Feldmarschall Graf Helmut von Moltke ; Festgabe zum fünfundzwanzigsten Jahrestag der Schlacht bei Sedan

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Feldmarſchall

Graf Helmut von Moltke . Feſtgabe

zum fünfundzwanzigſten Jahrestage der Schlacht bei Sedan .

Von

Wilhelm Buchner.

Lahr. Drucť und Verlag von Morig Schauenburg 1895 .

12D

BIBLIOTHECA RECIA

MONACENSIS

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GRAF MOLTKE General - Feldmarschall

Nach einer im Jahre 1872 nach demLeben aufgenommenen Photographie von Franz Hanfstaengl in München .

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Feldmarſchall

Graf Helmut von Moltke. -

Feſtgabe zum fünfundzwanzigſten Jahrestage der Schlacht bei Sedan.

Don

Wilhelm Buchner .

Lahr. Druck und Verlag von Morin Schauenburg. 1895 .

Alle Rechte vorbehalten.

BIBLIOTHECA REGIA ONCENSIS ,

Vorwort. Ein Lebensbild Moltkes bedarf wohl nicht des Nadjweiſes ſeiner Be

rechtigung; haben doch der große Kaiſer , der große Staatsmann und der große Feldmarſchall als die drei Schöpfer des neuen deutſchen ale Zeiten ihre Ehrenſtelle in der Geſdichte unſeres Volfes. wie wenig kennt eigentlich das deutſche Volt den Feldherrni , legener Geiſt in drei weltgeſchichtlichen Feldzügen über Aufgang 1

Reiches für Und doch, deſſen iiber oder Nieder

gang unſeres Vaterlandes entſchied. Bis zu der Stunde , da der „ große Schweiger“ hochbetagt die Augen ſchloß, waren im Grunde lediglich die Hauptzüge ſeines Lebens bekannt , näher nur die vier türkiſchen Jahre. Während wir längſt eine Anzahl köſtlicher Briefe Bismards beſitzen , ſind Moltkes Briefe an die Familie, ſoweit ſie überhaupt noch vorhanden waren,

erſt nach ſeinem Tode in den Geſammelten Schriften an die Öffentlichkeit gelangt ; dieſelbe hochverdienſtliche Sammlung hat dann eine Reihe von Mitteilungen über die Familie und das berühmteſte Glied derſelben , die Werfe über die Türkei und den deutſdh-franzöſiſchen Feldzug, cine Anzahl

verſcholener geſchichtlicher Schriften Moltkes, ſeine Reichstagsreden ac. zu animengefaßt, und zwar in einer, wie mir ſcheint, nicht ſonderlich glück: lichen Anordnung. Jedenfalls aber iſt der Inhalt der Geſammelten Schriften derart, daß erſt mit ihrer Hilfe eine umfaſſendere Darſtellung von Moltkes Leben und Weſen möglich iſt. Dieſe Aufgabe habe ich mir geſtellt; ich

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wollte auf dem Hintergrunde der großen politiſchen Ereigniſſe von 1848 bis 1871 Moltkes ſtets wachſende Bedeutung als Kriegsmann zeichnen,

ohne doch in geſchichtliche oder kriegswiſſenſchaftliche Einzelheiten einzugehen, für die ein größerer Leſerkreis doch kein volles Verſtändnis hat ; ich wollte aus ſeinen Briefen , ſoweit ſie erhalten ſind, Moltkes innere Entwickelung, ſein Gemütsleben, ſein Weſen als Menſch darſtellen. Wo es irgend ging,

habe ich Moltke ſelbſt reden laſſen, von dem Meinigen nur das Nötigſte hinzugethan ; die Würdigung Moltkes als weltgeſchichtlicher Größe muß einer

künftigen umfaſſenderen Arbeit eines Fachgelehrten vorbehalten bleiben. Eiſenach, im September 1894.

Wilhelm Budyner.

Inhalt Seite

1. Jugendjahre II. Lehrjahre . III. Unter dem albmond IV . Dienſtjahre .

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V. Auf der Höhe VI. Stille Jahre .

VII. Molttes Weſen und Schriften

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Gonnsoellten Erſter Abſchnitt.

Moltkes fugeudjahre. Wohl iſt es nur ein Zufall, aber immerhin ein eigentümlicher,' daß die beiden größten und volkstümlichſten deutſchen Feldherren unſeres Jahr hunderts, daß der Feldmarſchal Fürſt Blücher von Wahlſtadt, der Mann

der kühnen That, und der Feldmarſchall Graf Moltke, der weiſe ſtille Lenker der Schlacht, in Mecklenburg geboren wurden und vielverzweigten alten

medlenburgiſchen Geſchlechtern angehören. Beide Kriegshelden, die ſich, jeder in ſeiner Art, uin Deutſchland ſo unermeßliches Verdienſt erwarben, der ließen ſchon als Knaben ihre engere Heimat, beren kleinliche Verhältniſſe ihrem weiterſtrebenden Geiſte keinen Spielraum gewähren konnten. Blücher trat in ſchwediſche, Moltke in däniſche Dienſte ein ; beide aber dertauſchten bereits in jungen Jahren, zu ihrem Wohl und Deutſchlands Heil, den fremden Kriegsdienſt mit dem im preußiſchen Heere. Es war gleichſan

als ob eine Vorahnung die beiden Helden darauf hingewieſen hätte, in den kräftigſten Jahren der goldenen Jünglingszeit ſich unter die ſchwarz-weiße

Fahne zu ſtellen, um dereinſt das geſamte Vaterland von fränkiſcher Gewalt Buchner, Moltke.

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zu befreien. Und wenn auch die Zahl der Medlenburger, die für Deutſchlands Ehre Großes gethan, nicht gerade bedeutend iſt, der Roſtocker Blücher und der Parchimer Moltke ſollen uns allezeit hochgeprieſen ſein ; was der eine unvollendet

hinterließ, hat der andere zum guten Ende geführt. War der eine mehr that fräftiger Arm , ſo war der andere mehr überlegender Kopf; jeder aber hat

in ſeiner Weiſe für Deutſchlands Ehre und Macht das Höchſte geleiſtet. Die Frage nach dem ſprachlichen Urſprunge des Namens der Moltke wird hier wohl nicht müßig erſcheinen. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß es eine niederdeutſche Verkleinerungsform iſt, und damit wäre ſchon der Beweis erbracht für den deutſchen Urſprung des zwiſchen einer unterworfenen ſlawiſchen Bevölkerung fißenden Herrengeſchlechtes. Was aber bedeutet die

Stammſilbe Molt ? Sie hat, wie mir ſcheint, mit dem alten noch im Namen unſeres Maulwurfs verſtümmelt vorhandenen Worte Molt, das Erde, Staub bedeutet, nichts zu ſchaffen, ſondern iſt die verkümmerte, verkürzte Form eines uralten deutſchen Männernamens, ſei es Frumolt oder Grimolt, Helmolt

oder Rumolt oder Heimolt, der Frommwaltende oder Grimmigwaltende, der Helmwaltende oder Ruhmwaltende oder ſeines Heims Waltende, lauter Namen alſo, die für ihren berühmteſten Träger ſo recht vorbildlich wären.

Ade dieſe uralten Namen ſind urkundlich belegt. Daß derartige Ber: kürzungen eines Wortſtammes in der altniederdeutſchen Namenbildung öfter vorkommen, dafür iſt ein Zeugnis der vielverbreitete niekerdeutſche Name Nöldeke, eine Roſeform für Arnoldchen. So haben wir Moltke auch als eine Koſeform für Frumolt oder Grimolt, Helmolt, Rumolt oder Heimolt zu betrachten. Zur Zeit Ludwigs des Frommen lebte ein lateiniſcher Hof

dichter Ermoldus, den ich mir als den Armwaltenden zurecht legte, was auf Molttes Leutnantsjahre wohl paſſen würde. Aber von kundiger Seite werde ich berichtet, daß Ermolbus gleich Ermenoldus ſei, der Weltwaltende, Welt.

Herrſcher, und das iſt freilich die ſtolzeſte Deutung von allen . On Auswahl

fehlt es demnach nicht. Übrigens kommt der ſonſt ſeltene Familienname Moldt noch zur Zeit auf der Inſel Rügen vor. „ Im Jahre 1164 eroberte Heinrich der Löwe das Land der Obotriten, das jebige Medlenburg. Er gründete dort das Bistum Schwerin und

ſeşte überal Richter und Ritter ein ; ſelbſtverſtändlich wählte er dieſe nicht aus den überwundenen Heiden, ſondern aus ſeinen ſiegreichen Mannen . Schon 1246 wird in noch erhaltenen Urkunden Matheus Moltke als Ritter aufgeführt. Sein Geſchlecht iſt daher weder wendiſchen noch däniſchen , ſondern deutſchen Urſprungs."" So beginnt die vom Feldmarſchall ſelbſt

aufgezeichnete furze Familiengeſchichte, die wir im erſten Bande der Geſam melten Schriften finden . Er fährt fort :

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„Nur wenig ſpäter treten ſchon die Moltkes in Schweden und namentlich in Dänemark auf, wo ſie, wie die wichtigen, von ihnen mitunterzeichneten Urkunden und Staatsverträge darthun, zu hohen und einflußreiden Ämtern in Staat und Kirche gelangten. Vier ſolcher Linien ſind nachzuweiſen , die in dem kurzen Zeitraum von 1290 bis 1330 ſich nach auswärts ver: zweigten. Dreimal ſind es gerade die älteren Söhne des Stammhauſes, welche die Heimat verlaſſen , ohne daß ihre Nachkommen dahin zurückkehren. Der Mannesſtamm aller dieſer wirklich ſchwediſchen und däniſchen Linien iſt zwiſchen 1440 und 1550 vollſtändig erloſchen. Immer aber finden wir wenigſtens einen, wenn auch nicht den älteſten , der Söhne des Stamm

hauſes auf der väterlichen Schole wieder. Urkundlich gehörten ſchon 1266 die Güter Nabebas, Alt-Kaland und Stritfeld dem Ritter Eberhard Moltke ; bas leştere bei Teſſin in Mecklen burg liegende Gut iſt das Stammhaus des ganzen Geſchlechts. Stritfeld iſt bis 1781 in ununterbrochenein Beſitz der Familie geblieben, alſo durdy mehr als 500 Jahre und durch 16 Generationen. Bis 1730 iſt es ſtets vom Vater auf den Sohn vererbt, oder vielmehr auf die Söhne, welche ſich dann auseinanderſeßten , wie vorhandene Teilungsurkunden nachweiſen. Es iſt dieſer langdauernde Beſit eben deshalb ſehr merkwürdig und ſpricht für die treue Anhänglichkeit an die an ſich durchaus unſchöne nächſte Heimat. Wäre Stritfeld Lehen geweſen, ſo wäre es heute im Beſitz von Otto Moltfe in Kopenhagen, welcher der älteſte lebende Sohn des älteren Zweiges der

älteren, nämlich der deutſchen linie iſt. Der neunte in der Reihe der Beſißer, Gebhard, hinterließ Stritfeld ſeinem jüngeren Sohne Claus ; der ältere, Otto, war vielleicht durch ſeine Heirat mit einer v. Lüyow in den Beſiß der benachbarten Güter Samow und Wollow gelangt. Der Enkel von Claus, welcher eine Tochter aus dem Hauſe Samow heiratete, erwarb den Beſitz des nahegelegenen Walkendorf.

„ Wie Stritfeld das Stammhaus aller Moltke, die je exiſtiert haben, ſo iſt der obengenannte Gebhard der Stammdater aller noch lebenden Moltke. Von dem älteren Sohne ſind die deutſchen, von dem jüngeren

die däniſchen Linien entſproſſen. Sowohl Stritfeld wie Walkendorf gingen aber von dem Enkel des Claus, wahrſcheinlich durch Kauf, wieder an die I

ältere Linie zurück ?

auch noch Schorſom erwarb . „ Stritfeld gelangte bis auf Eberhard Friedrich 1781, Samow auf Friedrich Siegfried, meinen Großvater, 1785, Walfendorf auf Graf Friedrich Detlef auf Wolde 1824 ; und mit dieſem verſchwinden ſämtliche alten Familiengüter aus dem Beſitz der deutſchen Moltke, während die däniſchen ausgedehntes Grundeigentum in Dänemark erwarben. 1*

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Aus dem Hauſe Samow ſind alle noch lebenden deutſchen Moltke hervorgegangen, auch die Reichsgrafen, überhaupt noch 30 Söhne und Töchter, nicht minder die däniſchen Lehnsgrafen, die im Mannesſtamme bereits ausgeſtorbenen Nachkommen Werner Moltres, des Oberpräſidenten

von Kopenhagen, welche übrigens, ſoweit erſichtlich, in Dänemart nicht zu Grundbeſig gelangten. Das ſpezielle Stammhaus dieſer beiden gräflichen Linien war Schorſom .

„Aus dem Hauſe Walkendorf ſtammen alle däniſchen Moltkes, auch die beiden gräflichen Linien Moltke-Bregentved und Moltke-Hvidfeldt, ſowie die freiherrliche Moltke-Noſenkrands, zuſammen über hundert lebende Nachs fomnien.

„ Bis Gebhard, welcher um das Jahr 1500 lebte, alſo durch faſt vier Jahrhunderte und durch zehn oder elf Generationen, müſſen die lebenden däniſchen Moltke zurückgehen, um ihre Verwandtſchaft mit den deutſchen und ihre gemeinſchaftliche Abſtammung aus dem Stritfelder Hauſe nachzu weiſen . Ohne Zweifel entſcheidet Landeigentum über die Hingehörigkeit einer Familie. In dieſem Sinne iſt gerade der älteſte Stamm des Geſchlechts ſeit nun faſt 100 Jahren heimatlos. Möge derſelbe durch befeſtigten Grundbeſitz irgendwo auf der väterlichen deutſchen Erbe wieder Wurzel faſſen !" Dem heimatlos gewordenen älteſten Stamme des Geſchlechtes der Moltke eine feſte Heimſtätte auf deutſchem Grunde zu bereiten, das iſt ein

Wunſch, der in Moltkes Briefen häufig ausgeſprochen wird, ſobald er zu glüdlicheren Vermögensverhältniſſen gelangte. Durch den 1867 erfolgten Ankauf von Creiſau und die damit verbundene Stiftung eines unders äußerlichen Familiengutes hat Moltke, obwohl ſelbſt kinderlos, wenigſtens

für die Nachkommen der Brüder ein Familienheim geſchaffen. Das Wappen der Moltke zeigt drei ſchwarze Birkhühner im ſilbernent Feld, darüber als Helmzier ſieben Pfauenfedern; der alte treffliche Wahl ſpruch des Geſchlechtes lautet Candide et caute, aufrichtig und vorſichtig.

Uuch der Vater des Feldmarſchals hat Aufzeichnungen über die Familie V. Moltke hinterlaſſen, in welchen u. a. erwähnt wird, daß eine 1414 derſtorbene Margareta Moltke einen ſchwediſchen Reichsrat Chriſtian Nielſen Waſa heiratete und ſo die Stammutter des Königshauſes Waſa wurde. Der bereits erwähnte Otto Moltke (+ 1600), älteſter Sohn von Gebhard, war der Stifter der Samowſchen Linie, welcher der Feldmarſchall angehörte und deren Mitglieder ſich vorzugsweiſe dem Kriegsdienſte widmeten . Clau Moltke, geſtorben 1641, ein Sohn jenes Otto, hatte zehn Kinder, imter benen Joachim Chriſtoph, 1602–1665, erſt in kaiſerlichen, dann däniſchen und ſchwediſchen Dienſten unter Chriſtian IV . und Guſtav Adolf am dreißig

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jährigen Kriege teilnahm, bei Lutter und Lützen mit hohen Ehren focht und von Guſtav Adolf Vetter genannt wurde. Er nahm als Oberſt ſeinen

Abſchied. Sein Sohn Wolfgang ſtarb 1731 im Alter von 92 Jahren und hatte ſechzehn Kinder, darunter einen Sohn Otto Friedrich ; dieſer war kurfürſtlich -Sächſiſcher Stallmeiſter und ſtarb noch im kräftigſten Mannesalter 1731, alſo im gleichen Jahre mit ſeinem Vater, mit Hinterlaſſung von ſechs minderjährigen Kindern . Der einzige zu Mannesjahren gelangende

Sohn Friedrich Caſimir Siegfried, geb. 1730, diente einige Zeit im kaiſer lichen Heere und ſtieg noch jung bis zum Hauptmann. Großjährig ges worden, übernahm er die väterlichen Güter und heiratete Sophie Charlotte d'Olivet, die Tochter einer proteſtantiſchen franzöſiſchen Familie, die um des Glaubens willen ausgewandert war. Er war ein ſchöner Mann, nad) des Sohnes Bericht ſo ſtark, daß er zwölf aufeinandergeſepte zinnerne Teller zuſammenrollen konnte. Er ſtarb 1785 mit Hinterlaſſung von zehn Söhnen und drei Töchtern ; bei ſeinem Tode mußte das Gut Samow bei Ribniß unweit Roſtock, welches ſeit 1540 vom Vater auf den Sohn über gegangen war, zum Zweck der Erbteilung veräußert werden. Die Söhne, ſoweit ſie nicht als Kinder ſtarben, traten ſämtlich in preußiſche oder mecklenburgiſche Dienſte, unter ihnen auch der achte Sohn, Friedrich Philipp Viktor, der Vater des Feldmarſchalls ; er hat 1840 als ein an Leib und

Geiſt rüſtiger Greis von 72 Jahren ſeine Lebenserinnerungen aufgezeichnet. Geboren am 12. Juli 1768 zu Samow , trat Friß von Moltke alsbald

nach des Vaters Tode als Fahnenjunker in das preußiſche Heer, ward Fähnrich, dann Unterleutnant. Das kleine ererbte Vermögen war bald verzehrt. Meine ökonomiſche Lage ward mit jedem Jahre ſchlechter, denn 11

ich hatte nicht die Kraft, mich nach meiner Decke zu ſtrecken. Da ich aber fortwährend ſittlich und ordentlich lebte, ſo hatte dies die Folge, daß id)

einer blühenden Geſundheit mich erfreute und wohl mit Recht unter die

ſchönen jungen Männer zu rechnen war. Ich hatte ein frohes Gemüt, und ſo konnte es nicht fehlen , daß ich als junger preußiſcher Leutnant an allen Orten gern geſehen wurde. So reiſte ich auch init einem meiner

Brüder zu ſeinem Schwager, dem Geh. Finanzrat Paſchen , nach deſjen Gute Radow . Nach Verlauf von einigen Tagen, in welchen ich die Bes fanntſchaft der Tochter Henriette gemacht hatte, waren wir unter vier Augen ſchon verſprochen ; als ich aber bei dem Vater um die Tochter an

hielt, erhielt ich eine abſchlägige Antwort. Ich verließ Nackow augenblicklich und reiſte zu meinem Bruder, der Kommandant in Parchim war. Hierher kam ein reitender Bote mit einem Briefe an meinen Bruder, worin Frau

Paſchen ihm ſchrieb, daſ gleich nach unſerer Abreiſe die Tochter ernſthaft

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frank geworden ſei und erklärt habe, ſie würde nun nic heiraten. Der

zärtliche Vater ſei Darüber in großer Angſt und wolle ſeine Einwilligung zu unſerer Verheiratung geben, wenn ich wieder zurückchren möchte. Ich

reiſte am andern Tage nach Kadow, die Verlobung geſchah noch denſelbigen Abend. Die Bedingung, welche der Geheime Finanzrat machte, war, daſs ich meinen Abſchied nehmen und Landmann werden ſollte. Mit dieſem Verſprechen reiſte ich nach einigen Tagen von Racow ab und zu meinem Regiment nach Berlin zurück. Ich bat um meinen Abſchied und erhielt

ihn unter dem 28. September 1796. Ich hatte beinahe dreizehn Jahre in preußiſchen Dienſten geſtanden und meine ſchönſten Jahre darin verlebt .“ So ward der vermögensloſe, aber ſchöne und ſtattliche Fritz v. Moltfe

ber Gemahl einer reichen Eróin ; Sophie Henriette Paſchen war die Tochter des ſehr vermögenden Kaufherrn Johann Paſchen, der zu Hamburg lebte und den Titel eines preußiſchen Geh. Kats erhalten hatte. Molttes Mutter war demnach, wie diejenige Bismarcks, bürgerlichen Blutes. Nachdem im Mai 1797 die Hochzeit ſtattgefunden, zog das junge Paar nach dem Gute Liebenthal bei Wittſtock, welches Friß von Moltke, ohne Zweifel mit dem Gelde des Schwiegervaters, gekauft hatte. Allem Anſchein nach war er aber ein unſteter Geiſt, wohl auch ſchwerlich in der Landwirtſchaft genügend vorgebildet ; nachdem ihm 1798 ein Sohn Wilhelm , 1799 ein zweiter Sohn Friedrich geboren worden, verkaufte der unruhige Mann Liebenthal und zog 1800 in das kleine medlenburgiſche Städtlein Parchim , wo ſein älterer Bruder Helmut als Hauptmann ſtand. In demſelben Jahre, den 26. Oktober, ward mir der dritte Sohn geboren, der den Namen Helmut nach meinem Bruder erhielt. Damals ahnte ich nicht, daß dieſer Sohn meine Freude, mein Stolz und mein Wohlthäter werden

würde, und daß dieſem Kinde ein ſo ſeltener Lebenslauf beſtimmt war, in welchem ihm ſo viele Gefahren gedroht haben .“ „Nachdem ich 1801 das Gut Gnewitz in Mecklenburg -Schwerin gekauft und 1803 wieder verkauft hatte, beſchloſſen wir nach Lübeck zu

ziehen. Hier ward mir 1804, den 8. April, mein vierter Sohn geboren, welcher den Namen Adolf erhielt, ſowie auch den 28. Dezember 1805 Ludwig, mein fünfter Sohn .

Noch in demſelben Jahre kaufte ich das adelige Gut Auguſtenhof im Herzogtum Holſtein. Dadurch ward idh däniſcher Unterthan. Ich mujte baſelbſt ein Wohnhaus erbauen , während meine Frau mit den Kindern in

Lübeck wohnte, und nur dann und wann nach Auguſtenhof fam. Dies war auch der Fall im Oktober 1806, als die Franzoſen und Preußen ſich in den Straßen von Lübecť ſchlugen , welche Stadt erſtere mit Sturm eine

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genommen hatten ; die Folge war, daß die Stadt drei Tage lang geplündert wurde. Dasſelbe Schickſal hatte auch mein Haus, wobei ich viel verlor. Noch unglüdlicher ging es aber auf Auguſtenhof; nicht allein, daß die

Pferdeſeuche mir 14 Pferde wegraffte, den 1. November desſelben Jahres brach in der Holländerei Feuer aus, und bei einem heftigen Sturm ſtand 1

in einer halben Stunde der ganze Hof in Brand, welcher zwei Tage dauerte.

Außer den ſchlechten Gebäuden war nichts verſichert. Auguſtenhof war für mich und meine Nachkommen verloren, wenngleich es noch zehn Jahre långer mein Eigentum blieb. Zu meinen Unglücksfällen muß auch noch

gerechnet werden, daß, als ich Auguſtenhof gekauft hatte, die Leibeigenſchaft aufgehoben wurde. Ich hatte keine Arbeiter, die Tagelöhner gingen ſpazieren. Dieſer Zuſtand fonnte nicht lange dauern, alles blieb zu meinem Schaden liegen. Die Saaten konnten nicht beſtellt werden, und wir mußten noch obendrein befürchten, daß die Gemeinde, die Not litt, da ſie nicht arbeiten wollte, Gewalt gebrauchen würde. An einem Morgen, als ich mit meinem

Wilhelm ausging, fand ich die ganze Gemeinde am Wege liegen. Einer der Rädelsführer fam auf mich zu und ſagte, den Hut auf dem Kopf : ,, Na, Herr, wi wart dat nu mit uns ? " Eine Dhrfeige und „Schlingel !

nimm deinen Hut ab, wenn du mit deinem Herrn ſprichſt,“ war meine Antwort.. Dieſe Dhrfeige nüşte. Zwei Stunden ſpäter war ich mit der

Gemeinde einig, die den Nachmittag ſchon wieder arbeitete ." An 13. Juni 1806 ward Friß von Moltfe in den däniſchen Unters thanenverband aufgenommen und gleichzeitig zum Major bei der holſteiniſchen

Landwehr ernannt; da er als Landwirt nichts mehr zu hoffen hatte, mußte er ſein Glück wieder im Militärſtande ſuchen. Dänemark war damals im Kricg mit England, mit Napoleon verbündet; man brauchte Soldaten und

gliederte die Landwehr den Linienregimentern an . Als im Mai 1809 der preußiſche Major von Schil ſeinen toUkühnen Einfall in das Königreich

Weſtfalen machte und ſich ſchließlich durch Mecklenburg und Pommern nach Stralſund zurüdziehen mußte, wurden auch däniſche Truppen zur Ver

folgung aufgeboten, darunter auch Moltkes landwehrleute. An der Landes grenze weigerten ſie ſich weiterzugehen, weil der Landwehr verſprochen ſei, nur das Vaterland zu verteidigen, nicht aber über die Grenze zu gehen .

, Dieſe Augenblicke waren die wichtigſten und gefährlichſten meines Lebens. Ehre und Leben hingen davon ab. Ich ließ die Kompagnien mit 20 Schritt Intervalle antreten, meine eigene Rompagnie, bei der ich am meiſten beliebt war, ſtand auf dem rechten Flügel. Ich ließ das Gewehr aufnehmen und redete dieſe, nachdem ich die mir beigegebene Batterie mit Kartätſchen hatte laden laſſen, ungefähr jo an : „ Soldaten, ich höre, daß einige auch von

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euch geneigt ſind, nicht über die Grenze zu marſchieren . Ihr gehört aber jeßt nicht mehr zur Landwehr, ſondern zu den Linientruppen, und wenn das auch nicht der Fall wäre, der König kann befehlen, was er wil. Der Ungehorſam des Soldaten gegen ſeinen König wird mit dem Tode beſtraft, die Ehre. wer aber aus Feigherzigkeit ungehorſam iſt, verliert noch mehr Nur über meine Leiche geht der Rüdweg, denn ich mag meine Ehre nicht verlieren ! Alſo treu und gehorſam unſerem allergnädigſten König ! Eins, zwei, drei Hurrah ! " Ale ſtimmten mit ein. So ging es mit der 2., 3., 4. und 5. Kompagnie, aber in immer härterem Tone. Zuweilen wollte einer oder der andere vortreten, mir gegenreden ; ich drohte, ihn augenblicklich füſilieren, mehrere aber mit Kartätſchen zerſchmettern zu laſſen . Der Angriff auf Stralſund geſchah den 31. Mai, die Feſtung wurde iin Sturm . genommen, Schill getötet und ſein Corps gefangen und zerſprengt. Den dritten Tag nach der Einnahme von Stralſund trennten wir uns von

den Holländern und marſchierten zurück nach Holſtein. Der König, mit mir und meinem Bataillon zufrieden, überhäufte uns mit Gnadenbezeugungen. Als eine beſondere Auszeichnung erhielt mein Bataillon anſtatt der Landwehrfahnen die Fahnen des Regiments . Der König ſagte zu mir in II

Kiel: »Sie haben durch Ihr gutes Betragen mir und meinem ganzen Königlichen Haufe Freude gemacht. Ich werde es Ihnen nicht vergeſſen .« Friedrich VI. hat Wort gehalten bis an das Ende ſeiner Tage.“

Jedenfalls hat Friß von Moltke bei dieſer bedenklichen Gelegenheit Kühnheit und Kaltblütigkeit bewieſen. Im Jahre 1811 kam Moltke mit ſeinem Bataillon von Glüdjtadt nach Kiel in Garniſon und ward dort Rommandant ; die drei älteſten Söhne brachte er ins Kadettenhaus, Wilhelm nach Chriſtiania Nor wegen gehörte damals noch zu Dänemark - Friß und Helmut nach Ropen hagen. 1813 ſtand er mit ſeinen Holſteinern bei dem Heere, das unter -

Davouſts Führung Hamburg gegen die Verbündeten verteidigte, und ward im Juli Oberleutnant, erkrankte aber und ward nach Schleswig zurüd

gebracht. 1815 ward er Bataillonskommandeur bei der Linie in Schleswig, ſeine Söhne Adolf und Ludwig nahm er mit ſich, die Mutter zog mit den jüngeren Kindern nach Eutin. Jeßt erſt verkaufte er das ſchwer verſchuldete Auguſtenhof mit dem Verluſt ſeines ganzen eigenen Vermögens, wie eines

großen Teils des Vermögens der Frau. 1823 ward er Oberſt, nahm 1828 ſeinen Abſchied mit dem Charakter als Generalmajor, ward dann Rommandant von Kiel. Im Jahre 1839 erhielt er ſeinen Abſchied als Generalleutnant und zog nach Wandsbeck, wo er die legten Lebensjahre verbrachte und am 19. Oktober 1845 ſtarb.

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Nach alledem iſt unſeres Feldmarſchals Vater, Herr Fritz v. Moltke, ein kluger und thatkräftiger, aber etwas unruhiger und wunderlicher Mann geweſen, über den ſeine Nichte Marie Bauhorn berichtet:

Seine bis ins hohe Alter

ſtattliche Erſcheinung, ſein edles Geſicht mit vollem weißen Haar und einem martialiſchen Schnurrbart, im Verein mit einem munteren jovialen Weſen, gewannen ihm überal Intereſſe und Ehrerbietung. Er hatte wie ſein Sohn große Vorliebe fürs Reiſen, was damals noch mit vielen Schwierigkeiten verknüpft war. Auch wurde ſeine Lebhaftigkeit oft zur Unruhe, weshalb

eine Äußerung von ihm bei uns zum Bonmot wurde. Er ſagte nämlich ſtets, wenn man mit ihm ſpazieren ging und etwas ausruhte: Aber Kinder, wollen wir hier ewig ſißen ? Seine Reiſen machte er im offenen ſoge nannten Holſteiner Wagen, von einem Schimmel gezogen, von ihm ſelbſt gefahren und von einem Diener begleitet. Einſt fuhr er in dieſer Weiſe mit brei jungen Mädchen von Kiel nach Salzbrunn. Ein anderes Mal fuhr er mit dieſem geliebten Gefährt ſogar bis Paris und nach dem ſüd: lichen Frankreich ." Ebenſo hat er kurz vor ſeinem Sohne Helmut Wien beſucht, war noch im Frühjahr 1845 deſſen Gaſt in Berlin . Helmut hat ſich ſicherlich, aus dem Morgenlande heimgekehrt, des alten Herrn in der thatkräftigen ſtillen Weiſe angenominen, wie er von da an der treue Für 1

ſorgende für die ganze Familie war ; der Vater nennt den Sohn ſeine Freude, ſeinen Stolz, ſeinen Wohlthäter. Zwar ſind nur noch zwei Reiſe briefe Helmuts an den Vater erhalten ; dieſelben ſind aber ſo eingehend, daß ſie auf durchaus gute Bezichungen zwiſchen beiden ſchließen laſſen.

Die erſte und zugleich geraume Zeit lang einzige Mitteilung über das Leben des Feldmarſchalls haben wir von ihm ſelbſt erhalten. Der Feldzug von 1866 hatte das Haupt des preußiſchen Generalſtabs plötzlich zu einem berühmten Manne gemacht; der Leiter der Wochenſchrift ,,Daheim“ bat ihn um Mitteilungen über ſein Leben ; dieſelben erſchienen, leider ein bißchen arg geknetet und zugericht“ , in der erſten Nummer des Jahrgangs 1867 ; nach dem Tode des Feldmarſchaus wurde ſie dann als Selbſtſchrift und infolge deſſen in ihrer echten Faſſung in Nr. 32 des 27. Jahrgangs nochmals veröffentlicht. Moltke geht in dieſem Aufſaß über ſeine Jugend und Lehrjahre ganz flüchtig hinweg, ſpricht etwas ausführlicher über die in der Türkei und in Rom verlebte Zeit, in erfreulicher Weiſe eingehend über die Vorbereitungen zu dem Feldzuge von 1866. So iſt die Schilderung von Moltkes Lebensgang durch ihn ſelbſt als eine geſchichtliche Urkunde zu betrachten, von welcher hier zu Eingang dieſes Buches zunächſt das

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Thatſächlide Aufnahme finden muß; die Betrachtungen über den Feldzug von 1866 werden ſpäter eingefügt werden. Der Leſer gewinnt damit als

bald einen Überblick über dieſes merkwürdige Leben ; Mitteilungen aus den übrigens ſehr lüđenhaft erhaltenen Briefen, wie aus dem erſten Bande der

Geſammelten Schriften werden dann dem etwas dürftigen Knochengerüſte Fleiſch und Blut beifügen müſſen. Moltke ſchreibt:

„ Meine Familie iſt eine altmedlenburgiſche. Das Gut Samow bei Ribniz vererbte in derſelben, ohne Majorat zu ſein , durch Jahrhunderte bis auf meinen Großvater. Mein Vater diente im Regiment Möllendorf und faufte dann Grundbeſig in Holſtein an. So bin ich zwar noch in Mecklenburg am 26. Oftober 1800 geboren, aber in Holſtein aufgewachſen . „ Schon im 12. Lebensjahre wurde ich mit einem älteren Bruder nach Kopen hagen in die Landkadetten -Akademie gebracht. Ohne Verwandte und Befannte brachten wir dort eine recht freudloſe Kindheit zu. Die Behandlung war ſtreng, ſelbſt hart, und wir gewöhnten uns früh an Entbehrungen aller Art.

,, Dankbar erinnere ich mich der einzigen Familie, die uns liebreich auf nahm . Der General Hegermann-Lindencrone beſaß einen hübſchen Landſit

nahe der Stadt, welcher der Tummelplaz unſerer Knabenſpiele an Sonn tagen wurde mit drei Söhnen des Hauſes, welche ſich ſpäter in der däniſchen Armee hervorgethan haben . Der Verkehr mit den edeln, fein gebildeten

Mitgliedern dieſer Familie hat wohlthätig auf meine ganze Entwicelung gewirkt.

Als Offizier und init guten Zeugniſſen und Empfehlungen verſehen, kam ich 1822 nach Berlin und trat nach beſtandener Prüfung als jüngſter Sekondeleutnant zu Frankfurt a. O. in das 8. (Leibs) Infanterieregiment ein. „ Damals kommandierte General d. d. Marmitz die 4. Kavalleriebrigade, deſſen Gemahlin eine geborene Gräfin Moltke war. Ich fand in dieſem Hauſe wohlwollende Aufnahme. Wenn man zum General ins Zimmer trat, fand man ihn gewöhnlich ſchreibend, er ſtand dann auf und deckte das ſammetne Käppchen auf das Geſchriebene. Der ſtrenge Herr gab dem

jungen Leutnant eines Tages eine Höflichkeitslehre, die er nie wieder ver geſſen hat. Aufgefordert abzulegen, wollte ich den Degen ohne weiteres in die Ede ſtellen, als ein » im Vorzimmer, wenn ich bitten darf« mich rektifizierte.

„ Ausnahmsweiſe früh gelangte ich zum Beſuch der Kriegsſchule in

Berlin, wo die Vorträge des damaligen Majors v. Caniß über Kriegs geſchichte, Profeſſor Mitters Geographie und Profeſſor Ermans Phyſik mich hauptſächlich beſchäftigten. Das Vermögen meiner Eltern war durch

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die Kriege und einc Reihe von Unglüdsjällen verloren gegangen, ich ohne alle Zulage und mußte mich ſehr einſchränken. Doch gelang es einigen Sprachunterricht zu nehmen. Zum Regiment zurückgekehrt, wurde mir die Direktion der etwas wilderten Diviſionsſchule übertragen , und da ich meine Aufgabe zur

war mir, ver Zu

friedenheit löfte, gelangte ich im Jahre 1828 zu der topographiſchen Ver meſſung in Schleſien und dem Großherzogtum Poſen. ,, Der General v. Müffling pflegte die Aufnahinen ſelbſt ſehr ſorgfältig durchzumuſtern. Als er eines Tages einen unmöglichen Berg entdekte, der Offizier aber behauptete, daß es in der Wirklichkeit doch ſo ſei, ſtrafte er

dieſen Widerſpruch, indem er, ruhig und höflich wie immer, nur bemerkte: > Bereicherung für die Wiſſenſchaft «. In lebhafte Spannung verſeßten uns die taftiſchen Aufgaben als

Schlußprüfungen. Wir wußten, daß es dabei nicht nur auf eine richtige, ſondern auch kurze und präciſe Löſung ankam. Die gedrungene und logiſche Schreibweiſe des Chefs ſelbſt wurde gefordert.

Ich hatte das Glück, zur

Dienſtleiſtung beim Generalſtab kommandiert zu werden, und wurde nach zwei Jahren durch den General von Krauſeneck einrangiert. ,, Das Avancement beim Generalſtabe war damals nicht ſo ſchnell wie

jeßt. Ich blieb ſieben Jahre lang Hauptmann zweiter Klaſſe. In dieſe Zeit fiel mein vierjähriger Aufenthalt, 1830 bis 1839, in der Türfei, Meine Briefe über Zuſtände und Begebenheiten 2c. « dort find nachmals veröffentlicht worden, cbenſo iſt meine Aufnahme der Dardanellen und von Ronſtantinopel und fein Bosporus iin Stich erſchienen. Ich hatte den damaligen Großherrn Sultan Mahmud auf ſeiner Rundreiſe durch Numelien zu begleiten und war beauftragt, Pläne von Varna, Schumla, Siliſtria und den Donaupläßen abwärts aufzunehmen. Die dadurch gewonnene >>

Ortskenntnis und die beim Generalſtabe vorhandenen Nachrichten veran laßten mich ſpäter, eine Geſchichte des ruſſiſch-türkiſchen Feldzuges von 1828–1829 herauszugeben . Die beiden letzten Jahre meines Aufenthaltes brachte ich bei der Armee in Kleinaſien zu, wo die ebenfalls nach der Türkei tommandierten ba

maligen Hauptleute Laue, v. Mühlbach, v. Vincke und Fiſcher zur Ordnung der türfiſchen Militärverhältniſſe in allen Richtungen mitwirkten. Die Schlacht von Niſib, wo eine zur Hälfte aus gewaltſam eingeſtellten Kurden beſtehende Armee ſich nach ſchwachem Widerſtande auflöſte, der faſt gleich zeitige Abfall der türkiſchen Flotte und der bald darauf erfolgende Tod Sultan Mahmuds zerſtörten ſo ziemlich alles bis dahin Geſchaffene. Es iſt merkwürdig, wie unbekannt das Europa ſo naheliegende und

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für die Kulturgeſchichte ſo wichtige Kleinaſien in ſeinem Innern bis in neueſte Zeit geblieben iſt. Die beſte Karte, welche wir beſaßen, war da: mals die Reichardtſche, welche weite Flächen ganz offen läßt, andere aus der Phantaſie ergänzt und wichtige Flüſſe in unrichtige Stromgebiete verlegt. Bei unſeren vielfachen Reiſen ſammelten wir eine ſehr große Zahl von Wcge- Itineraires, welche, nach einigen vorhandenen aſtronomiſchen

Ortsbeſtimmungen zuſammengeſtellt, der Kartendarſtellung des Landes eine neue Geſtalt gegeben haben.. Die von mir in dieſer Art zurückgelegten Ritte haben eine Ausdehnung von nahezu 1000 Meilen und führten haupts ſächlich in Gegenden, welche der Reiſende damals und auch jetzt wieder

nur im Gefolge einer bewaffneten Macht betreten kann, in das Gebiet der Kurden, der Anſcharen und die meſopotamiſche Wüſte.

Manche Aufzeichnung aus jener Zeit iſt erſt dadurch wertvoll ges worden, daß Profeſſor Ritter in ſeiner Erdkunde ſie mit den Nachrichten aus älteſter Zeit dergleicht, Nachrichten, welche ſeine umfaſſende Gelehrſam keit aus den Zügen von Alerander dem Großen bis auf die Kreuzzüge, die Reiſen Marco Polos und der neueren Beobachter zu vergleichen imſtande war. In der Beobachtung des Durchbruchs des Euphrat durch das kurdiſche Gebirge iſt freilich Xenophon mein nächſter Vorgänger. Europäiſche Reiſende, welche ſeitdem in dieſer Richtung vorzudringen ſuchten, waren in Dſchulamert, Wan und anderen Orten ſtets erſchlagen worden. Auf aufgeblaſenen Hammel häuten, wie Xenophon den Fluß überſchritten , fuhren wir ſeine Stromſchnellen hinab, und wie die Xenophontiſchen Griechen brachen wir am Ende eines mühs ſeligen und anſtrengenden Rittes in den Freudenruf » Thalaſſa ! Thalaſſa !«

aus, als wir den blauen Spiegel des Meeres bei Samſun erblickten, wo ein Dampfer mit allem lange entbehrten europäiſchen Komfort uns in die Heimat zurückführte. „Nach dieſer vielfach bewegten Zeit war ich beim Generalfommando des 4. Armeecorps, Prinz Karl von Preußen, angeſtellt, wurde bald darauf zum Major befördert und verheiratete mid mit Fräulein v. Burt aus Holſtein. „ 1845 wurde ich zum perſönlichen Adjutanten Sr. Königl. Hoheit des

Prinzen Heinrich von Preußen in Rom ernannt. Es gewährte mir ein beſonderes Intereſſe, nun auch die Hauptſtadt des weſtrömiſchen Reiches und

ihre Uingebung zu erforſchen und mit dem Meßtiſch die vielgenannten Ört lichkeiten aufzunehmen , deren Namen uns allen aus der erſten Schulzeit ſo erinnerlich ſind. Die Contorni di Roma ſind im Stich erſchienen. ,, Der Prinz hatte bekanntlich ſeit Jahren das Bett nicht verlaſſen, dennoch war er von allem unterrichtet, was vorging. So erfuhr ich von ihm zul erſt den mehrere Tage geheim gehaltenen Tod Gregors XVI. Lebhaft era

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innerlich ſind mir die ſchönen Züge des Kardinals Maſtai Ferretti, als er

nach ſeiner Erwählung im Konklave in der altertümlichen Glaskaroſſe durch die Straßen der ewigen Stadt fuhr. Sein edles Gemüt glaubte, die Ktes volution durch Konzeſſionen derſöhnen zu können . Ein liberaler Papſt war noch nicht dageweſen. Der Enthuſiasmus war allgemein. Auf einer Kurier reiſe nach Berlin, wo ich den plößlichen Tod des Prinzen zu melden hatte, wehten in dem kleinſten Städtchen die gelb-weißen Farben, und vor der årmſten Hütte ſtand Viva Pio nono mit Kreide angeſchrieben. As aber der heilige Vater bald inne geworden war, daß auf dieſem Wege nicht fort zuſchreiten ſei, da hieß es : Sei bello, sei buono,

Sei pio

ma stai *)

und als er dann wirklich auch ſtehen blieb, verwandelte ſich ſchnell die an fängliche Begeiſterung in Haß und Hohn über Pio nono secondo. „Nachdem ich die Leiche des Prinzen nach Berlin gebracht, wurde ich zum Generalfommando des 8. Armeecorps nach Koblenz verſetzt und im

Unglütsjahre 1848 Chef des Generalſtabs des 4. Armeecorps in Magde burg, wo ich ſieben Jahre verblieb . Sodann wurde ich zum perſönlichen Adjutanten des Kronprinzen ernannt. Ich traf Se. Königl. Hoheit in Balmoral in Schottland, wo die Verlobung mit der Prinzeß Royal don England ſtattfand, und brachte mit demſelben ein Jahr in Breslau zu, wo er das 11. Infanterieregiment kommandierte. Noch dreimal begleitete ich ihn nach England, zum Beſuch, zur Vermählung und ſpäter zur Beerdigung des Prinzen Albert, des Gemahls der Königin Viktoria . „ Inzwiſchen war ich im Herbſt 1857 zum Chef des Generalſtabs der Armee ernannt worden. Von manchen intereſſanten Aufträgen , die mir in dieſer Stellung zufielen, kann ich eine Bereiſung der ganzen norddeutſchen

Küſte hervorheben, welche den Zweck hatte, ein gemeinſames Verteidigungs ſyſtem für alle deutſchen Küſten zu ermitteln. Die durch Marine- und

Ingenieuroffiziere bis ins Detail ausgeführten Entwürfe und Pläne wurden dem Bundestage, und wegen Dringlichkeit der Sache, zu einer ſchleunigen Erledigung überwieſen. Nach drei Jahren trat denn auch in Hamburg eine Bundeskommiſſion zuſammen, mit welcher ich nochmals die außer preußiſche Küſte bereiſte, die aber, wie vorauszuſehen, in ihrer Majorität gegen faſt alle preußiſchen Vorſchläge ſtimmte, insbeſondere gegen die beab Fichtigte gemeinſame Flotte unter Preußens Führung. So blieb alles beim *) Gut biſt du, fromm und ſchön, Aber du bleibſt ſtehn.

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alten, und welcher Art ſpeziell die hannoverſchen Befeſtigungsanlagen waren, hat die Wegnahme von Stade und Geeſtemünde in dieſem Jahre gezeigt.

„ Im Herbſt 1863 präſidierte ich einer anderen Bundeskommiſſion in Frankfurt a. M., welche die Mittel für Durchführung der Bundesexekution gegen Dänemark zu beraten hatte. Es gelang hier in wenigen Tagen, eine

Einigung herbeizuführen, welche aber bei der Verſchiedenheit der Ziele ſehr bald wieder verloren ging.

Als nach der Erſtürmung von Düppel verſchiedene Perſonalverändes rungen bei der Operationsarmee in Schleswig und Jütland eintraten, wurde ich zum Chef des Generalſtabes derſelben beſtimmt. Ich fand den Feld marſchall (v. Wrangel) ganz bereit zu einer Landung auf Fünen, welche

damals ſehr wohl ausführbar war, aber nur mit Hilfe der Öſterreicher be werkſtelligt werden konnte, da gerade die preußiſchen Streitkräfte in Sunde

witt und in Jütland, die öſterreichiſchen aber um Kolding ſtanden. Den Feldmarſchall-Leutnant von Gablenz wurde der Oberbefehl über ein aus beiden gemiſchtes Corps angeboten, aber wie ſehr dies und überhaupt das Wagnis der Expedition auch dem unternehmenden Sinn jenes Generals zuſagten , ſo lag dieſe Landung doch zu wenig im ſpeziellen Intereſſe des Wiener Kabinetts, als daß ſie zur Ausführung gelangt wäre. — Es blieben daher nur der Angriff auf Alſen und die vollſtändige Beſetzung Jütlands als letzte Zwangsmittel gegen die in Kopenhagen uns unerreichbare däniſche Regierung. Beide Operationen wurden, nachdem Prinz Friedrich Karl das

Oberkommando der Armee übernommen, gleich nach Ablauf des Waffen ſtilſtandes ausgeführt und beendeten in kurzer Friſt dieſen Krieg, bei welchem eben das Landen die Hauptſchwierigkeit war. ,,Erſt in meinem 66. Lebensjahre iſt mir das Glück geboten worden, thätigen Anteil an einem Feldzuge zu nehmen, welcher für die Zukunft Preußens wie Deutſchlands von entſchiedenem Erfolge geworden iſt.“

Helmut Karl Bernhard von Moltke, der dritte Sohn des Hauſes, ward alſo geboren zu Parchim in Medlenburg -Schwerin am 26. Oktober

1800 ; es iſt eigentümlich, aus den Briefen zu erſehen, daß Moltke in ſpäteren Jahren zuweilen den 28. Dktober für ſeinen Geburtstag hielt. Das Geburtshaus des berühmteſten Sohnes der kleinen Stadt iſt ſeit 1867 mit einer Denktafel geziert. Getauft ward der Knabe am 2. November ; Paten waren ſeines Vaters Bruder Helmut, als Hauptmann zu Parchim und zwar im gleichen Hauſe mit dem Bruder wohnhaft ; ſodann der Gatte von des Vaters Schweſter Marianne, Rammergerichtsrat Ballhorn zu Berlin,

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endlich der Bruder ſeiner Mutter, Herr Johann Paſdhen in Lübeck. In den Jugendjahren teilte der kleine Helmut das unſtete Leben des Vaters ; 1809 kam er mit ſeinen beiden älteren Brüdern Wilhelm und Fritz in Penſion zu bem Paſtor Knicebein zu Hohenfelde in Holſtein , und Herr Fritz bemerkt wohlgefällig, daß der Knabe „eifrig daran arbeitete, ſich eine Feſtung zu bauen, wozu ihm der Vater zwei kleine Kanonen ſchenkte ." So kam unſer Moltke ſchon als Kind aus dem väterlichen Hauſe, nachdem 11

BB 1951

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Molttes Geburtshaus in Parchim .

er ſchon vorher in wenigen Jahren an vier verſchiedenen Drten geweilt ; es

war, als ob die Wohlthat eines behaglichen väterlichen Heimweſens ihmi

von dem Schidjal nicht wäre gegõnnt worden. Übrigens war Moltke nadh-: mals auf ſolche Penſionen nicht gut zu ſprechen. „Nach meiner perſön.

lichen Erfahrung,“ ſchreibt er noch 1890 ſeinem Neffen Wilhelm , ,,kann ich für Muti die weitere Fortbildung in einer Penſion nicht empfehlen; ich habe bei meinen Paſtoren recht ſchlechte Streiche gemacht. So ein Junge lernt auch in der wiſſenſchaftlichen Ausbildung dort- manches, was er nicht braucht, aber auch manches, was ſpäter von ihm gefordert wird, nicht. Tritt er ſpäter in ein Gymnaſium ein, ſo kommt er regelmäßig zwei, drei Alaſſen niedriger als man erwartet. Aber ich möchte glauben, daß Muti

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Charakter genug hat, um ſich nicht zu ſchlechten Streichen hinreißen zu laſſen, die er übrigens in jeder öffentlichen Erziehungsanſtalt vor Augen hat. Da muß ſich jeder Junge durchſchlagen, im ſpäteren Leben ſieht er noch mehr Schlechtes." Im übrigen bewahrte Moltke ſeinem Lehrer, dem W

Pfarrer Knickebein , lebenslang dankbare Anhänglichkeit. Ende 1811 brachte dann Vater Moltke ſeine Söhne Friß und Hel

mut in das Landkadettenhaus zu Kopenhagen und gab ſie zunächſt einem ausgedienten General Lorenz in Koſt und Pflege, einem alten Junggeſellen , der einer zäntiſchen Haushälterin die Führung der Wirtſchaft überließ und ſich um die beiden Knaben blutwenig kümmerte. Sie verweilten von 1812

bis 1818 auf der Kadettenanſtalt, in welcher ſie, nachdem zwei Pläße frei geworden, auch Wohnung und Koſt erhielten, zugleich ein knappes Taſchen geld von jährlich 50 Thalern, zu dem der Vater ſchwerlich viel zuzuſchießen vermochte. So hatte Helmut von Moltke, wie er ſelbſt ſchreibt, eine freud loſe Jugend, hat keine Erziehung, ſondern nur Prügel erhalten ; noch nach vielen Jahren klagt er in ſeinen Briefen bitterlich über die ſchlimmen Ein

drücke, die ihm für das Leben Verſchloſſenheit, Mangel an Selbſtbewußt ſein , ſogar Charakterſchwäche gebracht hätten. As der Feldmarſchall im Jahre 1882 auf einer Reiſe zum Beſuche des Königs von Schweden einen Tag in Kopenhagen verweilte, zeigte er

ſeinem Neffen Henry v. Burt das Haus, wo er mit ſeinem Bruder Friſs als Penſionär und Radett bei einem General Lorenz gewohnt hatte. Ihr Zimmer war ein kleines Gelaß über einem Thorwege. Dort haben die

beiden Knaben gefroren und gehungert, denn der ſehr geizige General kümmerte ſich nicht um ihr Wohl und Wehe. Wir gingen dann auf den Parade plaß. Hier hatte der kleine Helmut als Kadett einmal den Ropf beim Stilſtehen im Gliede etwas vorgeſtreckt, da kam ein Offizier auf ihn zu und verſeßte ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß ins Geſicht, ſo daß das Blut ſogleich aus der Naſe floß. Der Knabe fing an zu weinen, und der Dffizier fuhr ihn mit den Worten an : Warum hältſt du die Schnauze vor ? Nuf meine Frage, warum er ſeinen Eltern nicht geklagt habe, er widerte der Feldmarſchall: »Die Poſt ging nur ſehr ſelten, ſo daß wir Il

jahrelang nicht nach Hauſe kamen, und dann dachten wir, es müßte ſo ſein .« Endlich erkrankte der Knabe am Typhus und kam ins Lazarett, das ihm wie ein Paradies erſchien ." Noch im Alter waren ihm Hunger und Durſt Empfindungen, die er

kaum zu kennen ſchien. Wenn dann der ſonſt ſo pünktliche Opapa die Stunde der Mahlzeit verſäumte, er von den Kindern geholt werden mußte,

und die Seinen ihn ſcherzend ermahnten, ſagte er wohl : „Ich habe in

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meiner Jugend mich ſo an den Hunger gewöhnt, daß ich ihn jegt nicht be merke ." Solche Jugendeindrüđe machen die Seele bei harten Naturen ver bittert, bei edlen Seelen ſtil und ernſt; wenn wir uns gewöhnt haben,

Moltke den „ großen Schweiger“ zu nennen, wer weiß, ob nicht jene freud loſe Jugend daran ein gut Teil der Schuld trägt ? Nur eines Hauſes in Kopenhagen gedenkt Moltke, in welchem er freund liches Entgegenkommen fand; es war dasjenige des Generals Hegermann Lindencrone, deſſen drei Söhne als Knaben Spiel- und Lerngenoſſen der beiben Moltkes in der Rabettenakademie waren.

Der fünfte Band der

Geſammelten Schriften bringt Jugenderinnerungen eines der drei Jugend genoſſen, des Generalleutnants v. Hegermann -lindencrone, worin er unſeres

Helden gar freundlich gedenkt. „Ich machte,“ berichtet er, „die erſte Be kanntſchaft mit dem jungen Helmut v. Moltke und ſeinem Bruder Fritz in dem Hauſe meiner Eltern, das beide regelmäßig aufzuſuchen pflegten, wenn ſie Ferien hatten , und in das ſie durch meinen älteſten Bruder Friz

eingeführt wurden, der gleichzeitig mit ihnen die Kadettenakademie beſuchte. Als auch ich im Jahre 1816 in die Akademie aufgenommen wurde, trat ich in noch nähere Beziehungen zu den zwei ſo lieben Brüdern. Ihrem

Ausſehen nach waren beide ziemlich verſchieden. Friş Moltke hatte einen mehr ernſten Ausdruck und ſtark ausgeprägte Züge, doch konnte er bei Ge legenheit auch munter und ſehr freundlich ſein. Helmut Moltke war blonder, größer, mit einer ſchlanken elaſtiſchen Figur, feineren Zügen und einer vornehmen Haltung. Seine anſprechenden, Zutrauen erwedenden, ſchönen blauen Augen erhielten ſich als Ausdruck ſeiner ganzen liebens

würdigen Perſönlichkeit bis in ſeine ſpäten Jahre. Meine Eltern ſowie meine ganze Familie gewannen dieſe Brüder mehr und mehr lieb, und zwiſchen ihnen und meinem Bruder Fritz erwuchs eine innerliche Freund ſchaft, die bis zum Tode andauerte. Ich, der ich ſechs Jahre jünger war

als Helmut, ſah gleichzeitig mit einer natürlichen Achtung und mit ſtetig wachſender Hingabe zu dem mir imponierenden älteren Kameraden auf, der meine Gefühle mit einer brüderlichen Liebe pergalt, die mich ebenſo feſt an ihn band, wie mich ſein ganzes ritterliches Weſen anzog." Weiterhin gedenkt der Berichterſtatter ihrer bisweilen etwas wilden Knabenjpiele, des Wurfes mit Bal und Diskus, der freilich ein harınloſer

Tonnenboden war, der Bootfahrten auf dem Sund, der dreiſten Nitte auf

im übrigen ungefährlichen alten Karrenpferden. Aber Helmut ſah im hoch gebildeten Hauſe auch eine Reihe von Berühmtheiten, wie Münter, Derſted, Öhlenſchläger, und folgte ihren Geſprächen mit geſpannter Aufmerkſamkeit ;

für Öhlenſchlägers Gedichte und die däniſche Sprache überhaupt gewann er Buchner , Molte.

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in jenen Jahren eine große Vorliebe. Durch Bruder Fritz, welcher bis in ſein Alter in Dänemark weilte, blieb das Haus Hegermann in Verbindung mit Helmut Moltke, auch nachdem derſelbe in preußiſche Dienſte getreten ;

der Berichterſtatter beſuchte ihn 1844 zu Berlin, und Moltke ſprach damals zu ſeinen Kameraden : „, Jeßt können Sie von Hegermann hören, ob er findet, daß die Beſchreibung, die ich Ihnen über unſern Aufenthalt auf der Kopenhagener Kadettenanſtalt gegeben habe, richtig iſt. Es war eine wahrs haft ſpartaniſche Erziehung, die den Kadetten durch ſtrenge, ja ich glaube, viel zu ſtrenge Behandlung zuteil wurde ; der Ton war ſehr hart, von Liebe und Teilnahme merkte man keine Spur, eine ſorgſame Erziehung in

moraliſcher Richtung gewährte dieſe Inſtitution nicht; ein oft zu Tage tretendes Mißtrauen wirkte außerordentlich ſchädlich; wenn auch die Abſichten, die es hervorriefen, vielleicht gut ſein mochten , die Wirkungen waren ſchädlich. Die Zöglinge, die ohne Schaden zu nehmen dieſe Schule durchmachten, ſind in einer harten, aber auch abhärtenden Schule geweſen ; eines aber muß

betont werden, daß tüchtige und in jeder Richtung militäriſch denkende Sol daten aus dieſer ſpartaniſchen Schule hervorgingen . Das Anſprechendſte für uns war das Kameradſchaftsgefühl und die unverbrüchliche, tief inner liche Treue, die ſich vom erſten bis zum legten die Radetten gegenſeitig be: wahrten. Keine Härte konnte irgend einen dazu bringen, dieſe Treue zu brechen .“ Ein ſeltſames Schickſal hat es gefügt, daß Moltke ein halbes Jahr hundert ſpäter ſeinem Jugendfreunde, nun Kommandeur der däniſchen Ra

valleriediviſion und des Heeres in Jütland, in dem Kampf um Schleswig: Holſtein gegenüberſtand; das ſtörte indes die Freundſchaft nicht. Moltke ſchrieb nach dem Friedensſchluſſe dem Jugendgenoſſen einen langen Brief über den Krieg von 1864. Generalleutnant v . Hegermann-Lindencrone konnte, ſelbſt hochbetagt, Moltke noch zum neunzigſten Geburtstag Glück wünſchen, und dieſer antwortete tagsdarauf folgendermaßen : ,, Euer Ercellenz banke ich herzlich für Ihr gütiges Schreiben und

den freundlichen Glüdwunſch zu meinem geſtrigen Geburtstage. „ Ich habe Ihre kleine Photographie vor mir und denke — wunder

bar ! wir haben uns im Leben ſo ſelten geſehen, nur in früher Kindheit, dann ſtanden wir uns gewaffnet als Feinde gegenüber , und doch haben wir treue Freundſchaft bis ins höchſte Alter bewahrt. Es ſind die unauslöſch lichen Jugendeindrücke, und, wie ich glaube, dieſelben loyalen und konſer pativen Grundſätze, welche uns verbinden, jeden von ſeinem nationalen Standpunkt aus. Das war es auch, was unſere zwei älteren Brüder, die beiden trefflichen Fritz, ſo innig verband.

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, Daß Sie mit der Geſchichte des Feldzuges 1864 zufrieden ſind, freut

mich ſehr ; es iſt mir ein Beweis , daß ſie unparteiiſch und gerecht aufge faßt wurde. Hoffentlih narben die Wunden, welche den Überlebenden ge ſchlagen ſind. „ Sehr erfreut hat mich und die Meinigen der Beſuch Ihres Herrn Sohnes ; er hat uns den beſten Eindruck hinterlaſſen. Indem ich mich Ihnen und den Ihrigen angelegentlich zu gütigem Andenken empfehle, in Verehrung und unwandelbarer Freundſchaft ergebenſt

Graf Moltke, Feldmarſchau .“

Und Hegermann ſchließt Oktober 1891 ſeine Mitteilungen mit den Worten :

,, Ehre ſeinem Gedächtnis - als bem meines lieben Freundes -

und meines ſeinerzeit ernſten Feindes !" Der kurzen Schilderung Hegermanns ſtellen wir hier diejenige eines

anderen Jugendgenoſſen zur Seite: „ Er war ein ſchlanker junger Menſch mit vollem blondem Haar und gutmütigen blauen Augen, von ſtilem , aber freundlich entgegenkommendem Weſen und treuherzigen, offenen Antlikes,

über deſſen ernſte Mienen in unbewachten Augenblicken zuweilen ein Zug von derhaltener Wehmut flog. Sein eiſerner Fleiß und energiſcher Wille ( chreckten vor keiner Aufgabe zurück und wußte ſie mit ſicherer Hand zu erreichen. Bei ſeinen Kameraden ſtand er in einem gewiſſen Reſpekte; er wußte dies auch, niemals aber machte er von ſeinem Übergewicht und An ſehen den geringſten Gebrauch. Geſprächig und mitteiljam im Verkehr,

ernſt zurückhaltend im Dienſt und bei der Arbeit, beſeelten ihn vorzugs weiſe ein unermüdlicher Pflichteifer und eine faſt beiſpielloſe Gewiſſen

haftigkeit.“ Ein kleines Profilbild aus Moltkes Radettenzeit bringt der erſte Band der Geſammelten Schriften auf Seite 30.

Übrigens ſtieg Moltke infolge ſeiner Begabung und ſeiner Gewiſſen haftigkeit Jahr um Jahr in eine höhere der ſechs Klaſſen. Auch die ſchwere Kadettenzeit ging vorüber. Eingang 1818 beſtand er die Offizierprüfung mit 103 guten, 22 ziemlich guten , 6 ſchlechten Noten, mit dem beſten

Charakter als der vierte“ ; gleichzeitig brachte er die Pagenprüfung mit 77 guten, 33 ziemlich guten Noten als erſter hinter ſich; ſein Dienſtalter als Offizier ward auf den 22. Januar 1818 feſtgeſtellt.

Es war in Kopenhagen üblich, daß diejenigen, 'welche als Radetten eine ſtaatliche Unterſtüßung genoſſen hatten , nach glüdlich beſtandener

Prüfung ein Jahr lang als Hofpagen dienten, wenn ſie durch ihre Er ſcheinung, wie durch Sitte und Benehmen dazu geeignet erſchienen . Es war dies auch bei Moltfe der Fall, und ſo verbrachte er das Jahr 1818 2*

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nod , am Bofe zu Kopenhagen ; Eingang 1819 trat er als Unterleutnant bei dem oldenburgiſchen Infanterieregiment ein, das zu Rendaburg in Hol ſtein ſeinen Standort hatte. Moltke gewann ſich in dem Kommandeur

des Regimentes, dem Herzog Friedrich Wilhelm Paul Leopold von Holſtein 1

Beck, einen wohlmeinenden Gönner ; 1821 reiſte er mit ſeinem Vater nach Berlin, wo er zum erſtenmal einen Teil des preußiſchen Heeres ſah ; er

wurde davon ſo durchdrungen, daß er keinen eifrigeren Wunſch hatte, als in dasſelbe einzutreten; er ſah ein, daß das kleine Königreich, deſſen Haupt macht obendrein die Flotte war, für einen jungen ſtrebenden Mann nicht die Stätte ſei, Geiſt und Gaben zu entfalten. Jener Schidſalszug, welcher Preußen einen Teil ſeiner beſten Feldherren und Staatsmänner aus dem

Auslande zuführte, Derfflinger und Leopold von Anhalt, Blücher, Scharn Horſt und Gneiſenau, Stein und Hardenberg, zog auch den jungen Leutnant Moltke wieder nach Süden zurück, nach dem Lande, in deſſen Dienſt bereits der Vater vor Jahren geſtanden . Am 5. Januar 1822 erhielt der däniſche Unterleutnant Helmut von Moltke den erbetenen Abſchied mit dem Zeugnis, daß er ſich nach Eid und Pflicht wohl und rühmlich verhalten und bei allen Gelegenheiten, wo er kommandiert worden iſt, ſolchermaßen ſeine Schuldigkeit gethan, wie es einem ehrliebenden tapferen Offizier and treuen

Diener wohl geziemt und anſteht“. Mit warmen Empfehlungen ſeines Gönners, des Herzogs von Holſtein - Beck, ausgeſtattet, begab Helmut von Moltke ſich nach Berlin , ein junger Mann von 21 Jahren, ohne väterlichen Zuſchuß, ohne Verwandte und Freunde, um im preußiſchen Heerdienſt ſeinen Lebensweg gleichſam von neuem zu beginnen.

Er mußte abermals eine

ſtrenge Prüfung beſtehen und ward auf Grund derſelben am 12. März

1822 jüngſter Unterleutnant in dem zu Frankfurt a. O. ſtehenden achten Leibregiment.

Zweiter Abſchnitt.

Lehrjahre. 1822-1835 .

Moltkes Jugend können wir wohl mit dem Eintritt des 21jährigen Unterleutnants in den preußiſchen Heerdienſt abſchließen. Zwar iſt die Überſchrift , Lehrjahre“ eigentlich nicht zutreffend, denn Moltke hatte ſchon

vorher gelernt, und der Menſch hört überhaupt nicht auf zu lernen ; wohl aber können wir dieſe nächſten dreizehn Jahre immerhin inſofern Lehrjahre nennen, als Moltke in ihnen das Wichtigſte lernte, was ihn nachmals vier

Jahre lang in der Türkei feſthielt und lebenslang ſeine beſondere Liebhaberei blieb, die Kunſt des Feldmeſſens; ſodann hat er die Vorarbeiten zu ſeiner Kenntnis des Befeſtigungsweſens und der Heerführung, deren thätige Ver wertung ihm in der Türkei und Kleinaſien geboten war, in dieſen Friedens jahren gemacht. Zugleich haben dieſe erſten Jahre des preußiſchen Heer dienjies eine andere Bedeutung. Wir beſitzen aus der früheren Zeit keine Briefe mehr ; ſolche ſind uns erſt ſeit dem Jahre 1823 und auch da an fangs nicht viel erhalten . Sie ſind uns beſonders wertvoll, weil durch ſie

eine bisher faſt tote Stelle im Leben unſeres Freundes Farbe und Bewegung bekommt. Darum empfiehlt es ſich, zunächſt die große Zahl der Familien angehörigen Moltkes, ſoweit ſie als Empfänger von Briefen Moltkes auf treten, nach ihren wichtigſten Lebensereigniſſen kennen zu lernen. Dabei wird ein Blick auf den dieſem Buche beigefügten Stammbaum nicht ſchaden. Erſt durch die in den Geſammelten Schriften, wenn auch in nicht gerade glücklicher Ordnung, veröffentlichten Briefe Moltkes iſt eine etwas

eingehendere Darſtellung von Leben und Wejen des herrlichen Mannes möglich geworden. Leider iſt allem Anſchein nach ſehr vieles verloren ges gangen. Moltkes Briefe ſind ſtets ein ungeſuchter Ausdruck ſeiner Stim mung, und zwar gemeiniglich einer heiteren Stimmung, die ſich nicht ſelten ſcherzhaft, mit einem liebenswürdigen trockenen Humor äußert ; nur bis weilen laſſen ſich Herzensklänge vernehmen, hin und wider auch der gelehrte

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Geſchichtskenner. Mit beſonderem Behagen und nicht ſelten ſehr ausführlich läßt er ſich auf der Reiſe gehen ; ſeine Reiſeſchilderungen zeugen von einem

tiefen Naturſinn, eincr feinen Naturbeobachtung; viele derſelben ſind von einer wahrhaft klaſſiſchen Schönheit, in ihrer Klarheit und Durchſichtigkeit

denen Goethes vergleichbar. Natürlich läßt ſich hier nur ein beſcheidener Teil dieſer Briefe, dazu mit Rürzungen, zuſammenſtellen ; um ſo wirkſamer tritt des Verfaſſers feine, reine und treue Seelenart hervor. Nur zirei Briefe an den Vater haben ſich erhalten, Reiſebriefe aus dem Jahr 1840, beide von beſonderer Schönheit. Wir haben den unſtäten, wohl weniger von dem Unglück, als von fen Folgen ſeines Dranges nach Veränderung heimgeſuchten Mann Fereits geſchildert, und es wäre kaum zu derwundern, wenn tas Verhälınis der Söhne gegen den Vater recht fühl geweſen. Tem widerſpricht Ton wie Umfang jener beiden Briefe, und ſo bleibt nur der Schluß übrig, daß Fritz v. Moltke in ſeinem ſorgloſen Sinne nicht daran dachte, des Sohnes Briefe aufzubewahren, es ſei denn,

daß ſie beſonders inhaltreich maren. In einem Briefe vom 27. Oktober 1846 berichtet Helmut v. Moltke, wie er das Grab des im Jahre zuvor verſtorbenen Paters aufgeſucht habc.

Frau Henriette von Moltke, die Mutter des Feldmarſchaus, wir benutzen hier ihr Lebensbild am Beginn des vierten Pandes der Ge 1

war als Tochter des Geheimen Finanzrates Paſchen am 5. Februar 1777 zu lübeck geboren ; ihr Later, einer Patrizierfamilie der alten Hanſeſtadt angehörend, war ein vornehmer Kaufherr mit ausge breiteten Verbindungen. Wie ſie den preußiſchen Leutnant Friß d. Moltke kennen und lieben lernte, wie ſie den Widerſtand des vorſichtigen Vaters brach, iſt früher berichtet; Henriette v. Moltke wird als eine Frau von ſchöner mittelgroßer Geſtalt und ſtolzer und unnahbarer Haltung geſchildert; ernſte geiſlvolle Augen, die gebogene Naſe, der feſtgeſchloſſene Mund und ſammelten Schriften

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das ſodige, weiß gepuderte Haar gaben ihrem Antlig etwas ungemein

Charakteriſtiſches. Nach außen hin verſchloſſen, ernſt, faſt ſtreng, war ſie eine leidenſchaftliche Natur mit liebeglühendem, treuem Herzen. Sie beſaß einen bedeutenden Verſtand und beherrſchte mehrere Sprachen ; ein ernſtes Chriſtentum lebte in der Tiefe ihrer Seele ; ſelbſt mit einer ſchönen Stimme begabt, liebte fie Muſik und Poeſie, wie überhaupt ein ſonniges Leben, das ihr aber nur kurze Zeit beſchieden war .

Tie beiten Gatten verſtanden

ſich je länger deſto weniger und lebten ſchließlich getrennt. Aber Henriettens thatkräftiger Geiſt gewann gerade daraus neuen Antrieb, jich ihren acht

Kindern mit um ſo größerer Gewiſſenhaftigkeit und Treue zu widmen. Obſchon von Jugend her an Reichtum und Pequemlichkeit gewöhnt, ſcheute

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ſie fein Opfer, um für die Erzichung der Kinder das möglichſte zu thun. So erklärt es ſich, daß dieſe weit mehr als an dem Vater an der ernſten Mutter hingen ; unſere Kenntnis von Moltkes Jugendleben bis zur Fahrt nach Konſtantinopel ruht faſt ausſchließlich auf den Briefen an die Mutter. Bis zum Jahre 1832 lebte Henriette d. Moltke in Preetz; dann, als ihre jüngſte Tochter Auguſte ſich mit Herrn Burt verheiratete, zog ſie nach Schles wig. Sie ſtarb wie ſie gelebt, als eine Heldin. Ihre Todeskrankheit, ein mit den Erſcheinungen der Waſſerſucht verbundenes Leiden, verbarg ſie mit eiſerner Rraft vor ihren Kindern. Am letzten Abend ihres Lebens fand die

aus einer Geſellſchaft Heimkehrende Tochter Lene, nachmals Frau Pröpſtin Bröker, die Mutter am Schreibtiſch ſißen . Den liebevollen Vorwurf, ſie

ſchone ſich zu wenig, wies ſie mit einem freundlichen Gutenachtkuß zurück, und am andern Morgen fand die Tochter ſie, vom Schlage gerührt, ſter bend am Boden liegen. So verſchied ſie am 27. Mai 1837, während ihr Sohn Helmut, in deſſen Weſen ſich die bedeutenden Charakterzüge der

Mutter wiederſpiegelten, fern am Bosporus weilte. In feinem Briefe aus Luiſenlund, 21. Juni 1864, berichtet Moltke über ſeinen Beſud) in der vormaligen Wohnung und am Grabe ſeiner „ armen alten Mutter", Von einer näheren Beziehung zu dem älteſten Bruder Wilhelm zeigen

die Briefe feine Spur; nur der Stammbaum berichtet uns, daß er 1834 zu Frankfurt a. M. geſtorben ſei. Um ſo dauerbarer war die Verbindung Helmuts mit dem anderthalb Jahre älteren, am 22. Mai 1799 geborenen Bruder Friß , mit dem er ja auch die Kadettenanſtalt zu Kopenhagen beſucht hatte. Zwanzig Jahre ſpäter nahm dieſer als Hauptmann den Abſchied, um ſich dem Poſtfach zu widmen ; er ſchloß ſeine dienſtliche Laufbahn Ende 1866 als Poſtmeiſter und däniſcher Kammerherr zu Flensburg, wo Helmut zur Zeit des ſchleswig-holſteiniſchen Krieges 1864 mit ihm zuſammentraf;

gerade banals verlor Fritz ſeine treue Lebensgefährtin Eliſabeth Bölte. Eine ernſte pflichttreuc Natur, gründete er ſich 1867 in Gemeinſchaft mit ſeiner verwitweten Schweſter Uuguſte Burt ein neues Heim in Lübeck; als aber Moltke Ausgang 1868 ſeine Gattin verloren hatte, zogen die beiden

Geſchwiſter zu dem vereinſamten Bruder. Hier ward Friß der Beirat des Feldmarſchaus in allen wirtſchaftlichen Fragen, ſammelte mit ihm die ver ſtreuten Nachrichten über die Familie ; Helmut war vol der zarteſten Rüd ſicht für ihn und verſäumte nie, auch äußerlich den älteren Bruder in ihm

zu ehren. Da Friş ſtramm däniſch geſinnt war, ſo wurde über dieſes Kapitel der Politik nicht geſprochen ; an den Erfolgen des Bruders 1870 hatte Friß lebendige Freude. Er ſtarb nach ſchweren Leiden am 4. Auguſt 1874 zu Berlin und ward zu Flensburg neben der vorangegangenen Gattin beſtattet.

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Adolf von Moltke , der dritte Bruder des Feldmarſchalls, war ge boren am 8. April 1804. Nachdem er zu Kiel und Heidelberg die Rechte

ſtudiert hatte, ward er Rat des Holſteiniſchen Obergerichts in Kopenhagen. 1848 berief ihn das Vertrauen ſeiner Landsleute in die nach dem Waffen

ſtilſtand von Malmö errichtete gemeinſame Regierung der verzogtümer. Später ward er Oberbeamter der Grafſchaft Rantau, nach der Beſitz ergreifung durch Preußen Landrat des Kreiſes Pinneberg ; in allen dieſen

Stellungen hat er Hervorragendes geleiſtet und ſeinem Vaterlande vielſeitig und wahrhaft genügt. Aber er war bruſtleidend und bedurfte ſorgſamſter Pflege, mußte in ſeinen ſpäteren Lebensjahren wiederholt den Süden auf ſuchen, wozu Bruder Helmut wie immer in edelmütiger Fürſorge behilflich war . Anfang 1870 nahm Adolf v. Moltke den Abſchied, um zum Bruder nach Creiſau überzuſiedeln ; er konnte ſich noch am glänzenden Ruhme Hels muts erfreuen, und ſtarb zu Lugano am 7. April 1871. Er fand zu Barmſtedt bei Rantau ſeine Ruheſtätte; neben den noch lebenden ſechs

Kindern ſtand an ſeinem Grabe ſein Bruder, der Feldmarſchau, in ſchlichter Einfachheit und mit tiefbewegtem Geinüt.

,, Er konnte ruhig ſterben, denn

er wußte, daß für euch, ſeine Kinder, geſorgt iſt“ – mit dieſen Worten wendete er ſich vom Grabhügel, und er hat treulich Wort gehalten.

Ludwig von Moltke , der vierte Bruder des Feldmarſdjalls, wurde 1805 geboren. Da die Eltern vielfach den Wohnſit wechſelten, kam der vierzehnjährige Knabe nach Berlin in das verwandte Haus des Geheimen

Kriegsrates Balhorn und beſuchte das Friedrich-Wilhelm -Gymnaſium . Er ſtudierte darauf zu Kiel und Heidelberg die Rechte. Nach rühmlich be

ſtandener Prüfung ward er in Schleswig angeſtellt, 1841 Amtmann auf der Inſel Fehmarn. Auch er litt ſchwer unter den ſchleswig-Holſteiniſchen Wirren, fand erſt 1853 eine neue Anſtellung bei der lauenburgiſchen Res gierung in Ratzeburg, die er auch nach der Beſitzergreifung durch Preußen behielt. 1868 nahm er ſeinen Abſchied, um fortan ſeinem Lieblings ſtudium , dem der Tonkunſt, zu leben. Er ſtarb am 22. Auguſt 1889. Magdalene von Moltke , in der Familie ſtets Lene genannt, wurde am 29. September 1807 geboren. Sie verlebte ihre Jugend im innigſten Zuſammenſein und Wirken mit der Mutter bis zu deren Tode 1

1837. Nach Auflöſung des mütterlichen Hausſtandes ging ſie zum Vater, der damals Kommandant von Kiel war, und führte ihm die Wirtſchaft;

1838 heiratete ſie den Hauptprediger Bröfer zu üterſen. Der glüdliche Ehebund währte viele Jahrzehnte; Vröfer ſtarb iin Juni 1890, Lene am 3. Januar 1892, die einzige des langlebigen Geſchlechts, die den berühmten Bruder überlebte.

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Auguſte von Moltke, die jüngſte Schweſter des Feldmarſchaus, wurde am 16. September 1809 zu Auguſtenhof in Holſtein geboren. Von Kindheit an war ſie der Liebling der Brüder, denn die reichen Gaben ihres

Charakters und Gemüts, Demut, Herzensgüte, ſelbſtloſe Bereitwilligkeit zum Helfen, traten ſchon früh hervor. Um 21. Mai 1834 vermählte ſie ſich mit dem Engländer John Heyliger Burt, der ein Gut in England

und eine Pflanzung auf der däniſchen Inſel Ste. Croix in Weſtindien be faß. Burt, der bereits längere Zeit in Deutſchland gelebt hatte, beſaß aus erſter Ehe mit Erneſtine v. Staffeldt drei Kinder, deren jüngſtes, Marie, nachmals die Gattin des Feldmarſchals ward ; Frau Auguſte erſebzte ihnen die Mutter in ſchönſter Weiſe. Das Burtſche Ehepaar lebte zuerſt in Schleswig, dann in Ibehoe; Auguſte ſchenkte dem Gatten zwei Kinder, Henry, nachmals Adjutant des Feldmarſchaus, und Erneſtine. Im Jahre

1855 reiſte Burt nach Weſtindien , ſeine Beſigung zu beſuchen ; er ſtarb während der Rückreiſe am 25. Juli 1856 ; ſeine Leiche ward in die See verſenkt. Als Bruder Friş 1864 ſeine Frau verlor, 309 Auguſte zu ihm ; als Ende ' 1868 ihre Stieftochter Marie ſchwer erkrankte, ſtand ſie dem Bruder und Schwiegerſohn helfend zur Seite, und führte auch weiterhin deſſen Vereinſamtes Haus ; ſie und Bruder Friş ſiedelten zu Moltke über.

Am 27. März 1883 endete zu Potsdam der Tod ihr reich geſegnetes, ſelbſtloſer Liebe geweihtes Leben ; wie nahe ſie ihrem Bruder Helmut ſtand, geht daraus hervor, daß ſie mit ihm und Marie die letzte Ruheſtätte in Creiſau teilt.

Es iſt naturgemäß, daß dieſe Vriefe, je nach der Stimmung des Ver faſſers nicht nur, auch nach Geſchlecht und Art des Empfängers, der : ſchiedene Klangfarbe haben. Die Briefe an die Mutter ſind die Haupts quelle unſerer Kenntnis von Moltkes Leben von 1823 bis zur türkiſchen Reiſe.

In ihnen kommt des jungen Mannes dankbare Anhänglichkeit an

die treue Mutter, ſein Familienjinn bcſonders zu Tage ; ihr ſchildert er die Bedrängniſſe ſeiner Leutnantszeit, die ſonnigen Abſchnitte derſelben während ſeiner Feldmeſſerübungen in Sdlejien und Poſen, die erſten glänzenden Eindrücke von Ronſtantinopel mit jugendlicher Friſche. Und ein ähnlicher Herzensklang.geht ſpäter durch die Briefe an die treue Schweſter Augujte. Anders muten uns die Vriefe an die Brüder an ; in ihnen ſpricht der Mann zum Mann, beſonders in bewegten Zeitläuften, wie 1848, 1850, 1864. Hier

lernen wir Moltke als Politifer kennen, gemäßigt konſervativ ; er iſt ergrimmt über die Thorheiten, die oben und unten im Jahre 1848 gemacht werden, er fühlt im tiefſten Herzen die Schmach Preußens im Jahr 1850, aber er bewahrt ſich ſtets den Glauben, daß die Einigung Deutſchlands durch

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Preußen bevorſtehe. Die Hoffnungen und Ärgerniſſe jener Zeit liegen hinter uns ; fas Schidjal der Elbherzogtümer, das Moltke ganz beſonders deswegen am Herzen lag, weil ſeine drei Brüder dabei perſönlich beteiligt waren , iſt längſt durch die Ereigniſſe der Jahre 1864 und 1866 cnt ſchieden ; es iſt deshalb auch nur ausnahmsweiſe eine der darauf bezüglichen

politiſchen Äußerungen Moltkes herausgehoben. Als dann die Geſchwiſter faſt alle vor dem greiſen Feldmarſchall abgerufen wurden, war mittlerweile ein neues Geſchlecht herangewachſen, die „ vier Rieſen “, die Söhne ſeines Bruders Adolf, die Kinder ſeiner Schweſter Burt, und ſchließlich die Groß I

neffen und Großnichten , denen der finderliebe ,, papa " in Creiſau vers

gnügte Sommermonate bereitet, ab und zu Geſchenke mit freundlichen oder ernſten Brieflein ſchickt; ſo hört die Liebe nimmer auf, die Tage des alternden Mannes zu dergolden.

Eigentlich müßten wir an dieſer Stelle auch Frau Marie von

Moltke als Empfängerin zahlreicher Briefc anführen, die uns über faſt dreißig Jahre ſeines Lebens den wertvollſten Aufſchluß geben ; jedoch erſcheint cs zweckmäßig dieſes uns aufzuſparen, bis unſer Held, von ſeinen Abenteuer

fahrten im Oſten heimgekehrt, den Bund fürs Leben ſchließt. Wir haben Moltke als jüngſten Untcrlcutnant zu Frankfurt a. O.

verlaſjen. Über die nächſten Dienſtjahre haben wir ſehr beſcheidene Kunde. Jedenfalls hat er ſich bereits im erſten Jahre derart durch Fleiß und Begabung hervorgethan, daß er im Oktober 1823 zu der damals von

dem berühmten General v. Clauſewitz geleiteten Adgemeinen Kriegsſchule in Berlin kommandiert ward, die er drei Jahre lang, bis zum Juli 1826, beſuchte. Aus dem Jahre 1823/24 liegt uns noch das Zeugnis der Lehrer vor, welches in anmutiger Abwechſelung recht gut, ſehr gut, recht ſehr gut, vorzüglich, ganz vorzüglich, vorzüglich gut aufweiſt; das ſchwächſte Zeugnis iſt gut im Franzöſiſchen ; die Aufführung wird als tadellos bezeichnet. In dem Geſamtzeugnis beim Abgang heißt es : das Reſultat ſeiner wiſſenſchaft lichen Beſtrebungen war ſehr gut, ſeine Führung war tadellos. Als Fächer, die Moltke in dieſen Jahren hörte, werden aufgeführt Sphäriſche Trigonos metrie, Analyſis des Endlichen und Unendlichen, Terrainlehre, Militärs

geographie, Augemeine Geſchichte, Statiſtik, Artillerie, Befeſtigungswiſſenſchaft und Feſtungskrieg, Taktik, Aufnehmen, Deutſche und Adgemeine Litteratur,

Franzöſiſche Sprache, Pferdekenntnis, Naturlehre u. a. Gewiß ein ſtatt liches Verzeichnis. Moltke ſchäşte dabei ganz beſonders die Vorträge des berühmten Karl Ritter über Erdkunde und Geſchichte; derſelbe blieb ſeinem

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Schüler auch fernerhin zugethan und hat nachmals ſein Buch über die Türkei ehrenvoll eingeführt. In der Phyſił war Moltkes Lehrer Paul Erman . Im übrigen war Moltke ein armer Leutnant ohne einen Pfennig Zulage. Das Vermögen der Eltern war bis auf ein Kapital, welches der

Mutter zum beſcheidenen Unterhalt diente, verloren gegangen, und dennoch machte.es Moltke möglich, noch Privatunterricht in den neueren Sprachen ,

auch dem Ruſſiſchen , zu nehmen . Auch ſeine erſten ſchriftſtelleriſchen Ver ſuche fallen in dieſe Jahre, leider nicht mit dem ſehnlich gehofften klingenden

Erfolg. Moltke hatte faſt gar keinen kameradſchaftlichen Umgang, lebte ſehr eingezogen und eigentlich wenig zugänglich. Er galt für ſtolz, war aber ſonſt wenig beachtet. Die Zeit, die er ſeit Herbſt 1826 als Lehrer an der Diviſionsſchule zu Frankfurt a. O. verbrachte, führte ihn allem Anſchein nach zu eifrigem Studium der Weltgeſchichte, gab ihm wohl auch die Nei

gung zu dem ab und zu in ſeinen Briefen hervortretenden lehrhaften Ton. Moltkes erſter erhaltener Brief iſt aus ſeinem 23. Jahre und an die Mutter gerichtet. Moltke iſt Leutnant zu Frankfurt a. D., der Brief aber lautet noch ein wenig kindlich. Folgendes mag daraus mitgeteilt werden : „ Frankfurt a. D., den 5. Juni 1823. „ Wenn ich noch fertig werde, ſo ſchicke ich Dir einliegend eine kleine Zeichnung von einer Mühle ohnweit Frankfurt, zu der ich zuweilen ſpaziere, ich erbitte mir aber dafür die noch unvollendete Anjicht von Preeß,

welche ich dort zurückgelaſſen habe. Auch würdeſt Du mir einen großen Gefallen thun, wenn Du mir von Lene, Guſte, Vips“) und Dir eine kleine Locke ſchickteſt; ich habe eine Kapſel, in der ich ſie tragen werde. „ Ob ich im Herbſt auf die Kriegsſchule komme, iſt noch immer nicht entſchieden ; es kommt darauf an, ob meine Arbeiten unter 68 zu den 50 beſten gezählt werden.

„ Wir ererzieren täglich wenigſtens einmal. Abends gehe ich mit ein paar Kameraden baden . Die beſten Schwimmer ſchwimmen dann durch die Ober, welche jeßt durch den vielen Regen außerordentlich angeſchwollen

iſt und die angrenzenden Wieſen überſchwemmt hat. Dann gehen wir in die Kirſchberge und eſſen Kirſchen oder ſaure Milch, oftmals beides. Haſt Du ſchon Kirſchen in deinem Garten ? " Die angeſtrengte Arbeit auf der Kriegsſchule ſcheint übrigens die Gies

ſundheit des jungen Mannes angegriffen zu haben, wenn es nicht jene Hypochondrie war, die bei übermäßig geiſtig arbeitenden jungen Männern *) Helnuts drei jüngſte Gejdwiſter, Vip; iſt Viktor.

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ſich nicht ſelten einſtellt. In den Herbſtferien 1825 finden wir ihn im Bade Salzbrunn ; er hat ſich lebenslang die Liebhaberei zu ſolchen Bades aufenthalten bewahrt.

Ober-Salzbrunn, 15. Auguſt 1825. Liebe Mutter !

Wie freue ich mich jedesmal, einen Blick in Eure ſtille Häuslichkeit zu thun ; wie ganz entgegengeſetzt iſt mein Verhältnis. Gemiß, Du haſt recht, daß die innere Ruhe, welche Du, Gott ſei Dafür gedankt, jeßt ſo ver dientermaßen genießeſt, das einzige wahre Glück iſt, wonach man ringen ſoll. Und wie oft habe ich mich ſchon danach mit wundem Herzen geſehnt,

wenn vereitelte Wünſche, Kränkungen und Feindſchaft allen Lebensmut mir niederdrücken . Aber in meinen Jahren iſt dies Krankheit. Erſt nach über ſtandenem Sturm fann die Ruhe beglücken , und erſt dann iſt ſie erlaubt. Ich ſchöpfe hier friſche Lebenskraft. Mir hat das Schickſal noch ſo wenig Anlaß zur Klage gegeben, daß Klagen von mir underzeihlich ſein würden, wenn nicht körperliche Dispoſition mich beſonders empfänglich für traurige

Eindrücke machte. Ich darf aber, nach dem bisherigen Erfolge zu rechnen, hoffen, daß mir der Brunnen ſehr gute Dienſte leiſten wird. Und ſo will

ich mich denn mit neuem Mute auf die dornige Rennbahn wagen, auf der ich entfernt von Euch allen und einſam das Glück zu erjagen ſtrebe. Möchte ich es für Euch alle gewinnen !

„Hier iſt ein Mädchen, das recht verdient, deine Schwiegertochter zu jein. Es iſt eine Gräfin Reichenbach. Sie iſt bildſchön und erzogen – Du würdeſt ſie auf Händen tragen . Aber leider iſt ſie unvermögend. Genau der Gegenſatz ſind einige polniſche, ſehr reidhe und ſehr vor nchme Bekanntſchaften. Ich weiß nicht, ob Du früher Gelegenheit gehabt haſt, mit Polen umzugehen. Nichts fann angenehmer ſein. Man iſt gleich eingeführt, gleich bekannt und gleich vertraut. Die Leute überſchütten einen mit Güte und Artigkeit, die man bei Deutſchen Aufdringlichkeit nennen würde. Aber ſo ſind ſie alle, dabei äußerſt feingebildet, unterhaltend und luſtig, aber eine polniſche Schwiegertochter möchte ich Dir doch nicht vers

ſchaffen. Ich bin dringend nach Polen eingeladen von einer Staroſtin Obrocziemska. Dieſe Dame hat ihren eigenen Kod) mit, man ißt bei ihr von Silber und ſehr gut, ſie ſpricht vortrefflich franzöſiſch, hat hübſche Töchter und iſt die luſtigſte alte Frau. Aber meine Finanzen nötigen mid) zur größten Sparſamkeit. Ich fürchte, daß ich höchſtens dieſen Monat noch die Koſten des Brunnens aushalten werde, denn ich muß doch auch auf die Rückreiſe bedacht ſein .

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„Ich bin lange nicht ſo vergnügt geweſen wie hier, was ebenſo gut

für mich ſein mag, wie der Brunnen ſelbſt. Wein und Equipage habe ich faſt frei, denn der Oberſt Graf Wartensleben , Vater meines Freundes, der

mich ſchon zweimal hier beſucht hat, hat mich gegen ſeine Gewohnheit ganz außerordentlich in Affektion genommen. Faſt täglich fahre ich in ſeiner eleganten Droſchke nach einer dieſer köſtlichen Burgen und Schlöſſer, an welchen man ſich hier nicht ſatt ſehen kann.

„ Kürzlich haben wir eine unterirdiſche Waſſerpartie gemacht, welche vielleicht in der Welt einzig iſt. . Denfe Dir ein mehr als 1000 Klafter langes Gewölbe, zum Teil in Felſen geſprengt, aber nur vier Fuß breit und wenig höher, welches Hunderte von Fuß tief unter Bergen, Dörfern und Bächen wegzieht. Der Boden iſt etwa drei Fuß tief mit Waſſer be dect, welches aus unterirdiſchen Quellen entſprungen, durch eine Schleuſe dort erhalten wird. Der Rahn, mit dem man auf dieſen Styr einfährt, iſt faſt ſo breit als der Stollen . Bald verſchwindet das Licht des Tages, und trotz der vielen Lampen, die man mitnimmt, tritt eine völlige Finſternis ein, an die ſich das Auge erſt gewöhnen muß. Erſt dann erkennt man die ſchwarzen Steinkohlen , die Granitblöde, rieſelnde Quellen und von

Zeit zu Zeit Baſſins oder Felſenhallen zum Ausweichen der Rähne. Die Luft iſt kalt, aber rein. Hier iſt kein Sommer, kein Winter, man hört ſelbſt den Donner nicht. Beſonders ſchön iſt beim Zurüdfahren der Anblick der Öffnung in weiter Ferne. Die halbrunde Einfahrt ſieht genau aus wie die aufgehende Sonne und ſpiegelt ſich über die lange Waſſer fläche hinüber. Beim Heraustreten iſt man völlig geblendet." Anfang September verläßt Moltke Salzbrunn, wo der Aufenthalt ihm ſo wohlgethan . Vor dem Scheiden beſucht er nod; die Rieſenkoppe, über deren herrliche Ausſicht er ſich begeiſtert ausläßt. Alles iſt ſchön und gut, bis auf die Geldverhältniſſe, denn er will eine Reiſe nach Polen und von dort nach Glaß machen , und hat nur 8 Thaler, zu denen noch 5 Thaler

hinzukommen, die er verborgt hat ; das Geld zur Rückreiſe nach Berlin denkt er in Glaß geborgt zu bekommen. Wenn ich mich in Berlin auch. noch ſo ſehr einſchränken muß, ſo wird es mich doch niemals gereuen , da ich für wenig Geld ſoviel Sehenswürdiges geſehen habe. Wenn ich hoffen darf, daß ich ſo geſund und wohl bleibe, wie ich jetzt bin, ſo habe ich nicht zu teuer gekauft. Ich bin daher auch voll guten Mutes und wünſche nur, daß es Euch allen ſo gut gehen möge wie mir. Nur im Punkte des Gelbes nicht."

Der Badeaufenthalt in Salzbrunn gab übrigens Veranlaſſung zu

Moltkes erſtem ſchriftſtelleriſchen Verſuch, dem einzigen zugleich auf dem

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Gebiete der ſchönen Litteratur. Wohl im Jahr 1826 ſchrieb Moltke eine Novelle „Die beiden Freumde, eine Erzählung von Helmut“ ; dieſelbe ward

März 1827 in der zu Berlin erſcheinenden Zeitſchrift „ Der Freimütige, Unterhaltungsblatt für gebildete Leſer “ gedruckt, und iſt in den erſten Band der Geſammelten Schriften aufgenommen. Es iſt ein umfangreiches Stück Arbeit, dieſe Novelle, lebendig erzählt, ſpannenden kriegeriſchen Inhalts.

Die beiden Freunde ſind zwei junge preußiſche Offiziere, die zu Ausgang des Siebenjährigen Krieges ein bißchen willkürliches Umſpringen mit Ort und Zeit iſt dem Dichter erlaubt in der ſächſiſchen Schweiz mit den Öſterreichern zuſammentreffen, eine Belagerung glücklich beſtehen und ſchließlich nach mannigfachen Abenteuern die Ermählten ihres Herzens, zwei böhmiſche Gräfinnen Eichenbach, als Gemahlinnen heimführen. In einem der jungen preußiſchen Offiziere, Ernſt von Holm , hat Moltke annähernd ſich ſelbſt geſchildert als „ſchlanken Jüngling, das Bild eines Nordländers . Blonde Locken umgaben ein ziemlich blaſſes, aber höchſt ausdrudsvolles Geſicht, welches, ohne Anſprüche auf Schönheit machen zu können, von .

Ohne Zweifel liegt der

überaus ernſten und edlen Zügen belebt war.

geſchidt erfundenen Novelle eine hoffnungsloſe Jugendneigung des Dichters

zu der bildſchönen aber unvermögenden Gräfin Reichenbach zugrunde; auch der andere Freund, Warten, iſt eine Geſtalt des Salzbrunner Aufenthaltes, der junge bruſtkranke Graf Wartensleben. Moltke gedenkt der Arbeit im Brief an die Mutter vom 25. März 1828 mit dem ſchmerzlichen Schluß wort : „ O , was iſt während meiner Krankheit dieſer unſterblichen Feder entfloſſen, und der Verleger hat mich ums Honorar gepreût!" Im übrigen iſt Moltkes Geſundheit in jenen Jahren infolge von

Überanſtrengung öfter geſtört geweſen. In den Aufzeichnungen des Vaters über des Sohnes Leben iſt bemerkt:

,, Im Winter von 1826 bis 1827

litt er an Herzklopfen und kränkelte oft. 1827 erhielt er einen königlichen Urlaub auf drei Monate, welchen er dazu verwandte, ſeine Eltern zu bes ſuchen und die Seebäder auf Föhr zu gebrauchen ." Die Diviſionsſchule, an welcher Moltke zu Frankfurt unterrichtete, nennt 11

er ſelbſt in ſeinem Lebensbericht eine derwilderte. In ſeinem Briefe vom 25. März 1828 klagt er nicht über derartiges ; er hat außer wiſſenſchafts lichen Fächern auch Feldmeſſen und Zeichnen übernommen, hat wöchentlich .

14 Stunden und acht Inſpektionsſtunden außer der polizeilichen Aufſicht über 31 junge Leute, die aber mit ihm zufrieden ſind und die er ſelbſt in gehörigem Reſpekt und guter Ordnung hält. Dem ſehr vorteilhaften

Bericht über ſeine erziehende und unterrichtende Thätigkeit dankte es Moltke, daß er ſchon im Frühling 1828 die Zuſicherung erhielt, im nächſten Jahre

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zu den Arbeiten des Generalſtabes einberufen zu werden, was ihn der Reihe nach erſt in ſechs oder ſieben Jahren getroffen hätte. Er hofft davon eine monatliche Zulage von 20 bis 25 Thalern. Während der lezten Monate hat er für ſeine Schüler einen Leitfaden über militäriſche Aufnahmen aus. gearbeitet, welcher demnächſt gedruckt wird . Privatſtunden giebt er nicht mehr, rühmt dagegen den unentgeltlichen und ſehr guten Reitunterricht, den Mich fann es, ſagt er, nie reuen, die er ſeit fünf Monaten genieße. Annehmlichkeiten der Heimat aufgegeben und mir dadurch Ausſicht auf Fortkommen verſchafft zu haben, wie wenig auch bis jeßt erlangt iſt. Er hofft auf Beſſerwerben der Moneten, damit er die Seinen zu Weihnachten überrumpeln könne, iſt aber trozdem guter Laune, denn er ſchreibt ſchließlich an ſeine Schweſter Rene : Mit meiner Geſundheit geht's ſonderbar. Oft liege ich acht bis zehn Stunden bemußtlos, 8. h. des Nachts, nicht den

mindeſten Appetit nach Tiſch, den ganzen Tag vollkommene Schlafloſigkeit,

gegen Abend ſolche krampfhafte Bewegungen und Dehnen, Reißen in allen Gliedern

– wenn es Dir nur nicht ebenſo geht. - " -

,, Frankfurt a. D., den 9. Mai 1828.

Liebe Mutter ! Dein lieber Brief, welchen ich ſoeben erhalten, verſetzt mich auf einen Augenblick aus meinen Karten, Berichten, Cenſuren und

all den vielen Dingen, die mich jeßt überſchwemmen, in Eure klöſterlichen Mauern. Ich ſehe die Kaffeemaſchine auf dem Tiſche ſprudeln, die Schweſtern mit Stickerei, ben Vips mit einer Rechentafel und einigen Chininpulvern, und Dich mit ein paar entſeßlich zerriſſenen Strümpfen (nämlich in der Hand) ein wenig kopfſchüttelnd die Brille zurechtſchieben, um dies Faß der Danaiden dicht zu machen. Nicht weniger höre ich meine Freundin, die Kuh, nach einigen friſchen Blättern brüllen, auch poltert und

ruft etwas in dem Eulenſalon, wahrſcheinlich einer der Herren Brüder, welcher ſein verſpätetes lever bemerkbar macht. Emſig ſeid ihr alle bes ſchäftigt und ſeht nicht, daß ich oder doch mein Geiſt (Lene, ſieh dich mal um !) mitten unter Euch ſteht. Was aber meine Perſon anbelangt, ſo fißt ſie hier an dieſem ſelben Schreibtiſche in einem wunderlichen Chaos von Karten, Briefen, Juſtrumenten, Meßtiſchen, Rechnungen 2c., auch liegt da ein langer Geldbeutel, aber kein Beutel Geld, von ſchöner Taille. Die Sache iſt dieſe. Ganz unerwartet bin ich ſchon in dieſem Jahre zum topos graphiſchen Bureau einberufen, und zwar ſchon den 1. Juni muß ich in Namslau in Oberſchleſien ſein. Du kannſt Dir denken , daß ich ſehr freudig überraſcht geweſen bin . " Es beginnt nun Moltkes Feldmeſſerthätigkeit, die ihm die mannig 1

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fachſten Vorteile bringt. Die tägliche vielſtündige Bewegung in freier Luft ſtärkt ſeine Geſundheit, er hat angenehme Quartiere bei dem reichen land adel, bezieht erhebliche Zulagen, ſo daß er, der bisher Dürftige, die Seinigen unterſtüßen kann ; was mehr wert iſt, Moltke bereitet ſich an ſeinem Meß tiſch in Schleſien auf fünftige wichtige Arbeiten in der Türkei und der

römiſchen Campagna dor, gewinnt jenen unvergleichlichen raſchen Scharfblick für die Bodenverhältniſſe ausgedehnter Schlachtfelder, der ihm in den ſpäteren Feldzügen ſo trefflich 31 ſtatten fam.

Nachdem Moltke als Vorübung mit ſeiner Diviſionsſchule binnen vierzehn Tagen vier und eine halbe Quadratmeile am rechten Oberufer bei Frankfurt aufgenommen , macht er ſich Ende Mai nach Oberſchleſien auf. Wie es ihm hier erging, mag er ſelbſt erzählen.

„ Grüttenberg bei Öls, den 6. Juli 1828. „ Liebe Mutter ! Du haſt lange nichts von mir gehört, und das laß Dir immer ein Zeichen ſein, daß es mir ſehr gut geht. „ Von mir kann ich nur Erfreuliches ſchreiben. Seit vier bis fünf Wochen wohne ich ſchon hier auf dem Gute eines Herrn von Kleiſt, bei welchem ich wie Kind im Hauſe bin. Früh um vier einhalb Uhr erſcheint eine Kaffekanne, die, begleitet von zwei Tellern, auf welchen Butterſchnitten und Kuchen ſich zu beträchtlicher Höhe türmen, unwillkürlich an die Gaſts freiheit der ſchottiſchen Clanshäuptlinge erinnert. Dann ziehe ich aus, an gethan mit ungebleichten Hoſen , grauem Staubmantel und weißer Müße, Handſchuhen ohne Fingerſpißen und gewaffnet mit einem Etui und einem ſchönen Ramsden - Fernrohr. Hinterdrein zieht mein Silberdiener mit dem Meßtiſch. So geht's durch Feld und Gärten, geſtüßt auf die offene Drdre, die ich ſtets in der Taſche habe und welche große Freiheiten einräumt. Einer meiner Kollegen hat z. B. ſämtliche Gloden aus dem Turm hinaus hängen laſſen, weil ſie ihn hinderten. Jeder Schulze iſt angewieſen, uns Pferde, Quartier und zwei Mann täglich zu ſtellen. Sowie ich nach Hauſe komme, geht's zu Tiſche, wo meine einzige Sorge iſt, wie ich es möglich mache, bei ſo vielen Speiſen von jeder etwas zu eſſen. Abends werden wieder drei bis vier Schüſſeln ſerviert, zwiſchendurch gefrühſtückt, geveſpert, goutiert u . ſ. w ., wobei der ſchöne Ungarwein nicht geſpart wird; hierzu kommt, daß ich vollkommen geſund und alſo ſehr zufrieden bin . „, Da ich jeßt wirklich das vierfache von dem, was Friß und Wilhelm 1

1

erhalten, habe, ſo laſſe ich mir monatlich fünf Thaler abziehen ; dies macht während der neun Monate, wo ich die Zulage habe ( und zwar drei Jahre 1

lang), 45 Thaler, welche ich zu Deiner Dispoſition ſtelle."

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Nach vollendeter Arbeit verweilte Moltfe eine Woche in ſeinem lieben

Salzbrunn und machte dann noch eine erquidliche Wanderung durch das Nieſengebirge , deſſen großartige Naturbilder er in ſeiner prächtigen Weiſe der Mutter ſchildert: Meine Reiſe mußte ich auf vierzehn Tage beſchränken, ich blieb daher

Boi 28 요 0

Moltre al8 Leutnant. Von ihm ſelbſt 1826 gezeichnet und

1886 mit folgendem Vermerk verſehen :

Omj hnese mury bofofman geseufm

Puweds

19.1. 86. nur ſechs Tage in Salzbrunn , habe aber doch neunzig Becher Brunnen getrunken. Leider machte ich die folgende Gebirgsreiſe allein . Ich beeilte mich daher ſehr und machte die in der That ſehr ſtarke Tour von Schmiede berg über das ganze Hochgebirge nach Schreiberhau an einem einzigen Tage, wobei ich die Koppe ſelbſt aber nicht beſtieg, weil ich ſie ſchon kenne. In einem der hochgelegenen Dörfer verſah ich mich mit einem Führer und Buchner, Moltke.

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ſtieg nun im eigentlichen Sinne des Wortes in die Wolken, welche uns

bald dicht umhüllten. So kamen wir einen der mühſamſten Pfade an der Seiffenlehne hinauf, einer Treppe groben Gerölles, welche uns 4000 Fuß über Eure Köpfe führte. Bald ſchreitet man zwiſchen hohen Tannen über ein rauſchendes Bächlein , bald einmal über eine grüne aber ſtets ſehr feuchte Wieſe , auf weldher die Herden mit ihrem Geläute herumziehen . Oben fing es tüchtig an zu regnen. Aber unbeſchreiblich iſt der Anblick, wenn der Wind die Wolkenmaſſen zwiſchen den ſchwarzen Tannenwäldern und durch die großen Schluchten hindurchjagt, jetzt ein weites Thal zeigt ; Häuſer, Dörfer, Städte werden ſichtbar,1 weithin öffnet ſich das Land auf viele Meilen mit zahlloſen Ortſchaften. Plößlich ſchließt ſich alles wieder in graue Wolken , welche mit majeſtätiſchem Brauſen durch die Gipfel ziehen. Dies ſchöne Schauſpiel hatte ich namentlich wieder an den Schneegruben, und ich ziehe es einem ganz heiteren Himmel vor. Man traut ſeinen Augen nicht, wenn der ungeheuere Wolkenvorhang auf Sturmſchwingen ſich öffnet, würdig eines Schauplatzes von etwa zehntauſend Flächenmeilen, die man hier rings überſieht. Je weiter man blickt, immer ſieht man noch einen Streif, einen Punkt, und dieſer Punkt iſt eine Stadt , ein Gebirge 1

oder ein Walt , über welchem hoch die Wolken ziehen, die doch wieder tief

unter dem Beſdauer liegen . Äußerſt lieblich ſind die großen Leinwand bleichen, welche in ſchneeweißen, regelmäßigen Figuren zwiſchen den blauen Spiegeln der kleinen Seen in den ſchwärzlichen Waltungen ſchimmern. Die Straßen ziehen ſich wie feingeſchlängelte Fäden über die Berge , die, wenn ſie auch keuchend erſtiegen wurden , von hier ganz flach erſcheinen . Zwiſchen ihnen winden ſich meilenlang die Dörfer und Städtchen mit ihren 본

ſauberen , weißen Wänden und glänzenden , ſilbergrauen Schindeldächern. Unmittelbar zu Füßen hat man einen Abhang von etwa neunhundert Fuß 1

ſteiler Felswand.

Noch am Abend ſtieg ich mühſam hinab in das ſchauers

liche Thal, in welches die Elbe über zahlloſe Zacken und Gerölle in kleinen Fällen hinabgleitet, welche zuſammen einen großen Anblick gewähren. Auch meinen Liebling , den Zackenfall, ſah ich noch im Halbdunkel aus dem Teufelsthal und übernachtete in einer Glashütte am ſchäumenden Zaden. - " Mit Begeiſterung ſchildert er dann den Aufenthalt im gaſtlichen Schloſſe des Reichsgrafen von Rospoth zu Brieſe, wo er den Herbſt zu bringt. Zunächſt in einen Briefe an Bruder Ludmig vom 24. Auguſt 1828. Der Brief bringt zugleich eine ſeltene Gabe , ein Gedicht des nachmaligen

Feldmarſchaus, und zwar ein Rätſel ; aber wenn Schiller und Schleier macher Rätſel dichteten, warum nicht auch Moltke ? Er ſchreibt: „, Daß es mir gut geht, kannſt Du daraus ſchließen , daß ich Verſe mache. Brühs

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warın , wie ſie eben aus meiner Feber Floſſen, will ich ſie Dir mitteilen , wenn ich Dir geſagt , daß die junge Komteſſe ihre Freundin geſtern fort

begleitet hat, daß ſie ſich ſehr lieben und heute trennen , und daß wir ſie 1

oft zugleich in derſelben Schaukel geſchaukelt haben. Rätſel. Ein Bild des Lebens iſt's, des regen Lebens, Das aufwärts bald uns treibt und wieder abwärts ſtrebt,

Das wie des Herzens Hoffen , wie unſtätes Sehnen Jeßt ſinkt, jetzt ſteigt und ſchwindelnd hoch uns hebt.

Es trägt Euch unter Blütenzweige. Staunend Schaut über Wald und Flur der Blick. – Es ſchwebt Doch in den Augenblicke, Auf Sturinesíchwingen fort. Wo Fhr am höchften ſteht, zieht's wieder Euch zurücke, Und wie ein raſtlos Herz durch Freude, Hoffnung, Bangen

Führt's doch am Ende nur, von wo Ihr ausgegangen. Dort ſah ich jüngſt zwei liebliche Geſtalten,

Sie waren incinander eng verſchlungen. Die Arme auf der Luft'gen Bahn umrungen , Schien eine ſtets die andere zu halten. Ein leichter Nachen trug ſie auf den Wogen Mit flatternden Gerändern, wal'nden Haaren ;

Ilnd wenn es nicht zwei holde Engel waren,

So hatten Engelsbande ſicher ſie umzogen . Durch die Orangenreihen blick ich wieder,

Der Himmel hüllt uns rings in Wolfenſchleier. Sie ſind getrennt ſchon !" rauſcht der Bappeln Wehn, Aus blauen Augen fallen Thränen nieder,

Ein Strahl nur aus des Abendrotes Feier Scheint mir ein Bild von bald'gem Wiederſehn .

Wir ſehen , der junge Leutnant hat nicht nur auf ſeinen Meßtiſch, 1

ſondern auch ſehr tief in zwei oder gar vier ſchöne Mädchenaugen geblickt, was ſehr erklärlich erſcheint. Einen rührenden Eindruck aber macht es,. im erſten Bande der Geſammelten Schriften einer Mitteilung der Frau

lony don Schimpff, geborenen Gräfin von Rospoth, zu begegnen, derſelben, die mit ihrer Couſine und Freundin Bianca don Forcade 1828 die Hul digungen des Leutnants Helmut von Moltke entgegengenommen hatte. Die 81 jährige Frau fonnt ſich in der Erinnerung an die Zeit , da der Leutnant von Moltke zum Mißvergnügen der beiden Mädchen ſich als 1

Feldmeſſer auf Schloß Brieſe einquartierte, und meint:

Wir Mädchen

II

mögen wohl anfangs etwas ſteif geweſen ſein , doch bald waren wir die beſten Freunde". Sie ſchildert den liebenswürdigen, künſtleriſch angeregten

Vater, die feine, hochbegabte Mutter, den ſehr muſikaliſchen Bruder. „ In 34

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dem in Lenòtriſchem Geſchmad angelegten Garten ' ergingen wir uns oft, und zeigte unſer Gaſt ſeine große körperliche Gewandtheit, indem er geſchickt

über die Hecken ſeşte. Es wurde viel geleſen, muſiziert, gemalt, gedichtet, Koſtüme und Muſter gezeichnet, kleine Theaterſcenen entworfen, in denen,

mie es damals Sitte, die Götter Griechenlands eine große Rolle ſpielten. Wir intereſſierten uns lebhaft für die Arbeiten des Topographen und ſchenkten ihm Handſchuhe mit abgeſchnittenen Fingerſpißen zum Schuße der Hände, auf deren tadelloſen Zuſtand er große Stücke hielt, gegen die Sonne.

Öfter führte uns der große, vieljißige, mit vier polniſchen Pferden beſpannte und von einem geſchickten, aber nicht immer ganz nüchternen polniſchen Kutſcher gelenkte Wagen zu den bekannten und verwandten Familien der Nachbarſchaft. ,So vergingen die Wochen ſchnell, und mit Bedauern ſaben wir den liebenswürdigen Gaſt ſcheiden, nicht ahnend, welche große Zukunft ihm in ſpäterer Zeit beſchieden ſei. Er hatte uns erzählt, wie einſam er oft lebe ; daß er zum Weihnachtsfeſt in den Straßen Berlins herumgegangen ſei, um durch die Fenſter die Tannenbäume brennen zu ſehen. Zum heiligen Abend 1828 ſchickten wir ihm einen aufgeputzten kleinen Baum aus Schlejiens Erde mit auf unſer Zuſammenleben ſich beziehenden gering fügigen Geſchenken, die er auch in den Briefen an ſeine Mutter erwähnt. Weit über ein halbes Jahrhundert war verſtrichen, als ich dem Be 11

kannten aus ferner Jugend meine Glückwünſche zum neunzigſten Geburts = tage überſchickte und eine freundliche Antwort erhielt. „ Die Schriftzüge des Neunzigjährigen waren ſchöner und feſter als die der niedergeſchriebenen Gedichte des jungen Mannes. Die Zeichnungen, welche ich von ihm beſiße, ſind muſterhaft ausgeführt, die Schriftſtücke flüchtiger hingeworfen. Wie ich höre, hatte Graf Moltke noch in Mannes alter ſich im Schreiben beſonders geübt, um ſeine Handſchrift zu verbeſſern. In allem ſtrebte er nach Vervollkommnung. Dadurch erreichte er Großes." Nach der Rückehr ſchrieb Moltke der Mutter im Spätjahr 1828 : „ Perlin , den 15. November 1828.

Die Beantwortung Deines lieben Briefes vom 24. v. M. verzögerte ich, weil ich Dir von meiner neuen Stellung etwas ſagen wollte, und hier angekommen , hat der raſche Wechſel von Beſchäf Liebe Mutter !

tigung, Einrichtung und Zerſtreuung mich erſt jeßt dazu kommen laſſen , Dir zu ſagen, daß ich wohl und munter den 1. November in Berlin ein=

getroffen bin und mich für die nächſten vier Monate eingerichtet habe. Mein Aufenthalt in Brieſe verlängerte ſich zu zehn Wochen, und ich wäre am Ende zehn Jahre da geblieben , wenn mir nicht eingefallen , daß ich 1

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meine Zeichnungen abgeben müſſe.. Du weißt es, wie ich, früh ſchon aus dem elterlichen Hauſe entfernt und Deiner Sorgfalt entriſſen , mich bald

gewöhnen mußte, überall ein Fremder zu ſein, überall erſt das zu erwerben, was anderen an Liebe,1 Freundſchaft und Achtung durch verwandtſchaftliche Bande oder freundſchaftliche Beziehungen entgegengetragen wird. Seitdein nun iſt mir nie ſo gütig begegnet, nirgends iſt mir ſo wohl und ſo ein: heimiſch geworden als bei Kospoths. Ach, es iſt eine ſchöne Sache für

einen armen Teufel, der ſich zwiſchen Geldmangel, Vorgeſekten, Dienſtpflicht,

Gehorſam und wie die übel alle heißen, die je der Büchſe Pandorens ent flohen, herumdrängen muß, ſo in eine Lage zu kommen, wo alle die klein

lichen Verdrießlichkeiten des Lebens, die zuſammen das Unglück des Lebens ausmachen können, aufhören, wo alles ſchön , gefällig , reich und ebel iſt und das Vergnügen Zweck ſein darf, weil ſelbſt die Arbeit ein Vergnügen iſt, wo die Kunſt nicht die ſpärliche Würze des Lebens ,1 wo ſie das Leben ſelbſt iſt und wo man ſelbſt gefallend ſich gefällt. So war Brieſe ein warmer Sonnenblick an einem finſteren Herbſttage. Wirklich kam ich mir vor wie

am Hofe von Ferrara , und wenn mir nicht alles Tafſoniſche gefehlt, ſo Wenn es mir wäre ich mir auch vorgekommen wie der gefeierte Taſſo. recht wohl geht (hier fällt mir ſogleich der Eſel ein) nun 1, da mache ich Verſe, und nur dann. Die Nachwelt hat alſo alle Urſache, mir Zufrieden heit zu wünſchen. Wenn Du das ſchöne Schloß mit der herrlichen Bilder galerie , die große Orangerie, die größte in Schleſien, geſehen hätteſt, Dir wäre auch mein Vergleich naheliegend erſchienen. Kennſt Du die Flur, wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, Ein ſanfter Wind durch hohe Bappeln webt, In langen Reih'n die goldne Rebe ſteht ?

Dahin, dahin - lenkt die Erinnrung gern den Sinn. Siennſt Du das Schloß, cs leuchtet fern ſein Dach,

Hell glänzt der Saal, es ſchimmert das Gemad , Die Bilder ſehn von allen Wänden drein , Als fragten fie: Iſt hier nicht herrlich ſein ?

Dahin , dahin – ſo gerne die Gedanken ziehn. Wohl fenne ich das Sdiloß mit hohem Dad),

Den ſchönen Park, das ſchimmernde Gemach.

Was nun der Drachen alte Brut anbelangt, ſo änderte ich das ab in : lind der Bervohner Liebenswürdigkeit, Die allem crſt den rechten Wert verleiht, Es waltet drin für Schönes und für Gutes edler Sinn.

