Figurierte Zahlen: Veranschaulichung als heuristische Strategie [2 ed.] 3662678292, 9783662678299, 9783662678305

Dieses Buch behandelt die Visualisierung als Methode des mathematischen Problemlösens, Begründens und Beweisens: Konkret

120 82 4MB

German Pages xi, 163 [170] Year 2024

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort zur 2. Auflage
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Historische Anfänge
2.1 Die Arithmetik der Spielsteine
2.2 Gnomone
2.2.1 Zum Begriff des Gnomons
2.2.2 Gnomone in der Mathematik
2.2.3 Gnomone: Eine erste Zusammenfassung
3 Einführende Beispiele, Potenzsummen
3.1 Dreieckszahlen / Triagonalzahlen
3.2 Trapezzahlen
3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen
3.3.1 Quadratzahlen, ungerade Zahlen und die Gnomon-Methode
3.3.2 Quadratzahlen und babylonische Multiplikation
3.3.3 Summen von Quadratzahlen
3.3.4 Ungerade Quadratzahlen
3.4 Kubikzahlen
4 Polygonal- und Pyramidalzahlen
4.1 Nichtzentrierte Polygonalzahlen
4.1.1 Beispiele
4.1.2 Das Konstruktionsprinzip der nichtzentrierten Polygonalzahlen
4.1.3 Die explizite Darstellung der nichtzentrierten Polygonalzahlen
4.2 Zentrierte Polygonalzahlen
4.3 Pyramidalzahlen
4.4 Bemerkungen zur Symbolverarbeitung
5 Systematisierung durch Differenzenbildung
5.1 Differenzenfolgen von Polygonal- und Pyramidalzahlen
5.2 Allgemeine Differenzenfolgen
5.3 Ein kleines Szenario zum Differenzenkalkül im Computeralgebra System Maxima
6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus
6.1 Wechselwegnahme, Kommensurabilität und Inkommensurabilität
6.2 Die Division mit Rest
6.3 Größter gemeinsamer Teiler (ggT) und kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV)
6.4 Der Euklidische Algorithmus
6.5 Kettenbrüche
7 Figurierte Fibonacci-Zahlen
7.1 Historischer Kontext
7.2 Definition der Fibonacci-Zahlen in heutiger Notation
7.3 Veranschaulichung der definierenden Gleichung
7.4 Weitere auf den Fibonacci-Zahlen basierende Veranschaulichungen
7.4.1 Quadrate und Rechtecke aus Fibonacci-Zahlen
7.4.2 Fibonacci-Zahlen und optische Täuschungen
7.5 Die Fibonacci-Zahlen und der Euklidische Algorithmus
7.6 Die Formel von Binet
7.7 Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen
7.7.1 Rekursives Verfahren
7.7.2 Iteratives Verfahren
7.7.3 Berechnung mit Hilfe der Formel von Binet
7.7.4 Berechnung der Fibonacci-Zahlen mit Matrizen
7.7.5 Teile und Herrsche
8 Die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt
8.1 Quotienten aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen
8.2 Der Goldene Schnitt
9 Phyllotaxis
9.1 Erste Beobachtungen
9.2 Modell und Simulation
9.3 Zusammenfassung
10 Lineare Differenzengleichungen und die Herleitung der Formel von Binet
10.1 Lineare Differenzengleichungen erster Ordnung
10.2 Lineare Differenzengleichungen zweiter Ordnung
11 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion
11.1 Die natürlichen Zahlen
11.2 Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion
11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion
11.3.1 Einige typische Beispiele
11.3.2 Einige nicht so ganz typische Beispiele
11.3.3 Zahlenmuster und vollständige Induktion
11.3.4 Vollständige Induktion im Zusammenhang mit Mengen
11.3.5 Vollständige Induktion im Zusammenhang mit Beispielen aus der Geometrie
11.3.6 Definition durch vollständige Induktion
11.3.7 Vollständige Induktion und andere Beweistechniken
11.3.8 Scheinbeweise, Lustiges und Merkwürdiges
11.3.9 Ein frühes historisches Beispiel zur vollständigen Induktion
11.3.10 Muss es immer vollständige Induktion sein?
A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen
A.1 Summen ungerader Zahlen
A.2 Summen von Kubikzahlen
A.3 Pascalsches Dreieck und Fibonacci-Zahlen
B Bildnachweise
Literatur
Stichwortverzeichnis
Recommend Papers

Figurierte Zahlen: Veranschaulichung als heuristische Strategie [2 ed.]
 3662678292, 9783662678299, 9783662678305

  • Commentary
  • Publisher PDF | Published: 27 March 2024
  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Jochen Ziegenbalg

Figurierte Zahlen Veranschaulichung als heuristische Strategie 2. Auflage

Figurierte Zahlen

Jochen Ziegenbalg

Figurierte Zahlen Veranschaulichung als heuristische Strategie 2., erweiterte Auflage

Jochen Ziegenbalg Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-662-67829-9 ISBN 978-3-662-67830-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2018, 2024 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Iris Ruhmann Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort zur 2. Auflage

In der 2. Auflage ist neben einigen kleineren thematischen Ergänzungen vor allem Kap. 6 mit den Themen Wechselwegnahme, Teilbarkeit, Euklidischer Algorithmus, Kettenbrüche sowie die Abschnitt 3.2 über Trapezzahlen, Abschnitt 3.3.4 über ungerade Quadratzahlen und Abschnitt 4.2 über zentrierte Polygonalzahlen neu hinzugekommen. Herrn Ehrhard Behrends bin ich für die kritische Durchsicht einiger der neuen Textteile dankbar. Für die gute verlagsseitige Betreuung der 2. Auflage bin ich besonders Frau Iris Ruhmann sehr zu Dank verpflichtet. Berlin im Juni 2023

Jochen Ziegenbalg

V

Vorwort

Das Manuskript zu diesem Buch ist aus einer Materialsammlung entstanden, die ich für die Sommerschule Lust auf Mathematik (ab 2017) erstellt habe. Die Sommerschule wird von der Humboldt-Universität zu Berlin organisiert, um mathematisch besonders interessierten Schülern (in der Regel aus dem 11. Schuljahr) Anregungen zu geben, die über den lehrplanmäßigen Schulstoff hinausgehen.1 Aus dieser Zielsetzung resultiert der elementare, anschauliche und z. T. sehr ausführlich gehaltene Stil dieses Buches. Von den Möglichkeiten, mathematikhistorische Anknüpfungspunkte in die Darstellung mit einzubeziehen, wurde reichlich Gebrauch gemacht. Es entspricht meiner Überzeugung, dass zu einer echten mathematischen Bildung auch (altersgemäße) Kenntnisse über die historische Entwicklung der Mathematik gehören2. Insgesamt geht der vorliegende Text deutlich über das hinaus, was in einem einwöchigen „Sommerschul“-Projekt möglich ist. Die einzelnen Kapitel sind aber im Sinne einer „flachen Hierarchie“ weitgehend unabhängig voneinander und können in fast beliebiger Reihenfolge ausgewählt und bearbeitet werden. Mathematische Texte sind oft nach dem Prinzip der maximalen „Redundanzfreiheit“ verfasst. Nicht so dieser Text, denn es gilt: Lässt sich ein und derselbe Sachverhalt auf verschiedenen Wegen ermitteln, begründen oder beweisen, so schafft dies Vertrauen in die gewählten Methoden und führt gelegentlich sogar zu neuen Erkenntnissen. Dies ist der Kern einer in der Mathematik oft angewandten Methode der Plausibilitätsprüfung, auch „Probe“ genannt. Geeignete Proben bringen nicht unbedingt immer neue Erkenntnisse, aber sie stabilisieren das Wissen – und vor allem: Sie sind auch im „Selbst-Test-Verfahren“ möglich. Der Lernende kann sie für sich selbst durchführen; er benötigt keine externe Autorität, die ihm sagt „richtig“ oder „falsch“.

1 Das System der Sommerschulen ist auf den folgenden Internetseiten ausführlich beschrieben: http://didaktik.mathematik.hu-berlin.de/de/projekte/laufende/sommerschulen 2 Der Mathematikhistoriker H. Wußing formuliert es folgendermaßen (vgl. Wußing 1979, Vorlesung 1): „Keine wissenschaftliche Disziplin würde mehr verlieren als die Mathematik, wenn man sie von ihrer Geschichte trennen würde.“

VII

VIII

Vorwort

Schließlich sei noch auf den folgenden Aspekt hingewiesen: Der Mathematik kommt im Bildungsprozess grundsätzlich eine aufklärerische Aufgabe zu. Dazu gehört traditionell die Schulung des Denkens, aber auch die Sinnes- und Wahrnehmensschulung. In der letzten Zeit gewinnt diese Aufgabe im Zusammenhang mit dem Strom an Informationen und Desinformationen, denen der Einzelne heute ausgesetzt ist, eine immer größere Bedeutung. Mathematik kann viel dazu beitragen, das Wissen darüber zu bereichern, dass und wie manche Bilder und Graphiken (z. B. optische Täuschungen – aber nicht nur diese) geeignet sind, absichtlich oder unabsichtlich falsche Sachverhalte zu vermitteln bzw. zu suggerieren. Mathematisches Denken und mathematische Methoden können dazu beitragen, nicht nur Scheinargumente zu analysieren und zu entlarven, sondern auch „Scheinwelten“ zu erkennen und von der realen Welt unterscheiden zu lernen. Manches von dem, was sich auf den folgenden Seiten wiederfindet, habe ich im Verlauf der Entstehung des Buches Arithmetik als Prozess (Wittmann et al. 2004) gelernt. Ich bin Erich Ch. Wittmann dankbar für die vielen intensiven und anregenden Gespräche, die wir dabei geführt haben. Für die kompetente und außerordentlich hilfreiche verlagsseitige Betreuung dieser Veröffentlichung sei Frau Ulrike Schmickler-Hirzebruch und Frau Barbara Gerlach ganz herzlich gedankt. Berlin im Januar 2018

Jochen Ziegenbalg

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2

Historische Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Die Arithmetik der Spielsteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Gnomone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.2.1 Zum Begriff des Gnomons. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.2.2 Gnomone in der Mathematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2.3 Gnomone: Eine erste Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . 13

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3.1 Dreieckszahlen / Triagonalzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3.2 Trapezzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.3.1 Quadratzahlen, ungerade Zahlen und die Gnomon-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.3.2 Quadratzahlen und babylonische Multiplikation. . . . . . . . 21 3.3.3 Summen von Quadratzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.3.4 Ungerade Quadratzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.4 Kubikzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4.1 Nichtzentrierte Polygonalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.1.1 Beispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.1.2 Das Konstruktionsprinzip der nichtzentrierten Polygonalzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1.3 Die explizite Darstellung der nichtzentrierten Polygonalzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.2 Zentrierte Polygonalzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.3 Pyramidalzahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.4 Bemerkungen zur Symbolverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

5

Systematisierung durch Differenzenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5.1 Differenzenfolgen von Polygonal- und Pyramidalzahlen. . . . . . . . . 51 5.2 Allgemeine Differenzenfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5.3 Ein kleines Szenario zum Differenzenkalkül im Computeralgebra System Maxima. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IX

X

Inhaltsverzeichnis

6

Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus. . . . . . . . . . . . . . . 61 6.1 Wechselwegnahme, Kommensurabilität und Inkommensurabilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 6.2 Die Division mit Rest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 6.3 Größter gemeinsamer Teiler (ggT) und kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6.4 Der Euklidische Algorithmus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 6.5 Kettenbrüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

7

Figurierte Fibonacci-Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7.1 Historischer Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7.2 Definition der Fibonacci-Zahlen in heutiger Notation. . . . . . . . . . . 78 7.3 Veranschaulichung der definierenden Gleichung. . . . . . . . . . . . . . . 79 7.4 Weitere auf den Fibonacci-Zahlen basierende Veranschaulichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 7.4.1 Quadrate und Rechtecke aus Fibonacci-Zahlen. . . . . . . . . 80 7.4.2 Fibonacci-Zahlen und optische Täuschungen . . . . . . . . . . 82 7.5 Die Fibonacci-Zahlen und der Euklidische Algorithmus. . . . . . . . . 84 7.6 Die Formel von Binet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 7.7 Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 7.7.1 Rekursives Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 7.7.2 Iteratives Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 7.7.3 Berechnung mit Hilfe der Formel von Binet. . . . . . . . . . . 89 7.7.4 Berechnung der Fibonacci-Zahlen mit Matrizen. . . . . . . . 90 7.7.5 Teile und Herrsche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

8

Die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 8.1 Quotienten aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen. . . . . . . . . . . . 93 8.2 Der Goldene Schnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

9 Phyllotaxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 9.1 Erste Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 9.2 Modell und Simulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 9.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 10 Lineare Differenzengleichungen und die Herleitung der Formel von Binet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 10.1 Lineare Differenzengleichungen erster Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . 111 10.2 Lineare Differenzengleichungen zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . 112 11 Natürliche Zahlen und vollständige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 11.1 Die natürlichen Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 11.2 Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion. . . . . . . . . . . . . . 117 11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 11.3.1 Einige typische Beispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 11.3.2 Einige nicht so ganz typische Beispiele. . . . . . . . . . . . . . . 124 11.3.3 Zahlenmuster und vollständige Induktion. . . . . . . . . . . . . 126

Inhaltsverzeichnis

11.3.4 Vollständige Induktion im Zusammenhang mit Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Vollständige Induktion im Zusammenhang mit Beispielen aus der Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.6 Definition durch vollständige Induktion. . . . . . . . . . . . . . . 11.3.7 Vollständige Induktion und andere Beweistechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.8 Scheinbeweise, Lustiges und Merkwürdiges. . . . . . . . . . . 11.3.9 Ein frühes historisches Beispiel zur vollständigen Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.10 Muss es immer vollständige Induktion sein?. . . . . . . . . . .

XI

131 134 138 139 142 143 144

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 B Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

1

Einleitung

„Verstehbar erklären ist wichtiger als vollständiges Deduzieren.“ Benno Artmann (deutscher Mathematiker, 1933–2010) „Mathematics is not a deductive science – that’s a cliché. When you try to prove a theorem, you don’t just list the hypotheses, and then start to reason. What you do is trial and error, experimentation, guesswork. You want to find out what the facts are, and what you do is in that respect similar to what a laboratory technician does.“ Paul Halmos (amerikanischer Mathematiker, 1916–2006.)

Der einzigartige erkenntnistheoretische Charakter der Mathematik, in dessen Zentrum der mathematische Beweis steht, entwickelte sich, historisch gesehen, im Kulturkreis der griechischen Antike. Dabei spielte die geometrische Veranschaulichung anhand von Zahlenmustern eine zentrale Rolle. Die Methode der figurierten Zahlen1 setzte, auf der Mathematik der Babylonier aufbauend, etwa zur Zeit von Pythagoras von Samos2 (um ca. 570–490 v.Chr.)3 ein. Die Lehre der Pythagoreer von „Gerade und Ungerade“ lieferte Erkenntnisse bis hin zu den vollkommenen Zahlen (vgl. van der Waerden 1966).

1 Der Begriff

„figurierte Zahlen“ ist nicht normiert und wird unterschiedlich gebraucht. Im engeren Sinne wird er gelegentlich nur für die Polygonalzahlen (vgl. Kap. 4) verwendet. In diesem Buch wird der Begriff der figurierten Zahlen aber weiter gefasst. Er soll alle (in der Regel ganzzahligen) Zahlenfolgen umfassen, die sich aus gewissen, meist geometrischen Mustern oder Strukturen ergeben. In diesem Sinne sind z. B. auch die Fibonacci-Zahlen (Kap. 7) oder die Betrachtungen zur Phyllotaxis (Kap. 9) ergiebige Quellen für figurierte Zahlen (vgl. Gazalé 1999). 2 Jahreszahlen entsprechend dem McTutor History of Mathematics Archive. 3 Pythagoras ist eine legendenumwobene historische Gestalt; er soll u. a. den stark metaphysisch orientierten Geheimbund der Pythagoreer gegründet haben.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_1

1

2

1

Einleitung

Der Neupythagoreer Nikomachos von Gerasa (ca. 60–120 n.Chr.) beschäftigte sich intensiv mit Dreiecks-, Vierecks- und Fünfeckszahlen. Geschicktes Legen von Punktmustern, oft auf der Basis der Verwendung von Winkelhaken („Gnomonen“), lieferte in unmittelbarer Weise nichttriviale Erkenntnisse. Auch große Mathematiker arbeiteten oft mit der Technik der figurierten Zahlen oder vergleichbarer Methoden. Von Carl Friedrich Gauß (1777–1855), einem der größten Mathematiker aller Zeiten, wird berichtet, dass er als junger Schüler die Aufgabe seines Lehrers, die Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, löste, indem er die Zahlenreihen 1, 2, 3, …, 100 zweimal untereinander aufschrieb; einmal in der natürlichen und einmal in der umgekehrten Reihenfolge. Er erkannte, dass jede der dadurch gegebenen 100 „Spaltensummen“ gleich 101 war, und ermittelte so in kürzester Zeit das Ergebnis.4 Diese Vorgehensweise lässt sich problemlos verallgemeinern und liefert in paradigmatischer5 Weise die Formel 1 + 2 + 3 + . . . + n = n · (n + 1)/2. In Abb. 3.2 ist eine geometrische Veranschaulichung dieses Sachverhalts gegeben. Wenn sich heute auch all diese Ergebnisse formal auf der Basis der vollständigen Induktion beweisen lassen, so liefert die Technik der figurierten Zahlen in der Regel den Ausgangspunkt für den kognitiven Prozess, der zu den entsprechenden Hypothesenbildungen führt. Oft sind auch die Begründungen mit Hilfe der Methode der figurierten Zahlen so unmittelbar klar und einleuchtend, dass sich ein formaler Beweis erübrigt. Wir werden sehen, dass sich bei den im Folgenden behandelten Themenbereichen figurierte Zahlen, Punktmuster, Zahlenmuster, Folgen und Reihen und vollständige Induktion die jeweils angewandten Methoden gegenseitig ergänzen und befruchten. Durch die Betrachtung von Punkt-, Rechtecks- und Zahlenmustern gelangt man fast automatisch zu problemspezifischen, charakteristischen Zahlenfolgen. Als wichtige Instrumente zur Analyse dieser Folgen werden wir dabei die Differenzenfolgen, Differenzenschemata und Differenzengleichungen kennenlernen. Wir haben es in diesem Buch mit einem Themenbereich zu tun, der große Überschneidungen zur Algorithmik und zur endlichen, diskreten Mathematik aufweist. Geeignete Werkzeuge, um dabei Experimente durchzuführen, sind alle Arten von Computerprogrammen6 und insbesondere die außerordentlich leistungsfähigen modernen Computeralgebra Systeme. Dieses Buch versteht sich (abgesehen von einigen „homöopathischen“ Hinweisen) zwar nicht als eine Einführung in die Nutzung von Computeralgebra Systemen; der Leser wird aber ausdrücklich dazu ermutigt, eigene Experimente mit derartigen Systemen durchzuführen7 . Figurierte Zahlen sind Teil des größeren Themenkomplexes Veranschaulichung (bzw. Visualisierung). Für das Erlernen von Mathematik, für das mathematische Problemlösen und sogar für die mathematische Begriffsbildung war und ist Visualisierung von enormer Bedeutung. Sie ist ein unersetzlicher Baustein im Werkzeugkasten

4 Wir

werden dies im Folgenden auch kurz als „Methode des jungen Gauss“ bezeichnen. Begriff des Paradigmatischen vgl. Abschnitt 3.3.1. 6 Selbstgeschriebene Programme sind dabei besonders wertvoll. 7 Es gibt sehr leistungsfähige Computeralgebra Systeme durchaus auch im public domain bzw. open source Bereich. 5 Zum

1

Einleitung

3

der mathematischen Heuristik8 . Während dies, historisch gesehen, schon immer so war, hat das Thema Visualisierung etwa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem mathematischen Beweisen eine besondere Aktualität und Bedeutung gewonnen. Zum einen war die Mathematik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt durch eine bis dahin ungekannte Formalisierung. Bedingt durch sich am Horizont abzeichnende neue Technologien und vor allem durch die von Bertrand Russell9 entdeckten Antinomien der Cantorschen10 Mengenlehre, wurden etwa um die Wende zum 20. Jahrhundert Forderungen nach möglichst präzise beschriebenen Grundlagen des mathematischen Arbeitens erhoben und umgesetzt. Dies mündete sehr bald ein in den Siegeszug der axiomatischen Methode für die Bildung mathematischer Begriffe und darauf aufbauend, für das mathematische Beweisen. Einer der Hauptvertreter des formalen Standpunkts in der Mathematik war David Hilbert 11 . Er präsentierte im Jahre 1900 anlässlich des internationalen Mathematiker-Kongresses in Paris eine Liste von 23 Problemen, deren Lösung die Mathematik des bevorstehenden Jahrhunderts entscheidend beeinflussen sollten. Hilbert war einer der führenden Mathematiker jener Zeit und die 23 Probleme waren mit außerordentlicher Weitsicht ausgesucht. Spätere Mathematiker konnten schlicht dadurch Berühmtheit erlangen, dass es ihnen gelang, eines der Hilbertschen Probleme zu lösen. Seinen formalistischen Standpunkt verdeutlichte Hilbert einmal drastisch durch den folgenden Ausspruch, der inzwischen zu einem der bestbekannten Zitate in der Mathematik geworden ist: „Man muss jederzeit an Stelle von Punkt, Gerade, Ebene‘ Tische, Stühle, Biersei’ ’ del‘ sagen können.“ In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich die axiomatische Methode als gängige Arbeitsmethode in der Mathematik durch. Das Autorenkollektiv unter dem Pseudonym Nicolas Bourbaki12 setzte sich zum Ziel, aufbauend auf der Mengenlehre die gesamte Mathematik im Sinne der axiomatischen Methode neu zu schreiben. Motiviert durch den Erfolg der axiomatischen Methode in der Mathematik als Wissenschaft kam sehr bald im Bereich des Schulwesens verschiedener Länder die Forderung auf, auch die Schulmathematik auf der Basis von Mengenlehre und axiomatischer Methode zu unterrichten. Diese „Reformen“ liefen unter Bezeichnungen wie new math in den U.S.A. oder Mengenlehre bzw. Neue Mathematik in Deutschland. Ihr Schicksal ist wohlbekannt; sie war, abgesehen von der Weiterverwendung von etwas mengentheoretischer Terminologie, ein großer Misserfolg. Sehr bald setze massive Kritik am „Bourbakismus“ ein; einerseits in Bezug auf die Schulmathematik, andererseits auch (abgeschwächt) in Bezug auf die Mathematik als Wissenschaft. Beweise und Begründungen machen die Essenz des mathematischen Arbeitens aus; auch in der Schulmathematik. Die Frage ist nur, was ist im Schul-

8 Heuristik:

Lehre von der Kunst bzw. den Techniken des Problemlösens. Russell, 1872–1970, englischer Philosoph, Mathematiker und Logiker. 10 Georg Cantor, 1845–1918, deutscher Mathematiker. 11 David Hilbert, 1862–1943, deutscher Mathematiker. 12 Die Gründungsmitglieder der Gruppe waren Henri Cartan, Claude Chevalley, Jean Delsarte, René de Possel, Jean Dieudonné und André Weil. 9 Bertrand

4

1

Einleitung

unterricht ein altersgemäßer, „intellektuell ehrlicher“ 13 mathematischer Beweis. Die Diskussion wurde von Mathematikdidaktikern wie Arnold Kirsch, Erich Wittmann14 und anderen geführt, die für die von ihnen vorgeschlagenen Formen des Beweisens Bezeichnungen wie präformales Beweisen oder paradigmatisches Beweisen prägten. Allen gemeinsam war eine Rückbesinnung auf den Wert der Veranschaulichung. Dabei darf der Begriff der Veranschaulichung aber nicht zu eng im Sinne eines nur physiologischen Sehens ausgelegt werden. Zum ebenso bedeutsamen „geistigen Sehen“ gehören auch: Zusammenhänge sehen und insbesondere Muster erkennen. Für Erich Wittmann ist (Zitat) „Die Mathematik die Wissenschaft von den Mustern“ (siehe Wittmann 2005, 2006, 2008). Mit Gerhard Müller gründete er das Projekt Mathe 200015 entsprechend der Auffassung von Mathematik als „Wissenschaft der Muster“. Zur Illustration derartiger muster-orientierter Arbeitsweisen sind die figurierten Zahlen bestens geeignet. Mit Mustern aller Art werden wir es im Verlauf dieses Buches reichlich zu tun haben.

13 So

lautete eine Formulierung von A. Kirsch. Kirsch, 1922–2013, Erich Wittmann (geb. 1939), deutsche Hochschullehrer für Mathematik und ihre Didaktik. 15 siehe https://www.mathe2000.de/allgemeine-informationen. 14 Arnold

2

Historische Anfänge

2.1

Die Arithmetik der Spielsteine

Das, was wir heute unter Mathematik verstehen, entwickelte sich vor Jahrtausenden aus der Praxis des Zählens und Rechnens. Früheste Beispiele für das Zählen waren in Holz oder in Knochen geritzte Markierungen. „Rechnen“ war in diesem frühen Stadium weitgehend gleichbedeutend mit „addieren“. Als Hilfsmittel für das Rechnen wurden kleine Steinchen verwendet. Heutige Begriffe wie „kalkulieren“ bzw. „Kalkulation“ leiten sich aus dieser Praxis ab; die zum Rechnen verwendeten kleinen Steinchen hießen in der lateinischen Sprache calculi. Zum Entstehen der Mathematik als wissenschaftlicher Disziplin gehört ganz fundamental das Streben nach Allgemeinheit mathematischer Aussagen und im engen Zusammenhang damit die Entwicklung von Formen des mathematischen Begründens und Beweisens. Diese Entwicklung setzte in der Antike etwa im 6. Jahrhundert v.Chr. im griechischen Kulturkreis ein. Arithmetische Aussagen („Sätze“) wurden oft durch das Auslegen bestimmter Figuren mit Spielsteinen gewonnen, begründet und letztlich bewiesen – daher auch die Bezeichnung „figurierte“ Zahlen. Ein spezielles Thema war die Lehre von „Gerade und Ungerade“. Über das Legen von Spielsteinen gelangte man zu Aussagen der Art • Gerade plus Gerade ergibt Gerade +

=

• Gerade plus Ungerade ergibt Ungerade +

=

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_2

5

6

2

Historische Anfänge

• Ungerade plus Ungerade ergibt Gerade +

=

Als gerade wurde eine Zahl bezeichnet, wenn man die zugehörigen Spielsteine zu Zweier-Paaren zusammenfassen konnte; als ungerade, wenn dabei ein Stein (ohne „Partner“) übrig blieb. Auch die Regeln zur Multiplikation lassen sich gut mit den Spielsteinen veranschaulichen. • Gerade mal Gerade ergibt Gerade gerade (2)

gerade

(6)

• Gerade mal Ungerade ergibt Gerade ungerade

gerade

(3)

(4)

• Ungerade mal Ungerade ergibt Ungerade gerade

gerade

In moderner Sprache ausgedrückt, stellt dies ein frühes historisches Beispiel für die modulare Arithmetik (hier mit dem Modul 2) dar.

2.2 Gnomone

2.2

Gnomone

2.2.1

Zum Begriff des Gnomons

7

Die griechischen Mathematiker wandten geometrisches Denken und geometrische Veranschaulichungen auch auf arithmetische oder algebraische Sachverhalte an. Sie machten dabei oft von der „Gnomon-Methode“ Gebrauch. Ein Gnomon1 (deutsch: Schattenzeiger) war ein Winkelhaken, der auch als Bestandteil von Sonnenuhren bei der Zeitmessung verwendet wurde (vgl. Abb. 2.1).

Abb. 2.1 Sonnenuhren (Gnomone) im Treptower Park und in Kladow (Berlin)

Weder die Bezeichnung „Gnomon“ noch die „Gnomon-Methode“ sind fest umrissene Begriffe oder Techniken. Natürlich sind Gnomone eng mit den Dreiecken verwandt; jeder Gnomon spannt ja offensichtlich ein Dreieck auf. Als historisch frühe Beispiele für die Anwendung der Gnomon-Methode können die Bestimmung der Höhe der Cheops-Pyramide durch Thales von Milet (ca. 624 – ca. 547 v.Chr.) oder die Bestimmung des Erdumfangs durch Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 – ca. 194 v.Chr.) angesehen werden (Lebensdaten entsprechend dem MacTutor History of Mathematics archive, vgl. https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/). 1. Beispiel: Bestimmung der Höhe der Cheops-Pyramide durch Thales Indem Thales nahe der Cheops-Pyramide einen Stab in den Sand steckte, die Länge b des Schattens maß und zur Länge der Basislinie a ins Verhältnis setzte, konnte er die Höhe der Pyramide bestimmen, ohne sie besteigen zu müssen (vgl. Abb. 2.2).

1 Zitat aus dem Duden: „Gnomon: senkrecht stehender Stab, dessen Schattenlänge zur Bestimmung

der Sonnenhöhe gemessen wird.“ Im Hinblick auf die historisch-etymologische Diskussion des Gnomon-Begriffs sei auf Hischer 1995 verwiesen.

8

2

Historische Anfänge

Abb. 2.2 Bestimmung der Höhe der Cheops-Pyramide durch Thales

2. Beispiel: Ermittlung des Erdumfangs durch Eratosthenes Eratosthenes nutzte den Umstand, dass die ägyptischen Städte Assuan und Alexandria fast auf demselben Längengrad liegen, um den Umfang des Erdradius mit vergleichsweise hoher Genauigkeit zu bestimmen. Aufgrund eigener Beobachtungen wusste er: Wenn die Sonnenstrahlen in Assuan senkrecht auf die Erde fielen, so dass sie z. B. am Boden eines tiefen Brunnens zu sehen waren, warf ein senkrecht stehender Obelisk in Alexandria einen Schatten von 7 1/2 Grad (vgl. Abb. 2.3). Der Winkel des Schattens betrug nach dem Satz über die Wechselwinkel an Parallelen also etwa 1/50 des Vollkreis-Winkels (50 · 7 21 = 360) und das 50-fache der Entfernung von Alexandria nach Assuan ergab somit einen Schätzwert für den Erdumfang.

Abb. 2.3 Bestimmung des Erdumfangs durch Eratosthenes (schematische Abbildung)

Bemerkung: Der von Eratosthenes für den Erdumfang ermittelte Wert von etwa 250 „Stadien“ entsprach etwa 42.000 km und war damit wesentlich genauer als der Wert, von dem Kolumbus, der den Erdumfang um etwa 15.000 km zu kurz einschätzte, etwa anderthalb Jahrtausende später ausging. (Er kam dementsprechend auch nicht bis nach Indien sondern nur bis nach Amerika.)

2.2 Gnomone

2.2.2

9

Gnomone in der Mathematik

3. Beispiel: Flächengleichheit von Parallelogrammen In der Mathematik wurden Gnomone im übertragenen Sinne verwendet. Abb. 2.4 ist eine Gnomon-Figur zum Nachweis der Flächengleichheit zweier Parallelogramme. (Da die sechs2 Dreiecke paarweise kongruent und somit flächengleich sind, müssen die Parallelogramme als jeweilige „Differenzfiguren“ ebenfalls flächengleich sein.)

Abb. 2.4 Gnomon zur Flächengleichheit von Parallelogrammen

4. Beispiel: Frühe Geometrische Algebra Eines der frühesten dokumentierten Beispiele der geometrischen Algebra in der griechischen Antike findet sich in Euklids für jene Zeit monumentalem Werk Die Elemente (ca. 300 v.Chr.). Die Elemente wurden 2000 Jahre lang als akademisches Lehrbuch benutzt und waren bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts das nach der Bibel meistverbreitete Werk der Weltliteratur. Ein Zitat aus Buch 2, Proposition 5 (vgl. Abb. 2.5): „Teilt man eine Strecke sowohl in gleiche als auch in ungleiche Abschnitte, so ist das Rechteck aus den ungleichen Abschnitten der ganzen Strecke zusammen mit dem Quadrat über der Strecke zwischen den Teilpunkten dem Quadrat über der Hälfte gleich.“

Die Formelsprache der Algebra wurde erst knapp 2000 Jahre später eingeführt. Ein maßgeblicher Protagonist war dabei François Viète (lat. Vieta, 1540–1603). Was Euklid in der obigen Proposition formulierte, lässt sich in der modernen Formelsprache der Algebra als eine der Formen des binomischen Lehrsatzes deuten. 5. Beispiel: Ein isoperimetrisches Problem Der griechische Begriff isoperimetrisch bedeutet umfangsgleich. Schon Euklid behandelte umfangsgleiche Parallelogramme (vgl. Rademacher/Toeplitz, Kap. 3). Im Folgenden betrachten wir umfangsgleiche Rechtecke und beweisen den

2 Machen

Sie sich klar, welche Dreiecke gemeint sind.

10

2

Historische Anfänge

Abb. 2.5 Gnomon: Euklid, geometrische Algebra

Satz (umfangsgleiche Rechtecke): Von allen umfangsgleichen Rechtecken hat das Quadrat den größten Flächeninhalt. Ein besonders schöner Beweis für diesen Satz beruht auf Abb. 2.6, in der auch wieder ein Gnomon, der von den schraffierten Flächen erzeugt wird, zu erkennen ist.

