Face Scan - Zur Rolle technischer Bildverfahren in den Porträts von Chuck Close 9783839445129

Multi-levelled technicity and picturesque counterpart to the digital (human) image: the portraits created by the artist

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German Pages 458 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. KEIN PORTRÄT, KEINE IKONE, KEIN FOTO – ZU CLOSES BILDKONZEPT
1.1. Close im Kontext
1.2. Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus
1.3. Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei
2. AUGE, HAND, VERFAHREN – CLOSES METHODEN DER BILDHERSTELLUNG
2.1. Raster und Prozess: Airbrush-Arbeiten
2.2. Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre
2.3. Einheit und Segment: Komposit-Bilder
2.4. Fazit: Der Künstler als Maschine
3. DIE TECHNISCHE AUFLÖSUNG DES (BILD-)KÖRPERS
3.1. Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion
3.2. Analytische Bildtraditionen
3.3. Close und das technische Menschenbild
Schluss
Literatur
Abbildungsnachweise
Abbildungen
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Face Scan - Zur Rolle technischer Bildverfahren in den Porträts von Chuck Close
 9783839445129

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Ce Christina Jian Face Scan – Zur Rolle technischer Bildverfahren in den Porträts von Chuck Close

Image  | Band 141

Meinen Eltern gewidmet.

Ce Christina Jian (M.A.), geb. 1984, arbeitet als Künstlerin und Autorin in Berlin. Neben einem Kunststudium mit Meisterschüler-Abschluss an der Universität der Künste Berlin studierte sie Kunst- und Bildgeschichte sowie Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie beschäftigt sich in Theorie und Praxis mit Malerei und ihrem Verhältnis zu technischen Bildkulturen. Ihre künstlerischen Arbeiten werden auf Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, daneben verfasst sie Rezensionen und Essays zur zeitgenössischen Kunst.

Ce Christina Jian

Face Scan – Zur Rolle technischer Bildverfahren in den Porträts von Chuck Close

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine Dissertation im Fach Kunstund Bildgeschichte, die an der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin verfasst und im September 2016 eingereicht wurde. Mein besonderer Dank gilt meinem Betreuer Prof. Dr. Michael Diers für seinen guten Rat und die langjährige Unterstützung. Sein Zuspruch hat mich sowohl in meiner theoretischen als auch praktischen Arbeit bestärkt. Ich danke der Studienstiftung des deutschen Volkes für die großzügige und vielseitige Förderung, mich durch meine Studien- und Promotionszeit begleitet hat. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden, die mir während dieser Zeit stets zur Seite gestanden haben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Chuck Close, Phil II (1982), handgeschöpftes graues Papier, pressgetrocknet, 162,6 x 135,9 cm, © Chuck Close, Foto: Maggie L. Kundtz, Courtesy: Pace Gallery Rückumschlag-Abbildung: Chuck Close, Big Self-Portrait (1967-1968), Acryl auf Leinwand, 273 x 212,1 cm, Collection Walker Art Center, Minneapolis, Art Center Acquisition Fund, 1969, © Chuck Close, Foto-Courtesy: der Künstler und Pace Gallery Grafik und Satz: Yong Zhao, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4512-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4512-9 https://doi.org/10.14361/9783839445129 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@ transcript-verlag.de

Inhalt

Einleitung | 7

1 KEIN PORTRÄT, KEINE IKONE, KEIN FOTO – ZU CLOSES BILDKONZEPT 1.1 Close im Kontext | 19

1.1.1 Der Paradigmenwechsel in der Kunst der 1960er Jahre | 20 Der Abstrakte Expressionismus als Avantgarde und Akademie | 20 Neue Impulse und die Cool Art der 1960er Jahre | 24 1.1.2 Strategien gegen die subjektive Malerei | 32 Von gestischer Abstraktion zu Big Nude | 32 Pollocks Allover als Bildgrundlage | 36 Ad Reinhardt und die Kunst der Negation | 39 Frank Stella und das nüchterne Verfahren der Malerei | 42 Jasper Johns und das Readymade-Motiv | 45 Operation und Prozess bei Sol LeWitt | 49 1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 57

1.2.1 Die Ablehnung des traditionellen Porträts | 59 Grundzüge der klassischen Gattung | 59 Objektivität und die Frage der Ähnlichkeit | 64 Close und das Porträt: Ein Ausbruchsversuch | 70 Sonderfall Selbstporträt | 84 1.2.2 ID statt Idol: Close und Warhol | 94 Pop Art und Pop-Ikonen | 94 Blow-up, Serialität und slick image | 103 Zwei Oberflächenkonzepte | 110 1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 117

1.3.1 Fotografie als Medium der (Porträt-)Realität | 117 Index, Automatismus, Objektivität | 117 Aspekte des fotografischen Porträts | 130 1.3.2 Maler der Fotografie | 138 Closes fotografisches Konzept | 138 Gemalte Fotografie, fotografische Malerei | 151

2 AUGE, HAND, VERFAHREN – CLOSES METHODEN DER BILDHERSTELLUNG 2.1 Raster und Prozess: Airbrush-Arbeiten | 179

2.1.1 Monochrome Bilder | 180 2.1.2 Farbige Bilder | 192 2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 199

2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

Punkt und Kästchen | 201 Schraffur | 207 Fingerabdruck | 211 Skalierung und Konvertierung | 218

2.3 Einheit und Segment: Komposit-Bilder | 225

2.3.1 Komposit-Polaroids | 225 2.3.2 Bildsegmente und Gesichtsfragmente: Keith/Mezzotint | 231 2.3.3 Gesichtsscan: Slow Pan For Bob | 233 2.4 Fazit: Der Künstler als Maschine | 237

3 DIE TECHNISCHE AUFLÖSUNG DES (BILD-)KÖRPERS 3.1 Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion | 241

3.1.1 Körperbild | 242 3.1.2 Bildkörper | 250 3.1.3 Nähe und Ferne | 254 3.2 Analytische Bildtraditionen | 259

3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Physiognomische Bilder | 260 Medizinische und kriminalistische Bilder | 264 Biometrische Bilder | 276 Zwischen ID und Bio-Porträt | 284

3.3 Close und das technische Menschenbild | 301

3.3.1 Der technisierte Mensch nach 1950 – Kybernetik, technische Bilder und virtuelle Körper | 301 3.3.2 Der digitale Blick im analogen Medium | 321 3.3.3 Malerei und Körperlichkeit im digitalen Zeitalter | 330 Schluss | 343 Literatur | 347 Abbildungsnachweise | 373 Abbildungen | 383

Einleitung

Der Name Chuck Close wird bis heute überwiegend mit dem amerikanischen Fotorealismus in Verbindung gebracht. Lange Zeit galt der 1940 in Monroe, Washington, als Charles Thomas Close geborene Künstler als einer seiner Hauptvertreter. Nachdem er 1967 damit begann, überdimensionale Figuren nach Schwarzweißfotografien zu malen, wofür sein erstes Selbstbildnis Big Self-Portrait (Abb. 1) das berühmteste Beispiel darstellt, ist über die Jahrzehnte ein Werk entstanden, worin Close die Porträtthematik konstant beibehalten hat, während er seine Bildmethoden immer weiter variierte. Im Anschluss an Big Self-Portrait wurde Close mit einer Reihe großformatiger monochromer und farbiger Porträts in den späten 1960er bis 1970er Jahren bekannt, die auf den ersten Blick Fotografien zum Verwechseln ähnlich sehen. In den 1980er Jahren verlagerte sich sein malerisches Oeuvre auf Ölgemälde, die das Porträtmotiv in einem Raster zu vielfarbig gebrochenen Einzelformen zerlegen – ein freierer, zeichenhaft abstrahierter Stil, der sein Spätwerk kennzeichnet (Abb. 38). Seine Arbeit umfasst außerdem eine Fülle an Fotografien, Druckgrafiken und Papierarbeiten, die sich durch große methodische Vielfalt auszeichnen und deren technisches und materielles Spektrum vom Mezzotinto bis zu Tapisserien, von Polaroids bis zu Daguerreotypien und von Fingerabdruck-Bildern mit Stempelfarbe bis zu mosaikartigen Collagen aus Papiermasse reicht. Angesichts der komplexen inneren Zusammenhänge, die sein über fünfzigjähriges Schaffen aufweist, erscheint seine stilistische Zuordnung zum Fotorealismus der 1970er Jahre unhaltbar, zumal dieser nur als behelfsmäßiger Sammelbegriff für diverse realistische Tendenzen in den späten 1960er Jahren eingeführt worden ist. Der problematische Begriff des Realismus erweist sich dabei als zu unscharf angesichts seiner breiten Anwendung in dieser Zeit: So finden sich im New Realism, der sich als Pop Art etabliert hat, über Bezeichnungen wie Super Realism, Sharp-Focus Realism, Cool Realism und Hyper-Realism für die später mit Fotorealismus zusammengefassten fotomimetischen Ansätze bis hin zum Perceptive Realism für eine ‚realistische‘ Malerei mit lebenden Modellen zahlreiche Versuche, die unterschiedlichen gegenständlichen Strategien in Abgrenzung zur expressiven und formalistischen Abstraktion zu erfassen.1 1

Siehe Battcock, Gregory (Hg.): Super Realism. A Critical Anthology, New York 1975; Lucie-Smith, Edward: Super Realism, New York 1979; Meisel, Louis K.: Photorealism, New York 1980; Goodyear, Jr., Frank H.: Contemporary American Realism since 1960, Ausst.Kat., Philadelphia, Pennsylvania Academy of the Fine Arts 1981, Boston 1981. Zu den vielen programmatischen Ausstellungen zählten Realism Now, Vassar College Art Gallery,

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Als einer der ersten Maler, die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre eine ausgeprägte fotomimetische Praxis entwickelten, wurde Close unweigerlich dieser Bewegung zugeschrieben, obgleich er sich in frühen Stellungnahmen sowohl von einer Assoziation mit fotorealistischen Tendenzen als auch von den Formeln der Pop Art zu distanzieren versuchte: Seine Bilder seien weder „facsimiles of photographs“ noch „icons of the head as a total image“, die eine Persönlichkeit in plakativer Vergrößerung darstellen.2 Nach einer durchaus erfolgreichen Frühphase unter dem starken Einfluss des Abstrakten Expressionismus war Closes malerische Hinwendung zum Porträt in den späten 1960er Jahren ein ungewöhnlicher Schritt, wo doch figürliche Malerei und insbesondere das Porträt als obsolet galten und leicht den Verdacht des Anachronismus oder reaktionären Akademismus auf sich zogen.3 In Verbindung mit seinem fotomimetischen Stil provozierte Close damit jene Ablehnung, die dem Fotorealismus seinerzeit generell entgegenschlug und sich in vernichtenden Kritiken wie der von Hilton Kramer von 1971 äußerte: „No doubt there is a sociological point to be found in this desire of a painter to aspire to the methods of a machine, but the esthetic interest of the procedure is nil. Needless to say, the ‚portraits‘ are the usual pop exploitation of the ugly and the banal, a reminder that pop, though utterly dead, now aspires to a revival under the banner of this realist movement. The kind of work Mr. Close produces is interesting only as evidence of the kind of rubbish that follows in the wake of every turn in the history of taste.“4 Die frontalen fotografischen Porträts legten für das zeitgenössische Publikum die Verknüpfung mit der Pop Art nahe, wobei ihre Serialität, monumentale Größe und ihr stilistischer Wiedererkennungswert den ‚ikonischen‘ Eindruck noch verstärkten. So

2 3 4

Poughkeepsie 1968; 22 Realists, Whitney Museum of American Art, New York 1970; Cool Realism, Everson Museum of Art, Syracuse/New York 1970; Radical Realism, Museum of Contemporary Art, Chicago 1971; Sharp-Focus Realism, Sidney Janis Gallery, New York 1972. Der Begriff Photorealism wurde 1969 von Louis K. Meisel eingeführt (dieser gründete 1973 die Meisel Gallery in New York mit dem Schwerpunkt Fotorealismus), im Katalog zu 22 Realists im Whitney Museum verwendet und geprägt von Seitz, William C.: The Real and the Artificial: Painting of the New Environment, in: Art in America, Bd. 60/Nr. 6, Nov.-Dez. 1972, S. 58-72. Closes Zuordnung zum Fotorealismus findet sich in allen früheren Publikationen, u. a. Chase, Linda/McBurnett, Ted: The Photo-Realists: 12 Interviews, in: Art in America, Bd. 60/Nr. 6, Nov.-Dez. 1972, S. 73-89; Battcock 1975, S. 26-30; Goodyear 1981, S. 19-32; Sandler, Irving: American Art of the 1960s, New York 1988, S. 217. Gestützt wurde das durch Ausstellungsteilnahmen u. a. an 22 Realists (1970) und Realism Now im New York Cultural Center (1972-73). Vgl. Nemser, Cindy: Interview with Chuck Close (1970), in: Stiles, Kristine/Selz, Peter (Hg.): Theories and Documents of Contemporary Art, London 1996, S. 232-237, hier S. 232-233. Zu Closes Anfängen siehe Finch, Christopher: Close-Up. Christopher Finch Interviews Chuck Close, in: Guernica, 01.07.2010, www.guernicamag.com/interviews/close_7_1_10. Kramer, Hilton: Stealing the Modernist Fire, in: The New York Times, 26.12.1971, S. 25, zu Closes Ausstellung in der Bykert Gallery, New York. Vgl. ders.: Art Season: A New Realism Emerges, in: The New York Times, 21.12.1971, S. 50, wo er Close als „particularly gruesome practitioner of this surrealism“ (gemeint ist der Fotorealismus) bezeichnet.

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schrieb Robert Hughes 1977: „Closes works are among the most troubling icons of American art in the ’70s [...] Faces would look like this to a louse, if lice could scan them.“ 5 Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber dem Fotorealismus erkannte Hughes in Closes Großformaten einen wichtigen phänomenologischen Aspekt, der im unterschiedlichen physischen Verhältnis zwischen Werk und Betrachter begründet liegt. Wo die hyperrealistische Darstellung dessen Blickfeld übersteigt und nicht mehr unmittelbar zugänglich ist, gewinnt das banale fotografische Motiv die visuelle Qualität einer abstrakten Landschaft („each wrinkle a canyon, the nose a mountain, lakes for eyes“). Das hier schon angeführte Stichwort scan (engl. „überblicken“, „mit dem Blick entlangfahren“) bezeichnet in diesem Fall eine gleichmäßig ablaufende, sorgfältige Betrachtung, mit der das Gesicht als Topografie gelesen wird. In einem ausführlichen Artikel von 1974 nennt William Dyckes Close einen missverstandenen und unterschätzten Künstler und verteidigt ihn gegen den Vorwurf, nur „banale Ikonen“ im Geiste der Pop Art mit handwerklicher Akribie herzustellen.6 Dyckes verweist stattdessen auf die vom Künstler als art marks („Kunst-Zeichen“) beschriebenen abstrakten Elementarformen, aus denen sich das Porträtmotiv zusammensetzt, und stellt darüber eine Verbindung zur systemischen Farbfeldmalerei her. Der hier ebenfalls auftauchende Landschaftsvergleich macht deutlich, dass Gegenständlichkeit bei Close eine relative Qualität ist, die sich im physischen Wahrnehmungsprozess einer im Wesen abstrakten Bildstruktur dynamisch verändern kann. Struktur und Format erweisen sich in diesem Zusammenhang als zwei Kernaspekte, die neben Systematik und Abstraktion die Grundbegriffe darstellen, durch die sich Closes Ansatz entscheidend vom Fotorealismus sowie jeder konservativen Figuration abgrenzen lässt. Um die tiefergehende Lesart seiner künstlerischen Methode bemühten sich spätere Autoren wie Robert Storr, der eine breitere Kontextualisierung von Close in der Kunst der 1960er Jahre vorgenommen hat, sowohl in Bezug auf Minimal Art als auch andere gegenständliche Maler wie Philip Pearlstein, Alex Katz oder Gerhard Richter. Mit Verweis auf Closes vielfältige Werkentwicklung unterscheidet er diesen weiter vom Fotorealismus und zieht Parallelen zu Richters anfänglicher, ebenso irrtümlicher Etikettierung als ‚Fotorealist‘. Zudem betont er die Differenz zwischen Closes Porträts und der konservativen, akademischen Figuration in der amerikanischen Malerei der späten 1950er bis frühen 1960er Jahre, deren reaktionärer Kern sich grundlegend von Closes abstraktem Bilddenken unterscheide – vielmehr sieht Storr bei ihm eine postmoderne Erweiterung des modernen Realismusbegriffs: „[...] Close’s reductive techniques, limited repertoire of subjects, and constant revision and reuse of both nonetheless constitute a purposeful deconstruction and exhaustion of the inherited formal procedures and ideological premises of representational art.“7 5 6 7

Hughes, Robert: Blowing Up the Closeup, Time Magazine, Bd. 109/Nr. 21, 23.05.1977, S. 92. Vgl. Dyckes, William: The Photo As Subject. The Paintings and Drawings of Chuck Close (in: Arts Magazine, Bd. 48/Nr. 5, Feb. 1974), in: Battcock 1975, S. 145-162. Storr, Robert: Realism and Its Doubles, in: Lyons, Lisa/Storr, Robert: Chuck Close, New York 1987, S. 9-23, hier S. 10. Zu Closes Verhältnis zum Fotorealismus und anderen Strömungen der 1960er Jahre vgl. ders.: Nicht einfach noch ein hübsches Gesicht, in: Poetter, Jochen/Friedel, Helmut (Hg.): Chuck Close. Retrospektive, Ausst.-Kat., Baden-Baden, Staatliche Kunsthalle/München, Lenbachhaus 1994, Ostfildern 1994, S. 40-61, hier S. 50; Storr,

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Storr bemerkt zu Closes Rezeption zutreffend, dass dieser bisher überwiegend aus bildtechnischen Gesichtspunkten betrachtet und der Fokus allzu stark auf seine vielfältigen Herstellungsverfahren und medialen Oberflächen gelegt worden sei – tatsächlich spiegelt sich dies bis in Publikationen neueren Datums wider.8 Die Faszination für die „Tricks des künstlerischen Metiers“ hält Storr für verständlich, zumal die wechselnden Techniken eine konstitutive Rolle für Closes Bildstrategie spielen, deren Komplexität einem „Spiegelkabinett“ gleiche.9 Der werkimmanente, formalistische Zugang bietet zweifelsohne einen aufschlussreichen Blick in die verflochtenen Relationen und Querverweise unter den einzelnen Werkgruppen, deren systematische Strenge und Geschlossenheit auf eine Nähe zu Minimal-Künstlern wie Sol LeWitt verweisen.10 Closes künstlerisches Denken lässt sich nur als ein Netzgefüge aus Bildformen und Medien sowie ihren gegenseitigen Erweiterungen und Abhängigkeiten adäquat begreifen. Andererseits aber verstellt das Deutungsmodell eines autarken, selbstreferenziellen Systems den Blick auf Closes Verwurzelung in der Kunst der 1960er Jahre, worauf Storr hingewiesen hat. So lassen sich vor allem in seinem frühen Ansatz vielfältige Bezüge erkennen, die für seine weitere Entwicklung als konzeptueller Maler ausschlaggebend waren.11 Diese sich aus vielen Quellen speisende konzeptuelle Grundlegung hat Closes Bildverständnis nachhaltig geprägt und dazu geführt, dass er die Form und Technik gegenüber inhaltlichen Fragen zum Motiv oder zur eigenen künstlerischen Subjektivität explizit aufgewertet und zum Mittelpunkt seiner Arbeit erklärt hat. So hat auch seine Haltung den formalistischen Blick auf sein Schaffen von Anfang an gefördert. Darin zeigt sich eine Dichotomie von Form und Inhalt, die als treibende Spannung sein gesamtes Werk durchzieht. Der mechanische Duktus seiner Bilder und ihre rastergestützte Struktur verleihen ihnen einen technoiden Zug, welcher vereinzelt mit der Visualität technischer Medien wie Fernsehen, Film oder Computer in Verbindung gebracht wurde. Es blieb jedoch bislang meist bei assoziativen Anspielungen, die sich erst in jüngerer Zeit vermehrt auf digitale Computerbilder beziehen, aller-

Robert: Chuck Close: Angles of Refraction, in: Storr, Robert/Varnedoe, Kirk (Hg.): Chuck Close, Ausst.-Kat., New York, MoMA u. a. 1998, New York 1998, S. 21-59, hier S. 22. 8 Siehe Sultan, Terrie: Chuck Close Prints. Process and Collaboration, Ausst.-Kat., Houston, Blaffer Art Museum, University of Houston u. a. 2003-07, revid. Ausg., München u. a. 2014; Finch, Christopher: Chuck Close. Work, München u. a. 2010. 9 Vgl. Storr 1998, S. 23. 10 Untersuchungen zu seiner technischen Systematik finden sich bei Lyons, Lisa: Expanding the Limits of Portraiture, in: Lyons/Storr 1987, S. 25-40; Brehm, Margrit Franziska: Von der Gleichzeitigkeit des Verschiedenen und der Variationsbreite des Immergleichen. Zur Weiterentwicklung von Chuck Close, in: Poetter/Friedel 1994, S. 62-100. Vergleiche zu Sol LeWitt finden sich bei Storr 1987, S. 16; ders. 1998, S. 32-33; Levin, Kim: Chuck Close: Decoding the Image, in: Chuck Close. Recent Work, Ausst.-Kat., New York, The Pace Gallery 1979, New York 1979, o. S. 11 So sieht Martin Friedman Closes Werk in einer „eigenen Sphäre“, wo trotz Affinitäten zu anderen Künstlern kaum Einflüsse auszumachen seien, vgl. ders.: Close Reading. Chuck Close and the Artist Portrait, New York 2005, S. 334.

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dings nur in Zusammenhang mit den nach 1980 entstandenen Ölmalereien, deren bunte, synthetisch-kristalline Bildstruktur gern mit Pixeln verglichen werden.12 Auf inhaltlicher Seite beschreibt Close sein Verhältnis zum menschlichen Sujet sowie dem Porträt als einer traditionellen Gattung als formalistische Transformation in eine objektive Bildform, die durch die neutralisierende Vermittlung der Fotografie von Subjektivität, Emotionalität und Narration entleert werden soll.13 Die kaum von der Hand zu weisenden psychologischen und biografischen Aspekte in seinen ästhetisch wirkmächtigen, oft wiederkehrenden Porträtmotiven sind später erst als wichtige inhaltliche Ebene erkannt und verstärkt diskutiert worden, nicht zuletzt, weil sich Close selbst offener dazu bekannt hat.14 So kommen in seinen Ölmalereien und im Spätwerk neuerdings stärker die Fragen zur porträtierten Person und ihren biografischen Zusammenhängen zur Sprache, auch weil einige frühe Modelle wie Phil Glass oder Richard Serra mittlerweile prominent sind und weil Close vermehrt berühmte Künstler und Persönlichkeiten aus dem eigenen Umfeld in seine Porträts aufnimmt.15 Das künstlerische Oeuvre, für das Close heute bekannt ist, setzt ein mit einem Selbstporträt: In Big Self-Portrait (Abb. 1) von 1967-68 führt er eine Bildstrategie vor, die seine Malerei an die traditionelle Gattung des Porträts und das technische Medium der Fotografie knüpft. Die Grundzüge seines künstlerischen Ansatzes werden in diesem frühen Schlüsselwerk mit einer erstaunlichen Entschiedenheit formuliert, so dass es zugleich als Manifest und Prototyp seiner nachfolgenden Bildserien gelten kann. Folglich lässt sich an Big Self-Portrait die Fragestellung dieses Buches einleitend darlegen. Wie der Titel ankündigt, zeigt das „große Selbstporträt“ auf einer massiven Leinwand im Format 273 x 212,1 cm das Bildnis des jungen Künstlers, das nach einer Schwarzweißfotografie in hauchdünn mit dem Airbrush aufgesprühter Acrylfarbe gemalt ist. Close ist frontal aus leichter Untersicht gezeigt, mit nackten Schultern, zerzaustem Haar, Hornbrille und einer Zigarette zwischen den Lippen. Sein überdimensionaler, zentral platzierter Kopf füllt die Bildfläche, während unter dem gereckten Hals im unteren Drittel der Rumpf bis zum Schlüsselbein sichtbar ist, wo die Brustbehaarung ins Bild hineinragt. Die Malerei imitiert zahlreiche fotografische Qualitäten – von der passbildähnlichen Komposition und dokumentarischen Monochromie 12 Ein Vergleich zum Fernseh- und Computerbildschirm findet sich bei Levin 1979, o. S.; vgl. auch Brehm 1994, S. 64; Shiff, Richard: Allover You: The Art of Chuck Close, in: Artforum, Bd. 36/Nr. 8, April 1998, S. 90-98, 135, 138, hier S. 97-98; ders.: Raster+Vector=Animation Squared, in: Parkett, Nr. 60, Dez. 2000, S. 44-49, hier S. 44-45; Nochlin, Linda u. a.: Four Close-Ups (and One Nude), in: Art in America, Bd. 87/Nr. 2, Feb. 1999, S. 66-83, 127, hier S. 68; Finch 20101, S. 172. Kirk Varnedoe bezieht sich auf Robert Rosenblums Vergleich von Closes monochromen und farbigen Porträts mit der Wende vom Schwarzweiß- zum Farbfernsehen, vgl. ders.: Chuck Close. Then and Now, in: Storr/Varnedoe 1998, S. 61-69, hier S. 62. 13 Close vertritt diesen Standpunkt nachdrücklich im frühen Interview mit Nemser 1970. 14 Vgl. Lyons, Lisa/Friedman, Martin: Close Portraits, Ausst.-Kat., Minneapolis, Walker Art Center u. a. 1980-81, Minneapolis 1980; Lyons 1987; Nochlin u. a. 1999. 15 Siehe Finch 20101; Kesten, Joanne/Bartman, William (Hg.): The Portraits Speak. Chuck Close in Conversation With 27 of His Subjects, New York 1997.

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über die frappierende Detaildichte bis zu den wechselnden Fokusebenen, den akzidentellen Licht- und Schattenphänomenen sowie den bewegten Haaren und Rauchschwaden. Ungeachtet seiner fotografischen Ästhetik existiert die überlebensgroße fotografische Nahansicht des Körpers jedoch nur durch den physischen Träger der Leinwand. Irritierend ist dabei der Gegensatz zwischen der indifferenten Beiläufigkeit der Fotografie und der betonten Nonchalance in Closes Gesichtsausdruck, dessen schwerer Blick durch die Schatten und Reflexionen der Brillengläser obskur wirkt, und der beinahe aggressiven Selbstbehauptung des hyperrealen Porträts, die vom großformatigen Blow-up ausgeht. Vor der Leinwand stehend, füllen die unzähligen Bartstoppel, die abstrakten Formen von Rauch und Schatten und die unscharfe Nasenspitze das Blickfeld, während Einzelheiten wie Nasenlöcher, Zigarettenstummel, Poren und Falten den Betrachter ‚anspringen‘. Die Erscheinung der fotografischen Details, die über eine sogenannte Maquette – eine gerasterte und mit Koordinaten versehene Arbeitsvorlage – in oft monatelanger Handarbeit auf die Leinwand übertragen wurden, gewinnt in der Malerei eine ungemeine Präsenz. Wie in diesem Fall existieren für manche Werke mehrere Maquetten (Abb. 2 a-b), denen Close unterschiedliche Bildinformationen entnommen hat, wobei seine sorgfältig präparierten Vorlagen oft als eigenständige Werke gelten.16 Vor Closes Originalwerken wird somit eine Ambivalenz in ihrer minutiösen Darstellung erkennbar, welche sich als phänomenologisches Kippmoment zwischen der ikonischen Wahrnehmung des Porträts und einem abstrahierten, topografischen Scannen manifestiert – ihre komplexen Zusammenhänge muss der Betrachter am eigenen Körper vor dem Original nachvollziehen. Closes erstes Selbstporträt ist insofern programmatisch, als sich darin bereits die Hauptaspekte seiner Arbeitsweise und seines Malereibegriffs in ihren Spannungsverhältnissen ankündigen: Er greift auf die traditionelle Gattung des Porträts zurück, die er auf extrem realistische Weise umsetzt, will sich aber von der Repräsentation des Bildsubjekts distanzieren und deklariert den Inhalt als ‚gleichgültig‘. Er arbeitet als Maler figürlich und großformatig, eliminiert aber weitgehend die typischen malerischen Mittel wie Farbe, Faktur und Duktus – und damit seine subjektive künstlerische Handschrift – durch die maximale Imitation der fotografischen Visualität. Sein Werk besteht sowohl aus Malerei als auch Fotografie, da er die Vorlage selbst anfertigt, auswählt und zu einer nummerierten Maquette gestaltet, ehe er sie auf eine identisch gerasterte Leinwand überträgt. Somit baut sein Bildverfahren auf intermedialen Wechselwirkungen und Gegensätzen auf, die durch den Kontrast zwischen der virtuellen Bilderscheinung und materiellen Oberfläche im Großformat ins Extreme gesteigert werden. Closes konzeptuelle Wende, die sich in der klaren ‚Ankündigung‘ von Big SelfPortrait vollzieht, bringt eine Umwertung (und Weiterverwertung) bisheriger Begriffe der modernistischen Malerei mit sich: Allover, Flächigkeit, Materialität, Gegenständlichkeit und Abstraktion sowie die Rolle des Künstlers und dessen Subjektivität fließen als wichtige Elemente in seinen Ansatz ein, wo sie jedoch problematisiert und durch den intermedialen Diskurs mit der Fotografie transformiert werden. Die Fotografie steht mit ihrer spezifischen Visualität und Bildlogik für ein technisches Para16 Siehe Weinberg, Jonathan: Chuck Close. Photo Maquettes, Ausst.-Kat., New York, Eykyn Maclean Gallery 2013, New York 2013.

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digma, das in der vorliegenden Schrift als Grundlage seines ganzen Schaffens dargelegt werden soll. Das Technische soll dabei nicht nur als konstitutives Prinzip seiner Bildverfahren, sondern auch in seiner inhaltlichen Bedeutung als technisch-analytischer Blick auf das menschliche Motiv diskutiert werden, was in Closes Werken in unterschiedlicher ästhetischer und verfahrenstechnischer Ausprägung auftritt. Die hermeneutische Vielschichtigkeit der Bilder, die zahlreiche Widersprüche und Mehrdeutigkeiten bergen, soll anhand ihrer technischen Grundlegung Schicht für Schicht beleuchtet werden. Dabei orientiert sich die Ausgangsfrage am humanistischen Verständnis von Figur und Porträt, das Close in den 1960er Jahren demonstrativ abgelehnt hat, um ihr ein abstrakt-formalistisches Bildverständnis über die technische Vermittlung der Fotografie entgegenzusetzen.17 Welches Konzept von Bild und Bildnis, Malerei und Fotografie drückt sich in einer so konfrontativen Hybridisierung, wie sie Big Self-Portrait vorführt, aus? Warum wendet sich Close als junger abstrakt-expressiver Maler ausgerechnet dem Porträt zu, um es als eine objektivierte Bildform vom konventionellen Porträtbegriff abzulösen? Was will er über dieses ‚antihumanistische‘ Porträtkonzept für seine Malerei erreichen, wenn er sich medienstrategisch offenbar von ihr entfernt? Welche Rolle spielen die Fotografie und Closes technische Bildverfahren als Katalysatoren und Vehikel dieser malerischen Strategie? Und wie lässt sich seine Methode über die herkömmliche handwerklich-materielle Deskription hinaus charakterisieren? Auf der ikonologischen Ebene soll weiter nach dem Verhältnis seines indifferenten Bildprogramms zum Porträtmotiv gefragt werden: Welches Menschenbild vermitteln Closes Werke, wenn sein technisch definierter Ansatz sich prinzipiell vom Bildsubjekt distanzieren und es rhetorisch negieren will – so bezeichnet er seine Porträts dem Gegenstandssinn nach als „Köpfe“18 – er aber andererseits seit über fünfzig Jahren kaum ein anderes Motiv kennt als das Gesicht und den Körper des Menschen? Was sagt Closes formales Vorgehen in Bezug auf den von ihm zitierten mug shot (engl. „Polizeifoto“) oder das Passbild darüber aus und wie lassen sich diese historisch geprägten Bildmethoden als Deutungsmodelle für seine Porträts heranziehen? Inwiefern formuliert Close seinen technisch-analytischen Blick in Analogie und Differenz zu Medien und Techniken der Kalkulation, Vermessung und Konstruktion des menschlichen Gesichts und Körpers? Und wie kann schließlich vor dem Hintergrund der aktuellen digitalen Kultur, deren Bildtechnologien, Analysen und virtuelle Synthesen das Menschenbild der Gegenwart fortlaufend transformieren, Closes malerisch-handwerklich konstruiertes ‚Menschenbild‘ interpretiert werden? Um die künstlerische Motivation in Closes Ansatz zu begreifen, muss beim Frühwerk angesetzt werden, das mit Big Self-Portrait und dem Vorgängerwerk Big Nude (Abb. 3) begann und sich in einer ersten Serie über sieben weitere großformatige monochrome Porträts fortsetzte. Bis 1979 folgten sieben weitere farbige Porträts, begleitet von einer großen Anzahl an Papierarbeiten und Drucken. Sein Konzept soll vor dem prägenden Hintergrund des Abstrakten Expressionismus und seiner radikalen Wende, die sich unter dem Einfluss neuer künstlerischer Strömungen der 1960er Jahre vollzog, hergeleitet werden. Hierbei gilt es, die für Close zentralen Bildprinzipien in Verknüpfung mit den für seine Anfangsphase wichtigsten künstlerischen Positionen 17 Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 236. 18 Dies gilt vor allem für seine frühen Aussagen, vgl. Finch 20101, S. 44.

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zu erläutern, um ihn innerhalb dieses abgesteckten Feldes in der Kunst seiner Zeit zu verorten. Die differenzierte Kontextualisierung soll nicht nur Closes diskursive Offenheit und Einbindung in die New Yorker Szene belegen, sondern neben direkten Einflüssen auch Affinitäten und künstlerische Verwandtschaften zwischen Close und seinen Kollegen aufzeigen, was für das umfassende Verständnis seiner Arbeit notwendig ist. Gerade aus den konzeptuellen Berührungspunkten mit so unterschiedlichen Künstlern wie Jackson Pollock, Frank Stella, Ad Reinhardt, Jasper Johns und Sol LeWitt, neben Agnes Martin und Vija Celmins, soll ein systematischer Blick auf Closes Bildbegriff gewonnen werden, der seine in Grundzügen bereits vorgenommene Einordnung vertieft.19 Nach der genealogischen Erläuterung seines künstlerischen Ausgangspunktes soll Closes malerisches Konzept näher beleuchtet werden, und zwar in Hinblick auf die Rolle des Porträts und der Fotografie. Es gilt zu zeigen, wie Close seine Porträtstrategie ex negativo aus einer ablehnenden Haltung gegenüber dem traditionellen Porträtbegriff entwickelt hat, dabei aber gerade auf Prinzipien wie Ähnlichkeit und Objektivität zurückgreift, um sie als Leitmotive in seine malerische Strategie zu integrieren – dies verleiht seinen Bildern einen paradoxen Porträtstatus, der zusätzlich um den Pop-Art-Begriff der ‚Ikone‘ nach Andy Warhol erweitert wird. Dabei ist in Bezug auf das zeitgenössische Porträt eine Differenzierung zu Warhol und der Figuration der Pop Art notwendig. Hier kommt bereits das Reproduktionsmedium Fotografie ins Spiel, das eine wesentliche Rolle in Closes Bildkonzept einnimmt. Mit Blick auf den theoretischen Diskurs und das objektive Paradigma des technischen Mediums soll Closes Umformung der Malerei mithilfe der Fotografie beschrieben werden – Ziel ist es, seine strategische Aneignung der fotografischen Visualität und Bildsyntax sowie die daraus hervorgehende intermediale Dynamik im konkreten Vergleich vom Fotorealismus und dem Perceptual Realism zu unterschieden. Ein Blick auf die Parallelen zu malerisch-konzeptuellen Auseinandersetzungen mit der Fotografie bei Vija Celmins, Gerhard Richter und Franz Gertsch soll der weiteren Verdeutlichung dienen.20 In der fotomimetischen Malerei wird nicht nur der Paragone beider Medien heraufbeschworen, sondern auch die Ambivalenz von Realismus und Künstlichkeit verhandelt, die Close bis zum Äußersten steigert. Im zweiten Teil wird es in einer formanalytischen Untersuchung um Werkgruppen der späten 1960er bis Mitte der 1980er Jahre gehen. Anhand der unterschiedlichen Medien und Verfahren, die hier zum Einsatz kommen, sollen die bei Close geltenden technischen Parameter und ihr Verhältnis zueinander aufgezeigt werden. Eine zusammenhängende Betrachtung der großen Airbrush-Bilder, seriellen und variierten Papierarbeiten, Komposit-Polaroids, Fingerabdruck-Arbeiten, Druckgrafiken und schließlich einer filmischen Arbeit von 1970 dient der Verdeutlichung der systematischen Kohärenz seiner Werke und ihres technischen Programms. Über diese formale Methodik lässt sich die Produktivität erklären, mit der Close ‚dieselben‘ Bilder durch 19 Die eingehendste Untersuchung findet sich in Storr 1998, während Closes künstlerische Verwandtschaften im biografischen Kontext in Finch 20101 skizziert werden. 20 Auf Closes Interesse an Gerhard Richter verweist auch Nickel, Douglas R.: Chuck Close’s Glass Eye, in: Engberg, Siri/Grynsztejn, Madeleine (Hg.): Chuck Close: Self-Portraits, 19672005, Ausst.-Kat., San Francisco, Museum of Modern Art u. a. 2005-06, San Francisco 2005, S. 130-137, hier S. 131; vgl. Storr 1998, S. 37-38.

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wechselnde technische Verfahren immer neu generiert, was zuletzt die Frage nach der Künstlerrolle aufwirft, die vom kreativen Schöpfer zum handelnden Agenten umdefiniert wird. Der technische Fokus bei Close impliziert über den fotografischen Bildbegriff und die Mechanisierung der künstlerischen Arbeit eine Transformation des Körpers. Dies vollzieht sich in einer dialektischen Spannung aus Überwindung und Steigerung des Physischen, sowohl in der subjektiven Wahrnehmung von Künstler und Betrachter als auch in der Körperdarstellung und ihrer Bildrealität. Die Frage nach dem Status des Bildkörpers in Beziehung zum dargestellten Bild des Körpers – insbesondere in Closes großformatigen Airbrush-Porträts – betrifft die phänomenologische Ebene der Rezeption ebenso wie die bildontologische Ebene der materiellen malerischen Repräsentation. Diese Wechselwirkung wird über die Mikro- und Makroebene des Bildes reguliert und kennzeichnet den dynamischen Wahrnehmungsprozess vor den Originalwerken. Ausgehend vom rezeptionsästhetischen Rahmen wird nach der Wirkung des Gesichts im Blow-up und seiner kinematografischen Qualität gefragt – im Unterschied zu jener ikonografischen Figuration im Bild untersucht eine Nahansicht hingegen die Bildphysis selbst, was unter Heranziehung von Georges Didi-Hubermans Gedanken zur Fleischlichkeit und Virtualität in der Malerei beschrieben werden soll.21 Ihr ontologisches und expressives Potenzial, das in ihrer formalen Gestaltung und materiellen Konstitution (sowie ihrer Transzendierung) liegt, wird ferner in Bezug auf den bildanthropologischen Ansatz bei Hans Belting sowie den Begriff des Bildakts bei Horst Bredekamp betrachtet.22 Neben der Bild-Betrachter-Beziehung in der subjektiven Rezeption wird der Blick auf das Subjekt im Bild und dessen Auflösung durch ein technisch-formales Regelwerk gerichtet. Um Closes objektive Rhetorik präziser zu charakterisieren, sollen Analogien zu funktional-analytischen Porträtmethoden herangezogen werden, die von der traditionellen Physiognomik über die klinischen und kriminalistischen Bilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bis zu aktuellen biometrischen Computertechnologien reichen. Bei diesem bildhistorischen Exkurs steht die Frage im Zentrum, wie die Doppelrolle des Individuums zwischen Person und Exemplar definiert und durch die jeweiligen Bildformen formuliert wird. Für den distanzierten Blick auf das Bildsubjekt sind neben Methoden der Vermessung und Klassifikation insbesondere technische Aufzeichnungsmedien wie Fotografie und deren Verarbeitung in Form von digitalen Daten von entscheidender Bedeutung. Der Vergleich zu Closes Bildverfahren soll formale Parallelen und strategische Anleihen beim Künstler sichtbar machen, ohne die grundlegenden Differenzen auf beiden Seiten in Kontext, Materialität und Bildsinn außer Acht zu lassen und eine direkte Kausalität zu suggerieren. Es geht weniger um oberflächliche Ähnlichkeiten als vielmehr um die systematische Reduktion des Individuums auf die technisch erfasste Körperlichkeit, die in eine lesbare visuelle Form übersetzt wird. Hier zeigt sich auf beiden Seiten eine tiefe Ambivalenz in der Abstraktion des menschlichen Subjekts zu technischer und visueller Information, wie

21 Didi-Huberman, Georges: Die leibhaftige Malerei, München 2002. 22 Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001; Bredekamp, Horst: Der Bildakt, Berlin 2015 (Neufassung v. Theorie des Bildakts, Berlin 2010).

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auch in der Referenz auf eine reale Person, die in ihrer charakterlichen oder biografischen Dimension widergespiegelt werden soll. Von den technisch-analytischen Porträts wird die Betrachtung schließlich auf das technisierte Menschenbild im 20. Jahrhundert ausgeweitet, was über die Diskussion um den Menschen im postindustriellen Zeitalter, die kybernetischen Ideen und die technologisch geprägte Kultur der 1960er Jahre bis zur Gegenwart angestellt wird. Der Bogen vom technikaffinen Hintergrund in Closes Anfangsphase bis zur digitalisierten Bildkultur der Gegenwart führt zur abschließenden Erwägung, inwiefern Closes künstlerisches Konzept eine malerische Analogie des technisierten Menschen und seines virtuell-abstrakten Körperbildes darstellt und ob sich sein Werk der 1960er bis 1970er Jahre als eine Antizipation digitaler Bildprinzipien im analogen Medium verstehen lässt. Daran knüpft sich die Frage nach der kulturellen Aktualität des technisch geprägten Blicks in seinen Porträts und der medialen Aktualität seiner Auseinandersetzung mit einer proto-digitalen Visualität durch malerische und grafische Mittel.

1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

1.1 Close im Kontext

Wie zahlreiche Künstler seiner Generation stand Close am Anfang seiner Entwicklung unter dem starken Einfluss des Abstrakten Expressionismus. Seine erste Begegnung mit dem Werk von Jackson Pollock (Abb. 9) hatte er 1951 im Alter von nur 11 Jahren im Seattle Art Museum. Close erinnert sich, dass der Anblick von Pollocks Allover-Malerei bei ihm große Empörung und Verwirrung ausgelöst, zugleich aber einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.1 Während seiner Ausbildung am Everett Junior College in Washington, als er noch eine Zukunft als kommerzieller Illustrator anstrebte, weckte der Kontakt mit der klassischen Moderne durch Joan Miró und Piet Mondrian neben der jüngeren amerikanischen Abstraktion von Willem de Kooning (Abb. 5) und Mark Rothko sein Interesse an der Malerei. Closes Begeisterung für die New York School schlug sich in seinen frühen Arbeiten nieder, in denen er oft Bilder aus Kunstmagazinen imitierte. Als er 1961 ein Stipendium für die Yale Summer School of Music and Art in Norfolk, Connecticut, erhielt und New York besuchte, konnte er einen Einblick in die dortige Kunstwelt erhalten und Originalwerke sehen, die er bislang nur aus Schwarzweiß-Reproduktionen kannte.2 Die Zeit an der Yale Summer School, zu deren Lehrpersonal auch Philip Guston und Walker Evans gehörten, wirkte prägend auf Close. Sein dortiger Kommilitonenkreis umfasste Brice Marden und Vija Celmins und erweiterte sich noch mehr in seinem anschließenden Studium an der Yale School of Art and Architecture bis 1964, als er unter anderem auf Richard Serra, Nancy Graves und Kent Floeter traf. Die Namen der Künstler, die in den 1960er Jahren dort unterrichteten – von seinen Lehrern Joseph Albers und Jack Tworkow über Philip Guston und Willem de Kooning bis Al Held und Philip Pearlstein – spiegelten die generationsübergreifende Diversität dieser Zeit wider.3 In seiner sehr erfolgreichen Studienzeit, in der Close sowohl Ausstellungen als auch Auszeichnungen erhielt, nahm er an den Diskursen und Aktivitäten junger Künstler teil, die nicht zuletzt dank der Nähe zu New York über die Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst bestens informiert waren.4 Seine charakteristische Aufgeschlossenheit und Neugierde gegenüber dem Kunstgeschehen hat sich Close bis 1 2 3 4

Vgl. Friedman 2005, S. 24. Vgl. ebd., S. 26-27. Vgl. Storr 1998, S. 29. Vgl. Friedman 2005, S. 28, 334. Dieser sieht eine ‚abgekapselte‘ Selbstbezüglichkeit in Closes Werk, betont aber seine Empfänglichkeit für Einflüsse in frühen Jahren; vgl. Storr 1998, S. 30.

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ins hohe Alter erhalten: „Die Kunstwelt da draußen beeinflusst mich schon. Bis auf Alex Katz gibt es keinen Künstler meiner Generation, der sich so viel ansieht wie ich. Meine Arbeit ist die Zusammenballung alles Gesehenen und Erfahrenen.“5 Es scheint also naheliegend, dass die vielfältigen künstlerischen Impulse der 1960er Jahre in der Zeit nach dem Abstrakten Expressionismus in Closes Frühwerk eingeflossen sind und einen Widerhall in den konzeptuellen und stilistischen Facetten seines Werks gefunden haben.

1.1.1 DER PARADIGMENWECHSEL IN DER KUNST DER 1960ER JAHRE Der Abstrakte Expressionismus als Avantgarde und Akademie Closes Studienzeit und der Beginn seiner künstlerischen Laufbahn fielen in ein Jahrzehnt voller Umbrüche, begleitet von künstlerischen, intellektuellen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen und Spannungen. Die Jahre zwischen den späten 1950ern bis späten 1960ern waren zweifellos eine der fruchtbarsten Phasen in der Kunst des 20. Jahrhunderts und die erste Hochphase der amerikanischen Kunst überhaupt, zu deren kreativem Reichtum Künstler und Kritiker sowie das Kunstsystem und der Markt beitrugen. Die enorme Dichte der Ereignisse und Entwicklungen, Innovationen und Konflikte, die sich auf die Kunst auswirkten bzw. in der Kunst stattfanden, lassen sich kaum im Ganzen überblicken – oftmals läuft daher die Beschreibung der 1960er Jahre auf formelhafte Charakterisierungen mit einer entsprechenden Mythenbildung hinaus. Einen Versuch, die komplexen Zusammenhänge mit der stilistischen Entwicklung der amerikanischen Kunst in einem übergreifenden Narrativ kohärent zu schildern, unternimmt der Kritiker und Kunsthistoriker Irving Sandler.6 Als Zeitzeuge und Theoretiker der amerikanischen Malerei und Skulptur seit dem Abstrakten Expressionismus reflektiert er ebenso detailliert wie emphatisch die Entwicklung vom Höhepunkt des Abstrakten Expressionismus in den 1950er Jahren bis zu dessen Niedergang in den 1960er Jahren, was er damals kommentierend begleitet hat – so etwa in der Interviewserie 1959 zur Frage nach einer „neuen Akademie“ (des Abstrakten Expressionismus) in der zeitgenössischen Malerei. Wie präsent das Bewusstsein um eine Krise der Malerei im stilistischen Kanon zu diesem Zeitpunkt war, geht aus den Antworten der Künstler hervor, die sich trotz ihrer Unterschiede in diesem Punkt einig zeigten.7 Darin äußern sich Helen Frankenthaler und Ad Reinhardt polemisch gegen die ‚zweite Generation‘ des Abstrakten Expressionismus, die als Epigonen ihrer berühmten Vorbilder wie Pollock und de Kooning lediglich stilistisch geschliffene Manierismen zustande brächten: „It was clear that many could fabricate a ‚N.Y. School‘ pain5 6 7

Close zit. nach Bodin, Claudia: Inspiration ist für Anfänger. Interview mit Chuck Close, in: Art Magazin, Nr. 3/2009, S. 52-59, hier S. 54. Vgl. Sandler 1988. Siehe ders.: Is There a New Academy?, in: Art News, Bd. 58/Nr. 4-5, Sommer 1959, S. 3437, 58-59 (Teil 1); September 1959, S. 36-39, 58-60 (Teil 2); vgl. ders. 1988, S. 3.

1.1 Close im Kontext | 21

ting. [...] There can be a slickness of the unslick as well as of the obviously slick.“8 Frankenthaler hält diese Malerei der authentischen Imperfektion, die mit Absicht „just slightly unslick or awkward“ aussieht, für allzu durchschaubar und überdies unfruchtbar aufgrund des historischen Mechanismus, der eine etablierte Avantgarde stets zu einem ‚akademischen‘ Konformismus degenerieren lasse: „The new academy is proof of change; great invention almost always produces conformists. The academy comes once a change is accepted.“9 Mit beißendem Spott kritisiert Reinhardt den lang anhaltenden Trend, abstrakte und halbabstrakte Kunst als entleerte, leicht verdauliche Kost mithilfe von Institutionen, Sammlern und Kritikern zu popularisieren. Diese „halbherzige“ Abstraktion werde zunehmend standardisiert, kommerzialisiert, mit Preisen ausgezeichnet und erfreue sich dieser Tage einer großen Anhängerschaft aus jungen aufstrebenden Talenten.10 Gerade in der Kunstausbildung an den Akademien waren sie anzutreffen, wo sich der subjektiv aufgeladene Malereibegriff und dramatische Gestus nachhaltig eingeprägt hatten. Kritiker dieses Trends sahen in den Künstlern eine eingeschworene Gemeinschaft, die kaum mehr gültige Ideale mit einer Überzeugung vertrat, die durch kommerziellen Erfolg und internationale Anerkennung gefördert wurde. Für die jüngere Generation erwiesen sich jedoch die übermächtigen Vorgänger und ihr künstlerisches Selbstverständnis als problematisch, nachdem die avantgardistischen Durchbrüche von einst zur unglaubwürdigen ästhetischen Rhetorik geronnen waren, so dass sich die Stimmen gegen die dominierende „monopolistic orgy“ des Abstrakten Expressionismus zunehmend mehrten.11 Sandler nimmt in seiner Darstellung der amerikanischen Kunst der 1960er Jahre die Krise der New York School als Ausgangspunkt. Diese kämpfte mit dem ‚Dilemma der Avantgarde‘, deren Kraft und Integrität mit der breiter werdenden Akzeptanz und dem Markterfolg schwinden musste: „[...] its premises had become so familiar that it had attracted followers in numbers that seemed more like a main army than a vanguard.“12 Sogar bekannte Befürworter wie Clement Greenberg, Alfred H. Barr, Jr. oder Leo Castelli hätten sich, so Sanders, von der kraftlosen Spätform abgewendet. Zur stilistischen Stagnation kamen die veränderten Lebensumstände der Künstler, die sich deutlich von der ersten Generation der Abstrakten Expressionisten unterschieden. Die als New York School bekannt gewordene Gruppe von Malern mit Protagonisten wie Jackson Pollock (1912-1956), Willem de Kooning (1904-1997), Mark Rothko (1903-1970) und Barnett Newman (1905-1970) stand für die erste internationale Erfolgsgeschichte der amerikanischen Kunst, womit sich die Kräfteverhältnisse nach 1945 auch kulturell zugunsten der zur wirtschaftlichen und politischen Großmacht

8 9 10 11

Ders. 1959, Teil 1, S. 34. Ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. John Canaday, in: The New York Times, 06.09.1959, zit. nach Shapiro, David u. Cecile: Abstract Expressionism: The Politics of Apolitical Painting (1977), in: Frascina, Francis (Hg.): Pollock and After. The Critical Debate (1985), 2. Aufl., New York/London 2000, S. 181-196, hier S. 189. 12 Sandler 1988, S. 2.

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aufgestiegenen USA verschoben.13 In seiner Wirkung trug der Abstrakte Expressionismus wesentlich zum Wandel von New York in eine florierende Kunstmetropole bei, wurde aber auch als ‚offizielle Kunst‘ der USA für den kontroversen Zweck der ideologischen Propaganda im Ausland instrumentalisiert. Die amerikanische Avantgarde wurde von staatlicher Seite im Kalten Krieg als kulturelle ‚Waffe‘ eingesetzt, die mit künstlerischen Innovationen das von den USA nach außen getragene liberale, fortschrittliche Selbstverständnis und Wertesystem aus Freiheit, Individualität und Demokratie transportieren sollte.14 Mit dieser in den 1930er bis 1940er Jahren herangereiften Künstlergeneration verband sich ein oft von existenzieller Not geprägter Lebenswandel unter den Nachwirkungen der Großen Depression, als zahlreiche unter ihnen zeitweilig von der staatlichen Förderung des WPA-Programms abhängig waren.15 Frustration und Entfremdung gegenüber den sozialen und politischen Verhältnissen gehörten zur Realität vieler Künstler, die in gesellschaftlicher Isolation mit wenig öffentlicher Anerkennung eine individualistische Protesthaltung entwickelten, was in der Rezeption etwa bei Harold Rosenberg in die romantisch idealisierte Figur des lone artist einfloss, der wesentlich zur Mythenbildung des heroischen Subjekts und seiner autonomen Weltschöpfung beitrug.16 Die Begriffe von Freiheit, Individualität und einer ‚entgrenzten‘ Kunst, die sich in Format, Gestik und Transzendenzansprüchen widerspiegelten, ent13 Vgl. Sandler, Irving: The Triumph of American Painting. A History of Abstract Expressionism, New York 1970. Vgl. hierzu das zeitgenössische Urteil von Greenberg, Clement: Der Niedergang des Kubismus (1948), in: Lüdeking, Karlheinz (Hg.): Clement Greenberg. Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Amsterdam/Dresden 1997, S. 141148. 14 Der Begriff wurde 1946 vom New Yorker Kritiker Robert Coates geprägt. Zur Rezeptionsgeschichte des Abstrakten Expressionismus vgl. Kozloff, Max: American Painting During the Cold War (1973), in: Frascina 2000, S. 130-146; Cockroft, Eva: Abstract Expressionism. Weapon of the Cold War, in: Artforum, Bd. 15/Nr. 10, Juni 1974, S. 39-41; Guilbaut, Serge: How New York Stole the Idea of Modern Art. Abstract Expressionism, Freedom, and the Cold War, Chicago 1983; Kimmelmann, Michael: Revisiting the Revisionists. The Modern, Its Critics, and the Cold War, in: The Museum of Modern Art at Mid-Century. At Home and Abroad, Studies in Modern Art 4, New York 1994, S. 38-55. Siehe auch Saunders, Frances Stonor: The Cultural Cold War: The CIA and the World of Arts and Letters, New York 2000. Sandler hat im Rückblick seine Bewertung von 1970 revidiert, siehe ders. 1970, im Vergleich zu ders.: Abstract Expressionism and the American Experience: A Reevaluation, Manchester/Vermont 2009. 15 Die zwischen 1935 und 1943 bestehende Arbeitsbeschaffungsbehörde Works Progress/Projects Administration (WPA) förderte u. a. Künstler und Ausstellungsprojekte, vgl. Kozloff 1973, S. 132; Frank, Elizabeth: Jackson Pollock, München/Luzern 1984, S. 23. Später wurden die harten Umstände vor dem Hintergrund des Kommerzes der 1960er Jahre gern romantisiert, wie bei Thomas B. Hess: „[...] nothing interfered with the discussion; there were no sales, exhibitions, careers. [...] It was out of this lively community that came the great flowering of postwar American art.“ Vgl. ders.: Willem de Kooning, Ausst.-Kat., New York, MoMA u. a. 1968-69, New York 1968, S. 18. 16 Vgl. Kozloff 1973, S. 133-134; Rosenberg, Harold: The American Action Painters, in: Art News, Bd. 51/Nr. 8, Dez. 1952, S. 22-23, 48-50.

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hielten aus Sicht der Künstler eine indirekte Gegenwartskritik, wie aus den Schriften von Robert Motherwell und Barnett Newman hervorgeht. Im Gegensatz zur offiziell zugeteilten Rolle als kulturelles Propagandamittel ist ihre ‚weltabgewandte‘ Praxis und der modernistisch verwurzelte Gedanke der künstlerischen Autonomie auch als Versuch gedeutet worden, durch die Maximierung des Ausdrucks eine subjektive Überwindung repressiver Machtstrukturen im Geiste einer universellen menschlichen Freiheit zu erreichen, womit die ostentativ ‚apolitische‘ Abstraktion zur politischen Form wurde.17 Ihre formale Ästhetik, die von zeitgenössischen Kritikern wie Rosenberg und Greenberg maßgebend ausgelegt worden war, entwickelte trotz des starken Einflusses der europäischen Avantgarde eine eigene charakteristische Bildidee, die sich als prozessualer Kampf oder Suche nach dem authentischen Ausdruck begriff.18 Thomas B. Hess sah in dieser Verschiebung von Ästhetik zu Ethos („shift from aesthetics to ethics“) eine Gemeinsamkeit der stilistisch unterschiedlichen Künstler, da sie das Ziel ihres Schaffens und damit die qualitativen Kriterien von ‚schön‘ auf ‚wahr‘ in Bezug auf den Lebensausdruck und das Gefühl des Subjekts umdefinierten.19 Nach diesen Kriterien wäre das Werk untrennbar an den Schöpfer geknüpft und sein künstlerischer Wert von der unverfälschten Intensität der expressiven Äußerung abhängig. Derselbe Gedanke klingt im Begriff Action Painting an, der 1952 von Rosenberg für die (Anti-)Ästhetik einer existenziell überhöhten Malerei geprägt wurde. Rosenberg beschreibt in seinem Aufsatz The American Action Painters das künstlerische Schaffen als performativen, individualistischen Akt, bei dem sich das Künstlersubjekt in der „Arena“ des Bildes die Befreiung von der konventionellen Kunst („the end of Art“) durch eine expressive Selbstaffirmation erkämpft – so lässt die implizierte Äquivalenz von Leben und Kunst, Handlung und Bedeutung die Malerei als Drama erster Ordnung unabhängig von theoretischen und stilistischen Begriffen erscheinen.20 Greenberg hingegen sah diese Entwicklung weniger als Traditionsbruch denn vielmehr als historische Fortführung einer medialen Selbstreflexion der Malerei, wie er sie in seinem Essay Zu einem neueren Laokoon von 1940 aus der Differenzierung der Gattungen hergeleitet und über ihre essentiell flächige Bildordnung definiert hat-

17 „[...] the New Yorkers charged ‚freedom‘ with a new, sober responsibility‚ even with a grave sense of mission“, vgl. Kozloff 1973, S. 134. Motherwell schreibt in The Modern Painter’s World (1944), dass moderne Künstler gerade in der Abkehr vom Staat ihre Freiheit suchten („value personal liberty because they do not find positive liberties in the concrete character of the modern state“). Dass er dabei die Freiheit des modernen Individuums an die Freiheit der modernen Kunst knüpft, überschneidet sich jedoch unfreiwillig mit der propagandistischen Argumentation, worauf Kozloff verweist, ebd., S. 133-134. Siehe auch Craven, David: Abstract Expressionism as Cultural Critique: Dissent During the McCarthy Period, Cambridge/New York 1999. 18 „As you paint, changing and destroying, nothing can be assumed.“ Philip Guston, Philadelphia Panel (1960), zit. nach Kozloff 2000, S. 136; vgl. Frank 1984, S. 106. 19 Vgl. Hess 1968, S. 45. 20 „[...] the act itself is the object“, vgl. Rosenberg 1952, S. 48. Siehe hierzu Orton, Fred: Action, Revolution and Painting (1992), in: Frascina 2000, S. 261-287.

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te.21 Seine Vorstellung der modernen Malerei, die sich auf ihre medienspezifischen Bedingungen beschränkte und in der daraus resultierenden Ungegenständlichkeit ihre autonome Kraft bezog, fand Greenberg am konsequentesten bei Pollock und den Abstrakten Expressionisten realisiert. So führte Pollocks Allover-Malerei aus seiner Sicht die innovativen Ansätze des Kubismus fort, wobei das exponierte malerische Element die strenge Organisation überwinden und das gesprengte Staffeleibild zur freien monumentalen Bildform erweitern konnte, was sein inzwischen ikonisch gewordenes Werk Autumn Rhythm No. 30 (Abb. 9) vor Augen führt.22 Wie er schon 1939 in Avantgarde und Kitsch geäußert hatte, verstand Greenberg unter der Avantgarde eine „anspruchsvolle Kunst“, die der Gesellschaft Impulse geben, an Geschmack und Tradition gebunden bleiben und sich von der Massenkultur unterscheiden sollte.23 Sein Insistieren auf den „essenziellen Normen und Konventionen der Malerei“, die ein Bild erst von „einem beliebigen Objekt“ unterschieden, und sein ästhetisch-formalistischer Anspruch schlossen jene Hybridisierung von high und low culture aus, für die etwa Marcel Duchamp stand – dessen künstlerische Strategie art-by-fiat ließ freilich ‚schlechte‘ Kunst zu, weil das Paradigma des Neuen theoretisch alle überlieferten Qualitätskriterien nivellierte, um selbst zum Hauptkriterium zu werden.24 Doch eben dieses konzeptuelle Spiel zwischen profaner und elitärer Kultur oder Kunst und Leben, das sich dem ästhetischen Purismus verweigerte, erwies sich als richtungsweisend für die Entwicklung der 1960er Jahre, als Greenbergs Haltung und die Tradition der New York School infrage gestellt wurden. Neue Impulse und die Cool Art der 1960er Jahre Im Jahr 1958 wanderte die vom Museum of Modern Art in New York organisierte Ausstellung The New American Painting mit Werken des Abstrakten Expressionismus durch Europa, bevor sie nach ihrem großem Erfolg im Ausland 1959 auch im MoMA präsentiert wurde. Doch noch im selben Jahr zeigte das Museum mit Sixteen Americans eine Reihe junger Künstler, die sich deutlich abweichend zur Vorgängergeneration positionierten, unter ihnen Frank Stella (geb. 1936), Jasper Johns (geb. 1930) und Robert Rauschenberg (1925-2008). Großausstellungen wie diese, gefolgt von The Art of Assemblage im MoMA und American Abstract Expressionists and Imagists im Solomon R. Guggenheim Museum 1961 in New York, verschafften der jungen zeitgenössischen Kunst eine bisher nicht dagewesene öffentliche Aufmerksamkeit und waren Sandler zufolge der „ausschlaggebende Katalysator für die Explosion des Kunstmarkts“ an der Schwelle der 1960er Jahre.25 Parallel dazu kündigte sich in den neuen künstlerischen Impulsen ein Mentalitätswandel an, der sich von den hero21 Vgl. Greenberg, Clement: Zu einem neueren Laokoon (1940), in: Lüdeking 1997, S. 56-81; Greenberg, Clement: Modernistische Malerei (1960), in: ebd., S. 265-278; Greenberg, Clement: Amerikanische Malerei (1955), in: ebd., 194-224. 22 Vgl. ebd., S. 207-208, 224; Greenberg, Clement: Nach dem Abstrakten Expressionismus (1962), in: ebd., S. 314-335. 23 Vgl. Greenberg, Clement: Avantgarde und Kitsch (1939), in: ebd., S. 29-55; Greenberg 1955, S. 223; ders. 1960, S. 278. 24 Vgl. ebd., S. 272; Sandler 1988, S. 47, 55-56. 25 Vgl. ebd., S. 89-90.

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ischen Vorbildern der 1950er Jahre und dem emphatisch-subjektiven Bild- und Künstlerbegriff distanzierte, indem einerseits die geometrische Abstraktion forciert und formal systematisiert, andererseits eine alltagsweltliche Öffnung hin zu neuen Inhalten und Materialien erprobt wurde. 26 Zur Entwicklung der abstrakten Malerei führte Greenberg 1964 die Bezeichnung Post-Painterly Abstraction ein, um eine Vielzahl von ungegenständlichen, reduktiv komponierten Ansätzen – zu denen so unterschiedliche Künstler wie Helen Frankenthaler, Morris Louis, Kenneth Noland, Ellsworth Kelly und Frank Stella gezählt wurden – zusammenzufassen und darüber den historischen Übergang aus der malerischen Abstraktion (Painterly Abstraction) des Abstrakten Expressionismus in die geometrische Farbfeldmalerei des Hard Edge zu beschreiben.27 Eine der wichtigsten Gestalten dieser Umbruchsphase war Frank Stella, der in seinen 23 zwischen 1958 und 1960 entstandenen monochromen Black Paintings (Abb. 7) eine Bildform entwickelt hat, in welcher der expressive Gestus in eine mechanisierte Bewegung überführt und der Fokus der abstrakten Malerei vom subjektiven Ausdruck auf einen ‚objektiven‘ Vorgang verschoben wird, wobei auch Stella durchaus vom großformatigen Farbfeld- und Flächenbegriff der New York School ausgeht.28 In den monochromen Bildern aus gleichmäßig aufgemalten schwarzen Bahnen, zwischen denen helle Nadelstreifen-Linien aus leeren Zwischenräumen hervorscheinen, wird außer dem geometrischen Muster jede Gegenständlichkeit und Narration vermieden (sieht man von den evokativen Bildtiteln ab). Hier verbindet sich Greenbergs Ästhetik der formal selbstbezüglichen materiellen Fläche mit einer indifferenten, emotionslosen Arbeitsstrategie. Stella übernimmt darin die modernistisch-abstrakte Bildstruktur, widerspricht aber dem Greenbergschen Anspruch auf ästhetische Qualität oder Transzendenz. Vielmehr ersetzt er diese Kriterien durch eine verfahrenstechnische Bildidee, wonach sich die formale Reduktion bis zum langweilig-trivialen Anstrich treiben lässt (Abb. 8). Anstelle des schöpferisch-subjektiven Akts im Prozess der Bildfindung oder der kontemplativen Dimension der Bildfläche bei Rothko oder Newman soll nur noch das buchstäbliche („literal“) und faktische Ergebnis zählen, wofür Stellas Aussage „What you see is what you see“ programmatisch ist.29 Stellas 26 Vgl. Rose, Barbara: ABC Art (1965), in: Battcock, Gregory (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology, London u. a. 1968, S. 274-297, hier S. 277, 280. Diese verweist auf die Rolle der frühen Ideengeber Kasimir Malewitsch und Marcel Duchamp. 27 Vgl. Greenberg, Clement: Post-Painterly Abstraction, Ausst.-Kat., Los Angeles, LACMA 1964, zit. nach Alloway, Lawrence: Systemic Painting (1966), in: Battcock 1968, S. 37-60, hier S. 52. Alloway betont daneben die Verbindung zur geometrischen Abstraktion des frühen 20. Jahrhunderts. Der Begriff Hard Edge wurde von Jules Langsner 1959 als Alternative für Geometric Abstract Art eingeführt, vgl. ebd., S. 42. 28 Vgl. Gaßner, Hubertus: Frank Stella. Der Raum bewohnbarer Illusionen, in: Gaßner, Hubertus/Vitali, Christoph (Hg.): Frank Stella, Ausst.-Kat., München, Haus der Kunst 1996, München 1996, S. 63-151, hier S. 64. „If de Kooning can be viewed as the paradigmatic painterly painter, then Stella can be viewed as the paradigmatic post-painterly painter,“ so betont Sandler die Wende in ders. 1988, S. 18. 29 Stella zit. nach Glaser, Bruce: Questions to Stella and Judd (1966), in: Battcock 1968, S. 148164, hier S. 158. Zum ‚Zeichnen mit Farbe‘: „It was the one thing I wasn’t going to do [...] I didn’t want to record a path“, vgl. ebd., S. 157. Zum Aspekt der Räumlichkeit und Illusion bei Stella siehe Gaßner 1996.

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Werk hat durch die gesamten 1960er Jahre viel zur Entwicklung der konzeptuell-formalistischen Malerei im Kontext der Minimal und Concept Art beigetragen und war auch in Closes Anfangsphase ein wichtiger Bezugspunkt. Noch vor der Ausstellung Sixteen Americans 1959 präsentierte Jasper Johns in seiner ersten Einzelausstellung bei Leo Castelli 1958 einen vom Abstrakten Expressionismus ausgehenden und sich doch dezidiert von ihm abgrenzenden Ansatz, der als Neo-Avantgarde kontrovers diskutiert wurde, bei jungen Künstlern aber auf starke Resonanz stieß und einen weitreichenden Einfluss auf die Kunst der 1960er Jahre hatte.30 Ein zentraler Impuls ging von Johns’ hybrider Bildstrategie unter Vermischung von Bildzeichen und Materialien aus, wie in Target with Four Faces von 1955 sichtbar wird (Abb. 10): Seine Verbindung von malerischer Gestik und Materialität mit einem offenen Umgang mit gegenständlichen oder alltagsweltlichen Elementen macht das Bild zum vielschichtigen Zeichenkomplex jenseits der ästhetischen Fläche oder illusionistischen Repräsentation. Sandler unterscheidet neben der formalistischen Abstraktion („purist art“) die zweite Linie der „impurist art“, womit er das mit dem Neo-Dada verbundene Frühwerk von Johns und Rauschenberg beschreibt. Diese griffen mit ihren spielerischen Kombinationen des Profanen und Künstlerischen Duchamps Strategie auf und brachten darüber eine neue Objektbezogenheit in die Malerei.31 Doch diese schematische Einteilung unterschlägt Gemeinsamkeiten, die über die kritische Auseinandersetzung mit der New York School hinausgehen. So gaben Johns’ reduktive Streifenmuster in den ab 1955 entstandenen Serien der Targets und Flags (Abb. 13) wichtige Anregungen für Stellas Black Paintings und Aluminium Paintings von 1959-60.32 Wie Kozloff bemerkt, bot der Rückgriff auf Duchamp, der optische Streifenmuster und Zielscheibenmotive schon früh eingesetzt hatte, Mittel zur Unterdrückung von „jedwedem nach außen hin sichtbaren Temperamentaus-

30 Vgl. Neuner, Stefan: Maskierung der Malerei. Jasper Johns nach Willem de Kooning, München 2008. Hier wird entgegen der vorherrschenden Lesart eines Bruchs zwischen Johns und dem Abstraktem Expressionismus seine komplexe Beziehung („Einflussangst“) zum Vorgänger und Vorbild de Kooning dargestellt. Zu Johns’ Rezeption in der Pop Art, Minimal und Concept Art vgl. Varnedoe, Kirk: Feuer – Johns’ Werk in seiner Wirkung auf amerikanische Künstler, in: ders. (Hg.): Jasper Johns – Retrospektive, Ausst.-Kat., Köln, Museum Ludwig 1997, München u. a. 1997, S. 91-113. Vgl. auch Steinberg, Leo: Jasper Johns: The First Seven Years of His Art, in: ders.: Other Criteria. Confrontations with TwentiethCentury Art, London/New York 1972, S. 17-54; Rose, Barbara: Decoys and Doubles. Jasper Johns and the Modernist Mind, in: Arts Magazine, Bd. 50/Nr. 9, Mai 1976, S. 68-73; Bernstein, Roberta: Jaspers Johns’ Paintings and Sculptures 1954-1974: The Changing Focus of the Eye, Ann Arbor 1985. 31 Vgl. Sandler 1988, S. 50. Die Bezeichnung Neo-Dada für Johns und Rauschenberg ist umstritten und wird auch von Varnedoe kritisiert, vgl. ders. 1997, S. 92-93. 32 Vgl. Weiss, Jeffrey: Gemälde, von Mann gebissen, in: ders. (Hg.): Jasper Johns. An Allegory of Painting 1955-1965, Ausst.-Kat., Washington, D.C., National Gallery of Art/Kunstmuseum Basel 2007, München u. a. 2007, S. 2-56, hier S. 2; Varnedoe 1997, S. 97; Lahuerta, Juan José: Der Raum der Malerei, in: Gaßner/Vitali 1996, S. 51-62, hier S. 56.

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druck“.33 Der Gedanke der objekthaften Faktizität in Verbindung mit einer nichtsubjektiven, indifferenten Geste bei Stella zeigt sich bereits in Johns’ frühen Arbeiten, auch wenn dort eine gänzlich andere semiotische Vielfalt hinzukommt. So bedient sich Johns etwa kultureller Zeichen wie Zahlen und Schrift, die zweidimensional existieren, oder realer flacher Gegenstände wie Flaggen und Zielscheiben, um seinen ästhetischen Entscheidungsprozess als Maler zu relativieren. Durch die Aneignung ihrer bestehenden Bildformel erhält er so die „prägnanteste Form einer nichtabstrakten Abstraktion“.34 Die selbstreferenzielle Ordnung seiner Bilder und ihre konkrete Materialität boten Anhaltspunkte für die spätere Minimal Art.35 Für Close waren besonders die Strategie der Motivaneignung und das selbstreflexive Bild-Objekt bei Johns interessant. Stella und Johns waren frühe Exponenten eines allgemeinen Paradigmenwechsels in der Kunst der 1960er Jahre, der nicht nur die USA betraf. Für diesen Gesinnungswandel versuchte Irving Sandler 1965 in seinem Aufsatz The New Cool-Art einen Begriff zu finden, der unter dem Stichwort des ‚Coolen‘ später unter anderem von Bice Curiger als künstlerische Strategie der 1960er Jahre, aber auch als eine generelle kulturelle Haltung charakterisiert wurde.36 Sandler führte 1967 mit Barbara Rose eine Umfrage unter zeitgenössischen Künstlern zur Sensibility of the Sixties durch, um den mit dem Begriff der Cool Art verbundenen Zeitgeist zu diskutieren.37 Die Ergebnisse verdeutlichen zwei Punkte: Zum einen formierte sich eine jüngere Opposition zum elitären Modernismusbegriff Greenbergs, gegen dessen Geschmackskriterien und die Forderung nach medialer Reinheit (was der konservative Blick an der Post-Painterly Abstraction goutierte) nun die profanierenden Material- und Motivmischungen des Neo-Dada und der Pop Art antraten. Zum anderen verschob sich der Fokus vom Künstlersubjekt und dessen Selbstäußerung zum Objektcharakter des Werks und seiner immanenten Materialität. Damit ging eine intellektuelle Konzeptualisierung der künstlerischen Arbeit einher, die sich stärker für den verfahrenstechnischen, mechanischen Aspekt interessierte als für den spontanen, authentischen Ausdruck. Die Öffnung des Kunstbegriffs durch eine Verbindung aus ‚Kunst und Leben‘, die von den Anfängen der Pop Art bis zu den Strömungen von Fluxus und Happening vorangetrieben wurde, erweiterte das Spektrum der künstlerischen Praxis samt ihrer diskursiven Inhalte erheblich. Während der romantisch-individualistische Künstlerbegriff des Abstrakten Expressionismus aus dem Blick geriet, wurden Themen der mo33 Kozloff, Max: Johns and Duchamp, in: Art International, 20.03.1964, S. 43, zit. nach Weiss 2007, S. 5. 34 Varnedoe, Kirk: Einführung: Anhauch des Lebens, in: ders. 1997, S. 11-35, hier S. 13. 35 Vgl. ders. 1997, S. 97-98; Stemmrich, Gregor (Hg.): Jasper Johns. „Ziele auf maximale Schwierigkeit beim Bestimmen dessen, was passiert ist.“ Interviews, Statements, Skizzenbuchnotizen, Dresden 1997, S. 8. 36 Vgl. Sandler, Irving: The New Cool-Art, in: Art in America, Bd. 53/Nr. 1, Jan.-Feb. 1965, S. 96-101; Curiger, Bice (Hg.): Birth of the Cool - American Painting from Georgia O’Keefe to Christopher Wool, Ausst.-Kat., Hamburg, Deichtorhallen/Kunsthaus Zürich 1997, Stuttgart 1997; Geiger, Annette u. a. (Hg.): Coolness. Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde, Bielefeld 2010. 37 Vgl. Rose, Barbara/Sandler, Irving: Sensibility of the Sixties, in: Art in America, Bd. 55/Nr. 1, Jan.-Feb. 1967, S. 44-57.

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dernen Lebensrealität neben neuen Materialien, Produktions- und Präsentationsformen sowie industrielle und wissenschaftliche Elemente in die künstlerischen Ansätze integriert. Ein zentraler Aspekt in diesen Strategien war, wie bereits bei Stella und Johns angesprochen, der Objektstatus des Kunstwerks, das nur durch seine Ikonografie und spezifische materielle Struktur interessieren sollte, während die gestalterische Intention von einer leidenschaftslosen Distanz zum Werk verdeckt wurde.38 Die ‚Dinghaftigkeit‘ (thingness) ließ sich durch motivische Zitate realer Gegenstände und Konsumprodukte in der Pop Art und den Skulpturen der Minimal Art auf unterschiedlichen Ebenen steigern.39 Im Sinne von Duchamps art-by-fiat, wodurch die konzeptuelle Geste als künstlerische Strategie eingeführt worden war, wurde dabei die physische oder mechanische Arbeit vom konzeptuellen Entwurf unterschieden, deren zunehmendes Gewicht den Werkbegriff vom materiellen Schaffensprozess hin zur Idee und Planung verschob.40 Die künstlerische Selbstreflexion, die mit der Frage einsetzt, was überhaupt ein Kunstwerk ausmacht, führte in der Concept Art schließlich zur Marginalisierung der Ausführung und der Entmaterialisierung des Werks zugunsten der Idee. Schon Johns, für den Duktus und Handwerklichkeit durchaus tragende Rollen spielten, wollte sich strategisch als Person aus seinem Werk ausblenden und die Bildschöpfung auf eine intellektuell distanzierte Ebene heben: „I have attempted to develop my thinking in such a way that the work I’ve done is not me – not to confuse my feelings with what I produced.“41 Weiter bekundete Stella seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Herstellungsprozess (genauer gesagt, im Herstellungsprozess) bei den Black Paintings, wenn nämlich die Indifferenz als neuer malerischer Duktus statt einer expressiven Gestik in Erscheinung trat. Er strebe eine mechanische Technik an, bei der nur Farbe benutzt würde und nichts von ihm selbst („in which only paint was used and nothing of himself“).42 In Warhols Formulierung spitzt sich diese Haltung mit Anspielung auf die industrielle Produktion weiter zu: „I think somebody should

38 Diese Tendenz spiegelt sich in der europäischen Kunst wider, wie an der 1958 gegründeten Gruppe ZERO, dem Nouveau Réalisme oder den malerischen Positionen nach dem Ende des Informel erkennbar wird. Siehe hierzu Pörschmann, Dirk (Hg.): Zero. Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre, Ausst.-Kat., Berlin, Martin-Gropius-Bau/ Amsterdam, Stedelijk Museum 2015, Köln 2015. 39 Der Abstrakte Expressionist Jack Tworkov benennt diese Eigenschaften kritisch: „There is a sensibility of the sixties: the emphasis on thingness. Polish, smoothness, brightness on the one hand – uninvolvement, indifference and heartlessness on the other.“ Tworkov zit. nach Rose/Sandler 1967, S. 49. Zur literal reality der 1960er Jahre gegenüber dem existenziellen Ausdrucksrealismus im Abstrakten Expressionismus siehe Goosen, Eugene C.: The Art of the Real. USA 1948-1968, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1968, New York 1968. 40 Zum veränderten Arbeitsbegriff der Minimal Art und Duchamps Einfluss vgl. Wollheim, Richard: Minimal Art (1965), in: Battcock 1968, S. 387-399, hier S. 395-397. 41 Johns zit. nach Raynor, Vivien: Jasper Johns: I have attempted to develop my thinking in such a way that the work I’ve done is not me, in: Art News, Bd. 72/Nr. 3, 03/1973, S. 20-22, hier S. 22. 42 Stella, Frank: Art 1960, New York University, 21.04.1960, zit. nach Sandler 1988, S. 8.

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be able to do all my paintings for me [...] I want to be a machine, and I feel that whatever I do and do machine-like is what I want to do.“43 Unter Cool Art fasste Sandler 1965 die von ihm als nihilistisch bezeichnete Umkehrung künstlerischer Werte zusammen, auf deren Verweigerung oder Negation diese Strategie beruhte: Gegen den pathosgeladenen Schöpfungsakt und ‚wahren Ausdruck‘ wurde das Nicht-Kreative, Nicht-Expressive, Nicht-Transzendente gesetzt, so dass „calculation, impersonality, impassiveness, and boredrom“ zu künstlerischen Prinzipien wurden.44 Nach dem Bruch mit dem positiven Kunstbegriff der „leidenschaftlichen Aktion“ im Abstrakten Expressionismus sah Sandler in den neuen Ansätzen eine resignierte, pessimistische Haltung gegenüber der Malerei, die als anonyme, apathische Aktivität von „Rezept-Künstlern“ praktiziert wurde. So erschien ihm etwa Stellas antiheroische Reduktion als Ausdruck völliger Sinnlosigkeit und Langeweile – sie sei aber doch so „neuartig und pervers, dass es wieder interessant ist“.45 Als noch nihilistischer charakterisierte er Warhol und Lichtenstein, in deren Werken Sandler die „absolute Frustration und Verzweiflung“ gegenüber einer zur Oberfläche reduzierten Welt ablas, wo Kreativität und sinnvolle Aussagen in der Kunst unmöglich geworden seien.46 Doch auch diese ‚entleerte‘ Reproduktionsstrategie ließ sich ins Positive wenden, da ihr Konzept der non-transformation (die direkte Übernahme von gegebenem Material) zugleich die Realität des Dargestellten und des Kunstwerks selbst ansprach. So wie die Pop Art anfangs als New Realism bezeichnet wurde, sah Sandler zuletzt in der Cool Art eine Suche nach dem ‚Realen‘ („quest for the real“) in Verbindung mit dem ‚Objekthaften‘ (objecthood).47 Während sich einerseits die Charakteristika einer Cool Art in den Pop-Strategien wiederfinden, werden sie andererseits auch in der abstrakten, nicht-relationalen Objekthaftigkeit der Minimal Art reflektiert.48 Aus den Arbeiten von Donald Judd etwa spricht der Gedanke einer monolithischen Ganzheit aus repetitiven Elementen anstelle einer heterogenen, organischen Komposition. Das Werk als objekthafte Entität sollte Judd zufolge eine „Sache als Ganzes, ihre Qualität als ein Ganzes“ mit konzentrierter Klarheit und Intensität darstellen.49 Seine Auffassung von spezifischen Objek-

43 Warhol zit. nach Swenson, Gene R.: What is Pop Art? Answers from 8 Painters (Teil 1), in: Art News, Bd. 62/Nr. 7, Nov. 1963, S. 24-27, 60-64, hier S. 26; vgl. Sandler 1965, S. 96. 44 Vgl. Sandler 1965, S. 101. 45 „In its boredom, Stella’s painting has affinities with Reinhardt’s, but where the latter cultivates monotony to underscore the disconnection between art and life, Stella appears to have made it the content of his art – a content so novel and perverse as to be interesting.“ Vgl. ebd., S. 97. Zu Sandlers Kritik an der mühelosen, entleerten Cool Art vgl. Alloway 1966, S. 59. 46 Vgl. Sandler 1965, S. 100. 47 Vgl. ebd., S. 101; ders. 1988, S. 56, 60. 48 Siehe Fried, Michael: Art and Objecthood (1967), in: Battcock 1968, S. 116-147; Judd, Donald: Spezifische Objekte (1965), in: Stemmrich, Gregor (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1995, S. 58-73. 49 Judd 1965, S. 69; vgl. Fried 1967, S. 142-145. Fried kritisiert die durch die formale Konzentration erzielte Ausdruckssteigerung als Theatralik einer literalist art (abgeleitet von literal für „buchstäblich“). Diese erzeuge durch ihre Präsenz und Ortsspezifizität in der Erfahrung

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ten trifft ebenfalls auf Stellas Bilder zu, so dass die Werke beider Künstler Aspekte der Malerei und Skulptur über Gattungsgrenzen hinweg verbinden und sich als visuelles und zugleich räumlich-physisches Ordnungsgefüge zeigen. Ob im profanen Alltagsmotiv oder im selbstreferenziellen dinghaften Objekt (thing-in-itself) – Sandlers zeitgenössische Beschreibung der Cool Art griff die Hauptgedanken der künstlerischen Umorientierung nach dem Abstrakten Expressionismus und dem Greenbergschen Modernismus auf, womit er über unterschiedliche stilistische Ansätze hinweg einen Zeitgeist erfasste, der sich in den jeweiligen Ausformungen als Negativität, Indifferenz, Objektivität, Mechanik und Reproduktion bzw. Redundanz äußerte. Zum ästhetischen Paradigmenwechsel kam die gesellschaftlich veränderte Rolle des Künstlers in dieser Zeit. Im Unterschied zur romantisch verklärten Außenseiterrolle des lone artist, der in der Realität oft eine Randexistenz führen musste, positionierten sich junge Newcomer deutlich früher sowohl auf dem Kunstmarkt als auch in der -szene insbesondere New Yorks. Dank ihrer akademischen Ausbildung und des belebten kulturellen Umfelds zeichneten sie sich stärker durch intellektuelle Eloquenz aus, während mit dem florierenden Markt und Ausstellungsbetrieb das Bewusstsein für künstlerische Professionalität neben der finanziellen Sicherheit zunahm. Der alte Begriff der Avantgarde wurde abgelöst von einer Vielzahl von Positionen, deren rasche Entstehung und Entwicklung der beschleunigten, kommerzielleren Lebensrealität entsprachen. So heißt es in der Einleitung bei Rose und Sandler: „Few thought [gemeint sind die befragten Künstler] there was a new academy, because there was too much stylistic diversity for any one style to dominate. On the other hand, the majority replied that there is no avant garde today, since the concept of an avant garde implies an underground, and today nothing can get far enough underground to escape the glare of publicity and the appetites of the newly awakened art public. [...] The artist is now, in Allan Kaprow’s words, a ‚man of the world‘.“50 Die Kommunikations- und Informationsdichte in den urbanen Kunstszenen, die über geografische Distanzen hinwegreichten, unterschied sich auch durch den Austausch mit Kritikern und Publikum stark vom engen Zirkel der damaligen New York School. Zugleich trug der gesellschaftliche Einfluss der Jugendkultur der 1960er Jahre bedeutend zum Stimmungswandel bei, wo die Rebellion gegen Autoritäten mit dem abnehmenden Einfluss künstlerischer Vorbilder wie der Abstrakten Expressionisten einherging sowie dem Wunsch, sich durch eine eigene Neuerfindung demonstrativ von der Vorgeneration zu emanzipieren.51 Nicht zuletzt aufgrund dieser Mentalität war der vielseits betonte Bruch mit dem Abstrakten Expressionismus vor allem eine Distanzierungsgeste und Selbstbehauptung, während die meisten malerischen Ansätdes Betrachters ein überwältigendes Subjekt-Objekt-Verhältnis, was Fried für einen Bühneneffekt hält. 50 Rose/Sandler 1967, S. 44. Zur zeitgenössischen Künstlerrolle vgl. Kaprow, Allan: Should the Artist Become a Man of the World?, in: Art News, Bd. 63/Nr. 6, Okt. 1964, S. 34-37, 58-59. 51 Vgl. Sandler 1988, S. 9. Close äußert sich ähnlich: „Our generation was hellbent to purge our work of every association with another artist. [...] You have all your heroes, all your gods, everybody else, and you don’t know where you are in this world.“ Close zit. nach Finch 20102.

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ze durchaus auf Basis ihres abstrakten Bildkonzepts entwickelt wurden und der formale Grundgedanke der New York School weiterhin gültig blieb – was auch bei Close der Fall war. Auf intellektueller Ebene implizierte die gezielte Distanznahme auf Kosten der subjektiven Komponente ein Zweifeln an der positiven Erkenntnisfähigkeit oder einem moralisch-ästhetischen Anspruch der Kunst, an deren Stelle eine unpersönliche, unverbindliche Betrachtungsweise trat, die schon in der nonchalanten Attitüde Duchamps anzutreffen war. Als ‚anti-anthropozentrischer‘ Geist fand sich diese Haltung bei zahlreichen Künstlern wieder – sofern das Humanistische oder Anthropozentrische mit einem konservativen Kunstbegriff verbunden wurde – wie in Stellas Ablehnung ‚humanistischer Werte‘ („humanistic values“) und Judds Kritik am Anthropomorphismus der traditionell organischen Kompositionsformen. Auch Close schloss sich mit seiner Ablehnung von „outworn humanist notions“ in der Figurenmalerei diesem Trend an.52 Mit diesem betont neutralen, desillusionierten Blick wurde die heroische Ästhetik und das ethische Pathos einer Kunst als Ausdruck der conditio humana verabschiedet, wo vom subjektiven Empfinden des Individuums auf den Menschen im Allgemeinen geschlossen werden konnte. Vor dem Hintergrund der rasanten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen der 1960er Jahre war von der Ablösung des neuzeitlich-humanistischen Weltbildes durch einen „radikalen Empirismus“ die Rede, wo der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge war.53 Laut Judd zeichnete der hartgesottene (tough-minded) Empirismus, wie er im Geiste des philosophischen Pragmatismus von William James erklärte, zugleich die amerikanische Kultur im Gegensatz zum sensiblen (tender-minded) Rationalismus der europäischen Tradition aus, was sich mitunter auf das Verständnis der Coolness als eines spezifisch amerikanischen Kulturphänomens übertrug.54 Eher kulturpessimistisch deutete hingegen Brian O’Doherty die indifferente Haltung der Kunst, die sich als „neuer Nihilismus“ jenseits von existenzieller Angst (engl. Angst) und menschlichem Interesse einer gefühlskalten Gleichgültigkeit und maschinenähnlichen Anonymität ergab, was Sandlers Kommentar zur Pop Art ähnelt. Und auch bei dieser Lesart wird die Negativität in eine produktive Strategie gewendet: Indem sich das Künstlersubjekt in einer ‚selbstauslöschenden‘ Geste von überlieferten Werten durch Verweigerung und Entleerung entkoppele, könne es sich neue Freiheiten erschließen.55

52 Vgl. Sandler 1988, S. 61, mit Verweis auf Judds Ablehnung des „Anthropomorphen“ als Synonym zum Humanismus; Judd zit. nach Fried 1967, S. 119. Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 236. Vgl. hierzu Kaprows Rede von „a tough-minded and utterly unsentimental world view, devoid of slogans and utopian dreams of the past“, zit. nach Rose/Sandler 1967, S. 45. 53 Vgl. Meyer, Leonard B.: The End of the Renaissance? Notes on the Radical Empiricism of the Avant-Garde, in: Hudson Review, Sommer 1963, zit. nach Sandler 1988, S. 63-64, 84 (Anm. 21), unter Verweis auf ähnliche Äußerungen von Künstlern wie Mel Bochner und Joseph Kosuth. 54 Vgl. Donald Judd und Barbara Rose zit. nach Sandler 1988, S. 65, 85; vgl. Curiger 1997. 55 Vgl. O’Doherty, Brian: The New Nihilism: Art Versus Feeling, in: The New York Times, 16.02.1964, S. 15; Rose 1965, S. 294, wo die subversive Negation als ‚Erosion‘ bezeichnet wird.

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1.1.2 STRATEGIEN GEGEN DIE SUBJEKTIVE MALEREI Mit dem einführenden Blick auf die künstlerische Situation zu Closes Anfangszeit, die im Spannungsfeld zwischen dem Abstrakten Expressionismus und neuen Impulsen einer ‚anti-subjektiven‘ Kunst lag, soll im Anschluss auf konkrete Einflüsse eingegangen werden, die seine Entwicklung geprägt haben, insbesondere in den großformatigen Acrylbildern der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Anhand formaler und methodischer Parallelen – weniger stilistischer Ähnlichkeiten – zu den für ihn wichtigsten Positionen aus jener Zeit soll sein konzeptueller Ansatz abgeleitet und erläutert werden. Die Kontextualisierung setzt an bei der ‚Initiationsphase‘ unter dem Einfluss des Abstrakten Expressionismus, dessen Allover-Begriff trotz des radikalen Schnitts von Big Nude die strukturelle Bildgrundlage für Close geblieben ist. Seine plötzliche Wende vom eklektizistisch-abstrakten Frühwerk hin zu einer streng konzeptualisierten Malerei hat sich über die programmatische Umwertung künstlerischer Grundbegriffe wie Autorschaft, Schaffensprozess, Ausdruck und Subjektivität vollzogen, was ihn mit den Ansätzen der hier genannten Künstler verbindet. Von gestischer Abstraktion zu Big Nude Nach seinem erfolgreichen Studienabschluss in Yale 1964 ging Close im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums für ein Jahr nach Wien an die Akademie der Bildenden Künste. In den europäischen Museen lernte er klassische Werke von Dürer, Vermeer, Velázquez und Caravaggio aus nächster Nähe kennen, die er vor allem für ihre altmeisterliche Technik bewunderte.56 Nach seiner Rückkehr in die USA nahm er 1965 eine Lehrtätigkeit an der University of Massachusetts in Amherst nahe New York auf, was den Beginn seiner professionellen Arbeit als Künstler markierte. Bereits während des Studiums stand Close unter dem starken Einfluss des Abstrakten Expressionismus, wobei seine frühesten ‚Vorlagen‘ nicht selten schwarzweiße Reproduktionen waren, deren Originalfarben er erst später mit einigem Erstaunen sah.57 Vor allem die abstrakte Figuration von de Kooning sowie die Werke von Arshile Gorky und Hans Hofman waren wichtige Vorbilder, denen er begeistert nacheiferte. Seine frühen gestisch aufgelösten und mit wildem Duktus gemalten Figuren weisen einen souveränen wie virtuosen Umgang mit der abstrakten Formensprache und Farbkomposition auf. Zugleich zeugen sie von einer enormen malerischen Energie und ambitionierten Produktivität. In ihrer Ästhetik und Herstellungsweise sind sie genau das Gegenteil dessen, wofür Close später bekannt werden sollte – die gewissenhaft geplanten, in langsamer Detailarbeit ausgeführten Porträts scheinen mit diesen Frühwerken nur das Großformat gemein zu haben. Ihr expressives Formenspiel wirkt zwar visuell reizvoll, doch erweisen sich die Malereien nebeneinander betrachtet zunehmend als dekorativ und austauschbar. Ihr Problem ist die offensichtliche Willkür und Virtuosität der ‚guten Hand‘, für die Close stets gelobt worden war, deren Stärke er aber schließlich als Schwäche erkannte. Die Kehrseite dieses mühelosen malerischen Könnens waren manierierte Stilwiederholungen mit entleerter Eloquenz und unbegründetem Pathos, was er schließlich als unbefriedigend und aussichtslos emp56 Vgl. Friedman 2005, S. 33. 57 Closes monochrome Bildidee stützt sich auf Schwarzweißreproduktionen, vgl. ebd., S. 27.

1.1 Close im Kontext | 33

fand.58 Was sich einst bei den Künstlern der New York School noch als Referenz zum eigenen Lebensgefühl im Werk ‚entladen‘ konnte, erschien beim jungen Close nur als ästhetische Formel und Gefühlssimulation, da seine reale Lebenssituation solche existenziellen Emotionen kaum hergab: „The first-generation abstract expressionists suffered and after that it was a system. We painted out of a system. We didn’t have tortured, anguished, alcoholic people. We were art students, for Christ’s sakes.“59 Als lustvoll-affektierte Bildproduktion ließ sich die Malerei für ihn auf lange Sicht nicht rechtfertigen. Wenn Close in späteren Stellungnahmen gegen die Vorstellung eines radikalen Bruchs in den 1960er Jahren argumentiert und die tiefe Verwurzelung vieler Künstler im Abstrakten Expressionismus betont, dann veranschaulicht seine Frühphase zugleich das Dilemma der Nachfolgegeneration, die den Bruch im eigenen Werk vollziehen musste. Während Closes erste Ausstellung 1967 an der University of Massachusetts noch frühere Arbeiten umfasste, die eine eher unentschiedene Diversität an Techniken, Stilen und Sujets aufwiesen, setzte Mitte der 1960er Jahre eine künstlerische Umorientierung ein.60 In dieser Umbruchsphase kristallisierten sich für Close zwei Hauptanliegen heraus: eine Lösung für die Figur auf Basis eines abstrakten Malereibegriffs und ein möglichst klares, konsistentes Fundament für diesen malerischen Ansatz. Die Reflexion und Artikulation des eigenen Ansatzes fiel den Künstlern seiner Generation leichter als ihren Vorgängern, da sie den Kunstdiskurs schon während der Ausbildung trainierten: „At Yale we all learned to talk art before we could really make it.“61 Insofern war eine konzeptuelle Argumentation als Grundlage seines Ansatzes für Close naheliegend. Dabei boten ihm neben kunsthistorischen Kenntnissen seine aktive Rezeption zeitgenössischer Kunst entscheidende Anregungen bei der Reflexion seiner Möglichkeiten für eine Selbstpositionierung. Grundsätzlich versuchte sich Close von seinen bisher dominierenden Launen und der gefühlsgeleiteten Kreativität unabhängig zu machen, um das impulsive Handeln durch ein vorgefasstes Bildkonzept mit einer klaren Arbeitsmethode zu regulieren. Das wichtigste Hilfsmittel fand er hierfür in der Fotografie, die der Malerei ein ferti58 Die künstlerische Wende hängt mit seinem Umzug nach New York zusammen: „I spent two miserable years there [University of Massachusetts] until I had the guts to move to New York [...]. I wanted to purge my work of everything I had done as a graduate student. I threw away all the materials I had, all the brushes. I was told I had a good sense of color which meant I’d learned that certain color combinations looked more like ‚art‘ than other color combinations. I was told I had a good hand which means my hand made ‚art‘ shapes. But they were de Kooning shapes, or they were Gorky shapes [...].“ Close zit. nach Finch 20102. Dort erwähnt Close, wie er bei seiner Begegnung mit de Kooning gescherzt haben soll: „It’s really nice to meet somebody who’s made a few more de Koonings than I’ve made.“ 59 Close zit. nach Diamonstein, Barbaralee: Inside New York’s Art World, New York 1979, S. 69, zit. nach Storr 1998, S. 30. Close beteuert seine Nähe zum Abstrakten Expressionismus, verweist jedoch auf den Unterschied in Finch 20102: „But mine was angst-free. I wasn’t pouring my guts out. I didn’t have any guts to pour out yet. The whole idea – I was imitating the surface of abstract expressionism.“ 60 Vgl. Friedman 2005, S. 35, 38. 61 Close zit. nach Storr 1998, S. 30.

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ges Motiv liefern konnte, so dass die allmähliche Bildfindung in seinen bisherigen Arbeiten entfiel. Schon vorher hatte er fotografische Motive gesammelt, um sie in seine Bilder einzuarbeiten, doch nun sollte das Foto zum essentiellen Zwischenschritt für seine Malerei werden.62 Die Fotografie brachte nicht nur eine andere Bildästhetik, sondern vor allem einen anderen Zugang zum figürlichen Motiv mit sich. Ähnlich wie der abstrakt-expressive Stil in der Malerei der 1960er Jahre galt das Porträt als Bildgattung gemeinhin als Problemfall und wurde wie besagte Malerei von Kritikern als obsolet betrachtet. So wird Greenberg mit der Bemerkung zu de Kooning zitiert: „It is impossible today to paint a face“, woraufhin dieser geantwortet haben soll: „That’s right, and it’s impossible not to.“63 Abgesehen von der Tatsache, dass Künstler von Elaine de Kooning über Alice Neel und Philip Pearlstein bis hin zu Alex Katz und Andy Warhol sich in dieser Zeit dem Thema ausgiebig widmeten, entschied sich Close bewusst für das diskreditierte Porträtthema, worin er nach eigener Angabe eine künstlerische ‚Nische‘ und Herausforderung sah. Die fotografische Vorlage leitete zudem seine Hinwendung zum ‚realistischen‘ Stil ein, was seinerzeit zunächst argwöhnisch aufgenommen wurde.64 Wie sich herausstellen wird, liegt seiner Behandlung der Fotografie jedoch ein durch und durch abstrakter Bildbegriff zugrunde. Friedman beschreibt Closes Gedanken mit: „[...] he felt that the issue was how to reveal the abstract forms inherent in realism“, und bezeichnet den Griff zur Fotografie mystifizierend als „Epiphanie“.65 Close hingegen führt seine Idee auf Anregungen von Andy Warhol und Robert Rauschenberg zurück, die im Foto nicht mehr den Konkurrenten der Malerei sahen, sondern verfügbares Bildmaterial und einen „Ausgangspunkt der Erfindung“ – demnach verschaffte ihnen das fotografische Medium jene Distanz zum Gegenstand, die es ihnen erlaubte, sich im Sehen und Darstellen emotional zurückzunehmen: „There was a distancing in this kind of work [gemeint ist Rauschenberg], an arm’s-length way of keeping yourself from being totally involved emotionally in whatever you were drawing.“66 Closes Arbeit entlang einer konzeptuellen Bildstrategie nahm 1964 ihren Anfang, als er eine Mitarbeiterin der University of Massachusetts darum bat, ihm für Aktfotos Modell zu stehen. Schon die Aufnahmetechnik zeigt seine analytischen Überlegungen, da er statt einer Totalaufnahme des ganzen Körpers diesen in Abschnitte einteilte und in einer Reihenaufnahme Stück für Stück abschritt, um jeden Körperbereich frontal im Blick zu haben und perspektivische Verzerrungen der Linse zu vermeiden (Abb. 4). Wie in einer Umkehrung der Chronofotografie war in diesen Aufnahmen nicht das Modell, sondern der Fotograf in Bewegung: Die sukzessiven Bildbereiche reihen sich aneinander zu einem Panorama der ‚Körperlandschaft‘, gleichzeitig ent-

62 Vgl. Friedman 2005, S. 35. 63 Hess 1968, S. 74; vgl. Close im Interview mit Robert Storr, in: Storr/Varnedoe 1998, S. 85101, hier S. 91. 64 Vgl. Friedman 2005, S. 42: „[...] so far off the modernist path that some critics and even some fellow artists considered him misguided and calculatedly revisionist.“ 65 Ebd., S. 35. 66 Close zit. nach ebd., S. 48.

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spricht die frontale Aufnahme des Gegenstands in gleichmäßigen Schritten einem Scan wie er von elektronischen Kopiergeräten vollzogen wird.67 Ursprünglich waren statt einer Ganzkörperdarstellung nur Ausschnitte als shaped canvases in naturalistischen Fleischtönen geplant. Allerdings verwarf Close nach einigen Anläufen die Fragment-Idee mitsamt der Farbigkeit, da er die Fleischtöne bei den schwarzweißen Vorlagen hätte ‚hinzuerfinden‘ müssen, was ihn zu sehr vom subjektiven Empfinden abhängig gemacht hätte. Schließlich entschied er sich für eine konsequent monochrome Umsetzung, wofür er neben Pinsel und Acrylfarbe ein experimentelles Arsenal an Werkzeugen zusammentrug – von Pinseln, Lappen, Schwämmen, Klingen und Radierern bis hin zu einer Bohrmaschine (woran er den Radierer befestigte, um die Ölfarbe abzuschmirgeln) – um eine möglichst detailreiche, differenzierte Textur zu erzielen.68 Den vollständigen Akt setzte Close wie all seine späteren Porträts mithilfe einer Rasterschablone um (Abb. 11), wobei er die einzelnen Bildteile als Komposit-Struktur zu einem künstlichen Ganzen synthetisierte. Fehlende Details in der Totalaufnahme wurden aus den herangezoomten Aufnahmen der Körperabschnitte ergänzt. Die Klebeband-Umrahmung auf der Maquette bezeichnet die Leinwand, während die quadratischen Felder im Unterschied zur systematischen Beschriftung seiner nachfolgenden Maquetten hier nur teilweise an den Beinen und am rechten Bildrand durchnummeriert sind. In der unvollständigen Rasterzeichnung rechts oben wird außerdem deutlich, dass der Hintergrund als reine Weißfläche keiner genaueren Darstellung bedarf – außer der Figur und ihrer Liegefläche wird alles andere ausgeblendet. Das Resultat zeigt einen kolossalen Frauenakt auf der 297,2 x 642,6 cm großen Fläche, der aufgestützt auf einem hellen Tuch vor einem leeren Hintergrund liegt. Mit der locker aufgelegten linken Hand und einem angewinkelten Bein formt der Körper einen sich verjüngenden Bogen, der genau von den Bildrändern eingefasst wird und mit der Blickrichtung des Modells von links nach rechts verläuft. Ihr seitlich abgewandtes Gesicht wird konterkariert durch die Frontalität der auffallend hellen Bereiche der Brüste und Bikinizone, die sich wie transparent aufgemalte Kleidungsstücke auf der gebräunten Haut abzeichnen. Abgesehen von diesen sexualisierten hot spots, wie Close sie nennt, die faktisch zum Körper gehören, wird der Akt trotz der auffälligen Vergrößerung seiner physischen Details bemerkenswert zurückhaltend präsentiert. In der minutiösen Umsetzung der spröden Grautöne und der parallel zur Bildebene verlaufenden Komposition drückt sich eine lapidare Indifferenz aus, die sich im halb gelangweilten, ausdruckslosen Gesicht des Modells widerspiegelt. Close, der die Fotoaufnahmen schon 1964 angefertigt hatte, begann 1967 mit der Arbeit an Big Nude, kurz nach seiner Übersiedlung nach New York, und benötigte rund zehn Wochen für das Gemälde.69 Während dieser Zeit fiel die Entscheidung, seine anfängliche Idee einer Malerei nach Fotovorlage um den Faktor der Größe zu erweitern. Die Loslösung von Bilddetails von der ganzen Figur, die er mit der Partialisierung des Motivs nicht erreichen konnte, ließ sich offenbar durch eine enorme Vergrößerung erzielen, wo sie sich zu abstrakten Flecken und Farbwolken verselbst67 Der nach dem Scanprinzip funktionierende Laserdrucker wurde allerdings erst Anfang der 1970er von der Firma Xerox entwickelt. 68 Vgl. Friedman 2005, S. 49; Finch 20101, S. 38; Storr 1998, S. 33. 69 Vgl. Finch 20101, S. 34-35, 38.

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ständigen konnten. Motivisch weist der überdimensionale Frauenakt, den Close als „cinemascope nude“ bezeichnet, eine Nähe zu Billboards und kinematographischen Großaufnahmen auf, ebenso zu den plakativen Figuren der Pop Art von James Rosenquist bis Roy Lichtenstein.70 Obwohl er kein Pin-Up-Girl zeigt, sondern eine junge Frau aus dem Alltag, die er nach formalen Kriterien vor der Kamera positioniert hat, ist auf der Maquette an der Rückwand hinter dem Modell eine Collage mit diversen Bildausschnitten von weiblichen Körpern zu sehen, die wohl aus Zeitschriften oder Postern stammen und auf ein ähnliches Interesse an massenmedialen Bildquellen hinweisen. Close präsentiert in Big Nude ein profanes Aktmotiv anderer Art, das ähnlich wie Warhol oder Rauschenberg eine Aufwertung alltäglicher Bildmotive im großformatigen, gemalten Tableau impliziert und gleichzeitig als nonchalante sexualisierte Inszenierung in provokanter Spannung zu klassischen Venus- und Odaliske-Darstellungen steht. Andererseits irritieren die unregelmäßigen Strukturen, durch die körperliche Makel wie Falten oder Schwangerschaftsstreifen klar sichtbar wiedergegeben sind. Zusammen mit dem durchgehend neutralen, mechanischen Stil wird so die monumentale Überhöhung der Figur unterlaufen und die Aufmerksamkeit mehr auf die Bildoberfläche als den weiblichen Körper gelenkt – mit dieser entscheidenden Gewichtsverlagerung wird der Bildgegenstand von seiner Struktur beherrscht. Pollocks Allover als Bildgrundlage Nach seinem abstrakt-expressionistischen Frühwerk spielte der abstrakte Bildbegriff bei Close weiterhin eine konstitutive Rolle. Sein bildnerisches Denken hatte das formale Prinzip des Allover von Pollock so weit verinnerlicht, dass seine Malerei dem modernistischen Flächenprinzip im Wesen verbunden blieb. Während seine gegenständliche Thematik aus Figur und Porträt – noch dazu im fotografisch-illusionistischen Stil – nicht weiter von Greenbergs Auffassung entfernt sein könnte, erweist sich Closes Bildverständnis bei näherem Hinsehen als durchaus kompatibel mit den Grundsätzen von Pollock und der späteren Farbfeldmalerei.71 Die Maquette von Big Nude zeigt die für Close typische Rasterung, die das Bildmotiv unabhängig von seinem Inhalt in gleichgroße Quadrate teilt. Die technische Gleichbehandlung aller Bildpartien verfolgt eben jenes Ziel, nämlich einen „allover effect in which every part of the canvas has equal importance, as in a Pollock drip painting.“72 Doch weil die hot spots von Brust und Schambereich sowie die komplexe Binnenstruktur des Körpers eine gleichmäßige (und gleichmütige) Betrachtung erschwerten, entschied sich Close für den Kopf als alleiniges Motiv. Anders als ein beweglicher, kleinteilig gegliederter Körper bot das frontale Gesicht ein klar strukturiertes, konzentriertes Bildfeld, worin sich das Allover-Prinzip besser realisieren ließ. Die physische Oberfläche des Gesichts wurde gewissermaßen zum gegenständlichen Analogon der Bildfläche in der Allover-Malerei. Auch das Großformat war eine Tradition 70 Auf die visuelle Präsenz der New Yorker Billboards und Großformate der Pop Art verweist auch Finch, wobei er den Unterschied im Blow-up und in der Monochromie bei Close betont, vgl. ebd., S. 34. 71 Vgl. ebd., S. 44. 72 Close zit. nach ebd., S. 38; vgl. Storr 1998, S. 33.

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des Abstrakten Expressionismus, etabliert durch Pollocks Dripping-Bilder und figurativ erschlossen durch de Koonings knapp zwei Meter große Women-Serie. Bei ihnen wurde das Format von der Geste getragen und ausgefüllt – insbesondere Pollock eröffnete sich in ausgreifenden Malbewegungen ein räumliches Handlungsfeld, das auf ein Großformat hinauslaufen musste, um den physischen Radius seiner Malerei überhaupt fassen zu können.73 Während Gestik und Duktus im Abstrakten Expressionismus dem körperlichen Maßstab des Malers gefolgt und proportional zur Größe der Leinwand gewachsen sind, bricht Close diesen Zusammenhang nun auf und füllt ein noch größeres Format mit wesentlich kleineren gleichmäßigen Zeichen. Format und Duktus klaffen in seinen Bildern in ihrer Größenordnung auseinander und lösen sich vom natürlichen Maßstab des Körpers und seiner gestischen Reichweite. Diese will Close ebenfalls nach Vorbild der glatten fotografischen Oberfläche auslöschen, indem er nur mit verdünnter schwarzer Farbe ohne die Zugabe von Deckweiß arbeitet. Die transparente Acrylfarbe wird dabei nicht unmittelbar, sondern ‚indirekt‘ durch die mit Abstand zur Leinwand arbeitende Airbrush-Pistole aufgetragen, was die Spur der Künstlerhand verwischt und den Herstellungsprozess kaschiert.74 Vergleichbar mit Pollocks Malerei mit schwarzer Emaillefarbe wendet Close in seiner ersten Bildserie ab den späten 1960er Jahren einen monochrom-zeichnerischen Stil an. Mit Big Nude ist ihm klar geworden, dass die Beschränkung auf eine einzige Farbe eine neutralere Gleichbehandlung der Fläche ermöglicht und zugleich die Homogenität der Allover-Struktur verstärkt. Bei der Bearbeitung der Bildfläche spielt sowohl bei Pollock als auch Close die Mechanik des Ablaufs und damit ein gewisser Automatismus eine bedeutende Rolle: Pollock war fasziniert von der Écriture Automatique der Surrealisten, die damit die Kreativität des Unterbewusstseins aktivieren wollten, und fand in der Dripping-Technik ein formales Ausdrucksmittel jener inneren Bewegung, ein „vorsätzliches, aktiv gelenktes Zeichnen mit Farbe“, das aufgrund dieser Verbindung Authentizität und Unmittelbarkeit beanspruchte.75 Auch Pollock wollte die künstlerische Virtuosität und antrainierte Handschrift überwinden, die unvermeidliche ästhetische Konventionen in den Schaffensprozess hineintrugen und sich als verfälschende Ebene zwischen Werk und Subjekt schoben. Sein Begriff des Automatismus zielte auf eine unmittelbare Subjektivität ab, wofür die „hemmende und retardierende“ Manier ausgeschaltet werden sollte.76 Close aber versucht nun die subjektive Komponente durch den Automatismus einer geregelten, mechanischen Ausführung zu neutralisieren. Vom Automatismus der fotografischen Aufnahme zum verfahrenstechnischen Automatismus einer elaborierten, disziplinierten Malerei nach der Foto-Maquette werden die inneren Verbindungen bei ihm zwischen Gefühl, Auge, Handschrift und Bild verborgen. Die Suche nach einer Ausdrucksform jenseits künstlerisch-ästhetischer Stilbegriffe mithilfe einer 73 „[...] he is painting with his entire physical being carving out space for himself like a fighter or dancer.“ Vgl. Finch über Pollock in ders. 20101, S. 34. 74 Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 234. 75 Vgl. Frank 1984, S. 31; Rubin, William: Jackson Pollock and the Modern Tradition, in: Artforum, Bd. 5/Nr. 9, Mai 1967 (Teil 4), S. 28-33, hier S. 31. 76 Vgl. Frank 1984, S. 62, 66. Frank spricht vom Einsatz „unpersönlicher Mittel“ zum Ausdruck „zutiefst persönlicher Gefühle“.

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mechanisierten Technik und ihren abstrakt-zeichnerischen Elementen ist bei beiden erkennbar, nur bewegen sie sich in entgegengesetzte Richtungen. Wie die Rolle der Subjektivität sind auch die Implikationen der automatisierten, mechanisierten Arbeit bei Pollock und Close verschieden. David Craven hat das Verhältnis der Abstrakten Expressionisten zum Automatismus in der modernen technokratischen Lebens- und Arbeitswelt analysiert, in der Mechanisierung, Effizienz und Standardisierung vorherrschen. Ausgehend von Meyer Schapiros Lesart der subjektiven Selbstbehauptung als Protest einer entfremdeten Künstlergeneration gegen das suppressive kapitalistische System beschreibt Craven die Kritik der Künstler an der modernen Technologie und Arbeitsökonomie, die sich in ihrem Werkbegriff widerspiegle.77 Sie äußert sich demnach in der ambivalenten Haltung zum Handwerklichen (craftsmanship), welches zwischen Ausdrucksmittel und handgefertigter Ware steht, ebenso wie in der Abneigung gegen eine Werkvollendung (finishing) im Sinne des ‚fertigen‘ Arbeitsprodukts, was sowohl Barnett Newman als auch de Kooning und Pollock für unmöglich erklärt haben. Dagegen vertrete ihr Werkbegriff die „improvisatorische menschliche Arbeit“ gegen den technischen Automatismus und die kalte Präzision der kontrollierten Arbeitsabläufe.78 Closes Ansatz liegt gerade diesem ‚unmenschlichen‘, präzisen Produktionsvorgang viel näher. Die zehn Wochen, die er an Big Nude gearbeitet hat, erscheinen kurz im Vergleich zu den vier bis sieben Monaten, die er für seine monochromen Airbrush-Porträts benötigt.79 Der sukzessive Malprozess folgt hierbei den nummerierten Rasterfeldern in den Maquetten, bis Stück für Stück das ganze Bild malerisch übertragen und damit ‚fertig‘ ist. Im Gegensatz zu Pollocks Schaffensprozess lässt Close weder kontemplative Pausen noch kritische kreative Momente zu – kaum zurücktretend, um die Gesamterscheinung zu überprüfen, arbeitet er die Bildfläche in ständiger Nahsicht ab (Abb. 12). Dabei erscheint sein Werkbegriff so nüchtern und pragmatisch wie sein Arbeitsvorgang vorhersagbar und kontrollierbar ist. Er sieht in der strengen Methodik die Lösung für die ständige Unsicherheit und Anspannung des kreativen Schaffensprozesses, die seine vorherige expressive Malerei bestimmt haben.80 Die stumpfe Kontinuierlichkeit richtet sich eben gegen das Klischee des Künstlers als ‚Naturgewalt‘ im abenteuerlich-heroischen Kampf – stattdessen sieht Close im trockenen Arbeitsprozess eine neue Methodik der ‚Langeweile‘, über die eine kreative Neuerfindung auf andere Weise möglich wird. Seine emotionale Gelassenheit verbindet er mit der Gemütsruhe bei alltäglich-banalen Beschäftigungen, vergleichbar mit Stricken oder dem Herstellen von Steppdecken – all das seien häusliche, traditionell weib-

77 Vgl. Craven, David: Abstract Expressionism, Automatism and the Age of Automation (1990), in: Frascina 2000, S. 234-260; Schapiro, Meyer: The Liberating Quality of AvantGarde Art, in: Art News, Bd. 56/Nr. 4, Sommer 1957, S. 36-42. 78 Vgl. Craven 1990, S. 242-243, unter Verweis auf Robert Motherwells Statements von 1951, 1955 und 1963, in: Johnson, Ellen (Hg.): American Artists on Art, New York 1982, S. 29, zit. nach ebd., S. 235-236. 79 Vgl. Storr 1998, S. 36. 80 „Inspiration is for amateurs. The rest of us just show up and get to work.“ Close zit. nach Finch 20102; vgl. Close zum Arbeitsprozess in: Nemser 1970, S. 234-235.

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liche Handwerksarbeiten, die nicht weiter vom männlichen Genie- und Schaffensbegriff der abstrakt-expressiven Malerei entfernt sein könnten.81 Dennoch trifft Closes Vergleich nur als Beschreibung für die reine Mechanik des Arbeitsprozesses zu, dessen Endergebnis sich durchaus als imposant und monumental erweist und insofern doch in Einklang mit den industriellen, kühlen und indifferenten Materialvorlieben der 1960er Jahre steht. Die von Pollock noch als virtueller Raum einer organischen Subjekt-Bild-Interaktion entwickelte Allover-Idee wird bei Close unter einem antisubjektiv-mechanischen Arbeitsbegriff übernommen und zur strukturellen Grundlage aller Werke gemacht. Pollocks schöpferisch-prozessualer Automatismus wird von Close jedoch zu einer unpersönlichen Handlung umdefiniert, die nicht etwa das Tor zur Subjektivität, sondern vielmehr einen methodischen Ausweg aus der Subjektivität darstellt. Ad Reinhardt und die Kunst der Negation Für Künstler, die in den späten 1950er Jahren eine Alternative zum modernistischen Kanon und subjektiven Malereibegriff suchten, wurde die Negation zu einem wichtigen Mittel der Abgrenzung. Wo affirmative Ansprüche des malerischen Ausdrucks und Inhalts nicht mehr glaubwürdig erschienen, lag die logische Reaktion in einer Ablehnungshaltung, die in demonstrativen Verweigerungsgesten ihren Ausdruck fand. Ad Reinhardt (1913-1967) formulierte daraus ex negativo ein künstlerisches Programm und gab damit eine strategische Richtung vor, der sich zahlreiche konzeptuell orientierte Maler in den 1960er Jahren anschlossen. In seiner Definition einer systemischen Malerei beschreibt Alloway deren formalistische Strategie als One-Image Art, wo jedes einzelne Werk einem vorkonzipierten System angehört und bestimmten Grundregeln folgt, so dass Variation und Fortentwicklung sich nur innerhalb des festgesteckten Rahmens entfalten, dessen Kenntnis wie ein Schlüssel erst den Zugang zum Werkverständnis eröffnet: „The run of the image constitutes a system, with limits set up by the artist himself [...]. Thus the system is the means by which we approach the work of art.“82 Reinhardt, der zur Generation von Pollock gehörte und noch im selben Jahr starb, als Close seine Wende mit Big Nude vollzog, gilt als früher Wegbereiter für die reduktiven Bildkonzepte der 1960er Jahre.83 Sein radikaler Purismus im Namen einer selbstreferenziellen L’Art pour l’Art richtete sich gegen die Verschmelzung von Leben und Persönlichkeit des Künstlers mit

81 Vgl. Curiger, Bice: Gespräch mit Chuck Close, 21.08.2000. Mehr als nur Pinselstriche, in: Parkett, Nr. 60, Dez. 2000, S. 66-73, hier S. 73. 82 Alloway 1966, S. 56. 83 Bereits in den 1960er Jahren haben Kritiker wie Harold Rosenberg (1963) und Lucy R. Lippard (1965) in Ad Reinhardt den kritischen Außenseiter gegenüber dem Abstrakten Expressionismus, einen „intellektuellen Wendepunkt zur neuen Kunst“ und „prophetischen“ Vorläufer der Minimal Art gesehen, vgl. Zelevansky, Lynn: Ad Reinhardt and the Younger Artists of the 1960s, in: Elderfield, John (Hg.): Studies in Modern Art, Nr. 1, The Museum of Modern Art, New York 1991, S. 16-37.

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dem Werk, wofür der Abstrakte Expressionismus stand.84 Die Eliminierung subjektiver Inhalte ging für ihn einher mit der ‚Purifizierung‘ des Kunstwerks von außerästhetischen Elementen, bis nur noch ein materiell und formal bestimmtes Gefüge übrig blieb, wie seine Abstract Paintings mit ihren dunklen, subtilen Kreuzformationen zeigen (Abb. 15), deren strenge Ästhetik den ikonischen Ernst von Kasimir Malewitschs Schwarzem Quadrat von 1915 noch übertrifft. Reinhardt begann 1952 mit monochromen symmetrischen Kompositionen in Rot und Blau und verdichtete sie zwei Jahre später durch fortwährende Überlagerung zu subtil farbigen Schwarztönen, die er nach 1960 zu Kreuzformen aus Quadraten und Bändern mit dem quadratischen Grundmaß von 152,4 cm anordnete.85 Um im dunklen Bildfeld überhaupt die inhärente Rasterung aus neun modularen Feldern und die Formation ihrer Farbdifferenzen zu erkennen, ist eine konzentrierte Versenkung ins Bild erforderlich, wie sie nur das ästhetischen Erlebnis vor dem Original erlaubt. Der konzeptuelle ‚Nullpunkt‘ der Malerei, den Reinhardt technisch umzusetzen versuchte, führte zu einer nicht-relationalen symmetrischen Flächenordnung.86 Seine Schriften reflektieren mit strenger Systematik und rhetorischer Finesse seine simple und doch elaborierte Methode. Mit ironischer Überspitzung und Seitenhieben auf die Konventionen der zeitgenössischen Kunst listet Reinhardt in Twelve Rules for a New Academy (1957) in einem mit The Twelve Technical Rules (or How to Achieve the Twelve Things to Avoid) betitelten Abschnitt ein künstlerisches Regelwerk nach Art von religiösen oder sittlichen Geboten auf: „1. No texture... 2. No brushwork or calligraphy... 3. No sketching or drawing... 4. No forms... 5. No design... 6. No colors... 7. No light... 8. No space... 9. No time... 10. No size or scale... 11. No movement... 12. No object, no subject, no matter. No symbols, images, or signs.“87 Die Überschrift verweist darauf, dass die kurz angebundenen Verbote, deren Strenge nicht ohne Witz und Wortspiel ist, keine bloße Ablehnung darstellen, sondern sich genauso als Gebote und Anweisungen einer Kunst verstehen lassen, die aus der Negativität eine positive Strategie ableitet. Ein anderes Statement macht diese Dialektik deutlich: „11. Painting as central, frontal, regular, repetitive. [...] 20. The strictest

84 Vgl. Rose, Barbara (Hg.): Art-as-Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, Berkeley/Los Angeles 1975, S. 53; Sandler 1965, S. 97. 85 Vgl. Zelevansky 1991, S. 18-19. 86 Darin hebt er sich von Malewitsch und Rodschenko ab, obgleich deren Suche nach einer ultimativen Bildform sie schon ab 1915 zu monochromen Quadraten geführt hatte, die Reinhardts Idee des ‚letzten Bildes‘ („the last paintings that anyone can paint“) vorwegnahmen, vgl. Lippard, Lucy R: The Silent Art, in: Art in America, Bd. 55/Nr. 1, Jan.-Feb. 1967, S. 58-63, hier S. 59. Stella verwendet den Begriff nonrelational zur Charakterisierung der amerikanischen Farbfeldmalerei im Unterschied zur relational painting in der europäischen Abstraktion, wo eine ausgewogene Balance durch Komposition erreicht werden sollte, vgl. Glaser 1966, S. 149-150. 87 Reinhardt, Ad: Twelve Rules for a New Academy (1957), in: Rose 1975, S. 203-207, hier S. 205-206.

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formula for the freest artistic freedom. 21. The easiest routine to the difficulty. [...] 23. The extremely impersonal way for the truly personal.“88 Trotz des ästhetisch-spirituellen Untertons und der Rede von der ‚Essenz‘ bei Reinhardt, dessen Bilder einen meditativen und materialistischen Doppelcharakter aufweisen, bot er wichtige Anhaltspunkte für Closes konzeptuelle Wende und deren Umwertung von Inhaltlichkeit, Expressivität und formaler Gestaltung. Wie sehr Reinhardts Schriften seine Entwicklung in den 1960er Jahren beeinflusst haben, betont Close in einem späten Interview mit Storr, wo er Reinhardt neben de Kooning (als sein Antipode) zum intellektuellen ‚Paten‘ seiner Kunst erklärt: „Ad did not influence the way I painted, but he influenced the way I thought. Nothing changed my mind more about how to make art than Reinhardt’s writings. He made the choice not to do something a positive decision and showed how what seems to be negation ends up flipping around and opening doors and making all things possible.“89 Reinhardts reduktives Konzept bereitete also den Boden für Closes eigenen Konzeptualismus. Die Prämisse für einen entwicklungsfähigen malerischen Ansatz bestand darin, wie Close erkannte, sich über den eigenen Bildbegriff sowie die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten künstlerischer Mittel und Ansprüche im Klaren zu sein, die mit dem eigenen Medium verbunden waren – anstatt diese in andere inhaltliche Sphären transzendieren zu wollen, ließ sich durch die bewusste Selbstbegrenzung auf die faktischen Aspekte des Bildmediums eine neue Freiheit erlangen. Bei Close und Reinhardt findet sich ein ähnlicher Grundton in der ästhetischen Kühle und Sachlichkeit der modularen Aufteilung, im Verzicht auf den malerischen Duktus und nicht zuletzt in der größtmöglichen handwerklichen Kontrolle des Materials, um das anvisierte Ergebnis zu erzielen. Bei beiden erfordern die differenzierten Oberflächen das visuelle Erlebnis vor dem Original, dem eine fotografische Reproduktion nie gerecht werden kann, obwohl beide das serielle Prinzip der Re-Produktion von Bildern nach gleichbleibendem Konzept verinnerlicht haben.90 Reinhardts Rasterordnung folgt dem Allover-Begriff, den auch Close jedem Bild zugrunde legt. Beide wählen ihre Mittel unter rationalen Gesichtspunkten aus: So eliminieren sie neben der willkürlichen Gestik jede unkontrollierte Farbigkeit, was Close pragmatisch begründet, während Reinhardt zusätzlich eine ethische Ebene konstruiert: „There is something wrong, irresponsible and mindless about color, something impossible to control. Control and rationality are part of any morality.“91 Close spricht bei sich von einer versteckten Gestik, die auf bestimmte Weise kontrolliert werde („disguised gesture, controlled it in a certain way“) und davon, wie er die Farbe als Ausdrucksträger 88 Reinhardt, Ad: 25 Lines of Words on Art: Statement (1958), in: ebd., S. 51-52, hier S. 52; vgl. Storr 1998, S. 31. 89 Close im Interview mit Robert Storr, in: Storr/Varnedoe 1998, S. 91. 90 Vgl. hierzu Finch 20101, S. 42; Levin 1979; Lyons, Lisa: Changing Faces: A Close Chronology, in: Lyons/Friedman 1980, S. 27-58, hier S. 50. Hier werden ähnliche Parallelen angesprochen. 91 Reinhardt zit. nach Lippard 1967, S. 62. Die Gegenüberstellung der ‚sinnlich-ungezügelten‘ Farbe zum kontrollierten Entwurf ist dem Begriff von disegno und colore in der Kunsttheorie der Renaissance ähnlich.

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in einem beinahe exorzistischen Akt der Rationalisierung aus der Malerei „ausgestoßen“ habe und sie „losgeworden“ sei.92 Der Grundgedanke einer festgelegten Methodik, die bei Reinhardt wie ein Mantra formuliert ist, half Close bei der Entwicklung einer kontinuierlichen, redundanten Vorgehensweise für seine erste monochrome Werkserie von Airbrush-Porträts.93 So ging er in den frühesten Werkgruppen immer auf gleiche Weise vor, von der langsam aufgebauten mehrschichtigen Grundierung und präzisen Rasterzeichnung bis hin zum ‚sturen Ausfüllen‘ der Bildbereiche mit einer ungefähren Orientierung von oben nach unten, von links nach rechts. Der Kopf ist zentral und weitgehend symmetrisch ins Bildfeld platziert, so dass die Hauptachsen durch das Kreuz von Augen, Stirn, Nase und Mund verlaufen. Das klare, frontale Kreuzschema, das bei Reinhardt abstrakt und bei Close figürlich ist, verstärkt in beiden Fällen das formale Gewicht und die ikonische Präsenz des Bildes. Seine massive zugekehrte Fläche mit der zentrierten Gestalt besitzt einen wahrnehmungsästhetischen Appellcharakter, der bei Close durch das Gesichtsmotiv eine weitere Potenzierung findet.94 Mit ihrer formalistischen Nüchternheit vermitteln Reinhardts Werke schon die Haltung des ‚Antihumanismus‘, der als Desinteresse an Einfühlung und subjektivem Pathos zu einer vorherrschenden Attitüde in den 1960er Jahren wurde.95 Allerdings war Reinhardt genauso bekannt für die eigentümlich mystisch-esoterische Überhöhung der Kunst als einer ideellen Form, die eine Hintertür zur Transzendenz aufließ und im Widerspruch zum rational-materialistischen Gedanken stand.96 Close übernahm von Reinhardt die konzeptuelle Dialektik seiner negativen Methode, woraus er seine eigene reduktive Herangehensweise entwickelte – mit dem asketisch-doktrinären Unterton des älteren Künstlers hatte er hingegen wenig gemeinsam. Allerdings lassen sich vor diesem Hintergrund Closes radikale frühe Äußerungen gegen ein humanistisches Interesse am Porträt oder eine subjektiv geleitete Malerei besser einordnen. Denn wie Reinhardt in seinen Schriften setzte auch Close anfangs viel Rhetorik ein, um seinen Standpunkt programmatisch anzukündigen, was nicht bedeuten muss, dass keine Ambivalenz in seinen Negationen lag oder seine Malerei vollständig von Faktoren wie Ausdruck und Emotionalität ‚bereinigt‘ wäre. Frank Stella und das nüchterne Verfahren der Malerei Obgleich nur wenig älter als Close, war Frank Stella gegen Mitte der 1960er Jahre eine etablierte Figur und übte seit seinen Black Paintings aus der Zeit von 1958-60 einen großen Einfluss auf seine Generation aus. Die Werke aus dieser Phase, zu denen Jill 92 Vgl. Close im Interview mit Storr, in: Storr/Varnedoe 1998, S. 95. 93 „[...] the one thing in painting to do, is to repeat the one-size canvas – the single scheme, one color monochrome, one linear-division in each direction, one symmetry, one texture, one formal device, one free-hand brushing, one rhythm [...] painting everything into one over-all uniformity and non-regularity.“ Reinhardt, Ad: Unpublished Notes 1962-63, in: Rose 1975, S. 57-58, hier 58. 94 Zur Frontalität des Bildes bei Reinhardt und Close vgl. Storr 1998, S. 36. 95 Zu Reinhards negativer Haltung und ‚jenseitigem‘ Interesse vgl. Zelevansky 1991, S. 30-31. 96 Vgl. Krauss, Rosalind E.: Overcoming the Limits of Matter: On Revising Minimalism, in: Elderfield 1991, S. 123-141, hier 123; Zelevansky 1991, S. 20.

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von 1959 gehört (Abb. 7), sind nach dem einfachen Prinzip von parallel verlaufenden schwarzen Streifen aufgebaut, die nach einer variablen Grundanordnung – ob in konzentrischen, kreuzförmigen, kubischen oder triangulären Formationen – ausgerichtet sind. Nach einer mit dem Lineal hergestellten Grundzeichnung hat Stella die schwarze Emaillefarbe mit einem knapp über 6 cm breiten herkömmlichen Malerpinsel freihändig aufgetragen, so dass zwischen den trockenen und unregelmäßigen Streifen die ungrundierte Leinwand als helle grafische Linie mit Spuren der Bleistiftzeichnung sichtbar bleibt (Abb. 8). Zusammen mit dem geometrischen Grundgerüst verleihen die scharf hervortretenden Zwischenräume den zähen, ausgefransten Pinselbahnen eine zeichnerische Stabilität und Geschlossenheit, während der stumpfe Schwarzton durch sie eine subtile Bewegung und Leichtigkeit erhält. Ihre nonchalante Simplizität weist eine bestechend wirkungsvolle, konzentrierte Ästhetik auf, mit der Stella den Allover-Gedanken durch die geometrisch-abstrakte (nonrelational) Komposition aktualisiert. Die Gleichbehandlung der gesamten Bildfläche durch das mechanische Ausfüllen treibt die reduktive Nüchternheit von Ad Reinhardt noch weiter voran – wo jener noch in der Askese der künstlerischen Selbstbeschränkung die latente Transzendenz ihrer Reinheit gesehen hat, verwirft Stella in den Black Paintings auch diesen Sinn und reduziert sie gänzlich auf ein handwerkliches, regelgesteuertes Arbeitsprinzip. Das betonte Desinteresse an Emotionalität und Subjektivität, gegen welche die materielle Faktizität und Handwerklichkeit des Bildes gesetzt werden, verbindet Stella und Close im Kern. Stella betont allerdings neben der Oberfläche noch mehr den Bildkörper als skulpturales Objekt im Raum, was sich in seinen Shaped Canvases und der Protractor-Serie der 1960er Jahre deutlicher zeigt als im Flächenkonzept der Black Paintings. Close hingegen thematisiert den Bildkörper noch auf einer ganz anderen ikonisch komplexen Ebene, nämlich als Porträt. Vergleichbar ist bei beiden Malern die physische Schwere der massiven Keilrahmen, die den Leinwänden eine materielle Präsenz und Objekthaftigkeit verleihen. Wie Stella schränkt Close seine Arbeitsmaterialien auf ihre bildnerische Funktionalität ein: Neben Leinwand, Grundiermittel, Bleistift, Lineal und schwarzer Farbe verwendet er etwa in Big Nude nur darum eine Vielzahl von Malwerkzeugen, weil sich mit ihnen unterschiedliche Effekte erzielen lassen. Die schwarze Acrylfarbe für den Airbrush (bzw. Ölfarbe im vorhergehenden Big Nude) wird in den großen monochromen Porträts ungemischt aufgetragen und dabei lediglich verdünnt, im Gegensatz zur ‚erfühlten‘ Tiefe von Reinhardts einzigartigen Schwarztönen. Close und Stella greifen beide zu standardisierten Farbtönen aus dem Handel, deren vorgefertigte Qualität sie zum industriellen Ausgangsmaterial macht, was bei Stella jedoch deutlicher als solches ausgestellt wird („keep the paint as good as it was in the can“).97 Sein Konzept, die Emaillefarbe „so wie sie im Topf ist“ auf die Leinwand zu bringen, definiert die malerische Arbeit als Anstrich – der schöpferische Malprozess wird zur praktischen Lösungssuche für eine konzeptuell formulierte Problemstellung. Mit der Reflexion des Bildträgers als eines realen Objekts geht so eine Reflexion der Mittel und Werkzeuge einher, was sich auch in der Entscheidung zeigt, die faktische Pinselbreite zum Maß der gestalterischen Bildelemente zu machen. Stella selbst will nur ein Minimum an willkürlicher Gestaltung einbringen, die dafür als konzeptuelles Regelwerk alles bestimmen soll: 97 Stella zit. nach Glaser 1966, S. 157.