„ Wie ſehr vermiſſe ich den freundlichen llmgang mit ſo gebildeten Menſchen

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jeßt. Wenn ich um 2 Uhr nach Hauſe komme, denn ſo lange arbeite ich von

8 Uhr an im Bureau des Generalſtabes, ſo finde ich zunächſt einen weſent lichen Unterſchied zwiſchen dem jebigen und dem damaligen Diner. Offenbar hat der Brieſer Koch ſeinen Zweig der Chemie viel gründlicher ſtudiert und

bedient ſich der beſſeren Stoffe. Der ſchöne Ungarwein fehlt ganz. Indes das geht alles noch an. Wenn es aber 6 Uhr ſchlägt, dann iſt es mir immer noch, als ſollte ich meine Bücher und Papiere zum Henker werfen und hinabgehen in das rote Damaſt - Zimmer, mich gemütlich in den vortreff lichen Fauteuil ſtrecken, in welchen ich paßte wie der Dotter ins Ei, wie die Schnecke in ihr Haus. Dies unvergleichliche Möbel war ſo ſehr mein 1

Eigentum , daß die Gräfin ſelbſt gewiß davon aufſtand, ſobald ich fam. Während nun der junge Graf ſich auf dem Flügel in Fugen , Chorälen und kontrapunktiſchen Wendungen ergeht, harre ich geduldig der Ankunft der Damen mit ihren Stickereien und des Grafen mit einem Buche, aus welchem vorgeleſen wird, während ich zeichne oder mitunter gar am Rahmen

Stich an Stich reihe, was die junge Gräfin ebenſo fleißig wieder auftrennt. Aber ich habe gut harren. Nicht einmal der alte Cadeau iſt da, das gute

Vieh, der vor Alter alle Sinne verloren , den Geruch etwa ausgenommen, benn riechen that er zuweilen tüchtig. Da die Rospoths perwandt ſind mit allem , was vornehm und angeſehen in Schleſien iſt, ſo fehlte es nicht an häufigen kleinen Reiſen und Jagden. Die Zeit verfloß höchſt angenehm und bildend, und der Abſchied war peinlich und nicht ohne viel Thränen. Raum hier angekommen , fand ich ſchon ein Kiſtehen mit Ananas vor, ohne

Anſchreiben, aber mit einer Feile, die ich in Brieſe vergeſſen hatte. „ Auch für meine Finanzen oder vielmehr für die meiner Gläubiger iſt der Aufenthalt ſehr erſprießlich geweſen. Dieſe hatten mir während des legten klammen Jahres, wo ich lediglich aufs Gehalt angewieſen , eine ſo große Teilnahme gezeigt , daß ich mich erkenntlich zeigen mußte ; der größte Teil iſt bezahlt, und ich hoffe, ſie im Laufe des fommenden Jahres ganz los zu werden. Ich habe deshalb die Rundreiſe über Dresden aufgegeben. Recht viel hübſche Gemälde habe ich Gelegenheit gehabt zu kopieren , das mehrſte blieb zwar dort. Ich habe eine heilige Familie von Rubens mit: genommen : es iſt das Größte, was ich bis jeßt ausgeführt habe, und ent hält vier lebensgroße Köpfe von der größten Schönheit, eine Taube mit Ropf nicht mit eingerechnet. Es macht mir viel Freude, daß ich die Gräfin ſelbſt ſehr ähnlich traf ; ſie haben es eingerahmt und aufgehängt. Von meinem Aufenthalt hier weiß ich noch nicht viel zu ſagen. Ich bin wie einer, der ſich auf ein unbequemes Sofa legt und ſeine Stellung noch alle Augenblice ändert. Bis jeßt habe ich das Theater viel beſucht, öfter als

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es künftig geſchehen darf, aber es iſt mir eine große Anlodung. Auch die Kunſtgemälde-Ausſtellung in den Sälen der Akademie beſuche ich oft.“ Berlin, den 25. Dezember 1828 . Liebe Mutter ! Daß ich mich noch am Leben befinde, wirſt Du mit

juriſtiſcher Gewißheit aus dem angebogenen Atteſt entnehmen , in welchem Du wohl ſo gut biſt, die offen gelaſſenen Stellen ſelbſt auszufüllen . Außer dieſer Nachricht aber bin ich verbunden Dir zu ſagen, daß ich völlig geſund und ſehr zufrieden bin. Einen Grund hierzu ſuche ich darin , daß ich gar ſehr beſchäftigt bin, ſo daß ich zuweilen, wenn ich des Morgens um 8 Uhr fortgehe, gleich den Hausſchlüſſel einſtecken muß. Bis um 2 Uhr dauern nämlich unſere Geſchäfte auf dem Bureau, wo wir zeichnen , reduzieren oder von den Stabsoffizieren des Generalſtabes Aufgaben erhalten , auch wohl nebenher die Zeitungen leſen und frühſtücken gehen. Dieſe Seſſion iſt zwar etwas lang, aber nicht ohne Intereſſe. Man erzählt ſeine Schidſale während der Aufnahme, kommentiert die Zeitung, recenſiert das Theater oder zieht gegeneinander zu Felde. Da viele recht ſehr helle Köpfe ſich unter meinen neuen Rameraden befinden, alle aber den Grad feiner Bildung haben, welche 1

den geſelligen Verkehr allein angenehm macht, ſo iſt das Geſpräch oft ebenſo vielſeitig als belebt. Auch ſind wir von obenher nicht im mindeſten geniert. Diejenigen, welche ihre Verwandten nicht hier haben, ſind zu einem Mittags

tiſch zuſammengetreten , wo wir für ein billiges gut eſſen. Hier ſind wir immer ſehr luſtig ; manchmal wird denn auch ein Gläschen Wein getrunken, und ſo wird es 4 Uhr. Nun kommen die Privatſtunden . Gratis höre ich einen cours de littérature française, auf dem Bureau ein Kollegium über neuere Geſchichte und eins über Goethe auf der Univerſität. Das Auditorium beſteht faſt zu einem Drittel aus Militärs, ja in einem engliſchen Kollegium ſind wir unſerer mehr als Studenten. Außer dieſen koſten mich

meine Stunden nun noch 13 Thaler 16 Silbergroſchen monatlich, nämlich Rujiiſd ), Reiten und Tanzen. Leşteres iſt nur um des Maſureks willen , den ich kennen muß , wenn ich nächſten Sommer nach Polen komme ; das Reiten aber iſt zu meinem großen Vergnügen in einer neuen , ſehr großen Bahn bei heller Gasbeleuchtung. Der Unterricht iſt vortrefflich, und, abs geſehen von der zuträglichen Bewegung, bilde ich mir ein, gute Fortſchritte 1

zu machen . Mit der Zeit werde ich doch wohl endlich einmal beritten

werden, und da wird mir dieſe fortgeſetzte Übung gut zu ſtatten kommen . Das Ruſſiſche darf ich als ſehr wichtig anſehen. Rußland iſt jetzt das merk würdigſte land für Preußen, und ſeine Sprache nur höchſt wenigen bekannt; ich treibe es mit großem Eifer. In den Konduitenliſten iſt ausdrücklich

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eine Rubrik für die Sprachen , welche ein Oifizier verſteht; bei inir iſt es die fünfte. So wird es denn 6 bis 7 Uhr, und wenn man vielleicht ins Theater geht, ſo iſt der Tag zu Ende.. Dieſe Art zu leben iſt nun freilich

nur möglich durch die gute Zulage , welche ich genieße, und die nebſt der diesjährigen Remuneration mich inſtand geſegt hat , über 150 Thaler an Rechnungen abzuzahlen, welche ſich im Drange der Zeiten angehäuft hatten .“ Dann läßt uns wieder der Briefwechſel eine Weile im Stich, und wir finden unſeren Moltke erſt im Herbſt des folgenden Jahres wieder, beſchäftigt

mit Feldmeſſen bei Jaroszyn ſüdöſtlich von Poſen. Mitten dazwiſchen aber fällt ein Brief an Bruder Ludwig, ein Brief, welcher, während Moltke der

Mutter nur die Lichtſeite ſeines Lebens zeigt, uns zur Abwechſelung einen 1

Blick thun läßt in ſeine von trüben Erinnerungen, Sorgen und unbefriedigtem Verlangen erfüllte Seele. Er ſchreibt:

Anfang März 1829. „Da ich keine Erziehung, ſondern nur Prügel erhalten, ſo habe ich bei mir keinen Charakter ausbilden können . Das fühle ich oft ſchmerzlich. Dieſer Mangel an Halt in ſich ſelbſt, dies beſtändige Rücfichtnehmen auf die Meinung anderer, ſelbſt die Präponderanz der Vernunft über Neigung verurſachen mir oft einen moraliſchen Kaßenjammer, der bei anderen gerade aus dem Gegenteil einzutreten pflegt. Man hat ſich ja beeilt I, jeden hervorſtechenden Charakterzug zu verwiſchen , jede Eigentümlichkeit wie die Schößlinge einer Taruswand fein beizeiten abzukappen ſo entſtand ,

denn die unglücklichſte Eigenſchaft des Charakters, die Charakterſchwäche. „ Und doch wurde ihr ein inneres Prinzip bergeſellt, ſo empfindlich, ſo alles Unedle verſchmähend, ja ſo ſtolz, daß es das gebrechliche Fahrzeug

ſchon oft hinaus auf die ſtürmiſchen Fluten trieb , wo es dann mehr dem Eigenſinn der Wogen als ſeinem Kompaſ folgte -- es iſt der tollkühne 1

Reiter, der ein mattes Pferd zum verwegenen Sprung anſpornt und dann zer ſchmettert daliegt in ſeiner Ohnmacht, es iſt das Feuer des Luftballons, das ihn einen Augenblick hoch emporträgt, um ihn dann noch tiefer ſinken zu laſſen. „ Wenn hierin noch ein Rompliment liegt, ſo ſollte es wahrhaftig keins ſein. Wie beneide ich faſt alle anderen Menſchen um ihre Fehler' mancha

mal, um ihre Derbheit, Unbekümmertheit und Geradheit, und das führt mich wieder auf Dich.

Daſ Tu neben Deinen Studien 1, die Du gewij ernſtlich betreibſt, Dich in Geſellſchaften gut amüſierſt, finde ich ſehr gut. Gegen Cheſterfield, von dem ich einiges kenne, wendeſt Du ſelbſt ſchon ein, daß er vorzüglich

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da brauchbar iſt, wo man ihn nicht braucht. Die flattery iſt meiner Ers

fahrung nach immer gut aufgenommen, wo ſie von Herzen kommt; thut ſie das nicht, ſo muß ſie geiſtreich ſein. Die Dummen und die Verliebten nehmen ſchon mit dem guten Willen vorlieb, die Koketten aber verlangen die Ausführung. Das ſchlimmſte Spiel hat man mit den paſſierten Schön heiten , doch ſtürzt man ſich auch nicht leicht in die Verlegenheit. Die flattery mag aber auch mit Veranlaſſung ſein, weshalb ſo ſimple Menſchen oft Glüc in der Geſellſchaft machen . Immer fallen mir dabei die Verſe eines meiner Rameraben ein :

Da tritt cin alberner Junge mit vielem Lärmen ein , Die andern verſtummen alle, nian hört nur ihn allein .

Er faſelt von ſeiner Stute und vom Trakehner Hengſt, Und wie er mit einer Kugel zwei Saſen ſchoß unlängſt.

Er ſprengte im leßten Jahre zweimal im Bade die Banf, Sein Vater hat zwei Majorate und liegt gefährlich frank. Da wenden die Augen der Damen ſich ſchmachtend nach ihm um : Er erbt zwei Majorate und iſt ſo göttlich dumm !

Mit großem Vergnügen leſe ich eben jeßt Heines Reiſebilder. Sie ſind wirklich ganz vortrefflich und voller Geiſt und Witz. Recht ſchade,

daß die Perſönlichkeit des Verfaſſers nicht etwas hübſcher durchbricht, denn ein gänzlicher Atheismus und eine ebenſo große Eitelkeit wie Unzufrieden heit ſind unverfennbar. "

Wie traurig, wenn ein junger Mann ſo über ſeine Jugendzeit ſpridit; der Charakterſchwäche aber wird keiner unſeren Moltke zeihen. Das Gedidit iſt meines Erachtens von Moltke ſelbſt, nicht von einem der Kameraden ; er liebte es in ſeiner Jugend, ab und zu ſeine Leiſtungen als Dichter oder Künſtler als Leiſtungen eines anderen darzuſtellen. „ Rusko bei Jaroszyn, den 14. September 1829. Liebe Mutter ! Wegen meines langen Stillſchweigens bitte ich zu : vörderſt ſehr um Entſchuldigung. Die mancherlei Beſchäftigungen ebenſowohl

als die vielen Zerſtreuungen, welche meine Anweſenheit hier mit ſich bringt, ſind die Urſachen geweſen, und indem ich jetzt mein Verſäumnis einzuholen

ſtrebe, begreife ich kaum ſelbſt, wie eine ſo lange Zeit ſchon verfloſſen ſein fann, ſeitdem ich Dein Schreiben vom Juli erhielt. Was mich betrifft, ſo iſt meine Lage ſo gut, wie ich ſie nur wünſten fann.

In pekuniärer Hinſicht ſpare ich genug, um hoffen z11 dürfen, übers

Jahr, wo dies Rommando endet, ohne alle Schulden zu ſein. Dies iſt ſchon immer ein großer Vorteil, und der Himmel mag dann weiter helfen. In Hinſidit der angenehmen lage hat das wunderliche Glück gewollt, daß.

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mich von 32 Loſen gerade das treffen mußte, welches mich hier nach Rusko führt, zu der Familie D., welche ich in Salzbrunn kennen lernte,*) die ich hierſelbſt vor vier Jahren (gerade morgen vor vier Jahren) beſuchte, und die für mich immer eine ſo beſondere Vorliebe gehabt haben, daß ſie mich wie Kind im Hauſe halten.

Seitdem ich am 24. Juli das prachtvolle Herkow verließ, wo ich von der alten Staroſtin fo gaſtfrei aufgenommen, hauſe ich hier in Rusko, wo ich bis Ende Oktober bleiben werde.

„ Wenn dort der uralte Palaſt der Sapieha und der Piaſten , über unabſehbare ſchwarze Wälder ſchauend, ſeine großen gewölbten Hallen öffnetc und eine Reihe Gemälde der Kaſtellane und Palatine Polens gleichſam ver wundert auf den Fremden blickten, der es wagte, in jene Ebenen zu dringen, welche ſie beherrſchten und wo jeßt durch eine unglaubliche Umkehr der Dinge ein Kurfürſt von Brandenburg Befehle erteilt , deſſen Raiſer mo ihre Reiterſcharen in ſeiner eigenen Hauptſtadt befreien mußten ,

jetzt weder ihr Name , noch ihre Religion , noch ihre Sprache, Geſege und Gebräuche mehr gelten ſollen,

wenn dort, wo von aller Macht nur der

Schimmer und von aller Größe nur das Andenken geblieben , das Auge

auf dieſen großen Trümmern weilt , ſo iſt es hier, zur Proſa der Gegen 1

wart herabſteigend, ein niedriges Häuschen mit einem Schindelbach, umgeben

von Wirtſchaftsgebäuden, Hütten und Garten und rings von einem Eichen wald eingefaßt, der ihm hat weichen müſſen, welches meinen Aufenthalt bildet. Aber faſt möchte man ſagen , daſ es hier wie mit den Säuſern der

Griechen in Konſtantinopel geht, welche, von außen mit Brettern beſchlagen, im Innern den aſiatiſchen Lurus bergen. Hier find gute und ſchlechte Gemälde , Antifen , wertvolle Randelaber in fleinen Zimmern angehäuft .

Marmortiſche, die einſt große Hallen zierten, ſtehen in den engen Fenſtern zuſammengedrängt , und große Trumeaur hängen an ſchlecht gemalten Wänden. In dieſer Umgebung hauſt mein Wirt, welcher in der polniſchen Revolution ſeine Rolle unter Roſciuſzko ſpielte, und der mit dem einges

wurzelten Haß gegen die neue Regierung die größte Güte gegen mich, ihren Diener, vereint. Übrigens iſt er zu verſtändig , um zu denen zu gehören,

die auf die Regierung ſchimpfen, wenn ihnen ein Rad bricht, oder es dent Rönig beizumeſſen, daß wir ſoviel Negen haben. Da ihn aber aller Ver kehr mit den königlichen Beamten verwundet , die ſchlechten Konjunkturen, die hohen Abgaben , die neuen Formen ärgern , ſo iſt es die Frau , welche mit einer unbegrenzten Thätigkeit , Geſchmeidigkeit und Klugheit die ſehr 1

*) Vergleiche Seite 28.

I

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verwickelten Angelegenheiten eines Vermögens von wohl einer halben Million polniſcher Gulden leitet.

Eine neunjährige Tochter und eine Nichte,

welche ſehr reich, aber leider ſehr häßlich iſt, vollenden den Hausſtand einer

Familie , in welcher ich als ein ſehr heterogener Beſtandteil dennoch völlig verſchmolzen bin. Wirklich kann ich Dir die Eigentümlichfeit dieſer Leute nicht beſſer ſchildern, als wenn ich Dir ſage, daß ſie oder vielmehr die aus ihnen hervorgehende Art zu ſein faſt genau das Gegenteil von meiner iſt. Alein man muß zur Beurteilung dieſer Leute einen eigenen 1, ich möchte ſagen nationalen Maßſtab anlegen , ſonſt wird man ſie immer ſehr falſdy

beurteilen , und wenn ſie uns leichtſinnig und prahleriſch erſcheinen , ſo 1

können wir ihnen nicht anders als höchſt pedantiſch und ſelbſt etwas heuchleriſch vorkommen. Beſonders mit der Feurteilung der jungen Damen mag man ſich hier in acht nehmen. Feſtoden durch die Freundlichkeit der ſelben, durch das Hinwegſeken über ſo manche Formen , welches ins Fremde

erſtaunt, wird ein Geck glauben, überall ſein leichtes Glück zu machen, und doch möchte das hier weit ſchwerer ſein als bei uns, wo eine größere Tiefe des Gemüts mit der Strenge der Sitten ſcidit in Konflikt gerät. „ Jeßt, wo ich erſt anfangen wil, Dir von meiner Lebensart hier zu

ſchreiben, ſehe ich, daß meine raiſonnierende Feder das ganze Papier ſchon angefüllt hat. Du mußt daher der Quere leſen und auf Koſten Deiner Augen erfahren , daß ich mit meiner Arbeit ſo ziemlich fertig und jeßt in einem angenehmen Müßiggang begriffen bin. Ich zeichne meine Aufnahmen

und beiläufig auch einige Porträts, mache Baupläne , die mein Bedienter, ein geſchickter Maurermeiſter , ausführt , und zu denen meine Wirtin das Material giebt. Dieſes macht mir beſonderes Vergnügen, und meinen Wirts leuten geſchieht ein großer Gefallen , denn alle Handwerker und Künſtler ſind hier äußerſt ſelten und teuer. Schon prangt die Façade eines Rellers im Garten , aus geſprengten Feldſteinen nach einem zierlichen Plan aus geführt, und dieſer Tage wird an einem großen Fiſchteich ein Badehaus aus demſelben Material nach einer Zeichnung entſtehen , welche ich eben vollende.

,, Die Jagd, die ſehr ergiebige Fiſcherei, vielfache Beſuche in der Nach barſchaft und aus der Nachbarſchaft füllen die Zeit aus. Vielen Geſchmack habe ich hier an der Landwirtſchaft gewonnen , und es fehlt mir nur an cinem Gut, um es mit Vergnügen zu bewirtſchaften .“ So verbringt Moltke drei volle Herbſtmonate des Jahres 1829 im

Hauſe des gaſtlid en Polen, beſorgt erſt ſeine landesaufnahme, vertreibt ſich bann die Zeit mit Krammetsvogelfangen, Dreſchen, Jagdfahrten, Obſtſchütteln und dergleichen ländlichen Beſchäftigungen , ſpielt an Regentagen Whiſt,

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zeichnet an hellen Tagen die jämtlichen Mitglieder der Familie bis zum struz oder Wächter in ſeinem Pelz und roter Müße und den Rammer mädchen in der ſchönen nationalen Kleidung. Schließlich fährt er von

dannen , von den gütigen Wirten ausgeſtattet mit Speije und Trant , als ob er eine Nordpolfahrt madhen wollte, und mit eigenen Pferden zehn 1

Meilen weit nach Poſen gebracht. Aus den Briefen geht hervor, daß Moltke in dieſen Wanderjahren von herzgewinnender Liebenswürdigkeit war. Am 1. November iſt er wieder in Berlin , wo er ſich recht einſam fühlt.

Natürlich iſt der Dichter und der Beſchriebene im nachfolgenden Vrief an Bruder Ludwig derſelbe :

„, Berlin, 13. Januar 1830.

„ Hier noch was, was mir im Poſtwagen eingefallen, aber wo die redende Perſon feineswegs mit dem Dichter identiſch ſein ſoll, vielmehr von Dir erraten ſein will: „Ihr tadelt mich, daß ich oft ſtörriſch ſchweige, Der glatten Welt die düſtre Stirne zeige, Daß ich nicht ſo, nicht tief genug , mich neige. Den dürft'gen Scherz, Ihr wollt's, fou ich belachen , Sol, welche Qual, wohl ſelber Späße machen, Wenn mir der Sinn ſo voll von andern Sachen ! Und Ihr habt recht! Man wird es bitter tadeln, Daß ich das Flache, Niedrige nicht adeln, Daß ich wie andre oft nicht denken fann,

Daß ich der Tonkunſt göttlich hohes 2Salten

Zu hod) für ſeichten Spott wie Lob zu halten, Mich dreiſt erfühnt. – Wahr iſt's, ich hab's gethan! Allein, ich wollte niemand damit fränfen , Kann dieſes Herz nicht immer Flüglich lenken. Und wie ſie hart dagegen auch verfahren , Das innre Heiligtum, ich will's bewahren.

Glüdſelig wohl, wenn ſich ein Weſen findet, Das mich verſteht, das eng rich mir verbindet. Und kann's nicht ſein – o laßt mit mir vergehn, Was außer mir doch keiner mag verſtehn.

Im Monat Mai 1830 iſt Moltke kommandiert, den Landwehrerſatz

in Frankfurt a. D. auszuererzieren. Er ſchreibt darüber der Mutter am 18. Juni ſehr vergnüglich: „ Hier werden Elegants mit Regenſchirmen und Strohhüten und Bauernbengel in blaue Jaden geſteckt und binnen vier Wochen ſo zugeſtugt, daß ſie ausſehen wie Soldaten , ja ſich wirklich bei

der Revue menig von ſolchen unterſcheiden. Die Wut dieſes Ererzier paroxysmus iſt ſo groß , daß der entlaſſene Wehrmann ſich dreimal 24 Stunden auf ſeiner Ofenbant in die möglichſt krumme Stellung legt, um

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nur einigermnaßen die auf die Rektifikationsfolter geſpannten Glieder in

die alten Fugen und Scharniere zu bringen. Was mich betrifft, ſo wußte ich vier Wochen lang nicht, daß das Leben noch in etwas anderem beſteht,

als Einkleiden , Grerzieren, Brotempfang , Genehrpuşen, Nachererzieren , Viſitieren und Kommandieren. “ Von Frankfurt a. O. ging es dann Mitte Juni nach Poſen , wo

ſofort wieder die Arbeit der Landesaufnahme begann , wobei er bei Herrn von Treskow zu Wierzaka einen ebenſo trefflichen Wirt findet, wie im

vorigen Jahre. Daran reiht ſich ein Ritt von Dresden über das Erz

gebirge nach dem Schlachtfelde von Rulm und die Übungsreiſe des General ſtabs durch die Provinz Sachſen . Selbſtverſtändlich machte das Sturmjahr 1830 mit ſeinen drei, einander raſch folgenden Voltserhebungen in Frankreich, den Niederlanden und Polen auf den nachdenklichen , geſchichtlich trefflich vorbereiteten Leutnant Moltke einen tiefen Eindruck. So entſteht gegen Ausgang des Jahres Moltkes

erſte wiſſenſchaftliche Arbeit, welche unter dem Titel : „ Holland und Bels gien in ihrer gegenſeitigen Beziehung" im Januar 1831 erſchien Preis 6 gute Groſchen ) und im zweiten Bande der Geſammelten Schriften erneuert iſt. Er ſchreibt darüber der Mutter am Weihnachtsabend : „ Bei einer II

Umwälzung, an der Haß und Leidenſchaft unſtreitig einen größeren Unteil als Vernunft und Notwendigkeit haben , iſt es mir immer rätſelhaft ge weſen, was zwei Völker, die eines Urſprungs und eines Landes ſind und die ein ſchredliches Schickſal ſo lange miteinander geteilt haben , dann ſo gegeneinander erbittert haben kann , daß ein fünfzehnjähriger Friede ihre Verſchmelzung nicht vermochte. Ich habe die Erflärung in der Geſchichte beider Länder geſucht, indem ich ſie unter dieſem Geſichtspunkte insbeſondere

prüfte und, was ich als wahr zu erkennen glaubte, habe ich in einer kleinen Broſchüre aufgeſeßt, die ich herauszugeben gedenke. Dieſe Arbeit hat meine Zeit ſehr in Anſpruch genommen , denn da ich vormittags bis 2 Uhr im Bureau beſchäftigt bin und um 4 Uhr erſt vom Eſſen komme , abends auch viel aus bin, ſo bleibt mir faſt nur die Nacht, und manchmal wohl, wenn Ihr ſchon, wie ich hoffe, gut geſchlafen habt, plagte ich mich mit den edelmögenden Herren Generalſtaaten herum , denn in einem ihrer ſchweins

ledernen Quartanten, aus denen ich vorzüglich ineine Gelehrſamkeit ſchöpfe, ſteht nicht nur, was die waceren Niederländer durch drei Jahrhunderte ge than, ſondern ſogar , was ſie geſprochen haben , und das iſt nicht wenig. Wirklich iſt der Mühe nicht wenig bei der Arbeit geweſen , und ich habc über tauſend Pagina in Quart und an diertauſend in Oktav durchgeleſen.

Um einen allgemeinen Saß aufzuſtellen, mußte ich oft ganze Bände durch

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blättern ,1 und am Ende nimmt der Leſer einen Sag über den Saß und

lieſt ihn nicht. Schlimmſten Falls bleibt mir eine zienilich gute Kenntnis des Landes und ſeiner Geſchichte, in welches leicht die Begebenheiten ein preußiſches Heer führen können ." An die Mutter.

„ Berlin, 9. Januar 1831 . 11

Alle die Leiden eines jungen Autors, der um einen Verleger verlegen ,

ſind über mich gekommen. Durchdrungen von dem Wert unſerer Arbeit, erſiaunen wir, die Buchhändler von mißlichen Ronjunkturen , vom Darnieber

liegen des Buchhandels reben zu hören, dem wir eben durch unſer Manu ſkript einen neuen Aufſchwung geben wollen. Der Undank des Mannes,

deſſen Glück durch unſern Aufſaß wahrſcheinlich gemacht iſt, empört uns, und wir würden der Welt unſer Licht vorenthalten , wenn nicht ein un geſtümer Schuhinacher, dem wir eine Schlafſtelle in unſerem Gedächtniſſe angewieſen , mit wiſſenſchaftlichem Eifer auf die Herausgabe eines ſo aus gezeichneten Werkes dränge , und ſollte das Honorar auch nur — drei Dufaten betragen . – Drei Dukaten ! Beſchämt ſchreib' ich es nieder. Drei Dukaten für dreihundert Jahre aus der Geſchichte, während ich oberfläch liches Geſchreibfel in Journalen ſchon mit zwei Louisdor den Bogen bezahlt erhalte.. Recht demütigend in der That indeſſen zweifle ich keinen Augen:

blic, daß fünfhundert Eremplare im Umſehen vergriffen ſein werden, und ich hoffe, daß Ihr alle das Eurige dazu beitragen werdet, damit eine neue

Honorarzahlung erfolge. Ohnehin – die Hoffnung, ſich in wenigen Tagen gedruckt und für ſechs Groſchen in allen ſoliden Buchhandlungen zu haben zu ſehen , das entſcheidet, vorzüglich wenn Ausſicht vorhanden , durch eine biſſige Kritit fernerweitig illuſtriert zu werden . „Doch es geziemt ſich nicht, länger als zwanzig Minuten von ſich ſelbſt zu ſprechen (vergl. Cheſterfield und Knigge, denn wir Autoren citieren gern Autoritäten) , und ſomit ſage ich nur noch,1 daß mein unſterbliches Werk (wenn ich ſage Werk, ſo meine ich eigentlich eine Broſchüre von Guſtchens Taille ), daß es den Titel „Holland und Belgien in gegenſeitiger Beziehung u. f. 7." führt und mit unſerem glorreichen Namen verziert iſt“. Und am Sylveſterabend 1830 ſchließt er den Brief an die Mutter 1

mit den Worten : „ Heute will ich das alte Jahr nicht untergehen laſſen über meiner Saumſeligkeit ( treffliche Verbindung, in welche unſere Sprache die Faulheit mit der Seligkeit bringt), ſondern Euch alle recht herzlich und

wohlmeinend zu dem neuen Jahre beglüdwünſchen, zu dem Jahre, das in wenig Stunden auftaucht und vielleicht große und mächtige Dinge hinter

ſeinem Schleier verbirgt. Möchte es mir Krieg und Dir Friede bringen !“

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Es iſt ein Glück für die Welt , daß nicht alle Wünſche der Unter leutnants erfüllt werden. Es blieb Friede. In ſeinem Brief an die Mutter vom 13. Februar 1831 ſpricht Moltke zum erſtenmale einen Gedanken aus, den er noch in ſeinem Greiſenalter an die Spiße ſeines Krieges von 1870/71 ſtellte; er ſagt: ,,Die Ausſichten auf den Krieg gewinnen immer mehr Wahrſcheinlichkeit. Die belgiſche Frage kompliziert

ſich dergeſtalt, daß wohl nur ein rechtſchaffener europäiſcher Krieg wird am Ende den gordiſchen Knoten zerhauen können. Dies dürfte um ſo mehr der Fall ſein , als heutzutage es nicht mehr allein die Kabinette ſind, welche über Krieg und Frieden entſcheiden und die Angelegenheiten der Völker leiten , ſondern es an vielen Orten die Völker ſind, welche die Kabinette ſeiten, und ſo ein Element in die Politik hineingebracht iſt, welches freilich außer aller Berechnung liegt.“ Der erwartete Krieg hatte auch ſeine Ein wirkung auf das Geſchick des unbekannten Leutnants. Man ſah ſich nach den beſonders befähigten Offizieren um ; ſo ward Moltke auf Antrag des Chefs des Generalſtabes , obwohl ſeine dreijährige Vorübung in der Auf nahme ser Regel nach abgelaufen war, auch weiterhin zum topographiſchen

Bureau kommandiert; er bezog infolge deſſen nicht bloß noch fernerhin die ſehr willkommenen 20 Thaler Zulage , ſondern durfte es auch als eine

Auszeichnung anſehen. Zur Abwechſelung aus dem Brief vom 5. März 1831 die Nachſchrift an Schweſter Lenchen : 11Mein gutes Lenchen ! Ein ganzes Stück Finger habe ich mir ſchon

abgeſchrieben , und daher mußt Du für Deinen lieben langen Brief nur /

mit einem ganz kurzen Endchen Epiſtel vorlieb nehmen . Das möchte ich

nun ſehr ſchön machen, und am liebſten ſchriebe ich in Verſen oder Hera metern. Dies Wort fommt von Herenmeiſter her, weil gute ſo unbändig ſchwer ſind, und daher ſchreib? ich lieber keine. Dafür aber ſchide ich Dir die längſt verſprochene Anſicht von Lübeck. Das Haus ſtellt das Schloß von Miloslaw vor, wo ich dieſen Sommer gehauſet, die Stadt Lübeck iſt aber wegen der Krümmung der Erdoberfläche nicht wohl zu ſehen. Für heute gute Nacht, gute Lene ; der Wächter pfeift ſehr anzüglich die zwölfte Stunde, 180 000 Weſen ſchnarchen ſchon rings um mich her, ich habe noch einen Nacht- und Schlaftrunk von einigen ruſſiſchen Vokabeln zu mir zu nehmen ."

An Bruder Ludwig ſchreibt er :

„, Berlin, den 7. März 1831 . „ Wie gern würde ich wieder einmal einen Abend mit Dir verplau dern , wie im vorigen Winter in Kiel , doch daran iſt für den Augenblick

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gar nicht zu denken . Was mich betrijſt, ſo ſpare ich den Ertrag meiner kleinen Schriftſtellerei, um mir für den Fall des Krieges ein Pferd anzus

ſchaffen. Da ich deren, wenn ich etwa zum Generalſtab fommandiert werden

ſollte, fünf mitnehmen muß , ſo überlaſſe ich dem Himmel die Sorge, zu erraten , wo ſie herkommen werden. Selbſt für den Frieden brauche ich

drei; und ein halbes Pferd habe ich erſt zuſammengeſchrieben. Dabei macht es mir Spaß, wenn kleine Aufſätze von mir in den Zeitſchriften ſind, die Geſichter der Leſenden bei Stehely zu belauern , die den würdigen Autor ſchwerlich in Deinem gehorſamen Tiener vermuten, denn dieſe Kinder meiner Laune oder vielmehr meiner Geldnot laufen ſämtlich ungetauft in der Welt herum. Bleibt aber Friede in dieſer ſchönen Welt, dann will ich cam minare nel giardino dell'Europa , Rom und Neapel ſehen ,

das

11

hab' ich feſt beſchloſſen .“ Mit dem erwarteten Rheinkrieg , dem gehofften ſtommando dorthin, dem Reitpferb, für deſſen Erwerbung Moltke ſchon 60 Thaler in die Spar faſſe gelegt hat, iſt es nichts ; dagegen hat er ſich ſo überarbeitet, daß er 1

im Sommer 1831 vier Wochen bettlägerig iſt und im Herbſt ein Nord jeebad beſuchen muß, welches , iſt aus den Briefen nicht zu erſehen . Der Winter 1831-32 bringt wieder einige litterariſche Unternehmungen , die wohl zumeiſt dem Beſtreben zuzuweiſen ſind, Schulden zu bezahlen oder Geld für das demnächſt zi1 kaufende Pferd zurückzulegen. Er? knüpft dabei

an die Zeitereigniſſe an. Im Oktober 1831 wurden die neuen Grenz beſtimmungen von Holland und Belgien veröffentlicht, „ und nach drei Tagen “, ſchreibt Moltke der Mutter am 13. Januar 1832, verſchien ſchon eine Karte im Umdruck gezeichnet, für den loyalen Preis von drei Silber groſdhen allen Zeitungen beigelegt, ja ſelbſt in den Zeitungen trefflich rezenſiert, ohne Namen zwar der Verfaſſer. Dieſe waren zwei bedrängte Offiziere, welche dies Werk in drei Tagen gezeichnet und 5000 Abdrücke davon beſorgt hatten. Nun ſtelle Dir unſer Unglüæ vor , als faſt gleich-. zeitig mit uns ein ebenſo feiner Spekulant eine eben ſolche Karte für eben den Preis herausgiebt, ganz falſch zwar , denn mit echter Loyalität und Freigebigkeit ſchenkt der Mann ganz Staatsflandern an Holland; aber was . ſchadet das ? Der Plan geht mit den übrigen. Wir haben an hundert Thaler Koſten gehabt und wiſſen durchaus nicht, welches der Erfolg dieſer 1

Konkurrenz ſein wird. herauszubekommen ."

Ich glaube, wir werden froh ſein , die Koſten 1

Ein anderes Unternehmen iſt der Druck eines Werkchens, welches ich

I!

über den mißlichen Gegenſtand Polen herausgebe.

Ein Teufel von Buch

händler wollte ſich nicht damit befaſſen , ſeitdem Warſchau gefallen , dem

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andern fehlte das Geld, er ſchlug mir aber vor , es mit ihm gemeinſam herauszugeben und Koſten und Ertrag zu teilen. Die erſten betrugen 80—100 Thaler, der lettere, wenn es gut geht , nach Abzug aller Koſten für jeden 100—150 Thaler, alſo neues Riſiko. Eine Freude habe ich indeſſen gehabt. Der Senſor des Werkes hat ſich bei einem Diner, wo ſich zufällig einer meiner Bekannten befand, ſehr lobend über dies Werk, welches erſt in acht Tagen das Licht der Welt erblidt , geäußert. Er fragte, ob jemand dieſen H. d. M. kenne, und wollte meinem Bekannten nicht glauben, daß es ein beſcheidener Sekondleutnant ſei : er habe ſicher geglaubt 1, es ſei ein Mann , der ſich ſchon ſo ſeine fünfzig Jahre in der Welt umgeſehen." Wer Moltkes Arbeit über polniſche Geſchichte und polniſche Verhältniſſe kennt, wird dieſes Urteil des trefflichen Cenſors unterſchreiben. Dieſe 1

„ Jugendarbeit“ ruht nicht nur auf einer Grundlage umfaſſender geſchicht licher Studien , ſondern merkwürdigerweiſe auf umfaſſender Beobachtung

von Land und Leuten, was um ſo überraſchender erſcheint, da Moltke nur vorübergehend während ſeiner Thätigkeit als Landmeſſer auf polniſchem oder halbpolniſchem Boden geweilt hatte. Wahrhaftig rieſig iſt ein Unternehmen , deſſen Moltke ebenfalls im 1

Januar 1832 gedenkt, die Überſeßung von Gibbons Geſchichte des Ver falls und Umſturzes des römiſchen Kaiſerreiches in zwölf Bänden Groß oktav. Das Unternehmen iſt um ſo wunderbarer, weil Moltke ſelbſt bekennt, daß ſeine ganze Kenntnis der engliſchen Sprache das Werk von vier ht Monaten Sprachſtudien und einiger Romanlektüre für mac Ehrenſold rn iſt. sgeAls e l l nach Vol au die Rieſenarbeit war die Zahlung von ern Ega endung des Dru&s, von weiteren 250 Thalern nach Verkauf von 500 Abzügen. ,, Ich muß alſo lange arbeiten, ehe ich etwas bekomme, allein die Summe

iſt der Mühe wert. Wenn keine Unterbrechungen kommen, ſo hoffe ich bei ſehr angeſtrengtem Fleiß in anderthalb Jahren fertig zu werden. Ich benuße jede freie Viertelſtunde. Die Arbeit macht mir nicht die allergeringſte Schwierigkeit und ſelbſt Vergnügen, aber — fie koſtet ſoviel Zeit, daß mir

für mich faſt gar keine mehr bleibt, um ſo mehr als ich vom Bureau des Generalſtabes ebenfalls ſehr beſchäftigt werde, da man meinen Kollegen und mich zu allen Arbeiten des Generalſtabes jeßt zuzieht. Übrigens geht es mir gut, denn am Ende ſind Arbeit, Hoffnung und Geſundheit alles, was zur Zufriedenheit gehört." Um die ungeheure Arbeit nicht ganz allein zu machen , veranlaßte Moltke

ſeinen Bruder Ludwig, den achten Band zu übernehmen. Er ſelbſt wünſcht ſchon nach Jahresfriſt, am 28. Februar 1833, ſehnlichſt von ſeinem Gibbon erlöſt zu ſein. „ Kaum kann ich es vor mir ſelbſt verantworten , ſoviel Buchner ,I Moltfe.

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Zeit auf eine Nebenarbeit zu verwenden , aber die Not hat mich dazu

gezwungen. Jegt bin ich bald mit den ſechſten Bande, alſo mit der Hälfte der ganzen furchtbaren Arbeit, fertig, und der erſte Band iſt eben im Druck. Eine andere Arbeit übernehme ich nicht wieder.

Manchmal ſinfen mir die

Arme herab , wenn ich bei meinen anderen Geſchäften die noch übrigen Bände anſehe. " Ende Juni 1834 iſt Moltke ſchon mit dem elften Bande zu Gange und zahlt Bruder Ludwig für den von ihm gelieferten achten Band auf Abſchlag 24 Thaler ; März 1835 verklagt er den Buchhändler, dem wohl für das ungeheure Unternehmen die Mittel fehlten oder der ſonſt bange ward ; ſchließlich im Juni 1835 verträgt er ſich mit ſeinem Buch händler , dem „ Windhund“ , dahin , daß dieſer eine Geſamtabfindung von

166 Thalern bezahlt, von denen noch die Zahlung an Bruder Ludwig und die Prozeßkoſten mit 36 Thalern abgehen ; dagegen verzichtet der Buchhändler, wie unſer Freund mit einer gewiſſen Befriedigung berichtet, auf Vollendung und Korrektur des geſamten wohlzubemerken, nicht gedruckten Werfes.

So hat Moltke ſelbſt für ſeine zehn Bände Gibbon - Überſeßung bare 130 Thaler. Die Rieſenarbeit mehrerer Jahre ward weder vollendet noch

gedruckt, ſondern wanderte in den Papierkorb. Armer Moltke ! Ende März 1832 wird Helmut v. Moltke wirklich zum Generalſtab kommandiert, d. h. jenem Kreiſe zugeteilt, dem nur die befähigtſten, wiſſens ſchaftlich gebildetſten Offiziere angehören, und deſſen Aufgabe es iſt, durch ſtetes Studium ſich auf eine dereinſtige Feldherrnthätigkeit vorzubereiten, ſowie die ganze ungeheure Maſchine des Heerweſens jeden Augenblic kriegs

bereit zu halten . Da macht denn die Frage, wie er zu zwei Reitpferden kommen ſoll, viel Kopfzerbrechen. Onkel Balhorn ſchießt ihm 200 Thaler por, um die anderen 200 bittet er die Mutter in einem beweglichen Schreiben

vom 16. April. Es wird wohl geſchehen ſein. Im Sommer macht er die zweimonatliche Generalſtabsreiſe mit , wir erfahren aber Ende September, daß er als ein eben Geneſencr nur mit Mühe die Feder führen kann, denn er iſt gegen Ende des Manövers geſtürzt und hat eine ziemlich ſtarke

Quetſchung erhalten . Am 24. November 1832 ſchreibt er von Berlin der Mutter :

„ Was mich betrifft, ſo bin ich geſund und völlig von meinem Unfall geneſen. Vier von unſerem kleinen Corps ſind ſchon nach dem Rhein geſchickt, und eine Zeit lang erwartete ich täglich dieſelbe Ordre zu erhalten. Jetzt iſt alles in Erwartung der Zukunft, doch darüber ſchreibe ich nichts, denn ehe Du dieſe Zeilen erhältſt, kann alles ſchon wieder anders ſein. Meine Lebensweiſe iſt folgende. Morgens 7 Uhr nehme ich mein Früh ſtück zu mir und gehe an die Arbeit.

Die regte Zeit bin ich ſehr mit

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einer friegsgeſchichtlichen Bearbeitung, die mir vom Generalſtabe aufgetragen worden ,1 beſchäftigt geweſen. Um 9 Uhr ſetze ich mich bei gutem und ſchlechtem Wetter auf eines meiner beiden trefflichen Pferde und mache einen ſchnellen Ritt von einer bis zwei Meilen, ſteige gleich vor dem Bureau

des Generalſtabes ab, wo ich dann bis 2 lihr meine Dienſtgeſchäfte habe, und leſe nebenher eine Anzahl deutſcher, engliſcher und franzöſiſcher Journale. Hierauf gehe ich ins Café zum Mittageſſen , finde wieder ein geſatteltes Pferd vor meiner Thür und mache einen kurzen Ritt durch den Tiergarten. Von 4–8 Uhr arbeite ich dann an meiner Überſetzung und gehe darauf gewöhnlich in Geſellſchaft .“ Und ein Jahr darnach ſchreibt er der Mutter: ,, Berlin , 28. Februar 1833 .

Ich bin von früh bis ich kann ſagen abwechſelnd mit Geſchäften und Vergnügungen ſpät Beſchäftigt, denn dieſe werden während des Karnevals als ſehr ernſte An gelegenheit behandelt. Faſt ohne es zu wollen, bin ich in den Strudel der großen Geſellſchaft hineingeraten , der einen ſo leicht nicht wieder losläßt. „Was mich betrifft, ſo geht es mir gut.

Die verſchiedenartigſte Thätigkeit erfüllt den Tag. Morgens arbeite ich an einer Beurteilung der ſtrategiſchen Verhältniſſe des Thüringer Waldes oder der geſchichtlichen Bearbeitung des Feldzuges 1762 , der Vormittag iſt den Bureaugeſchäften gewidmet, mittags gilt es, ſein Pferd auf der Promenade 1

zu produzieren, welche während der ſchönen Tage, die mir jeßt haben, wirk lich glänzend iſt. Die ſchönſten Pferde, die Menge von Uniformen und Equipagen und das dichte Gedränge der gepuşten und vornehmſten Damen welt machen dies ſehr unterhaltend . Nach Tiſche (von Zeit zu Zeit ſchlafe ich aber darüber ein ) treibe ich das Studium der Nationalökonomie, obwohl

meine eigene mir ſchon genug zu ſchaffen macht. Abends ſtellt ſich der Friſeur ein, der mir das Haar in die geſchmackvollſten Formen bringt, und um 8 Uhr iſt Bal bei dieſem Prinzen oder jenem Miniſter. Hier bleibe ich dann nur gerade ſo lange, als ich angenehme Engagements finde, und oft werden vor dem Schlafengehen noch einige Seiten aus dem Gibbon über feßt. In den legten vierzehn Tagen bin ich auf elf Bällen geweſen , habe auf jedem , ſo lange ich da war, alle Tänze getanzt und befinde mich gut dabei. Vorigen Sonnabend war ich zum König zum déjeuner dansant befohlen . Dieſe Geſellſchaften ſind klein und erleſen, und man kann ſich's als Auszeichnung ſchätzen, dazugezogen zu werden . Es iſt eine ſeltſame · ^ Mode; um 11 Uhr fährt man hin , tanzt einen Walzer, und nun gehen die Herren in einen , die Damen in den anderen Saal , jeder erhält eine 4*

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ſehr hübſche Blume ( gemachte), führt die Dame, welche dieſelbe Blume ers halten , an den mit eben der Blume dekorierten Tiſch. Das ſogenannte Frühſtück iſt aber ein Mittageſſen mit allen Chikanen, mit Schildkröten ſuppen, Auſtern, Kaviar, Trüffelpaſteten und anderen glüdlichen Miſchungen der Kochkunſt und den angemeſſenen Flüſſigkeiten. Alles geht darauf in einer großen Polonaiſe in den Tanzſaal, wo nun ein förmlicher Ball anfängt, der ſpäter bei Rerzenlicht bis 8 Uhr fortgeſetzt wird, wo der Hof ins

Theater fährt. Du kannſt Dir denken, was für ſoignierte Toiletten gemacht werden, wo ſie den prüfenden Blick bei Sonnenlicht beſtehen ſollen. Jegt wird das Treiben nun aber bald ein Ende haben ; die fremden Herrſchaften reiſen ſchon ab. “ Am 30. März 1833 tritt Moltke endgültig als Premierleutnant in den Generalſtab. Er hat an Gehalt bedeutend gewonnen, muß ſich freilich dafür einen eigenen Bedienten und zwei Reitpferde halten, in den teuerſten Garniſonen von Preußen leben , ſich die ſehr hübſche aber auch toſtbare Uniform des Generalſtabes anſchaffen. Berlin, den 27. Mai 1834.

, Mutter ! „Liebe

Recht lange habe ich Dir jeßt nicht geſchrieben, aber

gewiß recht oft an Dich gedacht. Daß Du leider ſo viel körperliche Leiden trägſt, habe ich mit inniger Betrübnis erfahren . Gott ſchenke Dir Linderung

und Beſſerung , mein gutes Mütterchen . Daß Du Deine Schmerzen mit Standhaftigkeit und Ergebung trägſt,1 habe ich erwartet ; es iſt die Ruhe, die ein reines Gewiſſen und ein gutes Bewußtſein geben. Wie oft iſt es

mir vor die Seele getreten , daß von allen Wohlthaten der erſte mütterliche Unterricht die größte und die bleibendſte iſt. Auf dieſe Grundlage baut ſich der ganze Charakter und alles Gute in demſelben , und wenn Du acht Kinder zu redlichen Leuten herangezogen , ſo muß ihr Dank und Gottes Segen auf Dir ruhen . Was mich ſelbſt betrifft, ſo habe ich große Urſache, zufrieden zu und bin es auch. Meine Stellung iſt ſo angenehm , wie ſie nur ſein immer ſein kann , die Einnahme gut und Ausſichten noch beſſer. Dabei 11

bin ich über Jahr und Tag vollkommen geſund. Von meiner alten , ſo tief eingewurzelten und ſo ſchrecklichen Herzkrankheit ſcheint keine Spur mehr vorhanden . Das alles erkenne ich dankbar an. . Mit herzlicher, aufrichtiger Liebe Dein Helmut .“ Aus dem Jahre 1833 entnehmen wir nur ganz zufällig, daß Moltke im Spätherbſt in Genua war; 1834 beſuchte er ſeine Eltern und machte bei dieſer Gelegenheit eine Reiſe nach Ropenhagen , von wo er ſeinen kranten

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Bruder Wilhelm nach Riel zurüdbrachte ; derſelbe ſtarb noch im gleichen Jahre. Dieſe Reiſen, ſowie die im Herbſt 1835 unternommene Reiſe nach der Türkei ſcheinen immerhin darauf zu deuten, daß die drängenden Sorgen der Leutnantszeit vorüber waren , und daß Moltke bei ſeiner Bedürfnisloſig

keit und Sparſamkeit die Mittel zu ſolchen ebenſo erfriſchenden wie lehr reichen Weltfahrten fand, deren leşte doch eigentlich ſein weiteres Schickſal 1

veranlaßte.

Das Jahr 1835 beginntmit einem glüdliden Ereignis ; am preußiſchen

Krönungstage, 18. Januar , miró Moltke durch die Verleihung des St. !

Johanniterordens freudig' überraſcht,1 wie es ſcheint, der erſten ihm zuteil

gewordenen derartigen Auszeichnung. Dieſe ſehr hübſche Dekoration ,“ ſchreibt er am 3. Februar der Mutter, „iſt mir als Beweis des Wohlwollens und

der Zufriedenheit meiner Vorgeſezten ſehr ſchätzbar. von allen Orden, die ich möglicherweiſe bekommen konnte, iſt dieſer mir bei weitem der liebſte und überhaupt in Deutſchland einer der angeſehenſten.

Da er nur an

Adelige und nur an bekannte Familien verteilt wird, ſo iſt er ſehr vielen Mitte März erhält Moltke ſeine Beſtallung und zwar aus Rom , wo Prinz Heinrich von

ein Gegenſtand des Beſtrebens ober des Neides ."

Preußen, der Großmeiſter des Johanniterordens, ſich aufhielt. Wir werden ſehen, wie Moltke ſpäter in nächſte Beziehung zu ihm kommt. Jedenfalls durfte unſer Freund ſich ſagen, daß er nicht irgendwelchen Hofdienſten ſeine Auszeichnung danke, ſondern wirklicher und zwar wertvoller Arbeit. Un

30. März 1835 wird Moltke Hauptmann, mit Überſpringung zahlreicher minder befähigter Altersgenoſſen ; im April läßt ihm der König für die von ihm zuſammengeſtellten Notizen über die Königl. däniſche Land- und See macht Dank ſagen und erkennt dieſe gründliche Arbeit wohlgefällig an. Moltke hat die vier Jahre Dienſtzeit, die er durch den Übertritt in das preußiſche Heer verlor, gründlich wieder eingebracht. Nur als Beiſpiel von Moltkes trefflicher Laune infolge dieſer glück

lichen Ereigniſſe hier eine Stelle aus dem Briefe an die Mutter vom 21. April 1835 :

Als Erſparnis überſende ich Dir einliegend auch ein Stückchen Leines wand ; oder vielmehr, die Wahrheit zu geſtehen - es iſt geſtohlen und

iſt ein Stück von dem Hemd eines Prieſters, der 2040 Jahre vor Chriſti Geburt lebte. Von den ſonſtigen Verhältniſſen des Mannes iſt mir wenig bekannt, auch ſind von ſeinen Predigten, glaube ich, keine mehr vorhanden. Da er noch immer 1700 Ellen Hemde auf dem Leibe hat, ſo wird er mir meinen Diebſtahl wohl verzeihen. Iſt es aber nicht wirklich anerkwürdig, daß man vor 4000 Jahren ſchon ſolchen Byſſus zu weben verſtand ? "

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• Der Sommer 1835 bringt gewaltige Arbeit. Moltke wird auf vier Wochen zur Dienſtleiſtung im Alexander -Grenadierregiment kommandiert; der tägliche Gang durch die gepflaſterten Straßen und das Exerzieren ſelbſt haben ihn ganz braun, aber auch ganz geſund gemacht. Dabei hat er viele Prüfungen abzunehmen, hat in 15 Tagen 143 Fähndriche und Radetten

zu Offizieren prüfen , außerdem noch eine dringliche ſchriftliche Arbeit fertig machen müſſen. Er hat ſich einen neuen Schimmel gekauft und die Hälfte

desſelben mit dem Honorar für zehn Bände Gibbon-Überſeßung bezahlt. h

Jedenfalls iſt er ſehr vergnügt und verabreicht ſich in Betracht der un gewöhnlichen Strapazen während des Monats Juni täglich einen Schoppen Moſelwein, befindet ſich überhaupt in einein leiblich guten Futterzuſtand.

Im Sommer führt Moltke dann ſeine Übungsreiſe als Generalſtabs offizier nach der Lauſitz und dem Rieſengebirge, Görlitz und Zwiđau, dem

Oybin und Schloß Friedland in Böhmen ; nur ungern muß auf ſeine an mutigen , je nach Umſtänden humoriſtiſch oder ernſt gefärbten Reiſeſchildes

rungen hier verzichtet werden. Daran reihten ſich die Königsmanöver in Schleſien und die ruſſiſch -preußiſche Heeresmuſterung von Kaliſch; ſo iſt er nach einem Vierteljahr anſtrengenden Dienſtes erſt Ende September frei, alſo in der Lage , die beabſichtigte Reiſe nach Konſtantinopel , Athen und Neapel auszuführen, dieſe Reiſe , die in dem Leben unſeres Helden einen

wichtigen Wendepunkt bildet, alle ſeine mannigfaltigen Fähigkeiten aufs äußerſte übt; kehrt er nicht zurück im Ruhmesglanz eines Siegers, ſo hat er zu dem,

was er in der Heimat gelernt, unglaublich viel zugelernt, wenn auch das in tiefen Frieden verſunkene Vaterland noch lange nicht ſeiner Dienſte be durfte. So beſchließen wir denn hier, da Moltke gerade 35 Jahre alt iſt,

ſeine Lehrjahre, um einen neuen, ungleich wichtigeren Abſchnitt zu beginnen, die Jahre, die er in türkiſchen Dienſten verbrachte.

Dritter Abidnitt.

Unter dem Halbmond. 1835-1839.

Es iſt, als ob Moltke für ſeine freudloſe Jugend und ſeine einſam und fleißig, nicht ſelten unter Entbehrungen ſich abwickelnden Lehrjahre in der nun folgenden Zeit ſeintes zwar ſehr beſchwerlichen , aber doch zugleich ebenſo genußreichen Aufenthaltes unter dem Halbmond eine Entſchädigung hätte empfangen ſollen. Mit faſt noch größerem Recht, als wir die früheren dreizehn Jahre ſo genannt, könnte man dieſe türkiſche Zeit Lehrjahre

Moltkes nennen, jedenfalls waren es die erſten, die ihm Gelegenheit gaben, was er bisher gelernt, auch praktiſch zu verwerten, zwar nicht im Dienſte des Vaterlandes, aber doch zu deſſen dereinſtigem Nußen. Um aber dieſe

unter dem Halbmond verbrachten Jahre zu verſtehen, bedarf der freundliche Leſer einiger einleitenden Mitteilungen über die türkiſch- ägyptiſchen Zuſtände um das Jahr 1836 . Durch eine Militärempörung der kaiſerlichen Leibwache, der Janitſcharen , war im Jahre 1808 Sultan Mahmud II. auf den Thron erhoben worden , ein thatkräftiger Mann, ſtolz und feſt, in der Schule der Leiden hartges ſchmiedet, nicht zurückbebend vor den gewaltthätigſten Mitteln, wenn ſie nur zum Ziele führten . Seine Regierung war ein ſteter Kampf gegen übermütig

gewordene Paſchas oder aufſtändiſche Völker. Durch den ganzen Verlauf der zwanziger Jahre hindurch zieht ſich der Vernichtungskrieg, den Mahmud

gegen die empörten Griechen führte. As Helfer ſtand dem Großherrn in dieſem Kampfe zur Seite ſein mächtigſter Vaſall, der Paſcha Mehemed Ali

von Ägypten . Ein Mann geringer Herkunft aus Macedonien, fam Meheined Ali 1800, eben dreißig Jahre alt, als untergeordneter Offizier im türkiſchen

Heere nach Ägypten, das die Franzoſen noch beſetzt hielten. Durch Tapfer keit und Klugheit ſich hervorthuend, ſtieg der ehemalige Unteroffizier nach und nach empor bis zum Befehlshaber der tapferen Albaneſenſchar, ja er

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ward 1806 von der Pforte zum Paſcha des von den Franzoſen geräumten

Landes ernannt. Aber die Herrſchaft in Ägypten beanſpruchte der Kriegeradel der Mamluken, eine ſtarke ſtreitbare Schar, die vorher ſchon Bonaparte bei den Pyramiden im Kampf entgegengetreten waren . Um ſich ihrer zu ent ledigen, lud Mehemed Ali, anſcheinend eine Verſöhnung ſuchend, 1811 die Häupter der Mamluken zu einem Feſte nach Kairo, ließ ſie dann, über tauſend an der Zahl, durch ſeine Albaneſen verräteriſch überfallen, erſchießen , hinrichten. Nachdem ſich dergeſtalt Mehemed Ali durch Verrat und Mord die Arme frei gemacht, ſammelte er durch rüdſichtsloſe Erpreſſungen einen mächtigen Schatz, ſchuf ſich, unterſtüßt vornehmlich durch franzöſiſche Offis ziere, ein zahlreiches Heer und eine große Flotte, dehnte durch glückliche Heerzüge ſeine Herrſchaft über Arabien und das obere Nilland aus.

Als nun Sultan Mahmud mit den empörten Griechen nicht fertig werden konnte,rief er, unvorſichtig genug, im Jahre 1823 ſeinen mächtigſten Unter

than, den Paſcha Mehemed Ali von Ägypten, zur Unterſtüßung herbei. Dieſer ſandte unter der Führung ſeines angenommenen Sohnes Ibrahim Paſcha eine ſtarke Flotte und ein zahlreiches Heer über das Meer. Ibrahim unterwarf durch Mord und Brand die Inſel Rreta, landete dann in Griechenland

ſelbſt, verwüſtete die Halbinſel Morea aufs entſeglichſte. Da machte, frei

lich ſpät genug, ein gemeinſamer Schritt von England, Frankreich und Rußland dem Greuel des Chriſtenmordes ein Ende; die vereinigte Flotte der drei Mächte traf am 20. Oktober 1827 im Hafen von Navarin zu

ſammen und vernichtete die ägyptiſche Flotte völlig ; Jbrahiin Paſcha mußte mit den Reſten ſeiner See- und Landmacht nach Ägypten zurückehren . Ein ruſſiſches Heer überſtieg 1829 den Balkan und drang bis Adrianopel vor ; Mahmud II. ſah ſich genötigt, Frieden zu ſchließen ; Griechenland ward von der Türkei getrennt und zu einem ſelbſtändigen Staat erhoben . Kaum waren die Bedrängniſſe auf dem Boden Europas mit ſchweren Opfern beendigt, ſo begann das Kriegesſchauſpiel aufs neue im Südoſten des ſo gewaltig umfaſſenden und dabei ſo ſchwer kranken Reiches. Sultan Mahmud that alles mögliche, um ſich zu ſtärken; ſchon 1826 hatte er, Mehemed Alis Beiſpiele folgend, die übermütige und gewaltthätige Leibwache der Janitſcharen durch ſeine übrigen Truppen in einem mörderiſchen Blut

bad überfallen und niederhauen laſſen; durch Bildung eines europäiſch ge ſchulten Heeres, einer neuen Flotte ſuchte er, unterſtüßt durch ſeinen that kräftigen und verſchlagenen Kriegsminiſter Chosref Paſcha, ſeine Herrſchaft aufs neue zu befeſtigen, aber allerorten trat ihm die Eiferſucht der euro päiſchen Großmächte oder die Begehrlichkeit ſeines unbotmäßigen Unter 1

thans, des Paſchas von Ägypten, hemmend in den Weg. Mehemed Ali

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hatte als Lohn für ſeine Dienſte gegen die Griechen Syrien bis Damaskus verlangt, Sultan Mahmud ſchlug dies Begehren ab und gab bloß das ver ſprochene Kreta. Da ſandte Mehemed Ali Herbſt 1831 ſeinen Sohn Jbra him Paſcha zur Eroberung Syriens aus, welcher bis in das Herz von Kleinaſien vordrang ; die ſiegreiche Schlacht von Roniah, 20. Dezember 1832, öffnete ihm den Weg nach Konſtantinopel. Sultan Mahmud mußte durch den Frieden von Rutahia, 6. Mai 1833, ſeinem ungehorſamen Vaſallen ganz Syrien bis zum nördlichen Grenzgebirge Taurus abtreten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der begehrliche Gegner ſeinen Angriff er 1

neuern werde.

Sultan Mahmud ſah ſich genötigt, fortgeſeßt beträchtliche Streitkräfte in Kleinaſien ſowie an den Quellen des Euphrat und Tigris bereit zu halten, und war zugleich eifrig bemüht, die begonnenen Verbeſſerungen nach Kräften zu fördern. Unter den Osmanen fand er dazu feine geeigneten

Kräfte; Nußland war zu allem eher geneigt als bei einer Kräftigung des

altersſchwachen Türkenreiches mitzuhelfen ; Öſterreich, dem nächſten Nachbar, Einblicke in die türkiſchen Militärverhältniſſe zu gewähren , war nicht ratſam.

Frankreich unterſtüßte Ägypten init Rat und That; England verſtand nichts vom Landkriege. Preußen dagegen zählte kaum noch zu den Großmächten, war bei Leben und Sterben des Türkenreiches nicht beteiligt ; es hatte ſich den Ruf einer tüchtigen einſichtsvollen Heereseinrichtung bewahrt und konnte

zugleich am erſten die Rolle eines völlig uneigennüßigen Ratgebers ſpielen. Was Wunder, daß, als Ausgang 1835 ein Hauptmann vom preußiſchen Generalſtab, Helmut v. Moltke, als Reiſender die Hauptſtadt betrat und

ſich dem Kriegsminiſter vorſtellte, dieſer die Gelegenheit ergriff, den kundigen und ernſten Preußen als Ratgeber feſtzuhalten. Während andere Mächte ſich umſonſt die größte Mühe gegeben, Offiziere in den türkiſchen Dienſt zu bringen, wird dieſe Ehre ungeſucht dem Preußen zuteil. Mitte Oktober 1835 finden wir Moltke mit ſeinem Reiſegenoſſen,

dem preußiſchen Gardeleutnant von Berg, zu Wien, dejjen Herrlichkeiten

er der Mutter mit begeiſterten Worten ſchildert. „ Wien iſt eine prächtige Stadt, ſchon weil ſie krumme Straßen hat, denn nichts iſt langweiliger, als ſolche gerade lange Straßen. Die krummen hat das Bedürfnis all mählich entſtehen laſſen, ſolche Städte haben eine geſchichtliche Vorzeit und ſprechen das Gemüt an, die nach dem Lineal gezogenen ſind von der Launc eines einzelnen hervorgerufen und uniformiert.“ Die beiden Reiſenden haben ſchäßbare Empfehlungsſchreiben nach Peſt, Bukareſt, Konſtantinopel, Smyrna, Athen. Nach etlichen Tagen geht es unter mancherlei Beſchwer lichkeiten weiter nach Presburg, wo die Dampfſchiffahrt beginnt, in wenig

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erquicklicher Geſellſchaft, die Donau hinab ; nur Ofen -Peſt,E Peterwardein ,

dann die wüſte Bergeinſamkeit, durch welche ſich vor dem Eintritt in die Türkei die Donau ihr an Stromſchnellen reiches Bett gebrochen hat, machen größeren Eindruck auf unſeren Reiſenden.

Am 31. Oktober 1835 betrat Moltke bei Neu-Orſowa oder Ada

Kaleſſi, die Inſelfeſtung, wie ſie auf türkiſch heißt, den Boden des OS manenreiches. Mit ſeinem Reiſegenoſſen machte Hauptmann Moltke dem Kommandanten der Feſtung Osman Paſcha ſeine Aufwartung, welcher die

beiden Fremdlinge aus dem fernen Lande ,,Trandeburg “ ſehr höflich auf nahm . Auf einem Leiterwagen , acht Pferde, an ſchwierigen Stellen noch

einige Büffel vorgeſpannt, bei unaufhörlichem Regen geht es durch die vom Kriege verwüſtete Walachei nach Bukareſt, wo Moltke ſich dem Fürſten Alexander Ghika vorſtellen läßt. „ Nach achttägigem Aufenthalt zu Bukareſt ſeşten wir unſere Reiſe zu Schlitten fort, wenn man dieſe ſchmeichelhafte Benennung für ein Fuhrwerk brauchen will, das eigentlich nichts war als eine mit vier Pferden beſpannte Schleife, und dieſe noch dazu ſo eng und

kurz, daß die Beine über den Rand hervorragten, und man bei der ſchnellen Bewegung ſich nur mit der äußerſten Anſtrengung im Siß erhielt. Auch hatten wir die erſte Poſt noch nicht erreicht, als unſer Poſtillon geſtürzt und ich zweimal aus dem Schlitten gefallen war. Der Führer des

Miniaturfahrzeugs nahm davon nicht die mindeſte Kenntnis ; er jagte mit ſeinen kleinen Pferden weiter, und man hatte die äußerſte Mühe, ihn durch Rufen darauf aufmerkſam zu machen , daß er ein weſentliches Stüc ſeiner Fracht verloren habe. Die Bäche waren in den Thälern über die Wege getreten und wie man in ſolchem einen Fuß hohen Schlitten durch drei

Fuß tiefe Überſchwemmungen fährt, magſt Du Dir denken . Man wurde eben in vollem Rennen durchgeſchleift .“ Bei Ruſtſchuť fährt Moltke über die Donau, mietet einen Tataren, der es übernimmt, für 100 Thaler die beiden Reiſenden mit ihrem Gepäck nach Konſtantinopel zu bringen, wobei er zugleich für die Zehrung zu

ſorgen hatte. Fünf Reiter und ſieben Pferde ſtark, zieht die kleine Karawane durch tiefen Schnee, bergauf im Schritt, in der Ebene im Trab, bergab, ſelbſt auf den abſcheulichſten Wegen, im Galopp, Ritte von täglich 12-14 Štunden. Um zweiten Abend ſind unſere Reiſenden in Schumla, wo Moltke nach der furchtbaren Anſtrengung ſich durch ein türkiſches Bad föſt lich erfriſcht fühlt. Über breite Schneeflächen hinauf zum Balkan, auf äußerſt beſchwerlichen Pfaden durch das Gebirg, in ſtromendem Regen

wieder thalab ; im traurigſten Zuſtande langt die Karawane zu Adrianopel an. Ohne Aufenthalt weiter : „ Unſer Tatar trieb zur Eile und am zehnten

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Morgen, ſeit wir aus Ruſtſchuck ausgeritten, ſahen wir die Sonne hinter

einem fernen Gebirge emporſteigen, an deſſen Fuß ein Silberſtreif hinzog : es war Aſien, die Wiege der Völker, es war der ſchneebedeckte Olymp und der klare Propontis, auf deſſen tiefem Blau einzelne Segel wie Schwäne ſchimmerten. Bald leuchtete aus dem Meere ein Wald von Minarels, von Maſten und Cypreſſen hervor, es war Konſtantinopel .“ Nachdem die Reiſenden in Pera eine Nacht geraſtet, fahren ſie in

leichtem Rahn (Kait) hinüber nach der Hauptſtadt. „ Aber, wie ſoll ich Dir den Zauber ſchildern, welcher uns jetzt um fing. Aus dem rauhen Winter waren wir in den mildeſten Sommer, aus

einer Einöde in das regſte Leben verſekt. Die Sonne funkelte hell und warm am Himmel, und nur ein dünner Nebel umhüllte durchſichtig den feenhaften Unblic. Zur Rechten hatten wir Konſtantinopel mit ſeiner bunten Häuſermaſſe, über welche zahlloſe Kuppeln, die fühnen Bogen einer

Waſſerleitung, große ſteinerne Hans ? mit Bleidächern, vor allen aber die himmelhohen Minarehs emporſteigen, welche die ſieben rieſengroßen Moſcheen umſtehen. Das alte Serai ſtreckt ſich weit hinaus ins Meer mit ſeinen phantaſtiſchen Kiosken und Kuppeln mit ſchwarzen Cypreſſen und mächtigen Platanen. Der Bospor wälzt gerade auf dieſe Spiße zu ſeine Fluten, welche ſich ſchäumend am Fuß der alten Mauer brechen . Dahinter breitet ſich der Propontis mit ſeinen Inſelgruppen und felſigen Küſten aus. Der Blick kehrt aus dieſer duftigen Ferne zurück und heftet ſich auf die ſchönen Moſcheen von Skutari, ber aſiatiſchen Vorſtadt; auf den Mädchenturm , welcher zwiſchen Europa und Aſien aus der tiefen Flut auftaucht; auf dic Höhen, welche noch mit friſchem Grün prangen, und auf die weiten Be gräbnisplätze im Dunfel der Cypreſſenwälder. „ Wir eilten zwiſchen großen Kauffahrern mit den Wimpeln aller Nationen und rieſenhaften Linienſchiffen hindurch aus dem goldenen Horn in den Bosporus, zahlloſe Kaits glitten in allen Richtungen über das un beſchreiblich flare, tiefe Waſſer; jeßt wendeten wir uns links um das Vor

gebirge, welches Pera, die Frankenſtadt, und Galata mit ſeinen alten Mauern und dem gewaltigen runden Turm trägt, von welchem einſt die Genueſer der Eroberung Konſtantinopels teilnahmlos zuſchauten. „ Wegen der heftigen Strömung halten ſich die Nachen beim Hinauf fahren ganz dicht an das europäiſche Ufer, und wir betrachteten init Ver 1

gnügen die Einzelheiten der Sommerwohnungen, welche von den Wellen beſpült werden. Die Fenſter ſind mit dichten Rohrgittern geſchloſſen, und die Gärten von Lorbeer- und Granatbäumen beſchattet und mit zahlloſen

Blumentöpfen beſeßt. Eine Menge blühender Roſen lachte den Vorüber's

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fahrenden aus den Gitterfenſtern der Gartenmauern entgegen, und Delphine ſprangen ſchnaubend dicht neben dem Kahn über die glatte Fläche empor. Auf beiden Ufern des Bosporus reiht ſich eine Wohnung an die andere, eine Ortſchaft folgt der andern , und die ganze, drei Meilen weite Strede

von Konſtantinopel bis Bujukdere bildet eine fortgeſetzte Stadt aus zier lichen Landhäuſern und großherrlichen Paläſten, aus Fiſcherhütten, Moſcheen, Cafés, alten Schlöſſern und reizenden Kiosken. Wir ſtiegen in Bujukdere ans Land und ſtellten uns unſerem Geſandten vor, welcher uns mit der ausgezeichnetſten Güte und Freundlichkeit empfing, 1

und uns ſogar eine Wohnung in ſeinem reizend gelegenen Hotel einräumte. " Moltke hat urſprünglich die Abſicht, nur etwa drei Wochen in Kons ſtantinopel zu verweilen und dann über Athen und Neapel heimzukehren. Aber als Militär läßt er ſich durch den preußiſchen Geſandten dem allges waltigen Seraskier, dem Oberbefehlshaber der osmaniſchen Heere, Mehmet

Chosref Paſcha vorſtellen, welcher ſeine Gäſte nach türkiſcher Sitte mit Kaffee bewirtete und Pfeifen reichen ließ. Chosref Paſcha führte die Unter haltung munter und ungezwungen durch einen Dolmetſcher, richtete einige

Fragen an Moltke über das preußiſche Landwehrſyſtem , welche zeigten, daß er ſich wohl mit dieſem Gegenſtande beſchäftigt hatte, und rühmte ſehr die Vortrefflichkeit der preußiſchen Heereseinrichtungen. Er ließ alsbald durch die Geſandtſchaft den Hauptmann v. Moltke förmlich auffordern, die Abreiſe zu verſchieben. Dieſer mußte wohl auf das ſchmeichelhafte Anſinnen ein gehen und widerwilligen Herzens ſeinen Reiſegenoſſen allein weiterziehen laſſen . König Friedrich Wilhelm III. gewährte zunächſt eine dreimonatliche Verlängerung des Urlaubs, genehmigte dann, daß Hauptmann v. Moltke, ohne aus dem Verbande des preußiſchen Heeres auszuſcheiden, auf unbes ſtimmte Zeit in den Dienſt der Pforte trete. Zu Anfang des Jahres 1836 wurde Moltke ſodann zum Miralai oder Oberſten ernannt und fortan mit ciner Reihe der wichtigſten militäriſchen Arbeiten betraut, dann an die türkiſch-ägyptiſche Grenze geſchickt, bis nach beinahe vier Jahren die uns glüdliche Schlacht von Niſib Moltfes Thätigkeit im Dienſte der Pforte ein jähes Ende bereitete.

Moltke liebte es ſehr, ſeine Reiſeerlebniſſe und Beobachtungen in Briefen an ſeine Familie oder an Freunde feſtzuhalten ; ſicherlich zunächſt nicht entfernt mit der Abjicht der Veröffentlichung; uin ſo mehr fann er jeiner guten Laune, ab und zu wohl auch einer kleinen Neigung zur Lehr haftigkeit die Zügel ſchießen laſſen. Als er dann heiingekehrt war, benugte er die Zeit der Raſt, um aus dieſen Briefen ſein . Erſtlings- und zugleich ichönſtes Werk zu geſtalten, die „ Briefe über Zuſtände und Begebenheiten

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in der Türkei aus dem Jahre 1835–1839. " Dieſelben erſchienen 1841 zu Berlin bei E. S. Mittler ; es entſpricht durchaus dem beſcheidenen Weſen

des Verfaſſers, daß er ſeinen Namen nicht nannte, ſondern das Werk mit einem empfehlenden Vorwort ſeines vormaligen Lehrers, des gefeierten Geo graphen Prof. Karl Ritter, hinausgehen ließ. Derſelbe hebt hervor, dieſe 1

Briefe enthielten ſoviel ganz neue Beobachtung und friſcheſte Darſtellung von Land und Volk, ſowie des merkwürdig Selbſterlebten, daß ihre Ver öffentlichung nur als eine ſehr erfreuliche Erſcheinung bezeichnet werden könne; er rühmt die ebenſo lebendige als treue und geiſtreiche Auffaſſung 1

und Abſpiegelung nach innen und nach außen, wie dem Verfaſſer eine ſeltene Gelegenheit zu Beobachtungen und Erfahrungen, Entdeđungen und Unternehmungen der mannigfachſten Art geboten geweſen, zumal in den Ländern der Türfen, Turkmenen, Araber und Rurden , am oberen Euphrat

und Tigris. Ritter hebt ferner hervor, daß dieſe Reiſen, weil ſie mit Auf nahme der Gegenden verbunden geweſen , auch für die geographiſche Wiſſen ſchaft gewinnbringend ſeien, wobei er beſonders auf die Beſchiffung des furchtbar wilden und bisher für Europäer unnahbaren Oberlaufes der

beiden Ströme hinweiſt, und ſo empfiehlt der berühmte Geograph die „เ an ſpruchsloſe und gehaltreiche" Schrift des hinter der Namenloſigkeit ver borgenen Verfaſſers angelegentlich. Das Buch erſchien nach der Art jener Zeit in beſcheidenſtem Ges

wande , auf dürftigem Papier, mit ein paar armſeligen Holzſchnitten nach Skizzen des Verfaſſers ; in weiteren Kreiſen hat es kaum Beachtung ge funden, iſt eigentlich erſt, ſeitdem Moltke ein berühmter Mann geworden, bekannt geworden und hat ſeitdem eine Reihe von Auflagen erlebt. Es iſt fürmahr ein prächtiges Buch, deſſen Leſung auch jetzt noch den friſchen Eindruck unmittelbarer Lebenswahrheit macht, denn in der Türkei wandeln ſich die Zuſtände nur unmerklich langſam. Wir freuen uns an dem Ge: danken, daß er, den wir uns als einen furchtbar ernſten, allezeit über die wichtigſten Fragen nachſinnenden Grübler zu denken gewohnt ſind, ſich ſo

lebendig und vergnüglich gehen läßt in der harmloſen Plauderei mit der geliebten Schweſter und mit den Freunden. Wohl merken wir von Zeit zu Zeit , wie dieſes leichte Rankenwert behaglicher Erzählung ſich um ein gebiegenes Gebäude kriegswiſſenſchaftlicher, geographiſcher und geſchichtlicher Kenntnis ſchlingt, aber Moltke thut niemals wichtig damit , ja man errät nur aus gelegentlichen Äußerungen, wie bedeutſam und hochverantwortlich, zumal gegen das Ende hin , ſeine Stellung im türkiſchen Heerweſen iſt. Wir freuen uns an der raſtloſen Thätigkeit des vielverſuchten Mannes, an der Schnellkraft der Entſchließung, dem fühnen Mut, dem raſchen mili

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täriſchen Scharfblic, von denen er, ohne es zu wollen , in ſeinen Aufzeich

nungen Zeugnis giebt; es war doch keine Kleinigkeit, allein mit wenigen Begleitern, wenngleich durch ſeine Stellung geſchügt, doch ein vom Voll bluttürken mißachteter Gjaur, in dieſer unwirtbaren, von halbwilden, raub ſüchtigen Stämmen bewohnten Gebirgseinöde auf und ab zu ziehen , im Dienſte weniger eines fremden Herrn, als der Wiſſenſchaft. Wir freuen uns des ſtrammen deutſchen Ehrgefühls, mit welchem er die in der Türkei

üblichen Geſchenke zurüdweiſt, ja an Stelle derſelben Trinkgelder giebt, zu

großer Überraſchung der Leute , welche den Chriſtenhund für nicht ganz flug im Kopf halten, weil er Geben ſeliger findet als Nehmen ; wir freuen uns der allerwärts in dem Verhältnis zum gemeinen Reitknecht, zum herum

ziehenden Schafhirten, zum verwundeten Feinde ſich offenbarenden Herzens güte und teilnehmenden Menſchlichkeit; wir ſind überraſcht, inmitten der

höchſt treffenden Darſtellungen von Land und Volk zeitweilig faſt dichteriſch belebte, friſche und farbenreiche Schilderungen zu finden, nicht häufig zwar, auch nicht lang , aber darum deſto erfreulicher; wir ſind noch mehr über raſcht, wenn wir zu Zeiten ſehen, wie der ernſthafte Mann doch im Grunde die Welt immer von der guten Seite auffaßt, wie ihm unwillkürlich ab und zu ein wißiges Scherzwort entſchlüpft, in ſeiner trođenen Kürze um 1

ſo unwiderſtehlicher. Kurz, das Buch iſt höchſt erfreulich, vor allem , weil es uns die menſchliche Seite des berühmten Feldherrn in einer Weiſe zeigt, wie wir dieſelbe ſonſt keine Gelegenheit haben zu beobachten. Und wenn wir uns den Mann von Gravelotte und Sedan denken in türkiſcher Klei dung oder den Tſchibuk im Munde oder in der Kinete des türkiſchen Bades, oder auf ſeinem Floß aus aufgeblaſenen Hammelhäuten die Stromſchnellen des Tigris mit Windesſchnelle hinabſauſend, wenn wir dieſen ernſt-heiteren Schilderungen, die jeder künſtleriſchen Abſicht entbehren und doch unmill fürlich Kunſtwerke werden , mit Spannung folgen , ſo müſſen wir immer wieder denken an den Feldmarſchall, der durch ſolche Abenteuerfahrten hart geſchmiedet worden iſt, an die gedankenſchwere Stirn, das tiefe Auge, die hageren, zerarbeiteten Züge jenes Moltke, deſſen Bild jeßt jedes Kind kennt, jenes Moltte, der damals in der Blüte der Manneskraft ſtand und auch

ſpäter als Greis noch manchmal ſich hinüberträumen mochte zu den Cypreſſen hainen des Bosporus, nach den Feigen- und Ölbaumwäldern von Malatia und Nijib, nach den Schwindelpfaden und Schneejochen der Berge an den Euphrat- und Tigrisquellen. Moltkes Briefe aus der Türkei find in ihrer neueſten Geſtalt ein

anderthalb Finger dider hübſcher Großoktavband, und umfaſſende Mitteilungen

aus demſelben ſind hier nicht möglich; wir müſſen uns hier begnügen,

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einige beſonders bezeichnende Stellen hervorzuheben, dieſelben miteinander überſichtlich zu verbinden und etwa durch Stellen ſeiner Briefe zu erweitern . Im übrigen wird jeder Leſer dieſes Buches ſich ſelber den höchſten Genuß bereiten , wenn er Moltkes Briefe aus der Türkei ganz und in ihrer urſprünglichen Faſſung kennen lernt.

über zwei Jahre verweilte Moltke , von einer Anzahl kürzerer oder ausgedehnter Ausflüge abgeſehen, in der Hauptſtadt des türliſchen Reiches. Mit begeiſterten Worten preiſt er die Herrlichkeit der Lage, die maleriſchen Bergreihen tes pielgewundenen Bosporus , an deſſen Ufer er , wenn auch

wohl ſelten genug als harmloſer Spaziergänger, auf und ab wandelt, auf deſſen blauen Fluten er im leichten Rait dahinſchießt. Er ſchildert uns die ungeheuren cypreſſenbewachſenen Totenäder rings um die Stadt mit ihrer großartig- ſchönen Einſamkeit, den Sig bei Kaffee und Tſchibuk unter

den weitäſtigen Platanen von Bujukdere, die Roſengärten der türkiſchen Großen mit dem prachtvollen Blick auf das Meer ; er führt uns durch die vielgewundenen Straßen, durch die Pazare der Hauptſtadt, zum Fiſch- und

Gemüſemarkt, zu den Moſcheen und Waſſerleitungen , in die Häuſer der Türken und Armenier ,1 er ſpricht über Tauben und Hunde, Raucher und Kaffeetrinker, aber auch über die Bauweiſe der Türken und die daraus folgenden zahlreichen Feuersbrünſte, al das mit ſcharfer Beobachtung des Landes und des Volkslebens , zugleich mit freundlicher Duldſainkeit gegen die Auſchauungen einer völlig anders gearteten , in zahlloſen Dingen von den eigenſinnigen Geboten des Korans abhängigen Bevölkerung. Wie fremdartig dem ſtraffen Norddeutſchen dieſes ſchlaffe Gehenlaſſen in kleinen und großen Dingen erſcheinen mag , er verliert nie die gute Laune , hebt gern wieder die löblichen Eigenſchaften des Türfen , ſeine Tierliebe, ſeine aus dem Glauben an ein unabwendbares Geſchic hervorgehende Furcht loſigkeit vor dem Tode hervor. Er ſpricht eingehend über die Lage der Frauen und Sklaven, mit ſtaatsmänniſchem Scharfblick über die damals in Konſtantinopel wütende Peſt und die Mittel zu ihrer Bekämpfung, über den verrotteten Zuſtand der türkiſchen Verwaltung und wie demſelben abzu helfen ſein möchte. Nur ganz gelegentlich gewahren wir , welche Geſchäfte eigentlich den preußiſchen Hauptmann in Konſtantinopel feſthalten. Dieſelben mögen denn nachfolgend kurz zuſammengefaſst werden.

Das Buch iſt, ſeiner Entſtehung entſprechend, in einzelne Abſchnitte gegliedert, die aber als Briefe überſchrieben ſind, obwohl ihr Inhalt , teil weiſe wenigſtens, nur aus mehrjähriger Beobachtung der Landesſitte erwachſen ſein kann. Wenn daher in der Folge ein Vrief erwähnt wird , ſo bezieht ſich dies, ſofern nicht ausdrücklich der Empfänger des Briefes genannt wird,

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auf die Briefe aus der Türkei. Es iſt nur jammerſchade, daß wir an ſo

vielen reizenden Stellen ſchweigend vorübergehen müſſen. ,, Der Seraskier läßt mich ," ſchreibt Moltke am 4. Januar 1836, alle Woche ein paarmal rufen ; da die Türken aber jeßt den Faſtenmonat Ramaſan feiern , wo alle Geſchäfte des Tages über ruhen , ſo finden die Beſuche des Nachts ſtatt. Das zehnruderige Rait des Seraskiers erwartet mich zu Galata, und am jenſeitigen Ufer des Hafens finde ich zwei Pferde. Il

Ebenſo geht es zurük. Voraus ſchreitet ein Rawaß oder Polizeiſoldat, der mit ſeinem langen Stock unbarmherzig auf alles loschlägt, was nicht

aus dem Wege geht. Dann folgt der Imrachor oder Stallmeiſter des Paſchas und zwei Fadelträger zu Fuß; dann ich auf einem ſchönen türkiſchen Hengſt mit Tigerdecken und goldenen Zügeln, begleitet von dem Dolmetſcher. Die hohen Kuppeln und Minarehs erglänzen vom rötlichen Schein der fladernden Fackeln. Der Sturin fegt die Funken an die ſchneebedeckten Dächer, und die Wachen präſentieren vor dem Gjaur oder dem Schimmel des Seraskiers. Der Rawaß hat die Verbindlichkeit, mich vor der Thür des Geſandtſchaftshotels abzuliefern, damit ich dem Seraskier nicht abhanden /

komine."

Chosref Paſda quartierte Moltke zunächſt ein in das Haus des Armeniers Mardiraki , welcher des Seraskiers erſter Dolmetſcher war, zu Arnaut-fjöi mit ſchönſtem Blick auf den Bosporus , der ſo hart , an dem Hauſe vorbeiſtrömte, daß bei Sturmwetter die Schiffe mit ihren Maſteit wohl die Fenſter des Hauſes einſtießen. Moltke hatte die Aufgabe über

nommen, mit Hilfe des Dolmetſchers eine Überſetzung zu liefern, 8. h. eine ausführliche Denkſchrift über die Neuordnung des türkiſchen Heerweſens,

1

ſowie über die Einführung der preußiſchen Landwehrordnung. Moltke ſchrieb

dieſelbe in franzöſiſcher Sprache, worauf der Dolmetſcher ſie ins Türs fiſche übertrug.

Moltke ſelbſt behandelt in ſeinen Berichten dieſe hochwichtigen Arbeiten faſt nur in ſcherzendem Tone. „ Obſchon wir die Weiſung haben , ſehr

fleißig zu ſein, ſo thun wir doch eigentlich alles andere als überſeßen. Wenn ich dem kleinen Martin vorſchlage eine Pfeife zu rauchen oder Trik

trať zu ſpielen, ſo iſt er allezeit zu haben , ſpreche ich aber von der Übers 1 ſeßung, ſo hat er dringende Abhaltung.

Es mag wohl nicht ſo ſchlinım

geweſen ſein mit der orientaliſchen Faulheit , zu welcher ein Moltke allem Anſchein nach nicht der rechte Mann war.

Der geſtrenge Miniſter findet die Arbeiten unſeres Freundes vors trefflich , denn derſelbe ſchreibt der Mutter am 9. Februar 1836 : „ Der Seraskier iſt ſo wohl zufrieden mit einigen kleinen Arbeiten geweſen, daß

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er mir geſtern eine Tabatiere mit Brillanten überreicht hat, die, glaube ich, wohl 100 Louisdor wert iſt und meine ganzen bisherigen Neiſekoſten deckt. Außerdem hat er ein Pferd aus ſeinem Stall mit ſchöner Zäumung und rotem Sammetſattel zu meiner Dispoſition geſtellt, welches im Stall des Grafen Königsmark*) in Pera ſteht, und mit dem ich jetzt die Gegend durchſtreife. Ein Seis iſt zur Wartung desſelben beſtimmt und ein Kawaß mit Handſchar, Yatagan und geladenen Piſtolen ſpaziert vor mir einher, wo ich in Konſtantinopel gehe, ſo daß ich ihn kaum loswerden kann. " Sobald die Denkſchrift vollendet, der Urlaub angekommen und Moltke für unbeſtimmte Zeit in den Dienſt der hohen Pforte eingetreten iſt, finden

wir ihn von dem Armenier gelöſt, in dem reizenden Bujukdere wohnend, 3

mit anderen Dingen beſchäftigt. Er beſichtigt die Feſtungswerke der Dar

danellenſtraße, nimmt den Plan derſelben und der Ufer auf, leitet einen Schießverſuch mit den mächtigen Kanonen ; er macht mit Halil Paſcha, bem Großmeiſter der Artillerie, einen Ausflug nach Varna am Schwarzen

Meere zur Beſichtigung der dort neugebauten Feſtungswerke. Eine Brücke iſt über das goldene Horn gebaut worden, und Chosref Paſcha erteilt Moltke den Auftrag, die zweckmäßigſte Richtung einer Straße zu ermitteln, welche

nach dem Seraskierat geführt werden ſoll, eine leichte Aufgabe in der Türkei, denn Läden und Gartenmauern , Häuſer und Cafés , alles wird unbarms herzig weggeriſſen. „Ich bin ,“ ſchreibt er am 27. September 1836, ,, dieſen Augenblic ſehr 11

beſchäftigt mit einer Arbeit, die mir zugleich viel Vergnügen macht, nämlich mit der Aufnahme des Terrains zu beiden Seiten des Bosporus ; es giebt dabei viele Berge zu erklettern, aber die Mühe wird durch die wunders ſchönen Ausſichten belohnt; auch iſt es wohl das erſte Mal, daß ein Franke ſeinen Meßtiſch in den Höfen des Serais aufſtellt. Wir haben einen herrlichen Herbſt, und die feuchte Seeluft hält alle Bäume und Pflanzen grün, obwohl es ſeit vier Monaten nicht geregnet hat. Frühmorgens ſtehe ich auf und laſſe mich gleich ins Meer hinabgleiten ; nach dem köſtlichen Bade trinke ich meinen Kaffee und trete mein Tagewerk an , entweder in einer Schaluppe mit Segeln oder im ſchnellen Ruderfahrzeug, oder land wärts zu Pferde. Die tägliche Arbeit dauert neun bis zehn Stunden, und abends finde ich mein Diner vortrefflich. Ich habe eine offene Ordre in türkiſcher Sprache, welche. mich ermächtigt, in alle Feſtungen und Batterien einzutreten und ſoviel Soldaten, wie ich will, zur Begleitung mitzunehmen." Eine andere Aufgabe Moltkes beſtand darin, von der Hauptſtadt ſelbſt 1

*) Des preußiſchen Geſandten.

Buchner , Moltte.

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einen Plan aufzunehmen , ſowie Vorſchläge zur Wiederherſtellung der Bes

feſtigungen derſelben und reichlicheren Verſorgung mit Trinkwaſſer zu machen. ,11 Ich habe," ſchreibt er an 22. Februar 1837, „ſoeben meine Aufnahme von Konſtantinopel beendet ; gewiß in keiner andern Hauptſtadt hätte ich ſo

unbeläſtigt wie hier in den Straßen arbeiten können. Harta ! eine Karte ! meinten die Türken , und gingen ruhig weiter , als ob ſie ſagen wollten : wir verſtehen einmal doch nichts davon. Zuweilen paſſierte ich auch mit meiner Meßtiſchplatte für einen „ Moalibidſchi““ oder einen Mann, der Süßigkeiten auf einer weißen Scheibe in den Straßen zum Verkauf herums trägt , und als ſolchen ſuchten die Kinder Freundſchaft mit mir zu machen. Am neugierigſten ſind die Frauen, nämlich hier in der Türkei; dieſe wolten durchaus wiſſen , was auf dem Papier ſtände , wozu der Padiſchah das brauchte, da er ja ſchon hier geweſen , ob ich nicht türkiſch ſpräche oder wenigſtens römiſch (d. h. griechiſch). Da meine Bebedungstruppe dies ver neinte, ſo betrachteten ſie mich wie eine Art Halbwilden, mit dem man ſich nur durch Zeichen verſtändigen könne. Großes Vergnügen machte es ihnen , wenn man ſie abzeichnete; nun iſt nichts leichter als das : ein großer weißer 1

Schleier, aus dem zwei ſchwarze Augen, ein Endchen Naſe und breite zu ſammenſtoßende Augenbrauen Ferausſcheinen , hätte ich eine Lithographie davon gehabt , ſo hätte ich es jeder einzelnen als ihr Porträt überreichen können, und alle würden es ſehr ähnlich gefunden haben. Etwas zudring licher als die Türken waren die Griechen und Juden , aber ein bloßes Jassak dir es iſt verboten von meinem Tſchauſch (Unteroffizier)

war genug, um ſie wie einen Schwarm von Sperlingen zu verſcheuchen. In der letzten Zeit freilich mußte ich das Terrain unter dem Schnee hervor ſuchen, aber außerordentlich bleibt es immer, bis Anfang Januar ſo ununter brochen ſchönes, warmes Wetter gehabt zu haben , daß man mit dem Meß tiſch im Freien arbeiten konnte. Jetzt brechen die Frühlingsſtürme über uns herein , der Weißdorn, der Kirſch- und Mandelbaum ſteht in Blüte, die Krokos und Primeln drängen ſich aus der Erde hervor, und ich würde Dir gern ein konſtantinopolitaniſches Veilchen ſchiden , wenn ſelbiges nicht an der Grenze von kaiſerlich königlichen Sanitätsbehörden als peſtfangender Gegenſtand inhaftiert werden würde." Aus dieſen Mitteilungen Moltkes über ſeine Arbeiten wird deutlich offenbar, daß der Großherr dem preußiſchen Hauptmann ein unbegrenztes Vertrauen ſchenkte. Vor ihm thun ſich die Thore der Feſtungswerke auf, die Ronſtantinopel im Süden und Norden deden , er nimmt den erſten

Plan der Reichshauptſtadt auf. Zwiſchen dieſe Arbeit hinein fallen, wohl nur um das Land kennen zu lernen, Ausflüge nach Bruſſa und dem aſia

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tiſchen Olymp , nach Smyrna, nach Troja ; die hohe Vertrauensſtellung, deren Moltke genoß, ſpricht ſich auch aus in den Aufmerkſamkeiten, die ihm von

den Großwürdenträgern des Reiches, ja von Sultan Mahmud ſelbſt, erwieſen werden ; als im Mai 1836 der Großherr den Geſandten der euro 1

päiſchen Mächte zur Feier der Vermählung ſeiner Tochter ein prachtvolles

Feſt gab, war auch Moltke geladen. Daß man mit Moltkes Leiſtungen ſehr zufrieden war, geht auch daraus hervor, daß ſchon im Frühling 1836 die Pforte ſich vom König noch einige preußiſche Offiziere ausbittet; es kommen ihrer auch, allerdings erſt Herbſt 1837 , noch vier. Moltke ſelbſt wäre gern nach ihrer Ankunft heimgekehrt ; aber er erhält Eingang 1837 von Berlin die Weiſung, auch weiterhin in Konſtantinopel zu bleiben, und er fügt ſich mit dem Troſte, daß man in Berlin mit ihm zufrieden und ſein Verbleiben in der Türkei für ſeinen Geldbeutel ſehr vorteilhaft iſt. Zum Abſchluß dieſer Verhandlungen beruft ihn im Januar 1837 Sultan Mahmud ſelbſt zur Audienz und erteilt ihm ſeine Ordensaus zeichnung, den Niſchan. Moltke berichtet darüber : „Um zehn Uhr morgens begab ich mich mit dem Dragoman der Ge

ſandtſchaft, der mich auf allen meinen Zügen begleitet hat , in den Ver ſammlungsort der Großmürbenträger des Reichs. Waſſaf- Effendi,, der Ges Heimſchreiber und mächtige Vertraute des Sultans, nimmt hier die Fremden an, welche oft mehrere Stunden zubringen müſſen , um alles mit ihm ge hörig durchzuſprechen, was man dem Großherrn zu wiſſen thun will. Dieſer

Effendi begiebt ſich ſobann zu ſeinem Gebieter, mit welchem die Antworten beraten werden und der dann genügend vorbereitet iſt. Das war mit mir nun nicht nötig , da ich nichts Politiſches vorzubringen hatte. Der Ra pudan -Paſcha , ein äußerſt freundlicher Herr, tam bald hinzu ; es wurden

zahlreiche Pfeifen geraucht, Kaffee getrunken, und um 11 Uhr erhielten wir den Befehl, vor Sr. Hoheit zu erſcheinen.

Man führte mich in einen ſchönen, ſehr geräumigen Kioſk, welcher, über dem Meere erbaut, eine prächtige Ausſicht gewährte. Dort fanden wir einen Schwarm von Rammerherren, Pagen, Sekretären, Militärs und an Deren Beamten des Hofes. Ein ältlicher Gentleman ſagte mir beſonders viel Verbindliches; er hatte entdeckt, daß ich mir ein großes Verdienſt um das land erworben , und ich erfuhr nachher, daß dies Se. Excellenz der 1

Hofnarr des Großherrn ſei. Nach kurzer Friſt traten wir in das Wohn haus. Da etwas Antichambrieren aber unerläßlich iſt, ſtellte man Stühle

für uns auf die mit ſchönen Teppichen belegte Treppe. Nach einigen Minuten wurden wir aufgefordert, worauf Waſſaf- Effendi ſogleich ſeinen Degen ablegte; ich war in Civilkleidern. Die Zimmer, welche mir durch 5*

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ſchritten, ſind weder groß , noch ſehr prachtvoll; ſie ſind nach europäiſcher

Art möbliert, man ſieht da Stühle, Tiſche, Spiegel, Kronleuchter, ja ſogar

Öfen, alles wie man es bei einem wohlhabenden Privatmann in unſeren Städten auch findet.

„, Nachdem der Teppich von einer Seitenthür weggezogen, erblicten wir

den Großherrn in einem Lehnſeſſel. Nach üblicher Weiſe machte ich ihm drei tiefe Verbeugungen und trat dann bis an die Thür zurück. Se. kaiſ. Majeſtät trug die rote Mütze und einen weiten violetten Tuchmantel oder vielmehr einen Mantelkragen ,1 welcher ſeine ganze Geſtalt verſteckte, und 2

der durch eine Diamant-Ugraffe zuſammengehalten ward. Der Sultan rauchte eine lange Pfeife von Jasminrohr, die Bernſteinſpiße mit ſchönen Juwelen beſetzt. Sein Stuhl ſtand neben dem langen Divan, der ſich hier immer unter den Fenſtern befindet.

Mit einem Blide links tonnten Se.

Hoheit den ſchönſten Teil ſeines Reiches, die Hauptſtadt, die Flotte, das

Meer und die aſiatiſchen Berge überſchaụen. Rechts vom Großherrn bis zur Thür, durch die ich eingetreten , ſtanden ſechs oder ſieben ſeiner Hof 1

beamten in tiefem Schweigen und in ehrfurchtsvoller Stellung, die Hände porn über den Leib gekreuzt. Ein ſchöner franzöſiſcher Teppich bedeckte den Fußboden , und in der Mitte des Zimmers glimmte ein Kohlenfeuer in einem prachtvollen Bronze-Mangal. Der Großherr äußerte ſich zuerſt anertennend und dankbar über die

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vielen Beweiſe von Freundſchaft, welche er von unſerm König empfangen, und ſprach ſich ſehr günſtig über preußiſches Militär im allgemeinen aus. Sobald Se. Majeſtät geendet, blickten alle Anweſenden ſich mit dem Aus drude der Bewunderung und Eeiſtimmung an , und der Inhalt wurde mir von einem Dragoman wiedergegeben. Ta ich hierauf nichts zu ſagen

hatte, ſo begnügte ich mich mit einer Verbeugung. Se. Hoheit geruhten hierauf mit mir von meinen Arbeiten zu ſprechen, ging in mehrere Details ein und ſeşte hinzu, daß ich ihm inschalla , ſo Gott will, noch fernere

Dienſte leiſten ſolle. Indem er ſeine Zufriedenheit äußerte, ließ er mir durch Waſſaf-Effendi ſeinen Orden überreichen. Nachdem ich dieſen auf übliche Weiſe , ohne das Etui zu öffnen , an Bruſt und Stirn erhoben,

rief der Großherr : Zeigt ihm ihn, und fragt ihn, ob er ihm gefällt, worauf dann der Niſchan mir feierlichſt um den Hals gebunden wurde. Sodann

erhielt mein Dragoman ebenfalls eine Dekoration geringerer Art mit dem Vermert, weil er mir bei meinen Arbeiten beigeſtanden , und wir waren 1

entlaſſen .“

Dazwiſchen ein Zug , der für das Weſen des Mannes durchaus be

zeichnend iſt. Im Spätjahr 1836 fällt Moltkes bisher allmächtiger Gönner

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Chosref Paſcha in Ungnade und zieht ſich auf ſeinen Landſitz am Bosporus zurück, wo er in tiefſter Einſamkeit lebt, von jedermann gemieden. Mir,

ſagt Moltke, war es gleichgültig, ob die neuen Machthaber es gerne ſahen oder nicht, und ſo bin ich auch nach ſeinem Sturze ſchon mehrmals zu ihm gefahren. Wir beſißen aus dieſer Zeit ein reizendes Selbſtbildnis Moltkes, das er der Mutter ſchickte. Wir ſehen ihn in ſeinem luftigen Kiosk von Bujut dere, durch deſſen große Fenſter der Bosporus mit ſeinen Schiffen herein

ſchaut. Moltke ſelbſt, eine merkwürdig ſchmächtige Geſtalt, ſieht in dem altmodiſchen Civilroc und der hohen Halsbinde etwas wunderlich aus ; er hat buſchiges Haar und einen Schnurrbart. Ende Mai 1837, als Moltke 1

gerade durch die Roſengärten des Balkan ritt, ſtarb die treffliche Frau, an welcher Helmut treu und dankbar gehangen . Der Großherr hielt es nämlich für zweckmäßig, einmal perſönlich nach

der am meiſten gefährdeten Donau- und Balkangrenze zu ſchauen , und Moltke erhielt den Befehl, den Sultan auf dieſer Reiſe zu begleiten ; um nicht als Franke anſtößig aufzufallen , hatte Moltke die rote Müße und einen türkiſchen Anzug angelegt , die ihm der Großherr zugeſchickt. Die ganze Geſellſchaft begab ſich an Bord einer bei Bujufdere liegenden kaiſers lichen Fregatte, und Moltke bekam einen Platz zwiſchen den Paſchas und Oberſten angewieſen. „Seine Hoheit ſchickte den Kapudan -Paſcha ab, um mir ſagen zu laſſen, daß das Wetter gut ſei, und dieſer brachte glück lich ein parfaitement bon le temps heraus. Dies war eine bes ſondere Gnade und Auszeichnung , welche ſpäter noch erhöht wurde , als der Kaiſer die Bemerkung machte, daß mein roter Fez ſehr kleidſam ſei, eine Behauptung, init ber ich bisher durchaus nicht einverſtanden war. " 1

Mit geſchwellten Segeln fährt die ſtolze Fregatte durch den Bosporus hinaus ins Schwarze Meer , von einem Sturm ungaſſlich empfangen ; doch wird ſie glüdlich von zwei Dampfſchiffen in den Hafen von Varna gea

ſchleppt. Von da geht die Reiſe zu Lande weiter nach Schumla , zwar in beſcheidenſter Einfachheit, aber immer ein Zug von 800 Pferden, was ſich erklärt, da Moltke allein einen Dolmetſcher, einen Dberſten und drei junge Türken von der Ingenieurſchule zu Begleitern hat, dazu drei Diener, zwei

vierſpännige Wagen, ſieben Handpferde, zwei Maultiere, vier Rutſcher und einige Pferdejungen. Natürlich iſt das Gefolge des Großherrn entſprechend ausgeſtattet.

In Siliſtria muß Moltke in aller Geſchwindigkeit einen Plan der

Feſtung aufnehmen ; dann geht es nad Ruſtſchuť, und von da auf dem ſelben Weg, den er vor anderthalb Jahren im Winter durchmeſſen, ſüd

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plu.&

Moltte zu Bujutdere

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wärts über den Balkan. Voraus in ſechsſpännigem Wagen der Großherr,

dann ſein nächſtes Gefolge, die Paſchas und Offiziere, unter ihnen auch Moltke. Mit Begeiſterung ſchildert er die Herrlichkeit der Roſengarten von Raſanlik ; mit cinem mächtigen Roſenſtrauß in der Hand , türkiſch ges kleidet, reitet er hinter dem Wagen des Sultans ; einen Tag lang hat er cine Flaſche Roſenöl in der Taſche getragen und duftet nun acht Tage wie ein Roſenſtod. Um 6. Juni trafen die Reiſenden wieder in Konſtantinopel ein. Im September 1837 erſcheinen dann die gewünſchten drei Hauptleute vom preußiſchen Generalſtab, v. Vince-Olbendorf, Fiſcher und von Mühl bach, zu denen ſpäter noch ein vierter, Hauptmann Laue , als Freiwilliger

kam . Die vier Preußen empfingen alsbald die Weiſung zu einer Reiſe nach der unteren Donau, vornehmlich um zu ermitteln, ob nicht am Süds rande der Dobrudſcha, des troſtloſen Steppenlandes am rechten Ufer der Donaumündung, ſich ein ſchiffbarer Kanal führen laſſe; das Unternehmen erwies ſich als nicht oder nur mit unerſchwinglichen Koſten ausführbar. Fünf Jahre dauerte ſchon der bewaffnete Friede an der türkiſch ägyptiſchen Grenze. Der Großherr hatte gefunden , daß die preußiſchen 1

Hauptleute kundige und zuverläſſige Leute ſeien, und ſo lag der Gedanke nahe, die Hälfte der vier Preußen nach dem Schauplatze des bevorſtehenden

Krieges als Ratgeber zu ſchicken. Es war dazu Helmut von Moltke nebſt dem Hauptmann vom Ingenieurcorps von Mühlbach außerſehen ; von Vince und Fiſcher wurden der bei Roniah im Herzen von Kleinaſien ſtehenden Armee zugeteilt. Moltke wurde Eingang März 1838 mit Mühlbach zur

Abſchiedsaudienz bei Sultan Mahmud befohlen ; es war die vierte. Beide erſchienen in türkiſcher Kleidung und mußten deshalb im Vorgemach die Waffen ablegen ; der Großherr war ſehr huldvoll und ſchenkte jedem der

beiden Offiziere einen Paſchafäbel mit ſchöner Damascenerklinge. Moltke ſah ben ihm ſo gnädigen, in der Weltgeſchichte mit ſo blutiger Schrift der: zeichneten Mann nicht wieder.

Ehe wir nun in unſerer Erzählung weiterfahren, erſcheint es zweck mäßig, einen Blick auf die Karte des Landes zu werfen, in welchemn Moltke die nächſten anderthalb Jahre zubringen ſollte. Heutzutage führt eine Eiſen bahn bis ins Herz von Kleinajien ; vor fünfzig Jahren lag ſchon Kon ſtantinopel dem Weſteuropäer weltfern, geſchweige denn das Land an den Euphrat- und Tigrisquellen. Von Norden her beſpült durch das Schwarze Meer, im Weſten und Süden umſchloſſen durch das Mittelmeer, ſtreckt ſich Kleinaſien als eine

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gewaltige Halbinſel von länglich vierediger Geſtalt von Oſten nach Weſten, im Oſten ſich anſchließend an den mächtigen Gebirgsſtock von Armenien. Von demſelben ſtürzen zwei reißende Ströme nach Süden hinab, näher dem Mittelmeer der Euphrat, öſtlicher der Tigris, deſſen Quellen wenige Meilen von der Stelle entſpringen, wo der Euphrat, aus zwei wilden Bergwaſſern

zuſammenrinnend, bereits ein anſehnlicher Fluß iſt. Zwiſchen den beiden 1

Zwillingsſtrömen liegt das flache ſteinige Steppenland von Meſopotamien, Dîcheſireh oder die Inſel von den Türken genannt. Von dem Hochland

Armenien aus laufen zwei gewaltige vielgeteilte Bergketten nach Weſten , die eine am ſchwarzen Meer hinſtreichend, die andere an der Südküſte

Kleinaſiens ; dieſe legtere Bergkette erhebt ſich bis zu 3500 Metern am Meerbuſen von Standerun , da wo die Küſte von Syrien nach Süden ab biegt; die Bergpäſſe, welche hier über den Taurus führen, ſind die Ein

gangsthore Kleinajiens von Syrien her. Zwiſchen den beiden Randgebirgen erſtreďt ſich ein weites, 1000—1200 Meter hohes Tafelland, quer durch ſegt von vereinzelten Bergzügen und Berggruppen ; in tief eingeſchnittenen Thälern mit Steilrändern ſtürzen die Flüſſe dieſes weiten Hochlandes dem Meere zu. Auf den Bergſpißen und Hochflächen liegen noch tief ins Jahr

hinein gewaltige Schneemaſſen ; an den Südhängen und in geſchüßten Ein ſenkungen erfreut die volle Herrlichkeit ſüdlichen Pflanzenwuchſes, aber alles damals und wohl noch iegt verkommen unter dem laſtenden Drucke der türkiſchen Paſchawirtſchaft. Die Städte klägliche Lehmneſter zwiſchen den Trümmern altrömiſcher Mauern und Gebäude; in den Bergen ziehen mit ihren Herden die Stämme der Kurden und Turkmenen umher, je nach

Laune und Gelegenheit gutartig und gaſtfrei gegen den Fremdling , oder auch bösartige Räuber; das Grenzland dem Namen nach dem Padiſchah

unterworfen , aber auf den ſteilen Höhen die Schlöſſer kurdiſcher Häupt linge, welche aus dem Stegreife leben wie die Raubritter des Mittelalters

und nichts nach dein fernen Herrn fragen ; in der meſopotamiſchen Steppe Yerumwandernde Araberhorden, Viehhirten und Räuber. Kaum gebahnte Wege im Gebirgsland, oft nur entſeßlich ſteile und enge Saumpfade ; die

wütenden Bergſtröme ohne Brüđen. In dieſes teils wunderſchöne, teils unwirtbare Land zogen die beiden preußiſchen Offiziere hinaus, dem Groß:

herrn im Kriege gegen ſeinen unbotmäßigen Unterthan beizuſtehen als Rat geber des Feldherrn. Die Aufgabe war weder beſonders angenehm noch beſonders leicht, ,, den alten , etwas eingeroſteten Krummſäbel, ſo gut es gehen wil, alla franca anzuſchleifen, für den Fall, daß er gebraucht würde.“ So fährt denn in der erſten Märzwoche 1838 unſer Freund mit dem 1

.

öſterreichiſchen Dampfer Metternich die Nordfüſte Kleinaſiens entlang nach

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Oſten. Von Samſun ziehen die beiden Preußen zu Roſſe weiter, eine Karawane von 30 Pferden, über hohe Berge , durch tiefe Thäler, in ge

waltigen Tagereiſen ſüdwärts nach Tokat und Sivas. Von da tagelang durch tiefen Schnee über die Hochfläche und das Mittelgebirg von Klein aſien. Karput, das Hauptquartier des türkiſchen Grenzheeres, liegt nicht weit von der Vereinigung der beiden Quellflüſſe des Euphrat ; Moltke oder, wie ihn fortan die Türken nannten , Baron Bey , ward mit ſeinem Freunde von dem kommandierenden General Hafis Paſcha aufs beſte em

pfangen , jeder ſofort mit zwei prächtigen arabiſchen Hengſten beſchenkt. Hafis Paſcha gab zunächſt Moltke den Auftrag, die verſchiedenen Heer

lager an der Grenze zu bereiſen und über den gefundenen Sachenſtand Bericht zu erſtatten. So macht ſich denn nach wenigen Tagen der Raſt von dem anſtrengendem Ritt Moltke am 23. März mit kleinem Gefolge weſtwärts auf nach Malatia und Maraſch, dann wieder oſtwärts nad) Samſat, dem alten Samoſata, bald zu Roß, bald zu Maultier, bald auf entſeglichen Schwindelpfaden, bald in anmutigem Thal, bald durch Sdinee, bald zwiſchen grünen Wieſen und blühenden Mandelbäumen , vorbei an uralten Feljeninſchriften in Reils und griechiſcher Schrift, Zeugen einer

längſt verſunkenen Kultur. Dann wieder den Euphrat abwärts bis zu deſſen weſtlichſtem Punkte, mo fich Rumkaleh, das Römerſchloß, Zeugma von den Griechen genannt , erhebt, eine wie aus dem Felſen gehauene I

Feſtung. ,,Uns ," ſchreibt er geht es im allgemeinen nicht ſo beſchwerlich wie nicht gehabt, ſo würde

in dieſen Tagen an Hauptmann Fiſcher in Bera, gut , und das Reiſen iſt hier in Natolien lange in Rumelien. Hätte ich aber Shren Champagner ich unſeren dicken Divan - Effendi nimmermehr ſo

ſchnell von Samſun nach Karput gelotſet haben ; ich ließ ihn immer ein Gümüſchbaſchi oder einen Silberkopf in Perſpektive ſehen , wenn er fleißig geritten und wir das Nachtquartier erreicht haben würden. „ In einer ſternhellen Nacht ſtand ich auf den Trümmern des alten

Römerſchloſſes Zeugma. Der Euphrat glißerte tief unten in einer felſigen Schlucht, und ſein Rauſchen erfüllte die Stille des Abends. Da ſchritten Cyrus und Alexander , Xenophon, Cäſar und Julian im Mondenſchein

vorüber ; von dieſem ſelben Punkte hatten ſie das Reich des Chosroes jenſeits des Stromes geſehen und geradeſo geſehen, denn die Natur iſt hier von Stein und ändert ſich nicht. Da beſchloß ich dem Andenken des großen Römervolkes die goldenen Trauben zu opfern , die ſie zuerſt nach Galien gebracht und die ich von ihres weiten Neidhes weſtlicher Grenze bis zur öſtlichen getragen. Ich ſchleuderte die Flaſche von der Höhe hinab, ſie tauchte, tanzte und glitt 1

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den Strom entlang, dem indiſchen Weltincere zu. Sie vermuten aber ſehr

richtig, daß ich ſie vorher geleert hatte ; ich ſtand da wie. der alte Zecher, trant letzte Lebensglut und warf den heiligen Becher hinunter in die Flut.

Ich ſah ihn ſtürzen , trinken des Euphrats gelbe Flut, die Augen thäten mir ſinfen

Ich trank nie einen Tropfen mehr.

Die Flaſche hatte einen Fehler gehabt ; ſie war die regte geweſen. Schon bei dieſem erſten Beſuch erkennt Moltke die wichtigkeit der Felſenfeſte Biradſchik, einige Meilen ſüdwärts von Rumkaleh, am Anfang des ſchiffbaren Mittellaufes des Euphrat. Von Biradſchik zieht ſich eine ſchlechte, aber fahrbare Straße durch die Steinwüſte des oberen Meſopotamiens nach Drfa , bem alten Edeſſa, einer großen und ſchönen Stadt. Von da ab nordoſtwärts bis Diarbelir eine traurige Einöde, auf vierzig Stunden nur vier bewohnte Dörfer, wenige Brunnen. So ritt ich denn bis in die Nacht bei hellem Monds ſchein durch dieſe Einöde. Selten begegnete man einem Trupp Reiter mit ihren langen Lanzen und wechſelte den Gruß Selam aleikom ! -- Aleikom II

selam ! Hin und wieder ſah man eine Kamelherde, die ihr Futter mühjam zwiſchen den Steinen aufſuchte und die ſchwarzen Zelte der Hirten daneben . Der Reitknecht ſang dasſelbe Lied, deſſen Refrain Aman ! Aman ! (Er barmen ! Erbarmen !) nach derſelben eintönigen Weiſe , die an der Donau und am Euphrat erklingt, und mir war es manchmal, als müßte ich aus einem Schlummer erwachen, in welchem mir geträumt, in Meſopotamien zu ſein ! “ .

Bei Diarbekir ſteigt Moltke in das Thal des Tigris hinab und ſchickt ſich an , den Fluß auf die landesübliche Weiſe hinabzufahren nach Moſſul. Er erzählt:

Am 15. April ſetten v. Mühlbach und ich uns mit zwei wohl

bewaffneten Agas des Paſchas, unſeren Dragomans und Bedienten auf ein Fahrzeug , welches ſo konſtruiert war , wie man es ſchon zu Cyrus Zeiten verſtand, auf ein Floß nämlich von aufgeblaſenen Hammelhäuten. Tie Türfen halten die Jagd für unrecht, verſchmähen das Wild und ver achten das Rindfleiſch, dagegen verzehren ſie eine große Menge von Schafen

und Ziegen ; die Häute dieſer Tiere werden ſo wenig wie möglich vorn an der Bruſt zerſchnitten und ſorgfältig abgezogen, dann zuſammengenäht und die Ertremitäten zugebunden. Wird nun der Sdílauch aufgeblaſen, was

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idhnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu bringen geſchieht, ſo hat er eine große Tragfähigkeit und kann faſt nicht zugrunde gehen ; 40 bis 60 werden dann unter ein leichtes Gerüſte von Baumzweigen in vier oder

fünf Reihen ſo zuſammengebunden , daß das Floß vorn etwa 8 , hinten 18 Schläuche breit iſt; darüber wird etwas Laub , dann eine Matte und

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aufgerummen während der Belagerung Mai -1838 don o Molll Hangunan im Omeralstab. 2000 Arschinen Puno

130

1000

Joo

Phwlolith.d . litt. Anst.n.C.L.Kello ;Berlin 1

Plan von Sayt -Bey -Raleſſt.

Teppiche gebreitet, und ſo fährt man ganz gemütlich den Fluß2 . hinab .

Bei der Schnelligkeit der Strömung ſind die Ruder nicht nötig um vor wärts zu kommen, ſondern nur um das Fahrzeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu erhalten und gefährliche Wirbel zu vermeiden. Obwohl wir

dieſer Stellen wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes liegen bleiben mußten , ſo machten wir doch den 88 Stunden weiten Weg in vierthalb Tagen ."

