die Zulassung der öffentlichen Zustellung müßten überwiegende Allgemeininteressen sprechen. 7 Rohmann (S. 211) schlägt noch eine andere Restriktion vor. Er will die öffentliche Bekanntmachung dadurch ersetzen, daß die Tatsache der praktisch nicht durchführbaren Zustellung dem Einwohnermeldeamt des letzten gemeldeten Aufenthaltsorts mitgeteilt wird. Abgesehen davon, daß dieser Vorschlag nur bei Inlandszustellungen sinnvoll ist, ist er eher als Anregung an den Gesetzgeber zu verstehen, da er zu einer ganz neuen Zustellungsart führt, die mit der öffentlichen Zustellung im herkömmlichen Sinn nichts mehr zu tun hat; so auch Rohmann, S. 214. s Diese Möglichkeit übersieht Rohmann (S. 214), wenn er die öffentlichen Zustellungen dieser Fallgruppe für generell unvereinbar mit Art. 103 Abs. 1 GG erklärt, ohne diese Ansicht verfassungsrechtlich befriedigend zu begründen.

8 Schmitz

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TeilB: Fiktive Auslandszustellungeil und rechtliches Gehör

Wir wollen zunächst prüfen, ob mit dem verfassungsrechtlichen Gehörgebot, auf das sich der Zustellungsadressat berufen kann, in der hier behandelten Gruppe von öffentlichen Zustellungen Instituts- oder institutionelle Garantien kollidieren. Geht man sie der Reihe nach durch9, so zeigt sich, daß davon keine Rede sein kann. Unter diesem Aspekt erwachsen dem rechtlichen Gehör also keine Grenzen. Mithin ergibt sich auf diesem Wege auch nichts für die Frage, ob die öffentlichen Zustellungen dieser Gruppe mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren sind. Als möglicherweise kollidierende Grundrechte kommen die Art. 3 Abs.1 und 19 Abs. 4 GG in Betracht. Art. 3 Abs.1 GG kann sofort wieder ausgeschieden werden. Darauf kann sich der an einer öffentlichen Zustellung Interessierte ebensowenig berufen wie der an einer Zustellung d. A. z. P. Interessierte10• In beschränktem Umfang sind die Verfahrensvorschriften, die öffent-:liche Zustellungen zulassen, jedoch durch eine Kollision zwischen dem rechtlichen Gehör und Art. 19 Abs. 4 GG gekennzeichnet11 • Da bei der hier behandelten Fallgruppe die öffentliche Zustellung die einzige Zustellungsmöglichkeit ist, hätte ein Ausfall dieser Möglichkeit wegen Unvereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Gehörgebot zur Folge, daß der Kläger oder sich in einer vergleichbaren Position Befindliche ein noch nicht laufendes Verfahren gegen den im Ausland wohnenden Adressaten, für das nach den Regeln des internationalen Privatrechts das deutsche Gericht international zuständig ist, gar nicht erst beginnen könnte. Damit wäre aber Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Fraglich erscheint, ob das auch gilt, wenn das Verfahren bereits in Gang gekommen ist und nunmehr öffentlich zugestellt werden soll. Dann müßte Art.19 Abs. 4 GG nicht nur die Eröffnung, sondern auch die Weiterführung eines Verfahrens garantieren. Das ist der Fall. Die Vorschrift garantiert einen effektiven Rechtsschutz und ist deshalb extensiv auszulegen12• Von Effektivität des Rechtsschutzes könnte aber keine Rede sein, wenn lediglich die Eröffnung und nicht auch die Weiterführung bis zum rechtskräftigen Abschluß garantiert würde13 • o Die wichtigsten dieser Garantien finden sich in den Art. 5 Abs. 3, 6, 7, 10, 14, 21, 28, 33 Abs. 5, 101 GG, 140 GG i. V. m. 139 WRV. 10 Dazu oben, Teil B, Kap. 3, 1., b). u Auf Art. 19 Abs. 4 GG können sich auch alle juristischen Personen und teilrechtsfähigen Gebilde des öffentlichen Rechts berufen; h. M., z. B . MDH, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. 16; zu Recht wird dort auch gesagt, daß dies nicht der (zu billigenden) h. M. widerspricht, wonach juristische Personen des öffentlichen Rechts i. d. R. nicht Grundrechtsträger sein können (dazu BetteTmann NJW 69, 1321 m. w. N.). 12 h. M., vgl. z. B. BGH 10, 295 (297); BFHE 55, 278; H. Bauer, S. 78 ff. m. w. N.; MDH, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. 9, 12 m . w. N.

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Somit liegt eine Kollision zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und dem Gehörgrundsatz auch bei den öffentlichen Zustellungen vor, die im Verlaufe eines bereits begonnenen Verfahrens durchgeführt werden. Noch unter einem dritten Aspekt sind die öffentlichen Zustellungen durch eine derartige Kollision gekennzeichnet. Für die von Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Effektivität des Rechtsschutzes spielt auch das Zeitelement eine entscheidende Rolle14 • Gerichtsschutz in angemessener Zeit bedeutet u. a.15 aber auch, daß in kurzer Zeit tatsächlich wirksamer Rechtsschutz gewährt wird18• Denn nur dann wird der Gerichtsschutz der zum Zeitpunkt des Anhängigwerdens des Rechtsstreits bestehenden tatsächlichen Lage gerecht. Bei Prozessen mit langer Dauer können sich nämlich die tatsächlichen und persönlichen Bedingungen, die bei Verfahrensbeginn bestanden, und folglich die daraus resultierenden Interessen der Beteiligten verändert haben. Der Rechtsschutz wäre in diesem Falle nicht mehr effektiv17, Mithin fordert Art. 19 Abs. 4 GG die öffentliche Zustellung auch wegen der damit verbundenen Zeitersparnis und gerät auf diese Weise auch unter diesem Gesichtspunkt mit dem rechtlichen Gehör des Zustellungsadressaten in Konflikt. Damit steht jetzt fest: wird öffentlich zugestellt, weil es anders nicht geht, kollidiert das verfassungsrechtliche Gehörgebot mit der Hechtsschutzgarantie unserers Grundgesetzes; sie fordert im Interesse des die öffentliche Zustellung Betreibenden, daß er das Verfahren gegen den im Ausland wohnenden Adresasten eröffnen, fortführen und in ang~ · messener Zeit auch beenden kann. Bevor wir an die Lösung dieses Konflikts herangehen, die - wie wir gesehen haben - im Wege harmonisierender Verfassungsauslegung erfolgen muß, müssen wir noch auf die Fälle eingehen, die nicht von Art.19 Abs. 4 GG erfaßt werden. Das sind die außergerichtlichen Verfahren. Werden hier öffentliche Zustellungen durchgeführt, so kann sich der daran interessierte Teil, in aller Regel eine Behörde, nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen. Derartige öffentliche Zustellungen verstoßen deshalb nur dann nicht gegen das verfassungsrechtliche Gehör, wenn für sie wichtige Allgemeininteressen sprechen, welche die Durchführung einer öffentlichen Zustellung trotz 1a Demgemäß folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG sogar eine Verpflichtung der Gerichte zur Vollstreckung ihrer Entscheidungen, vgl. MDH, Art. 19 Abs. 4 GG Rdnr. l3 m. w. N.; H . Bau er, 8.102 ff.; kritisch Dütz, 8.132 f. 14 so u. a. H. Bauer, 8. 96; Dütz, 8. 193 f. 15 Die andere Bedeutung, die hier nicht interessiert, liegt darin, daß dem Rechtsschutz suchenden Bürger genügend Zeit zur Inanspruchnahme von Gerichtsschutz gelassen wird, vgl. BVerwGE 16, 289 (293); 27, 141 (145); NJW 67, 591 (592); Dütz, 8. 122 f. 18 Vgl. Lerche ZZP 78, 17 f.; Bachof JZ 66, 230; H. Bauer, 8. 96. 17 Vgl. H. A. Klein JZ 63, 591 (592); Pentz JR 67, 85 (86); VollkommeT ZZP 81, 102 (105) m. w. N.

a•

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der Bedenken wegen des rechtlichen Gehörs fordern. Als derartige Interessen kommen die gleichen in Betracht, die im Bereich der gerichtlichen Verfahren hinter der Berufung auf die Rechtsschutzgarantien standen. Die Behörde, die eine öffentliche Zustellung durchführen will, kann sich also darauf berufen, daß sie ansonsten das Verfahren überhaupt nicht in Gang bringen, nicht fortführen oder in angemessener Zeit beendigen könnte. Diese Interessen sind solche der Allgemeinheit. Sie sind auch legitim. Ob sie gewichtig genug sind, um die Bedenken aus dem Gehörprinzip hintanzustellen, wird sich zeigen. Für die gerichtlichen wie die außergerichtlichen Verfahren könnte sich eine Rechtfertigung der öffentlichen Zustellungen schließlich auch noch aus dem Gedanken ergeben, daß mit dieser Art von Zustellung Zeit, Geld und Mühe gespart werden. Dieses Allgemeininteresse reicht hier jedoch ebensowenig aus, wie es die Bedenken gegen solche Zustellungen d. A. z. P. ausräumen konnte, die zulässig waren, wenn ohne vorheriges Verlangen kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt worden war18• Infolgedessen läßt sich schon an dieser Stelle sagen, daß eine den Konflikt zwischen diesem Allgemeininteresse und dem Gehörgebot harmonisierende Verfassungsauslegung nicht nötig ist. Nunmehr gilt es, den bei den öffentlichen Zustellungen der hier behandelten Gruppe auftretenden Konflikt zwischen den geschilderten Grundrechten und Allgemeininteressen sowie dem Prinzip des rechtlichen Gehörs im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung zu lösen. Ziel ist dabei die Herstellung praktischer Konkordanz, also die möglichst optimale Entfaltung aller beteiligten Rechte und Interessen. Dafür gibt es einige Leitlinien, die bereits dargestellt wurden und jetzt anzuwenden sind. Die erste Leitlinie erwächst aus der Überlegung, welche Rechte oder Interessen am stärksten betroffen sind. Im Hinblick auf das Gehörgebot des Grundgesetzes wurde auch diese Überlegung bereits in zwei Richtungen präzisiert. Dabei wurde gesagt, daß das Gehörprinzip zwar durch jede fingierte Zustellung betroffen wird, innerhalb dieses Rahmens jedoch am stärksten durch die öffentlichen Zustellungen. Allerdings wird es selbst durch diese Zustellungsart immer nur in relativ geringem Maße betroffen, weil die öffentliche Zustellung wie jede andere fingierte Zustellung nicht zwangsläufig zum Ausschluß des Gehörrechts führen muß, sondern nur die Gefahr dafür in sich birgt. Demgegenüber würde sowohl die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG als auch das für die außergerichtlichen Verfahren parallel laufende Gemeinschaftsinteresse erheblich stärker betroffen, wenn es die öffentliche Zustellung in den Fällen der hier behandelten Gruppe ts s. o. Kap. 3, 1., b).

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nicht gäbe. Denn wenn infolgedessen das gerichtliche oder außergerichtliche Verfahren nicht eingeleitet, fortgeführt oder in angemessener Zeit beendet werden könnte, läge in jedem Falle ein Ergebnis vor, das die grundgesetzliche Rechtsschutzgarantie und das bezeichnete Gemeinschaftsinteresse unmittelbar verletzt. Somit führt dieses erste Enscheidungskriterium zu dem Ergebnis, daß für die Herstellung praktischer Konkordanz eher das rechtliche Gehör zurückzutreten hat. Das zweite Kriterium folgt aus der Erwägung, welchem der kollidierenden Grundrechte oder Allgemeininteressen der höhere Stellenwert zuzuerkennen ist. Dafür sind - wie ausgeführt - die Abstufung der Einschränkungsmöglichkeiten und die Nähe zum obersten Wert der Menschenwürde Indizien. Das rechtliche Gehör des GG kennt keine ausdrückliche Einschränkungsmöglichkeit. Das gilt jedoch ebenso für Art.19 Abs. 4 GG und das bezeichnete Allgemeininteresse, das ja den gleichen Inhalt wie die Rechtsschutzgarantie hat. Die Verbindung zwischen dem grundgesetzliehen Gehörgebot und der Menschenwürde ist nicht mehr oder weniger eng als bei den meisten anderen Grundrechten auch. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese Aussage nicht auch für Art. 19 Abs. 4 GG und das bezeichnete Allgemeininteresse gelten solltete. Für den Rang der kollidierenden Grundrechte etc. könnte weiterhin von Bedeutung sein, inwieweit sie der "Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG unterfallen. Aber auch in diesem Punkte stehen sich das Gehörgebot und die Rechtsschutzgarantie in nichts nach. Alle sind sie Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips, weshalb die (i. ü. nicht unstreitige20) Frage, ob sie unter Art. 79 Abs. 3 GG fallen, für alle gleich zu beantworten ist. Für einen Vorrang der Rechtsschutzgarantie scheinen die Stimmen zu sprechen, die im Hinblick auf Art.19 Abs. 4 GG von einer "Krönung des Rechtsstaats", einem "königlichen Artikel" etc. sprechen21 . Solche Formulierungen kennzeichnen zwar den rechtsstaatliehen Überschwang, mit dem Art.l9 Abs. 4 GG als ein verfassungsrechtliches Novum22 begrüßt wurde. Für den Rang dieses Grundrechts im gesamten Verfas19 Zum Verhältnis zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und Art.1 Abs. 1 GG vgl.

i. ü. H. Bauer, S. 171 ff.

20 Zur Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG unter Art. 79 Abs. 3 GG fällt, vgl.

H. Bauer S. 155 ff.

21 Nachweise bei MDH, Art. 19 Abs. 4 Rdnr; 1. 22 Entsprechende Vorschriften in den Länderverfassungen (z. B. Art. 120 BayVerf) können nur in der zeitlichen Parallele gesehen werden; insoweit gilt also das gleiche, was schon zum rechtlichen Gehör gesagt wurde (vgl. dazu oben, S. 120).

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sungsgefüge läßt sich daraus aber nichts herleiten, zumal sich ähnlich feierliche Formulierungen ja auch für Art.103 Abs. 1 GG finden lassen, worauf schon hingewiesen wurde2s. Somit lassen sich keine Indizien für den Vorrang eines der beteiligten Rechte oder Interessen finden. Das zweite Entscheidungskriterium für die Herstellung praktischer Konkordanz hilft deshalb hier nicht weiter. Die dritte, gleichfalls schon dargestellte Entscheidungshilfe ergibt sich aus Art.l9 Abs. 2 GG. Danach muß die Optimierung im Kollisionsfall eher auf Kosten von Rechtspositionen erfolgen, die in der Randzone der betroffenen Grundrechte und Allgemeininteressen liegen. Art.103 Abs.l GG und das ihm entsprechende Gehörgebot für außergerichtliche Verfahren haben den Fall vor Augen, daß einem Beteiligten unmittelbar und nicht erst infolge einer fingierten Zustellung und damit gewissermaßen auf einem Umweg das rechtliche Gehör verweigert wird. Von daher ist das grundgesetzliche Gehörgebot durch die öffentliche Zustellung in einem Randbereich betroffen, der für das Gehörgebot weniger typisch ist. Demgegenüber werden die Rechtsschutzgarantie und das gleichlaufende Allgemeininteresse jedenfalls dann in ihrem Kernbereich getroffen, wenn durch die Verweigerung einer öffentlichen Zustellung das Verfahren überhaupt nicht beginnen könnte. Somit ergibt sich unter diesem Aspekt, daß bei der hier herzustellenden praktischen Konkordanz eher die Gehörgarantie zurückstecken muß. Schließlich ist bei der Optimierung das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Dieser Maßstab kann jedoch erst benutzt werden, wenn eine bestimmte Lösung gefunden ist. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen muß eine dem Ziel praktischer Konkordanz möglichst nahe kommende Lösung so aussehen, daß man Art.19 Abs. 4 GG und die entsprechenden Positionen voll respektiert und zugleich dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs möglichst weitgehend entgegenkommt. Konkretisiert man diese Aussage im Hinblick auf die öffentlichen Zustellungen der hier behandelten Gruppe, so heißt das, daß solche Zustellungen in vollem Umfang weiterhin möglich sein müssen, zugleich aber Modalitäten zu finden sind, welche die Erfordernisse des rechtlichen Gehörs möglichst umfassend befriedigen. Dabei handelt es sich um solche Modalitäten, die geeignet sind, die mit der öffentlichen Zustellung verbundene Gefahr für das 23 i. ü. ist bemerkenswert, daß Rspr. und Lit. allen hohen Charakterisierungen des Art. 19 Abs. 4 GG zum Trotz in Einzelfragen ohne weiteres von diesem keine Einschränkungen vertragenden Postulat abweichen und im Wege der Reduktion der Norm eine fast pragmatisch zu nennende Handhabung derselben praktizieren; Belege dafür bei H. Bauer, S. 16.

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rechtliehe Gehör, daß der Adressat vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks nichts erfährt, weitestgehend auszuschalten. Die erste Überlegung in diesem Rahmen bezieht sich auf das Bekanntmachungsmittel und ist uns bereits aus den Erwägungen zur Verfassungskonformität von öffentlichen Zustellungen der vorigen Fallgruppe bekannt24• Sie geht dahin, das Gericht oder die Behörde zu verpflichten, ein angemessenes Bekanntmachungsmittel zu wählen, das dem Adressaten eine optimale Chance bietet, vom Inhalt der Bekanntmachung Kenntnis zu nehmen. Den Forderungen des rechtlichen Gehörs kommt man zweitens entgegen, wenn man von der die öffentliche Zustellung bewirkenden Stelle verlangt, sie solle wenigstens versuchen, den Adressaten von der Vornahme der öffentlichen Zustellung irgendwie formlos zu benachrichtigen. Denn dadurch erhält der Adressat eine effektive Möglichkeit, sich nun selber zu bemühen, vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks Kenntnis zu erlangen. Man könnte sogar daran denken, die Behörde zu verpflichten, dem Empfänger nicht nur von der erfolgten öffentlichen Zustellung Mitteilung zu machen, sondern sogar vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks25. Damit näherte man die öffentliche Zustellung stark derjenigen durch Aufgabe zur Post an. Diese weitergehende Maßnahme ist jedoch nicht erforderlich i. S. d. allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, um das angestrebte Ziel zu erreichen, das darin besteht, dem Adressaten eine effektive Chance zu geben, vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks Kenntnis zu nehmen. Aus dem gleichen Grunde ist es auch nicht nötig, den Adressaten von jeder öffentlichen Zustellung zu benachrichtigen, wenn in einem Verfahren mehrere vorgenommen werden. Vielmehr genügt es, wenn ihm von der Vornahme der jeweils ersten öffentlichen Zustellung Mitteilung gemacht wird. Damit ist in jedem Falle sichergestellt, daß er von der Existenz dieses Verfahrens weiß. Dadurch wird seinem Gehöranspruch genügt, wenn man bedenkt, daß eventuelle weitere öffentliche Zustellungen in einem Veröffentlichungsträger erscheinen müssen, den zur Kenntnis zu nehmen ihm möglich und zurnutbar ist. Die Forderung nach einer Benachrichtigungspflicht fällt um so leichter, als sie dem Gesetzgeber durchaus bekannt ist. Das wichtigste Beispiel dafür bietet die öffentliche Zustellung gern. § 16 VwZG. Nach § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG muß der im Ausland wohnhafte Adressat von s. o. Kap. 4, 1. In diesem Sinne Hohmann (S. 214), der allerdings die Briefübersendung nicht neben, sondern statt der Veröffentlichung will, womit er die öffentliche Zustellung praktisch abschafft. 24 25

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der öffentlichen Zustellung und sogar vom Inhalt des Schriftstücks formlos benachrichtigt werden. Das gilt zudem generell und nicht nur für die erste öffentliche Zustellung. Diese Regelung ist zwar erst durch das VwZÄndG vom 19. 5. 1972 (BGBl 1972 I 789) in das VwZG eingefügt worden, doch wurde sie bereits früher aufgrund der Nr.19 Abs. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum VwZG gehandhabt. Die gleiche Benachrichtigungspflicht galt für das frühere strafprozessuale Abwesenheitsverfahren gern. § 280 Abs. 3 StPO a. F. In diesen Zusammenhang gehören ferner die Fälle, in denen neben einer öffentlichen Bekanntmachung, die auch durch öffentliche Zustellung erfolgen kann, eine besondere Zustellung an bestimmte Personen gefordert wird (vgl. z. B. §§ 48 a 1 S. 3 PStG, 111 Abs. 3, 179 Abs. 1 S. 3 KO, 22 Abs. 2, 60 Abs. 2, 65 Abs. 2, 77 Abs. 4, 94 Abs. 2 VglO). Auch hier geht es darum sicherzustellen, daß der Adressat von der erfolgten Zustellung (und sogar vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks) Kenntnis erhält. Schließlich kann auch noch auf das bereits erwähnte und von vielen europäischen Verfahrensordnungen übernommene französische System der Zustellung an einen im Ausland wohnenden !\-dressaten, auf die "remise au parquet" verwiesen werden. Von der auf diese Weise bewirkten Zustellung ist der im Ausland wohnende Empfänger durch die "notification" zu benachrichtigen (vgl. Art. 69 Ziff. 10 code de procedure civile). Nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch der Rspr. und Lehre ist der Gedanke an die hier befürwortete Benachrichtigungspflicht gerade in Fällen, in denen sie gesetzlich nicht vorgesehen ist, nicht völlig fremd26 • Allerdings hat man ihn bisher nur aus Billigkeitserwägungen in Betracht gezogen und ihn mit zivilprozessualen Argumenten zu begründen versucht, was zum Scheitern verurteilt war27• Schon an dieser Stelle soll allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, daß die soeben aufgestellte Forderung nach einer Benachrichtigungspflicht nur dann Sinn hat, wenn die formlose Benachrichtigung nicht auf völkerrechtliche Bedenken stößt. Immerhin führt diese Forderung ja dazu, daß der öffentlichrechtliche Zustellungsakt, auch wenn 26 Am deutlichsten wird er von Delbrilck (MDR 47, 259, 261) für die öffentl. Zustellung nach der ZPO ausgesprochen. A. Müller (NJW 47/48, 556) schließt sich dem ohne Begründung an. Das OLG Oldenburg hat etwas ähnliches vor Augen gehabt, als es verlangte, vor der Bewilligung der öffentl. Zustellung gern. § 203 ZPO müsse der Antragsteller dem Adressaten seine Absichten durch einen privaten Brief mitgeteilt haben. Dagegen kann OLG Frankfurt NJW 47/48, 105, wonach das Gericht einem Ausländer, dem die Klage öffentlich zugestellt wurde, durch einfachen Brief die Klageschrift zuschicken muß, nicht in diesem Zusammenhang herangezogen werden. Denn dieses Urteil ist insoweit falsch, als es übersieht, daß mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 ZPO gar keine wirksame öffentl. Zustellung vorlag. 27 So zu Recht Delbrilck MDR 47, 261.

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er im Inland vorgenommen wird, in Form der Benachrichtigung Nachwirkungen im Ausland zeitigt. Ob derartige Bedenken berechtigt sind, soll hier aber noch ausgeklammert bleiben28• Außer auf den beiden bisher vorgeschlagenen Wegen könnte man den Forderungen des Gehörprinzips gerecht werden, indem man eine bestimmte Dauer für den Aushang an der Behörden- oder Gerichtstafel29 oder indem man eine wiederholte Veröffentlichung in den Bekanntmachungsblättern fordert. Zwar ist zuzugeben, daß die Chance des Adressaten zur Kenntnisnahme wenigstens theoretisch um so größer ist, je häufiger veröffentlicht wird bzw. je länger das zuzustellende Schriftstück aushängt. Diese Chancenerhöhung dürfte jedoch kaum quantifizierbar sein, so daß der Nutzen solcher Maßnahmen ungewiß bleiben muß. Infolgedessen ist ihre Geeignetheit fraglich, weshalb sie durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgeschlossen werden. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die obigen Überlegungen sich nur auf Fälle beziehen, in denen die öffentliche Zustellung die einzige Zustellungsmöglichkeit darstellt. Allein deshalb kam es auch zur Kollision mit Art. 19 Abs. 4 GG und den parallel laufenden Rechtspositionen. Sobald diese Voraussetzung nicht mehr vorliegt, braucht das Prinzip des rechtlichen Gehörs jedenfalls aus den für diese Fallgruppe dargelegten Gründen nicht mehr zurückzutreten. Deswegen muß man an das Vorliegen dieser Voraussetzung strenge Maßstäbe anlegen30• Wie sich diese Forderung, die wir auch schon bei der vorigen Fallgruppe von öffentlichen Zustellungen erhoben haben, auf das Verständnis der einfachrechtlichen Regelungen von öffentlichen Zustellungen auswirkt, wird sogleich aufzuzeigen sein. Zuvor sollen nur noch unsere Erkenntnisse zur Vereinbarkeit der zweiten Fallgruppe öffentlicher Auslandszustellungen mit dem rechtlichen Gehör zusammengeiaßt werden: Diese Zustellungen sind verfassungskonform. Im Interesse praktischer Konkordanz muß und kann man den Forderungen des rechtlichen Gehörs weitestgehend entsprechen, indem man die Wahl eines geeigneten Veröffentlichungsmittels und die formlose Benachrichtigung des Adressaten von der ersten öffentlichen Zustellung fordert. Diese Forderung ist nicht alternativ, sondern kumulativ zu verstehen, weil nur beide Maßnahmen zusammen gewährleisten, daß dem rechtlichen Gehör wirklich optimal entsprochen wird. 28 Vgl. dazu Teil F, Kap. 1, 2. In der Praxis schwankt die Zeit des Aushangs sehr stark. In den von Hohmann (S. 131) untersuchten Fällen betrug sie fast zur Hälfte (47 Ofo) mehr als 2 und höchstens 4 Wochen, in 5 Ofo der Fälle weniger als 2 Wochen. 28 Ofo der angehefteten Schriftstücke hingen sogar länger als 2 Monate aus. ao Ebenso OLG München RzW 65, 137 (für das Entschädigungsverfahren). 28

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Die vorstehenden Überlegungen wollten klären, welche Maßnahmen zur Herstellung praktischer Konkordanz in Betracht kommen. Jetzt soll gezeigt werden, welche Konsequenzen dies für das Verständnis der einzelnen verfahrensrechtlichen Vorschriften hat, die öffentliche Zustellungen regeln. Soweit es um die Voraussetzung, daß die öffentliche Zustellung "ultima ratio" ist, und um die Forderung nach Wahl eines angemessenen Veröffentlichungsmittels geht, gelten die folgenden Überlegungen entsprechend für die erste unserer Fallgruppen31 • Ein Kennzeichen der hier besprochenen Fallgruppe ist, daß die öffentliche Zustellung "ultima ratio" ist. Wir haben eben gesagt, daß für diese Voraussetzung ein strenger Maßstab gelten müsse. Das wirkt sich bei der Interpretation der Tatbestandsmerkmale aus, welche die obige Voraussetzung beinhalten. Um das zu zeigen, wollen wir die öffentlichen Zustellungen dieser Gruppe in drei Untergruppen einteilen. Kriterium dafür ist der Grund, warum die öffentliche Zustellung "ultima ratio" ist. Die erste Untergruppe bilden alle Vorschriften, welche die öffentliche Zustellung gestatten, weil der Adressat im Ausland unbekannten Aufenthalts ist. Eine verfassungskonforme Auslegung der sich darauf beziehenden Tatbestandsmerkmale verlangt, daß zuvor wirklich alles versucht worden ist, um den Aufenthaltsort des Adressaten doch noch ausfindig zu machen. Diese Forderung ist um so ernster zu nehmen, als bei der öffentlichen Zustellung infolge unbekannten Aufenthalts die formlose Benachrichtigung als ein anderes, von uns gefundenes Mittel, den Forderungen des rechtlichen Gehörs weitestgehend entgegenzukommen, zwangsläufig ausfällt. Mit unserer verfassungsrechtlich begründeten Forderung, an das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "unbekannter Aufenthalt" scharfe Maßstäbe anzulegen, rennen wir allerdings offene Türen ein. Denn Rspr. 32 und Lit.33 haben dies schon seit jeher so praktiziert, nur nicht aus verfassungsrechtlichen und damit eine Verfassungsbeschwerde ermöglichenden, sondern aus dem jeweiligen Verfahrenssystem immas. o. Kap. 4, 1. Dafür folgende Beispiele: RGZ 59, 259 (263): nicht genügend, wenn nur dem Kläger der Aufenthalt des Adressaten unbekannt ist, ebenso: OLG Dresden DRZ 47, 96 mit zustimmender Anm. von Rosenberg; OLG Celle MDR 47, 239; BFH BStBl 1965 III S. 76); OLG Stuttgart DRZ 49, 9. Beiheft, S. 20: nötig ist die Erschöpfung aller zurnutbaren Nachforschungsmöglichkeiten (ebenso: OLG Köln NJW 56, 642; OLG Hamm GA 1960, 152; OLG Hamm JMBlNRW 1974, 106; OLG Stuttgart MDR 73, 950; OLG Stuttgart, unveröffentlichter Beschluß - 1 Ws 435/75 - v. 23. 12. 75; OLG Stuttgart, unveröffentlichter Beschluß - 1 Ws 32176 - v. 17. 2. 76); OLG Nürnberg FamRZ 60, 204: kein unbekannter Aufenthalt, wenn der Adressat unter der Anschrift von Angehörigen erreichbar ist; BayVGHe 23, 143: nötig ist Zustellungsversuch an die letzte bekannte Adresse. 33 Vgl. u. a. Stein I Jonas I Pohle, ZPO, § 203 Anm. II 3 m. w. N.; Zöller, ZPO, § 203 Anm. II 1; Kegel DRZ, 9. Beiheft, S. 12 m. w. N. 31

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nenten Gründen. Danach müssen - auch ohne daß dies, wie etwa in § 15 Abs. 5 S. 1 VwZG34, gesetzlich ausdrücklich gefordert ist - insbesondere alle zurnutbaren Nachforschungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Erst danach darf man von einem unbekannten Aufenthaltsort ausgehen und infolgedessen öffentlich zustellen35. Die gleichen Erwägungen gelten für unsere zweite Untergruppe. Sie umfaßt die Fälle, in denen die öffentliche Zustellung als "ultima ratio" zulässig ist, wenn und weil der - möglicherweise auch im Ausland wohnhafte- Adressat gänzlich unbekannt ist. Dafür bietet § 216 Abs. 2 S. 2 AO n. F. i. V. m. § 15 VwZG ein Beispiel. Eine verfassungskonforme Auslegung solcher Vorschriften gebietet, hohe Anforderungen an das Merkmal der Unbekanntheit zu stellen, insbesondere durch Ausschöpfung aller zurnutbaren Erkenntnismöglichkeiten. Zur dritten Untergruppe zählen solche Vorschriften, bei denen die öffentliche Zustellung "ultima ratio" ist, weil der Requisitorialweg keinen Erfolg verspricht (z. B. § 203 Abs. 2 2. Alt. ZPO). Hier sind an die voraussichtliche Erfolglosigkeit hohe Anforderungen zu stellen, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs möglichst weitgehend gerecht zu werden, wie es die praktische Konkordanz erfordert. Diese verfassungsrechtlich motivierte Aussage ist für zwei Fragen relevant, die im einfachen Verfahrensrecht streitig sind. Einmal geht es um das Problem, ob man auch ohne einschlägige Erfahrungen eine voraussichtliche Erfolglosigkeit der Requisitorialzustellung annehmen darf. Soweit sich der die Zustellung Betreibende auf eigene oder fremde Erfahrungen berufen kann, wird man die Erfolglosigkeit meist bejahen können. Allerdings ist auch dann noch Vorsicht geboten. Denn die Verhältnisse können sich von Land zu Land schnell ändern, vornehmlich bei Staaten, die noch nicht lange existieren und deshalb ihre Organisation erst noch aufbauen. Inwieweit auch ohne einschlägige Erfahrungen von einer voraussichtlichen Erfolglosigkeit ausgegangen werden kann, erscheint zweifelhaft. Teilweise wird gefordert, zuerst müsse ein gewöhnlicher Zustellungsversuch unternommen worden sein, um sich der Erfolglosigkeit zu vergewissern36. Der zivilprozessualen Regelung selber lassen sich dafür keine Anhaltspunkte entnehmen. 34 Zur Berechtigung der Behörden, den dort angesprochenen Suchvermerk im Bundeszentralregister niederzulegen, vgl. § 25 BundeszentralregisterG. ss Weitergehende Vorschläge zur Ausgestaltung der "Nachforschungslast des Zustellenden" (Kegel DRZ 1949, 9. Beiheft, S. 11) unterbreitet Hohmann (S. 211 f .). Mit dem geltenden Zustellungsrecht sind sie allerdings nicht zu begründen, vielmehr als Anregungen für eine Neugestaltung des Rechts der öffentlichen Zustellung zu verstehen. so BayVGHE 23, 143; Baumbach I Lauterbach, § 203 Anm. 2 ; Hohmann,

s. 212.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Wegen des von uns verlangten strengen Auslegungsmaßstabs wissen wir, daß diese Forderung berechtigt ist. Demgemäß ist hinsichtlich der öffentlichen Zustellung nach dem VwZG dem § 19 Abs. 2 Nr. c S. 4 AV-VwZG zuzustimmen, wonach die Erfolglosigkeit nur nach einem erfolglosen Zustellungsversuch angenommen werden darf, wenn sie nicht ohnehin amtsbekannt ist. Bei dem zweiten, in diesem Zusammenhang streitigen Problem geht es um die Frage, von wann an der Requisitorialweg deshalb als voraussichtlich erfolglos anzusehen ist, weil die Erledigung eines Zustellungsersuchens erfahrungsgemäß so lange dauert, daß dem Zustellenden nicht mehr zugemutet werden kann, dies abzuwarten37• Der Rückgriff auf unsere verfassungsrechtliche Erwägung ergibt hier: Der an der Zustellung Interessierte kann sich auf das geschilderte, durch Art. 19 Abs. 4 GG etc. geschützte Interesse berufen, das Verfahren in angemessener Zeit beenden zu können. Das findet seine Berechtigung in der Überlegung, daß nur dann der Gerichtsschutz der zur Zeit des Anhängigwerdens des Rechtsstreits bestehenden tatsächlichen Lage gerecht werden kann38• Nur wenn diese Gefahr droht, kann deshalb dem an der öffentlichen Zustellung Interessierten kein weiteres Warten mehr zugemutet werden. Solange diese Gefahr nicht besteht, ist er dagegen mit Rücksicht auf das rechtliche Gehör auf die Requisitorialzustellung zu verweisen. Unsere zweite Forderung, die wir oben zur Erreichung praktischer Konkordanz erhoben hab.en, geht dahin, den Adressaten von der ersten öffentlichen Zustellung durch formlose Mitteilung zu benachrichtigen. Von dieser Forderung sind alle Zustellungen der hier behandelten Fallgruppe betroffen mit Ausnahme derjenigen, die sich an einen unbekannten Adressaten oder einen Empfänger mit unbekanntem Aufenthalt richten, denn hier scheidet eine Benachrichtigung ja von selber aus. Gleiches gilt für die übrigen Fälle, wenn keine Postverbindung zu dem betreffenden ausländischen Staat besteht. Um die Auswirkungen der von uns geforderten Benachrichtigungspflicht auf das einfache Verfahrensrecht aufzuzeigen, wollen wir die verbleibenden Regelungen wieder in gleichfalls drei Untergruppen einteilen. Die erste bilden solche Regelungen, bei denen die Benachrichtigungspflicht vom Gesetz bereits vorgesehen ist. Als Beispiel dafür sei die Mitteilungspflicht gern. § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG genannt, deren Erfüllung für die Wirksamkeit der Zustellung allerdings keine Bedeutung hat (vgl. § 15 Abs. 5 S. 3 VwZG). 37

as

Vgl. MDR 70, 426; Stein I Jonas I Pohle, § 203 Anm. III 3. s. o. in diesem Kap.