Abb. 2.6 umfangsgleiche Rechtecke

2.2 Gnomone

11

Beweis3 : Gegeben sei das Quadrat ABCD. Das Rechteck EBHG ist so konstruiert, dass es den gleichen Umfang hat (siehe Abbildung). Das Rechteck ABHI ist beiden Figuren gemeinsam. Die schraffierten Rechtecke haben dieselben Seitenlängen und deshalb auch denselben Flächeninhalt. Das ursprüngliche Quadrat ABCD hat also einen Flächeninhalt, der um die Fläche des kleinen Quadrats KHCM größer ist als die Fläche des Rechtecks EBHG. 6. Beispiel: Die Lösung quadratischer Gleichungen nach al-Khwarizmi Der aus dem zentralasiatischen Reich Khorezm4 stammende persich-arabische Mathematiker al-Khwarizmi5 war maßgeblich an der Verbreitung der indischen (dezimalen) Zahlschreibweise beteiligt. Aus seinem Namen entwickelte sich durch sprachliche Transformation im Laufe der folgenden Jahrhunderte der Begriff des Algorithmus. Er schrieb unter dem Titel al-kitab al-muhtasar fi hisab al jabr w’almuqabala (frei übertragen etwa: Das Buch vom Rechnen durch Ergänzung und Gegenüberstellung) ein historisch außerordentlich einflussreiches Lehrbuch über das Lösen von linearen und quadratischen Gleichungen (vgl. Abb. 2.8). Aus dem im Titel vorkommenden Ausdruck al jabr entwickelte sich im Laufe der Zeit der Begriff der Algebra. In unserer heutigen Schreibweise stellen wir quadratische Gleichungen in der Form ax 2 + bx + c = 0

(2.1)

(z. B. mit reellen Zahlen) a, b und c dar. Dies ist möglich, weil die Koeffizienten a, b und c auch negativ sein dürfen. Zu al-Khwarizmis Zeiten waren negative Zahlen noch unbekannt. Er musste die unterschiedlichen Gleichungstypen mit positiven Koeffizienten und natürlich ohne die Verwendung der heute gebräuchlichen Variablen darstellen. Dies gelang ihm mit Hilfe der folgenden sechs Fallunterscheidungen (vgl. Karpinski 1915). Für das Gleichheitszeichen schrieb er einfach das Wort „gleich“ oder „ergibt“ aus. Den Term x 2 bezeichnete er als Quadrat und x als Wurzel. in al-Khwarizmis Ausdrucksweise

in heutiger Notation

Quadrate sind gleich Wurzeln

x 2 = bx

Quadrate sind gleich Zahlen

x2 = b

Wurzeln sind gleich Zahlen

ax = b

Quadrate und Wurzeln sind gleich Zahlen

x 2 + ax = b

Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln

x 2 + b = ax

Wurzeln und Zahlen sind gleich Quadraten ax + b = x 2

3 Dieses

Beispiel wird in der Analysis zu Demonstrationszwecken immer wieder auch mit Mitteln der Differentialrechnung bearbeitet. Aber im Vergleich zu der Gnomon-Methode von Abb. 2.6 bedeutet dies, mit „Kanonen auf Spatzen“ zu schießen. 4 Khorezm (bzw. Khowarizm) lag etwa auf dem Gebiet des heutigen Usbekistan 5 al-Khwarizmi (auch: al-Khowarizmi), ca. 790–850, persisch-arabischer Mathematiker, Bedeutung des Namens: der aus Khowarizm (Khorezm) Stammende

12

2

Historische Anfänge

Im folgenden Beispiel wird gezeigt, wie al-Khwarizmi quadratische Gleichungen der Form x 2 + 10x = 39 löste (in seiner Ausdrucksweise: Ein Quadrat und 10 Wurzeln ergeben 39). al-Khwarizmis Lösung basiert auf der folgenden geometrischen Veranschaulichung. x 2 : ein Quadrat mit der Seitenlänge x 10x: ein Rechteck mit den Seitenlängen 10 und x Das Rechteck zerlegte er in zwei Teilrechtecke der Form 5x und bildete wie in Abb. 2.7 einen Gnomon, den er zu einem Quadrat der Seitenlänge x + 5 ergänzte. (Die grauen Flächen des Gnomons entsprechen den unbekannten Anteilen.) Die Fläche des großen Quadrats ist einerseits gleich (x + 5)2 und andererseits gleich x 2 + 10x + 25 = 39 + 25 = 64 = 82 . Also gilt für die Seitenlänge des großen Quadrats x + 5 = 8 und die Wurzel x ist gleich 3. Abb. 2.7 al-Khwarizmis Lösung für den Gleichungstyp „Quadrat und Wurzeln gleich Zahl“

Aufgabe 2.1 1. Zeigen Sie, dass das Verfahren von al-Khwarizmi für alle positiven reellen Zahlen A, B und C an Stelle von 1, 10 und 39 funktioniert. (Falls A = 0 ist, kann A = 1 gesetzt werden, denn dies ist mit dem (dann zulässigen) „Durchdividieren“ der Gleichung stets zu erreichen.) 2. Leiten Sie daraus (für den Fall „Quadrat und Wurzeln gleich Zahl“) unter Verwendung der heutigen Schreibweise die wohlbekannte Lösungsformel („Mitternachtsformel“) für die quadratische Gleichung (2.1) her: x1,2 =

−b ±



b2 − 4 a c 2a

(2.2)

2.2 Gnomone

13

Bemerkung: Al-Khwarizmis Methode ist auch auf den (wesentlich komplizierteren) Fall von kubischen Gleichungen übertragbar. Dies entwickelte sich historisch in der Zeit der Renaissance. Die Lösung für die kubische Gleichung wird heute als „Cardanischen Formel“ bezeichnet. Um die Frage, wer die Lösungsformeln wirklich als erster gefunden hat, entspann sich ein spannendes mathematikhistorisches Drama mit den Protagonisten Scipione del Ferro (1465–1526), seinen Schüler Antonio Fior, Nicolo Tartaglia (1500–1557), Girolamo Cardano (1501–1576) und Lodovico Ferrari (1522–1565), das in den Darstellungen von H. K. Strick (2016) und Th. de Padova (2021) kenntnisreich und sehr lebendig beschrieben ist.

Abb. 2.8 links: al-Khwarizmi Monument in Khiva rechts: Titelblatt seiner „al Jabr“

2.2.3

Gnomone: Eine erste Zusammenfassung

Der Zusammenhang zwischen den figurierten Zahlen und den Gnomonen ist ein relativ lockerer und informeller. Am deutlichsten wird er in exemplarischer Form durch Abb. 3.5 (ungerade Zahlen und Quadratzahlen) veranschaulicht. Gnomone treten bei den figurierten Zahlen oft in der Form von „Anlege-Haken“ 6 auf, durch die der

6 Der

griechische Mathematiker und Ingenieur Heron von Alexandria (1. Jahrhundert n.Chr.) beschrieb den Begriff des Gnomons als etwas, wodurch eine bestehende Entität (z. B. eine Figur) durch Ergänzung (Anlegen) zu einer ähnlichen Entität erweitert wird. Besonders deutlich wird diese Interpretation am Beispiel der Ergänzung von Quadraten durch ungerade Zahlen zu größeren Quadraten (vgl. Abb. 3.5) bzw. allgemeiner im Zusammenhang mit den Polygonalzahlen.

14

2

Historische Anfänge

Übergang von einer Stufe zur nächsten Stufe beschrieben wird. Die Konstruktion der Polygonalzahlen in Kap. 4 beruht ganz massiv auf diesem Prinzip. Gnomone sind in diesem Sinne (in der Regel „hakenförmige“) Differenz- oder Ergänzungsfiguren, die geeignet sind, die Struktur mathematischer Objekte zu verdeutlichen. Die Visualisierung mit Hilfe von Gnomonen ist ein weiterer Baustein aus dem Werkzeugkasten der heuristischen Verfahren.

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

3.1

Dreieckszahlen / Triagonalzahlen

Die Dreieckszahlen Dn , im Folgenden gelegentlich auch bezeichnet durch D(n), Tn oder T (n) für Triagonalzahlen, Trigonalzahlen, Triangularzahlen (engl. triangular numbers), sind die Anzahlen der Punkte in den in Abb. 3.1 dargestellten Dreiecksmustern.

Abb. 3.1 Dreieckszahlen

Es ist also: D1 = 1 D2 = 3 D3 = 6 D4 = 10 . . . Die Zahlen 1, 2, 3 und 4, gemeinsam mit ihrer Summe 10, spielten in der griechischen Kosmologie eine besondere Rolle. Sie wurden als Tetraktys bezeichnet. Dazu ein Zitat aus Wikipedia (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tetraktys): „Als Tetraktys bezeichneten die Pythagoreer die Gesamtheit der Zahlen 1, 2, 3 und 4, deren Summe 10 ergibt. Da die Zehn (griechisch dekás: „Zehnzahl“, „Zehnergruppe“) die Summe der ersten vier Zahlen ist, nahm man an, dass die Vierheit die Zehn „erzeugt“. Der Zehn

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_3

15

16

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

kam schon durch den Umstand, dass sie bei Griechen und „Barbaren“ (Nichtgriechen) gleichermaßen als Grundzahl des Dezimalsystems1 diente, eine herausgehobene Rolle zu. Von den Pythagoreern wurde die Zehn überdies, wie Aristoteles berichtet, wegen ihres Zusammenhangs mit der Tetraktys als etwas „Vollkommenes“ betrachtet, das das ganze Wesen der Zahlen umfasst. Daher wurde die Zehn auch „heilige Zahl“ genannt. Die pythagoreische Kosmologie ging von der Annahme aus, dass der Kosmos nach mathematischen Regeln harmonisch geordnet ist. In dieser Weltdeutung war die Tetraktys ein Schlüsselbegriff, da sie die universelle Harmonie ausdrückte.“

Manchmal kann es günstig sein, die Einheiten der figurierten Zahlen als Einheitsquadrate statt als Punkte zu zeichnen. Die linke Spalte in Abb. 3.2 lässt sich auch als geometrische Veranschaulichung der Vorgehensweise des „jungen Gauß“ deuten – man vergleiche dazu die Bemerkungen in der Einleitung.

Abb. 3.2 Summen von Dreieckszahlen

Die Dreieckszahlen sind fundamental für die gesamte Mathematik und insbesondere für das Gebiet der figurierten Zahlen. Sie tauchen, wie wir später sehen werden, z. B. in den Darstellungen der ungeraden Quadratzahlen oder auch der zentrierten Polygonalzahlen wieder auf.

1

Das Zahlensystem der Griechen war allerdings kein voll entwickeltes Stellenwertsystem.

3.2 Trapezzahlen

3.2

17

Trapezzahlen

Stellt man die Dreieckszahlen in geeigneter Weise auf einen rechteckigen „Sockel“, so erhält man die Trapezzahlen2 .

Abb. 3.3 Trapezzahlen (mit ungeradem und geradem n)

Die Trapezzahlen sind (für n > 1) Zahlen von der Form T r (a, n) := (a + 1) + (a + 2) + (a + 3) + ... + (a + (n − 1)) + (a + n) Als Summenwert ergibt sich (mit der Methode des „jungen Gauss“): T r (a, n) = n · a +

n · (n + 1) 2

(3.1)

Die Trapezzahlen stehen in einem interessanten Zusammenhang mit denjenigen natürlichen Zahlen, die einen ungeraden Teiler besitzen. Auch für diese Diskussion ist die Verdopplung des Trapezes und 180-Grad-Drehung der Kopie hilfreich (siehe Abb. 3.3, die Trapezzahl-Figuren sind blau, die Kopien rot gezeichnet). Ist die Anzahl n der Summanden ungerade, so besitzt die Trapezzahl T r (a, n) eine „Mittelzahl“ m (schraffiert gezeichnet) und die Trapezfigur lässt sich durch eine 180 Grad Drehung der rechts davon liegenden (blauen) Spitze in ein flächengleiches Rechteck (fett umrandet) mit einer Seitenlänge m überführen; m ist also ein ungerader Teiler von T r (a, n).

2 Wohl wissend, dass die entsprechenden Figuren nicht im strengen Sinne Trapeze sind, wird dieser

suggestive Begriff im Folgenden dennoch verwendet. Auch die zu den Dreieckszahlen gehörenden Figuren sind ja i. d. R. nicht wirklich Dreiecke.

18

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Ist die Anzahl n der Summanden gerade, dann gibt es eine zwischen den Summanden n2 und n2 + 1 liegende „Mittelachse“. Die 180 Grad Drehung der rechts liegenden (blauen) Hälfte des Trapezes überführt die Trapezfigur in ein flächengleiches Rechteck (fett umrandet) mit den Seitenlängen n2 (ganze Zahl) und 2 · a + n + 1. Letzteres ist bei geradem n offenbar eine ungerade Zahl. Sowohl im ungeraden als auch im geraden Fall ist das Trapez also flächengleich zu einem Rechteck mit einer ungeraden Seitenlänge. Damit ist gezeigt: Jede Trapezzahl T r (a, n) hat einen ungeraden Teiler. Es sei noch ein rein algebraischer Beweis für diesen Sachverhalt gegeben. Ausgangspunkt ist die Gleichung 3.1. 1. Fall: n ist ungerade. Dann ist n + 1 gerade und n ist ein ungerader Teiler von T r (a, n): T r (a, n) = n · (a + (n+1) 2 ). n 2. Fall: n ist gerade. Dann ist 2 ganzzahlig, T r (a, n) = n2 · (2 · a + n + 1) und (wie oben) ist (2 · a + n + 1) ein ungerader Teiler von T r (a, n). Es gilt aber auch die Umkehrung: Jede Zahl mit einem ungeraden Teiler lässt sich als Trapezzahl darstellen. Die Zahl a habe den ungeraden Teiler u; es sei a = u · b mit der ganzen Zahl b. Dann lässt sich a in der Form a = b + b + ... + b + b + b + ... + b + b (mit u Summanden b) darstellen. Wir modifizieren die Summendarstellung, ohne daß sich der Summenwert verändert, wie folgt a = (b − i) + (b − i + 1) + ... + (b − 1) + b + (b + 1) + ... + (b + i − 1) + (b + i) und erhalten so eine Trapezzahl-Darstellung der Zahl a. Zwei paradigmatische Beispiele: (1.) a = 30 = 5 · 6; d. h. a = 6 + 6 + 6 + 6 + 6 = 4 + 5 + 6 + 7 + 8. (2.) Problematisch wird es, wenn b zu klein und u zu groß wird; z. B. a = 18 = 9 · 2 = 2 + 2 + 2 + 2 + 2 + 2 + 2 + 2 + 2. Hier führt die obige Vorgehensweise zu der Darstellung a = 18 = 9 · 2 = (2 − 4) + (2 − 3) + (2 − 2) + (2 − 1) + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 also a = (−2) + (−1) + 0 + 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6

3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen

19

Man kann darüber philosophieren, ob letzteres als Trapezzahl-Darstellung angesehen werden sollte oder nicht, aber wie auch immer – es ist eigentlich egal, weil sich die links stehenden Summanden (hier: (−2) + (−1) + 0 + 1 + 2) gegenseitig aufheben und wenn man sie weglässt, kommt man zu der „lupenreinen“ TrapezzahlDarstellung a = 3 + 4 + 5 + 6. Insgesamt haben wir gezeigt: Satz von Sylvester: Die natürliche Zahl a besitzt genau dann eine TrapezzahlDarstellung, wenn sie einen ungeraden Teiler hat. Aufgabe 3.1 1. Formulieren Sie ein Verfahren (einen Algorithmus oder eine Formel), durch das zu jeder natürlichen Zahl a mit einem ungeraden Teiler eine Trapezzahl-Darstellung gefunden wird. 2. Beschreiben Sie alle natürlichen Zahlen, zu denen es keine Trapezzahl-Darstellung gibt.

3.3

Viereckszahlen / Quadratzahlen

Die Viereckszahlen (bzw. Quadratzahlen) 1, 4, 9, 16, 25, 36, . . . (allgemein: Q n = Q(n) = n 2 ) sind die Punktezahlen in den quadratischen Punktmustern von Abb. 3.4. Abb. 3.4 Quadratmuster und Quadratzahlen

3.3.1

Quadratzahlen, ungerade Zahlen und die Gnomon-Methode

Wir betrachten Summen aufeinanderfolgender ungerader Zahlen (beginnend bei 1): 1 + 3 + 5 + 7 + 9 + 11 + 13 + 15 + . . .

(3.2)

20

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Abb. 3.5 ungerade Zahlen und Quadratzahlen

Abb. 3.5 macht deutlich, dass die Addition aufeinanderfolgender ungerader Zahlen (beginnend bei 1) stets Quadratzahlen ergibt. Jede ungerade Zahl ist um 2 gößer als die vorhergehende und jeder (neue) Gnomon ist um 2 gößer als der vorhergehende Gnomon. Die gezeichneten Gnomone und die ungeraden Zahlen entsprechen sich also genau und ergeben in der Summendarstellung jeweils ein Quadrat. Abb. 3.5 stellt eine paradigmatische3 Veranschaulichung des folgenden Sachverhalts dar. Satz: (Summen ungerader Zahlen) Die Summe aufeinanderfolgender ungerader Zahlen, beginnend bei 1, ist stets eine Quadratzahl. Formaler (und etwas genauer) ausgedrückt: Für jede natürliche Zahl k gilt 1 + 3 + 5 + 7 + . . . + (2k − 1) = k 2

(3.3)

bzw. in der Darstellung mit Hilfe des Summenzeichens (vgl. Definition in Beispiel 11.3.19) k 

(2 · i − 1) = k 2

(3.4)

i=1

Aufgabe 3.2: Begründen Sie, warum es mit der Anlegetechnik der Gnomone immer so weitergeht. Im Anhang A.1 ist ein Hinweis auf eine solche Begründung gegeben; Sie sollten es dennoch erst einmal selbst versuchen.

3 paradeigma

(griechisch) Muster, Beispiel, Vorbild; paradigmatisch: mustergültig, typisch, vorbildhaft, auf ähnliche Fälle übertragbar, verallgemeinerungsfähig In der Mathematik wird eine Begründung paradigmatisch genannt, wenn sie einen allgemeingültigen Sachverhalt an einem typischen, schlagkräftigen Beispiel (sehr oft von hoher Anschaulichkeit) verdeutlicht.

3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen

21

Aufgabe 3.3: 1. Stellen Sie die Zahl 2021 als Summe (mehrerer) aufeinanderfolgender ungerader Zahlen dar. Hinweise: (a) Strategie: Stellen Sie 2021 als Differenz von zwei Quadraten der Seitenlängen a und b dar. (b) Strategie: Stellen Sie 2021 als Produkt von zwei ungeraden Zahlen dar, ersetzen Sie die Multiplikation durch wiederholte Additionen eines der Faktoren und manipulieren Sie die Summanden so, dass das Gewünschte erreicht wird. 2. Führen Sie das Verfahren mit der Zahl 2023 durch. Konstruieren Sie weitere derartige Zahlenbeispiele. 3. Formulieren Sie einen Algorithmus, der das Gewünschte erreicht.

3.3.2

Quadratzahlen und babylonische Multiplikation

Aufbauend auf der Kultur der Sumerer (etwa im 3. Jahrtausend v.Chr.) entwickelten die Babylonier (ab ca. 2000 v.Chr.) eine hochstehende Kultur im Zweistromland (Mesopotamien). Ihre Schrift war die Keilschrift; die einzelnen Schriftzeichen wurden mit (Holz-) Keilen in weiche Tontafeln hineingedrückt. Anschließend wurden die Tontafeln gebrannt. Aufgrund ihrer Robustheit überdauerten einige der Tontafeln bis in unsere Zeit und konnten entschlüsselt werden. Die Babylonier entwickelten eine für diese Zeit außerordentlich hochstehende Mathematik, bei der (in unserer heutigen Sprache) geometrische und arithmetische Elemente oft geschickt kombiniert wurden. Ein schönes Beispiel dafür stellt Abb. 3.6 dar. Abb. 3.6 Babylonische Multiplikation

22

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Aufgabe 3.4: Begründen Sie auf der Basis von Abb. 3.6 die Gleichung a·b =

(a + b)2 − (a − b)2 (a + b)2 (a − b)2 = − 4 4 4

(3.5)

Die Babylonier erstellten eine Fülle mathematischer Keilschrift-Tafeln, insbesondere Tafeln von Quadratzahlen. Sie konnten im Zusammenhang mit Gleichung (3.5) genutzt werden, um Produkte a · b wie folgt allein durch Addition und Subtraktion zu berechnen: Man berechne die Summe a + b und die Differenz a − b von a und b, entnehme ihre Quadrate der Quadrat-Tafel, teile diese Werte jeweils durch 4 und bilde schließlich die Differenz. Hinzu kommt: Aufbauend auf der Zahlschreibweise der Sumerer verwendeten die Babylonier eine Zahldarstellung, die fast schon einem voll ausgebildeten Stellenwertsystem zur Basis 60 entsprach4 . Die Basiszahl 60 hat dabei den Vorteil, dass sie durch viele ihrer „Ziffern“, also insbesondere auch durch 4, teilbar ist. Das erweist sich als sehr günstig für die Bruchrechnung und das Rechnen mit Systembrüchen (vgl. dazu auch 11.3.24). Beispiel (Zahldarstellung im Zehnersystem): 58·34 =? 58+34 = 92, 58−34 = 24; davon die Quadrate (aus der Quadrate-Tabelle): 922 = 8464 und 242 = 576; jeweils ein Viertel davon: 2116 und 144; davon die Differenz (Ergebnis): 1972

3.3.3

Summen von Quadratzahlen

Abb. 3.7 dürfte (zumindest für Nicht-Farbenblinde) fast selbsterklärend sein. Obwohl sie nur auf einen einzigen Wert (n = 5) bezogen ist, stellt auch diese Abbildung eine paradigmatische Begründung für die folgende allgemeingültige Gleichung dar5 12 + 22 + 32 + . . . + n 2 =

1 n · (n + 1) · (2 · n + 1) · 3 2 n · (n + 1) · (2n + 1) = 6

(3.6)

Ausgedrückt in der Standardschreibweise für Polynome (in der Variablen n) lautet Gleichung (3.6): 12 + 22 + 32 + . . . + n 2 =

4 Es

n3 n2 n + + 3 2 6

(3.7)

fehlte dabei i.w. nur ein Symbol für die Ziffer Null. weitere, hochgradig anschauliche Begründung für diese Formel (mit Bauklötzchen) ist im Video von DorFuchs (https://www.youtube.com/watch?v=Ydc4KhM3h00) gegeben.

5 Eine

3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen

23

Abb. 3.7 Summen von Quadratzahlen

3.3.4

Ungerade Quadratzahlen

In Martas Mathematikbuch für das zweite Schuljahr findet sich die folgende Aufgabe: Welche Zahlen aus der 8ter-Reihe ergeben eine Quadratzahl, wenn man 1 dazu zählt? Die kleine Aufgabe kommt in unscheinbarem Gewand daher. Der erste Eindruck ist: „Na ja, es ist halt eine Routine-Wiederholungsaufgabe zur Achterreihe, in merkwürdig unmotivierter Weise mit den Quadratzahlen vermengt. Etwas Drögeres gibt es ja wohl kaum.“ Das könnte es dann damit gewesen sein. Aber vielleicht kommt man ja auch ins Nachdenken und Grübeln. Wie sehen denn die gefundenen Quadratzahlen aus, wie lassen sie sich schreiben, kann man ein Muster erkennen, ... ? Fangen wir mal an. 8ter-Reihe: 8, 16, 24, 32, 40, 48, 56, 64, 72, 80 1 dazu: 9, 17, 25, 33, 41, 49, 57, 65, 73, 81 Quadratzahlen: 9, 25, 49, 81

So weit, so gut. Aber beim genaueren Hinsehen fällt einem vielleicht etwas auf: 9 25 49 81

= 1*8 = 3*8 = 6*8 = 10*8

+ + + +

1 1 1 1

= = = =

3*3 5*5 7*7 9*9

Auf der rechten Seite tauchen lauter ungerade Quadratzahlen auf. Geht es so weiter?

24

3 11*11 13*13 15*15 17*17 19*19 21*21 23*23

= = = = = = =

121 169 225 289 361 441 529

= = = = = = =

15*8 21*8 28*8 36*8 45*8 55*8 66*8

+ + + + + + +

Einführende Beispiele, Potenzsummen

1 1 1 1 1 1 1

Dem Ganzen scheint ein Muster zugrunde zu liegen. Und das gilt sogar auch für den Anfang: 1*1 = 1 = 0*8 + 1

Spätestens jetzt drängt sich ein Verdacht auf: Vermutung: Alle ungeraden Quadratzahlen lassen sich so darstellen. Oder etwas genauer formuliert: Jede ungerade Quadratzahl, verringert um 1, ist durch 8 teilbar. Und damit eröffnet sich ein ganzes Feld für weitere Aktivitäten und Entdeckungen. Aufgabe 3.5 1. Zeichnen Sie Figuren zu den obigen Zahlenbeispielen; z. B. für die Quadratzahlen 9 · 9 und 11 · 11. 2. Füllen Sie die Figuren möglichst gut mit 8ter-Blöcken aus. 3. Entwickeln Sie eine Strategie, um auch weitere ungerade Quadrate mit 8-ter Blöcken auszufüllen. 4. Quadrate sind sehr symmetrisch. • Über welche Symmetrie-Eigenschaften verfügt ein Quadrat? • Zeichnen Sie geradzahlige und ungeradzahlige Quadrat-Figuren mit optisch ansprechenden (möglichst) symmetrischen Ornamenten. Weitere Aufgaben und Anregungen • Entwerfen Sie ein geeignetes Tabellenkalkulationsblatt zur Überprüfung der obigen Vermutung. • Schreiben Sie ein kleines Programm, das diesen Zweck erfüllt (z. B. in der Form eines Computeralgebra-Arbeitsblatts). • Formulieren Sie einen Beweis für die obige Vermutung mit Variablen. Bemerkungen 1. All das ist natürlich kein Programm für das zweite Schuljahr. Der Untersuchungsgegenstand (Quadratzahlen) kann (und sollte) immer wieder aufgegriffen werden. Die Unterrichtsgestaltung im Sinne des Spiralprinzips verlangt geradezu ein solches Immer-Wieder-Aufgreifen von bestimmten Inhalten und Methoden, einhergehend mit einer Vertiefung der Inhalte und einer Erweiterung des jeweiligen Horizonts.

3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen

25

2. Der eine oder die andere wird vielleicht daran Anstoß nehmen, dass die Aufgaben und Anregungen nicht redundanzfrei formuliert sind. Wieso soll man noch ein Programm schreiben, wenn man schon ein Kalkulationsblatt hat? Oder wieso soll man noch einen algebraischen Beweis führen, wenn der Sachverhalt durch einen Blick auf die Figurierte-Zahlen-Darstellung schon klar ist? Redundanzfreiheit mag zwar in mathematischen Publikationen ein gängiges Stilmittel sein, aber nicht beim Erlernen von Mathematik. Im Gegenteil: Das immerwährende Wiederholen bestimmter Inhalte gehört geradezu zu den unverzichtbaren Elementen des Lernprozesses. Dazu gehört einerseits das Wiederholen von Basiswissen (kleines Einmaleins, „Mitternachtsformel“, ...) aber andererseits auch das wiederholte Anwenden von fundamentalen Ideen (Iteration, Reihung, Algorithmisierung, Mustererkennung, Veranschaulichung, ...) und das Einüben von heuristischen Strategien (z. B. Ausnutzen von Symmetrien). Variationen des Themas 1. Variation: Die direkte Umsetzung der Vorgaben Zunächst sei festgehalten: Ist n 2 eine ungerade Quadratzahl, so sind auch n ungerade und n − 1 gerade, also durch 2 teilbar. Wir werden im Folgenden sehen, dass n 2 − 1 durch 8 teilbar ist. Da n − 1 gerade ist, können die folgenden beiden Fälle auftreten, die im Folgenden separat behandelt werden. • n − 1 ist durch 4 teilbar. • n − 1 ist durch 2, aber nicht durch 4 teilbar. Der Fall wo n − 1 durch 4 teilbar ist, ist besonders einfach (vgl. Abb. 3.8). Abb. 3.8 ungerade Quadratzahlen Der Fall: n − 1 ist durch 4 teilbar

Jeder der 4 · 4-Blöcke ist durch 8 teilbar und die 4 · 1-Blöcke treten jeweils paarweise auf. Also n 2 − 1 durch 8 teilbar.

26

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Auch der Fall, wo n − 1 durch 2 aber nicht durch 4 teilbar ist, lässt sich gut darstellen (vgl. Abb. 3.9). Abb. 3.9 ungerade Quadratzahlen Der Fall: n − 1 ist nicht durch 4 teilbar

Auch in diesem Fall ist die Figur von paradigmatischer Qualität. In jedem Fall, wo n − 1 nicht durch 4 teilbar ist, kommt es zu den grauen 2 · 4-Blöcken sowie zu den paarweise auftretenden gelben 4er-Blöcken und in der Folge zu dem blauen Gnomon (vom Inhalt 8) rechts unten – und auch in diesem Fall ist also n 2 − 1 durch 8 teilbar. Im Prinzip ist das Problem durch die vorigen beiden Veranschaulichungen auf der Basis der Figurierte-Zahlen-Methode gelöst. Dennoch bleibt ein kleines Unbehagen. Quadrate sind doch hochgradig symmetrische Figuren. Kann man diese SymmetrieEigenschaften nicht noch besser ausnutzen? Man kann. Das sollen die nächsten Variationen zeigen. 2. Variation: Ausnutzen von Symmetrien Man sollte sich Abb. 3.10 so vorstellen, dass sie schalenweise um den Ursprung (weißes Feld) herum entsteht: Schale 0 („Kern“): ein weißes Feld; insgesamt 1 Feld Schale 1: 8 blaue Felder; insgesamt 9 Felder Schale 2: 8 rote und 8 gelbe Felder; insgesamt 25 Felder Schale 3: 8 blaue und 8 · 2 = 16 gelbe Felder; insgesamt 49 Felder Schale 4: 8 rote und 8 · 3 = 24 gelbe Felder; insgesamt 81 Felder Schale 5: 8 blaue und 8 · 4 = 32 gelbe Felder; insgesamt 121 Felder Außer in Schale 0 sind die Felderzahlen aller anderen Schalen durch 8 teilbar. Also ist n 2 − 1 durch 8 teilbar. 3. Variation: Dreieckszahlen Die zusammenhängenden gelben Felder in Abb. 3.10 stellen jeweils eine Dreiecks. Somit lassen sich die ungeraden zahl dar. Für ihre Anzahlen gilt T (n) = n·(n+1) 2

3.3 Viereckszahlen / Quadratzahlen

27

Abb. 3.10 Symmetrie ungerader Quadratzahlen

Quadratzahlen in der Stufe s unter Verwendung der Dreieckszahlen auch folgendermaßen als Funktionswerte einer Funktion QT berechnen: QT (s) = 1 + 4 · 2 · s + 8 · T (s − 1) = 1 + 8 · T (s)

(3.8)

In anderen Worten: Jede ungerade Quadratzahl ist die Summe aus 1 und 8 Dreieckszahlen: (2 · k + 1)2 = 1 + 8 · T (k)

(3.9)

Gleichung (3.9) ist sehr viel mehr als nur ein weiterer Beleg für die Aussage, dass jede um 1 verringerte ungerade Quadratzahl durch 8 teilbar ist; sie liefert auch eine präzise Aussage über die Form des Komplementärteilers von 8; man vergleiche dies auch mit der Darstellung (3.10)). Aufgabe 3.6: Es sei Q(k) := (2 · k + 1)2 . Überprüfen Sie für weitere Zahlen z. B. mit Hilfe eines kleinen Tabellenkalkulationsblatts oder eines Computeralgebra Arbeitsblatts, dass die Funktionswerte Q(k) und QT (k) übereinstimmen. 4. Variation: zentrierte Polygonalzahlen (vgl. Abschnitt 4.2) Die ungeraden Quadratzahlen lassen sich auch als zentrierte 8-Ecks-Zahlen deuten. Ihre Anzahl wird in der Stufe s (mit E = 8) durch die folgende Gleichung beschrieben (siehe Gleichung 4.5): Z P Z (8, s) = 1 + 8 ·

s · (s + 1) 2

(3.10)

Aufgabe 3.7: Überprüfen Sie z. B. mit Hilfe eines elektronischen Arbeitsblattes, dass die Funktionswerte Q(s) und Z P Z (8, s) übereinstimmen. Zeigen Sie mit algebraischen Mitteln: Q(s) = QT (s) = Z P Z (8, s)

28

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

5. Variation: Betrachtung von Flächeninhalten Abb. 3.11 stellt eine leichte Modifikation des letzten Beispiels dar. Abb. 3.11 Symmetrie ungerader Quadratzahlen

Das weiße Quadrat sei ein Einheitsquadrat mit dem Inhalt 1 Flächeneinheit (FE). Die senkrechten Streifen schneiden (in der Stufe s = 5) die folgenden Flächenanteile aus dem dick schwarz umrandeten Dreieck aus: 1 8,

2 · 21 , 2 ·

1 2

+ 1, 2 ·

1 2

+ 2, 2 ·

1 2

+ 3, 2 ·

1 2

+4

in der Summe also + 2 · 21 + 2 · 21 + 1 + 2 · 21 + 2 + 2 · = 18 + 5 + (1 + 2 + 3 + 4) = 18 + T (5)

1 8

1 2

+3 + 2·

1 2

+4

Auch diese Darstellung ist paradigmatisch und überträgt sich sofort auf den allgemeinen Wert s an Stelle von 5. Die Fläche des dick umrandeten Dreiecks in der Stufe s hat also den Inhalt 18 + T (s). Das Gesamtquadrat in der Stufe s besteht wegen der Symmetrie aus 8 solchen Dreiecken. Ihr Flächeninhalt beträgt also 1 + 8 · T (s). Der um 1 verkleinerte Flächeninhalt ist also durch 8 teilbar. 6. Variation: Anwendung von Algebra Nach so viel Visualisierung muss natürlich auch noch die algebraische Variante angesprochen werden. Jede ungerade Quadratzahl ist von der Form u · u, wobei u eine ungerade Zahl ist. Es sei u = 2·k +1 eine beliebige ungerade Zahl. Dann ist u 2 = (2·k +1)·(2·k +1) = 4k 2 + 4k + 1 = 4 · k · (k + 1) + 1. Von den benachbarten Zahlen k und k + 1 ist stets eine durch 2 teilbar. Also ist u 2 − 1 = 4 · k · (k + 1) durch 8 teilbar.

3.4 Kubikzahlen

3.4

29

Kubikzahlen

Die Kubikzahlen6 (oder auch Würfelzahlen) sind, entsprechend ihrer Bedeutung im Zusammenhang mit der Raumgeometrie, die Zahlen 1 (= 13 ), 8 (= 23 ), 27 (= 33 ), 64 (= 43 ), . . .; in allgemeiner Form k 3 (k ∈ N). Man kann sich die entsprechenden Kuben auch so vorstellen, als ob sie durch „Schichtung“ von quadratischen Ebenen entstanden sind (Abb. 3.12).

Abb. 3.12 Kubikzahlen als „geschichtete“ Quadratzahlen

Summen von Kubikzahlen: 1. Variation Jeder Kubus (Würfel) der Seitenlänge 2 kann als aus 2 Zweierquadrat-Schichten, jeder Würfel der Seitenlänge 3 als aus 3 Dreierquadrat-Schichten, jeder Würfel der Seitenlänge 4 als aus 4 Viererquadrat-Schichten gedacht werden usw. Wir erhalten somit unmittelbar die fast triviale, aber für die Veranschaulichungen in Abb. 3.13 und 3.14 fundamentale Gleichung. 13 + 23 + 33 + 43 + . . . + n 3 = 1 · 12 + 2 · 22 + 3 · 32 + 4 · 42 + . . . + n · n 2 bzw. n  k=1

k = 3

n 

k · k2

(3.11)

k=1

Die zweidimensionale Darstellung in Abb. 3.13 ist eine Veranschaulichung des in der letzten Gleichung rechts stehenden Terms. Auch hier steht die Idee im Zentrum, dass die Kubikzahlen als geeignete Vielfache von Quadratzahlen dargestellt werden können7 . Von den Quadraten mit gerader Seitenlänge wurde jeweils eines halbiert und so eingepasst, dass die Fläche des Gesamtquadrats lückenlos ausgefüllt wird.

beschränken uns hier wieder auf den Bereich der natürlichen Zahlen N = {1, 2, 3, . . .}. antiken Griechenland hätte man eine solche Betrachtungsweise nur schwerlich akzeptiert, da hierbei geometrische Objekte unterschiedlicher Dimension gleichgesetzt werden.