76

yoSaBerg

Kalasse

Kaless Beyi. Sayd Helmuth Moltke. von. Mai 1838v im gez

rain

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So fahren ſie denn den vielgewundenen Tigris hinab, zwiſchen hohen

ſteilen Felſen, auf deren Gipfeln die Trümmer zahlreicher Städte und Burgen alter Zeit, römiſcher, perſiſcher, genueſiſcher, ſich erheben ; nur ſelten ein armes Dorf ; überall wilde einſame Schönheit der Landſchaft. Freilich hat die uralte landesübliche Weiſe der Stromfahrt auf einem

ſolchen Schlauchfloß ihre Unannehmlichkeiten ; bei jeder Stromſchnelle oder Stromenge ſchießt das biegſame Fahrzeug wie ein Pfeil in die Tiefe, zwar um ſich ſofort wieder zu erheben , aber den Inſaſſen geht eine hohe Welle

eiſigen Waſſers über die Köpfe weg , durchnäßt ſie völlig, ſchwemmt, was nicht ſorgſam befeſtigt iſt, hinweg. Nach einem ſolchen Abenteuer ſieht ſich Moltke genötigt, auf einer wüſten Inſel zu landen ; alle ziehen ſich aus, bis die Kleider an der Sonne getrocknet ſind; beinahe aber ſchwimmt ihnen unterdes das Floß felbſt von dannen. Am Abend des vierten Reiſetages erreichten ſie Moſſul, den öſtlichſten

und zugleich füdlichſten Punkt, bis zu welchem Moltke vordrang. Der Statthalter von Moſſul empfing die beiden Preußen mit der größten Auszeichnung und giebt ihnen Pferde und Mauleſel für den Rück weg durch die Wüſte, wobei ſie ſich einer eben abgehenden Karawane an ſchließen . Bei der Ankunft im Dorfe Tillaja vernimmt Moltke , daß am Morgen von hier eine Heeresabteilung nordmärts abgegangen ſei, um gegen

einen unbotmäßigen Kurdenhäuptling einen Feldzug zu unternehmen . Moltke verläßt ſofort die Karawane und reitet nach, um einnial wirklich kriegeriſche Abenteuer zu erleben ; es war Eingang Mai 1838. Auf dem linken Tigrisufer, im ſchroffen Hochgebirge, lag die Feſte !

des Kurdenhäuptlings Sayd-Bey auf einer tauſend Fuß aufſteigenden faſt ſenkrechten Klippe , an deren Abhängen ein einziger ſchmaler Saumpfad in endloſen Windungen zu den Mauern hinaufſtieg. Nur auf einer Seite

hing der Berg mit den rückwärts liegenden Höhen durch einen ſchmalen Felsgrat zuſammen ; ſonſt ringsum tiefe Schlünde, die jede Annäherung verboten ; die zu beiden Seiten aufſteigenden beherrſchenden Berge ſo ſchroff, daß die Errichtung einer Batterie dort kaum denkbar erſchien. Von kurdiſchen Führern begleitet , reitet Moltke voraus, durchſtreift die Berge und wählt, noch ehe Mehmed Paſcha mit der Hauptſchar erſcheint,

die Stellungen. Vor jedes Geſchüß wird ein halbes Batailon geſpannt; andere gehen voraus 1, hauen Bäume um , wälzen Steine aus dem Weg ;

nach ſechsſtündiger Arbeit iſt die Mörſerbatterie auf der einen Seite auf geſtellt, und am Abend, nach ähnlich mühſamer Kletterei das Belagerungs geſchüß weſtlich vom Schloſſe. Zwei Tage donnern die Kanonen gegen die unnahbare Feſte; als aber Moltke mit ſeinen Kurden bei Nachtzeit ſich

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über den Felsgrat bis an die Mauer ſchleicht und Anſtalt macht, in die ſelbe durch eine Minc Breſche zu legen, geht Sayd-Bey in ſich und bietet

Ergebung an. Er reitet von der Burg hinab ins Lager Mehmed Paſchas, nimmt zwiſchen dieſem und Moltke bei Kaffee und Pfeife Plaß, und empfängt Freundſchaft. Die Feſte wird angezündet und ſtürzt in Trümmer. Wir dürfen Hreiſt annehmen, daß es nur Moltkes kundigem Rat zu danken war, wenn

das Felſenneſt nach fünftägiger Belagerung in den Händen der Türken war. Zwiſchen den Quellflüſſen der beiden Ströme, im wildeſlen Hochgebirge, liegt das Land der Kurden, eines kriegeriſchen Volksſtammes, der ſich mächtig gegen die Zumutung wehrte, dem Großherrn Steuern und Soldaten zu

geben. So ward denn im Juni 1838 ein gemeinſamer Feldzug der benach barten türkiſchen Heeresteile gegen das freiheitsliebende Bergvolk beſchloſſen. Moltke befand ſich unwohl vor Erſchöpfung und mußte den Zug auf einem Mauleſel mitmachen ; dazu ekelte ihn der abſcheuliche Krieg an gegen ein freies und tapferes Volt , welches ſich mit dem Mute der Verzweiflung gegen die Unterdrücker wehrt und von dieſen wieder mit allen Scheußlichs keiten morgenländiſcher Kriegsführung, Plündern und Verbrennen der Dörfer,

Niedermegeln der Flüchtigen, Zuſammentreiben der Weiber und Kinder, Kopf- und Ohrenabſchneiden befämpft wird. Die beiden preußiſchen Offiziere ſuchten dieſem Unweſen nach Kräften zu ſteuern . „ Während meiner Ab weſenheit, “ ſchreibt Moltke, „ hat Mühlbach ſich das große Verdienſt erworben, dem Paſcha freimütig die übeln Folgen vorzuhalten , welche das Syſtem der bezahlten Ohren und Köpfe notwendig haben muß. Vielem Unweſen iſt geſteuert worden .“ Moltke äußert ſich mit bitterem Unwillen über die Willkürlichkeit der Beſteuerung und Steuererhebung, über die Zwangsaus Hebung eines großen Teiles der jungen Männer, der ſich die Kurden durch Gegenwehr oder ſtets wiederholtes Ausreißen zu entziehen ſuchen. Dieſe armen Burſchen nun, auf Lebenszeit den Jhrigen entriſſen, erbärmlich bezahlt, von Haus aus roh, halten ſich dann, weit in der Ferne in den Krieg ge führt, ſchablos durch Grauſamkeiten. So macht Moltke einen zweiten Zug

derart nicht mit; es iſt ein erfreulicher Lichtpunkt in dunkler Umgebung, wenn wir in ſeinem Briefe vom 22. Juni leſen: „ Der Paſcha hat nicht gewollt, daß wir dieſen Zug mitmachen , und ich geſtehe Dir, daß es mir ganz recht war. Um dieſen Krieg brauchſt Du

uns nicht zu beneiben ; er iſt voller Scheußlichkeiten. Nebſt mehreren tauſend Stüđ Vieh kamen an 600 Gefangene an; die Hälfte beſteht aus Weibern und kleinen Kindern. Ein Junge von 6–7 Jahren hatte Schuß wunden, und die Kugel, die hier neben mir liegt , haben wir ihm heraus

gezogen , er wird aber wahrſcheinlich durchkommen. Auch Frauen ſind 1

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verwundet, daß es aber Rinder mit Bajonettſtichen giebt, wirft ein trauriges

Licht auf die ganze Handlung. Geſtern abend um fünf Uhr hatten die Unglüdlichen, von Angſt und durch den langen Marſch erſchöpft, noch keine Krume Brot erhalten ; nur mit Mühe ſchaffen wir für die Soldaten ſelbſt das nötige Mehl herbei, und nun kommt unerwartet Zuwachs von mehreren

hundert Hungrigen. Joh brachte geſtern den ganzen Markt an mich , aber was war da zu holen ? Sechzig Oka Roſinen und etwas Käſe. Meht haben die Leute in den Dörfern ſelbſt nicht, denn unſere Pferde und Mauleſel haben ihren ſchönen Weizen aufgezehrt ; heute war ich ſo glüdlich, ein Viertelzentner Reis aufzutreiben , von dem ich einen koloſſalen Pilaw bereiten ließ. Kinder und Weiber ſtürzten darüber her , die Männer aßen

Baumblätter ; glüdlicherweiſe iſt heute Mehl gekommen , auch geſtern ſpät hat man noch ein wenig Brod aufgetrieben ; die Verpflegung iſt jetzt regel mäßig. Unter ſolchen Umſtänden machen einzelne hübſche Züge doppelte 1

s an von drei oder Freude. Ein Soldat des zweiten Regiments fand ein5 Kind vier Tagen hinter einem Steine ; während die andern ſich mit Beute beladen, trägt er das Würmchen wie eine Amme den weiten , halsbrechenden Weg hierher. Hier angekommen, findet ſich, daß das kleine Weſen weder Vater

noch Mutter mehr hat; ber arme Menſch wußte gar nicht, wie er ſeinen Fund wieder los werden ſollte; eine Frau nahm ſich endlich des Säug lings an, und der Soldat ging auch nicht unbelohnt davon . " Wahrlich, ſolche Züge machen doppelte Freude , nicht zum wenigſten, 1

wenn wir ſehen , wie der preußiſche Hauptmann Mühlbach den perwundeten kurdiſchen Gefangenen die Wunden wäſcht und verbindet, wie der preußiſche Hauptmann Moltke ſich der hungernden Weiber und Kinder annimmt, ihnen Roſinen , Käſe und Pillaw ſchafft. Und wer mag wohl den gutherzigen türkiſchen Soldaten belohnt haben ? Ein Türke gewiß nicht. Im Hochſommer 1838 bekommt Moltke eine neue Aufgabe, nämlich zu ermitteln, ob nicht auch der Euphrat ſich als Waſſerſtraße benußen laſſe; eine Antwort auf dieſe Frage war um ſo wichtiger, weil vorausſichtlid) am Euphrat die Entſcheidung in dem bevorſtehenden Kampfe lag. Bei Palu am Murad, nahe dem Hauptquartier Rarput, wird ein ſtattliches Floß von 60 Hammelſchläuchen gebaut, mit Lebensmitteln wohl ausgeſtattet, mit einem Steuermann und vier Ruderern bemannt, und Moltke beſteigt es am 10. Juli und fährt glücklich hinab nach Samſat, obwohl über 300 Stromſchnellen des Euphrat hintereinander liegen und jeden Augenblick die Waſſerwellen fich über das Floß ergießen , was bei einer Hitze von 40 Grad eine angenehme Erfriſchung iſt. So hat Moltke nachgewieſen,

daß wenigſtens bei mittlerem Waſſerſtand der Euphrat mit Schlauchflößen

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zu befahren ſei ; er ſeßt ſeine „ 4 Flußgötter" zu Roß, heißt ſie die Schläuche an den Sattel hängen und das Ruder auf die Schulter nehmen und reitet zurück nach Karput und Malatia .

Zwei Monate lang macht dann die grelle Sommerhiße jeden Ausflug unmöglich. Eingang Oktober bekam Moltke einen neuen beſchwerlichen Auftrag, nämlich einen Nitt nach Koniah zu dem dort ſtehenden Heere. Er ritt von Malatia ab , begleitet von einem Dolmetſcher, einem türliſchen Unteroffizier, einem Tataren und Pferdeknecht, 6. h. mit ſo wenig von dem was der Türke Kalabalyť oder Embarras nennt, wie man in dieſem

Lande haben kann. Vier Gefährten ſind eine Sahl von heilvoller Bedeus tung, überdies brachen wir an einem Donnerstag auf, wo Gott und die Engel hold ſind; wir waren ſo glücklich , weder einem Hunde mit abge ſchlagenem Schwanz, noch einer Stute mit aufgeſchligten Ohren, weder einem Wolf, der auf dem Schweife ſaß, noch gar einer alten Frau mit grauen Haaren zu begegnen , und ſo ging die Reiſe auch äußerſt gut vonſtatten .“ Moltkes Weg führte weſtwärts mit Gewaltritten über die Hochebene 1

1

von Inneraſien nach Kaiſarieh , und von da weiter ſüdweſtlich nach der Stadt Roniah. Unterwegs begegnete ihm ein Abenteuer , welches Moltke ſehr hübſch erzählt. In der Stadt Nemſchehr war Müſſelim oder Stadts oberhaupt eine gefährliche Perſönlichkeit; er hatte bei der Janitſcharen -Vers tilgung durch Sultan Mahmud eine ſo blutige Rolle geſpielt, hatte alle zeit ſo viel Feſtigkeit, Grauſamkeit, Mut und Jähzorn gezeigt, daß ihn jedermann fürchtete; man nannte ihn nur Kara Djehennah, die ſchwarze Hölle; daß der Unhold Pferde hergeben würde, war ſehr unwahrſcheinlich. AS Moltfe in den Hof des Hauſes einritt, hieß es, der Müſſelim ſei

beim Gebet und nicht zu ſprechen ; Moltke machte einen Gang durch die Stadt; als er wiederkam , hieß es , der Müſſelim ſei noch nicht aufges ſtanden. Moltke kannte ſeine Türken und wußte , daß hier mit Worten oder Nachgeben nichts zu gewinnen ſei ; er erflärte daher dem verſammelten Schwarm von Dienern, er müſſe ſofort mit dem Müſſelim ſprechen und 1

ſei nicht gewohnt , im Hofe empfangen zu werden. Ohne weiteres ſchritt er die Treppe hinauf und trat in ein Zimmer , in welchem gleich darauf auch der Bey erſcheint, ein gewaltiger finſterer Mann mit eiſengrauem Barte. Moltke nimmt nicht die geringſte Kenntnis von ſeiner Anweſenheit, läßt ſich die ſchweren Reitſtiefel durch ſeine Diener ausziehen und ſchreitet dann,

„ bedeckt mit jedes Bodens Unterſchied “, nach dem oberſten Sig ; erſt dort angekommen, begrüßt er, die Hand an die Bruſt legend, ſeinen Wirt mit 1

bem feierlichen Merhabah , worauf der Bey, um eine Probe ſeiner euro päiſchen Lebensart zu geben, Adio antwortet. Es werden Pfeifen gebracht,

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der Müſſelim eröffnet das Geſpräch mit der Frage, ob der Fremdling ihn wohl ſchon kenne. Ich habe dich nicht geſehen , aber wohl von dir ges Daß du ein guter hört, antwortete Moltke. – Was haſt du gehört ? Artilleriſt biſt und Schwarze Hölle heißt.. Das ſchloß dem grimmigen

Bey das Herz auf , alsbald brachte man Frühſtück und Kaffee und zum freudigen Erſtaunen des Tataren treffliche Pferde. Weiter über die unermeßliche menſchenleere Hochfläche nach Koniah, mo Moltke mit dem Statthalter Hadſchi-Aly Geſchäftliches zu beſprechen

hat und ein paar Tage von der anſtrengenden Ritten ausruht; beim Ab ſchied ſchickt ihm der alte Herr nach morgenländiſcher Sitte durch ſeinen armeniſchen Bankier vier Beutel. Da ſolche Geldgeſchenke nur immer der armen Stadtgemeinde auf Rechnung geſetzt werden , ſo nahmen die preu Biſchen Offiziere ſolche nie an. Moltke bat daher den Banfier , das Geld

mit Dank zuin Paſcha zurüđzutragen. „ Der Bankier fand das ſehr ſchön, bat aber doch, einen anderen mit der Kommiſſion zu beehren, da er ſeine Fußſohlen viel zu lieb habe, als daß er dem Paſcha ſo etwas vorſchlagen könne; dieſer werde von ſolcher Prozedur nichts begreifen , als daß die Summe mir zu gering geweſen wäre.

Sprach ich nun ſelbſt mit dem

Paſcha, ſo würde es mir ſchwer geworden ſein ihm begreiflich zu machen, weshalb ein Franke zwar wohl eine Doſe oder eine ithr für 200 Gulden, 200 Gulden aber nicht annehmen könne ; ſprach ich nicht mit ihm , ſo ſteckte der Bankier das Geld ruhig ein und ſeşte es dem Paſcha auf die Redis

nung. Unter dieſen Umſtänden nahm ich das Geſchenk an, bedankte mich ſchön und ließ es ſofort unter meinen Dragoman, den Tſchauſch und den Tataren verteilen ; die Umſtehenden fanden dies ſehr großmütig und be ſonders ſehr thöricht, aber ſie wußten ſchon , daß die Franken alle etwas delih oder närriſch ſind .“ Nun galt es noch die Befeſtigungswerke zu beſichtigen , die Haupt mann Fiſcher im Grenzgebirge Taurus , jetzt Bulgur genannt , ausgeführt hatte ; denn hier liegen die kilifiſchen Pforten, wie die Griechen den einzigen Paß zwiſchen Kleinaſien und Syrien nannten . Moltke fand den Freund fieberfrank; aber die Kraft des Willens ſiegte über die Schwäche des Körpers ; die beiden Preußen beritten ein paar Tage lang im wilden Gebirge die Stellen , wo Raſernen und Schanzen gebaut wurden . Durch das Gebiet räuberiſcher Turkmenen, die aber den Fremdling gaſtlich aufnehmen, gelangt /

Moltke wieder ins Hauptquartier zu Malatia , nachdem er in 26 Tagen 190 deutſche Meilen geritten. Es folgen dann eiſig talte Wintermonate, während welcher Moltke nach den von ihm auf ſeinen zahlreichen Wanders fahrten gemachten Aufnahmen eine Karte dieſes Teiles von Kleinaſien zeichnet. Buchner , Moltte.

6

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„ Adh, lieber Vinde, “ ſchreibt er dem Freund am 23. Dezember 1838, , wir werden hier kein ſehr brillantes Karneval zubringen ; wenn das ſo fortſchneit, ſo iſt jede Beſchäftigung mit den Truppen unmöglich; mir ſcheint,

das Thermometer hat außer dem Gefriers noch einen Frierpunkt; was man 10 Grad Wärme nennt, iſt für mich ſchon ein paar Grad, unter dem 1

gedachten Frierpunkt, und da ich es mittelſt Ramin und Kohlenbeden nicht über acht Grad hinter meinen geölten Papierſcheiben bringen kann und bei dem großen Mangel an geiſtiger Erwarnung, glaube ich zuweilen dem Erfrierpunkte nahe zu ſein. Nichts von dem fröhlichen mutigen Treiben,

das bei uns eine große Truppenverſammlung bezeichnet, darfſt Du hier ſuchen. Es iſt als ob dieſe Leute den kriegeriſchen Geiſt ihrer Väter ganz abgeſtreift hätten ; vor ein paar Tagen haben wir einen Tſchauſch 195erſchoſſen, der ſechs Schildwachen von ihren Poſten mitgenommen hat und im Roms plott deſertiert iſt; die andern ſahen zu und dachten: Armer Teufel! Der Paſcha zahlt 250 Piaſter für jeden eingebrachten Deſerteur; nach ſeiner 1

eigenen Angabe hat er ſeit Oktober 100000 Piaſter gezahlt. Täglich er :

bliđe ich zwei , drei traurige Geſtalten an einem Halfterſtrid, die Hände

auf den Rüđen gebunden, geduldig von irgend einem Kurden hergetrieben.. Ich habe ſie zuweilen gefragt: Eure Nahrung iſt

reichlich, eure Wohnung

gut, eure Kleidung .iſt warm , ihr werdet night mißhandelt, wenig anges ſtrengt, gut bezahlt, - warum deſertiert Ihr ? Was können wir thun ?

So iſt es gefommen !

Der Mann nimmt ſeine 200 Schläge ſeufs

zend hin und deſertiert bei der nächſten Gelegenheit wieder.“ olle

cheidungsp Jahr 1839 heran . Im Januar macht So kam das Moltke wieder einen Ritt nadı Samſat , Drfa , Biradſchik mis, um die dort I

ſtehenden Truppenabteilungen manövrieren zu laſſen. Mit dem Heran nahen des Frühlings rúdte die Kriegsgefahr immer näher; die ſeit Jahren

dauernde Striegsbereitſchaft derzehrte die Kräfte beider Länder und forderte ungezähltes Geld ; im türkiſchen Heere herrſchte eine entſeßliche Sterblidhteit;

die Lüden auszufüllen , zwang man zum Heerdienſt die freiheitsliebenden Kurden, die bei der erſten Gelegenheit wieder ausriſſen. So warobeføloſſen,

ſobald das Gebirge einigermaßen gangþar wäre, in die Ebene am Euphrat hinabzuſteigen und bei Biradíuit Stellung zu nehmen; Moltre ḥatte in dieſer Zeit mit der Herſtellung von Brüđen, Straßen und Verſchanzungen ſchwere Arbeit.

Während des Monats Mai ſteht die Armee des bafis Paſcha, 25—30000 Mann, wohlverſchanzt auf dem rechten Euphratufer, ihr gegen

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über bei Aleppo das ägyptiſche Beer; dem türkiſchen Feldherrn ſtanden Preußen , Jbrahim Paſcha Franzoſen ats Ratgeber zur Seite. Eingang

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Juni brach dann, ſehr gegen Moltkes Rat, das Türkenheer vom Euphrat auf und nahm eine neue Stellung drei Stunden weiter weſtlich bei Niſib. In dieſem ebenfalls ſofort verſchanzten Lager verweilte Hafis Paſcha wieder

drei Wochen ( ang. Unſtatt baß, wie Moltke ſtets aufs neue verlangte, die im Jnnern von Kleinaſien perſammelten Heeresteile auf dem Kriegs

ſchauplaße erſchienen, um mit gewaltiger Übermacht den Ägyptern entgegen zutreten , blieb, dank der türkiſchen Trägheit und der Eiferſucht der Heer führer, Hafis Paſcha ohne Unterſtüßung; dazu kam , daß derſelbe noch andere Berater beſaß, die Mollahs oder Geiſtlichen , die , während Moltke die Ankunft der anderen Seere abzuwarten riet , zum Rampfe drängten ; Moltke hatte dann wieder die übeln Wirkungen ihrer Thorheiten nach Kräften gut zu machen. Im ägyptiſchen Lager ſah es eben ſo traurig aus; das Brot fehlte und die Leute liefen haufenweiſe davon. Alſo erzwang Ibrahim Paſcha ſchließlich die Entſcheidung, indem er am 20. Juni vor dem Türkenlager bei Niſib erſchien. Er ſchickte ſich an , durch einen Rechtsabınarſch das

türkiſche Heer von der Rückzugsſtelle bei Biradſchit abzuſchneiden ; Moltke ſchlug mit ſeinen preußiſchen Genoſſen Mühlbach und Laue ſofortigen Än griff vor. Dieſer erfolgte nicht, ebenſowenig aber der von Moltke ange ratene ſofortige Rückzug in das frühere lager am Euphrat. Moltke hatte 1

ſcharfe Auseinanderſeßungen mit Hafis Paſcha und lehnte alle Verantwort

lichkeit für die Folgen eines längeren Verweilens bei Niſib ab. Als Hafis Paſcha aufs entſchiedenſte den Müdmarſch weigerte, verlangte Moltke ſeine

ſofortige Entlaſſung als Müſteſchar oder Ratgeber ; im erſten Verdruß Bewilligte der Paſcha den Abſchied, bat aber zugleich Moltke, ihn in dieſem Augenblicke nicht zu verlaſſen, Tondern eine neue Stellung zu nehmen , ſo gut es gehe. Es geſchah.

Am 24. Juni 1839 der erfolgte dann die Schlacht von Niſib. Sie begann

mit einem lebhaften Geſchüßfeuer der Ägypter, wenn auch auf weite Ent fernung; die Türken, faſt lauter junge Soldaten, hatten nie eine Kugel ſauſen 1

gehört; wo die Granaten einſchlugen , ſtoben die Haufen auseinander ; ſie 1

wichen zurück, zogen rechts und links, dem Feinde auszuweichen, ſtanden 1

mit erhobenen Händen und beteten, ſchoffen blind in die Luft. Ein Reiter !

angriff der Türken mißlang und riß auch das Fußvole in wilde Flucht; ein eigentliches Nahgefecht hatte kaum ſtattgefunden ; die Zahl der Toten und Verwundeten des türkiſchen Heeres ſchäßt FO Moltke auf 1000 Mann, ein Dreißigſtel des Beſtandes , ein Beweis für den elenden Widerſtand. Das ganze Geſchüß fiel in die Hände der Ügypter; die Schlacht von Niſib 6*

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war völlig verloren , und das war nach der Schilderung, die uns Moltke von den Zuſtänden im türkiſchen Heere giebt, kein Wunder. 1

Nach dem Jahre 1870 haben die Franzoſen entdeckt, daß Voltfe von

einem ihrer Landsleute, dem militäriſchen Ratgeber Jbrahim Paſchas, beſiegt worden ſei. Ein dürftiger Troſt! Tie Schlacht von Niſib ging verloren, weil Hafis Paſcha nicht auf den Rat der drei Preußen hörte; am 24. Juni 1839 hatte Moltke thatſächlich ſein Amt niedergelegt. Gegen Ende des Gefechts waren glücklicherweiſe die drei Preußen Moltke, Mühlbad) und Laue zuſammengetroffen und beſchloſſen zuſammen

zubleiben ; der Rückzug hatte alle Bande der Zucht gelöſt, die Kurden ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere. So ritt Moltke, bis zur Kraftloſigkeit erſchöpft, mit den Freunden einen Tag und zwei Nächte hindurch nach Norden ; die

Dienerſchaft war mit acht Pferden davongegangen , das Gepäck verloren, darunter leider auch ein Teil der aufgenommenen Karten . Übrigens war die Ermattung und Verwirrung beim ſiegreichen Heere nicht weniger groß, ſo daß eine Verfolgung nicht ſtattfand. Hafis Paída Paſcha flüchtete mit den Trümmern ſeines Heeres, ſoweit es nicht einfach nach Hauſe gelaufen war, nach Malatia , wohin auch die drei Preußen in tollen Gewaltritten über das Hochgebirge ſich begaben ; unterwegs trafen ſie noch mit ihrem Kameraden p. Vinde zuſammen. Molikes Freund Hauptmann v. Vincke ſchreibt zu Asbuſu bei Malatia,

mo Hafis Paſcha ſein Heer ſammelte, am 17. Juli 1839 dein vormaligen Genoſſen, dem krankheitshalber ſchon im verfloſſenen Winter zurückgekehrten Hauptmann Fiſcher: ,,Moltke: hat ſich in allen Verhältniſſen wie ein chevalier sans peur

et sans reproche und wie ein umſichtiger, thätiger und beſonnenter Generalsſtabsoffizier benommen. Krank und faſt bettlägerig , hat er doch nie gefehlt, wo es galt. Stets war er bei allen Rekognoszierungen , und, keck und kühn, haben ihn die Türken wie eine Art Dali*) betrachtet. Alle achten ihn ſehr hoch, und der Faſcha hat ſtets viel auf ſeinen Rat und ſeine Meinung gegeben , obgleich er ihn leider in dem wichtigſten Punkte nicht gehört hat. Er fühlt ja wohl nur zu ſehr, wie unrecht er barin

gethan hat. Von ihm ſelbſt und anderen Generalen habe ich das Bekenntnis gehört : wären wir doch in Biradſchik geblieben, oder wären wir dahin zurück

gekehrt! Bis zum 20. d. M. , wo die Nachricht von Ibrahims Anmarſch kam, hatte Moltke ſeit ſechs Wochen, an einer heftigen Dysenterie leidend, in feinem Zelte gelegen. Auf jene Nachricht hin hat er ſich aber auf *) Dali , ein Geld der morgenländiſchen Sage.

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gemacht, und ſeitdem bis hierher iſt er eigentlich nicht zur Ruhe gekommen . Ich begreife nicht, wie er alle Strapazen hat aushalten können. Hier hat er ſich jetzt durch die vierzehntägige Ruhe , in welcher wir uns befinden, ſichtlich erholt , doch ijt ein anderes Klima und gute Pflege notwendig, um ſich gänzlich wieder herzuſtellen. Wir erwarten deshalb mit Sehnſucht unſere Abreiſe, die jeßt von Mehmet Ali Bey, dem Vertrauten des Groß herrn, abhängt.“ Zum zweitenmale ſtand dem ägyptiſchen 'Heere der Weg nach Kon ſtantinopel offen ; wenige Tage nach der Schlacht von Niſib ſtarb der /

kräftige Sultan Mahmud II. und hinterließ den Thron ſeinem ſchwachen jugendlichen Sohne Abdul- Medſchid. Die Türkei ſchien verloren ; Mehemed Ali, hoffend auf Frankreichs Unterſtügung, forderte den erblichen Beſitz von Ägypten , Syrien und Rreta . Da traten diejenigen Großmächte von Europa, die eine Zertrümmerung der Türkei nicht wünſchten, England und Rußland , Öſterreich und Preußen , zu einem Vierbund zuſammen ; eine engliſch-öſterreichiſche Flotte nahm die ſyriſchen Küſtenſtädte in Beſitz, beſchoß Alexandria. Ibrahim Paſcha mußte zurückweichen , Mehemed Ali alle ſeine Eroberungen aufgeben und ſich begnügen , gegen Zahlung eines jährlichen Tributs an die Pforte wenigſtens die Erblichkeit ſeines Beſiges in Ägypten zu erhalten. Die Löſung der leidigen orientaliſchen Frage war wieder einmal bis auf weiteres vertagt ; nur erwähnt mag werden , daß 1

1

wegen dieſer Händel im Morgenland Deutſchland 1840 hart vor einem Rheinfriege ſtand.

Nach der 'völligen Auflöſung des türkiſchen Grenzheeres war auch Moltkes Rolle, Haupt des Generalſtabes zu ſein, ausgeſpielt ; jedoch begleitete er ſeinen bisherigen Gebieter Hafis Paſcha bis Sivas, wo dieſer die Nach ridht von ſeiner Abſeßung empfing, wie die drei Preußen Laue blieb in türkiſchen Dienſten im Morgenlande — die Erlaubnis des Großherrn zur Rückkehr nach Konſtantinopel. Dort fanden ſie den Befehl ihres Königs zur Rückfehr nach Preußen vor.

Moltke aber empfing beim Abſchied am 29. Juli 1839 folgendes Zeugnis von Hafis Paſcha: „ Das gegenwärtige Schreiben iſt ausgeſtellt, um der Wahrheit gemäß

zu beſcheinigen , daß der preußiſche Offizier Baron Bey , ein talentvoller Mann , der mir von der Ottomaniſchen Regierung beigegeben war , ſich zuerſt bei mir im Kriege gegen die Kurden von Dîcheſireh und Gharſen und ſodann im kaiſerlichen Lager bei Niſib befunden hat. Er hat ſeine Pflicht als ein treuer und tapferer Mann von Anfang ſeines Auftrags an bis zu dieſem Augenblick gethan und ſich ſeiner Aufträge in volkommenſter 1

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Weiſe entledigt. Id bin gleichmäßig Zeuge davon geweſen , daß dieſer Offizier Beweiſe von Mut und Kühnheit gegeben und der Ottomaniſchen Regierung in Treue, und indem er ſein Leben einſekte, gedient hat. Dem

nach bin ich in allen Hinſichten mit ihm zufrieden geweſen. Mehmet Hafis, Muſchir von Sivas. " Am 3. Auguſt ging das Dampfboot von Samſun nach Konſtantinopel ; alſo galt es bis dahin den Hafen zu erreichen, was nur durch einen Ges waltritt geſchehen konnte. Die Preußen nahmen einen Tataren und ſtellten ihm die Bedingung, daß, wenn ſie vor Abgang des Schiffes ankämen, er fünfzig Gulden Belohnung, wenn ſie aber nur eine Minute ſpäter ein

träfen, gar nichts befommen ſollte. Das half. Es war freilich ein tolles Rennen auf ſteinigen Wegen, eine übermäßige Anſtrengung der Reiter, aber es gelang. „ Von einem Bergrüden mit prächtigem Laubwald er blidten wir endlich das flimmerndc Meer, und brachen, wie die Xenophon tiſchen Griechen, in ein lautes Freudengeſchrei aus, in geſtredtem Galopp

ging es zwei Stunden den ſteilen Hang hinunter in die Quarantäne von Samſun. Aber eine türfiſche Quarantäne dauert nicht länger, als nötig iſt, um ein Empfehlungsſdhreiben des Paſchas zu leſen, oder 50 Piaſter auf ein Sofa tiffen hinzuzählen .

,,Der eine Schritt von Samſun auf das öſterreichiſche Dampfſchiff führte uns aus der aſiatiſden Barbarei in die europäiſche Verfeinerung. Wir forderten zuallererſt Kartoffeln, die wir anderthalb Jahre am ſchmerz: lichſten entbehrt hatten, und eine Flaſche Champagner, um unſeres Königs Gcſundheit an ſeinem Geburtstage hier auf den Wellen des Schwarzen Meeres zu trinken . In unſerer zerſumpten türkiſchen Kleidung, mager und abgezehrt, mit langen Bärten und türkiſchem Gefolge, wollte man uns erſt gar nicht in die erſte Kabine laſſen, bis wir den Kapitän auf franzöſiſch anrebeten . Es iſt nicht zu beſchreiben, wie behaglich uns alles vorkam ; da gab es Stühle, Tiſche und Spiegel, Bücher, Meſſer und Gabeln, kurz, lauter Bequemlichkeiten und Genüſſe, deren Gebrauch wir faſt verlernt hatten. ,, Am zweiten Morgen tauchten die weißen Leuchttürme des Bosphor an

Horizont auf ; bald entdedten wir die Batterien des Bosphors, dann ſchwebten Bujukdere, Therapia, endlich die mir alle ſo wohlbekannten Dörfer des Bosphor an uns vorüber, bis die Spiße des Serais vor uns leuchtete, und wir die Anker im goldenen Horn auswarfen .“ Moltkes vormaliger Gönner Mehmet Chosref Paſcha war mittlerweile wieder zu Gnaden aufgenommen worden und empfing den Deutſchen , der

ihm allein Treue gehalten , mit größtem Wohlwollen ; Moltke mußte ihm ,

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jeßt ohne Dolmetſcher, in Gegenwart zweler Miniſter wohl eine Stunde lang erzählen. Man war ſehr geneigt, alle Schuld auf Hafis Paída zu werfen ; auf Verlangen des Weſſirs gab Moltke einen ſchriftlichen Bericht und legte dar, daß es nicht Hafis Paſchas Schuld geweſen, wenn man ihm von den vorhandenen 80000 Mann nur die Hälfte geſchickt, darunter

zwei Drittel zum Heerdienſt gepreßte Kurden, den Oberbefehl unter mehreren Männern verteilt habe. Der Paſcha,“ ſprach er, „ und wir mit ihm, glich einem Künſtler, dem man aufgiebt, ein Gewölbe zu bauen, und dem man ſtatt harten Steins nur weichen Thon bietet. Wie richtig er auch

ſeine Werkſtüde fügt, der Bau muß bei der erſten Erſchütterung doch in ſich zuſammenſtürzen ; denn der Meiſter kann den Stoff formen, aber nicht umwandeln .“ Ohne Zweifel trug Moltkes fundige und kräftige Verwen dung erheblich dazu bei, daß Hafis Paſcha bald darauf begnadigt, ſogar zum Paſcha von Erzerum ernannt wurde.

Es mußte den preußiſchen Offizieren viel daran gelegen ſein, durch

eine öffentliche Anerkennung beſtätigt zu ſehen, daß ſie keinen Teil an den Urſachen des übeln Erfolges gehabt hätten. Ein Schreiben des mächtigen Weſſirs verſchaffte ihnen ſogleich eine Audienz bei dem jungen Sultan, welcher ſie huldreid, empfing, bejchenkte und in allen Ehren entließ. Es iſt ein tiefbewegender Zug, daß Moltke, ehe er vom Morgenlande ſchied, noch das Grab des ihm allezeit gnädigen Sultans Mahmud beſuchte. Er ſpridit: Ruhe und Friede ſei mit ſeiner Aſche! Sultan Mahmud hat ein

tiefes Leið durchs Leben getragen : die Wiedergeburt ſeines Volks war die große Aufgabe ſeines Daſeins, und das Mißlingen dieſes Planes ſein Tod ! Am 9. September 1839 verließ Moltfe mit den Freunden die türkiſche

Hauptſtadt. Der Dampfer trug ſie nordwärts zur Sulinamündung, dann den Strom hinauf. Bei demſelben Orſowa, wo Moltke vor vier Jahren zuerſt den Boden des Türkenreiches betreten, trat er nun wieder auf öſter reichiſches Gebiet, ein vielerfahrener, durch die mannigfaltigſten Schidſale geprüfter und allezeit bewährt erfundener Mann. Als Goethe 1788, 39 Jahre alt, von ſeiner italieniſchen Reiſe heimkehrte, hatte er ſich, wie er an Karl Auguſt ſchrieb ,1 als Künſtler wiedergefunden. Für Moltke

war der Aufenthalt in der Türkei ebenſo entſcheidend wie der zu kom für den Dichter; Moltke, ebenfalls 39 Jahre alt, kehrte in ſein Vaterland zurüd als Feldherr, wenn er gleich erſt lange Jahre darnach das am Euphrat Gelernte an der Dſtſee, der Elbe, der Moſel und Maas ders wertete. Es war eine gute Lehrzeit geweſen.

Übrigens wandelt keiner ungeſtraft unter Palmen. Die plößliche Ver ſeßung aus einem ſyriſchen Sommer in einen deutſchen Spätherbſt,1 der

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höchſt ungeſunde zehntägige Aufenthalt in der Quarantäne von Orſova, auch wohl die Nachwirkung der übergroßen Anſtrengungen zogen unſerm Freunde unterwegs eine ſchwere Erkrankung zu , die er ſelbſt ſpäter ein

,, Donaufieber “ nennt. In der Nacht vom 6. zum 7. Oktober erkrankte er auf dem Dampfboot an einem gaſtriſch-rheumatiſden Fieber. Glüd licherweiſe reiſte er nicht allein , ſondern mit Freund Vincke und deſſen Frau. Die hielten denn auch treulich in Peſt vom 8. bis zum 28. Oktober bei dem Kranken aus . Sein Zuſtand,“ ſchreibt Vincke an Fiſcher, „ iſt nicht

bedenklich, erfordert aber große Vorſicht, und deshalb iſt ihm Aufſicht nötig, denn wir wiſſen, daß er für ſich und ſeine Geſundheit etwas leichtfertig iſt. Jegt zwar hat ſich das geändert, und er iſt eher ängſtlich zu nennen.

Es bleibt uns nichts übrig , als Geduld , Geduld ! Beſonders für meine arme'Frau, die beſtimmt iſt, die Krankenpflegerin des ganzen orientaliſch preußiſchen Generalſtabes zu ſein und die größte Sehnſucht nach Hauſe hat.“ Nachdem ſie dergeſtalt 3 Wochen in Peſt feſtgeſeſſen, reiſen ſie endlich, nachdem Moltke am Tag zuvor zum erſtenmal aufgeſtanden , mit dem Dampfboot ſtromauf und gelangen mit wiederholtem Sitzenbleiben bis Presburg. Hier hörte die Dampfſchiffahrt auf und Vince mußte den völlig hinfälligen Kranken in einen Wagen paden ; ſo kamen ſie am 31. Oktober mit Mühe und Not nach Wien. Aber er iſt ein ſchwer zu bewachender Patient, und Diätfehler iſt ſeine Erbfünde. Ich wünſche nur, daß ihm das heutige Iu Wien muß Moltke mit vielem Appetit verzehrte Souper nicht ſchade." Su 14. November kann ain ; erſt abermals zwei Wochen lang das Bett hüten er mit dem Ehepaar Vincke von Wien abreiſen, um gegen Ende des Monats in Berlin einzutreffen . Er ward mit Ehren aufgenommen , gleich beim Ordensfeſte mit dem Orden pour le mérite geziert, am 18. April 1840 zum Generalſtabe des IV . Armeecorps verſetzt.

Vierter Abſchnitt.

Dienſtjahre. 1840-1864.

Es folgt nun im vielbewegten Leben unſeres Sjelden eine Reihe von Friedensjahren , die ſich als Dienſtjahre zuſammenfaſſen laſſen. Über das Jahr 1840 ſind unſere Nachrichten ſehr dürftig. Moltke befand ſich wieder in Berlin, wo Onkel Ballhorn wohnte, durch deſſen Hände während der morgenländiſchen Jahre Moltkes Briefe an die Ver wandten gegangen waren, arg durchſtochen freilich und verräuchert wegen

der in der Türkei herrſchenden Peſt. Nun kam der weitgereiſte Mann ſelbſt, und Fräulein Marie Balhorn , Moltkes Nichte, hat darüber im fünften Bande der geſammelten Schriften anmutig berichtet: „ Nach Abſchluß der türkiſchen Meiſe machte der damalige Hauptmann von Moltke zuerſt in Berlin bei meinen Eltern Halt.

Es waren gerade

die Weihnachtstage, als er bei uns ankam , und ich erinnere mich deutlich des großen, Hübſchen Mannes, der, mit dem türkiſchen Fez das Haupt be deckt, in leichter Civilkleidung , init den Schäten des Orients beladen ( o ſchien es uns Kindern ) in unſer Weihnachtszimmer trat. Meiner Mutter hatte er unter anderem ein Fläſchchen mit Roſenwaſſer mitgebracht, das noch heut in der Familie bewahrt wird. Unter mancherlei ſeidenen Shawls,

von Türkinnen geſtricten Strümpfen, kleinen Handarbeiten, Schmuckſachen und Roſenkränzen befanden ſich auch zwei Holzlöffel, von Soldaten im Lager von Niſib geſchnitzt; auch dieſe ſind noch in unſerem Beſitz. Freilich haben ſie jetzt nur noch den Wert, den ihnen die Hand, die ſie gab, ver lieh. Damals aber waren ſie noch ziemlich einzig in ihrer Art. Auch

das kleine arabiſche Pferd , das der Onkel in der Schlacht von Niſib ges ritten, hatte er mitgebracht. Es hatte Aufnahme in unſerem Stall gefunden, und incin Bruder und ich machten darauf unſere erſten Reitverſuche, freilich nur, wenn uns der Onkel oder deſſen Reitknedit darauf feſthielt. Erſterer

ritt damals faſt täglich, von meinem Vater begleitet , auf dem Niſib ſpazieren.

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Schon damals hatte der Onkel ſeine ſchweigſame Art, die ihm ſpäter

den Namen des „ großen Schweigers“ eintrug. Es war dies Schweigen ein Gemiſch von Nachdenklichkeit und einer Art Blödigkeit, wie er ſelbſt manchmal ſagte. Er fühlte in ſich nicht die Fähigkeit , ſich leicht über

augenbliďlidhe Eindrücke auszuſprechen oder gar , wie man ſagt, » Redens arten zu machen . Daher kam es, daß man ihm ſein Schreigen oft als Stolz auslegte. Er war eben im Schreiben ſtets ein anderer als im

Reden. Er ſelbſt ſagte einmal zu ſeiner Frau nach einer Geſellſchaft: »Seut war es natürlich wieder ſehr langweilig bei Moltkes. So wenig gern er ſich im geſelligen Verkehr äußerte, ſo gern verkehrte cr mit Kindern. Mit uns neckte er ſich viel , erzählte uns Geſchichten von Türken und Türkinnen, wobei er , wie ich vermute, manches für ſeine kleinen Zuhörer

erfand, um ſie zu erfreuen. Er konnte dann ſtill vergnügt in ſich hinein lachen ; ſahen al die ſtaunenden Kinderaugen auf ihu, ſo war er befriedigt.

Überhaupt liebte er Wiß und Scherz und beſaß ſelbſt einen trođenen Humor,

bei deſſen Äußerungen ſein an ſich hübſches Geſicht von einem feinen, ironiſchen Lächeln umſpielt wurde, das es ſehr verſchönte. Eines Abends erinnere idh mich beſonders , an dem er am Theetiſch eine türkiſche Schildwache in ſißender Stellung zeichnete ; da er uns erzählte, daß die Türkinnen ſtets derſchleiert wären, ſo fragte ich ihn bedauernd : Eine Dame tannſt du wohl nicht zeichnen ? Da erſchien das oben er wähnte Lächeln auf ſeinem Geſicht; er nahm den Stift und zeichnete ein weiblidjes Geſicht mit ſcharf gebogenen Augenbrauen und von großer Schönheit, wie mir ſchien. » Aber, Onkel, woher weißt du , wie ſie aus 1

ſah? « fragte ich. »Nun, ich ſah hinter den Schleier,« ſagte er ganz ernſt. Warum die Erwachſenen alle lachten , begriff ich damals gar nicht. Da ich ein ſehr großes Gefallen an ſeinen Zeichnungen fand , ſo machte er mir öfter das Vergnügen, mir Kleinigkeiten zu zeichnen . Leider hat ſie

alle der Zahn der Zeit vertilgt ; wer konnte damals ahnen , welchen Wert die Sadjen ſpäter haben würden. "

Moltke verbrachte den größeren Teil des Jahres 1840 allem Anſchein

nach ſtil und fleißig, beſchäftigt init der Bearbeitung der aus der Türkei an Verwandte und Freunde geſchriebenen Briefe zu ſeinem erſten größeren Werke, den bereits beſprochenen Briefen über Zuſtände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835—39. Uin ſich von den überſtan denen Anſtrengungen gründlich zu erholen und ein Wechſelfieber, das ihn

neuerdings befallen , zu vertreiben , gebrauchte Moltke im Herbſt 1840 zu Ilmenau die Waſſerkur, und zwar mit ſo trefflichem Erfolge, daß er nach derſelben eine Reiſe nach Italien antreten konnte , über welche uns indes

.

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nur die beiden vorzüglich wertvollen Briefe an den Vater berichten, die einzigen, die überhaupt aus dieſem Jahre vorliegen. „ Magadino am Lago Maggiore, den 2. November 1840. ,,Am 22. Oktober hatte ich in Ilmenau vier Wochen zugebracht und nahm mein ležies Bad im Schnee, der durch das offene Dach in die Douche hineinfiel. Die ſchönen Tannen des Thüringer Waldes beugten ihre Zweige unter der weißen Bürde, und als ich das Gebirge überſchritten, vertauſchten wir den Schnec gegen Regen und Sturm . Leider paſſierte die Poſt Roburg und Bamberg bei finſterer Nacht, und ich bekam nichts von dieſer ſchönen Gegend zu ſehen .

„Nicht wenig überraſcht war ich, auf dem Wege von Nürnberg im dunklen Poſtwagen eine türkiſche Unterhaltung anfangen zu hören , aber noch mehr waren es die beiden von der Leipziger Meſſe zurückehrenden

Armenier , als ſich ein Dritter in ihr Geſpräch miſchte. Der ältere war in der Nähe von Egin am Euphrat gebürtig, und als ich ihm die Dörfer und Berge jener Gegend hernannte, die ich mehrfach durchkreuzt, als ich ihm erzählte, daß die Kurden, welche jo oft ſein Dorf verwüſtet, bezwungen ſeien, und daß man angefangen habe, die Kirche wiederherzuſtellen, da ging ihm das Herz über. Er war 46 Jahre aus ſeiner Heimat fort, aber er wußte noch genau, wie viele Maulbeerbäume auf ſeinem Weinberge ſtehen

müßten, und was für Obſtſorten am Hauſe wüchſen. Haus und Garten hatte er als jehnjähriger Knabe ſeinen türkiſchen Drängern preisgegeben, war nach Konſtantinopel ausgewandert und hatte ſich durch Sparſamkeit und Handel ein Vermögen erworben . „ Oſtern vorm Jahr reiſt Jann Karabetha zur Leipziger Meiſe, ein

Jude ſchwatzt ihm ein Los zur Berliner Lotterie auf, und der Mann ges 50 000 Thaler. Seine Eltern ſind längſt geſtorben , zwei Schweſtern wohlhabend in der Walachei verheiratet , Bruder , Frau und Kinder hat der ſchon betagte Mann nicht. So hegt er nur einen Wunich, vor ſeinem Tode noch einmal nach Merfeß am Euphrat zurückzufehren, um ſein Vermögen für ſein Dorf anmenden zu können . Es war rihrend anzuhören, wic er ſich die Scene ausinalte, wenn er ſich die Echtzar oder Älteſten verſammelte (die wahrſcheinlich alle ſchon begraben ), wie er die Kirche ausbauen, Bäume pflanzen, die Erfindung der Schubfarren in einem lande einführen wollte, wo alle Laſten noch auf der Schulter geſchleppt werden, wie er Kartoffeln mitnehmen wollte, die man dort noch nicht kennt, winnt

einen Pflug mit Rädern bauen wollte u. ſ. w . In der That, ein ſolcher Mann wäre der wahre Wohlthäter ſeiner Heimat. Nicht die fränkiſchen Inſtrukteure und europäiſche Taktik und nicht der Hattiſcherif von Gülhane

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ſind dem Lande not, ſondern der Schubfarren und die Kartoffel. Aber alle dieſe ſchönen Pläne laſſen ſich nur verwirklichen, wenn Sicherheit des Eigentums und der Perſon da iſt, und gerade das darf der wadere Mann

nicht am Euphrat crwarten , am wenigſten , ſeit nach der Niederlage des

türkiſchen Heeres die Rurden frei geworden und ihr altes Raubweſen wieder begonnen. So mußte ich dem Armenier raten, noch zu warten , und ihn auf eine Zukunft vertröſten, die er kaum erleben wird.

,, Toch ich kehre aus Armenien nach Schwaben zurück, ein köſtliches Pand, mit Waldgruppen und Wieſen, Dörfern und Mühlen, alten Ritters burgen und freundlichen Städtchen bedeckt. Gleich Ellwangen iſt eins der niedlichſten, die man ſehen kann, mit einem ſchönen Schloß, cinem großen Kloſter mit Türmen und Wallfahrtsörtern. Die Straßen in Württemberg ſind wohl unterhalten , aber unbegreiflid) geführt. Es ſcheint, daß man noch genau die Richtung beibehalten habe, die ſie zur Zeit hatten, als die Nitter 110ch oben auf den Gipfeln der ſpitzen Baſaltkegel, auf dem Rechberg, Staufen und Hohentwiel horſteten.

Später hat man die Saumpfade in

Fahrwege und dieſe in Chauſſeen umgewandelt. Sie ſcheinen die Höhen abſichtlich aufzuſuchen, undS ſelbſt im ſchönen Remsthal, in dem man zehn Meilen weit hinfährt , erklimmt man mühſam Anhöhen , um jenſeits init

zwei Hemmſchuhen wieder hinabzufahren. Wer zu ſeinem Vergnügen reiſt, verliert dabei nichts, aber es iſt ein ſchredlides l'os , Poſtpferd in Würt .

temberg zu ſein .

„Wo die Rems ſich in den Neckar ergießt , ſenkt man ſich in ein

weites , wunderbar ſchönes Thal. Das liebliche Städtchen Cannſtatt mit 1

einer prachtvollen Brücke über den Strom , der hier über ein langes Wehr brauſt, reiche Felder und Dörfer mit ſtattlichen Kirchen und Türmen füllen den Grund aus.

Das im antiken Stil erbaute Luſtſchloß Roſenſtein er

hebt ſich über dem Städtchen und hohe Berge ſchließen den Reſſel ein, an dem Weinberge mit zahlloſen weißen Winzerhütten viele hundert Fuß em porſteigen, und deren Gipfel Burgtrümmer frönen. Eine ſchöne Straße zwiſchen hohen Pappeln und durch Gartenanlagen führt in einer halben Stunde nach Stuttgart. Ich ziehe in mancher Hin ſicht die württembergiſche fer gefeierten bayeriſchen Hauptſtadt vor. Hier hat der König alles, dort die Einwohner mehr gethan, und die Lage von Stuttgart iſt eben ſo ſchön, als die von München troſtlos iſt. Stuttgart

füllt den ganzen Boden eines tiefen Bergkeſſels aus ; unmittelbar hinter den Häuſern ſteigen die Anhöhen ſchon empor, welche bis zu ihren Gipfeln

mit Weingärten bekleidet ſind. Felder und Äder ſieht man nirgends, cs iſt, als ob die Stadt nur von Trauben lebt. Es war eben Weinleſe, und

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Rafeten und Schüſſe leuchteten rings umher aus der Abenddämmerung hervor. Ein Vorzug von Stuttgart iſt endlich das Marquardtſche Hotel, der beſte Gaſthof, den ich irgend gefunden, und in dem ich mich nach drei auf dem Poſtwagen zugebrachten Nächten köſtlich erquicte. Mein erſter Gang war auf den hohen Turm der Stiftskirche, und es lohnt wohl, die zweihundertundfünfzig Stufen zu erſteigen. Man über blidt hier alles und kann ſich nachher leicht orientieren . Dann beſuchte ich

das alte Schloß, eine ſchöne Burg mitten in der Stadt mit großen runden Türmen und prachtvollen Arkaden im Schloßhof. Die Vorfahren liebten

nicht nur , ihre Wohnungen auf die höchſten Gipfel zu legen, ſondern be 1

wohnten auch in denſelben gern Sie vierten Geſchoſſe. Ein alter Graf von Württemberg hat ſich daher hier eine Stiege anlegen laſſen , auf welcher

man bequem bis zum vierten Sto &werk hinaufreiten kann. Ein Stein an der Thürſdjwelle diente zum Auf- und Abſißen. Im Erdgeſchoß bes findet ſich eine ſchöne Reitbahn , in der die Turniere gehalten wurden. Das neue Schloß iſt ein recht ſchönes Gebäude und ſteht in beſſerem Verhältnis zur Größe des Landes als das Chriſtiansborger, wo die Präfte des Staates nicht ausreichen, die Zimmer zu heizen. Vormittags fuhr ich nach Cannſtatt, wo ich ein köſtliches Bad in einem Sauerbrunnen nahm . Dieſer ſprudelt mannsſtark und zwei Fuß hoch in einer großen Marmor ſchale empor. Er hat einen höchſt angenehmen Geſchmack. Nach der Parade beſah ich noch die Königlichen Ställe mit zweihundertundfünfzig Landbe ſchälern. Im Leibſtal bewunderte ich einige echte Araber, kleine Schimmel,

die kaum vier Fuß zehn Zou maßen, und von denen man aus engliſchen Stuten die größten Pferde gezogen hatte .

Der König kam darüber zu .

Er geht öfters in ſeine Ställe, der Zutritt iſt auch eigentlich unterſagt, indes grüßte er freundlich.

„ Über Tübingen, das ebenfalls ſehr hübſch liegt, richtete ich nun meinen Weg nach Baſel *), wo ich morgens früh eintraf und mich ſogleich auf machte, den „lauffen " zu ſehen. Ich erlaſſe Dir die Schilderung dieſes Naturwunders ; man könnte auch ebenſogut eine Muſił wie einen Waſſerfall beſchreiben. Ohnehin hat ſchon jederinann ſo viel über den Rheinfall ge Leſen, ehe er einmal ſelbſt hinkommt, daß dies Schauſpiel wohl ſehr ſchön ſein muß, um dennoch allen Erwartungen zu entſprechen. Alles iſt hier im großen Maßſtabe, die Breite des Stromes 200 bis 300 Fuß, die Höhe

des Falles 80 Fuß und die Waſſermaſſe ungeheuer. Zwei ſchöne Burgen erheben ſich neben dem Sturz , und die ſchneebedecten Alpen bilden den So gedrudt. Selbſtverſtändlich Schreibs oder Drudfehler für Schaffhauſen.

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duftigen Hintergrund. Ganz beſonders impoſant iſt der Anblick auf dem linten Ufer vom Schloſſe Lauffen. Die Bildung der Felswand drängt den

herabſtürzenden Waſſerſtrahl etwas nach der Mitte des Stromes zu , ſo daß ein ſchmaler Raum zwiſchen dem Geſtein und dem unteren Teil der Rastade blieb . In dieſe Spalte hinein hat man von ſtarken Balten und eiſernen Slammern ein Gerüſt gebaut, auf dem man dem gewaltigen Rheins fall ganz nahe treten kann.

Von der Burg ſteigt man viele Stufen zu

jener Brücke herab, und indem man um die leßte Felsccke tritt, ſieht man nicht ohne Entſeßen die furchtbare Waſſermaſſe gerade auf ſich zuſtürzen. Rein Menſchenwert tönnte dieſem Andrange auch nur eine Minute widers ſtehen , wenn der Strom nicht ſchon von oben her in ſeiner Richtung be: 1

ſtimmt wäre. Die Felſen ſelbſt erzittern fühlbar unter dem Fall einer erneuert. Male von mehreren Millionen he Pfund, der ſich in jeder Sehunde

Die ſmaragdgrüne, klare Flut hat ſich in ſchneeweißen , ſiebenden Schaum

verwandelt, donnernd wütet ſie in weißgelodten Wogen herab, türmt ſich hochauf an den Felsblöđen , die ihr widerſtehen , wühlt ſich tief ein unter dem Spiegel des unteren Stromes und fommt ziſchend und wirbelnd weithin wieder zutage. Dichte Dampfwolken ſteigen aus dieſer Waſſerhölle empor, und lichte Regenbogen ſchweben in ruhiger Klarheit auf dem raſtlos .

‫ܘ‬

bewegten Gemühl „like love that watche s madness. “ Escu

Sollte man glauben , daß jemand, der dieſen Anblick in der Wirt:

II

lighteit

nn foku , lio

in ein Zimmer

einkulteßen wird, um das Bild

desſelben zu beſchauen ? Und doch hat man nicht ſo unrecht , es zu thun. Freilich iſt es die Natur ſelbſt, welche dieſes Bild zeichnet. Unterhalb des Falles erhebt ſich im Strom das alte turmartige Schloß Wörth, ießt eine 1

Bren .

In einem der oberen Gemächer ſiehſt Du eine mit weißer

Leinewand überzogene Scheibe hängen. Die Fenſter werden geſchloſſen , und

flugs malt Dir eine Camera obscura den ganzen prächtigen Rheinfall mit unnachahmlicher Treue," alle Details in reizender Ausführung, auf die weiße Leinwand eine koſtbare Studie für die Landſchaftsmaler, aber auch C

ſo noch in ſeiner ſteten Beweglichkeit ſchwer aufzufaſſen und ichwerer wiederzugeben.

Der erſte Lichtſtrahl durch das wiedergeöffnete Fenſter zerſtört den

II

ganzen Zauber. Jch hatte das Glüd, den Rheinfall bei reichlichem Waſſer und an einem ſonnenhellen Mittag zu ſehen , und nehme davon ein

bleißendes Bild im Gedächtnis mit. Am Abend tam ich in Zürich an , einer der reizendſten Städte,. die my man ſehen kann . Sie liegt in einem tiefen Thal , wo die klare Limmat

mit reißender Schnelle aus dem prachtvollen Gebirgsſee abfließt. Die lange

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Brüđe, die unmittelbar über die Ausmündung führt und vor dem Stadt hauje, der Halle und dem ſchönen Dom umſtanden iſt, bildet eine der

köſtlichſten Promenaden, die man irgendwo findet. Am Ende des Sees erheben die ſchneebedecten Alpen . von Glarus , der Gotthard, die Gletſcher des Berner Oberlandes ihre Rieſenhäupter in weitem Valbkreiſe und wurden von der ſinkenden Sonne noch erleuchtet, während ein zauberiſches Halb 1

dunkel ſchon auf der ſpiegelglatten Flut ruhte, die ein Dampfſchiff in leiſe Wellenbewegung verſeşte.

,, Zur Feier meines Geburtstages veranſtaltete der Himmel ausnahms

weiſe einmal einen . Sonnenſchein, und ich machte eineunvergeßlich ſchöne Tour von Zürich über den Albis längs des Zuger Sees nach Schwyz und Brunnen am Vierwaldſtätter See. Seit den m a Jahren hatte ich dieſen letzten

Tag in recht perſchiedenen Umgebungen zugebracht. 1833 in Genua, dar auf in Kopenhagen , dann am Bosporus und am Euphrat, voriges Jahr Frau zuaber Perter der treuen Pflege meines Freundes Vincke und ſeiner tranf, dies Fahr wohl und munter am

Fußeder Alpen .

Aber

was ich am 28.*) Oktober noch nie unternommen , war , im Freien zul baden . Wie gut die Rur in Ilmenau mich ſchon abgehärtet , kannſt Du

daraus ſchließen , daß ich , nachdem ich die Nacht auf dem Poſtwagen zu 1

gebracht, im Schneemaſſer des Rheins þei Schaffhauſen , im klaren Spiegel be os ga , den der

2 .

des Züricher Sees und heut im Vierwaldſ ttätter See Föhn , ein heftiger Südmind, ſo u gereg , unb pie pe

Wonge des n e ollene n n Meeres an ddieer Ufer ſchluge . Ade wollen ſowie þaumw tters Jacke i habe ich abgelegt, und troß des falten Regenwe djeſen und Unterkle n ich

Herbſt befinde ich mich (unberufe ) vortreffl .

VonBerltdorf aus ging es nunmehr auf den Gottyard 34, aber jeßt

wird dieGeſchichte ſchrecklich,und esiſtſchade, daß ishon der Umſtand, daß ich dieſen Brief aus Italien ſchreibe, Euch perfåt, daß ich wirklich hinüber

gekommen bin. Es ereignete ſich nämlich allerdings das Schlimmſte, was einem Reiſenden auf dieſer Tour begegnen tann: plöbliches Tauwetter und

heftiger Regen, nachdem kurz zuvor viel Schnee gefallen iſt. Die Lawinen, denen bekanntlich dieſe Straße vorzugsweiſe ausgeſeßt iſt, ſind nur im

Winter und Frühjahr in ihrer ganzen furchtbaren Größe, indeſſen haken ble pon wir doch auch eine kleine Probe davon zu ſehen bekommen. Alsmewir Mtdarf aubfuhren, war der Sturm ſo heftig, daß die armen Pferde faſt nicht dagegen antonmuren. Troß des herabſtrömenden Regens erhielt ich mich auf dem Bod der Diligence, um die erhabene Schönheit der Straße *) Bergleige 6..14.

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zu genießen. Solche Thalränver, ſolche wohl tauſend Fuß hohen ſenkrechten Steinwände und ſolchen tollen Strom , wie die Keuß , habe id noch nicht

geſehen. Bald windet ſich die Chauſſee noch höher an der Berglehne empor, und der Strom brauſt tief unter uns in ſchauerlichen Schluchten. Dann treten die Felſen enger zuſammen, die Straße wendet ſich plöglich und ſeizt über einen fühnen Bogen auf die andere Thalmand hinüber. Unfern des Dorfes Waſen erſchallt durch das laute Brauſen des Fluſſes hindurch plötzlich ein donnerartiges Getöſe. Uns gerade gegenüber löſte ſich hoch oben an der Schneegrenze eine dunkle Maſſe ab und bewegte ſich mit ſtets zu nehmender Schnelligkeit durch eine Felsſchlucht abwärts . Eine Dampfwolke

bezeichnete ihre Bahn, jegt fam ſie weiter unten zum Vorſchein, große Steine und Felsſtücke ſeşten in tollen Sprüngen vor ihr her, und mit furchtbarem Krachen wälzte ſich dieſe „Steinſdjurre“ bis ganz hinab in den Strom . Wir ſtanden gerade gegenüber, aber wohl zweihundert Fuß über der Thal

ſohle , ſo daß wir dem Schauſpiel unbeſorgt zuſchauen konnten. Im Nu war das ganze Bett der Reuß zugedämmt, der Strom ſtaute ſich an, brauſte 1

und ſchäumte, aber im nächſten Augenblick hatte er das Hindernis ſchon 1

bewältigt und ſtürzte Sunkelgefärbt über Steintrümmer und Baumſtämme fort. Eine ſolche Steinſchurre iſt nur eine Kleinigkeit , außer wenn man

ihr gerade in die Quere kommt; was aber ein förmlicher Erdfall ſagen will, das hatte ich tagszuvor in Goldau geſehen. Dort hatte fich, ich glaube 1806 , cines nachmittags eine ganze Bergwand abgelöſt und in wenig Augenblicken das ganze reiche Dorf mit Menſchen und Vieh , mit Feldern und Häuſern begraben. Goldau liegt mindeſtens eine Viertel-, vielleicht eine halbe Meile vom Gipfel jenes Berges entfernt, und wenn ich 1

es nicht geſehen, würde ich es nimmer glauben , daß Steinblöcke von der Größe eines Hauſes auf ſolche Entfernung fortrollen könnten. Einmal in Bewegung geſeßt, kann ihnen freilich nichts widerſtehen. Noch heute iſt der Anblic dieſer Stätte ſchrecklich. Stein über Stein bedeckt eine Fläche von

weit über eine Meile im Umfang, kaum daß eine Tanne hin und wider aus dieſer Zerſtörung aufkommt, die blühende Saaten und reiche Wohnungen zehn bis zwanzig Ellen hoch überdeckt, ein Herculanum für ſpätere Jahr

tauſende , die unter dieſen Steinmaſſen die Zuſtände dieſer Zeit erſpähen können, wie wir die der Römer unter der Aſche bes Veſuvs.

Noch ehe mir das Dorf Göſchenen erreichten, war eine Steinſcurre hinter, eine andere vor uns auf die Straße ſelbſt herabgefallen, ſo daß wir zu Wagen weder pora noch rückwärts konnten. Es blieb alſo nichts übrig,

als zu Fuße weiterzugehen. Das war aber auch nicht ſo leicht, denn die Zwiſchenräume der loſe liegenden Trümmer waren mit Schlamm angefüllt,

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in den wir in der Dunkelheit bis über die Knie verſanken. Dabei war es gar nicht gut, lange zu verweilen, weil immer noch einige ſupplementariſche Nachträge herunterkamen. Bei finſterer Nacht und im Gußregen kamen wir zu Göſchenen an , es wurden Leute abgeſchickt, um umſer Gepäď zu holen , und auch die Pferde wurden durchgeſchafft; der Wagen wird aber wohl noch eine Weile ſtehen bleiben .

Um folgenden Tage hatte ſich der Sturm etwas gelegt, aber der Regen floß um fo beharrlicher.

Das hinderte aber nicht, unſere Wanderung fort:

zuſeßen und uns über die ſchauerliche Größe dieſes Alpenthales zu freuen. Am Schöllenen iſt eine ſo mißliche Stelle, daß neben der Straße von 1

Entfernung zu Entfernung ſogenannte Refuges angebracht ſind, Niſchen in der Felswand, in welche die Reiſenden ſich flüchten können , wenn ſie die Lawinen ,1 die hier ſehr häufig fallen , ankommen ſehen. Bei Tage iſt dies wohl auch ganz möglich. Bei einer Höhe von tauſend Fuß würde ein 1

I

Stein im freien Fall über acht Sekunden gebrauchen , an der Felswand

fann man das Drei- und Vierfache annehmen . Bei Tage alſo, wenn man aufmerkſam iſt , kann man mittlerweile hundert Schritte fortlaufen , nur

muß man nicht etwa gerade in die Richtung hineinrennen. Während derNacht war hier eine Schurre herabgekommen , die wegen des hindurchſtrömenden Baches "recht unangenehm zu paſſieren war. Das Thal erreicht nun die

Spiße des Grauſigen an der Teufelsbrücke. Die hohen ſenkrechten Granit wände zu beiden Seiten, der hundert Fuß hohe Sturz der Neuß unter den

Brüdenbogen fort ſind oft genug beſchrieben und abgebildet. Jenſeits kommt man in das Urner Loch, eine in den Fels geſprengte Galerie, und aus dem Dunkel derſelben tritt man plößlich in eine weite Wieſenfläche, auf der ſich der Turm der Kirche von Andermatt, der im Jahre 600 erbauten älteſten der Schweiz, und der Zwingturm am Dorf Hoſpital erheben. „ Hier war alles mit Schnee bedeckt, und wir bekamen Schlitten , um unſere Fahrt fortzuſeßen , leichte Gerüſte,1 auf die leere Tonnen als Size gelegt werden und vor die ein Pferd geſpannt wird. Jeder Reiſende hatte einen beſonderen Schlitten . Wir waren unſer drei. Ein Schweizer Ober

Alter aus Unterwalden, ein Franzoſe und ich ; zu Fuße gingen drei deutſche Handwerksburſchen, welche, fürs päpſtliche Militär angeworben, nach Rom pilgerten. Aber ſchon eine Stunde vor Hoſpenthal war die Straße der geſtalt durch Lawinen verſchüttet, daß die Pferde nicht weiter konnten.

Wir hatten zur Sicherheit drei ſtämmige Schweizerbuben mitgenommen, die unſer Gepäck aufluden , und gingen oder kletterten zu Fuß weiter. Una 12

valanga“ , eine Lamine , ſchrie der Führer , und an der gegenüberliegenden Wand, etwa zweihundert Schritte hinter uns, rollte jeßt von hoch oben eine Buchner, Moltke.

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Schneemaſſe herab. Man ſollte gar nicht glauben , daß bloßer Schnee ſolchen Lärm machen könnte , und doch verurſachte dieſe Lamine,1 die nur

klein war und kaum den Bach erreichte, ein Getöſe wie der ſtärkſte anhaltende Donner.

„ Von jetzt an erſt begann die Partie unangenehm zu werden. Je höher wir hinauf kamen , deſto loſer wurde der Schnee, deſto weicher war er durch den Regen und Südwind geworden . Man ſant bis zu den Knien, endlich bis zum Gürtel ein. Es bedurfte einer ſtarken Anſtrengung, das eine Bein Herauszuziehen , während man mit dem andern ebenſo tief ein ſank. Eine Weile ging das wohl, als dies aber eine Stunde lang gedauert,

der Sturm ſtets heftiger, Regen und Nebel ſtets dichter wurden, fing man an, ſich ſehr ernſthaft nach den Mauern des Hoſpitals umzuſehen , die noch immer nicht erſcheinen wollten . Ich erreichte es endlich, da ich den Mantel abgegeben und leichter ging , zuerſt, der Franzmann war aber wohl eine halbe Stunde zurüd, und die Träger, ſelbſt ſchon ſchwer beladen, mußten ihn ſtüßen . Endlich traf die ganze Karamane ein.

Aber ein elenderes Wirtshaus als das auf dem Gotthard kann man ſich nicht denken. Die Regierung des Kantons Teſſin hat da ein großes maſſives Haus mit vielen Zimmern gebaut , aber das erſte Bedürfnis,

Öfen, vergeſſen. Im ganzen Hauſe iſt nur ein Ofen, und dieſer wurde ſo mit naſſen Mänteln und Beinkleidern drapiert, daß ſeine Anweſenheit in dem großen Saale gar nicht verſpürt werden konnte.

Alles Gepäck war

durchnäßt, und es blieb nichts übrig, als um fünf Uhr nachmittags, nach dem warmer Wein und etwas Maccaroni und Räſe genoſſen, ſich zu Bette zu legen. Im eigentlichen Hoſpiz ſind nur zwei Rapuzinermönche und ein Laienbruder, die aus ihren geringen Mitteln die armen und hilfsbedürftigen Reiſenden verpflegen. Von den großen Hunden , die ſonſt die Reiſenden zwei Stunden weit aufſuchten, iſt feiner mehr da. , Um folgenden Tage ging es nun an der Südſeite des Paſſes hinab, allein da lag noch viel mehr Schnee als an der Nordſeite. Die Straße windet ſich in endloſem Zickzack an dem hier äußerſt ſteil abfallenden Ge birge hinunter, wir aber gingen geraden Weges hinab, einen Weg, den ohne den Schnee keine Gemſe klettern könnte. Wäre man nicht fortwährend bis an

die Hüften eingeſunken , ſo hätte man den Hals brechen müſſen ; man fiel unzähligemal,1 aber der Schnee fing den Fallenden auf , und ſo ging es, freilich mit unſäglicher Anſtrengung, drei Stunden bei fortwährendem Guß regen fort. Erſt nahe an Airolo, alſo faſt tauſend Fuß tiefer als an der

nördlichen Seite , hörte der Schnee auf. Nun wurde es aber ſehr gefähr 1

lich, auf der glatten , ſtark geneigten Grasmatte hinunterzutlettern. Der 1

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Wind ſeßte ſich in meinen Mantel, und nebſt einem Refruten Seiner Heilig keit ſegelte ich fißlings, vent en poupe, eine Wieſenfläche viel ſchneller, als mir lieb war, hinab. Wir ſtrandeten indes glücklich auf einem Schnees

feld. Der Franzoſe folgte unwillkürlich unſerem Beiſpiel, er kam aber mit dem Kopf voran und wäre rettungslos in einen Abgrund geſtürzt, hätte nicht einer der Träger, der voraus war, eine Schneeſchaufel in ſeinen Kurs gepflanzt und ihn zum Halten gebracht. Der arme Teufel hatte ſich aber

das Knie ſo beſchädigt, daß er in Airolo zurüdbleiben mußte. ,, Dieſen Ort erreichten wir , nachdem wir drei Tage nicht aus den naſſen Kleidern gekommen waren . Ich hatte daher nicht nötig, meine Bäder beſonders fortzuſetzen.

Wir hatten geglaubt, in Airolo endlich unſere Reiſe in einem bes queinen Wagen fortſetzen zu können, aber damit war es nichts. Der Ticino

iſt ein ſehr gefährlicher Gebirgsſtrom . Der ganz ungewöhnliche ſtarke und anhaltende Regen, den wir ſo lange genoſſen, hatte ihn ſo angeſchwellt, daß er mehrere Brüden zerſtört und die ſchöne Kunſtſtraße an vielen Orten

ſtart beſchädigt, ja oft ganz ſpurlos fortgeſpült hatte. Bis Faido mußten wir daher noch zu Fuße gehen. Die Reiſe das Leventiner Thal hinab war aber höchſt angenehm und

intereſſant. Man möchte es die Heimat der Waſſerfälle nennen, und wer ein beſonderer Freund gerade dieſer Art Naturſchönheit iſt, kann keinen

beſſeren Weg einſchlagen , als dem Lauf des Teſſin folgen. Zwar hingen noch ſchwereWolken hoch an den mit ſchwarzenTannen beſtandenenThalrändern, 1

aber die ſchneebedeckten Häupter der höchſten Gebirge ſchauten über die

Wolken hervor, und dann und wann zeigte ſich auch wohl ein Stücchen blauen Himmels, als ob er ſagen wollte, daß es ja ſo ſchlimm nicht gemeint

geweſen ſei. Überdies hatte der vorhergehende Regen den Vorteil für uns, die Waſſerfälle in ihrer volſten Schönheit zu ſehen. Hundert, ja viele hundert Kaskaden ſtürzten die Felswände herab , um derentwillen man, um eine anzuſtaunen , bei uns eine Reiſe machen würde. Die größere Zahl derſelben fließt auch nur bei ſo ungewöhnlichem Tauwetter. Bald ſieht man ſie wie Silberfäden hoch aus den Wolken herab ſich über das ſchwarze Geſtein ſchlängeln, bald wie ein leuchtender Flor von Fels zu Fels herabs rollen , bald ſpringen ſie fontänenartig empor über die Blöđe, die ihnen I

den Weg vertreten, oder ſchäumen frei mit wilder Gewalt ſechzig bis hundert Fuß hohe Abſtürze hinab. Je länger deſto langſamer wird dann die Bee wegung des fallenden Waſſers,1 weil es ſich wie Staub auflöſt, der in den graziöſeſten Floden herabſinkt.

„ Impoſant iſt aber vor allem der Dazio grande. Der Teſſin, der 7*

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überhaupt ein ſehr ſtarkes Gefälle hat, bildet oberhalb Faibo eine Strom ſchnelle , die auf etwa fünfhundert Fuß Länge gewiß dreihundert Fuß Ge

fälle hat. Dabei fließt er in einer ſo engen Schlucht und zwiſchen ſo hohen, ſenkrechten, oft überhängenden Steinwänden , daß die Straße an den mehrſten Stellen in den Fels gehauen , an anderen dreißig bis vierzig Fuß hoch aus

den ſorgfältigſt gefügten Quaderſteinen aufgeinauert werden mußte. Man möchte ſagen , daß der Fluß ſelbſt keinen Plaß in ſeinem Bette hat; an zwei Stellen iſt der oberhalb ſchon fünfzig bis hundert Fuß breite Strom nur zwei Fuß breit; man könnte bequem hinüberſchreiten , wenn es möglich wäre, an die Stelle hinab zu gelangen. Das Flußbett muß ſich daher unterhalb des Waſſerſpiegels fehr erweitern oder ungemein tief ſein. Mit furchtbarer Wut ſtürzt das eingepreßte Waſſer aus dieſen Spalten in die weiteren Reſſel hervor, brauſt wie kochender Schaum über die Felsblöcke hin und ſtürzt laut donnernd von Fall zu Fal fort, während die Straße, wie eine Wendeltreppe gemunden , ſich Mühe giebt , ihm nachzukommen. Allmählich ſteigt man denn auch aus der Region der Tannen in die der Kaſtanien und Nußbäume, des Weinſtoďs, der Cypreſſe und Olive hinab. Bellinzona bietet einen ſehr eigentümlichen Anblic . Drei Forts in einer langen Mauer ſperren das ganze zweitauſend Fuß breite Thal von den hohen Bergen links bis zur zweihundertundfünfzig Fuß langen ſteinernen Brücke über den Teſjin. Die Mauer iſt zur Verteidigung nach beiden

Seiten eingerichtet und das Städtchen ſelbſt befeſtigt. Da das Dampfſchiff des ſchlimmen Wetters wegen heute nicht über den See geht, ſo habe ich

Muße, dieſen Tangen Brief zu ſchreiben. Uin ſolch ein Wetter zu haben, braucht man nicht nach Italien zu reiſen . Das kann man auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin auch haben. Es regnet unaufhörlich, der Lago .

Maggiore iſt um vierzehn Fuß geſtiegen . Unſer Gaſthof liegt auf einer Inſel, und man kann mit feinem Schritt hinaus. In dem Hof, durch den wir geſtern noch gegangen ſind, wird heute mit Kähnen herumgefahren ." Neapel, ben 17. November 1840.

„ Hier habe ich nun die rauhen Berge des Thüringer Waldes gegen die Ufer des neapolitaniſchen Golfs vertauſcht, die dunklen Tannen, die ihre Zweige unter der Laſt des Schnees ſenkten , gegen lichtgrüne Citronens bäume mit goldenen Früchten 1, gegen Palmen und Oliven . Gerade vor meiner weitgeöffneten Balkonthür erhebt ſich jenſeits der Bucht der Veſuv, aus deſſen Krater dichte weiße Wolken emporwirbeln . Weinberge und Gärten bedecken ſeinen Fuß , und längs des Ufers zieht ſich eine ununter die Ortſchaften Portici, brochene Reihe von Häuſern und Paläſten Torre dell' Annunziata , Torre del Greco und Caſtellamare bildend

hin.

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Weiter rechts ragt das Vorgebirge Sorrento ins Meer, und die Inſel Capri hebt ihr zadiges Haupt aus der Flut. Unmittelbar unter den Fenſtern das rege Treiben dieſer volkreichen Stadt. Alles iſt hier lärmend, ſelbſt die Brandung des Meeres gegen die felſigen Ufer und hohen Quais ſcheint mir lauter als anderswo. Die Auſtern- und Fiſchverkäufer · mit ihren Frutti di Mare, die Eſeltreiber, die ungeheure Laſten von Gemüſen herbei führen, die wir ſeit dem Frühjahr nicht geſehen , die Blumen- und Wein traubenverkäufer, die Kutſcher, die Bettler und ſelbſt die Faulenzer, die ſonſt nichts thun , ſchreien wenigſtens. Wenn ein Lazzarone Langeweile hat, ſo ſtößt er einen Schrei aus, und flugs ſammelt ſich eine Geſellſchaft um ihn, die ebenfalls ſchreit, und alle ſind zufrieden. Dort ſpielen zwei alla morra, 1 :

wobei es darauf ankommt, zu wiſſen , wie viel Finger der Mitſpieler auf heben wird ; man glaubt, es komme zu Meſſerſtichen, aber es iſt nur eine freundſchaftliche Unterhaltung. Weiterhin ſpielt man mit Sandkugeln il big

ļiardo del povero, alcs unter lautem Geſchrei. Die Pferde vor den Wagen tragen Schellen , und da alle ihre Lungen gleich ſehr anſtrengen, kann keiner ſich perſtändlicher machen , als wenn alle leiſer ſprächen. Wirklich geht man ,

mit einer Art von Betäubung durch die Straßen, plößlich fährt Dir ein Mietswagen quer vor die Füße. „ Volete carrozza !" ruft der Führer aus allen Kräften und nötigt Dich, einen Umweg zu machen, wenn Du weiter

gehen willſt. „ Eccellenza !" ruft ein anderer und zeigt mit vorwurfsvollem Blick auf Deine Stiefel. Allerdings ſind ſie in der höchſt unreinlichen Straße ſehr beſchmußt, und während Du den Blick darauf richteſt, hat der Mann Dich ſchon beim Fuße gepackt. Er ſtellt einen kleinen, kaſtenartigen

Schemel unter , und mitten im Gemühl von Menſchen und Pferden ſtellt er für 2 grani den völligen Glanz der Chauſſure mit der Bürſte wieder her. „ Andiamo alla barca !" ſchreit ein kleiner Matroſe und verrennt Dir den Weg. „ Per carità , Signore!" ruft ein Bettler und ſtreckt die Krücke aus , ſo daß Du hinüberſteigen mußt. Wo Du Dich hinwendeſt, beeinträchtigt jemand Deine Freiheit, um Dich zu veranlaſſen , ihm einen Gewinn zu gönnen. Ein deutſcher Bettler öffnet Dir die Thür , ein, italieniſcher macht ſie zu, damit Du das Aufmachen erkaufen ſolſt. 3

Doch ich wollte noch nicht von Neapel ſchreiben , ſondern erzählen, wie ich dahin gekommen bin, nämlich zu Waſſer und im Waſſer. Furchtbare

Regengüſſe hatten die Seen und Flüſſe Oberitaliens ſo angeſchmellt, daß faſt alle Verbindung unterbrochen war. Die große Schiffbrücke über den

Po war geriſſen , und wir mußten uns und unſere durchnäßten Effekten auf kleinen Sähnen einſchiffen, die nur mit Not den reißenden Strom paſſierten. Das Wetter war abſcheulich, und ich eilte , um die mir ſchon

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bekannten Gegenden gegen neue zu vertauſchen. Der trübe Himmel entſtellte alles. Die Borromeiſchen Inſeln im Lago Maggiore ſahen nicht beſſer aus als die Möweninſel in der Schlei, und ſelbſt Genova la superba war lange nicht ſo ſuperb wie ſonſt. Aber man ſieht es der meerbeherrſchenden Stadt doch zu allen Zeiten an , daß einſt Königreiche ihr unterthan waren . Denn Paläſte wie der Durazzo , Balbi , Doria , Lavagna und viele andere ſind von fürſtlicher Pracht. Man verſchwendet an ihnen , was in Genua am foſtbarſten iſt, den Raum.

Wenn man wiſſen will, was eine ſchöne

Treppe iſt, ſo muß man hierher kommen. Die oft fünfzig Fuß breiten

Stufen ſteigen ſanft an, ſind ineiſt aus weiß und ſchwarzem Marmor und mit koſtbaren Statuen zu beiden Seiten geſchmüdt. Sie führen durch zwei,

drei Stockwerke, in denen eigentlich nichts iſt, bis man an die Wohnzimmer fommt , denn hoch muß man ſteigen , um aus dem Dunkel der engen Straßen bis zu einer prachtvollen Ausſicht ſich zu erheben. Die Straßen Balbi, nuova und nuovissima ſind zwar breit und prachtvol mit großen Quadern gepflaſtert, aber je näher dein Hafen , deſto enger werden die Straßen ,1 und bequem kann man dort beide Seiten einer Gaffe zugleich berühren. Ich wohnte im Croce di Malta, hundertundzwanzig Stufen

hoch. Der Speiſeſaal reichte in dieſer Höhe durch zwei Etagen und ſah einer Kirche ähnlicher als einem Salon. Man erſtaunt, wenn man über dieſer Turmhöhe auf das flache Dach des Hauſes tritt und dort einen lieb lichen Drangenhain mit ſprudelndem Springbrunnen antrifft. Das Waſſer tommt in Röhren von den Bergen herab, die unmittelbar hinter Genua an dreitauſend Fuß aufſteigen, mit Landhäuſern, Gärten, Olivenwäldern bekleidet und von den Forts gekrönt ſind, welche dieſe Stadt zu einem Reduit für die ganze Armee des Königreichs machen. „ So ſchön die Wellen des Mittelländiſchen Meeres ausſahen, als ſie gegen das ſchroffe Felsufer ſchäumten , ſo unerfreulich wurden ſie, ſobald

unſer Dampfſchiff, der ,Suly “ , um die Spige des Molo hinausruderte. Die Nacht war finſter und ſtürmiſch, und alle Paſſagiere waren ſeekrank. I

Einem derſelben , welcher ſich aufs Verde gelegt, wurde von einer herabs

ſtürzenden Rae der Schädel geſpalten, ſo daß der unglückliche Menſch, ein Ruſſe, kaum mit dem Leben davonkommen wird. Die Fahrt dauerte lange ; im Angeſichte Livornos nahm das Unwetter ſo zu , daß mir faſt wieder

umkehren mußten. Indeſſen erreichten wir gegen Abend die Reede (wir hätten ſchon morgens da ſein ſollen ) und liefen hinter den ſchüßenden Molo ein. Der Kapitän beſchloß, vicrundzwanzig Stunden liegen zu bleiben, um den Sturm austoben zu laſſen. „ Jeder Reiſende, der zur See geht, erlebt einen Orkan, a matter of

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course, und ich überlaſſe Dir daher, von dem meinigen ſo viel abzuziehen, wie Dir gut ſcheint. So viel bleibt immer wahr , daß ich abſcheulich ſees frank war und mir feſt vornahın, nie wieder ein Schiff zu beſteigen. Um folgenden Tage ſah der Himmel ſo blau aus, die Luft war mild, die See lächelte, das Schiff dampfte, die Anker waren gelichtet, und hinaus ging es abermals in die See. Aber während der Nacht nahm der Sirocco wieder zu , und das alte Elend erneuerte ſich , bis wir hinter den Molo von Civita Vecchia einliefen. Nun hatte ich genug. Ich ließ mich aus ſchiffen, um nach Rom und von da zu Land nach Neapel zu gehen , aber 1

1

dazu waren die Päſſe nicht viſiert. Man ſchicte mich von der Polizei nach der Duana, vom preußiſchen Ronſul zur päpſtlichen Legation, von der Poſt

auf den Zou, überat mußte bezahlt werden undS ?nirgends war man zufrieden. Keine Stadt hat auf mich einen ſo widrigen Eindruck gemacht als dieſe. Ganze Schwärme zerlumpter Bettler drängten ſich um uns ; jeder ergreift mit Gewalt ein Stück Gepäck, einen Nachtſack, einen Regenſchirm oder einen Mantel, und läuft davon. Endlich, nachdem alle Schwierigkeiten beſeitigt ſchienen, forderte man das Poſtgeld für zwei Pläßc, weil ſonſt die Diligence erſt morgen früh abgehen könnte. Die Leute mochten mir anſehen, daß ich das ſtürmiſche Meer nicht liebte , und glaubten mich ſicher zu haben ; ich

entſchloß mich aber kurz, ließ meine Sachen aufpacken, nahm ein Boot und verfügte mich abermals an Bord des armen „Sully “ , welcher ſich mühſam in der Richtung nach Rap Circello fortſchaukelte. Wären die Gefährten des Ulyſſes ſo ſeekrank geweſen wie ich und meine Leidensgenoſſen , ſie hätten wahrlich nicht nötig gehabt, ſich hier die Dhren mit Wachs zu ver kleben. Ich hätte die Sirenen ſehen mögen , deren Geſang mich hätte ver 1

loden können .

„ In Civita Vecchia, das von der See einen ſehr ſchönen Anblick gewährt, hatte ich den Vorzug, die Bekanntſchaft des berüchtigtſten Räuber

hauptmanns unſerer Zeit zu machen. Derſelbe hatte eine Menge Kaub. züge vollführt und, wie er ſelbſt wohlgefällig bemerkte, dabei dreißig Menſchen crmordet, als endlich ein Vergleich mit ſeiner Heiligkeit einer- und Signor Gaſparino andererſeits zu ftande fam , demzufolge leßterer nach Ancona

abgeführt wurde. Bald aber überzeugte ſich der Bravo, daß er übervorteilt ſei und den Kontrakt unmöglich halten könne. Er fündigte ihn demnach auf, ſtellte ſich abermals an die Spiße ſeiner Bande und hauſte ärger als

zuvor. Die päpſtliche Regierung ging nun wieder einen neuen Vergleich ein. Es wurde dem Räuberhauptmann eine komfortable Wohnung zu Civita Vecchia angewieſen ; er erhält vier Schüſſeln und vier Paoli täglid, geht in Begleitung umher und führt ſeitdem ein gottſeliges und erbauliches

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Jedenfalls war er die liebenswürdigſte Perſönlichkeit, die ich in

Leben.

Civita Vecchia kennen lernte.

„Ich bin überzeugt, daß lange in Italien reiſen den Charakter der ſchlechtert.. Man ſieht eine ganze Nation von Facchinos, Camerieres, Vet 1

turinos , Hoſpites und Cicerones , die ſich vereint haben, die Reiſenden zu plündern. Sie betrügen ihn allerdings nur um eine Kleinigkeit, aber es iſt iminer verdrießlich , geprelt zu werden . So ſegt man überall die ſchlimmſten Abſichten voraus ,1 oft auch da , wo ſie nicht vorhanden ſind. Man traut niemand, handelt und feilſcht bei jeder Forderung und iſt jedes mat doch überliſtet. In Deutſchland ſucht ein Armer durch irgend eine Hilfsleiſiung Anrecht auf eine Unterſtüßung 34 gewinnen , der italieniſche Bettler wil Dich zwingen, ihm etwas zu ſchenken , und macht ſich ſo läſtig und unleidlich wie möglich, damit Du Diö ſeiner durch ein Almoſen ent ledigen ſolſt. Er hält Dich an den Kleidern feſt , zeigt die ekelhafteſten Wunden und Verſtümmelungen , ſchimpft , wenn Du ihm nichts giebſt, und lacht Dich aus , wenn Du ihm gegeben. Du darfſt nur nach dem Namen einer Straße fragert, ſo ſtreckt, der Dir die Antwort gab, die Hand nach einer Belohnung aus. Ein ganz wohlgefleideter Menſch verfolgte mich .

durch Livorno , um mir das Haus des preußiſchen Ronſuls zu zeigen , das

ich mir ſchon hatte bezeichnen laſſen. Ich ſagte ihm , daß er ſich nicht be mühen möge,weil ich ihm nichts geben würde. „ Ecco la casa , al terzo piano, “ in 'dritten Stock , ſagte der Mairn und zog ſich zurüc. Erſtaunt über die Beſcheidenheit, kletterte ich die hohen Stiegen Hinan und fand, daß 1

der Konſul parterre wohnt.

,,Eine Hauptregel iſt, daß inan dem Italiener nie auf einmal giebt , was man ihm zugedacht. Gieb ihm fünf Franken für die kleinſte Dienſt leiſiung, ſo wird er ſagen : „ è poco , Signor ,“ es iſt wenig. Gieb ihm aber erſt einen Franken und dann einen halben ,1 ſo iſt er zufrieden. Dies iſt ein niedriger Charakterzug. Mit allem zufrieden , wenn es ſein muß, 1

ſucht er ſtets noch etwas zu accrochieren, ſobald eine Möglichkeit da iſt. „ Am 10. November mittags kamen wir unter den Schuß, der Inſel gechia. Wir eilten an dem hohen Raſtell von Prociða und dem ſchön ge formten Kap Miſeno vorüber , durchſchifften die Bucht von Bajä und Puz zuoli, und als wir um den Pojilippo bogen, breitete das prachtvolle Neapel I

ſich vor uns aus. Aber Wolfen hingen um den Veſuv und verdunkelten das Vorgebirge von Sorrento, ſo daß der Anblick nicht ſo reich und ſchön

war, wie wir erwartet. Ich ſah Konſtantinopel zum erſtenmale Ende No: vember und muß doch geſtehen , daß dieſer Anblick dert von Neapel noch übertrifft.

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Einer der intereſſanteſten Gegenſtände, die man in Italien beſehen

II

kann , iſt die ausgegrabene Stadt Pompeji. Wie durch Zauber wird man aus der Gegenwart in die ferne Vorzeit, aus dem neunzehnten in das erſte

Jahrhundert der chriſtlichen Zeitrechnung verſezt.

Die Zeit, die Völker

wanderungen und die Kunſtliebhaber zerſtörten die prachtvollſten und ſolis deſten Bauten der Römer und Griechen. Von den gewaltigſten Tempeln und Theatern ſieht man heute meiſt nur noch einzelne Säulenſchäfte und halbverſunkene Gewölbe. Aber Pompeji wurde durch ein plötzliches Natur ereignis an einem Tage mitten im dermaligen Leben ſeiner Bewohner: en flagrant délit überraſcht und für faſt zwei Jahrtauſende eingeſargt. Die

Erde ſelbſt war das Muſeum , in dem nicht nur ſeine Kunſtſchäße, ſondern die ganzen häuslichen Einrichtungen der Bevölkerung ſicher aufgehoben Eine zehn bis zwanzig Fuß hohe Decke von Aſche und Bimsſteinen ſicherte alles dies vor Zerſtörung, und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wußte man zwar, daß ein Ausbruch des Veſuvs im Jahre 79 nach Chriſti

waren .

Geburt Pompeji zerſtört, nicht aber, wo dieſe Stadt gelegen hatte.

Einige

beim Brunnengraben aufgefundene Inſchriften bezeichneten zuerſt den Ort.

Gegenwärtig iſt etwa der vierte und jedenfalls der intereſſanteſte Teil der alten Stadt, auf dem Weinberge und Landhäuſer ſich ausbreiteten , ans Tageslicht gezogen . Denn ausgegraben ſind : das Forum ,1 zwei Theater, die Straße der Handwerker und Kaufleute, der Cirkus vor dem Thor , die Straße der Gräber und die Häuſer bekannter Männer, wie Cicero, Dio medes, Salluſt u. f. w.

„ Die Einwohner Pompejis waren im Augenblicke der Eruption gerade

im Amphitheater verſammelt, das mit ſeinen Marmorſtufen und Löwen zwingern vor unſeren Augen aufgedeckt ſteht. Wahrſcheinlich hatte der grös Bere Teil Zeit, ſich zu flüchten. Jedoch findet man auch einen großen Teil Verunglückter. An der Thür des großen ſchönen Hauſes des Freigelaſſenen Diomedes fand man das Skelett eines Mannes mit einem Schlüſſel in der einen , einem Beutel Geld in der anderen Knochenhand. Im Tempel der

Sfis lag in den unteren Gewölben ein Skelett mit einer Brechſtange. Der Mann hatte ſich durch zwei dicke Mauern durchgearbeitet. Ein weibliches Skelett hielt in ſeinen Arinen die Skelette zweier Kinder, die es gegen den Aſchenregen hatte ſchüßen wollen , und noch zeigt man ein verſteinertes Stück Aſche, init dem Abbruck eines ſchönen Buſens. ,,Nichts überraſcht beim Beſuche dieſes Epimenides der Städte ſo ſehr,

als die Friſche der Farben , die zweitauſend Jahre lang an dieſen Kalt wänden kleben. Faſt alle Fußböden der größeren Häuſer ſind mit den zierlichſten Moſaiten bedeckt, und die Fontänen mit dem zerbrechlichen Schmuck

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von Konchylien und Seemuſcheln ſehen aus, als ob ſie eben fertig geworden. Man ſtaunt über die Korrektheit der Zeichnung und den Glanz der Farben

bei den ſchwebenden Figuren auf rotem oder ſchwarzem Grund, welche die Wände ſchmückten und jedesmal Bezug auf die Beſtimmung des Ortes hatten. Ein Pfeiler im Hauſe eines Tuchfabrikanten zeigt die ganze Pro zeður dieſes Geſchäftes, den Webeſtuhl, das Krumpen , das Waſchen , end

lich eine Schraubenpreſſe, genau ſo, wie ſie noch jeßt angewandt wird. In den Speiſezimmern findet man Obſt, Blumen und Jagdſtüđe. Die Namen der Handwerker, ſowie die der Straßen ſind mit ſchöner Schrift, meiſt rot, an den Häuſern angeſchrieben , an einigen Stellen findet man

ſcherzhafte Ausrufungen und gewiſſe Figuren angemalt, wie man ſie an unſeren Mauern auch findet. Die Räder der Wagen haben Geleiſe in das harte Lavapflaſter gegraben, an einigen Stellen liegen noch die Steine, um bei Regenwetter trockenen Fußes von einem Trottoir aufs andere über die Straße gelangen zu können. Man hat Brot , Mehl, Oliven , Feigen, Bohnen, freilich verkohlt, Weinkrüge ( ſpiße Amphoren , wie ſie heute noch

iin Orient gebräuchlich ), zahlloſe Töpfergeſchirre von der zierlichſten Form und mit den bekannten Figuren auf ſchwarzem Grund, Kochöfen, Badherde, allerlei Handwerksgeräte, chirurgiſche Werkzeuge, Würfel, Schachſpiele, muſi kaliſche Inſtrumente , Küchengeſchirre und Wagſchalen gefunden, und alles unterſcheidet ſich von eben dieſen jeßt gebräuchlichen Gegenſtänden nur da. 1

rin, daß es zierlicher und geſchmadvoller gearbeitet iſt.

Eingang des Jahres 1841 erſchienen die Briefe aus der Türkei. Im Frühling beſuchte Moltke ſeine Schweſter Auguſte Burt in Holſtein , und damit erfolgt ein ſegensreicher Umſchlag im Leben des dereinſamten Mannes, der einigermaßen in Gefahr war, ein alter Junggeſelle zu werden.

In der Neujahrsnacht 1836 ſchrieb die Generalin Henriette von Moltke zu Schleswig ihrem fern im Oſten weilenden Sohn: „ In meinem einſamen Stübchen ſiße ich ganz allein und denke an Dich, ſuche Dich auf in Deiner lieblichen Wohnung am Bospor, wovon Du mir in Deinem lieben leßten Brief vom 30. November eine ſo reizende Beſchreibung machſt. Nun ſchlägt des Jahres leßte Stunde ! Was wird das neue Jahr ung bringen ? Reichen Segen und Geſundheit für Dich, mein teurer Helmut, darum bitte ich Gott in dieſer Stunde, und bald eine liebende Gefährtin an Deiner

Seite , die Dir eine frohe Häuslichkeit verſchafft. Du biſt in dem Alter, wo man nicht mehr mit blinder Leidenſchaft wählt, dafür iſt mir für Dich

nicht mehr bange. Du haſt es mit unermüdlichem Streben dahin gebracht,

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auf eine glückliche Häuslichkeit Anſpruch machen zu dürfen. Möge Dir die Vorſehung nun ein Deinem Herzen würdiges Weſen zuführen ! Dies möchte ich ſo gern noch erleben, wie innig würde ich mich Deines Glückes freuen !“ Die treffliche Frau hat es nicht mehr erlebt. Moltke aber hat unter allen Briefen, die ihn aus der Heimat erreicht hatten, dieſen einzigen der Mutter wie ein Vermächtnis ſorgſam aufgehoben.

Helmut Moltke hatte einmal zu ſeiner jüngſten Schweſter Auguſte geſagt: „ Die Ehe iſt eine Lotterie, keiner weiß, welches Los er zieht. Soll ich einmal heiraten , ſo möchte ich ein Mädchen wählen , das Du erzogen haſt." Auguſte Moltke war ſeit 1834 mit John Heyliger Burt vermählt. Aus ſeiner erſten Ehe mit Erneſtine von Staffeldt waren drei Kinder ent ſproſſen , ein früh geſtorbener Sohn John , eine Tochter Jeannette , welche ſich 1843 mit dem Baron Caj von Bro & dorff vermählte, und eine am 5. April 1826 zu Kiel geborene Tochter Marie.

Schon im fünften Lebenss

jahre mutterlos geworden, war Marie acht Jahre alt, als ihr in Auguſte Moltke eine liebevolle zweite Mutter gegeben ward, von der ſie ſelbſt ein mal bankerfült bekannt hat : Es iſt wohl hart , ſeine Mutter ſo früh zu

verlieren, aber wem ſie ſo erſeßt wird, wie uns, der iſt nicht zu beklagen. Der erſte Band der Geſamınelten Schriften bringt, ohne daß der Ver faſſer genannt wäre, einen überaus anmutigen Aufſaß über Marie Moltke, aus dem hier einige Züge entlehnt werden mögen. „ Es iſt kaum ein

licblicheres Bild zu zeichnen, als das dieſes lebensfrohen, blühenden Kindes mit dem dunkelblonden Lodenkopf und den lebhaften braunen Augen, berents

wegen ſeine Mutter es wohl ihr „ Kaffeeböhnchen “ nannte. Früh zeigte ſich in dem Kinde bei faſt knabenhafter Ungebundenheit und Leichtigkeit des Entſchluſſes cine ſeltene Weichheit des Gemütes. So ſehr ſie durch ihre Einfälle und Angaben alle Welt entzüdte , ſo oft mag die kleine Marie durch ihre Selbſtändigkeit die Beſorgnis der Eltern wachgerufen haben. Reizend war es anzuſehen , wenn ſie, die Loden aus dem Geſichte ſchüttelnd, auf einer roten Decke fißend ihren Eſel tummelte, den ſie über alles liebte.

Er war ihr nach ſchwerer Krankheit zum Geſchenk gemacht. Eines Tages

wurde ſie in Schleswig vermißt. Als ſie ſpät zu den geängſtigten Eltern zurüdgeführt wurde, fand ſich, daß fie, um ihre Großmutter durch einen Beſuch zu überraſchen, den Verſuch gemacht hatte, auf dem Efel faſt ſechs Meilen nach Kiel zu reiten . Mit zehn Jahren begleitete ſie die Eltern

nach Karlsbad. Nachdem der Reiz der neuen Umgebung geſchwunden war, ſchrieb ſie daſelbſt in einem Anfluge von Heimweh in ihr Reiſetagebuch:

„Ich ſehne mich immer ſo nach Tante Lene, Eliſe Lüders und meinem Eſel Sally und wollte, daß die brei erſt wieder vor mir ſtänden .“ Manche /

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kindlich einfältigen Bekenntniſſe ihres Tagebuchs zeugen davon, wie ſie ſich über die an ihr oft gerügten Ausſchreitungen überſchäumender Lebensluſt ſelber Rechenſchaft zu geben pflegte. Es wurde ihr ſchwer, ſtill zu fißen ; zu leſen und den Ernſt zu wahren, den man von ihr forderte. So fand w ſie nicht ohne Widerſtreben den Weg zur Ausbildung.. von: ihrer vortreff

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F.

Wayn

Helmut von Moltte nach der Beimkehr.

lichen zweiten Mutter in Liebe geleitet, gewann ſie bei ungewöhnlicher An

mut der äußeren Erſcheinung jene Liebenswürdigkeit --Des reinen Herzens, die ſich ſelber unbewußt bleibt. iiDer Kreis der Familie hatte ſich erweitert. Mit zärtlicher Liebe um

fing Marie die beiden kleinen Geſchwiſter Erneſtine und Henry. Sie anzuleiten war ihr ſpielende Luſt. Unter den Augen der Eltern, umgeben von den Geſchwiſtern , lebte ſie glüdliche Jahre , .unbetümmert um ihre

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Schönheit wie um alle Welt. Das einzige, was aus der weiten in ihre enge Welt drang, waren die ſeltenen Botſchaften von den ihr faſt märchen haft klingenden Erlebniſſen und Fährniſſen des im fernen Oſten weilenden Bruders ihrer Mutter. Mit Leidenſchaftlicher Spannung horchte die kaum

der Kindheit entwachſene Jungfrau auf, wenn der alte General, Helmuts

Marte von Moltte, geb. Durt.

Vater, auf ſeinen Reiſen in Ibehoe einkehrte und mit Stolz von ſeinem tapferen Sohne erzählte, der ſich unter Chriſten und Moslems einen guten Namen gemacht.

,, Da trat er ſelber, ſchlicht und anſpruchslos , an einem Tage des Jahres 1841 ein , wettergebräunten Antlißes, der hochgewachſene ernſte Mann mit ", um mit der den leuchtenden Augen, ſchon im Sommer des Lebens

Wärme ſeines Gemütes und mit dem Lichte ſeines überlegenen Geiſtes alle

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die reichen Schäße des Herzens , welche in der jungen Frühlingsknoſpe ichlummerten, zur Entfaltung zu wecken . Mit der Stunde, da Marie bes glüdt erkannte, wie viel ſie dem lange einſamen Herzen dieſes ſeltenen Mannes zu ſein beſtimmt war, nahm ihr Jnneres einen ungeahnten Auf ichwung. Es war, als müßte ſic den treinenden Abſtand der Lebensjahre

und Erfahrungen einholen. So klettert die Winde an dem Baumſtamme empor, der ihrem Daſein den Halt giebt. Sie weiß die härteren Formen

der Veräſtung mit ihren freundlichen Ranken zu überdeđen und ſeine Zweige mit tauſendfachen Blüten zu ſchmücken , die ihm die Natur verſagte. In demſelben Boden gottesfürchtigen Lebens wurzelnd, folgte ſie ſeiner aufs Erhabene gerichteten lauteren Geiſtesgröße, indem ſie ihn mit aller Inniga

keit erſter und einziger Liebe umſchlang, um ihn nie mehr zu laſſen. „Der kaum ſechzehnjährigen Braut mögen zagende Zweifel, ob ſie den geliebten Mann glüdlich machen könne , nicht erſpart geblieben ſein. Faſt rührend klingt ihr klagendes Bekenntnis und ihr Gelöbnis : „Ich habe Sorge, ob ich Dir als Frau auch alles ſein kann, weil ich noch ſo jung und uner

fahren bin. Darum will ich mich nun beſtreben, nicht widerſpenſtig oder strong headed zu ſein, damit ich Dir immer nachgebe, wenn ich unrecht habe. Ich habe noch gar keine tournure , und mir fehlen noch ſo ganz alle geſelligen Gaben . Darum will ich mich ſo gern überall von Dir leiten laſſen. Dazu gehört freilich viel Geduld von Teiner Seite, mir alle Ver

ſtöße nachzuſehen , die ich noch machen werde. Ich will die Zeit recht be 1

nußen, mich im Sprechen zu üben und alle Viſiten mitmachen .“ Ihr blieb

por der Heirat freilich wenig Zeit, die Übung in geſellſchaftlichen Münſten zu gewinnen , deren Mangel ſie in dem Gedanken an das Leben in der

großen Welt damals empfand. Die Wahrheit und Geradheit ihres Charat ters ließ ſie in der leeren Form konventionellen Zwanges auch ſpäter nie: mals heimiſch werden, als es ihr an entſchloſſener Sicherheit des Auftretens

nicht mehr fehlte. Gewiß eine ſtrahlende Erſcheinung der Geſellſchaft, ſuchte jie dieſelbe doch niemals um ihrer ſelbſt willen auf.

Sich für wenige

Stunden der Geſelligkeit mit äußerem Glanze zu ſchmüđen, war ihr eine Laſt, welche ihr immer nur die einzige Genugthuung gewähren konnte, wenn ſie berichten durfte : „Helmut war mit mir zufrieden.“ Wo ſie warm erſchien, da war ſie auch mit dem Herzen beteiligt, und ihre Treue blieb 1

nicht aus.

, Deshalb verſtand auch ſchon dies junge Leben es ſo gut , mit der Friſche ſicherer Zuverſicht, die ſich auf felſenfeſte Liebe gründete, die Falten von der Stirn des Verlobten fortzuſcheuchen: „ Sage mir, warum Du Hypochonder biſt und wie Du es nur ſein darfjt ? – Werden wir nicht

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in gegenſeitiger Liebe beide ein ſchönes , glückliches , friedliches und gott gefälliges Leben führen können ? Penn ich nicht glüdlich würde, ſo iſt es meine eigene Schuld, und ich bitte Gott, daß er mir die Kraft und Fähig feit gebe, Dich in unſerer Ehe Tein häusliches Glück finden zu laſſen. Ich kann mir feine größere Glüdſeligkeit auf Erden für eine Frau denken,

als wenn ſie deſſen bei ihrem Manne gewiß iſt. Gewiß, Du verdienſt vor allen Männern glüdlich zu werden, und ich erkenne, zu welcher hohen,

heiligen Pflicht Gott mich berufen hat, die Gefährtin Deines Lebens zu ſein. “ ,Dieſe Auffaſſung zog ſich durch ihr ganzes Eheleben. Sie ahnte nicht,

welchen Zauber ſie auf ihre ganze Umgebung ausübte, und hat zeitlebens mit nichts gerechnet, als womit ſie das Daſein ihres Gatten verſchönern

könnte. Volles Verſtändnis für ſeine Eigenart und tiefe Empfindung für ſeinen inneren Wert erfüllten ſie ſchon damals. Wenige Wochen vor der Verbindung hatte er ſie auf ſein verſchloſſenes Weſen aufmerkſam gemacht und geklagt, daß eine freudloſe Jugend die Gabe austauſchenden Gemüts

lebens in ihm verkümmert habe. Darauf antwortete ſie ihm : Ich weiß wohl , daß es im Moltkeſchen Charakter liegt , ſich wenig zu äußern und mitzuteilen. Du haſt auch oft etwas in Deinem Weſen, was zurüchaltend

ſcheint und manche hautain nennen. Mag die Welt Dir denn auch öfters eine Äußerung des Gemütes geraubt haben , ſo trägſt Du ja doch einen Schaß von Reichtum ,1 Weichheit und Adel des Herzens in Dir , wie man

es gewiß bei Männern nicht wieder findet. Und ſelbſt von Frauen giebt es wenige , die Dich an Wärme des Gemütes und an ſo růhrend tiefem Mitgefühl für andere übertreffen. Was mich bei Dir ſo rühren kann, iſt

die übergroße Beſcheidenheit Deines Charakters und vor allem die Guts mütigkeit, die Du bei jeder Sache an den Tag legſt. Sobald Du irgend

jemand unfreundlich begegnet biſt, ſo thut es Dir nachher ſo leid, und Du ſuchſt es auf alle Weiſe wieder gut zu machen .“ So geartet war das eten fünfzehn Jahre alt gewordene Mädchen ,

als Moltke im Frühjahr 1841 in Izehoe eintraf, ein ernſter, welterfahrener Mann von vierzig Jahren. Wohl war der Unterſchied der Jahre, wohl auch nicht minder der geiſtigen Bildung groß ; was Marie noch fehlte, erſetzte ſie durch die natürliche Anmut und Heiterkeit ihres Weſens, durch den bewundernden Aufbliď zu dem Manne, ber ſo Großes durchlebt. Und ſo warb am 9. Mai 1841 Marie Burt Moltkes Braut.

Und zwar erklärlicherweiſe zur großen Überraſchung der Verwandt

ſchaft. Zeugnis dafür die Äußerung von Marie Ballhorn: „ Deutlich ers innere ich mich noch des Eindruckes, den dieſe Verlobung auf die Familie machte. Man glaubte nicht, daß Helmut richtig gewählt habe, erſtens des

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großen Altersunterſchiedes wegen und dann , weil Marie allen als ein äußerſt wildes ausgelaſſenes -Kind befannt war — wie ſollte ſie zur ehr baren Gattin des ernſten gelehrten Offiziers paſſen ? Da er ſo ſchweigſam

war und ſein Inneres ſo ſorgfältig derbarg, traute ihm wohl niemand eine ſo tiefe, innige Liebe zu. Aber auch hier bewies er durch die That die Richtigkeit ſeiner Abſichten. Seine 27 Jahre lang mit ſeiner Frau geführte glüdliche Ehe hat genügend gezeigt, wie richtig er gewählt hatte. Niemals

hat er nach dem Tode ſeiner Frau an eine zweite Ehe gedacht, wie man ihm ſo viele Jahre zumutete , und von der zu reden die Zeitungen nicht

müde wurden. Als er einmal zu jener Zeit mit meiner Schweſter durchs Brandenburger Thor fuhr , ſagte er lächelnd zu ihr : Morgen habe ich im Gerede der Welt nun wieder eine neue Braut.

,, Auch des Tages erinnere ich mich deutlich, an dem wir die Jugend geſpielin als Frau Majorin in Berlin begrüßen konnten. Wie erſtaunt waren wir , in ihr zwar eine ſtattliche, ziemlich große, ſchöne junge Frau zu ſehen, aber doch auch bald das luſtige Kind wiederzufinden , das ſich munter mit uns herumjagte. Am allerwunderbarſten aber war es mir, daß der ernſte Herr Gemahl uns mit ſeinem ſtillen Lachen zuſah und ſehr zufrieden zu ſein ſchien, während er den Eltern gegenüber ſich wenig von ſeinem inneren Glüce merken ließ."

Mit der Verlobung beginnt für Moltke eine zweite Jugend , und zwar eine glücklichere, als die erſte geweſen. Und außerdem gewinnen wir von nun an in ſeinen Briefen an die Braut und Frau eine neue, reichſte Quelle für die Kenntnis ſeines Lebens, wenigſtens in den häufigen Zeiten der Trennung, ſei es, daß Marie bei den Thrigen in Holſtein weilte, oder Helmut durch Dienſtreiſen oder Kriegsfahrten hinweggerufen ward. Wohl 1

1

entſpricht es dem Altersunterſchied der beiden , wie Moltkes ernſtem , tiefs gründigem Weſen , daß wir in dieſen Briefen nach Rüderts Wort finden Reine wilde ſchwärmende Sinnesübermeiſtrung, Eine milde wärmende

Haltende Begeiſtrung.

Wohl zeigt ſich darin das Glüd ſeiner Liebe zu Marie, aber ſtets in ge meſſenen Worten; wohl kommt bei ihm ab und zu der wiſſenſchaftlich ges

bildete Mann zu sage, der ſeine kleine Braut und Frau gelegentlich zu belehren beſtrebt iſt, oder er giebt ihr , wie in dem wundervollen Briefe

vom 13. Februar 1842, eine Probe ſeiner reichen Lebenserfahrung, ſeiner liebenswürdigen Weisheit . Dann aber kommt in dieſen vertraulichen Plaudereien , wie in den Briefen aus der Türkei, Moltkes allezeit heitere

113

Laune, ſein glüdlicher Naturſinn, ſeine Weltfreudigkeit, ſein tiefes Gemüt zum Vorſchein. Frau Marie gegenüber war Moltke, dem es wahrlich auf

ſeinen Manöverfahrten und Dienſtreiſen, in ſeinen Feldzügen an ſchwerer

Arbeit nicht fehlte, der gewiſſenhafteſte ausdauerndſte Briefſchreiber; nach .

den anſtrengendſten Manövertagen oder den noch anſtrengenderen Feſtlich keiten an den Höfen zu Windſor , Wien , Paris , im Kanonendonner der Feldzüge von 1864 und 1866, immer findet er Zeit , der geliebten Frau regelmäßig und eingehend Beſcheid zu geben , wie es ihm ergeht , was er វី an Land und Leuten geſehen; ihr, der eifrigen Reiterin , ហ្ſind auch ſeine

Pferdeerlebniſſe wichtig, ihr der Frau die Hoffeſte, die er widerwilligen Herzens mitmacht, die vornehmen Frauen und ihr Anzug, über al das

giebt der ernſte Mann getreulich Beſcheid , und immer ſind dieſe Augenblics bilder frohgemut, gebankenreich und liebenswürdig, dabei in der Form ohne alle Geſuchtheit tadellos. Hier einige dieſer Briefe aus den erſten Monaten nach der Verlobung. „, Berlin, 27. Mai 1841. „ Süße Marie , wenn Du abends nach neun Uhr gegen Süden blicſt, ſo wirſt Du einen prachtvollen Stern am Horizont aufſteigen ſehen. Es iſt derſelbe, den meine ſelige Mutter ſo oft bewunderte. Ich ſah ihn nie, ohne an ſie dabei zu denken , und habe den Glauben , daß es mein guter Stern iſt. Denke dann an mich.“ ) *) 1

1

,, 3 . 6 .

Wie ſehr ſehne ich mich, liebe Marie, bald wieder von Dir zu hören. Vielleicht iſt ſchon wieder ein Brief von Dir unterwegs, aber ich warte

ihn nicht ab , ſondern plaudere ſchon vorher ein bißchen mit Dir. Der Vollmond ſteht meinen Fenſtern ſtrahlend gegenüber ; gewiß ſiehſt Du ihn heute auch noch an. Wäre er doch ein Hohlſpiegel, und ich erblidte Deine lieben , ſüßen Züge darin , Deine nußbraunen Augen umd fanftlächelnden Mundrinkel.

Dicht daneben ſteht der große Stern , don dem ich Dir

*) Molttes Glüdsſtern hat mir ſchweres Ropfzerbrechen gemacht. Moltte erwähnt denſelben in den Briefen an die Mutter vom 8. Januar und 16. März 1835, an die Braut vom 27. Mai und 3. Juni 1841, und Frau Marie gedenkt desſelben in einem Briefe aus Neapel September 1846. Ich ſuchte Moltkes Glüdsſtern zunächſt unter den Figfternen und war geneigt, den Arktur dafür zu halten , aber nur einige Stellen paßten I

auf den Arttur, andere auf den Antares. Serr Profeſſor Rob. Luther in Düſſeldorf, einer unſerer bedeutendſten Himmelsforſcher, an den ich mich in meiner Verlegenheit wandte, ers

tannte, daß es fich nicht um einen Firſtern handle, ſondern um einen Planeten, und zwar .

den Jupiter, den Glüđeſtern Wallenſteins. Ich bin Herrn Profeſſor Luther für ſeinen Nachweis herzlich dankbar. 8 Buchner , Moltke.

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ſchrieb. Oft, wenn ich in ferner aſiatiſchen Steppen den langen heißen Tag geritten , und die Nacht herabſank , ehe die müden Pferde ihr Nacht 1

quartier erreicht, oder wenn ich auf dem flachen Dach der Wohnung meine Teppiche zum Lager bereiten ließ , trat er mit ſüdlicher Klarheit aus dem Abendrot hervor und leuchtete ſo milde , als wollte er ſagen : Reite nur getroſt und vergiß alle Sorgen, du wirſt doch noch ein Herz finden, welches dich liebt.

Und ſo habe ich Dich gefunden , teure Marie ; aber des Schick

fals Sterne wohnen in der Menſchen eigenem Buſen , und jeder iſt ſo glücklich, als er es verdient.

Würde ich es nicht mit Dir , ſo wäre es

nur , weil ich nicht ſo rein und gut bin und nicht mehr werden kann wie 1

Du. Je länger ich lebe , je mehr erkenne ich an , daß ſchon in dieſem Leben die Vergeltung alles Guten und Böſen, wenigſtens zum großen Teil,

eintritt.

Darum wirſt Du , wie ſich Dein äußeres loß auch geſtaltet,

das Glück des inneren Friedens nie entbehren , denn Du biſt wie eine Blume, und ich bitte Gott, daß er Dich erhalte ſo lieblich, rein und hold. ,,5. 6. 41.

Du fragſt: Whether it be quite the same to me, if you dance . * ) Das iſt mir gar nicht gleichgültig, ich wünſche vielmehr dringend, daß Du tanzeſt (nur nicht gerade mit Leuten , die enge Stiefel tragen) und Dich überhaupt ſo gut amüſierſt wie möglich. Lene ſchrieb uns , es thue ihr immer leid , wenn ſie fähe , wie jemanden ein Stück aus ſeinem Leben 1

weggeſtrichen werde . Gott verhüte, daß ich die Jugend aus Deinem Leben wegſtreiche. Du wirſt noch eine lange Reihe von Jahren eine junge, hübſche Frau ſein und ſolſt, ſo hoffe ich, alle Freuden genießen , welche die

Welt einer ſolchen bietet. Dieſe Welt, liebe Marie , hat ihre großen Lodungen und Genüſſe, ſie hat aber auch bittere Täuſchungen und Krän

lungen . Möchteſt Du aus dem Kerzenſchimmer der vergoldeten Säle nur immer gern in die eigene kleine Häuslichkeit zurückehren , möchteſt Du bei ſo vielen glänzenden Erſcheinungen nur immer das Gefühl bewahren , daß doch niemand es treuer mit Dir meint , als Dein alter „ Bår " daheim , bann iſt alles erreicht, was ich wünſche, und Du magſt ſoviel Bälle und

Konzerte, Theater und Soireen beſuchen , wie es Dir Vergnügen macht. Es iſt übrigens notwendig , wenn Du hier auftrittſt , daß Du gut tanzeſt, und das lernt man nicht bei Herrn Noſenhain , ſondern auf Bällen . Bes trachte ſie alſo als Vorſtudien und erlaube mir , in Cotillon in Gedanken eine Extratour mit Dir zu tanzen ." 1

*) Db es mir ganz gleichgültig ſei, wenn du tanzeſt.

115

, 12. 6.

Ich hatte geſtern einen Brief aus Karlsruhe. Ein anderes Schreiben war von dem Komitee der Berlin -Hamburger Eiſenbahn , welches mich auf

fordert, als Mitglied der Direktion einzutreten . Ein wohllöbliches Komitee mag Ahnung davon haben , daß ein gewiſſer allerliebſter kleiner Magnet mich nach dieſer Richtung hinzieht , und daß ich ganz beſonders bei der

Herſtellung der ſchnellſten Verbindung mit Hamburg beteiligt bin. Ich habe die Aufforderung gern angenoinmen , indem eine ſo nůßliche Thätige Leit viel Reiz für mich hat und Veranlaſſung zu mancher Reiſe nach Ham burg werden wird . " , 16. 6. 41 .

Mein ganzer Tiſch liegt ießt voll von Abhandlungen über Eiſen bahnen. Die Sache intereſſiert mich ſehr und ich würde ſehr gern thätigen Anteil an dieſem großen und gemeinnüßigen -Unternehmen nehmen . Künftig können wir morgens um ſechs Uhr von Berlin abfahren , um drei Uhr in

Hamburg ſein, uns auf das Sßehoer Dampfſchiff ſeßen, abends ſteben Uhr in the green meadows anlangen und den Thee bei Mama trinken.

Freilich ſind bis dahin noch mancherlei Schwierigkeiten zu beſorgen , und eine gewiſſe nordiſche Staatsregierung iſt nicht die kleinſte dieſer Schwierige Peiten . “

,,24 . 6. 41.

