Fibelausstattung und Lebensalter in der Merowingerzeit: Studien zu Abnutzung und Gebrauch frühmittelalterlicher Fibeln 9783110753806, 9783110754810, 9783110754858, 2021948069

Were early medieval burial objects the personal property of the person who had died? This book looks at the case study o

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German Pages 314 [316] Year 2022

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Prolog
2 Bisherige Forschungen
3 Abnutzungsfaktoren
4 Empirische Studie
5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs
6 Ergebnisse und Zusammenfassung
7 Ausblick
Literatur
Anhang
Abbildungsverzeichnis und Link zur Datenbank
Tafelteil
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Fibelausstattung und Lebensalter in der Merowingerzeit: Studien zu Abnutzung und Gebrauch frühmittelalterlicher Fibeln
 9783110753806, 9783110754810, 9783110754858, 2021948069

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Marion Sorg Fibelausstattung und Lebensalter in der Merowingerzeit

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold

Band 129

Marion Sorg

Fibelausstattung und Lebensalter in der Merowingerzeit Studien zu Abnutzung und Gebrauch frühmittelalterlicher Fibeln

ISBN 978-3-11-075380-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-075481-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-075485-8 ISSN 1866-7678 Library of Congress Control Number: 2021948069 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

For every complex problem there is a solution that is simple, neat … and wrong. H.L. Mencken

Vorwort Fibeln, deren Aussehen die Trägerin lebenslänglich als „Langobardin“, „Thüringerin“, „Bajuwarin“ … kennzeichnet? Ohne die Möglichkeit, sich neuen Gegebenheiten und Zugehörigkeiten anzupassen? Das erschien mir bereits während meines Studiums nicht sonderlich realistisch. So entstand die Idee, mich im Rahmen einer Magisterarbeit damit zu beschäftigen, welche Argumente und Erklärungen in der Forschung zu diesem Thema diskutiert werden. Welche Ansichten werden geäußert und wie plausibel und fundiert sind die einzelnen Schlussfolgerungen? Bei dieser rein theoretischen Arbeit fiel ein Desiderat schnell ins Auge. Trotz einer ausgiebigen Debatte gab es nahezu keine Studie, die sich dem Sachverhalt von empirischer Seite näherte. Es gab schlichtweg keine statistisch haltbare, materialbasierte Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den Fibelträgerinnen und den Fibeln selbst. Dabei müsste sich eine so enge Verbindung zwischen Fibel und Frau wie eingangs beschrieben in einer eindeutigen Korrelation von Lebensalter und durch die Tragedauer bedingter Abnutzung zeigen. Damit war auch das Thema der vorliegenden Dissertation gefunden: die Erstellung einer empirischen Studie zur These der Personengebundenheit frühmittelalterlicher Fibeln. Aufbauend auf deren Ergebnissen wären dann die kritische Prüfung bisheriger Argumentationslinien und weiterführende, valide Aussagen zum Forschungsgegenstand möglich. Einige Personen waren für die 2016 abgeschlossene Dissertation und besonders die empirische Studie von großer Hilfe, ihnen gebührt mein Dank. Das internationale Graduiertenkolleg „Lern- und Lebensräume: Hof, Kloster, Universität. Komparatistische Mediävistik 500–1600“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bot zum einen eine finanzielle Basis. Die Einbindung in einen Verbund anderer Promovierender aus verwandten Disziplinen ermöglichte mir zudem den fachlichen Austausch und brachte interessante Impulse. Auch die Betreuung durch zwei Fachbereiche – vertreten durch Prof. Dr. Sebastian Brather, Frühgeschichtliche Archäologie, und Prof. Dr. Thomas Zotz, Landesgeschichte – fügte sich hervorragend in den interdisziplinären Ansatz des Kollegs ein. Bei der Erstellung der Studie war ich darauf angewiesen, Zugang zu den Beständen einiger Institutionen zu erhalten, um dort die Fibeln im Original zu untersuchen. Den zuständigen Mitarbeitenden sei herzlich gedankt: Dr. Brigitte Haas-Gebhard in der Archäologischen Staatssammlung München, die mir auch die Verwendung von Fotos der dortigen Fibeln ermöglichte, Dr. Klaus Georg Kokkotidis und den Mitarbeitern in der Restaurierung und dem Magazin des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart, Rolf Schaubode im Alamannenmuseum Weingarten, Hartmut Kaiser M. A. vom Zentralen Fundarchiv des Archäologischen Landesmuseums in Rastatt, Dr. Jutta Klug-Treppe im Landesamt für Denkmalpflege Freiburg, Dr. Anja Pütz vom AschheiMuseum, Dr. Helena Pastor Borgoñón und Elke Dedden am Archäologischen Museum https://doi.org/10.1515/9783110754810-202

VIII

Vorwort

Colombischlössle Freiburg. Sehr hilfreich war der Austausch mit den Mitarbeitenden der Archäologischen Restaurierungswerkstätten des BLfD in München, allen voran Dr. Britt Nowak-Böck. Dr.-Ing. Josef Distl und Dr. Uwe W. Hamm vom Werkstofflabor der Zeiss AG Oberkochen informierten mich über mögliche Materialanalyseverfahren, die für Tests an Fibeln in Frage kommen könnten. Über ihr Interesse an meiner Arbeit und das Angebot, mir in ihrem Haus eine kleine Testreihe zu ermöglichen, habe ich mich sehr gefreut. Auch wenn ich am Ende nicht darauf eingehen konnte. Ohne die Unterkunftsmöglichkeiten bei Jochen und Iris wäre es sehr viel aufwendiger gewesen. Und nicht so nett! Dank gebührt auch meinen Betreuern Prof. Dr. Sebastian Brather (der meine Kritik an seinen Theorien mit bewundernswerter Gelassenheit hinnahm) und Prof. Dr. Thomas Zotz sowie Prof. Dr. Heiko Steuer, die jederzeit für Fragen zur Verfügung standen, und auch allen Studierenden und Mitarbeitenden (Bes. PD Dr. Barbara Sasse-Kunst und Michael Kinsky) des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Universität Freiburg, die mir mit Gesprächen oder Tipps geholfen haben. Nicht zu vernachlässigen ist die Unterstützung, die ich in meiner Familie – besonders durch meinen Mann Hubert Fehr und meine Eltern – und im Freundeskreis erfahren habe. Last, but not least möchte ich den Herausgebern des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde dafür danken, dass sie mir die Publikation in den Ergänzungsbänden ermöglichten.

Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 1.1 1.2

VII Prolog 1 Einleitung Definitionen

1 6

2 2.1 2.1.1 2.1.2

Bisherige Forschungen 8 Frühmittelalterliche Fibeln 8 Allgemeiner Abriss 8 Lage und Funktion der Bügelfibeln sowie Kleidungsrekonstruktionen 11 2.1.3 Personengebundenheit und „ethnische Tracht“ 14 2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung 16 2.2.1 Altersabhängigkeit frühmittelalterlicher Grabbeigaben 2.2.1.1 Das Gräberfeld bei Schretzheim 17 2.2.1.2 Paläodemographie der frühmittelalterlichen Alemannen 2.2.1.3 Kindergräber in der Alamannia 18 2.2.1.4 Altersdifferenzierte Analyse 22 2.2.1.5 Frauenkleidung im frühmittelalterlichen Gräberfeld von Weingarten 24 2.2.1.6 Das Gräberfeld Aschheim-Bajuwarenring 25 2.2.1.7 Grabausstattungen in Maastricht 26 2.2.1.8 Barbara Sasses Studien 29 2.2.1.9 Guy Halsalls Analysen 31 2.2.1.10 Sebastian Brathers Untersuchungen 35 2.2.2 Altersabhängigkeit des Fibelgebrauchs 43 2.2.2.1 Das Gräberfeld von Hemmingen 44 2.2.2.2 Bügelfibeln von Altenerding 45 2.2.2.3 „Fibeltracht“ der Merowingerzeit 48 2.2.2.4 „Vierfibeltracht“ der älteren Merowingerzeit 49 2.2.2.5 Die Bügelfibel aus Altenerding Grab 512 53 2.2.3 Abnutzungsspuren an Fibeln 53 2.2.3.1 Michael Gebührs Studien 54 2.2.3.2 Jasper von Richthofens Untersuchung 58 2.3 Zusammenfassung 69 3 3.1 3.2 3.2.1

Abnutzungsfaktoren 71 Relevanz 71 Restaurierung 72 Entwicklung 73

16 18

X

3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.2.1 3.6.2.2 3.6.2.3 3.6.2.4 3.6.2.5 3.6.3 3.6.4 3.6.4.1 3.6.5 3.7 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.9 3.10

Inhaltsverzeichnis

Restaurierungswerkstätten und Restauratorenausbildung 80 Trageweise und Lage der Fibeln am Körper 81 Von der Lage der Fibeln zur Kleidungsrekonstruktion 81 Trageweise der Fibeln als Grundlage für Kleidungsrekonstruktionen 81 Kleidungsrekonstruktionen anhand textilarchäologischer Ergebnisse 84 Schutzüberzüge und Futterale 87 Schutzüberzüge 87 Futterale 89 Tragefrequenz 91 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit 92 Silber und Silberlegierungen 92 Untersuchungsmethoden zur Materialzusammensetzung 93 Invasive Methoden 93 Nichtinvasive Methoden 93 Oberflächenanreicherung 94 Fazit 95 Laserablation – eine Alternative? 95 Metallanalysen am Landesmuseum Württemberg 96 Das Gefüge – ein weiterer Faktor 99 Härtemessung nach Vickers 99 Resümee zum Abrieb 100 Abrieb wie bei Münzen? 101 Gewicht der Bügelfibeln 102 Gewicht je nach Lage am Körper? 102 Fibelgewicht und Solidusgewicht 108 Gewicht und Abnutzungsgrad 112 Form und Größe der Fibeln 114 Zusammenfassung 116

4 Empirische Studie 119 4.1 Methodik 119 4.1.1 Einteilung der Abnutzungsgrade 119 4.1.2 Abnutzungsgrade und Untersuchungsareale an den Fibeln 121 4.1.3 Alter und Geschlecht 127 4.1.3.1 Archäologische und anthropologische Geschlechtsbestimmung 127 4.1.3.2 Anthropologische Altersklassen 128 4.1.3.3 Kinderdefizit im Frühmittelalter? 129 4.1.4 Untersuchte Gräberfelder 134 4.1.5 Doppelstudie Altenerding 136

Inhaltsverzeichnis

4.1.6 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.2.1 4.2.1.2.2 4.2.1.3 4.2.1.3.1 4.2.1.3.2 4.2.1.4 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.2.4 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.5 4.5.1

Alle merowingerzeitlichen Fibeln statt allein Bügelfibeln Auswertung 140 Statistik 140 Grundlagen und Messwerte 141 Datenreihen mit einer Variablen 142 Stem-and-leaf plot (Stamm-Blatt-Diagramm) 142 Boxplot (Kastengrafik) 148 Datenreihen mit zwei Variablen 152 Scatterplot (Streuungsdiagramm) 152 Verhältnis zweier Variablen 152 Resultate 156 Fibeln und Altersklassen 157 Anzahl fibelführender Gräber und Altersklassen 157 Absolute Häufigkeiten und ihre Aussagekraft 158 Prozentanteile fibelführender Gräber und Altersklassen Abnutzungsgrade und Altersklassen 161 Entwicklung des durchschnittlichen Abnutzungsgrades Abnutzungsgrade in den Altersklassen 163 Anzahl der Fibeln je Individuum 165 Fibelgrößen bei Kindern und Erwachsenen 167 Detailuntersuchungen 169 Bügelfibeln 169 Vorkommen in den Altersklassen 169 Abnutzungsgrade und Altersklassen 171 Vierfibelkombination 172 Vorkommen in den Altersklassen 172 Drei oder vier Fibeln? 173 Abnutzungsgrade und Altersklassen 175 Unterschiedliche Abnutzung bei Bügel- und Kleinfibeln? Subadulte Individuen 178 Vorkommen in den Altersklassen 179 Abnutzungsgrade und Altersklassen 179 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln 181 Entstehung 181 Vogelfibeln 182 Scheibenfibeln 183 Nadelkonstruktion 189 Fibelrückseite und -vorderseite 192 Fibelareale 194 Bügelfibeln und Trageposition 196 Altersabhängigkeit im Vergleich 196 Alemannien 196

139

159 161

176

XI

XII

4.5.2 4.5.2.1 4.5.2.2 4.6

Inhaltsverzeichnis

Altenerding 198 Differierende Angaben bei W. Sage und M. Martin Vergleich 202 Zusammenfassung 204

198

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs 208 5.1 Erwerb zu Lebzeiten und Deponierung im Grab 208 5.2 Persönlicher Bezug zur Toten 209 5.2.1 Modell 1 – Ein Fibelsatz im Leben 209 5.2.1.1 Varianten des Erwerbungszeitpunkts 212 5.2.1.2 Vergleich mit den empirischen Daten 216 5.2.2 Modell 2 – Mehrere Fibelsätze im Leben nacheinander 216 5.2.2.1 Varianten der Erwerbungszeitpunkte 217 5.2.2.2 Vergleich mit den empirischen Daten 225 5.2.3 Modell 3 – Mehrere Fibelsätze im Leben gleichzeitig 227 5.2.3.1 Varianten der Erwerbungszeitpunkte 229 5.2.3.2 Vergleich mit den empirischen Daten 230 5.3 Fibeln ohne persönlichen Bezug zur Toten 231 5.3.1 Varianten der Auswahl 231 5.3.2 Vergleich mit den empirischen Daten 233 5.4 Zusammenfassung 234 6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.4

Ergebnisse und Zusammenfassung 237 Bisherige Forschungen 237 Abnutzungsfaktoren 241 Restaurierung 241 Trageweise und Lage der Fibeln 243 Textilarchäologie 243 Tragefrequenz 244 Metallurgische Untersuchungen 244 Vergleich zum Münzabrieb 245 Gewicht der Bügelfibeln 245 Form und Größe 246 Empirische Studie 246 Methodik 246 Auswertung 248 Detailuntersuchungen 249 Beobachtungen zu den Abnutzungsfaktoren Vergleich 253 Erwerbsmodalitäten 254

7

Ausblick

258

251

Inhaltsverzeichnis

Literatur

261

Anhang 278 1 Aufgenommene Gräberfelder 278 2 Steckbriefe der Gräberfelder 280 3 Liste der besuchten Museen und Sammlungen Abbildungsverzeichnis und Link zur Datenbank Tafelteil

295

293 294

XIII

1 Prolog 1.1 Einleitung Am Beginn der Beschäftigung mit dem Thema „Fibelausstattung und Lebensalter in der Merowingerzeit“ standen zwei Aussagen aus neueren Fachpublikationen, die sich in ihrem Inhalt diametral gegenüberstehen. Die eine, veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung „Edel und frei – Franken im Mittelalter“ aus dem Jahr 2004, stammt von Barbara Wührer. In Bezug auf die Bügelfibeln der Merowingerzeit schrieb sie: „Dieses Fibelpaar erhielten junge Frauen als Zeichen ihres Eintritts in die Welt der Erwachsenen. Es wurde ein Leben lang getragen und folgte der Besitzerin ins Grab.“1 Allgemein ausgedrückt vertritt Wührer somit ein Modell, das als Personengebundenheit der Bügelfibeln bezeichnet werden kann. Im Jahr darauf publizierte Helga Schach-Dörges einen Aufsatz „Zur Vierfibeltracht der älteren Merowingerzeit“. Für sie stellt sich der Sachverhalt völlig anders dar: „Festzuhalten ist, dass die These, Bügelfibelpaare seien zur Merowingerzeit erst an junge Frauen juvenilen Alters im zweiten Lebensjahrzehnt vergeben worden, nicht aufrecht zu erhalten ist. Auch sind die Bügelfibelpaare nicht regelmäßig bis ans Lebensende getragen worden.“2 Der hier sichtbar werdende Widerspruch bildete den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit. Im Zentrum steht die in der Frühgeschichtsforschung weit verbreitete These, dass Bügelfibeln – sowie in Anlehnung daran auch weitere Elemente der weiblichen Kleidung – üblicherweise im juvenilen Alter erworben und ein Leben lang getragen wurden. Diese Arbeit will der genannten These anhand der Fibeln auf den Grund gehen und klären, welche der beiden eingangs zitierten Aussagen plausibler ist. Die Thematik hat für die Frühgeschichtsforschung erhebliche Bedeutung. Die These, dass Fibelausstattungen nur einmal im Leben erworben und in der Regel ihrer Besitzerin ins Grab folgten, ist die Grundlage für zahlreiche weitere, bis heute verbreitete Modelle. Sie bildet etwa die Basis dafür, dass anhand der Verbreitung von Fibelformen auf die Migration einzelner Frauen oder gar ganzer Personengruppen geschlossen wird. Für sozialgeschichtliche Interpretationen von Grabfunden sind diese Denkmodelle gleichermaßen grundlegend, da hier vorausgesetzt wird, dass Grabausstattungen eine direkte Beziehung zur bestatteten Person widerspiegeln – und damit unmittelbar den gesellschaftlichen Rang der Frauen, ihre soziale Rolle und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Fragen der archäologischen Chronologie werden davon gleichermaßen berührt, da aus der These folgt, dass ein klares Verhältnis zwischen der anlassgebundenen Herstellung der Fibeln, ihrer Gebrauchsdauer und dem Zeitpunkt

1 Wührer 2004, 120. 2 Schach-Dörges 2005, 357. https://doi.org/10.1515/9783110754810-001

2

1 Prolog

ihrer Niederlegung im Boden während des Begräbnisses vorauszusetzen ist. Darüber hinaus besitzt die Thematik eine rechtsgeschichtliche Dimension, da sie Aufschlüsse zu Fragen von persönlichem Besitz einzelner Frauen, aber auch den Mechanismen der Vererbung von Wertgegenständen erlaubt. Wie das oben angeführte Zitat von Helga Schach-Dörges belegt, ist die These der Personengebundenheit in der Forschung grundsätzlich umstritten. Ihre Skepsis wird von vielen Kolleginnen und Kollegen geteilt. Allerdings fehlt bislang eine Studie, die die These der Personengebundenheit von Fibeln systematisch prüft und einer breit angelegten Kritik unterzieht – dies ist das Ziel der hier vorliegenden Arbeit. Sie setzt sich einerseits eingehend mit jenen Beiträgen auseinander, die in der Forschung als Belege für oder gegen die genannte These angeführt werden. Andererseits stellt sie eine ausführliche empirische Untersuchung vor, die diese These anhand einer umfangreichen Stichprobe überprüft und zudem den Einfluss jener Faktoren ermittelt, die auf die Abnutzung einwirken. Einleitend zieht die Arbeit ein Resümee des Forschungsstandes zu den merowingerzeitlichen Fibeln und den damit verbundenen Thesen, wie der Personengebundenheit und der mit einer sozialen Rolle verknüpften Altersgebundenheit des Fibeltragens. Da es hier von Bedeutung ist, die Argumentationslinien der einzelnen Autoren3 nachzuvollziehen, erfolgte die Untergliederung nicht ausschließlich thematisch, sondern auch nach den Autoren. Neben einem allgemeinen chronologischen und thematischen Abriss bilden dabei die Themenfelder „Altersabhängigkeit von Beigaben“, „Altersabhängigkeit von Fibeln“ und „Untersuchungen zur Abnutzung an Fibeln“ die Schwerpunkte. Viele der in der Diskussion um eine Altersabhängigkeit oder Personengebundenheit geführten Argumente beziehen sich nicht allein auf Fibeln, sondern auf die gesamte Beigabenausstattung. Da die Fibeln aber ein herausragender Teil der Grabbeigaben sind, sind diese allgemeingültig geäußerten Überlegungen auch für eine Behandlung der Fibeln von Bedeutung. Publikationen, die die Frage einer Altersabhängigkeit der Fibeln nur streifen, finden sich in diesem Teil der Arbeit – hier sind beispielsweise Ernst-Günter Strauß’ „Studien zur Fibeltracht der Merowingerzeit“4 zu nennen. Darüber hinaus haben sich einige Autoren ausschließlich mit einer möglichen Altersabhängigkeit der Fibeln, meist speziell der Bügelfibeln, beschäftigt. Um den in diesem Zusammenhang jeweils spezifischen Argumentationslinien gerecht zu werden, diese aber auch zu bündeln, wurden sie in einem separaten Kapitel behandelt. Der für die Forschung bedeutendste Beitrag zur Korrelation von Fibelabnutzung und Alter sowie der Personengebundenheit während der Merowingerzeit stammt von

3 Die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen wie Autor, Forscher, Archäologe, etc. gelten generell für alle Geschlechter. Für eine bessere Übersichtlichkeit und Lesbarkeit habe ich davon Abstand genommen, mit der neutralen Endung –x/–y, einem Binnen-I oder einer Auflistung zu arbeiten. 4 Strauß 1992.

1.1 Einleitung

3

Max Martin und hat die Bügelfibeln des Gräberfeldes von Altenerding zum Gegenstand.5 Wichtig ist ferner der eingangs erwähnte Aufsatz von Helga Schach-Dörges zur Vierfibelkombination. Beschränkt man sich nicht nur auf die Merowingerzeit bietet die Forschung einige Beiträge, die sich mit der Analyse der Abnutzungsspuren an Fibeln beschäftigten. Es handelt sich dabei primär um die Arbeiten von Jasper von Richthofen, der sich mit Gebrauchsspuren kaiserzeitlicher Fibeln aus Norddeutschland befasste.6 Richthofens Ergebnisse werden häufig auch für die Merowingerzeit als Beleg einer Korrelation von Abnutzungsgrad und Sterbealter herangezogen. Aufgrund ihres exemplarischen Charakters und der Übertragung der Ergebnisse auf die Merowingerzeit wird seine Studie trotz der abweichenden Zeitstellung ausführlich behandelt. Zudem diente sein Aufnahmeschema als Anregung für das hier angewandte Verfahren zur Einteilung und Beurteilung der Abnutzungsgrade. Von grundlegender Bedeutung für die hier behandelte Thematik ist ferner die Frage, welche Faktoren Abnutzungsspuren an Fibeln verursacht haben. Bei der Bearbeitung des Themas kristallisierte sich frühzeitig heraus, dass zur Beurteilung der Abnutzungsspuren zunächst zu klären ist, wie diese zustande kamen. Welche Faktoren beeinflussten die Entstehung der Gebrauchsspuren, wie genau wirkten sie sich aus und können sie erkannt werden? Dabei zeigte sich leider, dass der Einfluss dieser Faktoren nur selten genau bemessen und damit berücksichtigt werden kann, da der Großteil zu wenig erforscht ist; sicher ist dagegen, dass sie definitiv nicht zu vernachlässigen sind. Das Spektrum der nachweisbaren Abnutzungsfaktoren an den einzelnen Stücken spannt sich von Spuren der Restaurierung, über Anbringung und Trageweise der Fibeln an der Kleidung, Legierungszusammensetzungen und damit verbunden der Härte bzw. Abriebsbeständigkeit der Fibeln hin zu den konkreten Eigenschaften der Fibeln wie Größe, Gewicht und Form. Als dritten und zentralen Teil legt diese Arbeit eine empirische Studie zu den Abnutzungsgraden an merowingerzeitlichen Fibeln vor. Anhand einer Stichprobe, die aufgrund der verhältnismäßig großen Zahl berücksichtigter Fibeln statistisch abgesicherte Erkenntnisse ermöglicht, überprüft diese Studie die Frage, ob sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten nachweisen lassen oder nicht. Denn die These der Personengebundenheit der Fibeln müsste sich in einer klaren Korrelation zwischen dem Sterbealter der Frauen in den Gräbern und dem Abnutzungsgrad der ihnen mitgegebenen Fibeln zeigen. Alle Frauen desselben Alters sollten demnach in etwa gleich stark abgenutzte Fibeln ins Grab bekommen haben. Auch die alternativ zur Personengebundenheit diskutierte Abhängigkeit der Fibelbeigabe von einer altersspezifischen sozialen Rolle lässt sich auf diesem Weg empirisch untermauern oder widerlegen. In die Studie wurden Fibeln aus publizierten merowingerzeitlichen Gräberfeldern Baden-Württembergs und Bayerns einbezogen. Zur Ermittlung von Sterbealter und

5 Martin 1987a. 6 Richthofen 1992; Richthofen 1994a; Richthofen 1994b; Richthofen 1998; Richthofen 2000.

4

1 Prolog

Geschlecht der Verstorbenen mussten die berücksichtigten Fibeln von Friedhöfen stammen, deren Skelettmaterial anthropologisch bearbeitet wurde, was zumeist nur dann der Fall ist, wenn eine Materialvorlage durch eine Publikation geplant war bzw. erfolgte. Nach einigen erläuternden Ausführungen zu Methodik und Herangehensweise beinhaltet die empirische Studie zunächst eine statistische Analyse des verwendeten Datenmaterials, um dessen Validität zu prüfen und die generelle Übertragbarkeit der Aussagen zu gewährleisten. Daran schließt sich die Untersuchung und Interpretation der Fibelverteilung in den anthropologisch definierten Altersklassen an. In diesem Zusammenhang wird erläutert, wie zentral es nicht nur für die hier behandelt Frage ist, dass bei der Analyse zwischen relativen und absoluten Häufigkeiten unterschieden wird. Es erwies sich, dass nur die relative Häufigkeit des Vorkommens von Fibeln in Bezug auf die Gesamtzahl von weiblichen Toten einer Altersklasse tragfähige Interpretationen ermöglicht. Bisherige archäologische Interpretationen, die sich lediglich auf die absoluten Häufigkeiten von Fibeln in den einzelnen Altersstufen gestützt haben, entbehren dagegen letzlich einer statistischen Grundlage. Auch für die folgenden Analysen zum Auftreten der Abnutzungsgrade in den Altersklassen, der Fibelanzahl und Fibelgröße je Altersklasse ist diese Unterscheidung relevant. Es zeigte sich, dass es für die Interpretation der empirischen Ergebnisse unumgänglich ist, die theoretischen Möglichkeiten des Fibelerwerbs systematisch zu durchdenken und zu berücksichtigen. Diese theoretisch erarbeiteten Verteilungsmuster wurden dann in einem weiteren Arbeitsschritt mit den Ergebnissen der Studienauswertung verglichen. Wie nicht anders zu erwarten, lässt sich zwar keines der zahlreichen theoretisch möglichen Modelle als einzig zutreffendes identifizieren; allerdings können sehr wohl einerseits bestimmte Möglichkeiten ausgeschlossen und andererseits allgemeine Tendenzen aufgezeigt werden. So stellte sich heraus, dass weder das Modell der Personengebundenheit zu verifizieren noch eine klare Altersabhängigkeit nachzuweisen ist. Stattdessen ist eher davon auszugehen, dass es sich um den persönlichen Besitz einer wie auch immer selektierten Minderheit der weiblichen Personen handelte, der nicht an ein bestimmtes Alter gebunden war. Die Auswertung ergänzen abschließend drei Detailstudien, die sich gezielter mit einer Auswahl aus dem Fibelspektrum der Studie beschäftigen. Es handelt sich zum Einen um die Bügelfibeln, deren gesonderte Betrachtung deshalb notwendig erschien, da ein Großteil der bisherigen Argumentation zum Thema ausschließlich anhand der Bügelfibeln erfolgte. Eventuelle Abweichungen und Besonderheiten in der Behandlung der Bügelfibeln im Vergleich zu den übrigen Fibelformen wären durch die Detailstudie erkennbar. Auch im Fall der Vierfibelkombination war eine solche detaillierte Analyse angebracht. Insbesondere möglicherweise vorhandene Unterschiede zwischen den Fibelgattungen und Differenzen in den Erwerbszeitpunkten von Bügelfibeln und Kleinfibeln lassen sich hier herausarbeiten. Die gesonderte Betrachtung der Verhältnisse bei subadulten Individuen schließlich ist der These vom Fibelerwerb im zweiten Lebensjahrzehnt geschuldet. Sollte dies zutreffen, müsste sich ein

1.1 Einleitung

5

deutlicher Anstieg ab einem bestimmten Alter nachweisen lassen, der mit einer feineren Unterteilung der Altersklassen sichtbar werden könnte. Die zu Beginn angedachte Fokussierung der Arbeit auf Aussagen zur ethnischen Interpretation archäologischer Funde und dem archäologischen Nachweis von Migration sowie chronologischen Fragen zerstreute sich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema, da andere Fragestellungen in den Vordergrund rückten. Trotz allem ergaben sich Argumente gegen eine ethnische Interpretation, auch wenn die behandelten Fragen einer viel grundlegenderen Debatte angehören. Wie bereits angedeutet, hat die Erkenntnis, dass nicht mit einer Personengebundenheit argumentiert werden kann, Auswirkungen auf die Chronologie. Dennoch konnten Ergebnisse zum Themenfeld der ethnischen Interpretation erbracht werden, wenn auch indirekter als ursprünglich geplant. Im Grunde zeigte sich auch bei dieser Arbeit, dass die ethnische Interpretation und die These der Personengebundenheit argumentativ auf tönernen Füßen stehen. Fibeln waren nicht so sehr an eine Frau und diese nicht so sehr in ihrer Formenwahl der Fibeln an ihre angebliche ethnische Identität gebunden, als dass es eine einfache „Wenn-dann-Lösung“ gäbe. Frauen erlangten offenkundig nicht nur einmal im Leben Fibeln. Bei der Auswahl der Fibeln entschieden sie nach modischen oder anderen Kriterien, nicht aber nach einer ihrer ethnischen Zugehörigkeit entsprechenden Vorgabe. Darüber hinaus gab es auch kein festgelegtes einheitliches Alter, zu dem Fibeln erworben werden konnten oder gar mussten. Frauen, die die Möglichkeit hatten, Fibeln zu erwerben bzw. zu erhalten, konnten dies über ihre komplette Lebensspanne von Geburt an tun, nicht nur im zweiten Lebensjahrzehnt. Einem Austausch der Fibeln stand ebenfalls nichts im Weg. Auch die anfangs ausschließlich als kritische Überprüfung der Personengebundenheits-These und einer engen Verknüpfung von Fibeln und Frauen geplante Ausrichtung verschob sich mit der intensiveren Beschäftigung hin zu einer ebenfalls kritischen Betrachtung der als Alternative formulierten These einer Altersabhängigkeit der Beigaben im Zusammenhang mit einer sozialen Rolle. Hinter der Idee einer Altersabhängigkeit steht die Überlegung, Fibeln und andere Objekte seien primär von Frauen adulten Alters getragen worden. Die besonders reiche Grabausstattung jener Altersgruppe spiegle eine besondere, gehobene Stellung der entsprechenden Frauen zu Lebzeiten wider. Diese hervorgehobene Stellung wird mit der sozialen Rolle als Ehefrau und Mutter begründet. Die umfangreichen Beigaben seien Symbol der Wertschätzung gewesen, die dieser sozialen Rolle in der frühmittelalterlichen Gesellschaft entgegengebracht wurde. Beide Thesen weisen Unstimmigkeiten in ihrer Argumentationskette auf, wodurch sie sich am Ende aus Sicht der Altersverteilung der Fibeln als nicht haltbar herausstellten. Weder eine Personengebundenheit noch eine Abhängigkeit von einem bestimmten Alter, sprich einer bestimmten sozialen Rolle, kann anhand der Fibeln nachgewiesen werden. Die Beschäftigung mit den theoretischen Möglichkeiten des Fibelerwerbs erbrachte jedoch in Verbindung mit den Ergebnissen der empirischen Studie, dass eine gewis-

6

1 Prolog

se Beziehung zwischen Frau und Fibeln bestanden haben muss, da sich sonst das dokumentierte Verteilungsmuster in der Abnutzung nicht zeigen würde. Fibeln waren demnach am wahrscheinlichsten persönlicher – aber nicht personengebundener – Besitz der Frauen und wurden ihnen (in den meisten Fällen?) ins Grab gelegt.

1.2 Definitionen Einige der für die vorliegende Arbeit zentralen Begriffe verwendet die archäologische Forschung bislang sehr uneinheitlich und definiert sie zudem nur in den seltensten Fällen genau. Um hier für Klarheit zu sorgen, werde ich im Folgenden kurz mein Verständnis der entsprechenden Begriffe und ihre Verwendung im Text erläutern. Familie Der Begriff Familie7 kann im engeren Sinn als Kernfamilie – Vater, Mutter, Kinder – verstanden werden und wird auch häufig in diesem Sinn in der archäologischen Literatur verwendet, ohne dies explizit anzumerken. Hierbei handelt es sich um einen im 18. und 19. Jahrhundert geprägten Begriff, der ausschließlich sehr eng miteinander verwandte Personen umfasst und eine Reduktion auf die biologische Reproduktionsgemeinschaft der bürgerlichen Familie beinhaltet.8 Alternativ hierzu steht der römische Familienbegriff (familia), der vielmehr einen sozialen und rechtlichen Verband bezeichnet und für eine Haus- und Hofgemeinschaft steht.9 Diese kann als Großfamilie mehrere Generationen einer biologischen Familie beinhalten, sich aber auch auf weitere Familienangehörige ausdehnen. Hier sind unverheiratete oder landlose bzw. nicht als Haupterbe eingesetzte Personen ebenso in Erwägung zu ziehen wie Familienmitglieder, die trotz eigener (Kern-)Familie auf dem gleichen Hofareal wohnen und dieses gemeinsam bewirtschaften. Auch nicht verwandte Bedienstete können Teil dieser Familie sein, wie die Leges mit ihrer Unterscheidung in Freie und Unfreie und der dort beschriebenen rechtlichen Stellung der Unfreien nahelegen. Ein Verständnis von Familie in Anlehnung an die familia entspricht wohl sehr viel mehr der frühmittelalterlichen Realität als das Bild einer biologisch definierten, eng gefassten Kernfamilie; auch wenn sicher über die genaue Zusammensetzung einer solchen (Groß-)Familie im Frühmittelalter diskutiert werden muss.

7 Herrmann 1997. 8 Herrmann 1997, 309. 9 Herrmann 1997, bes. 307f.; Brather 2015, bes. 60.

1.2 Definitionen

7

Persönlicher Besitz Persönlicher Besitz bedeutet, dass eine Person zu ihren Lebzeiten Besitzerin der betreffenden Objekte war und Verfügungsgewalt über sie hatte. Dies setzt aber nicht zwingend ein lebenslanges Eigentum oder gar die Mitgabe der Objekte ins Grab voraus. Ob die Besitzerin auch juristische Eigentümerin war, ist jeweils zu klären und kann nicht generell vorausgesetzt werden. Im Laufe des Lebens können die Objekte durch neuere Exemplare ausgetauscht oder ohne Ersatz aus dem Besitz der Person entfernt werden. Es besteht die Möglichkeit von Vor- und Nachbesitzern, auch weil das Eigentumsrecht möglicherweise bei anderen Personen lag. Die Wahrscheinlichkeit für einen einheitlichen, vorgeschriebenen Erwerbszeitpunkt für diese Objekte ist eher gering. Personengebundenheit Der Begriff Personengebundenheit bezeichnet die These, Objekte seien so eng mit einer Person verknüpft, dass sie ein Leben lang getragen werden und beim Tod der Eigentümerin zwingend mit ins Grab gelangen. Auch die Annahme eines vorgeschriebenen, einheitlichen Erwerbungszeitpunktes gehört mit zur These der Personengebundenheit. Vor- und Nachbesitzer sind in der Regel ausgeschlossen. Kars’ inalienable personal possessions umschreiben das Phänomen sehr schön.10 Altersabhängigkeit Im Gegensatz zu personengebundenen Objekten dürfen altersabhängige Objekte nur in einem klar umgrenzten Lebensabschnitt von einer Person erworben und benutzt werden. Nach Überschreiten der Altersgrenze müssen die Objekte ab- oder weitergegeben werden. Die Besitzerin hat durch ihr Alter den Anspruch daran verloren. Analog dazu dürfen zu junge Personen entsprechende Objekte noch nicht besitzen. Für den Begriff der Altersabhängigkeit müsste diskutiert werden, ob nicht eine genauere Differenzierung bzw. Abstufung sinnvoll wäre. Beispielsweise danach, ob Objekte Symbol für bestimmte Positionen und soziale Stellungen sind, die wiederum eventuell mit einem bestimmten Lebensalter(-sabschnitt) verknüpft sind. Damit ist weniger das Objekt entscheidend, sondern vielmehr die soziale Position, die es darstellt. Davon zu unterscheiden sind Objekte, die zwar mit einem bestimmten Lebensalter verknüpft sind und bei denen die Berechtigung, sie zu tragen mit einem vorgegebenen Altersabschnitt einhergeht. Sie liefern aber nur einen Hinweis darauf, dass die Person sich im entsprechenden Lebensaltersabschnitt befindet, und deshalb diese Objekte besitzt. Weitergehende Informationen oder gar die Erschließung sozialer Rollen wären in diesem Fall nicht gegeben, da die Objekte nicht Symbol einer sozialen Position sind.

10 Kars 2011, bes. 19, 23, 28f., 42f.; Kars 2013, bes. 95.

2 Bisherige Forschungen 2.1 Frühmittelalterliche Fibeln 2.1.1 Allgemeiner Abriss Fibeln gehören zu den umfangreichsten und auffälligsten Fundkategorien des Frühmittelalters. Sie sind in ganz Europa – vom Ural bis an die Atlantikküste – in großer Vielfalt zu finden. Diese weiträumige Verbreitung macht sie unter anderem zu einer der wichtigsten Leitformen für die archäologische Chronologie.11 Entsprechend wurden sie schon in den ersten Publikationen zu frühmittelalterlichen Gräberfeldern besonders beachtet. Da speziell die Bügelfibeln meist aus Edelmetallen gefertigt sind, schenkte man vor allem ihnen seit den Anfängen der Frühmittelalterforschung besondere Aufmerksamkeit. Auch ohne Restaurierung besitzen sie ästhetischen und materiellen Wert und lassen ihr ursprüngliches Aussehen leicht erkennen. Den Beginn der wissenschaftlichen Frühmittelalterarchäologie bildete die Zeit um 1840, als die überregionale Verbreitung vieler Fibeltypen des frühen Mittelalters erkannt wurde und sich gleichzeitig das Wissen um ihre frühmittelalterliche Zeitstellung durchsetzte.12 In den folgenden Jahrzehnten erschienen vor allem in Großbritannien, Frankreich und Belgien Publikationen zu Funden des frühen Mittelalters,13 doch wurden sie aus politischen Gründen von der späteren – vor allem deutsch geprägten – Forschung wenig beachtet.14 Ludwig Lindenschmits „Handbuch der deutschen Alterthumskunde“ von 1880–1889 war ein erster Höhepunkt der Frühmittelalterforschung in Deutschland, in dem ein längerer Absatz den Fibeln gewidmet war.15 Die erste archäologische Arbeit, die sich allein den Fibeln widmete, stellte der 1883 erschienene „Bidrag till spännets historia“ des schwedischen Gelehrten Hans Hildebrand dar, der aber wie die französischen Arbeiten von der späteren Forschung kaum beachtet wurde.16 Prägend für die weitere Forschung – nicht nur in Bezug auf das Frühmittelalter – war die Formulierung der sogenannten typologischen Methode durch Oscar Montelius im Jahr 1903.17

11 12 13 14 15 16 17

Kühn 1965, x. Lindenschmit/Lindenschmit 1848; Leitz 2002. Moreau 1886; Barrière-Flavy 1892; Barrière-Flavy 1901; Boulanger 1909. Fehr 2010, 183 ff. Lindenschmit 1880–1889, 421–456. Hildebrand 1883. Montelius 1903.  

https://doi.org/10.1515/9783110754810-002

2.1 Frühmittelalterliche Fibeln

9

Einen entscheidenden Beitrag zur Fibelforschung lieferte auch die 1904 erschienene Arbeit von Bernhard Salin über die frühmittelalterliche „Thierornamentik“.18 Das darin entwickelte Chronologieschema beruhte zum großen Teil auf der Definition verschiedener Tierstile. Diese finden sich besonders häufig auf Fibeln und ermöglichten so ihre relativchronologische Einordnung. Mit seinen richtungsweisenden Untersuchungen schuf Salin den „Ausgangs- und Anfangspunkt der gesamten folgenden Forschung“.19 In den 1920er Jahren legte Nils Åberg eine Reihe grundlegender Monographien vor20, in denen er das Fundmaterial verschiedener Regionen Europas behandelte. Dabei spielte die typologische Gliederung der Fibeln die entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu Salin, bei dem die Ornamentik im Vordergrund stand, unterschied Åberg Fibelgruppen anhand ihrer Form und Herstellungstechnik, wie sich etwa an den von ihm eingeführten Bezeichnungen „Fibeln mit gleichbreitem Fuß“ oder „gotische Silberblechfibeln“ zeigt.21 Im Vordergrund stand bei ihm allerdings ebenfalls die Frage nach der Verbreitung der einzelnen Typen und deren Herkunft. Er ordnete viele Fibeltypen bestimmten ethnischen Gruppen zu, was sich unter anderem an den Titeln seiner Publikationen zeigt. Damit wurde er zu einem Wegbereiter der ethnischen Interpretation frühmittelalterlicher Funde, bei der in den folgenden Jahrzehnten die Fibeln häufig im Zentrum stehen sollten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgten weitere Publikationen, die sich intensiver mit frühmittelalterlichen Fibeln befassten oder einzelne Typen genauer untersuchten. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Autoren aus skandinavischen Ländern, die in der Tradition von Salin und Åberg standen.22 In Deutschland erschien 1912 eine Übersicht zum „Stand der Forschung über die Kultur der Merowingerzeit“ von Eduard Brenner, in der die Bearbeitung der Fibeln ein zentraler Bestandteil war.23 Im Laufe der 1930er Jahre wurde dann die dominierende Stellung der Skandinavier in der Frühmittelalterarchäologie von der deutschen Forschung abgelöst, wobei Salin und Åberg aber noch lange Zeit richtungsweisend für die gesamte europäische Fibelforschung blieben. Bereits Mitte der 1920er Jahre begann der Kölner Prähistoriker Herbert Kühn damit, alle Bügelfibeln Europas in einem Katalog zusammenzutragen. Zudem initiierte er während der 1930er Jahre weitere bedeutende Studien zu frühmittelalterlichen Fibeln. Zu nennen sind vor allem die Arbeiten seiner Schülerinnen Gertrud Thiry zur ty-

18 19 20 21 22 23

Salin 1904. Kühn 1965, 6. Åberg 1919; Åberg 1922; Åberg 1923; Åberg 1924; Åberg 1926. Åberg 1922, 41 ff., 72 ff. Beispielsweise Nissen-Meyer 1934; Nissen-Fett 1942; Bakka 1959. Brenner 1912.  



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2 Bisherige Forschungen

pologischen Gliederung der Vogelfibeln24 und Herta Rupps Untersuchung der Zelleneinlagen und Granatscheibenfibeln25. 1940 veröffentlichte Kühn schließlich den ersten Teil seines Katalogs, der die Bügelfibeln der Rheinprovinz behandelte.26 Dieser ersten Klassifikation von Fibeln einer Region folgten 1974 und 1981 weitere Bände zu den süddeutschen bzw. mitteldeutschen Bügelfibeln.27 Mit den Arbeiten von Herbert Kühn setzte eine Reihe von Publikationen ein, die sich mit den Fibeln einzelner Gebiete beschäftigte – meist in Verbindung mit einer der in den schriftlichen Quellen genannten Volksgruppen. Teilweise waren dabei die Fibeln alleiniger Gegenstand der Untersuchungen, oft wurden aber alle Fundgattungen einer Region behandelt. Als monographische Bearbeitungen von Fibelkomplexen sind vor allem der 1951 erschienene Band zu den langobardenzeitlichen Fibeln aus Italien von Joachim Werner und Siegfried Fuchs28 und die Veröffentlichung der Stücke der Sammlung Diergardt durch Werner 1961 zu nennen.29 Wichtige regionale Fundvorlagen unter besonderer Berücksichtigung der Fibeln waren die Bearbeitung der frühmittelalterlichen Funde des Trierer Landes durch Kurt Böhner30, die Arbeit von Dezsö Csallany über die Gepiden im Donaugebiet31 und die Publikation Werners zu den Langobarden in Pannonien.32 Auch aus stilgeschichtlicher Perspektive wurden weitere wichtige Untersuchungen vorgelegt, besonders von Günther Haseloff in seinem Beitrag zur Tierornamentik der Völkerwanderungszeit33 und Helmuth Roth in verschiedenen Abhandlungen zum Tierstil.34 Jüngere Monographien zu Fibeln stammen unter anderem von Ernst-Günter Strauß durch seine „Studien zur Fibeltracht“35 und Alexander Koch mit seiner Arbeit zu den Bügelfibeln des westlichen Frankenreiches36. Des Weiteren erschienen beispielsweise die Studie zu den Granatscheibenfibeln von Kathrin Vielitz37, eine Bearbeitung der gleicharmigen Bügelfibeln durch Stefan Thörle38 sowie ein Aufsatz von

24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Thiry 1939. Rupp 1937. Kühn 1965. Kühn 1974; Kühn 1981. Fuchs/Werner 1950. Werner 1961. Böhner 1958. Csallany 1961. Werner 1962. Haseloff 1981. Roth 1973; Roth 1978; Roth 1979. Strauß 1992. Koch 1998. Vielitz 2003; Auch: Vielitz 2000. Thörle 2001.

2.1 Frühmittelalterliche Fibeln

11

Susanne Brather-Walter zu den S-Fibeln39. Nicht publiziert ist dagegen die Dissertation von Ute Haimerl zu den Vogelfibeln.40 Holger Göldner brachte 1987 mit seinen Studien zu den rhein- und moselfränkischen Bügelfibeln41 und dem Untersuchungsschwerpunkt Werkstätten und Herstellung einen neuen Ansatz und alternative Interpretationen der Verbreitungsbilder in die Forschung ein. Ferner entstanden bis heute eine Vielzahl von Bearbeitungen einzelner Gräberfelder, bei denen die Fibeln zum Teil eine große Rolle spielten oder sogar ein Schwerpunkt bei der Aufarbeitung der (Bügel)-Fibeln lag. Hiervon seien nur einige Publikationen erwähnt, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind, wie das Werk von Hermann Friedrich Müller über Hemmingen42 oder die Bearbeitung von Schretzheim durch Ursula Koch43. Aktuellere Gräberfeldpublikationen mit Bedeutung für diese Arbeit sind unter anderen Barbara Sasses Vorlage des Gräberfeldes von Eichstetten44, die Analyse der Funde von Altenerding durch Hans Losert45 und die Monographie zu Aschheim durch Doris Gutsmiedl-Schümann46. Erweitert wird das Spektrum der Publikationen zu Fibeln allgemein oder Bügelfibeln im Speziellen schließlich durch einige Stichworteinträge in Lexika und Handbüchern sowie den textilarchäologischen Ergebnissen der letzen Jahre aus der Restaurierung. Erwähnenswert sind für die Lexika die Ausführungen von Max Martin, Heiko Steuer und Rosemarie Müller im Reallexikon der germanischen Altertumskunde47 sowie von Volker Bierbrauer im Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte48. Zur Textilarchäologie liegen eine Vielzahl kleinerer Aufsätze und Berichte vor, auf diese Thematik wird in Kapitel 3.3. sowie Kapitel 3.4. näher eingegangen.

2.1.2 Lage und Funktion der Bügelfibeln sowie Kleidungsrekonstruktionen Mit dem sich erweiternden und entwickelnden Forschungsstand veränderten sich auch die Interessen und Fragestellungen bei der Bearbeitung der Fibeln. Im 19. Jahrhundert prägte eine antiquarisch gehaltene Aufarbeitung des vorliegenden Fibelmaterials die Forschung. Einen Großteil der wissenschaftlichen Diskussi-

39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Brather-Walter 2009. Haimerl 1996; Auch: Haimerl 1998. Göldner 1987. Müller 1976. Koch 1977. Sasse 2001. Losert 2003. Gutsmiedl-Schümann 2010. Martin 1994; Müller/Steuer 1994. Bierbrauer/Westermann-Angershausen 2003.

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2 Bisherige Forschungen

on nahm auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Frage nach der genauen Lage der Bügelfibeln im Grabzusammenhang ein.49 So machte zwar schon Wilhelm Dorow 1826 Bemerkungen zur Lage der Fibeln.50 Die anfangs noch überwiegend theoretischen Überlegungen bekamen aber erst dann eine sichere Basis, als mit genaueren Grabungsmethoden und einer detaillierten Dokumentation die Lage der Fibeln im Grab eindeutig belegt werden konnte. So erwähnte beispielsweise Waldemar Haberey 1930 in seinem Bericht über die Grabung von Köln-Müngersdorf, dass durch vorsichtiges und aufmerksames Graben und Dokumentieren die Ausrichtung der Fibeln eindeutig belegt sei, nämlich mit der „Kopfplatte“ nach unten.51 Doch selbst 40 Jahre später war sich die Frühmittelalterforschung immer noch nicht einig, ob die Kopfplatte der Fibel nach oben oder unten zeigte. Herbert Kühn sprach sich noch 1974 gegen die Lage der Bügelfibeln mit dem „Kopf“ nach unten aus,52 obwohl zu diesem Zeitpunkt die Forschung überwiegend dafür plädierte und die Fibeln in Publikationen und Museen mit dem „Kopf“ nach unten präsentiert wurden. Neben ihrer typologischen und chronologischen Ordnung wurde auch die geographische Verbreitung der einzelnen Typen dokumentiert und erforscht. Hintergrund der in diesem Zusammenhang eingeführten Benennung der Fibeltypen nach den historisch belegten Stämmen und Volksgruppen war die Zunahme nationalstaatlichen Gedankenguts im 19. Jahrhundert.53 So spielte die ethnische Zuordnung und Ansprache der Fibeln in der Forschung von Anfang an eine Rolle – eine Tradition, die bis heute nachwirkt.54 Gerade in letzter Zeit hat sich aber durch die größere Fundmenge und neuere Kartierungen gezeigt, dass viele der Fibeltypen, die nach Ethnien benannt wurden, wie „ostgotische Bügelfibeln“ oder „thüringische Zangenfibeln“, keineswegs schwerpunktmäßig im Gebiet des zur Benennung herangezogenen Stammes verbreitet sind. Hierbei handelt es sich vielmehr um akademische Gliederungen, deren Kategorisierungen eher Absatzgebiete, Verfügbarkeit und Vertriebsarten der Fibeln zeigen als Rückschlüsse auf eine ethnische Zugehörigkeit der Bestatteten zulassen.55 Wie bereits angedeutet, diskutierte die Forschung etwa seit 1930 auch die verschiedenen Möglichkeiten der Trageweise von Bügelfibeln bzw. deren Funktion im Bestattungskontext, denn diese lagen im Grabzusammenhang oft so, dass man sich mit ihrer Interpretation als Bekleidungsbestandteil schwer tat. Zu Beginn schwankte man zwischen einer funktionslosen Deponierung im Grab und der Verwendung als

49 Dorow 1826; Fremersdorf 1955, 76f.; Lindenschmit 1848, 14ff.; Martínez Santa-Olalla 1933a; Martínez Santa-Olalla 1933b, 48; Zeiss 1934, 12. 50 Dorow 1826. 51 Haberey 1930. 52 Kühn 1974, 52 ff., 136. 53 Fehr 2010, 266 f., 271, 586; Brather 2002, 131; Albertoni 2005, 17. 54 Fehr 2010, 576. 55 Losert 2003, 190.  



2.1 Frühmittelalterliche Fibeln

13

Leichentuchverschluss.56 Doch allmählich erkannte man, dass es sich um Teile der Bekleidung gehandelt haben muss, die auch eine gewisse Schließfunktion erfüllten und deren Position am Körper sich im Laufe der Zeit wandelte. Allerdings gelang es nicht, dieses Problem vollständig zu klären. Die Frage, inwieweit die Bügelfibeln eine tatsächliche Funktion als Verschluss von Kleidungsstücken besaßen oder diese während der Merowingerzeit bereits weitgehend verloren gegangen war, stellt sich auch heute noch besonders bei den im Oberschenkelbereich gefundenen Stücken. In den letzen Jahren ging die Tendenz der Interpretation hin zu einem funktionslosen Bestandteil der Gürtelgehänge oder einer Schärpe.57 Neueste Ergebnisse aus der Restaurierung und Textilarchäologie stellen diese Überlegung jedoch wieder in Frage.58 Welchen Sinn hatten die Bügelfibeln, wenn sie nicht als Verschluss der Kleidung dienten? Dieses Problem sahen viele Autoren lange Zeit damit geklärt, dass Bügelfibeln einer ethnisch bestimmten „Tracht“ angehörten, also durch die Fibeln die Volkszugehörigkeit der Frauen verdeutlicht wurde. Die Funktion der Bügelfibeln lag nach dieser Ansicht in ihrer Eigenschaft als ethnischer Marker, der als einfaches und deutliches Erkennungszeichen die Stammeszugehörigkeit der Frauen signalisierte. Am deutlichsten artikulierte diese Ansicht Alexander Koch in seiner Monographie zu den westfränkischen Bügelfibeln: „Wie kein anderer Tracht- und zugleich Schmuckbestandteil der Merowingerzeit waren Bügelfibeln auf das engste mit ihren germanischen Trägerinnen verknüpft.“59 Und weiter: „Im dinglichen Bereich kann ethnische Identität praktisch nur durch Tracht nach außen artikuliert werden.“60 Auch wurde erwogen, dass sich die soziale Stellung der Frauen im Vorhandensein und der Ausführung der Bügelfibeln widerspiegle.61 Danach lag die Funktion der Fibeln in ihrer Illustration des sozialen Rangs. So ist in Rainer Christleins Modell der Qualitätsgruppen von 1973 der Fibelschmuck Kennzeichen für Gräber der gehobeneren Gruppe B, Goldscheibenfibeln zählen für ihn sogar zur hochstehenden Qualitätsgruppe C.62 Christleins Modell führt aber zu chronologisch statischen und festgelegten sozialen Gruppen, was der gängigen Annahme einer durchlässigen und in ihrer Hierarchie nicht gefestigten Gesellschaft widerspricht.63

56 57 58 59 60 61 62 63

Martin 1994, 542; Werner 1961, 5; Zeller 1974, 383. Martin 1991; Martin 1994, 545, 549, 551. Mehr hierzu in Kap.3.3.2 und Kap. 3.4. Koch 1998, 515. Koch 1998, 535. Z. B.: Christlein 1973; Donié 1999. Christlein 1973, 155 f.; Zur Kritik am Qualitätsgruppenmodell: Steuer 1982, 315 ff. Steuer 1982, 315 ff.; Steuer 1979, 630.  





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2 Bisherige Forschungen

2.1.3 Personengebundenheit und „ethnische Tracht“ Bis Ende der 1970er Jahre wurde Personengebundenheit nur als eine von mehreren Erklärungsmöglichkeiten für die Verbreitung der Fibeln herangezogen. Alternative Verbreitungsmechanismen wie Wanderhandwerk und Handel wurden gleichrangig diskutiert, wie etwa der Aufsatz von Joachim Werner „Zur Verbreitung frühgeschichtlicher Metallarbeiten“ zeigt.64 Im Laufe der 1970er lässt sich ein Sinneswandel in der Forschung beobachten, der maßgeblich vom Seminar für Vor- und Frühgeschichte der Ludwig-Maximilians Universität München ausging.65 Fibeln wurden von nun an vor allem als personengebundene, nicht vererbbare Ausstattung interpretiert, exemplarisch wiederum verdeutlicht durch einen Aufsatz von Werner über „Stand und Aufgaben der frühmittelalterlichen Archäologie in der Langobardenfrage“.66 Hier zeigte sich ein gravierender Einschnitt mit einem neuen Axiom in der Frühmittelalterforschung. Zwar konnte kein Beleg vorgelegt beziehungsweise keine ethnographischen oder volkskundlichen Parallelen aufgezeigt werden, die eine ethnisch spezifische, personengebundene Interpretation der Fibeln wahrscheinlich gemacht hätten. Dennoch verfestigte sich diese Meinung im Laufe der Zeit, wie Aussagen von Volker Bierbrauer: „Da Trachtzubehör regelhaft sicher nicht als Handelsgut interpretiert werden kann...“67 und A. Koch zeigen: „Wenn sich eine fränkische Germanin Bügelfibeln leisten konnte, so trug sie fränkische Fibeln! Keine Fränkin wird ostgotische, thüringische oder langobardische Bügelfibeln getragen haben, sofern sie nicht durch besondere Umstände dazu gezwungen wurde.“68 Selbst die früh erkannten Widersprüche bei der ethnischen Interpretation der Fibeln konnten eine weite Verbreitung der Theorie in Deutschland nicht verhindern. So entscheidet für Bierbrauer je nach Kontext die Trageweise oder der Fibeltyp über die ethnische Zuordnung eines Grabkomplexes.69 Im kroatischen Pula interpretierte Bierbrauer Frauen mit „romanischen“ Fibeln in „ostgermanischer Trachtlage“ aufgrund der Trageweise als Germaninnen.70 Frauen des Altenerdinger Gräberfeldes mit „ostgotischen“ Fibeln in „fränkisch-alamannischer Trachtlage“ sprach er dagegen nicht als Fränkinnen oder Alamanninnen an, sondern hier galt der Fibeltyp als aussagekräftiger als die Lage, womit die Frauen zu Ostgotinnen erklärt wurden.71 Erstaunlicherweise waren die gleichen Bestattungen einige Jahre früher für Bierbrauer trotz

64 65 66 67 68 69 70 71

Werner 1970. Fehr 2010, 532 ff. Werner 1978. Bierbrauer 1985, 21. Koch 1998, 537. Von Rummel 2004, 199. Bierbrauer 1987, 164. Bierbrauer 1985, 7–25.  

2.1 Frühmittelalterliche Fibeln

15

„ostgotischer“ Fibeln keine Ostgotinnen, mit der Begründung, dass die Fibeln ja im Beckenbereich lägen.72 Die konsequente logische Fortsetzung der Annahme einer persönlichen, nicht vererbbaren Ausstattung ist die von verschiedenen Archäologen vertretene These einer so eng an eine Person gebundenen Fibelausstattung, dass sie nur einmal im Leben erworben und bis ans Lebensende getragen wurde. Darauf aufbauend wurde ein bestimmter Erwerbungszeitpunkt angenommen, der in Verbindung mit einem wichtigen Ereignis im Leben einer Frau steht; meist wurde hierfür das Erwachsenwerden oder die Hochzeit in Erwägung gezogen.73 Bereits in den 1970er Jahren war dieses Modell weit verbreitet. Dies zeigt die 1976 von Hermann Friedrich Müller veröffentlichte kritische Äußerung, man müsse auf die Vorstellung verzichten, „eine Frau habe in einem bestimmten Lebensalter ein Fibelpaar erhalten, dasselbe bis ins Alter getragen und mit ins Grab bekommen“.74 Vor diesem Hintergrund ist die empirische Fallstudie Max Martins aus dem Jahr 1987 anhand des Gräberfeldes von Altenerding75 kein Zufall, sondern eine schlüssige Fortsetzung. Als Konsequenz einer bereits eingeschlagenen Interpretationsrichtung sollte sie den Beleg für eine implizit schon vielfach vorhandene These erbringen. Trotz des auch nach Martins Aussage nicht eindeutigen Ergebnisses seiner Studie, setzte sich in der Folge in Teilen der Frühmittelalterarchäologie die Überzeugung durch, Martin hätte den Beleg erbracht, dass Fibeln Bestandteil personengebundener „Trachten“ seien, die zu einem einheitlichen Zeitpunkt im Leben erworben und ein Leben lang getragen wurden.76 Daran konnte auch die in den letzen Jahren stärker werdende Kritik bislang wenig ändern.77 Obwohl Martin weitere Untersuchungen forderte, blieb seine Studie lange Zeit die Einzige dieser Art, weshalb ihr eine entsprechend große Bedeutung für die hier behandelte Problematik zukommt.78 Erst 2005 erfolgte durch Helga Schach-Dörges eine kritische Bearbeitung der Altersabhängigkeit der Vierfibelkleidung.79

72 Bierbrauer 1971, 148. 73 Bader/Windler 1998, 115; Fischer 1993, 38; Grünewald 1988, 28; Halsall 1995a, 69; Halsall 2010d, 305, 309; Koch 1997, 35; Martin 1987a, 278ff.; Martin 1994, 574; Rast-Eicher/Burzler 2002, 373; Sasse 1986, 83; Sasse 2001, 50, 115; Sasse 2007, 58; Stauch 2008, 287f.; Strauß 1992, 24; Theune-Vogt/Cordes 2009, 49, 63, 70; Vallet 1996a, 712ff.; Vielitz 2003, 111; Walter 2004, 41, 46; Werner 1961, 8. 74 Müller 1976, 108 ff. 75 Martin 1987a. 76 Z. B.: Graenert 2004, 161; Martin 1994, 574; Pleterski 2003, 539; Walter 2004, 41. 77 Brather 2004b, 39; Brather 2000, 156ff., 162ff.; Brather 2002, 130; Brather et al. 2009, 318, 377; Brather-Walter 2009, 78, 83; Effros 2006, 174, 183; Fehr 2010, 576, 585; Gutsmiedl-Schümann 2010, 104, 109f.; Kars 2011, 11, 23, 28, 43f., 60, 66, 76ff., 89ff., 115f., 119ff., 421, 424; Lohrke 2004, 134f.; Losert 2003, 189f.; Müller 1976, 108; Pohl 2004, 25, 28; Schach-Dörges 2005, 355, 357; Steuer 1977, 388; Strauß 1992, 24, 68, 70, 76, 79; Werner 1962, 63. 78 Martin 1987a. Auf sie wird ausführlich in Kap. 2.2.2.2. eingegangen. 79 Schach-Dörges 2005. Siehe dazu Kap. 2.2.2.4. mit einem detaillierteren Blick auf ihre Arbeit.  

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2 Bisherige Forschungen

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung 2.2.1 Altersabhängigkeit frühmittelalterlicher Grabbeigaben Vermehrt seit den 1990er Jahren vertraten verschiedene Autoren eine Abhängigkeit der Beigaben von einem bestimmten Altersabschnitt und einer damit verbundenen sozialen Rolle.80 Basierend auf den Ergebnissen von Gräberfeldanalysen und Auswertungen von Beigabenverteilungen in den einzelnen anthropologischen Altersklassen erkannten sie das Maximum an Umfang und Varianz bei adulten und teilweise auch maturen Frauen. Diesen erwachsenen, in der Blüte des Lebens stehenden Frauen sei aufgrund ihres Alters und der damit einhergehenden Fruchtbarkeit eine zentrale Rolle innerhalb ihrer Gesellschaft zugesprochen. Die Wertschätzung dieser Personen und ihrer Stellung als Ehefrau und Mutter zeige sich nach Ansicht der Autoren in ihren Grabbeigaben, die für diese Altersgruppe besonders reich und umfassend seien: Nur Frauen in diesem Altersabschnitt stand eine „vollständige Ausstattung“ zu. Mädchen vor der reproduktiven Phase hätten den mit der Rolle als Ehefrau und Mutter verknüpften sozialen Status noch nicht erreicht. Ihnen stünden die damit verbundenen, gleichsam als Zeichen fungierenden Objekte noch nicht zu. Alte Frauen jenseits der Menopause mussten – nach dieser Theorie – ihre soziale Rolle und die damit verbundene Ausstattung an die nächste Generation abgeben. Entsprechend seien im archäologischen Befund der Gräberfelder keine Mädchen oder alten Frauen mit einer kompletten Grabausstattung zu finden. Ausnahmen von dieser Regel wurden durch Sonderfälle und individuelle Familienschicksale erklärt. Ein Mädchen könne demnach die Rolle von ihrer Mutter übernehmen, wenn diese verfrüht verstarb. Ebenso könne eine Frau nach dem vorzeitigen Tod ihrer Tochter die Rolle länger ausüben. Im Folgenden möchte ich in chronologischer Reihung die wichtigsten Arbeiten zum Thema „Altersabhängigkeit von Beigaben“ vorstellen und besprechen. Davon ausgenommen sind die drei Autoren Barbara Sasse, Guy Halsall und Sebastian Brather, die abschließend behandelt werden, da sie sich mehrfach mit der Materie befassten und entsprechend jeweils mehrere Werke vorliegen. Da sich die Argumentation der Autoren in ihren einzelnen Arbeiten nur begrenzt unterscheidet, ist es sinnvoller, diese gemeinsam zu behandeln.

80 Achter 2009, 32, 165; Brather 2004b, 7, 13, 18, 21ff, 30f, 49, 54f., 57f.; Brather 2004a, 406ff., 502; Brather 2005, 162; Brather 2007, 197f.; Brather 2008a, 159; Brather 2008b, 251, 263ff., 270; Brather et al. 2009, 288, 290, 296, 308, 368ff., 376; Halsall 1995a, 34, 69; Halsall 1995b, 84f., 109, 162f.; Halsall 2010d, 299, 302f., 306f., 309ff.; Halsall 2010b, 207, 209f.; Halsall 1998, 154, 157; Halsall 2010c, 8, 254, 318f, 335, 343ff, 353, 398, 402; Kars 2011, 43, 66, 82, 114ff., 422ff.; Schach-Dörges 2005, 357; Theune-Vogt/Cordes 2009, 49, 63, 70. Kritisch hierzu stehen: Brather-Walter 2009, 78, 83; Clauß 1987, 530, 564; Donié 1999, 133, 137; Gutsmiedl-Schümann 2010, 104, 109f.; Sasse 1986, 83; Sasse 2007, 58; Strauß 1992, 24.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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2.2.1.1 Das Gräberfeld bei Schretzheim Bei Sabine Doniés Arbeit „Soziale Gliederung und Bevölkerungsentwicklung einer frühmittelalterlichen Siedlungsgemeinschaft“ handelt es sich um ihre 1999 publizierte Dissertation zum Gräberfeld von Schretzheim.81 Dabei verglich sie unter anderem die Ausstattungsgruppen der Kinder und der Erwachsenen und versuchte altersspezifische Unterschiede herauszuarbeiten.82 Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass Mädchen noch nicht alt genug seien, um Fibeln mit ins Grab zu bekommen. Fibeln seien ein Teil der „vollständigen Frauentracht“83, die teilweise auch schon von Jugendlichen getragen wurde84. Nicht nur Wohlstand und soziale Stellung habe die Grabausstattung bedingt, sondern auch das Alter der Verstorbenen.85 Zudem seien „ältere Frauen keinesfalls generell ärmlicher ausgestattet [worden] als solche in der fruchtbaren Lebensphase“86. Im Zusammenhang mit den älteren Frauen formulierte Donié eine interessante Idee: Demnach könne ein Befund von ärmer ausgestatteten Frauen auch so interpretiert werden, „daß die ärmeren Frauen eine höhere Lebenserwartung hatten“87. Ein möglicher Grund hierfür könne sein, dass diese Frauen nicht verheiratet waren und damit nicht dem Risiko von Schwangerschaft und Geburt ausgesetzt waren. Diese Überlegung lässt sich zwar am Befund nicht belegen, sie zeigt aber, dass es auch andere Ursachen für manche Phänomene geben kann, als man auf den ersten Blick erwarten würde und es nicht unbedingt die scheinbar offensichtlichste Erklärungsmöglichkeit sein muss. Wie auch Donié einschränkte,88 sind die Bedingungen für anthropologische Bestimmungen der Skelette in Schretzheim ungünstig. Über die Hälfte der ausgegrabenen Skelette wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, ein großer Teil konnte schon bei der Grabung nicht geborgen werden, da der Erhaltungszustand zu schlecht war. Daher konnte von den ursprünglich geborgenen Skeletten auch nur circa ein Drittel anthropologisch untersucht werden, so dass insgesamt sehr wenig sichere Geschlechts- und Altersbestimmungen vorliegen. Die dürftige Ausgangslage nötigte Donié dazu, teilweise eine Alterseinteilung anhand der Skelettlänge im Grab oder der Grabgrubengröße zu machen. Beides sind jedoch äußerst unsichere Methoden, die tendenziell mehr Erwachsene suggerieren, als tatsächlich vorhanden waren.

81 82 83 84 85 86 87 88

Donié 1999. Donié 1999, bes. 132–138. Donié 1999, 133. Donié 1999, 133. Donié 1999, 136. Donié 1999, 137. Donié 1999, 137. Donié 1999, 54.

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2 Bisherige Forschungen

Der durch diese Ausgangssituation bedingte geringe Anteil anthropologisch untersuchter Skelette schränke die Untersuchungsmöglichkeiten ein und mache prozentuale Wertangaben unmöglich, wie Donié feststellt. „Man kann lediglich konstatieren, ob Individuen eines bestimmten Alters in einer Ausstattungsgruppe begegnen, doch statistisch relevante Aussagen lassen sich nicht gewinnen.“89 Meines Erachtens ist es damit aber auch nicht möglich, sichere Aussagen über das Vorhandensein oder Fehlen von Fibeln in Mädchengräbern zu treffen. Die statistische Basis ermöglicht lediglich Vermutungen und bietet keine sichere Grundlage, um auszuschließen, dass Mädchen nicht doch Fibeln mit ins Grab bekamen.

2.2.1.2 Paläodemographie der frühmittelalterlichen Alemannen Klaus Georg Kokkotidis’ Arbeit90 stellte eine „demographische Analyse der Lebensbedingungen“91 dar. Ziel war, verschiedene Fragen in Bezug auf die Lebenserwartung der Bevölkerung im frühen Mittelalter zu behandeln. Sein Untersuchungsgebiet umfasst 23 Gräberfelder Süddeutschlands und der Schweiz.92 Im Zusammenhang mit der Problematik der Geschlechtsbestimmung bei Kindern stellt er das prozentuale Vorkommen von Perlen und Fibeln in den Altersklassen dar, die in Abschnitte zu je fünf Jahren unterteilt sind.93 Die Anteile der Individuen mit Fibeln der Stichprobe schwanken in allen Altersklassen um die 10-Prozent-Marke und liegen im Schnitt leicht darüber.94 Kokkotidis’ Diagramm zeigt damit deutlich, dass Fibeln kein Phänomen erwachsener Frauen sind.

2.2.1.3 Kindergräber in der Alamannia Brigitte Lohrke befasste sich 2004 in ihrer Arbeit zu Kindern in der Merowingerzeit95 besonders mit den verschiedenen Beigabenausstattungen, denn nach der bisherigen Forschung „scheinen Tendenzen zu einer Differenzierung nach dem Alter vorhanden zu sein“96. Dabei sei bei Mädchen häufig nur eine „Grundausstattung“ zu finden, zu der Perlen, Fibeln und Gürtelgehänge zählen.97

89 Donié 1999, 137. 90 Kokkotidis 1999. 91 Kokkotidis 1999, 1. 92 Kokkotidis 1999, 12, Abb. 4. 93 Kokkotidis 1999, 159, Abb. 65. Von Interesse ist hier besonders die linke Grafik, die das prozentuale Vorkommen der beiden Beigaben pro Altersklasse zeigt. Zur vollständigen Darstellung wäre es interessant gewesen, auch die absoluten Zahlen je Altersklasse zu erwähnen. 94 Das Minimum liegt im Altersabschnitt 65–69 Jahre (ca. 6 %), das Maximum im Abschnitt 30–34 Jahre (ca. 17 %). 95 Lohrke 2004. 96 Lohrke 2004, 40. 97 Lohrke 2004, 40; nach Christlein 1978.  



2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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Ergebnis ihrer auf 28 Gräberfeldern98 basierenden Untersuchung war, dass fast 45 % der Kinder mit Beigaben Schmuck ins Grab bekamen. Der Anteil ist in allen Altersklassen hoch, am höchsten jedoch bei Infans II. Die mit Abstand am häufigsten vertretene Schmuckgattung sind Perlen, gefolgt von Ohrringen und Fibeln.99 Fibeln seien in allen subadulten Altersklassen vorhanden, tendenziell aber am häufigsten bei Jugendlichen.100 Demnach steigen die Anteile der Kinder mit Fibeln von 4,5 % in der Altersklasse Infans I über 7,5 % bei Infans II auf 8,7 % in der Gruppe Juvenil an.101 Fibeln seien zwar von Erwachsenen häufiger getragen worden, es gebe aber kein deutliches Übergewicht, wie es bei anderen Schmuckgattungen der Fall sei. Lohrkes Ergebnissen in Tabelle 21 zufolge hatten 7 % der Erwachsenen Fibeln, bei den Kindern waren es hingegen nur 4,3 %.102 Weiterhin kam sie zum Ergebnis, dass Kindern und Jugendlichen häufig einzelne Fibeln ins Grab gelegt wurden, obwohl bei den zeitgleichen Erwachsenen mehrere Fibeln üblich waren. Dies sei jedoch nicht dahingehend zu werten, dass das Tragen von vier Fibeln als „Vorrecht der erwachsenen Frauen“ gewertet werden könne, wie dies beispielsweise Ernst-Günter Strauß vertrete.103 Die Betrachtung der verschiedenen Fibeltypen ließ Lohrke zu dem Schluss kommen, dass Bügelfibeln erst bei Jugendlichen ab 14 Jahren häufiger vorkommen, auch wenn sie bei jüngeren Kindern ebenfalls vertreten sind.104 Kleinfibeln hingegen seien besonders für die Altersstufe Infans I belegt.105 In Bezug auf Tabelle 21 von Lohrke106 stellt sich die Frage, warum hier die Gräberfelder Weingarten, Oberderdingen und Basel-Kleinhüningen außen vor gelassen wurden. Gravierender sind jedoch die unterschiedlichen Prozentwerte für Subadulte mit Fibeln in ihrer Tabelle 20 und 21. Aus den Angaben von Tabelle 20 lässt sich ein Durchschnittswert von 6,9 % Subadulten mit Fibeln errechnen. In Tabelle 21 wird jedoch der Wert 4,3 % angeführt. Nur in Anmerkung 527 (S. 92) findet sich ein Hinweis auf die Differenz: Tabelle 20 hat als Referenzgröße die Subadulten mit Beigaben, Tabelle 21 hingegen bezieht sich auf die Anzahl aller Erwachsenen bzw. Subadulten. Je 















98 Aus Bayern, Baden-Württemberg und der Nordschweiz. Lohrke 2004, 46, Abb. 8. 99 Lohrke 2004, 90. 100 Lohrke 2004, 91, Tab. 20. 101 Lohrke 2004, 91. Von 304 als weiblich bestimmten Subadulten haben 45 Mädchen Fibeln mit ins Grab bekommen. Diese verteilen sich auf vier Altersklassen (Infans I, Infans II, Juvenil und Kind) mit 11, 14, 15 und 5 Individuen, was 4,5 %, 7,5 %, 8,7 % und 10,0 % entspricht. 102 Lohrke 2004, 92, Tab. 21. 103 Lohrke 2004, 94; Strauß 1992, 79 (nach Lohrke). 104 Lohrke 2004, 96 und Tab. 23. Die geringen absoluten Zahlen lassen diesen Schluss meines Erachtens nicht zu. Die 9 Bestattungen mit Bügelfibeln verteilen sich in den Altersklassen Infans I, Infans II, Juvenil und Kind folgendermaßen: 2, 2, 4, 1. 105 Lohrke 2004, 96 und Tab. 23. Bei vier der sechs Gräber mit Kleinfibeln handelt es sich um Kinder der Stufe Infans I. 106 Lohrke 2004, 92, Tab. 21.  







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2 Bisherige Forschungen

doch stellen die 45 Subadulten mit Fibeln 4,6 % und nicht 4,3 % der 989 aufgenommenen Subadulten in Lohrkes Untersuchung dar. Unabhängig von diesem vermutlichen Rechenfehler erschließt sich nicht, warum die beiden zusammenhängenden Tabellen nicht mit den gleichen Referenzwerten arbeiten. Dadurch können sie nicht mehr ohne weiteres miteinander verglichen werden. Darüber hinaus ist es methodisch problematisch, dass in Tabelle 20 die Kinder mit Fibeln ins Verhältnis zu den Kindern mit Beigaben gesetzt werden, denn in dieser Gruppe befinden sich auch alle Jungen mit Beigaben. Will man aber ermitteln wie viele der Mädchen Fibeln mit ins Grab bekamen, sollten alle Mädchen der untersuchten Gräberfelder die Referenzgruppe bilden. Insgesamt sei mit zunehmendem Alter eine reichhaltigere Schmuckausstattung der Mädchen üblich gewesen.107 Interessanterweise seien aufwendigere Gegenstände, die sonst erst ab Juvenil häufiger sind, eher bei Infans I zu finden als bei Infans II. Lohrke erklärte diesen Befund mit Grabgeschenken oder Liebesgaben an die besonders früh verstorbenen Kinder.108 Im Unterschied zu Jungen wurden Mädchen schon sehr früh mit typisch weiblichen Beigaben ausgestattet. Diese wurden von Lohrke als Objekte mit Statuscharakter und erwachsenenspezifisch beschrieben.109 Grundsätzlich könne keine Sonderbehandlung der Subadulten festgestellt werden, die meisten Kinder und Jugendlichen wurden wie Erwachsene beerdigt.110 Konträr zur vorherrschenden Meinung lasse sich „die für die Mädchen genannte Grenze der Gebärfähigkeit (…) anhand der Beigabenausstattung nicht klar erkennen. Im Gegensatz zu den Jungen fand eine Anpassung an die weibliche Kleidung früher statt, und sie scheint nicht an die Pubertät gebunden gewesen zu sein. Der Übergang und die Angleichung an die bei erwachsenen Frauen übliche Kleidung fand eher allmählich und kontinuierlich statt.“111 Eine der Fragestellungen Lohrkes war, herauszufinden, ob Kinder über eigenen Besitz verfügten und ob sie mit diesem persönlichen Besitz bestattet wurden. „Ältere, schon länger benutzte Dinge lassen einen Vorbesitzer vermuten.“112 Dazu untersuchte sie das Auftreten und die Intensität von Abnutzungspuren an 55 Objekten aus 43 Gräbern.113 Ihre Einteilung erfolgte in fünf Stufen: leicht, mittel, stark, mit Reparaturen sowie Abnutzung vorhanden. Bei den untersuchten Objekten handelt es sich überwiegend um Schmuck, da er häufig aus Edelmetall gefertigt wurde und hier die Abnutzungsspuren besser zu erkennen sind als beispielsweise an eisernen Waffen. Für eine leichte Abnutzung nimmt sie nach Jasper von Richthofen eine Zeitspanne von 10 bis  

107 108 109 110 111 112 113

Lohrke 2004, 98, 171. Lohrke 2004, 130. Lohrke 2004, 133, 151, 172f. Lohrke 2004, 172f. Lohrke 2004, 173. Lohrke 2004, 133. Lohrke 2004, 134ff.



2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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40 Jahren an.114 Entsprechend könnten Jugendliche alt genug sein, „um die Abnutzung an Objekten selber zu produzieren“.115 Für Kinder der Stufe Infans I sei das jedoch unwahrscheinlich. Sie hätten die abgenutzten Objekte in ihren Gräbern nicht selbst gebraucht, sondern es sei ein Vorbesitzer zu erwarten.116 Sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen seien alte und neue Objekte in die Gräber gelangt.117 Nur bei den jüngsten Kindern ließe sich aber sicher nachweisen, dass es sich bei den alten Objekten um bereits vorher benutzte Dinge handle und die Kinder die Abnutzung nicht selbst verursacht hatten.118 Da die meisten Abnutzungsspuren an Objekten aus Bestattungen von Jugendlichen stammen, nimmt Lohrke an, dass diese von den Jugendlichen selbst getragen und abgenutzt wurden.119 Lohrkes Ergebnisse in Bezug auf die Frage nach den Besitzverhältnissen der Beigaben in Kindergräbern sind grundsätzlich sehr interessant und bieten einige Erkenntnisse, die die Forschung bereichern. Doch sprechen primär zwei Gründe dagegen, ihre Ergebnisse uneingeschränkt zu akzeptieren. Auf die Problematik der von Richthofen angegebenen Abnutzungsspannen werde ich weiter unten eingehen.120 Inwiefern man diese Angaben übernehmen kann, steht zur Debatte und es muss durch künftige Forschungen geklärt werden, ob sie als Basis für Argumentationen herangezogen werden können. Fraglich ist auch, wie weit eine Vergleichbarkeit der Beurteilungen der Abnutzungsintensität durch die verschiedenen Autoren gegeben ist, die Lohrke für ihre Untersuchung übernommen hat. Zudem basieren Lohrkes Überlegungen zum Auftreten von Abnutzungsspuren auf einer kleinen Datenbasis. Von den 55 einbezogenen Objekten ist für 24 nur die Angabe vorhanden, dass sie Abnutzungspuren aufweisen.121 Wie stark diese sind, wird in den Publikationen nicht erwähnt. Die restlichen 31 Objekte verteilen sich auf beide Geschlechter und dadurch sicher auch über mehrere Objekttypen. Da Lohrke von einem geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Zeitpunkt für den Erwerb der erwachsenentypischen Ausstattung ausgeht, wäre eigentlich in ihrer Tabelle 44 zwischen den Geschlechtern zu differenzieren.122 Wenn Jungen tatsächlich erst später männertypische Beigaben erhielten, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Jugendliche für die Abnutzungsspuren selbst verantwortlich sein können. Auch eine Differenzierung nach den einzelnen Objekttypen wäre sinnvoll, da Lohrke basierend auf den Ergebnis114 Lohrke 2004, 133f. 115 Lohrke 2004, 134. 116 Lohrke 2004, 134f. 117 Lohrke 2004, 135. 118 Lohrke 2004, 135. 119 Lohrke 2004, 134. 120 Siehe Kap. 2.2.3.2. 121 Lohrke 2004, 134, Fußnote 852. 122 Lohrke 2004, 134, Tab. 44. Eine Untergliederung erfolgt nach den Altersgruppe Infans I, Infans II, Juvenil und Kind sowie nach „Individuen mit Beigaben“, „Beigaben mit Abnutzung“ und „% Beigaben mit Abnutzung“.

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2 Bisherige Forschungen

sen ihrer Untersuchung davon ausgeht, dass manche Objekte erst mit zunehmendem Alter der Kinder in deren Gräber gelangten. Entsprechend müsste für jede Fundgattung separat untersucht werden, ab welcher Altersstufe die Kinder in den Besitz der Objekte gelangten und ob sie die Verursacher der Abnutzung sein können. Für eine solche Aufgliederung ist Lohrkes Materialbasis zu klein; ihre Überlegungen sollten aber anhand einer größeren Datenbasis untersucht werden, um eine Grundlage für weitergehende Argumentationen zu bieten.

2.2.1.4 Altersdifferenzierte Analyse Eva Stauchs Aufsatz123 beruht auf ihrer bislang unpublizierten Habilitationsschrift „Alte Menschen im frühen Mittelalter. Soziale Definition durch Alter und Geschlecht“.124 Darin erfasste sie 1359 Individuen mit Beigaben125 aus Gräberfeldern Süddeutschlands126 und unterzog sie einer altersdifferenzierten Analyse, denn „in welchem Grad aber das Lebensalter eines Verstorbenen seine Grabausstattung beeinflusste, ist bislang ungenügend erforscht“127. Die statistische Auswertung habe für nahezu alle Parameter von Grabbau und Beigabenausstattung signifikante Abhängigkeiten vom Alter ergeben.128 In Bezug auf die Fibelausstattung deute schon der Vergleich der Kindergräber mit Gräbern erwachsener Frauen eine Altersabhängigkeit an; besonders die „vollständige Vierfibeltracht“ und Bügelfibelpaare ließen sich fast ausschließlich bei Erwachsenen finden.129 Doch auch unter den erwachsenen Fibelträgerinnen gebe es Altersdifferenzierungen. So liege bei ungestörten Fibelgräbern der Anteil von Gräbern mit „Vierfibeltracht“ in den adulten Altersabschnitten bei mindesten 37 %, die maturen und senilen Altersabschnitte hingegen erreichten kaum 10 %.130 Die Fibeln seien zwar einer altersdifferenzierten Trageweise und Zusammensetzung unterworfen, ihr Material sei aber nicht altersspezifisch.131 Dies unterscheide sie von nahezu allen anderen Schmuckelementen und metallenen Kleidungsbestandteilen, die eine ausgeprägte Bevorzugung bestimmter Materialien durch bestimmte Altersgruppen zeigen.132  



123 Stauch 2008. 124 Ein weiterer Artikel Stauchs zum Thema: Stauch 2012. 125 Stauch 2008, 280. Insgesamt erfasste sie 1685 Individuen, die Differenz ergibt sich aus den Bestattungen ohne Beigaben. 126 Es handelt sich um die Gräberfelder Marktoberdorf, Weingarten, Wenigumstadt und Altenerding (Stauch 2008, 278). 127 Stauch 2008, 281f. 128 Stauch 2008, 282 mit Verweis auf die Habilitationsschrift. 129 Stauch 2008, 287. 130 Stauch 2008, 288. 131 Stauch 2008, 288. 132 Stauch 2008, 294.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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Viele der von Stauch skizzierten Ergebnisse lassen sich bislang nicht überprüfen, da ihre Habilitationsschrift, die die eigentliche Auswertung enthält, noch nicht publiziert ist. So lässt sich gegenwärtig nicht beurteilen, wie sich die Datenbasis gestaltet und auf welche Art sie ihre Ergebnisse berechnet. Bei der Einteilung ihrer neun Altersabschnitte der drei erwachsenen Altersklassen133 wird beispielsweise nicht erläutert, wie sie die bei einigen Gräberfeldern bestenfalls in zwei Kategorien unterteilten anthropologischen Altersklassen in ihre drei Untergruppen aufteilt.134 Die Aussage, ein Vergleich von Kinder- und Erwachsenengräbern deute eine Altersabhängigkeit der Fibelausstattungen an, stützt sich auf die Publikationen von Max Martin135, Brigitte Lohrke136 und Françoise Vallet137. Besonders letztgenannte enthält jedoch keine eigene Untersuchung, sondern stellt nur die Ansicht in den Raum, Fibeln seien altersabhängige Beigaben. Die Unsicherheiten in den Arbeiten Martins und Lohrkes werden in den entsprechenden Kapiteln besprochen.138 Wie Stauch den Anteil von 37 % adulten Frauen mit „Vierfibeltracht“ ermittelt und ob „vollständige Vierfibeltracht“ und Bügelfibelpaare wirklich bis auf wenige Ausnahmen bei Erwachsenen auftreten, ließe sich nur in der eigentlichen Arbeit eruieren. Somit kann ihre Aussage momentan nicht beurteilt werden. Doch die im vorliegenden Artikel veröffentlichten Diagramme werfen einige Fragen auf, die Stauchs Aussagen unsicher erscheinen lassen. So ist bei jedem Diagramm nur die jeweilige Gesamtdatenmenge angegeben. Wie die Abbildungsunterschriften nahelegen, beziehen sich diese auf die Objektanzahlen und nicht auf die Individuenzahlen. Da aber davon auszugehen ist, dass häufig Fibelpaare in einem Grab vorhanden sind, könnten sich die Datenmengen in den vier Diagrammen bis auf fast die Hälfte reduzieren. Sollten die Diagramme tatsächlich auf den Objektanzahlen beruhen, würde das die Ergebnisse verzerren. Durch die nicht vorliegenden Angaben bleibt auch unklar, wie die Prozentwerte in den Diagrammen berechnet wurden. Besonders die Bezugsgröße ist unklar; es scheint sich dabei nicht um den einzig sinnvollen Bezugswert „alle Individuen der jeweiligen Altersklasse“, sondern um die Gesamtdatenmenge des entsprechenden Diagramms zu handeln, so dass davon ausgegangen werden muss, dass durch die ungeeigneten Referenzwerte auch wenig aussagekräftige Daten publiziert sind.139  

133 Jeweils Früh, Mittel und Spät für die Altersklassen Adult, Matur und Senil. 134 Nur je in Früh/Anfang und Spät/Ende unterteilte Altersklassen gibt es beispielsweise für die Gräberfelder Weingarten und Altenerding, zwei der größten Gräberfelder überhaupt. Wie so oft bei anthropologischen Analysen ist auch bei diesen beiden darüber hinaus häufig nur eine Ansprache als „adult“ oder gar „erwachsen“ möglich. 135 Martin 1994. 136 Lohrke 2004. 137 Vallet 1996a. 138 Zu Martin: Kap. 2.2.2.2 und 4.5.2. Zu Lohrke: Kap. 2.2.1.3 und 4.5.1. 139 Zur Problematik der Referenzwerte Kap. 4.2.2.2.

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2 Bisherige Forschungen

2.2.1.5 Frauenkleidung im frühmittelalterlichen Gräberfeld von Weingarten Die 2009 eingereichte Wiener ur- und frühgeschichtliche Diplomarbeit Daniela Achters widmete sich den mit Kleidung im Zusammenhang stehenden Beigaben weiblicher Bestattungen, die hier als Accessoires betitelt werden.140 Einen großen Teil der Arbeit nahmen dabei die Fibeln ein. Die einzelnen Fundkategorien wurden formal unterteilt, mit Vergleichsfunden anderer Gräberfelder in Zusammenhang gestellt, datiert und die Lage am Körper beschrieben. Ausgangspunkt für Achters Arbeit ist der eben besprochene Aufsatz von Eva Stauch über die Altersdifferenzierung des Beigabenmaterials141. Sie behandelte auch das Alter der Verstorbenen und das Vorkommen verschiedener Fibeltypen in den Altersklassen. Achter ging von der Prämisse aus, dass die Ausstattung der Verstorbenen nicht nur mit der sozialen Stellung, sondern auch dem Geschlecht und Alter zusammenhänge. Zudem setzte sie voraus, dass Erwachsene zwischen 20 und 50 Jahren die meisten Beigaben mitbekamen, da sie in diesen Altersstufen die entscheidenden sozialen Rollen ausübten.142 Entsprechend kam sie zu dem Ergebnis, dass „adulte Damen am häufigsten, juvenile Mädchen und senile Individuen am seltensten mit Kleidungsaccessoires ausgestattet wurden“143. Auf die Thesen zur Altersgebundenheit der Beigaben aufgrund sozialer Rollen wird an anderer Stelle eingegangen144, ebenso wurde der Aufsatz von Stauch hier bereits kritisch beleuchtet145. Achters Vergleichstabellen146 wurden immer nur für die Fibeltypen erstellt und bieten keinen Überblick zu den Fibelgattungen, wie Bügelfibeln oder Vogelfibeln generell. Ferner dienten sie primär dem formalen und chronologischen Vergleich mit Funden anderer Gräberfelder. Sie erlauben für das Gräberfeld Weingarten im Grunde keine Aussagen. Durch die feine Aufteilung in einzelne Typen umfassen sie zudem zu wenig Datensätze für statistisch sichere Aussagen. In Bezug auf das Vorkommen der Fibeln in den Altersklassen stützte sich Achter leider allein auf die absoluten Zahlen, was jedoch keine statistisch aussagekräftigen Ergebnisse erlaubt.147 Darüber hinaus verfügt das Gräberfeld Weingarten trotz seiner Größe nur über eine verhältnismäßig kleine Zahl von Fibeln, die für eine statistische Auswertung nicht ausreicht. Einschränkend auf die Aussagekraft könnte sich auch die geringe Zahl seniler Individuen auswirken.

140 141 142 143 144 145 146 147

Achter 2009. Stauch 2008. Vgl. Kap. 2.2.1.4. Achter 2009, 155. Achter 2009, 165. Zu Brather Kap. 2.2.1.10. Zu Halsall Kap. 2.2.1.9. Siehe Kap. 2.2.1.4. Z. B. zu den Bügelfibeln Tab. 6, S. 23; Tab. 7, S. 24; Tab. 8, S. 25; etc. Siehe hierzu Kap. 4.2.2.2.

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Das abschließende Ergebnis Achters, Kleidungsaccessoires seien primär von erwachsenen Frauen getragen worden,148 muss vor diesem Hintergrund mit Vorsicht betrachtet werden.

2.2.1.6 Das Gräberfeld Aschheim-Bajuwarenring Im Rahmen ihrer Dissertation untersuchte Doris Gutsmiedl-Schümann das Gräberfeld Aschheim-Bajuwarenring; die Publikation erfolgte 2010.149 Die Arbeit hatte unter anderem zum Ziel, „[…] anhand des Geschlechts und des Alters der Bestatteten in Zusammenhang mit deren Beigabenausstattung typische Beigabenkombinationen für bestimmte Altersgruppen zu ermitteln“150. Für die 138 Frauengräber mit Beigaben untersuchte sie dabei auch die Verteilung der Fibeln in Bezug auf das Sterbealter der Frauen.151 Sie konnte feststellen, dass S-Fibeln überwiegend bei Kindern und jungen Erwachsenen auftraten, Granatscheibenfibeln hingegen nur bei Erwachsenen.152 Die Gruppe der Mantelfibeln – alle Fibeln, die in Brusthöhe gefunden wurden und demnach als Mantelverschluss dienten – sei zudem bei Infans I nur einzeln und erst ab Infans II paarweise vorhanden.153 Bügelfibeln scheinen in ihrer Stichprobe tendenziell vor allem bei erwachsenen Frauen aufzutreten. Doch könne an ihren Beispielen die Beobachtung, Bügelfibeln seien vor allem von Frauen im gebärfähigen Alter getragen worden, nicht bestätigt werden: „Sowohl die Funde aus den Kindergräbern, als auch die Fibeln aus den Bestattungen maturer bzw. seniler Frauen sprechen dagegen.“154 Allgemein ließe sich eine deutliche Abnahme der Beigaben bei älteren Frauen nicht in dem Maße nachweisen, wie es Sebastian Brather155 für Pleidelsheim konstatierte. Ihrer Auffassung nach greife die Ansicht, in der Ausstattung zeige sich die Wertschätzung der Fruchtbarkeit, wohl zu kurz.156 Auch eine Übereinstimmung mit den Wergeldsätzen der Leges zeigt sich für Gutsmiedl-Schümann nicht. Die unterschiedliche Bewertung der Delikte gegenüber Männern und Frauen sei vielmehr auf deren Fähigkeit zur Verteidigung zurückzuführen.157 Als mögliche Erklärung für die reiche Ausstattung bei spätjuvenilen und frühadulten Frauen schlägt sie in Anlehnung an die Rechtsbücher eine besondere Kleidung vor, wie sie zu Festen von unverheirateten Frauen getragen wurde. Es könne sich um 148 Achter 2009, 163, 165. 149 Gutsmiedl-Schümann 2010. 150 Gutsmiedl-Schümann 2010, 81. 151 Gutsmiedl-Schümann 2010, 103f. 152 Gutsmiedl-Schümann 2010, 103. 153 Gutsmiedl-Schümann 2010, 103. 154 Gutsmiedl-Schümann 2010, 104. 155 Siehe Kap. 2.2.1.10. 156 Gutsmiedl-Schümann 2010, 110. 157 Gutsmiedl-Schümann 2010, 84 f. Hier ist besonders die Lex Baiuvariorum zu nennen. Behandelt wird die Thematik auch in Kap. 2.2.1.10.  

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2 Bisherige Forschungen

eine besondere Ausstattung zwischen Verlobung und Hochzeit handeln. „Postuliert man bei den besonders reich ausgestatteten jungen Frauen nun zwei an der Bestattung beteiligte Familien, die gar noch darum wetteifern, sich besonders um die Ausstattung der Toten verdient zu machen, lassen sich die herausragenden Bestattungen junger Frauen gut erklären.“158 Insgesamt jedoch „unterscheiden sich die Ausstattungen von Mädchen nur wenig von denen erwachsener Frauen.“ Unterschiede im Laufe des Lebens würden sich vor allem im Umfang der Ausstattung zeigen. 159 Insgesamt argumentiert Gutsmiedl-Schümann deutlich vorsichtiger als der Großteil der Forschung. Doch auch ihre Studie weist die gleiche Einschränkung auf, wie die meisten anderen Arbeiten: eine verhältnismäßig kleine Datenbasis.160 Das Gräberfeld von Aschheim weist beispielsweise nur 10 Gräber mit Bügelfibeln auf.161 Auch ihre relativ umfassende Kategorie „Mantelfibel“ ist nicht sehr oft vertreten.162 Die Idee einer Festausstattung durch zwei Familien bei den jungen (unverheirateten, aber verlobten) Frauen beruht auf einem angenommenen Ausstattungsmaximum, das durch die leider übliche Verwendung absoluter Zahlen zustande kommt. Inwiefern dieser Interpretationsvorschlag wahrscheinlich gemacht werden kann, muss die Zukunft zeigen.

2.2.1.7 Grabausstattungen in Maastricht Mirjam Kars verfolgte – basierend auf der Vorlage zweier Gräberfelder in Maastricht – in ihrer 2011 veröffentlichten Dissertation „A Cultural Perspective on Merovingian Burial Chronology and the Grave Goods from the Vrijthof and Pandhof Cemeteries in Maastricht“163 einen interessanten neuen Ansatz.164 Die chronologische Aufarbeitung der Grabbeigaben führte sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Chronologiemethoden, im Speziellen der Seriation. Dabei stellte sie die Versuche in Frage, die danach streben, immer kürzere Phaseneinteilungen zu erarbeiten.165 Als Konsequenz beschäftigte sie sich im ersten Teil ihrer Arbeit mit den kulturellen Voraussetzungen für die chronologische Analyse von Grabbeigaben. Im zweiten Teil erfolgte dann die Vorlage der Gräberfelder.