6 Wir 7 Im

30

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Abb. 3.13 Kubikzahlen aus Quadratzahlen I

Aus der Tatsache, dass die Seitenlänge des großen Quadrats gleich 1+2+3+4+5=

5·6 2

(3.12)

bzw. allgemein 1 + 2 + 3 + ... + n =

n · (n + 1) 2

(3.13)

ist, folgt sofort die Gleichung 13 + 23 + 33 + 43 + . . . + n 3 = (1 + 2 + 3 + 4 + . . . + n)2 bzw.

 1 + 2 + 3 + 4 + ... + n = 3

3

3

3

3

n · (n + 1) 2

(3.14)

2 (3.15)

3.4 Kubikzahlen

31

Summen von Kubikzahlen: 2. Variation Eine leicht modifizierte Darstellung, die ebenfalls zu Gleichung (3.14) bzw. (3.15) führt, ist in Abb. 3.14 gegeben. Abb. 3.14 Kubikzahlen aus Quadratzahlen II

Aufgabe 3.8: Begründen Sie, warum es mit der Anlegetechnik der Gnomone in den letzten beiden Abbildungen immer so weitergeht. Ein Hinweis: Offenbar ist eine Fallunterscheidung entsprechend den Kriterien „gerade“ / „ungerade“ notwendig oder zumindest hilfreich. Im Anhang A.2 findet sich eine ausführliche Analyse der Konfiguration. Der Leser sollte aber zunächst versuchen, die Begründung selbständig zu erarbeiten.

32

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Summen von Kubikzahlen: 3. Variation Abb. 3.15 führt zu einer weiteren Veranschaulichung von Kubiksummen. Abb. 3.15 Kubiksummen und Quadratsummen

Die Flächeninhalte der nichtquadratischen Rechtecke in Abb. 3.15 sind für k = 1, . . . , (n − 1) von der Form k · ((k + 1) + (k + 2) + . . . + n) Somit gilt für das große Quadrat: (1 + 2 + 3 + . . . + n)2 =

n  k=1

k2 + 2 ·

n−1 

(k · ((k + 1) + (k + 2) + . . . + n))

k=1

In der folgenden gleichwertigen Form ist die Anzahl der Summanden im letzten Summenzeichen besser erkennbar. (1 + 2 + 3 + . . . + n)2 = ⎛ ⎛ ⎞⎞ n n−1   ⎜ ⎜ ⎟⎟ + 1) + (k + 2) + . . . + (k + (n − k))⎠⎠ k2 + 2 · ⎝k · ⎝(k

 k=1

k=1

(n−k) Summanden

3.4 Kubikzahlen

33

Daraus folgt (1 + 2 + 3 + . . . + n)2 = = = = = =

n  k=1 n  k=1 n  k=1 n  k=1 n  k=1 n 

k2 + 2 · k +2· 2

k +2· 2

n−1 

(k · (k · (n − k) + (1 + 2 + . . . + (n − k))))

k=1 n−1 

(n − k) · (n − k + 1) k · k · (n − k) + 2

k=1 n−1   k=1

k2 + k2 + k2 −

k=1

= n2 −



n−1 



k=1 n−1 



k=1 n−1 

k · n2 − k 2 · n + k · n − k 2 · n + k 3 − k 2 k ·n−k + 2 2

3

2k 2 · n − 2k 3 + k · n 2 − k 2 · n + k · n − k 2 · n + k 3 − k 2 −k 3 + k · n 2 + k · n − k 2

k3 +

k=1 n−1 



k 3 + n2 ·

k=1

n−1  k=1 n−1 

k · n2 + k+n·

k=1

n−1 



k·n−

k=1 n−1 



n−1 

k2

k=1

k

k=1

(die Terme k 2 heben sich bis auf n 2 gegenseitig auf) = n2 −

n−1 

k 3 + n2 ·

k=1

=−

n−1  k=1

=−

n−1 

  (n − 1) · n + (n − 1) k 3 + n2 · 1 + 2 k 3 + n2 ·

k=1

=− =−

n  k=1 n 

=−

k=1

2 + n2 − n + n − 1 2

k 3 + n3 + n2 ·

n2 + 1 2

k 3 + n2 ·

n 2 + 2n + 1 2

k 3 + n2 ·

(n + 1)2 2

k=1 n 

(n − 1) · n (n − 1) · n +n· 2 2

(man beachte die Summationsgrenzen)



34

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Und daraus folgt schließlich 

n · (n + 1) 2

n 

2 =−

n 

k3 +

k=1

n 2 · (n + 1)2 2

(3.16)

n 2 · (n + 1)2 n 2 · (n + 1)2 − 2 4 k=1   n  n · (n + 1) 2 k3 = 2 k=1  2 n n   3 k = k k3 =

k=1

k=1

oder mit anderen Worten 13 + 23 + 33 + . . . + n 3 = (1 + 2 + 3 + . . . + n)2

(3.17)

Zahlenmuster in den Dimensionen 1, 2 und 3 Wir betrachten die nachfolgende, quer liegende, strukturierte Tabelle „Summen aus ungeraden Zahlen“ (S. 36) und stellen fest, dass sie zu einer Reihe von Gleichungen Anlass gibt. Die zeilenweise Gleichheit der Zahlen in den Spalten C und D ergibt sich daraus, dass man die Summen in Spalte C als Summen von jeweils gleichvielen gleichgroßen Summanden schreiben kann; z. B. (im Fall einer ungeraden Anzahl von Summanden): 7 + 9 + 11 = 9 + 9 + 9 = 3 · 9 = 3 · 32 = 33

(3.18)

bzw. (im Fall einer geraden Anzahl von Summanden): 13 + 15 + 17 + 19 = 16 + 16 + 16 + 16 = 4 · 16 = 4 · 42 = 43

(3.19)

Es gilt offensichtlich (bei spaltenweiser Addition): • Summe der Zahlen in Spalte E = Summe der Zahlen in Spalte C • Beispiel (bis einschließlich zur Zeile 7): – Summe Spalte E = 13 + 23 + 33 + 43 + 53 + 63 + 73 = 784 – Summe Spalte C = 1 + 3 + 5 + 7 + 9 + 11 + . . . + 55 = 784 (Letzteres ist als fortlaufende Summe ungerader Zahlen eine Quadratzahl.)

3.4 Kubikzahlen

35

Setzt man das Schema der Spalten A und B bis zur Zahl 55 (d. h. k = 28) fort, so erhält man in der letzten Zeile:  1+3+5+7+9+11+. . .+55 =

2 55 − 1 + 1 = (27+1)2 (= 784) 2

(3.20)

Dies ist augenscheinlich zugleich die Summe der Zahlen in Spalte C. Setzt man das Schema in Spalte C bis zur Zeile n fort, so gilt: Die Anzahl der Summanden in Spalte C nimmt von Zeile zu Zeile um jeweils 1 zu; sie ist also gleich der Dreieckszahl: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + ... + n =

n · (n + 1) 2

(3.21)

-te ungerade Zahl, also Der letzte Summand (in Spalte C) ist dabei die n·(n+1) 2 2 · n·(n+1) − 1. (Wir legen dabei die folgende Zählung zugrunde: 1 ist die erste, 3 die 2 2-te, 5 die 3-te, 2 · k − 1 die k-te ungerade Zahl usw.). Für die Summe dieser ungeraden Zahlen gilt (entsprechend den Spalten A und B):    n · (n + 1) n · (n + 1) 2 1 + 3 + 5 + ... + 2 · −1 = 2 2 

(3.22)

Insgesamt gilt Summe Spalte E = 13 + 23 + 33 + 43 + . . . + n 3   n · (n + 1) = 1 + 3 + 5 + 7 + ... + 2 · −1 2   n · (n + 1) 2 = 2

(3.23)

= (1 + 2 + 3 + . . . + n)2

Die Serie (3.23) von Gleichungen lässt sich also, wie in den Beispielen des vorigen Abschnitts, in der folgenden symmetrischen Form schreiben: 13 + 23 + 33 + 43 + . . . + n 3 = (1 + 2 + 3 + . . . + n)2

(3.24)

36

3

Einführende Beispiele, Potenzsummen

Wir schließen dieses Kapitel mit den folgenden beiden Bemerkungen: 1. Zum formalen Beweisen: Natürlich lassen sich die Gleichungen dieses Kapitels, wenn man sie denn erst einmal kennt (und wenn es unbedingt sein muss) auch formal mit vollständiger Induktion beweisen. Das Verfahren der vollständigen Induktion wird in Kap. 11 ausführlich erläutert. Unabhängig davon, ob man formale Beweise in den obigen Beispielen für nötig hält oder nicht, sind die entsprechenden Beweisführungen mit vollständiger Induktion eine gute Übung zu diesem Verfahren und seien dem Leser als solche empfohlen. 2. Thematische Weiterführung: Summen der Form 1k + 2k + 3k + 4k + . . . + n k wurden von Johannes Faulhaber (1580–1635) untersucht und bis zum Exponenten 17 in geschlossener Form durch Polynome vom Grad k + 1 dargestellt („Faulhabersche Formeln“; vgl. Abschnitt 5.10). Mathematikhistorisch gesehen, führte diese Entwicklung zu den „Bernoullischen Zahlen“ 1655–1705) und  (Jacob Bernoulli, s zur Riemannschen Zeta-Funktion ζ (s) = ∞ n=1 1/n . Die „Riemannsche Vermutung“ (Bernhard Riemann, 1826–1866) über die Lage der Nullstellen dieser Funktion stellt eines der berühmtesten derzeit offenen Probleme der Mathematik dar. Sie steht insbesondere in enger Verbindung zum Problem der Verteilung der Primzahlen.

3.4 Kubikzahlen

37

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen

„What I cannot create, I do not understand.“ Richard Feynman (amerikanischer Physiker, 1918–1988)

Mit den Dreiecks- und den Quadratzahlen haben wir bereits einige Polygonalzahlen1 kennengelernt. Historisch geht die Beschäftigung mit den Polygonalzahlen auf Pythagoras und seine Schule ab Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. zurück. Die Theorie wurde in der Antike von Hypsikles von Alexandria (ca. 190–120 v. Chr.), Nikomachos von Gerasa (ca. 60–120 n. Chr.) und Diophant von Alexandria (ca. 200– 284 n. Chr.) ausgebaut. In der Renaissance befasste sich Michael Stifel (1487–1567) intensiv mit den Polygonalzahlen (siehe Abschnitt: De numeris Polygonalibus2 in seiner Arithmetica Integra, Lib. I; 64/672). Im Folgenden soll die bisherige Behandlung der Polygonalzahlen stärker systematisiert werden. Wir werden sehen, dass die Gnomon-Methode für die Erzeugung der Polygonalzahlmuster eine wichtige Rolle spielt. Es gibt zentrierte und nichtzentrierte Polygonalzahlen. Wenn nur von Polygonalzahlen die Rede ist, sind in der Regel die nichtzentrierten Polygonalzahlen gemeint. Im Folgenden werden zunächst die nichtzentrierten Polygonalzahlen und danach die zentrierten Polygonalzahlen behandelt.

1 Polygon:

lateinisch für Vieleck. In der Theorie der Polygonalzahlen werden überwiegend regelmäßige Vielecke betrachtet. 2 Ob er durch diesen Titel den Begriff der Polygonalzahl geprägt hat, ist dem Autor allerdings nicht bekannt.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_4

39

40

4

4.1

Nichtzentrierte Polygonalzahlen

4.1.1

Beispiele

Zunächst betrachten wir einige Beispiele.

Abb. 4.1 Die Dreieckszahlen (Triagonalzahlen)

Abb. 4.2 Die Viereckszahlen (Quadratzahlen)

Abb. 4.3 Die Fünfeckszahlen (Pentagonalzahlen)

Abb. 4.4 Die Sechseckszahlen (Hexagonalzahlen)

Polygonal- und Pyramidalzahlen

4.1 Nichtzentrierte Polygonalzahlen

4.1.2

41

Das Konstruktionsprinzip der nichtzentrierten Polygonalzahlen

Mit G(E, k) werde im Folgenden die Polygonalzahl eines E-Ecks auf der k-ten Stufe bezeichnet (E ≥ 3). Es sind also G(3, 1), G(3, 2), G(3, 3), . . . , G(3, k), . . . G(4, 1), G(4, 2), G(4, 3), . . . , G(4, k), . . . G(5, 1), G(5, 2), G(5, 3), . . . , G(5, k), . . .

die Dreieckszahlen die Viereckszahlen die Fünfeckszahlen

usw. In der Stufe k = 1 besteht jedes Polygonalzahl-Punktmuster aus genau einem Punkt. Das heißt, für alle E ist G(E, 1) = 1. Es sei nun k ≥ 2. Das Punktmuster zur Polygonalzahl G(E, k) entsteht aus dem Punktmuster zur Polygonalzahl G(E, k−1), indem man an E − 2 Seiten einen „offenen Kranz“ (Gnomon) neuer Punkte3 so an das alte Punktmuster anlegt, dass die Randpunkte der neuen Figur ein (regelmäßiges) E-Eck bilden, auf dessen Seiten jeweils genau k Punkte liegen. In den Abb. 4.1, 4.2, 4.3 und 4.4 ist das alte Punktmuster jeweils blau und der offene Kranz von neuen Punkten jeweils rot dargestellt. Aus diesem Konstruktionsprinzip folgt sofort die Rekursionsgleichung G(E, k) = G(E, k − 1) + (E − 2) · k − (E − 3)

(4.1)

Erläuterung: Es kommen, wie in Abb. 4.5 zu sehen, an jeweils E − 2 Seiten k neue Punkte hinzu; aber dabei werden E − 3 Eckpunkte doppelt gezählt. Abb. 4.5 Die Entstehung der Polygonalzahlen

3 Im

Falle der Dreieckszahlen liegen die neuen Punkte alle auf einer Strecke.

42

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen

Auf der Basis der rekursiven Beschreibung lassen sich die ersten Polygonalzahlen für kleine Stufenzahlen leicht berechnen. k | 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 ... ----------------------------------------------------------------E = 3 | 1 3 6 10 15 21 28 36 45 55 66 78 ... 4 | 1 4 9 16 25 36 49 64 81 100 121 144 ... 5 | 1 5 12 22 35 51 70 92 117 145 176 210 ... 6 | 1 6 15 28 45 66 91 120 153 190 231 276 ... 7 | 1 7 18 34 55 81 112 148 189 235 286 342 ... 8 | 1 8 21 40 65 96 133 176 225 280 341 408 ... 9 | 1 9 24 46 75 111 154 204 261 325 396 474 ... 10 | 1 10 27 52 85 126 175 232 297 370 451 540 ... 11 | 1 11 30 58 95 141 196 260 333 415 506 606 ... 12 | 1 12 33 64 105 156 217 288 369 460 561 672 ... ...

4.1.3

Die explizite Darstellung der nichtzentrierten Polygonalzahlen

Im Folgenden betrachten wir Polygonalzahlen zu einer festen Eckenzahl E und schreiben kurz G k an Stelle von G(E, k). Die oben gegebene Konstruktionsvorschrift für die Polygonalzahlen ist rekursiv. Das heißt, zur Beschreibung des Punktmusters in der Stufe k wird auf das Punktmuster in der Stufe k − 1 zurückgegriffen. Diese rekursive Darstellung hat einen deutlichen Aufforderungscharakter, ausgehend von den Anfangswerten einfach loszurechnen und sich dabei immer weiter „hochzuhangeln“. =1 = G 1 + (E − 2) · 2 − (E − 3) = G 2 + (E − 2) · 3 − (E − 3) = G 3 + (E − 2) · 4 − (E − 3) = G 4 + (E − 2) · 5 − (E − 3) ... G k−1 = G k−2 + (E − 2) · (k − 1) − (E − 3) G k = G k−1 + (E − 2) · k − (E − 3) G1 G2 G3 G4 G5

(4.2)

Diese Gleichungen lassen eine Regelmäßigkeit erkennen, die noch gesteigert wird, wenn man die erste Gleichung folgendermaßen schreibt: G 1 = (E − 2) · 1 − (E − 3)

4.2 Zentrierte Polygonalzahlen

43

Aufgabe 4.1 Leiten Sie durch „spaltenweises Aufsummieren“ der Gleichung (4.2) die folgende explizite (d. h. nichtrekursive) Darstellung für die Polygonalzahlen her. Satz G(E, k) = G k =

E −2 2 4− E ·k + ·k 2 2

(4.3)

Bemerkung: Von Pierre de Fermat (1601–1665) stammt nicht nur die Formulierung des Kleinen und des Großen Fermatschen Satzes, sondern auch die des folgenden Polygonalzahlensatzes. Der Polygonalzahlensatz Zitat (Fermat) nach Wikipedia (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fermatscher_Polygonalzahlensatz): „Ich war der erste, der den sehr schönen und vollkommen allgemeinen Satz entdeckt hat, dass jede Zahl entweder eine Dreieckszahl oder die Summe von zwei oder drei Dreieckszahlen ist; jede Zahl eine Quadratzahl oder die Summe von zwei, drei oder vier Quadratzahlen ist; entweder eine Fünfeckszahl oder die Summe von zwei, drei, vier oder fünf Fünfeckszahlen; und so weiter bis ins Unendliche, egal ob es eine Frage von Sechsecks-, Siebenecks- oder beliebigen Polygonalzahlen ist. Ich kann den Beweis, der von vielen und abstrusen Mysterien der Zahlen abhängt, hier nicht angeben; deswegen beabsichtige ich, diesem Subjekt ein ganzes Buch zu widmen und in diesem Teil arithmetisch erstaunliche Fortschritte gegenüber den vorhergehenden bekannten Grenzen zu erbringen.“

Einen Beweis des Satzes hat Fermat jedoch nie veröffentlicht. Joseph-Louis Lagrange (1736–1813) bewies 1770 den Spezialfall des Vier-Quadrate-Satzes und Carl Friedrich Gauß (1777–1855) im Jahr 1796 den Spezialfall für die Dreieckszahlen. Der Beweis des vollständigen Satzes gelang jedoch erst Augustin Louis Cauchy (1789– 1857) im Jahr 1813.

4.2

Zentrierte Polygonalzahlen

Die zentrierten Polygonalzahlen zur Eckenzahl E ergeben sich in naheliegender Weise aus zyklisch um einen zentralen Punkt liegenden E-eckigen Punktmustern (vgl. Abb. 4.6 und 4.7). Dabei besteht in der Stufe s jede der Grundseiten des Polygons aus s Teilstrecken mit den zugehörigen Teilpunkten. Die Summe aller so entstehenden Teilpunkte ist die (zentrierte) Polygonalzahl Z P Z (E, s).

44

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen

Einige Beispiele:

Abb. 4.6 Zentrierte Polygonalzahlen: Z P Z (3, 5) = 46 Z P Z (4, 5) = 61

Abb. 4.7 Zentrierte Polygonalzahlen: Z P Z (5, 4) = 51 Z P Z (6, 4) = 61

Die Berechnung der zentrierten Polygonalzahlen ist denkbar einfach. Ist Z P Z (E, s) die zentrierte Polygonalzahl zum E-Eck in der Stufe s, so ist Z P Z (E, s) = 1 + E + 2E + 3E + . . . + s · E = 1 + E ·

s 

i

(4.4)

i=1

Daraus ergibt sich mit Hilfe der Formel für die Dreieckszahlen sofort die explizite Darstellung: Z P Z (E, s) = 1 + E ·

s · (s + 1) 2

(4.5)

4.2 Zentrierte Polygonalzahlen (E, s) 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

1 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

2 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46

3 19 25 31 37 43 49 55 61 67 73 79 85 91

45 4 31 41 51 61 71 81 91 101 111 121 131 141 151

5 46 61 76 91 106 121 136 151 166 181 196 211 226

6 64 85 106 127 148 169 190 211 232 253 274 295 316

7 85 113 141 169 197 225 253 281 309 337 365 393 421

8 109 145 181 217 253 289 325 361 397 433 469 505 541

9 136 181 226 271 316 361 406 451 496 541 586 631 676

10 166 221 276 331 386 441 496 551 606 661 716 771 826

11 12 … 199 235 … 265 313 … 331 391 … 397 469 … 463 547 … 529 625 … 595 703 … 661 781 … 727 859 … 793 937 … 859 1015 … 925 1093 … 991 1171 …

Da die Dreieckszahlen in der Formel (4.5) so präsent sind, stellt sich die Frage, ob man sie nicht auch in den Figuren für die zentrierten Polygonalzahlen sehen kann. Dass man dies tatsächlich kann, zeigt Abb. 4.8 am Beispiel E = 5. Abb. 4.8 Die Dreieckszahlen in den zentrierten Polygonalzahlen

Aufgabe 4.2 Überprüfen Sie an weiteren Beispielen, dass man im Muster der zentrierten Polygonalzahlen E-mal die Dreieckszahlen entdecken kann und dass sie überlappungsfrei alles bis auf den Zentralpunkt überdecken. Schließlich sei noch auf die folgende Möglichkeit zur Berechnung der zentrierten sechseckigen Polygonalzahlen hingewiesen. Da man Abb. 4.9 auch als „Draufsicht“ auf einen Würfel deuten kann, zerfällt die Konfiguration in drei kongruente Teile, von denen jeder aus (s + 1)2 Punkten besteht. Die Konfiguration besteht in der Stufe s insgesamt also bei Bereinigung der Doppelzählung (entlang den dicken schwarzen Linien) aus 3(s +1)2 −3(s +1)+1 (= 3s(s +1)+1) Punkten. Gelegentlich wird als Stufenzahl auch die Anzahl n der auf einer Seite liegenden Punkte verwendet. Wegen s = n − 1 ist mit dieser Bezeichnung die Eckenzahl des zentrierten Sechsecks dann gleich 3n 2 − 3n + 1. Alle diese Darstellungen sind natürlich mit (4.5) kompatibel.

46

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen

Abb. 4.9 Zentrierte Sechseckszahlen als Würfelseiten gedeutet

4.3

Pyramidalzahlen

Die folgenden Überlegungen sind für nichtzentrierte Polygonalzahlen durchgeführt; sie lassen sich aber ganz entsprechend auf zentrierte Polygonalzahlen übertragen. Ordnet man die Polygonalzahlen räumlich an, so erhält man die Pyramidalzahlen. Mit H (E, k) sei diejenige Pyramidalzahl bestehend aus k Ebenen bezeichnet, welche die Polygonalzahl G(E, k) als Grundfläche hat. Abb. 4.10 zeigt die „Stapelung“ von Dreieckszahlen zu einer Tetraeder-Pyramide. Aus der obigen Konstruktionsbeschreibung für die Pyramidalzahlen folgt unmittelbar die folgende rekursive Gleichung H (E, k) = H (E, k − 1) + G(E, k)

(4.6)

bzw. (man beachte, dass entsprechend Beispiel 11.3.19 auch das Summenzeichen ein rekursives Konstrukt ist): H (E, k) =

k  i=1

Abb. 4.10 Pyramidalzahlen (hier: Tetraederzahlen)

G(E, i)

(4.7)

4.3 Pyramidalzahlen

47

Wie bei den Polygonalzahlen lassen sich auch die ersten Pyramidalzahlen leicht rekursiv berechnen (siehe Darstellung in der folgenden Tabelle).

k | 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 ... ----------------------------------------------------------------E = 3 | 1 4 10 20 35 56 84 120 165 220 286 364 ... 4 | 1 5 14 30 55 91 140 204 285 385 506 650 ... 5 | 1 6 18 40 75 126 196 288 405 550 726 936 ... 6 | 1 7 22 50 95 161 252 372 525 715 946 1222 ... 7 | 1 8 26 60 115 196 308 456 645 880 1166 1508 ... 8 | 1 9 30 70 135 231 364 540 765 1045 1386 1794 ... 9 | 1 10 34 80 155 266 420 624 885 1210 1606 2080 ... 10 | 1 11 38 90 175 301 476 708 1005 1375 1826 2366 ... 11 | 1 12 42 100 195 336 532 792 1125 1540 2046 2652 ... 12 | 1 13 46 110 215 371 588 876 1245 1705 2266 2938 ... ...

Gleichung (4.7) führt in Verbindung mit Gleichung (3.6) über die Summen von Quadratzahlen sofort zu der folgenden expliziten Darstellung für die Pyramidalzahlen H (E, k) =

k 

G(E, i)

i=1

 k   E −2 2 4− E = ·i + ·i 2 2 i=1     k k 4−E  E −2  2 i + i · · = 2 2 i=1

i=1

E − 2 k · (k + 1) · (2k + 1) 4 − E k · (k + 1) = · + · 2 6 2 2 Und daraus folgt schließlich der Satz H (E, k) =

E −2 3 1 2 5− E ·k + ·k + ·k 6 2 6

(4.8)

Aufgabe 4.3 Entwickeln Sie alternativ eine explizite Darstellung für die Pyramidalzahlen auf der Basis der durch das obige Differenzenschema gegebenen Tabelle. Abb. 4.11 war vor einigen Jahren in einer süddeutschen Wochenzeitung zu finden. Dazu gehörte der Text:

48

4

Polygonal- und Pyramidalzahlen

Abb. 4.11 Der etwas andere Weihnachtsbaum

„Der etwas andere Weihnachtsbaum in Tokio: Aus 3000 Champagnergläsern besteht dieser Weihnachtsbaum, der ... in einem Park der japanischen Hauptstadt Tokio leuchtet.“

Aufgabe 4.4 Prüfen Sie, ob die angegebene Zahl der Champagnergläser plausibel ist, d. h., ob sie (näherungsweise) stimmen könnte. Überlegen Sie, wie die einzelnen „Schichten“ aussehen könnten.

4.4 Bemerkungen zur Symbolverarbeitung

4.4

49

Bemerkungen zur Symbolverarbeitung

Historisch gesehen war es schon immer eine große Herausforderung, rekursiv gegebene Darstellungen in nichtrekursive (sogenannte explizite) Darstellungen zu überführen. Bei den Fibonacci-Zahlen hat das mehrere Jahrhunderte gedauert (vgl. Kap. 7 und 10). Inzwischen wurden vielfältige Standardverfahren entwickelt, um große Klassen von Rekursionsgleichungen4 , bzw. Differenzengleichungen5 , in ihre explizite Form zu überführen. Eine dieser Klassen sind sogenannte lineare Differenzengleichungen. Diese können einen „Inhomogenitäts-Term“ besitzen, und wenn dieser von polynomialer Form ist, dann verfügen inzwischen praktisch alle Computeralgebra Systeme über Routinen, um solche Gleichungen zu lösen. Dies sei im Folgenden beispielhaft erläutert. Im Computeralgebra System Maxima sind die entsprechenden Algorithmen in einem Programmpaket des Namens solve_rec enthalten, das zunächst geladen werden muss: load(solve_rec). Einige Aufruf-Beispiele (vgl. Gleichung (4.3) und (4.8)): Eingabe: solve_rec(GE(k) = GE(k-1) + (E-2)*k - (E-3), GE(k), GE(1)=1) Ausgabe: GE(k)=((k-1)*(E*k-2*k+2))/2 + 1 Test auf Gleichheit: is(equal((a+b)ˆ2, aˆ2+2*a*b+bˆ2)) Ausgabe: true is(equal((((k-1)*(E*k-2*k+2))/2)+1, (kˆ2)*(E-2)/ 2 + k*(4-E)/2)) Ausgabe: true Eingabe: solve_rec(HE(k) = HE(k-1)+((k-1)*(E*k-2*k+2))/2+1, HE(k), HE(1)=1) Ausgabe: HE(k) = ((k-1)*(E*kˆ2-2*kˆ2+E*k+k+6))/6 + 1 Test auf Gleichheit: is(equal((((k-1) * (E*kˆ2 - 2*kˆ2 + E*k + k + 6))/6) + 1, kˆ3 * (E-2)/6 + kˆ2/2 + k*(5-E)/6 ) ) Ausgabe: true

4 Engl. 5 Eine

recurrence relations. Einführung in die Terminologie ist z. B. zu finden in Dürr/Ziegenbalg 1984.

5

Systematisierung durch Differenzenbildung

5.1

Differenzenfolgen von Polygonal- und Pyramidalzahlen

Eine bewährte Strategie zur Erkennung von Gesetzmäßigkeiten in Folgen ist die Differenzenbildung1 . In den folgenden Schemata wird immer wieder Gebrauch davon gemacht.2 Beispiel: Einfache Differenzenbildung bei den Polygonalzahlen Im folgenden Schema sind unter jeder Polygonalzahl-Zeile die entsprechenden Differenzen notiert. Die jeweilige Differenz (aus „rechtem“ minus „linkem“ Folgenglied) steht dabei in der Lücke unter den betreffenden Folgengliedern. Bereits an diesem einfachen Beispiel lassen sich in den Zeilen und Spalten viele Muster erkennen.

1 Die Methode der (systematischen) Differenzenbildung geht zurück auf die Mathematiker Jost Bürgi (1552–1632), James Gregory (1638–1675), Sir Isaac Newton (1643–1727) und Brook Taylor (1685–1731). Zitat (siehe: https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/Biographies/Taylor/): Taylor ... added to mathematics a new branch now called the „calculus of finite differences“. 2 Ein Hinweis: Es kann u. U. nützlich sein, sich vorab in Kap. 11 über die Grundzüge des Verfahrens der vollständigen Induktion zu informieren.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_5

51

52

5 k→ E↓ 3 Diff 4 Diff 5 Diff 6 Diff 7 Diff 8 Diff 9 Diff 10 Diff 11 Diff 12 Diff

1

2

1

3

3 2

1

6 3

4 3

1

9

5

1

6 5

1

15

7 6

1

18 11

8 7

1

21 13

9 8

1

24

10

1

27

11

1

12

58

33

64 31

175

141

105

232

196

156

260

217 61

288

396

370

333

451

415

369

... ...

506 91

460 91

... ...

81

82

81

... ...

71

73

73

71

341

325

297

... ...

61

64

65

64

286

280

261

... ...

51

55

57

57

55

51

204

231

235

225

... ...

41

46

49

50

49

46

41

154

126

95

176

176

190

189

... ...

31

37

41

43

43

41

37

133

111

85

148

121

145

153

... ...

21

28

33

36

37

36

33

28

21

75

52

30

96 31

29

25

19

11

46

120

112

100

117



66 11

19

25

29

31

65 25

22

17

10

40

81 26

55

81

92

91

11

10

17

22

25

55 21

19

15

9

34 16

45

64

70

66 21

10

9

15

19

45 17

36

49

51 16

9

8

13

35

28 13

28

36 11

13

8

7

25

22

7

21 6

9

10

9

15

16

12

6

5

7

7

5

10 4

5

4

4

Systematisierung durch Differenzenbildung

... ...

561 101

... ...

Wenn eine Methode gut funktioniert, dann ist es in der Mathematik (und auch sonstwo) im Allgemeinen eine empfehlenswerte Praxis, sie wiederholt anzuwenden. In diesem Sinne werden wir die Differenzenbildung im Folgenden mehrfach durchführen. Der Übersichtlichkeit halber beschränken wir uns auf die Pentagonalzahlen. G(5, k)  2

1

5 4

12 7

3

22 10

3

35 13

3

51 16

3

70 19

3

92 22

3

117 25

3

145 28

3

176 31

3

210 34

3

… …



Wir halten fest, dass in den beobachteten Fällen bei den Pentagonalzahlen die zweiten Differenzen konstant (und zwar gleich 3) sind. Aufgabe 5.1 1. Prüfen Sie nach, ob die zweiten Differenzen auch bei weiteren Pentagonalzahlen konstant sind. 2. Entwickeln Sie eine explizite Formel für G(5, k) bzw. G(E, k) unter der Hypothese, dass die Folgen der zweiten Differenzen konstant gleich 3 (bzw. gleich c) sind. Wir wenden nun das entsprechende Differenzenverfahren auf die Pyramidalzahlen (auch im Falle E = 5) an.

5.2 Allgemeine Differenzenfolgen H (5, k)  2 3

1

6 5

18 12

7

40 22

10 3

75 35

126 51

13 3

53

16 3

196 70

19 3

288 92

22 3

405 117

25 3

550 145

28 3

726 176

31 3

3

936 … 210 … 34 … …

Bei den pentagonalen Pyramidalzahlen (E = 5) scheinen die dritten Differenzen konstant zu sein. Aufgabe 5.2 1. Prüfen Sie nach, ob die dritten Differenzen auch bei weiteren pentagonalen Pyramidalzahlen konstant sind. 2. Entwickeln Sie eine explizite Formel für H (5, k) unter der Hypothese, dass die Folge der dritten Differenzen konstant gleich 3 ist. 3. Untersuchen Sie den Fall der hexagonalen Pyramidalzahlen (E = 6). Entwickeln Sie eine explizite Formel für H (6, k) bzw. allgemein für H (E, k) unter der Hypothese, dass die Folgen der dritten Differenzen konstant sind.