Ade dieſe Tage habe ich recht an die Zeit zurückdenken müſſen vor ziei Jahren , denn heute war die unglüdliche Schlacht von Niſib. Die II

vorige Nacht machten wir den Überfall und heute nach dem Treffen waren wir bis Sonnenuntergang geritten bis Aintab, wo ich todmüde, krank und

bekümmert ankam, aber um dieſe Stunde ſaßen wir ſchon wieder im Sattel, ritten die ganze Nacht durchs Gebirge und den ganzen folgenden Tag,

ohne Eſſen, als einen halben Zwiebac und zwei Zwiebeln und einen Trunk Waſſer. Ich ritt heute dasſelbe Pferd wie damals und erinnerte mich wohl baran , daß ich nächſt Gott ſeinen Beinen verbanke1, wenn ich noch auf dieſent Erdenrund herumſpaziere. 11Montag abend. Heute vor zwei Jahren um dieſe Zeit lag ich auf

einer naſſen Wieſe. Es fiel ein kalter Tau , und ohne einen Mantel , in Teinenen Beinkleidern , erſchöpft durch unſägliche Anſtrengungen, froren wir ſo, daß wir trotz der Ermüdung kaum ſchlafen konnten . Die Pferde ſtan den im Gebüſch verſteckt, um nicht den aufgelöſten Banden von Flüchte lingen in die Hände zu fallen ; doch hatten ſie Gras genug zu freſſen, wir aber nichts. Noch ehe die Sonne aufging, wedte ich meinen Kameraden Laue. Ich mußte ihn lange rütteln, plötzlich fuhr er auf und griff nach .

8*

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dem Piſtol, denn wir glaubten jeden Augenblick überfallen zu werden. Die armen Pferde mußten wieder heran und bald ſtand die glühende Sonne

wieder über unſeren Köpfen. Wir waren ſo zerlumpt , daß wir Almoſen hätten betteln können. Es war eine ſchlimme Zeit. Heute kann ich mich bequem zu Bette legen , aber wenn damals der Anſtrengungen , ſo iſt jeßt der Ruhe zuviel. Ich wollte, ich wäre bei Dir.." „Glienice, 25. 6. 41 .

„Ich wollte, ich könnte Dich hier in dem föſilichen Park herumführen . Der Raſen iſt, ſoweit das Auge reicht, vom friſcheſten Grün , die Hügel mit ſchönem Laubholz bekränzt, und der Fluß und die Seen flechten ihr blaues Band durch eine Landſchaft, in welcher Schlöſſer und Villen, Gärten und Weinberge zerſtreut liegen. Gewiß iſt der Glienicer Park einer der ſchönſten in Deutſchland. Es iſt unglaublich, was die Kunſt aus dieſem dürren Boden zu machen gewußt hat. Eine Dampfmaſchine arbeitet vom Morgen bis zum Abend, das Waſſer aus der Havel auf die Sandhöhene hinaufzuheben und üppige Wieſen da zu ſchaffen , wo ohne ſie nur Heide kraut fortkommen würde. Eine gewaltige Rastade brauſt über Klippen unter einem anſcheinend von ihrem Ungeſtüm halbweggeſpülten Brücken bogen hindurch und wütet jählings fünfzig Fuß hinab in die Havel , auf einem Terrain , wo die beſonnene Mutter Natur nicht daran gedacht hatte, einen Eimer Waſſer fließen zu laſſen , weil der dürre Sand es ſogleich durſtig verſchluckt hätte. Vierzig Fuß hohe Bäume werden gepflanzt, wo ſte vierzig Jahre hätten ſtehen müſſen , um dieſe Mächtigkeit zu erlangen ,

gewaltige Steinblöde liegen umhergeſtreut, welche einſt den Geologen zu 1

raten aufgeben werden, falls ihnen nicht eine Notiz überkommen ſollte, daß ſie aus Weſtfalen über Bremen und Hamburg hierher gewandert ſind. Die Mooſe an den Steinen ſind aus Norwegen verſchrieben, die Schaluppe auf 1

dem Waſſer aus England. Schöne Springbrunnen rauſchen dreißig Fuß hoch in die Luft und Marmorbilder ſtehen und ſehen Dich an unter blühen den Citronenbäumen . Wunderhübſch iſt der Hof, auf welchen meine Fenſter geben.

Auf einem Grasteppich wie grüner Sammet ſteigt eine zierliche

Fontäne empor und rings umher zieht ſich eine Veranda, die mit Paſſiong blumen und Ariſtolochien dicht bekleidet iſt. Ich freue mich ſchon darauf, Dir einmal alle die ſchönen Sachen zu zeigen. "

Am 9. Juli ſchreibt er der Braut: „Übrigens bin ich wie ein trainirtes Pferd, nichts als Sehnen und Knochen und halte tüchtig aus , obwohl an : ſcheinend in ſchlechtem Futterzuſtand.“ In den Juli und Auguſt 1841 fält ein Badeaufenthalt Moltkes auf

Helgoland. Briefe aus dieſer Zeit liegen nicht vor , wohl deshalb , weil

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die Familie Burt gleichzeitig Helgoland aufſuchte.

Dagegen beſißen wir

einen Bericht, den Adolf Stahr, der berühmte Verfaſſer von „ Ein Jahr in Italien “ und zahlreicher anderer geſchichtlicher, litterargeſchichtlicher und kunſtwiſſenſchaftlicher Verke, uns über ein Zuſammentreffen mit Moltke gegeben hat. Stahr hatte, um ſich die müßigen Stunden des Badeaufents haltes zu verkürzen, Moltkes jüngſt erſchienenes Werk geleſen und daran : große Freude gehabt. So mag denn , der anziehende Bericht über das Zuſammentreffen des Gelehrten mit dem Kriegsmann hier in ſeinen Haupt zügen eine Stelle finden : „ Friſch erfüllt von dem Eindrucke, beeilte ich mich am Morgen nach

der Beendigung der Lektüre, denſelben dem Freunde, als wir nach der Bade inſel hinüberfuhren , lebhaft auszuſprechen . Es war ein wolkiger regen ſprühender durchaus nicht ſommerlicher Julitag , die überfahrt bei völliger Windſtille ungewöhnlich langſam. Wir ſaßen in unſere Mäntel gehüllt in dem geräumigen Boote, welches die ſechs Ruderer mühſam durch die von dem heftigen Winde des vorigen Tages noch aufgeregten Wellen arbei teten, und in welchem ſich außer uns nur noch ein einziger uns unbekannter Badegaſt befand. Ich hatte bereits meinem Gefährten ausführlich den Ge nuß gerühmt , welchen mir das gedachte Buch bis zu Ende gewährt habe, und ihm die Lektüre desſelben dringend empfohlen. Nur an einer Stelle,

To jchloß ich meine kritiſche Mitteilung, habe ich eine kleine Übertreibung in dem ſonſt durchaus das Gepräge einfacher Wahrheit tragenden Buche zu bemerken geglaubt, und das ijt bei dem Gemaltritte nach der verlorenen

Schlacht bei Nijib, auf welchem der Autor zulegt 36 Meilen in wenig

mehr als ebenſoviel Stunden zurücgelegt zu haben behauptet. Das ſcheint mir doch etwas unglaublich !

„ In demſelben Augenblicke richtete ſich der etwa zwei Schritte von uns fißende, in einen grauen Mantel gewiđelte Mann ein wenig auf und ſagte mit ruhiger Stimme : Sie können es dennoch immerhin glauben mein Herr, denn ich ſelbſt bin es, der den Ritt gemacht hat !

„Ich war ſo erſtaunt, ja überraſcht durch dieſes unerwartete Zuſammens

treffen, daß ich im erſten Augenblicke nur mit zwei Worten etwas Ent ſchuldigendes erwidern konnte, was er jedoch mit der artigen Bemerkung ablehnte, daß eine Anerkennung ſeines Buches, wie er ſoeben deren unfrei williger Ohrenzeuge geworden ſei, jenen kleinen Zweifel inehr als aufwiege. Als wir unmittelbar darauf ans Land ſtiegen und gemeinſam zu dem Badeſtrande gingen 1, betrachtete ich mir ihn genauer. Es war eine hohe hagere Geſtalt, von ſcharf gezeichneten Geſichtszügen des mageren wetter gebräunten Antlißes, deſſen ſchmallippiger feſtgeſchloſſener Mund und deſſen

118

ſchweigſamer Ernſt in keiner Weiſe der friſchen Heiterkeit, dem nicht ſelten ſchaltiſchen Humor und der beredten Aufgeſchloſſenheit der Mitteilungen in ſeinem Buche entſprechend erſchienen. Wohl aber ſah man ihm an, daß er wirklich die oft unglaublichen Strapazen durchgemacht haben mußte, von denen ich in ſeinen Briefen geleſen hatte, und die nur ein ſtählerner Wide

und eine von Jugend auf geſparte Geſundheit zu ertragen ihn befähigt haben konnten .

Er gab dies auch zu, als ich es auszuſprechen mir erlaubte,

fügte aber zugleich hinzu, daß ſeine Nerven doch durch die ertragenen An ſtrengungen und Entbehrungen einen Stoß bekommen hätten , den er mit dem Gebrauche dieſes Bades auszugleichen hoffe. Er war damals erſt vierzig Jahre alt, aber ſein Ausſehen ließ ihn um nahezu zehn Jahre älter

erſcheinen. Als ich mich und meinen Begleiter ihm namentlich vorſtellte, gab auch er uns ſeinen Namen als von Moltke, Hauptmann im preußiſchen Generalſtabe zu Berlin.

„ Unſer Zuſammenſein währte ſeitdem 11och etwas über acht Tage , in 1

deren Lauf wir uns faſt täglich begegneten . Obſchon ſelbſt wenig ausgiebig in der Unterhaltung, nahm er doch an meinen Mitteilungen über dies und

jenes , die er durch kurze Fragen über Land und Leute meiner damaligen Heimat Oldenburg, über die Eigentümlichkeiten des Charakters und Lebens

der Marſdýbewohner des Butjadingerlandes und des Stedingerlandes, über den Zuſtand des Militärweſens im Großherzogtum hervorrief , ein erſicht liches Intereſſe, wie er denn auch meinen Freund bat, von den ſehr genauen Zeichnungen Kenntnis nehmen zu dürfen , welche derſelbe von den ver ſchiedenſten Anſichten der Inſel Helgoland, ihren Klippen und ihren Sand dünen entworfen hatte, und von denen ich ihm ſpäter auf ſeinen Wunſch Durchpauſungen verſdaffte.

„ Was mir an ihm beſonders auffiel, war die bei einem preußiſchen Offizier damals nicht eben häufig anzutreffende Einfachheit und ſchlichte Natürlichkeit ſeines ganzen Weſens, deſſen Zurüdhaltung eben nur als eine geriſſe angeborene Schweigſamkeit erſchien. Als er die Inſel verließ, hatte ich verſäumt , ein paar Briefe nach Berlin rechtzeitig zur Poſt aufzugeben, und kaum erfuhr er dies, als er ſich freiwillig erbot, dieſelben mitzunehmen und zu beſorgen , ein kleiner , aber charakteriſtiſcher Zug ſeines einfachen freundlichen Weſeng. Von Berlin aus ſchrieb er mir noch einmal, um mir für die Zuſendung der Zeichnungen zu danken , wobei er zugleich anzeigte, 1

1

daß er im kommenden Sommer wieder das Bad von Helgoland zu beſuchen gedenke und ſich freuen werde , mir dort wieder zu begegnen. Leider war 1

ich nicht in der Lage , dieſem freundlichen Wunſche zu entſprechen. Erſt fünf Jahre ſpäter traf ich noch einmal, und zwar zuin leştenmale , mit 1

1

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ihm zuſammen. Es war in Rom, im Frühjahre 1846, wenige Tage vor meiner Abreiſe aus der Siebenhügelſtadt, daß ich ihm eines Tages unerwartet an dem Schaufenſter eines Bilderladens am ſpaniſchen Plaße begegnete, wo er mit ſeiner jungen Frau , die aushängenden Bilder und Anſichten muſterte. Er war damals Major im Generalſtabe und als Adjutant dem preußiſchen Prinzen Heinrich beigegeben, welcher in Rom lebte und kurze

Zeit darauf dort verſtarb, und er benutzte ſeinen Aufenthalt dazu , eine /

genaue Karte der römiſchen Campagna aufzunehmen , welche ſpäter er ſchienen iſt.

Seitdem iſt er im Laufe von fünfundzwanzig Jahren zur Welt

II

berühmtheit als erſter Stratege des Jahrhunderts emporgeſtiegen.

Sein

Name hat den aller gleichnamigen Träger desſelben dergeſtalt im Schatten geſtellt, daß bei der Nennung desſelben kein Lebender mehr an irgend einen des ſtolzen alten Grafengeſchlechtes der Moltke , ſondern nur an ihn , ben Sproſſen einer dunkeln Seitenlinie benft.

Er iſt neben Bismarck der

berühmteſte und populärſte Held Preußens und Deutſchlands geworden, und

liebevolle Ehrfurcht begrüßt überall, wo er ſich zeigt, den „ großen Schweiger “, von dem es mit Bezug auf ſein Verhalten im Reichstage, deſſen eifriges Mitglied er iſt, im Berliner Volkswiße heißt : Reden iſt Lasker, Schweigen Moltke.

„Ich habe es , obſchon zwanzig Jahre mit ihm in derſelben Stadt lebend, unterlaſſen , ihm mit Bezug auf unſere in ſo eigentümlicher Weiſe por einem Menſchenalter gemachte Bekanntſchaft noch einmal perſönlich zu

nahen. Es genügte mir , dieſe wunderbare Erſcheinung in ihrem Lebens

gange ſtreifend berührt zu haben. Aber ich konnte es mir nicht verſagen, in den glorreichen Tagen der Siegesheimkehr des von ihm zum Siege geleiteten deutſchen Heeres jenes Buch wieder einmal zu leſen, welches jene

Bekanntſchaft mit dem gefeierten Helden vor dreißig Jahren herbeigeführt hatte , und ich kann nicht umhin , den Leſern dieſer Blätter die Lektüre desſelben als eine höchſt genußreiche und belehrende zu empfehlen. Alle großen Eigenſchaften, welche den jeßt ſo hoch gefeierten Mann auszeichnen, treten uns bereits in demſelben deutlich entgegen : ſeine ſtille Beharrlichkeit,

ſein entſchloſſener Mut, den er ſelbſt durch ſeinen Wahlſpruch „Erſt wägen, dann wagen ! “ bezeichnet, ſeine ſcharfe Beobachtungsgabe, ſein umfaſſender Blick für geographiſche und Bodenverhältniſſe, jein offenes Auge für alle

Zuſtände fremder Volkseriſtenzen, ſeine faſt prophetiſch ſichere Würdigung der politiſchen wie der ökonomiſchen und militäriſchen Verhältniſſe und Bedingungen der ſtaatlichen Exiſtenzen. Und daneben eine Fülle des gediegenſten hiſtoriſchen Wiſſens , eine feine Empfindung für Natur- und

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Kunſtſchönheit des fremden Landes , für die Eigentümlichkeiten und den Charakter des Volkes und der einzelnen, mit denen er zu thun hat, vom Sultan abwärts bis zu dem gemeinen türkiſchen Soldaten , dem frönenden Bauer

und dem ſtreifenden Beduinen der Wüſte. Dazu eine Darſtellungsgabe und ein Stil, die in ihrer einfachen Objektivität und klaren Angemeſſenheit durchaus antiť zu nennen ſind, und von denen alle heutigen Touriſten [ernen können . " 1/

Fügen wir dieſem Urteil eines Deutſchen dasjenige des franzöſiſchen Schriftſtellers bei , welcher 1876 eine Überſeßung von Moltkes Werk vers

öffentlichte: „Der Verfaſſer der Briefe iſt ein Beobachter, wie es wenige giebt, ein Geiſt, den alles intereſſiert und der ſich von allem Rechenſchaft

zu geben weiß. Natur , Topographie, Mythologie, Altertümer , Geſchichte, 1

Politik und Kriegskunſt ſind ihm gleich vertraut, und wahrlich, es würde ſchwer ſein, cin Buch zu treffen , das eine offenere und reichere Geiſtesbildung

und eine umfangreichere Menge von Kenntniſſen bezeugt, die ſich der Vers faſſer vollkommen angeeignet hat." An den Aufenthalt auf Helgoland ſchloß ſich Ende Auguſt eine erquid's liche Harzwanderung. Einige Stellen der Briefe weiſen darauf hin, daß auch nach dem Abs ſchluſſe der türkiſchen Briefe Moltke nicht feierte. Er ſchrieb in dieſem

Jahre verſchiedene Auffäße politiſchen Inhalts für Cottas Deutſche Viertel jahrsſchrift, beſchäftigte ſich beſonders eifrig mit Studien über den Elſen bahnbau , hat auch eine ſpäter zu erwähnende ſehr gründlich geſchriebene Abhandlung darüber verfaßt. Moltke erwarb ſich durch dieſe Arbeiten die Aufforderung, in die Direktion der Berlin -Hamburger Bahn einzutreten, ein Verhältnis , das auch auf den Stand ſeiner Finanzen vorteilhaft ein mirtte.

Wir fügen nun die zwiſchen Helgoland und der Hochzeit liegenden Briefe ein .

,,Dresden , 8. September 1841 . ,Deinen freundlichen herzlichen Brief, liebe Marie, aus Helgoland habe ich in Magdeburg bei meiner Durchreiſe empfangen und mit wahrer Freude geleſen. Es iſt wahr, gute Marie, daß es Dir ſchriftlich weit beſſer gelingt I

als mündlich, Deine Gedanken mitzuteilen. Den Grund dazu ſuche ich aber nicht allein in Deiner, ſondern auch in meiner Eigentümlichkeit, in der Zurüdhaltung, welche bei mir die Frucht einer unter lauter feindſeligen Verhältniſſen verlebten Jugend iſt, und welche notwendig wieder zurück. haltung bei anderen erzeugt. Daß aber Reichtum der Gedanken und Tiefe des Gefühls in Dir wohnen, dafür zeugen Deine Briefe und beſonders dieſer.

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,,Du fragſt mich , was mir an Dir und Deiner Art zu ſein nicht gefällt, damit Du es ändern könnteſt. Nun will ich Dir in aller Wahr heit ſagen, daß, wie ich auch hin und her denke, mir alles in Dir gefällt, aber ſo manches in mir nicht. Du darfſt Dich nur in der Art fortentwickeln, wie Du jeßt biſt, ſo mußt Du eine höchſt liebenswürdige treffliche Frau werden ; ich kann ſo manches nicht mehr ändern, und wenn es nicht bloß Deine Nachſicht, wenn es nun wirklich wahr iſt, daß Du ganz froh und zufrieden mit mir geweſen biſt, ſo danke ich Gott aufrichtig dafür. Die aus der Verſchiedenheit unſeres Alters hervorgehende Art zu empfinden macht, daß ich, ohne unwahr zu werden, Dir nicht dasſelbe lebhafte Gefühl bieten kann ,/ wie ſich's in Deinen ſchönen Augen ausſpricht und wie Du es wohl als Erwiderung fordern darfſt. Ich kann nur ungefähr wie , der Bär" in dem Roman der Bremer ,die Nachbarn" ſein, welchen Du, glaub' ich, kennſt. Indes ich hoffe, es ſoll ſchon gehen , Du biſt ſo gut und 1

1

!

liebevoll, Gott erhalte Dich mir ſo.

Gewöhnlich fehlte es uns , wenn

wir zuſammen waren ,. an etwas zu ſprechen. Das liegt nun darin eben,

daß Du natürlich bis jet wenig geſehen, wenig erlebt, wenig geleſen, kurz, daß wir uns eigentlich nur eines ſagen konnten, und das wußten wir ſchon und empfanden es, ohne es zu ſagen. Wenn aber die Jugend ein Fehler

iſt, ſo beſſerſt Du Dich alle Tage , und wenn wir erſt einige Zeit Freud und Leið miteinander getragen haben werden, ſo werden auch die äußeren

Gegenſtände der Unterhaltung nicht fehlen. Soviel iſt gewiß , daß ich ſo wohl glücklicher ſein als auch Dir liebenswürdiger erſcheinen werde, wenn ich Dich wirklich in Deiner Zukunft zufrieden ſehe. Die Zweifel daran gehen aus meinem Charakter hervor, die gute Hoffnung, die ich hege, aus

der Vortrefflichkeit des Deinigen .“ D. D. (Anfang November 1841 ).

,, Morgen habe ich den Dienſt und were im Neuen Palais bei Potsdam

einer Vorſtellung beimohnen , zu welcher nur der Hof und einige klaſiiſche 1

Geſchmäce befohlen ſind. Die leßte Aufführung des Stüđes , welches gegeben werden ſoll, hatte vor 2500 Jahren ſtatt.

Es iſt die Antigone

von einem gewiſſen Sophokles. Es wird ſchwer ſein, die Erben zu ermitteln, welche Anſpruch an eine Tantième der Einnahme haben, wahrſcheinlich ſind es Ruberknechte im Hafen von Konſtantinopel.

„Wenn Ihr die Augemeine Zeitung haltet , ſo habt Ihr heute einen

Aufſatz mit meinem Monogramm | geleſen : ,, Deutſchland und ſeine germa niſchen Nachbarn ". Das bitte ich aber in diniſchen Landen niemand zu ſagen, ſonſt laſſen ſie mich nicht wieder hinein, ſondern ich werde gleich am Langenfelder Zou konfisziert .“

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,, Berlin, 9. November (41). „ Geſtern abend kehrte ich aus Potsdam hierher zurück. Am Sonn abend wohnte ich der Aufführung der Antigone bei. Das kleine Theater

im Neuen Palais iſt ganz beſonders geſchickt, um ein ſolches Stück aus dem klaſſiſchen Altertum zu geben , da die Siße der Zuſchauer ganz ſo geordnet ſind, wie man es heute noch in den alten Theatern in Kleinaſien, Griechenland und Italien, zum Beiſpiel in Pompeji, ſieht, nämlich freiga förmig und ſtufenweiſe aufſteigend. Unten in der Mitte, wo die Archonten und Richter ſaßen, waren die Siße für den König und uns Hofſchranzen ,

dahinter die Damen und höher herauf die Herren. Die Bühne ſelbſt war ganz nach alter Art eingerichtet. Der Hintergrund ſtellte einen Tempel mit drei Thüren dar , und auf der Orcheſtra , was wir das Proſcenium nennen , erhob ſich ein Altar , in welchem der Souffleur ſteckte, den die Alten nicht fannten . Um dieſen herum reihten ſich die Chöre , welche die Stimmen des Volkes bildeten und fortlaufend die Kritik der Begebenheiten ausſprachen.

Es iſt merkwürdig genug, daß ein Stück, welches vor Jahrtauſenden geſchrieben wurde , noch jetzt ein Intereſſe gewähren kann. Sophokles hat in ſeiner Tragödie die noch heute geltenden Gegenjäße der Familie und des

Staates einander gegenüber geſtellt. Kreon, König von Theben , hat einen 1

Unterthan beſiegt und erſchlagen , welcher ſeine Baterſtadt mit den Waffen bekämpft, und verurteilt ſeinen Leichnam , unbeſtattet ein Raub der Tiere

zu bleiben , was nach damaligen Begriffen auch ſeiner Seele den Übertritt in die Gefilde der Ruhe vermehrte. Antigone , die Enkelin des Ödipus, 1

iſt die Braut ſeines Sohnes und die Schweſter des Erſchlagenen. Sie trogt ſeinem Gebote. „ Hat es doch kein Unſterblicher mir geboten,“ ſagt ſie. „ Hätte Kreon mir den Sohn oder den Freund erſchlagen , ſo konnte das Schickſal mir einen anderen geben, aber die Eltern ſind tot, die Götter ſelbſt können mir einen Bruder nicht wiedergeben .“ Sie beſtattet den Toten und ladet den Zorn des Königs auf ſich , welcher ſie verurteilt,

lebendig in einem Felſengrab zu verſchmachten. Doch würdig des Ruhms wandelt fie bin , Mit Lob geſchmüdt, in das Gemach der Toten . Nicht zehrende Krankheit raffte ſic fort, Nod traf fie cin Schwert der Rache, gezüdt. allcin lebend Nach cigener Wahl Geht ſie zum Dades. -

,, Das Hübſche dabei iſt, daß Kreon von ſeinem Standpunkte aus ganz recht hat ; denn ohne Gehorſam kann feine menſchliche Geſellſchaft Beſtand

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haben. Aber indem er mit ſtarrer Ronſequenz dieſen Gedanken durchführt, greift er über in das Gefühl der Pietät , welches noch höheren Urſprungs

als alle menſchlichen Saßungen. Ein Seher verkündet ihm den Zorn der Götter, weil er der Erde vorenthält , was der Erde gehört, und die begraben hat, welche noch Luft und Licht atmet. Jeißt wil er ſein Unrecht

gut machen, aber es iſt zu ſpät. Antigone iſt nicht mehr, und ſein Sohn hat ſich das Leben genommen . Was hilft dir nun, daß Macht, Reich tum ' und Gewalt in deinem Hauſe, wenn nicht auch die Freude darin wohnt,“ ſpricht der Chor. II

Viel föſtlicher iſt als Glüdesgenuß Der bedächtige Sinn . Stets bege Für das Göttliche Scheu .

Der Vermeffene büßt

Das vermeſſene Wort mit ſchweren Gericht; Dann lernt er wohl,

Noch weiſe zu werden im Alter.

Es wäre leicht, ein ganz chriſtliches und modernes Stück von ders ſelben Tendenz wie die Antigone zu ſchreiben ; denn noch heute tritt das 11

geſchriebene Geſet oftmals mit

dem Rechte, das mit uns geboren " , in 1

Widerſpruch ." „ Berlin, den 1. Dezember (1841). Es iſt ſchon elf Uhr, aber ich will Dir doch noch etwas vorplaudern . Ich komme eben aus einem Konzert im Opernhauſe und bin noch ganz vol davon. Ein gewiſſer Sivori, Schüler Paganinis und Erbe feiner Geige, ſpielte. So was habe ich nie gehört. Aber mit der Geige hat es auch ſeine eigene geheimnisvolle Bewandtnis. „ In Stalien lebte por ſechzig Jahren ein Mann 1, der ſchon als Füngling von auffallender Häßlichkeit war. Das lange rabenſchwarze /

Haar hing wild und ſtarr um ſein gelblich bleiches Geſicht. Sein Antlit glich dem ausgebrannten Krater eines Vulkans , und die Züge waren regungslos, bis die Leidenſchaft ſie bewegte. Dann verzerrten ſie ſich bis zur Wildheit, und das Sprühen der dunkeln Augen verriet die Glut ſeines

Innern , wie das Feuer des Ätna unter der Dede von Schnee lodert. Ein ſolches Gemüt war nicht gemacht, um der Welt zu gefallen. Die ganz Männer haſten, die Frauen verſchmähten ihn, und er war allein allein in der Welt.

Wie jeder Menſch irgend eine Fähigkeit beſißt, die ihn für die Ab weſenheit der übrigen entſchädigt, ſo hatte Pietro die Gabe der Muſik. In ſeinem Häuschen zu Ravenna wanderte er die Nächte auf und ab und

geigte ſchmerzliche Melodien . Einſt öffnete er um Mitternacht die mit

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Ölpapier verklebten Fenſter und ſchaute hinaus in den klaren Himmel voll Sterne, von denen, ſo viel ihrer waren , noch nicht einer ihm gelächelt hatte.

Da hörte er ganz nahe Beifallklatſchen von zarten Händen. Es war die ſchöne Uncella, ſeine Nachbarin. Dasſelbe wiederholte ſich in den folgenden Nächten, und bald entflammte Pietro in heißer Liebe für das junge reiche ſchöne Mädchen, und nicht bloß ſeine Geige, ſondern ſeine melodiſche Stimme wurde der Dolmetſcher ſeiner Gefühle. Es entwickelte ſich bald ein Ver hältnis zwiſchen beiden , aber Ancella hat ihn nur gehört , und er zitterte vor dem Augenblick, wo ſie ihn ſehen würde. ..Jemand hat ſehr richtig bemerkt , daß die Männer das Herz durch die Augen, die Frauen durch die Ohren verlieren. Ancella liebte ihn und

hätte ihn doch geliebt, wäre er noch zehnmal garſtiger geweſen. Aber der Italiener konnte das nicht glauben , und mit einer ſtürmiſchen Reigung

wuchs eine wütende Leidenſchaft in ſeinem Herzen auf. Er mißtraute allem , ſich ſelbſt und ſeiner Geliebten und quälte ſie in dem Maße , wie er ſie vergötterte. Ihre Thränen , ihre Beteuerungen, ihre Klagen und Vor würfe waren ihm nur Beweiſe ihrer Sdulb , und wenn er ihre Untreue für erwieſen hielt , fühlte er ſich ſo grenzenlos unglüdlich , daß er ſich zwang , ihren Beteuerungen zu glauben , uin nicht zu verzweifeln. Ich 1

weiß nicht, welcher hämiſche Zufall in einer unglücklichen Stunde den Schein wirklicher Untreue auf ſie warf. Nur ſoviel iſt bekannt geworden , daß Ancella, von einem Stilett durchbohrt, gefunden wurde, und Pietro fich den Gerichten übergab , um ein Leben zu enden , das er nicht mehr ertragen konnte.

Aber ſo gut ſoute es ihm nicht werden. Man ſchickte ihn auf die Galeere , da er aber zu ſchwach für die ſchweren Arbeiten war, ſo ſperrte man ihn in einen einſamen Kerker. Die Nacht ſank herab, und ſchreckliche Geſtalten ſenkten ſich von dem Gewölbe nieder , ſie drängten ſich drohend um ſein Strohlager,1 ſie ſtreckten blutige Krallen nach ihm aus ; er that

einen Schrei, niemand hörte ihn. Die Geſellſchaft des elendeſten Verbrechers, die eines Hundes wäre Wohlthat für ihn geweſen, aber er war allein ganz allein. Doch nein ! Seine Geige war ihm geblichen, er ergreift ſie krampfhaft, und kauin berührt er mit dem Bogen die Saiten, ſo erklingen

ſie wunderbar lieblich, klagend, vorwurfspod, begütigend, verzeihend. Es war die Stimme Ancellas, ganz wie ſie ihn ſo oft beruhigt und ermahnt, wie ſie ihm geſchmeichelt und wie ſie geweint hatte. Es war igm klar, daß Ancelas Seele in ſeine Geige gefahren war. Es ſchien ihm , daß ein Teil ſeiner Schuld ſchon durch ſein maßloſes Elend geſühnt ſei , daß die Hingeſchiedene, welche jetzt bei ihm war , die zu ihm ſprach, und die er,

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verkörpert in ſeinem Inſtrument, umfaßte , ihin Vergebung verheiße. Da riß eine Saite, eine zweite, eine dritte, ein Jammerton halte von dem kalten Gewölbe nieder, es war der Todesſeufzer der Gemordeten. - Gra

ſchöpft ſinkt der Unglüdliche auf ſeine Streu zurück, Betäubung, nicht Schlaf, umfängt ſeine Sinne und hält ihn in Bewußtloſigkeit, bem lekten 1

Troſt des tiefſten Leides.

Am folgenden Tag fleht der Gefangene mit ſeltſamem Ungeſtüm den Schließer an , ihm drei Violinſaiten zu verſchaffen.. Sein ganzes Wohl und Wehe hänge an ihrem Beſiß , aber er hat kein Geld , um das Mit 1

gefühl des harten Mannes zu erkaufen, keine Worte, um ihn zu gewinnen. Trauernd betrachtete er ſein liebes Inſtrument. Nur die G-Saite iſt ihm

geblieben. Aber gerade dieſe zaubert ihm die tiefe Altſtimme ſeiner Ge liebten hervor. Die ganzen Tage ſigt er, regungslos vor ſich hinſtarrend, da , aber wenn die Nacht ihre Schatten herabſenkt, dann greift er zu der

einzigen Tröſterin ſeines Elends und geigt, von niemand gehört, die punder vollſten Melodien . Damals komponierte er die ſchauerliche Melodie des Liebes :

Das Slüd, das einſt mich hegte, Iſt meiner Bruſt ein Dorn, Die Liebe, die mich pflegte, Iſt meinem Schmerz ein Sporn . Owende deinen Spiegel, Erinnrung jener Zeit, Und drüde, Nacht, dein Siegel Auf die Vergangenheit. Die heiße Thräne zittert Auf meine Bruſt herab, Mein Leben iſt verbittert,

Ich wünſche mir das Grab.

So geigte er viele lange Nächte. Durch lange Übung beſiegte er jede

II

Schwierigkeit ſeines unvollkommenen Inſtrumentes. Was andere auf vier Saiten nie geleiſtet, das brachte er mit Leichtigkeit auf einer hervor. Er geigte zehn Jahre lang , ohne daß ein Menſch ihn gehört , und als vollendeter Meiſter trat er aus der dumpfen Gefängniszelle in die weite, ſonnige Welt zurück. Dort nahm er einen fremden Namen an und reiſte in ferne Länder; 11

eine tiefe Scheu hielt ihn lange ab, den Menſchen ſeine Gefühle zu offenbaren , denn die Töne ſeiner Geige ſprachen deutlicher als Worte von dem Zu ſtande ſeiner Seele. Aber die Not zwang ihn, ſein Talent in die Münze zu ſchlagen. Bald erfüllte der Name Paganini die Welt. Tauſende

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ſtrömten in die goldenen Opernſäle, um den wunderbaren Fremdling zu hören. Da ſtand er leichenblaß , abgeſpannt, bis der erſte Bogenſtrich ihn und die Menge beſeelte. Ihr ſtürmiſcher Beifall ließ ihn kalt. Zer ſtreut nur blickte er auf die tauſendköpfige Hydra des Publikums, ſeine 1

-

Seele war anderswo und verſenkte ſich in ihn ſelbſt, ſobald der leßte Klang ſeiner Saiten verhalt war . Der von allen gefeiert war , eilte ſchüchtern

und menſchenfeindlich in ſeine Einſamkeit zurüc. Dort überzählte er die Goldhaufen, die ſeine Schatulle füllten , aber ſie gewährten ihm keine Ge nugthuung. – Vielleicht war es ihm noch zu wenig. Er cilt an die Spiel bant, ſeßt alles auf eine Karte und gewinnt und verliert das Zehnfache, ohne daß ſelbſt die Leidenſchaft des Spieles die ſchreckliche Leere ſeines Ges mütes zu erfüllen dermag. Nur ſeine Geige bleibt ſein Troſt.

„ Jeßt ſind ſeine Melodien verklungen. Seine Bruſt hat ausgeſeufzt, und ſeine Gebeine ruhen in einem unbekannten Winkel. Denn als der müde Pilger , der die Qual eines hohen Alters erleben mußte , aus den Ländern , deren rauhe Sprache ihm fremd war, zu den Citronenhainen ſeines Heimatlandes zurüdwanderte, verweigerte man ihm zu Rom die ſeşte Wohlthat einer geweihten Ruheſtätte. Nur ſeine Geige iſt übrig ges blieben, und in derſelben wohnt noch heute die Seele der armen Ancella gebannt. „Kurz, wenn die Geſchichte nicht wahr iſt, ſo könnte ſie doch wahr ſein, und wenn man die Geige hört, ſo muß man es glauben, und ich wenigſtens denke mir die Geſchichte ſo, wie ich ſie Dir erzählt, und weil es jeßt ſchon 1

weit nach Mitternacht, ſo will ich Dir nur noch gute Nacht ſagen und dieſe Töne vergeſſen, von welchen ein nervous gentleman in meiner Nähe ohnmächtig wurde. Aber wenn einer auch Nerven wie Bindfaden hat, ſo muß ihn doch ſo was ergreifen " . ,, Den 5. Dezember. Die Geſchichte von Paganini bitte ich aber doch

nicht als von mir verbürgt mitzuteilen, ſeine Erben könnten mich wegen

Verbalinjurie, wegen angeſchuldigten Mordes belangen. „ Ich habe gar nicht geglaubt, daß Du für Mujiť beſonderen Sinn

haſt. Wenn das der Fall iſt, ſo bitte ich Dich, den Unterricht ja wieder aufzunehmen. Du brauchſt ja keine Virtuoſin zu werden , die Hauptſache

iſt, daß es Dir Vergnügen macht, und ich höre auch gar zu gern etwas 1

Muſik ." „Berlin, Sonntag abends, 13. Februar. .

Mein Mariechen ! Dein lieber Brief vom 10. kam geſtern an und erfreute mich ſehr, denn Du ſcheinſt heiter und zufrieden , und haſt wohl

vollauf zu thun mit Deiner Einrichtung. Nun ſind es nur noch zehn

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Wochen, dann biſt Du ganz mein eigenes liebes kleines Frauchen. Geſtern abend beſuchte ich einen meiner Kameraden, den Nittmeiſter D. vom General ſtabe, welcher auch ganz kürzlich geheiratet hat. Er iſt nicht jünger als ich, und ſeine Frau nur zwei Jahre älter als Du und auch ſehr hübſch. Ich wünſche mir recht die Zeit herbei , wenn wir auch ſo gemütlich beis ſammen wohnen werden. Gott gebe ſeinen Segen dazu. Laß uns nur immer recht aufrichtig miteinander ſein und ja niemals ſchmollen . Lieber Du haſt wohl wollen wir uns zanken, und noch lieber ganz einig ſein. gemerkt, daß ich manchmal launiſch bin , dann laß mich nur laufen , ich tomme Dir doch zurüd. Ich will aber ſehen, daß ich mich beſſere. — Von Dir wünſche ich freundliches und gleichmäßiges, womöglich heiteres temper,

Nachgiebigkeit in Kleinigkeiten, Ordnung in der Haushaltung, Sauberkeit im Anzuge und vor allen Dingen , daß Du mich lieb behalteſt. Zwar trittſt Du ſehr jung in einen ganz neuen Kreis von Umgebungen , aber Dein guter Verſtand und vorzüglich die Trefflichkeit Deines Gemütes wird

Dich ſehr bald den richtigen Takt im Verkehr mit anderen Menſchen lehren. Laß Dir's geſagt ſein, gute Marie, daß Freundlichkeit gegen jedermann die erſte Lebensregel iſt, die uns manchen Rummer ſparen kann, und daß Du

felbſt gegen die, welche Dir nicht gefallen, verbindlich ſein kannſt, ohne falſch und unwahr zu werden. Die wahre Höflichkeit und der feinſte Welt ton iſt die angeborene Freundlichkeit eines wohlwollenden Herzens. Bei mir hat eine ſchlechte Erziehung und eine Jugend voller Entbehrungen dies

Gefühl oft erſtict, öfter auch die Äußerung desſelben zurüďgedrängt, und ſo ſtehe ich da mit der angelernten kalten hochmütigen Höflichkeit, die ſelten jemand für ſich gewinnt. Du hingegen biſt jung und hübſch, wirſt,1 ſo

Gott will, keine Entbehrungen kennen lernen , jeder tritt Dir freundlich entgegen, ſo verſäume denn auch nicht, den Menſchen wieder freundlich zu begegnen und ſie zu gewinnen .

Dazu gehört allerdings, daß Du ſprichſt.

Es kommt gar nicht darauf an, etwas Geiſtreiches zu ſagen , ſondern wo möglich etwas Verbindliches, und geht das nicht, wenigſtens fühlen zu machen, daß man etwas Verbindliches ſagen möchte. Das Gezierte und Unwahre liegt Dir fern , es macht augenblicklich langweilig , denn nichts als die Wahrheit kann Teilnahme erwecken. Wirkliche Beſcheidenheit und Anſpruchsloſigkeit ſind der wahre Schuß gegen die Kränkungen und Zurüd feßungen in der großen Welt, ja ich möchte behaupten, daß bei dieſen Eigen ſchaften eine große Blödigkeit und Befangenheit nicht möglich iſt. Wenn wir nicht anders ſcheinen wollen, als wir ſind, teine höhere Stellung uſur pieren wollen, als die uns zuſteht, ſo kann weder Rang noch Geburt, noch Menge und Glanz uns weſentlich außer Faſſung bringen. Wer aber in

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ſich ſelbſt nicht das Gefühl ſeiner Würde findet, ſondern ſic in der Meinung anderer ſuchen muß, der lieſt ſtets in den Augen anderer Menſchen, wie jemand, der falſche Haare trägt, in jeden Spiegel ſieht, ob ſich auch nicht etwas verſchoben hat. Geſteh' ich's boch , gute Marie , daß ich dieſe ſchönen Lehren von mir ſelbſt abſtrahiere. Mein ganzes Auftreten iſt nur

eine mit Zuverſichtlichkeit und usage du monde übertünchte Blödigkeit.

Die langjährige Unterdrüdung , in welcher ich aufgewachſen , hat meinem Charakter unheilbare Wunden geſchlagen , mein Gemüt niedergedrückt und den guten edeln Stolz geknickt. Spät erſt habe ich angefangen , aus mir ſelbſt wieder aufzubauen, was umgeriſſen war ; hilf Du mir fortan, mich zu beſſern. Dich ſelbſt aber möchte ich edler und beſſer, und das iſt gleichbedeutend mit glüdlicher und zufriedener, ſehen , als ich es werden kann. Sei daher beſcheiden und anſpruchslos, ſo wirſt Du ruhig und unbefangen ſein. Gern werde ich es ſehen , wenn man Dir recht den Hof macht; ich habe auch nichts gegen ein bißchen Roketterie. Je mehr Du gegen alle 11

verbindlich biſt, je weniger wird man Dir nachſagen können , daß Du ein zelne auszeichneſt.

Dafür mußt Du Dich in acht nehmen , denn die

Männer ſuchen zu gefallen , erſt um zu gefallen, dann um ſich deſſen rühment zu können , und Du wirſt in der Geſellſchaft weit mehr Wit als Güte finden. Es kann gar nicht ausbleiben, daß ich im Vergleich mit anderen Männern, die Du hier ſehen wirſt, ſehr oft zurüdſtehen werde. Auf jedem Ball findeſt Du welche, die beſſer tanzen , die elegantere Toilette machen ,

in jeder Geſellſchaft, die lebhafter ſprechen, die beſſerer Laune ſind als ich. Aber daß Du das findeſt, hindert gar nicht, daß Du mich nicht doch lieber haben könnteſt als ſie ale, ſofern Du nur glaubſt, daß ich es beſſer mit Dir meine als alle dieſe. Nur erſt dann, wenn Du etwas haſt, was Du mir nicht erzählen könnteſt, dann ſei dadurch vor Dir ſelbſt und durch Dich.

ſelbſt gewarnt. Und nun gieb mir einen Kuß , ſo will ich das Schul meiſtern ſein laſſen. „ Noch eins, liebe Marie ; wenn Du ſchreibſt, ſo lies doch immer den

Brief, den Du beantworteſt, noch einmal durch. Es ſind nicht bloß die Fragen, die beantwortet ſein wollen , ſondern es iſt gut , alle die Gegens ſtände zu berühren , welche darin enthalten ſind. Sonſt wird der Briefs wechſel immer magerer, die gegenſeitigen Beziehungen ſchwinden, und man tommt bald dahin , ſich nur Wichtiges mitteilen zu wollen . Nun beſteht aber das Leben überhaupt nur aus wenig und ſelten Wichtigem . Die kleinen Beziehungen des Tages hingegen reihen ſich zu Stunden , Wochen und Monaten und machen am Ende das Leben mit ſeinem Glück und

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Unglück aus. Darum iſt die mündliche Unterhaltung ſoviel beſſer als die ſchriftliche, weil man ſich das Unbedeutendſte ſagt und wenig findet, was zu ſchreiben der Mühe wert wäre. "

Berlin, 26. März 1842.

Danke Dir für Deinen freundlichen Brief vom 19. dieſes Monats ; es trifft ſich ſehr hübſch, daß wir, ohne es verabredet ,,Liebe Marie !

zu haben , gleichzeitig kommuniziert haben. Ich war Donnerstag zur Vor bereitung und geſtern, am Karfreitag früh, zur Kommunion. Unſere Ges danken werden ſich bei dieſer feierlichen Handlung wohl begegnet ſein, möchte ſie für uns beide einenLebensabſchnitt fortſchreitender Beſſerung und Glüđes bilden. Du ſchreibſt mir , daß Du oft verſchloſſen und dann wieder aus gelaſſen biſt. Das iſt nun, die Wahrheit zu ſagen, freilich lange nicht ſo gut wie ein gleichmäßig ruhiges heiteres Gemüt, aber jeder Menſch iſt das in ſeiner frühen Jugend, und ich hoffe Dich auch sweet tempered zu ſehen. Heiterer Gleichmut iſt nicht nur ein großes Glück, ſondern auch, ſoweit es von uns abhängt, eine Pflicht und ein Verdienſt. Laß uns beiderſeits darnach ſtreben ; nur keine Launen , Prüderien und Empfindlichkeiten , und fämen ſie vor, laß uns ſehen , wer zuerſt bereit iſt, die Hand zur Ver jöhnung zu bieten . Jemand hat geſagt: „Es giebt nur zweierlei Ehen, ſolche wo der Mann unter dem Pantoffel ſteht, und unglüdliche." Joh verlange nichts Beſſeres, als unter Deinem kleinen Pantoffel zu ſtehen, und es wird Deine Aufgabe ſein, mich durch Sanftmut, Nachgiebigkeit und Güte auch dahin zu bringen." Am 12. April 1842 ward Moltke zum Major befördert. Am

20. April, vierzehn Tage nach Mariens 16. Geburtstage , ward in der I

St. Laurentiuskirche zu Sbehoe der Ehebund geſchloſſen. Alle Geſchwiſter des Bräutigams hatten ſich auf deſſen Bitte eingefunden, die Zeugen ſeines Glückes zu ſein ; auch der alte Paſtor Kniđebein fehlte nicht, in deſſen

Hauſe Moltke den erſten Unterricht genoſſen . Mit eigenem Wagen reiſte das Paar nach Berlin, um dort ſein erſtes Heim zu begründen. Es folgen nun drei und ein halbes Jahr , während deren uns die brieflichen Nachrichten faſt ganz im Stiche laſſen ; es iſt dazu nur Gelegenheit,

wenn Frau Marie bei den Eltern zu Ibehoe oder im Seebade weilt, Moltke durch die regelmäßigen Sommermanöver ſeines Armeecorps feſt gehalten wird. Auch der Briefwechſel mit den Brüdern giebt erſtaunlich

geringe Ausbeute; hier iſt ohne Zweifel ſehr vieles verloren gegangen ; die einzige des Hervorhebens werte Äußerung aus dem Jahre 1842 iſt, daß Moltke am 9. Dezember an Bruder Ludwig ſchreibt: „ Marie iſt eine einzige 11

Buchner, Moltke.

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kleine Frau. Ihre gleichmäßige Heiterkeit iſt unverwüſtlich.“ Im Augujt 1843 iſt Marie in SBeboe; Moltke ſchreibt ihr von Doberan , aus einem erquicts

lichen Badeaufenthalt in zahlreicher und vornehmer Geſellſchaft. Mitten

zwiſchen den Badefreuden und Hofgaſtereien von Doberan kommt aber doch auch Moltkes trođener Humor zur Geltung. Er beſucht den Doberaner Dom. ,, Er iſt hoch, hell und mit ſchlanken Säulen, voll Erinnerungen an die katholiſche

Zeit, da wohl zwanzig Altäre noch erhalten, wenngleich nur einer bekleidet iſt. Hier liegen die alten Herzöge von Medlenburg, die Biſchöfe von

Doberan und viele Edelleute aus bekannten Familien. Einer von ihnen hat ſich mit großen, leſerlichen Buchſtaben folgende erbauliche Inſchrift ſeßen laſſen : Wiet, Düwel, wiefe wit von mi,

3 & ſcheer mi nich en Quart üm di. Id bin en medlenborgſchen Eddelmann, Wat geit di, Düwel, min Supen an.

J & ſup Kaltſchal mit Jeſus Chriſt, Wenn du, Düwel, ewig dörſten müßt."

Aber er verſäumt auch nicht Marie mitzuteilen : „ Dein Ruf iſt durch das Land Medlenburg gedrungen , und alle ſagen , daß ich die niedlichſte Frau in Berlin habe .“ Von Mitte Auguſt 1843 ab weilt er dann als Strohwitwer in Berlin und feßt ſich mit Macht an den „Feldzug von 1828 " , 8. h. an die Dars

ſtellung des ruſſiſch-türkiſchen Krieges von 1828/29. Anfang September rufen ihn die Manöver nach Köthen und Erfurt, von welcher Gegend er

der kleinen Frau eine anmutige Beſchreibung giebt. Am 13. April 1844 verſichert er Bruder Ludwig ſeiner lebendigen Teilnahme für die Fortſchritte des Eiſenbahnweſens : außer kleinen Beiträgen zur Allgemeinen Zeitung habe er einen Aufſatz über Eiſenbahnen geſchrieben und jeßt eben eine Darſtellung des ruſſiſch -türkiſchen Krieges von 1828 vollendet, eine Leiſtung erſtaunlichen Fleißes , ſolch eine Arbeit von Auguſt bis April fertigzu = ſtellen. Im Juni 1844 verweilt Frau Marie im Seebad zu Apenrade, Moltke auf dem Manöver am Harz und bei Weimar; er ſpricht jet bereits ſeine Sehnſucht aus, eine Schole Landes ſein eigen nennen zu können. Im September iſt er wieder beim Manöver in Querfurt, Anfang Oktober in Kiel, macht dann einen achttägigen Abſtecher nach Kopenhagen, wo er ſeebadet , wohl zu bemerken , bei einer Waſſerwärme von 6 , einer Luftwärme von 5 Grad. ::

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Das Jahr 1845 brachte wieder einen Umſchlag in Moltkes Leben ; das Schicfal meinte es gut mit ihm , indem es ihn zu längerem Aufenthalt

nach Rom führte. Dort lebte ein Oheim des Königs Friedrich Wilhelm IV ., Prinz Heinrich von Preußen , welcher, zum katholiſchen Bekenntnis übers getreten , ſeit Jahren zu Rom an das Kranfenlager gefeſſelt war. Er war Meiſter des Johanniterordens und fannte, wie es ſcheint, ſchon wenigſtens dem Namen nach unſeren Moltke, welcher 1835 den Johanniterorden empfangen hatte, die erſte ihm zuteil gewordene derartige Auszeichnung. 1

Prinz Heinrichs Adjutant war infolge eines Sturzes vom Pferde geſtorben ; Moltke wurde am 18. Oktober 1845 zu deſſen Nachfolger ernannt und rüſtete ſich ſofort zur Romfahrt und zwar in Geſellſchaft von Bruder Ludwig, den er für den nächſten Winter eingeladen hatte. Bis Leipzig ging es mit der Eiſenbahn , von da im eigenen Reiſewagen und mit eigenen Pferden in gemächlichen Tagereiſen und mit zeitweiligen längeren Aufenthalten über

Nürnberg, Augsburg, München , Innsbruď und über den Brenner. 1

Am 18. Dezember waren unſere Reiſenden in Rom . An Ludwig iſt auch der nachfolgende Brief gerichtet: „ Roma, den 2. April 1846.

Lieber Ludwig ! Nachdem uns Dein Schreiben aus Venedig darüber

beruhigt, daß Du den Käuberbanden der Mark Ancona glüdlich entronnen, erfuhren wir durch Guſte und gleich darauf durch Dein eigenes Schreiben aus Fehmarn, daß Du wohlbehalten in die Heimat zurüdgekehrt biſt. Es freut mich ſehr , wenn Dein römiſcher Aufenthalt Dir intereſſante Erinnerungen hinterlaſſen hat. Wir waren eigentlich recht wenig imſtande, Dich, wie wir wünſchten , aufzunehmen , da wir ſelbſt noch zu fremd und zu ſchlecht eingerichtet waren . Deine Nachfolger ſollen es ſchon beſſer finden. Uns

hat Deine Abreiſe eine große Lücke gelaſſen , und bei ſo mancher ſchönen Spazierfahrt rufen wir aus : wenn doch lui das jähe. Beſonders zwei

Dinge ſind, die ich ſo wünſchte, daß Du ſie noch in Augenſchein genommen hätteſt. Eins das Columbarium an der Porta Latina. Wie freundlich war doch damals der Tod. Das Columbarium , welches erſt vor zehn Jahren aufgefunden, beſteht aus einem mit Studarbeit und Fresken zierlich I

ausgeſchmücten kleinen Gemach. Vom Gewölbe hängt an einer Bronzefette die ſechsarmige Ampel und rings an den Wänden ſind kleine Niſchen , in welchen die noch heute mit Knochen angefüllten Urnen der Hingeſchiedenen ſtehen. Zierliche Altäre, Moſaiken und Skulptur fehlen nicht, und ſo vers ſammelte man die Aſche aller ſeiner Lieben , des Widerwärtigen entkleidet, im kleinen Raume um ſich her, bis man ſich ſelbſt hinzulegte. Damals Lebte noch der Gott mit den Mohnhäuptern und der geſenkten Fadel, der 9*

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ernſte Bruder des lächelnden Schlafs , nicht das Gerippe mit der Senſe

und dem fegefeuerfarbigen Hintergrund. Aber freilich kam es damals auf ein paar Eidhen nicht an , an deren Holzvorrat wir uns einen langen Winter dürftig erwärmen müſſen . Die zweite prachtvollere Erturſion iſt die Erſteigung der Peterskuppel. Bei dem Grabe der Stuarts trittſt Du in einen Gang, der durch die gewaltige Mauermaſſe der Seitenwand Dich

in eine Art Wendelſtiege führt. Sie erhebt ſich als ſanft geneigte Ebene, und auf langem aber müheloſem Steige gelangſt Du ins Freie und auf ein Felsplateau, ungefähr von der Höhe des Monte Mario. Rechts erblicit Du das Wohnhaus eines Bergbewohners oder Wärters, neben welchem ein

armdicker Quell hervorrauſcht und einen antiken Sarkophag füllt. Hinter Dir erheben ſich wunderliche Felskegel, die von der anderen Seite betrachtet, wie Rieſenſtatuen der Apoſtel ausſehen mögen, am anderen Ende der Ebene aber , ober des mit Travertinplatten belegten Kirchenbachs, erhebt ſich eine

Rotunde, ſo groß wie das Pantheon, nur viel höher. Nachdem Du durch eine Thür hineingetreten, erblicſt Du einen furchtbaren Abgrund vor Dir . Tief unter Tir glänzt das dergoldete Kreuz auf der Spiße des Bronze baldachins, welcher doch höher iſt als das Berliner Schloß. Unten wimmelt

es von kleinen Zwergen, und ein entfernter Geſang dringt als Widerhall zu Dir empor. Ganz in der tiefſten Kluft kniet ein weißer Greis mit gefalteten Händen vor der mit lampen umgebenen Konfeſſion , welche die Gebeine des ſtreitbarſten Apoſtels umſchließen. Unwillkürlich tritt man an die Mauerſeite des etwa fünf Fuß breiten Umgangs zurück, unter welchem man gar keine Unterſtüßung mehr ſieht. Nimm eine dieſer gewaltigen Quadern heraus, und die übrigen ſtürzen auf den Marmorboden der Kirche hinunter. Doch ich will Dich nicht ſchwindelig machen , denn wir müſſen noch auf den zweiten ähnlichen Umgang am oberen Ende der Trommel, da wo die Halbkugel der Kuppel erſt anfängt. Hier iſt es beſſer, aufs als abwärts ſchauen. Die ganze enorme Wölbung iſt mit Milliarden von Moſaik ſteinchen bekleidet , unten die Heiligen und Märtyrer, dann die Apoſtel,

Chriſtus in der Mitte, dann Engel und Cherubim , endlich im Scheitel, vom ſtrahlenden Licht der Laterne umgeben , Gottdater, hinabſchauend aus der Höhe, aber etwas undeutlich und nicht ohne Anſtrengung zu erbliden. Alle

dieſe Bilder, die von unten ganz gewöhnlich ausſehen , ſind foloſſal, und ſo ein Engelchen , welches ein Blumengewinde trägt , dürfte dreiſt auf den

rechten Flügel der Leibkompagnie des 1. Garderegiments treten. Über 300 Stufen führen zwiſchen den Wänden der doppelten Ruppel auf die Galerie am Fuß der Laterne, noch 70 mehr, und Du ſtehſt über derſelben, gerade über dem Hauptaltar. Man könnte den Michaeliskirchturm unter

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Dich ſtellen , Du merkteſt es nicht mehr, denn es geſchähe unter Deinen Füßen. Nach eine Metalleiter von einigen dreißig Sproſſen , und man befindet ſich in der Kugel. Wenn dieſe achtzehn Menſchen aufnimmt , ſo werden ſie doch nichts weniger als komfortabel ſituiert ſein, und gern begiebt man ſich wieder auf die Galerie ins Freie, wo man die prachtvollſte Um

ficht hat. Da liegt wie eine Relieffarte ausgebreitet Rom mit all ſeinen Kirchen , Paläſten, Mauern und Türmen , man folgt mit den Augen der Windung der Tiber von fern her, durch die Milviſche Brüde , an der Engelsburg vorbei und bis zum flimmernden Streifen, welcher das Mitters .

1

ländiſche Meer iſt. Eine weite grüne Ebene erſtreckt ſich bis zu den ſchroffen Kalkmänden des Sabinergebirges, aus deſſen Schluchten der Anio hervor bricht, der von den glänzenden Mauern von Tivoli ſich abzeichnet. In fanften Formen erheben ſich die Vultane des Albanergebirges, und hell treten die Villen von Tuskulum und Albano, auch ber alte Algidus hervor. In langen Linien durchſchneiden die Gräberreihen die Ebene, die Richtung der alten Straßen bezeichnend, und meilenweit verfolgt man die rieſigen Bogen der Waſſerleitungen bis zum Gebirge ." Moltke aber genießt ſeinen Aufenthalt in kom nicht etwa als ver 1

gnüglicher Reijender. Der Dienſt bei dem kranken Prinzen ließ ihm viel Muße, und er benutzt dieſelbe, um die Stadt und die Umgebungen gründ

lich kennen zu lernen . Er ſtudiert Niebuhrs Römiſche Geſchichte; ſeinen Meßtiſch hat er von Berlin nachkommen laſſen und iſt mit den Contorni di Roma tüchtig zu Gange.

„Mit gewaltigen Stiefeln gegen Dornen

und Schlangen , nur von Schäferhunden und Büffelherden zuweilen ange fochten, durchſtreife ich Berg und Thal. Auf alte Mauerreſte, Gräber und I

Baſaltpflaſter mache ich natürlich ſpeziell Jagd. “ Es iſt durchaus bezeich: nend, daß der wiſſenſchaftlich raſtlos thätige Mann auch in Rom ſich nicht

auf den Genuß von Natur und Kunſt beſchränkt, ſondern rings um die ewige Stadt ſeinen engliſchen Patent-Meßtiſch aufſtellt, und daß aus dieſen 1

Wanderungen und Ritten durch die Campagna im Frühling und Herbſt des Jahres 1846 1, auf welchen ihn Frau Marie begleitete , abermals eine

Karte hervorging, diejenige der Umgebungen von Rom. In dem Textbuche, das beigegeben werden ſollte, ſchildert Moltke mit der Begeiſterung eines Künſtlers die Herrlichkeit der Morgenfrühe in der einſamen Campagna, der Wanderungen durch felſige Waldſchluchten und breite Wieſenthäler, des Ausblids auf die maleriſchen Höhen des Albanergebirges und das tiefblaue Meer. Freilich an Mühſal und Beſchwerden fehlte es auch nicht. Die Ermüdung des Begleiters und die glühende Mittagshitze erinnert ihn daran,

daß er ſchon acht oder neun Arbeitsſtunden hinter ſich hat ; eine Schar

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rieſiger ſilbergraner Ochſen mit mächtigen Hörnern ſtürzt auf den Störer

ihrer Ruhe los , daß der Boden erbebt; kaum weichen ſie vor dem aus gebreiteten Regenſchirm zurück, und der beutſche Feldmeſſer muß über den einſchließenden Lattenzaun ſeinen Rückzug nehmen. Die halbwilden Hunde, die Hüter der Schafherden , greifen den einſamen Fremdling an ; noch

widerlicher ſind die im Gras und im Gebüſch in Mengen vorhandenen, zum Teil recht giftigen Schlangen ; aber der Forſcher entdeckt auch ein Grabmal , eine Inſchrift, eine alte Römerſtraße und findet ſich dadurch reichlich

belohnt. So ſucht Moltke unter der ſchüßenden Decke der gegenwärtigen Erdoberfläche, unter den Triften und Weingärten der Campagna die geologiſche Geſtaltung zur Zeit des alten Rom , die Überbleibſet ſeiner Straßen und Bauwerke, die Spuren längſt vernichteter Nachbarſtädte, die die Alzerſtörerin Roin vertilgte. Es iſt nach den vorhandenen Anfängen bitterlich ſchade, daß Moltke ſeinen Wegweiſer durch die Campagna nicht 1

vollenden konnte ; die von ihm gezeichnete Karte iſt 1852 erſchienen.

Im übrigen hielt die Zuneigung zum Meßtiſch, den er in Schleſien und Polen, am Euphrat und in Rom gehandhabt, unſern Moltke lebeng

lang feft. Am 17. November 1852 ſchreibt er an Ludwig: Ich leſe jeßt in Ritters Erdkunde Paläſtina und ſpeziell Jeruſalem . Es iſt ein Lieblingsgedanke für mich, einmal dorthin zu gehen und einen Plan dieſer .

intereſſanteſten Örtlichkeit aufzunehmen." Und als es ſich 1862 um die Abſendung preußiſcher Gelehrten nach Athen handelte, um die Umgebung der Stadt aufzunehmen , und die Berliner Akademie ſich von Moltke einen ſeiner meßkundigen Offiziere erbat, antwortete er : „ Am liebſten ginge ich

ſelbſt mit ;“ da bas aber nicht anging, beauftragte er einen Offizier, welcher auch 1865 das erſte zuſammenhängende Bild der alten Stadtbefeſtigung von Athen geliefert hat. Am 12. Juli 1846, kaum ein halbes Jahr nach Moltkes Eintreffen

in Rom , ſtarb Prinz Heinrich, und ſein Adjutant mußte ſich ſofort auf

machen nach Berlin , dem König Bericht zu erſtatten und Befehle über die Heimbeförderung der Leiche entgegenzunehmen. Über dieſe Eilfahrt mögen die Briefe an Marie , die berweil in Frascati bei Freunden die heißen Sommerwochen verbrachte und ſelbſt am Sommerfieber erkrankte , Bericht .

erſtatten.

„ Bogen, Mittwoch 15. Juli 1846, nachinittags fünf Uhr. Meine Briefe , die ſich immer 24 Stunden nacheinander folgen,

werden Dir , liebes Herz, freilich in ſehr viel ſpäteren Zwiſchenräumen zu: gehen. Bis jeßt iſt alles ohne Unfall und ſehr gut gegangen , unberufen. Ilm Mitternacht kam ich durch Verona an den Due Torri vorbei. In 1

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einem Café tranf ich Eiſlimonade. An der Veroneſer Klauſe fing es an zu tagen und nachdem ich mich mit einer Taſſe Kaffee erquidt , fuhr ſich's ganz raſch und angenehm das prächtige Thal hinauf. Durch Trient ging es um zehn Uhr vormittags ohne Aufenthalt fort. Alle Waſſerfälle ſind

vertrocknet, aber auf den höchſten Spißen Tag noch etwas Schnee. Hiße und Staub waren furchtbar. In Neumarkt trat der Poſtillon, ein ſtämmiger,

hübſcher Burſche, mit abgezogenem Hut an den Wagen und bedankte ſich für ſein Trinkgeld. Ich war in Deutſchland, und ich kann ſagen , daß mir das eine wahre Freude machte. Man wird ein beſſerer Menſch und 1

traut auch anderen wieder. Hier kam ich um halb fünf Uhr an und

gönne mir die längſte Raſt auf dieſer Reiſe , nämlich zwei Stunden. Wie hat das geſchmeđt: Forellen , Koteletts,1 Bathähnerl, Mehlſpeiſe und ein mouſſierender Landwein . Ach du liebes Deutſchland! Ich bin halb idlaftrunken , halb tipsy.* ) Die große Wohlthat, Waſchen und Wechſeln der Wäſche, habe ich genoſſen. Adieu , gute Marie , Gott beſchüße Dich ; Dein armer Helmut. ,, Sansſouci, den 20. Juli 1846.

„All's well ! Du ſiehſt ſchon aus dem Datum , lieber Engel , daß ich meine Reiſe zurüďgelegt habe, und zwar habe ich zu derſelben nur ſieben Tage und ſieben Stunden gebraucht. Mein Stineraire iſt .folgendes : Sonntag den 12. Juli 10 Uhr vormittags Rom. Montag

10

13. 13.

Dienstag

II

6

11

Siena .

abends Florenz ( Diner ). morgens Bologna .

14.

8

14. 15 .

8 3

15 .

10

15 .

4

15.

9

11

Donnerstag

16.

10

11

6

abends Landect.

Freitag

16. 17. 17 .

4

morgens Füſſen (Hohenſchwangau ). nachmittags Augsburg (per Eiſenbahn nach Donauwörth).

Mittwoch 11

11

11

*) Angeheitert.

II

abends Mantua. 11

11

morgens Verona . Trient. M

nachmittags Boßen (Diner). abends Meran. Sechsſtündige Nacht ruhe, fort um 3 Uhr morgens. vormittags Mals (Alpenübergang, Finſtermünz, Diner eine Forelle ).

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Sonnabend den 18. Juli 6 Uhr morgens Nürnberg ( Eiſenbahn nach Lichtenfels, Mittag in Roburg ). Sonntag 19 . 9 vormittags Weißenfels (Eiſenbahn nach Berlin ). 19. abends Pfingſtberg bei Potsdam, wo 8 bie königliche Familie unter ſich den II

II

Abend , als am Sterbetage der hoch

ſeligen Königin , zubrachte und ich meine traurige Poſt beſtellte. „ Was nun die Reiſe betrifft, ſo iſt es wirklich kein Spaß , fecha Nächte durchzufahren. Dabei habe ich weit mehr an der Kälte als an der Hiße gelitten. Bis Boken war es warm , und bei dem Südwinde ein Staub, von dem Du Dir keinen Begriff machen kannſt. Die Richtung des Windes trieb ihn immer mit dem Wagen . Bei Boßen ſtand ein Gewitter über dem Gebirge, welches ſich denn auch , als ich nach Meran tam , mit 1

Sturm , Hagel und Donner entlud. Man erklärte es für ſehr bedenklich, in dieſer Nacht den Alpenpaß zu überſchreiten , und das beſtimnite mich dann auch zu der Nachtruhe, welche ich mir gegönnt. Am folgenden Tage war die Scene verändert , die verdorrten , glühenden Felſen mit friſcher

feuchter Luft, rauſchenden Bächen, unbeſchreiblich grünen Wieſen mit dunkel grünen Kaſtanien und Nußbäumen vertauſcht. Auf den Gipfeln glänzte der Schnee, und prächtig erhob ſich die Ortlesſpige. Meran vereint alles,

was man Schönes wünſchen kann. Dort fält kein Schnee mehr, und der Sommer dörrt nicht mehr aus. Weite Ebenen und hohe Berge, föſtliches Grün, friſche Waſſer, alte Burgen und fröhliche Menſchen. Dort möchte

ich wohnen. Doch ſchnell genug ging es davon. Kurz vor Landeď , bis wo wir ſpazierten , fand ich die Straße von einer Steinſchurre verſchüttet. Indes wurden die Pferde ausgeſpannt und der Wagen von Menſchen hin= übergetragen. In dieſer und der folgenden Nacht war es ſo kalt, daß ich gar nicht ſchlafen konnte. Mit den Eiſenbahnen hatte ich Glück, ſo

daß ich immer furz vor ihrem Abgang ankam. Oft war die Reiſe ſehr ſchön, oft auch ſehr beſchwerlich. Der König , die Königin , Prinz Karl und alle übrigen Herrſchaften nahmen mich ſehr gnädig auf. Es iſt mir

ein Zimmer in Sansſouci angewieſen , und ich habe auf köſtlichen weichen Matraßen und feinen Lafen nach ſieben Nächten zum erſtenmal recht köſtlich ausgeſchlafen. „ Dienstag den 22. Der König iſt heute früh nach Iſchl mit Ihrer

Majeſtät der Königin abgereiſt und hat mir befohlen, ihn hier zu erwarten . Seine Müctehr iſt auf den 1. Auguſt feſtgeſet; ich werde aber in der

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Zwiſchenzeit wahrſcheinlich nach Schlejien zum Prinzen Wilhelm in Erd mannsdorf gehen. Was ſich bis jetzt überſehen läßt, iſt folgendes. Die Leiche des Prinzen Heinrich wird nach Berlin gebracht, und zwar auf dem Seewege um halb Europa herum. Der Adjutant wird ſie begleiten.

Wahrſcheinlich wird die preußiſche Kriegskorvette Amazone beordert, den Sarg abzuholen. Es ſcheint mir weder zuläſſig noch wünſchenswert für Did ), dieſe Tour in der ſchlechten Jahreszeit mitzumachen ; wie Deine Rückreiſe nun bewerkſtelligt werden ſoll, überſehe ich noch nicht. Berlicre aber den Mut nicht, liebe Marie. Die Hauptſache iſt, daß alle Herrſchaften ſehr gnädig gegen mich ſind, und meine Reiſe hierher kann nur von guten Folgen für uns ſein. Ades wird ſich machen. Wüßte ich Dich nur in Caſtellamare bei der Couſine Brockdorff. Spare keine Koſten , wenn Du auch zur Begleitung jemand die Hin- und Rückreiſe vergüten mußt; nur jig' mir nicht alleine in dem traurigen Rom . Im übrigen bin ich guten Mutes und glaube, daß ſich alles günſtig für uns geſtalten werde. Ich habe mich hier in Sansſouci gut ausgeruht. „Ich denke , ſo den 10. oder 14. in Nom anzulangen , wenn der König mich nur bald entläßt. Biſt Du dann in Caſtellamare, ſo hole ich 1

Dich dort ab. Vielleicht bleibt auch noch Zeit, einen kurzen Ausflug nadı 1

Sicilien zu machen, ehe die Amazone ankommt. Herzlich lebe wohl und auf Wiederſehen. Dein Selmut." Nachdem Moltke ſeine unerfreuliche Botſchaft in Berlin ausgerichtet, verweilte er zur Erholung von der Eilfahrt acht Tage in Fiſchbach am Rieſengebirge; dann kehrt er ebenfalls ſehr eilig mit Eiſenbahn und Dampfboot über Wien, Trieſt und Ancona zu Frau Marie nach Rom zu rüd, wo er die leßten Wochen zur Vollendung ſeiner Aufnahmen benutzte.

Mitte September iſt die Amazone am Geſtade des damaligen Kirchenſtaates angelangt, aber ein Kriegsſchiff iſt für die Beherbergung von Tamen nicht eingerichtet, und ſo mußte Moltke , während Frau Marie ſüdwärts von 1

bannen fuhr , um bei der Couſine, Comteſſe Lottchen Brockvorff, in Neapel

aberinals öde Wochen allein zu verbringen , widerwilligen Herzens weſt märts nach Gibraltar fahren. über ſeine Seereiſe mag er ſelbſt berichten. ,

11

Civilà vecchia, Sonnabend (19. Sept. 1846), 21/2 Uhr.

, Teure liebe Marie ! An men fönnte ich heute wohl denken, als an Dich. Traurig , krank und allein mußt Du fort. Gott helfe Dir und Deiner eigenen Tüchtigkeit ! Als ich Dich verlaſſen , fand ich die anderen Herren noch vor dem Gaſthof. Ich ging bei dem Gefängniskaſtel vorbei bis ans Ende des

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Molo , ſtieg dort auf den runden dicken Turm und auf die oberſte Zinne, ſo daß ich ſehr ſichtbar war. Du hatteſt Deinen Mantel umgehangen und

das Schnupftuch vor den Augen und bemerkteſt mich wohl nicht, obſchon . Ihr einen Augenblick ziemlich dicht vorüberfuhrt. Leider ſchaukelte das Schiff doch recht, und noch immer ſehe ich es am Horizont dampfen. Der Wind ſcheint es aufzuhalten. Nun, gebe Gott, daß ich Dich glüdlich an Land und bei Deiner Couſine geborgen wüßte. Ich hoffe aber das Beſte, denn Du wirſt Dich ſelbſt aufrichten , und hoffentlich ſoll der ſchöne Aufenthalt in Neapel Dich für die Trennung, die ja undermeidlich war, entſchädigen . Freuen wir uns darauf , wenn wir zuſammen fröhlich, mit gutgefüllter Raſſe die Rücreiſe antreten werden. So leicht ſoll uns nichts mehr ſcheiden.

„Ich habe mir mein Eſſen beſtellt und werde gegen Dunkelwerden an Bord gehen , um Beſiß von meiner neuen Behauſung zu ergreifen . Ich werde auch wohl etwas auszuſtehen haben , aber es wird ſchon gehen. Nur traurig, daß ich Dir keine Nachricht von mir geben und noch weniger welche von Dir erhalten kann . Gott ſchüße Dich, Du liebes, liebes Herz; und lohne Dir al das Glück, das ich Dir verdanke. Mein guter Engel , benuße auch Deinen Aufenthalt, ſowohl um zu lernen , als Dich zu erheitern. Nimm Stunden , mache Partien , und vor allem mache Dir feine unnötige Sorge um mich. Nachmittag. Weg iſt mein ſüßes Weibchen ! Und die Breite von Il

ganz Europa muß uns trennen , bis ich Dich wieder aufſuchen kann. Mein gutes Herzchen , es hat mir gar nicht ſo gut geſchmeckt wie geſtern ,

und Dir wird es noch weniger ſchmecken. Aber: „ Es iſt beſtimmt in Gottes Rat“, das Lied fiel mir ein ,1 und ich tröſte mich damit, es zu fummen. Und iſt es nicht ein Glüť ,I wenn man ſich betrübt, weil man

fich trennt? Wäre es wohl nicht ſchlimmer, wenn man ſich freute ? Nein , freuen wollen wir uns beim Wiederſehen, und mache, daß ich Dich recht geſund und froh wiederfinde . „Ein Gedanke läuft durch den ganzen dummen Brief, ich kann ihn in einem Worte wiedergeben . Leb wohl , Du Herzensweib ! Leb wohl und Gott ſegne Dich. Dein Helmut. „ Un Bord der Korvette Amazone, im Hafen von Cività vecchia . -

Sonntag den 20. Septbr. 1846.

Geſtern abend um 6 Uhr verließ ich nach einem Gang um die Feſtung den Gaſthof Orlandi und ging an Bord. Das Wenige, was ich bedarf, II

war bald in meiner kleinen Kabine untergebracht; bis in die Dunkel heit ging ich auf dem Deck auf und ab , mit den Offizieren plaudernd. 1

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Abends trant ich meinen Thee mit dem Kapitän , welcher. ihn trefflich be reitete, einen großen Danziger Käſe vor uns ſtellte und mit der Kalkpfeife

ein gemütliches Geſpräch einleitete. Nach trefflicher Ruhe in dem etwas engen Bett ſtand ich ſchon um fünf Uhr auf , fand aber die Mannſchaft mit dem Waſchen des Decks beſchäftigt, welches reinlicher iſt als ein itas lieniſcher Speiſetiſch. Der Wind wehte ſtart und der Lotſe erklärte , daß, obwohl hier im Hafen SO., er draußen nicht allein heftig, ſondern SW., alſo a ganz ungünſtig ſei. So beſchloß der Kapitän , die Abfahrt zu ver 1

( chieben .

Um acht Dejeuner: Thee , Eier , Spickgans, Butter, Zwiebac.

ich zeichnete an meiner Karte bis Mittag. Parabe der Mannſchaft. Sonntag abend. Liebe gute Marie, der Wind war heute ſo ſtark und dabei ungünſtig, daß wir nicht fortgekommen , ſondern im Hafen ge blieben ſind. Eben proponiert mir der Kapitän einen Spaziergang ans

Land , und ich eile Dir dieſe Zeilen zu ſchreiben , damit Du Dich wegen des heftigen Sturmes nicht ångſtigſt. Meinen Brief von geſtern, hoffe ich, haſt Du erhalten. Gebe Gott, daß Du über Nacht nicht zuviel ausgeſtan ben und daß Du jest wohlbehalten bei Couſine Brodborff ſißeſt.

Ich

grüße Dich tauſendmal. Heute nacht geht es wohl hinaus. Glück auf. Gott ſegne Dich. Helmut.

NS. Hier an Bord ſtellt ſich alles ſehr gut. Ich lebe und eſſe mit dem Kapitän und finde gute Geſellſchaft an den Offizieren . „ In der Bucht von Cagliari auf Sardinien, Donnerstag 24. „ Wir hatten am Montag den 21. um 71/4 Uhr die Anfer gelichtet und gingen bei ſtarkem Sso. in See , welcher jedoch geſtattete, in dem Kurs auf die Südſpige von Sardinien zu ſteuern. Gegen Abend aber ging der Wind weſtlicher und wurde noch ſtärker , die See ging ziemlich

hoch, die Lichter wurden auf dem Tiſch feſtgebunden. Der Wind riß das Klüverſegel mitten durch. Ich ſtand etwas aus, hielt mich aber doch und 1

verſchlief das Unwetter während der Nacht. Um Dienstag morgen befanden wir uns unweit der Straße von St. Bonifazio zwiſchen Korſika und Sar dinien. Da jedoch dieſe ſchwer zu paſſieren wegen des Weſtwindes, ſo ſteuerten wir bei ſcharfer Briſe ſüdlich und kamen gegen Abend bis nahe an die Südoſtſpiße der legteren Inſel. Ich verſchlief ruhig die ſtürmiſche Nacht.

„Am Mittwoch wenig Wind und unbeſtändig. Ich fühlte große Er leichterung und aß mit Appetit. Wir famen aber nicht um Rap Carbo nara herum . Schönes Meerleuchten. Heute Donnerstag wenig Wind und

See. Das Befinden leidlich, doch nicht ſehr angenehm . Wir kreuzten in der Bucht von Cagliari. Geſtern las ich den Roland von Berlin, heute

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fann ich zur Not ſchreiben , will aber doch lieber bald ſchließen . Die Wit terung iſt ſehr milde, der Himmel bedeckt, der Wind öſtlich, das Meer tief blau. Unbequem iſt, daß man auf dem Lager immer hin und hergewälzt wird durch die Seitenſchwankung des Schiffes. „Auf der Höhe von Algier, Sonntag den 27 . Nun ſind wir eine Woche unterwegs und haben doch nur erſt unges fähr den halben Weg bis Gibraltar zurückgelegt. Das Wetter iſt ſchön, des Morgens die Luft 17 , das Waſſer 18 Grad Nteaumur, der Wind günſtig aber ſchwach. Dies war geſtern ſehr unangenehm , wo noch die

Deinung von Norden kam, und das Schiff, welches gegen Weſten liegt, in die heftigſte Schwankung verſeßte. Heute iſt das Meer faſt ganz eben, und ein ſchwacher OSO. treibt uns langſam vorwärts . Ade Segel find

bei , zehn auf dem großen Maſt, nämlich Oberbram , Brams , Mars und große Segel, dabei die Leeſegel zu beiden Seiten. Heute bin ich zwar 1

ganz frei von Seekrankheit, aber ſehr flau und matt , wie nach großer Fatigue.

„ Das Reiſen zur See iſt doch entweder langweilig oder ſcheußlich, jes nachdem das Wetter ſchön oder ſchlecht iſt. Ich kann noch zu feinem Ent

ſchluß kommen , ob ich von Gibraltar zu land gehe oder mit der Amazone 1

fortfahre. Die Entfernung iſt beinahe 400 Meilen zu Land. Die Reiſe wird daher ſehr eilig und teuer , und ich laufe doch Gefahr, ſpäter als das Schiff nach Curhaven zu kommen , was mir doch ſehr unangenehm wäre.

Andererſeits iſt es eine traurige Perſpektive, noch mehrere Wochen auf wahr ſcheinlich ſtürmiſcher See zuzubringen. liebe gute Marie ! Ich habe in den anliegenden Blättchen , ſo oft das Wetter es mir erlaubte, aufgezeichnet, was Intereſſantes mir unterwegs paſſiert. Aber es paſſiert eben nichts, als daß man ſich in der Regel ſehr

unbehaglich fühlt. Im ganzen aber haben wir gut Wetter, und ich kann dann wenigſtens auf dem Verbeck liegen und leſen. Recht oft ſind ineine Gedanken übers Meer zu Dir geflogen. Wüßte ich nur, daß Du wohl behalten in Neapel biſt. Daß Du ſo allein dorthin gehen mußteſt, macht

mir doch recht viel Sorge, und dabei habe ich ſo gar keine Hoffnung, fürs erſte Nachricht von Dir zu crhalten. Wenn wir nicht gerade ſcharfen Oſts wind haben ſollten , ſo denke ich, werden wir wohl in Gibraltar anlaufen,

und ich will dann ſehen , dieſen Brief an Dich nach Neapel abzuſchiden, da don Gibraltar zuweilen engliſche Dampfſchiffe nach Italien abgehen. .

Bis jeßt iſt alles leidlich gegangen, aber das Schlimmſte ſteht bevor, und ich wünſche herzlich, ich wäre irgendwie in Curhaven angekommen. Dort rechne ich Vriefe und , ſo Gott will, gute Nachricht von Dir vorzu 1

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finden.

Recht unangenehm iſt, daß ich gar nicht gewußt habe , daß die

Offiziere fich an Bord ſelbſt zu beköſtigen haben , und daß ich auf dieſe Weiſe der Gaſt des Kapitäns bin. Von Gibraltar ab werde ich daher, wenn ich bleibe , entweder ſelbſt Einkäufe machen oder mich in Penſion geben. Der Kapitän gefällt mir ſehr gut. Er iſt ein gerader tüchtiger Mann . „ Zum Glück kann ich prächtig ſchlafen und verſchlafe manches Schau

keln des Schiffes. Es ſegelt prächtig, und alle anderen Schiffe, die wir ſehen , laſſen wir bald hinter uns zurück. Wenn es aber ſtürmiſch iſt, ſo ſchlägt das Waſſer auch vom Vorderende bis an den großen Maſt. „ Ich hoffe, daß Du recht ſchönes Wetter in Neapel haſt und Aus : flüge in die prächtige Umgegend machſt. Genieße die Zeit, mein gutes Liebes Herz , und mache Dir keine unnötige Sorge. Sehr begierig bin ich S

von Dir zu erfahren, wie Du Dich eingerichtet haſt. Tas Schreiben wird mir doch ſehr ſauer, bis Gibraltar muß ein Entſchluß gefaßt werden , und dann ſeße ich fort. God bless you. „ Montag den 28. Geſtern abend kam eine friſche Südoſtbriſe her auf. Die See war faſt ganz ruhig, und das Schiff lief 10 See- oder 21/2 geographiſche Meilen die Stunde. Schöner Mondſchein. Geſtern ſpielte ich Schach mit dem Kapitän, welcher gut ſpielt. Zu Mittag tranken wir eine Flaſche Champagner auf die Geſundheit unſerer Strohwitwen. Heute Wind- und Meeresſtille, wir laufen nur 3 Knoten , aber doch iin Kurs. Ich hatte gehofft, heute ſchon die Ufer von Afrika und Spanien zu ſehen . Das Wetter iſt wundervolt.

„Eine merkwürdige Equipage, unſre! Die Matroſen , welche mit dem Sertanten die Sonnenhöhen meffen und mit Logarithmen rechnen. Alles

geht ruhig ab , ohne Strafen , ſelten nur ein Verweis. Wir haben zwei Offiziere (Leutnants ), zwei Lehrer, den Verwalter, den Doktor, einen Boots mann , zwei Quartiermeiſter und 96 Matroſen , davon 50 Schüler. Nur zwei Franke.

Mit dem Befinden geht es mir jest gut, obwohl ſchlechter Appetit und die Ausſicht auf neue Leiden . So recht wohl iſt mir doch nie auf der See .

,, Dienstag, den 6. Oktober. Reede von Gibraltar. Wir haben einige harte Stürme aus SW. gehabt. Die Amazone tanzte gewaltig, Flaſchen

und Gläſer zerbrachen klirrend, die Suppenteller gingen auf der Diele ſpazieren. Ich mußte die Arme zu Hilfe nehmen , um nicht aus dem Lager zu fallen.

„Auf einmal ſtürzte ein mehr als armdicker Waſſerſtrahl von oben

in mein Bett. So ſtrömte es wohl zwei bis drei Minuten fort , ſo daß

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ich gewiß dachte, das Schiff ſei iin Sinken . Die übrigen ſtürzten auf den

gewaltigen Lärm herbei und ſuchten zu ſtopfen.

Es fand ſich, daß der

Schiffsjunge das runde Glas, welches als Fenſter dient, ausgeſchraubt hatte,

und da die Sturzwellen über das ganze Deck gingen, ſo war dieſe ütber flutung eingetreten. Das Waſſer wurde eimerweiſe aus meiner Kabine geſchöpft. Am unleidlichſten war die Windſtille, welche nach dem Sturme folgte. Die See war gewaltig bewegt , und da das Schiff keine Stüße mehr in 11

den Segeln fand, ſo ſchwankte es ſo, daß man glaubte, alle Maſten würden brechen.

„ Der ſchönſte Tag war geſtern.

Scharfer Wind und doch ebenes

Meer, da wir dicht unter den hohen Bergen von Granada hinſegelten. Es war ein prächtiger Anblid, Malaga und andere Städtchen und Dörfer paſ jierten wir ſo nahe, daß man mit dem Fernglas die Menſchen ſah. ,, Heute war beinahe Windſtille. Dennoch erreichten wir den Felſen von Gibraltar und kamen glüdlich um denſelben herum. Aber ſeit Sonnen untergang kreuzen wir, um die Reebe zu gewinnen. Zehn Uhr abends. Noch kreuzen wir zwiſchen Algeſiras und Gibral tar hin und her, um die Nteede zu gewinnen. Ich habe mich entſchloſſen, dort auszuſteigen , denn ich ſtehe gar ar zu ſehr aus. Es iſt mir ſchwer ge worden und wird mich vielleicht noch gereuen ; aber ich bin ſo herabgekoms men, als hätte ich eine große Krankheit gehabt. Die See widerſteht meiner Natur. 16 Tage bin ich nun an Bord, und ſowie die See hoch geht, bin ich ebenſo ſchwindlig wie am erſten Tage. Gott weiß , ob in Spanien nun Diligencen und Poſten ſind; noch habe ich nichts erfahren. Ich werde

die Reiſe aufs äußerſte beſchleunigen müſſen, um noch zu rechter Zeit in Curhaven anzukommen . Sie wird demnach manches Intereſſante, aber auch manche Sorge bieten.

Du liebes gutes Herz , Du biſt mein Stern, an dem ich mich auf richte. Wie ungern ich auch Deine Thränen beim Abſchied jah , ſo lieb 1

war, ſind ſietröſtete mir inmich der der anderung. Manchmal, wenn ich ſo recht hundeelend

war, tröſtete mich der Gedanke an Dich und die Hoffnung, Dich froh wiederzuſehen , und die Gewißheit , daß Du meiner in Liebe gedenfeſt. Gott erhalte Dich und ſchenke mir gute Nachricht von Dir.

„Ich hoffe dieſe Zeilen per Dampfſchiff an Dich zu befördern. Mors

gen werde ich hoffentlich an Land gehen können, das ſoll eine Wonne für inich ſein. Sollte ich nicht mehr Zeit finden, etwas hier zuzuſetzen , ſo tauſend Dein treuer Helmut. herzlich adieu, liebe gute Engela -Marie.

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Gibraltar, den 7. Okt., Mittwoch vormittags. Es iſt doch merkwürdig, daß man die verwünſchte See gar nicht vermeiden kann. Soeben bin ich debarfiert. Nun iſt aber gar keine Landverbindung, und ich muß heute abend wieder an Bord eines Dampfſchiffes nach Cadir; von da geht es auf dem Guadalquipir nach Sevilla und Cordova 1, dann hoffentlich per Schnellpoſt nach Madrid. Gott ſei Dank, daß ich am Lande bin.

Cadir, den 8. Oktober.

Ich wollte dies Schreiben in Gibraltar

abſchicken, aber das Dampfſchiff, welches nach Italien geht, iſt leider ſchon fort, und da nun zu Lande die Briefe über Paris müſſen, ſo kann ich es nur ſelbſt mitnehmen. Du armes Herz wirſt recht lange ohne Nachricht ſein, ich freilich noch länger. Die Hoffnung muß uns beide tröſten.

„ Prächtig iſt Gibraltar. Ein gewaltiger Felſen , 1400 Fuß hoch, er hebt ſich einzeln aus dem Meere und hängt nur durch eine niedrige enge mit Europa zuſammen . Von dem Telegraphen ſieht man die und den Hafen tief unter ſich; gegenüber, nur zwei Meilen entfernt, ſich auf der afrikaniſchen Seite bei Ceuta ein ähnliches Gebirg.

Land Stadt erhebt Man

ſieht weit in das atlantiſche und mittelländiſche Meer. Der Gouverneur, Sir Robert Wilſon, begrüßte uns mit einem Royal salute von der hohen Batterie und gab mir Erlaubnis , alle Feſtungswerte zu ſehen. Abends ſechs Uhr ging ich mit dem prachtvollen Dampfer The Queen ab , ſehr teuer ,1 aber ſehr gut 1, wie alles Engliſche. Es war ein herrlicher Abend, milde wie im ſchönſten Sommer. Der Mond ging hinter dem Leuchtturm auf, und man fuhr wie auf einem breiten Fluß zwiſchen Europa und 1

Afrika hin. Selbſt das atlantiſche Meer war vollkommen ruhig. Vor Sonnenaufgang ſchon waren wir im Hafen von Cadir. Ich durchſtreifte die Stadt ; ſie iſt ſehr hübſch und ſauber. Die Straßen eng , aber rein

lich, ſonſt aber ohne beſondere Merkwürdigkeiten. Hübſch iſt die Alameda oder der öffentliche Spaziergang auf der Mauer am Meere , mit einigen dürftigen Bäumen beſetzt. Von Vegetation ſieht inan hier faſt ebenſowenig wie in Venedig. In Gibraltar war ſie ganz afrikaniſch, und alle Gärten

von Aloe mit 20 Fuß hohen Blumenſtengeln und Kaktus eingefriedigt, die voller Feigen ſaßen. Jeßt zehn Uhr morgens bin ich an Bord des ſpaniſchen Dampfſchiffes, welches den Guadalquivir befährt. Die Rorvette wollte auch geſtern abend fort, aber es war ganz windſtil und heute Weſtwind, ſo daß ſie kaum gegen den heftigen Strom ankommen kann. Ich kann nicht leugnen , ich wünſche ihr etwas Gegenwind, um Vorſprung zu gewinnen,

denn ſehr ungerne käme ich ſpäter als ſie nach Curhaven. Bis jezt geht alles gut, mein liebes Weibchen. — God bless you." Wir würden fortfahren mit den Reiſeberichten an Frau Marie, wenn

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Moltke dieſelben Eindrüde einer raſchen Fahrt durch Spanien und Frank reich nicht weit umfaſſender in einem Bericht aufgezeichnet hätte , den er, auf die Amazone wartend, in Hamburg für Bruder Friß und die Familie niederſchrieb. Für Frau Marie war die Zeit , bis von Gibraltar die erſte

Nachricht von des Gatten glüdlicher Überkunft zur See tam , ein bitteres 1

Herzeleid. Jedes Unwetter mahnte ſie an die Gefahren , denen ſie ihren Gemahl auf hoher See ausgeſegt glaubte. Noch in Rom hatte er ihr ge ſagt, als er eine Thräne in ihren Augen glänzen ſah : „ Wer ohne rechten Grund weint, dem ſchickt Gott oft Urſache zum Trauern .“ Dieſes Wort raubte ihr jetzt die Ruhe. „Das habe ich wohl bedacht und ins Herz geſchrieben, und jeßt eben ,1 wo ich nichts von Dir wußte , als daß Du der Gefahr

mehr ausgeſetzt warſt als je , da iſt es mir immer eingefallen .

Ihre

Couſine war bemüht, ihr durch Ausflüge nach Sorrent, Capri oder auf den Veſuv über dieſe Zeit hinwegzuhelfen. Marie fand das rechte Gleichgewicht in ihrem Innern erſt wieder, als endlich der erſte Brief aus Gibraltar

einlief und die folgenden ihr ein abſehbares Ende ihrer Verbannung zeigten. Jeßt erſt genoß ſie in vollen Zügen , was ihr unter dem italieniſchen Himmel geboten wurde. Die Sorge ihres Mannes , daß ſein Reiſeglüđ ihn auf dem ſchwierigen Landwege hätte verlaſſen und ſpäter nach Hamburg führen können als die Ümazone dort eintreffen würde , teilte ſie nicht. „Fortuna iſt in ſolchen Dingen ſo entſchloſſenen , raſchen Leuten holb, dic 1

die Hinderniſſe zu nehmen wiſſen und die Sachen von der rechten Seite anfaſſen. “ Recht bezeichnend dafür, wie eng verſchwiſtert und nahe bei /

einander heller Frohmut und Gefühlstiefe in ihr wohnten, ſchreibt ſie aus Capo di Monte : Als ich in Neapel meinen Brief abgegeben hatte, kneipten wir bei einem bekannten deutſchen Konditor ein, und als ich wieder ins Freie trat, hatte ſchon ganz Napoli und auch ſein dunkelblauer Himmel über ihm ſeine tauſend lichterchen angezündet. Es war gar hübſch, ſo zu«

rüdzufahren . Um uns zu erwärmen , denn es war recht kalt, ließen wir uns den Wagen halb aufſchlagen und ſangen Straußſche Tänze , nach denen wir beide in Berlin geflizt haben ! As unſer Einſpänner uns den

Berg hinangezogen hatte , glänzte durch die Kronen der Pinien uns das rotglühende Feuer des Veſuvs entgegen und unſere Muſit verſtummte bei dem Wiederſehen. Nicht weit davon glänzte mir noch ein bläuliches Licht, Dein Stern , und ſtrahlte ſo mild und ſchön, als wollte er mir ſagen : „Ich habe ihn nicht verlaſſen, danke Gott, daß er ihn Dir bewahrt. Derweilen ſeßt alſo unſer Freund ſeine Reiſe fort, leider mit unnötiger Eile und Anſtrengung, immer in der Sorge , die Amazone möge vor ihm in der Elbmündung anlangen ; ſo hat er in Hamburg noch zehn Tage Zeit,

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die nächſtwohnenden Verwandten zu beſuchen und ſeinen langen Brief zu ſdhreiben. In Gibraltar beſchaut ſich Moltke die Stadt , die Feſtung und die herrliche Ausſicht, beſteigt abends den engliſchen Dampfer „ Königin “ und fährt bei herrlichſtem Wetter weſtwärts durch das Atlantiſche Meer nach Cadir , wo er in der Frühe eintrifft. Von hier aus führt ihn der Fluß dampfer Theodorich in die Mündung des Guadalquivir und ſtromauf bis Sevilla . Hier beſchaut er ſich im Fluge den Alkaſſar, die Kathedrale und 1

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den Giraldaturm , was ihm Gelegenheit bietet zu eingehenden und ſehr hübſchen Darlegungen über mauriſche Baukunſt. Jegt gilt es in möglichſter 1

Schnelle Spanien zu durchqueren, das damals noch keine Eiſenbahnen beſaß. Glüdlicherweiſe geht gerade eine Poſt ab, ein von 12 Maultieren gezogener Rieſenkaſten auf Geſchützrädern, darin 20 Reiſende, Moltke mit zwei anderen

Genoſſen auf dem Dedjiß , ſein ganzes Reiſegepäc , wie üblich, ein Reiſe 1

fack. So geht es bergauf , bergab , im Galopp und Trab ; nur ab und zu, und zwar zu ſeltſam wunderlicher Tages- oder Nachtſtunde, eine kurze Raſt für die Mahlzeiten. In Cordova beſchaut er ſich die berühmte Moſchee der 1000 Säulen , freut ſich in der deutſchen Kolonie La Carolina der an heimelnden Neinlichkeit und Behaglichkeit. „Es war als ob man plößlich in ein anderes Land verſekt wäre, denn die Menſchen hatten blondes Haar und das liebe treue vieredige deutſche Geſicht. Aber,“ fügt er bitter hinzu, , fein einziger verſtand ein Wort deutſch mehr, denn unſere Landsleute ſind überall, wo ſie hinkommen, die beſten Anſiedler, die ruhigſten Unterthanen, die fleißigſten Arbeiter, aber ſie hören auf Deutſche zu ſein. Sie ſind Franzoſen im Elſaß , Ruſſen in Nußland , Amerikaner am Miſſiſſippi und

Spanier in der Sierra Morena , ja , 'ſie ſchämen ſich ihres zerriſſenen und .

ohnmächtigen Vaterlandes ." Dann weiter über die troſtloſe faſtiliſche Hochebene nach Aranjuez und Madrid , das Moltfe reich geſchmückt findet, denn er iſt gerade auf den

Hochzeitstag der Königin Iſabella eingetroffen. Eine ſchlimme Folge dieſer Feier iſt freilich, daß in keinem Wirtshauſe ein Unterkommen zu finden war ; Moltke aber hielt ſich an die Rodſchöße ſeines Reiſegenoſſen , eines

jungen Franzoſen, der fertig ſpaniſch ſprach, und kam auf ſolche Weiſe für ſchweres Geld in einem Privathauſe unter. Einen Tag lang betrachtet er ſich die Hauptſtadt, wohnt auch einem Stiergefechte bei , deſſen glänzende Schilderung mitzuteilen leider nicht angeht.

Am 13. Oktober fährt Moltke mit demſelben Wagenungetüm weiter nordwärts, durch den furchtbaren Engpaß von Somoſierra, überſchreitet den Duero und Ebro , durchfährt die überaus anmutigen baskiſchen Provinzen Buchner,

Moltte.

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mit ihrer an die Alpen erinnernden Bergnatur. Vorbei an dem prächtig gelegenen Fuenterrabia,1 erreicht er bei Frun die franzöſiſche Grenze. Er faßt ſein Urteil über die Spanier in den Worten zuſammen : „ Im Ver gleich zu den Stalienern ſind mir die Spanier unendlich liebenswürdig er ſchienen. Nicht ein einziges Mal bin ich angebettelt worden, dazu iſt ſelbſt

der Ärmſte zu ſtolz. Schweigend und ernſt ſteht er, den zer [umpten Mantel maleriſch über die Schulter geworfen. So hat er auch verſchmäht, das miſerable franzöſiſche Keleid anzuziehen, und ſtatt des troſtloſen Fracs ſieht man noch überall die ſchöne nationale Tracht, die übrigens in allen Pro

vinzen verſchieden iſt. Auch der geringſte Spanier erwartet, mit einer ge wiſſen Rückſicht behandelt zu werden ; aber mit einer freundlich dargebotenen Cigarre öffnet man ſich alle Herzen. Selbſt die angerauchte Cigarre wird,

nachdem die Spitze abgebrochen , dankbar angenommen. Als Alemanne iſt man überhaupt beſſer empfangen als jede andere Nation. England und Frankreich haben dem Lande zu wehe gethan und mit Stolz erinnert der

Spanier ſich der deutſchen Kaiſer, welche glorreich Spaniens Scepter führten ."

Von der franzöſiſchen Grenze geht es dann ſehr ſchnell mit der Poſt über Bayonne nach Bordeaux, welches Moltke für eine der ſchönſten Städte der Welt hält, und von da nach Poitiers und Tours. Hier findet er ende lich Eiſenbahn und fährt ohne Aufenthalt nach Paris , deſſen Betrachtung er nur 24 Stunden widmet. Am Abend des 21. Oktober verläßt er Paris.

Das weitere mag er ſeiner Frau ſelbſt berichten. Hamburg, Steins Hotel, den 27. Oktober. „ Du liebes gutes ſüßes Herz ! Haſt Du mich auch noch lieb ? Aus dem Datum erſiehſt Du, daß ich meine Landreiſe von faſt 400 Meilen in 18 Tagen zurückgelegt habe. Und nicht allein geſund und wohl bin ich hier geſtern morgen eingetroffen, ſondern auch , was mir ein Stein pom Herzen iſt, früher als die Amazone, von welcher noch gar keine Nachrichten da ſind. Ich fürchtete ſchon bei dein beſtändigen Süd- und Weſtwind ,

ſie würde mich überholen, und bin zwölf Nächte durchgefahren. Selbſt in Parig blieb ich nur einen Tag. Mit großer Spannung ging ich zu uns ſerem Geſandten hier , denn es wäre mir ſehr unlieb geweſen , wenn die

Leiche des Prinzen ſchon nach Berlin abgeführt geweſen . Jetzt fann ich die Sache hier abwarten , habe aber dem Miniſter des Hauſes gemeldet, daß ich in Gibraltar ausſchiffte. ,, Leider habe ich nun noch keine Nachricht von Dir, liebe Marie, habe aber nach Curhaven geſchrieben ,1 daß man mir Briefe, die für mich ein gegangen, ſofort hierher ſchickt. 1

„ Im ganzen iſt die Reiſe über alles. Verhoffen ſchnell, glücklich und

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wohlfeil geweſen. In Paris , wo ich leider einen abſcheulichen Regentag hatte, lief ich umher , ſah die Tuileries, das Louvre, die Champs Elyſées, 1

1

Notre-Dame, Ste. Madeleine, die Bazars, kurz die Außenſeite der gewal tigen Stadt. Es iſt wahr, ſie iſt prachtvoll. Wie hatte ich gewünſcht, Du könnteſt die Läden im Palais Royal mit mir ſehen . Da iſt alles,

was man nur nennen und wünſchen kann.. — Am 21. abends ſetzte ich

mich in einen bequemen Eiſenbahnwagen , war am folgenden Morgen in Brüſſel und fuhr bei ſchönem Sonnenuntergang durch das herrliche Lüttich , das Thal von Chaude Fontaine durch 16 Tunnels, die wir vor vier Jahren im Bau begriffen ſahen , über den 100 'Fuß hohen Viadukt nach Aachen und war abends um 11 Uhr in Köln , ſo daß in wenig mehr als 24 Stunden weit über 100 Meilen für 3 Napoleons zurücgelegt wurden.

„ Von Köln an ſtockte die Beförderung. Die Poſten nach Hamburg greifen nicht ineinander, und man fährt weit ſchlechter als in Frankreich. Den Vor mittag, welchen ich in Köln bleiben mußte, wandte ich ganz dazu an, den Dom zu beſehen. Es iſt wirklich recht viel geſchehen. Als W wir " dieſe Kirche

zuſammen beſahen, konnte man ſich gar kein Bild davon machen, wie die Sache eigentlich gemeint ſei. Jetzt erheben ſich ſchon die Seitenwände des

Hauptſchiffes, und das durch eine Mauer vorläufig abgeſchloſſene Chor iſt fertig und zum Gottesdienſt eingeweiht. In weniger als drei Monaten habe ich jeßt den Stephan in Wien, den Dom zu Florenz, St. Peter in

Rom, die Kathedrale von Sevilla, Notre Dame de Paris und den Kölner Lom geſehen, aber ich kann verſichern, daß dies bloße Chor einen größeren Eindruck hervorbringt als eine der anderen Kirchen , welche doch die pracht

vollſten der Welt ſind. In zehn Jahren ſteht zu erwarten , daß das ganze Schiff der Kirche vollendet iſt. Dann bleiben noch die beiden 535 Fuß hohen Türme, 100 Fuß höher als irgend ein bis jeßt ausgeführtes Bau werk, die ich wenigſtens nicht mehr fertig ſehen werde. Von Köln ging's über Hagen und Soeſt, wo das gute Wirtshaus 1

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iſt und Pumpernickel zum Kaffee gegeben wird, nach Minden und Hans nover, dann per Eiſenbahn nad Celle. Auch von Paris aus hatte ich

das Glüc, angenehme Geſellſchaft zu finden, nämlich einen deutſchen Kauf mann aus Petersburg. Mit dieſem nahm ich Ertrapoſt nach Harburg, konnte aber am Abend nicht mehr über die Elbe fommen .

,,Heute beim wunderſchönſten Wetter ging ich nach Wandsbeck. Auf

dem Kirchhof fand ich ſogleich ein eiſernes Kreuz mit der Inſchrift: „ Frieds rich Philipp Viktor von Moltke, königl. däniſcher Generalleutnant, geboren den 12. Juli 1776, geſtorben den 19. Oktober 1845. Ich habe Glauben

gehalten. " Ich beſtellte beim Küſter, daſs eine Trauerweide und einige Blumen 10 *

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auf das Grab gepflanzt werden ſollen. Es iſt mit ſechs Granitſteinen Das Haus iſt jeßt eine Fruchthandlung.

und einer Kette eingefaßt.

Ich ging hinten durch den Schloßgarten in bas kleine Gärtchen , wo noch alle die kleinen Beete , die der alte Herr ſelbſt gegraben , und die Bäume, die er gepflanzt, ſtanden. Gott ſchenke ihm Frieden !" Nachdem ſo Moltke zuerſt das Grab des Vaters aufgeſucht, beſucht er die Glückſtädter Verwandten. Endlich am 31. Oktober trifft der ſehnlich erwartete Brief von Frau Marie ein , die cr por 6 Wochen in Civita

vecchia verlaſſen ; ſie hat unterdes auf Capo di Monte bei Neapel gehauſt. Er giebt ihr in ſeiner Antwort als Kundiger Anweiſung 1, wie ſie den Poſilipp, Camaldoli, Sorrent, Capri, Cap Miſeno, Amalfi, den Veſuv 1

beſuchen ſolle. Er ſelbſt fährt zum „alten Squire ", Vater Burt in Igehoe vernimmt bei der Rückehr in Hamburg, daß endlich nach einer abſcheulich ſtürmiſchen Fahrt die „ Amazone" bei Cuxhaven angelangt iſt. Um 4. November fährt er mit einen beſonderen Dampfer „Prinz Karl" elbabwärts, um den Sarg des Prinzen Heinrich abzuholen . Derſelbe ward auf den Dampfer übergebrad t und von der „ Amazone“ zum Abſchied mit 21 Schüſſen be

grüßt; dann dampfte der „ Prinz Karl“ durch die Mondnacht elbauf bis zur Landesgrenze in Wittenberge, wo zwanzig Mann eines Garderegiments an Bord kommen, um dem Toten das Ehrengeleit zu geben. So weiter die

Havel hinauf , durch Potsdam , Spandau , Charlottenburg bis Bellevuc. 1

Von hier ward am ſpäten Abend der Sarg in feierlichem Zuge nach Berlin übergeführt und im Dom abgeſtellt. Am folgenden Tage, 7. November, fand mit großen Feierlichkeiten die Beiſeßung ſtatt; auf einer Verſenkung ſtieg der Sarg in das Gewölbe hinab , und nach der Sitte ſticg Moltfc als Adjutant , die rechte Hand auf den Sarg gelegt , mit in die Gruft nieder , was denn auch ohne alle Störung vor ſich ging.

Ad das wird

an Frau Marie aufs ſorgfältigſte berichtet. So hatte Helmut don Moltke ſich ſeiner ernſten Aufgabe mit Würde und Glüc entledigt und harrte, durch manche Beweiſe hoher Gunſt erfreut, des weiteren in Berlin .

Am 10. November erhält er das erſte Eremplar der aſiatiſchen Rarte.

Es iſt wirklich ein großes Unternehmen, und ich bin ganz ſtolz darauf.“

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Mitte November iſt er mit ſeiner römiſchen Karte beſchäftigt. Gegen Ende November ſißt er noch immer in Meinhardts Hotel zu Berlin und träumt davon , Weihnachten bei ſeiner Frau zu feiern , dann einen Ausflug nach Palermo zu machen und endlich über Livorno, La Spezzia, Genua, Nizza, Avignon, Lyon, Genf oder Paris heimzukehren. Er weiß nicht, ob er Fiſd) oder Vogel iſt, denn er gehört nicht mehr zum Generalſtab, iſt auch nicht 1

mehr Adjutant ſeines toten Prinzen. Dieſer allerdings äußerſt unangenehme

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Zuſtand wird dadurch beendigt, daß er zu Weihnachten 1846 dem Generalſtab tes achten Armeecorps zugeteilt wird. Moltfe ſiedelt damit nach Koblenz über. Wann und wie er ſeine kleine Frau aus Italien heimgeholt hat, darüber fehlt uns jede Mitteilung. Es folgen nun ein paar glückliche Jahre in dem ſchönen Koblenz. Ter Sommer bringt die gewöhnlichen Manöverwochen , wobei Moltke die Ge: legenheit ergreift, das Moſelthal und die damals noch ganz einſame Eifel kennen

zu lernen. Derart ſind die beiden folgenden Mitteilungen an Frau Marie. Trier, den 2. Juli 1847.

Mein liebes gutes Herz; faſt wären wir morgen nach Koblenz zurück gekehrt.

„Trier iſt wunderhübſch, Du mußt einmal mit mir her. Die alten 1

Römerbauten ſind überraſchend gut erhalten. Die Porta nigra erinnert ſehr an das Koloſſeum , aber iſt keineswegs ſo groß. Ein prächtiges Amphi theater iſt ausgegraben, alte Bäder, und der Palaſt des Konſtantin wird jeßt zu einer Kirche hergeſtellt. Es iſt merkwürdig, wie dieſe Mauern aus flachen Ziegeln, gerade wie bei den Aquädukten in der Campagna, fich gut

erhalten haben , da ſie doch einundeinhalbtauſend Jahre alt ſind. Eine Meile von hier, im Dorf Igel, ſteht ein Grabmonument mit Figuren und Inſchriften, ſo ſchön, wie ich keines in Rom erhalten gefunden habe. In

Deutſchland giebt es keinen zweiten Ort, wo ſo viel römiſche Reſte wären, wie Trier.

Tie prächtige Vegetation hier, Weinreben , Walnußbäume

und echte Kaſtanien, verſeßen einen nach Italien zurück. „ Sehr überraſchend iſt auch die Lage von Luremburg , die ſchroffen Felswände und die ſeltſame Feſtung mit rieſenhaften Mauern.

Aber ich

möchte nicht dort leben und freue inich, daß das Generalkommando weder

in Köln noch in Lüßelburg iſt. Trier freilich ſtreitet um den Vorzug mit Koblenz, aber ich glaube, auf die Dauer iſt Koblenz doch ſchöner. ,Adieu, gutes liebes Herz. Gott ſchüße Dich. Dein Helmut." Roblenz, den 28. Oktober 1847. Ich muß Dir nur vor allem melden , daß ich geſtern hier ein getroffen bin und alles in guter Ordnung vorgefunden habe. „Ich war am 24. von Trier abgefahren , ließ die Pferde nach einer 11

ſtarken Tour auf der Höhe und ging noch eineinhalb Meilen nach Kylburg im tiefen Thal der Kyl hinab. Nichtsdeſtoweniger machte ich im ſchönen

Abendſchimmer noch einen Spaziergang und ſtand plößlich vor einem prächtigen alten Gebäude, halb Burg, halb Schloß mit hoch auſgemauerter

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Terraſſe. Ich träumte lebhaft, daß cs mein ſei , und daß ich Dich eben

herführte, um zu erfahren , ob es Dir wohlgefiele. Unglüdlicherweiſe be 1

gegnete ich im Burghof dem Eigentümer, der mich ſehr artig herumführte, aber die Fluſion gänzlich ſtörte. „ Um folgenden Morgen ſuchte ich die Pferde auf und fuhr nach Manderſcheid , wo tief im Thal zwei prachtvolle Burgruinen auf hohen Klippen liegen. Sie gehörten einſt der ausgeſtorbenen Dynaſtenfamilie gleichen Namens. Kürzlich ſind ſie verkauft an eine alte Frau für 36 Thaler, welche etwas Rohl und Rüben im Burghof erntet. Ein tüchtiges Klettern führte mich von da auf den 1600 Fuß hohen Moſenberg, welcher aus drei alten Kratern beſteht. Einer iſt durch ein Torfmoor angefüllt. Wieviel 1000 Jahre müſſen verfloſſen ſein , damit auf dem feurigen Schlund ſolche Wälder vermodern konnten. Aus einem Krater zieht ein Lavaſtrom hinab

ins Thal. Abends fuhr ich noch nach Daun, wo ich ein gutes Nachtlager fand. „Der folgende Tag war mein ganz ergebenſter Geburtstag. Eine ſchöne Feier, nur ſchade, je öfter man dies Feſt feiert, deſto weniger erfreulich

iſt es. übrigens war ſchöner Sonnenſchein , und ich ſpazierte wieder auf vulkaniſchem Boden zu den Kratern von Schalkenmehren, drei naheliegenden fleinen runden Seen von ungeheurer Tiefe. Der Spiegel des einen liegt wohl 200 Fuß tiefer als der des anderen, von welchem er nur durch einen ſchmalen Damm getrennt iſt. Der ſtahlblaue regungsloſe Waſſerſpiegel erinnert an Caſtel Gandolfo im kleinen. Abends fuhr ich 'auf ſehr ſchlimmem Wege nach Kelberg.

,, Geſtern früh fuhr ich von dort an einem ſchönen Wintertag fort.

Ade Waſſer waren gefroren , die Halme und Blätter weiß kandiert , aber die Sonne ſchien hell und ſchön. Ich machte ſiebeneinhalb Meilen, und die Pferde waren von der vorigen Bergpartie ſehr müde , aber als ſie bei Baſſenheim den Berg herauffamen , waren ſie gar nicht zu halten. Im ſchärfſten Trab ging es bis Rubenach herunter, als ich plößlich ſtatt Koblenz einen großen See erblicte mit hohen bewaldeten Ufern. Es war der Nebel, welcher über dem Rhein lag, und den ganzen, oben ſo ſonnigen Tag nicht gerichen war. Unten war es warm , aber feucht und dunkel. „ Heute früh Meldungen , Vortrag , Mittag im Rieſen und einen 1

Gang auf die Brüde. Der Nebel hatte ſich eben geteilt , und die Sonne ſchien prachtig, obwohl etwas friſch. Das ſtolze Ehrenbreitſtein blidte gold rot durch den feinen blauen Nebelhauch herab, und die fernen Berge bildeten violette Schattenriſſe, die kein Detail erkennen laſſen und ſo äußerſt maleriſch ſind. Es iſt doch ſehr ſchön hier, ich verſtehe mich ein bißchen darauf, die Gegend hält jeden Vergleich aus. “

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Und am 30. Oktober ſchreibt er ſeinein Bruder Adolf:

Meine

größtes Glüd iſt meine kleine Frau. Seit fünf Jahren habe ich ſie ſelten traurig und nie verdrießlich geſehen. Launen kennt ſie nicht und nimmt auch keine Renntnis davon bei anderen. Ein wirkliches Unrecht dürfte man ihr nie zufügen , ſie würde es beim beſten Willen nicht ver zeihen können ; denn bei aller Heiterkeit des Gemüts hat ſie einen ent ſchiedenen, feſten und tiefen Charakter , den ſie in allen Widerwärtigkeiten bewahren würde. Gott ſchüße ſie davor. Ich weiß aber auch, was ich an ihr habe !" Kurz, Moltke hat allen Grund, ſehr zufrieden zu ſein : er hat die beſte Frau der Welt, er, der in Jugendjahren ſo ſchwer unter der laſt der Dürftigkeit geſeufzt hat, erfreut ſich einer guten Einnahme und behag lichen Wohlſtandes, er lebt im ſchönſten Teile des ſchönen Rheinlandes wenn nur nicht alsbald die böſe Politik in dieſes Lichtbild des Daſeins ihre Schatten geworfen hätte. Mitte November 1847 ſchreibt er an Bruder Ludwig , er ſei jetzt zu Gange, die römiſche Karte rein zeichnen zu laſſen und eine Art Wegweiſer durch die Campagna zuſammenzuſtellen, nach Art desjenigen von Weſtphal, aber etwas weniger trocken, wo möglich; eine geographiſch -phyſikaliſche Ein leitung liege fertig. Nun aber muß er das alles beiſeite ſchieben und den neuen Mobilmachungsplan für ſein Armeecorps ausarbeiten. -

Dann kamen die gewaltigen politiſchen Bewegungen im Frühling des Sturmjahres 1848 ,1 die Moltke aufs tiefſte bewegten.

In Berlin halt=

loſe Schwäche, am Rhein Volksbewegungen und allgemeine Abneigung gegen Preußen ; möglichenfalls ein baldiger Krieg gegen Frankreich in Sicht. In Schleswig-Holſtein , das ebenfalls in die nationale Bewegung hineins

gezogen war , hauſten Moltkes Schwiegereltern ; ſeine drei Brüder waren Beamte in däniſchen Dienſten ; Frig Poſtmeiſter in Flensburg, Adolf bei der holſteiniſchen Kanzlei in Kopenhagen angeſtellt, Ludwig Amtmann auf

der Inſel Fehmarn; ſie ſtanden vor der ſchwierigen Wahl, ſich zur däniſchen Regierung zu ſchlagen , oder der proviſoriſchen Regierung der Herzogtümer zu huldigen ; das machte natürlich auch Helmut ſchwere Sorge. Er ſchidte Ende März ſeine Frau in das ſtille Ems hinüber. Moltke ſchreibt in dieſen Tagen an ſeine Schwägerin Jeannette v. Broddorff in Glüdſtadt:

über Euch Schleswig -Holſteiner kann ich mich nur freuen . Die Dänen werden Euch wohl nicht unterkriegen. Europa rekonſtruiert ſich 2

nach Nationalitäten , alles Fremde wird abfallen, möchten wir nur alles Deutſche wiederbekommen, ſo wären wir reichlich entſchädigt. Aber dazu ges hört Einheit und Kraft, und wir ſind in der Richtung, beides zu verlieren . 1

Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß geſunder Sinn wieder obenauf

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kommt.

Es iſt jeßt eine Verblendung, die wie eine moraliſche Cholera

durch Europa zieht.

Es thut mir leid, in Deine ſchöne patriotiſche Begeiſterung manchen Tropfen der Bitterkeit gießen zu müſſen. Ich kann mich über das ,

was

in Deutſchland vorgeht, freuen, ſofern ich in den jetzigen Verhältniſſen die einzige Möglichkeit ſehe, ein einiges Deutſchland erſtehen zu machen, aber es kann doch nur dann etwas aus der Sache werden, wenn Ordnung und Geſez fortbeſtehen und wenn ſich irgend eine centrale Gewalt erhält. Wir ſind aber auf dem beſten Wege, dies alles über Bord zu werfen . Ich hoffe,

daß in der Verſammlung morgen zu Frankfurt die Republik durchfält, wie in Heidelberg, aber ſelbſt dann, wo iſt noch eine Regierung übrig, die Kraft hätte ? Die Vorgänge in Berlin haben dort nicht allein, ſondern im ganzen Lande jede Autorität tief erſchüttert. Nur große Klugheit und Mäßigung können ſie langſam wieder herſtellen. Ein" Angriff von außen in dieſem Augenblick wäre ein großes Glück, aber unſere Nachbarn im Oſten und Weſten werden warten, bis wir uns ſelbſt in Parteien zerſplit tert und verzehrt haben werden. Alle Bande drohen ſich zu löſen. Es

handelt ſich nicht mehr um Monarchie oder Republik , ſondern um Geſetz oder Anarchie. Nicht von außen kommen unſere Feinde, wir haben ſie im die Proletarier ſind der Zauberbeſen , den der Liberalismus heraufbeſchworen und den er nicht mehr bannen kann. Bald wird der Innern

liberalſte Deputierte ein Stocariſtokrat ſein, und ſchwer werden jie ihr Kos

kettieren mit Freiſinnigkeit und Volksbeglückung büßen . Weldje Zukunft verſcherzt Deutſchland! Welche Verantwortlichkeit für die , welche dieſe Zuſtände veranlaßten ! Wo war der Druck der Verhältniſſe ſo groß , wer war ſo in ſeinem Recht gefränkt , wer ſo in ſeiner Freiheit bedrůdt , daß

es gerechtfertigt ſchien , ein im ſchönſten Aufblühen begriffenes Staatsleben zu zertrümmern, eine neue Bahn einzuſchlagen, von der niemand weiß, wo hin ſie führt ? Doch dieſe Klagen ſind vergebens, man muß jetzt die Zu kunft ins Auge faſſen, aber ſie zeigt lange und blutige Kämpfe ."