158 Gutsmiedl-Schümann 2010, 110. 159 Gutsmiedl-Schümann 2010, 109f. 160 138 beigabenführende Frauengräber, die Anzahl fibelführender Frauengräber ist dem entsprechenden Kapitel nicht zu entnehmen. Gutsmiedl-Schümann 2010, 103. 161 Gutsmiedl-Schümann 2010, 104. 162 Siehe Gutsmiedl-Schümann 2010, 103, Abb 42. Die genaue Anzahl ist leider nicht direkt ablesbar, grob überschlagen sind es 41 Stück. 163 Kars 2011. 164 Zum Thema siehe auch: Kars 2013. 165 Kars 2011, 14ff.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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Ausgehend von einer prüfenden Betrachtung der Verlässlichkeit von Chronogieschemata stellte sie Überlegungen an zu den Besitzverhältnissen im Frühmittelalter und den Modalitäten, nach denen in dieser Zeit Beigaben in die Gräber gelangten.166 Die meist übliche feine Chronologie mit kurzen Phasen beruht ihrer Ansicht nach auf einer simplifizierenden Denkart, nach der es im Frühmittelalter ausschließlich unveräußerlichen persönlichen Besitz („inalienable personal possessions“) gab und Vererbung ausgeschlossen war.167 Ihren Ergebnissen zufolge sei jedoch das Konzept des persönlichen Besitzes zu hinterfragen und müsse ersetzt werden. Der Fokus solle nicht auf einer Verfeinerung der Chronologie liegen, sondern aus kulturgeschichtlicher Perspektive auf dem Gebrauch der Grabbeigaben zu Lebzeiten. Es müssten Alternativen zur These der Grabbeigaben als persönlichem Besitz erarbeitet werden, wie andere Besitzarten und die vielfältigen denkbaren Verteilungsabläufe in der Welt der Lebenden, die vor der Bestattung ablaufen konnten.168 Da die Chronologiedebatte losgelöst von den Interpretationsmodellen für Grabbeigaben abläuft, widmete Kars sich anschließend der Analyse dieser Modelle. Laut Kars können sie in drei Gruppen eingeteilt werden.169 Bei den auf den Toten fokussierten Modellen („dead-centred models“) der älteren Forschung war das Konzept des unveräußerlichen persönlichen Besitzes zentraler Bestandteil. Aus der Kritik an diesem Konzept heraus entwickelten sich Modelle, die den Fokus auf die Trauernden legten („mourner-centred models“) und sich mit den Motiven der Bestattungsgemeinschaft befassten, die nun für die Auswahl der Grabbeigaben als entscheidend angesehen wurde. Aus der kritischen Analyse dieser neuen Ansätze wiederum entstanden modifizierte auf den Toten fixierte Modelle („modern dead-centred models“). Die Rolle des Toten und der Objekte in der Gemeinschaft und der Einfluss des Verstorbenen auf die Bestattungspraktiken wurden erneut Teil der Diskussionen. Aus allen drei Modellen lassen sich viele verschiedene Kontexte herausarbeiten, aus denen die Grabbeigaben ausgewählt werden konnten. In der Folge arbeitete Kars kulturelle Kategorien für Grabbeigaben heraus.170 Einerseits der unveräußerliche persönliche Besitz, der aber nicht alleiniges Auswahlkriterium für Grabbeigaben sei. Andererseits seien die altersspezifischen Ausstattungen des Frühmittelalters ihrer Ansicht nach Zeichen für eine generationenübergreifende Weitergabe von Objekten und damit veräußerlichen persönlichen Besitz, der nur zeitweise im Besitz des Toten gewesen sei.171 Hinzu komme Familienbesitz, Geschenke der Beerdigungsteilnehmer sowie singuläre Objekte, die speziell für die Bestattung ausgewählt worden seien.

166 167 168 169 170 171

Kars 2011, 7–34. Kars 2011, 19, 23, 28f, 87, 89, 422. Kars 2011, 32, 91. Kars 2011, 35–39. Kars 2011, 46, 60. Kars 2011, 20f., 43, 60, 75f, 87, 114ff.

28

2 Bisherige Forschungen

Einen dritten Schwerpunkt in Kars’ Arbeit stellten die Umlaufzeiten der Objekte dar, da sie für viele Objekte von mehreren Besitzern und längeren Umlaufzeiten, die eine Generation überschritten, ausging.172 Dabei lag ihr Hauptaugenmerk auf den Impulsen, die zu einem längeren Umlauf geführt haben können, wie Produktionsund Distributionsmechanismen aber auch Beschaffungsprozesse, Verwendungsarten, Austausch und Weitergabe. Die fraglichen Objekte seien dabei in drei Kategorien einteilbar: Zeremonielle Erbstücke, die Bestandteil sozialer Netzwerke waren; sakrale Erbstücke, die der Illustration und Bildung von Abstammungslinien dienten sowie Familienerbstücke, die in ein Vererbungssystem eingebunden waren und zu besonderen Ereignissen weitergegeben, getauscht und verschenkt wurden.173 Ein Beispiel für ein solches Ereignis sei die Heirat, für die klare Regeln bestanden hätten, wer von wem beschenkt wurde, wie die Besitzverhältnisse waren und was bei verfrühtem Tod des Eigentümers mit diesen Dingen geschah.174 Wie die Schriftquellen zeigen, sei im Frühmittelalter Vererbung offenbar ein bekanntes und übliches Konzept gewesen. Die Weitergabe von Mobilia des Familienerbes könne durchaus an Gruppenwerte und -identitäten gebunden gewesen sein, wie die Verbindung zwischen bestimmten Grabbeigaben und Altersgruppen zeige.175 Die Objekte würden nur dann ins Grab gelangen, wenn die Weitergabelinie beendet oder unterbrochen worden sei.176 Man könne für den Großteil der Objekte annehmen, dass sie Teil eines fortwährenden generationenübergreifenden Weitergabeprozesses gewesen seien.177 Es zeige sich ein komplexes Bild an Verbindungen zwischen Menschen und Objekten und damit Varianten einer vielfältigen und andauernden Zirkulation dieser Objekte, das im Widerspruch zum Konzept des unveräußerlichen persönlichen Besitzes stehe. Damit stelle sich aber die Frage, weshalb die Objekte in die Gräber gelangten. Kars’ Erklärungsmodell178 sieht den jeweiligen temporären Besitzer als Verantwortlichen oder Verwalter der Objekte, die er zu den richtigen Zeitpunkten weitergeben musste. Ein verfrühter Tod bedrohe die Weitergabe innerhalb des ausgeklügelten Systems von Lebenszyklusritualen, eine mögliche Lösung des Problems könne die (zeitweise) Deponierung im Grab gewesen sein. Dies sei aber nur eine Erklärungsmöglichkeit für die Anwesenheit von Beigaben im Grab. Kars’ Ansatz, sich intensiver mit den Besitzverhältnissen im Frühmittelalter zu befassen und herauszuarbeiten, welchen Modalitäten der Besitz unterlag, stellt einen innovativen Beitrag zur Forschung dar. Bisherige Arbeiten klammerten diesen Aspekt weitgehend aus, doch wie Kars anmerkte, ist es nicht nur für die Erstellung von Chro-

172 173 174 175 176 177 178

Kars 2011, 63–88, 121f. Kars 2011, 63–88, bes. 65. Kars 2011, 77ff. Kars 2011, 43, 61, 82ff, 422, 424. Kars 2011, 43f, 61, 85, 424. Kars 2011, 66, 82. Kars 2011, 61f, 82ff, 93, 422.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

29

nologien entscheidend, Klarheit über die Mechanismen zu haben, nach denen Objekte in die Gräber gelangten. Es wäre sinnvoll, erst diese grundlegenden Fragen zu beantworten, bevor man sich mit Details der Chronologie befasst. Ihre Überlegungen zu den verschiedenen denkbaren Besitzarten sowie die Analyse der bisherigen Interpretationsmodelle zum Bestattungswesen entwerfen ein sehr viel komplexeres Bild als bisherige Arbeiten und eröffnen dabei stimmig ein lebendigeres Modell der Besitz- und Vererbungsverhältnisse im Frühmittelalter. Inwieweit ihr Erklärungsansatz für das Vorhandensein von Beigaben im Grab plausibel ist, lässt sich ohne weitere Forschungen nicht sicher beurteilen. Er hat aber die gleiche Berechtigung wie die bisher zumeist favorisierte Variante, die ausschließlich von unveräußerlichem persönlichem Besitz ausgeht. Einziger Kritikpunkt ist, dass ihr Modell auf dem Vorhandensein altersspezifischer Ausstattungsmuster und damit Rollenbildern beruht, welche sie auch in ihrem Material zu erkennen meint. In Bezug auf die von ihr untersuchten Fibeln erscheint mir diese Aussage aber etwas gewagt, da ihre beiden Gräberfelder bei insgesamt 818 Gräbern nur 16 Frauen mit Fibeln als Grabbeigaben aufweisen; eine Anzahl, die keine statistisch fundierten Aussagen zulässt.

2.2.1.8 Barbara Sasses Studien In „Demographisch-soziale Untersuchungen an frühmittelalterlichen Frauengräbern im Bereich der Reihengräberzivilisation“179 von 1986 beschäftigte sich Barbara Sasse mit den Verteilungsmustern der Beigaben in den Gräbern der behandelten Friedhöfe. Damit gehörte sie zu den ersten Wissenschaftlern, die sich mit einer möglichen altersabhängigen Verteilung der Beigaben im Frühmittelalter befassten und wurde entsprechend breit rezipiert. In der Folge blieb das Themenfeld Altersabhängigkeit und Personengebundenheit auch in ihrer 2001 erschienenen Monographie zum Gräberfeld Eichstetten180 sowie der Schriftfassung ihrer Antrittsvorlesung181 2007 im Fokus ihrer Forschung. Für ihre „Untersuchungen“ berücksichtigte sie mehrere Gräberfelder, um altersund geschlechtsabhängige Muster herauszuarbeiten. Reichtum sei nicht nur vom Geschlecht, sondern auch vom Alter abhängig.182 Zudem habe sie „echte Altersstufen“ herausarbeiten können.183 Allerdings sei eine systematische Untersuchung der Altersverteilung von Beigaben bislang nur für die Bestandteile der Gürtelgehänge erfolgt. Es falle jedoch auf, dass Frauen der Merowingerzeit auch in fortgeschrittenerem Alter mit reichem Schmuck bestattet wurden und sich keine Zäsur um das 40. Lebensjahr fest-

179 180 181 182 183

Sasse 1986. Sasse 2001. Sasse 2007. Sasse 1986, 79. Sasse 1986, 79.

30

2 Bisherige Forschungen

stellen lasse.184 „Dies spricht für eine geachtete Stellung der älteren Frauen, aber auch für die Tatsache, daß diese Schmuckstücke nicht vererbt wurden.“185 Ihre Monographie „Ein frühmittelalterliches Reihengräberfeld bei Eichstetten am Kaiserstuhl“ beinhaltet ebenfalls ein Kapitel zur Altersabhängigkeit der Beigaben. Hier erwähnte sie, dass Fibeln in der Regel nur bei erwachsenen Frauen vorkämen186, was sie später relativierte, denn auf anderen Friedhöfen seien auch Fibeln in Kindergräbern gefunden worden187. Ihre Analyse lasse den Eindruck einer Erwachsenentracht entstehen, sie beruhe aber auf keinen statistisch signifikanten Zahlen.188 Eigentliches Thema ihrer Antrittsvorlesung „Ein merowingerzeitlicher Friedhof – Zerrspiegel einer Lebensgemeinschaft“ ist die Rekonstruierbarkeit von Lebendbevölkerungen anhand der Grabfunde. Als Beispiel wählt sie das Gräberfeld Eichstetten. Zentrales Problem sei die „wechselseitige Beeinflussung von archäologischer Chronologie und Rekonstruktion der Größe und des Altersaufbaus einer Population anhand von Gräberfelddaten“189. Je nachdem, ob eine kurze oder lange Chronologie zugrunde liege, verändere sich die Datenbasis einer Bevölkerungsrekonstruktion.190 In der Folge möchte Sasse anhand der Altersverteilung der Objekte klären, ob eher ein Traditions- oder eher ein Innovationsmodell zur Erstellung von Chronologien herangezogen werden sollte.191 Ergebnis ihrer Analyse sei, dass sowohl die Altersverteilung der Objekte als auch die Anfangs- und Endphasen der Gräberfeldbelegung eher für das Traditionsmodell sprächen, „bei dem eine Generation ihre Ausstattung im Wesentlichen das ganze Erwachsenenleben lang behält“.192 Die geringe Zahl an Fibeln aus Eichstetten legt nahe, dass Aussagen zu deren Altersverteilung mit Vorsicht zu behandeln sind. Sasse war sich dieser Einschränkung bewusst und erwähnte, dass eine systematische Untersuchung für einen größeren Fundkomplex fehle.193 Ihre Auswertung kann durch die überschaubare Gräberanzahl nicht als eine umfassende Betrachtung gewertet werden, liefert aber wertvolle Impulse. Von den Überlegungen ihrer Antrittsvorlesung ist für die vorliegende Arbeit besonders ihre Berechnung der potentiellen Tragedauer verschiedener Ausstattungsstücke relevant. Basierend auf der im Rahmen der Publikation von Eichstetten errechneten Altersverteilung sei demnach für Fibeln eine potentielle Tragedauer von 60 Jah-

184 185 186 187 188 189 190 191 192 193

Sasse 1986, 83. Sasse 1986, 83. Sasse 2001, 50. Sasse 2001, 115. Sasse 2001, 115. Sasse 2007, 47. Sasse 2007, 50. Sasse 2007, 55ff. Sasse 2007, 58f. Sasse 2001, 113.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

31

ren anzunehmen.194 Andere Beigaben haben nach dieser Berechnung eine potentielle individuelle Tragedauer von teils 70–80 Jahren, teils auch einer kürzeren Zeitspanne von 40 Jahren. Die Zeitspanne von 60 Jahren für die Fibeln entstand offenbar unter dem Eindruck, diese seien ein ausschließlich bei erwachsenen Frauen zu findendes Ausstattungsstück. Auf die Unsicherheit dieser allein auf den Daten von Eichstetten beruhenden Aussage wurde oben bereits eingegangen. Vor diesem Hintergrund sind auch die mit der Annahme einer Erwachsenenausstattung getätigten Überlegungen zu den Chronologiemodellen mit Zurückhaltung zu betrachten.

2.2.1.9 Guy Halsalls Analysen Die Arbeiten Guy Halsalls können für die vorliegende Fragestellung der Altersabhängigkeit der Fibelkleidung zusammengefasst werden.195 Er erweiterte in ihnen kontinuierlich die Datenbasis, änderte aber seine Argumentation nur graduell. Die anfangs bei seiner Dissertation noch relativ kleine Stichprobe der Region Metz196 sei im Laufe der Zeit erweitert worden197 und habe dadurch allgemeinere Gültigkeit erlangt198, wobei Halsall einräumt, dass es Unterschiede zu anderen Regionen gibt.199 In Bezug auf eine Altersabhängigkeit der Beigaben kommt Halsall zum Ergebnis, dass Frauen deutlich früher als Männer geschlechtsspezifische Beigaben erhalten.200 Zudem zeige sich ein deutlicher Wandel im Umfang der Grabausstattung in Abhängigkeit vom Alter der Verstorbenen. Kinder und Alte hätten sehr wenig oder keine geschlechtsspezifischen Beigaben.201 Frauen erhielten ab der Pubertät nach und nach den vollen Umfang an Grabausstattung; das Maximum liege bei den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen.202 Mit zunehmendem Alter verlöre die Beigabenausstattung der Frauen wieder an Umfang,203 um bei den Alten nur noch in geringem Maß aufzutreten.

194 Sasse 2007, 57. Mit Verweis auf die Originalbearbeitung in Sasse 2001, 113. 195 Halsall 1995a; Halsall 1995b; Halsall 2010d; Halsall 2010b; Halsall 1998; Halsall 2010a; Halsall 2010c. 196 Halsall 1995b, 84f. 197 Halsall 1995b, 109f, 162f. 198 Halsall 2010c, 11, 319. Auch wenn er einschränkt, dass er seine Ergebnisse nicht auf andere Regionen übertragen wolle, obwohl die groben Züge seiner Studie von Untersuchungen anderer Regionen mit besserem Datenmaterial bestätigt wurden. 199 Halsall 2010c, 11; Halsall 2010d, 290. 200 Halsall 1995a, 69; Halsall 1995b, 84; Halsall 2010d, 302; Halsall 2010c, 319, 322, 402. 201 Halsall 1995a, 69; Halsall 1995b, 84f, 109, 162f.; Indirekt: Halsall 2010b, 212; Halsall 2010c, 254, 318, 343, 393, 398, 400; Halsall 2010d, 298f, 302. 202 Halsall 1995b, 85, 162f.; Halsall 1998, 154; Halsall 2010b, 207; Halsall 2010d, 299, 303, 306f.; Halsall 2010c, 344f, 393, 402. 203 Halsall 1995b, 85, 162f.; Halsall 1998, 154; Halsall 2010d, 299, 309f.; Halsall 2010c, 346.

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2 Bisherige Forschungen

Ein ähnliches Bild biete sich bei den Männern, die im Unterschied zu den Frauen aber erst mit etwa 20 Jahren ihre volle Ausstattung erlangten und diese länger beibehielten als die Frauen.204 Als Grund für die sich überwiegend auf das Alter zwischen Pubertät und dem 40. Lebensjahr beschränkende reiche geschlechtsspezifische Grabausstattung sieht Halsall die soziale Rolle der Frauen, die von ihrer Gebärfähigkeit und Rolle als Mutter bestimmt werde.205 Ihre Gebärfähigkeit und der heiratstaugliche Status („marriageable status“) der Frauen in diesem Altersabschnitt werde hervorgehoben und öffentlich gezeigt („Public life“),206 um in den instabilen Zeiten vor dem 7. Jahrhundert durch Heiraten Allianzen zu knüpfen, die den sozialen Status der Familie sicherten.207 Die reich ausgestatteten Gräber der Zeit vor 600 zeigen nach Halsall die instabile politische Lage an, in der Familien quasi jeden Tag aufs Neue um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen mussten.208 Ein Mittel dazu seien die üppigen Grabbeigaben gewesen, über die die gesellschaftliche Position und der Einfluss einer Familie demonstriert und gesichert werden konnten.209 Die geregelteren sozialen Verhältnisse des 7. Jahrhunderts machten ein entsprechendes Verhalten bei einer Beerdigung unnötig, da die Stellung der Familie durch den Tod eines ihrer Mitglieder nicht mehr akut gefährdet war.210 Nach Halsalls Überzeugung haben ältere Frauen zunehmend weniger umfangreiche geschlechtsspezifische Beigaben, da sie aufgrund ihres Alters die bisherige soziale Rolle nicht mehr ausfüllen können und diese an ihre Töchter weitergegeben haben. Ohne die gesellschaftliche Position dürfen auch die Schmuckbestandteile, die diese verdeutlichen, nicht mehr getragen werden.211 Die meist neutral ausgestatteten Kinder hatten noch keine gesellschaftliche Stellung inne und ihr Tod hatte auch wenig Konsequenzen für die sozialen Allianzen und das soziale Gefüge einer Gesellschaft. Deshalb waren geschlechtsspezifische Grabbeigaben bei ihnen nicht notwendig.212 Ein größeres Problem stellen Kinder dar, die bereits mit geschlechtsspezifischen Beigaben bestattet wurden. Hierzu führt Halsall verschiedene Erklärungsmöglichkei-

204 Halsall 1995b, 84; Halsall 1998, 154; Halsall 2010b, 207; Halsall 2010d, 306; Halsall 2010c, 318, 393f. 205 Halsall 2010d, 303, 307, 309f, 312; Halsall 1998, 154, 157; Halsall 2010c, 8, 344f, 402. 206 Halsall 2010d, 303, 309f, 312; Halsall 2010b, 207, 209f.; Halsall 2010c, 344f, 402. 207 Halsall 2010d, 305, 312; Halsall 2010b, 207, 209f; Halsall 1998, 154; Halsall 2010a, 224; Halsall 2010c, 9, 345, 402. 208 Halsall 1995a, 66; Halsall 2010d, 302, 305; Halsall 2010b, 209ff.; Halsall 1998, 146, 148; Halsall 2010a, 224; Halsall 2010c, 9, 400. 209 Halsall 2010d, 312; Halsall 2010b, 209f.; Halsall 1998, 148; Halsall 2010a, 216. 210 Halsall 2010d, 312ff.; Halsall 2010b, 209f.; Halsall 1998, 148, 154, 159f.; Halsall 2010a, 224; Halsall 2010c, 400. 211 Halsall 2010d, 309f.; Halsall 2010b, 212; Halsall 2010c, 254. 212 Halsall 2010d, 302; Halsall 2010c, 400.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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ten an.213 Die seiner Ansicht nach plausibelste sei eine frühe Verlobung oder gar Heirat der Mädchen.214 Für sehr kleine Kinder käme eine Gleichsetzung mit der Mutter in Frage; die noch nicht als eigenständige Person angesehenen Kinder würden als Teil der Mutter gelten.215 Entsprechend ließe sich auch erklären, warum geschlechtsspezifische Beigaben bei Kindern ausschließlich der weiblichen Sphäre zuzuordnen seien. Halsall sieht seine Theorie durch die in den Leges aufgeführten je nach Alter der Person verschieden hohen Wergeldsätze bestätigt. Demnach sei Frauen im gebärfähigen Alter der für Frauen höchste Wergeldsatz zugeordnet. Dies entspreche der Wertschätzung und ihrer Wichtigkeit innerhalb des sozialen Gefüges, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Gebärfähigkeit stehe.216 Mädchen und alte Frauen haben diesen sozialen Status noch nicht bzw. nicht mehr inne und werden mit einem deutlich geringeren Wergeldbetrag gleichgesetzt.217 Jungen haben in der Lex Salica ein hohes Wergeld,218 was laut Halsall interessanterweise nicht mit dem Umfang an (geschlechtsspezifischen) Beigaben übereinstimmt. Halsall weist auf eine Diskrepanz zwischen den Gesetzestexten und den archäologischen Quellen hin, die sich im Bezug auf das Alter des Erwachsenwerdens bei Jungen ergibt. Nach den Leges lag das entsprechende Alter bei 12 Jahren, nach den archäologischen Quellen liege es bei etwa 20 Jahren. Dieser Unterschied lasse sich damit erklären, dass das rechtliche Erwachsenwerden mit 12 nur den Beginn eines längeren und langsameren Sozialisierungsprozesses für die jungen Männer markiere und dass sie vermutlich auch deutlich später als die Frauen heirateten. Die Tatsache, dass Frauen offenbar zur selben Zeit heirateten, zu der sie die Volljährigkeit erlangten, erkläre entsprechend auch, warum ihre Sozialisation sehr schnell erfolgte.219 Das grundlegende Problem an Halsalls Studien ist die kleine Stichprobe, die er zwar im Laufe der Zeit erweitert, aber dennoch keine wirklich aussagekräftige Datengrundlage bildet. Zudem handelt es sich bei den Gräberfeldern der Region Metz um alt gegrabene, teilweise sehr kleine Friedhöfe. Die Besonderheit der Region im frühen Mittelalter veranlasst auch Halsall zu der Aussage, dass seine Ergebnisse keine allgemeine Gültigkeit haben und nicht ohne Überprüfung auf andere Regionen übertragbar seien.220 In seinen neueren Publikationen nennt er Stauchs „Alter ist Silber“-Aufsatz als Beleg für die Richtigkeit und Übertragbarkeit seiner Aussagen.221 Da aber Stauchs

213 214 215 216 217 218 219 220 221

Halsall 2010d, 302; Halsall 2010c, 322, 344f, 400. Halsall 2010d, 302; Halsall 2010c, 322. Halsall 2010d, 302; Halsall 2010c, 400. Halsall 2010d, 303f, 307, 312. Halsall 1995b, 72; Halsall 2010c, 388. Halsall 1995b, 72. Halsall 2010d, 306. Halsall 1995b 84; Halsall 2010c, 11; Halsall 2010d, 290. Halsall 2010c, 319.

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2 Bisherige Forschungen

Thesen gegenwärtig noch nicht überprüfbar sind222, können sie nicht als Beleg für eine allgemeine Gültigkeit der Aussagen zu Metz herangezogen werden. Halsalls Ergebnisse mögen zwar eventuell für die Region Metz gelten, sie sind aber nicht mit Sicherheit auf andere Regionen übertragbar. Schwierig erscheint zudem Halsalls Argumentation mit den Wergeldern. Wie er richtig anmerkt, sind die ältesten erhaltenen Versionen der Lex Salica etwa 200 Jahre jünger als der Zeitraum, in dem der ursprüngliche Text aller Wahrscheinlichkeit nach verfasst wurde.223 Trotz dieser Einschränkung bezüglich der Übertragbarkeit auf das 6. und 7. Jahrhundert spielen die in den Leges genannten Wergelder eine wichtige Rolle in Halsalls Argumentation: Die Wechsel in der Höhe der Wergelder je nach Alter und Geschlecht der betreffenden Person würden deren gesellschaftliche Stellung und ihr Ansehen widerspiegeln und in direktem Zusammenhang mit dem geschlechtsspezifischen Beigabenreichtum stehen. Die mit einem hohen Wergeld versehenen Altersklassen „adulte Frau“ sowie „adulter und maturer Mann“ seien die mit dem höchsten Ansehen innerhalb der Gesellschaft, was sich in deren reicher Ausstattung mit geschlechtsspezifischen Beigaben zeige. Halsalls Interpretation ist unsicher, denn es gibt einige Diskrepanzen zwischen den Wergeldern und der Beigabenausstattung, die sich nicht so einfach erklären lassen. Entgegen der hohen Wergelder haben in seiner Stichprobe Jungen unter 12 Jahren kaum, und vor allem keine geschlechtsspezifischen Beigaben. Ab 12 Jahren gelten nach den Gesetzestexten Jungen und Mädchen als rechtlich erwachsen. Bei einer Übereinstimmung von Text und Beigaben sollten bei Beiden geschlechtsspezifische Beigaben auftreten. Wie bereits erwähnt, ist dies aber laut Halsall nur bei den Mädchen der Fall. Junge Männer erhalten nach Halsalls Befund erst ab ca. 20 Jahren eine geschlechtsspezifische Ausstattung. Sie hätten demnach eine längere Sozialisation erfahren als die Mädchen, die mit Erreichen des rechtlichen Erwachsenenstatus’ auch verheiratet wurden und gesellschaftlich als Erwachsene galten, was mit einer geschlechtsspezifischen Ausstattung ausgedrückt wurde. Einen einleuchtenden Grund für die unterschiedliche Sozialisationsdauer nennt Halsall nicht. In seiner Begründung für den späten Sozialisationszeitpunkt der Männer vermischt er zudem verschiedene Sachverhalte, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen. So wird das spätere Erlangen der Waffen mit der Übernahme der Rolle als Familienoberhaupt nach dem Tod des Vaters erklärt. Gleichzeitig wird der späte Zeitpunkt für die Waffenausstattung als Beleg für eine späte Heirat der Männer herangezogen.224 Beide Punkte müssen aber nicht kausal zusammenhängen. Ein junger Mann konnte möglicherweise auch heiraten, ohne bereits Familienoberhaupt zu sein. Entsprechend ließe sich aus der Beigabenausstattung kein Hinweis auf das übliche Heiratsalter ableiten. 222 Siehe Kap. 2.2.1.4. 223 Halsall 2010c, 312. Eine Entstehung wird für den Zeitraum 507–511 n. Chr. unter Chlodwig angenommen. 224 Halsall 1998, 154.  

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

35

2.2.1.10 Sebastian Brathers Untersuchungen Laut Sebastian Brather sollen der Umfang und die Bestandteile der Beigabenausstattung Hinweise auf eine altersabhängige Differenzierung und Staffelung der Individuen geben.225 Das Ausstattungsmaximum liege bei Frauen zwischen 14 und 40 Jahren, bei Männern leicht nach hinten verschoben zwischen 20 und 50 Jahren.226 Kleine Kinder und ältere Personen wurden noch nicht bzw. nicht mehr mit dem vollständigen Spektrum an Grabbeigaben bestattet.227 Fibeln seien dabei wie viele andere Beigaben auch Attribut adulter Frauen.228 Brather sieht diese Altersabhängigkeit der Beigaben in Verbindung mit einer Darstellung sozialer Rollen im Grab. Diese seien dabei über Kleidung und Kleidungsbestandteile bis ins Grab hinein öffentlich sichtbar gemacht worden.229 Kinder und Alte seien entsprechend weniger umfangreich ausgestattet, da sie die durch reiche Beigaben verdeutlichten sozialen Positionen nicht innehatten.230 Ehefrau und Mutter sei für die Frauen die entscheidende Rolle gewesen, die durch reichen Schmuck präsentiert und hervorgehoben wurde.231 Bei Männern weisen die Waffen auf ihren Status als Familienoberhaupt und Haushaltsvorstand hin.232 Anhand der über die Beigaben dargestellten unterschiedlichen Rollen erkläre sich auch der Altersunterschied des Beigabenmaximums zwischen den Geschlechtern.233 Jugendliche Frauen waren meist schon verheiratet und hatten Kinder, wohingegen junge Männer sich erst einen gewissen Status innerhalb der Gesellschaft erarbeiten mussten, um Oberhaupt einer Familie werden zu können. Deshalb bekamen sie die ihnen zugehörigen Attribute (Waffen) erst später als die Frauen ihren Schmuck. Kinder waren im Normalfall noch zu klein, um diese Rollen auszuüben. Ihnen standen die damit verbundenen Beigaben entsprechend nicht zu; und sie wurden dadurch auch nicht mit ihnen bestattet. Ältere Personen hingegen gaben ihre Rollen – je nach Geschlecht früher oder später – an die folgende Generation ab. Damit zusammenhängend gaben sie auch die entsprechenden Attribute weiter, die dann nicht mehr als Bei-

225 Brather 2004b, 7, 30f., 55, 57; Brather 2004a, 406; Brather 2007, 196f.; Brather 2008a, 159; Brather 2008b, 257, 263, 270, 272; Brather et al. 2009, 288ff., 367, 371. 226 Brather 2004b, 21, 30; Brather 2004a, 406f.; Brather 2007, 198; Brather 2008a, 159; Brather 2008b, 251, 264; Brather 2008a, 159. 227 Brather 2004b, 7, 29, 31, 33; Brather 2004a, 406, 408; Brather 2007, 198; Brather 2008b, 264, 270. 228 Brather 2004b, 22, 30f, 49, 58; Brather 2005, 162f.; Brather 2007, 197f.; Brather 2008b, 264; Brather et al. 2009, 368. 229 Brather 2004b, 13f, 30f, 49, 57; Brather 2004a, 408f.; Brather 2008a, 159; Brather 2008b, 251, 270; Brather et al. 2009, 367. 230 Brather 2008b, 257, 263ff., 270; Brather et al. 2009, 376. 231 Brather 2004b, 21, 30f., 57; Brather 2004a, 407f.; Brather 2005, 162; Brather 2007, 198; Brather 2008b, 264f., 268; Brather et al. 2009, 308, 368f., 372. 232 Brather 2004a, 407; Brather 2007, 198. 233 Brather 2004b, 30; Brather 2004a, 407; Brather 2007, 197f.; Brather et al. 2009, 368ff.

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2 Bisherige Forschungen

gaben in den Gräbern auftauchen.234 So gab eine Frau ihre soziale Rolle und ihre umfangreiche Ausstattung ab, sobald ihre Söhne verheiratet waren. Da sie relativ früh verheiratet wurden, waren die Frauen erst um die 40, wenn ihre Söhne heirateten. Entsprechend seien nur noch ärmer ausgestattete Frauen über 40 auf den Gräberfeldern der Merowingerzeit zu finden.235 Dieser Theorie widersprechende Ausnahmen erklärt Brather teils mit den individuellen Schicksalen der Familien.236 Starb ein Elternteil zu früh, übernahmen die noch nicht erwachsenen Kinder die entsprechende Rolle in der Gesellschaft und die damit verbundene Ausstattung.237 Starb hingegen ein Kind vor den Eltern, mussten diese warten, bis ein anderes Kind alt genug für die Nachfolge war.238 Alternativ könne eine frühe Ausstattung mit geschlechtsspezifischen Beigaben ein Hinweis auf die spätere Rolle des Kindes sein.239 Gerade in Bezug auf die Mädchen geht Brather von einem Hinweis auf die Zukunft aus, da diese zu einem relativ frühen Zeitpunkt schon mit geschlechtsspezifischen Beigaben bestattet worden seien. Als potentiell heirats- und gebärfähige Töchter stellten sie eine „Zukunftsinvestition“ der Familie dar, deren Tod einen immensen Verlust für die Statussicherung der Familie bedeute. Dieser Verlust und die Rolle, die ein Mädchen einmal eingenommen hätte, werden durch die reiche Grabausstattung deutlich gemacht, um dadurch den Bruch im sozialen Netzwerk der Familie zu „flicken“.240 Wie bereits Guy Halsall241 stützt sich Brather neben den archäologischen Ausstattungsmustern auf die in der Lex Salica und Lex Ribvaria aufgeführten Wergelder (Tab. 1).242 Tab. 1: Wergeldsummen in Solidi in der Lex Salica und Lex Ribvaria nach Brather (Brather 2007, 200, Abb. 9; Brather 2004a, 407, Tab. 13).

Geschlecht

Alter Neugeborenes Kind (1–12 Jahre)

Jugendliche(r) (12–20 Jahre)

Erwachsene(r) (20–40 Jahre)

Alte(r) (>40 Jahre)

Junge / Mann

600

600

200

200 (–1800)

200

Mädchen / Frau

2400

200

200

600

200

234 Brather 2004a, 408; Brather 2007, 198; Brather et al. 2009, 376. 235 Brather 2004b, 33; Brather 2004a, 408. 236 Brather 2004b, 13f., 33; Brather et al. 2009, 372. 237 Brather 2004b, 33; Brather et al. 2009, 372. 238 Brather 2004b, 33. 239 Brather 2004b, 34; Brather 2008a, 159f.; Brather et al. 2009, 372. 240 Brather 2004b, 32ff.; Brather 2004a, 502; Brather 2007, 199; Brather 2008a, 159f. 241 Kap. 2.2.1.9. 242 Brather 2004a, 407, Tab. 13; Brather 2007, 198ff., bes. 200, Abb. 9; Brather 2004b, 31ff.; Brather 2008b, 267ff.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

37

Deren gestaffelte Höhe spiegle die soziale Wertschätzung wider. Im Vergleich mit der Altersabhängigkeit der Grabausstattung seien „verblüffende Parallelen“243 zu den Wergeldern feststellbar. So lassen sich in den beiden Leges keine Unterschiede hinsichtlich des sozialen Status’ für Frauen erkennen. „Statt dessen war das Lebensalter der entscheidende Gesichtspunkt.“244 Adulten Frauen wird der dreifache Satz zugewiesen.245 „In diesem Alter zwischen 20 und 40 waren die Frauen idealerweise Ehefrauen und Mütter; vor allem die Mutterrolle dürfte von sozialer Relevanz gewesen sein und strukturell den Ausschlag für das erhöhte Wergeld gegeben haben.“246 Jugendlichen hingegen steht nach den Leges nur der Mindestsatz Wergeld zu. Sie seien zwar schon erwachsen, hätten aber die sozialen Rollen noch nicht inne, die mit einem höheren Wergeld verbunden sind.247 Entsprechend würde auf ältere Frauen, die „jenseits eines „aktiven“ Lebens“ standen, ebenfalls nur noch die Standardsumme entfallen, da sie die sozialen Rollen nicht mehr ausübten.248 Verblüffend sei nur das „exorbitant hohe Wergeld für weibliche Neugeborene und Säuglinge. […] Der Grund [für den zwölffachen Satz] konnte nur in der sozialen Bedeutung der weiblichen Kleinkinder liegen.“249 Ihr Tod stelle einen einschneidenden, extremen Verlust dar. Es bestehe nun keine Möglichkeit mehr, durch eine zukünftige Verheiratung der Tochter soziale Bande zu knüpfen und den Status der Familie zu sichern oder auszubauen. Somit stelle der Tod der Tochter eine erhebliche „Gefahr“ für den Status der Familie dar, die nicht nur durch die Höhe des Wergeldes, sondern auch im Reichtum der Grabausstattung zu Tage trete.250 Jungen hingegen wurde durchgehend in jedem Alter der dreifache Wergeldsatz zugestanden.251 Ihre soziale Bedeutung erlangten sie erst als erwachsene Männer in der Rolle als Familienoberhaupt. Brathers Aussage, Fibeln seien das Attribut adulter Frauen,252 sticht im Zusammenhang mit der hier behandelten Fragestellung ins Auge. Allerdings ist die von ihm berücksichtigte Stichprobe253 nicht besonders umfangreich: Es handelt sich um 17 Gräber mit Bügelfibeln und 19 Gräber mit Kleinfibeln, wobei es sicherlich Überschneidungen von Gräbern gibt, die beide Fibelgattungen enthalten. Später ergänzt er

243 Brather 2004b, 31. 244 Brather 2004b, 32. 245 Brather 2004b, 32; Brather 2007, 199. 246 Brather 2004b, 32. 247 Brather 2004b, 33. 248 Brather 2004b, 33. 249 Brather 2004b, 32. 250 Brather 2004b, 32; Brather 2007, 199. 251 Brather 2004b, 32f. 252 Brather 2004b, 22, 30 f. 49, 58; Brather 2005, 162f.; Brather 2007, 198; Brather 2008b, 264; Brather et al. 2009, 368. 253 Es handelt sich um das Gräberfeld von Pleidelsheim. Brather 2004b, bes. 21 f. mit Tab. 8, 30f.  



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2 Bisherige Forschungen

die Pleidelsheimer Ergebnisse mit weiteren Daten.254 Folgende Einschränkung stellt jedoch den Aussagewert der Tabelle an sich in Frage: „Die Aufstellung vermittelt jedoch nur eine ungefähre Vorstellung, da für jede Altersstufe erst das hier vernachlässigte Verhältnis zu den Gräbern ohne Fibeln entscheidenden Aufschluß gibt“255. Auf dieses Problem hatte er bereits 2005 in anderem Zusammenhang hingewiesen: „Je häufiger eine Beigabe vorkommt, desto eher ist sie durch alle Altersgruppen vertreten; daher kann ein seltenes Auftreten nicht gleich als charakteristisch für ein bestimmtes Lebensalter gelten.“256 Diese Einschränkungen relativieren allerdings auch die generellen Aussagen in Bezug auf ein allgemeines Ausstattungsmaximum der adulten und teilweise auch maturen Individuen, das als Zeichen für deren Ausübung der entscheidenden sozialen Rollen gewertet wird. Denn der scheinbar größere Aufwand bei der Grabausstattung Adulter geht einher mit einem deutlichen Übergewicht anthropologisch als adult bestimmter Individuen. Sämtliche Aussagen zu einer scheinbaren Bevorzugung erwachsener Personen bei der Grabausstattung und einer altersabhängigen Differenzierung von Beigaben sind vor diesem Hintergrund mit Vorsicht zu genießen, denn sie basieren in der Regel auf den falschen Grunddaten. Brathers „Faustregel“257 stimmt zwar insofern, dass je seltener Grabbeigaben sind, sie desto eher auf adulte (und mature) Frauen und Männer beschränkt blieben. Seine Fortführung des Satzes hingegen – „denn diese füllten die entscheidenden sozialen Rollen aus“258 – sollte eher in „denn diese sind statistisch am häufigsten vertreten und hier ist demnach die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Beigaben am höchsten“ umgewandelt werden, wie es 2005 schon anklang259. Entscheidende Auswirkungen haben diese Überlegungen auf die Annahme, dass sich bei den Frauen „ein größerer Aufwand auf das gebär- und heiratsfähige Alter“260 konzentriere und die Frauen diesen Alters mit mehr Beigaben ausgestattet wurden als jüngere und ältere Personen. Wenn sich diese These relativiert, indem die Daten ins Verhältnis zu den die jeweilige Beigabe nicht enthaltenden Gräbern gesetzt werden, stellt sich die Frage, ob der Umfang der Beigabenausstattung tatsächlich altersabhängig ist und ob darüber soziale Rollen und deren Wertschätzung in der damaligen Gesellschaft dargestellt wurden.

254 Brather 2007, 198, Tab. 2. Die Daten beruhen auf der Arbeit von Strauß 1992; Brather 2008b, 265f, Tab. 5. 255 Brather 2007, 198; In identischem Wortlaut: Brather 2008b, 266. Zur Problematik der Referenzwerte Kap. 4.2.2.2. 256 Brather 2005, 163. 257 Brather 2004b, 31. 258 Brather 2004b, 31. 259 Brather 2005, 163. 260 Brather 2008b, 265.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

39

Kritisch zu betrachten ist auch die Interpretation der Wergelder, die in den frühmittelalterlichen Leges überliefert sind. Am Auffälligsten sind die bei Brather aufgeführten 2400 Solidi für weibliche Neugeborene und Säuglinge.261 Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Höhe fallen sie völlig aus dem Rahmen und konnten bisher nicht plausibel erklärt werden. Bei der entsprechenden Erwähnung262 in der Lex Salica handelt es sich jedoch nicht um einen Teil des eigentlichen Textes, sondern um ein späteres Kapitular263. Diese Nachträge gehören streng genommen nicht zur ursprünglichen Lex und können nur unter gewissem Vorbehalt herangezogen werden. Der hier angeführte § 104 ist zudem Teil des Kapitulars III in Eckhardts Edition, welches er aus mehreren, sehr uneinheitlichen über den ganzen Haupttext verstreut adkapitulierten Paragraphen oder Paragraphengruppen zusammenfügte. Sie sind darüber hinaus nur in wenigen Handschriften enthalten und „weder formal noch inhaltlich als Zusätze und Novellen zur Lex Salica“264 anzusehen. Es lasse sich nicht erkennen, dass sie – wie die eigentlichen Leges und Kapitularien – aus einem gesetzgeberischen Akt hervorgegangen seien und als Kapitularien angesehen werden können.265 Aufgrund seines Vorgehens bei der Erstellung der Edition und der Trennung in Pactus und Lex266 sieht die jüngere Forschung Eckhardts Edition äußerst kritisch.267 Inzwischen gibt es auch Stimmen, die nahelegen, seine Edition nicht mehr zu verwenden.268 Im ursprünglichen Text der Lex Salica, der in die Zeit um 510 n. Chr. datiert wird, ist für ungeborene oder noch namenlose Kinder beiderlei Geschlechts ein Wergeld von 100 Solidi aufgeführt.269 Dieser Wert deckt sich mit den Angaben in der ebenfalls von Brather erwähnten Lex Ribvaria.270 Glaubhafter werden diese Angaben auch  

261 Brather 2004a, 407, Tab. 13; Brather 2007, 200, Abb. 9. 262 § 104,8. CIV. De muliere caesa uel excapillata. Eckhardt 1962, 260. 263 Was Halsall richtig anmerkt: Halsall 1995b, 72. Die ursprüngliche Lex entstand nach gängiger Meinung zwischen 507–511 n. Chr. unter Chlodwig. Die Kapitularien sind später im 6. Jahrhundert zu verorten und entstanden wohl während der Regierungsjahre seiner Söhne und Enkel Childebert I., Chlothar I. und Chilperich I.: Drew 1991, 28, 50–53, 129 (Fußnote 69); Schmidt-Wiegand 1971, Sp. 1958; Schmidt-Wiegand 2001, 326. 264 Schmidt-Wiegand 1971, Sp. 1958. 265 Schmidt-Wiegand 2001, 329. Ebenso: Woll 1995, 179–183, 251; Kroeschell 1995, 742. 266 Die von Eckhardt vorgenommene Unterteilung in Pactus Legis Salicae und Lex Salica anhand der Datierung und den Fassungen wird als nicht gerechtfertigt angesehen: Schmidt-Wiegand 2001, 327. 267 Woll 1995, 181–183; Schmidt-Wiegand 2001, 327; Coumert 2015 und Aussage beim Colloque international „L’Austrasie: pouvoirs, espaces et identités à la charnière de l’Antiquité et du Moyen Âge“ Saint-Dizier – Reims, 9.–12. September 2015 (An dieser Stelle Dank an Prof. S. Brather für die Informationen zur Tagung). 268 Coumert 2015 und Aussage beim Colloque international „L’Austrasie: pouvoirs, espaces et identités à la charnière de l’Antiquité et du Moyen Âge“ Saint-Dizier – Reims, 9.–12. September 2015; Woll 1995, 266. 269 Eckhardt 1962, 91 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,6). 270 Beyerle/Buchner 1954, 94 (40. De diversis interfectionibus §.40.10.).  

40

2 Bisherige Forschungen

durch das Wergeld für Schwangere (700 Solidi), das sich aus den Beträgen für eine gebärfähige Frau (600 Solidi) und ein ungeborenes Kind (100 Solidi) zusammensetzen lässt.271 Insgesamt erscheint damit die Angabe von 100 Solidi für ein Ungeborenes bzw. Kleinstkind plausibler zu sein, als die 2400 Solidi des ergänzten jüngeren § 104 in Eckhardts Kapitular III. Die Angaben Brathers zu den Kindern stimmen ansonsten mit den überlieferten Wergeldhöhen in den Leges überein, allerdings sind nicht in jedem Gesetzestext alle Gruppierungen erwähnt272. Für Jungen wurden 600, für Mädchen 200 Solidi verlangt. Teilweise wird 10 oder häufiger 12 Jahre, oft auch das noch lange Haar, als Altersobergrenze für Kinder genannt.273 Jugendliche als eigenständige Altersgruppe sind in keiner der Leges zu finden, auch wenn Brather diese Kategorie in seiner Tabelle auflistet. Für die Wergelder der Erwachsenen wird je nach Geschlecht unterschiedlich vorgegangen. Männer werden nach ihrem Status und ihrer Königsnähe beurteilt, entsprechend sind Wergelder bis zu 600 Solidi fällig. Eine Staffelung nach dem Alter findet sich für Männer nicht. Das bei Brather aufgeführte Maximum von 1800 Solidi in der Lex Salica-Überlieferung bezieht sich auf beide Geschlechter – nicht nur auf Männer, die zudem aus königlichem Gefolge stammen müssen – und es stellt nicht den Regelfall dar. Genannt wird es im Zusammenhang mit besonderen Begebenheiten wie der versuchten Vertuschung der Tat oder dem Verstecken des Körpers.274 Auch Männer aus dem königlichen Gefolge auf Heerfahrt oder im eigenen Haus genießen diesen besonderen Schutz.275 Frauen wurden teilweise nach ihrem Status unterschieden, primär jedoch danach, ob sie Kinder bekommen können, was indirekt einer Altersstaffelung entspricht. Die Tötung eines Mädchens wird mit 200 Solidi geahndet. Frauen, die begonnen haben, Kinder zu bekommen, werden mit ei-

271 Eckhardt 1962, 91 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,5, §.24,6 und §.24,8); K.A. Eckhardt 1969, 213 (XXXIII. De his qui pueros uel puellas occiderint uel totonderint §.33.4, §.33.5, §.33.7); Beyerle/Buchner 1954, 94 (40. De diversis interfectionibus §.40.10.). 272 Die Lex Ribvaria nennt keine Jungen, nur Mädchen. Für das männliche Geschlecht sind nur Neugeborene und Erwachsene aufgeführt. 273 Eckhardt 1962, 89 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,1), hier aber 12 Jahre angegeben statt 10 Jahren wie bei Eckhardt 1935, Kap. 24.1; Eckhardt 1962, 90 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,4) – Eckhardt 1935, Kap. 24.2; Eckhardt 1969, 70 (XXXI. De homicidiis paruolorum uel muliereum §.31.1), 70 (XXX. §.30.1.), 213 (XXXIII. De his qui pueros uel puellas occiderint uel totonderint §.33.1., §.33.2., §.33.6.) Meist findet sich nur für die Jungen eine Altersangabe. Für den weiblichen Teil der Bevölkerung wird zwischen „Mädchen“ und „Frau, die begonnen hat, Kinder zu bekommen“ unterschieden. 274 Eckhardt 1962, 156 (XLI. De homicidiis ingenuorum §.41,6). Bei Verstecken des Körpers nach einem Mord an einem Mann aus königlicher Gefolgschaft oder einer freien Frau; Eckhardt 1969, 116 (LXVIII. De homicidiis ingenuorum §.68.5.) Bei Verstecken des Leichnams eines Mannes aus königlichem Gefolge. 275 Eckhardt 1962, 162 (XLII. De homicidiis a contubernio factis §.42,1) und Eckhardt 1962, 230 (LXIII. De homine in hoste occiso §.63,2 Männer aus königlichem Gefolge); Eckhardt 1969, 116 (LXVIII. De homicidiis ingenuorum §.68.1 zu §.68.4.).

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

41

nem Wergeld von 600 Solidi gesühnt. Hingegen wird man für den Mord an einer Frau jenseits der reproduktiven Phase mit 200 Solidi belangt.276 Nach den Angaben direkt aus der Lex Salica selbst sieht eine Tabelle zu den Wergeldern folgendermaßen aus (Tab. 2). Tab. 2: Wergeldsummen in Solidi in der Lex Salica nach Eckhardt (Eckhardt 1962). Alter Neugeborenes

Kind

Erwachsen

„Alt“

Geschlecht Junge / Mann

100

600

200–600



Mädchen / Frau

100

200

600 700 (Schwanger)

200

Junge = jünger als 12 Jahre. Mädchen = „bevor es Kinder bekommen kann“. Frau = „hat begonnen, Kinder zu bekommen“. Alt = „kann keine Kinder mehr bekommen“. Mann: Für einen Freien wird der Wert von 200 Solidi genannt. Königsnähe erhöht das Wergeld auf 600 Solidi.

Die angesprochenen Unterschiede zu Brathers Auflistung (Tab. 1, s. o.) sind dabei nicht nur für die vorliegende Fragestellung von Belang. Meines Erachtens ist eine Parallelisierung der Wergelder in der Lex Salica und Lex Ribvaria277 mit einem altersund rollenabhängigen Anstieg im Umfang der Beigabenausstattung wie von Brather angenommen nicht erkennbar. Weiterhin fällt der Unterschied zu anderen Leges auf, die eine deutlich andere Staffelung der Wergelder aufweisen. Hier findet sich bei einem Vergehen an Frauen eine generelle Dopplung der Sühne im Verhältnis zu den gleichrangigen Männern.278 Besonders einprägsam ist in diesem Zusammenhang die Lex Baiuvariorum, die Frauen mit der Begründung, dass diese sich nicht mit einer Waffe wehren können, den doppelten Satz Wergeld zuspricht. Konsequenterweise gilt für eine Frau, die „aus der  

276 Eckhardt 1962, 92 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,8 und 9); Eckhardt 1969, 72 (XXXII. §.32.1 und XXXIII. §.33.1.–2.), 73 (XXXI. §.31.1., XXXII. §.32.1.–2.), 213 (XXXIII. De his qui pueros uel puellas occiderint uel totonderint §.33.6.–8.) – Beyerle/Buchner 1954, 78 (12. De homicidiis mulierum §.12.1.), 79 (13. De homicidiis puellarum §.13.). 277 Die Lex Ribvaria hat keine Jungen-Kategorie, nur eine starke Staffelung der erwachsenen Männer je nach Status. Auch bei den Frauen wird nach ihrem Status (Freie, Unfreie, Unverheiratet) unterschieden, nicht nur nach ihrer Gebärfähigkeit. 278 Von Schwind 1926, 335 (Titulus IV., §. XXX. De eorum feminis); Eckhardt/ Lehmann 1966, 108 (E codd. A XLVIII bzw. E codd. B: XLIX) – Eckhardt/Lehmann 1966, 130 (E codd. A: LX bzw. E codd. B: LXVIII).

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2 Bisherige Forschungen

Kühnheit ihres Herzens heraus wie ein Mann kämpfen will“, dass ihre Sühne nicht gedoppelt wird.279 Für diese Leges scheint die größere Schutzbedürftigkeit bzw. Wehrlosigkeit weiblicher Personen ausschlaggebend zu sein. Unabhängig von diesen formalen Abweichungen fehlt bei Brather für die Differenzen zwischen seiner Tabelle und seiner Interpretation bzw. für Teile davon eine überzeugende Erklärung. Das aus dem Rahmen fallende extrem hohe Wergeld für weibliche Säuglinge erklärt er über den Verlust der zukünftigen Rolle, die das Mädchen für den Erhalt des sozialen Status’ ihrer Familie hätte einnehmen können. Hierzu ist Folgendes anzumerken: Grundsätzlich würde man erwarten, dass in einer patriarchal geprägten Gesellschaft, wie sie für das Frühmittelalter angenommen wird, männliche Nachkommen für den Erhalt des Familienstatus wichtiger waren als Töchter. Eine entsprechende Höherwertung der Jungen wäre vor diesem Hintergrund logischer als die der Mädchen. Die salischen Gesetzestexte unterstützen eine entsprechende Erklärung sogar, da hier die Jungen ein dreifach höheres Wergeld erhalten als Mädchen.280 Erwachsene Männer hingegen sind mit einem eher geringeren Wergeld belegt als Frauen, im besten Fall reicht es an das der Frauen heran.281 Sollte Brathers Überlegung bezüglich der zukünftigen Rollen für weibliche Säuglinge zutreffen, müsste sie gleichfalls für Mädchen und junge Frauen gelten. Denn auch diese haben das Potential, in der Zukunft Ehefrau und Mutter zu werden und so den sozialen Status der Familie zu festigen. Bei ihnen wäre eine entsprechende Wertung dieser verlorenen Chance im Grab sogar nachvollziehbarer, da sie die kritischen (Klein-)Kinderjahre überlebt haben und eine Heirat nicht mehr nur eine Option in ferner Zukunft war, sondern vielleicht schon durch eine Verlobung oder ein Heiratsversprechen eine konkret greifbare Realität geworden war. Auch Brather fiel auf, dass nicht alle Ausstattungsmuster zu seiner Erklärung passten. Es gibt kleine Kinder und alte Menschen mit einer sehr reichen Grabausstattung, die sich mit der Bevorzugung einer bestimmten Altersgruppe und der Demonstration der von dieser Gruppe ausgefüllten sozialen Rolle nicht in Zusammenhang bringen lassen. Diese Abweichungen von der Norm sind laut Brather mit den individuellen Schicksalen der Familien zu erklären. Unabhängig von der Überlegung, reiche Mädchengräber seien durch die Demonstration ihrer zukünftigen Funktion bedingt, äußert er, dass es sich hierbei zum Einen um Kinder handelt, deren entsprechendes Elternteil starb, bevor der vorgesehene Zeitpunkt für die Übernahme der sozialen Rolle erreicht war. Die Kinder mussten diese verfrüht übernehmen und wurden mit den zugehörigen Attributen ausgestattet. Zum Anderen handle es sich um Eltern, deren Kinder starben, bevor diese alt genug waren, um die Rolle von ihren Eltern

279 Eckhardt 1934b, 109 (§. 4.29.) 280 Eckhardt 1962, 89–92 (XXIV. De homicidiis paruolorum §.24,1., §.24,2.); Eckhardt 1934a, Kap. 26.1., 26.6. 281 Nur in der Lex Ribvaria wird einzig für einen Bischof ein höherer Wert als für die Frauen aufgelistet: Beyerle/Buchner 1954, 94 (40. De diversis interfectionibus §.40.9.).

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

43

übernehmen konnten. Deshalb waren die Eltern gezwungen, diese länger als vorgesehen auszuüben. Beide Erklärungsstränge setzen jedoch voraus, dass die zu jungen oder zu alten Rolleninhaber ihrerseits relativ bald nach diesem Ereignis starben, bevor sie das adäquate Alter erreichten bzw. andere Nachkommen alt genug für die Übernahme waren. Denn nur dann ist die – nur begrenzte Zeit vorhandene – Abweichung von der Norm im Grab erkennbar. Weiterhin ist zu bedenken, dass im Fall von zu früh verstorbenen Eltern diese ohne die ihrem Alter und ihrer sozialen Rolle entsprechenden Beigaben bestattet worden sein mussten, da die Attribute zusammen mit der Rolle an die Folgegeneration weitergegeben wurden und nicht mit ins Grab gelangten. Für ältere Menschen mit reichen Beigaben muss zudem gelten, dass sie ohne eine nächste Generation verstarben und nicht, dass nur das älteste Kind starb und die anderen noch nicht alt genug waren. In diesem Fall hätten – in Übereinstimmung mit der Erklärung für Kinder mit reichen Beigaben – die hinterbliebenen Kinder die Rolle ihrer verstorbenen Eltern übernehmen können. Ältere Menschen mit reichen Beigaben sollten demnach nur selten zu finden sein. All diese von der Norm abweichenden Fälle treten aber zu häufig auf, als unter den gegebenen Bedingungen zu erwarten wäre.

2.2.2 Altersabhängigkeit des Fibelgebrauchs Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, befasste sich der überwiegende Teil der Arbeiten zur Altersabhängigkeit mit der gesamten Grabausstattung. In diesen wurde den Fibeln als hervorstechendem Bestandteil reicher, „vollständiger“ Grabausstattungen ein besonderer Charakter zugeschrieben, weshalb sie in der Folge bei der Zuordnung dieser Beigabenensembles zu bestimmten, altersabhängigen sozialen Rollen eine entscheidende Rolle einnahmen. Einige Studien beschäftigten sich jedoch ausschließlich mit Fibeln und dem ihnen zugesprochenen Zeichencharakter. Ziel des folgenden Kapitels ist es, diese Studien vorzustellen und zu bewerten. Denn auf diese Arbeiten verweist die archäologische Literatur zur Merowingerzeit immer wieder als Beleg für eine Altersabhängigkeit der Fibeln beziehungsweise der These, Fibeln würden in einem bestimmten Lebensabschnitt erworben, ein Leben lang getragen und beim Tod mit ins Grab gegeben. Am meisten Beachtung fand der Aufsatz „Beobachtungen an den frühmittelalterlichen Bügelfibeln von Altenerding“ von Max Martin.282 Er war lange Zeit für die Merowingerzeit die einzige empirische Untersuchung zu diesem Thema.

282 Martin 1987a.

44

2 Bisherige Forschungen

2.2.2.1 Das Gräberfeld von Hemmingen Die bereits 1976 erschienene Arbeit von Hermann Friedrich Müller, „Das alamannische Gräberfeld von Hemmingen“283 wurde von Max Martin in seinem Artikel „Beobachtungen an den frühmittelalterlichen Bügelfibeln von Altenerding“284 als Belegstudie für eine Korrelation von Sterbealter und Abnutzungsgrad genannt, wobei sich hier aufgrund der geringen Zahl an Fibeln „die Tendenz der Altenerdinger Fibeln weder klar bestätigen noch widerlegen“285 lasse. In Hemmingen wurden 42 Bügelfibeln aus 20 Gräbern geborgen – im Verhältnis zur Gesamtzahl an Bestattungen (59) keine kleine Zahl.286 Dies liegt zum einen daran, dass sich Hemmingen im mittleren Neckartal befindet, einer Region, die in der älteren Merowingerzeit generell reicher ausgestattete Gräberfelder aufweist als beispielsweise die Region Altbayern, zu der Altenerding gehört. Darüber hinaus datieren alle Gräber von Hemmingen in die zweite Hälfte des 5. und erste Hälfte des 6. Jahrhunderts, und somit ausschließlich in die sogenannte Zeit der Vierfibelkleidung, wohingegen ein Großteil der Gräber von Altenerding aus einer Zeit stammt, in der die Vierfibelkombination nicht mehr üblich war, also keine Bügelfibeln mehr in die Gräber gelangen konnten. Zwar beschäftigte sich Müller tatsächlich mit der Altersabhängigkeit und Gebrauchsdauer von Fibeln, doch er kam zu einem anderen Ergebnis als später Max Martin oder Jasper von Richthofen. Müllers Ausführungen basierten nach seiner Aussage auf der Erkenntnis Joachim Werners, der die Laufzeit einer „langobardischen“ Fibel auf über 50 Jahre habe festlegen können.287 Daraus folgerte Müller, „daß man Schmuckgegenstände von einer Generation auf die folgende weitergegeben hat“.288 Demnach sei auch die Auffassung unbegründet, eine Frau werde nach ihrem Tod mit „ihrem Schmuck“289, also ihrem persönlichen Eigentum bestattet.290 Müller argumentierte weiterhin, dass „man aus dem Sterbealter nicht a priori auf die Tragezeit der beigegebenen Trachtbestandteile schließen dürfe(n)“.291 Denn seine Untersuchung habe ergeben, „daß das Lebensalter der Bestatteten und die Tragzeit von Fibeln einander nicht unbedingt entsprechen müssen“.292 Die erwähnten Untersuchungen werden zwar nicht weiter erläutert, doch deren Ergebnisse müssen für Müller eindeutig gewesen sein, um solch klare Aussagen treffen zu können.

283 284 285 286 287 288 289 290 291 292

Müller 1976. Martin 1987a. Martin 1987a, 279 f. Müller 1976, 9, 102. Werner 1962, 63. Müller 1976, 108. Hervorhebung durch Müller. Müller 1976, 108. Müller 1976, 108. Müller 1976, 111.  

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

45

Seiner Meinung nach müsse man „auf die Vorstellung verzichten, eine Frau habe in einem bestimmten Lebensalter ein Fibelpaar erhalten, dasselbe bis ins Alter getragen und mit ins Grab bekommen“.293

2.2.2.2 Bügelfibeln von Altenerding Max Martin setzte sich in seiner 1987 erschienenen Arbeit zum Ziel, zu untersuchen, „wie oft sich die weibliche Oberschicht der Merowingerzeit im Verlaufe eines Jahres mit dem Bügelfibelpaar schmückte“.294 Allerdings hielt er „empirische Versuche oder physikalische Berechnungen der Zeitdauer, die einem bestimmten Abnutzungsgrad zugrunde liegt, [für] kaum sinnvoll“, um zu Ergebnissen über die Gebrauchsdauer zu gelangen.295 Eine andere Möglichkeit der Untersuchung dieser Frage sei noch nicht systematisch durchgeführt worden: „Wir können uns fragen, welchen Abnutzungsgrad die Fibeln jener Besitzerinnen erreichten, deren Sterbealter, d. h. Lebenszeit uns dank anthropologischer Untersuchungen bekannt ist“.296 Diesen Ansatz wandte Martin an den Bügelfibeln des Gräberfeldes von Altenerding in Oberbayern an, da dieses zum Zeitpunkt der Untersuchung die größte Serie eines Fundplatzes mit dokumentiertem Grabzusammenhang darstellte.297 In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass von den über 1300 Gräbern 35 Bestattungen einzelne Bügelfibeln oder Bügelfibelpaare enthielten,298 was leider im Verhältnis zur Gesamtindividuenzahl des Gräberfeldes nicht sehr viel ist und statistisch sichere Aussagen erschwert oder gar unmöglich macht. Die 62 untersuchten Bügelfibeln unterteilte Martin in drei Abnutzungsstufen: kaum, sichtbar bis deutlich und kräftig abgenutzt. Es seien die Abnutzungsspuren an Nadelrast, Rand und Fibeloberseite berücksichtigt worden, doch wie diese untersucht wurden und nach welchen Kriterien die Klassifizierung erfolgte, erläuterte Martin nicht. Damit bleibt aber unklar, worin beispielsweise der konkrete Unterschied zwischen einer kaum und einer sichtbar abgenutzten Fibel liegt. Martin fasste seine Ergebnisse in einer Tabelle zusammen (Vgl. Tab. 37, Kap. 4.5.2.1).299 Hervorzuheben ist, dass es keine Individuen der Stufe Infans II gibt. Auch die anderen subadulten Altersstufen sind selten vertreten. Nur zwei Individuen gehören zu Infans I, fünf wurden von Martin der Stufe Juvenil zugeordnet. Von diesen bezeichnete Martin selbst jedoch zwei (Grab 31 und 1237) übereinstimmend zum Katalogtext als Frühadult, diese Gräber dürften somit nicht mehr zur Stufe Juvenil gezählt werden. Zudem gehört auch Grab 105 nach der anthropologischen Bestimmung im Ka 

293 294 295 296 297 298 299

Müller 1976, 108. Martin 1987a, 278. Martin 1987a, 278. Martin 1987a, 278. Martin 1987a, 269. Martin 1987a, 278. Martin 1987a, 279, Abb. 4.

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2 Bisherige Forschungen

talog zu den Frühadulten, so dass insgesamt nur noch zwei Individuen der juvenilen Altersstufe zuzuordnen sind. Von den beiden Kindern (Infans I) hatte eines eine kaum abgenutzte Fibel, das andere eine sichtbar bis deutlich abgenutzte. Einer der Juvenilen wurde eine sichtbar bis deutlich abgenutzte Fibel beigegeben, die anderen erhielten kaum abgenutzte Fibeln. Bei den adulten Individuen kommen Fibeln aller Abnutzungsstufen vor, doch überwiegt der mittlere Abnutzungsgrad mit sechs Individuen im Gegensatz zu je drei bei den anderen Stufen. Kaum abgenutzte Fibeln tauchen bei den Maturen nicht auf. Die beiden anderen Abnutzungsstufen sind mit drei bzw. vier Gräbern relativ gleichmäßig vertreten. Abgesehen von einem kaum abgenutzten Fibelpaar sind in der senilen Altersgruppe bei jeweils vier Individuen sichtbar bis deutlich beziehungsweise kräftig abgenutzte Fibeln im Grab vorhanden. Auffallend an dieser Tabelle ist einerseits das nur vereinzelte Vorkommen von Fibeln bei Subadulten, andererseits sticht das relativ ausgeglichene Verteilungsmuster bei den Maturen und Senilen ins Auge. Träfe Martins Grundthese zu, dass Fibeln im jugendlichen Alter erworben und im Regelfall bis zum Lebensende getragen wurden, würde man mehr Juvenile mit kaum abgenutzten Fibeln und weniger Adulte mit kräftig abgenutzten Fibeln erwarten. Zudem müsste der Verteilungsschwerpunkt bei den Adulten eher bei den kaum abgenutzten Fibeln liegen. Auch das Verhältnis bei den maturen und senilen Altersstufen sollte sich mit zunehmendem Sterbealter mehr zu einer stärkeren Abnutzung hin verschieben, als dies der Fall ist. Nach Martins Meinung zeichnete sich bei einem Vergleich von Abnutzungsgrad der Fibeln und Sterbealter der Fibelträgerinnen die Tendenz ab, dass der Grad der Abnutzung mit dem Lebensalter ansteige.300 Sollte die erkannte Tendenz sich auch bei anderen Gräberfeldern bestätigen, so gelte laut Martin Folgendes: „Zur Merowingerzeit erhielten weibliche Angehörige der wohlhabenden Oberschicht im juvenilen Alter ein Bügelfibelpaar, das gewöhnlich – abgesehen von Ausnahmen wie im Falle von Verlust oder (nicht reparierbarer) Beschädigung und Abnutzung – bis ans Lebensende, also nicht selten länger als drei Jahrzehnte getragen wurde“.301 Aufgrund der Begrenztheit seiner Stichprobe gab Martin aber zu bedenken, dass erst weitere Untersuchungen an anderen Fibelserien klären müssten, ob der Altenerdinger Befund ein Zufall oder der Regelfall sei.302 Die älteren Untersuchungen in Hemmingen303 und Schretzheim304 konnten das von ihm erhaltene Ergebnis weder bestätigen noch widerlegen, so Martin.305 Er begründete dies mit der kleinen Anzahl an Fibeln aus diesen Gräberfeldern, die ein eindeutiges Ergebnis nicht zulasse. Allerdings erwähnte er in

300 301 302 303 304 305

Martin 1987a, 278. Martin 1987a, 280. Martin 1987a, 279 f. Nach Losert 2003, 189 f. steht der Nachweis 2003 noch aus. Müller 1976. Siehe vorangegangenes Kapitel (Kap. 2.2.2.1). Koch 1977. Martin 1987a, 279 f.  





2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

47

den Anmerkungen 23 und 24 abweichend vom eigentlichen Text, dass beide Befunde seinen Ergebnissen widersprächen.306 Wie bereits erwähnt, wollte Martin eigentlich bestimmen, wie oft im Jahr Bügelfibeln getragen wurden, indem er den Abnutzungsgrad der Fibeln mit dem Sterbealter der Bestatteten verglich. Dies sei die einzig sinnvolle Methode im Vergleich zu empirischen Versuchen oder physikalischen Berechnungen. Doch mit seinen folgenden Untersuchungen konnte er nur die von ihm vorgeschlagene methodische Grundlage belegen; denn er untersuchte ja, ob es einen Zusammenhang zwischen Sterbealter und Abnutzungsgrad gibt. Eine Tragefrequenz konnte er damit nicht ermitteln, doch davon ist auch nur in den einleitenden Sätzen zum Unterkapitel „Zur Lebensdauer der Bügelfibeln“ die Rede. Im Hauptteil versuchte er dann nur noch, seine Grundannahme zu bestätigen. Belegen sollte dies die bereits besprochene Tabelle (Tab. 37, Kap. 4.5.2.1), in der die Abnutzungsgrade mit dem jeweiligen Sterbealter in Verbindung gebracht wurden. Bei den fett gedruckten Grabnummern in der Tabelle handelt es sich um Fibelpaare, bei den normal gedruckten um Einzelstücke. Diese Überlegung ergibt 60 für die Auswertung verwendete Fibeln. Jedoch ergeben die in der abschließenden unteren Zeile der Tabelle angegebenen verwendeten Einzelfibeln und Fibelpaare dagegen 62 Stück.307 Diese Differenz entsteht durch unterschiedliche Angaben bei den Juvenilen und Senilen; offenbar sind die Gräber 105 und 192 versehentlich nicht als Fibelpaare gekennzeichnet worden. Auch wenn sich der von Martin angenommene Trend scheinbar bestätigt, kann es sich durch die geringe Datenbasis von 35 Gräbern um einen statistischen Zufall handeln, was Martin selbst anmerkt.308 Mit Martins Daten lässt sich allenfalls aussagen, dass tendenziell ältere Frauen auch stärker abgenutzte Fibeln ins Grab gelegt bekamen. Weiterhin spricht Martins Tabelle auch nicht für einen Erwerbungszeitpunkt in juvenilem Alter, sondern genau genommen lediglich für eine regelmäßige Beigabe der Fibeln ab der adulten Altersstufe. Hier treten die Fibeln aber in allen Abnutzungsgraden auf, überwiegend sogar als sichtbar bis deutlich abgenutzte Exemplare. Die von Vielen als Beleg für die Personengebundenheit angeführte Studie Martins ist also insgesamt gesehen kritisch zu bewerten und kann nicht als Beweis für die von Martin formulierte Regel gelten. Am Beispiel von Altenerding lässt sich nicht belegen, dass Bügelfibeln in juvenilem Alter erworben und im Regelfall bis ans Lebensende getragen wurden.

306 Martin 1987a, 279. 307 Martin nennt die genaue Anzahl untersuchter Fibeln im Text nicht, erst das Nachzählen in der Tabelle ergab die genannten Zahlen. 308 Martin 1987a, 279 f.  

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2 Bisherige Forschungen

2.2.2.3 „Fibeltracht“ der Merowingerzeit 1992 veröffentlichte Ernst-Günter Strauß seine „Studien zur Fibeltracht der Merowingerzeit“.309 Im Vordergrund der Arbeit stand die Verwendung der Fibeln; technologische Details und typologische Aspekte spielten eine untergeordnete Rolle.310 Anhand der Lage der Fibeln auf dem Körper der Toten sollte Fragen zur deren Trageweise nachgegangen werden. Dabei sei besonders die „Frage nach einer Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen durch unterschiedliche Tracht oder Fibelgruppen“311 von Bedeutung und zentraler Bestandteil seiner Untersuchung. Auch Aussagen zur sozialen Stellung der Verstorbenen waren für ihn von Belang.312 Die fünf von Strauß aufgestellten „Fibeltrachten“ unterschieden sich vor allem durch die unterschiedliche Anzahl zugehöriger Fibeln.313 Von diesen waren aber nur die ersten vier – Einfibeltracht, Zweifibeltracht, Dreifibeltracht und Vierfibeltracht – für ihn von weiterem Interesse. Diese Funktionsgruppen unterteilte er zusätzlich noch in Funktionstypen, die er aus der Lage der Fibeln im Grab herleitete.314 Für beide Gliederungsschritte erfolgte jeweils eine Analyse von chronologischem Auftreten, Häufigkeit der einzelnen Fibelgruppen, geographischer Verbreitung und Verteilung auf die anthropologischen Altersklassen. Einschränkend auf die Aussagekraft seiner Ausführungen wirkt sich aus, dass Strauß für sein ganz Europa umfassendes Untersuchungsgebiet315 trotz der auf den ersten Blick beeindruckenden Zahl von 2286 berücksichtigten Gräbern316 letztlich eine eher schmale Datenbasis zur Verfügung hat. Diese musste er noch auf 1218 Individuen einengen, da nur hier Angaben zur Lage der Fibeln vorhanden waren.317 Von diesen wiederum lag bei 70,3 % keine anthropologische Bestimmung vor.318 Für eine Untersuchung der Altersabhängigkeit von Fibeln und Fibelausstattungen blieben nach seiner Abb. 59 somit nur 362 Individuen übrig.319 Methodisch problematisch ist auch das Vorgehen von Strauß, als „Erwachsen“ beschriebenen Individuen ausschließlich der Altersklasse „Adult“ zuzuordnen320, denn die nicht weiter eingrenzbare Zuordnung „Erwachsen“ umfasst auch die Altersklassen Matur und Senil. Mit dieser Einordnung schuf Strauß ein künstliches Übergewicht der adulten Altersklasse, das nicht der Realität entspricht.  

309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320

Strauß 1992. Strauß 1992, 9. Strauß 1992, 64. Strauß 1992, 9. Strauß 1992, 64ff. Strauß 1992, 82ff. Strauß 1992, 28, Abb. 10. Strauß 1992, 64. Strauß1992, 64. Strauß 1992, 64. Strauß 1992, 64. Strauß 1992, 64.

49

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

Strauß konnte nach eigenen Aussagen im Rahmen seiner Studie einige Aspekte nicht berücksichtigen. Hierzu zählte eine detaillierte Analyse der berücksichtigten Gräberfelder hinsichtlich der Gesamtzahl der Frauengräber und deren Verhältnis zu Bestattungen mit Fibeln.321 Doch genau dieser Aspekt ist wichtig, um feststellen zu können, ob die von ihm aufgestellten „Fibeltrachten“ vom Lebensalter abhängig sind. Auch die auf die insgesamt in einer Trachtgruppe vorhandene Fibelanzahl bezogenen relativen Anteile lassen keine Schlüsse auf eine Häufung in einer Altersstufe zu, da sie sich auf eine irrelevante Referenzgruppe beziehen.322 Somit klammerte Strauß entscheidende Punkte aus seiner Untersuchung aus. Seine Ergebnisse zur Verteilung und Häufigkeit in den Altersklassen zeigen – soweit im Text auffindbar –, dass es keine speziellen Kinderkombinationen gibt323 und auch kein Vorherrschen von Fibeln bei erwachsenen Frauen324.

2.2.2.4 „Vierfibeltracht“ der älteren Merowingerzeit Helga Schach-Dörges führte zwanzig Jahre nach Martins Artikel über die Altenerdinger Fibeln eine der von ihm geforderten325 weiteren Untersuchungen mit anderen Fibelserien durch.326 Sie verwendete zwar keine Abnutzungsspuren, sondern die relative Verteilung der Gräber mit Vierfibelkleidung innerhalb der Gräberfelder. Ihr Ergebnis bestätigt Martins Interpretation jedoch nicht. Schach-Dörges kam im Gegenteil zu der Erkenntnis, dass seine Thesen nicht mehr aufrecht zu erhalten seien. Ihrem als Anregung für weitere Diskussionen und Untersuchungen gedachten Artikel „Zur Vierfibeltracht der älteren Merowingerzeit“ liegt die Auswertung von zehn Gräberfeldern aus Süddeutschland und der Nordschweiz zugrunde.327 Es seien nur so wenige Gräberfelder in die Auswertung eingeflossen, da für die anderen Friedhöfe des Untersuchungsgebietes entweder die anthropologischen Daten nicht ausreichten oder keine Bestattungen mit Vierfibelkleidung vorlagen. Die Durchsicht der zehn Gräberfelder ergebe 44 Befunde mit Vierfibelkleidung, für die auch ein genaues, anthropologisch bestimmtes Sterbealter vorliegt.328 Hier zeige sich, dass adult Verstorbene mit 61,4 % am häufigsten mit Vierfibelkleidung bestattet wurden. Kinder (Infans I und II) sind nur mit 2,3 % vertreten, Juvenile mit 6,8 %. Die Maturen und Senilen sind dagegen etwas häufiger, im Verhältnis zu den Adulten aber mit 18,2 bzw. 11,4 % eben 







321 Strauß 1992, 9. 322 Strauß 1992, 70, Abb. 70 (Zur Zweifibeltracht), 74, Abb. 77 (Zur Dreifibeltracht), 79, Abb. 84 (Zur Vierfibeltracht). Zur Problematik der Referenzwerte Kap. 4.2.2.2. 323 Strauß 1992, 68, 70. 324 Strauß 1992, 68, 70, 76, 79. 325 Martin 1987a, 279 f. 326 Schach-Dörges 2005. 327 Schach-Dörges 2005, 350. 328 Schach-Dörges 2005, 350.  

50

2 Bisherige Forschungen

falls gering vertreten.329 Zur genaueren Darstellung wertete sie zusätzlich zur Gesamtverteilung der Vierfibelgräber auf die Altersstufen noch fünf Gräberfelder einzeln aus.330 Hierbei handelte es sich um die bereits für die Gesamtverteilung berücksichtigten Gräberfelder von Pleidelsheim, Weingarten, Basel-Kleinhüningen und Altenerding; das Gräberfeld von Straubing-Bajuwarenstraße wurde neu hinzugenommen. Schach-Dörges zufolge zeige sich dabei, dass mit Ausnahme von Weingarten die Vierfibelkleidung nie für ein Kindergrab belegt und auch bei Juvenilen schwach vertreten sei.331 Mit 25 % ist der Anteil Juveniler in Pleidelsheim am höchsten. In der adulten Altersgruppe sei die Vierfibelkleidung hingegen mit Werten zwischen 50 und 80 % dominant und werde danach wieder deutlich seltener. Abgesehen von Altenerding seien senile Personen kaum mit Vierfibelkleidung bestattet worden.332 Um feststellen zu können, ob dieser Befund mit der im adulten Bereich höheren Sterblichkeit zusammenhängt, müsse „geprüft werden, wie viele Frauen einer Altersgruppe in Vierfibeltracht beigesetzt waren“.333 Dazu errechnete Schach-Dörges die Sterblichkeitsquoten aller weiblichen Individuen dreier Friedhöfe, um anschließend den relativen Anteil der Gräber mit Vierfibelkleidung je Altersklasse zu ermitteln.334 Von den Kindern sei nur ein einziges mit vier Fibeln bestattet worden. In der Gruppe der juvenil Verstorbenen schwanke der Anteil erheblich, was an deren geringen Anzahl liegen könne.335 Bei den Adulten wurden zwischen 4,9 und 14,8 % mit vier Fibeln bestattet, dieser Anteil fällt bei den Maturen auf 2,5 bis 9,6 % ab. Senile Vierfibelträgerinnen gab es in Altenerding dreimal (5,7 %) und in Straubing einmal (9,1 %).336 Es ist Schach-Dörges bewusst, dass die errechneten Verhältniszahlen nur näherungsweise zutreffen, da sie mit den gesamten Daten der Gräberfelder erstellt wurden und nicht nur mit jenen der Phase, in der die Vierfibelkleidung auftritt.337 Ihr Vorgehen begründete sie mit der Tatsache, dass es kein Gräberfeld gebe, das nur während dieser Phase belegt wurde.  











329 Schach-Dörges 2005, 351, Tab. 1. Die Datenbasis ist mit 44 Individuen eher klein und die prozentualen Verhältnisse entsprechend zurückhaltend zu verwenden. 330 Schach-Dörges 2005, 352, Tab. 2. Problematisch an dieser Aufschlüsselung sind die teils sehr kleinen Individuenzahlen je Gräberfeld. Die größte Datenbasis hat Straubing mit 25 Gräbern mit Vierfibelkombination. Statistisch fundierte Aussagen lassen sich anhand dieser Basis nicht treffen. 331 Das Kindergrab in Weingarten entspricht in Schach-Dörges Tabelle 10 % der Individuen mit Vierfibelkombination. Acht adulte (80 %) und eine Mature (10 %) finden sich darüber hinaus in dieser Gruppe. Hier zeigt sich deutlich, wie die geringe Datenbasis von 10 Individuen mit Vierfibelkombination in Weingarten sehr starke Unterschiede ergibt. Ein Individuum mehr oder weniger würde entsprechend eine starke Veränderung der Anteile bewirken. 332 Schach-Dörges 2005, 350f. 333 Schach-Dörges 2005, 351. 334 Schach-Dörges 2005, 353, Tab. 3. Es handelt sich um die Gräberfelder Altenerding, Straubing-Bajuwarenstraße und Weingarten. Auch für diese Tabelle besteht das Problem der kleinen Zahlen. 335 Die Werte schwanken zwischen 0 % und 9,5 %, was einem nahezu identischen Umfang bei den Adulten entspricht. 336 Schach-Dörges 2005, 351 und 354. 337 Schach-Dörges 2005, 345.  









2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

51

Die Möglichkeit, durch Datierung der Funde und Horizontalstratigraphie die Gräber der Zeit um 500 herauszufiltern, scheitere in der Praxis an zu wenigen datierbaren Gräbern beziehungsweise an einer zu unsicheren Belegungsabfolge. Beim Betrachten entsprechender Auswertungen sollte man immer beachten, dass einige Gräberfelder früh einsetzten und/oder bis ins 7. oder 8. Jahrhundert hinein benutzt wurden und somit eine gewisse Unschärfe der relativen Angaben unumgänglich ist.338 Für den in ihrer Auswertung erkennbaren Rückgang der relativen Anteile von der adulten Gruppe zur maturen sind für Schach-Dörges zwei Deutungen möglich: Erstens könne die Kleidung mit vier Fibeln nur für eine bestimmte Lebensphase charakteristisch sein, wobei sich dann ältere Frauen im Gegensatz zu den jungen Erwachsenen unauffälliger und bescheidener kleiden würden. Diese Annahme würde aber voraussetzen, dass die Frauen den einmal erworbenen Schmuck unter Umständen nicht zeitlebens trugen, sondern ihn gelegentlich weitergaben. Die Tatsache, dass deutlich abgenutzte Fibeln in Gräbern von Kleinkindern vorkommen, bestätige dies.339 Zweitens könne der Rückgang darauf zurückzuführen sein, dass sich die Bestattenden gegenüber betagteren Verstorbenen nicht so sehr verpflichtet fühlten, ihnen ihre gesamte Ausstattung ins Grab zu geben. Als Beispiel für solch einen Fall nennt Schach-Dörges das Grab 470 aus Straubing-Bajuwarenstraße. Der dort bestatteten Greisin wurde ein völlig willkürlich zusammengestelltes Fibelensemble beigegeben, das zum Teil sogar aus reparierten Fragmenten bestand. Man könne sich kaum vorstellen, „dass dieses schäbige ‚Ensemble‘ von der Lebenden, einer Angehörigen der gehobenen Schicht, an Festtagen getragen worden war“; es sei vielmehr denkbar, dass sich die Hinterbliebenen auf diese Weise von Altbeständen trennten, die sie der Toten achtlos ins Grab gaben.340 In einem Exkurs behandelte Schach-Dörges die Kindergräber von Eschborn, Weingarten, Altenerding und Straubing-Bajuwarenstraße gesondert.341 Von den 21 Gräbern gehören 14 in die Altersstufe Infans I, sieben zu Infans II. Bügelfibelpaare fanden sich nur in drei Gräbern, doch scheinen laut Schach-Dörges in zwei Gräbern Vogelfibelpaare die Funktion der Bügelfibeln übernommen zu haben.342 Die Untersuchung der Gräberfelder ergebe zwei wichtige Punkte: „Festzuhalten ist, dass die These, Bügelfibelpaare seien zur Merowingerzeit erst an junge Frauen juvenilen Alters im zweiten Lebensjahrzehnt vergeben worden, nicht aufrecht zu erhalten ist. Auch sind die Bügelfibelpaare nicht regelmäßig bis ans Lebensende getragen

338 Dieser Sachverhalt gilt auch für die vorliegende Arbeit, eine sichere Aufteilung aller Bestattungen in einzelne Zeitphasen ist nicht möglich. 339 Schach-Dörges 2005, 355. 340 Schach-Dörges 2005, 355. 341 Schach-Dörges 2005, 356, Tab. 4. 342 Schach-Dörges 2005, 355 ff.  

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2 Bisherige Forschungen

worden.“343 Möglicherweise seien von den Hinterbliebenen neue Dinge hinzugefügt oder Erbstücke (= alte Stücke) zurückbehalten beziehungsweise durch minderwertigere Exemplare ersetzt worden. Schach-Dörges’ Schlüsse sind insgesamt überzeugend und stellen einen wichtigen Schritt für die archäologische Forschung dar. Allerdings zeigen sich bei näherer Betrachtung im Detail Probleme, da sie nicht mit den korrekten Bezugswerten argumentiert. In ihrer ersten Tabelle344 berechnet sie die prozentuale Häufigkeit der Vierfibelkleidung in den einzelnen Altersklassen nicht in Bezug auf die jeweilige Individuenzahl der Altersklasse, sondern in Bezug auf die Gesamtzahl der Individuen mit Vierfibelkleidung. Mit dieser Art der Berechnung erhält man Werte, die wenig aussagekräftig sind, weil sie nicht die tatsächliche relative Verteilung in den einzelnen Altersklassen widerspiegeln;345 gleiches gilt für ihre zweite Tabelle346. Im Gegensatz dazu untersucht Schach-Dörges in ihrer dritten Tabelle347 das Verhältnis der Gräber mit Vierfibelkleidung zur Gesamtzahl der Individuen je Altersklasse.348 Anhand der beiden ersten Tabellen und den Werten für die Gesamtzahl der weiblichen Individuen in der dritten Tabelle scheint sich ein deutliches Übergewicht an adulten Individuen abzuzeichnen. In vielen Publikationen wird dies als Beleg dafür gewertet, dass überwiegend adulte Frauen Fibeln trugen. Dies ist bei Schach-Dörges ebenso der Fall. Allerdings ist ihr bewusst, dass dies ein verzerrtes Bild sein könnte, das durch eine im adulten Lebensabschnitt erhöhte Sterblichkeit hervorgerufen sein könne.349 Abweichend zur Interpretation als Ausstattung primär adulter Frauen präsentieren sich jedoch die Prozentwerte der Individuen mit Vierfibelkleidung der dritten Tabelle. Hier zeigt sich, dass das angebliche Übergewicht der Adulten nicht so einfach nachzuweisen ist. Die in der vorhergehenden Tabelle bei 50–80 % liegenden Anteile der adulten Frauen mit Vierfibelkleidung sind nun maximal bei 14,8 %. Des Weiteren sind die Unterschiede zu den anderen Altersklassen nicht mehr so gravierend. Vielmehr zeigt sich eine Annäherung der Werte, die Differenz innerhalb der Gräberfelder liegt im einstelligen Prozentbereich. Für Altenerding liegt der Anteil an Frauen mit Vierfibelkleidung bei den Senilen sogar höher als bei den Adulten. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass Schach-Dörges Skepsis an der These der Personengebundenheit von Fibeln berechtigt ist.  



343 Schach-Dörges 2005, 357. 344 Schach-Dörges 2005, 351, Tab. 1. 345 Siehe Kap. 4.2.2.2. 346 Schach-Dörges 2005, 352, Tab. 2. 347 Schach-Dörges 2005, 353, Tab. 3. 348 Um zu ermitteln, auf welche Werte sich die Daten jeweils beziehen, muss man die in Prozentwerten angegeben Daten in Individuen umrechnen. 349 Schach-Dörges 2005, 351.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

53

2.2.2.5 Die Bügelfibel aus Altenerding Grab 512 In diesem Aufsatz350 formulierten Brigitte Haas-Gebhard und Gabriele von Looz primär basierend auf den Altenerdinger Befunden die Ansicht, dass Mädchen in der Regel keine neuwertigen Fibeln ins Grab bekamen, sondern sich mit gebrauchten Stücken begnügen mussten.351 Da es demnach Vorbesitzerinnen gegeben haben muss, werde deutlich, „dass Fibeln offenbar kein lebenslanger Besitz waren“.352 Da ihrer Ansicht nach die Bügelfibeln in Kindergräbern zudem meist relativ klein und quasi körpergrößenangepasst waren,353 stellten sie die Überlegung an, ob nicht spezielle Kinderausstattungen existierten, die von Mädchen zu Mädchen weitergegeben wurden.354 Ihre Idee einer speziellen Kinderausstattung ist eine interessante und nicht auszuschließende Möglichkeit der Fibelweitergabe. Sie ist theoretisch denkbar und darf bei Überlegungen zu den Weitergabemodalitäten der Fibeln nicht außer Acht gelassen werden, bedarf aber noch der eingehenderen Prüfung mit einer statistisch relevanten Datengrundlage.355 Auch ihr Eindruck, Mädchen hätten in der Regel keine neuwertigen Fibeln erhalten, muss noch belegt werden. Das Gräberfeld von Altenerding bietet trotz seiner Größe hierfür keine ausreichende Basis.356

2.2.3 Abnutzungsspuren an Fibeln Abnutzungsspuren an Funden der Ur- und Frühgeschichte wurden vereinzelt schon früh beobachtet, doch hatten diese Untersuchungen wenige Auswirkungen auf die Forschung und blieben weitgehend unbeachtet.357 1915 beschrieb Hugo Mötefindt erstmals Flickungen an Fibeln.358 Dabei untersuchte er auch die beiden ihm bekannten völkerwanderungszeitlichen Fibeln mit Reparaturen und erstellte einen Katalog möglicher Flickungsarten und ihrer Ursachen. Erst vierzig Jahre später befasste sich wieder ein Archäologe mit diesem Thema. Anhand des bronzezeitlichen Hortfundes von Bargfeld, Kr. Uelzen, untersuchte Hans Drescher die Spuren, die Werkzeuge und der Gebrauch an den Objekten hinterlas-

350 Haas-Gebhard/von Looz 2009. 351 Haas-Gebhard/von Looz 2009, 583 f. Ähnlich: Haas-Gebhard 2010b, 149; Haas-Gebhard 2013, 42, 155f. 352 Haas-Gebhard/von Looz 2009, 584. 353 Haas-Gebhard/von Looz 2009, 584; Haas-Gebhard 2010b, 149; Haas-Gebhard 2010a, 151. 354 Haas-Gebhard/von Looz 2009, 584. 355 Siehe Kap. 4.2.5. 356 Siehe Kap. 4.2.3. 357 Gebrauchsspuren finden sich an verschiedenen Materialien. Silexklingen können ebenso Hinweise auf ihren Gebrauch liefern wie Geweihgeräte oder Werkzeuge und Waffen aus Metall. Für die vorliegende Untersuchung sind jedoch nur die Spuren an Fibeln von Interesse, so dass der folgende Forschungsüberblick sich nur darauf konzentriert. 358 Mötefindt 1915.  

54

2 Bisherige Forschungen

sen haben.359 Drescher zufolge sei eine Rekonstruktion der Trageweise durch die Gebrauchsspuren an den Fibeln möglich und man könne so auf Kleidungsgewohnheiten und die Art, Schmuck zu tragen, schließen. In eine ähnliche Richtung argumentierte David Leigh.360 Er untersuchte 1985 die Abnutzung von Fibeln mit rechteckiger Kopfplatte aus Kent, um anhand der unterschiedlichen Abnutzungsintensität der Kopfplattenecken die übliche Trageweise und Ausrichtung der Fibeln zu ermitteln. In letzter Zeit wurden Gebrauchsspuren häufiger beachtet und teilweise auch entsprechende Anmerkungen in die Fundkataloge aufgenommen, wie beispielsweise in den Katalogen von Altenerding oder Aldingen.361 In ihrem Bestreben, einen Beitrag zur Frage der Altersabhängigkeit der Fibeln zu leisten, gehen einige Autoren einen besonderen Weg und legen den Fokus auf die Gebrauchsspuren und Abnutzungsgrade der Fibeln. Eine nachweisbare Korrelation zwischen dem Abnutzungsgrad der Fibeln und dem Sterbealter der Bestatteten wäre ein deutlicher archäologischer Hinweis darauf, dass die Frauen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben „ihre“ Fibeln erwarben und im Regelfall ein Leben lang trugen. Für die vorliegende Arbeit spielen die Untersuchungen der Gebrauchsspuren und Abnutzungsgrade dadurch eine wichtige Rolle. Anhand der merowingerzeitlichen Fibeln wurden dazu bisher keine umfangreichen Studien mit einer einheitlichen Beurteilung der Abnutzungsgrade durchgeführt, jedoch an Fundmaterial anderer Epochen und Räume. Wegweisend waren in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Michael Gebühr aus den 1970er und 80er Jahren362, aber vor allem die Analysen von Jasper von Richthofen363 der 1990er. Dabei war die umfangreiche Arbeit Richthofens auch für die Merowingerzeit von großer Bedeutung, obwohl sie sich mit kaiserzeitlichen Fibeln aus Norddeutschland beschäftigte. Die Ergebnisse dieser einzigen größeren empirischen Studie zum Thema Gebrauchsspuren wurden auch für die Merowingerzeit als Beleg für eine Korrelation von Abnutzungsintensität und Sterbealter herangezogen. Sowohl ihr exemplarischer Charakter für die Argumentationsmuster und Vorgehensweisen als auch ihr Heranziehen als Beleg für die Merowingerzeit machen es notwendig, diese Arbeiten hier ausführlicher zu besprechen.

2.2.3.1 Michael Gebührs Studien Michael Gebühr lieferte in den 1970er und 80er Jahren einige wichtige Vorarbeiten zum Thema Gebrauchsspuren, beschäftigte sich aber selbst nicht systematisch damit.364 Problematisch an seinen Arbeiten ist, dass er die von ihm entwickelten Ideen

359 360 361 362 363 364

Drescher 1955. Leigh 1985. Sage 1984; Schach-Dörges 2004. Gebühr/Hartung/Meier 1989; Gebühr/Kunow 1976; Gebühr 1983; Gebühr 1976; Gebühr 1975. Richthofen 1992; Richthofen 1994a; Richthofen 2000. Gebühr/Hartung/Meier 1989; Gebühr/Kunow 1976; Gebühr 1983; Gebühr 1976; Gebühr 1975.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

55

nicht empirisch belegte und sich in widersprüchlichen Aussagen verstrickte. So stellte er die Behauptung auf, dass eine Verbindung zwischen dem Abnutzungsgrad der Fibeln und dem Sterbealter bestehe,365 ohne dies belegen zu können. Seine Überlegungen zum Thema Gebrauchsspuren und Alter waren ein Nebenprodukt der Arbeit an verwandten Themen wie der Chronologie der Römischen Kaiserzeit und dem Vergleich der Aussagefähigkeit von anthropologischer und archäologischer Geschlechtsbestimmung.366 Die Sicherheit der beiden Geschlechtsbestimmungsmethoden meinte er mit Hilfe von statistischen Auswertungen eindeutig zugunsten der Archäologie entscheiden zu können, denn das anthropologisch ermittelte Geschlecht unterscheide sich zu oft von den anhand der Grabinventare erstellten Beigabengruppen, die für ihn eindeutig eine Differenzierung der Geschlechter zeigen.367 Im Gegensatz zu seiner kritischen Haltung gegenüber der anthropologischen Geschlechtsbestimmung hielt er die Altersbestimmung anhand der Skelettreste für zutreffend, denn damit könne eine Verteilung der Beigaben auf die verschiedenen Altersstufen nachgewiesen werden. So kam er zu dem Schluss, dass in den kaiserzeitlichen Gräberfeldern von Hamfelde, Kr. Herzogtum Lauenburg, und Kemnitz, Kr. Potsdam-Mittelmark, die Fibeln zu einer Kinderkleidung gehörten, die im späteren Alter von einer Bekleidung mit Gürtel abgelöst wurde.368 Die weitere Untersuchung des Urnenfriedhofes von Kemnitz ergebe eine Altersabhängigkeit der Almgrenschen Fibelformen, wobei insgesamt gesehen die Fibeln vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen vorkämen.369 Im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung zu Kleidung und Schmuck der Älteren Römischen Kaiserzeit stellte er fest, dass verschiedene Bekleidungsstile für verschiedene Altersstufen durchaus denkbar wären, eine Überprüfung der These sei aber aufgrund der wenigen anthropologisch gesicherten Befunde nicht möglich.370 In Kemnitz lasse sich dagegen ein Wandel von einer Ausstattung mit Fibel(n) zu einer Ausstattung mit Schnalle zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr feststellen.371 Gegen eine altersbedingte Frauenkleidung sprächen jedoch Details in seinem Arbeitsgebiet, wie das Vorkommen von Kindergräbern mit drei Fibeln372 und das abschließende Ergebnis einer allgemein sehr ähnlichen Ausstattung der Mädchen und Frauen.373

365 366 75. 367 368 369 370 371 372 373

Gebühr 1994, 83. Gebühr 1975, 436, 457; Gebühr/Kunow 1976, 192; Gebühr/Hartung/Meier 1989, 88 f.; Gebühr 1994,  

Gebühr 1975, 436 f.; Gebühr/Kunow 1976, 191 f. Gebühr 1975, 446 f. Gebühr/Kunow 1976, 195, 197, 199, 220. Gebühr 1976, 49. Gebühr 1976, 172. Gebühr 1976, 57. Gebühr 1976, 171.  