5.2

Allgemeine Differenzenfolgen

Es sei (an )n=0,...,∞ eine beliebige Zahlenfolge. Die Folge ihrer ersten Differenzen ist definiert durch bn := (an ) := an+1 − an

(5.1)

Im Hinblick auf eine systematische Entwicklung des Differenzenoperators schreibt man auch 1 (an ) an Stelle von (an ). Weiterhin seien 2 (an ) : = (an ) = (bn ) = bn+1 − bn = (an+2 − an+1 ) − (an+1 − an ) = an+2 − 2an+1 + an 3 (an ) : = 2 (an ) =  (bn ) = bn+2 − 2bn+1 + bn = (an+3 − an+2 ) − 2(an+2 − an+1 ) + (an+1 − an ) = an+3 − 3an+2 + 3an+1 − an

(5.2)

(5.3)

(5.4)

2

4 (an ) : = 3 (an )

(5.5) (5.6)

= 3 (bn ) = bn+3 − 3bn+2 + 3bn+1 − bn = (an+4 − an+3 ) − 3(an+3 − an+2 ) + 3(an+2 − an+1 ) − (an+1 − an ) = an+4 − 4an+3 + 6an+2 − 4an+1 + an

(5.7)

54

5

Systematisierung durch Differenzenbildung

die Folgen der zweiten, dritten und vierten Differenzen der ursprünglichen gegebenen Folge (an ). Aufgabe 5.3 Zeigen Sie 2 (an ) = (an+1 ) − (an ) 3 (an ) = 2 (an+1 ) − 2 (an ) 4 (an ) = 3 (an+1 ) − 3 (an ) Wir definieren (in Ergänzung zu (5.1)) allgemein: 1 (an ) : = an+1 − an und f¨ur k > 1 : k (an ) : = k−1 (an+1 ) − k−1 (an )

(5.8)

Diese Definitionen lassen sich schematisch folgendermaßen darstellen. an  2 3 …

a1

a2

(a1 )

a3

a7 … (a6 ) … 2 (a1 ) 2 (a2 ) 2 (a3 ) 2 (a4 ) 2 (a5 ) … 3 (a1 ) 3 (a2 ) 3 (a3 ) 3 (a4 ) … … … … (a2 )

a4

(a3 )

a5

(a4 )

a6

(a5 )

Bemerkungen • Im Englischen werden diese Differenzen als „finite differences“ oder auch als „finite forward differences“ bezeichnet. • Wir werden die (absolut genommenen) Koeffizienten (1, 2, 1) im Fall der zweiten Differenzen, (1, 3, 3, 1) im Fall der dritte Differenzen und (1, 4, 6, 4, 1) im Fall der vierten Differenzen später im Zusammenhang mit den Binomialkoeffizienten und dem Pascalschen Dreieck wieder antreffen. Aufgabe 5.4 1. Erläutern und begründen Sie: k (an ) = k−1 ((an )) = (k−1 (an ))

(5.9)

2. Zeigen Sie: Sind die kten Differenzen einer Folge konstant (und von Null verschieden), so lässt sich die Folge in expliziter Form als Polynom vom Grad k darstellen. Das folgende Differenzenschema verdeutlicht noch einmal die Voraussetzungen zu dieser Aufgabe.

5.2 Allgemeine Differenzenfolgen an  2 3 … k

a1

a2

(a1 )

55

a3

a4

a7 … (a6 ) … 2 (a1 ) 2 (a2 ) 2 (a3 ) 2 (a4 ) 2 (a5 ) … 3 (a1 ) 3 (a2 ) 3 (a3 ) 3 (a4 ) … … … … c c c … (a2 )

a5

(a3 )

a6

(a4 )

(a5 )

Aufgabe 5.5 1. Formulieren und beweisen Sie die Umkehrung der Aussage in Aufgabe 5.4, Teil 2. 2. Die k-ten Differenzen der Folge (an )n=0,...,∞ seien konstant gleich c (c = 0). Weiterhin sei bi,1 := i (a1 ) f¨ur i = 1, . . . , k Stellen Sie an in expliziter Form in Abhängigkeit von a1 , bi,1 , c und n dar. Beispiel: Potenzsummen/Faulhabersche Summen Für die natürlichen Zahlen n und k sei  S(n, k) := 1 + 2 + 3 + . . . + n k

k

k

=

k

n 

 i

k

(5.10)

i=1

Aufgabe 5.6 1. Beschreiben Sie S(n, k) (für festes k) rekursiv in n (ohne Auslassungspunkte und ohne Summenzeichen). 2. Schreiben Sie (am besten in der Sprache eines Computeralgebra Systems) ein Programm zur Auswertung von S(n, k). 3. Zeigen Sie: S(n, k) ist stets als Polynom in n vom Grad k + 1 darstellbar. 4. Stellen Sie die entsprechenden Polynome für k = 0, . . . , 6 auf. Einige konkrete Differenzenschemata zu S(n, k): k = 1: n S(n, 1)  2

1 1

2 3 2

3 6 3

1

4 10 4

1

5 15 5

1

6 21 6

1

7 28 7

1

8 36 8

1

9 45 9

1

10 55 10

1

11 66 11

1

12 78 12

1

… … …



56

5

Systematisierung durch Differenzenbildung

k = 2: n S(n, 2)  2 3

1 1

2 5 4

3 14 9

5

4 30 16

7

5 55 25

9

2

6 91 36

11

2

2

3 36

4 100

7 140 49

13 2

8 204 64

15 2

9 285 81

10 385 100

17

19

2

2

11 506 121

… …

144

21 2

12 650

23 2

… …



k = 3: n S(n, 3)  2 3 4

1 1

2 9 8

27 19

64 37

18

5 225 125

61 24

6

6 441 216

343

91 30

6

7 784

127 36

512 169

42

6

8 1296

6

9 2025 729

217 48

6

10 3025 1000

271

… … …



54



6



7 4676

8 8772

k = 4: n S(n, 4)  2 3 4 5

1 1

2 17 16

3 98 81

65

4 354 256

175 110

5 979 625

369 194

84

1296 671

302 108

24

6 2275 2401 1105 434

132 24

4096 1695

590 156

24

6561 2465

770 180

24

9 15.333

… … …

… …

… …

k = 5: n S(n, 5)  2 3 4 5 6

1 1

2 33

3 276

4 1300

5 4425

6 12.201

7 29.008

8 61.776

9 120.825 32 243 1024 3125 7776 16.807 32.768 59.049 … 211 781 2101 4651 9031 15.961 26.281 … 570 1320 2550 4380 6930 10.320 … 750 1230 1830 2550 3390 … 480 600 720 840 … 120 120 120 …

Aufgabe 5.7 1. Stellen Sie für die oben gegebenen Differenzenschemata jeweils eine (formelhafte) Verbindung her zwischen k und der Konstanten in der jeweils letzten Zeile des zu S(n, k) gehörenden Differenzenschemas. 2. Ermitteln Sie die Differenzenfolgen zu den durch die Ausdrücke (k 2 ), (k 3 ), (k a ) gegebenen Folgen (mit natürlicher Zahl a).

5.3 Ein kleines Szenario zum Differenzenkalkül im Computeralgebra System Maxima

5.3

57

Ein kleines Szenario zum Differenzenkalkül im Computeralgebra System Maxima

Wie vieles in der Mathematik hat auch der Differenzenkalkül einen hochgradig algorithmischen Charakter. Geeignete Werkzeuge, um ihn in konkrete Programme umzusetzen, sind die Computeralgebra Systeme, deren Fähigkeiten zu Symbolmanipulation und zum funktionalen Programmieren3 sich in diesem Themenbereich besonders vorteilhaft auswirken. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie sich der Differenzenkalkül in Maxima umsetzen lässt. Die vergleichsweise intuitive Syntax von Maxima soll dabei nur rudimentär behandelt werden. Fundamental für Computeralgebra Systeme ist der äußerst flexible Datentyp der Liste. Listen werden in√ Maxima durch eckige Klammern gekennzeichnet; so ist z. B. [w, y(x), 17, 2, [u, sin(z), 3], r, s] eine sieben-elementige Liste, welche die drei-elementige Teilliste [u, sin(z), 3] als ihr fünftes Elemente enthält. Maxima beherrscht eine Reihe von Befehlen zur Erzeugung und Manipulation von Listen; allen voran den Befehl makelist. Der Aufruf makelist(f(i), i, start, end) (mit beliebiger Funktion f) erzeugt die (dynamische) Liste [f(start), f(start+1), f(start+2), ... , f(end)]. Ist M eine Liste, so bezeichnet M[i] ihr i-tes Element. Der Doppelpunkt : stellt eine Wertzuweisung dar. Durch den Befehl b : a wird der Variablen b der Wert der Variablen a zugewiesen. Die Zeichenfolge := wird zur Definition von Funktionen verwendet. Die Übertragung der Definitionen in (5.8) in das Computeralgebra System Maxima ist (wie folgt) in sehr direkter Weise möglich. D(k, a, n) := if k=1 then a[n+1]-a[n] else D(k-1, a, n+1) - D(k-1, a, n)

Einige Beispielaufrufe zur Illustration: Eingabe: D(5, a, n) Ausgabe: a[n+5]-5*a[n+4]+10*a[n+3]-10*a[n+2]+5*a[n+1]-a[n] Eingabe: D(6, b, n) Ausgabe: b[n+6]-6*b[n+5]+15*b[n+4]-20*b[n+3]+15*b[n+2]-6*b[n+1]+b[n] Eingabe: for i:1 thru 16 do c[i] : iˆ2 Ausgabe: done Eingabe: makelist(D(1, c, i), i, 1, 15) Ausgabe: [3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31]

3 Zum

funktionalen Programmieren: vgl. Abschnitt 7.7.2.

58

5

Systematisierung durch Differenzenbildung

Eingabe: makelist(D(2, c, i), i, 1, 14) Ausgabe: [2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2]

Manchmal liegen die ersten Glieder einer Folge als Elemente einer Liste vor. Für diesen Fall ist es hilfreich, eine Version des Differenzenoperators zu haben, welche die Differenzen der Elemente der gesamten Liste ermittelt und das Ergebnis wieder als Liste ausgibt. Im Folgenden werden drei gleichwertige Versionen mit dieser Funktionalität dargestellt (dabei soll DL „Differenzenverfahren für Listen“ bedeuten). DL(L, k) := if k=0 then L else if k=1 then makelist(L[i+1]-L[i], i, 1, length(L)-1) makelist((DL(L, k-1)[i+1] - DL(L, k-1)[i]), i, 1, length(L)-k)

else

DL2(L, k) := if k=0 then L else if k=1 then makelist(L[i+1]-L[i], i, 1, length(L)-1) else DL2(DL2(L, 1), k-1); DL3(L, k) := if k=0 then L else if k=1 then makelist(L[i+1]-L[i], i, 1, length(L)-1) else DL3(DL3(L, k-1), 1);

Einige Beispiele: Eingabe: Ausgabe:

L : makelist(kˆ3, k, 0, 10) [0, 1, 8, 27, 64, 125, 216, 343, 512, 729, 1000]

Eingabe: DL(L, 1) Ausgabe: [1, 7, 19, 37, 61, 91, 127, 169, 217, 271] Eingabe: DL(L, 2) Ausgabe: [6, 12, 18, 24, 30, 36, 42, 48, 54] Eingabe: DL(L, 3) Ausgabe: [6, 6, 6, 6, 6, 6, 6, 6] Eingabe: Ausgabe:

L : makelist(a[i], i, 1, 10); [a[1],a[2],a[3],a[4],a[5],a[6],a[7],a[8],a[9],a[10]]

5.3 Ein kleines Szenario zum Differenzenkalkül im Computeralgebra System Maxima

59

Jeder der Aufrufe DL(L,3), DL2(L,3) und DL3(L,3) hat den Funktionswert: [ a[4]-3*a[3]+3*a[2]-a[1], a[5]-3*a[4]+3*a[3]-a[2], a[6]-3*a[5]+3*a[4]-a[3], a[7]-3*a[6]+3*a[5]-a[4], a[8]-3*a[7]+3*a[6]-a[5], a[9]-3*a[8]+3*a[7]-a[6], a[10]-3*a[9]+3*a[8]-a[7] ]

Aufgabe 5.8 1. Überprüfen Sie anhand weiterer Testwerte, dass die drei DL-Funktionen dieselben Funktionswerte liefern. 2. Analysieren Sie die Wirkungsweise der drei DL-Funktionen im Detail. Beachten Sie dabei insbesondere die jeweils letzte Textzeile in den Programmen und stellen Sie die Verbindung zu Definition (5.8) und zu Aufgabe 5.4 her. Für diejenigen, die jetzt denken, dass das Thema „Folgen und Differenzen“ doch sehr abgehoben und weit vom Schulstoff weg ist, sei hier noch abschließend eine typische Aufgabe aus einem Mathematikbuch für die Grundschule gegeben. Das Arbeiten mit Zahlenmauern (bzw. Rechenmauern) ist hochgradig intuitiv und braucht kaum erläutert zu werden (die Zahl in jedem Mauerstein ist die Summe der Steine direkt links und rechts darunter). Aufgabe 5.9 Zahlenmauern (siehe z. B. Wittmann/Müller, Das Zahlenbuch, Mathematik im 1. und 2. Schuljahr) 1. Füllen Sie die Zahlenmauer in Abb. 5.1 rechts entsprechend den Regeln aus. 2. Erstellen Sie weitere, möglichst gut variierte Aufgaben mit Zahlenmauern.

Abb. 5.1 Zahlenmauern

3. Machen Sie sich klar, wie in jedem Differenzenschema auch eine Fülle von Zahlenmauern steckt – und umgekehrt. Sehr bedeutsam für viele Anwendungen sind Folgen, die mit ihren Differenzenfolgen übereinstimmen. Sie führen zum exponentiellen Wachstum.

60

5

Systematisierung durch Differenzenbildung

Aufgabe 5.10 1. Erstellen Sie die Differenzenfolge zur Folge 1, 3, 9, 27, 81, 243, 729, 2187, 6561, 19.683, 59.049, 177.147, 531.441, 1.594.323 2. Erstellen Sie zweite, dritte und vierte Differenzenfolgen und versuchen Sie, ein Muster zu erkennen. Aufgabe 5.11 a sei eine natürliche Zahl. Erstellen Sie die erste, zweite, dritte Differenzenfolge zur Folge (a k )k=0,1,... Aufgabe 5.12 Bestimmen Sie alle Folgen, die mit ihren Differenzenfolgen übereinstimmen. Bemerkung: Wenn eine Folge mit ihrer Differenzenfolge übereinstimmt, dann heißt das, dass der Zuwachs der Folge in jedem Punkt gleich dem Folgenwert ist. Diese Eigenschaft ist (abgesehen von konstanten Faktoren) charakteristisch für das geometrische oder exponentielle Wachstum (vgl. Abb. 5.2). Abb. 5.2 Diskrete Exponentialfunktion k → 2k

6

Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Das Verfahren der Wechselwegnahme (griechisch anthyphairesis)1 geht auf Mathematiker der griechischen Antike zurück (Eudoxos2 , Theaitetos3 , Euklid4 , …). Dabei geht es im weitesten Sinne um den Vergleich von Strecken5 . Der Größenvergleich zweier Strecken ist zunächst sehr einfach: Man muss die Strecken nur nebeneinander legen. Aber sehr bald ergeben sich weitere Fragen: Geht die kürzere Strecke bei mehrfachem Abtragen ganz in der längeren auf bzw. gibt es eine Vergleichsstrecke g, die in den beiden Ausgangsstrecken „aufgeht“, mit der sich die Ausgangsstrecken a und b also „ausmessen“ lassen? Etwas konkreter (und formaler) ausgedrückt: Die Strecke g heißt gemeinsames Maß der Strecken a und b, wenn es natürliche Zahlen k und m gibt mit der Eigenschaft a = k · g und b = m · g. Besitzen die Strecken a und b ein gemeinsames Maß, so sagt man auch a und b sind kommensurabel, andernfalls inkommensurabel. Die Vorstellung, dass es zu zwei beliebigen Ausgangsstrecken a und b immer ein gemeinsames Maß geben muss, ist zunächst sehr naheliegend: „Wenn es ein Millimeter nicht tut, dann wird es doch wohl mit einem Tausendstel oder einem Millionstel Millimeter als Vergleichsstrecke klappen“. So oder so ähnlich lautet meist die Argumentation. Und bezogen auf reale Messvorgänge in der Praxis stimmt das ja auch meist – zumindest näherungsweise.

1 Das

griechische Wort anthyphairesis bedeutet gegenseitiges Wegnehmen. Aristoteles verwendet den Begriff antanairesis für denselben Sachverhalt. 2 Eudoxos von Knidos, ca. 408–355 v. Chr. 3 Theaitetos, ca. 417–369 v. Chr. 4 Euklid von Alexandria, ca. 325–265 v. Chr. 5 Auch wenn es sich, genau genommen, um Streckenlängen dreht, werden wir meist von Strecken sprechen.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_6

61

62

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Jedes Schulkind hat wohl schon vom Satz des Pythagoras gehört. Basierend auf vielen Beobachtungen in den Bereichen Zahlenmystik, Astronomie (Sphärenharmonie) und vor allem auch in der Harmonielehre der Musik vertrat Pythagoras die Auffassung „Alles ist Zahl“. Dabei war bei Pythagoras mit Zahl das gemeint, was wir heute als natürliche Zahl oder als das Verhältnis zweier natürlicher Zahlen bezeichnen. In Pythagoras’ Lehre spielten hochgradig symmetrische Figuren eine herausragende Rolle: die Tetraktys, das Quadrat, das regelmäßige Fünfeck bzw. das Pentagramm. Als besonders tragisch muss deshalb die Erkenntnis gewertet werden, dass ausgerechnet die für Quadrat und Pentagramm konstituierenden Größen, also ihre jeweiligen Seiten und Diagonalen inkommensurabel sind. Hippasos von Megapont soll dies herausgefunden und nicht geheim gehalten haben. Als Strafe dafür soll er der Legende nach bei einem Schiffsunglück ertrunken sein.

6.1

Wechselwegnahme, Kommensurabilität und Inkommensurabilität

Liegen zwei kommensurable Strecken a und b vor, ihr gemeinsames Maß sei g, so misst g stets auch die Differenzstrecke a − b. Denn sei etwa a = m · g und b = k · g, so ist a − b = (m − k) · g (vgl. Abb. 6.1 mit m = 3 und k = 2).

Abb. 6.1 Gemeinsames Maß

Bei der Suche nach einem gemeinsamen Maß zweier (möglicherweise sehr großer) Strecken reicht es also aus, an Stelle der Originalstrecken nur die kleinere Strecke und die Differenz aus größerer und kleinerer Strecke zu untersuchen, und sind die so erhaltenen Strecken immer noch zu groß, so kann man dieses Verfahren, man bezeichnet es auch als Wechselwegnahme, beliebig lange fortsetzen. Es gilt also: Satz Jedes gemeinsame Maß g der Strecken a und b misst auch alle durch Wechselwegnahme aus a und b hervorgehenden Strecken. Hieraus folgt jedoch, dass Seite und Diagonale des Pentagramms nicht kommensurabel sind.

6.1 Wechselwegnahme, Kommensurabilität und Inkommensurabilität

63

Abb.6.2 Inkommensurabilität beim Pentagramm

Beweis: Es seien s die Seite und d(d > s) die Diagonale eines Pentagramms; konkret in Abb. 6.2 etwa: s = AB und d = AC. Wir nehmen an, dass es ein gemeinsames Maß g von d und s gebe. Dann würde g aus Symmetriegründen (siehe auch die folgende Aufgabe) auch d1 := d − s = AC − AG = GC = AF = G I und s1 := s − d1 = AG − AF = G F messen. Nun ist aber: s1 die Seite im einbeschriebenen Fünfeck; und d1 die Diagonale im einbeschriebenen Fünfeck Wenn es also ein gemeinsames Maß g von Seite und Diagonale im (großen) regelmäßigen Fünfeck gibt, dann ist g auch ein gemeinsames Maß von Seite und Diagonale im (kleinen) einbeschriebenen Fünfeck. Das einbeschriebene Fünfeck enthält aber seinerseits wieder ein einbeschriebenes Fünfeck, dessen Seite und Diagonale nach demselben Argument von g gemessen werden. Und so weiter! Die einbeschriebenen Fünfecke werden aber immer kleiner. Ihre Seitenlängen streben gegen Null und unterschreiten jede vorgegebene feste Größe g. Dies kann aber nicht sein, wenn sie von g gemessen werden. Die Annahme, es gäbe ein gemeinsames Maß von Seite und Diagonale im regelmäßigen Fünfeck führt also zum Widerspruch – und muss deshalb verworfen werden. Satz Seite und Diagonale des regelmäßigen Fünfecks sind inkommensurabel.

64

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Aufgabe 6.1 1. Begründen Sie die folgenden Aussagen (vgl. auch Beispiel 11.3.15): – Die Summe der Innenwinkel eines konvexen6 Fünfecks beträgt stets 540◦ . – Jeder Innenwinkel des Pentagramms in Abb. 6.2 (z. B. Winkel EDC) beträgt 108◦ . – Winkel EDI = Winkel IDH = Winkel HDC = 36◦ . – Alle spitzwinkligen Dreiecke in Abb. 6.2 sind einander ähnlich und ihre Winkel betragen 36◦ , 72◦ und 72◦ . 2. Bestimmen Sie den Faktor, mit dem man das äußere Fünfeck verkleinern muss, um zum inneren Fünfeck zu gelangen. Kommensurabilität und Rationalität (bzw. Inkommensurabilität und Irrationalität) sind in der Mathematik auf das Engste miteinander verknüpft. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Aufgabe 6.2 Zeigen Sie: Genau dann sind zwei Strecken a und b kommensurabel, wenn es eine rationale Zahl r gibt mit der Eigenschaft: a = r · b. Bemerkung: Ein Beweis für die Inkommensurabilität von Seite und Diagonale im Quadrat ist z. B. in Ziegenbalg 2016, Abschnitt 3.3.2 zu finden.

6.2

Die Division mit Rest

Die Division mit Rest (auch als Ganzzahldivision bezeichnet) ist meist der erste „richtige“ Algorithmus, den man in der Schule kennenlernt; „richtig“ in dem Sinne, dass der Algorithmus komplexer ist als das Ausführen einer einfachen Zählschleife mit natürlichen Zahlen, wie es bei der Addition, Multiplikation und Subtraktion natürlicher Zahlen der Fall ist. Auch die „Datenstruktur“ ist bei der Division mit Rest komplexer als bei den anderen Grundrechenarten: Die Ausgabe des Algorithmus ist ein Zahlenpaar, bestehend aus dem (ganzzahligen) Quotienten und dem (ganzzahligen) Rest. Deutet man z. B. die Zahlen 17 und 5 als Strecken, so beantwortet die Division mit Rest die Frage „Wie oft geht die 5 ganz in die 17 hinein und was bleibt als Rest übrig?“ Bildlich lässt sich das wie in Abb. 6.3 darstellen:

6 Ein

ebenes Vieleck (Polygon) heißt konvex, wenn die Verbindungsstrecke je zweier beliebiger Punkte innerhalb des Vielecks verläuft.

6.3 Größter gemeinsamer Teiler (ggT) und kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV)

65

Abb. 6.3 Division mit Rest

Umgangssprachlich kann man den Algorithmus also folgendermaßen formulieren: Algorithmus Division mit Rest (DmR) Gegeben seien die natürlichen Zahlen a und b, und es sei a > b > 0. Ziehe die kleinere Zahl b so oft von der größeren Zahl a ab, wie es geht, und zähle mit, wie oft du das tun kannst. Diese Zahl q nennt man den Quotienten und die Zahl r , die danach übrig bleibt, den Rest bei der (Ganzzahl-) Division von a durch b. Symbolisch ausgedrückt: Dm R(a, b) = (q, r ), wobei a = q · b + r und 0 ≤ r < b. Sowohl der Quotient q als auch der Rest r spielt innermathematisch, wie auch in vielen außermathematischen Anwendungen eine wichtige Rolle. Besonders in der modularen Arithmetik (bzw. Restklassenarithmetik) wird intensiv vom Rechnen mit Divisionsresten Gebrauch gemacht. Deshalb sind die Basis-Funktionen der Ganzzahldivision in den meisten Programmiersprachen fest „einprogrammiert“ und oft (mit den obigen Bezeichnungen) wie folgt definiert: Div(a, b) := q und Mod(a, b) := r Mit diesen Bezeichnungen gilt dann also: a = Div(a, b) · b + Mod(a, b) In Bezug auf die Division mit Rest gilt der folgende fundamentale. Satz Zu je zwei natürlichen Zahlen a und b (mit b = 0) gibt es stets eindeutig bestimmte nichtnegative ganze Zahlen q und r mit der Eigenschaft: a = q · b + r und 0 ≤ r < b. Auf einen formalen Beweis wird an dieser Stelle verzichtet; mit Abb. 6.3 ist eine paradigmatische Begründung gegeben.

6.3

Größter gemeinsamer Teiler (ggT) und kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV)

Ist der Rest r bei der Division mit Rest von a durch b gleich Null, ist also a = q · b, dann sagt man auch, „b teilt a“, „b misst a“, „b ist ein Teiler von a“ oder „a ist ein Vielfaches von b“. Die Gesamtheit der Teiler einer natürlichen Zahl lassen sich

66

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

anschaulich in einem Teilerdiagramm (auch Hasse-Diagramm7 genannt) darstellen Abb. 6.4 zeigt das Teilerdiagramm der Zahl 432: Abb. 6.4 Teilerdiagramm/ Hasse-Diagramm zur Zahl 432

Dabei soll die Teilfigur x −→ y im Teilerdiagramm x teilt y bedeuten. Das Teilerdiagramm in dieser Abbildung ist besonders übersichtlich, da in dem Beispiel nur zwei Primzahlen vorkommen. Die Pfeile für jede weitere hinzukommende Primzahl müssten in einer weiteren Dimension dargestellt werden. Aufgabe 6.3 1. Zeigen Sie, dass für natürliche Zahlen stets gilt: Aus (a teilt b) und (b teilt c) folgt stets (a teilt c). Mit anderen Worten: Die Teiler-Relation ist transitiv. 2. Zeigen Sie (für natürliche Zahlen): Aus a teilt b und b teilt a folgt a = b. Die Teiler-Relation ist in N also antisymmetrisch. Natürlich gilt auch stets: x teilt x. Die Teilbarkeitsrelation ist in der Menge N der natürlichen Zahlen also auch reflexiv und somit eine Ordnungsrelation. Aufgabe 6.4 1. Zeichnen Sie Teilerdiagramme für die Zahlen 225, 1000, 1125 und 6561. 2. Seien p und q Primzahlen. Zeichnen Sie Teilerdiagramme für p 4 , p 3 · q 4 und ( p · q)2 . 3. Was lässt sich über das Teilerdiagramm von Quadratzahlen aussagen? (Stichwort: Symmetrie)

7 Helmut

Hasse, 1898–1979, deutscher Mathematiker.

6.3 Größter gemeinsamer Teiler (ggT) und kleinstes gemeinsames Vielfaches (kgV)

67

Liegen zwei natürliche Zahlen a und b vor, so entsteht in natürlicher Weise die Frage, welche gemeinsamen Teiler sie haben. So sind z. B. 1, 2, 3, 6 die gemeinsamen Teiler von 18 und 24. Je zwei natürliche Zahlen haben mindestens den gemeinsamen Teiler 1. Haben sie keine weiteren gemeinsamen Teiler, so nennt man die beiden Zahlen teilerfremd. So sind z. B. 28 und 45 teilerfremd. Je zwei (verschiedene) Primzahlen p und q sind stets teilerfremd. Auch die gemeinsamen Teiler zweier natürlicher Zahlen a und b lassen sich sehr anschaulich in einem Hasse-Diagramm darstellen (Abb. 6.5). Abb. 6.5 Teilerdiagramme mit gemeinsamen Teilern

Der größte gemeinsame Teiler, ggT (a, b), zweier natürlicher Zahlen a und b ist dadurch charakterisiert, dass er von jedem gemeinsamen Teiler von a und b geteilt wird. Dual dazu ist das kleinste gemeinsame Vielfache, kgV (a, b), der natürlichen Zahlen a und b diejenige natürliche Zahl, die jedes gemeinsame Vielfache von a und b teilt. Aufgabe 6.5 Zeigen Sie, dass für alle natürlichen Zahlen a und b gilt: Ist d = b a ggT (a, b), so ist a·b d (= a · d = b · d ) das kleinste gemeinsame Vielfache von a und b. Im Bereich der natürlichen Zahlen besteht somit der folgende schöne Zusammenhang zwischen den natürlichen Zahlen a und b sowie ihrem ggT und kgV : a · b = ggT (a, b) · kgV (a, b)

(6.1)

Dieser Sachverhalt lässt sich mit Hilfe von Abb. 6.6 und 6.7 veranschaulichen. Dabei wird zum einen das Rechteck (a,b) mit Quadraten der Seitenlänge ggT (a, b) und zum anderen das Quadrat der Seitenlänge kgV (a, b) mit Rechtecken (a,b) gepflastert.

68

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Abb. 6.6 Pflasterung des (a, b)-Rechtecks mit ggT (a, b)-Quadraten

Abb. 6.7 Pflasterung des kgV (a, b)-Quadrats mit (a, b)-Rechtecken

Aufgabe 6.6 1. Beschreiben Sie die Anzahl der dick berandeten Zeilen und Spalten in Abb. 6.6 durch einen Ausdruck in den Variablen a und b. 2. Beschreiben Sie (in Abhängigkeit von a und b) die Anzahl der ggT (a, b)Quadrate, mit denen das (a, b)-Rechteck gepflastert ist. 3. Beschreiben Sie die Anzahl der (a, b)-Rechtecke in Abb. 6.7 durch einen Ausdruck in den Variablen a und b. 4. Beschreiben Sie die Anzahl der ggT (a, b)-Quadrate, mit denen das kgV (a, b)Quadrat gepflastert ist.

6.4

Der Euklidische Algorithmus

Die Division mit Rest und die Wechselwegnahme sind die Basis für das Verfahren des Euklidischen Algorithmus. Euklid formuliert in Die Elemente, Zehntes Buch §3: „Nimmt man abwechselnd immer das Kleinere vom Größeren weg, dann muss der Rest schließlich die vorhergehende Größe messen ...“.

6.4 Der Euklidische Algorithmus

69

Wenn wir die Wechselwegnahme z. B. mit den Ausgangszahlen 136 und 60 durchführen, so führt dies zu folgendem Prozess: (136, 60) −→ (76, 60) −→ (16, 60) −→ (16, 44) −→ (16, 28) −→ (16, 12) −→ (4, 12) −→ (4, 8) −→ (4, 4) −→ (4, 0)

(6.2)

Dieser Prozess lässt sich in der Notation der Division mit Rest auch folgendermaßen darstellen: 136 = 2 · 60 + 16 60 = 3 · 16 + 12 16 = 1 · 12 + 4 12 = 3 · 4 + 0

(6.3)

Die folgende Graphik veranschaulicht diesen Prozess (Abb. 6.8).

Abb. 6.8 Wechselwegnahme veranschaulicht mit Strecken

Aus der Abbildung wird unmittelbar klar: Der letzte von Null verschiedene Rest im Prozess der Wechselwegnahme (hier die 4) geht in allen vorangegangenen Strecken (12, 16, 28, 44, 60, 76, 136) auf. Die 4 ist also ein gemeinsamer Teiler von 136 und 60. Da andererseits jeder gemeinsame Teiler von 136 und 60 auch die Differenzstrecken 16, 12 und schließlich auch die 4 teilen muss, ist die 4 (also der letzte von Null verschiedene Rest im Prozess der Wechselwegnahme) auch der größte gemeinsame Teiler von 136 und 60. Man kann diesen Prozess wie in Abb. 6.9 auch als das wiederholte Abtrennen von möglichst großen Quadraten von dem Ausgangsrechteck der Seitenlängen 136 und 60 deuten: Wenn die 4 verarbeitet ist, bleibt kein Rest-Rechteck mehr übrig. Die 4 ist also die Seitenlänge des größten Quadrats, mit dem das Ausgangsrechteck (hier: 136 mal 60) lückenlos und überlappungsfrei ausgelegt („gepflastert“) werden kann. Mit anderen Worten: Es ist die größte (natürliche) Zahl, die in beiden Seiten des Ausgangsrechtecks „aufgeht“, also der größte gemeinsame Teiler der Ausgangszahlen 136 und 60.

70

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Abb. 6.9 Wechselwegnahme veranschaulicht durch das Abtrennen von Quadraten

Ganz allgemein lässt sich zeigen (vgl. Ziegenbalg 2015): Satz: (Euklidischer Algorithmus) Wendet man das Verfahren der Wechselwegnahme auf natürliche Zahlen an, so endet der Prozess nach endlich vielen Schritten und die letzte von Null verschiedene Zahl des Wechselwegnahmeprozesses ist der größte gemeinsame Teiler der Ausgangszahlen. Bemerkungen 1. Für die Bewertung des Euklidischen Algorithmus ist die Beobachtung wichtig, dass die auftretenden Reste nach dem Satz von der Division mit Rest im Laufe des Verfahrens (von Zeile zu Zeile) immer kleiner werden. Das ist auch der Grund dafür, warum das Verfahren stets abbricht. Die Anzahl der Schritte (Zeilen) im Euklidischen Algorithmus kann als Maß dafür genommen werden, wie schnell der Algorithmus abläuft. Es erscheint plausibel anzunehmen, dass das Verfahren um so langsamer läuft, je kleiner die auftretenden Quotienten sind. Der kleinstmögliche Wert für die Quotienten ist 1. Der Satz von Lamé8 (siehe Abschnitt 7.5) stellt eine Verbindung zwischen der Laufzeit des Euklidischer Algorithmus und den Fibonacci-Zahlen her. 2. Zur Effizienz des Verfahrens: Ein anderes Verfahren zur Ermittlung des größten gemeinsamen Teilers zweier natürlicher Zahlen verläuft über die Primfaktorzerlegung. Der Euklidische Algorithmus ist jedoch um Größenordnungen schneller als das auf der Primfaktorzerlegung basierende Verfahren. Hierzu sei noch das folgende Zitat zur Effizienz des Euklidischen Algorithmus wiedergegeben (vgl. Wagon 1991). Entscheidend für den Vergleich der beiden Verfahren ist das Verhältnis der Laufzeiten und nicht ihre absoluten Werte, die sich von Prozessorgeneration zu Prozessorgeneration ständig ändern. „Mit dem Euklidischen Algorithmus lässt sich der größte gemeinsame Teiler von zwei 500-stelligen Zahlen in wenigen Sekunden ermitteln. Mit dem Verfahren, das auf der Primfaktorzerlegung basiert, würde dies Hunderte von Jahren dauern.“

8 Gabriel

Lamé (1795–1870), französischer Mathematiker.