Moltke wurde am 16. Mai 1848 interimiſtiſch als Abteilungsvors ſtcher zuin großen Generalſtab in Berlin kommandiert und den 22. Juli zum Abteilungsvorſteher, oder , wie die Bezeichnung ſpäter geändert ward, zum Abteilungschef ernannt. Während Frau Marie bei den Verwandten in Holſtein weilte, verbrachte Moltke einige unbehagliche Sommermonate in Berlin ; am 22. Auguſt wurde er als Chef des Generalſtabes des IV. Armee corps nach Magdeburg verſeßt. Um dies gleich porwegzunehmen , werde hier mitgeteilt, daß er am 26. September 1850 zum Oberſtleutnant, ai 2. Dezember 1851 zum Oberſten befördert ward.

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Aus dem Jahre 1849 wiſſen wir weiter nichts, als daß Moltke iin Herbſt vier Wochen lang im Seebad Wangerooge verweilte. Daß wir über die wichtigſten Fragen jener Zeit, über das Frankfurter Parlament, über die Wahl des Königs von Preußen zum Deutſchen Kaiſer , Moltkes Urteil nicht beſißen , iſt ſehr zu bedauern. Aber in ſeinen ſpärlichen poli tiſchen Äußerungen über Deutſchland über ſeine Stellungnahme zu den äußert er, ſchleswig-Holſteiniſchen Händeln gehen wir gefliſſentlich hinweg vornehmlich in den Briefen an Bruder Adolf, ein felſenfeſtes Vertrauen in den geſchichtlichen Beruf Preußens, an die Spike von Deutſchland zu treten. Hin und wider ſtellt ſich auch ſehr erklärlicherweiſe Kleinmut ein.

Am

9. Juli 1848 äußert er ſeine Abſicht, bald ſeinen Abſchied zu nehmen, und fügt bei : „Mein Lieblingsgedanke iſt noch immer , daß wir uns nach und nach auf irgend einem Grundbeſitz ſammeln , wo jeder an Kapital und Arbeitskräften mitbrächte , was er beſitzt. Ain liebſten wünſchte ich das Beſißtum auf dem lieben deutſchen Boden. Geſtalten ſich aber die Verhält niſſe in der Heimat immer ſchlechter, ſo habe ich nichts gegen eine andere Hemiſphäre, was meine Perſon betrifft .“ Allerdings meint er, daß die Frauen, die überhaupt ſo konſervativ ſind, ſich ſchwer mit den Zuſtänden einer neuen Welt vertraut machen würden. Und dann am 3. Aug. 1848 : ,,Wir waren nie weiter von der Einigkeit als jet. Preußen wil man nicht an die Spiße ſtellen, und ohne Preußen kann man nichts zuſtande bringen ." Und am 21. September 1848 : „ In Berlin liegt der Schwerpunkt der ganzen 1

1

deutſchen Frage. Ordnung in Berlin , und wir werden Ordnung im Lande haben. Eine kräftige preußiſche Regierung und Deutſchlands Einigung kann nur durch Preußen bewirkt werden ." Und am 17. Februar 1850 : „ Preußen muß ſich geſtehen ,1 daß es nirgends in ganz Europa mehr einen Freund hat, ſondern ganz allein auf ſich ſelbſt angewieſen iſt. Preußen iſt von den Demokraten aller Nationen gehaßt, weil es die ſtärkſte Stütze der Ord nung , in den Augen des Petersburger und des Wiener Kabinetts aber iſt es revolutionär und überhaupt in der ganzen Staatenfamilie als Parvenu, als Sohn ſeiner Thaten, wenig beliebt, den Kleinſtaaten, als herabgekommenen Altadeligen , beſonders fatal. Alſo keine Alianz, kein Aufgehen weder von noch in, keine Hoffnung als auf ſich ſelbſt ." Seiner kleinen Frau aber ſchreibt er :

Magdeburg, den 11. Januar 1850. „Ich bedaure, Dir über die Scene zwiſchen Manteuffel, Brandenburg und dem König durchaus nichts mitteilen zu können ; hier weiß kein Menſch etwas davon. Da die wichtige Botſchaft des Königs an die Kammer vor

geſtern von allen Miniſtern gegengezeichnet, ſo iſt wohl anzunehmen , daß

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Gott uns unſer treffliches Miniſterium aud) ferner noch erhalten wird.

Übrigens, liebes Herz, gehe nicht darauf aus , die potitiſchen Anſichten an derer zu bekehren, laß jedem ſeine Meinung. Es iſt ſonderbar, daß über 1

Politit jeder ſich berufen fühlt mitzuſprechen, während in der ganzen Welt gerade darüber vielleicht nur ein paar Dußend Menſchen etwas wiſſen. Vollends Frauen ſollten das nicht thun , deren Politik die Wirtſchaft und deren Vaterland das Haus iſt. Wenn ich ſo die Gefühlspolitik der Damen höre, die von den Thatſachen, von Verträgen, Finanzen und derlei Kleinig keiten abſehend, nur ihre Wünſche vor Augen haben , ſo möchte ich immer fragen, was das Pfund Butter koſtet. Du biſt nun mal ſchwarzweißer Reaktionär, und das iſt mir ſchon ganz recht, laß aber die „ Freie Preſſe" dem, der ſie liebt. “

Im Herbſt 1850 machte Moltke einen längeren Badeaufenthalt mit Frau Marie in Rehme , dann an der atlantiſchen Küſte von Frankreich. Er berichtet darüber an ſeine Schweſter Auguſte Burt : .,Trouville sur mer, den 30. 9. 50.

,, Damit Ihr uns nicht für ganz verſcholen erklärt, liebe Guſte, will ich Dir nun von hier aus inelden , daß es uns gut geht und daß wir

ſchon ein halb Dugend Seebäder mit gutem Erfolg genommen haben. Die letzten Nachrichten hat Marie Dir von Rehme aus gegeben . Es war dort ſchon recht winterlich geworden, als wir am 7. des Monats abreiſten. Wir blieben ein paar Tage in dem lieben Roblenz, wo wir ſo viele gute Freunde fanden , und empfanden recht den Unterſchied zwiſchen dieſem Aufenthalt und Magdeburg. Die ſchöne Rheinfahrt brachte uns nach Frankfurt am Main, von wo wir auf der Landſchaftlich ſehr ſchönen

Eiſenbahn durch die Pfalz nach Metz gingen , einer wundervollen alten deutſchen Stadt mit einem prachtvollen gotiſchen Dom und franzöſiſchen

Feſtungswerken. Von hier fängt das einförmige franzöſiſche Kalkplateau an mit der langweiligen Champagne. Erſt in Soiſſons wird die Gegend

angenehm, und man fährt auf der Eiſenbahn immer längs der Marne in wenig Stunden nach Paris.

„ Wir blieben dort, fortwährend vom ſchönſten Wetter begünſtigt, acht Tage, um dieſe gewaltige Hauptſtadt nur einigermaßen beſichtigen zu können.

Unſer Hotel lag am Boulevard, in der intereſſanteſten Gegend der Stadt. Nach eingenommenem Kaffee ging es fort, und erſt abends ſpät kam man

müde vom Vergnügen nach Haus. Ter Vormittag war der Beſichtigung der Stadt gervidmet, die Tuilerien ,1 Champs Elyſées , Notre Dame , der Jardin des Plantes , die Muſeen und Paläſte, vor allem die Boutiquen, welche, eine prachtvoller als die andere, durch alle Straßen das Erdgeſchoſ

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einnehmen . Man muß wirklich erſtaunen, was hier alles ausgeboten wird, und wie geſchmadvoll nicht nur Seidenſtoffe, Hauben und Hüte , ſondern auch Eßwaren , Fiſche, Wild , Käſe und Obſt aufgeſtellt werden . Man wundert ſich nur , wo die Käufer für alle dieſe Herrlichkeiten herkommen, um ſo mehr da ales recht ſehr teuer iſt. „ Bei den großen Entfernungen kann man ſich nicht darauf einlaſſen, zu Hauſe zu eſſen. Aber der Tiſch iſt überall gedeckt. Man ſpeiſet faſt nur à la carte und ganz vortrefflich, aber die Preiſe ſind auch darnadh.

„Nachmittags ging es meiſt bei ſchönſtem Wetter in die limgegend per Eiſenbahn nach Verſailles, St. Cloud , Meudon , St. Denis und ſo

weiter. Abends ſechs Uhr wird diniert , und um acht Uhr geht man ins Theater. Wir beſuchten die Variétés , wo man fünf Stücke nacheinander gab, Théâtre Français und die Große Opcr. ,,Bei der vorgerügten Jahreszeit war es nun nötig, ernſtlich an die Seebäder zu denken. Von Paris führt eine ganz prachtvolle Eiſenbahn immer das ſchöne Seinethal entlang über Rouen nach Havre. Die großen Krümmen des Fluſſes werden auf vielen Brücken überſchritten , die Thäler

auf Viaduften von 100 Fuß Höhe überſetzt. Gleich hinter einem ſolchen Rieſenwerť ſtürzt der Zug mit Pfeilesſchnelle gerade auf eine ſteile Kalk gebirgswand los. Man denkt, alles muß zerſchellen ,1 aber ein oft 2000 Schritte langer Tunnel durchſetzt den Berg , und wenn das Tages: licht wieder dämmert, ſo ſieht man ſich plößlich in eine ganz neue Gegend verſeßt. Eine der ſchönſten Städte, die man ſehen kann, iſt Rouen, die alte

II

Hauptſtadt der Normannen , dieſer kühnen norwegiſchen Seeräuber, welche von hier aus England, Sicilien und Neapel eroberten und ihr Banner bis

vor Jeruſalem trugen. Die Kathedrale, die Abtei St. Quen und der Juſtiz palaſt ſind die ſchönſten Bauwerke, welche man ſich denken kann, und laſſen Notre Dame und St. Denis weiter hinter ſich.

,,In Havre fanden wir die Seebäder ſehr wenig einladend und fuhren per Dampfſchiff über die etwa zwei Meilen breite Seinemündung hierher nach Trouville, einem kleinen allerliebſten Städtchen , wo ein trefflicher Badeſtrand iſt. Zu beiden Seiten erheben ſich die Kalkufer, welche überall die Küſten der Normandie bilden, von ſchönen Waldungen bedeckt und mit herrlichen Sdlöſſern gekrönt. Ein kleiner Fluß mit breiten grünen Wieſen bildet den Hafen, aus welchem täglich die Auſternfiſcher auslaufen und die trefflichſten Schollen, Steinbutten, große Plattfiſche mit langen Schwänzen und allerlei treffliche Seeungeheuer heimbringen , deren deutſche Namen ich nicht weiß. Unſer Zimmer gewährt den Anblick des unbegrenzten Meeres,

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nur rechts erhebt ſich das Vorgebirge von Havre mit ſeinen Leuchttürmen . Große Dampfichiffe ziehen am Horizont entlang, und die Fiſcherkähne durch ſchneiden in allen Richtungen die Flut, welche eben jetzt mit gewaltigem Brauſen ihre Wogen , die ein friſcher Nordweſtwind vor ſich hertreibt, an das Ufer rollt. Schnellziehende Wolken entladen ſich dann und wann in heftigen Güſſen , und es gehört ein kleiner Entſchluß dazu , ſein Bad zu nehmen, beſonders nach den warmen Wannen von Rehme. Aber man fühlt ſich auch ganz anders geſtärkt. So lange die Flut cs erlaubt, wird um I

zehn Uhr gebadet. Um halb elf Uhr wird dejeuniert, das heißt eine komplette und ganz vortreffliche Mahlzeit, der nur die Suppe fehlt, eingenommen. Wir haben Pferde gefunden, um Ausflüge ins Land zu machen. Um halb ſechs Uhr iſt die Stunde des Diners , eine ganze Reihe von Sdjüffeln in verſchiedenen Gängen , einer ſchöner wie der andere , und dazu ein muſter hajter Appetit, um ſie zu würdigen. Dabei iſt das Leben hier durchaus nicht teuer. Unter dieſen Umſtänden haben wir beſchloſſen, ſo lange die

Witterung es irgend erlaubt, die Seebäder hier abzumachen, und dann über Dieppe, Boulogne , wo man immer noch badet , einen kurzen Ausflug nach England zu machen ."

Nun aber kamen trübe Tage für ein vaterländiſch fühlendes Preußen Herz. Daß in den Märztagen 1848 König Friedrich Wilhelm IV. vor der einpörten Bevölkerung ſeiner Hauptſtadt die Truppen zurückzog und ſeinen ſtraffen Bruder , den Prinzen Wilhelm , nach England in die Verbannung

ſchickte; daß er mit der ſchwarzrotgoldenen Fahne durch die Straßen Berlins ritt und verkündete , Preußen werde fortan in Deutſchland aufgehen , das hat ſicherlich Moltke wie jeden wackeren preußiſchen Kriegsmann aufs tiefſte geſchmerzt. Daß er am Ende des Sturmjahres dem wüſten Taumel der Berliner , dem tollen Treiben der konſtituierenden Verſammlung durch den Wiedereinmarſch der Truppen ein Ende machte , das war doch einmal eine

tröſtliche That. Ende März 1849 bot die Frankfurter Nationalverſammlung dem König von Preußen , der ſo ſchwach erfunden worden , die deutſche Kaiſerkrone an in der rechten Erkenntnis, daß nur der Träger der mächtig ften rein deutſchen Krone, ein Hohenzollernfürſt, berufen ſein könne, an die Spiße des neuen Bundesſtaates zu treten. Aber es war eine papierene Krone , die dem deutſchen Raijer kaum nennenswerte Rechte verlieh, und

König Friedrich Wilhelm IV. war nicht der Mann , ihr iin Kampf gegen Öſterreich und die Mittelſtaaten wirkliche Macht zu erfechten ; ſtramme Preußen wie Bismarck warnten eindringlich vor der Annahme des Kaiſer tums von Volkes Gnaden. König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die deutſche Raijerkrone ab und verſuchte durd) Unterhandlungen mit den Fürſten zu

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erreichen, was er vom Volke nicht hatte annehmen wollen . Des weigerten ſich erſt die ſüddeutſchen, dann auch die im Machtbereiche Preußens liegenden norddeutſchen Staaten ; nicht einmal ein norddeutſcher Bund kam zuſtande, geſchweige denn ein geſamtdeutſcher. Und auch auf einem anderen Gebiete beging die preußiſche Staats leitung die ſdhwerſten Fehler. Als Eingang 1848 die Volkserhebung durch alle lande ging, gedachten auch die wackeren Schleswig-Holſteiner ſich gegen

däniſche Vergewaltigung, gegen die drohende Einverleibung in den däniſchen Geſamtſtaat zu wehren. Ganz Deutſchland war des gleichen Sinnes,, und Preußen leiſtete ihnen im Jahre 1848 bewaffnete Hilfe ; gedrängt aber durch den Einſpruch von Rußland und England , ſchloß das preußiſche Kabinett erſt, ſchon im Sommer 1848, einen unrühmlichen Waffenſtilſtand,

ließ dann 1850 die Elbherzogtümer ganz im Stich, ſo daß die Schleswig Holſteiner lediglich mit eigener Kraft, rühmlich aber unglücklich den Kampf

gegen die Übermacht Dänemarks fortſeßen mußten. Und zum dritten : Kurfürſt Friedrich Wilhelm von Heſſen - Kaſſel fühlte ſid, mißbehaglich auf ſeinem , durch eine freiſinnige Verfaſſung bes läſtigten Thrönlein und bat den wiederbelebten Frankfurter Bundestag um Bundeshilfe gegen ſeine Unterthanen ; ein öſterreichiſch bayeriſches Heer ſtand bereit, die Preußen, die Kurheſſen , als im preußiſchen Machtgebiete gelegen , beſeßt hielten, hinauszudrängen. Das waren bange Tage , als im Spät

jahr 1850 Preußen ſein Heer mobil machte und jeden Augenblick eine ver lorene Kugel in der Gegend von Fulda den Kampf zwiſchen Preußen und

Öſterreich -Bayern hervorrufen konnte! Bei Bronnzel an der Rhön ſtanden die Heere einander gegenüber ; o wie haben damals wir jungen Leute auf den erſten Kanonendonner gewartet! Dwie haben wir gerufen : Preußen kann doch nicht immer rückwärts gehen ! Und Preußen wich abermals zurück, ohne einen crnſten Zuſammen ſtoß abzuwarten. Der König überließ das wackere Heſſenvolk ten „ Straf bayern ", wie wir ſie damals nannten ; der prcußiſche Miniſter des Aug wärtigen , Manteuffel, reiſte ſelbſt nach Olmütz und ſchloß daſelbſt am

29. November 1850 mit dem öſterreichiſchen Miniſter Fürſten Schwarzen berg den Olmüßer Vertrag, der ſein Gegenſtüc nur im Tilſiter Frieden von 1807 findet; nur daſ dieſer nach langer Gegenwehr durch ven völligen Zuſammenbruch aller Kräfte des Staates geboten war. Preußen überlieſ

die trefflichen Kurheſſen ihrem Schidſal, übergab gemeinſam mit Öſterreidy die Elbherzogtümer mit gebundenen Händen der däniſchen Gewaltherrſchaft, verhieß in den erneuerten Frankfurter Bundestag unter öſterreichiſcher Lei tung wieder einzutreten ; es war nur ein Gottesglüd , daß man den

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Schneidigſten der Schneidigen, Otto von Bismarck, als Preußens Vertreter nach Frankfurt ſandte. Der Traum von der hohenzollerſchen Kaiſerkrone war endgültig ausgeträumt. Deutſchland lag wie ein Kirchhof und Öſters reich war wieder unbeſtritten die führende Macht; es war klar, daß, ſolange Friedrich Wilhelm IV. die Krone trug, ein Wiederaufſeben der Strebungen nach einer Einigung Deutſchlands unter Preußens Führung nicht mög lich war.

Daj Moltke durch dieſe Vorgänge aufs tiefſte bewegt warb, iſt ſelbſt verſtändlic ); er vor allen am beſten wußte , daß Preußen nicht zu ſchwach 1

war, ſich mit ſeinen Gegnern zu meſſen.

Aber der Militär hat nur zu

gehorchen und darf ſich höchſtens im Briefe cin ſcharfes iirteil über die Politik ſeines Rönigs erlauben.

Tamit man Moltkes ingrimmige, faſt

verzweifelnde Urteile heutzutage, wo all dies Elend vierzig und mehr Jahre hinter uns liegt, verſtehe, deswegen haben wir dieſe kurze geſchichtliche Ab ſchweifung hier einſchieben müſſen. Wie furchtbar erbittert mußte der ſonſt ſo ruhige Mann ſein , um am 15. Februar 1851 zu ſchreiben : ,Eine 1

kläglichere Nation giebt es nicht als die deutſche.“ Nun, zehn Jahre ſpäter waren andere und beſſere Männer da , um Preußens Ehre wieder her zuſtellen. Wir teilen aus dieſer Jammerzeit einen Brief an Bruder Adolf mit. „,Magdeburg, den 4. November 1850.

Seit geſtern mittag hängt der Friede Europas nicht mehr allein von den Miniſterkonferenzen , ſondern von dem Verhalten einer Huſarenpatrouille ab. Die Preußen und Bayern müſſen in der Gegend von Salmünſter aufeinander geſtoßen ſein. Ein paar Karabinerſchüſſe können leicht in die Pulvertonne Deutſchland fallen und alle feinen Diſtinktionen der Politik

in die Luft ſprengen . Unſere Diplomatie muß doch wohl eine verkehrte ſein, da jeder Schritt vorwärts uns weiter ins Verderben führt. Schon bleibt faſt nur die Wahl zwiſchen Demütigung oder einem Krieg unter den ſchwierigſten Umſtänden, einem Krieg, in weldem gegen Oſten , Norden und Süden Front gemacht werden ſoll, und wo in der Welt fein Verbündeter mehr iſt. Glüdlich, wer hier nicht zu entſcheiden, ſondern nur zu gehorchen hat. Vor zwei Tagen glaubte man den Krieg gewiß. Heute zweifelt man, und jede Stunde , die den Mobilmachungsbefehl nicht bringt, macht den Krieg unwahrſcheinlicher. Aber wie man aus al den angefangenen Händeln nur einigermaßen init Ehren herauskommen wird, ſehe ich nicht ein. Der Rampf, den man von allen Seiten fürchtet und vertagt, wird wohl zum

Frühjahr doch zum Ausbruch kommen ." Am 6. November 1850 erfolgte die Mobilmachung des preußiſchen

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Heeres. Moltke verläßt Anfang Dezember ſeinen Standort Magdeburg; ein Teil des Heeres nimmt Aufſtellung in der Provinz Sachſen ; das Haupts quartier derweilt zwei Wintermonate in Deſſau und Merſeburg; von kriegeriſchen Erlebniſſen iſt nichts zu berichten, ſondern nur von Theater aufführungen und anderen Feſten. Heimgekehrt ( chreibt er am 13. Februar 1851 ſeinem Kameraden und Whiſtgenoſſen, Major d. Glisczinski : „ Daß wir mit unſerer Politiť auf einer falſchen Fährte waren, ſcheint mir unzweifelhaft, da jeder Schritt vorwärts uns tiefer in den Sumpf führte. Ich glaube, daß wir umkehren mußten, und das geſchieht nicht ohne Verluſt und Kränkung. Aber das fühlt auch ein Uneingeweihter, daß wir nicht die Stellung einnehmen, die uns gebührt. Ich kann mich nicht von

der Überzeugung trennen , daß die Mobilmachung am 2. November beab ſichtigt wurde als Demonſtration , am 6. November befohlen wurde aus plößlicher Beſorgnis, daß nun doch Ernſt werde , ein Ernſt, an den man vorher gar nicht gedacht zu haben ſcheint. Iſt die Möglichkeit eines Kon flikts, dann dürfen wir die Mobilmachung nicht verſchieben. Man be willigte uns aber die koſtbare Friſt von vier Wochen , und nachdem wir 1

400000 Mann beiſammen hatten, räumen wir Baden und Heſſen, geben Baden und Holſtein Preis, und laſſen uns alle und jede Bedingung ges Nach einer herben Kritik der Maßregeln des Generalkommandos fallen ." ,,Meine Frau wartet noch die öſterreichiſche Erelution in Hol ſtein ab. Bei ihrer intenſiv ſchwarz-weißen Färbung wird es ihr ſehr ſchwer, unſere Politik zu verteidigen. Sie forbert von mir Beiſtand! Ich wüßte nicht, wie ich es anfangen ſoll ." Noch bitterer ſpricht er ſich gegen Bruder Adolf aus : „ Magdeburg , den 25. Februar 1851 . ſchließt er :

Über Politik mag ich nichts ſchreiben . Die unwürdige Rolle, die man uns ſpielen läßt , kann nicht lange dauern. Ich habe immer noch nicht an Krieg geglaubt, aber jetzt glaube ich, daß wir in Jahresfriſt den Krieg haben werden. Ein ſchimpflicher Friede hat noch nie Beſtand gehabt. Was für eine Streitmacht haben wir beiſaminen gehabt ! 24 Wochen war das IV. Urmeecorps mobil und aus allen Garniſonen abgerückt. Was für eine

Truppe ? Hatte Friedrich der Große je ſolch ein Material gehabt ?

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Millionen ſind verausgabt für eine Demonſtration, und um alle und jede

Bedingung anzunehmen. Aber die ſchlechteſte Regierung kann dies Vole nicht zugrunde richten , Preußen wird doch noch an die Spitze von Deutſch land kommen. Eine Einigung des Zollverbandes (nach Ausſcheiden der Süddeutſchen ) mit dein Steuerverein iſt meine Hoffnung. In Holſtein iſt

für den Augenblick alles verloren, aber der Prozeß wird wohl noch einmal

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aufgenommen. Aber das muß wahr ſein , eine kläglichere Nation als die deutſche giebt es nicht auf Erden !

„Daß unſere ganze Politik eine ſo derkehrte geweſen iſt, daß wir jet manche Demütigung hinnehmen müſſen, daß wir alles ſeit drei Jahren Bes

anſpruchte und Verſuchte aufgeben, das begreife ich; daß wir aber 500000 Mann aufſtellen, um in allen Dingen nachzugeben, um die Öſterreicher am Geburtstag Friedrichs des Großen über die Elbe zu helfen , das iſt ſchwer

zu begreifen. Und brächen wir nun auch wirklich mit der Revolution und gäben allen Firlefanz auf ! Aber da iſt der Eid ! Welch Unheil hat ein einziger Tag über uns gebracht!

Die Öſterreicher werden die Holſteiner fürs erſte nicht wieder los. Dennoch halte ich die Wendung der Dinge dort für fein Unglüc. Was zu erreichen iſt, wird vielleicht auf dieſe Art am beſten erreicht. Aber unſer armes Preußen mag ſeiner Diplomatie ein Denkmal ſeten ! " Preußen hatte bis auf weiteres auf ſeinen weltgeſchichtlichen Beruf,

Deutſchland, und ſei es auch mit Waffengewalt, zu einigen , Verzicht ge leiſtet und ſeine Kriegsleute hatten nur dafür zu ſorgen, daß die Kraft des Staates nicht in faulem Frieden erſchlaffe. So brachten denn auch die nächſten Jahre die üblichen Manöver und Generalſtabsübungen. Daß es auch bei dieſen gewaltige Arbeit giebt, lehrt uns ein Brief aus dem Auguſt 1854, wo Moltke ſich mit ſeinen Offizieren in der Lauſitz befindet. Er ſchreibt ſeiner Frau :

Es giebt aber auch hier entſetzlich viel zu ſchreiben. Ich habe die Arbeiten von ſiebzehn Offizieren durchzuſehen und zu beurteilen, und dabei

werden täglich mehrere Meilen geritten. Ja, zu thun giebt es tüchtig bei ſo einer Reiſe, und die Arbeit will immer in kürzeſter Friſt gemacht ſein, denn ehe ich nicht fertig bin, können

die anderen Offiziere nicht anfangen. Alles wartet alſo, die Pferde ſtehen geſattelt, und ſowie der Befehl erlaſſen, jagt alles fort. Dann kommen die Berichte, die fåintlich genau durchzuſehen und zu kritiſieren ſind. Zur Hilfe kann ich da niemand heranziehen , außerdem muß ich das Terrain ſelbſt

ſehen. Dann kommen lange Beſprechungen beim Chef und in neueſter Zeit lange Diners und Thees , ſo daß die Nacht zu Hilfe genommen werden muß. Ich bin daher auch etwas abgeſpannt , aber die Sache iſt ſehr intereſſant, ſelbſt. ſehr aufregend. Prinz Friedrich Karl hat eine wahre

Paſſion für die Sache, was ſeiner Einſicht alle Ehre macht. Seine Ar beiten ſind ſehr gut. Ich glaube, er iſt der Mann, der einmal den alten

Waffenruhm von Preußens Heer wiederherſtellen wird . Prinz Friedrich Wilhelm iſt ein wahrhaft liebenswürdiger Menſch ."

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Es iſt merkwürdig , die beiden Prinzen, die nachmals ſo Glänzendes für Preußens Ehre geleiſtet haben 1, hier als Schüler Moltkes zu finden und ſein prophetiſches Wort über Prinz Friedrich Karl zu vernehmen. Von derſelbent Generalſtabsübung ſchreibt er : „ Muskau, 31. Auguſt 1854. „Den fiebzehnten werden wir wohl in Magdeburg eintreffen , und ich

freue mich unbeſchreiblich, Dich dort wiederzuſehen. Du gutes, liebes Herz, es rührt mich, Dich ſo dankbar äußern zu hören, da Dir doch der größte Segen des Himmels , die Kinder, fehlen, Dir ſoviel mehr fehlen als mir.

Wir müſſen uns darein finden und dankbar anerkennen, daß wir doch ſonſt ſo gut zu einander paſſen , was ſelbſt bei vortrefflichen Menſchen ſo ſelten der Fall iſt. Und das iſt Dein Verdienſt. Bei meinem empfindlichen und verdrießlichen Charakter wäre ich mit tauſend Frauen ſehr übel daran ge

weſen. Aber glaube mir, daß ich es auch wohl zu ſchäfen weiß. " Auf dieſer Generalſtabsreiſe ereignete ſich wohl die heitere Geſchichte, die Sommer 1855 im zweiten Teile des Werkes „Aus dem Leben Theodor 11

von Bernhardis" berichtet wird.

„ Voriges Jahr," heißt es da , „ wurde

eine Generalſtabsreiſe unter General v. Reyhers Leitung unternommen , um die beiden jungen Prinzen Friedrich Wilhelm und Friß Karl zu unterrichten .

Beim Mittagstiſch in einem Städtchen der Lauſitz war von Alexander . Humboldt die Rede. General v. Reyher, der präſidierte, bedauerte, daß

der berühmte Mann ſo alt ſei ; man könne nicht hoffen, daß er noch lange lebt,1 und wer kann ihn erſeßen ? auch nur in der Umgebung des Königs, um da das Intereſſe für die Wiſſenſchaft immer rege zu halten ; wer kann ihn auch nur da erſeßen ? Oberſt Moltke antwortete : Louis Schneider! Man erſchrak, es erfolgte eine allgemeine Stille; nach einigen Sekunden aber brach alles in ein lautes Gelächter aus, in bas die beiden Prinzen einſtimmten .' Dieſes Gelächter der Geſellſchaft iſt ſehr erklär lich. Die Zuſammenſtellung des weltberühmten Gelehrten mit dem Vor leſer des Königs und Dichter leichter Luſtſpiele iſt von unwiderſtehlich ko

miſcher Wirkung. Aber Moltkes Wißwort iſt, was ſonſt nicht der Fall war, doch auch etwas boshaft, inſofern Alexander D. Humboldt, König Friedrich Wilhelms IV. litterariſcher und wiſſenſchaftlicher Beirat, doch mit Schneider einigermaßen die Rolle des Hofzeitvertreibers teilte. Daß es in dieſen Friedensjahren an den Badereiſen , die Moltke zur Gewohnheit geworden, nicht fehlte, dürfen wir wohl annehmen ,1 wenn wir auch nur ſpärliche Runde davon haben. Damit bei ſeinen häufigen Ab weſenheiten das kinderloſe Haus für Frau Marie nicht zu einſam werde,

hatte er ihren jüngeren Bruder, den 11jährigen Henry, bei ſich aufgenommen. Buchner, Moltte.

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Das Jahr 1855 brachte in dieſe gleichmäßige Friedensarbeit einige Bewegung. Es handelte ſich darum , für den dereinſtigen Erben des preu Biſchen Thrones, den 24 jährigen einzigen Sohn des Prinzen von Preußen, einen bewährten und hochgebildeten Adjutanten zu ſuchen. Der König kannte Moltke von ſeiner Campagna- Karte her, die ihn unſer Freund durch Alexander D. Humboldt überſandt hatte, der Prinz von den Manövern in der Lauſiß; an wiſſenſchaftlicher Bildung, Sprachkenntnis, vornehmem ge meſſenem Benehmen wich Moltke keinem ; als Politiker war er gemäßigt

konſervativ. So iſt es nicht zu verwundern , daß man an Moltke dachte 1

und ihn zunächſt beauftragte, mit dem Prinzen eine Reiſe nach Königsberg zu machen, damit die beiden näher bekannt würden. Wie das geſchah, mag er der Frau berichten. ,, Berlin, den 3. Juni 1855. Liebe Marie ! Ich wil Dir vom geſtrigen Tage gleich berichten . In Potsdam ging ich um zehn Uhr nach Sansſouci , wo Major v. L. den

Dienſt hatte. Ich ſagte ihm , ich wiſſe, daß der König Sonntags keine Meldung annehme, daß ich aber keinen anderen Tag disponibel hätte, um noch vor Antritt der Reiſe Seiner Majeſtät zu danken. Hierauf ging ich in den Garten , wo ich Friedrich mit der Müße nach der großen Fontaine beſtellt hatte , und wanderte in den Anlagen herum . Der ſchöne blaue Himmel belebte mich recht, da ich eigentlich unpäßlich abgereiſt war. Die

Bäume ſind prächtig, und ein umbeſöhreiblicher Reichtum an Flieder ſteht in Blüte. Joh hätte recht gewünſcht, daß Du mitgeweſen wäreft. Um zwölf ſtiegen bie großen Fontainen eine nach der anderen und warfen mächtige Brillanten in die blaue Luft.

Als ich bei dem Obelisk aus dem Garten

trat, begegnete ich dem Hoffourier, welcher kam , um zu beſtellen , daß der König mich ſogleich ſprechen wollte. Er war ſo freundlich, zu Fuß zurüc= zugehen , und mir den Wagen zu überlaſſen. Ich fuhr nun raſch nach dem

Gaſthof und ließ den Wagen halten, um mich ſchnell wieder in Staat zu werfen. Da war aber weder Friedrich noch Schlüſſel, noch Helm , noch Schärpe.

Ich ſchickte Lohnbediente nach allen Richtungen ab, und Du

kannſt denken, daß ich in keiner pfirſichblütenen Laune war. Glüdlicher weiſe ſah ich ben Leutnant p. B. dom erſten Garberegiment vorübergehen,

der mir dann bald ſeinen Helm und Schärpe ſchickte, erſteren zwar mit gelben Schuppen. Der König empfing mich im Schlafgemach Friedrichs II.

Ein Alkoven mit roten Damaſtgardinen enthält das Bette; die Uhr, welche beim Sterben des großen Königs ſtehen blieb, ſtand auf einem Konſol an der Wand. Der König ſaß vor dem Arbeitstiſch am Fenſter, ziemlich zu

ſammengebüdt in einem niedrigen Lehnſtuhl. Er ließ mich neben ſich nieber

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ſiten , er wolle ganz offen mit mir über die gegenwärtigen Verhältniſſe ſprechen. Er ſagte mir Sachen , die mich ebenſo mit Dankbarkeit als mit

Beſchämung erfüllten. Er wünſche dringend, daß ich die erſte Adjutanten ſtelle bei ſeinen Neffen annehmen möge , er ſehe wohl ein, daß ich eine gute und wirkſame Stellung deshalb aufgeben müſſe, daß hierdurch alles

für mich etwas wankend werde, auch könne er noch nichts beſtimmt zuſagen. So ſprach der König eine volle Viertelſtunde mit großer Lebendigkeit, manches mit großer Offenheit berührend, bis ich erwidern konnte , daß ich mich beſtens bemühen werde, dem jungen Prinzen nützlich und bequem zu

werden. Jd folle dem König nach Beendigung der Reiſe perſönlich Bericht abſtatten . Dann ging Seine Majeſtät auf die Neiſe ſelbſt ein, die Eigen tümlichkeit von Königsberg und Danzig führte auf Baulichkeiten in Rom u.ſ.m., auch Stolzenfels und Erdmannsdorf, wohin der König, um ſein Fieber los zu werden , gehen will, aber noch nicht entſchieden iſt, ob nach dem einen oder dem andern Orte. Es war gerade die Stunde, wo er den Anfall erwartete, der ſich aber nicht einſtellte. So ſaß ich über eine halbe Stunde, als der Herr mich entließ und mir die Hand reichte. Ich hatte den linken Handſchuh ab, in der rechten den Helm . »Nein , die rechte ,« ſagte der 1

König freundlich, rund gehen Sie auch zu Eliſe, ſie wird ſich freuen, Sie zu ſehen .« „ Die Königin , bei welcher eben der Prinz von Baden war , empfing

mich gnädig wie immer. Sie trat auf die Terraſſe hinaus , von wo man einen prächtigen Blick auf die ſonnige Landſchaft und die rauſchenden Waſſerkünſte hat. Das Reſultat des geſtrigen Tages iſt im ganzen ein ſehr gutes. Es mag aus der Sache überhaupt etwas werden oder nicht, ſo habe ich den II

Beweis ſo gnädiger Geſinnung des Königs über mich, daß ich davon wahr haft erfreut bin ; wir werden nun ſehen, was der heutige Tag bringt. Den 4.

„Der Prinz hat mich freundlich empfangen . Mit Graf

Dohna habe ich eine lange Unterredung gehabt. Er war ſehr freundlich

und bat mich , nachdem wir lange geſprochen , um Mitteilung meiner politiſchen Anſichten. Ich erwiderte nu , wie ich es für meine Schuldiga keit halte, ihm auszuſprechen, daß ich nicht auf dem Standpunkt der Kreuz zeitung ſtehe, daß ich Bündnis aller deutſchen Mächte, Neutralität für wünſchenswert halte, um die Front ſowohl gegen Oſten als Weſten machen zu tönnen . Et fchien damit zufrieden ." Am 1. September 1855 war endlich die lange ſchwebende Angelegen Heit entſchieden: Moltke ward unter Aggregierung bei dem Generalſtabe der

Armee zum erſten Adjutanten bei dem Prinzen Friedrich Wilhelm von 11 *

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Preußen ernannt, ein Aint, welches ihn zugleich in engſte Fühlung brachte

mit dem Prinzen von Preußen, dem nachmaligen König und Kaiſer Wilhelm , und fortan ſeinen Wohnſiß ſtändig nach Berlin verlegte. Nach Beendigung der Manöver reiſte Moltke mit dem Hofe nach dem Rhein, ſich den Eltern

des jungen Prinzen vorzuſtellen , deſſen Verlobung mit Prinzeß Vittoria von England bereits in der Luft ſchwebte. „ Soviel habe ich ſchon bemerkt," ſchreibt Moltke am 22. September aus ſeinem lieben Koblenz , „daß das Terrain , auf dem ich künftig mich zu bewegen habe , ein ſehr ſchwieriges iſt. Die beſte Politik wird ſein, ganz gerade und offen zu verfahren , und wenn das nicht ausreicht, zurückzutreten .“ Es beginnt nun für unſeren Freund ein vielbewegtes Leben als Reiſe begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm , und da Frau Marie an dieſen Reiſen nicht teilnehmen kann, ſo giebt es denn gar viele Briefe zu ſchreiben . Moltke befleißigt ſich ſonſt auch in dieſen flüchtigen Geburten des Augene

blics ſorgfältig eines deutſchen Ausdruces ; dieſe engliſchen Reiſebriefe, ge ſchrieben überdem an Frau Marie, eine Halhengländerin, ſind nicht ſelten mit engliſchen Worten und Säzen durchſeßt, als ob . Moltke ſelbſt Ver gnügen daran hätte , die Sprache, die er ſtändig um ſich vernahm , auch 1

ſchriftlich zu üben . Unſere Darſtellung kann ſelbſtverſtändlich nur das Bedeutſamſte aus dieſen vielfach ſehr umfänglichen Briefen herausheben, landſchaftliche Bilder , Bilder aus dem Leben , wohl auch die humoriſtiſchen Lichtfunken, die immer wieder dazwiſchen hervorſprühen. Edinburgh, den 28. September 1855. Gute liebe Marie ! Wie oft habe ich alle dieſe Tage gedacht, wenn Du doch mit wäreſt, um alles das auch zu ſehen. Ich habe mich wie ein II

Schwamm vollgeſogen , und muß nun notwendig wieder etwas von mir 1

geben. >

„ Bei wundervollem , warmen Sonnenſchein glitten wir auf der Rone kordias an Andernach, Nonnenwerth und allen den ſchönen Dir bekannten .

Orten hinab nach Köln. Ich ſtieg im Mainzer Hof neben der Poſt, mitten

in der garſtigen Stadt ab und war ſehr erfreut, meine Civilgarderobe glücklich beiſammen zu haben. Alles und ein kompletter Militäranzug ging in den neuen Koffer ; Helmſchachtel und ein Mantelſad für Friedrich bilden das ganze Handgepäck. Da ich Montag erſt um elf Uhr fort konnte , ſo mußte ich die Nacht in Gent bleiben.

Eine andere Not war immer, die

rechten Wagen zu finden. In Mecheln ſaß Friedrich ſchon im unrechten

und wäre ruhig nach Paris gefahren. Der arme Kerl kann mit niemand ſprechen. Montag mittag um drei Uhr kamen wir nach Calais. Ich dachte, der Ort wäre ſo hübſch wie Boulogne, es iſt aber die garſtigſte Stadt, die

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ich je geſehen habe. Wegen niedrigen Waſſers konnte der Dampfer Princess Maud« nicht über die Barre und mußte die Flut bis abends neun Uhr

abwarten . Ich ging auf dem faſt eine Viertelmeile (angen Molo auf und ab. Man ſah ſehr deutlich die ſieben Meilen entfernte engliſche Küſte und erkannte die Hügel mit dem Kaſtell von Dover mit bloßem Auge. Den Tag über hatte ein ſcharfer Oſtwind geweht , und das Meer war ziemlich bewegt. Das Schiff war nicht groß, aber mit enorm großen Rädern, zur Eilfahrt eingerichtet. Kein Rheindampfer läuft ſtromabwärts ſo ſchnell. Es war eine milde Vollmondnacht, und prächtig ſah es aus, wie die hohen

Wellen ſchäumend durchſchnitten wurden. Vorſorglich legte ich mich bald platt auf das ſauber gervaſchene Verdeck, denn alle Plätze waren beſeßt. Ein Matroſe deckte mich freundlich mit ſeiner Teerjacke zu. Das Schiff hatte eine ſtarke Seitenbewegung, da die Wellen von der Seite famen . Ich inerkte aber bald, daß es keine Not hatte, und ſtand wieder auf. Die hohen Kreidefelſen , vom helſten Mondlicht beſchienen ,1 ſahen ſo nahe aus,

daß man hätte wetten mögen , wir wären nur eine Viertelmeile entfernt, und doch fuhren wir noch eine halbe Stunde , alſo wohl zwei Meilen. Friedrich war regulär ſeekrank und iſt wohl geheilt von der Vorliebe für

Nautit. Nach anderthalb Stunden überfahrt brauſte der Dampfer in die Molen von Dover hinein.

Gern wäre ich am Mittwoch früh auf das Raſtell geſtiegen, aber um acht Uhr ging der Zug ab. Es war wieder der ſchönſte milde Sonnen

ſchein. Rechts ragten die Shakeſpeare-Klippen (König Lear), lints brandete das Meer. Dann gings durch lange Tunnels nach Folkeſtone,1 und nun wendete ſich die Eiſenbahn landeinwärts , durch Rent , den Garten Eng

lands. Das Land erhält einen eigentümlichen Charakter dadurch, daß die größte Hälfte nicht beackert iſt, ſondern für Viehzucht benußt wird. Die

Roppeln erinnern ſehr an den öſtlichen, hügeligen Teil von Holſtein. Alles iſt grün und mit Laubwald abwechſelnd. Die Häuſer ſind mehr wie in Oſtfriesland gebaut, die Feuereſſen an der Giebelſeite, ſo daß der Kamin zwiſchen den Fenſtern liegt. Hin und wider treten die Felſen zu Tage. Jeßt erblicten wir Greenwich und Woolwich, aber nun war es vorbei mit der Schönheit der Gegend. Alles war troß des heiteren Tages in einen dichten Nebel und Kohlendunſt gehült, über welchem nur die ungeheure Kuppel von St. Pauls hervorragte. Die Eiſenbahn fährt über die Dächer der Häuſer durch ganz Southwark bis an Londonbridge, der leßten unterſten Themſebrüđe, von wo man den Tower erblickt. Ich nahm mittags halb

zwölf Uhr gleich ein Cab und fuhr quer durch die ganze Stadt nach Kings Croß , von wo der nächſte Zug um fünf Uhr nachmittags abging , und

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deponierte zunächſt Friedrich in einem Speiſehaus , wo ich ein Diner für

ihn beſtellte und mit a pint of porter würzte. Dann überließ ich ihn ſeinein Schickſal."

Was der unermüdliche Mann in ein paar Nachmittagsſtunden be trachtete, Weſtminſterabtei, Parlamentspalaſt, St. Pauls, iſt erſtaunlich; dann ſucht er wieder ſeinen Diener auf. Da der arme Kerl, wie Papageno , ſeit dem Rhein ein Schloß vor dem Munde hat , ſo habe ich nur Roſten und Mühe von ſeiner Begleitung , da ich überall Not habe, daß er mir 1

nicht rettungslos abhanden fommt. Die Mitnahme war aber unerläßlich ." Über York , deſſen berühmte Kathedrale er mit dem Kölner Doni, dieſer unbedingt ſchönſten aller Kirchen der Chriſtenheit“, vergleicht, geht Il

es weiter nach dem in Rauch gehülten Newcaſtle und Edinburgh. Moltke ſchaut ſich mit Friedrich die Herrlichkeiten der Hauptſtadt von Schottland

an und findet, daß dieſelbe unbedingt an Schönheit mit Neapel wetteifern kann, eine ſolche Mannigfaltigkeit von Meer und Land, Bergen und Thälern bietet die Umgegend dar. Aber wie ſchön auch die Erde, es fehlt der Himmel des Südens , die flare durchſichtige Luft, die warme Beleuchtung und mit ihr die Poeſie der Landſchaft. Es war Sonnenſchein und doch alles grau. Um Abend erhält er eine Depeſche, weldje ihn anweiſt , alsbald nach dem königlichen Landſitz Balmoral zu kommen . ,, Balmoral, den 30. (September 1855). „ Sonntag. Beim ſchönſten Sonnenſchein und durch die herrliche Gegend fuhr ich geſtern mit der Eiſenbahn weiter. Ganz beſonders ſchön wird das Land bei Stirling, bis wohin der Firth of Forth einſchneidet. Hinter demſelben erheben ſich hoch die Berge des Grampian, und der Adanfluß bildet 1

mit ſeinen waldigen Ufern einen Abſchnitt, der in den Kriegen der Grenze eine wichtige Rolle ſpielte. Das wohlerhaltene, wunderſchöne Raſtell von 1

Stirling, in welchem die unglüdliche Königin Marie ſo lange gefangen ſaß, liegt überaus maleriſch. Die Eiſenbahn ſteigt nun recht ſteil durch bas prächtige Thal des Alan auf die Höhe hinauf, wo ſich die Scene gänzlidi

ändert. Die Vegetation wird immer dürftiger und der Wald hört auf. Es wächſt nur noch Roggen, dann Hafer, Gerſte und turnips. Der Hafer

ſteht zum Teil noch auf dem Halm . Weite Heideſtrecken mit zahlloſen Granittrümmern und hin und wider eine Hütte mit Strohdach und engen Fenſtern erinnern an die Walter Scottſchen Beſchreibungen . Doch kommen oftmals auch wieder ſchöne Schlöſſer und Waldpartien vor. Schließlich tritt die Eiſenbahn bei Aberdeen wieder an das Meeregufer heran, wo ſich höchſt maleriſche Klippen und tiefe Felseinſchnitte zeigen , in welche die

Wogen hineinſchäumen, und in die man ein Schmugglerſchiff ſich hineins

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denken kann. Von Aberdeen, 100 deutſche Meilen nördlich London, lenkt die Bahn wieder ganz weſtlich landeinwärts, immer dem Laufe des ſchönen Dee river folgend. Es war ſchon ſieben Uhr abends, als ich mit Extra poſt von Aboyne abfuhr, und bei hellem Mondſchein , aber bitterlicher Kälte traf ich abends 11 Uhr hier ein. Es iſt ſehr überraſchend, daß die fönigliche Gewalt von England ſich in dieſen menſchenleeren, kahlen , kalten Gebirgsrücken befinden ſoll, und faſt unglaublich, daß die inächtigſte Monarchie allen Hofſtaat ſo abſtreifen

kann. Es iſt ein reines Familienleben hier , zwei Kavaliere, zwei Damen 1

und freilich nur ſechs Kinder, die älteſten. Nur ein Miniſter iſt ſtets an weſend , jetzt der Herzog von Argyle, ein ganz junger Mann, ein echter Schotte mit roten Haaren. Kein Portier, kein Heer von Lafaien , nicht ein Mann Wache war zu ſehen. Ich fuhr unmittelbar vor der Thür Ihrer Majeſtät vor , und als ich in die mit Hirſchgeweihen geſchmücte Halle trat, ſchalten mir die Töne eines Dudelſacks entgegen. Man tanzte in

einem andern Saal nach den nationalen Klängen der bag-pipe. „ Das Schloß von Balmoral , in welchem die Königin wohnt , iſt neu und noch nicht einmal fertig, ganz aus ſchönem Granit erbaut. Für mich ſind Zimmer in dem dicht daneben liegenden alten Schloſſe eingerichtet. Der gute R., Garderobier des Prinzen, inſtallierte mid), ein cheerful fire

wurde bald im Kamin angezündet , eine turtle Suppe, Rotelettes 2c. und a pint of sherry wuchſen an, und bald erſchien Heinz mit der Aufforderung, 1

mich vorerſt auszuruhen. Heute halb neun Uhr habe ich mich dann endlich beim Prinzen gemeldet, welcher mich ſehr freundlich und herzlich empfing. Dann ging es zum Frühſtück, die königlidjen Herrſchaften unter ſich , das ganze Gefolge für ſich. Dabei herrſchte die völligſte Zwangloſigkeit, ich bin im braunen Reiſerock und ſchwarzer Binde , auch bleibt man ſo zum luncheon, zwei Uhr, und erſt abends acht Uhr zum Tiner wird der ſchwarze Frad, pantalon collant, Schuhe uud Strümpfe angelegt. Um 12 Uhr iſt Kirche, und zwar eine Meile von hier, nach demn ſtrengſten John Knor

ſchen Ritus, ſehr lang. Ich werde mich davon dispenſieren und mit Heinz etwas in der Gegend umherſtreifen. Nach dem Frühſtück fahre ich mit dem Prinzen zur Herzogin von Kent , für die ich ein Paket habe. Ich

kann mir denken, daß das Leben , ein rechtes Familienleben, höchſt ange nehm ſein muß, und bedaure, daß wir morgen vormittag ſchon wieder ab reiſen. Doch iſt es mir lieb , auch nur einen Blick hineinzuthun. Sehr geſpannt bin ich auf die Bekanntſchaft der Allerhöchſten Perſönlichkeiten. „ Tie Gegend iſt rauh , aber ſehr romantiſch. Zunächſt um bas im Stil der Eliſabethzeit erbaute Schloß etmas Wald und grüner Naſen,

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dahinter aber gleich fahle Hügel, welche in ihrer Form und mit Stein trümmern bebedt an den oberen Broden erinnern .

Der Dee in einem

ſteinigen breiten Bette bildet das Thal und rauſcht unter einer ſchönen

Drahtbrücke fort. Charakteriſtiſch iſt aber, wie geſagt, die tiefe Ruhe. Rein Getümmel von Dienerſchaft oder Fremden, keine Equipagen, und niemand kann ahnen, daß hier der Hof eines der mächtigſten Staaten reſidiert, und daß aus dieſen Bergen die Weltſchidſale weſentlich mitbeſtimmt werden.

Am Anberge nahe hinter dem Schloß ſtehen mitten im Heidekraut ſolche Hütten , wie Sir Walter ſie beſchreibt. Ich wurde beim Frühſtück einer Dame vorgeſtellt von großer Schönheit, aber nicht mehr jung. Wegen ihres

beſcheidenen Weſens hielt ich ſie für eine Erzieherin der königlichen Kinder. Nachher erfuhr ich, daß es die Herzogin von Wellington war. Mir fiel ein, wie viel exkluſiver in der Regel unſere Damen auftreten, die doch keine peeresses, alſo wirkliche Reichsfürſtinnen, ſind.

Abends . Ich fange ſchon jetzt an zu bedauern, daß es morgen fort geht. Was ſind das für prächtige Menſchen. Nach dem luncheon wurde ein walk beſchloſſen. An der Deebrücke war das Rendezvous mit den Damen der Herzogin von Rent , deren Palais eine Viertelmeile entfernt liegt. Denke Dir die jungen Damen mit diđen Nägelſchuhen , braunen Strümpfen, hochaufgeſchürztem Bauernrod und runden Hüten, einen derben Stock in der Hand. So ging es über Hecken und Mauern init kräftiger Unterſtüßung der Herren, die vor und hinterher blieben, dann einen großen Berg hinauf mit großen Steinblöđen . Lady Bruce, die etwas ſtark iſt, konnte nicht folgen ; ich brachte ſie unten um den Berg und ſtieß erſt nach einer

halben Stunde wieder zur übrigen Geſellſchaft. Mit Lady Seymour troch ich in eine Erdhütte, aus der Rauch durchs Dach brang. Sie wollte nicht

glauben , daß Leute darin wären. Da war kein Tiſch, kein Stuhl, kein Fenſter, kein Rauchfang, wohl aber drei Weiber, eins blind , eins trank. 1

Ich gab einen Schilling, und als wir ein Stüď fort waren , ſagte meine ſchöne Begleiterin : " I should like to have a shilling from you, und

ging zurüd, um ihn zu geben. Dann wateten wir durch einen Bach, flets terten über eine Mauer und holten die anderen ein.

An der Brücke trenntc

man ſich mit einem shakehands, der von den Damen ausging. Ziererei

iſt hier nicht Mode. Sie lachten über ihr ſchauderhaftes Franzöſiſch. ,, Ce serait une impertinence de vous parler anglais.< >Do, never mind! >> You know nobody ? stranger here.c

,,Montag früh.

No, but I do not feel a

Meine Vorſtellung geſtern ging ſehr einfach von

ſtatten. Der Hof war im Drawing room verſammelt, und um halb neun

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Uhr erſchien die königliche Familie. Prinz Friedrich Wilhelm führte die Königin , welche ein weißes Spißenkleid und Brillanten trug , dann folgte Prinz Albert mit der Herzogin von Rent und die Prinzeß Royal. Der Royal Husband war in Hochſchottiſcher Tracht, einer ſchwarzen Jade, den

Cordon des Schwarzen Adlerordens über die weiße Weſte, den Kilt und .

die Gamaſchen , die Beine nicht etwa in Tricot, ſondern ganz korrekt bloß. Die Präſentation erfolgte durch den Prinzen im Vorübergehen.

Ich

war angewieſen, die Herzogin von Wellington in den Speiſeſaal zu führen, ſie dort ihrem Schickſal zu überlaſſen und mich neben der Herzogin von Rent zu ſetzen, gegenüber der Königin. Die Ronverſation mit den fönig lichen Herrſchaften erfolgte auf deutſch, was alle fließend ſprechen. Nur die Herzogin von Kent ſprach mit ihrer Tochter engliſch. Mit den übrigen half man ſich mit engliſch und franzöſiſch. Das Diner war ſehr gut. Dann erhob ſich die Königin und zog ſich mit den Damen ins Drawing room zurück. Die Herren ſeşten ſich wieder, aber eigentlich nur der Sitte wegen und auf kurze Zeit. Dann gingen die Prinzen zu den Damen,

während der Hof den Kaffee im Speiſezimmer nahm , und ſchließlich eben fals ſich in Drawing room etablierte. Eine andere Etikette iſt, daß man ohne Hut und Handſchuh erſcheint. Man ſpielte Domino , ſah Bilder ; Thee wurde gar nicht ſerviert , und um elf Uhr zogen die Herrſchaften ſich zurück. Die Prinzeß Royal iſt etwas klein , hat ein rundes freundliches Ge

ficht, ſehr ſchöne kluge Augen und einen gutmütig freundlichen Ausdruck. Sie ſpricht fließend deutſch und ſoll ihren Pony init großer Keckheit Il

reiten .

Andern Tages reiſte Moltke wieder init den Prinzen Friedrich Wilhelm ab ; die Brautſchau war zu beiderſeitiger Befriedigung abgelaufen, die Ver lobung fand in aller Stille am 29. September ſtatt, ſollte aber vor der Hand geheim bleiben , weil die Prinzeſ Royal Viktoria noch zu jung ſei ; allerdings hatte ſie ihr 15. Lebensjahr noch nicht vollendet. Die Heimreiſe brachte noch einiges Neue. Moltke ſah die Schlöſſer Renilworth, Warwick, Windſor, den Tower und den Kryſtallpalaſt und hat der Gemahlin allerlei

landſchaftliches und Geſchichtliches zu berichten. Über Brüſſel, wo der König von Belgien beſucht ward, kehrten die Herrſchaften heim .

Nach der Heimkehr ſchreibt Moltke ſeinem vormaligen Kriegsgefährten in der Türkei, nunmehrigen Generalmajor Fiſcher zu Koblenz, welcher mili täriſcher Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm während ſeiner Univerſitäts zeit geweſen war und ſich wohl auch Hoffnung auf das hochwichtige Amt gemacht hatte.

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Berlin, den 4. November 1855. ,,Lieber Fiſcher! Die Geſchichte meiner Kommandierung liegt ganz offen und iſt auch dem Prinzlichen Hof bekannt. Die Sache ging ganz

auf dem offiziellen Wege durch den Oberſtkammerer an das Militärkabinett, welches inich, ohne daß ich etwas wußte, als geeignet bezeichnete. Ich habe auch Urſache anzunehmen , daß weder der Prinz von Preußen noch die Prinzeß gegenwärtig etwas gegen mich einzuwenden haben . Welche Stel

lung ich aber dem jungen Prinzen gegenüber werde gewinnen können , das vermag ich trotz großer Freundlichkeit des leşteren noch nicht zu überſehen. Ade ſeine Sympathien ziehen ihn nach Potsdam 311 ſeinen jungen Spiel kameraden und Duzbrüdern und am Ende auch zu ſeinem bisherigen er probten Adjutanten. Zur Zeit ererziert er im Bataillon in Potsdam , und id) ſehe ihn faſt nur bei den Parforcejagden , oder wenn er mich ſpeziell hinüberbeſtellt. Die eigentliche Überſiedelung nach Berlin wird ſo lange wie möglich verſchoben. Es iſt indes in die Wege geleitet, daß der Prinz ein zelnen Plenarſißungen in den verſchiedenen Minijterien beimohnt. Dadurch lernt er meiner Anſicht nach nur Spezialfälle kennen , es wird ſich aber anknüpfen laſſen, daß geeignete Mitglieder der Kollegien ihm Vortrag über den ganzen Gang der Adminiſtration halten. Ich habe um die Erlaubnis gebeten , den Sitzungen beizuwohnen , um erſt ſelbſt zu lernen , was zu 1

lernen iſt.

„Außerdem hat der Prinz mich gebeten , ihm einen Feldzug vorzutragen. Ich habe ihm geſagt , daß ich ihm lieber über inilitäriſch wichtige Tages fragen Vorträge halten werde, zu welchen der große Generalftab ein inter eſſantes Material gewährt. Gegenwärtig bin ich beſchäftigt, den Krim - Feld 1

zug und den gegenwärtigen Stand dieſer Frage zuſammenzuſtellen, wobei mir das wirklich ſehr gute Buch von Rüſtow und die geſammelten Notizen des Generalſtabes vorliegen. Alles kommt darauf an 1, den jungen Herrn nicht zu langweilen, ſondern ihm ein Intereſſe abzugewinnen . Am 9. Auguſt 1856 ward Moltke zum Generalmajor ernannt, wobei

er indes in ſeinem Verhältnis als Adjutant des Prinzen Friedrich Wilhelm verblieb. Dieſer empfing damals den Auftrag, bei der feierlichen Krönung des Kaiſers von Rußland, Alexanders II. , zu Moskau am 7. September das nahe verwandte preußiſche Königshaus zu vertreten . Moltke hatte auf

dieſer Reiſe nach Petersburg und Mostau, die in die Monate Auguſt und September fält, ſeinen Prinzen 311 begleiten. Merkwürdiger Weiſe liegen aus dieſer Zeit keine umfaſſenden Nachrichten an Marie vor ; dagegen be richtet er einer ihm nahe verwandten Dame zu Kopenhagen über ſeine Erlebniſſe und Beobachtungen in einer Reihenfolge von Tagebuchblättern ,

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welche ohne des Verfaſſers Willen und Name zuerſt in däniſcher Überſebung in einer Kopenhagener Zeitung Abdruck fanten ; nunmehr liegen dieſelben als „ Feldmarſchall Graf Moltkes Briefe aus Rußland “ in einer beſonderen Sammlung vor. Das Buch hat nicht entfernt die Bedeutung des früheren ; es iſt eben eine Fürſtenreiſe, wobei die Hauptmerkwürdigkeiten der beiden ruſſiſchen Großſtädte beſichtigt, eine Reihe von Hoffeſtlichkeiten geſchildert

werden ; gegen die glänzenden eigentümlichen Bilder des Morgenlandes ſteht die einförmigere Natur Nußlands ſehr zurück; zu eingehender Beobachtung

von Land und Vole iſt im raſchen Fluge von einer Hauptſtadt zur andern, iin Getriebe prachtvoller Feſte keine Gelegenheit , und Moltke ſelbſt mochte erfennen, daß dieſe abſichtsloſen Berichte an eine Freundin eingehende Bes

arbeitung nicht lohnten; aber nachdem ſie ohne ſein Zuthun in die Öffent lichkeit getreten , braucht er ſich derſelben ebenſowenig zu ſchämen . Zwar nicht bloß der Stoff iſt ein durchaus anderer , auch der Briefſchreiber iſt

älter gervorden ; der glüdliche Humor der aſiatiſchen Wanderfahrten hat keinen Anlaß durchzubrechen, aber es ſpricht ſich in dieſen Briefen die alte Freude an der Herrlichkeit des Meeres , den beſcheidenen Naturſchönheiten des Nordens , dem gutartigen Sinne des ruſſiſchen Volkes aus , dieſelbe uinfaſſende Geſchichtskenntnis, derſelbe ſcharfe Blick für die Eigentümlichkeiten

ruſſiſchen Städte- und Kirchenbaues, wie in der Peurteilung der geſellſchaftlichen 1

Zuſtände, dasſelbe herzliche Wohlwollen für alle. Legen auch die Briefe

aus Rußland feine neue Strahlenkrone um Moltkes Stirn , ſo leſen ſie 1

ſich doch gut, ſind unterhaltend, ein Zeugnis für die reine gute ernſte Natur ihres Verfaſſers. Vom Herbſt 1856 ab hatte Prinz Friedrich Wilhelm als Rommandeur des II. Infanterieregiments ſein Standquartier in Breslau , und Moltke mußte ihm dabei, ſchwerlich zu ſeinem und Mariens Vergnügen, als Reiſes genoß und militäriſcher Lehrer zur Seite bleiben . Es iſt zu fürchten, daß

des Prinzen kriegsgeſchichtliche Studien einigermaßen unter ſeiner Reiſe: thätigkeit litten.

Um 21. November feierte die Prinzeß Viktoria ihren

Geburtstag, und es war nur billig, daß der Stillverlobte dabei glückwünſdiend erſchien.

Die Rüdreiſe erfolgte über Paris, wo der Prinz den Hof

Napoleons III. beſuchte, welcher damals, nach dem ſiegreichen Abſchluß des Krimfeldzuges , auf der höchſten Stufe ſeiner Macht ſtand und ſich wohl als den allgebietenden Meiſter Europas betrachten durfte. Eer Empfang des dereinſtigen Erben des preußiſchen Thrones war überaus artig, und wir haben den Vorteil, darüber eingehende Berichte Moltkes zu beſißen, die wir zwar nicht in den Geſammelten Schriften , aber im Wanderbuch

finden. Es iſt um ſo intereſſanter, dieſe Pariſer Tage näher fennen zu

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lernen , weil vierzehn Jahre ſpäter die Weltlage ſo völlig geändert erſchien.

In einem Briefe vom 13. Dezember 1856 beſchreibt Moltke den

Empfang in den Tuilerien.. Die Reiſenden werden am Bahnhofe durch den Prinzen Napoleon empfangen, deſſen ſprechende Ähnlichkeit mit Napoleon I. ſofort auffällt. Bei der Abendtafel ſißt Moltke ſeinem Prinzen gegenüber, welcher ſeinen Plaß zwiſchen dem Kaiſer und der Kaiſerin erhalten hatte.

So bot ſich ihm die beſte Gelegenheit dar , die kaiſerlichen Majeſtäten ſich recht genau anzuſehen.

Ich hatte mir Louis Napoleon größer gedacht; er

ſieht zu Pferde ſehr gut aus, zu Fuß weniger. Eine gewiſſe Unbeweglichs keit ſeiner Züge und der, ich möchte faſt ſagen, erloſchene Blic ſeiner Augen

fiel mir auf. Ein freundliches, ja gutmütiges Lächeln herrſcht in ſeiner 1

Phyſionomie vor, die wenig Napoleoniſches hat. Er ſißt meiſt, das Haupt s då , un gerade dieſe Ruhe, die ihn leicht nach einer Seite geneigt, ruhig da

bekanntlich auch in gefährlichen Kriſen nicht verläßt, mag es wohl ſein, welche den beweglichen Franzoſen imponiert. Daß ſeine Ruhe nicht Apathie,

ſondern das Ergebnis eines überlegenden Geiſtes und eines feſten Willens iſt, haben die Begebenheiten gezeigt. Im Salon trägt er eine imponierende

Haltung nicht zur Schau, und im Geſpräch wohnt ihm ſogar eine gewiſſe Befangenheit bei. Er iſt ein empereur, aber kein König ." Die Kaiſerin , damals erſt dreißig Jahre alt und bekanntlich eine wunderſchöne Frau , macht auf Moltke den günſtigſten Eindruc. , Die I

Kaiſerin elegant. ſchlank, zu ſein.

Eugenie iſt eine überraſchende Erſcheinung. Sie iſt ſchön und Hals und Arme ſind von unübertrefflicher Schönheit, die Figur ihre Toilette ausgeſucht, geſchmadvoll und reich, ohne überladen Sie trug ein weites Atlaskleid von ſo beträchtlichem Umfang, daß

die Damen künftig noch einige Elen Seidenſtoff mehr brauchen, als bisher. Im Haar hatte die Kaiſerin einen ſcharlachroten Kopfpuß , und um den

Hals eine doppelte Schnur prachtvoller Perlen. Sie ſpricht viel und leb haft, und zeigt dabei mehr Lebendigkeit als man an ſo hoher Stelle gewöhnt iſt .“ . Reizend iſt die Schilderung einer kleinen Abendgeſellſchaft bei der Raiſerin. Man ſprach von Magnetismus, und einer der Kammerherrn

ließ ſich von einem anweſenden Arzte magnetiſteren.. Derſelbe ſchien zu ſchlafen, ſchwißte und weinte dabei. Auf die Frage des Arztes, ob er leide, > antwortete er : » Ja !< - Wo denn ? c – >Am Herzen . « - »Sie ſchlafen >»Wo wünſchte hier nicht gut ? – > Nein . n Sie zu ſein ? « – Dieſe -

>

C


nur ſcheinbaren Anhalt finde. Ich würde« , fügte er hinzu , »nie , am wenigſten im Kriege, angeſichts des Feindes meinem Herrn den Stuhl vor Die Thür geſetzt haben. Das widerſpricht nicht nur der Disciplin, ſondern

auch der ſoldatiſchen Ehre. Was zu ſolchen Legenden mißverſtändlich An laß gegeben haben könnte , iſt ein im Laufe beider Kriege wiederholt ſtatt gefundener Vorgang. Der König, der bekanntlich von allen meinen Plänen

vor deren Ausführung genaue Kenntnis nahm, hatte, weit mehr als im Volt und in der Armee bekannt , ein merkwürdig ſcharfes Auge für jede etwa darin vorhandene Schwäche und verlangte zu Zeiten mit großer Zähigkeit, daß ſeiner an ſich berechtigten Kritik Rechnung getragen werde. Dies war nun nicht immer möglich, wenigſtens mir nicht. »Es giebt eben im Kriege viele Lagen, in denen ſich ein Plan ohne ſchwachen Punkt, ohne Vertrauen auf Glück und Tapferkeit der Truppe

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überhaupt nicht faſſen läßt. Da mußte ich denn, wenn der König zum theoretiſchen Nachgeben nicht zu bewegen war ,1 in wiederholten Fällen er 1

klären : Dann müſſen Em. Majeſtät die Gnade haben , ſelbſt zu befehlen. Meine Weisheit iſt zu Ende , ich kann keinen anderen Vorſchlag machen. Nach ſolcher Erklärung iſt es dann immer bei meinem Vorſchlag ver blieben « . “

Ein Kriegsrat der Generale hat , wie Moltke in einem eigens zur Aufklärung derartiger falſcher Vorſtellungen geſchriebenen Aufſaße entwickelt, niemals, auch nicht in anſcheinend bedrohlicher Lage, ſtattgefunden.

Die ins reine geſchriebenen Befehle wurden dann je nach den Ums ſtänden und der Bedeutſamkeit durch den Feldtelegraphen durch Generalſtabss offiziere, Feldjäger oder Ordonnanzen überbracht; nur ausnahmsweiſe durch die Feldpoſt. Moltke und Podbielski blieben auch in der Schlacht ſtets in unmittelbarer Nähe des Königs ; nur am Abend von Gravelotte begleitete Moltke die anridenden Pommern bis an den Hügelrand und in den Bea

reich des feindlichen Feuers , wo ihn ſeine Offiziere daran erinnerten, daß hier ſein Plaß nicht ſei.

Auch außerdienſtlich blieb Moltke ſtets in naher Verbindung mit ſeinem Zu Verſailles ſpeiſte er monatelang täglich mit ſeinen Offizieren im Hotel des Réſervoirs, beim Ein- und Austritt achtungsvoll begrüßt von den deutſchen Fürſten und Prinzen ,1 den Offizieren und Fremden , die im Stabe.

vorderen Teil des Saales ihr Mahl einnahmen. Und ſo ſpielte er am Abend ſein übliches Whiſt mit den Offizieren ; nur ſelten, ſelbſt in Zeiten hoher Spannung der Kriegslage, wich er von dieſer Gewohnheit ab ; dringende Dienſtgeſchäfte wurden zwiſchendurch erledigt.

Am Weihnachtsabend verſammelten ſich die Offiziere des Stabes auf dem Bureau unterm Chriſtbaum . Auch hier erſchien der General in ihrer Mitte, aber nur auf kurze Zeit und ſtiller und ernſter noch als gewöhn lich

es war der Sterbetag ſeiner teuren Lebensgefährtin, die ihm zwei

Jahre zuvor der Tod entriſſen hatte. In dem Stabe des Generals von Moltke iſt während des ganzen Feldzuges von mehr als halbjähriger Dauer niemals auch nur der leiſeſte Mißton zu Tage getreten.

Der Stab beſtand aus einem Kreiſe von

Freunden , von denen jeder beſtrebt war , das Beſte an ſeinein Plaße zu leiſten , jeder aber auch dem anderen das Beſte gönnte. Zeugt dies von einer glüdlichen Zuſammenſeßung des Stabes, ſo war das Einvernehmen doch vorwiegend eine Wirkung des Zaubers, welchen die Perſönlichkeit des an der Spitze ſtehenden großen Mannes ausübte. Die Überlegenheit ſeines Geiſtes ließ für Nivalitäten keinen Platz. Seine Pflichttreue, ſeine ſtrenge

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Sachlichkeit, ſeine Anſpruchs- und Selbſtloſigkeit, die würdevolle, vornehme Ruhe, die ihn auch unter den ſchwierigſten Verhältniſſen keinen Augenblick

verließ, die Güte, die nie auch nur ein ungeduldiges Wort über ſeine Lippen kommen ließ, dieſe vorbildlichen, durch weltgeſchichtliche Erfolge in das hellſte Licht geſtellten Eigenſchaften , wirkten mächtig auf ſeine Umgebung. Gehilfe eines ſolchen Mannes in großer . Zeit zu ſein , war ein Glück und eine Ehre, beren ſich jeder durch hingebende Pflichterfüllung und Unterdrüdung

kleinlicher Regungen würdig zu machen trachtete. In dieſem Sinn darf man ſagen, daß Moltkes Geiſt in Moltkes Stabe herrſchte.“ über die Art und Weiſe, wie Moltke arbeitete , berichtet einer ſeiner Vertrauteſten, General von Verdy :

„Überhaupt hatte er die Gewohnheit, auch auf anderen als hiſtoriſchen Gebieten, das Durchdachte ſchriftlich niederzulegen und dies als Ausgangs punkt weiterer Kombinationen zu betrachten. Sein ſcharfer Verſtand ruhte nicht eher, bis er auch alle Möglichkeiten und Folgen einer gegebenen Lage durchdacht hatte und mit ſich vollſtändig im reinen war. Während des Nachdenkens ſtand er in der Regel oder ging im Zimmer umher, ſtets den Blick auf den Boden geheftet, um durch nichts abgelenkt zu werden . Wurde er dabei geſtört, ſo blickte er auf, mit einem Ausdruck, als ob er ſich plötz lich in einer anderen Welt befände. Dieſes Vorher- Durchdenken aber war ſo umfaſſend und vorherſehend , daß ihn im Kriege nichts überraſchte. Änderten Nachrichten plößlich die Lage derart, daß anderen dies oder jenes

völlig unerwartet kam , ſo gab es bei ihm nicht einen Augenblic des Bes ſinnens, ſeine Augen ſchienen ſich zu vergrößern , ihr wunderbarer Ausdruc

erſchien noch mehr durchgeiſtigt als ſonſt, und ſofort entwickelte er in ein fachen Säßen in der präciſeſten Weiſe ,1 was nunmehr zu geſchehen habe. Höchſtens entfuhr ihm ein Ausruf des Erſtaunens , wenn es ſich durch die 1

Nachricht ergab, daß der Gegner eine fehlerhafte Bewegung oder eine Unter laſſung begangen hatte, die für dieſen verderblich werden konnte, aber in 1

ſeinen Kombinationen hatten auch die Fehler des Feindes bereits vorher vollſte Beachtung gefunden."

Zu der Zeit des Aufenthaltes in Verſailles machte er , begleitet von einem oder zwei Offizieren ſeines Stabes , bei gutem Wetter nach dem Frühſtück häufig Spazierfahrten in der Umgebung von Paris, teils um ſich an der ſchönen Natur und dem reichen Anbau der Gegend zu laben, tells um die Stellungen der Truppen und ihre Verteidigungsmaßnahmen fennen zu lernen , nach Beginn des artilleriſtiſchen Angriffs auch um den Geſchüß

kampf zu beobachten . Im Bereich des feindlichen Feuers wurde der Wagen verlaſſen , es war dann erſtaunlich zu ſehen , mit welcher Leichtigkeit und Buchner, Moltte.

18

274

Ausdauer der 70jährige General noch bedeutende Geländeſchwierigkeiten überrand. Bei ungünſtigem Wetter aber beſuchte er nach dem Frühſtüd!

faſt ſtets die berühmte Gemäldegalerie des Verſailler Schloſſes. Dorthin ging er, der Kunſtfreund und Kunſttenner, allen Warnungen und anonymen

franzöſiſchen Drohungen zum Troß, immer ohne Begleitung, um ſich dem Kunſtgenuß ungeſtört hingeben zu können . Furcht kannte er nicht.

GENTE

Moltte in der Gemäldegalerie.

: Derweil ging der Krieg ſeinen furchtbaren Weg weiter. Vergeblich waren die Verſuche der verzweifelten Franzoſen, den eiſernen Ring, der ſich um Paris fchloß, von innen oder von außen zu durchbrechen . Die um Paris gelagerte Armée bildete den feſten Kern 1, um den ſich nach Norden, Weſten und Süden vorgeſchobene kleinere Heere ſchloſſen, bereit jeden Angriff abzuweiſen. Endlich erſchienen auch die Belagerungsgeſchüße und warfen ihre flammenden Grüße in die dem Stadtringe vorgeſchobenen Forts , in

den Rand des Stadtringes ſelbſt. Und dazu geſellte ſich auch der Hunger,

275

der unheimliche Gaſt, in der für jede Zufuhr verſchloſſenen menſchenerfüllten Rieſenſtadt. Vergebens ſtampfte der Diktator Gambetta Armeen junger Krieger aus dem Boden ; ihre ungeſchulte Kraft erlag vor der Zucht und

Kriegsübung der deutſchen Regimenter. Vergebens ſandte Gambetta ſein legtes Heer hinüber nach dem Jura, um durch einen Einfall in Süddeutſch, 3

and Schreden und Verwirrung zu verbreiten ; der deutſche Generalſtab wachte und ſandte ſeine telegraphiſchen Befehle, nach denen Hunderttauſende

marſchierten; die regte franzöſiſche Feldarmee ward kläglich über die Schweizer. grenze geworfen und dort entwaffnet. Die edelſte Frucht aber des ſchweren Kampfes war das deutſche Kaiſer

reich, das König Wilhelm am 18. Januar 1871 verkündete. Am 28. Januar ein breiwöchiger Waffenſtilſtand abgeſchloſſen , am 26. Februar

ward

der Vorfriede, am 2. März der Friebe unterzeichnet; bei allen dieſen Ver handlungen hatte Bismarc den ſtaatsmänniſchen ,1 Moltke den militäriſchen Anteil. Wir teilen aus dieſen leßten Monaten des Krieges noch einige Briefe mit : An Scheller.

„ Verſailles, den 1. Februar 1871 .

Aus den Zeitungen werden Sie ſchon wiſſen , daß ſämtliche Forts

II

von Paris in unſerem Beſiß ſind. Heute habe ich mir Paris vom Mont Valérien angeſehen . Die Stadt iſt für uns noch das große von uns zu bewachende Gefängnis der gefangenen Armee. Dieſe auch noch nach Deutſch land abzuführen, unterzubringen und zu ernähren, war faſt unmöglich. So ſind ſie in Paris eingeſperrt. Faidherbe iſt nach Norden , Chanzy nach Weſten zurüđgeworfen , und ich hoffe, daß heute oder morgen die Armee 1

Bourbatis auf Schweizer Gebiet hinübergedrängt wird. Eine neue gefangene Armee wäre für uns eine wahre Kalamität. In drei Wochen werden wir nun auch eine von Frantreich anerkannte Regierung haben , mit der man verhandeln kann , und wie die Dinge liegen , ſollte man glauben , daß ſie zum Frieden geneigt ſein wird. Aber freilich die Franzoſen ſind unbe rechenbar, die Phraſe geht ihnen über alles, und ein Dugend Redner kann die Verſammlung zu den tollſten Beſchlüſſen hinreißen. Schließlich glaube ich aber doch, daß dieſer Feldzug Europa für lange von der Republik

turieren wird. Die gegenwärtige hat ein Fünftel vom franzöſiſchen Boden und ein Dußend Feſtungen verloren, 100 000 Menſchen hingeſchlachtet, die Hauptſtadt verwüſtet, die Finanzen ruiniert und ihr Ziel dennoch verfehlt.

Von dieſem Unheil kann auch Trochu nicht losgeſprochen werden , obwohl ich in ihm einen tüchtigen und redlichen Mann achte." 18*

276

An Bruder Adolf.

i,Verſailles , den 4. März 1871 . Auch der Kaiſer verbleibt noch vierzehn Tage bei der Armee, um die Truppen zu ſehen ; zur Eröffnung des erſten Reichstages muß er in Berlin ſein. Ich hoffe, daß das Oberkoinmando hier nicht zurückbleibt, ſondern daß ich auch etwa am 18. dieſes Monats nach Berlin zurückehre. Ich bin in dem Bezirk Heidekrug und in Kleve-Geldern zur Wahl geſtellt.

Der Reichstag und der Einzug der Truppen wird mich dann wohl in Berlin bis zum Sommer feſthalten , bevor ich nach meinem lieben Creiſau gehen kann, wo ich nun gern den kurzen Reſt meines Lebens ruhig bliebe. Ich kann Gott nicht genug danken, daß ich das Ende dieſes großen weltgeſchichtlichen Kampfes noch erlebt habe. »Der Herr iſt ſtark in dem Schwachen , aber froh werde ich des Erfolges erſt, wenn alles vorüber iſt. Wie oft hat es ſchon ſo ausgeſehen, als ob nun alles gut wäre (Met, Sedan ), und plöß

lich trat eine Situation ein, die alles wieder in Frage ſtellte. „Wir haben hier jetzt das köſtlichſte Frühlingswetter, wie bei uns An=

fang Mai. Die kleinen Sträucher werden ſchon grün, und ich glaube, daß in vierzehn Tagen die Kirſchen blühen können. Dazu die wundervolle Um gebung der prachtvollen Kapitale, leider voll Brandſtätten, Trümmerhaufen und umgehauenen Waldſtreden. Aber ſchon gehen die Leute an das Auf

bauen, und es iſt ein ſolcher Reichtum im Lande, daß auch die Kalamitäten dieſes Krieges in wenig Jahren wieder werden verwiſcht ſein , wenn nur eine ſtarke Regierung aufkommt. Aber wie überhaupt in Zukunft das

Regieren , und namentlich in Frankreich, bei voller Preſs und Redefreiheit möglich, ſehe ich nicht ein . Die große Gefahr aller Länder liegt wohl jeßt im Sozialismus. Für ſehr glüdlich halte ich das gute Verhältnis, welches

ſich jeßt mit Öſterreich anbahnt. Die Franzoſen werden, wie früher dieſes, Rache ſchnauben , aber wenn ſie zu Kräften kommen , könnten dieſe leicht

eher gegen England als gegen die ſtarke Centralmacht gerichtet ſein , die ſich ſo in Europa bildet. Die Engländer werden dann die Früchte ihrer kurzſichtigen Politik ernten . „,Am 15. April überſiedle ich nach dem neuen Generalſtabsgebäude, zu deſſen Ausmöblierung Se. Majeſtät noch 12 000 Thaler bewilligt haben , dort iſt Play für viele, umd ich hoffe, daß Du die Zeit von Deiner Rüd

kehr bis zu Deiner völligen Einrichtung in Lübeck bei mir zubringen wirſt." Um Morgen des 15. März verließ Kaiſer Wilhelm mit dem Kron Bismard war bereits einige Tage früher aufges prinzen und Moltke brochen den franzöſiſchen Boden , allerorten in deutſchen Landen mit -

Jubel und hohen Ehren empfangen .

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.... Alsbald nach der. Heimkehr empfing Moltke von ſeinem König das folgende Handſchreiben : Berlin , den 22. März 71 .

„ Nachdem der glorreiche Friebe hergeſtellt iſt und Sie einen ſo über aus großen Anteil an der Herbeiführung desſelben , durch die unübertreff liche Leitung der Kriegsoperationen, genommen haben, ſo glaube ich mich berech tigt, um Ihre hohen Verdienſte nochmals öffentlich anzuerkennen, die Statuten 1

des Eiſernen Kreuzes dahin zu erweitern, daß ich die eminente Sèriegsleitung den ſelbſtändigen ſiegreichen Generalen in einer Schlacht oder dem Eroberer einer großen Feſtung gleichſtelle, um Ihnen das Großkreuz des Eiſernen 1

Kreuzes verleihen zu können , was ich hiermit durch die Überſendung der Inſignien desſelben thue. ,, Mit meinem unverſiegbaren Dank für alles, was Sie in drei Kriegen Ruhmreiches leiſteten , verbleibe ihr Ihr dankbarer König

Wilhelm .“ Durch den Abſchluß des Frankfurter Friedens , 10. Mai 1871 , war der große deutſch-franzöſiſche Krieg endgültig beſchloſſen. Am 16. Juni fand der Siegeseinzug der Truppen in Berlin ſtatt, und Moltke erſchien

dabei zum erſtenmal als Feldmarſchal mit dem Stab, gemäß folgendem 1

königlichen Handſchreiben : ,, Berlin, den 16. 6. 71 .

„,Nachdem ich mir die Genugthuung und Freude gegeben habe, Sie heute zum Generalfeldmarſchal zu ernennen , überſende ich Ihnen hierbei das

Zeichen dieſer Threr neuen Würde, den Feldmarſchallſtab. Derſelbe wird bei den Paradevorführungen von Truppen , wo ſonſt der Degen gezogen wird, in der rechten Hand geführt. Nur wenn ein Feldmarſchall als Chef ein Regiment en parade führt, zieht er den Degen. Bei dem heutigen Einmarſch der Truppen in Berlin werden Sie den

Stab tragen, von dem Moment an, wo ſich die Truppen in Marſch legen,

1

und werde ich es jedesmal bejtimmen , wenn bei anderen feierlichen Gelegen heiten der Stab getragen werden ſoll. Wilhelm .“ Und abermals zu Ende des Jahres : Berlin, den 24. Dezember 1871. IIDer Hand, die das wohlgeſchliffene Schwert in drei ruhmreichen und glorreichen Jahren leitete, und Armee und Volk zu einer kaum geahnten

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Höhe erhob , darf ich am Schluſſe des Jahres, das uns einen ſegens reichen Frieden brachte, nicht vergeſſen, um nochmals meine tiefgefühlte Dant: barkeit Ihnen zu bereiſen. Ich benuße darum das Weihnachtsfeſt, um

Ihnen die Züge deſſen zu vergegenwärtigen , der nie aufhören wird, die Vorſehung zu preiſen, daß er Sie in dieſer Zeit mir zur Seite ſtellte, um ſo Großes und Ruhmreiches zu erkämpfen ! Ihr dankbarer König Wilhelm .“

Aber auch das deutſche Volk erwics ſich dankbar. Auf den Antrag der Regierung beſtimmte der Reichstag aus der franzöſiſchen Kriegsento ſchädigung vier Millionen Thaler zu Ehrenſchenkungen beſonders verdienter

Feldherren und Staatsmänner, wie das ſchon nach den Freiheitskriegen, dann wieder nach dem Entſcheidungskampfe von 1866 ſtattgefunden. Moltke gehörte zu der erſten Abteilung, derjenigen der Männer, die 300000 Thaler empfingen. Er benußte dieſelben , wie die frühere

Schenkung, zur beſſeren Ausſtattung und Abrundung ſeines lieben Creiſau .

Und ſo könnten wir mit Moltkes 71. Geburtstag dieſen Abſchnitt in unſeres Helden Lebensbild „ Auf der Höhe“ wohl abſchließen , wenn nicht ein anderes , meitab gelegenes Gebiet ſeiner Thätigkeit noch zu betrachten wäre, ſein Wirken als Mitglied des Reichstages. Wir haben früher ge ſehen, wie das ſtebenkluge Berlin, um etliche geſinnungsſtarke dunkle Forta ſchrittsmänner zu wählen, auf die Ehre verzichtete, die Helden des Jahres

1866 in den erſten Reichstag des Norddeutſchen Bundes zu entſenden ; die Ehre, durch Moltke im Reichstag vertreten zu ſein , blieb dem nörd lichſten entlegenſten Wahlbezirke des Deutſchen Reiches , Memel -Heidekrug, vorbehalten. Pünktlich wie in allen Dingen , hat Moltke, der vielbeſchäfs tigte Mann , mit peinlicher Gewiſſenhaftigkeit den Sißungen des Reichss

tages und des preußiſchen Herrenhauſes beigewohnt. Wie vieles Reden nicht ſeine Sache war , ſo hat er nicht häufig, und eigentlich nur in beſonders 1

wichtigen militäriſchen Angelegenheiten das Wort genommen , dann aber ſtets vortrefflich , in tadellos fließender Hede und mit weithin tönendem

Widerhall. Es heißt darüber in der Einleitung zu Band VII. der Ges ſammelten Schriften, welcher Moltkes Reden bringt: Moltke hat es verſtanden, ſich eine hochangeſehene Stellung im Reichs 11

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tage wie im Herrenhauſe zu verſchaffen . Nur wenige gab es unter den

Abgeordneten , die in ſo hohem Maße die Aufmerkſamkeit des Hauſes zu feffeln wußten. Sobald er als Redner auftrat, änderte ſich das Ausſehen

der Verſammlung mit einem Schlage; tiefe Stille lagert ſich über den ganzen Saal, von allen Seiten drängt man ſich nach der Stelle, von der er ſpricht,

um keines ſeiner Worte zu verlieren. Gegner wie Verehrer lauſchen mit gleicher Aufmerkſamkeit ſeinen Uusführungen, deren Gewicht ſich niemand zu entziehen vermag. Was er vorbringt, iſt von ſo hervorragender Sach lichkeit, ſo ganz und gar auf den zur Erörterung ſtehenden Gegenſtand berechnet, von ſo durchſichtiger, jedes Mißverſtändnis ausſchließender Klar heit, dabei ſo einfach und ebel in der

Form , daß es des Eindrucks nie vers fehlt und den Gegner ſtets belehrt und ihm zu denken giebt, auch wenn es ſcine Anſicht nicht beſiegt. Nie haben ſich an

Moltkes Reden jene von Bitterfeit überſtrömenden perſönlichen Bemerkungen geſchloſſen, an denen unſer parlamentariſches Leben vielfach krankt. Was er ſagt, gilt ſtets der Sache; der vornehmen Gehaltenheit ſeines Weſens liegt nichts ferner als eine abſprechende Kritik von Perſonen. Moltre darf den ſeltenen Ruhm in Anſpruch nehmen, nur über ſolche Dinge geredet zu haben , die er vollauf verſteht. Rein Zweifel, daß ein Mann von einer ſolchen Schärfe des Verſtandes und Molite im Neidyktage. einer ſo reichen Fülle des Wiſſens ſich voll ausge reifte und jedenfalls höchſt beachtenswerte Anſichten auch über Fragen gebildet

hat, die nicht unmittelbar zu ſeinem Beruf gehören. Er hat es indeſſen, mit Ausnahme der Neden über das erſte Sozialiſtengeſetz und die Einheits zeit, vermieden,1 von anderen Dingen zu reden als ſolchen , die ſich auf Militäriſches und mit dieſem unmittelbar zuſammenhängende politiſche Fragen ?

bezogen. Er iſt immer beſliſſen geweſen, den unzertrennlichen Zuſammens hang der Intereſſen der Armee mit denen von Staat und Volt deutlich zu machen. Dennoch kann man nicht ſagen, daß er eben nur der tecjniſch militäriſche Ratgeber des Hauſes bei einſchlagenden Fragen geweſen wäre. Un ſeine bezüglichen Ausführungen knüpfen ſich vielfach Darlegungen ſeiner

Anſchauungen über innere und äußere politiſche Fragen , die nie verfehlt haben, einen bedeutenden Eindruck zu machen und den Feldmarſchall als

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einen Politiker erſcheinen lafſen, der über die höchſten Ziele des Staats . weſens ſich Klarheit zu verſchaffen bemüht geweſen iſt." So ſpricht Moltke am 3. April 1867 in der Militärfrage, wobei? er ſich zur Erhaltung eines geübten und ſtarken Heeres nachdrüdlich für die

dreijährige Dienſtzeit ausſprach. Fein und geiſtreich bemerkt er am 5. April 1867 gelegentlich der Feſtſtellung der Friedensſtärke des Heeres' : ,, Gewähren Sie der Militärverwaltung das Recht, innerhalb beſtimmter Grenzen frei und nach eigenem Ermeſſen verfahren zu können ; die Armee wird Ihnen dafür Dank wiſſen, das Voll wird von ſeinen Freiheiten dabei nichts ver lieren und die Volksvertretung wird der mißlichen Aufgabe überhoben ſein , in Beratungen über techniſche Gegenſtände mit ſaurem Schweiß zu ſagen, was man nicht weiß. Wenn man von Ihnen 100000 Thaler zur Abs änderung von Torniſtern fordert, ja , meine Herren , wer den Torniſter

nicht in der Sonnenhiße getragen hat, weiß nicht, wo er drückt. Es giebt viele Gegenſtände, welche die Militärverwaltung ſicherlich beſſer verſteht, als

eine Verſammlung von ausgezeichneten und patriotiſchen Männern. Meine Herren, ſeßen Sie Ihrer unbeſtrittenen Befugnis eine freiwillige Schranke ;

es giebt Notwendigkeiten, die zu eng gezogene Schranken ſprengen !“ Und nicht minder treffend bemerkt er bei einer ähnlichen Fachfrage am 18. Oktober Meine Herren , ich glaube, wir wünſchen alle aufrichtig, daß die Geſeße gehalten werden ; der beſte Weg dazu iſt, die Geſeße ſo zu geben , daß ſie gehalten werden können ! " Beſonders bedeutſan war die Rebe, die Moltke am 15. Juni 1868 in Bezug auf die geforderte Flottenanleihe hielt. Er befürwortete dieſelbe nicht bloß als militäriſcher Sachverſtändiger, der erſte Feldherr des Nords 1867 :

II

deutſchen Bundes ſprach zugleich vor aller Welt ein Programm der preu

fiſchen Regierung aus. „ Welcher verſtändige Menſos,“ ſprach er, „ würde nicht wünſchen , daß die enormen Ausgaben , welche in ganz Europa für

Militärzwecke gemacht werden, für Friedenszwecke verwendet werden könnten ! Aber auf dem Wege der internationalen Verhandlung wird das ſicherlich nie zuſtande kommen . Es iſt ja der Krieg nur die Fortſeßung der Politik

mit anderen Mitteln. Ich ſehe für den Zweck nur eine Möglichkeit, und das iſt, daß im Şerzen von Europa ſich eine Macht bilde, die, ohne ſelbſt eine erobernde zu ſein, ſo ſtark iſt, daß ſie ihren Nachbarn den Krieg vers bieten kann. Eben deswegen glaube ich, daß, wenn dieſes ſegensreiche Werk

iemals zuſtande kommen ſoll, es von Deutſchland ausgehen wird

aber

erſt dann, wenn Deutſchland ſtart genug iſt, das heißt, wenn es geeinigt ſein wird. Unſere Nachbarn wiſſen alle recht gut , auch die, welche ſo

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thun, als ob ſie es nicht wüßten, daß wir ſie nicht angreifen wollen, aber ſie ſollen auch wiſſen, daß wir uns nicht angreifen laſſen wollen. Dazu brauchen wir Armee und Flotte .“ Wie mag dieſes ſtarke Wort des erſten deutſchen Kriegsmannes von der dereinſtigen Stellung des geeinigten Vaterlandes, welches friedſam aber ſtark genug iſt, den Nachbarn den Krieg zu verbieten, wie mag es den Franzoſen unliebſam in die Ohren geklungen haben !

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Moutte nach dem franzöfiſchen Kriege.

.

Sechſter Abſchnitt.

Stille Jahre . 1871-1891 .

Reich an Ehren, reich an Jahren ging Moltke aus dem großen deutſch franzöſiſchen Kriege hervor. Durch eine an Entbehrungen reiche, aber reine Jugend geſtählt, allezeit in ſeiner Lebensweiſe höchſt einfach und bedürfnislos,

empfand Moltfe nichts von den Beſchwerden des Alters, wenn er auch ab und zu in ſeinen Briefen über Atemnot und Schwindel klagt; Kurzſichtig

keit und Gehörſchwäche, dieſe Leiben des Greiſenalters , ſtellten ſich wohl ein ; jugendlich aber blieb auch jeßt noch ſeine Kraft des Geiſtes und Ar 1

Þeitens, ſeine Fähigkeit, ſich alles Schönen und Guten zu erfreuen, wenn er auch gleich dem alternden Eid „ ſtiller als zuvor “ ward. Einen Krieg hatte Preußen nicht nochmals zu führen , ſo gingen Moltkes Tage und

Jahre fortan friedſam dahin, vergoldet durch die Dankbarkeit der Preußen tönige. Darum war Moltke nicht müßig. Die ſchwer erkämpfte Herrlicha keit des neuen Deutſchen Reiches legte auch weiterhin dem Haupte des preu

Biſchen Generalſtabes die Pflicht auf, dafür zu ſorgen , daß Deutſchlands Küſtung nicht im Genuſſe des Friedens ſchwach werde. So geht die für den Fernſtehenden unſichtbare Thätigkeit im Generalſtab, die Ausbildung

der begabteſten jüngeren Offiziere des preußiſchen Heeres für den Felddienſt durch kriegsgeſchichtliche Studien und jährliche Übungsreiſen , ihres ſtillen Weges weiter; faſt jedes Jahr wohnt Moltke in Begleitung des Königs

in wechſelnden Landesteilen von Deutſchland den großen Herbſtübungeni einiger Armeecorps bei ; es hat keinen Zweck dieſe Dienſtreiſen ins einzelne

zu verfolgen. Dazu geſellte ſich in den Wintermonaten Moltkes parlamen tariſche Thätigkeit als Mitglied des Reichstages, in welchem er als hervor: ragendſter Fachmann die durch die ſtets erneuten Rüſtungen der Franzoſen gebotene Verſtärkung der deutſchen Kriegsmacht durchzufechten hatte und in der Regel glüdlich durchfocht, ein allezeit klarer, ruhiger Redner, deſſen Schwergewicht alle Parteien anerkennen mußten. Auch den Sißungen des

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Herrenhauſes, zu deſſen lebenslänglichem Mitglied ihn 1872 König Wilhelm ernannt hatte , wohnte Moltke mit gewohnter Gewiſſenhaftigkeit bis zu ſeinem letzten Lebenstage bei , wenn er auch dort keine Gelegenheit hatte, durchſchlagende Reden zu halten. Ward es dann Frühling, ſo inachte fich Moltke ſobald als irgend möglich nach ſeinem geliebten Creiſau auf, nies mals allein , ſondern immer in Geſellſchaft des einen oder des anderen Bruders oder Neffen mit ihrer Familie. Waren dann im Herbſt die Generalſtabsreiſen oder Truppenſchauen überſtanden, ſo ſchloß ſich noch irgend

ein Badeaufenthalt an, und ſo war der regelmäßige Kreislauf des Jahres beſchloſſen und Moltke kehrte zur Winterraſt zurück in das ihm zu Ehren ſchön hergerichtete neue Generalſtabsgebäude zu Berlin , auch hier wieder

unter der treuen Pflege ſorgſamer Verwandten. Bei dieſer Gleichmäßigkeit des geſundheitsgemäßeſten Lebens kann es wohl vorkommen , daß unſer Bericht das eine oder andere Jahr ſchweigend überſchlägt, zumal da auch

Moltkes Briefwechſel mit den der Steihe nach hinſterbenden Geſchwiſtern von jeßt ab dürftiger wird. Ausgang 1871 reiſte Moltke im Gefolge des Prinzen Friedrich Karl

zum Georgenfeſte nach Petersburg. Er weiß die ihm zuteil gewordene Aufmerkſamkeit und Auszeichnung nicht genug zu rühmen und ſchreibt dars über an Bruder Friz :

„ Petersburg , den 11. Dezember 1871 . t finden . Es iſt nicht leicht, hier einen Augenblick zum Briefſchreiben zu Ich will heute auch nur ein Lebenszeichen von uns geben, da wir ja ſchon 11

acht Tage aus Berlin fort ſind. Es giebt ſo viel zu erzählen , daß ich das meiſte für mündliche Mitteilung vorbehalten muß. Nur ſoviel ſei

geſagt, daß wir trotz aller Dejeuners, Diners und Soirées noch wohl und munter ſind, und daß man ung nicht nur mit der größten Aufmerkſamkeit,

ſondern auch mit wirklicher Herzlichkeit aufgenommen hat. Der Kaiſer perſönlich findet eine Freude daran, uns bei jeder Gelegenheit auszuzeichnen und ſeiner Geſinnung gegen unſere Armee Ausbrud zu geben. Mir hat er ſeinen höchſten , den Andreas -Orden, verliehen. Ich bewohne eine ganze

Suite von Zimmern im Winterpalaſt, ein Oberſt vom Generalſtabe iſt zu meiner Begleitung kommandiert, täglich zwei Mittageſſen mit Champagner unter dem Namen Dejeuner und Diner, Abends Loge in fünf Theatern ,

dann noch Soireen ; Hofequipage und Bedienung , Kutſche und Schlitten 1

ſtets angeſpannt. Über das große Georgenfeſt werden die Zeitungen wohl berichten . Es waren tauſend Menſchen und mehr als hundert Fahnen in den ungeheuren Näumen dieſes Palaſtes aufgeſtellt, in denen wir wohl ein

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paar Werſt zurücklegten , indem der Kaiſer alle Säle durchſchritt. Dann Meiſe und ſchließlich Diner für ſiebenhundert Georgenkreuz-Soldaten unten und eine Galatafel für den Hof von fünfhundert Gedecken in einem großen Saal. Auch die Parade haben wir geſtern glücklich hinter uns. Es waren auf dem Plaß vor dem Schloß längs der Admiralität, der Iſaakskirche

und bis zur Statue Peters des Großen 40 Bataillone, 34 Eskadrons und Artillerie aufgeſtellt. Es war nicht ſehr kalt, höchſtens ſechs Grad , und die Sonne kam durch, was in dieſer Zeit ſehr ſelten iſt. Ich hatte ein vortreffliches Pferd, und ſo ging alles aufs beſte. „ Es giebt aber hier ſo viel zu ſehen , daß alle Zeit in Anſpruch ges nommen iſt, die nach Viſiten und Paraden übrig bleibt. Sehr angenehm iſt, daß das Palais der Kaiſerin Katharina, die Eremitage, in Verbindung mit dem Winterpalais ſteht. Es ſind dort die größten Schätze der Kunſt

aufgehäuft. Dann iſt es ein Vergnügen , im Schlitten durch die belebten Straßen , die Proſpekte, die Morskaja u. ſ. w. zu fahren. Petersburg hat ſechzigtauſend Schlitten . Nun kannſt Du Dir das Gemimmel vorſtellen. Alles fährt in ſauſendem Trab haarſcharf aneinander vorüber, ohne ſich zu

berühren. Wahrſcheinlich gehen wir nach Moskau , und unter acht Tagen komme ich nicht zurück. Bei der Großfürſtin Helene wird viel muſiziert.

Heute abend hat Ihre Kaiſerliche Hoheit, wie ſie ſagt, für mich ein Quartett arrangiert. Zuvor ſollen wir aber noch beim Kaiſer dinieren , der mir heute die Ehre ſeines Beſuches erzeigt hat. Es giebt nichts, was man nicht thut, um uns auf alle Weiſe auszuzeichnen, ſelbſt für die Dienerſchaft iſt 1

aufs beſte geſorgt; Auguſt geht heute ins Ballet. Geſtern ſahen mir die Lucca als Zerline im Don Juan. Die Wagen bleiben bei aller Kälte und Schneegeſtöber ſtets vor den Palais und Theatern halten , ſo daß man jeden Augenblick fort kann. Ich benuße das ,1 um wo möglich vor Mitter nacht im Bett zu ſein ; im allgemeinen lebt man tief in die Nacht hinein, und da um 3 Uhr nachmittags ſchon Licht angeſteckt werden muß , ſo iſt der Tag ſehr kurz." Ehe wir nun Moltkes ferneres Leben und Wirken, ſoweit es weithin ſichtbar war , ins einzelne verfolgen , mag es wohl angezeigt ſein, um den hin und wider eintönigen Berichten über Moltkes Erlebniſſe wärmere Farbe

zu geben , einige Mitteilungen einzufügen über ſein tägliches Thun und Treiben, wie ſie damals die Zeitblätter gaben und nunmehr der erſte Band

der Geſammelten Schriften giebt. Über ſein tägliches häusliches Leben bes ſißen wir aus der Feder eines Kundigen eine Mitteilung vom Jahre 1876 : ,, Graf Moltke wohnt in dem gewaltigen neuen Generalſtabsgebäude am Königsplaß. Mit dem Schlag halb 7 Uhr morgens erhebt ſich der

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Feldmarſchau von ſeinem Lager; die ſtrenge Gewohnheit vieler Jahre weďt ihn. Wer ſich den großen Feldherrn immer in Uniform benken wollte, würde ſich irren; er betritt in der Frühe ſein Arbeitszimmer im Morgen rod, das dünnbehaarte greiſe Haupt mit einem Käppchen bedect; das Zimmer ſelbſt in ſeiner Einfachheit erinnert an die Studierſtube eines deutſchen Gelehrten ." ,Die Lebensweiſe Moltkes iſt äußerſt regelmäßig, dabei ebenſo einfach, wie der Mann ſelbſt in ſeinem Wirten bedeutend und glänzend erſcheint.

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Moltte im Urbeitszimmer.

In ſeinem Arbeitszimmer nimmt er den Morgenkaffee , zu dem ſich eine

Cigarre geſellt. Nach genoſſenem Frühtrunk geht er an ſein Tagemert. Seine Feber gleitet ſchnell und ſtets ſicher und regelmäßig über das Papier; er ändert nur höchſt ſelten in einem Briefe oder Manuſtript; denn ſeine Gedanken ſind nie ſchwankend, immer feſt und beſtimmt. Molttes Handſchrift erinnert

in ihrer zierlichen Flüſſigkeit an diejenige ſeines Geiſtesverwandten Gneiſenau ." Mit dem Schlage neun "Ilhr bringt man ihm die Dienſtbriefe, welche

er ſehr genau obwohl ſchnell zu leſen pflegt. Gegen elf wird es lebendiger in den bisher ſtillen Räumen ; die Adjutanten erſcheinen mit ihren Meldungen, auf welche kurzer Beſcheid erfolgt. Erſt um 11 Uhr legt Moltke an Stelle der bequemen Hauskleidung die Uniform an. Bei gutem Wetter tritt er

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mohl dann und wann auf den großen , vor dem Zimmer hinlaufenden Balkon und läßt ſeine Blide über den weiten Platz ſchweifen, in deſſen Mitte die Siegesſäule an die Großthaten der Jahre 1870 und 71 erinnert."

,, Dann beginnt die Arbeit aufs neue, die raſche Beantwortung eiliger Anfragen ; ſo wird Moltke durch ſein Amt bis zwei Uhr feſtgehalten ; während der Arbeit genießt er ſein höchſt einfaches zweites Frühſtück,1 ein Brötchen mit einem Glaſe Malzertrakt." Genau ſeine Zeit einteilend und abmeſſend, ſchiebt Moltke mit dem Glodenſchlag zwci die Arbeit zur Seite, denn die Stunde iſt da, mit welcher

der Vortrag beginnt. Denſelben halten ihm die höheren Offiziere täglich, er iſt je nach Umſtänden von kürzerer oder längerer Dauer ." „ Nach Beendigung des Vortrages verläßt Moltke das Arbeitszimmer, um einen Spaziergang zu machen. Man kann den Gefeierten nun , in ſeiner ſchlichten Weiſe grüßend , hin und wider an den Läden verweilend, in den Straßen Berlins ſehen. Moltke iſt ſelbſtverſtändlich eine der be kannteſten Erſcheinungen ; es wird ihm ſtets eine ganz beſondere Ehrerbietung

zuteil , welche ſich namentlich durch Vermeidung jedes Drängens um ſeine Perſon kennzeichnet." „ Nach der Heimkehr von dem Spaziergange findet das Mittagsmahl ſtatt. Moltke genießt es im Kreiſe ſeiner Familie. Sein Lieblingsgetränk iſt Moſelwein. Der Kaffee wird im Arbeitszimmer und bei der Cigarre

eingenommen. Dieſe Zeit ſoll eine der angenehmſten und behaglichſten für den edlen Greis ſein , der mit den Seinen in zwangloſer heiterer Unter haltung bis 5 Uhr beiſammen zu bleiben pflegt. Um dieſe Zeit beginnt er wieder, einſam in dem Arbeitszimmer weilend, zu ſchreiben oder ab wechſelnd zu leſen. Um ſieben Uhr macht er eine Pauſe : die Zeitungen ſind angekommen und der Feldmarſchall lieſt ſie mit dem Eifer, den er für alle Erſcheinungen und Ereigniſſe des Tages fich wach gehalten hat." „ Um 8 Uhr abends folgt der Thee, dieſem bas Whiſt, ein Spiel, in /

welchem ſelbſtverſtändlich der Denker und Schweiger Moltke Meiſter iſt. Den Abend beſchließt gewöhnlich eine kleine muſikaliſche Unterhaltung, da Moltte der Tonkunſt mit Leidenſchaft zugethan iſt. Mit der elften Stunde

verſtummt das Klavier und Moltke legt ſich zur . Nuhe." „ Des Feldmarſchals Leben wird in ſeiner Regelmäßigkeit nur durch die Reichstags- und Herrenhausſißungen unterbrochen, denen er mit größter .

Aufmerkſamkeit folgt; weitere Unterbrechungen bringen die Badereiſen oder

der Landaufenthalt auf ſeinem Gute Creiſau in Schleſien. Mit um ſo größerer Regelmäßigteit wird die Tagesordnung im Winter inne gehalten.“ Geſellſchaften liebte Moltke gar nicht, ſo gern er Verwandte und gute

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Bekannte um ſich ſah. Eine inhaltloſe Unterhaltung war ihm Zeitverderb ; die ehrfurchtsvolle Scheu, mit der Fernſtehende ihm oft gegenübertraten, be engte ihn. In den geſellſchaftlichen Zwang fügte er ſich nur ' ungern , und meiſtens atmete er erleichtert auf, wenn alles überſtanden war, oder er ſich aus der Menge an den Whiſttiſch retten konnte. Unſer Berichterſtatter nennt Moltke einen Meiſter des Spieles ; das wird von anderen ganz ents

ſchieden beſtritten. Nach ihnen ſpielte der Feldmarſchall viel zu unaufs merkſam und machte oft die unbegreiflichſten Fehler. Er ſpielte, um aus zuruhen von angeſtrengter geiſtiger Arbeit; das Whiſt war ihm ein die angeſpannte Denkthätigkeit löſender Zeitvertreib. So an den Abenden

der höchſt anſtrengenden Generalſtabsreiſen , nachdem er den ganzen Tag zu Pferde geweſen, ſo in der Nacht vor dem Übergang nach Alſen, in den ernſteſten Tagen zu Verſailles. Es ward dabei immer um einen ſehr ge șingen Betrag geſpielt; dennoch liebte der Feldmarſchal es nicht zu verlieren und konnte bei andauerndem Unglück in ſehr ſchlechte Laune geraten . In jungen Jahren ſpielte Moltke häufig und ſehr gut. Schach. Eine andere Liebhaberei des Feldherrn waren edle Pferde.

Moltke

war ein vortrefflicher Reiter, wobei Frau Marie ihm gern Geſellſchaft leiſtete ; auch weiß er ihr bei ſeinen Hofreiſen nach Paris und London allerhand

Pferdeabenteuer zu berichten. Und ebenſo liebte er es, während des Lands aufenthaltes in Creiſau bei den Ausfahrten ſelbſt die Zügel zu führen .

Erwähnen wir ſchließlich noch die Doſe, der Moltke in ſeinen älteren Tagen fleißig zuſprach, ſo wäre damit der Kreis ſeiner harmloſen Liebhabereien

erſchöpft. Die Mäßigkeit und Regelmäßigkeit der täglichen Lebensweiſe hat ficher nicht wenig dazu beigetragen , Moltke einen allezeit geſunden Schlaf zu ſichern. Wenn nicht unaufſchiebbare Geſchäfte ihn abhielten, ſo erfreute er ſich von elf Uhr abends bis gegen 7 Uhr morgens erguidender Ruhe in ſeinem einfachen Feldbett, auch vor den Tagen großer Entſcheidungen.

Gegenïïber dieſem Winterbilde ſtellen wir ein Sommerbild, basjenig don Moltkes Leben auf ſeinem geliebten Creiſau , wo der ernſte Mann in

fchweigſamem Verkehr mit der Natur ſich erholte von den geiſtigen Un ſtrengungen eines langen Lebens und zugleich der Erinnerung an ein dahin gegangenes Glück lebte. Hier iſt Moltke nicht mehr Militär; er zieht den

Soldatenrod aus und wird Gutsbeſißer, nicht aber, um bequem andere Leute für ſich arbeiten zu laſſen, ſondern um mit jenem Thätigkeitsbedürfnis, das ihm jederzeit getreu blieb, ſelbſt tapfer zuzugreifen ; „ich habe hier geſchanzt 1

und gegraben wie ein Tagelöhner," ſchreibt er Ende Oktober 1869 an Bruber Adolf.

Mein Lieblingsgedanke iſt noch immer, daß wir uns nach und nach

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am liebſten wünſche ich das auf irgend einem Grundbeſig ſammeln Beſißtum auf dem lieben deutſchen Boden ," ſo ſchrieb Moltke ſchon im Jahre 1848 an ſeinen Bruder Adolf, als die unerquidlichen Zuſtände des Sturmjahres den Gedanken in ihm wachriefen , ſeine Laufbahn aufzugeben und ſich in das Privatleben zurückzuziehen. Wenn er auf ſeinen Dienſt reiſen irgend ein hübſch gelegenes verkäufliches Gut am Harz 2c. ſieht, ſo kehrt der Gedanke wieder, ja eininal denkt er ſogar an Auswanderung über das Weltmeer, um dort etwa wie Voltaires Candide alle ſeine Lieben als Aderbauer zu vereinigen. Moltke beſaß eben einen außerordentlich lebendigen Familienſinn; er hatte ſeine Jugend faſt heimatlos verbracht und trok

größter Bedürfnisloſigkeit die mißbehagliche Stellung eines dürftigen Offiziers reichlich genoſſen. Die Brüder waren hier und dahin verſtreut, mittelloſe Beamte in beſcheidenen Verhältniſſen ; da iſt es erklärlich , daß er, ſobald er ſich in auskömmlicher Stellung befindet, den lebendigen Drang fühlt, der zahlreichen weitausgedehnten beſißloſen Familie einen neuen Mittelpunkt zu geben. Aber erſt dem Greiſe war es geſtattet, dieſen Lieblingswunſch erfüllt zu ſehen , nachdem ihm die Dankbarkeit ſeines Königs und Volkes die er forderlichen Mittel gewährt hatte. Er richtete 1866 zuerſt ſein Augenmerk auf die Güter in Mecklenburg und Holſtein , die jahrhundertelang im Beſiß des Hauſes Moltke geweſen waren , aber die Koſten der Erwerbung überſtiegen Moltkes Mittel , oder es bot ſich nicht die Gelegenheit. Die Entſcheidung brachte 1867 eine Generalſtabsreiſe in Schleſien , das er ſo oftmals in jungen und älteren Jahren als . Wanderer oder als Feldmeſſer

oder auch an der Spitze ſeiner ,,Geniefabriť “ von jungen Offizieren durchzogen hatte. In der Nähe von Schweidniß , zwiſchen der Hohen Eule und dem 1

Zobtenberge gelegen , war ein Beſit zu verkaufen. Moltkc griff raſch zu

und erwarb am 1. Auguſt 1867. die zuſammengehörigen Rittergüter Creiſau, Grådiß und Wieriſchau.

Mit großem Eifer und dem ſorgſamſten Eingehen auf alle Einzelheiten , unterſtüßt durch kundige Nachbarn, ging der General zunächſt an die Aus

beſſerung des ziemlich ſchadhaften Wohnhauſes, deſfen Schindelbach durch Schiefer erſekt warb, an die Anlage eines Parkes , der bis dahin dem Gute ganz fehlte, ſowie an die Maßregeln ,1 die erforderlich waren , um die Er tragsfähigkeit des ziemlich vernachläſſigten Gutes zu heben. Von Jugend auf an ſtrenge Sparſamkeit gewöhnt, vermied er dabei alle Luxusausgaben , ſtellte aber jederzeit die Mittel zur Verfügung, um die Lage der Arbeiter zu beſſern. So hatte er bemerkt , daß die Creiſauer Kinder jeden Morgen in die drei Viertelſtunden entlegene Schule von Grådiß gehen mußten ; Moltke kaufte alsbald einen in Creiſau liegenden Bauernhof, ließ das Haus Buchner, Moltfe.

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abreißen , baute. Dafür ein Schulhaus, gab das Grundſtüd des gekauften Hofes dem Schullehrer als Gartenland und legte ein Rapital feſt, aus deſſen Ertrag der Lehrer ſeine Beſoldung bezieht. 1

Er richtete cine Sparkaſſe für die Schulkinder ein , indem er jedem derſelben ein Sparkaſſenbuch mit 1 Mark Einzahlung übergab; jedesmal wenn es dann ſelbſt in kleinen Betrågen eine Mark erſpart hatte, legte Moltke eine weitere Mark zu ; bei der Einſegnung bekamen dann die Kinder

das Buch ausgehändigt und hatten ſo ſparen gelernt. Er begründete eine Schulbücherei, damit die Kinder den Eltern im Winter vorleſen könnten . Später baute er auch eine Kleinkinderſchule mit einer Wohnung für die Lehrerin, ſo daß die Eltern während der Arbeit die Kinder in guter Obhut wußten. Auch für den Bau eines neuen Kirchturmes in Grädiß ſteuerte

er namhafte Summen bei und verſchaffte der Gemeinde neue Gloden aus franzöſiſchem Geſchükmetall. Für gemeinnüßige Zwede wie zur Unters ſtůžung wirklich Hilfsbedürftiger oder ſeiner eigenen weitverzweigten und unvermögenden Familie hatte Moltke, den man wohl bei ſeinen Lebzeiten 1

für überſparſam hielt, eine ſtets offene Hand ; dagegen war er in geſchäfte

lichen Dingen ein ſehr ſorgfältiger Rechner und mancher vortreffliche Brief an den Neffen oder Großneffen betont die Pflicht der Sparſainkeit.

Ein Berichterſtatter giebt uns über Creiſau und des Feldmarſchals Sommerleben eine umfaſſende Schilderung, die mit einigen Kürzungen hier mitgeteilt werden mag :

„ Ein trauliche Heimſtätte für den Schlachtendenker , dieſes ſchleſiſche Tuskulum ! Inmitten einer freundlichen und fruchtbaren Gegend, eine Meile von der böhmiſchen Grenze entfernt, zwiſchen den Städten Schweidnitz und Reichenbach, liegen Schloß und Dorf. Licht und heiter ſchaut das Schloß, feit dem Jahre 1867 in Moltkes Beſiß, unter ſeinem ſchwarzblauen Schiefer

dache in die Landſchaft hinaus. Dunkle Baumkronen,mächtige Ulmen und Linden ſtreben zu ſeinen beiden Seiten empor , ihre Äſte ausbreitend und ineinander ſchlingend, als wollten ſie ein ſchüßendes Dach bilden über dem, der ſich da unten in ihrem Schatten ergeht, über dem geiſtreichſten Soldaten des neuen Kaiſerreichs.

Schloß Creiſau macht einen ſtattlichen Eindruck. Auf den beiden Thorpfeilern des Hofeinganges prangen zwei kriegeriſche Repräſentanten einer längſt vergangenen Zeit, zwei griechiſche Fechter in Kampfesſtellung mit vorgehaltenem Schild. Zwei andere Rämpfer und zwar aus der neueſten Zeit zeigen ſich uns nicht weit von jenen eben erwähnten. In drohender 11

Haltung ſtehen nämlich auf rieſigen Steinplatten vor der in den erſten Stoc führenden Schloßtreppe zwei eroberte franzöſiſche Geſchüße, welche

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後來, ti

Moltke im fail zu Creiſau.

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Kaiſer Wilhelm ſeinem ſieggekrönten erſten General als Ehrengeſchenk widmete.