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2 Bisherige Forschungen

In seinen folgenden Veröffentlichungen aus den 1980er Jahren postulierte Gebühr dagegen eine erkennbare Abhängigkeit der Beigaben vom Sterbealter der Bestatteten, wodurch eine archäologische Altersbestimmung möglich sei.374 Die Grabbeigaben in Neubrandenburg beispielsweise „verteilen sich – wie erwartet – nicht gleichmäßig auf die einzelnen Stufen des Sterbealters“.375 Ähnlich läge der Fall bei der Fibel von Meldorf, deren Fundumstände nicht mehr geklärt werden können und zu der es auch keine Hinweise auf die Person gibt, der möglicherweise die Fibel bei der Bestattung beigegeben wurde.376 Doch trotz dieser Unsicherheiten wollte Gebühr das Alter der von ihm als weiblich angesprochenen Bestatteten ermitteln. Eine genaue Altersbestimmung gelang ihm nicht, doch sprächen die Größe und der Typ der Fibel sowie der eventuell zugehörige Glättstein für eine Erwachsene. „Und schließlich deuten die starken Gebrauchsspuren darauf hin, daß das Stück längere Zeit getragen wurde, also wohl kaum mit einem Kind ins Grab gelangt ist“.377 Demzufolge dürfe die Besitzerin der Meldorfer Fibel eher eine erwachsene Frau als ein Mädchen gewesen sein.378 Auch in seinem allgemein gehaltenen Artikel „Alter und Geschlecht. Aussagemöglichkeiten anhand des archäologischen und anthropologischen Befundes“ hielt er eine archäologische Altersbestimmung anhand bestimmter Artefakte für durchführbar, auch wenn er einschränkend hinzufügen musste, dass dies nur in Ausnahmefällen und nur sehr grob möglich sei.379 Als Beleg zog er seine bereits erwähnte Bearbeitung des Gräberfeldes von Kemnitz heran.380 Über die gegebenenfalls ermittelte Abhängigkeit der Beigaben vom Alter könne man beispielsweise altersspezifische Kleidungsstile oder Initiations-Altersstufen nachweisen. Des Weiteren erlaube „die Verteilung von Gebrauchsspuren [an Fibeln] unterschiedlicher Intensität auf das Sterbealter“ eine Kontrolle der Chronologie.381 Einen empirischen Beleg für diese Aussage lieferte er allerdings auch an dieser Stelle nicht. Er erwähnte nur, dass die Fibeln der Stufe B1 nach den Gebrauchsspuren und der anthropologischen Altersbestimmung der Bestatteten in der Mehrzahl über 50 Jahre im Umlauf gewesen seien und somit nicht zum Herstellungszeitpunkt in den Boden gelangt sein könnten.382 Die Durchsicht der betreffenden Arbeiten Gebührs zeigt, dass er von Anfang an von einer Abhängigkeit bestimmter Beigaben vom Alter der Bestatteten ausging.383 Diese Ansicht wurde ohne Beleg fortlaufend wiederholt. In seinen frühesten Publika-

374 375 376 377 378 379 380 381 382 383

Düwel/Gebühr 1981; Gebühr 1983; Gebühr/Hartung/Meier 1989; Gebühr 1994. Gebühr/Hartung/Meier 1989, 92. Düwel/Gebühr 1981. Düwel/Gebühr 1981, 164. Düwel/Gebühr 1981, 164. Gebühr 1994, 81 f. Gebühr/Kunow 1976. Gebühr 1994, 83. Gebühr 1994, 85. Gebühr 1976, 179.  

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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tionen räumte Gebühr einerseits ein, dass es für eine Altersabhängigkeit von Beigaben keine Hinweise gebe, doch in den gleichen Werken untermauerte er andererseits seine Argumentation mit angeblich gegenteiligen Ergebnissen. So schrieb er 1976, „verschiedene Altersstufen mögen verschieden gekleidet gewesen sein; [doch] die wenigen anthropologisch gesicherten Befunde reichen nicht aus, um dieses Problem zu klären“.384 In der gleichen Arbeit nannte er für das Vorkommen einer Dreifibelkombination in „langobardischen“ Brandgräbern das Alter der Frauen als eine Erklärungsmöglichkeit: „Wenn die dritte Fibel ein Merkmal der erwachsenen Frauen ist, dann wird sie jeweils später zu den beiden schon vorhandenen Stücken hinzuerworben worden sein.“385 Da während der Älteren Kaiserzeit die Fibeln immer kleiner wurden, sei entsprechend die dritte, später erworbene Fibel kleiner als die beiden zusammen erworbenen Schulterfibeln. Gegen diese Interpretation sprächen aber die ebenfalls mit drei Fibeln ausgestatteten Kindergräber. Gebühr tendierte hier jedoch eher zu einer funktionalen Erklärung der unterschiedlichen Fibelgrößen, nach der die Größe der Fibeln von der Art und Menge des zu haltenden Stoffes abhänge, und nicht ein vom Alter abhängiger Erwerbungszeitpunkt entscheidend sei.386 Entgegen seiner zuvor geäußerten Ansicht, eine Altersabhängigkeit der Beigaben sei nicht belegbar und es gebe keine gesonderten Kleidungsstile für Kinder, Erwachsene oder Alte, erwähnte er dann jedoch den oben zitierten Wandel von einer Fibel- zu einer Schnallenausstattung der Bestatteten in Kemnitz.387 Zudem bereite er ausgehend von Kemnitz und anderen gut untersuchten Urnenfriedhöfen eine Gliederung der Kleidung nach Altersstufen vor.388 Folgt man seinen vorangehenden Ausführungen, könnte man allerdings den Eindruck gewinnen, eine solche Untersuchung sei unnötig, da sie zu keinem Ergebnis führe. Seit 1981, mit der Publikation der Fibel von Meldorf, vertrat Gebühr die Ansicht, dass es die bisher in Frage gestellten altersabhängigen Kleidungsstile gebe, ohne dafür einen Beleg zu liefern. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, dass eine Verbindung zwischen dem Abnutzungsgrad der Fibeln und dem Sterbealter bestehe.389 Doch wie schon erwähnt, stellte er auch diese Behauptung auf, ohne sie belegen zu können. Alles in allem scheinen die Ergebnisse aus Gebührs Untersuchungen gegen eine altersspezifische Aufteilung der Fibeln zu sprechen. Dennoch hielt er es 1992 noch für möglich, altersspezifische Beigaben zu ermitteln und mit ihnen altersspezifische Kleidungsstile festzustellen.390 Des Weiteren erlaube das Sterbealter eine Kontrolle der Chronologie, indem die Verteilung von Gebrauchsspuren unter-

384 385 386 387 388 389 390

Gebühr 1976, 49. Gebühr 1976, 57. Gebühr 1976, 57. Gebühr 1976, 172 f. Gebühr 1976, 179. Gebühr 1994, 83. Gebühr 1994, 81 f.  



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2 Bisherige Forschungen

schiedlicher Intensität an Fibeln auf das Sterbealter der Bestatteten berücksichtigt werde.391 Die von ihm für die Fibeln der Stufen B1 festgestellte Umlaufzeit von über 50 Jahren ergebe, dass diese Stücke also kaum in der gleichen Stufe in den Boden gelangt sein können, in der sie hergestellt wurden. „Näheres hierzu bringt die Hamburger Magisterarbeit von Jasper von Richthofen (1992)“.392

2.2.3.2 Jasper von Richthofens Untersuchung Bei den Arbeiten von Jasper von Richthofen handelt es sich, wie oben erwähnt, um die bislang einzigen umfassenden empirischen Studien in Bezug auf einen Zusammenhang von Sterbealter der Bestatteten und Abnutzungsgrad der Fibeln. In der 1994 publizierten Magisterarbeit393, der 2000 veröffentlichten Dissertation394 sowie drei weiteren Artikeln395 behandelte er die Gebrauchsspuren an Fibeln aus Gräbern der Älteren Römischen Kaiserzeit mit einem Verbreitungsgebiet in ganz Norddeutschland. In seiner 1991 abgeschlossenen Magisterarbeit untersuchte er 381 Bronze- und Silberfibeln aus Schleswig-Holstein, Hamburg und dem Kreis Harburg.396 Bei etwa der Hälfte der Bestatteten mit Fibeln konnte das Sterbealter anthropologisch bestimmt werden. Seine Ergebnisse präsentierte Richthofen 1992 in einem Vorbericht397 sowie 1994 in vollem Umfang398. Für die Dissertation dehnte er das Untersuchungsgebiet zusätzlich auf das nordöstliche Niedersachsen, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aus. Dies ergab 1505 auswertbare Fibeln. 1374 bestanden aus Bronze oder Messing, 120 aus Silber und 11 aus Eisen.399 Die Fibeln stammen aus 956 Gräbern der Älteren Römischen Kaiserzeit, von denen bei 460 anthropologische Daten zum Sterbealter vorlagen.400 Kernstück von Richthofens Arbeiten war die Analyse der Gebrauchsspuren an Fibeln, die er mit Hilfe eines Lichtmikroskops untersuchte. Dabei unterschied Richthofen zwischen Abnutzungsspuren, Deformationen und Reparaturen. Materialschwund durch Abnutzung stellte er in seiner Magisterarbeit bei 80 % der Fibeln fest, Reparaturen waren deutlich seltener (13 %) und Deformierungen traten kaum  



391 392 393 394 395 396 397 398 399 400

Gebühr 1994, 83. Gebühr 1994, 85. Richthofen 1994a. Richthofen 2000. Richthofen 1992; Richthofen 1998; Einen Überblick bietet: Richthofen 1994b. Richthofen 1994a, 49 ff. Richthofen 1992. Richthofen 1994a. Richthofen 2000, 6. Richthofen 2000, 74.  

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

59

auf.401 Die Abnutzungsspuren unterteilte er nach ihrer Intensität in vier Abnutzungsgrade. Bei Abnutzungsgrad 1 („keine Abnutzung“) ist auch unter dem Mikroskop keinerlei Abnutzung erkennbar. Zeigen sich unter dem Mikroskop leichte Abnutzungsspuren entspricht dies Abnutzungsgrad 2 („leichte Abnutzung“). Im Gegensatz dazu sind bei Abnutzungsgrad 3 („deutliche Abnutzung“) die Abnutzungsspuren bereits mit bloßem Auge problemlos zu erkennen. Abnutzungsgrad 4 („starke Abnutzung“) zeichnet sich dadurch aus, dass die Ornamente flächig und vollkommen abgerieben sind oder funktionale Teile bis hin zur Unbrauchbarkeit abgenutzt sind.402 Um den Abnutzungsgrad der Fibeln zu bestimmen, wurden an jedem Stück einzelne festgelegte Punkte gesondert betrachtet, anschließend bewertet und daraus ein Gesamt-Abnutzungsgrad errechnet. Hinsichtlich eines Zusammenhanges zwischen anthropologisch bestimmtem Sterbealter und dem Abnutzungsgrad der Fibeln kam Richthofen bereits in seiner Magisterarbeit zu keinem eindeutigen Ergebnis: Die Fibeln der Stufen Eggers A und B1 lassen keine entsprechende Korrelation erkennen. Für die Fibeln der Stufe Eggers B2 meinte er dagegen, feststellen zu können, dass mit zunehmendem Sterbealter auch der Abnutzungsgrad der Fibeln steige. Auf den empirischen Teil seiner Magisterarbeit soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, sondern auf die Dissertation mit ihrer erweiterten Materialbasis. Darin legte Richthofen seine Ergebnisse zu Gebrauchsspuren an Fibeln in insgesamt 22 Diagrammen vor. Diese zeigen die relative Verteilung der Fibeln je Abnutzungsgrad auf die Altersstufen der Bestatteten. Richthofen unterschied sechs Sterbealtersstufen, die jeweils 10 Jahre umfassen. Dabei bleibt leider unklar, wie er die anthropologischen Altersstufen, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen nicht diesem Schema folgen, in Zehnerschritte umrechnete. Darüber hinaus fällt auf, dass offenbar für keinen der Leichenbrände ein höheres Sterbealter als 60 Jahre bestimmt wurde. Das völlige Fehlen der Altersstufe Senil wird durch Richthofen nicht näher erläutert. Zudem wird die Interpretation seiner Diagramme dadurch erschwert, dass er die relativen Anteile nur graphisch darstellte, aber weder Prozentwerte noch die jeweilige absolute Zahl der Fibeln angab.403 Die erste Gruppe von vier Diagrammen zeigt die Verteilung der Bronzefibeln der Zeitstufen A–B2404. Die folgenden beiden Vierergruppen unterteilen sich dann in Bronzefibeln der Stufe A–B1405 beziehungsweise der Stufe B2406. Nach dieser zeitlichen Differenzierung untersuchte Richthofen, ob sich bei einer feineren Untergliederung der Abnutzungsgrade der Stufe B2 in Zwischenstufen ein genaueres Bild

401 402 403 404 405 406

Richthofen 1992, 332. Richthofen 2000, 9. Dies merkte bereits Christoph Eger an: Eger 2002, 370. Richthofen 2000, 75, Abb. 88–91. Richthofen 2000, 75, Abb. 92–95. Richthofen 2000, 76, Abb. 96–99.

60

2 Bisherige Forschungen

ergäbe.407 Doch diese sechs Diagramme zeigen einerseits ein sehr diffuses Bild und beruhen andererseits auf kleinen absoluten Zahlen. Von den Silberfibeln wurden lediglich die 33 Exemplare der Stufe B2 in einem Diagramm dargestellt408, aufgrund der geringen Anzahl seien die 14 Silberfibeln der Stufe B1 zu vernachlässigen. Um zu ermitteln, ab welchem Alter Fibeln getragen wurden, untersuchte Richthofen die Verteilung der Fibeln der Kinder und Jugendlichen. Dabei unterschied er erneut sechs Altersstufen, die wiederum nicht den anthropologischen Stufen Infans I (0–6 Jahre) und Infans II (7–13 Jahre) sowie Juvenil (14–20 Jahre) entsprechen. An Diagrammen wurden lediglich die nicht abgenutzten Fibeln der Stufen A–B1 und B2 sowie die leicht abgenutzten Fibeln der Stufe B2 abgebildet409. Es fehlen die leicht abgenutzten Fibeln der Stufe A–B1 sowie alle vier Diagramme für die deutlich und stark abgenutzten Fibeln. Betrachtet man die in den Diagrammen dargestellten Ergebnisse, so zeigt sich, wie schon erwähnt, kein eindeutiges Bild. Die vier Diagramme der Stufe A–B1410 lassen erkennen, dass keine Abhängigkeit der Verteilung der Abnutzungsgrade vom Sterbealter besteht. Die beiden Diagramme der deutlichen und starken Abnutzung bilden eine nahezu gleichmäßige Verteilung der Fibeln auf die Altersstufen ab. Mit 15 bzw. 16 Fibeln sind die Diagramme für keine und leichte Abnutzung statistisch gesehen unsicher und zeigen zudem ein sehr diffuses Bild. Somit ergibt sich für die Fibeln der Stufe A–B1 keine Korrelation von Sterbealter und Abnutzungsgrad; ein Ergebnis, das Richthofen schon in seiner Magisterarbeit erzielte.411 Interessanter sind die Ergebnisse für die Altersabhängigkeit der Abnutzungsspuren bei den Fibeln der Stufe B2412. Hier ergab sich tatsächlich die Tendenz, dass nicht abgenutzte Fibeln häufiger bei jungen Personen vorkommen und stark abgenutzte Fibeln eher bei älteren Menschen. Allerdings ist diese Tendenz nur schwach ausgeprägt. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass alle Abnutzungsgrade bei allen Altersstufen vorkommen. Das heißt, es gibt durchaus sowohl stark abgenutzte Fibeln bei Kindern, als auch nicht abgenutzte Fibeln bei 50–60jährigen Personen. Diese Beobachtung hebt Richthofen selbst hervor: „Bemerkenswert ist, daß Fibeln jeglichen Abnutzungsgrads offensichtlich bei Bestatteten aller Altersgruppen auftreten können“.413 Tatsächlich kommen die nicht abgenutzten Fibeln in der Gruppe der bis Zehnjährigen am häufigs-

407 Richthofen 2000, 77, Abb. 100–105. 408 Richthofen 2000, 77, Abb. 106. Das Diagramm bezieht sich entgegen der Beschriftung „Bronzefibeln“ auf Silberfibeln. 409 Richthofen 2000, 78, Abb. 107–109. 410 Richthofen 2000, 75, Abb. 92–95. 411 Richthofen 1994a, 79. 412 Richthofen 2000, 76, Abb. 96–99. 413 Richthofen 2000, 74.

61

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

ten vor. Allerdings sind die prozentualen Unterschiede nicht besonders deutlich. Setzt man voraus, es gäbe keine Korrelation, müssten sich die Fibeln gleichmäßig auf alle Altersstufen verteilen, bei sechs Altersstufen also zu je 16,6 % vorkommen. Nicht abgenutzte Fibeln treten nach dem Diagramm414 bei den bis Zehnjährigen jedoch zu ca. 25 % auf. Den geringsten Anteil haben die 40–50jährigen Personen mit ca. 10 %. Die übrigen Altersstufen sind bei zunehmendem Alter mit ca. 20, 16, 15 und 15 % vertreten.415 Bei der Beurteilung dieser Tendenz ist zudem zu berücksichtigen, dass die absoluten Zahlen an Fibeln, die diesen Prozentzahlen zugrunde liegen, nicht allzu groß sind. Insgesamt berücksichtigte Richthofen 96 nicht abgenutzte Fibeln, für die weiteren drei Abnutzungsgrade liegen noch geringere absolute Zahlen zugrunde (82, 80, 57). Entsprechend verbergen sich hinter den 25 % der nicht abgenutzten Fibeln bei unter Zehnjährigen rechnerisch nur knapp 24 Fibeln. Die folgenden Altersstufen sind mit rund 19, 15, 15, 9 und 14 Exemplaren vertreten. Auffallend ist hierbei die gegen den bisherigen Trend laufende Zunahme bei der letzten Altersstufe von 9 auf 14 Exemplare. Fibeln mit leichter Abnutzung416 kommen bei der zweiten Altersstufe (10–20 Jahre) mit 25 % am häufigsten vor, was 20 Fibeln entspricht. Am seltensten sind sie bei den Kindern bis 10 Jahren mit 10 % (= 8 Exemplare). Die anderen Altersstufen sind fast gleich stark (17, 17, 14, 17 %). Deutlich abgenutzte Fibeln417 sind mit 23 % (19 Exemplaren) bei der vierten Altersstufe (30–40 Jahre) am häufigsten. Kinder und Jugendliche sowie die ältesten Individuen (50–60 Jahre) haben am seltensten deutlich abgenutzte Fibeln im Grab, die jeweils 11 (bzw. 10) Exemplare entsprechen 13 % (bzw. 12 %). Altersstufe 3 und 5 sind mit 16 Exemplaren (20 bzw. 19 %) vertreten. Mit 26 und 28 % (15 und 16 Exemplare) sind die stark abgenutzten Fibeln418 bei den beiden ältesten Altersstufen (40–60 Jahre) vertreten. Bei den 10–20jährigen dagegen kommen sie nur mit 7 % vor, was 4 Fibeln entspricht. Die dritte und vierte Altersstufe sind mit je 6 Fibeln (10 bzw. 11 %) ähnlich gering vertreten wie die vorhergehende zweite Stufe. Der Wert der jüngsten Individuen (bis Zehnjährige) steht mit 10 Fibeln (18 %) mittig zwischen diesen beiden Extremen. Die Diagramme für die Fibelverteilung bei den Kindern und Jugendlichen sind – soweit vorhanden – aufgrund ihrer geringen Materialbasis nur wenig aussagekräftig.419 Die vier Fibeln ohne Abnutzung der Stufe A–B1420 erübrigen jeglichen Kommentar zu einer möglichen Aussage des Diagramms.  































414 Richthofen 2000, 76, Abb. 96. 415 Die angegebenen Prozentwerte und absoluten Fibelzahlen unterliegen einer gewissen Unsicherheit, da sie anhand der Balkenlängen in den Diagrammen rekonstruiert wurden. 416 Richthofen 2000, 76, Abb. 97. 417 Richthofen 2000, 76, Abb. 98. 418 Richthofen 2000, 76, Abb. 99. 419 Richthofen 2000, 78, Abb. 107–109. 420 Richthofen 2000, 78, Abb. 108.

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2 Bisherige Forschungen

Die nicht abgenutzten Fibeln der Stufe B2421 nehmen bis zum Alter von 13 Jahren kontinuierlich zu, kommen bei den Jugendlichen aber nicht mehr vor. Richthofen sah die 27 Fibeln dieses Diagramms mehrheitlich bei den 4–13jährigen vertreten. Den nicht unerheblichen Anteil bei den bis Dreijährigen, der nach der Balkenlänge im Diagramm etwa der Hälfte der umfangreichsten Gruppe der 10–13jährigen entspricht, kommentierte er nicht weiter.422 Die Verteilung der nicht abgenutzten Fibeln aus Stufe A–B1 bestätige dieses Ergebnis, doch dieses Diagramm ist einerseits, wie oben erwähnt, statistisch nicht aussagekräftig und widerspricht andererseits auch der zunehmenden Verteilung bei Stufe B2. Für die 18 leicht abgenutzten Fibeln der Stufe B2423 lässt sich eine Zunahme mit steigendem Lebensalter feststellen. Diesem Trend widerspricht die Menge der Fibeln bei den unter Dreijährigen. Und auch insgesamt kann das Ergebnis aufgrund der wenigen Fibeln in Zweifel gezogen werden. Betrachtet man die von Richthofen vorgelegten Diagramme insgesamt, lässt sich für die B2-Fibeln durchaus eine leichte Tendenz für eine Korrelation zwischen dem Sterbealter der Bestatteten und dem Abnutzungsgrad der Fibeln erkennen. Dies könnte daran liegen, dass älteren Personen eher abgenutzte Fibeln mit ins Grab gegeben wurden. Worin die Ursache dieses Phänomens liegt, lässt sich am archäologischen Befund allerdings nicht eindeutig ablesen. Denkbar wäre einerseits, dass den allgemein weniger reich ausgestatteten älteren Personen auch weniger wertvolle, also abgenutzte und alte Fibeln beigegeben wurden. Andererseits könnte natürlich auch die Beigabe der persönlichen Gebrauchsstücke, zu denen dann auch die Fibeln gehören, zu einer tendenziellen Übereinstimmung zwischen Sterbealter und Abnutzungsgrad führen. Doch um aus dieser Überlegung eine allgemein gültige Regel abzuleiten, müsste der Befund wesentlich deutlicher ausfallen. Eine Beigabe der persönlichen Gebrauchsstücke könnte im Einzelfall aber durchaus möglich gewesen sein. Des Weiteren belegen die Diagramme im Gegensatz zu Richthofens Interpretation auch keinen festen Erwerbungszeitpunkt der Fibeln. Neue Fibeln müssten in diesem Fall bei einer Altersstufe deutlich gehäufter auftreten, doch das Diagramm der Fibeln ohne Abnutzung zeigt dafür ein zu ausgewogenes Bild. Bemerkenswerterweise schätzte Richthofen den Befund ähnlich kritisch ein: Trotz des uneinheitlichen Bildes seien verschiedene Zusammenhänge zu vermuten, wobei die Unschärfen zeigen würden, dass von „linearen beziehungsweise monokausalen Gesetzmäßigkeiten (...) kaum ausgegangen werden kann“.424

421 Richthofen 2000, 78, Abb. 107. 422 Wiederum anhand der Balkenlänge rekonstruiert ergeben sich folgende Werte. 0–3 Jahre: 16 % oder 4 Fibeln; 4–6 Jahre: 24,5 % oder 7 Fibeln; 7–9 Jahre: 27 % oder 7 Fibeln; 10–13 Jahre: 33 % oder 9 Fibeln. 423 Richthofen 2000, 78, Abb. 109. 424 Richthofen 1994a, 79.  







2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

63

Dennoch ließen die von ihm erkannten Ergebnisse für Richthofen nur einen Schluss zu: Die Korrelation zwischen Sterbealter und Abnutzungsgrad hänge allein von der Tragedauer der Stücke ab, die linear mit dem Alter der Träger übereinstimme. Ausgehend von dieser Prämisse wies Richthofen den verschiedenen Abnutzungsgraden bestimmte Gebrauchsdauerintervalle zu (Tab. 3).425 Tab. 3: Zusammenstellung der Gebrauchsdauern in Jahren je Abnutzungsgrad für kaiserzeitliche Fibeln nach Richthofen. Ohne Abnutzung

Leichte Abnutzung

Deutliche Abnutzung

Starke Abnutzung

Richthofen 1992, 335



10–40

20–60

Ab 60

Richthofen 1994b, 78



10–40

20–60

Ab 60

Richthofen 1998, 256

Bis 10

10–20

30–40

50–60

Richthofen 2000, 78f.

Ab 4

10–20

30–40

50–60

So ging er davon aus, dass die nicht abgenutzten Fibeln maximal 10 Jahre lang getragen wurden, Fibeln des Abnutzungsgrades zwei dagegen 10–20 Jahre. 30–40 Jahre seien die Fibeln des Abnutzungsgrades drei in Gebrauch gewesen und 50–60 Jahre jene Fibeln, die starke Abnutzungsspuren aufweisen. Richthofen meinte nun, ausschließen zu können, dass die Abnutzungsspuren durch andere Faktoren als die mit dem Lebensalter linear korrespondierende Gebrauchsdauer beeinflusst wurden. Dabei erörterte er selbst einige andere mögliche Faktoren, wie die Gebrauchshäufigkeit oder die Härte der Legierung, die durch den Feingehalt des Metalls bestimmt wird. Stichhaltige Argumente, die diese Faktoren ausschließen, nannte er aber nicht. Auch könne die Gebrauchsdauer theoretisch etwa durch die soziale Stellung der Verstorbenen, also ihre wirtschaftliche Situation und die finanziellen Möglichkeiten für einen Neuerwerb beeinflusst werden und sich somit entsprechend verlängern oder verkürzen.426 Die Abnutzungsintensität würde demnach davon abhängen, wann eine Frau finanziell in der Lage war, sich neue Fibeln zu kaufen. Denkbar wäre ebenso, dass der rein materielle Wert einer Fibel sich auf die Gebrauchsdauer auswirke, indem

425 Die Angaben für die Gebrauchsdauern schwanken ohne Erklärung von Publikation zu Publikation, so dass sich kein eindeutiges Bild ergibt. Zudem gibt es zwischen den angegebenen Zeiträumen zum Teil erhebliche Überschneidungen beziehungsweise Lücken, die bei einer kontinuierlichen Benutzung der Fibeln nicht logisch sind. Genauso wenig wird erläutert, wie genau die Festlegung der Gebrauchsdauern erfolgte, da die Zeiträume nicht unbedingt mit den von ihm angegebenen Maxima der Altersstufen in den Diagrammen übereinstimmen. 426 Richthofen 2000, 100.

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2 Bisherige Forschungen

wertvollere Stücke länger in Gebrauch waren als weniger wertvolle. Doch diese Möglichkeiten kamen für Richthofen nach seinen Untersuchungen nicht in Betracht.427 Unberücksichtigt blieb bei diesen Überlegungen auch die Möglichkeit, dass wohlhabende Frauen mehrere Fibelsätze besaßen und diese wechselweise trugen. Insgesamt kam Richthofen zu folgendem Ergebnis: „Die festgestellte Korrelation zwischen der Abnutzungsintensität und dem Sterbealter der Bestatteten lassen diesbezüglich kaum Abhängigkeiten von anderen sozialen Faktoren erwarten.“428 Allein die Gebrauchsdauer bestimme die Abnutzungsintensität, wobei die Gebrauchsdauer nur vom Lebensalter der Trägerin abhänge. Wie jedoch bereits Christoph Eger in seiner Rezension feststellte, beruht diese Ansicht allein auf der Einschätzung, dass sich die einzelnen Abnutzungsgrade auf bestimmte Altersstufen konzentrieren. „Die präsentierten Ergebnisse lassen diesen Schluß jedoch nicht zu“, hob Eger zu Recht hervor.429 Weiterhin warf Eger die Frage auf, ob „die morphognostisch erkannten Abnutzungsgrade so genaue, sich deutlich ausschließende Gebrauchsdauern aufzustellen erlauben“.430 Auch von Richthofen wurde dies verschiedentlich in seinem Text angezweifelt,431 doch erwähnte er diese Bedenken in seiner Zusammenfassung und Präsentation der Ergebnisse nicht mehr und wertete seine Überlegungen zu den Gebrauchsdauern als gültig und eindeutig. Um seine Befundinterpretation zu untermauern, stützte sich Richthofen zudem auf einige theoretische Überlegungen und Annahmen sowie vereinzelt auf Argumente aus Nachbarwissenschaften. Diese stellen sich jedoch bei näherer Betrachtung als kaum weniger problematisch als seine Interpretation des archäologischen Befundes heraus. Für Richthofen war „eine wesentliche Voraussetzung für die Nachweisbarkeit des zu vermutenden Zusammenhangs zwischen der Gebrauchsspurenintensität und dem Sterbealter der Bestatteten [...], daß der gesamte Trachtschmuck mehr oder weniger gleichzeitig erworben wurde und bis zum Ableben in deren Gebrauch war.“432 Diese Voraussetzung – so musste Richthofen allerdings schon im folgenden Satz einräumen – ist aber nicht gegeben, denn es können „gemäß der Typochronologie nachweislich unterschiedlich alte Stücke in ein und demselben Grab auftreten“.433 Es stelle sich also heraus, dass die einzelnen Beigaben eines Grabes „hinsichtlich Herstellung und Erwerb keine chronologische Einheit“ bilden, sondern erst nach und nach erworben worden sein konnten.434 Dies zeigte sich auch an Richthofens Untersuchung der

427 428 429 430 431 432 433 434

Richthofen 2000, 100 f.; Richthofen 1994a, 81, 85; Richthofen 1992, 334; Richthofen 1998, 252 f. Richthofen 2000, 100. Eger 2002, 370. Eger 2002, 369. Richthofen 2000, 79. Richthofen 2000, 74. Richthofen 2000, 74. Richthofen 2000, 90, 98.  



2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

65

Gürtelteile, die nach seiner Aussage zu einem späteren Zeitpunkt im Leben erworben worden sein sollen als die Fibeln.435 Sie müssten demnach weniger stark abgenutzt sein als die Fibeln. Dem widersprechend waren die Gürtelschnallen und Riemenzungen aber in der Regel stärker abgenutzt als die mit ihnen vergesellschafteten Fibeln.436 Als Begründung für dieses Phänomen zog Richthofen einen im Verhältnis stärkeren Verschleiß der Gürtelteile heran. Doch bedeutet dies nicht, dass die Faktoren für einen stärkeren Verschleiß auch für manche Fibeln in Betracht kommen könnten? Besteht aber die Möglichkeit, dass Fibeln durch unterschiedliche Einflüsse stärker oder schwächer abgenutzt sind, stehen die auf der Abnutzung aufbauenden Überlegungen Richthofens in Frage.437 Angesichts seines abschließenden Ergebnisses einer Altersabhängigkeit der Fibeln ist Richthofens Erkenntnis aus dieser vergleichenden Studie zu Riemenzungen und Gürtelschließen erstaunlich, denn es ergebe sich, „dass es sich bei Gürteln im Gegensatz zu Fibeln offenbar um einen vom Lebensalter abhängigen Bestandteil der Tracht gehandelt hat“.438 Doch trotz dieser Feststellung sei bei den Gürtelschließen auffällig, „dass deren Abnutzungsintensität keine direkten Bezüge zum Sterbealter zeigt“.439 Die meist deutlich abgenutzten Gürtelteile unterlägen demnach anderen Voraussetzungen als die Fibeln.440 Doch könnte dies nicht bedeuten, dass auch der Abnutzungsgrad der Fibeln keinen direkten Bezug zum Sterbealter aufweist? Auch die Untersuchung typgleicher Fibeln in einem Grab zeigte, dass nicht von einem gemeinsamen Erwerbungszeitpunkt ausgegangen werden kann, denn diese sind oft unterschiedlich stark abgenutzt. Dies bedeutet nach Richthofen eine unterschiedlich lange Gebrauchsdauer. Wenn die Mehrzahl der Fibeln innerhalb eines Zeitraumes von 10 bis 20 Jahren, 41 % sogar mit einem zeitlichen Abstand von 30–50 Jahren erworben wurden,441 dann lassen sich kaum mehr Gründe für einen gemeinsamen Erwerbungszeitpunkt finden. Um die Gebrauchsdauer der Fibeln abschätzen zu können, versuchte Richthofen zu ermitteln, „ab welchem Lebensalter Fibeln tatsächlich regelmäßig zur Kleidung gehörten“.442 Berücksichtige man ausschließlich die Fibeln der Stufe B2, ergebe sich, dass Fibeln ab einem Alter von vier Jahren zur Kleidung gehörten.443 Doch dieser von Richthofen angegebene Zeitpunkt, ab dem Fibeln getragen wurden, ist sehr fraglich. Der Tragebeginn ab vier Jahren ergab sich für Richthofen aus der Auswertung der Dia 

435 436 437 438 439 440 441 442 443

Richthofen 2000, 89 f. Richthofen 2000, 90. Vgl. Kap. 3. Richthofen 2000, 79. Richthofen 2000, 79. Richthofen 2000, 79. Richthofen 2000, 89. Richthofen 1998, 256. Richthofen 1998, 256; Richthofen 2000, 81.  

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2 Bisherige Forschungen

gramme.444 Auf den Aussagewert der Diagramme wurde schon weiter oben eingegangen: An ihnen lässt sich nicht ablesen, dass Fibeln erst ab einem Alter von vier Jahren getragen wurden. Denn wie an seinen Diagrammen zu sehen ist,445 bekamen auch die jüngeren Kinder häufig schon Fibeln mit ins Grab. Nach Richthofen bestätigt sich seine Annahme des Tragebeginns von Fibeln ab vier Jahren des Weiteren durch bildliche Darstellungen. Denn auch hier würden Kleinkinder keine Kleidung mit Fibeln tragen.446 Der Aussagewert der herangezogenen römischen Reliefdarstellungen auf der Markussäule447 und der Hintergrund für ihre Motive sind jedoch auch unter Spezialisten unklar. Oft verbergen sich innenpolitische Beweggründe hinter einer bestimmten Form der Darstellung, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.448 Denn die Darstellungen von Barbaren in der römischen Kunst sind von Bildtopoi geprägt, die nicht unbedingt die Realität abbilden.449 Zudem stimmt das Untersuchungsgebiet Richthofens nicht mit Böhmen und Mähren, dem Siedlungsgebiet der auf der Markussäule dargestellten Markomannen, überein. Ebenso gehörte der Nordosten Deutschlands nicht mehr direkt zum Einflussbereich der Römer, was den Aussagewert römischer Bildquellen für diese Region und die Übertragbarkeit auf die dortigen Befunde in Frage stellt. Da mit einer „willkürlichen Zusammenstellung der Grabausstattung respektive des Trachtzubehörs durch die Hinterbliebenen nicht zu rechnen ist“,450 ging Richthofen davon aus, dass die Bestatteten immer auch die Besitzer ihrer Beigaben waren und ihren persönlichen Schmuck mit ins Grab bekamen.451 Auch hierbei stützte sich Richthofen auf den Zusammenhang zwischen Abnutzungsgrad und Sterbealter während der Stufe B2, der für ihn darauf hindeutete, dass der Verstorbene zumindest in dieser Stufe auch Besitzer der beigegebenen Stücke gewesen sei.452 Die im kindesoder jugendlichen Alter neuwertig erhaltenen Fibeln wären demnach die gesamte Lebenszeit über bei ihrem Besitzer geblieben, ein Ergebnis, das auch Max Martin für die Merowingerzeit erhalten habe.453 Diese auf dem Befund basierende These Richthofens bestätige sich seiner Ansicht nach auch in den Schriftquellen, denn diese zeigten, dass die Fibeln als Bestandteil des Trachtzubehörs zum Individualbesitz der Bestatteten gehörten und an sie gebunden seien, weshalb sie nach deren Tod nicht vererbt

444 Richthofen 1998, 256; Richthofen 2000, 78, 81. 445 Bes. Richthofen 2000, 78, Abb. 107., Richthofen 2000, 76, Abb. 96. und Richthofen 2000, 77, Abb. 100. 446 Richthofen 2000, 81, 82; Richthofen 1994a, 79, 92. 447 E. Petersen 1896, div. Tafeln; nach Richthofen 1994a, 79. 448 Wolff 2001. 449 Von Rummel 2007, 65, 97, 101, 197–199; Wolff 2001. 450 Richthofen 2000, 106. 451 Richthofen 2000, 106. 452 Richthofen 2000, 106. 453 Richthofen 1994a, 79; Richthofen 1998, 254; Ausführlich zu Martins Thesen: Vgl. Kap. 2.2.2.2 und Kap. 4.5.2.

2.2 Altersabhängigkeit und Abnutzung

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werden konnten.454 Richthofen bezieht sich dabei auf die rechtshistorischen Theorien zur sogenannten Frauengerade455 des frühen „germanischen“ Rechts, diese sind aber mit Vorsicht zu betrachten. Problematisch ist einerseits, die erst einige Jahrhunderte später entstandenen Schriftquellen auf eine Zeit und auch einen Raum zu übertragen, die von diesen nicht behandelt werden. Andererseits war diese Auslegung der Schriftquellen schon vor der Publikation der Untersuchungen Richthofens nicht mehr aktuell. Das Grabinventar wurde nicht mehr per se als persönlicher Besitz der Bestatteten interpretiert. Dies zeigt der entsprechende Eintrag zur Frauengerade im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde von 1995 aber auch schon deutlich ältere Beiträge.456 Sämtliche auf den Schriftquellen aufbauenden Schlüsse Richthofens zu Grabgeschenken oder die Folgerung, dass es sich bei den Grabbeigaben um das persönliche Eigentum der Verstorbenen handele, sind vor diesem Hintergrund nicht zu halten und die Ergebnisse müssen anders interpretiert werden. Ausgehend von seinem Interpretationsmodell erwartete Richthofen, „daß Gräber älterer Kinder und Jugendlicher nicht oder nur leicht abgenutzte und solche älterer Erwachsener dagegen deutlich und stark abgenutzte Stücke enthielten [...].“457 Demnach dürften bei Kindern und Jugendlichen keine deutlich und stark abgenutzten Fibeln vorkommen. Doch von den über 100 untersuchten Fibeln der Stufe B2, die aus Gräbern von Kindern und Jugendlichen stammen, hat mehr als ein Drittel Abnutzungsspuren der Intensität 2 bis 4, gehören also zu den deutlich und stark abgenutzten Fibeln.458 Auch einige weitere Fibeln aus Kindergräbern passten nicht in Richthofens Schema,459 so dass es sich bei mehr als der Hälfte der B2-Fibeln bei Kindern um Stücke handelt, die entsprechend von ihren „Besitzern“ noch nicht getragen worden sein können, sofern man Richthofens Gebrauchsdauern als zutreffend akzeptiert. Bei den Fibeln der Stufe A–B1 widersprechen sogar über 80 % Richthofens These.460 Auch Richthofen stellte fest, dass einige der Fibeln nicht seinem Schema entsprechen. Bei diesen Unregelmäßigkeiten handele es sich „unzweifelhaft um gebraucht erworbene oder ererbte Stücke“ oder sogar Grabgeschenke.461 Es zeige sich sogar, dass die stark abgenutzten Fibeln „mehrheitlich bereits von der älteren an die jüngere Generation weitergegeben worden“ waren.462 Betrachte man alle Altersgruppen, sei 

454 Richthofen 2000, 82, 103, 107. 455 Gerade bezeichnet nach gängiger Ansicht das persönliche Eigentum einer Frau, das rechtlich gesondert vom Besitz des Familienoberhauptes behandelt wurde und nach eigenständigen Regeln vererbt wurde. Es handelt sich um eine Art Sondereigentum zur Absicherung falls ihr Ehemann verstarb. 456 Hradil 1910, bes. 68; Jacob/Mirbeau-Fauvin 1980; Kroeschell 1977; Kroeschell 1986, bes. 18; Ogris/ Steuer 1995; Rietschel 1911. 457 Richthofen 2000, 74. 458 Richthofen 2000, 81. 459 Dies sind beispielsweise die Kinder unter vier Jahren mit Fibeln. 460 Richthofen 2000, 81. 461 Richthofen 1992, 335. 462 Richthofen 2000, 81.

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2 Bisherige Forschungen

en gebraucht erworbene Fibeln vor allem in jenen Gräbern zu vermuten, in denen die Fibeln für das Sterbealter der Bestatteten nach Richthofens Schema zu stark abgenutzt seien.463 Das „Problem gebrauchter Fibeln“ lässt sich nach Richthofen zusammenfassend folgendermaßen darstellen:464 Man könne vor dem Hintergrund der Schriftquellen davon ausgehen, dass der Schmuck zum persönlichen Besitz der Verstorbenen gehörte und nicht vererbbar war, sondern den Eigentümern mit ins Grab gegeben wurde. Doch gebe es zahlreiche anhand der Abnutzungsintensität nachweislich gebraucht erworbene Fibeln.465 Die daraus anzunehmende Weitergabe von Teilen des Individualeigentums könne folglich nur zu Lebzeiten des Erstbesitzers erfolgt sein.466 Das aus den Schriftquellen zu erschließende Verbot der Vererbung von persönlichem Eigentum beziehe sich nicht auf Gegenstände, die durch Schenkung oder Tausch noch zu Lebzeiten aus dem persönlichen Besitz ausgeschieden seien. Die lebenden Eigentümer konnten Stücke aus ihrem persönlichen Besitz an Lebende oder Verstorbene weitergeben. „Demnach darf unter den in Gräbern beigegebenen Fibeln sowohl mit gebrauchten Altstücken als auch mit echten Grabgeschenken gerechnet werden, die ursprünglich aus dem Besitz einer anderen Person stammten.“467 Dies habe jedoch keine direkten Konsequenzen für die sozialhistorische Interpretation der Grabfunde, was bei echter Vererbung der Fall wäre: „An den beigegebenen Grabgegenständen dürften sich also dennoch Sozialstatus bzw. die Eigentumsverhältnisse der Verstorbenen kurz vor ihrem Ableben widerspiegeln.“468 Die Art der Weitergabe – beispielsweise als Grab- oder Initiationsgeschenk – könne nicht genauer bestimmt werden. Eine Weitergabe zu einem bestimmten Zeitpunkt, beispielsweise als Initiationsgeschenk, „läßt sich am Befund nicht genauer nachweisen, wäre aber immerhin denkbar“.469 Richthofen umging das durch seine Argumentation auftauchende „Problem gebrauchter Fibeln“ mit einer wenig einleuchtenden Konstruktion: Nach seiner Annahme der Unvererbbarkeit der persönlichen Schmuckgegenstände, zu denen die Fibeln gehören, dürften beispielsweise stark abgenutzte Fibeln bei Kindern und Jugendlichen nicht auftauchen. Doch genau dies ist in zahlreichen Gräbern der Fall, die nach Richthofens Meinung für das Sterbealter zu stark abgenutzte Fibeln enthalten.470 Indem Richthofen nun die Möglichkeit einer „Vererbung“ durch die Weitergabe zu Lebzeiten einführte, die nicht unter einem rechtlichen Verbot stehe, meinte er, das Phänomen der „zu stark abgenutzten Fibeln“ erklären zu können. Mit dieser Kon-

463 464 465 466 467 468 469 470

Richthofen 2000, 81. Richthofen 2000, 81. Richthofen 2000, 82, 107. Richthofen 2000, 107. Richthofen 2000, 80 f. Richthofen 2000, 81. Richthofen 2000, 82. Richthofen 2000, 82, 74, 77, 107.  

2.3 Zusammenfassung

69

struktion entsteht aber ein Widerspruch zwischen nur einem möglichen Besitzer und einer überwiegenden Weitergabe der Fibeln an eine zweite Person, der in der Konsequenz massive Zweifel an Richthofens Argumentation aufkommen lässt. In der Folge stellt sich die Frage, ob die Berechnungen der Gebrauchsdauern richtig sind, denn nach Richthofens Erkenntnissen gibt es viel zu viele weitergegebene Fibeln, als dass die Gebrauchsdauern noch zutreffen könnten. Die Berechnungen beruhen wie erwähnt auf der Annahme, dass nur ein Besitzer möglich ist und dieser die Fibel ein Leben lang trug und sie mit ins Grab nahm. Wenn von den Kindern und Jugendlichen mindestens 50 % der Stufe B2 und 80 % der Stufe A–B1 für ihr Alter zu stark abgenutzte Fibeln im Grab haben,471 und stark abgenutzte Fibeln mehrheitlich an die jüngere Generation weitergegeben wurden,472 verändert dies die Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersstufen. Somit erschwert sich die Berechnung der Gebrauchsdauern, da durch die vielfältigen Möglichkeiten für einen Weitergabezeitpunkt die Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersstufen diffuser wird und sich keine deutliche Korrelation mehr abzeichnet. Gibt es aber mehr als einen Besitzer, weil Fibeln an jüngere Personen weitergegeben wurden, dann muss man davon ausgehen, dass die Fibeln häufig sogar über die Lebensdauer ihrer ersten Besitzer hinaus in Gebrauch waren. Deshalb kann – entgegen Richthofens Aussage – die Obergrenze für die Gebrauchsdauer einer Fibel auch nicht bei 80 Jahren angesetzt werden.473 Insgesamt betrachtet ergeben sich somit Zweifel an der Richtigkeit der Gebrauchsdauer-Analysen Richthofens.  



2.3 Zusammenfassung Aufgrund der weiten Verbreitung und ihrer Fertigung aus Edelmetall schenkte die Forschung den Fibeln von Anfang an besondere Aufmerksamkeit; die Chronologie der merowingerzeitlichen Frauengräber beruht zum großen Teil auf dem Wandel der Fibelformen. Neben Arbeiten zur Typologie, Chronologie und geographischen Verbreitung der Fibeln sowie einzelner Fibeltypen wurden viele Gräberfeldbearbeitungen publiziert, bei denen Fibeln Teil des Fundspektrums waren. Darüber hinaus waren die Position der Fibeln an der Kleidung und damit deren Trageweise zu Lebzeiten von Interesse. Auch die möglichen Funktionen der Bügelfibeln wurden beleuchtet, ebenso die verschiedenen Kleidungsrekonstruktionen, da diese mit der Trageweise und Funktion der Bügelfibeln eng verknüpft sind. Personengebundenheit und „ethnische Tracht“ knüpfen an die Überlegungen zur Trageweise und Funktion der Fibeln an. In den 1970er Jahren setzte sich die Idee einer

471 Richthofen 2000, 81. 472 Richthofen 2000, 81. 473 Richthofen 2000, 79.

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2 Bisherige Forschungen

personengebundenen Ausstattung durch, bei der primär die Bügelfibeln als Marker einer ethnisch bedingten Tracht interpretiert wurden. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte sich die These einer so stark personengebundenen Tracht, dass diese nur einmal im Leben erworben und den Toten zwingend mit ins Grab gegeben wurde. Max Martin, einer der Verfechter dieser These, forderte eine empirische Studie zu deren Beleg. Diese wird mit der vorliegenden Arbeit erbracht. Da die zu Personengebundenheit und Altersabhängigkeit der Beigaben geäußerten Überlegungen eine zentrale Bedeutung für die in dieser Arbeit behandelte Thematik besitzen und zudem relativ autorenspezifisch sind, wurde auf jeden Autor separat eingegangen. Gemeinsam ist allen diesen Arbeiten die Auseinandersetzung mit der Ansicht, dass Beigaben und dabei vor allem (Bügel-)Fibeln primär bei adulten Frauen aufträten und auch nur dort in vollständigen Ensembles vorhanden seien, da nur erwachsene Frauen die mit einer umfangreichen Grabausstattung in Verbindung stehende soziale Rolle innehaben konnten. Dabei zeigte sich, dass diese Annahme meist bereits Grundlage der Argumentation ist; nur sehr wenige Autoren setzten sich kritisch mit ihr auseinander. Arbeiten, die sich nur den Fibeln und nicht generell den frühmittelalterlichen Beigaben widmeten, wurden gesondert betrachtet. Hierzu zählt die für die Debatte um Personengebundenheit und Altersabhängigkeit wichtigste Publikation von Max Martin über „Beobachtungen an den frühmittelalterlichen Bügelfibeln von Altenerding“ von 1987. Abschließend wurden jene Arbeiten besprochen, die anhand der Abnutzungsintensität von kaiserzeitlichen Fibeln auf deren Gebrauchsdauer rückzuschließen versuchten. Die dabei durch Jasper von Richthofen entwickelte Methodik ist Inspiration für die in dieser Studie gewählte Vorgehensweise bei der Einteilung der Abnutzungsgrade.

3 Abnutzungsfaktoren 3.1 Relevanz An jedem Gegenstand, der Gebrauchsspuren aufweist, kann man Areale mit unterschiedlich starker Abnutzung erkennen. Manche Partien sind sehr stark abgenutzt, andere hingegen deutlich weniger verschlissen. Dies zeigt sich auch bei frühmittelalterlichen Fibeln, wie sich bei der Dokumentation der Abnutzungsgrade für die vorliegende Studie durch die separate Beurteilung einzelner Areale sehr eindrücklich herausstellte.474 Die Fibelareale waren je nach ihrer Position unterschiedlich starker Abnutzung ausgesetzt. Diese Unterschiede können nur zum kleinen Teil wie bei Werkzeugen durch die verschiedenen Funktionen der einzelnen Teile erklärt werden. Einer tatsächlichen mechanischen Beanspruchung unterliegt nur die Nadelkonstruktion beim An- oder Ablegen der Fibel. Leider können die Nadelkonstruktionen nur selten begutachtet werden: Sie wurden aus Eisen gefertigt und sind in der Regel sehr stark korrodiert. Unter den Rostschichten ist deshalb selten die originale Oberfläche erkennbar und der Abnutzungsgrad kann nicht bestimmt werden. In sehr vielen Fällen ist von der Nadelkonstruktion nichts mehr erhalten, da die korrodierten Reste bei der Restaurierung komplett entfernt wurden. So wird die Restaurierung indirekt zu einem Faktor, der die Abnutzung bzw. deren Diagnose beeinflusst. Diese und andere Überlegungen führten zu der Frage, welche Faktoren die Abnutzung und deren Beurteilung beeinflussen können. Wie macht sich dieser Einfluss in Bezug auf die Intensität und Art der Abnutzung bemerkbar und wie kann er nachgewiesen werden? Der folgende Teil dieser Arbeit widmet sich deshalb den Abnutzungsfaktoren. Denn sie haben alle – mal mehr, mal weniger – Einfluss auf die Fibeln und sollten bei allen Überlegungen mit einbezogen werden. Manche dieser Faktoren können nur theoretisch besprochen werden, da sich gegenwärtig weder von Seiten der Archäologie, noch durch Schriftquellen oder naturwissenschaftliche bzw. experimentelle Analysen sichere Antworten finden lassen. Trotzdem sollen sie behandelt werden. Denn künftige Ergebnisse und Aussagen zu diesen Faktoren sind nur möglich, wenn ihr eventueller Einfluss bekannt ist und deshalb berücksichtigt werden kann. Andere Abnutzungsfaktoren hingegen umfassen ein so weites Themenfeld, dass sie lediglich besprochen und ihr Einfluss in groben Zügen beschrieben werden kann.

474 Kap. 4.4. https://doi.org/10.1515/9783110754810-003

72

3 Abnutzungsfaktoren

3.2 Restaurierung Um Abnutzungsspuren an Fibeln dokumentieren zu können, muss die originale Oberfläche sowohl vorhanden als auch sichtbar sein. Denn nur an ihr ist die während des Gebrauchs entstandene Abnutzung erkennbar. Die originale Oberfläche ist im Normalfall noch erhalten, steckt aber zwischen den an der Fibel haftenden Korrosionsschichten und muss bei der Restaurierung vorsichtig freigelegt werden.475 Bei älteren Restaurierungsmethoden wurden teilweise alle Korrosionsprodukte entfernt, um eine weitere Korrosion der Fibel zu unterbinden. Hierdurch entfernten die Restauratoren aber auch die originale Oberfläche. Eine so behandelte Fibel ist für die Untersuchung der Abnutzung nicht mehr geeignet. Ebenso kommt es vor, dass bei der Restaurierung nicht genug Material entfernt wurde, so dass die originale Oberfläche nicht freiliegt. Manche Restaurierungsmethoden können zudem eine scheinbare originale Oberfläche erzeugen oder gaukeln eine stärkere Abnutzung vor, als tatsächlich vorhanden war. Behutsamkeit und Vorsicht bei der Anwendung der verschiedenen Restaurierungsverfahren haben einen entscheidenden Einfluss darauf, ob an einer Fibel die originale Oberfläche erkennbar und damit die Abnutzung ablesbar ist. Glücklicherweise ist nur ein kleinerer Teil der Fibeln so behandelt worden, dass sie für eine Analyse der Abnutzung nicht mehr herangezogen werden können. Da die verschiedenen Restaurierungsmethoden und die Art ihrer Anwendung einen gravierenden Einfluss auf die Analysierbarkeit der Fibeln haben, sind sie indirekt einer der wichtigsten Faktoren, die auf die Abnutzung und ihre Erkennbarkeit einwirken. Deshalb möchte ich im Folgenden genauer auf die einzelnen Verfahren eingehen und den Einfluss der Restaurierung auf die Sichtbarkeit der Abnutzung an den Fibeln erläutern. Denn „betrachtet man die historische Entwicklung unserer Vorstellung vom Reinigen, so hat ein erheblicher Wandel stattgefunden.“476 Bis weit in die 1960er Jahre hinein wurden Metallobjekte bis auf das blanke Metall freigelegt. Erst danach setzte ein langsames Umdenken ein, das besonders in den letzten 30 Jahren mit der Etablierung einer professionellen Ausbildung einen Wandel der Methodik und des Selbstverständnisses der Restaurierung bewirkte. Es wäre wünschenswert, die Restaurierungsmethodik nicht nur bei der hier behandelten Problematik, sondern allgemein bei der Analyse von Fundmaterial zu berücksichtigen. In der Unkenntnis der möglichen Verfahren und ihres Erscheinungsbildes liegt ein potentieller Faktor für Fehler und Falschinterpretationen. Allerdings wurden früher selten Restaurierungsberichte angefertigt, so dass oft nicht mehr ermittelt werden kann, welche Verfahren angewandt wurden.

475 Eichhorn 1985, 150, 158f. 476 Fischer 2006, 114.

3.2 Restaurierung

73

3.2.1 Entwicklung 477

Vor 1890 wurden Metalle häufig in korrodiertem Zustand ausgestellt oder von Künstlern oder Goldschmieden notdürftig gereinigt.478 Man besaß noch wenige Kenntnisse über die chemischen und physikalischen Grundlagen der Korrosionsprozesse und die bei dringenden Notfällen durchgeführten Konservierungsmaßnahmen hatten oft eher negative Folgen.479 Ein wissenschaftlich fundiertes Herangehen an die Korrosion und die damit verbundene Problematik entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts.480 Dies war der Auslöser für die Einrichtung von Restaurierungswerkstätten an den größeren Museen Europas, in denen dann auch Personal für die Restaurierungstätigkeit gezielt ausgebildet und eingesetzt wurde. Erst damit setzte eine Entwicklung hin zu einer Professionalisierung der Restaurierung ein. Bis zur staatlich geregelten Ausbildung sollte aber in Deutschland noch fast ein Jahrhundert vergehen.481 Eines der ersten Museen mit eigener Werkstatt war das Königliche Museum Berlin; die Leitung des 1888 dort eingerichteten Chemischen Labors zur Restaurierung der Funde übernahm Friedrich Rathgen. Sein 1898 veröffentlichtes Handbuch war für über ein halbes Jahrhundert das wichtigste Werk zur Restaurierungsmethodik.482 Bereits 1888 erschien eine der ersten Anleitungen zur Restaurierung: Albert Voß’ „Merkbuch, Alterthümer aufzugraben und aufzubewahren“.483 Seine Anleitungen und Hinweise richteten sich primär an die Finder vor Ort und empfahlen einen sehr vorsichtigen und behutsamen Umgang mit den Objekten,484 wurden aber offenbar selten umgesetzt. Voß unterschied – wie andere Autoren seiner Zeit – zwei Herangehensweisen für die Behandlung von Patina,485 wie die Korrosionsprodukte häufig genannt wurden. Einerseits gebe es Verfahren, die dazu dienen, die Patina zu entfernen und alternativ Methoden zur Erhaltung und Festigung der Patina. Er empfahl nötigenfalls eine vorsichtige mechanische Entfernung der Patina mit feinen Meißeln, sie solle jedoch nur in den seltensten Fällen entfernt werden. Im Idealfall sei die Reinigung mit Wasser und weichen Bürsten oder Schwämmen ausreichend.486 Das besonders bei

477 Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung in Deutschland, in Großbritannien beginnt die professionelle Beschäftigung mit der Restaurierung teilweise früher und verläuft anders. Zudem ist der folgende Text schlaglichtartig aufgebaut; mit Restaurierungsmethodik beschäftigte sich ein weiterer Personenkreis als hier zitiert, es soll aber nur die generelle Entwicklung dargestellt werden. 478 Fischer 2006, 114; Hansen 2001, 96. 479 Seeley 1987, 165. 480 Bertholon 2004, 167; Oddy 2009, 14; Seeley 1987, 164. 481 Eichhorn 1985, 153; Gilberg/Vivian 2001, 91; Oddy 2009, 13. 482 Oddy 2009, 15ff.; Seeley 1987, 166; Rathgen 1898. Mehr zu Rathgen weiter unten. 483 Voß 1888; Mit einer zweiten Auflage 1894: Voß 18942. 484 Voß 1894, 25f., 83f. 485 Fischer 2006, 116; Voß 1894, 67. 486 Voß 1894, 59, 68, 83.

74

3 Abnutzungsfaktoren

Bronzeobjekten angewandte Glühen oder eine chemische Reinigung mit Säuren sah Voß kritisch und riet meist davon ab. Zu groß seien die Gefahren bei unsachgemäßer Anwendung und die Veränderungen, die die Objekte dadurch erfahren.487 Ihm war durchaus bewusst, dass in den Korrosionsschichten ein Teil der Objekte selbst und auch ankorrodierte Organikreste vorhanden sein können, die wichtige Informationen beinhalten: „Man achte dabei genau auf die Oberfläche des Gegenstandes, ob nicht etwa Spuren von Holztheilen, Haaren oder Geweben, welche nicht selten in der Patina ihre Abdrücke hinterlassen haben oder im inkrustierten Zustand noch anhaften, sichtbar werden und übe nun doppelte Vorsicht, um diese Reste, welche unter Umständen von großer Wichtigkeit sind, nicht zu zerstören.“488 Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Korrosionsschichten und Auflagerungen meist rigoros entfernt. Durch das Entfernen der Korrosion sollte der weitere Zerfall der Objekte verhindert werden.489 Zudem entsprach die so erhaltene metallisch glänzende Oberfläche dem damaligen ästhetischen Empfinden.490 Teilweise wurde versucht, die Korrosionsprodukte durch elektrochemische Prozesse wieder in Metall umzuwandeln, um so den originalen Zustand zurückzuerhalten, was allerdings nicht möglich ist.491 Bis in die 1960er Jahre wurden überwiegend elektrochemische, elektrolytische und chemische Verfahren verwendet. Diese entfernen besonders bei unkontrollierter Anwendung sämtliche Korrosionsprodukte und lassen nur den Metallkern übrig. Da die Korrosion auch unter der originalen Oberfläche voranschreitet, geht diese hierdurch meist mit den Korrosionsprodukten verloren.492 Ist das Objekt völlig durchkorrodiert, kann es zu dessen kompletter Auflösung kommen.493 Alle Methoden der genannten drei Verfahrensgruppen hinterlassen eine pockig zerfurchte, glänzende Metalloberfläche.494 Friedrich Rathgen495 war einer der ersten Naturwissenschaftler, der sich um die Jahrhundertwende systematisch mit den Ursachen des Zerfalls archäologischer Metallobjekte befasste.496 Wichtig war ihm besonders die Stabilisierung der Funde. Nur wenn alle Korrosionsprodukte entfernt würden, könne seiner Ansicht nach eine weitere Korrosion verhindert werden. Den Verlust von organischen Resten und Ornamenten nahm Rathgen zugunsten einer effektiven Konservierung in Kauf.497 Die Objekte

487 Fischer 2006, 116; Voß 1894, 67, 70. 488 Voß 1888, 41 nach Fischer 2006, 116; Voß 1894, 68, 74. 489 Bertholon 2001, 6; Cronyn 1990, 8f.; Fischer 2006, 114, 117; Mazanetz 1960, 71ff.; Plenderleith/ Werner 1971, 189; Rathgen 1924; Seeley 1987, 163. 490 Bertholon 2001, 11; Cronyn 1990, 8. 491 Bertholon 2001, 7 492 Barrio et al. 2007, 14; Eichhorn 1985, 159ff.; Jedrzejewska 1964, 27. 493 Eichhorn 1985, 159ff.; Jaró 1985, 146. 494 Barker 2006, 140, 143; Born 1985, 144; Fischer 2006, 114; Oddy 2009, 21. 495 Rathgen 1898; Rathgen 19242. 496 Oddy 2009, 16ff.; Plenderleith 1998, 129. 497 Rathgen 1924, 89.

3.2 Restaurierung

75

sollten in ihre ursprüngliche Form gebracht werden und auch als Metall erkennbar sein. Hierzu erläuterte er in seinem 1898 erschienenen Handbuch „Die Konservirung von Alterthumsfunden“ mehrere unterschiedliche Methoden zur Reinigung und Restaurierung: mechanische Verfahren, Behandlung mit Säuren und Laugen, Hitze (Glühen), elektrolytische und elektrochemische Reduktionsverfahren.498 Diese Methoden wurden nicht alle von ihm selbst entwickelt, sondern stammten auch von Kollegen, die an anderen Museen und Sammlungen mit der Erhaltung archäologischer Metallobjekte zu tun hatten.499 Das von Rathgen aufgeführte Methodenspektrum entsprach im Großen und Ganzen den heute zur Verfügung stehenden Methoden. Nur die Gewichtung der geeignetsten Methoden, die Ansprüche an die Ästhetik des restaurierten Objektes und besonders das Verständnis über den Sinn und Zweck einer Restaurierung haben sich geändert. Dieser Wandel führte auch dazu, dass einige der von Rathgen beschriebenen Methoden heute nicht mehr eingesetzt werden.500 Sie sind in der Regel zu aggressiv gegenüber dem Objekt und teilweise auch gesundheitsschädlich für den Anwender. Harold Plenderleiths „The conservation of Antiquities and Works of Art“501 hatte mit seinem Erscheinen 1956 besonders im englischsprachigen Raum großen Einfluss auf die Vorgehensweisen bei der Restaurierung.502 Auch Plenderleith war es wichtig, das Objekt durch die weitgehende Entfernung der Korrosionsprodukte zu stabilisieren503 und die originale Form zurückzuerhalten; er hielt es für wenig wahrscheinlich, dass die originale Oberfläche innerhalb der Korrosionsschichten aufzufinden sei.504 Doch durch seine Hervorhebung der mechanischen Reinigung, die mit möglichst geringen Veränderungen am Objekt geschehen sollte, bewirkte er einen wichtigen Strategiewandel.505 Bereits 1917 formulierte Gustav Rosenberg506 in seinem Buch „Antiquités en fer et en bronze, leur transformation dans la terre contenant de l’acide carbonique et des chlorures et leur conservation“507 das Konzept der originalen Oberfläche, welche seiner Ansicht nach bei der Konservierung freigelegt werden sollte. Am Beispiel von Eisenfunden beschrieb er die Korrosionsschichten und differenzierte in externe und interne Schichten, also Korrosionsschichten, die über oder unter der originalen Ober-

498 Fischer 2006, 117. 499 Fischer 2006, 117; Gilberg/Vivian 2001, 91; Oddy 2009, 17. 500 Z. B. das Glühen. Auch eine Reinigung mittels Stahlbürsten und Schleifmitteln kann zu massiven Veränderungen der Objekte führen: Gasteiger 2000, 15; Vepřek/Eckmann/Elmer 1989, 171. 501 Plenderleith 1956. 502 Gilberg/Vivian 2001, 92; Oddy 2009, 20. 503 Plenderleith/Werner 1971, 189. 504 Bertholon 2001, 5; Bertholon 2004, 168. 505 Plenderleith/Werner 1971, 189ff.; Bertholon 2001, 5 und bes. 8. 506 Informationen zu Rosenberg aus Bertholon 2001, 6; Bertholon 2004, 168; Fischer 2006, 118. 507 Rosenberg 1917 (Nach Bertholon 2001, 6 und Bertholon 2004, 168).

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3 Abnutzungsfaktoren

fläche liegen.508 Durch eine vollständige Entfernung aller Korrosionsprodukte könne zwar die aktive Korrosion aufgehalten werden, dabei würden aber auch die darin enthaltenen wichtigen Informationen wie organische Reste oder die originale Oberfläche zerstört. Seiner Meinung nach muss die ursprüngliche Form und Oberfläche eines Fundes erhalten werden und nicht nur der unkorrodierte Metallkern. Die zur Auffindung der ursprünglichen Oberfläche hilfreichen Organikreste seien wie die Korrosionsprodukte Teil des Fundes, über ihre Erhaltung habe der Archäologe und nicht der Restaurator zu entscheiden. Trotz weiterer Publikationen509 in diese Richtung dauerte es aber noch einige Jahrzehnte, bis sich das von Rosenberg entwickelte Konzept der originalen Oberfläche durchsetzte und zur Grundlage aller Restaurierungsbestrebungen wurde. Ebenso langsam verbreitet sich die Ansicht, dass die Korrosionsschichten Teil des Artefakts sind und abgesehen von der originalen Oberfläche wichtige historische und wissenschaftliche Informationen enthalten können.510 Laut Régis Bertholon verlief die Entwicklung des Konzepts der originalen Oberfläche in drei Phasen.511 Bis in die 1960er Jahre hinein galt eine glänzende, metallische Oberfläche als das Ziel der Restaurierung.512 Dahinter stand die Ansicht, dass für eine optimale Konservierung der Metalle alle Korrosionsprodukte von den Funden entfernt werden müssten. Diese schon damals eigentlich veraltete513 Lehrmeinung hielt an tradierten Restaurierungsmethoden und überholten Vorstellungen zu den Korrosionsmechanismen fest.514 Mit eine Rolle spielte, dass das Aussehen eines Objekts wichtiger war als seine ursprüngliche Form und Oberflächendetails wie Verzierungen. Das Objekt sollte für die Ausstellung den ehemaligen Glanz des antiken Metalls zeigen.515 In den 1960er Jahren begann teils ausgelöst durch neue physikalische Analysemethoden und deren Ergebnisse ein langsames Umdenken. Mehr und mehr Restauratoren und Archäologen gingen davon aus, dass die originale Oberfläche tatsächlich innerhalb der Korrosion vorhanden war. Mit diesen neuen Denkanstößen änderten sich die Restaurierungsstandards. Immer seltener wurden Metallartefakte bis auf das blanke Metall freigelegt und immer häufiger wurde versucht, möglichst viel der Korrosionsprodukte auf den Funden zu belassen und zu erhalten.516

508 509 510 511 512 513 514 515 516

Bertholon 2001, 6; Illustrierend: Fischer 2006, 118, Abb. 4. Z. B. Fink/Eldridge 1925 (nach Bertholon 2004, 168); Jedrzejewska 1964. Bertholon 2001, 6, 10; Bertholon 2004, 167; Born 1985, 86; Eichhorn 1985, 150. Bertholon 2004, 168. Bertholon 2004, 167. Siehe z. B. die Ergebnisse von Rosenberg 1917. Bertholon 2004, 167; Eichhorn 1985, 150; Fischer 2006, 118. Bertholon 2001, 7. Bertholon 2004, 168.  

3.2 Restaurierung

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Zwischen den 1960ern und 1980ern verbreitete sich die Idee der originalen Oberfläche zunehmend, erreichte aber keine Allgemeingültigkeit. Es gab immer noch Zweifler, die es als unmöglich erachteten, die ursprüngliche Oberfläche eines Artefakts in seinen Korrosionsschichten nachweisen oder gar freilegen zu können. Peter Eichhorn sah 1985 „das Ziel aller restauratorischer Arbeiten […] [in der] Freilegung der originalen Oberfläche“.517 Eine chemische Reinigung wurde von ihm kategorisch abgelehnt, und auch in Bezug auf elektrolytische und elektrochemische Reinigungsmethoden äußerte er starke Bedenken. Diese Verfahren seien zu unkontrollierbar, originale Substanz könne dabei zerstört werden und zudem erhöhe der bei einigen Verfahren gegebene Kontakt mit Wasser die Aktivität der zersetzenden Chloride, was die Korrosion verstärke oder gar neu in Gang bringe.518 „Deshalb sind vom heutigen Standpunkt der Restaurierung […] diese Verfahren abzulehnen“.519 Die mechanische Entfernung der Korrosionsprodukte hingegen habe den Vorteil, dass sie in allen Phasen kontrollierbar sei. Der höhere Zeitaufwand rechtfertige sich unter anderem damit, dass Einlagen wie Tauschierungen und Emaille nur mechanisch freigelegt werden können.520 Dies sahen leider noch um 1990 nicht alle Restauratoren so; Karl Herold äußerte die Ansicht, dass jede mechanische Freilegung bei Silber Spuren hinterlasse. Da sie zudem am einfachsten zu kontrollieren und am werkstoffschonendsten seien, wären chemische, elektrolytische oder elektrochemische Verfahren der mechanischen Reinigung vorzuziehen.521 Ab etwa den 1990er Jahren wurden verstärkt Definitionen der originalen Oberfläche erstellt und man suchte nach Möglichkeiten, wie diese zwischen den Korrosionsschichten genau lokalisiert werden könne.522 Das Konzept hatte sich überwiegend durchgesetzt: „Heute werden die Metalle bei der Restaurierung in der Regel bis zur „originalen Oberfläche“ gereinigt.“523 Teile der Korrosionskrusten, aber auch die organischen Auflagerungen wurden dabei entfernt. Im Idealfall zeigt sich die Oberfläche in einer dichten, glänzenden und farbigen Korrosionsschicht, die häufig noch ihre feinen Verzierungen524 sowie Herstellungs- oder Gebrauchsspuren aufweist.525 Zu einer Herausforderung für das Konzept entwickelten sich jedoch zunehmend die organischen Auflagerungen, die sich über der originalen Oberfläche befinden und häufig nur noch in mineralisiertem Zustand als „Negativabdruck“ aus Korrosionspro-

517 Eichhorn 1985, 158. 518 Eichhorn 1985, 159; Ähnlich schon Jedrzejewska 1964, 27. 519 Eichhorn 1985, 159. 520 Eichhorn 1985, 159f., 162; Ebenso Jaró 1985, 146; Jedrzejewska 1964, 27. 521 Herold 1990, 39f. 522 Bertholon 2004, 168f. 523 Fischer 2006, 114; Ähnlich: Bertholon 2004, 167; Eichhorn 1985, 149; Stambolov/Bleck/Eichelmann 1988, 17. 524 Vgl. Tafel 3D. 525 Fischer 2006, 114f.; Eichhorn 1985, 161.

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3 Abnutzungsfaktoren

dukten vorhanden sind. Es stellte sich die Frage, welche Informationen erhalten werden sollen. Ist es wichtiger, die originale Oberfläche komplett freizulegen oder ist der Informationsgehalt der ankorrodierten organischen Reste höher und diese damit so wichtig, dass sie erhalten werden sollten? Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten; bei jedem Fund muss neu entschieden werden, welche Informationen bewahrt werden.526 Je deutlicher die Forschung das Erkenntnispotential der Organika erkannte, desto häufiger wurden sie auf den Objekten belassen. Inzwischen wird kaum noch ein Fund vollständig von seinen organischen Auflagerungen befreit. Dies hängt auch mit einer zunehmend zurückhaltenderen Auffassung des nötigen Restaurierungsumfanges zusammen. Denn im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine Restaurierung das Objekt möglichst wenig beeinträchtigen oder verändern soll. Alle Veränderungen sollten daher reversibel und Ergänzungen sichtbar sein. Letztere seien zudem nur dann zu vertreten, wenn die ursprüngliche Form des Objekts sicher bekannt ist.527 Diese Vorgehensweise – bezeichnet als Investigative Conservation528 – beinhaltet eine untersuchende Restaurierungsmethodik, bei der zwar immer noch das Metallobjekt im Vordergrund steht, aber ein großes Augenmerk auf die Dokumentation und Erhaltung der organischen Reste gelegt wird.529 Dabei werden alle Eingriffe und Veränderungen auf das absolute Minimum reduziert und möglichst mechanisch ausgeführt, da eine mechanische Freilegung am besten kontrollierbar ist und zudem keine Chemikalien aufgebracht werden, die eventuell unerwünschte Reaktionen des Artefakts hervorrufen können.530 Das Investigative Cleaning steht hierbei für eine überwiegend mechanische Freilegung der Funde unter dem Mikroskop – denn viele Informationen lassen sich nur mit dem Mikroskop erkennen und würden bei einer makroskopischen Bearbeitung unbeobachtet zerstört werden.531 Dabei werden die Objekte bei jedem Arbeitsschritt eingehend untersucht und dokumentiert, um möglichst alle Informationen und Charakteristika zu erfassen.532 Zu Beginn jeder Untersuchung wird ein Röntgenfoto angefertigt, das als Grundlage für Entscheidungen über das weitere Vorgehen dient. Jede Maßnahme wird zeichnerisch, fotografisch und beschrei-

526 Fischer 2006, 114f. 527 Charola/Koestler 2006, 25, 27; Eichhorn 1985, 151; Gasteiger/Nowak-Böck 2008, 315f.; Gasteiger 2013, 115, 125ff.; Nowak-Böck 2013, 135; Plenderleith/Werner 1971, 189; Rule 2006, 2; Seeley 1987, 170f. 528 Investigative Conservation: Das Konzept wurde in den 1980ern am Ancient Monuments Laboratory des English Heritage entwickelt. Ziel ist eine konservatorische Grundversorgung mit einer gleichzeitigen Funktions- und Objektidentifizierung, wobei im Sinne eines minimalinvasiven Eingriffes nur unbedingt nötige Maßnahmen mit minimalen Mitteln für die Auswertung und Publikation zum Einsatz kommen. Vollständige Freilegungen sind nicht Teil des Konzepts: Gasteiger 2004/2005, 380; Gasteiger/Nowak-Böck 2008, 351f.; Watson et.al 2008, bes. 11. 529 Fischer 2006, 118f. 530 Cronyn 1990, 64; Gasteiger 2004/2005, 379. 531 Gasteiger 2007, 70. 532 Charola/Koestler 2006, 13; Fischer 2006, 118f.

3.2 Restaurierung

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bend festgehalten. Ob und in wie weit ein Metallfund freigelegt wird, hängt einerseits von den anhaftenden Organika ab, andererseits davon, was mit dem Fund in Zukunft geschehen soll. Für eine wissenschaftliche Auswertung und Publikation ist es oft nicht nötig, den Fund komplett freizulegen, denn die entscheidenden Charakteristika lassen sich häufig schon am Röntgenbild ablesen.533 Für bestimmte Fragestellungen – wie beispielsweise die der vorliegenden Arbeit – oder die Präsentation in einer Ausstellung hingegen ist eine vollständige Freilegung wünschenswert.534 In diesem Zusammenhang etablierte sich auch die Unterscheidung zwischen Konservierung und Restaurierung. Es werden häufig rein konservierende Methoden angewandt, die die weitere Korrosion eines Objektes stoppen, den Auffindungszustand stabilisieren und es in seinem Originalzustand erhalten.535 Eine Restaurierung, also die Freilegung der originalen Oberfläche und die Wiederherstellung der ursprünglichen Form, erfolgt nur bei ausgewählten Stücken.536 So wurden beispielsweise Teile der Metallfunde aus dem Aschheimer Gräberfeld mit einer Skin-Verpackung versehen, die durch den Luftabschluss im Vakuum die Korrosionsprozesse unterbindet.537 Heute liegt der Schwerpunkt der restauratorischen Arbeit in der Denkmalpflege im Erhalt der Funde direkt nach ihrer Bergung. Ziel ist es, einem weiteren Zerfall vorzubeugen und wissenschaftliche Informationen zu erhalten, was durch eine qualifizierte Versorgung und Zwischenlagerung im Gefriermagazin oder Vakuumverpackungen sowie einer eventuellen Konservierung erreicht werden soll.538 Die Lagerungsbedingungen der Funde stehen hierzu unter ständiger Beobachtung, um sie gegebenenfalls zu optimieren oder neuen Erkenntnissen anzupassen. Manche Archäologen kritisieren die Herangehensweise der Investigative Conservation und ihre zurückhaltende, primär konservierende Restaurierungspraxis.539 Doch in Anbetracht der durch den anhaltenden Bauboom verursachten Fundmassen540 und der begrenzten finanziellen Mittel ist dieses Vorgehen ein sinnvoller Weg. Die Funde bleiben im Auffindungszustand erhalten und stehen einer späteren, intensiveren Untersuchung immer noch zur Verfügung. Für eine konventionelle archäologische Aufarbeitung und

533 Gasteiger 2004/2005, 382; Ein Beispiel für eine solche Vorgehensweise ist die Dissertation von Doris Gutsmiedl-Schümann zum Gräberfeld von Aschheim: Gutsmiedl-Schümann 2010. 534 Gasteiger 2004/2005, 383; Fischer 2006, 118f.; Freeden 2003, 32 (Fußnote 84), 37f. 535 Freeden 2003, 32 (Fußnote 84); Gasteiger 2013, 115, 125ff.; Mannewitz 2008, 345; Nowak-Böck 2013, 135; VDR 2010a. 536 Eichhorn 1985, 148; Nowak-Böck 2013, 135; VDR 2010a. 537 Gasteiger 2004/2005, 382; Zur Methode: Gasteiger 2013, 123f.; Zu Aschheim: Gutsmiedl-Schümann 2010. 538 Ebinger-Rist et. al. 2009, 165f.; Gasteiger/Nowak-Böck 2008, 351; Gasteiger 2013, bes. 115; Kalabis et.al 2009, bes. 80; Nowak-Böck 2013, 135; Kritisch zur langfristigen Tiefkühllagerung: Eggert 2009, 329, 338. 539 Z. B. Freeden 2003. 540 Brather/Krausse 2013.

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3 Abnutzungsfaktoren

Publikation sind die Objekte meist ausreichend dokumentiert, wie die Bearbeitung des Gräberfeldes von Aschheim gezeigt hat.541 Alternative Lösungsansätze, wie möglichst viele Informationen erlangt, aber auch erhalten werden können, werden momentan beispielsweise am Gräberfeld Lauchheim mittels Computertomografie gesucht.542

3.2.2 Restaurierungswerkstätten und Restauratorenausbildung Nach dem Vorbild der 1898 von Rathgen am Königlichen Museum Berlin eingerichteten Restaurierungswerkstatt entstanden auch an anderen Museen ähnliche Werkstätten. Der Erfahrungsaustausch funktionierte jedoch nur mäßig und von wissenschaftlichem Vorgehen konnte nicht die Rede sein. Viel eher beeinflussten Versuch und Irrtum, welche Methoden eingesetzt wurden.543 Bis in die Mitte der 1920er Jahre war die Restaurierung an den größeren Museen ein essentieller Teil der Arbeit geworden.544 Ein flächendeckenderes Bemühen um den Erhalt von Kunst- und Kulturgütern etablierte sich aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg.545 In dieser Zeit setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass Bodenfunde sofort nach ihrer Auffindung konserviert werden sollten, um den Zustand bei Auffindung zu erhalten und eine weitere Zerstörung zu verhindern.546 Es dauerte allerdings noch bis in die Mitte der 1980er Jahre, bis es in Deutschland zur Einrichtung einer staatlich geregelten Ausbildung für Restauratoren kam und aus dem handwerklich-künstlerischen Berufsstand ein wissenschaftliches Fachgebiet wurde.547 Bis dahin hatten die Museen meist Handwerker, Künstler oder Wissenschaftler angestellt, die sich oft ohne spezifische Ausbildung ihr Wissen aus den wenigen publizierten Anleitungen, Anlernen durch Kollegen oder „learning by doing“ aneigneten. Dieses Vorgehen ergab unter anderem heute noch erkennbare „Museumsstile“, die die je nach Museum unterschiedlichen Standards und Techniken widerspiegeln.548 Eine Vorreiterrolle nahm in Deutschland das RGZM ein, an dem

541 Gasteiger 2004/2005, 382; Gutsmiedl-Schümann 2010. 542 Ebinger-Rist et.al 2009; Ebinger-Rist et. al 2010; Ebinger-Rist/Stelzner 2013; Peek et. al. 2009. 543 Eichhorn 1985, 152f. 544 Seeley 1987, 167f. 545 Eichhorn 1985, 152f. 546 Mazanetz 1960, 17. 547 Eichhorn 1985, 153; Mannewitz 2008, 345; VDR 2010a; VDR 2010b; In England wurde schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg am Institute of Archaeology der Universität London die erste akademische Einrichtung für die Ausbildung von Restauratoren eingerichtet. Sie ging teilweise aus der Restaurierungswerkstatt am British Museum und deren Suche nach qualifiziert ausgebildetem Personal hervor: Seeley 1987, 172f. 548 Seeley 1987, 173.

3.3 Trageweise und Lage der Fibeln am Körper

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seit 1963 eine Ausbildung zum Restaurator für archäologische Objekte angeboten wurde.549 Mit der zunehmenden Komplexität der Aufgaben und Anforderungen und auch dem zunehmenden Interesse an organischen Resten kam es zu einer Differenzierung und Spezialisierung in den Aufgabenbereichen der Restauratoren. So gibt es inzwischen Textil-, Metall- oder Holzspezialisten, die sich besonders auf die Erhaltung der entsprechenden Werkstoffgattung verstehen.

3.3 Trageweise und Lage der Fibeln am Körper 3.3.1 Von der Lage der Fibeln zur Kleidungsrekonstruktion Die archäologische Forschung diskutiert seit Langem die Frage, ob die Lage der Fibeln im Grab der Trageposition zu Lebzeiten entspricht.550 Allgemein tendieren die Meinungen zu einer Deponierung der Fibeln im Grab entsprechend ihrer Trageweise zu Lebzeiten. In den letzen Jahren ist diese Diskussion in den Hintergrund getreten und wird kaum mehr weiter verfolgt. Dahinter stecken sicherlich praktische Erwägungen, denn die Frage lässt sich anhand der Grabbefunde nicht klären. Zudem wäre eine Rekonstruktion der Kleidung anhand der Fibellage nicht möglich, sollten die Fibeln tatsächlich nicht in der zu Lebzeiten üblichen Position ins Grab gekommen sein.551 Aber auch die zunehmend dokumentierten und publizierten textiltechnologischen Details dürften hier eine Rolle zu spielen: Die an den Fibeln ankorrodierten Ösen und Riegel aus organischem Material legen nahe, dass sie auch zu Lebzeiten zur Befestigung der Fibeln an der Kleidung dienten und somit die Lage der Fibeln im Grab in etwa552 der tatsächlichen Trageposition entspricht.

3.3.1.1 Trageweise der Fibeln als Grundlage für Kleidungsrekonstruktionen Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Rekonstruktionsvorschläge gemacht, die teilweise auch den Stand der Forschung widerspiegeln und meist in ihrer Funktions-

549 RGZM 2011. 550 Bartel 2002a, 10; Bartel 2003, 140; Bierbrauer/Westermann-Angershausen 2003, 733; Brather 2002, 130; Clauß 1971, 50ff.; Gutsmiedl-Schümann 2010, 89; Losert 2003, 184; Martin 1991; Müller/Steuer 1994, 415; Rast-Eicher/Burzler 2002, 379, 382, 385; Reimann/Bartel 2000, 189; Schach-Dörges 2005, 355 (Fußnote 21); Werner 1961, 5; Zeller 1974, 382f.; Zeller 1996, 672. 551 Vielitz 2003, 111: „Sämtliche Trachtrekonstruktionen gehen von der anerkannten Prämisse aus, daß die Fibeln üblicherweise in Trachtlage ins Grab gelangten…“. 552 Postmortale Verlagerungsprozesse können zu einer Verschiebung der Objekte im Grab führen: Hägg 1989, 434f.; Vielitz 2003, 111.

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3 Abnutzungsfaktoren

ansprache klar zwischen Bügelfibeln und den Klein- bzw. späteren Scheibenfibeln unterscheiden.553 Die oben erwähnte Überlegung, die Bügelfibeln seien als Verschluss eines Leichentuchs verwendet oder einfach lose beigegeben worden554, verwarf man relativ schnell. Die regelmäßig beobachtbare Lage der Fibeln im Grab und ihre teilweise deutlichen Abnutzungsspuren sprachen gegen eine solche Verwendung. Inzwischen zeigen auch die textilen Reste an den Fibeln, dass sie nicht willkürlich im Grab lagen oder ein Leichentuch zusammenhielten.555 Aber auch heute noch wird diskutiert, ob die Bügelfibeln eine reale – also verschließende – Funktion an der Kleidung besaßen oder als reiner Schmuck bzw. Amulett an die Kleidung geheftet wurden.556 Aufgrund ihrer Größe und der mehr Stoff fassenden Nadelkonstruktion wurden Bügelfibeln häufig als Mantelverschluss angesprochen.557 Einige Archäologen sprachen sich jedoch gegen diese Interpretation aus, da ihrer Meinung nach ein so tief liegender Mantelverschluss unpraktikabel sei und die Bewegungsfreiheit einschränke.558 Alternativ schlugen sie vor, es handle sich um den Verschluss eines vorne offenen Kleides oder eines Wickelrockes.559 Auch die Anbringung als schmückendes Element an einem vorne geschlossenen Kleid wurde erwogen.560 Da viele Grabungsbefunde eine Lage der Bügelfibeln nahe beim Gürtelgehänge zeigen, wurde auch häufig angenommen, dass die Fibeln Teil des Gehänges seien oder dieses mit ihnen am Kleid oder Gürtel befestigt gewesen sei.561 Sollte das Gürtelgehänge tatsächlich direkt an den Bügelfibeln angebracht gewesen sein, dann hätte dies deren Nadelkonstruktion stark beansprucht. Es wurden zu Recht Bedenken geäußert, ob die Bügelfibeln dieser Beanspruchung gewachsen gewesen wären.562 Auch die dokumentierbaren Abnutzungen sprechen gegen eine solche Interpretation563; eine zusätzliche – eventu-

553 Achter 2009, 15ff.; Losert 2003, 48, 86; Peek 2005, 32; Rast-Eicher/Burzler 2002, 372, 385f. 554 Z. B. Werner 1961, 5; Zeller 1974, 383. Vgl. Kap. 2.1.2. 555 Rast-Eicher/Burzler 2002, 372. 556 Gegen eine Verschlussfunktion der Bügelfibeln sprechen sich aus: Losert 2003, 87; Martin 1991, 659, 676; Martin 1994, 545, 551; Martin 1997, 352; Müller/Steuer 1994, 415; Zeller 1996, 676; Reimann/ Bartel 2000, 189; Walter 2004, 41; Walter/Peek/Gillich 2008, 35f. Für eine Funktion der Bügelfibeln als Verschluss eines Kleidungsstückes argumentieren: Bartel 2005, 36; Grünewald 1988, 44; Helmig et al. 2003, 142; Peek 2005, 34; Rast-Eicher 2002, 219; Rast-Eicher/ Burzler 2002, 383. 557 Banck-Burgess 2000, 611; Clauß 1971, 50; Grünewald 1988, 63; Losert 2003, 87; Walter/Peek/Gillich 2008, 35. 558 Grünewald 1988, 44; Zeller 1974, 382. 559 Banck-Burgess 2000, 611; Clauß 1971, 50; Gallien/Périn 2009, 216. 560 Losert 2003, 48; Martin 1991, 659, 678; Martin 1994, 545, 551f.; Walter/Peek/Gillich 2008, 36. 561 Bader/Windler 1998, 116; Banck-Burgess 2000, 611; Grünewald 1988, 44f.; Martin 1991, 654; Walter 2004, 41; Walter/Peek/Gillich 2008, 36f.; Zeller 1996, 674. 562 Grünewald 1988, 44. 563 Es müssten sich verbogene Nadeln bzw. Nadelhalter und Nadelrast nachweisen lassen. Dies ist aber in den von mir untersuchten Fällen nicht der Fall.

3.3 Trageweise und Lage der Fibeln am Körper

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ell sogar eigentliche – anderweitige Befestigung des Gehänges erscheint plausibler. Eine der aktuellsten Interpretationen zur Anbringung der Bügelfibeln stammt von Max Martin, der sie als schmückenden Teil einer Schärpe sah, welche sich aus dem spätantiken Cingulum heraus entwickelt habe.564 Einen ähnlichen Mode- und Funktionswandel nahm die Forschung für die ursprünglich zur Militärausrüstung gehörenden spätantiken Militärgürtel, die im Frühmittelalter in die weibliche Kleidung übernommen wurden, sowie die Entstehung der Bügelfibeln aus den Zwiebelknopffibeln an.565 Die zumeist566 im Hals- und Brustbereich liegenden Kleinfibeln sowie teilweise auch die einzeln getragenen großen Scheibenfibeln der späteren Merowingerzeit interpretierte man dagegen sehr lange als Verschluss einer Bluse, eines Kleides oder Untergewandes.567 Argumentiert wurde mit ihrer teils deutlich geringeren Größe und der im Vergleich zu den Bügelfibeln kürzeren Nadellänge. So kleine und fragile Fibeln könnten nur feine und leichte Gewebe verschlossen haben, so die übereinstimmende Ansicht. Der grobe und schwerere Stoff eines Mantels übe dagegen eine zu hohe mechanische Beanspruchung auf die Kleinfibeln aus, so dass sie als Verschluss hierfür nicht in Frage kämen. Aufgrund der genaueren Beobachtung und Dokumentation der Grabungsbefunde stellte sich jedoch heraus, dass die Kleinfibeln oft über den Perlenketten568 lagen und folglich zu einer darüber liegenden Textilschicht gehören müssen. Nach allgemeinem Dafürhalten konnte eine über den Perlen vorhandene Stofflage nur von einem Umhang, Mantel oder Schleier stammen. Entsprechend nahm man nun an, dass die Kleinfibeln einen leichten Mantel bzw. Umhang oder einen Schleier verschlossen.569 Um diese Deutung zu untermauern, wurden meist jüngere Darstellungen wie jene aus dem Stuttgarter Bilderpsalter sowie Beschreibungen eines mit einer (runden) Fibel am Hals verschlossenen Mantels herangezogen und auf die sogenannte Einfibeltracht aber auch die paarig an gleicher Stelle getragenen Kleinfi-

564 Achter 2009, 15f.; Fehr 2008, 92; Martin 1991, 659, 676ff.; Martin 1994, 545, 551, 560; Martin 1997, 352; Martin 2006, 255; Walter 2004, 41. Kritisch: Bader/Windler 1998, 118; Rast-Eicher/Burzler 2002, 381ff.; Zeller 1996, 676f. 565 Zu den Gürteln: Fehr 2008, 92. Zu den Bügelfibeln: Martin 1991, 676. 566 Teilweise finden sich auch Kleinfibeln an der für Bügelfibeln üblichen Position im Becken: Bader/ Windler 1998, 116; Bartel/Knöchlein 1993, 427; Brather-Walter 2009, 77; Losert 2003, 152; Walter 2004, 41f. 567 Grünewald 1988, 63; Klein-Pfeuffer 1993, 74; Vallet 1997, 684 f. (hier aber Tendenz zum Mantelverschluss); Zeller 1974, 382; Zeller 1996, 678. 568 Amrein et al. 1999, 102; Gutsmiedl-Schümann 2010, 89, z. B. Grab 382; Klein-Pfeuffer 1993, 71; Martin 1991, 631; Martin 1994, 561; Rast-Eicher 2003, 115; Thieme 1978, 446. 569 Achter 2009, 18; Amrein et al. 1999, 102; Gutsmiedl-Schümann 2010, 89; Martin 1991, 631; Martin 1994, 553, 560; Martin 1997, 351; Rast-Eicher 2002, 218 (Erwägt aber auch ein feines Kleid); Rast-Eicher/Burzler 2002, 385; Thieme 1978, 446; Vallet 1997, 684; Vielitz 2003, 114; Zeller 1996, 678.  



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3 Abnutzungsfaktoren

beln des vorhergehenden Kleidungsstils übertragen.570 Teilweise zog man auch mediterrane Einflüsse und Vorbilder als Analogien heran.571

3.3.2 Kleidungsrekonstruktionen anhand textilarchäologischer Ergebnisse Die sorgfältige Restaurierung archäologischer Funde in den letzen Jahren hat einige spannende neue Erkenntnisse in Bezug auf anhaftende Gewebereste ergeben. Trotz der Ausschnitthaftigkeit der nur im direkten Kontakt mit dem korrodierten Metallobjekt erhaltenen Textilien konnten Erkenntnisse zur Trageweise der Metallobjekte – beispielsweise Riemenzungen, Zierscheiben, Beschläge, Fibeln, Gürtelschnallen, Schwerter – erzielt werden. Die Rekonstruktion der Kleidung ist seither in vielen Details konkreter und weniger spekulativ. Auch die Art und Qualität der verwendeten Textilien und Leder sowie deren Verzierung konnte untersucht und in die Bekleidungsrekonstruktionen mit einbezogen werden. Allerdings widersprechen diese textiltechnologischen Details in manchen Bereichen den bisher gängigen Ansichten zu Verwendung und Anbringung der entsprechenden Objekte. Eine behutsame Bergung der Funde während der Ausgrabung, die möglichst keine anhaftenden Reste entfernt oder noch besser als Blockbergung vorgenommen wird, erwies sich für den Nachweis organischer Reste als sehr hilfreich.572 Dadurch kann das weite Feld neuer Erkenntnisse und Möglichkeiten, das sich dank der Textilrestaurierung aufgetan hat und dessen Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist, in Zukunft deutlich erweitert werden.573 Die zunehmend zurückhaltende und genauere Restaurierung archäologischer Funde mit organischen Resten erbrachte inzwischen zahlreiche Befunde von Ösen, Stoffriegeln, Lederbändchen und Borten an den Fibeln. Die textilen Riegel und Ösen waren an Gewebekanten angenäht und umschlossen die Fibelnadel.574 Ganz eindeutig wurden Fibeln nicht direkt durch den Stoff gestochen, sondern zum Schutz von Textil und Fibel durch Ösen geführt, wie sie heute

570 Amrein et al. 1999, 102; Bierbrauer/Westermann-Angershausen 2003, 739; Gutsmiedl-Schümann 2010, 89; Martin 1991, 629f.; Martin 1994, 553; Rast-Eicher/Burzler 2002, 382, 388; Thieme 1978, 446f. 571 Fehr 2008, 91; Fehr 2010, 666f.; Losert 2003, 48; Thieme 1978, 446 f. 572 Bartel 2002b; Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001a, 438; Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001b, 179; Gasteiger 2007, 68, 70; Helmig/Ihrig/Meyer 2003, 133, bes. 135, 136, 138. 573 Die folgenden Ausführungen zu textilen Resten beziehen sich aufgrund des Themenschwerpunktes dieser Arbeit ausschließlich auf Fibeln. Auf andere Objektgattungen wird nur vereinzelt eingegangen. Weiterhin liegt das Hauptaugenmerk auf Schutzüberzügen und Futteralen, sonstige Befunde zu Textilfragmenten sind hier nur von Belang, wenn sie die Abnutzung der Fibeln beeinflussen könnten. 574 Achter 2009, 18, 156; Amrein et al. 1999, 102; Bartel 1991/1992, 20ff.; Bartel 2005, 36; Bartel/ Knöchlein 1993, bes. 428; Farke 1991, 200ff.; Gutsmiedl-Schümann 2010, 93; Haas-Gebhard/von Looz 2009, 586; Rast-Eicher 2002, 218, 227; Rast-Eicher 2003, 113, 117f.; Reimann/Düwel/Bartel 1999, 85; Vielitz 2003, 114; Walter/Peek/Gillich 2008, 31; Zeller 1996, 676, 678.  