6.5 Kettenbrüche

6.5

71

Kettenbrüche

Im Folgenden werden wir ein besonderes Augenmerk auf die im Euklidischen Algorithmus auftretenden Quotienten werfen. Im Beispiel (6.3) sind dies die Zahlen 2, 3, 1 und 3. Wir dividieren beide Seiten der ersten Zeile durch 60 und betrachten den Bruch 136 60 . Er lässt sich unter wiederholter Verwendung der „Kehrwertformel“ a 1 = b b a auch in der folgenden Form schreiben: 1 1 136 16 1 =2+ =2+ = 2 + 60 = 2 + 12 60 60 3 + 3 + 16 16 =2+

1 3+

1 4 1+ 12

=2+

1 3+

1 1 1+ 12

=2+

1

(6.4)

16 12

1 3+

4

1 1+ 13

Der letzte Mehrfachbruch in (6.4) besteht aus geschachtelten Brüchen, deren Zähler jeweils gleich 1 ist. Derartige Brüche werden auch als reguläre Kettenbrüche bezeichnet. Man schreibt den Kettenbruch im letzten Term von (6.4) oft auch in der folgenden Kurzform: [2, 3, 1, 3]. Die in dieser Darstellung auftretenden Elemente 2, 3, 1 und 3 sind die im Euklidischen Algorithmus (6.3) bzw. in der Division mit Rest auftretenden Quotienten. Kettenbrüche sind aus den folgenden Gründen von besonderer Bedeutung • Ähnlich wie die Systembruchdarstellungen (z. B. die Dezimalbruchdarstellung) weisen Kettenbruchdarstellungen oft besondere Muster und Regelmäßigkeiten auf (z. B. Periodizitäten). • Kettenbrüche eignen sich sehr gut, um irrationale Zahlen oder hochgradig komplizierte gewöhnlich Brüche durch Bruchdarstellungen anzunähern. Ein historisch bedeutsames Beispiel dafür ist die Verwendung von Kettenbrüchen bei der Konstruktion des Planetenmodells von Chr. Huygens (vgl. Beispiel 4). An dieser Stelle kann jedoch nur ein ganz kleiner Einblick in die Welt der Kettenbrüche gegeben werden. Wir schließen diesen Abschnitt mit einigen besonderen Beispielen. √ Beispiel 1: Die Kettenbruchdarstellung von x = 2. Es ist (x − 1) · (x + 1) = x 2 − 1 = 2 − 1 = 1 und somit 1 1 = x + 1 = 2 + (x − 1) = 2 + 1 x −1 x−1

(6.5)

72

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

Durch sukzessives Einsetzen erhält man: x = 1 + (x − 1) 1 =1+ 1

(6.6)

x−1

=1+ =1+

=1+

1 2+

1 1 x−1

1 2+

1 1 1 x−1

2+

1 2+

(6.7)

1 2+

1 2+

1 1 x−1

In der Kurzform kann man also schreiben: √ 2 = [1, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, ...]

(6.8)

Die endlichen Anfangsstücke (Konvergenten) der wegen der drei Pünktchen zunächst rein symbolischen Darstellung (6.8) sind gewöhnliche (endliche) Kettenbrüche: [1, 2], [1, 2, 2], [1, 2, 2, 2], [1, 2, 2, 2, 2], [1, 2, 2, 2, 2, 2]

(6.9)

Sie entsprechen den Bruchdarstellungen 1+

1 1 ,1 + 2 2+

1 2

,1 +

1 2+

1 2+ 21

,1 +

1 2+

1 2+

,1 +

1 2+ 21

1 2+

1 2+

1 2+

1 2+ 21

Ihre Werte kann man mit Hilfe der gewöhnlichen Arithmetik ausrechnen: 1,50000000 1,40000000 1,41666667 1,41379310 1,41428571 √ Die Differenzen zu 2 (≈ 1,414213562373) betragen (und dies illustriert den Begriff „Konvergente“): −0,08578644 0,01421356

− 0,00245310 0,00042046

− 0,00007215

Beispiel 2: In Analogie zu den periodischen Dezimalbrüchen gilt: Periodische reguläre Kettenbrüche entsprechen genau den Lösungen √ ganzzahliger quadratischer Gleichungen (siehe Kettenbruch-Entwicklung für 2).

6.5 Kettenbrüche

73

Einen wichtigen Sonderfall stellt der Goldene Schnitt ϕ dar (vgl. Kap. 8). Er ist eine Lösung der quadratischen Gleichung x 2 + x − 1 = 0; genauer ausgedrückt ist √ 5−1 ϕ= (6.10) 2 Die dazugehörige Kettenbruchdarstellung ist (wegen x =

1 1+x ):

ϕ = [1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, ...] Beispiel 3: Die Kettenbruchentwicklung für die (transzendente) Eulersche Zahl e ist erstaunlich regelmäßig (vgl. Olds 1963): e = [1, 0, 1, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 1, 6, 1, 1, 8, ...] Beispiel 4: (eine frühe Anwendung): Das Planetenmodell von Chr. Huygens9 Bei dem Versuch, ein mechanisches, auf Zahnrädern basierendes Planetenmodell für das Sonnensystem zu konstruieren, war es für Huygens aus fertigungstechnischen Gründen wichtig, gut ineinander greifende Zahnräder mit nicht allzu vielen Zähnen verwenden zu können. Die Umlaufzeiten der Planeten waren von vorausgegangenen astronomischen Beobachtungen her bekannt. Im Modell wurden sie durch die Übersetzungsverhältnisse der entsprechenden Zahnräder bestimmt. Für die Bewegung des Saturns war das Verhältnis (der Bruch) 77.708.491 : 2.640.858 zu realisieren. Zur Approximation dieses unhandlichen Bruchs verwendete Huygens Kettenbrüche. Es ist 77.708.491 = [29, 2, 2, 1, 5, 1, 6, 1, 1, 1, 1, 9, 1, 1, 14, 2, 2] 2.640.858 Bereits die Kettenbruch-Näherung [29, 2, 2, 1] (= [29, 2, 3]) ergab den wesentlich handlicheren Bruch 206 7 bei einem vergleichsweise geringen relativen Fehler von ca. 3 Promille. Aufgabe 6.7 1. Formulieren Sie für gewöhnliche (ganzzahlige) Brüche eine umgangssprachliche Beschreibung der Kettenbruch-Konstruktion (Rekursion ist dabei erlaubt). 2. Schreiben Sie ein Programm zur Überführung gewöhnlicher (ganzzahliger) Brüche in Kettenbrüche – unter Verwendung von Rekursion – ohne Verwendung von Rekursion 3. Setzen Sie die Aufgabe „Überführung eines gewöhnlichen ganzzahligen Bruchs in einen Kettenbruch“ mit Hilfe einer Tabellenkalkulation um.

9 Christiaan Huygens (1629–1695), holländischer Mathematiker, Astronom, Physiker, Erfinder, Uni-

versalgelehrter.

74

6 Wechselwegnahme und Euklidischer Algorithmus

4. Praktisch alle Computeralgebra Systeme (CAS) verfügen über Routinen zur Behandlung von Kettenbrüchen (im CAS Maxima sind dies z. B. die Funktionen cf, cfdisrep und weitere; „cf“ steht dabei für die englische Bezeichnung continued fraction). Informieren Sie sich über die Kettenbruch-Funktionen Ihres bevorzugten Computeralgebra Systems und experimentieren Sie mit den dort angebotenen Routinen. Spielen Sie das Huygens-Beispiel nach. Ermitteln Sie die Werte der NäherungsTeilbrüche.

7

Figurierte Fibonacci-Zahlen

7.1

Historischer Kontext

Leonardo von Pisa (1170–1250), genannt Fibonacci, kurz für filius Bonaccii, Sohn des Guglielmo Bonaccio, war einer der größten europäischen Mathematiker des Mittelalters. Er stellte in seinem berühmten Buch Liber Abaci1 im Jahre 1202 eine Aufgabe zur Kaninchenvermehrung vor, deren Lösung zu der inzwischen als Fibonacci-Zahlen bezeichneten Zahlenfolge 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, . . . führte. Die Fibonacci-Zahlen gaben über die Jahrhunderte hinweg Anlass zu vielfältigen mathematischen Untersuchungen. Sie standen und stehen im Zentrum eines engen Beziehungsgeflechts mit anderen mathematischen und nichtmathematischen Themen wie z. B. Goldener Schnitt, Euklidischer Algorithmus, Kettenbrüche, exponentielles Wachstum, erzeugende Funktionen, Phyllotaxis und vieles mehr. Die Fibonacci-Zahlen erfüllen eine Vielzahl von rekursiven und nichtrekursiven Gleichungen, von denen eine zu interessanten optischen Täuschungen führt (sie wird weiter unten in Abschnitt 7.4.2 behandelt). Sie geben darüber hinaus Anlass zu vielfältigen geometrischen Veranschaulichungen und sie können als ein Ausgangspunkt für die Behandlung linearer Rekursionsgleichungen (bzw. linearer Differenzengleichungen) angesehen werden. Leonardo von Pisa war auch einer der maßgeblichen Protagonisten bei der Verbreitung des aus Indien stammenden Zehnersystems, das er in Nordafrika kennengelernt hatte. Abb. 7.1 enthält zwei historische Darstellungen des Leonardo von Pisa.

1 Alternative

Schreibweise: Liber Abbaci.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_7

75

76

7

Figurierte Fibonacci-Zahlen

Abb. 7.1 Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci

Die Kaninchenaufgabe Deutsche Übersetzung aus dem 12. Kapitel des Liber Abaci nach der Edition von B. Boncompagni, Rom 1857, S. 283 f. Wie viele Kaninchenpaare entstehen im Verlauf eines Jahres aus einem Paar? „Ein Mann hielt ein Paar Kaninchen an einem Ort, der ringsum von einer Mauer umgeben war, um herauszufinden, wie viele Paare daraus in einem Jahr entstünden. Dabei ist es ihre Natur, jeden Monat ein neues Paar auf die Welt zu bringen, und sie gebären erstmals im zweiten Monat nach ihrer Geburt. Weil das obengenannte Paar schon im ersten Monat gebiert, kannst du es verdoppeln, so dass nach einem Monat zwei Paare da sind. Von diesen gebiert eines, d. h. das erste, im zweiten Monat wieder; und so gibt es im zweiten Monat 3 Paare. Von denen werden in einem Monat 2 wieder trächtig, so dass im dritten Monat zwei Kaninchenpaare geboren werden; und so sind es dann in diesem Monat 5 Paare. Von denen werden im selben Monat 3 trächtig, so dass es im vierten Monat 8 Paare sind. Von diesen gebären 5 Paare wieder 5 Paare; wenn man diese zu den 8 Paaren addiert, ergeben sich im fünften Monat 13 Paare. Von denen paaren sich die 5 Paare, die in diesem Monat geboren wurden, noch nicht im selben Monat, aber die anderen 8 Paare werden trächtig; und so sind es im sechsten Monat 21 Paare. Wenn man zu diesen die 13 Paare addiert, die im siebten Monat geboren werden, werden es in diesem Monat 34 Paare sein. Wenn man zu diesen die 21 Paare addiert, die im achten Monat geboren werden, werden es in diesem Monat 55 Paare sein. Wenn man zu diesen die 34 Paare addiert, die im neunten Monat geboren werden, werden es in diesem Monat 89 Paare sein. Wenn man zu diesen wiederum die 55 Paare addiert, die im zehnten Monat geboren werden, werden es in diesem Monat 144 Paare sein. Wenn man zu diesen wiederum die 89 Paare addiert, die im elften Monat geboren werden, werden es in diesem Monat 233 Paare sein. Und wenn man schließlich zu diesen die 144 Paare addiert, die im letzten Monat geboren werden, sind es am Schluss 377 Paare. Und soviele Paare wird das obengenannte Paar an dem beschriebenen Ort am Ende eines Jahres auf die Welt gebracht haben. In der Abbildung hier am Rand 2 kannst du sehen, wie wir das ausgerechnet haben, nämlich dass wir die erste Zahl mit der zweiten zusammengezählt haben, d. h. 1 mit 2; dann die zweite mit der dritten, die dritte mit der vierten, die vierte mit

2 Bezogen

auf das Original.

7.1 Historischer Kontext

77

der fünften, und so weiter, bis wir die zehnte mit der elften zusammengezählt haben, d. h. 144 mit 233. Und so haben wir die Summe der obengenannten Kaninchenpaare, nämlich 377. Und so kannst du der Reihe nach weiterfahren für eine unbegrenzte Anzahl Monate. …“

Kaninchenvermehrung – schematische Darstellung Jeder Buchstabe im folgenden Diagramm steht für ein Kaninchenpaar. Der Stern signalisiert Geschlechtsreife. 1 2 3 4 5 6 7 ... ------------------------------A* A* A* A* A* A* A* B B* B* B* B* B* C C* C* C* C* D D* D* D* E E* E* E* F F* F* G G* G* H H* H* I I* J J* K K* L L* M M* N O P Q R S T U ------------------------------1 2 3 5 8 13 21 ...

b > 0) natürliche Zahlen mit der Eigenschaft, dass der Euklidische Algorithmus, angewandt auf a und b, genau n Schritte benötigt, und ist b die kleinstmögliche Zahl mit dieser Eigenschaft, dann ist a die (n + 2)-te und b die (n + 1)-te Fibonacci-Zahl. Ein Beispiel: Sei n = 8. Dann ist Fib(10) = 55 und Fib(9) = 34. Der Euklidische Algorithmus, angewandt auf 55 und 34 lautet 55 34 21 13 8 5 3 2

= = = = = = = =

1 1 1 1 1 1 1 1

* 34 + 21 * 21 + 13 * 13 + 8 * 8 + 5 * 5 + 3 * 3 + 2 * 2 + 1 * 2 + 0

(1. (2. (3. (4. (5. (6. (7. (8.

Schritt) Schritt) Schritt) Schritt) Schritt) Schritt) Schritt) Schritt)

Aufgabe 7.4 Machen Sie sich klar: Sind a und b zwei benachbarte Fibonacci-Zahlen, so sind alle im Euklidischen Algorithmus (angewandt auf a und b) auftretenden Quotienten gleich 1.

7.5 Die Fibonacci-Zahlen und der Euklidische Algorithmus

7.6

85

Die Formel von Binet

Einer Jahrhunderte alten Tradition entsprechend, hat man sich in der Mathematik mit der rekursiven Beschreibung der Fibonacci-Zahlen nicht zufrieden gegeben. Die Beschreibung einer Folge wurde (ganz allgemein) erst dann als befriedigend angesehen, wenn man sie in expliziter, geschlossener4 (nichtrekursiver) Form vorliegen hatte. Die Gründe für diese Einstellung sind nicht zuletzt historisch zu erklären: In der expliziten Form werden die Werte dieser Folge (und anderer rekursiv gegebener Folgen) durch elementare Funktionen (Potenzfunktionen, Polynome, Exponentialfunktionen, logarithmische und trigonometrische Funktionen usw.) beschrieben, die man im Laufe der Jahrhunderte immer besser kennen und beherrschen gelernt hatte. So kannte man z. B. die Struktur dieser Funktionen (ihre Symmetrien, ihre Periodizitäten, ihr asymptotisches Verhalten, ihr Wachstums-, ihr Krümmungsverhalten usw.); man hatte Wertetafeln aufgestellt und bewegte sich auf „festem Boden“, wenn man etwas anhand dieser Funktionen beschreiben konnte. Die mathematische Gemeinschaft als Ganzes entwickelte eine Art Intuition für das Verhalten dieser Funktionen und den Umgang mit ihnen.5 Es ist also nicht verwunderlich, dass man sich auch bei der zunächst rekursiv gegebenen Folge der Fibonacci-Zahlen um eine explizite Darstellung bemühte. Berühmte Mathematiker, unter ihnen Abraham de Moivre (1667–1754) und Leonhard Euler (1707–1783), erarbeiteten Ergebnisse, die letztlich zur expliziten Beschreibung der Fibonacci-Zahlen führten. (Von de Moivre wird sogar gesagt, dass er die explizite Darstellung bereits kannte.) Im Jahre 1843 legte der französische Mathematiker Jacques Philippe Marie Binet (1786–1856) eine Formel-Beschreibung vor, die ihm zu Ehren heute als Binetsche Formel bezeichnet wird. Sie lautet  √ n  √ n  1− 5 1+ 5 1 − (7.7) Fn = √ 2 2 5

4 Die

Begriffe „explizite Darstellung“ oder „geschlossene Form“ (engl. closed form) wurden und werden nach wie vor mit sehr unterschiedlicher Bedeutung verwendet (vgl. Borwein/Crandall 2013). In unserem Zusammenhang sollen sie i.w. bedeuten, dass die entsprechende Darstellung nichtrekursiver Natur ist. 5 Der französische Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912) formulierte in seinem Buch Wissenschaft und Methode: „Früher betrachtete man eine Gleichung nur dann als gelöst, wenn man ihre Lösung durch eine endliche Zahl von bekannten Funktionen ausgedrückt hatte; aber das ist kaum einmal in hundert Fällen möglich.“

86

7

Figurierte Fibonacci-Zahlen

Vom Zeitpunkt der ersten Beschreibung der Fibonacci-Zahlen bis zur Formulierung der Binetschen Formel waren Jahrhunderte vergangen. Heute stellt die Theorie der Differenzengleichungen (oft in Verbindung mit den erzeugenden Funktionen) Methoden zur Verfügung, um für große Klassen rekursiver Gleichungen in systematischer Weise explizite Darstellungen zu finden. In Kap. 10 wird exemplarisch eine solche Möglichkeit zur Herleitung der Binetschen Formel behandelt.

Abb. 7.8 de Moivre, Euler und Binet

Aufgabe 7.5 Überprüfen Sie „von Hand“, dass die Gleichung (7.7) für n = 0, 1, 2, 3 die gewünschten Werte liefert.

7.7

Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen

Zur Berechnung der Fibonacci-Zahlen gibt es (mindestens) die folgenden Möglichkeiten: • • • • •

mit einem (direkten6 ) rekursiven Verfahren mit einem iterativen Verfahren mit der Formel von Binet mit Hilfe der Matrizenrechnung (falls diese zur Verfügung steht) mit Hilfe des Prinzips von Teile und Herrsche7

6 Viele

mathematische Definitionen sind rekursiver Natur; gemeint sind hier Algorithmen, die derartige Definitionen mehr oder weniger „wörtlich“ umsetzen. Die Definition der Fibonacci-Zahlen in (7.1) ist ein typisches Beispiel dafür. 7 Auch „Teile und Herrsche“ – Algorithmen sind in der Regel rekursiv.

7.7 Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen

7.7.1

87

Rekursives Verfahren

Bei dem rekursiven Verfahren erfolgt die Berechnung der jeweiligen Fibonacci-Zahl strikt im Sinne der (rekursiven) Definition. Die folgende Darstellung soll bereits für den extrem niedrigen Indexwert 6 einen Eindruck davon vermitteln, wie aufwendig die rekursive Berechnung der Fibonacci-Zahlen ist. Stellt man einen „Rechenbaum“ auf, der diese Berechnung akribisch abbildet (vgl. Ziegenbalg 2016, Kap. 5), so sieht man, dass jede Erhöhung des Index um 2 weit mehr als eine Verdopplung des Rechenaufwands nach sich zieht. F6 = F5 + F4

...

= (F4 + F3 ) + F4 = ((F3 + F2 ) + F3 ) + F4 = (((F2 + F1 ) + F2 ) + F3 ) + F4 = ((((F1 + F0 ) + F1 ) + F2 ) + F3 ) + F4 = ((((1 + F0 ) + F1 ) + F2 ) + F3 ) + F4 = ((((1 + 0) + F1 ) + F2 ) + F3 ) + F4 = (((1 + F1 ) + F2 ) + F3 ) + F4 = (((1 + 1) + F2 ) + F3 ) + F4 = ((2 + F2 ) + F3 ) + F4 = ((2 + (F1 + F0 )) + F3 ) + F4 = ((2 + (1 + F0 )) + F3 ) + F4 = ((2 + (1 + 0)) + F3 ) + F4 = ((2 + 1) + F3 ) + F4 = (3 + F3 ) + F4 = (3 + (F2 + F1 )) + F4 = (3 + ((F1 + F0 ) + F1 )) + F4 = (3 + ((1 + F0 ) + F1 )) + F4 = (3 + ((1 + 0) + F1 )) + F4

= (3 + (1 + 1)) + F4 = (3 + 2) + F4 = 5 + F4 = 5 + (F3 + F2 ) = 5 + ((F2 + F1 ) + F2 ) = 5 + (((F1 + F0 ) + F1 ) + F2 ) = 5 + (((1 + F0 ) + F1 ) + F2 ) = 5 + (((1 + 0) + F1 ) + F2 ) = 5 + ((1 + F1 ) + F2 ) = 5 + ((1 + 1) + F2 ) = 5 + (2 + F2 ) = 5 + (2 + (F1 + F0 )) = 5 + (2 + (1 + F0 )) = 5 + (2 + (1 + 0)) = 5 + (2 + 1) =5+3 =8

= (3 + (1 + F1 )) + F4 ...

Ein rekursiver Algorithmus für die numerische Auswertung sieht strukturell folgendermaßen aus (hier in der Syntax des Computeralgebra Systems Maxima): Fib_rek(n)

:=

if n 2 · A(n); A(n) wächst also (mindestens) exponentiell. Sowohl aus Speicherplatz- als auch aus Laufzeitgründen ist die direkte rekursive Berechnung der Fibonacci-Zahlen also nicht praktikabel. Es sollte aber an dieser Stelle auch der folgende Hinweis zur effizienteren Realisierung von rekursiven Programmen nicht fehlen. Die oben gegebene rekursive Version Fib_rek der Fibonacci-Funktion stellt ein Beispiel für reine Rekursion dar. Moderne Programmiersprachen verfügen gelegentlich über unterschiedliche Techniken zur Verbesserung der Laufzeit-Effizienz rekursiver Algorithmen. In der Programmiersprache Scheme, einer modernen Version aus der Familie der LISP-artigen Programmiersprachen, werden gewisse einfach strukturierte Rekursionstypen vom Laufzeit- und Übersetzersystem erkannt und intern in iterative Programme umgesetzt, ohne dass der Benutzer dies explizit zu formulieren hat. Es gibt weiterhin Techniken, den bei der Rekursion auftretenden Mehrfachaufruf von Funktionen dadurch zu vermeiden, dass (intern) eine Tabelle mit bereits errechneten Funktionswerten angelegt wird, aus der dann mehrfach benötigte Funktionswerte bei Bedarf sofort entnommen werden können. Diese gelegentlich als dynamisches Programmieren bezeichnete Technik ist z. B. in dem Computeralgebra System Mathematica realisiert. Die Laufzeit-Effizienz der Programme erhöht sich dadurch enorm; allerdings erhöht sich durch den Aufbau der Tabelle auch der computerintern benötigte Speicherbedarf. Man hat also eine Verbesserung der Laufzeit-Effizienz mit einer Verschlechterung der Speicherplatz-Effizienz erkauft. Da die Techniken zur Effizienzverbesserung rekursiver Programme hochgradig systemabhängig sind, soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden.

7.7.2

Iteratives Verfahren

Bei dem iterativen Verfahren „hangelt“ man sich, wie im folgenden Beispiel, von den Anfangswerten aus hoch. Bereits dieses kleine Beispiel verdeutlicht, dass das iterative Verfahren mit einem sehr viel geringeren Rechenaufwand verbunden ist als das rekursive Verfahren.

7.7 Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen

F0 F1 F2 F3 F4 F5 F6

=0 =1 = F1 + F0 = F2 + F1 = F3 + F2 = F4 + F3 = F5 + F4

=1+0=1 =1+1=2 =2+1=3 =3+2=5 =5+3=8

89

(7.8)

Ein iterativer Algorithmus für die numerische Auswertung (ebenfalls in Maxima) lautet: Fib_it(n) := block([i : 0, f0 : 0, f1 : 1, f2 : 1], while i < n do (i : i+1, f0 : f1, f1 : f2, f2 : f1 + f0), f0 );

Eine kleine Bemerkung zu den Maxima-Programmen (vgl. auch Abschnitt 5.3): Computeralgebra Systeme unterstützen meist sehr gut das Paradigma des funktionalen Programmierens. Programme sind in diesem Sinne Funktionen. Ziel jedes Programmlaufs ist es, einen Funktionswert zu ermitteln und an die aufrufende Stelle zu übergeben. Der Funktionswert darf auch eine Liste (im Sinne der Programmiersprache LISP) sein und somit strukturell beliebig komplex ausfallen. Der ermittelte Funktionswert wird dabei gelegentlich mit einem speziellen Befehl wie return übergeben, meist wird er aber auch einfach kommentarlos als letzte auszuführende Anweisung aufgeschrieben. Im Beispiel FIB_rek(n) wird je nach Fallunterscheidung n oder Fib_rek(n-1) + Fib_rek(n-2) als Funktionswert zurückgegeben; beim Programm Fib_it(n) ist dies f0. Bereits erste konkrete Experimente mit den Programmen zeigen: Der iterative Algorithmus ist dem rekursiven in Bezug auf die Kriterien der Laufzeit- und Speicherplatzeffizienz haushoch überlegen. Für die Berechnung numerischer Werte ist er ein effizientes und zuverlässiges „Arbeitspferd“.

7.7.3

Berechnung mit Hilfe der Formel von Binet

Die Formel von Binet 1 Fn = √ 5



√ n  √ n  1− 5 1+ 5 − 2 2

ist historisch und strukturell von Bedeutung. Sie zeigt z. B., dass das Wachstum der Fibonacci-Zahlen von exponentiellem Typ ist; sie taugt aber nicht zur numerischen Berechnung der Fibonacci-Zahlen. Denn sie macht von der Wurzel- und der Exponentialfunktion Gebrauch, deren Berechnungsalgorithmen auf im Prinzip nichtabbrechenden Wiederholungsprozessen basieren. Da diese wiederholten Berechnungen irgendwann einmal „mit roher Gewalt“ abgebrochen werden müssen, liefern sie

90

7

Figurierte Fibonacci-Zahlen

bestenfalls Näherungswerte. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Berechnungen nicht mehr nur (wie bei den rekursiven oder iterativen Basis-Algorithmen Fib_rek und Fib_it) mit ganzen Zahlen erfolgen können. Man muss bei der Anwendung der Formel von Binet in irgendeiner Weise von reellen (genauer: irrationalen) Zahlen Gebrauch machen. Und diese sind aus Gründen der Korrektheit und der Berechnungseffizienz höchst problematisch; insbesondere dann, wenn sie, wie sehr oft üblich, im Computer mit dem Konstrukt der „Gleitkommazahl“ umgesetzt werden (vgl. Ziegenbalg 2016, Kap. 6: Korrektheit von Algorithmen).

7.7.4

Berechnung der Fibonacci-Zahlen mit Matrizen

Falls die Matrizenrechnung kognitiv und auf der Softwareseite zur Verfügung steht, können die Fibonacci-Zahlen wie folgt auch damit berechnet werden. 

Fn+1 Fn



 =

 11 Fn · Fn−1 10

(7.9)

Daraus folgt 

Fn+1 Fn Fn Fn−1





11 = 10

n



 0   10 11 = mit 01 10

(7.10)

Der Algorithmus lässt sich laufzeiteffizient realisieren, besonders dann, wenn man schnelle Algorithmen für das Potenzieren z. B. durch Halbieren des Exponenten und Quadrieren der Basis verwendet. Das Verfahren ist allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass die Matrizenrechnung kognitiv vergleichsweise aufwendig ist und dass ihre Implementierung einen organisatorischen Zusatzaufwand (overhead) erfordert, der seinerseits die Effizienz des Verfahrens beeinträchtigt.

7.7.5

Teile und Herrsche

Teile und Herrsche ist ein heuristisches Prinzip, bei dem das zu lösende Problem in der Regel auf zwei näherungsweise halb so große Probleme des betrachteten Typs zurückgeführt wird.8 Ein Standardverfahren, bei dem dieses Prinzip zur Anwendung kommt, ist der sogenannte Quicksort-Algorithmus zum Sortieren großer Datenmengen.

8 Zum

Thema „Teile und Herrsche“ vgl. Ziegenbalg 2016, Kap. 5.

7.7 Konkrete Berechnung der Fibonacci-Zahlen

91

Bei den Fibonacci-Zahlen lässt sich die Idee der Argument-Halbierung vergleichsweise elementar realisieren, indem man die folgenden Gleichungen heranzieht: F2n = Fn · (2Fn+1 − Fn )

(7.11)

2 + Fn2 F2n+1 = Fn+1

(7.12)

Hinweis: Die Gültigkeit der beiden Gleichungen wird im Abschnitt über vollständige Induktion in Beispiel 11.3.8 bewiesen. Im folgenden Maxima-Programm ist diese Variante des Prinzips von Teile und Herrsche umgesetzt. Fib_h(n) := if n 3 sofort Fn+1 = Fn + Fn−1 < 2 · Fn

also

Fn >

1 Fn+1 2

bzw.

Fn 1 > Fn+1 2

und weiterhin Fn+2 = Fn+1 + Fn > Fn+1 +

1 3 Fn+1 = Fn+1 2 2

d. h.

Fn+1 2 < Fn+2 3

Für die Quotienten f n (mit n > 3) gilt also stets 1 2 < fn < 2 3 Der leichteren Vergleichbarkeit halber betrachten wir die folgende Tabelle aus den dezimal geschriebenen Näherungswerten der Fibonacci-Quotienten. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_8

93

94

8 f 2 = 0,5 f 4 = 0,6 f 6 = 0,615384615384615 f 8 = 0,617647058823529 f 10 = 0,617977528089888 f 12 = 0,618025751072961 f 14 = 0,618032786885246 f 16 = 0,618033813400125 f 18 = 0,618033963166707 f 20 = 0,618033985017358 f 22 = 0,618033988205325 f 24 = 0,618033988670443

Die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt f 1 = 1,0 f 3 = 0,666666666666667 f 5 = 0,625 f 7 = 0,619047619047619 f 9 = 0,618181818181818 f 11 = 0,618055555555556 f 13 = 0,618037135278515 f 15 = 0,618034447821682 f 17 = 0,618034055727554 f 19 = 0,618033998521803 f 21 = 0,618033990175597 f 23 = 0,618033988957902

Ein Blick auf die Werte in dieser Tabelle gibt Anlass zu einer Reihe von Vermutungen: • Die Werte f 1 , f 2 , f 3 , . . . , f n−1 , f n , f n+1 , . . . nehmen abwechselnd ab und zu. • Die aus dem ersten, dritten, fünften, siebten, …Wert bestehende Teilfolge ist monoton fallend. • Die aus dem zweiten, vierten, sechsten, achten, …Wert bestehende Teilfolge ist monoton steigend. • Die Differenzen aufeinanderfolgender Quotienten streben gegen Null. • Die Folge der Quotienten strebt einem Grenzwert zu. Zur Erhärtung dieser Vermutungen betrachten wir zunächst die Differenz zweier aufeinanderfolgender Quotienten: f n+1 − f n =

F 2 − Fn+2 · Fn Fn+1 Fn − = n+1 Fn+2 Fn+1 Fn+2 · Fn+1

(8.2)

Nach Gleichung (7.6) („optische Täuschungen“) gilt Fn2 = Fn−1 · Fn+1 + (−1)n+1 und daraus folgt f n+1 − f n =

2 − (F 2 − (−1)n+2 ) Fn+1 n+1

Fn+2 · Fn+1

=

(−1)n Fn+2 · Fn+1

(8.3)

Da die Fibonacci-Zahlen (streng monoton steigend) gegen Unendlich streben, strebt der Ausdruck | f n+1 − f n | (streng monoton fallend) gegen Null. (−1)n Für gerade Werte von n ist Fn+2 ·Fn+1 positiv und somit f n+1 > f n ; für ungerade Werte von n ist

(−1)n Fn+2 ·Fn+1

negativ und somit f n+1 < f n .

Weiterhin folgt aus (8.3) f n+2 − f n = ( f n+2 − f n+1 ) + ( f n+1 − f n ) =

(−1)n+1 (−1)n + (8.4) Fn+3 · Fn+2 Fn+2 · Fn+1

8.1 Quotienten aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen

95

Da die Fibonacci-Zahlen monoton wachsen, ist der zweite Summand im letzten Ausdruck betragsmäßig größer als der erste Summand. Für gerade Werte von n ist der Ausdruck f n+2 − f n also positiv; für ungerades n ist er negativ. Mit anderen Worten: Für gerade Werte von n ist f n+2 > f n und für ungerade Werte von n ist f n+2 < f n (vgl. obige Tabelle). Insgesamt erhalten wir also das Ergebnis: Die Intervalle ( f 2 , f 1 ), ( f 4 , f 3 ), ( f 6 , f 5 ), . . . , ( f 2k , f 2k−1 ), . . . bilden eine Intervallschachtelung (vgl. Abb. 8.1).

Abb. 8.1 Intervallschachtelung aus den Fibonacci-Quotienten

Durch diese Intervallschachtelung wird eine reelle Zahl definiert, die wir ϕ nennen; ϕ ist also der Grenzwert der Folge f n symbolisch ausgedrückt: f n −→ ϕ bzw. ϕ = lim ( f n ) n→∞

(8.5)

Für f n+1 gilt weiterhin 1 f n+1  Die Folgen



1 f n+1 n

=

Fn+2 Fn + Fn+1 = = fn + 1 Fn+1 Fn+1

(8.6)

und ( f n + 1)n streben somit demselben Grenzwert zu: lim

n→∞

1 f n+1

=

lim ( f n + 1)

n→∞

(8.7)

96

8

Die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt

Der der letzteren Folge ist offenbar gleich ϕ +1. Der Grenzwert der Folge  Grenzwert  1 kann problemlos gebildet werden, da alle Nenner größer als Null sind. Er f n+1 n

ist gleich ϕ1 . Also muss für diese Grenzwerte die Gleichung 1 =ϕ+1 ϕ

(8.8)

gelten; ϕ erfüllt somit die quadratische Gleichung ϕ2 + ϕ − 1 = 0

(8.9)

Von den beiden Wurzeln √ √ 5−1 − 5−1 und 2 2 dieser Gleichung kommt nur die positive als Grenzwert für die Folge der FibonacciQuotienten in Frage. Wir erhalten insgesamt das Ergebnis: Die Folge der Quotienten aus aufeinanderfolgenden Fibonacci-Zahlen strebt gegen den Grenzwert √ 5−1 ϕ= (8.10) 2 Der numerische Wert von ϕ ist näherungsweise gleich 0,618. Bemerkung: Gleichung (8.9) lässt sich auch in der folgenden (geometrisch interessanten) Form darstellen: 1 ϕ = ϕ 1−ϕ

(8.11)

8.1 Quotienten aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen

8.2

97

Der Goldene Schnitt

Gleichung (8.11) besagt, dass ϕ die Einheits-Strecke 1 im Verhältnis des Goldenen Schnitts teilt, d. h., dass sich die Gesamtstrecke zum größeren Teil so verhält wie der größere Teil zum kleineren: 1 : ϕ = ϕ : (1 − ϕ). Abb. 8.2 zeigt eine Konstruktionsmöglichkeit für den Goldenen Schnitt. Abb. 8.2 Konstruktionsmöglichkeit für den Goldenen Schnitt

Das Teilverhältnis des Goldenen Schnitts ist eine der berühmtesten Zahlen in der Mathematik. Diese Zahl wurde und wird in der Kunst und Architektur vielfach als Idealmaß für ästhetisch ausgewogene Verhältnisse angesehen. So kann man, wenn man will, den Goldenen Schnitt (engl. divine proportion) in den Werken vieler großer Künstler entdecken. Einer der ersten dieser Künstler war der griechische Bildhauer Phidias1 (I I A, 5. Jahrhundert v.Chr.). Ihm zu Ehren verwendet man, wie wir es auch getan haben, heute den (klein geschriebenen) Anfangsbuchstaben ϕ seines Namens als Symbol für den Goldenen Schnitt. Bemerkung: Manchmal wird bei dem obigen Teilungsproblem auch das Verhältnis von größerer Teilstrecke zu kleinerer Teilstrecke als „Goldener Schnitt“ bezeichnet. Man verwendet dann oft den Großbuchstaben  für diese Auslegung des Goldenen Schnitts. Es ist dann also =

ϕ 1 ϕ = 2 = =ϕ+1 1−ϕ ϕ ϕ

(8.12)

der Goldene Schnitt in diesem zweiten Sinne und sein angenäherter numerischer Wert ist  ≈ 1,618. 1 Von

Phidias stammte die ca. 12 m hohe Zeus-Statue im Zeustempel von Olympia (vgl. Abb. 8.3), die zu den sieben Weltwundern der Antike gezählt wurde. Phidias war auch am Bau des Parthenons (Akropolis) beteiligt.