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„My painting is based on the fact that only what can be seen there is there. It really is an object. Any painting is an object [...]. All I want anyone to get out of my paintings, and all I ever get out of them, is the fact that you can see the whole idea without a confusion… What you see is what you see.“98 Nach der festgelegten Vorgehensweise wird möglichst wenig dem Zufall überlassen, so dass bei konsequenter Ausführung das Ergebnis mit nahezu ‚gesetzmäßiger‘ Notwendigkeit eintreten sollte. Dieser überspitzte Begriff der determinierten, ergebnisorientierten Arbeit findet sich sowohl im Frühwerk von Stella als auch Close und lässt sich als demonstrativer Widerspruch zum Formfindungsprozess im Abstrakten Expressionismus sowie in der modernen Abstraktion allgemein verstehen: „[...] a lot of the effort is directed toward the end. We believe that we can find the end, and that a painting can be finished. [...] We’d more readily say that our paintings were finished and say, well, it’s either a failure or it’s not, instead of saying, well, maybe it’s not really finished.“99 Ähnlich äußert sich Close zum Problem des ‚fertigen‘ Bildes, das durch die FotoMaquette eine klare Vorgabe erhält und nicht mehr der Unsicherheit einer allmählichen Formfindung unterworfen ist. Der antikünstlerische, ökonomische und pragmatische Ansatz befreit das Werk vom ästhetischen Urteil nach den Kriterien des Stils und Geschmacks in Greenbergs Sinne und entkoppelt die Werkidee ästhetisch vom Arbeitsergebnis – ob das Werk gut ist oder nicht, entscheidet sich nun daran, wie gut das Konzept umgesetzt ist, eine Frage, die sich vergleichsweise simpel positiv oder negativ beantworten lässt. Stella bestimmt also das Gemälde als Realisierung eines vorliegenden Plans, wo sich Malerei nicht mehr in actu, sondern als Faktum und lapidare Antwort auf die Grundfrage präsentiert, was Malerei denn sei – „state it“, und die Ausführung produziert den Inhalt.100 Das Gemälde als Statement findet sich auch bei Close wieder, zunächst im methodischen Experiment von Big Nude (wo die Erprobung technischer Verfahren noch im Zentrum steht) und kurz darauf in der Selbstbehauptung von Big Self-Portrait, womit er am eigenen Modell den Prototyp eines Monumentalporträts entwirft, dessen Bildgröße, Komposition und Technik zum Standard für seine weiteren AirbrushPorträts werden sollen. Der konzeptuellen Zielsetzung folgend, das Fotoporträt so genau wie möglich in Malerei zu übertragen und dabei alle sichtbaren Informationen aus der Maquette zu übernehmen, baut Close in monatelanger Detailarbeit eine fotomimetische Bildstruktur Stück für Stück auf, wobei verschiedene zeichnerische und malerische Bearbeitungsweisen der Leinwand erlaubt sind, solange das Material nur schwarze Farbe bleibt (Abb. 12). Auch wenn es bei Stella nur rudimentäre Bahnen, bei Close hingegen elaborierte Mikrostrukturen sind – es verbindet sie der Gedanke des mechanischen Verfahrens, an einem Bildgerüst ‚entlangzuarbeiten‘. Wie Stella möchte Close statt einer offenen Bildkreation aus dem Material ökonomisch gezielt mit

98 Ebd., S. 158. 99 Ebd., S. 161. 100 Vgl. ebd., S. 159. Close erklärt seinen antikünstlerischen Ansatz ähnlich: „So I decided to work from photographs so that I had something very specific to do with my hand that would be right or wrong.“ Close zit. nach Finch 20102.

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ihm arbeiten, was bei aller Langwierigkeit doch einer technisch strukturierten und wiederholbaren Methode folgt.101 Das stur mechanische Verfahren wird bei Close weniger durch das konstruktive Grundelement der reinen Malbewegung (‚Anstrich‘-Bahn) als vielmehr über den Umweg der Fotovorlage sichtbar. Die visuelle Beschaffenheit des mechanischen Bildes setzt Close als ‚objektive‘ Grundlage seiner indifferenten malerischen Rhetorik ein. Dank der fotografischen Vorlage, an die allein sich der Maler bindet, ließe sich nur die technische Qualität des Gemäldes anhand der Ähnlichkeit beurteilen, nicht aber die künstlerische Qualität anhand von herkömmlichen ästhetischen Kriterien der Malerei. Mit dem visuellen Reichtum und der gegenständlichen Illusion der Fotografie verschafft sich Close einen malerischen Umweg und Ausweg, der keineswegs einen Endpunkt des Mediums bedeuten muss. Das lapidar-mechanische Konzept impliziert nicht die kritische Aporie der Malerei im Sinne eines ‚letzten‘ Bildes, das nur noch Minimalformen wie Streifen oder Quadrate wiederholen kann – stattdessen eröffnet sich Close mit dem fotografischen Medium eine andere Bildwelt, die ihm in der gestischen Abstraktion verschlossen war. Stella bleibt trotz seines reduktiven Frühwerks ebenfalls überaus offen gegenüber dem illusionistischen Potenzial der Malerei, was er in seinen darauffolgenden Werkgruppen räumlich, materiell und farbig erkundet.102 Der konzeptuelle Entwurf ersetzt für Close keineswegs den realen Prozess (auch wenn er diesen definiert), da die langsame Bildproduktion einen essentiellen Teil seines Werks ausmacht. Obwohl er die Ausführung der Idee unterordnet und als emotionsloses Herstellen von visuellen Fakten beschreibt, verweist allein das Verhältnis zwischen dem simplen Konzept und der extensiven Ausführung auf eine besondere Bedeutung des Herstellungsverfahrens an sich, dessen Rolle noch weiter auszuloten sein wird.103 Jasper Johns und das Readymade-Motiv Der Einfluss durch Jasper Johns zeigt sich bei Close schon früh und lässt sich besonders deutlich an einer seiner ersten dokumentierten Arbeiten von 1960-61 erkennen. Flag Painting/Betsy Ross Revisited (Abb. 14) ist ein fast 282 cm breites Großformat, das eine wilde Kombination aus Malerei, Schrift, Textilcollage und Schnur zeigt und aus einer zerrissenen realen US-Flagge besteht, die spiegelverkehrt auf der oberen Hälfte der Leinwand angebracht und grob mit ihr vernäht wurde. Sie ist mit breiter Geste weitgehend in denselben Farben Rot, Blau und Weiß übermalt, während die aufgedruckten Sterne auf der Flagge als grafisches Gegengewicht stehen bleiben. Fetzen dieses Sternenfeldes tauchen neben und unter der Flagge auf der ebenso zerrissenen 101 „Knead the material and grind it up“, vgl. ebd.; Close spricht von einer beständigen Haltung („sustain a consistent attitude“), vgl. Nemser 1970, S. 235. 102 Zur Ambivalenz der Illusion in Stellas Werken vgl. Meinhardt, Johannes: Gesperrter Raum. Frank Stella 1958-88, in: Inboden, Gudrun (Hg.): Frank Stella. Black Paintings 1958-1960. Cones and Pillars 1984-1987, Ausst.-Kat., Staatsgalerie Stuttgart 1988-89, Stuttgart 1988, S. 49-75; Boehm, Gottfried: Bild-Dinge. Stellas Konzeption der „black paintings“ und einige ihrer Folgen, in: Pauseback, Michael (Hg.): Frank Stella. Werke 1958-1976, Ausst.-Kat., Kunsthalle Bielefeld/Kunsthalle Tübingen 1977, Bielefeld 1977, S. 9-17. 103 Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 233.

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Leinwand wieder auf. Wie Halterungen vor den hellen leeren Bildfeldern stabilisieren diese Fragmente die schwebende Flagge zur rechten oberen Bildecke hin, in Entsprechung zum blauen Sternenfeld an der rechten oberen Ecke der Flagge. Die unregelmäßigen Stoffränder erscheinen ähnlich expressiv wie die Pinselstriche, während Brüche den Duktus wie auch die Materialien durchziehen. Über dem linken Sternenfragment erscheint in freihändigen Blockbuchstaben der lateinische Schriftzug E Pluribus Unum („Aus vielen eines“), was als Wahlspruch des Siegels der Vereinigten Staaten von 1782 die Einheit der Bundesstaaten meint, die durch die Flagge symbolisiert wird. Wie eine Signatur steht das Datum „Dec 7“ links neben dem Sternenfragment unter der Flagge, während rechts „1776“ erscheint: Das Datum aus dem Jahr der Unabhängigkeitserklärung bezieht sich auf die Flucht George Washingtons vor den Briten im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, als er sich mit seinen verbleibenden Truppen anschickte, vom New Jersey Shore den Delaware River zu überqueren. Die dramatischen Ereignisse von Dezember 1776 sind der Stoff zahlreicher amerikanischer Historiengemälde, so dass Close mit der zerrissenen Flagge bewusst auf die bekannte Narration Bezug nimmt. Die Arbeit, die aus Closes Zeit an der University of Washington stammt, sollte auf der Western Washington Fair in Puyallup ausgestellt werden, wurde jedoch aus Angst vor Kontroversen wegen der zerrissenen US-Flagge und der Ähnlichkeit der Collage mit einem Atompilz vom Veranstalter wieder entfernt.104 In der Anspielung auf den Atompilz spiegelt sich in Closes Arbeit der Geist der Zeit wider, wobei mit der zerrissenen Flagge die historische Schlacht von einer aktuellen politischen Kritik überschrieben wird. Trotz der provokanten Symbolik und destruktiven Geste lässt das Flaggenmotiv auf den ersten Blick an die Flag-Bilder von Jasper Johns denken, so wie die Kombination aus abstrakter Malerei und disparaten Materialien an Robert Rauschenbergs Combine Paintings erinnert. Close äußert sich klar zu Johns’ Einfluss auf sein Frühwerk: „If you go back to ‚proto-Pop‘, Johns probably had the most influence on me.“105 In dieser Arbeit setzt er das Motiv der US-Flagge wie Johns in Flag von 1954-55 (Abb. 13) als Bildfläche auf einen ebenfalls rechteckigen Bildträger aus Leinwand bzw. Holz. Die feinen Streifen und scharfkantigen Sterne des halbtransparent bedruckten Stoffes nehmen in Kombination mit den freien Übermalungen und Schriftzügen den ästhetischen Kontrast von Johns auf, der die schwere freihändige Enkaustikmalerei, bedruckte Zeitungscollage und grafische Flaggenform mit ihren per Schablone aufgetragenen Sternen gegeneinander setzt. Noch mehr lässt Rauschenberg die Materialien zusammenprallen, wie Bed aus demselben Jahr 1955 zeigt – hier definiert er das reale Material aus Bettzeug, 104 Vgl. Fair Removes Controversial Flag Painting, in: Seattle Sunday Times, 16.09.1962, S. 19, zit. nach Evangelista, Carina (Hg.): Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967–Present, New York (Artifex Press), 2012–fortlaufend, https://artifexpress.com/catalogues/ chuck-close/artist#530cd142a0d5e6ade9001ff3. Close bestätigt den impliziten Protest gegen die Atombombe in Daftari, Fereshteh: Chronology, zit. nach Storr/Varnedoe 1998, S. 203; vgl. Friedman 2005, S. 28. 105 Close zit. nach ebd., S. 38. Kritisch zu Johns’ Rolle als ‚Vater der Pop Art‘ und Verbindungsglied zwischen Pop und Abstraktem Expressionismus äußert sich Varnedoe in ders. 1997, S. 91-97; vgl. Johns in Swenson, Gene R.: What is Pop Art? Answers from 8 Painters (Teil 2), in: Art News, Nr. 62/Nr. 10, Feb. 1964, S. 40-43, 62-67, hier S. 66.

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Quilt-Decke und Holzpaneel zur Bildfläche um, indem er es einfach als Tableau aufstellt und mit dem Kunstmaterial der Ölfarbe ‚überschreibt‘. Closes unkontrollierte Malerei ist dem Abstrakten Expressionismus bzw. dessen Nachhall in Rauschenbergs Gesten näher als den bemessenen Strichen von Johns, doch sein Umgang mit mehrdeutigen, subversiven Inhalten in Verbindung mit alltäglichen Materialien und Zeichensystemen aus Bild und Sprache trägt dem Einfluss beider Künstler Rechnung.106 Während Closes wohl einziges Flaggenbild eine ikonisch offensichtliche Parallele zu Johns’ Flag aufweist, liegen die eigentlichen Berührungspunkte mit Johns in seinem Umgang mit fotografischen Vorlagen für eine figürliche Malerei. Noch vor Stella trieb Johns in den 1950er Jahren eine „erfrischende Entmystifizierung“ des Künstlers und seines Arbeitsprozesses voran, die sich auf das Kunstverständnis von Closes Generation von Stella bis Richard Serra und Robert Morris auswirkte.107 Die Malerei nach vorsätzlichem Plan, die dem kreativen Prozess eine intellektuelle Distanz hinzufügt und das Werk in die konzeptuelle Vorarbeit verlängert, lässt sich als Grundlage für Stellas systemische Abstraktion begreifen. Schon hier verlagert sich der Fokus von der subjektiven Formschöpfung auf die ostentative Objektivität von Bildgegenstand und Werkkörper sowie seiner konkreten Darstellungsmittel. Johns begreift das Bild wie ein abstrakter Maler als materielle Oberfläche, in welche er jedoch visuelle Gegenstände integrieren kann, da er zwischen ihrer Wahrnehmung und der von Bildern er keinen Unterschied macht.108 Flache, bildhafte Motive wie Flaggen, Landkarten oder Zielscheiben lassen sich demnach ohne illusionistische Transformation in die zweidimensionale Malerei übernehmen, wo sie als ontologisches ‚Vexierbild‘ zwischen dem realen Ding und seiner Repräsentation einen Doppelstatus erhalten. Hinter dem Spiel aus materieller Realität und medialem Zeichen steht Duchamps Readymade-Idee, die der Strategie der Aneignung und Reproduktion in der Pop Art und ihrer damit verbundenen thematischen wie medialen Diversität zugrunde liegt. 109 Der Wiedererkennungseffekt im angeeigneten Bild-Objekt, des-sen Status uneindeutig bleibt, erzeugt in Johns’ Werken eine Mischung aus unmittelbarer Assoziation und befremdlicher Distanzierung. Es entspricht zugleich dem Zwiespalt aus objektiver Indifferenz und körperlich-sinnlicher Materialität, die sich teils in Bildgegenständen wie in Target with Four Faces (Abb. 10) und teils im gestischen Duktus zeigt. Die Spannung zwischen „unvereinbaren Bestimmungen“ von Reproduzierbarkeit und Einzigartigkeit, zwischen Readymade-Methode und malerischer Faktur stellt eine Hauptkonstante in Johns’ Malerei dar.110 Closes Readymade-Strategie geht von der Fotografie aus. Deren Bild ist ein zweidimensionaler Gegenstand, der sich in eine malerische Fläche überführen lässt, was 106 Close belegte im Studium Kurse bei Rauschenberg und kannte dessen Werk, vgl. Finch 20102. 107 Vgl. Varnedoe 1997, S. 94, 98. 108 „Using this design [US-Flagge] took care of a great deal for me because I didn’t have to design it. [...] That gave me room to work on other levels. For instance, I’ve always thought of a painting as a surface [...]. A picture ought to be looked at the same way you look at a radiator.“ Johns (1959) zit. nach Varnedoe, Kirk (Hg.): Jasper Johns. Writings, Sketchbook Notes, Interviews, New York 1996, S. 82. 109 Zu Johns’ Beitrag zur Rezeption Marcel Duchamps in den USA, vgl. Varnedoe 1997, S. 95. 110 Vgl. Stemmrich 1997, S. 7-8.

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Close mit solcher Präzision tut, dass das visuell ‚fotografische‘ Bild einen Doppelstatus zwischen Fotografie und Malerei erhält. Ähnlich wie bei Johns bedeutet der ikonische Fremdverweis, der die Malerei an einen äußeren Gegenstand bindet, im Umkehrschluss einen ostentativen Verweis auf die Mittel der Malerei. Hier wird der Kontrast zwischen Motivwahl und Motivverarbeitung deutlich, da das kleine glatte Fotoporträt, dessen visuelles Gefüge Close als ‚Readymade‘ übernimmt, im diametralen Gegensatz zur minutiös hergestellten detailreichen Bildstruktur steht. Mit Johns verbindet Close daher auch der Gegensatz zwischen einem ikonisch benennbaren Motiv und ihrer differenzierten Ausführung sowie stofflichen Komplexität. So wie Johns legt Close viel Wert auf malerische Faktur, Details und Binnenstruktur, wobei der handwerkliche Aspekt eine Verlangsamung und Betonung des sukzessiven Arbeitsprozesses bewirkt. Die in blinder, mechanischer Nahsicht hergestellten Bildflächen bieten erst in der Gesamtschau ein Phänomen-Erlebnis, da der Künstler während der Arbeit mehr die konzeptuelle Vorgabe als die ästhetische Gesamterscheinung im Blick hat.111 Closes Sorgfalt und Materialfreude hebt den Unikatstatus seines Werks hervor, das nicht wie bei Johns durch die Schwere von Faktur und Materialität, sondern umgekehrt durch den virtuellen Schein der substanzlos dünnen Acrylschicht sein ‚Gemacht-Sein‘ betont und dem verwunderten Auge seine mediale Qualität präsentiert. Der Unikatstatus der Malerei wird geradezu zur Prämisse ihrer Wahrnehmung: Denn während sie in Reproduktionen einer Fotografie täuschend ähnlich sieht, enthüllt sie ihre wahre Beschaffenheit erst im Original und widerlegt das reproduzierbare Motiv nicht nur durch ihre elaborierte Bildstruktur, sondern auch durch ihr monumentales Format, dessen physisches Gewicht jede Fotografie übertrifft. Allerdings thematisiert Close den Bildkörper auf andere Weise als Johns, für den der reale Objektstatus des Gemäldes (als Problem der „Rückseite des Bildes“) ein Leitmotiv darstellt, an dem sich seine Kunst abarbeitet.112 Johns’ inhaltliche Konzentration auf simple Motive, die er wiederholt und variiert, entspricht der Lakonik seiner Komposition. Die zentral eingepassten Motive auf weitgehend neutralem Grund treten dem Blick mit einer stummen, frontalen Präsenz entgegen. Vergleichbar wird der Kopf im Frontalporträt, auf welches sich Close beschränkt, mittig mit minimalen Variationen eingefügt, so dass die Figuren in uniformer Anordnung erscheinen, wie seine früheste Porträtserie zeigt (Abb. 60-66). Friedman erkennt in Closes „archetypischem Kopf“ eine figürliche Variation von Johns’ Zielscheiben.113 Während sie wie die Flagge als kulturelle Zeichen bereits eine Bildsyntax vorgeben, findet Close die Fotovorlage nicht fertig vor, sondern kreiert sie als eigene Originalaufnahme. Eine Flagge oder Zielscheibe gibt nur eine formale Konstellation vor, die sich variabel umsetzen lässt – Closes Readymade-Motiv besteht hingegen aus einer spezifischen Fotografie, die er als ausgewählte Bildvorlage aus einer Fotosession gewinnt und zur Maquette gestaltet. Die fotografische Porträtform, die an späterer Stelle ausführlich betrachtet werden soll, übernimmt allerdings eine bestehende Formel, nämlich die des Passbildes oder Polizeifotos (engl. mug shot), womit sich Close eines kodierten Bildschemas bedient, das per definitionem nur ein Minimum an freier Gestaltung und Zufall erlaubt. 111 Vgl. Varnedoe 1997, S. 99. 112 Vgl. Stemmrich 1997, S. 8. 113 Vgl. ebd.

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Die Form des Frontalporträts vor neutralem Grund ist funktionalen und kulturellen Regeln unterworfen und in diesem Punkt mit den proportionalen Bestimmungen des Target-Motivs vergleichbar. Wenn Johns über Readymade-Motive den Kreativitätsbegriff von der Formfindung zur Sinnproduktion umdeutet, dann bezieht Close mit dem fotografischen Zitat auch eine bereits vorhandene Sinnebene ein – das Pass- und Polizeifoto als ‚kulturelles Readymade‘ – und verwendet das Foto im weiteren Bildprozess als ‚mediales Readymade‘ für die Malerei. Indem er sich nur an das fotografische Bild hält und darüber inhaltliche wie stilistische Fragen ausblendet, eröffnet sich für Close ein anderer visueller Zugang zum Gegenstand: „[...] the figure can be used as a new source of information.“114 Da die kompositorische Gestaltung (wie die Auswahl des Motivs) mit der Aufnahme des Fotos abgeschlossen ist, kann sich der Maler ganz auf die Beschaffenheit des Bildes konzentrieren. Er übersetzt sie malerisch, ohne die Bilderscheinung als solche infrage zu stellen – sie soll nur als visuelle Information gelten. Die Differenzen zwischen Johns und Close sind so offensichtlich, dass sie nicht weiter ausgeführt werden müssen. Ihr Bildkonzept unterscheidet sich grundlegend darin, wie Form und Inhalt zusammenwirken, da Johns ein komplexes visuelles Vokabular verwendet, dessen Fülle an Implikationen, Wortspielen und formalen Interaktionen eine ständige Dynamik zwischen Sehen und Lesen herstellt. Er strebt nicht nach konzeptueller Simplizität, sondern setzt die Dinge als komplex voraus, wenn er disparate Zeichen und Materialien subtil miteinander verknüpft.115 In der Arbeitsweise unterscheidet sich Closes kontinuierlich-monotone Routine wesentlich von Johns’ abwägender Kombination, obgleich die formale Redundanz und Variation in Johns’ Bildserien die systematischen Strategien von Close und der Minimal Art vorwegnehmen.116 Close verzichtet jedoch auf inhaltliche Kombinatorik. Statt nach dem Sinn der Dinge und dessen Entstehung zu fragen, zieht sein Konzept vielmehr den Sinn des Porträts in Zweifel. Während der Umsetzung des ‚Readymade-Fotos‘ gilt der konventionelle Porträtbegriff für Close scheinbar nicht, da ihn die visuelle Information stärker interessiert als der visuelle Diskurs, der z. B. durch das Passbild-Zitat in seiner Fotovorlage angestoßen wird. Operation und Prozess bei Sol LeWitt Auf die Nähe von Close zur Minimal Art und dem konzeptuellen Werk von Sol LeWitt (1928-2007) ist häufig hingewiesen worden.117 Gregor Stemmrich zufolge zeichnet sich die Minimal Art gegen den von Greenberg vertretenen Werk- und Essenzbegriff durch eine „Gleichsetzung von reproduzierbarem Artefakt und autonomem 114 Close zit. nach Nemser 1970, S. 236. 115 „[...] changing focus of the eye, of the mind“, vgl. Johns, Jasper: Artist’s Statement, in: Miller, Dorothy C. (Hg.): Sixteen Americans, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1959, New York 1959, S. 22, zit. nach Varnedoe 1996, S. 19-20. „Everything looks very busy to me.“ Johns zit. nach ebd. 116 Vgl. Varnedoe 1997, S. 95, 99. 117 Vgl. Levin 1979, o. S.; Brehm 1994, S. 78; Storr 1987, S. 16; ders. 1994, S. 48; ders. 1998, S. 31-32, 36-37; Friedman 2005, S. 39, 77.

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Kunstwerk“ aus, in der die Selbstreferenzialität der Form auf neue Weise gesteigert wird.118 Der reduktive Ansatz von Reinhardt und Stella, deren Hinterfragung von Kunst- und Künstlerstatus sich auf Duchamps strategische Entleerung des Werks bis auf dessen Eigenschaft als ‚Kunst‘ zurückführen lässt, wird in der Minimal Art medienübergreifend weiterentwickelt. Ihre Vertreter wie Donald Judd (1928-1994) und Robert Morris (geb. 1931) streben eine Bestimmung des Kunstobjekts als einer formal und materiell definierten Entität jenseits klassischer Gattungsgrenzen an, die losgelöst von äußerer Referenzialität und inneren Hierarchien als strukturgebendes Element im Raumkontext installiert werden soll. Dabei wird die spezifische Objektkonstellation und Raumsituation zum integrativen Bestandteil der meist modular aufgebauten Werke, wie an der spiegelnden Arbeit Untitled (Mirrored Cubes) von Morris erkennbar wird.119 Mit ihren geometrischen Elementarformen und raumgreifenden Formaten sowie ihrer meist seriellen Ordnung und Monochromie entfalten die Werke der Minimal-Künstler in der konzentrierten Ausstellungssituation eine enorme physische Wirkung, wofür vor allem Morris’ Objektinstallationen bekannt sind, wie die Ansicht seiner Ausstellung in der New Yorker Green Gallery 1964 zeigt (Abb. 16). Unter der Spannung des isolierten Kunstobjekts und ihrer implizit reproduzierbaren Formen wird Michael Fried zufolge die Betrachtungssituation zu einer differenzierten singulären Erfahrung, deren Effekt er mit dem kritischen Begriff des „Theatralischen“ beschreibt.120 Bei Sol LeWitt wird der Zusammenhang von Idee und Form in ein systematisches Konzept überführt, das die Formgenerierung und Entmaterialisierung gleichermaßen vorantreibt. Er verzichtet bei seiner Umdeutung des Werkbegriffs nicht nur auf die handwerkliche Herstellung, sondern marginalisiert auch das materielle Werk selbst, das als konkretes, physisch präsentes Objekt noch eine zentrale Rolle in der Minimal Art gespielt hat. Arbeiten wie Serial Project No. 1 (ABCD) von 1966 (Abb. 17) oder die Drawing Series von 1969-70 (Abb. 18) führen vor, wie LeWitt die dominanten Minimal-Begriffe der Präsenz und Faktizität in ein ‚quasi-narratives‘ Formgebungsprinzip verwandelt, das als inhaltliche Dimension eines zusammenhängenden Werksystems auftritt.121 118 Vgl. Stemmrich 1995, S. 11-13; siehe hierzu Colpitt, Frances: Minimal Art. The Critical Perspective, Seattle u. a. 1990. Nach ABC Art (Barbara Rose) und Literalist Art (Michael Fried) etablierte sich die von Richard Wollheim geprägte Bezeichnung Minimal Art. Sie wurde in den späten 1960er Jahren als Sammelbegriff für einen ‚Look‘ verwendet, der industrielle Materialien, Serialität und Elementarformen vereinte, während Minimalismus für eine kulturelle Strömung steht, die u. a. Musik und Tanz einschließt, vgl. Stemmrich 1995, S. 14-15. 119 Vgl. Judd 1965; Morris, Robert: Notes on Sculpture, in: Artforum, Bd. 4/Nr. 6, Feb. 1966, S. 42-44 (Teil 1); Bd. 5/Nr. 2, Okt. 1966, S. 20-23 (Teil 2); Bd. 5/Nr. 10, Juni 1967, S. 24-29 (Teil 3). 120 Vgl. Fried 1967, S. 130, 145. Zum Begriff der Indifferenz und Differenzierung mit Blick auf das reproduzierbare und singuläre Kunstwerk vgl. Wollheim 1965, S. 387-399. 121 Vgl. Bippus, Elke: Sol LeWitt. Serial Project No. 1 (ABCD), Ausst.-Kat., Siegen, Museum für Gegenwartskunst 2005, Siegen 2005. LeWitt trennt Konzept vom Handwerk („It is usually free from the dependence of the artist as a craftsman.“) und sieht in der Systematik „a narrative kind of conceptualism“, vgl. LeWitt, Sol: Paragraphs on Conceptual Art, in: Art-

1.1 Close im Kontext | 51

In Serial Project No. 1 (ABCD) steigen aus vier gerasterten Grundflächen, von denen je zwei einander symmetrisch zugeordnet sind, Fragmente und Konfigurationen von Würfelformen empor, die sich teils fortsetzen, teils in komplementären oder kongruenten Beziehungen ineinander verschachtelt sind. Das komplexe Ensemble setzt sich aus unterschiedlichen formalen Variationen der Würfelgestalt zusammen, die von zwei- bis dreidimensional, positiv bis negativ, offen bis geschlossen reichen. Ihr modulares Grundelement lässt sich an der Größe des Rastergitters selbst bemessen und ist dort wie in einem Bauplan angelegt. Zwischen den ausgebildeten Gitterstrukturen und dem gerasterten ‚Bildgrund‘, auf dem sich das Formenspiel wie auf einer geometrischen Bühne entfaltet, wird die Spannung aus aktualisierten Objekten und einer potenziellen Virtualität spürbar, die in der generativen Logik des Werks selbst angelegt ist – so veranschaulicht es einen vorgängigen Formulierungsprozess. Simpler ist die Logik in den Drawing Series I-IV, wo identische quadratische Felder in vier zweiteiligen Sets (I-IV) zu je vier Vierergruppen (32 Quadrate) eingeteilt und mit variierenden Schraffuren gefüllt werden, die durch Nummern in darunterliegenden Diagrammen gekennzeichnet sind. Die zugeordneten Zahlen fungieren wie Arbeitsgebote, nach denen sich das Werk präzise ausführen lässt, während sie zugleich das zugrundeliegende Prinzip der ästhetisch differenzierten Schraffurmuster erläutern. Die Dominanz des Konzepts über das materielle Ergebnis betont LeWitt in seinem programmatischen Text Paragraphs on Conceptual Art von 1967: „The idea or concept is the most important aspect of the work. [...] all of the planning and decisions are made beforehand and the execution is a perfunctory affair. The idea becomes a machine that makes the art.“122 Die Planung entlastet und entmachtet zugleich das ausführende Subjekt und soll jede Art von ästhetischer Willkür und Launenhaftigkeit aus dem Arbeitsprozess ausschließen. Was nicht ausgeschlossen wird, ist die Eigendynamik der Idee, die für LeWitt das Kunstwerk konstituiert und deren Realisierung eine Fülle von Gestalten annehmen kann – dazu gehören erste Gekritzel, Skizzen, Zeichnungen, misslungene Arbeiten und sogar immaterielle Dinge wie Gespräche und Gedanken. Demnach könnte der Entwicklungsprozess eines Werks ‚interessanter‘ sein als das Endergebnis.123 Dies erklärt die Menge seiner Entwurfszeichnungen, die von sorgfältigen Berechnungen und Textpassagen begleitet werden und sich als eigenständige Werke behaupten können. Aus LeWitts konzeptueller Systematik, bei der häufig alle Variationen aleatorisch durchgespielt werden, leitet sich eine selbstlaufende Bildproduktion durch verschiedene Medien und Dimensionen ab, deren ästhetische Abundanz im Kontrast zur Rationalität ihres knappen wie trockenen Konzepts steht: Ob in den unüberschaubaren Schraffurmustern der monumentalen Wandarbeit Wall Drawing #47 (Abb. 19) oder in der Masse der Variations of Incomplete Open Cubes (Abb. 20), wo von der tabellarischen Übersicht über die zweidimensionale Darstellung bis hin zu den räumlichen Objekten drei korrespondierende Stadien der Umsetzung vorgeführt werden – in ihrer forum, Bd. 5/Nr. 10, Juni 1967, S. 79-83; ders.: Serial Project No. 1 (ABCD) (1966), in: Stemmrich 1995, S. 181-184. 122 LeWitt 1967. 123 Vgl. Legg, Alicia (Hg.): Sol LeWitt, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1978, New York 1978, S. 166.

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Gesamtheit erzeugen die Arbeiten oft ein visuelles und materielles Chaos, das die intellektuelle Klarheit der Idee torpediert.124 Die latente Monstrosität der unerbittlichen Umsetzung nach Plan, woraus eine potenziell überwältigende empirische Form hervorgehen kann, verdeutlicht den Zwiespalt in LeWitts Kunst, die anfangs häufig unter mathematisch-transzendenten oder ästhetischen Aspekten gedeutet wurde.125 LeWitts postulierte Gleichgültigkeit gegenüber dem sichtbaren Ergebnis beruht auf dem operativen Prinzip seiner seriellen Arbeiten: Ihr System ist, wie Bippus beschreibt, „niemals gänzlich manifest“, da der konzeptuelle Entwurf als bildgenerierende Formel lediglich den Mechanismus der Werkschöpfung festschreibt, während die materiellen Resultate immer nur „ein erstarrtes Momentbild eines Prozesses“ wiedergeben.126 Das im philosophischen Sinne objektivierte Werk birgt zugleich das ideelle Werk: In jeder sinnlichen Form liegt die Anspielung auf eine intellektuelle Form, etwas Potenzielles, Nicht-Sichtbares, Wiederholbares. Doch diese Dualität von Immateriellem und Materiellem belegt die eigentliche Unverzichtbarkeit der ‚Objektivation‘, die das Potenzial der zugrundeliegenden Idee durch ihre selbsterklärende Autopoiesis erst für den Betrachter erfahrbar macht, indem sie seinen Raum und seine Wahrnehmung buchstäblich einnimmt.127 Close spricht von einer engen „emotionalen“ Bindung an die Minimal Art, die ihn und seine Generation stark geprägt habe. In diesem Kontext zählt er Namen wie Donald Judd, Jo Baer und Sol LeWitt auf, wobei Close zeitgleich mit LeWitt Ende der 1960er Jahre an der New Yorker School of Visual Arts unterrichtet hat, neben Richard Serra, Joseph Kosuth und Malcolm Morley.128 Auf den ersten Blick lassen sich kaum Parallelen erkennen zum skulpturalen Interesse an Materialien und Oberflächen wie bei Morris oder Judd. Ebenso erscheint Close weit entfernt von der radikalen formalästhetischen Reduktion von Jo Baer, Agnes Martin (Abb. 21) oder Robert Ryman (Abb. 22). Zwar weist seine mensurale Rastergrundlage in der Bildfläche Ähnlichkeiten zu Martins subtilen Gitterstrukturen auf, während seine vielschichtige Leinwandgrundierung mit Gesso und Schmirgelpapier sich als abstrakt-monochromer Differenzierungsprozess mit Rymans Bildoberflächen vergleichen lässt, doch Closes eigentliche Verbindung zur Minimal Art und der konzeptuell-performativen Process Art liegt im methodischen Denken:

124 Der Untertitel zu Wall Drawing #47 lautet: „A wall divided vertically into fifteen equal parts, each with a different line direction, and all combinations“, und ist zugleich eine Zeichenanleitung. Mel Bochner spricht vom „perceptual breakdown of conceptual order into visual chaos“, was gerade durch die rigide Vorschrift entsteht. Vgl. ders.: Serial Art, Systems, Solipsism (1967), in: Battcock 1968, S. 92-192, hier S. 101. Zur Dualität der rationalmethodischen Ordnung und der Formwucherungen einer irrational-absurden Systematik vgl. Krauss, Rosalind E.: LeWitt in Progress (1977), in: Stemmrich 1995, S. 261-278. 125 Kuspit, Donald B.: Sol LeWitt. The Look of Thought, in: Art in America, Bd. 63/Nr. 5, Sept.-Okt. 1975, S. 42-49; Lippard, Lucy R.: Sol LeWitt. Non-Visual Structures, in: Artforum, Bd. 5/Nr. 8, April 1967, S. 44. 126 Vgl. Bippus 2005, S. 28. 127 Zur selbsterklärenden Systematik, die „wie ein Kommentar die Wahrnehmung der Objekte“ strukturiert, vgl. ebd., S. 17; Krauss 1977, S. 30-31. 128 Vgl. Finch 20101, S. 38; Friedman 2005, S. 39.

1.1 Close im Kontext | 53

„I came of age in the 1960s, when minimal, reductive and process issues were certainly in the air, like those wonderful Sol LeWitt wall drawings [...]. That is something I was always aware of, and it interested me a great deal. I really did believe that process would set you free. Instead of having to dream up a great idea [...] you are better off just getting to work. In the process of making things, ideas will come to you.“129 Aus praktischer Sicht unterscheidet sich seine elaborierte malerische Handwerklichkeit gravierend von den industriellen Materialien und Fertigungsweisen sowie der reduktiven Bildsprache der Minimal-Künstler – ihre geometrische Abstraktion müsste seiner mimetischen Figuration diametral gegenüberstehen. Erst ein Blick auf Closes konzeptbasierte Methodik enthüllt ihre Gemeinsamkeiten. Ansetzend bei der Künstlerrolle findet sich bei Close eine mit LeWitt vergleichbare Verschiebung von der verklärten Kreativität des Subjekts zur rationalen Methodik. So stellt Close wie im Fall der monochromen und farbigen Acrylbilder ganze Werkserien nach einer festgelegten Arbeitsanleitung her, indem er elementare Entscheidungen konsequent umsetzt. Dasselbe gilt für die unterschiedlichen Bildverfahren in den Papierarbeiten aus den 1970er Jahren. Die Regeln legen die Auswahl von Vorlage und Bildausschnitt fest, ebenso wie die Rasterung der Maquette, die Wahl von Werkzeugen und Technik, die Art des Farbauftrags (etwa durch Einzelschichten aus Magenta, Cyan und Gelb bei den farbigen Airbrush-Bildern) und die Form der elementaren Bildzeichen, etwa in den Papierarbeiten aus Punkten, Kästchen, Strichen oder Fingerabdrücken. Ästhetische Entscheidungen werden durch die Foto-Maquette vorweggenommen, da diese zum absoluten Maßstab der Bildgestaltung erhoben wird – prinzipiell sollte die Malerei allein anhand ihrer Ähnlichkeit zur Vorlage objektiv als richtig oder falsch beurteilt werden können und so das ästhetische Geschmacksurteil über ein gutes oder schlechtes Bild ersetzen.130 Wenn LeWitt das Konzept zur ‚kunstproduzierenden Maschine‘ erklärt, dann weist Closes Kunst einen vergleichbaren Fokus auf Mechanik, Serialität und indifferenter Präzision auf, wobei auch hier der Maschinenbegriff metaphorisch zu verstehen ist. Seine determinierte, redundante Handlungsweise, die der repetitiv gerasterten Bildstruktur entspricht, kreiert ein nicht-spontanes, nicht-künstlerisches und insofern ‚maschinelles‘ Modell des Künstler-Produzenten und Werk-Produkts, die durch das konzeptuelle Verfahren miteinander verbunden werden. Gegen die undurchschaubare Intuition des ‚genialen‘ Künstlers wird das Werk nicht mehr als

129 Close zit. nach Sultan 2014, S. 126. Über seine Nähe zu Martin und Ryman scherzt er: „[...] back when I used to spend weeks hand-sanding a gessoed canvas, I’d say to myself, ‚If I were Bob Ryman, I’d be done by now.‘ Then I’d draw a grid on it, and I’d say, ‚Well, if I were Agnes Martin, I’d be finished now.‘“ Close zit. nach Friedman 2005, S. 77. Das Interesse am Prozess, das Close mit LeWitt verbindet, teilt Phil Glass: „The process of making a work became its focus [...] the process allowed for the form and content to become one.“ Glass zit. nach Finch 20101, S. 40. 130 Vgl. Brehm 1994, S. 78.

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„evidence of the artist’s journey“ verstanden, sondern als das rational ableitbare Ergebnis einer Operation.131 Durch sein selbstgesetztes Regelwerk werden sowohl die praktischen Prinzipien als auch ihre bildnerischen Funktionen in Closes Arbeitsprozess expliziert. Indem er sich möglichst streng an die strukturelle und technische Definition des Bildes hält, ersetzt er wie LeWitt die schöpferische Tätigkeit durch eine operative Handlung nach Anleitung – diese konzeptuelle Umwertung findet unabhängig von der Frage statt, ob das Bild industriell oder von Assistenten angefertigt wird, wie es für LeWitt gilt: „Form is the product of formulas, not inspiration. The function of the artists is the realization or object-ification of a working hypothesis.“132 Als ausführende Instanz befolgt der Künstler nur technische Handlungsregeln, womit er Kreativität entmystifizierend zur bloßen Produktion macht, die ebenso ohne ihn ablaufen könnte. Close besteht trotz der übertragbaren Arbeitsregeln auf der eigenhändigen Ausführung und setzt paradoxerweise nur die eigene – obgleich ‚entpersönlichte‘ – Hand ein, von der Herstellung der Fotovorlage, der Verarbeitung der Maquette bis hin zu ihrer malerischen und zeichnerischen Umsetzung. Das Banale, Stupide und Sinnentleerte als movens eines Werks oder einer Existenzform, wie es in den Schriften Samuel Becketts anklingt, schwingt in Closes Methodik mit wie die absurde Ordnung seiner Handlungsvorschriften, die auf eine Erschöpfung sowohl der körperlichen als auch bildnerischen Möglichkeiten abzielt. Sie liegt im Kern von LeWitts Variationsstücken, die sämtliche materielle Manifestationen – wenn nicht aktual, so doch ideell – einbeziehen.133 Ähnliche Tendenzen finden sich übergreifend bei Künstlern wie Jasper Johns, Richard Serra und Bruce Nauman oder in der Musik von John Cage und Phil Glass. Das Prinzip der Erschöpfung meint nicht nur eine quantitative Vollständigkeit, sondern auch den Willen zum sturen ‚ZuEnde-Führen‘ einer Sache, eine Obsession mit dem Totalitätsgedanken und der Absurdität dieser Ambition, vorgetragen in einem distanzierten wie indifferenten Ton. Trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede lässt sich Close darin mit LeWitt vergleichen, dass seine Figuren durch ihre Zerlegung im Raster in modulare Flächenstücke zerfallen und dabei grundsätzlich nicht organisch-naturalistisch aufgefasst werden. Bei der Übertragung stellt sie Close abschnittweise gemäß der visuellen Syntax der Foto-Maquette her, während er aus akkumulierten malerischen und zeichnerischen Elementen die ‚Monoform‘ des Kopfes aufbaut.134 Dies wird besonders in den sichtbaren Rasterordnungen der 1970er Jahre wie in Robert/104.072 von 1973-74 deutlich (Abb. 23). Porträtschema und Raster geben den Rahmen vor, in den das Vokabular der Bildzeichen eingetragen wird, ob als einzeln gesprühte Airbrush-Punkte (Abb. 24), Aquarellflecken, Bleistiftschraffuren oder Fingerabdrücke. Wie die Werke der Minimal Art in ihrer modularen Vielheit als monolithische, selbstbezogene Formen bestehen und LeWitts vielfältige Arbeiten durch ihre selbsterklärende Systematik eine Einheit ergeben, so formen auch Closes Werke ein thematisch, komposito131 Vgl. Friedman 2005, S. 40, allerdings bezogen auf die späteren kristallin gerasterten Ölmalereien. 132 Storr 1987, S. 16; über die Bedeutung des Prozesses gegenüber der Inspiration vgl. Finch 20102. 133 Zur Parallele zwischen Beckett und LeWitt vgl. Krauss 1977. 134 Vgl. Brehm 1994, S. 62; Friedman 2005, S. 39.

1.1 Close im Kontext | 55

risch, materiell und strukturell zusammenhängendes Ganzes durch die systematische Verknüpfung seiner Werkserien, was sich im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung manifestiert. Im Verhältnis von Konzept und Werk liegt zugleich der wesentliche Unterschied zwischen Close und LeWitt. Während LeWitt ein System entwickelt, welches die Idee als Programm und Potenzialität in ein Spannungsverhältnis zum realisierten Werk setzt und auf dieser Spannung seine Existenz gründet, führt Close die Idee vollständig sichtbar aus, so dass das Werk nur durch seine materielle Realisierung existiert. LeWitts Dualität aus kognitiver und perzeptiver Form verlagert sich bei Close auf eine rein visuelle Ebene. Dem Werkbegriff folgt ein anderer Arbeitsbegriff: Wo Minimal Art und Concept Art den handwerklichen Arbeitsaufwand abwerten oder unsichtbar machen, definiert sich Close maßgeblich über diesen Aspekt (sogar die apparativ erzeugte Fotografie wird durch das eingezeichnete Raster von Hand angeeignet). Bezeichnenderweise ‚verschwindet‘ die Hand im fertigen Werk: Insbesondere in den fotomimetischen Airbrush-Arbeiten tritt die freihändige Strichführung erst in der feinen Mikrozeichnung der Bildoberfläche hervor (Abb. 71 a-d), wodurch diese aus der Ferne wie technisch hergestellte Fotografien, aus der Nähe aber wie abstrakte Malereien erscheinen. Hinter der mühelos anmutenden Ästhetik einer instantanen Fotografie zeigt sich die Arbeit der Hand somit als ‚doppelter Boden‘. Bei LeWitt findet sich eine wesentliche Diskrepanz zwischen dem Konzept und seiner durch Form, Material und Serialität bestimmten Erscheinung. Die Arbeiten nehmen den realen Raum ein und strukturieren ihn durch ihre körperliche Gestalt und Anwesenheit, so dass die Grenzen von Kunst- und Betrachterraum aufgelöst und neu geordnet werden.135 Während die Minimal Art den Betrachter mit einer faktischen Physis konfrontiert, so dass er ein körperliches Gegenüber vorfindet, spricht LeWitt den Betrachterraum und -körper indirekt durch die variablen Dimensionen und Skalierungen seiner Systeme an, deren Ordnungsstruktur sich auf ihn übertragen. Im dreidimensionalen Medium erscheinen die zwischen Modell und realem Objekt schwankenden Variations of Incomplete Open Cubes etwa plötzlich wie „blown up to life-size“ zum menschlichen Maßstab, wodurch sie überwältigend vertraut und aufdringlich wirken („almost too intimate – overwhelmingly familiar“).136 Eine ähnliche Spannung zwischen distanziertem Konzept und ästhetisch-materieller Wirkkraft zeigt sich in Closes Bildern. Wer unter dem Eindruck einer verkleinerten Reproduktion – die seinen fotomimetischen Ansatz per se veranschaulichen könnte – vor das Original tritt, erschrickt beim Anblick des gigantischen Bildkörpers mit seiner wimmelnden Mikrostruktur, während er den körperlichen wie psychologischen Druck einer Präsenz im vergrößerten Porträt spürt. Obwohl es sich um ein Gemälde ander Wand handelt, nimmt die projektive Reichweite des Bildes den Betrachterraum ein und überquert jenen Abstand, den Close mit dem rationalen Konzept zwischen Bild und Betrachter etabliert. So erweisen sich Rationalität und Ordnung bei beiden Künstlern als ambivalent, da der von ihnen aktivierte Prozess seine eigene materielle Realität produziert.

135 Vgl. Bippus 2005, S. 38. 136 Kuspit 1975, S. 43.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus

Closes Kontextualisierung in der Kunst der 1960er Jahre hat gezeigt, wie sein Ansatz sich aus so unterschiedlichen Strategien wie der mechanisierten Systematik bei Stella, der programmatischen Negation bei Reinhardt, der objektiven Motivik bei Johns und dem prozessualen Formalismus bei LeWitt speist, die zur konzeptuellen Grundlage seiner Malerei beigetragen haben, deren strukturelles Selbstverständnis auf Pollocks Allover-Begriff zurückverweist. Das Spektrum der Einflüsse, die hier nach ihrer Relevanz für Closes Ansatz ausgewählt sind und im weiteren Verlauf um andere Positionen ergänzt werden, spricht für Closes Offenheit und Einbindung in die lebendige New Yorker Kunstszene der 1960er Jahre. Als aufmerksamer Beobachter und aktiver Teilnehmer dieser Umbruchsphase spiegelt Close mit seiner Wende vom abstrakt-expressiven zum konzeptuellen Maler viele Facetten dieser Zeit in seinen Arbeiten wider. Von allen genannten Künstlern unterscheidet sich Close jedoch darin, dass er mit dem Porträt ein figürliches Motiv gewählt und dieses seit Big Self-Portrait in einer fast unveränderten Grundform beibehalten hat. Seine frontalen, am Rumpf angeschnittenen Bildnisse, die er nach fotografischer Vorlage mit einer Vielzahl von Techniken in Malerei, Zeichnung und Druckgrafik überführt, zitieren die funktionale Bildform des Pass- oder Polizeifotos, thematisieren aber vor allem die historische Gattung des Porträts. Gerade vor dem Hintergrund der vorherrschenden Abstraktion erscheint es bemerkenswert, dass Close sich so beharrlich mit dem gegenständlichen Thema auseinandersetzt. Angesicht seiner Abkehr vom subjektiven Malereibegriff und der abstrakt-expressiven Formensprache stellt sich die Frage, wie der Wunsch nach einem unpersönlichen, indifferenten, objektiven Ansatz mit der Wahl des Porträts zusammenhängt. Wie lässt sich Closes ablehnende Haltung gegen die Subjektivität in der Kunst mit dem Fokus auf das menschliche Bildsubjekt vereinen? Welches Verständnis vom Individualbildnis, was Closes Porträts de facto sind, zeigt sich in seiner konzeptuell determinierten Behandlung der traditionsreichen Gattung? Das Porträt ist nicht erst zu Closes Zeiten in eine Krise geraten, sondern hat in seiner klassischen Form, wie sie sich in der Neuzeit herausgebildet hatte, bereits in der Moderne des 19. Jahrhunderts wesentliche Transformationen durchlebt – dazu zählen seine über die Gattungsgrenzen hinausgehenden Bestimmungen als allgemeine moderne Bildform, als Ausdrucksfeld experimenteller Strategien und formaler Erfindungen sowie als Demonstrationsgegenstand für (provokante) avantgardistische

58 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

Begriffe von Bild, Subjekt und Realität.1 Die modernen Porträtansätze lassen sich bis in Closes Gegenwart meist im Spannungsverhältnis zu den Kernaspekten des klassischen Porträts – seine Repräsentationsfunktion und bildliche Eloquenz, die Ähnlichkeit und Präsenz des Individuums – verstehen, da bei aller formalen Autonomie und Abstraktion dennoch die Idee einer Subjektivität und Wahrheit des Ausdrucks oder einer Beseeltheit der Form bestehen bleibt, was von der rezeptionsästhetischen Besonderheit des Bildes als eines ‚Gegenübers‘ zeugt und im essenziellen Referenzcharakter der Gattung begründet ist. Dass Close die moderne Porträtgeschichte in ihren historischen Brüchen und zeitgenössischen Entwicklungen umfassend rezipiert hat, zeigt sich in der von ihm mit Kirk Varnedoe konzipierten Ausstellung Head-On / The Modern Portrait aus der Serie Artist’s Choice im Museum of Modern Art von 1991. Die wie in einem Archiv dicht an dicht präsentierte Auswahl aus der Museumssammlung umfasst unterschiedliche Zeiten und Medien und reicht von der klassischen Moderne mit Pablo Picasso und Alberto Giacometti über August Sander, Arnulf Rainer bis zu Alice Neel und Alex Katz (Abb. 25). Zwischen den Formen und Stilen entsteht ein narrativ verwobener Kontext, worin Paradigmenwechsel wie auch konstante Fragen des Porträtthemas deutlich werden. Im engen Nebeneinander des Kabinetts laden die friesähnlichen Bilderreihen zum assoziativen und analytischen Vergleich ein. Die vielfältige Ausstellung legt nahe, das Close im Bewusstsein dieser Tradition und unter Berufung auf die Genealogie des modernen Porträtbegriffs, also zwischen der Abspaltung von der klassischen Gattung und Fortführung ihrer spezifischen Problemstellung, sein eigenes Bildkonzept entwickelt hat.2 In den Porträts des 20. Jahrhunderts wird der ‚Kopf‘ in seiner Rolle als Abbild einer Person und als abstrakte Formenkonstellation diskutiert. Close, der seine Porträts nach eigener Aussage nur formal als ‚Köpfe‘ behandeln möchte, ist dabei nicht der einzige, der das damals unzeitgemäß erscheinende Sujet aufgreift, denn schon Andy Warhol (1928-1987) hat mit seinen sogenannten Pop-Ikonen in den frühen 1960er Jahren den Neueinstieg in die alte Gattung unternommen und diese über einen medial gefassten Porträtbegriff aktualisiert. Sein Ansatz soll im Vergleich mit Close als Folie dienen, um dessen Porträtkonzept über die Berührungspunkte und Unterschiede zu Warhol klarer zu bestimmen.

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Vgl. Boehm, Gottfried: Bildnis und Individuum, München 1985; zur Entwicklung in der Moderne vom 19. bis zum 20. Jahrhundert vgl. Wittmann, Barbara: Zacharie Astruc: Das Porträt als modernes Bildkonzept (1868), in: Preimesberger, Rudolf u. a. (Hg.), Porträt, Berlin 1999, S. 409-415; Mund, Henrike/Gaßner, Hubertus (Hg.): Übermalt. Verwischt. Ausgelöscht: Das Porträt im 20. Jahrhundert, Ausst.-Kat., Hamburger Kunsthalle 2011, Hamburg 2011; Boehm, Gottfried: Lebensspur. Zum Bildnis im Zeitalter der Moderne, in: Rochard, Patricia: Dem Porträt auf der Spur: Serienbild & Variation in Zeiten der Moderne, Ausst.-Kat., Ingelheim, Altes Rathaus der Stadt Ingelheim 2000, Mainz 2000, S. 10-23. Close begründet die salonartige Präsentation der vielen Exponate damit, dass er von allen Werken gelernt habe, nicht nur von denen, die ihm persönlich gefielen. Varnedoe vergleicht die Ausstellung mit einer „Bilddatenbank“ des Museums, vgl. Finch 20101, S. 197-198.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 59

1.2.1 DIE ABLEHNUNG DES TRADITIONELLEN PORTRÄTS Grundzüge der klassischen Gattung Closes Haltung zur Figuration wird in einem Interview mit Cindy Nemser von 1970 deutlich: Hier beteuert er, dass er das Bildsujet nicht aufgeben wolle, es aber ablehne, die Figur mit „abgegriffenen humanistischen Inhalten“ aufzuladen und nach diesem traditionellen Verständnis wieder einzuführen.3 Darin klingt die Distanzierung vom zeitgleichen Trend einer erzählerischen Figuration in den 1960er Jahren an, zu denen einige dem New Realism zugerechneten Malern wie Jack Beal (1931-2013) oder Alfred Leslie (geb. 1927) gehörten. In ihrem eher illustrativen Realismus mischten sich unter anderem zeitgenössische Szenen mit klassisch-allegorischen Inhalten, so dass diese Malerei trotz grafischer Pop-Art-Parallelen überwiegend konservativ geprägt war.4 Zudem wurde Figürlichkeit seit den 1950er Jahren im Kontext von Ausstellungen wie Family of Man (1955) und New Images of Man (1959) zumeist mit einem ideologisch unterlegten konservativen Humanismus assoziiert. Dadurch hatte Close als fotomimetischer Porträtmaler zunächst keinen leichten Stand: „Künstler, die nach Fotografien arbeiteten, hasste man. Bei Vorträgen bewarf man mich mit Bierdosen oder spuckte mich an. Mitschuld hatte die Ausstellung ‚New Images of Man‘ von 1959 im Museum of Modern Art. Es war der unausgereifte Versuch, die figurative Malerei zur Bewegung zu erklären. Die Ausstellung warf die figurative Kunst um 20 Jahre zurück. Die Folge war, dass wir als reaktionär galten. Dabei war Modernismus meine Religion. Doch der Abstrakte Expressionismus galt damals als die einzig wahre Kunstform.“5 Die mimetische Figurenmalerei, die als reaktionäres Gegenteil der modernen abstrakten Avantgarde galt und von der sich Close zu Beginn ausdrücklich abgrenzen wollte, verband sich mit einem akademischen Bildbegriff, dessen Fokus auf das Subjekt im Falle des Porträts bis zu den Anfängen des humanistischen Individualbildnisses in der Renaissance zurückreichte.6 Closes Ablehnung richtete sich gegen jene Porträtidee, die sich der Darstellung des menschlichen Subjekts in einer repräsentativen Rolle oder einer Form von individueller ‚Essenz‘ verschrieb. Die lange Geschichte des Porträts in der abendländischen Kunst, die über die griechisch-römische Antike bis ins alte Ägypten führt, seine zahlreichen medialen und formalen Wandlungen sowie typologischen und funktionalen Bestimmungen bis in

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„I don’t dislike the notion of figurative art, and I think it would be very wrong to conclude that the figure as a valid art form is no longer viable. However, I think it is useless to try and revive figurative art by pumping it full of outworn humanist notions.“ Close zit. nach Nemser 1970, S. 236. Siehe hierzu Goodyear 1981. Close zit. nach Bodin 2009, S. 54, 56. Dieser Porträtbegriff, der sich bereits bei Jacob Burckhardt findet, wird weiterentwickelt bei Boehm 1985; vgl. Spanke, Daniel: Porträt – Ikone – Kunst. Methodologische Studien zur Geschichte des Porträts in der Kunstliteratur, München 2004, S. 319-328, 403-427.

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die Moderne hinein machen es zu einer äußerst komplexen Gattung.7 Dies spiegelt sich sowohl im Streit um seine theoretische Definition als auch in den zahlreichen methodischen Herangehensweisen wider, die historisch oder anthropologisch, ikonografisch oder konzeptuell ausgerichtet sind.8 Dass mit dem Porträtbegriff die Frage nach dem Individuum einhergeht, zeigt sich unter anderem in der umstrittenen Interpretation antiker und mittelalterlicher Bildnisse als Darstellungen ‚individueller‘ Personen und belegt, dass die Gattung schon immer aufs Engste mit Menschenbildern bzw. dem philosophischen Begriff des menschlichen Subjekts verbunden war.9 Bereits in den Vorläufern des von Gottfried Boehm als autonomes Bildnis bestimmten neuzeitlichen Porträts finden sich verschiedene Individualitätsbegriffe, durch die das Verhältnis des Einzelnen zum größeren repräsentativen und formalen Zusammenhang verhandelt wird.10 Doch erst mit den Medaillen- und Profilbildnissen des Quattrocento und dem Einfluss des niederländischen Naturalismus bildete sich jene Porträtform heraus, die das Individuum per se zum alleinigen Bildinhalt erhob, womit ein über Jahrhunderte gültiges humanistisches Paradigma für die gesamte Gattung formuliert wurde.11 7

Siehe hierzu Buschor, Ernst: Das Porträt, München 1960; Friedländer, Max J.: Über die Malerei (1947), Kap. ‚Das Porträt‘, München 1963, S. 225-272; Bloch, Peter (Hg.): Bilder vom Menschen in der Kunst des Abendlandes, Ausst.-Kat., Berlin, Nationalgalerie 1980, Berlin 1980; Brilliant, Richard: Portraiture, London 1991; Beyer, Andreas: Portraits: A History, New York 2003. 8 Vgl. Spanke 2004, wo die Debatte um das Porträt im historischen und methodologischen Überblick bis zur Gegenwart nachgezeichnet wird. Dabei lassen sich nach Spanke zwei allgemeine Porträtbegriffe unterscheiden: der „ikonografische Ansatz“ (Porträt als Abbild einer bestimmten Person) und der „konzeptuelle Ansatz“ (Porträt als Darstellung persönlicher Individualität oder „eigentliches Porträt“), mit Verweis auf Boehm 1985, vgl. Spanke 2004, S. 31-33. Zum Begriff ‚Porträt‘ als Synonym für ‚Bildnis‘ und in Unterscheidung zu ‚Ikone‘ siehe ebd., S. 34-45, zu den lexikalischen Definitionen siehe ebd., S. 393-403. Vgl. die Quellentext-Auswahl zur Bestimmung des Porträts in Preimesberger/Baader/Suthor 1999. 9 Vgl. Brilliant 1991, S. 14; Boehm 1985, S. 15-24. Boehm formuliert über den Individualitätsbegriff der Renaissance eine Porträttheorie, die das Bildnis in seiner historischen Ausformung mit der Geschichte des Individuums zusammenführt – in diesem Rahmen fungiert das Porträt als analoger Spiegel der Selbstdarstellung und -reflexion. Zu abweichenden Porträtbegriffen (und frühen Bildnissen) siehe Giuliani, Luca: Bildnis und Botschaft. Hermeneutische Untersuchungen zur Bildniskunst der römischen Republik, Frankfurt/Main 1986; ders.: Individuum und Ideal, in: Bloch 1980, S. 41-52; Bloch, Peter: Bildnis im Mittelalter: Herrscherbild – Grabbild – Stifterbild, in: ebd., S. 105-141; Gurjewitsch, Aaron J.: Das Individuum im europäischen Mittelalter, München 1994. Siehe auch Köstler, Andreas: Das Porträt. Individuum und Image, in: Köstler, Andreas/Seidl, Ernst (Hg.): Bildnis und Image. Das Porträt zwischen Intention und Rezeption, Köln 1998, S. 9-14. 10 Vgl. Boehm 1985, S. 19-32. 11 Vgl. hierzu Belting, Hans/Kruse, Christiane: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994; Beyer 2003, S. 100. Boehm spricht vom menschlichen Individuum, das nur „aus sich selbst verstanden werden will“, indem es sich „ex se“ in seiner charakteristischen Eigenart präsentiert und sich dabei prinzipiell un-

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Das autonome Bildnis in seiner neuzeitlichen Ausprägung vereint in sich die wesentlichen Aspekte des für Close problematischen humanistischen Porträtbegriffs – dazu zählen der durch Referenzialität und Repräsentation bestimmte Bildstatus sowie die Forderung nach mimetischer Objektivität, die eine äußere und innere Ähnlichkeit erzielen soll. Während sich Close von der klassischen Definition distanzieren will, erhält gerade ihr mimetischer Fokus auf das Individuum eine zentrale Rolle in seiner Porträtstrategie. Das Interesse am Individuellen hat für das Porträt zur Folge, dass es als Bild stets eine Referenz zu einer außerbildlichen identifizierbaren Person in sich trägt.12 Kaum eine andere Gattung thematisiert die Repräsentation im Verhältnis von Original und Abbild (und damit die „allgemeine Natur des Bildes“) so intensiv: Als Bild par excellence vereint das Porträt in sich die Fragen der Mimesis, Ikonizität und Realität.13 Es macht jedoch seine hermeneutische Besonderheit aus, dass es theoretisch allein durch die Porträtabsicht konstituiert werden kann, nämlich wenn ein Bild als Porträt deklariert und damit eine primär ideelle Referenz hergestellt wird, selbst wenn keine Ähnlichkeit besteht.14 Dennoch liegt hinter jedem Bildnis einer realen Person immer ein spezifischer biografischer oder historischer Kontext, der sie trotz aller ‚Unähnlichkeit‘ ikonisch in der Realität verankert, was sich etwa in modernen Porträts zeigt. Für das klassische mimetische Porträt bringt die Definition als Individualbildnis ein Ähnlichkeitspostulat mit sich, das eine Analogie zur abgebildeten Person behauptet – dieses Bildkriterium ist für das Porträt, das im Englischen bezeichnenderweise likeness und im Lateinischen similitudo genannt wird, sowohl Garant für seine repräsentative Autorität als auch eine Fessel, die es an ein äußeres Original bindet.15 Daraus resultiert eine der Gattung eigentümliche Spannung zwischen ihrer ikonografischen Deutbarkeit (die Aussage über den Porträtierten) und ihrer künstlerischen Darstellungsweise (das Porträt als Bildform).16 Als Auftragswerk kommt dem klassischen Porträt noch die besondere Problematik eines potenziellen Interessenskonflikts zwischen Künstler und Modell zu, da das Bild nicht nur Ähnlichkeit erfordert, sondern praktisch auch der Billigung des Darge-

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abhängig von kontextueller Fremdbestimmung selbst vertritt, vgl. ders. 1985, S. 21-22, 97; vgl. kritisch hierzu Spanke 2004, S. 407-413; Köstler 1998, S. 11-13. Vgl. Beyer 2003, S. 23-24. Vgl. Brilliant 1991, S. 7, 17-18; Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960), 5. erw. Aufl., Tübingen 1986, S. 150; Preimesberger, Rudolf: Einleitung, in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 13-64, hier S. 17. Bei Gadamer wird dieser denotative Grundzug als Okkasionalität („das Gelegenheitliche“) beschrieben, wobei der ontologische Porträtstatus unabhängig von seiner Form („dem eigenen Bildgehalt des Bildes“) und der Frage gilt, ob der Dargestellte vom Betrachter erkannt wird: „Ein Porträt ist ein Porträt und wird es nicht erst durch die und für die, die in ihm den Porträtierten erkennen.“ Der Bezug auf ein bestimmtes Individuum gilt als ontologische Prämisse und nicht als Bildaussage, vgl. ders. 1986, S. 149-151; vgl. hierzu Suthor, Nicola: Hans-Georg Gadamer: Die Okkasionalität des Porträts (1960), in: Preimesberger/ Baader/Suthor 1999, S. 431-439, hier S. 432-433; vgl. auch Brilliant 1991, S. 8; Boehm 1985, S. 24. Vgl. ebd. S. 25; zur Problematik der Ähnlichkeit vgl. Preimesberger 1999, S. 17-21. Vgl. Brilliant 1991, S. 30-31.

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stellten bzw. des Auftraggebers bedarf.17 Der Grundkonflikt zwischen der repräsentativen Aufgabe, die vom Auftraggeber und Modell mitgestaltet wird, und der Umsetzung des Künstlers, der sich durch sein eigenes Werk auf andere Weise darstellt, markiert ein „Aufeinandertreffen zweier Subjektivitäten“, die mit unterschiedlichen Zielen vor Augen in einem verwobenen Machtverhältnis zueinander stehen.18 In seiner mimetischen Bestimmung wird zudem das Porträt dem Laienurteil ausgesetzt: Die Bewertung der Ähnlichkeit steht jedem Auge offen, das zwischen Original und Abbild vergleichen kann, während das Urteil des Auftraggebers wiederum von dessen Geschmack und Selbstbild abhängt. So wie sich das Porträt als Kunstwerk gegen Fremdeinflüsse aufgrund seiner Repräsentationsfunktion behaupten muss, wird auch der Porträtist traditionell in einer zwiespältigen Rolle zwischen Künstler und Handwerker gesehen.19 Diese Umstände tragen neben dem Vorwurf der sklavischen Mimesis dazu bei, dass dem Porträt der Ruf einer ‚defizitären‘ Kunstform anhängt, wodurch es in der klassischen Gattungshierarchie einen relativ niedrigen Status – etwa im Vergleich zum Historienbild – einnimmt.20 Nichtsdestotrotz gilt das Porträt rezeptionsästhetisch als besonders wirkmächtig, da in seiner bildlich kodierten Repräsentation und psychologischen Ansprache eine verstärkte Mitteilsamkeit liegt. Als ‚kommunikative‘ Bildform ist es für den fremden Blick eines Publikums gemacht und nimmt im Sich-Zeigen der Person die Zeitform des Präsens an, wobei diese Vergegenwärtigung sowohl als lebendige Präsenz wie auch Memoria-Funktion erscheinen kann.21 Die isolierte Darstellung der Person und ihr Blick aus dem Bild steigern die psychologische Wirkung zusätzlich, während eine Einbettung im biografischen Kontext (wie bei Altersporträts) die Reflexion über allgemeinmenschliche Aspekte wie Lebensphasen oder Sterblichkeit enthalten kann. 22 Sofern sich das Porträt in Boehms Sinne auf den Eigencharakter des Individuums beschränkt und auf nichts anderes als den Dargestellten verweist, stellt sich aus seiner unmittelbaren Präsenzwirkung ein „anschaulicher Dialog“ mit dem Betrachter ein –

17 Vgl. Friedländer 1963, S. 227. 18 Vgl. Van Alphen, Ernst: The Portrait’s Dispersal: Concepts of Representation and Subjectivity in Contemporary Portraiture, in: Woodall, Joanna (Hg.): Portraiture. Facing the Subject, Manchester 1997, S. 239-256, hier S. 239, mit Verweis auf Linda Nochlin. 19 Vgl. Preimesberger 1999, S. 19; Brilliant 1991, S. 11, 62, 89-90; Bock, Henning u. a.: Das Bildnis. Das autonome Porträt seit der Renaissance, in: Bloch 1980, S. 143-161, hier S. 146. 20 Vgl. Preimesberger 1999, S. 18. Die Porträtkritik lässt sich bis zur frühen Kunsttheorie in Karel van Manders Het schilderboek (1604) und Denis Diderot zurückverfolgen, der die ‚kunstlose Mechanik‘ des Porträtierens gegen die idealisierende Poesie der Historie setzte, ohne sie jedoch grundsätzlich abzuwerten, vgl. Beyer 2003, S. 198; Suthor, Nicola: Denis Diderot: Das Paradox des Porträtmalers (1767), in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 369-377. 21 Vgl. Brilliant 1991, S. 8, 17-19 (zu Gadamer); Preimesberger 1999, S. 19, 22-23; Boehm 1985, S. 18; Woodall 1997, S. 8; zur Präsenz in der Memoria-Kultur vgl. Belting 2001, S. 143-188. 22 Siehe hierzu Freedberg, David: The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago 1989; Neumeyer, Alfred: Der Blick aus dem Bilde, Berlin 1964; Boehm 1985, S. 11-12, 98-110.

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darin sieht Boehm ein hermeneutisches Problem, wo das Bildnis „bedeutsam und stumm“ bleibt, während sich das Individuum darin zugleich zeigt und verbirgt.23 Die Betonung des einzelnen bildbeherrschenden Akteurs in neuzeitlichen Porträts entspricht der soziokulturellen Bildfunktion, gemäß welcher der Porträtierte als selbstbewusster uomo singolare (oder noch ambitionierter, einer der uomini illustri oder uomini famosi, der „berühmten, vorbildlichen Männer“) gezeigt werden soll.24 So fließen Eigenlob und Ruhm, Machtanspruch und Genealogie in die Darstellung ein, wie sich auch überhaupt die historischen Bedingungen besonders markant im gestalteten Selbstbild von Zeitgenossen niederschlagen.25 Während Boehm das Individuum gerade in Differenz („Grenzkonflikt“) zu übergeordneten Strukturen deutet und seine solitäre Existenz im Bildnis unabhängig von sozialer Einbindung begreift, bleibt das Porträt doch mit dem biografischen Kontext und dem jeweiligen historischen Menschenbild verbunden, wenn diese nicht gar die Voraussetzung für die Entstehung des Bildnisses sind.26 So lässt sich neben der ikonografischen Kodierung der Darstellung aus den realen Entstehungsbedingungen indirekt auf den Aussagewert des Porträts schließen. Sei es in einer sozialen und politischen Rolle, der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv oder als Bekenntnis zu einer Gesinnung – die Identität der Person als Jemand wird über ihr essenzielles So-Sein oder die immanente Bildpräsenz hinaus auf vielen Ebenen konstruiert.27 Die Mitteilung erfolgt im klassischen Porträt nach Konventionen, die das Individuelle mit Formalismen und Schemata verknüpft. So soll aus der „formal stillness“ und Neutralität von Mimik und Gebärden eine Ausgewogenheit sprechen, die etwa die Grundlage für das von Boehm beschriebene decorum in Renaissanceporträts darstellt, was oft an Tugenden wie Seelengröße (magnanimitas) und sittlichen Ernst im ethischen Geiste der humanitas gebunden ist. So wird im Individualporträt, wenn nicht ein idealisierendes ‚Soll‘, so doch eine formal-rhetorische Angemessenheit der Darstellung gefordert.28 Im Unterschied dazu exponieren das physiognomische Charakter- oder Typenporträt sowie pathognomische Affektdarstellungen gerade die markante Abweichung in den Gesichtszügen, was bis zur Karikatur reichen kann. Die bereits seit der Antike bestehende physiognomische Tradition gab der Porträtkunst lange Zeit einen reichen 23 Diese Qualität beruht auf dem rhetorischen Begriff der perspicuitas, was ein Transparentwerden des Mediums zugunsten einer unmittelbaren ‚Evidenz‘ des dargestellten Inhalts meint, vgl. ebd., S. 13-14, 26, 135; Spanke 2004, S. 413-414. 24 Vgl. Boehm 1985, S. 18, 29-30, 76; Beyer 2003, S. 101. 25 Vgl. Friedländer 1963, S. 244-247; siehe hierzu: Campbell, Lorne: Renaissance Portraits. European Portrait-Painting in the 14th, 15th and 16th Centuries, New Haven 1990; Mann, Nicholas/Syson, Luke (Hg.): The Image of the Individual. Portraits in the Renaissance, London 1998. 26 Vgl. Boehm 1985, S. 90-92, zur „Rückverbundenheit“ mit der Welt, S. 26. 27 Brilliant teilt die Repräsentation in drei Aspekte auf: Wie (Aussehen), Was (Charakter) und Wer (soziale Rolle), vgl. ders. 1991, S. 15. Köstler definiert das ‚Image‘ als Erweiterung des Porträtbegriffs um den Kontext seiner Funktion, Rezeption und Wirkung, vgl. ders. 1998, S. 13-14. 28 Zur Verbindung von Ethik und Rhetorik vgl. Boehm 1985, S. 71-78; vgl. auch Brilliant 1991, S. 14, 37; Preimesberger 1999, S. 16. Zum rhetorischen decorum und dem aristotelischen normativen Begriff des „Soll“ in der Porträtdarstellung vgl. Spanke 2004, S. 80-83.

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konventionalisierten Zeichenfundus an die Hand. Ihre Schemata und Formeln, die sich unter pseudowissenschaftlichen Ansprüchen insbesondere im späten 18. und 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten, sollten eloquente und ‚eindeutige‘ Mittel zur Beschreibung und Beurteilung der Person bieten.29 Von der Bildlichkeit des Gesichts, seiner Doppelexistenz zwischen biologischer Naturform und kulturellem Artefakt und der Problematik seiner analytischen Lesbarkeit wird an späterer Stelle noch die Rede sein. Objektivität und die Frage der Ähnlichkeit Als Bild, das sich über die explizite Referenz auf eine Person definiert, muss das Porträt eine Analogie herstellen, die zumeist auf mimetischer Ähnlichkeit beruht.30 Die Vorstellung der Ähnlichkeit war allerdings schon immer historischen Wandlungen unterworfen und wird in Zusammenhang mit der Repräsentation auf bildtheoretischer, philosophischer, ethischer, psychologischer und wissenschaftlicher Ebene diskutiert. Ihre kontroversen Definitionen laufen auf die anthropologische Frage hinaus, was die Identität des Menschen ausmacht und folglich im Bildnis dargestellt werden soll oder kann.31 Als Mittel und Bedingung für die Erfüllung der Porträtaufgabe gilt Objektivität, weswegen dieser Begriff die Diskussion um das Porträt stets begleitet hat. Sie wird dem Porträtierenden als eine grundsätzliche Disziplin und Arbeitshaltung abverlangt und impliziert die Unterordnung des darstellenden Subjekts gegenüber dem darzustellenden Subjekt. Zugleich spielt eine Objektivierung des Porträtierten mit hinein, wenn dieser im Blick des Künstlers zum Beobachtungsgegenstand und im Porträt zum Bildgegenstand für den Betrachter wird. Im Streben nach Objektivität drückt sich mitunter der rhetorische Wunsch aus, die künstlerische Gestaltung und mediale Rolle des Bildes vergessen zu machen, um die illusionistische Präsenz des Dargestellten zu maximieren.32 Historisch hat die nordalpine Porträtkultur die extreme Naturtreue in der Malerei etabliert, was sich in den Werken von Jan van Eyck, Robert Campin, Hans Memling bis hin zu Albrecht Dürer und Hans Holbein verfolgen lässt, die das Porträt als „Schule der Objektivität“ geprägt haben.33 Besonders in der frühen Porträtmalerei aus Öl- und Temperafarbe erweist sich das Bildnis als Betätigungsfeld von Naturalisten, 29 Siehe hierzu Evans, Elizabeth Cornelia: Physiognomics in the Ancient World, Philadelphia 1969; Schmölders, Claudia: Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik, 2. Aufl., Berlin 1997; Borrmann, Norbert: Kunst und Physiognomik. Menschendeutung und Menschendarstellung im Abendland, Köln 1994; Cowling, Mary: The Artist as Anthropologist. The Representation of Type and Character in Victorian Art, Cambridge 1989. 30 Preimesberger betont die „einmalige Stellung der Mimesis des Porträts“, ders. 19991, S. 17. 31 Vgl. Brilliant, Richard: Portraits: The Limitations of Likeness, in: Art Journal, Bd. 46/Nr. 3, Herbst 1987, S. 171-172. Zum Begriff likeness spricht Brilliant das ontologische Problem der Ähnlichkeit an, deren wesentliche Bedingung (nach Aristoteles) in der Differenz liege, da beide Seiten sonst identisch wären. Das Porträt könne sich als simulacrum dem Original höchstens asymptotisch annähern, müsse aber letztlich eine ‚falsche‘ Kopie bleiben, worin sich der ontologische Mangel nach dem platonischen Bildbegriff zeige. 32 Zur Idee der perspicuitas vgl. Boehm 1985, S. 135. 33 Zu Naturalismus und Objektivität als Gattungsprinzipien vgl. Friedländer 1963, S. 228.

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die mit Maltechnik und Hilfsgeräten eine möglichst präzise, detailreiche Wiedergabe gemäß dem „Reichtum der gegebenen Sichtbarkeit“ anstrebten, was im Individualporträt den Fokus auf die körperlichen Besonderheiten des Einzelnen lenkt.34 Die Objektivierung vollzieht sich nicht nur in der Mimesis, sondern auch über konkrete Kompositionen: Bereits am Profilbildnis des Quattrocento wird die Passivität der Person im Zustand des „Angeblicktwerdens“ hervorgehoben, wo der Künstler als Zeichner durch sein disegno den „Grundriss“ des individuellen Modells kartografisch umreißt.35 Bis hin zu den analytischen Profilsilhouetten von Johann Caspar Lavater und den kriminalistischen Porträtaufnahmen des 19. Jahrhunderts wird der schematisch-deskriptive Charakter der Seitenansicht im Zeichen objektiver Distanz betont.36 Die objektivierende Profilform unterscheidet sich jedoch von der Idee der objektiven, vollständigen Darstellung in der neuzeitlichen Dreiviertel- bzw. Vorderansicht, wo die charakteristische Kopfform und die Gesichtszüge hervorgehoben werden.37 Generell gilt, dass sich Objektivität im Bild am ehesten durch die detailreiche Mimesis eines individuellen Gegenstands demonstrieren lässt, dessen Ähnlichkeit – wenn diese auch nicht am realen Gegenstand überprüfbar ist – allein durch die reine Fülle der Bildinformationen suggeriert werden kann.38 Boehm beschreibt anhand der altniederländischen und italienischen Tradition zwei unterschiedliche Porträtstrategien: die präzise Beobachtung und möglichst vollständige Wiedergabe der individuellen Erscheinung einerseits und die objektgerichtete, einfühlende ‚Rekonstruktion‘ der Person andererseits, die auf gestalthafter Ko34 Vgl. ebd.; Belting/Kruse 1994; zu historischen Hilfsmitteln vgl. Hockney, David: Secret Knowledge. Rediscovering the Lost Techniques of the Old Masters, 2. Aufl., New York 2006. 35 Vgl. Otto Pächt zit. nach Beyer 2003, S. 38; Friedländer 1963, S. 229-230, zum Vergleich von Profil und Vorderansicht mit dem „Ding an sich“ gegenüber seiner „Erscheinung“, sowie dem Grundriss als „Plan des physiognomischen Gebäudes“ und der Landkarte (Profil) gegenüber der Landschaft (Vorderansicht). Zur Begriffsgeschichte von ‚Porträt‘ vgl. Boehm 1985, S. 45-50. Etymologisch lässt es sich aus der geometrischen Bezeichnung protractio/protrahere („Hervorziehen der Linie aus dem Punkt“) ableiten, womit das Porträtieren als zeichnerische Tätigkeit definiert wird und ähnlich dem disegno-Begriff zunächst die Auseinandersetzung mit dem (nicht zwangsläufig menschlichen) Naturvorbild meint. 36 Vgl. Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1775-78), 4 Bde., Leipzig 1968-69; siehe hierzu Schmölders 1997, S. 196-198. 37 So bezeichnet Friedländer das „Aufnehmen der individuellen Erscheinung“ bis hin zur „Einfühlung in das geistig-seelische Wesen der Persönlichkeit“ als objektiv – im Gegensatz zur ‚Verfälschung‘ durch Stilisierung und subjektive Gefühle des Künstlers, vgl. ders. 1963, S. 232. Der Ausschnitt des Kopfbereichs und seine Vergrößerung sollen mit der Drehung eine bessere Sichtbarkeit der individuellen Züge erlauben, vgl. Bock u. a. 1980, S. 152-154. 38 So versucht Boehm das Porträthafte phänomenal zu erfassen, wenn er bemerkt, dass die eigentümlichen Züge „dem Einzelnen ein Gesicht“ geben und ihn „nach eigenem Maß bedeutsam, lebenswahr oder authentisch erscheinen“ lassen, vgl. ders. 1985, S. 31, 28 (zur „spezifischen Ähnlichkeitserfahrung“ in Porträts von Unbekannten). Weiter zum Problem der Bestimmung von Ähnlichkeit siehe Brilliant 1987.

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härenz statt Detailtreue beruht, was an der Gegenüberstellung von Jan van Eyck (ca. 1390-1441) und Antonello da Messina (ca. 1430-1479) erläutert wird (Abb. 26-27).39 Beide weisen Formen der Objektivierung auf, einmal als aufgezeichneter Bildgegenstand und einmal als in-Erscheinung-tretende Präsenz, wie das Porträt eines Mannes aus der Zeit um 1475-76 eindrücklich zeigt. Hier erhält der porträtierte junge Mann, der außer der roten Kopfbedeckung eher unscheinbar bekleidet ist, nur durch die Komposition und Blickrichtung eine lebendige Autonomie, die eine kommunikative Offenheit vermittelt. In jedem Fall wird erst durch die Erfüllung der mimetischen Repräsentation eine intersubjektive Sphäre zwischen Bild und Betrachter geschaffen, woraus die Dialektik einer distanzierten Objektivität bei gleichzeitiger ‚Aktivierung‘ des Bildsubjekts spricht. Der Objektivitätsbegriff fasst zwei Grundkonflikte des Porträts zusammen: Der erste besteht in der Differenz zwischen Realität und Ideal, also der naturgetreuen „vorurteilslosen Wiedergabe der Erscheinung“ wie sie ist, gegenüber der Anpassung an Schemata und Konventionen, aus der eine „richtige“ Darstellung erwachsen soll.40 Die Forderung nach einer bildlichen Idealität wird bei Leon Battista Alberti (1404-1472) als generelles Ziel formuliert, was sich aus der antiken Vorstellung eines idealen Soll der Natur im aristotelischen Sinne ableitet, die durch die Kunst eingelöst werden könne.41 Das antike Modell überträgt sich in den Theorien Albertis und Leonardos (1452-1519) auf das Kunst-Natur-Verhältnis, wo die Naturnachahmung mit dem höheren Ziel des objektiven Erkenntnisgewinns begründet und an die Ästhetik einer naturgemäßen Richtigkeit geknüpft wird. Statt der platonischen Idee wird jedoch der Schönheitsbegriff bei Alberti über empirisch-phänomenale Qualitäten wie Maßharmonie und wohlgeformte Stimmigkeit definiert.42 Obwohl beide das Naturstudium mit einer wissenschaftlichen Strenge fordern – wofür der Spiegel aus dem NarzissMythos als Metapher der Malerei steht – verurteilen sie dennoch die rein handwerkliche, unreflektierte Mimesis: Für Alberti erfordert das Erfassen der „Idee der Schönheit“ künstlerischen Verstand und Kreativität, während Leonardo die wahre Mimesis 39 Boehms Vergleich läuft über die Rolle des Sehens beim Maler und in der Rezeptionsästhetik des Betrachters: „Jan van Eyck deutet Individualität mit dem Auge eines Beobachters, der allem gerecht werden möchte, was er sieht, ohne sich doch als Partner in dieser Kommunikation zu verstehen.“ Über Antonello da Messina heißt es:„In diesem syntaktischen Wechselverhältnis der Züge spricht sich die Eigenart des Individuums aus, ohne mit der Menge der Signifikanten identisch zu sein.“ Vgl. ders. 1985, S. 54-56. 40 Vgl. Friedländer 1963, S. 237, wo Erscheinung und Idee als zwei Wege der Porträtwiedergabe anführt werden. Ernst H. Gombrich sieht im „correct portrait“ das Ergebnis eines Modifikationsprozesses zwischen Schema und Korrektur („not a faithful record of a visual experience but a faithful construction of a relational model“), vgl. ders.: Art and Illusion (1959), 5. Aufl., Oxford 1977, S. 90. 41 Aristoteles vergleicht die Dichtkunst mit Porträtmalerei, die individuelle Züge wiedergibt und ins Allgemeine erhöht, wobei Makel gezeigt und zugleich verklärt werden. Die Dinge zu beschreiben „wie sie sein sollten“ gilt dabei als ein Darstellungsmodus, vgl. ders: Poetik, 1451b, 1454b, 1460b, hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982; vgl. Panofsky, Erwin: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie (1924), 7. Aufl., Berlin 1993, S. 24-25. 42 Vgl. ebd. S. 28-29; Spanke S. 81.

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an die rationale Erkenntnis über die Natur knüpft.43 Reflexion und Gestaltung gelten so als unerlässlich im Umgang mit der ‚rohen Naturtatsache‘, was sich beim Porträt im Gebot der angemessenen Ausdrucksform und Modifikation (decorum) äußert.44 Mehr noch als formästhetische Ansprüche prägt der Gedanke einer über die Erscheinung hinausgehenden Essenz den Bildnisbegriff. Als zwei Seiten der Porträtwahrheit lässt sich die äußerlich-materielle und innerlich-transzendente Repräsentation der Person zwei gegensätzlichen Ähnlichkeitskonzepten zuordnen, die historisch mit den Begriffen ritrarre und imitare unterschieden werden: Das eine meint neben dem Naturstudium und Kopieren von Kunstwerken vor allem das Porträtieren eines Menschen nach seiner äußeren Erscheinung; das andere hingegen bezeichnet der imitatio folgend die geistige Wiedererschaffung der Naturform in seinem idealen Wesen. Das faktisch-defizitäre Ist und ideal-vollkommene Soll der Naturform findet in der Unterscheidung der beiden künstlerischen Porträtpraktiken – als eine nachahmende Kopie (ritrarre) und gestalterische Darstellung (imitare) – ihre jeweilige Entsprechung. 45 Zugleich knüpft sich daran die Opposition eines materiell und immateriell definierten Daseins des Menschen, der in ein Äußeres und Inneres aufgespalten wird, was zum zweiten Grundkonflikt des Porträts führt. Der dualistische Begriff von Körper und Geist schlägt sich in der hierarchischen Trennung von Aussehen und Charakter nieder, die den Porträtierten in eine physische Erscheinung und eine dahinter liegende Seele spaltet.46 Die objektiv erfasste Person in der Naturstudie steht im Spannungsverhältnis zu ihrer lebendigen Repräsentation. So ist die Wiedergabe der Persönlichkeit unlösbar an die Vorstellung der Porträtähnlichkeit gebunden und stellt eine geistige Dimension des Bildes dar, das sich durch die empirische Physis ausdrücken und diese zugleich transzendieren soll.47 Ein gelungenes Porträt müsste demnach die Kongruenz von Aussehen und Charakter, Körpererscheinung und geistigem Wesen erfassen, etwa in dem Moment, wo eine Person „sich selbst am meisten ähnlich“ sieht – woraus die Vorstellung einer konstanten Identität spricht, deren metaphysisches Wesen sich angeblich in der physischen Form 43 So richtet sich Leonardo im Trattato della pittura gegen die willkürliche „Verbesserung“ der Natur durch ein starres theoretisches Regelwerk und lobt die Kunst, die „am meisten Übereinstimmung mit dem nachgeahmten Gegenstand hat“, vgl. Suthor, Nicola: P. Ovidius Naso: Der Irrtum des Narziß, in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 96-111, hier S. 102103; vgl. hierzu Alberti, Leon Battista: Della Pittura. Über die Malkunst (1436), hg. v. Oskar Bätschmann, Darmstadt 2002, S. 102-103, 156-158. 44 Vgl. ebd., S. 128-131. 45 Die aristotelisch geprägte Begriffsopposition wurde in der Nachahmungstheorie von Vincenzo Danti angeführt und in der nachfolgenden Kunsttheorie kontrovers diskutiert, siehe hierzu Preimesberger, Rudolf: Vincenzo Danti: Das Allgemeine, nicht das Besondere – „imitare“ statt „ritrarre“ (1567), in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 273-287; ders.: Lodovico Castelvetro: Das Besondere, nicht das Allgemeine – „ritrarre“ statt „imitare“ (1570), in: ebd., S. 288-296. Dabei galt ritrarre dal naturale im Quattrocento als gängige Bezeichnung für das Naturstudium, vgl. Boehm 1985, S. 48, Amn. 16. 46 Kritisch zur historischen Rolle des Dualismus, v. a. seit Descartes, vgl. Woodall 1997, S. 918. 47 Vgl. Beyer 2003, S. 101; Friedländer 1963, S. 237; Brilliant 1991, S. 75-78, am Beispiel von Dürers Porträt Philip Melanchthon (1526).

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manifestiert.48 Die analoge Zuordnung der Körpererscheinung zur geistigen Identität bringt zugleich eine besondere Gewichtung und bewusste Gestaltung des individuellen Aussehens mit sich. Die physiognomische Tradition versucht hierbei mit einem Formenkatalog das Innere über das Äußere zu dechiffrieren und Charakter, Intellekt, Affekte und moralische Konstitution in vermeintlich eingeschriebenen physischen Formen abzulesen. Mit dem Essenzbegriff kommt das Problem der Menschenkenntnis auf, denn der Porträtist müsste die Person durchschauen, um dem transzendenten Darstellungsanspruch zu genügen, während der Rezipient einen lesenden Blick für die Dekodierung des ‚eloquenten‘ Bildnisses bräuchte, da dieses eine (zweifelhafte) Interpretation des Aussehens erfordert. Das Aufkommen der Fotografie in der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkte sich gravierend auf die kulturelle Praxis der Bildniskunst sowie das Selbstverständnis und die Aufgabenstellung der gesamten Gattung aus. Ein zentraler Punkt war das Ähnlichkeitskriterium: Mit ihrer optisch-mechanischen Präzision setzte die rasch populär gewordene Porträtfotografie neue Maßstäbe für die mimetische Leistung im Individualbildnis, was zur Folge hatte, dass sich die Malerei gerade in Differenzierung zur ‚perfekten‘ äußeren Ähnlichkeit des technischen Bildes umorientieren musste. In Abgrenzung zur medialen Konkurrenz wandte sich die Porträtmalerei schließlich einer Selbstreflexion zu, bei der malerische Mittel bewusst für eine künstlerische Bildformulierung eingesetzt wurden – Farbigkeit, Ausdruck und Stil emanzipierten sich als formale Kategorien vom klassischen Ähnlichkeitsbegriff und öffneten das Porträt für die Abstraktion und freie Bilderfindung. Mit der Loslösung von der Mimesis erfolgte auch der Bruch mit der tradierten Innen-Außen-Relation des Bildsubjekts und den konventionellen Formeln seiner Repräsentation.49 Die Repräsentation des Subjekts verlagert sich in den modernen Porträts auf die Bildebene, wo das Gefüge der abstrakten Elemente eine eigene Semantik entwickelt, die zwar eine Referenz auf Aussehen oder Charakter des Bildsubjekts anbieten kann, sich aber hauptsächlich als autonome Formkonstellation behauptet.50 Die grundlegende Verschiebung des Porträtbegriffs von der Repräsentation zum Kunstwerk wurde schon im 19. Jahrhundert theoretisch reflektiert. So erklärte Zacharie Astruc in seiner Salonkritik von 1868 das Porträt über die positive Umwertung seiner gattungs48 Vgl. Friedländer 1963, S. 236, mit Zitat von Fjodor Dostojewski. Die vermeintliche Kongruenz von Innen und Außen war schon immer umstritten, vgl. Giuliani, Luca: Das älteste Sokrates-Bildnis: Ein physiognomisches Porträt wider die Physiognomiker, in: Schlink, Wilhelm (Hg.): Bildnisse. Die Europäische Tradition der Portraitkunst, Freiburg im Breisgau 1997, S. 11-55. 49 Vgl. Preimesberger 1999, S. 19; Beyer 2003, S. 341. Zur paradigmatischen Umdeutung des Porträts als moderne Bildform bei Manet siehe Wittmann, Barbara: Gesichter geben. Edouard Manet und die Poetik des Porträts, München 2004. 50 Boehm über Cézannes Selbstporträt als reines Bild: „Die Matrix garantiert das Erschienen der Person“, vgl. ders. 1985, S. 10; allgemein zum modernen Porträt: Bois, Yve-Alain: Painting as Model, Cambridge/Massachusetts 1990; Van Alpen, Ernst: The Portrait’s Dispersal: Concepts of Representation and Subjectivity in Contemporary Portraiture, in: Woodall 1997, S. 239-256; Buchloh, Benjamin H. D.: Residual Resemblance: Three Notes on the Ends of Portraiture, in: Feldmann, Melissa E.: Face-Off: The Portrait in Recent Art, Ausst.Kat., Philadelphia Institute of Contemporary Art 1994, Philadelphia 1994, S. 53-69.

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spezifischen Beschränkungen zum Prototyp des modernen Bildes: Dieser sieht in ihm einen Prüfstein künstlerischen Könnens, wo mittels Beobachtung und Reflexion ein Kampf („une lutte terrible“) mit der Natur ausgefochten wird. Die ‚Offenbarung‘ des expressiven Gesichts durch expressive Bildmittel lässt sich demnach metonymisch für das ganze Bild begreifen, während seine rezeptionsästhetische Wirkkraft und die ‚frappierende‘ Präsenz des Objekts zu Aspekten eines modernen Bildkonzepts werden, das am Porträt für eine autonome Malerei (peinture pure) formuliert wird.51 Während für die Impressionisten der Gedanke der Objektivität weiterhin programmatisch in Bezug auf die visuelle Rekonstruktion der Natur im Bild bleibt – was sich am stärksten bei Paul Cézanne (1839-1906) zeigt (Abb. 28), bei dem das ‚Porträtieren‘ sich als objektive Praxis der Bildschöpfung nach dem Leben in Bezug auf alle gegenständlichen Motive begreifen lässt – rückte mit der Autonomisierung bildlicher Ausdrucksformen zunehmend die Subjektivität in den Fokus. Mehr als das Bildsubjekt drückt sich der Künstler selbst in der subjektiven Konstruktion des modernen Porträts aus – dieses wird zum Anlass für individuelle Bildstrategien und stilistische Erfindungen umfunktioniert, wobei der gattungsspezifische Gedanke der Ähnlichkeit auf eine abstrahiert-evokative oder nominale Ebene verschoben wird, welche die naturalistische Mimesis weitgehend ersetzt.52 Durch die Befreiung der Form öffnete sich dem Porträt ein neues Ausdrucksfeld für das geistig-emotionale Innenleben, das im 20. Jahrhundert gerade durch die Abstraktion erkundet und bis hin zu einer bildmetaphysischen Ebene ausgeweitet wurde. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Subjekt und dem individuellen Seelenleben führte zu einer psychologischen Aufladung der formalen Bildsprache, die jenseits der objektivierenden Mimesis mit einem neuen dramatischen Pathos scheinbar unmittelbar ins Innere der Subjektivität vordringen wollte. So wurde das Porträt in der Moderne trotz seiner vielfältigen autonomen Bildformulierungen immer noch mit Blick auf das Subjekt (Bildsubjekt und Künstlersubjekt) bearbeitet. Die stilistische Diversität und unverbindliche Form lassen sich als Reflexion eines isolierten modernen Menschenbildes und Selbstbewusstseins verstehen, nachdem gemeinsame Subjekt- und Repräsentationsbegriffe ihre traditionelle Gültigkeit verloren haben. Darüber wird auch das verstärkte Interesse an Selbstbildnissen gedeutet, in denen Künstler als einzelne Vertreter des modernen Subjekts eine Selbstreflexion mit individuellen Ausdrucksmitteln zeigen.53

51 Vgl. Wittmann 1999, S. 409 (Zitat Astruc, Zacharie: Salon de 1868, in: L’Etendard, 29. Juli 1868, S. 1-2), S. 412-413. 52 Vgl. Gördüren, Petra: Das Bildnis sieht sich ähnlich, in: Busch, Werner u. a. (Hg.): Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts, Berlin u. a. 2010, S. 181-194. 53 Vgl. Boehm 2000, S. 12-13, ders. 1985, S. 10-11. Zum Subjekt im modernen Porträt vgl. West, Shearer: Das Porträt im 20. Jahrhundert: Masken oder Identitäten?, in: Joachimides, Cristos M./Rosenthal, Norman (Hg.): Die Epoche der Moderne: Kunst im 20. Jahrhundert, Ausst.-Kat., Berlin, Martin-Gropius-Bau 1997, Stuttgart 1997, S. 65-71; Mund/Gaßner 2011; Bätschmann, Oskar: Selbstbildnisse im 20. Jahrhundert, in: Schlink 1997, S. 263-307; LucieSmith, Edward: The Self-Portrait – A Background, in: Kelly, Sean/Lucie-Smith, Edward: The Self-Portrait. A Modern View, Ausst.-Kat., Bath, Artsite Gallery u. a. 1987-88, London 1987, S. 8-25.

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Der aus dem traditionellen Porträtbegriff stammende Doppelaspekt des Inneren und Äußeren lässt sich allgemein als Methode (objektiv / subjektiv) und als Inhalt (der Porträtierte als Objekt / Subjekt) beschreiben. Dabei weist das dualistische Verhältnis von Objekt und Subjekt, Form und Essenz zahlreiche Überlappungen und Wechselwirkungen auf, zwischen denen die Frage der Ähnlichkeit verhandelt wird. Trotz ihrer wandelbaren Definition und der historischen Gewichtsverschiebung zwischen Mimesis und Ausdruck, Repräsentation und Kunstwerk bleibt der referenzielle Aspekt für das Porträt wesentlich. Close und das Porträt: Ein Ausbruchsversuch In der Moderne hat das Porträt als der repräsentative Bildtypus schlechthin seine traditionelle gesellschaftliche Rolle eingebüßt, so dass seine Historizität, die schon von Jacob Burckhardt konstatiert wurde, scheinbar nur noch eine distanzierte Reflexion zuließ.54 Wurde die Gattung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts infrage gestellt, so galt sie in der amerikanischen Nachkriegsmoderne als besonders problematisch: Das avantgardistische Credo des Abstrakten Expressionismus richtete sich explizit gegen die gegenständliche Repräsentation – eben dafür stand das Porträt, das dazu noch den Ballast einer langen Tradition aus Naturalismus, räumlich-plastischer Illusion, Idealisierung und repräsentativer Ikonografie mit sich trug.55 Als Sinnbild eines reaktionären Kunstbegriffs und einer vergangenen Gesellschaftsordnung erschien das Porträt anachronistisch und unvereinbar mit der Programmatik der abstrakten Avantgarde, wie es Greenbergs Äußerung zu de Kooning verdeutlicht, wonach es „heute unmöglich“ geworden sei, ein Porträt herzustellen.56 Und obwohl diese Behauptung de Kooning in seinem Entschluss gestärkt haben soll, sich des Themas dennoch anzunehmen – wie so viele moderne Künstler vor ihm – zeichnet sich in seinen Figurenbildern umso stärker die Verselbstständigung der Malerei vom Porträt im eigentlichen Sinne ab. Die formale Gestaltung und der gestische Ausdruck sind vom Bildsubjekt entkoppelt und fungieren als motivunabhängiger Modus im kreativen Malprozess. Die Figur in Woman I (Abb. 5) bietet nur einen kompositorischen Rahmen für den abstrakten Entwurf, da es sich anstelle eines Individuums vielmehr um das schematische Modell einer Frau handelt, woran sich eine materielle und strukturelle Formfindung vollzieht. Die Gleichgültigkeit des Motivs im autonomen Bild, wie es sich bei Cézanne gezeigt hat, klingt ebenfalls in de Koonings Auflösung der Figur in eine quasi-landschaftliche Malerei an.57 Mit der Wende vom subjektiven Pathos und der transzendenten Kunstauffassung des Abstrakten Expressionismus fand in den 1960er Jahren eine Umorientierung zu 54 „Sie ist ein Zweig der Malerei, der im Absterben begriffen ist. Wir stehen der Portraitmalerei im Grunde schon wie einem abgeschlossenen Ganzen gegenüber.“ Vgl. Burckhardt, Jacob: Die Anfänge der neueren Portraitmalerei (1885), in: ders.: Vorträge 1844-1887, hg. v. Emil Dürr, 2. Aufl., Basel 1918, S. 266. 55 Vgl. Henry, Gerrit: The Artist and the Face: A Modern American Sampling, in: Art in America, Bd. 63/Nr. 1, Jan.-Feb. 1975, S. 34-41, hier S. 34. 56 Vgl. Hess 1968, S. 74. 57 De Kooning spricht bei den Woman-Bildern von einer Analogie zwischen Frau und Landschaft, wonach das eine im anderen enthalten sei, zit. nach ebd., S. 100.

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‚objektiven‘ Strategien mit Fokus auf dem Faktischen, Konzeptuellen und Reproduzierbaren statt. In der distanziert-indifferenten Tonlage dieses Paradigmenwechsels zog das Porträt erneut Aufmerksamkeit auf sich, was sich am prominentesten in den Vorstößen von Andy Warhol und Alex Katz äußerte. Mit dem pluralistischen Trend der 1970er Jahre nahm in den USA die Zahl der künstlerischen Positionen zu, die sich mit Figur und Porträt befassten. Unter Bezugnahme auf Tradition und zeitgenössische Medien traten in dieser Zeit eine Vielzahl von Porträtstrategien im Kontext einer neuen figürlichen Malerei auf.58 Als Close 1967 seinen Ansatz entwickelte, markierte das Porträt also ein kontroverses Feld zwischen einer ‚toten‘ Gattung und ihrer modernistischen Tradition, der neuen Pop Art und einer neoakademischen Figurenmalerei – von Letztgenanntem setzte sich Close ausdrücklich ab, doch zu den anderen Ansätzen verband ihn ein komplexeres Verhältnis. Close übernahm in seiner Anfangsphase die abstrahierte Figuration von seinem erklärten Vorbild de Kooning. So zeigt das Bild The Ballerina von 1962 (Abb. 6) eine in breite Formen aufgelöste Tänzerin, die zugleich an die expressive Farbigkeit und den ornamentalen Strich von Henri Matisse erinnert. Close hat die Wahl des Porträtmotivs in seinen Arbeiten zunächst auch damit erklärt, dass Greenberg dieses Thema de Kooning gegenüber kategorisch verworfen habe. Eben weil die von Greenberg verkörperte Autorität der modernistischen Abstraktion das Porträt für unmöglich erklären wollte, sah sich Close herausgefordert, einen gegen die zeitgenössische Post-Painterly Abstraction gerichteten Weg einzuschlagen: „If you think about the late 1960s, painting was dead, sculpture ruled. Painting seemed like a senseless activity. If you were dumb enough to make a painting, it had better be abstract. It was even dumber to make a representational image. Then the dumbest, most moribund, out-of-date, and shopworn of all possible things you could do was make a portrait.“59 Indem er das Porträt pointiert als größtmöglichen Widerspruch zum abstrakten Kanon der Zeit darstellt, erklärt Close ähnlich wie Warhol seine ‚realistische‘ Strategie zum alternativen Gegenkonzept, womit er sich sowohl vom neoakademischen Realismus als auch der modernistischen Figuration absetzen möchte. Das unzeitgemäße Sujet galt ihm als Nische, von wo aus er sich als junger Künstler positionieren konnte, doch er musste dafür ähnlich wie Warhol einen Ansatz finden, über den er das Thema aktualisieren und glaubwürdig weiterentwickeln konnte. Um nicht als reaktionär missverstanden zu werden, war es essentiell für Close, sich vom traditionellen Porträtbegriff zu distanzieren, ebenso wie vom subjektivemotionalen Gehalt in den Porträts der Moderne. Um tatsächlich das Experimentierfeld der Bildform zu gewinnen, musste Close die Idee des Porträts von historischem wie inhaltlichem ‚Ballast‘ befreien, weswegen es überhaupt zur obsoleten Gattung er58 Vgl. Henry 1975, S. 34-35; Lucie-Smith 1987, S. 24. 59 Close zit. nach Engberg, Siri/Grynsztejn, Madeleine: Navigating the Self. Chuck Close discusses portraiture and the topography of the face, in: Walker Magazine, 01.07.2005, www.walkerart.org/magazine/2005/navigating-the-self. Hier zitiert Close neben Greenbergs Aussage „[...] the only thing you can’t do in art anymore is make a portrait“ auch de Koonings Antwort: „[...] and it’s impossible not to [make a portrait].“ Für Close bot diese Nische eine Art Narrenfreiheit: „I am going to have a lot of operating room all to myself.“

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klärt worden war. Als konzeptuelle Kontrastfolie diente ihm das Individualbildnis (im Sinne eines humanist portrait), das auf das Bildsubjekt fokussiert war und einem empathisch-repräsentativen Porträtbegriff folgte, wogegen Close einen demonstrativ antihumanistischen (anti-humanist) und objektiven Ansatz formulieren wollte. Aus einem Überblick von zeitgenössischen Künstlern, die sich mit Porträts befassten, zog Gerrit Henry 1975 die Bilanz, dass das Bildnis weniger der dargestellten Person gelte als vielmehr über den Umweg des Gegenübers auf den Künstler zurückverweise („displaced self-portraiture“). Die Rückkehr zu Realismus und Figur wird einerseits mit der dialektischen Weiterführung des Modernismus, wo in letzter Konsequenz die Idee der „reinen Abstraktion“ in „reine Abbildung“ umschlage, andererseits mit einem neuen Interesse am Menschen erklärt, dessen Bedeutungsebene („humanistic content“) sich unweigerlich im menschlichen Motiv ausdrücke.60 Auch Close zählt dazu, doch anders als Alice Neel, Alfred Leslie oder George Schneeman postuliert er in seinen Werken einen negativen Porträtbegriff in Bezug auf das menschliche Interesse, was eindeutig dem formalistischen Gedanken der „reinen Abbildung“ näher liegt.61 Während die anderen Maler überwiegend mit lebenden Modellen in realen Porträtsituationen arbeiten, Szenen komponieren und narrative oder psychologische Inhalte einbauen, verfolgt Close seit Big Self-Portrait ein konzeptuelles Bildprogramm, aus dem sich jedes seiner Porträts ableiten lässt. Daraus erwächst eine für ihn typische innere Spannung zwischen Form und Motiv. Indem er die Figur durch die Fotografie einführt und diese malerisch wiedergibt, wird für Close eine mimetische Darstellung möglich, ohne sich auf den traditionellen Naturalismus zu berufen. Das mimetische Porträt stellt ein objektives Gegenmodell zum Abstrakten Expressionismus dar, wobei die fotografische Ästhetik wesentlich zur distanzierten Deskription beiträgt und das subjektive Ausdruckspotenzial der Malerei eindämmt. Trotzdem bildet Pollocks Allover-Prinzip den Ausgangspunkt für Closes Porträtkonzept, wie er in der ersten Serie der fast identisch großen Airbrush-Bilder von 1968-1970 mit Big Self-Portrait, Nancy, Frank, Richard, Joe, Phil, Bob und Keith (Abb. 1, Abb. 60-66) vorführt, die in derselben Technik nach Schwarzweißfotografien gemalt sind.62 Wie sich zeigen wird, spielt Close dabei Abstraktion und Gegenständlichkeit gegeneinander aus, indem er aus der Allover-Behandlung der Bildfläche die ‚objektivierte‘ Gegenständlichkeit des Porträts herstellt. Tatsächlich fand Close zum Porträt über den Umweg des Akts. Als er im Sommer 1967 in einem spontanen Einfall Aufnahmen von sich machte, wollte er eigentlich nur den restlichen Film verbrauchen, nachdem er die Arbeit Big Nude fotografiert hatte:

60 „[...] taking pure abstraction to its logical extreme and thus its opposite, pure picturing. [...] a revival of interest in humanism [...]. With a return to the type of portrait painting comes, unavoidably, a return to this spirit.“ Henry 1975, S. 35. 61 „From the very beginning, what I wanted to do was mitigate against the standard hierarchy of the portrait. It goes back to the Walker’s self-portrait [...].“Close zit. nach Engberg/Grynsztejn, gemeint ist Big Self-Portrait von 1968. 62 Close spricht vom allgemeinen „sense of ‚alloverness‘“ in der US-Nachkriegsmalerei, was er auf seine Porträts übertragen habe, vgl. ebd.

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„I had done this 22-foot-long reclining nude Big Nude. I thought the scale was still too small and there were hot spots – the pubic area, the nipples – so I decided I just wanted to get away from that and I wanted it to feel bigger, more like Gulliver’s Travels: the idea of the Lilliputians crawling over the head of a giant and not even knowing what they were on, stumbling over a beard here and falling through a nostril [...] I was photographing the nude painting and I had film left in the camera, so I measured the distance between my face and the camera and I took pictures [...]. Frankly, the fact that it was a self-portrait had more to do with the fact that I was available than anything else.“63 Closes typische Komposition, der Ausschnitt vom Kopf bis zum Schulteransatz, ist somit als Fortführung und Steigerung der figürlichen Bildidee von Big Nude entstanden. Sein freier Oberkörper und der fotografische Schwarzweißfilm verweisen noch auf das monochrome Aktmotiv ebenso wie das riesige Format, das in Big Self-Portrait beibehalten wird. Zwar sind die Bildmaße kleiner, doch das Größenverhältnis und die körperliche Nähe haben im Blow-up des Kopfes enorm zugenommen und kommen dem ‚Liliputaner-Effekt‘ wesentlich näher als der hingelagerte, abgewandte Akt. Close relativiert die Rolle des ersten Selbstporträts mit der praktischen Erklärung, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme kein anderes Modell verfügbar war. Auch bei seinen zahlreichen anderen Bildmodellen streitet er eine Porträtabsicht ab und bekundet nur sein Interesse am figürlichen Gegenstand an sich, also dem großen ‚Kopf‘ und nicht der Person. Ein Blick auf die ersten beiden Porträts Big Self-Portrait und Nancy (Abb. 60) macht die Herleitung aus Big Nude (Abb. 3) nachvollziehbar. Die nackten Schultern verweisen noch auf die Aktidee und erscheinen wie Ausschnitte einer größeren Bildanlage. Zudem ist Nancy die einzige Frau in der Porträtserie nach dem weiblichen Akt in Big Nude. Wie als Verbesserung der ersten Bildidee sind die ablenkenden körperlichen ‚Blickfänge‘ des Akts weggelassen, stattdessen wird das Interesse an der extremen Vergrößerung in den Porträts gesteigert: Durch den fotografischen Ausschnitt und das Blow-up erreicht Close eine prägnantere, kompaktere und intensivere Bildwirkung, während daraus zugleich die simple, frontale Grundform seiner Porträts hervorgeht. Dass Close seine Porträtidee vom Akt abgeleitet hat, der traditionell als Gegenstand des Naturstudiums und Modell für narrative Figurenkompositionen dient, spricht für eine grundsätzlich anonyme Auffassung der Figur. Der Blick auf einen Akt sieht den Körper als anatomisches Formengefüge mit physiologischen Details, weniger als Person mit Eigencharakter und subjektivem Innenleben, wie in Porträts üblich ist. Als Akt-Ausschnitt von Kopf bis Rumpf wäre der Porträtierte ein austauschbares, obgleich sehr spezifisches Modell. Close bezeichnet seine Modellwahl insofern als beliebig, als die Porträts grundsätzlich nicht einen bestimmten Menschen repräsentieren sollen, sondern der Idee von ‚Jedermann‘ („Everyman and Everywoman“) folgen, wonach alle auf dieselbe uniforme Weise dargestellt werden.64 Das gleich-gültige 63 Close zit. nach Nairne, Sandy: Interview with Chuck Close, 6 July 2005, in: Bond, Anthony u. a. (Hg.): Self Portrait: Renaissance to Contemporary, Ausst.-Kat., London, National Portrait Gallery u. a. 2005, London 2006, S. 204-207, hier S. 204; zur Verbindung von Big Nude und Big Self-Portrait vgl. Friedman 2005, S. 91. 64 Vgl. Engberg/Grynsztejn 20052.

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Auswahlprinzip unterscheidet sich vom konventionellen Porträt, das die Person (oder den Auftraggeber) gezielt repräsentieren soll. In modernen Porträts findet sich trotz der Diversität der Modelle meist ebenfalls eine biografische Verbindung oder persönliche Motivation auf Seiten des Künstlers. Close aber macht die Indifferenz gegenüber dem Porträtierten zur Voraussetzung seines formalistischen Ansatzes, deren konstitutive Rolle hier betont werden soll, auch wenn es sich in der Realität um einen Personenkreis handelt, der für Close alles andere als anonym ist. In das kompositorische, bildtechnische und stilistische Bildkonzept, das mit Big Self-Portrait entworfen wird, lässt sich jede andere Person dieser Serie einfügen. Das hier anklingende Schema des funktionalen Passbildes oder Polizeifotos ist das Gegenteil des repräsentativen Porträts als Auftragswerk, dem sich Close selbst kategorisch verweigert. Auch darin klingt seine Definition der Porträts als Bilder statt Bildnissen an, da er schon im systematischen Ansatz ihren gesellschaftlichen Kontext ausklammern will. Auf die Frage nach dem Wer gibt, mit Ausnahme der als solche ausgewiesenen Selbstporträts, nur ein knapper Vorname im Titel Aufschluss, was für den Aussenstehenden wenig informativ ist. Dennoch handelt es sich um einen Namen, was die Anonymität (von grch. anónymos [ανώνυμος] für ‚namenlos‘) der Gezeigten infrage stellt. Dabei ist die alleinige Nennung des Vornamens eine teilweise Verschleierung der Identität und widerspricht dem Prinzip des Passfotos, auf das sich Close formal bezieht. Ein Zwiespalt liegt in der Anonymität der für den Betrachter meist unbekannten Person und der Vertrautheit des Künstlers mit seinen Modellen, der sie nur mit Vornamen benennen muss, um die Porträtreferenz aus seiner Sicht herzustellen. Denn sein Konzept des anonymen ‚Jedermann‘ wird konterkariert durch die Tatsache, dass Closes Modelle sich auf seinen Freundes- und Familienkreis beschränken. Unter den Familienangehörigen finden sich neben seiner damaligen Frau Leslie (Abb. 30) auch seine beiden Töchter Maggie und Georgia, sein Schwiegervater Nat Rose (Abb. 81 a) sowie die Großmutter seiner Ex-Frau, Fanny (Abb. 95 a). Alle anderen Modelle der frühen Airbrush-Serien zeigen Künstlerkollegen, darunter Philip Glass, Nancy Graves, Richard Serra, Keith Hollingworth und Mark Greenwold. Anfangs hat sich Close für Personen aus seinem privaten Umfeld entschieden, um sich von den prominenten Gesichtern von Andy Warhol abzusetzen.65 Statt des Bildsubjekts geht es ihm um das Wie der aus dem Porträtkopf entwickelten Bildform. Die damit einhergehende formale Systematik expliziert er durch die serielle Wiederholung derselben Darstellungsweise – was sich an unbekannten Gesichtern besser demonstrieren lässt als an bekannten, deren Wiedererkennen von der Bildform ablenken würde. Die anfangs angestrebte anonyme Qualität kann aber nur theoretisch gelten, da wiederkehrende Gesichter wie in Leslie oder Phil durchaus erkannt werden und darüber hinaus viele unbekannte Künstler von damals heute berühmt sind, wie Richard Serra oder Phil Glass, ganz zu schweigen von Closes späteren Modellen aus der Kunstund Prominentenwelt. Diese ab den späten 1980er Jahren einsetzende Wende zeigt, dass Close diesen Gedanken schließlich selbst verworfen hat. Bislang wurde das Spektrum noch erweitert um öffentliche Personen wie Bill Clinton und Barack Obama oder Stars wie Kate Moss und Brad Pitt. Im Rückblick auf die frühen Werke ist ironischerweise aus den anfangs ‚anonym‘ gemeinten Porträts ein Who is Who einer gan65 Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 233.

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zen Künstlergeneration geworden. Während sich die Porträtreferenz im Frühwerk noch in ‚bekannt / unbekannt‘ für ein eingeweihtes (also Closes Kreis zugehöriges) oder außenstehendes Publikum aufteilte, erscheinen dieselben Bilder für den heutigen Betrachter unweigerlich in einem anderen Licht als zur Zeit ihrer Entstehung. Dass sich die Auswahl anonym erscheinender Gesichter in den frühen Porträts gerade auf Closes Umfeld beschränkt, verweist auf die menschlich-psychologische Komponente in seiner Porträtpraxis. Neben dem formalen Kriterium, wonach das Modell ‚gute Bilder‘ liefern soll, bedarf es einer persönlichen Vertrautheit, von der die ‚Porträtwürdigkeit‘ der Person aus Sicht des Künstlers, der sich dem Gesicht monatelang widmen muss, abhängt.66 Close räumt diesen subjektiven Aspekt wie eine nachträgliche passive Feststellung ein, woraus sich für das anonym-indifferente Konzept und die Referenzialität der Bildnisse eine gewisse Zwiespältigkeit ergibt. Im biografischen Kontext ist er ein Mitglied des von ihm porträtierten Künstlerzirkels und Familienverbands, wovon er sich aber mit der anonymisierenden Bildstrategie distanziert. Einerseits braucht er die Nähe, um sich für das Modell zu interessieren, andererseits will er gerade das vertraute Modell als anonyme Figur präsentieren, wofür er die emotionale Verbindung zu ihr leugnen muss. Das traditionell begründete objektive Paradigma des Porträts macht es zu einem besonders geeigneten Motiv für Closes Suche nach einer sachlichen Bildmethode. Denn wie kaum ein anderes Sujet impliziert das mimetische Porträt einen distanzierten Blick auf den Gegenstand und dessen empirische Realität. Der sachlich-mechanische Grundzug der Naturkopie im traditionellen Porträt wird bei Close in ein fotomimetisches Verfahren übersetzt, das ihm eine konstante Arbeitsweise erlaubt. Die Mimesis-Verpflichtung soll die unbeständige Spontaneität der Malerei verhindern und ihn an objektive visuelle Fakten binden, während Hand und Auge durch den Präzisionsanspruch diszipliniert werden. So entwickelt Close mithilfe des Porträtthemas eine bewusst fremdbestimmte Bildstrategie mit explizit ‚antikünstlerischer‘ Rhetorik unter Rückbezug auf den Vorwurf gegen das Porträt als ‚mechanische‘ Bildpraxis, was eben Closes antisubjektivem Interesse entgegenkommt. Was er sich mit dem Porträt zusätzlich zu Eigen macht, ist die gattungsspezifische Referenzialität als Grundlage des Bildes, welches nun ontologisch in der Realität verankert wird. Close übernimmt die Bindung an eine außerbildliche Existenz und Faktizität, verwirft allerdings die konventionelle Inszenierung der Person durch repräsentative Formeln. Absichtlich reduziert er den Porträtentwurf auf ein Minimum: Nahezu frei von Attributen oder narrativem Beiwerk werden die Dargestellten im schlichten Aufzug frontal vor einem kühlen, neutralen Hintergrund gezeigt. Unter Verzicht auf eine bewusste Charakterisierung, die für ein Porträt üblicherweise zentral wäre, greift er ostentativ auf den ursprünglich als ‚defizitär‘ geltenden Bildbegriff der bloßen äußerlichen Kopie zurück.

66 „I try to pick people who matter to me but who also project compelling images.“ Close zit. nach Friedman 2005, S. 52-53. Die Rolle des persönlichen Bezugs zeigt sich an seinem bisher einzigen Auftragswerk, einem Porträt von Jasper Johns für die National Gallery of Art in Washington von 1997-98, das Close sehr schwer gefallen ist. Die anfangs negierte subjektive Komponente bei der Modellwahl räumt er in späteren Äußerungen ein, vgl. Friedman 2005, S. 226-229.

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Close steigert das mimetische Porträtprinzip zu einer absoluten visuellen Bindung an die Fotografie, die statt des lebenden Modells zum eigentlichen Referenzobjekt wird. Die sachlich-dokumentarische Qualität des Mediums steigert den klassischen Objektivitätsanspruch des Porträts zusätzlich: Während die Fotografie als Porträtmedium einerseits mit naturgetreuer Präzision, andererseits mit bloßer Oberflächenaufzeichnung verbunden wird, gibt sie Close die bildrhetorischen Mittel an die Hand, um das Porträt auf ein künstlerisches Minimum zu bringen. Nichts scheint weiter entfernt von den eloquenten Formeln klassischer Repräsentation als die lapidare, uniforme Funktionalität des En-face-Passbildes vor leerem Hintergrund, in dem die Person direkt und affektlos in die Kamera blicken soll. Dabei wird sie passiv in die vorgegebene Kompositionsform eingefügt wie ein aus der Menge herausgegriffenes Individuum, anstatt eine individuelle Bildformulierung zu erhalten oder sich in einer erkennbar selbstbestimmten Weise zu inszenieren. Die neutrale Mimik der Porträtierten würde als Ausdruck innerer Ruhe der Bildniskonvention durchaus entsprechen, wo sie für moderate Würde, tugendhaften Gleichmut oder die Zeitlosigkeit der Memoria stehen könnte. Dennoch erscheinen sie ohne explizierende Attribute oder die formalisierte Konzentration konventioneller Porträtgesichter stumm und schwer deutbar. Offenbar bemüht sich das Modell um Ausdruckslosigkeit, wodurch das Gesicht einen unentschiedenen ‚Zwischenausdruck‘ aus Offenheit und Konzentration annimmt, was als Leerstelle im Porträt eine Herausforderung für den Betrachter darstellt. So macht der Versuch der rein sachlichen Präsentation des Gesichts erst recht das Problem der physiognomischen und pathognomischen Wahrnehmung bewusst. Von der Auswahl des Modells über die Herstellung der Fotovorlage bis zur Aufteilung der Figur in Rasterfelder, die er Stück für Stück überträgt, bemüht sich Close um eine Umdeutung des Porträtierens in eine betont distanzierte, kunstlose Bildpraxis, deren Gestaltungsarbeit sich in der Konzeptualität verbirgt. Ohne die Identität der Person durch Mimik, Gebärde oder Kontext zu spezifizieren, stellt Close allein die sichtbare Individualität faktisch in den Vordergrund: Die Fotografie präsentiert ein isoliertes Individuum in einem isolierten Moment – damit ist die Grundlage des Porträts weniger die Person selbst als vielmehr ihre kontingente Augenblickserscheinung.67 Die klassische Bildnis-Identität wird nicht mehr durch einen fragmentierten modernen Subjektbegriff widerlegt, sondern mit einem technisch-visuellen Bildbegriff überschrieben. Den mit dem Porträtprozess verbundenen menschlichen Umgang reduziert Close so weit wie möglich: Das fotografische Bild erweitert nicht nur die Distanz seines subjektiven Blicks auf den Bildgegenstand, es schafft auch eine Trennebene zwischen Maler und Modell, da beide nicht mehr die reale physische Nähe des Gegenübers in der Porträtsitzung teilen. Anstelle der oft mehrfachen langen Begegnungen im Atelier, die eine intensive zwischenmenschliche Interaktion über Blickkontakt und Konversation erlauben, setzt sich Close mit dem Modell nur in einer einzigen Fotosession auseinander, aus deren Ergebnissen er zuletzt ein Motiv auswählt. In dieser mehrstündigen intensiven Aufnahmesituation findet ein Austausch zwischen Close und seinen Modellen statt, meist unter Beisein von Assistenten und einem professionellen 67 „I’m interested in how the subject looks in a hundredth of a second. He never has to look that way again.“ Close zit. nach Sager, Peter: Neue Formen des Realismus, Köln 1973, S. 226.

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Fotografen, der ihm fachlich zur Seite steht. Nachfolgend jedoch beschränkt er sich allein auf die Foto-Maquette und schließt die reale Person aus dem Atelier sowie dem weiteren Arbeitsprozess aus. Die Bildergebnisse auf Polaroidfilm, welchen Close ab den 1980er Jahren überwiegend für seine Maquetten verwendet, werden unmittelbar nach der Sitzung in Anwesenheit des Modells überprüft, wobei er schon hier die Person als fotografisches Bild betrachtet und Korrekturen vornimmt, während ihn das beistehende Modell weniger interessiert.68 In der reziproken Blicksituation des Porträtierens wird durch den Apparat eine Distanz geschaffen, wo der Porträtierte den Blick des Künstlers nur mit dem Blick in die Kamera erwidern kann. Close überträgt hier das Prinzip des Fotoporträts in die Malerei, wo der Blick durch die Kamera im unpersönlichen Blick der Kamera aufgeht, so dass der Fotoapparat an die Stelle des präsenten Malers tritt und in diesem Sinne die menschliche Komponente im Porträt weiter neutralisiert.69 Die Distanz zwischen Maler und Modell vergrößert sich durch den Fotografen, der die Kamera bedient und nach seinen Anweisungen arbeitet.70 Es bleibt allerdings auch zu betonen, dass Close auf den persönlichen Kontakt im Arbeitsprozess nicht ganz verzichtet, denn sonst könnte er wie Warhol zu gefundenen Medienbildern greifen, statt Originalvorlagen anzufertigen. Das Künstler-Modell-Verhältnis bewegt sich also zwischen der Inszenierung eines ‚objektivierten‘ und menschlich desinteressierten Porträts und dem dahinter liegenden Austausch im Herstellungsprozess, der auf sozialen Bindungen beruht. Wie objektiv aber ist das Porträt bei Close? In der dokumentarischen Bildrhetorik der Augenblicksaufnahme wird eine kaum hergerichtete, scheinbar aus dem Alltag gegriffene Person präsentiert, deren individuellen Merkmale vor einem neutralen Hintergrund zur Schau gestellt werden. Die von Gadamer beschriebene Okkasionalität, die dem Bildnis einen faktisch-realen Kern eingibt, scheint einen wesentlichen Anreiz für Closes Suche nach einer objektiven Bildform zu bieten, da das nackte Individuum (hier im Sinne von ‚faktisch‘ statt ‚existenziell‘) sich als reales und hochdifferenziertes Bildobjekt auffassen lässt.71 Mit dem individuellen Aussehen wird die Frage der Ähnlichkeit als objektives Kriterium und verbindliche Basis ins Bild getragen, was einen möglichen Abgleich zwischen realer und bildlicher Erscheinung verspricht. Besser noch als der Körper von Big Nude lässt sich die konkrete Ähnlichkeit von Gesichtszügen überprüfen, wo neben dem gegenständlichen Formenvergleich die physiognomische Wahrnehmung hinzukommt. Schon geringe Abweichungen von der Maquette oder dem bekannten Gesicht lassen sich wesentlich schneller erfassen als bei anderen Gegenständen – im Vergleich etwa zu Vija Celmins’ (geb. 1938) fotografischer Mimesis von großflächigen Wasser- und Steinformationen, wie in Untitled Portfolio: Ocean von 1975 (Abb. 29) zu sehen ist, weisen Closes Gesichter eine ganz

68 Vgl. Friedman 2005, S. 53. 69 Vgl. Gage, John: Photographic Likeness, in: Woodall 1997, S. 119-130, hier S. 125. 70 Zu ihnen gehört Bevan Davies, mit dem Close seit Beginn der 1970er Jahre zusammengearbeitet hat. Mit John Reuter hat Close seit 1982 großformatige Polaroids hergestellt, vgl. Friedman 2005, S. 55-56, 62. 71 Vgl. Gadamer 1986, S. 149-151.

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andere rezeptionsästhetische Intensität und Bildökonomie auf, auch wenn die strukturelle Grundordnung bei beiden Künstlern ähnlich ist.72 Mit Details wie Bart, Brille, Frisur und Kleidung sowie einem vagen Gesichtsausdruck, was – nicht mehr oder weniger als jedes andere fremde Gesicht – zumindest Vermutungen über den Charakter und persönlichen Hintergrund zulässt, wird ein einfaches naturalistisches ‚So-Sein‘ der realen Person suggeriert. Die rebellische Attitüde, die das Erstlingswerk Big Self-Portrait mit den zerzausten Haaren, Bartstoppeln und der im Mund hängenden Zigarette zur Schau stellt, ist bereits die größte Abweichung in Closes Porträtschema. Hier spielt trotz der spontanen Aufnahmesituation die bewusste Selbstinszenierung eine erhebliche Rolle. Die informelle ‚Coolness‘ seiner Erscheinung entspricht inhaltlich seinem nonchalanten formalen Bildkonzept, das erst in den nachfolgenden Porträts eine strengere Form entwickelt.73 Obwohl er die Rolle des Bildes über das Personalporträt stellt, erscheint mit wiederkehrenden Modellen wie Closes damaliger Frau Leslie, seinen Töchtern und ihm selbst zugleich die Tradition des biografischen Porträts, das die Lebensabschnitte des Künstlers und seiner Familie widerspiegelt.74 Der Betrachter mag zwar mit Leslie als Modell vertraut sein, erfährt aber in den Porträts kaum etwas über ihre Person außer den sichtbaren Veränderungen in ihren Gesichtszügen (Abb. 30, Abb. 84 a). So bleibt auch die biografische Narration auf die visuelle Erscheinung und den bloßen Bildvergleich beschränkt. Die latente inhaltliche Dimension seiner Porträts – ihre psychologische Ausstrahlung, die Lesbarkeit der Gesichter und ihre biografische Einbindung – begleitet Closes technisch-objektive Bildästhetik von Anfang an und tritt, anders als im inszenierten Big Self-Portrait, oftmals dort mit verstärkter Spannung auf, wo die Neutralität am meisten forciert wird. Close nutzt die Fotografie als ‚Distanzierungsfilter‘ gegen die Tradition der Porträtmalerei, sei es die klassische Repräsentation oder moderne Bildformulierung. Als unpersönliche Mittlerinstanz sichert das technische Medium, dem schon im 19. Jahrhundert die Fähigkeit zur perfekten Porträtähnlichkeit zugesprochen wurde, einerseits per mechanischer Aufzeichnung die Ähnlichkeit zum lebendigen Bildobjekt, andererseits verdrängt das fotografische Bildobjekt in Form der Maquette die ursprüngliche Referenzebene zum Modell – und damit das im Ähnlichkeitsanspruch enthaltene Interesse an seiner ‚wahren Identität‘. Jede Porträtwahrheit bei Close definiert sich nur durch ihre Entsprechung zur fotografischen Vorlage. Insofern ‚porträtiert‘ er dem mechanischen ritrarre im wörtlichen Sinne folgend die Foto-Maquetten, während alle übrigen klassischen Porträtfragen wie der angemessene Modus und die dem decorum entsprechende Balance zwischen Empirie und Bildformel, Individualität und

72 Vgl. Bartman, William (Hg.): Vija Celmins, Interviewed by Chuck Close, New York 1992, S. 12. Celmins spricht wie Close auch von der Fotografie als einem zu scannenden Objekt. 73 Close räumt eine „gewisse Theatralik“ in seiner auffällig konfrontativen Komposition ein, vgl. Glimcher, Arnold: Dialogue with Chuck Close, in: Chuck Close. Recent Work, Ausst.Kat., New York, Pace Gallery 1986, New York 1986, o. S.; vgl. Friedman 2005, S. 105. 74 Zur Bildtradition siehe Holsten, Siegmar (Hg.): Das Bild des Künstlers. Selbstdarstellungen, Ausst.-Kat., Hamburger Kunsthalle 1978, Hamburg 1978, S. 88-99; Hofner-Kulenkamp, Gabriele: Das Bild des Künstlers mit Familie, Porträts des 16. und 17. Jahrhunderts, Bochum 2002.

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Konvention entfallen.75 Hier stellt sich die Alternative der traditionellen Porträtansätze aus ritrarre und imitare erst gar nicht. Die Foto-Maquette blendet gleichsam die Ähnlichkeitsfrage aus, indem sie die Identität der Person zu einem singulären Bild umdefiniert, das Close nur mit positivistischer visueller Richtigkeit in ein anderes Bild ‚transkribieren‘ muss. Die Streitfrage der Porträtaufgabe um physische oder metaphysische Ähnlichkeit und die hierarchische Relation von Körpererscheinung und Geist, wonach das Äußere zum Inneren führen soll, erscheint nach diesem Konzept obsolet. Closes Fokus auf die reine Bildstruktur zeigt, dass es ihm um „fotografische, keine psychologische“ Information geht.76 Doch selbstverständlich fällt die vollständige Wiedergabe der fotografischen Information mit der ebenso detailreichenWiedergabe des individuellen Gesichts zusammen, das im großen Blow-up alles andere als psychologisch wirkungslos bleibt. An dieser Stelle soll nur Closes Intention der Fotomimesis von jener der psychologischen Repräsentation unterschieden werden – vorerst ungeachtet ihrer Wirkung auf den Betrachter. Während Close die Fotografie ‚nachzeichnet‘, verlagert sich das empirische ritrarre auf die mechanische Oberflächenaufzeichnung des Modells wie in einer Zuspitzung des vom Porträtierenden geforderten ‚objektiven Blicks‘. So ließe sich Closes Methode als intermediale Fortsetzung der objektivistischen Porträttradition und des materialistischen Zugangs zum Menschen durch das Naturstudium begreifen. In der Formulierung der Porträtwahrheit als optischer Wahrheit werden die inhaltlichen Aspekte des Dargestellten durch seine empirische Erscheinung vermittelt und die Schwierigkeit dieser Vermittlung durch den Blick von Außen mitreflektiert.77 Wie das Bildsubjekt etwa bei Jan van Eyck oder Albrecht Dürer als empirisches Wesen gesehen wird, dessen Erscheinung in allen Details bildwürdig ist und eine intensive visuelle Auseinandersetzung verlangt, so sieht und verzeichnet Close ebenso sämtliche Details ohne Wertung oder ästhetische Verbesserung. Er nimmt keine Retuschen oder Beschönigungen an der Person vor, im Gegenteil – unvorteilhafte Details wie Falten, Härchen, Flecken und Poren, die in Porträts gern abgeschwächt oder übergangen werden, registriert der Maler in der isolierten Ansicht der Rasterfelder umso stärker und vergrößert sie im Bild mit regelrecht peinlicher Deutlichkeit. Was an das Ethos des ungeschönten Porträts erinnert, dessen ‚gnadenloser‘ Verismus die eitle Fassade durchbrechen und dem Menschen einen ehrlichen Spiegel vorhalten soll, liegt bei Close mehr in der konzeptuellen Indifferenz gegenüber der Vorlage begründet, deren Allover-Behandlung vorschreibt, dass Haare und Kleidung dieselbe Aufmerksamkeit erhalten sollen wie etwa die Augenpartie.78 Mit der semantischen Verflachung der Aussehen-Wesen-Beziehung und der bildlichen Homogenisierung der fotografischen Binnenstruktur neben der Figur-Grund-Beziehung durch 75 Vgl. Brilliant 1990, S. 38-39. 76 Vgl. Steiner, Wendy: Postmodernist Portraits, in: Art Journal, Bd. 46/Nr. 3, 1987, S. 173177, hier S. 175; Nochlin u. a. 1999, S. 69; Friedman 2005, S. 67. 77 Auf Anspruch und Grenzen dieser Mimesis verweist Dürers Inschrift im Porträt Philip Melanchthon (1526), wo die Unmöglichkeit eingeräumt wird, durch künstlerische Fertigkeit den Geist des Dargestellten einzufangen, vgl. Brilliant 1991, S. 75-76. Siehe hierzu Strauss, Walter Leopold: The Complete Drawings of Albrecht Dürer, Bd. 4 (6 Bde.), New York 1974, S. 2305. 78 Vgl. Storr 1994, S. 47.