3.3 Trageweise und Lage der Fibeln am Körper

85

noch in der Weißnäherei üblich sind.575 Eine weitere Sicherung und Fixierung erfuhren die Fibeln durch verknotete Lederbändchen, die um die Nadel liefen.576 Die Lederbändchen stabilisierten die Fibeln in der gewünschten Position und verbanden sehr wahrscheinlich auch die Ösen miteinander, so dass ein Verschluss der Kleidung auch ohne Fibeln möglich war.577 Im Zusammenhang mit den Kleinfibeln konnte auch aus textilarchäologischer Sicht die Überlagerung der Perlenketten durch ein feines Textil belegt werden, welches an der Unterseite der Kleinfibeln anlag und teils mit Brettchengewebe oder Leder verstärkt war.578 Dieses feine Textil zeigte sich zudem mehrfach auf der Oberseite der Bügelfibeln des gleichen Grabes; eine Übereinstimmung mit den Textilien unter der Gürtelschnalle konnte gleichfalls ausgeschlossen werden.579 Demnach reichte die Kleidungsschicht, zu der die Kleinfibeln gehörten, über die Bügelfibeln. Es wurde anhand dieser Befunde ein bis mindestens zu den Knien reichender, vorne offener leichter Mantel bzw. Umhang rekonstruiert, der am Hals von den Kleinfibeln verschlossen wurde. An den Rückseiten der Bügelfibeln verliefen Textilkanten und Borten. Diese konnten aus Leder sein, waren zumeist aber aus Brettchengewebe, das auf dem eigentlichen Stoff aufgenäht oder mitgewebt worden war.580 Ihr Vorhandensein wertet die Textilarchäologie als Beleg für ein vorne offenes Gewand der frühmittelalterlichen Frauen, das mit Fibeln verschlossen wurde. Mit den häufiger werdenden Nachweisen von Gewebekanten und Brettchenbändern an Bügelfibeln wird allerdings die zuvor favorisierte Rekonstruktion von Martin zunehmend unwahrscheinlicher. Eine Anbringung der Bügelfibeln an einer Schärpe lässt sich mit den Textilbefunden nicht vereinbaren, sie sprechen viel eher für ein vorne offenes Kleidungsstück, das unter dem Umhang getragen wurde.581 Weiterhin konnten Resultate zum Verhältnis der Bügelfibeln zur Gürtelschnalle gewonnen werden. Allerdings weisen die Befunde nicht in ei575 Bartel 1991/92, 19; Bartel 2005, 36; Haas-Gebhard/von Looz 2009, 586; Rast-Eicher/Burzler 2002, 388; Reimann/Bartel 2000/01, 193. 576 Bartel 1991/1992, 20, 26; Bartel 2005, 36; Bartel/Knöchlein 1993; Gutsmiedl-Schümann 2010, 93; Rast-Eicher 2002, 227; Rast-Eicher 2003, 113; Walter/Peek/Gillich 2008, 32. 577 Dies ist auch die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass nur wenige Frauen Fibeln mit ins Grab bekamen. Die fibellose Kleidung der meisten Frauen benötigte ebenfalls Verschlussmöglichkeiten wie Knebel, Knöpfe, Ösen. Leider sind diese für das Erscheinungsbild der Kleidung wichtigen Details aus leicht vergänglichen Materialien und dadurch in der Regel nicht erhalten: Bartel 1991/1992, 24; Bartel 2005, 36f.; Gutsmiedl-Schümann 2010, 90f.; Losert 2003, 87, 140; Rast-Eicher 2003, 115; Walter/Peek/Gillich 2008, 32. 578 Amrein et al. 1999, 102; Bartel 1998; Bartel 2005, 36; Farke 1991, 200ff.; Rast-Eicher 2002, 218; Rast-Eicher/Burzler 2002, 382f.; Reimann 1997, 137. 579 Achter 2009, 17, 156; Amrein et al. 1999, 102; Peek 2005, 34; Rast-Eicher 2002, 219; Rast-Eicher 2003, 115, 118; Rast-Eicher/Burzler 2002, 382, 385, 388. 580 Bartel 2005, 36; Walter/Peek/Gillich 2008, 35. 581 Bartel 2005, 36; Gallien/Périn 2009, 216; Peek 2005, 34; Rast-Eicher 2002, 226; Rast-Eicher/Burzler 2002, 381ff.; Zeller 1996, 676.

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3 Abnutzungsfaktoren

ne Richtung, sondern legen mehrere Interpretationen nahe. So konnte einerseits an den Bügelfibeln und der Gürtelschnalle das gleiche Gewebe belegt werden. Entsprechend waren die Bügelfibeln an der gleichen Kleidungsschicht angebracht, die von der Gürtelschnalle zusammengehalten wurde. Teils findet sich das Textil auf der Oberund Unterseite der Schnalle, teils nur darunter. Interpretiert wird dies dahingehend, dass das gegürtete Kleid teilweise einen über den Gürtel hängenden Bausch bildete, der wiederum von den Bügelfibeln überlagert wurde.582 Andererseits konnten eine oder beide Bügelfibeln aber auch an einer anderen Textilart, sprich einer anderen Kleidungsschicht, angebracht sein als der Textilschicht, die vom Gürtel gehalten wurde.583 In einigen in der Schweiz entdeckten Gräbern zeigte sich eine Mooslage zwischen den Bügelfibeln, die auf der Unterseite der oben liegenden Fibel und der Oberseite der unten liegenden Fibel belegt ist.584 Offenbar waren die Bügelfibeln in diesen Fällen an unterschiedlichen Textilien angebracht. Die äußere Textilschicht wird dabei von den schweizerischen Archäologen als moosgefütterter Mantel interpretiert. Aufgrund teilweise übereinstimmender Textilarten an der unteren Fibel und der Gürtelschnalle wird hier von einer gemeinsamen Kleidungsschicht (einem vorne offenen, gegürteten Kleid) ausgegangen.585 Bügelfibeln untereinander sowie Bügelfibeln und Gürtelschnalle mussten also nicht unbedingt auf der gleichen Textillage angebracht gewesen sein. Sie konnten genauso zu zwei unterschiedlichen Kleidungsschichten gehören. In manchen Fällen konnte darüber hinaus anhand der gleichen Textilart sogar eine Zusammengehörigkeit je einer Bügelfibel mit einer Kleinfibel wahrscheinlich gemacht werden.586 Die genaue textilarchäologische Untersuchung hat gezeigt, dass die optisch als Paar zusammengehörenden Klein- bzw. Bügelfibeln nicht immer an den gleichen Textilien angebracht waren,587 auch wenn dies bei den Kleinfibeln meist zutrifft588. Vor diesem Hintergrund darf man in Zukunft nicht mehr vorbehaltlos vom gleichen Aussehen der Fibeln auf eine funktionelle Zusammengehörigkeit und einen gemeinsamen Verschluss der gleichen Kleidungsschicht schließen. Durch die spannenden neuen Ergebnisse von Seiten der Textilarchäologie ergibt sich statt dessen ein neuer und breiter Interpretationsspielraum, der einige neue Varianten der Kleidungsrekonstruktion ermöglicht, aber auch einfordert. Nur die zukünftige genaue Restaurierung und Dokumentation der an den Fibeln anhaftenden Textilreste wird die Möglichkeit eröffnen, eventuelle Unterschiede in der Abnutzung festzustellen, die durch

582 Bader/Windler 1998, 116; Rast-Eicher/Burzler 2002, 388; Zeller 1996, 674f. 583 Rast-Eicher/Burzler 2002, 381, 383, 387f. 584 Wobei die gleiche Textilart nicht zwingend mit einer übereinstimmenden Kleidungsschicht gleichzusetzen ist; Rast-Eicher 2002, 221; Rast-Eicher/Burzler 2002, 381. 585 Rast-Eicher 2002, 226; Rast-Eicher/Burzler 2002, 381f, 388. 586 Helmig et al. 2003, 139. 587 Achter 2009, 156; Helmig et al. 2003, 141f.; Peek 2005, 34; Rast-Eicher 2002, 225f.; Rast-Eicher 2003, 117; Rast-Eicher/Burzler 2002, 379ff, 387; Schach-Dörges 2005, 349. 588 Rast-Eicher/Burzler 2002, 387.

3.4 Schutzüberzüge und Futterale

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eine unterschiedliche Verwendung und Anbringung an verschiedenen Kleidungsschichten zustande kamen.

3.4 Schutzüberzüge und Futterale Ein Ergebnis der Textilrestaurierung der letzen Jahre ist für die hier behandelte Fragestellung von besonderer Bedeutung, denn es besaß einen direkten Einfluss auf die Abnutzung der Fibeln: An einigen Bügelfibeln wurden Schutzüberzüge und Futterale aus organischem Material nachgewiesen. Ihre Verwendung verringert ohne Zweifel die Intensität der Abnutzung erheblich.

3.4.1 Schutzüberzüge Der Erstnachweis eines Schutzüberzuges an einer Fibel gelang Antja Bartel 1992 bei der Restaurierung der Bügelfibel aus Grab 165 des frühmittelalterlichen Gräberfeldes in Waging am See.589 1999 fanden sich Reste von Überzügen auch bei Bügelfibeln aus den Gräberfeldern von München-Perlach, Grab 18590 und Aschheim, Grab 166/167.591 Auch bei einer Bügelfibel aus Herrenberg, Grab 413 konnte Bartel eine direkt am Metall anliegende organische Substanz feststellen, die während der Herstellung aufgebracht worden war und die besonders empfindlichen Teile der Fibel überdeckte. Leider erlaubte es der Erhaltungszustand nicht mehr, festzustellen, ob es sich um einen hautähnlichen Überzug oder einen lackähnlichen Anstrich handelte. Die Analogien zu den nachgewiesenen Schutzüberzügen sprechen aber für ersteres.592 Die hautähnliche, ursprünglich wohl transparente Substanz überdeckte die Fibeln wie eine Folie. Sie war nur noch in Randbereichen wie der Kopfplatte, der Spiralkonstruktion der Nadel, dem umlaufenden Zonenband und den Knöpfen nachzuweisen.593 Die darunterliegende Vergoldung war hier noch unversehrt. Areale, die einer größeren Beanspruchung ausgesetzt waren, besaßen nach Bartels Beobachtungen diesen Schutzfilm nicht mehr. Hier zeigten sich Gebrauchsspuren, die auch zu einem Verlust der Vergoldung geführt hatten.594 Dieser Befund bestätigte die Annahme, dass der Schutzfilm beim Tragen auf der Fibel verblieb und nicht nur temporär während der Herstellung aufgebracht wurde.595 Das Aufbringen der Schutzschicht erfolgte

589 590 591 592 593 594 595

Bartel 2003, 132; Reimann/Bartel 2000, 190. Reimann/Bartel 2000. Bartel 2003, 132; Reimann/Bartel 2000, 193; Reimann/Düwel/Bartel 1999, 85. Bartel 2002b. Es handel sich um die Bügelfibel mit der Fundnummer 413/10. Bartel 2003, 133; Reimann/Bartel 2000, 190. Bartel 2003, 133f.; Reimann/Bartel 2000, 191. Bartel 2003, 134; Reimann/Bartel 2000, 191.

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3 Abnutzungsfaktoren

wohl als einer der letzten Arbeitsschritte. Ihm folgte gegebenenfalls nur noch das Aufstecken der Knöpfe, denn waren diese nicht mitgegossen, fixierten sie wie bei der Waginger Fibel den Überzug.596 Damit der Überzug eng auf der Fibel anliegt, ist es wichtig, dass er wegen der stark reliefierten Oberfläche nicht durch Zugspannung, sondern durch Anmodellieren in feuchtem Zustand aufgebracht wird. Pergament beispielsweise bildet dadurch eine durchsichtige Folie, die allerdings kleine Fältchen aufweisen kann; solche Fältchen konnten auch bei den untersuchten Fibeln nachgewiesen werden.597 Antja Bartel führte einige Versuche mit ausgedünnter Darmhaut an Fibelrepliken durch,598 die ebenso wie dünnes Pergament als Folie auf anderen Objekten historisch belegt ist.599 Die mit Wasser, Essigwasser oder Alkohol angefeuchtete Haut bildete nach schneller Trocknung einen fest sitzenden transparenten Film, der aber immer noch eine gewisse Flexibilität aufwies. Die aufgebrachte Darmhaut verringerte den Glanz der Vergoldung etwas, allerdings nur leicht, so dass dieser Effekt nicht weiter störte. Die Hygroskopizität der Darmhaut führte bei den Versuchen zu Spannungen und Rissen in der Folie, durch die Feuchtigkeit und Mikroorganismen eindringen können. Diese Materialveränderungen könnten die Ursache für das häufige Fehlen der Knöpfe sein.600 Wenn die Knöpfe wie bei der Waginger Fibel über die Folie aufgesteckt wurden, könnte das Aufquellen der Haut die Knöpfe so weit lockern, dass sie im ungünstigsten Fall abfielen. Die Beobachtungen zur Erhaltung der Vergoldung und zur Abnutzungsintensität legen den Schluss nahe, dass die transparenten Schutzfilme tatsächlich dauerhaft auf den Fibeln angebracht wurden und erst durch den ständigen Abrieb während des Tragens an besonders beanspruchten Bereichen verschwanden. Damit hätten die Schutzüberzüge eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf die Abnutzungsintensität und die für die vorliegende Untersuchung grundlegenden Abnutzungsgrade. Bisher sind die Belege solcher Schutzfolien selten, was einerseits an ihrer schwierigen Nachweisbarkeit liegt, die besonders gute Erhaltungsbedingungen und eine besonders sorgfältige Restaurierung voraussetzt. Andererseits scheint nicht jede Fibel einen Schutzüberzug besessen zu haben.

596 597 598 599 600

Bartel 2003, 133; Reimann/Bartel 2000, 191. Bartel 2003, 133f.; Reimann/Bartel 2000, 191ff. Bartel 2003, 133; Reimann/Bartel 2000, 191. Bartel 2003, 134; Reimann/Bartel 2000, 191. Bartel 2003, 133; Reimann/Bartel 2000, 191.

3.4 Schutzüberzüge und Futterale

89

3.4.2 Futterale Ähnlich spannend und wenig erforscht wie die Schutzüberzüge sind die Nachweise von Futteralen, die man offenbar immer eigens für das jeweilige Objekt herstellte.601 Sie sind an verschiedenen Objekten, wie Riemenzungen, Ringen und Zierscheiben nachgewiesen,602 doch beschränke ich mich im Folgenden auf die Belege von Futteralen an Fibeln. Auch hier sind die bisherigen Nachweise in ihrer Zahl überschaubar. Da aber erst seit wenigen Jahren bei der Restaurierung intensiv auf textile Reste geachtet wird, die an metallenen Objekten ankorrodiert sind, könnte die Zukunft durchaus noch weitere Belege bringen. Bereits heute steht jedoch fest, dass Beigaben nicht generell in einem Futteral stecken mussten,603 die speziell angefertigten Hüllen bleiben die Ausnahme. Bisher liegen Nachweise von Futteralen an Fibeln der Gräberfelder Aschheim, Grab 166/167604, München-Perlach, Grab 18605, Burgweinting606 und eventuell Herrenberg, Grab 413607 vor. Der Befund in Herrenberg lässt allerdings trotz großer Übereinstimmungen mit den anderen Funden nicht eindeutig auf ein Futteral schließen. Hierfür gingen zu viele textile Reste bei der Bergung verloren608 und die für die Ansprache als Futteral relevanten Partien fehlen.609 Für Perlach und Aschheim ergaben mikroskopische Untersuchungen an weiteren Bügelfibeln gleiche oder ähnliche Details.610 All diese Beobachtungen zusammengenommen ermöglichten eine zeichnerische Rekonstruktion des Futterals der Perlacher Fibel, dessen Fragmente die Reste des oben bereits genannten durchsichtigen Schutzfilmes auf der Kopfplatte überdeckten. Die Vorderseite bestand aus einem leinwandbindigen Gewebe mit angewebter Brettchenkante. Ein Bändchen diente zum Zusammenziehen und Fixieren des Futterals an der Kopfplatte. Die Rückseite des Futterals bestand aus Leder, ein Riegel unklarer Funktion überdeckte die Nadelkonstruktion, zwei Ösen und ein Lederbändchen an der Nadel fixierten die Fibel beim Tragen. Insgesamt zeigt das Futteral einen wohldurchdachten Einsatz der verschiedenen Materialien.611 Das Exemplar in Aschheim wies auf der Vorderseite sogar ein mit Heftstichen angebrachtes Moospolster auf, das

601 Bartel 2008, 57. 602 Bartel 1998, 266, 268f., 276; Bartel 2002a, 8f.; Bartel 2003, 136f.; Bartel 2008, 49f., 54f.; Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001a, bes. 439 und 443; Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001b, 180ff., 185ff., 205ff. 603 Bartel 2008, 57. 604 Bartel 2002a, 9; Bartel 2003; Reimann/Düwel/Bartel 1999, 85. 605 Reimann/Bartel 2000, 189, 193f. 606 Bartel 2008, 58 (Fußnote 31). 607 Bartel 2002a; Bartel 2003, 136f. 608 Bartel 2002b; Bartel 2003, 137. 609 Bartel 2002b. 610 Reimann/Bartel 2000, 193. 611 Bartel 2003, 135; Reimann/Bartel 2000, 193.

90

3 Abnutzungsfaktoren

laut Antja Bartel eventuell die empfindlichen Granateinlagen schützen sollte.612 Auch in Burgweinting sei ein Polster nachgewiesen.613 Anders als bei den Schutzüberzügen ist bei den Futteralen nicht sicher zu entscheiden, ob sie nur zur Grablegung angefertigt wurden614 oder schon zu Lebzeiten der Trägerin die Fibel verhüllten615, welche – wenn überhaupt – nur zu bestimmten Anlässen herausgenommen wurde. Eine dauerhafte Verpackung der Fibeln legen die Befunde an Zierscheiben nahe, die in einem abnehmbaren Täschchen steckten.616 Offensichtlich war es nicht nötig oder eventuell sogar unerwünscht, die metallene Zierscheibe und ihre Verzierung zu sehen; vielleicht zählte allein die Tatsache, dass sie vorhanden war. Auch die inzwischen relativ zahlreich nachgewiesenen Futterale an Riemenzungen verschiedener Funktion waren zwar abnehmbar, deuten aber durch ihre aufwendige Fertigung und die exakte Passung eher auf eine beständige Verpackung hin, die selten abgenommen wurde. Auch geben die Befunde von Metallobjekten mit Futteralen zu bedenken, dass diese bei der Bestattung nicht unbedingt angelegt gewesen sein müssen.617 Sie können auch nur im Grab abgelegt worden sein, wobei die Auffindungslage nicht zwangsläufig der häufig postulierten „Trachtlage“ zu Lebzeiten entsprechen muss. „Ob Täschchen, Beutelchen oder Futterale, es sind eigenständige Behältnisse, die, zumeist in der Kombination Leder/Textil gefertigt und auf die Objekte abgestimmt, eine sorgfältige Materialauswahl voraussetzen. Ihre Gestaltung entspricht jeweils der Wertschätzung der Inhalte. Wahrscheinlich gab es Schutzüberzüge und Futterale viel häufiger, als bisher nachzuweisen.“618 Entsprechende Beobachtungen von Futteralen und Schutzfolien ergeben sich in letzter Zeit immer häufiger,619 gerade in reicher ausgestatteten Gräbern von Toten beiderlei Geschlechts. Sie werfen besonders in Bezug auf die Trageweise und die Abnutzung einige Fragen auf.

612 Bartel 2003, 139. 613 Bartel 2008, 58 (Fußnote 31). 614 Wie es Bartel (Bartel 2008, 53.) für die Zierscheibe aus Grab 160 aus Greding-Großhöbing annimmt. 2001 (Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001b, 205f., 225.) nimmt sie noch eine längerfristige Aufbewahrung im Futteral an, wobei die Zierscheibe aber auch unverhüllt getragen wurde, da sich nur so die deutlichen Deformationen und Abnutzungen erklären lassen. 615 Bartel 2003, 140; Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001b, 205f., 224f., 230; Reimann/Bartel 2000, 193. 616 Bartel/Ebhardt-Beinhorn 2001b, 205f, 224 f. Die Zierscheibe von Greding-Großhöbing, Grab 160 wurde sogar spätestens zur Bestattung fest in ihr Futteral eingenäht. Dadurch war sie nicht mehr entnehmbar und konnte mit den anhängenden Bronzeringen keine Geräusche mehr erzeugen. 617 Bartel 2003, 140. 618 Reimann/Bartel 2000, 194. 619 Bartel 2008, 56.  

3.5 Tragefrequenz

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3.5 Tragefrequenz Die Häufigkeit, mit der Frauen während der Merowingerzeit Fibeln trugen, kann bisher weder anhand von Hinweisen aus den Schriftquellen noch anhand der Fibeln selbst bestimmt werden.620 Es könnte sich bei der fibelgeschmückten Kleidung um ein Festtagsgewand gehandelt haben, das nur zu besonderen Gelegenheiten getragen wurde. Ebenso denkbar wäre jedoch, dass die Fibeln fester Bestandteil der Kleidung waren und täglich getragen wurden. Äußert sich ein Autor einmal genauer, so ist meist von Festtagstracht die Rede, die nur zu bestimmten Anlässen getragen und mit der die Trägerin bestattet wurde.621 Max Martin argumentierte, dass Kleidung im Sinne einer volkskundlichen Trachtdefinition622 einer sozialen und anlassgebundenen Differenzierung in verschiedene Trachten unterliege, „mit denen die Träger in erster Linie ihre soziale Stellung („Standestracht“), aber auch Alter und Stand […] oder ihren Beruf zu erkennen gaben“623. Demnach seien die Toten normalerweise in ihrer Festtagskleidung bestattet worden.624 Andererseits fällt auf, dass bei den konkreten Kleidungsrekonstruktionen nie von einer nur zu besonderen Anlässen getragenen Variante der Kleidung die Rede ist. Vielmehr wird das Bild vermittelt, dass alle Frauen im frühen Mittelalter immer Fibeln, Gürtelgehänge und andere nicht-textile Bestandteile an ihrer Kleidung hatten. Dies widerspricht den Befunden, da nur ein geringer Prozentsatz der Frauen überhaupt mit diesen „Accessoires“ bestattet wurde. Viel wichtiger und interessanter als die Rekonstruktion der weniger häufigen Ausnahme „Kleidung mit Fibeln“ wäre der häufiger anzutreffende Regelfall „Kleidung ohne Fibeln“. Auch die Überlegung, dass die aufwendigen und wertvollen Kleidungsbestandteile eher nicht im Alltag einer bäuerlichen Gesellschaft getragen wurden, spricht gegen das vermittelte Bild und für eine anlassgebundene, situationsabhängige Kleidung.625 Natürlich legen die funktional in den Kleidungsverschluss einbezogenen Kleinfibeln den Schluss nahe, dass sie ständig getragen wurden. Doch wenn man davon ausgeht, dass die frühmittelalterliche Frauenkleidung auch ohne Fibeln gleich aussah wie beim Gebrauch von Fibeln – essentielle Grundlage für eine allgemein gültige Kleidungsrekonstruktion –, müssen anderweitige Verschlüsse erwogen werden, die ohne Fibeln auskommen. Fibeln waren wohl eher Schmuck. Die Ösen und Lederbändchen, die eine funktionale Verwendung der Fibeln als Verschluss möglich erscheinen lassen, dienten eher ihrer Sicherung und Fixierung und reichten vor allem aber ohne Fibeln als Verschluss aus.

620 621 622 623 624 625

Brather-Walter 2009, 75; Martin 1987a, 278. Achter 2009, 154; Brather 2008b, 251; Martin 1987a, 278; Zeller 1996, 672. Nach Martin 1997, 349. Martin 1997, 349. Martin 1997, 349. Achter 2009, 154; Brather 2008b, 251.

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3 Abnutzungsfaktoren

Der von Max Martin 1987 anhand der Bügelfibeln von Altenerding626 gewählte Weg, über einen Vergleich des von den Trägerinnen erreichten Lebensalters mit der Abnutzungsintensität der Fibeln – sprich eine Korrelation von Lebensalter und Abnutzungsgrad – „erste Anhaltspunkte“ zur Frage zu erlangen, ob „Bügelfibeln täglich oder nur an Feiertagen und zu bestimmten Anlässen getragen wurden“627, ist aus den gezeigten Gründen nicht gangbar.628 Er basiert auf der Vorannahme einer Personengebundenheit, die zuerst selbst wahrscheinlich zu machen wäre, bevor mit ihr argumentiert wird.

3.6 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit 3.6.1 Silber und Silberlegierungen Eine weitere Überlegung der Forschung war, dass eine unterschiedliche Härte des Fibelmaterials Einfluss darauf hat, wie schnell sie abgenutzt wurde. Eine härtere Silberlegierung könnte, so die Annahme, eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Abrieb bedeuten und die Fibel entsprechend weniger abgenutzt sein als eine Fibel gleicher Nutzung mit weicherer Legierung. Da reines Silber sehr weich ist, wurde und wird üblicherweise eine gewisse Menge Kupfer beigegeben und die entstandene Legierung dadurch härter. Zu viel Kupfer darf allerdings nicht beigemengt werden, da es die Legierung bei steigendem Anteil zunehmend spröder und damit bruchanfälliger macht. Weiterhin ist für den Guss eine bestimmte Menge an Kupfer und auch anderen Elementen von Vorteil, da sie die Fließeigenschaften der Silberschmelze verbessern. Doch es muss ein begrenztes Spektrum an Mengenverhältnissen eingehalten werden, um ein ideales Gussverhalten zu erreichen. Macht also ein höherer Kupfergehalt die Fibel widerstandsfähiger gegenüber Abrieb? Gibt es weitere Faktoren, die diese Abriebsbeständigkeit der Fibel verändern? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, ist es nötig, die Materialzusammensetzung der Fibeln zu ermitteln. Hierfür stehen prinzipiell verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Ihre Eignung und Aussagefähigkeit für die hier vorliegende Fragestellung soll im anschließenden Kapitel erörtert werden.

626 Martin 1987a. 627 Martin 1987a, 278. 628 Kap. 2.2.2.2 und Kap. 4.5.2.

3.6 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit

93

3.6.2 Untersuchungsmethoden zur Materialzusammensetzung Die vorhandenen Untersuchungsmethoden können in zwei Gruppen unterteilt werden. Einerseits invasive Methoden, bei denen am Objekt Material entnommen wird, und andererseits nichtinvasive Methoden, die ohne Materialverlust auskommen. Beide Methodengattungen haben Vor- und Nachteile. Invasive Methoden gehen mit einem Materialverlust einher und ermöglichen dadurch auch Messungen in tieferen Schichten des Objekts. Nichtinvasive Methoden lassen das Objekt unberührt, können dafür aber nur an der Oberfläche messen.629

3.6.2.1 Invasive Methoden Invasive Messmethoden stellen eine Untersuchungsmöglichkeit dar und wurden lange Zeit in der Archäologie genutzt. Inzwischen werden sie kaum mehr angewandt, da der Materialverlust an den Objekten als zu groß angesehen wird. Gerade in letzter Zeit wird jeglicher Materialverlust als inakzeptabel betrachtet und die entsprechenden Methoden per se aus dem in Frage kommenden Methodenspektrum ausgeschlossen. Da der materielle und ideelle Wert merowingerzeitlicher Fibeln aus konservatorischer Sicht relativ hoch angesetzt wird, fallen auch sie unter diese Einschränkung. Aus dieser Konvention heraus verbietet sich eine Untersuchung, bei der gewisse Mengen630 des Materials entnommen werden müssten, da dies einen Eingriff in die Unversehrtheit der Fibel darstellen würde. Da eine Materialentnahme zu Untersuchungszwecken nicht mit den geltenden Standards von Konservatoren, Museen und Sammlungen zu vereinbaren ist, fallen invasive Methoden auch für meine Fragestellung aus.

3.6.2.2 Nichtinvasive Methoden Aufgrund ihres materialschonenden Charakters kommen nichtinvasive Messmethoden aus konservatorischer Sicht prinzipiell in Frage. In der Regel handelt es sich bei den in der Archäologie verwendeten nichtinvasiven Methoden um verschiedene Varianten von Analysen mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops (REM) oder der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA). Beide Methodengruppen erreichen eine Messtiefe von wenigen Mikrometern (µm), wobei Vergoldungsschichten und bei der Restaurierung aufgebrachte Schutzlacke ein Problem für die Messgeräte darstellen.631 Die Messstrahlen müssen diese zusätzlichen Schichten durchdringen können, um an das eigentlich zu messende Material zu ge629 Eine Übersicht der vorhandenen Methoden bietet: Czichos et al. 2006. 630 Meist handelt es sich um wenige mg Material. 631 Bachmann 1995, 309; Hall 1971, 139; Stern 1989, 184; Stern 1995, 318f.; Stern 2003, 217. Zum Vergleich: 1 mm = 1000 µm. Ein menschliches Haar hat im Durchschnitt 60–80 µm.

94

3 Abnutzungsfaktoren

langen. Schutzlacke können hierfür schon zu dick sein. Vergoldungsschichten verfälschen die Ergebnisse, da sie zwangsläufig den Goldgehalt der Messung erhöhen. Die Eindringtiefe der Messstrahlen eines REM liegt nach Aussage von Herrn Distl, Leiter des Werkstofflabors der Zeiss AG Oberkochen, bei Schwermetallen wie Silber maximal bei einem µm, vorausgesetzt es befinden sich keine Schutzlacke oder Ähnliches auf dem Objekt. Bei der RFA mache hingegen ein dünner organischer Schutzlack keine Probleme, aber auch hier liege die Messtiefe im Bereich weniger 10er µm.632 Eine Analyse mit RFA oder REM stellt aufgrund der technisch bedingten geringen Messtiefen faktisch eine Messung an der Oberfläche dar. Dies wirft die Frage auf, ob diese Untersuchungsmethoden für die hier behandelte Fragestellung überhaupt brauchbare Ergebnisse liefern können, denn es ist von einer durch die Korrosionsprozesse im Boden veränderten Zusammensetzung an der Oberfläche des Objektes auszugehen.

3.6.2.3 Oberflächenanreicherung Die im Boden ablaufenden Korrosionsprozesse verändern die Oberfläche eines Metallobjektes; bekanntestes Beispiel ist die Bildung von Rost auf Eisen. Die verschiedenen Bestandteile einer Legierung erfahren durch die Korrosion eine An- oder Abreicherung in den oberflächennahen Schichten des Objekts.633 Dies ist auch bei den merowingerzeitlichen Fibeln der Fall, deren Silber mit Kupfer und anderen Metallen legiert ist. Bei der Korrosion wird Kupfer als das unedlere Metall aus den oberflächennahen Schichten des Fibelkörpers nach außen verlagert und bildet an der Oberfläche eine Schicht aus zumeist Kupferoxiden. An der Objektoberfläche zeigt eine Messung erhöhte Kupferwerte, wohingegen der Bereich direkt darunter bis in eine gewisse Tiefe einen im Verhältnis zur Zusammensetzung im Kern zu niedrigen Kupferwert aufweisen kann.634 Die Bereiche mit im Vergleich zum Originalzustand zu niedrigen Kupfergehalten und besonders der unveränderte Kern liegen aber tiefer als die nichtinvasiven Analysemethoden in das Objekt eindringen können. Die Tiefe der korrosionsbedingten Veränderungen, der sogenannten Oberflächenanreicherung, ist größer als die Messtiefe der regulären nichtinvasiven Untersuchungsmethoden. Folglich wird die Korrosionsschicht bei einer Messung nicht durchdrungen und die ursprüngliche, noch im Kern erhaltene Legierungszusammensetzung des Objekts kann somit nicht ermittelt werden.

632 Pers. Comm. Dr.-Ing. Josef Distl (Leiter des Werkstofflabors der Zeiss AG Oberkochen) am 30.3.2009. Ihm sei herzlich gedankt für die Zusammenarbeit und Beantwortung meiner Fragen. 633 Brachert 1985, 152; Eggert/Spiering 1990, 99; Hall 1961, 62, 65; Hall 1971, 136; Jedrzejewska 1962, 29f.; Niemeyer 1997, 193; North/MacLeod 1987, 95, Fig. 4.4; Pernicka 1989, bes. 144; Plenderleith/Werner 1971 194; Stern 1989, 184; Stern 1995, 318f. 634 Pernicka 1989, 144, Abb. 2a.

3.6 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit

95

Selbst die invasiven Analyseverfahren sind von der Oberflächenanreicherung betroffen. Ihre Proben erfassen zwar einen tieferliegenden Bereich des Objektes, bestehen aber dennoch zu einem großen Teil aus Material, das durch die Korrosion verändert ist und entsprechend nicht die ursprüngliche Legierungszusammensetzung abbildet.

3.6.2.4 Fazit Invasive Untersuchungsmethoden fallen aufgrund der benötigten Materialmengen für die Analyse in der Regel aus. Der Materialverlust an den Fibeln ist für die zuständigen Archäologen und Restauratoren aus nachvollziehbaren Gründen nicht akzeptabel. Bei nichtinvasiven Methoden besteht dieses Problem nicht. Doch die geschilderte Oberflächenanreicherung durch die bodenlagerungsbedingte Korrosion verändert die Legierungszusammensetzung der oberflächennahen Schichten so stark und tief, dass die Messstrahlen der Analysemethoden nicht die originale Zusammensetzung messen: sie können nicht tief genug in das Objekt eindringen, um im unveränderten Kern zu messen, falls ein solcher überhaupt noch erhalten ist. Die durch die Korrosionsprozesse veränderte Schicht ist leider dicker als die Eindringtiefe der Messstrahlen, wodurch die Messungen immer ein von der Originallegierung abweichendes Ergebnis liefern. Zudem stellen Schutzlackierungen und die Vergoldungsschicht auf der Vorderseite der Fibeln ein Problem dar, da sie von den Strahlen erst durchdrungen werden müssen, was die Messtiefe weiter einschränkt. Eine mitgemessene Vergoldungsschicht verändert zudem die Verhältnisse der untersuchten Elemente zueinander. Gold wäre scheinbar häufiger im eigentlichen Fibelmaterial vertreten als es tatsächlich der Fall ist.

3.6.2.5 Laserablation – eine Alternative? Einen möglichen Ausweg aus dieser Problematik könnte die Laserablations-Massenspektrometrie mit induktiv gekoppelter Plasmaionenquelle darstellen (LA-ICP-MS: laser ablation inductively coupled plasma mass spectrometry). Hierbei wird von der Oberfläche des Untersuchungsgegenstandes eine kleine Menge Material durch einen Laserstrahl verdampft.635 Die eigentliche Messung der Ionenverhältnisse findet im angeschlossenen Massenspektrometer statt.636 Die Materialablation des Lasers hinterlässt einen Krater im µm-Bereich. Durch wiederholten Beschuss derselben Stelle kann der Krater vertieft und ein Loch von

635 Trumpf 2016a; Trumpf 2016b. 636 Beschreibung des Verfahrens: Czichos et al. 2006, bes. 105f.; Günther et al. 1999; Jackson et al. 1992; Müller et al. 1997; Stärk 2008; Thermo 2009.

96

3 Abnutzungsfaktoren

10–100 µm Durchmesser in beliebiger Tiefe in die Probe gebohrt werden.637 Dies erlaubt es, die vertikale Abfolge der Elementkonzentrationen in der Probe zu messen und ein dreidimensionales Elementprofil zu erstellen.638 Zwar geht mit der Laserablation immer noch ein Materialverlust einher, dieser ist aber im Verhältnis zu anderen invasiven Methoden sehr gering und meines Erachtens vernachlässigbar. Das durch die Verdampfung entstandene Loch hätte in etwa die Dicke eines Haares und würde besonders auf der Rückseite oder weniger sichtbaren Stellen einer Fibel nicht weiter auffallen. Allerdings ist die Methode noch neu und Analysereihen dadurch teuer. Aus diesem praktischen Grund – aber auch, weil die Frage nach der Materialzusammensetzung nicht der Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit ist – habe ich davon abgesehen, eine Untersuchungsreihe zu initiieren. Ein entsprechendes Projekt wäre aber vielversprechend und könnte interessante Ergebnisse liefern.

3.6.3 Metallanalysen am Landesmuseum Württemberg Vor diesem Hintergrund besteht momentan nur die Möglichkeit, auf bereits vorhandene Materialanalysen zurückzugreifen und sich mit deren Einschränkungen zu arrangieren. Eine relativ umfangreiche Serie metallurgischer Untersuchungen an verschiedenen merowingerzeitlichen Objekten wurde vermutlich Ende der 1970er oder Anfang der 1980er Jahre am Landesmuseum Württemberg in Stuttgart erstellt. Unter den beprobten Objekten befinden sich einige Fibeln.639 Die Probenentnahme erfolgte einerseits durch das Ablösen eines Spanes im mgBereich und andererseits durch Entnahme einer größeren Menge Späne, die eine Art Tremolierstich auf der Fibel hinterließ. Die Messungen sowie teilweise auch die Probenentnahme führte Ernst Ludwig Richter von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart durch.640 Teile des entnommenen Materials wurden einer halbquantitativen Spektralanalyse mittels OES (Optische Emissionsspektrometrie) unterzogen. Dabei werden die Ergebnisse in Kategorien eingeteilt. Ein – zeigt das Fehlen eines Elements an; ein + bedeutet, dass sich Spuren des entsprechenden Elements fanden; das Vorkommen im Prozentbereich wird durch ++ dargestellt. Die Anteile von Kupfer und Zinn wurden

637 Eastwood 1998 679; Günther et al. 1999, 397; Müller et al. 1997, 9; Thermo 2009. 638 Jackson et al. 1992, 1049, 1062f.; Reinhardt 2002, 122; Thermo 2009. 639 Die Messergebnisse wurden freundlicherweise durch Dr. Klaus Georg Kokkotidis, Leiter des Referats für Frühes und Hohes Mittelalter am LMW Stuttgart, Prof. Dr. Sebastian Brather zur Verfügung gestellt. Dieser wiederum gab sie Ende 2009 an mich weiter. 640 Informationen zu den Messungen, den angewandten Methoden und Probennahme durch Herrn Richter am 10.10.2008 an Herrn Brather.

3.6 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit

97

durch eine Flammen-Atomabsorptions-Spektralanalyse (AAS) ermittelt. Das Vorkommen von Blei, Eisen und Nickel konnte ebenfalls durch eine AAS überprüft werden, wobei hierfür die sogenannte Graphitrohr-Technik zum Einsatz kam. Bei einer genaueren Durchsicht der Metallanalysen stellte sich heraus, dass sich die Messungen zwar einem Grab zuordnen lassen, allerdings nicht den einzelnen Fibeln. Doch eine objektgenaue Zuordnung ist Voraussetzung für sichere Aussagen im Hinblick auf einen Zusammenhang mit den Abnutzungsgraden. Eine Möglichkeit der genauen Zuordnung der Messwerte zu den einzelnen Fibeln bestünde eventuell in der Lokalisierung der Materialentnahmeareale. Bei der Aufnahme der Abnutzungsgrade in den Beständen des Landesmuseums Württemberg fielen einige Fibeln auf, die an ihren rückseitigen Kanten Areale aufwiesen, an denen teilweise sehr massiv und grob Material scheinbar abgeraspelt worden war. Offenbar handelt es sich um Fibeln, bei denen mit dem von Herrn Richter erwähnten Tremolierstich Material entfernt wurde, denn einige dieser Fibeln sind in der Liste der Metallanalysen aufgeführt. Über einen Abgleich der in der Liste beschriebenen Probenareale mit den an den Fibeln vorhandenen Tremolierstichstellen könnten eventuell die Fibeln mit den Analyseergebnissen verknüpft werden. Leider ist die Beschreibung der Entnahmestellen so ungenau und diese bei Fibelpaaren zudem identisch, dass sich auf diesem Weg keine fibelgenaue Zuordnung der Messwerte erreichen ließ. Einschränkend kam hinzu, dass trotz der relativ zahlreichen gemessenen Objekte nur wenige mit den hier untersuchten Fibeln übereinstimmen. Die Diskrepanz ergab sich durch den Umstand, dass bei der vorliegenden Studie nur Gräberfelder berücksichtigt werden konnten, bei denen eine anthropologische Bearbeitung erfolgte. Da aber eine Sterbealtersbestimmung bei den meisten Fibeln der Landesmuseums-Liste nicht vorliegt, sind diese für diese Untersuchung nicht verwendbar und auch nicht aufgenommen worden. Insgesamt waren so nur sieben Gräbern der Stichprobe – was in diesem Fall 14 Fibeln entspricht – Messergebnisse zuzuweisen; eine Menge, die als statistisch nicht aussagekräftig bezeichnet werden muss. Betrachtet man diese wenigen Datensätze, so zeigt sich keine Tendenz oder gar Übereinstimmung der Messergebnisse mit den von mir ermittelten Abnutzungsgraden (Tab. 4). So sinkt oder steigt der Silbergehalt nicht analog zum Anstieg der Abnutzung. Auch Kupfer oder andere Legierungsbestandteile lassen keine Korrelation erkennen.

Silber (Ag)

68,9

68,8

82,7

71,6

78,1

87,2

58,6

68

82,4

81,5

+++

++

85,1

Fibelkürzel

Hemm1-1

Hemm1-2

Hemm6-1

Hemm6-2

Hemm10-1

Hemm10-2

Hemm36-1

Hemm36-2

Hemm52-1

Hemm52-2

Hemm55-1

Hemm55-2

Plei128-2

9,4

++

++

8,4

5,5

17,1

11,4

5,24

7,85

17,8

8,9

13,8

13,8

Kupfer (Cu)

+

+

+

1,03

1,65

+

+

2,06

+

1,32

1,13

1,38

1,13

Gold (Au)

0,8

+

+

2,51

2,52

1,3

2,2

1,55

1,86

1,45

1,56

2,65

3,38

Blei (Pb)

+

– 2,1

+



+

0,91

1,11

0,6

2,6

0,064

0,56

1,96

0,58

2,47

2,54

Zink (Zn)

0,059

0,047

+

+

0,106

+

0,053

0,045

0,051

0,024

Bismut (Bi)

+

+

+

++

++

++

++

+

+

+

+

+

+

Zinn (Sn)

0,036 0,14 0,65 + 0,099 + +

– – – – – – –

+ +



+

0,44





+

0,047

0,07



+

Eisen (Fe)

Arsen (As)















+





+

+

+

+

+

+





2,6

2,3

1,4

2,2

2,1

3,2

3,1

2,8

3,0

2,3

2,3

2,1

2,1

Quecksilber Abnutzungs(Hg) grade















0,003

Nickel (Ni)

Tab. 4: Auswahl der Materialanalysen durch Ernst Ludwig Richter von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart. Die Daten werden durch die im Rahmen der Studie bestimmten Abnutzungsgrade ergänzt.

98 3 Abnutzungsfaktoren

3.6 Metallurgische Untersuchungen – Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit

99

3.6.4 Das Gefüge – ein weiterer Faktor Die Abriebsbeständigkeit ist primär bedingt durch die Härte des verwendeten Materials, die hauptsächlich von der Zusammensetzung der Legierung beeinflusst wird. Allerdings ist diese nicht der einzige Faktor, auch das Gefüge einer Legierung spielt eine Rolle. Je nach Aufbau des Gefüges ändern sich dessen mechanische Eigenschaften und die Legierung kann dadurch unter anderem härter oder weicher sein. Die Abkühlgeschwindigkeit nach dem Guss beeinflusst die Ausbildung des Gefüges erheblich. Je schneller ein Objekt nach dem Gießen abkühlt, desto härter wird es. Insgesamt sind gegossene Objekte härter als getriebene Objekte gleicher Materialzusammensetzung; sie werden dadurch aber auch spröder und bruchanfälliger. Für merowingerzeitliche Fibeln wird der Guss in der verlorenen Form angenommen. Durch schnelles Abschrecken der Tonform lassen sich zwei Vorteile erreichen: Einerseits zerspringt die Form durch den starken Temperaturverlust. Gleichzeitig wird dabei das Gussstück schnell abgekühlt und das Gefüge bildet sich so aus, dass die Fibel härter wird. Das Gefüge selbst kann nur mittels Dünnschliffen und ähnlichen Methoden untersucht werden, die für frühmittelalterliche Fibeln nicht in Frage kommen. Allerdings besteht die Möglichkeit, durch eine Härtemessung ausreichend Informationen zu erhalten. Durch einen Abgleich der Härte eines Metallobjekts mit dem Kupfergehalt in der Legierung können Aussagen zur Abriebsbeständigkeit gemacht werden.641 Zur Bestimmung der Härte eines Metalls oder einer Legierung können verschiedene Verfahren eingesetzt werden. Von Josef Distl, dem Leiter des Werkstofflabors der Zeiss AG Oberkochen, wurde mir die Härtemessung nach Vickers vorgeschlagen.

3.6.4.1 Härtemessung nach Vickers Für eine Härtemessung nach Vickers wird eine kleine Diamantpyramide mit bekanntem Druck und bestimmter Dauer in das zu prüfende Werkstück gedrückt. Die zu untersuchende Fläche muss glatt und poliert sein, da es sonst zu Ungenauigkeiten bei der Messung kommen kann. Die Diagonalen des Eindrucks, den die Messpyramide hinterlassen hat, werden unter dem Mikroskop ausgemessen und darüber die Eindruckoberfläche ermittelt. Der Wert der Vickershärte errechnet sich aus dem Quotienten von Prüfkraft (Stärke und Dauer, mit der die Messpyramide eingedrückt wurde) durch Eindruckoberfläche.642

641 Pers. Comm. Dr.-Ing. Josef Distl (Leiter des Werkstofflabors der Zeiss AG Oberkochen) am 3.4.2009. 642 Czichos et al. 2006, 316f.; Weißbach 2012, 370.

100

3 Abnutzungsfaktoren

Da die Härte an einem Objekt material- und herstellungsbedingt in verschiedenen Arealen schwanken kann, sollten je Untersuchungsobjekt mehrere Areale getestet werden. Bei Silber liegen die Diameterabstände meist um 230 µm.643 Jedoch ist nach Einschätzung von Klaus Georg Kokkotidis der Eingriff an den Fibeln, der durch das nötige Anschleifen der Untersuchungsareale entstehen würde, zu groß. Eine Härtemessung der Fibeln mit bekannter Legierungszusammensetzung kam unter diesen Voraussetzungen nicht in Frage.

3.6.5 Resümee zum Abrieb Die Nachforschungen in Bezug auf den Abnutzungsfaktor Abriebsbeständigkeit haben gezeigt, dass für seine Beurteilung ein kompliziertes Zusammenspiel verschiedener Komponenten beachtet werden muss. Die Legierungszusammensetzung, die in bisherigen Untersuchungen ausschließlicher Interessensschwerpunkt war, ermöglicht allein keine sicheren Aussagen zur Abriebsbeständigkeit eines Metallobjektes. Es muss auch das Gefüge, und damit die Härte, analysiert und im Zusammenhang mit dem Kupfergehalt der Silberlegierung gesehen werden. Ein Problem liegt in der eingeschränkten Nutzbarkeit der materialkundlichen Analysemethoden. Viele dieser Methoden verbrauchen eine gewisse Menge des zu untersuchenden Materials. Dies steht im Widerspruch zu den aktuellen konservatorischen Standards der zuständigen Museen und Sammlungen, die nur nichtinvasive Untersuchungsmethoden erlauben. Nichtinvasive Analyseverfahren liefern jedoch nur Ergebnisse von der Oberfläche der Objekte. Tieferliegende Schichten werden von den Messstrahlen nicht erreicht, sie dringen nur wenige Mikrometer in das Objekt ein. Oberflächenanreicherung und andere korrosionsbedingte Prozesse verändern aber gerade kupferhaltige Objekte bis in eine Tiefe, die deutlich größer ist als die Eindringtiefe der Messstrahlen. Dadurch kann mit nichtinvasiven Methoden immer nur in einem Bereich gemessen werden, der korrosionsbedingten Veränderungen unterlag und nicht mehr die ursprüngliche Zusammensetzung nach dem Guss hat. Somit kann die im Objektkern erhaltene originale Zusammensetzung nicht gemessen werden, sie ist aber gerade für Aussagen zur Abriebsbeständigkeit entscheidend.

643 Pers. Comm. Dr. Uwe W. Hamm (Werkstofflabor der Zeiss AG Oberkochen) am 21.4.2009. Ihm sei herzlich gedankt für die Zusammenarbeit und Beantwortung meiner Fragen.

3.7 Abrieb wie bei Münzen?

101

3.7 Abrieb wie bei Münzen? Der Abrieb an Fibeln wurde gelegentlich mit dem Abrieb verglichen, den Münzen im Umlauf erfahren. Entsprechend könnten Analogien zur Geschwindigkeit des Abriebs zwischen Münzen und Fibeln angenommen werden. Ähnlich wie bei den Münzen kann man auch bei den Fibeln davon ausgehen, dass im Schnitt ein längerer Benutzungszeitraum und ein intensiverer Gebrauch eine stärkere Abnutzung verursacht. Die Verknüpfung von Umlaufdauer und -intensität der Münzen mit der Stärke der Abnutzung erweist sich bei näherer Betrachtung als schwierig, obwohl viel genauere Daten vorliegen als für frühmittelalterliche Fibeln. Zum Gewichtsverlust neuzeitlicher Silbermünzen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes sind Daten erhoben worden. Danach wird für große Silbermünzen pro 100 Jahre Umlaufzeit eine Abnutzung von einem Prozent des ursprünglichen Gewichts angenommen.644 Bei kleineren Münzen mit geringerem Feingehalt (Scheidemünzen) könne die Abnutzung in diesem Zeitraum das Zehn- bis Zwanzigfache betragen.645 Denkbar wäre es, diese Ergebnisse auf Silberfibeln zu übertragen. Doch es sprechen einige Gründe gegen eine solche Übertragung und gegen ein zu großes Vertrauen in den Aussagewert der Münzuntersuchungen. Immerhin ist das Ausgangsgewicht der Münzen bekannt; ein Vorteil, den sie gegenüber den Fibeln besitzen, der aber gleichzeitig auch schon einen einschränkenden Faktor für eine Übertragbarkeit der Werte darstellt. Das Ausgangsgewicht der Fibeln war genauso wenig festgelegt wie der Feingehalt der Legierung; ihr Gewichtsverlust durch die Abnutzung ist damit über die Verlustraten der Münzen bestenfalls mit einem sehr hohen Schwankungsbereich zu vermuten. Für die Münzen ist die Gebrauchsfrequenz zwar näherungsweise bekannt, für die Fibeln jedoch nicht. Die Verlustraten sind aber nur vergleich- oder übertragbar, wenn die Gebrauchsfrequenzen bekannt und einigermaßen übereinstimmend sind. Da diese aber in keinem der beiden Fälle sicher abzuschätzen sind, wären die Unsicherheiten bei einer Übertragung der Werte zu hoch, um noch brauchbare Ergebnisse zu liefern. Weiterhin sind Münzen einigen zusätzlichen Abnutzungsfaktoren ausgesetzt, die bei den Fibeln keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen: Bei Münzen reibt oft Metall gegen Metall, was für einen stärkeren Abrieb sorgt, als dies bei den die Fibeln umgebenden Textilien der Fall ist. Münzen sind auch eher als Fibeln menschlichem Schweiß ausgesetzt, der aggressiv auf Metalle wirkt und dadurch den Abrieb verstärkt. Münzen haben des Weiteren keine Schutzüberzüge, die wie erwähnt für einige Fibeln nachgewiesen werden konnten.

644 Meyers Konversationslexikon 1885b, 894. 645 Meyers Konversationslexikon 1885a, 627; Meyers Konversationslexikon 1885b, 894.

102

3 Abnutzungsfaktoren

Auch hinsichtlich ihrer Verarbeitung und Herstellung unterscheiden sich die gegossenen Fibeln von den geprägten Münzen. Reines Silber neigt beim Guss zum sogenannten Spratzen646 und es bleiben Hohlräume in der Gussform bestehen, das Risiko eines unbrauchbaren fehlerhaften Gusses ist relativ hoch.647 Deshalb wurde häufig ein gewisser Prozentsatz anderer Metalle wie beispielsweise Kupfer beigefügt, der die Gusseigenschaften der Legierung verbessert. Gerade neuzeitliche Münzen weisen hingegen einen hohen Reinheitsgrad auf, der durch die Prägung garantiert wird.648 Der Druck bei der Prägung sowie der sich von den für Fibeln verwendeten Legierungen unterscheidende Silbergehalt verändern Gefüge, Härte und Abriebsbeständigkeit der Münzen. Diese Unterschiede führen zu abweichenden Eigenschaften in Bezug auf die Geschwindigkeit der Abnutzung.

3.8 Gewicht der Bügelfibeln 3.8.1 Gewicht je nach Lage am Körper? Im Zusammenhang mit den Bügelfibeln wurde häufig deren unterschiedliches Gewicht je nach Trageposition erwähnt. So schrieb beispielsweise Grünewald, dass Bügelfibeln in Brust- und Beckenlage sich von jenen in Oberschenkellage deutlich in Größe und Gewicht unterscheiden würden und die Fibeln schwerer werden, je tiefer sie an der Kleidung angebracht seien.649 Nachgewiesen ist für die Größe der Fibeln eine Zunahme im Laufe der Zeit,650 für das Gewicht gibt es entsprechende Untersuchungen bislang nicht in ausreichendem Umfang651. Da nur bei wenigen Fibeln das Gewicht in den Publikationen erwähnt wurde, lassen sich die Überlegungen zur Veränderung der Fibelgewichte leider sehr viel schwerer nachprüfen als bei den in der Regel angegebenen Fibellängen. Häufig dokumentierte man lediglich für eine Auswahl besonders auffälliger Fibeln eines Gräberfeldes das Gewicht.652 Selbst für die relativ große Zahl der in dieser Arbeit untersuchten Fibeln (262 Bügelfibeln) konnte ich nur für 87 Bügelfibeln ein Gewicht ermitteln.

646 Beim Erstarrungsprozess werden Gase freigesetzt, die flüssiges Metall mit sich reißen und eine poröse Struktur entstehen lassen. 647 Siehe Kap. 3.6.3 und Kap. 3.6.4. 648 Meyers Konversationslexikon 1885b, 894. 649 Grünewald 1988, 44. 650 Friedrich 2016, 57, 59, 60, 62. 651 Alle bisherigen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Gewicht der Fibeln beinhalteten noch weniger Daten: Martin 1987b, 220.: 65 Stück; Martin 1987a, 269.: 44 Stück; Roth 1977, 89f.: 24 Stück. 652 Z. B. Aschheim. Hier sind nur die mit ihrem hohen Gewicht aus dem Rahmen fallenden beiden Bügelfibeln der Gräber 166 und 167 mit einer Angabe zum Fibelgewicht versehen. Sie sind mit 101 und 91 Gramm deutlich schwerer als der bei 24,0g liegende Durchschnitt meiner Stichprobe.

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

103

Anhand meiner Stichprobe lässt sich eine Abhängigkeit des Fibelgewichts von der Lage nicht schlüssig belegen (Tab. 5).653 Tab. 5: Abhängigkeit des Gewichts der Bügelfibeln von der Lage am Körper. Lage

Durchschnittsgewicht in Gramm (Anzahl der Fibeln)

Durchschnittsgewicht ohne Ausreißer und Miniaturbügelfibeln (Anzahl der Fibeln)

Kopf

72 (1)



Hals

2,1 (2)



Brust

5,2 (4)

13,8 (1)

Bauch

22,1 (24)

16,0 (22)

Becken

19,2 (41)

16,9 (37)

Oberschenkel

68,5 (8)

20,7 (4)

Knie

19,9 (3)

19,9 (3)

Die Fibeln des Hals- und Brustbereichs sind überwiegend Miniaturbügelfibeln, die zudem noch mit normal großen Bügelfibeln im Becken-/Oberschenkelbereich vergesellschaftet sind.654 Sie waren offenbar als Kleinfibeln im Einsatz und können deshalb für eine Argumentation in Bezug auf einen Zusammenhang zwischen Lage und Gewicht der Bügelfibeln nicht herangezogen werden. Das Durchschnittsgewicht der acht Fibeln des Oberschenkelbereichs ist mit 68,5g tatsächlich das Höchste. Es kommt durch die vier schwersten Fibeln der Stichprobe zustande, die jedoch einen deutlichen Abstand zum Großteil der Fibeln aufweisen (Abb. 1). Inwieweit sie als regulär gewichtete Fibeln zählen können und nicht als Ausreißer655 betrachtet werden müssen, ist durch die kleine Zahl der Stichprobe und vor allem durch die selektive Publikation der Fibelgewichte nicht zu klären (Abb. 2). 653 Mittelwerte der Fibelgewichte je Lage. Zu vier Fibeln liegen keine Informationen zur Lage vor. Eine Fibel wurde nicht mit einbezogen, da es sich um ein Fragment handelt. 654 2 Fibeln im Halsbereich aus Grab Nere149, beide als Miniaturfibeln beschrieben. 4 Fibeln im Brustbereich, davon 3 Miniaturbügelfibeln aus MüPerl2 (2x) und MüPerl9. Die vierte Fibel des Brustbereichs (Alte658: 13,8g) liegt am Rippenansatz und hat ihr Gegenstück an den Lendenwirbeln. Eventuell könnten taphonomische Prozesse im Grab oder die Einteilung der Bereiche dafür verantwortlich sein, dass die Fibeln in unterschiedliche Bereiche eingruppiert wurden. Ein weiteres als Miniaturfibel bezeichnetes Exemplar findet sich im Becken, es handelt sich um Aldi8-1 mit 2g. Offenbar scheint zwischen 2,3g und 3,4g die Grenze zwischen Miniaturbügelfibeln und Bügelfibeln gezogen zu werden. 655 Werte über 36g wurden hier als Ausreißer angesehen, da sich um diesen Wert eine deutliche Lücke im Diagramm abzeichnet. Mir ist bewusst, dass es sich dabei um eine willkürliche Trennung handelt, die in der Realität nicht existierte. Für die vorliegende Fragestellung interessierte es mich aber, ob sich an den Ergebnissen etwas ändert, wenn man besonders extreme Werte nicht berücksichtigt. Es handelt sich um zehn Fibeln aus den Gräbern Donz78 (140g, 133,5g), AschB166 (101g), AschB167 (91g), Alte192 (90,2g, 88,5g), Alte447 (72g, 67,6g) und Peig125 (47,4g, 46,4g).

104

3 Abnutzungsfaktoren

Gewicht in Gramm (skaliert nach Solidusvielfachen)

Peig173-1 Alte224-2 Alte31-2 Alte91-2

Nere90-1 Alte31-1 Nere90-2

Alte485-2 Alte224-1 Peig173-2 Alte343-1

Nere96-1 Alte658-2 Alte91-1

Nere149-1 Alte658-1 Nere20-1

Nere149-2 Peig97-3 Nere49-2

136,4

Alte343-2 Alte454-1

127,3

Kösi44-1

Alte454-2

118,2

Alte151-2 Alte151-1

109,2

Alte189-1

100,1

Alte189-2

91,0

Alte521-1 Alte1083-1

81,9

Alte1083-2 MüPerl30-1

72,8

Alte201-1

Alte521-2

63,7

Aldi18-2 Alte201-2

54,6

Aldi18-1

45,5

MüPerl2-3

36,4

MüPerl9-1

27,3

MüPerl2-2

18,2

Aldi8-1 MüPerl2-1

9,1

0,0 Nere149-3

105

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

Gewicht in Gramm (skaliert nach Solidusvielfachen) 136,4

127,3

118,2

109,2

100,1

91,0

81,9

72,8

63,7

54,6

45,5

36,4

27,3

18,2

9,1

0,0 Aldi9-1

Aldi9-2 Alte485-1 Aldi11-1

Nere49-1 Aldi11-2 Peig97-4 HdhGP1a-4

MüPerl18-1 Alte117-2 Alte256-2

Alte117-1 Alte256-1 Nere82-1 Aldi15-1

Alte618-2 Alte105-2 Alte105-1

Alte934-2 Alte618-1 Alte934-1

Alte607-2 Aldi15-2 HdhGP1a-3 Alte607-1

MüPerl3-3 Aldi1-1 Aldi1-2

Alte146-2 MüPerl12-1 Alte146-1 Alte853-2

Alte853-1 Peig125-3 Peig125-4

Alte447-2 Alte447-1 Alte192-2 Alte192-1

AschB167-3 AschB166-3 Donz78-2

Donz78-1

Abb. 1: Gewicht der in der Studie verwendeten Bügelfibeln, soweit in den Publikationen angegeben (n= 86). Schwarze Linien: Grenzlinie Ausreißer bzw. Miniaturbügelfibeln. Hellgrau: Als Miniaturbügelfibeln in den Publikationen angesprochen.

106

3 Abnutzungsfaktoren

Gewicht in Gramm (skaliert nach Solidusvielfachen)

Alte521-2 MüPerl30-1

Alte1083-2 Alte521-1 Alte1083-1

Alte189-2 Alte189-1 Alte151-2 Alte151-1

Kösi44-1 Alte454-2 Alte343-2 Alte454-1

Peig173-1 Alte224-2 Alte31-2

Alte91-2 Alte31-1 Nere90-1 Nere90-2

Alte485-2 Alte224-1 Peig173-2 Alte343-1

Nere96-1 Alte658-2 Alte91-1

Nere149-1

31,8

Alte201-1

27,3

Aldi18-2

Alte201-2

22,7

Aldi18-1

18,2

MüPerl9-1 MüPerl2-3

13,6

MüPerl2-2

9,1

Aldi8-1 MüPerl2-1

4,5

0,0 Nere149-3

107

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

Gewicht in Gramm (skaliert nach Solidusvielfachen) 31,8

27,3

22,7

18,2

13,6

9,1

4,5

0,0 Alte658-1 Nere20-1 Nere149-2

Peig97-3 Nere49-2 Aldi9-1 Aldi9-2

Alte485-1 Aldi11-1 Nere49-1 Aldi11-2

Peig97-4 HdhGP1a-4 MüPerl18-1

Alte117-2 Alte117-1 Alte256-2 Alte256-1

Nere82-1 Aldi15-1 Alte618-2 Alte105-1

Alte105-2 Alte934-2 Alte618-1

Alte934-1 Alte607-2 Aldi15-2 HdhGP1a-3

Alte607-1 MüPerl3-3 Aldi1-1 Aldi1-2

Alte146-2 MüPerl12-1 Alte146-1

Alte853-2 Alte853-1

Abb. 2: Gewicht der Bügelfibeln ohne sog. Ausreißer mit Werten über 36g (Donz78-1, Donz78-2, AschB166-3, AschB167-3, Alte192-1, Alte192-2, Alte447-1, Alte 447-2, Peig125-3, Peig125-4) (n= 76). Hellgrau: In den Katalogen als Miniaturbügelfibeln bezeichnet.

108

3 Abnutzungsfaktoren

Die Mittelwerte von Bauch und Becken sprechen gegen die These Grünewalds, da sie ab- statt zunehmen.656 Auch das Durchschnittsgewicht des Kniebereichs, das mit 19,9g selbst unter dem Wert des Oberschenkelbereichs ohne Ausreißer liegt, widerspricht ihr. Solange aber nicht sämtliche Gewichte der Bügelfibeln eines Gräberfeldes bekannt bzw. die Auswahlkriterien für die publizierten Werte unklar sind, können keine gesicherten Aussagen zu einer möglichen Zunahme des Fibelgewichts im Zusammenhang mit der Lage der Fibeln gemacht werden.657 Ohne Berücksichtigung der Miniaturbügelfibeln und der hier als Ausreißer interpretierten Exemplare scheint sich ein Anstieg abzuzeichnen, der sich in diesem Maße aber nicht bei der kompletten Stichprobe zeigt. Wie in zwei Aufsätzen Martins etwas versteckt dargestellt658, kann offenbar von der Größe der Fibeln nicht direkt auf das Gewicht der Fibeln geschlossen und darauf aufbauende Beobachtungen nicht ungeprüft übertragen werden.

3.8.2 Fibelgewicht und Solidusgewicht Laut Martin und Roth richten sich die Gewichte der Bügelfibeln nach der römischen Unze (27,2875g), ihrem Vielfachen oder einem Teiler, wobei die Teileinheiten basierend auf dem Duodezimalsystem häufig Sechstel der Unze betragen.659 Der häufig als Referenz genannte Solidus entspricht dabei einem Sechstel (Sextula) der römischen Unze, also 4,5479g.660 Er wird von Martin aber nicht als die eigentliche Gewichtseinheit angesehen.661 Besonders Bügelfibeln „durchschnittlicher Größe“ hielten sich an diese Gewichtseinheiten und wiesen ein Gesamtgewicht von einer oder zwei Unzen auf.662 Auch bei diesem Thema stützen sich die bisherigen Analysen auf relativ wenig Fibeln, haben damit eine beschränkte Aussagekraft und zeigen zum anderen die genannten Gewichtseinheiten nur bedingt.663

656 Die Durchschnittswerte des Gewichts fallen von 22,1g (Brust) auf 19,2g (Bauch). Lediglich bei der Betrachtung ohne Ausreißer und Miniaturbügelfibeln steigt das Durchschnittsgewicht an. 657 Darüber hinaus müssten bei einer größeren Stichprobe nicht nur Lage und Gewicht, sondern auch die Chronologie, Verlagerungsprozesse im Grab zur Bestimmung der Lage bei Grablegung, anhaftende Korrosionsreste und möglicherweise auch das reine Metallgewicht zur Bestimmung des exakten ursprünglichen Gewichts beachtet werden. 658 Martin 1987b, 221ff., Fig. 6–8; Martin 1987a, 271, Abb. 1. Hier sind mit * die Gesamtlängen der Fibeln markiert, die nicht in jedem Fall in Übereinstimmung mit den Gewichten abnehmen. 659 Martin 1987a, 269f.; Martin 1987b, 220, 224; Martin 1994, 542f.; Roth 1977, 90f. 660 Martin 1987b, 213, 216; Martin 1987a, 270. 661 Martin 1987a, 270. 662 Martin 1987b, 224. Angesprochen sind damit Fibeln mit einer Länge von 6 bis 9 cm. 663 Martin 1987b, 220 ff. Mit Fig. 6 bis 8; Martin 1987a, 269 ff. Mit Abb. 1; Roth 1977, 89.  



109

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

272,9 245,6 218,3 191,0 163,7 136,4 109,1 81,9 54,6 27,3

Donz78

Alte192

AschB166/167

Alte447

Alte853

Peig125

Aldi1

Alte146

Alte607

Aldi15

Alte934

Alte618

Alte105

Alte256

HdhGP1a

Aldi11

n= 37

Alte117

Peig97

Aldi9

Nere49

Alte485

Alte91

Alte658

Alte31

Nere90

Alte224

Alte343

Alte454

Peig173

Alte151

Alte189

Alte521

Alte1083

Aldi18

Alte201

MüPerl2

0,0 Nere149-a

Gewicht in Gramm (skaliert nach Solidusvielfachen)

300,2

Abb. 3: Gemeinsames Gewicht der Bügelfibelpaare.

Anhaftende Textilreste und Korrosionsprodukte beziehungsweise abgebrochene Stücke und bei der Restaurierung entferntes Material verursachen Verzerrungen in der Bestimmung des ursprünglichen Gewichts einer Fibel. Ein Herausrechnen von Nadelkonstruktion und Edelsteineinlagen bzw. die Ergänzung fehlender Teile ist schwierig. Hinzuzufügen ist die Unsicherheit, ob Nadelkonstruktion und Edelsteineinlagen ursprünglich nicht doch zu einem auf dem Unzialsystem beruhenden Gewichtsschema gehörten. All dies macht es schwierig, eine entsprechende Untersuchung mit ausreichender Sicherheit durchzuführen. Diese Probleme werden von Martin ebenfalls angesprochen, er ignoriert sie aber in der Folge und will nachgewiesen haben, dass sich die Fibelgewichte am Unzialsystem orientieren.664 Doch seine Daten legen einen solchen Schluss nicht nahe.665 Zudem sind Martins Diagramme schwer zu interpretieren, denn er arbeitet mit Fibelpaaren und bildet das Gewicht beider Fibeln zusammen als einen Wert ab. Dies wäre aber nur zulässig, wenn es sich durchgehend um gussgleiche oder zumindest sicher im gleichen Auftrag hergestellte Fibelpaare handeln würde. Nur in diesen Fällen besteht die Möglichkeit, dass zwischen Auftraggeber und Hersteller ein Gesamtgewicht für das Fibelpaar vereinbart werden konnte. Bei einem aus verschiedenen Fibeltypen zusammengesetzten Paar ist es wahrscheinlich, dass die Fibeln nicht gleichzeitig hergestellt wurden. In diesem Fall ist eine Gewichts-Absprache zwischen Hersteller und Käufer nicht vorauszusetzen. Dass solche eher willkürlich zusammengestellten Fibeln ein ins Unzialsystem passendes Gesamtgewicht ergeben, ist

664 Martin 1987a, 269f, bes. Fußnote 4; Martin 1987b, 220ff. 665 Martin 1987a, 271, Abb. 1; Martin 1987b, 221 ff. Fig. 6–8.  

110

3 Abnutzungsfaktoren

Solidus-Gewicht (in Gramm) 141,0 136,4 131,9 127,3 122,8 118,2 113,7 109,1 104,6 100,1 95,5 91,0 86,4 81,9 77,3 72,8 68,2 63,7 59,1 54,6 50,0 45,5 40,9 36,4 31,8 27,3 22,7 18,2 13,6 9,1 4,5 0,0 Aldi1-1 Aldi1-2 Aldi11-1 Aldi11-2 Aldi15-1 Aldi15-2 Aldi18-1 Aldi18-2 Aldi9-1 Aldi9-2 Alte105-1 Alte105-2 Alte1083-1 Alte1083-2 Alte117-1 Alte117-2 Alte146-1 Alte146-2 Alte151-1 Alte151-2 Alte189-1 Alte189-2 Alte192-1 Alte192-2 Alte201-1 Alte201-2 Alte224-1 Alte224-2 Alte256-1 Alte256-2 Alte31-1 Alte31-2 Alte343-1 Alte343-2 Alte447-1 Alte447-2

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

Solidus-Gewicht (in Gramm) 141,0 136,4 131,9 127,3 122,8 118,2 113,7 109,1 104,6 100,1 95,5 91,0 86,4 81,9 77,3 72,8 68,2 63,7 59,1 54,6 50,0 45,5 40,9 36,4 31,8 27,3 22,7 18,2 13,6 9,1 4,5 0,0 Alte454-1 Alte454-2 Alte485-1 Alte485-2 Alte521-1 Alte521-2 Alte607-1 Alte607-2 Alte618-1 Alte618-2 Alte658-1 Alte658-2 Alte853-1 Alte853-2 Alte91-1 Alte91-2 Alte934-1 Alte934-2 Donz78-1 Donz78-2 HdhGP1a-3 HdhGP1a-4 MüPerl2-1 MüPerl2-2 Nere149-1 Nere149-2 Nere49-1 Nere49-2 Nere90-1 Nere90-2 Peig125-3 Peig125-4 Peig173-1 Peig173-2 Peig97-3 Peig97-4

Abb. 4: Gewicht der paarweise vorkommenden Bügelfibeln (n= 72). Sortierung nach zusammengehörenden Paaren, um Gewichtsunterschiede innerhalb der Paare zu kennzeichnen.

111

112

3 Abnutzungsfaktoren

damit als Zufall zu werten. Außerdem ist selbst bei gussgleichen Fibeln zu bedenken, dass es aus herstellungstechnischen Gründen einfacher ist, ein Werkstück nach seiner Fertigung zu wiegen und den entsprechenden Preis zu bezahlen, dessen grober Rahmen durchaus vorher vereinbart worden sein kann, als vor der Herstellung ein Gewicht festzulegen, das dann exakt getroffen werden muss. Dies würde meines Erachtens nur Sinn machen, wenn es sich um Massenproduktion oder zumindest die gleichzeitige Herstellung vieler Objekte handelt. Beim für frühmittelalterliche Fibeln angenommenen, sehr aufwendigen Guss in der verlorenen Form wäre der Aufwand viel zu groß, um für jede einzelne Fibel ein vorgegebenes Gewicht genau zu erreichen. Auch in meiner Stichprobe ist eine Häufung der Gewichte bei Unzialteilern nur mit sehr viel gutem Willen zu erkennen (Abb. 1, Abb. 2, Kap. 3.8.1). Bei der Darstellung in Paaren könnte man eine gewisse Häufung der Werte um eine Unze erkennen (Abb. 3), doch halte ich diese Darstellungsweise für methodisch nicht ganz sauber, da sie eventuell vorhandene Gewichtsunterschiede der einzelnen Fibeln überdeckt (Abb. 4). Betrachtet man die Gewichtsverteilung der einzelnen Fibeln, kann keine Häufung der Werte an bestimmten Unzialteilern erkannt werden (Abb. 1, Abb. 2, Kap. 3.8.1). Eine Abhängigkeit des Fibelgewichts vom Unzialgewicht ist aufgrund der vorliegenden Datenbasis nicht nachzuweisen. Für fundiertere Aussagen wäre eine deutlich größere Datenbasis wünschenswert, die nicht wie bisher überwiegend auf ausgewählten Fibeln beruht, sondern alle Stücke eines Gräberfeldes einbezieht. Insgesamt betrachtet erscheint mir jedoch eine Verbindung der Fibelgewichte zum Unzialsystem eher fragwürdig und bislang nicht überzeugend untermauert.

3.8.3 Gewicht und Abnutzungsgrad Setzt man das Gewicht mit dem entsprechenden Abnutzungsgrad666 der Fibeln ins Verhältnis, lässt sich keine Übereinstimmung erkennen (Abb. 5). Ein höheres Gewicht scheint keine höhere Abnutzung zur Folge zu haben. Die Abnutzungsgrade tauchen relativ gleichmäßig über das Gewichtsspektrum verteilt auf. Lediglich Grad 4 tritt ab einem gewissen Fibelgewicht nicht mehr auf, um dann bei den schwersten Fibeln erneut vorhanden zu sein. Der gleichfalls seltenere Grad 1 hingegen ist regelmäßiger in allen Gewichtsklassen vertreten. Berücksichtigt man ausschließlich die Bügelfibeln, die für die hohen Gewichte verantwortlich sind, sind Grad 1 und Grad 4 mit drei bzw. zwei Fällen zu selten, um verlässliche Aussagen treffen zu können (Abb. 6).

666 Erläuterungen zu den von mir definierten und beurteilten Abnutzungsgraden in Kap. 4.1.1 und Kap. 4.1.2. Bei Grad 1 handelt es sich um jenen mit der geringsten, bei Grad 4 um jenen mit der stärksten Abnutzung.

113

3.8 Gewicht der Bügelfibeln

Betrachtet man die Kleinfibeln, ohne Bügelfibeln und Miniaturbügelfibeln, sind sowohl Grad 1 als auch Grad 4 selten und treten nur in den häufigeren Gewichtseinheiten auf (Abb. 7). Inwiefern diese Ergebnisse den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, kann jedoch nicht sicher entschieden werden, da auch hier das bereits erwähnte Problem besteht, dass nicht unbedingt für alle Fibeln eines Gräberfeldes das Gewicht angegeben ist. Auch die anderen angesprochenen Einschränkungen in Bezug auf das Gewicht der Fibeln spielen bei diesem Aspekt eine Rolle. 14

12

Anzahl der Fibeln

10

8

6

4

2

134

Gewicht der Fibeln in Gramm (gerundet) Grad 2

Grad 1

140

91

131

31

30

29

28

27

26

25

24

23

21

22

20

17

16

15

14

13

12

11

9

10

8

7

6

5

4

3

1

2

0

n= 95

Grad 4

Grad 3

Abb. 5: Gewicht und Abnutzungsgrade aller Fibeln der Studie. 7

Anzahl der Fibeln

6

5

4

3

2

1

Gewicht der Bügelfibeln in Gramm (gerundet) Grad 1

Grad 2

Abb. 6: Gewicht und Abnutzungsgrade der Bügelfibeln.

Grad 3

Grad 4

140

131

134

90

89

47

46

33

32

31

30

28

27

26

25

24

23

21

22

20

19

18

17

16

15

14

13

12

11

9

8

7

6

4

5

3

2

0

n= 59

114

3 Abnutzungsfaktoren

12

Anzahl der Fibeln

10

8

6

4

2

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

12

Gewicht der Kleinfibeln in Gramm (gerundet) Grad 1

Grad 2

Grad 3

13

16

25

29 n= 36

Grad 4

Abb. 7: Gewicht und Abnutzungsgrade der Kleinfibeln.

3.9 Form und Größe der Fibeln Auch die unterschiedlichen Fibelformen scheinen Auswirkungen auf die Abnutzung zu haben. Stark reliefierte Fibeln oder solche mit einer komplexen Silhouette, wie beispielsweise die Bügelfibeln mit dem erhabenen Bügel und den hervorstehenden Knöpfen, waren an den exponierten Arealen einer stärkeren Beanspruchung ausgesetzt als an den relativ geschützten Partien.667 Die Exponiertheit erhöht die Intensität der Abnutzung. Gleiches gilt sicher auch für Fibeln, die einen höheren Körper aufweisen. Sie stehen weiter hervor als flache Fibeln, sind damit ein größeres Hindernis für darübergleitende Textilien und müssten dadurch stärker beansprucht sein. Bei kleinen runden, nur schwach reliefierten Fibeln müsste hingegen entsprechend eine geringere Abnutzung zu erwarten sein. In Anlehnung daran ist zu vermuten, dass Fibeln mit vielen Kanten und Ecken sich leichter in Kleidung oder Gürtelgehänge verhakten und dadurch einen insgesamt stärkeren Abrieb aufweisen. Mit geringen Abstrichen lässt sich dies in den durchschnittlichen Insgesamt-Abnutzungsgraden der Fibeltypen erkennen (Tab. 6).

667 Siehe Kap. 4.4.6.

3.9 Form und Größe der Fibeln

115

Tab. 6: Durchschnittlicher Abnutzungsgrad der verschiedenen Fibeltypen. Fibeltyp (n= )

Durchschnittsabnutzung je Fibeltyp

Bügelfibeln (204)

2,41

Vogelfibeln (116)

2,39

S-Fibeln (111)

2,32

Scheibenfibeln, Granat (102)

2,57

Scheibenfibeln, Blech (60)

2,31

Scheibenfibeln, gegossen (37)

2,05

Pferdchenfibeln (11)

2,69

Rautenfibeln (19)

2,44

Tierfibeln (8)

2,32

Zikadenfibeln (4)

1,75

Gleicharmige Fibeln (4)

2,56

Pferdchen-, Rauten-, Bügel-, und Vogelfibeln haben einen etwas höheren Durchschnittsabnutzungsgrad als die Fibeltypen mit weniger komplexen, rundlicheren Formen. Die Granatscheibenfibeln passen hingegen nicht in dieses Schema.668 Beim momentanen Stand der Forschung kann nur spekuliert werden, ob hierfür das andere Material der Vorderseite verantwortlich ist. Denkbar wäre, dass das für das Zellenwerk verwendete Goldblech einen anderen Abriebswiderstand aufweist als das üblicherweise verwendete gegossene Silber, sowohl aufgrund der anderen Materialeigenschaften als auch aufgrund der Unterschiede in der Dicke zwischen Blech und massivem Fibelkörper. Ebenso sind größere und damit schwerere Fibeln eher ein Bewegungshindernis, was ebenfalls zu einer stärkeren Gebrauchsintensität führen könnte. Entsprechend sollten Bügelfibeln in Knie- und Oberschenkelregion in Kombination mit dem damit einhergehenden größeren Bewegungsspielraum stärker abgenutzt sein als die kleineren Exemplare in der Bauchgegend, die zudem relativ unbeweglich befestigt waren. Dem widersprechen jedoch die Beobachtungen an der hier berücksichtigten Stichprobe: Wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt, steigt die Abnutzung im Zusammenhang mit der Größe und dem Gewicht der Bügelfibeln nicht an, auch die Trageposition am Körper scheint keinen Einfluss auf die Abnutzung zu haben. Dieser Befund müsste sich auf die anderen Fibeltypen übertragen lassen, kann aber aufgrund der meist fehlenden

668 Abweichend von dieser Überlegung sind auch die gleicharmigen Fibeln. Sie liegen bei der Abnutzung an dritter Stelle. Da es sich aber nur um vier Exemplare handelt, muss hier möglicherweise von einer durch die geringe Zahl bedingten Verzerrung ausgegangen werden.

116

3 Abnutzungsfaktoren

Gewichtsangaben kaum überprüft werden. Nur die Größen der Fibeln sind in der Regel in den Katalogen angegeben und könnten für eine Auswertung herangezogen werden. Sie unterliegen aber, abgesehen von den Bügelfibeln, innerhalb der Fibeltypen nur geringen Schwankungen. Eventuell vorhandene Unterschiede dürften eher marginal sein und aus dem Einfluss der anderen Faktoren schwer herauszuarbeiten sein. Der Faktor Fibelform ist durch seinen Facettenreichtum schwer zu eruieren. Theoretische Überlegungen sind zwar hilfreich, bleiben allerdings leider Spekulation und sind in der Praxis nicht anwendbar oder zu belegen. Experimentelle Untersuchungen könnten wertvolle Hinweise liefern, sind jedoch bislang nicht getätigt worden und würden bei der Masse an Fibelformen und unterschiedlichen Tragepositionen einen großen Aufwand bedeuten. Aus dieser Richtung kann in Bezug auf die Abnutzungsintensität ein Einfluss der Fibelform, zu der auch Größe, Gewicht und Trageposition hineinspielen, weder umfassend belegt noch ausgeschlossen werden. Dennoch hat die Form der Fibeltypen Einfluss auf die Abnutzung, wie die Staffelung der durchschnittlichen Abnutzungsgrade zeigt. Hinweise bietet auch Kapitel 4.4, das die beobachteten Abnutzungsmuster der Fibelareale thematisiert und damit einen Beitrag zur Einschätzung des Einflusses der Fibelform leistet. Abnutzungsmuster der Areale und Staffelung der Typen-Abnutzungsgrade zeigen trotz der Weite des Themas, dass die Gestaltung der Fibeln mit großer Wahrscheinlichkeit Einfluss auf die Abnutzungsintensität hat.

3.10 Zusammenfassung Grundlegend für die Erkennbarkeit der Abnutzung an den Fibeln ist die Restaurierung mit ihren verschiedenen Methoden. Je nach Vorgehensweise bei der Restaurierung ist die originale Oberfläche der Fibel mit den Abnutzungsspuren erkennbar und kann analysiert werden. Manche Restaurierungsmethoden entfernen auch die ursprüngliche Oberfläche oder legen sie nicht frei, so dass die betroffenen Fibeln für eine Untersuchung nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Die dank vorsichtiger Restaurierung dokumentierten Ösen, Bändchen und Halteriemchen an den Nadelkonstruktionen sowie überlagernde Textilschichten auf Vorder- und Rückseite der Fibeln erbrachten neue Impulse für die Diskussion zur Trageweise und Lage der Fibeln an der Kleidung. Wenn eine Fibel unter einer Lage Kleidung getragen wurde, kann sich der Umfang der Abnutzung auf der Vorderseite intensivieren. Ösen und Bändchen belegen, dass Bügelfibeln beispielsweise nicht nur auf einer Schärpe aufgesteckt waren, sondern durchaus auch Verschlussfunktion haben konnten. Dadurch waren sie aber einer anderen Beanspruchung ausgesetzt als sie es als reines Dekorationsobjekt auf einer Schärpe gewesen wären. Die Trageweise und Lage einer Fibel am Körper und der Kleidung der Trägerin hatten einen Einfluss auf den Grad der Abnutzung und auf die betroffenen Areale. Das behutsame Vorgehen bei der Restaurierung hat in den letzen Jahren Nachweise von Schutzüberzügen und Futteralen an Fibeln erbracht. Die betroffenen Fibeln

3.10 Zusammenfassung

117

waren dadurch vor Verschleiß geschützt. Bisher konnten nur an einigen wenigen Fibeln entsprechende Beobachtungen gemacht werden. Hatten alle Fibeln ein Futteral oder einen Schutzüberzug? Verfügte nur ein Teil der Fibeln über solche Schutzvorrichtungen? Es bleibt abzuwarten, was zukünftige Funde an Erkenntnissen bereithalten. Auf jeden Fall sind diese Entdeckungen ein interessantes Feld, das über seine Bedeutung für die Abnutzung der Fibeln hinaus spannend bleiben wird. Nicht nur die Trageweise, sondern auch wie häufig die Fibeln getragen wurden, hatte Einfluss auf die Intensität der Abnutzung. Leider lassen sich zur Tragefrequenz bislang keine sicheren Aussagen treffen. Weder die zeitgenössischen Schriftquellen noch die Funde selbst liefern Antworten, ob Fibeln Teil einer Art Festtagsschmuck waren oder ob sie täglich getragen wurden. Von der Häufigkeit des Tragens hängt aber ab, wie intensiv der Abrieb innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes ist. Vergleicht man verschiedene Fibeltypen, fällt immer wieder auf, dass manche im Schnitt deutlich schlechter erhalten sind als andere. Diese Beobachtung trifft besonders auf die sogenannten ostgotischen Fibeln zu. Sie sind in der Regel auch schlechter erhalten als zum gleichen Grab gehörende andere Fibeln. Eine Erklärung vermutet eine abweichende Zusammensetzung des verwendeten Materials. Allerdings wurde diese durchaus plausible Vermutung bislang noch nicht empirisch untersucht. Eine andere Legierung und Oberflächenbehandlung des verwendeten Silbers bedingen eine unterschiedliche Härte des Materials, die wiederum die Abriebsbeständigkeit beeinflusst. Unterschiede in der Abriebsbeständigkeit könnten zu einer größeren Bandbreite von Abnutzungsgraden bei gleicher Gebrauchsdauer geführt haben und so die Vergleichbarkeit der ermittelten Abnutzungswerte einschränken. Die bereits vorliegenden Metallanalysen reichen nicht aus, um statistisch relevante Vergleiche anstellen zu können. Zudem ergab eine kritische Sichtung der bis dato verwendeten Untersuchungsverfahren, dass diese aus methodischen Gründen nur bedingt aussagekräftige Ergebnisse liefern. Eine Untersuchungsreihe mit methodisch sichereren Analyseverfahren wurde angestrebt, konnte aber aufgrund verschiedener Ursachen hier nicht durchgeführt werden. Ein Vergleich der Abnutzungsraten von Münzen und Fibeln könnte Hinweise auf die Gebrauchsdauern der Fibeln liefern, so eine Überlegung. Die Umlaufszeiten und -intensitäten sowie die Prägegewichte neuzeitlicher Münzen sind teilweise bekannt und ermöglichen es, den durchschnittlichen Materialverlust zu errechnen. Allerdings erwies es sich als fraglich, ob dieser Durchschnittswert auf die Fibeln übertragen werden kann. Deren Ausgangsgewicht ist weder sicher zu ermitteln noch so einheitlich wie das der Münzen. Auch sind die Tragefrequenzen der Fibeln nicht bekannt. Weiterhin unterscheiden sich die Materialzusammensetzungen von Münzen und Fibeln, so dass verschiedene Materialeigenschaften zu erwarten sind, die zu einem anderen Abriebsverhalten führen. In Anlehnung an die mit zunehmender Knienähe größer werdenden Bügelfibeln wurde auch für deren Gewicht angenommen, dass es mit zunehmender „Tiefe“ ansteigt. Aussagen zu dieser Frage sind indes schwierig, da selten für alle Bügelfibeln ei-

118

3 Abnutzungsfaktoren

nes Gräberfeldes das Gewicht angegeben wurde. Die selektiven Angaben erschweren es, sichere Schlüsse aus den ermittelten Daten zu ziehen. Es scheint jedoch keinen deutlich erkennbaren Zusammenhang zwischen Trageposition und Gewicht der Bügelfibeln zu geben. Manche Teile der Forschung vertraten die Ansicht, Bügelfibeln ließen sich in Gewichtsgruppen unterteilen, die auf dem Unzialsystem der zeitgenössischen und antiken Münzen beruhten. Die silbernen Solidi, jeweils ein Sechstel einer Unze, hätten als Basis der Währung und der Gewichtseinheiten die Grundlage für die Fibeln gebildet. Gleichzeitig hätten sie als Rohstofflieferant gedient und dadurch ebenfalls das Gewicht der Fibeln beeinflusst. Diese systematischen Gewichtseinheiten, so die Argumentation, ermöglichen es, die durch den Gebrauch verursachte Menge an abgeriebenem Material zu ermitteln und auf diesem Weg den Grad der Abnutzung zu bestimmen. Die publizierten Gewichte der Bügelfibeln in der vorliegenden Studie verteilen sich jedoch so gleichmäßig, dass kein Zusammenhang mit den Solidigewichten erkannt werden konnte. Entsprechende Gewichtseinheiten als Grundlage der Fibelgewichte sind somit unwahrscheinlich. Eine Übereinstimmung von Bügelfibelgewicht und Abnutzungsgrad scheint es ebenfalls nicht zu geben. Schwerere Exemplare sind nicht zwangsläufig durch ihr höheres Gewicht einer stärkeren Abnutzung ausgesetzt gewesen. Die Form – sprich Silhouette, Dicke und Größe – konnte dagegen Auswirkungen auf die Abnutzung der Fibeln haben. Nach Aussage der Bügelfibeldaten hatten weder Gewicht noch Trageposition einen erkennbaren Einfluss auf die Abnutzung. Die Silhouette hingegen spiegelt sich in den durchschnittlichen Abnutzungsgraden der Fibeltypen wider: Die runderen Formen sind etwas weniger abgenutzt als die Typen mit aufwendigerer Gestaltung. In dieselbe Richtung weist, dass die prominenteren Areale bei mehreren Fibeltypen auch die abgenutzteren sind. Trotz der Komplexität des Faktors Fibelform ergeben sich damit Hinweise darauf, dass dieser Einfluss auf die Abnutzungsintensität hatte.

4 Empirische Studie 4.1 Methodik 4.1.1 Einteilung der Abnutzungsgrade Die hier verwendete Einteilung der Abnutzungsgrade ist angelehnt an das ebenfalls viergliedrige Einteilungsschema, das Jasper von Richthofen in seinen Untersuchungen der norddeutschen Fibeln der Älteren Römischen Kaiserzeit verwendete.669 Auch mir erschien eine Differenzierung zwischen leichter und stärker abgenutzten Objekten als sinnvoll. Allerdings sollten die Grade auch nicht zu fein unterteilt sein, um noch anwendbar zu bleiben. Da ich aus vielen Einzelwerten je Fibel einen Gesamtwert errechne, würde eine zu feine Einteilung rechnerisch keinen Sinn mehr machen, da sowieso durch den errechneten Gesamtwert feinere Einteilungen erreicht werden können – je nach Wunsch durch mehr oder weniger Nachkommastellen regulierbar bzw. durch einen gröberen Filter bei der Errechnung des Gesamtwerts.670 Meiner Ansicht nach vereinen vier Abnutzungsgrade beide Ansprüche gut miteinander. Sie ermöglichen eine deutliche Abstufung der Abnutzungsintensitäten, sind gleichzeitig aber noch grob genug, um praktikabel zu sein. Im Unterschied zu Richthofen untersuchte ich für meine Studie die Fibeln generell unter leichter Vergrößerung mittels eines Binokulars und machte die mikro- bzw. makroskopische Erkennbarkeit von Abnutzungsspuren nicht zu einem Teil der Kriterien zur Klassifizierung der Abnutzungsgrade.671 Je nach Aufbewahrungsort der Fibeln benutzte ich die vor Ort vorhandenen Binokulare. Die Vergrößerungen sind dadurch nicht einheitlich, aber eine exakt gleiche Vergrößerung ist für die Beurteilung

669 Zu Richthofen siehe Kap. 2.2.3.2. 670 In der Auswertung der Studie berechnete ich vier verschiedene Varianten für die Abnutzungsgrade: 1. Den exakten Abnutzungsgrad mit allen Nachkommastellen, wie er sich aus den Einzelwerten errechnet. 2. Einen gerundeten Abnutzungsgrad mit nur einer Nachkommastelle. 3. Einen auf eine ganze Zahl gerundeten Abnutzungsgrad ohne Nachkommastellen. 4. Den „gleichmäßig verteilten“ Abnutzungsgrad. Hierbei wurden die auf eine Nachkommastelle gerundeten Werte in vier gleich große, symmetrische Intervalle unterteilt. Beim üblichen Verfahren zur Aufrundung auf ganze Zahlen entstehen durch das Auf- bzw. Abrunden ab ,5 unterschiedlich große Intervalle für die vier Abnutzungsgrade. Grad 1 und Grad 4 umfassen nur halb so viele mögliche Einheiten wie Grad 2 und 3: 1,0–1,4 (5 Einheiten); 1,5–2,4 (10 Einheiten); 2,5–3,4 (10 Einheiten); 3,5–4,0 (5 Einheiten). Dadurch sind Grad 1 und Grad 4 kaum vertreten. Die Einteilung in gleichgroße Einheiten umgeht diese statistisch nicht zulässige Verzerrung (Vgl. Kap. 4.2.1, bes. Kap. 4.2.1.2.1.). Die einzelnen Grade umfassen hierbei folgende Intervalle: Grad 1: 1,0–1,6; Grad 2: 1,7–2,4; Grad 3: 2,5–3,2; Grad 4: 3,3–4,0. Mit ihnen wurde gearbeitet, wenn ganzzahlige Abnutzungsgrade einer Auswertung zugrunde liegen. 671 Richthofen unterscheidet Grad 2 und Grad 3 danach, ob mikroskopisch oder makroskopisch Abnutzungsspuren erkennbar sind. Richthofen 2000, 9. https://doi.org/10.1515/9783110754810-004

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4 Empirische Studie

der Abnutzungsspuren nicht entscheidend und spielt auch für den Aussagewert der Studie keine Rolle. Wie schon erwähnt, erfolgte die Untergliederung der Abnutzungsintensitäten in vier Stufen. In ansteigender Intensität reichen diese von „keine Abnutzung“ über „geringe Abnutzung“, „mäßige Abnutzung“ hin zu „starke Abnutzung“. Dabei definieren folgende Kriterien die einzelnen Abnutzungsgrade: Abnutzungsgrad 1 (Keine Abnutzung) (Tafel 1) liegt vor, wenn an der untersuchten Stelle weder makroskopisch noch mikroskopisch Hinweise auf eine Abnutzung der Fibel vorliegen. Die Fibel ist werkstattfrisch oder nahezu neu, die Vergoldung intakt und der Kerbschnitt weist noch scharfe Kanten auf. Die Nadelkonstruktion zeigt ebenfalls keine Abnutzungsspuren, die Nadel ist unversehrt erhalten. Auch hier bestätigt sich der werkstattfrische Eindruck. Die Gebrauchsdauer war so kurz, dass sich noch keine erkennbaren Abnutzungsspuren bilden konnten, bevor die Fibel ins Grab gelangte. Abnutzungsgrad 2 (geringe Abnutzung) (Tafel 2) bedeutet hingegen, dass an den besonders exponierten Stellen der Fibel ein leichter Abrieb festzustellen ist. Dies äußert sich beispielsweise in einer an den Graten des Kerbschnitts oder den Kanten abgeriebenen Vergoldung oder einer leichten Verrundung des Fibelreliefs. Zudem lassen sich vereinzelt Kratzer auf der Oberfläche feststellen. Die Nielloeinlagen erscheinen durch den Materialverlust kaum beeinträchtigt. Eventuell vorhandene Fassungen für Steineinlagen weisen nur einen ansatzweisen Materialverlust auf. Nadelhalter und Nadelrast zeigen ebenfalls Kratzer sowie leicht verrundete Kanten, die besonders an der Nadelrast zu erkennen sind672. Die Nadel selbst kann durch die Beanspruchung während des Tragens und den damit verbundenen Abrieb stellenweise einen schmaleren Umfang aufweisen. Insgesamt zeigt die Fibel leichte Abnutzungsspuren, die jedoch nur zu einem sehr geringen Materialverlust geführt haben. Bei Abnutzungsgrad 3 (mäßige Abnutzung) (Tafel 3) ist die Vergoldung nicht nur an den erhabenen Stellen, sondern deutlich umfangreicher abgerieben. Vergoldungsreste finden sich überwiegend nur noch in den tiefer liegenden Arealen des Kerbschnitts der Fibel. Nielloeinlagen und sonstige Verzierungselemente sind sichtbar abgerieben. Besonders an den Kanten der Fibel ist ein deutlicher Abrieb erkennbar, sie sind ausgedünnt und das Relief erscheint verwaschen. Trotz dieses Abriebs und des deutlich sichtbaren Materialverlusts sind die ursprüngliche Form und die Verzierungsdetails aber noch zu erkennen. Sollten Granateinlagen an der Fibel vorhanden sein, zeigen sich an den Fassungen der Steine deutliche Abriebsspuren. Auch der Abrieb der Nadelkonstruktion ist bei Grad 3 so stark, dass ein sichtbarer Materialverlust feststellbar ist. Die Kanten der Nadelrast sind ausgedünnt und an der Ansatzstelle der Nadel hat sich eine leichte Delle gebildet. Die Fibel ist unverkennbar abgenutzt, der Materialverlust deutlich sichtbar.