Kap. 4: Öffentliche Auslandszustellung und rechtliches Gehör

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Zu den Vorschriften, in denen die von uns erstrebte praktische Konkordanz, soweit sie durch Konstituierung einer Benachrichtigungspflicht erreicht werden soll, bereits vom Gesetzgeber hergestellt ist, gehört wohl auch die Sonderregelung in §57 Abs. 1 S. 4 GWB für Verfügungen, die in kartellrechtlichen Verfahren nach den §§ 20 - 24 a GWB ergehen39. Zwar kennt diese Sonderregelung keine dem § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG entsprechende Benachrichtigungspflicht, obgleich sie später entstanden ist als die Neuregelung des § 15 Abs. 5 VwZG40. Allerdings hat die Ansicht eines Teils der Kommentarliteratur41 einiges für sich, wonach es im Hinblick auf den Zweck dieser Neuregelung42 gerechtfertigt ist, die Benachrichtigungspflicht des VwZG auf die Sonderregelung in § 57 Abs. 1 S. 4 GWB entsprechend anzuwenden (§57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. §§ 1 Abs. 2, 15 Abs. 5 S. 2 VwZG analog). Auch wenn man meint, für diese Analogie biete das GWB alleine keine ausreichende Handhabe, wird man sie jedenfalls aus den geschilderten verfassungsrechtlichen Gründen bejahen müssen. Zur zweiten Untergruppe zählen solche Regelungen, in denen der die öffentliche Zustellung durchführenden Stelle gestattet, aber nicht zwingend geboten wird, den Empfänger von der erfolgten öffentlichen Zustellung zu benachrichtigen43• Diese Regelungen sind im Hinblick auf das rechtliche Gehör verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Behörde oder das Gericht stets von der Benachrichtigungsmöglichkeit Gebrauch machen muß. Unter die dritte Gruppe fallen alle Vorschriften, denen die intendierte Benachrichtigungspflicht fremd ist. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die zivilprozessuale Regelung. Nach einer Entscheidung des OLG Köln44, welcher der Kommentar von LöweRosenberg45 zustimmt, zählt hierzu auch die öffentliche Zustellung im Strafprozeß (§ 40 StPO). Um die erstrebte praktische Konkordanz zu erreichen, ist in alle Vorschriften dieser Gruppe die Benachrichtigungspflicht im Wege der verfassungskonformen Rechtsergänzung durch Analogie hineinzulesen. so Dazu auch die Übersicht in Teil A. 40 §57 Abs. 1 S. 3, 4 GWB wurde durch die Novelle v. 3. 8. 73 (BT-Drucksache VII2520, S. 36) eingefügt, § 15 Abs. 5 VwZG durch das VwZÄndG v. 19. 5. 72 neugefaßt. 41 Kaufmann I Rautmann, GWB, §57 Rdnr. 13 c. 42 Vgl. dazu Kaufmann I Rautmann, ebd, Rdnr. 13 a. 43 Solche Regelungen konnten im einfachen Verfahrensrecht nicht gefunden werden, weshalb diese Untergruppe eher aus Gründen der Vollständigkeit gebildet wurde. 44 HRR 1931, 1616. 45 § 40 Anm. 3.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Dabei handelt es sich um eine Gesamtanalogie zu den Vorschriften, welche die Benachrichtigungspflicht kennen. Diese Ergänzung verstößt nicht etwa gegen die ratio legis der betroffenen Vorschriften und greift nicht in ein allein dem Gesetzgeber zustehendes Regelungsermessen ein. Man müßte einen solchen Verstoß bejahen, wenn die einschlägigen Normen mit der Zulassung der öffentlichen Zustellung eine Vereinfachung des Zustellungsverfahrens beabsichtigen. Denn diesem Zweck liefe die hier befürwortete Benachrichtigungspflicht zuwider. Ratio legis der öffentlichen Zustellungen der hier behandelten Gruppe ist jedoch, überhaupt eine Zustellung zu ermöglichen, wofür die öffentliche Zustellung die letzte Möglichkeit bietet. Diesem Gesetzeszweck widerspricht die Benachrichtigungspflicht aber nicht. Um den Forderungen des rechtlichen Gehörs möglichst optimal zu entsprechen, haben wir oben gefordert, zur Erreichung praktischer Konkordanz auch auf die Wahl eines angemessenen Veröffentlichungs• mittels zu achten. Wir wollen sehen, wie sich diese Forderung auf das einfache Verfahrensrecht auswirkt. Angemessen ist ein Veröffentlichungsmittel nur dann, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, daß der Zustellungsempfänger es zur Kenntnis nimmt, und wenn ihm dies auch zurnutbar ist. Bei einem im Ausland wohnenden Adressaten ist ein in diesem Sinne angemessenes Veröffentlichungsmittel vornehmlich der Bundesanzeiger, je nach den Umständen aber auch ein am Wohnort des Adressaten verbreitetes Blatt. Dagegen wird eine Veröffentlichung durch Aushang an der Gerichts- oder Behördentafel den Anforderungen des Gehörgebots nicht gerecht. Von daher lassen sich die gesetzlichen Regelungen in drei Untergruppen einteilen. Zu deren ersten gehören solche Regelungen, in denen das Gesetz die Veröffentlichung im Bundesanzeiger zwingend vorschreibt. Sie sind unproblematisch. Als Beispiele seien die §§ 204 Abs. 3 S. 1 ZPO (n. F.) und 57 Abs. 1 S. 4 GWB angeführt. Zur zweiten Gruppe zählen alle Regelungen, bei denen die Auswahl des Veröffentlichungsmittels in das Ermessen der Behörde oder des Gerichts gestellt ist. Beispiele dafür sind die §§ 204 Abs. 3 S. 2 ZPO, 40 Abs.1 StPO und 15 Abs. 4 VwGZ. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung sind diese Vorschriften so zu verstehen, daß sich bei Zustellungen an einen im Ausland wohnhaften Adressaten der Kreis der zulässigen Ermessensentscheidungen auf die Auswahl des Bundesanzeigers oder eines gleichermaßen geeigneten Blattes verengt. Dagegen liegt stets ein Ermessensfehler vor, wenn die Anheftung an die Gerichts- oder Behördentafel gewählt wird. Das sei an den §§ 40 Abs. 1 StPO und 15 Abs. 4 VwGZ demonstriert.

Kap. 4: Öffentliche Auslandszustellung und rechtliches Gehör

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§ 40 Abs.1 StPO läßt die Wahl zwischen der Veröffentlichung in einem in- oder ausländischen Blatt sowie dem Aushang an der Gerichtstafel. Zu den inländischen Blättern zählt auch der Bundesanzeiger. Ohne Ermessensfehler kann hier im Hinblick auf das Gehörprinzip nur die Veröffentlichung in ihm oder in einem ausländischen Blatt gewählt werden, das am Wohnort des Adressaten verbreitet ist und das zu lesen ihm deshalb möglich und zurnutbar ist. § 15 Abs. 4 S.1 VwZG, auf den mehrfach verwiesen wird (z. B. in § 57 Abs. 1 S. 2 GWB), bietet neben dem stets vorzunehmenden Aushang an der Gerichtstafel zur Veröffentlichung örtliche oder überörtliche Zeitungen und Zeitschriften an. Darunter lassen sich auch der Bundesanzeiger46 sowie ausländische Blätter subsumieren. Auf sie muß die Wahl fallen, will sie ermessensfehlerfrei sein. § 15 Abs. 4 S. 2 VwZG stellt die Ermessensrichtlinie auf, daß der durch die zusätzliche Veröffentlichung bedingte Verwaltungsaufwand im Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu den Erfolgsaussichten stehen muß. Diese Richtlinie wird i. d. R. unberücksichtigt bleiben müssen. Denn der Verwaltungsaufwand, den sie als primäres Einschränkungskriterium nennt, ist für diese Aufgabe ungeeignet. Denn die Notwendigkeit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger oder einem ausländischen Blatt fließt aus dem grundgesetzliehen Gehörprinzip. Dessen Forderungen müssen im Interesse der Herstellung von praktischer Konkordanz weitestgehend erfüllt werden. Ein hoher Verwaltungsaufwand kann da kein Hindernis sein, zumal es sich stets nur um einen relativ hohen Aufwand handeln dürfte, den man - absolut gesehen - wohl niemals als hoch bezeichnen kann. Die dritte Untergruppe wird von den Vorschriften des einfachen Verfahrensrechts gebildet, die für die Ausführung der öffentlichen Zustellung lediglich den Aushang an der Gerichts- oder Behördentafel vorsehen. Ein Beispiel dafür bietet § 40 Abs. 2 StPO. Solche Vorschriften sind im Wege der Analogie verfassungskonform dahin zu ergänzen, daß bei öffentlichen Zustellungen an im Ausland wohnende Adressaten auch solche Veröffentlichungsmittel zur Verfügung stehen und zu wählen sind, die den Forderungen des rechtlichen Gehörs möglichst weit entsprechen. Derartige Mittel sind der Bundesanzeiger und im Wohngebiet des Adressaten verbreitete Blätter. Die Analogiebasis für diese verfassungskonforme Rechtsergänzung differiert. Primär ist auf Vorschriften des gleichen Verfahrensrechts zurückzugreifen, für die Ergänzung des § 40 Abs. 2 StPO also z. B. auf den verfasungskonform ausgelegten§ 40 Abs. 1 StPO. Falls solche Vorschriften nicht vorhanden sind, nimmt man eine Gesamtanalogie vor, 48

Ebenso Kohlrust I Eimert, VwZG, § 15 Anm. 4 d, Fußn. 75.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

deren Basis sämtliche Normen sind, die für die von ihnen geregelten öffentlichen Zustellungen "angemessene" Veröffentlichungsmittel vorsehen. Diese Rechtsergänzung verstößt ebensowenig wie die verfassungskonforme Auslegung bei der vorigen Untergrupp.e gegen die ratio legis der betroffenen Vorschriften, eine Zustellung überhaupt zu ermöglichen. Damit ist die Untersuchung zur zweiten Fallgruppe abgeschlossen. Zusammen mit der ersten erfaßte sie alle Regelungen, bei denen die öffentliche Zustellung die einzige und letzte Möglichkeit war, überhaupt noch an den im Ausland wohnenden Adressaten zuzustellen. Zu diesen beiden Fallgruppen zählen die weitaus meisten wie wichtigsten Regelungen. Es gibt jedoch auch einige, welche die öffentliche Zustellung nicht nur als ultima ratio zulassen. Ihre Vereinbarkeit mit dem rechtlichen Gehör soll jetzt exemplarisch an den Vorschriften der KO und der V glO geprüft werden. 3. Die öffentliche Bekanntmachung naeh der KO und VgiO

Begonnen wird mit der konkursrechtlichen Zustellungsregelung47 • Gegen ihre öffentliche Bekanntmachung, die gern. § 76 Abs. 3 KO als Zustellung gilt, bestehen die gleichen Bedenken aus dem Prinzip des rechtlichen Gehörs wie gegen die öffentlichen Zustellungen. Die "restriktive" Interpretation kann diese Bedenken nicht ausräumen. Deshalb stellt sich wie bei der vorigen Fallgruppe die Frage, ob die mit der öffentlichen Bekanntmachung verbundenen Einschränkungen des Gehörs im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz durch kollidierende Grundrechte, Institute oder wichtige Allgemeininteressen zu rechtfertigen sind. Weil die konkursrechtliche Regelung die öffentliche Bekanntmachung nicht nur dann zuläßt, wenn sie ultima ratio ist, scheidet die von der vorigen Fallgruppe her bekannte Berufung auf Art. 19 Abs. 4 GG etc. aus. Andere Grundrechte oder Institute, die stattdessen einspringen könnten, sind nicht ersichtlich. Damit bleibt nur die Suche nach Allgemeininteressen, die so gewichtig sind, daß sie die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung trotz der damit verbundenen Einschränkungen des Gehörs fordern. Für die weitere Prüfung sollen drei Fallkategorien gebildet werden. Zur ersten gehören die Fälle, in denen das Konkursgericht nach seinem Ermessen zwischen der öffentlichen Bekanntmachung und der Zustellung wählen kann. Zu prüfen ist, inwieweit es sich dabei für die öffentliche Bekanntmachung entscheiden darf. Hier ist eine Besonderheit des Konkursverfahrens zu beachten. Das Konkursgericht kann nicht wissen, welche Personen als Gläubiger oder sonstwie von diesem 47

Vgl. dazu die Übersicht in Teil A.

Kap. 4: Öffentliche Auslandszustellung und rechtliches Gehör

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Konkurs betroffen sind. Wenn es auch diese unbekannten Personen erreichen will, bleibt ihm nur der Weg der öffentlichen Bekanntmachung. Mithin kann es diesen Weg wählen, solange unbekannte Gläubiger erreicht werden sollen. Die öffentliche Bekanntmachung ist hier aus den gleichen Gründen mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs vereinbar, wie es die öffentliche Zustellung in derartigen Fällen war. Sobald jedoch bis dahin unbekannte Gläubiger nicht mehr am Konkurs teilnehmen können, also nach Ablauf der Ausschlußfrist des § 152 KO, fällt diese Rechtfertigung der öffentlichen Bekanntmachung fort. Zur Rechtfertigung der dann noch verbleibenden öffentlichen Bekanntmachungen kommt nur ein überwiegendes Allgemeininteresse in Betracht. Es könnte sich aus der Erwägung ergeben, daß ein Massenverfahren wie das nach der KO auf die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung angewiesen sei. Schalte man sie aus, so mache man dieses Verfahren unnötig kompliziert und nehme ihm die für ein Massenverfahren auch bei den Zustellungen erforderliche Praktikabilität. Dieses Argument überzeugt nicht. Sicher erspart die öffentliche Bekanntmachung in gleicher Weise wie jede öffentliche Zustellung, Zeit, Geld und Mühe. Durch ihr Fehlen wird jedoch auch ein Massenverfahren wie das Konkursverfahren nicht praktisch unmöglich gemacht, sondern nur erschwert. Das Interesse, dieses Erschwernis zu vermeiden sowie Zeit, Geld und Mühe zu sparen, ist jedoch kein derart gewichtiges Allgemeininteresse, daß es eine rechtstaatliche Sicherung wie das verfassungsrechtliche Gehörgebot ausschalten könnte. Infolgedessen ist die Möglichkeit des Konkursrichters, nach seinem Ermessen zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Einzelzustellung zu wählen, dahin eingeschränkt, daß die öffentliche Bekanntmachung nicht mehr zulässig ist, sobald es nicht mehr darum geht, auch noch unbekannte Gläubiger zu erreichen. Insoweit besteht für das Gericht eine Ermessensrichtlinie, die aus einer verfassungskonformen Auslegung im Hinblick auf das Prinzip des rechtlichen Gehörs erwächst. Die zweite Kategorie bilden solche konkursrechtlichen Vorschriften, die allein die öffentliche Bekanntmachung ausdrücklich vorschreiben (vgl. §§ 81 Abs.1, 93 Abs. 2, 98, 111 Abs.1, 116, 151, 163 Abs. 2, 179 Abs. 1 S. 2, 190 Abs. 2, 198 Abs. 2 i. V. m. 111, 203, 205 Abs.1 KO). Diese sind zunächst einmal zulässig, soweit es um die Bekanntmachung von Tatsachen geht, zu denen sich zu äußern die Beteiligten keinerlei Interesse haben können. Denn dann scheidet auch eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs aus. So ist es bei den§§ 81 Abs. 1 (Bekanntmachung des Namens des Konkursverwalters), 163 Abs. 2 190 Abs. 2 (Bekanntmachung des unanfechtbaren Beschlusses über die Aufhebung des Konkursverfahrens). Bei der öffentlichen Bekanntmachung des Ein9 Schmitz

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

stellungsantrags nach vorheriger Zustimmung aller Gläubiger (§ 203 i. V. m. § 202 Abs. 1 KO} wird deren Recht auf Gehör nicht berührt, weil sie dem Antrag ja zuvor zugestimmt haben. In den übrigen Fällen dieser Gruppe geht es wieder darum, auch bisher noch unbekannte Gläubiger zu erreichen, so daß die öffentliche Bekanntmachung auch hier zulässig ist. Damit ergibt sich für die bis jetzt behandelten öffentlichen Bekanntmachungen, daß sie bei Beachtung der geschilderten Ermessensrichtlinie zu rechtfertigen sind. Um dem Prinzip des rechtlichen Gehörs jedoch weitestgehend Rechnung zu tragen, muß auch hier auf das richtige Veröffentlichungsmittel geachtet werden. Für etliche Fälle schreibt die KO selber zusätzlich zur Anheftung an die Gerichtstafel (§ 76 Abs. 1 KO} die Bekanntmachung im Bundesanzeiger vor (vgl. § 111 Abs. 2 KO, auf den u. a. in den §§ 116, 163 und 190 KO verwiesen wird}. Im übrigen hat das Konkursgericht neben der stets vorzunehmenden Anheftung48 gern. § 76 Abs. 2 KO immer auch die Möglichkeit, ein angemessenes Veröffentlichungsmittel zu wählen. Davon muß es auch Gebrauch machen. Insoweit besteht eine Ermessensrichtlinie. Die bei den öffentlichen Zustellungen wegen des rechtlichen Gehörs geforderte Benachrichtungspflicht bereitet hier keine Schwierigkeiten. Denn gern. § 111 Abs. 3 KO ist neben der ersten in Betracht kommenden öffentlichen Bekanntmachung, die sich auf den Eröffnungsbeschluß bezieht, ohnehin eine Einzelzustellung an die ihrem Wohnort nach bekannten Beteiligten durchzuführen. Die dritte Kategorie bilden die §§ 111 Abs. 3, 179 Abs. 1 S. 3, 198 Abs. 2 i. V. m. 111 Abs. 3 KO. Sie schreiben neben der öffentlichen Bekanntmachung Einzelzustellungen vor. Die Bekanntmachungen erfolgen hier alle in einem Verfahrensstadium, in dem es auch darum geht, bisher noch unbekannte Beteiligte zu erreichen. Sie sind deshalb grundsätzlich gerechtfertigt. Wiederum stellen sich jedoch die Forderungen nach dem optimalen Veröffentlichungsmittel und nach einer zusätzlichen Benachrichtigung. Die zweite Forderung macht keine Schwierigkeiten. Sie wird mit der vorgeschriebenen zusätzlichen Einzelzustellung erfüllt. Damit verlangt die KO sogar mehr, als sie unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 1 GG verlangen müßte. Denn die Einzelzustellung garantiert, daß der Adressat nicht nur von der öffentlichen Bekanntmachung, sondern auch deren Inhalt erfährt49. Auch das optimale Veröffentlichungsmittel ist in den Fällen• der §§ 111 und 198 i. V. m. 111 KO schon vom Gesetz vorgesehen (vgl. § 111 Abs. 2 KO). 48 Vgl. Jaeger I Weber, KO, § 76 Rdnr. 3. 49 Darauf spielen auch Jaeger I Weber, ebd., Anm. 2 (a. E.) an.

Kap. 5: Auslandszustellung durch Postrückschein und rechtl. Gehör

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Bei § 179 KO hat das Gericht von seiner nach § 76 Abs. 2 KO bestehenden Möglichkeit den schon dargelegten richtigen Gebrauch zu machen. Die öffentlichen Bekanntmachungen nach der V glO lassen sich in die gleichen Kategorien einteilen wie diejenigen nach der KO. Die dort entwickelten Grundsätze gelten deshalb hier entsprechend. Zu beachten ist lediglich, daß die V glO nicht nur die Möglichkeit zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger bietet, sondem sie sogar vorschreibt (§ 119 Abs. 3 VglO). Damit ist schon vom einfachen Verfahrensrecht selber das für einen im Ausland lebenden Beteiligten optimale Veröffentlichungsmittel vorgesehen, weshalb sich insoweit jede verfassungskonforme Auslegung erübrigt.

Kapitel5 Die Vereinbarkeit der Auslandszustellung durch Postrückschein mit dem rechtlichen Gehör des GG Öffentliche Zustellungen und solche durch Aufgabe zur Post sind die bei weitem wichtigsten Möglichkeiten, an einen im Ausland wohnenden Adressaten fiktiv zuzustellen. Nachdem ihre Vereinbarkeit mit dem rechtlichen Gehör des GG untersucht wurde, soll dies auch noch für die anderen Arten fiktiver Auslandszustellung geschehen, die wir zu Beginn unserer Untersuchung1 kennengelernt haben. Da war zunächst die Zustellung durch Postrückschein. Für ihre Zulässigkeit stellt das Verfahrensrecht2 keine besonderen Voraussetzungen auf. Insbesondere geht es nicht von der Nichtbestellung eines Zustellungsvertreters aus. Deshalb hilft hier jene Interpretation des rechtlichen Gehörs aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers nicht weiter, mit deren Hilfe die Verfassungskonformität eines Teil der Zustellungen d. A. z. P., denen die Zustellung durch Postrückschein hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Problematik gleichsteht, bejaht werden konnte. Also stellt sich wiederum die Frage, ob diese Zustellungsart durch kollidierende Grundrechte, Institute oder Allgemeininteressen zu rechtfertigen ist. Dafür gibt es keinen Ansatzpunkt. Weder sind Grundrechte noch verfassungsrechtlich geschützte Instituts- oder institutionelle Garantien noch zumindest gleichrangige 1 2

g•

s. o. Teil A. Vgl. §§ 197 Abs. 2 S. 2 BEG; 41 S. 4 BRückErstG; 4 BremAusfG FGG.

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

Allgemeininteressen ersichtlich, die diese von keinen besonderen Voraussetzungen abhängige fiktive Auslandszustellung rechtfertigen könnten. Genausowenig ist ein Ansatz für eine verfassungskonforme Auslegung erkennbar. Allenfalls könnte man daran denken, auch die Zustellung durch Postrückschein unter die Voraussetzungen des § 174 ZPO zu stellen, und zur Begründung darauf zu verweisen, daß diese Zustellungsart, soweit sie gesetzlich zugelassen ist (vgl. §§ 197 Abs. 2 S. 2 PEG, 41 S. 4 2. Halbs. BRückErstG, 16 Abs. 2 FGG i. V. m. 4 BremAGFGG), stets zusammen mit der jeweils nach Maßgabe der ZPO (§ 174 Abs. 2) gestatteten Zustellung d. A. z. P. genannt ist3 • Diese Rechtsergänzung ist jedoch mit dem Wortlaut der genannten Normen nicht zu vereinbaren. Diese lassen vielmehr nur den Schluß zu, daß die Zustellungen durch Postrückschein unabhängig von irgendwelchen Voraussetzungen zulässig sein sollen. Somit sind diese Vorschriften wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör des GG verfassungswidrig.

Kapitel6 Die Vereinbarkeit der Zustellung gem. § 183 AO mit dem rechtlichen Gehör des GG Wie schon gesagt wurdet, enthielt die bis Ende 1976 geltende AO in ihrem § 219 Abs. 1 S. 3 eine fingierte Zustellung. Ihr entspricht § 183 AO n. F. insoweit, als das Finanzamt mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten einem von ihnen die in § 183 Abs.1 S. 1 genannten Verwaltungsakte und Mitteilungen bekanntgeben kann. Diese Regelung könnte gegen das Prinzip des rechtlichen Gehörs verstoßen. Denn mit der Bekanntgabe an nur einen der Beteiligten ist nicht sichergestellt, daß auch die anderen Kenntnis erhalten und daraufhin Stellung nehmen können. Hier kommen jedoch wieder jene auf dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers beruhenden interpretativen Erwägungen ins Spiel, die schon für die Beurteilung eines Teils der Zustellungen d. A. z. P. entscheidend waren: wegen seiner Verfahrensverantwortung darf es der Bürger nicht schuldhaft dazu kommen lassen, daß ihm in einer Weise zugestellt wird, die sein Gehörrecht gefährdet. Nach § 183 S. 3 und 4 AO n. F. muß die Finanzbehörde die Bes Auf Nr. 3 der Verwaltungsvorschrift zu § 27 GVerwVerfKOV, wonach die Zustellung durch Postrückschein ebenfalls zulässig ist, trifft das nicht zu. Hier besteht keinerlei Zusammenhang zur Zulassung der Zustellung d. A. z. P . 1 s. o. Teil A.

Kap. 6: Zustellung gern.§ 183 AO und rechtliches Gehör

133

teiligten zur Bestellung eines Bevollmächtigten auffordern und sie zudem darauf hinweisen, daß sie bei fehlender Bestellung an einen von ihr ausgesuchten Bevollmächtigten bekanntgegeben werden. Die Feststellungsbeteiligten wissen hier also um ihre Bestellungspflicht, kennen sogar die Konsequenzen bei deren Verletzung. Damit räumt § 183 S. 3 AO n. F. ihnen eine effektive Chance ein, durch die Benennung eines Zustellungsvertreters für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die sicherstellt, daß sie von den in§ 183 S. 1 AO n. F. genannten Verwaltungsakten und Mitteilungen Kenntnis nehmen können. Denn die Bekanntgabe an einen Vertreter steht derjenigen an den Vertretenen rechtlich gleich. Damit aber hatten die Feststellungsbeteiligten mittelbar zugleich auch eine effektive Chance, dafür zu sorgen, daß sie zu allen späteren Verwaltungsakten und Mitteilungen Stellung nehmen konnten. Beide Chancen haben sie bewußt oder zumindest fahrlässig nicht genutzt, wenn und weil sie der Aufforderung der Finanzbehörde nicht folgen. Infolgedessen ist § 183 S. 3 AO mit dem Gehörgebot des Grundgesetzes vereinbar. Aus einer entsprechenden Argumentation ergab sich i. ü. auch die Verfassungskonformität des § 219 Abs.1 S, 3 AO a. F. Nach der hier vertretenen Ansicht hätte die Vorschrift- ähnlich wie diejenigen, die eine Zustellung d. A. z. P. zulassen, wenn ohne vorheriges Verlangen kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde - verfassungskonform in dem Sinne ausgelegt werden müssen, daß die Finanzbehörde die Feststellungsbeteiligten auffordern mußte, einen Bevollmächtigten zu benennen. Diese Forderung wurde in der Praxis auch erfüllt. Denn die übereinstimmenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Bundesländer für die verfassungskonforme Anwendung des § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. 2 statuierten in ihrem dritten Absatz gerade eben eine derartige Aufforderungspfiicht. Im Ergebnis - nicht auch in der Begründung, soweit sie überhaupt gegeben wurde- ist also der bereits in anderem Zusammenhang vorgestellten3 Rspr. des BFH und auch des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des früheren § 219 Abs. 1 S. 3 AO zuzustimmen. Den gleichfalls schon dargestellten Lösungsvorschlägen der Lit. hierzu kann man dagegen nur in begrenztem Umfang beipflichten. Die hier befürwortete Lösung klingt allein bei Kohlrust4 an, wenn er (u. a.) fordert, das Finanzamt müsse sämtliche Feststellungsbeteiligten erfolglos zur Bestellung eines Zustellungsvertreters aufgefordert haben, bevor es gern. § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. zustellen dürfe5 • Dagegen kann insbesondere der Lösungs2 Vgl. BStBl 1961 Teil II S. 80 ff. a s. o. Teil B, Kap. 1. 4 DStZ Ausgabe A 1961, S. 2 ff. (5).

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Teil B: Fiktive Auslandszustellungen und rechtliches Gehör

vorschlag Justs nicht überzeugen. Danach sollte § 219 Abs.l S. 3 AO a. F. durch Anfügung folgenden Nebensatzes an den ersten Halbsatz der Norm verfassungskonform auszulegen sein: " ... sofern diese auf eine vorangegangene Mitteilung des Finanzamts nicht widersprochen haben6 ." Ganz abgesehen davon, daß es sich hier nicht mehr um eine Auslegung, sondern um eine verfassungskonforme Rechtsergänzung handelt, verlangt diese Lösung mehr, als für ein verfassungskonformes Verständnis erforderlich ist, erntfernt sich also von der einfachrechtlichen Regelung mehr als unbedingt nötig. Damit aber gerät sie in Widerspruch zu der bei jeder verfassungskonformen Auslegung oder Rechtsergänzung zu beachtenden Formel von der "Aufrechterhaltung des zulässigen Maximums gesetzgeberischer Regelung" 7 , die dem generellen und schon mehrfach erwähnten "normerhaltenden Prinzip" entspringt.

Kapitel7

Zusammenfassung Damit sind die Untersuchungen zur Vereinbarkeit fingierter Zustellungen an im Ausland wohnende Adressaten mit dem rechtlichen Gehör des GG, das sich für die Verfahren vor staatlichen Gerichten aus Art.103 Abs.l GG, i. ü. aus den Prinzipien des Rechtsstaats und der Menschenwürde ergibt, beendet. Die folgenden Thesen enthalten die wichtigsten Ergebnisse: a) Letztlich sind alle Auslandszustellungen d. A. z. P. mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs vereinbar. Soweit sie für den Fall vorgesehen sind, daß der Adressat trotz vorheriger Aufforderung keinen Zustellungsvertreter bestellt hat, folgt das daraus, daß der Adressat hier eine effektive Chance hatte, für eine sein rechtliches Gehör sicherstellende Zustellungsmöglichkeit zu sorgen. Soweit Zustellungen d. A. z. P. bei fehlendem Zustellungsvertreter ohne vorherige Aufforderung zu dessen Bestellung vorgesehen sind, muß verfassungskonform dahin ergänzt werden, daß der Adressat zur Bevollmächtigtenbestellung durch das Gericht oder die Behörden aufzufordern ist. s Zur Begründung greift Kohlrust aber nicht auf grundgesetzliche Erwägungen zurück, sondern auf den Grundsatz von Treu und Glauben. &

So z. B. S. 46.

1

Zippelius,

in: BVerfG u. GG, Bd. II, 8.120, 111 m. w. N.

Kap. 7: Zusammenfassung

135

Die aus dem rechtlichen Gehör dem Gericht oder der Behörde erwachsenden Aufgaben gehen jedoch nicht so weit, den Adressaten darauf hinzuweisen, daß mangels Bevollmächtigtenbenennung die Zustellung d. A. z. P. zulässig wird. Ebensowenig muß jede Zustellung d. A. z. P. per Einschreiben erfolgen. b) Auch die als "ultima ratio" vorgesehenen öffentlichen Zustellungen widersprechen nicht dem rechtlichen Gehör. Allerdings muß man ihm weitestgehend zu entsprechen suchen, indem man die betroffenen Vorschriften des Verfahrensrechts in zwei Richtungen verfassungskonform auslegt oder ergänzt: -

die öffentliche Zustellung muß wirklich die letzte Möglichkeit sein; an das Vorliegen dieser Voraussetzung ist ein strenger Maßstab anzulegen;

-

das Gericht oder die Behörde muß ein angemessenes Veröffentlichungsmittel wählen; bei einem im Ausland wohnenden Adressaten ist das vornehmlich der Bundesanzeiger.