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das Raster hebt Close die von ihm kritisierte ‚klassische Hierarchie des Porträts‘ auf. Gleichzeitig aber kehrt sich gerade über diese großflächige, gleichmäßige Wiedergabe der distanzierte Blick in eine intime Nahansicht des individuellen Körpers um. Die kühle Bildästhetik und mechanische Handschrift lassen die Offenlegung im Porträt noch direkter erscheinen, mit einer brutalen Ehrlichkeit, die das ‚gefühllose‘ Kameraauge wie alle anderen objektiven Instrumente der Sichtbarmachung – ob Spiegel, Lupe oder Mikroskop – imitiert. Zur Absicht der visuellen Durchdringung bietet sich an dieser Stelle ein vergleichender Blick auf einen Aspekt bei van Eyck an, der von Erwin Panofsky beschrieben wird.79 Dieser vergleicht van Eycks Malerei mit der Infinitesimalrechnung, da alle sichtbaren Formen als homogene optische Fülle unendlicher (nach Boehm: „unüberschaubarer“) Details auftreten, was der mathematischen Kontinuität auf allen Ebenen gleichkomme. Als Folge trete eine dimensionale Verschiebbarkeit der Größenrelationen zwischen ‚groß‘ und ‚klein‘ im Bild auf: „Alles, was im Sinne meßbarer Größe klein ist, ist als Produkt des unendlich Kleinen groß; alles, was im Sinne meßbarer Größe groß ist, ist als Teil des unendlich Großen klein.“80 In der Bildstruktur seien somit „zwei Unendlichkeiten“ enthalten, die laut Panofsky für zwei kosmische Begriffe stehen, womit das Auge des Malers zugleich einem Mikroskop und einem Teleskop gleichkomme.81 Dieser Doppelaspekt lässt sich besonders in der Kombination von szenischer Nahansicht mit landschaftlichem Fernblick und Miniaturhandlung am Beispiel der Madonna des Kanzlers Nicholas Rolin (um 1435) nachvollziehen. In Porträts wie Mann mit rotem Turban von 1433 (Abb. 26) wirkt sich dieses optische Prinzip entscheidend auf die Darstellung der Figur aus. Panofsky beobachtet, dass die Porträtdarstellung zwar eine exzessive Menge von Details aufweist, die sich in ihrer Summe zur Gestalt formieren, sich das Individuum dabei aber mit seinen inneren subjektiven Qualitäten dem Blick entzieht und sich hinter der Oberflächenerscheinung ‚verbirgt‘. So werde das menschliche Subjekt unter dem erschöpfenden, eindringlichen Blick des beschreibenden Malers gleichzeitig als zu nah und zu fern dargestellt, wodurch das menschliche Wesen ungreifbar erscheine.82 Boehm zufolge dezentralisiert die additive Ordnung der Detailstruktur das Individualporträt und nimmt ihm die „Gravitationskraft“ des „virtuellen Zentrums der Person“, die sich dem Auge als überwältigende Menge gleichwertiger Einzelheiten darbietet. Er verdeutlicht das am Vergleich zum italienischen Porträttypus von Antonello da Messina (Abb. 27), in dessen Optik er eine „mittlere Sichtbarkeit“ zwischen den beiden Extremen von van Eyck erkennt. Bei diesem Abstand siedelt Boehm die kommunika79 Vgl. Panofsky, Erwin: Altniederländische Malerei. Ihr Ursprung und Wesen (1953), übers. und hg. v. Jochen Sander/Stephan Kemperdick, Bd. 1 (2 Bde.), Köln 2001, S. 181, 192-193; Boehm 1985, S. 53-54. 80 Panofsky 2001, S. 181. Hierzu Boehm: „Jan van Eyck baue seine Malerei aus unendlichen kleinen Detailbeobachtungen zusammen, die sich zu einer überschaubaren Gesamtform integrierten, wie umgekehrt jedes dargestellte Quantum als Unterteilung des unendlich Großen zu sehen sei.“ Vgl. ders. 1985, S. 54. 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Panofsky 2001, S. 192-193, der in der Individualität und Totalität zwei gegensätzliche Porträtforderungen sieht, zwischen denen ein Ausgleich zu finden ist – van Eyck tendiert demnach zur ersteren.

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tive, menschlich zugängliche Darstellungsform an, die das Individualporträt der italienischen Renaissance kennzeichne.83 Panofsky aber findet in van Eycks Bildnissen eine Dialektik zwischen der obskuren Innerlichkeit und der Suggestionskraft einer Tiefe hinter der Oberfläche vor: Die Überpräsenz der im Porträt rekonstruierten akzidentellen Details gebe zwar kaum etwas zu Biografie und Innenleben des Dargestellten preis, jedoch werde gerade in der „beklemmend wirklichen, doch durchweg rätselhaften“ Erscheinung ein Mensch als verschlossenes Gegenüber in all seiner Besonderheit gezeigt – eben die Kombination aus dem rein äußerlichen Zugang und seiner bezwingenden Realität vermittle die Tiefe eines lebendigen Subjekts, deren Wirkung er als „verlockend“ und „abschreckend“ zugleich schildert.84 Der Mann mit rotem Turban demonstriert diese Mischung aus objektiver Distanz und Eigencharakter, der sich in der leichten Drehung und leisen Mimik sowie im intensiven Blick aus dem Bild verrät. In Antwort auf den Maler oder Betrachter wird der abmessende, analytische Blick vom Bildsubjekt zurückgeworfen und tritt ihm mit einer erstaunlichen Direktheit und subtilen Autorität entgegen – dieser empirische Andere lässt sich zwar als Objekt beobachten, aber nicht als Subjekt durchschauen. Das mimetische Prinzip bei Close ist dem darin vergleichbar, dass auch er über den Fokus auf das Visuelle sich empathisch von der dargestellten Person loslöst und sie vollkommen als Objekt einer optischen Untersuchung behandelt. Weil er aber auf maximale Detailtreue abzielt, ist die Distanzierung im Porträt die Bedingung für eine extreme Annäherung durch ein Vor- und Eindringen in die Erscheinung der Person. Während Close diese nur optisch mittelbar über die Fotografie durchdringt, bildet er mit größter technischer Sorgfalt die lichte Transparenz ihrer Oberfläche und deren differenzierte Helldunkel-Struktur nach, die er in den Airbrush-Bildern durch tonale Schichten aufbaut.85 Van Eyck und der flämischen Malerei wird die Neuerung zugesprochen, den Schimmer oder Glanz (lustro) in die malerische Illusion eingeführt zu haben, der sich in matten bis glänzenden Lichteffekten über die Bildfläche verteilt und den Realismus der Oberflächentextur erheblich steigert.86 Ähnlich weisen Closes Bildstrukturen ein flirrendes Gewebe aus Reflexionen und Helldunkel-Abstufungen auf, die jede Hautpore und jedes Haar umgeben, zusammen mit den starken Lichtpunkten an Augen oder Brillen. In der malerischen Mikrostruktur vereinen sich die zerstreuten Lichtflecken zu einer schimmernd illusionistischen Wiedergabe der fotografischen sowie physischen Realität, ob als glänzendes Fotopapier oder ölglänzende Haut, was besonders an den Details der Farbporträts sichtbar wird (Abb. 80 a-b). Der infinitesimale Charakter klingt in Closes Bildvisualität in mehrfacher Hinsicht an. Seine systematische Übertragung der Fotografie löst die gezeigte Person in Flächenkompartimente aus visuellen Details auf, was nicht auf ein epistemisches Verstehen abzielt, sondern ein mechanisches Sichten und Aufzeichnen der auf der Ma83 Vgl. Boehm 1985, S. 54-55. 84 Vgl. Panofsky 2001, S. 193. 85 Vgl. Lyons 1987, S. 28. Zu van Eycks Lasurtechnik in der Ölmalerei siehe Panofsky 2001, S. 180. 86 Vgl. Castelfranchi Vegas, Liana: Italien und Flandern. Die Geburt der Renaissance, Stuttgart/Zürich 1984, S. 38-39, mit Bezug auf Gombrichs Unterscheidung der Begriffe lume (objektiver Lichtschein) und lustro (Glanz als illusionistisches Ausdrucksmittel).

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quette dargebotenen Bildphänomene. Vergleichbar mit van Eycks obsessiver Wiedergabe konkreter Einzelbeobachtungen, was die Auflösung der Figur zu einer verdichteten Detailstruktur zur Folge hat, führt auch Closes radikale Mimesis letztlich zu einer Abstrahierung des Bildgegenstands. Statt eines infinitesimalen Kontinuums realer Details resultiert sein visuelles Abtasten des Objekts in einer Ansammlung fotografischer Details, die wiederum einem ständigen Wechsel von Schärfe und Unschärfe unterliegen. Die Dichotomie zwischen Minimal und Maximal habe ihn immer gereizt, wie Close sagt, und ihn dazu angeregt, in der überwältigenden Detailmasse seiner Großformate eine Antithese zur Minimal Art zu formulieren, während er konzeptuell mit ihr verbunden blieb.87 Die visuellen Details ergeben zwar in der Gesamtheit eine Figur, doch aus der Nähe sind sie selbst kaum greifbar und lassen sich dieser nur schwer zuordnen. Im Gegensatz zu den klassischen kleinen Porträtformaten übersteigen Closes Leinwände die Wahrnehmungsgrenze des Betrachters, während sie ihn mit einer Zoomansicht des Gesichts als Foto-Ausschnitt konfrontieren. Der Kopfausschnitt wirkt im Blow-up wie losgelöst vom restlichen Körper, der aus dem Fokus verschwimmt. Zugleich bieten die Bilder eine additive Makro-Optik, bei der sich die gleichmäßigen Rasterfelder als Bilder im Bild zusammenschließen, während die Binnenzeichen als Bausteine eines abstrakten Musters fungieren. Die flirrend-diffusen Elemente der Mikroebene fließen zu Gesichtsdetails auf der Gegenstandsebene zusammen, bis das Porträt schließlich als ganzes Bildphänomen erscheint. Nicht nur das Auge, auch der Körper des Betrachters wird von dieser dynamisch verschiebbaren Dimensionalität überfordert, was eine Begegnung mit dem Porträt unter dem Aspekt der ‚angemessenen‘ Distanz zum Subjekt nahezu unmöglich macht.88 Trotz ihrer nüchternen Ästhetik und sachlichen Herstellungsweise erhalten die Gesichter durch ihre schiere Größe und aufdringliche Sichtbarkeit etwas Offensives und Erschreckendes – ihre Frontalität und rätselhafte Ruhe neben ihrer Monumentalität wecken sowohl eine menschliche Faszination als auch den unwillkürlichen Wunsch zurückzuweichen. Auf der anderen Seite hat Closes strukturell gewendeter Porträtbegriff ebenso Vorläufer in modernen Ansätzen wie der abstrahierten Objektivität von Cézanne oder den Impressionisten und Pointillisten. Mit diesen verbindet ihn der Anspruch einer distanzierten, gegenständlichen Mimesis durch eine abstrakte malerische Methode, wo das Motiv dem autonomen Bildprinzip untergeordnet wird, wie Cézannes Porträt seiner Frau zeigt (Abb. 28).89 Hier bestimmt auf ähnliche Weise das Wie der malerischen Konstruktion und nicht das Wer des Dargestellten die Bildform, wobei die Leinwand im Vorgriff auf das Allover-Prinzip bereits als gleichwertige Fläche einer Bildkonfiguration aufgefasst wird. Es geht zudem darum, visuelle Sinnesdaten in malerische Kürzel zu überführen: So spricht Close von einer ‚Übersetzungsarbeit‘ der Bildinformation, woraus die mimetische Porträtähnlichkeit quasi als Nebeneffekt resultiert.90 Das Gesicht gleicht in seiner flächendeckend dünnen Ausführung einer aufge87 Vgl. Close zit. nach Glimcher 1986, o. S. 88 Vgl. Brehm 1994, S. 72, wovon der vielzitierten „brobdingnagschen Erfahrung“ die Rede ist. 89 Vgl. hierzu Lucie-Smith 1987, S. 18-19; Badt, Kurt: Die Kunst Cézannes, München 1956; Adriani, Götz: Cézanne. Gemälde, Ausst.-Kat., Kunsthalle Tübingen 1993, Köln 1993. 90 „I’m making a translation, and I want it to be as accurate as possible.“ Close zit. nach Nemser 1970, S. 236; vgl. Gage 1997, S. 126; Lucie-Smith 1987, S. 19.

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spannten Folie mit einem Konglomerat aus Mustern, die eine panoramatische Landschaft formen. Wie in Cézannes emergenten malerischen Strukturen löst sich dieses autonome Bildgewebe mit jedem Schritt des Betrachters stärker vom Porträt, um ein aktives Sehen und Vordringen in die Tiefen des Bildzusammenhangs zu fordern, worüber der Porträtgegenstand aus dem Blick gerät. Während das autonome Bildgewebe bei Cézanne wie auch den Impressionisten aus einem sinnlichen Wahrnehmungsund künstlerischen Gestaltungsprozess entsteht, ergibt sie sich bei Close aus technischen Arbeitsregeln. Er definiert nicht nur die Bildform als abstrakte Struktur, sondern formalisiert ganz konkret die Arbeitsweise mit jedem Schritt der bildlichen Umsetzung, was dem offenen Gestaltungsprozess der modernen Maler widerspricht. In Bezug auf die genannten Grundaspekte des Porträts als klassische Gattung lässt sich Closes Versuch damit beschreiben, dass er das Porträt von seiner repräsentativen Funktion und subjektiven Färbung befreien und als methodische Grundlage eines neuen Bildansatzes verwenden möchte. Gegen die traditionelle Bildordnung des Individualporträts setzt Close die reduktive Formel des Passfotos, womit er eine nichtkünstlerische Präsentation des Dargestellten in seiner faktischen Individualität suggeriert. Mit mit der dokumentarischen Ästhetik der Schwarzweißfotografie richtet sich die sachliche Rhetorik gegen das psychologische Bildnis und seinen menschlichen Fokus, um das Bildsubjekt auf seine Oberflächenerscheinung zu reduzieren. Closes Porträtansatz ist von vielen Paradoxien gekennzeichnet: Seine Entscheidung für ein gegenständlich-dokumentarisches Thema und die ästhetische Neutralisierung durch das ‚antisubjektive‘ Mittel der Fotografie richtet sich gegen den subjektiven Malereibegriff der vorherrschenden Abstraktion. Das Porträt bietet ihm dabei mit seiner traditionellen Forderung nach Ähnlichkeit und Objektivität ein geeignetes Sujet, auch weil durch den Kopf als Close-up des anfänglichen Aktmotivs die mimetische Idee forciert wird. Mit dem frontalen, enorm vergrößerten Gesicht nimmt sich Close allerdings eines Themas an, dessen menschlich-psychologische Ebene kaum eliminiert werden kann, erst recht nicht durch die detailreiche Wiedergabe, selbst wenn diese strukturell abstrahiert wird. Seine erklärte Absicht, den Aspekt der Repräsentation und Subjektivität im Porträt auszuklammern und das humanistische Porträt in eine objektive Visualität umzudeuten, muss daher in ihrem Zwiespalt untersucht werden. Die „Rebellion auf zwei Fronten“91 gegen die modernistische Abstraktion und das traditionelle Porträt erweist sich bei aller konzeptuellen Radikalität als Balanceakt. Denn die Fotografie, deren Technizität die Malerei neutralisieren soll, erhält im Frontalporträt eine unmittelbare psychologische Ausdruckskraft, welche die Intention des Künstlers konterkariert. In Closes Ansatz werden Objektivität und formale Abstraktion strategisch gegen Subjektivität und Ausdruck ausgespielt, bewirken aber zugleich, dass diese Qualitäten sich auf einer anderen Ebene manifestieren. Der Wunsch, das Sujet zu indifferenter Bildinformation zu entleeren, ist also in erster Linie methodisch zu verstehen, weil er sich real kaum erzielen lässt. Denn Closes Maßnahmen zur ‚Neutralisierung‘ des Porträts lenken reflexiv den Blick auf die gattungsspezifischen Fra-

91 Vgl. Collins Goodyear, Anne: Repetition as Reputation. Repositioning the Self-Portrait in the 1960s and Beyond, in: Wick Reaves, Wendy (Hg.): Reflections/Refractions: Self-Portraiture in the Twentieth Century, Ausst.-Kat., Washington, D.C., National Portrait Gallery 2009, Washington, D.C. 2009, S. 13-26.

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gen von Repräsentation, Identität und psychologischer Ausstrahlung und verschärfen diese gerade durch ihre Negierung. Sonderfall Selbstporträt Das Selbstporträt tritt in Closes Werk in einem beträchtlichen Umfang auf, bereits sein erstes Hauptwerk Big Self-Portrait zeigt ein solches. Ihm folgt über die Jahrzehnte seines Schaffens eine Reihe von Selbstdarstellungen mit verschiedensten Medien, Materialien und Formaten, was sein eigenes Gesicht zum meistverwendeten Motiv macht: Sie tauchen in jeder Bildform und Technik auf, von Malereien und Zeichnungen über Druckgrafiken bis hin zu Komposit-Polaroids und Daguerreotypien. Zusammen bieten sie einen aufgefächerten Überblick über die Werkphasen und technischen Ansätze von Close.92 Obwohl die Selbstporträts in unregelmäßigen Zeitabständen entstanden sind, bilden sie im Kontext seines Gesamtwerks eine Konstante. So lassen sich von 1967 bis heute rund 23 Bildvorlagen zählen, die Close zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen und zu Foto-Maquetten verarbeitet hat. Einzelne Motive sind zeitnah oder gar in einer Sitzung entstanden und variieren nur im Aufnahmewinkel (was besonders für spätere Werke gilt), während zwischen anderen mehrere Jahre liegen. Die meisten Vorlagen verwendet Close vielfach in variierenden Techniken und Formaten, so dass neben fast jeder Malerei noch Aquarelle, Druckgrafiken oder Zeichnungen existieren.93 Close hat eher im Nachhinein festgestellt, dass seine Selbstporträts kontinuierlich auftreten und sich mit der Zeit als festes Element in seinem Werk etabliert haben. Er betrachtet sie als Zeitleiste, an der sich Veränderungen in seiner Arbeit – so wie an ihm selbst – ablesen lassen, wobei das eigene Gesicht einem „Prüfstein“ gleicht.94 Die Selbstporträts reflektieren nicht nur seinen physischen Status quo, sondern auch seine künstlerische Entwicklung, die sie exemplarisch an seinem Gesicht als „Ort der Erkundung und des Experiments“ vorführen.95 Ein Künstler steht sich selbst jederzeit zur Verfügung und ist in dieser Hinsicht das praktischste Modell, was sich in der Geschichte des Selbstporträts widerspiegelt, wo es oft als Experimentierfeld für Innovationen oder Anlass für programmatsche Bilderfindungen genutzt wird.96 Die Menge seiner Selbstporträts lässt sich auch damit erklären, dass Close vor neuen Aufnahmen immer zuerst sich selbst fotografiert, um die Bildeinstellungen zu prüfen, so dass die Probe-Selbstporträts oftmals in die Aus-

92 Vgl. Grynsztejn, Madeleine: A Constant-In-Process: Chuck Close’s Self-Portraiture, in: Engberg/Grynsztejn 20051, S. 108-115, hier S. 108; Engberg, Siri: The Paper Mirror: Chuck Close’s Self-Reflection in Drawings and Prints, in: ebd., S. 118-127, hier S. 118. 93 Vgl. Friedman 2005; Sultan 2014; Evangelista 2012-fortlaufend. 94 „I think at a certain point I decided to have at least one self-portrait per show. That became the time line of the work. Besides the changes in the history of eyewear and my gradual loss of hair, I guess it was a sort of – I guess touchstone is a good term.“ Close zit. nach Engberg/ Grynsztejn 20052. 95 Collins Goodyear 2009, S. 20. Alex Katz über Closes Selbstporträts: „He uses his self-portraits to investigate techniques of representation.“ Katz zit. nach Friedman 2005, S. 249. 96 Siehe hierzu Bond/Woodall/Clark 2005.

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wahl einfließen und sich als interessante Vorlagen erweisen.97 Friedman, der dieser Bildgruppe besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, sieht in ihr einen roten Faden und ein formal wie inhaltlich aufschlussreiches „genre within a genre“, der er eine Sonderstellung im Oeuvre zuschreibt, obgleich Close sie nicht anders wertet als seine übrigen Porträts.98 Bezieht man Closes antisubjektiven Ansatz auf das Selbstporträt, dann stellt sich die Frage, wie er sich mit dieser speziellen Tradition auseinandersetzt und was die konzeptuelle Negierung für seine Selbstporträts bedeutet. In der Geschichte der Gattung besetzt das Selbstporträt eine Sonderrolle. Selbstdarstellungen existierten schon lange vor dem Aufkommen des neuzeitlichen Porträttypus der Renaissance, auch wenn sich erst dort das autonome Selbstporträt in der Malerei herausgebildet hat.99 Nach den mittelalterlichen Selbstbildnissen, die meist als Signatur galten, stellten sich Künstler ab der Renaissance zunehmend in der Rolle von selbstbewussten Persönlichkeiten dar, die als gebildete Vertreter der im Humanismus angesehenen Bildenden Künste einen erhöhten sozialen Status genossen. Die Galleria degli Autoritratti führt diesen Anspruch der Künstler und ihre gesellschaftliche Wertschätzung unmissverständlich vor. Diese von Leopoldo und Cosimo III de’ Medici im 17. Jahrhundert gegründete Selbstporträtsammlung in den Uffizien baut auf einer Sammlung der uomini illustri von Cosimo I de’ Medici aus dem 16. Jahrhundert auf, die bereits Künstlerbildnisse in den Reihen ‚berühmter Männer‘ nach den Begriffen der Tugend und Tradition enthielt. Mit dem Mäzenatentum und der humanistischen Kultur wurde ein souveränes Künstlerbild gefördert – wofür Giorgio Vasaris Kunstgeschichtsschreibung ein Zeugnis ist – das im Selbstporträt seinen Ausdruck und seine Bestätigung fand.100 Durch die intime Selbstbeobachtung und -darstellung als Mensch und Künstler spitzen sich die psychologischen Aspekte im Selbstporträt zu. Im Akt der Selbstdarstellung verdichten sich Wahrnehmung und Präsentation in der Doppelrolle des Künstlers als Subjekt und Objekt, Schöpfer und Modell – dieses Konglomerat tritt dem Betrachter dann als Bildsubjekt entgegen. Der meist notwendige Blick in den Spiegel erzeugt den typischen Blick aus dem Bild, der, obwohl er den Betrachter anspricht, zugleich introspektiv ausgerichtet ist. Insofern lässt sich das Selbstbildnis als Spiegelbild verstehen, womit der Betrachter vor dem Bild in die Perspektive des Künstlers versetzt und implizit dazu eingeladen wird, dessen Selbstbetrachtung nachzuvollziehen. Die Blickdynamik erscheint beim Selbstporträt intensiver, da die Position von Künstler und Betrachter in der Begegnung beider Identitäten stärker reflektiert wird. Im

97 Vgl. Engberg 2005, S. 118. 98 Vgl. Friedman 2005, S. 86-87. 99 Vgl. Beyer 2003, S. 101. Siehe auch Holsten 1978; Lucie-Smith 1987; Bond/Woodall/Clark 2005; Pfisterer, Ulrich/Rosen, Valeska von (Hg.): Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 2005. 100 Vgl. Bond/Woodall/Clark 2005, S. 12. Siehe Middeldorf, Ulrich/Prinz, Wolfram (Hg.): Die Sammlung der Selbstbildnisse in den Uffizien, Slg.-Kat., 3 Bde., Kunsthistorisches Institut in Florenz, Berlin 1971; Burioni, Matteo/Feser, Sabine (Hg.): Giorgio Vasari. Kunsttheorie und Kunstgeschichte/Le Vite (1568), Berlin 2004; Woods-Marsden, Joanna: Renaissance Self-Portraiture. The Visual Construction of Identity and the Social Status of the Artist, New Haven 1998.

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Brennpunkt der Spiegelung laufen externe Beobachtung und internes Bewusstsein zusammen, was das Spiegelbild zum Sinnbild des Selbstporträts macht.101 Als Belege des neuzeitlichen Künstlerbildes gelten etwa die Selbstporträts von Dürer und das bereits angeführte mutmaßliche Selbstporträt Mann mit Rotem Turban von van Eyck (Abb. 26).102 Das Bild zeigt einen Mann reifen Alters vor dunklem Hintergrund mit einem leuchtend roten Turban auf dem Kopf, der mit einer Dreivierteldrehung zum Betrachter aus dem Bild blickt. Der Fokus liegt allein auf dem hellen Gesicht und dem kompliziert gewundenen Kopfputz, der das obere Drittel des Bildes einnimmt, während das dunkle Gewand mit Pelzkragen die untere Hälfte füllt. Der Dargestellte richtet mit ernster und konzentrierter Miene einen durchdringenden Blick aus wässrig blauen Augen auf den Betrachter, womit er ihn seinerseits zu einem ähnlich bohrenden Schauen anregt. Im Prozess dieses Blickaustauschs wird die bereits beschriebene extreme Mimesis der Detailstruktur offenbar. Die am Selbstbildnis demonstrierte Malkunst wird durch jenes am Rahmen angebrachte Motto „Als ich kann“ (AΛC.IXH.XAN.) bekräftigt, was zugleich vom Porträtierten ‚ausgesprochen‘ und vom Künstler über das Werk gesagt wird.103 Die Aufschrift als Trompe-l’oeil am bemalten Rahmen deutet das Bild zum Spiegel um, während es die künstlerische Leistung des ganzen Werks beglaubigt. Hier zeigt sich eine rätselhafte Überschneidung von Stimme und Identität des Künstlers unter Einbezug der Betrachterposition. Diese doppelte Selbstartikulation durch das Werk und im Werk kehrt die inhaltlich-formale Komplexität von Selbstporträts mit maximaler Deutlichkeit hervor. Für die Interpretation von Selbstbildnissen bietet die Intention dahinter meist ein ebenso großes Faszinosum wie die Frage nach den darin ‚offenbarten‘ Informationen über den Urheber. In seinem Selbstbildnis im Konvexspiegel (Abb. 31) führt Parmigianino (15031540) im Ineinandergreifen des simulierten Spiegels und seines virtuellen Zerrbildes eine bildliche Selbstobjektivierung des Malers vor. Der illusionistischen Inszenierung einer flüchtigen Visualität im ‚spiegelrunden‘ Tondo, das mit dem profilierten Goldrand aus einem Stück besteht und das Gemälde zu einem täuschenden Spiegelobjekt macht, steht der distanzierende Effekt einer verschlossen Bildwirklichkeit gegenüber – mit der Präsentation des Künstlers als ein sich selbst anschauendes Bildsubjekt wird sein invertierter narzisstischer Blick in den Spiegel zum Zentrum eines selbstbezüglichen Sehens erhoben. Während sich das Bild als scheinbarer Konvexspiegel dem Be101 Mit der Herstellung klarer Spiegelflächen, die eine präzise Selbstbeobachtung erlaubten, kam in Venedig im 16. Jh. eine neue Form des Selbstbildnisses auf, das „im Spiegel gemachte Porträt (fatto al specchi)“, wofür Parmigianinos auf 1524 datiertes Selbstbildnis im Konvexspiegel ein besonderes Beispiel ist. Hierzu und zum Spiegelgebrauch bei van Eyck und Dürer vgl. Bond/Woodall/Clark 2005, S. 12, 18-19; Brilliant 1991, S. 141-174. 102 Siehe Schweikhart, Gunter: Vom Signaturbildnis zum autonomen Selbstportrait, in: Arnold, Klaus u. a. (Hg.): Das dargestellte Ich: Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bochum 1999, S. 165-187; Koerner, Joseph Leo: The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art, Chicago 1996; Marschke, Stefanie: Künstlerbildnisse und Selbstporträts. Studien zu ihren Funktionen von der Antike bis zur Renaissance, Weimar 1998. 103 Vgl. Bond/Woodall/Clark 2005, S. 84; Panofsky 2001, S. 178; Holsten 1978, S. 18-19. Das Bild selbst ‚spricht‘ aus der Datierung am unteren Rahmen: JOHES.DE.EYCK.ME.FECIT. ANO.MCCCC.33.21.OCTOBRIS („Jan van Eyck stellte mich her am 21. Oktober 1433“).

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trachter entgegenwölbt, bleibt es doch hermetisch in sich zurückgezogen. Neben der ambitionierten Selbstdarstellung zeichnet sich dieses programmatische Frühwerk des jungen Malers aus Parma, mit dem er sich bei Papst Clemens VII beworben hat, durch seine medienreflexive Ebene aus.104 Die verzerrende Optik des Spiegels, der die bizarr vergrößerte ‚Malerhand‘ ostentativ im Vordergrund zeigt, bricht mit künstlerischen Konventionen und präsentiert in seiner visuellen Demonstration eine kühne Bilderfindung. Die Rhetorik der Spiegelung reflektiert einerseits die Selbstbetrachtung von Außen als Bedingung des Selbstporträts und andererseits den Umstand, dass eine Person für andere immer nur als visuelle Erscheinung zugänglich ist, was eine Metaebene des Porträts anspricht: Während die mimetische Wiedergabe der akzidentellen Spiegelung das Wesen des Bildes als Oberflächenerscheinung offenbart, weist die Originalität der Bildidee das virtuose Trompe-l’oeil als hochartifizielle Bildkonstruktion aus. So lässt sich ein Selbstporträt allgemein trotz der evozierten Unmittelbarkeit als verschachtelte und invertierte Spiegelsituation begreifen, die sich aus einer zirkulären Selbstbetrachtung heraus der intersubjektiven Kommunikation mit dem Betrachter öffnet.105 Der Blick auf sich selbst verspricht eine intime, authentische Einsicht in die Künstlerpersönlichkeit, was bei der Deutung moderner Porträts häufig forciert wird – doch zugleich sind Selbstbildnisse komponierte Bilderfindungen, die der Künstler als Selbstaussage an Zeitgenossen oder die Nachwelt vermitteln will. Hier verschärft sich der Dualismus des Porträts zwischen psychologischer Innerlichkeit und repräsentativer Form, was den Doppelsinn des Selbstporträts zwischen privater Introspektion und öffentlichem Image konstituiert.106 In der buchstäblichen Selbstbespiegelung kommen philosophische Implikationen des Bildnisses verstärkt zum Tragen – so stellen autobiografische Porträts mit Verweis auf Lebensphasen oder Altersporträts mit Vanitas-Rhetorik das Künstlerindividuum dar und transzendieren es im selben Zuge, indem sie die Reflexion auf einer allgemeinmenschlichen Ebene anbieten. So wird der Betrachter neben seiner wahrnehmungspsychologischen Einbindung ins Spiegelbild zusätzlich ikonografisch inkludiert, sofern er im Künstler eine mögliche Identifikationsfigur vorfindet.107 Der persönliche Gehalt von Selbstporträts nimmt mit dem autonomen Individualstil in der Moderne zu, wo die künstlerische Gestaltung des Porträts zum formalen Pendant und direkten Artikulationsmittel des Subjekts wird. Als „Ikone und Index ihres Schöpfers“ stellt es somit ein doppeltes Bildnis dar.108 Die Verbindung von Stil und Identität im 20. Jahrhundert, deren suggestive Parallelität in der Rezeption gern angenommen wird, schlägt sich in der beliebten Deutung von Selbstporträts als intimen, expressiven Konfessionen oder sensiblen ‚Seelenbildnissen‘ nieder, die dem ein104 Zum Selbstbildnis Parmigianinos vgl. Preimesberger, Rudolf: Giorgio Vasari: Ursprungslegende eines Selbstporträts (1550), in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 262-272; Brilliant 1991, S. 157-158; Warnke, Martin: Der Kopf in der Hand, in: Hofmann, Werner (Hg.): Zauber der Medusa. Europäische Manierismen, Wien 1987, S. 55-61. 105 Vgl. Koerner, Joseph Leo: Self-Portraiture Direct and Oblique, in: Bond/Woodall/Clark 2005, S. 67-81, hier S. 67. 106 Vgl. Holsten 1978, S. 52-61; Wick Reaves 2009, S. 1-11. Zum Image vgl. Köstler 1998, S. 9-14. 107 Vgl. Friedländer 1963, S. 242; Brilliant 1991, S. 142-144; Bock 1980, S. 157-159. 108 Koerner 2005, S. 68.

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fühlenden bis voyeuristischen Blick entgegenkommen. Die stark psychologisierende und biografisch fokussierte Lesart erstreckt sich bis zu Pollocks Abstraktionen, die als ‚metaphorische Selbstporträts‘ bezeichnet wurden.109 Close spricht mit seinem Bildnis Big Self-Portrait neben der Tradition der Porträtmalerei auch die des Selbstporträts an. Dadurch erhöht sich die Spannung zwischen seinem antisubjektiven Konzept, das sich gegen die Bildpsychologie und expressive Formensprache richtet, und dem konkreten Bildmotiv, das Closes monumental vergrößertes Gesicht in einer bewusst sachlichen, technisch vermittelten Form zeigt. Wie eingangs erwähnt, lässt sich Big Self-Portrait als programmatisches Schlüsselwerk für Closes künstlerischen Ansatz begreifen, wobei es in vielfacher Hinsicht eine Sonderrolle unter seinen Porträts und Selbstporträts einnimmt. Während das Problem der ‚neutralisierten‘ Subjektivität hier mit besonderer Deutlichkeit zutage tritt, erweist sich das Selbstporträt für Close im gleichen Zuge als besonderes Demonstrationsobjekt seiner Distanzierungsstrategie. In der Frontalbegegnung mit Close in persona tritt nämlich die fotografische Objektivierung des Künstlers im eklatanten Kontrast zum Ausdruckspotential des Selbstporträts noch deutlicher zum Vorschein. Ikonografisch ist das Selbstbildnis – anders als das neutral gemeinte Passfoto – vielsagend: Der angedeutete nackte Oberkörper spricht für ein legeres, privates Auftreten, unterstrichen durch die ungepflegten Haare und Bartstoppel sowie die auffällige Zigarette. Zusammen mit dem nonchalanten Gesichtsausdruck wird die informelle Lässigkeit einer Alltagserscheinung vermittelt. Der beiläufige Schnappschusscharakter wird durch den bewegten Rauch zusätzlich unterstrichen. Der konfrontativ und doch gleichgültig blickende Künstler entzieht sich dank der spiegelnden Brillengläser ein Stück weit dem Auge des Betrachters, vergleichbar mit dem verkleidenden Effekt einer Sonnenbrille. Eine Begegnung ‚auf Augenhöhe‘ wird durch die leichte Froschperspektive und physische Übergröße des Porträts erschwert: Closes Gestalt erhebt sich auf der 2,73 m hohen Leinwand wie ein Riese vor dem Betrachter, was in gewisser Hinsicht seiner alltäglichen Perspektive von damals entsprechen dürfte, als er mit 1,92 m Körpergröße seine meisten Mitmenschen überragte (Abb. 32). Im Nebeneinander von realer Person und ihrem Bildnis wird dennoch die enorme Unverhältnismäßigkeit erkennbar. Das Close-up des Bildausschnitts zieht nicht nur die Figur mit einem zoomenden Blick auf körperliche und fotografische Details heran – etwa auf den Fokusbereich oder Unschärfen und Spiegelungen – sondern verfremdet auch das klare Figur-GrundGefälle zu einer flächig umrissenen Monoform. Bei dieser Umwandlung spielen die Frontalität und symmetrische Anlage der Figur eine wichtige Rolle, wie die Bildauswahl für das Selbstporträt zeigt (Abb. 33). Aus der Reihe der schwarzweißen Probeabzüge hat Close ein einzelnes Bild ausgewählt und darin einen Ausschnitt umrahmt, das der Komposition von Big Self-Portrait entspricht. Da er die Kamera in der Hand hielt, so dass sich Ausschnitt und Aufnahmewinkel (anders als beim Stativgebrauch) nur bedingt überprüfen ließen, wurde sein Kopf aus einer leicht schrägen und nach rechts gekippten Untersicht aufgenommen. Der Ausschnitt begradigt das Bild und platziert den Kopf als zentrales Motiv auf die senkrechte Mittelachse.

109 Vgl. Lucie-Smith 1987, S. 24.

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Auch wenn diese ersten Aufnahmen noch einen rudimentären Charakter aufweisen, ist in der Reihenaufnahme Closes Bemühen zu erkennen, über die mehr als zehn Fotos die gleiche Position mit dem gleichen Gesichtsausdruck und Zigarettenmotiv beizubehalten, was für eine bewusste Bildkonstruktion spricht. Ihre fast identische Komposition gleicht auf den ersten Blick seriellen fotografischen Reproduktionen, bis bei genauerer Betrachtung die unterschiedlichen Lichtverhältnisse und abweichenden Details sichtbar werden. So sind auf einem Bild die Augen geschlossen, während auf einem anderen die Zigarette fehlt. Obwohl er ‚blind‘ fotografierte, beugte sich Close dabei leicht über die Kamera, so als könne er sich in der Linse erblicken, was seinen halb offenen Augen eine nachdenkliche Konzentration verleiht und an den forschenden Blick in zahlreichen Spiegel-Selbstporträts erinnert. Die kontemplative Lesart wird andererseits durch die gleichgültige Miene gebrochen, die Close mit der lose zwischen den Lippen gehaltenen Zigarette zur Schau stellt. Hier liegt ebenfalls eine Verschränkung aus Selbstbetrachtung und nach außen gerichteter Selbstdarstellung vor, auch wenn die ‚Selbstreflexion‘ nur mittelbar durch die Kamera angedeutet wird. Die Selbstdarstellung teilt sich zeitlich auf in die Aufnahme und nachträgliche Auswahl und Anpassung des Motivs, was jedoch primär dem Entwurf einer Bildform dient und weniger der persönlichen Repräsentation. Dennoch bleibt seine aufdringliche Wirkung unübersehbar: Statt des abgekehrten Gesichts in Big Nude richtet nun der Künstler in einer frontalen Großaufnahme seinen Blick auf den Betrachter. Genauso offensiv wie die ikonische Inszenierung präsentiert Close sein formalistisches Bildprogramm, dessen indifferentes Konzept der psychologischen Präsenz des Dargestellten diametral gegenübersteht. Zwar wurde Closes Selbstporträt aus der Bildidee von Big Nude abgeleitet, doch wollte der junge Künstler durchaus ein lautes und auffälliges Statement setzen, um sich unter zeitgenössischen Kollegen zu behaupten. Lautstark demonstriert er auf der übergroßen Leinwand eine antimalerische Gegenständlichkeit, die das Konkurrenzverhältnis zwischen dem handwerklichen Medium und der Fotografie maximal ausreizt – zudem sollte die fotomimetische Figuration gegenständliche wie abstrakte Maler (und Nichtmaler) irritieren.110 Wie eine Ankündigung klingt dabei der Titel Big Self-Portrait, der den Blick sofort auf Closes eigene Person lenkt und – anders als bei einem unbekannten Modell – den selbstbewussten Machismo deutlich macht, der sich in diesem ‚aufgeblasenen‘, betont ungeschönten Blow-up zeigt. Entgegen der oft anzutreffenden Eitelkeit von Selbstdarstellungen tritt er mit einer ungehobelten Direktheit auf, in der wiederum die Eitelkeit des jungen Rebellen aufscheint. Darin unterscheidet sich Big Self-Portrait gravierend von den anderen Bildern der Werkserie sowie Closes späteren Selbstbildnissen. Dieser räumt ein, dass er in seiner Anfangsphase im Unterschied zu den sonst zurückhaltenden Kompositionen vor allem auf einen überwältigenden Bildeffekt abgezielt habe:

110 Glueck, Grace: Artist Chuck Close: ‚I Wanted to Make Images That Knock Your Socks Off!‘, in: The New York Times, 10.06.1981, S. 26. In einem anderen Interview spricht Close vom Wunsch als junger Künstler, Eindruck zu machen: „Es war reine Pose. Ich wollte ein riesiges Bild machen, das einen umhaut. Niemand sollte eine Ausstellung, an der ich beteiligt war, verlassen und hinterher fragen: War da ein Chuck Close dabei?“ Close zit. nach Bodin 2009, S. 56.

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„Initially I wanted to make big, aggressive, confrontational images. I wanted to portray myself as the angry young man, the James Dean period of my life, with the cigarette hanging out of my mouth. I didn’t purposely try to make those paintings ugly, but I think there was a certain kind of theatricality there [...].“111 In äußeren Makeln wie der groben Haut und dem dünnen Haar sowie eigenwilligen ‚Verhaltensmakeln‘ wie der Zigarette und der ungepflegten Erscheinung liegt eine inszenierte Imperfektion, in der sich die eigentliche Souveränität des Bildsubjekts ausdrückt. Close verkörpert ein nonkonformes Künstlerbild, das vor dem Hintergrund der Jugendbewegung und Protestkultur der 1960er Jahre als typisch gelten kann. Somit spiegelt Big Self-Portrait nicht nur eine künstlerische Position wider, sondern mit Blick auf den kulturellen und politischen Hintergrund ebenso eine zeitgeistige Attitüde.112 In diesem juvenilen Geist spricht die Nachlässigkeit gegenüber dem eigenen Erscheinungsbild gerade für das Ego des Künstlers, der sich ungeschminkt und frei von jeder Etikette zeigt. Der gesellschaftliche Nonkonformismus spielte besonders in frühen Selbstbildnissen des 20. Jahrhunderts eine Rolle, in denen die Zigarette als Attribut des eigenwilligen modernen Bohemiens häufig auftaucht.113 Auch in fotografischen Künstlerporträts hat sich, meist vor der informellen Kulisse des Ateliers, eine Ikonografie des arbeitenden Künstlers mit Zigarette entwickelt, was sich besonders in Closes Vorgeneration bei Pollock, de Kooning und Rothko findet. In Big SelfPortrait aktualisiert Close also eine tradierte Künstlerrolle und setzt – Parmigianino darin nicht unähnlich – das Selbstporträt dazu ein, sich mit einem kühnen Wurf anzukündigen und das Publikum auf sich aufmerksam zu machen. Am eigenen Bildnis bietet er eine spektakuläre Demonstration seiner virtuosen Leistung und konzeptuellen Radikalität: Durch die frappierende Porträtidee und das technische Bravourstück wird Close doppelt repräsentiert, gleichsam mit einer Selbstbehauptung im Sinne von „Als ich kan“. In seinen weiteren Selbstporträts wendet Close das neutralisierende PassbildSchema an, das ihn ohne narrative Attribute und auffällige Mimik zeigt. Er behandelt sich selbst bei dieser impliziten Inszenierung wie all seine anderen Modelle und lässt sich vom Kameraauge wie einer zweiten Instanz erfassen, deren Blick er erst im Nachhinein in den Fotografien sieht. Seine Selbstporträts erscheinen somit ‚abgelenkt‘, weil durch die Kamera eine räumliche und durch die Foto-Malerei-Übertragung eine zeitliche Distanzierung und Objektivierung entsteht, die sich vom unmittelbaren Zugang des Spiegelbildes unterscheidet. Die optische Perspektive der Kamera vertritt dabei den Modus des entsubjektivierten Blicks, was einem realen Gegenüber entspricht, da

111 Close zit. nach Glimcher 1986, o. S.; vgl. Storr 1998, S. 53. 112 Vgl. Finch 20101, S. 48. 113 Ein Beispiel ist Munchs Selbstbildnis mit Zigarette (1895), vgl. Berman, Patricia G.: Edvard Munch’s Self-Portrait with Cigarette: Smoking and the Bohemian Persona, in: Art Bulletin, 75, 1993, S. 627-646, zit. nach Bätschmann 1997, S. 277-282. In Max Beckmanns Selbstbildnis im Smoking (1927) komplementiert sie das Bild des mondänen, sozial arrivierten Künstlers.

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sich Close anstelle einer spiegelverkehrten, subjektiven Ansicht ‚richtig‘ herum in der Fotografie abbildet, so wie ihn andere wahrnehmen.114 Wo im Selbstporträt sonst eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt zu einem Konglomerat aus Künstler, Modell und Betrachter stattfindet und das Porträtieren gewissermaßen als ‚blinder‘ Simultanprozess abläuft, werden diese Aspekte bei Close durch die Trennung von Selbstwahrnehmung, Fotografie und Malerei aufgelöst. Die besondere Schwierigkeit des von Jaques Derrida als bildpsychologischen Sonderfall beschriebenen Selbstporträts, die in seiner reflexiven Blickdynamik und chiastischen Phänomenologie begründet liegt, wird bei Close umgangen, indem die raumzeitliche Simultaneität (samt dem Narziss-Komplex) in einen sukzessiven Bearbeitungsprozess aufgespalten wird.115 Wo die phänomenologische Selbstwahrnehmung durch das Sichten der fotografischen Bildbeschaffenheit ersetzt wird, verliert auch der kontemplative Aspekt des Selbstporträts an Bedeutung. Aufgrund ihres identischen Verfahrens zwischen der Anfertigung einer Vorlage und der Bildherstellung sollten Closes Selbstporträts nicht die „persönliche Dichte“ aufweisen, die dem Bildtypus üblicherweise zugeschrieben wird.116 Close spürt ein Fremdgefühl gegenüber den eigenen Bildnissen, weshalb er von Big Self-Portrait in der dritten Person spricht und sich als ‚Er‘ bezeichnet. In der monatelangen Arbeit aus nächster Nähe vergaß er oft das Bildsubjet und nahm nur noch Detailabschnitte wahr, bis der Schritt aus dem Atelier wieder einen Blick auf das Ganze bot und ihm sein eigenes Abbild bewusst machte.117 Obwohl Objektivität gegenüber sich selbst nach Friedländer am schwierigsten sein soll, wird es Close durch den abgeleiteten Blick möglich, sich rein faktisch als Fotografie zu betrachten – oder das Selbst-Bewusstsein durch die Fokussierung auf die visuelle Bildstruktur zu minimieren.118 Wie bei seinen anderen Modellen werden physiognomische Eigenheiten und unvorteilhafte Details im minutiösen Studium ausnahmslos wiedergegeben. Seien es der wirre Bart, das ausfallende Haar, zunehmende Falten und Unebenheiten oder allein die riesigen Nasenlöcher in Big Self-Portrait – eigenwillige Details treten in seinen Selbstporträts scheinbar noch stärker hervor als bei anderen Personen, was teils daran liegt, dass Close noch weniger Rücksicht nehmen muss, wenn er sein eigenes Gesicht inspiziert oder eine markante, doch nicht unbedingt gutaussehende Aufnahme wählt, wie in dieser Vorlage von 1975 (Abb. 34).119 Einerseits entspricht die Anti-EgoHaltung seinem antisubjektiven Ansatz, andererseits drückt sich in seiner eindringli114 Mit der Einführung der Fotografie wurden im 19. Jahrhundert das frontale Selbstporträt und die Profilansicht wesentlich erleichtert, ihre ‚umgekehrte‘ Perspektive zeigt sich markant in Closes Selbstporträts. Es gibt zudem gespiegelte und abgewandelte Maquetten wie die für Self-Portrait (Abb. 2 a-b), einer Variation von Big Self-Portrait als Bleistiftzeichnung. Die Spiegelung und Positiv-Negativ-Umkehr treten häufig in seinen Druckgrafiken auf (z. B. Keith/Three Drawing Set, Abb. 85 b-d), vgl. Friedman 2005, S. 98, 117. 115 Vgl. Derrida, Jacques: Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, hg. v. Michael Wetzel, München 1997; Suthor 19991, S. 106-107. 116 „[...] so dense, the image saturated with his personality“, Brilliant 1991, S. 149. 117 Glueck 1981, S. 26; Close zit. nach Friedman 2005, S. 88. 118 Vgl. Friedländer 1963, S. 238. 119 Vgl. Close zit. nach Friedman 2005, S. 90.

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chen Selbstbetrachtung durch die Fotografie und im unverstellten, massiv vergrößerten Sich-Zeigen eine Offenheit gegenüber dem Betrachter aus wie auch eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst. Close bewegt sich zwischen einer methodischen Distanzierung und einer nahezu obsessiven Beschäftigung mit der eigenen Erscheinung, so dass Qualitäten wie Ehrlichkeit und Authentizität im Selbstporträt letztlich auf objektivem und nicht subjektivem Wege ins Bild einfließen. Nach Big Self-Portrait erprobt Close im Laufe seiner Entwicklung zahlreiche weitere Bildverfahren anhand von Selbstbildnissen. An ihnen lassen sich die unterschiedlichen Techniken und Materialien in wechselnden Formen, Größen und Abstraktionsgraden exemplarisch verfolgen. Nach dem ersten Selbstporträt und dem großen Aquarell von 1976-77 (Abb. 36), das denselben glatten fotomimetischen Stil aufweist wie die Airbrush-Bilder, finden sich kaum mehr Werke dieser Art. Vielmehr löst Close sein Gesicht nun durch variierende Bildmittel auf, so dass häufig nur der Titel das Selbstporträt als solches ausweist. Ein Beispiel hierfür ist die mosaikartige Collage aus getrockneter, in Graustufen eingefärbter Papiermasse auf Leinwand von 1982, von dem es auch Kreide- und Tuschezeichnungen gibt (Abb. 35). In der Radierung von 1977 (Abb. 37) löst sich sein Gesicht hingegen durch die Schraffur auf, obwohl es derselben Vorlage entstammt wie das zuvor entstandene Aquarell. Insgesamt erscheint der Künstler als sein eigenes Demonstrationsobjekt in wechselnden Bildformen, deren Status als Selbstporträts nur eine sekundäre Rolle spielt. In ihrer Chronologie zeichnen sie Closes Entwicklung nach – von der Airbrushtechnik und den diversen Zeichenmethoden mit Bleistift, Tinte, Pastell und Kreide über die druckgrafischen Methoden bis hin zur Fotografie und Ölmalerei. Im übertragenen Sinne stellen sie ein ‚Selbstporträt‘ seines künstlerisches Werks dar, wofür sich ein vergleichbares historisches Beispiel in der Verschränkung von biografischer und künstlerischer Entwicklung etwa bei Rembrandt findet.120 Doch Closes Selbstdarstellung lässt sich auch im Kontext eines konzeptualisierten Kunstbegriffs lesen, der die Autorschaft über die Frage des Künstlersubjekts diskutiert. Die Reproduzierbarkeit, die eine zentrale Rolle in der Kunst der 1960er Jahre spielt, hat in der Fotografie ihr symbolisches Medium gefunden, wobei speziell das von Close zitierte Passfoto die Vervielfältigung der eigenen Identität in standardisierter, serieller Form impliziert. Sowohl Jasper Johns’ Souvenir-Arbeiten (Abb. 39) als auch Andy Warhols Early Self-Portrait von 1964 (Abb. 43) präsentieren eine passbildähnliche Frontalansicht des Künstlers und werden in mehreren Versionen ausgeführt.121 Die zugrunde liegende Bildrhetorik der automatischen Fotografie betont die Distanz zur Person, deren Individualität in der ästhetischen und materiellen Vielfalt der Werke eingebettet wird und gleichsam darin verschwindet. Die wiederholbaren Bildvariationen erweisen sich hier als Pendant zur relativierten Singularität des Künstlers. Im Polizeifoto, auf das Johns und Warhol ebenfalls anspielen, wird die Sachlichkeit des reproduzierbaren Porträts gesteigert. Diese Art der faktischen Selbstdarstellung hat wohl ihren berühmtesten Vorläufer in Marcel Duchamps Wanted: $2000 Reward von 1923 (Abb. 40). Duchamp verknüpft zwei kleine, unscharfe Porträtfotografien von sich selbst, die ihn gemäß gängiger Polizeiaufnahmen en face und en profil zeigen, mit einer fiktiven Identität, während die große Überschrift „Wanted“ 120 Vgl. Brilliant 1991, S. 147-149. 121 Vgl. Collins Goodyear 2009, S. 18-19; Weiss 2007, S. 15; Storr 1998. S. 31.

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zusammen mit Bildern und Text die Form der typischen Fahndungsplakate imitiert. Für seine ironische Aneignung hat er ein vorgefundenes Muster mit leeren Bildfeldern verwendet, worin er seine Fotografien und den Namen im Text sowie sein Pseudonym „RROSE SÉLAVY“ ähnlich einer Künstlersignatur eingefügt hat.122 Sein Spiel aus Aneignung, Dokumentation und Fiktion führt die künstlerische Selbstdarstellung ad absurdum: Duchamp mimt eine reale Person im kunstfremden Kontext, wobei die Situation, die Poster-Vorlage und die Identität des Gesuchten ein Fake sind. Die doppeldeutige Mimikry verunsichert die Rezeption des Kunstwerks und unterläuft den Status des Selbstporträts. Neben der Identität wird auch die visuelle Repräsentation des Künstlers verschleiert, da ihn die unscharfen Fahndungsfotos anonymisieren, wodurch die ‚Fälschung‘ noch überzeugender wirkt. Closes Arbeiten lassen sich zwar im Kontext dieses parodistischen ‚Anti-Porträts‘ betrachten – zumal der Formalismus von Mugshots eine wichtige Rolle in seiner Balance zwischen Anonymität und Identität spielt – allerdings konstruiert er keine explizit narrative Fiktion, die den Personen- oder Bildstatus umdeuten. Ihm geht es hauptsächlich um die fotografische Bildform, die er strikt beibehält und durch die er erst mit der Zeit ein wiederkehrendes und sich dabei wandelndes Selbstbild erzeugt. Collins-Goodyear schreibt dazu in Anlehnung an Roland Barthes’ Autor-Begriff: „[...] Close recasts and refigures himself with each iteration he produces of a portrait head. In portraying himself so multifariously, Close produces a powerful metaphor for the reconceptualization of the self in the era of mass production, the self as a multiplicity, rather than an essential unity.“123 Ob die Diversität seiner Bildformen metaphorisch als „multiple“ Identität des modernen Selbst zu verstehen ist, sei dahingestellt – sicher ist aber, dass Close das inhaltliche Thema der Identität im Porträt auf die Ebene der Bildform verlagert, von wo aus Rückschlüsse auf diese Frage gezogen werden können. Statt einer konzeptuellen Geste wie der Duchamps entwickelt er eine konzeptuelle Arbeitsmethode für Bilder, die sich weiterhin durch Handwerklichkeit, Materialität, Format und Präsentation als Kunstwerke ausweisen. Ohne Einsatz von Sprache oder expliziter Symbolik (mit Ausnahme von Big Self-Portrait) verwendet Close sein Gesicht als Ausgangsmaterial für Bilderfindungen und setzt sich trotz seiner Sonderrolle ausschließlich formal mit ihm auseinander. Es zeichnet sich ein Widerspruch ab in Closes Ablehnung einer persönlichen Selbstdarstellung auf der einen Seite und der Monumentalisierung seines eigenen Abbilds auf der anderen Seite, die einer visuellen Hybris gleichkommt. Erst die konzeptuelle Distanzierung von der eigenen Person scheint ihm die hemmungslose Steigerung seiner Erscheinung als Bild zu erlauben, denn dort soll die Maximierung nur quantitativ der Form und nicht qualitativ dem Inhalt gelten, selbst wenn es auf das122 Das Originalposter war bereits ein Fake, das Duchamp als Scherzartikel in einem New Yorker Restaurant gefunden hatte, vgl. Brilliant 1991, S. 171-174. Allgemein zu Duchamps Porträtstrategien siehe Collins Goodyear, Anne/McManus, James W. (Hg.): Inventing Marcel Duchamp. The Dynamics of Portraiture, Ausst.-Kat., Washington, D.C., National Portrait Gallery 2009, Washington, D.C. 2009. 123 Ebd., S. 20, vgl. Barthes, Roland: Der Tod des Autors (1968), in: Jannidis, Fotis (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 185-193.

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selbe Ergebnis hinausläuft. Zudem tragen die ausufernde Menge und Vielfalt seiner Selbstporträts zur affirmativen Steigerung seines persönlichen Gewichts bei. Was für das Verständnis der indexikalischen ‚Selbstdarstellung‘ gilt – wenn sich der Künstler durch seinen Stil wie auch sein Bild repräsentiert – trifft auf Close besonders zu, der sich mehr über sein Werk darstellt als ikonisch in seinen Porträts.124 Close weiß um die traditionellen Konnotationen dieses Bildtypus, dem gegenüber er sich im Laufe seiner Entwicklung nicht mehr demonstrativ abwehrend, sondern zunehmend aufgeschlossen zeigt.125 Dass er der Selbstaffirmation nicht abgeneigt ist, wird nicht nur am auffälligen Titel Big Self-Portrait deutlich, sondern auch an allen weiteren Betitelungen mit Self-Portrait, für die er der anonymisierenden Idee gemäß genauso den Vornamen Chuck hätte verwenden können. Im komplexen Charakter seiner Selbstbildnisse tritt das Spannungsfeld der Uneindeutigkeiten in seinem Porträtkonzept klar zutage. Der psychologisch aufgeladene Bildtypus vereint die gegenläufigen subjektiven Aspekte mit Closes formalistischer Methodik, deren Strenge und Ambivalenz durch den motivbedingten ‚Widerstand‘ kontrastierend hervorgekehrt werden.

1.2.2 ID STATT IDOL: CLOSE UND WARHOL Pop Art und Pop-Ikonen Als Close Greenbergs Aussage zum „unmöglich gewordenen“ Porträt zitiert, erwähnt er Andy Warhol als einen Porträtkünstler der frühen 1960er Jahre, den Greenberg allerdings nicht so wahrgenommen habe: „But of course, he didn’t consider Warhol a painter. [He] had been making portraits and was essentially a portrait painter, if you think about it.“126 Obwohl Close in Warhol einen Vorläufer erkennt, der über die Auseinandersetzung mit Massenmedien und alltäglichen Motiven eine neue Figürlichkeit in der Pop Art eingeführt hat, bezieht er sich meist nur dann auf Warhol, um sich von diesem abzugrenzen. Von dessen Ikonen, als welche die Porträts jener Stars und öffentlichen Personen wie Marilyn Monroe, Liz Taylor, Jackie Kennedy oder Mao Zedong bekannt waren, distanziert sich der über ein Jahrzehnt jüngere Close, der stattdessen die Unterschiede zum bereits etablierten Warhol betont: „He made his in one quick squeegee stroke and I made mine piece by piece over a long period of time, so the approach and the attitude and everything was very different. And I didn’t want to do celebrities; he owned movie stars and all that stuff. I wanted Everyman and Everywoman, just regular folks,

124 Vgl. Koerner 2005, S. 68; Wick Reaves 2009, S. 8, mit Verweis auf Grynsztejn 2005, S. 110. 125 Vgl. Nairne 2005, S. 204-207. 126 Close zit. nach Engberg/Grynsztejn 20052. Auch von anderen wurden die großen Porträtköpfe als „shock, but not that big a shock“ beschrieben, da die Pop Art zuvor schon „big heads“ präsentiert habe, so Lucas Samaras, zit. nach Friedman 2005, S. 280.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 95

most of whom went ahead and got famous on me. I thought absolutely about the mug shot as a way around commissioned portraiture.“127 Auch in der Literatur werden Closes nüchterne, detailreiche Porträts eher im Kontrast zur Warhol-Ikone gesehen und mit Passbildern assoziiert.128 Die schematische Gegenüberstellung von ‚ID‘ und ‚Ikone‘ soll hier Anlass für einen näheren Vergleich geben, um über das Nachzeichnen wesentlicher Parallelen ihre Diskrepanz aufzuzeigen. Aus diesen Differenzen lässt sich dann ein schärferer Blick auf das Verhältnis zwischen Porträtmotiv und mechanisiertem Bildverfahren bei Close ableiten.129 Auf den ersten Blick scheint zwischen Close und Warhol eine Kluft zu liegen: In Motivik, Arbeitsweise, Form und Ästhetik unterscheiden sie sich unübersehbar. Der vielseitige Protagonist der Pop Art bewegt sich fließend zwischen Themen, Techniken und künstlerischen Strategien, von denen Porträts nur einen Teil ausmachen. Die große Bandbreite von Warhols Bildnissen umfasst Filmidole, Medienstars, politische Persönlichkeiten und Mitglieder der zeitgenössischen High Society, deren glamouröse Figuren sich häufig in Auftragsporträts zu Kunstwerken sublimieren ließen. Close dagegen befasst sich in den Arbeiten der 1960er und 1970er Jahre nur mit Porträts aus einem vergleichsweise kleinen Motivrepertoire. In ihrer Arbeit am Porträt verbindet beide der Umstand, dass sie in einer von Abstraktion dominierten Zeit das gegenständliche Sujet aufgreifen – aus Ablehnung gegenüber dem malerischen Kanon und mit der experimentellen Aussicht, aus der unzeitgemäßen Gattung ein innovatives Bildkonzept zu entwickeln. Dabei spielt die Kombination des klassischen Tableaus mit technischer Reproduktion und einer nichtkünstlerischen Bildästhetik eine tragende Rolle. Die strategische Distanz zum Bildsubjekt sowie zur eigenen Subjektivität wird bei beiden über das objektive Paradigma der Fotografie aufrecht erhalten, was auf eine Objektivierung des Porträtmotivs über seine technische Vervielfältigung abzielt. Auch wenn dies nur eine von vielen Wegen ist, mit denen Warhol etablierte Kunstbegriffe mit subversiv-ironischem Unterton infrage stellt, liegt hierin eine wesentliche Parallele. Closes ‚Monoformen‘ stellen dagegen eine in sich geschlossene Praxis dar, deren formale Regeln kaum einen Raum für erzählerische Inhalte oder motivische Vielfalt lassen.130 Bei beiden finden sich formale Ähnlichkeiten in den medialen Übersetzungen und kinematographischen Großformaten, die vom Allover-Gedanken bestimmt sind. So wie dies auf den gemeinsamen historischen Hintergrund des Abstrakten Expressionismus verweist, so artikuliert sich in ihren Porträtstrategien gleichermaßen eine ablehnende Haltung gegenüber modernistischen Doktrinen. Die Pop Art der 1960er Jahre lässt sich sowohl in britischer als auch amerikanischer Prägung als Bewegung begreifen, die mit dem überlieferten Künstler- und Werk127 Close zit. nach Engberg/Grynsztejn 20052. Im Interview von 1970 distanziert er sich vom „icon of the head as a total image“ im Sinne von sofort erkennbaren Pop-Porträts, vgl. Nemser 1970, S. 232-233. 128 Vgl. Lyons 1980, S. 30, 33; dies. 1987, S. 28-29; Friedman 1980, S. 13. 129 Ein Vergleich zur Rolle von Medien und mechanischer Indifferenz findet sich bei Storr 1987, S. 21 und Friedman 2005, S. 45, 48. 130 Vgl. Storr 1987, S. 21, wo Closes Werk auch allgemein als geschlossen („self-contained“) und dadurch weniger diskursiv charakterisiert wird.

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begriff der Moderne und deren Fokus auf Personalstil und subjektiver Ausdrucksform brechen wollte, um statt ‚Originalformen‘ vorgefundenes Material aus einer medial und kommerziell gesättigten Lebenswelt zu verarbeiten.131 Die disparate Kombination von Themen, Motiven und Medien bezeugt einen nonchalanten, oft spielerischen Umgang mit der eigenen Gegenwart. Gegenständliche Motive der Alltagswelt fließen dabei materiell oder als bildliche Kopie in die Kunst ein, die sich stilistisch deutlich von konservativen, vom sozialistischen Realismus beeinflussten Strömungen oder der zeitgleich existierenden symbolistisch aufgeladenen ‚humanistischen‘ Malerei absetzt.132 Mit einer indifferenten Arbeitshaltung, die überwiegend kunstfremde Inhalte aneignet und kombiniert, zitiert sie die Prinzipien und Ästhetik serieller Reproduktionstechniken aus Wirtschaft, Populärkultur und Massenmedien, allen voran Werbebilder und Fotografien. Der Realismus, der ihr die anfängliche Bezeichnung New Realism (nach dem Ausstellungstitel in der Galerie von Sidney Janis 1962) eingebracht hat, liegt weniger in der Darstellungsweise als in der Hinwendung zur profanen Wirklichkeit, deren Integration in die Werke zu einer Aufweichung des elitären Kunstbegriffs führt. Der gemeinsame Ausgangspunkt von so unterschiedlichen Künstlern wie Claes Oldenburg (geb. 1929), James Rosenquist (geb. 1933) und Roy Lichtenstein (1923-1997) besteht darin, eine neue Verbindung zwischen der realen Lebenswelt und der Kunstsphäre etablieren zu wollen: „Outside is the world. Pop Art looks out into the world; it appears to accept its environment, which is not good or bad, but different, another state of mind.“133 Die Offenheit gegenüber der sich bietenden Materialfülle erfordert jene nicht-diskriminierende, also indifferente Einstellung, die einen Grundgedanken der Pop Art – und damit eine Hauptqualität der Cool Art – darstellt. So sei es Oldenburg und Lichtenstein zufolge ein Kernaspekt der Pop Art, das Unpersönliche zum Stil zu machen („making impersonality the style“134), wobei das Mechanische und Determinierte als künstlerische Strategie gemeint sind und keineswegs ein persönliches Involviertsein im Arbeitsprozess ausschließen. Das gilt insbesondere für Warhol, der in den 1950er Jahren als kommerzieller Künstler und Werbegrafiker zunächst sehr erfolgreich war.135 Seine offene Faszination für profane Motive und Massenmedien und seine Weigerung, zwischen den künstlerischen Kategorien high und low zu unterscheiden, lässt sich auch auf den langjährigen Umgang mit Werbebildern, Dekoration und Illustration zurückführen. Schon in seinem Frühwerk zeigt sich eine „Ästhetik des Trivialen“, die eine „Ästhetik des schönen Scheins“ begründet.136 Seine „coolness“ und „tactic of unflappable detachment“ sind kennzeichnend für die ironisch-nonchalante Rhetorik der Pop Art, die das Pathos der Transzendenz und Subjektivität der modernistischen Avantgarde 131 Zur frühen Rezeption vgl. Lippard, Lucy R.: Pop Art (1966), 3. Aufl., London 1988. 132 Vgl. ebd., S. 73. Hier ist von einer Abneigung gegen Gefühl („sentiment“) und Erzählung („anecdotalism“) der „humanist schools“ gegen Ende der 1950er Jahre die Rede. 133 Roy Lichtenstein zit. nach ebd., S. 85-86. 134 Vgl. Claes Oldenburg und Roy Lichtenstein zit. nach ebd. 135 Vgl. Ratcliff, Carter: Andy Warhol, New York 1983, S. 14-21. 136 Vgl. Lippard 1988, S. 90; Bastian, Heiner: Rituale Unerfüllbarer Individualität – der Verbleib der Emotion, in: ders. (Hg.), Andy Warhol Retrospektive, Ausst.-Kat., Berlin, Neue Nationalgalerie u. a. 2001-02, Köln 2001, S. 12-39, hier: S. 20.

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hinter sich lässt. Zugleich gehört die kalkulierte Distanzierung zu Warhols Selbstinszenierung als Künstlerfigur und Medienstar, was durchaus als Teil seines Gesamtwerks zu verstehen ist.137 Die figürlichen Motive werden in der neu erschlossenen Gegenständlichkeit zumeist aus externen Quellen ‚importiert‘ und konzeptuell durch ostentativ nicht-künstlerische, nicht-subjektive, nicht-originelle Strategien umgeprägt, was wiederum einen Raum für neue Ausdrucksformen und Bilderfindungen eröffnet. Warhol hat mit seiner aufgeschlossenen Arbeitsweise eine medial reflektierte Bildsprache entwickelt, die aus ihrer postulierten Leere neue Inhalte schöpft. Michael Lüthy sieht über das „Oppositionsschema“ von Warhol und der New York School hinausgehend, dass sich in der Rückkehr zur Gegenständlichkeit über die Reproduktionstechniken eine Zuwendung zu bisher ausgeschlossenen Ereignissen und Dingen der alltäglichen Erfahrung ausdrückt, was sich als Reaktion auf Veränderungen der Lebenswirklichkeit deuten lässt: Der durch die Formen der Massenkommunikation herbeigeführte Wandel in der Alltagserfahrung und im Weltbild sei gravierend und weitgehend „außerkünstlerisch“, weshalb die Rolle der Medienbilder zu Warhols Zeit eine neue Bewertung verlange.138 Diese ikonische Macht liegt – neben dem bewegten Film- und Fernsehbild – vor allem bei der Fotografie als Massenmedium. Sowohl Close als auch Warhol gehen von der Fotografie aus, auf deren distanzschaffender Objektivität ihre Figuration basiert.139 In der fotografischen Visualität sehen sie einen ‚kunstlosen‘ Grundzug, der das Gewicht des persönlichen Ausdrucks (bzw. seiner Rechtfertigung) in ihren ästhetischen Bildmitteln reduziert. Gleichzeitig wird mit der faktischen Sichtbarkeit der Fotografie eine unmittelbare Bildwirkung hineingetragen, die sich von der konstruierten Darstellung der Malerei wesentlich unterscheidet. So wie Warhol alltägliche Verpackungsmotive oder Automatenfotos einsetzt, wählt Close das profan-dokumentarische Schwarzweißfoto im Stil des Passbildes. Die frühe Arbeit Big Nude weist neben Anspielungen auf Pin-up-Zeitschriften auch Parallelen zu Billboard-Wänden auf, wie sie Rosenquist in seinen breiten malerischen Panoramen reflektiert. Das Großformat ist dort ebenso der Standard wie in der Malerei der New York School. Mit dem gegenständlichen Repertoire der Pop Art verbindet Close also nicht nur jene bereits bei Johns erwähnte Readymade-Rolle der

137 Vgl. ebd., S. 29. Zum Verhältnis von Pop Art und Modernismus vgl. Glozer, Lazlo: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Ausst.-Kat., Kölner Museen 1981, Köln 1981, S. 234238; Rosenblum, Robert: Warhol als kunsthistorisches Phänomen, in: McShine, Kynaston u. a. (Hg.): Andy Warhol. Retrospektive, Ausst.-Kat., New York, MoMA u. a. 1989-90, München 1989, S. 23-35. Zu seiner Kritik am Abstrakten Expressionismus, die sich weniger gegen die Abstraktion als vielmehr ihre elitäre Beschränkung richtet, vgl. Lüthy, Michael: Die scheinbare Wiederkehr der Repräsentation. Ambivalenzstrukturen in Warhols frühem Werk, in: Schwander, Martin (Hg.): Andy Warhol. Paintings 1960-1986, Ausst.-Kat., Kunstmuseum Luzern 1995, Ostfildern-Ruit 1995, S. 31-53, hier S. 32. 138 Vgl. Lüthy 1995, S. 32-33. 139 Siehe Ketner, Joseph D. (Hg.): Image Machine: Andy Warhol and Photography, Ausst.-Kat., Cincinnati, Contemporary Arts Center u. a. 2012-13, Nürnberg 2012; Heinrich, Christoph (Hg.): Andy Warhol – Photography, Ausst.-Kat., Hamburger Kunsthalle u. a. 1999-2000, Zürich 1999.

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Fotovorlage, sondern ebenfalls eine bewusste Profanierung der Malerei durch einen motivischen Alltagsbezug. Warhol entdeckte 1963 den Fotoautomaten als Werkzeug für Porträts und machte diesen zum Substitut der künstlerischen Autorschaft, deren formale Möglichkeiten er an Selbstporträts mit wechselnden Rollen erprobte, etwa in Verkleidung mit Sonnenbrille und Trenchcoat (Abb. 42).140 Aus seiner produktiven Phase in den frühen 1960er Jahren stammen vielfältige Porträtansätze, die theatralisch exaltiert bis obskur verschlossen sind, dabei aber stets eine unpersönliche Maskierung zur Schau tragen und die Distanz einer verfremdeten Reproduktion aufweisen. Als Warhol 1963 erstmals ein Auftragsporträt für Ethel Scull anfertigen sollte, schickte er sie in eine Fotokabine mit der lapidaren ‚Regieanweisung‘, sie solle nach dem Münzeinwurf mit dem Lächeln und Reden beginnen. Aus der Menge der Momentaufnahmen von ihrer improvisierten Handlung vor der Kamera entstand die große Komposit-Arbeit Ethel Scull 36 Times aus sechsunddreißig einzelnen Siebdruck-Paneelen in Rasteranordnung (Abb. 44). Nachdem Warhol nur die Produktionsweise dieses Porträts festgelegt und die Arbeit an den Automaten delegiert hatte (wobei er den ökonomischen Aspekt des käuflichen Portraitservices an diesen weiterreichte), überließ er es dem sonst passiven Modell, sein eigenes Bild vor dem Apparat zu inszenieren. Wie in professionellen Fotoshootings oder nach dem ‚Action!‘-Ruf bei Dreharbeiten wurde die ‚Darstellerin‘ zu einer Performance aufgefordert, womit der Künstler die Porträtaufgabe an die Auftraggeberseite zurückleitete, die im Falle von Ethel Scull bemerkenswerte Fähigkeiten an den Tag legte. Die Bilder zeigen, wie sie das gesamte Bildfeld als Handlungsraum nutzt, mit Haar und Sonnenbrille spielt und scheinbar im Sekundentakt ihren Blick und Gesichtsausdruck verändert. Zu diesem narrativ-dynamischen Effekt trägt der lebhafte tonale Wechsel der Bildtafeln bei, in denen sich die Motive teils gespiegelt und farbig verändert wiederholen. Durch ihre ausgewogene Kombination entsteht trotz der Sprünge in Farbigkeit und Helldunkel ein zusammenhängendes ‚ChronoPorträt‘, dessen filmischer Charakter für Warhols Fotoautomaten-Serien typisch ist und sich in den zeitlich ausgedehnten Porträts der Screen Tests zwischen 1964 und 1966 fortsetzt.141 Die stillose, simple Technik der Automatenkamera ‚entsubjektiviert‘ das Porträt stärker als ein bewusst agierender Fotograf, da die Kamera hier „im eigentlichen Sinne als Maschine“ funktioniert und die künstlerische Gestaltung sich als Konzept hin-

140 Das Selbstporträt ist im Auftrag der Sammlerin Florence Barron entstanden. Von der ‚Verpflichtung‘ zur Selbstdarstellung entzieht sich Warhol hier mithilfe des Automaten, vgl. Rosenblum, Robert: Andy Warhols Masken/Andy Warhol’s disguises, in: Elger, Dietmar (Hg.): Andy Warhol. Selbstportraits/Self-Portraits, Ausst.-Kat., St. Gallen, Kunstverein u. Kunstmuseum u. a. 2004-05, Ostfildern-Ruit 2004, S. 10-29; Hartley, Keith: Andy Warhol. Der Fotoautomat als Portraitstudio/Andy Warhol. The photomat self-portraits, in: ebd., S. 3154; Wäspe, Roland: Konstruktion eines Pop Images/The construction of a pop image, in: ebd., S. 55-93, hier S. 55-56. 141 Zur Verbindung mit den Screen Tests vgl. Lüthy 1995, S. 37-38. Das gilt v. a. für die Automaten-Selbstporträts von 1963-64, die wie frames als Filmbildstreifen oder in Vierer-Serien eine Handlung zeigen, z. B. Self-Portrait (Being Punched) oder Self-Portrait (Abb. 42).

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ter der scheinbaren „Reinheit der Aufzeichnungsmethode“ verbirgt.142 Walker Evans (1903-1975) hatte Mia Fineman zufolge aus ähnlichen Gründen mit Fotoautomaten experimentiert – die Subway Portraits und Automaten-Selbstporträts von 1929 waren Warhol vermutlich bekannt. Auch dort ging es um eine anonyme, neutrale Porträttechnik, was eng mit Evans’ Interesse für den „pragmatischen Realismus polizeilicher Fahndungsfotos“ verbunden war.143 Mit der Bildkomposition in Early Self-Portrait von 1964 (Abb. 43) spielt Warhol seinerseits auf das Polizeifoto an. Die Serie aus farbig variierten Siebdrucken zeigt den jungen Künstler frontal mit gerade ausgerichtetem Blick, ausdruckslosem Gesicht und leicht erhobenem Kinn. Die Augen, die Nase, der Mund, das helle Haar und die dunkle Kleidung sind grob vereinfacht und gleichen plakativen Chiffren. Die verflachte Figur hebt sich deutlich von der kräftigen Farbfläche des Hintergrunds ab, während die harten Kontraste im Gesicht, die Schlagschatten am Kinn, der Schattenglanz der Haare und die schwarze Bildumrahmung die helle, ruhige Gesichtsfläche als Bildzentrum hervorheben. Obwohl die Augen nur angedeutet sind, ‚fixieren‘ die farbigen Punkte den Betrachter mit einem gleichmütigen Blick und lassen die nonchalante Pose erkennen, in der sich der junge Warhol präsentiert. Jahre vor Closes Big Self-Portrait inszeniert sich Warhol in diesem selbstbewusstkonfrontativen Bildnis mit nachdrücklichem Verweis auf das kunstlose Fahndungsporträt, womit er auch auf Duchamps Wanted-Selbstporträt anspielt. Warhols farbig variierte Vervielfältigungen des Motivs gleichen einer ironischen Antwort auf öffentlich verbreitete Fahndungsposter. Allerdings macht ihre stilistische Überzeichnung den sachlichen Identifizierungswert zunichte, so dass die bunte Grafik mehr an Starposter oder Werbeplakate erinnert, denen das mittelgroße Format näher ist. Die grobe variable Farbigkeit verbindet Warhols Selbstporträt mit Starporträts wie Silver Liz (Abb. 45) aus derselben Zeit. Statt der eigentlichen Funktion des Mugshots dient die mittig angelegte, symmetrische Komposition nun einer ikonischen Sublimierung des Künstlers, der sich bildformal in die Reihe der schillernden Ikonen stellt – was jedoch durch Warhols Rolleninszenierung als Gangster relativiert wird, wie seine Automatenporträts vorführen.144 Close zeigt sich in Big Self-Portrait auch in der Rolle des rebellischen Außenseiters, allerdings ist das ikonische Spiel bei ihm zugleich stärker und schwächer ausgeprägt: Er steigert zwar seine Präsenz durch die vergrößerte realistische Darstellung ins Monumentale, doch die aufdringliche Figur löst sich beim Nähertreten in körperliche Details auf, die das Ikonische gleichsam mit einer ‚transparenten‘ Maske aus kleinteiligen Mustern verdecken. Closes Person entzieht sich durch eine gesteigerte Sichtbarkeit, während Warhol sich durch formale Reduktion oder verfremdende Rollenspiele entzieht, so dass seine Person zur typologischen Projektionsfläche wird. In dem ebenfalls 1963 entstandenen Porträtensemble Thirteen Most Wanted Men (Abb. 41 a-b), einer Siebdruckserie mit Fotografien der meistgesuchten Kriminellen 142 Vgl. Fineman, Mia: Notes for Underground. The Subway Portraits, in: Hambourg, Maria Morris u. a., Walker Evans, Ausst.-Kat., New York, Metropolitan Museum of Art 2000-01, New York 2000, S. 113-114. 143 Vgl. ebd., S. 32. 144 Vgl. Wäspe 2004, S. 62; Hartley 2004, S. 39, wo sogar auf die Christus-Ikonografie verwiesen wird.

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aus einer Fahndungsbroschüre der New Yorker Polizei von 1962, übernahm Warhol den Mugshot als konkretes Motiv. Im ursprünglichen Layout wurde jede Person auf einer Heftseite als Doppelporträt en face und en profil gezeigt, ein hinzugefügter Text bot eine Personenbeschreibung mit Angaben zu Verbrechen und Hintergrund, Informationen zur Belohnung und schließlich Fingerabdrücken. Warhol hat in seiner Arbeit die kleinen, teils unscharfen Schwarzweißfotografien als monochrome Siebdrucke vergrößert und damit die grobe Körnung der Originale in ein malerisches Rauschen aus Grautönen verwandelt. Die Gesichter erscheinen mal vor schwarzem Hintergrund, mal lösen sie sich in weiße Leerflächen auf. Bei ihrer Übertragung in Einzelporträts verzichtete Warhol auf die Nachbearbeitung oder farbige Gestaltung, so dass diese Bilder zu seinen sachlichsten gehören. Auch wenn acht von ihnen das kennzeichnende Nummernschild der Polizeifotografie tragen, sind nicht alle Mugshots – unter ihnen sind Ausschnitte aus anderen Aufnahmen enthalten, in denen der Gesuchte in abweichenden Winkeln zu sehen ist. Erst die Reihenpräsentation der Fahndungsbroschüre schafft den Eindruck formaler Einheitlichkeit. Der kriminalistische Kontext, den Warhol anhand der Bilder und ihrer Betitelung explizit übernommen hat, fordert ohne die Textinformation unweigerlich zum physiognomischen Gesichterlesen auf, was durch die ‚Bildstörungen‘ des Mediums erschwert wird. Folglich rückt weniger das individuelle Porträt in den Vordergrund als vielmehr die Ikonografie des Fahndungsbildes in seiner medialen Verbreitung durch Fotografie und Druck. So wie Warhols Early Self-Portrait die Form des Polizeifotos ästhetisch aufbricht, wird auch bei Thirteen Most Wanted Men der trockene Ernst von Verbrecherbildern durch die Komposit-Anordnung relativiert: Bei der Installation an der Außenfassade des New York State Pavilion auf der Weltausstellung von 1964 (Abb. 41 a) wurden die Bildpaneele wie flexibel verschiebbare Teile in Rasterformation aufgereiht, worauf die Leerstellen am Ende verweisen. Im Unterschied zur Leinwandversion (Abb. 41 b) erscheinen hier die Doppelporträts teilweise getrennt und müssen bei der Betrachtung zugeordnet werden, zudem ist der Wechsel von Frontal- und Profilbild nicht durchgehend. Die Unregelmäßigkeiten der Rasterformation, Helldunkel-Werte und Blickrichtungen lösen die lineare Ordnung der Fahndungsbroschüre auf und es entsteht eine verwobene Bildfläche, deren spielerisch-kombinatorische Lesarten die ursprünglich sachliche Intention übersteigen. Trotz der konzeptuellen Spannweite seines Werks hat sich die Pop-Ikone als Synonym für Warhols Kunst eingebürgert, was den Schwerpunkt auf seine Porträts legt. Ebenfalls über diesen Begriff bemühte sich Close um eine Abgrenzung zu Warhol. Als Bezeichnung für das religiöse Kultbild im Christentum, abgeleitet aus dem griechischen Wort eikón (εἰκών) für ‚Bild‘ oder ‚Abbild‘, wurde sie in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts schließlich zum Titel für prominente Persönlichkeiten, deren Parallele zum Kultbild eben darin liegt, dass sich ihre Existenz vorwiegend medial in Bildern manifestiert. Medienikonen aus dem Show- und Filmgeschäft oder prominente Personen aus Politik und Gesellschaft gelten bezeichnenderweise auch als Idole, nach dem verwandten griechischen Wort eídolon (εἴδωλον) für das sekundäre ‚Trugbild‘, was über ihre bildliche Repräsentation hinaus eine Vorbild-Rolle für ihre Anhänger impliziert. Diese huldigen in einem von Werbung und Bildmaterial angeheizten modernen Kult der medial verbreiteten Star-Aura. So gehorcht das ikonische Porträt als ‚Kultbild‘ einer prominenten Persönlichkeit ebenfalls Darstellungskonventio-

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nen, die in massenhafter Reproduktion ein bestimmtes Image transportieren und dabei eine Projektionsfläche für die Imagination der Betrachter bieten sollen.145 Warhol überführt das moderne Idol ins Tafelbild, woraus er die Porträtform der Pop-Ikone entwickelt hat. Die stilistischen Eigenschaften – wie das groß ausgeschnittene Gesicht, der Fokus auf die Bildmitte mit der isolierten Figur vor einem weitgehend leeren, monochromen Hintergrund und die schematische Wiederholung von Formen und Verfahren machen Warhols Porträts zu Pendants des traditionellen Kultbildes. Auch die bildontologische Gleichwertigkeit der Kopie spiegelt einen ursprünglich religiösen Aspekt wider. Der unhierarchische Ansatz, der alle Bilder gleichermaßen als mediale Produkte begreift, macht nicht nur die Unterscheidung zwischen Original und Abbild unmöglich, sondern schafft Egalität unter den Motiven: Warhols Interesse für jedes Thema, ungeachtet seiner Tragik, Ernsthaftigkeit oder Trivialität (etwa wenn der Kennedy-Mord, der Elektrische Stuhl, die Atombombe oder die Serie Death and Desaster neben Campbell-Dosen und Brillo-Boxen erscheinen), beruht auf einer indifferenten Grundhaltung, die er auch in den Porträts vertritt. Entsprechend seiner Idee von „15 Minuten Ruhm für jeden“ soll die ikonische Aufwertung im Porträt für alle Dargestellten gleichermaßen gelten. Zur Verklärung von ‚unsterblichen‘ Stars wie Marilyn gesellte sich 1964 die großformatige Präsentation von Schwerverbrechern an der prominentesten Stelle eines öffentlichen Gebäudes, das den Staat New York repräsentierte. Damit rückte Warhol die namentlich gesuchten, doch dem Publikum weitgehend unbekannten Personen trotz ihrer kriminellen Brandmarkung und der unglamourösen, kargen Repräsentation in die Nähe ikonischer Porträts. Wie sehr die Billboard-ähnliche Präsentation der kleinen Schwarzweißfotos einer Aufwertung der Geächteten glich, die sonst nur in Akten und Steckbriefen ihren Platz hatten (obgleich diese ebenfalls öffentlich im Umlauf waren), zeigt die Tatsache, dass Warhol kurz nach der Enthüllung seiner ‚Negativ-Ikonen‘ aufgefordert wurde, sie auszuwechseln, was er ironisch mit einer monochromen Silberübermalung löste.146 Das Prinzip der medial konstruierten Identität und ihrer ikonischen Reproduzierbarkeit gilt bei Warhol prinzipiell für jedes Modell. Bereits existierende Vorstellungen und Erwartungen des Publikums werden von den kondensierten Bildchiffren der Porträts abgerufen und komplementieren das reduzierte Bildnis, wobei eine zeitliche wie auratische Distanz (etwa durch filmische Repetition und Schematisierung)

145 Zum Ikonenbegriff vgl. Fischer, Helmut: Die Ikone. Ursprung, Sinn, Gestalt, Freiburg 1989; Belting, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, 2. Aufl., München 1991; Fahlenbach, Kathrin: Ikonen in der Geschichte der technisch-apparativen Massenmedien, in: Buck, Matthias u. a. (Hg.): Randgänge der Mediengeschichte, Wiesbaden 2010, S. 59-74. 146 Ratcliff sieht im bildlichen Star-Status der Figuren einen „equalizer“ (‚Gleichmacher‘), vgl. ders. 1983, S. 38. Wie bei Warhols Selbstporträts im Trenchcoat stellen Steckbrieffotos nicht nur reale gesellschaftliche Negativporträts dar, sondern erinnern auch an die Filmfigur des Gangsters, mit dessen ikonischem Negativ-Image die lapidar kopierten Porträts spielen und so moralische Lesarten unterlaufen, vgl. Wäspe 2004, S. 56; Hartley 2004, S. 38, Bastian 2001, S. 33.

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als spannungsvolle Differenz spürbar wird.147 Damit ist Warhols Ikone einerseits Inbegriff der vom Medienspektakel genährten modernen Bildfaszination, andererseits eine ‚demokratische‘ Bildstrategie, in der sich seine Idee der Gleich-Gültigkeit ausdrückt. In Reflexion dieser medialen Mechanismen ist der Übergang zwischen den kunstlosen Automatenbildern und Mugshots zu Glamour-Fotos von Hollywoodstars fließend, wie auch der Marktwert von Kultfiguren und Produkten, die in der allgegenwärtigen Werbung ihre ikonische Präsenz entfalten. Der Ikonisierbarkeit trivialer Motive entspricht auf der anderen Seite die Trivialität von Star-Ikonen in den Medien. Warhols Vorliebe für Medienbilder und prominente Gesichter unterscheidet sich deutlich von Closes privatem Kreis der Bildmodelle. Letzterer will bekannte Gesichter ausschließen, weil ihre Wiedererkennung seiner Absicht, das Bild primär als visuelle Struktur erscheinen zu lassen, zuwiderlaufen würde.148 Close definiert das Motiv als ein Bild der Person und nicht das Bild der Person, weswegen narrative Hinweise auf ihre Identität minimiert werden sollen. Diese Einstellung trifft im Grunde ebenfalls auf die späteren Porträts bekannter Künstler zu, die seinem realen Freundeskreis angehören: Ihr Prominentenstatus verdankt sich ihrem Werdegang und fließt als Nebeneffekt in die Rezeption ein – ein solches Porträt muss auf den Betrachter, der diese Persönlichkeit erkennt, unweigerlich ikonenhaft wirken. Während Warhols Bilder sofort nach dem Wer fragen lassen, überwiegt bei Close die technische Frage nach dem Wie, auch wenn eine Neugierde auf die Identität der elaboriert dargestellten Person besteht, die mit auffälliger Vertrautheit beim Vornamen genannt wird. Bei Warhol genügt ein Stichwort wie Liz oder Marilyn, um eine Porträtreferenz nach Art der pseudo-familiären Anrede durch Fans und Medien herzustellen. Auch seine anderen Porträtgruppen entsprechen ihrem jeweiligen Kontext: So werden die Thirteen Most Wanted Men entsprechend der Kriminalkartei mit Ordnungsziffer und Namen betitelt und ihre Identität teilweise durch Initialen anonymisiert, so etwa in No. 10 Louis Joseph M. (Abb. 41 b). Warhols Auftragsporträts aus den 1970er Jahren nennen hingegen den nicht selten klangvollen ganzen Namen der Person, woraus ein glamouröses Who is Who der High Society entsteht. Nach den entrückten Starfiguren der 1960er Jahre zeigt sich in diesen Auftragswerken für den elitären Freundes- und Sammlerkreis eine andere Intimität, aber auch Trivialität, was ihm damals den Ruf des „neuen Gesellschaftsmalers“ oder „Hofmalers“ eingebracht hat.149 Warhols Spiel mit dem Personenkult markiert den größten inhaltlichen Widerspruch zu Closes Porträtidee. Während Warhol die Darstellung der jeweiligen Personen bewusst gestaltet und ihr Bild ästhetisch konstruiert (einschließlich der beliebigen Behandlung), was sich in der unterschiedlichen Betitelung zeigt, differenziert Close nicht zwischen Personengruppen, sondern Bildformen, in denen dieselben Personen 147 „Warhols reproduktive Bilder [...] existieren in der Konversion der Subjektivität der fernen Aura (des Vorbilds).“ Vgl. ebd., S. 31-32. 148 „The relative anonymity of his subjects, he believes, forces viewers to confront his works as ‚paintings first and portraits second.‘“ Vgl. Lyons 1980, S. 33. 149 Vgl. hierzu Bourdon, David: Andy Warhol and the Society Icon, in: Art in America, Bd. 63/Nr. 1, Jan.-Feb. 1975, S. 42-45; Rosenblum, Robert: Andy Warhol: Court Painter of the 70s, in: Whitney, David (Hg.): Andy Warhol. Portraits of the 70s, Ausst.-Kat., New York, Whitney Museum of American Art 1979, New York 1979, S. 8-21.

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wiederholt auftauchen. Ihre Identitäten als Modelle gleichen festen Konstanten, die sich durch unterschiedliche Werkgruppen ziehen. Wo Warhol unzählige Modelle mit virtuoser Routine durchspielt und ihre Bilder als ‚Massenware‘ auflegt, arbeitet sich Close in einer kontinuierlichen Atelierpraxis an wenigen Vorlagen ab, während der langsame Prozess ihn das Porträt-Ziel beinahe vergessen lässt. Dennoch sind Closes Arbeiten nicht bloß antithetisch zu Warhols Ikonen zu sehen. Ihre Bildkonzepte überschneiden sich unter wichtigen formalen und technischen Aspekten wie Vergrößerung, Format und Serialität. Der Gedanke der mechanischen Reproduktion wird bei beiden unterschiedlich verarbeitet, spielt aber eine zentrale Rolle für ihre Verfahren, die auf dem Prinzip der Oberfläche beruhen. Blow-up, Serialität und slick image Auf formaler Ebene lassen sich Parallelen zwischen Close und Warhol in einigen Punkten nachweisen, die ihren Bildbegriff und ihre Werkästhetik maßgeblich bestimmen. Dazu gehören die Ausschnittvergrößerung (Blow-up) und großformatige Nahansicht (Close-up), das strukturelle Allover und die mechanisch-serielle Bildproduktion. Über diese Punkte wird der formale Bildbegriff – und darüber der Porträtansatz – bei beiden Künstlern wesentlich definiert. Die Größe ist ein entscheidender Parameter: Bereits Warhols Campbell Soup Cans von 1962 erreichen nahezu zwei Meter, die rund 210 cm hohen Elvis-Arbeiten (1962-64) sind überlebensgroß und die quadratischen Porträtköpfe von Marilyn oder Silver Liz messen jeweils 101,6 cm. Die mit repetitiven Motiven bedruckten Leinwände gehen im Format noch weiter, während das gigantische Brustbild Mao (1973) mit 448,3 x 346,1 cm sogar die Dimensionen monumentaler Staatsporträts übersteigt. Im Vergleich dazu erreicht Closes Big Nude mehr als sechs Meter, während seine Porträts auf Leinwand meist über 270 cm hoch sind. Auch in den anderen Techniken, ob Aquarell, Radierung oder Polaroid-Fotografie, tendiert er zu Formaten, die die übliche Größe des jeweiligen Mediums sprengen. Das zeigt sich etwa bei der ungewöhnlich großen Mezzotinto-Radierung Keith/ Mezzotint (Abb. 104) und den mit einer Großbildkamera von Polaroid hergestellten Selbstporträts und Aktaufnahmen (Abb. 98-99, Abb. 102-103). Dabei ist Größe nicht nur eine Frage der realen Bildmaße – sie lässt sich gleichfalls durch kompositorische Mittel evozieren: Wenn die Figur bildfüllend zentral platziert und dem Betrachter frontal zugekehrt ist, maximiert diese Ansicht ihre Flächigkeit und weckt den Eindruck von größerer Nähe. Während Warhols Porträts je nach Ausgangsbild und Format unterschiedlich angeschnitten sind und bei den Motiven Marilyn, Liz und sogar Mao eine leichte fotogene Drehung des Kopfes aufweisen, wie sie professionelle Porträtaufnahmen zeigen, sind die Kompositionen in Thirteen Most Wanted Men und Warhols Early Self-Portrait schematischer, weshalb sie Close am nächsten sind. Warhol hat echte Polizeifotos verwendet, während Close dieses Bildschema bewusst nachstellt, so dass ihre konzeptuelle Gewichtung unterschiedlich ausfällt: Warhol thematisiert mit seiner Aneignung zugleich die Bildpraxis des Fahn-

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dungssteckbriefs, Close hingegen setzt das Kompositionsschema primär für die formale Vergrößerung des Motivs ein.150 Daneben erzielt Warhol eine additive Vergrößerung durch die serielle Reihung von Motiven, die das Bild wie ein Muster füllen. Diese lassen sich mal chronologischsukzessiv wie in Ethel Scull 36 Times oder den multiplizierten Elvis-Figuren, mal abstrakt-simultan wie in den Campbell-Dosen wahrnehmen. In Marilyn Diptych (Abb. 46) löst sich das Porträt in der Masse ornamental auf und wird zur Bildwand, zugleich jedoch existiert der Marilyn-Kopf als vergrößertes Einzelmotiv wie Liz. Generiert wird diese Größenübertragung und potenzielle Vervielfältigung in Warhols Siebdrucken durch das zugrundeliegende Raster, das teils deutlich in den gleichmäßigen Bildfeldern, teils indirekt als filmische Frames erscheint. Im Rasterprinzip liegt die klassische mathematische Vergrößerungstechnik für eine maßstabgetreue Übertragung, wie sie historisch in der Architektur oder Freskomalerei genutzt wurde und in modernen Drucktechniken und Grafiken weiterhin eingesetzt wird. Die Rolle des Rasters bei Close, die noch ausführlicher betrachtet werden soll, ist zentral für seine methodische Herangehensweise, wie seine Maquetten belegen. Gemäß dieser quantifizierenden Ordnung wird die Bildstruktur der Vorlage zerlegt und aus elementaren Zeichen wiederaufgebaut, die für sich genommen vom Bildformat unabhängig sind. Somit impliziert das Raster eine dimensionale Verschiebbarkeit, die aufs Engste mit dem Größenparameter bei Close zusammenhängt. Die Monoform des Kopfes, die in Warhols Ikonen vorherrscht und bei Close als formales Schema auftritt, erzeugt durch ihr bildfüllendes Verhältnis zum Gesamtformat eine virtuelle Vergrößerung der Figur, wie Closes vierteilige Serien Bob I-IV und Robert I-IV (Abb. 87 a-d) demonstrieren. Indem die Bildmaße schrittweise zunehmen und die Struktur sich jedes Mal verdichtet, werden zwei Größenprinzipien vorgeführt: Quantitativ nehmen die Maße des Porträts zu, und zwar von 154 auf 616, 2464 bis 9856 Bildfelder. Qualitativ bleibt der Kopf im Bild aber gleich groß und erscheint sogar dominanter im kleinsten Bild, da die Punktelemente, aus denen er sich zusammensetzt, hier im Verhältnis zum Format größer sind. Close schafft mit der Rasterstruktur keine Großformate durch eine additive Fortsetzung wie Warhol, der das Marilyn-Porträt zu einer ornamentalen Tapete hätte ausdehnen können, wie er es mit anderen Motiven getan hat. Stattdessen unterlegt Close das Motiv mit einem Raster als Vehikel für potenzielle Bildvergrößerungen. Die visuelle Qualität der Größe wird hingegen durch die Bildanlage selbst erzeugt. Dies haben Closes Köpfe und Warhols Ikonen gemeinsam – ihre kompakten Kompositionen verleihen auch vergleichsweise kleinen Bildern das Aussehen von Großformaten. Das Close-up impliziert die Beobachtung aus der Nähe und stellt ein typisches filmisches Mittel dar, dessen technischer und psychologischer Charakter besonders in Warhols Screen Tests hervortritt. Die stummen dreiminütigen Kurzfilme ähneln zeitlich ausgedehnten Fotoporträts, wo die Nahansicht mehr Information und Authentizität verspricht – in der Spannung aus Kontrolle und unbewussten Mikrobewegungen lassen sich Physiognomie, Mimik und Verhalten der Person subtil wie präzise

150 „I have a system of how the head is going to fit into the rectangle. The head is going to be so big, it is going to come so close to the top edge and it’s going to be centered left and right.“ Close zit. nach Lyons 1980, S. 34.

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einfangen und studieren.151 Das gilt weniger für Warhols Siebdrucke, wo die Medialität des Bildes zur Barriere wird und durch akzidentellen Informationsverlust, abweichende Farben und andere ‚Bildstörungen‘ an seinen Reproduktionscharakter erinnert. Dennoch wird die Präsenz der Figur durch die kompositorische Zentrierung und das Blow-up gesteigert, was ihr trotz aller distanzierten Ästhetik eine intensive Ausstrahlung gewährt. Neben der realen Größe der Bildmaße bestimmt also das virtuelle Close-up der nahansichtigen Komposition die Bilddimensionen, die sich im Verhältnis zum Betrachter einstellen. Bei Close findet sich hier ein mit der Pop Art vergleichbarer Effekt. So wie sich große Flächen in Warhols Siebdrucken in grobe Muster und Monochromie auflösen, wirken James Rosenquists Bildpanoramen durch ihre reale Größe und virtuelle Vergrößerung abstrakt – alltägliche Gegenstände und Motive werden nicht nur durch abrupte collageartige Kombinationen, sondern vor allem durch ihre Übergröße verfremdet, trotz oder gerade wegen ihrer Detailtreue.152 Ähnlich funktionieren Closes Großformate, die durch die schiere Menge an realistischen Details das visuelle Fassungsvermögen und die gewohnte Gegenstandsansicht übersteigen. Über die Irritation des traditionellen Bild-Betrachter-Verhältnisses hinaus wird auch der institutionelle Ausstellungskontext, in dem die Begegnung stattfindet, gestört: Die vom Boden bis zur Decke reichenden Bilder drohen die Galeriewand zu sprengen und stellen die konventionelle Ordnung von Kunstwerk und Betrachterraum durch ihre Unverhältnismäßigkeit infrage. Warhol greift den Ausstellungs- und Betrachterraum ebenfalls über die Größendimensionen an, indem er diese durch Maße, Materialien und (serielle) Mengen umdefiniert, wofür neben den riesigen Siebdrucken noch seine Bildtapeten oder spiegelnden Ballon-Installationen Beispiele sind. Das Großformat war in den 1960er Jahren allerorts in Werbetafeln, Massenmedien, Filmplakaten und Kinoleinwänden anzutreffen. In Warhols Bildern wird das Kinematografische neben der Werbe- und Filmmotivik im formalen Blow-up reflektiert, während auch Close sein Big Nude mit Blick auf ihre Dimensionen als „Cine mascope nude“ bezeichnet.153 Schon vorher ist das Großformat mit der Malerei der New York School zum Standard der amerikanischen Nachkriegskunst geworden, wobei Pollocks horizontal ausgeführte Dripping-Technik paradigmatisch für den physisch wie räumlich erweiterten Bildbegriff steht. Die Allover-Behandlung der Leinwand kann als strukturelle Voraussetzung für die indifferente Gleichbehandlung des Motivs bei Close und Warhol gelten, die das transzendierte formale Schaffensprinzip von Pollock nun in eine mechanische Homogenisierung überführen. Pollocks materialbetonte Malerei unter dem Einsatz von „anonymen Bildzeichen“ wird bei ihnen auf gegenständliche Readymade-Motive angewandt, so dass sich die abstrakten Elemente statt auf eine subjektive Sphäre nunmehr auf ein äußerliches Bildrepertoire beziehen, welches sich über Reproduktionsmedien wie Fotografie und Druck vermittelt.154 Das zuvor organische Allover wird in ein technisches Allover auf Basis der 151 Vgl. Ketner 2012, S. 49; Bourdon 1975, S. 43. Beide bemerken, dass die Menschen sich über die Dauer der Aufnahme vor der Kamera enthüllten, wovor es „kein Entkommen“ gebe. 152 Vgl. Lippard 1988, S. 118-120. 153 Vgl. Finch 20101, S. 34. 154 Zu Pollocks Verfahren bezüglich Warhols Werk vgl. Buchloh, Benjamin H. D., Andy Warhols eindimensionale Kunst: 1956-1966, in: McShine 1989, S. 37-57, hier S. 45-46. Zur „Ver-

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Rasterstruktur umgewandelt, das Closes und Warhols Bildern implizit oder explizit zugrunde liegt. Auch dieses Allover wird von mechanisch-homogenen Bildzeichen bedeckt, die das Akzidentelle und Gesteuerte in sich vereinen. Hier ist allerdings das automatisierte Verfahren ausschlaggebend: Die bedeutungsvoll ‚bedeutungslosen‘ Mikroformen der Drippings werden bei Warhol durch das abstrakte Rauschen der fotografischen Körnung und der unregelmäßigen Siebdruckstruktur ersetzt, bei Close hingegen durch angehäufte Pinselspuren und variierte Zeichenelemente. In diesem Zusammenhang weisen Closes Bilder eine besondere Differenz zwischen der Mikro- und Makrovisualität auf: Er bleibt von der Vorlage bis zu deren Wiedergabe vollkommen detailfixiert, was sich in seiner Arbeitsweise zeigt, bei der er die Bildfläche aus nächster Nähe mit einem gleichmäßigen Blick ‚scannt‘. Dabei geht sein Detailsehen im buchstäblichen Close-up so weit, dass er gegenüber dem Porträtierten blind wird und ihn vergisst, um ihn erst ab einer gewissen Blickdistanz wiederzufinden. Der Betrachter aber sieht zuerst das kompositorische Close-up und nimmt das Bild als überraschend luziden, realistischen Anblick eines zum Greifen nahen Gesichts wahr. Dafür realisiert er bei Annäherung an das Gemälde, dass die großformatige Malerei den optischen Zoom der Aufnahme in eine physisch erlebbare Bildlichkeit übersetzt hat und sich in der visuellen Nähe des Close-ups eine neue Ebene der stofflichen Intimität eröffnet. Vergrößerung und Nahansicht rekurrieren bei beiden Künstlern auf fotografische Bildtechniken, die in der medialen Umgebung der 1960er Jahre allgegenwärtig waren. Die Rolle von Reproduktion und Serialität äußert sich bei ihnen grundlegend in der repetitiven Mechanik, die ihren jeweiligen Arbeitsprinzipien innewohnt und sich im einzelnen Werk wie auch im Werkzusammenhang äußert. Warhol hat die technische Reproduktion in die eigene Reproduktionstechnik des Siebdrucks übertragen und ihr zudem eine variable Farbigkeit als Kennzeichen der Vervielfältigung hinzugefügt. In Bildfolgen wie Ethel Scull 36 Times werden die Einzelmotive farbig differenziert, was in Serien wie Liz am gleichen Motiv mehrfach durchgespielt wird, wo die schablonenhafte Figur-Grund-Trennung und grobe Kolorierung an zentralen Bereichen wie Haaren, Augen und Mund die aufgelegte Farbigkeit als unnatürlich und beliebig ausweist. Zugleich reflektiert Warhol die ästhetischen, technischen und symbolischen Aspekte der massenmedialen Bilder, so dass die Serialität in seinen Arbeiten nicht nur die Mechanismen der Bildherstellung, sondern auch die Fragen um Original und Kopie, Kunst und Industrieware, Aura und Warenfetisch anspricht.155 Einerseits greifen die Variationen gleicher Motive spielerisch den Sortiment-Charakter von Konsumgütern auf, andererseits zeugen seine ästhetischen Farb- und Kompositionsstrategien von einer individuellen Gestaltungsfreiheit, die ihren Kunstcharakter scheinbar belegt. Close reflektiert hingegen das Reproduktionsprinzip der Fotovorlage durch die mimetische Malerei, wofür er in den Airbrush-Porträts ihre handwerkliche Natur hinter der fotografischen Bildästhetik verbirgt. Hierbei kommt er Lichtensteins Ansatz nahe: Dessen gepunktete Bilder reproduzieren erneut die technische Struktur von farzahnung“ von Motiv und Allover-Struktur in Warhols Campbell’s Soup Cans vgl. Bippus, Elke: Serielle Verfahren. Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism, Berlin 2003, S. 38-42. 155 Ausführlicher zur Rolle der Serialität bei Warhol im historischen Kontext vgl. Bippus 2003.

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bigen Reproduktionen, so dass die handwerkliche Malerei durch die Mimikry des mechanischen Druckmediums kaschiert wird.156 Vor allem in Werkabbildungen, wo die reale Größe und Stofflichkeit verloren gehen, lassen sich Closes wie Lichtensteins Malereien nur schwer von echten Fotografien bzw. Drucken unterscheiden – die Begegnung mit dem Original kehrt jedoch diesen Eindruck um und weist das Kunstwerk als materielles Unikat gegenüber der reproduzierten Bildquelle aus. Close geht es ebenfalls hauptsächlich um die visuelle Beschaffenheit der Fotografie, deren mechanische Aufzeichnung er per Hand nachbilden will. Hierfür erfindet er adäquate malerische Bildmittel, mit denen er ihre Oberfläche simuliert, setzt aber auch Verfahren ein, die der technischen Reproduktion direkt entlehnt sind, wie die Rasterung und Farbseparation in den drei Druck-Grundfarben Cyan, Magenta und Gelb. Dieses besondere Verfahren setzt Close bei fast all seinen farbigen Bildern der 1970er Jahre ein. Anhand der fünf Maquetten für Linda, von denen drei die Einzeltöne und zwei ihre Überlagerungen zeigen, lässt sich der schichtweise Aufbau des Farbergebnisses in einem technischen Hybridverfahren nachverfolgen (Abb. 72), was noch ausführlich zu behandeln sein wird. Die Frage der Reproduzierbarkeit wird bei Close anders reflektiert: Statt für das allgemeine Massenphänomen des reproduzierbaren Bildes ein Pendant in der eigenen Praxis zu entwickeln, nimmt er die konkrete singuläre Aufnahme als Sinnbild des mechanischen Reproduktionsprinzips, um es mit den entgegengesetzten Mitteln einer langsamen, elaborierten Malerei zu transformieren.157 Ikonisch begründet Close sein serielles Prinzip mit dem egalitären Status seiner Modelle und ihrer ‚gleichgültigen‘ Darstellung. Obwohl Serialität und Variation Kernaspekte seiner Arbeit sind, artikulieren sie sich nicht durch abgewandelte Wiederholungen wie bei Warhol, sondern durch Darstellungsmodi, in denen ein Porträtmotiv mit verschiedenen Materialien, Formaten und Zeichenstrukturen immer wieder neu konstruiert wird, wie Keith/Six Drawing Series beispielhaft vorführt (Abb. 96 a-f). Während Warhol ästhetische Variationen herstellt, die gestalterische Eingriffe erlauben, sind Closes Variationen struktureller Natur und werden stets auf das ganze Bild angewandt. Die ausgeprägt repetitiven Bildserien bei Warhol, die häufig zu flächendeckenden Mustern anwachsen, sowie seine filmischen Bildfolgen mit narrativ verknüpften Motiven finden bei Close hingegen keine Entsprechung. Closes Variationsprinzip, das noch genauer zu betrachten sein wird, weist in seiner technisch stringenten Logik eine deutlich größere Nähe zur Minimal Art und Concept Art auf.158 Warhols schablonenhaft-dekorativer Einsatz der Bildmittel, die sich auf alle Motive gleichermaßen anwenden lassen, begründet eine Form von slick image, das besonders in seinen Porträt-Ikonen zutage tritt.159 Das Wort slick, übersetzbar mit „glatt“, „gekonnt“ oder „routiniert“, beschreibt den Charakter des beliebig wiederholbaren Bildes, das als tautologische Kopie seiner selbst in den Medien zirkuliert und 156 Vgl. Lippard 1988, S. 92. 157 Auf diesen Unterschied verweist auch Storr 1987, S. 21. 158 Siehe hierzu Bochner, Mel: The Serial Attitude, in: Artforum International, Bd. 6/Nr. 4, 1967, S. 28-33. 159 Wendy Steiner nennt Warhols Marilyn-Bilder „slick (or sometimes blurred) images of a slick image of a slick image – silk-screens of a publicity shot of a movie star“, vgl. dies. 1987, S. 174.

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von Warhol mit ebenso raffinierter wie beiläufiger Nonchalance verarbeitet wird. Dabei sind Starporträts wie jenes von Marilyn Monroe für den populären Werbeeinsatz konzipiert worden, so dass Warhols Bildquelle schon eine artifizielle Inszenierung zeigt, die wie jedes Werbebild Aufmerksamkeit und Begehren beim Publikum wecken will.160 Die glatte Oberfläche dieser optimierten Bilder erfährt bei Warhol eine weitere Glättung durch grafische Effekte und attraktive Farben, die den schönen Schein paraphrasieren und über die Mechanismen der Reproduktion ‚verschleifen‘. Das Motiv wird in routiniert umgesetzten, ästhetisch beliebigen Manifestationen verflacht, zugleich wird das Medienbild zum Tafelbild und die Star-Ikone zur künstlerischen Ikone aufgewertet, was ihre Bildwirkung weiter potenziert. Der Begriff des slick image bei Wendy Steiner vereint das Prinzip der Reproduzierbarkeit mit der medialen Konstruktion einer einzigartigen Persönlichkeit. Die brillante, stilsichere Selbstinszenierung von Monroe, die sich mehr als „image-maker“ denn als „real woman“ zeige, werde von Warhol aufgenommen und in ihrer Bildexistenz bestätigt, indem er ihren Kopf als losgelöste, vervielfältigte Ikone präsentiert.161 Ihr piktogrammatisch reduziertes Gesicht vertritt wie ein Logo die Person, zu der man nicht vordringen kann oder möchte, wo doch die Ikone als präsentes Bildsubstitut den realen Menschen ersetzen soll. In seinen Selbstbildnissen konstruiert Warhol hingegen die eigene Ikone, indem er sich in die Starporträts einreiht und durch Vervielfältigung und Wiedererkennbarkeit zum eigenen „Markenzeichen“ stilisiert.162 Sei es als Mugshot, in Rollenverkleidungen oder mysteriösen Selbstverklärungen wie im nachdenklichen Double Self-Portrait von 1967, das in vielen Farben und Kombinationen existiert (Abb. 47) – Warhols eigenes Gesicht durchzieht sein Werk und lässt sich überall dennoch nur als ikonische Formel fassen. Immer wird eine unüberbrückbare Distanz zum Betrachter gewahrt, da Warhol mithilfe von Bildinszenierungen, Makeup oder Serialität einen ‚unmittelbaren‘ menschlichen Zugang verweigert. Er präsentiert ein slick image seiner selbst, eine reine „Oberfläche“, hinter der „nichts ist“.163 Wie bei den anderen Medienikonen zeigt sich bei ihm, dass das Individuum paradoxerweise erst durch seinen bildlichen Reproduktionsstatus zu einer einzigartigen Persönlichkeit wird. Die für Warhol typische akzidentelle Unsauberkeit macht die technische Materialität des Mediums als Foto, Film oder Siebdruck bewusst und verweist auf den „zweigeteilten“ Bildprozess, wo er „Bilder über Bilder“ macht.164 Indem Warhol fortwährend den sekundären Bildstatus des Gezeigten betont, blendet er die Primärebene mit ihrer referenziellen Wahrheitsfrage aus. Stattdessen führt er vor Augen, dass die Entwertung des Einzigartigen durch Vervielfältigung zugleich ihre Aufwertung als Ikone impliziert, deren ubiquitäre Präsenz ihm eine medial verstärkte Aura verleiht.165 So gilt das Bildprinzip des slick image als Kehrseite und Sy160 Zum ursprünglichen Marilyn-Foto als „Image-Konstrukt“ vgl. Lüthy 1995, S. 38-39. 161 Vgl. Steiner 1987, S. 174. 162 Vgl. Rosenblum 2004, S. 12. 163 Vgl. Warhol im Interview mit Gretchen Berg 1967, zit. nach Elger 2004, S. 100. 164 Vgl. Lüthy 1995, S. 38; Ratcliff 1983, S. 28. 165 Zur Dialektik aus Entwertung durch Vervielfältigung (Benjamins These des Aura-Verlusts) und zur „Aura in der Reproduktion“ (u. a. bei Boehm), vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (3. Fassung, 1939), in: ders., Ge-

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nonym der Ikone nicht nur für seine Starporträts, sondern für seine Bildstrategie im Allgemeinen. Warhol und Close arbeiten beide mit der seriellen Einheitlichkeit, wofür sie feste technische Verfahren entwickelt haben, um das fotografische Ausgangsbild durch Raster und Ebenen aufzuteilen und in Malerei, Zeichnung oder Siebdruck zu übertragen. Dennoch ist das Bildergebnis bei Close alles andere als ein slick image: Seine penible Konstruktion der Fotoaufnahme im Studio repräsentiert nicht das offizielle Image einer Person und bemüht sich (abgesehen von den Implikationen in Big Self-Portrait) nicht explizit um eine ikonische Überhöhung des Dargestellten. Stattdessen setzt er formale Mittel wie Licht, Position und Aufnahmewinkel ein, um eine exakte Vorlage nach seinen Ansprüchen anzufertigen. Um das Modell in seiner neutralen Visualität erscheinen zu lassen, zitiert er den sachlichen Stil der Passbild- oder Polizeifotografie. Close interessiert sich in erster Linie für die formale Ästhetik dieses Bildtypus, deren Monotonie und Übersichtlichkeit es ihm erlaubt, die Spezifizität des Einzelbildes bzw. Gesichts herauszuarbeiten. Auch Close kann prinzipiell für jedes Motiv denselben Satz künstlerischer Gestaltungsmittel in einer Technik anwenden, ohne sie inhaltlich zu differenzieren, doch seine Mittel sind den raschen Reproduktionsformen, die bei Warhol vielseitig zum Einsatz kommen, geradezu entgegengesetzt. Warhol baut in den Siebdrucken strukturelle Abweichungen ein, die aus dem mechanischen Verfahren resultieren – etwa Schlieren, Klumpen, Verschiebungen und dunkle oder ausgedünnte Farbe. Die technischen Unebenheiten brechen die ästhetische wie industrielle Gleichwertigkeit der Bildgegenstände auf, so dass diese zwar als Massenprodukte ausgewiesen werden, aber durch die spezifische Gestaltung der Kopie einen singulären Charakter erhalten.166 Ebenso bewegt sich die Low-Tech-Ästhetik seiner Filme, Fotografien und Bildvorlagen zwischen einer suggestiven Authentizität und der Imitation stereotypischer Klischees, wo sich Makeup-Oberflächen auch mit einer ‚ungeschminkt‘ sichtbaren Bildtechnik evozieren lassen. Ihre ostentative formale Imperfektion steht der illusorischen Makellosigkeit der fetischisierten Ikone oder Ware gegenüber, wobei paradoxerweise die beiläufige Beschaffenheit des Einzelbildes ihre Strahlkraft nicht verringert, im Gegenteil – den massenmedialen Wirkmechanismen folgend beweist die materielle Flüchtigkeit gerade die Unabhängigkeit des Referenten vom Bildträger, wo schon die einfachste Reproduktion eine ‚Aura‘ transportieren kann. Close dagegen beschäftigt sich mit den Besonderheiten (und Unebenheiten) jedes Gesichts, wie sie in den Aufnahmen festgehalten sind. Das individuelle Aussehen des Modells einschließlich seiner Makel verbindet sich mit der Einzigartigkeit des fotografischen Bildes. Akzidentelle Qualitäten wie Hautporen, Linien und Schatten oder Reflexe und Unschärfen formieren sich ebenfalls zu einer unregelmäßigen Struktur auf der Leinwand, allerdings ist im Vergleich zu Warhols Siebdrucken das Verhältnis zwischen Handwerklichkeit und Bildmotiv ganz anders: Während Close die Kontingenz von sammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Bd. I.2, Frankfurt/ Main 1974, S. 471-508; Boehm 2000, S. 20. 166 Die Abweichung unter gleichen Motiven betont ihre handwerkliche Besonderheit entgegen dem industriellen Präzisions- und Uniformitätszwang. Laut Bippus wird Serialität bei Warhol „nicht als bloß reproduktiver, sondern als produktiver Prozess in Szene gesetzt“, vgl. dies. 2003, S. 46.

110 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

Vorlage und Bildobjekt hervorkehrt, dabei aber im Werk auf einer technisch-handwerklichen Makellosigkeit besteht, betreibt Warhol eine kontingente Bildproduktion von ‚makellosen‘ Motiven. Der Perfektionsanspruch an Motiv und Werk verhält sich bei ihnen also umgekehrt. Auch wenn die mechanische Reproduktion und das serielle Prinzip im slick image bei beiden unterschiedlich ausgeprägt sind, verweisen sie gleichermaßen auf die medialen Qualitäten der fotografischen Quelle. Bei Warhol rückt mit der fotografischen Reproduktion die ikonische Bildwerdung in den Mittelpunkt, während der ikonische Inhalt bei Close über einen strukturellen Formalismus aufgelöst werden soll. In beiden Fällen überwältigen die Bilder den Betrachter und regen ihn dazu an, mehr sehen zu wollen – nicht zuletzt, weil sie sich auf mehreren ästhetischen und semiotischen Ebenen bewegen und eine bleibende Spannung zwischen distinkter Gegenständlichkeit und abstrakter Flächenstruktur aufweisen. Zwei Oberflächenkonzepte Die Bildprinzipien, die Warhol und Close aus Fotografien bzw. Medienbildern ableiten und in eigene Bildformen überführen, verweisen auf die grundlegende Rolle der Oberfläche. Doch so wie sich die Art der ‚Oberflächlichkeit‘ in ihren Vorlagen unterscheidet, divergieren auch ihre formalen und inhaltlichen Konzeptionen von Oberfläche. Warhol interessiert sich für das medial konstruierte Larger-than-life-Image, das als überhöhte Ikone die reale Person übersteigt und sich in unterschiedlichsten Materialien und Formaten reproduzieren lässt. In den Einzelbildern wird die bestehende mediale Distanz zur Star-Ikone durch die ästhetische Gestaltung oder Wiederholung als Flächenmuster zusätzlich vergrößert. So können die Marilyn-Gesichter zugleich als ‚Logo‘ und Porträt des Stars betrachtet werden, die mit jeder Wiederholung die Vorstellung dieser „dezidiert mythischen Person“167 evozieren, selbst wenn sie sich als Bildtapete in ein abstraktes Muster auflöst. Warhols Ikonen leben von der Spannung zwischen high art und low art, der ästhetischen Überhöhung und alltäglichen Trivialität, wodurch sie zugleich eine Schönheit und Abgründigkeit gewinnen: Sie zeugen von einer „affirmativen Idolisierung“, die aber auch, wie Heiner Bastian erkennt, die „Stereotype des nach Warenformen gemodelten Lebens“ präsentiert, hinter dessen glamouröser Oberfläche sich eine „dämonische Leere“ auftut.168 Warhol nimmt ihre Oberflächenexistenz wörtlich und transportiert das medial überformte Menschenbild der Unterhaltungsindustrie in eine universelle Ästhetik der Oberfläche. Die postulierte Eindimensionalität seiner Bilder erlaubt es ihm trotz oder gerade wegen der Behauptung, dass „nichts dahinter“ sei, die Oberfläche frei zu gestalten und ambivalente Bedeutungsebenen aufscheinen zu lassen. Erkennbar wird das vor allem an seinen Selbstporträts, wo die plakative Verflachung oder Auflösung in abstrakte Muster Hand in Hand geht mit einer ikonischen Selbstinszenierung, die dramatisch, komisch, heroisierend und mystifizierend sein kann – die Frage nach dem Bildsinn bleibt immer in der Oberfläche eingeschlossen und wird nie eindeutig beantwortet. 167 Bastian 2001, S. 27. 168 Vgl. ebd., S. 28; Warhol zit. nach Ratcliff 1983, S. 9. Sein Motto, dass „alles gleich schön“ sei, lässt sich als nihilistische Gleichgültigkeit gegenüber einer universellen Veroberflächlichung verstehen.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 111

Sein umfassendes Oberflächenprinzip wendet die hierarchische Differenz zwischen Original und Abbild in die horizontale Interrelation zwischen Bildern um. Die chiffrenhaft verdichteten Gesichter, Emotionen und Handlungen bei Warhol verweisen wieder auf andere Werke, Reproduktionen oder Variationen und wirken in ihrer Vervielfältigung selbstverstärkend, was sich im spannungsgeladenen ‚Echo‘ der ElvisBilder anschaulich ausdrückt.169 In den flächendeckenden Motivwiederholungen wird dieses Oberflächenprinzip besonders deutlich, da der Gegenstand eine repetitive „ornamentale Textur“ erzeugt, die ihm doch „wesentlich äußerlich bleibt“.170 Wo Inhalt und Komposition voneinander entkoppelt sind, kann Warhol jedes beliebige Motiv einzeln, doppelt oder in Reihungen präsentieren: Wie eine industrielle Verpackungsgröße wird die Form seiner Anordnung zu einer reinen Format-Option, die prinzipiell auf jedes Gesicht und jeden Gegenstand anwendbar wäre. Der schnelle, preiswerte Siebdruck, bei dem die Motive fotomechanisch übertragen und flexibel in Farbe und Format variiert werden können, liefert hierfür die adäquate Reproduktionstechnik. Close formuliert seinen Oberflächenbegriff nur am Gesicht, und zwar weniger am Körperteil (welches selbst ein physiognomisches und mimisches Oberflächengebilde darstellt) als vielmehr an dessen fotografischer Bildoberfläche. Close setzt damit in seinen Bildern wie Warhol auch eine ontologische Distanz zur realen Person. Anders als Warhol erkennt er durchaus eine Differenz zwischen dem Menschen und seiner medialen Existenz im Bild an, gerade weil er sich nur mit Letzterem befassen möchte. Indem er die fotografische Oberfläche anstelle der individuellen Person zum Inhalt macht, ersetzt Close die Porträtarbeit durch einen formalen Mediendiskurs, bei dem die Malerei nach der visuellen Struktur der fotografischen Vorlage das Bild eines Bildes produziert. Die strenge konzeptuelle Vorgabe, nach der die Malerei an die Fotografie gebunden bleibt, setzt ihrer inhaltlichen Metaebene klare Grenzen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Close stark von der Mehrdeutigkeit in Warhols Werken, die ihre eigene Bildontologie und -technik reflektieren und darüber hinaus auf die allgemeinen Mechanismen der medialen Realität und den Bedeutungshorizont ihrer Reproduktionen verweisen.171 Da er die gesamte Fotografie als Informationsoberfläche definiert, kann sich Close über die ‚Oberflächengestaltung‘ des Gesichts hinwegsetzen und seinen ästhetischen Aspekt ausblenden – Schönheit spielt ebenso wenig eine Rolle wie Imperfektion, was im Blow-up durch die Betonung individueller Züge bis ins Bizarre verstärkt wird. So ähnlich wie diese Züge bei aller strukturellen Gleichbehandlung befremdlich 169 Ein anderes Beispiel ist die Arbeit Sixteen Jackies (1964), die eine strukturell und inhaltlich aufgebrochene Narration zeigt, da die aus Medienbildern ausgeschnittenen Gesichter kontextlosen Schnappschüssen gleichen. Selbst als „Chiffren“ nationaler Trauer in einer auf den „Exhibitionismus amerikanischer Gefühlswerte“ fixierten Medienkultur erscheinen sie unpersönlich und flach, wie Bastian feststellt, vgl. ders. 2001, S. 32. 170 Vgl. Lüthy 2004, S. 39. Ratcliff spricht vom ästhetischen „Druck“ der formalen Repetition und Farbgestaltung auf das Bildmotiv: „No photograph, no matter how striking, can maintain its impact under this kind of pressure.“ Vgl. ders. 1983, S. 28. 171 Vgl. hierzu Boehm 2000, S. 22: Warhol gebe nicht nur eine „Einsicht in die fiktive oder ikonische Beschaffenheit der menschlichen Umwelt. Die Reproduktionstechnologien gebrauchend enthüllt er ihr Verfahren“ bis eine „abwesende Lebendigkeit“ in den Porträts spürbar werde.

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hervortreten, erscheint das frontale Gesicht bei aller technischen Homogenität keineswegs in jedem Bereich gleichwertig. Die Frontalansicht enthält bereits eine hierarchische physiognomische Ordnung, wo Augen, Nase und Mund gegenüber Haaren, Kleidung und Hintergrund das Zentrum der Gegenstandswahrnehmung bilden. Close versucht sich durch das Oberflächenprinzip von der natürlichen hierarchischen Gesichtsstruktur zu lösen und baut darüber eine Spannung zwischen der facialen Oberfläche und der Bildoberfläche auf. Auch bei der symmetrisch-monotonen Komposition wird versucht, den Blick auf das Bildobjekt mithilfe eines formalen Schemas zu neutralisieren, obgleich die physiognomische Grundordnung dadurch erst recht betont und zementiert wird. Nach Big Nude meidet Close zwar die körperlichen hot spots, kann aber die des Gesichts (wie Augen, Nase, Mund) nicht eliminieren, sondern höchstens durch seinen Oberflächenbegriff relativieren. Dieses Prinzip lässt sich ebenfalls als Paraphrase und Reflexion der rein visuellen Repräsentation im Passbild verstehen. Close bedient sich nicht nur seiner reduktivuniformen Bildmittel, sondern übernimmt mit dem Formalismus ebenso die Ikonografie der standardisierten Darstellung und der zum Zwecke der Identifizierung hervorgekehrten Individualität. Eben aufgrund ihrer formalen Anlehnung an funktionale ID-Fotos sind Closes Porträts mehr als visuelle Oberflächen, da der Begriff ‚ID‘ (für identity) sich immer an eine konkrete Person knüpft. Im Ausweisdokument erscheint ihr Bild mit vollständigem Namen neben anderen persönlichen Daten, womit auf eine reale Identität verwiesen wird, die hier nur auf eine einzelne Porträtaufnahme reduziert ist. Warhols Oberflächenkonzept folgt indes anderen formalen Regeln: Er ordnet das Bildgeschehen gezielt nach hot spots wie Lippen, Pupillen oder Haaren an, um die markanten Bereiche zu Orientierungspunkten für zeichnerische und farbige Akzentuierungen zu machen. Von den Starporträts bis zu den späteren Auftragsbildnissen wird ein Grundschema erkennbar, wonach die Figur farbig vom Hintergrund abgelöst erscheint, mit einer markanten Farbgebung an Haaren und Kleidung, während Augen und Mund die Schwerpunkte bilden. Wie Variablen einer Kolorierung verändern sich die Farben ständig, während die grafisch vereinfachten Gesichtspartien ein konstanter Blickfang bleiben. Der Distanz der medialen Bildquellen und ihrer existenziellen Oberflächlichkeit steht ein ‚kosmetisches Pathos‘ gegenüber, das jede psychologische Tiefe buchstäblich übermalt. Vor allem in seinen nach Polaroid-Aufnahmen entstandenen Siebdruck-Auftragsporträts wird die emotionale Entfremdung vom Dargestellten spürbar.172 An den wechselnden Individuen zeigt sich, wie konsequent Warhol die industriellen Produktionsprinzipien wie Effizienz, Kontrollierbarkeit und Gleichförmigkeit übernimmt. Ihre Einheitlichkeit in Verfahren, Format, Komposition und ihre flüchtige malerische ‚Retusche‘ machen das Porträt zur Massenware des Kunstmarkts, was die spielerische Affektlosigkeit des Künstlers demonstriert, der dem Modell nur ein „skin-deep treatment“ zukommen lässt – ganz nach dem Prinzip von realer Schmin-

172 Bastian sieht die Wiederholung einer „artifiziellen Idealität“ in den Porträts, die den bürgerlichen Auftraggebern „die Anthologie der Illusionen von Zeitgeist vorspielt“, während dieses Gestaltungsprinzip eigentlich einer „rangnivellierenden Ästhetik“ folge, vgl. ders. 2001, S. 34.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 113

ke.173 Wie mit einer aufgelegten Schablone abstrahiert Warhol das individuelle Gesicht zum physiognomischen Umriss, was sich als verschönte, schematisierte Maske so weit von der realen Person entfernt wie sie sich durch eine Selbst-Ikonisierung dem Vorbild der Stars annähert. Besonders bei den Frauen scheint hinter jedem geglätteten, attraktiven Klischee-Porträt mit kokettem Blick, roten Lippen und makelloser (weil leerer) Gesichtsoberfläche die Ur-Ikone der Marilyn auf. Bereits Ethel Scull 36 Times steht für die Auftraggeber, die durch die Imitation stereotypischer Muster am Glamour teilhaben wollen, was Warhol durch Inszenierung und Stilisierung ‚demokratisch‘ für alle Modelle erfüllt.174 Während Closes Porträtkonzept aufgrund der gleichen Oberflächenwiedergabe aller Gesichter in all ihren Details als demokratisch gelten kann, interessiert sich Warhol weniger für Spezifika – so seien Pickel nur „eine vorübergehende Angelegenheit“ und hätten nichts damit zu tun „wie man wirklich aussieht.“175 Seine Behandlung der Gesichter ist im Unterschied zu Close nicht einmal „skin-deep“, da sie gar nicht bis an die Hautoberfläche reicht, sondern nur schematische Gestalten zeichnet. Diesem reduktiven Schematismus ist zu verdanken, dass das Aussehen einer Person als fixiertes Image trotz temporärer Moden oder biografischer Veränderungen ihre Gültigkeit behält. Und wenn zwischen Warhols Selbstporträts Zeitabschnitte liegen, scheint der Unterschied weniger einer wahren Veränderung geschuldet zu sein als den wechselnden Typen, die er in seiner vielseitigen Künstlerrolle verkörpert. Der im konventionellen Porträt enthaltene zeitlich-biografische Aspekt scheint ausgeblendet, und doch enthält seine Negierung eine Vanitas-Symbolik – denn mit dem oberflächlichen Glamour begleitet auch die Eitelkeit (vanity) jedes seiner Porträts wie ein fatalistischer Unterton, der sich nicht nur im klassischen Sinne auf das vergängliche Dasein bezieht, sondern vor allem auf die in Bildern geführte Scheinexistenz. Close thematisiert dagegen Schein und Vergänglichkeit weniger durch die mediale Logik der Reproduktion als vielmehr durch die Rekonstruktion einer ‚Bildwahrheit‘, die sich als Status quo des Dargestellten im Augenblick der Aufnahme äußert. Diese punktuell herausgelöste Flächenschau des Gesichts kann sich durch wiederholte Aufnahmen über Jahre hinweg verlängern, indem Close – wie in seinen Selbstporträts – die Veränderungen der Oberfläche dokumentiert, so dass aus einer Momentansicht ein an die jeweilige Person gebundenes ‚Langzeitprojekt‘ entsteht. Bei Warhol erfährt der Porträtierte durch die Kameraarbeit, grafische Abstraktion und ästhetische Verarbeitung nicht nur eine schmeichelhafte Verklärung, sondern auch die künstlerische und ökonomische Aufwertung zum Gemälde und zur ‚Warhol-Ikone‘. Warhol führt eine Traktierung der Oberfläche am Beispiel des Porträts vor, das traditionell durch die Oberfläche ein Inneres zu zeigen beansprucht. Die bei Close so markante Verweigerung des psychologischen Bildnisses erfolgt bei ihm durch die Verflachung der Person zur schematisierten Figur. Seine typischen Hand173 Vgl. Bourdon 1975, S. 43, wo Warhols Stil „essentially cosmetic“ genannt wird. 174 Zu Warhol als „stylist of the human face“ vgl. ebd.; Hartley 2004, S. 31. 175 Vgl. Close zit. nach Engberg/Grynsztejn 20052. Warhol, Andy: Die Philosophie des Andy Warhol. Von A bis B und zurück, München 1991, S. 62; vgl. Elger 2004, S. 96; vgl. auch Hemken, Kai-Uwe: Theorie der Oberfläche. Mediales Sehen bei Andy Warhol, in: Bruhn, Matthias/Hemken, Kai-Uwe (Hg.): Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien, Bielefeld 2008, S. 257-269.

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griffe, mit denen er Formen abstrahiert, Kontraste steigert und Farbgefüge komponiert, prägen die Gesichter wie Markenzeichen, so dass diese noch vor der repräsentierten Person zuerst den Künstler zeigen, dessen Autorschaft ihre eigentliche Referenz gilt. In Warhols standardisierter, zugleich serieller und variierbarer Siebdrucktechnik greifen kommerzielle Produktion und künstlerisches Konzept im kreativironischen Spiel ineinander – die gestalterische Laune wird zur Strategie: Seine Haltung „give it a style, it’s more fun“ verrät eine unbekümmerte Lust am ästhetischen Effekt, womit er das serielle Schema ausreizt und mit spontanen Oberflächenexperimenten durchbricht.176 Close geht bei der Konstruktion der Oberfläche ganz anders vor. Zunächst verwendet er erheblich mehr Sorgfalt darauf, das Bildmaterial herzustellen und auszuwählen. Die technische Umsetzung in Malerei, Zeichnung oder Druckgrafik plant er konsequent nach einer klaren Methodik, so dass er nach diesen gestalterischen Vorgaben nicht mehr weiter ‚reflektieren‘, sondern nur noch mechanisch arbeiten muss. Sein konzeptuelles Regelwerk richtet sich gerade gegen Überraschungen und spontane Einfälle und will das virtuos-kreative Spiel im Schaffensprozess ausschließen. So faktisch spröde seine schwarzweißen und farbigen Porträts erscheinen, die der fotografischen Chromatik folgen und nach dem drucktechnischen Verfahren schichtweise aufgebaut sind, so sehr unterscheiden sie sich von der schillernden Idealisierung in Warhols schnell bemalten Make-up-Gesichtern. Während diese eine fiktive, einheitliche Attraktivität aufweisen, vereinheitlicht Close das Bild seiner Modelle und unterstreicht damit ihre individuelle Eigenart. Wo Warhol Schein, Glamour und Oberfläche synonym auffasst und im freien Schaffen Zufall und Dekoration einfließen lässt, definiert Close die Bilderscheinung über den Begriff der Oberfläche und diszipliniert seine eigene Arbeitsweise. Er nimmt die virtuelle Glätte der Fotografie beim Wort, um aus ihr eine affekt- und stilneutrale Malerei mit einer mathematisch-modularen Ordnung herzustellen. Sein technisches Oberflächenprinzip tritt am konkreten Bild deutlicher hervor als bei Warhol, während dessen Siebdrucktechnik faktisch mehr auf Oberflächlichkeit beruht als Closes komplexe malerische Struktur. Auch verweist die Oberfläche als ontologische Bestimmung von Warhols Ikonen auf die symbolische Ebene ihres massenmedialen Images, was bei Close nicht thematisiert wird. Ausgehend von zentralen Begriffen wie Distanz und Oberfläche, Coolness und Affektlosigkeit streben beide Künstler die Ausblendung subjektiv-psychologischer Aspekte in ihren Porträts an. Beide haben 1967 programmatische Selbstporträts geschaffen, in denen sie sich kühl und unzugänglich präsentieren: Warhol zeigt sich in Double Self-Portrait als mysteriöse Figur mit kontemplativ angelegter Hand im Halbschatten, die trotz Blickkontakt introvertiert wirkt und sich dem Betrachter entzieht. Closes konfrontatives Big Self-Portrait hingegen zeigt ihn groß und deutlich, wobei auch dieser extrovertierte ‚Alltagsrealismus‘ ein inszeniertes Rollenspiel aufweist. Beide erzielen in ihren Porträts eine indifferente und doch eindringlich effektvolle Darstellung des Menschen, die genau durch seine Objektivierung im Bild – ob als fetischisierte Ikone oder faktischer Gegenstand – zustande kommt. Der unterschwellige Konflikt mit dem menschlich-persönlichen Aspekt, der durch den reduk176 Warhol zit. nach Bourdon 1975, S. 44. Dass er trotz routinierter Beliebigkeit reflektiert vorgeht, zeigt sich an der Bearbeitung und Auswahl der Bildvorlagen sowie ihrer Umsetzung in Siebdrucken, die oft mehrere Versuche und Variationen durchläuft.