672 Der Nadelhalter steckt oft unter Rost oder ist von der Spirale verdeckt.

4.1 Methodik

121

Fibeln des Abnutzungsgrades 4 (starke Abnutzung) (Tafel 4) sind so stark abgerieben, dass sie in ihrer Funktion beeinträchtig sein können oder ihre Funktionsfähigkeit sogar verloren haben. Von eingepunzten Verzierungen oder Nielloeinlagen sind bestenfalls schwach zu erahnende Reste erhalten, meist sind sie nicht mehr erkennbar. Die Vergoldung ist ebenfalls komplett abgeschliffen oder ist wie die Nielloeinlagen nur noch in minimalen Resten an besonders geschützten Stellen bzw. durch Ergänzung aus angrenzenden Fibelarealen und anhand der eventuell besser erhaltenen anderen Fibel des Paares zu rekonstruieren. Das Relief ist nicht nur an den Kanten so stark abgerieben, dass dessen Form unkenntlich geworden ist; auch die Grate des Kerbschnitts sind völlig abgerundet. Beides zeigt sich besonders auf dem völlig blankgeschliffenen Fibelbügel. Die Fassungen der Steineinlagen sind stark abgenutzt und nicht mehr funktionsfähig, so dass die Steine ihren Halt verloren haben und häufig ausgefallen sind. Durch die auch an der Nadelkonstruktion nachzuweisende sehr starke Abnutzung sind Nadelrast und Nadelhalter massiv abgewetzt, können in ihrer Funktion beeinträchtig sein oder diese gar verloren haben. Dies zeigt sich in einer an ihrem Auflagepunkt ausgedünnten Nadel, aber vor allem an einer deutlichen Delle an der Nadelrast. An allen Arealen der Fibel ist ein massiver Materialverlust feststellbar.

4.1.2 Abnutzungsgrade und Untersuchungsareale an den Fibeln Zur Bestimmung des jeweiligen Abnutzungsgrades wurden die Fibeln unter leichter Vergrößerung mit einem Binokular betrachtet. Die mikroskopische Untersuchung hat sich als sinnvoll erwiesen, da hierbei mehr Details beobachtet werden können und die Zuordnung zu einem Abnutzungsgrad leichter fällt. Die untersuchten Fibeln wurden je nach Typ in verschiedene Areale unterteilt, deren Abnutzungsgrad jeweils gesondert bestimmt und in eine Datenbank eingegeben wurde (Tab. 7, Abb. 8 bis Abb. 18).673 Aus den je nach Fibeltyp schwankenden 8–20 Einzelwerten674 wurde dann für die Auswertung ein Gesamtwert je Fibel errechnet.675

673 Allgemeine Informationen zu den Fibeln: Tabellenblatt Fibeln in der Datenbank (Download unter https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html). Detaillierte Informationen in den Aufnahme-Tabellenblättern zu den einzelnen Fibeltypen in der Datenbank (Download unter https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html). 674 Bügelfibeln 20, Vogelfibeln 11, S-Fibeln 11, Scheibenfibeln-Granat 10, Scheibenfibeln-Blech 10, Scheibenfibeln-gegossen 13, Rautenfibeln 10, Pferdchenfibeln 12, Tierfibeln 11, Zikadenfibeln 8, Gleicharmige Fibeln 9 Einzelwerte. Vgl. Abb. 8 bis Abb. 18. 675 Vgl. hierzu die Aufnahme-Tabellenblätter der Abnutzungsgrade in der Datenbank (Download unter https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html).

122

4 Empirische Studie

Tab. 7: Auflistung der Aufnahmeareale der Fibeltypen Fibeltyp

Aufnahmeareale

Schematische Darstellung siehe

Bügelfibeln

Fußkopf (tierkopfartig ausgeformte Spitze), Abb. 8 Kanten Fußkopf, Querlaufender Grat zwischen Fußkopf und Fuß, Fuß, Grat am Fuß, Kanten Fuß, Bügel, Bügelhöchstpunkt, Kanten Bügel, Übergang Bügel-Kopf, Kopffläche, Kanten Kopf, Knöpfe, Zonenknopf-Band, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel, Fuß Rückseite, Bügel Rückseite, Kopfplatte Rückseite.

Vogelfibeln

Schnabel, Kopf, Körper, Flügel, Füße, Schwanz, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

S-Fibeln

Spitze oberes Ende, Oberes Ende, Diagonales Abb. 10 Band, Grat diagonales Band, Unteres Ende, Spitze unteres Ende, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Scheibenfibeln, Granat

Fläche, Mittelfeld, Kante oben, Kante rechts, Abb. 11 Kante unten, Kante links, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Scheibenfibeln, Blech und Filigran

Fläche, Mittelbuckel, Kante oben, Kante rechts, Kante unten, Kante links, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Scheibenfibeln, gegossen

Fläche oben, Fläche rechts, Fläche unten, Abb. 13 Fläche links, Buckel, Kante oben, Kante rechts, Kante unten, Kante links, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Rauten-, Vierpass-, Wirbelfibeln

Ecke 1, Ecke 2, Ecke 3, Ecke 4, Fläche, Kanten, Abb. 14 Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Pferdchenfibeln

Kopf und Hals, Körper, Vorderbeine, Hinterbeine, Standfläche, Schwanz, Reiter, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Abb. 15

Tierfibeln

Kopf und Maul, Hals, Körper, Vorderbeine, Hinterbeine, Schwanz, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Abb. 16

Zikadenfibeln

Kopf, Körper, Flügel, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Abb. 17

Gleicharmige Fibeln

Arm 1, Bügel, Bügelhöchstpunkt, Arm 2, Kanten, Rückseite, Nadelrast, Nadelhalter, Nadel.

Abb. 18

Abb. 9

Abb. 12

4.1 Methodik

123

Abb. 8: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Bügelfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte1350-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 9: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Vogelfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte1332-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 10: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an S-Fibeln. Vorlage der Silhouette: Alte1147-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 11: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Granatscheibenfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte762-1, Umzeichnung: Sorg.

124

4 Empirische Studie

Abb. 12: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Blechscheibenfibeln. Vorlage der Silhouette: Ditt49-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 13: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an gegossenen Scheibenfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte289-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 14: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Rauten- und Vierpassfibeln. Vorlage der Silhouette: Wein281-1, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 15: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Pferdchenfibeln. Vorlage der Silhouette: MüPerl3-1, Umzeichnung: Sorg.

4.1 Methodik

Abb. 16: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Tierfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte31-3, Umzeichnung: Sorg.

125

Abb. 17: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an Zikadenfibeln. Vorlage der Silhouette: Alte18-3, Umzeichnung: Sorg.

Abb. 18: Schematische Darstellung der Aufnahmeareale an gleicharmigen Fibeln. Vorlage der Silhouette: Kirch134-1, Umzeichnung: Sorg.

Die Einteilung in verschiedene Areale hat mehrere Vorteile. Zum einen wird dadurch der Gesamtwert fundierter und entspricht nicht so sehr einem schnellen Eindruck, der entstehen kann, wenn die Fibel nur nach dem Gesamteindruck beurteilt wird. Des Weiteren kann mit den errechneten Gesamtwerten eine feinere Unterteilung vorgenommen werden, als es alleine mit den vier Abnutzungsgraden möglich wäre. So lassen sich Tendenzen hin zu einer stärkeren oder schwächeren Abnutzung der Fibel an den Nachkommastellen des errechneten Abnutzungsgrades ablesen. Zum anderen sind nicht alle Areale einer Fibel immer gleich stark abgenutzt (Tafel 5). Bei nur einem Wert pro Fibel lassen sich diese Differenzen, die eine stärkere oder schwächere Beanspruchung eines Fibelareals anzeigen, nicht dokumentieren. Unterschiedliche Abnutzungsintensitäten an den verschiedenen Teilen einer Fibel sind jedoch sehr häufig festzustellen; beispielsweise entspricht der Abnutzungsgrad der Nadelkonstruktion oft nicht dem Abnutzungsgrad der Fibelvorderseite. Bei den Vogelfibeln war regelhaft

126

4 Empirische Studie

eine stärkere Abnutzung von Kopf und Schwanz im Vergleich zum Bauch und den Beinen festzustellen. Die horizontalen Extremitäten unterlagen offenbar einer stärkeren Beanspruchung als die untere Kante. Auch Scheibenfibeln weisen in der Regel eine etwas stärker abgenutzte Seite auf, was sich bevorzugt in einer stärker abgeriebenen Kante in einem oder zwei Quadranten der Fibelfassung bzw. des Fibelrandes äußert. Interessanterweise tritt dieses Phänomen bei Bügelfibeln nicht auf oder nur in so geringem Maß, dass es bei der Aufnahme nicht zu erkennen war.676 Die Daten zu den Abnutzungsgraden wurden erhoben, ohne das zugehörige anthropologische Sterbealter der Fibelträgerin zu kennen. Da das Sterbealter mit den Abnutzungsgraden in Korrelation gesetzt werden soll, ist es nötig, von vornherein mögliche gegenseitige Beeinflussungen auszuschließen. Durch das Verfahren einer Blindstudie kann vermieden werden, dass die Kenntnis eines relevanten Paramaters zur Verfälschung der erhobenen Daten führt. In der Datenbank wurden die Abnutzungsgrade der einzelnen Areale aufgenommen und jeweils ein Kommentar dazu festgehalten. Dieser Kommentar beinhaltet Beobachtungen und sonstige Informationen, die sich durch den rein mathematischen Wert der Abnutzungsgrade nicht ausdrücken lassen.677 In den ersten beiden Spalten der Aufnahme-Tabellenblätter stehen das Grabkürzel – bestehend aus einem Kürzel des Gräberfeldes und der Grabnummer des momentan untersuchten Grabes – sowie die Fibelnummer. Dadurch ist eine fibelgenaue Zuordnung zwischen Abnutzungsgrad, weiteren Informationen in der Datenbank wie beispielsweise der anthropologischen Altersbestimmung, den bei der Aufnahme angefertigten Fotos sowie dem Gräberfeldkatalog möglich.678 Die einzelnen Areale müssen nicht immer bei jeder Fibel vorhanden oder zu begutachten sein. In den meisten Fällen fehlt beispielsweise die Nadel oder sind Nadelrast und Nadelhalter unter einer dicken Korrosions- und Textilschicht verborgen. Bei Fibeln älteren Funddatums fehlen die eisernen Bestandteile der Nadelkonstruktion meist völlig, sie wurden offenbar bei der Restaurierung entfernt. Ecke 1 bei Rautenfibeln etc. bzw. Kante oben bei Scheibenfibeln entsprechen immer dem gleichen Areal, dem der Nadelrast am nächsten gelegenen Quadranten. Entsprechend liegt Ecke 3 dem Nadelhalter am nächsten. Sonstige Fibeln und Sonderformen: Nicht genauer bestimmbare Fragmente oder Sonderformen wurden dem Fibeltyp zugeordnet, zu dem sie am ehesten gehören

676 Siehe die entsprechenden Abschnitte in Kap. 4.4. 677 Die Kommentare und weitere, in der Auswertung nicht berücksichtigte Informationen wurden zugunsten einer besseren Übersichtlichkeit in der Downloadversion entfernt. 678 Informationen zu den aufgenommenen Gräbern: Tabellenblatt Gräber in der Datenbank, Informationen zu den Fibeln: Tabellenblatt Fibeln in der Datenbank, sowie zu den Abnutzungsgraden der einzelnen Areale: Aufnahme-Tabellenblätter in der Datenbank. Download der Datenbank unter https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html.

4.1 Methodik

127

könnten bzw. passen. Die Sternfibel Aubi756-1 wurde beispielsweise entsprechend bei „Scheibenfibeln, Blech und Filigran“ einsortiert. Armbrust- und Bügelknopffibeln wurden zwar der Vollständigkeit halber aufgenommen, in der Auswertung aber wegen ihres Alters nicht berücksichtigt.

4.1.3 Alter und Geschlecht 4.1.3.1 Archäologische und anthropologische Geschlechtsbestimmung Für die hier verwendeten Gräberfelder liegen sowohl anthropologische als auch archäologische Bestimmungen des Geschlechts der vorhandenen Skelette vor.679 Dies ist notwendig, da ja nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass das archäologisch erkennbare Geschlecht auch dem anthropologisch nachzuweisenden Geschlecht entspricht. In der anthropologischen Fachliteratur wird hierfür zur Unterscheidung häufig von biologischen und sozialem Geschlecht oder Sex und Gender gesprochen.680 Zum überwiegenden Teil stimmen jedoch die anhand der Beigaben gemachten Zuordnungen mit dem von einem Anthropologen anhand der Knochen bestimmten Geschlecht überein. Über die Ursachen und Hintergründe der Abweichungen muss nachgedacht werden, doch ist dies nicht Teil der vorliegenden Arbeit und kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Problematisch ist die anthropologische Geschlechtsbestimmung der Subadulten, sie ist bisher vor allem bei den beiden Infans-Klassen nur schwer möglich. An der Entwicklung neuer Methoden wird gearbeitet,681 sie haben sich aber noch nicht breiter durchgesetzt und sind an dem von mir in der Studie einbezogenen älteren Material noch nicht angewandt worden. Entsprechend stehen nur die archäologischen Geschlechtsbestimmungen mit all ihren Einschränkungen zur Verfügung. Eine Ansprache als weiblich erfolgt oft nur anhand des Auftretens von Perlenketten. Allerdings gibt es Hinweise, dass auch kleine Jungen – überwiegend der Altersklasse Infans I – mit Perlenketten bestattet wurden.682 Sollte diese Annahme zutreffen, hätte ich entsprechend zu viele Mädchen in die Referenzgruppe meiner Studie aufgenommen. Könnte man die Jungen mit Perlenketten herausfiltern, würde dies die Referenzgrup-

679 Tabellenblatt Gräber in der Datenbank (Download unter https://www.degruyter.com/document/ isbn/9783110754810/html); auch Anhang 1 und Anhang 2. 680 Z. B.: Effros 2000. 681 Grupe et al. 2005, 94. Ein bei Joachim Wahl (Wahl 1982) beschriebenes Vorgehen wurde von Alfred Czarnetzki auch auf frühmittelalterliche subadulte Körperbestattungen angewandt: Czarnetzki 1995, 91. In Übereinstimmung mit den archäologischen Geschlechtsbestimmungen konnte er für Infans I mehr Mädchen als Jungen nachweisen. Eine Geschlechtsbestimmung anhand der Beigaben erlangt vor diesem Hintergrund mehr Sicherheit und macht eine Verwendung entsprechender Daten weniger spekulativ. 682 Z. B.: Lohrke 2004, 86.

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4 Empirische Studie

pe verkleinern und damit den Anteil von Mädchen mit Fibeln in den betroffenen Altersklassen erhöhen. Grundlage meiner Studie sind folglich beide Geschlechtsbestimmungen, denn um alle potentiellen Frauen in meine Materialsammlung aufzunehmen, ist es nötig beide Bestimmungen zu berücksichtigen. Es kann nicht bei allen Individuen das Geschlecht anhand der Beigaben bestimmt werden. Gräber ohne oder mit indifferenten Beigaben bieten keine Hinweise, die eine archäologische Bestimmung zulassen. Auch die Anthropologie kann nicht jedes Skelett sicher einem Geschlecht zuordnen. Oft sind die Knochen so schlecht erhalten, dass keine oder nur eine unsichere Einordnung möglich ist. Nimmt man nun beide Bestimmungen zusammen, gibt es natürlich Überschneidungen, aber auch eine gewisse Zahl an Skeletten, bei denen das Geschlecht nur auf eine Art bestimmt werden konnte. In der Summe ergibt sich dadurch eine höhere Zahl geschlechtsbestimmter und damit für die Untersuchung verwendbarer Individuen.

4.1.3.2 Anthropologische Altersklassen Eine verlässliche Sterbealtersbestimmung der Skelette ist nur durch die Anthropologie möglich. Entsprechend sind für Fragen zur Altersabhängigkeit von Beigaben die anthropologischen Sterbealter der Individuen nötig. Meist interessiert bei einer Gräberfeldauswertung das möglichst genaue Alter der Verstorbenen. Dies führt dazu, dass die üblichen sechs Altersklassen in verschiedene Untergruppen unterteilt werden. Leider wird in den seltensten Fällen angegeben, wie die Unterteilung erfolgte – beispielsweise, ob eine Altersklasse in zwei oder drei Untergruppen gegliedert wurde. Zudem kann nicht jedes Individuum genau einer dieser Klassen oder gar Untergruppen zugeordnet werden, es entstehen auch Zwischengruppen, die wiederum zwei oder mehrere dieser (Unter-)gruppen beinhalten. Da jeder Bearbeiter unterschiedlich fein unterteilt bzw. je nach Bearbeitungszeit verschiedene Standards angewendet wurden und sich die untersuchten Individuen nicht immer einer Altersklasse zuordnen lassen, ergeben sich für jedes Gräberfeld abweichende Gruppierungen. Für eine gräberfeldübergreifende Untersuchung ergeben sich daraus Probleme: Die vielen kleinen Gruppen müssen – auch wegen der Praktikabilität und Übersichtlichkeit der Ergebnisse – zu wenigen größeren Gruppen zusammengefasst werden. Für die vorliegende Arbeit wurden die sechs anthropologischen Altersklassen verwendet: Infans I, Infans II, Juvenil, Adult, Matur, Senil mit den entsprechenden Altersspannen von 0–6, 7–13, 14–20, 20–40, 40–60, 60+.683 Zusätzlich gibt es Zwischengruppen, die jene Individuen beinhalten, die nicht sicher einer Altersklasse zugeordnet werden konnten: Es existieren die Gruppen Kind (Infans I-Infans II), Älter

683 Grupe et al. 2005, 90, Tabelle 2.7; Herrmann 1990, 52.

4.1 Methodik

129

Subadult (Infans II-Juvenil), Juvenil-Adult, Adult-Matur, Matur-Senil. Beispielsweise wurden als „Kind“ ohne weitere Aussagen beschriebene Individuen in die Zwischengruppe „Infans I-Infans II“ eingeordnet. Diese Zwischengruppen sind selten vertreten, der überwiegende Teil der Individuen konnte einer Altersklasse zugeordnet werden. Aufgrund ihrer Seltenheit wurden die Zwischengruppen in der Auswertung meist nicht berücksichtigt. Der Anteil nicht altersbestimmter Individuen findet sich in der Klasse „Unbestimmt“ wieder, lediglich als erwachsen zu bestimmende Individuen ohne genauere Altersbestimmung sind entsprechend Teil der Klasse „Erwachsen“. Diese beiden Altersklassen wurden in der Auswertung ebenfalls in der Regel nicht berücksichtigt, da sich der Erkenntnisgewinn bei ihrer Betrachtung sehr in Grenzen hält.

4.1.3.3 Kinderdefizit im Frühmittelalter? Besonders für das Frühmittelalter wird von fast allen deutschen Autoren ein Kinderdefizit auf den Gräberfeldern angenommen.684 Die dokumentierten Individuen würden nicht der wirklichen Anzahl verstorbener Kinder entsprechen, so die Annahme. Eine Kindersterblichkeit von 45–50 % (oder gar 60 %) wird als korrekt angenommen, d. h. die Hälfte aller Kinder habe das Erwachsenenalter nicht erreicht. Allgemein wird von Kinderreichtum im Frühmittelalter ausgegangen und eine hohe Kindersterblichkeit vermutet. Die Durchsicht der einschlägigen Literatur zeigt aber, dass für beide Annahmen in der Regel keine konkreten Belege angeführt werden.685 Es gilt zu beachten, dass Kinderreichtum in einer Gemeinschaft nicht gleichzusetzen ist mit einem hohen Anteil von Kindern auf dem zugehörigen Gräberfeld. Eine hohe Fertilität in Verbindung mit einer geringen Sterblichkeitsrate schlägt sich trotz vieler geborener Kinder in einem geringen Anteil an Kindern auf einem Friedhof nieder, da nur wenige von ihnen verstarben.686 Umgekehrt gilt, dass eine Population mit hoher Fertilität und hoher Kindersterblichkeit keine kinderreiche Gesellschaft ist, da nur wenig Kinder (über-)lebten und in der Gruppe vorhanden waren.687 Als Erklärung für die auf den Friedhöfen fehlenden Kinder werden verschiedene Gründe genannt, die zumeist mit einer gesonderten Bestattungsweise, anderen Bestattungsorten, einer unzureichenden Dokumentation bzw. der schlechten Erkenn 





684 Z. B.: Beilke-Voigt 2004, 271, 274; Bocquet/Masset 1977, 66; Brather 2004b, 10f.; Dollhopf 2002a, 151; Dollhopf 2002b, 295; Donat/Ullrich 1971, 238; Gangl et al. 2015, 153; Kokkotidis 1999, 173; Sasse 2007, 52; Séguy/Buchet 2013, 17, 95; Strott 2006, 4f.; Theune-Vogt/Cordes 2009, 47ff.; Ulrich-Bochsler 1997, 93, 105, 143; Zink 1999, 1f., 52. Kritisch: Atzbach 2009, 14, 16–18, 26; Czarnetzki 1995, 99; Düring/Wahl 2015, 138, 140; Kölbl 2004, 5, 9f., 150, 152; Kraus 2006, 43f., 66; Wahl 1994, 85f., 104. 685 Kölbl 2004, 5, 11. 686 Acsádi/Nemeskéri 1970, 25; Kölbl 2004, 11. 687 Kölbl 2004, 11.

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4 Empirische Studie

barkeit der grazilen Skelette während der Grabung oder der schnelleren Vergänglichkeit subadulter Knochen in Verbindung stehen.688 Jedoch konnte für keinen der Gründe bislang ein sicherer Beleg erbracht werden.689 Darüber hinaus sollte die Tatsache, dass nach den bisherigen Vorstellungen ein Großteil der Gräberfelder aller Zeitstellungen, nicht nur des Frühmittelalters, ein vermeintliches Kinderdefizit aufweist, stutzig machen und lässt die für das Frühmittelalter vorhandenen Werte von durchschnittlich 20–30 % Kinderanteil je Gräberfeld in einem deutlich realistischeren Licht erscheinen.690 Ein Vergleich mit rezenten Daten zeigt, dass selbst in den schlimmsten Krisenregionen eine Kindersterblichkeitsrate von 40 % nur kurzfristig unter besonders schlechten Bedingungen erreicht wird, selbst präindustrielle Gesellschaften erreichen 50 % so gut wie nie.691 Die Schlusslichter der letzten Jahre wiesen laut UN-Bericht eine Kindersterblichkeit von ca. 18 % (Sierra Leone 1999) im ersten Lebensjahr bzw. 16 % (Angola 2015) und 32 % (Sierra Leone 1999) bis zum 5. Geburtstag auf.692 Zum Vergleich, Deutschland hatte 2015 eine Kindersterblichkeitsrate von 4 Promille.693 Die aus Kirchenbüchern und dem 19. Jahrhundert stammenden hohen Kindersterblichkeitswerte694, die teils an 50 % heranreichen, sind immer regional und zeitlich sehr eng begrenzt.695 Generell sind sie – primär aufgrund der hinter den Berechnungen stehenden geringen Individuenzahlen der Dorfgemeinschaften – anfällig für größere Schwankungen und entsprechend zurückhaltend zu verwenden.696 Bei der Diskussion um ein Kinderdefizit ist es entscheidend, auf die jeweiligen Begriffe zu achten und sie nicht zu verwechseln, was aber offenbar des Öfteren vorkommt.697 Der Kinderanteil eines Gräberfeldes ist nicht mit der Kindersterblichkeits 













688 Czarnetzki 1995, 95, 99; Dollhopf 2002a, 157; Gangl et al. 2015, 153; Kölbl 2004, 8, 150; Strott 2006, 5, 68; Ulrich-Bochsler 1997, 93; Wahl 1994, 86, 104; Zink 1999, 2. 689 Atzbach 2009, 15; Kölbl 2004, 8–18; Zink 1999, 2. 690 Atzbach 2009, 16f.; Düring/Wahl 2015, 138; Kölbl 2004, 15–17; Wahl 1994, 86. 691 Atzbach 2009, 16f.; Hewlett 1991 (nach Kölbl 2004); Kölbl 2004, 20ff, 150. 692 Kölbl 2004, 20, 150; UNICEF 2015; Mit ähnlichen Werten aus dem Jahr 2005: Atzbach 2009,16f. 693 UNICEF 2015. 694 Zu einer möglichen Ursache: Alt 2002, 223. 695 Kölbl 2004, 29–31, 151. In wieweit die relativ rezenten Modellsterbetafeln der UN bzw. die aus historischen Daten errechneten Sterbetafeln auf rein archäologisch belegte Bevölkerungsgruppen übertragbar sind, wird ebenfalls diskutiert: Acsádi/Nemeskéri 1970, 29, 50; Atzbach 2009, 17; Kölbl 2004, 79; Strott 2006, 60; Wahl 1994, 86. 696 Kleine Bevölkerungsgruppen sind anfällig für starke Schwankungen und Verzerrungen und unterliegen einer hohen Variabilität. Dies gilt allgemein, nicht nur für die Daten aus Kirchenbüchern und anderen historischen Schriftquellen: Atzbach 2009, 17; Duering 2017, 259; Grupe/Wittwer-Backofen et al. 2005, 121; Heinzmann 1996, 292f.; Kölbl 2004, 30f., 151, 155. 697 Speziell die Unterscheidung von Lebend- und Sterbepopulation oder auch von Sterbe- und Überlebenswahrscheinlichkeit ist hier neben der klaren begrifflichen Abtrennung von Kinderanteil und

4.1 Methodik

131

rate gleichzusetzen und erlaubt auch keine Rückschlüsse auf diese.698 Die Bezugsgröße der zumeist genannten 45–50 % ist jedoch nur in Ausnahmefällen angegeben und die Definitionen von Kinderanteil und Kindersterblichkeit sind selten eindeutig differenziert.699 Wichtig ist auch der Zeitraum, für den eine Kindersterblichkeitsrate angegeben wird; also ob es sich beispielsweise um das erste Lebensjahr oder die Spanne von Geburt bis zum 5. Geburtstag handelt.700 Der Ursprung der weit verbreiteten Angabe 45–50 % lässt sich zu den Publikationen des ungarischen Autorenpaars György Acsádi und János Nemeskéri – eines Demographen und eines Anthropologen – zurückverfolgen.701 Allerdings ergeben ihre Berechnungen zur Sterbewahrscheinlichkeit qx Werte im Promille- und nicht im Prozentbereich.702 Hier könnte laut Stefanie Kölbl ein Übertragungsfehler vorliegen, und in Wirklichkeit somit lediglich auf einen Wert von 50‰ Bezug genommen werden.703 Ein zweiter Punkt spricht gegen die Verwendung von 50 % als Wert: Acsádi/Nemeskéri verwenden in ihren als Beleg herangezogenen Untersuchungen die Verhältniszahlen zwischen Kindern und Erwachsenen, keine Sterblichkeitsraten.704 Ihre Werte liegen für die verwendeten Gräberfelder zwischen 28 und 47 % Kinderanteil, wobei die Gruppe „Kind“ den Zeitraum von Geburt bis 14 Jahren umfasst.705 Der Anteil an Kindern unter den Skeletten ist aber, wie bereits erwähnt, nicht gleichzusetzen mit der Kindersterblichkeitsrate706; dieser Wert muss sehr viel aufwendiger mittels Sterbetafeln707 berechnet werden. In der Summe existiert damit kein verlässlicher Beleg für eine Kindersterblichkeit von 45–50 % für das Frühmittelalter.708 „Die genannten Zahlenwerte gehen auf die Annahme zurück, dass sich der Anteil der Kinder- und Jugendlichenskelette an der  









Kindersterblichkeitsrate von Bedeutung: Acsádi/Nemeskéri 1970, 39, 66; Duering 2017, 114f.; Düring/ Wahl 2015, 140; Kölbl 2004, 41. 698 Kölbl 2004, 5; Düring/Wahl 2015, 140. 699 Kölbl 2004, 5, 10, 152. 700 Kölbl 2004, 153; Duering 2017, 114. 701 Kölbl 2004, 42, 152. Die als Ursprung eruierten Publikationen: Acsádi/Nemeskéri 1957; Acsádi/Nemeskéri 1970. 702 Kölbl 2004, 43. Siehe: Acsádi/Nemeskéri 1957, 139f., Abb. 4, S. 141; Acsádi/Nemeskéri 1970, 25– 27, 49. 703 Kölbl 2004, 43, 152. 704 Kölbl 2004, 43, 152. 705 Acsádi/Nemeskéri 1957, 145. Von Sterblichkeitsraten ist nie die Rede, ausschließlich von Anteilen; Kölbl 2004, 43, Tab. 2.5. 706 Kölbl 2004, 5, 45, 152; Duering 2017, 114f. 707 Sterbetafeln dienen der Berechnung und Darstellung von verschiedenen demographischen Parametern wie der Sterbewahrscheinlichkeit, der Überlebenswahrscheinlichkeit, der durchschnittlichen weiteren Lebenserwartung und der Anzahl der Individuen je Altersklasse. Sie zeigen somit, wie viele Personen eines Ausgangsbestandes in den einzelnen Altersjahren oder -Klassen überleben oder sterben werden. Vgl. Destatis 2020; Kölbl 2004, 56f. 708 Kölbl 2004, 46, 146; Atzbach 2009, 16f, 26.

132

4 Empirische Studie

Gesamtzahl der Skelette in einem Gräberfeld in dieser Größenordnung bewegen müsse“709; es handelt sich nicht um die Werte für die Kindersterblichkeit.710 Problematisch an der Erstellung von Sterbetafeln sind die Grundannahmen, die für deren Berechnung nötig sind: Vorausgesetzt wird eine geschlossene, stabile und stationäre Population, was in der Realität höchst selten bis nie anzutreffen sein dürfte.711 Zu- und Abwanderung einzelner Personen oder kleinerer Gruppen gab es immer. Die Sterblichkeits- und Geburtenraten sind nicht über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg unveränderlich, eine konstant gleichmäßig wachsende, schrumpfende oder stagnierende Bevölkerungsentwicklung ist nicht zu erwarten. Auch sind die Geburtenund Sterblichkeitsraten in der Regel nicht gleich groß, eine Wachstumsrate einer Population gleich Null ist lediglich für sehr kurze Zeiträume denkbar. „All diese Faktoren treten bei einer lebenden Population im Prinzip nie auf. Damit ist das Modell, das am wenigsten der Realität entspricht, Grundlage für alle statistischen Berechnungen.“712 Zudem ist die Altersstruktur der Lebendpopulation für historische Zeiträume nicht zu ermitteln und es fehlen sämtliche Angaben zu den Lebenden. Das Sterbealtersprofil ist aber nicht auf die Lebendbevölkerung übertragbar.713 Eine Verwendung von Sterbetafeln für historische Zeiträume wird deshalb von den meisten Fachleuten nicht empfohlen.714 Unabhängig von den methodischen Schwierigkeiten und Einschränkungen bei der Berechnung von Sterbetafeln für die Lebendbevölkerung zeigen die entsprechenden Modelle, dass die Fertilitätsrate viel entscheidender für das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen ist als die Mortalität.715 Je größer der Geburtenabstand ist, desto geringer ist der Kinderanteil, welcher deutlich mit der Fertilität korreliert. Auch die Alterszusammensetzung der Lebendbevölkerung hat einen großen Einfluss auf den Kinderanteil in den Modellberechnungen; besonders die Altersstruktur der Anfangspopulation – ob es sich um eine gefestigte bestehende Population oder eine Pioniergeneration handelt – beeinflusst die Anteilsverhältnisse stark.716 Kölbls und Andreas Dürings Studien zeigten darüber hinaus, dass es nach dem Start der Simulation bzw. einer Parameteränderung eine mehrere Jahrzehnte dauernde Stabilisierungsphase in den Modellen gibt, bis sich die Anteile um einen Wert stabil eingependelt haben. Gerade in der Anfangsphase

709 Kölbl 2004, 46. 710 Ein einfaches Aufsummieren der Kinderanteile auf den erwarteten Wert ist methodisch nicht zulässig. Duering 2017, 117f.; Düring/Wahl 2015, 140; Kölbl 2004, 14, 136. 711 Bocquet/Masset 1977, 69; Kölbl 2004, 49; Kraus 2006, 41; Strott 2006, 57 f. 712 Kölbl 2004, 49. 713 Kölbl 2004, 66; Düring/Wahl 2015, 140. 714 Acsádi/Nemeskéri 1970, 30ff., 45, 61; Atzbach 2009, 18; Czarnetzki 1995, 90; Grupe/Wittwer-Backofen et al. 2005, 115, 122f.; Herrmann 2015, 35; Kölbl 2004, 47–49, 57f., 60, 66f., 71, 73, 75, 79, 84, 86, 102, 153f.; Wahl 1994, 87. 715 Duering 2017, 66, 118; Düring/Wahl 2015, 138; Grupe/Wittwer-Backofen et al. 2005, 122; Kölbl 2004, 76, 107, 120, 154 f. 716 Acsádi/Nemeskéri 1970, 26; Duering 2017, 118; Kölbl 2004, 84, 107, 128f., 147, 156; Wahl 1994, 87.  



4.1 Methodik

133

pendeln die Anteile sehr stark und weisen teils extreme Werte auf.717 Zudem führe die den Modellberechnungen zugrunde liegende – kritisch zu sehende – Verwendung ausschließlich einer Alterskohorte, bei der rechnerisch alle Personen einem Altersjahrgang angehören, zu einem sehr hohen Kinderanteil in den Modellen.718 Die angeblich zu niedrigen Anteile von Kindern und Jugendlichen können beispielsweise durch eine geringe Fertilität der Ausgangspopulation, einer hohen Lebenserwartung (sprich einer geringen Alterssterblichkeit) oder einer zugunsten der Älteren verschobenen Altersstruktur der Ausgangspopulation erklärt werden.719 Die Bandbreite des Kinderanteils ist nach den Simulationsergebnissen zu urteilen sehr groß und kann nicht regelhaft vorgegeben werden.720 Zusammengenommen lassen die aufgeführten Punkte die dokumentierten Kinderanteile der Gräberfelder in einem realistischeren Licht erscheinen.721 Es ist unwahrscheinlich, dass über alle Zeitphasen hinweg ein signifikanter Teil der Kinder ohne erkennbaren Grund nicht greifbar ist. Des Weiteren ist es entscheidend, auf die Verwendung der korrekten Parameter und Werte zu achten – der Anteil von Kindern in einem Gräberfeld entspricht nicht dem Kinderanteil in der Lebendbevölkerung. Die auf Publikationen von Acsádi/Nemeskeri Bezug nehmende Angabe von 50 % Kinderanteil als zu erwartender, korrekter Wert ist in doppelter Hinsicht fehlerhaft: Die beiden Autoren berechneten nicht den Kinderanteil, sondern die Sterbewahrscheinlichkeit, die darüber hinaus in Promille angegeben wird. Die zur Berechnung demographischer Parameter herangezogenen Sterbetafeln beruhen auf Grundannahmen und Modellen, die höchst unwahrscheinlich sind und in der Realität im Grunde nicht anzutreffen sind. Sie bilden dadurch eine sehr unsichere Basis. Entscheidend für eine korrekte Berechnung sind zudem die Alterszusammensetzung der Lebendbevölkerung, die sich nicht aus der Sterbealtersverteilung herleiten lässt, sowie die meist nicht bekannte Fertilität, die einen größeren Einfluss auf das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen hat als die Mortalität. Diese Überlegungen bedeuten für die vorliegende Arbeit, dass nicht mit einer unbekannten Größe fehlender Kinder gearbeitet werden muss. Vielmehr kann ebenso  

717 Kölbl, 2004, 104, 109, 118ff, 128, 147, 155; Duering 2017, 144–147. In einer realen Population treten ständig Ereignisse auf, die die Bevölkerungsanteile verschieben (angefangen von der Migration einzelner Personen bis hin zu Epidemien oder Krieg); jedes einzelne zieht eine Stabilisierungsphase nach sich: Duering 2017, 147. 718 Kölbl 2004, 126ff, 156; Duering 2017, 40; Strott 2006, 57. Zink (Zink 1999, 53ff.) berechnet beispielsweise in seiner Stichprobe mit über 250 Kindern (I1 und I2) des Gräberfeldes Altenerding 714 fehlende Kinder der Altersgruppe 0–5 Jahre. Gesehen im Verhältnis zur Stichprobengröße und um die 1450 Individuen im gesamten Gräberfeld erscheint mir dieser Fehlbetrag unrealistisch hoch. 719 Kölbl 2004, 84, 148, 156f. 720 Kölbl 2004, 157. 721 Kölbl 2004, 15, 89, 128, 146, 156f.; Duering 2017,119; Wahl 1994, 86.

134

4 Empirische Studie

plausibel angenommen werden, dass die dokumentierten Kinder der berücksichtigten Gräberfelder – abgesehen von den generell für alle Altersklassen geltenden Einschränkungen – der tatsächlichen Zahl verstorbener Kinder entsprechen. Damit stehen Aussagen, die anhand der Datenbasis der Studie erstellt wurden, auf einer statistisch tragfähigen Grundlage. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse sich auf eine realistische Populationsgröße und -zusammensetzung beziehen und für das Frühmittelalter Süddeutschlands allgemein gültig sind.

4.1.4 Untersuchte Gräberfelder Das Untersuchungsgebiet der vorliegenden Studie umfasst die beiden Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg. Zwar wäre ein größeres Gebiet aufgrund der europaweiten Verbreitung der Fibeln durchaus möglich, aber es sprachen rein praktische Gründe gegen eine solche Ausweitung des untersuchten Raumes. Mit über 800 aufgenommenen Fibeln722 sollte eine ausreichende Menge für statistisch haltbare Aussagen vorliegen. Auch hätte eine umfangreichere Aufnahme den zeitlichen Rahmen der Arbeit gesprengt. Die gewonnenen Ergebnisse wären vermutlich nur in kleinen Details anders; gleichzeitig hätte der Zeitaufwand in keiner sinnvollen Relation zum Ergebnis gestanden. Der süddeutsche Raum ist einerseits groß genug, um verschiedene Naturräume einzubeziehen und damit überregionale Vergleiche zu ermöglichen. Andererseits ist er nicht zu groß, so dass immer noch eine große Übereinstimmung im Beigabenverhalten besteht. Wären die regionalen Unterschiede zu groß, würde sich das Bild bei einer gemeinsamen Auswertung verwaschen; die Schwankungen würden das Ergebnis undeutlicher machen und auf ein Mittelmaß einnivellieren, das nicht den frühmittelalterlichen Verhältnissen entspricht. Die aufgenommenen Gräberfelder sind durchweg publiziert723. Dies hat zur Folge, dass es sich zu einem großen Teil um ältere Grabungen handelt, deren Bearbeitung oft schon einige Jahre zurückliegt. Für meine Auswertung hat dies aber nur in Bezug auf die angewandten Restaurierungsmethoden einen Einfluss, die sich wie gezeigt im Laufe der Zeit stark gewandelt haben.724 Unpublizierte Gräberfelder wurden unter anderem deshalb nicht herangezogen, weil für sie keine anthropologische Bestimmung vorliegt. Für mich sind aber das anthropologische Geschlecht und die Sterbealtersbestimmung essentiell. Ohne das Alter der Fibelträgerinnen zu kennen, kann eine mögliche Korrelation zwischen Alter und

722 836 Fibeln aus 465 Gräbern. 723 Anhang 1, Anhang 2 und Tabellenblatt Gräber in der Datenbank (Download unter https://www. degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html). Die besuchten Museen und Sammlungen finden sich in Anhang 3. 724 Siehe Kap. 3.2.

4.1 Methodik

135

Abnutzungsgrad nicht untersucht werden. Auch kann beispielsweise die Frage nach der Häufigkeit von Fibeln in den einzelnen Altersklassen nur beantwortet werden, wenn bekannt ist, wie viele Individuen jede Altersklasse umfasst. Es muss also die Zahl weiblicher Individuen der untersuchten Gräberfelder bekannt sein. Bei den untersuchten 29 Gräberfeldern (Abb. 19) handelt es sich um Aldingen725, Altenerding „Bajuwarenstraße“726, Aschheim „Am Wasserturm“ und „Bajuwarenring“727, Aubing728, Buggingen729, Dittenheim730, Donzdorf731, Eichstetten a. Kaiserstuhl732, Fridingen a. d. Donau733, Heidenheim-Großkuchen „Gassenäcker“ und „Pfaffensteig“734, Hemmingen735, Kirchheim/Ries736, Kleinlangheim737, Kösingen738, Mengen739, Merdingen740, München-Perlach741, Munzingen742, Neresheim743, Peigen744, Pleidelsheim745, Pliening746, Schwangau747, Sontheim a. d. Brenz748, Steinhöring749, Stetten a. d. Donau750, Weingarten751. Manche Gräberfelder, wie beispielsweise Straubing „Bajuwarenstraße“752, konnten nicht mit aufgenommen werden, da eine Untersuchung der Fibeln vor Ort nicht möglich war. Leider reicht es für die Beurteilung der Abnutzungsgrade nicht aus, sich auf die Beschreibungen, Fotos und Zeichnungen der Publikation zu stützen. Diese

725 726 727 728 729 730 731 732 733 734 735 736 737 738 739 740 741 742 743 744 745 746 747 748 749 750 751 752

Schach-Dörges 2004. Helmuth 1996; Sage 1984. Gutsmiedl-Schümann 2010. Dannheimer 1998. Jansen 2003. Haas-Gebhard 1998. Neuffer 1972. Sasse 2001. Schnurbein 1987. Heege 1987. Müller 1976. Neuffer-Müller 1983. Peschek 1996. Knaut 1993. Walter 2008. Fingerlin 1971. Zintl 2004/05. Groove 2001. Knaut 1993. Freeden 1993; Freeden/Lehmann 2005. Koch 2001. Codreanu-Windauer 1997. Bachran 1993. Neuffer-Müller 1966. Arnold 1992. Weis/Ankner 1999. Huber 1967; Roth/Theune-Vogt 1995. Geisler 1998.

136

4 Empirische Studie

können noch so gut sein, die nötige detaillierte – mikroskopisch vorgenommene – Beschreibung der Abnutzungsintensitäten erlauben sie nicht.

Abb. 19: Karte der berücksichtigten Gräberfelder.

4.1.5 Doppelstudie Altenerding Um die Bestimmungssicherheit und die Reproduzierbarkeit der ermittelten Abnutzungsgrade zu überprüfen, wurden nach Abschluss der Aufnahme in der Archäologischen Staatssammlung München 41 Fibeln des Gräberfeldes Altenerding ein zweites Mal begutachtet. Da ich meine Aufnahme mit diesen Fibeln der Münchner Bestände begonnen hatte, lagen zwischen beiden Aufnahmen einige Wochen und auch eine größere Zahl untersuchter Fibeln. Die Werte der ersten Bestimmung waren mir nicht mehr geläufig, und ich konnte die zweite Bestimmung durchführen, als ob es sich um neue, noch nicht untersuchte Fibeln handeln würde. So konnte eine Beeinflussung des zweiten Durchlaufes durch den Ersten weitestgehend ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse dieser Doppelstudie zeigen, dass es zwar gewisse Schwankungen zwischen den einzelnen Werten gibt, die Abweichungen sich aber in einem eng begrenzten Rahmen bewegen (Abb. 20, Tab. 8). Die durchschnittliche Abweichung zwischen den beiden bestimmten Abnutzungsgraden beträgt 0,3. In wenigen Einzelfällen tritt eine höhere Abweichung auf, einmal sogar der Wert von 1,2 Graden.

137

4.1 Methodik

Häufigkeit der Differenzwerte

12

10

8

6

4

2

0 0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

1

1,2

Höhe der Differenzwerte

Abb. 20: Häufigkeit der Differenzwerte der Abnutzungsgrade zwischen der ersten und zweiten Begutachtung der Fibeln des Gräberfeldes Altenerding.

Auf den ersten Blick erscheinen diese Werte relativ hoch, besonders die maximale Abweichung von über einem Abnutzungsgrad lässt Zweifel an der Reproduzierbarkeit der Abnutzungsgrade und damit der Anwendbarkeit des Verfahrens aufkommen. Betrachtet man jedoch die wenigen stark differierenden Fälle, lassen sich die Abweichungen meist schlüssig erklären. Im Fall der Bügelfibel Alte319-2 konnte nur ein Areal – die Nadelrast – an der Fibel begutachtet werden, die anderen Areale waren unter einer ankorrodierten Textilschicht verborgen. Die Nadelrast wurde von mir in den beiden Durchläufen nicht gleich beurteilt, wodurch die Abweichung von einem ganzen Grad zustande kam. Fibeln, bei denen nur sehr wenige oder gar nur ein Areal begutachtet werden konnte, weisen statistisch gesehen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, stark differierende Werte zu ergeben, da die einzelnen Werte mehr Gewicht erhalten als es bei einer Fibel mit 20 zu begutachtenden Arealen der Fall wäre. Die Fibel Alte319-2 ist somit kein Beleg für ein Scheitern der Methode, sondern liegt vielmehr im statistischen Rahmen einer quantitativen Untersuchung. Die Tierfibel Alte31-4 mit einer Differenz von 1,2 zwischen den beiden Begutachtungen entpuppt sich bei genauerem Nachsehen als Fragment, das eine vermutlich durch die Restaurierung stark veränderte Oberfläche aufweist. Solche wie säurezerfressen aussehenden Oberflächen sind generell schwierig zu beurteilen, da fraglich ist, ob es sich bei der freigelegten Schicht auch um die originale Oberfläche handelt. Des Weiteren bedeutet die fragmentarische Erhaltung der Fibel, dass nur eine geringe Zahl an Arealen (3 bzw. 4) untersucht werden konnten; die wenigen Werte verursachen wie im Fall der Bügelfibel Alte319-2 eine relativ große Differenz bei der Gesamtabnutzung. Hinzu kommt, dass Alte31-4 relativ früh in die Auswertung einfloss. Ein Zeichen für eine zu diesem Zeitpunkt eventuell noch nicht vorhandene Erfahrung bei der Aufnahme könnte auch sein, dass sich die aufgenommenen Areale in den

138

4 Empirische Studie

Tab. 8: Differenz der Werte zwischen den beiden Begutachtungsdurchgängen des Gräberfeldes Altenerding. Fibelnummer

Differenz Wert 1 zu Wert 2

Fibelnummer

Differenz Wert 1 zu Wert 2

Alte14-1

0,03

Alte177-1

0,26

Alte21-1

0,16

Alte189-3

0,29

Alte21-2

0,24

Alte213-1

0,70

Alte31-1

0,28

Alte224-1

0,29

Alte31-2

0,00

Alte224-2

0,34

Alte31-4

1,20

Alte227-1

0,38

Alte76-1

0,30

Alte256-1

0,29

Alte76-2

0,22

Alte256-2

0,29

Alte91-1

0,36

Alte272-1

0,11

Alte91-2

0,44

Alte319-1

0,33

Alte94-1

0,48

Alte319-2

1,00

Alte94-2

0,26

Alte343-3

0,13

Alte117-3

0,40

Alte343-4

0,11

Alte117-4

0,38

Alte432-1

0,11

Alte130-1

0,07

Alte439-2

0,14

Alte130-2

0,55

Alte443-1

0,44

Alte146-1

0,23

Alte451-1

0,11

Alte146-2

0,13

Alte485-1

0,21

Alte146-3

0,11

Alte485-2

0,15

Alte151-1

0,57

Alte485-3

0,14

Alte151-2

0,62

Durchläufen unterscheiden. Es scheinen bei Alte31-4 mehrere problematische Punkte zusammenzuspielen und für die deutliche Abweichung bei der Beurteilung verantwortlich zu sein. Ein sehr schwierig zu beurteilendes, fragmentiertes Stück musste zu Anfang mit wenig Erfahrung untersucht werden. Die Scheibenfibel Alte213-1 weist eine Abweichung von 0,7 zwischen den beiden Gesamtabnutzungsgraden auf.753 Hier scheint es zu einem Fehler bei der Aufnahme

753 Scheibenfibeln stellten sich während der Untersuchung aufgrund ihrer Machart als besonders schwierig zu beurteilen heraus. Häufig sind die Vorderseiten nur aus dünnem Blech gearbeitet oder sie

4.1 Methodik

139

gekommen zu sein, denn die untersuchten Areale unterscheiden sich in den beiden Durchläufen stark. Möglicherweise entstanden diese Differenzen auch dadurch, dass es sich um das erste begutachtete Stück dieser Fibelkategorie handelt. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass sich die besonders starken Abweichungen fast ausschließlich bei den im ersten Durchgang sehr früh aufgenommenen Fibeln finden. Dies muss vermutlich als Zeichen für fehlende Routine bei der Aufnahme gewertet werden, mit der jeder Bearbeiter einer ähnlich aufgebauten Untersuchung zu kämpfen hat. In die gleiche Richtung können die Unterschiede in der Anzahl aufgenommener Areale je Fibeln interpretiert werden, denn es wurden teilweise Areale in einem Durchgang aufgenommen, die im anderen Durchgang nicht bewertet wurden. Differenzen in den Abnutzungsgraden der Doppelauswertung sind auch überwiegend bei Fibeln zu finden, an denen nur wenige Areale beurteilbar waren. Hierbei handelt es sich um einen „Fehler der geringen Zahl“, der sich methodisch nicht beseitigen lässt. Die Fibel Alte319-2 verdeutlicht dieses Phänomen sehr gut. Die vorgestellten Beispiele, bei denen es sich um die drei Fibeln mit der stärksten Abweichung handelt, zeigen mehrere symptomatische Probleme der Untersuchung auf. Diese können zwar im Einzelfall bedeutend sein, wirken sich jedoch bei der großen Menge an untersuchten Fibeln nicht gravierend aus und sind kein Grund, die Machbarkeit der Untersuchung in Frage zu stellen. Ganz im Gegenteil, sie gehören bei einer quantitativen Studie mit dazu und belegen gewissermaßen die Korrektheit der Methodik. Trotz allem sind die Abweichungen nicht so groß, als dass es zu grundsätzlichen Problemen bei der Auswertung führen würde. Sie lassen sich auch weitgehend plausibel erklären, wenn man die Daten im Detail betrachtet. Mit dem von mir angewandten Verfahren lassen sich somit Werte erreichen, die ausreichend objektiv und reproduzierbar sind, um eine angemessene Bestimmungssicherheit zu gewährleisten.

4.1.6 Alle merowingerzeitlichen Fibeln statt allein Bügelfibeln Obwohl es im Frühmittelalter verschiedene Fibeltypen gibt, wurde die bisherige Diskussion um die Altersabhängigkeit bzw. Personengebundenheit von Fibeln nahezu ausschließlich in Bezug auf Bügelfibeln geführt. Alle anderen Fibeltypen der Merowingerzeit spielten hierbei kaum eine Rolle. Ob dies daran liegt, dass die übrigen Fibeltypen stillschweigend mit einbezogen wurden, ohne sie zu erwähnen oder ob sie nicht als personengebunden angesehen wurden, wird nicht deutlich. Für die Argu-

sind aus stärker korrosionsanfälliger Bronze gegossen. Da die Granateinlagen der Granatscheibenfibeln keine erkennbaren Abnutzungsspuren aufweisen, ist an den geringen Metallflächen der Stege eine Beurteilung besonders heikel.

140

4 Empirische Studie

mentation wurden jedenfalls nur Bügelfibeln herangezogen. Gegen diese Beschränkung sprechen zwei Gründe. Zum einen treten Bügelfibeln häufig zusammen mit einem Kleinfibelpaar als sogenannte Vierfibelkombination auf. Sollte die den Bügelfibeln zugesprochene Personengebundenheit tatsächlich zutreffen, so stellt sich die Frage, ob dies dann nicht auch für die zum gleichen Ensemble gehörenden Kleinfibeln anzunehmen ist. Zum anderen waren die chronologisch auf die Bügelfibeln folgenden Scheibenfibeln nie Gegenstand entsprechender Überlegungen zur Personengebundenheit. Sollte es tatsächlich mit dem Wechsel zu einer anderen Fibelform auch zum Ende der Personengebundenheit gekommen sein, die doch von weiten Teilen der Forschung als die zentrale Eigenschaft der Bügelfibeln angesehen wird? Die Eigentumsverhältnisse seit dem Aufkommen der sogenannten „Dreifibeltracht“ im 7. Jahrhundert wurden in der Forschung nie thematisiert. Ein massiver Wandel erscheint mir jedoch wenig plausibel, da sich zwar die Fibelformen ändern, nicht aber deren Trageposition. Bei einer Studie zur Personengebundenheit sollten deshalb alle merowingerzeitlichen Fibeln einbezogen werden, damit beiden Fragen – der nach den Verhältnissen der gleichzeitigen sowie der nach den nachfolgenden Fibeltypen – nachgegangen werden kann. Nur bei einer Berücksichtigung aller Fibelformen und der kompletten Merowingerzeit kann ein vollständiger Blick auf die These der Personengebundenheit bzw. der Altersabhängigkeit geworfen werden.

4.2 Auswertung 4.2.1 Statistik Die Statistik bietet eine Vielzahl von Verfahren, mit denen die Aussagekraft und Signifikanz erhobener Daten überprüft werden kann. Aus diesem breiten Spektrum die richtigen Methoden auszuwählen, stellt eine gewisse Herausforderung dar, die zusätzlich dadurch erschwert wird, dass sich die verschiedenen Autoren über deren korrekte Anwendungsgebiete nicht einig sind.754 Trotzdem lassen sich übereinstimmende Trends und Anwendungsempfehlungen herausarbeiten.755 Um die Kriterien und Beweggründe für die Auswahl der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Verfahren deutlich zu machen, werden diese im Folgenden kurz beschrieben und teilweise der Rechenweg erläutert. Dadurch soll mehr Transparenz erreicht werden. Oft finden zwar statistische Methoden Anwendung in

754 Drennan 2010, vi. 755 Für das vorliegende Kapitel wurden aus dem weiten Feld der Statistik-Handbücher zwei Arbeiten herangezogen: Drennan 2010 und Fletcher/Lock 2005.

4.2 Auswertung

141

archäologischen Arbeiten, es wird aber nicht erklärt, warum gerade diese für die Fragestellung passend sind und verwendet werden, andere Methoden hingegen nicht. Im Anschluss an die Vorstellung der Methoden kommen diese am Material der vorliegenden Studie zur Anwendung. Die erhaltenen Ergebnisse werden auf ihren Aussagegehalt in Bezug auf eine Korrelation von Sterbealter und Abnutzungsgrad hin untersucht, interpretiert und abschließend zusammengefasst.

4.2.1.1 Grundlagen und Messwerte Für die meisten statistischen Verfahren sind zwei Konzepte wichtig und stellen eine Art Grundvoraussetzung dar, auf der viele der statistischen Anwendungen basieren. Vor einem möglichen Gebrauch eines Verfahrens muss sichergestellt sein, dass beide Konzepte erfüllt sind. Von der Einhaltung der beiden Konzepte hängt auch die Auswahl der Verfahren ab, denn diese sind meist nur unter bestimmten Bedingungen anwendbar und nicht immer gültig. Die beiden Konzepte sind unter dem Begriff Central Limit Theorem756 zusammengefasst. Es handelt sich um: 1. Eine möglichst symmetrische Verteilung der Messdaten, die sie einer Normalverteilung (Gausskurve) angleicht. Je größer die Datenmenge ist, desto besser sollte die Angleichung an diese Ideale, vor allem die Normalverteilung, sein.757 Dieser Normalfall tritt aber nicht immer auf und vor einer statistischen Auswertung muss sein Vorhandensein gesichert sein, um das richtige Verfahren wählen zu können. Nicht-symmetrische und nicht-normalverteilte Daten können bis zu einem gewissen Grad umgewandelt oder umgerechnet werden, um sie der idealen Symmetrie und Normalverteilung anzugleichen. Zudem gibt es Verfahren, die auf nicht-symmetrische und nicht-normalverteilte Daten angewandt werden können. Sie sind aber in der Regel komplexer und damit fehleranfälliger.758 2. Die Varianz – gemessen als Standardabweichung (standard deviation) – sollte mit zunehmender Datenmenge zurückgehen. Eine breite Varianz beinhaltet einen entsprechend breiten Spielraum, in dem sich die statistisch wahrscheinlichen Daten bewegen können. Ein bekanntes Beispiel stellen die 14C-Daten dar, sie werden mit einer Varianz angegeben. Je mehr Proben eines zu datierenden Fundes/Befundes gemessen wurden, desto enger lässt sich der Schwankungsbereich eingrenzen – die Varianz sinkt – und desto „genauer“ wird die Datierung.759 Einige Rechenwerte bilden die Grundlage für so gut wie alle statistischen Verfahren. Da sie ständig gebraucht werden, steht ihre Ermittlung am Anfang jeder statistischen Auswertung. 756 757 758 759

Drennan 2010, 106, 128f.; Fletcher/Lock 2005, 70ff. Fletcher/Lock 2005, 59ff., 71, 80, 105. Zur Normalverteilung: Drennan 2010, 59 ff. (bes.), 106, 128f.; Fletcher/Lock 2005, 59ff., 70ff. Zur Standard Deviation und Varianz: Drennan 2010, 29ff.; Fletcher/Lock 2005, 47.  

142

4 Empirische Studie

Hierzu zählen verschiedene Mittelwerte, wie das arithmetische Mittel und der Medianwert, sowie der Streuungsbereich der Werte (range oder spread), Quartile und Perzentile. Auch die Berechnung der Standardabweichung gehört zu den Grundlagen einer Statistikauswertung. Wichtig ist weiterhin eine Unterscheidung der Art der in eine Datenreihe eingeflossenen Werte, denn je nach Eigenschaft der Variablen bzw. Skalen sind nur bestimmte statistische Verfahren anwendbar.760 Es werden vier Klassifikationstypen für die Variablen verwendet, die zu zwei Gruppen zusammengefasst sind. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um sogenannte kontinuierliche oder quantitative Skalen761, die echte Messwerte enthalten wie beispielsweise die Länge eines Objekts762. Sie sind eine Abfolge von Werten, deren Intervalle eine konkrete, festgelegte Bedeutung haben und/oder sich auf einen Nullpunkt beziehen: 30 cm sind 10 cm mehr als 20 cm, 100 °C sind doppelt so viel wie 50 °C. Die beiden Klassifikationstypen dieser Gruppe nennt man Intervall- bzw. Verhältnisskala.763 Zu den kategorialen oder qualitativen Skalen der zweiten Gruppe gehören Nominal- und Ordinalskalen; es handelt sich dabei um Kategorien und Rangordnungen.764 Sie klassifizieren beispielsweise in Materialkategorien beziehungsweise in Temperaturbereiche (heiß, warm, kühl und kalt) oder Erhaltungsbedingungen (hervorragend, gut, schlecht, nicht konservierbar). Die hier interessierenden Abnutzungsgrade sind keine echten Messwerte, sondern bilden eine Rangordnung und gehören damit zu den ordinalen Variablen.

4.2.1.2 Datenreihen mit einer Variablen 4.2.1.2.1 Stem-and-leaf plot (Stamm-Blatt-Diagramm) Quasi ein statistisches Muss765 stellt der stem-and-leaf plot766 dar. Ein solches Diagramm zeigt auf, wie weit die Werte streuen, ob es Ausreißer gibt und ob sich die Werte gleichmäßig und symmetrisch verteilen. Besonders die gleichmäßige Verteilung der Werte im Sinne einer Normalverteilung ist für die weitere statistische Auswertung wichtig.767 Je nach Aussehen des plots müssen eventuell Korrekturen und Umwandlungen der Daten vorgenommen werden, um durch Mehrfachspitzen, Asymmetrien und Ausreißer auftretende Probleme zu beheben.768

760 761 762 763 764 765 766 767 768

Drennan 2010, 267f.; Fletcher/Lock 2005, 1. Fletcher/Lock 2005, 4. Drennan 2010, 223. Fletcher/Lock 2005, 4. Fletcher/Lock 2005, 4. Drennan 2010, 60, 128. Beschreibung des Verfahrens: Drennan 2010, 4–14; Fletcher/Lock 2005, 25–27. Fletcher/Lock 2005, 59ff, 71, 80, 105. Drennan 2010, 20ff., 32ff., 53ff., 60.

4.2 Auswertung

143

Für ein stem-and-leaf plot werden die erhobenen Messwerte entlang einer Skala angeordnet, um so Muster erkennen zu können (Tab. 9).769 Tab. 9: Modell-Fahrplan als Beispiel eines stem-and-leaf plots. Stunde

Minute

08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

15 15, 45 15, 45 15, 30, 45 15, 30, 45 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 15, 30, 45 15, 30, 45 15, 45 15, 45 15

Die Daten müssen dazu in zwei Gruppen unterteilt werden: in stem und leaf. So könnte beispielsweise der Messwert 128,5 g in 12 – den stem – und 85 – das leaf – aufgeteilt werden; oder wie im Beispiel die Abfahrtszeit 12:15 Uhr in 12 und 15. Dabei spielt die richtige Skalierung für die Intervalle von stem und leaf eine große Rolle, sie dürfen weder zu klein noch zu groß sein. Wichtig bei einem stem-and-leaf plot ist zudem die Unterteilung in gleichgroße Intervalle, da das Schaubild sonst falsche Ergebnisse liefert.770 Eine Sortierung der Messwerte erfolgt im Anschluss zuerst nach den Werten des stem und danach nach den Werten des leaf. Werte, die sich deutlich abseits der Mehrheit der Werte am stem-and-leaf plot befinden, werden als Ausreißer bezeichnet. Sollte sich im stem-and-leaf plot mehr als eine Spitze abzeichnen, bedeutet dies, dass unterschiedliche Dinge in einer Erhebung zusammengeworfen und gemessen wurden. Die Daten müssen für eine korrekte Darstellung nach den unterschiedlichen Eigenschaften in mehrere Messreihen getrennt werden, da Datenreihen mit mehreren Spitzen nicht analysiert werden können.771

769 Bei einem Fahrplan, bei dem für jede Stunde (stem) aufgelistet ist, zu welchen Minuten (leaf) eine Straßenbahn fährt, handelt es sich um einen stem-and-leaf plot. Hier fahren sie beispielsweise um 12:15, 12:30 und 12:45 Uhr. 770 Hier in Stunden. Es wäre nicht zulässig, innerhalb des plots auf 30-Minuten-stems zu wechseln. Drennan 2010, 8. 771 Drennan 2010, 12f.

144

4 Empirische Studie

Entsprechend den Vorgaben für einen stem-and-leaf plot ist für die vorliegende Arbeit eine Aufteilung der Abnutzungsgrade in gleich große Abschnitte nötig. Eine Darstellung mit nur vier Abnutzungsgraden ergibt dabei ein wenig aussagekräftiges Bild (Tab. 10), eine feinere Untergliederung in acht Abnutzungsgrade wird differenzierter (Tab. 11). Eine noch feinere Aufschlüsselung, bei der die zweite Nachkommastelle der Abnutzungsgrade den leaf bildet, zeigt Tab. 12.772 Hier ist im Gegensatz zu den vorhergehenden beiden plots zudem nicht nur das Vorhandensein eines entsprechenden leaf-Wertes aufgelistet (Tab. 12, Darstellungsweise 1), sondern im leaf sind die genauen Werte ablesbar (Tab. 12, Darstellungsweise 2). Diese minimale Abwandlung ändert nichts an der Lesbarkeit des plots, bietet aber den Vorteil, dass die Werte direkt abgelesen werden können. Alternativ bietet sich die Darstellung in einem Histogramm oder Balkendiagramm an (Z. B. Abb. 25, Kap. 4.2.2.1). Beide Darstellungsweisen haben das gleiche Ziel und können synonym verwendet werden. Ein stem-and-leaf plot bietet jedoch bei Auflistung der genauen leaf-Werte mehr Informationen, wohingegen ein Histogramm eleganter aussieht und die vordergründige Information, nämlich die Werteverteilung, deutlicher macht.773  

772 Z. B. wird aus Grad 1,13 der stem 11 und das leaf 3. 773 Drennan 2010, 11.

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxx

3 (Grad 2,5–3,2)

2 (Grad 1,7–2,4)

1 (Grad 1,0–1,6)

xxxxxx

xxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxx

xxxxx

3,7–4,0

3,3–3,6

2,9–3,2

2,5–2,8

2,1–2,4

1,7–2,0

1,3–1,6

1,0–1,2

Abnutzungsgrade Alle Altersklassen

Tab. 11: Stem-and-leaf plot der Studiendaten mit acht stems. Unterteilung der Abnutzungsgrade in gleichgroße Gruppen.

xxxxxxxxxxxxxxxxxxx

4 (Grad 3,3–4,0)

Abnutzungsgrade Alle Altersklassen

Tab. 10: Stem-and-leaf plot der Studiendaten mit vier stems. Unterteilung der Abnutzungsgrade in gleichgroße Gruppen.

4.2 Auswertung

145

146

4 Empirische Studie

Tab. 12: Stem-and-leaf plot der Studiendaten mit 31 stems. Abnutzungsgrade

Darstellung 1

Darstellung 2

40

x

0

38

xx

38

37

x

5

36

xx

77

35

xx

03

34

xx

13

33

xxxxxx

133368

32

xxxxxxx

1223599

31

xxxxxxxxx

111134557

30

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

000000000000000012334568

29

xxxxxx

002349

28

xxxxxxxxxxxxxxx

133333567888999

27

xxxxxxxxxxxxxx

00011112335688

26

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

000003333477777777778899

25

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

0000133344466677777778

24

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

0000000111223333444678

23

xxxxxxxxxxxxxxxxx

01112333566678889

22

xxxxxxxxxxxxx

0225555556799

21

xxxxxxxxxxxxxxxx

0011235577777899

20

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

000000000000000000000000033467

19

xxxx

2568

18

xxxxxxxxxxxxx

1333455688889

17

xxxxxxxx

00355599

16

xxxx

6779

15

xxxxx

00002

14

xxx

013

13

x

8

12

xx

58

11

xx

34

10

xxx

000

39

xxxxx

xx

1,7–2,0

1,3–1,6

1,0–1,2

xx

2,1–2,4

x

xxxxxx

xxxxx

xx

xxxx

x

xxxxxxx

xxxx

xxx

xxx

xxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

2,5–2,8

x

xx

2,9–3,2

xxxxx

xxxx

x

Adult

x

Juvenil

3,3–3,6

Infans II xxxxx

Infans I

3,7–4,0

Abnutzungsgrade

x

xx

xxxx

xxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxxx

xxxxxxxxxxxxx

xxxx

Matur

Tab. 13: Abgewandelter stem-and-leaf plot mit acht Abnutzungsgraden, aufgeschlüsselt in die sechs Altersklassen.

x

xx

xxx

xxxxxx

xxxxxxx

xxxx

xxx

x

Senil

4.2 Auswertung

147

148

4 Empirische Studie

Bei einer Aufschlüsselung der Daten in die einzelnen Altersklassen lassen sich die stem-and-leaf plots in Bezug auf das Auftreten und die Häufigkeit der Abnutzungsgrade einander gegenüberstellen (Tab. 13). Die hier gewählte Darstellung entspricht nicht der klassischen Ansicht eines back-to-back stem-and-leaf plots, bei der zwei zu untersuchende Datenreihen „Rücken-an-Rücken“ nebeneinander gestellt werden (Tab. 14).774 Die Erweiterung bietet aber die Möglichkeit, alle sechs Altersklassen auf einmal im Blick zu haben und vergleichen zu können.775 Tab. 14: Modell-Fahrplan als Beispiel eines back-to-back stem-and-leaf plots. Linie 1

30 30 15, 45 15, 30, 45 15, 30, 45 00, 10, 20, 30, 40, 50 15, 30, 45 15, 45 30 30

Stunde 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Linie 2 15 15, 45 15, 45 15, 30, 45 15, 30, 45 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 7, 15, 22, 30, 37, 45, 52 15, 30, 45 15, 30, 45 15, 45 15, 45 15

4.2.1.2.2 Boxplot (Kastengrafik) Bei boxplots handelt es sich um die graphische Darstellung von Datenreihen (Abb. 21).776 Ein boxplot zeigt mehrere Messwerte gleichzeitig und ermöglicht es, sich einen schnellen Überblick über die Verteilung der Daten zu machen und sie mit anderen Datenreihen oder anderen boxplots zu vergleichen. Sie setzen sich zusammen aus einem Kasten, der box, und zwei davon ausgehenden antennenartigen Linien, den whiskers. Je nach Darstellungsart können diese Linien auch als Punktreihe mit einem abschließenden X abgebildet sein. Daran anschlie-

774 Drennan 2010, 9 ff. Bei back-to-back stem-and-leaf plots werden die Daten zweier Messreihen rechts und links einer gemeinsamen Skala (dem stem) angeordnet. Beim oben genannten Beispiel des Fahrplans könnten so die Abfahrtszeiten zweier Buslinien miteinander verglichen werden. 775 Im vorliegenden Fall beinhaltet der stem die Abnutzungsgrade, die einzelnen Altersklassen bilden die leafs. 776 Beschreibung des Verfahrens: Drennan 2010, 37–48; Fletcher/Lock 2005, 50–52.  

4.2 Auswertung

149

ßend vervollständigen Punkte, Kreise oder Ähnliches das Diagramm. Eine angefügte Skala ermöglicht das Ablesen genauer Werte aus dem boxplot. In der box sind der Median777 sowie das obere und untere Quartil778 abgebildet. Der Medianwert ist durch eine breite Linie innerhalb der box dargestellt. Die beiden Schmalseiten der box entsprechen den Quartilen und markieren die 25 %- bzw. 75 %Punkte (Q1 und Q3). Die kleinsten bzw. größten 25 % der Datenwerte liegen außerhalb der Quartile, die box umfasst damit die mittleren 50 % der Werte der Datenreihe.  





Minimum

Q1

Median

Q3

Maximum



Maßstab

Ausreißer

Q1

Median

Q3

1,5 Interquartilabstand

Ausreißer

1,5 Interquartilabstand

Box

Whisker

Maßstab Whisker

Box

Abb. 21: Aufbau eines boxplots ohne (oben) bzw. mit (unten) Ausreißern.

Die angefügten whiskers geben häufig den 1,5fachen Interquartilabstand779 an, was dem 1,5fachen der box-Länge entspricht. Werte der Datenreihe, die sich außerhalb des von den whiskers eingefassten Bereichs befinden, bezeichnet man als Ausreißer (out-

777 Drennan 2010, 19f.; Fletcher/Lock 2005, 34ff. 778 Drennan 2010, 28f.; Fletcher/Lock 2005, 42ff. 779 Drennan 2010, 28f.; Fletcher/Lock 2005, 42ff.

150

4 Empirische Studie

liers). Sie werden beispielsweise durch Punkte gekennzeichnet. Oft wird auch noch zwischen Ausreißern und extremen Ausreißern differenziert. Unterscheidungskriterium ist hierfür der dreifache Interquartilabstand. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich tatsächlich um Ausreißer handelt, steigt mit zunehmendem Abstand zur Endlinie der whiskers und der box. Allerdings handelt es sich bei dieser Einteilung nur um eine Faustregel und keine absoluten Unterscheidungskriterien, so dass die nach dieser Konvention als Ausreißer geltenden Messwerte nicht zwangsläufig tatsächlich welche sind (Abb. 21 unten).780 Bei einer alternativen Darstellungsweise zeigen die whiskers die vollständige Spannweite des Datenbereichs an. Die beiden whisker-Enden stehen für den gemessenen Minimal- bzw. Maximalwert der Datenreihe (Abb. 21 oben).781 Im Gegensatz zu einem stem-and-leaf plot können mit einem boxplot mehr als zwei Datenreihen miteinander verglichen werden. Da diese auf einen Blick zu erfassen sind, bietet ein boxplot die bessere Vergleichsmöglichkeit. Je nach Interessensschwerpunkt ermöglichen verschiedene Umrechnungen ein schnelleres Erkennen der Unterschiede zwischen den einzelnen Datenreihen.782 Beispielsweise können die Medianwerte auf null umgerechnet werden, um durch diese Gleichsetzung Differenzen in den Streubereichen leichter wahrnehmbar zu machen. Für die Erstellung eines boxplot-Diagramms wurden die erhobenen empirischen Daten in die sechs Altersklassen aufgeteilt und jede Altersklasse als eigenständige Datenreihe behandelt. Dies ermöglicht einen Vergleich der Bandbreite und Verteilung der Abnutzungsgrade zwischen den Altersklassen. Der mit Hilfe von Excel erstellte boxplot zeigt die zweite der beschriebenen Varianten, deren whiskers die Spannweite zwischen kleinstem und größtem gemessenem Wert abbilden (Abb. 22).783 Ein Vergleich zu einem boxplot mit dem 1,5fachen Interquartilabstand als Grundlage für die whiskers zeigt, dass kaum ein Wert als Ausreißer in Frage kommt (Abb. 23). Die wenigen außerhalb der whiskers liegenden Werte befinden sich sehr nahe am 1,5fachen Interquartilabstand.784 Da es sich bei dieser Definition der Ausreißer nur um eine Faustregel handelt785, kann die Differenz zwischen Maximum bzw. Mini-

780 Drennan 2010, 38ff. 781 Fletcher/Lock 2005, 50ff. 782 Drennan 2010, 42–48. 783 Laut Drennan (Drennan 2010, 8) müssen jedoch die einzelnen Stem-Intervalle gleich groß sein, da sie sonst falsche Ergebnisse liefern. Entsprechend müsste ein boxplot – wie auf Abb. 22 abgebildet – nur eine Altersklasse für Subadulte umfassen. Durch die Zusammenlegung aller subadulten Altersklassen umfasst die gemeinsame Klasse 20 Jahre, wie es bei den erwachsenen Altersklassen der Fall ist. 784 Ausreißer zum Adult-Interquartilabstand 3,776 sind die Werte 3,883; 3,875 und 4. Zum Adult-Interquartilabstand 1,039 ist es der dreimal auftretende Wert 1. In der Altersklasse Matur liegt der Wert 1,142 außerhalb des Interquartilabstands von 1,461. Die Ausreißer konnten mit der verwendeten Darstellungsgrundlage nicht eingezeichnet werden. 785 Drennan 2010, 38f.

151

4.2 Auswertung

mum und dem 1,5fachen Interquartilabstand vernachlässigt und angenommen werden, dass kein Wert als Ausreißer behandelt werden muss. 4

Abnutzungsgrade

3,5

3

2,5

2

1,5

1 Subadult

Adult

Matur

Senil

Altersklassen

Alle n= 282

Abb. 22: Boxplot aus den erhobenen Studiendaten. Die subadulten Individuen sind hier zu einer Altersklasse zusammengefasst, denn zur korrekten Darstellung ist es nötig, stem-Intervalle zu bilden, die gleichgroße Zeitintervalle abdecken. Darstellungsweise ohne Ausreißer.

4

Abnutzungsgrade

3,5

3

2,5

2

1,5

1 Subadult

Adult

Matur Altersklassen

Senil

Alle n= 282

Abb. 23: Boxplot aus den erhobenen Studiendaten mit zusammengefasster Subadult-Klasse (vgl. Abb. 22). Darstellungsweise mit Ausreißern.

152

4 Empirische Studie

4.2.1.3 Datenreihen mit zwei Variablen 4.2.1.3.1 Scatterplot (Streuungsdiagramm) Die bisher vorgestellten Anwendungen beinhalteten nur die Möglichkeit, eine Variable zu vergleichen. Auch ein boxplot mit den aufgeschlüsselten Altersklassen gestattet nur einen bedingten Vergleich. Scatterplots bieten eine schnelle und einfach zu erfassende Darstellung des Verhältnisses zwischen zwei Variablen.786 Ein scatterplot ist dadurch besonders gut geeignet, eine mögliche Korrelation zwischen Abnutzungsgrad und Sterbealter aufzuzeigen. Im kartesischen Koordinatensystem eines scatterplots787 werden die beiden Messvariablen auf der horizontalen bzw. vertikalen Achse aufgetragen. Die Skalierung erfolgt entsprechend zu den gemessenen Werten, die auf der Achse eingetragen werden sollen. Zum Kreuzungspunkt beider Achsen hin liegen die jeweils niedrigsten Messwerte. Für jedes Objekt der Messreihe markiert ein Punkt den Schnittpunkt der Rechtsund Hochwerte, die sich aus den Werten der beiden Variablen zusammensetzen. Je deutlicher sich die Punkte einer Linie annähern, desto enger ist der Zusammenhang zwischen den Variablen. Bilden die Punkte nur eine diffuse Wolke, spricht dies gegen eine Korrelation.788 Um ein möglichst genaues Bild einer möglichen Korrelation zwischen Abnutzungsgrad und Alter zu bekommen, fließen die Abnutzungsgrade auf eine Nachkommastelle genau in das Diagramm ein (Abb. 24). Eine ähnliche Genauigkeit ist leider für die Altersangaben nicht zu erreichen, da hier bei der anthropologischen Bearbeitung meist nur Altersspannen oder Altersgruppen angegeben wurden. Diese Angaben wurden zudem zur internen Vergleichbarkeit für die Studie in grobe Gruppen zusammengefasst, wodurch sich im scatterplot senkrechte Streifen ergeben. Je gräberfeldübergreifend einheitlicher und je genauer das Sterbealter für jedes Individuum angegeben werden könnte, umso mehr würden sich diese Streifen auflösen und zu Punktwolken umwandeln. Eine Anordnung an einer Linie, die einen Zusammenhang zwischen den Variablen anzeigen würde, ist aber auch in der vorliegenden Ansicht nicht erkennbar. Der Streuungsbereich innerhalb der Streifen müsste sich bei einer Korrelation mit ansteigender Altersklasse zu den höheren Abnutzungsgraden hin verschieben.

4.2.1.3.2 Verhältnis zweier Variablen Das graphisch im scatterplot erkennbare Verhältnis zwischen zwei Variablen kann durch verschiedene Vergesellschaftungstests geprüft werden. Die dabei erhaltenen 786 Fletcher/Lock 2005, 29. 787 Beschreibung des Verfahrens: Drennan 2010, 199–222; Fletcher/Lock 2005, 29–31, 115–117. 788 Ein Beispiel für einen scatterplot ohne Zusammenhang zwischen den Variablen: Abb. 28, Kap. 4.2.3.1.

4.2 Auswertung

153

Werte sind ein genauerer Anhaltspunkt für den Grad des Zusammenhangs und eine mögliche Korrelation. 4,5

4

Abnutzungsgrade

3,5

3

2,5

2

1,5

1

0,5 0

1 I Infans

2 II Infans

3 Juvenil

4 Adult

5 Matur

6 Senil

Altersklassen

7

n= 282

Abb. 24: Scatterplot mit den erhobenen empirischen Daten.

Auch hier steht dem Anwender eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung. Die Auswahl des korrekten statistischen Verfahrens hängt von den Eigenschaften der Messwerte ab.789 Der Chi-Quadrat-Test790 stellt den gebräuchlichsten Test zur Prüfung einer Verbindung zwischen zwei Variablen, die eine nominale oder ordinale Klassifikation abbilden, dar. Er vergleicht die beobachteten Häufigkeiten mit denen, die zu erwarten wären, wenn von keiner Korrelation ausgegangen würde. Die Größe des χ2-Wertes zeigt die Stärke des Hinweises auf eine Korrelation an. Die zu erwartenden Häufigkeiten sollten jedoch nicht unter fünf liegen, damit der Chi-Quadrat-Test gültige Ergebnisse produziert. Auf keinen Fall sollten die zu erwartenden Häufigkeiten unter eins liegen.791 Die Datengrundlage kann zwar entsprechend modifiziert werden, um einen Chi-Quadrat-Test anwenden zu können, doch gibt es für diese Fälle geeignetere statistische Verfahren. Eines dieser geeigneteren Verfahren ist die Anwendung des Rangkorrelationskoeffizienten Kendall’s Tau792, der vor allem dann aussagekräftiger als Chi-Quadrat 789 790 791 792

Fletcher/Lock 2005, 128. Beschreibung des Verfahrens: Drennan 2010, 182–197; Fletcher/Lock 2005, 129–134. Fletcher/Lock 2005, 131. Beschreibung des Verfahrens: Fletcher/Lock 2005, 135–138.

154

4 Empirische Studie

ist, wenn beide Variablen auf ordinalen Skalen gemessen wurden. Die Grundlage für die Abnutzungsgrade der Fibeln sowie der Altersklassen ist jeweils eine ordinale Skala. Sehr viele der Werte einer auf den Daten der Studie basierenden Kontingenztafel liegen unter 5, teils sogar bei 1 oder 0 (Tab. 15). Deshalb soll der Kendall’s Tau-Test im Rahmen dieser Arbeit Anwendung finden. Kendall’s Tau nimmt Werte zwischen -1 und +1 an, wobei -1 eine perfekte negative Korrelation und +1 eine perfekte positive Korrelation anzeigt. Der Wert 0 zeigt an, dass keinerlei Korrelation zwischen den beiden untersuchten Variablen vorhanden ist. Der Rechenweg beginnt wie beim Chi-Quadrat-Test mit der Erstellung einer Kontingenztafel, unterscheidet sich dann aber je nachdem, ob die Kontingenztafel quadratisch oder nicht quadratisch aufgebaut ist. Im Falle der Abnutzungsgrade und Altersklassen sind es 4 bzw. 6 Felder, so dass Tau-c, die Variante für nicht quadratische Kontingenztafeln gilt. Die Formel für Tau-c793 lautet: tau  c ¼

2kðP  QÞ n2 ðk  1Þ

Die Berechnung von Kendall’s Tau führt für alle Fibeln zu τ = 0,12. Die zugehörige Kontingenztafel wurde bereits erwähnt (Tab. 15). Da Werte um Null als Hinweis auf keine Korrelation zwischen den Variablen gelten, ist davon auszugehen, dass zwischen den Altersklassen und den Abnutzungsgraden keine Korrelation vorhanden ist. Für die subadulten Individuen794 beträgt τ = -0.03. In diesem Fall ist eine Korrelation sogar noch unwahrscheinlicher als bei Individuen aller Altersklassen insgesamt. Die Bügelfibeln795 weisen einen Wert von τ = 0.04 auf, wohingegen der Wert der Gräber mit Vierfibelkombination796 bei τ = 0,12 liegt. Die Kontingenztafeln dieser drei Berechnungen stellen sich folgendermaßen dar (Tab. 16 bis Tab. 18). Alle Berechnungen von Kendall’s Tau zeigen, dass eine Korrelation von Abnutzungsgrad und Lebensalter für meine Materialstichprobe sehr unwahrscheinlich ist. Wie in den folgenden Kapiteln797 jeweils noch graphisch veranschaulicht und genauer erläutert wird, lässt sich eine Korrelation in keinem Fall plausibel machen.

793 n = Gesamtzahl der Häufigkeiten. k = kleinerer Wert der Reihen und Spalten. P = Summe jeder Zell-Häufigkeit multipliziert mit der Summe aller Häufigkeiten darunter und rechts. Q = Summe jeder Zell-Häufigkeit multipliziert mit der Summe aller Häufigkeiten darunter und links. 794 Siehe Kap. 4.3.3. 795 Siehe Kap. 4.3.1. 796 Siehe Kap. 4.3.2. 797 Für die gesamte Stichprobe Kap. 4.2. Für die Detailstudien Kap. 4.3. Im Vergleich zu den bereits vorhandenen Studien Kap. 4.5.

155

4.2 Auswertung

Tab. 15: Kontingenztafel zum Kendall’s Tau-Test für alle Fibeln der Studie. Abnutzungsgrade Grad 1

Grad 2

Grad 3

Grad 4

Gesamt

Altersklassen Infans I

2

8

6

16

Infans II

1

11

7

19

Juvenil

2

10

4

1

17

Adult

8

73

66

8

155

Matur

3

14

27

4

48

Senil

4

8

12

3

27

Gesamt

20

124

122

16

282

Tab. 16: Kontingenztafel zum Kendall’s Tau-Test für die subadulten Individuen der Studie. Abnutzungsgrade Grad 1

Grad 2

Grad 3

Grad 4

Gesamt

Altersklassen Infans I

2

8

6

16

Infans II

1

11

7

19

Juvenil

2

10

4

1

17

Gesamt

5

29

17

1

52

Tab. 17: Kontingenztafel zum Kendall’s Tau-Test für die Bügelfibeln der Studie. Abnutzungsgrade Grad 1

Grad 2

Grad 3

Grad 4

2

3

5

3

2

6

1

3

4

Gesamt

Altersklassen Infans I Infans II

1

Juvenil Adult

2

22

25

4

53

Matur

1

4

7

1

13

Senil

1

4

3

2

10

Gesamt

5

36

43

7

91

156

4 Empirische Studie

Tab. 18: Kontingenztafel zum Kendall’s Tau-Test für die Gräber mit Vierfibelkombination der Studie. Abnutzungsgrade Grad 1

Grad 2

Grad 3

Grad 4

Gesamt

Altersklassen Infans I

1

Juvenil Adult

1

2 11

12

Matur

1

1

Senil

1

2

1

4

15

16

2

34

Gesamt

1

2

1

1

25 2

4.2.1.4 Resultate In den folgenden Kapiteln wird noch detaillierter auf die Ergebnisse der einzelnen Aspekte und Fibelgruppierungen in Bezug auf eine Korrelation des Lebensalters der Verstorbenen und des Abnutzungsgrads der Fibeln eingegangen werden. Die Anwendung der verschiedenen statistischen Verfahren auf die erhobenen empirischen Daten zeigt jedoch schon vorab, dass es sich um eine repräsentative, statistisch relevante Stichprobe handelt, deren Ergebnisse als aussagekräftig gelten und als sichere Argumentationsgrundlage herangezogen werden können. Mit einer Korrelation von Alter und Abnutzung kann vor diesem Hintergrund nicht gerechnet werden. Die mit den empirischen Daten der Studie erstellten stem-and-leaf- sowie boxund scatterplots belegen, dass es sich bei der Datengrundlage um eine korrekte Messreihe handelt. Anhand des stem-and-leaf-plots lässt sich sehr schön ablesen, dass die Verteilung der Werte der nötigen Normalverteilung entspricht, wie auch an Tab. 12 (Kap. 4.2.1.2.1) deutlich wird. Der Vergleich verschiedener Darstellungsvarianten der boxplots zeigt, dass die ermittelten Werte der empirischen Daten alle in einem Bereich liegen, der sich innerhalb bzw. nahe genug am 1,5-Interquartilabstand befindet, um keinen der Werte als Ausreißer behandeln zu müssen. Der scatterplot aus Altersklassen und Abnutzungsgraden sollte selbst bei einer gewissen Streuung einen Anstieg der Punktwolken von links nach rechts aufweisen, wenn eine Korrelation der beiden Werte vorliegt. Ein solcher Anstieg ist im scatterplot, der mit den empirischen Daten der Studie erstellt wurde, nicht zu erkennen. Von einer Korrelation ist demnach nicht auszugehen. Auch die rechnerische Prüfung des Verhältnisses zwischen Lebensalter und Abnutzungsgrad mittels Kendall’s Tau-Test stützt das ermittelte Bild und ergibt keine Hinweise auf eine Korrelation zwischen den beiden Variablen Lebensalter und Abnutzung. Es zeigt sich also schon vorab durch recht einfache statistische Darstellungen und Berechnungen, dass die oft angenommene Korrelation von Abnutzungsgrad der

4.2 Auswertung

157

Fibeln und Lebensalter der Verstorbenen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bestand.

4.2.2 Fibeln und Altersklassen 4.2.2.1 Anzahl fibelführender Gräber und Altersklassen Betrachtet man das absolute Verhältnis aller Frauengräber in den anthropologischen Altersklassen, so fällt das mit insgesamt 1382 Individuen deutliche Übergewicht adulter Personen auf (Abb. 25). Die zweithäufigste Gruppe bilden die 555 maturen Frauen. Senile Frauen (216 Individuen) und Subadulte (Infans I: 205, Infans II: 173, Juvenil: 203 Individuen) sind hingegen deutlich seltener vertreten. Dieses Verhältnis zeigt sich auch in etwa in den Zahlen der mit Fibeln bestatteten Individuen.798 Auch hier überwiegen die adulten Frauen, gefolgt von den Maturen. Kinder und Jugendliche bekamen nach den absoluten Zahlen seltener Fibeln als erwachsene Frauen, selbst senile Frauen weisen mit 30 Individuen eine höhere Zahl auf als die Subadulten mit im Schnitt 20 Personen je Altersklasse. Unter den Subadulten zeigt sich eine zwar geringe aber doch erkennbare Zunahme der mit Fibeln ausgestatteten Gräber. Die Zwischengruppen799 der Altersklassen weisen jeweils weniger Individuen 800 auf, da sie sich lediglich aus den nicht exakt in eine Altersklasse eingruppierbaren Personen zusammensetzen. Auffallend ist der hohe Anteil der Gruppe „Kind“, die alle nicht genauer bestimmbaren Kinder zusammenfasst und zwischen Infans I und Infans II liegt. Aufgrund der anthropologischen Bestimmungsmethoden sollte diese Gruppe besonders klein ausfallen, da das Alter von Kindern anhand ihres Zahnstatus relativ genau ermittelbar ist. Generell wird die Altersbestimmung zunehmend ungenauer, je älter ein Individuum ist. In Bezug auf die Gräber mit Fibeln wiederholt sich das Bild der Hauptaltersklassen; es existieren mehr Gräber in den Zwischengruppen erwachsener Frauen als in denen der Mädchen. Gemäß den Fibelvorkommen in den Hauptaltersklassen stieg offenbar für Mädchen mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, Fibeln ins Grab zu bekommen. Ebenso sank sie mit zunehmendem Alter der bestatteten Personen wieder. Scheinbar erhielten primär adulte Frauen Fibeln. Da aber die absoluten Verteilungswerte wenig aussagekräftig sind801, erübrigt sich eine weitere Betrachtung dieses Diagramms. Auch können die hier gemachten Beobachtungen nicht als Beleg für eine Altersabhängigkeit der Fibelbeigabe herangezogen werden. 798 799 800 801

Infans I 18, Infans II 20, Juvenil 22, Adult 178, Matur 62, Senil 30 Individuen. Siehe hierzu Kap. 4.1.3. Kind 106, Älter Subadult 10, Juvenil-Adult 65, Adult-Matur 198, Matur-Senil 132 Individuen. Siehe die folgenden Kap. 4.2.2.2. und Kap. 4.2.2.3.

158

4 Empirische Studie

1400

1200

1000

Anzahl

800

600

400

1204

200

493 0

187

97

153

8

181

59

18

9

20

2

22

6

176 178

22

62

Altersklassen Keine Fibeln vorhanden

118

186

14

30

197

94 63

19

n= 3618

Fibeln vorhanden

Abb. 25: Absolute Verteilung der Gräber auf die Altersklassen.

4.2.2.2 Absolute Häufigkeiten und ihre Aussagekraft Wie sich anhand von Abhandlungen zur Statistik relativ schnell recherchieren lässt, geben relative Werte ein genaueres Bild der tatsächlichen Verteilung als absolute Werte dies tun: „Die absoluten Häufigkeiten hängen stark vom Umfang n der Erhebung ab, so daß sie sich nicht zum Vergleich von Erhebungen unterschiedlichen Umfangs eignen. Daher bietet es sich an, eine Größe zu suchen, die unabhängig vom Umfang n ist. Eine solche ist die relative Häufigkeit, […] die den prozentualen Anteil der Untersuchungseinheiten angibt […].“802 Gerade wenn man verschiedene Kategorien oder Gruppen an Artefakten oder Fundvergesellschaftungen miteinander vergleichen will, dürfen diese Vergleiche nicht auf Häufigkeiten oder absoluten Anzahlen beruhen. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass sich in einer Gruppe mehr Artefakte befinden als in anderen. Damit können diese Gruppen aber nicht mehr direkt anhand ihrer Artefaktanzahl miteinander verglichen werden. Entscheidend für einen Vergleich sind die Verhältniszahlen, also die prozentualen Werte.803 Man kann sich den Sachverhalt aber auch mit einem einfachen Rechenbeispiel vor Augen führen; 10 von 100 Objekten einer Gruppe sind

802 Hartung 2002, 20. 803 Drennan 2010, 70, Table 6.5.

159

4.2 Auswertung

prozentual gesehen weniger als zwei von 10 in einer anderen Gruppe, nämlich 10 % in der ersten zu 20 % in der zweiten Gruppe. Absolut betrachtet sieht es völlig anders aus (Tab. 19). Aus diesem Grund war es für die vorliegende Studie nötig, alle als weiblich bestimmbaren Individuen aufzunehmen, um so eine Referenzgruppe zu den Frauen mit Fibeln zu haben.  



Tab. 19: Illustrierendes Beispiel für die Aussagekraft und Verwendbarkeit von absoluten Häufigkeiten und prozentualen Werten. Anzahl insgesamt

Auswahl

Prozentualer Anteil

Gruppe 1

100

10

10 %

Gruppe 2

10

2

20 %





4.2.2.3 Prozentanteile fibelführender Gräber und Altersklassen Wie die Diagramme Abb. 26 bzw. Abb. 27 veranschaulichen, zeigt sich bei der prozentualen Verteilung der Fibelgräber auf die Gesamtzahl der weiblichen Bestattungen der jeweiligen Altersklasse keine überproportionale Häufung von adulten Frauen mehr. Sie sind sogar seltener mit Fibeln ausgestattet als die Senilen, die nach der absoluten Verteilung einen gravierend geringeren Wert aufweisen. Auch die nach den absoluten Daten signifikant häufiger vertretenen Maturen fallen nicht mehr weiter auf; ihr Anteil ist sogar etwas geringer als jener der Altersklasse Infans II, deren absolutes Vorkommen sich dagegen deutlich unterscheidet. Die relativ gesehen am häufigsten mit Fibeln bestatteten senilen Frauen fallen durch ihren niedrigen absoluten Wert auf. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass das absolute Vorkommen bestimmter Objekte keine Rückschlüsse auf die prozentuale Verteilung zulässt. Entscheidend – wie hier für die Frage nach der Häufigkeit von Fibelgräbern in den Altersklassen eindrücklich zu sehen – ist die relative Verteilung. Wie viele Individuen einer Altersklasse Fibelträgerinnen waren, lässt sich nur anhand der relativen Verhältnisse eruieren und vergleichen. Die prozentualen Werte der Hauptaltersklassen (Abb. 27)804 gruppieren sich alle sehr nah um den Mittelwert von 11,5 %, wobei insgesamt ein leichter Anstieg des Anteils von Gräbern mit Fibel von Infans I hin zu Senil zu beobachten ist.805 Da die  

804 Dieses Diagramm dient im Vergleich zu Abb. 26 der besseren Übersicht, indem die Zwischenaltersklassen nicht dargestellt werden. 805 Infans I: 8,8 %; Infans II: 11,6 %; Juvenil: 10,8 %; Adult: 12,9 %; Matur: 11,2 % ; Senil 13,9 %. Auch die häufiger vertretenen Zwischengruppen Kind, Juvenil-Adult, Adult-Matur und Matur-Senil fügen sich mit den Werten 8,5 %, 9,2 %, 11,1 % und 10,6 % in dieses Schema ein (siehe Abb. 26). Die Zwischengruppe Älter Subadult mit insgesamt nur 10 Individuen ist aufgrund dieser geringen Zahl statistisch nicht aussagekräftig und sollte nicht berücksichtigt werden. Der Mittelwert liegt bei 11,5 %, mit  





















160

4 Empirische Studie

40%

Anteile je Altersklasse

35%

30% 197

25% 8 20%

94 15%

153 10%

187

97

18

9

186

1204

181

176

493

118

22

62

14

59

5% 20

2

22

6

178

30

63

19

0%

n= 3618

Altersklassen Fibeln vorhanden

Keine Fibeln vorhanden

Abb. 26: Prozentuale Verteilung der Gräber auf die Altersklassen. Die Ziffern in den Balken geben die absoluten Werte je Altersklasse an. Die Skala ist zur besseren Übersichtlichkeit bei 40 % beschnitten.  

20% 18%

16% Anteile je Altersklasse

186 14%

1204 153

12% 10%

493

181

187

8% 6% 4%

2% 18

20

22

178

62

30

Infans I

Infans II

Juvenil

Adult

Matur

Senil

0%

Altersklassen

Keine Fibeln vorhanden

n= 2734

Fibeln vorhanden

Abb. 27: Prozentuale Verteilung der Gräber in den Hauptaltersklassen. Die Ziffern in den Balken geben die absoluten Werte je Altersklasse an. Die Skala ist zur besseren Übersichtlichkeit bei 20 % beschnitten.  

Zwischengruppen (Ohne Älter Subadult) bei 10,9 %. Zur Vollständigkeit und Repräsentativität der subadulten Altersklassen und dem angenommenen Kinderdefizit im Frühmittelalter: Kap. 4.1.3.3.  