Soweit die öffentliche Zustellung aus Gründen, die der Adressat nicht zu vertreten hat, die einzige Zustellungsmöglichkeit ist, muß man außerdem noch dahin verfassungskonform auslegen oder ergänzen, daß der Empfänger nach Möglichkeit von der erfolgten öffentlichen Zustellung formlos zu benachrichtigen ist. c) Die öffentlichen Bekanntmachungen nach KO und VglO sind mit dem rechtlichen Gehör vereinbar. Soweit der Konkursverwalter zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Einzelzustellung wählen kann, besteht allerdings die Ermessensrichtlinie, daß er die öffentliche Bekanntmachung nicht mehr wählen darf, sobald es nicht mehr darum geht, auch noch unbekannte Gläubiger zu erreichen. Für alle öffentlichen Bekanntmachungen ist ein angemessenes Veröffentlichungsmittel zu wählen. d) Die an keine Voraussetzung gebundene Zustellung durch Postrückschein ist mit dem verfassungsrechtlichen Gehörgebot nicht zu vereinbaren. Dagegen ist die fingierte Zustellung gern. § 183 AO (n. F.) mit dem rechtlichen Gehör ebenso wie die frühere Regelung in § 219 Abs. 1 AO a. F. vereinbar.

TEIL C

Die Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 19 Abs. 4 GG Nach dem rechtlichen Gehör bildet die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs. 4 GG den zweiten verfassungsrechtlichen Maßstab, an dem wir die fingierten Auslandszustellungen messen wollen. Der subjektive Geltungsbereich dieser Vorschrift entspricht dem des Art. 103 Abs. 1 GG. Unter das Tatbestandsmerkmal "jeder" i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG fällt auch jede natürliche oder juristische ausländische Person1 • Das folgt aus der Zielsetzung dieser Norm, mit der das GG einen totalen Rechtsschutz gewährleisten will2 • Dieses Ziel zwingt zur extensiven Auslegung (auch) des Tatbestandsmerkmals "jemand".

Kapitell Problematik und Lösungswege Wie bei der Prüfung im Hinblick auf das rechtliche Gehör wollen wir uns zunächst wieder klar machen, warum man an der Vereinbarkeit der fiktiven Auslandszustellungen mit Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt zweifeln kann. Die Vorschrift eröffnet den Rechtsweg dem, der durch die "öffentliche Gewalt", in aller Regel in Form eines Verwaltungsakts, in seinen Rechten verletzt wird. In Erfüllung dieser grundgesetzliehen Hechtsschutzgarantie legen die einzelnen Verfahrensgesetze fest, daß und wie der Rechtsweg gegen Verwaltungsakte beschritten werden kann. Dabei bestimmen sie auch eine Frist zur Erhebung der Klage1 • Als Beispiele seien die§§ 74 VwGO, 87 SGG, 47 FGO, 142 Abs.l FlurbG und 33 Abs. 2 Vgl. u. a. MDH, Art.19 Abs. 4 GG Rdnr.16 m . w . N. So z. B. BGHZ 10, 297 und BFHE 55, 277. 1 Solche Befristungen (wie auch die Erfüllung anderer formaler Voraussetzungen) sind nach allg. Meinung mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar; vgl. BVerfGE 9, 194 (199 f.) = NJW 59, 1123; 10, 264 (267) = NJW 60, 331; BVerwGE 17, 83 (85); NJW 67, 591 (592); Pentz JR 67, 85 (86); H . Bauer, S. 84, 96; Dütz, S. 122 f. (für den privatrechtl. Gerichtsschutz). 1

2

Kap. 1: Problematik und Lösungswege

137

SaatgutG genannt. Der Lauf dieser Rechtsmittelfristen beginnt mit der Zustellung des Verwaltungsakts. Liegt eine fingierte Zustellung vor, so ist nicht sichergestellt, daß der Adressat von der Zustellung erfährt. Infolgedessen schaffen die fingierten Zustellungen eine Situation, in der es dem Adressaten u. U. unmöglich ist, innerhalb der jeweiligen Rechtsmittelfrist zu klagen und damit von dem in Art.19 Abs. 4 GG garantierten Recht Gebrauch zu machen. Dieses Ergebnis stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Nach seiner ratio legis will Art. 19 Abs. 4 GG einen lückenlosen und umfassenden Rechtsschutz gewähren, der eine optimale Abschirmung der Individualsphäre garantiert2 • Deshalb ist er unstreitig extensiv auszulegen3 • Ein in diesem Sinne umfassender Rechtsschutz verlangt. daß der durch einen Hoheitsakt in seinen Rechten Betroffene sich in jedem Falle vor Gericht wehren kann. Diese Möglichkeit darf ihm auch nicht durch eine unzureichende Zustellungsregelung genommen werden. Genau dazu kommt es aber, wenn der Rechtsschutz, den die einfachrechtlichen Verfahrensgesetze in Erfüllung des Art. 19 Abs. 4 GG gewähren, indem sie Rechtsmittel gegen einen Hoheitsakt ausdrücklich zulassen4 , durch fiktive Zustellungen im Ergebnis wieder ausgeschaltet wird. Infolgedessen kommen wir- wie bei Art.103 Abs.1 GG- auf den ersten Blick zu dem (Zwischen-)Ergebnis: Einfachrechtliche Regelungen, welche die fiktive Zustellung von Hoheitsakten zulassen, sind mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren. Von dieser Aussage müssen wir die fiktive Zustellung eines rechtsmittelfähigen Urteils allerdings ausnehmen. Hier besteht zwar die Gefahr, daß der Adressat das Rechtsmittel nicht oder nicht rechtzeitig einlegt, weil er von der Entscheidung infolge deren fiktiver Zustellung nicht (rechtzeitig) erfährt. Damit auch in solchen Fällen ein Verstoß gegen Art.19 Abs. 4 GG vorliegt, müßte der Schutzbereich dieser Norm jedoch auch den Zugang zur höheren gerichtlichen Instanz umfassen. In der Tat gibt es einzelne Stimmen, die unter Berufung auf die Forderung, den Rechtsschutz möglichst effektiv zu gestalten, den Art. 19 Abs. 4 GG so weit greifen lassen5 • 2 Vgl. statt vieler MDH, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 12 m. w. N.; ebenso für den privatrechtliehen Gerichtsschutz Dütz, S. 115 ff. 3 Vgl. z. B. BVerfGE 35, 263 (274); 37, 150 (153); 40, 272 = NJW 76, 141; NJW 76, 513; BFHE 55, 278; MDH, Art.19 Abs. 4 Rdnr. 9 m. w. N.; Wernicke in BK, Art. 19 GG Anm. II 4. 4 Vgl. z. B. § 40 VwGO. s Vgl. H. Bauer, S. 100 m. w. N.

138

Teil C: Fiktive Auslandszustellungen und Art. 19 Abs. 4 GG

Ganz überwiegend wird das aber mit überzeugenden Gründen, die hier nicht wiederholt werden sollen, abgelehnt, indem man Rechtsprechungsakte generell vom Begriff der öffentlichen Gewalt i. S. v. Art. 19 Abs. 4 GG ausnimmt6 • Demgemäß stellt sich die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Zustellungen mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht bei Entscheidungen der richterlichen Gewalt. In Rspr. und Lit. findet man nur sehr wenige Stellungnahmen zur Frage der Vereinbarkeit von fiktiven (Auslands-)Zustellungen mit der Rechtsschutzgarantie. Soweit die Problematik überhaupt gesehen wird, geht es um die Verfassungskonformität des § 89 AO a. F.7 , für den sich in der neuen AO keine entsprechende Regelung mehr findet, und des § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F.S, an dessen Stelle§ 183 AO n. F. getreten ist. Die Ansichten zu § 89 AO a. F. könnten, obgleich die Vorschrift jetzt überholt ist, hier noch von Bedeutung sein, wenn sich ihnen auch in anderen Zusammenhängen verwertbare Erwägungen entnehmen ließen. Das ist jedoch nicht der Fall. Alle Autoren geben ihre Ansicht, § 89 AO a. F. sei teilweise9 oder ganz10 verfassungswidrig oder aber verfassungskonform11, lediglich kund, ohne sie näher zu begründen. Das gilt auch für die Finanzverwaltung, obgleich sie die in der Lit. vorgetragenen Bedenken immerhin so ernst nahm, daß sie auf Zustellungen gern. § 89 S. 2 AG a . F. weitgehend verzichtete12•

o Vgl. statt vieler MDH, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 17 m . w. N. 7 s. o. Teil A. s s. o. Teil A. e So Becker I Riewald I Koch., AO, § 89 Anm. 3: sie halten den § 89 S. 2 AO a. F. einmal für nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, wenn es um die Frist für ein Rechtsmittel gegen einen Hoheitsakt geht. Dem ist zuzustimmen, wie oben dargelegt wurde. Zum anderen halten sie den Fall für problematisch, daß aufgrund eines gern. § 89 S. 2 AO a. F. fiktiv zugestellten Verwaltungsaktes "irreparable Eingriffe in den Rechtskreis des Adressaten (z. B. Verwertung von gepfändeten Vermögensgegenständen) vorgenommen" werden. Dieser Fall wird jedoch hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Problematik von dem ersten Fall miterfaßt. Denn bei derartigen irreparablen Eingriffen hat der Betroffene die sog. nachträgliche Anfechtungsklage, die eine besondere Form der Fortsetzungsfeststellungsklage ist und gern. § 100 Abs. 1 S. 4 FGO erfolgt, der dem § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO entspricht. Die Zulässigkeit dieser Klage entspricht der h. M. (z. B. BVerwG NJW 58, 312; zur Gegenansicht Redeker I v. Oertzen, VwGO, § 113 Anm. 16; zur Fortsetzungsfeststellungsklage OVG Koblenz NJW 77, 71). Wenn aber diese Klage möglich ist, besteht im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bei einer fiktiven Zustellung nur wieder das Bedenken, daß der Betroffene nicht (rechtzeitig) Klage erheben kann. 1o So Oswald RWPBl D 14 AO II B 14 Einzelfragen (655), S. 7 f. tt Hübschmann I Hepp I Spitaler, AO, § 89 Erl. V; Tipke I Kruse, AO, § 89 Anm. 2; Salch. BlStA 1970, 3. 12 Oswald, ebd., S. 12 f. m. w. N.

Kap. 1: Problematik und Lösungswege

139

Die Diskussion zu § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. war umfassender. Ernst13 blieb i. w. bei der bloßen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift stehen. Kohlrust14 schlug ihre verfassungskonforme Auslegung dahin vor, daß die Finanzbehörde, bevor sie gern. § 219 AO a. F. zustelle, sämtliche Beteiligten erfolglos zur Benennung eines Vertreters nach § 219 Abs.1 S. 2 AO a. F. innerhalb angemessener Frist aufgefordert und dabei darauf hingewiesen haben müsse, daß sie nach fruchtlosem Fristablauf gern. § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. vorgehen werde. Diesem Vorschlag folgt der gemeinsame Ländererlaß für die verfassungskonforme Anwendung des § 219 Abs.1 S. 3 AO a. F. 15 • In ähnlicher Weise wollte Just diese Vorschrift verfassungskonform auslegen, indem er die Zustellung gern. § 219 Abs. 1 S. 3 AO a. F. erst zuließ, wenn die Beteiligten auf eine vorangegangene Mitteilung des Finanzamts nicht widersprochen hatten16• § 183 AO n. F., der den§ 219 AO a. F. abgelöst hat, beachtet die gegen die alte Regelung vorgebrachten Bedenken, vornehmlich indem er in S. 3 das Finanzamt verpflichtet, die Beteiligten zur Bestellung eines Zustellungsvertreters aufzufordern. Nunmehr ist zu prüfen, ob es bei dem obigen Zwischenergebnis bleibt, daß die fiktiven Zustellungen mit Art. 19 Abs. 4 GG u. U. nicht zu vereinbaren sind. Dabei soll versucht werden, die Lösung auf den gleichen Wegen zu finden, die schon bei der Untersuchung der Vereinbarkeit mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs beschritten wurden. Dann müßten diese Lösungswege auch hier gangbar sein. Der erste beruhte auf einer interpretativen "Einschränkung" aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers. Bei Art.19 Abs. 4 GG kämen wir auf diesem Wege dazu, dem Adressaten wegen seiner Verantwortung, sich selber um das Verfahren zu kümmern, die Pflicht aufzuerlegen, sich nicht durch eigenes schuldhaftes Verhalten die Wahrnehmung des Rechts aus Art.19 Abs. 4 GG unmöglich zu machen. Dieser Weg ist auch gangbar. Denn der Leitgedanke, der unserer interpretativen Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG zugrunde lag17, ist allgemeiner Natur, weshalb wir ihn auch im Hinblick auf die Hechtsschutzgarantie anwenden können: weil unser Rechtsstaat kein verfahrensrechtlicher Wohlfahrtsstaat, sondern darauf angewiesen ist, daß sich der eigenverantwortliche "mündige Bürger" um die Wahrnehmung seiner verfahrensrechtlichen Möglichkeiten selber kümmert, ist dem Art.19 Abs. 4 GG genügt, wenn das Verfahrensrecht eine bloße Chance StuW 58, Sp. 525. u DStZ, Ausgabe A, 1961, 2 (5). 15 BStBl 1961 Teil II S. 80 ff. 13

16 17

Vgl. v. a. S. 37 ff., 46. s.o. Teil B, Kap. 1, 9. Abschn.

140

Teil C: Fiktive Auslandszustellungen und Art. 19 Abs. 4 GG

für den Zugang zur gerichtlichen Entscheidung bietet. Nutzt der Bürger aus von ihm zu vertretenden Gründen diese Chance nicht aus, muß er die Konsequenzen tragen. Art.19 Abs. 4 GG ist dann nicht verletzt. Diese Interpretation können wir in gleicher Weise, wie wir es bei Art. 103 Abs.1 GG getan haben, um die aus der sozialstaatliehen Grundrechtstheorie fließende Forderung ergänzen, daß die Chance für den Zugang zur gerichtlichen Entscheidung im Interesse einer optimalen Realisierung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG effektiv sein muß. Das fällt hier um so leichter, als ohnehin allgemein anerkannt wird, daß Art.19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht auf die theoretische Möglichkeit zur Anrufung der Gerichte garantiert, sondern darüber hinaus auch die Effektivität des Rechtsschutzes18• Damit können wir als Zwischenergebnis feststellen: Der Rechtsschutzgarantie ist genügt, wenn der Beteiligte eine effektive Chance auf Zugang zur gerichtlichen Entscheidung hat. Nutzt er sie schuldhaft nicht aus, kann er sich nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen. Wenn wir dieses Verständnis der Rechtsschutzgarantie auf unsere spezielle Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Zustellungen mit Art. 19 Abs. 4 GG anwenden, so bedeutet das: In gleicher Weise, wie der Bürger die ihm gebotene Möglichkeit zur Anrufung der Gerichte nicht schuldhaft verpassen darf, darf er es auch nicht schuldhaft dazu kommen lassen, daß ihm nur noch in einer Weise zugestellt werden kann, die ihm praktisch die Wahrnehmung seines Rechtsschutzes unmöglich macht. Weitere Einschränkungen des wie Art. 103 Abs. 1 GG seinem Wortlaut nach unbeschränkten und unbeschränkbaren Art. 19 Abs. 4 GG können sich wieder nur ergeben, wenn dieses Grundrecht mit einem anderen Grundrecht, einer grundgesetzliehen Instituts- oder institutionellen Garantie oder einem verfassungsrechtlich fundierten Allgemeininteresse kollidiert und deshalb praktische Konkordanz herzustellen ist. Die Überlegungen entsprechen insoweit denen, die wir bereits zu Art. 103 Abs. 1 GG angestellt haben19• Wir können uns deshalb hier damit begnügen, auf sie zu verweisen. Damit ergibt sich: Die Wege, auf denen die Problematik der Vereinbarkeit von fiktiven Auslandszustellungen mit Art.19 Abs. 4 GG zu ts Das äußert sich z. B. darin, daß Gerichtsschutz in angemessener Zeit gewährt wird (vgl. BVerwGE 16, 289 (293); 17, 83 (85); 27, 141 (145); Dütz, S. 193 f., 122 f.; Lerche ZZP 78 [1965], 17 f.), daß vorläufiger und vorbeugender Rechtsschutz vorhanden sind (vgl. Dütz, S. 130; MDH, Art. 19 Abs. 4 GG, Rdnr. 14 m. w. N.) und daß die Rechtsverfolgung generell nicht unzumutbar erschwert wird (vgl. BVerfGE 11, 232 [233]); 40, 272; Dütz NJW 72, 1025). Zur Effektivität des Art. 19 Abs. 4 GG insgesamt vgl. H. Bauer, S. 60 ff. 19 s.o. Teil B, Kap. 1, 10. - 12.

Kap. 2: Auslandszustellung d. A. z. P. und Rechtsschutzgarantie

141

lösen ist, sind die gleichen, die schon zur Klärung des entsprechenden Problems bei Art.103 Abs.l GG beschritten wurden. Infolgedessen kann auch auf die dort gebildeten Fallgruppen20 zurückgegriffen werden, soweit es überhaupt fingierte Auslandszustellungen von Hoheitsakten gibt, die diesen Gruppen zugeordnet werden können.

Kapitel 2 Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post und Rechtsschutzgarantie Soweit Hoheitsakte an einen im Ausland wohnenden Empfänger durch Aufgabe zur Post zugestellt werden können, ist dies nur möglich, wenn der Adressat keinen Zustellungsvertreter bestellt hatte, mag er dazu vorher aufgefordert worden sein oder nicht. Anders als bei unseren Untersuchungen zur Vereinbarkeit mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs brauchen wir deshalb nicht auch noch solche Fälle zu unterscheiden, bei denen die Zustellungsfiktion unabhängig von der Bestellung eines Vertreters eintritt1 • Infolgedessen brauchen wir für die Frage der Vereinbarkeit von Auslandszustellungen d. A. z. P. mit Art. 19 Abs. 4 GG nur zwischen solchen Zustellungen zu trennen, die zulässig sind, wenn trotz vorherigen Verlangens der Behörde kein Bevollmächtigter benannt wurde, und solchen, die das Verfahrensrecht auch ohne derartiges Verlangen gestattet. Zur ersten Fallgruppe gehört z. B. die Regelung des § 28 Abs. 3 VwVfKOV und die heute überholte Regelung in§ 89 AO a. F. Zur zweiten Gruppe zählen die in den§§ 197 Abs. 2 S. 1 BEG, 41 S. 4 BRückErstG (jeweils i. V. m. §§ 174 Abs. 2, 175 ZPO analog) getroffenen Zustellungsregelungen2 • Die Regelungen der ersten Gruppe sind mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Hier hat die Behörde dem Adressaten eine effektive Chance gegeben, für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, welche die Kenntnisnahme von dem späteren Hoheitsakt sicherstellte. Damit hat sie ihm zugleich die Chance geboten, gegen diesen Hoheitsakt den Rechtsweg zu beschreiten. Beide Chancen hat der Adressat aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht genutzt, wenn und weil er keinen Bevollmächtigten bestellte, obgleich die Behörde zuvor dies ausdrücklich von ihm verlangt hatte. Deshalb ist diese Gruppe von Auslandszustellungen d. A. z. P. mit der Rechtsschutzgarantie vereinbar. 20 1 2

s. o. Teil B, Kap. 3. s. o. Teil B, Kap. 3, 1. (a. E.). Vgl. im einzelnen oben, Teil A.

142

Teil C: Fiktive Auslandszustellungen und Art. 19 Abs. 4 GG

Auch bei der zweiten Fallgruppe hatte der Adressat von Gesetzes wegen die Chance, seine Möglichkeit zur Anrufung der Gerichte gegen den Hoheitsakt zu sichern, indem er durch die Bestellung eines Bevollmächtigten dafür sorgte. daß die Zustellung des Hoheitsaktes ihn bzw. seinen Vertreter erreichte. Diese Chance hat er zwar nicht genutzt, jedoch nicht aus von ihm zu vertretenden Gründen. Effektiv wäre die ihm vom Gesetz hier eingeräumte Chance nur, wenn man ihm zumuten könnte, sich vor Erlaß eines Hoheitsaktes durch eine deutsche Behörde um eine sichere Zustellungsmöglichkeit von sich aus zu kümmern und sich dafür auch entsprechende deutsche Rechtskenntnisse zu verschaffen. Dies ist jedoch nicht zumutbar, zumal wenn man bedenkt, daß der im Ausland wohnende Beteiligte auch gegen seinen Willen in das Verfahren vor den deutschen Behörden gezogen worden sein kann, die Durchführung des Verfahrens zumindest nicht in seinem Interesse gelegen haben muß. Wie bei der entsprechenden Fallgruppe im Rahmen der Prüfung zum Prinzip des rechtlichen Gehörs=t kommt auch hier eine verfassungskonforme Rechtsergänzung durch Analogie in Betracht. Sie geht dahin, daß in den Fällen dieser Gruppe entsprechend denen der ersten Gruppe die Behörde den Adressaten zur Bestellung eines Zustellungsvertreters auffordern muß. Erst wenn er trotz dieser Aufforderung keinen Vertreter bestellt, darf die Behörde den Hoheitsakt durch Aufgabe zur Post zustellen4 • Bei dieser verfassungskonformen Ergänzung sind die Zustellungen d. A. z. P., die unter diese Gruppe fallen, in gleicher Weise mit Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbaren, wie es diejenigen der obigen ersten Gruppe waren.

Kapitel 3 Offentliehe Auslandszustellung und Rechtsschutzgarantie Wie bei der soeben durchgeführten Prüfung der Vereinbarkeit von Auslandszustellungen d. A. z. P. mit Art. 19 Abs. 4 GG können wir auch bei der entsprechenden Untersuchung der öffentlichen Auslandszustellungen grundsätzlich auf die Lösungswege zurückgreifen, die wir entwickelt haben, als wir die Verfassungsmäßigkeit der Zustellungsfiktionen im Hinblick auf das rechtliche Gehör prüften.

s s. o. Teil B, Kap. 3, 1., b). ' Vgl. im einzelnen die entsprechenden Überlegungen zum Prinzip des rechtlichen Gehörs.

Kap. 3: Öffentliche Auslandszustellung und Rechtsschutzgarantie

143

Als wir uns fragten, inwieweit öffentliche Zustellungen mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren sind, haben wir mehrere Fallgruppen gebildet. Erstes Einteilungskriterium war dabei, ob die öffentliche Zustellung "ultima ratio" war1 • Dieses Kriterium brauchen wir hier allerdings nicht. Denn soweit ersichtlich, können Hoheitsakte stets nur dann öffentlich zugestellt werden, wenn es anders nicht geht. Dagegen ist auch hier relevant, ob es in den Verantwortungsbereich des Adressaten fällt, daß nur noch öffentlich zugestellt werden kann. So kann es insbesondere im Fall des § 15 Abs. 1 a) VwZG liegen, wenn öffentlich zugestellt werden muß, weil der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Dies kann Gründe haben, die der Adressat zu vertreten hat. In derartigen Fällen ergibt sich die Vereinbarkeit der öffentlichen Zustellung mit Art. 19 Abs. 4 GG auf dem oben geschilderten Lösungsweg über eine "einschränkende" Interpretation des Art.19 Abs. 4 GG aus dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers. Denn hier hat es sich der Adressat selber zuzuschreiben, daß ihm nur noch öffentlich zugestellt werden kann, wodurch es ihm praktisch unmöglich wird, sein Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG wahrzunehmen. Die Konsequenzen seines eigenen Verhaltens muß er dann tragen. Wir kommen damit zu dem Ergebnis, daß öffentliche Auslandszustellungen mit der Rechtsschutzgarantie vereinbar sind, soweit der Adressat die Unbekanntheit seines Aufenthalts und damit den Ausschluß aller anderen Zustellungsmöglichkeiten zu vertreten hat. Ungeachtet dessen müssen wir aber in gleicher Weise, wie wir das bei der entsprechenden Problematik bezüglich des rechtlichen Gehörs getan haben2, dem Art. 19 Abs. 4 GG möglichst zu entsprechen suchen, indem wir die mit der obigen Aussage zwangsläufig verbundene Einschränkung dieser Vorschrift durch Aufstellung solcher Forderungen möglichst gering halten, die geeignet sind, die mit der öffentlichen Zustellung verbundene Gefahr für die Rechtsschutzgarantie weitestgehend auszuschalten. In diesem Sinne ist einmal zu fordern, daß die Voraussetzung, der Adressat müsse unbekannten Aufenthalts und die öffentliche Zustellung deshalb "ultima ratio" sein, eng auszulegen ist. Zum zweiten ist ein "angemessenes Veröffentlichungsmittel zu wählen, das dem Adressaten im Ausland eine realistische Möglichkeit bietet, von der Zustellung zu erfahren, so daß er auch eine echte Chance hat, von seinem Recht gern. Art. 19 Abs. 4 GG Gebrauch zu machen. Diese Überlegun1 2

s. o. Teil B, Kap. 4 (a. E.). s. o. Teil B, Kap. 4, 1.

144

Teil C: Fiktive Auslandszustellungen und Art. 19 Abs. 4 GG

gen entsprechen jenen, die wir bereits bei unserer Prüfung im Hinblick auf das rechtliche Gehör für die gleiche Fallgruppe angestellt haben. Auf sie wird verwiesen. Für die Zulässigkeit der anderen Arten von öffentlichen Zustellungen - also derjenigen, die das Verfahrensrecht als ultima ratio gestattet, ohne daß den Adressaten ein Verschulden an der Entstehung dieser Situation trifft (wichtigstes Beispiel: § 15 Abs. 1 c) VwZG) -, sind die betroffenen Interessen aufzuzeigen und sodann ggf. eine Lösung im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung zu suchen. Grundrechte oder verfassungsrechtliche Instituts- oder institutionelle Garantien, die mit dem Grundrecht des Adressaten aus Art. 19 Abs. 4 GG hier kollidieren könnten, sind nicht ersichtlich. Somit kommen als Gegenpol nur noch verfassungsrechtlich geschützte Allgemeininteressen in Frage. Zu prüfen ist also, ob derartige Interessen für die Zulassung der öffentlichen Zustellung sprechen. Das ist der Fall. Weil die öffentliche Zustellung in den hier angesprochenen Fällen die einzige Möglichkeit ist, einen Hoheitsakt, für dessen Wirksamkeit die Zustellung notwendig ist, überhaupt zustellen zu können, steht hier die Möglichkeit auf dem Spiel, den betreffenden Hoheitsakt überhaupt erlassen zu können. Damit aber geht es um die Möglichkeit, das einschlägige Verwaltungs- oder sonstige Verfahren, das auf den Erlaß des betreffenden Hoheitsaktes hinausläuft, überhaupt durchführen zu können. Dieses elementare staatliche Interesse ist auch verfassungsrechtlich abgesichert. Dafür kann man je nach der Art des betroffenen Verfahrens auf verschiedene Normen des GG zurückgreifen, nicht zuletzt auf die Regelungen der Gesetzgebungskompetenz. Denn dort geht die Verfassung ganz selbstverständlich davon aus, daß die nötigen Verwaltungsverfahren auf den einschlägigen Gebieten durchgeführt werden können. Nachdem erläutert ist, welche Rechte bzw. Interessen bei den öffentlichen Zustellungen dieser Gruppe kollidieren, muß wieder praktische Konkordanz im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung gesucht werden. Dabei darf es einerseits nicht dazu kommen, daß der Erlaß von Verwaltungs- und anderen Hoheitsakten und damit die Durchführung der entsprechenden Verfahren unmöglich wird. Das ergibt sich schon daraus, daß es hier um ganz elementare staatliche Interessen geht, daß sogar die Funktionsfähigkeit der Exekutive schlechthin berührt ist. Auf der anderen Seite muß trotz allem das Grundrecht aus Art.19 Abs. 4 GG möglichst umfassend gewahrt bleiben. Diesen beiden Zielen wird man am besten auf den Wegen gerecht, die für die entsprechende

Kap. 4: Andere fiktive Auslandszustellungen und Rechtsschutzgarantie 145 Fallgruppe im Hinblick auf das Prinzip des rechtlichen Gehörs gefunden wurden. Auf die Überlegungen dort3 wird verwiesen, so daß hier nur noch die Ergebnisse festgehalten werden sollen. Erstens ist darauf zu achten, daß die öffentliche Zustellung wirklich ultima ratio ist. Die darauf abzielenden Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Vorschriften sind eng auszulegen. Zweitens ist der Empfänger formlos zu benachrichtigen, sofern das möglich ist. Zum dritten ist auch das optimale Veröffentlichungsmittel zu wählen, vornehmlich der Bundesanzeiger. Welche Bedeutung diese drei Forderungen für den wichtigsten Fall von öffentlicher Zustellung in dieser Gruppe, nämlich für § 15 Abs.1 c VwZG haben, wurde schon im Zuge der Erwägungen im Hinblick auf das rechtliche Gehör dargestellt.

Kapitel4 Andere fiktive Auslandszustellungen und Rechtsschutzgarantie Nachdem die Vereinbarkeit der öffentlichen Zustellungen und derjenigen d. A. z. P. mit Art. 19 Abs. 4 GG geprüft ist, bleibt noch, die gleiche Untersuchung im Hinblick auf andere Arten fiktiver Auslandszustellungen durchzuführen. Das sind die Zustellung durch Postrückschein und die nach § 183 AO n. F. (= § 219 Abs. 1 AO a. F.). Die mit der Zustellung durch Postrückschein verbundene Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie läßt sich, wenn überhaupt, nur durch kollidierende Rechte anderer oder Gemeinschaftsinteressen im Wege der harmonisierenden Verfassungsauslegung rechtfertigen. Daß Rechte anderer Beteiligter verletzt würden, wenn diese Zustellungsart nicht möglich wäre, ist nicht ersichtlich. Somit kommen nur Allgemeininteressen als rechtfertigende Umstände in Betracht. Dabei geht es nicht wie bei den öffentlichen Zustellungen um das staatliche Interesse, einen Hoheitsakt überhaupt erlassen zu können. Denn soweit die Verfahrensgesetze die Zustellung durch Postrückschein gestatten, erfolgt dies nicht unter der Voraussetzung, daß die normalen Zustellungsmöglichkeiten auf dem Requisitorialweg versagen. Als für die Zustellung durch Postrückschein sprechendes Allgemeininteresse ist deshalb nur das Bestreben in Erwägung zu ziehen, die Zustellungen möglichst einfach, billig und zeitsparend durchzuführen. Dieses Interesse ist zwar legitim, reicht aber nicht aus, um eine Beeinträchtigung einer 3

s. o. Teil B, Kap. 4, 2.

10 Schmitz

146

Teil C: Fiktive Auslandszustellungen und Art. 19 Abs. 4 GG

so fundamentalen rechtsstaatliehen Norm, wie sie Art. 19 Abs. 4 GG darstellt, rechtfertigen zu können. Infolgedessen sind die gesetzlichen Vorschriften, die eine Zustellung durch Postrückschein zulassen, wegen Verstoßes gegen die Rechtsschutzgarantie verfassungswidrig. Zu prüfen bleibt die Verfassungskonformität des§ 183 Abs. 3 AO n. F. im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG. Hierfür ist - wie schon bei der entsprechenden Problematik hinsichtlich des rechtlichen Gehörs von Bedeutung, daß die Finanzbehörde die Beteiligten zur Bestellung eines Bevollmächtigten auffordern und sie zudem darauf hinweisen muß, daß sie bei fehlender Bestellung an einen von ihr bestimmten Vertreter bekanntgeben werde. Die Feststellungsbeteiligten kennen hier also ihre Benennungspflicht und sogar die Konsequenzen bei deren Nichterfüllung. Sie haben damit eine effektive Möglichkeit, durch die Bestellung eines Vertreters für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die ihren Rechtsschutzanspruch nicht gefährdet. Damit sind die Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit der fiktiven Auslandszustellungen unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG abgeschlossen. Sie haben zu folgenden Ergebnissen geführt: Auslandszustellungen d. A. z. P., die zulässig sind, wenn der Adressat trotz vorherigen Verlangens keinen Zustellungsvertreter bestellt hat. sind mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Denn hier hat ihm die Behörde eine realistische Chance gegeben, für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die seine Kenntnisnahme von dem späteren Hoheitsakt sicherstellte. Damit war die Chance verbunden, gegen diesen Akt den Rechtsweg zu beschreiten. Auslandszustellungen d. A. z. P., die ohne das die vorige Fallgruppe kennzeichnende Verlangen zulässig sind, müssen verfassungskonform dahin ergänzt werden, daß die Behörde zur Bestellung eines Vertreters auffordern muß. Soweit öffentliche Auslandszustellungen der Rechtsschutzgarantie zuwiderlaufen können, läßt sie das Verfahrensrecht stets nur als "ultima ratio" zu. Sie verstoßen nur dann nicht gegen diese Garantie, wenn man die einschlägigen Vorschriften verfassungskonform auslegt oder ergänzt. Dabei gelten die gleichen Überlegungen, die wir schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör für die entsprechenden Fallgruppen angestellt haben. Auslandszustellungen durch Postrückschein verstoßen (auch) gegen Art. 19 Abs. 4 GG. § 183 Abs. 3 AO ist mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar.