1.2 Closes ‚Köpfe‘ und ihr Porträtstatus | 115

tiven Oberflächenbegriff ausgeblendet werden soll, dringt oft durch das unwillkürliche Affiziertsein von Künstler und Betrachter ins Bild zurück, wo Reibungen zwischen wahrnehmungspsychologischen oder ästhetischen Effekten und der emotional distanzierten Methodik entstehen. So interessiert sich Warhol für Menschen und das Star-Image, möchte aber eine „sichere Distanz“ wahren, von der aus sich sein Motto der emotionslosen ‚Maschine‘ realisieren lässt.177 Der Widerspruch zwischen menschlicher Faszination und mechanisch-entleertem Formalismus trifft ebenso auf Close zu, der die Personen seines privaten Umfelds aus einer intimen Nähe einfängt, um sie laut Bildkonzept als bloße visuelle Strukturen zu ‚entmenschlichen‘. Lippard hat bei Warhol schon früh eine dialektische Einfühlung über die Indifferenz festgestellt, wonach der gleichgültige, menschlich entfremdete Blick gerade den Zeitgeist der 1960er Jahre treffe und den Betrachter umso stärker durch den unpersönlichen Ton ansprechen könne, weil es dessen eigenes Welt- und Menschenbild widerspiegele.178 Paradoxerweise würde demnach die menschliche Distanz in seinen Werken eine Verbindung zwischen Künstler und Publikum herstellen, die auf emotionaler Resonanz unter Zeitgenossen beruht. In diesem Umfeld könne er, so Lippard, mit einem solchen Menschenbild mehr Sympathien erwecken als die menschlichempfindsame Rhetorik und subjektive Ansprache des Abstrakten Expressionismus. Die Tendenz zur Entdifferenzierung in einer effizienzorientierten Moderne und einer den Massengeschmack bildenden und bedienenden Medienindustrie, begleitet von einem durch Konsum, Trends und Informationen beschleunigten Lebensstil – all dem stand der Einzelne in der politisch aufgewühlten Zeit der 1960er Jahre gegenüber, während gleichzeitig ein kultureller Trend zum Individualismus vorherrschte. Warhol selbst schien als ambivalente Künstlerperson diesen widersprüchlichen Zeitgeist zu verkörpern. Dem Ego-Subjekt, das sich zugleich menschlich entzieht, begegnet man auch in Closes Big Self-Portrait und den Airbrush-Porträts der späten 1960er Jahre wie Frank, Richard, Joe und Phil (Abb. 61-64), die gigantische, doch distanzierte Bildsubjekte zeigen.179 Mit ihrer ambivalenten Darstellung von Subjektivität stellen Warhol und Close diese als inhaltliche und künstlerische Instanz infrage. Ihre Werke stellen zwei Exponenten dieses Ansatzes an unterschiedlichen Enden dar, die in der Konzeption des Porträts als Oberfläche zusammentreffen. Beide weisen einen Realitätsbezug auf, der beim einen in einer künstlichen Medienrealität, beim anderen in einer technischobjektiven Phänomenologie liegt.

177 Vgl. Ketner 2012, S. 61-62; Bastian 2001, S. 38. 178 Vgl. Lippard 1988, S. 98. 179 Friedman beschreibt es als „unblinking self-assertiveness“, vgl. ders. 2005, S. 91.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei

Aus seinem Verhältnis zum Abstrakten Expressionismus einerseits und zum gegenständlichen Porträt andererseits geht hervor, dass Close die emotional-subjektiv aufgeladene Abstraktion für obsolet hält, zugleich aber keine Alternative in der figürlichen Malerei mit ihrem repräsentativen und narrativen Charakter sieht. Stattdessen sucht er einen Weg zur konzeptuell begründeten Gegenständlichkeit über die Fotografie. Das andere Medium nimmt für den Maler als Bildquelle und Werkzeug eine Schlüsselrolle ein und wird darüber hinaus zum Leitfaden seiner künstlerischen Methode. Die spezifische Form des sachlichen Fotoporträts ist dafür von zentraler Bedeutung. Um die für Close relevanten Aspekte der Fotografie herauszuarbeiten, soll zunächst das Medium anhand seiner wesentlichen Eigenqualitäten betrachtet werden. Begriffe wie Indexikalität, Automatismus und Objektivität prägten seit jeher den theoretischen Blick auf die analoge Fotografie und fließen, wie gezeigt werden soll, als Bildprinzipien in Closes Werk ein. Das Fotoporträt, mit dem Close arbeitet, stellt ein komplexes Genre dar, das von Anfang an die Rolle des Mediums mitbestimmte und bereits im 19. Jahrhundert ein wichtiges Feld in der analytischen Bildproduktion markierte. Closes Annäherung an das ‚objektive‘ Passbild geschah vor dem Kontext einer verbreiteten Hinwendung der Minimal Art und Concept Art zum ‚kunstlosen‘ Medium in den 1960er Jahren, während zugleich malerische Ansätze wie der Perceptual Realism und der Fotorealismus auftraten, die sich intensiv mit dem technischen Medium auseinandersetzten. Durch einen abgrenzenden Vergleich mit den letztgenannten Strömungen soll Closes Neubegründung der Malerei beschrieben werden.

1.3.1 FOTOGRAFIE ALS MEDIUM DER (PORTRÄT-)REALITÄT Index, Automatismus, Objektivität Mit der Einführung der Fotografie durch Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851), der am 7. Januar 1839 seine ersten Daguerreotypien, fotografische Bilder auf silberbeschichteten Kupferplatten, an der Pariser Académie des Sciences vorstellte und sein Verfahren im August desselben Jahres veröffentlichte, wurden die Bedingungen der

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Bildproduktion revolutioniert.1 Dies zeigen die heftigen Reaktionen der Zeitgenossen und das rege Interesse an der neuen Technik seitens der Künstler, besonders der Maler, aber auch die Diskussionen in unterschiedlichsten Fachkreisen: Neben Fotografen und bildenden Künstlern befassten sich Naturwissenschaftler, Mediziner, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler mit Wesen und Funktion der Fotografie – damit stieß das neue Bildmedium einen transdisziplinären Diskurs um die Rolle und Episteme der technisch erzeugten Sichtbarkeit an, welcher erst wieder mit den neuen digitalen Visualisierungsmethoden der Gegenwart einen vergleichbaren Schub erfahren hat.2 Im Fotodiskurs lassen sich allgemein zwei Pole unterscheiden, auf deren theoretischer Skala sich die meisten Theorien einordnen lassen, wie Peter Geimer beschreibt: Einmal wird das Foto über seine besondere Bindung zur Realität definiert, wofür Begriffe wie Abdruck, Index und Spur des Realen als „Leitmotive der Fototheorie“ stehen.3 So spricht Rosalind Krauss in ihrem zweiteiligen Essay Anmerkungen zum Index ausgehend vom semiotischen Ansatz von Charles Sanders Peirce über die kennzeichnende Funktionslogik fotografischer Bilder, die sie aus ihrem Index-Charakter ableitet.4 Roland Barthes geht in seiner Schrift Die helle Kammer noch weiter, wenn er die quasi-archaische Bildontologie des Fotos und seine komplexe Verankerung in der Realität untersucht.5 Eng daran geknüpft sind die Begriffe Automatismus und Objektivität, die schon bei William Henry Fox Talbot (1800-1877) in The Pencil of Nature enthusiastisch als essentielle Qualitäten der fotografischen Abbildungsleistung dargestellt wurden.6 Noch ein Jahrhundert später führt André Bazin (1918-1958) die Objektivität als besonderes Merkmal der Fotografie bei der „Übertragung der Realität des Objekts auf seine Reproduktion“ an, obgleich die fotografische Bildreali-

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Vgl. Newhall, Beaumont: The History of Photography. From 1839 to the Present, London 1982, S. 27-42; Dewitz, Bodo von/Kempe, Fritz (Hg.): Daguerreotypien. Ambrotypien und Bilder anderer Verfahren aus der Frühzeit der Photographie, Ausst.-Kat., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe 1983, Hamburg 1983. Zur Geschichte der Fototheorie von 1839 bis 1995 vgl. Kemp, Wolfgang/Amelunxen, Hubertus von (Hg.): Theorie der Fotografie, 4 Bde., München 1979-2000; vgl. auch Wolf, Herta (Hg.): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 1, Frankfurt/Main 2002; dies.: Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 2, Frankfurt/Main 2003; Stiegler, Bernd: Texte zur Theorie der Fotografie, Stuttgart 2010. Vgl. Geimer, Peter: Theorie der Fotografie zur Einführung, Hamburg 2009, S. 51, wo zwischen „Fotografie als Abdruck, Index, Spur“ und „Fotografie als Botschaft und Konstrukt“ unterschieden wird. Krauss, Rosalind E.: Anmerkungen zum Index: Teil 1 (1976), Teil 2 (1977), in: dies., Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam u. a. 2000, S. 249264, 265-276. Barthes, Roland: Die helle Kammer, Frankfurt/Main 1985; vgl. Wolf, Herta: Das, was ich sehe, ist gewesen. Zu Roland Barthes’ Die helle Kammer, in: dies. 2002, S. 89-107. Talbot, William H. F.: The Pencil of Nature (1844-46), hg. v. Beaumont Newhall, New York 1969.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 119

tät als solche bei ihm eine andere Gewichtung erhält.7 Auf der anderen Seite stehen Theorien, die das Foto als kontextabhängige Konstruktion begreifen und seine kulturellen, ideologischen und künstlerischen Bedingungen hervorheben – mit Blick auf die Wahrheitsansprüche des ‚objektiven‘ Bildes kommt die methodische Entschlüsselung eingebetteter Codes und rhetorischer Mittel einer Entlarvung der Fotografie als historisch geprägter Kulturtechnik nahe.8 Die Fotografie erhielt im 19. Jahrhundert nicht nur große Bedeutung als Konkurrenzmedium der Malerei, sondern genauso als Reproduktionsmedium und wissenschaftliches Abbildungsinstrument.9 Zudem war das schneller und preiswerter hergestellte Abbild einem breiten Publikum zugänglich und demokratisierte die Bilder mit der Einführung einer neuen Ökonomie der Reproduktion, wovon Walter Benjamin in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ausgeht.10 Der vielfältige Einsatz der Fotografie zu Dokumentationszwecken beruhte auf einem ‚Realismusglauben‘ gegenüber ihrer indexikalischen und automatischen Funktionsweise, für die ihr die Fähigkeit zur objektiven Naturmimesis zugesprochen wurde. Die Indexikalität gehört zu den am engsten mit der Fotografie verbundenen Qualitäten. Dabei steht der Begriff des Index (lat. index für „Anzeiger“, „Kennzeichen“, „Verzeichnis“, auch indicare für „ansagen“ oder „bekanntmachen“) für die Verknüpfung eines Zeichens mit einem Objekt im Sinne einer physisch-materiellen Spur oder eines Abdrucks. Peirce führt in seiner Zeichentheorie den Index als die zweite von drei Kategorien neben Ikon bzw. Simile und Symbol an: Indikatoren oder Indizes zeichnen sich durch die „physische Verbindung“ mit ihren Objekten aus und können aufgrund dieser existentiellen Beziehung „etwas über Dinge zeigen“.11 Dieser Klassifizierung zufolge gehören Fotografien, die sonst mimetische Ikons wären, aufgrund des kausalen Zusammenhangs zwischen den projizierten Strahlen eines realen Objekts und der lichtempfindlichen Oberfläche des Negativs zu genuin indexikalischen Zeichen, die zwangsläufig „Punkt für Punkt dem Original“ entsprechen.12 Daneben gelten auch der Wetterhahn, die Sonnenuhr und sogar Diagrammbeschriftungen als Indikatoren für einen Sachverhalt, womit der Begriff vom physisch verursachten Ab7

Bazin, André: Ontologiedes fotografischen Bildes (1945), in: Kemp/Amelunxen (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 3 (1945-1980), München 1983, S. 58-64. 8 Siehe hierzu Bourdieu, Pierre u. a.: Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie (1965), Hamburg 2006; Sekula, Allan: On the Invention of Photographic Meaning, in: Burgin, Victor (Hg.): Thinking Photography, London 1982, S. 84-109. 9 So erwähnt Belting neben der Malerei auch die Ablösung der wissenschaftlichen Wachsfigur (und des kultischen Votivbildes) durch die Fotografie, vgl. ders. 2001, S. 107. 10 Vgl. Benjamin 1974, S. 471-508. 11 Peirce, Charles Sanders: Die Kunst des Räsonierens (1893), in: ders.: Semiotische Schriften, hg. v. Christian J. W. Kloesel/Helmut Pape, Bd. 1 (3 Bde.), Frankfurt/Main 1986, S. 191-201, hier S. 193; Nöth, Winfried: Bildsemiotik, in: Sachs-Hombach, Klaus: Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn, Frankfurt/Main 2009, S. 235254, hier S. 243-245. Siehe Peirce, Charles Sanders: The Icon, Index and Symbol, in: ders.: Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Bd. 2 (8 Bde.), hg. v. Charles Hartshorne/Paul Weiss (Bde. 1-6, 1931-35), Arthur Burks (Bde. 7-8, 1958), Cambridge/Massachusetts 19311958, §92, §276. 12 Peirce 1986, S. 193; vgl. Nöth 2009, S. 245.

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bild auf jegliche Art der Informationsvermittlung ausgedehnt wird, sofern sie auf etwas „Beachtenswertes“ verweist.13 Das Verhältnis vom faktischen Indiz zu einem nicht definierten Referenten weckt Assoziationen mit einer detektivischen Spurensuche, bei der manifeste Phänomene gelesen werden müssen. Tatsächlich fasst Peirce unter seinem Indexbegriff weitaus mehr als das prototypische Beispiel der Fotografie, die er nicht medienspezifisch analysiert – und auch spätere Theorien über Spur und Abdruck sehen das Foto nur als eine von vielen Manifestationen einer stattgefundenen stofflichen Berührung, die wie ein Fußabdruck eine „offene Form“ (nach Didi-Huberman) ergeben kann, mit einer unbezweifelbaren Realitätsreferenz und einem eigentümlichen Deutungsbedarf.14 Auf dem physischen Kontakt bei der Bildherstellung beruht das ontologische Modell der Fotografie, das bei Bazin zur Sprache kommt: Dieser vergleicht das Foto mit einem Fingerabdruck, der den Betrachter zwingt, „an die Existenz des repräsentierten Objektes zu glauben“, welches nun bildlich „re-präsentiert“ wird – in der kausalen Verknüpfung mit einem Abwesenden und dessen Aktualisierung im Bild sieht er die „irrationale Kraft“ und Glaubhaftigkeit des Fotos begründet.15 Hubert Damisch, der laut Herta Wolf als erster die Fotografie medientheoretisch unter dem Index-Aspekt reflektiert hat, weist auf ihre bezwingende Paradoxie hin, die für ihn darin liegt, dass dieses „gänzlich irreale Bild“ ohne Dichte und Materie sich als aufgezeichnete Spur eines Objekts oder Ereignisses präsentiert und ihm allein durch seine physisch-chemische Beschaffenheit anzugehören scheint. Hier sieht Damisch einen ontologischen „konstitutiven Betrug“ der Fotografie, die er per se als historisch geformtes, technisch bedingtes Artefakt auffasst.16 Die magisch anmutende Bildontologie des Fotos spitzt sich im Vergleich mit der kultischen vera icon zu. Als „Spur einer Wahrheit“, imprägniert durch das Licht, gewinnt das analoge Foto gerade vor dem aktuellen Hintergrund der scheinbar substanzlosen digitalen Bilder einen auratisch aufgeladenen Wert, der es weit über den niedrigen Status einer mechanischen Reproduktion hebt.17 Sein indexikalischer Ursprung wird zum Garant einer raumzeitlich einmaligen Zeugenschaft, wodurch das 13 Peirce 1986, S. 198. 14 Vgl. Didi-Huberman, Georges: Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999; Ginzburg, Carlo: Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, in: ders: Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, Berlin 1995, S. 7-57. Sybille Krämer bezeichnet die „physische Signatur“ und das „Materialitätskontinuum“ als Bedingungen der Spur, vgl. dies. u. a. (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt/Main 2007. 15 Bazin 1945, S. 62-63. 16 Vgl. Wolf 2002, S. 16; Damisch, Hubert: Fünf Anmerkungen zu einer Phänomenologie des fotografischen Bildes (1963), in: Wolf 2002, S. 135-139, hier S. 136. 17 Vgl. Wyss, Beat: Das indexikalische Bild. Hors-texte, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Heft 76/2000, S. 3-11, hier S. 8-11, zit. nach Geimer 2009, S. 111. Zur bildontologischen Problematik des digitalen Fotos im Vergleich zum analogen siehe Rötzer, Florian: Betrifft: Fotografie, in: Amelunxen, Hubertus von u. a. (Hg.): Fotografie nach der Fotografie, Ausst.-Kat., München, Aktionsforum Praterinsel u. a. 1995, Dresden 1995, S. 13-25.

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Foto gegenüber seiner Reproduzierbarkeit aufgewertet wird. Im konstitutiven ‚Realbezug‘ liegt die Parallele zum Kultbild und zum ontologischen Status der aus der vera icon abgeleiteten Ikone. In diesem Zusammenhang lässt sich das bei Horst Bredekamp beschriebene „erstaunliche Phänomen“ beobachten, „daß eine körperlich-reliquiarische Bestimmung der vera icon und eine daraus folgende Wertschätzung von Reproduktionen immer neue vervielfältigende Bildtechnologien privilegiert haben, ohne daß hierbei die Erwartung, im Bild etwas ‚Wahres‘ im Sinne der Ursprungsbestimmung erkennen zu können, verschwunden wäre.“18 Auf Polaroid-Fotos tritt der bildzeugende (und bezeugende) Kontakt zum Realen noch stärker hervor, da die Bilder „auf so unmittelbare wie geheimnisvolle Weise“ ohne Laborprozess direkt aus der Maschine kommen und als ‚wunderbares‘ Lichtbild aus dem Apparat ein fotografisches Echo der vera icon liefern.19 Weniger Wert auf ihren ontologischen Gehalt als vielmehr auf die Rolle der Fotografie als „theoretisches Objekt“ und logisches Modell der Kunst legt Krauss, die in den 1970er Jahren die semantische Struktur des fotografischen Bildes unter dem Leitbegriff seiner Indexikalität diskutiert hat.20 Anhand der grammatikalischen Struktur von Duchamps Werken mit dem wiederholten, variierten Gebrauch eines shifters, wodurch dieser als erster Künstler die Verbindung zwischen Fotografie und Index als Zeichentyp hergestellt habe, deutet Krauss das indexikalisch-fotografische Prinzip als eine künstlerische Sprache.21 Mit Blick auf Peirce definiert sie den Index als Zeichentyp, der als „physische Manifestation einer Ursache entsteht“, wozu die Fotografie als Ergebnis einer Lichtreflexion auf einer lichtempfindlichen Oberfläche zähle. Die Abdruckbilder der Rayogramme von Duchamps Freund Man Ray (1890-1976) sind für Krauss das extremste Beispiel dafür.22 Ebenso unterscheidet sie die Ähnlichkeit des fotografischen Ikons zu seinem Objekt von der symbolischen Ähnlichkeit im ‚echten‘ gemalten Ikon durch die „Absolutheit dieser physikalischen Genese“, wodurch ihre Bedeutung sich auf die „Modi der Identifikation“ im imaginativen Lesevorgang verlagere. Da sie keine symbolische Sprache verwende wie die Malerei, sondern sub- oder präsymbolisch sei, erlaube die Fotografie ein erneutes „Sich-Aufdrängen der Dinge“.23 Betrachtet man sie als reine 18 Bredekamp 2015, S. 193. 19 Vgl. ebd., S. 184-185; siehe hierzu Lauterbach, Barbara u. a. (Hg.): Polaroid als Geste, über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis, Ostfildern-Ruit 2005. 20 Vgl. Krauss, Rosalind: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München 1998, S. 14; dies. 20001, S. 249. 21 Shifter meint eine Kategorie von sprachlichen Zeichen, die mit Bedeutung belegt werden können, weil sie an sich „leer“ sind. Dazu zählen etwa Personal- und Demonstrationspronomen, vgl. ebd., S. 253. 22 Diese Technik findet sich schon in den Fotogrammen und Cyanotypien von Talbot und Anna Atkins im 19. Jahrhundert. 23 Vgl. Krauss 20002, S. 266; dies. 20001, S. 256-257, zum Peirce-Bezug vgl. dies. 20002, S. 268. Kritisch zum Peirce-Bezug im Fotodiskurs vgl. Elkins, James/Snyder, Joel u. a.: The Art Seminar, in: Elkins, James (Hg.): Photography Theory, New York 2007, S. 129-203, hier S. 131. Snyder verweist auf die diversen Schlüsse, die sich aus der postulierten Indexikalität ziehen lassen – so könne über der Kausalverbindung sowohl für als auch gegen den Realitätsbezug der Fotografie argumentiert werden, vgl. ebd., S. 146.

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Aufzeichnung eines kontingenten Lichtereignisses ohne die symbolische Ebene der kulturellen Verschlüsselung, worauf Krauss mit Blick auf Barthes’ Rede von der Botschaft ohne Code verweist, so fehle ihr das „Bindegewebe“, dass das Sichtbare zum Sinngefüge macht.24 Nach dieser Auffassung weist die Fotografie die „stumme Präsenz eines unkodierten Ereignisses“ auf, wo die „Ordnung der natürlichen Welt“ oder „die Welt selbst“ als kommentarlose Faktizität auftritt.25 Hier kommt neben dem kausalen Realitätsbezug der zweite Aspekt der Indexikalität ins Spiel, der in der Kommentarbedürftigkeit der stummen, sinnlosen Bildevidenz liegt. Walter Benjamin hat früh mit einer aufklärerischen Forderung die Notwendigkeit der sprachlichen Sinnstiftung für das sonst transparente Foto und seine ‚nichtssagende‘ Oberflächlichkeit betont – demnach kann Realität nicht direkt, sondern nur über reflektierte Eingriffe, Konstruktionen und Kommentare als fotografische Bedeutung vermittelt werden.26 Krauss stellt eine ähnliche apriorische Sinnlosigkeit im Foto fest, weswegen es von Texten und Diskursen abhängig sei, die es heraufbeschwört und aktiviert, während es selbst eine „Unterbrechung der Autonomie des Zeichens“ darstelle. Ihre Bedeutungslosigkeit verknüpft Krauss mit der Krise der Signifikation in der Moderne, die in Duchamps Readymades anklingt und sich nur durch einen Text bewältigen lässt, der die Sinnlücke schließt. Wie auch beim Readymade wäre diese Sinnzuweisung der Deutungswillkür unterworfen. In Anlehnung an die grammatikalische Struktur des shifters zeichnen sich demzufolge Foto und Readymade gleichermaßen durch eine ‚bedeutungslose Bedeutung‘ aus.27 In seiner semiotischen Analyse nennt Barthes das Foto eine Botschaft ohne Code, da seine Denotation der Wirklichkeit indexikalisch erfolgt, so dass auf der „buchstäblichen“ Ebene des natürlichen Bildes Signifikat und Signifikant quasi-tautologisch zusammenfallen, statt aus einem Äquivalenzverhältnis zwischen Gegenstand und Zeichen einen Sinn herzustellen. Diese „naive“ Realitätswiedergabe des Fotos beruhe (ähnlich der rein mechanischen Mimesis in der Kunst) nicht auf einer Zeichenkodierung, sondern komme als „perfektes Analogon“ durch instantane Ablichtung zustande – in diesem fotografischen Paradox liegt nach Barthes der Sonderstatus des Mediums begründet.28 Er erkennt allerdings, dass das rein objektive Abbild eine theoretische Fiktion bleibt, weil jede Betrachtung zwangsläufig in einem kulturellen Rahmen geschehen muss. So liegen in der sinnlich-buchstäblichen Denotation und kulturellsymbolischen Konnotation zwei nicht ineinander konvertierbare Strukturen im Bild vor, die sich in der Rezeption überlagern.29 Der hypothetische Nullzustand des ‚Nur-

24 Krauss 20002, S. 267; siehe hierzu Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes (1964), in: Kemp 1983, S. 138-149; ders.: Die Fotografie als Botschaft (1964), in: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, Frankfurt/Main 1990, S. 11-27. 25 Krauss 20002, S. 267. 26 Vgl. Benjamin, Walter: Kleine Geschichte der Photographie (1931), in: Kemp/Amelunxen (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 2 (1912-1945), München 1979, S. 200-213, hier S. 211. 27 Vgl. Krauss 20001, S. 259-260. 28 Vgl. Barthes 1964, S. 142, 145; ders. 1990, S. 12-13. 29 Vgl. ders. 1983, S. 142-143; Geimer 2009, S. 86-87; vgl. Barthes, Roland: Über Fotografie. Interview mit Angelo Schwarz (1977) und Guy Mandery (1979), in: Wolf 2002, S. 82-88, hier S. 82.

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da-seins‘ macht das Foto zu einem kommentarbedürftigen Fragment, dessen Faktizität eine irreführende Transparenz suggeriert. Barthes bestimmt das Foto zwischen seiner indexikalischen Bildontologie und inhaltlichen Kodierung. Aus dem physischen Kontakt im Aufnahmemoment leitet er den eigentümlichen Bestätigungs- oder Bezeugungscharakter des fotografischen Bildes und seiner komplexen Zeitstruktur ab. Als abgedruckte Lichtspur hält die Fotografie die Faktizität einer gewesenen Wirklichkeit noch zum späteren Zeitpunkt vor Augen: Das unveränderliche, abgeschlossene „Es-ist-so-gewesen“, das im Bild fortzuexistieren scheint, nennt Barthes das Noëma der Fotografie.30 Obwohl die materielle Entstehung des Fotos auf einem physikalisch-chemischen Zusammenwirken von Apparat und lichtempfindlichem Bildträger beruht, sieht Barthes in der Emanation des Referenten mehr als die bloße „chemische Enthüllung des Gegenstands“ – stattdessen liegt für ihn in der Phänomenalität des Bildes ein über raumzeitliche Distanzen hinweg reichender essentieller Bezug zur vergangenen Realität. Die ambivalente Zeitlichkeit aus An- und Abwesenheit, Nähe und Distanz bündelt sich in Barthes’ Metapher der „Nabelschnur“, die eine fast mystische Vergegenwärtigung der Vergangenheit impliziert, wo der Blick durch das Bild mit der anderen Sphäre verbunden wird.31 Kritik am Indexbegriff und der Vorstellung einer aktiven Berührung übt dagegen Joel Snyder. Er zweifelt an der pauschalen physischen Bezeichnung ‚Abdruck‘ für den fotochemischen Vorgang und hält es nur für eine Metapher für die Entstehungsweise, die keinen Anspruch auf eine kausal begründete Ähnlichkeit haben könne.32 Snyder warnt vor der Erklärungsmacht des problematischen Abdruck-Begriffs, da dies eine intentionale Handlung der sich ‚eindrückenden‘ Gegenstände nahelegt, obgleich nur die Einwirkung von Licht stattgefunden habe, welches unabhängig von den Gegenständen in „fast jeder Form eine Wirkung auf den Film“ ausübe.33 Die Bestimmung des Fotos als Index der Realität beruht maßgeblich auf dem apparativen Herstellungsvorgang. So präsentiert sich die indexikalische Spur der Wirklichkeit vor der Kamera gerade darum im Bild so unmittelbar, weil es anscheinend ohne die ‚filternde‘ Leistung des menschlichen Subjekts und dessen handwerklicher Darstellungsarbeit entstanden ist. Durch den Automatismus der Kamerafunktion kommt die Repräsentation der Realität offenbar nur über physikalische und chemische Prozesse zustande, deren Gesetzmäßigkeit innerhalb der technischen Vorrichtung das Ergebnis determiniert. Obgleich in der Malerei und Zeichnung mit technischen Hilfsgeräten wie der Camera Obscura und Camera Lucida sowie Methoden der zentralperspektivischen Konstruktion auf vielerlei Weise versucht wurde, die mimetische Darstellung der Natur zu perfektionieren, blieb die Arbeit doch immer an die indivi30 Der phänomenologische Begriff Noëma (grch. νόημα [noêma], „Gedachtes“, „Erkenntnisinhalt“) wurde von Edmund Husserl eingeführt und meint den Inhalt der Bewusstseinsakte in der sinnlichen Wahrnehmung und kognitiven Vorstellung, vgl. ders.: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie I, 2 Bde., hg. v. Karl Schuhmann, Den Haag 1976; vgl. Barthes 1989, S. 87. 31 Vgl. ebd., S. 18; 90-91, 99; Wolf 2002, S. 94-95. 32 Vgl. Elkins/Snyder u. a. 2007, S. 148-150. 33 Snyder, Joel: Das Bild des Sehens, in: Wolf 2002, S. 23-59, hier S. 33-34.

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duelle Hand des Künstlers gebunden. Der Anteil der subjektiven Gestaltung sollte gerade da minimiert werden, wo es nicht um ein Kunstwerk, sondern um die objektive Darstellung von Erkenntnisgegenständen ging, was besonders für naturwissenschaftliche Darstellungen galt. So entstand mit der Fotografie, die das Abbild ohne Handzeichnung fixieren konnte, der Mythos der Selbstabbildung.34 Dieses Faszinosum wurde beispielhaft von Talbot beschrieben, der in der mechanischen Bildherstellung eine Möglichkeit sah, das handwerkliche Defizit ungeschickter Zeichner, zu denen er sich selbst zählte, zu kompensieren. Statt auf Zeichenstift, Camera Lucida und lithografische Reproduktionen zurückzugreifen, könne man mit der Fotografie ein schnelles und präzises Bild schaffen, in dem sich die Natur ‚selbst einzeichnet‘. Ohne die Einwirkung der Hand, durch die das subjektive Bewusstsein zwischen Objekt und Abbild treten und die Darstellung unvollständig machen oder verfälschen würde, scheint damit eine Perfektionierung der Dokumentation bis ins kleinste Detail und die Steigerung der wissenschaftlichen Erkenntnis möglich.35 So betont Talbot über den praktischen und wirtschaftlichen Aspekt der Reproduktionstechnik hinaus den Wesensunterschied zwischen automatischer Selbstabbildung und traditioneller Zeichenkunst: In The Pencil of Nature beschreibt er wiederholt, dass die Fotografien „durch nichts anderes zustande gekommen [sind] als durch Einwirkung des Lichts auf empfindlich gemachtes Papier [...] ohne Unterstützung durch irgendjemanden, der mit der Zeichenkunst vertraut wäre.“36 Sein emphatisches Plädoyer für die automatische Bildtechnik klammert die erste Instanz des Autors aus und zeigt damit die „Virulenz einer Leerstelle“ auf, wo der Autor unbekannt oder abwesend ist.37 Der Zauber des selbsterzeugenden Bildes steht der mimetischen Kunstfertigkeit diametral gegenüber, deren potenziell fehlerhafte Darstellung von Hand der ebenso fehlbaren Beobachtung des Auges folgt, weshalb die apparative, subjektlose Aufnahme aus Talbots Sicht mehr Wahrheit beanspruchen darf.38 Der Fotoapparat löste ab dem 19. Jahrhundert einerseits die Bildproduktion von der Fertigkeit des Künstlers und bot andererseits durch die detaillierte Darstellungsleistung einen Einblick in unerreichte Sichtbarkeitssphären, wovon auch Künstler profitieren konnten. Während sich über den Nutzen von visuellen Details für die Bildende Kunst streiten ließe, wurde unter dem Stichwort des Automatismus die Idee des nicht-künstlerischen, nicht-subjektiven Bildes eingeführt, das an eine „auf Apparate gestützte, von Menschen unabhängige Erkenntnistheorie“ geknüpft war – nicht zuletzt schieden sich am fotografischen Wahrheitsanspruch die Interessen der Kunst von

34 Zu Talbots „photogenen Zeichnungen“ vgl. Daston, Lorraine/Galison, Peter: Objektivität, Frankfurt/Main 2007, S. 133; siehe auch Schaaf, Larry: Out of the Shadows: Herschel, Talbot and the Invention of Photography, New Haven 1992. 35 Vgl. Daston/Galison 2007, S. 133-134. 36 Talbot, William H. F.: Der Zeichenstift der Natur (dt.), zit. nach Daston/Galison 2007, S. 137. 37 Geimer 2009, S. 62-63. 38 Dies spiegelt sich ebenfalls in der lange Zeit vorherrschenden Naturalisierung des technischen Mediums als ‚Entdeckung‘ statt ‚Erfindung‘ wider, vgl. Warner Marien, Mary: Photography: A Cultural History, London 2002, S. 23, zit. nach Daston/Galison 2007, S. 138.

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denen der Wissenschaft, da diese gemäßg ihrem Erkenntnisideal mit ‚objektiven‘ und von Interpretationen ‚unberührten‘ Bildern arbeiten wollte.39 Bazin hält den Automatismus für eine bildontologische Bedingung der Fotografie, die sie noch mehr auszeichne als die Detailgenauigkeit und der Realismus: „Alle Künste beruhen auf der Gegenwart des Menschen, nur die Fotografie zieht Nutzen aus seiner Abwesenheit. [...] Diese Entwicklung zur Automatik hat die Psychologie des Bildes radikal erschüttert.“40 Neben der Indexikalität verleihe die automatische Technik dem Bild eine solche Überzeugungskraft, dass die „irrationale Macht“ der Fotografie die Gegenstände als raumzeitliche Existenzen entgegen jedem Zweifel vergegenwärtigen könnten. Der Bezeugungscharakter wird bei Bazin durch das Aussetzen der menschlichen Handlung im Moment der Darstellung begründet: Auch wenn der Fotograf ein technisches Handwerk ausübt und vor allem in der frühen Fotografie über Wissen und Geschick verfügen muss, und selbst wenn er durch Auswahl und Arrangement das Bild gestalten kann, so muss er dennoch im Moment der Aufnahme untätig bleiben.41 Doch im Zurücktreten des Autors liegt zugleich ein Kontrollverlust über das Bilderzeugnis, wo der Apparat einen Moment der Unverfügbarkeit in der gegenwärtigen Realität kreiert. Die Passivität des Menschen gegenüber der aktiven Bildmaschine hat Rudolf Arnheim als das „Unheimliche“ am Fotografieren beschrieben – wobei das ‚blind‘ ausgelöste Foto den Extremfall darstellt – weil zunächst nicht wahrgenommene Dinge erscheinen könnten, die erst nachträglich bei der Betrachtung als Vergangenes entdeckt würden.42 So wird jeder Fotograf zum Rezipienten des eigenen Werks, dessen Realität er zu entschlüsseln hat – die technische Zurückdrängung des AutorSubjekts führt die Produktion und Rezeption zusammen. Auch Arnheim schreibt dem Foto eine semiotische Bedeutungslosigkeit zu, wenn er sie mit Naturtatsachen vergleicht: „In der Fotografie herrscht immer eine gewisse Üppigkeit und Zufälligkeit, wie sie der Natur eigen ist. Denn die Natur ist ja keine Aussage, sondern ein Sein.“43 Demnach muss der Sinn auch hier durch bewusste Reflexion konstruiert werden. Der Wahrheitsanspruch der Fotografie leitet sich unmittelbar aus der technischen Apparatur und ihrer Funktionsweise ab, während ihre Behauptung, nicht manipuliert zu sein, sich in unperfekten Aufnahmen umso stärker artikuliert, wo doch die technische Kontingenz ihre Authentizität offenbar bezeugt – dies spiegelt sich in der oftmals unscharfen, verwackelten und ausschnitthaften Ästhetik von Dokumentarfotos wider. Vollkommene Präzision im Detail, wie Talbot für das Naturstudium gefordert hat, verbindet sich nicht unbedingt mit dem im Automatismus begründeten Reali39 Vgl. ebd., S. 135-138, mit Verweis auf die Rede von François Arago zu Daguerres Erfindung vor der Pariser Académie des Sciences und der Académie des Beaux-Arts vom 19.08.1939. 40 Bazin 1945, S. 62. 41 Vgl. Geimer 2009, S. 64. 42 Vgl. Arnheim, Rudolf: Die Fotografie – Sein und Aussage, in: ders., Die Seele in der Silberschicht. Medientheoretische Texte. Photographie – Film – Rundfunk, hg. v. Helmuth H. Diederichs, Frankfurt/Main 2004, S. 36-42. Der „ikonographische Überschuss“ der Fotografie ist wiederholt thematisiert worden und findet sich bei Talbot und Benjamin, in Roland Barthes’ Begriff des punctum bis hin zu Michelangelo Antonionis Film Blow Up (1966) wieder, vgl. Geimer 2009, S. 67-68. 43 Arnheim 2004, S. 39.

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tätsanspruch der Darstellung. Vielmehr verweist die Vollständigkeit auf einen künstlerischen Anspruch, der in Konkurrenz zur mimetischen Zeichnung formuliert wird. Dem steht das Argument der apparativen Objektivität mit ihrer unbedingten, also von Intentionalität und Kodierung abgekoppelten Bezeugungsfunktion gegenüber.44 Der bloße Oberflächenzusammenhang der Aufnahme wird bei Siegfried Kracauer (1889-1966) als leere Ähnlichkeit kritisiert, die nur zeigt und die „Raumerscheinung eines Gegenstands“ zu ihrer Bedeutung macht, während das Kunstwerk eine anthropologisch-symbolische Bewusstseinsarbeit in der gestaltenden Darstellung leistet und dadurch etwas meint: Die „Raumerscheinung“ folgt demnach erst aus der „Bedeutung des Gegenstands“.45 Wie aus Kracauers Gegenüberstellung deutlich wird, wurzelt im Objektivitätsbegriff das Spannungsverhältnis zwischen Fotografie und Kunst, das – ob das technische Medium nun als defizitär, ebenbürtig oder überlegen gelten soll – diese stets zu ihrem Gegenpart macht, besonders als ‚subjektive‘ Malerei. Der Automatismus ist ein Hauptargument im Streit um die Fotografie als Kunstform, bei dem sich die Frage stellt, ob der Fotograf gegen oder durch die mechanische Apparatur arbeiten soll. Während einerseits der Kunststatus einer Fotografie mit dem Grad ihrer Objektivität zu sinken scheint, wird andererseits ihre nicht-künstlerische Qualität gern als Bildsprache für bewusst nicht-subjektive Kunststrategien eingesetzt, wie die konzeptuelle Fotografie der 1960er bis 1970er Jahre und auch Closes fotografischer Ansatz zeigen. Die mit der Fotografie verbundene Objektivität ist insofern ein schwieriger Begriff, als sie von der Philosophie, Naturwissenschaft und Kunst sowohl epistemologisch, methodisch als auch ästhetisch gebraucht wird.46 Als Gegenaspekt des Subjektiven, was allgemein eine intellektuelle oder emotionale Innerlichkeit und Individualität der menschlichen Perspektive bezeichnet, steht Objektivität für eine äußerliche, nichtmenschliche bzw. menschenunabhängige Bezugnahme zur Welt. Schon das fototechnische Vokabular suggeriert mit dem ‚Objektiv‘ ein distanziert-neutrales Realitätsverhältnis, bei dem das Aufgenommene im Blick der Kamera verobjektiviert wird. Die Objektivität der Fotografie wird bei Bazin von der raumzeitlichen Bindung zum Objekt abgeleitet, durch dessen indexikalische „Übertragung der Realität“ ins Abbild dieses ein ontologisches Fundament erhält. Auch ihre Zeitlichkeit gehe mit dem Objekt, da die Belichtungszeit simultan zur Realzeit läuft, womit nach Bazin die Gegenwart des „angehaltenen Lebens“ im Bild erhalten bleibe – wie eine „sich bewegende Mumie“ erscheine so das Gezeigte trotz aller zeitlichen Distanz präsent.47 Hier klingt bereits Barthes’ spätere Verknüpfung der widersprüchlichen Zeitebenen in der Fotografie mit den Aspekten des Todes bzw. aufgehobenen Lebens an. Für Bazin bringt die Objektivität noch eine ästhetische Wirkmacht der Objekte mit sich: So könne das Medium das Wirkliche aufdecken, indem es alle sichtbaren Erscheinungen „im komplexen Gefüge der Außenwelt“ gleichgültig abbildet, ohne 44 Auch Daston und Galison verweisen auf die Gegenüberstellung von Detailtreue und Objektivität als Argumente für und wider den Kunststatus der Fotografie, vgl. dies. 2007, S. 138. 45 Kracauer, Siegfried: Die Fotografie (1927), in: Kemp, Wolfgang (Hg.): Theorie der Fotografie, Bd. 2, München 1979, S. 101-112, hier S. 104. 46 Zur Entwicklung dieses Begriffs in der neuzeitlichen Wissenschaft vgl. Daston/Galison 2007. 47 Vgl. Bazin 1945, S. 62.

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durch vorgeprägte Sehgewohnheiten und den „spirituellen Dunst“ der subjektiven Wahrnehmung beeinträchtigt zu werden. Während das menschliche Sehen und Aufzeichnen durch körperliche, emotionale und intellektuelle Faktoren bedingt seien, zeige das Foto seiner Auffassung nach ein „natürliches Bild einer Welt, die wir nicht zu sehen verstanden oder nicht sehen konnten“.48 In Talbots Sinne sieht Bazin die Objektivität als eigenen Stil der Natur, wodurch sie den Künstler imitieren und übertreffen könne, weil sie der Natur selbst entstamme und nicht einem kultivierten Zeichensystem. Hier offenbart sich nicht nur die Natur in der automatischen Bildkreation, wie Talbot sie beschrieben hat – vielmehr wird die Objektivität als eigener Darstellungsmodus begriffen, der den Betrachter sehen lehrt, indem er den Blick von Gewohnheiten und physiologischen Beschränkungen befreit. Der fotografische Realitätszugang macht also die Fülle und Schönheit der objektiven Welt erfahrbar und stellt einen ‚Naturzustand‘ des unschuldigen Auges wieder her, um ihn zugleich zu schärfen. Von der Lust des erweiterten Sehens spricht Bazin über die Liebe zu allem Sichtbaren.49 Komplexer und differenzierter sieht Kracauer das Verhältnis zwischen der Objektivität als einer medienimmanenten Tendenz zum Realismus und dem „formgebenden Streben“ des Fotografen, dem sich ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten bieten, wobei sich beide nicht ausschließen müssen.50 Obgleich der absolute Realismusanspruch unerfüllbar bleibt, erkennt Kracauer im fotografischen Medium die starke Affinität zur „Natur im Rohzustand [...], so wie sie unabhängig von uns existiert“, was insbesondere für Schnappschüsse gilt. Neben flüchtigen Erscheinungen kennzeichne auch der Hang zum Mannigfaltigen bis Chaotischen, zum Unüberschaubaren bis Endlosen die spezifisch fotografische Phänomenologie, was sich an solch typischen Motiven wie Natur, Urbanität oder Bewegung zeige.51 Bezüglich der inhaltlichen Kodierung erkennt Kracauer in der Objektivität eine „Entfremdung“, die ein semiotisches Problem der Unbestimmbarkeit in sich birgt. Im Gegensatz zum ‚blind‘ geschossenen Zufallsbild könne der Fotograf noch so sehr etwas meinen wollen, es werde im Bild doch immer eine „Tendenz zum Diffusen und Unorganisierten“ bleiben, die einen offenen oder vieldeutigen Rest lasse.52 Im Unterschied zu bewusst konstruierten Kunstwerken erfordert die ‚objektive‘ Fotografie daher eine andere Betrachtungsweise: Die explizite, scharfe Sichtbarkeit der Dinge steht in Spannung zu diffus-irrationalen Unschärfen, Schatten und unidentifizierbaren Strukturen, die als Form und Formlosigkeit nebeneinander existieren. Durch das Erkennbare wird auch das Obskure als Teil der Szene plausibel gemacht und im Leseprozess in das Bild integriert. Da ihre Fülle und Komplexität stets das Bewusste und 48 Ebd., S. 63. 49 „Nur die Leidenschaftslosigkeit des Objektivs [...] kann es für meine Augen wieder jungfräulich erscheinen lassen und meiner Liebe zuführen.“ Vgl. ebd., S. 63. 50 Kracauer, Siegfried: Das ästhetische Grundprinzip der Fotografie (1960), in: Kemp 1983, S. 158-166. 51 Vgl. ebd., S. 162-164. 52 Vgl. ebd., S. 164-165. Kracauer schreibt der Malerei, die aus „deutbaren menschlichen Intentionen und Umständen“ hervorgeht, welche im Prinzip ermittelt werden können, einen „relativ festlegbaren Sinn“ zu. Dagegen weise die Fotografie einen tatsächlich „vagen Sinngehalt“ auf, da sie die „Natur in ihrer Undurchdringlichkeit“ zu zeigen genötigt sei.

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Bekannte übersteigt, entfremdet die Fotografie, indem sie offenlegt und mehr als das Vertraute zeigt. Wie Talbot und Bazin sieht Kracauer einen epistemischen Gewinn in der medialen Sichtbarmachung und begründet das Interesse an der fotografischen Objektivität durch eine „Wißbegierde“, die sich als Seh-Lust mit ästhetischem Empfinden verbindet.53 Der Objektivitätsglaube in der Fotografie war stets begleitet von Misstrauen angesichts der suggestiven Kraft des Bilddokuments und seines Manipulationsspielraums. Die augenscheinliche Natürlichkeit des automatischen Bildes verdeckt allzu leicht seinen Status als Artefakt, so dass die gemachten Bilder, wie etwa Snyder betont, den Eindruck erwecken, als zeige sich hier „object matter in the world“ direkt als „subject matter of a photograph“, während es sich eigentlich andersherum verhalte: „It’s the formula that determines the object matter“.54 Nur das konstruierte Bild biete den Zugang zur gezeigten Realität, was eben kein Bild der Natur ist, sondern das Ergebnis einer „Einverleibung“ von Regeln und Schemata, die der realistischen Darstellungstechnik der neuzeitlichen Malerei entstammen: So sieht Snyder im Kamerabild eine Konstruktion, die den Prinzipien der von Alberti beschriebenen perspectiva, der mathematischen Theorie des Sehens, entspricht.55 Auch Barthes relativiert die ‚objektive Realität‘ der Fotografie, in deren „Denotationsvermögen“ er eine kulturelle Unterstellung sieht, die mehr dem menschlichen Verstand und seinem Realismusglauben entstamme. Im Bewusstsein eines „Es-ist-sogewesen“, was das Foto durch die Emanation des Realen bezeugen soll, liegt für ihn der Mythos der Denotation.56 Denn jenseits der fiktiven präsymbolischen Ebene der objektiven Abbildung konstituiert die Konnotation das eigentliche Bild: Weil diese immer über die Denotation in der Fotografie hinausgehe, mache die Konnotation sie zu einem „sprachlichen Phänomen“, was Barthes mit Stil verbindet.57 Er spricht der Subjektivität des Fotografen (entgegen dem positivistischen Realismusbegriff in wissenschaftlichen Fotografien) ein maßgebliches Gewicht zu, weshalb ein Foto neben seiner ontologischen Bindung an den Gegenstand ebenso vom Verhältnis des fotografierenden Subjekts zum Objekt zeugt, so wie es durch Zweck und Kontext seiner Herstellung und Rezeption bedingt wird.58 Gegen das objektive Paradigma der Fotografie spricht nicht nur der subjektive Einfluss auf Stil und Rezeption, sondern vor allen ihr Status als ideologische Konstruktion. Während die ‚Ideologie‘ der Zentralperspektive noch dem Credo der Objektivität folgt, ist die Kodierung fotografischer Bedeutung meist durch eine Bildrhe53 Vgl. ebd., S. 166. 54 Elkins/Snyder u. a. 2007, S. 155. 55 Vgl. Snyder 2002, S. 37-39. Auch Barthes sieht den Einfluss der Renaissance-Tradition: „Das optische System des Fotoapparats ist ein System, das unter anderen möglichen Systemen gewählt wurde und auf der Perspektive der Renaissance aufbaut. All das bedingt eine ideologische Entscheidung hinsichtlich des abgebildeten Gegenstands.“ Vgl. ders. 1977/1979, S. 84. 56 Vgl. Geimer 2009, S. 84-85; Barthes 1989, S. 86-87. 57 Vgl. ders. 2002, S. 82. 58 Vgl. ebd., S. 84; Barthes 1964, S. 143. Belting spricht auch beim Zusammentreffen von Blick und Medium von einer Verinnerlichung zum mentalen Bild, was von subjektiven Aspekten wie Erinnerung bestimmt werde und ‚objektives Sehen‘ unmöglich mache, vgl. ders. 2001, S. 224-225.

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torik geprägt, die sich bestehender Bildformeln oder der Autorität des Realismus bedient. So hat Pierre Bourdieu einen soziologischen Fotobegriff formuliert, wonach das Bild kollektiven Regeln untergeordnet und in seiner sozialen Rolle als kulturelle Praxis begriffen wird – die Objektivität der Fotografie wird darin gesehen, wie sich soziale Beziehungen in ihr widerspiegeln. Damit kommt ihr eine tradierte Funktion im historischen Kontinuum zu, die auch andere Bildkünste vor ihr besaßen.59 Bourdieu zufolge wäre Objektivität keine medienspezifische Eigenschaft, sondern vielmehr eine per Konvention zugewiesene Qualität: Man habe sich „darauf geeinigt, die Photographie als ein Modell der Wahrhaftigkeit und Objektivität zu beschreiben“.60 Die Kritik am Objektivitätsglauben setzt sich bei Allan Sekula fort. Er bestreitet die Existenz unkodierter Bilder und sieht jedes Foto als unvollständige Botschaft an, deren Bedeutung von außen auferlegt, also erfunden werden müsse. Barthes’ theoretische Unterscheidung zwischen denotativer und konnotativer Bildebene wäre schlicht unmöglich, wenn jedes Foto immer in einem Kontext existierte und es gar keinen ‚leeren‘ Zustand vor einer Bedeutungszuweisung gäbe.61 Das Verständnis bzw. die Rezeption von Fotografie werde als Kulturtechnik erlernt, wodurch diese sich anstelle einer anthropologisch-natürlichen ‚Universalsprache‘ als soziopolitische Praxis erweise. Folglich ließe sie sich im Namen objektiver Transparenz und Zeugenschaft leicht als Instrument der Macht und Manipulation einsetzen, was es aus Sekulas Sicht kritisch aufzudecken gilt. Der Verdacht auf inhaltliche Suggestion und formale Manipulation erhält bei der digitalen Fotografie eine ganz neue Qualität. So hat William J. T. Mitchell relativ früh die funktionstechnischen Formen der digitalen Bearbeitung und damit die Manipulationsmöglichkeiten solcher Bilder vorgestellt und vor der Kontrastfolie der analogen Fotografie charakterisiert: Ausgehend vom technologischen Unterschied stellt er das digitale Bild als potenziell verfälschtes und strukturell reduktives Konstrukt (aufgrund der begrenzten Zahl diskreter Bildpunkte) der klassischen Vorstellung vom authentischen, strukturell kontinuierlichen Analogbild mit ihrer ‚unendlichen‘ Detailmenge gegenüber.62 Lev Manovich hält dieser simplifizierenden Aufteilung einen differenzierten Vergleich entgegen, in dem die digitale Fototechnik als „paradox“ beschrieben wird: Einerseits breche sie radikal mit älteren Formen der visuellen (filmbasierten) Repräsentation, andererseits verstärke sie eben jene Formen. Während die informationstechnische Logik von digitalen Bildern die konventionellen semiotischen Codes „auseinanderreißt“, „webt“ sie deren Netz zugleich noch dichter, auch wenn diese auf eine „radikal andere Weise“ zustande kommen.63 Er verweist gegen die Vorstellung 59 Vgl. Geimer 2009, S. 73-74. 60 Bourdieu 2006, S. 85; vgl. Geimer 2009, S. 75. 61 Vgl. ebd., S. 90-91; Sekula 1982, S. 86-87. Dieser bezeichnet den Bildglauben als „bourgeois folklore“. 62 Siehe Mitchell, W. J. T.: The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era, Cambridge/Massachusetts u. a. 1992; kritisch hierzu Rötzer 1995, S. 21-22. Dieser verweist auf die Ideologie der objektiven Wahrheit in der analogen Fotografie und sieht in der digitalen Bildbearbeitung eine „Perfektionierung“ bisheriger Manipulationsformen wie Retusche und Montage. 63 Vgl. Manovich, Lev: Die Paradoxien der digitalen Fotografie, in: Amelunxen u. a. 1995, S. 5866, hier S. 58-59.

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von potenziell unendlichen digitalen Kopien auf den Informationsverlust, der bei der digitalen Vervielfältigung aufgrund der Datenkomprimierung auftritt, und betont ebenso die bei hoher Auflösung gleichwertige Informationsdichte der diskreten Pixel gegenüber der Körnung des analogen Films, wonach die digitale Aufnahme dem kontinuierlichen Bild in nichts nachstehe. Schließlich widerlegt er die pauschale Gegenüberstellung einer ‚prinzipiell manipulierbaren‘ digitalen Fotografie mit der vermeintlich normalen direkten Fotografie, für die das Objektivitätsparadigma gelten soll, indem er beide als Teilaspekte der fotografischen Kultur darlegt, die lange vor dem Aufkommen der digitalen Technik existiert haben.64 In der Debatte um die digitale Visualität wird deutlich, wie stark der Glaube an die indexikalische Wahrheit der Fotografie noch ist – oder bis vor kurzem war – und wie die Forderung nach Objektivität weiterhin ein wichtiges Kriterium bleibt, um Status und Aussage des technischen Bildes zu beurteilen. Der Automatismus des Apparats, der vorher als Garant eben jener Objektivität erschien, wird aus Sicht der konservativen Kritik nun zum Problem: Durch die Involvierung des menschlichen Subjekts im undurchsichtigen Zusammenwirken mit dem Computer bzw. der Bildsoftware, wird der apparative Bildproduzent zum zweifelhaften Agenten, der die Realität selektiv erfassen, visuell umformulieren oder verfälschen kann, je nach Wunsch des ‚Manipulators‘. Dass die gezielte Bildkonstruktion auch für die analoge Technik gilt und digitale Visualisierungen jenseits der naturalistischen Ästhetik noch spezifische wissenschaftlich-objektive Informationen vermitteln können, ändert nichts daran, dass die Vorstellung einer täuschenden digitalen Bildlichkeit gegenüber einer dokumentarisch ‚echten‘ Aufzeichnung weiterhin existiert. Der kurze Überblick zum fototheoretischen Diskurs anhand der drei Aspekte aus Indexikalität, Automatismus und Objektivität soll zeigen, wie eng sie miteinander verknüpft sind und wie sie zum ambivalenten Status des technischen Mediums beitragen. Während dieselben Beobachtungen und Argumente zur Bildontologie und Phänomenologie bei vielen Autoren immer wieder auftauchen, wurden der trügerische Naturalismus und das faktische So-Sein des Fotos in der Postmoderne zunehmend kritisch hinterfragt und aufgelöst – bis der fotografische Wahrheitsglaube mit dem Aufkommen des digitalen Bildes in das gegenteilige Extrem der vermeintlich ubiquitären Simulation und Manipulation umschlug. Die Ambivalenz aus Wahrheit und Konstruktion macht die Fotografie zu einem interessanten Werkzeug wie auch Thema der künstlerischen Konzeptualisierung. Bei Close fließen die hier genannten Facetten als wichtige Elemente in seine intermediale Bildstrategie ein und tragen wesentlich zur antisubjektiven Bestimmung seiner Malerei bei. Aspekte des fotografischen Porträts Die Fotografie wirkte sich entscheidend auf gesellschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Porträtformen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Die umfangreiche Geschichte der Porträtfotografie soll mit Blick auf Closes Ansatz nur unter den Gesichtspunkten betrachtet werden, die sie als neue Bildtechnik definierten, welche einen anderen Blick auf den Menschen eröffnete und sich in Form und Funktion

64 Vgl. ebd., S. 60-63.

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wesentlich vom klassischen Porträt in der Malerei unterschied.65 Dabei wurde ihre ‚objektive‘ Sichtweise, die in der wissenschaftlichen Zeichenkunst ihre Vorläufer hatte, durch die apparative Bildform verstärkt und als Argument einer Porträtevidenz eingesetzt. Grundsätzlich lassen sich zwei Aspekte von Gattung und Medium im fotografischen Porträt zur Deckung bringen: die objektiv-mimetische Bindung an ein Vorbild im klassischen Porträt und die technisch bedingte Naturtreue der Fotografie, deren früheste Bestimmung in der perfekten Wiedergabe der Wirklichkeit lag. Im fotografischen Porträt verbanden sich diese Prinzipien bei wechselseitiger Entsprechung und Bestätigung – nicht nur im Anspruch auf Ähnlichkeit und Objektivität, sondern auch in jenen Kritikpunkten, die ihren Kunststatus vermeintlich herabsetzten: „[...] photography has been promoted chiefly as a neutral tool of exact reproduction. And this has led to the devaluation of the photograph as an aesthetic object very much on the same lines as the portrait itself had earlier been devalued.“66 Für das Porträt wie für die Fotografie galt traditionell die Mimesis als ihre Hauptqualität und zugleich ihr Schwachpunkt, der ihren niedrigen Rang in der Hierarchie der Künste begründete. Im Fotoporträt spitzt sich dieser Konflikt zu, wo die exakte Technik der Anforderung des exakten Bildnisses nachkommen soll. Dennoch ist der Zusammenhang von Erscheinung und Sinn des fotografischen Porträts sehr komplex und keineswegs eindeutig bestimmbar. Mit John Gage ließe sich fragen, wie das ‚beste‘ Porträt nach dem Ähnlichkeitskriterium auszusehen hätte, wenn das präziseste Resultat mit der Fotografie zu erzielen wäre – und wie das Fotoporträt als ein Paradigma visueller Objektivität durch die technische Steigerung den Ähnlichkeitsbegriff verändert.67 Das Problem der Porträtwahrheit stellt in der Fotografie ein grundlegendes Paradox dar. Einerseits bringt ihr im indexikalischen Abdruck verankerter Objektivitätsbegriff in Analogie zur vera icon eine neue Form des Essenzialismus ins Porträt. Das ‚getreue‘ Bildnis impliziert dabei eine mechanische Selbstinskription des Porträtierten, was zweierlei Erscheinungsformen haben kann: Einmal ist es die präzise, detaillierte Wiedergabe des individuellen Aussehens, die eine Person genau festzuhalten vermag; die andere Bildwahrheit basiert auf dem ontologischen Glauben an ihr DaGewesen-Sein, wovon ihr ‚Schatten‘ im Bild als manifeste Spur einer vergangenen Präsenz zeugen soll. Dieses Phantom vor der Kamera, das Kracauer als „räumliche Konfiguration eines Augenblicks“ bezeichnet, steht wiederum für die defizitäre Kontingenz der Fotografie überhaupt, was für den Schnappschuss ebenso gelten müsste wie für die schärfste Aufnahme.68 Das Kontingente, Transitorische und Spezifische an der Fotografie wird ebenfalls dem Porträt als Gattung zugeschrieben. Gerade weil sich das Bildnis mit dem Indivi65 Zur Geschichte der Porträtfotografie siehe Honnef, Klaus (Hg.): Lichtbildnisse. Das Porträt in der Fotografie, Ausst.-Kat., Bonn, Rheinisches Landesmuseum 1982, Köln 1982; Clarke, Graham (Hg.): The Portrait in Photography, London 1992; Kozloff, Max: The Theatre of the Face. Portrait Photography Since 1900, London 2007; Sobieszek, Peter: Ghost in the Shell. Photography and the Human Soul. 1850-2000, Ausst.-Kat., Los Angeles County Museum of Art 1999, Cambridge/Massachusetts 1999. 66 Gage 1997, S. 120. 67 Vgl. ebd., S. 120-121. 68 Kracauer 1927, S. 108.

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duum und seinem vergänglichen Äußeren beschäftigt, was es zur Beispieldisziplin des Naturstudiums macht, bemüht sich die Porträtkunst stets, über die Oberflächendarstellung hinauszugehen. Wo die Kunst als ‚Spiegel‘ der Natur arbeiten soll, lässt sich die Wiedergabe des sichtbaren Äußeren gegenüber der Darstellung einer inneren Essenz kritisieren – so wurde von der Mimesis auch ein Erkenntnisgewinn statt einer bloßen unreflektierten Nachahmung der Erscheinung gefordert.69 Der neuzeitlichplatonische Erkenntnisanspruch zeigt sich im humanistischen Porträt, dessen Aufgabe der ‚Innenschau‘ die Bilderscheinung rechtfertigt, worin sich das seit der Antike geltende Körper-Seelen-Gefälle widerspiegelt.70 Während die klassische Porträtkunst über das Physische hinaus zumeist etwas Immaterielles repräsentieren möchte, indem sie eine überzeitliche Darstellung konstruiert, nimmt die Fotografie de facto nur einen Moment auf. Allein durch ihre Entstehungsweise scheint sie also dem Anspruch auf Dauer und Tiefe zu widersprechen. Der Gegensatz verschärft sich durch das Konkurrenzverhältnis der Medien insbesondere auf dem Gebiet des Porträts, wo die Fotografie im 19. Jahrhundert als schnellere und preiswertere Bildtechnik die gemalten (Miniatur-)Porträts verdrängte. In diesem bildkulturellen Wandlungsprozess wurden beide Medien, vor allem aber die Malerei, transformiert: Seitdem musste sich die Porträtmalerei mit ihrem Gegenpart, der Porträtfotografie, auseinandersetzen, um ihre Position als moderne Kunstform zu finden.71 So wie die kleinen schwarzweißen Fotografien den Auftragszweck erfüllten, orientierte sich die Malerei in Abgrenzung zur Fotografie zunehmend um und definierte sich über eine individuelle stilistische Ausdrucksform, die auf eine abstrahierte Vermittlung von Innerlichkeit und Subjektivität abzielte. Der künstlerische Anspruch auf eine ‚tiefere‘ Wahrheit ließe sich dabei der ephemeren Oberflächenaufzeichnung der Fotografie entgegengehalten. Was zuvor als Mangel der Porträtgattung gegolten hatte – der Fokus auf Materialität statt Idealität, die mechanische Wiedergabe des kontingenten, imperfekten Äußeren – wurde nun dem technischen Medium zugeschrieben.72 Die Besonderheit der Porträtfotografie liegt aber darin, dass sie sich auf ihre bildontologische Verbindung zum Realen berufen kann, um gerade über die Rhetorik des Vergänglichen eine ‚wahre‘ Porträtaussage zu beanspruchen. In Bestätigung der ephemeren Wirklichkeit durch die fotografische Zeitstruktur erreicht sie eine Verewigung eben dieses Flüchtigen und transzendiert damit ihre eigene defizitäre Kontingenz. Statt eines Mangels an Wahrheit erfüllt das Fotoporträt den Wahrheitsanspruch gleich doppelt: Es suggeriert eine indexikalische Essenzialität und ist zugleich die Dokumentation jeder real inszenierten Pose, die als faktische Erscheinung von der Kamera festgehalten wurde. Ihr zeitliches „Es-ist-so-Gewesen“ tritt im Porträt besonders deutlich zum Vorschein – angesichts des gegenwärtigen Bildes von einer vergangenen Wirklichkeit begegnet dem Betrachter die „perverse Verschränkung zweier Begriffe: des Realen und des Lebendigen“.73 Was Kracauer als ‚Gespenst‘ und Fragment des Vergangenen ohne eine gegenwärtige Integrität kritisiert, wird bei Barthes positiv ge69 70 71 72 73

Dies zeigt sich an Albertis und Leonardos Mimesis-Begriff, vgl. Suthor 19991, S. 102-103. Vgl. Brilliant 1991, S. 58. Vgl. Boehm 2000, S. 11. Vgl. Woodall 1997, S. 7. Barthes 1989, S. 89.

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wendet und psychologisch aufgeladen. Indem es das unwiederholbar Vergangene in einem Memento mori zementiert, aktualisiert das scheinlebendige Foto den Tod des Gezeigten als authentischen Moment. Insofern könnte die Zeitlichkeit der eigentliche Referent des Fotos sein, da dieses sich mehr auf den Augenblick als auf das Objekt bezieht: Im Bild des Vergangenen scheint immer der Tod in der Zukunft impliziert zu sein, der die Person wie ein Menetekel begleitet und dem Betrachter als punctum entgegenspringt.74 Das macht aus jedem Fotoporträt ein Vanitassymbol, wie auch jedes gemalte Porträt als Objekt- und Bildwerdung des Subjekts laut Barthes auf den Tod verweist.75 Im fotografischen Porträt verschränken sich also die naturgetreue formale Mimesis und die ontologische Authentizität des materiellen Abdrucks. Eine Analogie bieten die Begriffe von Spiegel und Schatten, wonach ikonische Ähnlichkeit und Indexikalität zu einer „indexikalischen Ähnlichkeit“ im Foto zusammengeführt werden.76 Die Verbindung von Repräsentation und flüchtiger Realität nehmen in medienkritischen Positionen des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle ein, so etwa bei Günther Anders, der eine aufkommende „Ikonomanie“ diagnostiziert und die Verkehrung von Sein in ein „Bildsein“ kritisiert.77 Schon 1927 hat Kracauer von der „Flut der Fotos“ und der Bildidee (als Gegenpart der Idee) gesprochen, die gleichgültig alles Sichtbare als „Fotografiergesicht“ festhalte, worin sich eine tiefe Todesfurcht ausdrücke.78 Die massenmediale Überschreibung der Realität durch fotografische Bilder, deren Konsum und Wirkmacht die Wirklichkeitserfahrung zunehmend prägen, gewinnt in postmodernen Theorien eine besondere Virulenz. Während Kracauer und Anders in der Bildersucht die Abwehr einer existenziellen Todesangst über die fotografische Realitätsflucht mit dem blinden „Wunsch nach Multiplizität“ sehen, konstatiert Susan Sontag eine komplexere Abhängigkeit von der Fotografie in einer Gesellschaft, deren Lebenswelt durch die Bilderwelt nach den Mechanismen des Konsums verdrängt werde, was eine nicht minder nivellierende Rückwirkung auf die Realität habe.79 Nirgends tritt diese Spannung zwischen Tod und Leben, Foto und Realität so stark auf wie im Porträt. In Bezug auf den bildlichen Kultwert und medialen Körper erkennt Hans Belting im Fotoporträt eine immanente Todesthematik und im Bild von Toten den Inbegriff des Kultbildes. Darüber hinaus spiegle die moderne Geschichte der Fotografie die „moderne Geschichte des Körpers“ wider, da sich der menschliche Blick auf sich selbst und sein Umgang mit sich selbst in der Ästhetik und Ideologie fotografischer Repräsentationen niederschlagen.80 Zeugt das Foto vom archaischen Wunsch, den Tod zu bannen, so bringt diese Verbildlichung Belting zu74 Vgl. Barthes 1989, S. 99, 106. 75 Vgl. ebd., S. 22; vgl. auch Suthor, Nicola: Roland Barthes: Wie das Licht eines Sterns/Die Wiederkehr der Toten (1980), in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 452-463. 76 Zu Ähnlichkeit (ikonisch) und Schattenwurf (indexikalisch) in der „symbolischen Form“ des Profils vgl. Stoichita, Victor I.: A Short History of the Shadow, London 1997, S. 112-114. 77 Vgl. Günther Anders, Ikonomanie (1956), in: Kemp 1983, S. 108-113. 78 Vgl. Kracauer 1927, S. 109. 79 Vgl. Anders 1956, S. 110; Sontag, Susan: Die Bilderwelt, in: dies.: Über Fotografie (1977), Frankfurt/Main 1980, S. 146-172. 80 Vgl. Belting 2001, S. 107-108, 143.

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folge nur eine neue Todeserfahrung mit sich, nämlich im materiellen Verfall des Bildes und in der durch bildliche Anwesenheit gesteigerten Abwesenheit. Neue ‚unsterbliche‘ künstliche Körper, die der digitalen Bildtechnologie entstammen, hält Belting nur für eine weitere Form der Todesverdrängung, bei der versucht wird, Leben im Bild zu erlangen und dabei am Körper festzuhalten. Den virtuellen Körper, der an späterer Stelle ausführlicher diskutiert wird, sieht Belting kritisch als technisch perfekte, doch ontologisch entleerte Täuschung. Als reine Simulation für die Wahrnehmung fehle ihr die menschliche Qualität der Sterblichkeit, die dem Bild über einen Kultsinn erst Realität verleihen könne.81 Über die allgemeine repräsentative Porträtfotografie hinaus gibt es eine andere Traditionslinie des fotografischen Porträts, die praktischen Zwecken dient. Hierzu zählen wissenschaftliche, technisch-analytische Porträts, die nach festen Regeln und Standards aufgenommen und beurteilt werden. Kennzeichnend ist ihr Interesse an einer objektiven Erfassung, welche über die apparative Objektivität der Fotografie hinausgehend eine Methodik der Messung, Normierung und Klassifizierung einschließt, die einen systematischen Vergleich und eine ‚korrekte‘ Lesart erlauben soll. Eine Art des technisch standardisierten Porträts wurde Ende der 1850er Jahre mit dem Bildnisformat Carte de Visite von André Disdéri (1819-1889) eingeführt. Als massentaugliche, kleinformatige Bilder gingen sie den Fotoautomatenporträts des 20. Jahrhunderts voraus. Obwohl Disdéri traditionelle Ansprüche an das Bildnis stellte, etwa die Darstellung von Charakter und moralischen Werten, kennzeichnen doch banale Bildformeln und Accessoires die nahezu gleichförmigen Porträts der bürgerlichen Auftraggeber, die anstelle eines gemalten Unikats (oder einer aufwändigen Daguerreotypie) ein erschwingliches, handliches Bildnis erhielten. 82 Ihr ökonomischer Aspekt, gepaart mit bekannten Posen und Bildkonventionen, die durch die gesellschaftliche Verbreitung der Fotos verfestigt wurden, machte sie zum Verbindungsglied zwischen der elaborierten Studiofotografie und der funktionalen Dokumentaufnahme. In der Carte de Visite, die den Namen gewissermaßen ersetzte, wurde die Identität der Person auf besondere Weise vermittelt: Obgleich die standardisierte Darstellung einen allgemeinen bürgerlichen Typus galt, präsentierte sich in diesen Bildern ein spezifisches Individuum in seinem sozialen Stand.83 Damit gehört diese Art der Fotografie zu einem Entwicklungsbogen, den das Medium im 19. Jahrhundert beschrieb: Einerseits führte es die Bildtradition der bürgerlichen Kultur fort, wobei es ihre Repräsentationsweisen popularisierte und demokratisierte, andererseits wurde es zum Instrument einer sich immer stärker entfaltenden visuellen Forschung und Kontrolle, die von der sozialen Etikettierung, ethnologischen und kriminalistischen Typi-

81 Vgl. ebd., S. 186-187; zum Verhältnis von Schattenbild und Tod, vgl. ebd., S. 189-193. 82 Das Patent wurde am 17.11.1854 beantragt, die Praxis verbreitete sich jedoch erst später, vgl. McCauley, Elizabeth Anne: A. A. E. Disdéri and the Carte de Visite Portrait Photograph, New Haven/London 1985; Honnef, Klaus: Porträts im Zeichen des Bürgertums, in: ders. 1982, S. 62-113. 83 Vgl. Sobieszek 1999, S. 107.

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sierung bis zur medizinischen Diagnostik reichte.84 Während die gesellschaftlichen Fotoporträts noch den Konventionen gemalter Bildnisse folgten und eine Vielzahl gestalterischer Mittel von ihnen übernahmen, um äußerliche Ähnlichkeit mit einer ‚idealen‘ Ähnlichkeit zu verknüpfen, zeichnete sich in der sachlichen Porträtaufnahme ein epistemisches Bildkonzept mit spezifisch fotografischen Methoden ab.85 Dem Passfoto werden Namen und persönliche Daten zugeordnet, so dass Aussehen und Identität in Übereinstimmung gebracht werden. Ihre uniforme Konstruktion, die alle Porträts für den fremden Blick vereinheitlichen soll, kehrt die Individualität der Person hervor, wobei das Bildschema als leere Formel von jedem besetzt werden könnte und somit zugleich Anonymität impliziert. Der vermeintlich neutrale, eigenschaftslose Rahmen funktionaler Darstellungen, denen unter dem Stichwort ‚analytische Bildtraditionen‘ ein eigenes Kapitel gewidmet ist, erweist sich jedoch in vielerlei Hinsicht als ideologisch und kulturell geprägt. Dabei dient die ostentative Neutralität selbst als rhetorisches Mittel, auf dem die analytische Argumentation aufbauen kann. Die Semantik dieser seriell angelegten Bildformen wird durch uniforme Regeln und technische Parameter bestimmt, mit denen eine Ordnung in der Masse der Individuen etabliert werden soll. Nur durch systematische Formalisierung kann ein genormter Rahmen inklusive korrektiver Methoden für alle Fälle geschaffen werden, was einen sachlichen Vergleich und eine Verallgemeinerung erst ermöglicht. Hierzu zählt die kriminalistische Bildpraxis von Alphonse Bertillon (1853-1914), der im späten 19. Jahrhundert mit der Frontal- und Profilfotografie feste Standards für die Polizeikartei einführte, um die hinderliche formale Uneinheitlichkeit in der erkennungsdienstlichen Dokumentation auszuräumen (Abb. 114). In ihren disziplinübergreifenden Formen, die von ethnografischen und anthropologischen Darstellungen fremder Völker und Sklaven über medizinisch-psychiatrische Studien wie jene von Guillaume Duchenne de Boulogne und Jean-Martin Charcot bis zu den forensischen und kriminologischen Katalogen von Cesare Lombroso reichten, hatte die wissenschaftliche Fotografie stets das spezifische Aussehen von Individuen oder Typen im Blick, die über verallgemeinerte Charakteristika benannt, bewertet und wiedererkannt werden sollten. Die Identifizierung kann sogar über das Individuum hinaus auf eine konstruierte ‚Überperson‘ ausgedehnt werden, wie die Theorie der Familienähnlichkeit von Francis Galton (1822-1911) aus den 1870er und 1880er Jahren zeigt: Dieser verknüpfte in umfangreichen Vergleichssystemen die Porträts verschiedener Personen durch fotografische Überlagerung argumentativ miteinander, um nach Aufschlüssen über Verwandtschaftsverhältnisse, Berufsgruppen oder Ethnien sowie pathologische oder deliktspezifische Veranlagungen zu suchen (Abb. 118). Im vergleichenden Sehen der genormten Aufnahmen unter Anleitung der Bildkomposition und suggestiven Beschriftung sollte der Blick am Foto geschult und angesichts des evidenten Beweises 84 Siehe hierzu Regener, Susanne: Fotografische Erfassung. Zur Geschichte medialer Konstruktion des Kriminellen, München 1999; Person, Jutta: Der pathografische Blick. Physiognomik, Atavismustheorien und Kulturkritik 1870-1930, Würzburg 2005; Didi-Huberman, Georges: Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot, München 1997; Sekula, Allan: The Body and the Archive, in: Bolton, Richard (Hg.): The Contest of Meaning. Critical Histories of Photography, Cambridge/Massachusetts 1989, S. 342-388. 85 Vgl. Gage 1997, S. 123.

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zur Zustimmung aufgefordert werden.86 Das verallgemeinerte Kompositporträt erscheint wie das technisch-analytische Individualporträt als objektives Beweismittel einer wissenschaftlichen Argumentation, obgleich beide auf Manipulationen beruhen – wie so oft in der Naturwissenschaft wird ‚Objektivität‘ auch hier durch Inszenierung, Selektion und Rhetorik definiert, die von bestehenden wissenschaftlichen und ästhetischen Vorstellungen abhängen.87 Galton urteilte wie viele seiner Zeitgenossen auf Basis damaliger ästhetischer Ideale, wenn er die regelmäßigen, symmetrischen Züge der Kompositbilder für schöner hielt als die eigentümlichen Individualzüge.88 Das ästhetisch-moralische Charakterurteil wird gerade in diesen wissenschaftlichen Porträts eng an die Bildevidenz als unbezweifelbarem Beleg geknüpft. So verlagert sich der ursprüngliche Wahrheitsanspruch des Porträts vom Immateriell-Geistigen hin zu einer äußerlichen Eloquenz der Erscheinung, die im kontrollierten Aufnahmeverhältnis zwischen Mensch und Apparat und im Blickverhältnis zwischen Bildobjekt und Analysten zur Geltung kommt. Das Subjektverständnis des traditionellen Porträts, wonach sich der Mensch von innen heraus selbst präsentiert, kehrt sich in den analytischen Bildern um, indem vermeintlich innere Eigenschaften auf die äußere Erscheinung projiziert werden, welche durch vorgeformte methodische Deutungsfilter und einen subjektiven Blick gelesen wird.89 Was bei der wissenschaftlichen Analyse hineininterpretiert wird, folgt meist bestehenden Mustern und Kategorien innerhalb eines theoretischen Rahmens, so dass ihr Urteil auf Basis der fotografischen Evidenz so willkürlich wie schwer anfechtbar erscheint, sofern nicht die gesamte Methode in Frage gestellt werden soll. Der französische Arzt und Psychiater Guillaume Duchenne de Boulogne (18011875) stellte 1862 in Mécanisme de la physiognomie humaine seine experimentelle Methode zur gezielten Herbeiführung von Gesichtsausdrücken vor, bei der Muskelkontraktionen durch elektrische Reize hervorgerufen wurden. In teils klinisch-neutralen, teils dramatischen Kompositionen wird in den Aufnahmen die ganze Palette der Gefühlsregungen an einigen wenigen Modellen vorgeführt. Die explizit mechanischen Analogien zwischen Physis und Psyche, Muskeln und Emotionen in diesen Bildern zeugen von einem positivistischen Zeitgeist. Erstmals konnte die als „Grammatik und Orthographie des menschlichen Gesichtsausdrucks“ bezeichnete Pathognomik mithilfe der Fotografie aufgezeichnet und dem breiteren Publikum demonstriert werden.90 Die Bilder lieferten dabei nicht nur den dokumentarischen Nachweis, auch seine Forschungsarbeit vollzog sich an ihnen selbst: Die „synoptischen“ Bildtafeln 86 Galton setzt die Fotografie sehr erfindungsreich ein, indem er etwa im Kompositporträt Individualzüge übereinander blendet und seinem Gegenpart, dem analytischen Porträt, ein Einzelporträt durch mehrfache Negative von allgemeinen Zügen bereinigt, bis etwas Individuelles herausgefiltert wird, vgl. Gage 1997, S. 123-124; siehe Galton, Francis: Inquiries into Human Faculty and its Development, London 1883. 87 Vgl. hierzu Daston/Galison 2007, S. 114. 88 Vgl. Gage 1997, S. 124. 89 Zum Grundproblem der Physiognomik vgl. Schmölders 1997, S. 155-164. 90 Duchenne de Boulogne, Guillaume-Benjamin: Mécanisme de la physiognomie humaine, ou, Analyse électro-physiologique de l’expression des passions applicable à la pratique des arts plastiques, Paris 1862; vgl. Sobieszek 1999, S. 40. Auch Charles Darwin nahm darauf Bezug in ders.: The Expression of the Emotions in Man and Animals (1872), New York 1955.

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(Abb. 48) zeigen Aufnahmen, in denen simultan unterschiedliche Gesichtsausdrücke in beiden Gesichtshälften erzeugt und anschließend teilweise in der Fotografie verdeckt wurden. Wie psychologische Sehtests sollten sie den evidenten Beweis für die These liefern, wonach ein Ausdruck auf einen bestimmten Muskel zurückzuführen sei. Die Verzahnung von analytischem Wissen darüber, wie ein Gefühlsausdruck zustande kommt, und der Frage, als was er rezipiert wird, begründet nicht zuletzt den Untertitel von Duchenne de Boulognes Werk, in dem auf die Nützlichkeit seiner Forschung für die bildende Kunst hingewiesen wird. Damit beansprucht der Autor über die visuelle Argumentation der Fotografie hinaus eine wissenschaftliche Fortsetzung der traditionellen Physiognomik in der Kunst. Wenn der selektive Ausschnitt als Wesensmerkmal der Fotografie gilt, die durch die Kamera nur ein Stück der Welt zeigt und den Rest durch eine „ausdrückliche Zurückweisung“ ausblendet, dann enthält jedes Foto neben dem explizit Gezeigten auch immer etwas implizit Ausgelassenes.91 Die Selektion aus der Masse des Realen trifft für das analytische Porträt im zweifachen Sinne zu: Zuerst muss das zum Typus oder Motiv passende Modell bzw. der betroffene Patient oder Verdächtige ausgewählt und für die Aufnahme so hergerichtet werden, dass die jeweiligen Bildkriterien erfüllt sind. Das Selektionsprinzip äußert sich in der inhaltlichen Inszenierung und formalen Komposition, wo Ausschnitt, Fokus, Bildmaße, Licht- und Größenverhältnisse, Kleidung und Hintergrund eine Rolle spielen, und setzt sich in der systematischen Verarbeitung durch Bildpräsentation und -ordnung, Retusche und Beschriftung fort. Ihre formale Normierung lässt die ‚Bildfakten‘ erst hervortreten und schafft für sie einen objektiven (und suggestiven) Vergleichsrahmen. Während die Porträtfotografie gewöhnlich einen Punkt in der biografischen Zeit markiert, dessen Geschichtlichkeit die auratische Wirkung erst ausmacht, weisen analytische Porträts eine andere Zeitlichkeit auf. Die reale Aufnahmesituation in der fotografischen Gegenwart scheint kaum von Belang, wie auch die Person weniger als autonomes Subjekt in einem Lebensmoment denn als ‚präpariertes‘ geschichtsloses Exemplar gezeigt wird, dessen Repräsentation den Aufnahmevorschriften folgt. Will man nach dem generellen Anspruch wissenschaftlicher Theorien eine Zeitlichkeit der Porträtaufnahmen bestimmen, so ließe sich an den ‚zeitlosen‘ Exemplaren nur der reale Zustand im Aufnahmemoment festhalten, der eher eine faktisch-kontingente Erscheinung darstellt, sofern nicht ein expliziter Vergleich zwischen Zeitpunkten (etwa bei Krankheiten) beabsichtigt ist. An dieser Schnittstelle steht schließlich das Passbild als sachliches Individualporträt, das die Person in einer formal bereinigten Faktizität zeigen soll und dabei trotzdem ein zeitliches Fragment seiner biografischen Gegenwart festhält.

91 Vgl. Stanley Cavell: „When a photograph is cropped, the rest of the world is cut out. The implied presence of the rest of the word, and its explicit rejection, are as essential in the experience of a photograph as what it explicitly presents“, in: ders.: The World Viewed. Reflections on the Ontology of Film (1971), erweiterte Ausgabe, Cambridge/Massachusetts 1979, S. 24.

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1.3.2 MALER DER FOTOGRAFIE Closes fotografisches Konzept Vor dem Hintergrund der genannten Aspekte stellt sich die Frage, wie sich Close als Maler der Fotografie bedient, um mithilfe des technischen Mediums ein nicht-malerisches Porträtkonzept umzusetzen. Seine antisubjektive Haltung im Umgang mit dem Porträtthema ist bereits mit Big Self-Portrait und der frühen Airbrush-Serie zur Sprache gekommen, wo sich Close formal dem Pass- und Automatenfoto annähert. Sein Einsatz der Fotografie fiel mit den 1960er Jahren in eine Zeit, in der neue konzeptuelle Strategien das Foto zu ihrem wichtigsten Bildmedium machten. Die Fotografie wurde als Teil einer künstlerischen Praxis vom narrativen Charakter des Fotojournalismus sowie von der ästhetisch konstruierten Bildsprache früher Fotokünstler weggeführt – stattdessen richtete sich der konzeptuelle Fokus auf die Bildfunktion und den Bildstatus der Fotografie, wodurch medienspezifische Qualitäten wie Indexikalität und Objektivität in den Mittelpunkt gerückt wurden. Ihre Konzeptualisierung lässt sich bereits in der Malerei der 1960er Jahre erkennen, die jenseits von Abstraktem Expressionismus und Post-Painterly Abstraction neue Motive und Produktionsprinzipien im mechanischen Massenmedium fand und sich aneignete. Künstler der Generation von Rauschenberg und Warhol überführten Fotografie in Malerei, Druck und Collage und lenkten mit rigoros hybriden Bildformen den Blick auf das Foto als Bildmedium und künstlerisches Material. So wie für die fotografische ‚Aneignung der Welt‘ die Auswahl des Motivs entscheidend ist, kommt nun der Auswahl des fotografischen Motivs für die künstlerische Arbeit eine zentrale Bedeutung zu: Ist sie bei den einen auf Breite, Universalität und Beliebigkeit angelegt, wird sie bei den anderen präzise definiert und strikt eingegrenzt. Zum letzteren Fall zählt Close: Durch seine enge Motivwahl und klar definierte Technik erlaubt er sich nur einen kleinen Handlungsraum im weiten Spektrum fotografischer Bildmöglichkeiten, womit er auch die mit dem Medium typischerweise verbundene visuelle Kontingenz und gegenständliche Mannigfaltigkeit eindämmt. Jede situative Bewegung, mimische Regung, Kommunikation oder spontane Expressivität wird durch die formale Disziplin und monotone Redundanz seines Bildschemas ausgeschlossen bzw. minimiert. Sein Formalismus fällt umso mehr ins Gewicht, da es sich um menschliche Gesichter handelt, die einen Sonderstatus unter den Motiven einnehmen. Es muss daher gefragt werden, wie er die Gratwanderung zwischen dem ‚objektiven‘ Bild und dem Fotoporträt unternimmt, dessen menschliches Motiv stets von einer potentiellen Emotionalität begleitet ist. Sein Porträtansatz ist gekennzeichnet vom Widerspruch, sich einerseits der „konventionellen Poetik des Gesichts“92 zu widersetzen, andererseits aber den ganzen Fokus auf die individuelle Person zu richten und ihre Singularität zu monumentalisieren. Die Spannung hält Close mithilfe des technischen Mediums, das ihm erlaubt, sich sowohl vom Gegenstand völlig zu distanzieren als auch sich diesen anzueignen. Dabei setzt er die gestalterischen Mittel der Fotografie durch Komposition, Beleuchtung und Fokussierung geschickt ein, was sich schließlich in der Entwicklung seines fotografischen Werks ab den späten 1970er Jahren zeigt, dessen visuelles Konzept 92 Vgl. Storr 1994, S. 50.

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sich äquivalent zu seiner Malerei verhält.93 Dass Close ausgerechnet das gegenständliche Porträt wählt, um sich von seiner affektgeleiteten Arbeitsweise freizumachen, hängt ebenfalls aufs Engste mit der Fotografie zusammen. Statt die emotionale Wirkmacht von Fotoporträts zu nutzen, will er scheinbar zunächst das Gegenteil erreichen: Die nüchternen Bilder sollen nur die fotografische Sichtbarkeit des Gegenstands präsentieren, übertragen ins Medium der Malerei. Dies führt zum zweiten Punkt: Die thematisch und formal eng begrenzten Bilder bewirken bei gleichzeitiger enormer Vergrößerung, dass sich ihre Betrachtung in die interne Struktur verlagert. Das Blow-up entfaltet eine Mikrohandlung, eine Art ‚Dramaturgie‘ der Binnenformen, die der fotografischen Aufzeichnung entstammen und in der Malerei eine andere stoffliche Visualität und Präsenz gewinnen. An diesem Punkt lässt sich ein diskursives Zusammenspiel in der Ausdifferenzierung beider Medien erkennen, was sowohl über das gemalte als auch das fotografische Porträt hinausführt. Closes erste Fotoporträts, die Big Self-Portrait zugrunde liegen, entstanden 1967 als Experiment zur Fortsetzung seines ursprünglichen Aktprojekts, wofür er Aufnahmen von sich mit einer handlichen Rolleiflex-Kamera machte (Abb. 33). Auch wenn der spontane Charakter der Bildsequenz an einen beiläufigen Screentest erinnert, ging Close methodisch bedacht mit der auf Armlänge gehaltenen Kamera um: Er stellte dafür den Fokus zunächst an einer Markierung an der Wand ein, maß dann den Abstand zwischen Wand und Kamera mit einem Stück Karton ab und verwendete diesen Streifen als Abstandhalter zwischen seinem Auge und der Kameralinse, um die richtige Fokusebene zu erzielen.94 So kommt es, dass die augenscheinlich improvisierten Fotos bereits die gestaffelte Fokuseinstellung aufweisen, die all seine großen Porträts kennzeichnet. Abgesehen von ihrer technischen Anlage wirken die Aufnahmen – wie Closes eigene informelle Erscheinung – simpel und direkt. Das Bildfeld ist unregelmäßig ausgeleuchtet, schief angeschnitten und teilweise unscharf. Als imperfekte ‚Schnappschüsse‘ zeigen sie eine Studiosituation, auf die nur durch die Anekdote über ihre Entstehung geschlossen werden kann, da der fast leere Hintergrund wenig verrät. Lediglich zwei parallele, leicht konvergierende Leisten, die hinter Closes Kopf verlaufen, und der Schatten eines angedeuteten Gegenstands an der Wand, der auf drei Fotos links unten auftaucht, erlauben Rückschlüsse auf die Tiefe des Raumes und den Aufnahmewinkel. Dennoch bleiben die Hinweise auf die dokumentierte Studiosituation subtil. Diese vermittelt sich nur imaginär durch das Wissen um den ‚Künstler bei der Arbeit‘, dessen Bild Close durch seine legere Erscheinung und die nachträgliche Anekdote heraufbeschwört. Bezeichnenderweise werden die auf den Fotos vorhandenen Hintergrundelemente im gemalten Bild endgültig eliminiert, so dass nur noch eine weiße Leerfläche bleibt. Aus der Reihe der Aufnahmen, in denen sich Close offenbar um eine fixierte Pose mit nur geringen Variationen bemühte, extrahierte er bei der Bildauswahl einen umrandeten Bereich aus einer Einzelaufnahme. Auch für andere Modelle fertigt Close stets eine große Menge ähnlicher, leicht variierter Aufnahmen an, aus denen er die passende Vorlage wählt. Obwohl er meist nach nur einer Maquette arbeitet, sind es 93 Siehe Westerback, Colin/Sultan, Terrie: Chuck Close. Photographer, München u. a. 2014. 94 Vgl. Friedman 2005, S. 55, 94.

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bei Big Self-Portrait zwei verschiedene, die denselben begradigten Bildausschnitt aus der Originalaufnahme zeigen: Der Ausschnitt ist bei der auf 76,2 x 61 cm vergrößerten, gröber gerasterten vierteiligen Maquette (Abb. 2 b) etwas weiter gefasst und leicht höher abgeklebt als bei der kleineren Maquette, die mit 47,9 x 34 cm ein A3Format um Einiges übersteigt (Abb. 2 a). Während diese feiner gerastert ist (26 x 21 Kästchen) und einen stärkeren Helldunkel-Kontrast aufweist, was die Plastizität der Figur verstärkt, hat die größere nur 12 x 9,5 Kästchen und ist weniger kontrastreich. Durch die eigentümliche Dopplung der Vorlage werden somit zwei tonale Ebenen als spezifische Bildqualitäten der jeweiligen Maquette hervorgehoben, was dem praktischen Zweck dient, dass der Maler im dunkleren Bild die hellen Bereiche besser erkennen und kopieren kann, im helleren Bild dagegen die dunklen Bereiche.95 In der kontrastreicheren Maquette wird zudem die Differenz der Bildebenen von der verschwommenen Zigarette und Nasenspitze über die grafische Form der Hornbrille gesteigert, die mit den Lichtpunkten wie eine Barriere vor den Augen liegt. Dies setzt sich bis zum Haargewirr fort, der sich im Raum verliert. Beide Maquetten ergänzen sich im Malprozess, da die kleinere zwar schärfer definiert, die größere aber detailreicher und tonal differenzierter ist. Das ‚Arbeitsraster‘, welches Close auf die Leinwand überträgt, ist das dichtere der kleinen Maquette, welches irritierenderweise in keinem proportionalen Verhältnis zum großen Raster steht, so dass sich die Koordinaten beider Maquetten nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Das Raster in der großen Maquette dient somit mehr der Orientierung, verstärkt optisch aber den Blowup-Eindruck und kann als antizipierender Zwischenschritt auf dem Weg zur malerischen Vergrößerung verstanden werden. Aus der absichtlichen Maquetten-Vergrößerung wird deutlich, dass Close aus der obskuren Dichte der dunklen Partien mehr potentielle Bildinformation gewinnen will – und dass auch das Obskure und Unscharfe als solche präzise erfasst und wiedergegeben werden sollen. Mit der fototechnischen Aufnahme, Korrektur und selektiven Nachbearbeitung schafft Close durch dieses Selbstporträt eine konkrete Bildform, bei der trotz aller Spontaneität in der Modellwahl nichts dem Zufall überlassen wird.96 Da die ganze Aufmerksamkeit auf den Porträtgegenstand gerichtet ist, wird der Hintergrund als hinterste Ebene des Bildraums vollständig bereinigt, um das Figur-Grund-Schema zu forcieren. Der Fokus der Kamera wird zum wesentlichen Gestaltungsmittel der Bildstruktur und liegt auf der mittleren Ebene der Gesichtsfläche bei den Augen und Wangen sowie im Mundbereich. Neben dem symmetrischen Kompositionsschema ist die maximale Schärfe in den fokussieren Abschnitten wesentlich für Closes Fotografien, womit er sich eine Hauptqualität des ‚präzisen‘ Mediums zunutze macht. Im Laufe seines weiteren Schaffens hat Close kaum noch Fotovorlagen allein angefertigt, sondern immer eng mit professionellen Fotografen zusammengearbeitet, um seine Bildvorlagen in der jeweils gewünschten Komposition und Beleuchtung herzustellen. Für Schwarzweiß- und Farbfotografien engagierte er nach 1970 für viele Jahre den Fotografen Bevan Davies, der eine 4x5-Zoll-Calumet-Kamera mit Polaroid95 Vgl. Finch 20101, S. 44-48. 96 „Then I realized [...] that it was far more interesting because there was a range of focus. The tip of the nose blurred, the ears and everything else went out of focus [...]. It was totally by accident the first time, but I began to engineer that into the work.“ Close zit. nach Engberg/ Grynsztejn 20052.

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Hintergrund als Rückteil und eine 8x10-Zoll-Sinar-Kamera für Farbaufnahmen verwendete.97 Nachdem er zunächst mit Negativfilmen gearbeitet hatte, stellte Close ab 1979 Großbild-Polaroids im Format 20x24 Zoll her, die größere und schärfere Aufnahmen erlauben, welche sofort überprüft und noch in der Sitzung modifiziert werden können.98 Auch wenn der Fotograf die Technik bedient, steuert Close den Aufnahme- und Auswahlprozess sehr präzise und korrigiert in halb- bis ganztägigen Sitzungen die Beleuchtung und Kameraeinstellung so lange, bis die geeignete Vorlage gefunden ist.99 Der konzeptuelle Rahmen des Frontalporträts ist zwar festgelegt, doch das konkrete fotografische Bild ist etwas, das Close erst nachträglich sichten und für ‚interessant‘ befinden muss. Somit wird die Bildidee teils einer strengen Planung unterworfen, teils bewusst offengelassen, da die Aufnahmesituation mit dem spezifischen Modell immer anders ist und das gewünschte Ergebnis aus dem Vergleich zwischen den Bildvariationen erst entdeckt werden muss. Die Fotovorlage resultiert also aus einem Such- und Selektionsprozess, der trotz formaler Vorgaben und optimierter Studiotechnik einen Spielraum für gestalterische Spontaneität lässt. Closes Einsatz der Fotografie lässt sich vom Begriff des ‚kunstlosen‘ Mediums her verstehen. Sowohl in der Theorie, wo Autoren wie Kracauer und Barthes die Referenzialität als Essenz der Fotografie im Gegensatz zum künstlichen Bildentwurf beschreiben, als auch im alltäglichen Gebrauch durch die Massenmedien erscheint sie als eine umstrittene Bildform, deren Kunststatus fraglich ist. Ihr künstlerischer Wert lässt sich hauptsächlich über das Verhältnis von subjektiver Intention und ‚passiver‘ Objektivität bzw. Fotograf und Kamera bestimmen.100 Nachdem die Naturmimesis ihre künstlerische Funktion in der Moderne verloren hat, erscheint die mechanische Reproduktion der Natur durch die Fotografie erst recht als Gegenpol des Künstlerisch-Originellen. Je mehr mit der Abstraktion ideelle und emotionale Inhalte in die Kunst einfließen und an Bedeutung gewinnen, desto mehr scheint die apparative Präzision und Objektivität der Fotografie den Kunststatus ihrer Bilderzeugnisse zu senken. Der herkömmlichen Gegenüberstellung von Subjekt und Technik, Kunst und Kunstlosigkeit zum Trotz kann gerade in der postulierten Objektivität und Kunstlosigkeit ein künstlerisches Prinzip gesehen werden. So sprach Paul Strand 1917 von einer „Anordnung der Objektivität“ gemäß der „Weltanschauung des Fotografen“, der den Dingen durch ihre Bildwerdung erst einen „lebendigen Ausdruck“ verleihe – die reine Fotografie soll sich ihres wesentlichen Mittels bewusst werden, die eben ihre Objektivität sei.101 Diese Eigenschaft, die damals noch als Offenheit und Aufmerksamkeit des Bewusstseins gegenüber der Welt verstanden werden konnte, wurde in den 1960er Jahren – einhergehend mit der theoretischen Kritik an Autorschaft und Signifikation – zu einem Schlagwort für die ‚antikünstlerische‘ Einstellung der CoolArt-Generation. In vielen zeitgenössischen Ansätzen avancierte die Fotografie zunehmend zum repräsentativen Medium einer „postmodernen Antiästhetik“, die sich ge-

97 Vgl. Friedman 2005, S. 55-56. 98 Vgl. Brehm 1994, S. 66. 99 Vgl. Friedman 2005, S. 55-56, 87. 100 Vgl. Geimer 2009, S. 191-193. 101 Vgl. Strand, Paul: Fotografie (1917), in: Kemp/Amelunxen 1979, S. 59-60.

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gen den bestehenden Kunstbegriff richtete.102 Dies vollzog sich im Umfeld einer zunehmenden Kommerzialisierung sowohl des fotografischen Mediums als auch der zeitgenössischen Kunst. Rauschenberg und Warhol griffen beide zu kommerziellen und massenmedialen Fotografien, die das Gegenteil von Werken professioneller Fotografen waren, unter denen in der Nachkriegszeit noch ein Trend zu einer subjektiv-ästhetischen Bildsprache mit privaten, unpolitischen Motiven vorherrschte.103 In ihren hybriden Werken kehren die Maler die Fülle des allseits vorhandenen Readymade-Materials und seine charakteristische Reproduzierbarkeit hervor, aber auch seine Ambivalenz als konstruierte Bildinformation. Mit der hinter einer sachlich-dokumentarischen Rhetorik verborgenen Fiktionalität im Foto spielte schon Duchamp in seinen Selbstinszenierungen als Rrose Sélavy sowie im simulierten Fahndungsporträt Wanted: $2000 Reward (Abb. 40). Auf Duchamp führt Krauss zudem die Rolle der Fotografie als Mittel einer Antikunst zurück, womit der bürgerlich-elitäre Kunstbegriff durch Elemente der profanen Alltagswelt untergraben werden sollte. Gerade im kommerziellen Umfeld der 1960er Jahre kam so die Fotografie als ‚kunstloses‘ Bildmaterial und „bildliches Äquivalent des Readymade“104 verstärkt zum Einsatz. Für die Kunst der 1970er Jahre bezeichnet Krauss das Fotografische als ihr theoretisches Modell, basierend auf der indexikalischen Unbestimmtheit fotografischer Zeichen und dem Dokumentationscharakter von zahlreichen zeitgenössischen Ansätzen. Mehr als im realen Einsatz der Fotografie sieht sie in der Verbindung fotografischer Bilder mit „expliziten Formen des Index“ das Element, welches so unterschiedliche Formen wie Land Art, Body Art oder Videokunst vereint. Die Fotografie wird zum bildlichen Zeugnis einer ursprünglichen (physischen) Präsenz als Ort, Körper oder Geschehen, durch das auf ein über das Bild hinausgehendes Werk verwiesen wird. Darin erkennt Krauss einen Bruch mit Darstellungskonventionen klassischer Medien und eine „bewusste Ausschaltung von Stilfragen“.105 Die aus theoretischer Sicht bestehenden ‚Mängel‘ der Fotografie als Kunstform machen sie zu einem interessanten Medium gerade für solche Ansätze, die künstlerisch-ästhetische Stilfragen überwinden wollen und im Foto die mögliche Ausdrucksform einer Nicht-Kunst finden.106 Ed Ruscha (geb. 1937) gehört zu den Ersten, die gezielt Fotografie für eine konzeptuelle Arbeitsweise eingesetzt haben, wie sein erstes Künstlerbuch Twentysix Gasoline Stations von 1963 zeigt (Abb. 49). Die entlang der Route 66 aufgenommen Bilder sind nach einem simplen Konzept entstanden, wobei Motiv und Vorgehensweise bereits im Titel angekündigt werden, als Aufgabe und Bilderläuterung in einem. So wie eine künstlerische Gestaltung zugunsten dokumentarischer Neutralität vermieden wird (oder gerade in der Kunstlosigkeit liegt), so fungiert die Fotografie bei Ruscha als Medium des ‚ausdruckslosen Ausdrucks‘: Aus dem ostentativ mechanischen Kameraeinsatz und dem ebenfalls mechanischen Herstellungsprozess wäh102 Vgl. Costello, Diarmuid/Iversen, Margaret: Introduction: Photography between Art History and Philosophy, in: Critical Inquiry, Nr. 38, Sommer 2012, S. 679-693, hier S. 680-681, 688. 103 Vgl. hierzu Kemp 1983, S. 17-18. 104 Krauss 1998, S. 75. 105 Dies. 20001, S. 260-263. 106 Vgl. Costello/Iversen 2012, S. 688.

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rend der Autofahrt ist ein trockenes, lakonisches Werk hervorgegangen, das sich als „deliberately affectless, depersonalized, repetitious, deadpan“107 beschreiben lässt. Die gegenläufigen Begriffe der indexikalischen Spur, des dokumentarischen Zeugnisses und der künstlichen Konstruktion überlagern sich in der konzeptualisierten Fotografie, wo Objektivität und Indifferenz in eine gezielte Rhetorik des ‚uninteressanten‘ Bildes einfließen.108 Der Künstler wird zum Autor eines manipulierten Automatismus, während die medialen Eigenschaften der Fotografie zum stilistischen Ausdrucksmittel einer medienreflexiven Kunstpraxis werden. Ähnlich wie das Readymade und andere kunstfremde Irritationsmomente durch die Dynamik von Diskurs und Kunstmarkt rasch assimiliert wurden, ging auch die ‚nicht-künstlerische‘ Fotografie der 1960er Jahre bald in den Kanon ein. Ihre scheinbar substanzlose Virtualität passte zur Idee der Kunstlosigkeit und zum offenen Bildbegriff, wo Fragen des subjektiven Personalstils und der künstlerischen Materialität marginalisiert wurden – das machte die Fotografie zu einem Schlüsselmedium im Kontext der Minimal Art und Concept Art.109 Vergleichbar mit Künstlern wie Ed Ruscha oder Douglas Huebler, die sachlich-dokumentarische Fotografien in einen konzeptuellen Entwurf einbanden, eignete sich auch Close die triviale fotografische Passbildform an. Zu dieser Zeit galt die Fotografie (mit Ausnahme der Kunstfotografie) noch nicht als akademische Disziplin und wurde überwiegend als dokumentarisches Medium wahrgenommen. Den typischen Vorwurf gegenüber der Fotografie, wonach ihr geringerer künstlerischer Wert in der mechanischen Naturtreue begründet liegen soll, scheint Close mit dem Passbild bewusst anzusprechen. Statt gefundenes Material einzusetzen, entkernt er die künstlerische Autorschaft durch diese angeeignete Bildformel. Dabei dient die Konvention des Pass- oder Polizeifotos dazu, die künstlerischhandwerkliche Bildsprache in eine neutrale Form zu überführen. Die komplexen Konnotationen eines malerischen Bildentwurfs verschieben sich drastisch in Richtung einer unpersönlichen Denotation, die ein Gesicht kommentarlos und unmittelbar als So-Sein der Person zu zeigen scheint. Ihre lakonische Neutralität und stumme visuelle Reichhaltigkeit entspricht der ‚Botschaft ohne Sinn’ bei Barthes, während ihre Monochromie den dokumentarisch-objektiven Eindruck weiter verstärkt. Closes fotografischer Ausgangspunkt vermeidet die Mystifizierung der malerischen Kreation und suggeriert stattdessen eine ‚negative‘ Autorschaft durch das mechanische Medium und die Formvorgabe des Passbildes. Weil er die Fotos nicht selbst herstellt, sondern die Bildvorlage zwischen passiver Rezeption und aktiver Gestaltung entwickelt, verlagern sich seine künstlerisch-ästhetischen Entscheidungen hinsichtlich der Fotografie auf ihre konzeptuelle Funktion im Werk, wonach sie ein neutrales Porträt ebenso wie eine interessante Bildstruktur bieten soll. Wenn etwa Ruscha dokumentarische Schnappschüsse zeigt, dann geht das mit einer Ästhetik des Beiläufigen einher, bei der das gleichmütige Interesse des Künstlers 107 Dies. (Hg.): Photography after Conceptual Art, Chichester 2010, S. 2. 108 Siehe Shannon, Joshua: Uninteresting Pictures. Photography and Fact at the End of the 1960s, in: Witkovsky, Matthew S. (Hg.): Light Years. Conceptual Art and the Photograph 1964-1977, Ausst.-Kat., Art Institute of Chicago 2011-12, New Haven 2011, S. 89-97. 109 Siehe hierzu Crimp, Douglas: Das alte Subjekt des Museums, das neue der Bibliothek (1981), in: Wolf 2002, S. 376-388.

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mehr eine neutrale Zeugenschaft als eine bewusste Bildformulierung nahelegt. Hiermit wird jedoch die eigentliche konzeptuelle Absicht erfüllt, so dass die Neutralität sich sowohl als ostentative Antiästhetik wie auch als universelle ästhetische Offenheit verstehen lässt, da jede Erscheinung akzeptiert werden kann, solange sie aus der Umsetzung des Konzepts hervorgegangen ist.110 Die künstlichen Prämissen und Regeln der fotografischen Faktengewinnung formen eine methodische Konstruktion, die jedes zufällige Bildergebnis zum ‚intendierten‘ Bestandteil einer Arbeit erklärt. So wie andere Konzeptkünstler durch den Einsatz von Fotografie und die festgelegte Weise der Bilderzeugung einen Rahmen schaffen, um bewusst mit der Kontingenz des Mediums als Stilmittel zu arbeiten, verschafft sich auch Close über das Foto einen neuen Zugang zur Gegenständlichkeit. Im Unterschied zu den formal offeneren, dokumentarischen Strategien, die den bildontologischen Aspekt der Fotografie reflektieren, legt Close eine konkrete Bildform fest. Duchamp reichte es aus, ein Frontal- und Profilbild von sich in den vorgefertigten Rahmen des Steckbriefs einzufügen, und in Hueblers Duration Pieces geht es nur um die performative Umsetzung nach einem zeitlich und räumlich definierten System, wonach der Auslöser gedrückt werden soll – egal, was vor die Kamera kommt (so wird Motiv etwa durch physische Nähe definiert: „whatever appearance existed closest to the camera“).111 Ihre Gleichgültigkeit gegenüber formalen und inhaltlichen Fragen, die über den konzeptuellen Entwurf hinausgehen, begründet die methodisch gewünschte Zufälligkeit der Bildergebnisse. Close hingegen wählt anstelle dokumentarischer Schnappschüsse die Porträtaufnahme in einer kontrollierten Studiosituation, wo das Individuum isoliert von der Außenwelt aufgenommen wird. Die standardisierte Komposition mit den überwiegend neutral gehaltenen Licht- und Farbwerten vermittelt eine autorlose Präsentation des Objekts, was der tatsächlich hochartifiziellen Aufnahmetechnik mit den sorgfältig eingestellten Beleuchtungs- und Fokuswerten widerspricht (dies gilt auch für die Herstellung realer Passbilder). Die augenscheinlich stillose Faktizität unterliegt eigentlich den Regeln einer höchst stilisierten wie artifiziellen Präsentationsform. Eben das hat die wissenschaftliche Fotografie unter dem Diktum der Objektivität und Präzision seit ihren Anfängen ausgezeichnet – im Paradox zwischen Zielsetzung und Methodik spiegelt sich die Dichotomie zwischen Mechanik und Handwerklichkeit bzw. Kunstfertigkeit wider. Um den technischen Automatismus im Rahmen einer ‚neutralen‘ Bildrhetorik hervortreten zu lassen, muss erst die entsprechende Konstruktion geschaffen werden, was die bewusste, subjektive Manipulation durch Entscheidungsprozesse, Planung und Korrektur zwangsläufig einschließt. Ähnlich wie in der wissenschaftlichen Fotografie verdankt sich der ‚objektive‘ Blick von Close ebenfalls der Künstlichkeit der Erfassungsmethode. Wieso aber wählt Close überhaupt den Menschen als Bildgegenstand, wenn sein Griff zur Fotografie doch dem Versuch dient, seine künstlerische Arbeit zu objektivieren? Wenn schon das sachliche Genre des Passbildes, auf das Close anspielt, nur bedingt objektiv ist, dann bringt die Porträtgattung im fotografischen Medium noch mehr 110 Siehe hierzu Costello/Iversen 2010, S. 3, mit Verweis auf Vinegar, Aron: Ed Ruscha, Heidegger and Deadpan Photography, in: ebd., S. 28-49. 111 Vgl. Shannon 2011, S. 91.

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Probleme mit sich. Die zuvor gestellte Frage nach dem Porträtstatus seiner Werke bedeutet für sie als fotografische Bildnisse, dass Close gegen das humanistische Pathos einer subjektiv-expressiven Malerei eine ‚objektive‘ Fotovorlage einsetzt, die aber ein Porträtmotiv zeigt – eine Thematik, die in der Fototradition mit dem Humanismus schlechthin verbunden wird. Während Close die Personendarstellung im klassischen Porträt ablehnt, bietet ihm das technische Medium offenbar eine alternative Möglichkeit, die reale Person wiederzugeben, ohne sie als Bildsubjekt (und sich selbst als künstlerisches Subjekt) zu repräsentieren. Hierfür ist eine Abgrenzung von der Porträtfotografie im konventionellen Sinne nötig, wo die psychologisch aufgeladene Darstellung einer Person im Mittelpunkt steht. Auch der Fotojournalismus, der Menschen in einem narrativen Kontext zeigt, weist diese trotz der dokumentarischen Distanz als handelnde und empfindende Subjekte aus, in die sich der Betrachter hineinversetzen könnte. In der Fotografie tritt der humanistische Aspekt besonders leicht in den Vordergrund, weil diese einen luziden und unmittelbaren Blick auf eine menschliche Realität suggeriert – in der Rolle einer ‚Universalsprache‘ jenseits kultureller und ideologischer Differenzen wird sie häufig selbst zum ideologischen Klischee gemacht oder symbolisch aufgeladen mit emotionalen Gemeinplätzen und Wertvorstellungen. Im monumentalen Ausstellungsprojekt The Family of Man wurde beispielhaft eine durch Dokumentarfotografie festgehaltene ‚Naturform‘ menschlichen Ausdrucks und menschlicher Zustände entlang großer existenzieller Themen wie Liebe, Leben und Tod vorgeführt. Die ab 1951 von Edward Steichen in seiner Funkton als Direktor der Fotoabteilung des New Yorker Museum of Modern Art organisierte Ausstellung umfasste 503 Bilder von über 270 Fotografen aus 68 Ländern und tourte nach ihrer Eröffnung im Jahr 1955 noch lange Zeit um die ganze Welt.112 Mit der unmittelbar ansprechenden Bildästhetik der Fotoreportage wurde in der Ausstellung die ‚realistische‘ Dokumentation zum Schauplatz menschlicher Emotionen gemacht. Hier wird der von Sekula geäußerte Kritikpunkt deutlich, dass sich hinter der Nüchternheit des medial distanzierten Blicks eine mehr oder minder expressive Bildsprache verbirgt, die nie frei von emotionaler und ideologischer Färbung sein kann.113 Obwohl also der Begriff der Objektivität insbesondere beim menschlichen Motiv schwierig ist und die ‚Indifferenz‘ gegenüber dem Bildsubjekt allzu oft das Gegenteil einer indifferenten Reaktion bewirkt, findet sich immer wieder die Kombination von menschlichem Sujet und fotografischer Faktizität. Walker Evans, der Gastdozent an der Yale Summer School war, als Close diese 1961 besuchte, hat mit seinen experi112 Schon August Sander sah in der Fotografie eine aufklärerische „ureigenste Sprache“, auch wenn er sie als autonomes Medium begriff, vgl. Krauss 1998, S. 266-267. Siehe Steichen, Edward (Hg.): The Family of Man, Ausst.-Kat., New York, MoMA u. a. ab 1955, New York 1955; vgl. kritisch hierzu Krauss 1998, S. 274-275, 283; Back, Jean/Schmidt-Linsenhoff, Viktoria (Hg.): The Family of Man 1955-2001. Humanismus und Postmoderne: Eine Revision von Edward Steichens Fotoausstellung, Marburg 2004. 113 Vgl. Sekula 1982, S. 108-109. Sekula differenziert zwischen „symbolist folk-myth“ und „realist folk-myth“, was vereinfacht zu zwei fotografischen Kategorien Kunst/Vision und Dokumentation/Zeugenschaft führt. Er kritisiert dabei die pseudo-realistische Dokumentation und romantische Idealisierung der Fotoreportage im Zeichen humanistischer Werte, während dem passiven Bildsubjekt gegenüber doch eine reale Gleichgültigkeit herrsche.

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mentellen Subway Portraits in der New Yorker U-Bahn der 1930er Jahre einen Weg der straight photography begründet, der sein gesamtes Werk als Verknüpfung von sachlicher Dokumentation und heroischem Realismus prägen sollte. Seine Aufnahmen für das Dokumentationswerk Let Us Now Praise Famous Men von 1941 sollten die Verhältnisse des armen Südens zu Zeiten der Depression aufzeigen. Ungeachtet des politischen Auftrags und der sachlich-journalistischen Intention entstanden so eindringliche und ikonische Porträts wie Allie Mae Borroughs von 1936 (Abb. 50): Durch die Nahaufnahme ihres abgehärmten Gesichts spricht ihr Blick in die Kamera den Betrachter direkt an, während dieser in ihrer bedauerlichen Gestalt die Härte ihrer Lebensrealität zu sehen und nachzuempfinden glaubt. Trotzdem besticht die Fotografie durch ihre konzentrierte Komposition, wo die Latten der Holzhütte die Figur abzumessen und vor einem abstrakten Grund aufzuteilen scheinen, während das gemusterte Hemd mit den rhythmischen Linien der Holzmaserung korrespondiert, die sich in den feinen Falten ihres Gesichts fortsetzen. Evans’ Umgang mit fotografischer Dokumentation verschränkt die Ambition eines offenen und neutralen Blicks auf die Außenwelt – den „Appetit der Fotografie für die Fakten“ – mit dem bewussten Einsatz des Bildmediums und seiner spezifischen Qualitäten.114 Seine aufmerksame Beobachtung der Realität zeugt von Interesse und emotionalem Engagement ebenso wie von gestalterischer Bildarbeit. Darin klingt das Anliegen einer aufklärerisch-analytischen Zeitzeugenschaft nach Art von August Sander (1876-1964) an, der mit seinen formal strengen Porträtserien eine ganze Gesellschaft ‚inventarisieren‘ wollte.115 Sanders Porträts, die in ihrer Gesamtheit eine systematische Typologie und im Einzelnen eine kodierte Präsentation der jeweiligen Rolle bieten, weisen das Individuum als exemplarischen Repräsentanten einer sozialen Gruppe aus. 116 Der in Konditor (Abb. 51) als ebensolcher gezeigte Mann wird in seiner alltäglichen Arbeitsumgebung mit dazugehörigen Utensilien wie Rührstab und Schüssel gezeigt, so als hielte er für die Aufnahme nur kurz bei seiner Arbeit inne. Trotzdem zeugen die aufrechte, zugewandte Pose der Figur und ihre Platzierung vor dem fluchtenden Hintergrund, das markante Spiel der HelldunkelKontraste, die Analogien zwischen Körperform und Gegenständen sowie die gestaffelten Bildebenen der Fotografie von einer elaborierten Komposition. Sanders Porträts distanzieren sich insofern vom Interesse an einer psychologischen Innerlichkeit als sie dem Porträtierten, der bereits einen neutralen Gesichtsausdruck trägt, nur die emotionale Spannbreite zugestehen, die seiner Rolle entspricht (wie der unsichere Arbeitslose oder strenge Notar). Auch wenn seine sachliche Inszenierung eine quasiwissenschaftliche Wahrheit in der fotografischen Dokumentation suggerieren möchte, woraus noch die positivistische Korrelation des Äußeren und Inneren spricht, 117 liegt doch in Komposition, Körperhaltung und Blick etwas physisch wie psychisch Zugekehrtes, wodurch die Bildsubjekte eine Präsenz und psychologische Opazität gewinnen und sich nicht bloß auf ihre Rolle reduzieren lassen. Im eng gefassten 114 Atgee, James/Evans, Walker: Let Us Now Praise Famous Men, Boston 1941; vgl. Hambourg 2000, S. 11-12, 14. 115 Vgl. ebd., S. 16. 116 Siehe Sander, August: Das Antlitz der Zeit, München 1929; Sander, Gunther (Hg.): August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Portraitphotographien 1892-1952, München 1980. 117 Vgl. Krauss 1998, S. 268, 273.

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Rahmen seines Bildkonzepts tritt das Eigenleben der im Fokus stehenden Person – kommunikativ und sich entziehend – umso deutlicher zum Vorschein und bricht den einseitig objektiven Blick auf das gesellschaftliche ‚Exemplar‘. In dieser Hinsicht zeigt Sanders methodisch rigorose Versachlichung des Menschen erst recht die tiefe Ambivalenz und psychologische Zugkraft des Fotoporträts auf. Eine andere distanzierte Darstellungsweise führen Evans’ indirekte Porträts in Penny Picture Display, Savannah von 1936 vor (Abb. 52). Hierbei handelt es sich um eine auf der Straße abfotografierte Werbetafel für preiswerte Porträtaufnahmen – ein Motiv, mit dem Evans lange vor Warhol eine Verflachung des individuellen Porträts zu einem abstrahierten Bildmuster präsentiert. Die emotionale Indifferenz äußert sich in der einheitlichen Redundanz der Porträtkompositionen, die als „reale Gesichter ohne Namen“ zu einer anonymen Masse verschmelzen.118 Als Typen- und ID-Fotografien stellen sie Identifikationsfiguren für die gesamte potenzielle Klientel dar. Evans’ Fotografie zeigt weniger tatsächliche Porträts als vielmehr das Bild von angeeigneten Bildern, auf denen die Individuen nur als fotografische Repräsentation an sich existieren und nicht als Person interessieren. Mit der werbenden Übersichtstafel reflektiert Evans zudem ein modernes fotografisches Phänomen, bei dem keine passende Porträtform mehr für ein Individuum gefunden werden muss. Stattdessen sind alle Individuen in den gleichgültigen Aufnahmen austauschbar und der fotografische Blick entfernt sich mit steigender Quantität zunehmend vom Bildsubjekt. Close bezieht sich auf Sander, wenn er davon spricht, dass er die Person so objektiv wie möglich darstellen möchte: „I just want to present it very neutrally and thoughtfully“.119 Das Objektive an einem Menschen ist einerseits sein faktisches Erscheinungsbild, das fotografisch dokumentiert werden soll, andererseits wird dem Aussehen – was bei Sander die ikonografische Darlegung der Rolle als eines natürlich ‚verkörperten‘ Charakters ist – gemeinhin eine biografische Aussagekraft zugeschrieben, weil sich Spuren des geführten Lebens in Körper und Gesicht einschreiben und ungeachtet der Intention des Fotografen aus dem Bild ‚sprechen‘ können. Closes Bemühen um inhaltliche Leere und Neutralität macht deutlich, dass es ihm nicht um die Reflexion von Zeitgeschichte oder aufklärerische Dokumentation geht. Mit Ausnahme von Big Self-Portrait reduziert er die Charakterisierung der Person durch Kleidung, Attribute, Mimik und Haltung weitestgehend. Sein Fotoporträt will die Person im psychologischen Leerzustand mit einem blank face zeigen, so dass der postulierte deadpanBlick der Kamera dem deapan-Ausdruck des Bildsubjekts entspricht. Als unbewegtes, faktisches ‚Rohmaterial‘ will sich das Gesicht bei Close der Deutung durch den anderen so weit wie möglich entziehen und verweigert sich der vermeintlich universellen Kommunikation im fotografischen Bild. Zugleich aber belegt seine frontale, offene Darbietung die Authentizität der Person und lässt sie greifbar erscheinen.120 Sanders und Closes ‚neutrale‘ Bildnissen zeigen, dass sich emotionale Regungen in keiner noch so sachlichen Fotografie ganz ausschließen lassen, zumal eine grundsätzliche Vieldeutigkeit in jeder Physiognomie bleibt. Während Close näher an den realen ‚Penny Pictures‘ aus dem Fotoautomaten als an der erzählerischen Dokumen118 Vgl. Brilliant 1991, S. 54. 119 Friedman 2005, S. 54. 120 Vgl. Weinberg 2013, S. 14. Dieser spricht von de-facement („Entgesichtung“), wenn Close mit seinen abstrahierenden Methoden ein Gesicht partialisiert und dekonstruiert.

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tation von Evans ist und dabei den gewissenhaften Ernst von Sander transportiert, teilt er mit ihnen den Aspekt der fotografischen Zeitlichkeit, die im Augenblick der Aufnahme den Menschen in einem historisch-biografischen Moment festhält. Obwohl in seinen Porträts rückblickend die Epoche der 1960er bis 1970er Jahre ansatzweise erkennbar wird – etwa an Frisur, Brille und Kleidungsstil – tritt der spezifische Zeitcharakter der Aufnahme an der Person selbst zum Vorschein, insbesondere bei wiederkehrenden Modellen. So wird der Alterungsprozess in Closes Selbstbildnissen und denen seiner Familienangehörigen am deutlichsten. Hier fungiert auch die sachliche Form als konstanter Rahmen, in dem sich eine Entwicklung abzeichnet – die darin implizierte Vanitas-Thematik trägt letztendlich doch eine emotionale, humanistische Note hinein. Das Schwarzweiß seiner frühen Porträts sollte ursprünglich die nüchterne Faktizität der Fotografie unterstreichen, im Nachhinein aber evoziert sie eine gewisse dokumentarische Nostalgie. Die subtile Verschränkung von bloßem Zeigen und empathischem Erzählen fügt den Werken eine biografisch-narrative Sinnebene hinzu, auf die später weiter eingegangen werden soll. Der neutrale Gesichtsausdruck in seinen konzentrierten Aufnahmen vermittelt ein anderes Verhältnis von Bildsubjekt und Kamera: Evans’ Allie Mae Borroughs und Sanders gesellschaftliche Akteure blicken durch die Fotografie auf den Betrachter und erwidern damit bildpsychologisch dessen Blick. Closes Figuren aber blicken nur in die Kamera, auf die sich jedes vorhandene kommunikative Sich-Öffnen richtet, während der Künstler prüfend und beobachtend an der Seite steht. Auch wenn am Ende ein Fotograf für Close die Aufnahmen macht, erinnert die abgekapselte Isolation des Porträtierten doch mehr an das Apparat-Objekt-Verhältnis eines Fotoautomaten als an die menschliche Kommunikation zwischen Künstler und Modell – diese Distanzierung vom Modell setzt sich im Malprozess fort, wo Close nur mit dem Foto anstelle der realen Person arbeitet.121 Während der neutrale Gesichtsausdruck bei Sander oder Evans einen dokumentarischen Realismus vermitteln soll und durch Attribute oder Narration kontextuell ergänzt wird, bleibt bei Close nur die faktische Erscheinung, die sich im Betrachtungsprozess zur Projektionsfläche subjektiver Interpretationen entwickelt – dies vollzieht sich weniger aufgrund einer konkreten Kodierung als vielmehr durch diffuse emotionale Reaktionen und Assoziationen beim Betrachter. Weil Closes Porträts sich primär als bloße exemplarische Beispiele einer Bildidee präsentieren (statt der Repräsentation von ‚speziellen‘ Personen), erweisen sie sich als besonders offen gegenüber den subjektiven Lesarten der Betrachter, die bei der Interpretation der unbekannten Physiognomien auf sich allein gestellt sind. Die uniforme Aufreihung wechselnder Individuen, die namentlich genannt werden, verbindet Close wesentlich stärker mit funktionalen Fotoporträts als mit den genannten Beispielen einer künstlerisch anspruchsvollen Dokumentarfotografie. Während die Visitfotografien aus dem 19. Jahrhundert und professionelle Porträtaufnahmen zumeist an der traditionellen Porträtmalerei orientiert sind, ist die direkte Frontalaufnahme des Passbildes mit Polizeibildern und klinischen Aufnahmen verwandt, wo es um eine kontrollierte und vollständige Aufzeichnung nach festen Richtlinien geht. Close, der sich bemüht, auch Freunden und Familienmitgliedern mit geradezu 121 Die bildlich vermittelte Distanz steht im Gegensatz zum regen Austausch zwischen Close und seinen Modellen während der Arbeit, siehe Kesten/Bartman 1997; vgl. Weinberg 2013, S. 41, 52.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 149

„wissenschaftlichem Desinteresse“ zu begegnen, paraphrasiert deren Systematik und Methodik in seinen einheitlichen Porträtserien.122 Mithilfe der technischen Rhetorik will er sich vom psychologischen Gewicht des Fotoporträts befreien, das mit der symbolisch aufgeladenen transitorischen Medialität noch an Dramatik gewinnt. Zudem stellt er sich als Autor in eine Abseitsrolle neben der Blickinstanz der Kamera, da die von ihm evozierte sachliche Bildform von ihrer Funktion und nicht vom Urheber bestimmt wird. Diese wäre dann erfüllt, wenn die Fotografie unabhängig von der ausführenden und aufgenommenen Person zu technisch gleichen (d. h. vergleichbaren) Ergebnissen führt. Weder die Person noch ihre Aufnahme sind bei Close willkürlich gewählt: Während er Personen aus seinem Umfeld als Repräsentanten des Durchschnittsmenschen bevorzugt, legt er nachdrücklich Wert auf die fotografische Qualität und die Qualität des Fotografischen. Während Ersteres die technisch-formalen Ansprüche wie den korrekten Ausschnitt, gute Beleuchtung und vor allem ausreichende Bildschärfe meint, bezeichnet Letzteres eine medienspezifische Ästhetik, die eben nicht dem kontingenten Schnappschuss entspricht. Sein differenzierter Umgang mit fotografischen Bildmitteln belegt die künstlerische Gestaltungsarbeit, womit Close weit über das Passoder Polizeifoto hinausgeht, die auf Klarheit und Schärfe als absolute Werte abzielen und darin mit der subtilen Vielfalt von Closes ‚Mugshots‘ nicht vergleichbar sind.123 Die Transparenz des Lichtabdrucks, die Struktur des gekörnten Fotopapiers, die optischen Nuancen innerhalb und außerhalb des Fokusbereichs, die kühle Schärfe der Details in ihrer faktisch-deskriptiven Sichtbarkeit – all das übersteigt die rein ontologische Definition des dokumentarischen Mediums, das im Zeigen und Bezeugen besteht. Close interessiert sich für die komplexe Erscheinung der Bildoberfläche, die sich durch ihre konkrete Visualität von der Malerei unterscheidet, in die sie überführt werden soll. Sein durch die Fotografie herbeigeführter Distanzierungsprozess beginnt beim faktischen Objekt. Dieses wird wie in Big Nude in eine klar definierte Form gebracht – ein liegender Frauenkörper auf einem hellen Tuch vor leerem Bildgrund – was bei den ‚Köpfen‘ mit ihrer reduktiven Symmetrie und Frontalität noch deutlicher wird. Close setzt sich zwar während der Aufnahmen mit dem Modell auseinander, jedoch mehr um ihm das gewünschte Bildmaterial abzugewinnen als um eine persönliche Porträtformulierung zu finden. Die Fotografie erfüllt die technische Funktion eines Seh- und Filterinstruments, wobei die Bildformel, die wiederholbaren Handgriffe und Einstellungen am Apparat sowie die Schnelligkeit der Bildherstellung es dem Maler erlauben, sich ein Bild vom Motiv zu machen, bevor er sich emotional und arbeitstechnisch darin versenken muss. Die Kamera bietet einen Zugang ‚auf sicherer Distanz‘, verlängert um die Person des Fotografen, der als technischer Agent zwischen beiden steht. Die technischen Gestaltungsmöglichkeiten hat Close erstmals an den Ungenauigkeiten der Aufnahmen für Big Self-Portrait bemerkt: „They did interesting spacial things to the image [...] they added another kind of information to deal with, something to paint. That range of focus also allowed for a potentially more abstract read122 Vgl. Storr 1994, S. 51. 123 Vgl. Weinberg 2013, S. 32-34. Dieser hält den Vergleich von Closes frühen Porträtaufnahmen mit Mugshots als „myth of the literature“.

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ing of the image.“124 Die mit dem Fotoapparat erzeugten visuellen Effekte – wie die ausgeprägte Schärfe-Unschärfe-Relation mit der daraus resultierenden Raumstaffelung oder die kontrastierenden Licht-Schatten-Zonen mit luziden und diffusen Bereichen – bringen das Motiv der Malerei auf eine spezifisch fotografische Weise hervor, die bei echten Pass- oder Polizeifotos fehlerhaft wäre. In dieser Struktur liegt jedoch das für Close interessante Bearbeitungsmaterial. Verstärkt durch das Blow-up auf der Leinwand wird die Negativität, die in der Entleerung des menschlichen Motivs liegt, bei Close positiv in einen neuen Abstraktionsbegriff gewendet. Aus der Bildvorlage kann seine Malerei abstrakte Formen beziehen, die weder der subjektiven Expressivität noch der formalistischen Methode der Post-Painterly Abstraction folgen. Abstraktion ist hier kein Ausdrucksmittel und stilistischer Selbstzweck mehr, sondern die logische Wiedergabe der fotografischen Form, abstrahiert vom Gegenstand des Menschen. Ihre ästhetische Erscheinung lässt sich mit der indexikalischen Referenzialität des Mediums begründen, ohne an einen Ausdruckswert gebunden zu sein. In der Unabhängigkeit des Referenten von seiner visuellen Form findet sich bei Close der Bezeugungscharakter der Fotografie wieder. Der Künstler toleriert aber nicht einfach fotografische Mängel, sondern stellt die Lichtund Schatteneffekte, Schärfen und Unschärfen gezielt her und modelliert somit den menschlichen Gegenstand durch die fototechnischen Einstellungen zu einem Bild. Seine formale Inszenierung gleicht weniger den suggestiven Kunstgriffen eines Porträtfotografen als vielmehr dem Entwurf einer bildräumlichen Ordnung, welche die visuelle Struktur des Objekts reguliert. Der Mensch wird dabei zu einem Gegenstand, an welchem medienspezifische Qualitäten durch aufnahmetechnische Einstellungen demonstriert werden. Closes Verhältnis zur Fotografie ist bestimmt durch seine Bindung an ihre bildliche Faktizität. Die obsolet gewordene Rivalität zwischen Malerei und Fotografie um die beste Naturwiedergabe wird durch Closes Ansatz theoretisch irrelevant. Anstelle des alten Paragone aus dem 19. Jahrhundert um das ‚wahre‘ Bild zeigt sich hier das neu etablierte Verhältnis aus den 1960er Jahren zwischen Malerei und Fotografie: Als nicht-künstlerische Motive bilden Fotografien eine Materialquelle und Kontrastfolie für hybride malerische Ansätze, die sich aus dieser sekundären Realität speisen. Im Unterschied zur künstlerischen Verarbeitung von Medienbildern und ReadymadeMotiven nähert sich Close dem technischen Medium so weit an, dass er der Malerei scheinbar keinen Entfaltungsraum, ja überhaupt keine Identität mehr lassen möchte, da sie unter dem fotografischen Bild ‚verschwinden‘ soll. Die visuelle Assimilation der Malerei provoziert unweigerlich den Vergleich zwischen beiden Medien und wirft die Frage nach der Nivellierung des einen durch das andere auf. So scheint sich letztlich in Closes fotomimetischen Porträts die Diskussion um Kunststatus und Naturtreue doch zuzuspitzen. Sein entschieden methodischer Einsatz des fremden Mediums entkräftet allerdings die simple Kontroverse eines Wettbewerbs. Vielmehr müsste angesichts der fotomalerischen Kopie nach dem Sinn dieser intermedialen Angleichung gefragt werden und wie denn eine Übersetzung der Fotografie durch eine „Erfindung der Mittel“ zustande kommt.125 Closes Fotobegriff

124 Close zit. nach Lyons 1987, S. 28. 125 Close zit. nach Glimcher 1986, o. S.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 151

führt also auf seinen Malereibegriff, der über die Arbeit am anderen Medium neu definiert werden soll. Gemalte Fotografie, fotografische Malerei Als Close in den 1960er Jahren zur gegenständlichen Arbeitsweise fand, wurde die Malerei von der Post-Painterly Abstraction neben systemischen und minimalistischen Ansätzen dominiert.126 Andererseits war die Pop Art bereits etabliert und eröffnete neue gegenständlich-narrative Möglichkeiten, die mit der Aneignung und Reflexion gefundener (fotografischer) Bildmotive einhergingen. Vor diesem Hintergrund entwickelten zahlreiche Künstler, die zuvor unter dem Einfluss des Abstrakten Expressionismus gestanden hatten, diverse gegenständliche Ansätze, die sich technisch und konzeptuell jedoch gravierend unterschieden. Eine Gemeinsamkeit bildete dabei die Auseinandersetzung mit der Fotografie, die als Antipode, Modell oder Sujet Einzug in die Malerei hielt. Philip Pearlstein (geb. 1924), Alex Katz (geb. 1927) und Malcolm Morley (geb. 1931), die allesamt älter als der 1940 geborene Close sind und wie er auch abstraktexpressiv gemalt hatten, führten schon lange vor ihm eine figürlich-mimetische Bildsprache ein. Obwohl die Behandlung ‚realistischer‘ Motive in ihren Werken höchst unterschiedlich ausfällt, spielt bei allen das Verhältnis zwischen Bildmotiv, Fotografie und visueller Wahrnehmung eine Schlüsselrolle. Von den als Fotorealisten bekannten Künstlern haben Audrey Flack, Robert Bechtle, Richard Estes und Ralph Goings schon Mitte der 1960er Jahre damit begonnen, fotografische Motive in Malerei zu übertragen. Viele unter ihnen – wie Robert Bechtle, Robert Cottingham, John Salt und Tom Blackwell – waren anfänglich ebenfalls stark vom Abstrakten Expressionismus geprägt.127 Einer der Hauptvertreter des Fotorealismus, der 1932 geborene Richard Estes, hatte im selben Jahr eine Ausstellung in New York, als Close Big Self-Portrait beendete. Nur ein Jahr später, 1969, präsentierte Close seine Porträts in einer Gruppenausstellung in der New Yorker Bykert Gallery. Somit fiel sein spektakuläres Frühwerk mit dem Auftreten fotorealistischer Positionen zusammen, was Closes Rezeption als Hauptfigur (und „Extremfall“) des Fotorealismus nachhaltig prägen sollte – eine Zuordnung, die sich hartnäckig bis in die 1980er Jahre gehalten hat.128 Zugleich galt er aufgrund seiner strengen Systematik als Sonderfall mit Parallelen zur Minimal Art. Closes Teilnahme an programmatischen Ausstellungen auf beiden Seiten des Atlantiks wie etwa 22 Realists (Whitney Museum of American Art, New York, 1970), Realism Now (New York Cultural Center, New York, 1972-73), Amerikanischer Fotorea126 Dies belegen zahlreiche Ausstellungen, vor allem in New York, z. B. Toward a New Abstraction (Jewish Museum, New York, 1963), Post-Painterly Abstraction (LACMA u. a., 1964), 8 Young Artists (Hudson River Museum, Yonkers/NY, 1964), Washington Color Painters (Washington Gallery of Modern Art, 1965), Primary Structures (Jewish Museum, New York, 1966) und Systemic Painting (Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 1966). Vgl. Alloway 1966, S. 49. 127 Vgl. Goodyear 1981, S. 19, 25; Chase 1973, S. 13. 128 Vgl. ebd., S. 14; Lucie-Smith 1979, S. 12; Sager 1973, S. 54-56; Lindey, Christine: Superrealist Painting & Sculpture, New York 1980, S. 59.