98

8

Die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt

Abb. 8.3 Statue im Zeustempel von Olympia. (Darstellung auf einer antiken Münze)

9

Phyllotaxis

9.1

Erste Beobachtungen

Mit dem Begriff Phyllotaxis bezeichnet man in der Biologie die Lehre von der regelhaften geometrischen Anordnung von Blättern, Knospen, Stängeln oder Fruchtansätzen von Pflanzen (das Wort Phyllotaxis geht auf die altgriechischen Bezeichnungen ϕυλλoν (phyllon) für Blatt und τ αξ ις (taxis) für Anordnung zurück). Wenn man eine Sonnenblume, einen Kiefern- oder Tannenzapfen, eine Ananas, eine Broccoli-Knospe, eine Margerite, eine Dahlie und viele weitere Pflanzen aufmerksam betrachtet, kann man dabei überraschende Entdeckungen machen. Betrachtet man z. B. intensiv das Bild einer Sonnenblume (vgl. Abb. 9.1), so wird man sehr bald entdecken, dass die Kerne spiralförmige Muster bilden. Auch an weiteren Sonnenblumen und an ganz anderen Früchten, Blumen und sonstigen Gewächsen kann man diesen Sachverhalt entdecken. Dies allein ist noch nicht besonders aufregend, denn spiralförmige Muster kommen, bedingt durch die den Wachstumsprozessen zugrunde liegenden Gesetze, in der Natur oft vor; so z. B. auch bei vielen Muschel- und Schneckengehäusen. Bei der Sonnenblume kann man rechtsdrehende und linksdrehende Spiralen entdecken. Wenn man die Spiralen zählt, so erkennt man, dass es 34 rechtsdrehende und 55 linksdrehende Spiralen gibt (entsprechend ihrem Alter jeweils bei der Blickrichtung von „außen“ nach „innen“). Diese Werte scheinen für die Sonnenblume recht stabil zu sein; auch bei anderen Sonnenblumen kann man sie beobachten. Bei einer Ananas entdeckt man (bei der Blickrichtung „von unten nach oben“) 5 steil nach „rechts oben“ und 8 flach nach „links oben“ strebende strahlenförmige Muster; ein spiralförmiger Charakter ist hier nicht ganz so offensichtlich wie bei der Sonnenblume; er wird aber deutlicher, wenn man die Ananas von unten betrachtet (und dabei u. U. etwas hin und her dreht).

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_9

99

100

9

Phyllotaxis

Abb. 9.1 Sonnenblume

Bei Kiefernzapfen erkennt man 13 nach rechts drehende und 8 (etwas „flacher“) nach links drehende Spiralen. Spätestens jetzt stellt sich beim mathematisch vorgebildeten Betrachter ein Verdacht ein: 5, 8, 13, 34 und 55 sind doch alles Fibonacci-Zahlen! Kann es wirklich sein, dass die Anzahl dieser Spiralen immer eine Fibonacci-Zahl ist? Wie ist das möglich? Wir werden sehen, dass elementare biologische und mathematische Grundkenntnisse ausreichen, um dieses verblüffende Phänomen zu erklären. Es ist ein besonders schönes Beispiel dafür, wie die mathematische Analyse in Verbindung mit der empirischen Beobachtung in der Lage ist, Phänomene der realen Welt zu deuten und zu erklären. Ein Schlüssel zur Deutung des beobachteten Sachverhalts liegt in der genaueren Untersuchung der Blattfolge – im Folgenden soll durchgängig der Begriff „Blatt“ verwendet werden, auch wenn es sich im Einzelfall um Blütenblätter, Fruchtstände, Knospen, Kerne oder sogar Zweige handeln sollte (vgl. Abb. 9.1, 9.2, 9.3).

9.1 Erste Beobachtungen

101

Abb. 9.2 Ananas

Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Blätter bei ihrer Entstehung spiralförmig um den Stängel zu drehen scheinen. Der dabei gemessene Drehwinkel, im Folgenden als Blattfolgewinkel bezeichnet, ist ziemlich konstant und beträgt bei vielen Pflanzen etwa 222 Grad – bzw. 138 Grad in der Gegenrichtung. Dies entspricht recht gut der Teilung des Vollwinkels im Verhältnis des Goldenen Schnitts (also dem „Goldenen Winkel“): ϕ · 360 Grad ≈ 0,618 · 360 Grad = 222,48 Grad. Die Bevorzugung des Goldenen Winkels als Blattfolgewinkel wird im Wesentlichen mit den folgenden beiden für das Wachstum der Pflanze vorteilhaften Aspekten erklärt – vgl. Behr (1994) und Conway (1996).

102

9

Phyllotaxis

Abb. 9.3 Kiefernzapfen

• Bei diesem Blattfolgewinkel ist eine optimale Energieausbeute (des Sonnenlichts) gegeben. • Bei der Entstehung neuer Blätter (bzw. Knospen) geht man davon aus, dass sich diese ihren Weg nach dem „Prinzip des geringsten Widerstandes“ bahnen (wobei bereits existierende Blätter eine hemmende Wirkung auf die Ausbildung neuer Knospen ausüben). Energetische Betrachtungen deuten darauf hin, dass der Goldene Winkel auch unter diesem Gesichtspunkt optimal ist.

9.2

Modell und Simulation

Im Folgenden wollen wir versuchen, die Situation modellhaft zu beschreiben. Wir stellen uns dazu vor, dass ein „Blattstandszeiger“, ausgehend von der Startrichtung „Norden“, per Goldenem Winkel (im Uhrzeigersinn) um ein Zentrum rotiert und dabei jeweils auf die Position eines neu zu bildenden Blatts zeigt. Die so entstehenden Blätter sind im Folgenden einfach durchnummeriert. Die älteren Blätter sind in der Simulation etwas größer und haben etwas längere Stängel als die jüngeren Blätter. Die Simulationen in Abb. 9.4 (jeweils einmal mit und des optischen Eindrucks halber einmal ohne Blattzahlen) unterscheiden sich nur in der Anzahl der Blätter (100 bzw. 200 Blätter). Bereits dieser Parameter wirkt sich offenbar schon auf die Erkennbarkeit und den Charakter der Spiralen aus (man vergleiche dies auch mit der Zusammenfassung in Abschnitt 9.3).

9.2 Modell und Simulation

103

Abb. 9.4 Phyllotaxis-Modelle mit 100 und 200 Blättern

Obwohl völlig künstlich, vermittelt das Simulationsergebnis den deutlichen Eindruck einer Blume oder Pflanze und bekräftigt damit auch die Hypothese über die „Geometrie“ der Pflanze und die Rolle des Goldenen Winkels als Blattfolgewinkel. Durch das dargestellte Verfahren entstehen viele „Blatt-Spiralen“; z. B. die Folge aller Blätter überhaupt 1 → 2 → 3 → 4 → 5 → 6 → 7 → 8 → 9 → 10 → . . . oder die folgenden „ausgedünnten“ Blattfolgen 1 → 3 → 5 → 7 → 9 → 11 → 13 → 15 → 17 → . . . 1 → 4 → 7 → 10 → 13 → 16 → 19 → 21 → 24 → . . . usw. In den Abbildungen 9.5 und 9.6 sind (exemplarisch) einige dieser Spiralen dargestellt. Einige davon sind visuell gut, andere sind weniger gut erkennbar.

104

9

Phyllotaxis

Abb. 9.5 s = 2 (links) und s = 5 (rechts)

Abb. 9.6 s = 7 (links) und s = 8 (rechts)

In dieser Situation stellt sich die Frage, von welchen Faktoren die gute Erkennbarkeit von Spiralen abhängt. Wo wir Spiralen sehen (bzw. sehen wollen), hängt massiv von unserer persönlichen Wahrnehmung ab, die allerdings nicht völlig willkürlich ist. Einige Gründe dafür, dass wir bestimmte Spiralen deutlicher sehen als andere, liegen auf der Hand: Visuell gut erkennbare Spiralen liegen dann vor, wenn hinreichend viele Blätter auf der Spirale liegen, wenn die aufeinanderfolgenden Blätter der Spirale relativ „dicht“ beieinander liegen, wenn sich keine (oder zumindest nicht allzu viele) „Fremdblätter“ zwischen die Blätter auf einer Spirale drängen und wenn die Richtungen der auf einer Spirale liegenden Blätter nicht zu stark variieren. Die Blattnummern auf den Spiralen sind in unserem Modell von der Form 1 → 1 + s → 1 + 2s → 1 + 3s → 1 + 4s → . . . Wir bezeichnen den Parameter s im Folgenden aus naheliegenden Gründen als Sprungzahl.

9.2 Modell und Simulation

105

Die Beispiele in den Abb. 9.5 und 9.6 zeigen, dass die Sprungzahl die Gestalt und damit auch die Sichtbarkeit von Spiralen massiv beeinflusst. Ist insbesondere die Sprungzahl s eine Fibonacci-Zahl, so tritt der Spiral-Charakter der Blattfolge deutlich zu Tage; ansonsten ist es eher schwierig, die Spiralen zu erkennen. Wir wollen versuchen, dieses Phänomen zu erklären: Beim Voranschreiten von einem Blatt zum nächsten (auf derselben Spirale) überstreicht der Blattstandszeiger insgesamt einen Winkel von s ·ϕ ·360 Grad. Dabei möge er den Vollkreis etwa r -mal überstreichen (offensichtlich ist s > r ). Ist nun die Sprungzahl s eine (nicht allzu kleine) Fibonacci-Zahl, etwa s = Fi , ≈ ϕ (bzw. Fi · ϕ ≈ Fi−1 ) die Näherungsgleichung so gilt wegen FFi−1 i s · ϕ · 360 Grad = Fi · ϕ · 360 Grad ≈ Fi−1 · 360 Grad

(9.1)

Dies wirkt sich vorteilhaft auf die Erkennbarkeit der Spiralen aus, denn Gleichung (9.1) besagt, dass der Blattstandszeiger nach Fi „Goldener-Winkel-Drehungen“ Fi−1 -mal den Vollkreis überstreicht und dann etwa in derselben Richtung wie der vorher gegebene Blattstandszeiger zu stehen kommt. Weiterhin gilt: Ebenso wie die Spirale 1 → 1 + s → 1 + 2s → 1 + 3s → 1 + 4s → . . . entstehen auch die weiteren Spiralen 2 → 2 + s → 2 + 2s → 2 + 3s → 2 + 4s → . . . 3 → 3 + s → 3 + 2s → 3 + 3s → 3 + 4s → . . . 4 → 4 + s → 4 + 2s → 4 + 3s → 4 + 4s → . . . ... (s − 1) → (s − 1) + s → (s − 1) + 2s → (s − 1) + 3s → (s − 1) + 4s → . . . s → s + s → s + 2s → s + 3s → s + 4s → . . .

Die nächste Spirale s + 1 → (s + 1) + s → (s + 1) + 2s → (s + 1) + 3s → (s + 1) + 4s → . . . fällt dann, abgesehen vom Anfangsstück, mit der ersten zusammen. Ist s eine Fibonacci-Zahl, so gibt es also insgesamt s relativ gut erkennbare Spiralen. Ein konkretes Beispiel In Abb. 9.7 sind einige der Spiralen deutlich zu erkennen. Eine davon wird z. B. von den Blättern 1, 14, 27, 40, 53, 66, …gebildet; eine andere von den Blättern 1, 22, 43, 64, …(Wir verfolgen die Spiralen, in der Reihenfolge ihrer Entstehung, von „außen“ nach „innen“). Wir wollen uns zunächst einmal auf die erste (rechtsdrehende) dieser beiden Spiral-Serien konzentrieren.

106

9

Phyllotaxis

Abb. 9.7 Simulation mit s = 13

Nach der Entstehung von Blatt 1 dreht sich der Blattstandszeiger 13-mal (im Uhrzeigersinn) um den Goldenen Winkel, bis er auf der Position von Blatt 14 zu stehen kommt. Er überstreicht dabei einen Gesamtwinkel von 13 · ϕ · 360 Grad ≈ 2892,24 Grad. Dabei überstreicht er, ausgehend von Blatt 1, 8-mal den Vollkreis (360 Grad), um dann mit einem kleinen Überschusswinkel von 12,24 Grad (relativ zu Blatt 1) auf der Position von Blatt 14 stehenzubleiben: 2892,24 = 8 · 360 + 12,24. Die Richtung von Blatt 14 fällt also fast auf die Richtung von Blatt 1; die Winkeldifferenz von 12,24 Grad entspricht 3,4 % des Vollkreises. Bei Blatt 14 (und in der Folge ebenso bei Blatt 27, 40, 53, 66, …) schießt der Blattstandszeiger ein wenig (um etwa 12 Grad) über die Richtung des „Vorgänger“-Blatts hinaus. Dies vermittelt den optischen Eindruck, dass sich die Spirale 1 → 14 → 27 → 40 → 53 → 66 → . . . (von außen nach innen betrachtet) nach rechts dreht. 8 folgt 13 · ϕ · 360 Grad ≈ 8 · 360 Grad. Deshalb Wir halten fest: Aus ϕ ≈ 13 liegen die Richtungen der Blattstandszeiger zu den Blättern 1, 14, 27, 40, 53, 66, …(monoton wachsend) relativ nahe beieinander und dies begünstigt den Eindruck, dass sie auf einer Spirale liegen. Und es gibt insgesamt 13 Spiralen mit den Ausgangsblättern („Köpfen“) 1, 2, 3, …, 12, 13. Für die aus den Blättern 1, 22, 43, 64, …(mit Sprungzahl s = 21) bestehende linksdrehende Spirale gelten ganz entsprechende Überlegungen; nur dass in diesem Fall nach 21 (Goldener-Winkel) Drehungen des Blattstandszeigers der Vollwinkel „nicht ganz“ erreicht wird (vgl. Abb. 9.8):

9.3 Zusammenfassung

107

Abb. 9.8 Simulation mit s = 21

In diesem Fall gelten die Näherungsgleichungen 21 · ϕ · 360 Grad ≈ 4672,08 Grad 4672,08 ≈ 13 · 360 − 7,92 d. h. 21 · Goldener Winkel ≈ 13 · Vollkreis Die Differenz (in diesem Fall „Unterdeckung“) von 7,92 Grad macht 2,2 % des Vollkreises aus. Bei Blatt 22 (und in der Folge ebenso bei Blatt 43, 64, 85, …) bleibt der Blattstandszeiger jeweils ein wenig (etwa 8 Grad) vor der Position des VorgängerBlatts stehen. Dies vermittelt den optischen Eindruck, dass sich die Spirale 1 → 22 → 43 → 64 → 85 → . . . (von außen nach innen betrachtet) nach links dreht. Und es gibt insgesamt 21 Spiralen mit den „Köpfen“ 1, 2, 3, …, 20, 21.

9.3

Zusammenfassung

Wir bewegen uns bei der beschriebenen Vorgehensweise auf dem Gebiet der mathematischen Modellbildung. Modelle sind in der Regel analogiebehaftete Vereinfachungen der Original-Objekte. So auch hier. Keine natürliche Pflanze wird genau so wachsen wie die in diesem Kapitel durch Simulation erzeugten Bilder. Und die „Mechanik“ des oben beschriebenen Modells passt eigentlich auch nur auf den Fall, bei dem die entsprechenden Pflanzen flächenhaft wachsen, wie z. B. bei der Sonnenblume (vgl. Abb. 9.9).

108

9

Phyllotaxis

Abb. 9.9 Simulation einer Sonnenblume mit s = 34 und s = 55 Spiralen

In Fällen, wo die Knospen (bzw. Blätter) eher wie auf einer kugelförmigen, eiförmigen oder zylinderförmigen Oberfläche verteilt sind, wie z. B. bei der Ananas, greifen andere Erklärungsmuster (siehe z. B. Conway 1996). Dennoch sind die Analogien zwischen den Beobachtungen realer Pflanzen und dem Modell augenfällig. Dies erhärtet die Hypothese von der Entstehung der neuen Blätter nach dem Prinzip des Goldenen Winkels. Sowohl die obigen Bilderserien, wie auch die Theorie vom Wachstum entsprechend dem Goldenen Winkel, machen darüber hinaus auch klar, dass die Güte des Modells bei größeren (aber nicht allzu großen) Fibonacci-Zahlen besser ist als bei kleineren, denn die Annäherung von Fi−1 Fi · 360 Grad an den Goldenen Winkel ϕ · 360 Grad ist umso besser, je größer i ist. Wird allerdings die Sprungzahl sehr groß (etwa ab s ≥ 89) , dann liegen die Richtungen der Blätter 1, 1 + s, 1 + 2s, 1 + 3s, . . . wegen der guten Annäherung an ϕ sehr dicht beieinander, so dass der Eindruck entsteht, die Blätter lägen von FFi−1 i (fast) auf einem Strahl (vgl. Abb. 9.10).

9.3 Zusammenfassung

109

Abb. 9.10 Simulation mit s = 89

Im Hinblick auf die gute Erkennbarkeit der Spiralen scheinen die Sprungzahlen von 8, 13, 21, und 34 optimal zu sein – und dies sind ja auch die Beispiele, wo die Fibonacci-Spiralen in der Realität vorrangig beobachtet werden. In dieser Situation stellt sich noch die Frage, wie es sein kann, dass das relativ simple und eindeutig beschriebene Modell bei real existierenden Pflanzen auf unterschiedliche Fibonacci-Spiralen passt. Einige Experimente zeigen, dass die Anzahl der gut erkennbaren Spiralen auch von der „Dichte“ der Blätter abhängt, also von der Frage, wie viele Blätter (bzw. Knospen, …) auf der gesamten Blume bzw. im Modell auf dem Zeichenblatt („Areal“) vorhanden sind. Die folgenden Abbildungen, bei denen nur die Anzahl der Blätter variiert wurde, zeigen, dass die Zahl der optisch gut erkennbaren Spiralen auch von der Dichte der Blätter (Gesamtzahl der Blätter pro Areal) abhängt.

110

9

Phyllotaxis

Abb. 9.11 100 Blätter: 5 und 8 Spiralen/200 Blätter: 13 und 21 Spiralen

Abb. 9.12 300 Blätter: 21 und 34 Spiralen/400 Blätter 34 und 55 Spiralen

Aufgabe 9.1 • Zeichnen Sie in den Abb. 9.11 und 9.12 die am besten erkennbaren Spiralen ein. • Zeichnen Sie in den Abb. 9.11 und 9.12 die in den Bildunterschriften angegebenen Spiralen ein. Aufgabe 9.2 Schreiben Sie ein Programm zur Simulation des Pflanzenwachstums und führen Sie Experimente mit den einschlägigen Parametern durch. Führen Sie dazu Parameter ein, mit denen Sie die Länge der Stängel und die Größe der Blätter in Abhängigkeit von der Dauer des Wachstums kontrollieren können.

Lineare Differenzengleichungen und die Herleitung der Formel von Binet

10

Im Folgenden wird die Formel von Binet (7.7) anhand hochgradig elementarer Argumentationen hergeleitet. Derartige (nichtrekursive) Formeldarstellungen werden oft auch als „explizite Darstellungen“ oder „Darstellungen in geschlossener Form“ bezeichnet. Ein anderer, nicht ganz so elementarer Weg, besteht in der Methode der erzeugenden Funktionen (engl. generating functions), vgl. Wilf 1990. Die rekursive Darstellung der Fibonacci-Zahlen Fk = Fk−1 + Fk−2

(10.1)

lässt sich als Spezialfall der folgenden homogenen, linearen Differenzengleichung zweiter Ordnung mit den reellen Parametern a1 und a2 deuten: yk + a1 · yk−1 + a2 · yk−2 = 0

(10.2)

Für die in der letzten Gleichung rekursiv beschriebenen Folgenglieder yk (yk = −a1 · yk−1 − a2 · yk−2 ) soll eine explizite Darstellung gefunden werden.

10.1

Lineare Differenzengleichungen erster Ordnung

Um die Differenzengleichung zweiter Ordnung zu lösen, setzt man sich am besten zunächst mit der Lösung von Differenzengleichungen erster Ordnung auseinander. Die („homogene“) lineare Differenzengleichung erster Ordnung yk + a · yk−1 = 0

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_10

(10.3)

111

112

10

Lineare Differenzengleichungen und die Herleitung …

stellt eine geometrische Folge dar. Mit −a = A erhalten wir y1 = A · y0 y2 = A · y1 = A2 · y0 ... yk = A · yk−1 = A · Ak−1 · y0 yk = Ak · y0

(y0 : Anfangswert)

(10.4)

(c : Konstante)

(10.5)

bzw. yk = A · c k

Die Lösungsfolgen linearer Differenzengleichungen erster Ordnung lassen sich also mit Hilfe von Exponentialfunktionen darstellen.

10.2

Lineare Differenzengleichungen zweiter Ordnung

Im Folgenden wird versucht, die Lösungen von linearen Differenzengleichungen zweiter Ordnung auf die Lösungen von linearen Differenzengleichungen erster Ordnung zurückzuführen. Zu diesem Zweck führen wir in die Gleichung (10.2) in der folgenden Weise zwei sich gegenseitig aufhebende Terme ein: yk + a1 · yk−1 + m · yk−1 − m · yk−1 +a2 · yk−2 = 0   

(10.6)

=0

Diese Gleichung wird zunächst in die folgenden zwei linearen Differenzengleichungen erster Ordnung (I) und (II) zerlegt. y + (a1 + m) · yk−1 + (−m · yk−1 + a2 · yk−2 ) = 0 k      I=0

(10.7)

II=0

Wenn es gelingt, eine gemeinsame Lösung für die Gleichungen (I) und (II) zu finden, dann ist dies offensichtlich auch eine Lösung für die Gleichung (10.6) und damit auch für die Gleichung (10.2). Die Gleichungen (I) und (II) haben aber dann gemeinsame Lösungen, wenn die Gleichungen selbst gleich sind (d. h., wenn ihre Koeffizienten gleich sind). Dies kann durch eine geeignete Wahl des Parameters m erreicht werden. Schreibt man nämlich die Gleichungen (I) und (II) in der Form (I) yk = −(a1 + m) · yk−1

(II) yk =

a2 · yk−1 m

(10.8)

so stellen sie dieselbe Gleichung dar, wenn die Koeffizienten −(a1 + m) und am2 gleich sind. Die Bedingung a2 − (a1 + m) = (10.9) m

10.2 Lineare Differenzengleichungen zweiter Ordnung

113

führt zur folgenden charakteristischen Gleichung: m 2 + a1 · m + a2 = 0

(10.10)

Sind m 1 und m 2 die Lösungen der charakteristischen Gleichung, so lauten nach (10.5) die Lösungen der Differenzengleichungen (I) und (II) mit beliebigen Konstanten c1 , c2 , c1 und c2 :  yk = (−(a1 + m 1 )) · c1 k

yk =

und yk = (−(a1 + m 2 ))

k

· c1

 yk =

a2 m1

a2 m2

k

k

· c2

(10.11)

· c2

(10.12)

Von diesen vier (formal unterschiedlichen) Lösungen fallen wegen (10.9) jeweils zwei zusammen. Mit Hilfe der Wurzelsätze von Vieta1 erhält man die Lösungsfolgen yk = m k2 · c1 und yk = m k1 · c1 .

(10.13)

Durch direktes Einsetzen lässt sich zeigen, dass die Summe zweier Lösungsfolgen einer linearen homogenen Differenzengleichung wieder eine Lösungsfolge dieser Differenzengleichung ist (Beweis: Übung). Mit (10.13) ist somit yk = m k2 · c1 + m k1 · c1

(10.14)

ebenfalls eine Lösung der Gleichung (10.2). Im Falle der Fibonacci-Gleichung (10.1) gilt für die Koeffizienten: a1 = −1 und a2 = −1 Dies führt zu den folgenden Werten für die Lösungen m 1 und m 2 der charakteristischen Gleichung (10.10): √ √ 1+ 5 1− 5 m1 = und m 2 = 2 2

(10.15)

Die allgemeine Lösung für die Fibonacci-Gleichung (10.1) lautet somit  Fk =

1m

1

 √ k √ k 1− 5 1+ 5 · c1 + · c1 2 2

= −(a1 + a2 ) und m 2 = a1 · a2 .

(10.16)

114

10

Lineare Differenzengleichungen und die Herleitung …

Die Koeffizienten c1 und c1 sind nun noch so anzupassen, dass die Anfangswerte „stimmen“. Dies führt zu den folgenden beiden linearen Gleichungen für c1 und c1 :  y0 = und

 y1 =

 √ 0 √ 0 1+ 5 1− 5 · c1 + · c1 = 0 2 2  √ 1 √ 1 1+ 5 1− 5 · c1 + · c1 = 1 2 2

(10.17)

(10.18)

Hieraus folgt 1 1 c1 = √ , c1 = − √ 5 5 und schließlich die Formel von Binet ⎛ √ k ⎞ √ k  1− 5 ⎠ 1 ⎝ 1+ 5 − Fk = √ 2 2 5

(10.19)

(10.20)

Die Formel von Binet lässt sich auch in der folgenden symmetrischen Form schreiben: In leicht modifizierter Darstellung lautet die Fibonacci-Gleichung Fk − Fk−1 − Polynom“ ist x 2 − x − 1 = 0. Sind Fk−2 = √ √0. Das zugehörige „charakteristische a = ( 5 + 1)/2 und b = −( 5 − 1)/2 die Wurzeln dieses charakteristischen Polynoms, so gilt a k − bk (10.21) a−b Im Hinblick auf eine ausführlichere, systematische Einführung in die Theorie der Differenzengleichungen sei auf die Darstellung in Dürr/Ziegenbalg (1984) verwiesen. F(k) =

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

11

Ein mathematischer Beweis ist eine Argumentationskette, durch welche die zu beweisende Aussage (der zu beweisende Satz) in mehr oder weniger formalisierter Form als richtig (bzw. gültig) nachgewiesen wird. In Abhängigkeit von der zu beweisenden Aussage kann die jeweilige Beweistechnik, die in irgendeiner Form immer auf der mathematischen Logik beruht, sehr unterschiedlich ausfallen. Die in den mathematischen Sätzen vorkommenden Objekte sind in der Regel in expliziter Weise konstruiert.1 Man könnte auch sagen: Sie sind durch eine algorithmische Beschreibung (Definition) gegeben. Wenn mathematische Objekte auf algorithmische Weise konstruiert worden sind, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Beweise von Aussagen, in denen diese Objekte vorkommen, an der algorithmischen Beschreibung orientieren. Als Beispiel sei auf den letzten von Null verschiedenen Divisionsrest im Euklidischen Algorithmus verwiesen, von dem zu zeigen ist, dass er der größte gemeinsame Teiler der Ausgangszahlen ist. Die vollständige Induktion ist heute ein Standardverfahren, um formale mathematische Beweise in allgemein anerkannter Form durchzuführen. Sie steht in engster Verbindung zum Aufbau der natürlichen Zahlen, und da es kaum ein Themengebiet in der Mathematik gibt, das nicht in irgendeiner Form mit den natürlichen Zahlen im Zusammenhang steht, ist die vollständige Induktion fundamental für die gesamte Mathematik. Wenn man heute ernsthaft Mathematik betreiben will, ist es unabdingbar, mit der vollständigen Induktion gut vertraut zu sein.

1 Eine

Ausnahme hiervon bilden die hier nicht weiter behandelten Objekte, die durch Anwendung des Auswahlaxioms oder gleichwertiger Prinzipien entstehen.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_11

115

116

11.1

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Die natürlichen Zahlen

Eines der fundamentalsten und wichtigsten Objekte der Mathematik ist die Menge der natürlichen Zahlen. Sie ist konstruktiv beschrieben durch die Axiome von Giuseppe Peano (1858–1932). Im Folgenden ist der Aufbau der natürlichen Zahlen (mehr oder weniger aus dem „Nichts“) in Anlehnung an der Formulierung von Edmund Landau (1877–1938) wiedergegeben (vgl. Landau 1929; siehe ggf. auch Ziegenbalg 2016, S. 86 ff.). Axiom 1: 1 ist eine natürliche Zahl. (Die Menge der natürlichen Zahlen ist also insbesondere nicht leer. Sie enthält z. B. ein Ding, das „eins“ genannt und mit dem Symbol 1 bezeichnet wird.) Axiom 2: Zu jeder natürlichen Zahl x gibt es genau eine natürliche Zahl, die der Nachfolger von x heißen und mit x  bezeichnet werden möge. Axiom 3: Stets ist x  von 1 verschieden. (Es gibt also keine natürliche Zahl, deren Nachfolger 1 ist.) Axiom 4: Aus x  = y  folgt x = y. (Sind die Nachfolger zweier natürlicher Zahlen gleich, so sind die Zahlen selber gleich. Oder mit anderen Worten: Unterschiedliche natürliche Zahlen haben unterschiedliche Nachfolger.) Axiom 5 (Induktionsaxiom): Es sei M eine Menge natürlicher Zahlen mit den Eigenschaften: • 1 gehört zu M. • Wenn die natürliche Zahl x zu M gehört, so gehört auch x  zu M. Dann umfasst M alle natürlichen Zahlen. Bemerkungen 1. Der konstruktive, algorithmische Charakter der Peanoschen Definition ist vor allem durch die Nachfolgerfunktion und durch das Induktionsaxiom gegeben. Die Nachfolgerfunktion garantiert, dass man, ausgehend von der natürlichen Zahl 1, Schritt für Schritt zu jeder beliebigen natürlichen Zahl gelangen kann. Die Zahldarstellung (z. B. im Zehnersystem) ist dabei „nur“ eine Frage der Konvention bzw. der Praktikabilität: 2 := 1’, 3 := 2’= 1”, 4 := 3’= 2”=1”’, …, 9 := 8’, 10 := 9’, 11:= 10’= 1””””” , … Die wesentlichen Aussagen über natürliche Zahlen gelten unabhängig von der Darstellung im Zehnersystem. Historisch gesehen, kam die Zahldarstellung im Zehnersystem erst sehr spät - lange nachdem die Griechen (trotz ihrer ungünstigen Zahlschreibweise) fundamentale Eigenschaften der natürlichen Zahlen entdeckt und bewiesen hatten. So formulierte Euklid viele Aussagen über natürliche Zahlen, z. B. den Satz über die Unendlichkeit der Menge der Primzahlen oder den

11.2 Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion

117

Satz über vollkommene Zahlen, ohne das Zehnersystem zur Verfügung zu haben (eine Bezugnahme auf das Zehnersystem wäre in diesem Fall auch gar nicht sachdienlich). Das Zehnersystem stellt aber im Vergleich zu den früher gebräuchlichen Zahldarstellungs-Systemen eine enorme Systematisierung und Vereinfachung dar – und zwar sowohl für die Zahldarstellung selbst wie auch für das Rechnen mit den Zahlen. Dazu ein Zitat des Mathematikhistorikers G.B. Halsted2 zur Erfindung der Null durch die Inder: „It is like coining the Nirvana into dynamos“ 3 . 2. Es ist durchaus auch in gleichwertiger Weise möglich, die Menge N der natürlichen Zahlen mit dem Symbol (der „Zahl“) 0 beginnen zu lassen. Das wird (besonders in der modernen Mathematik) sehr oft getan; symbolisch: N = {1, 2, 3, 4, 5, . . .} bzw. N0 = {0, 1, 2, 3, 4, 5, . . .}. 3. Durch die Axiome von Peano werden die natürlichen Zahlen zunächst nur als (strukturlose) Menge eingeführt. Wie man auf dieser Basis die arithmetischen Operationen der Addition und Multiplikation, die Größer-Relation (>) und ähnliche Konzepte einführen kann, ist in (Landau 1929) ausführlich beschrieben. Dort wird auch gezeigt, wie man fundamentale Eigenschaften der natürlichen Zahlen, wie z. B. die Kommutativität der Addition (also a + b = b + a) mit Hilfe von vollständiger Induktion beweisen kann (siehe dazu weiter unten auch die Bemerkungen zu Gleichung 11.41). Im Folgenden gehen wir davon aus, dass dies geschehen sei und dass aus den natürlichen Zahlen nach einem der gängigen Standardverfahren der Zahlbereichserweiterung die ganzen Zahlen Z, die rationalen Zahlen Q, die reellen Zahlen R und die komplexen Zahlen C konstruiert worden sind und mit den üblichen arithmetischen Operationen und Relationen zur Verfügung stehen.

11.2

Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion

Eine besondere Rolle in der Definition der natürlichen Zahlen spielt Axiom 5, das sogenannte Induktionsaxiom. Diejenige mathematische Beweistechnik, die auf der Verwendung des Induktionsaxioms beruht, nennt man die vollständige Induktion4 (im Kontrast zu der aus den empirischen Wissenschaften bekannten sogenannten unvollständigen bzw. empirischen Induktion). Praktisch jeder Beweis über natürliche Zahlen beruht direkt oder indirekt auf dem Prinzip der vollständigen Induktion. Jeder Beweis, der auf dem Induktionsaxiom aufbaut, muss strukturell aus den folgenden Teilen bestehen.