,,Unmittelbar vor dem Schloſſe breitet ſich wie ein ſamtener Teppich

eine in zartem Grün leuchtende Raſenfläche hin , aus welcher ſich wohl gepflegtes Gebüſch gruppenweiſe erhebt. Mit vielem Geſchick und Geſchmack

iſt dasſelbe ſo gepflanzt, daß es mit ſeinen lachenden Blüten zu den ernſten dunkeln Bäumen der nächſten Umgebung einen ſehr wohlthuenden Gegenſatz bildet. Dieſer Raſenfläche ſchließt ſich der weite Hofraum an, welcher von

Beamtenwohnungen und ſtattlichen Ökonomiegebäuden begrenzt wird. „Die Umgebung des Schloſſes iſt nicht reich an großartigen Natur ſchönheiten ; aber die üppigen Wieſen an dem vielfach gewundenen Peile flüßchen, die nahegelegenen und zum Teil mit Buſchwerk reich bewachſenen

Hügel. auf welche die hohen dunkelbemaldeten Häupter des Zobten und der Eule ernſt herabſchauen , bieten immerhin ein liebliches und hübſch abge grenztes Landſchaftsgemälde. Es iſt ein ſonniger Julimorgen . An Halm und Strauch hängt noch der Tau der Nacht, und ein friſcher tühler Hauch geht über Wieſe 11

und Feld. Die Turmuhr des nahen Dorfes Grådig verkündet eben die ſechſte Stunde, da fehen wir von der Schloßtreppe einen ſchlicht gekleideten Mann in den duftenden Morgen herabſteigen und über die wohlgepflegten

Kieswege dem nahen Parke zuſchreiten. Wer den Mann in dem einfachen ſchwarzen Rode , mit dem bartloſen Geſicht, in welches Alter und geiſtige Arbeit ihre Furchen gegraben , ſo dahinwandeln ſieht, der wird verſucht ſein zu glauben , er ſehe in ihm einen würdigen Landpfarrer, der eben im Begriffe ſteht, auf einer Morgenwanderung den Stoff zu ſeiner nächſten Sonntagspredigt zu verarbeiten. Weit gefehlt ! Der Mann im ſchlichten 1

ſchwarzen Rođe, mit dem bartloſen feingeſchnittenen Geſicht iſt kein Mann der Kanzel.

Mit kühnem Federſtrich hat er den deutſchen Heeren die

Bahnen vorgezeichnet, welche ſie zum Siege führten. Es iſt der Schloßherr ſelbſt, Graf Moltte.

,,Seiner Gewohnheit gemäß hat er ſich zeitig von ſeinem aus einer Roßhaarmatraße und leichten Decke beſtehenden Nachtlager erhoben, ichnell den Morgenkaffee eingenommen ,1 und iſt dann in die Morgenluft hinaus

gewandert. Die Wirtſchaftsräume ſind ſein erſtes Ziel. Das Rorn auf der Tenne , das Vieh im Stalle, das Getriebe der zum Gute gehörenden Brauerei, nichts entgeht ſeinem prüfenden Blice. Und weiter lenkt er die Schritte durch die grünen Beete des Gemüſegartens, ſpricht ein freundliches

Wort mit dem Gärtner, und wendet ſich dann mit innigem Behagen ſeinen mit Vorliebe gepflegten Zöglingen, den jungen trefflich gedeihenden Bäumen

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zu, welche hinter dem Schloſſe in langen Reihen ſoldatiſch aufgeſtellt ſind. Mit Rennerbliden muſtert der Feldherr ſein kleines Heer ; zeigt ſich irgendwo ein dürer Aſt, ſo verfährt er , ganz im militäriſchen Geiſte,1 mit unnach ſichtlicher Strenge. Er greift in die Taſche, ſchnell iſt das Meſſer zur Hand und ſofort liegt der Aſt am Boden. Haßt doch der Marſchall im großen wie im kleinen das Schwächliche und Halbe. „ Nach beendeter Wanderung ſehen wir den Schlachtendenker in ſein

Studierzimmer treten . Er nimmt nun, durch die Morgenwanderung erfriſcht, an einem einfachen Tiſche Plaß , auf dem das Frühſtüc , aus einer Taſſe Bouillon oder einem Glaſe Wein und belegtem Butterbrote beſtehend; bereit

ſteht. Neue Zeitungen ſind eingetroffen und werden beim Frühſtück einer eingehenden Durchſicht unterzogen. Die Zeit bis zum Mittag widmet der

Graf in der Regel ſchriftlichen Arbeiten . Eine Kürzung dieſer allmorgends lichen Arbeitsſtunden pflegt der Graf ſich nur am Sonntage zu geſtatten, wo er, fromm im beſten Sinne, faſt regelmäßig die nahegelegene Dorffirche zu Grädiß beſucht. IIGegen zwölf Uhr zieht ſich Moltke in ſein Schlafgemach zurück, um bis zur Zeit der Mittagstafel zu ruhen ; Punkt zwei Uhr verſammeln ſich die Familienglieder im Speiſeſaale, denn Moltke hat außer ſeinen nächſten

Angehörigen gern auch etliche Verwandte , den Bruder, Kammerherrn von Moltke, oder eine Schwägerin mit ihren Töchtern zu Gaſte. Nach aufges hobener Mittagstafel werden vom Grafen noch etwa eingegangene Briefe erledigt; die übrigen Familienglieder haben ſich inzwiſchen , wenn das Wetter günſtig iſt, in den weit ausgedehnten Part begeben , wohin ihnen Moltke ſpäter zu folgen pflegt. Dort auf einer freien ſaftig grünen Raſenfläche ſteht, einſam und mit koloſſalen Zweigen weit ausgreifend in die Luft, eine herrliche Eiche. Mit ſchattendem Blätterdache überwölbt ſie eine an

ihren kräftigen Stamm fich lehnende einfache Nuhebant. Wie oft kühlt hier an ſeinem Liebling $pläßchen der Marſchall ſeine von ſchwerer Gedanken arbeit müde Stirn in den milden Lüften des Parkes.

Von hier aus

ſchweift der Blic des Schlachtenhelden durch eine weit gedehnte Lichtung,

die er zum Teil mit eigener Hand durch dieſes Gebüſch gebrochen hat, über die dunkeln Höhen des waldreichen Eulengebirges hin, oder er folgt ſinnend den ſeltſamen Wolkengebilden , welche die eben dicht am Parke vorüber ſauſende Lokomotive zurückgelaſſen hat. Iſt der Gang durch den Park vollendet, ſo wird gewöhnlich noch eine Spazierfahrt veranſtaltet. „ Gegen acht Uhr abends wird im Schloſſe Thee aufgetragen, und das iſt die Stunde , welche die Familienglieder noch einmal vor der Nacht bald nach zehn Uhr ſucht Moltke ſein lager auf in traulichem Geſpräche

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zu verſammeln pflegt. Aber nicht ſelten , wenn der Abend mild iſt, ſehen wir den ernſten Grafen, die Geſellſchaft meidend, noch einen ſtillen, einſamen Gang machen. Es iſt ein Gang der Trauer und der Wehmut, der Sr innerung und der Andacht; denn er gilt dem Mauſoleum ,1 in welchem der Schlachtendenker ſeine am Weihnachtsabend 1868 verſchiedene innig geliebte Gattin zur Ruhe gebettet hat. 1

„ Auf dem mit Zierſträuchern reich bepflanzten Gipfel eines ziemlich ſteil anſteigenden Hügels erhebt ſich , nahe am Park, das Mauſoleum , zu welchem Graf Moltke ſelbſt den Plan gezeichnet hat. Die vielen Zeichen ſorgſamer Pflege, die dieſer Hügel aufzuweiſen hat, deuten an , daß es der Geiſt der trauernden Liebe iſt, der über dieſer Stätte des Friedens ſchwebt. Der Bau ſelbſt, aus Ziegeln mit Sandſteinverbråmungen aufgeführt, erſcheint

einfach und pruntlos. Sein ſchlichtes Portal ſchaut weit ins Land hinaus. Erhebend und faſt überwältigend jedoch wirkt das Innere dieſes Toten tempels. Ernſte Dämmerung herrſcht in dem ernſten Raume ; keine vorlaute Zierde drängt ſich dem Auge des Beſchauers auf ; in lichten Umriſſen tritt nur die edle Geſtalt des Welterlöſers hervor. Hochaufgerichtet über der Gruft , die Arme halb erhoben , wie um diejenige zu ſegnen , welche da unten ſchläft, ſteht der Gottgeſandte , und über ſeinem Haupte leuchten die Worte der Schrift:: Die Liebe iſt des Geſekes Erfüdung. " Und ſchließlich noch eine weitere Schilderung im erſten Bande der

Geſammelten Schriftent. „ Vom Ende des deutſch -franzöſiſchen Krieges an bis zu ſeinein Tode verbrachte der Feldmarſchall die Sommermonate, einige kurze Badereiſen abgerechnet, in Creiſau.

Sobald im Frühjahr der Schnee

von den Dächern taute, regte ſich die Sehnſucht nach dem Landaufenthalte

in ihm ; er liebte es , das Wiedererwachen der Natur aus ihrem Winter ſchlaf zu beobachten , er erfreute ſich an dem Reimen und Wachſen des jungen

Grüns, er ſah das Korn höher und gelber werden , bis es der Ernte ents gegenreifte ; ſtundenlang ſtand er bei den Schnittern , bis überall die 1

Stoppelfelder ſich breiteten , über die der Herbſt ſeine glänzenden Fäden 30g ; mit offenem Sinn genoß er die buntblättrige Pracht des Spätherbſtes und ſchaute mit ſeinen hellen , weitblickenden Augen hinaus auf die in der klaren luft ſcharf gezeichneten Umriſſe der Berge, und erſt, wenn wieder friſcher Schnee die Dächer decte, entſchloß er ſich zur Nütfehr nach Berlin . Nicht um die Freuden des winterlidien Reſidenzlebens zu genießen , kam er zurück; ſtrenge Thätigkeit, gehäufte Arbeit erwartete ihn . Stunde um Stunde ſaß er im Reichstag , eines der pflichttreueſten Mitglieder; lange Abende

derbrachte er an Schreibtiſch über ſeine Arbeiten gebeugt; immer ſeine Perſon

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der Sache unterordnend, nie auf ſich ſelber bedacht, nur ein Ziel im Auge : den Dienſt des Vaterlandes. „ Er kannte es wohl, das Bedürfnis nach Ruhe, aber nie gab er ihm nach. Oft ſehnte er ſich danach, auszuruhen von den Mühen eines neunzig jährigen Lebens, aber nie verſank er in die Gleichgültigkeit des lebensmüden Mannes. Ein tapferer Soldat,1 ſtand er mit klarem Blick auf dem ihm

anvertrauten Poſten, bis die Stunde der Ablöſung ſchlug, und er ſtill und edel hinübertrat in die Geheimniſſe einer andern Welt. Stets war er vertraut mit dem Gedanken des Todes , den er nicht fürchtete, immer war er bereit abzuſcheiden, denn ſtets war ſein Inneres klar und ruhig , ſeine Rechnung abgeſchloſſen und in Ordnung. » Wie kann man einen Menſchen beweinen, der geſtorben iſt ,« pflegte er zu ſagen ; » diejenigen ſind zu beklagen, die ihn geliebt und verloren haben. « Nur eins fürchtete er : ein langes Siechtum . Es iſt ihm erſpart geblieben. Shm war es vergönnt, bis zum leßten Augenblice die ungeſchwächte Empfänglichkeit zu bewahren, nicht bloß für das, woran ſein Herz ſich erfreute , ſondern auch für alles, was rings um ihn her die Welt bewegte und die Menſchen erregte. Er war nicht ſtehen geblieben an der Grenze des Greiſenalters, um im Rückblic verſunken die Augen auf das zu richten , was vergangen iſt, er ſchritt fort mit dem Jahrhundert, das ihn geboren, und er ſtand mitten im Strome des Tages, der ihn von uns nahm.

Stets legte er ſelber Hand an und oft ſeşte er ſeine Angehörigen in Beſorgnis , wenn die Stunde des Mittageſſens ( dhlug und er nicht heim kehrte. Dann fand man ihn nach langem Suchen mitten im Gebüſch ver graben in voller Arbeit, oft ganz erſchöpft von Hiße und Sonnenbrand, alles um ſich her vergeſſend, in mühſamer Thätigkeit. Oder er ſaß , don der Arbeit ruhend, auf einer kleinen Holzbank unter einer mächtigen Eiche und blidte mit ſtillem Sinne in den Frieden der Natur hinaus. Vor ihm breiten ſich die Parkwieſen aus, begrenzt von der Peile, die leiſe murmelnd dahinfließt, zur Rechten eingefaßt von hoher Tannenwand , während links der Blick frei hinüberſchweift bis zum fernen Gebirge. Die Zweige der Eiche breiten ihr ſchattiges Dach über den Ruhenden , und auf der grünen Fläche vor ihm ſpielt der Sonnenſchein. Läſſig ſigt er da , etwas zurück gelehnt, wie ein von der Arbeit müder Mann. Eine vornehme Grazie aber liegt über der ganzen Erſcheinung. Das eine Bein iſt über das andere II

1

geſchlagen, die ſchlanken Hände halten über dem Knie gekreuzt ein rot ſeidenes Taſchentuch, der langſchößige ſchwarze Rock iſt beſtaubt, die Krawatte verſchoben , der breitfrämpige graue Filzhut zerdrückt; aber nicht auf dieſe 1

Äußerlichkeiten richtet ſich die Aufmerkſamkeit des Herantretenden.

Sic

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wird gefeſſelt von dem feingeſchnittenen Profil des geiſtvollen Kopfes, das ſich ſcharf von dem dunklen Hintergrund der Tannen abhebt, und von dem klaren Blick der wunderbaren , hellgrauen Augen 1, in deren Glanz etwas liegt von dem Blit des geſchliffenen Edelſteins.

Selten iſt wohl ſoviel Schärfe des Geiſtes, ſolch ſtrenge.Logik des

11

Denkens mit ſolcher Einfalt des Gemüts, ſolch findlicher Fähigkeit, ſich zu

erfreuen, in einem Menſchen vereinigt geweſen, wie in ihm. Hieraus ent ſprang auch ſeine Liebe zum Landleben . Einfach in allen ſeinen Gewohns heiten , liebte er das Einfache und Natürliche. In ſeinem arbeitsvollen Leben war fein Raum geweſen für weichliche Genüſſe, und wie ſein Inneres war, ſo geſtaltete ſich auch ſeine äußere Umgebung. Nicht ohne Rührung

kann man das einfache Arbeitszimmer in Creiſau betreten , in dem er ſich zufrieden und behaglich fühlte, oder den Raum betrachten , in dem er zu 1

1

ſchlafen pflegte. Ein kleiner Raum iſt's, ein vierediger turmartiger Ausbau, der an das Arbeitszimmer ſtößt. Darin ein einfaches Bett und ein Waſch tiſch, weiter nichts. Zwei Fenſter gewähren Ausblick über Wieſe und Feld bis zu dem Dörfchen Grädiß, hinter dem der Zobten aufragt, und auf ein kleines Stückchen der das Haus umgebenden Gartenanlage. Dicht vor dem einen Fenſter ſteht eine Gruppe mächtiger Ulmen .. Noch ſind ihre Zweige unbelaubt , während das Gebüſch zu ihren Füßen ſchon in gedrängter Blätterfülle ſteht. Von ſeinem Bett aus ſieht der Feldmarſchall dic Kronen der alten Bäume ſich im Morgenwinde wiegen , überſtrahlt vom Licht der eben aufgegangenen Sonne , und in den höchſten Wipfeln ſiken ſie, ſeine Freunde, die Stare , und pfeifen ihr jubelndes Frühlingslied. Wie eifrig ſie ſind in ihrem Frühkonzert, wie ſie die Flügel abſpreizen, als müßten ſie 1

1

der klangerfüllten Bruſt mehr Raum ſchaffen , wie ſie mit ihnen den Takt 1

ſchlagen zu ihren Läufen und Trillern, ihrem Schnurren und Schnarren ſie ſind es, die den Schläfer da unten geweckt haben, und ſie ſind es,

die

er liebt um ihrer Frühlingsbotſchaft und ihrer frohen Emſigkeit willen. „ Der Feldinarſchall war bis an ſein Ende ein Frühaufſteher. Sobald

er morgens aus einem tiefen und geſunden Schlaf erwachte, deſſen er ſich auch im höchſten Ulter noch erfreute, ſtand er auf und kleidete ſich an.

Niemals brauchte er dabei die Hilfe eines Dieners , wie er überhaupt eine faſt ängſtliche Scheu davor hatte , die Dienſte eines anderen Menſchen in Anſpruch zu nehmen. Auf ſeine Toilette verwendete er wenig Sorgfalt. Er beſaß nie mehr als zwei Anzüge und trug ſie bis zur äußerſten Grenze des Möglichen. Noch im Jahre 1891 rühmte er ſich, einen Sommers paletot zu beſigen , den er fich habe machen laſſen , als er im Jahre 1857 mit dem damaligen Kronprinzen von Preußen nach England gegangen ſei,

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und der noch immer ſo gut wie neu wäre. Auch vergaß er nie hervorzu heben, daß dieſer Paletot ſeidenes Futter habe, ein Lurus, den er ſich ſpäter

nie wieder bei einem Kleidungsſtück geſtattet hat. Wenn er in Creiſau war oder ſich auf Reiſen befand, trug er ausnahmslos Civilkleider, meiſtens einen ſchwarzen Gehrock und dunkelgraue Beinkleider. In den leßten Jahren hatte er ſich ein Jacket aus dickem Wollenſtoff angeſchafft, da er von jeher

empfindlich gegen Kälte war, es aber faſt immer unnötig fand, einen Überrod anzuziehen. Wenn er auf einige Tage zu Verwandten oder Bes 1

kannten ging , nahm er nie irgend welches Gepäck mit , und auf ſeinen

längeren Reiſen enthielt der kleine Koffer, den er dann notgedrungen mit -

führen mußte, immer nur das Unentbehrlichſte ." Der Mittelpunkt aber für Moltkes Sorgen in ſeinem trauten Creiſau war allezeit die kleine Grabkapelle, die er für die vorangegangene Gattin und für ſich auf einem nahegelegenen Hügel erbaute. Derſelbe war bisher

mit wertloſem Buſchholz beſtanden ; Moltke bekleidete ihn mit dunkeln Tannen, verband ihn mit dem Gutshof durch Parkanlagen , in welchen er ſelbſt die Wege abſteckte, die Steigungen berechnete; faſt jeder Baum , jede Gruppe ward nach ſeiner beſonderen Anweiſung gepflanzt. Die früher im Geſtrüppe

verlorenen alten Eichen legte er frei; Tauſende von jungen Bäumen ließ er "pflanzen. Die zierliche weißſtämmige Birke mochte er nicht leiden und nannte ſie das Unkraut des Waldes ; ſein Lieblingsbaum war die Eiche, die er unermüdlich in ſelbſtangelegten Pflanzgärten pflegte. „ In hundert Jahren wird es hübſch werden“ , ſagte er gern , „ und meine Nachkommen werden ihre Freude an den Eichen haben .“ Rein Tag verging, an dem er nicht ſtundenlang im Freien geweſen wäre ; nicht Sturm, nicht Regen konnten ihn im Zimmer zurüchalten. Oft vergaß er bei ſchlechtem Wetter ſeinen

Überrock, aber niemals ſeine Baumſchere oder feine Baumfäge. 1869 war der Bau der kleinen Kapelle beendet , und Frau Mariens Sarg , der bis dahin in der kleinen katholiſchen Kirche des Dorfes nieder geſtellt worden war , an die legte Ruheſtätte übergeführt. Weißblühende Kletterroſen umranken in üppiger Fülle das kleine ernſte Gebäude. Faſt täglich beſuchte der General den ſtillen Ort ; er war ſein erſtes Ziel, wenn

er im Frühling nach Creiſau kam. Dann trat er mit entblößtem Haupt an den Sarg und legte liebkoſend die Hand auf deſſen Kopfende ; oft brachte er kleine Liebeszeichen mit hinauf, eine ſchöne Blume oder einen Blütenzweig, den er unterwegs gepflückt hatte. Aus dem Jahre 1872 iſt verhältnismäßig wenig zu berichten. Zunächſt eine am 7. Juni gehaltene Rede im Reichstag, dem das neue Militär ſtrafgeſetzbuch vorgelegt worden war. Es machte ſich auch bei dieſer Ges

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legenheit, wie damals öfter , eine ungeſunde Humanität geltend in dem Beſtreben , die Strenge der Strafen möglichſt herabzumindern . Dieſem 1

Bemühen trat Moltke, der ſonſt in ſeinem Privatleben gegen jedermann die

Güte ſelbſt war , mit gutem Grund entgegen. Er ſprach : Meine Herren, ich erkenne vollkommen die humane Abſicht des Antrages der Herren Abgeordneten E. und Genoſſen an, allein ich muß ihrem Antrage

durchaus widerſprechen. Ich glaube, daß eine allzu große Abminderung der Strenge der Strafen nur die Zahl ihrer Anwendungen vermehren wird. Wenn mir ein Geſeß für die Armee geben wollen , meine Herren , ſo dürfen wir uns nicht ausſchließlich auf den bürgerlichen , auf den juriſtiſchen oder ärztlichen Standpunkt ſtellen , wir müſſen uns ſchon auf den militäriſchen ſtellen. Autorität von oben und Gehorſam von unten, mit einem Worte,

Disciplin iſt die ganze Seele der Armee. Die Disciplin macht die Armee erſt zu dem, was ſie ſein ſoll, und eine Armee ohne Disciplin iſt auf alle

Fälle eine koſtſpielige, für den Krieg eine nicht ausreichende und im Frieden cine gefahrvolle Jnjtitution. Meine Herren, die Strafen ſind es lange nicht allein, mit denen wir

die Disciplin aufrecht erhalten. Es gehört dazu die ganze Erziehung des Mannes, und ich erwidere dem Herrn Antragſteller, daß , wenn unſere Strafen milder ſind, wie in anderen Armeen , doch auch gerade dieſes Moment der weiteren Erziehung hinzutritt. Wichtiger, als was in der 1

1

Schule erlernt worden , iſt die nach der Schule folgende Erziehung des Mannes , ſeine Angewöhnung an Ordnung, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Gehorſam und Treue, kurz an Disciplin , und dieſe Disciplin iſt es , die unſere Armee in den Stand geſegt hat, drei Feldzüge ſiegreich zu gewinnen. Wir können aber die Strafen dennoch nicht entbehren, meine Herren ; Sie werden zugeben, daß es einer ungemein ſtarken Autorität bedarf, um Tauſende von Menſchen zu beſtimmen , unter den ſchwierigſten Verhältniſſen, unter Leiden und Entbehrungen , Geſundheit und Leben an die Ausführung eines gegebenen Befehls zu ſeßen. Eine ſolche Autorität , meine Herren , fann nur erwachſen und kann nur fortbeſtehen unter ſchützenden Verhältniſſen. Es muß der Unteroffizier den Soldaten gegenüber eine bevorzugte Stellung 1

1

haben, und es muß der Offizier beiden gegenüber eine Prärogative genießen. Darin liegt, meine Herren, allerdings die von dem Herrn Vorredner hervor gehobene Ungleichheit vor dem Geſege. Es iſt aber nicht ſowohl eine Bevor zugung des Offiziers als eine Bevorzugung des Vorgeſetzten, und ich bemerke dabei , daſ in der ganzen Armee jedermann heute Vorgeſekter und morgen Untergebener ſein kann. Der General an der Spitze eines Corps iſt in den

Augenblic der Gehorchende, wo er in Berührung mit einem noch höher geſtellten

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General kommt, und ebenſo fann der einfache Soldat Vorgeſeßter werden, ſobald der Dienſt ihn dazu beruft. Jeder Wachtpoſten, jeder Gefreite, der eine Patrouille führt, hat Gehorſam zu fordern. „Wir bedürfen nun , meine Herren, die ſtrengen Strafen nicht gegen die große Maſſe unſerer Leute , die durch Belehrung, Ermahnung , Rüge, höchſtens leichte Disciplinarſtrafen unſchwer zu leiten ſind, allein , meine Herren, wir haben es zum Teile auch mit ganz ſchlechten Subjekten zu thun. Wenn alles unter die Waffen tritt, ſo treten natürlich die ſchlechten

Subjekte, die ja in jeder Nation vorhanden ſind, auch unter die Waffen. Wir ſind ja genötigt, alles zu nehmen , jeder Mann , der in das dienſt pflichtige Alter eingetreten , der geſund iſt und ſo und ſo viel Zoll mißt ; den moraliſchen Zuſtand der Rekruten kann die Aushebungskommiſſion 1

nicht unterſuchen . Wir bekommen alſo auch Leute, die vielleicht Randidaten

des Zuchthauſes ſind, wenn ſie nicht durch eine ſtrenge militäriſche Erziehung noch vor dieſem Unglücke bewahrt werden. Dieſe militäriſche Erziehung, meine Herren, die iſt ja auch der Grund, warum wir mit einer ſehr kurzen

Dienſtzeit uns niemals einverſtanden erklären können; denn die Disciplin kann nicht einererziert werden , ſie will eingelebt ſein . „ Ich komme auf die Strafen zurück. Es haben bedeutende Abminderungen der Strafen ſtattgefunden, namentlich Verkürzungen bei dem ſtrengen Arreſte um das volle Dritteil der bisherigen Dauer. Wir haben uns damit durch

aus einverſtanden erklärt. Vollkommen im militäriſchen Intereſſe liegen kurze , aber ſtrenge Strafen , mit kurzen und leichten Strafen aber können wir nicht fertig werden. IIEs iſt das harte Lager bezeichnet als eine Art Grauſamkeit. Meine Herren , wir verurteilen alle unſere Leute täglich zu dieſem harten Lager, ſo oft ſie auf Wache ziehen , nur mit der Verſchärfung, welche bei dem Arreſte hinwegfällt, daß der Mann alle vier Stunden herausgerufen wird , um dann zwei Stunden bei Wind und Wetter Poſten zu ſtehen. Ein hartes, aber trođenes und gegen Wind und Wetter geſchüßtes Lager, meine Herren , iſt eine unglaubliche Wohlthat gegen ein Biwak auf dem Schnee oder auf einem naſſen Sturzacer, wie es unſere Leute ja viele Nächte hin durch haben ertragen müſſen. Wie gern wäre der Solbat oder ſelbſt ein Offizier aus einem ſolchen Bimať in ein ähnliches Lofal geſchlüpft. „ Wenn Sie dem widerſpenſtigen faulen Mann die Matratze mit in das Arreſtlokal geben , und wenn Sie ihm ſeine gewohnte Nahrung nur

jeden dritten Tag entziehen , ſo faulenzt er ſeinen Arreſt ab, er ſchläft und .

freut ſich, daß ſeine Kameraden für ihn auf Wache ziehen müſſen und daß er nicht zu crerzieren braucht. Meine Herren , wir kommen mit ſolchen

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Strafen nicht aus. Bedenken Sie, daß die ſtrengen Strafen nicht gerichtet

ſind gegen den ordentlichen, properen Soldaten, wie Sie ihn auf der Straße oder auf dem Ererzierplatz ſehen , ſondern gegen die wenigen ſchlechten Subjekte. " In den Juli 1872 fällt dann ein Badeaufenthalt in Gaſtein , an welchen im Auguſt eine im Gefolge des Kronprinzen unternommene Reiſe

nach Süddeutſchland ſich anſchloß, über München nach dem Bodenſee und dem Elſaß. Wie gewöhnlich war der Schlachtenmeiſter der Gegenſtand begeiſterter Huldigungen ; ſo mag hier ein Geſchichtchen eingefügt werden, das Moltkes Neffe Henry Burt ſehr hübſch im fünften Bande der Geſammelten Schriften erzählt , freilich ohne genaue Angabe des Jahres , nur allgemein als ein Ereignis aus den ſiebziger Jahren. Moltke hatte den ſüddeutſchen Militärübungen beigewohnt und war ſehr ermüdet ; er nahm daher noch vor Schluß Urlaub , uin in einem ſtilen Städtchen der Nachbarſchaft ſich ſo recht auszuruhen. Aber die Nachricht von ſeinem Rommen war ihm vorausgeeilt; am Bahnhof des ſtillen Städtleins empfängt ihn der Bürger .

meiſter im Frack, die Straßen prangen im Flaggenſchmuck; Moltke muß widerwilligen Herzens teilnehmen , und noch dazu im Regen , an einem Veteranen- und Winzerfeſt, am Abend bringt die Feuerwehr einen Fadelzug, die Liedertafel ein Ständchen. Todmüde legt ſich der alte Herr zur Ruhe nieder, um in der Frühe des nächſten Tages durch eine Morgenmuſik der ſtädtiſchen Kapelle geweckt zu werden . Da aber war die Geduld des alten Herrn, der bis dahin alles ſchweigend über ſich hatte ergehen laſſen, erſchöpft,

und es brach ein heftiges Gewitter aus, allerdings nur dem Neffen gegen über : „ Ich komme hierher, um mich auszuruhen , und keinen Augenblick läßt

man mich zur Ruhe fommen !“ Henry beſchwichtigte nach Kräften und ſtellte vor, daß doch alles aus gutem Willen geſchehe, und daß es einen ſchlechten Eindruck machen würde, wenn er unfreundlich wäre. „ Ja, " ſagte Moltke, „ dann wollen wir aber mit dem nächſten Zuge, und zwar direkt nach Berlin fahren ! “ Das geſchah auch. Der alte Herr war damals ſehr übler Laune; als aber Henry ihn ſpäter einmal an die Geſchichte erinnerte, lachte Moltke, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen, und fügte hinzu : „Ja, und bis an mein Zimmer bildeten ſie Spalier, und ich konnte es des Morgens nach dem Kaffee nicht verlaſſen , ohne mit einem ſchallenden Hurra begrüßt zu werden !

Im April des Jahres 1873 finden wir Moltke zum drittenmal in

Petersburg, wohin er nebſt dem Fürſten Bismarck den Kaiſer Wilhelm 1

begleitete. Von Moltres Reichstagsreden dieſes Jahres hat dauernde Be

deutung nur diejenige vom 23. Juni , veranlaßt durch die Frage , ob ein

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Nord-Oſtſeekanal von der Unterelbe nach der Rieſer Bucht zu bauen ſei. Moltke war der Anſicht, daß die Handelsſchiffe, da im Winter die Oſtſee ſchiffahrt ohnehin ruhe, im Sommer dagegen günſtiges Wetter zum Umweg um Jütland ſei, den Kanal überhaupt nur zur Frühlings- und Herbſtzeit benußen würden. Der Möglichkeit, im Kriegsfalle die Nordſeeflotte durch den Ranal nach der Oſtſee zu ſchiđen, und umgekehrt, trat er entgegen durch die Vermutung, daß wir möglichenfalls in beiden Meeren gleichzeitig zu kämpfen hätten und daß die großen Kriegspanzer der Nordſeeflotte in der Oſtſee gar nicht zu brauchen ſeien . Er ſprach ſich ſchließlich dahin aus , daß , wenn man für Flottenzwecke 40 bis 50 Millionen Thaler ausgeben wolle,1 man dieſe Summe , ſtatt einen Kanal zu bauen , lieber zum Bau einer zweiten Flotte verwenden möge. Wir wiſſen, daß diesmal ausnahms: weiſe der Reichstag dem Feldmarſchall nicht beiſtimmte, ſondern die Koſten des Nord -Oſtſeefanals bewilligte, deſſen Vollendung in der Kürze bevorſteht. 1

.

Um 4. September 1873 wohnte der Feldmarſchau in Bremerhaven der Einweihung des prächtigen Schiffes „ Graf Moltke “ bei , welches zwei Tage darnach die erſte Fahrt nach Weſtindien antrat.

Zu Eingang des Jahres 1874 hielt Molke wieder eine ſeiner großen Reichstagsreden bei der erſten Leſung des Reichsmilitärgeſekes, welches be ſtimmte, daß bis zu anderweiter geſeglicher Regelung der Friedensſtand des deutſchen Heeres 401 659 Mann betragen ſolle. Er ſprach in der Sißung vom 16. Februar 1874 :

„ Ich möchte Ihre Aufinerkſamkeit vor allem darauf richten , daß es ſich ſchon bei dem § 1 des vorliegenden Geſebentwurfs darum handeln

wird, zu erwägen, ob künftighin Deutſchland die ſchweren Laſten zu tragen haben wird, welche bedingt werden durch eine Friedenspräſenz von 401 000 Mann. Meine Herren , es wird ſich dabei um innere und äußere Ver hältniſſe des Landes handeln. Eine jede Regierung wird ihre Einnahmen verwenden müſſen für die unabweislichen Erforderniſſe auf allen Gebieten

des Staats , bevor ſie an Erſparniſſe und Schuldentilgung und zuleßt wohl an Steuererlaſſe denken kann . Nun iſt aber doch das erſte Bedürfnis eines Staates, zu exiſtieren, ſein Daſein nach außen geſichert zu ſehen. Im Innern ſchüßt ja das Geſeß, Recht und Freiheit des einzelnen ; nach außen von Staat zu Staat nur die Macht. Einem Tribunal des Völkerrechts, wenn ein ſolches exiſtierte, würde immer noch die vollſtreckende Gewalt fehlen, und ſeine Ausſprüche unterliegen ſchließlich der Entſcheidung auf dem Schlacht felde. Kleine Staaten können ſich auf Neutralität, auf internationale Garantien verlaſſen ; ein großer Staat beſteht nur durch ſich ſelbſt und aus eigner Kraft; er erfüllt den Zweck ſeines Daſeins nur, wenn er entſchloſſen

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und gerüſtet iſt, ſein Daſein, ſeine Freiheit und ſein Recht zu behaupten , und ein Land wehrlos zu laſſen, wäre das größte Verbrechen ſeiner Regierung. Der Wunſch, an den großen Summen, welche jährlich für das Militar verausgabt werden , zu ſparen , ſie dem Steuerpflichtigen zu erlaſſen oder

für Zwecke des Friedens zu verwenden, iſt gewiß ein völlig gerechter. Wer würde ſich dem nicht anſchließen ! Wer malt ſich nicht gern aus, wie viel Gutes , Nüßliches und Schönes dann geſchaffen werden könnte ! Aber vergeſſen dürfen wir dabei nicht, daß die Erſparniſſe am Militäretat aus einer langen Reihe von Friedensjahren verloren gehen können in einem Kriegsjahr.

„Ich erinnere daran, was nach einem unglücklichen Feldzuge der Zeit abſchnitt von 1808 bis 1812 unſerem Lande gekoſtet hat. Dies waren Friedensjahre, waren Jahre , wo der Präſenzſtand der Armee gering, die Dienſtbauer ſo kurz war, wie es nur irgendwie gefordert werden kann , und doch durfte Raiſer Napoleon ſich rühmen, aus dem damaligen kleinen

und armen Preußen eine Milliarde herausgezogen zu haben. Wir ſparten , weil wir mußten, an unſerer Armee, und zahlten zehnfach für eine fremde. Allerdings dürfen wir nicht überſehen , daß namentlich in den allerleßten Jahren die Regierung in dankenswerter Weiſe neben den Militärausgaben auch ſehr bedeutende Summen für Friedenszwede bereitgeſtellt hat. Aber ſie reichen nirgends aus ; von allen Seiten wird mehr gefordert und muß mehr gefordert werden, und eben deshalb möchte ich meinen, daß wir übers haupt noch nicht ſo weit gekommen ſind, Steuererlaſſe empfehlen zu können .

Ich meine, daß jeder, auch der Geringſte, etwas für den Staat ſteuern 1

müſſe, und wäre es auch nur, damit er nicht ganz vergißt, daß es überhaupt einen Staat giebt, der für ihn ſorgt, ihn ſchüßt und ben er zu ſchüßen wieder berufen iſt. Denn die größten Wohlthaten ,I die der Menſch

umſonſt hat , weiß er erfahrungsmäßig nicht zu ſchäßen. Wie ſoll ber Staat auch auf ſeine Einnahmen verzichten, wenn auf allen Gebieten noch ſo viel zu leiſten bleibt ? Ich nenne Ihnen nur das der Schule, weil ich glaube, daß die Schule der Punkt iſt, wo der Hebel eingeſeßt werden muß,

wenn wir uns gegen Gefahren ſchüßen wollen, die , ebenſo ſehr wie ein Angriff von außen , uns von innen brohen aus ſozialiſtiſchen und kom= muniſtiſchen Beſtrebungen, Gefahren 1, welche, glaube ich, nur beſeitigt

werden können, neben ſozialen Verbeſſerungen, durch eine größere und all gemeiner verbreitete Bildung.

„ Die Schule, meine Herren, nimmt nicht die ganze Jugend in ſich auf und ſie begleitet die Mehrheit derſelben nur auf einer verhältnismäßig kurzen Stređe ihres Lebensganges. Glücklicherweiſe tritt nun bei uns da,

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wo der eigentliche Unterricht aufhört, ſehr bald die Erziehung ein , und teine Nation hat bis jetzt in ihrer Geſamtheit eine Erziehung genoſſen wie die unſrige durch die allgemeine Militärpflicht.

Man hat geſagt, der Schulmeiſter habe unſere Schlachten gewonnen . Meine Herren, das bloße Wiſſen erhebt den Menſchen noch nicht auf den Standpunkt, wo er bereit iſt, das Leben einzuſeßen für eine Idee , für Pflichterfüllung, für Ehre und Vaterland; dazu gehört die ganze Erziehung des Menſchen. Nicht der Schulmeiſter, ſondern der Erzieher, der Militär

ſtand, hat unſere Schlachten gewonnen, welcher jetzt balb ſechzig Jahrgänge der Nation erzogen hat zu körperlicher Rüſtigkeit und geiſtiger Friſche, zu Ordnung und Pünktlichkeit, zu Treue und Gehorſam , zu Vaterlandsliebe

und Mannhaftigkeit. Meine Herren , Sie können die Armee , und zwar in ihrer vollen Stärke, ſchon im Innern nicht entbehren für die Erziehung der Nation . Und wie nun nach außen ? Vielleicht daß eine ſpätere glüdlichere

Generation, für welche wir im voraus die Laſten mittragen , hoffen darf, aus dem Zuſtande des bewaffneten Friedens herauszugelangen , welcher nun ſchon ſo lange auf Europa laſtet. Uns , glaube ich, blüht dieſe Ausſicht nicht. Ein großes ,1 weltgeſchichtliches Ereignis, wie die Wiederaufrichtung des Deutſchen Reiches,1 vollzieht ſich kaum in einer kurzen Spanne Zeit. Was mir in einem halben Jahre mit den Waffen errungen haben , das mögen wir ein halbes Jahrhundert mit den Waffen ſchüßen , damit es uns nicht wieder entriſſen wird. „Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuſchung hingeben ; wir haben ſeit unſeren glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe 1

nirgends gewonnen .

„Nach allen Seiten ſtoßen wir auf Mißtrauen, daß Deutſchland, nach dem es mächtig geworden, in Zukunft ein unbequemer Nachbar ſein könnte. Nun, meine Herren , es iſt nicht gut, den Teufel an die Wand zu malen, und aus Mißtrauen und Beſorgnis, ſelbſt unbegründeten, können wirkliche Gefahren hervorgehen .

Sie finden noch heute in Belgien franzöſiſche Sympathien, deutſche ſehr wenig ; man hat dort nicht erkannt, daß der belgiſchen Neutralität nur ein Nachbar gefährlich werden kann, und daß ſie nur einen wirkſamen Beſchüßer hat.

In Holland hat man angefangen, die Inundationslinie wieder herzu ſtellen und neu zu befeſtigen . Gegen wen ? Ich weiß es nicht. In Deutſch land, glaube ich, iſt noch kein Menſch auf den Gedanken verfallen, Holland zu annektieren . Es iſt wahr, wir haben dieſe Linien noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts erobert, aber nicht für uns,1 ſondern für Oranien. In einer II

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kleinen , vielgeleſenen Broſchüre, geſchrieben , um die Engländer auf das

Mißliche ihres Milizſyſtems aufmerkſam zu machen, werden die Folgen einer Landung in England geſchildert, nicht aus Frankreich, nicht von -

der gegenüberliegenden Küſte, ſondern aus Deutſchland. In Dänemark glaubt man die Küſtenflotte vermehren und die Landungspunkte auf Seeland befeſtigen zu ſollen, weil man eine deutſche Landung befürchtet. Bald ſollen wir die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen erobern , bald die deutſche Bevöllerung

Öſterreichs zu uns herüberziehen wollen . „Und nun, meine Herren , geſtatten Sie mir, mich in Kürze noch nach unſerem intereſſanteſten Nachbar umzuſehen .

„Frankreich iſt ja in die Notwendigkeit verſeßt worden , ſeine ganze militäriſche Einrichtung umzubilden. Während unſere Heere in Frankreich 1

ſtanden,1 habe wir nahezu die ganze franzöſiſche Armee bei uns gehabt, haben ſie aufgenommen , untergebracht, ernährt , zum Teil bekleidet, und

haben dann dieſe Armee unbeſchädigt beim Frieden an Frankreich heraus gegeben, wo ſie den tüchtigen Kern für alle Neuformationen bildet. Man hat nun in Frankreich alle unſere militäriſchen Einrichtungen getreu kopiert,

natürlich ohne das Original zu nennen , unter franzöſiſchen Namen , als » urſprünglich franzöſiſche Ideen, Kinder der großen Revolution, welche nur die Deutſchen etwas früher adoptiert haben« . Man hat vor allem die

allgemeine Wehrpflicht eingeführt und hat dabei eine zwanzigjährige Vers pflichtung zugrunde gelegt, während wir nur eine zwölfjährige haben ; man hat ferner dem Geſeße rüdwirkende Kraft gegeben , ſo daß viele Franzoſen, welche längſt ihre Jahre abgedient haben, plößlich wieder wehrs pflichtig geworden ſind. Die franzöſiſche Regierung iſt ſchon heute berechtigt, .

für die aktive Armee 1200000, und für die Territorialarmee ebenfalls eine Million Männer zu den Waffen zu berufen ."

Nachdem Moltke die außerordentlichen Anſtrengungen dargelegt, welche Frankreich ſich zur Steigerung ſeiner Kriegsmacht auferlegt , fährt er fort: „ Dies alles, meine Herren , giebt uns ein Bild von der Stimmung in Frankreich. Ich glaube nun zwar , daß die große Mehrheit der Fran 30ſen , welche ohne Zweifel ihr Mißgeſchic mit mehr Beſonnenheit und Würde trägt, als man glauben ſollte, wenn man nur die franzöſiſchen Volks redner hört oder die franzöſiſchen Journale lieſt, daß dieſe Mehrheit wohl durchbrungen iſt von der unbedingten Notwendigkeit, zunächſt den

Frieden zu wahren. Ich ſehe eine Beſtätigung dafür auch in dem Umſtand, daß eben ein einſichtsvoller Militär an der Spiße der franzöſiſchen Regie rung ſteht. Aber, meine Herren, wir haben alle erlebt, wie die franzöſiſchen Parteien, die ihren Ausdruck in Paris finden, Regierung und Volk zu den

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außerordentlichſten Beſchlüffen hinreißen können. Was von jenſeits der Vogeſen zu uns herüberdringt, iſt ein wüſtes Geſchrei nach Rache für die ſelbſt heraufberufene Niederlage. ,, Nun, meine Herren, wir ſind unſerem Nachbar nicht gefolgt auf dem

Wege, die Armee zu vergrößern ; wir glauben mit dem auskommen zu können , was in dieſer Geſetzesvorlage enthalten iſt. Aber, meine Herren, die innere Güte unſerer Armee dürfen wir nicht ſchwächen laſſen, weder durch Abkürzung der Dienſtzeit, noch durch Herabſezung des Präſenz ſtandes ."

Moltke entwickelt darauf an den Erſcheinungen der Geſchichte von

Nordamerika und Frankreich die Nachteile einer Abkürzung der Dienſtzeit. Da die Reichsregierung ſelbſt mittlerweile, um die deutſche Kriegsmacht entſprechend verſtärken zu können , auf die dreijährige Dienſtzeit Verzicht geleiſtet hat, dürfen wir wohl dieſe Beweisführung Moltkes übergehen. Er ſchließt ſeine Rebe: 1

1

Was ſodann den Präſenzſtand anbelangt , meine Herren , ſo möchte ich eindringlich davor warnen , ihn zu einer Budgetfrage zu machen. Ich weiß ja , daß geeyrte Mitglieder des Hauſes glauben , gerade in dieſem

Punkte feſthalten zu müſſen , um das unbeſtreitbare Recht der Steuer bewilligung den Landtagen zu wahren. Aber, meine Herren , erwägen Sie,

ob Sie durch die Handhabung dieſes Rechtes nicht das Recht ſchädigen, welches das Land hat, auf Ihre Mitwirkung zu rechnen in einer Frage, wo es ſich um den Beſtand des Reiches handelt. Mir ſcheint, es iſt doch wünſchenswert, nicht wieder in ein neues Proviſorium einzutreten , ſondern endlich einmal definitiv feſtzuſtellen , was Deutſchland für ein deutſches Heer zu leiſten hat. Wenn Sie ſich überzeugen können , daß wir mit Rückſicht

auf innere und äußere Verhältniſſe nicht weniger als 401 000 Mann im Frieden unterhalten dürfen, und wenn nach reiflicher Erwägung und Prüfung feſtgeſtellt wird, welcher Aufwand dafür nötig iſt, ſo verzichten Sie aller dings darauf , dieſe ſelbe Summe alljährlich zu diskutieren, zu bewilligen oder abzulehnen. Aber, meine Herren , Ihr Bewilligungsrecht iſt dadurch nicht beeinträchtigt, es tritt in volle Geltung bei jeder Mehrforderung und

bei jeder neuen geſeßlichen Regelung dieſes Gegenſtandes. Es muß die normale Ziffer des Friedensſtandes notwendig auf eine lange Reihe von Jahren eine konſtante bleiben . Durch Schwankungen dieſer Ziffer tragen Sie die Unſicherheit hinein in alle die vielen , umfaſſenden Vorbereitungen, welche lange vorher und bis in das letzte Detail feſtgeſtellt ſein müſſen,

wenn Sie mit ruhiger Zuverſicht einem Angriff von außen entgegenſehen wollen. Erwägen Sie , daß jede Verminderung dieſer Ziffer zwölf Jahre Buchner,

Moltke.

20

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lang nachwirkt und daß feiner von uns überſehen kann, ob in zwölf Jahren Krieg oder Frieden ſein wird. Nun, meine Herren, ses kann der Frömmſte nicht im Frieden bleiben, wenn es dem böſen Nachbar nicht gefällt.« „ Aber ich denke , wir werden der Welt zeigen , daß wir eine mächtige Nation geworden und eine friedliebende geblieben ſind, eine Nation, welche den Krieg nicht braucht,1 um Ruhm zu erwerben , und die ihn nicht will, um Eroberungen zu machen. Ich wüßte wirklich nicht, was wir mit einem eroberten Stück von Rußland oder Frankreich machen ſollten. „Ich hoffe, wir werden eine Reihe von Jahren nicht nur Frieden halten , ſondern auch Frieden gebieten ; vielleicht überzeugt ſich dann die Welt, daß ein mächtiges Deutſchland in der Mitte Europas die größte Bürgſchaft iſt für den Frieden von Europa. Aber, meine Herren, um Frieden zu gebieten, müſſen wir zum Kriege gerüſtet ſein, und ich meine, wir ſtehen vor der Entſcheidung, entweder zu 1

1

a ?

Il

ſagen, daß bei den politiſchen Verhältniſſen Europas wir eines ſtarken und kriegsbereiten Heeres nicht bedürfen, oder aber zu bewilligen, was dafür nötig iſt .“ Die Löſung der Frage inachte gewaltige Schwierigkeit. Die verſchie -

denſten Parteien bekämpften die Vorlage , da ſie in derſelben eine über mäßige Kräftigung der Reichsgewalt, eine Benachteiligung des Bewilligungs rechtes des Reichstags erblickten ; man verlangte Verkürzung der Dienſtzeit, jährliche Feſtſtellung des Heeresbeſtandes u. a., worauf die Reichsregierung durchaus nicht eingehen konnte; die Zahl der Gegner, auch aus den Reihen

der Regierungsfreundlichen , war ſo bedeutend , daß eine Annahme ganz undenkbar ſchien. Nach langen und ſchwierigen , ganz Deutſchland aufs tiefſte aufrührenden, lauten und ſtillen Verhandlungen kam eine Verſtändigung zuſtande auf Grund des Vorſchlages der nationalliberalen Partei, als deren Wortführer Bennigſen auftrat; dieſe Verſtändigung ward darin gefunden, daß der geforderte Friedensbeſtand auf ſieben Jahre feſtgeſtellt ward. Bei

der zweiten Leſung des Reichsmilitärgefeßes ergriff Moltke am 14. April 1874 das Wort und ſprach :

Es ſind von verſchiedenen Seiten , und namentlich von dem Herrn Abgeordneten Reichenſperger, zahlreiche Citate aus meinen nicht zahlreichen und jedenfalls nicht langen Neben angeführt worden. Ich erwidere, daß

ich noch heute vollſtändig auf demſelben Standpunkt der Überzeugung ſtehe wie früher, und daß ich auch jetzt ſicher glaube, daß ein ſtarkes Deutſchland in der Mitte Europas die größte Bürgſchaft für den Frieden iſt. Aber, meine Herren, ein ſtarkes Deutſchland! So lange uns aus einem Nachs

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barſtaate täglich in Schrift und Wort mit dem Revanchekriege gedroht wird, dürfen wir nicht vergeſſen , daß nur das Schwert das Schwert in der Scheide hält, und daß unter ſolchen Umſtänden für uns Abrüſtung Krieg iſt, der Krieg, den wir gern vermeiden wollen und der hoffentlich durch die Weisheit der franzöſiſchen Regierung vermieden werden wird. Meine Herren , wenn wir in Deutſchland uns früher und friedlich zu einigen gewußt hätten, ſo wäre der Kampf mit Frankreich wahrſcheinlich überhaupt nicht ausgebrochen . „ Aber, meine Herren , im Jahre 1870 gab es noch kein geeinigtes und ſtarkes Deutſchland im Herzen von Europa, und der Krieg, mit welchem uns Frankreich überraſchte, wurde weſentlich geführt , um das Zuſtande kommen eines ſolchen zu verhindern. „ Wir haben dieſen Krieg nicht hervorgerufen, und wir haben unſere Macht in demſelben nicht gemißbraucht. Von uns hing es ab , drittehalb Millionen in Paris dem unvermeidlichen Hungertode entgegenzutreiben.

Niemand konnte uns hindern , die Einſchließung noch acht oder vierzehn Tage fortzuſeßen, der dortigen Regierung konnten wir jede Forderung ſtellen , ſie mußte jede bewilligen. Wohl zu erwägen blieb aber, daß die Regierung maßloſen Forderungen nachzukommen nicht in der Lage geweſen wäre. Wir

begnügten uns daher , das Land zurückzufordern, welches unſer unruhiger Nachbar Deutſchland in Zeiten ſeiner Schwäche entriſſen hat. Von weiteren Kriegsentſchädigungen möge man uns nicht ſprechen, denn keine Milliarden

können die Wunden heilen, welche ein „ mit leichtem Herzen unternommener« Krieg dem öffentlichen und dem Familienleben geſchlagen hat. „Ja, meine Herren, Deutſchland in ſeinem Zwieſpalt der Vergangenheit

trägt ſelbſt die Schuld , wenn in dem wiedereroberten Lande ein deutſcher Volksſtamm ſich in der langen Zeit von 200 Jahren ſo vollſtändig hat entnationaliſieren können, daß er noch heute, nach der ihm zuteil gewordenen wohlwollenden Behandlung, ſich ſträubt, wieder in Deutſchland auf genommen zu werden . Nun, wir werden unſeren Landsleuten diesſeits der

Vogeſen Zeit geben , ſich während der nächſten 200 Jahre wieder an uns zu gewöhnen. Dem geeinigten und ſtarken Deutſchland aber ziemt es, der Welt zu zeigen , daß wir den feſten Willen und auch die Macht haben, das Reichsland beim Reiche ſtetig zu erhalten .

„ Rings um uns her, meine Herren, haben alle größeren Mächte ihre kriegeriſchen Mittel weſentlich erhöht, wir ſind bei dem einen Prozent der

Bevölkerung einer früheren Zählung ſtehen geblieben . Wir können nicht auf numeriſche Überlegenheit rechnen, wir müſſen unſer Vertrauen ſetzen in die innere Tüchtigkeit unſerer Armee, und dieſe hängt eng zuſammen mit 20*

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der Dienſtbauer jedes einzelnen Mannes. Der franzöſiſche Infanteriſt dient thatſächlich bei der Fahne 3 bis 31/2 Jahre; wir hoffen , bei der

trefflichen Anlage unſerer Leute , bei der ſich mehr und mehr entwidelnden Schulbildung, bei den eingeführten Turnübungen und im Vertrauen auf die raſtloſe Arbeitsthätigkeit unſerer vom Morgen bis zum Abend ange ſtrengten Offiziere und Unteroffiziere in einer kürzeren Friſt eine tüchtige Infanterie erzielen zu können. Wie weit man in dieſer Hinſicht hinab gehen kann, das, meine Herren, iſt eine techniſche, iſt eine rein militäriſche

Frage, und die Militärbehörde glaubt während der lezten Jahre bereits unter das Zuläſſige hinabgegangen zu ſein.

Meine Herren , das Amendement , welches von dem Abgeordneten 1

von Bennigſen vorgelegt iſt, erkennt an , daß die Forderungen , welche die

Militärverwaltung geſtellt hat, in der That gerechtfertigt ſind, es bewilligt ſie aber nur auf eine beſchränkte Zeit. Ich kann mich nur ſchwer davon

überzeugen , daß die vornehmſte Inſtitution des Reiches überhaupt ein Proviſorium ſein darf, ich glaube, daß ſie geſeßlich als Definitivum feſtzuſtellen war. Die Geſeße werden ja nicht für alle Ewigkeit gegeben. Änderten

ſich im Lauf der Jahre die politiſchen Verhältniſſe in der Welt, ſo war es möglich, auch die Ziffer der Präſenzſtärke geſeßlich zu modifizieren unter

Zuſtimmung aller drei Faktoren der Geſeßgebung. Aber daß der Beſtand der Armce abhängig ſein ſoll von dem Bewilligungsrecht nur eines dieſer Faktoren, das wil mir nicht einleuchten. Ich werde nichtsdeſtoweniger für dieſes Amendement ſtimmen, weil ich glaube, daß auch nach ſieben Jahren eine patriotiſche Verſammlung von Vertretern des Reichs dasjenige nicht

wird ablehnen können , was wir heute für notwendig für den Beſtand des Reiches erkennen ,1 und in der Rückſicht, daß vielleicht nur auf dem Boden

des Amendements bei der Abſtimmung eine Majorität ſich ergeben wird, welche der Wichtigkeit des Gegenſtandes, dem Anſehen des Landes nach außen und der Würde dieſes Hauſes entſpricht.“ Aus dem Sommer 1874 verdient der nachfolgende heitere Brief an Bruder Friß mitgeteilt zu werden :

II

„ Ragaz, den 24. Juni 1874. Geſtern bin ich hierher gegangen und habe ſchon heute inein erſtes

Bad nehmen können. Es iſt allerdings ſchöner und angenehmer hier als in Gaſtein. Die Gegend iſt herrlich und ein mächtiges, hohes Hotel iſt an

das alte angebaut, in welchem ich zulegt im Jahre 1865 mit Marie wohnte. Dazu die ſchönſten Gartenanlagen mit ſeltenen Bäumen , blühendem Wein , der die Luft mit Reſedageruch erfült, und einer Unmaſſe von Roſen. Ich

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mußte zweiundſiebzig Stufen hoch ziehen, aber die Ausſicht iſt ſo prachtvoll aus meinen Fenſtern, daß ich mich nicht entſchließen kann, herunter umzu quartieren. Eine prachtvolle Laubwaldlehne umfaßt die ſaubere Ortſchaft

auf der einen, jenſeits des Rheins der ſchroffe, kahle Falknis ſie auf der anderen Seite. Dort darf ich mich freilich nicht betreten laſſen , denn ich laufe Gefahr , als Kriegsgefangener nach Vaduz geführt zu werden. Man

Hat nämlich verſäumt , in Nikolsburg auch mit Liechtenſtein Frieden zu ſchließen, ſo daß völkerrechtlich die Vaduzſche Armee in Deutſchland einfallen kann , da der Kriegszuſtand, wie ich meine, mit dieſem Fürſtentum noch

Heute fortbeſteht. Über dasſelbe hinweg ragen die noch mit Schneeflächen prangenden Höhen der Vorarlberge, diesſeits des hier übrigens ganz unſchönen Rheines tauchen alte Burgruinen, wie Friedenſtein, Werdenberg und Sargans aus den Waldkuppen hervor. Bei legterem noch bewohnten 'alten Schloß zieht ſich eine Ebene zwiſchen Rhein und Wallenſee. Ein vielleicht nur zehn Fuß tiefer Graben oder eine ſehr hohe Flut des großen Stromes

würden ſeine Waſſer in den See leiten. Mit dem Schaffhauſener Fall wäre es dann vorbei, aber wir würden auch bei Röln einen trüben,

ſchmußigen Strom haben , wie hier ber aus dem Schiefergebirge kommende

Rhein ausſieht. Erſt im Bodenſee wäſcht er ſich ab und tritt bei Konſtanz

kryſtallhell grünlich wieder hervor. Glüdlicherweiſe iſt dieſes tauſend Fuß hoch liegende Baffin auch tauſend Fuß tief und kann ſo all den Schlamm aufnehmen und das Gerölle, mit welchem der Strom ſein oberes Thal verwüſtet mündung Luft hier bedeutend

und aus welchem er ſchon ein meilenlanges Delta an der Ein aufgebaut hat. Seine vielen ſtagnierenden Waſſer machen die jedenfalls minder geſund , als ſie in Gaſtein iſt. Es iſt auch teurer hier als dort. Das Bad koſtet zwanzig Silbergroſchen,

aber es iſt auch prächtig , das blaue Waſſer in den Porzellanwannen zu Die Verpflegung iſt ausgeſudit, und man kann von hier mit Leichs tigkeit auf der Eiſenbahn die ſchönſten Ausflüge machen." Wohl bei dieſem Aufenthalt in Ragaz trug ſich die nachfolgende hübſche Geſchichte zu, die Moltkes Neffe Henry erzählt : IIA18 der Feldmarſchall einmal in Ragaz zur Kur war, ging er allein ſehen.

durch den Wald nach dem Dorfe Pfäfers. Es war ſehr heiß geworden, und er verſpürte ſtarken Durſt. Er ging in eine Dorfichenke, um ſich mit

cinem Trunke zu erfriſchen. Der Wirt geſellte ſich zu ihm und ſagte : Wohl Kurgaſt in Ragaz ? « » Ja.«

> Der Moltke ſoll ja da ſein ? « » Ja. «

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» Wie ſchaut er denn aus ?. 11 » Nun, wie ſou er denn ausſehen ? Wie einer von uns beiden. « Auch das Jahr 1875 bringt nur ein bedeutſameres Ereignis. Im September nämlich hatte König Wilhelm zu Mailand eine Zuſammenkunft mit König Viktor Emanuel von Italien , ſeinem Verbündeten von 1866. Auch Moltke war zur Teilnahme an der Feſtfahrt beſchieden. In München beſucht er Profeſſor Lenbach, der drei unvollendete Bildniſſe von ihm ſtehen

hat, in Innsbruck das prachtvolle Grabmal Maximilians I. Im deutſchen Tirol werden die durchfahrenden Preußen mit tiefem Schweigen aufges nommen ; in Südtirol und vollends in Italien war der Empfang durch das Volk um ſo herzlicher. Und nun eine Neihe von Feſten, Beleuchtung des Mailänder Domes , Truppenmuſterung, Hofbal, Oper , glänzende Gaſtereien , ſo daß Moltte ſich durch Fungern und Schlafen wieder herſtellen muß ; er hauſt in demſelben Zimmer, in dem der Konſul Napoleon I. gewohnt, ſchläft in deſſen vergoldetem Bett, das noch mit den franzöſiſchen Adlern verziert iſt. Der König ſendet ihm ſeine überlebensgroße Marmor

büſte; Moltke macht ſeinen Dankbeſuch ; nach längerer und ſehr freundlicher Unterhaltung ſpricht Viktor Emanuel : „ Embrassez -moi!“ und füßt den Deutſchen mit ſeinem langen Schnurrbart auf beide Baden. In jenem Herbſteward Moltke 75 Jahre alt , und es war eine ſinnige Ehrung für den Feldherrn , daß am ſelben Tage zu Berlin das Denkmal des großen preußiſchen Staatsminiſters Freiherrn vom Stein enthüllt ward. Und ſicherlich noch! größere Freude hat ihm das nachfol gende Handſchreiben ſeines allezeit dankbaren Kaiſers und Königs Wilhelm bereitet :

Berlin, den 26. Oktober 1875.

Es iſt ein geſchichtliches Ereignis , daß heute Ihr 76. Geburtstag

Il

mit der Enthüllung eines Denkmals zuſammenfällt, zu deſſen endlicher Vollendung Sie ſo erfolgreich beigetragen haben, ſeitdem Sie an die Spiße des Unternehmens traten . Ihr Name ſowie der des Staatsminiſters vom Stein ſtehen auf immer in der Weltgeſchichte verzeichnet! So wie Sie mir

denkend und ratend in den letten Kriegen zur Seite ſtanden , ſo ſtand der Freiherr vom Stein meinem in Gott ruhenden Könige und Vater zur Seite, als es galt das niedergeworfene Preußen auf neuen , zeitgemäßen Grund feſten wieder aufzurichten. Was Sie beide in Ihren Sphären erreichten, bedarf keiner Worte, die Thaten und Erfolge ſprechen für ſich ſelbſt; und ſo hat es der Vorſehung gefallen, Preußens Könige in entſcheidenden Kriſen ſtets mit Männern zu umgeben, die im Felde wie im inneren Staats leben das Rechte zu finden wußten ! I

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„ So wie heute dem Freiherrn vom Stein öffentlich ein Dankesdenkmal errichtet wird, ſo wünſche ich an dieſem für Sie doppelten Feiertage, Ihnen

meinen erneuerten Dant öffentlich darzubringen , indem ich Ihnen das Großkomturkreuz des Hohenzollernordens mit dem Stern und Schwertern verleihe, welche leşteren beweiſen ſollen, was ich Ihnen auf ſo vielen Schlacht felbern perdanke !

Ihr treuer und dankbar ergebener König

Wilhelm .“

Dazwiſchen ein Brieflein an Adolfs Witwe Auguſte, das Moltkes Einfachheit, Wohlthätigkeit und ernſte Weltbetrachtung gar ſchön zeigt. , Berlin , den 7. Dezember 1875.

„Beifolgend , liebe Auguſte, überſende ich die von den Kindern ge wünſchten zehn Thaler. Stiefel habe ich ſelbſt nur zwei Paar , und alle entbehrlichen Kleidungsſtüde, die wir beſaßen , ſind ſchon hier verſchenkt,

wo ja die Not ſehr viel größer iſt und in weit ſchrecklicherer Geſtalt auftritt als auf dem Lande ; die Anforderungen an die, welche überhaupt geben können, ſind dementſprechend. „ Für meine Gutsangehörigen ſorge ich nach Kräften durch allgemeine, allen zugute kommende Einrichtungen. Kleine Handreichungen an einzelne

laufen zumeiſt Gefahr , an den Unrechten zu kommen und ihnen die von Gott auferlegte Pflicht abzunehmen , durch vermehrte Arbeit und größere

Sparſamkeit für die Jhrigen ſelbſt zu ſorgen. Not und Elend ſind unents behrliche Elemente in der Weltordnung ; was wäre aus der menſchlichen Geſellſchaft geworden , wenn dieſer harte Zwang nicht zum Denken und Handeln triebe ? "

An Schweſter Lene. „ Berlin, 18. Dezember 1875. Gute Lene ! Möchte Deine Geſundheit ſich wieder feſtigen und Du ein ſorgenfreies und zufriedenes Alter erleben. Wenn man ſolche Jahre erreicht, wie nun nachgerade ale wir noch übrig gebliebenen Geſchwiſter, ſo

muß man ſchon manches kleine körperliche Leiden geduldig ertragen , wenn Gott einem nur inneren Frieden ſchenkt. „Wir alle wünſchen Dir und Bröker und allen den Deinigen von

Herzen ein recht fröhliches Feſt. Übermorgen nehmen die Tage ſchon wieder zu, und der Herr ſchenkt uns dann wieder einen Frühling, was ich jedesmal

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als eine beſondere Gnade anſehe. Ich hoffe, daß wir Dich im nächſten Jahre einmal wieder in Creiſau ſehen, wo ich am meiſten des Lebens froh werde. Wenn der Beſiß mir auch nichts einträgt , ſo freue ich mich doch

an dem Wachstum der Bäume , die ich gepflanzt habe , und unter deren Schatten eine jüngere Generation ſich meiner vielleicht erinnern wird, wenn

ich friedlich oben in der Kapelle meine Ruheſtätte gefunden haben werde, was ja nicht mehr lange dauern kann. "

Moltke hatte in den letzten Jahrzehnten ſeines Lebens öfter an Aſthma zu leiden, ſo gedachte er im Frühjahr 1876 einige Wochen in Italien zu:

zubringen und nahm eine Einladung des deutſchen Botſchafters Herrn von Reudell in Rom an, deſſen Frau, eine geborenc von Patow, Moltkes Patenkind war. So finden wir denn den Feldmarſchall Eingang April 1876 mit ſeinem Neffen Henry als Gaſt im Palaſt Cafarelli auf tem Rapitol.

Von hier aus ſchreibt er ſeiner Schweſter Auguſte: „ Rom, den 6. April 1876.

„ Während Henry heute morgen die Kuppel von St. Peter erſteigt, kann ich an ſeiner Statt Dir einiges über unſeren Aufenthalt hier berichten . Es iſt unmöglich, freundlicher und liebenswürdiger aufgenommen zu ſein. Wir bewohnen eine Reihe von Zimmern im Palaſt Cafarelli, ausgeſtattet 1

mit allem , was lurus und Komfort gewährt. Auf dem Schreibtiſch vor mir ſteht Mariens Photographie zwiſchen friſchen Roſen und Azaleen. Links durch die offenen Balkonthüren, in welche die Sonne föſtlich warm hinein ſcheint, blickt man hinab in einen Garten mit Lorbeer, Pinien , Palmen und Blumen, darüber hinaus auf den Palatin mit den rieſigen Trümmern des Auguſtuspalaſtes , ſo groß wie das ganze urſprüngliche Rom. Das hinter erhebt ſich das Albaner Gebirge , welches an ſeinen bewaldeten Ab hängen die Paläſte und Villen von Frascati und Grotta Ferrata trägt.

„ Ter Palaſt Cafarelli liegt bekanntlich auf dem kapitoliniſchen Berge, da , wo früher die Arr oder Citadelle ſtand, deren Erſtürmung einſt das Geſchrei der Gänſe verhinderte. Aus den Fenſtern der nördlichen Front überſieht man das ganze moderne Nom mit allen ſeinen zahlloſen Kirchen und Ruppeln, Paläſten und Türmen bis zum gewaltigen Bau des Vatikans, der Engelsburg und St. Peter. Die ſüdliche Front hingegen beherrſcht das Forum Romanum, das Koloſſeum , die Triumphbögen des Konſtantin und Titus , die Bäder des Nero und Caracalla , die Campagna mit den

meilenweiten Bögen der Waſſerleitungen, kurz, die ganze Vergangenheit der ewigen Stadt. Ihre Zukunft ſcheint ſich jetzt vom Grabe des Apoſtelfürſten

dem quirinaliſchen Palaſt zuzuwenden. Dort lebt in freiwilliger Gefangen

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ſchaft das alternde Papſttum ſein zähes Leben aus , hier entſteht aus dem geeinigten Italien der Herrſcherſitz eines reich begabten Volkes und eine neue Stadt mit geraden Straßen, rieſigen Miniſterialgebäuden und Kaſernen, 1

dieſen modernen Klöſtern mit ſtrenger Ordensregel, Ordenstracht, Cölibat und Gelübde, aber alles nur auf Zeit und ohne Klauſur. Und alle dieſe

Gegenſäße , wie ſie aus der Weltherrſchaft der Imperatoren, der Stand haftigkeit der Märtyrer, dem Sieg und der Verweltlichung der Päpſte und endlich der ſittlichen Idee des Staates hervorgewachſen ſind , umfaßt noch

heute die anderthalbtauſend Jahre alte aurelianiſche Mauer. In anderen Städten hat die Gegenwart die Vergangenheit verwiſcht, hier ſind beide nebeneinander ſtehen geblieben .

„ Wir hoffen , daß Herr von Keudell nächſten Sonntag von Berlin

hierher zurückehrt. Inzwiſchen ſorgt ſeine Frau für alles Nötige und An genehme. Vormittags ſind wir ganz unabhängig und flanieren für uns nach Gefallen und nehmen die intereſſanteſten Punkte in Augenſchein. Nach einem zweiten Frühſtück, welches eigentlich ein Diner iſt, wird in bequemem Wagen eine Ausfahrt in die Campagna gemacht, wobei eine der entfernteren

Kirchen oder Villen in Augenſchein genommen wird. Abenes halb ſieben Uhr wird diniert , dann mit Eifer Patience gelegt, und nach einer Taſſe Chee um zehn Uhr zieht man ſich zurück.

„ Unſere liebenswürdige Wirtin iſt vol Güte und Freundlichkeit gegen uns. Mir geht es beſſer, aber noch nicht gut. Es iſt auch nicht zu erwarten, daß das ſchöne Klima ſo plößlich wirken könnte. Wenn ich mich ganz ruhig verhalte , ſpüre ich nichts. Man muß abwarten , was die Zeit vermag. An dieſelbe.

„ Rom , den 19. April 1876. Es iſt ja, als ob der Winter dieſes Jahr gar nicht enden will. Vorgeſtern hat es in Marſeille und Mailand geſchneit, und auch hier iſt es ſeit mehreren Tagen ziemlich ſchlechtes Wetter. Es iſt nicht über zwölf II

Grad warm, regnet ab und zu, und der Wind wiegt hier auf dem Rapitol

ſelbſt die ſchweren ſchwarzen Cypreſſen hin und her. Ich denke nun Freitag oder ſpäteſtens Sonnabend nach Neapel (Hotel Nobile) abzureiſen, wo es wärmer ſein wird. Heute abend ſollen wir beim Herzog von Altenburg

dinieren, und morgen haben wir zugeſagt, bei einem Feſt der deutſchen Künſtler zu erſcheinen. Dann iſt der Moment , den Aufenthalt hier abzubrechen.

Auch haben wir wirklich die zahlloſen Merkwürdigkeiten von Rom geſehen . „ Mein Befinden kann ich nicht allzuſehr loben. Wenn ich die achtzig

Stufen bis zu unſrer Wohnung hinaufgeſtiegen, bin ich ganz außer Atem.

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Daß das Übel aus dem Magen kommt, iſt mir unzweifelhaft. Bei nüch ternem Zuſtand ſpüre ich nichts davon 1, aber daß ich es noch ganz los werde, bezweifle ich ſehr. Gegen Ende Mai wird es doch wohl auch bei uns milder werden, und es wird doch hübſch ſein, die Baumblüte in Creiſau

zu erleben, für Henry und mich ein zweites Frühjahr. „ Wir wollen dann don Verwandten verſammeln , wer nur kommen

will, es iſt ja Raum für alle, beſonders Erneſtine mit den Kindern, denen es ſo gut bekommt.

„ Bulwers » Last days of Pompeii« wird mich ſehr intereſſieren, wenn wir jetzt bald die neuen Ausgrabungen an Ort und Stelle geſehen

haben werden und den Übelthäter Veſuv. Das große Muſeum , die Mutter Erde, hat in ihrem Schoß eine ganze Stadt, wie ſie vor achtzehn Jahr hunderten mitten aus dem regen Leben an einem Tage lebendig begraben wurde, ſorglich aufbewahrt. Die Vergangenheit iſt hier in flagranti er tappt und wieder ans Licht gezogen. Da ſcheint die liebe Sonne ſchön und warm in die Fenſter, das 1

II

friſchefte Grün bedeckt in weiter Ausſicht die Campagna, aus der die Trümmer einer vergangenen Welt hervorſtarren, die hohen Bogen der endloſen Aqua dukte, die zahlloſen Grabmonumente, die dem Mittelalter als Raſtelle dienten, und in die jeßt das kleinliche Leben der Gegenwart ſich ſeine Stätten hinein: geniſtet hat, kleine Hütten , die wie Schwalbenneſter an den gewaltigen Trümmern kleben . Unter unſerm Balkon blüht ein ganzer Wald von

Azaleen, um den Springbrunnen „die Myrthe ſtill und hoch der Lorbeer ſteht“ ; auch eine Palme 1, von Friedrich Wilhelm IV. gepflanzt, ſchwenkt ihre Zweige etwas verdrießlich im Winde, und die weiße und gelbe Roſe bedeckt alles, was ſie erklettert hat, mit Tauſenden von Blüten. Es treibt einen ins Freie, und ich ſchließe mit herzlichem Gruß. Helmut.“

Gleichzeitig, am 20. April 1876, ſchreibt er an Bruder Ludwig: „Je näher an Rom, je mehr ſchwindet der Nimbus der römiſchen Kirche, aber ſie hat für ſich die Frauen in allen katholiſchen , zuweilen ſelbſt in pro teſtantiſchen Ländern , das Gemüt, die Phantaſie und die Beſchränktheit; das ſind mächtige Faktoren ; keine äußere Gewalt vermag das Papſttum zu zerſtören, es hat ſchon ärgere Kriſen überdauert." Neapel, den 2. Mai 1876.

„ Liebe Guſte. Ich will verſuchen, ob ich mit einer dieſer abſcheulichen Stahlfedern Dir vor unſerer auf morgen feſtgeſeßten Abreiſe noch ein paar

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Worte ſchreiben kann. Henry iſt nach dem Kloſter S. Martino hinauf geklettert, was ich mir wegen meiner Engbrüſtigkeit verſagen muß. Am behaglichſten für· mich ſind die Fahrten zu Dampfſchiff auf dem ſchönen Golf geweſen . Nach Capri war leicht bewegte See, ſo daß mehrere Damen dem Neptun ihr Opfer brachten und unter der ſenkrecht abfallenden Fels küſte das tiefblaue Meer eine ſchneeweiße Brandung emporwarf . Das Schiff legte bei und eine Anzahl ganz kleiner Nachen ſchaukelte um uns

her, um uns in die Azurgrotte zu bringen . Mir ſchien das ganz unmöglich, denn man ſah deutlich , daß jede größere Woge bis an den oberſten Rand

des nur etwa drei bis dier Fuß über ruhig Waſſer hohen Einganges reichte. Der Verſuch war jedoch zu machen . Man legte ſich flach auf dem Boden der Nußſchale nieder, und die darauf geübten Führer paßten genau den 1

Moment zwiſchen einer aus der Höhle zurückfließenden und einer von außen ab. »Coraggio per voi, e Maccaroni per noi ! « heranſtürmenden Woge .

riefen ſie, und wups waren wir unter der niedrigen Wölbung fort, jedoch nicht, ohne daß mein Hut ſich in chapeau claque verwandelte. „Der ſo ſehr enge Eingang bringt wenig Licht in die hohe, geräumige Halle, welche wohl hundert Schritt tief iſt. Die Beleuchtung der Fels

wölbung iſt ein Refler der Sonnenſtrahlen aus der kryſtallklaren blauen Meeresflut und von zauberhaftem Effekt. Aber man konnte ſich des An blids doch nicht recht mit Ruhe erfreuen in dem Gedanken, daß man doch auch wieder heraus ſollte. Die Wellen ſchäumten , den ganzen Eingang ausfüllend, beſtändig herein , und es iſt vorgefommen , daß Reiſende hier zwei Tage auf ruhige See haben warten müſſen. Bei der Gewandtheit der Bootsleute, den rechten Augenblick abzupaſſen, befanden wir uns denn auch

bald wieder draußen und konnten das Waſſer von den Kleidern ſchütteln. Die wenigſten von den Paſſagieren hatten den Verſuch gemacht. Es iſt für mich ſehr unbequem , wenn ich nach der ſchönen Prome nade der Villa Reale am Meeresufer herabgeſtiegen bin , einhundertund ſechzig Stufen bis zu meiner Wohnung erklettern zu müſſen. Aber dafür iſt dann auch der Blic herunter ganz wundervoll. Jedes Fenſter hat ſeinen Marmorbalkon. Zur Linken droht auf der Höhe das Kaſtell S. Elmo mit ſeinen ſtarren Mauern und Zinnen ; gerade vor uns haben wir den Veſuv, der ſich hodh über die zahlloſen, flachen Dächer und Kuppeln der Stadt erhebt, aber nur eine weiße Dampfwolke, ſonſt nichts Außergewöhn liches zum Beſten giebt , und rechts ſchweift das Auge über den Golf bis Caſtellamare und Sorrent, wo man troß der Entfernung von drei Meilen bei klarer Luft die einzelnen Häuſer unterſcheidet.

„ Der Veſuv derhält ſich ſo paſjid, als ob er nie ganze Städte und

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Länderſtreden verwüſtet hätte ; wir haben ihn deshalb auch keines Beſuchs gewürdigt, ſondern nur von unten ſeinen ſchwarzen Afcenfegel von allen Seiten angeſehen . ,,Das Schönſte iſt für mich der Weg , welcher von Caſtellamare an hohen Felsabhängen nach dem zauberhaften Sorrent hinführt ; tiefe Schluchten, welche ſenkrecht in den weißen Tuff eingeſchnitten ſind, werden auf hohen Viadukten überſchritten, tief unten das blaue Meer, umſäumt von den Silberſtreifen der Brandung, welche gegen die wunderbarſten Felsblöde ans ſchäumt. Die Berge ſind bis hoch hinauf mit Olivenbäumen bewachſen , aus denen Klöſter und Villen hervorleuchten , während die Wohnungen an

der Straße unter Orangenbäumen begraben liegen , die , in voller Blüte ſtehend, noch eine unglaubliche Menge ihrer goldenen Früchte tragen. Uus ihrem Schatten tritt man plößlich auf den Perron eines der vielen guten

Gaſthöfe heraus und hat einen über hundert Fuß hohen, ſenkrechten Abſturz zum leuchtenden Meere vor ſich , zu dem man dann auf unterirdiſchen Gängen gelangt. „Ich denke, auf der Rücreiſe werden wir jedenfalls Luzern berühren und daſelbſt ein paar Tage ausruhen .

Dort möchten wir poste restante Nachrichten von Euch erwarten, hoffentlich nur gute. Berichte uns auch über das Wetter und die Vege

tation. Es wäre ſchade, die Baumblüte in Creiſau zu verſäumen , ſie tritt dort auch noch acht Tage ſpäter auf als in Berlin. , Henry iſt von ſeiner heißen Promenade zurück, wir haben unſer Diner um drei Uhr beſtellt und wollen dann durch die Pauſilippogrotte nach

Pozzuoli und längs der prachtvollen Mergellina zurüdfahren. Helmut.“

Im übrigen waren Moltkes Atembeſchwerden durch die italieniſche Reiſe nicht gehoben, wie aus dem nachfolgenden Briefe an Schweſter Auguſte erhellt: ,,Luzern, den 13. Mai 1876.

- Was mein Befinden betrifft, ſo iſt es ſoweit ganz gut, nur auf

II

mein aſthmatiſches übel hat die Reiſe gar keinen Einfluß gehabt. Bei leerem Magen ſpüre ich nichts. Nachdem ich gefrühſtüdt oder gegeſſen, ge nügt zuweilen die Bewegung im Zimmer, um eine Art rheumatiſchen Schmerz erſt im Gaumen und Zunge , dann in der Vorderſeite der Bruſt und im 1

linken Arm hervorzubringen . Muß ich dann ſtark gehen oder Treppen ſteigen , ſo komme ich völlig außer Atem, der ſich aber nach einer Minute wieder einſtellt,1 wenn ich ſtilſtehe. Gieb dies Rätſel Dr. F. zu raten auf.“

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Zahlreich ſind die Ehrenerweiſungen, die nach dem großen Kriege un

ſerem Moltke zuteil wurden , die Ehrenbürgerbriefe u. a. Auch die Ehre des Denkmals iſt ihm mehrfach beſchieden geweſen , ſogar bei ſeinen Leb zeiten, was ſonſt kaum zu geſchehen pflegt. Die Stadt Parchim ergriff alg 1

bald nach dem franzöſiſchen Kriege den Gedanken mit Lebhaftigkeit und

Thatkraft. Durch Beiträge der Bürger aus Mecklenburg und dem geſamten Deutſchland waren die erforderlichen Mittel raſch geſammelt. Die Her

ſtellung des Kunſtwerkes ward dem Bildhauer Brünnow in Berlin, einem

geborenen Mecklenburger, übertragen ; dasſelbe ſteht ſeit dem 2. Oktober 1876, ſchön umrahmt von Raſenflächen und grünenden Bäumen, auf dem Moltkeplaße zu Parchim . Auf einem Unterbau von drei Stufen aus

duntlem mecklenburgiſchem Granit ruhen zwei granitne Würfel, und auf dieſen ſteht die Statue don nahezu brei Meter Höhe, ſo daß die Geſamt höhe des Denkmals, von der Erde gemeſſen, an 6 Meter beträgt. Der Feld marſchall im Waffenrock mit weitem , wallendem Mantel ſteht in ruhig ſinnender Haltung, das ernſte Geſicht mit der hohen Denkerſtirn etwas vorgebeugt, als entwerfe er einen ſeiner großartigen Pläne, durch welche er das Geſchick ganzer Feldzüge in wenigen Stunden zu entſcheiden verſtand. Der linke

Fuß iſt leicht vorgeſeßt, die rechte Hand hält ein Fernglas. An der Vorder ſeite des Denkmals iſt die Inſchrift: ,,Graf Helmut Moltfe", umgeben von

einem aus Lorbeer- und Eichenzweigen gemundenen Kranz. Die Nüdſeite zeigt das Wappen des Feldmarſchals, darunter das eiſerne Kreuz mit den Jahreszahlen 1864, 1866, 1870, umrahmt von Adlern und Standarten,

darunter der Sinnſpruch, den Moltke ſich für ſein neues gräfliches Wappen ſelbſt wählte: „ Erſt wägen, dann wagen. “ Dhne die Uniform könnte man auch die Statue für die eines Gelehrten, der ſoeben über die tiefſten wiſſen ſchaftlichen Fragen nachſinnt, halten. Das Standbild iſt aus dem Erz eroberter franzöſiſcher Geſchüße gegoſſen. 1881 wurde auch in Köln ein Moltke-Standbild, ein treffliches Werk des Bildhauers Schaper, enthüllt. Moltke war zur Enthüllung des Parchimer Denkmales geladen, mußte aber ablehnen , wie aus ſeinem Schreiben an Schweſter Lene erhelt: ,, Berlin, den 18. Septemder 1876. „ Liebe Lene ! Onkel Ludwig und die vier Rieſen *) gehen am 2. k. Mts. nach Parchim zur Enthüllungsfeier meines Monuments . Ludwig wird eine Rede zu halten haben und die vier Rieſen, denk ich, wird man an den vier Eden des Poſtaments aufſtellen. Ich werde an dieſem Tage So nannte der Feldmarſchall mit Vorliebe die Söhne feines Bruders Adolf.

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zur Enthüllungsfeier eines Kriegerdenkmals in Straßburg ſein, welcher bei zuwohnen der Kaiſer zugeſagt hat. Dann. hoffe ich nach Creiſau zurücks zugehen und den Oktober dort zu bleiben. Gott behüte Dich."

An Bruder Ludwig aber ſchreibt er alsbald darnach, am 7. Oktober 1876, don Creiſau: „ Es ſcheint wirklich ein gelungenes Feſt gerveſen zu fein, aber es war mir doch angenehm, dasſelbe aus ſicherem Hinterhalt in Creiſau anſehen zu können. Denn wie mancher, der unter dem grünen

Raſen Frankreichs ſchlummert, hat mehr gethan als mir Lebenden ; und auch unter dieſen, wie ungerecht iſt die öffentliche Meinung. Ich nenne nur Manteuffel, der bei den größten und erfolgreichſten Leiſtungen einer der uns populärſten Männer in Deutſchland iſt.“ Im weiteren Verlaufe des Briefes ſpricht Moltke ſeine Freude aus

über Creiſau, über ſein fertiges Ananashaus ; die Pflanzen ſind angekauft; nadh drei Jahren werden meine Nachfolger die Früchte genießen. „Es iſt ein Vergnügen , das Naturleben zu belauſchen in der Stille der Verabs ſinkenden Dunkelheit und in dieſer Wald- und Bergumgebung .“ Freilich

hat er auch viel Ürgernis mit dem ungebärdigen Peileflüßchen, dem ,, kleinen ſchleſiſchen Nil " , der bisweilen ſehr zur Unzeit bei der Heuernte austritt und alles Heu wegſchmemmt, zu anderer Zeit die mit Mühe gepflegte Forellen zucht in die Weite führt.

Und ganz in die ländlichen Freuden und Arbeiten von Creiſau führt uns der folgende Brief an Bruder Ludwig :

Creiſau, den 27. Oktober 1876. ,,Schade, daß Du nicht am 24. zur Jagd hier warſt. Es war ein

fonniger, ſchöner Tag und die Ausſicht von den verſchiedenen Standpunkten prachtvoll. Erlegt aber wurden nur 50 Haſen und ein Reh. Dagegen hatte Mamſell ein entzückendes Diner hergeſtellt, von deſſen Menu ich, um Dir einen Schmerz zu erſparen, nichts erwähne, als Modturtle, Straßburger Gänſeleber, Glanzkarpfen und ein Reh , welches ich 8 Tage vorher auf einundſechzig Schritt in voller Flucht ſelbſt geſchoſſen . Ich glaube, das arme Tier muß prädeſtiniert geweſen ſein. Wenn Du nächſtes Jahr herkommſt, findeſt Du das Glashaus vollendet und vierhundert Pflanzen bereits Früchte tragend. Auch werden zwei Fontänen vor der Veranda und den Ulmen plätſchern. Das Waſſer iſt in den Küchengarten und in beide Treibhäuſer geleitet, ſo daß es nicht mehr nötig iſt, jede Gießkanne von der Peile heraufzuſchleppen . Im Garten am Berghäuschen , wohin Tante Auguſte demnächſt überſiedeln will, haben wir eine Baumſchule von mehr als 5000 kleinen Eichen angelegt. Auch

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wird noch dieſen Herbſt ein Weg durch die Obſtplantagen und durch den Tangen Buſch geführt werden, ſo daß wir Dreiviertel Meilen durch Park anlagen fahren können. Die mehr als einhundert prachtvollen Eichen in legterem Buſch werden dann erſt ſichtbar werden .

„Uuf dem Kapellenberg werden in drei Jahren ſämtliche Birken, das Unkraut des Waldes, ausgerodet ſein. So giebt es denn hier viel Arbeit

zu beaufſichtigen, die Zimmer ſind gut und behaglich erwärmt, und heute, nach ein paar Nebeltagen, iſt wieder ſchöner Sonnenſchein. Ich kann mich daher noch nicht zur Rückreiſe nach Berlin entſchließen und denke, der Reichs tag kann mich vorerſt entbehren.

Am 26. kam die Regimentsmuſik aus Schweidnit , ihr folgte die Schule unter Rommando des Lehrers, und dann marſchierte die Schweſter mit ihrer Truppe auf. Alle wurden auf den großen Flur hinaufgenommen, Mamſell hatte ganze Berge von Butterbrot und zwei Tonnen Bier heran geſchafft, ſo daß alle bis auf die Säuglinge herab geſättigt und vergnügt ſchieden .“

Im Frühling 1877 hatte Moltke wieder einmal in einer Militärfrage ein durchſchlagendes Wort zu ſprechen. Der Krieg zwiſchen Rußland und der Türkei war ausgebrochen, und jeder Denkende legte ſich wohl die bange

Frage vor, ob der Krieg auf ſeinen Herd beſchränkt bleiben oder zu einem Weltkrieg anwachſen werde. Es handelte ſich um die Frage, ob die Zahl der Hauptleute iin deutſchen Heere erhöht werden ſolle, und wie gewöhnlich

wurden die dadurch erwachſenden Mehrkoſten dagegen geltend gemacht. Moltke ſprach am 24. April 1877 für die Bewilligung. Er wies darauf

hin, daß Frankreich iin Frieden ein Heer von 487000 Mann beſitze, Deutſchland bei einer um mehrere Millionen größeren Bevölkerung nur wenig über 400 000 Mann unterhalte ; die regelmäßigen Ausgaben Frant

reichs für ſein Heer, ganz abgeſehen von bedeutenden Nachforderungen und ungeheuern außerordentlichen Aufwendungen, betrügen 150 Millionen mehr, als diejenigen von Deutſchland. Ob eine Nation, ſelbſt eine ſo reiche wie die franzöſiſche,1 eine ſolche Laſt für alle Zukunft auf ſich nehmen wolle, oder ob es nur geſchehe für einen beſtimmt vorgeſehenen Zweck und bis zu einem vielleicht nicht zu fern geſteckten Ziel, das möge dahin geſtellt bleiben. Dann fährt er fort :

Meine Herren, ich teile die Hoffnung und den Wunſch des Herrn Redners nach dauerndem Frieden, aber die Zuverſicht teile ich nicht. Glüd lich die Zeiten, wo die Staaten nicht mehr in der Lage ſein werden, den größten Teil aller ihrer Einnahmen zu verwenden bloß auf die Sicherheit ihrer Exiſtenz, wo die Regierungen nicht nur , ſondern auch die Völker und die

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Parteien ſich überzeugt haben werden , daß ſelbſt ein glücklicher Feldzug mehr koſtet, als er einbringt, denn materielle Güter mit Menſchenleben zu erkaufen, kann fein Gewinn ſein.

Aber meine Herren, was dieſem Fortſchritt der ganzen Menſchheit entgegenſteht, das iſt das gegenſeitige Mißtrauen, und in dieſem Mißtrauen liegt eine ſtete und große Gefahr.

„Ich meine, die Stärke Deutſchlands beſteht weſentlich in der Homo genität ſeiner Bewohner. Wir haben ja auch an unſeren Grenzen Reichss angehörige, die nicht deutſcher Nationalität ſind. Das iſt ein geſchichtliches

Ergebnis von hundertjährigen Kämpfen, von Feldzügen und Friedensſchlüſſen, Siegen und Niederlagen. Denn die Grenzen eines großen Staates laſſen ſich nicht nach wiſſenſchaftlichen Grundſätzen konſtruieren . „ Nun, meine Herren, dieſe nichtdeutſchen Reichsangehörigen haben ja neben den deutſchen mit gleicher Treue und gleicher Tapferkeit gekämpft; aber daß nicht alle ihre Intereſſen mit den unſrigen zuſammenfallen, davon haben wir ja in dieſem Hauſe mehr hören müſſen , als uns irgend lieb ſein kann . Wie ſollten wir nun ſo thöricht ſein, durch Gebietserweiterungen uns zu ſchwächen, anſtatt uns zu ſtärken ! 1

„ Ich meine , die Friedenstendenz von Deutſchland liegt ſo auf offener Hand, iſt ſo in der Notwendigkeit begründet , daß nachgerade die ganze

Welt davon überzeugt ſein müßte. Nichtsdeſtoweniger aber, meine Herren, können wir nicht verkennen , daß namentlich bei unſeren weſtlichen Nach barn ein ſtarkes Mißtrauen gegen uns vorwaltet. Wenn Sie die fran zöſiſchen Blätter leſen, ſelbſt die tonangebenden, ſo finden Sie doch darin , gelinde ausgeſprochen , eine große Abneigung gegen uns. Ich will nicht von Hohn, Spott und Geringſchäßung ſprechen , die ſich darin kundgeben , denn dafür giebt es keinen vernünftigen Grund, das iſt auch nur angeblich. „ Was aber die franzöſiſche Preſſe nicht ausſpricht, und was die Wahrs heit iſt, das iſt die Beſorgnis, daß, nachdem Frankreich ſo oft und wieders holt über das ſchwache Deutſchland hergefallen iſt, nunmehr das ſtarke Deutſchland auch einmal ohne Grund und Anlaß über Frankreich hers fallen werde .

, Daraus, meine Herren, erklären ſich viele Thatſachen, daraus erklärt

ſich die Rieſenarbeit, die Frankreich ausgeführt hat , indem es in einer kurzen Reihe von Jahren mit großer Sachkenntnis und ſeltener Energie feine Armeeorganiſation durchgeführt hat; Saraus erklärt ſich, daß ſeit dem

legten Friedensſchluß und bis auf heute ein unverhältnismäßig großer Teil der franzöſiſchen Armee in Paris und von dort bis unmittelbar an unſere Grenze ſteht, namentlich Ravallerie und Artillerie in cinem für alle Even

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tualitäten möglichſt vorbereiteten Stande, ein Verhältnis, was nach meiner Auffaſſung früher oder ſpäter notwendig einmal eine Ausgleichsmaßregel von unſerer Seite herbeiführen muß. IlEs iſt dann doch auch ein beachtenswerter Umſtand, daß in Frank reich, wo die Parteien , die ſich ja in jedem Lande finden, doch wohl noch ſchroffer einander gegenüberſtehen , als bei uns, daß , ſage ich, alle dieſe Parteien vollkommen einig ſind in einem Punkte, einig barin, alles zu be willigen, was für die Armee gefordert wird, während wir hier mühſan um kleine Etatspoſitionen ringen. Meine Herren , in Frankreich iſt die Armee der Liebling der Nation, ihr Stolz und ihre Hoffnung, man hat in 1

Frankreich der Armee ihre Niederlagen längſt verziehen ; ich will nicht ſagen, daß man bei uns die Siege der Armee vergeſſen hat, aber wenn man von ihr doch bei der nächſten Veranlaſſung dieſelbe Leiſtung noch einmal fordern wird, ſo ſollte man nicht zu färglich ſein in Bewilligung derjenigen Mittel, die ihr nötig ſind, um ſich fortzuentwickeln. Es ſcheint, daß unſere Nachbarn bei einem fünftigen Kriege den

Erfolg in den Maſſen ſehen , in einer überwältigenden Zahl, und das iſt gewiß ein Moment, welches ſchwer ins Gewicht fält. Wir verlaſſen uns mehr auf eine ſorgfältige Ausbildung unſerer Truppen und auf ihre innere Tüchtigkeit. Die Franzoſen ſind uns ganz entſchieden darin überlegen, daß ſie für alle ihre zahlreichen Formationen für den Krieg bereits im Frieden die Cadres beſigen. Es wird Ihnen nun hier eine Maßregel vorgeſchlagen, die freilich nur in geringem Grade den Mangel bei uns beſſern ſoll. Man hat uns ja geſagt, daß durch die Schaffung von den dreizehnten Haupt leuten die Zahl der Offiziere überhaupt gar nicht vermehrt wird. Das iſt

vollkommen richtig ; allein, meine Herren, es bringt eine Anzahl Offiziere früher in diejenige Stellung, welche ſie im Krieg ausfüllen ſollen. Es iſt doch ganz natürlich, daß jemand, der plößlich unter den allerſchwierigſten Verhältniſſen, vielleicht herausgeriſſen aus einem ganz anderen Lebensberuf, an die Spiße einer Truppe geſtellt wird, daß der im erſten Augenblick mit

einiger Befangenheit auftritt, und das, meine Herren, verbreitet ſich unaus bleiblich von oben durch alle Heihen nach unten. Unſicherheit im Befehlen

erzeugt Unzuverläſſigkeit im Gehorchen. Es wird nun durch die dreizehnten Hauptleute möglich ſein, ältere Offi 3

II

ziere früher in Stellung zu bringen, wo es notwendig iſt, daß der Betreffende ſich

in dieſelbe vorher einleben kann. Meine Herren, Sie brauchen wirklich nicht zu beſorgen, daß die dreizehntenHauptleute ſpazieren gehen, es giebt vollauf zu thun. „ Ich meine, daß namentlich diejenigen Herren, welche an den Kom miſſionsberatungen teilgenommen haben, ſich überzeugt haben werden , daß .

Buchner, Moltke.

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wir in der That eine ſparſame Militärverwaltung haben, die wirklich nur fordert, was dringend wünſchenswert iſt.“ Frühling 1877 beſuchte Kaiſer Wilhelm zum erſtenmal das neu eroberte Reichsland Elſaß-Lothringen, in ſeinem Gefolge auch Moltte. Dieſer ſchreibt darüber ſeinem Neffen Henry : „ Straßburg, den 2. Mai 1877.

Der Empfang des Kaiſers hat alle Erwartungen übertroffen. Die Stadt war feſtlich geſchmüđt mit Flaggen, Fahnen und Laubwerk, die

Straßen dicht gedrängt von Menſchen , die den Kaiſer mit jubelndem Zuruf empfingen. Nur wenige Häuſer gab es ., aus denen die Frondeurs durch geſchloſſene Jalouſien dem Feſtzug zuſchauten. Vor allem erfreulich war es heute, die Landbevölkerung zu ſehen, die Bauern, wohl zweihundert zu Pferde in Nationaltracht, die Weiber auf Leiterwagen , mit Laub geſchmückt, die

viele Meilen weit hergekommen waren. Bei allen Forts ſtanden ſie Kopf an Ropf. Die jungen Leute, welche gedient hatten, trugen alle mit Stolz

die Militärmůže. Sämtliche Schulen paradierten, auch die geiſtlichen, mit Lehrern und Geiſtlichen an der Spiße. Täglich beſuche ich den Münſter. Geſtern führte Biſchof Räß mit wohl fünfzig Geiſtlichen den Kaiſer umher,

und heute abend waren die architektoniſchen Linien des Rieſengebäudes durch zahlloſe Lampen, dann das Ganze durch bengaliſche Flammen erleuchtet. Ganz liebenswürdig benimmt ſich das Publikum . Nirgends Geſchrei oder Roheit in der dichtgedrängten Menge. Fügſam und gutmütig, ein wahrer Kontraſt mit den Berlinern .“ Das Unglüdsjahr 1878 wird eröffnet durch eine Reichstagsrede Moltkes vom 11. März über die Verwendung der Erſparniſſe an den von Frant reich für die deutſchen Beſaßungstruppen gezahlten Verpflegungsgeldern.

Die Frage hat heutzutage keine Bedeutung mehr, und ſo mögen wir Moltkes Rede übergehen. Daran aber ſchloſſen ſich alsbald gewaltig ſchwere und traurige Ereigniſſe. Am 11. Mai machte ein verkommener Klempnergeſelle

Namens Hödel einen glücklicherweiſe mißlungenen Mordanſchlag auf das verehrte Haupt Raiſer Wilhelms, des gütigſten Fürſten , und ſo enthüllte

ſich der Abgrund , den die vergiftenden Lehren der Sozialdemokratie mitten in der Geſellſchaft der Gegenwart geriſſeu hatten. Sofort ward dem ver ſammelten Reichstag ein Geſeßentwurf vorgelegt, der ſich gegen die Aus . ſchreitungen der Sozialdemokratie richtete. In der Neichstagsſigung vom 24. Mai 1878 ergriff Moltke das Wort folgendermaßen :

„ Ich wünſche aufrichtig, daß die geehrten Mitglieder, die geſtern und heute die Regierungsvorlage bekämpft haben , nicht allzubald in die Lage

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geraten mögen , eben dieſes Geſet oder ein ähnliches, vielleicht ausgeſtattet mit noch größeren Beſchränkungen , ſelbſt von der Regierung zu verlangen. Es mag ja fein, daß die Vorlage an manchen Punkten einer Verbeſſerung

bedarf, daß manche Paragraphen geändert werden müſſen ; aber die Über zeugung ſcheint mir doch allgemein Pla gegriffen zu haben, daß wir eines beſſeren Schußes bedürfen gegen die Gefahren, welche dem Staat in ſeinem Innern drohen durch die fortſchreitende Organiſation der Sozialdemokratie. Joh fürchte, daß die Leiter dieſer Organiſation ſchon heute bedenklich nahe an die Grenze gedrängt ſind, wo man von ihnen die Erfüllung ihrer Zu ſagen und Verheißungen fordert. ,,Dieſe Herren werden am beſten wiſſen, daß das ſeine Schwierigkeit

haben wird. Sie können ſich nicht dagegen verſchließen , daß die erſte Güterteilung die hundertſte involviert; daß in dem Augenblick, wo wir alle gleich reich, wir alle gleich arm geworden ſind; daß Not, Elend und Ent behrungen untrennbare Bedingungen des menſchlichen Daſeins ſind; daß keine Form der Regierung, keine Geſeßgebung und überhaupt keine menſch liche Einrichtung Elend und Not jemals aus der Welt ſchaffen werden .

Wohin wäre es auch mit der Entwicklung des Menſchengeſchlechts gekommen , wenn dieſe zwingenden Elemente nicht in Gottes Weltordnung enthalten wären ! Nein, ohne Sorge und Arbeit wird auch die Zukunft nicht ſein ; aber ein Menſch, der hungert und friert, fragt nicht viel nach den Ronſe quenzen der Zukunft; er greift nach den Mitteln , welche die Gegenwart

ihm bieten kann. Lange zurüđgedrängte Leidenſchaften , enttäuſchte Hoff nungen werden zu gewaltſamen Ausbrüchen drängen , welche die Leiter am allerwenigſten verhindern können; denn die Revolution hat bisher noch immer ihre Führer zuerſt verſchlungen . II „Wie ſteht nun die Regierung dem gegenüber ? Meine Herren , man follte doch aufhören, die Regierung immer gewiſſermaßen als eine feindliche Potenz zu betrachten , die nur möglichſt zu beſchränken und einzuengen iſt. Gewähren wir doch der Regierung die Machtfülle, welche ſie braucht, um alle Intereſſen zu ſchüßen ! Was das auf ſich hat, wenn die Regierung die Zügel der Herrſchaft aus ihren Händen entſchlüpfen läßt, wenn die Gewalt an die Maſſen übergeht, meine Herren , darüber belehrt uns die -

Geſchichte der Kommune in Paris. Da war die Gelegenheit geboten , wo die Demokratie ihre Ideen in die Wirklichkeit überführen konnte , wo ſie,

wenigſtens eine Zeit lang, eine Regierung nach ihren Idealen einrichten konnte. Aber geſchaffen, meine Herren , iſt doch nichts , wohl aber vieles zerſtört. Die aktenmäßigen Berichte aus franzöſiſcher Feder über dieſe traurige Epiſode der franzöſiſchen Geſchichte laſſen uns in einen Abgrund 21 *

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der Verworfenheit blicken ; ſie ſchildern uns Zuſtände und Begebenheiten im 19. Jahrhundert , welche man für geradezu unmöglich halten ſollte,1 wenn

ſie nicht unter unſeren Augen verlaufen wären , vor dem ſtaunenden Blick unſerer Occupationsarmeen, welche den Dingen bald ein Ende gemacht hätten, wenn ſie nicht genötigt geweſen wären , mit » Gewehr bei Fuß « dem Ver lauf zuzuſchauen. Meine Herren, ſolche Dinge beabſichtigen ganz gewiß unſere arbeitenden Klaſſen nicht, auch nicht der irregeleitete Teil derſelben ; aber auf dem Wege des Umſturzes werden die beſſeren Elemente ſehr bald überholt durch die ſchlechteren. Hinter dem gemäßigt liberalen ſteht gleich jemand,1 der viel weiter gehen will wie er. Das iſt überhaupt der Irrtum ſo vieler geweſen, daß ſie glauben , ungefährdet nivellieren zu können bis auf ihr Niveau, dann ſolle die Bewegung ſtilftehen ; als ob ein in voller Fahrt herans brauſender Eiſenbahnzug plößlich Halt machen könnte, - wobei ja auch die den Hals brechen würden , welche darin ſind. Meine Herren , hinter dem ehrlichen Revolutionär tauchen dann jene dunklen Friſtenzen auf, die

ſogenannten Baſſermannſchen Geſtalten vom Jahre 1848 , die professeurs des barricades und die Petroleuſen der Kommune vom Jahre 1871. Meine Herren , Sie können ja heute das Geſetz ablehnen in der

begründeten Erwartung, daß die Regierung ſtark genug ſein wird, um ge waltſamen Ausſchreitungen entgegenzutreten , ſie nötigenfalls mit gewaffneter Hand niederzuwerfen ; aber, meine Herren, das iſt ein trauriges Mittel, es beſeitigt die Gefahr des Augenblids , aber es heilt nicht den Schaden , aus welchem die Gefahr hervorgeht. Wenn uns hier ein Weg angedeutet wird,

auf dem es vielleicht möglich ſein wird 1, die Anwendung ſolcher beklagens : werten Mittel zu vermeiden durch vorbeugende Maßregeln, durch eine dere ſtändige, vorübergehende Beſchränkung der gemißbrauchten Freiheit, ſo meine ich, daß wir dazu die Hand bieten ſollten im Intereſſe aller ſtaatlichen und

geſellſchaftlichen Ordnung, im Intereſſe beſonders der leidenden Klaſſen unſerer Mitbürger , denen niemals geholfen werden kann durch einen plößlichen Umſturz,1 ſondern nur allein auf dem zwar langſamen Wege der Gefeße gebung, der ſittlichen Erziehung und der eigenen Arbeit. Ich meinesteils werde dem Geſeß zuſtimmen .“

Der Geſeßentwurf, in der Eile abgefaßt und von Moltke ſelbſt als der Verbeſſerung bedürftig anerkannt, warð vom Reichstag mit übers wältigender Stimmenmehrheit abgelehnt. Da machte ein zweiter Mord apoſtel des Sozialismus, Karl Nobiling, am 2. Juni einen Morðanfall auf den ehrwürdigen Begründer des Deutſchen Reiches, indem er bei deſſen

Ausfahrt von oben her aus einem Hauſe Unter den Linden dem greiſen

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Kaiſer eine Ladung Schrot und Rehpoſten in Haupt, Schultern und Arme ſchoß ; nur ber treue Helm behütete das Leben des herrlichen Greiſes. Ein

jähes Entſegen ging bei dieſem neuen Greuel durch alles Volt. Was half es, daß der elende Meuchelmörder, nachdem er ſich ſelbſt eine Kugel in den Kopf gejagt, in der Nacht des Stumpfſinns dahin ſtarb ? Kaiſer Wilhelm war monatelang nicht zur Regierung imſtande, die er dem Kronprinzen übertrug. Ein neues , weſentlich verſchärftes Sozialiſtengeſe waró am 21. Oktober verkündigt, bei deſſen Beratung indes Moltke ſich nicht beteiligte. Wohl aber trat er an die Spiße eines Ausſchuſſes, welcher eine

Geldſammlung im ganzen Reiche veranſtaltete zur Begründung einer Wils helmsſpende, einer Altersverſorgungsanſtalt für Arbeiter. Die Sammlung

ergab eine Geſamtſumme von 1739000 Mark, über deren Zinsertrag Moltke, unterſtüßt von den Herren des Ausſchuſſes, bis an ſein Ende verfügte. Auf dieſe unerquidlichen Dinge ein Friedensbild aus dem ſtillen Creiſau, wie unſer Freund es vor Schweſter Lene Bröker aufrollt. „, Creiſau, 30. Juni 1878.

Leider werde ich im Auguſt oder September meinen Landauf enthalt ſchon aufgeben und zum Reichstag müſſen, wo wir den Demokraten zu Leibe gehen wollen .

Mit der Geneſung des Kaiſers geht es ſehr gut aber langſam vor wärts, und es iſt doch noch ſehr zweifelhaft, ob er die beabſichtigten Manöver am Rhein ſelbſt wird abzuhalten vermögen. Im Alter von einundachtzig

Jahren verträgt man einunddreißig Schrotkörner nicht ſo leicht. An den Kronprinzen tritt ſchon jetzt der ganze Ernſt des Regierens heran. Es waren zwei erſchütternde Unglü & sfälle, das Attentat und der Untergang des Großen Kurfürſten ! ...

„Heute die erſten Stoppeln, der Raps iſt geſchnitten, und dann fängt die Kornernte an. Sie verſpricht ſehr gut zu werden, aber die beſte wirft immer nur eine ſpärliche Rente ab. Jndes wird das Gut von Jahr zu

Jahr verbeſſert. Ich beabſichtige, dieſen Sommer neue Arbeiterwohnungen zu bauen .

„Un der Kleinkinderſchule würdeſt Du Deine Freude haben, und auch

die große Schule iſt gut im Gange. Fünfundachtzig kleine Kapitaliſten haben ihre Sparbücher und jeder einige Mart in der Provinzialſparkaſſe

deponiert; es iſt ſo wichtig, daß man frühzeitig das Sparen lernt , das wiſſen wir aus eigener Erfahrung. Die neue Generation hat gleich anfangs cine Unterſtüßung gefunden, die keines von uns Geſchwiſtern gekannt hat.“

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Im Jahre 1879 finden wir Moltke nicht parlamentariſch thätig. Am 8. März waren ſechzig Jahre derfloſſen , ſeitdem er in den Militär

dienſt, zunächſt von Dänemark , eingetreten , und König Wilhelm ergriff wie allezeit auch dieſe Gelegenheit, dem treuen Kampfgenoſſen ſeine Dant barkeit auszuſprechen , indem er ihm die folgende Kabinettsordre zu : gehen ließ :

Mein lieber Generalfeldmarſchau!

Wenn ich Ihnen bei der heutigen Feier Ihres 60 jährigen Dienſte

I!

jubiläums das anbeifolgende Kreuz mit Stern des Ordens pour le mérite verleihe, ſo wünſche ich hierdurch zu bethätigen, daß es keine Anerkennung großer Thaten und militäriſchen Verdienſtes geben kann , auf welche Sie nicht einen gerechten Anſpruch erworben hätten. Sie werden den Stern

mit dem Bilde meines großen Vorfahren mit dem erhebenden Bewußtſein tragen, in Wahrheit für alle Zeiten zu denjenigen zu gehören, die das Erbe den Kriegsruhm der preußiſchen Armee – treu des großen Königs behütet haben und auf welche Sein Auge von oben ſicherlich mit Wohl gefallen geſehen hat. Meine zugleich beifolgende Reiterſtatuette möge Ihnen das Bild des Königs vergegenwärtigen 1, mit dem Sie die Schlachten don Königgräß, Gravelotte und Sedan ſchlugen, der Ihnen ſchon oft aus tief innerſtem Herzen gedankt hat und der es auch heute mit dem innigen Wunſche thut, daß Sie Ihm , der Armee und dem Vaterlande noch recht lange erhalten bleiben mögen.

Berlin, den 8. März 1879. Ihr ſtets dankbarer König Wilhelm." Im Herbſt 1879 begleitete Moltke den Kaiſer Wilhelm nach loths ringen zur Beſichtigung der Schlachtfelder bei Meß, ſodann nach dem Elſaß. Daran ſchloß ſich eine Reiſe mit dem Generalſtab. Als er auf derſelben bis nach Freiburg im Breisgau gelangt war , erhielt Moltke durch einen Feldjäger ein Schreiben des Fürſten Bismar , das ihn aufforderte, nach Baden -Baden zum Kaiſer zu kommen und demſelben ſeine Anſichten über

ein Bündnis zwiſchen Deutſchland und Öſterreich vorzutragen. Es war nämlich damals wieder einmal eine bängliche Weltlage eingetreten. Rußland, bis dahin mit Preußen und Öſterreich politiſch befreundet , war entrüſtet darüber , daß Bismarck auf dem Berliner Kongreß von 1878 , welcher den

jüngſten Türkenkrieg abſchloß, nicht alle ruſſiſchen Forderungen durchgeſet hatte, und nahm fortan eine höchſt feindliche Haltung an. Freußen ſah

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ſich der Möglichkeit gegenüber , gleichzeitig gegen Rußland und Frankreich fchlagen zu müſſen , und ſo ſchloß Bismarck am 7. Oktober 1879 mit

Öſterreich ein Schuz- und Trußbündnis für den Fall eines Angriffs, und Moltke ward berufen, ſeinen militäriſchen Rat in dieſer wichtigen politiſchen Frage zu geben. Es iſt dies der Beginn jenes Dreibundes, der 1883 durch den Beitritt Italiens gebildet ward und ſeitdem der Hort des europäiſchen Friedens iſt.

Beim Beginn ſeines achtzigſten Lebensjahres empfing Moltke von Kaiſer Wilhelm folgendes ſchöne Handſchreiben : „ Berlin, 26. 10. 79.

Man ſagt , daß Sie heute die Ziffer beſchreiten , die ich bereits init

1)

21/2 addiere. Ich kann es daher nicht unterlaſſen, Ihnen zu dieſem gewal tigen Vorwärts meine treueſten Wünſche für Ihre ganze Zukunft darzu bringen.

„ Möge ſie ſo ruhmvoll ſein wie die Vergangenheit, und möge der, der dann Ihr König ſein wird , eine ſo treue Stüße und weiſen Ratgeber in Ihnen finden wie gefunden hat Ihr ſtets dankbarer König Wilhelm .“

Das Jahr 1880 wird eröffnet durch eine neue glänzende Reichstags rede Moltkes am 1. März. Ergrimmt über die Mißerfolge Rußlands im jüngſten Türkenkriege und auf dem Berliner Kongreß , ergrimmt über die ſelbſtändige Haltung Preußens , das man ſich als den Schleppenträger Rußlands vorzuſtellen gewöhnt hatte, wütete die ruſſiſche Preſſe gegen das unbotmäßige Deutſchland, und gewaltige Streitkräfte ſammelten ſich an der Weſtgrenze des rieſigen Neiches. Die Gefahr erſchien um ſo größer , weil Frankreich nur auf einen Bundesgenoſſen wartete, um den Kampf um das verlorene Elſaß-Lothringen wieder aufzunehmen. Da galt es denn freilich, gegenüber der Gefahr von Oſt und Weſt, auf der Wache zu ſtehen und den ſtets geſteigerten Rüſtungen zweier mächtigen Nachbarn durch ſtets er neuerte Gegenrüſtungen die Spitze zu bieten. So brachte Eingang 1880 die Reichsregierung einen Geſetzentwurf ein, betreffend Ergänzungen und Ändes rungen des Reichsmilitärgeſeßes von 1874, und Moltke mußte abermals als getreuer Ekart des Deutſchen Reiches das Wort ergreifen : Wer möchte in Abrede ſtellen , daß ganz Europa unter dem Drucke

eines bewaffneten Friedens ſeufzt ! Es iſt das gegenſeitige Mißtrauen , welches die Nationen gegeneinander in Waffen hält. Kann dieſes Miß

trauen überhaupt beſeitigt werden , ſo wird es immer nod; eher geſchehen

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durch Verſtändigung von Regierung zu Regierung, als durch andere Mittel, durch die babyloniſche Verwirrung von internationaler Verbrüderung, inter nationalen Parlamenten und was in der Richtung vorgeſchlagen wird. Meine Herren , alle Nationen bedürfen gleichmäßig des Friedens, und ich möchte behaupten, alle Regierungen werden den Frieden halten ,

ſolange ſie ſtark genug ſind, um es zu können. Viele betrachten ja die Regierung wie eine Art feindlicher Macht, die man nicht genug einſchränken und beengen kann.

„Ich meine, man ſollte ſie in aller Weiſe ſtärken und ſtüßen ; eine .

ſchwache Regierung iſt ein Unglüc für jedes Land und — eine Gefahr für den Nachbar.

„Wir haben alle Kriege ausbrechen ſehen, die weder das Staatsobers haupt – noch das wirkliche Volk gewollt haben, ſondern die Parteihäupter, welche ſich zu ſeinen Wortführern aufwarfen, die leicht beeinflußbare Menge und ſchließlich auch die Regierung nach ſich zogen. Annexiongs und Res vanchegelüſte, Mißbehagen über innere Zuſtände, das Streben , ſtammver wandte Völkerſchaften an ſich zu ziehen, die im Laufe der Zeiten anderen Staatenbildungen eingefügt ſind, dies und vieles andere kann auch in Zu

kunft immer wieder neue Verwickelungen hervorrufen , und ſo fürchte ich allerdings, daß wir noch lange die ſchwere Rüſtung tragen müſſen, welche

unſere geſchichtliche Entwicelung und unſere Weltſtellung uns aufnötigen . „ Geſchichtlich ſind wir ja als Reich ein Neuling in der europäiſchen Staatenfamilie, und den Eindringling betrachtet man immer mit Mißtrauen, ſo lange wenigſtens, bis man ihn beſſer kennen lernt. Was dann unſere geographiſche Lage betrifft, ja, ineine Herren, alle unſere Nachbarn haben mehr oder weniger, ich möchte ſagen Rüdenfreiheit; ſie haben Pyrenäen und Alpen hinter ſid ), oder halb barbariſche Völkerſchaften , die ſie nicht zu fürchten brauchen. Wir ſtehen unter den großen Mächten mitten inne.

Unſere Nachbarn im Weſten und Oſten haben nur nach einer Seite Front zu machen , wir nach allen ; ſie können und ſie haben ſchon im Frieden einen bedeutenden Teil ihrer Heeresmacht nahe an unſeren Grenzen dis lociert,1 während unſere Regimenter gleichmäßig verteilt ſtehen über das ganze Reich. Wir brauchen darin keine feindſelige Abſicht zu ſuchen . Wenn unſere Nachbarn wirklich Gefahr von Deutſchland beſorgen, ſo haben ſie ja von ihrem Standpuntt recht, aber wir müſſen doch mit dieſem Verhälts nis rechnen. "

Moltke entwickelt nun , wie neuerdings die ruſſiſche Armee in außers ordentlicher Weiſe dermehrt worden ſei. Ebenſo in Frankreich, das 1870 acht Armeecorps beſeffen habe, jeßt deren 19 beſige, damals 336 000 Mann

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ins Feld geſtellt habe, jeßt 670 000 ins Feld ſtellen fönne, ſo daß that ſächlich Frankreichs Militärmacht mehr als verdoppelt worden ſei. Und dabei mute man uns zu , großmütig das erſte Beiſpiel der Entwaffnung zu geben ! Hat der deutſche Michel überhaupt jemals das Schwert gezogen, als um ſich ſeiner Haut zu wehren ? Können wir unter dieſen Umſtänden 1

einer mäßigen Vermehrung unſerer Friedenscabres entbehren ? Nachdem ſodann Moltke wie früher ſich gegen die Einführung der zweijährigen Dienſtzeit erklärt hatte, ſchließt er ſeine Ausführungen mit den Worten : Meine Herren , man kann es ja aufrichtig beklagen , daß die eiſerne 11

Notwendigkeit dazu zwingt, der deutſchen Nation neue Opfer aufzuerlegen. Freilich nur durch Opfer und harte Arbeit ſind wir überhaupt erſt wieder eine Nation geworden. Und welche ganz anderen Opfer , als die hier ges

forberten , eine feindliche Invaſion nach ſich zieht, das haben die Älteſten von uns noch ſelbſt erlebt. Schon allein der Kredit des Staates beruht doch zunächſt auf der Sicherheit des Staates. Welche Panik würde an

der Börſe ausbrechen, wie würden alle Beſigverhältniſſe erſchüttert werden, wenn die Fortbauer des Neiches auch nur angezweifelt werden könnte ? Meine Herren , vergeſſen wir doch nicht, daß ſeit dem Verfall der

deutſchen Kaiſermacht Deutſchland das Schlachtfeld und das Entſcheidungs objekt für die Händel aller anderen geweſen iſt, daß Schweden , Franzoſen und Deutſche Deutſchland auf mehr als ein Jahrhundert in eine Wüſte 1

verwandelt haben . Auch ſpäter noch. Sind nicht die großen Trümmer am Neckar, am Rhein und tief ins Land hinein bleibende Denkmäler unſerer

einſtigen Schwäche und des Übermuts unſerer Nachbarn ? Wer möchte auch nur die Tage zurückrufen, wo auf das Machtgebot

II

eines fremden Herrſchers deutſche Kontingente gegen Deutſchland marſchieren mußten!