TEIL D

Die Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 3 GG Die bisher behandelten Fragen nach der Vereinbarkeit der fiktiven Auslandszustellungen mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs und der Rechtsschutzgarantie waren die wichtigsten Probleme für die Grundgesetzkonformität dieser Zustellungsarten. An ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit kann man aber auch noch aus anderen Gründen zweifeln. Darauf wollen wir in den folgenden Abschnitten eingehen. Fraglich erscheint zunächst, ob die fiktiven Auslandszustellungen mit dem Gleichheitsprinzip des Art. 3 GG vereinbar sind. Dabei hat die Prüfung bei Art. 3 Abs. 3 GG anzusetzen, weil diese Norm als lex specialis gegenüber dem allgemeinen Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG anzusehen istl und zwei der in Art. 3 Abs. 3 GG angesprochenen Differenzierungsmerkmale tangiert sein könnten, nämlich die "Abstammung"2, die auch die Nationalität umfaßt3 , und die "Heimat" 4 • Darauf könnte sich ein Ausländer berufen und meinen, die speziellen, fiktiven Auslandszustellungen benachteiligten ihn wegen seiner Ausländereigenschaft und seien somit wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 GG verfassungswidrig. Diese Ansicht trifft in mehrfacher Hinsicht nicht zu. Einmal ist sehr fraglich, ob die Verfahrensgesetze hinsichtlich der fiktiven Auslandszustellungen überhaupt an eines der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Unterscheidungsmerkmale anknüpfen . Ihrem Wortlaut nach gehen sie regelmäßig vom Wohnsitz des Zustellungsempfängers aus. Der ist in Art. 3 Abs. 3 GG aber gerade nicht angeführt. Diese Norm wäre somit nur einschlägig, wenn die Merkmale "Heimat" und/oder "Abstammung" das Wohnsitzkriterium mit umfaßten. Das ist nach den allerdings nicht ganz unstreitigen Zielsetzungen dieser Differenzierungsmerkmale zu verneinen5 . Genauer braucht darauf nicht eingegangen zu werden. Denn selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, eines der Merk1 h. M., vgl. BVerfGE 9, 124 (128); 13, 290 (296) m. w. N.; MDH, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 3; Hesse, Grundzüge, § 12 II 3 (a. A.) m. w. N. 2 Dazu BVerfGE 9, 124 (128); MDH, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 37 ff. 3 Vgl. MDH, ebd., Rdnr. 54 ff. 4 Dazu MDH, ebd., Rdnr. 76 ff. 5 Vgl. MDH, ebd., Rdnr. 37 ff., 76 ff.

10.

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Teil D: Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 3 GG

male des Art. 3 Abs. 3 GG sei hier einschlägig, liegt kein Verstoß gegen diese Vorschrift vor. Denn die Verfahrensgesetze eröffnen die Möglichkeit zu fiktiven Auslandszustellungen nicht wegen der Ausländereigenschaft der betroffenen Beteiligten, sondern im Hinblick auf andere Ziele6 , die in den vorherigen Abschnitten dargestellt worden sind. Erinnert sei hier nur an die Notwendigkeit, ein Verfahren durchführen bzw. fortführen sowie die Rechte anderer Verfahrensbeteiligter schützen zu müssen. Daß nicht die Ausländereigenschaft final für die in den fiktiven Auslandszustellungen liegende Differenzierung ist, erhellt auch der Umstand, daß von den einschlägigen Zustellungsfiktionen nicht nur Ausländer, sondern auch im Ausland lebende deutsche (natürliche und juristische) Personen betroffen sind. Scheidet somit Art. 3 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab aus, bleibt immer noch zu prüfen, ob die fiktiven Auslandszustellungen mit dem allgemeinen Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, das auch für die Auslegung und Anwendung von Verfahrensrecht gilt1, zu vereinbaren sind. Das gilt sowohl dann, wenn man meint, durch die fiktiven Auslandszustellungen sei keines der in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbote berührt8 , als auch dann, wenn man der Ansicht ist, Art. 3 Abs. 3 GG sei zwar einschlägig, aber nicht verletzt•. 6 Zur Relevanz dieser Erwägung vgl. die Rspr. zum Ausgleich ethnischer Nachteile, dargestellt bei MDH, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 55 ff. 7 So zuletzt BVerfGE 34, 325 (331); NJW 76, 1391. 8 Vgl. MDH, ebd., Rdnr. 27 m. w. N. v Im Anschluß an das dissenting vote des Richters Geiger (NJW 76, 1393) sei hier am Rande die Frage aufgeworfen, ob überhaupt Platz ist für eine Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG. Daran könnte man aus folgendem Grund zweifeln: Die verfassungsrechtl. Problematik der fiktiven Auslandszustellungen ist primär eine Frageihrer Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG, die beide eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips darstellen. Dies gilt auch für Art. 3 Abs. 1 GG. Fraglich ist nun, ob man dieselbe Problematik unter dem Aspekt verschiedener rechtsstaatlicher Konkretisierungen prüfen darf. Dagegen macht Geiger - allerdings in anderem Zusammenhang - geltend, jede rechtsstaatl. Konkretisierung habe ihren eigenen Anwendungsbereich, der die typische Konstellation von Unrecht umschreibe, die unter der spezifischen normativen Konkretisierung gewürdigt sein solle und nicht beliebig unter einen allgemeineren rechtlichen Aspekt (hier: Art. 3 Abs. 1 GG) gebracht werden dürfe. Die Beurteilungsmaßstäbe des GG seien nicht beliebig auswechselbar. Diese Bedenken können jedenfalls in unserem Zusammenhang nicht überzeugen. Auch wenn die verfassungsrechtl. Problematik der fiktiven Auslandszustellungen primär am Maßstab der Art. 103 Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG zu beurteilen ist, hindert nichts daran, sie außerdem an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Das ist ein Fall von Grundrechtskonkurrenz, deren Existenz wie schon gesagt wurde - nicht generell negierbar ist. Wenn dabei an dieselbe Problematik verschiedene Beurteilungsmaßstäbe angelegt werden, so liegt das in der Systematik der Grundrechte begründet, deren Anwendungsbereich eben nicht sauber voneinander getrennt ist, sondern sich häufig überschneidet.

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Die fiktiven Auslandszustellungen verstoßen jedoch auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift ist ein Willkürverbot und stellt den staatlichen Gewalten die Aufgabe, einer Differenzierung jeweils in dem Sinne gerechte Kriterien zugrunde zu legen, daß die Differenzierung auf einem vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonstwie sachlich einleuchtenden Grund beruhtl0 • Daß an im Ausland wohnende Empfänger auf die besondere Weise der Zustellungsfiktion zugestellt werden kann, hat jedoch einen sachlich gerechtfertigten Grund. Zustellungen sind staatliche Hoheitsakte. Jeder Staat kann Hoheitsakte nur auf seinem Staatsgebiet vornehmen. Hoheitsakte auf dem Gebiet eines anderen Staates vorzunehmen, verbietet das Völkerrechtu. Deswegen versagen die normalen Zustellungsarten, wenn es um Zustellungen an im Ausland wohnende Empfänger geht. Scheidet dann auch noch der Requisitorialweg aus irgendeinem Grunde aus oder will man ihn vermeiden, bleibt praktisch nur der Weg über die Zustellungsfiktion. Ob nicht auch dabei die Souveränität des ausländischen Staates tangiert wird und ob sich für die Ausgestaltungen dieser Fiktionen in den einzelnen Verfahrensgesetzen nicht noch bessere Möglichkeiten vorstellen lassen, ist im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG unerheblich. Das Willkürverbot ist nicht verletzt, weil die aus fiktiven Auslandszustellungen resultierende Benachteiligung der im Ausland wohnenden Empfänger einen vernünftigen und sachlich gerechtfertigten Grund hat.

to Vgl. zuletzt BVerfG NJW 76, 843 (844); 76, 1391. u Vgl. dazu oben, Teil A (a. A.).

TEILE

Die Vereinbarkeit der öffentlichen Zustellung mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre Alle Problemstellungen, die wir bisher behandelt haben, bezogen sich gleichermaßen auf alle Arten fiktiver Auslandszustellungen. Nunmehr wollen wir einer Frage nachgehen, die sich nur für die öffentliche Zustellung stellt. Kern jeder öffentlichen Zustellung ist die öffentliche Bekanntmachung des zuzustellenden Schriftstücks. Dabei bestehen Unterschiede hinsichtlich des Umfangs der Bekanntmachung. Nicht selten muß das betreffende Schriftstück in vollem Umfang bekannt gemacht werden, so etwa gern. §§ 204 Abs. 2 S.1 ZP0 1, 40 Abs.1 S.1 StPO, 57 Abs.1 S. 4 GWB. In einigen Fällen stellt es das Gesetz in das Ermessen der für die öffentliche Zustellung zuständigen Stellen, ob in vollem Umfang oder nur auszugsweise veröffentlicht wird. Beispiele dafür sind die §§ 76 Abs.1 S.1 KO, 119 Abs. 2 S.1 VglO, 48 a Abs. 3 PStG und 15 Abs. 2 VwZG. Ziemlich selten wird von vornherein lediglich die auszugsweise Bekanntmachung vorgeschrieben. Dafür bietet § 40 Abs. 2 S. 2 StPO ein Beispiel2 • Die nach den ersten beiden Fallgruppen nötige oder mögliche vollständige Bekanntmachung begegnet im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG geschützte Recht des einzelnen auf Achtung und Schutz seiner Privatsphäre verfassungsrechtlichen Bedenken3• Ungeachtet des Streits über die Stellung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG zu den anderen Grundrechten4 kommt jenem Grundrecht eine eigenständige Bedeutung zu. Darunter fällt auch der Schutz der 1 Das LG Nürnberg-Fürth (Rpflg 70, 440) vertritt allerdings die Ansicht, bei großem Umfang der zuzustellenden Ausfertigung oder Abschrift genüge die Aushängung einer Bezeichnung der zuzustellenden Ausfertigung. Für unsere Problematik ist diese Entscheidung irrelevant, weil sie zur Begründung nicht auf verfassungsrechtliche, sondern allein auf Erwägungen der Praktikabilität zurückgreift. 2 Weitere Beispiele für alle Gruppen ergeben sich aus dem Überblick a. A. der Arbeit. a Ähnlich Hohmann, S. 14, 212. 4 Vgl. oben (Teil B, Kap. 1, 5.) die Ausführungen zur "Muttergrundrechtslehre".

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Privat- und Intimsphäre des einzelnen. Das ist in Lit. und Rspr. anerkannt5 und überdies sehr deutlich geworden in der Rechtsprechung zum sog. allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Privatrechts, das auf die Art. 1 und 2 Abs.1 GG zurückgeführt wird6 • Hier ging es immer wieder um Eingriffe in den persönlichen Lebensbereich. Der Schutz der Intimsphäre gilt gegenüber allen staatlichen Stellen, auch gegenüber den Gerichten7 • Er ist somit von allen Stellen zu berücksichtigen, die über die Durchführung einer öffentlichen Zustellung zu entscheiden haben. Daß die vollständige Bekanntmachung öffentlich zuzustellender Schriftstücke mit dem grundrechtlich gesicherten Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre kollidieren kann, erhellen folgende Beispiele. In einem Streit wirft der im Ausland wohnhafte Beklagte dem Kläger, einem Bankier, vor, in seinem privaten Bereich betrügerische Manipulationen getätigt zu haben, wofür er als Beweis bestimmte Tatsachen aus der Privatsphäre des Klägers behauptet. Aus Sorge um seinen Ruf als Bankier will der Kläger die Weiterverbreitung dieser Tatsachen unterbinden und klagt deshalb auf Unterlassung gern. §§ 823 Abs. 1, 1004 analog BGB. Im Prozeß bleibt offen, ob die Tatsachenbehauptungen richtig sind, so daß der Prozeß gewonnen wird. Da eine der Voraussetzungen des § 203 Abs. 2 ZPO vorliegt, kann das Urteil nur öffentlich zugestellt werden. Wenn jetzt gern. § 204 Abs. 2 S. 1 ZPO das gesamte Urteil öffentlich bekannt gemacht wird, so läuft der Kläger Gefahr, daß die streitigen Tatsachenbehauptungen doch noch allgemein bekannt werden und allein dadurch seinen für seinen Beruf entscheidenden Ruf bedrohen, auch wenn sie gerade nicht bewiesen sind. Wird in diesem Beispiel nur das Recht des Klägers auf Schutz seiner Privatsphäre berührt, so geht es im folgenden Beispiel um das Recht beider Parteien. Die Klägerin ist mit einem marokkanischen Gastarbeiter verheiratet, der jetzt in sein Heimatland zurückkehrt, dort aber nicht auffindbar ist. Ihre Scheidungsklage kann deshalb nur öffentlich zugestellt werden (§ 203 Abs. 1 ZPO). Durch den Aushang gern. § 204 Abs. 1 ZPO gelangen aber Eheinterna, wie sie sich in vielen s Vgl. z.B. BVerfGE 6, 389 (433); 27, 1 (6); 34, 204 (208ff.); 328 (245f.); 35, 35 (39); 38, 105 (114); 312 (320); 39, 1 (42); MDH, Art. 2 GG Rdnr. 10, 27. o Daß ein solches Recht auch im Privatrecht existiert und als Schutzgut i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB anzusehen ist, war stets anerkannt (vgl. u . a. BGHZ 13, 334 (337) = NJW 54, 1404; 20, 343; 27, 284; 31, 308; 39, 125 = NJW 63, 902; Medicus, Bürgerliches Recht (Köln etc. 1976), § 24 II d). Streitig war, ob bei einer Verletzung dieses Rechts der imma terielle Schaden zu ersetzen war. Das hat der BGH seit BGHZ 26, 349 = NJW 58, 827 beja ht, was von BVerfGE 34, 269 = NJW 73, 1221 gebilligt wurde. 7 Vgl. BVerfGE 34, 204 (209).

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Scheidungsklagen finden, an die Öffentlichkeit. Deren Veröffentlichung stellt einen Eingriff in die Privatsphäre darB. Daß sogar die Privatsphäre eines Dritten bedroht sein kann, zeigt das folgende Beispiel. In der Scheidungsklage wird als Scheidungsgrund der Ehebruch genannt, wofür als Zeugin die Freundin des beklagten Mannes benannt wird. Hier verletzt die öffentliche Bekanntmachung der Klageschrift (auch) die Privatsphäre der Freundin. Die gleiche Verletzung liegt vor, wenn die Freundin im Hinblick auf die §§ 6, 22 EheG (in der bis 1. 7. 77 geltenden Fassung) gern. § 624 ZPO im Scheidungsurteil als Ehebrecherio festgestellt wird9• Schließlich sei noch ein Beispiel aus dem Kartellverwaltungsrecht angeführt. Die Kartellbehörde will eine Verbotsverfügung gern. § 22 Abs. 5 GWB an einen schweizerischen Unternehmer erlassen. In der Begründung werden Tatsachen angeführt, die ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis10 des Unternehmers darstellen. Durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger gern. § 57 Abs. 1 S. 4 GWB würde dieses Geheimnis allgemein bekannt11 • Über diese Einzelbeispiele hinaus läßt sich sagen, daß die Gefahr einer Verletzung der durch Art. 2 Abs.1 geschützten Privatsphäre durch die öffentliche Bekanntmachung im Zuge einer öffentlichen Zustellung jedenfalls immer dann droht, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem die Öffentlichkeit nach allgemeinem Prozeßrecht ausgeschlossen ist1 2 ~ Denn diese Ausnahmefälle, deren wichtigste und mit einigen Modifikationen auch in anderen Verfahren entsprechend geltende (vgl. z. B. §§55 VwGO, 61 SGG, 52 FGO) Regelung die §§ 170 ff. GVG darstellen, beruhen gerade auf dem Gedanken, daß die Zulassung der Öffentlichkeit hier unzumutbar in den Bereich der Privatsphäre eingreifen würde13. s Seit dem 1. 7. 1977 trifft dieses Bsp. nicht mehr zu. Denn nach § 204 Abs. 2 S. 2 ZPO n. F. wird die öffentl. Zustellung (u. a.) in Ehesachen durch Anheftung eines bloßen Auszugs an die Gerichtstafel ausgeführt. 9 Zum rechtl. Gehör des Ehebrechers vgl. i. ü. Schlosser JZ 67, 431 (433) m.w.N. 1o Zu diesem Begriff vgl. die Kommentarliteratur zu § 17 UWG. u Inwieweit sich eine juristische Person, noeh dazu eine ausländische, auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann, ist fraglich, soll hier aber nicht geklärt werden; vgl. dazu etwa MDH, Art. 2 GG Rdnr. 68. 12 Dieser Gedanke klingt an bei Gericke StWa (Steuer-Warte) 1962, S. 224. Im Hinblick auf die öffentl. Zustellung gern. VwZG fordert er, man solle von der in § 15 Abs. 2 S. 1 VwZW vorgesehenen Möglichkeit einer vollständigen Bekanntmachung zur Wahrung des Amts- und Steuergeheimnisses prinzipiell absehen und stattdessen immer nur die Benachrichtigung i. S. v. § 15 Abs. 2 S. 2 VwZG aushängen. Zur Wahrung des Steuergeheimnisses dient aber gerade auch der Ausschluß der Öffentlichkeit gern. § 172 Nr. 2 GVG. Zur Wahrung des Amtsgeheimnisses dürfte diese Vorschrift über§ 55 VwGO, 52 FGO etc. analog anwendbar sein. Eine nähere, v. a. verfassungsrechtliche Begründung seiner Ansicht gibt Gericke allerdings nicht.

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Bei der Prüfung der Frage, inwieweit die Vorschriften über eine vollständige Bekanntmachung des öffentlich zuzustellenden Schriftstücks mit Art. 2 Abs.1 GG vereinbar sind, ist im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt, dem dieses Grundrecht unterliegt, zu untersuchen, ob höherrangige Interessen der Allgemeinheit oder Rechte anderer die vollständige Bekanntmachung trotz des damit verbundenen Einbruchs in die Privatsphäre fordern. Zur Rechtfertigung durch höherrangige Interessen der Allgemeinheit könnte man für die gerichtlichen Verfahren auf den allgemein geltenden Öffentlichkeitsgrundsatz zurückgreifen (vgl. z. B. §§ 169 GVG, 55 VwGO, 61 SGG, 52 Abs. 1 FGO). Dieses Prinzip verstößt unstreitig nicht gegen den durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Privatsphäre14. Dann liegt jedoch der Schluß nahe: soweit die Öffentlichkeit der Verhandlung mit Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist, gilt das auch bei der Veröffentlichung von zuzustellenden Schriftstücken; diese kann somit nur außerhalb der durch das Öffentlichkeitsprinzip gezogenen Grenzen gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen. Dabei wird jedoch übersehen, daß die Allgemeininteressen, welche die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung fordern, für die Veröffentlichung von Schriftstücken keine Bedeutung haben. Ziel des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist, das Vertrauen in die Rechtspflege zu stärken15. Jedermann soll sich - zumal im demokratischen Staat16 - jederzeit davon überzeugen können, daß hier alles "mit rechten Dingen" zugeht. Dieses Interesse spielt jedoch bei der Bekanntmachung von Schriftstücken ebensowenig eine Rolle wie andere Allgemeininteressen. Unter diesem Abwägungsaspekt ist der Einbruch in die Privatsphäre also nicht zu rechtfertigen. Zu prüfen ist, ob "die Rechte anderer" das können. Dies kommt in Betracht, wenn es um die Privatsphäre von Personen geht, die nicht mit dem Zustellungsempfänger identisch sind. Dann könnte dessen Gehörrecht die Verletzung der Privatsphäre rechtfertigen. Das setzt voraus, daß dem Anspruch auf Gehör nur mit einer vollständigen Bekanntmachung des öffentlich zuzustellenden Schriftstücks genügt werden kann. Bedeutung und Auswirkungen des Gehörprinzips bei der öffentlichen Zustellung sind oben dargelegt worden. Sie haben nichts mit einer vollständigen Veröffentlichung des zuzustellenden Schriftstücks zu tun. Es gibt keine auf das Gehörrecht des Zustellungsadressaten zurückgehenden Interessen, die eine vollständige Veröffentlichung 13 In diesem Sinne wohl auch BGHSt NJW 61, 1781 (1782). 14 Vgl. z. B. MDH, Art. 2 GG Rdnr. 41. 15 Vgl. u. a. RGSt 70, 109; BGHSt NJW 61, 1782; Baumbach I Lauterbach, ZPO, Übers. vor § 169 GVG, Anm. 1. 16 Speziell zu diesem Aspekt Bockelmann NJW 60, 217.

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trotz eines damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre rechtfertigen könnten. Die Verletzung weiterer Rechte anderer i. S. d. Art. 2 Abs. 2 GG ist nicht ersichtlich. Damit ergibt sich: Die vollständige Veröffentlichung eines Schriftstücks im Wege dessen öffentlicher Zustellung kann gegen den durch Art. 2 Abs. 1 GG gesicherten Schutz der Privat- und Intimsphäre verstoßen. Dieser Verstoß liegt regelmäßig vor, wenn die Veröffentlichung im Rahmen eines Verfahrens erfolgt, das dem Öffentlichkeitsprinzip ausnahmsweise nicht unterliegt. Bei der Suche nach einer Lösung dieser Problematik drängt sich der vom einfachen Verfahrensrecht selber in etlichen Fällen vorgezeichnete Weg auf, das Schriftstück nur auszugsweise bekannt zu machen. Diese Lösung wäre allerdings nur sinnvoll, wenn die öffentliche Zustellung auch bei dieser Gestaltung ihre Aufgabe erfüllen könnte. Das ist zu bejahen. Wie wir gesehen haben17 , liegt in der öffentlichen Zustellung nur die Fiktion einer Zustellung, für deren Eintritt die tatsächliche Kenntnisnahme des Adressaten vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks ohne Bedeutung ist. Dann aber ist für den Eintritt der Fiktion auch ohne Bedeutung, ob das Schriftstück vollständig oder nur auszugsweise bekannt gemacht wird. Somit wird die von der öffentlichen Zustellung zu erfüllende Funktion durch eine lediglich auszugsweise Veröffentlichung nicht beeinträchtigt. Bei der auf .eine auszugsweise Veröffentlichung abzielenden Lösung ist auch zu klären, welchen Umfang der Auszug haben soll bzw. haben muß. Dafür bietet sich zunächst einmal an, für jedes Rechtsgebiet diejenigen Rechtsnormen heranzuziehen, die den Umfang der auszugsweisen Veröffentlichung in den Fällen regeln, in denen das Verfahrensrecht selber sich mit der Bekanntmachung eines Auszugs begnügt. Hierfür sei beispielhaft § 205 ZPO genannt. Allerdings ist zu beachten, daß derartige Normen die auszugsweise Veröffentlichung zumeist in Zeitungen und anderen Blättern vorsehen und deshalb fast ausschließlich aus Kostengründen den Auszug sehr knapp halten18, das Kostenargument bei der mehr oder weniger umfangreichen Anheftung an die Gerichtsoder Behördentafel jedoch nicht ins Gewicht fällt. Soweit das einschlägige Verfahrensrecht zwar die nur auszugsweise Veröffentlichung, nicht aber auch eine den Auszugsumfang regelnde Norm kennt (vgl. z. B. §§ 76 KO, 119 Abs. 2 VglO, 15 Abs. 2 VwZG, 48 a PStG), richtet sich der Umfang nach den verfahrensspezifischen Erfordernissen. Insofern kann auf die einschlägige Kommentarliteratur Teil A. ts So ausdrücklich § 15 Abs. 4 S. 2 VwZG; für die KO vgl. Jaeger LZ 1924, Sp.8. 11

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verwiesen werden19• In jedem Falle ergibt sich die obere Grenze für den Umfang des Auszugs aus dem Gedanken des Schutzes der Privatsphäre. Somit besteht in Form der nur auszugsweisen Veröffentlichung eine praktikable Lösung der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten. Ihr ist insoweit die Lösung in Form der Aushängung einer Benachrichtigung gleichzusetzen, wie sie § 15 Abs. 2 S. 2 VwZG vorsieht. Offen ist noch, ob und auf welchen Wegen man zu dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Lösung gelangen kann. Geeignetes Mittel ist das Interpretationsprinzip der verfassungskonformen Auslegung. Demnach ist jetzt zu versuchen, die eine vollständige Veröffentlichung vorsehenden einfachrechtlichen Verfahrensvorschriften so auszulegen, daß sie mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar sind. Das bereitet keine Schwierigkeiten bei den Vorschriften, die es der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung der für die öffentliche Zustellung verantwortlichen Stelle überlassen, ob die Veröffentlichung vollständig oder nur auszugsweise erfolgen soll2°. Bei der Ausübung ihres Ermessens hat diese Stelle darauf zu achten, daß sie den Veröffentlichungsumfang so bestimmt, daß die grundrechtlich geschützte Privatsphäre nicht verletzt wird. Für die Fälle nichtöffentlicher Verhandlung ergibt sich zudem aus der verfassungskonformen Auslegung eine stets zu beachtende, bindende Ermessensrichtlinie: hier ist immer nur auszugsweise Veröffentlichung geboten. Aus der Ermessensentscheidung wird hier im praktischen Ergebnis eine gebundene Entscheidung. Bei den Vorschriften, welche die vollständige Bekanntmachung strikt vorschreiben, bereitet die verfassungskonforme Auslegung größere Schwierigkeiten. Wiederum ist zu betonen, daß sie, wie jede Auslegung, ihre Grenzen an Wortlaut und Sinn der auszulegenden Norm findet. Deshalb darf die verfassungskonforme Auslegung nicht zu einem Ergebnis führen, das mit Wortlaut und Sinn der auszulegenden Norm21 oder dem mit ihr verfolgten Ziel des Gesetzgebers22 nicht mehr vereinbar ist. Um dieser Grenzziehung gerecht zu werden, sollen innerhalb der genannten Vorschriften verschiedene Fallgruppen gebildet werden. Deren erste bilden die Fälle, bei denen das einschlägige Verfahrensrecht für eine bestimmte Veröffentlichungsart zwar die vollständige Bekanntmachung zwingend vorschreibt, für eine andere Art jedoch 19 Vgl. etwa zu § 76 KO: Jaeger/ Weber, KO, § 76 Anm. 1; Bley I Mohrbutter, VglO, § 119 Anm. 2. 2o z. B. §§ 76 Abs. 1 KO, 119 Abs. 2 VglO. 21 22

Vgl. z. B. BVerfGE 18, 97 (111) = NJW 64, 1563 (1564). Vgl. z. B. BVerfGE 8, 28 (34) = NJW 58, 1227.

zu § 119 VglO:

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die auszugsweise Veröffentlichung genügen läßt. Dazu gehört beispielsweise die zivilprozessuale Regelung, die in § 204 Abs. 2 S. 1 ZPO von der vollständigen Bekanntmachung ausgeht, in § 204 Abs. 2 S. 2 ZPO aber auch die auszugsweise Veröffentlichung kennt. Weil in diesen Fällen die Bekanntmachung eines bloßen Auszugs dem Gesetz jedenfalls nicht grundsätzlich fremd ist, erscheint es vertretbar, die Vorschriften, die eine vollständige Veröffentlichung vorsehen, dahingehend restriktiv auszulegen, daß nur ein Auszug zu veröffentlichen ist, wenn ansonsten die Privatsphäre berührt würde. Davon ist wiederum regelmäßig für die Fälle auszugehen, bei denen das Öffentlichkeitsprinzip nicht gilt. Zur zweiten Fallgruppe gehören solche Verfahrensregelungen, bei denen eine Ergänzung durch analoge Anwendung von Vorschriften, die nur eine auszugsweise Veröffentlichung vorsehen, in Betracht kommt. Ein Beispiel dafür ist §57 Abs. 1 S. 4 GWB. Die Vorschrift ist lex specialis gegenüber der für Verfahren außerhalb der §§ 22-24 a GWB geltenden Regelung der öffentlichen Zustellung (§ 57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 15 VwZG). Diese Regelung sieht jedoch auch die nur auszugsweise Veröffentlichung vor (§57 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 15 Abs. 2 S. 2 VwZG). Es erscheint vertretbar, sie im Hinblick auf die erstrebte verfassungskonforme Auslegung des § 57 Abs. 1 S. 4 GWB ergänzend auf diese Norm anzuwenden23 • Für die restlichen Fälle, in denen keiner der aufgezeigten Wege weiterhilft, kommt eine verfassungskonforme Auslegung oder Rechtsergänzung nicht in Betracht. Zusammenfassend ergibt sich: Die im Verfahrensrecht vielfach zwingend oder fakultativ vorgesehene vollständige Veröffentlichung eines öffentlich zuzustellenden Schriftstücks kann gegen den v. a. durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich abgesicherten Schutz der Privat- und Intimsphäre verstoßen. Davon ist regelmäßig für die Fälle auszugehen, in denen das Prozeßrecht eine Ausnahme vom Öffentlichkeitsprinzip macht. Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken kann weitestgehend durch eine nach verschiedenen Fallgruppen differenzierte verfassungskonforme Auslegung und Ergänzung des einfachen Rechts Rechnung getragen werden.

23 Kaufmann I Rautmann, GWB, §57 Rdnr. 13 c befürworten eine derartige Ergänzung, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang.

TEIL F

Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht In unseren bisherigen Untersuchungen haben wir völkerrechtliche Überlegungen allenfalls gestreift. Der folgende und letzte Teil der Arbeit will nun unsere Zustellungsfiktionen unter völkerrechtlichen Aspekten betrachten. Dafür kommen mehrere Ansatzpunkte in Frage. So könnten wir etwa untersuchen, ob Zustellungsfiktionen durch völkerrechtliche Verträge ausgeschlossen werden1• Dafür müßten wir dann insbesondere die vielen Rechtshilfeabkommen durchprüfen, soweit sie sich mit Zustellungen befassen2 • Dabei dürften wir jedoch kaum ein ausdrückliches Verbot finden 3, weshalb wir uns dann fragen könnten, ob die Abkommen unsere Zustellungsfiktionen vielleicht stillschweigend verbieten, indem sie den Requisitorialweg detailliert regeln. Denn die fiktiven Auslandszustellungen machen alle diese Bemühungen im Ergebnis ja überflüssig, soweit sie anwendbar sind. Soweit wir deshalb ein concludentes Verbot der Zustellungsfiktionen bejahen würden, stünden wir vor der Frage, wie sich dies mit der Einsicht verträgt, daß die öffentliche Zustellung nach dem Willen des innerstaatlichen Gesetzgebers gerade auch bei Versagen des Requisitorialwegs einspringen soll. Bei einer Prüfung der völkervertragsrechtliehen Zulässigkeit fiktiver Auslandszustellungen müßten wir weiter beachten, daß es auch außerhalb der Rechtshilfeabkommen vertragliche Bestimmungen gibt, die sich mit der Zulässigkeit solcher Zustellungen befassen. Dafür bieten die Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen mehrere Beispiele4 • 1 Für die Haager Verträge verneint das ausdrücklich Neumeyer, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, 9. Bd., S. 457. 2 Einen vollständigen Abdruck aller bi- und multilateralen Verträge der BRD über Rechtshilfe findet man bei Billow I Böckstiegel, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen. s Diese These beruht allerdings nur auf einer oberflächlichen Sichtung. 4 So verbietet Art. 4 Abs. 3 des dt.-schweiz. Abkommens v. 2. 11. 1929 RGBl 30 II 1066 ff.) bei Verlust der Anerkennung und Vollstreckung des inländischen Titels im Ausland ausdrücklich die öffentliche Zustellung eines den Rechtsstreit einleitenden Schriftstücks. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 des dt.tunesischen Vertrags vom 19. 7. 1966 "über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit" unterbin-

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

Unsere Untersuchung wird diesen, auf konkrete Vertragsauslegungen hinauslaufenden Ansatz, alle völkerrechtlichen Verträge der BR Deutschland auf Bestimmungen abzusuchen, die zu Ausschluß oder Einschränkung unserer Zustellungsfiktionen führen können, jedoch nicht weiterverfolgen. Sie wird sich stattdessen Aspekten des allgemeinen Völkerrechts zuwenden. Insoweit könnten die fiktiven Auslandszustellungen insbesondere gegen das Souveränitäts- bzw. Territorialitätsprinzip verstoßen, die zu den "völkerrechtlichen Grundrechten" 5 zählen. Das wird im folgenden auch zuerst aufgegriffen. Einen anderen Anknüpfungspunkt innerhalb des allgemeinen Völkerrechts bietet die Überlegung, daß fiktive Auslandszustellungen in gleicher Weise, wie sie auf verfassungsrechtlich gesicherte Positionen des einzelnen einwirken, auch für völkerrechtliche Individualrechte von Bedeutung sein könnten. Zwar war lange streitig, ob es solche Rechte, deren Träger nicht Staaten, sondern Einzelmenschen sind, im Völkerrecht überhaupt geben kann. Die traditionelle Auffassung lehnte das rundweg ab und verstand das Völkerrecht ausschließlich als eine rein zwischenstaatliche Rechtsordnung, die ausnahmslos nur den Staaten die Aktiv- und Passivlegitimation zubilligte6• Auch heute beherrscht der Grundsatz der "Mediatisierung des Einzelmenschen" 7 das Völkerrecht ganz überwiegend. Immerhin wird jetzt aber doch wohl übereinstimmend anerkannt, daß es Ausnahmefälle gibt, in denen auch dem Individuum völkerrechtliche Rechtssubjektivität zukommt8 ; manche meinen sogar, die Tendenz gehe dahin, diesen individuellen Bereich auszudehnen9 • 10• det praktisch jede Zustellungsfiktion, indem er den Erlaß einer Entscheidung verbietet, bevor nicht festgestellt ist, daß dem Adressaten das zugestellte Schriftstück auch tatsächlich ausgehändigt worden ist (BGBl 69 II 890 ff.). Art. 2 Nr. 2 b des dt.-österr. Vertrags in Zivil- und Handelssachen v. 6. 6. 1959 (BGBl 60 li 1246 ff.) und Art. 3 Abs. 1 b des dt.-britischen Abkommens v. 14. 7. 1960 (BGBl 61 II 301 ff.) versagen die Urteilsanerkennung, unter anderem wenn der Zustellungsempfänger von einem das Verfahren einleitenden Schriftstück nicht so zeitgerecht Kenntnis nehmen konnte, daß er die Möglichkeit hatte, sich auf das Verfahren einzulassen. Auch diese Vorschriften schränken die Anwendbarkeit fiktiver Auslandszustellungen zumindest ein. Eine Übersicht über die zwischenstaatlichen Anerkennungs- und Vollstrekkungsabkommen findet man beispielsweise bei Baumbach I Lauterbach, ZPO (Schlußanhang V) und bei Bülow I Böckstiegel, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen. s Vgl. dazu Scupin, WVR 1, S. 723 ff. o Typisch dafür ist die von F. Stoerk, Staatsuntertanen und Fremde, Handbuch des Völkerrechts, hrsg. von F. v. Holtzendorff, Bd. 2, 1887 (zitiert nach Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 27, Fn. 78) vertretene Ansicht, wonach das Individuum erst durch Vermittlung seines Heimatstaats in das "Licht völkerrechtlicher Betrachtung" tritt (Stoerk, S. 589), weil "wir unter den Subjekten des Völkerrechts lediglich die Staaten .. . zu verstehen haben" (S. 587). 7 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 632 (S. 159).

Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

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Wenn das Völkerrecht somit individualrechtliche Positionen kennt, so hat ein Staat, wenn er - wie bei den Zustellungen - hoheitlich tätig wird, im Hinblick auf den Schutz des dadurch Betroffenen nicht nur seine eigene innerstaatliche Rechtsordnung, insbesondere seine Verfassung mit den darin dem einzelnen garantierten Rechten, zu beachten, sondern auch die Völkerrechtsordnung. Auf dieser Ebene werden die Rechte der Individuen zunächst einmal durch völkerrechtliche Verträge geschützt1t, seien es solche mit menschenrechtlichem Inhalt, wofür die Menschenrechtskonventionen der UNO und des Europarats als Beispiele genannt seien, oder seien es Verträge des völkerrechtlichen Fremdenrechts12 • Inwieweit fingierte Auslandszustellungen menschen- oder fremdenrechtliche Rechtspositionen ihrer Adressaten berühren, die auf völkerrechtlichen Verträgen beruhen, soll hier jedoch auch nicht geprüft werden. Dafür müßten wir alle völkerrechtlichen Verträge mit menschenoder fremdenrechtlichem Inhalt daraufhin untersuchen, ob sie Positionen enthalten, die durch fiktive Auslandszustellungen verletzt sein könnten. Dabei könnte das Ergebnis "nur" eine momentane Bestandsaufnahme sein, die zudem nur das Verhältnis zwischen der BRD und bestimmten anderen Staaten wiederspiegelte. Wir wollen deshalb unsere Untersuchung auch im Hinblick auf den Schutz des einzelnen auf das allgemeine Völkerrecht beschränken. Unsere zweite völkerrechtliche Fragestellung geht also dahin, ob das allgemeine Völkerrecht menschen- oder fremdenrechtliche Positionen gewährleistet, die der Staat, der eine Auslandszustellung fingiert, beachten muß. Erwähnenswert scheint der Hinweis, daß es aus völkerrechtlicher Sicht ohne Bedeutung ist, welches staatliche Organ die fiktive Zustellung vornimmt. Denn stets ist es hoheitliches Handeln, das dem Staat zuzurechnen ist. Für diese Qualifizierung kommt es auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung nicht an. Deshalb ist auch irrelevant, s Vgl. z. B . Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 418; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 237 f. 9 Vgl. Doehring, S. 9. to Daß dieser Sachlegitimation häufig keine Klagebefugnis vor internationalen wie nationalen (zur Klagebefugnis vor dem BVerfG bei völkerrechtlichen Ansprüchen vgl. BVerfGE 6, 300) Gerichten entspricht, ist ein anderes Problem, das für die hier beabsichtigte Prüfung der materiell-rechtlichen Position des einzelnen im Völkerrecht außer acht bleiben kann. 11 Die Rechtshilfeabkommen dürften auch hier wieder in aller Regel ausscheiden. In ihnen geht es nicht um Individualschutz. 12 Dieses wird nach einer einprägsamen, aber keineswegs unstreitigen (vgl. z. B. die Begriffsbestimmung bei Doehring, S. 22) Definition v. E. Isay (zitiert nach Doehring, S. 23, vgl. Fn. 66) gebildet von der "Gesamtheit der Sätze, welche die Aus- oder Inländereigenschaft einer Person als Tatbestandsmerkmal verwenden".

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

welche der drei klassischen Staatsgewalten tätig geworden ist. Ohne Bedeutung ist für die völkerrechtliche Beurteilung ferner, auf welchem Rechtsgebiet die fiktive Zustellung erfolgt ist. Die spezifische völkerrechtliche Interessenlage wird dadurch nicht berührt.

Kapitell Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

Wenn wir nunmehr die völkerrechtlichen Bedenken entwickeln wollen, die sich aus dem Souveränitätsprinzip gegen unsere Zustellungsfiktionen ergeben, müssen wir sehen, daß die Anwendung von staatlichen Rechtssätzen auf auslandsbezogene Sachverhalte, die bei fiktiven Auslandszustellungen stets insofern vorliegen, als sich deren Adressat im Ausland befindet, völkerrechtlich keineswegs selbstverständlich ist. Wir müssen in solchen Fällen vielmehr fragen, ob und ggf. wie das Völkerrecht die innerstaatlichen (Zustellungs-)Regelungen beschränkt. Sollte sich dabei etwa zeigen, daß es Begrenzungen in Form von allgemeinen Regeln des Völkergewohnheitsrechts gibt, so könnten bei einem Verstoß gegen sie die fraglichen Zustellungsregelungen wegen Art. 25 GG verfassungswidrig sein, da von Rspr. 1 und Lit.2 anerkannt wird, daß zu den allgemeinen Regeln i. S. dieser Verfassungsnorm jedenfalls die Regeln des universellen Völkergewohnheitsrechts gehören. Die Folge könnte eine Verdrängung des innerstaatlichen Verfahrensrechts hinsichtlich der fiktiven Auslandszustellungen sein, soweit es nicht völkerrechtskonform ausgelegt werden kann3 • Gäbe es entsprechendes partikuläres Völkergewohnheitsrecht4, gegen das die Zustellungsregelungen verstoßen, müßte man klären, ob die innerstaatlichen Regelungen oder das partielle Recht Vorrang genießen5 • Die hier angeschnittenen völkerrechtlichen Schwierigkeiten bei fiktiven Auslandszustellungen beruhen darauf, daß die staatlichen Regelungen auf räumliche Grenzen stoßen. Das kann allerdings zwei verschiedene Bedeutungen haben. Einmal sind damit die Grenzen für die territoriale Geltung eines innerstaatlichen Gesetzes gemeint. Diese 1 BVerfGE 15, 25 (33 ff.) = NJW 63, 435 (437); 16, 27 (33) = NJW 63, 1732 (1733). 2 z. B. Geck, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 130 m. w. N. s Vgl. BVerfGE 23, 288 (316). 4 Zur Abgrenzung gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht im Rahmen des Art. 25 GG vgl. Geck, ebd., S. 128 ff. 5 Da zu Rudolf, Die innerstaatliche Anwendung partikulären Völkergewohnheitsrechts, in: Festschrift für A. Verdross (1971), S. 435 ff.

Kap. 1: Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

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"intransitive" 6 räumliche Begrenzung richtet sich nach dem Sitz der anwendenden Instanz. So ist räumlicher .Geltungsbereich der deutschen Verfahrensgesetze, welche. die Zustellungsfiktionen regeln, das Gebiet der BR Deutschland. Von diesem territorialen Geltungsbereich ist das Anwendungsgebiet eines Gesetzes zu unterscheiden, nach Vogel die "transitive" territoriale Limitierung oder das "Normfeld" 7• Damit ist der sachverhaltsbezogene territoriale Anwendungsbereich einer Norm gemeint. Er kann enger oder weiter sein als der Geltungsbereich. Meistens ist er weiter, sofern Anwendungs- und Geltungsbereich überhaupt auseinanderfallen. Die markantesten Beispiele dafür bieten das Steuer- und Kartellrecht8 , die beide öfter extraterritoriale Sachverhalte normativ erfassen 9 • Die mit dem territorialen Geltungsbereich verbundenen Fragen könnten wir auch im Hinblick auf die fiktiven Auslandszustellungen erörtern. Für sie ist jedoch die andere Bedeutung, die räumliche Grenzen innerstaatlicher Gesetze haben können, von erheblich größerem Interesse. Deshalb wollen wir uns fragen, ob diese Zustellungsregelungen im Hinblick auf ihren territorialen Geltungsbereich völkerrechtlichen Bedenken unterliegen. Den Ausgangspunkt hierfür bildet der dem Grundsatz der Territorialität des Geltungsbereichs staatlicher Hoheitsakte entsprechende und als Regel des Völkergewohnheitsrechts anerkannte10 Satz, daß das o So K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S.106. 7 Zur unterschiedlichen Terminologie vgl. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 15. s Zur kartellrechtlicP.en Problematik vgl. Meessen, ebd., z. B. S. 17 ff. ' Das geschieht einmal durch völkerrechtliche Verträge, im Steuerrecht etwa durch Doppelbesteuerungsabkommen. Außerdem gibt es wohl für alle Rechtsgebiete aber auch nicht auf Vertrag beruhende Schranken, wobei dann mitunter, etwa im Steuerrecht, streitig ist, ob sich diese aus dem Völkergewohnheitsrecht oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben, ferner wo und wie diese Grenzen zu ziehen sind. Einschlägige Rechtsinstitute sind hier v. a. das Prinzip des Rechtsmißbrauchs, das als allgemeiner Rechtsgrundsatz nach Meinung eines großen Teils der Lit. Bestandteil des Völkerrechts sein soll (so etwa K. Vogel, S. 103 f.; Bär, Kartellrecht und Inter. Privatrecht, S. 327 f.; Rehbinder, Extraterritoriale Wirkungen, S. 55 ff.; auch Meessen, ebd., S. 104 f. m. w. N.; zur Gegenansicht vgl. etwa Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 392 ff.; Schüle, Rechtsmißbrauch, in: Stropp I Schlochauer, Wörterbuch 111, S. 71; ders., Wiedergutmachung, S. 844), sowie das eingeschränkte Territorialitätsprinzip, wonach inländische Normen nur dann auf ausländische Sachverhalte erstreckt werden dürfen, wenn eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht. Dieses Prinzip wird etwa im internationalen Steuer- und Kartellrecht herangezogen, wobei die große Schwierigkeit dann darin besteht, die für die extraterritoriale Anwendung einer Norm erforderlichen Anknüpfungspunkte zu konkretisieren; zu dieser Problematik im intern. Kartellrecht, wo das sog. Wirkungsprinzip herrschend ist, vgl. Meessen, ebd., z. B. S. 61 ff., 93, 104, 108 ff. to Vgl. Meessen, ebd., S. 15 m. w. N., 81. 11 Schmitz

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Völkerrecht einem Staat die Ausübung seiner Macht auf dem Gebiet eines anderen Staates wegen dessen Souveränität verbietet, sofern nicht ein Fall der ausdrücklichen oder stillschweigenden, vertraglichen oder sonstigen Gestattung vorliegt11 • Die Wirkung von staatlichen Hoheitsakten endet also an den Gebietsgrenzen der tätig werdenden Staatsgewalt (Territorialitätsprinzip)12 • Dabei ist nicht nur der hoheitliche Vornahmeakt im Ausland, sondern schon die Norm unzulässig, die eine vom Völkerrecht mißbilligte staatliche Tätigkeit im Ausland vorsieht, sofern sie nicht völkerrechtskonform ausgelegt werden kann 13. Als wir den Anwendungsbereich unserer Zustellungsfiktionen herausarbeiteten14, haben wir gesagt, daß infolge der soeben beschriebenen völkerrechtlichen Situation an Adressaten im Ausland regelmäßig auf dem Requisitodalweg zugestellt werden muß. Nunmehr geht es um die Frage, ob die teilweise gerade für den Fall des Versagens des Requisitorialwegs entwickelten fiktiven Auslandszustellungen ihrerseits mit dem Souveränitätsprinzip zu vereinbaren sind. Bevor wir das im einzelnen prüfen, wollen wir überlegen, ob es vielleicht einen völkerrechtlichen Satz gibt, wonach die Staaten in jedem Falle, also auch ohne besondere Einverständniserklärung, verpflichtet sind, Zustellungen an in ihrem Gebiet wohnende Empfänger zumindest zu dulden, auch wenn dabei ihre Hoheitsgewalt berührt wird. Sollte das zutreffen, wäre es im Ergebnis ohne Bedeutung, ob und inwiefern fiktive Auslandszustellungen überhaupt fremde Hoheitsgewalt tangieren können, was ja nicht ohne weiteres einsichtig ist. In der Tat hat es jedenfalls im Bereich des internationalen Zivilprozeßrechts Überlegungen gegeben, die auf die Konstituierung einer allgemeinen völkerrechtlichen Pflicht hinausliefen, nicht nur Zustellungen hinzunehmen, sondern allgemein Rechtshilfe zu leisten und dafür sogar aktiv tätig zu werden15. So ist etwa die Raager Konferenz für Internationales Privatrecht zeitweilig von der Vorstellung ausgeganII Weitere Ausnahmen gelten in den hier nicht weiter interessierenden Bereichen diplomatischer und konsularischer Beziehungen sowie im Kriegsrecht; vgl. z. B. Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 251. 12 Vgl. z. B . BVerfGE 14, 221 (229, 237) = NJW 62, 2003; BGHZ 25, 134 (140) = NJW 57, 1433 (1434); Wengter, Bd. Il, S. 964 ff.; Rehbinder, S. 394; Schwartz, Intern. Kartellrecht, S. 249; Rudolf, Berichte DGVR 11 (1973), 33 ff., 111; Dahm, Bd. I, S. 250; vgl. auch die .,Lotus"-Entscheidung des IGH vom 7. 9. 1927 (PCIJ Series A No. 10), in der es heißt: ,.La limitation primordiale qu'impose le droit international ä l'Etat est celle d'exclure tout exercise de sa puissance sur le territoire d'un autre Etat. Dans ce sens, la juridiction est certainement territoriale; ... " 13 Vgl. Müller, Deutsche Steuerhoheit, S. 196 m. w. N.; MatscheT, Berichte DGVR 11 (1973), 101. 14 s. o. Teil A. 1s Vgl. Naget, S. 65.

Kap. 1: Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

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gen, daß die Kulturstaaten in ihren Gesetzgebungen auf die gegenseitigen Belange Rücksicht nehmen und zusammenarbeiten müßten, um so zu einer Rechtsgemeinschaft zu kommen16• Diesen Vorstellungen begegnet man heute jedoch durchweg äußerst kritisch17• Bezeichnend dafür ist die Einstellung Nußbaums, der insoweit von einem "erstrebenswerten Ideal" spricht18• Diese Einschätzung trifft wohl zu. Die Integration der internationalen Staatengemeinschaft ist bisher einfach noch nicht so weit gediehen, daß sich aus dem Völkerrecht eine allgemeine Pflicht zur Rechtshilfe der Staaten untereinander ableiten ließe. Das ist eine Konsequenz der übermächtigen Stellung, die der Souveränitätsgedanke heute im Völkerrecht einnimmt. Wie stark sie ist, mag man etwa ersehen, daß wir keinerlei Vermutungen für Einschränkungen der staatlichen Souveränität kennen19• Deren Bedeutung dürfte zudem infolge der Haltung vieler jüngerer Staaten, die - aus verständlichen Gründen - auf ihre frisch gewonnene Souveränität allergrößten Wert legen, derzeit eher noch zunehmen. Wegen der beherrschenden Stellung des Souveränitätsprinzips müssen wir jedoch in dem Gedanken, die Staaten seien grundsätzlich zur Duldung von Zustellungen an Adressaten in ihrem Gebiet verpflichtet, wohl nur eine (im Hinblick auf Rechtsschutzerfordernisse schöne) Utopie sehen, können ihm aber kaum eine gleichwie geartete völkerrechtliche Rechtsqualität zubilligen. Eine Einschränkung dieser Beurteilung ergibt sich nicht etwa aus der Lehre von der auf Gegenseitigkeit beruhenden "courtoisie internationale" im internationalen Rechtsverkehr. Denn selbst wenn es zuträfe, daß die Staaten ohne vertragliche Grundlage Zustellungen in ihrem Gebiet auf Gegenseitigkeitsbasis hinnehmen, ergäbe sich daraus keine völkerrechtlich bindende Verpflichtung. Denn die Regeln der "courtoisie internationale" sind ja gerade nicht rechtsverbindlich20 • Selbst wenn die Staaten gegenseitig Zustellungen dulden würden, wäre das immer nur das Ergebnis der Befolgung von Höflichkeitsregeln. In die gleiche Richtung wie die letzten Erwägungen zielt auch die folgende Überlegung. Zu den Quellen des Völkerrechts gehören auch die sog. allgemeinen Rechtsgrundsätze. Das folgt vornehmlich aus Art. 38 Z. 1 Buchst. c des Statuts des IGH, das neben dem Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht die "general principles of law recognized by civilized nations" als weitere Völkerrechtsquelle nennt. Bei ihnen Vgl. Arnotd JZ 65, 709 m. w. N. Vgl. z. B. Nußbaum, Grundzüge des Intern. Privatrechts, S. 410; Riezler, S. 674; Dahm, Bd. I, S. 262, 275. 16

11

18

s. 212.

Vgl. dazu (in anderem Zusammenhang) Rehbinder, Extraterritoriale Wirkungen, S. 396. 2o Vgl. Dahm, Bd. I, S. 33; Wengter, Bd. I, S. 176. 19

u•

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handelt es sich nicht um übereinstimmende Auffassungen vom Völkerrecht, sondern um Rechtsgrundsätze, die im innerstaatlichen Recht der Kulturvölker allgemein anerkannt sind21 • Vielleicht finden wir unter ihnen einen Satz, demzufolge die fiktiven Auslandszustellungen zulässig sind. Die Erwägung beruht auf der Einsicht, daß auch etliche ausländische Rechtsordnungen fiktive Auslandszustellungen kennen. So hat die polnische Zivilprozeßordnung in ihrem Art.ll35 eine den §§ 174 f. ZPO entsprechende Regelung22• Die Zustellungsfiktion des französischen Rechts durch "remise au parquet" (Art. 69 Ziff.10 code de procedure civil) haben wir schon kennengelernt23 • Bei ihr erfährt der Adressat von der bereits bewirkten Zustellung wie bei der deutschen Zustellung d. A. z. P. erst später, wenn ihm eine Kopie des zugestellten Schriftstücksmit eingeschriebenem Brief, die "notification", zugeschickt wird24• Entsprechende Regelungen finden sich für zivilprozessuale Zustellungen in Belgien (Art. 69 § 1 des belg.c.pr.c.), Luxemburg (Art. 69 No. 10 des lux.c.pr.c.), den Niederlanden (Art. 4 Wetboek van Burgerlijke Regtsvordering), Italien (Art. 142 f. codice di procedurä civile) und Griechenland (Art. 135 Abs.1 der griech. ZP0) 25 • Diese wenigen Hinweise reichen zwar kaum als Basis eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus, auch wenn hinsichtlich der Anzahl von "Kulturvölkern", die einem solchen Satz zustimmen müssen, Meinungsverschiedenheiten bestehen26 • Denn zumindest dürften zu ihnen alle Mitglieder der UNO zählen27• Dennoch brauchen wir uns nicht um Nachweise in weiteren Rechtsordnungen zu bemühen. Die intendierte Konstruktion eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes scheitert schon aus anderen Gründen. Zwar kennt das Völkerrecht grundsätzlich keine Rangunterschiede zwischen seimm verschiedenen Quellen. In der völkerrechtlichen Praxis 21 22 23

Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 347. Zit. nach Nagel, Nationale und Intern. Rechtshilfe, S. 99.

s. o. Teil A.

u Vgl. Nagel, S. 98, 101.

Die Vorschriften sind zitiert nach Nagel, S. 98. Die Praxis verlangt zwar keine rechtsvergleichende Untersuchung der Rechtsordnungen aller Kulturvölker, läßt aber auch nicht klar erkennen, wo die Grenze liegen soll. Badawi etwa läßt den Vergleich "einiger charakteristischer" Rechtsordnungen genügen (Minderheitenvotum zum Rechtsgutachten des IGH betr. Entscheidungen des Verwaltungsgerichts der ILO in Klagen gegen die UNESCO, ICJ Reports 1956, 77 ff. [132 ff.]); Zweigert, BDGVR 5 (1963), 20 (213), stellt noch geringere Anforderungen an die erforderliche Allgemeinheit der Rechtsgrundsätze, wenn er unter Verzicht auf jede Quantifizierung u. U. sogar den wissenschaftlich optimalen Weg für maßgeblich hält. 27 Zur Begründung vgl. Seidl-Hohenveldern, Rz. 345. 26

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Kap. 1: Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

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treten die Rechtsgrundsätze, die den innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsam sind, jedoch dergestalt zurück, daß man auf sie nur subsidiär zurückgreift, wenn weder Völkervertrags- noch -gewohnheitsrecht, die gegenüber den Rechtsgrundsätzen als leges speciales anzusehen sind, einen Lösungsansatz bieten28 • In Gestalt des Souveränitätsprinzips haben wir jedoch einen solchen Ansatz. Er gebietet, das Problem der Auslandszustellungen nicht durch Fiktionen, sondern auf dem Weg der internationalen Rechtshilfe anzugehen. Demgemäß gibt es ja auch zahlreiche völkerrechtliche Verträge, die sich damit befassen. Angesichts dessen scheint die Konstruktion eines allgemeinen Rechtssatzes, daß fiktive Auslandszustellungen völkerrechtlich zulässig seien, nicht vertretbar. Somit müssen wir davon ausgehen, daß Zustellungen an Empfänger im Ausland nur bei ausdrücklicher oder stillschweigender Gestaltung des betroffenen Staates zulässig sind, sofern dessen Hoheitsgewalt dadurch berührt ist. Dies gilt es nunmehr zu klären. Wegen der unterschiedlichen Zustellungsdurchführung, die sich auf die Art der eventuellen Souveränitätsverletzung auswirkt, wollen wir die Untersuchung getrennt nach den einzelnen Arten fiktiver Auslandszustellung führen. 1. Die Vereinbarkelt der Auslandszustellungen d. A. z. P. mit dem Souveränitätsprinzip

Wir beginnen mit den Auslandszustellungen d. A. z. P. und wollen uns zunächst vor Augen führen, welche Meinungen zur Frage ihrer Vereinbarkeit mit dem Souveränitätsgrundsatz vertreten werden. Schon seit langem wird in der deutschen Rspr. 29 und Lit.30, die von einem Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich31 und der dazu ergangenen Revisionsentscheidung des Schweizer Bundesgericht~ akzeptiert wurden, wohl einmütig die Ansicht vertreten, sie unterlägen keinen völkerrechtlichen Bedenken. Denn sie seien ja schon mit der Übergabe an die Postanstalt bewirkt. Diese finde aber unzweifelhaft stets im Inland statt. Deshalb komme ein Eingriff in eine ausländische Gerichtshoheit und damit in die Souveränität eines fremden Staates bei dieser Vgl. Seidl-Hohenveldern, Rz. 372. Vgl. u. a. RGZ 57, 334 (336); 98, 139; KG OLGE 13, 157; KG ZZP 13, 373 (376) - zu §§ 160, 161 C.P.O. 30 z. B. Neumeyer. Zeitschr. für Internationales Privat- und Strafrecht, 9. Bd. (1899), 453 (458); ders., Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 4, S. 495, 502; v. Wilmowski I Levy, C.P.O., § 161 Anm. 4 (5. Aufl., S. 244); Stein I Jonas I Pohle, ZPO, § 175 Anm. 3; Baumbach I Lauterbach, ZPO, § 1751 C; § 339 2; Thomas I Putzo, ZPO, § 175 Anm. 2; § 339 Anm. 2; Wieczorek, ZPO, § 175 Rdnr. B; Stellungnahme der Steuerverwaltung zu § 89 S. 2 AO a. F. in BB 61, 277 (a. E.). 31 Nicht veröffentlichtes Urteil der II. ZK vom 18. 12. 1969, Nr. 161 a (R), S. 5. az BGE 96 I (1970), 396 (398). 2s

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Art von Zustellung nicht in Betracht. Zwar hat es früher einige wenige Entscheidungen gegeben, die möglicherweise anderer Ansicht waren33 • Sie bezogen sich jedoch unmittelbar nur auf die Frage, ob für Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post die verlängerte Einspruchsfrist des § 339 Abs. 2 ZPO gilt; indem sie das bejahten, gaben sie allenfalls indirekt zu erkennen, daß sie die Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht als stets im Inland bewirkt ansahen. Zudem fehlt diesen Entscheidungen jede Begründung. Eine andere Ansicht scheint auch der ZPO-Kommentar von Zöller( I Stephan) zu vertreten. Hier heißt es, das Raager Zivilprozeßabkommen ließe auch im Verhältnis zu den Vertragsstaaten Zustellungen ins Ausland durch Aufgabe zur Post zu34 • Die Richtigkeit dieser Äußerung unterstellt35, ist sie nur sinnvoll, wenn es einen Grund für die vertragliche Gestattung insofern gäbe, als die Zustellung durch Aufgabe zur Post ansonsten unzulässig wäre. Darauf geht der Kommentar allerdings nicht ein, so daß diese Äußerung nicht weiterhilft. Völkerrechtliche Bedenken, die hier relevant sein könnten, äußert allein der Kommentar von Blessin I Ehrig I Wilden zum Bundesentschädigungsgesetz36. Das Bundessozialgericht hat hierauf in einer Entscheidung zwar verwiesen, selber jedoch keine Stellung bezogen37• Unmittelbar gelten diese Bedenken nur für die Zustellung mit Postrückschein (gern, § 197 Abs. 2 S. 2 BEG). Da diese Zustellungsart in ihrer rechtlichen Problematik der Zustellung durch Aufgabe zur Post gleichzusetzen ist, weil auch sie bereits mit der Übergabe an die Postanstalt bewirkt ist38, müssen die Zweifel des Kommentars aber auch für die Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post gelten. Allerdings heißt es insoweit nur, es bleibe abzuwarten, "ob ausländische Staaten diese Art derBewirkungder Zustellung in ihrem Gebiet nicht als Eingriff in ihre Hoheitsrechte ansehen werden". Eine Begründung dafür wird nicht gegeben. Gegen diese Äußerung wendet sich ausdrücklich OLG Harnburg OLGE 13, 155; OLG Dresden Sächsisches Archiv 3, 496. § 175 Anm. 3 (a. E.). 35 m. E. trifft sie nicht zu. In Betracht kommt nur die Regelung in Art. 6 Nr. 1 HZPrÜbk. Darin geht es um eine Auslandszustellung durch die Post, bei der die Postübersendung Teil des Zustellungsvorgangs ist, nicht aber um die Übersendung von bereits (d. A. z. P.) zugestellten Schriftstücken zwecks Kenntnisnahme durch den Adressaten. Das folgt aus dem Zusammenhang, in dem diese Regelung steht: die Art. 1 -7 HZPrübk behandeln laut Überschrift die Zustellung gerichtl. und außergerichtl. Schriftstücke u. befassen sich nicht mit der Mitteilung über bereits erfolgte Zustellungen. 36 § 197 Anm. 3 (a. E.). 37 BSG NJW 73, 1064. as s. o. Teil A, Kap. 2 (a. E.); möglicherweise sieht das der Kommentar allerdings anders. Indem er von der "Zustellung durch die Post mit Postrückschein spricht, geht er evtl. davon aus, daß hier eine Zustellung vorliegt, die in ihrer recht!. Konstruktion der entspricht, die z. B. in §§ 193, 195 ZPO geregelt ist. Von daher wären in der Tat völkerrechtl. Bedenken berechtigt, wie die folgenden Ausführungen zeigen. 33

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der Kommentar von Kamper I Burkhardt zum Bundesrückerstattungsgesetz39. Hier heißt es zur Zustellung mit Postrückschein gern. § 41 S. 4 BRückErstG, die Bedenken von Blessin I Ehrig I Wilden würden wohl zu Unrecht erhoben; es werde nur ein postalisch zulässiges Mittel gebraucht und dieses Mittel gelte nach deutschem Recht als eine Zustellungsart. Eine genauere Auseinandersetzung findet nicht statt. Keine Bedenken hat anscheinend auch der später erschienene Kommentar zum Bundesentschädigungsschlußgesetz von Blessin I Gießler, wenn er sich zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Zustellung gern. § 197 Abs. 2 S. 2 BEG überhaupt nicht äußert40• Auch wenn somit bisher jedenfalls keine begründeten Bedenken aus völkerrechtlicher Sicht gegen die Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post laut wurden, besteht dafür doch Anlaß. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde. Die Souveränität eines fremden Staates verbietet es, an einen in seinem Gebiet wohnenden Adressaten wie an einen inländischen Empfänger durch Übersendung eines einfachen Postbriefs zuzustellen41 • Wie genau die Staaten insoweit auf ihre Souveränität achten, zeigt beispielsweise Art. 6 Abs. 1 Ziff.1 i. V. m. Abs. 2 HZPrÜbk42, wonach eine derartige Auslandszustellung durch Postbrief vertraglich besonders vereinbart werden muß, anderenfalls nur zulässig ist, wenn der fremde Staat diesen Eingriff in seine Souveränität widerspruchslos duldet43. Zwar liegt dieser Fall bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht vor. Weil sie mit der Übergabe an die Post bewirkt ist, stellt sie keine Auslandszustellung durch Postbrief dar, die erst mit der Übergabe an den Adressaten bewirkt wäre. Dieser konstruktive Unterschied ändert jedoch nichts daran, daß auch zur Zustellung durch Aufgabe zur Post die Übersendung des (schon vorher zugestellten) Schriftstücks gehört. Insoweit hat der öffentlich-rechtliche Akt der Zustellung, mag er auch im Inland mit der Aufgabe zur Post vollzogen worden sein, noch weitere Wirkungen, die Teil des gesamten Zustellungsvorgangs sind. Diese Wirkungen, die wir als "Folgewirkungen" oder "Fernwirkungen" bezeichnen wollen, äußern sich aber im Ausland. Die Frage liegt nahe, ob nicht bereits darin ein Übergriff in fremde Souveränität gesehen werden muß. 39 Anm. 6 g zu § 41 BRückErstG.

Vgl. Anm. 3 c zu § 197 BEG. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht Bd. 4, 496 f. m. w . N. aus der völkerrechtl. Lit. u. Rspr. 42 Das Abkommen von 1905 enthielt eine inhaltlich gleiche Regelung. 43 Vgl. dazu Nußbaum, Grundzüge, S. 409. 40

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Teil F : Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

Ein Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage könnte sich aus einer eingehenderen Überprüfung des rechtlichen Charakters der "Folgewirkungen" ergeben. Dahinter steht die Überlegung, daß sich das aus dem Souveränitätsprinzip ergebende völkerrechtliche Verbot. im Ausland tätig zu werden, nur auf hoheitliche Betätigungen des Staates bezieht, wie schon jede Definition dieses Prinzips zeigt. Dagegen gilt es nicht für solche Tätigkeiten, die in gleicher Weise auch jeder Private vornehmen könnte. Solche "privaten" Handlungen stehen, wenn sie auf fremdem Gebiet vorgenommen werden, grundsätzlich zur Disposition der ausländischen staatlichen Gewalt, mag deren diesbezügliche Regelungsbefugnis auch nicht völlig uneingeschränkt seinu. Solange der fremde Staat eine private Tätigkeit nicht verbietet, ist sie erlaubt. Völkerrechtliche Beschränkungen für die Ausübung nichthoheitlicher Tätigkeiten auf fremdem Territorium bestehen also nicht, sieht man einmal von dem auch sonst stets für Ausländer geltenden Gebot ab, die innere Ordnung des fremden Staates zu achten. Infolgedessen müßten die "Folgewirkungen" einer Zustellung durch Aufgabe zur Post ganz anders zu beurteilen sein, wenn die Übersendung des zugestellten Schriftstücks einer privaten Tätigkeit gleichsteht. Aus diesem Grunde wollen wir jetzt überlegen, ob wir unsere "Folgewirkungen" dem hoheitlichen oder dem privaten Betätigungsfeld zuzureChnen haben: Für eine Charakterisierung als private Tätigkeit spricht, daß der spezifisch hoheitliche Zustellungsakt mit der Übergabe an die Postanstalt vollzogen ist. Die anschließende Übersendung des Schriftstücks hat mit dem öffentlich-rechtlichen Akt als solchem jedenfalls unmittelbar nichts mehr zu tun. Deshalb kann man schon die Ansicht vertreten, in der bloßen Übersendung eines Briefs, an die unmittelbar keine Zustellungswirkungen geknüpft sind, liege lediglich eine Tätigkeit, die in gleicher Weise auch jeder Privatmann vornehmen könnte. Die sich aus diesen Erwägungen aufdrängende Folgerung, die Zuschickung des Schriftstücks als nichthoheitliche Tätigkeit zu behandeln, stößt allerdings auch wieder auf Bedenken. Die privaten Tätigkeiten, von denen oben die Rede war, haben ihre Zielsetzungen und ihren Ausgangspunkt im privaten Bereich. Das ist in unserem Falle anders. Wenn das zugestellte Schriftstück dem Adressaten zugeschickt wird, geschieht das immer noch im Hinblick auf den Zustellungsakt. Es geht darum, diesen öffentlich-rechtlichen Vorgang endgültig abzuschließen. Außerdem wird die Behörde oder das Gericht hier tätig, um ein anhängiges Verfahren fortzuführen oder zu einem rechts- bzw. bestandskräftigen Abschluß zu bringen. Insoweit liegt die Zielsetzung nicht im privaten, sondern 44 Vgl. z. B. BVerfGE 16, 27 = NJW 63, 1732 (1735); Wengler, Bd. Il, S. 963 f.; Dahm, Bd. I, S. 250 ff.; Neumeyer, ebd., S. 497, 503.