2 George

Bruce Halsted, 1853–1922, amerikanischer Mathematiker. 1912, Chap. IV, S. 20. 4 engl. mathematical induction. 3 Halsted

118

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Kontext: Eine Aussage A (A = A(n)) über natürliche Zahlen ist zu beweisen. Zunächst sei die Menge M als die Menge derjenigen natürlichen Zahlen definiert, welche die Aussage A erfüllen. Der weitere Verlauf des Induktionsbeweises verläuft in der Regel entlang des folgenden Argumentationsschemas. 1. Es ist zu zeigen, dass die Zahl 1 zu M gehört. Dieser Schritt wird im Folgenden als Induktionsverankerung5 bezeichnet. 2. Es ist zu zeigen: Wenn eine natürliche Zahl x zu M gehört, so gehört auch stets ihr Nachfolger x  zu M. Der zweite Schritt wird im Folgenden als Induktionsschritt bezeichnet. Im Induktionsschritt ist also (im Sinne von Axiom 5) zu zeigen, dass für jede beliebige natürliche Zahl x gilt: Aus der Induktionsannahme (Prämisse6 ): „Die Zahl x gehört zu M.“ folgt der Induktionsschluss (Konklusion): „Der Nachfolger x  von x gehört ebenfalls zu M.“ Bemerkungen 1. Eine recht gute Visualisierung der vollständigen Induktion ist auf der Basis von (numerierten) Dominosteinen möglich (vgl. Abb. 11.1): Der Induktionsschritt bedeutet im Sinne dieser Veranschaulichung: Wenn Stein Nr. n fällt, dann fällt auch Stein Nr. n + 1. Ob überhaupt einer der Steine fällt, ist unbestimmt. Aber wenn Stein Nr. 1 fällt (und wenn der Induktionsschritt als gültig nachgewiesen wurde), dann fallen alle Steine (d. h., die Aussage gilt für alle natürlichen Zahlen).

Abb. 11.1 Dominosteine zur Veranschaulichung der vollständigen Induktion

Die Veranschaulichung anhand der Dominosteine macht auch deutlich, dass man die vollständige Induktion bei jeder beliebigen natürlichen (oder auch ganzen) Zahl z An f verankern kann. Die entsprechende Aussage gilt dann für alle n mit n ≥ z An f . (Man vergleiche hierzu auch Beispiel 11.3.7 zum Thema „NichtstandardInduktionsverankerung“.) 2. Die durch vollständige Induktion zu beweisende Aussage nimmt oft für n = 1 oder gar n = 0 eine besonders einfache Form an. Manchmal ist sie so einfach, dass man kaum erkennt, was überhaupt zu beweisen ist. Im Hinblick auf die „Effizienz“ des

5 Alternative

Bezeichnung: Induktionsanfang.

6 Die Begriffe Prämisse und Konklusion sind, unabhängig vom Kontext der vollständigen Induktion,

in der Logik ganz allgemein für die Schlussfigur der Implikation üblich.

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

119

Beweises spricht jedoch nichts dagegen, dass man den Induktionsbeweis an einer besonders günstigen Stelle verankert. In kognitiver Hinsicht kann es (obwohl im Prinzip redundant) jedoch sinnvoll sein, den Induktionsbeweis an einer inhaltlich etwas reichhaltigeren (typischen) Stelle zu verankern. Beim Beweis der „Siebformel“ (Beispiel 11.3.14) oder des „Eulerschen Polyedersatzes“ (Beispiel 11.3.18) werden wir z. B. so vorgehen.

11.3

Beispiele zur vollständigen Induktion

11.3.1 Einige typische Beispiele Es wird empfohlen, zu den folgenden Beispielen kleine Computeralgebra Programme zu schreiben und die Aussagen zunächst anhand einiger Testläufe zu überprüfen. Beispiel 11.3.1 Für jede natürliche Zahl n mit (n ≥ 1) gilt 1 1 1 1 n + + + ... + = 1·2 2·3 3·4 n · (n + 1) n+1

(11.1)

Beweis (exemplarisch; sehr ausführlich): Induktionsverankerung: Es sei n = 1. Dann ist die linke Seite von Gleichung (11.1) 1 1 und die rechte Seite 1+1 . Somit ist die linke gleich der rechten Seite und gleich 1·2 die Induktionsverankerung ist erbracht. Induktionsschritt: Wir nehmen an, dass die Gleichung (11.1) für die natürliche Zahl n gilt (Induktionsannahme), und zeigen, dass daraus folgt, dass die Aussage auch für n + 1 gilt (Induktionsschluss). Wir betrachten zunächst den Term 1 1 1 1 1 + + + ... + + 1·2 2·3 3·4 n · (n + 1) (n + 1) · (n + 2)

(11.2)

Der Term lässt sich folgendermaßen gruppieren 

1 1 1 1 + + + ... + 1·2 2·3 3·4 n · (n + 1)

 +

1 (n + 1) · (n + 2)

(11.3)

n . Somit Der (eingeklammerte) erste Summand ist nach Induktionsannahme gleich n+1 ist der Term in (11.3) gleich

n 1 + (n + 1) (n + 1) · (n + 2)

120

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

und hieraus folgt schließlich 1 1 1 1 1 + + + ... + + 1·2 2·3 3·4 n · (n + 1) (n + 1) · (n + 2) n 1 = + (n + 1) (n + 1) · (n + 2) n · (n + 2) + 1 = (n + 1) · (n + 2) n 2 + 2n + 1 = (n + 1) · (n + 2) (n + 1)2 = (n + 1) · (n + 2) n+1 = n+2 Wir haben insgesamt gezeigt: Aus der Induktionsannahme folgt der Induktionsschluss. Damit ist der Induktionsschritt durchgeführt und die Formel (11.1) ist bewiesen. Beispiel 11.3.2 Für jede natürliche Zahl n mit (n ≥ 1) gilt 1 · 1! + 2 · 2! + 3 · 3! + . . . + n · n! = (n + 1)! − 1

(11.4)

Beweis: Induktionsverankerung: Es sei n = 1. Dann ist die linke Seite von Gleichung (11.4) gleich 1 · 1! = 1 und die rechte Seite (1 + 1)! − 1 = 2! − 1 = 2 − 1 = 1. Somit ist die Induktionsverankerung erbracht. Induktionsschritt: Wir nehmen an, dass die Gleichung (11.4) für die natürliche Zahl n gilt (Induktionsannahme), und zeigen, dass daraus folgt, dass die Aussage auch für n + 1 gilt (Induktionsschluss). Wir betrachten zunächst den Term 1 · 1! + 2 · 2! + 3 · 3! + . . . + n · n! + (n + 1) · (n + 1)!

(11.5)

Er lässt sich folgendermaßen gruppieren (1 · 1! + 2 · 2! + 3 · 3! + . . . + n · n!) + (n + 1) · (n + 1)! Der (eingeklammerte) erste Summand ist nach Induktionsannahme gleich (n + 1)! − 1. Somit ist der Term in (11.6) gleich (n + 1)! − 1 + (n + 1) · (n + 1)!

(11.6)

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

121

und hieraus folgt schließlich 1 · 1! + 2 · 2! + 3 · 3! + . . . + n · n! + (n + 1) · (n + 1)! = ((n + 1)! − 1) + (n + 1) · (n + 1)! = (n + 1)! · (1 + (n + 1)) − 1 = (n + 1)! · (n + 2) − 1 = (n + 2)! − 1 Damit ist der Induktionsschritt vollzogen und der Induktionsbeweis insgesamt abgeschlossen. Beispiel 11.3.3 Für jede natürliche Zahl n mit n ≥ 0 und jede reelle Zahl x mit x = 1 gilt 1 + x + x2 + x3 + . . . + xn =

1 − x n+1 1−x

(man beachte: x = 1)

(11.7)

Beweis (mit vollständiger Induktion nach n): Induktionsverankerung: Es sei n = 0. Dann ist die linke Seite von Gleichung (11.7) 1 (wegen x 0 = 1) gleich 1; die rechte Seite ist gleich 1−x 1−x , also ebenfalls gleich 1 und die Induktionsverankerung ist erbracht. Induktionsschritt: Wir nehmen an, dass die Gleichung (11.7) für die natürliche Zahl n gilt (Induktionsannahme), und zeigen, dass daraus folgt, dass die Aussage auch für n + 1 gilt (Induktionsschluss). Wir betrachten zunächst den Term 1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n + x n+1

(11.8)

Er lässt sich folgendermaßen gruppieren   1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n + x n+1 Der (eingeklammerte) erste Summand ist nach Induktionsannahme gleich Somit ist der Term in (11.9) gleich: 1 − x n+1 + x n+1 1−x

(11.9) 1−x n+1 1−x .

(11.10)

122

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

und hieraus folgt schließlich 1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n + x n+1 1 − x n+1 + x n+1 1−x 1 − x n+1 + x n+1 · (1 − x) = 1−x n+1 + x n+1 − x n+2 1−x = 1−x 1 − x n+2 = 1−x =

und der Induktionsschritt ist vollzogen. Bemerkungen 1. Im Falle von x = 2 vereinfacht sich (11.7) zu 1 + 2 + 22 + 23 + . . . + 2n = 2n+1 − 1 2. Im Falle von |x| < 1 strebt x n gegen 0 und somit strebt anderen Worten lim (1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n ) =

n→∞

Diese Gleichung wird durch Abb. 11.2 veranschaulicht.

Abb. 11.2 Summe der Potenzen von x

1−x n+1 1−x

1 1−x

(11.11) gegen

1 1−x .

Mit

(11.12)

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

123

Aus (11.12) folgt insbesondere im Dezimalsystem:   9 9 9 9 1 1 + + + ... = · 1+ + + ... 10 100 1000 10 10 100 9 1 1 9 · ·9 = 1 =  = 1 10 1 − 10 10 10

0, 999... =

3. Gleichung (11.7) lässt sich (wegen der dadurch entfallenden Ausnahmebedingung x = 1) in durchaus vorteilhafter Weise auch folgendermaßen schreiben (1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n ) · (1 − x) = 1 − x n+1

(11.13)

Unter Verwendung der folgenden visuell-suggestiven Darstellung lässt sich die Gleichung auch wie folgt begründen: (1 + x + x 2 + x 3 + . . . + x n ) · (1 − x) = 1+ x + x2 + x3 + . . . + xn − x − x 2 − x 3 − . . . − x n − x n+1 = n+1 1−x Beispiel 11.3.4 Betrachten Sie die folgenden Summen S1 S2 S3 S4 S5

=1·2 =1·2+2·3 =1·2+2·3+3·4 =1·2+2·3+3·4+4·5 =1·2+2·3+3·4+4·5+5·6

Berechnen Sie konkrete Zahlenwerte, stellen Sie eine explizite (nichtrekursive) Formel für Sn auf und beweisen Sie diese. Beispiel 11.3.5 Wir betrachten den Term 1 · 2 · 3 + 2 · 3 · 4 + 3 · 4 · 5 + . . . + n · (n + 1) · (n + 2)

(11.14)

Berechnen Sie den Term für konkrete Zahlenwerte von n, stellen Sie eine explizite Formel auf und beweisen Sie diese.

124

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Beispiel 11.3.6 Bernoullische Ungleichung7 Es sei x ≥ −1 und n ∈ N, n ≥ 0. Beweisen Sie die Bernoullische Ungleichung (1 + x)n ≥ 1 + n · x

(11.15)

11.3.2 Einige nicht so ganz typische Beispiele Beispiel 11.3.7 Ein Beispiel zur Nichtstandard-Induktionsverankerung. Wir betrachten für kleine Werte von k die Terme k 2 und 2k . k

1 2 3

6

7

8

9

10

11 . . .

k2

1 4 9 16 25 36

49

64

81

100

121 . . .

2

k

4

5

2 4 8 16 32 64 128 256 512 1024 2048 . . .

Ab k = 4 scheint der Wert von 2k zunehmend sehr viel schneller zu steigen als der von k 2 . Für k > 4 scheint also zu gelten: k 2 < 2k

(11.16)

Wir vermuten, dass die Ungleichung für alle natürlichen Zahlen k mit k > 4 gilt. In diesem Fall ist die Induktionsverankerung also an der Stelle k = 5 vorzunehmen. Die Gültigkeit der Induktionsverankerung an dieser Stelle ist unmittelbar aus der obigen Tabelle zu entnehmen. Induktionsschritt: Wir nehmen an, dass die Gleichung (11.16) für die natürliche Zahl k gilt, und zeigen, dass daraus folgt, dass die Aussage auch für k + 1 gilt. Da für k > 4 stets 2k + 1 < 2k ist (Übung!), gilt Folgendes: (k + 1)2 = k 2 + 2k + 1 < 2k + 2k + 1 < 2k + 2k = 2 · 2k = 2k+1

(11.17)

Und der Induktionsschritt ist vollzogen. Beispiel 11.3.8 „Argument-Halbierung“ (teile und herrsche) Wir greifen das Beispiel der Argument-Halbierung aus Abschnitt 7.7.5 über die Berechnung der Fibonacci-Zahlen auf. In diesem Beispiel bezieht sich die Induktion auf eine Doppel-Aussage. Im Beweis ist darauf zu achten, dass im Induktionsschritt beide Teile der Doppel-Aussage unabhängig voneinander zu beweisen sind.

7 nach

Jakob Bernoulli, 1655–1705, Schweizer Mathematiker.

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

125

Behauptung: Für alle k ≥ 0 gilt: F2k = Fk · (2Fk+1 − Fk ) F2k+1 =

2 Fk+1

+

und

(11.18)

Fk2

(11.19)

Induktionsverankerung bei k = 0: F2 · 0 = F0 = 0 = F0 · (2F0+1 − F0 ) F2 · 0 + 1 = F1 = 1 =

2 F0+1

+

und

F02

Induktionsschritt: Es ist zu zeigen, dass unter der Annahme der Gültigkeit der Gleichungen (11.18) und (11.19) folgt: F2(k+1) = Fk+1 · (2F(k+1)+1 − Fk+1 ) F2(k+1)+1 =

2 F(k+1)+1

+

und

2 Fk+1

Dabei ist zu beachten, dass der Induktionsschritt simultan für die beiden TeilAussagen zu erbringen ist. Zunächst zur Gleichung (11.18) mit k + 1 an Stelle von k: F2(k+1) = F2k+2 = F2k+1 + F2k = = = = = = = =

2 (Fk+1 + Fk2 ) + F2k 2 + Fk2 + Fk (2Fk+1 − Fk ) Fk+1 2 + Fk2 + 2Fk Fk+1 − Fk2 Fk+1 2 Fk+1 + 2Fk Fk+1

Fk+1 (Fk+1 + 2Fk ) Fk+1 (Fk+2 + Fk ) Fk+1 (Fk+2 + (Fk+2 − Fk+1 )) Fk+1 (2Fk+2 − Fk+1 ))

(nach Def. Fib (7.1)) (nach Ind. Ann. (11.19)) (nach Ind. Ann. (11.18))

(nach Def. Fib (7.1)) (nach Def. Fib (7.1))

Damit ist der erste Teil des Induktionsschritts erbracht.

126

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Weiterhin gilt für Gleichung (11.19) mit k + 1 an Stelle von k: F2(k+1)+1 = F2k+3 = F2k+2 + F2k+1 = (F2k+1 + F2k ) + F2k+1 = 2F2k+1 + F2k 2 = 2(Fk+1 + Fk2 ) + Fk (2Fk+1 − Fk )

(nach Def. Fib (7.1)) (nach Def. Fib (7.1)) (nach Ind. Ann. (11.19) und (11.18))

2 + 2Fk2 + 2Fk Fk+1 − Fk2 = 2Fk+1 2 = 2Fk+1 + Fk2 + 2(Fk+2 − Fk+1 )(Fk+2 − Fk )

= =

2 2Fk+1 2 2Fk+1

+

Fk2

2 + 2Fk+2

(nach Def. Fib (7.1))

− 2Fk+2 Fk − 2Fk+1 Fk+2 + 2Fk+1 Fk

2 + (Fk+2 − Fk+1 )(Fk+2 − Fk+1 ) + 2Fk+2 − 2Fk+2 (Fk+2 − Fk+1 ) − 2Fk+1 Fk+2 + 2Fk+1 (Fk+2 − Fk+1 )

2 2 2 2 2 + Fk+2 − 2Fk+2 Fk+1 + Fk+1 + 2Fk+2 − 2Fk+2 = 2Fk+1 2 + 2Fk+2 Fk+1 − 2Fk+2 Fk+1 + 2Fk+2 Fk+1 − 2Fk+1 2 2 = Fk+2 + Fk+1

Damit ist der zweite Teil des Induktionsschritts erbracht und der Induktionsbeweis ist abgeschlossen.

11.3.3 Zahlenmuster und vollständige Induktion Beispiel 11.3.9 Analysieren Sie das folgende Beispiel. Stellen Sie eine Vermutung auf und beweisen Sie diese. 1 + 2 = 3 4 + 5 + 6 = 7 + 8 9 + 10 + 11 + 12 = 13 + 14 + 15 16 + 17 + 18 + 19 + 20 = 21 + 22 + 23 + 24 ...

Beispiel 11.3.10 Die Binomialkoeffizienten werden für natürliche Zahlen n und k in der Regel folgendermaßen definiert   n n! := k! · (n − k)! k

(11.20)

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

127

  In der deutschen Sprache wird der Ausdruck nk als „n über k“ ausgesprochen. In der englischen Aussprache „n choose k“ kommt sehr schön zu Ausdruck, dass der Bino  mialkoeffizient nk genau die Anzahl der Möglichkeiten darstellt, eine k-elementige Menge aus einer n-elementigen Menge auszuwählen (vgl. Beispiel 11.3.13). In die Definition der Binomialkoeffizienten fließt augenscheinlich die Fakultätsfunktion und deren Definition ein, die ihrerseits im engen Zusammenhang mit dem Permutations-Begriff steht: n! := 1 · 2 · 3 · . . . · (n − 1) · n

(11.21)

Wie bei vielen anderen Funktionen stellt sich auch bei der Fakultätsfunktion die Frage, was ihr Funktionswert für das Argument n = 0 sein sollte. Es gibt gute Gründe8 dafür, 0! als   1 zu definieren. Für die Binomialkoeffizienten folgt daraus insbesondere, dass nk auch für den Fall k = 0 „ordentlich“ definiert ist und dass der  Funktionswert gleich 1 ist. Auch 00 ist dementsprechend gleich 1. Aufgabe 11.1 Geben Sie zu den folgenden fünf Gleichungen jeweils ein (nichttriviales) Zahlenbeispiel an (d. h., n und k jeweils mindestens gleich 3) und zeigen Sie danach allgemein: • • • • •

    n n = k n−k           n n n n n + + + ... + + = 2n 0 1 2 n−1 n           n n+1 n+2 n+k n+k+1 + + + ... + = 0 1 2 k k       n+1 n n = + k k−1 k Fur ¨ beliebige Zahlen a und b gilt die binomische Formel bzw. der binomische Lehrsatz

(11.22) (11.23) (11.24) (11.25)

(11.26) (a + b)n =           n n n n−1 n n−2 2 n n−k k n n a + a ·b+ a · b + ... + a · b + ... + b 0 1 2 k n

8 Diese Gründe hängen meist mit dem Hankelschen Permanenzprinzip zusammen (Hermann Hankel,

1839–1873; siehe: Princip der Permanenz formaler Gesetze in Hankel 1867, I § 3).

128

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Beispiel 11.3.11 Das Pascalsche Dreieck, die Binomialkoeffizienten und die Fibonacci-Zahlen Dem französischen Mathematiker Blaise Pascal (1623–1662) wird oft die Entdeckung desjenigen Zahlenschemas zugeschrieben, das in der westlichen Welt meist als „Pascalsches Dreieck“ bezeichnet wird. Das dreieckige Zahlenschema der Pascalschen Zahlen ist Zeile für Zeile folgendermaßen aufgebaut: An den Rändern jeder Zeile steht die Zahl 1, und jede weitere Zahl in Zeile n + 1 ist als die Summe der schräg links und schräg rechts darüber stehenden Zahlen in Zeile n definiert. 1 1 1 1 1 1 1 1 1

8

3

5

7

6

15

1 4

10 20

35 56

1 3

10

21 28

2

4

6

1

5 15

35 70

1

(11.27) 1

6 21

56

1 7

28

1 8

1

... Pascalsches Dreieck Chinesische Mathematiker weisen gern darauf hin, dass das Schema bereits den chinesischen Mathematikern Jia Xian (ca. 1010 – ca. 1070) und Yang Hui (ca. 1238 – ca. 1298) bekannt war. Die Darstellung in Abb. 11.3 stammt von Yang Hui, der sich dabei auf eine verloren gegangene Quelle von Jia Xian bezieht. Etwas formaler ausgedrückt, kann man die Pascalschen Zahlen wie folgt beschreiben. Mit P (n, k) sei die Pascalsche Zahl in Zeile n und Position („Spalte“) k bezeichnet (k = 0, . . . , n). Dann ist entsprechend der obigen umgangssprachlichen Beschreibung ⎧ ⎪ f¨ur k = 0 ⎨ 1 P (n, k) = (11.28) 1 f¨ur k = n ⎪ ⎩ P (n − 1, k − 1) + P (n − 1, k) f¨ur 0 < k < n

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

129

Abb. 11.3 Das Dreieck von Yang Hui

Wenn man etwas mit den Zahlen im Pascalschen Dreieck spielt, so hat man die Chance, eine Reihe interessanter Entdeckungen zu machen; so z. B. auch die Folgende: Legt man, wie in Abb. 11.4, schräge „Pfeile“ durch das Pascalsche Dreieck und addiert man die auf einem Pfeil stehenden Zahlen auf, so erhält man als Summen offenbar gerade die Fibonacci-Zahlen (zumindest, so weit sich das empirisch überprüfen lässt). Abb. 11.4 Das Pascalsche Dreieck und die Fibonacci-Zahlen

Es drängt sich die Frage auf, ob der beobachtete Zusammenhang auch weiterhin gilt und ob er ggf. durch Rückgriff auf die Bildungsgesetze der Fibonacci-Zahlen

130

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

und der Zahlen im Pascalschen Dreieck einsichtig gemacht werden kann. In Anhang A.3 über die Analyse ausgewählter Konfigurationen wird der Sachverhalt bildlich erläutert und geklärt. Dennoch sollten Sie zunächst versuchen, das Beispiel selbst zu analysieren. Untersuchen Sie insbesondere, ob die beobachtete Gesetzmäßigkeit auch für weitere derartige schräge Pfeillinien gilt. Formulieren Sie den vermuteten Sachverhalt als Gleichung. Aufgabe 11.2 1. Ermitteln Sie die Werte der Binomialkoeffizienten im folgenden Schema.   0 0     1 1 0 1       2 2 2 0 1 2

(11.29)

        3 3 3 3 0 1 2 3           4 4 4 4 4 0 1 2 3 4 ... Zur Nummerierung: Der obersten, nur aus einer 1 bestehenden „Zeile“ sei die Nummer 0 gegeben. Die Nummerierung innerhalb der n-ten Zeile verläuft von 0 bis n. Die Zahlen im Pascalschen Dreieck lassen sich also auch als Binomialkoeffizienten deuten: Die k-te Zahl in Zeile n (k = 0, . . . , n) ist   n k 2. Man kann die Zahlen im Pascalschen Dreieck in Zeile n auch als die natürlichzahligen Koeffizienten des Ausdrucks (a + b)n (in ausmultiplizierter Form) deuten. Gleichung (11.25) stellt den Zusammenhang zur Definition der Pascalschen Zahlen in Gleichung (11.28) her.

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

131

11.3.4 Vollständige Induktion im Zusammenhang mit Mengen Beispiel 11.3.12 Begriff der Potenzmenge Definition: Die Menge aller Teilmengen einer Menge M heißt Potenzmenge von M (in Zeichen: P (M)). Satz Es sei M eine endliche Menge mit n Elementen. Dann hat die Potenzmenge P (M) von M |P (M)| = 2n Elemente. Beweis: Übung (Induktionsverankerung bei n = 0) Hinweis Die Potenzmenge der leeren Menge ∅ ist die ein-elementige Menge {∅}. Beispiel 11.3.13 Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge bzw. Kombinationen ohne Wiederholung Satz Es sei M eine n-elementige Menge und k eine natürliche Zahl  mit 0 ≤ k ≤ n. Dann ist die Anzahl der k-elementigen Teilmengen von M gleich nk . Der Beweis wird mit Induktion nach n durchgeführt. Die Zahl k ist dabei im Wesentlichen beliebig; die Fälle k = 0 und k = n werden jedoch separat behandelt. Induktionsverankerung bei n = 0. In diesem Fall ist M die leere Menge, die als einzige Teilmenge nur die leere Menge hat. Also kommt für k nur die Zahl 0 in Frage 0 und für die Anzahl der 0-elementigen Teilmengen von M gilt (wie behauptet) 0 = 1. Weiterhin gilt für beliebiges n: Sowohl die Anzahl ihrer 0-elementigen wie auch die Anzahl ihrer n-elementigen Teilmengen ist gleich 1 (die entsprechenden Teilmengen sind die leere Menge bzw. die ganze Menge). Und für diese Fälle gilt     n n = =1 0 n

(11.30)

Wir können uns im Folgenden also auf diejenigen Werte von k mit 2 ≤ k ≤ n − 1 beschränken. Induktionsschritt: Wir nehmen an, die Aussage des Satzes sei richtig für die natürliche Zahl n und es sei nun eine Menge M mit n + 1 Elementen gegeben. Um etwas Konkretes vor Augen zu haben, nehmen wir (ohne Beschränkung der Allgemeinheit) an, dass M = {1, 2, 3, . . . , n − 1, n, n + 1} ist. Wir betrachten die k-elementigen Teilmengen von M und unterteilen sie in solche, die das Element 1 enthalten, und solche, die es nicht enthalten. Weiterhin sei M1 := {2, 3, . . . , n, n + 1}. M1 hat dann n Elemente. Die k-elementigen Teilmengen von M, die das Element 1 enthalten, entsprechen eineindeutig den (k − 1)-elementigen Teilmengen von M1 (man muss ja nur noch das Element 1 hinzufügen, um wieder eine k-elementige Teilmenge von M zu erhalten). Also gilt: Die Gesamtheit der k-elementigen Teilmengen von M

132

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

entspricht insgesamt der Gesamtheit der (k − 1)-elementigen und der k-elementigen Teilmengen von M1 , und da es dabei keine Überschneidungen gibt, ist ihre Anzahl gleich:     n n + (11.31) k−1 k   Dies ist nach Gleichung (11.25) aber gleich n+1 und der Induktionsschritt ist damit k erbracht. Bemerkungen 1. Man bezeichnet die Anzahl der k-elementigen Teilmengen aus einer nelementigen Menge auch als die Anzahl der Kombinationen (ohne Wiederholung) von k Elementen aus n Elementen – jede Teilmenge entspricht einer Kombination ohne Wiederholung und umgekehrt. 2. Aus dem in diesem Beispiel bewiesenen Satz folgt insbesondere: Ist A eine endliche Menge mit der Eigenschaft A = A1 ∪ A2 ∪ A3 . . . ∪ An dann gibt es

n  k

(11.32)

Möglichkeiten, Schnittmengen der Form Ai 1 ∩ Ai 2 ∩ . . . ∩ Ai k

(11.33)

(mit ir = i s ) zu bilden. 3. Man kann den Satz in diesem Beispiel auch mit den Eigenschaften von Permutationen und der Fakultätsfunktion beweisen, wenn man diese Dinge zuvor erarbeitet hat. Der Charakter als Induktionsbeweis tritt dann aber in den Hintergrund. Beispiel 11.3.14 Die Siebformel (bzw. Ein- und Ausschalt-Formel oder das Prinzip von Inklusion und Exklusion) Satz Es sei A eine endliche Menge; die Anzahl ihrer Elemente sei mit |A| bezeichnet. Ist A die Vereinigungsmenge der n Teilmengen A1 , A2 , A3 , …, An , also A = A1 ∪ A2 ∪ A3 ∪ . . . ∪ An

(11.34)

so gilt |A| = |A1 ∪ A2 ∪ A3 ∪ . . . ∪ An | =

n

i=1

|Ai | −

i< j

|Ai ∩ A j | +

(11.35)

|Ai ∩ A j ∩ Ak |

i< j 1) ist als Produkt von Primzahlen darstellbar: n = p1 · p2 · p3 · . . . · ps . Abgesehen von der Reihenfolge der Faktoren ist diese Darstellung eindeutig. Bemerkung: Nach dem üblichen mathematischen Sprachgebrauch ist der „Index“ s eine natürliche Zahl, die auch gleich 1 sein darf. In diesem Fall ist n = p1 selbst eine Primzahl. Auch diese Möglichkeit ist in der obigen Formulierung des Fundamentalsatzes der Zahlentheorie enthalten. Beweis des Fundamentalsatzes: Es ist sowohl die Existenz als auch die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung zu zeigen. (1) Zur Existenz der Primfaktorzerlegung: Wir führen einen Widerspruchsbeweis durch. Angenommen, die Aussage sei falsch. Dann gibt es natürliche Zahlen, die keine Primfaktorzerlegung besitzen. Die Menge dieser „Verbrecher“ ist also nicht leer und es gibt darunter einen kleinsten; dies sei die natürliche Zahl m. Die Zahl m kann keine Primzahl sein, denn sonst wäre sie kein Verbrecher (vgl. obige Bemerkung); m besitzt also nichttriviale Teiler. Der kleinste darunter sei p. Er ist eine Primzahl (denn der kleinste nichttriviale Teiler einer zerlegbaren natürlichen Zahl ist stets eine Primzahl). Es sei etwa m = p · r . Jeder der Faktoren p und r ist kleiner als m. Da m der kleinste Verbrecher war, ist r kein Verbrecher; d. h., r besitzt eine Primfaktorzerlegung, etwa r = q1 · q2 · . . . · q j . Aber dann ist p · q1 · q2 · . . . · q j eine Primfaktorzerlegung von m – im Widerspruch zur Annahme, dass m keine Primfaktorzerlegung besitze. Es kann also keinen „Verbrecher“ m geben, der die Gültigkeit der Behauptung über die Existenz von Primfaktorzerlegungen verdirbt. Das heißt, jede natürliche Zahl n (n > 1) besitzt, wie behauptet, eine Primfaktorzerlegung. (2) Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung: Übung

142

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

11.3.8 Scheinbeweise, Lustiges und Merkwürdiges Beispiel 11.3.23 Behauptung: In jeden Koffer passen unendlich viele Taschentücher. „Beweis“: Ein Taschentuch passt auf jeden Fall in den Koffer, und wenn schon n Taschentücher im Koffer sind, dann passt ein weiteres immer noch hinein. Dieses Beispiel steht für eine ganze Klasse von ähnlichen Fällen. Sie werden als Paradoxien des Haufens (engl. sorites11 paradoxes) bezeichnet und gehen vermutlich zurück auf den griechischen Philosophen Eubulides von Milet (im 4. Jahrhundert v.Chr.)12 . Der Begriff „Haufen“ steht dabei für eine unscharf definierte Eigenschaft (bzw. Menge), die das Paradoxon verursacht: Wenn man einen (nicht allzu kleinen) Sack Reiskörner ausschüttet, dann bilden die Körner einen Haufen. Aber es gilt der „Satz“: Es gibt keinen Haufen von Reiskörnern. „Beweis“: Ein Reiskorn alleine bildet noch keinen Haufen. Und wenn n Reiskörner noch keinen Haufen bilden, dann bilden auch n + 1 Reiskörner keinen Haufen. Bemerkung: Das Problem ist: Wenn man, beginnend mit einem Reiskorn, immer weitere Reiskörner hinzufügt, ab wann kann man dann von einem Haufen von Reiskörnern sprechen? Es gibt viele Varianten des Haufen-Paradoxons; z. B. den „Satz“: Es gibt keine Teiche13 . Beispiel 11.3.24 „Lückenhafte Induktion“ Behauptung: Die Zahl 60 ist durch alle natürlichen Zahlen zwischen 1 und 60 teilbar. „Beweis“: 60 ist durch 1, 2, 3, 4, 5, 6 teilbar. Damit ist die Induktionsverankerung hinreichend erbracht. Jetzt machen wir noch ein paar Stichproben: Durch 10, 12, 15, 20, 30 ist die 60 auch teilbar. q.e.d.! Bemerkung: Ganz unnütz ist die Beschäftigung mit der 60 jedoch nicht. Dass die 60 durch sehr viele natürliche Zahlen teilbar ist, wirkt sich günstig auf die Zahldarstellung von Brüchen im 60-er System aus. Das wussten in der Antike offenbar auch bereits die Babylonier. Sie verwendeten (auf der Basis ihrer Keilschrift) ein Zahlsystem, das einem 60-er Stellenwertsystem sehr nahe kam. Einige Bestandteile des babylonischen 60-er Systems haben bis heute überdauert: Bei der Zeitmessung die 60-er Teilung der Uhr; bei der Winkelmessung: Der Vollkreis hat ein Winkelmaß von 6-mal 60 Grad.

11 soros:

griechisch für Haufen oder Stapel. https://plato.stanford.edu/entries/sorites-paradox/. 13 Ein Teich besteht aus vielen Wassertropfen. Ein Tropfen macht noch keinen Teich aus und wenn n Wassertropfen keinen Teich ergeben, dann n + 1 Tropfen auch nicht. 12 vgl.

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

143

Beispiel 11.3.25 Im Folgenden beweisen wir den „Satz“ Alle Knöpfe haben dieselbe Farbe. „Beweis“: Wir zeigen: In jeder beliebigen n-elementigen Menge von Knöpfen haben alle Knöpfe dieselbe Farbe. Induktionsverankerung: Für ein-elementige Mengen von Knöpfen ist die Aussage offensichtlich wahr. Induktionsschritt: Die Aussage sei wahr für k-elementige Mengen von Knöpfen. Wir haben zu zeigen, dass sie auch für (k + 1)-elementige Mengen von Knöpfen gilt. Es sei nun also eine (k + 1)-elementige Menge von Knöpfen gegeben. Abb. 11.11 Alle Knöpfe haben dieselbe Farbe

Wie in Abb. 11.11 angedeutet, fassen wir jeweils die ersten k Knöpfe und die letzten k Knöpfe zusammen. Nach Induktionsvoraussetzung haben die ersten k Knöpfe dieselbe Farbe; Entsprechendes gilt für die letzten k Knöpfe. Der zweite Knopf gehört zu beiden Mengen. Also haben alle Knöpfe in der ersten Menge dieselbe Farbe wie der zweite Knopf - und ebenso alle Knöpfe in der zweiten Menge - und somit haben alle Knöpfe in der (k + 1)-elementigen Menge dieselbe Farbe. Aufgabe 11.7 Zeigen Sie, wo der Fehler im „Knopf-Beweis“ steckt.