„Nein, meine Herren, ſchützen wir vor allem die Ehre und die Sicherheit des Reiches, wahren wir die langerſehnte , die endlich erreichte Einheit der Nation, fahren wir fort, Frieden zu halten, ſolange man uns nicht angreift, Frieden zu ſchüßen auch nach außen , ſoweit unſere Kräfte reichen ! Wir werden in dieſem Beſtreben vielleicht nicht allein ſtehen , ſondern Bundes genoſſen finden. Darin liegt dann eine Drohung für niemand, wohl aber eine Bürgſchaft für friedliche Zuſtände in unſerem Weltteil, vorausgeſetzt, daß wir ſtark und gerüſtet ſind. Mit ſchwachen Kräften, mit Armeen auf Kündigung läßt ſich das Ziel nicht erreichen ; nur in der eigenen Kraft ruht das Schidſal jeder Nation ." Reichsregierung und Reichstag einigten ſich ſchließlich über eine weitere geſetzliche Feſtſtellung der Friedensſtärke auf ſieben Jahre.

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Dazwiſchen in einem Briefe an Moltkes Neffen Henry ein anmutiges Bild aus dem Creiſauer Landleben . „Creiſau , Montag Abend ( Frühling) 1880. Lieber Henry. Es war heute morgen ziemlich kalt, aber dann ein

Il

ſchöner, warmer Tag. Der Garten iſt in ſchöner Ordnung und ſieht ganz anders aus wie früher. Die Ananas ſind mächtig gewachſen , aber nur wenige werden dies Jahr tragen. Die Kapelle war mit Blumen ſchön geſchmüct. Ihr werdet die Umgebung etwas fahl finden , es ſind die ſchlechten Eichenbüſche weggehauen und wohl tauſend junge Fichten gepflanzt. Erſt in einigen Jahren wird ſich die Kapelle auf dunklem Hintergrund ſchön ausnehmen. Von dort ſpazierte ich den neuen Weg durch den langen Buſch. Man muß ihn eigentlich erſt ſehen , wenn die prächtigen alten Eichen grün ſind. Bei der Schweſter Selma *) war reges Leben, es waren ein paar Fuhren Sand auf die Straße angefahren, und die ganze Geſellſchaft war beſchäftigt, denſelben in kleinen Spielkarren zu einem Berg auf den Spielplaß zu ſchaffen . Um zwei ging ich auf die Fuchsjagd. Im Hinter buſch fanden wir die Burg Malepartus.

Die beiden Dachshunde waren

kaum zu halten. Einer wurde losgelaſſen und gab Laut ; wir durften alſo vermuten, daß Meiſter Reineke zu Hauſe ſei, er ſchien aber nicht anzunehmen

und hatte in aller Eile den Bau zugeſetzt. Nun wurde verſuchsweiſe von oben eingegraben, der Ausgang aber mit dem Spaten geſperrt. Die Bes lagerten hielten ſich ruhig bis zum letzten Augenblick, wo die feindlichen Pioniere faſt ſchon das Gewölbe ihres Salons erreichten. Da plößlich er

ſchien ein kleiner Kopf neben dem Spaten ; die Hunde fuhren darauf zu, und nun zeigte ſich, daß der Fuchs ein Iltis war. Dieſer ſegte ſich nun herzhaft zur Wehre, beide Hunde bluteten und zeigten eine unglaubliche

Zähigkeit. Aber wohl zehn Minuten dauerte es , bis ſie des Tieres Meiſter wurden. Was ſo ein Raubtier für Schaden thut, kann man ſich gar nicht vorſtellen. In einem Fuchsbau fand man vor einigen Tagen

nur einen jungen Fuchs, aber in der Speiſekammer von Madame Reineke die Köpfe und Bälge von vierundzwanzig jungen Haſen , zwei Wieſeln ,

einem Hamſter und zahlloſen Feldmäuſen. Ich würde es nicht glauben , wenn ich nicht den ganzen Rorb voll ſelbſt geſehen hätte. „ Abends habe ich anderthalb Stunden lang ben Raſen beſprengt. Der Druc iſt trotz der geringen Höhe des Baſſins ſo groß, daß durch den über 100 Fuß langen Schlauch faſt ter ganze Raſenplaß erreicht werden *) Der Kleinkinderlehrerin.

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lann.

Trefflich ſchmeckten mir dann gutes Brot , Butter , Radieschen,

Rührei und Thee." In jenem Sommer 1880 leitete der nächſtens achtzigjährige Moltke

zum erſtenmale die Übungen des Großen Generalſtabes nicht perſönlich; das gegen wohnte er den Herbſtübungen der Garde und des dritten Armeecorps bei, wie er dieſen Teil ſeiner Thätigkeit regelmäßig bis zum Jahre 1887 1

weiterführte. über ſeine beſchwerliche Reiſe im Auguſt nach Gaſtein mag er ſelber an Schweſter Guſte berichten.

„ Gaſtein , den 15. Auguſt 1880.

„ liebe Guſte! Die vielen Unglüdspoſten in den Zeitungen von Über ſchwemmungen und Zerſtörungen haben Euch vielleicht beſorgt gemacht, auch ſind wir nicht ohne einige Beſchwerniſſe, aber doch wohlbehalten dieſen Mittag hier eingetroffen. Gut, daß wir nicht ins Tatragebirg gereiſt ſind,

denn gerade in dieſer Richtung iſt das Unheil am größten geweſen. ,, Der erſte Tag unſerer Reiſe verlief ohne ſonderliche Störung. Auf

beſondere Empfehlung ſtiegen wir in Wien im Hotel Wunſch ab, und da traf es ſich ſeltſam , daß ich nicht nur in demſelben Gaſthof, ſondern auch in demſelben Zimmer wohnte 1, wo ich vor vierzig Jahren bei der Rückehr aus der Türkei ſechs Wochen am Donaufieber fran ! gelegen hatte. Am folgenden Tage ſind wir den ganzen Tag in Wien herumflaniert und haben Unglaubliches geleiſtet. Bei ſtrömendem Regen fuhren wir am Donnerstag durch die prachtvolle Gegend nach dem köſtlichen Traunſee. In der Hoffnung, die zauberhaft ſchöne Fahrt über den See am folgenden

Tage vielleicht bei gutem Wetter machen zu können , wurde in Gmunden in einem neuen eleganten Hotel Auſtria genachtigt, aber auch der nächſte Morgen brachte Regen, und der hohe Traunſtein war in Wolfen gehüllt.

Dennoch war die Fahrt ſehr ſchön. In Ebenſee gelandet, wurden wir aber mit der unangenehmen Nachricht empfangen , daß die Traun alle weiteren Kommunikationen unterbrochen habe ; die Eiſenbahn ſei zerſtört, die Chauſſeen fußhoch überſchwemmt. Für reichliches Geld wurde jedoch ein Wagen auf

getrieben , der es unternehmen wollte, zu fahren . Der Bürgermeiſter des Orts ſeşte ſich auf den Bock und Gott weiß , was für ein Intereſſe er daran hatte watete an der ſchlimmſten Stelle bis an die Hüften iin Waſſer vor uns her. Ein armer Burſche wurde mitgenommen und mußte,

wo die Straße bedenklich erſchien, vor den Pferden einhergehen. So kamen wir nach sicht, aber auch von dort ging kein Eiſenbahnzug ab , und wir mußten die Nacht dableiben. Der ganze Perron ſtand unter Waſſer, und

der Strom gewährte einen intereſſanten Anblic. Trümmer von Brücken

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ſchwammen mit reißender Schnelligkeit vorüber. Abends Konzert im Kaſino und die tröſtliche Nachricht, daß am folgenden Mittwoch der Eilzug ver

ſuchen werde, abzugehen . Glücklicherweiſe geſchah das. Höchlich erfreut waren wir, vormittags die Sonne einmal wiederzuſehen ; wir machten eine herrliche Promenade in der ſchönen Umgegend. Mittags ging es ab. Wir

hatten einen Salonwagen, der ganz offen und der leßte im Zuge war, ſo daß man die ganze Gegend überblicte. Es war die ſchönſte Eiſenbahntour, die man machen kann, am Halſtätter See vorüber, dann längs der ſchäumens

den Traun zwiſchen himmelhohen Bergen aufwärts, endlich ſteil hinab in das Ennsthal; dort wieder überſchwemmung und Regen ; dann über tauſend Fuß hinab in das Salzachthal. Nachtquartier in Lend, ebenſo ſchlecht wie

teuer. Heute früh gingen wir zu Fuß durch die Klamm und warteten die Schnellpoſt ab , die uns um 11/2 Uhr wohlbehalten hier ablieferte. Aber nur aus alter Bekanntſchaft habe ich in Straubingers Hotel ein kleines

Stübchen erhalten. Übermorgen bekomme ich eine gute Wohnung parterre. Wir haben uns ſchon überall umgeſehen , Thee getrunken , drei Patiencen gelegt auf gut Wetter , die alle aufgingen , nichtsdeſtoweniger regnet es auch jeßt noch." Wir fügen hier einen Brief an den Oberhofprediger Schaubach zu

Meiningen ein , einen Brief , der eine der nicht häufigen Äußerungen des Feldmarſchaus über religiöſe Fragen bringt. Schaubach war im Herbſt 1856 Erzieher im Hauſe Adolf von Moltkes, und Helmut, aus Flensburg von einem Beſuche bei Bruder Friß zurückkehrend, machte Raſt in Ranßau

und lernte dort den Lehrer der beiden älteſten unter den „ vier Rieſen" kennen ; auch war es ein ſchöner Zug , daß er trotz knapp bemeſſener Zeit ſeinen eigenen Lehrer, den 90jährigen Pfarrer Aniđebein, in dem benachbarten Hohenfelde beſuchte. Auf der Generalſtabsreiſe 1868 hörte Moltke Schaubachs

Predigt und dieſer ließ ſich dann öfter zu des Feldmarſchals Geburtstag mit Glückwünſchen vernehmen , ſo auch 1880 mit einem ſchönen Gedicht zum achtzigſten Geburtstage. Moltke antwortete , pünktlich wie er war, ſchon tags darauf. Berlin , den 27. Oktober 1880.

Herzlichen Dank für Ihre ſchönen , von wahrem Gefühl belebten Verſe. Ja ! vol Mühe und Arbeit ſind meine und wohl auch Ihre Lebeng wege geweſen. Ich ſtehe nahe am Ende der meinigert. Aber welcher ganz andere Maßſtab als hier wird in einer künftigen Welt an unſer irdiſches Wirken gelegt werden . Nicht der Glanz des Erfolges, ſondern die Lauter keit des Strebens und das treue Beharren in der Pflicht, auch da, wo das Ergebnis kaum in die äußere Erſcheinung trat, wird den Wert eines

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Menſchenlebens entſcheiden . Welche merkwürdige Umrangierung von hoch und niedrig wird bei der großen Muſterung vor ſich gehen. Wiſſen wir

doch ſelbſt nicht, was wir uns, was wir anderen oder einem höheren Willen 1

zuzuſchreiben haben. Es wird gut ſein, in erſter Beziehung nicht zuviel in Rechnung zu ſtellen ." Großes Aufſehen hat es feiner Zeit erregt , als die Nachricht durch alle Blätter ging, Moltke habe ſich in einen Briefe für die Notwendigkeit des Krieges erklärt. Die Sache liegt ſo : Profeſſor Bluntſchli' zu Heidel berg ſandte Ende 1880 dem Feldmarſchall eine von der Geſellſchaft für

Völkerrecht abgefaßte gemeinverſtändliche Schrift über die Kriegsgeſeße und erbat ſich über dieſelbe die Anſicht des berühmten Kriegsmannes. Derſelbe antwortete :

Berlin, den 11. Dezember 1880.

„ Geehrter Herr Geheimrat! Sie haben die Güte gehabt, mir das Handbuch mitzuteilen , welches das Inſtitut für internationales Recht ver öffentlicht, und wünſchen meine Anerkennung desſelben.

Zunächſt würdige ich vollkommen bas menſchenfreundliche Beſtreben, die Leiden zu mildern, welche der Krieg mit ſich führt. Der ewige Friede iſt ein Traum , und nicht einmal ein ſchöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten ſich die

edelſten Tugenden des Menſchen , Mut und Entſagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einſeßung des Lebens.. Ohne den Krieg würde die Welt in Materialismus verſumpfen. Durchaus einverſtanden bin ich ferner 1

1

mit dem in der Vorrede ausgeſprochenen Saß , daß die allmählich fort ſchreitende Geſittung ſich auch in der Kriegführung abſpiegeln muß , aber ich gehe weiter und glaube, daß ſie allein , nicht ein kodifiziertes Kriegsrecht, dies Ziel zu erreichen dermag. „Jedes Geſetz bedingt eine Autorität, welche deſſen Ausführung über wacht und handhabt, und dieſe Gewalt eben fehlt für die Einhaltung inter nationaler Verabredungen. Welche dritten Staaten werden um deshalb zu den Waffen greifen , weil von zwei kriegführenden Mächten durch eine - oder beide — die lois de la guerre verleşt ſind ? Der irdiſche

Richter fehlt. Hier iſt nur Erfolg zu erwarten von der religiöſen und fittlichen Erziehung der einzelnen , von dem Ehrgefühl und dem Rechtsſinn der Führer, welche ſich ſelbſt das Geſeß geben und darnach handeln , ſoweit

die abnormen Zuſtände des Krieges es überhaupt möglich machen. „ Nun kann doch auch nicht in Abrebe geſtellt werden , daß wirklich die Humanität der Kriegführung der allgemeinen Milderung der Sitten ge

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folgt iſt. Man vergleiche nur die Verwilderung des Dreißigjährigen Krieges mit den Rämpfen der Neuzeit. ,,Ein wichtiger Schritt zur Erreichung des erwünſchten Zieles iſt in unſeren Tagen die Einführung der allgemeinen Militärpflicht geweſen, welche

die gebildeten Stände in die Armeen einreiht. Freilich ſind auch die rohen und gewaltthätigen Elemente geblieben , aber ſie bilden nicht mehr wie früher den alleinigen Beſtand. Zwei wirkſame Mittel liegen außerdem in der Hand der Regierungen , um den ſchlimmſten Ausſchreitungen vorzubeugen, die ſchon im Frieden ge handhabte und eingelebte ſtrenge Mannszucht und die adminiſtrative Vors forge für Ernährung der Truppen im Felde. „ Ohne dieſe Vorſorge iſt auch die Disciplin nur in beſchränktem Maße aufrecht zu halten. Der Soldat, welcher Leiden und Entbehrungen , An ſtrengung und Gefahr erduldet, kann dann nicht nur en proportion avec les ressources du pays , er muß alles nehmen , was zu ſeiner Exiſtenz nötig iſt. Das übermenſchliche darf man von ihm nicht fordern. ,, Die größte Wohlthat im Kriege iſt die ſchnelle Beendigung des Krieges , und dazu müſſen alle nicht geradezu verwerflichen Mittel freiſtehen . Ich kann mich in keiner Weiſe einverſtanden erklären mit der Déclaration de .

St. Petersbourg, daß die Schwächung der feindlichen Streitmacht das allein Herechtigte Vorgehen im Kriege ſei. Nein, alle Hilfsquellen der feindlichen Regierung müſſen in Anſpruch genommen werden , ihre Finanzen , Eiſen bahnen, Lebensmittel, ſelbſt ihr Preſtige. Mit dieſer Energie, und doch mit mehr Mäßigung als je zuvor iſt der leßte Krieg gegen Frankreich geführt worden . Nach zwei Monaten war der Feldzug entſchieden, und erſt als eine revolutionäre Regierung ihn zum Verderben des cigenen Landes noch vier Monate länger fortſeşte, nahmen die Kämpfe einen erbitterten Charakter an . Gern erkenne ich an, daß das Manuel in klaren und kurzen Säßen den Notwendigkeiten im Kriege im höheren Maße Rechnung trägt, als dies in früheren Verſuchen der Fall geweſen iſt. Aber ſelbſt die Anerkennung der dort aufgeſtellten Regeln durch die Regierung ſichert noch nicht die Aus I!

führung. Daß auf einen Parlamentär nicht geſchoſſen werden darf, iſt ein längſt allſeitig zugeſtandener Kriegsgebrauch, und doch haben wir den. 1

-

felben im leşten Feldzug mehrfach übertreten geſehen. „ Im Kriege, wo alles individuell aufgefaßt ſein will, werden, wie ich glaube, nur die Paragraphen wirkſam werden, welche ſich weſentlich an die Führer wenden . Dahin gehört, was das Manuel über Verwundete, Kranke,

Ürzte und Sanitätsmaterial feſtſeßen will. Die allgemeine Anerkennung

1

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ſchon dieſer Grundſäße, ſowie die über Behandlung der Gefangenen würde ein weſentlicher Fortſchritt zu dem Ziele ſein , welches das Inſtitut für Völkerrecht mit ſo rühmlicher Beharrlichkeit erſtrebt." Ein in Frankreich anſäſſiger Ruſſe Goubareff fand dieſen Brief in einer Zeitung und richtete an den Feldmarſchall eine Entgegnung , die in

recht ſchwülſtiger Darlegung die jedermann bekannten Übelſtände des Krieges entwidelt.

Moltke antwortet :

Berlin, den 10. Februar 1881.

Geehrter Herr ! Sie haben die Güte gehabt, mir ein Memorandum zu überſenden, in welchem Sie Ihre Gedanken entwickeln über die ernſten Fragen, welche die Gegenwart bewegen, und erzeigen mir die Ehre, meine Anſicht darüber zu fordern .

„ Ich muß mich beſchränken , auf Ihre Anſchauung über den Krieg von meinem Standpunkt aus zu antworten. Sie erklären den Krieg bedingungslos für ein Verbrechen, wenn auch ein in Verſen beſungenes; ich halte ihn für ein lektes, aber vollkommen gerechtfertigtes Mittel, das Beſtehen , die Unabhängigkeit und die Ehre eines Staates zu behaupten . Hoffentlich wird dies lette Mittel bei fortſchreitender Kultur immer ſeltener in Anwendung kommen , aber ganz darauf verzichten fann kein 11

Staat. Iſt doch das Leben des Menſchen, ja der ganzen Natur ein Kampf des Werdenden gegen das Beſtehende, und nicht anders geſtaltet ſich das Leben der Völkereinheiten. Wer möchte in Abrede ſtellen, daß jeder Krieg,

auch der ſiegreiche, ein Unglück für das eigene Voll iſt, denn kein Lande erwerb, teine Milliarden können Menſchenleben erſeßen und die Trauer der Familien aufwiegen. IlAber wer vermag in dieſer Welt ſich dem Unglück, wer der Nots wendigkeit zu entziehen ? Sind nicht beide nach Gottes Fügung Bes dingungen unſeres irdiſchen Daſeins? Nicht den Wallenſtein, ſondern Mar läßt unſer großer Dichter ſprechen : Der Krieg iſt ſchredlich wie des Himmels Plagen, Doch er iſt gut, iſt ein Geſchid wie ſie. MUnd daß der Krieg auch ſeine ſchöne Seite hat, daß er Tugenden zur Ausführung bringt, die ſonſt ſchlummern oder erlöſchen würden , kann wohl kaum in Abrede geſtellt werden . , Gemiß iſt es vielleichter, das Glück des Friedens zu preiſen als anzugeben, wie er gewahrt werden ſoll. Um die ſo vielfach ſich kreuzenden

Intereſſen der Nationen auszugleichen, ihre Streitigkeiten zu ſchlichten, ſo

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mit die Kriege zu verhindern, wollen Sie an Stelle der Diplomatie eine

dauernde Verſammlung von Auserwählten der Völker. Mehr Vertrauen als zu dieſem Areopag habe ich zu der Einſicht und der Macht der Hes gierungen ſelbſt. Die Zeit der Kabinettskriege gehört der Vergangenheit an, und es giebt heute ſchwerlich einen Staatslenker , welcher die ſchwer wiegende Verantwortung auf ſich nimmt, ohne Not das Schwert zu ziehen .

Möchten nur überall die Regierungen ſtark genug ſein, um zum Krieg drängende Leidenſchaften der Völker zu beherrſchen.

1,Ihr Memorandum betont die beſonders kriegeriſche Neigung der ger maniſchen Naſſe; ich bitte Sie, die Geſchichte unſeres Jahrhunderts durch zumuſtern und zu urteilen, ob don Deutſchland die Kriege ausgegangen ſind. ,, Deutſchland hat ſein Ziel, die Wiedervereinigung , erreicht; es hat

nicht die mindeſte Veranlaſſung, auf kriegeriſche Abenteuer auszuziehen, aber es fann zur Abwehr gezwungen werden und muß darauf vorbereitet ſein.

Mit Ihnen wünſche ich aufrichtig, daß dieſe Notwendigkeit nicht eintreten möge.

„ Was den Schluß Ihres geehrten Schreibens betrifft, ſo habe ich durch

aus nichts damider, wenn Sie dasſelbe mit meiner Antwort der Öffentlich keit übergeben wollen . " Im März 1891 noch empfing Moltke einen Brief aus Frankreich, worin eine Verhandlung in der Preſſe in Ausſicht geſtellt ward über die Frage , ob eine Ausſöhnung zwiſchen Frankreich und Deutſchland möglich ſei. Der Feldmarſchall erhielt den Brief im Herrenhauſe und ſchrieb, ent ſprechend ſeiner Gewohnheit alsbaldigen Antwortens, auf die Rüdſeite der

Tagesordnung: „ Ich halte die Ausſdhnung zwiſchen Deutſchland und Frank reich für möglich, weil vernünftig. Bedingung iſt aufrichtige Anerkennung

des Frankfurter Friedensvertrags.“ Jedoch ging die Untwort nicht ab, weil der Feldmarſchall vernahm , der Fragende ſei ein bekannter franzöſiſcher Chauviniſt.

Das Jahr 1881 iſt merkwürdig arm an Notizen über Moltkes Leben

und Treiben . Nur zufällig vernehmen wir, daß er einen raſchen Ausflug in die Hochkarpathen, das Tatragebirge, machte, worüber er im folgenden Brieflein an Schweſter Auguſte berichtet, unmittelbar darnach auf Wunſch

des Königs von Schweden 'eine ebenſo flüchtige Reiſe nach Stocholm . Über die erſtere ſchreibt er :

,, Creiſau, den 30. Juli 1881 .

Geſtern bei meiner Rüdkehr habe ich keine Nachrichten von Ench vor. gefunden. Ich hoffe indeſſen , daß es Euch in Helgoland wohlgeht. Das

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Tatragebirge iſt ſehr intereſſant, aber es fehlt an jeglichem Komfort der

Wohnungen und der Verpflegung. Wir mußten uns mit einem einzigen Kämmerchen begnügen und froh ſein, daß wir überhaupt unterkamen. Der kleine Prinz Leopold , der init Oberſt G. und ſeinem Arzt eintraf, wurde

auch in einem Dachkammerchen untergebracht. Ich bin natürlich nicht auf die hohen Bergſpißen geklettert , ſondern habe mich mit einigen ſchönen Partien in den Thälern begnügt. Sehr ſchön war die Eiſenbahnfahrt durch die herrliche Gegend. Hier iſt alles in guter Ordnung."

Die leşte Übungsreiſe des Großen Generalſtabs, welche der Feldmar ſchal leitete, war diejenige des Jahres 1881 nach Schleswig-Holſtein. Bei dieſer Gelegenheit beſuchten die Offiziere auf einem durch die Kieler Marine

zur Verfügung geſtellten Schiffe die Inſel Alſen, Sonderburg, den Schau plaß der Kriegsthaten von 1864. Bei dieſer Gelegenheit führte der dem = nächſt 81jährige Feldmarſchall die Herren , gab überall Erläuterungen und durchmaß dabei einen Weg von 16 Rilometern. In Sonderburg fand ein Mittagsmahl ſtatt; während dann die meiſten der Teilnehmer ſich der wohl verdienten Ruhe hingaben , ließ ſich Moltke auf der Heimfahrt die Ein

richtung des Schiffes eingehend erklären. Zum abendlichen Feſtmahl er ſchien der Feldmarſchal mit inilitäriſcher Pünktlichkeit und mit einer Friſche, die nicht merken ließ, daß er ſeit dem frühen Morgen auf den Beinen war und 16 Kilometer durchwandert hatte. Bei Tiſch erhob er ſich zu einem Trinkſpruch auf das Wohl der Marine. Seine Trinkſprüche waren ſonſt in der Regel ſehr kurz ; diesmal ließ er ſich behaglich gehen . Er ſprach etwa : ,,Sie, meine Herren Kameraden von der Marine, haben den hohen Beruf, Deutſchlands Ehre in der weiten Welt zu vertreten und ſein Anſehen zu wahren. Rehren Sie in die Heimat zurüd, ſo iſt es billig, daß Ihrer ein ſicheres und behagliches Neſt wartet , in dem Sie ſich zu neuen Thaten rüſten können. Dies Ihnen zu bereiten ſind die hier anweſenden Offiziere

des Großzen Generalſtabes auserſehen. Wir von der Landarmee ſehen nicht ſoviel von der weiten Welt; unſere Grenzen ſind uns gezogen. Manchmal bei dieſen Worten , die Moltke mit humoriſtiſchem Lächeln ausſprach, brach ein ſolcher Sturm des Beifalis

betreten auch wir benachbarte Länder" aus, daß das Weitere verhallte.

Im Spätjahre bat Moltke um ſeinen Abſchied; König Wilhelm ant wortete durch die nachfolgende Kabinettsordre : „Auf Ihren Antrag vom 12. November cr. fann ich Ihnen nur er

widern, daß Ihre Verdienſte um die Armee viel zu groß ſind, um jemals ſo lange Sie leben - an Ihr Scheiden aus derſelben denken zu können, und daß Mir Ihr Rat und Ihre Unterſtüßung viel zu wertvoll ſind, um Buchner , Moltte.

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Mich in das Entbehren derſelben finden zu können , ſo lange uns Gottes Wille beiſammen läßt. Ich kann daher weder jeßt, noch überhaupt jemals auf eine Gewährung des Abſchiedes für Sie eingehen , aber ich bin mit Freuden bereit , Sie in Ihren • umfangreichen Dienſtgeſchäften nach aller Möglichkeit zu erleichtern , und habe daher auch gern Ihrem Wunſche un

Zuweiſung eines Generalquartierıneiſters durch Meine anderweitige Ordre vom heutigen Tage entſprochen . Berlin, den 27. Dezember 1881.

Wilhelm ." Das Jahr 1882 wird eingeleitet durch ein nicht ganz verſtändliches, aber ſehr bezeichnendes Brieflein des alten Herrn an Bruder Ludwig. Was das für eine prächtige Nachricht iſt, wiſſen wir nicht; das Eigentümliche iſt, daß Moltke in ſeinem 82. Lebensjahre meint, er könne nun einmal aufhören, für andere zu ſparen und ſich ſelbſt auf ſeine alten Tage etwas zu gute thun.

Das Brieflein lautet: Berlin , den 12. April 1882.

II

„ lieber Ludwig ! Das iſt ja eine prächtige Nachricht. Nun kannſt Du Dir auf Deine alten Tage auch etwas mehr zu gute thun als bisher. Ich habe mir das auch ſelbſt vorgenommen, aber es gehört ein Entſchluß dazu ; man hat ſich die verwünſchte Sparſamkeit ſo angewöhnt, daß nur ſchwer davon loszukommen iſt. Wenn indes für alle Angehörigen geſorgt iſt, ſo hat man wirklich die Verpflichtung, an ſich ſelbſt zu denken ." In dieſem Jahre 1882 machte ſich Moltke früh zur Reiſe auf, Tein

Reiſegenoſſe war diesmal ſein Neffe Helmut. In Zürich traf er zuerſt mit ſeiner Schweſter Auguſte und deren Sohn Henry zuſammen , machte ſich dann wieder auf den Weg , um mit großem Umweg über den Gotthard und Splügen nach Ragaz zu gelangen. Von dort aus ſchreibt er am 27. April 1882 an Henry :

Der ſonnige Tag, an welchein wir von Euch abreiſten , machte die Reiſe höchſt angenehm , und das Eintreffen in Luzern war zauberhaft. Der ſpiegelglatte See und der ganze Kranz helleuchtender Schneehäupter von

Pilatus bis üri-Rotſte

iſt unbeſchreiblich. Die Rigibahn fährt noch

nicht; nachdem Helmut ſchnell noch den Löwen und den Gletſchergarten ge ſehen, nahmen wir ein vortreffliches Diner im Schweizerhof ein und dampften dann nach Flüelen zu, eine föſtliche Fahrt. Die niederen Berge im erſten friſchen Grün, die mit Blüten bedeckten Obſtbäume, darüber die Schnees

berge. Erſt bei der Landſpiße bei der Telstapelle fanden wir das Waſſer lebhaft bewegt. Es war der Föhn , welcher für den nächſten Tag Regen

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prophezeite. Wir fanden ein gutes Unterkommen im Adler und gingen abends noch auf der Arenſtraße ſpazieren. Dieſe Tour müßt Ihr notwendig auch machen. Am folgenden Morgen hatten wir noch ſchönes Wetter . Wir bekamen die beiden Bankettplage, von welchen man die freie Umſicht über

den Wagen hinweg nach allen Seiten genießt. Je nachdem die Straße von Altdorf ſteigt, wurde es immer friſcher, aber bis Göſchenen war die Fahrt

ſehr intereſſant. Die durch den Tunnel iſt nicht anders, als wenn man dreiviertel Stunden bei Nacht fährt. Jenſeits hoffte ich nun , den tief blauen italieniſchen Himmel zu erblicken , derſelbe ſah aber aus wie graues

Löſchpapier. Ein feiner Regen begleitete uns hinab bis Bellinzona. Auch bei gutem Wetter iſt dieſe Strecke weit weniger intereſſant als der Aufſtieg im Reußthal. Nur der prachtvolle Fall des Teſſin unterhalb Airolo, bei Dazio Grande , iſt von wunderbarer Schönheit. Auf der ganzen Fahrt

dieſes Tages konnten wir die unglaubliche Kühnheit bewundern, mit welcher die Eiſenbahn ſowohl vom Tunnel hinauf wie von dort hinab in Win dungen und Schleifen und über ſchwindelnde Abgründe geführt iſt. Hier

führt ſie unter, dort hoch über denſelben Gießbach fort. Schrecklich durch

ſichtige Gitterbrüden ruhen auf turmhohen Pfeilern oder ſchweben ſcheinbar in der Luft. Wenn zum Juni alles fertig ſein wird, muß die Fahrt zum Haupttunnel ſchauerlich intereſſant ſein . Unter beſtändigem Regen ging es tags darauf durch gewaltige Tunnel weiter. Von Lugano bleibt die Bahn ziemlich weit ab, noch war der See in Wolken gehüllt. So langten wir in Como an , ſahen den aus Marmor erbauten Tom und einen öffentlichen Garten mit ſeltenen blühenden Strän chern und Bäumen, aber alles im Regen. Dann legte ich mich in aller

Form zu Bette und nach geſundem Schlaf und kräftigem Diner ging's um brei Uhr per Tampfſchiff weiter unter beſtändigem Regen. Dieſer hinderte indes nicht, die zauberhaften Gärten und Schlöſſer, die rieſigen Hotels und eng gedrängten Ortſchaften zu bewundern, die freilich bei Sonnenſchein noch ganz anders ausſehen.. Das Schiff ſteuert immer von einem Ufer zum

andern und berührt alle die herrlichen Punkte, Villa d'Eſte, Villa Carlotta, das föſtliche Bellaggio und ſo weiter. Bei vollſtändiger Tunkelheit langten wir in Colico an , wo wir die Kabriolettpläße zum Weiterreiſen belegten.

Hatte es bisher geregnet, ſo goß es nun bei der Abfahrt. Almählich aber wurde es heller , dann brach der Mond durch die Wolken hervor und bes

leuchtete hell die reizende Landſchaft am Oſtufer des Sees . Endlich blinkten auch einige Sterne über die immer näher aneinander tretenden Schneeberge und gewährten Hoffnung, auf deutſchem Boden die Sonne wiederzufinden ,

die uns auf italieniſchem keinen Augenblic geleuchtet hatte. Um Mitters :

22 *

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nacht langten wir in Chiavenna an, wo wir in der Poſt vom deutſchen Wirt trefflich aufgenommen wurden, aber gleich ins Bett fielen. IlDie einzige Poſt iber den Splügen geht nachts zwei Uhr ab, und

dafür dankte ich doch diesmal und zog vor , mit Ertrapoſt weiterzufahren. Richtig am folgenden Morgen hatten wir ſchönen blauen Himmel.

In

leichtem offenen Wagen ging's thalaufwärts in bedeutender Steigung und endlich in zahlloſen Ziczacs. Die Kirchen und Dörfer, die wir in ſchwin delnden Höhen über uns erblickten , lagen allmählich tief unter uns , es wurde immer fälter und der Südwind türmte immer mehr Wolken um die Gipfel auf. Es ging durch ſchauerliche Schußgalerien, von deren Gewölbe

lange Eiszapfen herabhingen, dichte Nebel hülten uns ein, und bald blieb der Wagen im Schnee ſtecken. Aber hier hielt auch ſchon der Schlitten.

Nur ein Pferd wurde vorgeſpannt, dem anderen wurde anheimgeſtellt, nach eigenem Gefallen hinterdrein zu laufen.

„ Während des Umſpannens wurde ein tüchtiges Frühſtück freihändig

verzehrt, verſchiedene Brote, Hühner, Zunge und eine Flaſche Veltliner mit dem Poſtillon geteilt. „Wie wir ſchließlich die Paßhöhe bei Nebel, Wind und Schneegeſtöber

erreicht, weiß ich kaum , wohl aber, wie wir heruntergekommen. Anfangs fiel mir auf, daß wir nicht auf der Straße, ſondern neben derſelben fuhren, der Grund leuchtete aber ein, als wir in grader Richtung, über alle Zid

zacks fort , herunter ſauſeten. Das Pferd ſank oft bis zum Bauch ein, 1

aber in wenig Minuten waren wir ſoweit unten, daß die Straße und bald darauf der bereitſtehende Wagen wieder benußt werden konnte. Die ganze Er

pedition war ungleich weniger beſchwerlich und halsbrechend als die Tour, welche wir vor vier Jahren zuſammen über den Gotthard gemacht haben . Bei recht ſchönem , aber kaltem Wetter ging es nun in einem unausa geſetzten Trabe abwärts nach Andeer und dann durch die Via Mala am Rand ſenkrechter Felswände entlang. Auf einer nicht viel Vertrauen er

weckenden alten Brüđe überſpannt die Straße den Hunderte von Fuß tiefer brauſenden Rhein, welcher ſich in eine Feldſpalte einzwängt , wenige Fuß breit, ein Nij in dem Felſen wie geſprungenes Glas. An den auf ſchroffer Höhe liegenden , angeblich etruskiſchen Trümmern II

von Räßuns *) gelangt man endlich nach Thuſis, von wo der Rhein fich nun für den angethanen Zwang in einem wohl tauſend Fuß breiten Bette bequem macht.

*) Moltfe verwechſelt hier die Ruine Gohen-Rätien mit dem unterhalb Chufis ge legenen Rhagüns.

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über Reichenau gelangten wir endlich nach zwölfſtündiger Fahrt nach Chur, wo ein ebenſo opulentes wie teures Mittageſſen eingenommen wurde.

Während deſſen Bereitung gingen wir, um uns zu erwärmen, ein kurzes 1

Stück die Pleſſura aufmärts und über den Domhof mit dem Römerturm zurüd. Abends halb zehn fanden wir auf dem Bahnhof von Ragaz Herrn Kinberger, welcher uns mit dem Omnibus abholte und zwei behagliche Zimmer mit trefflichen Betten im Hof Ragaz anwies. Für Heizung und Wärmflaſche war geſorgt, was mir nach vierzehnſtündiger Reiſe, etwas von Froſt geſchüttelt, ſehr wohl that, ſo daß ich nach feſtem Schlaf am andern Morgen ganz friſch und geſtärkt erwachte, nur daß wir beide ziegelrot ſind. Die ſcharfe Luft und die blendende Sonne auf dem Schnee haben mir förmlich Blaſen im Geſicht gezogen , die ganze äußere Haut wird herunter müſſen.

,, Geſtern früh ſind wir , bei ſchönem Wetter natürlich ,1 zuerſt die Taminaſchlucht nach Bad Pfäffers hinaufgeſchlendert. Um 12 Uhr haben wir zu Mittag geſpeiſt, ſelbſtverſtändlich ausgezeichnet 1, und dann beſuchte ich meinen Freund Joſeph, den Gärtner,1 der erfreut war, mich wiederzuſehen. Er wehklagte über den Schaden, den der Nachtfroſt in der Baumblüte an gerichtet hat. Nach einem tiefen Nachmittagsſchlaf ging ich abends nach der Ruine Freudenberg, wo jeßt ein bequemer Weg hinaufführt. Wir hatten einen recht ſchönen Blick auf den oben noch mit Schnee bedeckten Falknis, .

die Ruhfirſten und Sargans. Heute nun wollte ich nach Dorf Pfäffers

und der Hochfläche des Calanda, aber Weſtwind, Regen und keine Hoffnung, daß es den Tag über beſſer wird. So habe ich denn volle Muße, dieſen langen Brief zu ſchreiben und nachher die verſchiedenen Bettelbriefe zu be antworten, die mich bis in die Alpen verfolgen. So ! mein Papier und Eure Geduld gehen zu Ende. "

Das Jahr 1883 begann trüb mit dem Tode von Moltkes Lieblings ſchweſter Auguſte, die ihm feit Mariens Tode das Hausweſen geleitet hatte und am 28. März bei ihrer Tochter Erneſtine ſtarb. Sie fand ihre Gruft bei der. Stieftochter in der Kapelle zu Creiſau. Im Frühling madyte fich

Moltke zeitig auf, diesmal mit ſeinem Neffen Wilhelm , dem älteſten der ,, dier Rieſen ". Moltke berichtet darüber an Henry , den bisherigen Reiſes genoſſen : Genova la superba, den 11. Mai 1883.

Ich fühlte das Bedürfnis , den falten Mai im warmen Süden zuzubringen , bis das durchfrorene Haus in Creiſau aufgetaut ſein wird . Einen merklichen Unterſchied der Temperatur bekundete die Vegetation ſchon 1

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am erſten Reiſetage in Frankfurt am Main. Alles , was bei uns nur eben knoſpte, ſtand dort in Blüte und grünem Laub. Der zweite Tag

führte uns nach Baſel (Drei Könige), der dritte nach meinem lieben Luzern mit dem gemütlichen Schweizerhof, wo man ſo gut aufgehoben iſt. Von Ausflug auf den Higi , wo aber noch viel Schnee lag. Ganz dort aus ***** herrlich war beim ſchönſten Sonnenſchein die Auffahrt nach dem Gotthard tunnel, ein wahrer Rieſenbau. Um die Höhe bis zum Eingang zu ge winnen, macht im Fnnern der Felsinaſſe die Bahn zwei vollſtändige Schleifen , um dann auf ſchauerlicher Höhe fchwindelige Abgründe auf Gitterbrücken zu überſchreiten, die in der Luft zu ſchweben ſcheinen. Volle fünfundzwanzig Minuten fährt man ſodann Tauſende von Metern unter Andermatt und Gotthardhoſpiz fort, wo wir vor fünf Jahren die hcilloſe Fahrt hinunter 1

machten. Aber gerade wie voriges Jahr begrüßte uns in Airolo der er hoffte italieniſche Himmel grau und finſter bis Como. Bei Regen und Kälte fuhren wir dann auch nach Bellaggio, indes ſah man doch die herrlichen Ufer und konnte die köſtliche Vegetation in Villa Serbelloni bewundern, Cedern , Cypreſſen , Palinen und Roſen . Folgenden Tages bei Sturm und Regen bis Mailand, wo wir noch die berühmte Galerie Vittorio Emanuele und den Dom nur von außen be ſahen. Wilhelm beſtieg noch am folgenden Morgen das Dach, dann fuhren wir hierher , und haben heute den erſten , ſonnigen Tag ſeit Deutſdland. Die Luft iſt mild und ſchön draußen , aber es iſt die Saiſon der kalten Zimmer, da man aufgehört hat , zu heizen . Heute haben wir eine vier ſtündige Promenade geinacht nach dem Molo, nach der Carignano-Acquaſola und der köſtlichen Villa Negro. Troß der etwas forcierten Reiſe habe id) mich doch im ganzen ſchon recht erholt, ich habe einen für mich ganz ungeheuren Appetit und geſunden Schlaf, der inir in Berlin ganz abhanden gekommen war. Ich denke nun in San Remo einige Tage auszuruhen , noch bis Monaco oder Nizza zu gehen. Welchen Rüdweg ich dann nehme, weiß ich noch nicht, vielleicht 11

I!

1

über ben Mont- Senis ."

,, San Remo, den 13. Mai.

,, Can Nemo iſt in der That ein Paradies ! Auf drei Seiten von hohen Bergen mit Olivenwäldern umſchloſſen , breitet ſich eine Reihe von Hotels am Meeresſtrand aus, wahre Paläſte, cines ſchöner als das andere. Ich habe zwei Parterreſtuben und blicke durch die Palmen auf das tiefblaue Meer, welches ſich wie eine hohe Mauer am Horizont aufbaut. Eine breite Marmorterraſſe zieht ſich tauſend Schritte längs des Strandes hin. Die

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Luft iſt völlig angefüllt von Wohlgerüchen , die Heliotrop wuchert in die Fenſter hinein. Citronen, Cedern und Cypreſſen wurzeln in der Erde und

der Eukalyptos bildet dicke Stämme. Die Vegetation iſt ſo reich, daß idy viele Bäume noch nie geſehen habe. Nichts behaglicher, als auf der Terraſſe ſpazieren zu ſißen und der Brandung zu horchen, die ſich an den felſigen Ufern bricht. Und doch habe ich eigentlich noch nicht gefunden I, was ich hauptſächlich ſuche, nämlich Wärme. Es iſt auch hier dies Jahr ungewöhn lich fühl. In der Sonne freilich iſt es föſtlich , aber der Wind iſt noch

immer kalt. Heute iſt es ein köſtlicher, völlig wolkenloſer Tag und ich will gleich hinaus. „Wilhelm, der freundlichſt grüßen läßt, klettert in den Bergen herum, ich wil mich aber einige Tage hier ausruhen und beſchränke mich auf die ſchöne nächſte Umgebung.“ -

Sehr treffend iſt ein Wort an l. Hahn vom 14. November 1883. „Wie viele Jahre hat man von deutſcher Einheit geredet, gedichtet, geſungen, Voltsverſammlungen und Schützenfeſte gefeiert und Reſolutionen gefaßt ; ſo lange man das »Logos « nur init » das Worte überſeßte, wurde nichts. Erſt als man ſich auf die Kraft beſann , als unſer Kaiſer mit Roon das Heer ſchuf und als dann Bismarck die That unvermeidlich ge

macht hatte , trat die Schöpfung hervor. Jetzt aber herrſcht wieder das Wort.“ Am 28. September 1883 wohnte Moltke im Gefolge des Raiſers der

feſtlichen Enthüllung des Niederwalddenkmals bei ; ebenſo im Jahre 1884

der Grundſteinlegung des Reichstagsgebäudes in Berlin . Aus dieſem leß teren Jahre liegt nur ein Brief an Bruder Ludwig vor : „ Creiſau, 30. Mai 1884. Wenn Du Creiſau in voller Schönheit ſehen willſt, mußt Du bald fommen . Die Belaubung iſt prachtvoll, auch nicht ein Maikäfer , nicht eine Raupe hat es angerührt. Die Wieſen ſind bedeckt mit zahlloſen Heu haufen des erſten Schnitts , und morgen geht es an das Einfahren ; der Rotdorn ſteht in voller Pracht, und tauſend Knoſpen des Roſenſtocks an der Kapelle ſind im Aufblühen. Und niemand iſt hier von den Geſchwiſtern , denen ich die Herrlichkeit zeigen kann. Mein Weinkeller iſt gut verſehen, und vier Kutſchpferde ſind zum Tourenfahren da.“ Aus dem Jahre 1885 mögen hier nur einige ſchöne Reiſebriefe aus II

Oberitalien mitgeteilt werden.

An Bruder Ludwig .

,, San Remo, den 24. März 1885.

„ Herzlichen Gruß vom liguriſchen Küſtenſaum her, der Dir von Nervi in ſchöner Erinnerung ſein wird ! Freilich iſt cseine Täuſchung , wenn

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wir in Deutſchland denken ,1 daß hier kein Winter ſei. Noch heute friere

ich hier mehr als in Berlin ; draußen zwar und im Gehen iſt es herrlich, aber in den Zimmern die Temperatur von + 12 ° R. Höchſt unerfreulich. Der Himmel iſt ſtets ſonnig und klar, aber der Oſtwind empfindlich kalt und hart. Doch bald wird ſich das ändern . Nicht nur Mandel- und

Aprikoſen- , ſondern auch Birn- und Kirſchbäume ſtehen in voller Blüte. Orangen und Citronen hängen voller Früchte. Ich wohne hier bei einem

deutſchen Arzt, Dr. Golß. Aus dem Fenſter haben wir den Blick auf das tiefblaue Meer, und wundervoll iſt die Promenade auf der mehr als ein

tauſend Schritt langen, ſteinernen Terraſſe, welche von Palmen eingefaßt iſt und an deren Fuß die Brandung ſchäumt. An der anderen Seite er heben ſich in ununterbrochener Reihe tie palaſtähnlichen Hotels. An wind ſtillen Tagen iſt es köſtlich, hier ſpazieren zu ſitzen und dem Rauſchen der Wellen zu horchen , den ruhigen Atemzügen des ſchlummernden Meeres .

Un anderen Tagen brauſen ſie gewaltig gegen die Felſen des Ufers, und dann ſprißen ſie den Schaum an dem Molo hinauf. „ Die erſten acht Tage haben wir uns ganz ruhig hier verhalten. Wir ſind ſehr gut verpflegt und haben die nächſte Umgebung beſucht. Geſchickt

geführte Kunſtſtraßen reichen durch lauter Olivenmälder auf die Berggipfel nach Madonna della Costa und della Guardia, andere ziehen zwiſchen zahlloſen Villen am Ufer entlang. Die Veilchenzeit iſt vorüber , aber die Roſen ſind im Begriff, ſich zu entfalten, und müſſen einen prachtvollen An blick gewähren. Auch die Orangen fangen ſchon an zu blühen, ein Zeichen ,

daß die Früchte reif ſind. Dennoch freue ich mich auf ein deutſches Früh. jahr, welches, wenn es endlich eintritt, dort weit ſchöner iſt als hier. Alle

dieſe grauen Oliven und Steineichen ſind nicht zu vergleichen mit einer grünen Wieſe und dem erſten Laub eines Buchenwaldes. Im Mai dente ich in Creiſau wieder einzutreffen und hoffe dann, Dich und Nöschen dort bald wiederzuſehen. Bis dahin Lebewohl." An ſeinen Neffen Wilhelm . San Neino, den 28. März 1885 .

II

Lieber Wilhelm ! Ich ſchicke Dir einen freundlichen Gruß aus Dir

bekannter Gegend. Wohlfeil iſt es nicht gerade, aber alles ſehr gut. Gegen Erwartung iſt es indes recht falt trotz des vielgeprieſenen Klimas ; draußen zum Gehen wunderſchön und ſonnig , aber in den Zimmern iſt eine Temperatur von zwölf Grað höchſt ungemütlich. So gehen wir denn auch vormittags und nachmittags weite Touren. Geſchickt geführte Kunſt

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ſtraßen führen jetzt hoch in die Berge, nach Deiner Madonna della „ Garde du corps “ habe ich aber Helmut allein klettern laſſen, und bewege mich mehr auf der Horizontale zwiſchen den Villen und Hotelpaläſten des corso di levante und ponente. Die Vegetation iſt auch noch ſehr zurück, Kirſchen und Birnbäume ſtehen zwar in Blüte , ſind aber nur ſparſam

vertreten . Die zahlloſen Roſen ſind im Begriff, ſich zu entfalten, und an Reſeda, Veild:en , Goldlad und Heliotrop iſt Überfluß. Aber alle dieſe grauen Oliven und Steineichen ſind nicht zu vergleichen mit dem friſchen Grün einer deutſchen Wieſe oder dem erſten Laub eines Buchenwaldes. Immer ſchön iſt allerdings fas Meer, ſei es, daß es hoch gegen den Volo aufſchäumt, oder in ruhigen Atemzügen den herrlichen Quai della Imperatrice beſpült. Geſtern waren wir nach Ospetaletti hinter Capo Nero gefahren, das rieſige Hotel und das palaſtähnliche Kaſino, welche wir vor zwei Jahren im Bau begriffen ſahen , ſind jetzt vollendet, Teşteres

offenbar in der Hoffnung auf eine Spielbank wie Monte Carlo. Aber außer lungernden Portiers und Kellnern war niemand 311 ſehen. Das Ganze macht den Eindruck eines völlig verfehlten Gründerunternehmens. — Die italieniſchen Zeitungen wiſſen, daß ich in Nizza bin und daß die Polizei dort nach mir fahndet. Die nächſte Woche denke ich allerdings auf einige Tage nach Bordighera und über La Turbia nach Monaco zu gehen .“

Allerdings waren damals die franzöſiſchen Zeitungen in Beſorgnis, der gefürchtete Feldmarſchal möge die ſchwachen Stellen der Grenze er funden .

An Ludwig .

„ Nervi, den 17. April 1885. Lieber Ludwig ! Heute ſchicke ich Dir freundlichen Gruß aus der wohlbefannten Gegend ; wie ſchade, daß Du nicht auch hier biſt. Du magſt bei Deinem Aufenthalt wohl auch im Hotel Viktoria nahe am Strand ge wohnt haben , wo ich in der ſpäter erbauten Dependance eine reizente Wohnung mit dem Blick über Palmen und Orangen aufs Meer inne habe. Die auch wohl erſt nach Deiner Zeit entſtandene Eiſenbahn , die zwiſchen 11

Genua und La Spezzia in achtzig Tunnels die Vorgebirge durchſtößt, mag hier in Nervi manches verändert haben, aber gewiß eriſtierte ſchon ber föſt

liche Fußweg am Ufer des Strandes, an den alten Sarazenentürmen vor über. Im Rüden geſchüßt durch hohe Mauern , hat man vor ſich die endloſe Weite des Meeres. Dort kann man ſtundenlang ſitzen und ſich an dem Spiel der Wellen erfreiten. Dunkelblau rückt die breite Woge,

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die » immer kommt und iinmer flieht «, heran , mit fliegender weißer ſtürzt ſie über die niederen Klippen und ſchlängelt in den Felsſpalten Die Italiener nennen dieſe Wogen cavallos, wohl in Erinnerung Roſſe Poſeidong. Gewiß habt Ihr auch oft die Villa Grapalo

Mähne hinauf. an die beſudit

mit ihrem großen Garten, wo jeßt neben den reifen Früchten die Orangen und Citronenbäume neue Blüten entfalten. „Ich finde es hier wärmer als an der Ponente. Nervi hat die Eigen tümlichkeit, daß kein Thal aus dem Gebirge ſich herabſenkt,1 die Bucht ijt

von einer geſchloſſenen Bergwand umgeben, und nur den warmen Südwind nimmt ſie mit offenen Armen auf. Den ſchlimmen Oſt wehrt das präch tige Vorgebirge von Porto fino ab. In dieſer Konfiguration iſt gegeben, daß es cigentlich keine andere Promenaden giebt, man müßte denn nad) San Jlario hinaufklettern, ſonſt bleibt inan in Häuſern und Mauern ein geſchloſſen, aber der Gang am Meeresujer entſchädigt für alles. 11Es iſt doch ein föſtliches Land , dies Italien. So lange es der Tummelplatz der Deutſchen und Franzoſen, mochte ſein Dichter wohl ſagen : Deh ! Fosse tu più forte, o meno bell' almeno ! (Röschen wird dieſe

Stanze korrigieren ) aber jeßt haben Sie ja auch ihre unità. Betteln thut hier jedermann; die Kinder ſtrecken die Hand aus mit moriamo di fame, aber ſie ſpringen fröhlich davon , wenn ſie nichts bekommen . Die Maſſe der Bevölferung lebt unter ſchwerem Druc, aber das Leben hat hier nicht

den bitteren Ernſt wie bei uns, auch der Ärmſte wird nicht totfrieren oder verhungern. Da ſigt ein Burſche auf der Klippe, raucht ſeine Lancietta fühl bis ans Herz hinan , cr angelt einen Fijd , kauft an der nächſten Straßenecke für fünf Centeſimi eine Handvol geröſteter Maronen und iſt für heute verſorgt. Den Reſt des Tages bringt er beim boccia oder in gemütlicher Veſchaulichkeit zu. Wo nur ein Tümpel Fluß- oder Regens waſſer ſich angeſammelt hat, da waſchen die nerviſchen Frauen in lebhafter Unterhaltung die » leuchtenden Gewänder« , mit denen ſie fann zum Trocknen die Fenſter ſelbſt der Paläſte ſchmücken. Aber überall bricht der Frohſinn durch. Ich denke nur noch einen kurzen Ausflug bis Santa Margarita und Rapallo an der Levante zu machen , dann Aufenthalt in Cadenabbia am Comerſee zu nehmen und dort abzuwarten, ob es auch in Deutſchland

Frühling wird. Dann iſt es freilich in Euren Buchenwäldern noch ſchöner als hier , und ich betrachte es als eine beſondere Gnade Gottes, wenn idi daheim noch ein fünfundachtzigſtes Mal das Erwachen der Natur erleben ſoll .“ Das Jahr 1886 ſei hier zunädiſt vertreten durch einen Brief an Schweſter Lene , in welchem wir unſeren Freund zur Abwechſelung als ,,Opapa " ſehen.

governaliay.

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Creiſau, den 8. September 1886. Ich habe eine ſchöne Zeit , den ganzen Sommer, hier ruhig zu = gebracht, leider geht er nur zu ſchnell vorüber. 11

, Ein ganz prächtiger Junge iſt Wilhelms Helmut, häßlich, mit ebenſo großen Ohren wie ich, aber derb und tüchtig und nicht leicht anders als durch ſeinen Papa zu bändigen. Leßt kan er trotz Tamtam nicht zu Tiſch und wurde erſt nach langem Suchen am Mühlgraben gefunden , wo er mit ſeinem Sonntagshut Fiſche fing. Der zweite, Joachim Peter , iſt ein bildſchöner Knabe. Helmuts Älteſter, Wily , iſt immer noch ein zartes

Kind, aber lebhaft und aufgeweckt. As die Peile alle Wieſen überſchwemmt hatte, fragte er, wohin al das Waſſer ginge, und erfuhr, daß es ins Meer fließe. »Papa, weiß denn das Waſſer, wo das Meer iſt ?« "

In das Jahr 1886 fällt ein zwiefaches, bedeutſames Eingreifen Moltkes in die Beratungen des Reichstages. Zunächſt am 10. März betreffend die Abänderung des Militärpenſionsgeſeges.

Für die Reichsbeamten war

bereits vorher feſtgeſtellt worden , daß fortan je nach der Zahl der Dienſt jahre nicht wie bisher ein Aditzigſtel, ſondern ein Sechzigſtel als Penſion gezahlt werde, die Ausdehnung dieſer Beſtimmungen auch auf die Offiziere ſcheiterte indes an der Forderung des Reichstages, daß die Offiziere zu den Gemeindeſteuern ſollten herangezogen werden. Moltfe hat wiederholt für die Freiheit der Offiziere von den Gemeindeſteuern geſprochen , indem er

darauf hinwies, daß dieſelben in der Regel ohne Lermögen ſeien, der Ge halt nicht bedeutend, daß der Offizier ohne Willen und Heimat, von einem Ort zum anderen verſetzt werde und keinerlei Einwirkung auf die bürger liche Verwaltung ſeines Wohnortes habe. In dieſer entſcheidenden Reichs tagsrede betrachtete Moltke, weitſchauend wie immer, die ſtreitige Frage von einem höheren Geſichtspunkte, indem er ſprach: „ Ich bitte die Herren , die Penſionsfrage noch von cinem anderen,

allgemeineren Standpunkte aus ins Auge zu faſſen . Es liegt ja auf der Hand, wie wünſchenswert es iſt, daß Offiziere, die unter der laſt der Jahre ſelbſt empfinden , daß ſie, zumeiſt in körperlicher Hinſicht, ihrer Aufgabe /

1

nicht mehr vollſtändig gewachſen ſind, nicht genötigt ſein ſollten, über dieſen Zeitpunkt hinaus fortzudienen aus Sorge für ihre Zukunft und die ihrer Angehörigen. Aber, meine Herren , es handelt ſich hier in der That nicht

bloß um dieſe , wenn auch zahlreiche Kategorie von Perſonen , ſondern es kommt auch ein ſtaatliches und politiſches Moment in Betracht. Es wurde

hier vor einiger Zeit geſagt : Wer hätte gedacht, daß wir nach einem Kriege, der ſo große Veränderungen in Europa hervorgerufen hat, 11och 15 Jahre lang Frieden behalten würden ? Ja, meine Herren, dieſen Segen verdanken

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wir der Weisheit unſeres Kaiſers und der Politik ſeines Kanzlers , einer Politik, meine Herren, wie ſoweit ich urteilen kann, die Weltgeſchichte ſie noch nicht geſehen hat , wo ein mächtiger Staat , neben Löſung ſozialer Probleme im Innern , nach außen ſeine Macht, ſein Anſehen und ſein .

1

Übergewicht geltend macht, nicht um die Nachbarn zu bedrängen, ſondern um den Frieden mit ihnen zu ſichern, – und das nicht nur, ſondern auch den Frieden der Nachbarn untereinander zu vermitteln. Aber , meine Herren , eine ſolche Politik läßt ſich nur durchführen

geſtüßt auf ein ſtarkes und kriegsbereites Hecr. Fehlte dieſes gewaltige Triebrad in der Staatsmaſchine, ſo würde ſie ſtoden , die Noten unſeres Auswärtigen Amtes würden des rechten Gewichtes entbehren. Die Armee, meine Herren, iſt das .Fundament geweſen, auf welchem eine ſolche Politit

des Friedens ſich hat aufbauen laſſen ; die Armee iſt es, welche der diplo: matiſchen Aktion Nachdruck und Nüdhalt gewährt, aber nur ſo lange, wie ſie auch wirklich bereit und imſtande iſt, da einzutreten, wo der friedliche Zweck nicht erreicht werden kann. Und, meine Herren, mit den Offizieren

der Armee veraltet die Armee ſelbſt, nicht bloß in den oberſten Stellen, ſondern auch, was weit bedenklicher wäre , bis hinunter in die überaus 1

wichtigen Stellen der Hauptleute und der ihnen Gleidigeſtellten in den anderen Waffen. Meine Herren , ſoll die Armee ihren Zweck erreichen , wollen Sie die Armee kräftig und jugendfriſch erhalten, ſo geben Sie ihr das Penſionsgeſetz .“ Die Regierung ihrerſeits gab inſofern nach, als ſie die Heranziehung des außerdienſtlichen Einkommens der Offiziere zur Gemeindebeſteuerung

zugeſtand, und ſo gelangte am 10. April 1886 das von Moltke als eigener Antrag eingebrachte Militärpenſionsgeſeß zur Annahme, ein mehrjähriger Stein fes Anſtoßes war beſeitigt und Tauſenden von verdienſtvollen Offi zieren ein ſorgenloſeres Alter geſichert. Ji einer anderen , noch weit wichtigeren Frage nahm Moltke ain 4. Dezember 1886 das Wort. Es handelte ſich um die Friedenspräſenz ſtärke des deutſchen Heeres und eine abermalige Erhöhung derſelben. Moltfe ſprach:

Meine Herren , ich möchte Ihnen doch die Vorlage der Regierung recht angelegentlich empfehlen. Man kann es ja beklagen, daß wir genötigt ſind, einen großen Teil der Einnahmen des Reiches, anſtatt auf den Ausbau im Innern, für die Sicherung nach außen zu verwenden ; das wird aber bedingt durch allgemeine Verhältniſſe, die wir abzuändern ganz außer ſtande ſind. Meine Herren, ganz Europa ſtarrt in Waffen. Wir mögen uns nach links oder rechts wenden , ſo finden wir unſere Nachbarn in

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voller Rüſtung, in einer Rüſtung, die ſelbſt ein reiches Land auf die Dauer ſchwer nur ertragen kann. Das drängt mit Naturnotwendigkeit auf baldige Entſcheidungen hin , und iſt der Grund, weshalb die Regierung ſchon vor Ablauf des Septennates eine Verſtärkung der Armee verlangt.

Aus den die Regierungsvorlage begleitenden Motiven erſehen Sie, wie ſehr wir hinter den Küſtungen der übrigen Großmächte zurü & geblieben ſind. Sie erſehen daraus, daß von allen großen Armeen die unſrige noch die mindeſt koſtſpielige iſt, daß ſie weniger als irgend eine andere auf der

Geſamtbevölkerung laſtet, und daß beiſpielsweije Frankreich nahezu das 1

Doppelte an ſeine Armee wendet wie wir.

Noch in dieſen Tagen ſind die

ſehr erheblichen Anforderungen des franzöjiſchen Kriegsminiſters in den Kammern anſtandslos bewilligt worden. Man hat nun die Richtigkeit dieſer Zahlenangaben in Abrede geſtellt. Ja, meine Herren, hier im Plenum können wir unmöglich die Rechnung

aufmachen, das wird ſich in der Kommiſſion finden. Ich halte die Angaben für richtig, denn ſie gründen ſich auf die beſten Nachrichten, die wir haben können. ,, Man hat uns nun den Rat gegeben ,1 uns mit Frankreich zu vers

ſtändigen. Ja , das wäre gewiß ſehr vernünftig; es wäre ein Segen für 7 für den Frieden in Europa. Wenn beide Nationen und eine Bürgſchaft 52 es nun aber nicht geſchieht - .à qui la faute ? So lange die öffentliche Meinung in Frankreich ungeſtüm die Zurückgabe zweier weſentlich deutſchen Provinzen fordert, während wir feſt entſchloſſen ſind, ſie niemals heraus zugeben, wird eine Verſtändigung mit Frankreich kaum möglich ſein.

Man hat dann hingewieſen auf unſer Verhältnis mit Öſterreich. Dieſes Bündnis iſt ein ſehr wertvolles , aber es iſt ſchon im gewöhnlichen Leben nicht gut, ſich auf fremde Hilfe zu verlaſſen : ein großer Staat eriſtiert nur durch eigene Kraft. Es iſt dann mit vollem Necht auch die finanzielle Seite der Frage in Betracht gezogen. Ja, meine Herren, ich verkenne gewiß nicht die große nicht eigentlich im Kriege ; da , wo Wichtigkeit einer guten Finanzlage es ſich um Kämpfe und Entſcheidungen handelt, wo nach dem Ausſpruch des deutſchen Landsknechtes »Patronenhülſen die gangbarſten Papiere ſein werden « , da , meine Herren , hört die Rücjicht auf die Finanzlage auf ;

aber außerordentlich wichtig iſt ſie für die Vorbereitung zum Kriege , für gute Ausrüſtung der Truppen , für Anlage von Befeſtigungen, für zweck: Ein unglüdlicher Krieg zerſtört auch die

mäßig geführte Eiſenbahnen.

beſte Finanzwirtſchaft; die Finanz muß eben durch die Armee geſichert ſein. Meine Herren , ich glaube, daß wir durch eine Reihe von Jahren ſchon uns haben davon überzeugen können, daß wir eine umſichtige, redliche

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und ſparſame Armeeverwaltung haben. Auch die jeßt in Rede ſtehende Vorlage iſt weſentlich durch Rüdjichten auf Sparſamkeit beſtimmt. Man

hat darauf verzichtet, ſchon im Frieden, wie dies außerordentlich wünſcheng. wert wäre, alle unſere Geſchüße beſpannt zu haben , wie das bei unſeren

Nachbarn der Fall iſt. Die Vermehrung bezieht ſich weſentlich auf die Infanterie, als die mindeſt koſtſpielige Waffe. Die Hälfte der neu aufzu ſtellenden Bataillone wird bereits beſtehenden Regimentern angeſchloſſen, um die Stäbe für Regimenter zu ſparen . Kurz, meine Herren, es iſt nicht das

militäriſch abſolut Wünſchenswerteſte, ſondern das finanziell Erreichbare dabei ins Auge gefaßt worden.

Und dann, meine Herren, dieſe Forderung, die an das Land geſtellt

wird — ſie wird geſtellt, um den bisher mühſam aufrecht erhaltenen Frieden in Europa , wenn es möglich iſt, auch ferner noch zu ſichern. Ich meine, wenn wir dieſe Vorlage ablehnen , ſo involviert das eine ſehr ernſte Verants wortlichkeit, vielleicht für das Elend einer feindlichen Invaſion, eine Vers antwortung, die, von hundert Schultern getragen , dennoch für jeden ein zelnen ſchwer genug wiegen muß. Durch große Opfer haben wir erreicht, was alle Deutſchen ſeit ſo viel Jahren erſehnt haben : wir haben das Reich, wir haben die Einheit Deutſchlands. Möchten wir auch die Einigkeit der Deutſchen in einer ſolchen Frage haben , wie ſie hier vorliegt. Die ganze Welt weiß, daß wir keine Eroberungen beabſichtigen . Mag ſie aber auch wiſſen, daß wir das, was wir haben, erhalten wollen, daß wir dazu ent ſchloſſen und gewappnet ſind ." Die Verhandlungen zogen ſich bis in das nächſte Jahr hinein , und ſo hatte Moltke Gelegenheit, bei der zweiten Beratung am 11. Januar 1887 1

abermals ſein gewichtiges Wort vernehmen zu laſſen, indem er ſprach: „ Niemand von uns täuſcht ſich wohl über den Ernſt der Zeit, in

II

welcher wir uns befinden. Alle größeren europäiſchen Regierungen treffen eifrigſt Vorkehrungen, um einer ungewiſſen Zukunft entgegertzugehen. Alle Welt fragt ſich: Werden wir den Krieg bekommen ? Nun ,1 meine Herren ,

ich glaube, daß kein Staatslenker freiwillig die ungeheure Verantwortung auf ſich nehmen wird, die Brandfadel in den Zündſtoff zu werfen, welcher mehr oder weniger in allen Ländern angehäuft iſt. „ Starke Regierungen ſind eine Bürgſchaft für den Frieden. Aber die

Voltsleidenſchaften , der Ehrgeiz der Parteiführer, die durch Schrift und Wort mißgeleitete öffentliche Meinung, das alles, meine Herren, ſind Eles mente, welche ſtärker werden können als der Wille der Regierenden; haben wir doch erlebt, daß ſelbſt Börſenintereſſen Kriege entzündeten.

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Wenn nun in dieſer Spannung irgend ein Staat in der Lage iſt, für die Fortbauer des Friedens zu wirken , ſo iſt es Deutſchland, welches

nicht direkt an den Fragen beteiligt iſt, welche die übrigen Mächte auf regen ; Deutſchland, welches ſeit dem Beſtehen des Reiches gezeigt hat, daß es keinen ſeiner Nachbarn angreifen will, wenn es nicht von ihm ſelbſt bazu gezwungen wird .

„Aber , meinc Herren, um dieſe ſchwierige, vielleicht undankbare Vers .

mittlerrolle durchzuführen , muß Deutſchland ſtark und kriegsgerüſtet ſein. Werden wir dann gegen unſeren Willen in den Krieg verwickelt, ſo haben wir auch die Mittel, ihn zu führen. Würde die Forderung der Regierung

abgelehnt, meine Herren, dann, glaube ich, haben wir den Krieg ganz ſicher. Cs iſt ja nun erfreulich und wird ſeine Wirkung nach außen nicht

verfehlen , daß von den großen Parteien dieſes Hauſes keine iſt, welche unge achtet mancher verſchiedenen Anſichten in inneren Angelegenheiten der Re gierung die Mittel verweigern wird, welche ſie nach gewiſſenhafter Erwägung von uns für die Verteidigung nach außen fordert; nur über die Zeitdauer

der Bewilligung ſind die Anſichten ſehr abweichend voneinander. Da möchte ich nun nochmals daran erinnern, daß die Armee niemals ein Pro viſorium ſein kann. Die Armee iſt die vornehmſte aller Inſtitutionen in jedem Lande ; denn ſie allein ermöglicht das Beſtehen aller übrigen Ein richtungen: alle politiſche und bürgerliche Freiheit, alle Schöpfungen der

Kultur, die Finanzen, der Staat ſtehen und fallen mit dem Heere. Meine Herren, Bewilligungen auf kurze Friſt, ſei es auf ein, ſei es auf drei Jahre, helfen uns nicht. Die Grundlage jeder tüchtigen militäriſchen Organiſation beruht auf Dauer und Stabilität; neue Cadres werden erſt wirkſam im Verlauf einer Reihe von Jahren .

Meine Herren, ich glaube, ich darf ſagen , daß heute die Augen Europas auf dieſe Verſammlung gerichtet ſind, auf die Beſchlüſſe , welche Sie in einer ſo hochwichtigen Angelegenheit faſſen werden. Ich wende mich an Ihren patriotiſchen Sinn ,1 wenn ich Sie bitte , die Regierungsvorlage unverkürzt und unverändert anzunehmen. Zeigen Sie der Welt , daß das Volt und die Regierung einig ſind, und daß Sie, meine Herren , bereit ſind, jedes Opfer, auch das Opfer einer abweichenden Anſicht zu bringen, wenn es ſich um die Sicherung des Vaterlandes handelt !" Die Mehrheit des Reichstags war zu dieſem Opfer nicht bereit ; ſie gewährte in der Sißung vom 14. Januar die Bewilligung der geſteigerten Heeresſtårte nur für drei Jahre. Die Regierung löſte den Reichstag auf ; .

der neugewählte Reichstag bewiligte in der zweiten Märzwoche 1887 die Forderung der Neichsregierung ohne Widerſtreben .

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Kaiſer Wilhelms neunzigſter Geburtstag, der 22. März 1887 , war ein Freudentag für ganz Deutſchland, als ob es geahnt hätte, daß es ſolchen Tag nicht mehr erleben würde. Aber auch der hohe Greis empfand das

Bedürfnis, an dieſem Tage dem Feldmarſchal, der ihm ſeit langen Jahren in Stunden ernſteſter Entſcheidung mit Rat und That zur Seite geſtanden,

ſeinen kaiſerlichen Dank zu ſagen in einer Kabinettsordre, in welcher nicht der Fürſt zu ſeinem Diener, ſondern der hochbetagte Freund zum faſt ebenſo hochbetagten Freunde ſpricht. Raiſer Wilhelm ſchrieb: Mein lieber Generalfeldmarſchall!

Wenn Id) an dem heutigen Tage auf Meine verfloſſenen neunzig

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Lebens- und achtzig Dienſtjahre in tiefſtem Dank für die Gnade Gottes zurüdblicke, ſo richtet ſich auch gleichzeitig Meine dankbare Erinnerung darauf, daß Mir wahrlich von vielen gut gedient und treu geholfen worden iſt. Ich kann heute nicht zu allen ſprechen, denen Ich danken möchte, und es gehören auch viele, denen Ich heute die Hand drücken würde, dieſer Erde -

nicht mehr an. Aber ich habe das Glüđ , daß Sie — deſſen Ich heute Mir noch in derſelben Stellung zur Seite ganz beſonders gedenle 1

ſtehen , die Ihnen einen großen Namen in der ganzen Welt gemacht hat, und da iſt es mir ein tiefempfundenes Herzensbedürfnis, Ihnen auszu ſprechen, daß Ich wohl nicht neunzig Jagre alt geworden wäre, wenn Sie nicht ſo manche Sorge in ſchwerer Zeit von Meinem Herzen genommen hätten, und wenn mit Ihrem Rat und mit Ihrer Hilfe die Fahnen Meiner Armee nicht mit dem Ruhm und den Ehren geſchmüct worden wären , die Meine Lebenskraft erſtarkt und Meine Lebensfreudigkeit erhalten haben . „ Mögen Sie aus der hierdurch erfolgenden Verleihung des Kreuzes und des Sternes der Großkomture Meines Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern in Brillanten erkennen, daß es Mir an dem

heutigen Tage eine beſondere Freude iſt, Meinem jederzeit lebendigen Dant gefühl für Sie Ausdruck zu geben und vor allem und der Armee noch recht lange erhalten bleiben.

mögen Sie Mir

Berlin , den 22. März 1887. 11

Wilhelm .

Aber auf den Freudentag folgten trübe ernſte Zeiten. König Wilhelm war alt, ſehr alt, und der Erbe ſeiner Krone war krank, ſehr frank. Der bisher ſo blühende ritterliche Kronprinz Friedrich Wilhelm , der Sieger von Wörth , erkrankte in demſelben Frühling 1887 an einem Halsleiden, das

ſich zunächſt in dauernder Heiſerkeit åußerte. Die Luft von England, Schottland, des Südalpenlandes und der Riviera brachte keine Beſſerung

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ſondern nur Zunahme des übels, welches als Kehlkopffrebs erkannt ward. So weilte der Kronprinz,1 während der hochbetagte Vater daheim ſeines Amtes waltete, als aufgegebener Mann am ſonnigen Geſtade des Mittel meeres , und man durfte wohl fragen , ob die Lebensflamme des müden

Greiſes oder die des rüſtigen Sohnes zuerſt erlöſche; Raiſer Wilhelm ſelbſt litt ſchwer unter der Sorge um den einzigen Sohn. In der erſten März woche 1888 aber traten beängſtigende Schwächezuſtände bei dem greiſen Helden ein ; am Nachmittag des 8. März fand eine Hausandacht im Krankenzimmer ſtatt, welcher auch Moltke beiwohnte. Und ſo war er auch zugegen, als in der Frühe des 9. März Kaiſer Wilhelm zu ſeinen Vätern heimging. So war er denn geſtorben , der Mann, unter deſſen Regierungshand lungen eine der erſten geweſen, daß er Moltke an die Spiße des preußiſchen Generalſtabes ſtellte, der Mann, der dreißig Jahre lang Moltke zu den ſicherſten Stüßen des preußiſchen Thrones rechnen durfte und dem unſer

Freund in zwei furchtbar ſchweren Feldzügen als allezeit zuverläſſiger und glüdlicher Ratgeber zur Seite ſtand. So können wir dieſen Abſchnitt in des Feldmarſchals Leben nicht beſſer ſchließen als mit den ſchönen und

wahren Worten, welche hierüber die Geſammelten Schriften I. S. 264 ſagen : „Niemals hat zwiſchen einem großen Fürſten und einem großen Unterthanen ein Einklang beſtanden , der edler und reiner geweſen wäre, als der zwiſchen Kaiſer Wilhelm und ſeinem Feldmarſchall. Nie hat ein Diener treuer , fleißiger und ſelbſtloſer für ſeinen Königlichen Herrn gear beitet, nie iſt ein König in neidloſer Anerkennung dieſer Werke, in Dank

barkeit und liebe bewundernswerter und größer geweſen als Kaiſer Wilhelm. Das Verſtändnis zwiſchen beiden iſt derart,1 daß man in der Geſchichte

unſeres Volkes dergeblich nach etwas ihm Ähnlichen ſucht; es iſt das einer hehren Freundſchaft zwiſchen echten Männern und erſcheint als die Vollendung des ydeals germaniſcher Mannentreue, eine höhere Vollendung fürwahr, als die Heldenſagen unſeres Volkes ſie uns ſchildern, höher als die Wirklichkeit ſie bis dahin zu reifen vermochte. Nicht mit einem Schlage hat ſich dies

Zuſammenleben herausgebildet, aber der Boden , auf dem es erwuchs und gedieh, war wohl vorbereitet: hier williges Königliches Vertrauen , dort

ſchrankenloſe thatkräftigſte Hingebung. Erſt die großen Werke , die eine weiſe Vorſehung dem Könige mit Moltkes Hilfe zu ſchaffen beſchieden hatte, und deren Ausführung beide zu immer gewaltigerer Höhe, zur Bewunderung der Welt, zur Unſterblichkeit emporhob, brachte ſie einander auch menſchlich näher, eine merkwürdige Erſcheinung nicht nur in der Weltgeſchichte, ſondern

auch für die Geſchichte des menſchlichen Herzens. Beiden großen Männern Budner, Moltke.

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blieb die erhabene Schlichtheit, das ſichere Gleichgewicht der Seele gewahrt,

beide erklommen gelaſſen , auf Gott, ihr Recht und ihre Kraft vertrauend, die höchſten Stufen menſchlichen Ruhms und Glücks, ohne daß es ſie ſchwindelte, ohne daß der ſie laut umtoſende Dankesruf ſie einen Augenblick berauſchte. Nur um ſo feſter ſchloſſen ſie ſich aneinander, nur um ſo mehr achtete, ehrte und liebte einer den andern , und ſo haben ſie füreinander gefühlt, bis der Tod ſie trennte . "

Noch am Morgen des I. März empfing Kaiſer Friedridh die Nachricht, daß Kaiſer Wilhelm geſchieden ſei, und machte ſich ſofort bereit zur Heimreiſe aus dem Frühling Jtaliens in den norddeutſchen Winter , ein dem Tode geweihter Mann . In rauher kalter Nacht, am 11. März 1888, hielt er ſeinen Einzug in die Räume des Charlottenburger Schloſſes. Um folgenden Tage 1

hatte Moltke ſeine erſte Audienz bei ihm. Da die Beiſeßung des Kaiſers . Wilhelm im Mauſoleum zu Charlottenburg am 16. März, einem kalten

windigen Tage , ſtattfand, ſo richtete Saiſer Friedrich,1 für die Geſundheit ſeines großen Feldinarſchaus beſorgt , folgendes Schreiben an ihn: „ Ich

bitte Sie herzlich , Shre morgende Teilnahme an der ſchmerzlichen Feier auf Ihre Anweſenheit im Dom zu beſchränken. Sollte Ihnen dies nicht 1

genügen , ſo befehle ich es Ihnen , was Sie einem alten treuen Freunde hoffentlich nicht übel nehmen werden. Friedrich ."

In Raiſer Friedrich hatte Moltke ſeinen vierten preußiſchen Kriegs: herrn erhalten, dem er ſchon ſeit Jahren durch kräftige unlösliche Bande verknüpft war als Lehrer der Kriegsgeſchichte, als Reiſegenoß bei der

Braut- und Hochzeitsfahrt nach England, als Waffengefährte in den Sturms jahren 1870 und 1871.

Und nun beſtieg Kaiſer Friedrich den Thron

ſeiner Våter , ein Mann in der Mitte der Fünfziger und doch ein hin ſterbender todwunder Mann , dem ſogar das Beſißtum des Ärmſten fehlte, .

die Gabe des lauten Wortes. So liegt aus dem trüben Vierteljahr feiner Regierung nur noch eine an den Feldmarſchal gerichtete ſchriftliche Kund gebung vor, ein am 12. März 1888 mit Bleiſtift geſchriebenes Brieflein, eine ergreifende tieftraurige Bitte um Unterſtügung:

„ Bleiben Sie Mir, was Sie Meinem Vater geweſen ſind, ein Freund, ein Vertrauter, der heldenmütige Berater zum Wohle des Heeres ! "

Am 15. Juni ſtarb Kaiſer Friedrich auf Schloß Friedrichstron ; am 18. gab ihn Moltke das letzte Geleite nach der Friedenskirche bei Potsdam. So war es denn dem 87jährigen Manne beſchieden, dem fünften Preußen= könige und dritten Kaiſer des jungen Deutſchen Reiches , Wilhelm bem

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Zweiten , den Eib der Treue zu leiſten. Aber auch Moltkes lebenstage, bis dahin ſtrenger Arbeit geweiht , neigten ſich dem Ende zu. Zwar war der Geiſt noch friſch und hoher Entwürfe fähig , der Mund noch beredt, aber der müde Leib verſagte allgemach den Dienſt. Wir haben den Gang der Erzählung nicht unterbrechen wollen ; es mögen nun einige Briefe Moltkes aus jener Zeit der Schmerzen eine gefügt werden : An Henry .

,, Berlin , den 11. März 1888.

„ lieber Henry. Habe Dank für Dein freundliches Schreiben. Es iſt eine traurige Zeit, die Gegenwart, und eine dunkle Zukunft. In welchem Zuſtand werden wir unſern neuen Kaiſer ſehen , welcher heute abend aus dem ſonnigen Süden nach unſerm kalten Regenhimmel zurüctehrt ; werden

wir ihn überhaupt ſehen ? Aus den ärztlichen Berichten kann niemand ſich vernehmen. Gegen Mackenzie herrſcht große Erbitterung, mit Recht oder mit Unrecht.

„ Die arme , krante, faſt achtzigjährige Kaiſerin -Witwe trägt ihr leið mit tiefem Schmerz in Geduld. Die Leiche des Kaiſers gewährt einen wahrs 1

haft wohlthuenden Anblick, ſo freundlich und gut ſieht ſie aus. Er wird heute nacht zwölf Uhr nach dem Dom gebracht und drei Tage lang aus geſtellt bleiben. Der Anbrang des Publikums wird gewaltig ſein. Noch Heute ſtehen Tauſende von Menſchen vor dem Palais.

„ Im Fahnenſaal hielt heute Kögel eine ergreifende Rede über den Text: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübſal. Die ganze Familie von nah und fern war um die Kaiſerin verſammelt,1 nur der Sohn nicht. „ Der Trauerzug ſoll, wahrſcheinlich Donnerstag , vom Dom bis zur Siegesallee gehen. Die Beiſezung im Gewölbe des Charlottenburger Mauſoleums. " An Schweſter Lene. Berlin , den 22. März 1888.

„ Die Zeitungen enthalten alles , was ich Dir über die traurige Zeit ſchreiben könnte, die wir hier durchlebt haben .

„ Der Tod Kaiſer Wilhelms hat die regſte Teilnahme durch die ganze Welt gefunden. Es lag ja im natürlichen Verlauf der Dinge, daß der ſo hochbetagte Herr ſcheiden mußte. Er entſchlief faſt ohne Todeskampf. Die Leiche hatte einen friedlich milden Ausdruck. „ Wahrhaft tragiſch iſt dagegen das Schickſal ſeines Nachfolgers, der mit einem Fuß auf dem Thron, mit dem andern im Grabe ſteht. Mit 23 *

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wahrhaft bewundernswerter Mannhaftigkeit trägt er ſein ſchweres Leiden ; wie lange oder wie kurze Zeit, weiß Gott allein. In der äußern Erſcheinung iſt er noch immer der ſtattliche, kräftige Mann. „ Die gute alte Kaiſerin Auguſta hält ſich troß Schwäche und tiefer Trauer durch ihre Willensſtärke noch aufrecht. „ Heute haben wir ſtatt des lange Jahre wiederkehrenden Geburtstags Feſtes eine Trauerfeier in allen Kirchen. Dabei ſißen wir im tiefen Schnee.

Die Bäume beugen die Äſte unter ihrer Laſt, und die Straßen ſind bei dem neueintretenden Tauwetter froß Hunderter von Schneefuhren in einem unbeſchreiblichen Zuſtande ..." An Henry. „,Berlin , den 23. April 1888. „Mit unſerm Kaiſer zögert ſich die Entſcheidung hin. Bald ſchlechter, bald leidlicher, aber immer ſchlimm . Jegt liegt er im Bett und wird es ſchwerlich wieder verlaſſen. Es iſt ein wahrhaft tragiſches Schidſal, mit einem Fuß auf dem Thron , mit dem andern im Grabe. Mit wahrem

Heldenmute trägt der Herr ſein furchtbares Schidfal. Das Hinſcheiden des einundneunzigjährigen Kaiſers erweďte allgemeine Teilnahme, aber das .

des jetzigen muß jeden mit ſchneidenden Schmerz erfüllen ." An Bruder Ludwig. „ Berlin , den 24. Mai 1888. Ein neues Frühjahr zu erleben , halte ich jedesmal für eine be

ſondere Gnade Gottes. Wenn man das ſalomoniſche Alter überſchritten, kann man nur bitten , daß der Herr einen gnädig zu ſich nimmt, ohne zu viel Schmerzen und Atersbeſdhwerden . Zwar iſt „nie der Tod ein ganz willkommener Gaſt“ , aber das nächſte Jahr möchte ich nicht mehr erleben, es ſteht Deutſchland eine ſchwere Zeit bevor, und leider kann ich mich nicht

in verborgene Stille zurüdziehen. Beatus ille qui procul negotiis iſt mir nicht beſchieden, ich werde vielleicht noch dem fünften König von Preußen den Eid der Treue zu ſeiſten haben. ,, Eben tomme ich von der Trauungsfeierlichkeit*) in Charlottenburg; die Zeitungen bringen die ausführliche Beſchreibung. Die Braut mit der Krone auf dem Haupte und bedeckt mit den Kronjuwelen ſah reizend aus.

Mitten in den Glanz und die Pracht der Verſammlung wurde die alte Kaiſerin Auguſta auf ihrem Rollſtuhl hineingeſchoben , ganz ſchwarz, ohne jeden Schmud . Mir traten die Thränen in die Augen , als ihre Enkel kinder vor ihr niederknieten, ihr die Hand zu küſſen. Dann trat der Kaiſer *) Des Bringen Seinrich mit der Prinzeſſin grene don Geffen.

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ein, die hohe, ſtattliche Figur ungebeugt, mit freundlichem Lächeln die Ver

ſammlung begrüßend. Nur die Augen ſchienen mir erloſchen und die Atmung ſchnell und ſehr ſchwer. Es iſt herzzerreißend, ihn mit unerſchöpflicher Geduld und Freundlichkeit gegen ſein ſchweres Schidſal ankämpfen zu ſchen ; mit einem Fuß auf dem Throne , mit dem andern im Grabe ! Meine Hausgenoſſen ſchicken Dir und Röschen, Deiner treuen Pflegerin, die herzlichſten Grüße. Und ſomit Gott befohlen. Dein alter hinfälliger Bruder 11

Helmut. *

Schon vor vierzig Jahren , in der Koblenzer Zeit, hatte Moltke die Abſicht gehabt, ſeinen Abſchied zu nehmen, aber zum Heile Preußens nicht ausgeführt. Nach 1864 konnte davon natürlich noch weniger die Rede ſein. Aber jeßt war ſein kaiſerlicher Herr und Freund dahingegangen , alsbald nach ihm Moltkes freundlich geſinnter Schüler. Neu Regiment iſt nicht jedem angenehm, am wenigſten einem hochbetagten Manne ; zur rechten Zeit auszuſcheiden, iſt bisweilen auch eine feine Kunſt. So richtete denn Moltke, 1

nachdem er ſich nach den legten ſtürmiſchen Ereigniſſen in die Sommerfriſche zurückgezogen, an den jungen Kaiſer Wilhelm II. das nachfolgende Schreiben : Euer K. K. Majeſtät bin ich anzuzeigen verpflichtet, daß ich bei II

meinem hohen Alter nicht mehr ein Pferd zu beſteigen vermag. Euer Majeſtät brauchen jüngere Kräfte und iſt mit einem nicht mehr

felddienſtfähigen Chef des Generalſtabes nicht gedient. „ Ich werde es als eine Gnade erkennen, wenn Euer Majeſtät mich dieſer Stellung entheben und mir huldreich geſtatten wollen , den kurzen

Reſt meiner Tage in ländlicher Zurüdgezogenheit zu verleben . Nur mit meinen innigſten Wünſchen kann ich die Erfolge begleiten, welche Euer Majeſtät glorreicher Zukunft vorbehalten ſind. In treueſter Ergebenheit und aufrichtiger Dankbarkeit für ſo viele mir zuteil gewordenen Auszeichnungen und Wohlthaten verharre ich

Em. Majeſtät allerunterthänigſter Diener Creiſau , den 3. Auguſt 1888.

Gr. Moltke ,

Feldmarſchall. “ Kaiſer Wilhelm antwortete darauf in einem ſehr gnädigen Handſchreiben folgendergeſtalt: Potsdam , 9. VIII. 1888.

„ Obwohl ich mich den in Ihrem Briefe an mich aufgeführten Gründen

nicht zu verſchließen vermag, ſo hat mich doch derſelbe mit Schmerz bewegt.

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Es iſt ein Gedanke, an welchen ich mich ſo wenig wie die Armee , deren Sein ſo unendlich viel Shrer Perſon verdankt, werde gewöhnen können, Sie nicht mehr an dem Poſten ſehen zu ſollen, auf welchem Sie das Heer zu den

wunderbarſten Siegen führten , die je die Kämpfe eines Heeres frönten. Doch will ich unter keinen Umſtänden, daß Sie Ihre uns teure Geſundheit überanſtrengen ; darum werde ich, wenn auch ſchweren Herzens , Ihrem Wunſch willfahren. „Dennoch weiß ich mich mit meinem Heere eins in dem Wunſch, Sie um das Mohl und Wehe des Vaterlandes und ſeiner Verteidigung beſchäftigt

zu wiſſen. Seit dem Heimgang meines teuren Vaters iſt das Amt des

Präſes des Landesverteidigungskomitees unbefekt geblieben. Ich kann ges wiſſenhaft dasſelbe in keine beſſeren und berufenern Hände legen als in die Thrigen. Darum bitte ich Sie, dasſelbe mir und dem Vaterlande ſowie

meiner Armee zuliebe anzunehmen. Möge der Herr uns Ihre unſchätz . bare Kraft und Ratſchläge auch in dieſer Stelle noch lange zum Heile unſerer Nation erhalten.

,, In treueſter Dankbarkeit und Anhänglichkeit verbleibe ich Ihr wohl affektionierter König Wilhelin .“ Und als im Frühjahr 1889 ſiebzig Jahre verfloſſen waren ſeit Moltkes Eintritt in den Heerdienſt, da ließ ſich König Wilhelm II. abermals in huldvoll -dankbarſter Weiſe vernehmen : 1

Mein lieber Generalfeldmarſchall!

Sie wollen heut den Tag in ſtiller Zurückgezogenheit begehen, an welchem Sie auf eine vollendete 70jährige Dienſtlaufbahn zurückbliđen. 11

Wie wenigen ward dies der Zeit nach vergönnt, und weſſen Laufbahn

gliche der Fhrigen !? Was Sie in den vergangenen 70 Jahren für die Größe Meines Hauſes , für Preußen und Deutſchland gethan und geleiſtet, darf ich hier nicht wiederholen ; die ganze Welt weiß davon und die Geſchichte bewahrt es für alle Zeiten . Das aber laſſen Sie Mich ausſprechen, wie mit Mir ganz Deutſchland is als eine beſondere Gnade Gottes bantbar

preiſt, daß Er Sie bis heut unter uns belaſſen hat ; möge es dem Al mächtigen gefallen, Sie Mir und dem Vaterlande noch ferner in bisheriger Kraft und Friſche zu erhalten . Gleich Meinen nun in Gott ruhenden Vätern trage Ich im tiefſten Herzen die Tankesſchuld gegen Sie ; wollen Sie es deshalb als den Ausdruck Meiner warmen innigen Empfindungen

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auffaſſen, wenn ich Sie bitte, am heutigen Gedenk- und Ehrentage Meine Büſte in Bronze freundlich entgegenzunehmen . Berlin , den 8. März 1889.

Ihr Ihnen herzlich crgebener dankbarer König Wilhelm ." Wer lange lebt , überlebt viele. Das war auch Moltkes Schidſal.

Die Brüder Friß und Adolf, die treue Schweſter Auguſte, ſie waren bereits, und keineswegs jung, hingegangen , und der Kreis der Geſchwiſter ward immer enger. Im Auguſt 1889 ſtarb auch Bruder Ludwig , und ſo war von dem zahlreichen Geſchwiſterkreiſe nur noch Schweſter Lene übrig, die auch den Feldmarſchall um ein Jahr überleben ſollte. Moltke ſchreibt ihr : Creiſau , den 3. September 1889.

Liebe Lene ! Wir gedenken wohl beide in ſtiller aber herzlicher Teil

nahme unſeres heimgegangenen Bruders Ludwig. Was ich über ſeine legten Tage erfahren habe, lautet tröſtlich. Er iſt unter freundlichen Eindrücken ſanft erloſchen. „ Am tiefiten empfindet gewiß Röschen den Verluſt des Vaters , den ſie mit der aufopferndſten Treue bis zu Ende gepflegt hat. Sie hat der ſprochen , ſobald die nächſten Anordnungen getroffen , zu uns nach Creiſau zu kommen . Später wird ſie ruhig in Natzeburg in der alten Behauſung wohnen bleiben, auch Guſtchen wohl in ihrer Stellung bei Prinzeß Albrecht. Wernersdorf — nahe am „Ich habe jeßt ein zweites Gut gekauft Zobten, und dasſelbe an Ludwig Moltke verpachtet. Ich glaube, ſo beſſer

für meine Nachfolger geſorgt zu haben, denn die Konvertierung aller Wert papiere, welche vorausſichtlich in nicht mehr ferner Zukunft ſtattfinden wird,

droht allen Kapitaliſten mit dem Verluſt von einem Zehntel oder einem Fünftel ihrer Zinseinnahme. Grundbeſit trägt wenig ein, kann aber weder konvertiert, noch fortgeſchleppt oder geſtohlen werden."

Der Ausgang des Jahres brachte dem greiſen Feldherrn das nachfolgende gnädige Schreiben des jungen Kaiſers : Mein lieber Generalfeldmarſchall! „ Fünfzig Jahre ſind verfloſſen ſeit dein Tage , an welchem Mein in Gott ruhender Urgroßvater Ihnen für Ihr rühmliches Verhalten in der Türkei den Orden pour le mérite verlieh. In wie gutem Andenken der Name des ſcharfblickenden und thätigen Generalſtabsoffiziers von 839 noch ießt an dem Schauplaße ſeines erſten kriegeriſchen Wirkens ſteht, davon habe ich Mich bei Meinem jüngſten Aufenthalte in dem fernen , an In 1

tereſſe reichen Lande zu Meiner Freude perſönlich überzeugen können .

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Aber heute laſſen Sie mich vor allem und immer aufs neue ber unſterb lichen Verdienſte gedenken, die es Ihnen ſeit jener Zeit um Júr Vaterland zu erwerben vergönnt war. Den äußeren Ehren, mittelſt derer Ihre Könige der Dankbarkeit für Ihre ruhmvollen Thaten Ausdruck gegeben haben, vers mag ich kaum eine neue Anerkennung hinzuzufügen. Und doch liegt es Mir

am Herzen, den heutigen, ſeltenen Gedenktag nicht ohne eine ſolche vorüber gehen zu laſſen. In dieſem Sinne verleihe ich Ihnen beifolgend die Krone zu dem vor 50 Jahren erworbenen Ehrenzeichen und zwar, als Beweis

Meiner beſonderen Zuneigung in Brilanten. Mit Mir hofft die Armee und das Vaterland, daß Sie ſich der neu verdienten Auszeichnung, ſo Gott will, noch lange in der bisherigen Friſche und Rüſtigkeit erfreuen mögen. Pleß , den 29. November 1889.

Ihr in tiefer Dankbarkeit treu ergebener König Wilhelm R. “ Das Jahr 1890 wird eröffnet durch einen Brief an Schweſter Lene, den legten , den er überhaupt an ſie ſchrieb: ,,Berlin , den 1. Mai 1890.

„Liebe Lene ! Nun hat uns der liebe Herrgott beide noch wieder ein neues Frühjahr erleben laſſen, ein ſchönes Geſchent, für welches man ganz beſonders zu danken hat. Freilich ſind es fürerſt nur die Stachelbeer- und

andere kleine Büſche, welche ſich mit ihren Blättern ans Licht wagen, aber alle Tage kommt etwas Neues und Schönes hinzu, und bald werden auch Deine alten Linden im Garten ihre Pracht entfalten. Gern würde ich ſchon jetzt aufs land gehen, wo das Wiederaufleben der Natur ſo ſchön iſt, aber erſt im Mai wird der Reichstag zuſammentreten, und bei ſeiner neuen unerfreulichen Geſtaltung wird die Anweſenheit aller 1

konſervativen Elemente dringend gewünſcht. Ich muß daher hier aushalten .“ In dieſem Reichstag mußte Moltke abermals

-

freilich zum legtens

eins mal, und ſeitdem fehlt uns ſeine gewichtige Fürſprache ſchmerzlich 1890 Mai 14. treten für geſteigerte Militärausgaben . Es geſchah am mit folgenden Worten : Es kann Befreinden erregt haben, daß neue und erhebliche Opfer für militäriſche Zweđe gefordert werden, eben jeßt, wo anſcheinend der politiſche Horizont freier iſt von drohenden Wolken als ſelbſt noch kurz zuvor, und wo wir von allen auswärtigen Mächten die beſtimmte Verſicherung ihrer

friedlichen Abſichten haben. Dennoch wollen Sie mir geſtatten, mit wenigen Worten auf den Grad don Sicherheit hinzuweiſen, welche für uns aus dieſen Umſtänden hervorgehen kann.

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„ Noch unlängſt, meine Herren, iſt von jener Seite des Hauſes, aller dings von der äußerſten Linken , wiederholt die Behauptung aufgeſtellt

worden , daß alle unſere militäriſchen Vorkehrungen nur im Intereſſe der beſißenden Klaſſen erfolgen, und daß es die Fürſten ſind, welche die Kriege hervorrufen ; ohne ſie würden die Völker in Frieden und Freundſchaft nebeneinander wohnen. Was nun vorweg die beſitzende Klaſſe betrifft, und das iſt doch eine ſehr große , ſie umfaßt in gewiſſem Sinne nahezu die ganze Nation , denn wer hätte nicht etwas zu verlieren ? die be fißende Klaſſe hat ja allerdings ein Intereſſe an allen Einrichtungen, welche jedem feinen Bejiß gewährleiſten. Aber , meine Herren ,, die Fürſten und überhaupt die Regierungen ſind es wirklich nicht, welche in unſeren Tagen .

die Kriege herbeiführen. Die Zeit der Kabinettskriege liegt hinter uns,

-

wir haben jeßt nur noch den Volfskrieg, und einen ſolchen mit allen ſeinen unabſehbaren Folgen heraufzubeſchwören , dazu wird eine irgend beſonnene Regierung ſich ſehr ſchwer entſchließen . Nein, meine Herren, die Elemente, welche den Frieden bedrohen, liegen bei den Völfern . Das ſind im Innern die Begehrlichkeit der vom Schickſal minder begünſtigten Klaſſen und ihre zeitweiſen Verſuche, durch gewaltſame Maßregeln ſchnell eine Beſſerung ihrer Lage zu erreichen , eine Beſſerung die nur durch organiſche Geſetze und auf dem allerdings langſamen und mühevollen Wege der Arbeit herbeigeführt werden kann. Von außerhalb ſind es gewiſſe Nationalitäts- und Raſſen

beſtrebungen, überall die Unzufriedenheit mit dem Beſtehenden. Das kann jederzeit den Ausbruch eines Krieges herbeiführen , ohne den Willen der Regierungen und auch gegen ihren Willen ; denn , meine Herren , eine Res gierung , welche nicht ſtark genug iſt, um den Volksleidenſchaften und den Parteibeſtrebungen entgegenzutreten , eine ſchwache Negierung iſt eine dauernde Kriegsgefahr. Ich glaube, daß man den Wert und den Segen einer ſtarken Regierung nicht hoch genug anſchlagen kann. Nur eine ſtarke Regierung kann heilſame Reformen durchführen, nur eine ſtarke Regierung kann den Frieden verbürgen .

Meine Herren , wenn der Krieg, der jetzt ſchon mehr als zehn Jahre lang wie ein Damoklesſchwert über unſeren Häuptern ſchwebt, wenn dieſer Krieg zum Ausbrud, kommt, ſo iſt ſeine Dauer und ſein Ende nicht abzus ſehen. Es ſind die größten Mächte Europas, welche, gerüſtet wie nie zuvor, gegeneinander in den Kampf treten ; keine derſelben kann in einem oder in zwei Feldzügen ſo vollſtändig niedergeworfen werden, daß ſie ſich für über

wunden erklärte, daß ſie auf harte Bedingungen hin Frieden ſchließen müßte, daß fie fich nicht wieder aufrichten ſollte, wenn auch erſt nach Jahresfriſt, um den Kampf zu erneuern. Meine Herren , es kann ein ſiebenjähriger,

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es kann ein dreißigjähriger Krieg werden , – und wehe dem , der Europa in Brand ſteckt, der zuerſt die Lunte in das Pulverfaß ſchleudert! „ Nun, meine Herren, wo es ſich um ſo große Dinge handelt, wo es ſich handelt um , was wir mit ſchweren Opfern erreicht haben, um den Be ſtand des Reiches, vielleicht um die Fortdauer der geſellſchaftlichen Ordnung und der Civiliſation, jedenfalls um Hunderttauſende von Menſchenleben, da kann allerdings die Geldfrage erſt in zweiter Linie in Betracht kommen,

da erſcheint jedes pekuniäre Opfer im voraus gerechtfertigt. Es iſt ja richtig, was hier mehrfach betont worden , daß der Krieg ſelbſt Geld und abermals Geld fordert, und daß wir unſere Finanzen nicht vor der Zeit zugrunde richten ſollen . Ja , meine Herren , hätten wir die ſehr großen Ausgaben nicht gemacht für militäriſche Zwecke, für welche der II

Patriotismus dieſes Hauſes und der Nation die Mittel gewährt hat , ſo würden allerdings unſere Finanzen heute ſehr viel günſtiger liegen, als es gegenwärtig der Fall iſt. Aber, meine Herren, die glänzendſte Finanzlage hätte nicht verhindert , daß wir bei mangelnden Widerſtandsmitteln heute am Tage den Feind im Lande hätten ; denn lange ſchon und auch jeßt noch iſt es nur das Schwert, welches die Sdjwerter in der Scheide zurüchält.

Ter Feind im Lande — nun, wir haben das zu Anfang des Jahrhunderts ſechs Jahre lang getragen , und Raiſer Napoleon konnte ſich rühmen , aus dem damals kleinen und arinen lande eine Milliarde herausgepreßt zu haben der Feind im Lande würde nicht viel fragen, ob Reichsbank oder Privatbank. Saben wir doch im Jahre 1813 , als er ſchon im vollen ein damals eine franzöſiſche Stadt Abzuge war , wie in Hamburg -

franzöſiſcher Marſchall zum Abſchied die Hamburger Bank in die Taſche ſteďte.

Ter Feind im Lande würde ſchnell init unſeren Finanzen auf

räumen . Nur ein waffenſtarkes Deutſchland hat es möglich machen können , mit ſeinen Verbündeten den Bruch des Friedens ſo lange Jahre hindurch hinzuhalten .

Meine Herren, je beſſer unſere Streitmacht zu Waſſer und zu lande organiſiert iſt, je vollſtändiger ausgerüſtet, je bereiter für den Krieg , um ſo eher dürfen wir hoffen , vielleicht den Frieden noch länger zu bewahren oder aber den unvermeidlichen Kampf mit Ehren und Erfolg zu beſtehen. Meine Herren , alle Regierungen , jede in ihrem Lande , ſtehen Auf gaben von der höchſten ſozialen Wichtigkeit gegenüber, Lebensfragen, welche der Krieg hinausſchieben , aber niemals löſen kann. Ich glaube , daß alle Regierungen aufrichtig bemüht ſind, den Frieden zu halten, - eg fragt ſich

nur, ob ſie ſtark genug ſein werden, um es zu können. Ich glaube, daſ in allen Ländern die bei weitem überwiegende Maſſe der Bevölkerung den

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Frieden will, nur daß nicht ſie, ſondern die Parteien die Entſd;eidung haben , welche ſich an ihre Spiße geſtellt haben .

Meine Herren, die friedlichen Verſicherungen unſerer beiden Nachbarn in Oſt und Weſt während übrigens ihre kriegeriſchen Vorbereitungen unausgeſeßt fortſchreiten dieſe friedlichen und alle übrigen Rundgebungen ſind gewiß ſehr wertvol ; aber Sidherheit finden wir nur bei uns ſelbſt."

Das Geſetz, welches die Heeresſtärke bis zum Frühjahr 1894 feſtſtellte, ward am 28. Juni 1890 angenommen .

Auf die Anfrage um die rechte Verwendung von 20 Mart gab Moltke ſeinem Großneffen Helmut folgende föſtliche Antwort : „ Creiſau, den 22. Oktober 1890 . Mein lieber Helmut! Ich habe Dir das Geld geſchickt, damit Du

beizeiten lernſt, mit Geld umzugehen. Wenn Du den ganzen Betrag in Deinem Sparkaſſenbud) anlegteſt, ſo wäreſt Du ein Geizhals, wenn Du ihn in furzer Zeit verläpporteſt, ſo wäreſt Tu ein Verſdwender, das Nichtige liegt in der Mitte. ,,Wenn einein Geld geſchenft wird ſpäter mußt Du es erſt ſelbſt erwerben

-.ſo iſt es gerechtfertigt, ſich dafür Unnchmlichkeit zu gewähren,

aber tlug, auch etwas für die Zukunft zu erſparen. ,,Wie Du mit dieſen 20 Mart verfährſt, ſo wirſt Du einſt mit größeren Summen wirtſchaften . Wer ſeine Einnahmen voll ausgiebt , wird es zu nichts bringen , wer mehr ausgiebt , wird ein Bettler oder ein Schwindler.

„ Nach Berlin wirſt Du wohl nicht kommen können , weil Du den Unterricht verſäumen müßteſt, ſonſt ſouft Du mir wilkommen ſein. Je fleißiger Du biſt, um ſo eher kommſt Du aus dem Zwang der Schule. Mit herzlichen Grüßen von uns Alen, Dein Opapa Graf Moltke . "

Moltkes neunzigſter Geburstag, der 26. Oktober 1890, muß für den alten Herrn ein furchtbar angreifender Tag geweſen ſein, ſo erdrüßend war

die Zahl der Huldigungen. Zunächſt der Gruß Kaiſer Wilhelms II. Mein lieber Generalfeldmarſchall! Zur heutigen Feier Ihres neuns zigſten Geburtstages ſpreche ich Ihnen Meine herzlichſten Glückwünſche aus. Mit freudiger Genugthuung wiederhole Jd Ihnen bei dieſer Gelegenheit Meinen Königlichen Dank für alles, was Sie für Midh, für Mein Haus und zur Förderung der Größe Unſeres Vaterlandes gethan haben. Hohe Auszeichnungen und der Teldmarſchallſtab für Ihre ruhmvollen Thaten im

Kriege wie im Frieden ſind bereits die Zeugniſſe dankender Anerkennung Threr Könige, denen Sie gedient. Dennoch iſt es mir ein Herzenswunſch,

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Ihnen zur Erinnerung an den heutigen Tag noch einen Feldmarſchallſtab

mit Brillanten zu überreichen, welcher Ihnen ein Symbol Meiner unwandel baren Achtung, Wertſchäzung und Dankbarkeit ſein ſoll. Der allmächtige Gott erhalte Sie Mir und unſerer Nation noch viele, viele Jahre.

Ihr wohlaffektionierter König

Wilhelm . “ Der 26. Oktober 1890 war ein Sonntag. Tags zuvor fand auf Befehl des Kaiſers in allen preußiſchen Schulen eine Feier ſtatt, bei welcher den jugendlichen Hörern zur Kräftigung des Vaterlandsgefühles ein Lebensbild des greiſen Helden entrollt ward. Das Generalſtabsgebäude, in welchem

Moltke auch nach der Außerdienſtſtellung die bisherige ſchön eingerichtete Wohnung behalten hatte, war für die Feier auf das prächtigſte mit Grün, Kaiſerbüſten 2c. geſchmückt. Am Samstag nachmittag begrüßte ihn die Kaiſerin-Witwe Friedrich mit ihren Töchtern ; am Abend fand ein Ständchen der Berliner Liedertafel ſtatt, dann ein glänzender Fackelzug der Berliner Bürger- und Studentenſchaft, wieder mit Muſik und Geſangsvorträgen.

Am Morgen des eigentlichen Feſttages empfing Moltke die Glück wünſche der Familie, der Hausgenoſſen, des Generalſtabs ac. Dann erſchienen eine ganze Reihe deutſcher Fürſten, die ſåmtlichen kommandierenden Generale der deutſchen Armee, und ſchließlich Kaiſer Wilhelm ſelbſt, geleitet von den

Fahnen und Standarten des Gardecorps.

Raiſer Wilhelm überreichte

dem Feldmarſchall einen mit Brillanten geſchmückten Marſchalſtab mit folgenden Worten :

Mein lieber Feldmarſchall! Ich bin am heutigen Tage mit erlauchten Herren und den Führern meines Heeres gekommen, um Ihnen unſere herza lichſten und tiefgefühlteſten Glückwünſdhe auszuſprechen. Der heutige Tag II

iſt für uns ein Tag des Zurückblidens und vor allem ein Tag des Dankes. Zunächſt ſpreche ich Ihnen meinen Danť aus im Namen derjenigen , die mit Ihnen zuſammen geſchaffen und gefochten haben und die dahin ge

gangen ſind, deren treueſter und ergebenſter Diener Sie aber geweſen. Ich danke Ihnen für alles, was Sie für mein Haus und damit zur Förderung der Größe unſeres Vaterlandes gethan haben . Wir begrüßen in Ihnen

nicht nur den preußiſchen Führer, der unſerer Armee den Ruhm der Unüber windlichkeit geſchaffen hat, ſondern den Mitbegründer und den Mitſchmieder unſeres Deutſchen Reiches. Sie ſehen hier hohe und erlauchte Fürſten aus

allen Gauen Deutſchlands , vor allem des Königs von Sachſen Majeſtät, der, ein treuer Bundesgenoſſe meines Großvaters, es ſich nicht hat nehmen 1

laſſen, Thnen perſönlich ſeine Anhänglichkeit zu bezeigen. Alles erinnert an

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die Zeit , wo er mit Ihnen für Deutſchlants Größe hat fechten dürfen. Die hohen Auszeichnungen , die inein verblichener Großvater Ihnen ſchon hat zuteil werten laſſen , haben mir nichts mehr übrig gelaſſen, um meinen Dank Ihnen perſönlich noch beſonders bezeugen zu können. Alſo bitte ich Sie, eine Huldigung von mir annehmen zu wollen, die einzige, die ich in meinen jungen Jahren Ihnen darbringen kann. Das Vorrecht des Monarchen iſt es,1 ſeine Fahnen, die Symbole, zu welchen ſein Heer ſchwört, die ſeinem Heere voranfliegen und die ſeines Heeres Ehre und ſeines Heeres Tapfers keit in ſich verförpern , bei ſich im Vorzimmer ſtehen zu haben. Dieſes Rechtes begebe ich mich mit beſonderem Stolze für den heutigen Tag und bitte Sie, den Fahnen meiner Garden, die ſo oft unter Ihnen in ſo manchem

heißen Strauß geweht haben , bei ſich Aufnahme geſtatten zu wollen . Es liegt eine hohe Geſchichte in den Bändern und zerſchoſſenen Fegen, die hier vor Ihnen ſtehen , eine Geſchichte , die zum größten Teil von Ihnen

geſchrieben iſt. Als ein perſönliches Andenken von mir bitte ich Sie, dies Zeichen der Würde, mit äußerem Schmuck verſehen, als Erinnerung an den heutigen Tag annehmen zu wollen . Der eigentliche Feldmarſchallsſtab, den Sie ſich vor dem Feinde bereits im Feuer erworben, ruht ſchon lange in Ihrer

Hand. Dieſer iſt nur ein Symbol , eine Zuſammenfaſſung alles beſſen , was ich perſönlich Ihnen an Achtung, Ehrerbietung und Dankbarkeit darzu

bringen habe. Meine Herren, ich bitte Sie, alle mit mir einzuſtimmen in den Ruf : Gott ſegne, Gott erhalte, Gott ſchüße unſeren greiſen Feldmarſchall noch lange zum Wohle des Heeres und des Vaterlandes ! Dem Gefühl der Dankbarkeit dafür , daß er in ſeiner Größe es verſtanden hat, nicht allein

dazuſtehen , ſondern eine Schule zu bilden für die Führer des Heeres in Zukunft und alle Ewigkeit, die , in ſeinem Geiſte erzogen , die Größe, Stärke und Kraft unſeres Heeres ausmachen werden, geben wir Ausdruck

durch den Ruf : Seine Excellenz der Feldmarſchall Graf Moltke, Hurra !" Taß die Fahnen der Garde an dieſem Tage der Obhut des greiſen

Helden übergeben wurden, war eine von dem jungen Kaiſer ſelbſt aus. gedachte, ganz eigenartige Huldigung, eine Ehrenbezeugung, wie ſie bisher einem Feldherrn noch nie zuteil geworden.

Fügen mir hinzu, daß darnach ein Handſchreiben des Kaiſers von Öſter reich, eine Abordnung des Reichstages und des Herrenhauſes , ſchließlich eine Abordnung deutſcher Städte erſchien , geführt durch den Oberbürger meiſter von Perlin , welcher im Auftrage der Stadt zur Begründung einer Moltteſtiftung eine Summe von 50000 Mark überreichte, aus deren Zins

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ertrag fünf würdigen alten Perſonen nach der Auswahl des Feldmarſchalls ein ſorgenfreier Lebensabend gewährt werde. Moltke dankte dafür als für

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Das ſchönſte Geſchenk, das ihm hätte gemadht werden können. Die Stadt Parchim teilte mit, daß ſie Moltkes Geburtshaus für eine wohlthätige Stiftung erworben habe, worauf Moltke ſich lächelnd erkundigte,1 ob der alte Raſten wirklich 110ch halte. Die Ehrenbürgerbriefe und ſonſtigen Ges ſchenke mögen hier übergangen werden. Am Abend gab der Kaiſer Moltke

zu Potsdam ein glänzendes Feſtmahl, dem die anweſenden Fürſtlichkeiten beiwohnten. Im ganzen waren dem Gefeierten in dieſen Tagen 5048 Glück: wünſche zugegangen, darunter vom Sultan Abdul-Hamid, welcher mit An erkennung der Dienſte gedachte, die Moltke vor fünfzig Jahren der otto maniſchen Armee geleiſtet. Auch Moltkes alter Freund und Gegner Hegermann ſtellte ſich ein, wie wir früher geſehen haben. Sicherlich iſt der

neunzigjährige Mann nach den überſtandenen Feſtlichkeiten dieſer zwei Tage müder geweſen, als während der Gewaltritte nad; der Schlacht von Niſib. Der folgende Brief , drei Wochen nach dem Geburtstage an Henry

geſchrieben, ſchließt würdig die Reihe der in dieſem Buche mitgeteilten Briefe .

an die Familie. Wir ſehen, wie der hohe Greis nachdenkt über die tiefſten ernſteſten Fragen , die die Menſchheit ſeit Jahrtauſenden beſchäftigt haben, und feſt ſteht im Glauben an ein dereinſtiges geiſtiges Fortleben. Und ebenſo bezeichnend iſt es, daß der vielgeplagte Mann ſeine tiefſinnigen Ents

widelungen mit einem heiteren Scherzwort ſchließt. Berlin, den 12. November 1890. Lieber Henry. Ich danke Dir ſehr für die treffliche Schrift von

· Mr. Drummond*). Ich ſelbſt habe ſie mit um ſo größerem Intereſſe geleſen, aber nur für mich als ich ſelbſt ſchon etwas Ähnliches gedacht und zu Papier gebracht habe, was ich Dir in Creiſau vorleſen kann. Bei den Dogmatikern wird Drummond ſchwerlich Gnade finden. Shm

gilt die Lehre von der Dreieinigkeit , von der unbefleckten Geburt, von Heiligen und Wundern und alles, was vin des Menſchen Hirn nicht paßts , ſehr wenig, wenn er das poſitive chriſtliche Credo auch nur mit ſehr ſchonender Hand berührt. Nach ſeiner Theorie kann der Moslem und der Heide ebenſo gut ſelig werden wie der Chriſt, und das glaube ich auch. Nach Luther kann nur der Glaube ſelig machen. Shm war die Epiſtel Jakobi eine » ſtroherne«, weil dieſer fragt: Kann auch der Glaube >

(ohne die Werke) ſelig machen ? « Aber Luther ſchrieb vor allem gegen die rein äußerlichen Werke des Ratholizismus, Meſſe und ſo weiter. *) Das Beſte in der Welt.

367

Drummond legt nur Wert auf die Werke der Liebe. Er geht dabei ſehr weit , indem er ein Ideal aufſtellt, welches im praktiſchen Leben nie erreicht werden wird. Nach ihm ſollen wir ſelbſt auf unſer Necht verzichten zugunſten unſerer Mitmenſchen . „ Das iſt der Kommunismus ,1 mit dem der Begriff des Eigentums

und damit die ganze bisherige ſittliche Weltordnung aufhört. Drummond ſtatuiert nur die Liebe zu Gott, zu einem uns völlig unbekannten und unfaßbaren Weſen, der uns Gutes, aber auch ebenſoviel Schlimmes zuweiſet. Jedoch giebt er zu , daß ſich dieſe Liebe in der Liebe zu unſeren Mitmenſchen bethätigt. Und die Liebe zu denen , die vor uns hinſchieden , wie zu denen , die wir hier hinterlaſſen , iſt wohl ſicher das Bleibende.

„ Aber er nimmt in die künftige Exiſtenz nur das Gemüt des Men jchen hinüber, nicht den Intellekt. Die Fähigkeit, Gottes Werke zu bes

greifen, die Millionen von Welten , die ſich nach feſten Regeln umkreiſen, zu ſchauen, ja dieſe Welten ſelbſt ſind ihm nichts. Wonach beſten Menſchen ihr Leben lang gerungen , Erkenntnis Wiſſenſchaft und Kunſt, das alles iſt vorbei, der göttliche erliſcht mit dem Tode ; darin kann ich ihm nicht folgen.

die größten und und Wahrheit, Funke Vernunft Der Aufſat iſt

10 reich an Gebanten, daß man ein Buch darüber ſchreiben könnte. Darum genug.

,, Ich fiße hier in endloſer Schreiberei. Es ſind aus Anlaß meines Geburtstages ich weiß nicht wie viel hundert Briefe und dreitauſend Tele

gramme eingegangen. Heute kommt ſchon einer und will wiſſen , ob ich 1

ſein Telegramm erhalten Habe.

Die 2999 werden wohl auch noch

kommen. "

Nun noch ein Wort Moltkes über die ſoziale Frage. Er ſchreibt an einen Dr. D. in London :

Berlin, den 10. Dezember 1890. Sie haben mein Urteil gewünſcht über das mit dem verbindlichſten Dank anliegend zurückerfolgende Schriftſtück aus Ihrer Feder. Ich trete Ihrer Anſicht bei, daß ein wirklicher Fortſchritt der Geſell 11

ſchaft ſich nur langſam und gradweiſe vollziehen kann. Natura non facit saltum , die Geſittung ebenſo wenig. Vor allem kommt es darauf an, die unteren Volksklaſſen aufzuklären über ihr eigenes Intereſſe. Das iſt die Arbeit von Schule und Kirche durch ein Jahrhundert. Wir ſtehen aber -vielleicht unmittelbar vor dem Ausbruch einer gewaltigen Bewegung und müſſen der Gefahr ſchon jeßt ins Auge ſehen .

368

Sie wünſchen nun , daß die Sozialdemokraten durch ein weniger revolutionäres Verhalten es »der großen Zahl von beſigloſen Gebildeten « geſtatten mögen, in Kameradſchaft mit ihnen zu treten, es werde ſich dann

eine unblutige und ſegenbringende Umwälzung von ſelbſt vollziehen. Glauben Sie, daß der einſichtige, wohlwollende Gebildete in der Lage ſein wird 1, die auf Umſturz und Plünderung gerichtete Bewegung der unzufriedenen Maſſen auf ein vernünftiges Ziel zu lenken ? Ich fürchte, daß er als erſtes Opfer derſelben fallen wird.