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lismus (Stuttgart, Frankfurt und Wuppertal, 1972-73) und der Präsentation amerikanischer Fotorealisten auf der Documenta 5 in Kassel (1972) verstärkte seine Zugehörigkeit zu dieser Gruppe.129 Dabei kann bei den Fotorealisten kaum von einer Gruppe die Rede sein, da die Künstler konzeptuell und geografisch teils weit auseinanderlagen: Verstreut zwischen Kalifornien bis New York haben sich ihre Werke meist unabhängig oder gar ohne Kenntnis voneinander entwickelt.130 Trotz technischer und motivischer Ähnlichkeiten besaßen sie weder ein gemeinsames Programm noch verstanden sie sich als eine Bewegung, obwohl es durch Ausstellungen und Publikationen wiederholt suggeriert worden ist. Insofern ist Closes Abgrenzung zum Fotorealismus schwierig und erscheint im Rückblick nicht mehr zwingend notwendig. Denn während er in den 1970er Jahren noch seine Zugehörigkeit emphatisch abstreiten musste, um seine konzeptuelle Position zu verdeutlichen, hält sein Gesamtwerk dem heutigen Betrachter die eklatanten Differenzen zu Malern wie Goings oder Estes klar vor Augen. Ein vergleichender Blick vor der Kontrastfolie des historischen Umfelds, in welchem sich Closes Werk entwickelt hat und rezipiert worden ist, kann dennoch aufschlussreich sein – nicht nur, weil es im Ansatz durchaus Berührungspunkte gab, sondern auch um Closes Foto-Malerei-Verhältnis aus der Differenz zu anderen Positionen klarer zu erfassen. Mit der Diskussion um einen ‚neuen Realismus‘, womit Einzelfälle wie Alex Katz oder Philip Pearlstein neben anderen als akademisch kritisierten Malern wie Jack Beal oder Alfred Leslie zu einer künstlerischen Bewegung zusammengefasst werden sollten, versuchte man von unterschiedlicher Seite einen Gegenimpuls zur formalistischen Abstraktion zu setzen. Linda Nochlin stellte 1968 mit Realism Now eine programmatische Ausstellung gegen den Kanon der Post-Painterly Abstraction zusammen, um mit Verweis auf Realismus-Konzepte des 19. Jahrhunderts und aktuelle Entwicklungen des Nouveau Cinéma ein Statement gegen Greenbergs ‚Realismus-Verbot‘ zu setzen. Der mimetische Stil sollte vom Vorwurf des reaktionären Akademismus oder gar Dilettantismus befreit werden, wobei der ‚Realismus‘ als Kampfbegriff gegen den doktrinären Modernismus ins Feld geführt wurde: „The new realism has exploded the modernist myth entirely“, hieß es in Nochlins Ausstellungstext.131

129 Die Ausstellung Amerikanischer Fotorealismus lief 1972 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart und 1973 im Frankfurter Kunstverein und im Kunst- und Museumsverein Wuppertal. Zahlreiche Ausstellungen zwischen 1968-72 trugen zur Definition dieser ‚Bewegung‘ bei, u. a. Realism Now (1968), Poughkeepsie/NY, Aspects of a New Realism (1969) im Milwaukee Art Center und Through the Photograph to Painting (1971) im SFMOMA, vgl. Sager 1972, S. 274-275. 130 Auf diese Diversität wird schon in der frühen Literatur aufmerksam gemacht, jedoch wird der Umstand auch dazu genutzt, darin den allgemeinen Trend eines ‚neuen Realismus‘ zu begründen, wo von einer „gemeinsamen Gesinnung (sensibility)“ die Rede ist, vgl. Chase 1973, S. 9; Lucie-Smith 1979, S. 7-8; Lindey 1980, S. 7. Zu den verschiedenen Positionen siehe Chase/McBurnett 1972. 131 Vgl. Nochlin, Linda: Realism Now (in: Ausst.-Kat., Poughkeepsie/NY, Vassar College Art Gallery 1968) in: Battcock 1975, S. 111-125, hier S. 115; vgl. Seitz 1972, S. 59; Rosenberg, Harold: Reality Again (in: The New Yorker, 05.02.1972), in: Battcock 1975, S. 135-142, hier S. 140.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 153

Weniger aus theoretischem als kommerziellem Interesse lancierte der Galerist Sidney Janis 1972 den Begriff des Sharp-Focus Realism in einer gleichnamigen Ausstellung mit hyperrealistischer Malerei und veristischer Skulptur, an der Künstler wie Morley und Estes, Duane Hanson und John De Andrea beteiligt waren. Der als zeitgemäße Aktualisierung der Pop Art gesetzte Trend, dessen Titel ausdrücklich an die erste Ausstellung der Pop-Art-Künstler anknüpfte, die zehn Jahre zuvor als New Realists vorgestellt worden waren, erwies sich auf dem Kunstmarkt als durchaus erfolgreich. Allerdings zeigten sich nicht nur Kritiker wie Harold Rosenberg skeptisch gegenüber dieser Kunstrichtung – die Schwierigkeit, für die uneinheitlichen Positionen eine gemeinsame Bezeichnung zu finden, spiegelte sich allein schon im Namensgewirr wider, dessen Klärung angesichts des historisch vorgeprägten Realismusbegriffs zusätzlich erschwert wurde. Neben der strategischen Ableitung von Sharp-Focus Realism aus New Realism (später Pop Art genannt) wurde derselbe Name auch weiterhin bemüht, ebenso wie Superrealism und Hyperrealism oder der vage Begriff Contemporary Realism, worin sich schon die Kurzlebigkeit des 1970er-Jahre-Trends ankündigte.132 Für die malerischen Ansätze hat sich auf lange Sicht der Begriff Photorealism (Fotorealismus) durchgesetzt.133 Noch vor dem Aufkommen des ‚neuen Realismus‘ stellten die figürlichen Ansätze von Pearlstein und Katz markante Positionen dar, die auch von jungen abstrakten Malern wie Close Anfang der 1960er Jahre rezipiert wurden. Der Perceptual Realism, als dessen Protagonist Pearlstein gilt, und das mancherorts als Factual Realism beschriebene Werk von Katz lassen sich als frühe Orientierungspunkte für Closes Hinwendung zur Figur betrachten, da sich hier eine ähnlich medienreflexive Auseinandersetzung mit gegenständlichen Sujets im Zusammenspiel aus Figuration und Abstraktion zeigt.134 Der 16 Jahre ältere Pearlstein arbeitet im Unterschied zu Close überhaupt nicht mit Fotografie, sondern mit lebenden Modellen im Studio, wo der Maler reale Situationen mit diversen Gegenständen wie Teppichen, Spiegeln und Stühlen komponiert, die er durch überzogene Perspektiven, Ausschnitte und Lichtverhältnisse verfremdet, wie das Beispiel eines weiblichen Akts in Crouching Female Nude with Mirror von 1971 zeigt (Abb. 54). Die in Aufsicht dargestellte Figur kauert mit verschränkten Armen und Beinen auf einem fein gemusterten Teppich vor einem an der Wand lehnenden Spiegel, wo neben der Seitenansicht ihres Körpers der restliche Raum mit Fenstern, Heizkörper, Möbeln sowie einem weiteren Bild sichtbar wird. Statt des Gesichts der Frau ist nur die Krone ihres Haars als runde Scheibe zu sehen, während ihr fragmentarisches Profil im Spiegel erscheint. Wie in vielen seiner Aktbilder verbirgt Pearlstein Gesicht und Augen des Modells, um einen kommunikativen Blickkontakt oder Ausdruck zu vermeiden. Bei dieser abgekehrten Figur gelingt der Spagat zwischen physischer Nähe und psychologischer Distanz leichter als in vielen seiner Ganzkör132 Siehe hierzu Rosenberg 1972, S. 135-142; Lucie-Smith 1979, S. 7; Lindey 1980, S. 7; Goodyear 1981, S. 9-10. Im Deutschen brachte Udo Kultermann den Begriff des Radikalen Realismus ein, vgl. ders.: Radikaler Realismus, Tübingen 1972. 133 Vgl. Meisel 1980, S. 12. Dieser prägte den Begriff 1969 im Rahmen der Ausstellung 22 Realists. 134 Vgl. Storr 1998, S. 38-40, wo ein Vergleich zwischen den drei Künstlern in Abgrenzung zu expressiv-figürlichen Malern der 1960er Jahre gezogen wird.

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perporträts.135 Die pedantische Wiedergabe der Details sowohl am Körper als auch in den Teppichornamenten verleihen dem Bild eine stagnierte Dichte, die durch den Wechsel aus Gegenständen und Leerraum sowie die verschränkten Diagonalen von Raumachsen und Gliedmaßen dynamisiert wird. Zudem bricht der häufig eingesetzte Spiegel die Einansichtigkeit des zweidimensionalen Bildes auf und erweitert die Ansicht um ein Bild im Bild. Die Doppelansicht erläutert die Figur und löst sie zugleich auf, da der auf sie fokussierte Blick in ein vergleichendes Sehen zwischen zwei Körpern zerstreut wird. Der präzise Realismus steht im Spannungsverhältnis zur kompositorischen Abstraktion, die durch harte Anschnitte und betont zufällige Ansichten zustande kommt. Es ist Pearlsteins erklärtes Ziel, jedes Detail seines Modells gleichwertig wiederzugeben und den menschlichen Körper neben anderen Gegenständen ebenso gleichwertig erscheinen zu lassen.136 Sein auch Hard Realism genannter Stil versucht das Subjekt als bloße faktische Erscheinung zu begreifen und auf ein Objekt unter Objekten (wie ein „Stillleben“) zu reduzieren.137 Über den klinisch-penetranten Scharfblick sollen Bildsinn und Empathie bei der Figurendarstellung minimiert werden, deren positivistische Aufzeichnung eine „idealerweise direkte Übertragung des Retina-Bildes auf die Leinwand“ anstrebt.138 Hier zeigt sich Pearlsteins nachempfundene fotografische Optik, die sich typische Qualitäten des technischen Mediums aneignet, so etwa die Ausschnitthaftigkeit und perspektivische Verzerrung, die Kontingenz der Bildphänomene und ihrer Lichteffekte, die meistens von oben kommend graduelle Schatten werfen und den Körper modellieren. Zum fotografischen Ethos gehört auch die dokumentarische Treue zu den Phänomenen, die Pearlstein im Porträt eindringlich festhält, wie in Portrait of George Klauber, einem Dreiviertelbildnis mit nackter Schulterpartie, zu sehen ist (Abb. 55). Der selbsternannte „post-abstract realist“ sucht nach einem neutralen Zugang zum Porträt, der nicht mit traditioneller Ikonografie belegt ist. Zugleich will er die Psychologie des eigenen subjektiven Sehens und Empfindens, welche mit dem abstrahierenden Duktus ins Bild gelangt, neutralisieren.139 Darum ist die Fotografie, deren mechanisches Auge als emotionsloses Aufzeichnungsgerät gelten soll, das ideale Modell für Pearlstein, um die Malerei als konkrete Wahrnehmung zu formulieren. Während er Bilder in Anlehnung an die ‚ungedeutete‘ Erscheinung in der Fotografie (die Botschaft ohne Code) künstlich konstruiert, imitiert der Maler die mechanische Aufzeichnung der Kamera durch das additive Zusammentragen visueller Details. Aber der Wunsch, den Abstand vom retinalen ‚Kamerabild‘ zur Leinwand zu überwinden, lässt sich ebenso wenig vollständig realisieren wie der Wunsch nach faktisch eindeutigen Bildphänomenen mit einem „perfekten Nichts“ an Bedeutung, die 135 Siehe hierzu Herrera, Hayden: Pearlstein: Portraits at Face Value, in: Art in America, Bd. 63/ Nr. 1, Jan.-Feb. 1975, S. 46-47. 136 Vgl. ebd., S. 46. 137 Vgl. Sandler 1988, 12-13. „I’m not painting people. I’m dealing with what you see, how you see, and how you depict what you see [...]. I’m concerned with the human figure as a found object.“ Pearlstein zit. nach Herrera 1975, S. 47; vgl. hierzu Pearlstein, Philip: Figure paintings today are not made in heaven, in: Art News, Bd. 61/Nr. 4, Sommer 1962, S. 39, 51-52. 138 Herrera 1975, S. 46. 139 Vgl. ebd., S. 47.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 155

im Kontrast zur visuellen Fülle stehen sollen.140 Das Konzept einer hierarchielosen Deskription der Realität durch optische Wahrnehmung („recording perceptual data“) wiederholt nur die fotografische Fiktion der vollständigen, wahren Dokumentation und des urteilsfreien Zeigens. Pearlsteins überspitzte These von der Objektivierung eines handwerklichen Mediums, das wesentlich von subjektiver Wahrnehmung und Interpretation abhängt, spricht nur für die Stoßrichtung des Perceptual Realism, dessen Widerspruch sich im Fotorealismus weiter verstärkt. Anders als die direkt nach Fotografie arbeitenden Maler bildet Pearlstein die fotografische Visualität in Form einer manierierten Bildrhetorik nach, wo er doch eigentlich die subjektive Bilderfindung und Intention aus dem Werk verbannen will. Eine solche Spannung weisen auch Porträts wie das vorliegende von George Klauber auf, in welchem der detailreich modellierte Kopf vor dem leeren Hintergrund als greifbare Präsenz heraustritt und der nachdenklich abschätzende Blick, die der Porträtierte an den Betrachter richtet, eine unleugbare psychologische Wirkung entfaltet.141 Die Ausdruckskraft seiner Figuren und der elaborierte räumliche und stoffliche Illusionismus widerlegen sein reduktives Programm, und dennoch zeigt Pearlsteins strategischer Ansatz einen neuen Zugang zur Figur über das Modell der Fotografie auf. Close arbeitet mit seinen Foto-Maquetten und Maltechniken grundlegend anders als Pearlstein. Auch geht es ihm weniger um die Frage, wie Realität wahrgenommen wird und sich diese unmittelbare Perzeption wiedergeben lässt. Er bemüht sich jedoch ebenfalls um eine motivunabhängige Übertragungsweise des Wahrgenommenen vom Auge zum Bild. Auf konzeptueller Ebene wäre für Close eine mimetische Akt- oder Porträtdarstellung nur durch ihren Status als visuelles Faktum – also als neutrales Bildobjekt – möglich, wenn er seine gegenständliche Malerei nicht akademisch verstanden wissen will. Beide Maler suchen nach einer mechanisch-analogen Wiedergabe, die eine subjektive Deutung weitgehend ausschließt. Obgleich der eine die Bildkonstruktion sukzessiv herstellt, während dem anderen das Bildergebnis bereits als Fotografie vorliegt, und obwohl bei Pearlstein die Wahrnehmung einer Situation ihrer bildlichen Formulierung vorangeht (was in Closes Mimesis der FotoMaquette zusammenfällt), fassen beide die Registrierung der sichtbaren Phänomene als grundsätzlich abstrakte Struktur in der Malerei auf. Die mimetische Treue wird bei Pearlstein und Close aus den prozessual akkumulierten Details wie ein Nebeneffekt erzielt, da ihr Konzept der mechanischen Aufzeichnung gegenüber dem Ziel der Repräsentation überwiegt. Alex Katz, der zu Closes Studienzeit an der Yale University lehrte und dessen Arbeit Close seit 1961 verfolgte, faszinierte ihn besonders wegen seiner großformatigen Figurenmalerei, die im Gegensatz zu akademischen Realisten „modern“ wirkte.142 Katz hat schon in den späten 1950er Jahren mit figürlicher Malerei begonnen und ist ein Vergleichsbeispiel ganz anderer Art. Seine großen, flächig-plakativen Porträts, die ihn selbst, seine Frau Ada und sein soziales Umfeld zeigen, arbeiten gezielt mit dem

140 Zur ‚Kamerarolle‘ des Malers Pearlstein vgl. Nochlin 1968, S. 117; Goodyear 1981, S. 52-53. 141 Herrera verweist auf den Widerspruch von Programm und Ergebnis, wonach Pearlstein entgegen seiner Absicht als einer der besten Porträtisten des Landes gelten könne, vgl. ders. 1975, S. 46. 142 Vgl. Friedman 2005, S. 240.

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Maßstab zwischen menschlichem Körper und Leinwand, wobei die Größe allein einen wesentlichen Abstraktionsfaktor darstellt. Das lässt sich am Porträt Ted Berrigan von 1967 nachvollziehen (Abb. 56), worin das Gesicht des New Yorker Dichters hinter einer riesigen Hornbrille und einer nachdenklich vorgehaltenen Hand verdeckt wird. Die Close-up-Komposition mit angeschnittenem Stirn- und Schulterbereich verbindet sich mit dem Blow-up auf der 122 cm breiten Leinwand, deren Quadratform den Kopfausschnitt noch größer erscheinen lässt. Im reduzierten Farbgefälle, das hier nur Rot, Blau, Braun und den für Katz markanten Fleischton enthält, wirkt die flächige Malerei mit den grafischen Konturen und losen, offenen Pinselstrichen höchst plakativ, was auf die Nähe des Künstlers zur Pop Art verweist. Obwohl die abstrahierte Gestalt mit den formelhaft reduzierten Details vor dem monochromen Hintergrund mit einer Pop-Ikone vergleichbar ist, hält Katz dennoch an traditionellen Porträtqualitäten wie Ähnlichkeit, Gestik und Mimik fest. Es geht ihm darum, eine gültige Bildform für ein modernes Porträt zu finden, wofür er sich ganz klassisch über vorbereitende Zeichnungen mit dem Modell auseinandersetzt, um es in ein klares bildliches Gefüge zu übertragen – die Konstruktion der „Porträtform“ aus der eigenen Wahrnehmung sei nach Katz’ Aussage die eigentliche Herausforderung und könne nicht von der Fotografie abgenommen werden.143 Den „richtigen Ausdruck“ einer Person sucht Katz in einer reduzierten grafischen Formel, die ihre charakteristische Mimik und Haltung pointiert treffen soll. Die Ikonografie der intellektuellen Figur des Dichters, der hier in einer melancholisch sinnierenden Geste die Hand über Lippen und Kinn gelegt hat, setzt sich fort mit der Brille, den langen Haaren, dem Vollbart sowie der breiten ‚Denkerstirn‘ und nicht zuletzt im schwermütigen Blick unter den leicht zusammengezogenen Brauen. Die Mimik lässt sich nur aus minimalen grafischen Hinweisen ableiten, trotzdem wird der Ausdruck in den Augen durch die lapidar aufgepinselten Lichtreflexe weniger verdeckt als vielmehr verstärkt. Es entsteht zudem ein fotografischer Effekt durch den Ausschnittcharakter des Bildes, die flüchtige Handhaltung und die leichte Neigung des Kopfes mit den bewegten Haarsträhnen. Auch die Lichtstreifen auf der Brille gleichen den akzidentellen Reflexionen, die häufig in Closes Porträts auftreten. Wie Close hält Katz die Ähnlichkeit für ein Qualitätskriterium des gelungenen Porträts. Doch er bemüht sich um eine grafisch komprimierte, trotz kosmetischer Glättung fein nuancierte Formfindung für das jeweilige Modell, während Ähnlichkeit für Close aus der Summe aller Detailbeobachtungen im Arbeitsverfahren resultiert, wofür es keiner personenspezifischen Beobachtung und Formsuche bedarf. Andererseits kippt die eindringliche psychologische Präsenz von Katz‘ Figuren ins Maskenund Schablonenhafte, während Closes technische Distanzierung vom Modell dank der überwältigenden Größe und Detailfülle des Bildes keineswegs dessen psychologische Wirkkraft schwächt. Beide Maler sind auf ein konkretes Objekt fixiert – der eine auf die Person als solche, der andere auf ihre Fotografie – und behandeln es gleichwohl als abstrakte Form: Jeder Ausdruckswert leitet sich bei Katz zunächst aus der Konstellation von Farbflächen und Linien ab, die eine Person zu einer Ansicht zusammenfasst und ihre Form wie eine chiffrenhafte, zweidimensionale Aufstellfigur

143 Vgl. Alex Katz, in: Ten Portraitists: Interviews/Statements, in: Art in America, Bd. 63/Nr. 1, Jan.-Feb. 1975, S. 36, zit. nach Goodyear 1981, S. 69; Henry 1975, S. 36-37.

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charakterisiert.144 Der Flächenbegriff des modernistischen Bildes verbindet sich mit dem figürlichen Bildgegenstand, der im Porträt eine verkürzte ‚Ausdrucksformel‘ zur Schau trägt, in Analogie zu den mimischen Masken der Werbegrafiken, Billboards und Kinoleinwände. Sowohl bei Katz als auch Close verstärkt der vergrößerte Ausschnitt die Ausdruckskraft der Figur und löst ihren Körper gleichzeitig in riesige Farb- und Strukturflächen auf. Beide Künstler vermeiden eine expressive Handschrift, lassen jedoch eine malerisch-materielle Oberflächenstruktur zu. Ihr vorsichtiger Umgang mit dem narrativ-psychologischen Potenzial des Porträts, welches zugleich Macht und Bürde darstellt, zeugt von einer kritischen Distanz gegenüber der traditionellen Gattung, die sie in Spannung zur modernistischen Abstraktion setzen.145 In ihren figürlichen Ansätzen bemühen sie sich um eine gegenständliche Alternative, die beide Sphären miteinander zu einer zeitgenössisch tragfähigen Bildform verbindet. Konzeptuell besteht die größte Gemeinsamkeit zwischen Katz und Close in der abstrakten Bildauffassung, die sie auf den figürlichen Gegenstand übertragen, wobei ihre inhaltliche Reduktion mit einer dimensionalen, expressiven Steigerung der fotografisch geprägten Form einhergeht. Trotz der diversen Berührungspunkte mit der Figuration von Pearlstein und Katz scheint Closes fotografische Visualität auf den ersten Blick den Fotorealisten näher zu sein. Diese wurden anfangs als nachrückende Post-Pop-Bewegung wahrgenommen, was sich im bereits erwähnten Ausstellungstitel Sharp-Focus-Realism (1972) im Anschluss an New Realism (1962) ausdrückte. Doch die Verbindung zum schillerndepochalen Phänomen der Pop Art der 1960er Jahre ließ die hyperrealistische Malerei und Skulptur eher blass erscheinen, als „a rational extension of picture-making in popular styles“.146 Im Vergleich zu den Anfängen der Pop Art wurde deutlich, dass der unterkühlte, trockene Illusionismus der Fotorealisten kaum an den Schock-Effekt des respektlos radikalen Widerspruchs gegen die modernistische Doktrin heranreichen konnte. Der Bruch mit dem abstrakten Formalismus und der Diskreditierung der gegenständlichen Kunst war schon längst vollzogen. Folglich bemängelte der Kritiker Rosenberg am „Triumph des Trompe-l’oeil“, dass diese Kunst allzu harmlos („petty“) ausfalle und damit weder als Realität noch Kunst überzeugen könne.147 Tatsächlich knüpften die Bilder der amerikanischen Lebensrealität mit den heimischen Umgebungen, urbanen Landschaften und sozialen Alltagsszenen an eine motivische Tradition an, wie sie schon von Edward Hopper und der Ash Can School vertreten worden waren. Nicht zuletzt, weil der Fokus der meisten Fotorealisten auf zeitgenössischen Motiven lag, scheint rückblickend die Relevanz ihrer Werke mehr in der zeithistorischen Schilderung als im künstlerischen Wert zu bestehen.

144 Vgl. Nochlin 1968, S. 116; Sandler 1988, S. 200. 145 Zu Katz’ Skepsis gegenüber Ausdruck und psychologischem Gehalt im Bild vgl. Friedman 2005, S. 248. 146 Vgl. Rosenberg 1972, S. 136-137. Andere Theoretiker des Fotorealismus sehen in ihm die logische Fortführung der amerikanischen Moderne und die bewusste Ablehnung derselben, vgl. Lucie-Smith 1979, S. 8; Nochlin 1968, S. 115-116. 147 Vgl. Rosenberg 1972, S. 138-139.

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Ähnlich der Pop Art entnimmt der Fotorealismus die Motive der amerikanischen Kultur durch den Filter einer medialen Wirklichkeit, wofür die Werke von Audrey Flack (geb. 1931) gegen Mitte der 1960er Jahre frühe Beispiele sind, ebenso wie die aus populären Magazinen stammenden Rodeo- und Pferdemotive in den Bildern von Richard McLean (1934-2014). Auch die Künstler, die selbst aufgenommene Motive verarbeiten, greifen häufig auf stereotypische Ansichten und fotografische Posen zurück, die eine alltägliche Normalität vermitteln, wie Robert Bechtles (geb. 1932) Familienbilder vor dem Wagen, wofür ´61 Pontiac von 1968-69 ein frühes Beispiel ist (Abb. 57). Die triviale Thematik stellt inhaltlich die stärkste Verbindung zur Pop Art dar, doch auch formal finden sich Verwandtschaften etwa in den grafischen Effekten bei Robert Cottingham (geb. 1935), der aus collageartig angeschnittenen Neonreklamen abstrakte Konstellationen baut. Die ‚Realität‘ in ihren Bildern meint über die alltägliche Motivik hinausgehend den fotografischen Realitätszugang auf einer visuellen Metaebene, wo die Dinge als distanzierte, substanzlose Bilder bereits einen gültigen Wirklichkeitsstatus im allgemeinen Bewusstsein innehaben. Es geht um Realismus ebenso wie um das vollkommen Artifizielle im realistischen Schein. Die Fotografie wird als ‚Kopie‘ der Wirklichkeit und Ort künstlicher Konstruktionen zum wichtigsten Medium in der „chain of artificialities“148 – nämlich wo Bilder nach Bildern entstehen. So wie die Pop Art sich außerkünstlerischer Bilder und Materialien bedient, um in der Aneignung von Readymade-Motiven die Wende von Nicht-Kunst zu Kunst zu vollziehen, wählen die Fotorealisten bewusst profane oder uninteressante Vorlagen aus, um die Differenz zwischen dem ‚kunstlosen‘ Fotomotiv und seiner malerischen Aufwertung hervortreten zu lassen. Die Faszination für (teils unansehnliche) Details als Beleg für den realistischen Blick zeigt sich in der überbordenden Informationsfülle vieler Bilder. Anders aber als die formal und inhaltlich vielseitige Pop Art erscheinen dieselben Motive bei den Fotorealisten auf ihre bloße Phänomenalität reduziert: Ungeachtet der verschiedenen Motive bleibt das eigentliche Sujet immer die tiefenlose visuelle ‚Haut‘ der Fotografie. Unter Berufung auf das objektive Paradigma des Mediums will sich die Malerei stilistisch neutral zeigen und schiebt mit dem Bild-nach-Bild-Konzept eine Trennwand zwischen dem Dargestellten und seiner Bedeutung ein.149 Mit dem Verzicht auf subjektive Expressivität, Handschrift und Narration reduzieren die Fotorealisten ihren künstlerischen Weltbezug auf ein reines Sehen, Auswählen und Wiedergeben der Phänomene. Neben ‚rohen‘ visuellen Fakten werden auch fotografische Effekte und Verzerrungen emotionslos und homogen dargestellt, was eine rhetorische Verschiebung des Wahrnehmungsbegriffs von menschlich-phänomenologisch hin zu statischapparativ enthält. Richard Estes urbane Veduten exemplifizieren diese mechanisierte, positivistische Visualität.150 In Bus Reflections (Ansonia) von 1972 (Abb. 58) werden die Kamera148 Seitz 1972, S. 65. 149 Dies zeigt sich in Estes’ Wunsch, einen interesselosen Blick zu vermitteln: „a cold, abstract way of looking at things, without any comment or commitment“, zit. nach ebd., S. 61. 150 Lucie-Smith vergleicht sie mit Veduten aus dem 18. Jh., etwa von Antonio und Bellotto Canaletto, die optische Effekte der Camera Obscura ins Bild übernahmen, vgl. ders. 1979, S. 21-22.

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perspektive, Lichtreflexe und Unschärfen ostentativ eingesetzt, um ein technisch transformiertes, von subjektivem Gefühl befreites Sehen zu inszenieren. Wie schon die optische Projektion der Camera Obscura die phänomenologische Erfahrung des Sehens zu einem apparativen Bild abstrahiert und als neutrale zweidimensionale Erscheinung vor der Wahrnehmung zeigt, präsentiert sich Estes’ Malerei als homogener ‚Spiegel der Welt‘. Ihre unüberschaubare Dichte und sterile Klarheit entsprechen einem Sehen, das durch die technische Entwicklung seit der Moderne konditioniert wurde und nun, wie Chase sagt, mühelos den „Reichtum präziser und konzentrierter Daten verarbeitet“.151 Diese technisch-ästhetische Bildkompetenz gilt für Maler und Betrachter gleichermaßen. Die schon bei Talbot hergestellte Verbindung zwischen emotionaler Distanz und visueller Präzision, wonach die vollständige Aufzeichnung durch den vorurteilsfreien Apparat bedingt wird, klingt in der Detailversessenheit der meisten malerischen Ansätze an, die sich auf fotografische Objektivität berufen. Maler wie Estes begründen den Gebrauch der Fotografie einerseits konventionell, wonach sie als praktisches Hilfsmittel dienen soll, um komplexe oder flüchtige Motive festzuhalten. Andererseits besteht die Absicht, das Fotomotiv als Realität zu zeigen, wofür die Vorlagen kombiniert, modifiziert und bereinigt werden, um den Eindruck ihrer Realität zu steigern.152 Dabei beziehen sich die Maler wiederholt auf einen fotografisch veränderten Realitätsbegriff, der in der Theorie von Kracauer bis Sontag kulturkritisch bewertet worden ist – gemäß dem Zwei-Welten-Modell und der Kritik an der ‚Bilderflut‘ wird mit der zunehmend „ikonodulen Mentalität“ die tatsächliche Realitätserfahrung durch eine visuelle Parallelwelt ersetzt, während sie von Begehren, Überproduktion und Verschleiß gesteuert und verfälscht wird und der Kontrolle von Bildordnungen unterworfen ist.153 Die Differenz zwischen Realitätserfahrung und Repräsentation, die durch den Kurzschluss ‚Foto als Realität‘ gleichsam nivelliert wird, erhält durch die in der Malerei implizierte Aufhebung der referenziellen Hierarchie zwischen Abbild und Objekt, Foto und Realität eine indirekte Bestätigung – indem diese Bilder die Fotografie als Realitätszugang betonen, verweisen sie im Umkehrschluss auf eine außerbildliche Realität, die nicht repräsentiert ist. Die malerische Adaption zeigt auf, dass die fotografische Bildrealität spezifisch und artifiziell, ihr Illusionismus rein virtuell ist. So will der Fotorealismus einerseits die materielle Beschaffenheit des fotografischen Bildes reflektieren – was beispielsweise Malcolm Morleys weiße Bildränder und Übermalungen verdeutlichen – und andererseits das Realitätsgefühl seiner Illusion wiedergeben.154 Der vermeintlich indifferente Blick auf alles Sichtbare hängt in Wahrheit stark von den ausgewählten Sujets und der fotografischen Bildkomposition ab, in der sich die spezifische Optik des Mediums manifestieren kann. Entgegen der Behauptung, 151 Vgl. Chase 1973, S. 9, 11. 152 Estes sieht die Fotografie als Mittel zum Zweck für Bildkompositionen, die er modifizieren kann, vgl. Chase 1973, S. 12. Zu Cottinghams selektiver Bereinigung der Fotos vgl. Goodyear 1981, S. 147, 150. 153 Vgl. Sontag 1980, S. 146-172; siehe Kracauer 1927; Kemp 1983, S. 243-246; Anders 1956, S. 108-113. 154 So werde laut Snyder das fotografische Bild als realistisch akzeptiert, obwohl es kein Ersatz für eine visuelle Erfahrung sei, vgl. Snyder 2002, S. 34.

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dass das fotografische Abbildprinzip dem Motiv gegenüber gleichgültig sei, weisen die Fotorealisten ausgeprägte persönliche Vorlieben auf – wie Estes’ Glasoberflächen, Goings’ Trucks und Diners, Bechtles Alltagsszenen, Flacks Pop-Nippes und McLeans Pferde – die in der ‚handschriftlosen‘ Malerei allesamt wie ein ikonografischer Ersatz für den Individualstil wirken. Die Bedeutung des signaturhaften Themenrepertoires bei den amerikanischen Fotorealisten wird besonders deutlich im Vergleich zum fotomimetischen Konzept von Gerhard Richter (geb. 1932), der die inhaltliche Entleerung durch ein extrem breites Motivspektrum viel konsequenter vorantreibt. Alle Vorlagen, ob Medienbilder oder Privataufnahmen, werden durch denselben Schleier der Unschärfe homogenisiert, der fotografisches Merkmal und malerischer Gestus zugleich ist, so auch im Porträt Onkel Rudi von 1965 (Abb. 53). Hinter der asketischneutralen Ausführung verbirgt sich im Grunde eine malerische Darstellungslust, die sich in der thematischen und quantitativen Abundanz der Bilder äußert und durch den Umweg der Fotografie ein Ventil findet. Deren proklamierte Stillosigkeit dient dem Maler als Katalysator und konzeptuelles Modell für eine vollkommen abstrakte Bildstrategie.155 Bei den amerikanischen Künstlern besteht hingegen ein viel stärkeres Interesse am Gegenstand: In Umkehrung von Richters abstrahierender Unschärfe versenken sie sich geradezu obsessiv ins kleinteilige Chaos und seine narrativen Details, was als positives Interesse an der gegenständlichen Vielfalt wiederum der postulierten emotionalen Distanz widerspricht. Nahezu immer stehen haptische, stark reflektierende, metallische Materialien oder komplexe Strukturen im Mittelpunkt, womit sich die fotografische Seh-Lust am Mannigfaltigen (was Kracauer als Wesenszug des Mediums beschrieben hat) auf eine virtuose Malerei überträgt, deren Mimesis an sich jedoch naiv ist.156 Ihre Oberflächenmimesis steht dem mathematischen Illusionismus der Renaissance diametral gegenüber, auch wenn die Fototheorie die Analogie zwischen der Kameraperspektive und dem Systemraum mit dem quasi-subjektiven Auge im Fluchtpunkt hergestellt hat.157 Denn die Maler, die sich mit dem zweidimensionalen Bild auseinandersetzen, konstruieren weder Raum noch Körper, sondern stellen vielmehr ein tonales Gewebe aus Farb- und Helldunkelwerten her, in struktureller Entsprechung zu den Printmedien. Sie verlagern die Bildkonstruktion auf die Fotovorlage, wo die eigentliche Gestaltung stattgefunden hat – auf diese folgt dann nur noch eine gedankenlose Fleißarbeit. Die Spannung zwischen Motiv und Medienreflexion verbindet alle fotomimetischen Ansätze in der Malerei. Vielen dient die Fotografie als Ausdrucksmittel einer neuen Sehweise, die den medialen Einflüssen der Gegenwart entspricht, anderen als 155 Siehe hierzu Richter, Gerhard: Notizen 1964-1965, in: Dietmar Elger/Hans Ulrich Obrist (Hg.), Gerhard Richter. Text 1961-2007. Schriften, Interviews, Briefe, Köln 2008, S. 29-35. Auch Richter räumt subjektive Beweggründe bei der Wahl von Motiven ein, die für ihn eine persönliche oder zeithistorische Bedeutung haben. Siehe Schreiber, Jürgen: Ein Maler aus Deutschland – Gerhard Richter. Das Drama einer Familie, München u. a. 2005; JenniPreihs, Monika: Gerhard Richter und die Geschichte Deutschlands, Wien 2013. 156 Siehe hierzu die vernichtende Kritik an Estes und der fotorealistischen Mimesis im Allgemeinen in Rose, Barbara: Treacle and Trash, in: New York Magazine, 27.05.1974, S. 80-82. 157 Siehe Snyder 2002, S. 39-41; ausführlicher dargelegt in Crary, Jonathan: Techniques of the Observer, Cambridge/Massachusetts 1990.

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ästhetisches Hilfsmittel, um anders zu malen und durch die technische Distanzierung einen rein formalen, homogenen Blick auf den Gegenstand zu gewinnen. Im selben Zug trägt sie als Stilmittel dazu bei, den ikonisch-narrativen Inhalt als ‚abstrakte‘ Visualität wiederzugeben, ohne subjektive Verfremdungsformen einzusetzen.158 So liegt in der akribischen Arbeit nach Diaprojektionen, derer sich viele Fotorealisten bedienen, ein Moment der Blindheit, da der Maler die Umrisse dabei mechanisch nachzeichnet und den Gegenstand nur als Muster aus Schatten und Flecken sieht.159 Die mechanisierte Arbeit zwischen Auge und Hand blendet bewusste bildnerische Entscheidungen im Prozess aus und reduziert die Malerei auf ihre bloße Handwerklichkeit. Tatsächlich ist jedoch an ihrer ‚Kunstlosigkeit‘ alles künstlich, was umso augenfälliger wird, je radikaler sich die malerische Mimesis der Fotovorlage annähert. Als Öl- oder Acrylgemälde wird jedes noch so profane Fotomotiv im klassischen Medium nobilitiert und durch Handarbeit sowie Unikatstatus aufgewertet. Zugleich lenkt seine Materialität den Blick vom Gegenstand auf die Beschaffenheit der Bildoberfläche, was der semantischen Ebene eine abstrakt-ästhetische hinzufügt. Das Wissen um den handwerklichen Aufwand trägt insbesondere im Blick des Laienpublikums zur Aufwertung der Malerei bei, wenn auch nur nach dem anachronistischen Kriterium der Kunstfertigkeit.160 Das gemalte Bild ist insofern ein Trompe-l’oeil, als es eine virtuell transparente Vergrößerung der Fotografie darstellt. Doch um wirklich zu täuschen, müsste das fotorealistische Gemälde selbst als Reproduktion gezeigt werden, damit ihre materielle Natur im Verborgenen bleibt. Dem klassischen Trompel’oeil-Prinzip entsprechend ist die Differenz von Erscheinung und Bildwirklichkeit essentiell – das Gemälde kann sich nur in der Wahrnehmung des Originals als solches behaupten, weil ihre handwerklich-materielle Qualität das Einzige ist, was sie von der Reproduktion unterscheidet. In diesem wohl deutlichsten Einschlag der Fotografie auf die Malerei spiegelt sich das mediale Kräftefeld der Zeit, wo strategische Anleihen bei der Fotografie zu so unterschiedlichen Begründungen gegenständlicher Malerei führen können wie bei den genannten Künstlern, deren Positionen sich allgemein an den Verschiebungen zwischen Gegenstand (Ikonografie), Bild (materielles Foto als Gegenstand) und Wahrnehmung (fotografisches vs. natürliches Sehen, die Faktizität der visuellen Informationen) unterscheiden lassen. Bei den Fotorealisten verlagert sich der Fokus stark auf das Sujet, weil die Malerei hier besonders eine fotografische Transparenz suggeriert und den Blick unmittelbar auf das Gezeigte lenkt.161 Das Erkenntnispotenzial der indifferenten, deskriptiven Wiedergabe wurde schon der fotografischen Aufzeichnung als Mittel der Sichtbarmachung zugeschrieben, wo, wie Linda Chase nahelegt, das Für-Sich-Sein der Objektwelt dem menschlichen Subjekt zu einem neuen Selbstverständnis verhelfen könne, ähnlich dem aufklärerischen 158 Vgl. Estes zum Verhältnis von Fotografie und Malerei, in: Chase 1973, S. 11-13. „The photograph wipes out art history for you.“ John Salt zit. nach Chase/McBurnett 1972, S. 88. 159 Ähnlich äußert sich Richter zur Malerei mit Fotovorlage und Episkop, wo man „sieht und macht [...], was man nicht erkannt hat“, vgl. Elger/Obrist 2008, S. 32-33. 160 Zur Absurdität der Bewunderung handwerklicher Mimesis vgl. Rose 1974, S. 80; Pearlstein zit. nach Goodyear 1981, S. 52-53; Lindey 1980, S. 13. 161 Vgl. Lucie-Smith 1979, S. 34. Darauf beruht mitunter ihre Popularität beim Publikum, was mit dem Markterfolg zum kontroversen Ruf des Fotorealismus beigetragen hat, vgl. ebd., S. 18-19.

162 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

Scharfblick des literarischen Realismus und Existenzialismus.162 Sieht man von dieser emphatischen Bewertung des Fotorealismus ab, lässt sich zumindest mit Sicherheit sagen, dass die Maler mit ihrer eindringlichen Schilderung der Objektwelt (samt ihrer menschlichen Figuren) durch den technisch gefilterten Blick eine antihumanistische Rhetorik demonstrieren, die der Narration und Einfühlung im gegenständlichen Akademismus entgegengesetzt ist.163 Ebenso will auch Close seinen figürlichen Ansatz verstanden wissen. Dass die fotorealistische Bildstrategie neben der Pop Art eine zeitliche und in eingeschränktem Maße konzeptuelle Nähe zur Minimal Art und Concept Art aufweist, stärkt ihre Vergleichbarkeit mit Closes Ansatz. Einerseits binden die ‚materialistische‘ gegenständliche Fülle und Zuwendung zur profanen Alltagskultur den Fotorealismus an die Pop Art, andererseits spricht der medienreflexive Umgang mit dem ‚objektiven‘ Bild und die Umformulierung des malerischen Werkprozesses für ein konzeptuelles Arbeitsprinzip, das die künstlerische Schöpfung auf Auge und Hand reduziert. In der Fotografie finden die Maler ein Seh- und Abbildungsmittel, das klassische malerische Probleme der Bildkonstruktion und Fragen des Stils für sie löst und dabei eine gegenständliche Motivwelt zugänglich macht, die sie als Ikonografie des Zeitgenössischen ins Werk nehmen können, ohne diese Ikonografie weiter begründen zu müssen: Die Indifferenz rechtfertigt die Lust am (inhaltlich) Dargestellten wie auch an ihrer (formalen) Darstellung. Seine rigoros mimetische Technik unterscheidet den Fotorealismus von allen vorhergegangenen malerischen Auseinandersetzungen mit Fotografie, ob als Konkurrenzmedium, Materialquelle oder Hilfsmittel. Mit der immer gleichen Prämisse des zweidimensionalen Bildes wird die fotoästhetisch vorherbestimmte Malerei nach einem simplen technischen Verfahren produziert. Aus diesem mechanischen Prozess geht das Gemälde als zwangsläufiges Resultat hervor, da Zufall und Spontaneität entfallen, sofern die prinzipielle Treue zur gewählten Vorlage eingehalten wird. 162 Vgl. Bazin 1945, S. 63. Zum Existenzialismus-Bezug vgl. Chase, Linda: Existential vs. Humanist Realism (in: Photo Realism, New York 1975), in: Battcock 1975, S. 81-95; Nochlin 1968, S. 118-125; Lindey 1980, S. 21. Bezüglich des mimetischen Interesses wird oft auf eine realistische Tradition in der amerikanischen Malerei verwiesen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, vgl. Rosenberg 1972, S. 141: „Pictures that copy appearances have been an obsession of American art since the early draftsmen of the exploring expeditions. Current conceptions of art as ‚information‘ reinforce this obsession.“ Siehe hierzu Gaehtgens, Thomas W. (Hg.): Bilder aus der Neuen Welt. Amerikanische Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts, Ausst.-Kat., Berlin, SMPK, Nationalgalerie u. a. 1988, München 1988. Parallelen lassen sich zudem zur American Scene Painting der 1930er Jahre ziehen, von deren traditionalistischem Ansatz sich die technische Modernität des Präzisionismus der 1920-1930er Jahre bei Charles Sheeler (1883-1965) oder Ralston Crawford (1906-1978) unterscheidet. Ihre kühle Darstellung der industriellen urbanen Lebenswelt vermischt Realismus mit geometrischer Abstraktion. Siehe Goodyear 1981, S. 13-16; Lucic, Karen: Charles Sheeler and the Cult of the Machine, London 1991. Dort kommen die technizistischen Konstruktionen einem artefactualism näher als einem ‚Realismus‘ (was Seitz vom Fotorealismus sagt, vgl. ders. 1972, S. 61). 163 Zur Gegenüberstellung der als „smooth, almost inhumanly accurate“ bezeichneten Fotomimesis zum akademischen Realismus vgl. Chase 1975, S. 82-85.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 163

Hier setzen die Gemeinsamkeiten zu Close an. Doch neben dem Interesse an der fotografischen Visualität und ihrer antihumanistischen Kühle sowie der Mechanisierung des Malprozesses zu einem reinen Übertragungsvorgang geht Close bei der intermedialen Auseinandersetzung wesentlich weiter. Anstelle von distanzierten Alltagsszenen oder angeeigneten Bildern aus zweiter Hand zeigt er ein frontales, enorm vergrößertes Gesicht, das den Betrachter direkt anblickt. Das Porträtmotiv als Blowup stellt mit seiner bezwingenden ikonischen Wirkung eine außergewöhnliche Herausforderung für jede ‚gleichgültige‘ Bildästhetik dar – dies erfordert eine Balance, die nur durch eine noch strengere, abstraktere Handhabung der formalen Mittel gehalten werden kann. Close muss seine malerische Methode so weit vom Bildsujet ablösen, dass er ein solch psychologisch aufgeladenes Motiv präsentieren und trotzdem eine konzeptuelle Distanz zur abstrakt begriffenen Bildfläche demonstrieren kann.164 Im Unterschied zu Estes, Cottingham, Flack oder Goings, die Figuren ganz vermeiden oder nur als eingebettete Bildelemente verwenden, greift Close zum fotografischen Porträt, das dem Betrachter konfrontativ mit einer gewissen Schockwirkung begegnet. Als Grund gibt Close an, über die Porträtähnlichkeit eine maximale Genauigkeit erzielen zu wollen, was er an den ihm bekannten Gesichtern effektiv kontrollieren kann. Wenn es konzeptuell um die Fotomimesis gehen soll, dann ist die Wahl des Sujets für die Maximierung dieser Kontrolle also ausschlaggebend, wie Dyckes schreibt: „Close was moved by the need for a more demanding model against which to measure his work.“165 Hierfür greift er auf ein Modell im Modell zu: Während die anderen Maler die Fotografie als allgemeines Bildmodell mit variierenden Motiven, Ansichten und Ausschnitten auffassen, ist sie für Close nicht nur als Medium modellhaft, sondern er verwendet auch das spezifische Muster der sachlichen Porträtfotografie als Kompositionsmodell seiner uniformen Bildserie. Er entlastet sich durch das Schema von der Bilderfindung – was als Auswahl und Herstellung der Bildvorlage für die Fotorealisten den bedeutenden Teil ihrer kreativen Arbeit ausmacht – und lenkt dadurch den Fokus umso mehr auf die technische Präzision und konkrete Bildstruktur. Die Mimesis von Porträt und Fotografie fallen zusammen: „Likeness is an important by-product of what I do, but only to the extent that if the photograph I paint from looks like the person the painting will look like the photograph.“166 Das Fotoporträt verweist bereits mit dem Motiv auf den Anspruch des Mediums auf mimetische Genauigkeit. Daran anknüpfend scheinen allein das Porträtmotiv und die detaillierte Technik eine mimetische Treue für Closes Malerei zu ‚beglaubigen‘, obwohl der Betrachter meist die tatsächliche Ähnlichkeit weder zur Person noch zur Fotovorlage überprüfen kann.167 164 Dyckes, der einen frühen Versuch unternommen hat, Close von den anderen Fotorealisten zu unterscheiden (ihn aber trotzdem als Fotorealist darstellt), sieht in der Wahl des Porträtmotivs auch eine strategisch erzeugte Spannung: „And if faces are not among the least emotional things one can portray, the struggle to keep them impersonal adds to the interest of making them.“ Vgl. ders. 1974, S. 150. 165 Ebd., S. 149; vgl. Interview mit Chuck Close in: Chase/McBurnett 1972, S. 76-77, hier S. 76. 166 Statement von Chuck Close, in: Ten Portraits: Interviews/Statements, in: Art in America, Bd. 63/Nr. 1, Jan.-Feb. 1975, S. 41, zit. nach Goodyear 1981, S. 69. 167 Close wählt auch darum bekannte Gesichter als Modelle, um Ungenauigkeiten im Malprozess besser entdecken zu können, vgl. Chase/McBurnett 1972, S. 76; Dyckes 1974, S. 150.

164 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

Innerhalb des festen Porträtschemas nutzt Close aber durchaus die Gestaltungsmöglichkeiten der Fotografie, wenn er die Detailstruktur des Gegenstands differenziert ins Bild setzt und den Porträtkopf durch Licht und Schatten modelliert. Ähnlich wie die Fotorealisten ihre Bilder bereits bei der Formulierung der fotografischen Vorlage kreieren, beginnt für Close mit der Aufnahmesituation die künstlerische Gestaltung. Allerdings folgt seine malerische Umsetzung als zweiter, wichtigerer Teil des Werkprozesses, welcher sich nicht auf ein bloßes Kopieren reduzieren lässt, wie anhand seiner vielfältigen Verfahren gezeigt werden soll. Seine Fotografien konzentrieren sich ausschließlich auf den Gegenstand – Gesicht, Kleidung, Brille und Haare – und inszenieren ihn als ‚Monothema‘ mit zahlreichen formalen Nuancen. Deutlich wird das an den Fokuseinstellungen und dem daraus resultierenden Gefälle aus Schärfe und Unschärfe im Bildfeld. Bei den Aufnahmen mit der 8x10-ZollKamera kreiert Close durch den Einsatz einer 190-mm-Linse anstelle einer 160-mmLinse, die dem menschlichen Auge am nächsten käme, einen unnatürlich komprimierten, gesteigerten Fokus, wo die Tiefenschärfe nur bis etwa ein Zoll reicht.168 Zum perspektivischen Bullaugeneffekt der Nahaufnahme kommt so die optische Verschiebung des auf Augenebene befindlichen Fokusfeldes und der verschwommenen Zonen davor und dahinter. Diese künstlich eingesetzte fotografische Optik drückt sich sinnbildlich in der Unschärfe aus. Deren symbolische und epistemische Bedeutung in der Fotografie mag für Close weniger relevant sein, doch sie irritiert und erweitert als Bildphänomen die gewohnte Wahrnehmung, in der Unschärfe normalerweise nicht positiv gesehen werden kann, weil die Fokuseinstellung des Auges seiner stetigen Bewegung folgt.169 Das Gefühl einer optischen Verzerrung wie im Auge eines Kurzsichtigen drängt sich auf, wo die Überschärfe aus nächster Nähe im nächsten Schritt in völlige Auflösung umschlagen kann. Was in einem kleineren Foto sofort auffallen würde, erschließt sich auf der großen Leinwand erst ab einem bestimmten Abstand, wo mehrere gestaffelte Wahrnehmungsebenen bei wechselnder Betrachtungsdistanz einander ablösen. Close formuliert die fotografische Syntax seiner Bildvorlage also bewusst unter Einsatz formaler ‚Negativitäten‘ wie Schattenzonen und Unschärfen. Ohne mit fotografischen Effekten übermäßig zu spielen und ohne die spezifische Erscheinung des Objekts um seiner selbst willen möglichst präzise darstellen zu wollen (wovon Estes oder Goings sprechen), setzt er die medienspezifischen Mittel ein, um ein differenziertes zweidimensionales Bildgefüge zu konstruieren. Während die meisten Fotorealisten das ganze Bildfeld ‚scharfstellen‘ und visuell glätten, um eine indifferente HoGegenüber der Porträtfunktion überwiege für ihn die Rolle von „interesting painting problems“, vgl. ebd., S. 149-150, 152. 168 Dyckes beschreibt es als „push of the focus“ mit einem Komprimierungseffekt der langen Linse, vgl. ders. 1974, S. 154. Zum Verzerrungseffekt bei Close vgl. Lucie-Smith 1979, S. 12. Diese optischen Verschiebungen treten in Closes späteren Daguerreotypien deutlich hervor, siehe Paparoni, Demetrio: Chuck Close. Daguerreotypes, Mailand 2002; Rexer, Lyle/Homan, Bob: Chuck Close. A Couple of Ways of Doing Something, München 2006. 169 Zur Unschärfe siehe Ullrich, Wolfgang: Die Geschichte der Unschärfe, Berlin 2002. Close sagt über die fotografische Darstellung von Unschärfe: „[...] we know what a blur looks like only because of photography. It really nailed down blur.“ Close zit. nach Chase/McBurnett 1972, S. 176.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 165

mogenität zu vermitteln, ist Closes Homogenitäts- und Allover-Gedanke methodischer. Die Gleichbehandlung bezieht sich auf den Bearbeitungsprozess der Maquette und das Sehen des Malers, das einem Scannen gleicht – nicht auf die fotografische Darstellung selbst. Diese weist eine höchst differenzierte strukturelle Ordnung auf, deren abwechslungsreiche Beschaffenheit an eine heterogene Landschaft erinnert.170 Es ist jedoch vor allem die malerische Umsetzung, die Closes Ansatz gegenüber den anderen abhebt. Als ein Maler der Fotografie greift er die klassische Medienkonkurrenz zwischen ihnen auf, wobei das Porträt den Prüfstein des Ähnlichkeitskriteriums gibt, und führt die Malerei aus ihrer modernen abstrakten Domäne zurück, um sie offenbar erneut an einen materiellen Verismus zu binden, den sie längst überwunden zu haben glaubt. So wie der sachliche Stil seiner Aufnahmen sich von der Tradition der Porträtfotografie löst, hebt auch die malerische Imitation der Fotografie das autonome Selbstverständnis der Malerei auf. Die Imitation eines anderen Mediums ist seit der kategorischen Trennung der Kunstgattungen in Lessings Laokoon in unterschiedlichen theoretischen Kontexten von Kracauer bis Greenberg generell als Qualitätsverlust gewertet worden.171 Trotz der vielen medialen Hybridisierungen vor allem zwischen Malerei und Fotografie bleibt doch weiterhin der Gedanke der Medienspezifizität bestehen, der nicht nur in der minimalistischen Skulptur, sondern durchaus auch im dokumentarischen Gebrauch der Fotografie in den späten 1960er bis 1970er Jahren zu beobachten ist.172 Für die Malerei würde die gegenständliche Repräsentation, dazu noch in Form eines anderen Mediums, den Verlust ihrer Autonomie (und implizit ihres künstlerischen Wertes) bedeuten. Auf der ästhetische Ebene exponiert Close das Fotografische im Bild – der fotografische Eindruck wird aber in einem weiteren Schritt durch die Malerei dissimuliert, womit Close die Polarität beider Medien zugleich bestätigt und widerlegt. Er betont vordergründig den dokumentarischen Realismus, hinter dem sich die fototechnischen Eingriffe bei der Inszenierung der ‚realistischen‘ Aufnahme verbergen, und kaschiert in seinen fotomimetischen Malereien die Handwerklichkeit der Bildstruktur. Deren Gestaltung erscheint auf den ersten Blick ebenso gedankenlos mechanisch – in Entsprechung zum Automatismus der Kamera – wie die mithilfe eines Projektors ausgeführte fotorealistische Malerei, so dass sie die ‚chaotisch-mannigfaltige‘ Realität in der Bildvorlage lediglich wiederholen. Allerdings führt Closes Rückbindung der Malerei an die Fotografie nicht zu ihrer Entleerung oder Nivellierung, sondern vielmehr zu ihrer Neubegründung als einer von inhaltlichen Ansprüchen und Stilfragen befreite handwerkliche Formerfindung. Seine Bilder forcieren den malerischen Aspekt umso mehr, als sie sich erst wie ein Trompe-l’oeil der Fotografie angleichen, um sodann in der aufgelösten Illusion die Physis und Materialität des handwerklichen Unikats noch stärker hervorzuheben. Gesteigert wird die charakteristische Physis des Tafelbildes durch das riesige Format, das die üblichen fotografischen Maße sprengt. Wie entscheidend dieser Kontrast zwischen fotografischer Bilderscheinung und malerischer Körperlichkeit bei Close ist, 170 Der Vergleich mit einer abstrakten Landschaft kommt schon bei Dyckes vor, vgl. ders. 1974, S. 150. Madeleine Grynstejn nennt seine Porträts „facescapes“, vgl. Grynstejn 2005, S. 110. 171 Siehe Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon. Oder: Über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766), Stuttgart 1994; Kracauer 1960, S. 159; Kemp 1983, S. 175-176; Greenberg 1940. 172 Vgl. Fried 1967.

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zeigt der enorme Unterschied zwischen verkleinerten Reproduktionen und den Originalbildern, deren ästhetische Wirkung eine entscheidende Rolle für das Werkverständnis spielt – nicht zuletzt davon rühren viele Fehldeutungen seiner Arbeit, wie Close bemängelt.173 Das Gemälde weist mit über zwei Metern Höhe eine ganz andere Präsenz und ein anderes dimensionales Verhältnis zum Betrachter auf, der erst bei dieser Begegnung die gravierende Differenz zur kleinen Fotovorlage erkennt. Durch das Großformat und Close-up führt er weitaus stärker als die Fotorealisten mit ihren Salonformaten und szenischen Kompositionen das Eigengewicht der Malerei und die Irreduzibilität beider Medien vor Augen. Dabei unterstreicht Close die immanente Ausdruckskraft seiner spezifischen malerischen Mittel, die bei ihrem gehäuften Einsatz auf der großen Bildfläche eindringlich in Erscheinung treten. Wie aber findet die Übersetzungsarbeit statt, in deren Prozess die Malerei auf eine neue Basis gestellt wird? Die Fotorealisten malen, zumeist nachdem sie mithilfe des Projektors eine detaillierte Vorzeichnung hergestellt haben, das Bild nach einer oder mehreren vergrößerten Fotografien ab, wobei die Gegenstände Schicht für Schicht aufgebaut (wie Cottingham) oder in einzelnen Bildbereichen sukzessiv fertiggestellt werden (wie Goings). Vergleichbar mit Warhols Werkserie Do It Yourself von 1962 werden dabei relativ simpel definierte Farbwerte in die umrissenen Felder eingefügt, wo sie zum Schluss die homogene Foto-Oberfläche nachbilden.174 Close hingegen bezeichnet die Suche nach einer malerischen Äquivalenz für die fotografische Erscheinung als „Erfindung der Mittel“, was einen langen Prozess aus zahllosen formalen Einzelentscheidungen beschreibt: „[...] a kind of problem-solving which I find very interesting. It’s an invention of means. I invent thousands of little solutions to a myriad of problems every day, rather than the big solution and, in that way, the whole problem eventually gets solved.“175 Während er die Airbrush-Technik zunächst einsetzt, um die eigene Handschrift im Farbauftrag zu vermeiden, geht es ihm im Weiteren darum, mit der AirbrushPistole art marks („Kunstzeichen“) zu entwickeln, aus denen sich die fotografische Form nachbauen lässt.176 Storr beschreibt mit Barthes, dass die Fotografie Close das menschliche Motiv in seiner begrenzten, stillgestellten Erscheinung vorgibt, wo es sich ohne jede Transzendenz in seiner absoluten Partikularität präsentiert, als „mattes und irgendwie dummes“ Faktum fotografischer Kontingenz.177 Dass die Kamera visuelle Informationen geistlos wie präzise registrieren könne, ist ein Argument aller Fotorealisten, die sich von subjektiven Sehmustern distanzieren möchten, und auch Close beruft sich auf diese automatische Indifferenz. Doch anders als vielen unter ihnen geht es ihm nicht so sehr um den Wahrnehmungsunterschied zwischen monokular-fotografischem und binokular-natürlichem Sehen. Eher nutzt er die Kamera als Bildmaschine, um visuelles Material zu erheben, was sein bloßes Auge nicht festhalten könnte. Sie dient insofern als Werkzeug der Sichtbarmachung, deren Leistung er vorher durch Licht- und Fokuseinstellungen gestaltet und die ihn sodann vor neue 173 Vgl. Arthur, John: Realists at Work, New York 1983, S. 41; Friedman 2005, S. 94. 174 Siehe Arthur 1983, mit Beschreibungen und Dokumentationen der Arbeitsstadien. 175 Close zit. nach Glimcher 1986, o. S. 176 „The airbrush was more a way of getting rid of my ‚art marks‘ rather than getting rid of ‚art marks‘“, Close zit. nach Arthur 1983, S. 41. 177 Vgl. Storr 1987, S. 22.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 167

Darstellungsaufgaben stellt, seien es ungreifbar komplexe Details oder diffuse Unschärfen. Statt einer Kopiervorlage bietet ihm die Fotografie eine visuell anspruchsvolle Aufgabe an, die er bildnerisch zu lösen hat. Dafür muss Close die Malerei ‚neu‘ erfinden, weil er sie weder expressiv noch gegenständlich-deskriptiv einsetzt, sondern eine abstrahierte visuelle Form von einem Medium ins andere übertragen will, als „Übersetzung fotografischer Information in malerische Information“.178 Was ist nun mit Information gemeint und wie unterscheiden sich fotografische und malerische Informationen? Der Gedanke der Informationsverarbeitung trennt Close ganz wesentlich vom fotorealistischen Interesse an spezifischen Gegenständen und Phänomenen und dem ihm zugrundeliegenden objektfixierten Realismus. Auch wenn Maler wie Pearlstein oder Estes mit Blick auf das fotografische Bildprinzip von perceptual data („Wahrnehmungsdaten“) sprechen, ist das verarbeitende Sehen einer differenzierten Oberfläche bei Close viel ausgeprägter, einfach weil seine reduzierten, monotonen Bilder das Verfahren gegenüber dem Inhalt unverhältnismäßig stark hervorheben. Storr nennt ihn einen „Realisten zweiten Grades“, der „optisch überladene anti-naturalistische“ Bilder herstellt, welche nicht die Wirklichkeit, sondern die Künstlichkeit ihrer Abbildung zeigen. Close sieht den Realismusbegriff skeptisch, weil er sich statt der Realität für die Künstlichkeit des Bildes interessiert.179 Diese Künstlichkeit meint die Fotografie, die bei ihrer Reproduktion die Realität verändert und als Konfiguration akzidenteller Details festhält, die zwar eine physische Realität repräsentieren, sich aber rein visuell vom Objekt lösen lassen. In diesem Sinne stellt sich für Close nicht die Frage der Authentizität oder ontologischen Bildwahrheit – nur die konkrete ästhetische Form der Fotografie ist sein Bezugspunkt. Durch das Raster partialisiert er den Blick auf die Vorlage und sieht bei seiner Arbeit aus der Nähe statt des Kopfes oder ganzer Gesichtsbereiche nur noch wechselnde Zonen, deren Sinn keiner physiologischen Ordnung mehr folgt. Mit dem Fokus auf die Detailphänomene löst sich das Auge des Malers vom mimetischen Verhältnis zum Gegenstand und dessen zugeschriebener Bedeutung, die mit dem Erkennen eines Gesichts oder einer Identität verbunden wäre. Vielmehr kehrt Closes Arbeitsweise auf die Ebene von Barthes’ ‚unkodierter Botschaft‘ zurück, wo es nur um die apparativ hergestellte, faktische Primärebene des fotografischen Bildes geht. Er stellt den Blick auf die Fotografie durch die technischen Manipulationen der Aufnahme um und bezieht aus dem Ganzen nur „atomisierte“ visuelle Details.180 Gerade durch die rigorose optische Untersuchung der Fotografie kann Close ihren Gegenstandssinn übersehen, der bei allen anderen genannten Malern aufgrund der Vielfalt ihrer Sujets immer eine narrative, symbolische oder atmosphärische Komponente ins ‚distanzierte‘ Bild trägt. Aus der hartnäckigen optischen Durchdringung des Materials geht die kreative Arbeit der malerischen Erfindung erst hervor. Nachdem er mit der Fotovorlage einen Bewertungsmaßstab für die Malerei gesetzt hat, wonach ihre Qualität an der Treue 178 Goodyear 1981, unter Betonung der perzeptiven Unterschiede zwischen Kamera und Auge. Dies und die Rede von ‚visuellen Daten‘ nimmt auch Storr auf, vgl. ders. 1994, S. 40. 179 „The only way I can accomplish what I want is to understand not the reality of what I am dealing with, but the artificiality of what it is.“ Close zit. nach Storr 1998, S. 42; vgl. ebd., S. 38, 40. 180 Vgl. ders. 1987, S. 15.

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zum anderen Medium zu bemessen wäre, liegt Closes Aufgabe in der Herstellung dieser Bilderscheinung mit malerischen Mitteln. Wie Close erkannt hat, werden freihändige abstrakte Gesten schnell zur wiederholten Manier und erlauben trotz ihrer scheinbaren Willkür nur eine eingeschränkte malerische Bildsprache. Seine Wahl der Fotovorlage sei ein strategisches Mittel gegen die eigene „Faulheit“, womit die Gewohnheit der virtuosen Malerhand gemeint ist, und ein Garant für das konstante Hinarbeiten auf ein Ziel unabhängig vom unsteten Faktor der Kreativität.181 Hierzu schreibt Lyons: „Ironically, by limiting himself to recording only that information contained within the photograph, he found he was actually making shapes and patterns that were totally new, unlike any he had invented as an abstractionist.“182 Auch wenn die visuelle Oberfläche der Fotografie als Denotation ohne Code begriffen wird, stellt die malerische oder zeichnerische Rekonstruktion doch eine Kodierung dar. Statt mimetischer Formen entwickelt Close partielle Zeichen und Kürzel, die aus den Eigenschaften des Malwerkzeugs und Materials abgeleitet sind und in akkumulierter Form nun die Fotoerscheinung anders synthetisieren: Durch die visuelle Analyse und strukturelle Rekonstruktion wird das Foto als Malerei somit neu kodiert. Storr sieht in ihm einen meisterhaften „Dekonstrukteur“ (deconstructionist), dessen malerischer Ansatz auf bildlicher Faktizität statt autoritativer Gestik beruht: Im Tausch von Autorschaft gegen Handlung setze dieser einen selbststrukturierenden Prozess in Gang, der sich mit Barthes’ „writing at ‚degree zero‘“ vergleichen lasse.183 Die Zerstreuung des Gegenstands zur reinen Bildstruktur, für die eine malerische ‚Umkodierung‘ gefunden werden soll, steigert die visuelle Überforderung, da in der bereits überbordenden Fülle der fotografischen Details nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig unterschieden werden kann. Die gleichwertige Präsenz und Bedeutung jedes Bildzeichens wird im malerischen Blow-up unterstrichen, da der Betrachter hierbei den abstrahierten Blick des Malers selbst nachvollziehen kann, indem er in Details versinkt und den fotografierten Gegenstand aus dem Blick verliert. Der Gegenstand der Malerei, die Fotografie, bleibt jedoch allgegenwärtig. Closes falsche Zuordnung als Fotorealist ist eben dieser Spannung geschuldet, dass er eine perfekte Übertragung der Fotostruktur schafft, obgleich er sich gedanklich radikal von der fotografischen Bildquelle entfernt. Diese Differenz wird aber erst vor dem Original ersichtlich, was wiederum eine für die Malerei typische Rezeptionsforderung ist. Seine Fotomimesis insistiert also auf ihrem Status als Gemälde, dessen Masse und Größe wichtige Bildfaktoren im Kontrast zur transparent-virtuellen Fotografie darstellen, deren Immaterialität sie konterkarieren. Die malerische Übertragung steigert mit dem physischen Gewicht die ikonische Präsenz des Porträts im Verhältnis zur kleineren Fotografie. Verglichen mit Richters Argument der Aufwertung der Fotografie durch das Tafelbild bietet Close eine noch nachdrücklichere Umwertung des unscheinbaren Passbildtypus durch das monumentale Format und den extremen handwerklichen Aufwand. Mit dem vergrößerten 181 Vgl. Close zit. nach Chase/McBurnett 1972, S. 76. 182 Lyons 1980, S. 28, wo es weiter heißt: „Equally important, he had finally found genuine criteria against which he could judge his paintings. A shape not in the photograph was wrong, but an accurately transcribed detail was right.“ 183 Vgl. Storr 1998, S. 41. Dieser zieht den Vergleich zu Richter, der mit einem ähnlich medienreflexiven Ansatz zu einer ganz anderen Bildstrategie gefunden hat.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 169

Motiv wird jedes noch so marginale Detail als ein fotografisches und malerisches Element exponiert. Dem gegenüber ist Richters handwerklich verwischende ‚Geste‘ bei allem technischen Geschick eine konzeptuelle Reduktion, mit der er die Malerei als solche enthüllt, während er das Fotomotiv kaschiert und sich zugleich über die Unschärfe einen Wesenszug fotografischer Visualität aneignet. Close arbeitet auch mit dem blur, doch nur in Gegenüberstellung zum anderen fotografischen Modus – der fokalen Schärfe mit einer Überfülle an Details. Während das handwerklich gemalte Unikat die Fotografie aufwertet, wird im Gegenzug die Malerei durch die implizierte ‚Objektivität‘ des fotografischen Inhalts mit dessen Wahrheitsanspruch aufgeladen, was sich mit dem Passbild-Verweis noch verstärkt. Während die Malerei den Status der nichtkünstlerischen Bildvorlage erhöht, erfährt sie im Gegenzug eine medial konnotierte ontologische Aufwertung, die vom subjektiven Ursprung des Gemäldes ablenkt. Darüber hinaus wird die Musealisierung der Fotografie in Closes großformatigen Polaroids thematisiert, deren Technik typischerweise Unikate herstellt, die von einer besonderen Schärfe und Bildästhetik gekennzeichnet sind. Indem er ihre Größe auf nahezu 5,30 m steigert (Abb. 103), kreiert Close eine Sonderform der fotografischen Sichtbarkeit zwischen Realismus und abstrakter Auflösung, die er schon in Big Nude mit malerischen Mitteln vorformuliert hat. Die schiere Größe und fotografische Unmittelbarkeit seiner Werke stellt den Betrachter vor eine rezeptive Herausforderung, da er zwischen der ganzheitlichen Wahrnehmung eines Fotoporträts aus einiger Entfernung und der partialisierten Detailschau aus der Nähe schwankt. Ihre unverhältnismäßigen Dimensionen verstärken die psychologische Wirkmacht des Fotoporträts, verhindern jedoch gleichzeitig die psychologische Empathie mit dem menschlichen Gegenüber, da sich die Betrachtung in der abstrakten Topografie des Gesichts verliert. Statt Einfühlung fordern diese Porträts vielmehr eine Begehung der Oberflächenstruktur und Erforschung der „Gesichtspanoramen“ – als Fotoporträts aber erfahren sie durch die Transformation zum Gemälde eine so enorme Ikonisierung, dass mit Belting von einem Fetisch gesprochen werden könnte, der bereits im Reproduktionsmedium verborgen lag.184 Close kehrt die fotografische Dauer um, indem er den Augenblick der Aufnahme malerisch ‚wiederaufführt‘ und mit indirekter Referenz zum Abwesenden auf eine andere Zeitebene überträgt. In der monatelangen Arbeit vor der Leinwand wird der ursprüngliche Augenblick gedehnt und seine kontingente Erscheinung zu einer elaborierten, intentionalen Struktur umgeformt. Die zeitliche Dauer des Malprozesses korrespondiert dabei mit dem dauerhaften Anspruch des musealen Gemäldes gegenüber dem schnell anfertigten, kurzlebigen Passfoto. Malerei und Fotografie entwickeln bei Close über ihre kontrapunktische Verschränkung eine außerordentliche mediale Spannung jenseits der Repräsentation. In den schwarzweißen und vor allem farbigen Airbrush-Bildern aus drei einzelnen Tonebenen wird die perfekte Täuschung demonstriert und im gleichen Zug aufgedeckt. Hier stellt sich in der undurchdringlichen Oberfläche die komplexe malerische Technik selbst zur Schau, gerade weil sie im perfekt geglätteten Ergebnis unsichtbar wird. In der Gewissheit, dass es sich um eine Acrylmalerei auf Leinwand handelt, irritiert Closes fotografische Mimikry umso mehr: Einerseits steht die handwerkliche Leis184 Vgl. Sobieszek 1999, S. 167; Belting 2001, S. 219.

170 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

tung der Malerei der Augenblicksaufnahme der Fotografie gegenüber, und obgleich beide dasselbe Bild zeigen, erweist sich die Malerei als viel mehr als das kopierte Bild der Fotografie.185 Andererseits entspricht ihr Verfahren, wie seine Farbporträts zeigen, der technischen Reproduktion von Fotografien, wenn sie etwa die Tontrennung in Cyan, Magenta und Gelb auf der Leinwand nachstellt. So tauscht Close die konventionelle Paletten-Farbmischung gegen das synthetische Farbsystem des anderen Mediums aus, womit sich auch die malerische Visualität entscheidend verändert. Durch den Airbrush-Einsatz findet Close in der dünn lasierenden Farbschicht ohne Zugabe von deckendem Weiß ein maltechnisches Pendant zur virtuellen Körperlosigkeit des Lichtbildes. Die durchschimmernde weiß grundierte Leinwand verleiht dem Tableau trotz seiner Größe eine immaterielle, transparente Leichtigkeit ohne die typische Opazität oder das Relief des Farbauftrags. Diese verfahrenstechnisch entwickelte ‚fotografische‘ Malerei gewinnt eine neue Virtualität, in der die Arbeit des Malers und die Materialität von Farbe und Bildgrund nahezu verschwinden, nur um durch den scheinbaren Rückzug erst recht ihre konstitutive Rolle bewusst zu machen: Das Bild besteht aus nichts anderem als Malerei. Der materielle Artefakt-Charakter der Fotografie spiegelt sich gleichermaßen in der Beschaffenheit seiner Malerei wider, die mit „zu viel des Guten“ ihre Mittel und Methoden ins Extreme führt.186 Obwohl die Fotomimesis den Gegenstand förmlich aus dem Bild springen lässt, wird das Gemacht-Sein dieser Realität als abstraktes Allover und ihr Hervorgehen aus der Masse der Bildzeichen vor Augen gehalten. Dabei bringt das Malwerkzeug selbst bereits eine Zeichengröße mit sich, die der Spitze der Airbrush-Pistole oder des Zeicheninstruments entspricht und von Close bewusst als kleinstes elementares Zeichen unabhängig von der Formatgröße eingesetzt wird. Dadurch verhält sich die Maßstabsverschiebung im Blow-up antiproportional zu den feiner und dichter werdenden art marks, wie die Serie Robert I-IV veranschaulicht (Abb. 87 a-d).187 In Entsprechung zur Oberflächenkörnung der Fotografie mit ihrer kontinuierlichen Bildstruktur stellt Close eine malerische Struktur durch einen Punkt-für-Punkt-Transfer nach dem Bildraster her, indem er korrespondierende Zeichen auf die Leinwand setzt, die von Werkgruppe zu Werkgruppe in Abstraktionsgrad oder Zeichendichte abweichen können.188 Der Übersetzungsgedanke zwischen einer analog-kontinuierlichen Struktur und distinkten Punkten verweist auf digitale Bildprinzipien, die in Closes Werken auf vielen Ebenen anklingen. Dies soll im nachfolgenden Kapitel anhand von Beispielen untersucht werden. Close verwendet also weder die Fotovorlage zum Zwecke eines objektiven Realismus noch analysiert er bloß den fotografischen Bildcharakter – es geht ihm nicht darum, mit obsessiver Präzision die Sichtbarkeit der Dinge zu ‚zelebrieren‘ oder die 185 Friedman sieht in Mark eine direkte Konfrontation mit der Fotografie: „[...] decided to more than match it [das Foto] in its own analytical, if idiosyncratic way.“ Vgl. ders. 2005, S. 59. 186 „Chuck Close ist ein Realist zweiten Grades, der gewöhnlich als ein Realist ersten Grades angesehen wird.“ Vgl. Storr 1994, S. 42; vgl. auch ders. 1998, S. 40; Nemser 1970, S. 235. 187 Dyckes erkennt früh, dass Close als Erster im Unterschied zu den Abstrakten Expressionisten oder den Malern der Pop Art das Bildformat vergrößert hat, ohne im entsprechenden Maßstab die Bildzeichen (Pinselstriche) zu vergrößern, vgl. ders. 1974, S. 151. 188 In Zusammenhang mit der konzeptuellen Fotografie ist bei Witkovsky ebenfalls die Rede vom Punkt-für-Punkt-Transfer mit „equal signs“, vgl. ders. 2011, S. 16.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 171

optischen Effekte der Kameralinse im Gegensatz zum menschlichen Auge vorzuführen. All das sind zwar Aspekte seiner Arbeit, doch diese basiert hauptsächlich auf dem Anliegen, aus der Fotografie einen Weg abzuleiten, um auf andere Weise zu malen. Auf der Suche nach einer Strategie für künstlerische Entscheidungen unabhängig von etwaigen subjektiv-kreativen Launen stellt Close mithilfe des mechanischen Mediums ein Regelwerk auf, bei dem er den Weg der Malerei einem vorgegebenen Ziel anpassen muss, weshalb er gegen den typischen offenen Schöpfungsprozess ‚vom Ergebnis her‘ arbeitet. Zugleich geben ihm die Kamera-Bildmaschine und die fotografische Reproduktion das Modell einer mechanisierten Arbeitsweise vor, die er mit dem duktuslosen Airbrush nachvollzieht. Dessen schwebender Farbauftrag, den Close mit einem Zauberstab vergleicht, kommt einem malerischen Pendant zur ‚magischen‘ Selbstinskription bei Talbot gleich. Im sachlich-veristischen Porträt konfrontiert Close die Mimesis-Leistung beider Medien miteinander und verschärft durch die Monochromie zusätzlich den dokumentarischen Anspruch der Fotografie, wobei auch die Schwarzweiß-Reproduktionen in Printmedien angesprochen werden. Hier findet sich eine weitere konzeptuelle Parallele zu Richters monochromer Fotomalerei, die mit ihrer Grisaille eine klassische malerische Form mit der Realismus-Konnotation des fotografischen Mediums verbindet. Es handelt sich um die sachliche Rhetorik der Graustufen, die ebenso bei Johns, Stella und der Minimal Art anzutreffen ist.189 Indem er beide Medien gegeneinander ausspielt und ineinander konvertiert, stellt Close ihre inhaltlichen Ansprüche infrage. Während die Kritik am Porträt als einer ‚äußerlichen‘ Kopie auf das fotografische Medium umgeleitet worden ist, führt Close die Idee der mechanisch hergestellten Oberfläche erneut in die Malerei ein, wobei er den geistig aufgeladenen traditionellen Porträtbegriff durch den Exzess der fotografischen Sichtbarkeit entkernt. Closes Assoziation mit dem Fotorealismus aufgrund einiger weniger Parallelen, gegen die sich jedoch seine malerisch-konzeptuelle Strategie absetzt, verbindet ihn mit Celmins, Richter und Gertsch. Diese haben auch in den 1960er Jahren eine handwerklich und konzeptuell ausgeprägte Malerei unter Zuhilfenahme der Fotografie entwickelt, bei der die methodische Assimilation an das andere Medium nie auf Kosten der Malerei geht, sondern auf eine generelle Bildreflexion im spezifischen Medium der Malerei hinausläuft. Vija Celmins, die mit Close studiert hat, ist bekannt für ihre kleinformatigen Ölbilder und präzisen monochromen Grafitzeichnungen, die ihr Werk nach 1964 kennzeichnen. Nach den stillen, reduzierten Malereien von Haushaltsgeräten und Medienmotiven, die noch in einem von der Pop Art beeinflussten Umfeld der US-Westküste entstanden sind, hat sich Celmins in konzentrierten Bildserien mit verschiedenen Formen der fotografischen Repräsentation auseinandergesetzt.190 Ihre Aneignung von Fotovorlagen gründet zunächst auf einer systematischen Verneinung der malerischen Bildschöpfung, die mit der von Reinhardt beeinflussten Selbstbeschränkung bei Close vergleichbar ist: Mit der prozessualen Mechanisierung

189 Siehe Diers, Michael: Grauwerte – Farbe als Argument und Dokument, in: ders.: FotografieFilmVideo, Hamburg 2006, S. 52-82; vgl. zu Johns: Varnedoe 1997, S. 93. 190 Vgl. Straine, Stephanie: Dust and Doubt: The Deserts and Galaxies of Vija Celmins, Tate Papers, Nr. 14, Herbst 2010, www.tate.org.uk/research/publications/tate-papers/14/dustand-doubt-the- deserts-and-galaxies-of-vija-celmins.

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der Malerei soll das Werk nur auf die Oberfläche, ihre Hand und ihr Auge reduziert werden.191 Bei der Übertragung ihrer strukturell geprägten Motive, zu denen die Meereswellen in ihrer Ocean-Serie (Abb. 29) gehören, ebenso wie Sternenhimmel, Mond- und Wüstenoberflächen oder mediale Dokumente (Bikini von 1968) und wissenschaftliche Visualisierungen (Drawing Saturn von 1982), versenkt sich Celmins in die komplexen Details der fotografischen Vorlage, von deren zweidimensionaler Bildrealität sie ausgeht, während sie diese in subtil differenzierten Zeichnungen wiedergibt.192 Ihre präzise Allover-Übertragung der fotografischen Erscheinung, die sie mit einem beinahe wissenschaftlichen Interesse studiert, scheint andererseits die Gültigkeit dieser ‚objektiven‘ Repräsentationsformen der Wirklichkeit infrage zu stellen – ihre mediale Distanz zu den epistemisch und visuell abstrakten Gegenständen bleibt stets präsent.193 Diese Reflexion eines Bildwissens auf Basis visueller Informationen verleiht Celmins’ handwerklicher Mimesis ihre Eigenständigkeit. Wie Close übernimmt sie den Illusionismus der Fotografie indirekt über ein Konzept, das sich auf die flache Bildvorlage stützt, deren realistischen Effekt sie durch die zweidimensionale Übertragung in ein sekundäres Bild importiert.194 Auch sie sichtet wie in einem Scan-Prozess die kontingente fotografische Struktur, die wie in ihrer Ocean-Serie innerhalb des verflachten monotonen Musters eine soghaft-expansive Räumlichkeit entfaltet. Dabei wandelt sie 191 Vgl. Bartman 1992, S. 8. Ihre Notizen aus dieser Zeit enthalten strategische Negationen im Stil von Ad Reinhardt, die genauso für Closes frühen Ansatz gelten könnten: „Keine Komposition, keine Gestik, keine Kunstfarbe, keine Verzerrung, keine sichtbare Angst oder Anstrengung, kein Ich (ausdruckslose Bilder).“ Celmins zit. nach Reifert, Eva: Die „Night Sky“Gemälde von Vija Celmins. Malerei zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis, Bielefeld 2011, S. 43. 192 Die bewusste Auswahl der Fotovorlage ist für sie ein kreativer ‚Kompositionsakt‘, keine inszenierte Bildkonstruktion nach Vorgaben (wie bei Close). Für beide aber gibt die Fotovorlage das Ziel vor: „First of all I choose an image, and I compose by choosing it also [...] I choose the images that are going to look like I want my work to look.“ Celmins zit. nach ebd., S. 54. 193 Siehe hierzu Butin, Hubertus: Here, Look at this. And look again. And look again. Vija Celmins’ Wüsten-, Meeres- und Sternenbilder, in: Friedrich, Julia (Hg.): Vija Celmins. Wüste, Meer & Sterne, Köln 2011, S. 26-33. 194 Anders als Close aber gehe es ihr immer um die Fläche, nicht um die Übersetzung in andere Bildzeichen, was Close hingegen systematisch entwickelt hat: „One of the reasons I used images at all was that I gave up color and I didn’t want to invent little marks. I was interested in working with space and flatness. The image has an illusionistic quality that is built into it. But it is not done by my manipulation of the image. All the manipulation I do has to do with flatness.“ Celmins zit. nach Larsen, Susan C./Turnbull, Betty: Vija Celmins. A Survey Exhibition, Ausst.-Kat., Newport Beach, Newport Harbor Art Museum 1979, Los Angeles 1979, S. 26. Neben dem fotografisch erfassten Gegenstand ist auch die Fotografie selbst ein Gegenstand ihrer Arbeit: „I was somewhere between painting the object as an object and painting the whole surface itself as a photograph, using the photograph as subject. This is different than using the subject of the photograph.“ Celmins zit. nach Larsen, Susan C.: A Conversation with Vija Celmins, in: Journal, Los Angeles Institute of Contemporary Art, Nr. 20, Okt.-Nov. 1978, S. 36-39, hier S. 37.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 173

diese in der langsamen Rekonstruktion der Handzeichnung in ein neues epistemisches Objekt um, wo jedes Detail die Intensität einer intendierten Form erhält, ohne ein konkreter Ausdrucksträger zu sein.195 Obwohl sie sich motivisch und formal stark von Close unterscheidet, ist ihre analytische und prozessuale Wiedergabe der Bildinformation, die sie als abstrakte, monochrome Differenzwerte verarbeitet, mit seiner Methodik vergleichbar. Franz Gertsch beginnt 1969 zunächst mit Medienbildern, die er fotomimetisch überträgt, um später jedoch mit selbst angefertigten Fotografien – als Außenaufnahme oder mit Modellen im Studio – zu arbeiten. Sein Porträt Christina I von 1983 (Abb. 59) zeigt eine junge Frau in leicht geneigter Aufsicht, die im quadratisch anmutenden Querformat zentral positioniert und an den Schultern angeschnitten ist. Vor dem neutralen Hintergrund tritt sie mit ihrem ruhigen, doch intensiven Blick und der distinkten Farbigkeit ihrer brauen Haare, roten Lippen und blauvioletten Kleidung als eindringliche Präsenz auf. Während das Bild als Reproduktion kaum von einer Farbfotografie zu unterscheiden ist, handelt es sich tatsächlich um ein weit über 2 m reichendes Großformat, wie die meisten seiner Arbeiten, deren Motive sich auf Porträts, Pflanzen oder Wasserflächen konzentrieren.196 Wie in anderen monumentalen Frauenporträts, zu denen Johanna (1983-86) und Silvia (1998-2000) zählen, fertigt Gertsch mehrere Variationen aus den Aufnahmen einer Fotosession an, die mittels Diaprojektion auf eine ungrundierte große Leinwand mit Acryl oder Tempera in monatelanger Arbeit übertragen werden. Auch wenn Gertsch sich im Unterschied zu Close nicht auf eine einheitliche Porträtform beschränkt, weisen seine Brustbilder kompositorische Gemeinsamkeiten und eine kontrollierte Beleuchtung auf, die vor dem neutralen Grund die gestochen scharfen Details der Figur hervortreten lassen. Gertsch setzt sich ebenfalls gezielt mit der traditionellen Gattung des Porträts auseinander, unter Verwendung von fotografischen Schnappschüssen und kompositorischen Verfremdungseffekten, die das Ähnlichkeitsparadigma des Porträts auf die Fotomimesis lenken.197 Während Close mit seinem zugespitzten Passbild-Schema die Bildform neben dem Bildsubjekt betont, verweisen Gertschs überbelichtete, glamourös geschminkte Gesichter aus den 1970er und frühen 1980er Jahren mit ihrer Einbindung in einen narrativen Kontext auf einen über den Porträtgedanken hinausgehenden fotografischen Blick. Die für den Fotorealismus kennzeichnende Inhaltlichkeit in Gertschs frühen Figurenbildern unterscheidet sich stark von Closes ‚Köpfen‘ aus dieser Zeit. Trotzdem spiegelt sich in seinem Interesse an der Fotografie die auch bei Close vorhandene Motivation wider, die unberechenbare Spontaneität der Malerei in eine neutrale Methodik umzuleiten und dem Rechtfertigungsdruck eines subjektiven Bildentwurfs motivische und stilistische Vorgaben entgegenzusetzen.

195 Zum ambivalenten Motiv des Ozeans und zur Räumlichkeit im Allover-Bild siehe Reifert 2011, S. 61-70. Zur Prozessualität in Celmins’ Arbeit siehe Bartman 1992. 196 Vgl. Affentranger-Kirchrath, Angelika: Franz Gertsch. Die Magie des Realen, Wabern/Bern 2004, S. 31. Sein größtes Gemälde, das Gruppenporträt Medici von 1971-72, misst sogar 6 m. Zum Beginn seiner Arbeit mit Fotografie siehe ebd., S. 11. 197 Oft sind Personen abgewandt oder werden durch Makeup verfremdet, wodurch der physiognomische Zugang zum Modell verwehrt bleibt, siehe hierzu Geimer, Peter: Franz Gertsch, Patti Smith. Drei Bildnisse am Nullpunkt des Ausdrucks, in: Busch u. a. 2010, S. 211-222.

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So wie Richter in den 1960er Jahren mit dem ‚Nichtwissen‘ der Kamera und der dokumentarischen ‚Stillosigkeit‘ ihrer Bilder für sein malerisches Konzept argumentiert hat, welches die postulierte Negativität der Fotografie für sich beansprucht, entwickelt Gertsch durch die Bindung an die mechanische Bildvorlage einen scheinbar von Stilfragen unabhängigen Stil. Seine Malerei versteht sich wie Close als ein unpersönlicher, stetiger Prozess, der technischen Regeln und strukturierten Arbeitsschritten folgt, um das prädeterminierte Ergebnis auf der großen Bildfläche zu erzielen. Bei beiden ersetzen das aufwändige handwerkliche Verfahren und die Wahl redundanter Motive die kreative Bildformulierung – dadurch erhält ihre Malerei ein objektiv ‚messbares‘ Richtig oder Falsch: Analog zur fotomechanischen Indifferenz behandelt der Maler jeden Zentimeter der Leinwand gleich und muss ihn mit fotografisch geleiteter Gewissheit „gleichsam mit dem Pinsel nur einmal berühren“.198 Das bei den Fotorealisten am häufigsten angeführte Argument der emotionalen Distanzierung und des unpersönlichen Blicks findet sich auch bei ihnen, doch im Unterschied zu den Fotorealisten entwickeln sie beide ein malerisches Repertoire an Techniken und Formen, die nur in der Mikrostruktur zutage treten. Diese entscheidende Differenz zwischen Fern- und Nahsicht, deren ästhetische Schwelle durch das Großformat verstärkt wird, begründet den vexierhaften Bildstatus zwischen Fotografie und Malerei, wenn die eine Visualität in die andere umschlägt.199 Obwohl sie mit Fotografie arbeiten, stellen sie keine ‚Fotografien‘ her, wie es etwa Richter mit seinem agnostischen Bildkonzept formuliert hat, sondern exponieren das spezifisch Malerische mit handwerklicher Emphase und einem ausgeprägten Bewusstsein für die abstrakte Materialität.200 So arbeitet Gertsch mit feinsten Tupfern und Pinselstrichen und lässt den unpräparierten Malgrund sich mit Farbe vollsaugen und zu einem ‚Farbkörper‘ wachsen. Der Umstand, dass sich das fotografische Blow-up in der Nahansicht abstrakt auflöst, bestätigt Gertschs Aussage, wonach sich die Malerei vom Inhalt löst, je weiter sie der Vorlage folgt – bis sie dem Auge eine ‚infinitesimal‘ anmutende Mikroebene präsentiert.201 Zur Vergrößerung kommt die Allover-Übersetzung der Foto-Oberfläche, durch die beide die hierarchische Ordnung des Porträts aufbrechen und lediglich eine abstrakte Feinstruktur übernehmen.202 Während Gertsch einerseits die flüchtige Kontingenz der Fotografie in Serienaufnahmen und Schnappschüssen unterstreicht und ihr in der Malerei das zeitliche und materielle Gewicht der handwerklichen Bilder entgegensetzt – ein Kontrast, der in Closes profaner Porträtinszenierung anklingt – trans198 Gertsch zit. nach Affentranger-Kirchrath 2004, S. 37. Der präzise technische Ablauf zeigt sich am deutlichsten in den Holzschnitten, die er in drei Schichten herstellt: erst die ‚Lichtzeichnung‘ als Punktmuster mit den Helligkeitswerten aus der Fotovorlage, dann der transparente Farbton und zuletzt der Umriss der Figur, vgl. ebd. S. 143. 199 Siehe hierzu Geimer 2010, S. 211-212. 200 Richters Fotobegriff ist als Metapher für einen allgemeinen Bildbegriff zu verstehen, womit für den Maler abstrakte ‚Original-Foto-Bilder‘ möglich sind – Close hingegen will aus der Fotografie eine Malerei konstruieren und sie durch diese verfahrenstechnische Transformation neu erfinden. Siehe hierzu Storrs Vergleich zwischen Richter und Close in ders. 1994, S. 50; ders. 1998, S. 37-38, 41-42. 201 Vgl. Boehm 2000, S. 22-23. 202 Vgl. Affentranger-Kirchrath 2004, S. 36-37; zu Gertschs Arbeitsweise in Bildzonen, S. 126.

1.3 Foto/Realismus – eine Neubegründung der Malerei | 175

zendiert er diese Visualität weiter in eine geglättete Ästhetik und Perfektion, die bei aller klinischen Säuberlichkeit romantisch verklärt wirkt.203 In diesem Punkt überwiegen die Differenzen zwischen Closes kühlem, technischem Formalismus und methodischer Vielfalt im Vergleich zu Gertschs ästhetischen Naturmotiven und klassisch anmutenden Frauenbildnissen. Hier besitzt das Modell, das oft in traditionellen Dreiviertelansichten gezeigt wird, noch eine gewisse Aktionsfreiheit, während ihr enigmatischer Ausdruck eine psychologische Verschlossenheit und Souveränität vermittelt. Bei Close wird die Figur dem kompositorischen Rahmen untergeordnet und frontal ‚offengelegt‘, weshalb sie als dargebotene Oberfläche eine andere Rezeptionsweise erfordert. In diesem Punkt reflektieren Closes und Gertschs Porträts die jeweils unterschiedlichen Bildsprachen der funktional-sachlichen Fotografie sowie der konventionellen Porträtfotografie. Sie unterscheiden sich ferner im konkreten malerischen Arbeitsverfahren: Wo Gertsch auf ungrundiertem Halbleinen oder Baumwolle malt, um seiner Leinwand durch die materielle Masse der Farbe eine körperliche Dichte und Schwere zu verleihen, trägt Close zehn bis zwölf Schichten der gips- und kreidehaltigen Gesso-Grundierung auf, wobei er jede Schicht mit Schmirgelpapier bearbeitet, bis eine samtige Oberfläche entsteht.204 Im Gegensatz zu Closes Airbrush-Technik, die laviert anmutende, transparente Farbschichten erzeugt, verwendet Gertsch gestutzte Borstenpinsel und feine Marderhaarpinsel, mit denen er überwiegend trockene, minutiösen Flecken und Linien aufträgt.205 Close schafft mit dem ebenmäßig glatten Bildgrund, auf dem sich verschiedenste Nuancen kontrolliert erzielen lassen, ein Pendant zum Fotopapier, wo sich jeder Hauch aus der Airbrush-Pistole und jede feine Bleistiftlinie sichtbar abzeichnen. Gertsch aber lässt durchaus eine Handschrift in der tachistisch-kleinteiligen Pinselstruktur erkennen, deren abstraktes Farbgewölk den klassischen Topos des altmeisterlichen Illusionismus herbeizitiert, bei dem sich in der Nahansicht der notorische Auflösungsprozess des Bildes in ein malerisches Gewebe aus Pinselstrichen vollzieht. Der Aspekt wird dadurch unterstrichen, dass Gertschs farbige Malereien ein ausgeprägtes haptisches Interesse an realen Materialien aufweisen, während Close das Bildmotiv mehr als zeichnerisch-monochrome Struktur – oder im Falle der Farbporträts, als chromatisches Gefüge – begreift. Der Blick auf Closes frühe Entwicklung nach dem Ende des Abstrakten Expressionismus im Kontext von Pop, Minimal und Concept Art zeigt seine Empfänglichkeit für Impulse von vielen Seiten seines zeitgenössischen Umfelds, mit denen ihn eine antisubjektive, antihumanistische und konzeptuelle Orientierung verbindet. Die Fotografie stellt bei seiner Suche nach einer objektiven, prozessualen und systematischen Methode einen wichtigen Faktor dar, aus dem er sowohl die Bildmaterialien als auch 203 Besonders stark tritt diese Ambivalenz aus Sachlichkeit und Stilisierung in den Silvia-Porträts zutage, die u. a. mit frühen Renaissance-Porträts verglichen wurden, vgl. Gramaccini, Norberto: Franz Gertsch, Silvia, Baden 1999, zit. nach ebd., S. 227-230. Zur Gegenüberstellung beider Künstler mit Blick auf Gertschs Naturthematik siehe Wallach, Amei: Wie kann man einen Franz Gertsch von einem Chuck Close unterscheiden?, in: Parkett, Nr. 28, 1993, S. 44-46. 204 „I’ll spend three weeks gessoing and wet-sanding a canvas – ten to twelve coats – getting it all smooth and getting it perfect [...].“ Close zit. nach Storr 1987, S. 31. 205 Zur Maltechnik siehe Gramaccini 1999, S. 21-22.

176 | 1 Kein Porträt, keine Ikone, kein Foto – zu Closes Bildkonzept

Arbeitsregeln ableitet. Ähnlich wie Pearlstein und Katz geht Close hierbei von einer visuellen Differenz in der Fotografie aus, deren apparativen Blick er auf den Porträtgegenstand lenkt. Über das mechanische Medium formuliert er so eine verfahrenstechnisch definierte Bildsprache, die sich nach den ersten rigoros fotomimetischen Airbrush-Arbeiten in zunehmend komplexen Strukturen und Konstruktionen ausdifferenziert. Entsprechend seinem Vorsatz, gegen die Stilfragen der Malerei und Gattungsfragen des Porträts anzuarbeiten und über die strategisch gesetzte Negativität zu einem neuen Bildbegriff zu kommen, ist Closes Strategie bis hierher systematisch ex negativo beschrieben worden. Nun geht es darum, anhand seiner konkreten Medien und Methoden die formalen Prinzipien herauszuarbeiten, die sein Werk im Ganzen bestimmen und dessen technisch-analytischen Charakter begründen.

2 Auge, Hand, Verfahren – Closes Methoden der Bildherstellung

2.1 Raster und Prozess: Airbrush-Arbeiten

Closes Arbeitsweise bewegt sich stets zwischen Schema und Variation. So wie das Motiv des menschlichen Gesichts gleich bleibt, wiederholt sich die frontale, zentrierte Komposition, die auf das Bildmodell des dokumentarischen Passfotos zurückgreift. Dessen Kernfunktion besteht in der vereinheitlichten Darstellung unterschiedlicher Individuen zum Zwecke der Sichtbarmachung ihrer kennzeichnenden Merkmale. Die formale Reduktion und kompositorische Klarheit sollen dabei helfen, das Motiv objektiv in den Blick zu nehmen und seine Spezifizitäten optimal hervorzukehren. Konzeptuell arbeitet Close nach einem ähnlich visuell-analytischen Prinzip. Durch die Wiederholung von Strukturen, die aus demselben fotografischen Bild abgeleitet werden, treibt er mit wechselnden Formaten und Materialien eine systematische Diversifizierung innerhalb der Monotonie voran. Das Porträtschema wird mit wechselnden Gesichtern gefüllt, wie auch identische Gesichter auf unterschiedliche Weise nach dem Rasterschema dargestellt werden. Im gleichen Zug wird die Rasterstruktur selbst in variierender Dichte und Form durchgespielt. Seine Methodik hat zur Folge, dass Closes Werk ungeachtet seiner Fülle einen inneren Zusammenhang aufweist, wodurch sich Stränge von frühen Schaffensphasen über Jahrzehnte bis ins Spätwerk verfolgen lassen. Aus ähnlichen oder identischen Bildvorlagen und Modellen seiner Anfangszeit hat Close eine Vielfalt an Werken mit unterschiedlichen Formaten, Materialien, Techniken und visuellen Strukturen hergestellt, als wollte er alle Möglichkeiten der Bearbeitung erschöpfen. Eben weil das fotografische Motiv hierbei eine ikonische Konstante bietet, kann das Bild als solches zum Experimentierfeld künstlerischer Praktiken werden. Mit verschiedenen analytischen Methoden und handwerklichen Verfahren werden so Konfigurationen gefunden, die sich mit der Zeit zu einem dynamischen System oder Bilderkosmos von aufeinander aufbauenden und verweisenden Werken gefügt haben. Seine Vorgehensweise macht Closes Werkentwicklung zu einem „fortschreitenden Prozess“,1 bei dessen permanenter Diversifizierung Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und Fotografie zu ineinander konvertierbaren Medien werden, die sich gegenseitig ergänzen. Aus der konzeptuellen Redundanz und Strenge erwächst so schließlich eine beachtliche Formenfülle, was

1

Hierzu heißt es bei Brehm 1994, S. 76-78: „Eine gefundene formale Lösung wird dabei nie funktionslos, d. h. einer oberflächlichen Wirkung wegen übernommen, sondern um zu untersuchen, welche Auswirkung die Veränderung einer (oder mehrerer) Variablen auf das System hat.“

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eine große Offenheit und Freiheit in Closes Schaffen erkennen lässt und die Vorstellung vom ‚monolithischen‘ Werk widerlegt.

2.1.1 MONOCHROME BILDER Im Zeitraum zwischen November 1967 und April 1970 schuf Close eine Serie von acht großformatigen monochromen Porträts. Der Großteil der riesigen Leinwände misst 274,3 x 213,4 cm bei einer Stärke von ca. 7 cm.2 Auf Big Self-Portrait, das 1968 vollendet wurde, folgten nacheinander Nancy, Frank, Richard, Joe, Phil, Bob und Keith (Abb. 60-66).3 Alle Bilder wurden in der Airbrush-Technik auf einer Leinwand hergestellt, die mit mindestens zehn Schichten Gesso-Grundierung und Schmirgelpapier präpariert worden war. Bei der Airbrushtechnik wurde lediglich schwarze Acrylfarbe mit Wasser verdünnt und mit der Spritzpistole in leichten Schichten aufgetragen. Andere Farben kamen nicht zum Einsatz, obwohl Close für Glanzlichter gelegentlich Weiß verwendete.4 Ihnen lagen vergrößerte Schwarzweißfotos zugrunde, die in Form von gerasterten und beschrifteten Maquetten als Arbeitsvorlage dienten. Ein feines Bleistiftraster auf der Leinwand und ein mit Bleistift und Tinte eingezeichnetes Raster auf dem vergrößerten Fotoabzug erlaubten dem Maler eine genaue proportionale Übertragung. Das Leinwand-Raster wurde im Verlauf der Arbeit teils übermalt, teils wegradiert, doch in hellen Bereichen wie dem Hintergrund scheint das ‚Baugerüst‘ des Bildes noch ansatzweise durch. Die gestalterischen Formen und Werkzeuge, die im ersten fotomimetischen Bild Big Nude experimentell durchgespielt und auf der Leinwand kompiliert wurden, konnten nach dieser anfänglichen Erprobung wesentlich gezielter und effizienter eingesetzt werden.5 Das Resultat war eine Serie von stringent ausgeführten und pointiert formulierten Porträts mit immateriell erscheinenden homogenen Oberflächen. Der sich in diesen Bildern zeigende Kontrast zum abstrakt-expressiven Frühwerk könnte kaum größer sein: Passend zur reduzierten Komposition wendet Close nun eine materiell extrem sparsame Technik an, bei der eine minimale Menge an schwarzem Pigment als stark verdünnte Acrylfarbe für die ganze Leinwand verbraucht wird.6 2 3

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Entgegen der häufigen Angabe, dass alle Bilder gleich groß seien (vgl. ebd., S. 72), gibt es tatsächlich geringe Abweichungen, die bei der Größe jedoch vernachlässigt werden können. Bei den abgebildeten Personen handelt es sich um die Künstler Nancy Graves, Richard Serra, Frank James, Joe Zucker, Robert Israel, Keith Hollingworth und den Komponisten Philip Glass. „White paint is used occasionally for the highlights but more often the black pigment is scraped back using a razorblade or an electric eraser.“ Vgl. Lloyd, Michael/Desmond, Michael: European and American Paintings and Sculptures 1870-1970 in the Australian National Gallery, Canberra 1992, S. 408. Vgl. Dyckes 1974, S. 157. Friedman spricht von „an airbrush filled with the contents of a forty-cent, studio-size tube of acrylic pigment diluted with a little water“, vgl. ders. 2005, S. 96. In Grynstejn 2005, S. 109, wird die Menge mit „a few tablespoons of water-based pigment“ angegeben, während Carol LeWitt, die Close zu Beginn assistiert hatte, von „nur einem Airbrush und einem Teelöffel schwarzer Farbe“ spricht – handwerklich realistisch ist Grynstejns Beschrei-

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Dafür vervielfacht sich der Arbeitsaufwand durch ein Verfahren, das den Herstellungsprozess beträchtlich verlängert. War Closes frühe Malerei noch von spontanen Entscheidungen geleitet, läuft sie nun als kontinuierliche Routine ab, die ihn das Bild über den Prozess fast vergessen lässt. Das ‚Drama‘ des künstlerischen Schaffens wird in eine unspektakuläre Tätigkeit verwandelt, wo der Arbeitsmodus vom Resultat losgekoppelt ist, um selbst zum Bestandteil des Werks zu werden. Big Self-Portrait kann als effektvolle Demonstration seines Bildkonzepts und frühes Manifest von Close gelten: als Porträt gegen das traditionelle Porträt, als virtuoses Kunststück gegen den modernistischen Anspruch einer ‚hohen‘ Kunst und als gemaltes fotografisches Blow-up gegen die Fotografie, die hier als profanes, dokumentarisches Schwarzweißbild auftritt. Richtet sich der Griff zur Fotografie gegen das Künstlerische, so richten sich Monochromie und strukturelle Glätte gegen das Malerische. Sein Bildkonzept kann Close jedoch erst mit der seriellen Wiederholung der ganzen Werkgruppe ausformulieren. In deren Verlauf werden inszenierte Details wie in Big Self-Portrait oder abweichende Blickwinkel wie in Nancy schrittweise zugunsten uniformer Einfachheit eliminiert. Die banale Alltäglichkeit des anonymen ‚Jedermann‘, der im Trompe-l’oeil einer ebenso banalen Fotogattung auftritt, drückt sich erst in der monotonen Reihung aus. Zugleich wird das Banale im Monumentalporträt spektakulär aufgewertet, während die ostentative Kunstlosigkeit der Bildidee durch eine unerhörte technische Raffinesse aufgewogen wird. Während diese frühen Werke auf die visuelle Durchdringung der fotografischen Erscheinung abzielen, geht es bei der Herstellung ihrer glatten, homogenen Bildfläche gleichzeitig um die Neuerfindung der Malerei über fremde Prämissen: Ihre transparente Körperlosigkeit enthebt sie ins Virtuelle und eröffnet damit einen anderen Wirkungsraum für das stoffliche Gemälde. Das Raster legt ihr eine primäre AlloverStruktur zugrunde, gleichzeitig gibt die technische Flächengliederung eine mechanische Vorgehensweise im Malprozess vor. Ist das Raster auf der Maquette und Leinwand einerseits ein bloßes Werkzeug für die vergrößerte Bildübertragung, als welches es schon in der Malerei der Renaissance gegolten hatte, so ist es zugleich ein strukturierendes Prinzip mit einer Doppelfunktion als Bau- und Leseanleitung. Die Bedeutung des Rasters nimmt in den nachfolgenden Werkgruppen der Papierarbeiten noch weiter zu, wo sich das Bildgitter verselbstständigt und zu einem konstitutiven formalen Element wird.7 Phil von 1969 (Abb. 64) zeigt den damals noch unbekannten Komponisten Philip Glass (geb. 1937), als dieser vorübergehend im Studio von Richard Serra assistiert hat.8 Der Freund, den Close 1964 in Paris durch Richard Serra und Nancy Graves kennen gelernt hat, begleitet ihn als Motiv sein Leben lang: Über dreißig Jahre später hat ihn Close erneut in einer Daguerreotypie (Phil, 2001) und 2011-12 in einem Ölgemälde porträtiert, dort allerdings im abstrahierten Stil seines Spätwerks mit diagonal verlau-

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bung. Close nennt seine Arbeitsweise zeichnerisch, weil er nur schwarze Farbe aufträgt und das Weiß durch Aussparen, Abkratzen oder Ausradieren der Farbe herstellt: „It’s a little bit like making a drawing with a pencil; you’re just depositing the darks and saving the lights.“ Close zit. nach Wise, Kelly (Hg.): Portrait: Theory, New York 1981, S. 29. Ein ähnlicher Wandel wird bei Poetter beschrieben, vgl. ders. 1994, S. 20. Vgl. Glass, Phil: I’m Just a Haystack, in: Paparoni 2002, S. 6.

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fendem Raster.9 Obwohl Glass für Close ungefähr das gewesen sein soll, was „Heuhaufen für Monet oder Flaschen für Morandi“ waren, dreht sich seine Beschäftigung mit ihm hauptsächlich um die erste Porträtvorlage von 1969.10 Immer wieder kehrt Close zu dieser Fotografie zurück, um sie mit einer neuen Technik oder einem anderen Format ‚wiederherzustellen‘. Ihre Bearbeitung hat eine solche Menge an Werken hervorgebracht, dass dem Motiv im Jahr 2008 sogar eine Sonderausstellung gewidmet wurde: Unter dem Titel Philip Glass 40 Years wurden in der New Yorker Metropolitan Opera (Gallery Met) achtzehn Porträts von Phil Glass aus der Zeit zwischen 19692008 gezeigt. Neben den Selbstporträts, die jedoch auf wechselnden Vorlagen basieren, kommt die Vorlage für Phil am häufigsten für Closes neue Bildformulierungen zum Einsatz, so dass bisher allein nach dieser Maquette über 200 Arbeiten entstanden sind.11 Die Wiederkehr des Motivs und seine kontinuierlichen Verwandlungen geben wichtige Aufschlüsse über Closes Arbeitsweise, weshalb Phil auch in den nachfolgenden Untersuchungen zu den Papierarbeiten und Drucken eine Rolle spielen wird. Wie kann sich eine einzige Bildvorlage als so fruchtbar und dauerhaft interessant erweisen? Anders als bei späteren Fotosessions hat Close für diese Aufnahme relativ wenig Zeit aufgewendet, wie Phil Glass berichtet: „When Chuck took your picture in those days it was pretty much like getting a passport photo. Everyone stood in line. He took just a few frames of each of us because he didn’t want to take up much of our time or make a big deal of it.“12 Mit den simplen Schwarzweißbildern öffentlich unbekannter Gesichter aus seinem Freundeskreis arbeitete Close bewusst gegen die prominenten Porträtmotive der Pop Art an. Dennoch fotografierte er nicht wahllos: Phil Glass besaß als Modell zweifelsfrei eine besondere visuelle Faszination, die Close in den „schweren Augen“ und dem „sinnlichen Mund“ sah, gekrönt vom „medusenhaften Haar“, das zu kreativen Formspielen einlud.13 Die Maquette von Phil, auf die alle Werke zurückzuführen sind, besteht aus einem vergrößerten Schwarzweiß-Abzug (Abb. 67), der auf ein Stück Karton montiert und am oberen sowie linken Bildrand mit einem durchgehenden Stück Klebestreifen versehen ist. Das mit der Zeit gelblich nachgedunkelte Kreppband überlagert sich an der Ecke und bildet mit dem schmaleren grauen Kartonstreifen am rechten und unteren Bildrand einen zweifarbigen Rahmen um die Fotografie. Von links oben beginnend überzieht ein fein gezeichnetes Raster aus schwarzen Linien das Bild, wobei alle Rasterfelder durch weitere feine Linien halbiert und jeweils in vier Quadrate unterteilt werden. Dieses zweischichtige Raster wird durch eine seitliche Nummerierung gekennzeichnet: An den Klebestreifen findet sich horizontal die Beschriftung 1 bis 18, 9 10 11 12 13

Phil, 2001, Daguerreotypie, 21,6 x 16,5 cm; Phil, 2011-12, Öl auf Leinwand, 275,6 x 213,4 cm, was beinahe exakt dem Format des Porträts von 1969 entspricht. Weinberg 2013, S. 9; vgl. Paparoni 2002, S. 6. Vgl. Close zit. nach Bodin 2009, S. 56. Close fragte Glass zusammen mit Richard Serra, ob er sie fotografieren könne. So sind die Aufnahmen für Phil und Richard wohl auch zeitgleich entstanden, vgl. Paparoni 2002, S. 6. „I love the way he looks, with heavy, hooded, druggy eyes and a very sensuous mouth. And his Medusa-like hair is great for formal invention because it lends itself so well to fingerprints or dots or anything you can think of.“ Close zit. nach Kazanjian, Dodie: Metropolitan Opera: Close Encounter, Interview vom 14.03.2008, www.playbillarts.com/features/ article/7587.html.

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wobei der Rest am rechten Bildrand zusätzlich ½ Einheit beträgt. Die vertikale Höhe wird mit 1 bis 23 bemessen. Mit den freihändig gezeichneten Strichen legen sie sich wie provisorische Lineale an das Bild, doch da sie an die sauber gezogenen Gitterlinien der Fotografie anschließen, stehen sie dort wie präzise Marker. Auf dem grauen Karton hingegen sind die unregelmäßigen Ausläufer der Gitterlinien zu sehen, die bei den Klebestreifen ansetzend nach rechts bzw. unten verlaufen. Am rechten Rand sind an den Enden der Horizontalen die Nummern 1 bis 46 in kleinerer Schrift eingefügt, als Bezeichnung der kleineren Kästcheneinheit im Raster. Die Fotografie zeigt den jungen Phil Glass frontal mit leicht erhobenem Kinn und geöffneten Lippen. Die Untersicht wird in den Schatten an Hals, Nase und Stirnlocken am deutlichsten und erfährt durch die leicht hängenden Augenlider eine zusätzliche Verstärkung. Als wild bewegter, dunkler Kranz zeichnet sich das Haar mit zahlreichen Reflexionen vor dem nahezu weißen Hintergrund ab – am Rumpf wird die Figur hingegen durch das dunkle Hemd stabilisiert, welches das untere Viertel des Bildes einnimmt. Dazwischen vermitteln großflächige Schattenpartien, die seine gesamte rechte Gesichtshälfte strukturieren. Während der Bereich der Schläfe mit dem Schatten des Haars verschmilzt, zeichnet sich unterhalb des Wangenknochens eine leichte Aufhellung durch Reflexionen ab. Ein runder Schattenbogen führt von der Labialfalte bis zum Kinn, wo er nach rechts in Graustufen ausläuft und quer über den Hals bis zum Schulteransatz ein dunkles Dreieck bildet. Die Schatten an Mundwinkeln und Nase schlucken die Eigenform dieser Gesichtspartien und entfremden ihre natürliche Gestalt. Das von rechts einfallende Licht modelliert die Figur sowohl als kontrastreiches Geflecht aus Hell- und Dunkelpartien wie auch als detailliertes Relief in der Feinstruktur der Haut. Über die dramatische Lichtregie entsteht eine Spannung zwischen der schwarzweißen Flächigkeit und der enormen Plastizität, was die ohnehin markante Physiognomie des Modells zusätzlich akzentuiert. Statt einer plakativen Glättung – wie bei Warhols formelhaften Reduktionen – zeigt sich eine ästhetische Überbetonung, die bis zur Deformation der Züge reicht. So wie die wirren Schatten der Locken sich mit dem realen Haar vermischen, verbergen die dunklen Gesichtspartien das tatsächliche Aussehen des Modells: Gespalten zwischen der luziden Schärfe und dem Entzug ins formlose Dunkel erweist sich die Phil-Fotografie als ‚semi-obskures‘ Bildnis, das der Passbild-Idee und deren Forderung nach klarer Sichtbarkeit widerspricht. Die Lichtregie im Porträt ist wiederum ein tradiertes Mittel der Malerei, das besonders eindrucksvoll bei Rembrandt eingesetzt wird, wie seine Serie kleiner Radierungen mit Selbstporträts aus den 1630er Jahren zeigt, zu denen das Selbstbildnis mit offenem Mund gehört (Abb. 68). Die inszenierten Pathoszustände, wie das angeführte Beispiel mit offenem Mund und wut- oder schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck, werden maßgeblich durch eine Helldunkel-Modellierung evoziert, die sich über die rein pathognomische Bewegung legt. Das zeichnerische Chiaroscuro dient nicht nur der figurativen Lichtstudie, sondern einer durch Obskurität gesteigerten Darstellung von Mimik und Gemütszustand.14 Dem Haarkranz kommt ebenfalls eine signifikante

14 Ein weiteres Beispiel ist Rembrandts Selbstbildnis als junger Mann (1629) in der Münchner Alten Pinakothek, das ihn in einem mimischen Zwischenzustand mit verschattetem Gesicht, leicht geöffnetem Mund und wirrem Haar zeigt. Zur Rolle des Schattens im Porträt siehe

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Rolle mit vielfältigen ikonografischen Implikationen zu, die von der übermenschlichen Kraft Simsons (ein besonderes Motiv bei Rembrandt) über das göttliche Halo bis hin zum Medusenhaupt reichen – im Selbstporträt fungiert er indessen als Ausdrucksträger sowohl für den Geist als auch den Furor des Künstlers. Close setzt in der gesamten monochromen Porträtserie – vor allem aber in Phil – ein malerisches Chiaroscuro ein, das dem fotografischen Helldunkel zwar entlehnt sein mag, doch als Pathosformel von Licht und Schatten den Anschein des rein Objektiven durchbricht. Dabei ist die dramatische Lichtführung seit jeher ein zentrales Ausdrucksmittel der Porträtfotografie, deren Beleuchtungsstil oft auf die traditionelle Porträtmalerei zurückgreift. In Phil ergibt der Helldunkel-Kontrast aus unregelmäßigen Licht- und Schattenflecken neben der offenen Form der Gesichtszüge, der amorphen Masse des Haars und den geschwungenen Linien der Haut ein Gegengewicht zum strengen Porträtschema. Auch der sachliche Charakter der Schwarzweißaufnahme wird durch die eloquente Form aufgelockert. Die asymmetrische Beweglichkeit des Motivs stemmt sich gegen den formalistischen Rahmen und relativiert mit seiner vielfältigen Ästhetik das statische Bildkonzept – so mag ihre visuelle Reichhaltigkeit und Spannung der Grund dafür sein, dass sich Close immer wieder mit dieser Vorlage beschäftigt hat. Die Malerei Phil zu beschreiben, erscheint auf den ersten Blick beinahe tautologisch. So konsequent führt Close seine Kopie aus, dass in der Reproduktion zunächst kaum ein Unterschied zwischen Foto-Maquette und Werk erkennbar scheint. Die eigentliche Beschreibung des Werks müsste ihre Phänomenalität berücksichtigen, ihre enorme Größe und Materialität – die physische Erfahrung des gigantischen Kopfes auf dem massiven Bildträger, das Verhältnis zum Körper des Betrachters und die Veränderungen in Fern- und Nahsicht sind ihre materiellen Hauptelemente. Auf der virtuellen Ebene gleichen die sichtbaren Unterschiede zwischen Foto und Malerei zunächst solchen zwischen zwei Fotografien, die unterschiedlich gut ausgeleuchtet oder deren Farb- und Fokuseinstellungen um Nuancen verschoben sind. Dabei erscheint die Verschiebung in der Malerei wie eine verbesserte Nachbearbeitung der Fotografie: Details sind schärfer und dichter, Kontraste stärker und differenzierter. Eine solche ‚Adjustierung‘ der fotografischen Information ist bereits an Closes Verarbeitung der zwei Maquetten für Big Self-Portrait beschrieben worden. Hier zeigt sich, dass er ein Foto durchaus nicht bedingungslos kopiert, sondern über die Auswahl des Ausgangsbildes hinaus noch tonal anpasst und modifiziert. Obwohl die spezifisch fotografischen Qualitäten der Maquette samt ihrer technischen Abweichungen in die Malerei transportiert werden, findet in der malerischen Übersetzung eine gewisse Steigerung und Optimierung ihrer Sichtbarkeit statt. Die fotografische Erscheinung muss erst vom Maler gesichtet, also bewusst wahrgenommen werden, wofür Vergrößerungen oder modifizierte Abzüge nötig sind. Davon zeugen die Maquetten, die bereits eine gezielte Bildformulierung und gestalterische Planung in sich bergen, was sie ihrem ursprünglichen Wortsinn entsprechend zu Modellen macht.15

Wagner, Christoph: Umbra et potentia. Visuelle Metaphern einer gemalten Anthropologie im Portrait der Frühen Neuzeit?, in: Busch u. a. 2010, S. 35-56. 15 Maquetten meinen im eigentlichen Sinne Vorzeichnungen, Wachs- oder Tonmodelle in der Bildenden Kunst, besonders für skulpturale Werke, vgl. Weinberg 2013, S. 5-6.

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Phil ist wie die anderen monochromen Porträts nach nur einer Aufnahme mit der zuvor beschriebenen Methode per Maquette entstanden: Von deren eingezeichnetem Raster soll jedes Bildfeld in ein äquivalentes größeres Bleistiftraster auf der Leinwand übertragen werden, wobei die visuelle Information eines jeden Rasterkästchens, das anhand seiner Koordinaten zugeordnet wird, möglichst getreu umgesetzt werden soll. Dabei verfährt Close in ungefährer Reihenfolge von links oben nach rechts unten, in einer Leserichtung also, die einem Schreib- oder Druckvorgang gleicht.16 Seine Arbeitsweise im Koordinatensystem, durch welches ein zweidimensionaler Körper erfasst werden soll, ist mit der Rastermethode von Dürers Zeichner aus dessen Traktat Underweysung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheyt von 1525 (Abb. 69) verglichen worden.17 Hier konstruiert der Zeichner mithilfe des Velums, einer quasivirtuellen Bildfläche in Form eines durchsichtigen gerasterten Schleiers, einen Schnitt durch die Sehpyramide und fixiert damit einen Realitätsausschnitt nach Albertis Fenstermodell. Präzise gibt Dürer in seinen Anleitungen in Bild und Text die genaue handwerkliche Methode vor, wonach mit Holzrahmen, Fäden (Der Zeichner der Laute) oder statischem Obelisk (Der Zeichner des liegenden Weibes) ein technischer Versuchsaufbau errichtet werden soll, um den Gegenstand mit Punkten und Linien im Raster zu fixieren. Wie die lebendige Realität auf der Objektseite wird auch die Blickposition des Künstlers auf der Subjektseite stillgestellt. Dürers Anleitungen knüpfen an die mathematischen Bildmethoden des Quattrocento an, die sich schon bei Brunelleschi, Alberti und Leonardo finden. Ihr Anliegen einer korrekten Naturwiedergabe mithilfe einer künstlichen Konstruktion, wo das Raster als Transformationsmittel vom dreidimensionalen Raum zur zweidimensionalen Fläche fungiert, antizipiert in einer vorfotografischen Zeit einen für die Fotografie typischen Bildbegriff: Durch die rational-apparative Teilung zwischen dem sehenden Subjekt und der Außenwelt wird ein strukturell homogenes Bild aus der Realität geschnitten, während Auge und Hand des Künstlers durch konkrete Orts- und Funktionszuweisungen mechanisiert und diszipliniert werden. Sie erscheinen gleichsam von seinem ausgeblendeten Körper abstrahiert, so wie auch das Bild aus der Realität herausgelöst ist. Mit Blick auf die Funktion des Rasters als einer modernen Kulturtechnik für eine Punkt-für-Punkt-Übertragung hat Mario Carpo Albertis mathematisches Paradigma als protodigitale Bildform beschrieben, worin die Grundprinzipien einer digitalisierten Architektur bereits angelegt sind und erst heute ihre volle Gültigkeit erlangt haben. So sieht Carpo in Albertis Ausführungen in De Re Aedificatoria (um 1452) die entscheidende Wende zur Rationalisierung des Werks (und der Baukunst) durch den mathematisch-virtuellen Begriff des Entwurfs, der als intellektuelles Bild von der materiellen Ausführung losgelöst existiert.18 Als virtuelle Anzeigefläche steht das Rasterfeld mit dem Bildschirm in Verbindung, dessen Begriff medienübergreifend sowohl die Malerei als auch die Kinoleinwand und den tatsächlichen Computerbildschirm

16 Vgl. Poetter 1994, S. 14. 17 Vgl. ebd. 18 Siehe Carpo, Mario: Alphabet und Algorithmus. Wie das Digitale die Architektur herausfordert, Bielefeld 2012; ders.: Vom Handwerker zum Zeichner. Das Alberti’sche Paradigma und die Erfindung des Bauplans in der Moderne, in: Spiro, Annette/Ganzoni, Daniel (Hg.): Der Bauplan. Werkzeug des Architekten, Zürich 2013, S. 278-280.

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einschließt.19 Als interaktive Schnittstelle zwischen Mensch und Technik im Computer ist der Bildschirm aber mehr als nur ein Fenster-Raum der Repräsentation – er schließt Bewegungs- und Handlungsprozesse ein, die das Bild über seine Erscheinung hinaus als komplexes und vorgängiges, d. h. sich nach Regeln entfaltendes Informationsgefüge definieren. Während es beim Velum um das visuelle ‚Verfolgen‘ und Stillstellen realer Gegenstände geht, erhält die Synchronisierung von menschlichem Akteur und technischer Apparatur eine andere Qualität. Das Raster als Konstruktionsmittel der Renaissance dient einer wissenschaftlich orientierten Naturmimesis, die Rosalind Krauss deswegen vom Paradigma des Rasters als „Emblem der Moderne“ im 20. Jahrhundert unterscheiden will.20 Indem sie das Raster als Paradigma eines neuen Bildverständnisses deutet, wo die entscheidende Wende von der Repräsentation im Illusionsraum zur Selbstrepräsentation im autonomen Bildraum – und damit zur flächigen Abstraktion – vollzogen wird, stellt sie das moderne Raster dem perspektivischen Raster diametral gegenüber. Das „perspektivische Gitter der dargestellten Welt“ sei eigentlich kein Raster, ebenso wenig wie die Perspektivstudie ein Rasterbild wäre, denn dort gehe es um die Wissenschaft des Realen, dessen Organisation im Raster nachgezeichnet werden soll. Krauss bestimmt das echte Raster als fundamental „anti-mimetisches“ und „anti-reales“ Bildprinzip: Es widersetze sich der epistemischen Beziehung zwischen Bild und realem Referenten und „schließt sie von Anfang an aus“, da sich im Rasterbild die physische und ästhetische Fläche überlagern.21 Während Krauss an Beispielen von Piet Mondrian bis Agnes Martin die besondere Spannung zwischen selbstreferenziellem Materialismus und abstrakter Vergeistigung beschreibt – das Raster in einer Doppelrolle als Emblem und Mythos – scheint Close zunächst nicht in dieses ‚Raster‘ zu passen. Seine Porträts sind definitiv referenziell und arbeiten mit Tiefenschärfe, gestaffelten Ebenen und den Verzerrungseffekten der Linse, also den Mechanismen der fotografischen Perspektive. Dabei dient das Raster als Hilfsgerüst tatsächlich der handwerklichen Mimesis einer zweidimensionalen fotografischen Natur, weswegen die Bildfläche durch das Raster auf sich selbst zurückgeworfen wird und dem modernistischen Paradigma folgend die eigene materielle Flächigkeit exponiert. Wenn Krauss die Rasterfunktion bei Close nur darin sieht, dass Realität „mittels fotografischer Bausteine“ organisiert wird, dann ist das eine grobe Verkürzung der komplexen Zusammenhänge zwischen dem Referenten und seiner virtuellen Repräsentation in der zweidimensionalen Fotografie.22 In Wirklichkeit verschränken sich bei Close die zwei von Krauss unterschiedenen Rasterbegriffe, da sowohl der technische Einsatz zu Mimesis-Zwecken als auch die Überwindung der Mimesis durch eine selbstbezügliche Allover-Struktur zutrifft. Aufgespannt zwischen Virtualität und Materialität führt die Doppelexistenz des 19 Zur Genealogie des Bildschirms und der ‚klassischen‘ Unterteilung in landscape mode und portrait mode an Computern sowie zum Ursprung der Technologie aus der militärischen Überwachung (z. B. Radarschirm) vgl. Manovich, Lev: Eine Archäologie des Computerbildschirms, in: Rötzer, Florian (Hg.): Die Zukunft des Körpers I, Kunstforum International, Bd. 132, Nov. 1995-Jan. 1996, S. 124-135. 20 Krauss, Rosalind E.: Raster (1978), in: dies. 2000, S. 51-66, hier S. 52. 21 Ebd., S. 51-52. 22 Vgl. ebd., S. 62.

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Rasters wiederum zu einer doppeldeutigen Malerei. Diese ist, anders als etwa bei Dürer, kein Zeugnis eines epistemischen Wirklichkeitsbezugs, sondern ein sekundäres Bild, das mit den praktischen Hilfsmitteln Raster und Maquette hergestellt ist. Während der sukzessiven Übertragung visueller Qualitäten aus dem Maquettenraster ins Leinwandraster kann sich die Malerei die Struktur der Vorlage ‚einverleiben‘, indem sie diese zu einer eigenen Bildfläche assimiliert. Das Raster ist also kein Selbstzweck, sondern ein technischer Mittler zwischen unterschiedlichen visuellen Realitäten. Für Close, der sich seiner Historizität bewusst ist, beweist der fortdauernde Gebrauch des Rasters seine Bedeutung als überhistorisches, universelles Werkzeug: „Well, the grid is an incredibly flexible device [...] when you think of all the different people who have used grids for centuries, it’s less locked into one stylistic point of view than practically any convention that I can think of. It’s a way to break things down.“23 Angewendet auf die gegenständliche Mimesis führt Close das Raster als äquivalentes Mittel der fotografischen Objektivierung wieder zur alten Funktion der optisch-mechanischen Übertragung zurück – diesmal wird unter Rekurs auf eine apparative Technik die subjektive Wahrnehmung durch die Übernahme der fotografischen Visualität diszipliniert. Denn was zur homogenen Oberfläche aus Bildzeichen „heruntergebrochen“ wird, ist die Realität in der Fotografie, neutralisiert und abstrahiert durch das Raster. Die Foto-Maquette bietet ein homogenisiertes Allover, das sich nicht wesentlich von den systemisch-rhythmischen Ordnungen der Minimal Art oder den konstanten Rasterstrukturen in Agnes Martins Werken unterscheidet, welche wie in ihrer hellweißen, subtil gezeichneten Arbeit Leaf (Abb. 21) von 1965 als bildtragendes und raumschaffendes Element eingesetzt werden – obwohl zu betonen ist, dass bei Martin die Rasterzeichnung eine extrem komplexe, wandelbare Bildsprache ergibt und keineswegs ein bloßes technisches Mittel ist.24 Mit der strukturellen Grundlegung durch das Raster löst Close schon zu Beginn die Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion auf, da sich Ersteres durch Letzteres in einer Punkt-zu-Punkt-Übertragung der Rasterwerte darstellen lässt. Wie wirkt sich das auf die konkrete Arbeit aus? Das Raster ist in Werken wie Phil weder visuelles Muster noch formgebende Struktur (was sich in den späteren Arbeiten ändert), sondern vielmehr eine Arbeitsanleitung und Gestaltungsforderung. Die aus der Foto-Maquette geschnittenen ‚Bausteine‘ sind nicht bloße Kopiervorlagen – sie sind Anlass zu einer malerischen und zeichnerischen Formfindung, die Experiment und Improvisation durchaus einschließt. Der in der Richtungsvorgabe „links oben nach rechts unten“ implizierte Schreib- und Lesevorgang deutet auf eine besondere Zeitlichkeit hin: Der metrischen Unterteilung des Arbeitsfeldes entspricht ein mithilfe des Rasters organisierter und getakteter Arbeitsprozess. Nicht nur das Auge wird diszipliniert, auch der Atelieralltag und Arbeitsrhythmus des Künstlers sind der Maquette immanent eingeschrieben.25 Nicht ohne Grund kann Close genau sagen, wie lange er an welchem Bild gearbeitet hat und wie sein programmatisch monotoner Arbeitsalltag aussieht. In der äußerst fein aufgeteilten und beschrifteten vierteiligen Maquette für Robert/104.072 von 23 Close zit. nach Levin 1979, o. S. 24 Zur Ähnlichkeit von Closes Rasterzeichnungen mit Agnes Martins Werken vgl. Storr 1987, S. 31. 25 Zu Closes Beschreibung seiner Arbeitszeiten vgl. ebd.

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1973-74 (Abb. 70 a) werden die nummerierten Zeilen durch Klammern in Arbeitsblöcke zusammengefasst und mit „day“ und „nite“ (ugs. für night, an anderen Stellen abgekürzt in „D“ und „N“) gekennzeichnet (Abb. 70 b). Wie viele „Tage“ oder „Nächte“ jeder der unterschiedlich großen Blöcke umfasst, steht ausgezählt am Rand, wobei die Grundeinheit für ein „D“ oder „N“ immer eine Zeile beträgt. Selbst wenn der Maler nicht tatsächlich nach dem durch die Kürzel suggerierten Rhythmus gearbeitet haben sollte, gleicht der Wechsel der Tageszeiten einem Dienstplan, der die Koordinierung von Schichten oder Produktionsphasen mit dem bildlichen Koordinatensystem in Übereinstimmung bringt. Bei der Verbindung von Form und Ausführung geht aus dem Flächenmaß des Bildes zugleich das Zeitmaß seiner Entstehung hervor. Das Raster dirigiert damit den Arbeitsprozess. Closes Methode bemüht sich um die Eindämmung der subjektiven Spontaneität, die in einem offen-improvisatorischen Arbeitsprozess das Risiko des Scheiterns mit sich brächte. Indem er die Bildidee im Voraus in der Fotografie realisiert, sichert er sich das ästhetische Ziel des Werks und umgeht damit das kreative Ringen um ein zufriedenstellendes Ergebnis, das schwer begreiflich und unwiederholbar bliebe. Die Fotomimesis verkürzt die Malerei zum zielgerichteten Verfahren, bei dem das Bild noch vor seiner Entstehung ‚fertig‘ ist. Diesem Programm steht allerdings die tatsächliche Umsetzung gegenüber. Schon die Leinwand bringt andere materielle Eigenschaften mit sich als das Fotopapier, ebenso der Airbrush und die Acrylfarbe. Zudem ist die Malerei wesentlich größer und das Mehr an Fläche erfordert ein Mehr an Information bzw. eine Lösung dieser Forderung. Es versteht sich von selbst, dass der sukzessive Farbauftrag in der Malerei anders funktioniert als die instantane Fotografie – dabei ist die Airbrush-Technik eine Sonderform: Statt die Leinwand zu berühren, schwebt die Hand mit der Spritzpistole über sie hinweg und hinterlässt nur eine nebulöse Spur ohne Duktus und Faktur, wie die zahlreichen Probesprühungen an den Rändern der Maquetten zeigen. Die Dauer der Betätigung des mechanischen Sprühschalters bestimmt im Wesentlichen den Tonwert. Die Tonalität wird nicht durch eine Palette, sondern durch schnelle oder langsame Handbewegungen und die Anzahl der Sprühschichten erzeugt, wobei sich die Breite und Dichte der Farbspuren mit dem Abstand zur Bildfläche verändern. Close versucht mit beschränkten Mitteln zum Ziel zu kommen und sieht darin eine Parallele zur Musik von Phil Glass: „While I was painting with one color of paint, Philip Glass was making music with six notes – it was a very similar attitude about merging and reducing and getting rid of things. He was getting rid of virtuoso musicianship and I was getting rid of virtuoso draftsmanship.“26 Das Material stellt ästhetische Bedingungen an den Maler, die ihn dazu zwingen, sich kreative Handgriffe und Effekte auszudenken, um ein Pendant für die Erscheinung der Fotografie zu schaffen. Dies ist bei seinen monochromen Bildern im Grunde eine zeichnerische Arbeit, deren erklärtes Ziel die mechanische Mimesis ist, während ihr Entstehungsprozess auf der Erfindung von Detailformen beruht. Close verzichtet auf die freie ‚künstlerische‘ Zeichnung, bei der Abstraktion oft mit Virtuosität verbunden wird, und entwickelt stattdessen ein abstrahiertes Formenvokabular, um das mimeti-

26 Close zit. nach Curiger 1997, S. 31.

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sche Ziel zu erreichen – infolgedessen muss er die Zeichnung als Mittel zum Zweck neu ‚erfinden‘. Wie aus der Maquette hervorgeht, sträuben sich die Details von Phil geradezu gegen die ordnenden Rasterquadrate, deren konstitutive Rolle für die Bildstruktur angesichts der fließenden, amorphen Formen leicht in Vergessenheit geraten kann. Schwach erkennbar schimmern Bleistiftlinien durch das Weiß des Hintergrunds, ihr rationales Gerüst verschwindet hinter dem spektakulären Schauspiel seiner Oberfläche. Blickt man auf einzelne Ausschnitte (Abb. 71 a-d), dann offenbart sich eine breite Palette zeichnerischer Ausdrucksmittel: Opake bis transparente Schwarzflächen, ausgesparte oder ausgekratzte Weißflächen, langgezogene Linien und feinste Striche und Punkte – mal gezielt gesetzt, mal lose verstreut – die sich zu offenen Strukturen formieren, ineinanderfließen, sich überlagern oder kontrastierend voneinander abheben. In den kommaförmigen Bartstoppeln (Abb. 71 d), den Härchen an Nase und Augen oder den gebündelten, irregulären Schraffuren an Lippen und Wangen (Abb. 71 a), wo weiße Linien parallel und überkreuz verlaufen, trifft man auf eine bewegte, freihändige Zeichnung, die der zunächst fotografisch anmutenden Glätte eklatant widerspricht. Als bewegliche und locker hingeworfene Kürzel fliegen sie scheinbar losgelöst von jeder mimetischen Fixierung über nebulöse Bildgründe, die mit ihrer rauen bis samtigen Topografie aus Licht- und Schattenzonen so abstrakt wirken wie die zeichnerischen Spuren auf ihnen konkret. Noch extremer vollzieht sich der Ausbruch aus dem Raster im ikonischen Haar von Phil: Während es schon in der Fotografie ein dominierendes Element war, wird es nun in der malerischen Vergrößerung gänzlich zum Spielfeld der freien Formen. Damit ist durchaus nicht das Gewirr der Locken gemeint, auch wenn ihr komplexes Gefüge zu freihändiger Gestaltung ermuntert, im Gegenteil: Ihre konkrete Form und Position ist nach dem Raster mit penibler Sorgfalt wiedergegeben und die räumlich gestaffelten Locken werden mit ihrer Mischung aus Schärfe und Unschärfe äußerst nuanciert in allen Zwischenstufen von weichen Airbrush-Strichen bis zu den präzisen Linien einzelner Haare dargestellt (Abb. 71 c). Das freie Spiel der Hand vollzieht sich hingegen auf der Mikroebene, wo ein frappierendes Netz aus geschwungenen weißen Linien und Kringeln sichtbar wird, das sich in nervösen Formationen über die Leinwand zieht. Wie um den willkürlichen Tanz von krausem Haar und Lichtreflexionen zu imitieren, schreibt Close diese offenen ‚Notationen‘ wie improvisierte scribbles („Kritzeleien“) in die homogene Oberfläche ein, wo sie als hingeworfene Glanzlichter den fotografischen Mimesis-Effekt vervollständigen. Die Malerei entfaltet ihr Eigenleben gerade in der subtil gestischen Gegenbewegung zur strikten Fotovorlage. Weil der Airbrush nur schwarze Farbe enthält, werden die weißen Elemente meistens ausgekratzt, so dass das Bild erst durch das fortwährende Auf- und Abtragen von Farbe entsteht.27 Die Rasierklinge steht als hartes und trockenes Schabinstrument dem weichen Luft- und Farbstrahl der Airbrush-Pistole gegenüber, während der selbstgebaute mechanische Radierer mit dem mechanischen Pinsel korrespondiert. Zusammen ergeben das so erzeugte Weiß und Schwarz einen Grundkontrast mit einer Mischung aus Grisaille-Malerei und Zeichnung. Obwohl die weißen Linien wie spröde Kreide aussehen, sind sie tatsächlich abgetragene Spuren auf dem schwarzen Grund, 27 Vgl. Adams, Brooks: Interview mit Chuck Close, Close Encountered, in: Artforum, Bd. 36/ Nr. 8, April 1998, S. 91-98, 135, 138, hier S. 96.