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im hoheitlichen Bereich. Aus diesen gegenläufigen Überlegungen können wir noch am ehesten den Schluß ziehen, daß sich unsere "Folgewirkungen" nicht in das starre Schema von hoheitlichen oder privaten Tätigkeiten auf fremdem Territorium einordnen lassen45 • Deshalb führt uns der obige Ansatz zunächst nicht weiter. Er bringt uns nur zu der Frage, wie solche weder spezifisch hoheitlichen noch spezifisch privaten Tätigkeiten auf fremdem Territorium im Hinblick auf das Souveränitätsprinzip zu beurteilen sind46 • Den ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Frage könnte das auch im Völkerrecht geltende47 Verbot liefern, eine Rechtsnorm zu umgehen48. Dieser Gedanke wird angewendet, wenn ein Staat hoheitliche Akte im Ausland mit privatrechtliehen Mitteln vollziehen will49 • Das stellt nichts weiter als einen unzulässigen Versuch dar, das Territorialitätsprinzip zu umgehen. Denn der Satz, wonach es unzulässig ist, Hoheitsakte auf fremdem Territorium vorzunehmen, verbietet auch die Durchsetzung mit privatrechtliehen Mitteln50• Das Umgehungsverbot wäre in unserem Falle tangiert, wenn wir in der Auslandszustellung d. A. z. P. einen Versuch zu sehen hätten, die Gebietshoheit des fremden Staates zu umgehen. Dagegen könnte man einwenden, eine solche Umgehung sei doch gar nicht mehr nötig, weil die Zustellungswirkung bereits mit der Übergabe an die Post eingetreten sei. Das überzeugt jedoch nicht, denn dabei wird übersehen, daß ungeachtet dessen der gesamte Zustellungsvorgang noch nicht beendigt ist, vielmehr die Übersendung des Schriftstücks noch aussteht. Für die Annahme eines Umgehungsversuchs könnte auf der anderen Seite sprechen, daß die Zustellungsfiktion gerade an die Stelle a. A. Neumeyer, ebd., S. 497. Eine ähnliche Problematik sieht Stockmann, WuW 75, 243 ff. (246), für die von ihm so genannte "nichthoheitliche kartellbehördliche Ermittlungstätigkeit im Ausland". 47 Vgl. z. B. MDH, GG, Art. 25 Rdnr. 20, 16 m. w. N. 48 Der Gedanke klingt an bei Verdross, S. 175, der von "verschleierten'· und deshalb unzulässigen Amtshandlungen auf fremdem Territorium spricht; keine Bedenken hat Neumeyer, ebd., S. 504 f. 49 Beispiele etwa bei Seidl-Hohenveldern, Rz. 1140. 60 Nicht zuletzt deswegen hält man Ermittlungen inländischer Kartelloder Steuerbehörden weitgehend auch dann für unzulässig, wenn sie mit privatrechtl. Mitteln erfolgen, etwa indem die deutsche Behörde Privatdetektive einschaltet, um durch sie Auskünfte über die im Ausland ansässige, natürliche oder juristische Person zu erlangen; zur völkerrechtl. Problematik der Zulässigkeit von steuerbehördlichen Ermittlungen im Ausland vgl. u. a. P. Müller, S. 194 f.; Frowein, Berichte DGVR 11 (1973), 103 f.; vgl. auch Ritter, Internat. Steuerauskunft in rechtsstaatl. Sicht, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1974/75, 244 ff.; zur Ermittlungstätigkeit der Kartellbehörden vgl. Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, S. 68; Schwartz, S. 249; Rehbinder, S. 396; Herrmanns, Völkerrechtliche Grenzen, S.17 f.; Stockmann WuW 75, 243 ff.; Barnikel Wirtschaftsdienst 74, 284 f. 45

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des Requisitorialwegs tritt, der die fremde Souveränität in vollem Umfang achtet. Diese Feststellung allein erlaubt jedoch nicht, das Vorgehen des Gerichts oder der Behörde als Verschleierung zu qualifizieren und auf eine unzulässige Umgehung zu schließen. Denn wenn die Behörde oder das Gericht auf den Requisitorialweg verzichtet und statt seiner die Zustellungsfiktion wählt, können wir darin nur dann ein rechtswidriges Verhalten sehen, wenn der Alternativweg verboten ist. Damit aber sind wir nur wieder bei unserer Ausgangsfrage angelangt. Gewichtiger als der erste und - wie wir gesehen haben - unfruchtbare Lösungsansatz ist die Prüfung, wie sich die Staaten bisher in ihrer Praxis zu unserer Problematik gestellt haben. Denn für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten völkerrechtlich zulässig ist oder nicht, kommt der Staatenpraxis stets eine besondere Bedeutung zu. Wir haben schon gesehen, daß Zustellungsfiktionen ausländischen Rechtsordnungen nicht unbekannt sind51 . Unsere diesbezüglichen Hinweise bezogen sich auf solche Fiktionen, die der deutschen Auslandszustellung d. A. z. P. insoweit vergleichbar sind, als der Adressat über eine bereits erfolgte Zustellung unterrichtet wird, so daß stets die gleichen "Folgewirkungen" auftreten, welche unsere Bedenken gegen die deutsche Auslandszustellung d. A. z. P. auslösten. Es ist nun kein Fall ersichtlich, daß von der Praxis gegen eine dieser Zustellungsarten in ausländischen Rechtsordnungen völkerrechtliche Bedenken wegen ihrer "Folgewirkungen" vorgebracht worden sind. In gleicher Weise sind auch keine Fälle bekannt, in denen sich ein ausländischer Staat mit der Begründung, in seiner Gebietshoheit verletzt zu sein, gegen die Übersendung eines durch Aufgabe zur Post zuvor bereits zugestellten Schriftstücks gewandt hätte. Dies wird in der Lit. zur Zustellung mit Postrückschein, deren rechtliches Wesen derjenigen durch Aufgabe zur Post entsprichts:, sogar ausdrücklich festgestellt53• Die Frage ist nur, welche Schlüsse wir aus dieser Staatenpraxis ziehen dürfen. In Betracht käme die Folgerung, die Staaten nähmen es gewohnheitsrechtlich hin, daß zumindest die Gerichte eines fremden Staates Mitteilungen über erfolgte Zustellungen an Adressaten machen, die in ihrem Staatsgebiet wohnen. Das überzeugt jedoch nicht. Denn wie auch sonst54 reicht im Völkerrecht die "longa consuetudo" allein s.o. Teil F, Kap. 1 (a. E.). s. o. Teil A. 53 Vgl. Kamper I Burkhardt, Kommentar zum BRückErstG, § 41 Anm. 6 g, wo es heißt, in der Praxis der Wiedergutmachungsbehörden hätten sich wegen der Zustellung gern. § 41 S. 4 BRückErstG keine (völkerrechtlichen) Schwierigkeiten ergeben. 54 Vgl. etwa für das Privatrecht Larenz, Allg. Teil des Dt. Bürgerl. Rechts, München 1976, § 1 I c m. w. N. 51

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zur Begründung von Gewohnheitsrecht nicht aus. Hinzutreten muß die "communis opinio iuris" 55 • Für ihre Existenz haben wir hier jedoch keinerlei Hinweise. Ganz im Gegenteil können wir sogar wieder auf die beherrschende Stellung des Souveränitätsgedankens hinweisen, der einer derartigen Rechtsüberzeugung im Wege steht. Wir können damit der geschilderten Staatenpraxis allenfalls Hinweise auf das Vorhandensein einer rechtlich unverbindlichen Höflichkeitsregel oder gar nur einer bloßen völkerrechtlichen Übun!f6 entnehmen. Damit aber haben wir nichts Entscheidendes für die rechtliche Beurteilung unserer "Folgewirkungen" gewonnen. Den ersten Beitrag zur Lösung unseres Problems liefert die Überlegung, daß zwischen dem Zustellungsakt und der Briefübersendung samt ihren "Folgewirkungen" ein unlösbarer Zusammenhang besteht. Die Zustellung d. A. z. P. besteht eben auch darin, daß das Schriftstück dem Empfänger übersandt wird. Ohne diese Übersendung läge nicht mehr die Zustellungsart "Zustellung d. A. z. P." vor. Mit der Briefübersendung sind aber wiederum die "Folgewirkungen" unlösbar verknüpft. An diesen Zusammenhängen kann nichts ändern, daß nach der gesetzlichen Konstruktion die Zustellung bereits mit der Übergabe des Schriftstücks vollzogen ist. Wenn nun aber Zustellung und "Folgewirkungen" untrennbar zusammengehören, muß man beides auch bei der rechtlichen Beurteilung als Einheit sehen. Dies führt dann dazu, daß wir den "Folgewirkungen" ebenso hoheitlichen Charakter zuerkennen müssen wie dem Gesamtvorgang der Zustellung, der ja in jedem Falle einen staatlichen Hoheitsakt darstellt. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß die "Folgewirkungen" einer Zustellung d. A. z. P. an einen im Ausland wohnenden Adressaten, die in der Übersendung des mit der Aufgabe zur Post zugestellten Schriftstücks liegen, die fremde Gebietshoheit beeinträchtigt. Das letztlich entscheidende Argument für die völkerrechtliche Zulässigkeit der Zusendung eines bereits durch Aufgabe zur Post zugestellten Schriftstücks muß sich aus der Auslegung der hier möglicherweise verletzten Norm ergeben, die dem ausländischen Staat im Grundsatz die ausschließliche Zuständigkeit zur Vornahme von Hoheitsakten auf seinem Gebiet einräumt und ihm ein Recht gibt, sie ungestört auszuüben. Die Kehrseite dieses Rechts ist das sich an alle anderen Völkerrechtssubjekte richtende Verbot, ihrerseits Hoheitsakte auf diesem Gebiet vorzunehmen. Die entscheidende Frage für die Zulässigkeit der beschriebenen "Folgewirkungen" lautet demnach, ob durch sie das 55 BVerfGE 15, 25 (35) = NJW 63, 435 (437); 16, 27 (52) = NJW 63, 1732 (1733); Dahm, Bd. I, S. 32 f.; Geck, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 132m. w. N., auch zur Kritik an dieser ganz h. M. 56 Vgl. dazu IGH, ICJ Reports 1950, 277 ("Asylfall").

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ausschließliche Recht des Staates, in dem der Zustellungsempfänger wohnt, zur Setzung von Hoheitsakten auf seinem Territorium betroffen wird. Das maßgebliche Kriterium hierfür ist das gleiche, das auch der oben nicht näher erläuterten Einteilung und Beurteilung von Auslandstätigkeiten zugrunde lag: hoheitliche Tätigkeiten sind verboten, private Tätigkeiten vorbehaltlich eines Verbots des betroffenen Staates erlaubt. Der Grund für diese Einteilung und rechtliche Beurteilung liegt darin, daß sich derjenige, der privat im Ausland tätig wird, der Rechtsordnung des fremden Staats in vollem Umfang unterwirft; dagegen setzt der hoheitlich Handelnde seine eigene Rechtsordnung an die Stelle der fremden Rechtsordnung, soweit seine Tätigkeit reicht. Dieses Kriterium - die volle Respektierung der fremden Hoheitsgewalt durch Unterwerfung unter die fremde Rechtsordnung einerseits und die partielle Verdrängung der fremden Rechtsordnung und Hoheitsgewalt unter gleichzeitiger Ersetzung durch die eigene Ordung andererseits - ist auch entscheidend für die Grenze zwischen Beachtung und Verletzung des Rechts eines Staates zur alleinigen Vornahme von Hoheitsakten auf seinem Gebiet57• Zu prüfen ist somit, ob durch die "Folgewirkungen" Hoheitsgewalt und Rechtsordnung des Staates, in dem der Zustellungsadressat wohnt, partiell substituiert wird. Dafür könnte ein erstes Kriterium sein, ob hinter diesen Wirkungen irgendein Zwang steht5~. Denn im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, das Völkerrecht verbiete staatliche Betätigung im Ausland nur, soweit sie mit Zwang verbunden sei59• Danach wären unsere "Folgewirkungen" unbedenklich, weil die Übersendung des d. A. z. P. zugestellten Schriftstücks mit keinerlei Zwang verbunden ist. Der Adressat kann die Annahme ja ohne weiteres verweigern. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. An ihr ist nur richtig, daß bei Betätigung der staatlichen Zwangsgewalt im Ausland eine besonders markante und offenkundige Verletzung fremder Gebietshoheit vorliegt. Das bedeutet jedoch nicht, daß eine hoheitliche Betätigung ohne Zwang zulässig wäre60• Denn auch dann liegt eine Substituierung fremder Staatsgewalt vor. Einen gewichtigeren Hinweis für die Beurteilung unserer Problematik ergibt die folgende Erwägung. Wenn eine Auslandszustellung durch Aufgabe zur Post in Betracht kommt, so trifft die zuständige Behörde oder das zuständige Gericht die Entscheidung für oder gegen diese Zustellungsart einzig und allein aufgrundder inländischen Rechtsordnung. Von einer Unterwerfung unter die fremde Rechtsordnung 57 Vgl. Verdross, S. 175. ss Auf dieses Kriterium weist z. B. Neumeyer immer wieder hin, etwa aufS. 496, 497/498. 59 Nachweise dazu bei Dahm, Bd. I, S. 251 Fn. 6. &o Im Ergebnis ebenso Dahm, Bd. I, S. 251.

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des Staates, in dem sich der Zustellungsempfänger befindet, kann dabei keine Rede sein. Die eigene Rechtsordnung wird hier also ohne Rücksicht auf die fremde Hoheitsgewalt angewendet. Wie wir gesehen haben, spricht dies für eine Verletzung fremder Souveränität. Wir haben jetzt verschiedene Gesichtspunkte für die völkerrechtliche Beurteilung der "Folgewirkungen" von Auslandszustellungen d. A. z. P. zusammengetragen. Wenn wir sie zusammenfassend betrachten, könnten wir uns wohl durchaus auf den Standpunkt stellen, daß sie keine vollkommen überzeugende Lösung unserer Problematik ermöglichen. Allerdings scheint es wohl doch weitaus eher vertretbar anzunehmen, daß hier ein Verstoß gegen den Grundsatz der Territorialität des Geltungsbereichs staatlicher Regelungen vorliegt. Davon wollen wir bei unseren weiteren Erwägungen ausgehen. Unser Zwischenergebnis lautet also: Wegen ihrer Folgewirkungen in Gestalt der Übersendung des mit Übergabe an die Postanstalt zugestellten Schriftstücks verstoßen Auslandszustellungen d. A. z. P. gegen die Gebietshoheit des Staates, in dessen Territorium der Zustellungsadressat sich befindet. Vielleicht können wir diese Aussage, die über etliche deutsche Zustellungsvorschriften das Unwerturteil der Völkerrechtswidrigkeit fällt, durch eine völkerrechtskonforme Auslegung revidieren61 • Dafür ist jedoch kein Ansatz ersichtlich. Denn die Verletzung fremder Gebietshoheit schiede nur bei Beseitigung der "Folgewirkungen" aus. Die sind aber ein essentieller Bestandteil der Auslandszustellungen d. A. z. P. Ohne Übersendung des Schriftstücks könnte man nicht mehr von dieser Zustellungsart sprechen. Das Ergebnis unserer bisherigen Untersuchungen führt uns zu der Frage, wie die Rechtsfolgen aussehen, wenn Auslandszustellungen d. A. z. P. mit ihren die fremde Gebietshoheit verletzenden "Folgewirkungen" vorgenommen werden. Die Frage müssen wir unter zwei Aspekten sehen, einmal dem des Völkerrechts, zum anderen dem des innerstaatlichen Rechts. Auf der völkerrechtlichen Ebene stellt sich die in der Zustellung liegende Verletzung fremder Gebietshoheit als ein völkerrechtliches Delikt dar. Nach den Grundsätzen des völkerrechtlichen Deliktsrechts. das primär die Naturalrestitution verlangt62, steht dem betroffenen 61 Dazu, daß wir bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze im Zweifel davon ausgehen müssen, daß der innerstaatliche Gesetzgeber völkerrechtsmäßig handeln wollte, und zur Begründung dieses Gebotes der völkerrechtskonformen Auslegung vgl. Seidt-Hohenvetdern, Rz. 388 ff. m. w. N. et Vgl. etwa Schii.te, "Delikt, völkerrechtliches", WVR, Bd. 1 (1960), 326, 337 f.; Seidt-Hohenvetdern, Rz. 1233 f. m. w. N.; vgl. auch die Hinweise bei Mann NJW 61, 705 ff., v. a. auf den dt.-polnischen Streit über die Wegnahme der Oberschlesischen Stickstoffwerke in Königshütte, den "Chorzow-Fall", STIG Urt. Nr. 13 Abt. A, S. 29, 46 f.

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ausländischen Staat63 ein Wiedergutmachungsanspruch zu. Er kann also von dem zustellenden Staat verlangen, so gestellt zu werden, als ob die völkerrechtswidrige "Folgewirkung" der Auslandszustellung d. A. z. P. nicht eingetreten sei. Auf diese Weise könnte die BR Deutschland von einem internationalen Gericht aufgefordert werden, den ausländischen Adressaten so zu behandeln, als sei ihm das mit der Übergabe an die Post bereits zugestellte Schriftstück nicht anschließend zugeschickt worden. Die völkerrechtliche Betrachtung führt also zu einer Fiktion der Nicht-Übersendung. Unter dem Gesichtspunkt des innerstaatlichen Rechts müssen wir uns zunächst fragen, ob das Völkerrecht verlangt, jeden völkerrechtswidrigen Akt allein wegen seiner Völkerrechtsmäßigkeit auch als innerstaatlich nichtig anzusehen. Das führt uns mitten in die bekannte Problematik des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht64 • Wir brauchen sie hier nicht aufzurollen, sondern können uns unter Hinweis auf die heute wohl einhellige Meinung, das Grundgesetz beziehe in diesem Streit keine Stellung6l>, mit der Darstellung von Ergebnissen begnügen. Die Vertreter eines extremen Monismus halten in der Tat jede völkerrechtswidrige Tätigkeit für innerstaatlich nichtig. Das steht allerdings in klarem Widerspruch zur völkerrechtlichen Praxis, die dies keineswegs verlangt66• Darauf gestützt können wir auch ohne nähere systemtheoretische Untermauerung davon ausgehen, daß ein das Völkerrecht verletzender Akt zugleich innerstaatlich nichtig sein kann, aber durchaus nicht sein muß. Das bedeutet für unsere Problemstellung: Auslandszustellungen d. A. z. P. sind nicht schon wegen ihrer Völkerrechtswidrigkeit nach innerstaatlichem deutschem Recht unwirksam. Auch wenn das Völkerrecht somit gemäß der obigen Ansicht darauf verzichtet, sich unter allen Umständen sofort und unmittelbar gegenüber dem innerstaatlichen Recht durchzusetzen, verwehrt es den Staaten andererseits nicht, ihm über das von der völkerrechtlichen Praxis geforderte Minimum hinaus zu einer stärkeren Position gegenüber dem innerstaatlichen Recht zu verhelfen. Genau dies hat der Grundgesetzgeber getan, indem er durch Art. 25 GG "die allgemeinen Regeln des Völkerrechts" dem innerstaatlichen deutschen Recht mit Rang zwischen dem einfachen Bundes- und dem Verfassungsrecht67 inkoporierte. 63 Zur grundsätzlichen Geltung des Grundsatzes der "Mediatisierung des Einzelmenschen" auch im völkerrechtl. Deliktsrecht vgl. Seidl-Hohenveldern Rz. 1207, 1232. 84 Dazu z. B. Berber, Völkerrecht, Bd. 1, S. 110 ff.; MDH, Art. 25 Rdnr. 4 ff. 85 Vgl. statt vieler MDH, Art. 25 Rdnr. 12 m. w. N. 66 Vgl. die Entscheidungen im "Bremer Tabakfall" des LG Bremen A WD 59, 105 und des OLG Bremen ArchVR 9, 318; Mann NJW 61, 705; Münch, Jahrb. für Intern. Recht 9 (1960), 84; Meessen A WD 73, 177 ff.

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So schwierig es mitunter sein mag zu klären, was noch zu diesen "allgemeinen Regeln" gehört und was nicht mehr68 , dürfte doch unzweifelhaft sein, daß zu ihnen die Gebietshoheit und damit der Grundsatz der Territorialität des Geltungsbereiches staatlicher Regelungen zählen69 . Damit können wir ein weiteres Teilergebnis formulieren:

Fiktive Auslandszustellungen d. A. z. P. sind gern. Art. 25 GG wegen ihrer Völkerrechtswidrigkeit auch nicht mit dem innerstaatlichen deutschen Recht zu vereinbaren, sind also rechtswidrig7 o. Die nächste Frage lautet, ob diese wegen ihrer Völkerrechtswidrigkeit rechtswidrigen Hoheitsakte zugleich unwirksam sind71 • 67 h. M., z. B. Berber, S. 100; Herzog DOV 60, 775; a. A. v. Mangoldt I Klein, GG, S. 681 f. 68 Dazu zuletzt Geck, in: BVerfG und GG, Bd. II, S. 127 ff.; vgl. auch MDH, Art. 25 Rdnr. 14 ff. 69 Vgl. MDH, Art. 25 Rdnr. 20. 10 Art. 25 GG garantiert nur, daß sich die BRD und ihre Organe völkerrechtskonform verhalten. Dagegen sagt er jedenfalls direkt nichts über die Behandlung völkerrechtswidriger fremder Staatsakte. Wir wissen also aufgrund unserer bisherigen Überlegungen nicht, wie wir ausländische Zustellungsfiktionen, die den gleichen völkerrechtlichen Bedenken wie die von uns geprüften Auslandsbestellungen d. A. z. P. unterliegen, zu behandeln haben. Da es uns um Zustellungsfiktionen des deutschen Rechts geht, wollen wir darauf auch nicht im einzelnen eingehen, sondern nur - als Exkurs versuchen, den Lösungsweg zu skizzieren. Wir kennen keine völkerrechtliche Pflicht, völkerrechtswidrige fremde Staatsakte als nichtig zu behandeln (dazu auch Meessen A WD 73, 179, der zur Begründung v. a. auf die amerikanische Rspr. zur Act of State Doctrine hinweist; a. A. wohl Mann NJW 61, 705 [708]). Wegen der in Art. 25 GG zum Ausdruck kommenden betont völkerrechtsfreundlichen Tendenz können wir jedoch insoweit für das deutsche Recht ebenso wie für wohl alle Rechtsordnungen, in denen wir eine dem Art. 25 GG vergleichbare Entscheidung finden, davon ausgehen, daß ein Staat, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil seines eigenen Rechts macht, stets auch zumindest erwägen muß, daß ein völkerrechtswidriger fremder Staatsakt seinen ordre public stört und deswegen abgelehnt werden kann. Denn zum ordre public solcher Staaten gehört, wie Art. 25 GG für das deutsche Recht zeigt, die Achtung vor dem Völkerrecht, weswegen ihn auch jede Völkerrechtsverletzung durch fremde Staaten stören muß. Zu Recht weist SeidlHohenveldern (Rz. 1126) allerdings darauf hin, daß diese auf Art. 25 GG gestützte Erwägung immer nur einer unter mehreren Faktoren sein kann, die einen Staat bestimmen können, die Respektierung eines völkerrechtswidrigen fremden Hoheitsakts als unvereinbar mit dem inländischen ordre public zu bezeichnen. 71 Auf der Ebene des europäischen Rechts stellte sich die gleiche Frage für den EuGH in seinem "Farbstoffe"-Urteil (hier: Geigy) vom 14. 7. 1972 (EuGH 18 [1972] 787, 826 ff.). Die von der EG-Kommission per Einschreiben vorgenommene Mitteilung der Beschwerdepunkte an die in Basel ansässige Fa. Geigy AG (vgl. oben, Teil A, Fußnote 36) verstieß gegen das völkerrechtliche Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im Ausland. Dennoch wies der EuGH die deswegen erhobene Verfahrensrüge mit dem Bemerken zurück, die Fa. Geigy habe durch das Einschreiben ungeachtet dessen Völkerrechtswidrigkeit die Möglichkeit erhalten, von den Beschwerdepunkten Kenntnis

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

Rechtswidrige Hoheitsakte sind im deutschen Recht ebenso wie privatrechtliche Willenserklärungen (vgl. z. B. §§ 125, 134, 138 BGB) im Grundsatz zugleich auch nichtig72• Dies gilt allerdings nicht für Verwaltungsakte. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den, der sich auf die Bekundung der Staatsautorität verläßt, wird vielmehr vermutet, daß auch der rechtswidrige Verwaltungsakt wirksam ist73 , sofern ihm nicht ein besonders schwerer und offenkundiger Makel anhaftet74• In einer Zustellung liegt jedoch kein Verwaltungsakt. Das ergibt sich zum einen daraus, daß sie keinen eigenständigen Regelungsgehalt hat, der begriffliche Voraussetzung des Verwaltungsakts ist75 • Wenn eine staatliche Anordnung etc. zugestellt wird, so liegt eine Regelung gegenüber dem Bürger allein in der zugestellten Willensäußerung des Staates, nicht jedoch in der Zustellung als solcher. Wenn die Zustellung ein Verwaltungsakt wäre, müßte außerdem ihre Rechtmäßigkeit selbständig gerichtlich nachprüfbar sein (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 42, 43 VwGO, 54 SGG etc.)16 • Zustellungen unterliegen jedoch keiner gesonderten gerichtlichen Kontrolle. Ihre Ordnungsmäßigkeit wird immer nur im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der zugestellten staatlichen Bekundung überprüft. Da in der Zustellung somit kein Verwaltungsakt zu sehen ist, bedeutet ihre Rechtwidrigkeit nach dem obigen Grundsatz zugleich auch ihre Unwirksamkeit. Also sind unter Verletzung fremder Souveränität vorgenommene Auslandszustellungen d. A. z. P. nach deutschem Recht unwirksam. Zu diesem Ergebnis kommen wir auch im Zuge einer ganz anderen Überlegung, die auf unseren verfassungsrechtlichen Untersuchungen der fiktiven Auslandszustellungen d. A. z. P. fußt. Wir haben gesagt, daß der Adressat einer solchen Zustellung, wenn sie von dem betroffenen ausländischen Staat weder ausdrücklich noch stillschweigend akzeptiert wurde, nach völkerrechtlichem Deliktsrecht so zu stellen ist. als sei ihm das ber.e its zugestellte Schriftstück anschließend nicht übersendet worden. Wir müssen also davon ausgehen, daß hier eine Zustellung allein in der Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an die zu nehmen. Deshalb dürfe die Mitteilung als zugegangen behandelt werden. Eine überzeugende Begründung für diese Ansicht gibt der EuGH allerdings nicht. 12 Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I (4. Aufl.), §50 I a; Drews I Wacke I Vogei, Gefahrenabwehr, S. 105. 73 Vgl. z. B. Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 12 I; Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. I, §51 I b 2; BVerwGE 1, 67. 74 Vgl. § 44 VerwVerfG; zur Evidenztheorie auch BVerwGE 11, 199, 108; 19, 287; VerwRspr 14, 307. 75 Wolf!, Verwaltungsrecht I, § 46 I; BVerwG NJW 69, 1131 (1133). 76 Bei dieser Überlegung handelt es sich um das Gegenstück zur Problematik des prozeßrechtlichen Begriffs des Verwaltungsakts, vgl. dazu etwa BVerwG DVBl 69, 503; Wolf!, ebd., § 46.pr.

Kap. 1: Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

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Postanstalt besteht. Die Frage liegt nahe, ob das denn noch mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs und der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes vereinbart werden kann. Der Adressat hat hier nicht nur keine Chance, vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks zu erfahren, wir müssen darüber hinaus sogar fingieren, daß er mit Sicherheit davon nichts erfährt. Eine derartige "Zustellung" verdient diesen Namen nicht mehr, weil sie ihr Primärziel, die Unterrichtung des Adressaten77, verfehlt. Vor allem aber ist sie mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs und der grundgesetzliehen Rechtsschutzgarantie nicht mehr vereinbar. Auf der Basis unserer mannigfachen verfassungsrechtlichen Untersuchungen dürfte die Richtigkeit dieser Beurteilung evident sein, wenn wir an unsere vielfältigen Bemühungen denken, die Auslandszustellungen d. A. z. P. in verschiedene Fallgruppen aufzuteilen, um diese durch Interpretation und harmonisierende Verfassungsauslegung in Verbindung mit verfassungskonformen Auslegungen und Ergänzungen als doch noch mit den obigen Prinzipien des Grundgesetzes vereinbar ansehen zu können. 2. Die Vereinbarkeit der öffentlichen Auslandszustellungen

mit dem Souveränitätsprinzip

Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von öffentlichen Zustellungen an Adressaten im Ausland sind in Rspr. und Lit. kaum Stellungnahmen zu finden. Vielleicht heißt das, daß niemand insoweit Bedenken hat. Verständlich wäre das schon. Denn der Gedanke, mit dem die h. M. die völkerrechtliche Unbedenklichkeit der Auslandszustellung d. A. z. P. zu begründen sucht78, paßt hier noch besser: der Zustellungsakt wird ausschließlich im Inland vollzogen, weshalb ein Eingriff in fremde Gebietshoheit ausscheidet79 • Dieser Ansicht scheint auch das Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes zu sein, was man der Formulierung des§ 15 Abs.l c VwZG entnehmen kann. Dort heißt es: " ... wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes erfolgen müßte, ... " Die Verwendung des Konjunktivs spricht dafür, daß der Gesetzgeber in der statt der Auslandszustellung stattfindenden öffentlichen Zustellung keine Auslandszustellung sieht, sondern davon ausgeht, daß sie ausschließlich im Inland erfolgt. Gegen diese Beurteilung ist vorderhand auch nichts einzuwenden. Öffentliche Zustellungen finden tatsächlich ausschließlich im Inland statt. Nach ihrer gesetzlichen Konstruktion können wir bei ihnen keine 77 Vgl. Teil B, Kap. 1. 78 s. o. zu Beginn dieses Kapitels. 79 So in der Tat Neumeyer, Zeitschr. f. Intern. Privat- u. Strafrecht, 9. Bd. (1899), 458.

12 Schmitz

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Teil F : Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

"Folgewirkungen" beobachten. Dennoch können wir ihre völkerrechtliche Überprüfung damit nicht schon beenden. Das liegt an unseren verfassungsrechtlichen Untersuchungen zu dieser Zustellungsform. Für die Fallgruppe, daß die öffentliche Zustellung aus Gründen, die der Adressat nicht zu vertreten hat, "ultima ratio" ist, hatten wir im Hinblick auf das rechtliChe Gehör und die Rechtsschutzgarantie eine verfassungskonforme Auslegung oder Ergänzung dahin gefordert, daß der Empfänger nach Möglichkeit von der Vornahme der jeweils ersten öffentlichen Zustellung in einem Verfahren formlos zu benachrichtigen ist80. Dabei hatten wir schon angedeutet, daß diese Forderung auf völkerrechtliche Bedenken stoßen könnte81 . Sie bestehen in der Tat. Denn in der formlosen Benachrichtigung durch einfachen Postbrief liegt ebenso eine "Folgewirkung", wie sie in der Briefübersendung bei der Zustellung d. A. z. P. lag. In beiden Fällen soll der Adressat informiert werden, nachdem der Zustellungsakt bereits vollzogen wurde und die Zustellungswirkungen eingetreten sind. Unter dem Aspekt, fremde Gebietshoheit zu verletzen, bestehen gegen die Benachrichtigung bei der öffentlichen Zustellung also die gleichen völkerrechtlichen Bedenken wie gegen die Übersendung eines durch Aufgabe zur Post zugestellten Schriftstücks. Wir können deshalb zunächst auch auf die gleichen Erwägungen zurückgreifen, was uns zu dem Ergebnis führt, in den Benachrichtigung einen Verstoß gegen die Gebietshoheit des Staates zu sehen, auf dessen Territorium sich der Zustellungsadressatbefindet82. Ebenfalls parallel zu unseren Überlegungen bei der Auslandszustellung d. A. z. P. kommen wir bei der Bestimmung der Rechtsfolgen dieses Verstoßes zunächst wieder dazu, gemäß den Grundsätzen des völkerrechtlichen Deliktsrechts eine dennoch vorgenommene Benachrichtigung als nicht erfolgt zu fingieren. Außerdem ist die Benachrichtigung nach Art. 25 GG rechtswidrig. Die Frage, ob sie auch unwirksam ist, dürfte hier weniger problematisch als bei den Auslandszustellungen d. A. z. P . sein. Denn während dort die Briefübersendung nach der gesetzlichen Konstruktion untrennbar mit der Zustellung als Ganzes verbunden war, so daß wir vor der nicht ohne weiteres zu beantwortenden Frage standen, ob in der gesamten Zustellung ein Verwaltungsakt zu sehen ist, lautet die Parallelfrage hier, wo Benachrichtigung und Zustellung nicht von Gesetzes wegen verknüpft sind, ob allein in der Benachrichtigung ein Verwaltungsakt liegt. Das kön80 s. o. Teil B, Kap. 4, 2. und Teil C, Kap. 3. 81 s. o. Teil B, Kap. 4. 2. 82 Dem dürfte auch Grii.tzner zustimmen, der in seiner Anm. zur Entscheidung des BGH GA 1954, 374 darauf hinweist, daß ein fremder Staat seine Gebietshoheit verletzt sehen könnte, wenn eine in seinem Territorium wohnende Person von dt. Seite aufgefordert wird, in einem inländischen Verfahren auszusagen. In der Tendenz dürfte dies unseren Überlegungen entsprechen.