4.2 Auswertung

161

Schwankungen sich in Grenzen halten, sollte dies als Hinweis darauf genommen werden, dass von einem verhältnismäßig gleichmäßigen Auftreten der Fibelgräber in allen Altersklassen ausgegangen werden kann. Denn entgegen vorherrschender Meinung806 wurden Kinder nicht signifikant seltener als erwachsene Individuen oder sogar gar nicht mit Fibeln bestattet. Dies zeigt besonders der Vergleich zwischen Infans II und Matur. Die Mädchen zwischen 7 und 14 Jahren erreichen mit einem Anteil von 11,6 % sogar einen höheren Wert als die maturen Frauen zwischen 40 und 60 Jahren, deren Anteil von Gräbern mit Fibeln bei 11,2 % liegt. Das relativ gleichmäßige Vorkommen von Fibelgräbern in allen Altersklassen spricht eindeutig gegen die Annahme, dass Frauen die Fibeln erst mit Erreichen eines bestimmten Alters erhielten.807 Denn nach der bisher gängigen Theorie dürften Mädchen der Altersklassen Infans I und II keine – oder nur die Älteren der Stufe Infans II sehr selten – Fibeln besessen haben. Von einigen Autoren808 wurde die Annahme geäußert, dass die Beigaben mit zunehmendem Alter der Frauen wieder weniger würden, da die zumeist senilen Frauen aufgrund ihrer Menopause keine herausragende Stellung in der Gesellschaft mehr einnähmen. Ihre über metallene Kleidungsbestandteile gezeigte soziale Stellung hätten sie demnach mit den entsprechenden Objekten an andere – der jüngeren Generation angehörende – Personen weitergegeben. Sollte die Beigabenmenge und -vielfalt mit der sozialen Stellung und der sich in den Wergeldsätzen der Leges widerspiegelnden Wertschätzung der entsprechenden Altersgruppe zusammenhängen, dann sollte sich ein deutliches Übergewicht von Fibeln in der Altersklasse Adult zeigen. Dies kann anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht bestätigt werden. Ganz im Gegenteil finden sich unter den ältesten Frauen die meisten mit Fibeln bestatteten Individuen. Anhand der Fibelverteilung lässt sich eine rein auf der Reproduktionsfähigkeit der Frauen beruhende soziale Stratifizierung nicht ableiten.  



4.2.3 Abnutzungsgrade und Altersklassen 4.2.3.1 Entwicklung des durchschnittlichen Abnutzungsgrades Sollte die Personengebundenheit der Fibeln und damit die Korrelation von Abnutzung und Alter tatsächlich im Frühmittelalter Bestand gehabt haben, müsste sich dies in der Entwicklungskurve des durchschnittlichen Abnutzungsgrades in den Alters-

806 Beispielsweise: Achter 2009, 163, 165; Donié 1999, 133, 136; Lohrke 2004, 27, 91f., 169; Martin 1987a, 278ff.; Stauch 2008, 287; Strauß 1992, 64, 68ff., 79; Vallet 1996a, 713. 807 Vermutet wurde ein Zusammenhang mit dem Erwachsenwerden, der Heiratsfähigkeit oder dem Erreichen des gebärfähigen Alters. 808 Vor allem Sebastian Brather (Kap. 2.2.1.10.) und Guy Halsall (Kap. 2.2.1.9.). Aber auch: Kars 2011, 43, 61, 82ff., 422, 424 (Vgl. Kap. 2.2.1.7); Lohrke 2004, 27, 169 (Vgl. Kap. 2.2.1.3); Stauch 2008, 288 (Vgl. Kap. 2.2.1.4.).

162

4 Empirische Studie

klassen zeigen. Zum Nachweis der These müsste der Wert des Durchschnittsabnutzungsgrads kontinuierlich ansteigen. Betrachtet man die Werte der empirischen Studie, so präsentiert sich ein anderes Bild (Abb. 28). Zwar zeigt sich ein genereller Anstieg der Durchschnittsgrade, doch gibt es deutliche Abbrüche und Sprünge im Verlauf, die nicht mit der These einer Personengebundenheit in Einklang zu bringen sind. Konkret handelt es sich um die Reduzierung des durchschnittlichen Abnutzungsgrads in den Altersklassen Juvenil und Senil809 sowie den deutlichen Anstieg zwischen Juvenil und Adult und in gewissem Maß auch den Anstieg hin zu Matur810. Die Anstiege in den Abnutzungsgraden lassen sich durchaus auch plausibel mit einer andauernden Benutzung der Fibeln und damit einer Korrelation zwischen Alter und Abnutzung in Verbindung bringen. Die Abfälle jedoch widersprechen einer Korrelation ganz entschieden. Hier müssen – selbst bei Annahme von persönlichem Besitz – neuwertige oder zumindest weniger abgenutzte Fibeln hinzugekommen sein, die den Durchschnittswert entsprechend absenken konnten, was nur durch einen Neuerwerb oder Austausch der Fibeln erfolgen konnte. Der Befund der durchschnittlichen Abnutzungsgrade in den Altersklassen stellt damit in seinem Verlauf ein sehr klares Argument gegen die These eines einheitlichen Erwerbungszeitpunktes in Verbindung mit lebenslangem Tragen und der Mitgabe ins Grab nach dem Tod der Trägerin dar.

I

II

Abb. 28: Entwicklung des durchschnittlichen Abnutzungsgrades je Altersklasse der erhobenen Studiendaten.

809 Um jeweils 0,12 Punkte. 810 Um 0,23 bzw. 0,15 Punkte.

4.2 Auswertung

163

4.2.3.2 Abnutzungsgrade in den Altersklassen Etwa zu dem Zeitpunkt als ich mich erstmals mit den Ergebnissen zur Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersklassen befasste, fand eine Wahl statt. Bei den in den Nachrichten gezeigten Wahlanalysen war auch von Interesse, wie sich die Verhältnisse der Parteien verschoben haben und wohin die Wählerstimmen abgewandert sind: Welche Parteien wurden dieses Mal gewählt, wie stark sind sie jeweils vertreten und welche Partei hat aus den Verlusten der anderen Parteien gewonnen? In diesem Zusammenhang kam mir die Idee, die Tabelle mit der prozentualen Verteilung der einzelnen Abnutzungsgrade auf die Altersklassen nach dem gleichen Schema zu betrachten (Tab. 20). Auch hier kann ermittelt werden, wohin sich die Verhältnisse und Mehrheiten verschoben haben. Die Anteile der Abnutzungsgrade verändern sich von einer Altersklasse in die nächste analog zu den Verlusten und Gewinnen politischer Parteien bei einer Wahl. Vom ersten zum zweiten „Wahlgang“, also von der Altersklasse Infans I zu Infans II, verlieren Abnutzungsgrad 1 und 4 Anteile an Grad 2. Im nächsten Schritt wandern Teile von Grad 3 in Grad 1 und Grad 4 ab. Von der Altersklasse Juvenil zu Adult gewinnt hingegen Grad 3 aus den Verlusten von Grad 1 und Grad 2. Danach verschieben sich die Anteile von Grad 2 hin zu Grad 3 und 4. Abschließend wandern erneut Teile von Abnutzungsgrad 3 zu den Abnutzungsgraden 1 und 4 ab (Tab. 21). Die Annahme vorausgesetzt, Fibeln seien persönlicher Besitz und wurden der Trägerin mit ins Grab gegeben, könnte dieses Bild dahingehend interpretiert werden, dass sich drei Wellen für den Erwerb neuer Fibeln feststellen lassen.811 Die erste Möglichkeit des Erwerbs bestünde bei Geburt. Die Fibeln wären während der Altersklassen Infans I und II in Gebrauch und ihre Abnutzung nähme entsprechend zu. Die zweite Welle ließe sich während der Adoleszenz ermitteln. Mit dem Wechsel von Infans II in die Altersklasse Juvenil bestünde die Möglichkeit, neue Fibeln zu erwerben, was das Ansteigen des Abnutzungsgrades 1 andeuten würde. Diese Möglichkeit wurde aber nicht von allen jungen Frauen wahrgenommen, da sich auch der Anteil sehr stark abgenutzter Fibeln (Grad 4) erhöht. Nach den höher werdenden Abnutzungsgraden in den Altersklassen Adult und Matur hätten diese Frauen ihre Fibeln nicht erneuert, sondern weiterhin in Gebrauch behalten. Beim Wechsel in die Altersstufe Senil bestünde die dritte Gelegenheit für einen möglichen Austausch der Fibeln. Diese Welle verläuft entsprechend der vorhergehenden Welle: ein Teil der Frauen hätte ihre Fibeln behalten, deren Abnutzung in der Folge anstieg; ein anderer Teil hätte neue Fibeln erworben, die dann im Befund nur eine geringe Abnutzung aufweisen. Auch bei den

811 Die Annahme einer Personengebundenheit stellt für mich eine reine Hypothese dar. Denn das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, genau diese Annahme auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Basierend auf empirischen Daten möchte ich eine sichere Antwort liefern, ob es sich um eine fälschliche Annahme handelt oder ob im Frühmittelalter Fibeln tatsächlich personengebunden waren.

164

4 Empirische Studie

durchschnittlichen Abnutzungsgraden der einzelnen Altersklassen lässt sich das Bild der drei Wellen erkennen (Abb. 28, s. o.).812  

Tab. 20: Prozentuale Verteilung der Abnutzungsgrade in den Altersklassen. Die Anzahl der Individuen findet sich in den Klammern. Altersklassen Infans I (16)

Infans II (19)

Juvenil (17)

Adult (155)

Matur (48)

Senil (27)

0,0 % (0)

5,9 % (1)

5,2 % (8)

8,3 % (4)

11,1 % (3)

23,5 % (4)

42,6 % (66) 56,3 % (27) 44,4 % (12)

Abnutzungsgrade Grad 4

6,3 % (1)

Grad 3

37,5 % (6) 36,8 % (7)

Grad 2

43,8 % (7) 57,9 % (11) 58,8 % (10) 47,1 % (73) 29,2 % (14) 29,6 % (8)

Grad 1

12,5 % (2) 5,3 % (1)

11,8 % (2)

5,2 % (8)

6,3 % (3)

14,8 % (4)

Durchschnittlicher Abnutzungsgrad je Altersklasse

2,32

2,23

2,46

2,61

2,49





















2,35





























Tab. 21: Prozentuale Verteilung der Abnutzungsgrade in den Altersklassen. Die Pfeile verdeutlichen die Anteilsverschiebungen von einer Altersklasse in die nächste, ähnlich den Verschiebungen der Wählerstimmen zwischen zwei Wahlen.

Altersklassen Infans I (16)

Infans II (19)

Juvenil (17)

Adult (155)

Matur (48)

Senil (27)

0,0 % (0)

5,9 % (1)

5,2 % (8)

8,3 % (4)

11,1 % (3)

42,6 % (66) 56,3 % (27) 44,4 % (12)

Abnutzungsgrade Grad 4

6,3 % (1)

Grad 3

37,5 % (6) 36,8 % (7)

23,5 % (4)

Grad 2

43,8 % (7) 57,9 % (11)

58,8 % (10) 47,1 % (73) 29,2 % (14) 29,6 % (8)

Grad 1

12,5 % (2) 5,3 % (1)

11,8 % (2)

5,2 % (8)

6,3 % (3)

14,8 % (4)

Durchschnittlicher Abnutzungsgrad je Altersklasse

2,32

2,23

2,46

2,61

2,49

2,35

812 Siehe vorhergehendes Kap. 4.2.3.1.

4.2 Auswertung

165

Allerdings handelt es sich bei diesen Überlegungen um eine Hypothese, deren Plausibilitätsgrad noch zu überprüfen ist. Eine stichhaltige Erklärung für das Auf und Ab der durchschnittlichen Abnutzungsgrade je Altersklasse stellt sie nicht dar. Gerade vor dem Hintergrund, dass eine Personenbezogenheit der Fibeln erst noch zu belegen ist, sind sämtliche darauf aufbauenden Überlegungen rein hypothetisch. Es sind weitere Überlegungen und Abgleiche zwischen den theoretischen Möglichkeiten und den Ergebnissen der empirischen Analyse nötig, um entsprechenden Thesen eine sichere argumentative Basis zu geben.

4.2.4 Anzahl der Fibeln je Individuum Überwiegend in den letzten zwei Jahrzehnten äußerten verschiedene Autoren die Ansicht, dass sich die Anzahl der Fibeln – und dabei besonders die der Bügelfibeln – in den einzelnen Altersklassen unterscheide.813 Nach dieser Auffassung seien für Kinder und Jugendliche eher einzelne Fibeln und keine Paare vorgesehen gewesen. Verschiedene Autoren verfassten hierzu auch Studien und Berechnungen, die als Beleg herangezogen wurden. Leider beruhen sämtliche Zusammenstellungen auf sehr geringen Zahlen oder es wurden absolute Zahlen verwendet. Oft treten beide Einschränkungen zusammen auf. Sie führen in allen Fällen dazu, dass die darauf basierenden Aussagen nicht als plausibel angesehen werden können und es somit keinen Beleg für eine Altersdifferenzierung anhand der Fibelanzahl gibt. Abgesehen von den geringen Zahlen und den nicht aussagekräftigen absoluten Werten scheint keine der Untersuchungen den Beraubungsstatus der betroffenen Gräber berücksichtigt zu haben. Aber für Aussagen zu eventuellen Unterschieden in der Anzahl der Fibeln ist es unumgänglich, sicherzustellen, dass nur mit ungestörten Gräbern argumentiert wird. Denn logischerweise kann bei einem beraubten Grab nicht ausgeschlossen werden, dass eine heute scheinbar fehlende Fibel ursprünglich nicht doch vorhanden war. Nicht bedacht wurden die Modalitäten, nach denen ein Fibelset aufgestockt wurde, wenn ein Mädchen bzw. eine Frau das Alter für ein Fibelpaar erreichte. In der Regel handelt es sich bei den frühmittelalterlichen Fibeln um extrem ähnliche bis gussgleiche Paare. Für eine Aufstockung von einer einzelnen Fibel zu einem Paar ab einem bestimmten Alter der Trägerin stehen drei Möglichkeiten im Raum. Einerseits kann die junge Frau das bisher zurückgehaltene zweite Exemplar ihres Fibelpaares nun ebenfalls tragen. Dies sollte sich in regelhaft unterschiedlichen Abnutzungsgraden zeigen, was aber anhand der hier zugrundeliegenden Materialsammlung nicht

813 Achter 2009; Brather 2004b; Brather 2007; Gutsmiedl-Schümann 2010; Haas-Gebhard 2010a; Haas-Gebhard/von Looz 2009; Lohrke 2004; Schach-Dörges 2005; Stauch 2008; Strauß 1992. Kritisch: Clauß 1987, 530.

166

4 Empirische Studie

belegt werden kann.814 Andererseits könnte dies ein Zeitpunkt für den Austausch und Neuerwerb der Fibeln sein. Das Einzelstück wäre durch ein neues Paar ersetzt worden. Unklar bleibt dabei, was mit der bisher getragenen einzelnen Fibel geschah. Die dritte Möglichkeit besteht darin, eine Fibel des Paares nicht ins Grab zu geben, obwohl es getragen wurde. Auch hier bleibt unklar, was mit der Fibel geschah, die nicht ins Grab gelangte.

Abb. 29: Übersicht zur Anzahl der Fibeln je Individuum in den einzelnen Altersklassen. Es wurden nur ungestörte und nicht beraubte Gräber berücksichtig.

Die empirisch erhobenen Daten der vorliegenden Studie könnten in Richtung einer Altersdifferenzierung der Fibelanzahl interpretiert werden (Abb. 29).815 Besonders die beiden Infans-Altersklassen weisen einen höheren Anteil von Individuen mit einer Fibel auf. Meines Erachtens ist dieses Bild aber trügerisch, da sich in diese beiden Altersklassen nur wenige Individuen eingruppieren ließen;816 es könnte also zu einem durch die geringen Zahlen bedingten verfälschten Bild kommen. Betrachtet man die häufiger vertretenen Altersklassen scheint sich vielmehr ein relativ ähnliches Verteilungsbild zu ergeben.817 Eine Fibel tritt bei etwa 40 % der Individuen einer Altersklasse auf, zwei Fibeln waren mit circa 30–35 % der Personen vergesellschaftet. Drei und  



814 Bügelfibelpaare weisen im Durchschnitt eine Differenz von 0,14 Graden auf, die Kleinfibeln von 0,2. Höhere Abweichungen lassen sich zumeist durch die schlechte Beurteilbarkeit einer oder beider betroffener Fibeln erklären. 815 Die Besprechung der Verteilung der Bügelfibeln erfolgt in Kap. 4.3.1. 816 12 bzw. 16 Individuen. 817 19, 146, 52 und 26 Individuen in den Altersklassen Juvenil, Adult, Matur und Senil.

4.2 Auswertung

167

vier Fibeln hingegen sind deutlich seltener vorhanden und erreichen Anteile von knapp 10 % bzw. 10–15 %. Dieses Verteilungsmuster lässt sich ab der Altersklasse Juvenil feststellen. Auch wenn die Altersklassen Juvenil und Senil nicht sehr viel mehr Individuen umfassen als die beiden Infans-Klassen, möchte ich doch das relativ einheitliche Muster in vier Altersklassen dahingehend interpretieren, dass es den Regelfall darstellt, der sich in den beiden Infans-Klassen aufgrund der kleineren Zahlen nicht abbildet.  



4.2.5 Fibelgrößen bei Kindern und Erwachsenen Vereinzelt postulierte die Forschung, Fibeln von Kindern seien an deren Körpergröße angepasst und deshalb kleiner.818 Damit die Mädchen die Fibeln tragen konnten, mussten diese eine altersgerechte Größe haben, weshalb entweder besonders kleine Bügelfibeln819 oder Kleinfibeln anstelle der Bügelfibeln820 für sie ausgewählt wurden. Bislang handelt es sich bei dieser Ansicht jedoch um eine eher theoretische Überlegung, die zwar auf einzelne Fundkomplexe zutrifft, aber an keiner größeren Serie empirisch untersucht wurde. Ein Abgleich der Fibelgrößen mit den Daten der vorliegenden Studie erbrachte für die Bügelfibeln keine geringeren Längen bei den mit Subadulten vergesellschafteten Exemplaren (Abb. 30). Den Mädchen wurden also nicht grundsätzlich kleinere Bügelfibeln ins Grab gegeben als den erwachsenen Frauen. Auch die Annahme, dass die Mädchen anstatt einem Bügelfibelpaar ein Kleinfibelpaar besaßen, lässt sich nicht verifizieren. Sollten Mädchen eher Kleinfibeln bekommen haben, so müsste sich das in der Häufigkeit des Auftretens von Bügelfibeln im Verhältnis zum generellen Auftreten von Fibeln in den Altersklassen zeigen (Abb. 31).821 Da sich unter den Kindergräbern aber kein signifikant höherer Anteil an Gräbern mit Fibeln, aber ohne Bügelfibeln findet, kann diese Annahme ebenfalls nicht bestätigt werden. Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Vermutung einer regelhaft altersangepassten Größe der Fibeln um eine These handelt, die nicht bestätigt werden kann.

818 Brather-Walter 2009, 77; Donié 1999, 136; Haas-Gebhard 2010c, 22; Haas-Gebhard 2010a, 151; Haas-Gebhard 2010b, 149; Koch 1998, 526; Lohrke 2004, 96, 135ff.; Walter 2004, 46. 819 Haas-Gebhard 2010c, 22; Haas-Gebhard 2010a, 151; Haas-Gebhard 2010b, 149; Koch 1998, 526; Walter 2004, 46. 820 Brather-Walter 2009, 77; Lohrke 2004, 96, 135ff.; Walter 2004, 46. 821 Hierzu auch Kap. 4.3.1.1.

168

4 Empirische Studie

Anzahl der Bügelfibeln entsprechender Länge

50 45

40 35

30 25

20 15

10 5 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

16

Senil

0

0

0

4

2

5

3

6

0

0

0

0

0

0

2

Matur

0

1

2

0

4

10

2

2

4

0

3

1

0

0

0

Adult

2

1

7

7

11

22

19

15

8

5

3

2

4

1

0

Juvenil

0

0

0

1

1

2

0

2

2

0

0

1

0

0

0

Infans II

0

1

1

1

0

3

0

2

0

0

0

0

0

0

0

Infans I

0

0

1

0

0

3

0

2

0

0

0

0

0

0

0

Länge der Bügelfibeln, auf ganze cm gerundet

n= 181

Abb. 30: Auftreten der verschiedenen Bügelfibellängen in den Altersklassen. 20% 18% 16% 186

Anteile der Gräber

14%

1204 153

12%

10%

493

181 187

8% 17

6% 117 14

4% 13

45

16

2% 5

6

6

61

17

13

Infans I

Infans II

Juvenil

Adult

Matur

Senil

0%

n= 2734

Altersklassen Gräber mit Bügelfibeln

Gräber mit Fibeln (ohne Bügelfibeln)

Gräber ohne Fibeln

Abb. 31: Das Auftreten von Gräbern mit Bügelfibeln sowie Gräbern mit Fibeln, jedoch ohne Bügelfibeln und Gräbern ohne Fibeln in den Altersklassen. Die Werte von Gräber mit Fibeln und Gräber mit Bügelfibeln müssen addiert werden, um die gesamte Anzahl von Gräbern mit Fibeln je Altersklasse zu erhalten. Die Skala ist zur besseren Übersichtlichkeit bei 20 % beschnitten.  

169

4.3 Detailuntersuchungen

4.3 Detailuntersuchungen Die im Zusammenhang mit der Personengebundenheit genannten Thesen beziehen sich meist nur auf die Bügelfibeln. Es gibt zwar meines Erachtens plausible Gründe, in der Debatte alle merowingerzeitlichen Fibeln zu berücksichtigen.822 Da aber bislang der Schwerpunkt der Diskussion auf den Bügelfibeln lag, möchte ich mich im Folgenden ebenfalls nur auf diese konzentrieren und allein deren Verteilungsmuster untersuchen. Damit kann auch ausgeschlossen werden, dass Bügelfibeln tatsächlich anderen Regeln unterlagen als die übrigen Fibelformen jener Zeit. Ähnliches gilt für die Betrachtung der Gräber mit Vierfibelkombination und die selektive Untersuchung der Verhältnisse bei subadulten Individuen. In allen drei Fällen können so spezielle Fragen geklärt werden, die teils ausschließlich an die jeweilige Auswahl an Fibeln bzw. Individuen gestellt werden, teils aber auch für die gesamte hier behandelte Fragestellung von Relevanz sind.

4.3.1 Bügelfibeln 4.3.1.1 Vorkommen in den Altersklassen Unter den aufgenommenen Gräbern der Studie befinden sich 153 Gräber mit Bügelfibel(n), davon verteilen sich 108 auf die sechs Hauptaltersklassen. Der bereits bei allen Fibeln festgestellte Trend mit seinen Wellenbewegungen823 bildet sich auch hier ab, logischerweise in deutlich geringeren Anteilen (Abb. 31, Kap. 4.2.5).824 Insgesamt nimmt der Anteil von Bügelfibeln mit zunehmendem Alter der Frauen zu, er unterliegt aber den genannten Schwankungen. So erhöht er sich von 2,4 % bei Infans I auf 3,5 % in der Altersklasse Infans II, um danach auf 3,0 % bei den Juvenilen abzufallen. Mit dem Wechsel in die Gruppe der Adulten steigt der Bügelfibelanteil auf 4,4 %, sinkt bei maturen Frauen auf 3,1 % ab, um zum Schluss seinen Höchstwert von 6,0 % in der Altersklasse Senil zu erreichen. Der durchschnittliche Anteil an Bügelfibeln in den Altersklassen beträgt 3,7 %. Die Anteile von Gräbern mit Bügelfibeln innerhalb der Gruppe von Gräbern mit Fibeln liegen im Durchschnitt bei etwa einem Drittel (32 %). Die Anteile in den Altersklassen steigen auch hier, aller 















822 Siehe Kap. 4.1.6. 823 Siehe Kap. 4.2.2. 824 Bei der Betrachtung der hier angegebenen Werte gilt zu beachten, dass aus methodischen Gründen in der Referenzgruppe sämtliche weiblich bestimmten Individuen enthalten sind. Eine verlässliche chronologische Filterung nach den zeitgleich mit dem Auftreten der Bügelfibeln Lebenden ist nicht möglich. Die genannten Werte sind in der Folge sicher zu niedrig. In welchen Dimensionen sich dieser Unterschied bewegt, lässt sich dabei leider nicht feststellen. Der Aussagekraft in Bezug auf die Verhältnisse zwischen den Altersklassen tut dies aber keinen Abbruch, da die Einschränkungen für alle Altersstufen gleichermaßen gelten.

170

4 Empirische Studie

dings mit deutlicheren Schwankungen, mit zunehmendem Alter der Frauen an.825 Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass Bügelfibeln bei Kindern nicht signifikant seltener auftreten, als sie es bei Erwachsenen tun.826 100%

1

1

90% 80% 1

Anteile je Altersklasse

70%

2 60% 3

50% 40% 30%

12

9

40

20% 10% 2

3

3

10

4

3

Infans I

Infans II

Juvenil

Adult

Matur

Senil

0%

n= 94

Altersklassen Einzelne Bügelfibel

Bügelfibelpaar

Drei Bügelfibeln

Vier Bügelfibeln

Abb. 32: Anzahl der Bügelfibeln je Grab in den ungestörten Gräbern der Studie.

Eine Altersdifferenzierung in der Anzahl der Bügelfibeln je Individuum scheint auf den ersten Blick gegeben (Abb. 32).827 Allerdings enthalten die subadulten Altersklassen sehr wenige Individuen828, so dass ein Fehler der kleinen Zahl nicht ausgeschlossen werden kann. Die Anteile in den erwachsenen drei Altersklassen liegen grob zwischen 20 % und 25 %. Das Ungleichgewicht in den Individuenzahlen zwischen Subadulten und Erwachsenen macht eine Gegenüberstellung dieser beiden Gruppen schwierig. Es lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob Erwachsene häufiger zwei Bügelfibeln besaßen als es bei Kindern der Fall ist. Das Diagramm vermittelt eher den Eindruck, dass sich die Anteile mit einer Bügelfibel mit zunehmender Individuenzahl bei den erwähn 



825 Infans I: 28 %, Infans II: 30 %, Juvenil: 27 %, Adult: 34 %, Matur: 27 %, Senil: 43 %. 826 Zur Vollständigkeit und Repräsentativität der subadulten Altersklassen und dem angenommenen Kinderdefizit im Frühmittelalter: Kap. 4.1.3.3. 827 Für dieses Diagramm wurden nur die nicht gestörten oder beraubten Gräber berücksichtigt, da nur bei einer ungestörten Befundlage ausgeschlossen werden kann, dass ein Grab mit einer einzelnen Bügelfibel ursprünglich nicht doch eine zweite enthielt. 828 3 Individuen der Altersklasse Infans I, zur Klasse Infans II gehören 5 und zu den Juvenilen 6 Individuen. Im Gegensatz zu 52 adulten, 16 maturen und 12 senilen Frauen. Siehe Kap. 4.1.3.3. zur Frage der kompletten Erfassung der Kindergräber.  











171

4.3 Detailuntersuchungen

ten 20–25 % der Erwachsenen einpendeln. Phänomene wie die drei und vier Bügelfibeln je Grab der Altersgruppe Adult sind sehr seltene Ausnahmen, ihr Auftreten ist wohl eher zufällig, spricht aber ebenfalls für die zu geringe Datenbasis der Subadulten.  

4.3.1.2 Abnutzungsgrade und Altersklassen Für die Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersklassen konnten aus den Hauptaltersklassen 91 Gräber mit Bügelfibeln berücksichtigt werden (Abb. 33). 100% 4

1

90%

2 2

Anteil der Abnutzungsgrade

80%

70%

3

25 7

3

60%

3

50%

3

40% 30%

4 22

20%

2

4

1

10%

1 2

0%

Infans I

Infans II

Juvenil

Adult

1

1

Matur

Senil

n= 91

Altersklassen Grad 1

Grad 2

Grad 3

Grad 4

Abb. 33: Prozentuale Verteilung der Abnutzungsgrade von Bügelfibeln auf die Altersklassen.

In Bezug auf die subadulten Altersklassen lassen sich keine sicheren Aussagen treffen, da jeder Altersklasse nur wenige Individuen829 angehören. Auch die Gruppen der Maturen und Senilen sind mit 13 bzw. 10 Individuen nicht sehr häufig und Aussagen zur Verteilung der Abnutzungsgrade entsprechend unsicher. Insgesamt zeigt sich aber ein ähnliches Bild wie bei der Verteilung der Abnutzungsgrade aller Fibeln: Die Abnutzungsgrade 2 und 3 treten am häufigsten auf, die beiden Extreme Grad 1 und Grad 4 sind seltener und treten erst ab einem gewissen Umfang der Altersklasse regelhaft auf. Ob Grad 4 dabei tatsächlich nur bei erwachsenen Frauen auftritt oder ob dieser Befund Zufall ist und mit der Auswahl der Datenbasis zusammenhängt, ist nicht zu entscheiden. Auch die Verhältnisse der Abnutzungsgrade untereinander innerhalb

829 Infans I: 5 Individuen, Infans II: 6 Individuen, Juvenil: 4 Individuen. Auch hier gilt die Annahme einer vollständigen Erfassung der Kindergräber, hierzu Kap. 4.1.3.3.

172

4 Empirische Studie

der jeweiligen Altersklasse sind durch die geringen Individuenzahlen mit Unsicherheiten behaftet. In keiner Altersklasse hat jedoch einer der Abnutzungsgrade ein deutliches Übergewicht im Vergleich zu seinem direkten „Gegenspieler“, also Grad 2 zu Grad 3 und Grad 1 zu Grad 4. Offensichtliche Korrelationen von Alter und Abnutzung sind nicht zu erkennen.

4.3.2 Vierfibelkombination Gelegentlich findet sich die Hypothese, Vierfibelkombinationen – also die Vergesellschaftung von einem Bügelfibelpaar und einem Kleinfibelpaar – seien allein bei erwachsenen Frauen zu finden.830 Meist wird diese Ansicht in Verbindung mit einer Beschränkung der Bügelfibeln auf erwachsene Frauen geäußert. Auf die Frage einer Altersbeschränkung der Bügelfibeln wurde bereits eingegangen, sie konnte am empirischen Material dieser Studie nicht nachgewiesen werden.831 Das folgende Kapitel zur Vierfibelkombination widmet sich generellen Fragen zu deren Altersverteilung, zusätzlich steht aber auch die Frage nach einem unterschiedlichen Erwerbungszeitpunkt für Bügel- und Kleinfibeln im Raum. In Kapitel 4.3.2.4. wird eruiert, ob sich anhand abweichender Abnutzungsgrade eine zeitliche Differenz zwischen dem Erwerb von Kleinfibeln und Bügelfibeln nachweisen lässt.

4.3.2.1 Vorkommen in den Altersklassen Gräber mit der Beigabe einer Kombination aus einem Bügelfibelpaar und einem Kleinfibelpaar fanden sich gesichert in 53 Gräbern der Stichprobe, in den sechs Hauptaltersklassen sind es 37 Gräber. Es ist davon auszugehen, dass sich unter den beraubten und gestörten Gräbern noch einige weitere solcher Gräber befanden, doch sind diese nicht eindeutig zu ermitteln. Es würde zu weit gehen, für jedes gestörte Grab mit Bügelfibel(n), das ein Fibelpaar und eine weitere einzelne Fibel enthält, automatisch eine ursprünglich vorhandene Vierfibelkombination vorauszusetzen. Von den 37 Gräbern der Hauptaltersklassen mit Vierfibelkombination gehören allein 26 in die Altersklasse Adult, sodass die weiteren Altersklassen jeweils mit sehr wenigen Gräbern vertreten sind (Abb. 34). Ein Grab mit Vierfibelkombination mehr oder weniger würde bei dieser Konstellation einen großen Einfluss auf die Anteile in den Altersklassen haben, wodurch fundierte Aussagen zur Altersverteilung schwierig sind. Nimmt man das sich aus der Stichprobe ableitende Verteilungsbild als korrekt an, zeigen die Anteile von Vierfibelkombinationen in den Altersklassen in etwa ein ähnliches Auf und Ab wie jene für alle Fibeln.

830 Schach-Dörges 2005, 350; Stauch 2008, 287f.; Strauß 1992, 77ff. 831 Kap. 4.2.5, Abb. 31 und Kap. 4.3.1.

4.3 Detailuntersuchungen

173

Eine Beschränkung auf erwachsene Altersklassen, wie von manchen Autoren angenommen, kann aber auch mit dem vorliegenden Befund widerlegt werden. Die Vierfibelkombination ist kein Phänomen erwachsener Frauen.

Abb. 34: Vorkommen von Vierfibelkombinationen im Verhältnis zum Auftreten von Fibeln generell. Die Werte von Fibeln vorhanden und Vierfibelkombination müssen addiert werden, um die gesamte Anzahl von Gräbern mit Fibeln je Altersklasse zu erhalten. Die Skala ist zur besseren Übersichtlichkeit bei 20 % beschnitten.  

4.3.2.2 Drei oder vier Fibeln? Ein interessantes Detail dieser Auswertung ist das sehr deutliche Ergebnis, dass nicht immer eine Vierfibelkombination im Grab intendiert war, wie jedoch teils postuliert wird832. In der Stichprobe befinden sich 24 Gräber mit drei vorhandenen Fibeln, die durch das Vorkommen von einer oder zwei Bügelfibel(n) als mögliche Gräber mit Vierfibelkombination in Frage kämen (Tab. 22). Von diesen 24 Gräbern sind allerdings 14 weder beraubt noch anderweitig gestört, bei einem weiteren kann eine Störung nicht ganz sicher ausgeschlossen werden. Zwei sind nicht beraubt und lediglich durch Tiere gestört. Ein weiteres Grab ist nicht beraubt, aber durch Tiere und modern gestört. Auf der anderen Seite stehen zwei gestörte und beraubte Gräber. Für vier Gräber konnten keine Angaben gemacht werden. Offenbar war in den meisten Fällen trotz des Auftretens von einer oder zwei Bügelfibeln keine Vierfibelkombination vorgesehen. Die Mög-

832 Koch 2001, 72; Martin 1991, 633; Schach-Dörges 2005, 349, 355.

174

4 Empirische Studie

lichkeit, eine Kombination aus drei Fibeln ins Grab zu bekommen, war durchaus keine Seltenheit. Eine „unvollständige“ Vierfibelkombination war also offensichtlich oft beabsichtigt833 und entspricht nicht einem durch äußere Faktoren verfälschten Bild. Tab. 22: Gräber mit drei Fibeln, die eventuell Vierfibelkombinationen enthalten haben könnten. Aufgeführt sind die Fibeltypen sowie Beraubungen und Störungen. Grabnummer Typ Fibel 1

Typ Fibel 2

Typ Fibel 3

Beraubung Störung (laut Katalog) (laut Katalog)

Alte1237

Bügelfibel

Bügelfibel

S-Fibel

nein

ja, modern und Tiere

Alte146

Bügelfibel

Bügelfibel

Vogelfibel

nein

nein

Alte192

Bügelfibel

Bügelfibel

S-Fibel

nein

nein

Alte485

Bügelfibel

Bügelfibel

Vogelfibel

nein

ja, Tiere

Alte521

Bügelfibel

Bügelfibel

Vogelfibel

nein

ja, Tiere

Alte568

Bügelfibel

Vogelfibel

Vogelfibel

nein

nein

AschB127

Bügelfibel

Bügelfibel

Granatnein scheibenfibel

nein

AschB166

Granatscheibenfibel

Granatscheibenfibel

Bügelfibel

nein

nein

AschB167

S-Fibel

S-Fibel

Bügelfibel

nein

nein

AschB224

Bügelfibel

S-Fibel

S-Fibel

nein

nein

AschB265

Bügelfibel

Bügelfibel

S-Fibel

nein

nein

AschB290

Bügelfibel

Granatscheibenfibel

S-Fibel

nein

nein

Aubi219

Vogelfibel

Vogelfibel

Bügelfibel

?

?

Aubi223

Vierpassfibel

Bügelfibel

Bügelfiebel

?

?

Aubi247

Vogelfibel

Bügelfibel

Bügelfibel

?

?

Aubi303

Granatscheibenfibel

Bügelfibel

Bügelfibel

?

?

Hemm11

Bügelfibel

Bügelfibel

Vogelfibel

nein

nein

Meng41

Granatscheibenfibel

Granatscheibenfibel

Fibelfuß

nein

nein ?

MüPerl2

Miniaturbügelfibel Miniaturbügelfibel Bügelfibel

nein

nein

833 Gerade in der Frühphase im 5. Jh./der Zeit um 500. Aber auch danach war eine Vierfibelkombination nicht kanonisch vorgeschrieben.

175

4.3 Detailuntersuchungen

Tab. 22: (fortgesetzt) Grabnummer Typ Fibel 1

Typ Fibel 2

Typ Fibel 3

Beraubung Störung (laut Katalog) (laut Katalog)

MüPerl3

Pferdchenfibel

Pferdchenfibel

Bügelfibel

nein

nein

Nere96

Bügelfibel

Pferdchenfibel

Pferdchenfibel nein

nein

Plei139

Granatscheibenfibel

Granatscheibenfibel

Bügelfibel

ja

ja, antik

Plei61

Scheibenfibel, massiv Silber

S-Fibel

Bügelfibel

nein

nein

Plie14

Bügelfibel

Vogelfibel

Vogelfibel

ja

ja, antik

4.3.2.3 Abnutzungsgrade und Altersklassen Für 34 Gräber mit Vierfibelkombination konnten die Abnutzungsgrade der Fibeln bestimmt werden (Abb. 35).834 Die Verteilung der Abnutzungsgrade je Grab auf die 100%

1

90%

1

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

80% 1

12

70% 60% 50%

1

2

2

40% 30% 11

1

20% 1

10% 1

0% Infans I

Juvenil

Adult

Matur

n= 34

Altersklassen Grad 1

Grad 2

Grad 3

Senil

Grad 4

Abb. 35: Verteilung der Abnutzungsgrade in den Altersklassen bei Gräbern mit Vierfibelkombination.

834 Von den hier verwendeten 34 Gräbern waren nicht bei allen sämtliche vier Fibeln zu begutachten. Aus den vorliegenden Abnutzungsgraden für die Fibeln wurden trotzdem Abnutzungsgrade für die Gräber errechnet.

176

4 Empirische Studie

Altersklassen lässt lediglich eine Aussage zu: Es benötigt eine gewisse Anzahl von Gräbern je Altersklasse, damit alle Abnutzungsgrade erscheinen. Nach dem Verteilungsbild trifft dies nur für die mit 25 Gräbern vertretene Altersklasse Adult zu. Alle anderen Altersklassen sind so selten, dass das Auftreten der Abnutzungsgrade dem Zufall überlassen ist. 4.3.2.4 Unterschiedliche Abnutzung bei Bügel- und Kleinfibeln? Um einen Vergleich zwischen den beiden Fibelpaaren einer Vierfibelkombination zu erstellen, wurden nur die Gräber verwendet, bei denen für alle vier Fibeln ein Abnutzungsgrad ermittelt werden konnte. Von den 37 Gräbern der bisherigen Auswertung zur Vierfibelkombination liegen teils nicht für alle Fibeln Werte vor. Die Datenmenge reduziert sich deshalb für einen Vergleich der durchschnittlichen Abnutzung der beiden Fibelpaare auf 23 Gräber, davon allein 17 in der Altersklasse Adult. Die Differenzen zwischen den Paaren schwanken von 0,1 bis 1,9 Graden; die Spannweite ist also sehr groß (Abb. 36).

Abb. 36: Höhe und Häufigkeit der Differenz der Abnutzungsgrade zwischen Bügelfibelpaar und Kleinfibelpaar bei Gräbern mit Vierfibelkombination.

Nach dem vorliegenden Verteilungsbild scheint es, dass die geringeren Differenzen zwischen den Paarabnutzungsgraden häufiger sind. Dies wäre ein Hinweis darauf, dass die beiden Fibelpaare nicht zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erworben wurden. Doch aufgrund der kleinen Datenmenge sind dies nur Tendenzen, die nicht als gesichert angesehen werden können. Allerdings sprechen auch die Ergebnisse aus der

4.3 Detailuntersuchungen

177

Betrachtung der Bügelfibeln835 dafür, dass es keinen unterschiedlichen Erwerbungszeitpunkt gibt, denn diese sind nicht nur mit erwachsenen Frauen vergesellschaftet. Ein Erwerb der Bügelfibeln als Bestandteil einer Vierfibelkombination erst mit Erreichen eines bestimmten Alters kann schon von dieser Seite her ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist es auch keinesfalls die Regel, dass das Bügelfibelpaar einer Vierfibelkombination das weniger abgenutzte Paar ist. Ganz im Gegenteil sind in der vorliegenden Stichprobe in der Hälfte der Fälle die Kleinfibeln weniger abgenutzt als die Bügelfibeln und müssten bei gleicher Abnutzungsfrequenz zu einem späteren Zeitpunkt erworben worden sein (Tab. 23).836 Die empirischen Daten der Stichprobe ergeben ein sehr variables Bild, das keine klaren Regeln erkennen lässt. Offenbar unterlagen die Frauen keinen festen Vorgaben. Sie konnten – sofern sie eine Vierfibelkombination haben wollten – die Fibelpaare zeitgleich oder mit deutlichem Abstand erwerben. Auch die Reihenfolge der Anschaffung war nicht vorgegeben; es musste nicht erst ein Kleinfibelpaar vorhanden sein, bevor man ein Bügelfibelpaar erwerben durfte. Tab. 23: Differenz der Abnutzungsgrade zwischen Bügelfibelpaar und Kleinfibelpaar bei Gräbern mit Vierfibelkombination. Grabnummer Abnutzung Bügelfibelpaar

Abnutzung Kleinfibelpaar

Differenz zwischen Abgenutzteres den Paaren Fibelpaar

Aldi1

1,39285714

1,3

0,09

BF

Aldi18

3

1,125

1,88

BF

Alte256

2,39285714

2,73015873

0,34

KF

Alte31

1,58333333

2,125

0,54

KF

Alte625

2,70454545

1,87301587

0,83

BF

AschB93

2,31818182

2,75

0,43

KF

AschW6

2,44117647

3,25892857

0,82

KF

Aubi300

2,45454545

3,07142857

0,62

KF

Ditt51

2,15

2,34722222

0,20

KF

Donz78

3,30769231

3,75

0,44

KF

Frid152

2,25

3,125

0,88

KF

Hemm20

2,51048951

2,20535714

0,31

BF

Meng12

1,76923077

1,88888889

0,12

KF

Meng135

3,53125

2,77777778

0,75

BF

835 Kap. 4.3.1. 836 In 14 Fällen sind die Bügelfibeln das stärker abgenutzte Paar, in 15 sind es die Kleinfibeln.

178

4 Empirische Studie

Tab. 23: (fortgesetzt) Grabnummer Abnutzung Bügelfibelpaar

Abnutzung Kleinfibelpaar

Differenz zwischen Abgenutzteres den Paaren Fibelpaar

Nere49

3,22252747

2,8

0,42

BF

Plei115

3,2

2,875

0,33

BF

Plei140

3,03846154

1,83333333

1,21

BF

Plei81

3,39285714

1,80357143

1,59

BF

Plei89

2,73333333

3,3125

0,58

KF

Plei9

3

2,5

0,50

BF

Wein111

2,03846154

2,1

0,06

KF

Wein194

1,61764706

3

1,38

KF

Wein215

3,07142857

2,94444444

0,13

BF

Wein241

3,34761905

2,38888889

0,96

BF

Wein242

2,65238095

3,0625

0,41

KF

Wein567

3,21875

2,70833333

0,51

BF

Wein668

2,25

3,52678571

1,28

KF

Wein676

2,04120879

3,3

1,26

KF

Wein770

2,73901099

2,08333333

0,66

BF

4.3.3 Subadulte Individuen Das folgende Kapitel widmet sich speziell den subadulten Individuen.837 Dies begründet sich einerseits in der zu prüfenden These des Fibelerwerbs im zweiten Lebensjahrzehnt, aber auch in der methodisch bedingt genaueren Altersbestimmung der Kinder und Jugendlichen. Zu den Subadulten zählen hier auch jene Individuen, die als „Anfang Adult/ 18–20 Jahre“, „Spätjuvenil-Frühadult“, „Frühadult/18–21 Jahre“ oder „18–25“ bzw. „18–30“ angegeben wurden. Zwar reichen die Angaben teilweise sehr weit in die Altersklasse Adult hinein, decken aber auch einen Teil der Klasse Juvenil ab, weshalb sie hier mit einbezogen wurden.

837 In diesem Zusammenhang ist die Repräsentativität der dokumentierten Kindergräber entscheidend: Kap. 4.1.3.3.

179

4.3 Detailuntersuchungen

4.3.3.1 Vorkommen in den Altersklassen Die Verteilung der Fibeln auf die Altersklassen wurde bereits in Kapitel 4.2.2. angesprochen. Hier wurden zusätzlich die in der Regel nicht berücksichtigten Zwischenaltersklassen hinzugenommen (Abb. 37).

Prozentuale Anteile je Altersklasse

30%

25%

8 20%

15% 153 10%

187

97

18

9

181 59

5% 20

2

22

6

0%

n= 762

Altersklassen

Fibeln vorhanden

Keine Fibeln

Abb. 37: Vorkommen von Fibeln in Gräbern subadulter Individuen. Die Skala ist zur besseren Übersichtlichkeit bei 30 % beschnitten.  

Die drei subadulten Hauptaltersklassen weisen einen Anteil von Fibelgräbern auf, der von 8,8 % über 11,6 % auf 10,8 % ansteigt. Die beiden etwas häufiger vertretenen Zwischenaltersklassen „Kind“ und „Juvenil-Adult“ liegen ebenfalls mit Werten von 8,5 % und 9,2 % in diesem Bereich, zeigen in Übereinstimmung mit den drei Hauptaltersklassen eine Annäherung an den Gesamtdurchschnitt 11,5 % und können damit als Bestätigung für die Annahme eines generell für alle Altersklassen konstanten Anteiles von Gräbern mit Fibeln herangezogen werden.  











4.3.3.2 Abnutzungsgrade und Altersklassen Eine feinere Unterteilung der Altersklassen in Dreijahresschritten bietet sich durch die meist genauere Altersbestimmung der subadulten Individuen an. Die kürzeren Altersspannen ermöglichen eine bessere Ablesbarkeit eventueller altersbedingter Entwicklungen und Veränderungen. Für die Einteilung in das vorliegende Diagramm (Abb. 38) wurde aus dem jeweils angegeben Altersbereich für jedes Individuum der Medianwert herangezogen und dieser dann einer Altersgruppe zugeordnet.

180

4 Empirische Studie

So wurde beispielsweise für den Altersbereich 7–13 Jahre der Medianwert 10 gebildet und das entsprechende Individuum der Altersgruppe 10–12 Jahre hinzugezählt. Ein auf 4–6 Jahre geschätztes Mädchen wiederum wäre aufgrund des Medianwertes 5 in der Gruppe der 4–6jährigen. Natürlich entsprechen die so gebildeten Medianwerte und die daraus resultierenden Gruppeneinteilungen nicht der Realität, sie sollten aber dennoch die entscheidenden Trends und Entwicklungen aufzeigen können. Auch bei der Untergliederung in kürzere Altersabschnitte zeigt sich das bekannte Bild, dass die beiden „Extreme“ Grad 1 und Grad 4 eher selten auftreten. Ihre Altersverteilung ist dabei so breit gefächert, dass eine Häufung ab einer Altersgruppe nicht angenommen werden kann. Demnach bestand auch kein Altersbezug, der die Mitgabe ins Grab regelte. Die eigenen Fibeln ab dem zweiten Lebensjahrzehnt können anhand der empirischen Studie nicht nachgewiesen werden. Ganz im Gegenteil zeigt sich erneut, dass es in jeder Altersklasse jeden Abnutzungsgrad gab und sich eine Alterskorrelation nicht belegen lässt. 100%

1 1

90%

Anteile der Abnutzungsgrade

4

3

80% 3 70%

1

7 6

2

60% 50%

1

40% 30%

3

5 2

8

4 7

20% 10%

1 1

2

1-3 Jahre

4-6 Jahre

1

1

0% 7-9 Jahre

10-12 Jahre

13-15 Jahre

16-18 Jahre

Grad 2

Grad 3

Abb. 38: Verteilung der Abnutzungsgrade bei subadulten Individuen.

22-24 Jahre n= 64

Altersgruppen Grad 1

19-21 Jahre

Grad 4

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

181

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln 4.4.1 Entstehung Über die genauen Mechanismen, wie die Abnutzung an den Fibeln entstand, ist bisher nicht viel geforscht worden. Bügelfibeln im Oberschenkelbereich wurden häufig mit dem Gürtelgehänge assoziiert und die Abnutzung der Fibeln durch die metallenen Bestandteile des Gehänges erklärt, die bei jeder Bewegung der Trägerin gegeneinander schlugen.838 In diesem Fall wären deutliche Dellen und Kratzer an den Fibeln zu erwarten, bei an der Kleidung angehefteten Fibeln nur auf der Vorderseite, bei sich frei am Gehänge befindenden Fibeln auch auf der Rückseite. Diese Erklärung kommt jedoch nur für die tiefer angebrachten Bügelfibeln in Frage, besonders an den von keinen anderen Metallteilen umgebenen Kleinfibeln müssen andere Mechanismen für die Abnutzung verantwortlich gewesen sein. Betrachtet man die Abnutzungsspuren an den Fibeln genauer, so fällt auf, dass sich nur selten Kratzer und fast keine Dellen nachweisen lassen; durch einen großen Bewegungsspielraum aufeinanderschlagende Metallgegenstände sind damit eher auszuschließen. Vielmehr haben die Fibeln eine annähernd poliert erscheinende, gleichmäßig abgeriebene Oberfläche. Es muss sich um einen feinen Abschliff gehandelt haben, der eine ebene Oberfläche ohne sichtbare einzelne Strukturen hinterließ. Dies deutet eher auf weichere Materialien oder eine direkte Metall-Metall-Verbindung839 hin, die durch stete Reibung den nachweisbaren Materialverlust verursachten. Meines Erachtens wäre es denkbar, dass ausschließlich die mit den Fibeln in Berührung kommenden Textilien für den Abrieb verantwortlich waren.840 Da die Fibeln rundum von Textil umgeben waren, wie die ankorrodierten Reste belegen841, kann es durch diese Textilien auch rundum zu Abrieb gekommen sein. Nach den Aussagen der Textilreste bedeckte die Bügelfibeln ein mindestens knielanger Mantel, der den Abrieb der Fibelvorderseite verursacht haben könnte.842 Als Beleg für eine Abnutzung durch die Textilien werte ich die Ergebnisse meiner Studie. Denn bei allen Fibeltypen sind die Rückseiten nicht so stark abgenutzt wie die Vorderseiten oder gehören zu den Arealen mit geringerer Abnutzung.843 Dies lässt sich durch mit den Fibeln in Berüh-

838 Vgl. Kap. 3.3.1. 839 Z. B. eine Kette, bei der die einzelnen Glieder direkten Kontakt zueinander haben und sich gegenseitig abreiben. 840 Textilien als Verursacher des Abriebs an Fibeln sieht auch Richthofen 1994b, 510. 841 Siehe Kap. 3.3.2. 842 Besonders bei einem Mantelfutter aus Moos, wie es vereinzelt nachgewiesen werden konnte. Gröbere Materialien könnten einen stärkeren Abrieb verursacht haben, wie auch schon Brather et al. vermuteten: Brather et al. 2009, 377. 843 Zu den unterschiedlichen Abnutzungsintensitäten je Fibelareal: Kap. 4.4.5. und Kap. 4.4.6.

182

4 Empirische Studie

rung kommende Textilien gut erklären. Auf den Fibelrückseiten lagen die Textilschichten eng an, da hier die Fibeln durch die Nadelkonstruktion fest mit dem Stoff verbunden waren. Die entsprechenden Textilien hatten wenig Spiel und konnten so auch nur wenig Reibung auf die Fibel ausüben. Im Gegensatz dazu waren die an den Fibelvorderseiten aufliegenden Kleidungsschichten nicht fest mit den Fibeln verbunden, sondern konnten relativ frei darüber hinweg gleiten. Ihr großer Bewegungsspielraum bedingte ein größeres Reibungsmoment an den Fibeln und würde die stärkere Abnutzung der Vorderseiten erklären. Auch die an einigen Fibeln nachgewiesenen Futterale sprechen nicht unbedingt gegen diese Theorie. Denn bei ausreichend Spiel der Fibel im Futteral könnte das Textil des Futterals den entsprechenden Abrieb verursacht haben. Außerdem sammelten sich in den nicht vollständig geschlossenen Futteralen viel eher Staubkörner, die als Schleifmittel den Abrieb verstärkt haben könnten. Da Futterale bisher nur an wenigen Exemplaren belegt werden konnten, ist es aber momentan nicht möglich, die Abnutzungsspuren an den Fibeln ohne Futteral mit jenen an Fibeln mit Futteral zu vergleichen.

4.4.2 Vogelfibeln Während der Aufnahme der Abnutzungsgrade stellte sich der Eindruck ein, dass Vogelfibeln häufig am Rücken bzw. dem Flügel stärker abgenutzt seien als an der Bauchseite bzw. den Füßen. Die Fibeln waren nach Grablage nach rechts „fliegend“ angebracht. Es wäre denkbar, dass durch die bei dieser Anbringung quer verlaufende Nadel die Oberseite des Vogels nach vorne (vom Körper weg) kippte. Dadurch wären die zudem teils dünneren Füße einem geringeren Abrieb ausgesetzt als der weiter hervorstehende Rücken. Die Auswertung meiner Datenbasis ergab jedoch für die genannten Partien nur minimale Unterschiede im Abnutzungsgrad der einzelnen Areale, betrachtet man den durchschnittlichen Wert je Areal für alle untersuchten Fibeln diesen Typs (Tab. 24). Nach den Ergebnissen der Stichprobe sind – abgesehen von der Nadelrast – Kopf und Schwanz die am stärksten, der Schnabel das am wenigsten abgenutzte Areale. Im Gegensatz zu meiner Vermutung ist der Flügel sogar im Durchschnitt um 0,1 Grad geringer abgenutzt als die Füße. Dieser Unterschied ist aber zu gering, um daran Unterschiede in der Intensität der Abnutzung fest zu machen. Am ehesten kann man das vorliegende Bild dahingehend interpretieren, dass die Randareale aufgrund ihrer exponierten Lage an der Fibel den größten Abrieb aufweisen, was nicht weiter verwundert.

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

183

Tab. 24: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei Vogelfibeln (n= 116). Vogelfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Schnabel

107

2,33

Kopf

110

2,65

Körper

111

2,51

Flügel

97

2,51

Füße

103

2,61

Schwanz

106

2,74

Kanten

106

2,44

Rückseite

57

2,09

Nadelrast (am Kopf) 82

3,09

Nadelhalter

63

2,32

Nadel

2

1,00

4.4.3 Scheibenfibeln Ebenfalls während der Aufnahme fiel auf, dass an den Granatscheibenfibeln die Kanten einer Hälfte stärker abgenutzt war als die der anderen. Da es sich aber auch in diesem Fall um einen subjektiven Eindruck handelte, war es nötig, dies anhand der Stichprobe zu überprüfen. Denn ich habe während der Datenaufnahme nicht darauf geachtet, ob immer – im Verhältnis zur Nadelkonstruktion gesehen – der gleiche Teilbereich der Fibeln die stärkere Abnutzung aufweist. Zudem stellte sich die Frage, ob sich ein entsprechender Befund auch bei den anderen Scheibenfibel-Typen und den Rauten-/Vierpassfibeln zeigt, bei denen während der Aufnahme nichts Auffälliges beobachtet werden konnte. In meiner Stichprobe ist die der Rast am nächsten liegende Kante der Granatscheibenfibeln diejenige mit der geringsten Abnutzung (Tab. 25). Die linke Kante – bei einer senkrechten Positionierung der Nadel mit der Rast oben844 – ist die am stärksten abgeriebene, gefolgt von der unten liegenden, nadelhalternahen und der rechten Kante.845 Damit bestätigt sich der Eindruck der Materialaufnahme.

844 Einheitliche Positionierung durch mich während der Aufnahme. 845 Der Unterschied beträgt 0,22 Grad zwischen oberer und linker Kante.

184

4 Empirische Studie

Tab. 25: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei Granatscheibenfibeln (n= 102). Granatscheibenfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Fläche

91

2,56

Mittelfeld

57

2,67

Kante oben (Rast)

93

2,74

Kante rechts

71

2,90

Kante unten (Nadelhalter)

69

2,93

Kante links

69

2,96

Rückseite

71

2,58

Nadelrast

57

2,82

Nadelhalter

41

2,54

Nadel

8

1,00

Ein Vergleich mit den anderen rund gestalteten Fibeln bringt ein übereinstimmendes Abnutzungsmuster für die Blechscheibenfibeln zu Tage (Tab. 26). Hier sind es zwar die unteren und dann die linken Kantenareale, die die höchste Abnutzung aufweisen. Analog ist aber das rastnahe obere Kantenviertel jenes mit dem geringsten Abrieb. Tab. 26: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei Blechscheibenfibeln (n= 60). Blechscheibenfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Fläche

49

2,51

Mittelbuckel

16

3,13

Kante oben (Rast)

43

2,63

Kante rechts

33

2,79

Kante unten (Nadelhalter)

29

2,86

Kante links

31

2,84

Rückseite

21

1,81

Nadelrast

27

1,96

Nadelhalter

23

1,57

Nadel

8

1,00

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

185

An den S-Fibeln war ebenfalls auf einer Seite eine intensivere Abnutzung zu erkennen (Tab. 27). Es handelt sich um die S-Krümmung der Nadelhalter-Seite, womit sich dieser Befund gut in das an den Granatscheibenfibeln beobachtete Muster einfügt. Das rastnahe Areal ist in diesen drei Fällen immer das besterhaltenste, die stärkste Abnutzung befindet sich zwischen halternahem und linkem Kantenareal. Tab. 27: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei S-Fibeln (n= 111). S-Fibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Oberes Ende (Rast)

105

2,30

Spitze oberes Ende (Schnabel, Auge)

104

2,66

Diagonales Band

102

2,26

Grat diagonales Band

25

2,48

Unteres Ende (Nadelhalter)

106

2,40

Spitze unteres Ende (Schnabel, Auge)

107

2,72

Kanten

107

2,69

Rückseite

80

1,85

Nadelrast

87

2,82

Nadelhalter

69

2,09

Nadel

13

1,31

Abweichend zeigt sich das Abnutzungsmuster der selteneren gegossenen Scheibenfibeln (Tab. 28) und der Rauten-/Vierpassfibeln (Tab. 29). Im Gegensatz zum bisher festgestellten Schema ist bei den gegossenen Scheibenfibeln das rastnahe Kantenareal jenes mit der stärksten und das rechte Kantenareal jenes mit der geringsten Abnutzung.846 Diese Verteilung deckt sich mit der Abnutzungsintensität der Areale der Vorderseite, die bei den gegossenen Scheibenfibeln für die Aufnahme in vier Flächen unterteilt wurde. Bei den Rautenfibeln ist das untere, beim Nadelhalter liegende Areal das am wenigsten abgenutzte Viertel der Ecken. Die am stärksten vom Abrieb betroffenen Ecken passen hingegen etwas besser ins Bild der Granatscheibenfibeln, es handelt sich um die rechte und linke Ecke. Abweichend ist jedoch in diesem Fall die rechte Ecke die abgenutzteste, wobei der Unterschied minimal ist.847

846 Das zweitabgenutzteste Areal ist aber das halternahe, was wiederum ins bisherige Schema passt. 847 Abnutzungsgrad 2,68 zu 2,67.

186

4 Empirische Studie

Tab. 28: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei gegossenen Scheibenfibeln (n= 37). Gegossene Scheibenfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Fläche oben (Rast oder allgemein)

34

2,03

Fläche rechts

12

1,92

Fläche unten (Nadelhalter)

15

2,00

Fläche links

12

2,00

Buckel

21

2,62

Kante oben

34

2,41

Kante rechts

19

2,11

Kante unten

19

2,21

Kante links

20

2,15

Rückseite

17

1,71

Nadelrast

33

2,39

Nadelhalter

21

1,71

Nadel

5

1,40

Tab. 29: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei Rauten-/Vierpassfibeln (n= 19). Rautenfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Ecke 1 (Rast)

19

2,63

Ecke 2

19

2,68

Ecke 3 (Nadelhalter)

17

2,59

Ecke 4

15

2,67

Fläche

13

2,38

Kanten

19

2,58

Rückseite

14

2,07

Nadelrast

18

2,78

Nadelhalter

11

2,64

Nadel

3

1,33

187

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

Aufgrund der untersuchten Exemplare848 je Fibeltyp würde ich das bei den Granatund Blechscheibenfibeln sowie den S-Fibeln feststellbare Muster als das üblichere ansehen und folgern, dass das geringst abgenutzte Areal an der Nadelrast liegt und die am stärksten abgenutzten Areale am Nadelhalter bzw. leicht links davon liegen. Interessant wäre nun, die genaue Position der Fibeln an der Kleidung zu kennen, um Aussagen in Bezug darauf treffen zu können, ob die Abnutzung eher halsnah oder in den nach unten gerichteten Kantenarealen auftritt. Da aber leider die Lage der Scheibenfibeln im Grab meist nicht so genau dokumentiert wurde und zudem generell postmortale Verlagerungsprozesse nicht auszuschließen sind, ist es unmöglich hierzu Aussagen zu treffen. Für die figürlichen Kleinfibeln, wie beispielsweise die Vogelfibeln, kann dagegen anhand ihrer Form und Position im Grab die Ausrichtung genauer bestimmt werden. Demnach waren sie so ausgerichtet, dass die Nadel horizontal lag und die Nadelrast zur linken Körperseite der Trägerin zeigte. Dies entspricht der These, dass bei Rechtshändigkeit die Fibel leichter handhabbar sei.849 Sollten die Scheibenfibeln analog dazu ausgerichtet gewesen sein, würde das bedeuten, dass die abgenutztesten Kanten-Areale auf der rechten Seite der Trägerin lagen. Doch ohne genaue Dokumentation der Lage im Grab sind alle Überlegungen zur Ausrichtung der Nadel bei den Scheibenfibeln spekulativ, auch wenn eine Übertragung der Positionierung der tierförmigen Kleinfibeln naheliegend erscheint. Eine Stichprobe anhand des erst vor wenigen Jahren gegrabenen, gut dokumentierten und wenig beraubten Gräberfeldes von Aschheim850 ergibt für die S-Fibeln und Scheibenfibeln ein uneinheitliches Bild (Abb. 39). Die für die meisten Gräber W

2 S

2

W 1

2

N

S

4+1 2

3+1

2

1

2

1 3

2

W

3 4

2

N

S

1

2

3 1

N

2 3

O

O

O

S-Fibeln (n=16)

Scheibenfibeln (n=20)

Granat- und Blechscheibenfibeln (n=14)

Abb. 39: Ausrichtung der Nadelkonstruktion der S- und Scheibenfibeln des Gräberfeldes Aschheim. Die Ziffern geben die Anzahl der Nadelhalter-Positionierungen in der entsprechenden Himmelsrichtung an.

848 111 S-Fibeln, 102 Granatscheibenfibeln, 60 Blechscheibenfibeln, 37 gegossene Scheibenfibeln, 19 Rauten-/Vierpassfibeln. 849 Martin 1991, 644ff.; Martin 1994, 569. 850 Gutsmiedl-Schümann 2010. Eine Unsicherheit im Befund stellen auch bei diesem gut dokumentierten Fall die postmortalen Verlagerungsprozesse im Grab dar. Durch sie können die Fibeln verrutscht sein und nicht mehr die exakte Anbringung zeigen.

188

4 Empirische Studie

nachvollziehbare Lage der Nadelkonstruktion im Grab zeigt keine übereinstimmende Ausrichtung der Fibeln. Grundsätzlich scheint jede Positionierung der Fibel möglich gewesen zu sein.851 Bei den S-Fibeln ist eine Ausrichtung der Nadelhalter nach Osten und Norden mit jeweils 3 Fibeln am häufigsten, wobei interessanterweise die Ausrichtung nach Nordost nicht vorkommt. Für die Scheibenfibeln überwiegen die Richtungen Süden und Osten (jeweils vier Fibeln). Betrachtet man jedoch nur die Granat- und Blechscheibenfibeln und lässt die gegossenen Scheibenfibeln, die ja in der allgemeinen Auswertung eine abweichende Abnutzungsverteilung zeigen, außen vor, so überwiegen wie bei den S-Fibeln die Richtungen Ost und Nord. Überträgt man die leichten Tendenzen dieses sehr heterogenen Befundes auf eine allgemeine Aussage zur Ausrichtung der Fibeln an der Kleidung, dann wurden die Fibeln von unten oder links durch die Ösen der Kleidung geführt, die am stärksten abgenutzten Areale lagen in Richtung der Füße oder auf der linken Seite der Trägerin852. Sollte diese Verallgemeinerung zutreffen, ist jedoch die Gefahr des Verlusts der Fibel, wenn sich die Nadel versehentlich öffnet, bei einem Verschluss von unten sehr hoch. Würden die Nadelhalter oben liegen, könnte das ein unbeabsichtigtes Verlieren der Fibel verhindern oder zumindest verzögern. Da aber inzwischen häufig um die Spirale und Nadel gewickelte Lederbändchen belegt sind, kann die für Rechts- und Linkshänder praktikablere Anbringung von unten durchaus den Tatsachen entsprochen haben. Denn die Lederbändchen können nicht nur als Verschluss der Kleidung und als Schutz gegen das Verkippen der Fibel auf der Kleidung gedient haben, sondern gleichzeitig die Fibel fest mit den Ösen an der Kleidung verknotet haben. Im Falle eines versehentlichen Öffnens der Nadel wäre die Fibel durch das Lederbändchen fixiert und gesichert. Bemerkenswert ist über diesen Befund hinaus die Tatsache, dass bei S- oder Scheibenfibeln die beiden Fibeln eines Paares offenbar nicht gleich ausgerichtet waren. In den Fällen, bei denen zwei Kleinfibeln im Grab vorhanden waren und deren Position im Grab genau bestimmt werden konnte, weicht die Ausrichtung der Nadelkonstruktionen sehr häufig um 90° voneinander ab (Tab. 30, Tab. 31). Erklärungen für dieses Phänomen sind mir bisher nicht bekannt. Vielleicht steht die unterschiedliche Ausrichtung der Fibeln im Zusammenhang mit einer bestimmten Drapierung der damit in Verbindung stehenden Kleidungsschicht oder der in manchen Fällen belegten Anbringung der Fibeln auf unterschiedlichen Kleidungsstücken. In Zukunft bedarf es einer genauen Überprüfung und Dokumentation der Fibellage im Grab, um ausreichend Daten zur Verfügung zu haben und für diese Fragen gesicherte Antworten treffen zu können.

851 Ebenso bei: Brather-Walter 2009, 76. 852 Vorausgesetzt die Anbringung zur Bestattung entspricht exakt der Anbringung zu Lebzeiten und es kam zu keinen postmortalen Veränderungen.

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

189

Tab. 30: Ausrichtung der S-Fibeln aus ungestörten Gräbern des Gräberfeldes Aschheim. Grabnummer

Ausrichtung der Fibeln

Lage Fibel 1 zu Fibel 2

167

Nadel nach W (Halter nach O) Spirale nach S

90°

224

Halter nach SO Halter nach SW

90°

281

Halter nach SW 45° (Vogelfibel (Fibel 2): Rast nach N, fliegend, Halter nach S)

286

Halter nach W Spirale nach N

90°

Tab. 31: Ausrichtung der Scheibenfibeln aus ungestörten Gräbern des Gräberfeldes Aschheim. Grabnummer

Ausrichtung der Fibeln

Lage Fibel 1 zu Fibel 2

3 (Wirbelfibeln)

Nadel nach O (Halter nach W) 135° Nadel nach NW (Halter nach SO)

6 (Granatscheibenfibeln)

Halter nach N Halter nach N



119 (Granatscheibenfibeln)

Halter nach NW Halter nach SW

90°

166 (Granatscheibenfibeln)

Spirale nach NO Spirale nach S

135°

292 (Blechscheibenfibeln)

Spirale nach N Halter nach O

90°

4.4.4 Nadelkonstruktion Die wenigen Exemplare mit vorhandener Nadel wiesen für diese durchweg einen sehr geringen Abnutzungsgrad auf (Tab. 32). Das könnte einerseits daran liegen, dass die Nadel häufiger ausgetauscht wurde und deshalb nur relativ geringe Abnutzungen zu erkennen sind. Andererseits spielt auch das Material eine Rolle: Hierfür wurde Eisendraht verwendet, der im Boden einer intensiveren Korrosion ausgesetzt ist, als die Fibel aus Silber. Bei der Restaurierung könnten die starken Korrosionsschichten mit der darin schwer erkennbaren originalen Oberfläche dazu geführt haben, dass nur eine ungefähre Form von Nadel und Spirale freipräpariert wurde, aber nicht exakt die ursprüngliche Oberfläche an der dann die tatsächliche Abnutzung untersucht werden

190

4 Empirische Studie

könnte.853 Sollte dies der Fall sein, wäre es sehr schwer, die tatsächliche Intensität der Abnutzung an der Nadel festzustellen. Meine ermittelten Abnutzungsgrade wären dann als fiktiv anzusehen und könnten nicht verwendet werden. Tab. 32: Abnutzung der einzelnen Bestandteile der Nadelkonstruktion im Vergleich.

Nadelrast

Nadelhalter Nadel

Nadelrast Anzahl

Nadelhalter Anzahl

Nadel Anzahl

Bügelfibeln

2,92

2,34

1,15

181

140

13

Vogelfibeln

3,09

2,32

1,00

82

63

2

S-Fibeln

2,82

2,09

1,31

87

69

13

Granatscheibenfibeln 2,82

2,54

1,00

57

41

8

Blechscheibenfibeln 1,96

1,57

1,00

27

23

8

Gegossene Scheibenfibeln

2,39

1,71

1,40

33

21

5

Pferdchenfibeln

3,00

2,00

1,00

8

9

2

Rautenfibeln

2,78

2,64

1,33

18

11

3

Tierfibeln

3,00

2,67

0,00

3

6

0

Zikadenfibeln

2,00

1,00

1,00

3

2

2

Gleicharmige Fibeln

3,75

3,00

1,00

4

4

1

Mittelwert bzw. Summe

2,78

2,17

1,02

503

389

57

Die Abnutzung der Nadel ist im Verhältnis zu den beiden anderen Arealen der Nadelkonstruktion bei allen Fibeltypen die geringste. Allerdings sind Nadeln wie erwähnt selten vorhanden, so dass Aussagen zu ihrem durchschnittlichen Abnutzungsgrad oder auch allgemeinere Überlegungen eher spekulativ bleiben. Eine Regelmäßigkeit lässt sich anhand meines Datenmaterials dennoch feststellen: von den drei Arealen der Nadelkonstruktion jeder Fibel ist die Nadelrast immer der am stärksten abgenutzte Bereich und weist auch sehr häufig einen hohen Abnutzungsgrad auf. Die Nadel dagegen zeigt den geringsten Abnutzungsgrad, dessen Wert unter denen von Nadelrast und Nadelhalter liegt. Der Nadelhalter liegt in seinem Wert zwischen diesen beiden. Ursache für den Unterschied in der Abnutzung von Nadelhalter und Nadelrast ist meines Erachtens die unterschiedliche Beanspruchung beim Tragen der Fibel. Die Nadelhalter sind geschützt durch die sie umgebende Spirale, die sich zudem nur sehr

853 Zur Restaurierungsmethodik und der Problematik der originalen Oberfläche siehe Kap. 3.2.

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

191

wenig bewegt und so nur für wenig Abrieb sorgt. Die Nadelrast dagegen ist einer ständigen Beanspruchung durch die Nadel ausgesetzt. Bei jedem Öffnen und Schließen der Fibel scheuert die Nadel über die Rast. Während des Tragens verursachen zudem die Bewegungen der Kleidung und damit auch der Fibel eine starke Reibung zwischen Rast und Nadel, die zu den beobachteten starken Abriebsspuren führen kann. Vermutlich konstruktionsbedingte Gründe verursachen, dass nur in etwa der Hälfte der Fälle bei Granat- und Blechscheibenfibeln Teile der Nadelkonstruktion vorhanden sind.854 Die meist verhältnismäßig dünnen Blechstreifen, aus denen bei diesen Fibeltypen Nadelrast und -halter hergestellt wurden, sind offenbar wenig widerstandsfähig oder gehen spätestens bei der Restaurierung verloren.

Tab. 33: Abnutzung der Nadelkonstruktion im Verhältnis zum übrigen Fibelkörper. Mittelwert Mittelwert Rast & Mittelwert Nadelkonstruktion Halter, ohne Nadel Fibelkörper Bügelfibeln (n= 204)

2,1

2,6

2,5

Vogelfibeln (n= 116)

2,1

2,7

2,5

S-Fibeln (n= 111)

2,1

2,5

2,4

Granatscheibenfibeln (n= 102)

2,1

2,7

2,8

Blechscheibenfibeln (n= 60)

1,5

1,8

2,7

Gegossene Scheibenfibeln (n= 37)

1,8

2,1

2,1

Pferdchenfibeln (n= 11)

2,0

2,5

2,9

Rautenfibeln (n= 19)

2,2

2,7

2,5

Tierfibeln (n= 8)

1,9

2,8

2,5

Zikadenfibeln (n= 4)

1,3

1,5

2,0

Gleicharmige Fibeln (n= 4)

2,6

3,4

2,5

Vergleicht man die durchschnittliche Abnutzung des Fibelkörpers mit jener der Nadelkonstruktion stechen die deutlichen Unterschiede ins Auge (Tab. 33). Bis auf eine Ausnahme, die gleicharmigen Fibeln, sind bei allen Typen die Fibeln selbst teils signifikant abgenutzter als die Nadelkonstruktion. Die Abnutzung der Nadelkonstruktion steht offenbar in keinem Zusammenhang zu jener der Fibel.

854 Die jeweiligen Stückzahlen der Nadelkonstruktionsteile der Fibeltypen sind Tab. 32 zu entnehmen; die der Fibeln finden sich in Tab. 33.

192

4 Empirische Studie

Dieses Bild relativiert sich allerdings deutlich, wenn man die generell sehr niedrigen und abweichenden Werte der Nadeln für die Durchschnittsabnutzung der Nadelkonstruktion nicht berücksichtigt. Die Differenzen sind nicht mehr so ausgeprägt, und in etwas über der Hälfte der Fälle sind nun die Fibeln sogar weniger abgenutzt als die Nadelkonstruktion. Außerdem sind die Abstände bei den häufigeren Fibeltypen in der Regel so gering, dass von einem Unterschied nicht mehr die Rede sein kann. Vielmehr sind es marginale Abweichungen, die durchaus auch methodische Gründe haben können. Lediglich bei den selten vorkommenden Fibeltypen zeigen sich größere Unterschiede, hier kann aber ein Fehler der kleinen Zahl nicht ausgeschlossen werden. Interessant, aber nicht gesichert zu erklären, ist die sehr große Spanne im Fall der Blechscheibenfibeln und der gleicharmigen Fibeln. Von einer Differenz in der Abnutzungsintensität zwischen Fibelkörper und Nadelkonstruktion kann damit eher nicht ausgegangen werden. Zudem zeigt sich kein einheitliches Schema; lässt man die Werte der Nadel bei der Nadelkonstruktion außen vor, ist diese mal stärker, mal schwächer abgenutzt als die Fibel.

4.4.5 Fibelrückseite und -vorderseite Die Fibelrückseiten sind bei allen Fibeltypen im Durchschnitt etwas weniger abgenutzt als die Vorderseiten (Tab. 34).855 Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass der von der Fibel gehaltene Stoff auf deren Rückseite wenig Spiel hatte, dadurch kaum gescheuert und wenig Abrieb verursacht haben kann. Die Vorderseite – und hier oft die Kanten sowie besonders prominente Areale – war hingegen stärkeren Textilbewegungen ausgesetzt, da hier die darüberliegenden Kleidungsschichten nur locker auflagen. Diese umfangreicheren Reibungskräfte hätten nach dieser Überlegung mehr Abrieb zur Folge gehabt. Die höchste Differenz von fast einem Grad zwischen den Abnutzungsgraden der Vorder- und Rückseite weisen die Blechscheibenfibeln auf. Die verschiedenen Materialien (eiserne Grundplatte, Silber-/Gold-/Bronze-Blech auf der Vorderseite) und deren Abriebswiderstand könnten den Unterschied erklären. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum dieses Phänomen nicht auch bei den Granatscheibenfibeln auftritt, die ja ebenfalls eine meist eiserne Grundplatte besitzen, aber lediglich eine Differenz von 0,2 Graden aufweisen. Eventuell spielt hier ein Detail der jeweiligen Konstruktionsweise der Fibeltypen eine Rolle, das in Verbindung mit meinem Aufnahmeschema die unterschiedlichen Abstände in der Abnutzungsintensität beeinflusst haben könnte: Das Blech der Blechscheibenfibeln wird auf der Rückseite normalerweise über die Grundplatte umgebogen, und stellt durch den so gebildeten Wulst möglicherweise einen Schutz für die ohnehin härtere Grundplatte dar (Abb. 40).

855 Nur die beiden gleicharmigen Fibeln weichen von diesem Schema ab.

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

193

Tab. 34: Vergleich zwischen der Abnutzung der Fibelvorderseite und der Fibelrückseite bei den verschiedenen Fibeltypen. Mittelwert Fibelvorder- Mittelwert Fibelrückseite (mit Kanten) seite (ohne Kanten)

Differenz Vorder- zu Rückseite

Bügelfibeln

2,6

2,1

0,5 (0,49)

Vogelfibeln

2,6

2,1

0,5 (0,47)

S-Fibeln

2,5

1,9

0,6 (0,65)

Granatscheibenfibeln

2,8

2,6

0,2 (0,20)

Blechscheibenfibeln

2,7

1,8

0,9 (0,86)

Gegossene Scheibenfibeln 2,2

1,7

0,5 (0,51)

Pferdchenfibeln

2,9

2,3

0,6 (0,59)

Rautenfibeln

2,6

2,1

0,5 (0,52)

Tierfibeln

2,6

2,6

0,0

Zikadenfibeln

2,0

2,0

0,0

Gleicharmige Fibeln

2,4

2,5

-0,1

Diesen Wulst habe ich bei der Aufnahme zu den Kanten gezählt, nur die eigentliche Grundplatte findet sich im Areal „Rückseite“ wieder. Daher sind die einer stärkeren Beanspruchung ausgesetzten Partien der Fibelrückseite nur in den Kanten-Arealen zu finden und nicht im Areal „Rückseite“. Dies könnte die starken Unterschiede in den Abnutzungsgraden der Areale der Blechscheibenfibeln erklären (Vgl. Tab. 26, Kap. 4.4.3). Bei den Granatscheibenfibeln wurde der Randsteg hingegen auf die Grundplatte aufgesetzt, die so dem Abrieb ungeschützt ausgesetzt war. Bei diesem Fibeltyp beinhalten die von mir definierten Kanten den schmalen vorderseitigen Rand der Grundplatte sowie den Zier-Perldraht, der außen um den Randsteg verläuft. In der Folge können besonders die kantennahen Flächen der Rückseite eine ähnlich starke Abnutzung wie die Kanten aufweisen und für die geringe Differenz zwischen Vorderund Rückseite verantwortlich sein (Vgl. Tab. 25, Kap. 4.4.3).

Abb. 40: Skizze zum unterschiedlichen Aufbau von Blechscheibenfibeln und Granatscheibenfibeln.

194

4 Empirische Studie

Bei den übrigen Fibeltypen bewegen sich die Differenzen im Regelfall zwischen 0,5 und 0,6 Graden, nur die sehr seltenen Typen weichen davon ab. Ob die dokumentierten Unterschiede tatsächlich ausschließlich durch den Bewegungsspielraum der umgebenden Textilien oder etwa wie im Fall der Blech- und Granatscheibenfibeln durch deren Aufbau und das Einteilungsschema während der Begutachtung verursacht sind, müssen erst weiteren Untersuchungen klären. Zum momentanen Zeitpunkt kann über weitere Faktoren und den Effekt der Textilien nur spekuliert werden.

4.4.6 Fibelareale An den Bügelfibeln wurde schon während der Aufnahme offensichtlich, dass die erhabensten Areale auch die abgenutztesten sind. Dass die Bügeloberseite aufgrund ihrer exponierten Lage dem stärksten Abrieb ausgesetzt ist, ist zwar naheliegend, doch es zeigt nebenbei die Validität der erhobenen Daten, wenn genau dieses Phänomen beobachtet werden kann und als statistisches Ergebnis der Auswertung ermittelt wird (Tab. 35). Diese Beobachtung kann auf alle Fibeltypen übertragen werden; in der Regel sind neben der Nadelkonstruktion die Kanten am abgenutztesten, wenn nicht einzelne Areale wie beispielsweise die Bügel besonders hervorstehen und dann die stärkste Abnutzung aufweisen. Die S-Fibeln weisen an den Spitzen die höchste Abnutzung auf, das abgenutzteste Areal ist die nadelhalternahe Spitze (Spitze unteres Ende/Auge + Maul), allerdings liegt der Abnutzungsgrad der Kanten zwischen diesen beiden Werten (Vgl. Tab. 27, Kap. 4.4.3). An den Rautenfibeln waren die rechts und links der Nadel liegenden Ecken der stärksten Abnutzung ausgesetzt (Vgl. Tab. 29, Kap. 4.4.3). Vogelfibeln weisen an Schwanz und Kopf den größten Abrieb auf, gefolgt von den Füßen (Vgl. Tab. 24, Kap. 4.4.2). Hierbei handelt es sich um die prominentesten Areale des Fibeltyps. Im Fall der Granatscheibenfibeln sind die Kanten stärker abgerieben als die flachen Areale, was vermutlich nicht nur durch die Exponiertheit der Kanten, sondern auch durch den Aufbau der Vorderseite mit den Goldstegen und dem flächig verwendeten Material der Granatplättchen verursacht wird (Vgl. Tab. 25, Kap. 4.4.3). Vergleichbar zu den Bügeln der Bügelfibeln ist der Befund der Scheibenfibeln mit Mittelbuckel. Dieser steht am weitesten hervor und ist dadurch an den entsprechenden Fibeln das am stärksten beanspruchte Areal. Scheibenfibeln ohne Mittelbuckel weisen gewöhnlich an den Kanten die größte Abnutzung auf.

4.4 Abnutzungsspuren an den untersuchten Fibeln

195

Eine grundsätzlich hohe Abnutzung zeigt auch die Nadelrast. Wie schon angesprochen856 zählt sie bei allen Fibeltypen zu den am stärksten abgeriebenen Arealen. Da es sich um einen funktionalen Teil der Fibel handelt, ist davon auszugehen, dass er einer größeren Beanspruchung ausgesetzt war als dekorative Partien und entsprechend stärker abgenutzt ist. Tab. 35: Abnutzungsintensität der einzelnen Areale bei Bügelfibeln (n= 209). Bügelfibeln

Anzahl der Werte

Mittelwert

Fußkopf

96

2,64

Querlaufender Grat

25

2,84

Fuß

198

2,29

Grat am Fuß

110

2,64

Bügel

193

2,40

Bügelhöchstpunkt

184

3,34

Übergang Bügel-Kopf

35

2,14

Kopffläche

195

2,06

Knöpfe

173

2,75

Zonenknopf-Band

1

2,00

Fuß Rückseite

154

2,09

Bügel Rückseite

119

1,94

Kopfplatte Rückseite

144

2,19

Kanten Fußkopf

92

2,67

Kanten Fuß

194

2,60

Kanten Bügel

190

2,76

Kanten Kopf

190

2,53

Nadelrast

181

2,92

Nadelhalter

140

2,34

Nadel

13

1,15

856 Siehe Kap. 4.4.4.

196

4 Empirische Studie

4.4.7 Bügelfibeln und Trageposition Vergleicht man die durchschnittliche Abnutzung der Bügelfibeln in Bezug auf ihre Trageposition – also ob sie in der Bauchregion, im Becken oder auf Höhe der Oberschenkel getragen wurden –, ist mit zunehmender Fußnähe ein leicht ansteigender Abnutzungsgrad feststellbar.857 Die Fibeln waren demnach einem umso größeren Abrieb ausgesetzt, je tiefer sie getragen wurden. Die Nähe zum Gehänge und seinen metallenen Bestandteilen kann eine Rolle spielen, denn die Bügelfibeln in Beckenlage sind zu hoch angebracht, um mit dem Gehänge in Berührung zu kommen. Die stärkere Abnutzung könnte auch mit dem von der Taille zu den Knien zunehmenden Bewegungsgrad der Kleidung, an der die Fibeln angebracht wurden, zusammenhängen. Egal, ob es sich um ein Kleid oder einen Mantel, um ein geschlossenes oder vorne offenes Kleidungsstück, mit oder ohne Gürtung handelt, in Richtung Knie muss es weiter werden, um genügend Bewegungsspielraum zu bieten. Das bedeutet mehr Stoff, der sich – mit den darauf sitzenden Bügelfibeln – stärker bewegt und so für eine größere Beanspruchung der Fibeln sorgt, die sich in einem intensiveren Abrieb zeigt. Ähnlich wie für die angenommenen Unterschiede zwischen den Vorder- und Rückseiten858 könnte bei den Bügelfibeln die Trageposition am Körper bedingen, wie frei beweglich die umgebenden Textilien sind und damit wie stark der von diesen verursachte Abrieb ist. Der für die Bügelfibeln somit belegte Einfluss der Lage auf die Abnutzung der Fibeln ist zwar vorhanden, es wäre aber nötig, die Ursachen für die vorhandenen leichten Unterschiede genau zu ermitteln, um ihren jeweiligen Einfluss bestimmen zu können. Auch Übertragungen auf andere Fibeltypen wären so leichter zu bewerkstelligen. Eventuell könnten umfangreichere und detailliertere Untersuchungen aus dem Bereich der Textilarchäologie weiterhelfen. Wenn sich beispielsweise zeigen sollte, dass sich die Textilschicht, auf der die Fibel angebracht wurde, mit der Position der Fibel änderte, wäre das ein Hinweis darauf, dass nicht allein die Lage, sondern auch die Trageweise für die differierende Abnutzungsintensität verantwortlich ist.

4.5 Altersabhängigkeit im Vergleich 4.5.1 Alemannien Mit den bei Lohrke angegebenen Zahlen859 erstellte ich eine entsprechende Tabelle (Tab. 36) und verglich diese mit den von mir ermittelten Daten. 857 Durchschnittliche Abnutzungsgrade der Bügelfibeln: Bauch 2,42 – Becken 2,50 – Oberschenkel 2,61. 858 Siehe Kap. 4.4.5. 859 Lohrke 2004, 58, Tab. 7, Lohrke 2004, 91, Tab. 20. Vgl. Kap. 2.2.1.3.

197

4.5 Altersabhängigkeit im Vergleich

Tab. 36: Zusammenstellung der Daten Lohrkes und der Daten meiner Studie. Lohrke: Lohrke: Geschlechts- Mit Fibeln bestimmte (n= 40) Mädchen (n= 283)

Lohrke: % mit Fibeln

Studie: Mädchen (n= 581)

Studie: Mit Fibeln (n= 60)

Studie: % mit Fibeln

Infans I

103

11

10,7 %

205

18

8,8 %

Infans II

90

14

15,6 %

173

20

11,6 %

Juvenil

90

15

16,7 %

203

22

10,8 %

Durchschnitt Kind









14,3 % 5

23,8 %  







10,4 %



21





183

17

9,3 %  

Juvenil bei Lohrke 2004 (Fußnote 311, S. 45.): “Auch Juvenil/Adult bestimmte Individuen wurden berücksichtigt, wenn das mittlere Alter bei 20 Jahren lag.“ In meiner Stichprobe sind Individuen, die nicht eindeutig der Altersklasse Juvenil bzw. Adult zugeordnet werden konnten in die Zwischenaltersklasse „Juvenil-Adult“ eingeordnet. „Kind“ beinhaltet hier meine Zwischen-Altersklassen „Subadult“, „älter Subadult“ und „JuvenilAdult“.

Dabei stechen besonders die bei ihr höheren Prozentwerte ins Auge. Dies könnte zu einem gewissen Grad dadurch bedingt sein, dass Lohrke nur Individuen als weiblich angesprochen hat, denen „mindestens fünf Perlen, weitere Schmuckstücke oder ein Gürtelgehänge beigegeben wurden“860. Sie begründet dies mit der Vermutung, dass auch kleine Jungen teilweise mit Perlen(-ketten) bestattet wurden. Um diese Unsicherheit in der Bestimmung zu umgehen, machte Lohrke die erwähnte Einschränkung. Dadurch könnten die höheren Zahlen archäologisch geschlechtsbestimmter Mädchen meiner Studie erklärt werden, denn für diese wurden auch Individuen mit weniger als fünf Perlen und ohne weitere eindeutig weibliche Beigaben als weiblich aufgenommen. Entsprechend steigt somit die Zahl von Gräbern ohne Fibeln, was den prozentualen Anteil an Fibelgräbern senkt. Lohrkes Auswertung müsste demnach auch mit den identischen Gräberfeldern zu abweichenden Ergebnissen gelangen, da sich die Datengrundlage unterscheidet. Leider ist der Aufwand für einen methodisch korrekten Vergleich, der auf den gleichen Grunddaten basiert, in diesem Rahmen zu groß. Die mit der neu erstellten Tabelle trotzdem eher vergleichbaren Daten zeigen primär die schon angesprochenen höheren Anteile von Kindern mit Fibeln, die sich aus den unterschiedlichen Kriterien der Datenaufnahme ergeben und damit nicht weiter erklärungsbedürftig sind. Anders sieht es bei den Unterschieden innerhalb der Altersklassen zwischen Lohrkes und

860 Lohrke 2004, 86.

198

4 Empirische Studie

meinen Daten aus. Die Differenz zwischen den prozentualen Anteilen steigt mit zunehmendem Alter der Subadulten an. Liegt sie bei Infans I noch bei 2 Prozent, steigt sie auf 4 bzw. sogar 6 Prozent bei Infans II und Juvenil. Sollte Lohrkes Vermutung, dass auch kleine Jungen teilweise Perlen(-ketten) mit ins Grab bekamen, zutreffen, würde dies bedeuten, dass in meiner Studie – besonders bei den kleineren Kindern – zu viele Individuen in der Referenzgruppe „Weibliche Individuen ohne Fibeln“ wären. Könnte man die demnach irrtümlich aufgenommenen Jungen herausfiltern, würde dies meine Prozentwerte von Kindern mit Fibeln erhöhen. Die ansteigende Differenz zwischen den beiden Untersuchungen bedeutet jedoch, dass mit höherem Lebensalter immer mehr Individuen differierend als weiblich eingeordnet wurden. Dies widerspricht jedoch Lohrkes Ergebnissen, wonach Mädchen sehr früh weibliche Beigaben erhielten und dadurch im Grabkontext leicht als Mädchen erkennbar sind. Auch die mit zunehmendem Alter sicherer bzw. überhaupt erst mögliche werdende anthropologische Geschlechtsbestimmung widerspricht diesem Befund. Um auf ähnliche Prozentwerte wie Lohrke zu kommen, müssten etwa 70 der bei mir als Juvenil aufgeführten Individuen Jungen sein, was gut einem Drittel entspricht.861 Die Differenz bei den prozentualen Anteilen kann also nicht ausschließlich mit eventuell dem falschen Geschlecht zugeordneten Individuen erklärt werden, sondern muss andere Gründe haben. Spekulation muss in diesem Rahmen auch bleiben, ob der unterschiedliche geographische Untersuchungsraum Auswirkungen auf die Ergebnisse hat. Lohrke hat im Gegensatz zu mir einige schweizerische, aber weniger bayerische Gräberfelder in ihrer Auswertung, was möglicherweise zu anderen Beigabenschwerpunkten und einem anderen Anteil an Gräbern mit Fibeln geführt haben könnte. Wie bereits erwähnt, lässt sich zudem nur vermuten, ob und inwieweit die durch andere Kriterien für die Geschlechtszuordnung sich unterscheidende Datenbasis Lohrkes eine Rolle spielt. Momentan ist damit keine plausible Erklärung für die Differenzen zu erkennen.

4.5.2 Altenerding 4.5.2.1 Differierende Angaben bei W. Sage und M. Martin Zwischen den Angaben in der Gräberfeldpublikation durch Walter Sage und Hermann Helmuth862 und den Angaben Max Martins in seinem bereits mehrfach erwähnten Aufsatz863 zu den Bügelfibeln Altenerdings stößt man auf Unterschiede.

861 Um ähnliche Werte wie Lohrke zu erhalten, müssten bei Infans I circa 35 Jungen versteckt sein (dann 170 Individuen; 18 mit Fibeln → 10,58 %), bei Infans II circa 45 Jungen (dann 128 Individuen; 20 mit Fibeln → 15,63 %), bei Juvenil circa 70 Jungen (dann 133 Individuen; 22 mit Fibeln → 16,54 %). 862 Sage 1984; Helmuth 1996. 863 Martin 1987a.  





4.5 Altersabhängigkeit im Vergleich

199

Zum einen schwanken die Einordnungen der Fibeln in die Abnutzungsgrade zwischen Martin und Sage zum Teil gravierend, wenn man als Vergleich die Beschreibungen Sages im Katalog als Anhaltspunkt für eine grobe Einteilung in ebenfalls drei Abnutzungsstufen heranzieht. Da beide unabhängig voneinander die Fibeln untersuchten, zeigt sich daran, wie subjektiv solche Untersuchungen unter Umständen sein können. Doch es gibt in einigen Fällen eine so deutliche Abweichung der Einteilung voneinander, dass sich dies nicht mehr mit einer subjektiven Beobachtung erklären lässt. In drei Fällen kommen Sage und Martin zu einer sich konträr gegenüberstehenden Beurteilung. So beschreibt Sage die beiden Zangenfibeln in Grab 201 als „nur leicht abgenutzt“864, Martin dagegen ordnet sie als kräftig abgenutzt ein. Auch in Grab 319 ist nach Sage die „Abnutzung gering“865. Im Gegensatz dazu steht Martins Einordnung dieser Fibel als kräftig abgenutzt. Beim dritten Fall handelt es sich um Grab 568. Die nach Sages Ansicht „stärker abgenutzte“866, an Bügel und Fuß (im Grab?) gebrochene Fibel ist bei Martin kaum abgenutzt. Mit einer individuell abweichenden Beurteilung lassen sich hingegen die verschiedenen Altersangaben nicht erklären, denn Martin stützt sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach auf die gleiche anthropologische Bestimmung, die auch den Angaben in Sages Katalog von 1984 zugrunde liegt. Unterschiedliche Angaben zum Sterbealter finden sich zum einen bei den erwähnten drei Frühadulten in den Gräbern 31, 105 und 1237, die von Martin ohne Angabe von Gründen den Juvenilen zugeordnet werden. Zudem weichen die Angaben bei den Gräbern 94 und 1119 voneinander ab. Bei diesen beiden Gräbern zitiert Martin im Erläuterungstext seiner Tabelle die entsprechenden Angaben aus dem Katalog, doch er ordnet sie nicht entsprechend ein. Grab 94 wird als adult oder älter beschrieben, der Zahnbefund weist jedoch eher auf senil hin. Von Martin wird es unter matur aufgeführt. Das von Martin als matur eingeordnete Grab 1119 wird mit Ende adult, zwischen 30–40 Jahren, ziemlich genau angegeben und gehört damit eindeutig zur Gruppe der Adulten und nicht zu den Maturen. Nimmt man die Angaben zum Sterbealter im Katalog von Sage und die an gleicher Stelle publizierten Angaben zu den Abnutzungserscheinungen und stellt diese versuchsweise in einer Tabelle zusammen, ergibt sich ein von Martins Tabelle abweichendes Bild (Tab. 37 und 38). In dieser alternativen Tabelle kommen Bügelfibeln jeweils nur bei zwei Individuen der Stufen Infans I und Juvenil vor, es handelt sich in beiden Fällen um abgenutzte Exemplare. Die Adulten überwiegen auch hier, doch sind abweichend zu Martins Auflistung kaum Individuen mit stark abgenutzten Fibeln ausgestattet. Auch der relativ deutliche Schwerpunkt bei den mäßig abgenutzten Fibeln ist hier nicht mehr so klar ersichtlich, er hat sich mit sechs zu sieben Fibeln

864 Sage 1984, 69 f. 865 Sage 1984, 94. 866 Sage 1984, 161.  

200

4 Empirische Studie

sogar eher ausgeglichen. Mit fünf Individuen sind die Maturen sichtbar schwächer vertreten. Bei ihnen finden sich meist mäßig abgenutzte Fibeln. Den wieder etwas zahlreicheren Senilen wurden entweder relativ neue oder stark abgenutzte Fibeln beigegeben. Insgesamt ergibt sich somit ein Bild, das sogar stärker Martins Grundthese entspricht als dessen eigene Tabelle. Allerdings verschiebt sich der Erwerbungszeitpunkt der Fibeln von Juvenil nach Adult. Tab. 37: Die Gräber mit Bügelfibeln des Gräberfeldes Altenerding. Tabelle erstellt anhand der Angaben bei Martin (Martin 1987a, 279, Abb. 4).