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der wiederum auf einer weißen Grundierung aufgetragen wurde. Darin liegt eine Positiv-Negativ-Umkehr der fotografischen ‚Lichtzeichnung‘, wo helle Negativformen sich im dunklen Positivbild verwandeln. Der Airbrush hingegen zeichnet mit Schwarz und erlaubt Lichter nur ex negativo. Das Wechselspiel zwischen Positiv und Negativ, Schwarz und Weiß ist ein Leitmotiv in Closes Arbeit, das über den fotografischen Bezug hinausgeht, wie die wiederholt vorgenommene Umkehrung der Töne in seinen Druckgrafiken zeigt. Dies deutet auf die besondere Rolle von binären Werten und ihrer Konvertierung in Closes Bildordnung hin. Es ließe sich sagen, dass Close mit dem Airbrush tatsächlich eine antigestische und antisubjektive Malerei realisiert, die strikt der fotografischen Erscheinung folgt. Auf die Airbrush-Schicht setzt er jedoch eine Zeichnung, deren Eigenausdruck sie als mehr ausweist als nur gleichgültige, mechanisch aufgetragene Markierungen. Die Zeichnung bricht die homogene Folie immer wieder auf, da sie die Oberfläche mit impulsiven, energischen Formen belebt und dabei zum Exponenten jener künstlerischen „Erfindung der Mittel“ wird. Anders als die eine Schicht der Fotografie bietet das gemalte Bild eine Synthese aus vielen Schichten. Die Gestalt und materielle Beschaffenheit ihrer Mikroformen interagieren mit dem durchschimmernden Stoff der Leinwand, wo ein stofflich-visuelles Geflecht entsteht, deren Eigenqualitäten mit den repräsentierten Gegenständen (Haut, Haare, Textilien) zu einem greifbaren Konglomerat von Spezifizitäten verschmilzt. Auch wenn das homogene Raster die Bildstruktur sowie den Arbeitsprozess reguliert, erzeugt die Umsetzung ein materielles Phänomen, das der rationalen Ordnung erratisch-irrationale Bildzeichen entgegensetzt, die ihrerseits eine irrationale Fülle realer Details repräsentieren. Zudem weist die Allover-Behandlung der Vorlage, bei der jedes Rasterquadrat gleich gewichtet werden soll, in der konkreten Umsetzung beträchtliche Unterschiede auf. Während die Malerei vor allem im fotografisch fokussierten Bereich eine eloquente Dichte und Vielfalt zeigt, klaffen etwa an Kleidung oder in Schattenzonen abstrakte ‚Löcher‘, die lapidar mit schwarzer Farbe ausgemalt sind. Zusammen mit dem leeren Weiß des Hintergrunds stellen sie den informationsarmen Gegenpol zu den malerischen Glanzlichtern dar. Die Unterschiede in der Gestaltung lassen sich auf die fotografische Bildquelle zurückführen, aus der Close die visuellen Informationen bezieht: Die Oberfläche mag per se unhierarchisch sein, doch ihre visuelle Struktur ist aufgrund von Fokus und Beleuchtung äußerst ungleichmäßig. Sind Randbereiche wie Ohren oder Schultern tatsächlich unscharf und verschattet (Abb. 71 b), dann wird dafür ein malerisches Äquivalent gefunden, das ihre diffuse Erscheinung adäquat wiederzugeben vermag. Damit erreicht Close ausgerechnet durch die unterschiedliche Behandlung das Ziel einer Allover-Übertragung der Vorlage. Gegen die konventionelle Virtuosität entwickelt er eine bildlogische Virtuosität, die sich in seinem praktischfunktionalen Umgang mit künstlerischen Mitteln äußert. Die Monotonie des Verfahrens und der improvisatorische Einsatz der gestalterischen Elemente erzeugt in den Airbrush-Bildern eine Spannung zwischen Konzept und Ästhetik, die nie ganz aufgelöst wird. Die technisch-fotografische und handwerklich-malerische Ebene lassen sich jeweils einer Fern- und Nahsicht zuordnen, die mit der Distanz des Auges zum Bild changiert. Bei keiner Werkgruppe ist dieses Vexierspiel, das zugleich die medialen Ebenen innerhalb der Arbeit anzeigt, so subtil wie in diesen monochromen Großformaten. In späteren Werkgruppen, die den Realismus der Fotovorlage ins Abstrakte transformieren, wird das Allover-Prinzip über das Ras-

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ter anders artikuliert. Womöglich ist der inhärente Widerstand gegen das Bildschema der eigentliche Grund für Closes Interesse am Motiv von Phil: Er kann ihm so viel abgewinnen, weil es das Problem der rationalen Bändigung der visuellen Phänomene wie kaum ein anderes verdeutlicht. Die Aufzeichnung der chaotischen Naturerscheinung ist ein bereits erwähnter Topos der Fotografie und geht bis auf Dürers Versuch zurück, die Wahrheit aus der Natur mithilfe des Rasters ‚herauszureißen‘. Durch das Studium der Fotovorlage holt Close die Idee der Realitätsbändigung über die sekundäre, technisch erzeugte Sichtbarkeit ins Bild. Auf virtueller Ebene ist die Fotografie aber weder flach noch homogen, sondern optisch strukturiert durch Fokus, Brennweite, Tiefenschärfe und Beleuchtung. Closes ‚Naturkopie‘ behandelt diese heterogene Bildfläche gleichwertig und gibt Unterbelichtungen wie auch Unschärfen unverändert wieder – dagegen ist die Natur beim Blick durch ein traditionelles Raster durchgehend scharfgestellt, als ideale Form und Erweiterung des Sehens. Close wendet nun den Scharfblick im Raster ebenso auf Diffuses und Leeres an, womit das epistemische Sehverlangen durch die bloßgelegte Kontingenz der Fotografie ad absurdum geführt wird: Es kann nicht mehr sichtbar gemacht werden als die fotografische Vorlage hergibt. Damit wird zugleich auf den ambivalenten Status ihrer indexikalischen Wahrheit und technisch bedingten Erscheinung verwiesen. Statt eines Mittels zur Aneignung der Welt erweist sich das Raster bei Close als technisches Werkzeug, das dem Zweck der Übertragung und Skalierung dient. Neben dieser Funktion ist es aber auch eine künstlerische Ausdrucksform – als Handzeichnung legt sich das Raster über die Foto-Maquette, deren Oberfläche es analytisch seziert und zu einer neuen Bildordnung umbaut. Da das Maquettenraster bereits einen Plan- und Denkprozess festhält – versehen mit Sprüh- und Zeichenproben, Berechnungen und Notizen – worin das fertige Bild antizipiert wird, das wiederum en detail im Malprozess erarbeitet werden muss, ergeben sich ungeachtet der anvisierten Deckungsgleichheit immer Differenzen zwischen Maquette und Malerei.28 Die vielfältigen Umsetzungen von Phil ab den frühen 1970er Jahren erkunden ein ganz anderes Verhältnis zwischen Raster und Bild. Die Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen und Fingerabdruck-Arbeiten loten die Frage der Bildkonfiguration unter abstrakt-systematischem Vorzeichen aus. Hier geht die Rasterfunktion weit über den Allover-Gedanken der flachen Fotografie und der zeichnerischen Hilfskonstruktion hinaus. Die Kästchenstruktur ist nun Ausgangspunkt und Vehikel seiner Formerfindung, während die Quadrate selbst zur beweglichen Größe werden, deren Ausdehnung, Dichte und Dominanz als bildbestimmende Faktoren auftreten. Close vergleicht das Bildraster mit einem musikalischen Grundrhythmus, der festgelegt wird, noch bevor Text und Melodie entstehen.29 So setzt der Takt der Rasterkästchen einen mechanisierten visuellen Rhythmus als feste Vorgabe, aus dem allerdings das Endresultat des zeitlichen Schaffensprozesses nicht ersichtlich wird. Im Unterschied zu Krauss’ Begriff vom Raster ist dieses bei Close nicht unbeweglich und „unempfänglich für Veränderungen“30 – denn es ist keine stilistische Form, die den Inhalt ersetzt, 28 Das zeigen die dichten Randbemerkungen und Probesprühungen auf Maquetten wie Robert/ 104.072 (Abb. 70 a-b). Zu Fingerabdrücken auf Maquetten vgl. Weinberg 2013, S. 17. 29 Vgl. ebd., S. 9 30 Krauss 1987, S. 51.

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sondern ein konstantes Prinzip, das als solches flexibel und differenzierbar bleibt und in vielen Gestalten und Rollen auftreten kann.

2.1.2 FARBIGE BILDER Farbe stellt ein besonderes Problem für Close dar. Als er in der ersten Version von Big Nude Fleischtöne einsetzte, die er von der Schwarzweiß-Vorlage ausgehend erfand, störte ihn die Unberechenbarkeit der Mischtöne so sehr, dass er die Farbe schließlich ganz verwarf.31 Während er in der Airbrush-Technik das disegno kontrollieren konnte, hatte Close noch keine Methode gefunden, um das colore der Malerei auf vergleichbare Weise von einer subjektiv und materiell begründeten Instabilität zu befreien – bis 1970 blieb er bei monochromen Bildern. Nach der großen Werkserie schienen sich jedoch die Möglichkeiten dieser Technik erschöpft zu haben und so wandte sich Close erneut der Farbe zu, allerdings über eine neue Herangehensweise: Statt sie wie üblich auf der Palette zu mischen und separat erfundene Farbtöne ins Bild einzufügen, arbeitete er mit drei einzelnen Farbschichten in Magenta, Cyan und Gelb. Der Unterschied zum herkömmlichen Farbauftrag lag darin, dass der Maler die Töne nicht nach spontanem Ermessen aufeinander abstimmte und ihre Zusammenhänge komponierte, sondern das Farbgefüge in drei einzelnen Durchgängen in situ auf der Leinwand aufbaute.32 Closes Ziel, die Farbe kontrolliert ‚im Blick‘ zu behalten, statt sie nach Gefühl und Augenmaß herzustellen, ist in diesen Werken aufs Engste mit dem Motiv, dem Farbfoto, verbunden. So wie die Strukturen und Grautöne in der schwarzweißen Fotovorlage die Arbeit mit dem Airbrush bestimmt haben, gibt nun das farbige Porträtfoto den Ton vor, der in der Malerei exakt wiederholt werden soll. Um das zu erreichen, eignet sich Close eine Technik des analogen Druckverfahrens an, die als Dye-Transfer (oder Farbübertragung) in der Farbreproduktion zum Einsatz kommt. Hierzu werden alle Töne eines Bildes in der Druckvorstufe auf Grundfarben reduziert, von denen jeweils ein Farbauszug mithilfe fotografischer Farbfilter erstellt wird. Nach dieser Farbseparation werden die isolierten Grundfarben übereinander gedruckt, so dass sie im Ergebnis den gewünschten Ton herstellen. Im analogen Vierfarbdruck wird standardmäßig das subtraktive Farbmodell CMYK mit Cyan, Magenta, Gelb (yellow) und Schwarz (key) verwendet, so auch bei Close, der Schwarz allerdings auslässt. Den fotografischen Druckplatten in der Praxis entsprechend arbeitet Close mit jeweils einer Maquette in Magenta, Cyan und Gelb, die er nacheinander auf dem Weißgrund aufträgt (Abb. 72). Anstelle des Schwarztons im Druck, der für stärkere Kontraste sorgt, mischt er allein aus den drei Grundfarben ein dunkles Schwarzbraun. Das CMYFarbsystem besteht eigentlich aus Sekundärfarben der Kombination zweier Primärfarben aus Rot, Grün oder Blau, die das dreifarbige additive Farbsystem bilden, das in Farbfotografie, -film und digitalen Farbanzeigen auftritt. Die CMY- und RGB-Farbsysteme sind als Gegenstücke ineinander übersetzbar, indem die durch analoge Farb31 Zum Farbproblem in Big Nude vgl. Brehm 1994, S. 70. 32 „When you mix color on a palette, you’re mixing it out of context and you hope it’s right. [...] So I looked for a way of working where all the paint would physically mix on the canvas, in situ where I could see what I was doing.“ Close zit. nach Storr 1987, S. 31.

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separation herausgefilterten drei Farbauszüge für Rot, Grün und Blau umgekehrt werden, so dass Cyan (Grün/Blau), Magenta (Rot/Blau) und Gelb (Rot/Grün) entstehen.33 In den 1970er Jahren war die Drucktechnik kennzeichnend für Farbreproduktionen in Massenmedien wie Magazinen, wo die Farbwiedergabe wegen ungenauer Divisions- und Mischverhältnisse oft einen sehr künstlichen Effekt aufwies.34 Diese vom natürlichen Ton abweichenden Farbstiche, die meist ins Rötliche oder Bläuliche gingen, erscheinen entsprechend deutlich in Farbporträts wie Linda (Abb. 73) und Mark (Abb. 74). Für seine farbigen Bilder erprobte Close rund ein Jahr lang mit Farbstift und Aquarellfarben eine systematische Mischtechnik aus wenigen Grundtönen, um sich der Farbfotografie so weit wie möglich anzunähern. Nach zahlreichen Studien setzte er 1970-71 das erste großformatige Porträt Kent um (Abb. 78). Dem folgten bis 1979 fünf weitere Bilder, bei denen Close jedoch auf Probleme mit den Acryltönen Magenta, Cyan und Gelb stieß, da ihre Pigmente nicht fein und transparent genug waren, so dass er alternativ zu Aquarellen wie Leslie/Watercolor wechselte (Abb. 30).35 Mehr als bei den bisherigen Maquetten spielt hier die technische Aufbereitung der Fotografie eine zentrale Rolle: Die aus der Farbseparation gewonnenen Auszüge (color transparencies) in den durchgängig abgestuften Tönen Cyan, Magenta und Gelb ergeben ein Destillat des Farbfotos. Alle Töne des fotochemisch erzeugten Farbgefüges werden zu drei Farbmasken dividiert, woraus fünf Maquetten entstehen: Magenta, Cyan, Magenta plus Cyan als Violett-Ton, Gelb, Magenta plus Cyan plus Gelb als Gesamtfarbe. Jede Grundfarbe steht für eine aufzutragende Schicht und jede Mischfarbe (neben der ersten Magenta-Schicht) zeigt das angestrebte Bildergebnis an. Wie beim Herstellungsprozess von Mark erkennbar ist (Abb. 75), gibt die Reihenfolge der Maquetten, deren Format und Rasterung identisch sind, den methodischen Ablauf vor. Nachdem Close die Binnenformen eingezeichnet hat, arbeitet er mit dem Airbrush mit verdünnter Farbe in drei einzelnen Schichten, wobei er im Gegensatz zum technischen Druckverfahren, wo mit Cyan begonnen wird, zuerst Magenta aufträgt. Dem folgt die Cyan-Schicht und zuletzt, wenn der Violett-Ton des Zwischenstadiums hergestellt ist, die Gelb-Schicht, die schließlich die Originalfarbigkeit der Fotovorlage aus der fünften Maquette hervorbringt. Zwar arbeitet Close wieder entlang dem aufgezeichneten Raster, doch er orientiert sich weniger an den einzelnen Kästchen als vielmehr an den natürlichen Formengrenzen im Bild, was sich anhand der Zwischenstadien von John (1971-72) (Abb. 79), einem Porträt des Künstlers John Roy, gut nachvollziehen lässt: Beginnend beim Hintergrund sowie den oberen und seitlichen Gesichtsrändern bearbeitet Close Schritt für Schritt Haare, Stirn, Brillengläser, Nase, Wangen, Bart und Mundbereich und zuletzt die Kleidung. Dabei setzt er nicht die ganze monochrome Maquette um, sondern trägt immer nur die Farbe für den bearbeiteten Bereich auf. Wie in Bauabschnitten wird die weiße Leinwand Stück 33 Siehe Kipphan, Helmut: Handbuch der Printmedien. Technologien und Produktionsverfahren, Berlin u. a. 2000, S. 25-28, 70-91; allgemein hierzu: Yule, John A. C./Field, Gary G.: Principles of Color Reproduction, 2. Aufl., Sewickley 2001. Zur frühen Druckgrafik siehe Busch, Werner (Hg.): Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und frühen 19. Jahrhundert, München 2008. 34 Vgl. Dyckes 1974, S. 158. 35 Vgl. Close zit. nach Dyckes 1974, S. 158.

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für Stück ausgefüllt. Allerdings sind die tektonischen Teile nicht der modularen Form des geometrischen Rasters entnommen, sondern der unregelmäßigen Form der Gesichtspartien – das Allover-Puzzle folgt der Gegenstandsstruktur statt der Bildstruktur, wodurch das Gesicht wie eine collagierte Maske zusammengefügt wird. Das dient der Vermeidung von Unregelmäßigkeiten und Farbabweichungen, die in homogenen Bereichen sichtbar bleiben würden, wenn Close nach Vollendung aller Farbschichten in einem Abschnitt sodann mit Magenta in einem angrenzenden Abschnitt ansetzte. Weil es so gut wie unmöglich ist, das Mischverhältnis der Pigmente exakt wiederherzustellen, bliebe immer eine Farbnaht. Um das zu kaschieren, unterteilt Close die Abschnitte entlang der Motiv-Binnengrenzen und muss dabei wie ein Frescomaler das Tagewerk eines Farbtons in einem Zug vollenden. Ganz im Gegensatz zu der unter materiellem Zeitdruck beschleunigten Frescomalerei benötigt Close jedoch 8 bis 14 Monate für ein Farbporträt.36 Wie aus den Maquetten hervorgeht, besteht jedes Bild eigentlich aus drei monochromen Bildern, die in derselben Weise gemalt sind wie die schwarzweißen Airbrush-Porträts. Anders als schwarzweiße Maquetten bedeutet der unnatürliche Ton der Farbauszüge eine viel größere Abstraktion vom Gegenstand und erfordert eine kontraintuitive Arbeitsweise. Close muss sich äußerst eng an die unnatürlich gefärbte Vorlage halten, damit die Farbigkeit im Endresultat stimmt. Er wendet also Farbe an, deren ‚realistische‘ Wirkung er nicht sehen kann, und hält sich blind an die Vorgaben der isolierten Ebenen. Um den Farbauftrag im jeweiligen Ton besser einschätzen zu können, klebt sich Close zunächst gefärbte Folien auf die Brillengläser, um die darunterliegende Schicht auszublenden, so dass wie bei einem monochromen Bild nur die aktuelle Farbe zum Vorschein kommt. Erst beim dritten Bild John verzichtet er auf diese Sehhilfe und ist in der Lage, die Farbwerte nur nach Augenmaß zu treffen.37 Mit der farbisolierenden Brille filtert Close seine physiologische Wahrnehmung auf ähnliche Weise wie die Tontrennung in den Maquetten, wodurch er theoretisch das natürliche Sehen einem technischen Sehen angleicht, während er praktisch drei monochrome Grisaillebilder herstellt. Indem die Farbseparation an die Stelle der Farbmischung tritt, wird die ästhetisch intuitive Mimesis durch die analytische Dekonstruktion des Farbzusammenhangs und dessen anschließende Synthese aus isolierten Grundkomponenten ersetzt. Damit überträgt Close das Farbfoto in Analogie zum reprotechnischen Verfahren durch seine eigene künstliche Übersetzung im technisch-manuellen Verfahren. Er macht sich zum „human printing press“ und delegiert die unsichere Farberfindung an das DyeTransfer-Verfahren.38 Dabei entfernt sich der Maler insofern vom subjektiv-einheitlichen Schaffensprozess als er durch den technisierten Produktionsprozess die Distanz zwischen der eigenen sinnlichen Empfindung und dem erzieltem Bildergebnis vergrößert. Über die Arbeitsteilung von Atelier und Fotostudio und die Zwischenschritte der Maquetten partialisiert Close den Schaffensprozess, den er nur in begrenzten Abschnitten überblicken und kontrollieren kann. So wie ein Fotograf sein Arbeitsergebnis erst nach der Entwicklung in der Dunkelkammer sieht, erkennt auch Close sein Bild erst vollständig nach der dritten Schicht, wenn mit dem Gelb auf 36 Vgl. Finch 20101, S. 83. 37 Vgl. Storr 1987, S. 31; Brehm 1994, S. 76. 38 Vgl. Friedman 2005, S. 56-59.

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Violett plötzlich die natürliche Farbigkeit erscheint. Diese ‚Verwandlung‘ in die wiedererkennbare Wirklichkeit der Fotovorlage kommt einer Fleischwerdung der zuvor rotbläulich verfremdeten Figur gleich, die durch chromatische Wärme geradezu mit Leben erfüllt wird. Für Close hat dieser Schritt etwas Magisches, das den Airbrush zu einer Art „Zauberstab“ macht.39 Zum Zauber der für den Betrachter erstaunlichen Bildillusion gesellt sich der Zauber des Herstellungsprozesses selbst, über den selbst der Maler staunt, weil er nur indirekt durch die Rezeptur der Maquetten zum Ergebnis gelangt, statt wie in den monochromen Porträts mit dem Endresultat vor Augen zu arbeiten. War dort das Ziel des Werks noch unmittelbar zu sehen, ist es bei den einzelnen Farbmaquetten nur mittelbar vorgegeben und muss über die Farbüberlagerung etappenweise erreicht werden. Sein klares technisches Verfahren darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Closes Farbstrategie erst gefunden werden musste. In Studien zu Kent (Abb. 76-77) lässt sich die Suche nach einer simplen und stringenten Farbmethode mitverfolgen. Hier wird ein experimentelles Vorantasten am Bleistiftraster mit der teilweise aufgeklebten Seitenbeschriftung sowie an den unregelmäßigen Gesichtsfragmenten aus Rasterquadraten deutlich. Die erste Studie ist mit Aquarellfarben, die zweite mit Farbstiften angefertigt, beide bestehen aus den Grundfarben Magentarot, Zitronengelb und Cyanblau, aus denen Close eine Palette von Mischtönen erstellt. Diese erscheinen als farbiger Fries unterhalb des Porträts, der beginnend mit den drei Grundfarben ein Spektrum von Orange, Grün, Violett bis hin zu Schwarz, Braun und Grau in der zweiten Studie präsentiert. Besonders ‚Teststreifen-Reihe‘ im Aquarell (Abb. 76) demonstriert die Methodik, mit der die obere und untere Farbe durch Überlagerung – nicht Mischung – in situ einen Mittelton erzeugen. Wie die Legende einer Karte legt die Farbleiste die Zusammenstellung der Töne im Bild offen. Die trotz des unterschiedlichen Materials auffällige Ähnlichkeit der Studien belegt die hohe Konsistenz und Kontrollierbarkeit des Verfahrens: Richtig dosiert können alle Farben mit Magenta, Cyan und Gelb gezielt hergestellt werden – in jedem Fall garantiert ihr Verhältnis untereinander eine objektive ‚Stimmigkeit‘ in Bezug auf die Farbfotografie, die sich von Bild zu Bild nur um Nuancen verschiebt. Im zentrierten Gesichtsausschnitt von Small Kent (Abb. 77) lässt sich am Farbstiftauftrag die präzise Konstruktion der Hauttöne verfolgen. Dass es drei überlagerte Farben sind, zeigen die zwei magentaroten Rasterquadrate und das blauviolette Quadrat am Auge, die jeweils die erste und zweite Farbschicht darstellen. Während die Aquarellstudie stärker fragmentiert ist und viele unfertige Töne aufweist, zeigt die Zeichnung bereits eine weitgehend ganzheitliche Gesichtshälfte, die imaginär über die restlichen Rasterfelder fortgesetzt werden könnte – wie in Antizipation darauf hat Close ein Kreuz auf das Feld gesetzt, wo das linke Auge liegt. Die minutiöse Herleitung des Farbverfahrens, das sich in diesen Studien selbst expliziert, belegt Closes Absicht, mit einem Minimum an Komponenten eine maximale Vielfalt an Farbwerten zu erreichen. So wie in den monochromen Bildern die Reduktion der Mittel der Ausgangspunkt der visuellen Differenzierung ist, durch die ein Höchstmaß an fotografischen Details wiedergegeben werden soll, zielt Close mit der Dreifarben-Methode auf eine erhöhte Differenzierung und Präzision der Wiedergabe ab. Die Detailstruktur baut sich nicht mehr 39 „[...] it’s like waving a magic wand in front of the picture, and the purple becomes brown. It’s really quite wonderful.“ Close zit. nach Storr 1987, S. 31-32; vgl. Finch 20101, S. 82.

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aus zeichnerischen Kürzeln auf, sondern aus Farbwerten, deren Gemenge von feinsten Abstufungen sämtliche Härchen und Poren wiederzugeben vermag. Betrachtet man Mark (Abb. 80 a-b), Nat (Abb. 81 a-b), Kent (Abb. 78) oder Linda (Abb. 73) aus der Nähe, so treten die fotografisch fokussierten Bereiche um Augen, Lippen und Wangen wie befremdliche Marmorstrukturen hervor. Die Iris der Pupillen wirkt so unnatürlich überzeichnet wie die Mikrostruktur der Haut mit ihrem rinden- oder reptilienartigen Fleckenmuster. Dagegen erscheint der angrenzende zu weichen Farbfeldern verschwimmende Gesichtsrand seltsam aufgelöst. Das Fokusgefälle der Fotografie lässt sich im gemalten Großformat nicht mehr auf einen Blick erfassen, so dass die Wahrnehmung des Porträts in unterschiedliche Zonen und damit verbundene Abstraktionsstufen zerfällt. Der Blick auf das fotografische Porträt kann erst ab einem gewissen Abstand wiederhergestellt werden, wo sich andererseits die abstrakte Struktur der Malerei verliert. Mit dem Wechsel des Darstellungsprinzips von der Zeichnung zur Farbe kommt ein typisch malerischer Ansatz zum Vorschein, der von Cézanne beispielhaft formuliert wurde: Dieser wollte die Realität als komplexes tonales Geflecht mittels präziser Farben übertragen, um im Übersetzungsprozess der sensations colorées („Farbempfindungen“) Zeichnung und Farbe zusammenfallen zu lassen, da ihm beide als Mittel der réalisation („Realisierung“ oder „Umsetzung“) seiner subjektiven Wahrnehmung in eine ganzheitliche Bildwirklichkeit galten.40 Auch wenn Cézanne eine völlig andere Vorstellung von Natur, Malerei und ihrem Realitätsverhältnis hatte, lässt sich bei beiden Malern doch ein vergleichbarer Präzisionsanspruch erkennen, wodurch ein ‚Reales‘ (sei es die Fotovorlage oder die ästhetische sensation vor der Natur) erfasst werden soll. Die Sogkraft dieser ins Endlose steigerbaren visuellen Differenzierung drückt sich in der zeitlichen wie materiellen Schichtung und strukturellen Komplexität ihrer Bilder aus. Wo die Farbporträts vor allem in den Details äußerst malerisch sein können, dominiert ansonsten ihr technischer Charakter. Closes chromatisches Regelwerk erinnert in seiner Systematik an klassische auf Primärfarben basierende Farbtheorien: Goethes Farbenlehre von 1810 sowie Runges emblematisch gewordene Farbkugel gehören neben ihren physiologischen und ästhetischen Inhalten nicht zuletzt wegen ihrer Nähe zur künstlerischen Praxis längst zu den schulischen Grundlagen der künstlerischen Ausbildung. Closes Lehrer Josef Albers hat mit Verweis auf diese Tradition eine Farbtheorie der modernen Abstraktion entwickelt, wie sein umfangreiches Werk Interaction of Color von 1963 zeigt.41 Anders aber als die in den klassischen Theorien angestrebte wissenschaftliche Verallgemeinerung von Farberscheinung und -wahrnehmung oder die Analyse der expressiven Dynamik von Farbkompositionen bei Albers beschränkt sich Close auf die Übersetzung des Bildes in Farbwerte, für die der Referenzpunkt weiterhin die Fotovorlage bleibt. Anstelle einer theoretischen Fundierung ergibt sich bei Close der Farbeinsatz aus einem simplen wie strengen Verfahren, das einzig die Übertragung eines technischen Bildes in eine technisch konsistente Malerei zum Ziel hat. Dies schließt das künstlerische Ausbalancieren und Variieren nach subjektivem Empfinden aus – die Suche nach dem ‚richtigen‘ Ton durch das additive Vermischen von Grundfarben verhält 40 Siehe hierzu Doran, Michael (Hg.): Gespräche mit Cézanne, Zürich 1982. 41 Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre, Tübingen 1810; Runge, Philipp Otto: Far benkugel, Hamburg 1810; Albers, Josef: Interaction of Color, New Haven 1963.

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sich analog zur mechanischen Reproduktion von Halbtönen im Druck, wo durch die Veränderung von Größe und Dichte der gerasterten Farbpunkte ein kontinuierlicher Farbverlauf erzeugt wird (Abb. 82 a-b).42 Schon die Bezeichnung continuous tone portraits für die großen Farbporträts verweist auf diese reprotechnische Verwandtschaft. Closes sukzessiver Auftrag dreier Grundtöne ähnelt zwar dem Druckergebnis im Halbtonverfahren, doch sein Airbrush malt die dünnen Farbschichten fließend auf und erzeugt so stufenlose Farbverläufe mit unbegrenzten Mischverhältnissen, die dem Continuous Tone im digitalen Bild (wo für die Pixel das Vollton-Prinzip mit singulären Farbtönen gilt) näher sind als der Halbtonmischung aus diskreten Punkten. Die ‚Aufrasterung‘ geschieht nicht in Farbpunkten, sondern liegt vielmehr als chromatisches Gerüst der Maquette dem ganzen Bild zugrunde. Anders verhält es sich jedoch bei der Rasterpunktstruktur von Robert/104.072 (Abb. 23) sowie einer Reihe von monochromen Tusche- und Bleistiftzeichnungen zwischen 1973-1975, wo jedes Rasterquadrat mit einem einzelnen Grauton ausgefüllt ist. Auch in den Farbpastellen und Aquarellen der späten 1970er Jahre wie Mark Watercolor/Unfinished (Abb. 83) oder den dreifarbigen Fingerabdruck-Bildern der 1980er Jahre wie Leslie/Fingerpainting (Abb. 84 a), die nach demselben CMY-Prinzip aufgebaut sind, trägt Close einzelne Farbflecken auf. Hier wird das Bild aus über- und nebeneinander angeordneten diskreten Punkt- oder Quadratelementen aufgebaut, wobei insbesondere die Punktstruktur von Leslie den aufgerasterten Halbtonwerten des Farbdrucks ähnelt. Seine Paraphrase der Rasterpunktstruktur ist vergleichbar mit denen von Sigmar Polke oder Roy Lichtenstein, die ebenfalls auf den Halbtondruck in Schwarzweiß oder Farbe verweisen und ihre mechanischen Reproduktionsprinzipien in abstrahierte Muster in der Malerei übersetzen. Während die ostentativ vergrößerten Punkte in ihren Bildern für die massenmediale Bildform stehen, vermitteln sie bei ausreichender Distanz den Eindruck einer kontinuierlichen Farboberfläche, was dem optischen Mischprinzip im Halbtondruck entspricht. In Closes Kombination kontinuierlicher Farbverläufe mit Elementen des Halbtondrucks verschränken sich Aspekte des analogen und digitalen Bildes: So wird das Analogbild der Fotovorlage mit seiner Fülle an Licht- und Farbwerten bei der Übertragung ins Printmedium (Offset- oder Hochdruck) durch gerasterte Halbtöne wiedergegeben – wobei anzumerken ist, dass der Schwarzweißfilm auf der Mikroebene ebenfalls aus den zwei diskreten Farbwerten Schwarz und Weiß besteht und damit ein Halbtonmedium wäre, wie die Körnung zeigt. Das digitale Bild besitzt hingegen eine Rasterstruktur aus Pixeln mit jeweils differenzierten Farb- und Lichtwerten, was eine große tonale Vielfalt zulässt, die bei Vergrößerung als diskontinuierliche Struktur erscheint.43 Auch im Digitaldruck werden durch Frequenzmodulation die Raster42 Im Gegensatz zum mechanischen Tiefdruckverfahren, wo reale Farbverläufe aufgetragen werden können, müssen Halbtöne im Offset- oder klassischen Hoch- und Siebdruck durch Aufrasterung simuliert werden, wobei Nuancen aus der Dichte, Größe und Farbüberlagerung der Rasterpunkte entstehen. Bei diesen druckformgebundenen Verfahren wird für jede Grundfarbe eine Druckplatte erstellt, Digitaldrucke sind dagegen druckformlos, siehe Kipphan 2000, S. 80-101. 43 Der Begriff Pixel, der sich aus dem englischen „picture elements“ ableitet, wurde 1965 von Fred C. Billingsley publiziert und verbreitete sich erst in den späten 1970er Jahren. Er lässt sich zurückführen auf den deutschen Begriff Bildpunkt aus der Telefotografie des 19. Jahr-

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punkte ermittelt, um Bilder im Halbtonverfahren zu reproduzieren. In Closes abstrahierten Porträts wie Mark Watercolor/Unfinished vermischen sich diese Elemente beispielhaft: Das kontinuierliche Foto-Bild wird in farbige, einzeln manipulierbare Quadrate aufgelöst und das Raster als strukturelles Bildgerüst für die Malerei hervorgekehrt. Singuläre Farbwerte entstehen wie in den Kent-Studien durch die Überlagerung dreier Grundfarben, was in den halbfertigen Bildzonen offengelegt wird. Das klassische Farbprinzip analoger Printmedien wird auf eine Rasterstruktur mit diskreten Bildelementen angewandt, wobei jedes Quadrat einen handwerklich bedingten singulären Farbwert erhält – die materiell erzeugte Chromatik der Malerei stellt darüber eine Parallele zu den spezifischen Continuous-Tone-Werten im digitalen Bild her. Der im Raster aufgebrochene Farbverlauf wird durch das Abstraktionsvermögen des Auges ästhetisch rekonstruiert, da es in Halbtönen und Rasterstrukturen ein kontinuierliches Bild wahrnehmen kann. Im abstrahierten Bild erscheint immer noch die Vorlage des Airbrush-Porträts Mark (Abb. 74), wogegen die Papierarbeit wie eine Dekonstruktion und Umkehrung jenes enormen Verismus wirkt, durch den die fleischliche Realität ins Ungeheure vergrößert und zugleich in der samtigen Immaterialität der Farbnuancen aufgehoben wird. Die insbesondere dem Farbbild immanente sinnliche Körperlichkeit verwandelt sich im Aquarell zu einer kristallingeometrischen Struktur – und trotzdem wird im Sehen der Realismus der bereits bekannten Fotografie abgerufen, die beiden Bildern zugrunde liegt. Wie in allen seriellen Variationen erscheint das eine Werk bei Close als technisch transformierte Wiederherstellung vorhergegangener Arbeiten, während die Farbstrategie durch die neue Struktur aus diskreten Elementen weiterentwickelt wird.

hunderts, der ein „kleines Flächenelement“ bezeichnet. Siehe Lyon, Richard F.: A Brief History of ‚Pixel‘, in: Digital Photography II, S. 1-15, SPIE, Bellingham 2006. Als diskrete Abtastwerte in der digitalen Rastergrafik sind sie entgegen der allgemeinen Vorstellung nicht immer quadratisch, sondern können unterschiedliche Gestalten annehmen (Punkte, Streifen oder kontinuierliche Vektoren). ‚Pixel‘ bezieht sich dabei auf den Mittelpunkt des Bildelements, vgl. Smith, Alvy Ray: A Pixel Is Not A Little Square!, 17.07.1995, http://alvyray. com/Memos/CG/Microsoft/6_pixel.pdf.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre

Kurz nachdem Close mit den farbigen Airbrush-Arbeiten begonnen hatte, setzte bei ihm in den frühen 1970er Jahren eine produktive Werkphase mit Zeichnungen und Drucken ein, die eine Fülle neuer Bildstrategien hervorbrachte. In diesen Papierarbeiten spielt die Rasterstruktur eine prominentere Rolle und löst das Motiv in abstraktsynthetische Formen auf, die erstmals als eigenständige Bildelemente auftreten. Der bisher kaschierte konstruktive Prozess wird offengelegt, indem anstelle der illusionistischen Fotomimesis nun die künstlerischen Mittel die Bildgestalt bestimmen. Die im Laufe der 1970er Jahre entwickelten neuen Bildsprachen kombinieren unterschiedliche Materialien, Techniken und Formate und prägen Closes Papierarbeiten bis in die 1980er Jahre hinein. Close bleibt motivisch beim Frontalporträt, erlaubt aber eine größere Diversität unter den Modellen. Dennoch überwiegen weiterhin die Protagonisten seiner großen Porträtserie, darunter Phil, Keith, Bob, Mark sowie Close selbst: Ihre Gesichter werden nach der bereits verwendeten Maquette auf vielfältige Weise mit Aquarell, Kreide, Bleistift oder mit verschiedenen druckgrafischen Techniken neu verarbeitet. Alle Bilder bleiben über die zugrundeliegende Rasterstruktur verbunden, während das Motiv durch wechselnde Verfahren konstruiert wird – denn im Gegensatz zu den Bildern im Continuous Tone mit Farbseparation erscheint das Raster in fast allen Papierarbeiten als sichtbares Gitternetz, welches die Bildfläche gleichmäßig unterteilt. Hier entstehen Bildsynthesen als Ansammlungen diskreter Zeichen, die wie einzelne Bildpunkte in die Rasterfelder eingetragen sind. Mit ihrer Redundanz und Gleichwertigkeit kodieren sie das Bild als abstrakte Struktur und kreiren dabei eine diffuse Mimesis der Fotovorlage. Eine Sondergruppe unter den Papierarbeiten bilden die Fingerprints oder Fingerpaintings, die aus aufgehäuften Fingerabdrücken bestehen. Dort hebt Close das Bildgerüst des Rasters zugunsten einer neuen beweglichen Bildsyntax auf. Die größte Gemeinsamkeit der Papierarbeiten liegt in der Differenzierung der elementaren Einheiten – ob Kästchen, Punkt oder Strich – im Rasterfeld, bei der jedes Quadrat von Zeichen besetzt wird, deren ikonischer Sinn sich erst aus ihrer Funktion im Gesamtzusammenhang ergibt. Das Herunterbrechen eines Bildgefüges zu abstrakten Elementen und deren chromatische oder eidetische Kategorisierung stehen für den semiotischen Zugang zur abstrakten Malerei auf einer fundamentalen Zeichen-

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ebene.1 Doch bei Close liegen die Bildzeichen bereits kategorisiert vor, so dass sie als Werkzeuge eines bestimmten Darstellungsmodus gelten können. Ihre homogenen, redundanten Formen lassen sich im Koordinatenfeld einzeln verorten, ihre notationelle Setzung ist nachvollziehbar und wiederholbar. Im theoretischen Kontext wäre Nelson Goodmans Begriff der Notation insofern anwendbar, als die Graustufen der Punkte und Kästchen oder die abgestuften Schraffuren bei Close einzelne Werte, also Marken darstellen, die als jeweils wiederholbare, austauschbare Teile eines Charakters einer Notation gelten können.2 Dem „theoretischen Erfordernis“ der Disjunktivität (eindeutige Zuweisbarkeit) von Charakteren in Goodmans Definition eines notationellen Schemas steht die diffuse Fülle ihrer realen, konkreten Erscheinung gegenüber, wie Goodman einräumt – diese Spannung zeigt sich gerade in der materiell und handwerklich bedingten Ungenauigkeit (in Goodmans Sinne Dichte) von Closes Bildzeichen im Kontrast zu ihrer schematischen Klassifizierung nach dem Konzept, welches ihnen eine Bausteinfunktion im Bild zuweist. Sie könnten theoretisch der Anforderung an Charaktere in Notationssystemen entsprechen, disjunkt und „endlich differenziert oder artikuliert“ zu sein,3 doch in ihrer Umsetzung als graduell verdunkelte Punkte und Kästchen, als Einzel- oder Mehrfachstriche entziehen sich Closes ‚Marken‘ der eindeutigen Zuordnung. Vielmehr produzieren sie innerhalb des schematischen Systems ein an akzidentellen Details reiches, dichtes Bildgefüge. In den Papierarbeiten vollzieht sich die Wende vom kontinuierlichen fotomimetischen Fluss der Airbrush-Bilder zu der diskontinuierlichen Zeichenstruktur der Rasterdarstellungen. Mit der Verschiebung der Arbeitsmethode wird auch der Bildbegriff umgeprägt: Statt einer malerischen Rekonstruktion der Fotografie entwickelt Close experimentelle ‚Bauweisen‘ zur Umsetzung der Vorlage. Wo es zuvor um die Rekonstruktion der fotografischen Erscheinung ging, geht es nun um ihre Transformation. Die strikten Bildregeln lassen sich größtenteils aus der Betrachtung direkt ableiten: Closes Strategie des „making art marks“ bezeichnet den Einsatz von Bildkürzeln, die als ikonische Zeichen im Peirceschen Sinne von indexikalischen Zeichen zu unterscheiden sind. Letztere spielen bei Close sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Index-Bild der Fotografie als auch mit dem Index-Mittel des Fingerabdrucks eine Rolle.4 Gleichwohl finden sich Anklänge zum technischen Begriff des Codes, da standardisierte Zeichen sich zu Bildwerten ausdifferenzieren, deren kontextuelle Ver-

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Vgl. Nöth, Winfried/Santaella, Lucia: Bild, Malerei und Photographie aus der Sicht der Peirceschen Semiotik, in: Wirth, Uwe (Hg.): Die Welt als Zeichen und Hypothese. Perspektiven des semiotischen Pragmatismus von Charles Sanders Peirce, Frankfurt/Main 2000, S. 354374, hier S. 357. Vgl. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie (1968/76), Frankfurt/Main 1997, S. 128-131. Ebd., S. 132. Als Prototyp des indexikalischen Bildes gilt das Pass- und Polizeifoto, da hier der Verweischarakter des Bildes in Bezug auf das bezeichnete Objekt zum Zwecke seiner Identifizierung besonders zugespitzt wird (in solchen indexikalischen Zeichen überwiegt nach Peirce die universelle Kategorie der ‚Zweiheit‘, die vor allem relational ist und das Faktische, Reale einschließt), vgl. Nöth/Santaella 2000, S. 364-365.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 201

knüpfung erst einen ikonischen Sinn, also ein Porträt bzw. Fotoporträt, ergibt.5 So gleichartig wie die Bildzeichen sind auch die Motive, an denen Close verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten entwickelt, um der bildnerischen Syntax der Fotovorlage immer neue Aspekte abzugewinnen.6 Im Kontrast zu den farbigen Airbrush-Bildern, in denen die Fotomimesis auf ein Maximum gesteigert wird, wird sie hier auf ein Minimum an visuellen Daten reduziert und in ein anderes Bildmuster umgelenkt, das eine Äquivalenz zur Fotovorlage bietet. Mehr noch als bei den großen Leinwänden stellt sich bei den Papierarbeiten die Frage, inwiefern sie noch Porträts sind – wird dies nicht eher durch ihre ostentativ fotografische Komposition suggeriert oder den Umstand, dass die Gesichter aus anderen detailgetreuen Porträts bekannt sind, wie Phil oder Keith? Wie in den neuen Ansätzen die Fotovorlage verarbeitet und nach technischen Bildprinzipien weiterentwickelt wird, soll an konkreten Beispielen gezeigt werden.

2.2.1 PUNKT UND KÄSTCHEN 1972 experimentierte Close zum ersten Mal mit Druckgrafik, um ein großformatiges Schwarzweiß-Porträt zu schaffen. Es handelte sich um das Motiv Keith, das er zuvor schon mit dem Airbrush umgesetzt hatte (Abb. 66). Bei der Crown Point Press in Kalifornien, die zu diesem Zeitpunkt seit zehn Jahren bestanden hatte und heute eine berühmte Institution für künstlerische Drucke in den USA ist, fertigte Close zusammen mit dem Drucker Kathan Brown ein über 130 x 106 cm großes Porträt in der nicht mehr verwendeten historischen Technik des Mezzotinto an.7 Die aufwändige und langwierige Schabtechnik dieses Tiefdruckverfahrens, das bereits im 19. Jahrhundert von der Fotogravur abgelöst worden war, interessierte Close vor allem wegen seines Herstellungsprozesses, bei dem das vorbereitende Aufrauen der Kupferplatte einer Allover-Rasterung gleichkam und alle Helligkeitswerte im Negativ-Verfahren hineinpoliert werden mussten. Außerdem faszinierten ihn die samtig-tiefen, äußert nuancierten Schwarztöne, die sich mit dieser speziellen Technik erzielen ließen.

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Im technischen Gebrauch meint Code eine „Zuordnungsvorschrift“ für einzelne Zeichen eines Zeichenvorrats, womit Informationen dargestellt werden können, zu anderen Zeichen eines Zeichenvorrats, mit denen dieselben Informationen dargestellt werden können. Kodierung wäre entsprechend die Zuordnung eines Zeichenvorrats zu einem anderen, um Informationen darzustellen, die sich aus der Rückübersetzung der Zeichen (Dekodierung) ergeben. Vgl. hierzu Klaus, Georg (Hg.): Wörterbuch der Kybernetik, Bd. 1 (2 Bde.), Frankfurt/Main u. a. 1969, S. 117-121. Für Close trifft es selbstverständlich nicht im strengen Sinn zu – es geht mehr darum, die Analogie in der Bildform zu suchen. Vgl. Kern, Hermann: Chuck Close. Über die Künstlichkeit der Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Kunst, in: Chuck Close. Arbeiten auf Papier, Ausst.-Kat., Kunstraum München 1979, München 1979, S. 5-20, hier S. 12. Vgl. Finch 20101, S. 88-89. Zu Closes Arbeit bei der Crown Point Press siehe Sultan, Terrie: Mezzotint. Interview mit Kathan Brown und Chuck Close, in: ders. 2014, S. 40-47; Brodie, Judith/Greenhalgh, Adam: Yes, No, Maybe. Artists Working at Crown Point Press, Ausst.Kat., Washington, D.C., National Gallery of Art 2013-14, Washington, D.C. 2013.

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Die Besonderheit an Keith/Mezzotint (Abb. 104) liegt darin, dass das Arbeitsraster aus feinen schwarzen Linien an Figur und Hintergrund sichtbar bleibt. Während in den Airbrush-Porträts das Raster zur Orientierung dient und der Arbeitsvorgang keineswegs linear von Zeile zu Zeile ablaufen muss, suggeriert diese Arbeit erstmals einen strengen Aufbau aus quadratischen Feldern, die aneinandergereiht das Porträt ergeben. Entgegen der fotografischen Illusion betonen die Linien die Flächigkeit des Bildes, zeigen aber auch die Bedingungen dieses Realismus auf: Das Velum des Zeichners erscheint explizit und verwandelt die illusionistische Figur in ein disparat-synthetisches Gebilde, verstärkt durch die von Quadrat zu Quadrat ungleichmäßigen Sprünge in Helligkeit und Detaildichte. Zugleich wird damit die glatte Oberfläche der Fotografie aufgebrochen und die analytische Rasteraufteilung mit anschließender Synthese für das Auge sichtbar und nachvollziehbar gemacht. Von diesem Schlüsselwerk ausgehend werden Closes Fotovorlagen zunehmend zugunsten des bildnerischen Arbeitsprozesses umformuliert. 8 Dieser wird erstens definiert durch die Zahl der Rasterfelder, die wie bei der Skizze Keith/1.280 (Abb. 85 a) oder Robert/104.072 im Titel angeführt wird, zweitens durch die Art und Weise, wie diese Felder ausgefüllt werden. In der kleinen technischen Probe Keith/1.280 auf kariertem Papier, die ein Jahr nach der Mezzotinto-Arbeit entstanden ist, sind nebulöse Punkte mit unterschiedlichen Grautönen in die nummerierten Rasterfelder eingetragen, wo sie eine undeutliche Version der Schwarzweißfotografie ergeben. In drei darauffolgenden Papierarbeiten wird das Porträt Keith schließlich als mittiges, leicht nach oben versetztes Bildfeld mit breiter leerer Umrahmung dargestellt (Abb. 85 bd). Die Variationen, die dieselbe Rasterung aufweisen, zeigen das Motiv mit schwarzer Tusche auf weißem und grafitgrauem Grund sowie mit weißer Tusche auf schwarzem Grund als Negativumkehr. Die Punkte füllen die äußerst kleinen Rasterfelder fast ganz aus, so dass sie wie Kästchen aus differenzierten Grauwerten erscheinen. Je nach Material weisen die Versionen ein unterschiedliches Gefälle zwischen Figur und Grund auf – so treten die Kästchen in der tonal homogeneren Bleistift- und Tuschezeichnung (Abb. 85 c) härter hervor als in der luftig-weichen Punktzeichnung auf hellem Papier (Abb. 85 b). Trotz ihrer mathematisch identischen Struktur wird allein durch den Materialwechsel ein völlig anderer Bildeffekt erzielt. Close definiert jedes Bild aus dieser Zeit als Zeichnung, wenn es ein sichtbares Raster trägt, so auch Robert/104.072 (Abb. 23), das als Airbrush-Porträt auf Leinwand zugleich eine Punktzeichnung wiedergibt.9 Die extrem feine Rasterung der 2,74 m hohen Leinwand, bei der jedes Rasterfeld in vier weitere kleine Quadrate unterteilt ist, verwandelt die Bildoberfläche in ein dichtes Gewebe, worin eine schier unüberschaubare Menge kleiner Punkte schwirrt. Die fotografische Kontinuität der Airbrush-Bilder wird unterbrochen: Lichtreflexionen oder Bartstoppel, die bei Phil noch frei eingezeichnet sind, erscheinen als Gestöber aus hellen und dunklen Flecken, Konturen erscheinen unregelmäßig und verfranst, homogene Flächen werden zu flirren-

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Close betont die Wichtigkeit dieser Arbeit für seine nachfolgenden Werkgruppen, insbesondere die Papierarbeiten: „[...] the incremental unit remained apparent throughout the whole process [...] the grid became an essential part of the piece.“ Close zit. nach Sultan 2014, S. 43. Vgl. Kern 1979, S. 9.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 203

den Strukturen. Das karierte Strickmuster des Pullovers reflektiert und verstärkt diese optische Verfremdung zusätzlich. Robert ist ein Netz aus 104072 Rasterfeldern, die Close durchschnittlich jeweils zehn Mal mit dem Airbrush ansprühen musste, um den gewünschten Dunkelheitsgrad zu erzielen.10 Statt die fließende Weichzeichnungsfunktion des Instruments zu nutzen, partialisierte Close die Malbewegung zum apparativ-zeichnerischen Staccato, indem sein Finger winzige Luftstöße aus dem Airbrush tätigte. Deutlicher zeigt sich die Arbeitsweise in der umfangreichen Serie aus unscharfen, reduzierten Punktzeichnungen von 1973-75, wofür Chris ein Beispiel ist (Abb. 86). Ähnlich wie Keith/1.280 präsentiert es ein kleines, mittig platziertes Porträt aus 154 Rasterquadraten auf einem großen, leeren Bildgrund. Die Vielzahl unterschiedlicher Modelle, die nur mit ihrem Vornamen und teilweise dem Initialbuchstaben des Nachnamens betitelt sind, verleiht der Serie den Eindruck von anonymen Passbildern oder Fotoporträts wie auf der Werbetafel in Evans’ Penny Picture Display, Savannah (Abb. 52). Das Modell Robert, dessen Nachname Ellson lautet und der ein Freund von Closes damaliger Frau Leslie war, wurde ebenfalls seiner ‚Durchschnittserscheinung‘ wegen ausgewählt. Auf dieselbe Weise fertigte Close Porträts von sich und seinen bekannteren Modellen wie Phil, Keith, Fanny und Leslie an, was über das Zitat des normierten Passbildes hinaus auf eine systematische Verarbeitung bereits vorhandener Vorlagen verweist. Hierbei kommt dem Raster eine bilddominierende Funktion zu, weil die strukturelle Vorgabe der gleichwertigen Felder dafür sorgt, dass die Gesamtfläche buchstäblich Punkt für Punkt gleich behandelt wird. Darüber wird ein Problem der AirbrushPorträts gelöst: Dort schaffen die gerasterte Maquette und Vorzeichnung zwar ein Fundament für das Allover-Bild, doch die konkrete Ausführung bringt immer eine unterschiedliche Behandlung der Bildbereiche mit sich, wo etwa Haare anders dargestellt werden als glatte Brillengläser oder unebene Hautporen. In den gleichmäßigen Punktzeichnungen hingegen gibt es keine intendierten Abweichungen in der Größe und Grundform der Elemente – sie sind in der Funktion als Bildpunkte völlig identisch und stellen keine „grafischen Symbole“ für die einzelnen Teile des Porträts dar, was Close an der Airbrush-Technik gestört hatte.11 Der Punkt (wie der Strich oder das Kästchen) in diesen Arbeiten ließe sich mit Peirce als reines Ikon begreifen, das in die Kategorie der Erstheit fällt, da es nur auf sich selbst in seiner bloßen Qualität verweist und darin ikonisches Qualizeichen ist. In seiner abstrakten Form ist der Punkt referenziell „ebenso leer wie völlig offen“ – er kann als degeneriertes Zeichen gelten, weil er im Unterschied etwa zu den hypoikonischen Detailzeichen in der Haar- und Porendarstellung der Airbrush-Porträts keinem gegenständlichen Objekt ähnelt.12 Semiotisch losgelöst wird der einzelne Punkt zum 10 Bei der Anzahl der Rasterfelder ergäbe das rund 1 Mio. einzelner Sprühhandlungen („hits“), vgl. Storr 1998, S. 36. Für die bessere Kontrolle der Töne vermischte Close die Acrylfarbe mit etwas Tusche (Pelikan India Ink), Quelle: MoMA-Archiv, Painting and Drawing Study Center. 11 Vgl. Lyons 1987, S. 33; Dyckes 1974, S. 161. 12 Vgl. Nöth/Santaella 2000, S. 361-363. Die Formen der Ikonizität, jeweils den Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit zugeordnet, sind das ikonische Qualizeichen (ein selbstreferenzielles, reines Ikon), das ikonische Sinzeichen (ein singuläres, individuelles Ikon, eine Geste oder Spur) und das ikonische Legizeichen (ein Gesetzmäßigkeiten folgendes Ikon).

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Bestandteil eines Codes, der standardisiert durch die Größe des Rasterquadrats oder den Abstand von Airbrush-Spitze zur Bildfläche als abstraktes Bauelement fungiert. Erst wenn man die Elementarebene verlässt, wird das Referenzobjekt mit den gegenständlichen Details, die aus den akkumulierten Zeichen gebildet werden, sichtbar (das Porträt erscheint als Hypoikon). Diese Strukturen sind wiederum nach Gesetzen aufgebaut, mit denen Farb- und Helligkeitswerte der Foto-Maquette ins Bild übersetzt werden sollen – insofern ließen sich die tonal abgestuften Punkte oder unterschiedlich großen Strichbündel der Schraffuren mit ikonischen Legizeichen vergleichen. Während Closes Zeichenstruktur zwischen abstrakt und gegenständlich oszilliert, ist sie also auch unter semiotischen Gesichtspunkten zwischen mehreren Ebenen aufgespannt. Der wichtigste Schritt, der mit diesen Bildern gemacht wird, liegt für Close in der verstärkten ästhetischen Gleichgültigkeit und Mechanisierung des Arbeitsprozesses, was in den Airbrush-Bildern stets vom freihändigen Formenspiel unterlaufen wird. In den punktuell aufgetragenen dot drawings komme er seinem Programm näher als je zuvor: „I wanted to make pieces in which each square inch was physically exactly the same [...] I wanted a stupid, inarticulate, uninteresting mark, that in and of itself could not be more interesting than the last mark or more beautiful than the next.“13 Die rigorose Gleichbehandlung zeigt sich besonders im Hintergrund, dessen große Fläche ebenfalls mit kaum sichtbaren blassen Punkten angefüllt ist. Die Rasterung dient nicht mehr bloß der präzisen Mimesis der Fotografie, sondern wird als Bauanleitung des Bildes und Mittel seiner analytischen Homogenisierung eingesetzt: Einzige Kriterien für die künstlerische Darstellung sind die Koordinatendaten und der Helligkeitswert des jeweiligen Rasterfeldes. Ist die Position des Punktes mathematisch exakt bestimmbar, muss dennoch der Tonwert optisch in Relation zum Ganzen ermittelt werden – so wird jedes Bild aus feinen Differenzierungen nach und nach konstruiert. Das Zusammensetzen der Bildfläche aus kleinsten Teilen findet sich bereits in der antiken Mosaiktechnik, wovon Close bei einem Besuch in Ravenna nach seinem Studium nachhaltig angeregt wurde. Als optisches Abstraktionsprinzip kommt dies jedoch im Pointillismus am stärksten zum Tragen, wo mithilfe von systematisch aufgetragenen Farbelementen eine objektiv-analytische Darstellung erreicht werden soll.14 Dabei spielt das Bild mit der natürlichen Wahrnehmungsschwelle und der ‚trägen‘ Eigenaktivität des Auges, das eine Überfülle an Sinnesdaten (nach demselben im Halbtondruck verwendeten Prinzip) zu einer Bildeinheit synthetisiert. Diese Herausforderung an das Sehen ergibt sich bei den Punktzeichnungen gleich doppelt: In den kleinen undeutlichen Porträts, die wie Wahrnehmungstests nur ein Minimum an Details bieten, um ein Gesicht erkennen zu lassen, und in den großen Bildern, deren Informationsdichte das Auge überfordert. Während in Robert/104.072 das größere Raster stehen bleibt, verschmilzt das feine Binnenraster mit den Punkten, so dass der Eindruck winziger verschwommener 13 Close in Diamondstein, Barbaralee: Chuck Close, in: Inside New York’s Art World, New York 1979, S. 78, zit. nach Storr 1998, S. 36. 14 Darauf verweist auch Nickel 2005, S. 134.

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Tupfer entsteht und das Bild trotz der technischen Struktur malerisch weichgezeichnet erscheint. Die dahingehauchten konturlosen Punkte sind zwar akkurat platziert, doch ihre abgerundeten Zwischenräume entschärfen die Rasterformation zu einem fragmentarisch-luftigen Gewebe. Ihre Nahansicht erinnert erneut an das reproduktionstechnische Punktraster, obgleich es hier keine Größenunterschiede und Überlagerungen der Punkte gibt, nur singuläre Werte, die sich additiv Zeile für Zeile und Punkt für Punkt in einer manuellen Abwandlung des Druckprozesses zu einem Bild zusammenfügen. Ihrer mechanischen Aufrasterung entspricht das druckähnliche ‚Layout‘ der Papierarbeiten, in denen das Bildfeld mittig leicht erhöht platziert ist und einen breiten Rand aufweist, ähnlich dem Kompositionsschema von Reproduktionen oder gerahmten Fotografien. Die Größe des Rasters bestimmt die Größe des Bildes, die Dichte der Felder hingegen bestimmt seine Deutlichkeit, d. h. Detailfülle. Dass Close das Raster als Bildmatrix behandelt, drückt die Zahlenangabe der Rasterfelder im Bildtitel aus. Deren stufenweise verlaufender Anstieg in Serien wie Robert I-IV (Abb. 87 a-d) und Bob I-V unterstreicht die Analogie zum technischen Begriff der Matrixanzeige, die aus einem Netz horizontaler und vertikaler Bildpunkt-Reihen besteht und in alle Richtungen erweiterbar ist (Abb. 88). Der Aufbau der Matrixanzeige erlaubt es, jeden einzelnen Bildpunkt exakt zu definieren, ebenso wie die numerischen und alphabetischen Koordinaten in Closes Bildern. Solche Anzeigetechnologien umfassen je nach Art mehrere differenzierte Grautöne, Farben oder einen einfachen Positiv- und Negativwert für jeden Bildpunkt.15 Strukturell gleichen Closes Punktzeichnungen somit Pixelgrafiken, wo jeder Zelle im digitalen Bildraster ein bestimmter Farbwert zugeordnet wird.16 Die verschiebbare Dichte und Größe der Bildpunkte, die Auflösung und Bildqualität bedingen, implizieren in Closes Arbeiten die dynamische Offenheit von Verdichtung und Vergrößerung – die optischen Mittel von Zoom und Blow-up sind diesen Bildern schon aufgrund ihrer technischen Eigenstruktur innewohnend. Darauf wird unter dem Gesichtspunkt der Skalierung weiter einzugehen sein. Die quantifizierte, verschiebbare Struktur seiner Papierarbeiten verweist im Ansatz bereits auf die Digitalisierung einer analogen Bildvorlage, wobei die in einem Augenblick belichtete Fotografie der prozessual ausgefüllten Rasterstruktur gegenübergestellt wird: Wie mit digitalen Pixeln erlauben sie die gezielte Nachbearbeitung 15 Die 1962 erfundene Leuchtdioden-Technologie (LED) erzielte im Laufe der Zeit eine immer größere Fülle an Farben. Die Anfang der 1970er Jahre entwickelte Flüssigkristall-Technologie (LCD) wurde anfangs für einfache Anzeigen wie Digitaluhren eingesetzt und ist heute die vorherrschende Anzeigetechnik für digitale Bilder, bestehend aus Pixel-Segmenten in Rasteranordnung. 16 Die Analogie zu Computerpixeln wird noch deutlicher an Closes Übertragungsweise eines Kästchen-Aquarells in einen Druck aus Papiermasse (pulp-paper) mit mosaikartiger Kästchenstruktur (z. B. Phil II, Abb. 132 a). Dabei ordnet er mit einer Farbkarte jedem Grauwert im Aquarell eine Nummer zu, die auf das Druckgitter für die Papiermasse geschrieben wird. Die angemischten Grauwerte werden dann in die entsprechend nummerierten Gitterkästchen gepresst (Abb. 132 b). Close nennt es „digitize the image“, da bei dieser handwerklichen ‚Digitalisierung‘ jeder Tonwert durch eine tatsächliche Zahl kodiert und aus ihr wiederhergestellt wird, vgl. Sultan, Terrie: Gespräch mit Chuck Close, Ruth Lingen u. a., Pulp-Paper Multiples, in: Sultan 2014, S. 48-67, hier S. 50.

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(d. h. Manipulation) einzelner Bildpunkte, womit das Gesamtbild konkretisiert und modifiziert werden kann. Was Close zuvor als Gegensatz zwischen Malerei und Fotografie angesehen hat, wird sich später als Analogie zwischen seiner Malerei und dem digitalen Bild herausstellen: „A photograph is complete in an instant but a painting is incomplete until it is finished; with a painting, each thing you add changes what is already there.“17 Mit Blick auf die digitale Bildbearbeitung und die Vorwürfe gegen ihre inhärente Verfälschung ließe sich bei Close eine handwerkliche Metapher der infrage gestellten fotografischen Wahrheit sehen, die im Gegensatz dazu der analogen Fotografie und ihrer vermeintlich authentischen Indexikalität zugesprochen wird. So wie die Pixel im digitalen Bild aus einer automatischen Kalkulation erfolgen, sind auch die Bildpunkte bei Close das Ergebnis seiner ästhetischen Abstraktion (gemäß seiner subjektiven Wahrnehmung) von der analogen Fotovorlage. Dabei ist die konstruktive ‚Verfälschung‘ der ursprünglichen Realität die Voraussetzung für die Bildentstehung überhaupt. Der Modus dieser Synthese ist wiederum flexibel: So wie digitale Bilder partiell oder total modifiziert werden können, kann Close auch Stil und Grad seiner Bildsynthese beliebig anpassen, indem er den Inhalt der einzelnen Rasterquadrate ‚manipuliert‘ – was er im Titel Self-Portrait/Manipulated von 1982 sogar explizit anspricht (Abb. 35). Noch mehr gleichen die ab 1977 entstandenen Kästchen-Arbeiten digitalen Pixelgrafiken. Hier werden die quadratischen Rasterfelder beinahe ganz ausgefüllt, wobei die freihändige Arbeit leichte Unregelmäßigkeiten an den Rändern hinterlässt. Bei dem 147 cm hohen Aquarell Phil/Watercolor (1977) wirken die winzigen Freiräume wie Bildstörungen unter zahllosen Grau-Nuancen. In Mark Watercolor/Unfinished (Abb. 83) wendet Close seine dreischichtige Farbmethode an, wobei die drei elementaren Farben ebenso diskret sind wie die Rasterkästchen, mit denen das Porträtmotiv aufgelöst wird. Durch ihr Farbproblem unterscheiden sich diese Papierarbeiten gravierend von den vorhergegangenen monochromen Bildern. Im Anschluss an die Farbseparationsbilder zeigt Close in Large Mark Pastel von 1978-79 eine entgegengesetzte Strategie, bei der dasselbe Motiv mit Pastellkreide umgesetzt ist. Statt wie bisher durch eine Synthese die maximale Vielfalt aus einfachsten Farbkomponenten zu gewinnen, zielt Close hierbei auf die Maximierung der Farbpalette in Einzeltönen an und hat dafür so viele im Handel erhältliche Farben gekauft, wie er finden konnte. Idealerweise sollte für jedes Kästchen und jeden Farbwert ein singulärer Ton gefunden werden, der möglichst ungemischt in nur einer Schicht aufgetragen werden konnte.18 Vergleichbar mit Gerhard Richter, der seine ab 1966 entstandenen Farbtafeln im Laufe der 1970er Jahre zu immer größeren Rasterbildern gesteigert hat und ebenfalls die genaue Menge der Rasterfelder im Titel anführt, wie im quadratischen Bild 1024 Farben von 1973, soll hier mit jedem individuellen Ton die größtmögliche industriell erzeugte Farbauswahl genutzt werden – ungeachtet der Wahrnehmbarkeit ihrer Differenzen. 17 Close zit. nach Varnedoe, Kirk (Hg.): Artist’s Choice: Chuck Close, Head-On/The Modern Portrait, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1991, New York 1991, S. 7; vgl. Shiff 2000, S. 46, wonach Malerei und Fotografie bei Close zwei „raster mediums“ darstellen, deren wesentlicher Unterschied im Herstellungsprozess liege. 18 Hierfür hat Close tausende Töne zusammengetragen, um möglichst viele Einzelwerte für die kontinuierlichen Farbverläufe in der Fotovorlage zu erhalten, vgl. Kern 1979, S. 10.

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Wurden zuvor die Grauwerte akkumulativ aus einem Element hergestellt, schafft Close nun die Differenzierung aus der flächigen Addition verschiedenster Farbwerte. Zur Gleichmäßigkeit der Rasterbilder kommt eine weitere Diversifizierung, die von einer neuen Materialität begleitet wird. Erstmals seit Ende der 1960er Jahre kommt Close im Pastellbild wieder auf eine malerische Weise in Berührung mit dem Bildträger. Der Kontakt mit den Pastellen schlägt sich sofort in der Oberfläche nieder, wo der Farbauftrag nicht mehr wie in den Tusche- und Bleistiftzeichnungen technisch kaschiert wird, sondern sich in satten, weichen Flecken äußert. Ihre warme Farbigkeit, Haptik und unregelmäßige Form konterkariert das kühle, rationale Raster, das sie in ihrer Rolle als Farbcodes ausweist. Diese Spannung überträgt sich auf Closes Vergleich mit „handmade pixels“19 in den Papiermasse-Collagen, zu denen Self-Portrait/Manipulated gehört. Hier wird zwar jedem Bildelement ein spezifischer Farbwert zugeteilt, doch die malerische Struktur verdeutlicht einen ganz anderen Arbeitsvorgang: Die ‚Pixelmatrix‘ ist das Ergebnis eines langen handwerklichen und visuellen Differenzierungsprozesses, der mehr von Intuition und Ungenauigkeit geprägt ist als die technische Struktur vermuten lässt.

2.2.2 SCHRAFFUR Von 1977 stammt die bis dato größte Radierung Self-Portrait (Abb. 37, 90 a), die er in mehrmonatiger Arbeit hergestellt hat und der mehrere technisch unterschiedliche Selbstbildnisse nach derselben Maquette vorausgegangen sind, darunter ein per Airbrush hergestelltes großes Aquarell (Abb. 36). Es zeigt Close mit Vollbart und runder Hornbrille in einem dunklen Hemd vor hellem Grund. Der halb geöffnete Mund und das leicht erhobene Gesicht geben seinem Blick in die Kamera einen kontemplativen, erwartungsvollen Ausdruck. Das von beiden Seiten sanft einfallende Licht wirft weiche Schatten und modelliert den mit zunehmendem Haarausfall hervorgehobenen Stirn- und Schädelbereich in zahlreichen Nuancen. Akzentuiert wird das vom dunklen Bart und Hemd dominierte Porträt durch den Schatten des Brillengestells, der das rechte Auge durchschneidet und einen Bogen bis zum Nasenflügel zieht. Im Kontrast zur extrem weichen Umrandung des Gesichts durch den ausgedünnten Haarkranz treten der gekräuselte Bart und der Bereich von Augen und Brille verschärft hervor. Nach der Foto-Maquette, die selbst eine künstlerische Arbeit darstellt, sind neben diesem Aquarell noch mehrere monochrome Papierarbeiten, eine Punktzeichnung mit Pastell auf grauem Papier (1977), eine Tinten- und Bleistiftzeichnung im Stil der kleinen dot drawings (1975) sowie zwei Tintenzeichnungen entstanden, die eine identische Rasterdichte (66 x 48), aber unterschiedliche Bildgrößen besitzen, was im Titel als Self-Portrait/6x1 und Self-Portrait/8x1 für 6 bzw. 8 Kästchen pro Zoll angegeben wird. Die beiden Blätter sind mit sauber gezeichneten Querstrichen ausgeführt, deren Anzahl pro Kästchen den jeweils gewünschten Dunkelheitswert erzeugt, so dass die Fotografie aus isolierten Bausteinen mit einer gestaffelten Schraffurdichte rekonstruiert wird.

19 Vgl. Grynsztejn 2005, S. 114. Diese assoziiert seine Bilder mit frühen niedrigauflösenden Computergrafiken, betont aber weitaus stärker die Parallele zur Drucktechnik.

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Für die Radierung Self-Portrait, die er wie Keith/Mezzotint auch bei der Crown Point Press hergestellt hat, überzieht Close die Maquette mit einem dichteren nummerierten Raster aus 90 x 71 ganzen Kästchen (Abb. 89). Sie ist spiegelverkehrt, damit der Druck wieder das korrekte Seitenverhältnis zeigt, wobei das Raster dort mit 179 x 142 Kästchen doppelt so dicht ist.20 Im Vergleich zum kurz zuvor entstandenen großen Aquarell wird der Quantensprung von der luziden Glätte der Fotomalerei zur systematischen Schraffurzeichnung deutlich. In Keith/Mezzotint dominiert noch die Einheit und Kontinuität des Fotoporträts über die feinen Disruptionen des Rasters, doch nun wird die fotografische Visualität in der Schraffur-Radierung durch die Zeichenstrategie völlig überschrieben – das Bild besteht nur aus einem Rasternetz und zarten Linien, die der Spitze der Radiernadel entsprechend gleich dünn sind und als Querstriche in jedem Kästchen von links oben nach rechts unten verlaufen, in einer drucktechnischen Verkehrung ihrer Zeichenrichtung. Töne entstehen durch den Wechsel der Länge und Dichte der Querstriche, während eine subtil wallende Bewegung durch unterschiedliche Neigungswinkel der Striche suggeriert wird, was sich auch schon innerhalb eines einzigen Kästchens verschieben kann (Abb. 90 b). Das simple Prinzip aus klar definierten Bildzeichen, welches sich in den Punkt- und Kästchenbildern angekündigt hat und nun in Form der grafischen Linie eine Zuspitzung erfährt, schafft eine erstaunlich differenzierte Palette – vom einzelnen Strich pro Kästchen im weißen Hintergrund bis zu den dichtesten Schraffuren an Bart, Brille und Hemd, wo Linien zu geschwärzten Blöcken verschmelzen, ist jede Nuance vorhanden, um das tonale Spektrum in abstrahierte Zeichen-Äquivalenzen zu übersetzen.21 Die Idee der Übertragung wird beim 1976 entstandenen Phil/Rubberstamp (Abb. 91 a-b) noch deutlicher. Der wesentlich kleinere Gummidruck nach derselben Vorlage des Airbrush-Porträts Phil von 1969 erscheint im quadratischen Format des Papierbogens wie ein kompakter Block, dessen Form durch die obere und seitliche Beschriftung der Koordinatenachsen von A bis V und 1 bis 28 zusätzlich betont wird. Das handliche Format und die scheinbar beiläufig eingetragene Beschriftung geben der Arbeit den Charakter einer Notiz. Die Buchstaben und Zahlen erweitern die gegenständliche Mimesis des Schraffurmusters, indem sie die technische Systematik dahinter offenlegen. Die ikonische Nachbildung der Fotovorlage entsteht hier durch den präzisen Eintrag von Werten in eine Tabelle bzw. ein Koordinatensystem. Mit den flüchtig eingezeichneten Querstrichen, deren Abstände und Längen unregelmäßig sind oder gar Bildränder und Kästchen überschneiden, wird die Zeichnung zu einem handschriftlich gekritzelten Schreibvorgang. Durch das begrenzte Spektrum der Schraffurwerte und die Unregelmäßigkeiten in der Strichstärke und -dichte erhält das Bild mehr Kontrastreichtum und eine flirrend-nervöse Lebendigkeit. Sein Notizcharakter verdeutlicht weiter Closes Methode der ‚nackten‘ Linie: Das zeichnerische Darstellungsmittel wird zum funktionalen Code-Element, mit dem jeder Koordinatenpunkt zu beschriften ist: Die ästhetisch wahrgenommenen graduellen Grauwerte 20 Die minimale Abweichung erklärt sich daraus, dass Close die 90. Zeile nachträglich mit Klebeband zu 89,5 Zeilen angeschnitten hat. 21 Zu Bildidee und Herstellungsprozess siehe Close zit. nach Sultan 2014, S. 47. Zur Entwicklung von „Entsprechungssystemen“ anstelle der Abbildungsfunktion vgl. Kern 1979, S. 1819.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 209

in der Fotografie werden in abstrakte Zeichenwerte übersetzt, die von der Leerstelle über die einzelne, doppelte und dreifache Linie bis zum dicht-schwarzen Schraffurbündel reichen. Mehr als bei der Radierung Self-Portrait lässt Close hier eine Spannung zwischen der systematischen Methode und handschriftlichen Willkür zu – er kehrt sie sogar hervor. Doch auch wenn keine technisch saubere Ausführung vorhanden ist, muss die zeichnerische Offenheit keineswegs der mathematischen Rationalität widersprechen. Denn gerade die schnell hingeworfene Handnotiz steht für eine wissenschaftlich-mathematische Entwurfsmethode, in der sich rasche, komplexe Gedankengänge in verkürzten Aufzeichnungen immaterieller Konzepte widerspiegeln. Wenn Close die Fotografie ins Raster überträgt, folgt er dabei genauo den ästhetischen Eindrücken seines Auges wie auch den logischen Gesetzen seines Zeichensystems, verbunden im versunkenen, getriebenen Arbeitsprozess des Schreibens im Denken bzw. im Sehen. Damit wäre Phil/Rubberstamp ein Prototyp, worin Close seine Schraffur-Methode 1:1 zum Koordinatensystem der Maquette entwickelt, was später in größeren SchraffurRadierungen wie Self-Portrait als eine saubere, systematische Darstellungsmethode zur Anwendung kommt. Closes Bildgenese aus art marks, bei der er mit abstrakten Zeichen einen ikonischen Gegenstand strukturell nachbildet, wird an der Schraffur am stringentesten formuliert. Stärker noch als die tonal differenzierten Punkte oder Kästchen steht der grafische Strich für ein zeichnerisches Einschreiben von Information in ein Koordinatenfeld oder eine Tabelle – die kurze Linie ist identisch mit dem Querstrich-Zeichen, ähnelt den Buchstaben ‚I‘ oder ‚l‘ und könnte auch die englisch geschriebene Zahl ‚1‘ sein, wie die Seitenbeschriftung in Phil/Rubberstamp zeigt.22 Vergleicht man die gegenstandsbezogenen ikonischen Zeichen von Haaren und Hautbereichen im großen Airbrush-Bild Phil (Abb. 71 a-d) mit den abstrakt kodierten Elementen des Schraffurmusters (Abb. 91 b), so erscheint derselbe Bruch der Bildmittel wie zwischen der fotomimetischen Aquarellversion und der Radierung von Self-Portrait von 1976-77 (Abb. 36-37). Hier kommt Close seiner Metapher der ‚visuellen Information‘ womöglich am nächsten, da sich der Gegenstand nur aus dem strukturellen Gefüge der Elementarzeichen phänomenal ableiten lässt und Details an der Figur entweder durch Fernsicht, durch vergleichendes Sehen zwischen verschiedenen Bildversionen oder anhand der Foto-Maquette ergänzt werden müssen. Die ikonische Verschlüsselung und Entschlüsselung vom Porträt zur Zeichenstruktur erfolgt über den Wechsel von Nah und Fern – das Erkennen des Codes hingegen verläuft umgekehrt: Ästhetisch wird auf den ersten Blick der ikonische Inhalt des Porträts erfasst und erst bei näherer Betrachtung sein systematischer Aufbau begriffen, so dass die Binnendifferenzen der abstrakten Zeichen und die Methodik des Künstlers erst im lesenden Betrachtungsvorgang allmählich nachvollzogen werden. Erneut lassen sich Analogien zum digitalen Bild finden, jetzt nicht nur in Form von Pixeln oder Bildpunkten, sondern auch im Transformationsprozess der Digitalisierung: Ein analoges Bild wird ins Digitale überführt, indem es in eine numerische Form gebracht wird, bei dem eine Zahl jeweils ein Pixel in der Bildmatrix beschreibt. 22 Zu den Bedeutungsebenen des Querstrichs und seiner formalen Gestaltung siehe Lüdeking, Karlheinz: Bildlinie / Schriftlinie, in: Busch, Werner u. a. (Hg.): Randgänge der Zeichnung, München 2007, S. 13-27.

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Die Zahl selbst kann aus einer Ziffer, einem Ziffernpaar oder einer -folge bestehen, was das digitale Bild zu einem Zahlenfeld aus den binären Ziffern 1 und 0 macht.23 Die Umwandlung teilt sich in zwei Abschnitte aus Abtastung (sampling) und Quantisierung (quantization) auf: Bei der Abtastung werden aus dem Kontinuum der analogen Bilderscheinung in regelmäßigen Abständen Signalwerte gesammelt, wobei diese Abstände von der Dichte des Bildrasters und damit der Menge der Bildpunkte abhängen, was der Auflösung des digitalen Bildes entspricht. Die eingelesenen analogen Signale werden in diskrete Einheiten (Pixel) umgewandelt, die quantisiert und somit in eine digitale Form gebracht werden, indem ihnen eine Zahl aus einer begrenzten Zahlenmenge zugeordnet wird.24 Manovich sieht den wesentlichen Unterschied zwischen „modernen Medien“ wie der analogen Fotografie und mathematisch beschreibbaren „neuen Medien“ darin, dass im Falle der fotografischen Reproduktion die reprotechnischen Rasterpunkte im Halbtonprozess zwar diskrete Elemente seien, diese aber nicht quantisiert, also numerisch dargestellt, vorliegen.25 Trotz ihrer technischen Aufrasterung sind diese Punkte für sich genommen noch kontinuierliche Formen. Die Wende findet erst mit der Digitalisierung und dem Umschreibprozess der Bildinformation in numerische Information statt. Die Verschränkung von analogen und digitalen Prinzipien lässt sich bei Close anschaulich nachvollziehen: Seine Kästchen- und Punktelemente sind formal betrachtet diskrete Bildpunkte, haben aber jedes für sich eine kontinuierliche, komplexe Form. Sie folgen einem mechanischen Prinzip, auch wenn sie tatsächlich die Unregelmäßigkeiten von Hand und Zeichenmaterial aufweisen, und stellen analoge Bildbausteine wie die reprotechnischen Rasterpunkte dar. Doch ihre Größe und Abstände variieren nicht wie im Halbtondruck – im ‚Continuous Tone‘ der Airbrush-Malerei verschwindet das Diskrete sogar gänzlich – sondern folgen als nahezu gleich große Elemente den homogenen Feldern der Bildmatrix. Bei der Schraffurzeichnung werden diese Felder allerdings anders ausgefüllt: Statt eine formale Einheit wie einen Punkt oder ein Kästchen einzufügen, werden die bisher kontinuierlichen tonalen Abstufungen nun quantifiziert durch die Menge der Striche, die einzeln, gebündelt oder als Knäuel eingetragen werden. Close wendet sie wie bei einer grafischen Schraffur an, um Dunkelwerte zu erzeugen – dennoch lassen sich die Linien auch als eine Art Schrift oder Äquivalent zu eingetragenen Ziffern begreifen, zumal sie eine bestimmte Anzahl an Kombinationen aufweisen, die in der Rolle ‚kodierter‘ tonaler Werte auftreten. Zwar lässt sich die Grauskala der so umgeschriebenen Zeichnung nicht in 1 und 0 darstellen, dafür aber werden ihre Werte durch Querstriche und Zwischenräume pro Bildpunkt verzeichnet. Das Gefälle von Schwarz und Weiß, Leere und Fülle in jedem Rasterfeld ließe sich als zeichnerisch23 Vgl. Weibel, Peter: Zur Geschichte und Ästhetik des digitalen Bildes, in: Hemken, Kai-Uwe (Hg.): Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik, Köln 2000, S. 206-221, hier S. 207. 24 Vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, Cambridge/Massachusetts 2001, S. 27-28. 25 Vgl. ebd, S. 28. Manovich unterscheidet zur Definition von „neuen Medien“ zwischen drei Aspekten, die im Begriff „digital“ zusammengefasst werden: Die Analog-Digital-Umsetzung oder Digitalisierung, der Darstellungscode (representational code) und die numerische Darstellung (numerical representation) bezeichnen unterschiedliche Formen des Digitalen – entscheidend ist jedoch die numerische Darstellung, wodurch Informationen zu Computerdaten umgewandelt und damit programmierbar werden, vgl. ebd., S. 52.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 211

analoge Paraphrase eines binären Codes auffassen, wobei das Negativ-Positiv-Prinzip ebenfalls zum Wesen der Druckgrafik wie auch der Fotografie gehört, was Close durch Umkehrungen wiederholt ausgereizt hat. Nach ihrem konzeptuell definierten Status als Bildzeichen sind die Schraffurstriche gleichwertig und wiederholbar, selbst wenn die konkrete Ausführung zahllose Abweichungen enthält. Statt der getrennten Sphären von Bilderscheinung und zugrundeliegendem Programm nach dem tatsächlichen digitalen Prinzip kommt bei Close die ikonische Wiedergabe eben durch die eingeschriebene Struktur zustande – seine quasi-digitale Schriftzeichnung besteht aus ikonischen Zeichen. Um mit Peirce zu sprechen: Die Masse der rein ikonischen (degenerierten) Bildzeichen wird in der Summe zum Hypoikon, einem gegenständlichen Abbild.26

2.2.3 FINGERABDRUCK Unter den von Close eingesetzten Bildzeichen stellt der Fingerabdruck eine Sonderform dar, sowohl aufgrund seiner unregelmäßigen Gestalt und Wandlungsfähigkeit als auch der symbolischen Implikationen, die mit diesem Körperabdruck verbunden sind. Die Arbeiten auf Papier und Leinwand tragen jeweils die Bezeichnung Fingerprint oder Fingerpainting hinter dem Porträtnamen, wobei Fingerprint bei den Papierarbeiten deutlich auf die mediale Parallele zwischen Abdruck und Druckgrafik (print) verweist – diese Analogie gilt umso mehr für die zahlreichen ab 1981 hergestellten Editionen von Offset-Lithografien und nach Fingerabdruck-Arbeiten angefertigten Radierungen.27 Bei den Bildern auf Leinwand ruft der Begriff Fingerpainting hingegen Assoziationen mit einem haptisch-direkten Farbauftrag wach, die von Praktiken der Kunsttherapie bis zur Art Brut reichen können. Anstelle einer expressiven Gestik aber führt Close eine extrem kontrollierte und differenzierte Technik vor: Mit dem Zeigefinger und Daumen der rechten Hand trägt er schwarze Stempelfarbe (für monochrome Bilder) und Tusche auf Ölbasis oder Ölfarbe (für farbige Bilder) auf, um aus der massenhaften Überlagerung der Abdrücke ein Porträt sukzessiv entstehen zu lassen (Abb. 84 b). Fingerprint oder -painting erweist sich bei ihm als eine technische Kategorie, bei der sein Finger als Werkzeug in einem grafischen bzw. druckgrafischen Verfahren dient. In der Zeit zwischen 1978 und 1986 entwickelten die Fingerabdruck-Arbeiten eine zunehmende Autonomie und technische Raffinesse.28 Close entfernte sich schrittweise vom abstrahierenden Rasterschema und schuf immer dichtere Strukturen, über die er erneut zur detaillierten Mimesis der Fotografie zurückkehrte. Wiederaufgegriffene Vorlagen von Phil und Keith sowie farbige Bilder wie Mark und John, aber auch 26 Vgl. Nöth/Santaella 2000, S. 360-361. 27 Erste Offset-Lithografien entstanden 1981 bei Vermillion Editions/Minneapolis, publiziert von Pace Editions/New York, vgl. Sultan 2014, S. 9. Weitere Radierungen mit Fotogravur oder Direktgravur entstanden 1984-1986 nach Porträts von Georgia, Emily, Marta, Leslie und John (u. a. in der Sammlung der National Gallery of Art, Washington, D.C.). 28 Der Beginn der Fingerabdruck-Arbeiten wird unterschiedlich datiert, die Literatur gibt das Jahr 1978 an (Finch 20101, S. 113; Storr 1987, S. 34), das MoMA-Archiv aber 1977, Quelle: Chuck Close Artist File im MoMA-Archiv/PDSC, New York.

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eine Reihe neuer Porträts – viele von Familienmitgliedern – zeigen eine andere Form der Auseinandersetzung mit dem Foto, ohne dessen Struktur der bisherigen analytischen Abstraktion im modularen Raster zu unterwerfen. Vielmehr wird die visuelle Erscheinung der Vorlage hierbei kopiert, nun nicht mehr mit dem duktuslosen, immateriellen Airbrush, sondern mit einem entgegengesetzten Werkzeug – dem Finger und seiner unmittelbaren Berührung. In den ersten Versuchen auf Papier von 1978, welche die Motive Keith und Robert zeigen, setzt Close Abdrücke in unterschiedlichen Grautönen mit seiner Fingerspitze in die Rasterfelder, so dass ähnlich abstrakte Bildmuster entstehen wie in den vorherigen Werkgruppen, mit dem Unterschied, dass die tonalen Abstufungen abrupter erscheinen und die unregelmäßigen Flecken häufiger die Rasterlinien überschreiten. Der nahtlose Übergang von Punkt- und Kästchenzeichnungen zu Fingerabdrücken lässt sich an zwei Bildern aus Keith/Six Drawing Series (Abb. 96 a-f) ablesen, die einmal aus runden Abdrücken bestehen und einmal aus grauen Quadraten, wo die Stempelfarbe des Fingerabdrucks vermalt wurde. In dieser hybriden Technik ist auch eine Reihe von Phil-Porträts nach der Vorlage von 1969 entstanden, von denen die ersten von 1978 stammenden Arbeiten ebenfalls aufgedrückte Punkte in Rasterformation aufweisen.29 Danach jedoch lösen sie sich in zwei von 1979-80 angefertigten Versionen von Phil Fingerprint/Random (Abb. 93) wieder von der Rasterstruktur und entwickeln in unterschiedlichen Größendimensionen eine dynamische Bildsprache, abgeleitet allein aus dem Element des Fingerabdrucks. Vergleichbar mit den Stufen der Zeichenverdichtung und Formatverschiebung, die bei den Punkt- und Kästchenbildern zu beobachten sind, wird in den Phil-Arbeiten die Frage der Bildinformation erneut ausgelotet, ohne aber am Rastergitter nachvollziehbar zu sein. Mit 236,2 x 175,3 cm ist Phil/Fingerprint von 1980 (Abb. 92) die größte Papierarbeit und überbietet sogar Closes große Aquarelle. Das Porträt füllt den hochkant gelegten Papierbogen zu etwa achtzig Prozent, wobei die Leerfläche des Hintergrunds in der Fotovorlage unbearbeitet bleibt und mit dem Randbereich des Papiers verschmilzt. Unten zeichnet sich hingegen das dunkle Hemd deutlich vom hellen Bildträger ab, auf dem das Porträt etwas nach oben versetzt ist, wie um Platz für eine Signatur oder Beschriftung zu lassen. Mittig unterhalb der Figur und leicht nach links verschoben ist ein einziger nach rechts geneigter Fingerabdruck sichtbar, der Form nach wohl der Daumen, womit Close sowohl eine Legende für das einzige Bildzeichen als auch seine Künstlersignatur unter das Werk setzt. Dieses Detail findet sich nicht bei den anderen Phil/Fingerprint-Arbeiten, dafür vereinzelt an farbigen Bildern wie John/Progression von 1983. Das Porträt präsentiert ein Gewirr aus ovalen Flecken, teils aus transparenten Formen mit dunklen Rändern, teils aus satten grauschwarzen Punkten, die sich zu opaken Flächen verdichten, in hauchdünne Spuren auflösen oder zu verdrehten Wirbeln aus angespitzten, schräg gelegten, punktuellen Abdrücken bündeln. Ihre unberechenbare Beweglichkeit und Formbarkeit erlaubt es, mit vielfältigen Nuancen eine plastische Figur ohne jegliche Zeichnung und Kontur herzustellen. Punktreihen von gleichbleibender oder gestaffelter Größe und Tonalität umranden die Figur und bil29 Phil/Fingerprint und Phil/Fingerprint II, beide 1978, Stempelfarbe und Bleistift auf Papier, 76,2 x 56,5 cm, Privatsammlung u. Whitney Museum of American Art, New York, vgl. Lyons/ Storr 1987, S. 96.

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den ihre Binnenformen wie etwa an Hals und Ohren. Genauso formen sich Ketten aus Abdrücken zu Haarlocken und Hautfalten. Die im großen Airbrush-Porträt Phil so bemerkenswerte Mikrozeichnung wird hier durch ein homogenes Fleckenmuster ersetzt, dessen ‚Mikrozeichnung‘ aus den Papillarlinien des Fingerabdrucks selbst besteht. Eine Fülle von Strukturen und Zwischentönen ergibt sich außerdem aus der Überlagerung unterschiedlich stark gesättigter Abdrücke, was vor allem in dunklen Bildbereichen zutage tritt. Während die hellen Partien an Gesicht und Hals aufgrund der klaren, trockenen Abdrücke fein zeichnerisch modelliert sind, wirken die tief eingefärbten Grauzonen an Haaren, Hals und Hemd wie malerisch laviert. Als dynamische Wolke materialisieren sich die losen Bildzeichen zum bereits bekannten Porträtkopf, dessen einst fixierte fotografische Oberfläche jetzt von einer transitorischen Offenheit geprägt ist. Die Fingerabdruck-Arbeiten bleiben trotz ihrer aufgelösten Form der Vorlage treu, wie an der zunehmenden Detailfülle und Differenzierung mit einer schrittweisen Vergrößerung der Formate in der Phil-Serie erkennbar wird. Dies legt eine strenge Übertragungsmethode nahe. Zwar ist das Koordinatennetz nicht mehr sichtbar, doch bleibt es ein impliziter Bestandteil des Arbeitsprozesses: Close projiziert zunächst die Vorlage auf die Bildfläche, markiert darin die wichtigsten Punkte („key points“) an der Figur – ca. 24 Punkte für ein durchschnittliches Format und entsprechend mehr für ein Großformat – und verbindet diese schließlich („joining the dots“), während er nach Augenmaß die Details einarbeitet.30 Anhand dieser Schlüsselkoordinaten hat Close genügend Orientierungspunkte, ohne durchgehend ‚blind‘ einer Projektion zu folgen. Dies erlaubt eine feinere Differenzierungsarbeit, weil er das Gesehene erst bewusst wahrnehmen und dann in ein entsprechendes Zeichenverhältnis ins Bild setzen kann. Das Ergebnis erscheint sowohl abstrakter als auch lebendiger, wobei der Eindruck improvisatorischer Freiheit im Dschungel der Binnenformen im Spannungsverhältnis zur technisch gewissenhaften Umsetzung der Vorlage steht. Die implizite Nähe zur grafischen Reproduktion, die bereits vom Passepartout des Bildrands suggeriert wird, erfährt eine Verstärkung durch die Stempelfarbe, die das Material einer redundanten wie profan-bürokratischen Form repräsentiert. Mit dem Stempel verbindet sich sowohl die trockene Sachlichkeit als auch die Singularität einer dokumentarischen Beglaubigung und Kennzeichnung. Während Close mit aller Vorsicht eine irreversible und schwer retuschierbare Bildstruktur bearbeitet, entfaltet er in diesem langsamen Aufbauprozess aus singulären Zeichen eine beinahe gestische Freiheit. Die nach allen Seiten gedrehten und gerollten Abdrücke desselben Fingers in variierender Stärke und Tönung demonstrieren einmal mehr, welche Vielfalt mit einem simplen Werkzeug erreicht werden kann. Viel stärker als in den fotomimetischen Airbrush-Bildern oder den kontrolliert abstrahierten Rasterzeichnungen evoziert Close hierbei eine Expressivität der Binnenstruktur – sie zeigt sich nicht nur bei Nahsicht, sondern überzieht das gesamte Bild mit einer flirrenden Beweglichkeit, deren Improvisationscharakter besonders im pointillistischen Duktus und in der

30 Vgl. Finch 20101, S. 118.

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losen Struktur farbiger Fingerabdruck-Arbeiten wie John/Fingerpainting zur Geltung kommt (Abb. 94).31 Nachdem Close mit den ersten Pastellarbeiten den materiellen Kontakt zur Bildfläche wiederhergestellt und über Bleistift, Radiernadel und Aquarellpinsel ausgeweitet hat, gewinnt der Körperkontakt in diesen Arbeiten einen neuen Stellenwert. Im Gegensatz zur stofflich-opaken Pastellfarbe, säuberlichen Zeichnung oder Tuscheschicht erzeugen die Fingerabdrücke dank des dünnen Farbauftrags eine leichte, beinahe körperlose Bildoberfläche, obwohl sie eben aus dem direkten Körperkontakt resultieren und ihn als Abdruck repräsentieren. Die Stofflichkeit der Berührung steht wiederum der schwebenden Körperlosigkeit der Airbrush-Pistole gegenüber, mit dem Close zuvor dieselben Vorlagen bearbeitet hat. Diese Wende vom Virtuell-Körperlosen ins Haptisch-Körperliche wirft die Frage auf, ob die neue Technik als intimer und persönlicher gelten kann und damit dem objektiv-distanzierten Bildprogramm widerspricht. Nirgends wird diese Spannung so deutlich wie in Fanny/Fingerpainting von 1985 (Abb. 95 a), einem Porträt der Großmutter von Closes damaliger Frau Leslie. Die über 2,50 m hohe Leinwand allein verschafft dem Bild eine enorme räumliche Präsenz, doch unterscheidet es sich auf Anhieb von den früheren Airbrush-Großformaten durch das Modell: Trotz der Orientierung am ‚gleichgültigen‘ Passbild, das für alle Modelle gelten sollte, hat Close nie zuvor eine so alte Person porträtiert. Fanny kann nur schwer als anonyme alte Frau akzeptiert werden – die Ikonografie des alten, vom Leben gezeichneten Gesichts im Schwarzweißbild lässt unwillkürlich an die dokumentarische Fototradition denken, auch wenn Bilder wie die von Paul Strand oder Dorothea Lange die Person in einen realen Kontext einbetten. Die Neutralität der Studiosituation bei Close schafft in diesem Fall aber weniger eine objektive Distanz als vielmehr eine eindringliche Fokussierung auf das Gesicht und den Ausdruck der alten Frau. Von ‚neutraler‘ Miene kann kaum die Rede sein, da der Blick aus den wässrigen Augen über dem zu einem milden Lächeln verzogenen Mund freundliche Vertrautheit suggeriert. Mit ihrem leicht vorgereckten Kinn vermittelt sie eine aufmerksame Offenheit und Ruhe, was von Autoren gern als ‚Würde des Alters‘ beschrieben wird. Charakter und Emotionalität, gelebtes Leben und familiäre Nähe kommen hier, wie es heißt, in einer nie gewesenen Intensität zum Ausdruck, wo Close zuvor nur eine „implizite Intimität“ zugelassen hat.32 Der persönliche Ton dieses Werks, gesteigert durch die Hintergrundinformation, dass Fanny eine Holocaust-Überlebende ist, die ihre Familie im Krieg verloren hat, kommt vor allem durch die Technik dieser Arbeit zustande: Closes Fingerabdruck stellt eine direkte Berührung von realer Haut auf virtueller Haut dar, um im Eigenabdruck die fremde Haut abzubilden. Der scheinbaren Nähe und Wärme des Porträts geht zunächst die tatsächliche Körpernähe des weichen, warmen Fingerabdrucks auf der Leinwand voraus, womit der Maler eigenhändig jede Hautfalte und Haarlocke nachgezeichnet hat. In viermonatiger Arbeit hat Close seine im Verhältnis zum Bild31 Die farbigen Fingerpaintings entstehen ebenfalls aus separierten Überlagerungen von Magenta, Cyan und Gelb. Wie sehr die Farben ‚springen‘ und als vereinzelte Punkte hervortreten, ist je nach Werk verschieden, zu den homogeneren Arbeiten zählt Leslie/Fingerpainting (Abb. 84 a). 32 Ebd., S. 119; vgl. Engberg 2005, S. 123; Lyons 1987, S. 39-40.

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träger winzigen Fingerabdrücke in dichten Wolken von Hellgrau bis Schwarz aufgeschichtet. Sei es die experimentelle Freiheit seines ersten großformatigen Fingerpainting-Porträts auf Leinwand oder die strukturelle Vielfalt der runzligen Hauttextur – das Bild demonstriert trotz mimetischer Treue besonders aus der Nähe eine überraschende Wandelbarkeit (Abb. 95 b-c). So stellen die transparenten Verwischungen an der Kleidung ruhige Flächen her, während einige Hautbereiche an den Wangen von einem körnigen ‚Schnee‘ aus porösen Unebenheiten in der Grundierung überzogen sind. Hingegen erscheinen Schatten und unfokussierte Bereiche aus der Vorlage als weiche nebulöse Gebilde, während an fokussierten Bereichen jeder Fingerabdruck einzeln zu erkennen ist, wie auch die Papillarlinien von Closes Finger die Mikrostruktur der alternden Haut unmittelbar und deckungsgleich repräsentieren. Zeigten die ersten Papierarbeiten noch die Systematik dieser Technik auf, so führt Fanny ihr ganzes virtuoses Potenzial auf allen Darstellungsebenen vor Augen. Während der Fingerabdruck anfangs wie ein Stempel als einheitliches, unveränderliches Werkzeug eingeführt wurde, offenbart er nun eine Fülle von Formen, Größen und Tonalitäten allein durch die Variationen in der Abdruckbreite, -neigung und -stärke. Hinzu kommt, dass Close kleine Lichtflecken und Konturen ausradiert, um die dichten Fleckengebilde aufzulockern, Muster und Formen hervorzuheben und eine diffus schimmernde Mikrostruktur zu erzeugen. Obwohl das Werk durch und durch von Materialität bestimmt wird, ist diese nicht ohne Ambivalenz. In der fotografischen Detailfülle, die sich dem Blick zunächst bietet, erscheinen Haut, Haare und Stoff der Figur greifbar in ihrer jeweiligen Stofflichkeit. Alle Spuren des Alterungsprozesses sind dargelegt bis hin zur Einsenkung der erschlafften Haut an der Kehle, die wie eine Wunde auffällig im Bild klafft. Wenige Schritte vor der Leinwand zeigt sich, wie die weiche, gefurchte Topographie des Gesichts, das man glaubt berühren zu können, durch reale Berührungen des Fingers technisch zustande gekommen ist. Im nächsten Schritt löst sich schon die stoffliche Darstellung auf, wenn die Fingerabdrücke in ihrer Singularität und Masse hervortreten und ihre Eigenstruktur gestochen scharf bis verschwindend blass sichtbar werden. Die Papillarlinien ähneln dabei den geschwungenen Parallelschraffuren einer Kaltnadelradierung, deren Feinzeichnung eine gegenstandsunabhängige Mikroebene eröffnet. Wo sich die Körperlichkeit des Modells auflöst, erscheint die Körperlichkeit des Künstlers. Die bezwingende Haptik der Hautdarstellung durch Hautabdrücke lässt den visuellen fotografischen Realismus der Airbrush-Bilder vergessen. An ihre Stelle tritt die vera icon des Fingerabdrucks. Jene Faszination, die den Betrachter immer näher an das Bild zieht, gilt nicht mehr nur dem Wie der technischen Umsetzung, was die Nahbetrachtung seiner Airbrush-Porträts zur Spurensuche macht, sondern dem Was des Darstellungsmittels: Die Körperpräsenz des Autors (Fingerabdrücke) produziert die ikonische Präsenz des Modells (Haut). Zusammen mit dem raumgreifenden Format und dem frontalen Blick aus dem Bild erhält Fanny so eine von virtueller Distanz und materieller Distanzlosigkeit geprägte Auratizität. Wenn das eigenhändige Nachzeichnen vertrauter Gesichtszüge einer zärtlichen Berührung gleichen soll, dann muss die virtuose Anwendung des Fingers als Werkzeug („merely another tool“) umso mehr betont werden.33 Die pragmatische Geschick33 Zur Emotionalität vgl. Finch 20101, S. 119-120; zur Technik vgl. Engberg 2005, S. 123.

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lichkeit, mit der Close Strukturen entwickelt, aufbaut und verändert, spricht für eine durchgehend reflektierte und distanzierte Arbeitsweise. Wie das Mezzotinto-Messer oder die Radiernadel strukturschaffende Instrumente sind, wird auch der Fingerabdruck bei Close primär als vorgegebene ‚natürliche‘ Form eingesetzt, die eine maximale Differenzierung und lebhafte Improvisation erlaubt, ohne den formalen Rahmen seiner technischen Methodik aufzuheben. Die Systematik, mit der die Phil-Serie das Verhältnis zwischen Werkzeug und Format über die Verschiebungen von Größe und Dichte durchspielt, die technische Parallele zur Druckgrafik durch den Einsatz von Fingerspitzen und -kuppen als Zeichen- bzw. Druckinstrument und schließlich deren im Porträt Fanny vorgeführte Ausdrucksvielfalt – all das weist den Fingerabdruck bei Close als hochdifferenzierte mechanische Bildtechnik aus. Der lange Arbeitsprozess gleicht ähnlich den Punkt- und Kästchenarbeiten dem Bau eines Mosaiks, während die wohldosierte Aufschichtung wiederholter Zeichen an die punktuelle Sprühtechnik von Robert/104.072 anknüpft. Und doch zeigen die zwischen Intimität und Formalismus schwankenden Lesarten dieser Werkgruppe, dass Close mit der historisch und semiotisch vorgeprägten Form des Fingerabdrucks eine komplexe inhaltliche Ebene eingeführt hat. Der Mehrwert des Zeichenmittels samt seiner emotionalen Implikationen erzeugt Sinnüberlagerungen im Bild, die sein formalistisches Programm aufweichen oder erweitern. Mit dem im Kontext der Fototheorie diskutierten Index-Begriff wird schon bei Peirce das Zeigen der Hand bzw. der index finger (engl. „Zeigefinger“) assoziiert.34 Close hinterlässt mit seinem index finger und Daumen einen körperlichen Abdruck, der eine indexikalische Spur im Bild darstellt wie eine Fährte für den lesenden Betrachter (als Jäger) – zugleich aber auch eine unendlich wiederholte, einfachste und prägnanteste Signatur, als Ersatz der geschriebenen Schrift, im Sinne eines Siegels oder eben Stempels.35 Der Einzelabdruck unterhalb des Porträts in Phil/Fingerprint betont diesen Aspekt der Künstlersignatur, die er im selben Zug zum technischen Darstellungsmittel erklärt. Dadurch wird die semiotische Ambivalenz des Fingerabdrucks angesprochen: Einerseits verweist er als unmittelbares ‚natürliches Zeichen‘ symptomatisch auf seinen physischen Urheber und dessen Aktion – Closes Arbeitsprozess liegt darin dokumentiert und kann zurückgefolgt werden – andererseits wird in diesem archaischen Zeichen pars pro toto der Mensch repräsentiert (ähnlich einem Fußabdruck), während es gleichzeitig eine symbolische Signatur des individuellen Autors ist.36 Neben der Repräsentation des Künstlers kann der Fingerabdruck aber auch – und vor allem – als singuläre Spur eines Individuums gelten, wie er als Gegenstand der Daktyloskopie seit ihrer Einführung durch Francis Galton zu kriminalistischen Zwe-

34 Siehe hierzu Sebeok, Thomas A.: Indexikalität, in: Wirth 2000, S. 90-111, hier S. 101; vgl. Krauss 20001, unter Erwähnung der zeigenden Hand in Duchamps Tu m’ (1918). 35 Vgl. Ginzburg 1995, S. 18-21, 45. Closes Scribble-Zeichnungen lassen sich wiederum als abstrakte Schriftbündel (scribble für engl. „Gekritzel“) deuten, worin eine weitere Überkreuzung von Schrift und Zeichnung erscheint. Der Einsatz von Hand- oder Fingerabdrücken als Bildzeichen hat Vorläufer bei Man Ray (Selbstbildnis mit Handabdruck, 1916), Saul Steinberg (Steinberg’s Passport, 1949) u. Piero Manzoni (Linker Daumenabdruck, 1960), vgl. Holsten 1978, S. 229-231. 36 Vgl. Sebeok 2000, S. 100.

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cken eingesetzt wird.37 Die Spur des Künstler-Täters nobilitiert das Bild durch dessen physische Präsenz, thematisiert aber durch ihre eigene Beschaffenheit den Körper und die Identität der Person. Wie in den von Close nachgeahmten Mugshots spiegelt sich darin der Zwiespalt der Polizeikartei zwischen statistischer Vereinheitlichung, systematischer Kontrolle und sachlichem Blick auf den Einzelnen wider. Vor dem Konzept des Polizeifotos wäre das Porträt aus Fingerabdrücken die direkte Kombination zweier Datensätze zur Person – ein kriminalistisches Kalligramm. Es erscheint tautologisch, dass der bekannte Autor seine Identität per Fingerabdruck tausendfach bestätigen soll. Umso mehr gälte das für Selbstporträts, da die Repräsentationsebenen aus Spur und Porträt von ein und derselben Person die Referenzialität des Bildes auf Kosten seines sachlich-distanzierten Konzepts enorm steigern würde.38 Die Fingerabdruck-Arbeiten bringen eine neue Spannung zwischen dem formalen Konzept und der Symbolkraft sowie Assoziationsbreite der Bildergebnisse mit sich. Close hält eine prekäre Balance, kann aber andererseits umso deutlicher am körpergebundenen Fingerabdruck seine konsequente technische Entwicklung eines abstrakten Bildmittels vorführen. Der funktionale Einsatz des Fingerabdrucks führt zu seiner Entpersönlichung, die ihn als diffus-abstrakte Stempelform für ein Kalligramm anderer Art auszeichnet: Unter den drei Formen der Ikonizität bei Peirce bezeichnet das ikonische Sinzeichen „ein Ikon, dessen Zeichenträger singulär oder individuell ist“, also in seinen Eigenqualitäten unwiederholbar und einzigartig, so wie ein abstrakter tache (frz. „Fleck“), der selbstreferenziell bleibt und zugleich „auf die Geste des Malers und den Moment der Produktion des Bildes“ oder als konzeptuelle Geste auf „die Spur der Singularität des Werkes“ verweist.39 So kann Closes Fingerabdruck als tache begriffen werden, der in dieser abstrakten Selbstbezüglichkeit einem reinen Ikon relativ nahekommt, wie zuvor die Zeichenelemente von Punkt, Kästchen und Schraffur. Er hat aber auch eine konstante singuläre Eigenform (in dem Maße wie die Singularität für Pinsel und Zeichenstift gelten kann), mit dem unzählige Einzelformen als Spuren des Prozesses erzeugt werden. Im Falle der Hautdarstellung steht der Fingerabdruck in einem besonderen hypoikonischen Verhältnis zum Bildgegenstand, da er hier – wenn man ihn nicht als Repräsentation von Closes Person liest – die physische Oberfläche des Porträtierten wiedergibt. Während die Fingerabdrücke einerseits als abstrakte ikonische Sinzeichen gelten können, baut Close andererseits mit ihnen einen Gegenstand in Form eines Kalligramms aus Hautstrukturen auf. Fasst man nun den Fingerabdruck als allgemeines Zeichen des menschlichen Körpers und seiner Oberflächenstruktur auf, so erhält man wieder ein tautologisches Bildmosaik, wo Haut durch Haut dargestellt wird. Close wollte sich mit der Zeichentechnik aus Punkten, Kästchen und Schraffuren von der gegenstandsorientierten Darstellung der Airbrush-Bilder verabschieden, in denen er ‚Haar-Zeichen‘ für Haare 37 Zur Geschichte und Methode der Daktyloskopie siehe Vec, Miloš: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879-1933), Baden-Baden 2002, S. 47-54; Ginzburg 1995, S. 44-47. 38 Von diesen hat Close bemerkenswerterweise nicht viele gemacht, zwei kleine Bilder sind publiziert in Engberg/Grynstejn 20051, Abb. 24-25, beide: Self-Portrait, 1980, Stempelfarbe auf Papier, 40 x 29,2 cm, Privatsammlungen in New York und Los Angeles. 39 Vgl. Nöth/Santaella 2000, S. 361-363; Nöth 2009, S. 244.

218 | 2 Auge, Hand, Verfahren – Closes Methoden der Bildherstellung

und ‚Haut-Zeichen‘ für Haut eingesetzt hatte – die technisch definierten Zeichen sollten stattdessen ein echtes durchgehendes Allover schaffen. Im Falle der Haut würde die Deckungsgleichheit von Darstellungsmittel und dargestelltem Gegenstand Closes Ansatz zuwiderlaufen, wären nicht sämtliche Bereiche im Bild aus demselben HautZeichen aufgebaut. Sein durchgehender Einsatz definiert den Fingerabdruck stattdessen funktional als bildtechnisches Element. Eine andere implizite Sinnebene liegt im indexikalischen Medium der Fotografie. Close hat bereits mit dem Airbrush malerische Analogien zur immateriellen Spur auf dem Bildträger erzeugt, indem er die körperlos-transparente Sprühschicht über den Malgrund verteilt und dabei in materieller Umkehrung des Lichtabdrucks ein Positivbild erschafft. Die opake Stofflichkeit tritt beim Fingerabdruck stärker in den Vordergrund, doch wie in der Lichtreflexion auf dem Fotofilm ist es auch hier der Körper, der seinen Abdruck im Bild hinterlässt. Didi-Huberman verweist auf die Verbindung des Abdrucks zu einem technischen Dispositiv, das Prägung und Reproduktion einschließt. Abgesehen von seiner technischen Natur im anthropologisch-archaischen Sinne steht der Abdruck für ein besonderes Verhältnis zwischen Körper und Bild, Original und Serialität, Singularität und Authentizität. Als körperlich gegebene Form sei es zudem etwas Nicht-Künstlerisches und Nicht-Handwerkliches – keine Kunst-Form, sondern ein „Readymade“, ähnlich dem einfachen Punkt oder der Linie bei Close.40 Als Verschränkung von Indexikalität und Reproduktion lässt sich der Closes Abdruck äquivalent zur Fotografie begreifen, wobei der index finger eine materialisierte Körperspur im direkten Kontakt erzeugt. Auch findet sich die von DidiHuberman erwähnte „Begegnung von Zufall und Technik“ in der „technischen Hypothese“ des Abdrucks, der trotz seiner gegebenen Form immer eine experimentelle, unkontrollierbare Offenheit birgt, was sich für Closes Verfahren als konstitutiv erweist.41

2.2.4 SKALIERUNG UND KONVERTIERUNG In den vorherigen Abschnitten ging es um das Spektrum der Bildsprachen, die Close in seinen Zeichnungen entwickelt. Sie alle haben das Ziel, das Motiv der Maquette durch ihre jeweiligen Bildzeichen im Rasternetz wiederzugeben. Und auch wo das Raster unsichtbar bleibt, besteht eine strukturelle Orientierung in der Bildfläche, so wie in den Fingerprints. Der ständige Wechsel der Bildsprachen und Größenverhältnisse bei gleichbleibenden Motiven ist eine methodische Konstante in Closes Arbeit, wie bereits zur Rolle der Serialität bei ihm und Warhol erwähnt wurde. In den Papierarbeiten tritt dieser Aspekt besonders deutlich zum Vorschein, da Close relativ spontan und fokussiert neue Ansätze durchspielen und formale Strategien weiterentwickeln kann, was er als „programming change“ mit anderen Bildzeichen („mark making“) beschreibt.42 Dabei sind die Formvariationen weder isolierte Anläufe noch zeigen sie ein evolutionäres Fortschreiten – vielmehr erscheint der unablässige Wandel als Selbstzweck, wenn viele Versionen des gleichen Motivs aufeinander verweisen 40 Vgl. Didi-Huberman 1999, S. 11-15. 41 Vgl. ebd., S. 17-18. 42 Vgl. Lyons 1980, S. 56; Engberg 2005, S. 120; Storr 1998, S. 42.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 219

oder verschiedene Motive durch verwandte Bildstrukturen verbunden werden. Aus dem Gewebe der formalen Variationen entsteht so ein langjährig systematisch entwickelter Werkzusammenhang. Für Close ist das Variieren ein epistemologischer Prozess, bei dem er mit jeder Umwandlung dem Bildmaterial der Vorlage neue Aspekte abgewinnt. Die Differenzen der Variationen werden vor allem mit Blick auf ihre gemeinsame Ausgangsbasis deutlich: „When I’ve changed working methodology or process, or material or approach, it’s sort of interesting to see what happens pumping that image through another approach [...]. In having something stay constant, you get to see how important the other changes are.“43 Mit jeder Größen- oder Strukturverschiebung entsteht ein anderes Bild wie durch einen Transformationsfilter, der dem Ausgangsbild aufgelegt wird. Close spricht von recycling – das Zusammenspiel aus Redundanz und Originalität setzt einen Bilddiskurs in Gang, worin alle Werkgruppen eingebunden werden. Anhand der technischen Begriffe Skalierung und Konvertierung soll diese Methodik an zwei Beispielen untersucht werden: Robert I-IV, einer vierteiligen Arbeit von 1974 (Abb. 87 a-d), und Keith/Six Drawings, einem Künstlerbuch von 1979, das Close aus einer sechsteiligen Serie von Papierarbeiten erstellt hat (Abb. 96 a-f, Abb. 97 a-b). Die Serie Robert I-IV zeigt vier Versionen desselben Porträtmotivs mit den gleichen Papiermaßen 76,2 x 55,9 cm, jedoch in unterschiedlich großen Bildfeldern. Von Robert I/154, das eine knapp über 6 cm hohe und kaum 5 cm breite Miniatur des Porträts Robert/104.072 von 1974 enthält, steigen die Maße schrittweise bis Robert IV/9.856, wo das Bildfeld über 51 x 38 cm einnimmt, umgeben von einem breiten Rand, der auf den anderen Blättern als weiße Grundfläche das Bild dominiert. Die aufsteigenden Zahlen im Titel geben die Menge der Rasterfelder an, von 154 über 616 und 2454 bis schließlich 9856. Die Steigerung um Faktor 4 in jedem Schritt ergibt sich aus der Halbierung der Rasterfelder auf jeder Vergrößerungsstufe, was mit der doppelten Zahl an Rasterfeldern in jeder Zeile und Spalte zu einer Verdichtung der Gitterstruktur führt. Die Multiplikation der Kästchen ist aber nur aufgrund des identischen Motivs als Verdichtung erkennbar, da dieselbe Bildinformation nun mit doppelt so vielen Zeichen dargestellt wird und eine detailreichere Struktur enthält. Tatsächlich werden die Rasterfelder nicht von Bild zu Bild halbiert, sondern in gleichbleibender Größe additiv aufgereiht, während die unscharfen Tuschepunkte ebenfalls unverändert bleiben. Die Vergrößerung betrifft nur das Motiv und basiert auf einer Verdopplung der Bildmaße (in Länge und Breite) bzw. Vervierfachung (in der Fläche) mittels Multiplikation – nicht Vergrößerung – der Rasterfelder und Bildzeichen. Weil jedes Rasterfeld von jeweils einem Punkt gefüllt wird, vermehren sich mit jedem Schritt die Bildzeichen, so dass durch die Vergrößerung wie im Zoom eine weitere Detailebene des Motivs erschlossen wird. Die subtile Aufteilung des Bleistiftrasters in eine dunklere Primär- und hellere Sekundärstruktur, die jedes Feld in vier weitere teilt, impliziert eine potenziell fortschreitende Verfeinerung über die bestehenden vier Stufen hinaus.

43 Close zit. nach Engberg 2005, S. 119; vgl. Finch 20101, S. 104.

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Wie in den vielen kleinen Punktzeichnungen zwischen 1973-75 (Abb. 86) imitiert Close hier die Funktion der Airbrush-Spitze, die beim leichten Aufsprühen aus einer konstanten Entfernung gleich große Flecken erzeugt. Close hat dieses Vergrößerungsprinzip bereits 1973 in der Serie Bob I-IV angewandt, die dasselbe Format wie Robert I-IV besitzt, und 1975 in der lithografischen Vergrößerungsserie Keith/Four Times fortgesetzt.44 Das Nebeneinander der Vergrößerungsstufen schafft eine dynamische Bewegung durch das ‚Heranholen‘ des Porträtmotivs, dem das lesende Auge von links nach rechts folgt, während es den Vergrößerungsvorgang zu rekonstruieren versucht. Weil es sich nicht um ein mechanisches Blow-up handelt, das die Bildstruktur analog wiederholt, sondern stattdessen mit jeder Informationsverdichtung ein neues Bild produziert wird, kristallisiert sich das Porträt erst schrittweise heraus. Close schafft hiermit eine mathematische Entsprechung zur Skalierung im Computerbild, dessen Deutlichkeit und Informationsdichte von der Menge der Bildpunkte und den Abständen zwischen ihnen abhängt. Je geringer die Intervalle bzw. je feiner das Raster, desto höher die Auflösung. Wie bei Close ergibt sich aus der Vermehrung gleich großer Bildpunkte eine Vergrößerung des Formats, während das Verhältnis zwischen der Anzahl an Bildpunkten zum Gesamtmaß ausschlaggebend für die Auflösung bzw. Bildqualität ist. So besitzt das kleinste Bild Robert I mit 154 Punkten eine geringe Auflösung im Gegensatz zu Robert IV mit 9856 Punkten – als Auflösungsmaß sind darum die Zahlenangaben im Bildtitel so wichtig wie die dpi-Angaben (dots per inch) zur Punktedichte einer Computergrafik. Die Motivwiederholung regt zum ständigen Vergleich an, wobei die Serie in ihrer dynamischen Steigerung mit Zoom-Effekt als zusammenhängendes Ganzes gesehen werden muss. Sie kann aber auch eine Abnahme von Groß zu Klein bedeuten, wenn man die Bilder gegen die Leserichtung betrachtet. Die ständige Verschiebung der Informationsdichte von Bild zu Bild gleicht einem Wahrnehmungstest, bei dem die perzeptive Schwelle zur Erkennung eines Gesichts erkundet werden soll.45 Mit der Reduktion der ‚Bildauflösung‘ bei Close geht eine optische Auflösung in abstrakte Flecken einher. Doch die Herausforderung der visuellen Wahrnehmung ist nur der Effekt der technischen Struktur, mit der Close dem Bild eine dimensionale Dynamik in beide Richtungen verleiht. Diese regressive oder progressive Offenheit der Bildinformation, die in den ineinander übergleitenden Versionen erscheint, versucht das Auge zu erfassen, indem es Gesehenes ergänzt und Fehlendes im nächsten Bild sucht. Zugleich ist es ein Spiel mit Betrachtungsabständen, wo sich das Auge der Verkleinerung annähert, ohne mehr zu sehen, und sich von der Vergrößerung entfernt, um mehr sehen zu können. Nähert es sich dem Bild bis zur Elementarebene, sieht es statt klarer Strukturen nur unscharfe Punkte – wie bei der graduellen Vergrößerung einer Pixelstruktur lösen sich die Bildelemente ab einer bestimmten Stufe in abstrakte For44 Nach an Robert I-IV setzte Close das Motiv Keith als Fotolithografie um, in der die schrittweise von links nach rechts vergrößerten Bilder auf nur einen Papierbogen gedruckt wurden: Keith/Four Times, 1975, zweifarbige Fotolithografie, 76,2 x 223,5 cm, Aufl. 50, Landfall Press/Chicago (Drucker), Parasol Press Ltd./New York (Verleger), vgl. Sultan 2014, S. 1011, S. 180. 45 Auf den wahrnehmungspsychologischen Aspekt verweisen zahlreiche Autoren, vgl. Kern 1979, S. 15; Finch 20101, S. 102; Lyons 1987, S. 34, anschaulich demonstriert an Bob I-IV, vgl. ebd., Abb. S. 68-69.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 221

men auf.46 Der Körper des Betrachters korrespondiert dabei sowohl mit dem ZoomMechanismus der analogen Fotokamera samt ihrer beweglichen Fokuseinstellung als auch mit dem Skalierungsprinzip des digitalen Bildes. Die Skalierung ist gekoppelt an den für Close zentralen Aspekt der Größe, was sich in der häufigen Anwendung des Blow-ups und der Verschiebung dimensionaler Verhältnisse zwischen Fotovorlage, Bild und Betrachter zeigt. Größe und Größenverhältnisse werden als konstitutive, ausdruckstiftende Formen eingesetzt, die sich besonders an wiederholten Motiven und vor allem an menschlichen Figuren verdeutlichen lassen. Genauso zentral ist aber, wie die Papierarbeiten belegen, der Aspekt der Variation, die durch die technische Prozedur der Konvertierung entsteht. Auch hier ist das Motiv als ‚recycelte‘ Fotografie ausschlaggebend für die Manifestation des Unterschieds. Während die Werkgruppen der 1970er Jahre das breite Spektrum der Bildzeichen mit formalen und materiellen Variationen vorführen, tritt die Umwandlung als Selbstzweck nirgends so deutlich hervor wie in Keith/Six-Drawing Series von 1979, was Close im selben Jahr zu einem Künstlerbuch verarbeitet hat.47 In dem zwölfseitigen quadratischen Heft werden die sechs Papierarbeiten in einer raffinierten Leporello-Faltung miteinander verbunden und durch eine abwechselnde Doppelfolge von Gesamtansicht und Detailausschnitt zueinander in Beziehung gesetzt. Der im Leporello angelegte visuelle Fluss wird durch die zirkuläre Verknüpfung der durchgehend schwarzweißen Bilder verstärkt – selbst auf der Titelseite wird er von keinem Text unterbrochen. Verbindet man die erste Seite, die das Coverbild wiederholt, mit dem Detailausschnitt auf der letzten Seite, dann wird eine durchgehende Reihe aus jeweils zwei quadratischen Ausschnitten und schmaleren hochkantigen Gesamtporträts erkennbar. Der rhythmische Formatwechsel innerhalb des Leporellos erlaubt es, neben jedem Porträt, das immer seinem quadratischen Detailbild gegenüberliegt, auch den Rand eines anderen Detailbildes davor oder dahinter zu sehen, das die abweichende Struktur eines anderen Porträts zeigt. Als Vorschau bzw. Rückblick auf weitere Versionen desselben Motivs wird so ein ständiger Vergleich angeregt. Das Motiv Keith ist identisch mit dem großen Airbrush-Porträt von 1970 und wird auf den sechs Blättern in wechselnden Techniken wiederholt: Die Serie beginnt mit der Version Keith/Square Fingerprint Version (Abb. 96 a), in der die Abdrücke säuberlich ins Raster gesetzt und zu grauen Quadraten vermalt sind, so dass die feinen Papillarlinien nur auf den zweiten Blick sichtbar werden. Im Künstlerbuch kehrt es sich um, da das Cover zuerst einen quadratischen Ausschnitt zeigt, der erst in der Gesamtabbildung auf der nächsten Seite einem Gesicht zugeordnet werden kann. Da der Ausschnittbereich bei allen Arbeiten bis auf die Rasterzahl nahezu gleich ist, lassen sich die folgenden Detailausschnitte im Bildfeld zwischen Augen und Unterlippe der Figur verorten. Dabei erscheint die Gesamtansicht mal vor und mal nach dem

46 Vgl. Lyon 2006, o. S. 47 Keith/Six Drawings erschien in der regulären Auflagenzahl des Verlags Lapp Princess Press Ende der 1970er Jahre (Aufl. 2000), wobei das quadratische 6-Zoll-Format die Standardgröße für eine Künstlerbuch-Reihe war, die unter Leitung der Gründerin Amy Baker zwischen 1977 und 1979 erschienen sind, vgl. https://www.worldcat.org/title/keith-six-drawings -1979-chuck-close/oclc/360205681.

222 | 2 Auge, Hand, Verfahren – Closes Methoden der Bildherstellung

Detailbild, was das Durchblättern zu einem vor- und rückwärts laufenden ‚Zoomvorgang‘ macht. Auf die quadratischen Fingerabdrücke folgt eine Version aus lavierten Quadraten, Keith/Watercolor Version (Abb. 96 b), die dem ersten Bild stark ähnelt. Die beiden nebeneinander gestellten Kästchenbilder aus Fingerabdruck und Aquarell fordern schon auf den ersten vier Buchseiten den genauen Blick heraus. Mit den runden Fingerabdrücken von Keith/Round Fingerprint Version (Abb. 96 c) und ihren deutlicheren Papillarlinien setzt danach ein Wechsel ein, der in der darauffolgenden hellen Kreidezeichnung Keith/White Conté Version (Abb. 96 d) auf dunklem Grund in eine Negativform umschlägt. Die grobe Kreidestruktur geht auf dem nächsten Blatt in das filigrane Gewirr der Tintenzeichnung von Keith/Ink Stick Version über (Abb. 96 e), die das Porträt samt Raster zu einem fragmentarischen, luftigen Gebilde auflöst, was schließlich im willkürlichen Keith/Random Fingerprint Version (Abb. 96 f) vollends realisiert wird. Hier kehrt das Bild zu einer buchstäblich körperlichen Solidität und Zeichendichte zurück, nur um sich im Coverbild wieder zu einer geometrisch abstrahierten Struktur zu verwandeln. Close geht bei allen Versionen zwar von der analogen Fotovorlage aus, doch er entfernt sich bereits von ihr durch die ‚proto-digitale‘ Rasterung, deren modulare Struktur er in jeweils wechselnde Bildzeichen überträgt. Manovich führt folgende Eigenschaften als Grundprinzipien digitaler Bilder auf: 1. Kodierung – was in Zusammenhang mit der Digitalisierung erläutert worden ist; 2. Modularisierung – was sich auf die Rasterfelder bzw. diskreten Bildelemente bezieht, deren Anzahl und Dichte durch Skalierung angepasst werden können, wodurch sich Größe und Auflösung des Bildes verändern; 3. Automation – wonach basierend auf den zuvor genannten Punkten automatische Operationen programmiert werden können, z. B. zur Bildherstellung oder -manipulation durch Algorithmen für Filterfunktionen; 4. Variabilität – was für digitale Bilder gilt, da sie als kodierte, modulare Gefüge keine fixierte Gestalt haben, sondern in potenziell endlosen Versionen und Skalierungen existieren können, wodurch sich Manovich zufolge neue Medien gegenüber dem identischen Reproduktionsprinzip analoger Medien auszeichnen; 5. Transkodierung – was die Umwandlung in verschiedene Medienformate meint.48 Differenz und Variation sind demnach Qualitäten (und Potenzialitäten) computergestützter Bilder, die auf Basis ihrer gleichbleibenden Kodierung ein heterogenes Spektrum der Bildgestalten in sich fassen. Der Begriff des Konvertierens meint im technischen Sinne die Umwandlung von Daten eines Datenformats in ein anderes. Dabei kann es neben verlustfreien Konvertierungen auch zum Verlust von Informationen kommen, wenn das neue Format weniger enthält als das Original – etwa weil Informationen komprimiert werden oder sich im neuen Format nicht adäquat darstellen lassen. Es gibt außerdem die sinnhafte Konvertierung, wobei der wesentliche Inhalt selektiv in die neue Form übertragen wird und sogar Informationen aus anderen Quellen bei der Konvertierung mit einfließen können. Deren Variation bedingt die Konvertierung des Originalbildes, indem die Zeichenform und ihr Material eine neue Struktur hervorbringen. Die Änderung der Variablen innerhalb des Rasterschemas wird erst dann als Konvertierung einer gleichen Bildinformation deutlich, wenn

48 Vgl. Manovich 2001, S. 27-41.

2.2 Code und Variation: Papierarbeiten der 1970er Jahre | 223

die Fotovorlage, die Rastergröße und das Bildformat als klare Konstanten vorgegeben sind. Die für Close typische serielle Gleichförmigkeit ist die wichtigste Bedingung für die Permutation der Bildstruktur, bei der kommensurable Versionen desselben Motivs hervorgehen sollen. Nach seiner modularen Aufteilung der analogen Vorlage und ihrer Kodierung in verfahrensgebundene, einheitliche Bildzeichen, die den entsprechenden Bereich aus der Vorlage in einen differenzierten Bildpunkt übersetzen, werden die Versionen als abweichende Variationen derselben ‚Quellinformation‘ aus der Foto-Maquette miteinander verknüpft (Abb. 107). Anders als in den fotomimetischen Bildern bleibt die Fotografie nicht mehr durch die Malerei oder Zeichnung hindurch sichtbar, sondern verschwindet hinter der Metaebene der verfahrenstechnischen Umwandlungen. Close wendet seine vielfach erprobten Methoden, die als technische Modi meist im Titel angegeben werden, wie ein Set von Filterfunktionen der Reihe nach an. Ihre konsequente Durchführung lässt die jeweilige Bildästhetik so zwangsläufig wie automatisch programmiert entstehen – je rigoroser ihre Umsetzung, desto stärker der Kontrast im Wechsel der Bilder, der ihre formale Variation als Kern der Arbeit ausweist. Das analoge Foto erscheint nicht mehr als ‚Original‘ dieser Ableitungen und verliert seine Relevanz als autorisierte Referenz – als Primärebene ist es zwar reich an Detailinformationen, doch gehen diese zum großen Teil in den abstrahierten, ineinandergreifenden Bildübersetzungen verloren, die sich mit sinnhaften Konvertierungen vergleichen ließen. Wie bei Closes genereller Überführung von Fotografie in Malerei findet sich auch hier keine mediale Hierarchie, da es nicht um die vollständige Substitution der einen Darstellung durch eine andere gilt – also um eine verlustfreie Konvertierung. Denn im ‚kreativen Verlust‘ liegt gerade der Sinn der Umwandlung, wo die Neuzusammensetzung der Bildvorlage mit anderen Techniken und Materialien eine neue Erscheinung generiert und damit ein weiteres Original schafft. Jede neue Bildsyntax steht in einem anderen Differenzverhältnis zur Vorlage und stellt mit ihrer spezifischen Struktur eine selbstständige Artikulation des Ausgangsmotivs dar. Alle Rekonstruktionen sind irreduzibel in ihrer Komplexität: Sie können als Variationsreihe gelesen, aber nicht voneinander bildnerisch abgeleitet werden. Letztlich bilden sie trotz der linearen Form des Leporellos keine verkettete Konvertierungsreihe, auch wenn die zunehmende Abstraktion an manchen Stellen einen fortschreitenden ‚Informationsverlust‘ suggeriert. Mit der Kenntnis des Keith-Porträts von 1970 (Abb. 66) lassen sie sich als gleichwertige, von einem Bild ausgehende Versionen erkennen, die einander ergänzen und erläutern. Konvertieren meint bei Close in vielen Fällen eine direkte Umkehrung ins Negativ: Während bei Keith/Six Drawing Series die einzige Kreidezeichnung auf schwarz gefärbtem Papier eine auffällige Unterbrechung der homogenen Blattformate darstellt, spielt Close insbesondere in seinen Druckgrafiken häufig mit Positiv-NegativVersionen, wie in der Radierung Self-Portrait/White Ink (1978), die eine Umkehrung der Schraffurarbeit Self-Portrait von 1977 ist. Bei Keith/Three Drawing Set von 1973 (Abb. 85 b-d) kommt noch eine Grauversion hinzu, ähnlich wie in den drei ReliefPrägedrucken Phil Grey/White/Black (2002), die nach einer aus dem Jahr 1980 stam-

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menden Tintenzeichnung entstanden sind.49 Das Positiv-Negativ-Prinzip spielt auf druckgrafische Verfahren an, die ein Negativ- oder Positiv-Verfahren sein können und bei denen sich das Verhältnis von Druckerfarbe und Papier farbig umkehren lässt. Gleichzeitig reflektiert es die Fotografie, deren Bild aus der Umkehrung eines Negativs entsteht. Closes Papierfarben sind zugleich an schwarze, graue oder weiße Fotokartons angelehnt, wobei das Bild aber meistens nicht verkehrt wird – so bleibt das Helldunkel-Verhältnis in Keith/Six Drawing Series sowie Keith/Three Drawing Set unverändert, nur der Kontrast steigert sich mit dem positiv aufgetragenen Weiß, wo zuvor nur Leerfläche war. Es handelt sich also weniger um eine tatsächliche Umkehrung als vielmehr um eine Modifikation der Bilderscheinung und Akzentverlagerung durch den Wechsel der Bildmittel. Sowohl die Positiv-Negativ-Umkehr als auch die Variation der Bildzeichen lassen sich nur als gleichwertige Differenzierungen von Bildinformation verstehen, die sich höchstens in Bezug auf das fotografische Ausgangsbild als ‚konkreter‘ oder ‚abstrakter‘ beschreiben lassen – das Ähnlichkeitskriterium kann hier kaum gelten, da die formale Konvertierung keine bloße Verschlüsselung von Bildinformation ist. Wie in Zusammenhang mit der Kodierung bereits angesprochen wurde, liegt in Closes Übersetzungsarbeit der fotografischen Details eine gewisse ikonische Verschlüsselung vor, da er abstrakte Zeichen als Äquivalente für die Bildinformation aus der Vorlage einsetzt. Doch die Variationen von Keith oder Vergrößerungen von Robert I-IV bieten mehr als ein Wiedererkennen des bereits bekannten Porträts: Sie führen die formalen Bildmechanismen und ihr darstellerisches Potenzial vor, was sich schon bei minimalen Modifikationen im Ergebnis niederschlägt, ähnlich einer algorithmischen Umwandlung durch einen Bearbeitungsfilter. Somit ist jedes Bild eine singuläre, strukturell abstrakte Konfiguration, die sich als Produkt einer methodischen Formel präsentiert. Der autonome Status der Exemplare wird aber erst durch ihren Zusammenhang und ihre Differenzierung untereinander deutlich. So wie der serielle Aspekt der Minimal Art als eine Darstellungsweise gelten kann, die das Sehen strukturiert und die formale Wahrnehmung trainiert, verschiebt sich die Bildaussage bei Close vom Was des Dargestellten auf das Wie der systematischen Form. Durch die fortwährende Wiederholung wird das Fotoporträt aus der Vorlage von seinem Inhalt abstrahiert und als phänomenale Gestalt ‚herausdestilliert‘ – ähnlich einer modularen Grundform, die selbst weiter zu modularen Elementen aufgelöst wird. Infolgedessen wird die externe Referenzialität des Porträts in einen internen Diskurs der Bilder gewendet, so dass Close am gegenständlichen Motiv den selbstverweisenden Charakter von Minimal-Objekten hervorruft. Auch der aleatorische Ansatz, mit dem er Bildformate, Größenordnungen, Materialien und Zeichen an ein und demselben Gegenstand durchspielt, folgt einem Konzept der Erschöpfung der formalen Möglichkeiten, der Wahrnehmungskompetenz des Betrachters und nicht zuletzt der handwerklichen und physischen Fähigkeiten des Künstlers.