Kap. 1: Völkerrechtliche Bedenken aus dem Souveränitätsprinzip

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nen wir mit größerer Gewißheit verneinen, schon weil sie keinerlei Regelungsgehalt erkennen läßt. Infolgedessen ist die Benachrichtigung wegen ihrer Rechtswidrigkeit zugleich auch unwirksam. Somit müssen wir davon ausgehen, daß öffentliche Zustellungen entgegen unserer verfassungsrechtlich begründeten Forderung nicht in Verbindung mit einer Benachrichtigung des Adressaten von der erfolgten Zustellung durchgeführt werden können. Das stellt uns vor die Frage, ob die öffentlichen Auslandszustellungen denn auch dann noch verfassungskonform sind. Um das zu klären, wollen wir uns an den Zusammenhang erinnern, in dem wir die Forderung nach einer Benachrichtigung erhoben haben. Wir hatten für die einschlägige Fallgruppe eine Kollision zwischen dem rechtlichen Gehör und Art.19 Abs. 4 GG festgestellt83• Diesen Konflikt wollten wir im Wege harmonisierender Verfassungsauslegung mit dem Ziel praktischer Konkordanz lösen84 • Um das zu erreichen, hatten wir neben anderen Forderungen auch das Benachrichtigungsverlangen erhoben. Wenn dieser Weg zur Erreichung praktischer Konkordanz nun aus völkerrechtlichen Gründen ausfällt, bedeutet das nur, daß wir ein denkbares und erstrebenswertes Optimum an praktischer Konkordanz nicht erreichen können und uns mit einem Ergebnis begnügen müssen, das dem Prinzip des rechtlichen Gehörs in geringerem Umfang Rechnung trägt. Dagegen kommen wir nicht etwa zur Verfassungswidrigkeit der ohne Benachrichtigung vorgenommenen öffentlichen Auslandszustellungen. Damit würden wir ja gerade die vom Prinzip der Verfassungseinheit gestellte Optimierungsaufgabe verfehlen, die sich bei einer Kollision von Grundrechten etc. ergibt; wir würden das eine Rechtsgut, hier das Recht des an der öffentlichen Zustellung Interessierten gern. Art.l9 Abs. 4 GG, dem anderen opfern, hier dem rechtlichen Gehör des Adressaten85• Damit ergibt sich: Die Benachrichtigungspflicht, die wir für einen Teil der öffentlichen Auslandszustellungen aus verfassungsrechtlichen Gründen gefordert haben, müssen wir aus völkerrechtlichen Gründen ablehnen. Soweit eine öffentliche Zustellung demgemäß ohne Benachrichtigung des Adressaten im Ausland erfolgt bzw. die Nicht-Benachrichtigung fingiert wird, ist die Zustellung immer noch verfassungskonform.

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Teil B, Kap. 4, 2. Teil B, Kap. 4, 2. Vgl. dazu die Ausführungen oben Teil B, Kap. 1, 10.

Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

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3. Die Vereinbarkelt anderer fiktiver Auslandszustellungen mit dem Souveränitätsprinzip

Gegen die völkerrechtliche Zulässigkeit von Zustellungen mit Postrückschein wurden in der Kommentarliteratur vereinzelt Bedenken erhoben86 • Darauf sind wir im einzelnen schon bei der Prüfung der Auslandszustellungen d. A. z. P . eingegangen87• Im übrigen bedarf es keiner besonderen Untersuchung, ob und inwieweit Zustellungen mit Postrückschein fremde Gebietshoheit verletzen, wenn sich der Adressat im Ausland befindet. Denn weil sie in ihrer rechtlichen Konstruktion der Zustellung d. A. z. P. gleichzusetzen sind88 , gelten die für diese Zustellungsart angestellten Erwägungen hier entsprechend. Bei der Zustellungsfiktion des § 183 AO (§ 219 AO a. F.) können wir keinerlei "Folgewirkungen" feststellen. Deshalb gibt es bei ihnen auch keinen Ansatzpunkt für völkerrechtliche Bedenken wegen Verletzung fremder Gebietshoheit. Kapitel2 Fiktive Auslandszustellungen und völkerrechtliches Diskriminierungsverbot Als weitere völkerrechtliche Regel, gegen die fiktive Auslandszustellungen vielleicht verstoßen, kommt das Diskriminierungsverbot des allgemeinen Völkerrechts in Betracht. Seine Existenz und sein Umfang sind nicht unstreitig1 • Nach h. M. 2 beruht es auf Gewohnheitsrecht und gehört systematisch gleichzeitig zu zwei verschiedenen, sich überschneidenden Problemkreisen des Völkerrechts, nämlich sowohl zum Problem der Gleichheit der Staaten wie zum Problem der Rechtsstellung des Fremden, insoweit also zum völkerrechtlichen Fremdenrecht. Hier geht es um den ersten Problemkreis; auf den zweiten, den individualrechtlichen, wird später noch einzugehen sein. Das Diskriminierungsverbot untersagt eine auf krasser Willkür beruhende Differenzierung bei der Behandlung von fremden und eigenen Staatsbürgern sowie von Fremden aus verschiedenen Heimatstaaten, wobei hier, wo es uns nicht um den individualrechtliehen Aspekt geht, 88 87

Blessin I Ehrig I Wilden, BEG, § 197 Anm. 3. s. o. Teil F, Kap. 1, 1.

1

s. o. Teil A. Vgl. Jaenicke, Diskriminierung, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1,

t

Vgl. Schindler, Gleichberechtigung von Individuen, S. 77 m. w. N.

88

s. 391.

Kap. 3: Fiktive Auslandszustellungen und Menschenrechte

181

von entscheidender Bedeutung das mit der Achtung dieses Verbots zugleich erreichte Ziel ist, daß der Heimatstaat der betroffenen Fremden genauso behandelt wird wie andere Staaten. Unsere Zustellungsfiktionen verletzen das Diskriminierungsverbot nicht. Denn sie knüpfen an den ausländischen Wohnort des Adressaten an. Liegt dieser Anknüpfungspunkt vor, finden sie ohne Rücksicht darauf statt, welche Staatsangehörigkeit der Adressat hat. Deshalb können sie mit dem Diskriminierungsverbot gar nicht in Konflikt geraten. Unter diesem Gesichtspunkt ergeben sich also keine Bedenken.

Kapitel3

Fiktive Auslandszustellungen und Menschenrechte des allgemeinen Völkerrechts Fiktive Auslandszustellungen könnten weiterhin menschenrechtliche Positionen des einzelnen verletzen, die zum allgemeinen Völkerrecht gehören. Menschenrechte 1 stehen dem Individuum nicht nur gegen die eigene, sondern auch gegen eine fremde Staatsgewalt zu. Der Adressat einer fingierten Auslandszustellung könnte ihre Völkerrechtswidrigkeit also ohne Rücksicht darauf geltend machen, ob die Zustellung von einem fremden oder seinem eigenen Heimatstaat ausgeht. Umgekehrt hätte der fiktiv zustellende Staat, wenn er sich völkerrechtskonform verhalten will, sie unabhängig davon zu beachten, ob der im Ausland wohnende Empfänger In- oder Ausländer oder gar staatenlos ist. Ihren deutlichsten Niederschlag hat die Entwicklung der Menschenrechte im Völkervertragsrecht gefunden. Darauf wird mitunter auf ihre Geltung auch im allgemeinen Völkerrecht geschlossen: Die große Zahl von Verträgen, die den Schutz der Menschenrechte proklamieren, lasse den Rückschluß auf einen entsprechenden Willen der Staatenmehrheit zU:. Die Überzeugungskraft dieses Arguments mag hier offen bleiben. Jedenfalls kann man feststellen, daß die Menschenrechtsentwicklung nicht auf das Völkervertragsrecht beschränkt geblieben ist. Vielmehr ist heute- auch in der Rspr. des IGH2 -anerkannt, daß es menschenrechtliche Positionen gibt, an welche die Staaten auch ohne besondere völkerrechtliche Verpflichtungen gebunden sind3 • Die Frage ist nur, Zur Ideengeschichte vgl. Doehring, S. 70. Vgl. z. B. die Nachweise bei Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 236. a In aller Regel gilt für die Beziehungen zwischen einem Staat und seinen Staatsangehörigen der auf die Souveränität zurückgehende Gedanke der Personalhoheit. Solche Beziehungen entziehen sich damit grundsätzlich der 1

2

182

Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

wie weit man hier gehen kann. Die Menschenrechtsdeklarationen und -erklärungen können hierfür nicht herangezogen werden. Denn sie nennen etliche Rechte, die unstreitig jedenfalls bisher noch nicht zu den allgemeinen Menschenrechten gerechnet werden können. Auch die Lehre 4 geht z. T. viel zu weit mit ihren Bestimmungen menschenrechtlicher Normen des allgemeinen Völkerrechts5• Dagegen ist die Rspr., die ja gezwungen ist, sich auf das wirkliche Machbare zu beschränken, erheblich zurückhaltender. Zwei Gutachten des IGH von 1951 und 19716 lassen sich als Ansätze für einen Menschenrechtsschutz durch allgemeines Völkerrecht die Verbote des Völkermords und der Rassendiskriminierung entnehmen. Mit beiden hat die Problematik fingierter Auslandszustellungen nichts zu tun. Nicht bekannt sind Entscheidungen, die von solchen, im allgemeinen Völkerrecht anerkannten Menschenrechtsnormen ausgehen, die zu den mit fiktiven Auslandszustellungen verbundenen Problemen in Beziehung gesetzt werden könnten. Den richtigen Weg zur Umgrenzung der durch allgemeines Völkerrecht geschützten Menschenrechte weist Meessen7. Er setzt bei der Überlegung an, daß die Anerkennung von Menschenrechten im allgemeinen Völkerrecht in das Souveränitätsprinzip eingreift, indem sie die völkerrechtliche Regel durchbricht, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen dem einzelnen und seinem Heimatstaat generell kein Regelungsobjekt des Völkerrechts sind. In der Beachtung dieser Regel liegt eine Voraussetzung für die Erhaltung des zwischenstaatlichen Friedens. Im Hinblick darauf ist ihre Durchbrechung nur gerechtfertigt, wenn die innerstaatliche Ordnung zugleich eine BedinSphäre des Völkerrechts. Diese klassische Regel des Völkerrechts (vgl. ebd., S. 237; Dahm, § 91 II 1, S. 504; Verdross I Simna, S. 83 (sub 3.9.1.) m. w. N.; Doehring, S. 23 ff. meint allerdings, diese Regel gelte heute weder im völkerrechtl. Vertrags- noch Gewohnheitsrecht, bezweifelt sogar, daß dies jemals der Fall gewesen sei. Richtig ist, daß diese Regel heute im Völkervertragsrecht oft durchbrachen oder modifiziert wird.) wird durchbrachen, wenn man die Existenz von Menschenrechten im allgemeinen Völkerrecht anerkennt. Zugleich bedeutet diese Anerkennung einen Eingriff in das Souveränitätsprinzip (dazu auch oben, Teil F, Kap. 1). 4 Vgl. v. a. die Übersicht bei Doehring, S. 80 ff. 5 Wenn sie beispielsweise zu den allgemeinen Menschenrechten das Recht auf Rechtsschutz zählt und darunter den Zugang zu den Gerichten, das rechtliche Gehör und den Anspruch auf gerechte Entscheidung in angemessener Zeit faßt (vgl. die Auffassungen von Roth und Ipsen, dargestellt bei Doehring, S. 80 ff.), so hat das angesichts des Schicksals vieler Menschen, die ohne jedes Urteil wegen ihrer politischen Einstellung in Gefängnissen, Irrenanstalten etc. leben, mehr mit idealistischem Wunschdenken als mit einer realistischen Einschätzung dessen zu tun, was im allgemeinen Völkerrecht an Menschenrechten anerkannt und demgemäß von der Mehrheit der Staaten auch praktiziert wird. 6 Vgl. dazu Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 236. 7 Völkerrechtliche Grundsätze, S. 237 f. Meessen,

Kap. 3: Fiktive Auslandszustellungen und Menschenrechte

183

gung des äußeren Friedens darstellt. Somit ist die in der Anerkennung von Menschenrechten im allgemeinen Völkerrecht liegende Durchbrechung des Souveränitätsgrundsatzes trotz der damit verbundenen Gefahr für den Frieden, die in der Möglichkeit unkontrollierter Interventionen zugunsten der Menschenrechte durch ausländische Staaten liegt, hinzunehmen, "soweit bereits die Verletzung von Menschenrechten . . . den äußeren Frieden gefährdet. Denn in diesem Falle können Interventionen zum Schutz der Menschenrechte sogar zur Erhaltung des Friedens beitragen8 ." In der Verletzung von Menschenrechten sehen die Staaten nach aller Erfahrung allenfalls in ganz extremen Fällen eine Störung des zwischenstaatlichen Friedens. Das verhärtet die bisher schon vorherrschende Ansicht, das allgemeine Völkerrecht erfasse nur einen kleinen Kreis von ganz fundamentalen und elementaren Menschenrechten9, wozu etwa Völkermord und Rassendiskriminierung gehören. Damit bleibt jetzt noch zu prüfen, ob die Problematik der fiktiven Auslandszustellungen in diesen Kernbereich hineinreicht. Ihre schwerwiegendste Folge könnte eine Rechtsverweigerung (denial of justice, deni de justice)10 sein, wenn und weil der Adressat von einem gegen ihn laufenden Verfahren nichts oder nicht rechtzeitig erfährt. Die Frage ist, ob durch eine Rechtsverweigerung wirklich jener kleine Kreis von elementaren menschenrechtliehen Positionen berührt wird, den das allgemeine Völkerrecht schützt. Der IGH hat das im Fall "Barcelona Traction" 11 abgelehnt, indem er die Rechtsverweigerung gegenüber Inländern als Problem behandelte, das dem Völkervertragsrecht zuzurechnen ist. Demgegenüber weist Meessen12 darauf hin, daß ein denial of justice keine derart elementare Menschenrechtsposition verletzt, daß er auf eine Stufe mit Völkermord und Rassendiskriminierung gestellt werden könnte. Damit steht jetzt fest: Das allgemeine Völkerrecht schützt nur elementare menschenrechtliche Positionen des einzelnen. Sie werden durch eine Rechtsverweigerung nicht berührt. Darin liegt jedoch die denkbar schwerste Menschenrechtsverletzung, die unsere Zustellungsfiktionen herbeiführen können. Somit verletzen sie den menschenrechtliehen Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts nicht.

s Meessen, ebd., S. 237. 9 Vgl. etwa Meessen, ebd., S. 238. 1o Zum Begriff vgl. Dahm, § 91 IV 2 (5. 510) m. w. N. u ICJ Reports 1970, 3.47. 12 Völkerrechtliche Grundsätze, S. 238.

184

Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht Kapitel4 Fiktive Auslandszustellungen und fremdenreclttlicher Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts

Unsere letzte Prüfung gilt der Frage, ob ein Staat, wenn er in Form von Zustellungen hoheitlich tätig wird, fremdenrechtliche Positionen des allgemeinen Völkerrechts beachten muß und ob unsere Zustellungsfiktionen unter diesem Gesichtspunkt auf Bedenken stoßen1• Im völkerrechtlichen Fremdenrecht gibt es seit langem die Vorstellung von einem Kernbestand an Normen die zum allgemeinen Völkerrecht gehören und den sog. fremdenrechtliehen Mindeststandard bilden2. Seinen Anforderungen muß die Behandlung von Ausländern genügen. Hinter ihnen darf kein Staat durch einseitige Gestaltung seines nationalen Rechts zurückbleiben. Der Mindeststandard bildet die absolute untere Grenze, unter welche die Rechtsstellung des Ausländers nicht absinken darf. Diese Vorstellung leuchtet auch ein. Während sich das Völkerrecht im allgemeinen in die Beziehungen zwischen einem Staat und dessen Staatsangehörigen nicht einmischt, so daß sich die Rechtsstellung der Inländer gemeinhin allein nach innerstaatlichem Recht bestimmt, muß ein Staat bei der Behandlung von Ausländern auf die personale Hoheitsgewalt von deren Heimatstaaten Rücksicht nehmen. Von daher zählt die Rechtsstellung der Ausländer mehr als die der Inländer zum Regelungsbereich des Völkerrechts. Die Idee des fremdenrechtliehen Mindeststandards entspricht zwar der h. M. 3, ist aber nicht unbestritten. Gegen sie werden vor allem drei Argumente und Überlegungen vorgebracht. Deren erste ist die Theorie der Inländergleichbehandlung. Danach genügt ein Staat seinen völkerrechtlichen Pflichten stets schon dann, wenn er fremde Staatsangehörige genauso wie eigene behandelt4 • Wäre diese These richtig, wären unsere Zustellungsfiktionen unter fremdenrechtlichem Aspekt unbedenklich. Denn sie gelten für eigene wie fremde Staatsangehörige in gleicher Weise. Ihr Anknüpfungspunkt ist nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Aufenthalt im Ausland. I Vgl. hierzu Meessen, ebd., S. 249 f . 2 Vgl. z. B. Seidl-Hohenveldern, Rz. 1014 ff. s Vgl. u. a. Dahm, § 91 II (S. 504) m. w. N. in Fußn. 3; Verdross, S. 361; Verdross I Simna, S. 586 m. w. N.; Meessen, ebd., S. 238 f .; Doehring, S. 68; zur Rspr. des IGH vgl. etwa die Nachweise bei Verdross, S. 363, Fußn. 2, und bei Verdross I Simna, S. 586 (sub b); sehr deutlich v. a. das dissenting vote des Richters Read im Fall Nottebohm, ICJ Reports 1955, S. 46 f. 4 Nachweise zu dieser Theorie v. a. bei Doehring, S. 85 Fn. 296.

Kap. 4: Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtl. Mindeststandard 185 Gegen diese Theorie spricht entscheidend5 , daß der von ihr behauptete völkerrechtliche Grundsatz nicht nachweisbar ist6• Zwar gibt es Verträge, in denen jeder Staat den Angehörigen des anderen die Inländerbehandlung zusagt7 • Zwar gab es zeitweilig und partiell eine entsprechende Praxis8 • Gegen sie haben sich die meisten Staaten jedoch sogleich gewahrt, so daß diese Theorie heute nicht mehr praktiziert wird9 • Auch die Literatur lehnt sie durchweg ab10, nachdem einige Autoren früher unter Hinweis auf Handels- und Niederlassungsverträge, die eine Gleichstellung von In- und Ausländern vorsahen, anderer Ansicht waren. F. V. Garcia-Amador vertrat in seinem Bericht für die International Law Commission über die Verantwortlichkeit der Staaten11 den Standpunkt, der Konflikt zwischen Mindeststandard und Inländergleichbehandlung sei ebenso überholt wie die ganze Vorstellung von einem fremdenrechtliehen Mindeststandard, der einem Ausländer nach allgemeinem Völkerrecht zu gewähren sei' 2 • Das ergebe sich aus der Entwicklung der Menschenrechte, die zu einem Standard oberhalb des herkömmlichen Mindeststandards nach Fremdenrecht geführt habe. In der Tat hat der Ausbau des Menschenrechtsschutzes den Gedanken des fremdenrechtliehen Mindeststandards in manchen Punkten überflüssig gemacht13. Falls diese Entwicklung fortschreiten und es zu einem gemeinsamen internationalen Standard für die Behandlung von In- und Ausländern kommen sollte, hätte Garcia-Amador auch völlig recht. Zur Zeit gibt es aber noch etliche Rechtspositionen, etwa das Eigentumsrecht14, die weder im Vertrags- und erst recht nicht im allgemeinen Völkerrecht den Schutz durch Menschenrechte erfahren, den sie durch den fremdenrechtliehen Mindeststandard haben. Selbst wenn die Mensenrechte erheblich ausgebaut würden, wäre - worauf SeidlHohenveldern15 zu Recht hinweist - der menschenrechtliche Schutz dem fremdenrechtliehen nicht gleichwertig. Denn nur die Ausländer 5 6

1

Weitere Gegenargumente bringt v. a. Doehring, S. 85 ff. So v. a. Verdross, S. 362. Nachweise bei Dahm, S. 505, Fußn. 6.

B Insbesondere haben Rumänien und Mexico während der Weltkriege diese Theorie bei Entschädigungen für Verstaatlichungen praktiziert, vgl. dazu Seidl-Hohenveldern, S. 248 Rdnr. 1175 ff.; zum lateinamerikanischen Rechtskreis vgl. auchdie Nachweise bei Dahm, S . 503, Fußn. 2. 9 Vgl. die Nachweise bei Seidl-Hohenveldern, ebd. 10 Vgl. z. B. Verdross, S. 362 f. 11 International Responsibility, Report by F. V. Garcia-Amador, ILCYearbook 1956 II, 173 (201 ff.). 12 Verdross I Simna, S. 588, stimmen dem in der Tendenz zu. 13 Vgl. i. e. die Ausführungen bei Verdross I Simna, S. 588 f. 14 Vgl. Verdross I Simna, S. 588. 15 S. 248 f., Rdnr. 1178.

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

haben die Möglichkeit, wegen Verletzung ihrer Rechte den Schutz ihres Heimatstaates anzurufen, wodurch der Wert ihrer Rechtsposition erheblich gesteigert wird. Dagegen gibt es gegen Verletzungen menschenrechtlicher Positionen im allgemeinen Völkerrecht faktisch gar keinen Schutz. Denn zum einen ist nicht ersichtlich, wer hier die Rolle des Schützenden übernehmen soll. Der Gedanke an die Völkergemeinschaft dürfte utopisch sein, und auch ein einzelner Staat hat in aller Regel daran kein Interesse. Zum anderen sind humanitär motivierte Interventionen unter Anwendung oder auch nur Androhung von Gewalt heute16 zumindest fraglich1i. Ihnen werden sofort das Reservat der inneren Angelegenheiten und die Dogmen der Souveränität und Nichteinmischung entgegengehalten. Gegen die Existenz eines fremdenrechtliehen Mindeststandards könnte schließlich noch sprechen, daß dessen Umfang zu unbestimmt ist, als daß man von konkreten Pflichten der Staaten reden könnte18. In der Tat ist im einzelnen sehr fraglich, welche Rechtspositionen in welchem Umfang zum fremdenrechtliehen Mindeststandard gehören. Zwar gibt es einen nicht nur - wie Doehring meint19 - für das Privatrecht, sondern für das gesamte (deutsche) Recht geltenden Grund satz, daß jede Rechtsnorm, will sie wirksam sein, eines gewissen Grades von Bestimmtheit bedarf20. Er folgt aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes für den Bürger, der Teil der Rechtsstaatlichkeit ist. Die Grenzen der noch ausreichenden Bestimmtheit sind jedoch sehr weit zu ziehen. Das erweist sich etwa an den Verfassungsnormen, die oft kaum mehr als Lapidarformeln sind, die im wesentlichen noch der Konkretisierung bedürfen. Dennoch hält sie niemand mangels Bestimmtheit für unwirksam. In gleicher Weise tangiert auch die Unbestimmtheit eines völkerrechtlichen Rechtssatzes in aller Regel nicht seinen Bestand. Ansonsten dürfte man wohl auch nur noch sehr wenige Völkerrechtsnormen für wirksam halten. Außerdem ist zu beachten, daß die Völkerrechtssätze durch Auslegung genug Bestimmtheit gewinnen, um praktikabel zu sein21 . 16 Zur früheren intervention d'humanite vgl. Verdross I Simna, S. 584 m. w. N.; i. ü. handelt es sich hier um eine sehr alte Streitfrage, vgl. etwa Grottius, De iure belli ac pacis, Buch 2, Kap. 25. 17 Vgl. dazu Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 236; Dahm, S. 443 f.;

Doehring, S. 26. 1s Vgl. Doehring,

S. 83 m. w. N. 19 s. 83. 2o Vgl. etwa Raether, S. 24 m. w. N. 21 Vgl. Doehring, S. 84 f.

Kap. 4: Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtl. Mindeststandard 187 Da somit alle Gegenargumente nicht überzeugen, wollen wir mit der h. M. von der Existenz eines fremdenrechtliehen Mindeststandards ausgehen. Unsere nächste Überlegung gilt dann der Frage, ob und inwieweit fiktive Auslandszustellungen in den Regelungsbereich dieses völkerrechtlichen Instituts fallen. Die erste der dafür nötigen Abgrenzungen bezieht sich auf den persönlichen Geltungsbereich. Fiktive Auslandszustellungen erfolgen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit an Deutsche, an Ausländer und auch an Staatenlose, sofern sie nur im Ausland wohnen. Der fremdenrechtliche Mindeststandard erfaßt nicht alle diese Adressaten. Er gilt zunächst nicht für eigene, hier also deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz im Ausland. Insoweit kommt der nur durch die Menschenrechte durchbrochene Grundsatz zum Zuge, daß die Beziehungen der Staaten zu ihren eigenen Staatsangehörigen keine völkerrechtliche Regelungsmaterie sind. Auf den fremdenrechtliehen Mindeststandard können sich weiterhin Staatenlose nicht berufen22. Deren Rechtsbeziehungen zu einem Staat können nach heutigem Verständnis zwar völkerrechtlich relevant werden23, zumindest hinsichtlich der Menschenrechte. Der hinter der Anerkennung des fremdenrechtliehen Mindeststandards stehende Gedanke, daß jeder Staat bei der Behandlung von Ausländern auf die personale Hoheitsgewalt fremder Staaten Rücksicht nehmen muß, trägt jedoch nicht bei Staatenlosen. Sie haben wohl unstreitig keinen diplomatischen Schutz, weil als Voraussetzung der staatlichen Berechtigung zur Schutzausübung der Grundsatz gilt, daß jeder Staat nur seine eigenen Staatsbürger schützen kann24 • Somit ist ein möglicher Konflikt zwischen fiktiven Auslandszustellungen und fremdenrechtlichem Mindeststandard von dessen persönlichen Geltungsbereich her auf im Ausland wohnhafte Adressaten beschränkt, die fremde Staatsangehörige (Ausländer) sind. Wegen des Geltungsbereichs des fremdenrechtliehen Mindeststandards könnte man auch noch andere Zweifel haben. Wer sich als Ausländer auf ihn beruft, befindet sich regelmäßig im Hoheitsgebiet eines fremden Staates. Das trifft bei den Adressaten fiktiver Auslandszustellungen nicht zu. Sie sind außerhalb des handelnden Staates, u. U. sogar in ihrem Heimatstaat. Dies hindert die Anwendung des fr.e mdenrechtlichen Mindeststandards jedoch nicht. Er erfaßt die Beziehungen eines Staates zu Ausländern und damit auch Zustellungen. Daran Vgl. SeidL-HohenveLdern, § 73 Rdnr. 1172 (S. 247); Verdross, S. 360. Vgl. Doehring, S. 26 ff. 24 Vgl. Geck, Diplomatischer Schutz, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 380 ff. m. w. N. 22

2a

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

ändert sich nichts, wenn der Ausländer sich nicht im Hoheitsgebiet des handelnden Staates befindet. Wir wollen jetzt überlegen, welchen Inhalt der fremdenrechtliche Mindeststandard hat und welche seiner Positionen durch unsere Zustellungsfiktionen verletzt sein könnten. Anders als der menschenrechtliche kann der fremdenrechtliche Mindeststandard, weil er zum klassischen Regelungsbereich des Völkerrechts gehört, auch in den schon erwähnten "allgemeinen Rechtsgrundsätzen", die von den "zivilisierten Nationen" anerkannt sind, gefunden werden26• Seine Grundlage bilden dann inhaltlich gleiche innerstaatliche Vorschriften. Der Inhalt des Mindestmaßstabs ergibt sich ferner "aus der internationalen Rechtsüberzeugung und aus dem, was im internationalen Rechtsleben und in der Kulturwelt herkömmlich ist" 26 , also aus Gewohnheitsrecht. Meessen27 weist darauf hin, daß noch ein dritter Weg zur Verfügung steht, den Inhalt des fremdenrechtliehen Mindeststandards nachzuweisen. Er besteht in einer vorsichtigen Fortentwicklung und Konkretisierung anerkannter völkerrechtlicher Regeln28. Manche sagen, der Inhalt des fremdenrechtliehen Mindeststandards sei praktisch identisch mit dem menschenrechtliehen Standard des allgemeinen Völkerrechts29 • Zur Begründung wird auf den gemeinsamen Ursprung sowie die dogmatische Abhängigkeit und Begründung beider Rechtsinstitute hingewiesen30• Wäre das richtig, böten die fremdenrechtlichen Minimalforderungen keinen eigenen Maßstab zur Überprüfung unserer Zustellungsfiktionen. Vielmehr gälten unsere menschenrechtliehen Erwägungen dann entsprechend. Die inhaltliche Gleichstellung von menschen- und fremdenrechtlichem Mindeststandard überzeugt jedoch nicht. Sie übersieht den schon erwähnten spezifischen Schutz, den Ausländer auf völkerrechtlicher Ebene haben. Nur sie haben die Möglichkeit, wegen Verletzung ihrer fremdenrechtliehen Positionen den diplomatischen Schutz ihres Heimatstaates anzurufen. Wenn menschenrechtliche Positionen verletzt werden, ist in aller Regel kein ausländischer Staat oder gar die Völkergemeinschaft daran interessiert. Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen. Das ist anders, wenn fremdenrechtliche Positionen des einzelnen verletzt werden und damit zugleich auch das Recht des betroffenen ausländischen Staats, die Beachtung dieser Positionen zu fordern:n. Infolgedessen ist 26 Meessen, Völkerrechtliche 2a Dahm, S . 504. 27

2s 29

Grundsätze, S. 239.

Völkerrechtliche Grundsätze, S . 239. Zu dieser Methode vgl. im einzelnen Meessen, ebd., S. 65 ff. So Doehring, S. 68.73 ; Verdross, S. 364.

so Doehring, S. 70 ff.