Sterbealter Infans I (0–7 Jahre) Abnutzungsgrad

Juvenil (14–22 Jahre)

Kaum abgenutzt

189 554 (80 %)

146 177 343 (25 %)

105 (20 %)

91 521 607 618 625 658 (50 %)

485 853 1350 (43 %)

192 224 256 532 (44 %)

201 447 934 (25 %)

94* 151 272 1119* (57 %)

117 319* 454 897 (44 %)

1x 11x

2x 5x

2x 7x

568



Sichtbar bis deutlich abgenutzt

512



Adult Matur Senil (22–40 Jahre) (40–60 Jahre) (> 60 Jahre)



Kräftig abgenutzt



Einzelfibeln: Fibelpaare:

2x –

1x 4x

1083 (11 %)













Fett gedruckte Grabnummern = Fibelpaare. * Teils voneinander abweichende Altersbestimmung durch die verschiedenen anthropologischen Bearbeiter.

201

4.5 Altersabhängigkeit im Vergleich

Tab. 38: Die Gräber mit Bügelfibeln des Gräberfeldes Altenerding. Tabelle erstellt anhand der Angaben in der Gräberfeldpublikation (Sage 1984, Helmuth 1996). Sterbealter Infans I

Juvenil

Adult

Matur

Senil

105p* 201p# 343p 521p 618p 1237p*

485p

192p 319p# 1083p

31p* 91p 146p 177 447p 607p 934p

151p 853p 1350p

256p

658p

272

117p 224p 454p 532 897

Abnutzungsgrad Wenig, gering, kaum, leicht, etwas

554

Mäßig, mittel

Stark, stärker, beträchtlich 568#

Unklar

512 (=2)

189p

Adult oder älter

94p*

625p (=2) 1119 (=3)*

Die Abnutzungsgrade wurden nach den Beschreibungen Sages im Katalog in drei Gruppen eingeteilt. Die Stichworte in der Tabelle entsprechen dem Wortlaut von Sages Beschreibungen. Die fett gedruckten Grabnummern kennzeichnen eine von Martin abweichenden Zuweisungen der Abnutzungsgrade. # zeigt eine Differenz zwischen Martin und Sage um zwei Abnutzungsgrade an. Die mit * versehenen Grabnummern markieren eine bei Martin abweichende Altersbestimmung. p bezeichnet Bügelfibelpaare (Abweichungen zu den Angaben Martins: Grab 105 und 192). In ( ) stehen die Abnutzungsgrade laut Martin.

202

4 Empirische Studie

Tab. 39: Die Gräber mit Bügelfibeln des Gräberfeldes Altenerding. Tabelle erstellt anhand der in der Studie ermittelten Daten. Sterbealter Infans I

Infans II

Juvenil

Adult

Matur

Senil

Erwachsen

Abnutzungsgrad Grad 1

Grad 2

Grad 3

,Alte31*

Alte512# ,Alte568‘

Alte516+

Alte160+ Alte1083

Alte554‘ Alte91 ,Alte272‚ Alte146‘ ‛Alte485 Alte177‘ Alte1350 ‛Alte201‚ Alte607 Alte625 ,Alte658 Alte934, Alte1119‚* ‛Alte151

,Alte224 Alte14+ Alte256 ,Alte532 ,Alte897‚ Alte1108+

‛Alte319# Alte454

Alte94*

Die Abnutzungsgrade wurden zur besseren Vergleichbarkeit mit den Katalogangaben ebenfalls in drei Gruppen untergliedert. ‛: Bei Sage niedrigere Abnutzung (Zeichen vor Text: ‛Alte568). ,: Bei Sage höhere Abnutzung (Zeichen vor Text: ,Alte568). # : Differenz um 2 Grade (Alte319) zwischen Sage und den Studiendaten oder ohne Bestimmung bei Sage (Alte512). ‘: Bei Martin niedrigere Abnutzung (Zeichen nach Text: Alte568‘). ‚: Bei Martin höhere Abnutzung (Zeichen nach Text: Alte568,). Die mit * versehenen Grabnummern markieren eine bei Martin abweichende Altersbestimmung. +: bei Martin und Sage nicht aufgeführt: Alte14, Alte160, Alte516, Alte1108.

4.5.2.2 Vergleich Da sich zwischen den Angaben Martins und jenen der Gräberfeldpublikation durch Walter Sage teils deutliche Unterschiede gezeigt haben, ist es von besonderem Interesse, einen Vergleich zu den Daten der hier vorgenommenen Studie vorzunehmen (Tab. 39). Als erstes fällt auf, dass ein bei Martin nicht aufgeführtes Individuum der Altersklasse Infans II vorhanden ist.867 Damit sind alle Altersklassen im Datenmaterial der

867 Der Vergleich zwischen den Angaben von Martin und Sage erfolgte ausschließlich anhand der bei Martin aufgeführten Gräber. Bei Martin fehlende Gräber mit Bügelfibeln fanden lediglich in die Tabelle der Studiendaten Eingang.

4.5 Altersabhängigkeit im Vergleich

203

Studie vertreten. Die genauere Betrachtung lieferte weitere drei Gräber, die Martin nicht berücksichtigte, insgesamt fehlen bei ihm die vier Gräber 14, 160, 516 und 1108.868 Im Gegenzug konnten bei der Studie die Bügelfibeln der folgenden Gräber nicht beurteilt werden: Grab 105, 117, 189, 192, 343, 447, 521, 618, 853, 1237.869 Die Unterschiede in der Zuordnung zu einer Altersklasse sind identisch zu jenen bei Sage, da die Angaben des Katalogs für die Studie herangezogen wurden. Insgesamt wurden die Abnutzungsgrade der Bügelfibeln von neun Gräbern von mir anders beurteilt als von Martin. Es handelt sich durchweg um Unterschiede von einem Grad, größere Abweichungen treten nicht auf. Ein Muster lässt sich dabei nicht erkennen, meine Beurteilungen liegen gleichmäßig über und unter Martins Angaben.870 Die Abnutzungsgrade der Bügelfibeln der vier subadulten Individuen gruppieren sich in der Studie durchweg im mittleren Grad 2. Da dieser statistisch am häufigsten ist, verwundert diese Ballung nicht. Sie zeigt sich auch in den erwachsenen Altersklassen in gewissem Rahmen. Die Breite des Abnutzungsspektrums scheint nach den Studiendaten von Adult zu Senil zuzunehmen und die Verteilung dabei ausgewogener zu werden. Ein Anstieg der durchschnittlichen Abnutzung der Fibeln mit zunehmendem Alter der Frauen kann jedoch nicht belegt werden. Interessanterweise zeigt die auf den empirisch erhobenen Studiendaten basierende Tabelle ebenfalls Unterschiede zur Beurteilung der Abnutzung durch Sage (Tab. 39 zu Tab. 38). Auch hier zeigen die Abweichungen keine Tendenz in eine Richtung auf, meine Beurteilungen sind nicht überwiegend stärker oder schwächer als jene durch Sage.871 Eine Abweichung in der Einordnung der Abnutzung sowohl zu Martin als auch zu Sage gibt es in drei Fällen.872 Zusätzlich besteht eine Differenz um zwei Grade im Fall von Grab 319, das Martin in Übereinstimmung mit mir als Grad 3 angesehen hat. Eine solch starke Abweichung der Beurteilung gibt es zwischen Martin und meinen Studienergebnissen nicht. Doch könnte dies dem Zufall und den gröberen Abnutzungsgraden geschuldet sein; darüber hinaus kann ein „Übersetzungsfehler“ bei der Übertragung von Sages wörtlichen Beschreibungen der Abnutzung in das starre Schema der Abnutzungsgrade nicht ausgeschlossen werden. Somit widersprechen nicht nur die oben873 angesprochenen Gründe Martins These einer Personengebundenheit der Bügelfibeln, auch die Ergebnisse der Studie wi-

868 Martins Aufsatz liefert zu den Gründen keine Informationen. 869 Sie befanden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme in Ausstellungen außer Haus (Alte105, Alte117, Alte189, Alte192, Alte343, Alte447, Alte618, Alte853) oder fehlten (Alte521, Alte1237). 870 Fünf Werte sind in der Studie niedriger (Alte 201, Alte272, Alte897, Alte934, Alte1119), vier höher (Alte146, Alte177, Alte554, Alte568). 871 Bei sechs meiner Beurteilungen ist der Abnutzungsgrad niedriger als bei Sage, in vier Fällen höher. 872 Alte201, Alte568, Alte897. 873 Kap. 2.2.2.2.

204

4 Empirische Studie

derlegen seine Argumentation. Weder lässt sich am Beispiel Altenerding ein Erwerb der Fibeln im zweiten Lebensjahrzehnt nachweisen, noch bestätigt sich eine kontinuierliche Zunahme des durchschnittlichen Abnutzungsgrads mit zunehmendem Alter der Frauen in den Gräbern.

4.6 Zusammenfassung In Anlehnung an Richthofens Analyse der kaiserzeitlichen Fibeln Norddeutschlands erstellte ich ein Beurteilungsschema, das von keiner erkennbaren Abnutzung (Grad 1) bis hin zu starker Abnutzung (Grad 4) reicht. Die Untersuchung und Beurteilung der Abnutzung an den Fibeln erfolgte unter Verwendung eines Binokulars, da die Abnutzungsspuren mit leichter Vergrößerung deutlicher zu erkennen sind. Jeder Fibeltyp wurde dabei in mehrere Areale unterteilt, deren Abnutzung ich separat bestimmte. Für die Auswertung errechnete ich aus den Einzelwerten einen Durchschnittswert je Fibel. Die Untergliederung in mehrere Areale hat den Vorteil, dass diese untereinander verglichen und stärker oder schwächer beanspruchte Partien herausgearbeitet werden können. Der Erhaltungsgrad des Skelettmaterials und die verwendeten uneinheitlichen Bestimmungsmethoden bewirken eine schwankende Bestimmungsgenauigkeit. Dieser begegnete ich durch die Verwendung der relativ groben Hauptaltersklassen Infans I, Infans II, Juvenil, Adult, Matur und Senil. Individuen, die keiner dieser Klassen eindeutig zugeordnet werden konnten, wurden in Zwischengruppen (Kind, älter Subadult, Juvenil-Adult, Adult-Matur, Matur-Senil) bzw. den Gruppen „Erwachsen“ und „Unbestimmt“ gebündelt. Das Untersuchungsmaterial umfasst 29 Gräberfelder aus Baden-Württemberg und Bayern, deren Auswahl danach erfolgte, ob eine anthropologische Bearbeitung vorliegt, die Gräberfelder publiziert und das Fundmaterial zugänglich war. Entgegen der üblichen Argumentation, die sich auf die Bügelfibeln beschränkt, untersuchte ich alle Fibeln. Dafür spricht die häufige Vergesellschaftung und zeitliche Überschneidung der Bügelfibeln mit den Kleinfibeln, wie es bei der Vierfibelkombination der Fall ist. Argumente, die für Bügelfibeln in Betracht kommen, könnten auch für die zeitgleichen Kleinfibeln oder die nachfolgenden Scheibenfibeln gültig sein. Allein der Blick auf alle merowingerzeitlichen Fibelformen ermöglicht deshalb eine umfassende Bearbeitung der vorliegenden Thematik. Ein Übergewicht adulter Individuen mit Fibeln konnte bei der prozentualen oder relativen Verteilung nicht festgestellt werden. Vielmehr bekamen in jeder Altersklasse im Durchschnitt 11,5 % der Frauen Fibeln mit ins Grab gelegt, wobei der Anteil mit zunehmendem Alter von 9 % auf 14 % anstieg. Eine Bevorzugung adulter Frauen und eine verminderte Fibelbeigabe bei senilen Frauen bestätigten sich nicht. Entgegen der vorherrschenden Annahme bekamen Mädchen durchaus Fibeln mit ins Grab, sie sind in der Stichprobe nicht seltener vertreten als erwachsene Altersklassen.  





4.6 Zusammenfassung

205

Die Wellenbewegungen der durchschnittlichen Abnutzungsgrade in den Altersklassen widersprechen der These, dass Fibeln einmal im Leben erworben, ein Leben lang getragen und nach dem Tod mit ins Grab gegeben wurden. Selbst bei der Annahme von persönlichem Besitz musste es zum Neuerwerb oder Austausch von Fibeln gekommen sein. Eine Häufung bestimmter Abnutzungsgrade in einzelnen Altersklassen ließ sich nicht feststellen. Dies spricht gegen die Annahme, Mädchen hätten nur alte Fibeln vererbt oder geschenkt bekommen und keine neuwertigen Fibeln erhalten. Vielmehr scheint nach den vorliegenden Studienergebnissen ein sehr individualisiertes System vorgeherrscht zu haben, bei dem es keine verbindlichen Vorschriften zum Erwerbszeitpunkt und der Tragedauer der Fibeln gab. Nach dem Verteilungsbild der Studie zeichnen sich unter der Prämisse eines persönlichen Besitzes der Fibeln drei Phasen ab, zu denen Fibeln erworben werden konnten, aber nicht mussten. Die erste Phase bestand zum Zeitpunkt der Geburt, eine zweite Erwerbsphase lässt sich mit der Adoleszenz verknüpfen. Die Möglichkeit eines Neuerwerbs von Fibeln wurde aber nicht von allen jungen Frauen wahrgenommen. Um den Eintritt in die Altersklasse Senil bestand die dritte Gelegenheit, Fibeln zu erwerben bzw. auszutauschen. Viele der in der Forschung vertretenen Thesen wurden primär oder allein für die Bügelfibeln geäußert, weshalb die an allen merowingerzeitlichen Fibeln gemachten Untersuchungen ausschließlich an den Bügelfibeln erneut durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Detailstudie bestätigten die Ergebnisse der Gesamtstudie und belegten, dass die Bügelfibeln keinen gesonderten Regeln unterlagen. Darüber hinaus schienen Kinder nicht häufiger nur eine Bügelfibel bekommen zu haben als Erwachsene, auch wenn die Stichprobe speziell für die beiden Infans-Gruppen recht klein ist. Die Gräber mit Vierfibelkombination, bei denen die Abnutzungsgrade bestimmt werden konnten, ließen aufgrund ihrer geringen Zahl keine Aussagen zu den Häufigkeiten der einzelnen Grade zu. Lediglich die Altersklasse Adult ist einigermaßen häufig vertreten. Es zeigte sich, dass zwischen Bügelfibelpaar und Kleinfibelpaar keine regelmäßig auftretenden Differenzen im Abnutzungsgrad vorhanden sind. Eine eindeutige, generell gültige zeitliche Abfolge zwischen dem Erwerb der Fibeln konnte nicht nachgewiesen werden. Es fand sich kein Beleg für eine Korrelation von Alter und Fibelbeigabe und damit einer Altersabhängigkeit des Fibeltragens. Auch in den Zwischenaltersklassen „Kind“ und „Juvenil-Adult“ bewegte sich die Häufigkeit von Fibelgräbern in einem Rahmen, der den Werten der Hauptaltersklassen entspricht. Zur genaueren Betrachtung der Verteilung der Abnutzungsgrade wurden die subadulten Altersklassen für diese Detailstudie in feinere Altersgruppen untergliedert. Auch hier zeigte sich das bekannte Bild der seltener vertretenen „Extremgrade“ Grad 1 und 4, sie sind aber breit in allen Altersklassen vertreten. An den Fibeln zeigten sich kaum Dellen und Kratzer, die gerade bei freischwingend am Gehänge angebrachten Bügelfibeln zu erwarten wären. Vielmehr sahen die Oberflächen der Fibeln gleichmäßig abgeschliffen, teils wie poliert, aus. Vermutlich

206

4 Empirische Studie

stammt der Abrieb primär von den umgebenden Textilien. Ein großer Bewegungsspielraum, bei dem häufig Metall auf Metall schlägt, ist eher auszuschließen. Vogelfibeln waren entgegen des ersten Eindrucks während der Datenaufnahme nicht an Rücken bzw. Flügel sehr viel stärker abgenutzt als am Bauch und den Füßen. Vielmehr wiesen die horizontal randlichen Areale an Kopf und Schwanz die stärkste Abnutzung auf. Weiterhin ergab sich während der Aufnahme der Scheibenfibeln der Eindruck, dass immer ein Kantenquartal stärker abgenutzt ist als der Rest. Die Mehrheit der Fibeln und Fibelformen wies die geringste Abnutzung in dem Quartal auf, das der Nadelrast am nächsten liegt. Es folgen die Areale am Nadelhalter und der rechten Seite (bei senkrecht positionierter Nadel mit der Rast oben). Leicht links versetzt vom Nadelhalter findet sich die stärkste Abnutzung. Da leider die exakte Ausrichtung der Fibeln im Grab und damit vermutlich auch an der Kleidung selten dokumentiert ist, konnte zur korrekten Positionierung der Nadelkonstruktion keine Aussage getroffen werden. Figürliche Fibeln weisen eine horizontal angebrachte Nadel mit der Rast auf der linken Seite auf. So konnte die Fibel bei Rechtshändigkeit leicht angebracht werden. Sollten die Scheibenfibeln analog dazu ausgerichtet gewesen sein, wäre das am stärksten abgenutzte Areal auf der rechten Seite. Dieser Analogieschluss ist aber durch die meist fehlende Dokumentation der Ausrichtung im Grab spekulativ. Der Befund ist sehr heterogen und jede Positionierung der Fibeln scheint möglich. Die leichte Präferierung einer Position könnte eine bevorzugte Anbringung von unten bzw. links bedeuten, bei der die am stärksten abgenutzten Areale ebenfalls unten und links lagen. Darüber hinaus erbrachte die genaue Dokumentation in Aschheim die Erkenntnis, dass offenbar die Fibeln eines Scheiben- oder S-Fibelpaares nicht gleich, sondern in der Regel um 90° gedreht zueinander ausgerichtet waren. Nadeln sind zumeist anscheinend kaum abgenutzt, eventuell wurde die gesamte Nadelkonstruktion aufgrund hoher mechanischer Beanspruchung häufiger ausgetauscht oder unterlag durch das andere Material anderen Parametern. Eisen bedingt jedenfalls eine viel stärkere Korrosion als das Silber der Fibeln, weshalb häufig unklar ist, ob es sich bei der freigelegten Oberfläche tatsächlich um die originale handelt. Festgehalten werden kann aber, dass die Nadelrast in Relation zu den anderen Teilen der Nadelkonstruktion immer das am stärksten abgenutzte Areal ist. Interessanterweise war die Nadelkonstruktion bei Berücksichtigung aller ihr zugehörigen Teile jedoch nicht die besonders beanspruchte Partie einer Fibel, sondern im Gegenteil weniger stark abgenutzt als der Fibelkörper. Generell waren die Rückseiten der Fibeln meist etwas weniger stark abgenutzt als die Vorderseiten. Der geringere Bewegungsspielraum der Textilien könnte dafür verantwortlich sein. Die höchsten Differenzen in der Abnutzung von Vorder- und Rückseite wiesen die Blechscheibenfibeln auf. Möglicherweise bedingt durch das unterschiedliche Material waren Boden- und Deckplatte ungleich beständig gegenüber Abrieb. Die umgebogenen Kanten des Deckblechs verhinderten zudem eine stärkere Beanspruchung der Grundplatte. Die andere Machart und daraus folgende andere

4.6 Zusammenfassung

207

Arealeinteilung der Granatscheibenfibeln würde wiederum die Differenzen zu den Blechscheibenfibeln und den generell niedrigen Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite bei diesem Typ erklären. Ob tatsächlich primär der Bewegungsspielraum der Textilien für die Unterschiede in der Abnutzung verantwortlich war, muss erst noch verifiziert werden. Die am stärksten abgenutzten Teile einer Fibel waren wie zu erwarten die besonders exponierten Areale: der Bügel der Bügelfibeln, der Mittelbuckel bei Scheibenfibeln oder generell die Kanten. Auch die starke Abnutzung der Nadelrast verwundert nicht, da es sich um einen funktionalen Teil handelt, der dadurch einer deutlich höheren Beanspruchung ausgesetzt war als die restliche Fibel. Der durchschnittliche Abnutzungsgrad der Bügelfibeln steigt mit zunehmend tieferer Position an der Kleidung. Bügelfibeln, die in der Bauchregion getragen wurden, sind etwas weniger abgenutzt als ihre Pendants in der Becken- oder Oberschenkelregion. Der stärker werdende Abrieb könnte auch in diesem Fall mit dem zu den Füßen hin zunehmenden Bewegungsspielraum der Textilien zusammenhängen. Auch die Nähe zu den anderen Teilen des Gürtelgehänges könnte für die stärkere Abnutzung verantwortlich sein, ebenso die sich mit der Fibelposition ändernde Kleidungsschicht. Die Publikationen von W. Sage und M. Martin zum Gräberfeld Altenerding weisen sowohl beim Sterbealter als auch der Einordnung der Abnutzungsgrade Unterschiede auf. Während die Altersangaben bei beiden Autoren aller Wahrscheinlichkeit nach aus derselben anthropologischen Bearbeitung stammen, könnten die Abweichungen bei den Abnutzungsgraden mit individuellen Beurteilungen erklärt werden. In manchen Fällen weichen sie aber so stark voneinander ab, dass eine subjektive Einschätzung als Ursache ausfällt. Die von mir erhobenen Daten weisen zu beiden Autoren Unterschiede auf, die jedoch keine Tendenzen oder Regelmäßigkeiten in eine Richtung erkennen lassen. Viele der bei der Aufnahme an den Fibeln gemachten Beobachtungen und später bei der Analyse der erhobenen Daten ermittelten Ergebnisse erbrachten interessante Erkenntnisse zu Abnutzungsmechanismen und ihren Auswirkungen auf die Fibeln. Allerdings konnten manche Fragen nicht abschließend geklärt werden, da beispielsweise eine exakte Dokumentation der Lage der Fibeln im Grab nicht vorhanden war.

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs 5.1 Erwerb zu Lebzeiten und Deponierung im Grab Aus den empirischen Daten kann nicht unmittelbar abgelesen werden, nach welchen Regeln der Erwerb und die Mitgabe der Fibeln ins Grab erfolgte. Deshalb sollen im Folgenden zuerst die theoretisch in Frage kommenden Erklärungsmöglichkeiten und ihre Erscheinungsmuster in der Verteilung und Häufigkeit der Abnutzungsgrade erfasst werden. Danach können die theoretisch erschlossenen Varianten mit den Resultaten der Auswertung der empirischen Daten verglichen werden. Dabei besteht die Möglichkeit, manche theoretisch denkbaren Optionen auszuschließen und andere anhand von Übereinstimmungen mit den Resultaten der empirischen Studie mehr oder weniger plausibel zu machen. Die nach dem Vergleich eingeschränktere Zahl denkbarer, überzeugender Varianten des Fibelerwerbs bietet eine fundierte Basis für weitergehende Überlegungen zum Verhältnis zwischen Verstorbener und den ihr ins Grab mitgegebenen Fibeln. Ziel ist es, die Plausibilität der verschiedenen Erwerbs- und Grablegungsmöglichkeiten zu klären, um so ein möglichst wahrscheinliches Bild der Verhältnisse zur Merowingerzeit herauszuarbeiten. Bei der Betrachtung der verschiedenen Modelle des Fibelerwerbs874 sollten einige allgemeine Regeln beachtet werden. Generell gilt, dass Objekte, die zu Lebzeiten verwendet wurden, nicht zwangsläufig auch Grabbeigaben der betreffenden Person werden mussten. Es kann also nicht sicher davon ausgegangen werden, dass der gesamte Besitz einer Person mit ihr ins Grab gelangte. Grabbeigaben können aus dem persönlichen Besitz des oder der Verstorbenen oder aus dem Besitz der Familie875 stammen, sowie von den Teilnehmern der Bestattungsfeierlichkeit zusammengestellt worden sein. Die Ausführungen von Mirjam Kars876 zu den kulturellen Kategorien der Grabbeigaben stehen in Verbindung zu diesen Überlegungen, denn die Beigaben müssen nicht zwangsläufig nur eine Besitzerin gehabt haben, bevor sie ins Grab gelangten. Denkbar wäre auch eine gezielte Herstellung der Grabbeigaben für die Bestattung. Diese Möglichkeit kann aber für die merowingerzeitlichen Fibeln zumeist ausgeschlossen werden. Die Gebrauchsspuren belegen eindeutig, dass der Großteil der Fibeln eine gewisse Zeit vor der Grablegung getragen wurde und nicht werkstattfrisch ins Grab gelangte.

874 Im Folgenden kann sich Fibelerwerb nicht nur auf den Erwerb der Fibeln zu Lebzeiten beziehen, sondern auch auf die Modalitäten, nach denen Fibeln ins Grab einer Frau gelangten. Dies dient der sprachlichen Vereinfachung und besseren Lesbarkeit. 875 Wobei hier noch der Begriff „Familie“ zu diskutieren wäre. Je nachdem, wie Familie definiert wird, kann damit eine größere oder kleinere Gruppe beschrieben werden und mehr oder weniger Personen, die nicht unbedingt in verwandtschaftlichem Verhältnis zueinander stehen müssen, einbezogen sein. Vgl. Kap. 1.2. 876 Kars 2011. Siehe dazu auch das entsprechende Kap. 2.2.1.7. https://doi.org/10.1515/9783110754810-005

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

209

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten Vorab ist in einem ersten Schritt zwischen zwei grundlegenden Annahmen zu unterscheiden: Handelt es sich bei den Fibeln um Eigentum der Toten oder um Besitz aus ihrer Familie bzw. der Bestattungsgemeinschaft? Ob die Verstorbene zu den Fibeln im Grab ein direktes – persönliches – Verhältnis hatte und sie zu Lebzeiten trug, ist als weiterer Faktor zu berücksichtigen. Ein anderer Faktor ist die Anzahl der Fibelsets, die eine Frau in ihrem Besitz gehabt haben könnte. Auch die Häufigkeit und die kulturell vorgegebenen Regeln für die Erwerbungszeitpunkte sind bei der Ermittlung der theoretischen Erwerbungsmuster zu bedenken. Geht man davon aus, dass die mit Fibeln bestatteten Frauen auch die alleinigen Besitzerinnen der Fibeln waren, sind grundsätzlich drei Modelle denkbar, wie der Erwerb der Fibeln über die Lebenszeit einer Frau ablaufen konnte. Modell 1: Jede Frau erhält nur eine Fibelausstattung innerhalb ihres Lebens. Modell 2: Über die Lebensspanne verteilt kann eine Frau nacheinander mehrere Fibelensembles besitzen. Es befindet sich aber immer nur ein Fibelsatz zur selben Zeit in ihrem Besitz, nie gleichzeitig mehrere. Modell 3: Eine Frau kann mehrere Fibelensembles gleichzeitig besitzen, wobei die Zahl der Fibeln im Laufe ihres Lebens ansteigen kann. Jedes der drei Modelle umfasst eine gewisse Zahl von Varianten, wie der Erwerb geregelt gewesen sein könnte. Im Folgenden sollen die genannten drei Modelle für persönlichen Besitz mit ihren Varianten näher betrachtet werden.

5.2.1 Modell 1 – Ein Fibelsatz im Leben Wie sehen die Möglichkeiten aus, nach denen Fibeln zu Grabbeigaben werden konnten, wenn eine Frau einmal in ihrem Leben Fibeln erwarb? Die verschiedenen Wege sollen mit dem Schaubild Abb. 41 verdeutlicht werden. Auch in diesem Fall besteht die grundsätzliche Möglichkeit, dass die Fibeln nicht zu Lebzeiten von der Verstorbenen erworben wurden, sondern ihr von der Bestattungsgemeinschaft ins Grab gelegt oder willkürlich aus dem Familienbesitz ausgewählt wurden. Erst mit der Grablegung gehen Fibeln und Frau dann eine scheinbare Verbindung im Grabkontext ein. Die Abnutzungsspuren an den Fibeln sind in diesem Fall beliebig und völlig unabhängig vom Lebensalter der Verstorbenen. Mögliche Gesetzmäßigkeiten und Regeln, nach denen die Auswahl und Beigabe der Fibeln erfolgte, sind mit der hier gewählten Herangehensweise nicht herauszuarbeiten.

210

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Einmaliger Erwerb von Fibeln

Nach dem Tod

Zu Lebzeiten

Variabler Erwerbungszeitpunkt

Einheitlicher Erwerbungszeitpunkt

Optionaler Erwerbungszeitpunkt

Siehe links

Siehe rechts Persönlicher Besitz

Vererbung

Grabbeigabe

Geht über in Familienbesitz

Bestattungsgemeinschaft

Familienbesitz

Vererbung

Grabbeigabe Bleibt im Familienbesitz

Ein beliebiges Fibelset aus dem Familienbesitz

Abb. 41: Schaubild der theoretischen Möglichkeiten, wie Fibeln erworben werden konnten und ins Grab gelangten. Grundlage ist ein einmaliger Erwerb von Fibeln zu Lebzeiten (Modell 1).

Sollte jedoch die Verstorbene zu ihren Lebzeiten die Fibeln erhalten und somit eine engere Verbindung zwischen der Toten und den Fibeln bestanden haben, stehen drei Modalitäten für den Erwerb zur Debatte. Die Fibeln können zu einem völlig variablen, optionalen oder festen Zeitpunkt erworben worden sein. Die Frauen erhielten beim hier vorgestellten Modell zwar nur einmal Fibeln, doch es stand ihnen nach der ersten Variante völlig frei, wann sie Fibeln erwarben. Oder sie hatten als zweite Variante zu verschiedenen Ereignissen oder Zeitpunkten in ihrem Leben einmalig die Möglichkeit, Fibeln in ihren Besitz zu bringen. Zur Auswahl stand eine gewisse Zahl von Anlässen, ein Erwerb konnte allerdings nur dann erfolgen, eine völlig freie Wahl des Erwerbszeitpunktes ist bei dieser Variante nicht möglich. Als dritte Variante für den einmaligen Erwerb von Fibeln ist ein für alle Frauen einheitlich vorgeschriebener Zeitpunkt denkbar, wie die Taufe, das Erwachsenwerden oder die Hochzeit. Die in dieser Arbeit zur Diskussion stehende Theorie des persönlichen Besitzes von Fibeln, mit ihrer Annahme eines einheitlichen Erwerbungszeitpunktes, dem lebenslangen Tragen und der Mitgabe ins Grab der Trägerin ist Teil des hier erörterten Modells, nach dem jede Frau nur eine Fibelausstattung innerhalb ihres Lebens erhält. Die These des persönlichen Besitzes der Fibeln und der darauf aufbauenden Annahme einer Korrelation zwischen Lebensalter der Frauen und Abnutzungsgrad der Fibeln entspricht der dritten hier vorgestellten Variante, einem einheitlich vorgeschriebenen Erwerbszeitpunkt.

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

211

Im nächsten Schritt erfolgt eine Untergliederung danach, ob es sich bei den Fibeln um persönlichen Besitz der Frau oder um Familieneigentum handelt. Denn die Trägerin muss nicht zwangsläufig auch die Eigentümerin der Fibeln sein. Im Schaubild wurde dieser Schritt nur für eine der drei Varianten dargestellt, um damit die Übersichtlichkeit zu wahren. Diese und die folgenden Unterteilungen sind für alle drei der möglichen Erwerbszeitpunkte gleich und müssen entsprechend gedanklich ergänzt werden. Die bisherigen Überlegungen beziehen sich auf Prozesse, die zu Lebzeiten der potentiellen Fibelträgerin abliefen. Der nächste Schritt geht mit dem Tod der Trägerin einher und zeigt auf, welche Möglichkeiten bei der Grablegung zur Wahl standen. Bei beiden Untergliederungen besteht die Möglichkeit, dass die in Frage kommenden Fibeln an eine oder wenige Personen vererbt werden.877 In diesem Fall tauchen sie nicht im Grabbefund auf. Für Überlegungen zu den Besitzverhältnissen ist diese Variante im Umgang mit den Fibeln nicht hilfreich, da sie mit den vorliegenden Mitteln nicht weiter untersucht werden kann. Es können auch keine Aussagen darüber getroffen werden, wie wahrscheinlich diese Möglichkeit ist. Da nicht alle Frauen Fibeln ins Grab bekamen, bestünde durchaus die Möglichkeit einer Vererbung, ohne dass diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher belegt oder widerlegt werden kann. Anstatt an eine einzelne Person vererbt zu werden, könnten die Fibeln nach dem Tod der Trägerin auch in den Besitz ihrer Familie878 übergehen; sie werden zu Familienbesitz bzw. gehen in diesen zurück. Mit den gleichen Konsequenzen für die Fragestellung wie oben gelangen auch hier keine Fibeln ins Grab. Die Fibeln können aber auch als Beigaben ins Grab gelangen. Im Grabbefund ist dann jedoch nicht mehr zu unterscheiden, ob es sich um die Eigentümerin handelt, die ihren persönlichen Besitz ins Grab bekam, oder um die Trägerin, die zwar die von ihr zu Lebzeiten getragene Fibelausstattung ins Grab bekam, welche aber rechtlich Eigentum ihrer Familie war und nicht ihr persönlich gehörte. Diese Differenzierung der Erwerbsmodalitäten ist bei den theoretischen Überlegungen möglich und wichtig, am Befund im Grab aber leider nicht mehr unterscheidbar. Die Variante, bei der die Fibeln zu Lebzeiten Familienbesitz waren, beinhaltet eine weitere Möglichkeit der Untergliederung: Die ins Grab gelegten Fibeln können

877 Laut den leges hatten Frauen persönlichen Besitz, über den sie unter bestimmten Voraussetzungen (V.a. Herkunft aus ihrer Familie durch Erbe oder Mitgift) eigenständig verfügen konnten und der nach anderen Regeln beurteilt und vererbt wurde als der Besitz ihres Mannes: Goetz 1995, 206–208; Hellmuth 1998, 82–86, 111, 118, 123, 207, 231–233, 236; Kroeschell 1982, 96; Lück 2003, 216, 219f.; Rietschel 1915. Ob Fibeln zu diesem persönlichen Eigentum gehörten, lässt sich nicht sagen. Auflistungen von persönlichem Besitz stammen erst aus späterer Zeit und umfassen dann meist Mobiliar und Heimtextilien. 878 Ihre ursprüngliche (elterliche) oder die ihres Mannes, in die sie eingeheiratet hat? Diese Unterscheidung und die Möglichkeit, dass die elterliche Familie erbberechtig ist, zeigen die leges: Hellmuth 1998, 118, 236.

212

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

auch eine willkürliche Auswahl aus dem Familienbesitz sein. Wie diese Auswahl erfolgt sein könnte, entzieht sich unseren Erkenntnismöglichkeiten. Abgesehen von verwandtschaftlichen Beziehungen zur Geberseite bestünde in diesem Fall keine direkte Verbindung zwischen der Toten und den Fibeln, da diese durchgehend Eigentum der Familie und keiner einzelnen Person waren. Der Unterschied zwischen den vorgestellten Möglichkeiten, wie Fibeln ins Grab gelangen konnten, liegt im Verhältnis zwischen der Toten und den Fibeln und in den Eigentumsverhältnissen der Fibeln zu Lebzeiten der mit ihnen bestatteten Frau. Sind die Fibeln zu Lebzeiten der Toten Familienbesitz und wird ihr dann eine Auswahl aus dem Familienbesitz ins Grab gegeben, ist die Familie durchgehend Eigentümer und die Frau hat im Extremfall keinen Einfluss darauf, welche Fibeln sie bekommt. Handelt es sich hingegen um ausschließlich von einer Person getragenen Familienbesitz, der – hier als Grabbeigabe aus Familienbesitz klassifiziert – ins Grab gelangte, sind diese Fibeln zwar rechtlich Eigentum der Familie; sie haben aber in diesem Fall nur eine Trägerin, der sie nach ihrem Tod ins Grab gegeben wurden und verbleiben nicht in Familienbesitz. Im archäologischen Befund ist nicht zu unterscheiden, ob es sich bei den Grabbeigaben zu Lebzeiten der Verstorbenen um Eigentum der Familie oder ihren persönlichen Besitz handelt, was rechtlich gesehen jedoch einen sehr großen Unterschied macht. Von den theoretischen Möglichkeiten fallen einige für die hier gestellte Frage aus, da sie eine Vererbung der Fibeln beinhalten und dadurch keine Fibeln in den Gräbern zu finden sein dürften. Sie können bei der Beantwortung der Frage, wie Fibeln in die Gräber gelangten, nicht weiterhelfen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie grundsätzlich unwahrscheinlich sind. Sie lassen sich nur im archäologischen Befund nicht fassen bzw. nicht sicher von anderen Möglichkeiten unterscheiden. Es kann durchaus sein, dass es zur Vererbung von Fibeln kam. Als Ursache für Fibeln im Grab sind also folgende Wege möglich: Einerseits kann es sich um Grabgeschenke der Bestattungsgemeinschaft oder ein willkürlich ausgewähltes Ensemble aus dem Familienbesitz handeln. Andererseits können die Fibeln aufgrund eines engeren Verhältnisses zwischen Verstorbener und Objekt als Beigaben ins Grab gelangt sein, wobei diese Verbindung je nach Besitzstand und Eigentumsverhältnis unterschiedlich ausgeprägt sein kann, sich aber im archäologischen Befund nicht abzeichnet.

5.2.1.1 Varianten des Erwerbungszeitpunkts Unabhängig von den Besitzverhältnissen zu Lebzeiten, beinhalten die drei Varianten des Erwerbungszeitpunktes für Fibeln jeweils unterschiedliche Konstanten (Tab. 40, Tab. 41).

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

213

Tab. 40: Tabellarische Auflistung der Parameter für die Kombinationsmöglichkeiten der drei Modelle. Erwerbungszeitpunkt(e) Fibelanzahl

Modell 1 – ein Fibelsatz

Modell 2 – mehrere Fibelsätze nacheinander

Abnutzung

Fest



/

Optional

↗↗

ΛΛΛ oder

Variabel



Fest-Fest



Λ

Fest-Optional



ᴧ zu ᴧᴧᴧ

Fest-Variabel



Optional-Fest

↗↗

Λ

Optional-Optional

↗↗

ᴧ zu ᴧᴧᴧ

Optional-Variabel

↗↗

Variabel-Fest



Variabel-Optional



Variabel-Variabel



Fest Modell 3 – mehrere Fibelsätze gleichzeitig

Optional



Variabel

Tab. 41: Tabellarische Zusammenstellung der Parameter für die Kombinationen von Modell 1. Kombination

Erwerbungszeitpunkt

Gesamtzahl an Fibeln in den Altersklassen

Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersklassen

1.1

Einheitlich

Bleibt gleich

Klare Korrelation zwischen Alter und Abnutzung in gerader Linie

1.2

Optional

Steigt sprunghaft an

Spitzen in der Verteilung der Abnutzungsgrade

1.3

Variabel

Steigt stetig an

Diffus, regellos, aber generell ansteigend

Kombination 1.1 (Abb. 42): Ein einheitlicher Erwerbungszeitpunkt der Fibeln bei allen Frauen führt dazu, dass sich die Gesamtmenge der Fibeln in den einzelnen Altersklassen nicht unterscheidet. Vor dem verbindlichen Erwerbungszeitpunkt hat keine der Frauen ein Anrecht auf Fibeln. Wenn der vorgesehene Zeitpunkt für den Erwerb überschritten ist, können zu den dann erworbenen Fibeln keine weiteren hinzukommen. Ein einheitlicher Erwerbungszeitpunkt müsste zu einer eindeutigen Korrelation zwischen dem Sterbealter der Frauen und dem Abnutzungsgrad der Fibeln führen, da alle

214

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

den gleichen Bedingungen unterliegen. In die beschriebene Kombination an Parametern lässt sich die These der Personengebundenheit von Fibeln einordnen. Erwerbszeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 42: Modell 1, Kombination 1.1: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei einmaligem Erwerb und einem festen Erwerbszeitpunkt.

Kombination 1.2 (Abb. 43): Können die Fibeln hingegen an mehreren optionalen Zeitpunkten erworben werden, erhöht sich die Gesamtzahl der Fibeln in der betroffenen Altersgruppe sprunghaft zu diesen Ereignissen. Je höher die Altersklasse, desto mehr Fibeln sind vorhanden. Im Verhältnis zwischen dem Alter der Bestatteten und der Intensität der Abnutzung zeigen die in diesem Schaubild verwendeten drei diagonalen Linien die zunehmende Abnutzung der Fibeln ab dem entsprechenden Erwerbungszeitpunkt. Der durchschnittliche Abnutzungsgrad aller Fibeln weist zu den jeweiligen Erwerbszeitpunkten eine deutliche Reduzierung auf, die durch das Hinzukommen neuer Fibeln verursacht wird. In der Frequenz bzw. Häufigkeit der Abnutzungsgrade zeigen sich gewisse Spitzen (Peaks), die mit den Erwerbungszeitpunkten korrespondieren.879 Kombination 1.3 (Abb. 44): Ein variabler, völlig frei wählbarer Zeitpunkt für den Erwerb der Fibeln führt mit fortschreitendem Alter der Frauen zu einer stetig wachsenden Zahl an Fibeln in den Altersklassen. Die durchschnittliche Abnutzung aller Fibeln

879 Frequenz bezieht sich darauf, ob es erkennbare Schwerpunkte (Peaks) in der Häufigkeit der Abnutzungsgrade in den einzelnen Altersklassen gibt. Ein einziger Erwerbszeitpunkt hat einen Peak in der Frequenz zur Folge, welcher mit zunehmendem Alter von leichter Abnutzung hin zu stärkerer Abnutzung wandert. Mehrere Erwerbszeitpunkte bilden entsprechend mehrere Peaks in den Abnutzungsgraden. Bei drei Erwerbszeitpunkten wie im Schaubild für Kombination 1.2. (Abb. 43) bilden sich drei Peaks aus.

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

215

Erwerbszeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 43: Modell 1, Kombination 1.2: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei einmaligem Erwerb und optionalen Erwerbszeitpunkten.

steigt mit zunehmendem Alter der Frauen an und zeigt bei jedem Erwerbszeitpunkt eine leichte Reduzierung, die aber durch die vielen möglichen Zeitpunkte nicht sehr deutlich ausgeprägt ist. Die Häufigkeit der Abnutzungsgrade ergibt ein diffuses Bild. Aufgrund der willkürlichen Erwerbungszeitpunkte bilden sich zwar gewisse Schwankungen, aber weder deutliche Spitzen in der Frequenz der Abnutzungsgrade noch eine klare Korrelation zwischen Abnutzung und Alter aus.

Erwerbszeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 44: Modell 1, Kombination 1.3: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei einmaligem Erwerb und variablen Erwerbszeitpunkten.

216

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

5.2.1.2 Vergleich mit den empirischen Daten Nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung erscheinen in der Verteilung der Abnutzungsgrade die oben880 beschriebenen Spitzen bzw. Wellen. Zudem nimmt die Gesamtzahl der Fibeln in begrenztem Umfang mit dem höheren Alter der Toten zu. Wie zuvor bereits gezeigt881 steigt der Anteil an Gräbern mit Fibeln von 9 % in der Altersklasse Infans I auf 14 % in der Altersklasse Senil. Beide Phänomene sprechen gegen die Annahme eines einheitlichen, vorgegebenen Erwerbungszeitpunktes. Denn bei dieser Variante sollte die Zahl der Fibeln gleich bleiben und sich eine klare Korrelation von Alter und Abnutzung zeigen, was aber nicht der Fall ist. Damit widerlegen die Ergebnisse die These der Personengebundenheit von Fibeln, die sich ja in einer gleichbleibenden Zahl von Fibeln und einer klaren Korrelation zwischen Alter und Abnutzung zeigen sollte. Von den bei diesem Modell des Fibelerwerbs möglichen Varianten sprechen die Untersuchungsergebnisse vielmehr für einen optionalen Erwerbungszeitpunkt: Die Zahl der Gräber mit Fibeln steigt mit zunehmendem Alter der Frauen und es sind Spitzen in der Verteilung der Abnutzungsgrade erkennbar. Angenommen, das erste Modell träfe zu und eine Frau hätte nur einmal in ihrem Leben Fibeln erworben, dann müsste folglich von einem optionalen Zeitpunkt für den Erwerb ausgegangen werden. Unter der noch zu belegenden Prämisse eines persönlichen Besitzes der Fibeln sind aber zwei weitere Modelle denkbar, für die die Übereinstimmung der möglichen Varianten mit den Ergebnissen der empirischen Analyse erst noch zu eruieren ist. Die hier herausgearbeitete plausibelste Variante muss also nicht die einzig gültige bleiben.  



5.2.2 Modell 2 – Mehrere Fibelsätze im Leben nacheinander Das zweite Modell zum Fibelerwerb beinhaltet die Option, dass eine Frau mehrere Fibelsätze erwerben konnte – allerdings mit der Einschränkung, dass sie immer nur einen Satz gleichzeitig besaß. Nach dieser Variante müssen die alten Fibeln bei einem Neuerwerb abgegeben werden. Der Frau steht somit immer nur ein Fibelsatz zur Verfügung. Das Modell gestaltet sich im Schaubild Abb. 45 entsprechend zu jenem des ersten Modells mit einmaligem Fibelerwerb. Die Modalitäten, nach denen Fibeln ins Grab einer Frau gelangen können, sind für beide Modelle die gleichen. Auch die Einschränkungen in Bezug auf die Auswertung sind hier identisch.

880 Kap. 4.2.3. 881 Kap. 4.2.2.

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

217

Mehrere Fibelsets, nacheinander

Nach dem Tod

Zu Lebzeiten

Variabler Erwerbungszeitpunkt

Einheitlicher Erwerbungszeitpunkt

Optionaler Erwerbungszeitpunkt

Siehe links

Siehe rechts Persönlicher Besitz

Vererbung

Grabbeigabe

Geht über in Familienbesitz

Bestattungsgemeinschaft

Familienbesitz

Vererbung

Grabbeigabe Bleibt im Familienbesitz

Ein beliebiges Fibelset aus dem Familienbesitz

Abb. 45: Schaubild der theoretischen Möglichkeiten, wie Fibeln erworben werden konnten und ins Grab gelangten. Grundlage ist der Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander (Modell 2).

5.2.2.1 Varianten der Erwerbungszeitpunkte Im Folgenden sollen erneut die Möglichkeiten genauer betrachtet werden, wie sie sich bei einer engeren Bindung zwischen Verstorbener und Fibeln darstellen. Die Varianten fester, optionaler und variabler Erwerbszeitpunkt ergeben in der Verbindung von Ersterwerb und darauffolgendem Neuerwerb neun mögliche Kombinationen (Tab. 42).882 Da nach diesem Modell die vorherigen Exemplare abgegeben wurden, schlagen sich im archäologischen Befund nur die zuletzt getragenen Fibeln nieder. Für die Abnutzungsgrade ist weniger entscheidend, unter welchen Voraussetzungen die ersten bzw. vorhergehenden Fibeln erworben wurden, sondern nach welchem Schema der Erwerb der letzen Fibelausstattung vor dem Tod erfolgte. Die Modalitäten für den Ersterwerb haben jedoch Auswirkungen auf die Anzahl der Fibeln sowie die Frequenz und den Durchschnitt der Abnutzungsgrade in den einzelnen Altersklassen, was für den Vergleich mit den Aussagen der erhobenen empirischen Daten wichtig ist (Tab. 43 und Tab. 40, Kap. 5.2.1.1).

882 Wobei theoretisch auch mehrere Neuerwerbszeitpunkte möglich sind. In diesem Fall gelten ebenfalls die im Folgenden beschriebenen Regeln.

218

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Tab. 42: Zusammenstellung der Kombinationen von Erwerbszeitpunkten bei Modell 2. Kombination

Ersterwerb

Neuerwerb

2.1

fest

fest

2.2

fest

optional

2.3

fest

variabel

2.4

optional

fest

2.5

optional

optional

2.6

optional

variabel

2.7

variabel

fest

2.8

variabel

optional

2.9

variabel

variabel

Kombination 2.1 (Abb. 46): Die Fibeln müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben und zu bestimmten Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibelanzahl über die Altersklassen hinweg bleibt gleich. Eine eindeutige Korrelation zwischen Alter und Abnutzung ist feststellbar. In der Frequenz der Abnutzungsgrade zeigt sich nur ein Peak. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt stetig an, fällt aber bei jedem Neuerwerb sprunghaft auf Grad 1 zurück. Kombination 2.2 (Abb. 47): Die Fibeln müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben und können zu verschiedenen Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibelanzahl über die Altersklassen hinweg bleibt gleich. Es zeigen sich klare Peaks in der Frequenz der Abnutzungsgrade, wobei deren Zahl mit jedem Neuerwerb zunimmt. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt stetig mit einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne883 an; es gibt keinen Rückgang auf Grad 1, aber deutliche Sprünge, welche die Neuerwerbszeitpunkte kennzeichnen.

883 Die Spanne der bei den einzelnen Fibeln möglichen Abnutzungsgrade wird breiter und kann entsprechend vom Durchschnitt abweichen. Dieses Phänomen tritt aber nur bei Kombinationen ohne festen Erwerbszeitpunkt auf, da hier durch den zwingend vorgeschriebenen Austausch aller Fibeln der Durchschnittsabnutzungsgrad auf Null zurückgesetzt wird und jegliche bisher vorhandenen Unterschiede einnivelliert werden.

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

219

Tab. 43: Tabellarische Zusammenstellung der Parameter für die Kombinationen von Modell 2. Kombination

Gesamtzahl an Fibeln

Durchschnittsabnutzungsgrad

Frequenz der Abnutzungsgrade

2.1

Bleibt gleich

Abnutzung in Sprüngen; bei Ein Peak Neuerwerb Rückgang auf Grad 1

2.2

Bleibt gleich

Abnutzung mit Sprüngen und zunehmend breiter Abweichungsspanne; kein Rückgang auf Grad 1

Peaks, werden mit jedem Neuerwerb mehr

2.3

Bleibt gleich

Abnutzung diffus (Linie mit vielen kleinen Sprüngen); zunehmende Abweichungsspanne; erscheint als Korrelation

Diffus

2.4

Steigt sprunghaft an

Abnutzung in Sprüngen; bei Ein Peak Neuerwerb Rückgang auf Grad 1

2.5

Steigt sprunghaft an

Abnutzung mit Sprüngen und zunehmend breiter Abweichungsspanne; kein Rückgang auf Grad 1

Peaks, werden mit jedem Neuerwerb mehr

2.6

Steigt sprunghaft an

Abnutzung diffus (Linie mit vielen kleinen Sprüngen); zunehmende Abweichungsspanne; erscheint als Korrelation

Diffus (Linie mit vielen kleinen Peaks, die mehr werden), etwas stärkere Peaks an den Ersterwerbspunkten

2.7

Steigt stetig an

Abnutzung diffus; zunehmende Diffus (Linie mit vielen Abweichungsspanne bis zum kleinen Peaks, die mehr Tausch der Fibeln; bei Neuerwerden) werb Rückgang auf Grad 1

2.8

Steigt stetig an

Abnutzung diffus mit Sprüngen und zunehmend breiter Abweichungsspanne; kein Rückgang auf Grad 1

Diffus (Linie mit vielen kleinen Peaks, die mehr werden), etwas stärkere Peaks an den Neuerwerbspunkten

2.9

Steigt stetig an

Abnutzung diffus (Linie mit vielen kleinen Sprüngen); zunehmende Abweichungsspanne; erscheint als Korrelation

Diffus (Linie mit vielen kleinen Peaks, die mehr werden)

220

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 46: Modell 2, Kombination 2.1: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei festem Ersterwerb und festem Neuerwerb.

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 47: Modell 2, Kombination 2.2: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei festem Ersterwerb und optionalem Neuerwerb.

Kombination 2.3 (Abb. 48): Die Fibeln müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben und können zu beliebigen Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibelanzahl über die Altersklassen hinweg bleibt gleich. Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist diffus mit vielen kleinen Peaks. Die Durchschnittsabnutzungsgrad-Kurve ist diffus ansteigend mit vielen kleinen Sprüngen ohne klare Peaks und einer zunehmend breite-

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

221

ren Abweichungsspanne. Sie kann besonders bei einer gröberen Darstellung als Korrelation erscheinen. Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 48: Modell 2, Kombination 2.3: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei festem Ersterwerb und variablem Neuerwerb.

Kombination 2.4 (Abb. 49): Die Fibeln können zu verschiedenen Zeitpunkten erworben und müssen zu bestimmten Zeitpunkten ausgetauscht werden (Wenn man einmal Fibeln hat, muss man sie danach zu bestimmten Zeitpunkten tauschen). Die Fibeln werden über die Altersklassen hinweg in Stufen nach jedem Erwerbszeitpunkt zahlreicher. Eine eindeutige Korrelation zwischen Alter und Abnutzung ist feststellbar. In der Frequenz der Abnutzungsgrade zeigt sich nur ein Peak. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt stetig an, fällt aber bei jedem Neuerwerb sprunghaft auf Grad 1 zurück. Kombination 2.5 (Abb. 50): Die Fibeln können zu verschiedenen Zeitpunkten erworben und zu verschiedenen Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibeln werden über die Altersklassen hinweg in Stufen nach jedem Erwerbszeitpunkt zahlreicher. Es zeigen sich klare Peaks in der Frequenz der Abnutzungsgrade, wobei deren Zahl mit jedem Neuerwerb zunimmt. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt stetig mit einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne an; es gibt keinen Rückgang auf Grad 1, aber deutliche Sprünge, welche die Neuerwerbszeitpunkte kennzeichnen.

222

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 49: Modell 2, Kombination 2.4: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei optionalem Ersterwerb und festem Neuerwerb.

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 50: Modell 2, Kombination 2.5: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei optionalem Ersterwerb und optionalem Neuerwerb.

Kombination 2.6 (Abb. 51): Die Fibeln können zu verschiedenen Zeitpunkten erworben und zu beliebigen Zeitpunkten ausgetauscht werden (Fibeln können nur zu bestimmten Ereignissen erworben werden, danach aber jederzeit getauscht werden. D. h. es gibt mehrere theoretisch in Frage kommende feste Ersterwerbszeitpunkte). Die Fibeln werden über die Altersklassen hinweg in Stufen nach jedem Erwerbszeitpunkt zahlreicher. Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist diffus mit vielen kleinen Peaks, an den Ersterwerbszeitpunkten sind die Peaks etwas ausgeprägter. Die Durch-

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

223

schnittsabnutzungsgrad-Kurve ist diffus ansteigend mit vielen kleinen Sprüngen ohne klare Peaks und einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne. Sie kann besonders bei einer gröberen Darstellung als Korrelation erscheinen. Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 51: Modell 2, Kombination 2.6: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei optionalem Ersterwerb und variablem Neuerwerb.

Kombination 2.7 (Abb. 52): Die Fibeln können zu beliebigen Zeitpunkten erworben und müssen zu bestimmten Zeitpunkten ausgetauscht werden (Wenn man Fibeln hat, muss man sie tauschen). Die Fibelanzahl wird über die Altersklassen hinweg kontinuierlich höher. Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist diffus mit vielen kleinen Peaks. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt diffus mit einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne an, fällt aber bei jedem Austauschszeitpunkt auf Grad 1 zurück, um danach wieder diffus anzusteigen. Die Kurve kann besonders bei einer gröberen Darstellung als Korrelation erscheinen. Kombination 2.8 (Abb. 53): Die Fibeln können zu beliebigen Zeitpunkten erworben und zu verschiedenen Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibelanzahl wird über die Altersklassen hinweg kontinuierlich höher. Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist diffus mit vielen kleinen Peaks, an den Neuerwerbszeitpunkten sind die Peaks etwas ausgeprägter. Der Durchschnittsabnutzungsgrad steigt diffus mit einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne an, hat aber deutlich ausgeprägte Sprünge an den Neuerwerbszeitpunkten, ohne jedoch auf Grad 1 zurückzufallen. Abgesehen von den Peaks der Neuerwerbszeitpunkte kann die Kurve als Korrelation erscheinen.

224

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin Abb. 52: Modell 2, Kombination 2.7: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei variablem Ersterwerb und festem Neuerwerb.

Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 53: Modell 2, Kombination 2.8: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei variablem Ersterwerb und optionalem Neuerwerb.

Kombination 2.9 (Abb. 54): Die Fibeln können zu beliebigen Zeitpunkten erworben und zu beliebigen Zeitpunkten ausgetauscht werden. Die Fibelanzahl wird über die Altersklassen hinweg kontinuierlich höher. Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist diffus mit vielen kleinen Peaks. Die Durchschnittsabnutzungsgrad-Kurve ist diffus an-

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

225

steigend mit vielen kleinen Sprüngen ohne klare Peaks und einer zunehmend breiteren Abweichungsspanne. Sie kann als Korrelation interpretiert werden. Erwerbszeitpunkt Austauschzeitpunkt Abnutzung der Fibeln mit gleichem Erwerbszeitpunkt Durchschnittsabnutzung aller Fibeln

Intensität der Abnutzung

Häufigkeit der Abnutzungsgrade

Alter der Trägerin

Abb. 54: Modell 2, Kombination 2.9: Grafische Darstellung zur Entwicklung der Fibelabnutzung bei Besitz von mehreren Fibelsets nacheinander bei variablem Ersterwerb und variablem Neuerwerb.

5.2.2.2 Vergleich mit den empirischen Daten Drei Kriterien müssen zwischen den Ergebnissen am Befund der Studie und den theoretisch möglichen Kombinationen übereinstimmen, um eine der neun Varianten plausibel zu machen: Die Entwicklung der Gesamtzahl an Fibeln, die Frequenz der Abnutzungsgrade und der Durchschnittsabnutzungsgrad in den einzelnen Altersklassen. Für das untersuchte Material steigt die Gesamtzahl der Fibeln je Altersklasse mit höherem Alter der Frauen an. Die Frequenz der Abnutzungsgrade weist teils mehrere Peaks auf, deren Position je nach Altersklasse schwankt. Der Verlauf des Durchschnittsabnutzungsgrades entspricht keiner geraden Linie, sondern weist Sprünge auf, ohne jedoch auf den Ausgangswert zurückzufallen. Zudem stellt sich die Abweichungsspanne zunehmend breiter dar. Zum ersten Kriterium Fibelanzahl steht ein fester Ersterwerb der Fibeln im Widerspruch, denn hier erhöht sich deren Gesamtzahl in den Altersklassen nicht. Ein fester Ersterwerb ist Bestandteil der ersten drei Kombinationen (Nr. 2.1–2.3), die demnach als Erklärungsansatz auszuschließen sind. Durch die relativ schematische Einteilung in Altersklassen kann am Befund nicht abgelesen werden, ob es sich beim Anwachsen der Gesamtzahl von Fibeln um einen sprunghaften oder stetigen Anstieg handelt. Die Kombinationen Nr. 2.4–2.9 mit optionalem bzw. variablem Ersterwerbszeitpunkt, d. h. sprunghaftem oder stetigen Anstieg der Fibelzahl, stimmen in Bezug auf das erste Kriterium mit dem Befund überein.  

226

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Die Frequenz der Abnutzungsgrade ist das zweite Kriterium, das erfüllt sein muss, um eine theoretisch mögliche Kombination als Erklärungsmodell in Frage kommen zu lassen. Hierbei ist entscheidend, dass es erkennbare Peaks gibt und sich die Frequenz nicht als völlig diffuse Linie darstellt. Nach diesen Vorgaben müssen die Kombinationen Nr. 2.3, 2.7 und 2.9 ausgeschlossen werden. Alle anderen Kombinationen weisen mehr oder weniger ausgeprägte und mehr oder weniger häufige Peaks auf. Als drittes Kriterium dient der durchschnittliche Abnutzungsgrad der Fibeln je Altersklasse. Kombinationen, bei denen der durchschnittliche Abnutzungsgrad durch einen festen Neuerwerbszeitpunkt auf null zurückfällt, müssen ausgeschlossen werden. Dies trifft auf Kombination Nr. 2.1, 2.4 und 2.7 zu. Weiterhin sollte der Durchschnittsabnutzungsgrad nicht in einer ungefähr kontinuierlichen Linie stetig anwachsen, sondern Sprünge aufweisen. Eine stetig wachsende Linie weisen jedoch die Kombinationen Nr. 2.3, 2.6 und 2.9 auf. In Übereinstimmung mit den am Befund vorgegebenen Parametern sind somit nur Kombination Nr. 2.2, 2.5 und 2.8. Zusammengenommen sind nur bei zwei Kombinationen alle drei Kriterien erfüllt (Tab. 44). Es handelt sich um Kombination Nr. 2.5 mit sprunghaftem Anstieg der Fibelanzahl, häufiger werdenden Peaks in der Frequenz der Abnutzungsgrade und Sprüngen im Verlauf des Durchschnittsabnutzungsgrads. Als zweite Kombination stimmt Nr. 2.8 mit allen Parametern des Befundes überein. Hier steigt die Anzahl der Fibeln stetig an, die Frequenz der Abnutzungsgrade hat etwas deutlicher ausgeprägte Peaks an den Neuerwerbspunkten und der durchschnittliche Abnutzungsgrad weist ebenfalls Sprünge auf. Tab. 44: Einhaltung der bei der Studienauswertung belegten Parameter in den Kombinationen von Modell 2. Kombination

Fibelanzahl mit Befund übereinstimmend

Frequenz der Abnutzungsgrade mit Befund übereinstimmend

Durchschnittsabnutzungsgrad mit Befund übereinstimmend

2.1

û

ü

û

2.2

û

ü

ü

2.3

û

û

û

2.4

ü

ü

û

2.5

ü

ü

ü

2.6

ü

ü

û

2.7

ü

û

û

2.8

ü

ü

ü

2.9

ü

û

û

Alle Parameter erfüllt

ü

ü

227

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

5.2.3 Modell 3 – Mehrere Fibelsätze im Leben gleichzeitig

Nach dem Tod

Zu Lebzeiten

Nach dem dritten Modell des Fibelerwerbs konnte eine Frau mehrere Fibelsätze in ihrem Leben erhalten. Im Gegensatz zum vorhergehenden Modell war sie aber nicht gezwungen, bei einer Neuanschaffung ihre alten Fibeln abzugeben. Sie konnte also im Laufe ihres Lebens immer mehr Fibeln ansammeln. Entsprechend wachsen damit die theoretischen Möglichkeiten, wie häufig die einzelnen Fibeln getragen wurden und welches Set nach dem Tod eventuell als Grabbeigabe ausgewählt wurde. Durch die höhere Zahl von Fibelsets ergibt sich eine höhere Zahl möglicher Untergliederungen des Modells. Im Schaubild stellen sich die Möglichkeiten wie folgt dar (Abb. 55).

Variabler Erwerbungszeitpunkt Siehe rechts

Mehrere Fibelsets, gleichzeitig Optionaler Erwerbungszeitpunkt

Persönlicher Besitz

Geht über in Familienbesitz Nur wenn genug vererbt wurde Das Älteste

Fester Erwerbungszeitpunkt Siehe links

Familienbesitz

Vererbung Ein Set als Grabbeigabe

Bleibt im Familienbesitz

Andere Regeln

Ein Set als Grabbeigabe Siehe links

Ein Beliebiges

Ein Das Das Bestimmtes Jüngste Lieblingsset

Vererbung

Ein Fibelset der Bestattungsgemeinschaft

Ein beliebiges Fibelset aus dem Familienbesitz

Abb. 55: Schaubild der theoretischen Möglichkeiten, wie Fibeln erworben werden konnten und ins Grab gelangten. Grundlage ist der Besitz von mehreren Fibelsets gleichzeitig (Modell 3).

Die ersten beiden Untergliederungen erfolgen wie zuvor nach den Modalitäten des Erwerbungszeitpunktes und nach den Besitzverhältnissen zu Lebzeiten. Der erste Schritt unterteilt also erneut danach, ob die Fibeln zu einem festen, optionalen oder variablen Zeitpunkt erworben werden konnten. Im zweiten Schritt wird zwischen persönlichem Besitz und Besitz der Familie differenziert. Wie gehabt sind für einen besseren Überblick die Untergliederungen nur für eine Variante dargestellt und analog dazu zu ergänzen.

228

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Bis zu diesem Punkt existieren keine Unterschiede zwischen den drei Modellen. Mit dem Tod der betreffenden Frau und der damit verbundenen möglichen Beigabe von Fibeln ins Grab bewirken die Grundannahmen der drei Modelle wie bereits gezeigt teils deutliche Abweichungen. Einige Möglichkeiten gelten jedoch in allen Fällen. Hierzu zählen die Vererbung der Fibeln an eine einzelne Person oder eine Übergabe bzw. Rückgabe an die Familie. Diese Möglichkeiten schließen grundsätzlich aus, dass Fibeln ins Grab der betreffenden Person gelangten. Auch die Optionen einer willkürlichen Auswahl eines Fibelsatzes aus dem Familienbesitz bzw. durch die Bestattungsgemeinschaft existieren für alle drei Modelle. Sie sind stets mit der Einschränkung verbunden, dass keine direkte Verbindung zwischen Verstorbener und Beigaben besteht, was die Ermittlung der Auswahlkriterien sehr schwer und eine Korrelation von Alter und Abnutzung unmöglich macht. Die Besonderheit des dritten Modells besteht in der großen Bandbreite an Möglichkeiten, nach denen aus den vorhandenen Ensembles im Besitz einer Frau jenes Set ausgewählt werden konnte, das als Grabbeigabe diente. Eine Beschränkung für die Beigabe ins Grab könnte hier beispielsweise dadurch entstehen, dass eine bestimmte Zahl an Fibelsets vererbt werden musste. Nur wenn danach noch Fibeln übrig waren, bestand die Chance, dass diese als Grabbeigaben dienten. Diese Variante stellt eine Einschränkung dar; sie erklärt nicht, nach welchen Modalitäten die Auswahl der Fibeln erfolgte und welche davon dann ins Grab gelangten. Nach heutigen Vorstellungen kämen als gängigste Auswahlkriterien das Lieblingsset oder das mit einem für die Trägerin besonders wichtigen Ereignis verbundene Fibelset in Frage; diese könnten tatsächlich auch im Frühmittelalter die Auswahl der Fibeln geregelt haben. Genauso wahrscheinlich könnte es aber auch sein, dass einfach ein beliebiges Set ins Grab gelangte oder die Auswahl nach völlig anderen Regeln und Kriterien erfolgte, an die heutzutage niemand denkt. Die Optionen des ältesten oder jüngsten oder eines bestimmten Fibelsets verleiten auf den ersten Blick dazu, diese mit einem der vorhergehenden Modelle gleichzusetzen. Wird immer das zu einem bestimmten, vorgegebenen Ereignis erworbene oder immer das älteste Fibelset ins Grab gegeben, liegt die Annahme nahe, dass die Varianten für Fibelerwerb und Mitgabe ins Grab identisch mit jenen des ersten Modells sind. Entsprechend könnte sich der Befund bei der regelhaften Auswahl des jüngsten Fibelsets analog zum zweiten Modell darstellen. Diese Überlegungen wären jedoch nur dann zutreffend, wenn ausschließlich das entsprechende Fibelset getragen wurde. Sollten nach dessen Erwerb die anderen Fibeln im Besitz bzw. Gebrauch einer Frau ebenfalls bzw. weiterhin von ihr benutzt worden sein, ist dieser Analogieschluss nicht mehr zulässig. Unabhängig davon wie häufig die einzelnen Fibeln getragen wurden, verteilt sich die Abnutzung auf mehrere Fibelsets. Damit ist eine Verbindung zwischen Abnutzung und Alter nicht mehr zu erkennen. Sollte das hier vorgestellte dritte Modell dem Erwerb und der Grabbeigabe von Fibeln zugrunde liegen und zudem weiterhin alle Fibeln mehr oder weniger gleich häufig getragen worden sein, dürfte sich keine Korrelation zwischen Abnutzungsgrad und Sterbealter nachweisen lassen.

5.2 Persönlicher Bezug zur Toten

229

5.2.3.1 Varianten der Erwerbungszeitpunkte Wie bereits bei den vorhergehenden Modellen geschildert, existieren auch hier verschiedene Varianten, die sich aus den unterschiedlichen Möglichkeiten und Kombinationen für die Erwerbungszeitpunkte der Fibelsets zusammensetzen. Zudem ist nicht klar, nach welchen Auswahlkriterien das Fibelset bestimmt wurde, das einer Frau ins Grab gelegt wurde – vorausgesetzt eines gelangte überhaupt ins Grab. Dadurch wird das Spektrum an Möglichkeiten drastisch umfangreicher als beim vorhergehenden Modell (Tab. 45 und Tab. 40, Kap. 5.2.1.1).

Tab. 45: Optionen für den Erwerb, die Auswahl und Tragefrequenz der Fibelsets einer Frau bei Modell 3. Diese sind beliebig miteinander kombinierbar, so dass eine Vielzahl an möglichen Kombinationen existiert.

Erwerbszeitpunkte

Tragefrequenz der Fibelsets

Auswahlkriterium für die Grablegung

Eines ausschließlich

Wenn genug vererbt wurde Ältestes Jüngstes Lieblingsset/Besonders wichtiges Ereignis Ein Bestimmtes Beliebig Sonstige Regeln

Fest Optional

Eines bevorzugt

Variabel Alle gleichmäßig

Weder lassen sich die Kriterien bestimmen, nach denen das für die Grablegung vorgesehene Fibelset ausgewählt wurde, noch ist zu ermitteln, wie oft welches Fibelset getragen wurde und wie viele Sets eine Frau besitzen konnte. Weiterhin darf nur bei ausschließlich festen Erwerbungszeitpunkten davon ausgegangen werden, dass alle Frauen ähnlichen Alters die gleiche Anzahl Fibelsätze besaßen. Im Gegensatz zu den vorhergehenden beiden Modellen kann damit keine theoretische Variante ausgeschlossen werden, es bleiben alle denkbar. Bleiben alle Fibelsets weiterhin in Gebrauch, auch wenn ein neues Set hinzukommt, dann spielt die Variante des Erwerbszeitpunkts keine Rolle mehr. Entscheidender als ein fester, optionaler oder variabler Zeitpunkt für den Erwerb ist die Tragefrequenz der einzelnen Fibeln. Wie oft eine Fibel getragen wurde spielt eine größere Rolle als der Erwerbungszeitpunkt und die Erwerbsvariante (Abb. 56). In diesem Fall entsteht keine regelhafte Abnutzung an den Fibeln. Damit ist auch zweitrangig, nach welchen Modalitäten die Fibeln ins Grab gelangten. Der individuelle Gebrauch überlagert diese Kriterien und sorgt für ein diffuses Bild ohne Korrelation von Alter und Abnutzung. Wird hingegen ein Fibelset ausschließlich oder überwiegend getragen, intensiviert dies die Abnutzung an den entsprechenden Fibeln. Eine gewisse Korrelation zwischen Alter und Abnutzung kann die Folge sein. Sie hängt jedoch sehr stark davon ab, welches das präferierte Fibelset ist, d. h. wann es erworben wurde und ob  

230

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

Intensität der Abnutzung (Peaks entsprechen dem Erwerbungszeitpunkt der Fibelsets)

bzw. wie oft sich die Präferenz verlagerte. Für die Optionen ältestes, jüngstes und ein bestimmtes Fibelset sind diese Überlegungen bereits angeklungen. Je ausgeprägter und länger die Präferierung war, desto deutlicher müsste sich eine Übereinstimmung von Alter und Abnutzung aufzeigen lassen, die aber nie so deutliche Werte erreichen kann, wie es bei Modell 1 der Fall wäre. Eine etwas deutlichere Korrelation sollte auch dann entstehen, wenn alle Frauen die gleiche Kategorie Fibelset bevorzugt trugen und ins Grab bekamen. Doch es kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass solch klare Vorschriften und Regeln, die das Tragen von Fibeln vereinheitlichten, tatsächlich existierten.

alle Sets gleichmäßig getragen

ein Set bevorzugt

ausschließlich ein Set

Alter der Fibelträgerin

Abb. 56: Ausprägung der Abnutzungspeaks für Modell 3 bei unterschiedlicher Präferierung der einzelnen Fibelsets.

5.2.3.2 Vergleich mit den empirischen Daten Die Auswertung der erhobenen Daten mit den drei Wellen legt gewisse Regelmäßigkeiten beim Fibelgebrauch nahe. Bei zu viel Variabilität und Willkürlichkeit könnten sich diese Wellen in der Abnutzung nicht herausbilden. Das Verteilungsbild im Diagramm wäre zu diffus. Eine analoge Schlussfolgerung gilt für zu viele Gemeinsamkeiten und klare, einheitliche Vorgaben: Hier wäre ein Diagramm mit sehr deutlich ausgeprägten Peaks und abrupten Abbrüchen zu erwarten. Ferner sollte man berücksichtigen, dass selbst im Fall eines sehr deutlich präferierten Fibelsets mit einer dann zu erwartenden Korrelation von Alter und Abnutzung nicht zwangsläufig auch dieses Set der Trägerin ins Grab gegeben wurde. Die Vorga-

5.3 Fibeln ohne persönlichen Bezug zur Toten

231

ben für die Auswahl der Grabbeigabe könnten auch auf ein anderes Fibelset ausgerichtet gewesen sein. Meiner Einschätzung nach ist nicht davon auszugehen, dass eine Frau immer das gleiche Set trug, wenn ihr mehrere zur Verfügung standen. Sei es, dass sie zwischen Alltag und Festtagen unterschied oder sich spontan für das eine oder andere Fibelset entschied oder bestimmte Fibelsets für bestimmte Ereignisse vorgesehen waren. Leider lassen sich die vielen Möglichkeiten des dritten Modells nicht so gut eingrenzen wie die der vorhergehenden beiden Modelle. Aus deren Erfahrungswerten lässt sich vermutlich dennoch ableiten, dass die Extremfälle unwahrscheinlicher sind als Varianten, die weder ein Fibelset absolut bevorzugen noch alle gleich behandeln. Gleiches gilt für die Erwerbszeitpunkte; ausschließlich feste oder völlig variable Zeitpunkte sind mit dem empirischen Befund eher nicht in Einklang zu bringen. Somit bleibt festzuhalten, dass aufgrund der hohen Variabilität und Unsicherheit der Auswahlkriterien und -modalitäten für Modell 3 keine Einschränkungen möglich sind, die einzelne Varianten gesichert plausibler machen würden als andere. Dadurch wird aber das Modell selbst nicht weniger plausibel als die anderen beiden Modelle.

5.3 Fibeln ohne persönlichen Bezug zur Toten 5.3.1 Varianten der Auswahl Die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Modelle für den Fibelerwerb galten unter der Voraussetzung, dass es sich um persönlichen Besitz der Frauen handelte. Eine Mitgabe ins Grab, die ohne eine direkte Verbindung zwischen Beigaben und Bestatteter auskommt, wurde dabei ausgeklammert. Bei der Besprechung der Erwerbsmodelle bei Personengebundenheit sind dennoch Möglichkeiten angeklungen, wie Fibeln ins Grab gelangt sein konnten, ohne aus dem persönlichen Besitz der Verstorbenen zu stammen. Auf die Erwerbsmöglichkeiten – oder vielmehr Möglichkeiten, nach denen Fibeln in Gräber gelangen konnten –, die ohne oder mit indirekter Verbindung zwischen Fibeln und Frau bestehen, wird im Folgenden eingegangen. Hierbei ist zwischen der gebenden Person(-engruppe), den Auswahlkriterien für die Fibeln und den jeweiligen Entscheidungsträgern zu differenzieren: Von wem stammen die Fibeln im Grab und wer hat entschieden, welche der zur Auswahl stehenden Fibeln welcher Person(en) ins Grab mitgegeben wurden? Eine Möglichkeit der Fibelbeigabe besteht darin, dass eine einzelne Person ihre Fibeln an die Tote weitergab. Bei der Schenkerin könnte es sich immer um die Person handeln, die in einem bestimmten (verwandtschaftlichen?) Verhältnis zur Toten stand, beispielsweise die älteste Tochter oder die Schwester. Alternativ könnte sie auch willkürlich oder nach vorgegebenen Regeln aus dem Kreis der Familie oder gar der Bestattungsgemeinschaft ausgewählt worden sein. In diesem Fall stellt sich die Frage, wer die Schenkerin auswählte. Denkbar wären klar vorgegebene Entschei-

232

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

dungsträger wie das Familienoberhaupt (männlich oder weiblich?), der Ehemann, die Geschwister oder die Kinder. Ebenso möglich ist, dass die ganze Familie gemeinsam entschied, weil die Regeln so formuliert waren oder weil es keine Regeln für die Auswahl der Schenkerin gab. Die Bestattungsgemeinschaft als Entscheidungsgremium ist in diesem Zusammenhang aufgrund ihrer Größe eher unwahrscheinlich, kann und soll aber nicht ausgeklammert werden. Sollte die Schenkerin mehrere Fibelensembles besessen haben, musste auch hier jemand eine Entscheidung darüber treffen, welche Fibeln der Toten ins Grab gelegt wurden. Am wahrscheinlichsten ist vermutlich, dass die Besitzerin der Fibeln entschied, dies kann aber nicht mit Sicherheit angenommen werden. Besonders bei dieser Konstellation der Grabausstattung wäre es interessant, zu erfahren, ob die Schenkerin ihre Fibeln ersetzt bekam; vor allem wenn sie zum Schenkungszeitpunkt nur ein Fibelensemble besaß, könnte dies Auswirkungen auf ihre eigene Grabausstattung haben. Familienbesitz ist eine weitere Eigentumsvariante, aus der heraus Fibeln ins Grab gelangt sein können. Nicht Einzelne, sondern die Gemeinschaft der Familie war hier Eigentümer der Objekte. In diesem Fall gibt es keine bestimmte schenkende Person. Die Fibeln wurden aus dem im Familienbesitz vorhandenen Spektrum ausgewählt. Ohne genaue Vorgaben konnte sich die Auswahl komplizierter gestaltet haben, denn vermutlich hatte eine Familie mehr Fibeln im Besitz als eine einzelne Person: Bei einem Ereignis, zu dem Fibeln getragen wurden, waren eventuell Fibelsets für mehrere Frauen gleichzeitig nötig. Andererseits konnte zwischen der Verstorbenen und bestimmten Fibeln des Familienbesitzes eine gewisse Verbindung bestehen, indem sie Lieblingsstücke hatte, aus anderen Gründen bestimmte Fibeln bevorzugt tragen durfte oder häufiger trug als andere Frauen ihrer Familie. Bestanden keine Vorgaben, die beispielsweise solche Präferenzen bei der Auswahl für die Bestattung berücksichtigten, wurde die Auswahl mit zunehmender Größe des Familienbesitzes schwieriger und willkürlicher. Weiterhin ist auch bei dieser Möglichkeit nicht klar, wer der oder die Entscheidungsträger bei der Auswahl der Fibeln waren. Ähnlich zum vorhergehenden Beispiel sind hier sehr viele Konstellationen denkbar. Die von Mirjam Kars diskutierten Familienerbstücke (family heirlooms)884 sind in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen. Bei den ins Grab gelangten Fibeln könnte es sich um solche über Generationen weitergegebene Familienerbstücke handeln, die zum Zeitpunkt der Bestattung keinen lebenden Verwalter hatten oder aus anderen familienpolitischen Gründen der Toten mit ins Grab gegeben wurden. Die dritte Möglichkeit, nach der Fibeln ohne direkte persönliche Verbindung ins Grab einer Frau gelangen konnten, stellt die Auswahl der Fibeln aus dem vorhandenen Spektrum der Familie oder gar der Bestattungsgemeinschaft dar. Dabei konnten die Fibeln frei aus diesem Spektrum zusammengestellt worden sein oder eine bestimmte Person oder Personengruppe ausgewählt worden sein, die das Fibelset für die

884 Kap. 2.2.1.7.

5.3 Fibeln ohne persönlichen Bezug zur Toten

233

Verstorbene zusammenstellte(n). Wer entschied vor diesem sehr breiten Feld denkbarer Konstellationen über die Auswahl der Schenkerin(-nen) und die Auswahl der Fibeln, wenn es keine klaren Vorgaben gab?

5.3.2 Vergleich mit den empirischen Daten Die hier vorgestellten Möglichkeiten haben den Nachteil, dass sie bestenfalls eine indirekte Verbindung zur Toten aufweisen und die Auswahlkriterien für die Schenker(in) und die Fibeln anhand des Befundes nicht ablesbar sind. Je größer die als Schenkerin zur Verfügung stehende Personengruppe war, je mehr Fibeln im Spiel waren und je größer die Gruppe der Entscheidungsträger war, desto unübersichtlicher sind die theoretisch möglichen Varianten, nach denen Fibeln ins Grab einer Frau gelangen konnten. Wie bei den vorhergehenden Varianten der drei Modelle bei persönlichem Besitz soll auch hier eine Gegenüberstellung mit den Ergebnissen der empirischen Studie eine Eingrenzung auf plausiblere Varianten ermöglichen. Da es laut empirischer Analyse offenbar keine willkürliche Verteilung der Abnutzungsgrade gibt, sondern gewisse Regelhaftigkeiten vorhanden sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Fibeln auch ohne persönlichen Bezug völlig willkürlich ausgewählt wurden. Unter dieser Voraussetzung lassen sich Varianten ausschließen. Die Möglichkeit, dass die Fibeln frei aus dem Fundus der Bestattungsgemeinschaft oder der Familie ausgewählt wurden, ist wenig plausibel. Es käme jedoch weiterhin Familienbesitz in Frage. Der empirische Befund ist einschränkend dahingehend zu interpretieren, dass es zwischen den Fibeln und einer Person eine gewisse Verbindung gab und diese Person – die nicht die Verstorbene sein muss – die Fibeln bevorzugt trug. Auf diese Weise können die nachgewiesenen Muster der Abnutzungsgrade am ehesten sinnvoll erklärt und in Übereinstimmung mit den theoretischen Möglichkeiten gebracht werden. Auch die Möglichkeit, dass immer dieselbe Person ihre Fibeln an die Verstorbene weitergab, lässt sich mit dem Studienbild in Einklang bringen. Die für einen Erwerb bei persönlichem Besitz geltenden Faktoren würden in diesem Fall für die Schenkerin gelten. Insgesamt muss aber festgehalten werden, dass selbst bei den in diesem Kapitel vorgestellten Möglichkeiten, nach denen Fibeln ins Grab einer Frau gelangen konnten, eine Verbindung zwischen einer Frau oder einer Frauengruppe und den Fibeln existierte. Bei den hier vorgestellten Varianten ist entweder die Schenkerin die Person, die die Besitzerin des kompletten der Toten mitgegebenen Fibelsets war. Bei einer Gruppe von Schenkerinnen wiederum besteht zwischen jeder beteiligten Frau und mindestens einer Fibel des neu zusammengestellten Ensembles ein Eigentumsverhältnis. Wirkliche Besitzlosigkeit und damit Unabhängigkeit von persönlichem Besitz besteht lediglich für den sich im gemeinschaftlichen Eigentum befindlichen Familienbesitz, bei dem zudem die einzelnen Stücke relativ gleichmäßig und willkürlich von den zur Familie gehörenden Frauen getragen wurden und keine Präferenzen oder Bevorzugungen eine Rolle spielten.

234

5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

5.4 Zusammenfassung Einerseits ist zu unterscheiden nach den Erwerbsmöglichkeiten unter der Prämisse, dass es sich bei den Grabbeigaben um den persönlichen Besitz der Toten handelte, und andererseits nach den Möglichkeiten, wie Fibeln ohne einen direkten Bezug zur Toten, also ohne persönlicher Besitz zu sein, in deren Grab gelangt sein konnten. Hierfür wurden Modelle entwickelt, die im Anschluss den empirischen Ergebnissen gegenübergestellt wurden. Modellvarianten, die nicht in Einklang mit der Empirie gebracht werden konnten, wurden als nicht plausible Varianten verworfen. Dadurch konnte das Spektrum an Varianten deutlich eingegrenzt werden. Die theoretischen Möglichkeiten des Fibelerwerbs bei persönlichem Besitz ließen sich in drei grundlegende Modelle untergliedern. Entscheidende Kriterien waren dabei die Anzahl der Fibelsets, die eine Frau besaß, und ob diese nacheinander oder gleichzeitig in ihrem Besitz waren: eine Frau konnte nur ein einziges Fibelset in ihrem Leben besessen haben (Modell 1), sie konnte nacheinander jeweils ein Fibelset in ihrem Besitz gehabt (Modell 2) oder sich im Laufe ihres Lebens mehrere Sets gleichzeitig angeeignet haben (Modell 3). Jedes Modell wurde in verschiedene Varianten untergliedert. Entscheidend war, ob der Erwerbszeitpunkt fest vorgegeben, zu verschiedenen optionalen Momenten möglich oder völlig variabel war. Dann wurde danach differenziert, ob es sich um persönlichen Besitz der Frau oder ihrer Familie handelte, denn die Trägerin muss nicht zwangsläufig auch die Besitzerin gewesen sein. Mit dem Tod der Trägerin hing die nächste Untergliederungsebene zusammen, denn nun musste entschieden werden, ob und wie die Fibeln ins Grab der Frau gelangten. Einige der theoretischen Möglichkeiten fielen aus, da die Fibeln beispielsweise durch Vererbung nicht ins Grab gelangten und für uns nicht fassbar sind. Für die Besitzverhältnisse zu Lebzeiten konnte für diese Varianten archäologisch keine Aussage getroffen werden. Fibeln im Grab konnten als Grabgeschenk dorthin gelangt, mehr oder weniger willkürlich aus dem Besitz der Familie ausgewählt oder aufgrund einer Verbindung zwischen Fibel und Verstorbener ins Grab gelegt worden sein. Je nach Modell ergaben sich unterschiedlich viele Varianten, die sich aus den Kombinationen der Erwerbungszeitpunkte zusammensetzen. Die Modalitäten fester, optionaler und variabler Erwerbungszeitpunkt waren für Modell 1 das entscheidende Kriterium für drei Varianten. Für Modell 2 war die Kombination von Ersterwerb und Neuerwerb(en) entscheidend; der Erwerb des ersten Fibelsets musste nicht zwangsläufig unter den gleichen Bedingungen ablaufen, wie der Erwerb der nachfolgenden Sets. Aus der Verknüpfung von festen, optionalen und variablen Erwerbszeitpunkten ergaben sich neun Kombinationen. Musste eine Frau bei Neuerwerb ihre alten Fibeln nicht abgeben (Modell 3), blieben zwar die drei Möglichkeiten zur Gestaltung des Erwerbszeitpunktes gleich, und auch die Untergliederung anhand der Besitzverhältnisse bestand weiter, danach aber ergab sich eine sehr große Bandbreite an Möglichkeiten. Darüber hinaus ließ sich nicht bestimmen, wie häufig die einzelnen Fibelsets

5.4 Zusammenfassung

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getragen wurden. Eine Korrelation von Abnutzungsgrad der Fibeln und Lebensalter der Frauen war für Modell 3 kaum nachzuweisen. Der Befund der Studie ergab, dass die Anzahl an Fibeln in den Altersklassen leicht zunimmt, dass der durchschnittliche Abnutzungsgrad in den Altersklassen ein Auf-und-Ab-Muster von stärkerer und schwächerer Abnutzung aufweist und dass es in der Frequenz der Abnutzungsgrade Schwerpunkte in den Häufigkeiten der Abnutzungsgrade gibt. Für Modell 1 bedeutet dies, dass eine Übereinstimmung nur bei optionalem Erwerbungszeitpunkt vorhanden ist. Sollte eine Frau tatsächlich nur einmal in ihrem Leben Fibeln erworben haben und diese in ihrem persönlichen Besitz gewesen sein, dann muss es mehrere Zeitpunkte gegeben haben, an denen eine Frau Fibeln erwerben konnte. Denn nur so kann erklärt werden, weshalb die Zahl der Fibeln in den Altersklassen leicht zunimmt und Spitzen in der Verteilung der Abnutzungsgrade sichtbar sind, was bedeutet, dass an bestimmten Zeitpunkten neue Fibeln hinzukamen, die den durchschnittlichen Abnutzungsgrad absenkten. Bei Modell 2, bei dem mehrere Fibelsets nacheinander im Besitz der Frau waren, besitzen sieben der neun theoretischen Möglichkeiten keine Übereinstimmung mit dem Befund. Entscheidende Kriterien sind auch hier die Entwicklung der Gesamtzahl an Fibeln in den Altersklassen, die Frequenz der Abnutzungsgrade und der durchschnittliche Abnutzungsgrad in den Altersklassen. Alle drei Kriterien sind nur für die Kombinationen 2.5 und 2.8 erfüllt, bei denen die Fibelzahl ansteigt, der Durchschnittsabnutzungsgrad wie im Studienbefund Wellen zeigt und die Frequenz der Abnutzungsgrade Peaks aufweist. Trotz der sichtbaren Regelmäßigkeiten, die sich durch die Wellen bei Durchschnittsabnutzungsgrad und die Abnutzungsgradsfrequenz abzeichnen, sind die theoretischen Möglichkeiten von Modell 3 zu zahlreich und ihre Unterschiede eher fließend, als dass sich eine sinnvolle Eingrenzung vornehmen ließ. Aus den Erfahrungen der beiden vorhergehenden Modelle ließ sich jedoch ableiten, dass die jeweiligen Extremfälle der drei Kriterien sehr viel unwahrscheinlicher sind, als eher ausgewogenere Erwerbsmöglichkeiten. Zusammengenommen ist davon auszugehen, dass optionale Erwerbs- und Austauschzeitpunkte am plausibelsten sind und vermutlich ein nicht allzu häufiger Austausch erfolgte, sich die Anzahl an Fibelsets je Frau also in einem überschaubaren Rahmen hielt. Offenbar gab es zudem gewisse Gewohnheiten oder Regeln, ohne deren Vorhandensein sich das relativ regelmäßige Bild des Studienbefundes nicht erklären lässt. Die Möglichkeiten, nach denen Fibeln in die Gräber gelangt sein können, ohne dass von persönlichem Besitz ausgegangen wird, untergliederten sich nach der gebenden Person(-engruppe), den Auswahlkriterien für die Fibeln und den Entscheidungsträgern. Alle Möglichkeiten wiesen nur eine indirekte Verbindung zur Toten auf, wodurch die Auswahlkriterien am Grabbefund nicht ablesbar sind. Die im empirischen Befund dokumentierten gewissen Regelhaftigkeiten in der Verteilung der Fibeln und der Abnutzungsgrade schließen eine völlig willkürliche Auswahl aus und er-

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5 Möglichkeiten des Fibelerwerbs

möglichten eine Eingrenzung der in Frage kommenden Möglichkeiten. Eine freie Auswahl aus dem Fundus der Familie oder der Bestattungsgemeinschaft ist eher unwahrscheinlich, wobei Familienbesitz nicht generell auszuschließen ist. Das Muster der Abnutzungsgrade lässt sich jedoch nur dann sinnvoll mit den theoretischen Möglichkeiten in Einklang bringen, wenn eine gewisse Verbindung zwischen den Fibeln und einer Person, die die Fibeln bevorzugt trug, angenommen wird. Damit würden dieselben Faktoren gelten, die bei persönlichem Besitz der Toten an den Fibeln wirksam sind.