49 Self-Portrait/White Ink, 1978, Aquatinta auf Papier, 137,2 x 104,1 cm, Aufl. 35, Crown Point Press/Oakland; Phil Grey/White/Black, 2002, Relief-Prägedruck auf Papier, 67,1 x 55,1 cm, Aufl. 40, Two Palms Press/New York.

2.3 Einheit und Segment: Komposit-Bilder

2.3.1 KOMPOSIT-POLAROIDS Als Close in den 1970er Jahren damit begann, mit der Sofortbildtechnik der Firma Polaroid zu arbeiten, hatte es zunächst praktische Gründe, weil er so während der Fotosession in Anwesenheit des Modells die Bildergebnisse überprüfen konnte.1 Was zunächst die Herstellung des fotografischen Motivs für seine Malerei erleichtern und beschleunigen sollte, entwickelte sich mit der Zeit zu einem eigenen Medium, woraus Close ein umfangreiches fotografisches Werk geschaffen hat, dass mal ergänzend, mal kontrapunktisch seine übrige Arbeit begleitet. Da die Fotografie Ausgangs- und Bezugspunkt seiner Malerei ist und er seine Fotovorlagen mit technischer Hilfe eigens anfertigt, ist er mit der visuellen Bildsprache des Mediums sehr vertraut – sein Interesse an der fotografischen Visualität, die sich in den differenzierten Fokus- und Lichteinstellungen und der eindringlichen Schärfe im Blow-up zeigt, begründet seine langjährige Beschäftigung mit fototechnischen Sonderformen wie Polaroids und Daguerreotypien. Mit Blick auf seine Methoden der Bildkonstruktion soll es an dieser Stelle ausschließlich um die Komposit-Polaroids gehen, von denen das erste 1979 entstanden ist: das neunteilige Großformat Self-Portrait/Composite/Nine Parts (Abb. 98). Im Laufe der 1980er Jahre und sogar noch bis 2005 hat Close mehrere dieser auf Selbstporträts beschränkten mehrteiligen Großaufnahmen angefertigt, welche zusammengesetzt bis über 4,30 m reichen können.2 Auch wenn sie mit sehr wenigen Ausnahmen alle farbig sind (ein neunteiliges und sechzehnteiliges Selbstporträt von 1987 sind schwarzweiß), herrscht in den Bildern der für Polaroid-Fotos typische blasse, gelbstichige Ton vor, der teilweise in ein bläuliches Braun umschlägt. Allen gemeinsam sind der breite weiße Bildrand des Fotopapiers an der Ober- und Unterkante sowie die dünnen weißen Ränder der einzelnen Bögen, die sich leicht überlappend gegeneinander verschoben zum Porträt zusammenfügen. Wie Puzzleteile konstruieren sie ein figürliches Ganzes in einer groben Rasterformation. Zugleich fragmentieren sie als bewegliche Einzelbilder den organischen Zusammenhalt des Körpers, indem sie wie lose Teile die bildkompositorische Einheit aufbrechen. Close verknüpft in diesen Werken die im Polaroid-Großformat vertiefte Sichtbarkeit mit einer analytischen Fragmentierung der Bild- und Körperrealität, deren Ausschnittcharakter auf einen 1 2

Vgl. Nickel 2005, S. 132. Weitere Beispiele in Engberg/Grynsztejn 20051, Abb. 19, 22, 23, 35, 36, 82, 83; Finch 20101, S. 278.

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Grundaspekt des fotografischen Blicks verweist. Dieser mediale Aspekt spitzt sich im Polaroidbild weiter zu und erhält durch die Porträtthematik und deren Kompositform einen weiteren Bedeutungshorizont, den es noch zu bestimmen gilt. Polaroid ist das Synonym für die Sofortbildtechnologie des 1937 vom Physiker Edwin Herbert Land in den USA gegründeten Unternehmens Polaroid Inc., das sich früh auf die Herstellung von Polarisationsfolien spezialisiert hatte. Diese lagen dem Fotofilm der 1947 vorgestellten Sofortbildkamera, Land Camera genannt, zugrunde. Neben der Kunst- und Unterhaltungsindustrie arbeitete Polaroid im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg in vielen Bereichen für die US-Rüstungsindustrie, welche sie zunächst mit polarisierten Sonnenbrillen belieferte und für die sie später kriegstechnologische Forschung betrieb – von Luftaufklärung wie dem stereoskopischen Vectography-Verfahren bis hin zu Simulatoren mit speziellen Sichtgeräten zu Ausbildungszwecken.3 Nach dem Erscheinen des ersten Farbfilms Polacolor 1963 wurden im Laufe der 1960er Jahre immer weitere lichtempfindliche, hochwertige Filme für die Dokumentenreproduktion (etwa in Museen) oder für wissenschaftliche Aufnahmen entwickelt, daneben auch das Kamerasystem ID-2 für fälschungssichere Ausweise. Schließlich kam 1972-73 das später weitbekannte Kamerasystem SX-70 auf den Markt, mit dem in wenigen Minuten mehrere Aufnahmen hintereinander entwickelt werden konnten, wobei alle Filmbestandteile (Negativ und Positivbild) im Bild vollständig integriert waren. Es ist eine Besonderheit des Polaroid-Fotos, dass sein Bildverständnis von Anfang an technologisch ausgerichtet war und auf einem Verfahren der Sichtbarmachung durch die Polarisation des Lichts basierte. Die neue massentaugliche Sofortbildkamera ließ sich auf die militärische Bildtechnologie der Luftaufklärung zurückführen: Zu deren Zwecken sollte der Zeitabstand zwischen Aufnahme und Auswertung eines Bildes minimiert und die Erfassung des Motivs einfach und direkt gehalten werden – was wieder auf den fotografisch-dokumentarischen Ähnlichkeitsanspruch zwischen Bild und Objekt abzielte. Schnelligkeit, Größe, Bildauflösung und Haltbarkeit der Fotos waren dabei die zentralen Anforderungen.4 Nachdem Polaroid schon in den 1940er Jahren mit verschiedenen Künstlern, darunter Ansel Adams, bei der Entwicklung seiner Kameraprodukte zusammengearbeitet hatte, setzten sie Kooperationen dieser Art bis in die 1970er Jahre fort, um sich durch die Nähe zu Künstlern und avantgardistischen Bildexperimenten zu profilieren. Die SX-70-Kamera erwies sich dabei als besonders beliebt.5 So kam Close 1979 durch das Kooperationsprojekt Focusing on Faces mit der Polaroid-Technologie in Berührung, als er neben anderen Künstlern von der Hayden Gallery am MIT eingeladen wurde, um mit der 24x20-Zoll-Großbildkamera zu arbeiten. Diese Kamera aus dem Jahr 1976, von der nur fünf Stück existieren, ist an die Rundglaskameras aus dem 19. Jahrhundert angelehnt und besteht aus einer beweglichen Holzbox mit Stahl3

4 5

Zu den wissenschaftlichen Grundlagen von Lands Erfindungen, der Firmen- und Produktgeschichte von Polaroid sowie ihrem kriegstechnologischen Engagement siehe Gethmann, Daniel: Das Prinzip Polaroid, in: Lauterbach u. a. 2005, S. 44-65. Vgl. Gethmann 2005, S. 58-59. Siehe Lombino, Mary-Kay/Buse, Peter (Hg.): The Polaroid Years. Instant Photography and Experimentation, Ausst.-Kat., Poughkeepsie, Vassar College Art Gallery u. a. 2013, München u. a. 2013; Hitchcock, Barbara (Hg.): Innovation/Imagination. 50 Years of Polaroid Photography, Ausst.-Kat., Friends of Photography, San Francisco 1999, New York 1999.

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stützen sowie einer Tür. Ihre Bedienung verläuft mechanisch.6 Nach ersten Aufnahmen von sich selbst und anderen Modellen, von denen Maquetten angefertigt werden sollten, entschied sich Close angesichts der enormen Detailschärfe der Großformate und ihrer farbigen Eigenqualität dazu, diese als selbstständige Werke zu behandeln. Die nahezu unsichtbare Körnung und gleichmäßig glatte Oberfläche des Polaroids boten ein fotografisches Pendant zu jener Allover-Schärfe und strukturellen Vielfalt, die Close in seinen farbigen Airbrush-Bildern verfolgte, wie das aus derselben Zeit stammende Porträt Mark zeigt (Abb. 74). Allerdings werden in Self-Portrait/Composite/Nine Parts die technischen Bedingungen des Polaroids in die Bildgestaltung einbezogen, beginnend bei den Maßen der 24x20-Zoll-Aufnahmen, die im Gegensatz zu den großen Leinwänden zu einer facettierten Ansicht montiert sind. Das Frontalporträt zeigt Closes Gesicht mit runder Hornbrille und Vollbart aus nächster Nähe, so dass der Haaransatz oben abgeschnitten und das Kinn unten nur teilweise zu sehen ist. Die Ohren treten unscharf in den Hintergrund, während die Nasenspitze zu einem großen Fleck verschwimmt. Close hat die Augen geschlossen, dafür aber die Lippen leicht geöffnet, was sowohl den Eindruck eines Schnappschusses – etwa im Moment des Blinzelns – als auch der nachdenklichen Introspektion vermittelt. Obwohl er sich sonst immer um eine neutrale Miene in seinen Porträts bemüht, lässt Closes kontemplativ-leidender Ausdruck hier reichlich Spielraum für psychologische Deutungen. Unterstützt wird das vor allem durch die Form: Das klinisch-kühl anmutende Graublau der schmalen Hintergrundpartien steht im Kontrast zu den Ocker- und Brauntönen der Haut, die sowohl in den dunklen Schatten- als auch in den fahlen Lichtzonen kühl wirken. Wie im schwarzweißen Porträt Phil von 1969 dominiert das Chiaroscuro die Gesichtsstruktur – mit seiner engen Farbskala erscheint das Bild eigentümlich monochrom. Die Schultern ergeben ein formloses Schwarz, das in den Bart übergeht, der mit den Ohren und Haaren einen dunklen Uförmigen Kranz um das Gesicht bildet. Ähnlich verschwimmt der Brillenrand mit den verschatteten Tiefen der Augenhöhlen, deren Schwärze mit dem dunklen Streifen auf der Nase korrespondiert. Die Verschlossenheit der zentral platzierten Augenpartie lenkt den Blick auf den äußerst scharf gezeigten Mund. Die hell ausgeleuchtete, von hervorstehenden Barthaaren umgebene Lippenstruktur ist samt Fältchen und Hautflecken erkennbar, während Lichtreflexe an den Zähnen aus dem Schatten des Mundes hervorscheinen. Diese Partie wird auch darum zum Blickfang, weil es farbig wärmer, schärfer und näher erscheint, Letzteres aufgrund der Montage. Denn die Gesichtsstruktur wird ständig unterbrochen durch Sprünge und Bildnahte, die Einzelformen mal zu einer Einheit verbinden (wie die Brille), mal zu Segmenten zerteilen (wie Augen, Ohren und Kinn). Je nach Lage des Schnitts wird die Gesichtspartie anderes verfremdet. So entzieht sich das mehrfach zerteilte Auge kaleidoskopartig dem Blick, was angesichts der geschlossenen Brillenform umso irritierender wirkt. Die Ohren- und Wangenpartie verdoppeln sich hingegen wie in einer filmischen Bildsequenz. Die neun Segmente bilden drei vertikale Blöcke aus je drei Polaroids, die sich teils deutlich überlappen und zum Gesichtsrand hin immer stärker verschieben. Der mittlere Block 6

Zuvor hatte Close Polaroid-Fotos mit Stillleben und Selbstporträts angefertigt. Er hatte schon 1977 die Möglichkeit, am MIT mit der Polaroid-Großbildkamera zu experimentieren, was jedoch ergebnislos blieb, vgl. Finch 20101, S. 134; Friedman 2005, S. 60-65.

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bildet dabei eine gerade Bahn von Stirn und Nase bis zum Mund, doch erscheint die stabile Gesichtsmitte herabgerutscht, so dass das Blatt mit der Mundpartie kinnartig über den unteren Bildrand ragt. Der Mund als Zentrum des fotografischen Fokusbereichs springt vor dem dunklen Hintergrund wie in einem Zoom hervor, da die ungleichen Schulteransätze beidseitig hinaufgeschoben sind und kleiner wirken. Das Rastergerüst, das Close in seinen Bildern immer als strukturelle Grundlage verwendet, wird in den Komposit-Polaroids zum zentralen Ausdrucksmittel. Es ist kein eigentliches Raster mehr, da weder quadratische Einheiten noch deren regelmäßige Gitteranordnung vorhanden sind. Durch die Verschiebung der Blätter erhält jedes Bildfeld eine individuelle Größe und Form, weil jede Fotografie von einem weißen Rand, teilweile mit einer dunklen Linie, umrahmt ist. Die Binnenränder im Bild werden beschnitten, so dass im Gesichtsfeld nur unebene Bildnahte ohne weiße Trennlinien zu sehen sind. In anderen Komposit-Polaroids arbeitet Close hingegen gezielt mit den Trennlinien aus weißen Rändern und der Quaderform des Fotopapiers, so zum Beispiel in Self-Portrait/Composite/Six Parts von 1980 (Abb. 99). Diese vermutlich zerstörte Arbeit hat Close mit einer riesigen 80x40-Zoll-Kamera, die aus einer betretbaren Kammer besteht, im Museum of Fine Arts in Boston hergestellt.7 Während dem Porträt dort eine regelmäßige Gitterstruktur aufgelegt wird, die sich motivunabhängig betrachten lässt, wird in Self-Portrait/Composite/Nine Parts das Motiv erst durch das kristallin-unregelmäßige Gitter konstituiert. Die natürliche Tektonik des Gesichts wird zu analytischen Einheiten aufgebrochen und neu rhythmisiert, wobei die Bildteile als Einzelpolaroids oder in ihrer Summe als synthetische Einheit gelten können. Durch die prismatische Brechung der sonst ostentativ homogenen Foto-Oberfläche wird der Blick dynamisiert: Die gewohnt hierarchische Betrachtungsweise des Gesichts wird zu einem visuellen Abtasten und Entlangfahren, bei dem das Porträt zuerst im bewegten Sehprozess konstruiert werden muss. Die Reflexionen auf dem alternden, zunehmend gewellten Fotopapier zersplittern und verwirren die Ansicht zusätzlich und rufen immer wieder die mediale Materialität der Polaroids ins Bewusstsein. Ist das Gesamtbild des fotografischen Großformats, das in Konkurrenz zu Closes anderen Bildern tritt, schwer zu fassen, so erscheint seine Detailstruktur umso auffälliger. Close schätzt besonders den bei aller Vergrößerung noch erhaltenen Schärfegrad von Polaroid-Fotos, da dies seinem Bildkonzept entgegenkommt. Die Details, die man bis in tiefe Ebenen hinein verfolgen kann, gehören zu seiner Faszination für die malerische Fotomimesis, die eben dort abstrakt wird. Doch im Polaroid-Großformat treten sie dem Auge in aller Deutlichkeit entgegen – erneut wird die visuelle Mannigfaltigkeit als klassische Eigenschaft der Fotografie hervorgekehrt, was in einer solch monumentalen Vergrößerung zu dieser Zeit aber höchst ungewöhnlich war.8 Das zerschnittene Porträt, in welchem sich das menschliche Subjekt entzieht und zum Objekt einer scharfen apparativen Darstellung wird, wirkt in der Vergrößerung 7

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Vgl. Finch 20101, S. 145. In diesem und anderen Komposit-Polaroids der 1980er Jahre ordnet Close die Segmente in vertikalen Bahnen mit einer markanten senkrechten Gitterformation aus Bildrändern an. Noch deutlicher wird die Gliederung in den monumentalen liegenden Akten von 1984 Laura I (Abb. 103) und Bertrand II, in denen die Komposition von Big Nude erneut aufgegriffen wird. Vgl. ebd., S. 143-145; Friedman 2005, S. 62-63. Vgl. Finch 20101, S. 141.

2.3 Einheit und Segment: Komposit-Bilder | 229

monströs. Die sich dem Blick aufdrängende Oberflächenbeschaffenheit des Körpers erscheint durch die Segmentierung wie kartographiert oder klinisch präpariert – die Kamera wird somit zur Lupe und die sukzessive Bildkomposition zum Körper-Scan. Im Unterschied zu seinen Malereien und Zeichnungen, in denen Close wechselnde Darstellungsformen für das fotografische Motiv entwickelt, setzt er hier die Fotografie zur Erzeugung einer Sehweise ein. Über ihre durch Komposition und Fokuseinstellung gestaltete Struktur reguliert er den Blick auf das präsentierte Objekt und konfiguriert es zugleich im Bild. Er setzt hierfür gezielt die technisch-materiellen Voraussetzungen des Polaroids ein: Nicht nur die Größe der Bildfelder wird durch das vorgegebene Format bestimmt, auch der fotochemische Prozess, bei dem die aufgewalzte Reagenzpaste zwischen Negativ und Positiv das Bild entstehen lässt, wird offengelegt, wo die Substanz am Bildrand sichtbare Spuren und abstrakte Verläufe erzeugt und so ein materielles Gegengewicht zur virtuellen Bildrealität bietet.9 In diesen marginalen Farbverläufen scheint sich einerseits eine malerische Abstraktion ins technische Medium einzuschleichen, andererseits wird damit auf den medialen Charakter des Polaroid-Fotos hingewiesen. Der akzidentelle und handwerklich-mechanische Aspekt wird umso gewichtiger, weil es sich technisch bedingt um Unikate handelt, die wie Leinwand und Papier dem Alterungsprozess und möglichen Verlust ausgesetzt sind. Durch Format und Technik der Komposit-Polaroids hat Close seine fotografischen Arbeiten einerseits der großformatigen Malerei angenähert und damit das Reproduktionsmedium aufgewertet, andererseits die speziell fotografische Leistung im Sinne des Objektivitätsparadigmas – nämlich als technisches Instrument der Sichtbarmachung – ins Monumentale gesteigert. Closes Komposit-Polaroids gehen aus seiner individuellen Praxis und methodischen Herstellung von Foto-Maquetten hervor, doch es lassen sich ebenso Parallelen zu anderen künstlerischen Ansätzen finden. So hat Bruce Nauman (geb. 1941) in der fünfteiligen Serie Studies for Holograms von 1970 (Abb. 100) nahansichtige Körperteile – neben dem Hals vor allem den Mund – in physischen Verzerrungen fotografiert und die 66 x 66 cm großen Drucke zusammenmontiert.10 Hier ist das Gesicht bzw. der Mundbereich ebenfalls das zentrale Motiv, welches sowohl grimassierendes Artikulationsorgan als auch fleischlich-skulpturales Material ist, das der Künstler mit seinen Händen formt. Der Körper wird wieder in gleichgroße Fotoausschnitte partialisiert und aus einer intimen Nähe gezeigt, allerdings erfolgt seine Rekonstruktion bei Close als sachlich-frontale Kompositansicht, während sie bei Nauman an ein performatives Schauspiel erinnert. Entsprechend ist die Verzerrungshandlung bei aller Ähnlichkeit zu medizinischen Untersuchungen das eigentliche Thema dieser Fotografien, im Unterschied zur visuellen Untersuchung, die Close aus einer fotografischen Distanz heraus unternimmt. Viele andere Künstler haben ab den 1970er Jahren mit Polaroid-Fotografie gearbeitet, dazu zählen vor allem die komponierten Montagen und Collagen von Joyce Neimanas, Lucas Samaras und David Hockney aus den frühen 1980er Jahren.11 Die bekannten Komposit-Bilder von Landschaften und Interieur-Porträts von Hockney (geb. 1937) wie das mit Namen, Ort und Datum betitelte Werk Kasmin, Los Angeles, 9 Zum handwerklichen Ablauf bei der Herstellung der großen Polaroids siehe ebd., S. 143. 10 Siehe hierzu Holsten 1978, S. 44-51. 11 Vgl. Lombino/Buse 2013, S. 19-21.

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28th March 1982 (Abb. 101) weisen auf den ersten Blick Berührungspunkte zu Close auf, zumal auch er sich als Maler der Fotografie bedient. Doch die dichten Kacheloder Mosaikformationen aus den kleinen SX-70-Polaroids unterscheiden sich in ihrer komplexen Verschachtelung, flirrenden Struktur und leuchtenden Farbigkeit zu sehr von Closes kühlen überdimensionalen Nahansichten. Die verschobenen Segmente lenken bei Close zwar den Blick, suggerieren aber mehr eine technische Repositionierung des Aufnahmeapparats, wodurch der versetzte Blickwinkel zustande kommt. Es handelt sich um eine simple am Gegenstand entlangfahrende Scanbewegung, die bereits in den Aufnahmen für Big Nude zu beobachten war. Hockney hingegen baut aus gestaffelten oder im regelmäßigen Raster angeordneten Details eine dynamische Topografie auf, mit der ein phänomenologischer Sehprozess nachvollzogen wird. Seine zersplitterten, ineinandergreifenden Kompositionen innerhalb der Bildfläche sind als Paraphrase des visuellen Erlebens dem malerisch-tektonischen Gedanken Cézannes und der Kubisten näher als der fotografischen Inspektion bei Close, die auf visuelle Faktizität fixiert ist. Close verknüpft stattdessen den Blow-up-Effekt von großformatigen Billboards, wo Rasterung und mehrteilige Montage in der Praxis ebenfalls auftauchen, mit dem eindringlich scharfen Blick der Polaroid-Fotografie. Seine segmentierten großen Aktaufnahmen wie die zwei-, drei- oder fünfteiligen Polaroids von Mark, Bertrand und Laura von 1984 (Abb. 103) stellen den Körper durch die regelmäßig aneinandergefügten Bildbahnen noch mechanischer und indifferenter dar. Laura Triptych isoliert den Oberkörper des weiblichen Akts als nüchterne Frontalansicht des Brust- und Bauchbereichs, eingeklammert von den in die Hüften gestemmten Armen. Ohne ein zurückblickendes Gesicht wird der Körper zum visuellen Pendant einer Gesichtlichkeit, aus dem die Brustwarzen wie Augen ‚schauen‘. Die bei Big Nude noch problematischen hot spots werden von Close nun herausgelöst präsentiert und erhalten durch die Komposition eine teils sachliche, teils humoristische Umwertung. Seine Größe verleiht dem hell ausgeleuchteten Körper vor blau-weißem Hintergrund weniger etwas Erotisches als vielmehr Bedrohliches, da Laura sich vor dem Betrachter wie eine Riesin aufbaut und jedes Detail mit einer offensiven Deutlichkeit darbietet. Die scharfen weißen Linien zerschneiden die Figur an den Brüsten und vermitteln dabei einen anthropometrisch-analytischen Blick auf ihren Körper, der ohne Rücksicht auf die organische Form agiert. Zugleich korrespondiert der Schnitt mit der symmetrischen Körperhaltung, was trotz der aktiven Pose des Modells den Eindruck einer klinischen, methodischen Untersuchung erweckt. War die gleichmäßige Zerteilung des Bildfeldes anfangs die technische Grundlage des Allovers, bei dem die Bildeinheit als Ergebnis im Zentrum stand, wird nun die Partialisierung im fotografischen Ausschnitt zum Grundbaustein des Bildes. Während die Maquette als Vorlage für die Malerei bereits eine Bildeinheit liefert, wird diese in den Komposit-Polaroids erst schrittweise aus dem dreidimensionalen Objekt ‚hergestellt‘. Eben aufgrund ihrer unmittelbaren visuellen Auseinandersetzung mit dem realen Gegenstand bringen diese Arbeiten eine kompositorische Abstraktionsleistung nur durch dessen technische Aufteilung und Neustrukturierung als Bildkonfiguration zustande. Auch wenn Closes Porträtaufnahmen immer durch fototechnische Einstellungen gestaltet werden, exponieren seine Komposit-Polaroids deutlich stärker das technische Medium und Material, woraus die bezwingende Sichtbarkeit des fotografierten Körpers hervorgeht.

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2.3.2 BILDSEGMENTE UND GESICHTSFRAGMENTE: KEITH/MEZZOTINT Das bereits erwähnte Mezzotinto von Keith ist aufgrund seiner außergewöhnlichen Technik und Größe Closes bekannteste Druckgrafik. Die bildstrukturelle Neuerung des erstmals offengelegten Rasters, die in den Kästchen- und Punktzeichnungen weiterentwickelt wird, gilt als Closes „erster Schritt zur Abstraktion“, weil der methodische Zeichenprozess nun stärker im Zentrum steht als das fotografische Porträtmotiv.12 Der modulare Herstellungsprozess bleibt dabei an die Aufteilung der Maquette gebunden. Close gestaltet erst in seinen Komposit-Polaroids das fotografische Bildgefüge explizit durch die rhythmisch-dynamische Partialisierung. Seine Maquetten waren aber immer schon durch Allover-Raster in gleichförmige Segmente oder square units unterteilt. Mit ihrer strukturellen Ordnung wird aus der organischen Einheit des Gegenstands ein Kompositgebilde aus geometrischen Parzellen. Diese grundlegende ‚Umformulierung‘ des figürlichen Motivs wird in Keith/Mezzotint vorgeführt. Die Fragmentierung tritt erst dort auf, wo die technische Aufgliederung der Bildfläche das Motiv modifiziert, also seine natürliche Gestalt deformiert. In dieser Druckgrafik ist es besonders auffällig, da sich die fotogetreue Darstellung und die abstrahierte Mikrostruktur des Drucks die Waage halten. Die filigranen Rasterlinien beschränken sich fast nur auf das Gesichtsfeld und die Haare, während der Hintergrund und die dunkle Kleidung wenig differenzierte, großflächige Zonen ergeben. Umso befremdlicher ist ihre Wirkung: Die ungleichmäßig dunklen Linien vollziehen mal stärkere, mal schwächere Schnitte durch das Gesicht, doch am stärksten wird das Porträt verfremdet durch die ‚springenden‘ Rasterfelder mit ihren unerwarteten strukturellen und tonalen Differenzen, die nicht kaschiert werden – anders als in den Airbrush-Bildern, wo malerische Nahte an den Rändern von Gesichtspartien verborgen bleiben. So erscheinen bei Keith/Mezzotint permanent Brüche in den Grautönen auf Stirn und Wangen, die das Porträt auf seinen Bildstatus zurückwerfen. Auf der anderen Seite wird durch die tonalen Differenzen die natürliche Struktur des Porträtkopfes unterstrichen, wenn etwa die Lippenform verschärft wird oder Akzente aus Licht und Schatten die Plastizität des Gesichts betonen. Die Fragmentierung folgt grob der Ordnung des Gesichts, auf dessen Mitte der helle Fokus der Druckgrafik liegt und dessen Hauptpartien aus Augen-, Nase- und Mundbereich sich als distinkte Rasterfelder abzeichnen. Damit bewegt sich das Porträt zwischen einer fein modellierten physischen Darstellung und einem disparaten Bilderpuzzle. An der großen Anzahl fragmentierter Probedrucke lässt sich der langwierige und sorgfältig durchdachte Herstellungsprozess nachvollziehen.13 Folgt man den frühes12 Vgl. Goldman, Judith: American Prints: Process & Proofs, Ausst.-Kat., New York, Whitney Museum of American Art 1981-82, New York 1981, S. 68, zit. nach Sultan 2014, S. 180. 13 Die dazugehörigen Werke um Keith/Mezzotint sind so umfangreich, dass das de Young Museum in San Francisco ihm 2012 mit Forty Years of Keith eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Zudem wurde 1973 in der Ausstellung Projects: Chuck Close/Liliana Porter im New Yorker MoMA die Herstellung dieser Arbeit durch eine sukzessiven Abfolge von Probedrucken präsentiert, bei der die Entwicklung vom kleinsten Detail bis zum fertigen Druck vorgeführt wurde, vgl. Sultan 2014, S. 43.

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ten Probedrucken, die auf kleinen quadratischen und rechteckigen Bildfeldern erst die Mund-, dann auch die Nasenpartie zeigen (Abb. 105 a-c), an denen sechs unterschiedliche schwarze Druckfarben getestet wurden,14 so kann man daran den methodischen Ablauf erkennen: Wie im einer vom Mund ausgehenden herauszoomenden Bewegung wird das Gesicht allmählich aus kleinen Feldern aufgebaut und schließlich um die Randbereiche mit Haaren, Hintergrund und Kleidung ergänzt (Abb. 106). Dabei fällt auf, dass große Gesichtsbereiche an Wangen und Kinn im Verlauf zunächst unbehandelt bleiben, so dass sich das Porträt eigentlich aus der Gesamtheit der Close-up-Fragmente der Probedrucke zusammengesetzt. Die Restbereiche der zentralen Zonen um Augen, Nase und Mund entstanden erst später und schließen keineswegs nahtlos an – das ist ebenso technisch bedingt, weil Close bei der Bearbeitung der Druckplatte mit dem Gesichtszentrum um Mund und Nase begonnen hatte und dieser Bereich nach vielen Probedrucken bereits dermaßen verflacht war, dass er heller druckte als der Rest. Bei genauer Betrachtung geben also die jeweiligen Bildzonen und ihre Nahtstellen den Entstehungsprozess der Druckgrafik wieder. Das Detail – ob Gesichtspartie oder Rasterfeld – bleibt im Gesamtbild immer inhärent sichtbar, wo es ein Porträtfragment und zugleich eine Entwicklungsstufe der technischen Herstellung darstellt. Dieser Aspekt wird vor dem ‚Schwarzbild‘ auf der Mezzotinto-Platte noch deutlicher, da es wie in Umkehrung des unbelichteten Fotofilms einen Negativzustand zeigt, der im Arbeitsprozess visuell präsent ist und einen noch nicht beschriebenen, potentiellen Grund der Bilderscheinung enthält. In Analogie zum bereits erwähnten elektronischen Anzeigefeld wäre der ‚schwarze Bildschirm‘ so wie jedes unbeschriebene Rasterbild bei Close nicht als Leere, sondern als virtueller Handlungsraum zu verstehen, der durch die Festlegung einer technischen Grundstruktur eröffnet wird und daraufhin empfänglich ist für jede weitere Aktion, die das Anzeigefeld nach dessen immanenten Bildregeln verändert. Keith ist auch darum ein Sonderfall, weil das Modell Keith Hollingworth eine physiognomische Eigenheit aufweist: Seine Gesichtszüge sind infolge eines Schlaganfalls dauerhaft leicht verzerrt, so dass Mundwinkel und Nase im Porträt nach rechts verrutscht und gegen die Augenpartie verdreht erscheinen (Abb. 107). Jener Eindruck der Verzerrung, der durch den inhomogenen Fokus und springende Helligkeitswerte in der Druckgrafik hervorgerufen wird, ist also keine bloße optische Verfälschung, sondern beruht auf einer real verfremdeten physischen Realität. Das irritierende Moment dieser Physiognomie mag ein Grund für Closes langjähriges Interesse an diesem Motiv gewesen sein, auf das er wie in den Phil-Arbeiten wiederholt zurückgegriffen hat. Gerade in der Diskrepanz zwischen extremer Detailtreue und Verzerrung tritt das Gefälle von Realität und Abbild sowie ihrer technischen Umformung zum Vorschein. Auf subtile Weise wird die implizierte Normierung des Passbildes durch die unfreiwillig bewegte und ‚verfälschende‘ Mimik unterlaufen, obgleich durchaus eine körperliche Tatsache wiedergegeben wird. 14 Für die Probedrucke des Mundbereichs wurden folgende Farben verwendet: Charbonnel Taille Douce, Graphic Chemical (auch kombiniert mit Taille Douce), zwei Sorten Charbonnel Noir A Monter und Senefelder’s Crayon Black, jeweils handschriftlich unter dem Bild vermerkt als Taille Douce, Graphic Cem, ½ Graphic Cem+½ Taille Douce, Monter, Monter, 1EA 3022 und Crayon. Quelle: Korrespondenz mit Colleen Terry vom 13.10.2015, Achenbach Foundation for Graphic Arts, Legion of Honor, San Francisco.

2.3 Einheit und Segment: Komposit-Bilder | 233

Fragmentierung und Bruch sind Charakteristika, die bei Keith auf mehreren Ebenen existieren. Die bereits verzerrte Form des Gesichts wird bei der drucktechnischen Verarbeitung in einzelne Bereiche fragmentiert, deren sukzessive Umsetzung eine vollständige Synthese des Porträts hervorbringt. Die Chronologie seiner Entstehung wird von den partialisierten Probedrucken insofern ‚nacherzählt‘. All dem liegen die Rastersegmente zugrunde, die sich wie Bausteine zu einem differenzierten Kompositbild zusammenfügen. Die technische Fragmentierung und Segmentierung des Körper- bzw. Bildganzen überlagern sich sowohl in der Struktur als auch im Arbeitsprozess. Die mathematische Zergliederung der Fotografie schließt dabei eine Detailstudie der organischen Gestalt ein, während die Konstruktion der Bildfläche mit der Konstruktion einer artifiziellen Körperlichkeit einhergeht.

2.3.3 GESICHTSSCAN: SLOW PAN FOR BOB Dass die Spannung zwischen Einheit und Segment ein wesentliches Prinzip seiner Arbeit ist, zeigt sich am letzten Beispiel Slow Pan For Bob von 1970 (Abb. 108), Closes einziger filmischer Arbeit, die er mithilfe von Richard Landry, einem Musiker, Filmemacher und Mitarbeiter von Phil Glass, hergestellt hat.15 Der stumme 16-mmSchwarzweißfilm besteht aus einer mehr als zehnminütigen geloopten Nahaufnahme des Gesichts von Bob Israel, den Close 1969-70 in einem großen Airbrush-Bild porträtiert hat (Abb. 65). Als handelte es sich um einen mechanischen Scan der Leinwand, wird Zeile um Zeile ein imaginäres Bildfeld mit derselben Komposition wie im gemalten Porträt abgelaufen, so dass im permanenten Close-up der Aufnahme nur Details zu sehen sind. Tatsächlich aber befindet sich die reale Person regungslos vor einem weißen Hintergrund und wird langsam abgefilmt. Die Kamera bewegt sich – entsprechend der von Close vereinfacht formulierten Arbeitsmethode für seine Malerei – von links oben nach rechts unten in zwanzig Bahnen, zwischen denen die Zeilensprünge herausgeschnitten wurden. Während dieses Prozesses vollzieht der Film aus einer unveränderten Distanz bei stetigem Tempo den indifferenten Allover-Blick der Malerei nach. So wird der leere Hintergrund wie schon in Closes Bildern mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelt wie die Figur, deren Teilansichten vor der Weißfläche erscheinen und verschwinden. Manchmal aber scheint die Kamera auf einer Partie zu verweilen, wie um zu fokussieren, während anderswo das Gezeigte verschwommen bleibt, sich auflöst und etwas rascher übergangen wird. Auch hier tritt ein ständiger Wechsel zwischen diffus aufgelösten Bereichen und überraschend scharfen Details auf, was an das Fokusgefälle in den Airbrush-Bildern erinnert. Über weite Strecken sind die grobkörnigen Filmbilder von einer abstraktmalerischen Ästhetik geprägt, was die Visualität beider Medien einander frappierend stark angleicht – meist lässt sich kaum sagen, ob hierbei die Malerei von Bob oder die reale Person abgefilmt wurde. Die stetige Differenzierung und Unruhe des mechanisch geführten Blicks aus einer extremen Nahansicht scheinen die visuellen Sprünge der späteren Komposit-Polaroids schon zu antizipieren, wo die Figur durch die subtil wechselnden frames der Kamera zerschnitten und die Erscheinung ihrer Segmente unentwegt variiert wird. 15 Vgl. Close zit. nach UbuWeb Film, http://ubu.com/film/close_bob.html.

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In Slow Pan for Bob kündigt schon der Titel mit „langsamem Schwenken“ und „Panoramieren“ die technische Behandlung des Gegenstands als einer landschaftlichen Topographie an. Wie bei der geografischen Kartierung wird das darzustellende Bildfeld in gleiche Segmente aufgeteilt, dabei jedoch nicht gerastert, sondern in Streifen geschnitten: Ihre Länge kann nur im rhythmischen Wechsel von Figur und Leergrund geschätzt werden, da sich die gezeigten Bildstreifen (wie in medialer Entsprechung zu Filmstreifen) bruchlos aneinanderfügen. Der Betrachter sieht nie das ganze Porträt, sondern muss sich diese Einheit vorstellen und die im Scan-Ablauf gezeigten Teilansichten im Geiste addieren. Ihre richtige Identifizierung und Zuordnung zum Ganzen stellt die größte Herausforderung dar.16 Anders als etwa in Richters topografischen Detailaufnahmen seiner abstrakten Malerei in 128 Fotos von einem Bild (1978) verlangt die körperliche Einheit des Porträtmotivs nach einer Synthese seiner Teilansichten und verhindert ihre völlige Verselbstständigung zu fiktiven Landschaften.17 Während der Film also eine Syntheseleistung zwischen Auge und Gedächtnis erfordert, suggeriert er zugleich die chronologische Rekonstruktion des Airbrush-Porträts Bob. Dabei realisiert die Scanbewegung der Kamera scheinbar einen ‚idealen‘ Entstehungsablauf nach der strikt mechanischen Methode, die Close projektiv definiert hatte, allerdings im realen Malprozess kaum einhalten konnte, da die AirbrushBilder einen anderen technischen Aufbau aufweisen und der Maler sich körperlich anders zur Leinwand verhält. Zugleich ist die fragmentarische Filmansicht ein Gegenstück zum gemalten Porträt, weil hier das Modell Bob Israel sein eigenes Tableau Vivant darstellt – verfremdet und erweitert um die zeitliche wie räumliche Bewegung des Films. Im Zusammenspiel von Stillstand und Bewegung, Technik und Körper überkreuzen sich im Film immer wieder das Mechanisch-Technische und Irregulär-Organische: So wird die mechanisierte Arbeitsmethode von Close durch den Kamerascan exemplarisch vollzogen und sein konzeptuelles Sehen in Segmenten durch den begrenzten Bildausschnitt forciert, womit der Film dem Betrachter die künstlich regulierte Sehweise des Malers während des Schaffensprozesses aufdrängt – im Gegensatz zum Gemälde, das der Betrachter als Bildganzes zuerst aus der Distanz sieht und dem er sich selbstbestimmt nähern kann. Im filmischen Einzelbild wird jedoch aus der organischen Einheit des Gegenstands eine topografische Struktur oder ein abstraktes Muster herausgelöst und dem Blick im begrenzten Kontext der Nahansicht dargeboten, so dass sich an vielen Stellen die Sichtung der Erscheinung vom gegenständlichen Erkennen unabhängig macht. Die Kamerafahrt leitet das Auge zu einer mechanisierten Seh- und Fokusbewegung an, die das körperliche Sehen mit dem technischen Scannen verbindet. Doch dieser Scan ist simuliert, denn die Kamera wird per Hand geführt und bewegt sich keineswegs vollkommen gleichmäßig. Wenn sie also bei einzelnen Details länger verharrt, um dann ruckartig weiterzugleiten, so stellt sich die Frage, ob das ‚technische Auge‘ nicht selbst von einem intentionalen Blick und einem latenten 16 Zum Verfahren vgl. Kern 1979, S. 15; Friedman 2005, S. 45; ders. 1980, S. 16. Dieser bezeichnet die Kamerafahrt als Simulation eines realen Erlebnisses, was jedoch wenig zutreffend ist, da die fixierte Blickdistanz der Kamera und ihr konstanter Ablauf dem irregulären, selektiven Sehprozess widerspricht. 17 Richter hat die Fotografien als Künstlerbuch publiziert: 128 Details From A Picture (Halifax 1978), 64 S., Press of the Nova Scotia College of Art and Design, Halifax 1980.

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Interesse gesteuert sein mag. Mit den irregulären physischen Mikrobewegungen und leichten Blickverschiebungen wird erneut die Indifferenz des kontinuierlichen Scans relativiert. Für das Modell gilt eine ähnliche Ambivalenz – es wird zum Zwecke der technisch-visuellen Musterung ‚diszipliniert‘ und stillgestellt. Dabei reicht die Fixierung des lebendigen Körpers, die schon für frühe Fotoaufnahmen mit langer Belichtungsdauer notwendig war, bis zu den kleinsten Regungen. Die Mühe des Stillhaltens bringt eine sichtliche Spannung in den langen Aufnahmeprozess, die insbesondere dort erscheint, wo eine überraschende Bewegung auftritt: Mal regt sich ein einzelnes Haar, mal zuckt plötzlich ein Auge, was umso überraschender ist, da die Person bei der apparativen Zerteilung wie ein statisches Objekt behandelt wird, das mehr Ding oder Landschaft ist als Mensch. Die Differenz des Lebendigen zu erkennen, erfordert einen geradezu detektivischen Scharfblick, da die unruhige, körnige Filmstruktur selbst eine irreführende Bewegung der Bildoberfläche erzeugt. Das unter die ‚Lupe‘ genommene Modell lässt sich indessen nicht ganz durch bildtechnische Strategien auflösen und behauptet weiterhin ein organisches Eigenleben gegenüber der analytischen Form. Im Unterschied zu den Gemälden wird der Betrachter nicht physisch mit ihm konfrontiert, sondern erhält mit dem Überflug der Kamera ein virtuelles Auge, worüber sich ein noch nie gebotener Anblick auf die Person eröffnet. Diese technisierte und homogenisierte Ansicht widerspricht dem natürlich springenden Sehen bei ständiger Körperbewegung, welches wiederum ein fragmentarisches, phänomenologisches Sehen ganz anderer Art ist. Was bereits im Wesen der Fotografie und ihrer monokular-zentralperspektivischen Blickordnung angelegt ist, fließt hier in eine filmische Kartografie ein. Während die Kamera die Wahrnehmung in ein kontraintuitives Scannen transformiert und ein technisch ‚entkoppeltes‘ Körperverhältnis zum Modell schafft, verleiht sie dem Betrachter gleichsam eine andere virtuelle Körperlichkeit, die ihn in ein neues Größen- und Distanzverhältnis zum Gesehenen setzt. Dies impliziert ein physisches Involviertsein, das allerdings von einer kaum zu verortenden, objektiv-distanzierten Perspektive beherrscht wird.

2.4 Fazit: Der Künstler als Maschine

Das Technische bei Close lässt sich zunächst als eine Analogiebildung zur Technik beschreiben: Das rationale, luzide Konzept bestimmt das Bild in seiner Herstellung und Gestalt durch mechanische Prinzipien sowie materielle Einschränkungen. Seine wiederholbaren, methodisch organisierten Verfahren führen zu Bildern, die von der fotografischen Vorlage bzw. Maquette bis zu ihrer seriellen Gruppierung technisch strukturiert und vorprogrammiert sind. Während die Vorgehensweise des Künstlers nach den Regeln des jeweiligen Verfahrens determiniert und sein Sehen und Handeln diszipliniert werden, wird auch der Betrachter mit Formen und Strukturen konfrontiert, die nicht seiner natürlichen Wahrnehmung entsprechen. Dieser muss sich entgegen seiner physischen Veranlagung und Gewohnheit anders zu den Bildern positionieren oder wird durch einen technisch gefilterten Blick in eine andere Rezeptionssituation versetzt, wo er sich den visuellen Regeln anpassen muss. Nicht zuletzt wird das porträtierte Modell der formalistischen Komposition und Transformation unterworfen, durch die sein organischer Körper in eine konstruierte Bildstruktur überführt wird. Doch die handwerkliche Praxis und Arbeit nach bloßem Auge, worauf Close besteht, ebenso wie die Körper-Bild-Beziehung des Künstlers und Betrachters begründen allesamt eine Differenz zur Technik: Nur unter Betonung des essentiellen Unterschieds zwischen dem bewusst agierenden, körperlich kontrollierten Subjekt zur bewusstlos handelnden Maschine, die methodisch imitiert wird, kann der Künstler als ‚bildproduzierende Maschine‘ bezeichnet werden. Closes objektivierte und mechanisierte Bildverfahren sind nur insofern objektiv und mechanisch, als er mit großer Anstrengung gezielt seine eigene Handlung steuert – und in jenem Disziplinierungsakt seine eigentliche subjektive Gestaltungsfreiheit voll ausschöpft. In dieser Hinsicht arbeitet er wie eine sich selbst erschaffende ‚Maschine‘, die ihre eigenen Regeln festlegt und weiterentwickelt. Die künstlerische Differenz zur Technik hat noch einen weiteren physischen Aspekt: Close bringt mit seinem Körper und Bewusstsein eine andere Instanz ins technische Bildsystem – sein physisches Sehen und Handeln ergeben eine zwischen dem technischen Regelwerk und der Bildschöpfung eingeschobene Ebene, die das determinierte Verfahren aufbricht, es komplexer und unberechenbarer macht. Denn das organische Auge und die freie Hand lassen immer Irregularitäten zu, so wie Malerei, Zeichnung und Druckgrafik, aber auch Film und Foto immer materielle Eigenbedingungen und Ungenauigkeiten mit sich bringen. Auf dieser Grundlage werden Closes ‚technische Bilder‘ formuliert: Statt die Technik direkt für die Bildproduktion einzu-

238 | 2 Auge, Hand, Verfahren – Closes Methoden der Bildherstellung

setzen (abgesehen von Fotografie und Film), entwickelt der Maler handwerkliche Verfahren, bei denen inhärente technische Prinzipien über eigene adäquate medienspezifische Mittel artikuliert werden.

3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

3.1 Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion

Die Verschränkung von handwerklich geprägten Techniken mit unterschiedlichen medialen Qualitäten, die sich im Großformat manifestieren, verleiht Closes Werken eine eigentümliche Mehrdeutigkeit auf verschiedenen visuellen Ebenen. Auf den ersten Blick erfasst das Auge den ikonischen Inhalt: die im Foto festgehaltene Person in ihrer virtuellen Körperlichkeit. Ihre illusionistische Materialität basiert auf der fotografischen Aufzeichnung, die im Falle der großen Acrylporträts bis zu den Hautporen reicht. Dem Ikonischen steht das Indexikalische der malerischen oder zeichnerischen Spur, des Fingerabdrucks oder der Polaroid-Aufnahme gegenüber. Die Bilder entwickeln eine autonome Körperlichkeit, die sich darum vom grundsätzlichen bildtheoretischen Diskurs um die Polyvalenz ihrer Struktur abhebt, weil es sich um Bilder des Körpers handelt, wodurch sich die dargestellte Körperlichkeit und Materialität des realen Bildkörpers überlagern. Ihre haptische Realität und visuelle Wirkkraft existieren auf zwei verschiedenen Ebenen, die oszillierend ineinandergreifen und sich zu einem Vexierbild verschieben. Doch diese immanente Dynamik wird erst von der physischen Bewegung des Betrachters aktiviert und hängt wesentlich von dessen Verhalten zum Bild ab. Im Folgenden soll die besondere Bild-Betrachter-Beziehung bei Close untersucht werden, einmal unter dem Aspekt des Körperbildes als einer ikonischen Repräsentation des menschlichen Körpers mit dem Gesicht als Sonderfall, und anschließend unter dem Aspekt des Bildkörpers, der dem Betrachter als eigene Physis gegenübertritt. Wolfgang Kemp führt den aus der Literaturwissenschaft stammenden Begriff der Rezeptionsästhetik an, um methodische Ansätze in der Kunstwissenschaft hervorzuheben, die sich mit der Beziehung zwischen Werk und Rezipienten befassen.1 Wie Kemp erläutert, unterliegt diese Beziehung einem von gesellschaftlichen Funktionen und ästhetischen Theorien bestimmten historischen Wandel, in welchem die Vorstellung des autonom-geschlossenen Kunstwerks der des kommunikativ-offenen Kunstwerks gegenübersteht.2 Mit der zunehmenden Verknüpfung von Werk und (Künst1 2

Siehe Kemp, Wolfgang: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, in: ders. (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 7-27. Die früheste kunstwissenschaftliche Kategorisierung findet sich Kemp zufolge in Alois Riegls Unterscheidung einer Kunst des „Für sich“ und „Für uns“ in Anlehnung an Hegel, vgl. ebd., S. 17-20. Analog dazu unterscheidet Michael Fried später zwischen Absorption und Thea-

242 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

ler-)Subjektivität haben Ausdruck und Autonomie des Kunstwerks seit dem 18. Jahrhundert bis in die Moderne gegenüber der Betrachterinstanz immer mehr an Gewicht gewonnen. Die rezeptionsästhetische Sichtweise richtet den Blick auf die Wirkung des Werks und das Zustandekommen dieser Wirkung, und damit auf die werkimmanenten Rezeptionsvorgaben sowie die in spezifischen Kontexten gebotenen Rezeptionsbedingungen.3 Im Falle von Close spielt nicht nur die ambivalente Form zwischen Personalporträt und Pass- oder Polizeifoto eine Rolle, deren gemischte Ikonografie den Rahmen für die Rezeption setzt, sondern vor allem der tatsächlich stattfindende Wahrnehmungsprozess vor dem Bild, wo physiologische und psychologische Wechselwirkungen zum Tragen kommen. Das großformatige Gesicht erhält die kinematographische Wirkung des „Affektbildes“, während in den monumentalen Porträts die ikonische Eigenaktivität von Bildern, wie sie bei Hans Belting unter bildanthropologischen Gesichtspunkten und bei Horst Bredekamp mit dem Begriff des Bildakts beschrieben werden, eine Potenzierung erfährt.4 Der Appellcharakter leitet sich, wie gezeigt werden soll, nicht nur aus dem Porträt als Gesichtsbild ab, sondern ist in der phänomenologischen Komplexität des Bildmediums und seiner eigenen Stofflichkeit verwurzelt. Hier manifestiert sich die Doppelnatur aus einer kommunikativen Offenheit und einer strukturellen Geschlossenheit in Closes Werken. Die körperliche Begegnung zwischen Bild und Betrachter soll in Anlehnung an Georges Didi-Hubermans Begriff der „leibhaftigen Malerei“ näher beschrieben werden.5

3.1.1 KÖRPERBILD Auf der primären Ebene des Körper-Bild-Verhältnisses agiert der Körper – nämlich der des Künstlers – als bildgenerierende Instanz. Wie aus seiner strategischen Transformation zur ‚Maschine‘ deutlich geworden ist, distanziert sich Close vom klassischen Bild des Künstlersubjekts, das durch physische und geistige Schöpfungskraft die Materie in eine Form zwingt. Vielmehr zwingt Close seiner künstlerischen Tätigkeit selbst eine Form auf, indem er Handlungsabläufe und Bearbeitungsweisen festlegt, die er körperlich ausführen muss. Auf die intellektuelle Kreation des künstlerischen Konzepts folgt eine mechanisierte Arbeit, wodurch geistige und körperliche Produktivität, die traditionell eine Einheit im Schöpfungsakt darstellen, getrennt und hierarchisch organisiert werden. Einerseits transzendiert er damit seine Körperlichkeit, weil seine Arbeit frei gesetzten Richtlinien folgt und dem Einfluss kreativer Launen entzogen wird, andererseits ist seine Umwandlung vom Künstler-Ich zum operativen Agenten oder gar Werkzeug eine radikale Simplifizierung der physischen Intelligenz, die etwa in der Komplexität einer ‚denkenden Hand‘ liegt. Dieses instabile

3 4 5

tralik, siehe ders.: Malerei und Betrachter. Jacques Louis Davids ‚Blinder Belisarius‘, in: Kemp 1992, S. 208-236. Hierin sieht Kemp den Unterschied zur „positivistischen“ Rezeptionsgeschichte und physiologisch bestimmten Rezeptions- bzw. Wahrnehmungspsychologie, vgl. ebd., S. 21-22. Zum Affektbild siehe Deleuze, Gilles: Kino I. Das Bewegungs-Bild, Frankfurt/Main 1989, S. 123-142. Didi-Huberman 2002.

3.1 Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion | 243

Potenzial versucht Close durch sein formalistisches Programm weitgehend auszugrenzen – das physische Tun des Künstlers soll anstelle seines individuell-geistigen Seins die Bildschöpfung bestimmen.6 Closes physischer Arbeitsvorgang involviert alle Techniken der akkumulativen Herstellung von Elementarzeichen bzw. Abdrücken, ob mit Airbrush oder Finger, durch Strichzeichnungen oder Fotografien. In Anlehnung an das technisch und prozessual definierte Abdruck-Paradigma liegt Closes Werken hiermit eine ostentativ körperliche Materialität zugrunde, die sich im Bild objektiviert.7 Die primäre Einbindung des Künstlerkörpers ließe sich im Rahmen von Beltings Bild-Anthropologie und der darin formulierten Trias aus Körper, Bild und Medium betrachten. Beltings universell gefasste Bildtheorie soll hier nur hinsichtlich der Körperdarstellung herangezogen werden. Er sieht in ihr eine anthropologische Konstante, die sich aus kultischen Kontexten ableitet, wobei im kulturhistorischen Wandel trotz aller Umbrüche die Beziehung von Bild, Körper und Medium stets eng verflochten bleiben: Bilderfahrung und Körpererfahrung gehen Hand in Hand, so dass „sich die Kulturgeschichte des Bildes in einer analogen Kulturgeschichte des Körpers spiegelt“.8 Die zentralen Fragen liegen demnach immer noch darin, welchen Sinn der menschliche Körper transportiert, wie dieser Körper medial repräsentiert wird und was das Bild wiederum für den Menschen bedeutet. Bilder vom Körper sind als konstruierte Verkörperungen des Menschen zu verstehen, die nicht bloß eine Naturerscheinung reproduzieren, sondern ein Körperbild produzieren, welches im kulturell geprägten realen Körper schon angelegt ist.9 Belting spricht dem Medium dabei eine Schlüsselrolle zu, wodurch menschliche Körper „mit Bildern kommunizieren“ – denn erst durch diese Instanz zwischen Körper und Bild erhalte Letzteres eine materielle Form und könne objektiv existieren, und somit eine Physis gewinnen, die der Physis des Menschen gegenübertritt.10 Das in der Darstellung veräußerlichte Körperbild trifft wiederum im Betrachter auf dessen verinnerlichte Vorstellungen und Erinnerungen, so dass der Körper nach Beltings Auffassung im doppelten Sinne als „Ort der Bilder“ gilt und es im historischen Wechsel der Medien und Bedeutungen bleibt.11 In der Beziehung zwischen Mensch, Körper und Bild verdichte sich das Wesen der menschlichen Bildproduktion und -wahrnehmung (auch im Sinne der phänomenologischen Projektion), wobei Belting in den technischen Körperrepräsentationen durch neue Bildmedien keine 6

Vgl. Storr 1998, S. 34, wo ähnlich beschrieben wird, dass Close die Frage „what an artist was“ ersetzte durch die Frage „what he as an intellectually and manually dexterous artist could do“. 7 Zum Abdruck als Prozess und Paradigma vgl. Didi-Huberman 1999, S. 14-19. 8 Belting 2001, S. 23. 9 Vgl. ebd., S. 88-89. Mit Verweis auf den Psychologen Robert D. Romanyshyn zur Unterscheidung von anatomischem und kulturellem Körper schreibt er verkürzt: „Der Mensch ist so, wie er im Körper erscheint. Der Körper ist selbst ein Bild, noch bevor er in Bildern nachgebildet wird.“ 10 Vgl. ebd., S. 23, 27, wo Belting Medien auch „Trägermedien oder Gastmedien“ nennt, durch die Bilder erst sichtbar werden. Dem gegenüber steht für ihn der Begriff der inneren, mental existierenden Repräsentation, die einem körperlichen Bildarchiv gleichkommt. 11 Vgl. ebd., S. 57-60.

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Auflösung dieses Verhältnisses sieht, sondern eine Widerspiegelung der fortdauernden Auseinandersetzung mit dem Körper, dessen ikonische Problematik ihm aktueller denn je erscheint.12 Das Beziehungsdreieck aus Körper, Bild und Medium spielt bei Close auf mehreren Ebenen eine Rolle. Während die handwerkliche Malerei und der Einsatz von Fingerabdruck und fotografischer Indexikalität allesamt Aspekte einer körperlichen Bildgenerierung darstellen – wo Körperbilder mit dem Körper gemacht werden – und so die Präsenz des Menschen anzeigen, vermittelt das daraus hervorgehende Körperbild hingegen eine nachdrückliche Distanz zum Autor und zum Modell. Dem liegt Closes antihumanistischer Ansatz zugrunde, wonach der Porträtierte wie ein Objekt in seiner visuellen Faktizität registriert und repräsentiert werden soll. Doch die am neutralen Blick von Pass- und Polizeifotos orientierte Form vermittelt in der Rhetorik des ungeschminkten Realismus und der fotografischen Kontingenz wiederum einen bestimmten Körperbegriff, nämlich der eines individuellen Körper-Objekts bzw. eines spezifischen, aus der Masse gegriffenen Exemplars. Die ostentative Sachlichkeit und Monotonie der Körperinszenierung und ihre Gestaltung in der Fotografie richtet sich gegen das psychologische oder soziale Rollenspiel im konventionellen Porträt. Stattdessen soll in lapidarer Frontalität eine wissenschaftlich-analytische Körperansicht suggeriert werden, die eine epistemische Distanz zur dargestellten Person neben einer operativen Distanz des Urhebers vermittelt. Allerdings fügt die mediale Form des Bildkörpers Closes objektiver Konstruktion des Körperbildes eine andere Dimension hinzu. Die monumentalen Fomate der Leinwände, Papierbögen und Polaroids lassen die sachliche Darstellung in eine geradezu monströse Präsenz umkippen, deren sich der Betrachter vor dem Bild kaum entziehen kann. Die Übergröße verleiht den Bildern von Gesichtern und Körperpartien ungeachtet der technischen Bildsprache einen affektiven Appellcharakter. Die psychologische Wirkung, die bei der Überschneidung zwischen eigener und fremder Körperwahrnehmung vor dem Bild auftreten mag, ist die Kehrseite des eindringlichen und objektbezogenen Blicks. Durch die physische Präsenz des Mediums gewinnt auch der virtuelle Körper im Bild jene Präsenz, mit der er dem Betrachter als Gegenüber begegnen und diesen buchstäblich überragen kann. Mit dem frontalen Blick und der hyperrealistischen Wiedergabe drängt sich die Animation des Bildes im Augenblick der Betrachtung förmlich auf – trotz der sachlichen Ästhetik beansprucht der dargestellte Körper eine eigene Existenz, was durch das Medium ermöglicht wird, welches gleichzeitig selbst ausgeblendet erscheint.13 Auf die Doppelrolle des Modells als Objekt und Subjekt bei Close wird noch näher einzugehen sein. Das Problem der lebendigen Körperlichkeit wird bei Didi-Huberman als „leibhaftige“ Präsenz sowohl des dargestellten Körpers als auch des Bildkörpers diskutiert. In seinem Buch Die leibhaftige Malerei werden in einer emphatischen Erwiderung und theoretischen ‚Sektion‘ der berühmten Erzählung Das unbekannte Meisterwerk von 12 Vgl. ebd., S. 90-94, 108-110. Hier werden neuere Themen wie die „Körperflucht“ in eine technische Künstlichkeit, der medial propagierte „Körperkult“ sowie „Körperverlust“ einer Revision unterzogen, die sich in der Kritik an der „Krise des Menschen“ fortsetzt. 13 Zum Verhältnis von Absenz und Präsenz und dem „Akt der Animation“ siehe Belting, Hans: Echte Bilder und falsche Körper. Irrtümer über die Zukunft des Menschen, in: ders. 2005, S. 303-326.

3.1 Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion | 245

Honoré de Balzac aus dem Jahr 1831 die ontologischen Aspekte der malerischen Körperdarstellung facettenreich diskutiert, ebenso wie die materielle, ikonografische, metaphorische und psychologische Ebene ihres Körper-Bildes. In der Parabel des ‚unbekannten Meisterwerks‘ werden für Didi-Huberman das Wesen der Malerei sowie ihre Grundproblematik deutlich. Mehr als bei Belting wird Schicht für Schicht die Spannung aus Distanz und einer bis zur Berührung gesteigerten Intimität zwischen Bild und Betrachter herausgearbeitet. Ausgehend vom leibgebundenen Sehen, das gemäß der Philosophie Merleau-Pontys körperlich in der Welt verwurzelt ist und stets einen Blickaustausch (als „Chiasmus der Blicke“) mit ihr impliziert, beschreibt Didi-Huberman die dynamische Verschränkung von Distanz und Berührung in der Begegnung, bei der das unbelebte Objekt aus dem ableitbaren Prozess seiner (physischen) Herstellung eine geradezu „magische Kraft“ bezieht und das Phantasma des Lebendigen hervorruft.14 Auf einer ähnlichen phänomenologischen Grundlage spricht Horst Bredekamp von der Potentia des Bildes, die als universelle Qualität von Artefakten zeiten- und medienunabhängig zur Geltung kommt, da sie in einer aktiven Wirkung der Bildwerke auf den Betrachter liegt.15 Diese in seiner Wirkkraft fußende Eigenaktivität des Bildes beschreibt Bredekamp anhand der Kategorien Schema, Substitution und intrinsische Form, wobei die Körperdarstellung und das Porträt als besonders wirkmächtige Sonderfälle gelten. Die spezielle Rolle des Gesichts ist bereits unter den gattungsspezifischen Aspekten des Porträts angesprochen worden. Georg Simmel sieht im Gesicht eine sinngenerierende Bildform par excellence: Dem organischen Gefüge spricht es ein äußerstes Maß an innerer Einheit bei gleichzeitigem Ausdruck des Geistes zu. Diese Geistigkeit verstärkt sich mit dem Zusammenhang der Teile und tritt im Gesicht stark hervor, da jede Detailveränderung das Ganze zu beeinträchtigen vermag.16 Die Ästhetik des Gesichts ist für Simmel darum besonders, weil in der herausgestellten Lage des Kopfes höchst heterogene Elemente zu einem geschlossenen Gefüge vereint auftreten und die „äußerste Individualisierung der Elemente in eine äußerste Einheit“ eingeht, entsprechend der Bewusstseinsherrschaft der subjektiven Identität.17 Der Sinn bzw. psychologische Gehalt eines Porträts liegt gemäß dieser Auffassung nicht in einer trans-

14 „Eine Phänomenologie der ausgetauschten Blicke ergänzt die Phänomenologie der auratischen Distanz.“ Damit bezieht er sich auf Benjamins Aura-Begriff, der ein potenzielles BlickAufschlagen oder Zurückblicken des Artefakts einschließt. Die „magische Kraft des Lebendigen“ leitet Didi-Huberman vor allem von der sichtbaren Spur im Kreationsprozess des Artefakts ab, vgl. ders. 2009, S. 51-52. Siehe Merleau-Ponty, Maurice: Das Sichtbare und das Unsichtbare (gefolgt von Arbeitsnotizen), hg. v. Claude Lefort, München 1986. 15 Auch hier wird der „Chiasmus der Blicke“ angeführt, vgl. Bredekamp 2015, S. 235-245. 16 Simmel, Georg: Die ästhetische Bedeutung des Gesichts (1901), in: ders.: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908, Bd. I, hg. v. Rüdiger Kramme u. a., Gesamtausgabe Bd. 7 (24 Bde.), Frankfurt/Main 1995, S. 36-42, hier S. 36. Vgl. Suthor, Nicola: Georg Simmel: Die wahre Einheit (1905), in: Preimesberger/Baader/Suthor 1999, S. 416-424. 17 Vgl. Simmel 1995, S. 37-38. In der Vereinigung der Gegensätze sieht Simmel ein Idealmodell gesellschaftlichen Zusammenlebens. Im menschlichen Subjekt werde diese Einheit von der „Macht des zentralen Ich“ erhalten.

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zendenten ‚Seele‘ hinter dem Bild, sondern entsteht aus der ästhetischen Stimmigkeit der Bildform und der „reinen Anschaulichkeit“ seiner Oberfläche.18 Das Gesicht als ein vom Körper (oder gar der Person) losgelöster Ausdrucksträger und eine Oberfläche der Affekte wird in Gilles Deleuzes Kinotheorie pointiert thematisiert. Dabei wird die Parallele zwischen Gesicht, Affektbild und Großaufnahme gezogen: Die filmische Großaufnahme ist bei Deleuze nicht nur eine Vergrößerung im Close-up, sondern zeichnet sich strukturell durch die Spannung zweier Pole aus, die einerseits aus einer statischen, reflektierenden „Empfangsfläche“ und andererseits aus graduellen Mikrobewegungen besteht, die darauf erscheinen – ihre Einheit ergibt das Affektbild.19 Deleuze leitet aus dieser Struktur, die er am Beispiel der Standuhr erläutert, die Grundform der visage ab, womit selbst Dinge eine ‚Gesichtlichkeit‘ erhalten und ihnen die ‚Augen geöffnet‘ werden können (envisagée oder visagéifiée). Aufgrund ihrer Wirkkraft als Ausdruck reiner Affekte erscheint die Großaufnahme isoliert von Handlung und Körperkontext und birgt darum die Möglichkeit eines qualitativen Sprungs, so wie das Gesicht als Charakter oder Maske eine Person ‚ausdrücken‘ und sich gleichzeitig von ihr loslösen kann.20 Deleuze sieht die strukturelle Grundspannung der visage zwischen dem einheitsstiftenden Umriss der Gesichtszüge und den Bewegungen des Mienenspiels. So benötigt ein Gesicht keine Vergrößerung, weil es den absoluten Ausdruckswert der Großaufnahme bereits in sich trägt. In der Umrisslinie wird ein stiller, reflektierender Zustand vermittelt, worin sich die Züge zu einer Maske sammeln können, während die bewegliche Unabhängigkeit seiner Teile einen emotionalen Zustand anzeigt, die mit ihrer fortlaufenden Steigerung die Physiognomie auflöst. Zwischen diesen zwei Polen bewegt sich das Gesichtsbild, die Deleuze mit Blick auf den Appellcharakter des Gesichts auf zweierlei Weise befragt: „Woran denkst du?“ und „Was fühlst du?“ – womit zugleich das Problem der äußeren Form und inneren Lesbarkeit angesprochen ist.21 Angesichts seines affektiven Appells an den Betrachter wirkt das Gesicht im tatsächlichen Close-up umso stärker, da dieser unwillkürlich auf das Angesicht eines anderen Menschen reagiert, insbesondere wenn ein Blick von ihm ausgeht. Die medial suggerierte Intimität des Gesichts in Großaufnahme stellt Belting zufolge die perfekte Maske im Rollenspiel dar, da hier emotionale Nähe durch konstruierte ästhetische und mimische Effekte vermittelt wird.22 In kinematografischer Vergrößerung erscheint das Gesicht nicht nur als kommunikatives Gegenüber, sondern ebenso als Oberfläche für psychologische Projektionen und empathische Identifikation.23 Unter 18 Vgl. Suthor 19992, S. 421. 19 Vgl. Deleuze 1989, S. 123-124. Zu Großaufnahmen im frühen Kino und zum Filmgesicht bei Deleuze vgl. Belting, Hans: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013, S. 258-265. 20 Vgl. ebd., S. 264. Zu Affekten als „Potentialqualitäten“, die durch das Gesicht ausgedrückt werden, vgl. Deleuze 1989, S. 138. 21 Vgl. ebd, S. 124-125. 22 Vgl. Belting 2013, S. 226. Siehe hierzu Löffler, Petra/Scholz, Leander: Das Gesicht ist eine starke Organisation, Köln 2004; Löffler, Petra: Affektbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik, Bielefeld 2004. 23 Zur Medialität des Gesichts siehe dies.: „Filmgesicht“. Die Rede vom Gesicht im frühen Film, in: Beilenhoff, Wolfgang u. a. (Hg.): Gesichtsdetektionen in den Medien des zwanzigsten Jahrhunderts, Siegen 2006, S. 25-51.

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Einbezug von Deleuzes Begriff der Großaufnahme würde der ikonische Blick aus dem Bild von einem weiteren strukturellen ‚Zurückblicken‘ ergänzt, das in der Gesichtlichkeit der Großaufnahme angelegt ist. Im großformatigen Blow-up und Close-up wird das Gesicht gewissermaßen als Teil der menschlichen Physis zu einer zeichenhaften, affektbeladenen Oberfläche abstrahiert. Die Masse der medial präsentierten Gesichtsbilder hingegen trägt wiederum zu ihrer Entleerung und Inflation bei: So spricht Thomas Macho von einer gegenwärtigen medialen Proliferation der Gesichter, die als Mediengesichter etwa durch Fotografien oder Fernsehbilder ‚konsumiert‘ werden.24 Der Blick aus dem Bild, der im Porträt ein klassisches Mittel der kommunikativen Ansprache und lebendigen Beseelung darstellt, ist laut Simmel ein raumgreifender „äußerster Bewegungsaffekt“ des fixierten Auges, welches trotz seiner nur latenten Beweglichkeit weit über sich hinauszugehen vermag.25 Ein negatives Schreckbild dieser Blickherrschaft liefert die Medusa, deren abgetrennter Kopf als „selbstagierendes“ Bild den Betrachter direkt affiziert und in Stein verwandelt.26 In dieser Extremform vermag das isolierte Gesichtsbild – ein aggressiver Gegenentwurf zum Antlitz Christi in der vera icon – durch eine Blick-Berührung physische Gewalt über den Betrachter auszuüben. Auf einer Primärebene ist außerdem vom Blick des Bildes die Rede, der von ihm selbst unabhängig von ikonografischen Inhalten ausgeht. Abgeleitet wird ein solches Blickpotenzial, das auf ein Eigenleben verweist, aus dem Ursprung des Artefakts durch die lebendige Handlung (des Menschen), aus der latenten Expressivität seiner Form oder seiner phänomenologischen Erscheinung im Wahrnehmungsprozess.27 Dieser Aspekt, der bei Didi-Huberman und Bredekamp besondere Beachtung findet, bezieht sich auf das Wesen des Bildkörpers. Die psychologischen und ästhetischen Implikationen des Gesichtsbildes sind also vielfach strukturell, ikonografisch oder formal bedingt und greifen im Sehen ineinander, wobei sie sich abwechseln und gegenseitig potenzieren können. Es scheint, als würde Close mit seinen frontalen Köpfen das Gesichtsbild bei Simmel exemplarisch vorführen. Die vor leerem Hintergrund präsentierte Monoform des Gesichts mit einer symmetrisch zentrierten Komposition unterstreicht die ästhetische Einheit, die aus extrem unterschiedlichen Details gebildet wird. Obwohl Close den subjektiven Geist als einheitsstiftende Instanz des Gesichtsgefüges sehr infrage stellen würde, wirft das angewandte Passbild-Schema durchaus die Frage der Identität auf – so mag er die Malerei als strukturelles Allover definieren, doch das dargebotene Gesicht tritt bei der Wahrnehmung des Bildes primär in den Vordergrund. Close veranschaulicht genau jene Spannung zwischen Symmetrie und Individualität, die Simmel 24 Siehe Macho, Thomas: GesichtsVerluste. Faciale Bilderfluten und postindustrieller Animismus, in: Treusch-Dieter, Gerburg/Macho, Thomas (Hg.): Medium Gesicht. Die faciale Gesellschaft, Ästhetik und Kommunikation, 25. Jg., Heft 94/95, Dez. 1996, S. 25-28; vgl. Belting 2013, S. 42, 215. 25 Vgl. Simmel 1995, S. 41, wo auch in Bezug auf Benjamins Aura-Begriff von der „Phänomenologie der ausgetauschten Blicke“ die Rede ist. 26 Zum Blick der Medusa vgl. Bredekamp 2015, S. 231-235. 27 Vgl. Didi-Huberman 1999, S. 51-53; Bredekamp 2015, S. 30-32, 235-245; Merleau-Ponty 1986, S. 183.

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für das Gesicht konstatiert hat: Wenn die Symmetrie für die regelmäßige Herleitbarkeit der Formen und den „Rationalismus“ der Einheit steht, so meint die Individualität das unvorhersehbare Besondere und Irrationale.28 Simmel bemerkt, dass gerade die Malerei die individuelle Differenzierung im Gesicht betont, wenn etwa die symmetrischen Züge im Chiaroscuro auflöst werden – und tatsächlich tritt dieser Aspekt besonders auffällig bei Close zum Vorschein. Trotz der Frontalaufnahme in der Vorlage erzeugt er durch schräge und tiefe Blickwinkel, harte Schlagschatten, Lichtreflexe oder diffuses Chiaroscuro eine unregelmäßige Gesichtslandschaft. Zu den akzidentellen Details, welche die Kontingenz des fotografischen Bildes betonen (wie lose Haarsträhnen, Lichtpunkte oder der Zigarettenrauch in Big Self-Portrait) kommen stark hervorgehobene individuelle Merkmale, die am deutlichsten im befremdlichen Ausdruck von Nancy oder in den schiefen Zügen von Keith erkennbar werden. Solche Unregelmäßigkeiten und Brüche in der Gesichtseinheit bringen ein „irrationales“ Moment in die klare Porträtformel und lassen fragen, ob es sich um eine individuelle Sonderlichkeit handelt oder einen Effekt der Fotografie, der die natürliche Physiognomie zufällig deformiert. Ein Widerspruch zum sachlichen Passfoto und seiner metrischen Strukturierung liegt zudem in Closes Medien selbst: Sowohl Malerei als auch Zeichnung arbeiten mit singulären Bildzeichen, die jedes für sich faktisch individuell sind. Und auch das Reproduktionsmedium der Fotografie führt trotz formaler Standardisierung in jeder Aufnahme die Kontingenz des individuellen Moments vor. Wie lassen sich diese Porträts als kinematografische Großaufnahmen lesen? Close stellte seine fotomimetischen Bilder zu einer Zeit her, als es keine Fotografien in dieser monumentalen Größe mit dem außerordentlichen Schärfegrad, den die malerische Umsetzung erzielen konnte, gab – der porentiefe Einblick wäre in der groben Körnung des technischen Blow-ups verloren gegangen. Im Kunstkontext war dieses fotografische Format Ende der 1960er Jahre alles andere als üblich, worauf der anfängliche Schockeffekt auf zeitgenössische Betrachter zurückzuführen war. Ungeachtet ihres Mediums wirken Closes Bilder zunächst als Fotografien, die beim Publikum unwillkürlich den alten Wirklichkeitsglauben an das apparativ erzeugte Bild wachrufen. Fotografische Rezeptionsgewohnheiten werden spontan darauf projiziert, noch bevor es als Malerei erschlossen wird. Die Ikonografie des frontal aufgenommenen Gesichts im Stil einer unmittelbaren Dokumentation potenziert diese Bildwirkung zusätzlich. Als Close das Publikum erstmals mit seinen Bildern konfrontierte, irritierte er sie mit den kinematografisch wirkenden ‚Passfotos‘, deren Großformat man bis dahin nur von farbigen Billboard-Werbungen oder Kinobildern kannte. Anders als in den Kinogesichtern bei Deleuze, die das Großformat strukturell in sich tragen, ist die Fotografie bei Close kein Filmstill – es gibt keine Handlung, die sich im Gesicht konzentrieren und dieses ikonisch auf eine andere Ebene heben könnte. Ohne narrativen Kontext bieten die Gesichter zuerst keine Erklärung zur Identität der Person oder zum Sinn ihrer Repräsentation, abgesehen vom Vornamen im Titel (hier erscheinen Selbstporträts aufschlussreicher). Anstatt wie filmische Gesichtsaufnahmen emotionale oder inhaltliche Bezüge anzubieten, geben sie ein Rätsel auf, tragen dieses aber mit derselben Nachdrücklichkeit der Großaufnahme vor, die sich kommunizierend an den Betrachter wendet. Eben weil sie inhaltlich so obskur erscheinen, wird das

28 Vgl. Simmel 1995, S. 40.

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Gegenüber aufgefordert, einen Ausdruck in den Gesichtern zu lesen und damit den Affekt herauszufiltern oder zur Not selbst hineinzuprojizieren. Während Close bei den Fotoaufnahmen durchaus wie ein Regisseur vorgeht und technische Elemente wie Licht, Kamera und Komposition genau abwägt, will er mehr einen topografischen „human floor plan“ vom Modell herstellen als eine Narration konstruieren.29 Andererseits lässt sich in der nüchternen Passbild-Inszenierung eine potenzielle Erzählung vermuten, versteckt in der subtilen Dramatik von Schatten und Blickwinkel oder im eingebauten Rollenspiel, was insbesondere für die frühen Porträts gilt. Ihre nahezu perfekte Frontalität erfüllt den Maximalwert der bei Deleuze beschriebenen Struktur der Großaufnahme: Auf der Einheitsform des Gesichts, welche durch das homogenisierende Raster und die fotografische Bildfläche unterstrichen wird, ist jeder mimische Akzent ein Ausschlag auf der ‚Ausdrucksanzeige‘. Je länger man also die Gesichter im Blow-up und Close-up betrachtet, desto reichhaltiger werden ihre visuellen und psychologischen Informationen, deren Affektpotenzial unweigerlich nach einer Interpretation verlangt. Ihr formal und ikonografisch gesteigerter Facialitätswert verleiht den Porträts einen Appellcharakter, dessen sich selbst Close nicht entziehen kann: So berichtet er von Momenten während des langen Arbeitsprozesses, in denen er sich dabei ertappte, wie er das Bild als Gegenüber behandelte – wie zum vertrauten Modell entstand für ihn unbewusst eine Verbindung zu dessen Bild.30 Selbst wenn der Betrachter das Modell nicht kennt, kann er dessen physische Präsenz im riesigen Bildträger verkörpert spüren. Wo ein Auge größer erscheint als der eigene Kopf und Brillengläser die Maße von Reifen übersteigen, kann man dem konfrontativen Blick kaum standhalten, ihm aber angesichts der räumlichen Reichweite genauso wenig ausweichen. Im Falle von Phil ist oft das ‚medusenhafte‘ Haar beschrieben worden, doch mehr noch als die schlängelnden Locken ist der obskure und unbestimmbare Blick das eigentlich Medusenhafte an diesem Porträt. Halb verschattet und intensiv zieht es das Auge des Betrachters immer wieder an und hält diese Kommunikation mit einem mimischen Halbausdruck in der Schwebe. Der Blick aus dem Bild ist bei Close mal abschätzend, mal kontemplativ, mal zugekehrt oder nur deadpan wie in der kuriosen, ausdruckslosen Maske von Keith. Immer aber bildet dieser in den fotomimetischen Porträts einen Schwerpunkt in der Rezeption, was sich erst mit den kleineren, abstrakt aufgelösten Papierarbeiten ändert. Eine Besonderheit stellen die Brillengläser dar, die in vier der acht monochromen Acrylporträts auftreten. Mit ihnen wird ein zweiseitiger Blick angesprochen: Als verschärfende optische Instrumente steigern sie das Sehvermögen des Bildsubjekts. Als Blende vor den Augen schirmen sie hingegen den Betrachter von dessen Blick ab, da sie den Augenbereich zwar hervorheben, zugleich aber abdunkeln und verdecken. Hinzu kommen markante Lichtreflexionen, die in Form von weißen Punkten die Pupille überlagern und den Blickaustausch durch Blendung ablenken. Insofern fungiert 29 Vgl. Interview mit John Guare, in: Kesten/Bartman 1997, zit. nach Belting 2013, S. 281. Hier geht es um die Herstellung großformatiger Polaroids im Jahr 1994 für ein Gemälde. 30 Vgl. Lyons 1980, S. 34. Die Vorstellung des Gesichtskonsums (Macho) wird bei Close insofern reflektiert, als er sich auf das kunstlose, flüchtige Passbild für ‚Jedermann‘ beruft, das erst durch die sorgfältige Vorarbeit und virtuose Umsetzung aufgewertet wird – die künstlerische Übersetzung stellt hierbei das Gegenteil des schnellen medialen Konsums dar.

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die Brille hier als metaphorisches Requisit der Blicksteigerung und Blickabwehr in einem: Als technisches Hilfsmittel steht sie für präzises und analytisches Sehen (auf Seiten des Bildsubjekts), als Trennwand und Fremdkörper entschärft sie jedoch den Blick auf beiden Seiten und erzeugt eine Distanz im Porträt, dessen natürlichen Ausdruck sie abschwächt. Die Facialität des Körperbildes ist bei Close nicht auf das Gesicht beschränkt, denn auch seine großen Komposit-Polaroids und Daguerreotypien von ausgeschnittenen Körperpartien wie Rumpf, Bauch oder Brüsten können eine Art Gesichtlichkeit evozieren, wie Laura Triptych zeigt (Abb. 102).31 Bauchnabel, Brustwarzen oder die gestochen scharfen Pigmentflecken auf der Haut formieren sich bei längerer Betrachtung zu zeichenhaften Gesichtselementen, die unerwartet ‚zurückzublicken‘ vermögen.32 Trotz des formal und ikonisch erweiterten Körperbildes bei Close wird die Repräsentation der Person als Kernaussage des Porträts durch den Exzess der visuellen Erscheinungen relativiert. Simultan zum virtuellen Körperbild tritt der überdimensionale Bildkörper mit einer Formenfülle auf, deren Gewicht mit jedem Schritt zum Bild zunimmt, bis schließlich die Repräsentation umschlägt: Dort, wo die Präsenz der Bildmaterie überwiegt, bleibt dem Betrachter kein unmittelbar menschlicher Zugang mehr zum Porträt – diesem neuen Gegenüber muss er sich anders annähern.

3.1.2 BILDKÖRPER Die Frage der Ähnlichkeit wurde bereits in Zusammenhang mit der Repräsentation im Porträt diskutiert. Sie steht in Spannung zu einer dem Bild innewohnenden Differenz, die – wie es schon bei Nicolaus Cusanus heißt – jede präzise Wiedergabe erst für die lebendige Perzeption öffnet und ohne die bloße Naturtreue ‚tot‘ wäre.33 So wird in der Porträttheorie immer wieder betont, dass insbesondere das Bildnis eine Autonomie vom Gegenstand benötigt, weil sich der Ähnlichkeitseffekt nur im Spiel zwischen Deutlichkeit und Undeutlichkeit einstellen kann, nämlich durch die aktive Projektion des Betrachters, der den Bildausdruck im Sehen komplettiert.34 Dazu muss das Bild eine Syntax bieten, welche die Struktur des Gegenstands in eine Eigenstruktur überführt, so dass neben dem Körperbild auch der Bildkörper eine Anatomie aufweist. Auf der materiellen Basis des Mediums entstehen so Ausdrucksformen und Potenzialitäten, die unabhängig vom gigantischen Gesichtsbild einen ‚Wahrnehmungsschock‘ auslösen können. Bei Close bedeutet die Abweichung von der mimetischen Ähnlich-

31 Siehe hierzu Paparoni 2002. 32 Darin liegt eine Parallele zu John Coplans’ nach 1984 entstandenen Aufnahmen vom eigenen Körper, die das expressiv-narrative Potenzial des Selbstporträts vom Gesicht auf den Körper erweitern. Siehe Coplans, John: Body Parts. A Self-Portrait by John Coplans, New York 2003; vgl. Belting 2013, S. 90. 33 Zu den kunsttheoretischen Äußerungen von Nicolaus Cusanus in Idiota de Mente über das Verhältnis von Ähnlichkeit und Differenz vgl. Bredekamp 2015, S. 239. Über Cusanus’ Idee des „anregenden“ Bildes und seiner potenziellen Eigenaktivität wird dort der Grundgedanke des intrinsischen Bildakts abgeleitet. 34 Vgl. etwa Reynolds über Gainsborough in: Gage 1997, S. 119, 128.

3.1 Virtuelle vs. materielle Physis – die Haut der Abstraktion | 251

keit auf der Mikroebene des Bildkörpers einen qualitativen Sprung, was wesentlich zur Wirkung seiner Porträts beiträgt. Der Begriff der Physis (grch. φύσις [phýsis]) im Sinne einer natürlich gewachsenen Körperbeschaffenheit kann zunächst für die Leinwand als Bildträger gelten, da aus dem sukzessiv aufgetragenen Farbmaterial erst allmählich Formen und Oberflächenstrukturen hervorgehen. Sie ließe sich sogar auf das schwere Gerüst der Keilrahmen, den aufgespannten Stoff und die zahlreichen Grundierungsschichten erweitern. Didi-Huberman schildert entlang Balzacs Erzählung Das unbekannte Meisterwerk das symbiotische, aber auch tragische Spannungsverhältnis dieser beiden Pole als Drama der Malerei. Der Ausgangspunkt ist dabei die Ikone des lebendigen organischen Körpers, den das Gemälde wiederzugeben versucht. Das Ideal des perfekten Körperbildes markiert sodann die Grenze, an der die Malerei als Darstellungskunst scheitern muss, da sie kein Fleisch und Blut herstellen kann, sondern ein materielles Medium bleibt. Das Scheitern ist nach Didi-Huberman „nichts anderes als die Ausübung selbst des Verlangens“ – in diesem Phantasma der Verlebendigung liegt eine archaische Sehnsucht und Treibkraft des Künstlers, die im Pygmalion-Mythos sinnbildlich zum Ausdruck kommt.35 Im manischen Versuch, eine Körper-Bild-Identität herzustellen und die Natur im Gemälde zu realisieren, gelingt dem Maler nur eine asymptotische Annäherung an das Ideal, welches unmöglich bleiben muss, damit eine stofflich-visuelle Metamorphose im Bild überhaupt stattfinden kann. Hier setzt die dialektische Produktion von Bildwahrheit ein, die am Begriff des Fleisches bzw. Inkarnats problematisiert wird. Ihre Körperlichkeit spaltet sich auf in eine Doppelexistenz aus der virtuellen Materialität, deren lebendig-sinnliche Präsenz wie eine Halluzination heraufbeschworen wird, und der faktischen Materialität von Leinwand und Farbe. Während das Bild aus Letzterer hervorgeht, muss es diese doch negieren und seine wahre Stofflichkeit (Leinwand) zugunsten einer projizierten Stofflichkeit (Körper) leugnen. Zugleich läuft die Illusion Gefahr, von der Leinwand ‚verraten‘ zu werden und sich in reine Farbe aufzulösen. Didi-Huberman verortet dieses materiell-virtuelle Oszillieren zwischen der Oberfläche und Tiefe von Bild und Körper und formuliert diesen Vexiereffekt als „immer unvorhersehbare Dialektik zwischen Erscheinung (epiphasis) und Schwinden (aphanisis)“. Weil der Maler im fortwährenden Wechsel zwischen Konstruieren und Rezipieren sich nah und fern zum Bild bewegt und auf dessen fluide Existenzzustände reagiert, wird er vom nicht fassbaren Ideal des wahren Inkarnats in die Irre geführt, was im Falle der Geschichte Balzacs bis zur Entstellung des Bildes durch übermäßiges Bearbeiten geht.36 Zur Illusion des Schicht für Schicht hergestellten Fleisches kommt der metaphorische und materielle Begriff der Haut, die sich als eine mit Gefühl und Eigenleben („Symptomen“) ausgestattete Körperoberfläche von der materiellen Leinwand und dem gegenständlichen Bildinhalt abhebt. In der Vorstellung der Haut drückt sich ein bis ins Wahnhafte steigerbares Illusionspotential des Bildes aus – als das „Stück Fläche“ ist 35 Vgl. Didi-Huberman 2002, S. 12. 36 Das „farbige Symptom“, das die phänomenale Erscheinung („Ereignis“) der Farbe ist und die Bildillusion begründet, wird der Technik der Malerei und dem kalkulierten Farbauftrag gegenübergestellt. Zum Begriff des Inkarnats bezieht sich Didi-Huberman auf Theorien von Cennino Cennini und Denis Diderot, vgl. ebd., S. 20-27. Siehe hierzu Fend, Mechthild: Weder Haut noch Fleisch. Das Inkarnat in der Kunstgeschichte, Berlin 2007.

252 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

sie malerische Materie und zugleich die ontologische Grenze zur imminenten Verlebendigung einer körperlichen Präsenz.37 Hinter allen Höhenflügen der Bildillusion steckt jedoch die doppelte Wahrheit der malerischen Stofflichkeit, worin sich die Körper- und Farbmaterialität buchstäblich verknoten. Letztendlich beruht die Verfolgung des künstlerischen Phantasmas auf Technik. So zitiert Didi-Huberman zahlreiche Traktate zur Darstellung des Inkarnats und auch Balzacs Maler Frenhofer ist ein Meister des Handwerks, der dennoch weniger als der junge Maler Poussin in der Geschichte erkennt, dass das Ziel über das Werk und seine Formfindung erreicht werden muss, da sonst die Dynamik des Malens auf ein unartikuliertes, selbstdestruktives Chaos hinauszulaufen droht. Die Phänomenologie des Was wird präzediert und immer wieder eingeholt von der Frage des Wie – wie lässt sich Farbe kalkulieren, kontrollieren oder: „Wie lässt sie sich als diskrete Größe behandeln?“38 Close erscheint auf den ersten Blick kaum mit Frenhofer vergleichbar. Weder übermalt er seine Figuren bis zur Unkenntlichkeit noch verbindet ihn eine leidenschaftliche Beziehung zu ihnen, im Gegenteil – die Distanz ist sein Ausgangspunkt. Doch er legt eine nicht minder besessene Arbeitsweise an den Tag, wenn es um die Realisierung der Idee geht, die in den fotomimetischen Bildern in der maximalen Ähnlichkeit zur Fotovorlage besteht. Ziel ist nicht das Leben, sondern die fotografisch dokumentierte Erscheinung der Person zu erfassen. Das Phantasma liegt wie das lebendige Modell des Malers bereits in der Maquette vor ihm, als kontingentes zweidimensionales Bild von dem, „wie jemand in einer Hundertstelsekunde aussieht“.39 Und auch hier bringt das Streben nach etwas faktisch Unmöglichem das Werk in seiner medialen Differenz erst hervor. Fotografie und Malerei können nicht in Übereinstimmung gebracht werden, aber wo dies dem Maler nicht gelingt, beginnt erst die eigentliche Malerei. Close kreiert in Auseinandersetzung mit der Fotografie eine verschachtelte Mikrostruktur, die insbesondere in den Farbporträts hervortritt. Bei der Nachbildung von gestochen scharf aufgenommenen Bereichen erzeugt Close ein Farbgewimmel aus filigranen Wolken, Wirbeln und Strudeln. Es sind Formationen aus partialisierten ‚Hautflecken‘ mit Poren, Härchen und Gefäßen, talgig glänzend und im Farbfluss changierend zwischen Rot, Gelb, Blau und Weiß (Abb. 80 a, Abb. 81 b). Diese obsessiv verfolgten Details und ihre forcierte Visualität verselbstständigen sich so weit, dass die Haut bizarr und unmenschlich verfremdet wirkt. Der scharfgestellte Kamerablick überträgt sich auf das Auge des Malers, das über die fotografische Oberfläche tief in die sichtbare Haut vordringt. Der Kontrast zu den Unschärfen durch die Fokuseinstellung der Fotografie wird in der Malerei auf Leinwand um ein Vielfaches gesteigert. So intensiv blickt Close in die Details und zieht sie als eigenständige Gebilde heran, dass die bei Didi-Huberman als latent gewaltsam beschriebene optische (implizit physische) Durchdringung bis zur Zerstörung des Objekts hier ebenfalls anklingt: Die Begierde des Malers spannt sich zwischen einem „Sehwahn“ und „Berührungswahn“, in den der gesteigerte haptische Sinn ausschlägt, bis im malerischen

37 Vgl. Didi-Huberman 2002, S. 34-36, 62-63. 38 Vgl. ebd., S. 19-20, 136 39 Close zit. nach Belting 2013, S. 279; vgl. Originalzitat in Sager 1973, S. 226.

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Freilegen des Körpers die Integrität der Haut „zerrissen“ und „das Chaos der Tiefen“ unter ihr hervorgeholt wird.40 Besonders in der Präzision der übertriebenen, farbstichigen Hautdarstellungen in den Airbrush-Bildern liegt etwas Penetrantes, was zugleich ein Gefühl von extremer Nähe und abstoßender Befremdlichkeit hervorruft – wie bei einer Vivisektion zerschneidet die Darstellung den Körper und macht ihn zum Objekt, das nahezu „von Innen her“41 gesehen wird, obwohl nur die Oberfläche interessieren soll. Für Close kommt zum Doppelstatus der Leinwand als das „Stück Fläche“ und Hautfläche noch die Foto-Oberfläche hinzu. Sie ersetzt mit ihren visuellen Strukturen und Fokusebenen die Körperoberfläche des Modells, geht aber auch fließend in sie über, so dass das Inkarnat bei Close die menschliche Haut ebenso wie die Fotografie meint, deren Erscheinung sie erst hervorbringt und durch mediale Effekte wie (Un-)Schärfe oder Farbstiche gestaltet. Dieses Inkarnat versucht Close mit einer technischen Formel kalkulierbar zu machen, indem er ihre komplexe Erscheinung auf das CMY-System herunterbricht, was wiederum den Grundkomponenten des Inkarnats Rot, Gelb und Blau in der klassischen Malerei entspricht. Hier wie dort werden Haut und Fleisch durch lasierende Überlagerungen aufgebaut, um eine „transparente Tiefe“ herzustellen.42 Die entscheidende Spannung liegt in Closes Arbeitsweise, die jede Farbe zwar als diskrete Einheit definiert, diese aber nach Augenmaß einsetzt, so dass zwischen dem wahrgenommenen Ton der Maquette und dem im Bild hergestellten Ton ein Spielraum für Abweichungen bleibt. An diesem Punkt kommt der bei Didi-Huberman von Hubert Damisch übernommene Begriff des Geflechts zum Tragen: Dieser wird in Verbindung mit dem aus Linien geformten „Knoten“ gegen die semiotische Vereinfachung der Malerei als Zeichensystem aus „minimalen Einheiten“ angeführt, da die Malerei „in ihrer Textur selbst“ die zentrale Rolle der Relationen im Geflecht demonstriere.43 Das kann neben den Airbrush-Arbeiten genauso für Closes abstraktere Rasterarbeiten aus diskreten Bildeinheiten gelten. Denn trotz ihrer grundlegenden Systematik produzieren die materielle Textur von Papier und Leinwand, die akzidentelle Erscheinung der Farbe und Handschrift sowie die konkrete Stofflichkeit ihrer sukzessiv aufgebauten Oberfläche eine komplexe phänomenologische Form mit einem Sinnpotenzial, das mit dem technischen Konzept allein nicht gedeckt ist. In seiner technisch-visuellen Analyse und Konstruktion der Bild-Haut verbinden sich methodisches Kalkül und Disziplin mit einer ausgeprägten objektversunkenen ‚Manie‘, worin sich Close letzten Endes doch mit Frenhofer berührt – nur überträgt sich sein eigener penetranter Blick in eine penetrante Visualität der Bildwerke. Unter Verweis auf den Begriff der petites perceptions sowie des coup d’oeil bei Leibniz, worin sich das Sehen eines Details mit dem allumfassenden Sehen des Ganzen verknüpft, schildert Bredekamp die chiastische Blickdynamik zwischen Auge und

40 41 42 43

Vgl. Didi-Huberman 2002, S. 134, 136. Ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 28-29. Didi-Huberman verweist auf die Anknüpfung an Claude Lévi-Strauss’ Begriff des Knotens bei Damisch, vgl. Damisch, Hubert: La peinture est un vrai trois, in: Rouan, Centre Pompidou, Paris 1983, S. 15-32, hier S. 31, zit. nach ebd., S. 42-43.

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Objekt.44 Das Sehen wird hierbei als ein komplexes gegenseitiges Durchdringen charakterisiert, was nicht nur vom Betrachter-Subjekt ausgeht, sondern vielmehr als spürbarer ‚Druck‘ vom Objekt auf ihn einwirkt: In der konkreten Erscheinung des Artefakts liegt demnach eine strukturelle Eigenbewegung, durch deren flimmernde Lebendigkeit es geradezu „Argusaugen“ erhält und zu einem „aus jeder Pore blickenden Gebilde“ wird.45 In Closes Porträts blicken nicht nur die riesigen Gesichter aus dem Bild – die eigentliche potentia der Bildoberfläche zeigt sich erst, wenn man nahe genug herangetreten ist, um das Gesicht nicht mehr zu sehen. Hier verliert sich die fotografische Fixierung des dreidimensionalen Körpers und die technisch konstruierte monokulare Zentralperspektive, deren Erkenntnismodell Merleau-Ponty in seiner phänomenologischen Theorie kritisiert. Bei Close weist der Farb- und Formenwirbel auf der Mikroebene eine Sogwirkung auf, die das Auge in die Tiefe der Bildstruktur zieht. Trotz der materiell homogen Oberfläche sind die wimmelnden Formen darin so vielfältig, dass ein Stück Haut nicht nur durch wabernde Blutgefäße und glänzende Poren mimetisch ‚zum Leben erweckt‘ wird, sondern (wie Bredekamp an Leonardos Flutzeichnungen beobachtet) eine „perpetuierte“ Bewegung vermittelt, die sich vom Gegenstand emanzipiert und eine „interne Vitalisierung“ erreicht.46 Closes Detailstrukturen wirken auf zweierlei Weise beunruhigend: Man wird sich des penetranten Blicks auf ein fremdes Gesicht bewusst, mit dem es aus einer ungeheuerlichen Nähe erfasst und aufgelöst wird. In der visuellen Intimität werden Details sichtbar, die sich als flimmernde Masse auf fast unangenehme Weise dem Auge aufdrängen. Ganz abgesehen davon, dass die Dimensionen der riesigen Figur etwas Bedrohliches haben, enthält die übersteigerte Sichtbarkeit der körperlichen Mikroebene ebenfalls eine implizite visuelle Aggression. Auf schwindelerregende Wiese löst sich dieser Mikrokosmos beim Sehen in scheinbar selbstaktiv fließende Formationen auf, für die es keine Lesart gibt. Unfixiert und nebulös bilden sie weitläufige, kaum überschaubare Landschaften, die sich ohne einen subjektiven Duktus als bloße evidente Formen präsentieren und trotzdem den Eindruck von zusammenhängenden Phänomenen erwecken, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen.

3.1.3 NÄHE UND FERNE Aus den phänomenologisch und semiotisch unterschiedlichen Ebenen des Körperbildes und Bildkörpers in Closes Werken wird deutlich, dass sie verschiedene Betrachtungsmodi bieten, zwischen denen ein Kippmoment besteht. Dieser ist im graduellen Übergang zwischen der Nähe und Ferne zum Bild zu verorten. Dass der gegenständliche Illusionismus sich in der Nahansicht in abstrakte Flecken auflöst, galt schon bei der Beschreibung der Werke alter Meister wie Tizian oder Velázquez stets 44 Vgl. Bredekamp 2015, S. 240-242, mit Verweis auf Leibniz’ Theodizee (1710) sowie einen mit Coup d’Oeil betitelten Kupferstich von Claude-Nicolas Ledoux von 1804, ebd., Abb. 141. 45 Ebd., S. 244-245. Der Argus-Vergleich wird an dem bei Rainer Maria Rilke erwähnten Torso von Milet vorgenommen. 46 Vgl. ebd., S. 246-247. In diesem Zusammenhang ist auch ein Vergleich mit van Eyck und der Verlagerung des subjektiven Geschicks in eine „Lebendigkeit und Wirkung der Mittel“ möglich, vgl. ebd., S. 266.

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als Merkmal malerischer Virtuosität. Was Close von dieser Form der malerischen Doppelwertigkeit wesentlich unterscheidet, ist das Fehlen einer idealen Betrachtungsdistanz. Das fotografische Motiv appelliert zwar an Sehgewohnheiten kleinerer Bilder, doch Close verweigert das bequeme Sehen ‚auf einen Blick‘ und macht die Fotografie durch eine artifizielle Vergrößerung sichtbar, wie sie sich dem Auge unter normalen Umständen niemals bieten würde. Als kleines handhabbares Bild zeigt sich die Arbeit nur aus einer großen Distanz, was wiederum den Sehgewohnheiten gegenüber Kunstwerken im Ausstellungsraum widerspricht, denen man sich instinktiv nähern will. Es hängt also entscheidend von der räumlichen Position des Betrachters ab, was im Bild sichtbar wird und als was dieses erscheint. Blickt man beim Eintreten in den Ausstellungsraum zunächst auf ein vergrößertes Foto, das beim Nähertreten immer mehr zum kinematografischen ‚Gesichtsbild‘ anwächst, so wird gleich darauf die Leinwand als eigener Bildkörper sichtbar und gewinnt mit jedem Schritt an Präsenz, wohingegen alle Gegenstände in der Umgebung zu schrumpfen scheinen, einschließlich des Betrachterkörpers. Während sie physisch schwer an der Wand hängt, bleibt ihre stoffliche Oberfläche nahezu unsichtbar – stattdessen erscheint der samtig geschmirgelte Bildgrund wie eine glatte, geschlossene Oberfläche von virtueller Leichtigkeit. Steht man etwa drei Meter vor dem Bild, wird eine erschreckende Vielzahl von gegenständlichen Details an Gesicht, Haaren und Kleidung erkennbar, deren monumentale Vergrößerung zugleich faszinierend und abstoßend ist und eine gnadenlose Ehrlichkeit demonstriert, die bisweilen komisch wirkt. Die alltägliche Wahrnehmungsschwelle gegenüber einem fremden Gesicht ist hier überschritten und erinnert höchstens an die Nahbetrachtung des eigenen Gesichts im Spiegel. Dabei erschwert die nüchterne Bestandsaufnahme aller Hautunregelmäßigkeiten trotz des Blickkontakts eine unmittelbare menschliche Empathie mit dem Gegenüber.47 Diese wird noch mehr durch die Unverhältnismäßigkeit zwischen Bild und Betrachter verhindert. Als begegne man einem Riesen, dessen Gestalt das eigene Blickfeld übersteigt, verschiebt sich die Körperwahrnehmung auf Einzelheiten wie Hemdkragen, Haarsträhnen, Brillenränder und Nasenflügel. Obwohl im vergrößerten Bildfeld das Ausdruckspotenzial jeder subtilen Mimik um vieles gesteigert wird, fällt eine emotionale Deutung schwer, weil das ganzheitliche Gefüge in physiognomische Teilbetrachtungen zerfällt. Bei einer Normaldistanz zum Gemälde überblickt man so nur ein Fragment der großen Figur, deren Gesicht man trotz der deutlichen Wahrnehmung von Einzelheiten paradoxerweise aus dem Blick verliert. Hier schlägt der Bezug zum Bild in eine neue Qualitätsebene um und es stellt sich jenseits des Gesichtsbildes plötzlich ein neues Verhältnis zwischen Bild und Betrachter ein. Denn die Feinstruktur, die Close aus extremer Nähe hergestellt hat, verlangt eine Nahansicht vom Betrachter, den sie zu sich zieht. Für die manuellen Techniken von Airbrush-Pistole, Aquarellpinsel und Fingerabdruck ist die körperliche Nähe bei der Bildherstellung eine Voraussetzung. Die durch die Größenverhältnisse verhinderte angemessene Distanz zum Objekt, die für eine ikonische Repräsentation nötig wäre (und die Close vorher mit der Fotografie schafft, um sie auf die Ebene der Fernsicht zu verlagern),

47 Zur peinlichen Sichtbarkeit und der „unwelcome democracy“ der Bilder vgl. Nochlin u. a. 1999, S. 69.

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wird bei der Berührung mit dem Finger ganz aufgehoben.48 Im Verhältnis zur Größe der Darstellung bedeutet hierbei das Versinken des Malers im Bild eine Abkehr vom Gegenstand gerade durch die radikale Zuwendung zu ihm. Diese Dialektik kennzeichnet Closes Ansatz maßgeblich im Vergleich zu anderen Abstraktionsformen. Als Betrachter hat man jedoch nicht das Gefühl einer Berührung, sondern einer unüberbrückbaren visuellen Distanz wie beim Blick durch ein Mikroskop. Verliefen die Wahrnehmungsebenen zuvor von den Gesichtselementen bis zum ‚forensischen‘ Tiefblick in die Hautoberfläche, so löst sich das organische Gewebe nun ganz in Farbmaterie auf, die im Gegensatz zur gesteigerten Mikromaterialität von Haut, Haaren und Textilien keine stoffliche Beschaffenheit mehr darstellt.49 Mit ihrer extrem dünnen Acrylhaut, unter der die weiße Leinwand hervorscheint, schlägt die Bildoberfläche ins Immaterielle und Virtuelle um. Der Eindruck von stofflicher Auflösung wird durch die Unschärfen, Schattenzonen und Leerflächen der Fotografie verstärkt, die sich aus der Nähe oft nur schwer einem Bildbereich zuordnen lassen. Ihre Sichtbarkeit erscheint unbegründet und rätselhaft, was den emotional gefärbten Blick auf das menschliche Gesicht zu einem Blick auf eine fremdartige Topografie verwandelt. Wo zuvor das fotografische Helldunkel ähnlich wie in der traditionellen Porträtmalerei noch Stimmung und Charakter des Gesichts geprägt und deren Form modelliert haben, bieten sich dem Auge nur noch monochrome, unexplizierte Farbflächen, die zu weiten Teilen leer von gegenständlicher Information sind. Dagegen wird die Textur der Kleidung zum ornamental abstrakten, oft psychedelisch bunten Gewölk, worin sich das Auge verlieren kann. Wie bei einem Satellitenbild fährt der Blick die Formen entlang und liest sukzessiv Informationen auf, ohne sofort eine Einheit synthetisieren zu können – in dieser Hinsicht gleicht der filmische Scan von Slow Pan for Bob einem performativen Modell des Betrachtungsprozesses vor den großformatigen Porträts. Der Kippmoment zwischen Nähe und Ferne markiert auch eine ontologische Veränderung des Bildes vom materiellen Körper des Dargestellten zur gemalten Fläche und deren Eigensinn.50 Was sich räumlich als Übergang der Distanzen zum Bild äußert, gewinnt hier eine zeitliche Komponente. Der Prozess der Annäherung etwa findet schrittweise statt, während das Bild still im Präsensmodus seiner simultanen Sichtbarkeit verharrt. Boehm hat einen Zeitmodus der Bildwahrnehmung und Bildexistenz zwischen der Simultaneität des Ganzen und der Sukzession seiner Teile beschrieben – dies wird in Closes Bildern aufgrund ihrer Wirkung im Raum und ihrer Ausdehnung in der Fläche zu einzelnen ‚Erfahrungsstadien‘ erweitert, die an die physische Positionierung zum Bild gekoppelt sind. So wird die Skala der räumlichen und zeitlichen Bilderfahrung zusammen mit dem Blow-up vergrößert. Sie überlagert sich 48 Vgl. Didi-Huberman 1999, S. 191, der das Fehlen der „angemessenen Distanz“ in AbdruckWerken des 20. Jahrhunderts als moderne Kritik an der traditionellen Repräsentation liest. 49 Friedman spricht von „mass of data“ anstelle einer organischen Form, vgl. ders. 2005, S. 16. Storr bezeichnet das Bild als „Isolierkammer“ für den Wettstreit zwischen dem organischen Körper und seiner systematischen Auflösung in eine abstrakte Struktur, vgl. ders. 1998, S. 22; vgl. auch Lyons 1980, S. 33-34. 50 Didi-Huberman sieht in der Veränderung der „Ordnung der Fläche“ zwischen Nähe und Ferne ein „panisches Umschlagen“ vom Lokalen ins Globale, vom Detail ins Ganze und umgekehrt, wobei der Übergang immer ein Entweder-Oder und damit einen Verlust impliziert, vgl. ders. 2002, S. 52, 55, 57-58.

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wiederum mit der komplexen Zeitlichkeit der Bilder selbst, die sowohl die fotografische Momenthaftigkeit als auch die akkumulierte Dauer der Malerei in sich tragen. Das aus der Distanz hervorstechende Präsens der Fotografie verwandelt sich bei Annäherung in ein anderes Präsens der Malerei, was Didi-Huberman als spannungsreiches „imminentes“ Erscheinen einer Körpergegenwart im Bild umschreibt – die langsame Malerei vermittelt in ihrem sichtbaren Ergebnis das halluzinatorische „JetztGleich“ der Evidenz von Bildfläche und dargestellter Person.51 Das Vexierhafte zwischen realistischer Ikonografie und malerischer Abstraktion lässt sich bei Close tatsächlich schrittweise bemessen und führt zu einer intensiven Rezeptionserfahrung. Ab einem gewissen Punkt lässt sich kaum noch bestimmen, ob die formlose Masse Fleisch oder Farbe ist, weshalb der rohe, farbstichige Ton der Acrylgemälde etwas latent Beunruhigendes enthält.52 Die Spannung zwischen Körperbild und Bildkörper schwankt bei Close zwischen extremem Realismus und extremer Künstlichkeit, Gegenständlichkeit und Abstraktion, Materialität und Virtualität sowie optischer Nähe und Distanz. Beide Seiten bedingen und verstärken sich dialektisch, wobei jeder Aspekt im doppelten Sinne für die Bild- und Körperebene gilt. Das Porträt schwebt zwischen ikonischer Monumentalität und körperlicher Intimität, während die dimensionale Diskrepanz zwischen Bild und Betrachter auf eine formale Diskrepanz zwischen Großformat und kleinen Bildzeichen, sachlicher Methodik und psychologischer Wirkung trifft. Der per Vergrößerung potenzierte Ausdruckswert des Gesichts ist mehr ein Nebeneffekt des Versuchs, visuell-analytisch in die Haut einzudringen – Foto- und Hautstruktur fallen zusammen, um zu einer virtuellen Oberfläche synthetisiert zu werden. Closes Nachbau der fleischlichen Materie vollzieht sich somit in der dünnen Membran der Fotografie, übertragen in die dünne Farbhaut auf der Leinwand. Diese Virtualisierung des Körpers weitet sich auf die Virtualisierung des materiellen Bildkörpers aus, wo Close „über die malerische Oberfläche hinaus“ vordringen und eine Abstraktion im Sinne einer visuellen Informationsmatrix erreichen will.53 Doch auch als quasi-virtuelle Anzeigefläche bleibt die Malerei wie die transparent erscheinende Fotografie in ihrer materiellen Beschaffenheit verankert, wodurch sie sich vom Bildschirm oder der tatsächlichen digitalen Virtualität unterscheidet, da die immateriellen Bilder dort einen ganz anderen Bezug zur Stofflichkeit aufweisen. Indem Close auf der Opazität, Handwerklichkeit und Zeitlichkeit des Mediums besteht, legt er einen Wesenszug der Malerei offen, der zugleich einen Wesenskonflikt darstellt: Sie strebt nach Selbsttranszendierung, um durch den Illusionismus die eigene materielle Wahrheit zu leugnen und etwas anderes zu sein – gleichzeitig führt sie den Betrachter immer wieder auf ihre Materialität zurück, indem sie beharrlich auf ihre Künstlichkeit und synthetische Natur verweist. Dieser ‚Medienkomplex‘ erfährt in Closes Malerei eine extreme Zuspitzung und wird gekoppelt an die Körperlichkeit des Betrachters, dem die Mechanismen und Grenzen seiner physischen Wahrnehmung bewusst gemacht werden.

51 Vgl. ebd., S. 62-63. 52 Zur Erkenntnis des Betrachters, dass er selbst auch aus dieser Materie besteht, vgl. ebd., S. 134. 53 Vgl. Close zit. nach Nemser 1970, S. 235.

3.2 Analytische Bildtraditionen

Vom ‚Filmgesicht‘ wurde im Stummfilm eine Typisierung und Standardisierung des Affektausdrucks gefordert, damit die Mimik über eine „affektive Zeichenordnung“ einen möglichst eindeutigen Sinn vermitteln konnte, wobei das Gesicht als mediales Werkzeug idealerweise einem überindividuellen Normaltypus entsprechen sollte. 1 Das Gesicht als kodierte Hieroglyphe besitzt eine komplexe Tradition, die lange vor dem ikonisch-aktiv aufgefassten Mediengesicht des 20. Jahrhunderts eingesetzt hat.2 Mit der Physiognomik haben sich seit der Antike zahlreiche Theorien herausgebildet, die einen analytischen Blick auf den menschlichen Körper, seine Gestalt und sein Gebaren richten und den Schwerpunkt insbesondere auf das Gesicht legen.3 Der technisch-analytische Blick und die Bildformen, in denen er sich äußert, unterscheidet sich formal, epistemisch und funktional wesentlich vom traditionellen Porträt, auch wenn es Überschneidungen in Bezug auf die Sichtbarmachung von Innerlichkeit und Charakter der dargestellten Person gibt. In diesem Kapitel sollen vor allem Bildtraditionen betrachtet werden, die sich technischer Hilfsmittel bedienen, um eine distanzierte, präzis deskriptive Porträtdarstellung zu erzielen. Diese objektivierenden Strategien, die das Auge und die darstellende Hand neutralisieren sollen, gehören zu einer Praxis der normativen, klassifizierenden oder diagnostischen Bewertung, meist in Kombination mit sprachlichen Formeln und mathematischen Messungen. Einsetzend bei der physiognomischen Bildargumentation von Lavater über wissenschaftliche und kriminalistische Porträts des 19. Jahrhunderts bis hin zu den biometrischen Bildtechnologien der Gegenwart soll ein konzentrierter Überblick zu Vorläufern und Ausläufern des Mugshots gegeben werden, auf den sich Closes ‚objektivierte‘ Bildstrategie stützt. Vor dieser historischen Hintergrundfolie soll sich zeigen, welche visuellen Paradigmen und Bildmethoden hinter seinen Frontalporträts stehen und in welchem aktuellen Kontext sie sich wiederfinden. Während in vergangenen und gegenwärtigen analytischen Porträts immer die Transformation des menschlichen Subjekts zu einem Untersuchungsobjekt ausschlaggebend ist, muss bei Close gefragt werden, wie das Konzept analytischer Por1 2 3

Vgl. Löffler 2006, S. 33-36, mit Verweis auf das Film-Lehrbuch von Max Mack (1919). Siehe dies. 2004; Löffler/Scholz 2004. Einen Überblick zur Geschichte und zum Feld der Physiognomik bieten Schmölders 1997; Campe, Rüdiger/Schneider, Manfred (Hg.): Geschichten der Physiognomik, Text. Bild. Wissen, Freiburg 1996; Theile, Gerd: Anthropometrie. Zur Vorgeschichte des Menschen nach Maß, München 2005.

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träts mit ihrer visuellen Evidenz und technisch-mathematischen Präzision rhetorisch aufgegriffen wird, und ferner, wie diese Eigenschaften gegenüber der ästhetischen Präsenz und dem affektiven Potenzial seiner Bilder gewichtet werden.

3.2.1 PHYSIOGNOMISCHE BILDER Die Physiognomik, die sich seit ihren Anfängen in der Antike als Lehre von der Beschreibung und Deutung der Körperform verstehen lässt und allgemein auf die Auslegung von Charakter, Seele oder Schicksal abzielt, beschäftigt sich trotz ihrer okkulten Spielarten hauptsächlich mit den konkreten morphologischen Eigenschaften von Individuen.4 Im alltagsweltlichen Laienwissen wurzelnd, bildeten sich im geschichtlichen Verlauf diverse Verknüpfungen zu Astrologie und Medizin sowie Ästhetik und Literatur heraus, wobei im 19. Jahrhundert eine zunehmende wissenschaftliche Professionalisierung durch ihre Annäherung an die Biologie, Medizin, Psychologie, Anthropologie und Kriminologie stattfand. Im Laufe dieser Entwicklung floss ihr analytischer Ansatz in die neuen Methoden der anderen Wissensbereiche ein, bis die Physiognomik von diesen weitgehend absorbiert war und keine eigene Disziplin mehr darstellte. Heute gilt sie allenfalls als kuriose historische Pseudowissenschaft, die schon lange kritisiert und widerlegt worden ist – und doch haben ihre oft schillernden Theorien von der semiotischen Lektüre des Körpers bis ins 20. Jahrhundert hinein noch Hochphasen erlebt, zuletzt mit den fatalen Ausläufern der Eugenik und Rassenlehre im Nationalsozialismus, die sie endgültig in Verruf gebracht haben.5 Der Topos des ‚lesbaren‘ Körpers ist heute jedoch in der Medizin und Psychologie und im Bereich der biometrischen Technologie weiterhin aktuell geblieben, wo seine sichtbaren bzw. sichtbar gemachten Informationen digitalisiert und automatisch verarbeitet werden. Auch in der modernen Ausdruckspsychologie wird der perzeptive Leseakt thematisiert, in welchem eine gestalthaft-mimische Erscheinung durch die Begriffsbildung und zeichenhafte Abstraktion einer „Repräsentationsgrammatik“ gedeutet werden soll, worin noch die physiognomische und pathognomische Tradition nachklingt.6 Die Körperdeutung wurde lange Zeit von der Sprache als dem wichtigsten Werkzeug für die analytische Beschreibung und rhetorische Argumentation dominiert, 4 5

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Vgl. Schmölders 1997, S. 8, 21. Bei Schmölders wird die Problemgeschichte dieser widerspruchsvollen Disziplin dargestellt, ergänzt durch eine Sammlung von Originalquellen. Vgl. Courtine, Jean-Jacques: Körper, Blick, Diskurs. Typologie und Klassifizierung in der Physiognomik des Klassischen Zeitalters, in: Campe/Schneider 1996, S. 211-243, hier S. 213; Person 2005, S. 21. Zum politischen und gesellschaftlichen Missbrauch physiognomischer Konstrukte siehe Gould, Stephen Jay: The Mismeasure of Man, New York/London 1981. Vgl. Käuser, Andreas: Physiognomik – Transformationen eines Diskurses über das Gesicht, in: Beilenhoff u. a. 2006, S. 53-80, hier S. 54. Zur wahrnehmungspsychologischen und ästhetischen Sicht vgl. Gombrich, Ernst H.: Meditationen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln und Grenzen der Kunst (1963), darin: Über physiognomische Wahrnehmung, Frankfurt/Main 1978; ders.: Maske und Gesicht. Die Wahrnehmung physiognomischer Ähnlichkeit im Leben und in der Kunst, in: Grombrich, Ernst u. a.: Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit (1972), Frankfurt/Main 1977, S. 10-60.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 261

bevor in der Renaissance eine „physiognomische Ikonografie“ mit Bild-Text-Kombinationen entstand, die durch suggestive Klassifikationen und Erläuterungen die physiognomische Rede in Bildformen fortführte und anschaulich verstärkte – Beispiele finden sich in den Musterbüchern und Mimikstudien von Giambattista della Porta (1535-1615) über Charles Le Brun (1619-1690) bis hin zu den GesichtswinkelSchautafeln von Peter Camper (1722-1789) und den Silhouetten-Porträts von Johann Caspar Lavater (1741-1801).7 Die typologisierende und schematisierende Methode abstrahiert das menschliche Individuum zu einem Konglomerat aus Eigenschaften und Indizien, was es zwischen die Begriffe von Maske und Figur stellt, deren Demaskierung und Identifizierung der Zweck der physiognomischen Analyse ist.8 So wird der Mensch als ein in Kategorien aufteilbares Gattungssubjekt verstanden, dessen unsichtbares Inneres (Geist, Charakter) sich gemäß dem Körper-Seele-Dualismus analog zu seinem sichtbaren Äußeren (Aussehen, Konstitution, Gebaren) verhalten und kausal mit ihm verknüpft sein muss. Der Glaube an die objektiv erkennbare ‚Selbstäußerung‘ einer inneren Wahrheit, die am Körper zum Vorschein tritt, stellt dabei sowohl eine Bestätigung als auch ein Überwindungsversuch dieses essentiellen Dualismus dar.9 Da sie normativ gelten und objektive Wahrheit beanspruchen wollen, bemühen sich physiognomische Methoden um sachliche Bildformen, die als evidente Beweise eine Theorie illustrieren und untermauern sollen. In Musterbüchern, Schemata und kolligierenden Gruppenbildern werden Ordnungen konstruiert und visuelle Vergleiche hergestellt, die dem Listencharakter der klassifizierenden Begriffe entsprechen, mit denen verallgemeinerte Typen und Fälle anstelle von Individuen repräsentiert werden, seien es Charaktere, Ethnien, Krankheiten oder Formen gesellschaftlicher Devianz. Vom einfachen Bildschema ging die Entwicklung im 19. Jahrhundert hin 7

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Vgl. Schmölders 1997, S. 8; Käuser 2006, S. 53-55. Bei Giambattista della Porta wird die Verknüpfung von Physiognomie und Charakter bei Tieren und Menschen systematisch an bildlichen Analogien vorgenommen, wobei er sich auf die Tierphysiognomie von Aristoteles (Über die Teile der Tiere, 4.-3. Jh. v. Chr.), Pseudo-Aristoteles (Physiognomica, 2. Jh. v. Chr.) sowie auf mittelalterliche Theorien stützt. Siehe Della Porta, Giambattista, De Humana Physiognomonia, Neapel 1586, dt.: Die Physiognomie des Menschen, Dresden 1930; Le Brun, Charles: Méthode pour apprendre à dessiner les Passions (1668), Amsterdam 1702, dt.: Handwörterbuch der Seelenmahlerei, Kleefeld/Leipzig 1802; Camper, Peter: De Hominis Varietate, dt.: von Soemmering, Samuel Thomas: Über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge in Menschen verschiedener Gegenden etc., Berlin 1792; Lavater 1968-69. Es findet sich zudem eine Fülle an physiognomischen Studien in der Kunst seit Leonardo und Dürer, vgl. Schmölders 1997, S. 24-25; zu Tizians Tierphysiognomie in seiner Allegorie der Klugheit, vgl. ebd., S. 158-159. Vgl. ebd., S. 146, wo von der „ent-individualisierenden“ Umdeutung des Menschen zur etymologisch zweideutigen persona (impliziert Maske und Figur) unter der Spannung aus erscheinendem und wahrem Gesicht die Rede ist. Die physiognomische Demaskierung spielte traditionell in der höfischen Kultur (z. B. in Handbüchern des 17. Jahrhunderts), in der Herrscherberatung und -bildung sowie bei der juristischen Urteilsfindung eine Rolle, vgl. ebd., S. 26, 72, 116. Vgl. Weihe, Richard: Gesicht und Maske: Lavaters Charaktermessung, in: Theile 2005, S. 35-63, hier S. 37; Woodall 1997, S. 11.

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zur Kartografie (so etwa in der damals einflussreichen Phrenologie von Franz Joseph Gall) und einer verstärkten mensuralen Darstellung im Sinne eines mathematischen Beweises. Dabei nahm die Fotografie nach ihrer Einführung eine immer wichtigere Rolle als ‚objektiver‘ Bildbeweis ein.10 Der analytische Blick auf den Körper ist also historisch vorbelastet, da die begriffliche Verallgemeinerung, die in der Physiognomik das Grundproblem der sprachlichen Differenzierung enthält, mit Etiketten und Stereotypen arbeitet, die systematisch diskriminierende Denkmuster produzieren oder Vorurteile reproduzieren. 11 Auch die Rolle des Analysten ist problematisch, da ihm die gottgleiche Autorität des wissenden „prophetischen“ Sehers gegenüber dem Gesehenen zugeschrieben wird, den er als ein anderes Fremdbild distanziert betrachtet. Zwischen dem synoptischen Blick des Fachmanns mit Lese-Enthusiasmus und dem Objekt der Analyse herrscht, wie Schmölders betont, ein hierarchisches Machtgefälle.12 Nicht zuletzt scheitert die Physiognomik an ihrem wissenschaftlichen Anspruch, die individuelle empirische Anschauung zu transzendieren, um eine postulierte allgemeingültige ‚Wahrheit‘ evident zu machen – sie möchte eine strenge Semiotik aufweisen, doch bleibt ihre Systematik inkompatibel mit der subjektiven Wahrnehmung einer Einzelperson, die sich als Objekt der Analyse nie vollständig durch ihre Klassifikation auflösen lässt.13 Als Schlüsselfigur der theologisch-aufklärerischen Physiognomik stellte Lavater im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die absolute Singularität des Individuums ins Zentrum seiner Lehre: Nach dieser gelten Gesichtszüge nicht als austauschbare „Druckertypen“, sondern „Windungen einer Handschrift“, die nur sich selbst gleichen und das Eigentümliche des Subjekts als expressives Ganzes zum Ausdruck bringen – demnach wäre das Aussehen einer Person wie eine autopoietische Signatur.14 Eng verbunden mit Lavaters Anerkennung der von ihm religiös überhöhten Individualität des menschlichen Aussehens und der subjektiven Wahrnehmung ist seine Bildmethode, die einen Charakter über die konstante Form der Silhouette (im Gegensatz zur beweglichen und potenziell verfälschenden Pathognomik) analytisch zu erfassen versucht. Die Technik des Schattenrisses, die nicht nur den Mythos der Malerei und des ‚wahren‘ Bildnisses heraufbeschwört, sondern vorgreifend auch das ‚Schattenbild‘ des fotografischen Lichtabdrucks impliziert, zeigt einen frühen Versuch, die Darstellung auf mechanisch-objektivierende Weise zu disziplinieren sowie den Blick zu neutralisieren und für Details zu schärfen (Abb. 109). Mit der Nummerierung und den eingezeichneten Abständen der Gesichtspartien und des Nasenwinkels entlang des an der 10 Ihre Erhebung zur mathematischen Disziplin findet sich vor allem in den Werken von Rudolf Kassner wie Zahl und Gesicht (1919) und Physiognomik (1932), vgl. Schmölders 1997, S. 119-121, 125-127. 11 Vgl. ebd., S. 18-19, 176, wo die physiognomische Analyse mehr als eine sprachliche als naturwissenschaftliche Aufgabe bezeichnet wird. 12 Zum „Dilemma“ des Physiognomen vgl. ebd., S. 155-164; Person 2005, S. 17. 13 Vgl. Schmölders 1997, S. 165-166, 38; vgl. Weihe 2005, S. 50-51. 14 Zu Lavaters Physiognomischen Fragmenten (1775-1778) vgl. Wellbery, David E.: Zur Physiognomik des Genies: Goethe/Lavater, in: Campe/Schneider 1996, S. 331-356, hier S. 332; Geitner, Ursula: Klartext. Zur Physiognomik Johann Caspar Lavaters, in: ebd., S. 357-385, hier S. 358; Pestalozzi, Karl/Weigelt, Horst (Hg.): Das Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen. Zugänge zu Johann Kaspar Lavater, Göttingen 1994.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 263

Nasenspitze angelegten Maßstabs gleichen die streng schematischen Kompositionen den Profilaufnahmen späterer Polizeifotos – zumal die Identifizierung einer Person durch die Silhouette seinerzeit als gesellschaftliches Ratespiel bekannt war.15 Feste Gesichtskonturen an Stirn, Nase und Kinn treten in der flachen Vereinfachung als individuelle Formen hervor. Soziale Merkmale wie Frisur und Kleidung werden angedeutet, dennoch bleibt der Schattenriss nur ein grober Rahmen, der erst mit symbolisch zugeschriebenen Eigenschaften ausgefüllt werden muss. Im Kontrast zu unbekannten Fallbeispielen tauchen bei Lavater zudem prominente Individuen wie Goethe auf, an denen er exemplarisch seine Thesen vorzuführen versucht, wobei der ‚geniale Geist‘ offenbar ebenso sehr aus der Wirkungsästhetik des berühmten Individuums konstruiert zu sein scheint.16 In Lavaters Insistieren auf dem Sinn des Aussehens drückt sich die Lesewut des sich selbst zur wissenschaftlichen, künstlerischen und moralischen Autorität stilisierenden Sehers aus, dem nichts verborgen bleibt und der alleinig in der Lage sein soll, das Wesen im „Glashaus Mensch“ zu entziffern und objektiv zu artikulieren.17 Das setzt einen bis ins Detail ‚eloquenten‘ Körper voraus, der mit geistigen und göttlich transzendenten Qualitäten verknüpft wird, was mitunter die fragwürdige Gleichsetzung von schön und moralisch gut, hässlich und moralisch schlecht mit sich bringt. Lavaters analytischer Blick gehorcht einem Bilderglauben, der den natürlichen Körper über schematische Formeln wie die Silhouette geradezu entleert und durch das Phantasma des lesbaren Bildes ersetzt, das die Kluft zwischen genauer Messung und der gewünschten genauen Deutung überspielt.18 Das Konzept des Schemas verbindet die Physiognomik mit der Kartografie und ihren zur Orientierung dienenden Land- und Himmelskarten. So wie eine Landschaft zum markierten Territorium abstrahiert und „physiognomisiert“ wird, ist auch die Physiognomik – die das Gesicht analytisch aufteilt und aus der Syntax seiner Teile die Aussage des Ganzen herausliest – der Landvermessung näher als dem Porträt, obgleich gerade über die „Entmenschlichung“ der Person im distanzierten Blick ein tieferes Verständnis ihres menschlichen Wesens erlangt werden soll.19 Analog zur anatomischen Markierung des Körpers in der Medizin stellen physiognomische Silhouetten wie phrenologische Schädelpläne nach außen verlagerte ‚Karten‘ des Menschen dar, die ihn als Materialisierung einer rationalen Ordnung aufschlüsseln wollen, statt ihn als ein kommunikatives Subjekt anzunehmen, das empathisch verstanden werden kann. Diese Tendenz setzt sich bis ins 20. Jahrhundert mit der Erforschung mimischer Muster in der Gestalt- und Ausdruckspsychologie sowie den Modellen der Ge-

15 Vgl. Schmölders 1997, S. 127-128; zur Skepsis gegenüber Reproduktionen vgl. Käuser 2006, S. 56. 16 Vgl. Weihe 2005, S. 41. 17 Geitner 1996, S. 363; siehe Lavater, Johann Caspar: Der Physiognomist, in: ders.: Von der Physiognomik, Leipzig 1772, vgl. Schmölders 1997, S. 29. 18 Vgl. Weihe 2005, S. 45-48, auch zum Christusbild als Idealphysiognomie bei Lavater. 19 Vgl. Schmölders 1997, S. 132-133, mit Verweis auf Ernst Cassirers Begriff der Orientierung und der damit verbundenen Physiognomisierung der Landschaft durch den Menschen. Zum Begriff der mythischen Physiognomik siehe Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, Teil 3: Phänomenologie der Erkenntnis (1929), Darmstadt 1964.

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sichtserkennung und Hirnkartierung in der Neurowissenschaft fort.20 Insbesondere in der Frage der Gesichtssemantik, also der emotionalen oder charakterlichen Aussage in der sichtbaren Erscheinung, bleibt es das Problem des Rezipienten, dass positivistisch benennbare und quantifizierbare Eigenschaften keineswegs eine sichere Bewertung zulassen. So wie physiognomische Analysen nur als artifizielle Konstrukte eine ‚sichere‘ Aussage suggerieren können, zeigen pathognomische Analysen die grundlegende Unzulänglichkeit einer kartografischen und psychologischen Reduktion des ausdrucksfähigen Subjekts auf. Dabei bleibt auch immer die Schwierigkeit bestehen, als Rezipient die eigene subjektive Lesart zu überwinden.

3.2.2 MEDIZINISCHE UND KRIMINALISTISCHE BILDER Die physiognomische Analyse und Klassifikation sprechen schon in frühen Theorien den Kernaspekt der Standardisierung durch Normsetzung an – sei es für die Gattung oder den Typus – vor deren Folie Individuen selektiert und Abweichungen erkannt werden sollen.21 Mit der Fortführung physiognomischer Lesepraktiken in Naturwissenschaft und Medizin kam es zu einer verstärkten Naturalisierung und Pathologisierung von körperlichen Eigenschaften, so etwa in der psychiatrischen Diagnostik. In Kombination mit Fotografie entstand auf diesem Gebiet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine eigene Ikonografie psychischer Verfassungen und Krankheiten, die von Ärzten wie Hugh W. Diamond, Guillaume Duchenne de Boulogne sowie JeanMartin Charcot und Paul Richter systematisch entwickelt wurden.22 Der Glaube an die objektive Scharfsicht des Fotoapparats verlängerte und potenzierte den ärztlichen Blick samt seiner mystischen Verklärung als „das profanierte, göttliche Auge, das alles sieht und durchdringt“: In ihren Bilddiagnosen zeigt sich der „souveräne Blick“ des Fachmanns, dessen Urteil mit der technischen Bildevidenz begründet werden soll, noch während er die für Außenstehende irritierende Bilderscheinung entschlüs20 Siehe hierzu Ekman, Paul u. a.: Gesichtssprache. Wege zur Objektivierung menschlicher Emotionen, Wien 1974. Hier ist von den Schwierigkeiten der emotionalen Gesichtsinterpretation die Rede, was schon in den positivistischen Untersuchungen bei Darwin 1872 thematisiert wurde, siehe Darwin 1955. Siehe auch Ellis, Haydn D./Young, Andrew W.: Handbook of Research on Face Processing, Amsterdam u. a. 1989; Henss, Ronald: Gesicht und Persönlichkeitsausdruck, Göttingen 1998. 21 Hier liegt eine ursprüngliche Parallele zu Tierzucht und Medizin, wo das gesunde Exemplar für gut und schön befunden wird, vgl. Schmölders 1997, S. 26. 22 Der Amateurfotograf Diamond fertigte schon 1850 Patientenfotos im Kollodiumverfahren an, vgl. Burrows, Adrienne/Schumacher, Iwan: Dr. Diamonds Bildnisse von Geisteskranken, Frankfurt/Main 1979. Die physiologischen Experimente von Duchenne de Boulogne mit Elektrodenstimulationen im Gesicht wurden von Darwin aufgenommen, siehe Duchenne de Boulogne 1990; Darwin 1955. Zu Charcots Methode, seinen ‚Pathosformeln‘ und ihren künstlerischen Quellen siehe Charcot, Jean-Martin/Richter, Paul: Die Besessenen in der Kunst (1887), Göttingen 1988; siehe auch Didi-Huberman 1997; Dahlke, Karin: Spiegeltheater, organisch. Ein Echo auf Charcots Erfindung der Hysterie, in: Schuller, Marianne u. a. (Hg.): BildKörper. Verwandlungen des Menschen zwischen Medium und Medizin, Hamburg 1998, S. 213-242.