Kap. 4: Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtl. Mindeststandard 189 der fremdenrechtliche Mindeststandard inhaltlich nicht mit dem menschenrechtliehen vergleichbar. Er ist deshalb auch nicht auf einen elementaren Kernbereich zu beschränken, sondern kann erheblich weiter reichen, wie auch überwiegend anerkannt wird32 • Wenn man sich einen Überblick über diejenigen Positionen des fremdenrechtliehen Mindeststandards verschaffen will, die von fiktiven Auslandszustellungen verletzt sein könnten, empfiehlt es sich, bei den in der Lit. gegebenen Übersichten anzusetzen. Denn der Rspr., so zahlreich sie auch sein mag33, können immer nur punktuelle Fallentscheidungen entnommen werden, die sich auf eine Position oder einige wenige beschränken. Die inhaltlichen Konkretisierungen, die der fremdenrechtliche Mindeststandard in der Lit. erfährt, differieren teilweise erheblich''· Das braucht hier nicht beachtet zu werden, sofern nur diejenigen Rechte, die von fiktiven Auslandszustellungen berührt werden könnten, allgemein genannt sind. Von den vielen Positionen, die unter den Mindeststandard fallen sollen, kommen insoweit zwei in Betracht: das rechtliche Gehör und das Verbot der Rechtsverweigerung35. Von ihnen wird auch ganz überwiegend gesagt, daß sie zum fremdenrechtliehen Mindeststandard gehören36, wie die internationale Praxis zeigeBT. Für ihre Zugehörigkeit zum Mindeststandard spricht im übrigen auch ihre Aufnahme in die allgemeine Deklaration der Menschenrechte durch die UNO vom 17. 12. 194838 und in die Europäische Menschenrechtskonvention". Deshalb sollen die fiktiven Auslandszustellungen im Hinblick auf sie überprüft werden. Vgl. dazu auch Seidl-Hohenveldern, S. 249 Rdnr. 1181 f. So u. a. Dahm, S. 5031504; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 236. 33 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei E. Borchard, The Minimum Standard of the Treatment of Aliens, Proceedings of the American Society of International Law, 1939, S. 59; auch die Nachweise bei Meessen, ebd., S. 239, Fn. 15. 34 Überblicke bei Verdross, S. 364 ff.; Dahm, S. 506 ff.; Seidl-Hohenveldern, S. 250 ff.; Verdross I Simna, S. 586 ff. 35 Daß und wie sie durch unsere Zustellungsfiktionen tangiert sein können, haben unsere verfassungsrechtlichen Überlegungen gezeigt. 38 Vgl. Verdross, S. 370; Dahm, S. 509; Seidl-Hohenveldern, S. 253 f. Rdnr. 119; Verdross I Simna, S. 587. 37 Meessen, ebd., S. 249 f., weist auf das Urteil eines englischen Gerichts von 1808 (Buchanan v. Rucker) hin, in dem das Gericht die Vollstreckung eines auf Tobaga erlassenen Versäumnisurteils gegen einen Bekl. ablehnte, der die Insel noch nie betreten hatte; Dahm, ebd., Fußnote 23, stellt die Schiedssprüche der gemischten Schiedskarnmissionen heraus, die in den 20er und 30er Jahren aufgrundvon Schiedsverträgen zwischen Mexiko und den USA, Großbrit., Frankr. u. Deutschl. arbeiteten, vgl. RIIA Bd. 4 u. 5. as Deren Art. 8 betrifft den Rechtsschutzanspruch, das rechtliche Gehör ist in Art. 10 enthalten; vgl. dazu Rüping, S. 106. 39 Vgl. Art. 6 MRK; zu dessen Interpretation Rüping, S. 107. 31

32

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

Zuvor soll jedoch noch einmal kurz auf das schon erwähnte Diskriminierungsverbot eingegangen werden. Anders als oben geht es dabei nur um seinen individualrechtliehen Aspekt. Ob und in welchem Umfang dieses Verbot überhaupt unter den Minimalstandard fällt, mag streitig sein, braucht hier aber nicht geklärt zu werden, Denn selbst wenn es dazu gehören sollte40, kann es doch auch in diesem Zusammenhang nicht mehr besagen, als daß kein Fremder wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werden darf. Wie erwähnt, tun die fingierten Auslandszustellungen dies nicht. Ihr Anknüpfungskriterium ist der ausländische Aufenthaltsort, nicht die ausländische Staatsangehörigkeit. Dahm41 rechnet das Diskriminierungsverbot außerdem insoweit zum fremdenrechtliehen Mindeststandard, als es die Benachteiligung von Ausländern bei solchen Rechten verbietet, die sowohl dem fremden- wie dem menschenrechtliehen Minimum zugehören. Darin liegt nicht mehr als eine Umschreibung des menschenrechtliehen Charakters der Menschenrechte, die für unsere Problematik unergiebig ist. Mithin kommen nur rechtliches Gehör und Rechtsverweigerungsverhot als fremdenrechtliche Positionen in Betracht, die von fiktiven Auslandszustellungen verletzt werden könnten, falls sie überhaupt wie die Lit. übereinstimmend meint - zum fremdenrechtliehen Mindeststandard zählen. Das läßt sich vielleicht nachweisen, indem man den Charakter dieser Rechtsinstitute als allgemeine Grundsätze im Sinn von Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts aufzeigt. Couture42 hat in seiner Untersuchung über den verfassungsmäßigen Schutz des Prozesses gezeigt, daß Rechtsschutz und rechtliches Gehör in fast allen Ländern - gleich, ob sie dem common law oder dem System der Kodifikation folgen - sogar vom Verfassungsrecht geschützt werden43• Auf der anderen Seite sehen sich viele Staaten dadurch keineswegs gehindert, fiktive Zustellungen durchzuführen. Dafür sei an das französische System der remise au parquet erinnert, das von mehreren europäischen Ländern übernommen wurde. Diese Lage deutet darauf hin, daß es zwar allgemeine Rechtsgrundsätze gibt, wonach Rechtsschutz und rechtliches Gehör zu gewähren sind, daß fiktive Zustellungen jedoch für durchaus vereinbar mit diesen Grundsätzen gehalten werden. Um diese These zu verifizieren, müßte das Verhältnis zwischen Rechtsschutz und Gehör auf der einen und den fiktiven Zustellungen auf der anderen Seite in den einzelnen Rechtsordnungen genauer durchleuchtet werden. Dafür müßte 40

41 42 43

So etwa Doehring, S. 202. s. 506. ZZP 67 (1954), S. 128 ff. Vgl. die Aufzählung bei Couture auf S. 132 f.

Kap. 4: Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtl. Mindeststandard 191 man die verschiedenen Rechtsprechungen und Rechtswissenschaften im einzelnen untersuchen. Eine derartige Aufgabe ginge über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Wir wollen deshalb nach einem anderen Lösungsansatz suchen. Bei ihren Bemühungen um Konkretisierung des fremdenrechtliehen Mindeststandards versucht die Lit., zum Teil unter Berufung auf die Rspr., allgemeine Kriterien zur Begrenzung dieses Standards zu entwickeln. Vielleicht helfen sie uns weiter. Seidl-Hohenveldern44 meint, ein denial of justice liege nur vor, wenn der Richter mit seinem Verhalten die Absicht verfolge, dem Ausländer zu schaden, weil er Ausländer sei. Wenn wir dieser Forderung folgen wollen, müßten wir sie ebenso für die Versagung rechtlichen Gehörs erheben können. Wäre diese Ansicht richtig, bestünden gegen fiktive Auslandszustellungen wegen des fremdenrechtliehen Mindeststandards keine Bedenken. Denn der ihnen innewohnenden Möglichkeit der Versagung von Gehör und/ oder Rechtsschutz ist eine derartige Intention fremd. Vielmehr hat diese Möglichkeit ganz andere Gründe und Ziele, wie wir gesehen haben. Das kann hier aber auf sich beruhen, denn die Ansicht Seidis überzeugt nicht. Er selber begründet sie nicht. Eine einsichtige und überzeugende Begründung ist auch nicht ersichtlich. Ein anderer Ansatz zur Begrenzung des fremdenrechtliehen Mindeststandards beruht auf der Überlegung, daß alle durch ihn geschützten Rechtspositionen in der Idee wurzeln, daß die Staaten untereinander verpflichtet sind, in der Person des Ausländers die Menschenwürde zu achten45 • Wenn das zutrifft, bestehen für unsere Zustellungsfiktionen jedenfalls im Hinblick auf das rechtliche Gehör allenfalls in Ausnahmefällen Bedenken. Als wir bei unseren verfassungsrechtlichen Überlegungen nach dem Geltungsgrund des rechtlichen Gehörs suchten und dabei auch die Menschenwürde diskutierten, sagten wir, sie könne nur durch gewichtige Verweigerungen des rechtlichen Gehörs berührt werden, durch Verletzungen dieses Rechts infolge fiktiver Auslandszustellungen deshalb nur in ganz krassen Fällen46 • Dabei ist insbesondere daran zu denken, daß ein Verfahren gegen den Ausländer läuft, ohne daß er davon irgend etwas erfährt, oder daß er von dem Verfahren zwar weiß, jedoch überhaupt keine Äußerungsmöglichkeit erhält. Aus RZ 1198 a. E. (S. 294). Vgl. u. a. Dahm, S. 503: "Jeder Staat hat im Ausländer den Menschen ... zu achten."; Verdross, S. 363 (a. E.); Verdross I Simna, S. 586; Max Huber in seinem Schiedsspruch vom 1. 5. 1925 in der "affaire des biens britanniques au Maroc espagnol (RIAA II, S. 641), wo er feststellte, daß eine Negierung des fremdenrechtliehen Mindeststandards auf eine "negation de la personnaHte humaine" hinauslaufe (vgl. auch das Zitat aus diesem Schiedsspruch bei Verdross, S. 363 f., Fn. 3). 46 s. o. Teil B, Kap. 2, 1., c). 44 45

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Teil F: Fiktive Auslandszustellungen und allgemeines Völkerrecht

unseren verfassungsrechtlichen Überlegungen wissen wir, daß es zu derart krassen Verletzungen des rechtlichen Gehörs allenfalls in jenen Fällen von öffentlicher Zustellung kommen kann, die wir nur im Wege harmonisierender Verfassungsauslegung mit dem Recht auf Gehör vereinbaren konnten. Das aber bedeutet: wenn es richtig ist, daß der Schutz durch den fremdenrechtliehen Mindeststandard erst bei drohender Verletzung der Menschenwürde eingreift, können von den fiktiven Auslandszustellungen nur wenige Fälle der öffentlichen Zustellung Zweifel erwecken. Zudem erscheint selbst bei diesen wenigen Fällen ein Verstoß gegen den Mindeststandard noch sehr fraglich, wenn man die Kautelen (angemessenes Veröffentlichungsmittel; strenge Auslegung der Voraussetzung "ultima ratio" bei der öffentlichen Zustellung) berücksichtigt, die wir gefordert haben, um die öffentlichen Zustellungen mit dem rechtlichen Gehör und der Rechtsschutzgarantie vereinbaren zu können. Auch diesen Erwägungen brauchen wir aber nicht im einzelnen nachzugehen, weil es einen treffenderen Ansatz zur Lösung unserer Problematik gibt. Dahm deutet ihn an, wenn er feststellt, im Rahmen einer geordneten Rechtspflege könne auch in den fremdenrechtliehen Mindeststandard eingegriffen werden47 • Die fingierten Auslandszustellungen sind jedenfalls dann, wenn man sie in den Grenzen anwendet, die wir ihnen aus verfassungsrechtlichen Gründen gezogen haben, für Einleitung, Fortführung oder Beendigung eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Verfahrens unumgänglich. Sie halten sich deshalb nicht nur im Rahmen einer geordneten Rechtspflege, sondern sind sogar unbedingt nötig, um diese überhaupt erst zu ermöglichen. Der Idee des fremdenrechtliehen Mindeststandards liegt die Achtung vor der fremden Personalhoheit über den Ausländer zugrunde. Diese Achtung findet ihre Grenzen, wenn sie dem handelnden Staat die Wahrnehmung seiner zentralen staatlichen Funktionen unmöglich machen muß. Das läßt sich mit der Zielsetzung des völkerrechtlichen Individualrechtsschutzes durch den fremdenrechtliehen Mindeststandard nicht vereinbaren. Würde man einem Staat unter Berufung auf diesen Standard fiktive Auslandszustellungen untersagen, so müßte dies jedoch dazu führen, daß ihm die Durchführung bestimmter Verfahren und damit die Wahrnehmung seiner Judikativ- oder Exekutivfunktion unmöglich wird. Damit ergibt sich für den letzten Teil unserer Untersuchung: Unter dem Aspekt des fremdenrechtliehen Mindeststandards erwekken fiktive Auslandszustellungen Bedenken, weil sie zu einer Hechtsschutzverweigerung oder einer Versagung des rechtlichen Gehörs füh47

s. 506/507.

Kap. 4: Fiktive Auslandszustellungen und fremdenrechtl. Mindeststandard 193

ren können. Diese Bedenken sind aber jedenfalls dann unbegründet, wenn man die Grenzen anerkennt, die wir schon aus verfassungsrechtlichen Gründen den fingierten Auslandszustellungen des deutschen Rechts gezogen haben.

Zusammenfassung An einen Empfänger im Ausland muß anders zugestellt werden als an einen im Inland. Denn Zustellungen sind staatliche Hoheitsakte, die nach dem völkerrechtlichen Souveränitätsprinzip kein Staat auf dem Gebiet eines anderen ohne dessen Zustimmung vornehmen darf. An einen Adressaten im Ausland kann deshalb grundsätzlich nur mit Zustimmung des ausländischen Staates zugestellt werden. Demgemäß erfolgen solche Zustellungen regelmäßig auf dem Weg über die internationale Rechtshilfe, die für den Zivilprozeß am weitesten gediehen ist. Da bei einer Requisitorialzustellung mehrere in- und ausländische Behörden tätig werden, kostet sie Mühe und Zeit. Von daher besteht ein Bedürfnis für eine einfachere und schnellere Zustellungsmöglichkeit. Fiktive Auslandszustellungen befriedigen dieses Bedürfnis. Der zweite und wichtigere Grund für ihre Existenz liegt darin, daß es Fälle gibt, in denen der Requisitodalweg versagt. Das kann verschiedene Gründe haben. So kann der ausländische Aufenthaltsort des Adressaten unbekannt sein, die ausländischen Behörden, deren Mitwirkung nötig ist, können aus irgendwelchen Gründen funktionsunfähig sein, oder der betreffende ausländische Staat verbietet ausdrücklich die Vornahme bestimmter Zustellungen, wie es die Schweiz für ausländische Kartellverwaltungsakte getan hat. Wenn in solchen Fällen, in denen die Requisitodalzustellung ausscheidet, ein Prozeß oder Verwaltungsverfahren nicht an fehlenden Zustellungsmöglichkeiten scheitern soll, müssen andere Rechtsinstitute die Lücken in der internationalen Rechtshilfe bei Zustellungen schließen. Genau dies ist Aufgabe der fiktiven Auslandszustellungen. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist, daß sie nicht durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks am ausländischen Wohnort des Adressaten, sondern durch eine im Inland vorzunehmende Handlung erfolgen. Da sie nicht in der Übergabe an den Empfänger selbst, an einen Empfangsbevollmächtigten oder auch nur an eine Ersatzperson bestehen, sind sie fiktiv. Die wichtigsten Arten fiktiver Zustellung sind die Zustellung durch Aufgabe zur Post und die öffentliche Zustellung. Bei jener wird die Übergabe durch die Aufgabe zur Post ersetzt, die in der Übergabe an die Postanstalt besteht. Mit ihr gilt das Schriftstück als zugestellt.

Zusammenfassung

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Bei der öffentlichen Zustellung wird die Übergabe durch die öffentliche Bekanntmachung in bestimmten Formen ersetzt. Weitere Arten von Zustellungsfiktionen sind die Zustellung durch Postrückschein und die gern. § 183 AO n. F. (§ 219 AO a. F.). Unser Verfahrensrecht kennt die Zustellung durch Aufgabe zur Post wie die öffentliche Zustellung in vielen Fällen und auf vielen Rechtsgebieten. Voraussetzungen und Durchführung sind dabei von Fall zu Fall verschieden geregelt. Die wichtigste Aufgabe jeder Zustellung besteht darin, dem Adressaten eine zuverlässige Möglichkeit zu verschaffen, vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis zu nehmen, so daß er sich zu ihm äußern kann. Damit aber dient die Zustellung dem rechtlichen Gehör. Fiktive Auslandszustellungen können die Erfüllung dieser Aufgabe nicht gewährleisten. Da sie keine Übergabe an den Empfänger kennen, sondern die Zustellungaufgrund einer Handlung fingieren, deren Vornahme dem Empfänger keineswegs bekannt zu sein braucht, stellen sie nicht sicher, daß er vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks überhaupt und rechtzeitig erfährt. Deshalb ist fraglich, ob fiktive Auslandszustellungen mit dem Recht auf Gehör vereinbar sind. Das Grundgesetz garantiert dieses Recht in Art. 103 Abs.1, soweit es um Verfahren vor staatlichen Gerichten geht. Diese Norm bildet den ersten Prüfungsmaßstab für unsere Untersuchung. Da fiktive Zustellungen zur Versagung des rechtlichen Gehör führen können, ist die Frage ihrer Vereinbarkeit mit Art.103 Abs. 1 GG auf dem Hintergrund des Problems zu sehen, ob und welche Schranken dieses seinem Wortlaut nach unbegrenzte und unbegrenzbare Grundrecht hat. Unsere Untersuchungen haben dafür zwei Lösungsansätze ergeben. Der erste macht Schranken des Art.103 Abs. 1 GG auf dem Weg über dessen Interpretation deutlich. Sie beruht auf dem Gedanken, daß den verfahrensbeteiligten Bürger als Konsequenz seiner vor allem in Art. 1 GG anerkannten Subjektstellung die Verantwortung trifft, die ihm gebotenen prozessualen Möglichkeiten auszunutzen und widrigenfalls die Konsequenzen zu tragen. Daraus folgt für das rechtliche Gehör, daß ihm genügt ist, wenn einem Beteiligten lediglich die - rechtlich und faktisch allerdings effektive- Möglichkeit zur Äußerung geboten wird. Der Bürger muß also infolge seiner persönlichen Verfahrensverantwortung das Seine tun, um vor Gericht Stellung zu nehmen und gehört zu werden. Für die Problematik der Vereinbarkeit fiktiver Zustellungen mit dem rechtlichen Gehör bedeutet dies, daß solche Zustellungsfikitionen verfassungskonform sind, die das Verfahrensrecht zuläßt, wenn und weil der Adressat bewußt oder nachlässig versäumt 13*

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hat, eine andere, vom Gesetz primär vorgesehene Zustellungsmöglichkeit auszunutzen, die keine Gefährdung seines rechtlichen Gehörs mit sich brachte. Zum zweiten ergeben sich für Art. 103 Abs. 1 GG Schranken bei einer Kollision mit einem anderen Grundrecht, einer verfassungsrechtlichen Instituts- oder institutionellen Garantie oder mit einem zumindest gleichrangigen Gemeinschaftsinteresse. Infolgedessen können fiktive Auslandszustellungen trotz ihres Widerspruchs zu Art.103 Abs.1 GG zulässig sein, wenn und soweit hinter ihnen ein mit dem rechtlichen Gehör des Adressaten kollidierendes Grundrecht etc. des an der Zustellung Interessierten steht. Hier ist ein Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter im Sinne praktischer Konkordanz zu suchen. Maßgebliche Kriterien dafür sind die Stärke der jeweiligen Beeinträchtigung der betroffenen Grundrechte etc., der Stellenwert der kollidierenden Rechtsgüter im Verfassungsgefüge, die durch Art.19 Abs. 2 GG gezogene Grenze und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem bisher angesprochenen Problem der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit Art. 103 Abs.1 GG steht die Frage gleich, ob diese Zustellungen mit dem Recht auf Gehör vereinbar sind, welches das Grundgesetz auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Norm garantiert und das insoweit aus den Verfassungsprinzipien der Menschenwürde und des Rechtsstaats folgt. Die Lösungswege sind für beide Problemstellungen gleich. Mit Hilfe der geschilderten beiden Lösungsansätze können wir die Verfassungskonformität fiktiver Auslandszustellungen klären, indem wir die verfahrensrechtlichen Regelungen in verschiedene Fallgruppen aufteilen. Innerhalb der Zustellungen durch Aufgabe zur Post ist maßgebliches Kriterium, ob sie erst dann zugelassen werden, wenn der Adressat trotz vorherigen Verlangens der Behörde oder des Gerichts keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat. Im einzelnen ergeben sich für die so gebildeten Fallgruppen folgende Ergebnisse. 1. Verfahrensrechtliche Regelungen, welche die Zustellung durch Auf-

gabe zur Post an einen ausländischen Adressaten gestatten, wenn er trotz vorheriger Aufforderung keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, sind mit dem grundgesetzliehen Recht auf Gehör vereinbar. Denn hier hatte der Adressat eine realistische Chance, durch Bestellung des Zustellungsvertreters für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die sein rechtliches Gehör nicht gefährdete.

2. Soweit Zustellungen durch Aufgabe zur Post bei fehlenden Zustellungsbevollmächtigten ohne vorherige Aufforderung zu dessen Bestellung vorgesehen sind, muß verfassungskonform dahin ergänzt werden, daß der Adressat zur Bevollmächtigtenbestellung durch das Gericht oder die Behörde aufzufordern ist.

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3. Konkurs- und Vergleichsverfahren kennen Zustellungen durch Aufgabe zur Post, die zu keiner der beiden ersten Fallgruppen zählen, da sie solche Zustellungen ohne Rücksicht auf die fehlende Benennung eines Zustellungsvertreters vorsehen. Auch diese Regelungen sind aus jeweils verschiedenen Gründen mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs vereinbar. Die aus dem rechtlichen Gehör dem Gericht oder der Behörde erwachsenden Aufgaben gehen nicht so weit, den Adressaten darauf hinzuweisen, daß mangels Bevollmächtigtenbenennung die Zustellung durch Aufgabe zur Post zulässig wird und daß damit eine Gefährdung seines rechtlichen Gehörs eintritt. Ebensowenig muß jede Zustellung durch Aufgabe zur Post per Einschreiben erfolgen. Für die Aufteilung der öffentlichen Auslandszustellungen in Fallgruppen ist insbesondere maßgeblich, ob sie aus Gründen, die gerade der Adressat zu vertreten hat, als letzte und einzige Zustellungsmöglichkeit in Betracht kommen. Im einzelnen ergeben sich hier folgende Ergebnisse: 1. Soweit die öffentliche Zustellung die einzig mögliche Zustellungs-

art ist und der im Ausland wohnende Adressat dies zu verantworten hat, ist sie mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren, sofern man ihm mög1ichst weitgehend zu entsprechen sucht, indem man die betroffenen Vorschriften des Verfahrensrechts in zwei Richtungen verfassungskonform auslegt und ergänzt: die öffentliche Zustellung muß wirklich die letzte Möglichkeit sein; an das Vorliegen dieser Voraussetzung ist ein strenger Maßstab anzulegen; das Gericht oder die Behörde muß ein angemessenes Veröffentlichungsmittel wählen; bei einem im Ausland wohnenden Adressaten ist das vornehmlich der Bundesanzeiger.

2. Soweit die öffentliche Zustellung aus Gründen, die der Adressat nicht zu vertreten hat, die einzige Zustellungsmöglichkeit ist, sind die einschlägigen Vorschriften des Verfahrensrechts gleichfalls grundsätzlich mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs zu vereinbaren. Hier kollidiert dieses Prinzip mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Sie fordert im Interesse des die öffentliche Zustellung Betreibenden, daß er das Verfahren gegen den im Ausland wohnenden Adressaten eröffnen, fortführen und in angemessener Zeit auch beenden kann. Die zur Auflösung dieser Kollision nötige harmonisierende Verfassungsauslegung führt zu dem Ergebnis, daß die öffentlichen Zustellungen dieser Gruppe mit dem rechtlichen Gehör vereinbar sind, sofern man sie nicht nur in die beiden Richtungen, die wir bereits bei der vorigen Fallgruppe kennengelernt haben, sondern auch noch dahin verfassungskonform aus-

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Zusammenfassung legt oder ergänzt, daß der Empfänger nach Möglichkeit von der Vornahme der jeweils ersten öffentlichen Zustellung in einem Verfahren formlos zu benachrichtigen ist.

3. Die in Konkurs- und Vergleichsordnung vorgesehenen öffentlichen Bekanntmachungen sind mit dem rechtlichen Gehör vereinbar, obwohl sie z. T. nicht nur als "ultima ratio" zulässig sind. Soweit der Konkursverwalter zwischen öffentlicher Bekanntmachung und Einzelzustellung wählen kann, besteht allerdings die Ermessensrichtlinie, daß er die öffentliche Bekanntmachung nicht mehr wählen darf, sobald es nicht mehr darum geht, auch noch unbekannte Gläubiger zu erreichen. Für alle öffentlichen Bekanntmachungen ist ein angemessenes Veröffentlichungsmittel zu wählen. Die vom Verfahrensrecht ohne besondere Voraussetzungen zugelassene Zustellung durch Postrückschein ist mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs nicht zu vereinbaren. Hier versagen alle von uns gefundenen Lösungsmöglichkeiten. Die fingierte Zustellung gern. § 183 AO (n. F.) ist mit dem rechtlichen Gehör ebenso wie die frühere Regelung in § 219 AO vereinbar. Das folgt aus jenen, auf dem Gedanken der Verfahrensverantwortung des Bürgers beruhenden Erwägungen, die schon für die Beurteilung eines Teils der Zustellungen durch Aufgabe zur Post entscheidend waren. Die Verfassungsmäßigkeit von fiktiven Auslandszustellungen ist auch unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG zweifelhaft. Mit ihm will das Grundgesetz umfassenden Rechtsschutz gewähren. Dafür muß der durch einen Hoheitsakt in seinen Rechten Betroffene sich in jedem Falle vor Gericht wehren können. Diese Möglichkeit darf ihm auch nicht durch eine unzureichende Zustellungsregelung genommen werden. Genau dazu kommt es aber, wenn der Rechtsschutz, den die einfachrechtlichen Verfahrensgesetze in Erfüllung des Art. 19 Abs. 4 GG gewähren, indem sie Rechtsmittel gegen einen Hoheitsakt ausdrücklich zulassen, durch Zustellungsfiktionen im Ergebnis wieder ausgeschaltet wird. Denn diese Fiktionen bieten keine Gewähr, daß der Betroffene von der Zustellung des Hoheitsakts erfährt, die für den Lauf der Rechtsmittelfristen maßgeblich ist. Für die Lösung dieses Problems können wir die gleichen Wege benutzen, die wir schon zur Klärung der entsprechenden Frage im Hinblick auf das rechtliche Gehör gegangen sind. Das führt uns zu folgenden Ergebnissen: 1. Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post, die dann zugelassen

werden, wenn der Adressat trotz vorherigen Verlangens keinen Zustellungsvertreter bestellt hat, sind mit Art.19 Abs. 4 GG ver-

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einbar. Denn hier hat ihm die Behörde eine realistische Chance gegeben, für eine Zustellungsmöglichkeit zu sorgen, die seine Kenntnisnahme von dem späteren Hoheitsakt sicherstellte. Damit war die Möglichkeit verbunden, gegen diesen Akt den Rechtsweg zu beschreiten. Beide Chancen hat der Adressat aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht benutzt, wenn und weil er keinen Zustellungsvertreter bestellt hat, obwohl er infolge des behördlichen Hinweises wußte, daß er dies tun konnte und mußte. 2. Auslandszustellungen durch Aufgabe zur Post, die ohne das die vorherige Fallgruppe kennzeichnende Verlangen zulässig sind, müssen verfassungskonform dahin ergänzt werden, daß die Behörde zur Bestellung eines Vertreters auffordern muß. Dann sind sie in gleicher Weise wie die Fälle der ersten Gruppe mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. 3. Soweit öffentliche Auslandszustellungen der Rechtsschutzgarantie zuwiderlaufen können, läßt sie das Verfahrensrecht stets nur als "ultima ratio" zu. Sie verstoßen nur dann nicht gegen diese Garantie, wenn man die einschlägigen Verfahrensvorschriften verfassungskonform auslegt oder ergänzt. Dabei gelten die gleichen Zielrichtungen, die für die entsprechenden Fallgruppen im Hinblick auf das rechtliche Gehör gefunden wurden. 4. Auslandszustellungen durch Postrückschein sind mit Art. 19 Abs. 4 GG ebensowenig zu vereinbaren wie mit dem Grundgesetz des rechtlichen Gehörs. 5. § 183 Abs. 3 AO (n. F.) ist hinsichtlich der Rechtsschutzgarantie unbedenklich. Die Zustellungsfiktionen verstoßen weder gegen Abs. 1 noch gegen Abs. 3 des Art. 3 GG. Das Willkürverbot ist schon deshalb nicht verletzt, weil die aus fiktiven Auslandszustellungen resultierende Benachteiligung der im Ausland wohnhaften Empfänger einen vernünftigen und sachlich gerechtfertigten Grund hat. Die vom Verfahrensrecht vielfach zwingend oder fakultativ vorgesehene vollständige Veröffentlichung eines Schriftstücks bei dessen öffentlicher Zustellung kann gegen den vor allem durch Art. 2 Abs. 1 GG gesicherten Schutz der Privatsphäre verstoßen. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die Veröffentlichung im Rahmen eines Verfahrens erfolgt, das dem Öffentlichkeitsprinzip nach dem einschlägigen Verfahrensrecht ausnahmsweise nicht unterliegt. Diesen verfassungsrechtlichen Bedenken kann man weitestgehend durch eine nach verschiedenen Fallgruppen differenzierte verfassungskonforme Auslegung und Ergänzung des einfachen Rechts Rechnung tragen, die darauf abzielt, das Schriftstück nur auszugsweise bekannt zu machen.

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:Zusammenfassung

Unsere völkerrechtlichen Überlegungen beschränken sich auf das allgemeine Völkerrecht. Den ersten Ansatzpunkt für Zweifel an der Vereinbarkeit fiktiver Auslandszustellungen mit ihm bietet das Souveränitätsprinzip. Zwar haben Rspr. und Lit. insoweit ganz überwiegend keine Bedenken im Hinblick auf die Auslandszustellungen ·d. A. z. P. Sie sehen die fremde Gebietshoheit dadurch nicht tangiert, weil diese Zustellungen schon mit der Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an die Postanstalt bewirkt sind und die Übergabe stets im Inland stattfindet. Diese h. M. kann jedoch nicht überzeugen. Zur Zustellung d.A. z. P. gehört die Übersendung des Schriftstücks an den im· Ausland wohnenden Empfänger. Insoweit hat der hoheitliche Zustellungsakt, auch wenn er mit der Übergabe an die Post im Inland vollzogen worden ist, noch "Folgewirkungen", die sich im Ausland äußern. Die Frage ist, ob in ihnen eine Verletzung fremder Gebietshoheit zu sehen ist. Bei Abwägung ailer Umstände dürfte das v.a. aufgrundfolgender Erwägung eher zu bejahEm sein: zwischen dem Zustellungsakt und die Briefübersendung samt ihren "Folgewirkungen" besteht ein unlösbarer Zusammenhang, weshalb wir bei der rechtlichen Beurteilung beides als Einheit sehen müssen. Deswegen müssen wir den "Folgewirkungen" in Gestalt der Briefübersendung ebenso hoheitlichen Charakter z.u messen wie dem unmittelbaren Zustellungsakt Hoheitliche Tätigkeiten über die Grenzen des eigenen Territoriums hinweg verletzen aber fremde Gebietshoheit, weil und sofern sie die ·fremde Rechtsordnung und Hoheitsgewalt partiell durch die eigene Ordnung substituieren. Das ist hier der Fall. Denn wenn die Zustellung d. A. z. P. in Betracht kommt, so trifft die zuständige Behörde oder das zuständige Gericht die Entscheidung für oder gegen diese Zustellungsart allein aufgrund der inländischen Rechtsordnung. Von einer Unterwerfung unter die fremde Rechtsordnung des Staates, in dem sich der Zustellungsempfänger befindet, kann dabei keine Rede sein. Die Frage nach den Rechtsfolgen, wenn Auslandszustellu~gen d. A. z. P. mit ihren die fremde Gebietshoheit verletzenden "Folgewirkungen" vorgenommen werden, müssen wir unter dem Aspekt des Völkerrechts wie dem des . innerstaatlichen . . . Rechts sehen. Auf der völkerrechtlichen Ebene ergibt sich· für den betroffenen Staat nach den Grundsätzen des völkerrechtlichen Deliktsrechts ein Wiedergutmachungsanspruch: er kann von dem zustellenden Staa:t verlangen, so gestellt zu werden, als ob die völkerrechtswidrige "Folgewirkung" nicht eingetreten sei. Das führt zu einer Fiktion der Ni~t-Überseri­ dung des mit der Übergabe an die Post zugestellten Schriftstücks. .

Unter dem Aspekt des innerstaatlichen Rechts müssen wir davon ausgehen, daß die Zustellung nicht schon wegen ihrer Völkerrechts-

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widrigkeit unwirksam ist. Da der Grundsatz der Territorialität des Geltungsbereichs staatlicher Regelungen zu den "allgemeinen Regeln des Völkerrechts" i. S. v. Art. 25 GG zählt, ist sie jedoch nach deutschem Recht rechtswidrig. Da Zustellungen v. a. mangels Regelungsgehalts keine Verwaltungsakte sind, bedeutet Rechtswidrigkeit hier zugleich auch Unwirksamkeit. Dieses Ergebnis folgt zudem daraus, daß eine Zustellung d. A. z. P., bei der wir von der Nicht-Vornahme der anschließenden Briefübersendung ausgehen müssen, nicht mehr mit dem Prinzip des rechtlichen Gehörs und der Rechtsschutzgarantie vereinbart werden kann. Bei den öffentlichen Auslandszustellungen stößt die von uns aus verfassungsrechtlichen Gründen teilweise geforderte Benachrichtigungspflicht auf völkerrechtliche Bedenken. Denn in der formlosen Benachrichtigung durch Postbrief liegt ebenso eine ,,Folgewirkung", wie sie in der Briefübersendung bei der Zustellung d. A. z. P. lag. Infolgedessen müssen wir unsere aus verfassungsrechtlichen Gründen erhobene Forderung im Hinblick auf das Völkerrecht wieder fallen lassen. Öffentliche Zustellungen, die demgemäß ohne Benachrichtigung durchgeführt werden, sind dennoch verfassungskonform. Sie erreichen nur nicht ein denkbares Optimum an praktischer Konkordanz, die wir zwischen dem rechtlichen Gehör und dem mit ihm kollidierenden Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG herstellen müssen. Für die völkerrechtliche Zulässigkeit der Auslandszustellungen mit Postrückschein gelten die zu den Auslandszustellungen d. A. z. P. angestellten Überlegungen entsprechend, weil beide Zustellungsarten in ihrer rechtlichen Konstruktion hinsichtlich der "Folgewirkungen" gleichzusetzen sind. Die Zustellungsfiktion gern. § 103 AO unterliegt keinen völkerrechtlichen Bedenken wegen Verletzung fremder Gebietshoheit, da sie keine "Folgewirkungen" kennt. Den zweiten Ansatzpunkt für Zweifel an der Vereinbarkeit fingierter Auslandszustellungen mit dem allgemeinen Völkerrecht bietet dessen Diskriminierungsverbot. Es wird jedoch nicht verletzt, da die Zustellungsfiktionen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Adressaten vorgesehen sind. Fiktive Auslandszustellungen verstoßen auch nicht gegen den menschenrechtliehen Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts. Denn die Rechtsverweigerung, in der die denkbar schwerste Menschenrechtsverletzung durch solche Zustellungen liegt, gehört nicht zu diesem Standard. Im Hinblick auf den fremdenrechtliehen Mindeststandard des allgemeinen Völkerrechts scheinen fiktive Auslandszustellungen bedenk-

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lieh, weil sie zu einer Rechtsschutzverweigerung und/oder Versagung des rechtlichen Gehörs führen können. Diese Bedenken sind aber jedenfalls dann unbegründet, wenn man die Grenzen anerkennt, die wir schon aus verfassungsrechtlichen Gründen den fingierten Auslandszustellungen des deutschen Rechts gezogen haben.

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