11.3.9 Ein frühes historisches Beispiel zur vollständigen Induktion Obwohl das Prinzip der vollständigen Induktion in voll entwickelter Form erst im Laufe des vorigen Jahrhunderts formuliert wurde, reicht die Idee der vollständigen Induktion historisch im Sinne eines „Schritt für Schritt aufsteigenden Prozesses“ sehr viel weiter zurück. So benutzte der Rabbiner Levi Ben Gershon, (Gersonides, 1288–1344) diese Methode. Er beschrieb sie mit den Worten (vom Hebräischen ins Englische übertragen, vgl. untenstehendes Zitat von N.L. Rabinovitch): „ …rising step by step …to infinity …“ Ben Gershon behandelte die Induktion nicht abstrakt, sondern er setzte sie eher implizit zur Lösung konkreter Probleme ein; so z. B. zur Bestimmung der Anzahl der Permutationen einer bestimmten Anzahl von Elementen. Wir zitieren aus dem Artikel Rabbi Levi Ben Gershon and the Origins of Mathematical Induction (Rabinovitch 1970). In Proposition 63 formuliert Ben Gershon: Proposition: Wenn die Anzahl der Permutationen verschiedener Elemente gleich einer bestimmten Zahl ist, dann ist die Anzahl der Permutationen einer um ein

144

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Element größeren Menge gleich dem Produkt aus der vorherigen Anzahl von Permutationen und dem Nachfolger der (ursprünglich) gegebenen Elementezahl. Beweis Die Elemente seien a, b, c, d, e; ihre Anzahl sei n und m sei der Nachfolger von n. Sei t die Anzahl der Permutationen von a, b, c, d, e. Wir fügen der Menge a, b, c, d, e ein Element hinzu und erhalten so die aus m Elementen bestehende Menge a, b, c, d, e, f . Wir behaupten, dass die Anzahl der Permutationen der Menge a, b, c, d, e, f gleich dem Produkt aus t und m ist. Wir stellen das neue Element f an die erste Stelle und fügen jede der Permutationen von a, b, c, d, e hinzu. Alle diese Anordnungen sind verschieden. Also ist die Anzahl der Permutationen mit dem Element f an der ersten Stelle gleich t. Da die Anzahl der Permutationen von a, b, c, d, e gleich t ist, gibt es (wenn wir e weglassen) ebenfalls t Permutationen von a, b, c, d, f . Wenn wir nun das Element e an der ersten Stelle vor alle diese Permutationen stellen, erhalten wir t verschiedene Permutationen mit dem Element e an der ersten Stelle. Entsprechend kann jedes der Elemente (der Ausgangsmenge) an die erste Stelle gestellt werden; wir erhalten dadurch jeweils t verschiedene Permutationen. Somit ist die Gesamtzahl der Permutationen (der Menge a, b, c, d, e, f ) gleich t-mal der Elementezahl m dieser Menge.

11.3.10 Muss es immer vollständige Induktion sein? Bei Aussagen über natürliche Zahlen sind vollständige Induktion und (auf das Engste damit verbunden) Rekursion stets die Basis, auf die man (fast) alles zurückführen kann. Aber wie die Ausführungen zum Schubfachprinzip und zum Wohlordnungsprinzip zeigen, kann die formale Prozedur des Beweisens mit vollständiger Induktion gelegentlich durch andere, manchmal intuitivere Methoden ersetzt werden. Weitere Beispiele dafür sind: • Das Denken in Symmetrien: Die Geometrie ist die eigentliche Domäne des Symmetrie-Konzepts. Aber auch sonst ist in der Mathematik das Denken in Symmetrienvon als (winziges) Beispiel sei die Begründung für die Glei Bedeutung;  n  erwähnt: Die k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen chung nk = n−k Menge entsprechen in eineindeutiger Weise den (n − k)-elementigen Teilmengen der Menge. (Die entsprechende Zuordnung ist gegeben durch: Menge ←→ Komplementärmenge.) • Das Denken in Invarianten: Hierzu gehören nicht zuletzt auch Konzepte wie Summen-, Differenzen-, Produkt- und Quotientengleichheit (man vergleiche hierzu auch die Ausführungen über Differenzenschemata in den Kap. 4 und 5 oder das Schokoladen- und das Schachbrettbeispiel weiter unten). • In der Informatik macht man zum Nachweis der Korrektheit von Algorithmen (bzw. von Programmen) gern von den „Schleifeninvarianten“ Gebrauch. • Die Methode der Visualisierung z. B. durch figurierte Zahlen in Verbindung mit dem paradigmatischen Begründen oder Beweisen. Darum geht es ja primär in diesem Manuskript.

11.3 Beispiele zur vollständigen Induktion

145

Die genannten Methoden sind auch miteinander kombinierbar. So ist z. B. die in den Variablen a und b symmetrische Aussage a+b =b+a

(11.41)

für natürliche Zahlen auf der Basis der Peanoschen Axiome (relativ mühsam) beweisbar. Eine paradigmatische Visualisierung dieser Formel ist z. B. gegeben durch: I I + I I I I I I + I I

= =

I I I I I I I I I I

I I

=

I I I

und somit +

I I I

+

I I

Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass eine derartige paradigmatische Begründung keine wirkliche Beweiskraft hat und dass nur ein „strenger“ formaler Beweis die Gültigkeit der Aussage (z. B. der Kommutativität der Addition) sicherstellen kann. Es ist aber auch richtig, dass die Peanoschen Axiome gerade so formuliert wurden, wie sie formuliert wurden, um in formalisierter Form den natürlichen Prozess des Zählens nachzubilden (und ihn damit überhaupt der axiomatisch betriebenen Mathematik zugänglich zu machen). Und wenn eine solche Formalisierung nicht zur Kommutativität der Addition führen würde, dann wäre sie nicht geeignet, den Prozess des Zählens zu modellieren, und hätte nicht die Bedeutung, welche die Peanoschen Axiome heute haben. Es ist also nicht wirklich verwunderlich, dass die Peanoschen Axiome implizit die Gültigkeit des Kommutativgesetzes für die Addition in sich tragen. Nach den bisherigen vielen Beispielen zur Wirkungsweise der vollständigen Induktion sei dieser Abschnitt mit zwei Beispielen beendet, für deren Analyse und Lösung eine formal durchgeführte vollständige Induktion wenig hilfreich wäre. • Beispiel: Schokoladentafeln zerbrechen; vgl. Abb. 11.12 (Idee: E. Behrends, Freie Universität Berlin) Gegeben ist eine Tafel Schokolade, bestehend aus n horizontalen und m vertikalen Reihen. Man zerbreche sie durch „glatte“ Brüche entlang der vorgegebenen Rillen sukzessive in mehrere Teile. Was ist das günstigste Verfahren, und wie viele „Bruchvorgänge“ sind mindestens notwendig, um die Tafel komplett in Einzelstücke zu zerbrechen? (Das Übereinanderlegen von zu zerbrechenden Teilstücken ist nicht erlaubt.) Hinweis/Frage: Was (genau) ändert sich beim Durchbrechen eines weiteren Teilstücks – unabhängig von den bisherigen Teilungsvorgängen?

146

11

Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Abb. 11.12 Zerbrechen einer Schokoladentafel

Abb.11.13 „Angeknabbertes“ Schachbrett mit Dominosteinen

• Beispiel:

Das „angeknabberte“ Schachbrett (vgl. Abb. 11.13)

Gegeben sind ein n × n Schachbrett, bei dem die Felder in den Ecken „links oben“ und „rechts unten“ entfernt wurden, und eine (hinreichend große) Menge von 1 × 2 Dominosteinen, von denen jeder genau zwei benachbarte Schachbrettfelder überdeckt. Zeigen Sie, dass das angeknabberte Schachbrett nicht mit diesen Dominosteinen lückenlos ausgelegt werden kann. Hinweis/Frage: Wie viele weiße und schwarze Schachbrettfelder werden durch d Dominosteine überdeckt?

A

Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen

A.1

Summen ungerader Zahlen

Abb. A.1 Summen ungerader Zahlen (Analyse)

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5

147

148

A.2

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen

Summen von Kubikzahlen

Die Gleichung  1 + 2 + 3 + 4 + . . . + n = (1 + 2 + 3 + 4 + . . . + n) = 3

3

4

3

3

2

n · (n + 1) 2

2

wurde in Abschnitt 3.4 mit Hilfe der Abb. 3.13 bzw. 3.14 begründet. Beim genaueren Hinsehen tauchen früher oder später einige Fragen auf, zum Beispiel: • Geht es beim Übergang von n auf (n + 1) immer so weiter? • Schließen sich die (n + 1)-Quadrate immer so lückenlos an die n-Gnomone an wie in den beiden obengenannten Abbildungen? • Wie lang ist die „Anlegekante“ (= längste Seite) des n-Gnomons? • Wann geht die Seitenlänge des (n + 1)-Quadrats genau in der Anlegekante des n-Gnomons auf? • Aus wie vielen (n + 1)-Quadraten besteht der neue (n + 1)-Gnomon? Wir halten zunächst fest: Die Länge der Anlegekanten (horizontal und vertikal) des n-Gnomons ist gleich (1 + 2 + 3 + ... + n) =

n · (n + 1) 2

Zur Beantwortung der obigen Fragen machen wir im Folgenden eine Fallunterscheidung, je nachdem, ob n gerade oder ungerade ist. In den Abb. A.2 und A.3 ist die horizontale Anlegekante des n-Gnomons jeweils blau gezeichnet. Aus Symmetriegründen sind die vertikale Anlegekante und die horizontale Anlegekante gleichlang. Wir beginnen mit dem Fall: n ist gerade (im Beispiel n = 6). Allgemein: Vom n-Gnomon zum (n + 1)-Gnomon Fall: n ist gerade. Dann ist (n + 1) ungerade. Frage: Wie oft passt die neue Quadratseite ((n + 1) LE) in die horizontale (blaue) Anlegekante des n-Gnomons? Seitenlänge des großen, alten Quadrats: 1 + 2 + 3 + . . . + n = (n/2) · (n + 1). Die (n + 1)-Seite passt also genau n/2-mal ganz in die horizontale (blaue) Anlegekante des n-Gnomons. Daraus folgt unter Berücksichtigung der vertikalen Anlegekante und des Eck-Quadrats: Der neue (n + 1)-Gnomon besteht aus genau 2 · (n/2) + 1 = n + 1 Quadraten.

Im Beispiel: Vom 6-Gnomon zum 7-Gnomon konkreter Fall: (n =) 6 ist gerade; (n + 1 =) 7 ist ungerade. Frage: Wie oft passt die neue Quadratseite (7 LE) in die horizontale (blaue) Anlegekante des 6-Gnomons? Seitenlänge des großen, alten Quadrats: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 = (6/2) · 7 Die 7-Seite passt also genau (6/2)-mal (= 3mal) ganz in die horizontale (blaue) Anlegekante des 6-Gnomons. Daraus folgt unter Berücksichtigung der vertikalen Anlegekante und des Eck-Quadrats: Der neue 7-Gnomon besteht aus genau 2 · (6/2) + 1 = 7 Quadraten.

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen Abb. A.2 Kubikzahlen aus Quadratzahlen I (Analyse)

Abb. A.3 Kubikzahlen aus Quadratzahlen II (Analyse)

149

150

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen

Es folgt der Fall: n ist ungerade (im Beispiel n = 5). Allgemein: Vom n-Gnomon zum (n + 1)-Gnomon Fall: n ist ungerade. Dann ist (n + 1) gerade. Frage: Wie oft passt die neue Quadratseite ((n + 1) LE) in die horizontale (blaue) Anlegekante des n-Gnomons? Seitenlänge des großen, alten Quadrats: 1 + 2 + 3 + . . . + n = n · (n + 1)/2 = ((n − 1)/2 + 1/2) · (n + 1) Die (n +1)-Seite passt (n −1)/2-mal ganz und 1-mal halb in die horizontale (blaue) Anlegekante des n-Gnomons. Daraus folgt unter Berücksichtigung der vertikalen Anlegekante und des Eck-Quadrats: Der neue (n + 1)-Gnomon besteht aus genau 2·(n−1)/2+2·1/2 = n Quadraten und zwei Halbquadraten. Die Fläche des neuen (n + 1)Gnomons entspricht genau 2 · (n − 1)/2 + 2 · 1/2 + 1 = n + 1 Quadraten.

A.3

Im Beispiel: Vom 5-Gnomon zum 6-Gnomon konkreter Fall: (n =) 5 ist ungerade; (n + 1 =) 6 ist gerade. Frage: Wie oft passt die neue Quadratseite (6 LE) in die horizontale (blaue) Anlegekante des 5-Gnomons? Seitenlänge des großen, alten Quadrats: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 = 5 · 6/2 = ((5 − 1)/2 + 1/2) · 6 (= 15) Die 6-Seite passt (5 − 1)/2 (= 2)-mal ganz und 1-mal halb in die horizontale (blaue) Anlegekante des 5-Gnomons. Daraus folgt unter Berücksichtigung der vertikalen Anlegekante und des Eck-Quadrats: Der neue 6-Gnomon besteht aus genau 2 · (5 − 1)/2 + 2 · 1/2 = 5 Quadraten und zwei Halbquadraten. Die Fläche des neuen 6Gnomons entspricht genau 2 · (5 − 1)/2 + 2 · 1/2 + 1 = 6 Quadraten.

Pascalsches Dreieck und Fibonacci-Zahlen

Die folgenden beiden Abbildungen sollen als Anregung für eine gleichungsbasierte Begründung dienen. Die zweite Abbildung verdeutlicht, dass sich die Summe entlang eines beliebigen Pfeils nach dem Bildungsgesetz für das Pascalsche Dreieck genau aus den Summen der beiden Vorgänger-Pfeile zusammensetzt. Dies spiegelt (für die Pfeil-Summen) aber auch genau das Bildungsgesetz der Fibonacci-Zahlen wider (Abb. A.4 und A.5). Abb. A.4 Das Pascalsche Dreieck und die Fibonacci-Zahlen I

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen Abb. A.5 Das Pascalsche Dreieck und die Fibonacci-Zahlen II

151

B

Bildnachweise

Die Abbildungen dieses Buchs, mit Ausnahme der Folgenden, wurden vom Autor selbst hergestellt. Abb. 2.8 al-Khwarizmi und sein al-Kitab al jabre linkes Bild: al Khwarizmi Monument in Khiva

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Al_Khwarizmi%27s_Monument_in_ Khiva.png Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license rechtes Bild: Titelbild aus al Khwarizmis „al jabre“ (public domain)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/23/Image-Al-Kit%C4%81b_ al-mu%E1%B8%ABta%E1%B9%A3ar_f%C4%AB_%E1%B8%A5is%C4%81b_ al-%C4%9Fabr_wa-l-muq%C4%81bala.jpg Abb. 7.1 Leonardo von Pisa (public domain) linkes Bild:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fibonacci_plastika.jpg rechtes Bild:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fibonacci.jpeg Abb. 7.8 linkes Bild: de Moivre (public domain)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Abraham_de_moivre.jpg mittleres Bild: Euler (public domain)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leonhard_Euler.jpeg rechtes Bild: Binet (Creative Commons Attribution-ShareAlike License)

https://commons.wikimedia.org/wiki/Jacques_Philippe_Marie_Binet Abb. 8.3 (public domain) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zeus.in.Olympia.representation.on. coin.drawing.jpg © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5

153

154

A Analyse einiger ausgewählter Konfigurationen

Abb. 11.3 (public domain) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yanghui_triangle.gif Abb. 11.10 (free vector icons) https://www.flaticon.com/free-icons/pigeon (Pigeon icons created by Freepik - Flaticon)

Literatur

Alten H.-W./Djafari Naini A./Folkerts M./Schlosser H./Schlote K.-H./Wußing H.: 4000 Jahre Algebra – Geschichte, Kulturen, Menschen, Springer-Verlag, Berlin 2003 Baptist P.: Pythagoras - und kein Ende?; Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig 1997 Baumann M. H.: Die k-dimensionale Champagnerpyramide; Mathematische Semesterberichte, Heft 1, 2019, 89–100 Becker O.: Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung; Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Freiburg 1975 Behr R.: Neue Erkenntnisse über die Mathematik der Pflanzenblattstellung (Phyllotaxis); MNU 47/2 (1994), Seite 67–73 Beutelspacher A./Petri B.: Der Goldene Schnitt; Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus, Mannheim 1995 Beutelspacher A.: Zahlen, Formeln, Gleichungen; Springer Spektrum, Wiesbaden 2018 Borwein J. M./Crandall R. E.: Closed Forms: What They Are and Why We Care; Notices of the AMS, Volume 60, Number 1 January 2013 Bungartz P./Wynands A. (Hrsg. Mathematikum Giessen): Mathematik zum Anfassen; Skriptum Univ. Bonn 2002 Cofman J.: What to Solve: Problems and Suggestions for Young Mathematicians; Oxford University Press, 1990 Conway J. H./Guy R. K.: The Book of Numbers; Springer-Verlag (Copernicus Imprint), New York 1996 de Padova Th.: Alles wird Zahl; Carl Hanser Verlag, München 2021 Deza E./Deza M.: Figurate Numbers; World Scientific Publishing Co., New Jersey, London, Singapore 2012 Dürr R./Ziegenbalg J.: Dynamische Prozesse und ihre Mathematisierung durch Differenzengleichungen; Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1984 2. Auflage: Mathematik für Computeranwendungen; Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1989 Edgar T./Nacin D.: A Visual Tour of Identities for the Padovan Sequence; The Mathematical Intelligencer, Vol. 44, No. 2, 2022, 111–129 Enzensberger H. M.: Der Zahlenteufel; Carl Hanser Verlag, München 1997 Euklid: Die Elemente (Nach Heibergs Text aus dem griechischen übersetzt und herausgegeben von Clemens Thaer); Friedr. Vieweg Verlag, Braunschweig 1973, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1991 Gächter A. A.: Figurenzahlen; Eigenverlag mefi, St. Gallen 2012 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5

155

156

Literatur

Gardner M.: Beweise algebraischer Formeln durch Betrachtung graphischer Darstellungen; Didaktik der Mathematik, Heft 2, 1974, 314–320 Gazalé M. J.: Gnomon: From Pharaohs to Fractals; Princeton University Press, Princeton 1999 Gericke H.: Mathematik in Antike und Orient; Springer-Verlag, Berlin 1984 Gericke H.: Mathematik im Abendland; Springer-Verlag, Berlin 1990 Golowina L. I./Jaglom I. M.: Vollständige Induktion in der Geometrie; Deutscher Verlag der Wissenschaften (DVW), Berlin 1973 Grinberg N.: Lösungsstrategien – Mathematik für Nachdenker; Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 2008 Halsted G. B.: On the Foundation and Technic of Arithmetic; The Open Court Publishing Company, Chicago 1912 Hankel H.: Vorlesungen über die Complexen Zahlen und ihre Functionen; Leopold Voss Verlag, Leipzig 1867 Hischer H.: Geschichte der Mathematik als didaktischer Aspekt; Mathematik in der Schule, 32, 1994 Hischer H.: Grundbegriffe der Analysis; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995 Hogben L.: Mathematik für alle; Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1953 Høyrup Jens: Algebra in Keilschrift – Einführung in eine altbabylonische geometrische Technik, Edition Open Access, Max Planck Research Library for the History and Development of Knowledge, Textbooks 3, epubli/neopubli GmbH, Berlin, 2021 https://www.mprl-series.mpg. de/media/textbooks/3/textbooks3.pdf Huntley H. E.: The Divine Proportion; Dover Publications Inc., New York 1970 Jahnke H. N. (Hrsg): Geschichte der Analysis; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999 Kadeˇrávek F.: Geometrie und Kunst in früherer Zeit; B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig 1992 Karlson P.: Zauber der Zahlen; Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M 1954 Karpinski L. Ch.: Robert of Chester’s Latin Translation of the Algebra of Al-Kkowarizmi; University of Michigan, The Macmillan Company, 1915 https://archive.org/details/robertofchesters00khuw/ page/76/mode/2up Kirsch A.: Eine moderne und einprägsame Fassung der kombinatorischen Grundaufgaben; Didaktik der Mathematik, 2, 1973, S. 113–130 Kirsch A.: Vorschläge zur Behandlung von Wachstumsprozessen und Exponentialfunktionen im Mittelstufenunterricht; Didaktik der Mathematik, 4, 1976, S. 257–284 Kirsch A.: Aspekte des Vereinfachens im Mathematikunterricht; Didaktik der Mathematik, 2, 1977, 87–101 Kirsch A.: Beispiele für „prämathematische“ Beweise; Schriftenreihe Didaktik der Mathematik, Universität für Bildungswissenschaften, Klagenfurt, Band 2: Beweisen im Mathematikunterricht, Verlag Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1979, S. 261–274 Knuth D.: The Art of Computer Programming Vol. 1: Fundamental Algorithms Vol. 2: Seminumerical Algorithms Vol. 3: Sorting and Searching Addison-Wesley Publishing Company, Reading (Massachusetts) 1968/69 Köller J.: Figurierte Zahlen; http://www.mathematische-basteleien.de/figuriertezahlen.htm Lawlor R.: sacred geometry; Thames and Hudson Ltd., London 1982 Lehmann I. et al.: Die Fibonacci-Zahlen und der goldene Schnitt; Der Mathematikunterricht, Jahrgang 58, Heft 1, Februar 2012, Friedrich Verlag, Seelze Leonardo Pisano: Liber Abbaci; Edition von B. Boncompagni, Rom 1857, Quelle: Bibliothek der ETH Zürich, Wissensportal: http://www.e-rara.ch/zut/doi/10.3931/e-rara-34352 Lovász L.: Diskrete Mathematik; Springer-Verlag, New York 2003 Lüneburg H.: Leonardi Pisani Liber Abbaci oder Lesevergnügen eines Mathematikers; B.I. Wissenschaftsverlag, Mannheim 1992 MacTutor History of Mathematics Archive: https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/

Literatur

157

Mukherjee R.: Visual Evaluation of a Geometric Series: Sum of Reciprocals of Odd Powers of Two; The Mathematical Intelligencer, Vol. 44, No. 1, 2022, 44–45 Nelsen R. B.: Proofs Without Words – Exercises in Visual Thinking; The Mathematical Association of America, Washington DC 1993 Nelsen R. B.: Proofs Without Words II – More Exercises in Visual Thinking; The Mathematical Association of America, Washington DC 2000 OEIS – The On-Line Encyclopedia of Integer Sequences: https://oeis.org Olds C. D.: Continued Fractions; Mathematical Association of America, 1963 Yale University Ore O.: Graphen und ihre Anwendungen; Klett Studienbücher, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1974 Poincaré H.: Wissenschaft und Methode; B.G. Teubner, Leipzig 1914 Polster B.: Schönheit der Mathematik; Artemis & Winkler, Mannheim 2011 Polya G.: How to solve it; Princeton University Press, New Jersey, 1945 Posamentier A. S./Lehmann I.: The Fabulous Fibonacci Numbers; Prometheus Books, Amherst, New York 2007 Posamentier A. S./Lehmann I.: The Glorious Golden Ratio; Prometheus Books, Amherst, New York 2012 Prasolov Viktor V.: Essays on numbers and figures; Providence, Rhode Island, American Math. Soc. 2000 Prusinkiewicz P./Lindenmayer A.: The Algorithmic Beauty of Plants; Springer-Verlag, New York 1990 Rabinovitch N. L.: Rabbi Levi Ben Gershon and the Origins of Mathematical Induction; Archive for History of Exact Sciences, Vol. 6, No. 3, 237–248, Springer-Verlag, Berlin 1970 Rademacher H./Toeplitz O.: Von Zahlen und Figuren; Springer-Verlag, Berlin 1968 Resnikoff H.L./Wells R.O.: Mathematik im Wandel der Kulturen; Vieweg Verlag, Braunschweig 1983 Schreiber P.: Euklid, BSB B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig 1987 Schupp H. et al.: Figurierte Zahlen; Der Mathematikunterricht (MU), Heft 4/2008, Erhard Friedrich Verlag, Seelze 2008 Scriba C. J./Schreiber P.: 5000 Jahre Geometrie; Springer Verlag, Berlin 2001 Sedláˇcek J.: Einführung in die Graphentheorie; Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 1972 Sominski I. S.: Die Methoder der vollständigen Induktion; Deutscher Verlag der Wissenschaften (DVW), Berlin 1974 Stewart I.: Nature’s Numbers: The Unreal Reality Of Mathematics; Basic Books, London 1995 Stifel M.: Arithmetica Intergra, Nürnberg 1544 siehe: https://archive.org/details/bub_gb_ ywkW9hDd7IIC Stowasser R./Mohry B.: Rekursive Verfahren; Hermann Schroedel Verlag KG, Hannover 1978 Strick H. K.: Girolamo Cardano, Der mathematische Monatskalender, September 2012, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg 2012 siehe: https://www.spektrum.de/wissen/ girolamo-cardano-1501-1576-und-nicolo-tartaglia-1500-1557/1160795 Strick H. K.: Mathematik ist schön; Springer Sachbuch, Berlin Heidelberg 2017 Mathematik ist wunderschön; Springer Sachbuch, Berlin Heidelberg 2018 Mathematik ist wunderwunderschön; Springer Sachbuch, Berlin Heidelberg 2019 van der Waerden B. L.: Erwachende Wissenschaft; Birkhäuser Verlag, Basel 1966 von Pape B.: Makro-Mathematik – Schulmathematik auf neuen Wegen; Books on Demand 2016 Wagon St.: Mathematica in Action; W. H. Freeman and Company, New York 1991 deutsche Übersetzung: Mathematica in Aktion; Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1993 Walser H.: Der Goldene Schnitt; B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig 1996 Weisstein E. W. From MathWorld – A Wolfram Web Resource. „Figurate Number“ http://mathworld.wolfram.com/FigurateNumber.html „Centered Polygonal Number“ http://mathworld.wolfram.com/CenteredPolygonalNumber.html „Fermat’s Polygonal Number Theorem“ http://mathworld.wolfram.com/FermatsPolygonal NumberTheorem.html Wilf H. S.: generatingfunctionology; Academic Press, Philadelphia 1990 Wilson R. J.: Einführung in die Graphentheorie; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1972

158

Literatur

Winter H.: Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht; Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1989 Wittmann E. Ch./Müller, G. N.: Handbuch produktiver Rechenübungen Teil 1 und 2; Klett Verlag, Stuttgart 1990 ff Wittmann E. Ch. et al. (Hrsg.): Arithmetik als Prozess; Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung, Seelze/Velber 2004 Wittmann E. Ch.: Eine Leitlinie zur Unterrichtsentwicklung vom Fach aus: (Elementar) – Mathematik als Wissenschaft von Mustern. Der Mathematikunterricht 50, (2005), H.2/3, 5–22 Wittmann E. Ch.: Mathematische Bildung. In: Fried, L. und Roux, S: Handbuch der Pädagogik der frühen Kindheit. Beltz, Weinheim, 2006 Wittmann E. Ch./Müller, G. N.: Muster und Strukturen als fachliches Grundkonzept In: Walther, G. u.a. (Hg.).: Bildungsstandards für die Grundschule: Mathematik konkret. Cornelsen Scriptor, 40–63, Berlin 2008 Wittmann E. Ch./Müller, G. N.: Das Zahlenbuch; Stuttgart/Leipzig 2009 Wolff G. (Hrsg.): Handbuch der Schulmathematik, Band 1 bis 7; Schöningh Verlag, Paderborn und Schroedel Verlag, Hannover 1966 Worobjow N. N.: Die Fibonaccischen Zahlen; Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1971 Wußing H.: Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik; VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1979 Ziegenbalg J.: Elementare Zahlentheorie – Beispiele, Geschichte, Algorithmen; (2. Auflage) Springer Spektrum, Wiesbaden 2015 Ziegenbalg J./Ziegenbalg O./Ziegenbalg B.: Algorithmen – von Hammurapi bis Gödel (4., überarbeitete und erweiterte Auflage); Springer Spektrum, Wiesbaden 2016

Stichwortverzeichnis

A Al-Khwarizmi, 11 Algorithmus, 2, 87 iterativ, 89 rekursiv, 87 Antanairesis, 61 Anthyphairesis, 61 B Babylonier, 1, 142 Ben Gershon, Levi, 143 Bernoulli, Jacob, 36, 124 Bernoullische Ungleichung, 124 Binet, Jacques Philippe Marie, 85 Binomialkoeffizienten, 126, 128 C Cardanische Formel, 13 Cardano, Girolamo, 13 Cassini-Identität, 82 Cauchy, Augustin Louis, 43 Computeralgebra System, 2, 89 Continued fraction, 74 D Darstellung, explizite, 111 Differenzenbildung, 51 Differenzenfolge, 51, 53 Differenzengleichung, 49, 86, 111 Differenzenkalkül, 57 Differenzenoperator, 53, 58 Differenzenschema, 54 Differenzenverfahren, 52

Division mit Rest, 64, 68 Dreieckszahl, 15 E Effizienz, 87 kognitive, 87 Laufzeit, 88 Speicherplatz, 88 Ein- und Ausschalt-Formel, 132 Elemente des Euklid, 9 Ellipse (Auslassungspunkte), 139 Eratosthenes von Kyrene, 7 Euklid von Alexandria, 9 Euklidischer Algorithmus, 61 Euler, Leonhard, 85 Eulerscher Polyedersatz, 137 F Fünfeckszahlen, 41 Fakultätsfunktion, 127, 139 Faulhaber, Johannes, 36, 55 Fermat, Pierre, 43 Ferrari, Lodovico, 13 Fibonacci, 75 Fibonacci-Zahlen, 1, 75, 93 Figurierte Zahlen, 1, 5 Fior, Antonio, 13 Formel von Binet, 85, 89 Fundamentalsatz der Zahlentheorie, 141 Funktion, erzeugende, 86, 111 funktionales Programmieren, 89

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2024 J. Ziegenbalg, Figurierte Zahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5

159

160 G Ganzzahldivision, 64 Gauß, Carl Friedrich, 2, 43 Gemeinsames Maß, 61 generating function, 111 geometrisches Wachstum, 60 Gersonides, 143 Geschlossene Form, 111 geschlossene Form, 85 GgT, 65 Gnomon, 1, 7, 13, 20, 41 Gnomon-Methode, 19 Goldener Schnitt, 93, 97 Größter gemeinsamer Teiler, 65 Graph, 137 Gregory, James, 51 H Halsted G.B., 117 Hasse H., 66 Hasse-Diagramm, 65, 66 Heuristik, 14, 144 Gnomon, 7, 13 Invarianten, 144 Symmetrie, 144 Hexagonalzahlen, 41 Hui, Yang, 129 Huygens, Christiaan, 73 I Induktion empirische, 117 unvollständige, 117 vollständige, 36, 115, 117 Induktionsaxiom, 116 Inklusion und Exklusion, 132 Inkommensurabel, 61 Inkommensurabilität, 61, 64 Intervallschachtelung, 95 Invarianten, 144 Irrationalität, 64 K Kaninchenaufgabe, 76 Kettenbruch, 71 regulärer, 71 KgV, 65 kleinster Verbrecher, 141 Kleinstes gemeinsames Vielfaches, 65 kognitive Effizienz, 87 Kombinationen ohne Wiederholung, 131, 132 Kommensurabel, 61 Kommensurabilität, 61, 64

Stichwortverzeichnis Konvergente, 72 konvex, 64, 134 Kubikzahlen, 29 Kubus, 29 L Lagrange, Joseph-Louis, 43 Landau, Edmund, 116 Laufzeit-Effizienz, 88 Lehre von Gerade und Ungerade, 5 Lehrsatz, binomischer/Formel, binomische, 9, 128, 134 Leonardo von Pisa, 75 Liber Abaci, 75 LISP (Programmiersprache), 88, 89 M Mathematica (Computeralgebra System), 88 mathematical induction, 117 Matrizenrechnung, 90 Maxima (Computeralgebra System), 57, 87, 89, 91 Moivre, Abraham, 85 N Newton, Isaac, 51 Nikomachos von Gerasa, 2 P paradigmatisch, 2, 20, 83, 145 Paradoxon des Haufens, 142 Pascal, Blaise, 128 Pascalsches Dreieck, 128 Peano, Giuseppe, 116 Peanosche Axiome, 116, 145 Pentagonalzahlen, 41 Permutation, 127, 143, 144 Phidias (I I A), 97 Phyllotaxis, 1, 99 Ananas, 99 Kiefernzapfen, 99 Sonnenblume, 99 Poincaré, Henri, 85 Polygon, 64 Polygonalzahl, 1, 39, 51 nichtzentrierte, 40 zentrierte, 43 Polygonalzahlensatz von Fermat, 43 Polynom, 54 Potenzieren, schnelles, 90 Primfaktorzerlegung, 141 Prinzip vom kleinsten Element, 141

Stichwortverzeichnis von Inklusion und Exklusion, 132 Programmieren, dynamisches, 88 Punktmuster, 41 Pyramidalzahlen, 39, 46, 51 Pythagoras, 62 Pythagoras von Samos, 2 Pythagoreer, 2 Q Quadratzahlen, 19, 41 Quotient, 65 R Rationalität, 64 Rechenmauern, 59 Rekursion, 87, 91 Rekursionsgleichung, 49, 111 Rekursionsstack, 88 Rest, 65 Riemann, Bernhard, 36 S Satz des Pythagoras, 62 vom kleinsten Element, 141 von Sylvester, 19 Scheme (Programmiersprache), 88 Schubfachprinzip, 140 Scipione del Ferro, 13 Sechseckszahlen, 41 Siebformel, 132 sorites paradox, 142 Speicherplatz-Effizienz, 88 Stifel, Michael, 39 Summationsfunktion, 138 Summenzeichen, 138 Sylvester, 19 Symbolverarbeitung, 49 Symmetrie, 144 T Tartaglia, Nicolo, 13 Täuschung, optische, 82 Taylor, Brook, 51 Teilbarkeit, 66, 68 Division mit Rest, 64, 68

161 Ganzzahldivision, 64 ggT, 65 größter gemeinsamer Teiler, 65 Inkommensurabilität, 64 Irrationalität, 64 kgV, 65 kleinstes gemeinsames Vielfaches, 65 Kommensurabilität, 64 Rationalität, 64 Teiler, 65 teilerfremd, 67 Vielfaches, 65 Teile und Herrsche, 90, 91 Teiler, 65 Teilerdiagramm, 66 Teilerfremd, 67 Tetraederzahlen, 46 Tetraktys, 15 Thales von Milet, 7 Trapezzahlen, 17 Triagonalzahlen, 15 V Vielfaches, 65 Viereckszahlen, 19, 41 Vieta (François Viète), 9, 113 W Würfel, 29 Wachstum exponentielles, 60 geometrisches, 60 Wechselwegnahme, 61 Wohlordnungsprinzip, 140 Wohlordnungssatz, 140 Wurzelsätze von Vieta, 113 X Xian, Jia, 129 Z Zahl natürliche, 115 ungerade, 19 Zahlenmuster, 34 Zehnersystem, 75