Grade gegen den

Mittelſtand, gegen die Bourgeoiſie wendet ſich der Haß der Proletarier 1

zunächſt. Bliden Sie zurück auf die Kommune von 1870. Sie hat die

Denkmäler des franzöſiſchen Ruhms zertrümmert, die Prieſter ermordet, die Boutique geplündert, aber das Haus Rothſchild iſt unbeläſtigt geblieben. Die Revolution hat jederzeit die zuerſt verſchlungen , welche ſie zu ſeiten verſuchten. Stets ſind die gemäßigten Parteien von den extremen mit fortgeriſſen worden. Reiner der Männer , die in der franzöſiſchen

Revolution eine Hauptrolle geſpielt haben , der nicht unter dem Fallbeil geendet hätte. Auch die Führer der deutſchen Demokraten fangen ſchon an

zu erkennen, daß ſie die Maſſen zwar in Bewegung ſeßen, nicht aber leiten und zügeln können.

Nach meiner Überzeugung kann die dringend nötige Sozialreform nur durchgeführt werden von oben her, durch ein ſtarkes Königtum , welches den Willen und die Macht dazu beſigt, und das haben wir in Deutſchland. die Steuern wie billig auf Koſten der Beſißenden „ Schon ſind

für die Unvermögenden herabgeſeßt, ja aufgehoben . Die Kranken- und Unfallverſicherung ſteht in voller und ſegensreicher Wirkſamkeit. In wenig Tagen tritt das große Geſek über Invaliden- und Altersverſorgung in

Kraft. Das weitere Fortſchreiten dieſer ſtaatlichen Fürſorge kann nur gehemmt oder doch verzögert werden durch den Underſtand derer, für welche

ſie wirkt, und hier tritt die eiſerne Notwendigkeit der Machtentfaltung ein. ,,Das Geſetz gegen die Sozialdemokratie war das humanere Verfahren, es wirkte präventiv. Nach ſeiner Aufhebung bleibt nur die rückſichtsloſe Repreſſion. „ So ſcheint mir, geehrter Herr, daß beſigloſe Gebildete ſich lieber den

konſervativen Elementen anſchließen ſollten, welche die Regierung in ihrer heilſamen Beſtrebung unterſtüßen ,1 als Kameradſchaft zu ſuchen mit denen, welche derſelben und damit ihrem eigenen Wohl entgegen arbeiten .“ Hier wäre noch zu erwähnen Moltkes leßte Reichstagsrede, die der ſtahlfeſte Neunziger am 16. März 1891 hielt, und zwar nicht etwa über

eine ausſchließlich militäriſche Frage, ſondern über die deutſche Einheitszeit,

369

wenn es auch mit Rücjicht auf militäriſche Gründe geſchieht; jedenfalls giebt uns auch dieſes lekte öffentliche Wort des großen Feldherrn Gelegen heit, ſeine außerordentliche Vielſeitigkeit zu bewundern. Er bezeichnet die zur Zeit in Deutſchland vorhandenen fünf Einheitszeiten als eine Ruine, die ſtehen geblieben aus der Zeit der deutſchen Zerſplitterung, und verlangt mit Rückſicht auf die Bedürfniſſe einer Mobilmachung eine geſamtdeutſche

Einheitszeit, die des über Stargard und Görlitz laufenden 15. Meridians, ſowie die Abſchaffung aller Ortszeiten.

Es kam

uns damals

etrpas

wunderlich vor, daß mit Rüdſicht auf eine Mobilmachung, die doch gottlob nur ſelten vorkommt, die tägliche Stundenordnung der Kirchen, Schulen, Gerichtshöfe, Fabriken ac geändert werden ſolle. Indes, trok mancher Be denken ward die Einheitszeit eingeführt , und wir haben uns überraſchend ſchnell an dieſelbe gewöhnt. Und dann kam der lezte Tag, ebenſo ſtill und friedlich wie ſeit vielen Jahren , nur daß an ſeinem Schluſſe, kaum empfunden , der Tod ſtand. Noch in derſelben Nacht ſchrieb Moltkes Neffe, Major Helmut von Moltke, für die Familie über die Ereigniſſe des 24. April 1891 einen Bericht nieder, der im nachfolgenden nach Vand I. der Geſammelten Schriften mit ganz geringen Kürzungen wiedergegeben werden mag. „Am Freitag den 24. April war Onkel Helmut ſchon um 71/9 Uhr aufgeſtanden, etwas früher ,1 als er in der legten Zeit aufzuſtehen pflegte,

um meiner Schwägerin Olga Lebewohl zu ſagen , die, nachdem ſie längere Zeit bei uns zum Beſuch geweſen war, nach Kopenhagen abreiſte. Er war friſch und heiter und verabſchiedete ſich in liebenswürdigſter Weiſe von Olga, nachdem er mit uns allen gemeinſam gefrühſtückt hatte. Um 9 Uhr von der Bahn zurückgekehrt, ging ich zu ihm in ſein Arbeitszimmer , um wie gewöhnlich die Poſtſachen und ſeine kurzen Anweiſungen über Beant wortung der Briefe in Empfang zu nehmen. Er war, wie überhaupt in

der letzten Zeit, geiſtig ſehr rege und voller Intereſſe für alle Kleinigkeiten unſeres täglichen Lebens, ſah friſch und geſund aus und ſagte mir, daß er

heute wegen der Abſtimmung über die Gewerbeordnung in das Herrenhaus müſſe.

Er war um drei Uhr aus dem Herrenhauſe zu Fuß zurückgekehrt. Während des Mittageſſens hat keiner von uns etwas Auffälliges an ihm bemerkt. Er aß mit recht gutem Appetit und ſcherzte wie immer freundlich mit den Kindern, die ſich an ihn drängten , um ihm erſt guten Tag zu

ſagen und nach Tiſch geſegnete Mahlzeit zu wünſchen . Nachdem der Kaffee genommen war, ging Onkel Helmut, wie er es immer zu thun pflegte, in ſein Zimmer, um die Zeitungen zu leſen . Um 8 Uhr zu unſerer gewöhnlichen Buchner , Moltke.

24

370

Theeſtunde kam er friſch und heiter wieder zu uns herüber. Der Thee war

in dem ſogenannten Silberzimmer ſerviert, wo auch der Whiſttiſch bereits fertig ſtand. , Zugegen waren Liza, Herr und Frau Marcher aus Schweden, die ſeit etwa 14 Tagen bei uns zum Beſuch waren , und ich. Eine Stunde dor dem Thee war noch Herr Dreßler gekommen , mit dem ich von 7-8 Uhr

in dem großen Muſikſaal muſiziert hatte. Er blieb zum Thce , um nach beendetem Whiſt dem Feldmarſchall noch etwas vorzuſpielen , falls dieſer, wie es gewöhnlich der Fall war, vor dem Schlafengehen noch Muſik zu hören wünſchte. Onkel Helmut trank ſeinen Thee und das Glas Moſel

wein , das er immer abends zu genießen pflegte, er aß, mit mehr Appetit als ſonſt oft, zwei Butterbrötchen und ein Stüc Kuchen, war ſehr guter Laune , ſagte fcherzenderweiſe, er habe uns vorhin heimlich belauſcht und wir hätten eine greuliche Muſit vollführt. Unter anderem erzählte er auch,

daß er aus der Zeitung erſehen, wie Seine Majeſtät der Kaiſer heute morgen bei 3 Grad Kälte auf den Auerhahn gepürſcht habe. Nachdem cr ſeinen Thee getrunken hatte, bot ich ihm eine Cigarre an , die er anzündete, und wir ſetzten uns bald darauf zur Partie.

„ Onkel Helmut ſpielte mit Herrn Marcher. Er ſaß mit dem Rücken nach dem großen Spiegel, das Geſicht der Korridorthür zugewendet. Jah, mit Liza ſpielend, ſaß zu ſeiner Rechten, Liza links von ihm. Das Spiel

ging hin und her. Wir fingen , da es ſchon etwas ſpät geworden war, mit Cayenne an und gewannen und verloren abwechſelnd die Nobber , indem wir die Touren der Reihe nach durchſpielten. Als wir zum legten Robber, der ſchwarzen Dame, gekommen waren, die wie gewöhnlich dreimal geſpielt wurde, hielt Onkel Helmut , der eben begonnen hatte , Karten zu

geben, plößlich inne. Er legte die Karten vor ſich auf den Tiſch , lehnte ſich in ſeinen Stuhl zurück und ſchien Schwierigkeiten beim Atmen zu haben . I

.

>

Liza frug ihn : »Saſt du Aſthma, Onkel Helmut ? « worauf er erwiderte : » Ja, ich habe ein bißchen Aſihma.« jh ſagte nun zu ihm : » Bitte, Onkel Helmut, laß mich für dich geben ,« und er ſchob mir die Karten hin, die ich nun ausgab. Währenddem hatte er ſich wieder erholt und nahm ſeine Karten auf. Wir ſpielten dann das Spiel, und Liza und ich wurden

groß Schlemm ; ſo gewann er den legten Robber ſeines Lebens noch in glänzender Weiſe. Er trommelte, wie er bei ſolchen Gelegenheiten zu thun pflegte, mit den Fingern auf die Tiſchplatte und ſagte mit Bezug darauf, daß er die vorhergehenden Spiele verloren hatte, in heiterſter Weiſe zu Herrn Marcher: » Wat ſeggt hei nu tau ſine Süpers ! Geh doch hinein und ſieh zu , ob Onkel Helmut etwas fehlt.« In dems ſelben Augenblide hörten wir einen tiefen Seufzer, und ich ging nun raſch in das Zimmer. In der undeutlichen Beleuchtung konnte ich nur erkennen, daß Onkel Helinut auf einem Stuhle ſaß, er hatte die Ellenbogen auf die Kniee gelegt und der Oberkörper war tief vornüber gebeugt. Ich trat raſch auf ihn zu und ſagte : „ Onkel Helmut , fehlt dir etwas ? « worauf er den Ropf hob und mit unendlich weicher Stimme, deren Klang ich nie der . geſſen werde, ſagte : »Wie? « Ich bekam einen Todesſchreck, faßte an ſeine

Stirn, ſie war kalt, ebenſo ſeine Hände; ich rief noch einmal : » Onkel Helmut, biſt du krank ? « worauf er nicht mehr antwortete. Jo rief nach

Liza, ſie möge licht bringen , und nahm Onkel Helmuts ſich wieder vorn über neigende Stirn in meine Hand. Sie ſant ſchwer in dieſelbe hinein, und gleichzeitig ſchien es mir, als ob der ganze Körper plößlich ſeine Spann kraft verlore und in ſich zuſammenſänke. Inzwiſchen hatte mein Tiener, 1

von Liza gerufen, Licht gebracht; ich kniete vor Onkel Helmut nieder, und fing ſeinen Körper in meinen Armen auf. liza ſtand neben mir und beide unterſtüßten wir den Sterbenden, der augenſcheinlich ſchon die Beſinnung

373

verloren hatte. Ich rief nad Marcher, der aus dem Salon herbeiſtürzte; wir hoben Onkel Helmut in die Höhe und trugen ihn in unſeren Armen

nach ſeinem Schlafzimmer, wo wir ihn auf ſein Bett niederlegten. Meinen Diener hatte ich in aller Eile nach dem Arzte geſchickt. Marcher und ich cntkleideten Onkel Helmut raſch und legten die Tecken über ihn. Von dem

Augenblick an , wo ich zu ihm hineinfam, war es mir unzweifelhaft, was uns

Tann ich nach

bevors

ſtände;

ich

laſſen , jetzt

glaube

bes

ſind andere da , die mich

ſtimmt, daß

halten kön nen. Er lag

er mich noch ertannte und

das Bewußts ſein Savon

ſtill auf ſei

hatte, daß ich ihn zu Hilfe eile, denn wie

ab

nem Bett, nur und

zu

hoben,ſeltener werdend, tiefe Atemzüge

ich ihitums

ſeine Bruſt, Hände die

faßte, um ihn ſtützen , ließ auf ein zu

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mal die Ans

übereinander

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die er ſich bis

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11

cara

fühl, als ob er

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Ein

pfindung habe: ſo, jeßt rückehren wolle.

ſchien

es

noch , als ob

das Bewußt ſein ihm zu Er machte eine Bewegung, als wollte er den Kopf heben, Kapcllc 31 Treiſau.

dann wandte er denſelben mit leichter Beugung nach links , ivo an der Wand des Schlafzimmers ,1 von Palmenzweigen umgeben ,1 das Bild ſeiner verſtorbenen Frau hing, und während ſeine Augen, ſchon von fen Schatten

des Todes umdunkelt, die Züge der treuen Gefährtin ſeiner früheren Tage zu ſuchen ſchienen , ging ſtill und friedlich ſeine Seele hinüber, um auszul ruhen von der Arbeit eines einundneunzigjährigen Lebens.

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, Er hat, ſo weit es Menſchen beurteilen können, keinen ſchweren legten

Kampf gekämpft, kein Zug veränderte ſich in dem feinen, wie aus Marmor gemeißelten Antlig , kein Todesſeufzer entfloh den ruhig geſchloſſenen Lippen. Immer auf den Tod vorbereitet, den er nicht fürchtete, ſondern oft

als einen Übergang zu einem neuen Leben reineren Schauens und Erkennens erhofft hatte, folgte er ſtill und willig, als der Herr ihn rief. Auf ſeinen

Antlig lag tiefer Friede und der Abglanz eines inneren, faſt heiteren Slüds. Seit wir vom Whiſttiſch aufgeſtanden waren , mochten vielleicht zehn Minuten vergangen ſein. Um 9 Uhr 45 Minuten hatte das Herz auf

gehört zu ſchlagen . Leiſe drückte ich ihm die Augen 311, während Liza, über ihn gebeugt, bittere Thränen vergoß. Als Doktor B. kam , war längſt alles vorüber , und er konnte nur den Tod beſtätigen ." So hatte Moltke nach einem unendlich reichen Leben gefunden , was er ſich gewünſcht, einen raſchen und ſchmerzloſen Tod.

In der kleinen Waldkapelle zu Creiſau, die er ſelbſt vor zwanzig Jahren als Ruheſtätte für Frau Marie errichtet, ſteht Moltkes Sarg, ihm zu beiden Seiten der der Gemahlin und ihrer Mutter, der 1883 verſtorbenen Schweſter, Frau Auguſte Burt ; darüber in großer Schrift der Spruch : Die Liebe iſt des Geſeßes Erfüllung.

--

a w

Moltte als Greis. Nach einem von Profeſſor von Lenbach eigens zu dieſem Zwed freundlich zur Verfügung geſtellten Original.

1

2

Siebenter Abſchnitt.

Moltkes Weſen und Schriften . Wenn wir mit cinem großen Manne durch das Leben wandern, ſo gehen wir, um die Erzählung nicht zu unterbrechen , an gar manchen kleinen Seelenzügen vorbei, die doch auch für das Weſen des Mannes bezeichnend

ſind. So wird es wohl erklärlich ſein , wenn wir hier am Schluſſe ein Geſamtbild der Seelenart unſeres Helden hinſtellen. Vielleicht wird ein Leſer dabei eine Würdigung Moltkes als Feldherr vermiſſen. Allerdings hat neuerlich ein junger Berliner Poet klar erwieſen , daß Moltke eigentlich kein großer Feldherr geweſen, jedenfalls hinter Napoleon I. weit zurückſtehe.

Ein Poet darf ſich ſolches Vergnügen erlauben , beſonders ein junger und dazu ein Berliner. Der Verfaſſer dieſes Buches iſt keines dieſer drei und

muß ſich daher verſagen , Moltkes Bedeutung als Kriegsmann irgendwie tadelnd oder Lobend beurteilen zu wollen , womit dein Leſer wohl auch nicht

gebient wäre. Um indes an dieſer für die Welt wichtigſten Seite von Moltkes Thätigkeit , ſeiner Bedeutung in der Kriegsgeſchichte, nicht ſchweigend vors

überzugehen, ſei an dieſer Stelle ein Wort von Guſtav Freytag über Moltke den Feldherrn eingefügt. Er ſchreibt: „ In dem kurzen Zeitraume von ſechs Monaten war die geſamte

Wehrkraft des größten Kriegerſtaates zerbrochen, drei große Heere in Feſtungen gedrängt und zur Kapitulation gezwungen, drei andere Heere, welche wegen Mangels an Truppen nicht eingeſperrt werden konnten , geſchlagen und wieder geſchlagen oder gar in ein fremdes land geworfen und dadurch wehrlos gemacht, in Summa faſt eine halbe Million bewaffneter Feinde getötet oder entwaffnet. Dazu 20 Feſtungen eingenommen, darunter zwei, Meß und Paris, welche zu den ſtärkſten und größten der Erde gehören , und ein ungeheures Kriegsmaterial erbeutet, darunter mehrere tauſend Ges

ſchütze. Mit Staunen ſahen die Fremden , mit begeiſterter Verehrung die

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Deutſchen einen ſolchen Triumph überlegener Feldherrnkunſt. Und die Fremden, wie die Deutſchen ſind ſeitdem bemüht, nach dem Geheimnis dieſer Kunſt zu forſchen und das Neue und Eigentümliche in der Kriegsführung

des Feldmarſchalls Moltke z11 ergründen. Es ſteht zu beſorgen, daß dieſes den Feinden und Verehrern des Helden nicht gelingen wird. Denn , wie uns ſcheint, beſtcht gerade darin die Eigentümlichkeit dieſes wundervoll klaren und überſehenden Geiſtes, daß er in jedem vorliegenden Fall das Einfachſte und Zweckmäßigſte ohne Vorliebe für irgend welche fünſtliche Operationsweiſe anordnet. Man hat oft als ſeine Virtuoſität hervor gehoben , daß er die Vereinigung ſeiner getrennten Heeresteile hinter der Aufſtellung des Feindes durch den ſogenannten konzentriſchen Angriff bez wirke , und man hat aus dem Einmarſch in Böhmen , der Umſchwenkung Bazaines, der Einſchließung Mac Mahons eine Vorliebe für dieſe Operationgs weiſe, die ſeine beſondere Methode ſei , herleiten wollen. Wer ihm dieſe 1

Weiſe des Angriffs urteilslos, wie ein Kunſtſtück, nachmacht, mag ſie aller dings zu ſeinem Schaden ſehr gewagt finden . Ihm ſelbſt iſt ſie nichts als das Reſultat des gemeingültigen Saßes , daß jedem Heeresteil die

möglichſt größte Beweglichkeit und Leiſtungsfähigkeit ſo lange als möglid) zu wahren ſei und daß jeder Heeresteil am Tage der Entſcheidung für ungchemmte Mitwirkung zur Stelle ſein müſſe. Seine Stärke iſt vielmehr, daß er die Leiſtungsfähigkeit der einzelnen Führer und Truppen im Marſch

und Gefecht, die Straßen, die Verpflegung, die möglichen Hemmniſſe durch Terrain, Wetter 2c., dazu die Beſchaffenheit des Feindes mit einer Sicherheit und Gründlichkeit erwägt , welche ſeinen Berechnungen einen ſehr hohen Grad von Wahrſcheinlichkeit giebt , und ſein Genie iſt vielmehr, daß alle dieſe beſtimmenden Verhältniſſe ihm ſchnell zu einem ſehr deutlichen und richtigen Bilde der Situation werden, weldjes ihm geſtattet, ſeine Entſchlüſſe raſch und ſicher zu faſſen. Darf man einzelnes als ſeine Eigenart rühmen, ſo iſt es gerade ter klare, feſte, alles gleichmäßig rrägende Geiſt, der nicht durch Schlauheit und kleine Mittel militäriſche Erfolge ſucht, weder burdy

Ehrgeiz noch durd, die Aufregung des Rampfes beirrt wird, und dazu ein fteter Wille, der unverrückt das leßte Ziel des Rampfes vor Augen hat und im entſcheidenden Augenblick alles daran zu ſeben bereit iſt. Es iſt merkwürdig, daß er als Feldherr weder jung noch alt erſcheint; die härteſte Kühnheit iſt in ſeinen Operationen dicht neben der ſorglichſten Vorſicht; ſo lange ihm der Feind unſicher iſt, bedächtiges Zaubern , ſobald ihm die

Elemente für eine Berechnung der Wahrſcheinlichkeit gegeben ſind, der ſchnellſte Entſchluß. Bei ſolcher Begabung waltet er inmitten ſeiner Getreuen vom Stabe über den ſtürmiſchen und ehrgeizigen Führern des deutſchen

7

379

Heeres mit der Autorität eines überlegenen Geiſtes als ein treuer, ſelbſtloſer Diener ſeines Kriegsherrn, als ein guter unſträflicher Mann. begrüßte ihn einſt in kleiner Tafelrunde der höchſten Führer das Schwert des Reiches; dem deutſchen Volke aber iſt dieſer der Schlachten ein ehrwürdiger Hausfreund geworden, zu dem

Sein König dankend als ſtille Denker es mit herz

lidzem Dank und feſtein Vertrauen hinſchaut.“ Menn wir cines bedeutenden Mannes Seelenart unterſuchen wollen, ſo dürfen wir wohl zunächſt fragen , wie er ſich zu Gott und göttlichen Dingen ſtelle. Wir haben in einigen, nicht gerade zahlreichen Briefen

denn Moltke liebte es , ſeine Empfindungen in der Tiefe des Gemütes zu verbergent – nach dein Tobe Frau Mariens , in dem Briefe an Pfarrer

Schaubach vom 27. Oktober 1880 , im letzten Briefe an Henry vom

12. November 1890 geſehen, daß Moltke ein tiefreligiöſer Mann war, der über das Weſen der menſchlichen Scele und ihr Fortſeben nach dem Tode reiflich und ernſt nachdachte. Moltke war ein burdaus frommer Mann, wenn auch nicht im Sinne derjenigen, die ſich Frömmigkeit nur in Geſtalt

ſcharfbeſtimmter Glaubensſchren vorſtellen fönnen. Seit dem Tode ſeiner Gemahlin benutzte Moltfe ihr Eremplar der heiligen Schrift; das Buch lag ſtets auf ſeinem Arbeits- oder auf ſeinem Nachttiſche. Auf dem Vorder blatte hatte er folgende Stellen der Schrift eingeſchrieben, die wir demnach

wohl als den Rern ſeiner religiöſen Überzeugung betrachten dürfen : Meine Kraft iſt in den Schwachen mächtig. Paulus an die Korinther II. Rap. 12, V. 9. Und idy, wenn ich erhöht werde von der Erde, ſo will ich ſie alle 311 mir ziehen. Ev. Johannis Rap. 12, V. 32. Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Berſon nidt anſiehet, ſondern in allerlei Volt , wer ihn fürchtet und recht thut , der iſt ihm

angenehmi .

Apoſtelgeſchichte Sap. 10, V. 34, 35.

Es werden nicht alle, die zu mir ſagen : Þerr! Here ! in das Himmelreich fonimen , ſondern die den Wilen thun meines Vaters im Himmel. Ev. Matth. Nap. 7, V. 21.

Die Kraft des Herrn iſt in dem Schwachen mächtig.

Des greiſen Feldmarſdals lekte Niederſchrift von Bedeutung ſind Betrachtungen über das irdiſche und über die Zuverſicht eines emigen

Lebens. Er ſchrieb dieſe Betrachtungen in Creiſau und beließ ſie dort in ſeinem Schreibtiſch; kam er auf ſeinen Landſitz zurüc , ſo prüfte er das 1

Geſchriebene und arbeitete es um . So hat er ſeine Troſtgedankent vierinal

ausgearbeitet; die leßte Niederſchrift iſt im Oktober 1890, ein halbes Jahr

380

vor ſeinem Tode , abgeſchloſſen , gewiſſermaßen ein Vermächtnis für ſeine

Hinterbliebenen. Die Niederſchrift lautet: Der Menſch fühlt ſich als geſchloſſenes Ganze , geſondert von der übrigen Welt , und gegen ſie äußerlich begrenzt durch die körperliche Hülle,1 welche hier auf Erden der Seele zur Wohnung dient. Dennod, möchte ich in dieſem Ganzen Funktionen erkennen, die, innig

verbunden und von der Seele beherrſcht, doch eine ſelbſtändige Exiſtenz haben .

Aus dem Dunkel unſerer Entſtehung entwickelt ſich der Körper zuerſt. Raſtlos arbeitet ſeine Natur an dem Wachstum des Kindes und bereitet ſchon in ihm die Wohnung für höhere Organe vor. Die Afme der Voll

kommenţeit erreicht der Körper ſchon vor der Hälfte ſeiner Dauer, und aus dem Überſchuß ſeiner Kraft erweckt er neues Leben. Von da an Abnahme und nur noch das mühſame Streben nach Erhaltung des eigenen Beſtehens. Während vielleicht eines Dritteils unſeres Daſeins , während des Schlafes , empfängt der Leib keine Befehle ſeiner Beherrſcherin ,1 und doch

pulſiert der Herzſchlag ununterbrochen , dic Stoffe wechſeln und der Atmungs prozeß vollzieht ſich, alles ohne unſer Wollen. Und ſelbſt gegen dieſe kann die Thätigkeit des Dieners ſich auflehnen,

wenn zum Beiſpiel der Krampf unſere Muskeln qualvoll zuſammenzieht. Aber der Schmerz iſt der Ruf nach Hilfe und Beiſtand, wenn die lebendige Körperfunktion die Herrſchaft über die tote Materie verloren hat, was wir als Krankheit unſeres Vaſallen empfinden. Nach allem müſſen wir den Körper zwar als einen Teil unſeres Seiens anerkennen, aber doch als etwas uns ſelbſt Fremdes. 3ſt nun wenigſtens die Seele , das eigentliche Jch, ein einziges un. trennbares Ganze ?

In langſamer Entfaltung ſteigt die Vernunft zu immer größerer

Vervollkommnung bis ins Alter empor , ſo lange der Körper ſie nicht im Stich läßt. Das Urteilsvermögen wächſt mit der Fülle der Lebenserfahrungen, aber freilich das Gedächtnis, dieſer Handlanger des Denkens, ſchwindet ſchon früher, oder verliert vielmehr die Fähigkeit, Neues aufzunehmen. Wunders

bar genug dieſe Fähigkeit, alles Angeeignete aus früheſter Jugend, Erlerntes und Erfahrenes, in tauſend Schubfächern aufzubewahren, die ſich dem Geiſte zur augenblicklichen Verfügung öffnen. Es iſt ja nicht in Abrede zu ſtellen , daß das Alter oft ſtumpfſinnig erſcheinen läßt , aber an eine wirkliche Verdunkelung der Vernunft tann ich nicht glauben, denn ſie iſt ein lichter Funke des Göttlichen , und ſelbſt 1

381

beim Frrſinn tritt er, obwohl nur äußerlich, hervor. Kann doch der Taube, der auf einem völlig verſtimmten Inſtrument ganz richtige Noten anſchlägt, ſich ſeines korrekten Spiels bewußt ſein, während alle außer ihm nur wirre Mißflänge hören.

Die Vernunft iſt durchaus ſouverän , ſie erkennt keine Autorität über ſich ; keine Gewalt, wir ſelbſt nicht, kann ſie zwingen, für unrichtig anzu nehmen , was ſie wahr erkannt hat. .

E pur si muove !

Der denkende Geiſt ſchweift durch die endloſen Fernen der leuchten den Sterne , er wirft das Senkblei aus in die unergründliche Tiefe des kleinſten Lebens 1, nirgends findet er Grenzen , aber überall die Regel , den unmittelbaren Ausdruck des göttlichen Gedankens.

Der Stein fällt auf dem Sirius nach deinſelben Geſetz der Schwere

wie auf der Erde ; dem Abſtande der Planeten, der chemiſchen Miſchung der Elemente liegen arithmetiſche Verhältniſſe zugrunde, und überall ergeben

dieſelben Urſachen dieſelbe Wirkung. Nirgends Widfür in der Natur, überall Geſetz. Zwar den Urſprung der Dinge vermag die Vernunft nicht zu erfaſſen, aber nirgends ſteht ſie im Widerſpruch mit der Regel, welche alle leitet. Vernunft und Weltordnung ſind konform, ſie müſſen gleichen Ur ſprungs ſein.

Auch wenn die Unvollkommenheit alles Erſchaffenen die Vernunft auf Wege führt , die von der Wahrheit ablenken , iſt Wahrheit dennoch ihr einziges Ziel.

So tritt denn freilich die Vernunft in Widerſpruch mit manchen ehr

würdigen Überlieferungen. Sie ſträubt ſich gegen das Wunder, „ des Glaubens liebſtes Kind ", ſie kann ſich nicht überzeugen, daß die Allmacht nötig haben follte , un ihre Zwecke zu erreichen , in Einzelfällen die Geſeße der Natur 1

aufzuheben, welche dieſe in Ewigkeit regieren. Doch richten ſich die Zweifel nicht gegen die Religion , ſondern nur gegen die Form, in weldjer ſie uns dargebracht iſt.

Das Chriſtentuin hat die Welt aus der Barbarei zur Geſittung empor gehoben. Es hat in hundertjährigem Wirken die Sklaverei beſeitigt , die Arbeit geadelt, die Frau emanzipiert und den Blid in die Ewigkeit geöffnet. Uber war es die Glaubenslehre, das Dogma, welches dieſen Segen ſchuf ?

Man kann ſich über alles verſtändigen, nur nicht über Dinge, an welche das menſchliche Begriffsvermögen nicht hinanreicht, und gerade über ſolche

Begriffe hat man achtzehn Jahrhunderte hindurch geſtritten , hat die Welt verheert , von der Vertilgung der Arianer an durch dreißigjährige Kriege

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bis zu den Scheiterhaufen der Inquiſition , und was iſt das Ende aller dieſer Kämpfe derſelbe Zwieſpalt der Meinungen wie zuvor ! Wir können die Glaubensjäße hinnehmen , wie man die Verſicherung eines treuen Freundes hinnimmt, ohne ſie zu prüfen , aber der Kern aller Religionen iſt die Moral, welche ſie lehren , am reinſten und erſchöpfendſten .

die chriſtliche.

Und doch ſpricht man macht die Form , in welcher der Eiferer auf der Kanzel, kann, die Chriſten aus der

achſelzuckend von einer trođenen Moral, und ſie gegeben , zur Hauptſache. Ich fürchte, daß welcher überreden will, wo er nicht überzeugen Kirche hinauspredigt.

Üterhaupt ſollte nicht jedes fromme Gebet, möge es nun an Buddha, an Allah oder Jehovah gerichtet ſein , an denſelben Gott gelangen , außer dem es ja keinen giebt ? Hört doch die Mutter die Bitte des Kindes , in welcher Sprache auch es ihren Namen laut. Die Vernunft ſteht nirgends im Widerſpruch mit der Moral , das Gute iſt ſchließlich auch das Vernünftige, aber danach zu handeln , hängt

nicht von ihr ab. Hier entſcheidet die herrſchende Seele, die Seele des Empfindens, das Wollen und Handeln. Ihr allein, nicht den beiden Va 1

fallen , hat Gott das zweiſchneidige Schwert des freien Willens geſchenkt,

dieſe Gabe, weld ;e nach der Schrift zur Seligkeit oder zur Verdammuis führt. Aber auch cin ſicherer Ratgeber iſt uns beigeordnet. Von uns ſelbſt

unabhängig hat er ſeine Vollmacht von Gott ſelbſt. Das Gewiſſen iſt der unbeſtechliche und unfehlbare Nichter, welcher ſein Urteil in jedem Augen bliď ſpricht, wo wir ihn hören wollen , und deſſen Stimme endlich auch den erreicht, der ſich ihr verſchließt, wie ſehr er ſich dagegen ſträubt. Die Geſeße, welche die menſchliche Geſellſchaft ſich gegeben hat, ziehen nur das Handeln vor ihren Richterſtuhl, nicht auch das Denken und Em pfinden. Selbſt die verſchiedenen Religionen fordern andere bei anderen

Völkern . Sie verlangen die Heiligung hier des Sonntags, dort des Sonn abends oder Freitags. Die eine erlaubt Genüſſe, welche die andere verbietet. Ohnehin bleibt zwiſchen Erlaubtem und Verbotenem noch ein weiter Spiel raum , und eben hier erhebt mit feinerem Gefühl das Gewiſſen ſeine Stimme. Es ſagt uns, daß jeder Tag dem Herrn geweiht ſein ſollte, daß ſelbſt der erlaubte Zins , vom Bedrängten erhoben , unrecht ſei , mit einem Wort, es predigt die Moral in der Bruſt von Chriſten und Juden , von Heiden und Wilben. Denn ſelbſt bei den ungebildetſten Völkern , denen das Chriſtentum nicht leuchtet, ſtimmen die Grundbegriffe über Gutes und Böſes überein. Auch ſie erkennen Treubruch und Lüge, Berrat unb Undant für fchlecht, auch ihnen iſt das Band zwiſchen Eltern, Kindern und Verwandten

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heilig. Es iſt juwer, an die allgemeine Verderbtheit des Menſchengeſalechts zu glauben , denn wie ſehr auch von Roheit und Wahnvorſtellungen ders dunfelt, liegt doch in jeder Menſchenbruſt der Reim zum Guten, der Sinn für Edles und Schönes,1 wohnt in ihr das Gewiſſen , welches den rechten Weg zeigt. Giebt es einen überzeugenderen Veweis für das Daſein Gottes , als dies allen gemeinſame Gefühl für Necht und Unrecht , als die -

1

Übereinſtimmung eines Geſetzes, wie in der phyſiſchen, ſo in der moraliſchen Welt ; nur daß die Natur dieſem Geſetze unbedingt folgt, dem Menſchen

aber , weil frei, die Möglichkeit gegeben iſt,1 es zu verletzen. Körper und Vernunft dienen der herrſchenden Seele , aber ſie ſtellen auch ihre ſelbſtändigen Forderungen , ſie ſind mitbeſtimmend, und ſo wird das Leben des Menſchen ein ſteter Kampf mit ſich ſelbſt. Wenn dabei nicht immer die Stimme des Gewiſſens die Entſchließung der ſo vielfach 1

von äußerem und inneren Widerſtreit bedrängten Seele entſcheidet, ſo müſſen wir hoffen, daß der Herr, welcher uns unvollkommen ſchuf, nicht das Voll. kommene von uns fordern wird.

Denn wie vieles ſtürmt nicht bei ſeinem Handeln auf den Menſchen ein, wie verſchieden ſind ſchon ſeine urſprünglichen Naturanlagen, wie uns gleich Erziehung und Lebenslage. Leidt wird es dem vom Glüc Bevor. zugten, den rechten Weg einzuhalten, kaum daß die Verſuchung, wenigſtens

zum Verbrechen , an ihn herantritt; ſchwer dagegen dem hungernden , un gebildeten , von Leidenſchaften beſtürmten Menſchen. Dies alles muß bei Abwägung von Schuld und Unſchuld vor dem Weltgericht ſchwer in die Wagſchale fallen , und hier wird Gnade zur Gerechtigkeit; zwei Begriffe, die ſich ſonſt ausſchließen . Es iſt ſdhwerer, das nichts als das Etwas zu denken , zumal dies Etwas doch einmal da iſt, ſchwerer das Aufhören als die Fortdauer. Un möglich kann dies Erdenleben ein legter Zweck ſein. Wir haben ja nicht um dasſelbe gebeten, es ward uns gegeben , auferlegt. Eine höhere Bes ſtimmung müſſen wir haben, als etwa den Kreislauf dieſes traurigen Daſeins immer wieder zu erneuern . Solen die uns rings umgebenden Stätſel jich 1

niemals klären, an deren Löſung die Beſten der Menſchheit ihr Leben Hin durch geforſcht? Wozu die tauſend Fäden von Liebe und Freundſchaft, die uns mit Gegenwart und Vergangenheit verbinden , wenn es keine Zukunft

giebt, wenn alles mit dem Tode aus iſt ?

Was aber kann in dieſe Zukunft hinübergenommen werden ?

Die

Funktionen unſeres irdiſchen Kleides , des Körpers., haben aufgehört, die Stoffe , welche ja ſchon bei Lebzeiten beſtändig wechſeln , treten in neue chemiſche Verbindungen, und die Erde hält alles feſt, was ihr gehört. Nicht 1

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das Kleinſte geht verloren. Die Schrift verſpricht uns die Auferſtehung eines derklärten Leibes , und freilich läßt ſich ein Sonderdaſein ohne Be:

grenzung nicht denken ; dennoch iſt unter dieſer Verheißung wohl nur die Fortdauer der Individualität zu verſtehen, im Gegenſaß zum Pantheismus. Daß die Vernunft und mit ihr alles, was wir an Kenntnis und Wiſſen mühſam erworben , uns in die Ewigkeit begleiten wird, dürfen wir hoffen , vielleicht auch die Erinnerung an unſer irdiſches Daſein. Ob wir Wie, wenn einſt unſer das zu wünſchen haben , iſt eine andere Frage. ganzes Leben, unſer Denken und Handeln vor uns ausgebreitet Saläge, und wir nun ſelbſt unſere eigenen Richter würden, unbeſtechlich, erbarmungslos ? 1

Aber vor allem das Gemüt muß der Seele verbleiben , wenn ſie un

ſterblich iſt. Die Freundſchaft zwar beruht auf Gegenſeitigkeit, bei ihr ſpricht noch die Vernunft mit, aber die Liebe kann beſtehen ohne Gegenliebe. Sie iſt die reinſte, die göttliche Flamme unſeres Weſens. Nun ſagt uns die Schrift, wir ſollen vor allem Gott lieben, ein uns ſichtbares , uns völlig unfaßbares Weſen, welches uns Freude und Glüd, aber auch Entbehrung und Schmerz bereitet. Wie können wir es anders, als indem wir ſeine Gebote befolgen und unſere Mitmenſchen lieben, die wir ſehen und verſtehen ?

Wenn, wie der Apoſtel Paulus fchreibt, einſt der Glaube in die Er kenntnis, die Hoffnung in die Erfüllung aufgeht, und nur die Liebe beſteht, ſo dürfen wir hoffen, auch der Liebe eines milden Richters zu begegnen . Creiſau , im Oktober 1890. Graf Moltre . "

Es iſt ein erhebender Gedanke , daſs der greiſe Kriegsmann in der Liebe gegen unſere Mitmenſchen die höchſte Pflicht erkennt 1, wie er das ja auch in der Inſchrift ſeiner Grabkapelle ausgeſprochen hat. Freilich werden die Strenggläubigen von reinem Waſſer das Glaubensbekenntnis Moltfes nicht ausreichend, vielleicht ſogar rationaliſtiſch finden, mit ihm rechten, daß er von den eigentlichen kirchlichen Glaubensſåßen nicht ſpreche, ſie wohl gar ablehne. Wir müſſen unſerem Leſer anheimgeben , inwieweit er mit Moltke einig gehe, und finden ,1 daß der greiſe Feldherr mit ſeinem hinterlaſſenen 1

Glaubensbekenntnis die Überzeugung von Millionen von Gebildeten aus geſprochen hat , die keinesweges zu den Verächtern der Religion gehören . Moltke war durch und durch religiös , aber gleich Leſſing und Goethe, Schiller und Humboldt und ſo vielen anderen nicht rechtgläubig im kirchlichen Sinne. Er lehnte daher als ehrlicher Mann am 10. Mai 1878 die Beteiligung an Ausſchuß des Evangeliſchen Bundes mit folgender Be gründung ab :

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Dem Beſtreben, die verſchiedenen Abteilungen der evangeliſchen Kirche

11

auf einem gemcinſamen Boden 311 verſammeln , kann ich nur vole Aners fennung zollen, befürchte aber, daß das durch die gütigſt mitgeteilten neuen

Lehrpunkte des Evangeliſchen Bundes ſcharf umgrenzte Gebiet dafür zu eng ſein wird. Die Zahl derer iſt groß , welche die Wahrheit redlich ſuchen , aber nicht zu der Erkenntnis gelangt ſind , welche die Statuten als die aus ſchließlich richtige bezeichnen und die für einen evangeliſchen Geiſtlichen ge

wiß der korrekte Standpunkt iſt. Es ſind nicht Leugner und Zweifler, die, wenn ſie ehrlich gegen ſich ſelbſt ſein wollen, nicht behaupten können,

daß jene Punkte ihre wahre Überzeugung bilden. „ Ich ſelbſt gehöre zu dieſen, und muß daher ablehnen, in das Komitee des Deutſchen Zweiges des Evangeliſchen Bundes einzutreten . Jedenfalls war das praktiſche Ergebnis von Moltkes Glaubens bekenntnis der lebendigſte Familienſinn gegen die Nächſtſtehenden, die reichſte Verzensgüte gegen jeden, der ihm nahe trat. Dieſer allezeit zur Hilfe be reite Familienſinn offenbart ſich ſchon bei dem dürftigen Unterleutnant. Der Vater war aus ſeiner militäriſchen Stellung ausgeſchieden, obwohl er nächſte Ausſicht hatte, Regimentschef zu werden. „Ich habe, “ ſchreibt Helmut von Moltke am 25. März 1828, „ihm meine Remuneration von 60-80 Thalern angeboten, wenn es ihm an einer Summe zur erſten Equipierung fehlen ſollte. Das Schlimmſte iſt nur, daß das Unglück nicht ſowohl in Vaters Verhältniſſen, ſondern in thm ſelbſt liegt.“ Und nun går , feitdem ihm , dem vormals jelbſt Bedürftigen , ſein Glück und fein Verdienſt ein ſtattliches Vermögen zur Verfügung geſtellt hatte; da ſind ſicherlich die Reiſen und Bade furen der unvermögenden Brüder zum guten Teil von unſeres Moltke Gelbe gemacht worden ; er ſelbſt nahm nach Mariens Tode immer einen der Neffen auf ſeinen Reiſen mit. Am 22. März 1872 ſchreibt er an ſeinen Bruder Ludwig: „Du haſt von mir noch 1500 Thaler zu fordern. Statt dieſer Summe will ich Dir aber heute, an Deines Raiſers Geburts tage,1 ein Geſchenk von 21000 Thalern mit dem Zinsertrage vom ver gangenen Neujahr machen. Ich habe hundert Stück Central -Bodenfrebite Aftien à 200 Thaler , alſo nominell 20000 Thaler, für Dich in einem beſonderen Blechkaſten zurücklegt, welche Du zu jeder Zeit hier in Empfang nehmen oder nehmen laſſen kannſt. Die Aktien , welche über part ſtehen, bringen jährlich 1000 Thaler Zinſen. Bei einer ſicheren Mehreinnahme von 1000 Thalern wirſt Du, hoffe ich, von Sorgen befreit ſein ." Der Beſitz von Creiſau hatte für Moltke Wert nicht bloß als Sommers

friſche, ſondern vor allem als Mittelpunkt der Familie, die ſich dort monate Buchner, Moltte.

25

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lang zahlreich verſaminelte; damit dies allezeit ſo bliebe, machte er es zum

unveräußerlichen Erbbeſiß des Älteſten von Adolfs Söhnen und deffen Nachkommenſchaft. So ſorgte Moltke , dem ſelbſt Vaterfreuden verſagt waren, väterlich für ſeine Brüder, ihre Kinder und Entel. Und in gleicher Weiſe übte Moltke des Dichters Wort : Edel fei der Menſch,

Hilfreich und gut,

gegen jeden , mit dem er in nähere Beziehung trat. In ſtiller Weiſe hat er vielen geholfen, und ſtets nahm er ſich der Armen und Schwachen an. Er hatte in ſeiner Jugend die Bürde der Dürftigkeit getragen ; jeßt war er bemüht , anderen den Weg durchs Leben leichter zu machen. Wie er für ſeine Creiſauer und ihre Kinder Sorge trug, iſt früher berichtet. Gegen die ihm untergebenen Offiziere wie gegen ſeine Diener war er die Güte

ſelbſt. Kutſcher und Pferde ließ er niemals warten ; bei ſchlechtem Wetter ging er lieber, als daß er hätte anſpannen laſſen; er ſagte dann wohl : Bei dem Wetter fann man doch Rutſcher und Pferde nicht hinausjagen ! Immer dachte er an andere, nie an ſich ſelbſt. Von Jugend auf gewöhnt, ſich ſelber zu helfen, konnte er oft in faſt herber Weiſe ihm gebotene Hilfs leiſtungen zurückweiſen. Sein Gutsnachbar v. Kulmiz ſagt im V. Band der Geſammelten Schriften : „ Moltke war ein wahrhaft edler Wohlthäter, aber er übte die Wohlthaten im ſtillen. Von einer ſei berichtet. Auf einem 3

Spaziergang in Creiſau fiel ihm auf, daß ein ihm begegnender Handwerker traurig ausſah; nach dem Grunde befragt, erzählte der Mann, ſein Sohn ſei Meiſter geworden und könne eine ſchöne Werkſtatt in der Nähe kaufen, aber das Geld fehle. Am nächſten Tage fuyr der Feldmarſchall nach dem bezeichneten Orte , erfuhr dort , daß der Ankauf der Werkſtatt günſtig ſei, und fegte dann den Handwerker in die Lage, ſie zu kaufen . Nur wenige

wiſſen, daß der Feldmarſchall alljährlich ganz außerordentlich hohe Summen zu Unterſtüßungen verwandte; dies muß beſonders hervorgehoben werden, da die Volksſtimme ihn mit Vorliebe, aber ganz falſch, als ſehr ſparſam bezeichnet. In den Ruf der Sparſamkeit iſt er nur deshalb gelangt, weil er für ſeine Perſon ganz außerordentlich geringe Anſprüche an das leben ſtellte ." Dieſe Seelengüte offenbart ſich auch darin, daß der bedeutende Menſch,

umdrängt von den wichtigſten Intereſſen, auch dem Fernſtehenden gegena über ſich einfach, menſchlich und gütig erweiſt. Derartige Züge ſind es, wenn Moltke vom Hauptquartier Verſailles aus dem oberbayeriſchen Bauern, der ihm aus einer ſtillen Ede einen Marſch für die Zither widmet und um die Erlaubnis bittet, das neue Kunſtwer! Moltte-Marſch zu nennen ,

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brieflich gewährend dankt ; wenn er dem unbekannten Schulfnaben auf ſeine Bitte eine Anzahl franzöſiſcher Luftpoſtfreimarken ſendet , oder wenn er vor Paris beim Beſuch der Vorpoſtenkette den an hochwichtigem Punkte

aufgeſtellten Rekruten eine Unterrichtsſtunde giebt darüber , was bei einem Ausfalle zu thun ſei ; in dieſen kleinen Zügen, zu welchen aus den türkiſchen Schilderungen noch zahlreiche weitere ſich heranziehen ließen , offenbart es ſich, daß Moltke nicht nur der großartig überlegene Geiſt iſt, ſondern auch ein Mann von tiefer Herzensgüte, die in der Liebenswürdigkeit eine gar

anmutige Schweſter hat. Sie offenbart ſich auch in der Bereitwilligkeit, auf jede, wenn auch noch ſo unberufene Anfrage oder Huldigung zu ant worten.

Dieſe Liebenswürdigkeit äußerte ſich unter anderem auch darin , daß Moltke gleich Goethe , um einen reizenden norddeutſchen Ausdruck zu ge brauchen, kinderlieb war, d. h. noch als ſiebzigjähriger und achtzigjähriger Opapa mit ſeinen zahlreichen Großneffen und Großnichten , die ihn in

Creiſau beſuchten, aufs anmutigſte verkehrte. Stundenlang konnte er in der Schar der Kleinen fißen, mit ihnen Bilderbücher anſehen , oder auch von ihnen ſich haſchen laſſen, noch als hochbetagter Mann geſchmeidig und gewandt in allen Bewegungen. Beim Beſuch auf dem Gut einer Ver wandten in Schleſien bannte ihn Regen an das Haus. Da brachte Moltke

cine Thonpfeife herbei und vergnügte ſich ſtundenlang damit, den Kindern Seifenblaſen zu machen ; der Anblick war rührend, den alten Herrn, von .

einer großen Kinderſchar umgeben, auf jedem Rnie ein Kind, ſich an ihrem Jubel erfreuen zu ſehen .

So war Moltke gütig gegen jedermann. Nur einen Feind haßte er,

das waren während des Sommers zu Creiſau die Fliegen. Gegen ſie führte er einen unerbittlichen Krieg, in der Hand die Fliegenklappe ; täglich ging er in den von ihm bewohnten Zimmern auf die Jagd ; es gab zahl reiche Opfer, aber auch nicht ſelten zerſprungene Fenſterſcheiben und zers ſchlagene Gläſer. Troß ſeiner wunderbaren Erfolge war Moltke von der größten Be

ſcheidenheit. Jede Huldigung, gar eine unterthänige, war ihm widerwärtig. Auf eine etwas überſchwängliche Artigkeit Moriſ von Mohls antwortete er mit den Worten Mephiſtos: Eure Höflichkeit erfreut mich ſehr, Ich bin ein Mann wie andre mehr.

Sein Weſen hat uns ein Offizier aus ſeiner nächſten Umgebung mit

den Worten geſchildert: „ Moltkes hervorragendſter Charakterzug iſt große artige Einfachheit und Beſcheidenheit. Mit allem , was man ihm vorſetzt, 25*

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wie er logiert wird, iſt er zufrieden und nach dieſer Richtung hin der ans (ſpruchloſeſte Menſd), den man ſich denken kann. Die außergewöhnliche Klarheit ſeiner Ausdrucs- und Schreibweiſe iſt bekannt, ebenſo die Eigen= ſchaft, nur wenig zu ſprechen . In ſeinem Geiſte ſchließt er mit jeder ihm geſtellten Frage oder Aufgabe zunächſt völlig ab ; während dieſer Zeit exiſtiert die Außenwelt für ihn faſt gar nicht. Sein großes durchſichtiges Auge heftet ſich dann auf den Boden, ſein ganzes Weſen iſt in ſich gefehrt, und erſt, wenn er mit ſich abgeſchloſſen hat, gehört er der Außenwelt wieder ani .

Das aber iſt das Großartige ſeiner Überlegung, daß er in ihr alle

einſhlagenden Verhältniſſe ſo erſchöpfend umfaßt, daß die Ereigniſſe ihn,

und wenn ſie noch ſo eigentümliche Verhältniſſe annehmen, nie überraſchen. Alles , auch das Unerwartetſte, iſt alsdann in ſeinem Geiſt zurechtgelegt, und ohne Beſinnen giebt er ſofort den einzuſchlagenden Weg an . „ Im Gefecht wie in der Gefahr von größter Kaltblütigkeit, iſt er uns tekümmert , was um ihn vorfällt. Statt daß er , wie die Welt glaubt, vom grünen Tiſch alles leite, beſigt er vielmehr die Neigung, mit vorzus gehen, um ſich perſönlich von allem zu überzeugen. So ritt er bei König gräß am Walde von Sadowa beinahe bis an die äußerſten Schüßen heran .

Dabei hat er volle Anerkennung für jede Leiſtung. Denjenigen, welche im Laufe der Jahre durch beſondere Thätigkeit und Leiſtungen ſich einmal ſeine Anerkennung erworben haben , ſchenkt er ſein beſonderes Vertrauen , und ihnen gegenüber tritt er auch mehr aus ſich heraus. Namentlich hat er ein Herz für den gemeinen Soldaten, wie er denn überhaupt voll der höchſten Anerkennung für die Thaten der Armee iſt. Als in den ſchweren Tagen an der Loire der Telegraph eines Abends neue Siege meldete, rief er aus : Vor dem legten dieſer braven Leute müſte man den Hut ziehen ! Er tannte die Armee, und mit Bewußtſein baute er auf ihre Eigenſchaften ſeine kühnen Pläne. Denn , ſagte er , es giebt keine Aufgabe , welche man mit ſolchent Truppen nicht zu erfüllen vermöchte; ſie ſind einer jeden gewachſen ! 1

Vielfache Charakterzüge beweiſen , daß Moltke nicht bloß der erſte Stratege ſeiner Zeit, ſondern überhaupt einer der größten Männer aller

Zeiten iſt. Von wahrhaft klaſſiſcher Seelengröße, dient nicht leicht ein zweiter ſo völlig der Sache allein wie er.

Seine Perſon exiſtiert für ihn

nicht, Bedürfniſſe hat er nicht, und eine ewige wohlthuende Ruhe lagert über ſeiner ganzen Perſönlichkeit. Wohl niemand hat ihn je heftig oder auch nur auffahrend geſehen , da er fern von aller Leidenſchaftlichkeit iſt.“ Eine andere Stimme, Geſammelte Schriften I. Seite 240, äußert ſich folgendermaßen über ihn:

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10

„Nichts war ihm mehr zuwider als alles Unnatürliche, aller Um ſchweif, aller Schein und jedes trügeriſche Weſen. Die Schärfe ſeines

Verſtandes ſchied ſofort die Spreu vom Weizen, niemand aber audi hatte mehr Anerkennung für ſelbſt geringe Leiſtungen, wenn ſie nur auf redlichem Streben beruhten , und neidlos erkannte er jedes fremde Ver dienſt an. Streng gegen ſich ſelbſt, war er doch nachſichtig gegen andere, ein wohlwollender Vorgeſeßter im Dienſt, ein gütiger Herr ſeiner Unter gebenen .

Er hatte Achtung vor der Arbeit, in welcher Geſtalt auch immer ſie

ihm entgegentrat, ſei es als geiſtiges Schaffen, ſei es als phyſiſches Wirken, er wußte es, daß ohne ſie die Menſchen verkümmern, und daß müßige Ruhe

das Grab des Glücks ſei. So gab es auch auf dem ländlichen Arbeitsfelbe ſeines Beſiges nichts, was ihn nicht intereſſiert hätte. Eingehend beſchäftigte er ſich mit der Bewirtſchaftung des Gutes und unterrichtete ſich über die Leiſtungen ſeiner ländlichen Arbeiter. Er machte vielfach Verſuche, um diefe oder jene Verbeſſerung einzu führen, die er entweder am dritten Ort geſehen hatte, oder über die er die einſchlägige Litteratur eingehend ſtudierte. Nichts entging ſeinem aufmerk ſamen Blick, wenn er das Gut eines Nachbarn beſuchte, und ſobald er etwas ihn Neues bemerkte, ſuchte er ſich ſtets über deſſen Zweck und Weſen zu unterrichten. Wo hundert andere der Ruhe gepflegt haben würden, ging er, der keine Ermüdung zu kennen ſchien, ſtundenlang durch Hof und Feld , beſichtigte eingehend den Garten und kletterte auf Speicher und in Maſchinenräume. Viele der Verſuche, die er auf ſeinem Gute anſtellte, mißglüdten, einige gelangen ; nie aber ſtellte er unjinnige Erperimente an, die zum Nachteil des Geſamtbetriebes gereicht hätten, denn immer blieb es I!

ihm wohlbewußt, daß er kein Fachmann ſei, und niemals griff er ſtörend in die Thätigkeit ſeiner Beamten ein ." Moltkes Einfachheit und Bedürfnisloſigkeit war außerordentlid). Auf Reiſen nahm er iinmer nur das luentbehrlichſte init, auf die Gefahr hin, ſich zu erkälten oder tagelang im Fracf einherzugehen. So entſchuldigt er ſich auch am 7. Dezember 1875 zur Zeit eines allgemeinen Notſtandes, er fönne nicht die gewünſchten Stiefel für Bedürftige ſchicken , weil er ſelbſt deren nur zwei Paar habe. Durch eine harte Jugend geſtählt, war Moltke

einfach in allen ſeinen Gewohnheiten. Sein Arbeits- und ſein Schlaf zimmer in Creiſau waren von faſt dürftiger Einfachheit. Bis ins höchſte

Alter erfreute er ſich eines tiefen und geſunden Schlafes, dafür war er lebenslang ein Frühaufſteher. Niemals gebrauchte er beim Ankleiden die Hilfe eines Dieners. Auf ſeine Kleidung verwendete er wenig Sorgfalt ;

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er beſaß nie mehr als zwei Anzüge und trug ſie bis zur äußerſten Grenze des Möglichen. Auf dem Lande oder auf Reiſen trug Moltke ausnahmĝo los bürgerliche Tracht. Es iſt eine oft gemachte Erfahrung, daß der bedeutende Kriegsmann nicht gerade eine überwältigend ſtattliche, ſichtlich kriegeriſche Erſcheinung zu haben braucht. Tidy und Prinz Eugen von Savoyen, Friedrich der Große und Napoleon I. waren Männer von unſcheinbarem Wuchs; neben dem tühnen kräftigen Huſarenkopf eines Blücher, dem ſchönen ſtolzen Antlitz eines Gneiſenau ſteht die ſchmächtige, in ſich verſunkene Geſtalt Scharn horſts,1 „ des Schlachtendenkers “ , des Mannes , mit welchem Moltke in

ſeinem ganzen Weſen eine unverkennbare Ähnlichkeit hatte. Zwar nicht in Bezug auf die äußere Erſcheinung, denn Moltke war ein Mann von hohem Wuchs, wenn auch Jager ,1 Naden und Haupt leicht gebeugt. Aber beiden gemeinſam iſt der Mangel einer ſtrammen ,1 militäriſchen Erſcheinung, die

bürgerliche Freiheit des Bewegens, die ſtille, ſinnende Art, die geräuſchloſe und nachhaltige Wirkſamkeit, die zähe Beharrlichkeit. Scharnhorſt hieß bei ben adeligen Ferliner Offizieren verächtlich der Profeſſor“, über Moltke Würde man ihn in Civil ſtecken, ſo könnte man glauben, einen alten Profeſſor der Mathematit oder der Philoſophie vor ſich zu haben ." Das gilt freilich mehr von dem alten Moltke. Als Leutnant war er nach ſeinem Profilbild ein hübſcher junger Mann ; die Zeichnung von Bujukdere läßt ihn bereits ſehr ſchlank erſcheinen ; auf dem Bild im achten Bande der Geſammelten Schriften erſcheint er als ſtattlicher Mann Anfang leſen wir :

MI

der Fünfziger; Haar und Bart laſſen nichts zu wünſchen übrig. Aus der Türkei kommt er zurüď, wie er ſelbſt der Braut ſchreibt, wie ein trainiertes Pferd , nichts als Sehnen und Knochen , anſcheinend in ſchlechtem Futter zuſtand. Wie die Goethe- Gelehrten feſtgeſtellt haben oder doch gerne feſt ſtellen möchten, ſeit wann der Dichter einen Schlafrod getragen, ſo werden auch dereinſt unſere Moltke- Gelehrten ergründen , ſeit wann er ſich einer Perücke bedient habe, was zwiſchen 1851 und 1870 eingetreten ſein muß. Wir alle kennen des großen Mannes ernſtes gedankenreiches Angeſicht, die Htefen Furchen , die körperliche Anſtrengung und raſtloſe geiſtige Arbeit

in die Stirn und die blaſſen bartloſen mageren Wangen gezeichnet haben , das tiefe ſinnende, faſt ſchwermütig blidende Auge, die ſchmalen Lippen , die

auf eine nur dem Ernſt des Lebens zugewandte Scelenſtimmung deuten. Wenn in Bismards kraftvollen Zügen ſich vor allem der eiſerne Wille ausſpricht, dann in denjenigen Moltkes der Gedanke. Den „ großen Schweiger“ nannten ihn die Zeitgenoſſen; bekannt iſt das Scherzwort, daß er in ſieben Sprachen zu ſchweigen verſtanden habe.

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Damit ſcheint im ſtärkſten Gegenſaße zu ſtehen eine Äußerung in den Briefen eines Wiſſenden, welche die Gartenlaube 1871 mitteilte. Der Ver faſſer, welcher allem Anſchein nach mit Moltke in nahem Verkehr ſtand, nennt es eine durchaus unwahre Fabel. Graf Moltke iſt nicht nur kein beſonders ſchweigſamer Mann , obwohl er natürlich zu verſchweigen wiſſen wird, was er am zweckmäßigſten für ſich behält, ſondern er iſt ſehr geſprächig, beſitzt eine angenehme lebhafte Unterhaltungsgabe und teilt ſich gerne mit. Von den Hunderttauſenden , die von ſeiner Schweigſamkeit erzählen , hat unmöglich auch nur ein einziger Gelegenheit gehabt, ihn im engeren Kreiſe zu ſehen , oder eine etwas längere Zeit ſich in ſeiner Nähe befunden oder gar ſelbſt mit ihm geſprochen . Anderſeits ſagt der Vertrauteſten einer, W

von Verdy, über ihn : „ Nicht umſonſt wurde er der große Schweiger genannt,

wenn gleich er in ſpäteren Jahren doch mitteilſamer geworden , als dies früher der Fall war. " Jedenfalls war die vielberühmte Schweigſamkeit feineswegs immer vorhanden. Es darf nur an die vortrefflichen Reden im Reid,stage , die an Klarheit und Schönheit der Sprache mit dem Alter des

Feldmarſchalls noch zuzunehmen ſchienen, erinnert werden . Leeres Geſchwät war ihm allerdings ein Greuel. Vielleicht der gewiſſenhafteſte Zuhörer im Reichstag, verließ er doch, wenn gewiſſe Redner auftraten, den Sißungsſaal, 1

während es als eine ſchmeichelhafte ermutigende Anerkennung galt, wenn der alte Herr, um beſſer zu hören, ſich in die Nähe des Redners begab. Entſchieden wortfarg war der Feldherr bei den wenigen Tiſchreden , die

er zu halten hatte. Nur einmal , bei Gelegenheit der Generalſtabsreiſe ir Schleswig-Holſtein 1881 , ließ er ſich zu einem längeren, vom liebens würdigſten Humor getragenen Trinkſpruche herbei. Wenn er am Geburtstag des Kaiſers die Offiziere des Generalſtabes zum Feſtmahl bei ſich ver ſammelte, war ſein Trinkſpruch nie anters als : Auf das Wohl Sr. Majeſtät des Kaiſers und Königs !" oder „Seiner Majeſtät dem Kaiſer und König !" 11

Was ſoll ich, mochte er denken , in dieſem Kreiſe langes und breites über 1

den Kaiſer reden ? Jin Generalſtab aber wurde wohl zuvor darüber geſtritten, ob Moltkes Spruch acht oder niein Worte lang ſein werde, ja im Jahre 1884

wurde die Wette um ein Auſternfrühſtück, daß Moltke höchſtens neun Worte ſprechen werde, glänzend verloren. Der Feldmarſchall hatte den Zuſatz

„Meine Herren !" gemacht , zwei Worte inehr. Die Wette war verloren ; der unglüdliche Verlierer aber war der Meinung: „ Der Feldmarſchall wird alt – er fängt an geſchwäßig zu werden. "

Anderſeits konnte Moltke im Kreiſe ſeiner Generalſtabsoffiziere auf der Neiſe, wenn wochenlange gemeinſame Arbeit im Freien die Geiſter einander genähert hatte, ſehr heiter ſein. Nach von Verdys Bericht hatte dann ſeine

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Jeiterkeit etwas kindlich Rührendes; er liebte harmloſe Nedereien und beteiligte ſich an denſelben.

Und ebenſo berichtet Molttes Gutsnachbar und

Schwäher Graf Bethuſy in V. Bande der Geſamineſten Schriften , welcher überhaupt für die Kenntnis von Moltkes Seelenart eine reiche Fundgrube enthält : Vom großen Schweiger war im Familienverkehr nur in ſelteilen

Augenblicken etwas wahrzunehmen. Er konnte ſtundenlang mit meiner Frau und meinen erwachſenen Kindern plaudern , denen er allen wie ein naher Ver wandter entgegentrat , und wahrhaft bezaubernd war ſein mild freundlicher Ausdruck, wenn er mit der nachwachſenden Schar meiner Enkel, auch den ihm nicht verwandten, ſich ſpielend beſchäftigte ." Die Gegenſäße laſſen ſich wohl nicht ſchwer vereinigen . Daß Moltke . auch unterhaltend und geſprächig ſein konnte, daß ihm ein vergnügliches Scherzwort zit Gebote ſtand, das ſehen wir ſchon aus ſeinen türkiſchen

Reiſebriefen ; aber ohne Zweifel widerſtrebte es völlig dem Weſen des ernſten , fortgeſeßt geiſtig arbeitenden Mannes, mit nicht durchaus Naheſtehenden ein flüchtiges oberflächliches Alltagsgeſpräch zu führen. Der Mann , welcher

Freunden und Geiſtesverwandten gegenüber ſich zwanglos und ſogar init liebenswürdiger Geſprächigkeit gehen läßt, ohne je unbedeutend zu werden,

iſt der Welt gegenüber verſchloſſen, von kurzen Vorten, „der große Schweiger“. Dabei wird es wohl auch ſein Bewenden haben.

Dieſe im Grunde tiefe Ernſthaftigkeit und Schweigſamkeit des großen

Mannes bildete dann einen prächtigen Hintergrund zu dem in Wort und Schrift nicht ſelten hervorbrechenden trockenen, immer gutartigen und immer treffenden Humor. Tie Briefe geben zahlreiche Beweiſe dafür. Manche

dieſer Späße ſcheinen als eiſerner Beſitz in ſeiner Seele gelagert zu haben. So wenn er an 13. Juni 1871 an Bruder Fritz über den Neffen ſchreibt: , Henry ſieht wie gewöhnlich ſehr angegriffen aus, leidet an einer Krankheit,

Hunger zu Mittag, krankhaftem Gähnen des Abends, völliger Appetitlojigteit nach Tiſch, und liegt ganze Stunden beſinnungslos des Nachts ." Aber 1

denſelben Spaß in etwas anderer Faſſung hat er über ſich ſelbſt vierzig

Jahre zuvor, am 25. März 1828, gegen Schweſter Lene gemacht. 1

Moltke war ein Mann von wunderbar umfaſſender Bildung ; iſt er

ja doch ſogar im preußiſchen Abgeordnetenhauſe erwähnt worden als Bei ſpiel, daß hohe allgemeine Bildung nicht von dem Studium der klaſſiſchen Sprachen abhängig ſei. Die griechiſchen Schriftſteller freilich konnte er nur in deutſd;er Überſegung leſen ; zahlreiche lateiniſche Stellen in ſeinen Briefen , wie ſeine ausgedehnten Livius - Studien beweiſen , daß er im Lateiniſchen

wohl bewandert war. Auf der Schule in Kopenhagen lernte er Däniſch; als junger Offizier in preußiſchen Dienſten vervollſtändigte er ſeine Kenntnis

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des Franzöſiſchen und Engliſchen bis zu völliger Beherrſchung, lernte er

das Ruſſiſche. Im Morgenlande gewann er die Kenntnis des Türkiſchen, vielleicht auch noch Anfänge des Armeniſchen und Arabijchen. In Rom lernte er Italieniſch. Das wären wohl etwa , abgeſehen von der Mutters ( prache, die ſieben Sprachen , in welchen Moltke nach einein bei den Zeit genoſſen beliebten Scherzworte ſchweigen konnte. 1

1

Außerdem begegnen wir bei Moltke überall, in ſeinen Schriften, Briefen, ſogar Reichstagsreden, Spuren einer außerordentlich umfaſſenden Beleſenheit. Als im Jahre 1890 ein engliſcher Schriftſteller, neben anderen berühmten Leuten 1, auch bei Moltke um Angabe ſeiner Lieblingsſchriftſteller anfragte, beantwortete er die Frage: „ Welche Bücher haben den meiſten Einfluß auf Sie geübt ?" mit: „Die Bibel, Homers Iliade , Littrows Wunder des Himmels, Liebigs Agrikulturchemie, Clauſewiß' Vom Kriege.“ Als diejenigen Bücher, die er mit beſonderem Vergnügen leſe, bezeichnete er Sdhiller, Goethe,

Shakeſpeare, Walter Scott, Ranke, Treitſchke, Carlyle. In Goethes Fauſt war er trefflich zu Hauſe und konnte ganze

Stellen desſelben auswendig , führt ihn auch öfter in ſeinen Briefen an ; ebenſo Goethes Iphigenie, ſeine Lyriť, Heines Buch der Lieber, Shakeſpeare; auch Montaigne, Cheſterfield und Childe Harold erwähnt er ; im Sommer 1855 nimmt er auf die Reiſe Nigels Schickſale von W. Scott, Herodot, Müller und Schulze in Paris mit. Dazu kommen neuere Geſchichtſchreiber wie Macaulay , Niebuhrs Nömiſche Geſchichte, Droyſens Preußiſche Politir, Treitſchkes und Sybels Werke über neueſte deutſche Geſchichte. Neben wiſſenſchaftlichen Werken liebte er diejenigen eines kräftigen geſunden Humors , bejonders die Schrifteil von Diđens,1 aitch Gellerts Fabeln und Erzählungen ; noch in den letzten Lebensjahren las er mit großer Liebhaberei Stindes Familie Buchholz. Moltke war ſelbſt dichteriſch beanlagt , wie wir aus verſchiedenen Stellen ſeiner Briefe erſehen haben. Seine Jugendarbeit , die beiden Freunde“

iſt eine ſpannende, gut erzählte Novelle, und ebenſo im Grunde der lange Brief an die Braut vom 1. Dezember 1841.

Un Bruder Ludwig ſchickt

er iin Januar 1850 einige ſeiner Überſetzungen von Thomas Moore als vertrodnete Roſenblätter aus wärmeren Tagen “. Zwar bekennt er ſchon in ſeinem 42. Lebensjahre demſelben : „Zuletzt wird man ſo vernünftig, daß man alle Begeiſterung als eitel Mondſchein über Bord wirft. Meine

überſegungen ſind Verſtandesſache." Aber in Wahrheit hat die Liebe zur Dichtung ihn ſein Leben hindurch begleitet , und bis zu ſeinein neunzigſten Lebensjahre benugte er ſeine Creiſauer Mußeſtunden , um Gedichte von Thomas Moore in ſein geliebtes Deutſch zu übertragen. Seltſam ! Wie

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Friedrich der Große, der Schlachtenmeiſter, das Adagio der Flöte beſonders liebte , ſo Moltke der Sdilachtendenker die zarte duftige Lyrit dcs Briten, die er mit Sprachgeſchick und Sprachſchönheit verdeutſcht; der I. Band der Geſammelten Schriften bringt treffliche Muſterſtüde. So wären wir denn angelangt bei Moltke - dem Schriftſteller. Wenn man ſeine Jugendbriefe lieſt, ſo iſt man verſucht zu der Annahme, er habe

damals hauptſächlich geſchrieben, um ſeinen Geldnöten abzuhelfen, und das mag auch für einige der erſten Arbeiten ſtimmen. Aber für ſeine eigent lichen wiſſenſchaftlichen Werke iſt dieſer Grund nicht maßgebend, ſondern Moltke hatte das Bedürfnis , über ſeine Gedanken ſich dadurch ins Klare zu ſeßen , daß er ſie niederſchrieb. Alles was er ſchrieb , unterzog er einer

wiederholten Durcharbeitung; immer ſtrebte er darnach, den Gedanken in noch knappere vollendetere Geſtalt zu bringen. So iſt denn Moltres Dars 1

ſtellung überaus kurz und gedankenreid), dabei von vollendeter Einfachheit und Schönheit der Sprache.

Moltkes ſchriftſtelleriſche Arbeiten laſſen ſich, abgeſehen von der Jugendnovelle, ſcheiden in ſolche weltgeſchichtlichen Stoffes, in Werke über Kriegsgeſchichte, in Abhandlungen über Zeitfragen ; dazu geſellen ſich die von Moltke gezeichneten Karten und ſchließlich , wenn auch nicht entfernt mit der Abſicht der Veröffentlichung entſtanden, Moltkes Briefe. Da indes dieſe Hauptabteilungen nicht völlig zu ſcheiden ſind, ſo empfiehlt es ſich, den ſchriftſtelleriſchen Werdegang des Verfaſſers zu folgen. Moltkes Erſtlingsarbeit war die im März 1827 gedruckte Novelle ,,Die beiden Freunde“. Wir begegnen der hübſchen Erzählung in dem Briefe an die Mutter vom 25. März 1828. In demſelben Briefe erwähnt Moltke eines für ſeine Schüler gearbeiteten Kompendiums über die mili täriſchen Aufnahmen , alſo wohl eines Wertchens über militäriſche Feld meßkunſt; das Büchlein iſt ohne Zweifel völlig verſchollen. Ter Ausbruch der belgiſchen Revolution 1830 gab Anlaß zur Ent ſtehung der geſchichtlichen Abhandlung „Holland und Belgien in gegenſeitiger

Beziehung ſeit ihrer Trennung unter Philipp II. bis zu ihrer Wiederver einigung unter Wilhelm I." Es iſt die erſte Schrift, die der Feldmarſchall, damals als Unterleutnant zum Generalſtab kommandiert, 1831 mit ſeinem Namen erſcheinen ließ, und zwar in demſelben Verlage, in dem jegt Moltkes Geſammelte Schriften erſchienen ſind , bei E. S. Mittler zu Berlin. Er berichtet darüber der Mutter und klagt , daß er für die mühſame und um

faſſende Arbeit nur drei Dukaten Honorar empfangen habe. Als Beweis für die ſchon damals vorzüglidhe Darſtellungsweiſe und einſichtsvolle politiſche

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Denkungsart Moltkes ſei hier eine kleine Betrachtung aus der Arbeit mit geteilt :

„ In der That, wenn das Fortſchreiten notwendige Bedingnis für die Menſchheit iſt, damit ſie nicht zurüdſchreite, ſo dürfen die Inſtitutionen, die für die Gegenwart beſtehen , nicht für die Ewigkeit geſchaffen ſein. Wie die Natur ſich aus ſich ſelbſt verjüngt, müſſen ſie ſich mit den Geſchlechtern erneuen , aber dieſe Regeneration muß von oben ausgehen, nicht von unten. Die Regierung muß es ſein, welche die Revolution auf einem geſegmäßigen Wege durchführt, nicht die Menge, dieſer Spielbau der Parteien, das blinde, aber ſchneidende Werkzeug in der Hand der Leidenſchaft. Eine Regierung,, welche das Bedürfnis ihrer Völker erkennt und ihm zuvorkommt, wird, welche Form ſie auch ſonſt haben möge , immer die liberalſte unter allen Regierungen ſein und ſteht heutzutage an der Spiße der unermeßlichen Partei aller Vernünftigen in allen Ländern . " 1

Eine weitere , durch die Trennung Belgiens von Holland veranlaßte litterariſche Unternehmung Moltkes war die im Briefe voin 13. Januar 1832 erwähnte Karte der beabſichtigen Abgrenzung der beiden Länder , welche Karte wohl ebenfalls ſpurlos verſchwunden iſt. Moltke hat das Langen und Bangen des jungen Schriftſtellers gründlich kennen gelernt.

Auch die folgende Schrift „ Darſtellung der inneren Verhältniſſe und des geſellſchaftlichen Zuſtandes in Polen “ iſt ein Ergebnis der Zeitver

hältniſſe; ſie erſchien mit des Verfaſſers Namen 1832 bei G. Fincke in Berlin , und iſt gleich den übrigen politiſchen Schriften der dreißiger und vierziger Jahre in dem II. Bande der Geſammelten Schriften erneuert worden . Wir haben geſehen , daß Moltke als Badegaſt in Salzbrunn zu einer reichen polniſchen Familie in nähere Beziehung trat , ſpäter als Gaſt

derſelben und Feldmeſſer monatelang in Polen verweilte ; als dann die polniſche Erhebung Ausgang 1830 die Augen von ganz Europa auf das unglüdliche Land hinzog , vertieft er ſich mit wahrhaft erſtaunlichem Fleiß in Geſchichte und Verfaſſung von Polen. Man kann ," heißt es Gejammelte Schriften Il. Seite 64 in der

11

Einleitung jener Schrift, „ das Geſamtergebnis ſeiner Ausführung dahin

zuſammenfaſſen , daß er zeigen wollte, wie unter einer unglücklichen Ver faſſung , unter einer ſchlechten Regierung oder einer ſolchen , die durch eine 1

ſchlechte Verfaſſung an jeder Wirkſamkeit verhindert iſt, alle Stände, alle

Stämme, alle Religionsgenoſſenſchaften verkommen und ſchlechte Früchte zeitigen , wie aber eine gute Regierung und geſunde ſtaatliche und geſell 1

ſchaftliche Zuſtände auf alle dieſe Beſtandteile veredelnd wirfen . So erflåren

ſich auch die zuweilen harten Urteile dieſer Schrift aus dem Geſichtspunkt

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des Verfaſſers, die Gegenfäße dortiger Verhältniſſe zu den heimiſchen ſcharf

hervorheben zu wollen.“ übrigens rechnete Moltke ſelbſt im Jahre 1873 ſein Büchlein zu der „ unerſchöpflidhen litterariſchen Spreu “ über die polniſche Frage , ein ſicherlich zu ſcharfes Urteil , denn die Arbeit giebt Zeugnis für ein tüchtiges geſchichtliches Studium , wie für ſorgſame Beobachtung von

Land und Leuten, ſo daß der Cenſor des Büchleins wohl zu der Vermutung Anlaß haben mochte, der Verfaſſer habe ſich ſchon ſo ſeine fünfzig Jahre in der Welt uingejchert.

Dann kam das Seite 49 ff. erwähnte Schmerzenskind, die für denſelben .

Verleger G. Finde gearbeitete zwölfbändige Überſeßung des Gibbon , die unſeren Freund die freien Stunden dreier Jahre und unſägliche Arbeit koſtete und ſchließlich ungedruckt in den Papierkorb wanderte. Der Gelds gewinn, dem allein zuliebe Moltke das weitſchichtige Werk unternommen

hatte , war verſchwindend klein, und dennoch hat auch dieſe undankbare Arbeit ohne Zweifel ihrem Verfaſſer genügt, einesteils im tüchtigen Erlernen

der engliſchen Sprache, andernteils in der gewonnenen Kenntnis der Geſchichte des ſinkenden Römerreiches, welche zum Teil auch an der Grenze des friegeriſch vordringenden Perſervolfes ſpielt , am Euphrat und Tigris, in

deren Quellgebiet Moltke zwei reiche Lebensjahre verbrachte. Dann verweilte Moltfe vier Jahre in Konſtantinopel und Kleinaſien. Zu ſchriftſtelleriſcher Arbeit hatte er keine Zeit, aber er beobachtete mit ſcharfein Blick Land und Leute, hielt ſeine Eindrücke in zahlreichen Briefen in die Heimat,1 wohl auch in Tagebüchern feſt, zeichnete Karten am Bos: porus und Taurus. Als er dann Ende 1839 nach Deutſchland zurück= gekehrt war, arbeitete er im Jahre 1840 ſeine Reiſebriefe mit jenen entzückenden Schilderungen der geſellſchaftlichen Zuſtände des Morgenlandes, den wahrhaft

ſtaatsmänniſchen Darſtellungen ſeiner politiſchen Zuſtände zu den köſtlichen „ Briefen über Zuſtände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839 “ zuſammen, einem Buche, das ich im Grunde als die eigenartigſte

und liebenswürdigſte Schöpfung Moltkes betrachten möchte, obwohl es ſeiner Zeit allem Anſchein nach faſt unbeachtet blieb. Das Buch zeigt auf jeder

Seite, daß es aus Briefen entſtanden iſt, die ohne die Abſicht der Vers öffentlichung geſchrieben wurden ; es trägt die ganze Friſche der Darſtellung

an rich, wie ſie nur aus lebendigſter Anſchauung ermächſt, es iſt unges ſucht geiſtreich, gemütvoll, humoriſtiſch, ein treueſtes Bild von dem Seelen leben des Verfaſſers, der ſonnverbrannt, mager wie ein Rennpferd, un ſcheinbar und idyweigiam von ſeinen Berg- und Wüſtenfahrten heimkehrt. Als weitere Früchte von Moltkes Aufenthalt unter dem Halbmond ſind

zu betrachten die im Laufe der vierziger Jahre erſchienenen Karten, nämlich:

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1. Freiherr von Moltke , Karte von Konſtantinopel, den Vorſtädten , der Umgegend und dem Bosporus, im Maßſtabe von 1 : 25000 aufgenommen 1836 und 1837. Geſtochen von Bembé. Berlin 1842. Schropp & Co. 1

2. Karte von Kleinaſien, entworfen und gezeichnet nach den neueſten und zuverläſſigſten Quellen , hauptſächlich nach den in den Jahren 1838 und 1839 pon v. Vince , Fiſcher und v. Moltke. und 1841-43 von

5. Kiepert u. a. ausgeführten Rekognoscierungen. Geſtochen von Mahlmann, Maßſtab 1 : 1000000. Berlin 1844. S. Schropp. 3. Die Karte des nördlichen befeſtigten Teiles des Bosporus von den Hiſſaren bis zu den Leuchttürmer am Schwarzen Meer. Im

Auftrage Sr. Hoheit des Sultans Mahmud II. aufgenommen in den Jahren 1836/37 von Freiherrn von Moltke. Maßſtab 1 : 25000. Berlin 1846.

Simon Schropp.

As Moltke aus Kleinaſien zurückam , war die Welt vol Kriegs: geſchrei, und der franzöſiſche Miniſter Thiers , ergrimmt darüber , daß die vier verbündeten Mächte ſeinen Schüßling Ibrahim Paſcha troß der ge

wonnenen Schlacht von Niſib nach Ägypten Heimtrieben, dachte 1840 ernſt lich an einen Rheinkrieg, der nur durch die Friedensliebe des Königs Louis Philipp verhindert warb. Es war das die Zeit, da N. Beders Rheinlied und die Wacht am Rhein entſtanden . Was Wunder , daß Moltke wie vorher die holländiſche und die polniſche Frage, ſo auch die deutſch -franzöſiſche Frage

in einer geſchichtlichen Abhandlung beſpricht, die unter dem Titel „ Die weſtliche Grenzfrage" 1841 im zweiten Heft von Cottas Vierteljahrsſchrift erſchten . Sie ſteht als Nr. 3 im II. Bande der Geſammelten Schriften . Eine ganz vorzügliche Arbeit, wie die beiden früheren ruhend auf eingehenden

Studien der Geſchichte, aber diesmal durchflutet von warmer vaterländiſcher Geſinnung. Moltke ſchildert die Raubpolitik der Franzoſen gegen Deutſch land ſeit der Reformation und ſchließt mit folgenden Worten : Wenn nun auch zunächſt Friede bleibt , ſo wird doch die jüngere

Generation in Frankreich in dem Glauben erzogen , ſie habe ein heiliges Recht auf den Rhein und die Miſſion , ihn bei der erſten Gelegenheit zur 1

Grenze Frankreichs zu machen. Die Rheingrenze muß eine Wahrheit werden «,

das iſt das Thema für die Zukunft Frankreichs . Wir glauben , in den vorhergehenden geſchichtlichen Erörterungen zur Genüge gezeigt zu haben , daß Frankreich nicht den geringſten rechtlichen Anſpruch auf die Rheingrenze hat. Aber wir wiſſen auch ſehr wohl , daß alles, was man den Franzoſen darüber ſagt, in den Wind geredet iſt. Sie wollen nicht hören. Je klarer alle Zeugniſſe der Geſchichte und Natur und

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alle Gründe der Vernunft und Moral gegen ſie ſprechen , um ſo weniger wollen ſie davon hören.

Es kommt alſo nur noch darauf an, ob Deutſchland ſtark genug iſt

und bleiben wird, um die widerrechtlichen Anſprüche Frankreichs unter allen Umſtänden mit Gewalt zurüđzuweiſen ? Es iſt eigentlich kläglich, daß wir nach einer zweitauſendjährigen Nachbarſchaft, nachdem wir ſo viele Schläge von den Franzoſen empfangen und ihnen ſo viele wieder zurüđgegeben haben, ſie doch immer noch nicht dahinbringen konnten, ſich über ihre wahre Stellung zu uns zu verſtändigen. Das Studium der Geſchichte blüht in Frankreich wie bei uns , tauſend Mittel und Wege des Verſtändniſſes ſtehen offen,

und doch herrſcht bei den Franzoſen ſo ſehr die blinde Leidenſchaft vor, daß ſie ſich abſichtlich in eine Fluſion hineinfügen und die Wahrheit zu ſehen, auch in ihrem hellſten Tagesglanz, verſchmähen. ,, Beſonnene Erwägung, Vernunft, Gerechtigkeit und Billigkeit, die in Verkehr zweier ſo alter und ſo mächtiger Nachbarn ſtattfinden ſollten und die wir immer bereit ſind einzuhalten, werden von den Franzoſen verſchmäht. Nur Gewalt ſoll entſcheiden ; ſo oft ſie anderer Meinung ſind als wir, gleich ſchlagen ſie an den Säbel. Rückwärts und vorwärts ſou die Geſchichte

verſchwinden vor der Leidenſchaft des Augenblicks. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit, ſo werden die Gefahren der Zukunft verachtet. Alem troßend, ſtürzt ſich die Begierde auf ihren Gegenſtand, gleichviel, wer dabei zugrunde gehen wird.

Es iſt immerhin traurig, nach ſo vielen Erfahrungen und im Jahr. hundert des klarſten Bewußtſeins wieder die Finſternis roher, barbariſcher

Triebe und das Reich der unvernünftigen Gewalt hereindrohen zu ſehen, felbſt wenn wir ſtark genug ſind, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Aber

wer ſteht uns dafür, daß uns nicht irgend einmal eine Schwäche anwandeln wird, daß wir nicht in Konflikte der inneren oder äußeren Politik geraten werden , wobei unſere Wachſamkeit und unſere Kraft erſchlaffen ? Was haben wir dann von einem Nachbar zu fürchten , der kein Recht anerkennt als die Gewalt ,1 und der ſich nicht ſchämt, offen zu bekennen , daß er heute noch wie in den Jahrhunderten des Fauſtkampfes nur darauf lauere , uns einmal ſchwach, uneinig oder unachtſam zu finden , um uns aufs neue räuberiſch anzufallen ? „ Unſere Aufgabe iſt daher, wenn wir den alten böſen Nachbar nicht belehren können , wenigſtens uns ſelbſt unſer, gutes Recht voltommen klar 1

.

zu machen, im ganzen Umfange deutſcher Nation zum Bewußtſein zu bringen. Keinem Deutſchen darf es derborgen oder gleichgültig bļeiben, daß , wenn Frankreich und Deutſchland je miteinander abrechnen, alles Sol auf ſeiner,

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alles Haben auf unſerer Seite ſteht. Nur wir haben an Frankreich zu fordern, was es uns miderrechtlich entriſſen. Frankreich dagegen hat nichts

von uns zu fordern , nicht ein Dorf , nicht einen Baum. Der Rhein iſt, 1

wie Arndt kurz und gut geſagt hat, Deutſchlands Strom nicht Deutſch lands Grenze. Geht man dom hiſtoriſchen Recht aus , ſo iſt alles,. was Frankreich ſeit dem dreizehnten Jahrhundert an ſeinen öſtlichen Grenzen 1

gewonnen hat, ein Raub an Deutſchland geweſen, ſo ſind alle burgundiſchen und lothringiſchen Lande unſer altes , uns widerrechtlich entriſſenes Eigen tum , und wir hätten demnach noch weit mehr zu reklamieren, als die Sprad ): grenze. Geht man vom nationalen Standpunkt aus und macht die Sprache zur natürlichen Grenze der Nationen , ſo gehört uns der ganze Rhein mit ſeinem ganzen linken wie rechten Ufer, denn im ganzen Flußgebiet des Rheins wird ſeit vierzehn Jahrhunderten deutſch geſprochen ; demnach hätte nicht Frankreich das linke Rheinufer von uns, ſondern wir hätten von ihm Eljaß und Lothringen anzuſprechen. Geht man endlich vom poſitiven Recht aus, wie es durch die legten Verträge feſtgeſtellt iſt, ſo hat Frankreich dadurch allerdings ſeinen unrechtmäßigen Beſitz Lothringens und des Elſaßes geheiligt, aber dieſelben Verträge ſchließen Frankreich von jedem Anſpruch auf die übrigen Teile des linken Rheinufers aus. Wenn nun aber Frankreich jene Verträge von 1814 und 15 nicht mehr anerkennt, die einzigen Rechts titel ,1 die ihm ſeinen alten Raub an Deutſchland geſichert haben und noch fichern , und die wir immer redlich anerkannt haben , obgleich ſie uns ſehr nachteilig ſind – wenn Frankreich ſelbſt dieſe Verträge bricht und Krieg beginnt, ſo ſollten wir uns in tem feſten Entſchluß vereinigen, ſo Gott wil und der gerechten Sache den Sieg verleiht , jene Verträge nie wieder zur Baſis eines neuen Friedens zu machen , ſondern das Schwert nicht

eher in die Scheide zu ſteden , bis uns unſer ganzes Recht geworden iſt, bis Frankreich ſeine ganze Schuld an uns bezahlt hat. ,,Unſere Aufgabe iſt ferner, den politiſchen Verſtand, der nach und nach unter uns zurückzukehren ſcheint, nachdem wir ihn jahrhundertelang ver loren hatten , immer beſonnener und gründlicher auszubilden , d. h. alle Fragen des Tages, es mag um ein Prinzip oder um ein Partikularintereſſe geſtritten werden, aus dem höheren nationalen Geſichtspunkt anzuſehen und

über innere Zwiſtigkeiten nie die auswärtige Politiť zu vergeſſen . Au unſer Unglück hatte nur dieſe Vergeſſenheit zur Duelle. Nur weil wir Deutſchen untereinander haderten um Meinungen oder um Provinzialintereſſen und darüber verſäumten , unſere Grenzen nach außen zu wahren , konnten die Nachbarn uns berauben und ſchwächen . Vieles iſt geſchehen , um die Wiederkehr ſo heilloſer . Zerwürfniſſe in Deutſchland für die Zukunft zu

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verhindern. Die deutſchen Volksſtämme hegen die frühere undernünftige Eiferſucht gegeneinander nicht mehr oder weit nicht mehr in dem Grade wie früher. Auch die Dynaſtien ſtehen ſich näher und finden ihr Intereſſe ießt in einer übereinſtimmenden Politik weit beſſer geſchüßt als ehemals

in der Trennung. Nur der Streit um Meinungen und überzeugungen, um Verfaſſungs- und Kirchenfragen iſt noch lebhaft rege und ſeiner be

friedigenden Löſung noch nicht nahe. Iſt es aber zuviel verlangt von einer ſo großen , alten , erfahrenen und durch und durch gebildeten Nation , wie die deutſche, wenn man ihr zumutet, ſich nicht in ſich ſelbſt zu verfeinden ,

jo lange ihr noch ſo viele Feinde von außen drohen ? Der Gegenſtand, über den man ſich verfeindet , ſei welcher er wolle, der Erfolg wird immer jein, daß jeder unſerer innern Zwijte vom Auslande zu unſerem Verderben benutzt werden wird. Wir müſſen uns , ſelbſt mitten im Frieden, immer wie ein großes Heer im Feldlager und im Angeſicht eines mächtigen Feindes betrachten . In ſolcher Lage ziemt es uns nid)t, aus welchem ſcheinbar ſehr

natürlichen und gerechten Anlaß es auch geſchehe, uns einander ſelbſt feindlich gegenüberzuſtellen . Wir müſſen immer nur Front machen gegen den Feind von außen .“

So Moltfe 1841. Er hat 30 Jahre ſpäter mit blutiger Schrift die Anmerkungen zu dem prächtigen Aufſatz geſchrieben . Der vierte Aufſaß des zweiten Bandes führt uns auf ein ganz anderes Gebiet ; er führt den Titel : Welche Rückſichten kommen bei der Wahl der

Richtung von Eiſenbahnen in Betracht ? und erſchien mit der Unterſchrift M. in Cottas Vierteljahrsſchrift von 1843. „ Wir müſſen ,“ heißt es in den Vorbemerkungen, „ den Scharfblic bewundern, womit der damalige Major im Generalſtab die große Bedeutung der Eiſenbahnen, ihren Wert für den Staat und ihre Wichtigkeit in volkswirtſchaftlicher Beziehung zu einer Zeit erkannte, in welcher die Regierungen faſt aller Staaten es nicht für angezeigt erachteten , Eiſenbahnen aus Staatsmitteln zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Mit Ausnahme einer kleinen Zahl aufgeklärter und freier denten der Männer ſtand die öffentliche Meinung den Eiſenbahnen noch wenig

mohlwollend gegenüber." Man muß dabei in Betracht ziehen , daß das Elſenbahnweſen damals in Deutſchland jung und ausſchließlich in den Händen von Privatgeſellſchaften war. Der Aufſa beweiſt eine eingehende Kenntnis der Maſdine, des Unterbaues, der Steigungsverhältniſſe, als ob Moltte Fachmann wäre. Moltke war der erſte unter den Feldherren der Neuzeit, der die Bedeutung der Eiſenbahnen zu Kriegszweden erkannte und derwertete; die deutſche Armee war die erſte, die eine techniſch ausgebildete Eiſenbahntruppe beſaß, und der glänzende Erfolg der Jahre 1866 und 1870

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iſt weſentlich eine Folge der genialen Benutung der Eiſenbahnen durch Moltke.

Eingang 1867 ward eine Eiſenbahnabteilung im Großen Generalſtab ins Leben gerufen ; Mai 1871 wird ein Eiſenbahnbataillon geſchaffen, das Ende 1875 zu einem Eiſenbahnregiment, 1890 zu einer Eiſenbahnbrigade erweitert

wird. Bei großen Beſichtigungen vor dem Kaiſer pflegte ſich Moltke an die Spiße feiner. Eiſenbahntruppe zu ſtellen und ſie dem Kriegsherrn vor zuführen. Schließlich bringt Band II. der Geſammelten Schriften noch fünf Auf jäße zur Orientaliſchen Frage ; ſie ſind 1841 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erſchienen . Sie handeln über die Frage, ob durch Schaffung eines ſelbſtändigen Staates Paläſtina unter einem chriſtlichen deutſchen Fürſten die ſtets drohende türkiſch -ägyptiſche Kriegsgefahr aufgehoben werden könne; über Land und Voll der Kurden ; über die mifitäriſch -politiſche Lage des osmaniſchen Reiches ; über die nach der Schladt von Nijib gemachten Verſuche a

zu einer Kräftigung der altersſchwachen Macht der Türkei ; über die Donau inündung und die Möglichkeit, dieſelbe durch einen im Süden der Dobrudſcha zu führenden Ranal zu umgehen , was Moltfe leugnet. Alles bedeutſame und gedankenreiche Aufſätze, Nachfrüchte des Aufenthaltes im Morgenlande.

In dem Briefe an ſeine Braut vom Anfang November 1841 erwähnt Moltke audy noch eines Auffakes , Deutſchland und ſeine germaniſchen Nachbarn“ , welcher über das Verhältnis Deutſchlands zu Dänemark handelt und ohne Zwcifel nicht minder anziehend iſt. In den Geſammelten Schriften findet er ſich nicht, wie es ſich überhaupt verlohnen dürfte, dieſe Jahrgänge

der A. A. Zeitung nochmals nach Auffäßen Moltkes mit dem Zeichen I durchzuſehen . Eine Nachfrudit des Aufenthaltes in Konſtantinopel iſt das Buch, welches Moltke vom Sommer 1843 bis Frühling 1844 über den ruſſiſch türkiſden Feldzug in der europäiſchen Türkei 1828/29 ſdhrieb ; es erſchien 1845 bei G. Neimer. Als ausſchließlich friegsgeſchichtlichen Inhalts iſt es in die Geſammelten Schriften nicht aufgenommen, wird aber wohl unter den bei E. S. Mittler erſcheinenden fachwiſſenſchaftlichen Arbeiten Moltkes zu erneutem Abdruck gelangen. Dann kam der Aufenthalt in Rom und mit ihm eine neue Arbeit, die Karte der römiſchen Campagna in neun Blättern. Sie erſchien 1852 unter dem Titel Carta topografica di Roma e dei suoi contorni fino alla distanza di 10 miglia fuori le mura . Eseguita dal Barone di Moltke negli anni 1845 a 1846. 1 : 25000. Berlino, S. Schropp. Eine im Maßſtab 1 : 50000 ausgeführte , von Birk geſtochene kleinere Wiederholung erſchien ebenda 1859 . Buchner, Moltke.

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Die Arbeit machte ihn vicle Mühe, nicht bloß in Rom ſelbſt, ſondern auch nach der Heimkehr, bis ſic geſtochen war. Die Neinzeichnung beſorgte Hauptmann Weber zu Weſel. Im Juni 1849 überſchickte Moltke an Aler. D. Humboldt die drei weſtlichen und die drei Mittelblätter und bat dieſelben mit Rüdſicht auf die gleichzeitige Belagerung von Nom durch die Franzoſen dem König vorzulegen. Friedrich Wilhelm IV. intereſſierte ſich lebhaft für die Sache und trug zu den Koſten des Stiches 700, nach einer

anderen Äußerung 750 Thaler bei; als Stecher nennt Moltfe Broſe, ,den erſten Kupferſtecher von Berlin ". Jedoch iſt die Karte erſt Ende 1852 fertig. Moltke beabſichtigte auch noch die Abiaſſung cines Wegweiſers, von welchem wirklich einige ſchr anziehende friegsgeſchichtliche Auffäļe teils im erſten Bande der Geſammelten Schriften , teils in dem bei Patel zu Ferlin erſchienenen Wanderbuch gedruckt ſind. Bruder Ludwig war mit dem Wegweiſer nicht einverſtanden und Moltke anwortete ihm am 7. Januar 1852 : „ Was haſt Du gegen die Form eines Wegweiſers ? Ein ſolcher kann doch auch gut, gründlich und geiſtreich abgefaßt werden . Wie oft

kam mir beim Anblick einer Trümmerſtätte der Gedanke : Was mag hier geſchehen ſein , und welche Begebenheiton knüpfen ſich an dieſe Neſte ? Die Form des Wegweiſers hat gerade das Gute vor einer wiſſenſchaftlichen

Unterſuchung voraus , daß Teştere den Leſer durch die dürre Steppe der gründlichen Erörterung ohne Erbarmen hindurchführt, während die erſtere wie auf einem Spaziergang nur vor dem Schönen, Anſpredcnden und Inter

eſſanten ſtehen bleibt." Moltkes Aufſätze über Veji, Valerii, die mildiſche Brüde und andere Schaupläße der römiſchen Geſchichte leſen ſich in der That allerliebit; der Wegweiſer aber, der ſicherlich noch viel Treffliches über die römiſche Geſchichte zur Zeit der Republik gebracht hätic , blieb leider Bruchſtück. Die Jahre von Moltfes Thätigkeit als Haupt des Generalſtabes boten

zuviel Arbeit, als daß er zu ſchriftſtelleriſcher Hervorbringung Zeit gehabt hätte ; jedoch entſprach es ganz ſeinem Weſen , daß die kriegsgeſchichtliche Abteilung des Großen Generalſtabes ſofort nach Beendigung der drei Felda

züge die Darſtellung derſelben unternahm und unter lebhafter Veteiligung des Generals , der jede Zeile prüfte und nicht ſelten ebenſo ſorgſame Umarbeitung anordnete, wie er ſie ſelbſt übte , ausarbeitete. Die all. gemeinen Betrachtungen behielt er ſich ſelbſt vor ; eine Stelle, die ſicherlich

aus Moltkes Feder floß, über den Krieg von 1866, iſt Seite 222 mitgeteilt.

Moltkes eigenes Werk dagegen iſt die im III. Bande der Ges ſammelten Schriften zuerſt veröffentlichte Geſchichte des scutſch -franzöſiſchen

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Krieges von 1870/71 . Major von Moltke, des Feldmarſchals Neffe, redete ſeinem Dheim mehrfach, aber jedesmal erfolglos , zu , er möge doch ſeine Creiſauer Mußeſtunden dazu benußen , um aus dem reichen Schaße ſeiner Erinnerungen einige Aufzeichnungen zu ' inachen. Der Feldmarſchal lehnte das immer ab mit der Begründung , Denkwürdigkeiten dienten nur dazu, die perſönliche Eitelkeit des Verfaſſers zu befriedigen ; was er in dieſer Sache Erhebliches geſchrieben , liege im Archiv des Generalſtabes. Jm Früh jahr 1887 nach der Ankunft in Creiſau kam Major von Moltfe wieder 1

auf ſein Anliegen zurük; der Feldmarſchall erwiderte: „ Ihr habt ja die voin Generalſtab herausgegebene Geſchichte des Feldzuges ; da ſteht ja alles darin ; freilich, fügte er hinzu , gehe ſie für die große Menge der Leſer zu

ſehr ins einzelne, ſei zu fachmänniſch geſchrieben; man müſſe ſie einmal auszugsweiſe umarbeiten. Der Major legte alsbald dem Feldmarſchall das große Gencralſtabswerk auf den Schreibtiſch, und am folgenden Morgen warb die Arbeit begonnen, welcher Moltke von da ab jeden Vormittag drei

Stunden widmete. So ward das umfangreiche Werk vom Frühling 1887 ab

man bedenfc, daß Moltkes Lebensalter mit dem Jahrhundert ging

gefördert , im Januar 1888 zu Berlin beendigt , aber crſt nad Moltkes Tode vcröffentlicht. Freilich darf man nidit ein leicht lesbares unterhaltendes Werk, etwa wie über die Jahre im Morgenland erwarten ; es iſt eine ſtreng wiſſenſchaftliche Arbeit, mit Verincidung aller Schönrednerei ſchlicht, kühl und ſachgemäß erzählt. Der Mann, nach deſſen Weiſungen Hunderttauſende inarſdjierten und fochten, hüllt ſich völlig in den Mantel der Beſcheidenheit; wenn er Fehler rügt , ſind es nicht diejenigen anderer , ſondern die eigenen .

Bekannt iſt der von Moltke ſelbſt geleitete Sturmangriff der Pommern bei Gravelotte ain Abend des 18. Auguſt 1870. Moltke ſagt darüber: „ Leba haft ſprach ſich der Wunſch der Pommern aus,1 heute ſchon an den Feind

zu gelangen. Es wäre richtiger geweſen , wenn der zur Stelle anweſende Chef des Generalſtabes der Arinee dies Vorgehen in ſo ſpäter Abendſtunde nicht gewährt hätte. Eine völlig intakte Kerntruppe konnte am folgenden Tage ſehr erwünſcht ſein, an dieſem Abend aber hier kaum noch einen ent ſcheidenden Umſchwung herbeiführen .“ So tadelt er ſich ſelbſt, geſteht aber dodh alsbald zil , wie günſtig es war, daß , geſchützt durch die von den friſchen Pommern gebildete vorderſte Gefechtslinie, die ermüdeten und ſchwer mitgenommenen Heeresteile , die bei Tage gefochte:1, fich wieder ſammeln fonnten .

Damit ſind Moltkes ſchriftſtelleriſche Werfe , eine immerhin ſtattliche

Reihe von etwa fünf Bänden , erſchöpft; nicht inbegriffen ſind dabei die 1

Arbeiten , die er als Haupt des Generalſtabs und lediglich für dieſen ver:

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faßte , und die deswegen allem Anſchein nach nur für den Fachkundigen

verſtändlich ſind. Eine Zuſammenfaſſung derſelben iſt beabſichtigt in den ebenfalls bei E. S. Mittler erſcheinenden militäriſchen Werken , welche der Große Generalſtab, Abteilung für Kriegsgeſchichte, herausgiebt. Bei dieſer Betrachtung von Moltkes Leiſtungen als Schriftſteller iſt aber noch eines zit berückſichtigen, das in feiner Weiſe mit der Abſicht

künſtleriſchen Schaffens oder in der Erwartung einer künftigen Veröffent lichung entſtand, das ſind Moltfes Briefe , die uns erſt ganz neuerdings durch den vierten bis ſechsten Band der Geſammelten Schriften zugänglich geworden ſind, und zwar bringen Band IV. und V. die Briefe an Eltern , Geſchwiſter und Freunde, Band VI. die Briefe an die Braut und Frau. Der Herausgeber des vierten Bandes, Oberſtleutnant von Leszcynski, beinerkt im

Vorwort:

„ Das Bekanntwerden dieſer vertrauten Korreſponden ; wird der Be urteilung und dem Verſtändnis des großen Mannes ganz nelie bisher

ungeahnte Ausblicke eröffnen. Wir alle haben ihn nur gefannt, ihn verehrt und bewundert als den in ſich geſchloſſenen und vollendeten Charakter, der er in einem langen , der Größe des Vaterlandes und der eignen Vervoll kommnung geweihten Leben geworden war. Nun tritt er vor unſer geiſtiges Auge in ſeiner ſtufenweiſen Entwicklung , ſeinem Werden und Wachſen , und da ſehen wir mit freudigem Staunen , daß er ein Menſch wie wir geweſen , init vollem , warmem Herzſchlag, von Freude und Schmerz, von Hoffung und Zagen , von Liebe und Abneigung bewegt, wir nehmen wahr, wie mit zunehmender Erfahrung, Welt- und Menſchenfenntnis jid, das alles abklärt und ſchließlich zu der olympiſchen Gelaſſenheit und erhabenen

durchdringenden Weisheit führt, durch die ſeine Perſönlichkeit ſich ſo einzig geſtaltete. Er war , wie wir alle ſind oder geweſen ſind, und doch war er von jeher ein Beſonderer; das Feuer des Genies , lange ungeahnt von

der Welt, loderte in ihm gleich ſtark, als er den früheſten in der Samm lung vorhandenen, faſt kindlichen Brief aus ſeiner erſten preußiſchen Garniſon Frankfurt a. O. an ſeine Mutter ſdrieb , wie faſt fünfzig Jahre ſpäter,

als ſeine Briefe aus Ferrieres und Verjailles an den Bruder udolf die Ereigniſſe des gewaltigen Krieges in markigen Zügen ſchilderten. Er war ein Beſonderer, ein anderer als wir alle, ein Menſch, der trotz allem , was Sas Herz der Staubgeborenen zu einem trotzigen und verzagten Dinge macht, feſt auf dem Wege des als gut, wahr und erſtrebenswert Erkannten fort: ichritt, unbeirrt durch die Hemmniſſe und Sahwierigkeiten , die ſeitwärts lagen und nur vorhanden zu ſein ſchienen, um beſiegt zu werden . 1

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Seine Briefe zeugen von Anbeginn bis zum Ende von tiefinnerlicher Frömmigkeit, unerſchütterlichem Gottvertrauen und von dem eiſernen Willen, das Höchſte zu erreichen , von der Verachtung des Scheins und der Uns wahrhaftigkeit, ſie zeugen von dem ſein ganzes Weſen umfaſſendeu Sinn für die Familie und befunden die Freude an der Natur ebenſo wie die verſtändnisvolle Teilnahme an den weltgeſchichtlichen Geſchicken der Menſch heit. Gleich ſeinen Thaten ſagen auch ſie: er war ein Manit, nehmt alles nur in allem , wir werden nimmer ſeinesgleichen ſehen . ,,Es iſt wohl zu beachten, daß der, der dieſe Briefe drieb, nicht ahnen

konnte, ihr Inhalt werde einſt aller Welt offenbar werden. Nun dies dennoch geſchicht, iſt es für jeden Leſer eine Stunde der Weihe, wenn er in die Gedankenwerkſtatt dieſes großen Mannes eintritt, wenn ihm Ein blick geſtattet wird in das Emporſtreben und Wachſen einer Seele, die ſich zu den lichten Höhen erhabenſten Menſchentums durchgerungen hat." Alles , was Leszczynski ſagt , iſt richtig und ſchön. Moltkes Briefe ſind nicht bloß bedeutſam für die Erkenntnis ſeines Werdeganges , deſſen ſtetige Weiterentwickelung uns, ehe dieſe Briefe erſchienen, ſo gut wie gänzlich verborgen war ; Moltke iſt auch ein wahrer Künſtler im Briefſchreiben, cs iſt ihm ein Vergnügen, nicht eine Pflicht; er ſchreibt ſchön und doch völlig ungeſucht , und im Schreiben kominen alle Regungen dieſer reichen , viels geſtalteten Seele zum Vorſchein, Wohlwollen, behagliche Freude am Daſein, tiefer Naturſinn, heiterer Humor, feine Klugheit, ab und zu auch ein bißchen 1

Lehrhaftigkeit. So ſind dieſe Vriefe außerordentlich liebenswürdig. Es iſt rührend , wie der vielbeſchäftigte Mann auf ſeinen anſtrengenden Neijen,

im Getreibe der großen Truppenübungen , bei den ermüdenden Nitten an der Spiße des Generalſtabes , ſich immer die Zeit ſchafft zu Briefen an 1

die Gattin ; aber auch die Mutter , die Geſchwiſter gehen nicht leer aus ; daß dabei auch die behagliche Plauderei ihr Nedht fordert, iſt ſelbſtverſtänd lich. Von beſonderer Schönheit ſind Moltkes Neiſeſchilderungen , und es iſt wahrhaft ſtaunenswert, wie der Mann ſich bis in die achtziger Jahre

die lebendige Friſdie der Veobachtung erhalten hat, nicht allein der Natur, ſondern auch den Blick ! ? für die Kunjiwerfe, die er ſah , mag er ſprechen .. die Moſchee 311 Cordova oder den Kölner Dom ; was über St. Peter oder Moltke ſchildert, ſei es ein Alpenpaß oder ein Wert der Baukunſt, alles

baut ſich klar und plaſtiſch vor unſeren Augen auf. Dieſe Friſche und Genauigkeit der Beobachtung aber erklärt ſich aus einem anderen : Moltke war nicht bloß ein Künſtler mit der Feber, ſondern auch , obwohl in alten Tagen kurzſid ,tig geworden , ein Künſtler mit dem Stift in der Hand. Der Zeichner wird unwillkürlich ein ſcharfer Beob

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achter, und Moltke war lebenslang ſeine letzte Zeichnung von Monaco rührt aus ſeinem 83. Jahre ein großer Freund des Zeichnens, dors

nehmlich von Anſichten und Landſchaften , aber auch von Menſchen und Bildniſſen. Seine Reiſetagebücher enthalten eine Menge derartiger Blätter, mit ſicherem Stiſt leicht und ſauber gezeichnet; einzelne derſelben ſind in den Geſammelten Schriften eingefügt. Auch landſchaftliche Skizzen in Waſſerfarben oder Öl bewahrt die Familie. Und um denn mit den künſtleriſchen Liebhabereien unſeres Freundes völlig abzuſchließen , Moltke liebte nicht weniger die Muſik, wenn auch keinerlei Andeutungen dafür ſprechen, daß er ſie je ſelbſt geübt. Von allen Tonſeßern zog ihn Mozart am meiſten an ; wohl lauſchte er gern den 1

weichen Melodien der italieniſchen Meiſter, wohl hatte er ſeine Lieblinge unter den deutſchen Liederkomponiſten ; Mozart mit ſeiner Einfachheit und 1

Natürlichkeit, ſeiner Fülle und ſeinem Humor entſprach Moltkes Weſen vor allem . Die Konzertſåle beſuchte er ſehr ſelten , aber wenn ihm gute Haušinuſik gemacht wurde, war er ein aufmerkſamer und unermüdlicher Zuhörer. Zu ſeinen ſchönſten Freuden gehörte es , wenn Profeſſor Joachim abends fam, um ihm Cello vorzuſpielen; dann ſaß Moltke ſtundenlang in ſeiner Sofacce , faſt ohne ſich zul rühren , und der Meiſter wurde nicht müde , vor dieſem ſtillen Zuhörer zu ſpielen . Man brauchte den Feld.

marſchall nicht zu rufen, wenn muſiziert werden ſollte; faſt immer erſchien er, ſobald die erſten Töne erklungen waren . Er kam , behutſam die Thür öffnend, hinein und ſeşte ſich auf den nächſten Stuhl ; ſehr ſelten gab er ſeinen Beifall zu erkennen ; meiſtens merkten die Ausführenden , daß ihm

ihre Muſik gefiele, nur daran, daß er fißen blieb, denn wenn ſie ihm nicht zuſagte , ſtand er nach einiger Zeit auf und verſchwand ebenſo ſtill, wie er gekommen war. Für techniſdhe Kunſtſtüde hatte er kein Verſtändnis ; ein melodiſches Adagio, ein ſchönes Lied feſſelten ihn dagegen immer. So iſt denn auch ein ſolches einfaches Hauskonzert ſeine lette Freude geweſen ; eine Viertelſtunde darnach war er entſchlafen. Es iſt erfreulich zu ſehen, wenn, um ein Dichterwort zu gebrauchen ,

,, ein Leben reid ſich ausgeblüht" hat , zu ſehen, wie aus Millionen der einzelne lediglich durch ſeine geiſtige Arbeit , durch ein wahrhaft wunder : volles Wirken zum Heile des Vaterlandes zur höchſten Stufe der Ehren emporzuſteigen vermag. Nicht auf leichtem Flügel hat ein günſtiges Geſchick .

unſern Moltke emporgetragen , das ſagt uns ſeine von Denken gefurchte Stirn ; ein tapferer und ausharrender, reiner und unſträflicher, ein wiſſen ſchaftlich ſtrebender, allezeit den höchſten Zielen zugewandter Mann, hat er ſich ſeinen Weg gebahnt , mit Mühe und Arbeit gebahnt. Das deutſche

.

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Volt blidt neidlos und dankbar zu ihm empor, zu dieſem wahrhaft ſelbſt gemachten Manne, der das Geheimnis ſeiner Erfolge in dem ſchönen Wahl ſpruche niedergelegt hat : Erſt wägen, dann wagen ! Das iſt ein trefflicher Spruch, der, freilich mit einiger Betonung der erſten Hälfte , jedem Strebenden zu empfehlen iſt. Zum Schluß aber ſei

noch auf ein Gebiet in Moltkes Seelenleben hingewieſen, auf ſeine warme Liebe zum Vaterland. Geboren in Mecklenburg , aufgewachſen im halb däniſchen Holſtein , erzogen in Kopenhagen , fand er in Preußen eigentlich erſt ein Vaterland . Aber ſeine geſchichtlichen Studien ſagten ihn : Mein Vaterland inuß größer ſein ! Moltke hat dieſer Erkenntnis ſchon im Jahre

1841 in ſeinein prächtigen Aufſatz über die deutſch -franzöſiſche Grenzfrage den kräftigſten Ausdruck gegeben. Was Moltke 1864 und 1866 gewann, das gewann er für ſein zweites Vaterland, für Preußen ; was er 1870/71 erreichte, das erreichte er für ſein größeres Vaterland, für Deutſchland, für das er fortan noch zwanzig Jahre lang als treuer Ecart auf der Wacht ſtand. So möge auch der ſchöne Spruch, den Moltke für das Germaniſche

Muſeum ſchrieb, ſtets des Deutſchen Wahlſprud, ſein und bleiben : Allezeit Treu bereit

für des Reiches Herrlidīfeit.

Berichtigungeii. S. 57 3. 10 v. u. lics von Bergh .

S. 58 3. 6 v. 0. lies der Inſelfeſtung. Das S. 108 mitgeteilte, dem VIII. Bande der Geſ. Schriften entuominiene Bild Moltkes iſt im Jahre 1851 gemalt. S. 101 3. 11 v. 0. lies mora, S. 191 3. 9 v. u . lies 26. Juni.

‫ܪܺܐ‬

Helmut von Moltkes

Auszug aus der Tafel in Band

Friedrich Kaſ Eru- und Geridjtsherr auf gamow und

1730—1785, 1750 verheiratet

2. Jakob Sieg . 3. Ludwig, 4. Aug. Karl,

1. Otro . Hauptm. in Preuß. 1751--1802 .

5. Udolf

Leutn. in Preußen, Hauptm . inPreuß. friedrich, fried, Gauptın . in Preußen , geb. 1754, 't jung. 1757–1707. Medlenb. General , 1752-1775.

6. Rudolf, 7. belir + 1763.

Medib . Sau 1766-18

+ in Nußit

geb. 1758.

1. Wilhelm ,

2. Friedrich Joachim ,

3. belmut Karl Bernhard ,

Offizier in Norwegen und Dänemark,

Rammery., 1799–1874 ,

1798-1834.

vermählt mit Betty Bilte,

Graf. Feltmaridad, 1800-1891, termählt mit Marie Burt, * 1868.

+ 1861,

4. Add Landrat

18

vermählt

1. Wilhelin ,

2. belmut,

3. Friedrich,

4. Ludwig

5. Marie,

geb. 1846 , Graf ,

geb. 1818.

geb. 1852

geb. 1854.

geb. 1854.

2 Söhne, 2 Tidter.

1 Sohn , 2 Töchter.

Majoratshert auf Greiſau.

2 Söhne, 3 Tödtet.

.

nächſte Verwandtſchaft

Sand IV. der Geſammelten Schriften .

aſiminir Siegfried ,

nd Wilhelmshof, Hauptmann in Öſterreicly,

atet mit Anna Charlotte d'Olivet. elmut, 8. Friedr.philipp 9. Wilhelm, 10. Philipp Carl, II. Marianne, 12. Karoline, 13.Luiſe,

gauptm . 3, 5-181 Rusland.

Viktor,

Preuß.Hauptmann,

Dän . G.- Leutnant,

1770—1821 .

† jung.

geb. 1771 , vermählt mit Ed. Ballhorn .

geb. 1767.

geb. 1756.

1768-1845,

l'erm. in. Henr. Palden, † 1837.

Udolf Erdmann ,

Erat ino Kainmerheit , 1801-1871 ,

ist mit Auguſte von Serohn .

5. Ludwig,

6. Magdalena,

7. Auguſte,

8. Viktor,

Geheim. Nat und Rammerherr,

1807-1892,

1809-1883, vermählt mit John Heyliger Burt,

1812-1853 .

vermählt mit Propſt

1805-1889, mit Marie

Brðter.

term.

+ 1836.

v . Krogh.

6. Luiſe, .

geb. 1856 .

2 früh geſtorbene Söyne, 5 Töchter.

2 Söhne , 3 Tödter .

1. Benry v. Burt,

2. Erneſtine,

geb. 1811 , Major.

geb. 1839.

Stiefkinder von Auguſte Burt. 1. John Ć .

2. Jeannette geb. 1813, verm. init Baron Cai von Brodoorff. 3. Diarie, 1826-1868, Gemahlin des Feldinarſdall:.

Verlag von Morit Shauenburg in Lahr, Saden. Vom gleichen Verfaſſer ſind erſchienen :

Cebensbilder

berühmter deutſcher Männer für die Jugend und das Bolk . Von

. Wilhelm Buchner.

1. Alerander von umboldt.

10. Sdarnhorſt.

2. Vorf von Wartenburg. 3. Seume. 4. Mozart.

II . Bismarck.

5. Gög von Berlichingen .

14. Kaiſer Wilhelm I. (2. Aufl.)

2. Auflage.)

12. Moltke. ( 2. Auflage.) 13. Karl der Große.

6. Albrecht Dürer .

15. Georg Friedrich bändel .

7. Beethoven .

16. Freiherr vom Stein .

8. Erzherzog Karl.

17. Schiller.

9. Gneiſenau. ( 2. Auflage.)

18. Goethe.

Jeder Band kartonniert 15 Pfennig. ,,Die Sebeitsbilder zeichnen ſich durch ihre freie und fließende Sprache, nicht

minder durch ihre erquickende Wärme aus. für die Jugend und das Volf, fiir welche ſie geſchrieben ſind, verdienen ſie ganz beſondere Empfehlung." Schulblatt für die Provinz Brandenburg. „ Als belehrende und charakterbildende Lektüre verdienen dieſe Büchlein , deren

äußere Ausſtattung eine ſehr ſaubere iſt, dem Volke und der heranwachſenden Jugend Schweizeriſche Lehrerzeitung. empfohlen zu werden .“ , Eine Reihenfolge vont intereſſanten Darſtellungen berühmter Deutſcher . Mögen Knabenhort. die Büchlein die verdiente Verbreitung finden ."

1. Robert, Pro Patria . Zeit- und Streitgedichte und poli tiſche Stimmungsbilder vom Oberrhein. 1887–1889. 8º. 66 Seiten .

In originellem Umſchlag 50 Pfennig.

Reichslianzler Fürſt Bismardi. Nach dem Ölgemälde von Anton von Werner in Öldruck ausgeführt.

47:65 cm .

Preis : M 3.-, in Goldrahmen 16 12. Das Bild ſtellt den Fürſten dar in voller Uniform , in ſeinem

Arbeitszimmer ſtehend. Die Wiedergabe durch Ölfarbendruck iſt vor züglich gelungen .