6 Ergebnisse und Zusammenfassung 6.1 Bisherige Forschungen Merowingerzeitliche Fibeln waren von Beginn an zentraler Bestandteil der Frühmittelalterarchäologie. Ihre ästhetisch und materiell herausragenden Eigenschaften bewirkten eine Sonderstellung in der Forschung. Besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert beschäftigte sich die Archäologie neben der stilistischen Kategorisierung und Typologisierung mit der regionalen Verbreitung der Fibeln und einzelner Fibeltypen. Hierbei zeigte sich eine starke Tendenz hin zu einer ethnischen Zuordnung der Fibeln. In der Regel versuchte man, die Verbreitungsschwerpunkte mit historisch überlieferten Stämmen gleichzusetzen. Diese Gleichsetzung hat Auswirkungen bis hinein in die Chronologie, da beispielsweise historische Ereignisse für die Datierung der Fibeln herangezogen wurden. Die ethnische Zuordnung wurde kaum hinterfragt und zieht sich wie ein roter Faden durch die Forschung, ohne dass bislang tragfähige Argumente für diese Vorgehensweise erbracht werden konnten. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein diskutierte die Forschung über die Lage der Bügelfibeln im Grabzusammenhang. Aufgrund der fehlenden oder ungenauen Dokumentation war einerseits nicht klar, ob die Bügelfibeln mit der sogenannten Kopfplatte nach oben oder unten im Grab lagen. Diese Frage ließ sich mit sorgfältiger Dokumentation während der Ausgrabung im Grunde einfach klären, war aber dennoch lange Zeit Gegenstand der Diskussion. Gravierender und mit ihren Annahmen weitreichender war die Debatte um die Funktion der Bügelfibeln. Diese reichte von einem Verschluss des Leichentuchs ohne konkrete Funktion an der Kleidung über eine reine Schmuckfunktion bis hin zur Interpretation als ausschließlich funktionaler Verschluss der Kleidung. Davon abhängig waren und sind die vorgeschlagenen Kleidungsrekonstruktionen. Der Großteil der Forscher sah in den Bügelfibeln keine rein funktionalen Objekte, sondern sprach ihnen Symbolcharakter zu. Für Rainer Christlein waren sie, in Zusammenhang mit seinen Qualitätsstufen, Zeichen für den gehobenen sozialen Status und die Stellung ihrer Trägerinnen. Einige Archäologen sprachen ihnen sogar jegliche konkrete, verschließende Funktion an der Kleidung ab, wie es beispielsweise Max Martin mit seiner Interpretation der Bügelfibeln als Schmuck einer Schärpe tat. Ihre Funktion wurde vielmehr fast ausschließlich darin gesehen, als ethnischer Marker gedient zu haben. Damit in Verbindung stehend wurde für die geographische Verbreitung der einzelnen Fibelformen und –typen ethnische Zugehörigkeiten und Wanderungsbewegungen als Ursachen favorisiert. Nach dieser Lesart war die Ausgestaltung als ethnisch bedingte „Tracht“ essentieller Bestandteil der Kleidung, bei der primär die Bügelfibeln die ethnische Herkunft der Trägerin akzentuiert dem Betrachter präsentierten. Logische Konsequenz aus der Interpretation als ethnischer Marker ist eine enge Verknüpfung der Fibeln mit der Trägerin. Nur Fibeln, die die komplette

https://doi.org/10.1515/9783110754810-006

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

Lebensspanne der Trägerin von ihr getragen wurden, können deren ethnische Zugehörigkeit ausgedrückt haben, so die Annahme. Diese These der sogenannten Personengebundenheit wurde als gegeben vorausgesetzt und nicht weiter hinterfragt oder überprüft. Auf ihr bauten in der Folge viele Argumentationen und Theorien auf, die im Zusammenhang mit der ethnischen Deutung standen, aber auch in andere Themenfelder wie die Chronologie hineinspielten. Nicht nur Fibeln, auch viele andere Beigaben wurden als personengebundener, unveräußerlicher persönlicher Besitz interpretiert, der erst ab einem gewissen Lebensalter getragen werden durfte. Daraus wurde ein Altersbezug der Beigaben und besonders der Fibeln abgeleitet, der im Laufe der Forschung in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlichen Argumenten vertreten wurde. Teilweise versuchten Vertreter der Personengebundenheit die Tragedauer anhand von Abnutzungsspuren zu bestimmen und so in einer Art Zirkelschluss zu belegen, dass Fibeln personengebunden waren. Die Intensität der Abnutzung an den Fibeln wurde dabei ins Verhältnis zu den anthropologisch bestimmten Sterbealtern der Frauen gesetzt. In den letzen Jahren wurde der Schwerpunkt weg von einer ethnischen Deutung der Fibeln und einer personengebundenen Beigabenausstattung hin zu einer Interpretation der Beigaben als sichtbares Zeichen einer sozialen Rolle und damit verbunden einer Altersabhängigkeit der Objekte verschoben. Diese soziale Rolle sei mit einem bestimmten Lebensabschnitt der Frauen verbunden und nach Ansicht einiger Verfechter dieser Theorie mit ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter verknüpft gewesen. Sowohl die These der Personengebundenheit als auch die der Altersabhängigkeit grenzen verschiedene Altersgruppen aus und gestehen ihnen nicht zu, bestimmte Objekte – hier besonders die Bügelfibeln – zu tragen. Aus der engen Verknüpfung von Personengebundenheit und ethnischer Interpretation leitet sich die grundlegende Annahme ab, Fibeln seien erst ab einem bestimmten Alter getragen worden. Folglich hätten Kinder nicht mit Fibeln bestattet worden sein dürfen. Kinderbestattungen mit Fibeln sind jedoch nicht unbedingt selten und brachten die Verfechter der Personengebundenheit in Erklärungsnot. Entsprechende Kindergräber wurden nicht beachtet oder als Ausnahmen deklariert, bei denen besondere Umstände dazu geführt hätten, dass den Kindern Fibeln als Grabgeschenke oder als Hinweis auf den Familienstatus oder den zukünftigen Status des Mädchens mitgegeben wurden. Nach zunehmender Kritik an der ethnischen Deutung vertraten primär Guy Halsall und Sebastian Brather die Auffassung, in den Fibeln ein Zeichen für eine soziale Rolle zu sehen, welche erwachsene Frauen innehatten und mit deren Symbolen sie bestattet wurden. Weitere Argumente für eine Altersbezogenheit der Fibeln bzw. generell der Beigaben sahen sie in der Höhe der in den leges angegebenen Bußgelder für die Tötung einer Person. Entsprechend diesen Überlegungen füllten Kinder und alte Frauen die soziale Rolle noch nicht bzw. nicht mehr aus, weshalb auch die zugehörigen, mit einem Zeichencharakter versehenen Objekte im Grabzusammenhang fehlen. Den Aspekt der nach anderen Parametern behandelten Alten brachte auch Eva Stauch mit ihrem Aufsatz „Alter ist Silber, Jugend ist Gold“ in die Diskussion ein. Zuvor hatte

6.1 Bisherige Forschungen

239

sich schon Brigitte Lohrke mit der Situation der Kinder in der Merowingerzeit gezielter auseinandergesetzt. Die auch mit der Theorie einer Altersabhängigkeit zuerst nicht zu erklärenden Fälle von Kindern und alten Frauen mit Fibeln wurden für die Kinder teils als Hinweis auf eine zukünftige Rolle begründet. Besonders Brather deutete die Abweichungen jedoch als Zeichen für die soziale Rolle, die von den betroffenen Mädchen verfrüht eingenommen werden musste, weil die Vorgängerin vorzeitig verstorben war. Den Fall der alten Frauen hingegen interpretierte er dahingehend, dass diese ihre Rolle über die reguläre Zeit hinweg beibehalten hatten, weil eine Nachfolgerin fehlte. Eine Einschränkung sowohl für die Theorie der Personengebundenheit als auch die Theorie der Altersabhängigkeit stellt die Tatsache dar, dass beide ihre Annahmen und Aussagen auf alle Frauen des Frühen Mittelalters beziehen. Dies geschah zwar meist unbewusst und nicht explizit, dennoch fand diese Verallgemeinerung statt. Es wurde leider nicht bedacht, dass die Überlegungen auf dem Vorhandensein von Fibeln basieren und in der Folge nur bei Vorhandensein von Fibeln gelten können. Da aber nur eine Minderheit der Frauen Fibeln ins Grab bekam, können die Aussagen nicht verallgemeinert und auf alle Frauen jener Epoche bezogen werden – vorausgesetzt, dass von der Grabausstattung überhaupt direkt auf die Verhältnisse zu Lebzeiten geschlossen werden kann. Eine ethnische Zuordnung anhand der Fibeltypen scheitert schon allein daran, dass dem größten Teil der Frauen diese Möglichkeit nicht zur Verfügung stand und sie andere Wege suchen mussten, mit denen sie eine ethnische Identität ausdrücken konnten – sofern Ethnizität überhaupt ein wichtiger Faktor für die damalige Bevölkerung war und eine entsprechende Zurschaustellung intendiert wurde. Sollten die Fibeln Symbol für die Ausübung einer altersgebundenen sozialen Rolle aller Frauen sein, stellt sich auch hier die Frage, mit welchen anderen Mitteln diese Rolle nach außen hin präsentiert werden konnte, wenn das Tragen von Fibeln nicht möglich war. Wodurch konnte der den Fibeln zugesprochene Zeichencharakter ohne deren Vorhandensein kompensiert werden, was konnte deren Funktion übernehmen? Oder, in eine andere Richtung gedacht, warum bekamen nur einige Frauen Fibeln ins Grab, wenn alle zu Lebzeiten Fibeln trugen? Sämtliche Überlegungen, die außer Acht lassen, dass sehr wahrscheinlich nicht die gesamte weibliche Bevölkerung Fibeln trug, sind vor diesem Hintergrund bestenfalls eingeschränkt gültig und sollten mit entsprechender Zurückhaltung angewandt werden. Grundsätzlich problematisch an den Argumentationen mit einer Personengebundenheit oder Altersabhängigkeit ist darüber hinaus die Berufung auf Verteilungsmuster, die sich durch die absoluten Häufigkeiten der Altersklassen und die absolute Verteilung der Beigaben unter den Verstorbenen ergeben. Tritt primär die Altersklasse Adult auf, wie es im Frühmittelalter der Fall ist, ist auch primär in dieser Altersklasse mit mehr Exemplaren einer Objektkategorie zu rechnen. Zudem steigt mit der Größe der Gruppe die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten seltener Objekte, die Wahrscheinlichkeit für eine größere Beigabenvielfalt ist höher. Die genannten Punkte füh-

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

ren dazu, dass sich in der mit Abstand häufigsten Altersklasse Adult mehr Exemplare eines Objekttyps finden und der Spielraum im Beigabenumfang größer ist. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass in dieser Altersklasse Beigaben tatsächlich am häufigsten und am umfangreichsten in die Gräber gelangten. Um diese Fragen beantworten zu können, müssen die prozentualen Verhältnisse je Altersklasse berücksichtigt werden. Zudem steht die Frage im Raum, wie viele Frauen – bei Annahme einer Altersabhängigkeit der Beigaben – überhaupt mit diesen Objekten bestattet wurden, also wie viele Frauen in einer Situation verstarben, in der es keine Nachfolgerin gab, die die Rolle übernehmen konnte. Eine Tochter, Schwester oder Mutter, an welche die soziale Rolle weitergegeben werden konnte, sollte es doch in den meisten Fällen gegeben haben. Hier steht grundsätzlich zur Diskussion, ob überhaupt von einer altersgebundenen Rolle ausgegangen werden kann, wenn diese an Personen weitergegeben werden konnte, die nicht in das vorgegebene Altersprofil passten, also zu jung oder zu alt waren. Akzeptiert man die Weitergabe der sozialen Rolle an zu junge Personen bei verfrühtem Tod der bisherigen Rolleninhaberin bzw. das verlängerte Innehaben der Position bei fehlender Nachfolgerin als Standardoption, kann nicht mehr von einer altersabhängigen Rolle gesprochen werden. Die Rolle ist dann vielmehr an beispielsweise den sozialen Status der Familie gebunden und relativ losgelöst vom Alter der Trägerin. Unabhängig von dieser Überlegung ist völlig unklar, wie hoch in der Folge der Anteil weiblicher Personen war, die unzeitgemäß diese Rolle übernommen bzw. beibehalten hatten und dann selbst verstarben, ohne eine Nachfolgerin zu haben oder selbst das reguläre Alter erreicht zu haben. Denn nur in diesem Fall bestand die Möglichkeit, dass die Fibeln mit der Verstorbenen ins Grab gelangten und für uns sichtbar werden. War die Rolle als Ehefrau und Mutter innerhalb der Familie tatsächlich so wichtig, wie angenommen, dann muss davon ausgegangen werden, dass die Familie alles in ihrer Macht Stehende tat, um eine Person zu finden, die diese Rolle übernehmen konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fibeln der Verstorbenen mit ins Grab gegeben werden mussten, weil die Nachfolge nicht geregelt werden konnte, ist somit als gering anzusehen. Die belegte Zahl von mit Fibeln bestatteten Frauen außerhalb des angenommenen korrekten Altersspektrums dürfte diese übersteigen. Die je nach Alter und Geschlecht schwankenden Beträge der in den Leges genannten Wergelder wurden als Beleg für die Altersabhängigkeit der Beigaben herangezogen. Allerdings werfen die genauere Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Leges und die Höhe der einzelnen Wergeldsätze einige Fragen auf, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob die Leges zur Unterstützung einer Argumentation für eine Übereinstimmung der Beigaben mit dem Lebensalter und einer sozialen Rolle herangezogen werden können. Grundlegender noch ist die bislang zu wenig geführte Diskussion, ob es sich bei den Grabbeigaben um den persönlichen Besitz der Toten handelt, oder ob beispielsweise auch Grabgeschenke, Stücke aus Familienbesitz und Familienerbstücke darunter sein können. Über die Beweg- und Hintergründe, die für eine Deponierung be-

6.2 Abnutzungsfaktoren

241

stimmter Objekte im Grab sorgten, ist letzlich zu wenig bekannt. Meist wird das Thema nicht angesprochen und die Objekte mehr oder weniger bewusst als persönlicher Besitz bzw. persönliche Ausstattung der Toten angesehen, die ihm oder ihr in der Konsequenz mit ins Grab gegeben werden musste. Die Grabausstattung entspricht nach dieser Denkweise der Lebendausstattung und spiegelt die Verhältnisse zu Lebzeiten direkt wider. Wie Mirjam Kars aber richtig anmerkte, können Objekte als Symbole einer ererbten sozialen Stellung oder Position ebenfalls Teil einer Erbreihe sein. Damit gehören sie nicht zum persönlichen Besitz der Trägerin/des Trägers, sondern sind Teil des Familieneigentums. Durch den kollektiven Besitz und die Weitergabe von Generation zu Generation helfen die Objekte dabei, die soziale Stellung der Familie darzustellen und zu sichern. Sind diese Objekte direkt mit einer sozialen Rolle verknüpft, ist es plausibler, dass sie möglichst nicht ausgetauscht werden. Damit lässt sich der dokumentierte schnelle Formenwandel der Fibeln jedoch nicht in Einklang bringen. Ermächtigt die Rolle nur dazu, bestimmte Objekte zu tragen, ist jedoch ein kontinuierlicher Modewandel möglich und erklärbar. Dann ist aber unklar, was mit den Fibeln der Vorgängerin passierte. Wurden sie in Anzahlung gegeben und eingeschmolzen, als Wert- oder Materialdepot „für schlechte Zeiten“ aufgehoben oder der Trägerin ins Grab gegeben? Die Kombination aus Rollenausübung und der reinen Ermächtigung, bestimmte Objekte zu tragen, macht aber bei einer ererbten sozialen Position mit immer nur einer gleichzeitigen Trägerin weniger Sinn. In Anbetracht der Formenvielfalt merowingerzeitlicher Fibeln ist meines Erachtens nicht von einer direkten Verbindung zwischen Fibeln und altersabhängiger sozialer Rolle auszugehen.

6.2 Abnutzungsfaktoren 6.2.1 Restaurierung Bei einer Restaurierung mit chemischen Methoden können die gesamten Korrosionsprodukte und damit oft auch die originale Oberfläche verloren gehen und alleine der Metallkern des Fundes übrigbleiben. Dieser Materialverlust geht mit einem großen Informationsverlust einher. Die bei einer chemischen Reinigung freigelegten zerfressenen, narbig-unebenen Oberflächen zeigen nur den Grad an Korrosion an einem Objekt. Für eine Untersuchung der Abnutzungsintensitäten sind die so behandelten Gegenstände im schlimmsten Fall nicht mehr zu gebrauchen: Wenn die originale Oberfläche nicht mehr erhalten ist, können daran in der Folge auch keine Abnutzungserscheinungen mehr dokumentiert werden. Nicht jeder Fund, der völlig zerfressen aussieht, muss dieses Aussehen durch eine chemische Reinigung erhalten haben. Die sogenannten „ostgotischen Fibeln“ sind im Normalfall in schlechtem Erhaltungszustand und weisen eine narbige, unregelmäßige Oberfläche auf. Selbst bei neuesten Grabungen mit sofortiger schonender Konservierung sind diese Fibeln optisch von einer vor einigen Jahrzehnten mit chemischen

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

Verfahren restaurierten Fibel anderen Typs kaum zu unterscheiden. Hier scheinen bestimmte Eigenschaften der Fibeln, wie eventuell ihre Legierungszusammensetzung oder die Weiterverarbeitung nach dem Guss, für die schlechtere Erhaltung eine Rolle zu spielen. Aber auch die zu intensive Reinigung mittels Stahlbürsten oder Schleifmitteln kann zu massiven Veränderungen und Überformungen der Fibeloberfläche führen und die entsprechend bearbeiteten Areale einer Fibel für eine Analyse der Abnutzungsspuren ungeeignet machen. Diese stark beeinträchtigten Areale sind jedoch in der Regel erkennbar und wurden von mir während der Datenaufnahme nicht begutachtet, somit verfälschen sie das Ergebnis der Auswertung nicht. Teilweise fielen einzelne Fibelareale oder auch ganze Fibeln für eine Untersuchung der Abnutzungsspuren aus, weil beispielsweise bei der Restaurierung Textilreste auf den Fibeln belassen wurden und die dadurch verdeckte Fibeloberfläche nicht zu sehen ist. Im Fall der komplett in Stoffstreifen eingewickelten Bügelfibel aus Altenerding Grab 319 betrifft dies tatsächlich die ganze Fibel. Meist sind aber nur die Areale um die Nadelkonstruktion betroffen, da das hierfür verwendete Eisen besonders gute Erhaltungsbedingungen für textile Reste bietet. Bei in früherer Zeit restaurierten Fibeln wurden häufig sämtliche eisernen Korrosionsprodukte entfernt. Hier sind dann zwar Nadelhalter und Nadelrast freigelegt und beurteilbar, dafür fehlen die für andere Fragestellungen wichtigen Textilreste und die eisernen Teile der Nadelkonstruktion. Die zunehmend rein konservierenden Maßnahmen, die keine komplette Freilegung der Objekte beinhalten und sie teilweise in sogenannten Skin-Verpackungen versiegeln, bedingen, dass ein Teil der vor kurzem ausgegrabenen Fibeln für die hier behandelte Fragestellung nicht zu gebrauchen ist. Dies ist zwar bedauerlich, doch in Anbetracht der methodischen Leitlinien und der finanziellen Lage der Denkmalpflege nachvollziehbar. Es standen auch ohne diese Stücke ausreichend Fibeln für eine Untersuchung zu Verfügung. Glücklicherweise ist nur ein kleinerer Teil der in dieser Studie ausgewerteten Fibeln von solchen Einschränkungen betroffen. Selbst bei massiven Überprägungen oder reichlich erhaltenen Textilresten ist fast nie die ganze Fibel beeinträchtigt. Im Normalfall beschränken sich die beschriebenen Phänomene auf die Rückseiten der Fibeln. Die Vorderseiten sind meist mit mehr Sorgfalt und Vorsicht freigelegt worden, weisen seltener ankorrodierte Textilien auf und sind für eine Analyse der Abnutzungsintensitäten geeignet. Dadurch fallen in der Regel nur einzelne Areale aus, was aber bei dem verwendeten System der Aufnahme nur eine geringe Rolle spielt, denn es konnten trotzdem Abnutzungswerte an der Fibel ermittelt werden.

6.2 Abnutzungsfaktoren

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6.2.2 Trageweise und Lage der Fibeln Der Konsens in der Forschung tendiert nicht zuletzt aufgrund der bei der Restaurierung dokumentierten textiltechnologischen Details dazu, die Lage der Fibeln im Grab mit deren Trageposition zu Lebzeiten gleichzusetzen. Damit wird die so hergeleitete Trageweise der Fibeln zur Grundlage von Kleidungsrekonstruktionen. Diese zeigen den sich wandelnden Forschungsstand und unterscheiden in ihrer Funktionszuweisung meist zwischen Bügelfibeln und sonstigen Fibeln. Zentral waren Überlegungen zur Frage, ob besonders die Bügelfibeln überhaupt eine konkrete Verschlussfunktion an der Kleidung besaßen oder nicht. Dieser Aspekt wird bis heute intensiv diskutiert, wie die Debatten um Altersabhängigkeit und Personengebundenheit zeigen. Konkrete Informationen zur Anbringung und Funktionalität der Fibeln erbrachte die genaue Beobachtung und Dokumentation von organischen Resten an den Fibeln. Hinweise auf Ösen, Riegel, Lederbändchen und Borten, aber auch die Reste der eigentlichen Textilien ermöglichen einen sehr viel detaillierteren Blick auf die Anbringung, Lage und Trageweise der Fibeln. In Kombination mit den Beobachtungen an anderen metallenen Kleidungsbestandteilen ergibt sich ein umfassenderes Bild der Kleidung der damaligen Zeit, wobei das Erkenntnispotential der Textilarchäologie bei Weitem noch nicht ausgeschöpft ist und auch weiterhin spannende Ergebnisse liefern dürfte. Mit einer fundierteren Rekonstruktion der Kleidung und damit der Trageweise der Fibeln könnte es in Zukunft möglich werden, Unterschiede in der Art und Intensität der Abnutzung durch die Lage der Fibeln an der Kleidung erklären zu können.

6.2.3 Textilarchäologie Die schon bei der Herstellung an einigen Bügelfibeln angebrachten Schutzüberzüge haben einen großen Einfluss auf die Abnutzung der entsprechenden Fibel, da sie deren Oberfläche vor Abrieb schützen und der eigentliche Fibelkörper erst viel später in Mitleidenschaft gezogen wird. Der an der Fibel feststellbare Abnutzungsgrad müsste um den Betrag ergänzt werden, den der eventuell vorhandene Schutzüberzug abgefedert hat. Da aber allenfalls experimentalarchäologisch zu ermitteln wäre, wie lange ein Schutzüberzug aus beispielsweise Darmhaut der Beanspruchung beim Tragen standhalten konnte und wie viel Abrieb dieser Zeitraum entspricht, lässt sich dieser Betrag nicht ermitteln. Es kann lediglich festgehalten werden, dass der ermittelte Abnutzungsgrad nur in einem Teil der Gebrauchsspanne entstand und diese in der Folge auch nicht korrekt widerspiegeln kann. Auswirkungen auf die hier behandelte Fragestellung haben auch Futterale. Sie gelangten nicht mit allen Fibeln ins Grab, vorausgesetzt es existierte überhaupt für jede Fibel ein Futteral. Unsicherheiten für die Beurteilung des Effekts, den die Futterale haben, entstehen weiterhin durch die unbekannten Tragebedingungen. Wurden Futte-

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

rale ständig auf den Fibeln belassen und wie veränderten sich die Abnutzungsspuren dadurch? Waren es lediglich Aufbewahrungstäschchen für die Zeit, in der die Fibeln nicht getragen wurden? Oder waren es Anfertigungen speziell für die Grablegung? Der Faktor „Schutzüberzüge und Futterale“ ist durch seine relative Neuheit noch mit vielen Fragen und Unsicherheiten behaftet, die eine Beurteilung ihres Einflusses sehr schwierig machen. Vernachlässigbar ist er aber sicher nicht. Die größte Einschränkung liegt in der Unsicherheit, wie viele der Fibeln mit Schutzüberzügen und Futteralen versehen waren. Bislang konnten sie nur an einigen wenigen Exemplaren nachgewiesen werden. Die weitere Forschung wird hoffentlich zeigen können, wie hoch der Anteil entsprechend ausgestatteter Fibeln war.

6.2.4 Tragefrequenz Die Tragefrequenz ist ebenfalls ein Faktor, der in Bezug auf die Abnutzung von entscheidender Bedeutung ist, aber beim momentanen Stand der Forschung nicht beziffert werden kann. Allerdings sehe ich keine Möglichkeit, diese Einschränkung zu beheben. Um ihn zu ermitteln, müsste man sowohl die exakte Tragedauer der Fibeln als auch die durchschnittliche Rate an Materialverlust innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kennen. Nur dann könnte man auf die Häufigkeit rückschließen, mit der eine Fibel in einem Zeitabschnitt getragen werden musste, um den entsprechenden Grad an Abnutzung zu erreichen. Beide Parameter – Tragedauer der Fibel und durchschnittlicher Materialverlust – sind von zentraler Bedeutung für die vorliegende Arbeit. Wie sich zeigte, können sie aber nicht ermittelt werden. Folglich bleibt auch die Tragefrequenz eine unbekannte Größe.

6.2.5 Metallurgische Untersuchungen Legierungszusammensetzung, Härte und Gefüge sind wichtige Materialeigenschaften, die die Abriebsbeständigkeit einer Fibel beeinflussen. Sie zu bestimmen ist grundsätzlich nicht schwer, erfordert aber Kompromisse wie einen geringen Materialverlust oder die Veränderung kleiner Teile der Fibel durch die Präparation der Testflächen. Zudem müssen für eine korrekte Messung einige Dinge beachtet werden. Grundlegend ist die richtige Probenentnahme bei der Bestimmung der Legierungszusammensetzung. Diese darf nicht an der Oberfläche durchgeführt werden, da es hier aufgrund der Korrosionsprozesse im Boden zu einer Oberflächenanreicherung bestimmter Legierungsbestandteile sowie einer Abreicherung anderer Elemente und somit zu verfälschten Ergebnissen kommt. Die Beeinträchtigung durch die Oberflächenanreicherung hat zur Folge, dass die bisherigen Metallanalysen an Fibeln nur sehr eingeschränkt zu verwenden sind. Neuere Analysen, die unterhalb der korrosionsbedingt veränderten Schichten messen, liegen noch nicht vor.

6.2 Abnutzungsfaktoren

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Härtemessungen an den Fibeln, die Hinweise auf das Gefüge und damit die Abriebsbeständigkeit der Fibeln geben könnten, wurden noch nicht durchgeführt. Eine im Rahmen dieser Arbeit angedachte Testreihe konnte nicht realisiert werden, da der durch die Vorbereitung der Testflächen nötige Eingriff in die Fibeln mit den geltenden Richtlinien nicht vereinbar ist. Ein Anschliff der Fibeloberfläche, um eine ebene Fläche für die Härtemessungen zu erhalten, ist nicht kompatibel mit dem Ziel, keinerlei Veränderungen an den Fibeln vorzunehmen, die nicht aus konservatorischen Gründen unbedingt notwendig sind.

6.2.6 Vergleich zum Münzabrieb Die Herleitung der Nutzungsdauer frühmittelalterlicher Fibeln über die Abnutzungsgeschwindigkeit neuzeitlicher Münzen ist nicht umsetzbar. Zwar wurde diese Idee von manchen Archäologen geäußert, aber eine intensivere Befassung mit dem Themenkomplex erbrachte, dass auch die Abriebsgeschwindigkeiten der Münzen sich nicht so genau bestimmen lassen. Auch für die Münzen sind einige Parameter, die ihre Abnutzung mit beeinflussen, in ihrer Auswirkung nicht genau zu bestimmen. Zudem unterliegen Münzen teils anderen Faktoren als Fibeln, so dass eine direkte Übertragbarkeit auch bei einer sicheren Beurteilung der Münzabnutzungsraten nicht möglich wäre.

6.2.7 Gewicht der Bügelfibeln Entgegen der Ergebnisse für die Fibellänge ist für das Gewicht der Bügelfibeln kein verlässlicher Hinweis auf einen Zusammenhang mit der Trageposition zu erkennen. Tiefer liegende Fibeln sind nicht generell schwerer als weiter in Richtung Bauch getragene. Allerdings ist das Ergebnis nur bedingt verwendbar, da in den Gräberfeldpublikationen das Gewicht sehr selektiv angegeben wurde und trotz meiner großen Stichprobe deshalb lediglich für wenige Bügelfibeln ein Gewicht zu ermitteln war. Interessanterweise kann darüber hinaus wohl nicht von der Größe direkt auf das Gewicht der Bügelfibeln geschlossen werden. Weiterhin wurde teils angenommen, dass das Gewicht der Bügelfibeln im Zusammenhang mit dem Solidusgewicht stehe, da diese als Zahlungsmittel und Materialdepot verwendet worden seien. Einen entsprechenden Zusammenhang konnten weder bisherige Untersuchungen zum Thema noch die Auswertung meiner Stichprobe belegen. Eine Verbindung zwischen dem Gewicht der Fibeln und der Intensität der Abnutzung ist anhand der Stichprobe ebenfalls nicht nachzuweisen. Die Häufung bestimmter Abnutzungsgrade in einer Gewichtsgruppe zeigte sich im vorhandenen Material nicht.

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

6.2.8 Form und Größe Sichere Aussagen darüber, ob und inwiefern die unterschiedlichen Fibelformen Unterschiede in der Abnutzung zur Folge haben, können nicht getroffen werden. Die Bügelfibeln legen nahe, dass weder Größe noch Gewicht einen Einfluss hatten. Die durchschnittlichen Insgesamt-Abnutzungsgrade der einzelnen Fibeltypen staffeln sich aber offenbar nach deren Form. Formen mit komplexerer Silhouette weisen eine größere Abnutzung auf als runde Formen. Man kann demnach davon ausgehen, dass die verschiedenen Formgebungen der Fibeln zu unterschiedlichen Abnutzungsmustern führen. In diese Richtung deutet auch die am Material festgestellte Verteilung der abgenutztesten Areale. Nicht weiter verwunderlich sind die Partien der jeweiligen Fibel umso abgenutzter je prominenter sie sind.

6.3 Empirische Studie 6.3.1 Methodik In Anlehnung an die Arbeiten Jasper von Richthofens für die römische Kaiserzeit wurde eine Unterteilung der Abnutzung in vier Grade gewählt, die von keiner Abnutzung (Grad 1) über geringe (Grad 2) und mäßige Abnutzung (Grad 3) zu starker Abnutzung (Grad 4) ansteigen. Die Untersuchung der Fibeln erfolgte durchgehend unter leichter Vergrößerung mittels Binokularen, was die Erkennbarkeit und Beurteilungsmöglichkeit der Abnutzungspuren verbesserte. Die verschiedenen Fibeltypen wurden je nach Typ in mehrere Areale unterteilt. Jedes der Areale wurde gesondert begutachtet und ihm ein Abnutzungsgrad zugeordnet. Aus den Graden der Areale wurde für die weitere Verwendung ein Gesamtabnutzungsgrad der jeweiligen Fibel errechnet. Die sonstigen erhobenen Daten, wie beispielsweise das Sterbealter der Frauen in den Gräbern, wurden separat aufgenommen, so dass sie bei der Bestimmung der Abnutzungsgrade nicht bekannt waren. So konnte ausgeschlossen werden, dass das Wissen um das Alter der Frauen die Bestimmung der Abnutzung an den Fibeln beeinflusste. In die Studie wurden sämtliche Individuen aufgenommen, die entweder anthropologisch oder archäologisch als weiblich bestimmt worden sind. Eventuelle Unsicherheiten in der Geschlechtszuordnung und die damit verbundenen Probleme gelten für alle Altersklassen und alle Gräberfelder in sehr ähnlichem Umfang und können deshalb meines Erachtens für die vorliegenden Fragestellungen ausgeklammert werden, zumal sie in diesem Rahmen nicht zu lösen sind. Darüber hinaus senken zu viele als weiblich bestimmte Individuen lediglich den Anteil von Frauen mit Fibeln je Altersklasse ab, was für einen Großteil der hier behandelten Fragen keine Auswirkung hat. Die Aufnahme der Referenzgruppe ohne Fibeln war jedoch notwendig, um Fragen

6.3 Empirische Studie

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nach den Anteilen von Fibelträgerinnen in den Altersklassen korrekt beantworten zu können. Die anthropologisch bestimmten Sterbealter der Frauen wurden zur besseren Anwendbarkeit in der Studie den sechs in der Anthropologie verwendeten Altersklassen zugeordnet. Abgesehen von den „erwachsenen“ und „unbestimmten“ Individuen konnte ein kleiner Teil der Personen keiner der sechs Altersklassen exakt zugeordnet werden. Sie wurden in Zwischengruppen zusammengefasst, die in der weiteren Auswertung der Studie aus praktischen Gründen nur selten Berücksichtigung fanden. Weiterhin enthält das Kapitel zur Anthropologie eine Abhandlung zum sogenannten Kinderdefizit. Primär unter Berufung auf Stefanie Kölbls Thesen zeigte sich, dass die Annahme, im Frühmittelalter sei ein größerer Teil der verstorbenen Kinder nicht auf die Gräberfelder gelangt, nicht haltbar ist. Die nachgewiesenen Kinder entsprechen, mit den auch für die Erwachsenen geltenden Einschränkungen, den verstorbenen Kindern. Auswertungen und Analysen, die auf der vorhandenen Datenbasis beruhen, sind demnach auch für den Bereich der Subadulten repräsentativ. Die in die Studie aufgenommenen 27 Gräberfelder liegen alle in Baden-Württemberg und Bayern. Dies hat zum einen methodische Gründe, da sich ein großer Anteil der merowingerzeitlichen Gräberfelder in diesen beiden Bundesländern befindet. Zum anderen spielten auch praktische Gründe bei der Auswahl eine Rolle; die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Fibeln an ihren Aufbewahrungsorten war ein wichtiges Kriterium. Darüber hinaus musste der Publikations- und Bearbeitungsstand berücksichtigt werden, um die nötigen Informationen für die Auswertung verfügbar zu haben. Die Fibeln des Gräberfeldes Altenerding wurden zu Beginn der Datenaufnahme untersucht und ein weiteres Mal, nachdem einige andere Gräberfelder begutachtet worden waren. Der Vergleich der Werte aus beiden Begutachtungsdurchgängen erbrachte nur geringe Differenzen und konnte damit zeigen, dass das Verfahren zur Bestimmung der Abnutzungsgrade objektiv ist und die Werte reproduzierbar sind. Eine Korrelation von Sterbealter der Frauen und Abnutzungsgrad der Fibeln wird in der Forschung lediglich für die Bügelfibeln diskutiert. Da diese aber sehr häufig mit einer oder zwei Kleinfibeln vergesellschaftet sind, stellte sich die Frage, ob die entsprechenden Annahmen nicht für alle Fibeln gelten müssten. Darüber hinaus fiel auf, dass die Diskussion um die Personengebundenheit auch zeitlich eingeschränkt ist und nicht auf die Fibeltypen des 7. Jahrhunderts ausgedehnt wird. Diese üblicherweise scheibenförmigen Fibeln wurden an gleicher Stelle getragen wie ihre Vorgänger, die Kleinfibeln. Eine Übertragung der Thesen wäre durch den Wegfall der Bügelfibelposition grundsätzlich möglich. Zur Vollständigkeit und Vergleichbarkeit führte ich meine Studie deshalb an allen merowingerzeitlichen Fibeln durch. Eine zeitliche Differenzierung nach den vorherrschenden Fibeltypen wäre zwar sehr sinnvoll und würde sicher auch interessante Ergebnisse erbringen. Die Publikationen zu den verwendeten Gräberfeldern in der Studie bieten aber seltenst eine Datierung der einzelnen Gräber, die sich mit vertretbarem Zeitaufwand herausarbeiten lässt. Je nach verwendetem Datierungsschema wäre zusätzlich die Vergleich- und

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

Übertragbarkeit der angegebenen zeitlichen Einordnungen ein schwieriges Unterfangen gewesen. Aus diesen Gründen musste ich davon absehen, eine zeitliche Aufschlüsselung des Studienmaterials vorzunehmen.

6.3.2 Auswertung Zur Überprüfung der statistischen Repräsentativität der Studie und der ausgewählten Daten wurden einige statistische Tests vorgenommen. Hier ist primär der Kendall’s Tau-Test zu nennen, der zeigen konnte, dass die Datenbasis der Studie repräsentativ ist und die darauf basierenden Aussagen als allgemeingültig für die merowingerzeitlichen Fibeln gelten können. Die absolute Verteilung der Gräber mit Fibeln zeigt Verhältnisse, die die bisherigen Argumentationslinien unterstützen. Am häufigsten sind Frauen adulten Alters vertreten, gefolgt von Maturen und Senilen. Subadulte Individuen hatten am seltensten Fibeln im Grab. Dieses Bild ist besonders mit der These einer Altersabhängigkeit aufgrund der Zurschaustellung einer sozialen Rolle in Einklang zu bringen und scheint sie zu bestätigen. Da aber zur Beantwortung der Frage, in welcher Altersklasse Fibeln am häufigsten sind, nicht die absoluten Zahlen herangezogen werden dürfen, sind die genannten Ergebnisse hierfür nicht verwendbar. Wie eine kurze Erläuterung gezeigt hat, liefern nur die prozentualen Anteile von Fibelgräbern in den Altersklassen die richtigen Antworten. Entgegen der absoluten Verhältnisse sind die prozentualen Anteile der Gräber mit Fibeln relativ gleich und schwanken in den Altersklassen zwischen 9 und 14 %; der Durchschnitt liegt bei 11,5 %, wobei sich grob gesehen ein leichter Anstieg von Infans I bis Senil abzeichnet. Damit lässt sich eine Personengebundenheit oder Altersabhängigkeit nicht belegen, die Thesen müssen im Gegenteil in Bezug auf die Fibeln als nicht zutreffend angesehen werden. Weder haben die Subadulten deutlich weniger oder gar keine Fibeln, noch haben die alten Frauen einen geringeren oder keinen Anteil an Gräbern mit Fibeln. Vielmehr ergibt sich das Bild eines altersunabhängigen Objekts, das eventuell eher eine gewisse wirtschaftliche Potenz der Frau oder ihrer Familie anzeigt. Die Tatsache, dass bezogen auf die Gesamtzahl der merowingerzeitlichen Frauenbestattungen nur etwa jede zehnte weibliche Person Fibeln ins Grab bekam, verleiht den Fibeln einen Hauch von Exklusivität. Sie sind etwas Besonderes; ihr Vorhandensein muss im Zusammenhang mit einem Faktor stehen, der nicht auf alle Frauen zutrifft. Betrachtet man die Verteilung der vier Abnutzungsgrade auf die sechs anthropologischen Altersklassen zeigt sich im durchschnittlichen Abnutzungsgrad je Altersklasse ein genereller Anstieg, der allerdings in drei Wellen zu- und abnimmt. Stimmen Grabausstattung und die Verhältnisse zu Lebzeiten überein, dann war der erste Zeitpunkt für den Erwerb von Fibeln nach der Geburt, danach steigt der Abnutzungsgrad an bis um den Wechsel von Infans II zu Juvenil eine zweite Möglichkeit für den Erwerb aber vor allem den Austausch von Fibeln bestand. Mit dem Eintritt in die Altersklasse  



6.3 Empirische Studie

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Senil bestand dann die dritte Gelegenheit zum Tausch oder Erwerb von Fibeln. Dass nicht alle Frauen bei diesen Gelegenheiten ihre Fibeln austauschten, zeigt sich daran, dass der Gesamtabnutzungsgrad nicht auf Null zurückfällt, sondern nur etwas abnimmt. Fibeln konnten erneuert werden, es gab aber bevorzugte Zeiträume dafür, die für einen Tausch favorisiert wurden. Vorausgesetzt die Verhältnisse in den Gräbern entsprechen jenen zu Lebzeiten und Fibeln wurden generell mit ins Grab gegeben, bekam nicht jedes weibliche Neugeborene, das in seinem Leben Fibeln tragen durfte, gleich zur Geburt ein Fibelset geschenkt. Einige erwarben auch erst später Fibeln, wie der insgesamt zunehmende Anteil von Fibeln je Altersklasse zeigt. In den letzten Jahren wurde vereinzelt die Annahme geäußert, die Anzahl der Fibeln sei altersabhängig und Mädchen hätten in der Regel eher einzelne Fibeln getragen, erwachsene Frauen hingegen eher Paare. Die bislang hierzu vorgelegten Studien weisen methodische Schwächen auf, da sie zu wenig Datensätze beinhalten, und deshalb in ihrem Aussagegehalt nicht verlässlich sind. Anhand meiner größeren Stichprobe kann eine ans Alter der Trägerin gebundene Restriktion der Fibelanzahl nicht festgestellt werden. Auch die Überlegung, die Fibelgröße sei altersabhängig und besonders die kleinen Mädchen der Altersklasse Infans I hätten kleinere Bügelfibeln oder sogar Kleinfibeln anstatt Bügelfibeln getragen, konnte in meiner Studie nicht verifiziert werden. Miniaturbügelfibeln oder besonders kleine Bügelfibelexemplare traten bei Mädchen nicht häufiger auf als bei erwachsenen Frauen. Auch die Verwendung von Kleinfibeln in der Position der Bügelfibeln ließ sich bei Subadulten nicht öfter nachweisen als bei Erwachsenen.

6.3.3 Detailuntersuchungen Bügelfibeln sind durchschnittlich bei 3,7 % der hier berücksichtigten Gräber vorhanden, dies entspricht mit 108 Gräbern einem Drittel der Gräber mit Fibeln der gesamten Merowingerzeit. Die Anteile in den Altersklassen schwanken analog zu denen aller Fibeln mit einem grundsätzlichen Anstieg von Infans I zu Senil, sind aber nicht generell bei Erwachsenen häufiger als bei Kindern. Die Werte für Infans II liegen beispielsweise höher, die der Juvenilen nur 0,1 % unter jenen für mature Frauen. Offenbar gibt es ein starkes einheitliches Muster in den Fibelanteilen für alle Fibeltypen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Regeln für den Fibelerwerb gleichermaßen für alle Fibeltypen galten. Eine altersbedingte Differenzierung der Fibelanzahlen scheint es nicht zu geben. Die trotz der insgesamt großen Studie relativ kleine Datenbasis von 94 Fibeln in den sechs Hauptaltersklassen legt vielmehr nahe, dass in allen Altersklassen vier Fünftel bis drei Viertel der Frauen zwei Bügelfibeln im Grab hatten. Auch die Auswertung der Verteilung der Abnutzungsgrade unterliegt Einschränkungen, da auch hier bis auf die Altersklasse Adult jeweils nur wenige Individuen  



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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

vorhanden sind. Das Bild scheint aber ähnlich zu jenem für alle Fibeln zu sein. Die Abnutzungsgrade 2 und 3 treten am häufigsten auf, die beiden Extreme Grad 1 und Grad 4 sind seltener und treten erst ab einer gewissen Gruppengröße regelhaft auf. Eine eindeutige Korrelation zwischen Alter und Abnutzung scheint es nicht zu geben. Trotz der relativ großen Datenbasis der Studie befinden sich in den sechs Hauptaltersklassen nur 37 Gräber mit Vierfibelkombination, davon gehören 26 in die Altersklasse Adult. Statistisch sichere Aussagen sind mit dieser Datengrundlage nicht möglich. Dennoch schwanken die Anteile in den einzelnen Altersklassen in einem sehr ähnlichen Rhythmus zu den Verhältnissen aller Fibeln, eine gewisse Repräsentanz kann damit dennoch vermutet werden. Auf jeden Fall sicher auszuschließen ist eine Beschränkung der Vierfibelkombination auf erwachsene Frauen. 24 weitere Gräber enthalten drei Fibeln in einer Kombination aus einer oder zwei Bügelfibeln sowie entsprechend einer oder zwei Kleinfibeln und sind damit potentielle Kandidaten für Gräber mit Vierfibelkombination. Ein größerer Teil dieser Grabinventare war aber offensichtlich nicht als Vierfibelkombination intendiert, denn es fehlen keine Fibeln: nur zwei Gräber sind eindeutig gestört und beraubt, 14 hingegen sicher nicht. Zur Verteilung der Abnutzungsgrade auf die Altersklassen lassen sich durch die kleine Stichprobe von 34 Gräbern – bei 25 adulten Frauen – keine gesicherten Aussagen treffen. Es kann vermutet werden, dass erst ab einer gewissen Gruppengröße alle Abnutzungsgrade vorhanden sind, wie es für die Altersklasse Adult gilt. In allen anderen Altersklassen sind die Individuenzahlen deutlich zu gering, um weitergehende Überlegungen zu ermöglichen. Da teils über einen unterschiedlichen Erwerbungszeitpunkt für die beiden Paare der Vierfibelkombination nachgedacht wurde, untersuchte ich an den 23 Gräbern mit Vierfibelkombination, bei denen bei allen vier Fibeln die Abnutzungsgrade bestimmt werden konnten, ob und wie sich diese unterscheiden. Die Werte zwischen den Paaren unterliegen einem sehr großen Schwankungsbereich von keiner Differenz bis hin zu fast zwei Graden Unterschied. Allerdings überwiegen die geringeren Abweichungswerte, so dass – unter Vorbehalt aufgrund der kleinen Datenbasis – eher davon auszugehen ist, dass die Fibelpaare zeitnah zueinander erworben wurden. Die Idee eines unterschiedlichen Erwerbungszeitpunktes steht in Verbindung mit der Annahme, Bügelfibeln seien Attribute erwachsener Frauen und abweichend von den Kleinfibeln auch erst mit Eintritt ins Erwachsenenleben erworben worden. Dieser Annahme kann auch mit der vorliegenden kleinen Datenbasis widersprochen werden: die Bügelfibeln sind nicht grundsätzlich weniger abgenutzt als die Kleinfibeln im selben Grab, es finden sich genauso häufig weniger abgenutzte Kleinfibeln. Insgesamt ergibt der Vergleich der beiden Paare einer Vierfibelkombination ein sehr variables Bild. Es lassen sich keine klaren Regeln feststellen, offenbar gab es keine einheitlichen, eindeutigen Vorgaben wann und in welcher Reihenfolge die Fibeln erworben werden sollten.

6.3 Empirische Studie

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Wie bereits die Auswertung aller in die Studie eingeflossenen Daten gezeigt hat, lässt sich das Einsetzen der Fibelbeigabe erst mit einem bestimmten Alter nicht nachweisen. Der vermutete Erwerb im zweiten Lebensjahrzehnt ist auszuschließen. Die Altersbestimmung subadulter Individuen ist jedoch methodisch bedingt in der Regel genauer als die erwachsener Personen. Gerade vor dem Hintergrund des diskutierten Fibelerwerbs im zweiten Lebensjahrzehnt kann eine entsprechend feinere Untergliederung interessante Ergebnisse zu einem möglichen altersbedingten Wandel in der Abnutzung liefern. Für die entsprechende Detailstudie wurden die Altersklassen in Dreijahresschritte unterteilt. Die Auswertung der Altersverteilung der Abnutzungsgrade zeigte jedoch, dass es keinen Altersbezug gab und in jeder Altersklasse jeder Abnutzungsgrad vorhanden war.

6.3.4 Beobachtungen zu den Abnutzungsfaktoren Wie genau die Abnutzungsspuren an Fibeln entstanden, war bislang kaum Thema der Forschung. Meist wurde Abrieb durch benachbarte Gegenstände aus Metall dafür verantwortlich gemacht, ohne jedoch einen Beleg dafür in der Hand zu haben. Allerdings sind nicht alle Fibeln in direktem Kontakt zu metallenen Objekten gewesen. Zudem weisen die Fibeln eine glatte, teils wie poliert aussehende Oberfläche auf, die vielmehr durch einen feinen gleichmäßigen Abschliff verursacht worden sein muss. Spuren von Stößen und Kratzbewegungen durch Metallteile sind eher selten zu beobachten. Es muss also auch andere Ursachen für den Abrieb an den Fibeln geben. Eine Möglichkeit wäre meines Erachtens die Reibung der direkt mit einer Fibel in Kontakt stehenden Textilien. Hierfür spricht, dass die Rückseiten der in der Studie untersuchten Fibeln bei allen Fibeltypen eine geringere Abnutzung aufweisen als die Vorderseiten. Durch die Nadelkonstruktion waren die Textilien auf der Rückseite relativ eng mit den Fibeln verbunden, im Gegensatz dazu hatten die Kleidungsschichten über der Fibelvorderseite verhältnismäßig viel Spielraum. Die geringere Bewegungsfreiheit kann Ursache für eine geringere Reibung und damit eine geringere Abnutzung sein. Auch sehr eng miteinander verbundene Metallteile können eine abgeschliffene Oberfläche verursachen, wie es bei Kettengliedern der Fall ist. Eine lockere Anbringung, bei der häufig Metall an Metall schlägt, ist als Ursache für die Abnutzung eher auszuschließen. Bei der Begutachtung der Abnutzungsgrade an den Vogel- und Granatscheibenfibeln entstand der Eindruck, dass diese an einer Stelle stärker abgenutzt sind als am Rest der Fibel. Im Fall der Vogelfibeln bestätigte sich der Verdacht nicht, dass die Rücken-/Flügelpartien stärker abgenutzt seien als die Füße bzw. der Bauch des Vogels. Vielmehr stellten sich Kopf und Schwanz als die am stärksten beanspruchten Areale heraus. Eine besondere Exponiertheit durch das Verkippen der Fibel bei der Anbringung konnte für die nach oben ausgerichtete Rückenpartie nicht belegt werden.

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

Demgegenüber zeigte sich in der Auswertung der Scheibenfibeln, dass es tatsächlich ein abgenutzteres Kantenareal gibt. Der sich bei den Granatscheibenfibeln abzeichnende Befund konnte auch bei den Blechscheibenfibeln nachgewiesen werden. Selbst an S-Fibeln lässt sich ein stärker abgenutztes Areal belegen. Damit ist übereinstimmend bei den drei Fibeltypen Granat- und Blechscheibenfibeln sowie S-Fibeln das rastnahe Areal das besterhaltenste; die stärkste Abnutzung findet sich zwischen halternahem und linkem (bei Ausrichtung der Nadelrast nach oben) Kantenareal. Von diesem Bild abweichend sind die Befunde der gegossenen Scheibenfibeln und der Rautenfibeln. Diese beiden Typen sind aber die seltensten aus der Gruppe der rundlich gestalteten Fibeltypen. Entsprechend möchte ich das Muster der Mehrheit als das üblichere ansehen. Durch postmortale Verlagerung und unzureichende Dokumentation bei der Bergung ist leider die exakte Positionierung der Fibeln meist nicht zu ermitteln und deshalb nicht zu klären, in welche Richtung am Körper der Verstorbenen die jeweiligen Kantenareale ausgerichtet waren. Bei den figürlichen Kleinfibeln, wie etwa den Vogelfibeln, ist deren Positionierung durch ihre Form eindeutig. Die Lage der Nadelrast auf der linken Körperseite ist mit der Anbringung durch eine Rechtshänderin gut vereinbar. Waren die Scheibenfibeln analog dazu ausgerichtet, lagen die am stärksten abgenutzten Areale auf der rechten Seite der Trägerin. Die Stichprobe anhand des sehr gut dokumentierten Gräberfeldes von Aschheim erbrachte jedoch einen zu den Vogelfibeln abweichenden Befund. Zwar ist das Bild sehr heterogen, doch es scheint sich eine leichte Bevorzugung abzuzeichnen. Demnach wurden Scheibenfibeln von unten oder links befestigt, wobei die Nadelrast oben lag. Das am stärksten abgenutzte Areal der Fibeln lag entsprechend Richtung Füße bzw. auf der linken Seite. Die bei dieser Anbringung bestehende Gefahr des Verlustes, sollte sich die Nadelkonstruktion öffnen, konnte durch die inzwischen regelhaft belegten Lederbändchen behoben werden. Die Bänder dienten offenbar nicht nur zum Verschluss der Kleidung auch ohne Fibeln, sondern fixierten die Fibeln darüber hinaus. Ein weiteres Detail erbrachte die genaue Analyse der Position der Scheibenfibeln: die beiden Fibeln eines Paares waren meist um 90° zueinander gedreht. Über die Gründe kann nur spekuliert werden; eventuell konnten so die Kleidungsschichten in einer bestimmten Form drapiert werden oder die Ursache lag in der Anbringung der Fibeln auf unterschiedlichen Kleidungsstücken, wie sie in einigen Fällen nachgewiesen ist. Hier könnten eine genaue und sehr detaillierte Dokumentation in Zukunft einige neue Erkenntnisse erbringen. Auffallend im Zusammenhang mit der Abnutzung der Nadelkonstruktion ist deren geringer Abnutzungsgrad, soweit eine Nadel vorhanden ist. Dies könnte durch die hohe Beanspruchung der Nadel bedingt sein, die häufiger ausgetauscht werden musste und entsprechend weniger abgenutzt ist als die Fibel selbst. Andererseits ist das Material Eisen sehr viel korrosionsanfälliger als das Silber des Fibelkörpers. Bei einer wenig sorgsamen Restaurierung kann es passieren, dass aus den unförmigen Korrosionsprodukten zwar eine Nadel freipräpariert wurde, diese aber nicht exakt der origi-

6.3 Empirische Studie

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nalen Oberfläche entspricht. In Kombination mit der ausgesprochenen Seltenheit von erhaltenen Nadeln sind damit Aussagen zur Abnutzung sehr kritisch zu sehen. Die gesonderte Betrachtung der Nadelkonstruktion zeigte jedoch, dass die Nadelrast in der Regel stärker abgenutzt ist als der Nadelhalter und sehr häufig auch einen hohen Abnutzungsgrad aufweist. Die Ursache für diese Differenz könnte in der unterschiedlichen Beanspruchung während des Gebrauchs der Fibeln liegen. Der durch die Spirale und deren geringeren Bewegungsumfang geschütztere Nadelhalter war weniger Abrieb ausgesetzt, als die Rast durch die ständige Bewegung der Nadel sowohl beim Öffnen und Schließen als auch während des Tragens. Die durchschnittliche Abnutzung der Nadelkonstruktion ist teils deutlich geringer als jene des Fibelkörpers, wenn man alle drei Teile der Nadelkonstruktion berücksichtigt. Unter Ausschluss der schwierig zu bewertenden Nadeln verschieben sich die Verhältnisse. Nun sind zumeist die Fibelkörper etwas geringer abgenutzt als die Nadelkonstruktionen, wobei die Differenzen besonders für die häufigeren Fibeltypen so gering sind, dass nicht von Unterschieden ausgegangen werden kann. Im Schnitt sind die Rückseiten der Fibeln etwa ein halbes Grad weniger abgenutzt als die Vorderseiten des entsprechenden Typs. Die Ursache hierfür könnte möglicherweise im unterschiedlichen Bewegungsspielraum der umgebenden Textilien liegen. Aus diesem generellen Schema fallen die Blech- sowie die Granatscheibenfibeln heraus. Erstere haben eine Differenz von 0,9 Graden, zweitere weisen lediglich einen Unterschied von 0,2 Graden auf. Diese Abweichung könnte durch die jeweilige Machart und die dadurch bedingte Einteilung der Areale bei der Begutachtung bedingt sein. Welche Ursachen der generelle Unterschied in der Abnutzung sowie die abweichenden Werte der beiden Scheibenfibeltypen haben, kann zum momentanen Zeitpunkt nur vermutet und müsste durch weitere Analysen geklärt werden. Die stärkste Abnutzung an den Fibeln findet sich in den funktionalen Arealen, besonders der Nadelrast, und den exponiertesten Bereichen, wie den Kanten sowie den Bügeln der Bügelfibeln. Die Trageposition der Bügelfibeln am Körper hatte offenkundig einen Einfluss auf die Intensität der Abnutzung: der durchschnittliche Abnutzungsgrad steigt, je tiefer die Fibeln angebracht waren. Damit ist zumindest für den Faktor „Lage der Fibeln“ ein Beleg erbracht, dass dieser einen Einfluss auf die Abnutzung der Fibeln hatte.

6.3.5 Vergleich Besonders die Arbeiten von Sage und Martin basierend auf dem Gräberfeld von Altenerding und Lohrkes Studie zu Kindern in der Merowingerzeit bieten sich für einen Vergleich mit den in der vorliegenden Studie erhobenen Daten an, da sie sich umfassender mit der behandelten Fragestellung beschäftigen. In Lohrkes ebenfalls großräumiger angelegte Arbeit ist die Altersverteilung der Fibeln nur ein Aspekt, den sie untersucht. Sie kommt zu etwas anders gelagerten Ergeb-

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

nissen als die hier vorliegende Studie, was sich durch einen anderen Untersuchungsraum und andere Kriterien bei der archäologischen Geschlechtsbestimmung erklären lässt. Nicht schlüssig herleiten lässt sich jedoch der mit zunehmendem Alter der Subadulten größer werdende Unterschied zwischen den errechneten Anteilen von Kindern mit Fibeln. Logisch wäre, dass sich die Werte angleichen, da die Geschlechtsbestimmung sicherer wird, je älter die Kinder sind. Das Gräberfeld von Altenerding ist Grundlage der zweiten Vergleichsmöglichkeit. Der Aufsatz Martins ermöglicht in einem ersten Schritt die Gegenüberstellung seiner Angaben mit jenen des Gräberfeldkatalogs von Sage. Interessanterweise existieren nicht nur Unterschiede bei der Einteilung der Abnutzung durch die beiden Autoren, sondern auch in der Altersbestimmung der Individuen, die ja von Beiden extern aus der anthropologischen Bearbeitung herangezogen werden musste. In einem zweiten Schritt können die Daten der vorliegenden empirischen Studie hinzugezogen werden. Trotz Unterschieden zwischen allen Bearbeitungen zeigt sich übereinstimmend, dass anhand des Gräberfeldes von Altenerding die These der Personengebundenheit von Fibeln nicht nachzuweisen ist.

6.4 Erwerbsmodalitäten Die Beschäftigung mit dem Thema und besonders die Ergebnisse der Studie in Bezug auf die wellenartigen Schwankungen der Gesamtabnutzungsgrade in den Altersklassen brachten mich dazu, über die Möglichkeiten nachzudenken, die theoretisch als Grundlage für den Erwerb von Fibeln denkbar sind. Meine Studienergebnisse kann ich nur korrekt interpretieren und einem Erwerbsschema zuordnen, wenn ich mir über die theoretisch bestehenden Möglichkeiten und deren Parameter im Klaren bin. In einem zweiten Schritt müssen dann die Parameter dieser Möglichkeiten mit den Ergebnissen meiner Studie abgeglichen werden. Nur Modellvarianten, die im Einklang mit den Studienergebnissen stehen, können als realistische Erklärungsvarianten für den Erwerb von Fibeln herangezogen werden. Wie beim empirischen Teil dieser Arbeit muss also die Gesamtzahl der Fibeln aller Frauen je Altersklasse mit zunehmendem Alter der Frauen leicht ansteigen. Der durchschnittliche Abnutzungsgrad des untersuchten Materials weist in seinem Verlauf Sprünge auf und verläuft nicht linear von Altersklasse zu Altersklasse. Allerdings fällt der Wert nie auf den Ausgangswert zurück. Als drittes Merkmal ist die Frequenz der Abnutzungsgrade zu beachten, die in der empirischen Studie mehrere Peaks aufweist, wobei diese in den Altersklassen unterschiedlich positioniert sind. Die theoretischen Erwerbsmöglichkeiten lassen sich in zwei grundlegende Gruppen untergliedern, je nachdem, ob von persönlichem Besitz ausgegangen wird oder nicht. Bei persönlichem Besitz als Prämisse, d. h. der Annahme, dass die mit Fibeln bestatteten Frauen auch die alleinigen Eigentümerinnen der Fibeln waren, lassen  

6.4 Erwerbsmodalitäten

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sich die denkbaren Möglichkeiten in drei Gruppen zusammenfassen. Diese drei, hier als Modelle bezeichneten Gruppen untergliedern sich jeweils in mehrere Unterkategorien, die von den Möglichkeiten gebildet werden, nach denen Fibeln in die Gräber gelangen konnten. Die Modelle unterscheiden sich hinsichtlich der Erwerbsmöglichkeiten der Fibeln, die sich wiederum in der unterschiedlichen Anzahl der Fibelsets, die eine Frau besaß, und gegebenenfalls in den Austauschmodalitäten manifestieren. Modell 1 umfasst alle Erwerbsmöglichkeiten, bei denen die Frauen nur ein einziges Mal im Leben ein Fibelset erwerben durften. Für den Erwerbungszeitpunkt ergeben sich drei Varianten: Die Fibeln können zu einem völlig variablen, optionalen oder fest vorgegebenen Zeitpunkt erworben worden sein. Diese Erwerbsmodalitäten haben Einfluss auf die Anzahl der Fibelträgerinnen je Altersklasse, den Verlauf und die Verteilung der Abnutzungsgrade je Altersklasse. Die empirischen Studienergebnisse lassen von den für dieses Modell möglichen Varianten jene mit optionalen Erwerbungszeitpunkten am plausibelsten erscheinen. Unter dieses Modell fällt auch die Theorie der Personengebundenheit mit ihrem vorgegebenen Erwerbungszeitpunkt im zweiten Lebensjahrzehnt. Sie muss aber aufgrund ihrer Erwerbsmodalitäten, die nicht in Einklang mit den Studienergebnissen stehen, als nicht zutreffend ausgeschlossen werden. Bei Modell 2 besaß die Frau zwar ebenfalls immer nur ein Fibelset, sie konnte aber dieses Set gegen neue Fibeln tauschen. Legt man nun die Erwerbsmodalitäten fester, optionaler und variabler Erwerbungszeitpunkt zu Grunde und wendet diese sowohl auf den Ersterwerb als auch den erneuten Erwerb an, ergeben sich neun Unterkategorien, nach denen der Erwerb von Fibeln theoretisch ablaufen konnte. Durch den Austausch der Fibeln ist für die Abnutzungsgrade jedoch nur die Erwerbsmodalität des letzten Fibelsets entscheidend. Die Modalitäten für den Ersterwerb haben jedoch Auswirkungen auf die Anzahl der Fibeln sowie die Frequenz und den Durchschnitt der Abnutzungsgrade in den einzelnen Altersklassen. Für einen Vergleich mit den empirischen Daten der Studie sind deshalb die Parameter für den Ersterwerb und den Neuerwerb wichtig. Es müssen die Entwicklung der Gesamtzahl an Fibeln, die Frequenz der Abnutzungsgrade und auch der Durchschnittsabnutzungsgrad in den einzelnen Altersklassen übereinstimmen. Der Abgleich der neun Unterkategorien mit den Studienergebnissen führt zum Ausschluss von sieben Varianten. Nur zwei theoretische Möglichkeiten sind mit den Ergebnissen der empirischen Daten übereinstimmend: Optionaler Ersterwerb mit optionalem Neuerwerb sowie variabler Ersterwerb mit optionalem Neuerwerb. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Modellen besteht für die Frauen in Modell 3 die Möglichkeit, sich neue Fibeln anzuschaffen ohne die alten Fibeln abzugeben. Eine Frau kann nach diesem Modell im Laufe ihres Lebens immer mehr Fibeln in ihren Besitz bringen. Die entsprechenden Unterkategorien, nach denen die Auswahl des Grabensembles erfolgte, nehmen damit deutlich zu. Im Verhältnis zu den beiden vorangegangenen Modellen potenzieren sich in der Folge die sich ergebenden Kom-

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6 Ergebnisse und Zusammenfassung

binationen der Erwerbsmodalitäten und sind entsprechend schwer zu überblicken und voneinander zu differenzieren. Die Abweichungen zwischen den einzelnen Varianten sind graduell und oft im Befund nicht zu unterscheiden. Sie ergeben sich nicht nur durch die optionalen, variablen oder festen Erwerbungszeitpunkte, sondern auch durch die Häufigkeit, mit der die einzelnen Fibelsets getragen wurden sowie durch die Auswahlkriterien für das ins Grab gegebene Set. Eine Einschränkung auf wenige plausible Varianten ist für Modell 3 nicht möglich. Allerdings sind die Extreme, bei denen ein Set absolut bevorzugt wird oder völlige Regellosigkeit vorherrscht bzw. Varianten, bei denen ausschließlich feste oder variable Erwerbungszeitpunkte galten, sehr viel weniger wahrscheinlich und meines Erachtens auszuschließen. Für weitergehende Überlegungen bestehen demnach für Modell 1 nur der Erwerb zu einem optionalen Zeitpunkt, bei Modell 2 die beiden Varianten mit optionalem bzw. variablem Ersterwerb in Kombination mit optionalem Neuerwerb. Die Varianten von Modell 3 können leider nicht so detailliert ausgearbeitet werden, dass sich die plausiblen Kombinationen herausfiltern lassen. Konkrete Aussagen sind hier nicht möglich, dennoch kann Modell 3 nicht grundsätzlich aus den Überlegungen zu den Erwerbsmodalitäten ausgeschlossen werden. Aus den Erfahrungen der beiden anderen Modelle sind aber Varianten mit optionalem oder variablem Erwerb wahrscheinlicher. Zu strenge Vorgaben, aber auch völlige Regellosigkeit sind insgesamt betrachtet auszuschließen. Sollte persönlicher Besitz nicht die Grundlage für die Auswahl der ins Grab mitgegebenen Fibeln sein, führt dies zu einigen anders gearteten „Erwerbsmöglichkeiten“. Grundsätzlich besteht in diesem Fall keine direkte Verbindung zwischen Fibeln und der bestatteten Person. Entscheidend sind vielmehr die gebende Person(-engruppe), die Auswahlkriterien für die Fibeln und jeweiligen Entscheidungsträger. Die Fibelschenkerin kann eine einzelne Person, aber auch eine Personengruppe sein, deren Zusammensetzung aus dem Familienkreis oder der Bestattungsgemeinschaft wiederum unterschiedlichen Kriterien unterlegen haben konnte. Zudem kann die Geberseite klar vorgegeben gewesen sein oder bei jedem Ereignis von einem – wie definierten und zusammengesetzten? – Entscheidungsgremium ausgewählt worden sein: Von wem stammen die Fibeln im Grab und wer hat entschieden, welche der zur Auswahl stehenden Fibeln welcher Person(en) ins Grab gelangten? Eine weitere Variante für die Herkunft der Fibeln wäre der Familienbesitz. Auch hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien wer die Auswahl für die Bestattung traf. Bei der ebenfalls denkbaren Möglichkeit, dass es sich um Familienerbstücke handelt, wäre zu klären, aus welchem Grund die Stücke entgegen ihrer eigentlichen Funktion nicht weitergegeben wurden, sondern ins Grab gelangten. Für die theoretisch existierenden Varianten dieses indirekten Fibelerwerbs bedeutet dies, dass mit zunehmender Zahl an wählbaren Fibeln und zunehmender Größe der Gruppe von Entscheidungsträgern die Möglichkeiten, nach denen Fibeln ins Grab einer Frau gelangen konnten, umso unübersichtlicher werden. In den meisten Fällen existiert dessen ungeachtet eine gewisse Verbindung zwischen gebender

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Frau(-engruppe) und den Fibeln, so dass die Regeln für den Erwerb bei persönlichem Besitz in großen Teilen auch hier gelten, allerdings nicht für die Frau mit den Fibeln im Grab. Die empirischen Ergebnisse schränken die Erwerbsvarianten dahingehend ein, dass zwischen den Fibeln und einer Person, die jedoch nicht zwangsläufig die Verstorbene sein muss, eine Verbindung bestand. Die nachgewiesenen Muster in den empirischen Daten können nur für diesen Fall plausibel erklärt und in Einklang mit den theoretischen Möglichkeiten gebracht werden.

7 Ausblick Für die merowingerzeitlichen Fibeln muss sowohl die These der Personengebundenheit als auch die Annahme eines altersabhängigen Fibelgebrauchs als unzutreffend verworfen werden. Beide lassen sich mit den Ergebnissen der hier ausgewerteten empirischen Daten nicht in Einklang bringen. Laut der Studie haben Mädchen etwa genauso häufig Fibeln im Grab wie erwachsene Frauen. Auch alten Frauen jenseits der fertilen Phase wurden nicht seltener Fibeln beigegeben, ganz im Gegenteil sind sie die Gruppe mit dem höchsten Fibelanteil. Nach der Verteilung der Fibelanteile und Abnutzungsgrade gab es offenbar gewisse Vorgaben, wann Fibeln erworben werden konnten. Diese beinhalteten mehrere mögliche Zeitpunkte, an denen Fibeln erworben werden durften, aber nicht zwingend von allen betroffenen Frauen erworben werden mussten. In welchem Zustand die Fibeln bei Erwerb waren und wann sie ausgetauscht wurden, war dabei offenbar individuell sehr verschieden. Kleinkinder konnten sehr alte aber auch werkstattfrische Fibeln im Grab haben, ebenso treten beide Extreme durch alle Altersklassen hindurch bis zu den senilen Frauen auf. Jegliche denkbare Kombination aus Sterbealter und Abnutzungsgrad lässt sich auch nachweisen. Eine Beschränkung auf bestimmte Kombinationen scheint es nicht gegeben zu haben. Eine Vererbung von Fibeln ist nicht auszuschließen, denn so könnten die stärker abgenutzten Fibeln der kleinen Mädchen erklärt werden. Insgesamt scheint es nicht zwingend nötig gewesen zu sein, sich neue Fibeln anzuschaffen. Die Regeln, wann, wie und welche Fibeln erworben wurden, erscheinen innerhalb eines klaren Rahmens relativ offen gewesen zu sein. Denn trotz des „anything goes“ bei den Kombinationen aus Sterbealter und Abnutzungsgrad benötigen die dokumentierten drei Wellen des durchschnittlichen Abnutzungsgrads über die Altersklassen hinweg gewisse Regelmäßigkeiten und Vorgaben, um dieses Muster auszubilden. Ein rein willkürlicher Erwerb würde ein anderes, undeutlicheres und unregelmäßigeres Muster ausbilden. Diese Erkenntnis wird auch durch den Vergleich der theoretischen Möglichkeiten für den Erwerb von Fibeln mit den Ergebnissen der Studie bestätigt. Die dabei als realistisch herausgearbeiteten Kombinationen der drei Erwerbsmodelle bewegen sich alle im Rahmen gewisser – nicht zu strenger und nicht zu offener – Vorgaben, die sich in optionalen oder variablen Erwerbszeitpunkten äußern. Ein zentraler Punkt sind die Besitz- und Eigentumsverhältnisse der Fibeln. Muss man von persönlichem Besitz ausgehen oder lässt sich das in der Studie dokumentierte Bild auch mit anderen Eigentumsverhältnissen erklären? Die theoretischen Überlegungen zum Fibelerwerb ohne persönlichen Besitz zeigen auf, dass hinter vielen der möglichen Varianten indirekt doch persönlicher Besitz steckt; zwar nicht persönlicher Besitz der Toten, aber jener der schenkenden Frau oder auch Frauengruppe, die ihre Fibeln der Verstorbenen ins Grab gaben. Die Abnutzungs- und Erwerbsregeln galten für die Fibeln der Schenkerin ebenso wie sie es bei den persönlichen Fibeln der Toten tun würden, das Erscheinungsbild der Fibeln ist dadurch gleich. https://doi.org/10.1515/9783110754810-007

7 Ausblick

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Dass die Fibeln aus dem persönlichen Besitz einer Frau stammten, erscheint damit wahrscheinlicher als die Annahme eines Familienerbstücks oder die Herkunft aus Familienbesitz. Widerlegen lassen sich die beiden letzteren Annahmen aber nicht. Nur weil die Möglichkeiten eines Erwerbs über persönlichen Besitz auf den ersten Blick plausibler sind, bedeutet dies nicht, dass sie zutreffend und die einzig möglichen sind. Aus praktischen Überlegungen heraus würde ich es für eher zutreffend halten, dass die Fibeln persönlicher Besitz der Toten oder eventuell einer vorgegebenen schenkenden Person bzw. sehr kleinen Personengruppe waren. Die Ergebnisse der Studie lassen sich mit diesen Varianten am unkompliziertesten erklären. Einzelne Fälle von Familienbesitz und Erbstücken können trotzdem vorgekommen sein, denn komplexe Sachverhalte sind niemals einfach und eingängig zu erklären. Aus diesen Erwägungen heraus erscheint es mir am naheliegendsten, dass es sich bei den Objekten im Grab primär um eine Auswahl des persönlichen Besitzes der Toten handelt. Dabei hatte das Tragen von Fibeln – aber sicher auch anderen Objekten – eher mit den materiellen Ressourcen der Person und ihrer Familie zu tun; und nicht mit der Zugehörigkeit zu einer Ethnie (Personengebundenheit) oder einer Altersgruppe (Altersabhängigkeit, soziale Rolle). Eventuell könnte die soziale und wirtschaftliche Stellung der Familie und der Toten ein einschränkender Faktor für den Erwerb von Fibeln gewesen sein. Dabei stellt sich die Frage, wie gefestigt das soziale Gefüge in der Merowingerzeit war und ob es genügend Druck aufbauen konnte, um bestimmten Personengruppen den Zugang zu bestimmten Objekten zu verwehren bzw. zu erlauben. Zukünftige Forschungen zum Thema könnten in zwei Richtungen arbeiten. Einerseits das große Feld der Abnutzungsfaktoren, bei dem besonders die Restaurierung und Textilarchäologie ein großes Potential für neue, aufschlussreiche Ergebnisse aufweisen. Auch Analysen zu Legierungszusammensetzung, Härte und Gefüge der Fibeln könnten sich für die Beurteilung der Abnutzung und deren Entstehung als entscheidend erweisen. Andererseits sollten weiterführende theoretische, aber auch empirische Arbeiten die Erwerbs- und Grablegungsmodalitäten bzw. -möglichkeiten genauer herausarbeiten, um beurteilen zu können wie plausibel persönlicher Besitz, Vererbung, Geschenke, Familienbesitz und Familienerbstücke/family heirlooms sind und sich im Befund nachweisen lassen. Chronologisch feiner aufgeschlüsselte Untersuchungen und Detailstudien wären ebenfalls eine empfehlenswerte Erweiterung und Ergänzung. Sie waren primär durch ihren Vorbereitungsumfang im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, auch wenn ihre Sinnhaftigkeit außer Frage steht. Wünschenswert, aber vermutlich nicht realisierbar, wäre eine feinere anthropologische Altersdifferenzierung besonders der erwachsenen Individuen. Eine präzisere Unterteilung der Altersklassen böte möglicherweise ebenfalls neue Ergebnisse. Allerdings ist durch die Größe der benötigten Referenzgruppe ohne Fibeln – abgesehen

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von methodischen Einschränkungen – der Aufwand immens. Diese Einschränkung besteht bereits gegenwärtig in Bezug auf eine chronologisch differenziertere Analyse. Weiterhin denkbar und vom Umfang her leichter umzusetzen wäre ein regional oder auf Gräberfeldebene unternommener Vergleich, um eventuelle kleinräumigere Unterschiede herauszuarbeiten. Wobei hier durch den Fehler der kleinen Zahl sehr schnell Grenzen gesetzt sind, die aber möglicherweise durch entsprechende statistische Verfahren relativiert werden könnten. Es bleibt also lohnend, durch neue Grabungen und vor allem Untersuchungsmethoden in Zukunft neues Datenmaterial zu gewinnen und daraus neue Ergebnisse und Erkenntnisse im Zuge weitergehender Studien zu erzielen.

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Anhang 1 Aufgenommene Gräberfelder Gräberfeld

Kürzel

Vorhandene Individuen [davon Frauen]889

Anzahl Gräber Anzahl der mit Fibeln/ untersuchten Anzahl der Fibeln Fibeln (aufgenommene Fibeln)

Aldingen

Aldi

23 [9]

7/17

15 (16)

Altenerding „Bajuwarenstraße“

Alte

1451 [594]

88/171

132 (171)

Aschheim „Am Wasserturm“ und „Bajuwarenring“

AschW, AschB

463 [113]

50/86 (4/10; 46/76)

80 (86) (10/10; 70/76)

Aubing

Aubi

859 [336]

52/97

73 (95)

Buggingen

Bugg

59 [20]

1/2

2 (2)

Dittenheim

Ditt

244[24]

17/21

17 (21)

Donzdorf

Donz

106 [28]

2/6

6 (6)

Eichstetten a. Kaiserstuhl

Eich

281 [89]

11/15

5 (14)

Fridingen a. d. Donau

Frid

337 [107]

9/19

13 (18)

Heidenheim-GroßHdhGG, HdhGP 41 [18] kuchen „Gassenäcker“ und „Pfaffensteig“

7/12 (3+2 mit je 1 Altstück/6; 1/4)

6 (10) (6/6; 4/4)

Hemmingen

Hemm

59 [35]

20/41

30 (38)

Kirchheim/Ries

Kirch

537 [165]

29/30

22 (24)

Kleinlangheim

Klei

243 [90]

19/29

10 (23)

Kösingen

Kösi

98 [40]

6/6

5 (5)

Mengen

Meng

936 (Gräber) [359] 25/40

30 (40)

Merdingen

Merd

291 [102]

8/9

7 (9)

München-Perlach

MüPerl

32 [21]

8/14

14 (14)

Munzingen

Munz

233 [115]

4/4

4 (4)

Neresheim

Nere

158 [93]

11/25

18 (19)

Peigen

Peig

274 [121]

19/33

13 (30)

885 Aus den Publikationen entnommen. https://doi.org/10.1515/9783110754810-009

1 Aufgenommene Gräberfelder

Gräberfeld

Kürzel

Vorhandene Individuen [davon Frauen]889

Pleidelsheim

Plei

264 (Gräber) [121] 25/56

43 (46)

Pliening

Plie

231 (Gräber) [51]

4/7

5 (7)

Schwangau

Schwa

127 [56]

3/4

3 (4)

Sontheim a. d. Brenz

Sont

200 (Gräber) [30]

10/20

4 (5)

Steinhöring

Stei

252 [93]

3/3

1 (3)

Stetten a. d. Donau

Stett

241 [60]

2/2

1(2)

Weingarten

Wein

813 [317]

69/137

110 (123)

279

Anzahl Gräber Anzahl der mit Fibeln/ untersuchten Anzahl der Fibeln Fibeln (aufgenommene Fibeln)

280

Anhang

2 Steckbriefe der Gräberfelder Aldingen, BY Kürzel: ALDI Beraubungsgrad: 19 % Vollständigkeit: Gräberfeldgrenzen wohl alle dokumentiert. Störungen: ? Datierung: 2. Hälfte 5. – frühes 6. Jh. Anzahl der Gräber: 24 Anzahl der Individuen: 23 Anzahl der Frauen: 9 Anzahl der Fibelgräber: 7 Anzahl der Fibeln: 17 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 16 Anzahl der untersuchten Fibeln: 15 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Schach-Dörges 2004  

Altenerding „Bajuwarenstraße“, BY Kürzel: ALTE Beraubungsgrad: 3,9 % Vollständigkeit: Größtenteils erfasst. Störungen: Störung durch eine Straße in der Mitte. Datierung: Ende 5. – Ende 7. Jh. Anzahl der Gräber: 1360 Anzahl der Individuen: 1451 Anzahl der Frauen: 594 Anzahl der Fibelgräber: 88 Anzahl der Fibeln: 171 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 171 Anzahl der untersuchten Fibeln: 132 Skeletterhaltung: Verhältnismäßig gut erhalten. Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Sage 1984, Helmuth 1996  

Aschheim „Am Wasserturm“, BY Kürzel: AschW Beraubungsgrad: 0 % Vollständigkeit: Nicht vollständig gegraben. Störungen: Ein Grab modern gestört. Datierung: Stufe A – C nach Gutsmiedl-Schümann (525/535 – um 600)  

2 Steckbriefe der Gräberfelder

281

Anzahl der Gräber: 24 Anzahl der Individuen: 25 Anzahl der Frauen: 14 Anzahl der Fibelgräber: 4 Anzahl der Fibeln: 10 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 10 Anzahl der untersuchten Fibeln: 10 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: AschheiMuseum, Aschheim Literatur: Gutsmiedl-Schümann 2010 Aschheim „Bajuwarenring“, BY Kürzel: AschB Beraubungsgrad: 23,3 % Vollständigkeit: Im N, O und S Friedhofsgrenze erreicht. Im W Störung durch Kiesgrube des 19. Jh. Störungen: 23,3 % Datierung: 525/535 – 670/680 Anzahl der Gräber: 454 Anzahl der Individuen: 438 Anzahl der Frauen: 199 Anzahl der Fibelgräber: 46 Anzahl der Fibeln: 76 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 76 Anzahl der untersuchten Fibeln: 70 Skeletterhaltung: Skelette überwiegend eher unvollständig überliefert und relativ stark fragmentiert. Oberflächen stark erodiert. Postcranium tendenziell eher schlechter als Cranium. Aufbewahrungsort: AschheiMuseum, Aschheim Literatur: Gutsmiedl-Schümann 2010  



Aubing, BY Kürzel: AUBI Beraubungsgrad: Ein erheblicher Prozentsatz beraubt. Vollständigkeit: Grenze im W, S, O und SO belegt. Unklar, wie viele Gräber 1938 nicht erkannt wurden. Störungen: 1938 bei Baggerarbeiten in einer Kiesgrube. Datierung: ? Anzahl der Gräber: 881+21 Anzahl der Individuen: 859 Anzahl der Frauen: 336 Anzahl der Fibelgräber: 52

282

Anhang

Anzahl der Fibeln: 97 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 95 Anzahl der untersuchten Fibeln: 73 Skeletterhaltung: Äußerst schlecht. Soll aber nach Aussage des Ausgräbers 1938 deutlich besser gewesen sein. Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Dannheimer 1998 Buggingen „Weckersgraben“, BW Kürzel: BUGG Beraubungsgrad: nicht beurteilbar. Vollständigkeit: Westrand nicht erfasst, da dort heutige Böschungskante (→ Verluste durch Erosion). Grenze im S und N erreicht. Im O Obstgarten, dort keine Grabungen. Gräberfeld wegen Relief wohl größtenteils erfasst. Störungen: ? Datierung: 7. Jh. Anzahl der Gräber: 53 Anzahl der Individuen: 59 Anzahl der Frauen: 20 Anzahl der Fibelgräber: 1 Anzahl der Fibeln: 2 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 2 Anzahl der untersuchten Fibeln: 2 Skeletterhaltung: Sehr unterschiedlich, insgesamt aber gut. Sehr viele sehr gut, aber auch sehr schlecht erhaltene Skelette. Aufbewahrungsort: Landesamt für Denkmalpflege, Freiburg Literatur: Jansen 2003, Kreutz 2003 Dittenheim, BY Kürzel: DITT Beraubungsgrad: 19 % Vollständigkeit: Im W, N und O Grenzen erreicht. Störungen: durchfließender Bach. Datierung: Mitte 6. Jh – letztes Drittel 7. Jh. Anzahl der Gräber: 238 Anzahl der Individuen: 244 Anzahl der Frauen: 24 Anzahl der Fibelgräber: 17 Anzahl der Fibeln: 21 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 21 Anzahl der untersuchten Fibeln: 17 Skeletterhaltung: ?  

2 Steckbriefe der Gräberfelder

283

Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Haas-Gebhard 1998 Donzdorf, BW Kürzel: DONZ Beraubungsgrad: > 68 % Vollständigkeit: Nur ein geringer Teil des Gräberfeldes konnte dokumentiert werden, auch in diesem Areal sind nicht alle Gräber dokumentiert. Gräberfeldgrenze sicher nur im O, im W wahrscheinlich bekannt, im N und S wegen Überbauung unbekannt. Störungen: Größtenteils undokumentiert zerstört durch Bauarbeiten. Datierung: Grab 78 ins 1. Viertel 6. Jh. Der Rest des Gräberfeldes ins 7. Jh. Anzahl der Gräber: 100 Anzahl der Individuen: 106 Anzahl der Frauen: 28 Anzahl der Fibelgräber: 2 Anzahl der Fibeln: 6 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 6 Anzahl der untersuchten Fibeln: 6 Skeletterhaltung: Teilweise sehr schlecht. Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Neuffer 1972  

Eichstetten am Kaiserstuhl „Wannenberg“, BW Kürzel: EICH Beraubungsgrad: 10–20 % Vollständigkeit: Fast vollständig. Störungen: etwa 30 % mit schweren Störungen, 70 % weitgehend intakt. Ältere Terrassierung stört im S einige Gräber, Böschung im SO und S ebenso, Ausdehnung nicht mehr ermittelbar. 2 Hohlwege durchziehen das Areal. Die meisten Störungen sind aber rezent durch rasche Bergung/maschinellen Bodenabtrag mit einer Planierraupe entstanden. Datierung: um 500 – Ende 7./Anf. 8. Jh. (Ende Stufe II nach Böhner bis frühe Stufe JM III). Anzahl der Gräber: 272 Anzahl der Individuen: 281 Anzahl der Frauen: 89 Anzahl der Fibelgräber: 11 Anzahl der Fibeln: 15 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 14 Anzahl der untersuchten Fibeln: 5 Skeletterhaltung: Unvollständig, fragmentarisch.  





284

Anhang

Aufbewahrungsort: Zentrales Fundarchiv Rastatt Literatur: Sasse 2001 Fridingen an der Donau „Spital“, BW Kürzel: FRID Beraubungsgrad: 67,8 % Vollständigkeit: Bis auf modernes Straßenareal alle Gräber erfasst, auch die Ausdehnung des Gräberfeldes. Störungen: hoher Grad an Störungen. Datierung: Christlein-Schichten 1 bis 4 vertreten (vor 570/80 bis zum Ende der Beigabensitte). Anzahl der Gräber: 306 Anzahl der Individuen: 337 Anzahl der Frauen: 107 Anzahl der Fibelgräber: 9 Anzahl der Fibeln: 19 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 18 Anzahl der untersuchten Fibeln: 13 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Schnurbein 1987  

Heidenheim-Großkuchen „Gassenäcker“, BW Kürzel: HdhGG Beraubungsgrad: starke Beraubung. Vollständigkeit: Vollständig dokumentiert/gegraben. Störungen: ? Datierung: spätes 5. – frühes 6. Jh. Anzahl der Gräber: 25 Anzahl der Individuen: 25 Anzahl der Frauen: 16 Anzahl der Fibelgräber: 5 Anzahl der Fibeln: 6 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 6 Anzahl der untersuchten Fibeln: 6 Skeletterhaltung: Vollständig, durchweg gut erhalten. Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Heege 1987 Heidenheim-Großkuchen „Pfaffensteig“, BW Kürzel: HdhGP Beraubungsgrad: ?

2 Steckbriefe der Gräberfelder

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Vollständigkeit: Nur vereinzelte Gräber dokumentiert/entdeckt. Störungen: ? Datierung: Kurz vor Mitte 6. Jh. – 1. Hä. 7. Jh. Anzahl der Gräber: 14 Anzahl der Individuen: 16 Anzahl der Frauen: 2 Anzahl der Fibelgräber: 1 Anzahl der Fibeln: 4 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 4 Anzahl der untersuchten Fibeln: 0 Skeletterhaltung:? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Heege 1987 Hemmingen, BW Kürzel: HEMM Beraubungsgrad: 40 % Vollständigkeit: Grenzen des Gräberfeldes im O, S und W bekannt. Ausdehnung nach N nicht klar. Störungen: ? Datierung: Frühe Reihengräberzeit. Anzahl der Gräber: 59 Anzahl der Individuen: 59 Anzahl der Frauen: 35 Anzahl der Fibelgräber: 20 Anzahl der Fibeln: 41 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 38 Anzahl der untersuchten Fibeln: 30 Skeletterhaltung: Schlecht. Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Müller 1976  

Kirchheim am Ries, BW Kürzel: KIRCH Beraubungsgrad: gering. Vollständigkeit: Im W und O gestört (Grenzen dort erreicht?). Im S durch Suchschnitte geklärt. Im N war die Grenze nicht eindeutig nachzuweisen. Störungen: V.a. bei Anlage neuer Gräber (139 gestörte, 427 ungestörte Gräber); d. h. 38 % gestört. Datierung: 6. Jh. – Anfang 8. Jh. Anzahl der Gräber: 480 (518) Anzahl der Individuen: 537  



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Anhang

Anzahl der Frauen: 165 Anzahl der Fibelgräber: 29 Anzahl der Fibeln: 30 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 24 Anzahl der untersuchten Fibeln: 22 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Neuffer-Müller 1983 Kleinlangheim, BY Kürzel: KLEI Beraubungsgrad: 36 % Vollständigkeit: Bis auf eine Hausgrube (10x12m) alle Gräber erfasst, Areal bis auf den gewachsenen Boden untersucht. Störungen: 12 alte Störungen, 4 neuzeitliche Störungen. Datierung: Um 500 bzw. im frühen 6. Jh (fortgeschrittene AM1) bis um 700 (JM3) (1. Gräberfeld: Mitte 1. Jh. v. Chr. – Mitte 5. Jh., 2. Gräberfeld: 6. und 7. Jh.; Kirche mit Vorgängerbauten aus dem 7. Jh). Anzahl der Gräber: 307 Anzahl der Individuen: 243 Anzahl der Frauen: 90 Anzahl der Fibelgräber: 19 Anzahl der Fibeln: 29 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 23 Anzahl der untersuchten Fibeln: 10 Skeletterhaltung: Relativ zufriedenstellend. Knochenoberflächen teilweise ganz erheblich gestört. Aufbewahrungsort: Grab 1–100 im Mainfränkischen Museum Würzburg, ab Grab 101 in der Archäologischen Staatssammlung München. Literatur: Peschek 1996  



Kösingen, BW Kürzel: KÖSI Beraubungsgrad: 47,1 % Vollständigkeit: Nicht in vollständiger Ausdehnung erfasst. Nach N, W und SW Grenzen anscheinend erfasst. Störungen: gestört 18,8 %, modern gestört 9,4 %. Datierung: 2. Hä. 5. Jh bis um/nach 700 Anzahl der Gräber: 83 Anzahl der Individuen: 98 Anzahl der Frauen: 40 Anzahl der Fibelgräber: 6  





2 Steckbriefe der Gräberfelder

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Anzahl der Fibeln: 6 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 5 Anzahl der untersuchten Fibeln: 5 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Knaut 1993 Mengen „Hohle-Merzengraben“, BW Kürzel: MENG Beraubungsgrad: ? Vollständigkeit:Teile vor der Grabung schon aberodiert oder anderweitig zerstört. Belegung war sicher wesentlich größer. Soweit noch vorhanden, vollständig gegraben. Störungen: hohe Quote. Datierung: Spätes 5. bis frühes 8. Jh. Anzahl der Gräber: 936 Anzahl der Individuen: ? Anzahl der Frauen: 359 Anzahl der Fibelgräber: 25 Anzahl der Fibeln: 40 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 40 Anzahl der untersuchten Fibeln: 30 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Zentrales Fundarchiv Rastatt Literatur: Walter 2008 Merdingen „Hütstel und Schönberg“, BW Kürzel: MERD Beraubungsgrad: stark. Vollständigkeit: Gräberfeldgrenzen wohl erreicht. Störungen: systematischer Grabraub. Anlage von Hohlwegen. Erosion und Flurbereinigung. Datierung:? Anzahl der Gräber: 278 Anzahl der Individuen: 291 Anzahl der Frauen: 102 Anzahl der Fibelgräber: 8 Anzahl der Fibeln: 9 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 9 Anzahl der untersuchten Fibeln: 7 Skeletterhaltung: Schlechter Erhaltungszustand. Aufbewahrungsort: Zentrales Fundarchiv Rastatt Literatur: Fingerlin 1971

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Anhang

München-Perlach, BY Kürzel:MüPERL Beraubungsgrad: weitestgehend unberaubt. Vollständigkeit: Nicht vollständig, Störung quer durchlaufend, zu großen Teilen erfasst. Störungen: ? Datierung: Spätes 5. – 2. Viertel 6. Jh.; v. a. um 500 und 1. Drittel 6. Jh. Anzahl der Gräber: 32 Anzahl der Individuen: 32 Anzahl der Frauen: 21 Anzahl der Fibelgräber: 8 Anzahl der Fibeln: 14 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 14 Anzahl der untersuchten Fibeln: 14 Skeletterhaltung:? Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Zintl 2004  

Munzingen, BW Kürzel: MUNZ Beraubungsgrad: 93 % Vollständigkeit:W- und O-Grenze erfasst, nach S vermutl. fast Rand erreicht, im N ev. 40–50m fehlend. D. h. ca. 2 Drittel gegraben. Störungen: ? Datierung: nur jüngere MZ (Mitte 7. bis Anfang 8. Jh). Anzahl der Gräber: 229 Anzahl der Individuen: 233 Anzahl der Frauen: 115 Anzahl der Fibelgräber: 4 Anzahl der Fibeln: 4 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 4 Anzahl der untersuchten Fibeln: 4 Skeletterhaltung: Schlecht und fragmentarisch. Aufbewahrungsort: Zentrales Fundarchiv Rastatt Literatur: Groove 2001  

Neresheim, BW Kürzel: NERE Beraubungsgrad: 43,2 % Vollständigkeit: Nicht in vollständiger Ausdehnung erfasst. Begrenzung im W und S deutlich erfasst, im N und O nicht. Störungen: gestört 18,7 %, modern gestört 3,2 %. Datierung: 2. Hä. 5. Jh. bis um/nach 700.  





2 Steckbriefe der Gräberfelder

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Anzahl der Gräber: 151 Anzahl der Individuen: 158 Anzahl der Frauen: 93 Anzahl der Fibelgräber: 11 Anzahl der Fibeln: 25 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 19 Anzahl der untersuchten Fibeln: 18 Skeletterhaltung: Meist gut bis mäßig gut. Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Knaut 1993 Peigen, BY Kürzel: PEIG Beraubungsgrad: knapp 25 % Vollständigkeit: Maximal 2 Drittel bis die Hälfte dokumentiert. Diverse Stellen undokumentiert zerstört. Grenze des Gräberfeldes nur in einem schmalen Streifen im S erreicht. Gesamtausdehnung unklar. Störungen: ? Datierung: Ende 5. Jh (Grab 171) – zweite Hälfte 7. Jh. Anzahl der Gräber: 251 (3 davon nicht frühmittelalterlich) Anzahl der Individuen: 274 Anzahl der Frauen: 121 Anzahl der Fibelgräber: 19 Anzahl der Fibeln: 33 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 30 Anzahl der untersuchten Fibeln: 13 Skeletterhaltung: Sehr fragil und zerbrechlich, sehr schlecht erhalten. Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Freeden/Lehmann 2005  

Pleidelsheim, BW Kürzel: PLEI Beraubungsgrad: ? Vollständigkeit:? Störungen: ? Datierung: Mitte 5. Jh. bis weit ins 7. Jh. hinein. Anzahl der Gräber: 264 Anzahl der Individuen: ? Anzahl der Frauen: 121 Anzahl der Fibelgräber: 25 Anzahl der Fibeln: 56 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 46

290

Anhang

Anzahl der untersuchten Fibeln: 40 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Koch 2001 Pliening, BY Kürzel: PLIE Beraubungsgrad: 36–40 % Vollständigkeit: Die Grenzen sind durch die bisherigen Grabungen nur zum Teil erfasst. Im S Grenze erreicht, im W wohl auch, im N nicht genau/sicher. Erreichen der Grenze im O fraglich. Störungen: modern Teile zerstört. Datierung: um 500 – spätes 7. Jh. Anzahl der Gräber: 231 Anzahl der Individuen: ? Anzahl der Frauen: 51 Anzahl der Fibelgräber: 4 Anzahl der Fibeln: 7 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 7 Anzahl der untersuchten Fibeln: 5 Skeletterhaltung: Mittelmäßig bis schlecht. 1937 keine anthropologische Untersuchung gemacht. Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Codreanu-Windauer 1997  

Schwangau, BY Kürzel: SCHWA Beraubungsgrad: 0 % Vollständigkeit: Ausdehnung vollständig erfasst, aber nicht alle Gräber dokumentiert. Störungen: alte Kiesgrube. Manche Gräber durch Überschneidungen oder die Auffindungssituation gestört. Datierung: Ende 6. Jh. – um 700. Anzahl der Gräber: 131 Anzahl der Individuen: 127 Anzahl der Frauen: 56 Anzahl der Fibelgräber: 3 Anzahl der Fibeln: 4 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 4 Anzahl der untersuchten Fibeln: 3 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Archäologische Staatsammlung München Literatur: Bachran 1993, Bärwald 1981  

2 Steckbriefe der Gräberfelder

291

Sontheim an der Brenz, BW Kürzel: SONT Beraubungsgrad: ? Vollständigkeit: S- und O-Grenze erreicht. Im N Grenze vermutlich erreicht. Nach W ist die Ausdehnung unsicher. Dazwischen Fundlücken. Störungen: ? Datierung: Ende 6. und 7. Jh. Anzahl der Gräber: 200 Anzahl der Individuen: ? Anzahl der Frauen: 30 Anzahl der Fibelgräber: 10 Anzahl der Fibeln: 20 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 5 Anzahl der untersuchten Fibeln: 4 Skeletterhaltung: Ausgezeichnet erhalten. Aufbewahrungsort: Landesmuseum Württemberg Stuttgart Literatur: Neuffer-Müller 1966 Steinhöring „Zum Bachkramer“, BY Kürzel: STEI Beraubungsgrad: 9,5 % Vollständigkeit: Komplett ergraben. Störungen: ? Datierung: Anfang 6. Jh. bis letztes Viertel 7. Jh. Anzahl der Gräber: 250 Anzahl der Individuen: 252 Anzahl der Frauen: 93 Anzahl der Fibelgräber: 3 Anzahl der Fibeln: 3 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 3 Anzahl der untersuchten Fibeln: 1 Skeletterhaltung: ? Aufbewahrungsort: Archäologische Staatssammlung München Literatur: Arnold 1992  

Stetten an der Donau „Zillhäldele“, BW Kürzel: STETT Beraubungsgrad: 20 % Vollständigkeit: Fast lückenlose Dokumentation. Nur 10 – 20 Gräber waren durch Baumaßnahmen zerstört oder waren nicht mehr erreichbar. NW-Grenze nicht mit Sicherheit festgelegt. Störungen: ?  

292

Anhang

Datierung: 630 bis 720 n. Chr. Anzahl der Gräber: 209 Anzahl der Individuen: 241 Anzahl der Frauen: 60 Anzahl der Fibelgräber: 2 Anzahl der Fibeln: 2 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 2 Anzahl der untersuchten Fibeln: 1 Skeletterhaltung: Sehr unterschiedlicher Erhaltungszustand. Meist sehr spröde und stark fragmentiert. Aufbewahrungsort: Zentrales Fundarchiv Rastatt Literatur: Weis/Ankner 1999  

Weingarten, BW Kürzel: WEIN Beraubungsgrad: nicht beurteilbar. Vollständigkeit: NW-Teil nicht vollständig aufgenommen. Ca. 40 Gräber nicht geborgen. Störungen: modern v. a. bei den ersten 100 Gräbern. (84 modern; 15 komplett durch Bagger vernichtet, Inventare aber gesichert). Datierung: Anfang 6. Jh. bis um 700. Anzahl der Gräber: 801 Anzahl der Individuen: 813 Anzahl der Frauen: 317 Anzahl der Fibelgräber: 69 Anzahl der Fibeln: 137 Anzahl der aufgenommenen Fibeln: 123 Anzahl der untersuchten Fibeln: 110 Skeletterhaltung: Schlecht Aufbewahrungsort: Alamannenmuseum Weingarten Literatur: Roth/Theune-Vogt 1995, Huber 1967  

3 Liste der besuchten Museen und Sammlungen

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3 Liste der besuchten Museen und Sammlungen – – – – – – –

AschheiMuseum Aschheim Archäologisches Museum Colombischlössle Freiburg Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, Dienstsitz Freiburg Archäologische Staatssammlung München Zentrales Fundarchiv des Archäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg Rastatt Landesmuseum Württemberg Stuttgart Alamannenmuseum Weingarten

Abbildungsverzeichnis und Link zur Datenbank Alle Fotos (Tafeln 1 bis 5): Mit freundlicher Genehmigung der Archäologischen Staatssammlung München, Fotos: Sorg. Fibelschemata der aufgenommenen Areale (Abb. 8 bis Abb. 18): Vorlagen aus Sage 1984 (Altenerding), Haas-Gebhard 1998 (Dittenheim), Zintl 2004/05 (München-Perlach), Roth/Theune-Vogt 1995 (Weingarten), Neuffer-Müller 1983 (Kirchheim). Umzeichnung und Überarbeitung durch Sorg. Karte (Abb. 19): Grundlage WikiCommons, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Deutschland_topo. jpg; Urheber: Botaurus-stellaris; Abgerufen am 01.06.2015. Verändert durch Sorg. Materialanalysen (Tab. 4): Datenerhebung Ernst Ludwig Richter, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart. Mit freundlicher Genehmigung durch Prof. Dr. Sebastian Brather. Zusammenstellung und Abnutzungsgrade ergänzt durch Sorg. Alle weiteren Abbildungen, Diagramme und Tabellen: Sorg Link zum Download der Datenbank: https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110754810/html

https://doi.org/10.1515/9783110754810-010

Tafelteil

Tafel 1

Beispiele für Abnutzungsgrad 1, entsprechende Areale sind ggf. durch eine Umrandung hervorgehoben. A: Scheibenfibel, Altenerding Grab 625 (Alte625-4). B: Zangenfibel, Altenerding Grab 1083 (Alte1083-2). C: S-Fibel, Peigen Grab 3 (Peig3-1).

https://doi.org/10.1515/9783110754810-011

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Tafelteil

Tafel 2

Beispiele für Abnutzungsgrad 2, entsprechende Areale sind ggf. durch eine Umrandung hervorgehoben. A: S-Fibel, Altenerding Grab 347 (Alte347-2). B: Bügelfibel, Altenerding Grab 1350 (Alte1350-1). C: Bügelfibel, Altenerding Grab 76 (Alte76-1).

Tafelteil

Tafel 3

Beispiele für Abnutzungsgrad 3, entsprechende Areale sind ggf. durch eine Umrandung hervorgehoben. A: Bügelfibel, Altenerding Grab 897 (Alte897-1). B: S-Fibel, Altenerding Grab 558 (Alte558-1). C: Granatscheibenfibel, Aubing Grab 270 (Aubi270-2). D: Bügelfibel, Altenerding Grab 607 (Alte607-1).

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300

Tafelteil

Tafel 4

Beispiele für Abnutzungsgrad 4, entsprechende Areale sind ggf. durch eine Umrandung hervorgehoben. A: Bügelfibel, Altenerding Grab 897 (Alte897-1). B: Bügelfibel, Aubing Grab 306 (Aubi306-4). C: Granatscheibenfibel, Peigen Grab 35 (Peig35-2). D: Bügelfibel, Altenerding Grab 151 (Alte151-1).

Tafelteil

Tafel 5

Beispiele für das Auftreten verschiedener Abnutzungsgrade an einer Fibel. A: Bügelfibel, Altenerding Grab 532 (Alte532-1). B: S-Fibel, Altenerding Grab 773 (Alte773-2).

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