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selt und mithilfe von Vorher-Nachher-Vergleichen, selektiven Ausschnitten und erläuternden Untertiteln veranschaulicht, wie etwa Charcots serielle Ausdrucksstudien zeigen (Abb. 110). Am häufig auftretenden Modell Augustine wird unter anderem die Hysterie als ausgeprägt weibliches Krankheitsbild dargestellt, dessen expressives Potenzial es als ein besonders wirkungsvolles und ergiebiges Beispiel ausweist.23 Zwischen den ephemeren Symptomen im Gesichtsausdruck und in der Körpersprache und ihrer epistemischen Fixierung durch die Diagnose wird eine Spannung zwischen Bild und Text spürbar, zumal sich die bewegten Phänomene ständig der Kamera zu entziehen drohen. Was in der Fotografie festgehalten ist, bietet unter dem Eindruck einer inszenierten Dokumentation scheinbar eine visuelle Formel für das erratische Verhalten der Kranken, mit deren Hilfe die Beobachtung und das fallspezifische analytische Sehen geschärft werden soll. Im Unterschied zu den chronologisch konzipierten Fotografien Diamonds, die den Krankheitsverlauf und den Heilungsprozess als temporäre, dokumentierte Zustände des Patienten zeigen, sind Charcots Fotografien der Salpêtrière ausdrucksvoll inszenierte und kodierte Krankheitsbilder der Hysterie, die als pathologische Formen typisiert sind und in denen die Patientin als ‚Anschauungsexemplar‘ statt Individuum auftritt.24 Eine Pathologisierung anderer Art findet sich beim italienischen Arzt Cesare Lombroso (1835-1909), dessen biologisch hergeleitete Theorie von der kriminellen Degeneration auf einer Atavismus-Vorstellung gründet, wonach der Verbrecher als darwinistischer Rückfall des Menschen in einen tierischen Naturzustand gilt. Mit dem Argument der natürlichen Depravation wird der Delinquent zu einem ‚geborenen Verbrecher‘ stigmatisiert, der Bestie und minderwertiger Kranker zugleich sei und dessen Natur sich im Aussehen manifestieren soll – Lombrosos Klassifizierung folgt dabei der graduellen Einteilung evolutionärer Entwicklungsstufen vom niederen Tier zum unzivilisierten Wilden.25 Als Professor für Psychiatrie und Gerichtsmedizin verknüpft

23 Zur Geschichte der psychiatrischen Fotografie siehe Regener, Susanne: Visuelle Gewalt. Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2010, hier S. 18-19, 5570; Tagg, John: The Burden of Representation. Essays on Photographies and Histories, New York 2002, S. 60-102. Zur „klinischen Ästhetik“ bei Duchenne de Boulogne bis zu dessen Schüler Charcot siehe Sobieszek 1999, S. 36-79. 24 Vgl. Regener 2010, S. 63-66. 25 Lombroso, Cesare: L’uomo delinquente in rapporto all’antropologia, alla giurisprudenza ed alle discipline carcerarie, Turin 1876, dt.: Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung, Hamburg 1887. Siehe hierzu Becker, Peter: Physiognomie des Bösen. Cesare Lombrosos Bemühungen um eine präventive Entzifferung des Kriminellen, in: Schmölders, Claudia (Hg.): Der exzentrische Blick. Gespräch über Physiognomik, Berlin 1996, S. 163-186; ders.: Der Verbrecher als ‚monstruoser Typus‘. Zur kriminologischen Semiotik der Jahrhundertwende, in: Hagner, Michael (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten, Göttingen 1995, S. 147-173; Horn, David G.: The Criminal Body. Lombroso and the Anatomy of Deviance, New York 2003; Strasser, Peter: Verbrechermenschen. Zur kriminalwissenschaftlichen Erzeugung des Bösen, New York 1984. Die traditionelle Symbolik tierischer Qualitäten wurde negativ gewendet in eine angeborene (böse) Natur, die kontrolliert und überwunden werden musste. Lombrosos Ansatz wurde bei seinem Schüler Max Nordau mit dem Begriff der ‚Entartung‘ fortgeführt, ebenso fin-

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dieser in seiner disziplinübergreifenden Lehre die drei Felder der Psychiatrie, Kriminalanthropologie und Strafwissenschaft über den Begriff der Devianz, wodurch das Individuum holistisch in Aussehen und Intellekt, Körper und Psyche definiert wird. Eine krankhafte Abweichung von der Norm sei demnach nicht durch Sozialisierung heilbar – stattdessen seien die kriminellen Veranlagungen vererbbar, was ihre moralische Dämonisierung zum wissenschaftlichen Schreckbild für gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausweitet. Darin liegt eine fatale Steigerung der bisherigen ‚Semiotik der Sittlichkeit‘, wonach Charakter und Lebenswandel eines Menschen sich angeblich in sein Aussehen einschreiben und für das kundige Auge erkennbar werden. Lombrosos ‚Bio-Semiotik‘ läutete im 19. Jahrhundert die Entwicklung der späteren Eugenik ein, wo die Diskriminierung ethnischer und sozialer Gruppen neben einer rassistischen und misogynen Grundhaltung ebenfalls unter Berufung auf anthropometrische Empirie und wissenschaftliche Objektivität gerechtfertigt wurde.26 Seine eigenen Theorien leitete Lombroso mithilfe einer statistischen Methode ab, bei der er Anomalien in bestimmten Personengruppen aufspürte und mit spezifischen Physiognomien verband. Den Blick für körperliche Merkmale entwickelte er anhand seiner umfangreichen Bild- und Materialsammlung, das aus einem Archiv aus Bildern, Objekten, Abgüssen und präparierten Körperteilen bestand, welches 1884 in Turin zum Zwecke der Aufklärung und präventiven Erziehung der Menschen öffentlich präsentiert wurde. Der wissenschaftlich-museale Anspruch Lombrosos erfüllte sich spätestens 1892 mit der Gründung des Turiner Museums für Psychiatrie und Kriminologie.27 Das umfangreiche Anschauungsmaterial in seinen Werken, das die Texte begleitet, besteht aus systematischen Zahlentabellen und Bildtafeln mit Fotografien und Zeichnungen, die nur mit einer Sammelüberschrift (z. B. „deutsche Kriminelle“ oder „epileptische Kriminelle“) gekennzeichnet sind und nummerierte Porträts in dichter Anordnung präsentieren (Abb. 111). Bei prominenten oder historischen Beispielen wie „Revolutionäre und politische Verbrecher“ wird der Name unter dem Porträt angegeben, was aufgrund der formalen Ähnlichkeit zu nobilitierenden Porträtsammlungen historischer Persönlichkeiten unfreiwillig die Negativkonnotation unterläuft – auch wenn die meisten grafischen Porträts deutlich ins Hässliche verzeichnet sind. Neben mathematischen Fakten stützt sich Lombrosos positivistische Kriminologie also stark auf Bilder, denen er eine selbstredende Evidenz unterstellt, ohne ihre heterogenen Quellen zu berücksichtigen. Obwohl ihre Einheitlichkeit formal suggeriert wird (wie durch Größe, Anordnung und den auf bestimmte Merkmale gelenkten Fokus) erscheinen Artefakte wie Zeichnungen, Grafiken und sogar Münzbilder gleich-

den sich Anklänge in Erich Haeckels Rekapitulationstheorie und Ernst Kretschmers Konstitutionslehre, vgl. Person 2005, S. 9-17. 26 Vgl. Regener 1999, S. 179; Becker, Peter: Physiognomie aus kriminologischer Sicht. Von Lavater und Lichtenberg bis Lombroso und A. Baer, in: Theile 2005, S. 93-124, hier S. 100-106, 117-122; Gould 1981, S. 135-142; Siehe auch Pick, Daniel: Faces of Degeneration. A European Disorder, 1848-1918, Cambridge u. a. 1989. Siehe u. a. Lombrosos Werke: L’uomo bianco e l’uomo di colore, Padua 1871; La donna delinquente. La prostituta e la donna normale, Turin 1893, dt.: Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, Hamburg 1894. 27 Zur Sammlung des Museo Lombroso siehe Regener 1999, S. 171-179; dies. 2010, S. 66-76.

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wertig neben Fotografien, als handelte es sich um naturgetreue Porträts mit demselben dokumentarischen Anspruch. Die verallgemeinerte Ähnlichkeit der Individuen untereinander wird methodisch durch die Kontextualisierung ihrer Merkmale und deren inhaltliche Überschreibung als Typen erzwungen. Das Bildargument basiert im Wesentlichen auf der Gruppierung von Bildern, die je nach Fall aus ‚hässlichen‘ Abweichungen oder kuriosen Deformationen selektiert sind und als kommentarlose Illustrationen der Texte erscheinen. Ihr künstlicher Kontext lädt sie affektiv auf, während sie selbst nur einen vergröberten Blick auf das Objekt und seine Deutung zulassen.28 Dem nüchtern-analytischen Ton der Statistiken in Lombrosos Werken stehen sogar bisweilen karikierend verzerrte Zeichnungen gegenüber. Ohne formanalytische Differenzierung verschwindet auch die strittige Grenze zwischen Physiognomik und Pathognomik, da allem Sichtbaren eine selbsterklärende Evidenz in Einklang zum theoretischen Konstrukt zugesprochen wird, das damit eine empirische Bestätigung erhält. Lombrosos Datenund Bildersammlung basiert zwar scheinbar auf der physiologischen Analyse, doch sein Bildumgang ist weit entfernt vom detaillierten Scharfblick, mit dem ein Individuum nach wissenschaftlichen Maßstäben ‚durchschaut‘ werden soll. In der kriminalistischen Praxis gewann die Physiognomie zu Identifizierungszwecken seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend an Gewicht, als die systematische Beschreibung und Kategorisierung von Individuen eingesetzt wurde, um verdächtige Personen zu überführen. Im Zuge der staatlich vorangetriebenen Präventionsarbeit gegen die Kriminalität, die mit größerer sozialer Mobilität und unübersichtlichen urbanen Verhältnissen zunahm, wurde die physiognomische Aufzeichnung als Mittel der Überführung und Identifizierung immer bedeutender.29 Schon vor der ‚Verwissenschaftlichung‘ physiognomischer Deutungspraktiken durch Ärzte, Psychiater und Anthropologen stellte die Polizei im 19. Jahrhundert erkennungsdienstliche Porträts her, sie sich um eine sachlich-präzise Darstellung der Person bemühten – statt einer klassischen Porträtähnlichkeit sollten sie dazu dienen, die Identität anhand von sichtbaren Spuren nachzuweisen. Die Fotografie wurde aufgrund ihres Detailreichtums und der ihr zuerkannten Objektivität zu einem Schlüsselmedium in dieser Entwicklung, begleitet von der zunächst auch eingesetzten Reproduktionsgrafik, mit der Fahndungsfotos vervielfältigt wurden. Die Suche nach objektiven 28 Vgl. dies. 1999, S. 180-183. Zur karikierenden Überzeichnung in Verbrecherbildern siehe ebd., S. 206-239. Im Unterschied zur namentlichen Kennzeichnung in Polizeiarchiven wurden die Personen im kriminalanthropologischen Bildarchiv anonym und deliktspezifisch aufgeführt – die Schautafeln dienten dem Gesichterstudium vor der Vergleichsfolie des ‚Normalen‘ und nicht der Identifizierung, vgl. ebd., S. 210. Die Fotografien weisen eine betonte Verhässlichung auf, da vor allem die depravierte Abweichungsform physiognomisch interessierte, während die traditionelle Physiognomik den Schwerpunkt auf die ‚schöne‘ Norm legte, vgl. Käuser 2006, S. 56-57. Zur zeitgenössischen Kritik an Lombroso vgl. Gould 1981, S. 122-135; Becker 20052, S. 121-122. 29 Eine Rolle spielte dabei die Abschaffung der Folter in Europa in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, die neue Verhör- und Beweismethoden notwendig machte, vgl. Becker, Peter: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005, S. 30-39; siehe ders. 20052.

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Kriterien der Ähnlichkeit erforderte ein Abstrahieren vom Sichtbaren, da dieses einer zeitweiligen, akzidentellen (und womöglich gefälschten) Erscheinung der Person unterworfen sein konnte. Somit führte die kriminalistische Bildpraxis eine „dreifache Disziplinierung“ des Körpers, seines Bildes und des lesenden Blicks ein.30 Schon 1843-44 ließ die Brüsseler Polizei Daguerreotypien von Kriminellen und Verdächtigten anfertigen, gefolgt von der Polizei in Birmingham im Jahr 1850.31 Ab 1852 wurden heimatlose Bettler und verhaftete Fremde in Bern fotografisch erfasst und als Album lithografierter Kniestücke in Form von frontalen Sitzporträts unter allen Polizeidienststellen in Umlauf gebracht. In den frühen 1850er Jahren wurden in Dänemark und der Schweiz Daguerreotypien von mutmaßlichen Verbrechern angefertigt, während die Polizei in Hannover erstmals 1853 die lithografierte Fotografie eines Identitätsschwindlers auf Fahndungsblättern verbreitete, gefolgt von Steckbriefen mit Fotografien in Frankreich und England, wo in den 1850er Jahren Verurteilte und Verdächtige in verschiedenen Gefängnissen zum Identitätsabgleich fotografiert wurden.32 1854 berichtete der Kritiker Ernest Lacan von der Entwicklung eines „biometrofotografischen“ (biométrophotographique) Systems zur Erfassung von Kriminellen im Gefängniswesen, bestehend aus Bild- und Textinformationen vom Foto bis zum „graphometrischen“ Bericht, da die Person nach Verbüßung ihrer Strafe weiterhin im Blick der Polizei bleiben sollte.33 Um die Identifizierung und Kontrolle unbekannter Personen zu erleichtern, wurde 1864 die Einführung einer Passkarte mit einem Fotoporträt vorgeschlagen, was sich aber für Ausweise erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa durchsetzen konnte – hier liegen die Vorläufer der ID-Fotos bzw. Passbilder.34 Ab Beginn der 1860er Jahre wurden in Europa kombinierte Verbrecherkarteien erstellt, bei denen das Fotoporträt die bisherigen Mängel der sprachlichen Personenbeschreibung ausgleichen sollte: Ein frontales oder ins Dreiviertelprofil gedrehtes Brustbild etwa im Format Carte de Visite (6 x 9 cm) wurde hierfür auf eine mit notierten Merkmalen versehene Signalements-Karte montiert. Außerdem entstanden diverse Verbrecheralben mit gerahmten und teils verzierten Porträts verschiedener Personengruppen, die in konventionellen Studiosituationen als Ganzkörper- oder Halbfigur, Kniestück oder Brustbild aufgenommen wurden, wie im Album des dänischen Fotografen Emil Rye (1820-1890) von 1867-70 und in dem aus Hannover stammen-

30 Meyer, Roland: Detailfragen. Zur Lektüre erkennungsdienstlicher Bilder, in: Reichle, Ingeborg u. a. (Hg.), Verwandte Bilder. Die Fragen der Kunstwissenschaft, Berlin 2007, S. 191208, hier S. 191; vgl. Becker 20052, S. 98, 108-109; Schmölders 1997, S. 31-32. Zu den Anfängen der Verbrecherfotografie siehe Regener 1999; Stingelin, Martin: En face et en profil. Der identifizierende Blick von Polizei und Psychiatrie, in: Fotovision. Projekt Fotografie nach 150 Jahren, Ausst.-Kat., Hannover, Sprengel Museum u. a. 1988, Hannover 1988, S. 181-187. 31 Vgl. Phéline, Christian: L’Image Accusatrice, in: Les Cahiers de la Photographie, No. 17 (1985), S. 15-17, zit. nach Sobieszek 1999, S. 113; Regener 1999, S. 28. 32 Vgl. ebd., S. 28-29; Becker 20051, S. 75-77; zum Porträt des ‚Carl Schmidt‘, vgl. ebd., S. 65-70. 33 Vgl. Sobieszek 1999, S. 113. 34 Passkarten wurden in Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt, mit der Forderung nach sogenannten Zwangspässen für Landstreicher, vgl. Regener 1999, S. 91-92.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 269

den ältesten deutschen Verbrecheralbum von 1860-65 zu sehen ist (Abb. 112-113).35 In Ryes Album sind die mit Namen und protokollarischer Nummer versehenen Fotografien zu Vergleichsszwecken herausnehmbar. Auch hier findet sich das 1854 von Disdéri eingeführte Format Carte de Visite, so dass das Verbrecheralbum mit seinen Studiorequisiten und konventionellen Posen einem bürgerlichen Familienalbum gleichen würde, wären da nicht der sichtbare Bruch im Kleidungsstil und das teilweise offensichtliche Unbehagen der Dargestellten.36 Die Beschriftung unterhalb der Porträts mit Namen und Alias, Jahreszahl oder Herkunftsangabe weisen sie schließlich als Verbrecherbilder aus – ebenso kennzeichnend ist der in den 1860er Jahren schon auftretende leere Hintergrund, dessen Neutralität von der zuvor bürgerlichen Inszenierung deutlich abweicht.37 Brustbilder weisen überdies oft eine Vignette auf, was zwar der herkömmlichen Porträttechnik entspricht, aber im Falle des Verbrecherfotos den Fokus auf das Gesicht verstärkt. Bemerkenswert an einigen größeren Fotografien aus dem Hannoveraner Album ist die Tatsache, dass sie als Vorlage für Lithografien (Abb. 113) dienten und vermutlich eigens zu diesem Zweck angefertigt wurden, so dass wie beim Porträt Georg Gunkel beide Reproduktionstechniken – mechanische und manuelle – nebeneinander dasselbe Porträt der Person zeigen. Die lithografische Vergrößerung weist im Vergleich zur fotografischen Vorlage trotz ihres Detailreichtums und ihrer Schärfe physiognomische Abweichungen auf, die von einer überzeichneten Kontraststeigerung oder allgemeinen handwerklichen Akzentverschiebung herrühren.38 So wie die Carte-de-Visite-Fotografie von Disdéri bei aller stilistischen Normierung ein der Person ‚ähnliches‘ Bildnis anstrebte, das ihren Charakter durch Posen, Requisiten und formale Gestaltung darlegen sollte, fand sich in der frühen Verbrecherfotografie der Anspruch, das Individuelle trotz uniformer Standards aufzuzeigen. Um das Verbrecherporträt als „Informationsfläche“ zu gestalten, bemühte man sich zunehmend um eine Bereinigung und Spezifizierung der Aufnahmebedingungen und der Umgebung, wie etwa durch schlichte Bekleidung vor monochromen Hintergründen oder bei Außenaufnahmen vor Gefängnismauern. Wie Susanne Regener beobachtet, wird im oftmals passiven, verunsicherten Ausdruck der Fotografierten die Differenz der „Zwangsfotografie“ sichtbar, in der die Person als kontrolliertes Objekt dem dokumentarisch inszenierten Bildregime unterworfen wird.39 Uneinheitliche Methoden und fehlende verbindliche Regeln für professionelle Kriminalfotografien in Eu35 Regener geht ausführlich auf diese frühen Beispiele ein, deren konkrete Entstehungsweise und Verwendung im Fall des Hannoveraner Albums nicht überliefert sind, vgl. ebd., S. 3538, 63-67. Das Album besteht aus insgesamt 97 Bildern, von denen 75 Fotografien sind. 36 Vgl. ebd., S. 66-67. Zum Ursprung des Verbrecherporträts in der Atelierfotografie und den Überschneidungen mit dem bürgerlichen Carte-de-Visite-Porträt siehe ebd., S. 30-63. Sowohl im Hannoveraner als auch im bekannten Berliner Verbrecheralbum (ab 1878) sind die Fotoformate oft uneinheitlich, vgl. ebd. S. 34-38, 46-57; Becker 20051, S. 75-80. 37 Vgl. Regener 1999, S. 67. 38 Der Einsatz druckgrafischer Reproduktionen und ihre Verbreitung im Hannoverschen Polizeiblatt wird bei Regener ökonomisch begründet, da die preiswerte Vervielfältigung eine effektivere Fahndung versprach, wofür man auch geringe Abweichungen in der manuellen Kopie in Kauf nahm, vgl. ebd., S. 77-84. 39 Regener führt hierzu den Begriff der „Fotografie-wider-Willen“ ein, vgl. ebd., S. 16, 45, 57.

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ropa wie auch den USA waren damals eine Schwierigkeit, die erst mit den von Bertillon 1880 formulierten erkennungsdienstlichen Vorgaben für Polizeikarteien beseitigt wurde, deren Bildtechnik sich radikal vom bürgerlichen Fotoporträt entfernte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Porträts nach Bertillons Methode nur noch von spezialisierten Polizeifotografen angefertigt, wobei das Doppelbildkonzept en face und en profil bis heute gültig geblieben ist.40 Der Kriminologe Bertillon, der ab 1892 Leiter des Erkennungsdienstes der Pariser Polizei war und als Begründer der gerichtlichen Fotografie und Anthropometrie gilt, begann 1879 mit seiner Arbeit an Verbrecherfotografien, die er in ein mehrteiliges kombiniertes Verfahren zur Erhebung von Personaldaten integrierte. Das so entstandene System der Bertillonage bestand aus vier Komponenten (Abb. 114-115): 1. die Messung bestimmter Partien neben der Körpergröße, u. a. Kopflänge und -breite, Vorderarm- und Mittelfingerlänge, Fußlänge und Sitzhöhe; 2. eine Personenbeschreibung als ‚gesprochenes Porträt‘ (portrait parlé) mit ausführlicher Gesichtsanalyse bis hin zur Nasen- und Ohrenform; 3. eine sprachliche Beschreibung besonderer Kennzeichen und 4. die Fotografie. Der Mensch wurde hierbei durch Daten, Worte und Bilder in seiner materiellen Faktizität ganzheitlich erfasst, basierend auf der Prämisse, dass sein individueller Körper als biologischer ‚Ort der Wahrheit‘ den Garant für die exakte Identifizierung lieferte. Während das Verbrecherbild zuvor sozial geprägt war und ikonografischen Konventionen folgte, verzichtete die Bertillonage weitgehend auf Aussagen über Rolle oder Milieu der Person und präsentierte stattdessen ein „Bio-Konzept“ des Menschen mit hauptsächlich angeborenen Eigenschaften.41 Die Bertillonage bot eine verfeinerte Form des vorherigen anthropometrischen Signalements der Verbrecherkartei und erforderte neben sorgfältiger Messarbeit vor allem eine differenzierte Beobachtung und Beschreibungsmethode. So sollte das morphologische Sehen aller Gesichtspartien anhand fotografischer Vergleichskarten trainiert und durch sprachliche Verbindlichkeit vereinheitlicht werden (Abb. 116). Im vorliegenden Beispiel etwa wurden Gesichtsfragmente nach Augenpartie, Stirn, Nase, Wangen, Mund, Kinn und der generellen Frontal- und Profilform sortiert und auf der großen Übersichtstafel in dichter Aufreihung formal vereinheitlicht, um eine maximale Vergleichbarkeit der Formen zu gewährleisten. Darin kündigte sich eine technisch-analytische Schule des Sehens in der Polizeiarbeit an.42 40 Vgl. ebd., S. 107, 114-121; zur Bertillonage siehe ebd., S. 104-131; Bertillon, Alphonse: Das anthropometrische Signalement. Lehrbuch d. Identifikation v. Verbrechern..., Bern/Leipzig 1895. Es bestand außerdem eine Simultanform der Porträtaufnahmen en face und en profil in den Spiegelaufnahmen der 1880-1890er Jahre, wo ein Spiegel hinter der frontal gezeigten Person zugleich deren Profil wiedergab, vgl. ebd., S. 111-114; Sobieszek 1999, S. 119-121. 41 Vgl. Regener 1999, S. 131. Die Konzentration auf konstante körperliche Parameter berührt sich noch mit Lavaters Fokus auf festen Gesichtsformen sowie deren morphologischer Klassifizierung. Siehe Bertillon, Alphonse: La Photographie Judiciaire. Avec un appendice sur la classification et l’identification anthropométrique, Paris 1890, dt.: Die Gerichtliche Photographie. Mit einem Anhange über die anthropometrische Classification und Identificirung, Halle/Saale 1895. 42 Siehe Regener 1999, S. 137-142. Nach Gründung des fotografisch-anthropometrischen Erkennungsdienstes 1882 wurden ab 1883 Fotoarchive aufgebaut, so dass im Pariser Zentral-

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An Bertillons ‚kriminalistischem Selbstbildnis‘ (Abb. 114) ist exemplarisch zu erkennen, wie auf der mit Personalien und Archivnummer versehenen anthropometrischen Karte zwei Fotografien im Format Carte de Visite montiert wurden – links das Profilbild mit den sichtbaren Kennzeichen des rechten Ohrs sowie der fronto-nasalen Linie und rechts das frontale Brustbild, so dass die gedoppelte Figur sich scheinbar selbst anblickte.43 Strenge Regeln und eine durchkonstruierte Studiosituation sollten stilistische Uneinheitlichkeit und fotografische Kontingenz unabhängig vom Fotografen minimieren, unter dessen Regie der Fotografierte sich völlig passiv und ausdrucklos zu verhalten hatte. So wie die Körpermaße in der Bertillonage durch genormte Messgeräte wie Messkreuz, Schiebemaße und Zirkel erhoben wurden, war auch die Fotografie unter kontrollierten Umständen formal einheitlich anzufertigen (Abb. 117): Bei genormt gleichmäßigem Lichteinfall, der durch weiße Studiovorhänge reguliert wurde, musste die Person aufrecht vor einem leeren Hintergrund sitzen, dessen Ton im klaren Kontrast zu ihrer Gestalt stand. Um einen einheitlichen Schärfegrad zu erzielen, wurde ein fester Abstand zur Kamera vorgeschrieben, ebenso die Brennweite des Apparats. Die Profilaufnahme sollte immer die rechte Seite zeigen, wobei der Kamerafokus auf dem äußeren Winkel des rechten Auges lag. Beide Ansichten erfassten die Figur an Schultern bzw. Brust und Rücken eingepasst oder leicht angeschnitten, mit gleichem Abstand zum oberen Bildrand. Die Bildausschnitte bis zur Brusthöhe (oder leicht darunter) mussten en face und en profil identisch sein, wie auch die durch Kopf und Gesicht verlaufenden Bildachsen. Dies wurde bei der Aufnahme durch eine Linie auf der Mattscheibe an der nur vertikal verstellbaren Kamera erzielt, die auf Augenhöhe anzusetzen war – damit wurde die Person ins Fadenkreuz genommen. Ihre formale Parallelität ließ sie zu einer Hybridform aus Simultan- und Sukzessivansicht verschmelzen, womit das Doppelporträt eine funktional ausgebreitete Gesamtschau auf einen Blick bot, die normalerweise nicht verfügbar gewesen wäre. Idealerweise sollte die Fotografie die Person im Verhältnis 1:7 abbilden, wofür Bertillon sogar einen standardisierten Betrachtungsabstand zwischen Auge und Bild vorschlug.44 Betrachtet man die einzelnen Porträtaufnahmen, so erscheinen die Personen in isolierter, vereinheitlichter Form – vor allem in der analytischen Vergleichsanordnung als Muster (Abb. 116) – eher wie objektivierte, vom organischen Zusammenhang abstrahierte Körperfragmente, die einer „beliebigen Kombinatorik“ unterliegen,

archiv bis 1909 rund 1 Million Karteikarten mit Fotografien en face und en profil vorlagen, vgl. Stingelin 1988, S. 183-184. Das Sammeln von Messdaten in anthropometrischen Registraturen von europäischen Polizeibehörden blieb bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gängige Praxis, vgl. Regener 1999, S. 142. 43 Zur apparativen Messmethode der Bertillonage und ihrer Fotografie mit Kopfstützen, speziellen Sitzen und Kameras mit fixierten Abständen („Bertillonapparate“) siehe Vec 2002, S. 31-47; Regener 1999, S. 156-159. Für ein „möglichst ähnliches“ Abbild schrieb Bertillon den anatomischen Formen der Identifikationslinien im Gesicht große Bedeutung zu, worin Lavaters Silhouettenmethode nachklingt. Als Vorbild Bertillons gilt jedoch die zu Vermessungszwecken praktizierte ethnologische Fotografie, vgl. ebd., S. 148-150, 163. 44 Vgl. ebd., S. 157; Bertillon 1890, zit. nach Vec 2002, S. 37.

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denn als aktive Bildsubjekte, die den Kamerablick erwidern.45 Das technische Reglement erweist sich als Disziplinierung des Porträtierten, dem nur ein Verhältnis zur Kamera ohne bildliche Kommunikation oder Selbstbehauptung zugestanden wird. Dass das Polizeifoto kein ähnliches Bildnis ist, sondern visuelle Informationen zur Identität vermittelt, wird in den Bildtafeln mit gruppierten Köpfen oder Gesichtsteilen noch deutlicher, da der morphologische Vergleich im ‚Bilderatlas‘ ihren singulären Porträtstatus nivelliert und sie zu Exemplaren einer spezifischen Erscheinung umdefiniert. Die fotografische Objektivität, die seit Talbot mit der Idee einer perfekten, indifferenten Dokumentation verbunden ist, entspricht gerade dem positivistischen Verständnis der Identifizierung durch eine restlose Erfassung des Sichtbaren.46 Andererseits findet durch die Systematisierung, Selektion und argumentative Auslegung der Bilder eine extreme formale Bereinigung und begriffliche Abstraktion statt. Der fotografische Blick fürs Detail und die wissenschaftliche Befragung desselben klingen auch in der kunsthistorischen Methode Giovanni Morellis an, der den identifizierenden Blick des Connaisseurs an Mikroformen schulen wollte und morphologische Kennzeichen etwa an Ohrläppchen oder Fingernägeln detektivisch verfolgte und abglich. Auf einer anderen Ebene setzt sich in der Psychoanalyse das Entziffern der Tiefenaussage ‚sprechender‘ Details durch eine fachliche Lesetechnik fort – eine Analogie, auf die Ginzburg hinweist.47 Das beiläufige, mit dem Auge nicht sichtbare Detail findet im Fingerabdruck sein Sinnbild. Bei der von Francis Galton eingeführten Daktyloskopie (vom griechischen dáktylos für „Finger“ und skopiá für „anschauen“), die er als systematisierte Methode in drei Publikationen in den 1890er Jahren vorstellte, dient die individuelle Struktur der Papillarleisten an den Fingerkuppen der effizienten und eindeutigen Identifizierung einer Person.48 In der frühen Anwendung wurden in den meisten Fällen die Abdrücke der rechten Hand von Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger genommen und mit Druckerschwärze auf ein Bildfeld unterhalb der Polizeifotos gesetzt, wobei durch leichtes Abrollen eine annähernd rechteckige bis ovale Form entstand (Abb. 115). In späteren daktyloskopischen Registraturen hingegen wurden meist alle zehn 45 Vgl. Meyer 2007, S. 193. Dieser verweist auf den Unterschied zwischen detektivischer Analyse und der Physiognomik Lavaters, der das Detail noch als „Ausdruck eines ‚Totalcharakters‘“ sah. 46 Zum Diskurs über die malerisch-abstrahierende Ähnlichkeit im Gegensatz zur mechanisch erzeugten Identität in der Fotografie vgl. ebd., S. 195-197. 47 Zum semiotischen Indizienparadigma der Spur vgl. Ginzburg 1995. 48 Galton, Francis: Finger Prints (London 1892), New York 1965; ders.: Decipherment of Blurred Fingerprints, London 1893; ders.: Fingerprint Directories, London 1895. Bereits 1880 hatte Galton diese Methode in einem Aufsatz vorgeschlagen, doch das Daktyloskopie-Verfahren wurde bei der Londoner Polizei erst ab 1894 eingesetzt. Zuvor hatte der Physiologe Johann Purkinyě 1823 die Einzigartigkeit individueller Fingerabdrücke festgestellt und die erste wissenschaftliche Analyse von Papillarmustern der Hand vorgenommen. Sir William Herschel setzte als Verwaltungsdirektor in Bengalien ab 1860 den Fingerabdruck zur Registrierung und Erkennung einheimischer Personen ein. Diese Methode war im alten China lange bekannt und wurde schon jahrhundertelang eingesetzt, vgl. Ginzburg 1995, S. 44-47; Vec 2002, S. 47-54; Becker 20051, S. 129-132. Zum kriminaltechnischen Verfahren siehe ebd., S. 117-129.

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Finger verzeichnet. Abgesehen von einer ungleichmäßigen Farbverteilung oder verfahrensbedingten Unterbrechungen und Verzerrungen lässt sich nach dieser Methode die Identifizierung anhand von über hundert anatomischen Merkmalen (Minutien) vornehmen. Im Gegensatz zu Gesichtszügen bleiben diese Merkmale im Laufe des Lebens unveränderlich und gelten als täuschungssicher, weshalb Galton sie schon damals „self-signatures“ nannte. Fehlerquellen der Bertillonage wie ungenaue Messungen und sprachlich inkorrekte Beschreibungen konnten durch diese Neuerung vermieden werden, so dass die Daktyloskopie – die nicht zuletzt weniger Arbeitsaufwand und eine geringere Datenmenge im Archiv bedeutete – allmählich die anthropometrische Datenerhebung und das portrait parlé ersetzte.49 Da diese Methode in Kolonialgebieten zum Einsatz kam, bevor sie in England nach ersten Erprobungen 1894 schließlich im Jahr 1901 flächendeckend eingeführt wurde, impliziert sie einen verallgemeinerten Blick auf alle Individuen, deren Physiognomien besonders im Falle von fremden Ethnien für das ungeschulte Auge schwer zu unterscheiden sind. Mit der Identifizierung durch eine abstrakte Information aus visuellen Mustern entfernt sich das analytische Urteil vom Gesicht und der potenziellen ethnischen oder sozialen Klassifizierung und Diskriminierung, die mit der Bewertung des Aussehens einhergeht. Während die Bertillonage mit der positivistischen Darstellung des Körpers einen „Rationalisierungsschub“ in der Personenanalyse markierte, was sich im strengen Bildregime der Mugshots widerspiegelte, kündigte sich mit der ebenfalls mechanischen Daktyloskopie eine potenziell ‚demokratische‘ Bildform an, in dem Sinne, dass sie anonym und gesichtslos ist und sich nicht direkt an Rasse, Geschlecht, Alter und Klassenzugehörigkeit rückkoppeln lässt, wie es sonst bei Gesichtern allzu leicht geschieht. Stattdessen wird jede Person in ungegenständlicher Form durch ihr eigenes indexikalisches Körperzeichen repräsentiert.50 Das revolutionäre, praktische Verfahren entfesselte im frühen 20. Jahrhundert eine bürokratische Sammelwut, die Bild- und Datenmengen zu Millionen anhäufte, da schließlich nur registrierte Personen identifizierbar waren. Damit kam das Problem der systematischen Ordnung und des schnellen Abgleichs auf, zumal der Fingerabdruck eine ganz andere Herausforderung an das morphologisch-analytische Sehen stellte: Die nahezu mikroskopischen Details der Papillarmuster erforderten eine präzise Lese- und Beschreibungstechnik, die den bisher üblichen visuellen Vergleich um vieles überstieg. So wurde schließlich versucht, die Daktyloskopie technisch zu prozessieren und die grafische Information als numerischen Code zu fassen, wie etwa durch eine Bruchzahl mit den kartografisch nummerierten Minutien als Hauptmerkmalen der linken und rechten Hand.51 Bei der gängigen Beschreibungsmethode werden Minutien durch fest definierte Bezeichnungen wie ‚Insel‘ oder ‚Gabelung‘ benannt und über die daktyloskopische Formel nach schematisch klassifizierten Grund49 Vgl. Galton 1965, S. 168; Regener 1999, S. 144. 50 Dabei suchte Galton durchaus auch nach Aufschlüssen zu Rassen- und Klassenunterschieden im Fingerabdruck. Didi-Huberman sieht im Fingerabdruck eine „Re-Semiotisierung“ der Spur und den Versuch, schwache Zeichen (Singularität) zu starken Zeichen (Identität) zu machen, vgl. ders. 1999, S. 194-196. 51 Zu den Problemen des Verfahrens und der Entwicklung der numerischen Kodierung seit dem frühen 20. Jh. sowie zur daktyloskopischen Formel siehe Becker 20051, S. 114-117, 126128.

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mustern aus Bögen, Wirbeln und Schleifen in der Registratur geordnet. Während anfangs die enorme Datenmenge nur mit hohem Personal- und Arbeitsaufwand bewältigt werden konnte, wurde die manuelle Auswertung schließlich durch die elektronische Datenverarbeitung abgelöst – das automatisierte und anonymisierte Verfahren, das 1934 in den USA mit den elektrischen Tabelliermaschinen der Firma IBM beim FBI eingeführt wurde, delegierte die visuelle Analyse und Vergleichsarbeit vom Menschen zur Lesemaschine.52 So wie der Fokus bei der Identifikation vom Körper auf das technisch sichtbar gemachte Detail übergegangen war, wurde nun auch das Lesen dieser Detailinformation auf technische Geräte übertragen. Galtons analytisches Interesse ging über kriminalistische Zwecke hinaus – seine Theorien zur Eugenik verweisen auf einen wissenschaftlichen Plan zur ‚Verbesserung‘ der menschlichen Gattung nach Maßstäben seines Cousins Charles Darwin. Losgelöst von moralischen Werten und Normen, die er als historisch wandelbar abtut, empfiehlt er in seiner Schrift Essays in Eugenics eine statistische Analyse der Bevölkerung zwecks einer von höherer Ebene ausgehenden Kontrolle und Anleitung der Menschen zum Wohle der Nation. Dies lasse sich sogar bis in die Familienstrukturen hinein ‚optimieren‘ – so war es Galtons pragmatisches Ziel, die Fähigkeit, Gesundheit, Intelligenz und allgemeine Qualität des Durchschnittsmenschen (und darüber der ganzen Nation) zu verbessern.53 Diesen Ansatz reflektieren seine konstruierten ‚Vorbilder‘ aus Kompositfotografien, die aus mehreren übereinander projizierten Porträts unterschiedlicher Individuen aufgebaut sind. Unter gleichen Bedingungen fotografiert, sollen spezifische Komponenten durch ihre Verdichtung die objektive Gestalt einer Kategorie Mensch von allein herstellen: Indem der visuelle Vergleich vom räumlichen Nebeneinander zum additiv simultanisierten Kompositbild zusammenfällt, präsentieren sich die analytischen Vergleichsmomente zwischen den Bildern als visuelle Evidenz einer synthetischen Bildaussage. Doch obwohl Galton scheinbar ohne Überzeichnung die Statistik für sich sprechen lassen will, ist die Ordnung der Bilder etwa nach Gesunden, Kranken und Kriminellen in hohem Maße suggestiv. Auf einer Bildtafel (Abb. 118) mit jeweils vier Kompositporträts von Dieben (obere Reihe) und zum Vergleich angeführten ‚normalen‘ Männern im Staatsdienst (untere Reihe) liegt die Zahl der Komponenten und Einzelporträts zwischen 2 und 30, wobei mit ansteigenden Schichten das Gesicht zunehmend eigenschaftsloser und insbesondere an den Rändern unschärfer wird, während die Züge zur Gesichtsmitte hin dunkler werden und stärker hervortreten. Beide Gruppen werden deutlich unterschieden durch die rechteckige Form der lapidaren Polizeifotos oben gegen die leicht vignettierten runden Porträts unten, die den Fokus auf die deutlich schöneren Gesichter lenken. Deren ebenmäßige Erscheinung verdankt sich vor allem der größeren Zahl überlagerter Bilder – dennoch klingt 52 Vgl. Vec 2002, S. 78-79. Zum automatisieren Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) des BKA und der Einführung des EDV-Systems in den 1960er Jahren siehe Becker 20051, S. 128-129, 187-190. 53 Siehe Galton, Francis: Essays in Eugenics (London 1909), New York/London 1985, S. 35-43. Den Begriff der Eugenik prägte er bereits in seiner frühen Schrift Inquiries into Human Faculty and its Development (London 1883). Wie Lombroso suchte auch Galton nach physiognomischen Aufschlüssen über Kriminelle und Kranke zum Zwecke der Erkennung und Prävention.

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darin die klassische Gegenüberstellung der ‚hässlichen‘ Devianz mit der ‚schönen‘ Norm an. Während Lombrosos Schriften noch mit einem wilden Bilderkonvolut argumentierten, bieten Galtons Kompositporträts ein bildtechnisch konstruiertes, präzise dargelegtes Anschauungsobjekt, das einen Typus unter Abschwächung akzidenteller und individueller Details methodisch herausdestillieren will. Was diese Bildtechnik in der überindividuellen Verallgemeinerung zeigt, ist kein physiognomisches Schema mehr, sondern ein selektiv synthetisiertes Phantombild. Im Gegensatz zum spezifizierenden Blick der Kriminalistik und ihrer Analyse des Individuums geht es im sozialstatistischen Ansatz Galtons um eine typologisierende Schlussfolgerung aus empirisch gesammelten Informationen. Statt die reale Einzelperson erkennbar zu machen, soll ein nach mathematischen Prinzipien kreiertes ‚objektives‘ Bild der Gruppe entstehen, der sie angehört.54 Von vererbbaren Familienähnlichkeiten über Krankheiten bis hin zu Berufsgruppen und Verbrechen umfassen die Kategorien soziale, physiologische und psychologische Lesarten des Körpers – ihre Argumentation entwickelt sich entlang der Ordnung der beschrifteten Bildtafeln, in denen die statistische Grundlage und das bildtechnische Verfahren den Wahrheitsanspruch der wissenschaftlichen Behauptung untermauern sollen. Hinter dem Schein der methodisch erbrachten Bildevidenz verschwindet allerdings der Anspruch der genauen Formanalyse, was noch bei der Physiognomik, so fehlgeleitet sie auch sein mag, im Vordergrund steht. Der Detailblick löst sich im Allgemeinbild auf, wobei eine deutende Differenzierung hauptsächlich durch die nominalistische Einordnung erfolgt. Der physiognomische Diskurs, der im frühen 20. Jahrhundert zusehends ideologische und rassistische Färbungen annahm, was sich in der Rede von ‚Nationalgesichtern‘ zeigte, entfernte sich immer weiter vom bildanalytischen Ansatz.55 Für den medizinischen Versuch einer physiognomischen und anthropometrischen Erfassung in den 1920er Jahren steht insbesondere die Konstitutionslehre des Psychiaters Ernst Kretschmer (1888-1964). Im Rahmen einer ganzheitlich-psychophysischen Diagnose werden demgemäß Menschen in drei biologische Körperbau-Typen unterteilt, denen zwei Psychosenkreise entsprechen und vererbbare Charakteristika zugeordnet werden. Kretschmers Lehre greift ebenfalls auf standardisierte Fotografien im Stil der Bertillonage zurück, um sie in Kombination mit Unterschriften und Zahlen als objek-

54 Sekula unterscheidet bei der fotografischen Repräsentation des Verbrecherkörpers zwischen realistisch und nominalistisch, entsprechend der Kriminologie und Kriminalistik. Galton berief sich zur objektiven Aussage seiner Kompositporträts auf die mathematische Regel der Gaußschen Kurve (Normalverteilung), siehe Sekula 1989. Zu den bildtypologischen Merkmalen und technischen Anforderungen der historischen Kompositfotografie siehe Richtmeyer, Ulrich: Die unscharfe Allgemeinheit des Bildes. Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit und das biometrische Kompositbild, in: ders. (Hg.): Phantomgesichter. Zur Sicherheit und Unsicherheit im biometrischen Überwachungsbild, Paderborn 2014, S. 107-127. 55 Siehe hierzu Käuser 2006; Schmölders 1997, S. 32-33, bezogen auf die konservativen Positionen u. a. von Ernst Jünger, Oswald Spengler, Rudolf Kassner, Max Picard sowie Hans Günther (zur Rassenkunde). Eine nach Disziplinen geordnete Übersicht der physiognomischen Themenfelder bietet Schmölders 1997, S. 86.

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tive Beweise anzuführen, und hatte als klassifizierende Methode bis weit ins 20. Jahrhundert einen breiten fachlichen Einfluss.56

3.2.3 BIOMETRISCHE BILDER Zwischen der Bertillonage und Daktyloskopie der Polizeiregistraturen, die in den 1960er Jahren von automatisierten EDV-Anlagen abgelöst wurden, wodurch Bildund Datenbestände leichter gehandhabt werden konnten, und den computergesteuerten biometrischen Systemen der Gegenwart liegen Welten. Dabei handelt es sich bei den biometrischen Bildformen um hochartifizielle Konstrukte, die trotz ihres ubiquitären Einsatzes in verschiedenen sich rasant entwickelnden technischen Funktionen nur einer computerwissenschaftlichen und mathematischen Fachwelt zugänglich sind. Die biometrischen Technologien und ihre Programme unterliegen wiederum als Produkte eines internationalen Marktes oft den Regulationen unternehmerischer Geheimhaltung.57 An dieser Stelle soll nur ein allgemeiner Einblick anhand einiger Beispiele für biometrische Bildmethoden geboten werden. Die Ablösung anthropometrischer Messmethoden in den vergangenen Jahrzehnten durch biometrische Systeme wurde begleitet von einer enormen technologischen Entwicklung, bei der bekannte Analysegegenstände wie Fingerabdrücke, Physiognomie und Signatur fortgeführt und neue körperliche Merkmale wie Handflächen, Adernetz, Augen und Iris (ocular biometrics) sowie Verhaltensformen (behavioral biometrics) wie Gang und Stimme aufgenommen wurden.58 Die Forschungs- und Anwendungsbereiche sind vielfältig und umfassen verschiedene Formen der digitalen Bildherstellung und -nutzung: von Kameras, populären Kommunikationsmedien, sozialen Netzwerken über Computermodellierung und Animation bis hin zur Personenauthentifizierung im wirtschaftlichen, administrativen und sicherheitstechnischen Kontext sowie in Ausweisdokumenten und Polizeiakten, bei der öffentlichen Überwachung oder beim Grenzschutz. Zwar gehören viele Körperkomponenten zur biometrischen Erfassung, doch sind in diesem Kontext nur Gesichtsbilder von Interesse, 56 Kretschmer, Ernst: Körperbau und Charakter. Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Lehre von den Temperamenten (1921), 26. neubarb. Aufl., Berlin/Heidelberg 1977. Seine umstrittenen, doch lange Zeit anerkannten Theorien unterscheiden zwischen den Typen Leptosome, Athletiker, Pykniker sowie den Psychosenkreisen schizothym/schizophren (Neigung bei Leptosomen) und zyklothym/manisch-depressiv (Neigung bei Pyknikern), Athletikern wird eine Veranlagung zu Epilepsie zugeordnet. 57 Vgl. Richtmeyer 2014, S. 8-9. 58 Zu den biometrischen Kategorien siehe Mou, Dengpan: Machine-based Intelligent Face Recognition, Beijing u. a. 2010, S. 15-16. Zum neueren Stand der biometrischen Technologien, ihren Anwendungsbereichen und Forschungsfeldern siehe Yang, Jinfeng u. a. (Hg.): Biometric Recognition, 10th Chinese Conference CCBR 2015, Berlin u. a. 2015. Die internationale Fachtagung Chinese Conference on Biometric Recognition (CCBR) findet seit 2000 jährlich in verschiedenen chinesischen Städten statt. Siehe auch Li, Stan Z. u. a. (Hg.): Advances in Biometric Person Authentication. International Workshop on Biometric Recognition Systems, IWBRS 2005, Beijing/China, Berlin u. a. 2005; Cantoni, Virginio u. a.: Biometric Authentication. First International Workshop BIOMET 2014, Sofia/Bulgaria, Cham u. a. 2014.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 277

zumal Gesichtsbiometrie einen besonderen Schwerpunkt für Entwickler und Nutzer dieser Bildtechnologien darstellt.59 Dem klassischen Mugshot am nächsten ist das biometrische Dokumentenfoto, das in Personal- und Reisepapieren zum Einsatz kommt und der automatischen Identitätsprüfung dient (Abb. 119 a-b). Bei dieser Aufgabe, die in der automatisierten Erkennung one-to-one matching heißt, wird ein vorliegendes Bild mit einem Referenzbild abgeglichen und darüber die Identität verifiziert. Weil es der Maschinenlesbarkeit gerecht werden muss, unterliegt das Passfoto strengen formalen ISO-Vorgaben, die in erster Linie die Bildgröße (3,5 x 4,5 cm) und -proportionen betreffen.60 Das Gesicht soll ohne Neigung oder Drehung frontal und parallel zur Bildebene ausgerichtet sein und die Augenachse im 90°-Winkel zur Zentralachse stehen, die das Gesicht in zwei gleichgroße Hälften teilt. Das Verhältnis einer Gesichtshälfte zum Leerraum soll links und rechts 5:3 betragen, das Verhältnis der Kopfbreite zur gesamten Bildbreite 5:7 bis 5:8. Der Rumpf ist so angeschnitten, dass der Abstand vom Kinn bis zum unteren Bildrand identisch ist wie der zwischen Kinn und Augenachse oder Augenachse und Scheitel, was allerdings abweichen kann, wie auch der Leerraum über dem Kopf. Im Gesichtsbereich sollen alle störenden Faktoren wie Haare und Accessoires vermieden werden, ebenso andere ‚Unregelmäßigkeiten‘ wie mimische Bewegung. Ganz im Sinne der Bertillonage wird ein möglichst neutraler Gesichtsausdruck gefordert. Ähnlich wie bei Bertillon unterliegt der fotografierte Körper im biometrischen Passbild einer strengen Vorgabe und Kontrolle – es gibt kaum Möglichkeiten für eine individuelle Gestaltung, wie es Porträtaufnahmen üblicherweise erlauben. Die Person kann durch Kleidung, Frisur und Kosmetik nur eingeschränkt über ihr Erscheinungsbild bestimmen. In der Verdinglichung des Subjekts durch die formale Reglementierung unter einem unpersönlichen Kamerablick drückt sich zugleich ein Machtgefälle aus passivem Gesehen-Werden und sehender Technik aus, was vor allem bezüglich aktueller Videoüberwachung auf dem Feld der Surveillance Studies diskutiert wird.61 Dabei drückt sich schon in den historischen Formen der kriminalistischen und klinischen „Zwangsfotografie“ ein Machtverhältnis zwischen dem technisch-apparativen Regime und dem menschlichen Objekt aus.62 59 Dabei nimmt in der biometrischen Identifizierung die Gesichtserkennung auf dem schnell wachsenden Markt einen verhältnismäßig geringen Teil ein (11,4 %) im Vergleich zum Fingerabdruck und AFIS Live-Scan (Automated Fingerprint Identification System) mit 66,7 %. (Stand 2009), vgl. Mou 2010, S. 31-32. Siehe Introna, Lucas D./Nissenbaum, Helen: Facial Recognition Technology. A Survey of Policy and Implementation Issues, New York 2009. 60 Seit 2010 gilt die Normvorgabe für Reisepapiere bei allen ICAO-Vertragspartnern (International Civil Aviation Organisation), wo neben Augenfarbe und Körpergröße ein biometrisches Passbild und ein Fingerabdruck erforderlich sind. Zuvor wurde 2005 in Deutschland der biometrische/elektronische Reisepass (ePass) eingeführt, vgl. Könnecke, Michael: Das biometrische Dokumenten-Foto, in: Richtmeyer 2014, S. 33-41. 61 Zur visuellen Kontrolle aus der Distanz und der Rolle des Kamera-Auges siehe Kammerer, Dietmar: Bilder der Überwachung, Frankfurt/Main 2008, Zurawski, Nils (Hg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes, Obladen 2007; Lyon, David: Surveillance Studies. An Overview, Cambridge 2007. 62 Vgl. Regener 1999, S. 163; dies. 2010, S. 95-106.

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Wie in Bertillons normierten Mugshots folgt auch die biometrische Bildordnung einer technischen Visualisierungsstrategie und abstrahiert die organische Einheit des Körpers, um ihn auf messbare, beschreibbare und wiedererkennbare Merkmale zu reduzieren. So zeigt das biometrische Passbild die schematische Umwandlung der Person in ihre eigene ‚Maske‘, was im Aufnahmeprozess der standardisierten Passbildautomaten deutlich zu beobachten ist. Wenn man gemäß Anleitung den Kopf in die Umrahmung auf dem Bildschirm bewegt oder wenn die Aufnahme durch nachträgliche digitale Bearbeitung dem chromatischen und formalen Schema angepasst wird, dann wird der Körper in ein biometrisches Muster verwandelt. Dieses stellt eine einlesbare Information für das ‚Maschinenauge‘ des Computers dar, der in der Datenbank einen Referenzdatensatz abrufen und mit den aktuellen biometrischen Werten abgleichen kann. Die Erscheinungsform des biometrischen Passbildes birgt ein paradoxes Moment des Rollenspiels und der Entfremdung vom tatsächlichen Gesicht, da die formalisierte Aufnahme dem natürlichen Menschen unähnlich sehen mag, während dieser doch nur so vom System identifiziert werden kann. Biometrische Bilder lassen sich kaum als visuelle Information zur Person betrachten, sondern gelten lediglich in Zusammenhang mit Computerprogrammen, durch die sie generiert, transformiert, gelesen und gespeichert werden – ihre Sichtbarkeit, Ordnung und Anwendung basieren auf den Algorithmen des jeweiligen Systems, das den Körper über digitale Daten erfasst und zu sekundären visuellen Formen verarbeitet. Ihre technische Herstellung und Sichtung bindet diese Bilder viel stärker an den technologischen und funktionalen Kontext als etwa noch das informative Bildmaterial im System Bertillon. Mit den computergestützten Messungen und Scans scheint das frühe Ziel der perfekten analytischen Erfassung von Individuen endlich erreicht zu sein, und doch treten vor allem bei Gesichtsbildern häufig Probleme auf, was im Wesentlichen darin begründet liegt, dass Gesichtserfassung und -erkennung durch die Computer Vision vollzogen werden müssen und der Abgleich bei der Identifizierung durch die Auswertung sekundärer Bildmaterialien geschieht. Automatisierte Effizienz und Präzision haben darin ihren Preis, dass das intuitive menschliche Sehen, das bereits im Säuglingsalter Gesichter und Ausdrucksmuster erkennen kann, von einem anderen ‚Seh-Subjekt‘ abgelöst wird. Dieses kann zwar weit über das menschliche Vermögen hinaus mit höherem Tempo und größeren Datenmengen arbeiten, doch sein ‚Sehen‘ muss mit Hilfe mathematischer Modelle und Algorithmen erst programmiert und trainiert, sein Lernfortschritt kontrolliert und optimiert werden. Trotz ihrer stärkeren quantitativen Leistungsfähigkeit kann die Computer Vision bisher noch nicht mit den komplexen Funktionen der menschlichen Wahrnehmung konkurrieren.63 Bei ihr handelt es sich weniger um einen analytischen Blick, der sich mit dem des menschlichen Physiognomen oder Kriminalisten vergleichen ließe, als vielmehr um automatisierte Operationen, die auf dem Verknüpfen von Bildmaterial (Input) und ihrer Interpretation nach bestimmten Regeln (Out-

63 Zum Unterschied zwischen menschlich-kognitiver und maschineller Gesichtserkennung vgl. ebd., S. 1-3; 16-28. Siehe auch Ballard, Dana H./Brown, Christopher M.: Computer Vision, New York 1982.

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put) beruhen – zwischen der Realität und ihren Modellen konstruieren somit Algorithmen die „intermediären Repräsentationen“.64 Wie in der Kriminalistik liegt die Aufgabe der Überwachung und Grenzkontrolle neben der Verifikation einer Identität auch in der Identifikation von namenlosen Gesichtern, indem die erhobenen biometrischen Werte mit dem vorhandenen Material aus einer Datenbank abgeglichen werden (one-to-many matching), wofür die Personen allerdings registriert sein müssen.65 Für die Gesichtsdetektion, die anderen Aufgabenbereichen wie der Gesichtserkennung und emotionalen Deutung des Gesichtsausdrucks zugrunde liegt – was neben der Biometrie vor allem für die Robotik sowie Mensch-Maschine-Interaktionen eine Rolle spielt – ist die ‚Robustheit‘ des Computerprogramms ausschlaggebend, da Lichtverhältnisse, Drehung, Aufnahmeposition, Mimik, strukturelle Komponenten (wie Bart oder Brille), Alterungsprozesse, Unschärfen oder andere optische Störungen seine Erkennungsleistung beeinträchtigen können. Für ein besseres Funktionieren wäre daher eine höhere maschinelle Intelligenz nötig, weshalb die aktuelle Entwicklung von Gesichtserkennungssystemen hin zur autonomen Lernfähigkeit strebt.66 Bei der Gesichtsanalyse wird zwischen holistischen und merkmalsbasierten Methoden unterschieden, wo das Gesicht entweder in seiner Ganzheit oder nur über Merkmale erfasst wird, wobei es viele Hybridmethoden aus beiden Ansätzen gibt.67 Grundsätzlich werden Bilder als Matrix von einzeln definierten Farbwerten (Pixeln) gespeichert, die als homogene modulare Bildpunkte in einer diskreten Gitteranordnung liegen. Was als visuelles Gefüge erscheint, ist ein Datensatz, der sich je nach Funktion transformieren lässt – beispielsweise über eine platzsparende, selektive Informationskodierung in Vektoren – was auch für die Beschreibung und den Abgleich eines Gesichts gilt. Bei einem direkten Pixelvergleich zwischen zwei Bildern (Abb. 120) werden die Farbwertdifferenzen im selben Bereich der Bildmatrix ermittelt – diese einfache technische Methode erfordert wie in normierten Porträts kontrollierte Aufnahmebedingungen für alle Bilder, da das Ähnlichkeitsmaß hierbei keine großen Abweichungen akzeptiert. Transformationsfilter können Gesichter glätten oder ihre Kanten herausfiltern und so durch das Eliminieren von Unregelmäßigkeiten vergleichbarer machen. Akzidentelle fotografische Details und Lichtverhältnisse werden durch die Bereinigung entfernt bzw. normiert, was das Gesicht in seinen ‚robust‘ gemachten Variationen eigentümlich künstlich und verallgemeinert erscheinen lässt.68 Ein weiteres bildanalytisches Mittel sind Histogramme, die strukturunabhängig die Häufigkeiten von Farben oder Merkmalen im Bild erfassen, ohne auf die konkrete Position ihrer Ver64 Vgl. Kammerer, Dietmar: Die automatische Zukunft der Kameraaugen, in: Richtmeyer 2014, S. 149-159, hier S. 149. 65 Vgl. ebd., S. 152-153. Siehe hierzu Hempel, Leon/Metelmann, Jörg (Hg.): Bild-Raum-Kontrolle: Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt/Main 2005. 66 Vgl. Mou 2010, S. 3. Siehe auch Ewerth, Ralph/Freisleben, Bernd: Gesichtsdetektion und -erkennung in Bildern und Videos für die medienwissenschaftliche Analyse, in: Beilenhoff u. a. 2006, S. 229-256. 67 Siehe Introna/Nissenbaum 2009. 68 Zu den Grundmethoden des digitalen Bildvergleichs siehe Schönborn, Sandro: Der automatische Bildvergleich, in: Richtmeyer 2014, S. 43-53.

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teilung Rücksicht zu nehmen. Es geht in diesem Fall nur um die statistische Untersuchung von Bildkomponenten, was sich im Auftreten bestimmter Farbwerte oder Elementarformen wie eines Rot-Tons oder einer Eckform äußert. Eine solche quantitative Analyse von Gesichtern löst diese semantisch vollkommen auf und übersetzt sie in abstrakte grafische Strukturen. Die Bildanalyse per Computer kann regelbasiert oder lernbasiert ablaufen: Da vorgegebene Regeln und Schablonen etwa zu Gesichtsmerkmalen oder zur Hautfarbe bei akzidentellen Bildabweichungen oft versagen, werden mittlerweile anstelle normativer Formvorgaben lernbasierte Methoden verwendet. Die Qualität der eingespeisten Informationen und ihre Verknüpfung in der Bilddatenbank sind essentielle Voraussetzungen. Im allgemeinen Ablauf werden dafür unterschiedliche Aufnahmen von einer Person gewählt (mugshot selection), deren Züge (features) durch Mustererkennung extrahiert – wobei mit features alle Merkmale von Gesichtsteilen wie Nase und Augen bis hin zu Falten und Flecken gemeint sind – und anschließend in eine für die weitere Verarbeitung günstige Form transformiert. Schließlich wird diese als selektiv kodierte Information zu einem Datensatz dieser Person zusammengefasst, der dann als zukünftige Identifizierungsgrundlage dient.69 Aus entwicklungstechnischer Sicht besteht der generelle Wunsch, die Funktionen des Gesichtserkennungssystems wie in der AI-Forschung (Artificial Intelligence, dt. KI für „künstliche Intelligenz“) möglichst weit an die menschliche Intelligenz anzupassen. So sollen bei einer idealen selbstständigen und lernfähigen Analyse die automatische Datenverarbeitung und -speicherung mit dem intuitiven Sehen des Menschen kombiniert werden.70 Ein Beispiel für holistisch operierende Algorithmen ist die von Matthew Turk und Alex Pentland in den frühen 1990er Jahren am MIT entwickelte Methode der Eigenfaces (Abb. 121 a-b). Das recht bekannte Verfahren einer nahezu in Echtzeit ablaufenden Gesichtsdetektion und -erkennung beruht auf einer Hauptkomponentenanalyse – das heißt, man geht davon aus, dass individuelle Gesichter eine von Nicht69 Zum regelbasierten (1990er Jahre) und lernbasierten Ansatz (v. a. ab 2000) sowie zum grundlegenden Ablauf lernbasierter Methoden (bestehend aus Enrollment, Matching, Update) siehe Mou 2010, S. 37-38, 46-51; Ewerth/Freisleben 2006, S. 231-235; Kammerer 2014, S. 152-153. Zu den bekanntesten statistischen Kodierungsmethoden zählen die Hauptkomponentenanalyse (PCA) etwa für Eigenfaces, die Unabhängigkeitsanalyse (ICA) und die Wavelet-Transformation. Zur Entwicklung und Auswertung von Gesichtserkennungstechnologien diente von 1993-98 das amerikanische FERET (Facial Recognition Technology), ein mehrteiliges Programm für Sicherheit und Nachrichtendienst, das Forschung, Software-Entwicklung, Anwendungstests für Algorithmen sowie eine umfangreiche Datenbank umfasste. Ihre öffentliche Datenbank, Testberichte und Bewertungsmethoden werden über die aktive Laufzeit hinaus weiterhin für die Technologieentwicklung eingesetzt. Nach 2000 wurde sie abgelöst durch die marktorientierte Bewertung des FRVT (Face Recognition Vendor Test), vgl. Mou 2006, S. 42-43. Laut dem letzten Testprotokoll von 2013 (Bewertung nach Herstellerfirmen, u. a. mit Algorithmen zur Erkennung von Geschlecht und Alter) zeigt der beste Algorithmus unter 1,6 Mio. Personen nur eine Fehlerrate von 4,1 %, wobei die Fehlerrate (Verwechslungswahrscheinlichkeit) mit der Datenbankgröße zunimmt. Siehe www.nist. gov/itl/iad/ig/frvt-home.cfm; http://biometrics.nist.gov/cs_links/face/frvt/frvt2013/NIST_8 009.pdf. 70 Vgl. Mou 2006, S. 106.

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Gesichtern deutlich unterschiedene, durch wenige essentielle Merkmale beschreibbare Struktur besitzen. Was in der Phänomenologie als Prägnanzbildung bezeichnet wird, ließe sich hier auf das effiziente 2D-Verfahren übertragen, bei dem die natürliche ‚2D-Erscheinung‘ des frontal erfassten Gesichts mitgenutzt wird: „We want to extract the relevant information in a face image, encode it as efficiently as possible, and compare one face encoding with a database of models encoded similarly. A simple approach to extracting the information contained in an image of a face is to somehow capture the variation in a collection of face images independent of any judgment of features, and use this information to encode and compare individual face images.“71 Hierbei wird aus einer Menge von Trainingsbildern mit den Gesichtern unterschiedlicher Personen in normierter Form und Größe ein hochdimensionaler Vektorraum erstellt, der einen face space (ein bildtechnischer ‚Unterraum‘ aller Gesichter) in Form eines Durchschnittsbildes (Abb. 121 a) ergibt. Aus diesem statistisch aufgebauten Bildgrund wird dann ein individuelles Gesicht aus der Differenz seiner Merkmale zu diesem Durchschnittsbild ermittelt – also anhand der Wahrscheinlichkeitsverteilung seiner Gesichtsmerkmale, aus denen sogenannte Eigenvektoren dieses Differenzgesichts berechnet werden. Mit dieser Technik lässt sich jedes individuelle Gesichtsbild als spezifisch „gewichtete Kombination“ der Eigenfaces beschreiben (Abb. 121 b) und durch einen Vergleich der Gewichtungsmuster identifizieren.72 Mit ihren phantomhaften Gestalten aus verschwommenen Graustufen erinnern die Bilder an bis zur Unkenntlichkeit überlagerte Kompositfotografien, die teilweise zu weißgrauen Negativen umgekehrt sind. Doch die Ähnlichkeit mit fotografischen Gesichtern oder Kompositfotografien nach Galtons Methode trügt, denn es handelt sich vielmehr um eine synthetische Matrix mit angesammelten Datensätzen, die nur ein gesichtsähnliches Muster nach mathematischen Berechnungen produziert. Darin unterscheiden sich die vektorbasierten Eigenfaces wesentlich von den fotografisch analog herausdestillierten Gesichtszügen bei Galton, die in der Summe ihrer Überblendungen weniger Information enthalten. Die hier kodierten Gesichtsstrukturen bedeuten hingegen ein Mehr an Dateninformation, was sich jedoch nicht dem Auge als Bildphänomen darbietet. Eine merkmalsbasierte, geometrische Erkennungsmethode ist das Elastic Bunch Graph Matching (Abb. 122). Hierfür werden die Merkmale eines Gesichts – seine individuelle Konfiguration und die Relationen zwischen Hauptpunkten wie Augen, Nasenspitze, Wangen, Mundwinkel und Kinn – durch einen Modellgrafen dargestellt, worin die Eigenschaften der jeweiligen Knotenpunkte und Kantenlängen im Gesicht eingetragen sind. Die Knotenpunkte enthalten außerdem differenzierte Informationen (Merkmalswerte) zu verschiedenen räumlichen Positionen und Gesichtsorientierungen, wie etwa offene oder geschlossene Augen, die als Menge erlernter Merkmalsdaten (bunch) gespeichert werden. Damit legt sich ein maskenhaftes geometrisches Netz über das Gesicht und entzieht es der normalen Sichtbarkeit. Die abstrakte Überschreibung der Physiognomie erlaubt es dem Computer, ein abgespeichertes Gesicht 71 Turk, Matthew/Pentland, Alex: Eigenfaces for Recognition, in: Journal of Cognitive Neuroscience, Bd. 3/Nr. 1, 1991, S. 71-86, hier S. 73. 72 Vgl. Ewerth/Freisleben 2006, S. 243-244.

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in einem neuen Bild wiederzuerkennen, indem er dieses zunächst in eine optimale Vergleichsposition bringt, um im Abgleich mit der Menge den passenden Modellgrafen und damit die Identität zu ermitteln.73 Mit der technologischen Entwicklung gewinnen 3D-Bildverfahren zur biometrischen Datenerhebung und Identifizierung immer weiter an Bedeutung. Die mehrseitige Erfassung verspricht neben vollständigeren und flexibler einsetzbaren Bilddaten etwa für Medien und Computergrafik vor allem mehr Präzision und Sicherheit bei der Personenkontrolle. So versprechen 3D-Gesichtsbilder fälschungssichere Verifikationen im Vergleich zu zweidimensionalen biometrischen Fotos, während sich 3DGesichtsscanner als Sicherheitstechnologie für Banken oder in der öffentlichen Überwachung und Polizeiarbeit einsetzen lassen.74 Für einen Gesichtsscan (Abb. 123) wird ein Streifenlicht auf die Person projiziert, die wenige Sekunden vor dem Apparat verharren muss, bis der Computer anhand der Abweichungen der geraden Linien, die vom System wieder aufgenommen werden, die Kopfstruktur als 3D-Datensatz errechnet hat. Für eine komplette Erfassung muss die Person frontal und im Profil von drei Seiten räumlich gescannt werden, wobei wie in der Bertillonage die Ohrenform ein zentrales Merkmal darstellt.75 Die weitere Ausrichtung und Verarbeitung der Bildinformation sowie ihr Abgleich mit der Personendatenbank für eine Identifizierung ist vergleichbar mit den üblichen 2D-Verfahren. Darüber hinaus spielt die dreidimensionale Berechnung und Modellierung der Gesichtsstruktur auch in der Medizintechnik eine immer größere Rolle. Neben den vielen diagnostischen bildgebenden Verfahren, die schon lange im Einsatz sind – wie MRT- und CT-Scans neben klassischen Bildmethoden wie Röntgenaufnahmen – werden 3D-Scans und Computermodelle nun vermehrt für Behandlungszwecke eingesetzt, insbesondere in der Zahntechnik und plastischen Chirurgie (Abb. 124).76 Ausgehend von der präzisen Aufzeichnung und Analyse des Körpers in seinem aktuellen Zustand geht es dabei um seine projektive, virtuell konstruierte Veränderung, die dann im realen Eingriff, der immer häufiger mithilfe von Computern stattfindet, umgesetzt werden soll. Wie in früheren anthropometrischen Messungen werden Teile des Gesichts bzw. Körperbereiche gezielt herausgelöst und als isolierte Analyseobjekte behandelt, die sich bis ins kleinste Detail verzeichnen lassen 73 Siehe Wiskott, Laurenz u. a.: Face Recognition by Elastic Bunch Graph Matching, in: IEEE Transactions on Pattern Analysis and Machine, Bd. 19/Nr. 7, 1997, S. 775-779; Ewert/Freisleben 2006, S. 245-247. 74 Das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt hat mit der Bundespolizei Probeläufe mit 3D-Gesichtsbildern und Überwachungskameras vorgenommen, doch während die kostspieligen 3D-Scanner nun vereinzelt in Banken genutzt werden, sind sie bei der Polizei noch nicht im Einsatz, vgl. Krauter, Ralf: 3D-Gesichtsscanner. Identifizierungen noch sicherer machen, Deutschlandfunk, 3.11.2015, www.deutschlandfunk.de/3dgesichtsscanner-identifizierungen-noch-sicherer-machen.676.de.html?dram:article_id=335 830. 75 Vgl. ebd. 76 Zum aktuellen Einsatz biometrischer Technologien im medizinischen Bereich siehe Zhang, David/Sonka, Milan (Hg.): International Conference on Medical Biometrics, Heidelberg u. a. 2010. Ausführlich zu verschiedenen 3D-Gesichtstechnologien siehe Daoudi, Mohamed u. a. (Hg.): 3D Face Modeling, Analysis and Recognition, Chichester 2013.

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– allerdings dringt die Technik hier bis ins Innere des Körpers vor und bietet neben der Außenansicht nun einen Einblick in das, was dahinter liegt und die körperliche Gestalt bedingt. Nach der visuellen Analyse der anthropometrischen Fotografie stellen die Bilder der medizinischen Biometrie eine analytische Sichtung und Rekonstruktion dar, die ebenso einen Handlungsentwurf implizieren. Trotz des Arguments, dass die automatisierte Technik in biometrischen Bildern einen neutralen Blick auf alle Menschen gewähren und sie anonym verarbeiten soll, ohne zu urteilen, womit Diskriminierungen der klassischen Physiognomik und Anthropometrie eliminiert wären, gelten für biometrische Bilder durchaus weiterhin Kategorien wie Rasse, Geschlecht, Alter und Gesundheit, zu denen immer umfangreichere und präzisere Daten erhoben werden. Dies kann sich je nach Umstand auf die Bewertung und Behandlung der betroffenen Person auswirken. Differenzen bei der biometrischen Analyse sind einerseits technisch bedingt durch Algorithmen, die eine Ethnie besser als andere unterscheiden können, Männer besser als Frauen oder ältere Gesichter besser als jüngere.77 Andererseits zeigt sich in der praktischen Anwendung deutlich die Ungleichbehandlung von biometrisch erkannten Personen, was im Grenzschutz oder in der Überwachung gerade vor dem Hintergrund von Terrorismus, Flucht und Immigration virulent wird. Im Prozess der Identifizierung und präventiven Selektion von Individuen können sich unter dem diffusen Verdacht auf ein Bedrohungspotential allzu leicht vorurteilsbehaftete Lesarten einschleichen. Der physiognomische Blick hat sich in Zeiten biometrischer Bildtechnologien vom einzelnen Experten auf viele undurchsichtige Ebenen zwischen Musterprozessierung und Big Data zerstreut, so dass sein technisch-analytisches Urteil noch obskurer wird, zumal es sich mit funktionalen Interessen vermengt.78 Von der Physiognomik des 18. Jahrhunderts hat sich das Bedürfnis bis heute gehalten, Gesichter als natürliche Repräsentationen ihrer Träger und deren Identität zu verstehen und einzuordnen. Die wichtigsten Methoden der Distanzierung, Klassifizierung und Normierung unter Einsatz technischer Hilfsmittel, wodurch die Analyse des empirischen, quantifizierbaren Körpers vollzogen werden soll, behalten in der Gegenwart ihre Gültigkeit, obgleich sich Agenten und Verfahren verändert haben. Selbst die Probleme der als überkommen geltenden physiognomischen Lehren blei77 Vgl. Ewerth/Freisleben 2006, S. 249. 78 Zu technischen Differenzen bei der Gesichtserkennung, soziopolitischen Implikationen und dem fraglichen Argument der ‚technologischen Unbefangenheit‘ im Gegensatz zum subjektiven menschlichen Blick siehe Knaut, Andrea: Kontrollpolitische Automatisierung der Personenidentifizierung an den Grenzen, in: Richtmeyer 2014, S. 55-71; Kammerer 2014, S. 155-158. Letzterer weist auf die „stumme Technologie“ der vermeintlich neutralen und objektiven Maschine hin, deren Entscheidungsmechanismen wie in einer Black Box kaum einsehbar und hinterfragbar seien. Ähnlich problematisch verhält es sich mit dem Datenschutz, wenn Gesichter unbemerkt untersucht werden – was gern als berührungsfreie (noninvasive) Methode gelobt wird – oder in sozialen Netzwerken aufgespürt werden, z. B. mit der Gesichtserkennung bei Google+ und DeepFace von Facebook, vgl. Taigman, Yaniv u. a.: DeepFace: Closing the Gap to Human-Level Performance in Face Verification, in: Conference On Computer Vision and Pattern Recognition (CVPR), 24.06.2014, https://research. facebook.com/publications/deepface-closing-the-gap-to-human-level-performance-in-face -verification.

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ben zu einem gewissen Grad bestehen: Angesichts der Reduktion des Menschen auf körperliche Merkmale – was von der äußerlich messbaren Biometrie bis zum genetischen Code der DNA reicht – stellt sich die Frage nach der Aussagekraft positivistischer Analysen und ihrem Geltungsbereich. So kann ein biometrisches Bild die praktische Funktion des Identifizierens und Verifizierens erfüllen, doch nur bedingt den Menschen in seinem Denken und Handeln deuten, obgleich es psychologische Ansätze gibt. Wo Physiognomen und Kriminalisten am analytischen und präventiven Ausdeuten des Charakters gescheitert sind, bleibt in biometrischen Systemen ebenfalls eine Lücke zwischen dem Erkennen und Verstehen der Information. Diese Problematik erscheint umso akuter, wo sich nun mit dem technologischen Fortschritt ein immer stärkerer Wahrheitsanspruch in ihren Darstellungsformen äußert, was heute bereits einen beachtlichen Einfluss auf den allgemeinen Körper- und Identitätsbegriff ausübt.

3.2.4 ZWISCHEN ID UND BIO-PORTRÄT Vor dem Hintergrund der Werkanalysen unter Betrachtung der spezifischen formalen Qualitäten und ikonisch-materiellen Ebenen bei Close lässt sich nun fragen, wie die eben genannten technisch-analytischen Bildmethoden sich mit seinen Porträts in Beziehung setzen lassen. Welche Affinitäten weist Closes Ansatz zu den verschiedenen Bildkulturen auf und wie spiegeln sich deren Ansprüche in seinem ‚objektiven‘ Konzept wider? Ganz unabhängig von einer intendierten Bezugnahme Closes sollen Analogien und Resonanzen aus den Bildern selbst erschlossen werden, wobei ihre Differenzen ebenso wichtig sind. Während er einerseits das ID-Foto als kompositorische Formel verwendet, spricht Close andererseits von der „Biografie im Gesicht“, wofür hier der doppeldeutige Begriff Bio-Porträt verwendet werden soll, der sowohl den biologisch-körperlichen Materialismus als auch die subjektiv-biografische Narration einschließt. Reflektieren seine Porträts die analytischen Lesetechniken mit ihrem Objektivitätsanspruch oder geht es mehr um die Methodik der analytischen Gesichtsverarbeitung mit Blick auf die Lesbarkeit des Körpers? Mit dem Einsatz formaler Mittel, die das Gesichtsbild quantifizieren und modularisieren, greift der Maler auf eine der sachlichen Porträttradition entnommene ‚Ikonografie des Neutralen‘ zurück, für die Foto- und Messtechniken von zentraler Bedeutung sind. Dem gegenüber stehen allerdings die unmittelbare Bildwirkung und Closes persönliche Verbindung zum Modell, wodurch eine subjektive Dimension im Betrachter-Bild-Verhältnis und KünstlerModell-Verhältnis eröffnet und die faktische Darstellung der Gesichter um den impliziten Sinn einer ‚eingeschriebenen Biografie‘ erweitert wird. Mit der Physiognomik verbindet Close am ehesten die vereinheitlichte Präsentationsweise der mannigfaltigen Körper- und Gesichtsformen in seinen Porträts. Sein Bildschema schafft Vergleichbarkeit, während die Segmentierung in Bildabschnitte – ob als Rasterquadrate oder Gesichtsfragmente – eine analytische Vermessung suggeriert. Das Schema und die Skala werden im Herstellungsverfahren der Porträts an jedes Modell angelegt, so dass mit dem einheitlichen Stil innerhalb der Werkgruppen der Eindruck eines Katalogs entsteht: Jedes Bildnis steht in einem seriellen Kontext zu anderen Gesichtern, was besonders bei der simultanen Präsentation in Ausstellungen oder Publikationen ins Auge fällt. Die unterschiedlichen Einzelporträts werden dabei

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in ihrer ostentativen Vergrößerung wie selbstredende Bildevidenzen nebeneinander präsentiert. An dieser Stelle unterscheiden sie sich schon wesentlich vom physiognomischen Ansatz: Zwar schafft Close mit seinen Porträtserien einen Gesichter-Atlas, in welchem sich die Bilder durch ihre Querverweise und Ableitungen gegenseitig ‚erläutern‘, aber er selbst bietet keine physiognomische Rede, die einer klassifizierenden, dekodierenden oder diagnostischen Lesart ihrer Erscheinungsform dienen würde. Die Bildkomposition mag schematisch sein, dafür ist der Gegenstand in den fotomimetischen Bildern keineswegs schematisiert, sondern in all seinen differenzierten Details wiedergegeben. Closes Obsession für Details – sei es in den Fotovorlagen oder abstrakteren technischen Verfahren – widerspricht der Tendenz der Physiognomik zur Vergröberung durch visuelle und sprachliche Schemata. Dabei bezieht sich seine Vorliebe für das Singuläre nicht nur auf das Individuum, sondern auf die Fotografie per se mit ihrer akzidentellen visuellen Abundanz, die sich einer sprachlichen Ausdeutung entzieht. Statt das Bild lesen zu wollen und vom Spezifischen zu abstrahieren, beschränkt sich Closes analytischer Blick auf eine Technik des Sehens, mit der er die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen als Eigenwert registrieren möchte. Während er wie bei einem gründlichen Scan die Maquette entlangfährt, wiederholt er das Gesehene als bildlich-analoge Niederschrift, wobei er absichtlich begrifflich fassbare Details wie ‚Auge‘ oder ‚Mund‘ vermeiden möchte, um das Gesicht als abstrakte Struktur unvoreingenommen aufzunehmen. Zur Lese- und Begriffsverweigerung kommt bei Close der Verzicht auf eine klassische Hierarchie zwischen der betrachtenden Instanz und dem Analyseobjekt, das immer der andere ist.79 Close beansprucht als Autor keine Deutungshoheit – stattdessen stellt er sich in vielen Bildern selbst als Objekt der visuellen Analyse zur Schau und macht die Fotokamera zur eigentlichen Blickinstanz, vor der alle Modelle gleich sind. Darüber wird noch eine andere Instanz aktiviert: Der Betrachter spürt, konfrontiert mit den vielfältigen Physiognomien, einen instinktiven Drang, die Gesichter zu lesen. Der im Großformat verstärkte psychologische Appellcharakter der frontalen Gesichter weckt einen Deutungsimpuls, mit dem man vage assoziierend nach emotionalen Qualitäten und anderen Aufschlüssen zu der unbekannten Person sucht, ungeachtet der Tatsache, dass es sich um ein kontingentes, konstruiertes Bildnis handelt.80 Da dem zeitgenössischen Betrachter das kodierte Formenvokabular der traditionellen Physiognomik kaum bekannt sein dürfte und diese Art der Charakterdeutung nunmehr obsolet erscheint, ist eine physiognomisch-semantische Betrachtung nahezu ausgeschlossen. Trotzdem lassen Closes Porträts Raum für eine tendenzielle Charakter-Interpretation oder typologische Zuordnung anhand von ikonografischen Details, wie an einigen Beispielen veranschaulicht werden soll. Angesichts der kargen Betitelung und der programmatischen Indifferenz gegenüber den Porträtierten muss jedoch vorausgesetzt werden, dass alle möglichen Lesarten lose und unverbindlich sind, womit Closes Bilder das grundlegende Problem der Physiognomik und anderer analytischer Porträtformen bis zur modernen Biometrie widerspiegeln: Die Frage nach der (eindeuti79 Vgl. Schmölders 1997, S. 158, 162. 80 Siehe hierzu Gombrich 1972, S. 10-60. 80 Vgl. Lyons 1987, S. 39.

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gen) Verbindung zwischen Sichtbarkeit und Sinn bleibt offen, solange ‚Sinn‘ als physiognomisches begriffliches Dekodieren ausgelegt wird, und sei die technische Analysemethode noch so präzise. In Closes eindringlichen Porträts drängt sich die Sinnfrage der Sichtbarkeit auf, doch werden dafür Lesarten auf mehreren Ebenen eröffnet, da sie als Kunstwerke in erster Linie keine Eindeutigkeit beanspruchen und in der Polyvalenz von Konzeptualität, Ikonografie und materieller Beschaffenheit existieren. Anhand seiner frühesten monochromen Porträtserie lässt sich ein subtiles Spiel mit Personentypen beobachten: Wie bereits dargelegt wurde, inszeniert sich Close in Big Self-Portrait bewusst als junger, nonkonformer Rebell, womit er den Zeitgeist der 1960er Jahre aufnimmt und auf Ikonen der Jugendkultur wie den Filmstar James Dean anspielt.81 Attribute dieser ‚Rolle‘ wie die Zigarette, das lange, zerzauste Haar und das unrasierte Gesicht, die entblößten Schultern und der lässige Blick mit leicht erhobenem Kinn treten nur in diesem ersten experimentellen Werk auf und werden anschließend zurückgenommen. Die nachfolgenden Porträts bieten mit ihrer betonten Neutralität deutlich weniger narrative Hinweise. Doch auch die nächste Arbeit Nancy (Abb. 60) weist eine eigentümliche Dramatik auf: Von links oben stark ausgeleuchtet und erneut in leichter Untersicht gezeigt, erscheint das Gesicht der Künstlerin Nancy Graves durch das Spiel von Licht und Schatten verfremdet. Ihre schiefen Zähne im halb geöffneten Mund liegen im Bildzentrum, wo sie ebenso auffallen wie der seltsame Silberblick aus einem hellen und einem dunklen Auge. Der weichgezeichnete Gesichtsrand und die nackten Schultern stehen im Kontrast zur äußerst scharf ausgearbeiteten Masse der langen, offenen Haare. Als einzige Frau in dieser Werkserie blickt sie nicht auf den Betrachter, sondern schaut versonnen über den Bildrand hinweg. Ihre auffallend asymmetrische Position und ihr rätselhaft ‚ver-rückter‘ Gesichtsausdruck sowie ihre unfrisierten Haare und fehlende Bekleidung erinnern an klinische Fotografien von Pathoszuständen und die hysterischen Patientinnen von Charcot (Abb. 110). Die erotisch-voyeuristisch aufgeladene, spezifisch weibliche Verzückung und Entrücktheit in den visuellen Darstellungen des 19. Jahrhunderts klingen im scheinbar ‚romantischen Naturzustand‘ von Nancy an, die durch ihre Größe wiederum einen irritierenden, beinahe bedrohlichen Effekt erhält.82 Wenn in Nancy noch die experimentelle Form der ursprünglichen Akt-Idee zu erkennen ist, die Close zu Beginn verfolgt hat, so weisen Richard und Joe eine strengere Bildgestaltung auf, die jedoch keineswegs frei von typologischen Anspielungen und Rollenmustern ist. Nach Closes Erzählung sei der Künstler Joe Zucker (Abb. 63) zum Fototermin für das Porträt mit Hemd, Krawatte und zurückgekämmten Haaren erschienen – eine für ihn wohl völlig untypische Verkleidung, die an einen „Autoverkäufer aus dem Mittleren Westen“ erinnern sollte.83 Anders als der spielerisch insze81 Close zit. nach Glimcher 1986, o. S.; vgl. Storr 1998, S. 53. 82 Vgl. Finch 20101, S. 56. Dieser beschreibt sie als „almost romantic“ und vergleicht Nancy mit den Figuren der Präraffaeliten. Close begründet den Gesichtsausdruck mit einem besonders nahen Aufnahmewinkel, wonach die eigentümliche Mimik aus einem fotografischen Zufall resultiert, vgl. Adams 1998, S. 96. 83 Close zit. nach Finch 20101, S. 56, 62. Nach Finchs Beschreibung trat der reale Joe auf wie „a kind of Harpo Marx-like, dirty-blond Jewish Afro and habitually wore Chicago Blackhawks home-ice jerseys.“ Sein inszenierter Look erscheint als als „tacit conspiracy“ mit Clo-

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nierte Geschäftsmann wollte Richard Serra (Abb. 62) nach eigenen Angaben bewusst als „brute“, ein grobschlächtiger Prolet, auftreten und (nicht ohne eine gewisse Selbstironie des Bildhauers) „grob, dumm und hässlich“ erscheinen.84 In der Tat enthält das stoppelige und von Linien durchzogene Gesicht von Richard in seiner breiten, ausgeleuchteten Frontalität etwas Aggressives – eine ungehobelt-maskuline Erscheinung, die von den zerzausten Augenbrauen und Locken sowie den Brusthaaren unter der legeren Kleidung stereotypisch akzentuiert wird. Mit seinem direkten Blick und ungenierten Auftreten verweist Richard nicht nur auf das Klischee einer Arbeiter-Unterschicht, sondern erinnert ebenso an die finsteren Figuren der ‚typischen‘ Verbrecher, die von den herkömmlichen Fahndungsbildern bis zu den Atavismus- und Devianz-Mustern bei Lombroso reichen: Dort werden grobe Gesichtszüge, starke Behaarung und allgemeine Unansehnlichkeit mit emotionaler Stumpfheit, Grausamkeit und Aggression assoziiert. Dass Serra die eigene Physiognomie bewusst für die Darstellung eines negativ konnotierten Charakters einsetzt, spricht für die im allgemeinen Bewusstsein weiterhin gültige Assoziation dieser Eigenschaften mit einem „brute“. Nicht zuletzt prägen Mugshots immer noch das populäre Bild des Verbrechers, was etwa in Warhols Thirteen Most Wanted Men (Abb. 41 a-b) aufgegriffen wird. Zugleich stellen sowohl Closes als auch Warhols Arbeiten das ‚Verbrecheraussehen‘ in Frage, da unklar ist, ob ein gefährliches Wesen sich im Gesicht ausdrückt oder durch den Bildkontext des Mugshot suggeriert wird. Dass sich hinter Richard ein absichtliches Mienen- und Rollenspiel verbirgt, belegt eigentlich Letzteres, wo auf eben dieses Vorurteil zurückgegriffen wird. Im Gegensatz zu Warhols mechanischen Siebdruck-Reproduktionen überträgt Close die ‚Mugshots‘ von den Maquetten in die vergrößerten manuellen Reproduktionen seiner Malereien, worin die zwiespältige Referenz zur Person in den Verbrecheralben und Lithografien aus dem 19. Jahrhundert wieder aufscheint. Wenn dort die mediale Differenz zwischen technischer und manueller Reproduktion noch nicht ins Gewicht fiel, so wird bei Close über den Topos des sachlich-präzisen Polizeifotos gerade die mediale Transformation als eine zentrale Frage reflektiert – bei beiden findet eine Abwandlung in der handwerklichen Rekonstruktion und Sichtung statt, verbunden mit einer mehr oder minder bewussten Akzentverschiebung und Überzeichnung.85 Neben solchen inszenierten Typen – ob geistig entrückte Frau, junger Rebell, Geschäftsmann oder Proletarier – gibt es den subtileren Strang der Künstlerporträts, die sich vage als intellektuell, individualistisch oder ‚inspiriert‘ beschreiben lassen: Man denke an den eindringlichen Blick von Bob (Abb. 65) oder Mark (Abb. 74), die markante Individualität von Keith (Abb. 66) und vor allem das expressive ‚Medusenhaar‘ über dem dramatisch beleuchteten Gesicht von Phil (Abb. 64). Dessen halb-obskurer, in der Luft hängender Blick mag aus der Momentaufnahme resultieren, doch die lebendige Inszenierung seiner auffälligen Physiognomie bedient sich einer bekannten se, dem es erklärtermaßen nicht um den realen Charakter ging, so dass eine Möglichkeit zum Rollenspiels offen blieb. Storr fasst zusammen: „Zucker’s invention was a matter of costuming, Serra’s of aggravated ‚attitude‘.“ Vgl. Storr 1998, S. 45. 84 Close zit. nach Brehm 1994, S. 74. 85 Zum Verhältnis von Verbrecherfotos und lithografischen Kopien vgl. Regener 1999, S. 7684.

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Ikonografie des geistigen Genies und der Introspektion.86 Gerade weil die meisten seiner Modelle Künstler sind, werfen Closes Porträts die latente Frage nach der Sichtbarkeit von Genialität oder einer außerordentlichen Persönlichkeit auf – eine Frage, die Analytiker von Lavater über Lombroso bis Galton und Kretschmer beschäftigt hat und künstlerisch wie wissenschaftlich eine lange Faszinationsgeschichte aufweist.87 Closes visuelles Spiel mit dem Chiaroscuro bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen entfaltet angesichts seines tradierten Einsatzes in Künstler- und Selbstporträts, was vor allem von Rembrandt geprägt wurde, unweigerlich einen symbolischen Mehrwert. Kennzeichnend für das Auftreten der Künstler der 1960er Jahre erscheinen außerdem die ungezwungene Kleidung, die Hornbrillen (als Verweis auf zeitgemäße Mode und Intellektualität) und eine im Big Self-Portrait demonstrierte Souveränität, die sich im eigenwilligen Auftreten vermittelt. Anders als in traditionellen Deutungen von Künstlergesichtern, wofür Lavaters Auslegung des Goethe-Profils ein markantes Beispiel ist, porträtiert Close anfangs tatsächlich unbekannte Künstler, so dass theoretisch ein ‚echtes‘ unvoreingenommenes physiognomisches Urteil ohne Kenntnis über die Person möglich wäre, wenn man es denn versuchen wollte. Was davon willkürliche Projektion ist, wird dem Betrachter erst klar, wenn sich die Identität als Künstlerkollege, Familienmitglied oder sonstige Person des Bekanntenkreises offenbart und anfängliche Zuordnungen widerlegt werden. In seinen Selbstporträts baut Close das auftrumpfende Künstlerbild von Big Self-Portrait kontinuierlich ab, wie das unscheinbare, doch offen zugekehrte Self-Portrait von 1976-77 (Abb. 37) zeigt. In seinen fahlen, zerschnittenen KompositPolaroids (Abb. 98-99) wird ein vergleichsweise intimer und direkter Blick auf den Künstler geboten, da hier eine gewisse menschliche Verletzlichkeit erkennbar wird. Auch aus diesem Grund bergen die Polaroid-Selbstporträts eine gewisse Dramatik und unterscheiden sich in ihrem Ausdruck vom übrigen Bildprogramm. Dass Close eine gewisse Typisierung zulässt, spricht für seine Absicht, grundsätzlich Bilder von ‚Jedermann‘ schaffen zu wollen, d. h. über Gesellschafts- und Berufsgruppen hinweg ein breiteres Personal einzubeziehen als nur die realen Mitglieder des Künstlerkreises. In diesem Sinne konstruiert er bewusst eine Typologie des Normalen in Form der unscheinbaren Durchschnittsperson, was sich auf ähnliche Weise in seinen Polaroid-Aktaufnahmen von männlichen und weiblichen Körpern bzw. Körperabschnitten äußert (Abb. 102). Obwohl ein Vorname wie Laura im Titel einen persönlichen Bezug herstellt, richtet sich der Blick in der Fotografie nur auf die physiologische Faktizität des herausgelösten Körperabschnitts vor dem kühlen Farbverlauf des Hintergrunds. Die symmetrische, ausgeleuchtete Präsentation wirkt so lapidar und kontextlos, dass der Eindruck eines anonymen weiblichen Modellkörpers entsteht, wie er in der Realität beliebig oft anzutreffen wäre. Das Modell namens Laura wird damit zum Exemplar eines verallgemeinerten und aus der technischen Distanz gezeigten Körperbildes. Während die physiognomischen Theorien zur Körperform und die Konstitutionslehre im 20. Jahrhundert die typologischen Besonderhei86 Siehe hierzu Wagner 2010. 87 Siehe Wellbery 1996 (zu Lavater); Galton, Francis: Hereditary Genius, London 1869, dt.: Genie und Vererbung, Leipzig 1910; Lombroso, Cesare: L’uomo di genio in rapporto alla psichiatria, Turin 1888, dt.: Der geniale Mensch, Hamburg 1890; Kretschmer, Ernst: Geniale Menschen, Berlin/Heidelberg 1929.

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ten und Differenzen betonen, bietet Close weder eine diagnostische Einordnung noch eine klassifizierende Auswahl unterschiedlicher Modelle. Dennoch suggerieren die Vergrößerung, Schärfe und metrische Unterteilung der Polaroid-Bahnen, deren helle Ränder den Körper wie Maßbänder durchschneiden, eine inspizierende Vermessung seiner Erscheinung – mit der Folge, dass der Betrachter paradoxerweise dazu animiert wird, im nüchternen Bild des ‚Normalen‘ nach Anomalitäten oder Merkmalen zu suchen. Bei den wenigen Ganzkörperakten wie den fünfteiligen Komposit-Polaroids Laura I (Abb. 103) und Bertrand II von 1984 kommt durch die halb-intime Inszenierung der horizontal hingelagerten Figuren, ihren direkten Blick und die unverhohlene Entblößung (akzentuiert durch den Bikini-Abdruck bei Laura) eine seltsame Mischung aus Indifferenz, Körperkult und Voyeurismus ins Spiel, die Closes Probleme mit Big Nude wieder wachruft. Dass Close hier ein Bildkonzept aufgreift, das er Jahrzehnte zuvor wegen des sexualisierten Blicks verworfen hat, wirkt wie ein inkonsequenter Bruch in seinem Werk – es zeigt aber auch die Schwierigkeit einer Balance zwischen sachlicher Indifferenz und Voyeurismus, die mit einem alles enthüllenden Blick verbunden ist. Dieser Zwiespalt erscheint deutlich in der Bildtradition der klinischen Fotografie, wo insbesondere weibliche Patientenkörper als Untersuchungsobjekte unverhohlen einem sexualisierten Blick ausgesetzt wurden.88 Der selbstbewusste Blick des Modells löst den Konflikt nicht auf, sondern verschiebt ihn nur auf eine bildpsychologisch exhibitionistische Ebene. Der für Close bei weitem wichtigste Bezugspunkt ist das Polizeifoto. In seinen Schwarzweiß-Porträts zitiert er explizit die schematische Komposition, die Frontalität, den neutralen Hintergrund und die Monochromie dieses Bildtypus, der zugleich sinnbildlich für die Fotografie selbst steht, da das sachliche Porträt seit dem 19. Jahrhundert als ein eigens diesem dokumentarischen Medium vorbehaltenes Genre gilt. Darin überschneidet sich der Mugshot mit dem Automatenfoto, das mit seiner einfachen Selbstbedienung für eine mechanisierte, ubiquitäre und letztlich kunstlose Porträtform steht.89 Während das Automatenfoto die aktive Selbstdarstellung des Porträtierten zulässt, schränkt Close die Eigeninitiative des Bildsubjekts weitestgehend ein oder kaschiert sie wie bei Joe als seine reale Erscheinung. Er übernimmt nachdrücklich den einheitlichen Formalismus und die neutrale Bildsprache des Polizeifotos, wobei die strikte Frontalität an das en-face-Prinzip von Bertillon anschließt, das noch in modernen Mugshots verwendet wird. Über diese formalen Anleihen hinaus findet sich bei Close ein ähnlich verstärkter Fokus auf die Sichtbarkeit des Körpers in all seinen Details, das durch das System Bertillon etabliert wurde: Ohne ablenkendes Beiwerk wird die Person vor einem neutralen Grund nach technischen Vorgaben ‚korrekt‘ vor die Kamera platziert, um ihre Individualität anhand von sichtbaren Körpermerkmalen aufzuzeichnen. Der sachlich88 Vgl. Regener 2010; beispielhaft zu sehen an den Inszenierungen hysterischer Ekstase in Charcots Attitudes Passionnelles, vgl. Didi-Huberman 1997. 89 Zur Entwicklung von der erstmals 1889 in Paris vorgestellten Automatenfotografie von E. Enjalbert über den deutschen Bosco-Automaten von 1893 bis zum Ashton-Wolff-Fotoautomaten von 1913 siehe Pellicer, Raynal: Photobooth. The Art of the Automatic Portrait, New York 2010.

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wissenschaftliche Zugang erfährt durch das Großformat und die analytische Rasterung eine visuelle Steigerung, da die bei der kriminalistischen Methode angestrebte Detailsicht hier buchstäblich umgesetzt wird. Ungeachtet der persönlichen Verbindungen zum Modell vermittelt sich in Closes Polizeibild-Schema zunächst der Bertillonsche Anspruch einer positivistischen Oberflächenanalyse, die als visueller Zugang zunächst ohne moralische Wertung oder kulturelle Kodierung gilt. Die Adaption formaler Bildregeln von Polizeifotos bringt eine besondere Definition des Individualporträts mit sich: Wie Mugshots pendeln auch Closes Bilder zwischen der Uniformität, die aus einer universellen technischen Methode folgt, und der Individualität der Person und ihrer Erscheinung, deren Identität eben durch den uniformen Rahmen aus der Masse anderer Individuen hervorgehoben werden soll. Da die technischen Bedingungen erst ihre Vergleichbarkeit erlauben und im homogenen Rahmen ihren heterogenen Inhalt sichtbar machen, stellt das Polizeifoto ein höchst artifizielles, durch Zahlenmaß und Sprache ergänztes Bildsystem dar, das die komplexe Realität des einzelnen Menschen auf eine formalisierte Sichtbarkeit reduziert. Weil der Mugshot das Subjekt objektiviert und faktisch ‚dingfest‘ macht, indem er es festen Bildregeln unterwirft, lässt er sich als Gegenentwurf zum künstlerisch-subjektiven Porträt begreifen. Zu dieser antisubjektiven Parallele sagt Close: „[...] I thought, well, the police have a reason they make a mug shot. It gives you the most information about that subject that you can have. They want to find them and arrest them. And they get them straight on, and they get a profile. All of my early portraits are dead-straight on.“90 Obwohl es der Polizei um einen realen Menschen geht, wird dieser als visuelle Information in eine Bildform übertragen, die ihn erst zum Mugshot-Objekt macht. Entsprechend interessiert sich Close vornehmlich für die spezielle Methode, deren Bildprodukt – und nicht deren Protagonisten – er zum Thema wählt.91 Dennoch rückt Close ebenso die Identität der Person ins Zentrum, wenn er den Vornamen im Titel angibt und oftmals eine wiederkehrende Bildvorlage des Modells verwendet, so dass diese mit der Zeit zu einem werkinternen Stellvertreter der realen Person wird. Selbst bei häufig vorkommenden Modellen wie Leslie und Phil (neben ihm selbst) beschränkt sich Close auf nur wenige Fotografien und setzt diese mehrfach um. Nebeneinander betrachtet scheint sich die ‚Singularität‘ der Vorlagen mit der Singularität der Modelle zu decken. Folglich kann Closes Behauptung, nur das Bild von Keith wiederzugeben, durchaus als Darstellung von Keith gelten, weil dieser dem breiten Publikum nur durch dieses Bild bekannt ist. Auch darin gleichen Closes Porträtserien den Verbrecheralben oder Steckbriefen mit einem ‚Schlüsselbild‘ der Person, die nur über die aufgezeichnete Information erfasst oder per Bildvergleich ermittelt werden kann, wodurch jedes Detail als Zeugnis einer sonst unsichtbaren Individualität noch bedeutsamer wird. Closes offene Darbietung unvorteilhafter Details gleicht der Faszination von Physiognomen und Kriminalisten für alle Arten von markanten, negativ kodierten Merk90 Close zit. nach Yuskavage, Lisa: Interview mit Chuck Close, in: BOMB Magazine, Nr. 52, Sommer 1995, o. S. Zum Vergleich von Mugshot und Porträt vgl. Woodall 1997, S. 14. 91 Vgl. Nemser 1970, S. 236; Sager 1973, S. 226. Ebenso können Polizeifotos flüchtige Details als verfälschte Fakten festhalten.

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malen an Individuen, anhand deren sie gegenüber der Normalform klassifiziert werden können. Je kurioser die Abweichungen, desto stärker ihr expressives Potenzial im Bild.92 Daran anknüpfend findet sich bei Close die analytische Partialisierung des Gesichts, welches er weniger als holistische ‚Ausdrucksfläche‘ eines menschlichen Subjekts behandelt als vielmehr – der flachen Bildaufteilung des Rasters entsprechend – wie ein Formengefüge, das sich segmentieren und zusammensetzen lässt. Die Unterteilung nach Gesichtspartien wie in John (Abb. 79) oder Keith (Abb. 105 a-c) erinnert zwar an die kriminalistische Analyse, doch in anderen Detailstudien folgt Close deutlicher dem Raster als der Gesichtsstruktur. Der Eindruck der physiognomischen Aufteilung des Gegenstands, wie sie Bertillons Vergleichstafel zeigt, trifft also nur bedingt zu und ist mehr dem technischen Arbeitsprozess verschuldet, bei dem Close das Gesicht in praktische Arbeitsfelder dividiert. Das zwiespältige Verhältnis zwischen Bild und Person und der Anspruch des Polizeifotos auf faktentreue Authentizität trotz aller methodisch bedingten Verformungen des Realen schlagen sich bei Close in Obskurität und Unschärfe nieder. Auffällig setzt er die optische Deformation und Auflösung im Wechsel der Fokusebenen ein und lässt dabei Nase und Ohren (wichtige kriminalistische Details) verschwimmen, womit das Mugshot-Prinzip partiell unterlaufen wird. Der Großteil der Porträts weist ungeachtet ihrer schematischen Grundform vielfältige Schattenwürfe oder Lichtreflexe auf, die den luziden Erkenntnisanspruch des Polizeibildes ad absurdum führen. Mit dieser Relativierung wird die technische Abhängigkeit des positivistischen Blicks verdeutlicht und in eine generelle Diskussion der optischen Bildbedingungen überführt: Close suggeriert auf den ersten Blick eine angestrebte ‚kriminalistische‘ Präzision bei maximaler Detailmenge, vermittelt dann aber die visuelle Durchdringung durch eine paradoxe Kombination aus Scharfsicht und Sichtverweigerung, die sich in der wechselnden hyperrealistischen Darstellung und ihrem Verschwimmen außerhalb des Fokusbereich oder in Schattenzonen zeigt. Da die künstlerische Arbeit anders als die Polizeiarbeit funktionsfrei mit dem Bild umgeht und die Detailschärfe hier eine Frage der Gestaltung ist, kann Close die visuelle Information völlig abstrakt auffassen und Leerstellen oder Unschärfen im Bild denselben Informationswert beimessen wie gegenständlichen Details. Trotz der Unterschiede zum funktionalen Polizeifoto stellt sich bei ihm dennoch die Frage nach dem Wer, wobei allein die ikonografische Parallele zum Mugshot ein zwiespältiges Licht auf die Person wirft: Die analytische Rhetorik impliziert einen latenten Verdacht auf Devianz oder weckt zumindest die Neugierde auf das individuelle Aussehen und die dahinter verborgene Identität – dies umso mehr, wenn es ein unbekanntes Gesicht ist. Der anonyme ‚Jedermann‘ erhält durch die Anspielung auf Polizeifoto und Passbild eine besondere Faszination. Das mit Close vertraute Modell ist für den Blick des Betrachters ein beliebiger Unbekannter, der sowohl ein anonymes Exemplar eines bestimmten Menschentyps als auch ein spezifisch ausgewähltes Individuum sein könnte. Da sie über den Vornamen hinausgehende persönliche Informationen vorenthalten, evozieren Closes Porträts hinter ihrer äußerlichen Faktizität eine Fülle von unwillkürlichen Assoziationen – der Betrachter wird angesichts der sachlichen Bildsprache dazu verleitet, dem Porträt mit ähnlichen Sehgewohnheiten (und Deutungsversuchen) zu begegnen wie einem fremden Gesicht außerhalb des 92 Vgl. Schmölders 1997, S. 162; Regener 1999, S. 154-155, 164-165.

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Kunstkontextes. Bewusst oder unbewusst überdecken alltägliche physiognomische Wahrnehmungsmuster somit die ästhetische Betrachtung. Das Spiel aus Anonymität und Identität mag bei Close zu Beginn deutlicher gewesen sein, bevor ein Teil seiner Modelle Prominenz erlangt hat – denn mit Kenntnis über ihre Identitäten lassen sich Mutmaßungen vor den Bildnissen nicht mehr ‚unschuldig‘ anstellen, vielmehr gleicht Closes Paraphrase des Polizei- oder Passbildarchivs im Rückblick einer Porträtgalerie der damaligen Kunstszene.93 Mit der Verlagerung vom unbekannten zum prominenten Modell löst sich die semantische Spannung in der fremden Physiognomie auf. In seinen wiederkehrenden Gesichtern besteht eine weitere Analogie zur Personenkartei, durch die das Erscheinungsbild von Individuen chronologisch verfolgt, über Zeitstrecken aktualisiert und deren Identität abgeglichen werden soll. Wie in einem Archiv lassen sich auch in Closes Werk ältere und neuere Bilder eines Modells einander zuordnen und bei wiederkehrenden Namen zu einem narrativen Strang verbinden.94 Ihre Zugehörigkeit zu derselben Person, die trotz formaler Veränderungen durch den gleichen Titel oder dieselbe Vorlage bestätigt werden kann, reflektiert den erkennungsdienstlichen Bildvergleich, in dessen Kern eine Feststellung der Identität trotz äußerlicher Differenzen liegt. Hier wie dort soll formale Uniformität das vergleichende Sehen erleichtern, während neue Bildversionen wie Facetten desselben Modells stetig hinzugefügt werden und das Bekannte ergänzen. Diese technische Klassifizierung zeigt sich in Bildtiteln wie Phil/Rubberstamp und Phil/Fingerprint oder den nach Materialien bekannten Arbeiten von Keith/Six Drawing Series. Sachlich kündigen Closes Titel das Modell und den formalen Darstellungsmodus an – im Vergleich dazu ist die veränderliche Kodierung von gleichbleibendem Ausgangsmaterial bzw. einer gleichen Identität ein ebenso wichtiger Aspekt der biometrischen Bildverarbeitung. Während er das Schema des Polizeifotos verwendet und zugleich bricht, spielt Close auf eine ähnlich doppeldeutige Weise auf die technische Methode von Galton an, dessen Kompositbild-Prinzip in seinen Porträts in abgewandelter Form anklingt. Während Galton der Handzeichnung gegenüber der objektiven Fotografie misstraute und deren Faktizität durch das Übereinanderlegen von Einzelaufnahmen auf eine höhere Wahrheitsebene heben wollte, kehrt Close die analytische Verallgemeinerung des Komposit-Bildes in eine Analyse des spezifischen Bildes um.95 Für die farbigen Acrylporträts wird ein Porträt zu drei Farbschichten dividiert und im Prozess der chromatischen Analyse wieder übereinandergelegt, was anhand von Linda erläutert wurde (Abb. 72). Die Folge seiner Bildsynthese ist keine weichgezeichnete Abstraktion, sondern eine detaillierte Umsetzung einer singulären Fotografie. Selbst in seinen mit Composite betitelten Polaroid-Arbeiten sind die modularen Elemente einem einzigen Motiv entnommen. Dies deutet auf einen ganz anderen ‚Komposit‘-Begriff bei Close hin, der ein Porträt dividiert und zum einem Gefüge aus multiplen Teilstücken 93 Closes Künstlerbeziehungen und die Entstehungsumstände der Bilder werden in der Literatur gern als Quellen angeführt, um biografische Aspekte und den Geist der Zeit zu schildern, siehe u. a. Friedman 2005 und Kesten 1997. Diese nachträgliche biografische Lesart verfälscht jedoch das ursprüngliche Porträtkonzept. 94 Beispielhaft wurde das an den Phil-Arbeiten in der Ausstellung 40 Years of Phil von 2008 vorgeführt. 95 Zu Galtons Objektivitätsbegriff vgl. Daston/Galison 2007, S. 177-180.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 293

synthetisiert, statt ein Bild aus verschiedenen Gesichtern aufzubauen. Während bei Galton die Differenz ausgelöscht wird, stellt das Komposit-Prinzip bei Close erst die Differenz her. Dass er mit seinen Fingerpaintings auf Galtons kriminalistische Methode der Personenidentifizierung anspielt, wurde an früherer Stelle bereits dargelegt. Sein teils konzeptueller, teils spielerischer Umgang mit dieser abstrakten und doch symbolisch aufgeladenen Form erscheint wie eine logische Ergänzung der Mugshot-Rhetorik. Nicht nur in den Verbrecherkarteien gehört der Fingerabdruck zum ID-Profil, sondern mittlerweile auch in den Ausweisdokumenten des Normalbürgers. Close fügt diesem Assoziationsfeld noch die Künstler-Signatur als Täterspur und auratische vera icon hinzu – nur um das strenge System der Daktyloskopie mit einem absurden willkürlichen Gewimmel der Bildzeichen zu konterkarieren. Denn der säuberliche Abdruck wird als kriminalistischer oder automatisch zu entschlüsselnder Mikro-Code bei seinem drucktechnischen Einsatz im Bild fast gänzlich aufgelöst. Während die Airbrush-Porträts auf Polizei- und Passfotos und die darin implizierte Ikonografie der potentiellen Devianz sowie uniformen Anonymität verweisen, scheinen die abstrahierten Bildformen von Closes Papierarbeiten der neueren biometrischen Gesichtsanalyse vorauszugreifen. Unabhängig von einer bewussten Bezugnahme lassen sich rein strukturell Ähnlichkeiten zum digitalen Bild nachweisen. Auf der mathematischen Grundlage des Rasternetzes wird visuelle Information hier wie dort durch Bildpunkte in einer homogenen Fläche dargestellt. Ihre technische Struktur macht das Bild in beiden Fällen zum abstrakten Muster, aus dem erst im Differenzierungs- und Verarbeitungsprozess ein Gesicht konfiguriert wird. So besitzen die Bauelemente aus Punkten, Kästchen und Strichen in Closes Porträts eine äquivalente Funktion zu den Pixeln in zahlreichen biometrischen Darstellungen, wo die Zeichendichte (Auflösung) die Erkennbarkeit eines Gesichts maßgeblich bestimmt. Ferner lässt sich das komplementäre Nebeneinander von variierten Strukturen, Größenverschiebungen und Umkehrungen in Closes Werken, sofern ihre technische oder strukturelle Differenzierung zusammenhängend ist, mit der Verarbeitung und Transformation von biometrischen Bilddaten vergleichen, sei es über verschiedene Arbeitsschritte (z. B. von der Detektion über die Normierung bis hin zur Repräsentation eines Gesichts) oder Darstellungsmethoden. Jedes Verfahren hebt dabei andere analytische Aspekte hervor und arbeitet mit anderen Merkmalen und visuellen Ebenen – ob sie nun die Beleuchtung, Konturen oder Binnenstrukturen betreffen – wodurch dasselbe Gesicht aus einer Bildvorlage unterschiedlich erscheinen kann, so wie dieselbe Person auf mehreren Aufnahmen möglicherweise unterschiedlich aussieht. Die Flexibilität der technischen Bildverfahren dient in der Praxis der größeren Treffsicherheit bei der Erkennung einer spezifischen Person, Close hingegen lässt die Person immer weiter hinter der spezifischen Formensprache seiner breit gefächerten Bildvariationen verschwinden. Darüber hinaus verbindet die Nutzung sekundärer Bilder als Zugang zur realen Person Closes Arbeitsweise mit biometrischen Systemen, die auf der Metaebene operieren: Die Algorithmen arbeiten vor allem mit erhobenen Materialien und Trainingsbildern oder visuellen Modellen, um eine Person indirekt als Datensatz zu ‚konstruieren‘. Ihre Bildformen sind prozessual voneinander abgeleitet oder ergänzen sich, so wie bei Close die Variationen von Keith ein visuell verschachteltes System aus internen Verweisen und Umwandlungen ergeben (Abb. 96 a-f). Sein Künstlerbuch

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führt dabei einen Katalog technischer Spielarten vor, die jeweils eine in sich schlüssige Bildlogik aufweisen und dasselbe Fotoporträt neu kodieren – in der Hinsicht gleichen sie einem analogen Pendant zu algorithmisch generierten Bildstrukturen mit variierbaren Übersetzungsformen. In der auf beiden Seiten vorliegenden technischen Eigendynamik zeigt sich eine gewisse ‚Gesichtsblindheit‘ gegenüber dem Dargestellten: Close, der bekanntermaßen an einer Form von Prosopagnosie leidet, arbeitet ausgerechnet an Porträts, die er wohl gerade darum weniger physiognomisch als vielmehr strukturell-abstrakt wahrnimmt. Er selbst sieht einen Zusammenhang zwischen seiner lebenslangen Obsession mit Gesichtern und dem Handicap, das er über die Auseinandersetzung mit visuell verflachten Porträts zu kompensieren versucht.96 Ohne seinen künstlerischen Ansatz zu stark auf eine physiologische Veranlagung stützen zu wollen, sei hier nur auf eine interessante Überschneidung zwischen Künstler und Technologie hingewiesen: Gesichtsblinde lesen ein Gesicht nicht holistisch, sondern in fragmentierten Einzelheiten, die sie vom Rand aus zum Gesichtszentrum hin aufnehmen. Dabei gleichen sie Lücken in der Wiedererkennung durch andere personenbezogene Merkmale aus, wie etwa Bewegungsmuster, Haltung, Klang der Stimme und Kleidungsstil. Eben solche Eigenschaften werden von biometrischen Systemen neben dem Gesicht aufgenommen, auch wenn diese rein körperbezogen bleiben. Close kann ein statisches, zweidimensionales Bild eines Gesichts besser erfassen als den beweglichen Kopf, wo eine leichte Drehung schon das Wiedererkennen gefährden könnte. Zudem sind für ihn Gesichter, die er häufig in Bildern sieht, nach eigener Aussage leichter zu erinnern als reale Menschen, denen er seltener begegnet.97 Diese besondere Wahrnehmungsschwäche verbindet Close mit der Arbeitsweise realer Computerprogramme: Die von medialen Konfigurationen abhängigen Vorlieben und Schwächen der automatischen Gesichtserkennung, die kalkulierbares, bereinigtes Bildmaterial bevorzugt, und das fragmentierte, scannende Sehverhalten sind Charakteristika, die sich sowohl bei der Computer Vision als auch im übertragenen Sinne bei Close finden. Sogar seine supplementäre Erkennung über Körper- und Verhaltensmerkmale ähnelt den kombinatorischen biometrischen Analysemethoden, bei denen Gesichts- und Körperinformationen zusammengeführt werden.98

96 „I was not conscious of making a decision to paint portraits because I have difficulty recognizing faces. That occurred to me 20 years after the fact when I looked at why I was still painting portraits, why that still had urgency for me. I began to realize that it has sustained me for so long because I have difficulty in recognizing faces. [...] With photography, I can memorize a face. Painting is the perfect medium and photography is the perfect source, because they have already translated three dimensions into something flat.“ Close zit. nach Yuskavage 1995, o. S. Er schildert die Effekte seiner Prosopagnosie in: Brown, Jeffrey: Gespräch mit Chuck Close und Christopher Finch, PBS Newshour, 02.06.2010, www.pbs.org/ newshour/art/conversation-chuck-close-christopher-finch. Zur Gesichtsblindheit und Dyslexie bei Close vgl. Friedman 2005, S. 174-176. 97 Vgl. ebd. 98 Zur Verbindung zwischen menschlichen Wahrnehmungsschwächen und den Mechanismen und Mängeln von biometrischen Systemen siehe Körte, Mona/Richtmeyer, Ulrich: Gesichtsblindheit und Gesichtserkennung, in: Richtmeyer 2014, S. 215-234.

3.2 Analytische Bildttraditionen | 295

Die Parallelen zwischen Close und den technisch-analytischen Porträts mit ihrer spezifischen Problematik finden sich hauptsächlich in seinem formalen Programm. Eine andere Seite, die in späteren Jahren verstärkt zur Sprache kommt, ist der biografische Bezug zur Person, was als konzeptuelles Gegengewicht zur nüchternen Methodik gesehen werden kann.99 In der Literatur wird den Porträts eine generelle menschliche Nähe zugesprochen, die mit Closes persönlichem Verhältnis zu seinen Modellen begründet wird. Dabei lassen sich Empathie und Intimität in der Bildwirkung durchaus auch formal ableiten: Wo die Anleihen beim Passbild und Mugshot den Blick auf die Identität und damit den Hintergrund der Person lenken, schafft das Großformat wiederum einen visuell-körperlichen Zugang zu ihr, während es jede herkömmliche Dokumentenform sprengt. Lassen sich kleine Bilder noch aus einer analytischen Distanz betrachten, so werden sie hier zu Monumentalbildnissen, die sich dem Betrachter physisch aufdrängen und ihn zu überwältigen drohen. Mit den vergrößerten Details wird jede noch so leise Mimik ins Überdimensionale gesteigert, weshalb die Porträts trotz ihrer intendierten Neutralität alles andere als indifferent sind. Das im fotografischen Moment festgehaltene offene ‚Zwischenstadium‘ des Gesichtsausdrucks von Phil oder Mark wirkt trotz seiner Unbestimmtheit auf geradezu bizarre Weise expressiv. Visuell ausbalancierte, ruhige Gesichter wie die von Kent (Abb. 78), Linda (Abb. 73) oder Nat (Abb. 81 a) zeigen eine konzentrierte Nachdenklichkeit, wobei jedoch Mikroformen wie kleine Falten oder die Höhe der Mundwinkel plötzlich zu auffälligen Indikatoren für eine mögliche Stimmung des Modells werden können.100 Eine solche Konfrontation mit dem Gesicht eines anderen Menschen weckt beim Betrachter einen empathischen Leseimpuls – die Bilder bergen einen Appellcharakter, dem sich der Betrachter nicht entziehen kann, wie schon zum Aspekt der Gesichtlichkeit und zur Verwandtschaft mit kinematographischen Großaufnahmen festgestellt wurde. Unter Berufung auf den formalen Rahmen von Passbild und Mugshot wird nun die körperliche Sichtbarkeit in Verschränkung mit biografischen Fragen zur Person ins Blickfeld gerückt. Ein zentraler Punkt ist hierbei, wie Close die Balance zwischen Exemplar und Individuum, Bildobjekt und -subjekt hält. Seine Porträtmethode beschränkt sich bei der Modellwahl auf sein eigenes soziales Umfeld, das über die Jahre zu einem umfangreichen Motiv-Personal angewachsen ist, worin sich die New Yorker Kunstwelt und sein eigener Familienkreis widerspiegeln. Damit bewegt er sich durchaus im thematischen Bereich des traditionellen Familienporträts und Freundschaftsporträts unter Künstlern, durch deren gruppierte Darstellung (obgleich sukzessiv in Serie statt simultan im Bild) eine gemeinschaftliche Identität und soziale

99 Vgl. Nochlin u. a. 1999; Kesten 1997; Varnedoe 1998. Friedman betont ihr psychologisches Potenzial trotz Closes Ablehnung gegenüber einer allzu emotionalen Lesart, vgl. ders. 2005, S. 88-89, 127-130. Seinen freieren Ölmalereien ab den späten 1980er Jahren wird eine größere Expressivität zugesprochen, vgl. Smith, Roberta: In Portraits on a Grand Scale, Chuck Close Moves On, in: The New York Times, 08.11.1991, S. 24. 100 Storr führt die Faszination auf eine Verschiebung des Spiegelreflexes zurück, wo der Betrachter seine Neugierde am Gesicht des anderen ohne die Hemmungen stillen könne, die er bei der Selbstbetrachtung im Spiegel hätte, vgl. ders. 1998, S. 52.

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oder geistige Solidarität ausgedrückt werden.101 Das gegenseitige Porträtieren zwischen Close und Kollegen wie Alex Katz, Francesco Clemente oder Mark Greenwold erscheint als reziproke Praxis, die sich auf natürliche Weise aus ihrem künstlerischen Austausch und sozialen Umgang ergibt.102 Die isolierten ‚Mugshots‘ ergeben in der Summe eine Porträtgalerie seiner eigenen Künstlergeneration, so wie die Bildnisse seiner damaligen Frau Leslie, ihres Vaters und ihrer Großmutter sowie der beiden Töchter gemeinsam mit Closes Selbstporträts eine Art ‚Familienalbum‘ darstellen. Schließlich räumt Close selbst einen psychologischen Überschuss ein, weil er sich eben nicht mit einem bloßen Fremden beschäftigt: Bei der Bearbeitung des Gesichts fließt etwas ins Bild ein, das über Ähnlichkeit hinausgeht („getting beyond that likeness“) und nicht in der Fotovorlage enthalten war – dieses speist sich aus der Bindung („connection“) zum Porträtierten. Ohne diese Bindung wäre es schwieriger für ihn, sich nur auf die visuelle Information in der Fotografie zu stützen.103 Somit setzt jedes Porträt von der Modellwahl bis zur Fotoaufnahme eine menschliche Nähe voraus, die eine für ihn notwendige emotionale Grundlage im langen Arbeitsprozess bietet. Dieses Eingeständnis widerspricht deutlich Closes anfänglichem Programm einer antihumanistischen und entsubjektivierten Figuration.104 Es zeigt aber auch, dass seine Porträts nie rein sachlich sind, sondern eine soziale Bindung als Bedingung der emotionalen Entkoppelung durch Konzeptualität und Bildtechnik voraussetzen. Ihre Objektivierung durch die fotografische Übersetzung und das analytische Bildschema sind für Close die Methode und das Ziel eines dialektischen Umwandlungsprozesses von Privatperson zur technischen Struktur – entsprechend seiner eigenen Umwandlung vom empathischen Künstlersubjekt zur programmierten ‚Maschine‘. Seine Rede vom entsubjektivierten Porträt blendet diesen Aspekt aus, tatsächlich aber leben seine Bilder von der Spannung zwischen sachlicher Distanz und Intimität. Das wird nicht zuletzt durch den Vornamen im Titel deutlich, der zwar eine faktische Identität angibt, gleichzeitig aber ein vertrautes Verhältnis ‚auf Du und Du‘ nahelegt.105 Während dem Betrachter die Distanz zur fremden Person durch die Vergrößerung genommen wird, gilt für Close und alle Eingeweihten ein umgekehrter Blick: Sie entdecken Neues im Vertrauten oder spüren erst einen Verfremdungseffekt im massiven Blow-up, was insbesondere für den Porträtierten selbst gilt, der seinem eigenen monumentalen Gesicht begegnet. Eben diese Wahrnehmungsverschiebung von alltäglicher Vertrautheit zur abstrahierten Verfremdung scheint für Close ausschlaggebend für den bild101 Zum Künstler-Gruppenporträt vgl. Holsten 1978, S. 100-105, Brilliant 1991, S. 96. Anders als in traditionellen Gruppenporträts, wie von Alois Riegl in Das holländische Gruppenporträt (1902) beschrieben, demonstrieren Freundschaftsbilder in der Moderne meist die Verbindung als Gleichgesinnte. 102 Vgl. Friedman 2005, S. 182-183. 103 Ebd., S. 229. 104 Dafür steht Closes frühes Interview mit Nemser 1970. 105 Wendy Steiner verweist auf den Kontrast zwischen der Intimität des Vornamens und der indifferenten Darstellung, so als würde eine Privatperson ohne ihre Einwilligung öffentlich ausgestellt („invasiveness is apparent in titles“), vgl. dies. 1987, S. 175. Ein aufschlussreiches Gegenbeispiel ist das aus Closes Sicht misslungene Porträt von Jasper Johns, mit dem er wegen der mangelnden Vertrautheit zum Modell Schwierigkeiten hatte, vgl. Friedman 2005, S. 226-229.

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nerischen ‚Überschuss‘ zu sein. Es meint ein emotional-perzeptives Umschlagen, was sich bezeichnenderweise im subjektiven Empfinden des Künstlers vollzieht. Ihre biografische Verbindung zu Close hat die Personen erst zu Modellen gemacht, doch inwiefern wird Biografisches selbst im Bild sichtbar? Das Individualporträt greift traditionell auf die narrative Inszenierung und Ikonografie zurück, so auch in der dokumentarisch konzipierten Fotografie von August Sander, der seine Bildsubjekte über ihre Lebens- und Arbeitswelt vorstellt – von ihm stammt das Zitat, dass jedermanns Geschichte „ihm ins Gesicht geschrieben“ sei.106 Das suggeriert eine ‚Narration‘ des Körpers unabhängig von seiner kontextuellen Einbettung und berührt sich mit dem Interesse der Physiognomik und Anthropometrie an einer Ausdeutung des Lebenswandels anhand der Körpererscheinung, was neben dem Charakter sodann als moralisch gut bzw. gesittet oder lasterhaft bewertet wurde. Ähnlich sucht der kriminalistische Blick nach einer physischen Evidenz für Handlungsmuster und den Lebensstil einer Person und eliminiert dementsprechend den Kontext, um den Fokus auf ihren Körper zu richten. So gesehen scheint es naheliegend, wenn Close von einer „road map of experience“ im Gesicht des Modells spricht, worin sich Spuren des Alters, Lach- und Sorgenfalten, Pigmentflecken und Oberflächendetails jeglicher Art im Großformat wie unter einer Lupe zeigen.107 Der eindringliche Blick auf die Hautoberfläche wird in seinen späteren Daguerreotypien zum Hauptthema, wie Close über eine Werkgruppe von Selbstporträts und Torso-Aktaufnahmen sagt: „A body is a road map of a person’s life, as unique and expressive as any face. The wrinkles and effects of gravity are beautiful. [...] This work is my celebration of the body, and the daguerreotype is the prefect medium of that celebration.“108 Dieser leicht pathetisch klingende Kommentar bestätigt die Verschränkung der Faszination für Bilddetails mit der Vanitas des alternden Körpers und Gesichts, was in den meisten Daguerreotypien zu sehen ist. Aus technischer Sicht soll die Kamera das Aussehen der Person objektiv und (selektiv) präzise erfassen, so dass narrative Details nur als Nebenprodukt der Aufzeichnungsmethode ins Bild gelangen. Die Wahl des Gesichtsmotivs spricht allerdings für ein spezifisches Interesse an ihrer Topografie, die Close im Malprozess Stück für Stück erschließt. Seine extrem nuancierte Übertragung feinster Details in den Airbrush-Bildern, die in den farbigen Porträts zu bizarren Mikroformen führt, sowie die aufgelockerte, aber nicht minder differenzierte Mimesis in den Fingerprints beruhen auf einem partialisierten, abstrahierten Blick in die Tiefen der fotografischen Struktur. Der Gedanke, dass es sich um einen Abschnitt im Gesicht eines vertrauten Menschen handelt, muss Close ein bestimmtes Bewusstsein für das Gesehene und Dargestellte geben. Selbst wenn er Details als ‚visuelle Daten‘ behandelt, begegnen sie ihm im fertigen Porträt doch als Teile einer individuellen Physiognomie, die er zentimeterweise durchgearbeitet hat. Seine Fixierung auf die kleinsten Linien und Schatten der Hautoberfläche führt zu einer weitgehenden Überzeichnung des Sichtbaren – im Gegensatz zur beschönigenden Glättung im konventionellen Bildnis. So erscheint 106 Hake, Sabine: Faces of Weimar Germany, in: Dudley, Andrew (Hg.): The Image in Dispute. Art and Cinema in the Age of Photography, Austin 1997, 117-147, hier S. 124. 107 Vgl. Friedman 1980, S. 14. 108 Rexer, Lyle: Chuck Close Rediscovers the Art in an Old Method, in: The New York Times, 12.03.2000, S. 25-26.

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Phil Glass im Bild älter als er zum Aufnahmezeitpunkt tatsächlich aussah und musste, wie er selbst sagte, ins Bild „hineinwachsen“, bis sich seine Physiognomie in einer zeitlich verkehrten Entwicklung allmählich dem frühen Porträt angepasst hat (Abb. 64, Abb. 67).109 Während die Airbrush-Bilder eine haptische Intimität noch virtuell vermitteln, wird in den Fingerprints die körperliche Berührung real vollzogen, wenn Close jedes Stück der Figur im Prozess des Abtastens mit den Fingerspitzen rekonstruiert. Fanny (Abb. 95 a) erinnert an die Tradition allegorischer Vanitas-Bildnisse von alten Frauen wie Giorgiones Porträt La Vecchia (um 1508), wo körperliche Gebrechlichkeit mit einer tragischen Würde präsentiert wird, anstatt die Figur als groteske Alte zu karikieren, wie es in damaligen nordalpinen Darstellungen oft in Kombination mit moralisierenden Inhalten der Fall war.110 Fanny gleicht mehr dem Altersporträt einer bekannten Persönlichkeit, deren vom Leben gezeichnetes Gesicht eine vergangene Zeit oder ein geschaffenes Werk zu reflektieren scheint. Die Spuren der Zeit sind genauso ein Topos in der Fotografie, weshalb alte Gesichter oder Alterungsprozesse generell als beliebte Themen des dokumentarischen Mediums gelten. Anders als in der Realität werden Falten und schütteres Haar im Porträt weniger wie Makel als vielmehr wie nobilitierende Charakteristika wahrgenommen. Auf der massiven Leinwand wird das runzelige Gesicht von Fanny in greifbare Nähe gerückt, wo ihre Berührung durch den Künstler wiederum wie eine intime, fast zärtliche Geste wirkt. Das voyeuristische Vordringen des Betrachters in die faltige Hautstruktur der alten Frau wird so umgeleitet auf ein Verhältnis zwischen ihr und Close, das über den bloßen technischen Prozess hinausgeht. Die Großmutter von Leslie blickt als Holocaust-Überlebende auf eine tragische und ereignisreiche Biografie zurück, deren Komplexität mit der flirrenden Struktur der Fingerabdrücke korrespondiert. In diesem Sinne ließe sich Fanny auch in der Tradition matriarchaler Bildnisse der ‚Mutter des Künstlers‘ betrachten – ein meist sehr persönliches Motiv, das sich von Albrecht Dürer bis David Hockney verfolgen lässt. Der insbesondere in Frauenporträts anzutreffende Gedanke der Vergänglichkeit verbindet sich dabei mit einer emotionalen Emphase, die sich umso mehr im fotografischen Medium zuspitzt, so wie der Verlustgedanke zum Bild seiner verstorbenen Mutter für Barthes den Ausgangspunkt seiner Fototheorie in Die helle Kammer bildete.111 Tatsächlich kommt den Spuren der Zeit eine größere Rolle zu, je weiter man Closes Werk verfolgt und die Alterungsstadien von wiederkehrenden Modellen beobachtet, insbesondere von Leslie, den Töchtern Georgia und Maggie sowie Close selbst. Der Kontrast zwischen Leslie/Watercolor von 1972-73 (Abb. 30), wo trotz der überzeichneten Hautstruktur eine dezente Lieblichkeit mit den blassblauen Augen und den roten Lippen zu finden ist, und einem späteren Porträt wie Leslie/Fingerpainting 1985 (Abb. 84 a) erzwingt den Vergleich wie beim Durchblättern alter Fotoalben, ganz unabhängig von den verschiedenen Bildtechniken. Seinen eigenen Alterungsprozess zeichnet Close durch regelmäßige Selbstporträts als Malerei, Zeichnung, Druckgrafik oder Fotografie auf, was eine eindringliche auto109 „[...] In fact, it took me about ten or fifteen years to grow up and look like that picture. I finally ended up looking like the painting.“ Phil Glass zit. nach Kesten 1997, S. 93. 110 Vgl. Beyer 2003, S. 152, zur Darstellung des gebrechlichen Körpers als sterbliche Hülle. 111 Vgl. Barthes 1989, S. 73-83.

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biografische Narration in der parallelen Entwicklung von Künstler und Werk entstehen lässt. Wie bei einer dauerhaften Selbstbeobachtung verfolgt Close nach Big SelfPortrait sein eigenes Gesicht jahrzehntelang mithilfe unterschiedlicher Bildmethoden, für deren technische Experimente er selbst als Prototyp und Versuchsmodell dient. Hinter dieser praktischen Begründung lässt sich jedoch ein psychologisches Interesse am Selbstbild erkennen, da sich gerade bei seinem eigenen Gesicht eine besondere Offenheit zeigt – paradoxerweise erscheinen Closes Selbstporträts durch ihren unverhohlenen Blick weniger kühl und distanziert als vielmehr authentisch und persönlich. Denn im Unterschied zu betont ungeschönten, dafür formal aufgeladenen Selbstporträts (wie die von Lucian Freud) kostet die Selbstausstellung in einer großen nüchternen Fotografie einige Überwindung – „facing the way you look, and magnifying it“, wie Close die eher unangenehme Erfahrung und psychologische Herausforderung beschreibt.112 Die Verschränkung der Vanitas im klassischen Porträt mit der fotografischen Vanitas in der flüchtigen Momentaufnahme verleiht Closes Bildern den latenten Sinn eines Memento mori. Während die Foto-Vorlage in einem kontingenten Augenblick entstanden ist, verwendet Close unverhältnismäßig viel Zeit und Aufmerksamkeit auf ihre Bilderscheinungen, indem er sich bis zur fotografischen Körnung in das Aussehen eines Menschen vertieft und sämtliche Details penibel registriert, so als wolle er den mechanisch aufgezeichneten Moment bewusst verlangsamen und fixieren. Sein direkter Blick auf die physische Realität gleicht zusammen mit ihrer ‚furchtlosen‘ Vergrößerung einer apotropäischen Geste – körperliche Makel und Anzeichen des Verfalls werden mit einem erbarmungslosen Blick entdeckt und inventarisiert, wodurch ihre materielle Gravitas den Alterungsprozess ikonisch in die Malerei bannt, ohne auf eine explizite Symbolik zuzugreifen.113 Die Wahrheit des Körpers erscheint bei Close als Nebenprodukt einer rigorosen Bildanalyse durch den Künstler, der selbst immer mit Lern- und Erkennungsschwächen sowie stetigen körperlichen Gebrechen gearbeitet hat und dessen Bildproduktion eine Kompensationsleistung und Körperüberwindung zugleich darstellt.114 Mit diesen inhaltlichen Fragen taucht das Porträtsubjekt wieder auf, das Close demonstrativ verworfen hat, um es dann durch die Hintertür der fotografischen Dokumentation wieder hereinzulassen: Einerseits nimmt er aus analytischer Distanz eine materielle Bestandsaufnahme der Bildphänomene vor, um sie in eine abstraktvirtuelle Oberfläche zu überführen, andererseits findet im selben Prozess ein visueller und manueller Tastvorgang statt, bei dem ein bekanntes Gesicht aus nächster Nähe betrachtet und nachgezeichnet wird. In diesem doppelten ‚Bio-Porträt‘ mit seinem biometrischen und biografischen Interesse überlagern sich Aspekte des technischanalytischen und traditionellen Bildnisses. Sie verweisen damit auf die intrinsische 112 Vgl. Friedman 2005, S. 89. Zur Emotionalität der Selbstporträts vgl. ebd., S. 87-90. Die Selbstporträts in verschiedenen Lebensstadien und Techniken dienen ihm als Momentaufnahmen und zugleich als Prüfstein („touchstone“) für eine Werkphase, vgl. Engberg/Grynsztejn 20052 . 113 Zur Inszenierung der Todesthematik in modernen Porträts siehe Holsten 1978, S, 34-43. 114 Zu Closes zahlreichen Gesundheitsproblemen siehe Hylton, Wil S.: The Mysterious Metamorphosis of Chuck Close, in: The New York Times Magazine, 13.07.2016, www.nytimes. com/2016/07/17/magazine/the-mysterious-metamorphosis-of-chuck-close.html.

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Mehrdeutigkeit aller sachlichen Darstellungen von menschlichen Individuen, deren Eigenschaften kodifiziert und in eine vorgegebene Bildform gepresst werden, ob als physiognomisches Porträt, Polizeifoto, Kompositporträt oder biometrisches Bild. Ihr zentrales semantisches Problem – das Lesen und Zuordnen von Formen – lässt Close mit den künstlerischen Porträtmedien Malerei und Zeichnung und deren eigenen abstrakten Bildzeichen kollidieren. So schafft er zwischen technischem und klassischem Porträt, apparativen und handwerklichen Mitteln eine Hybridform, in der sich beide Seiten aus ihrer gegenläufigen Differenz heraus gegenseitig bedingen und verstärken.

3.3 Close und das technische Menschenbild

Nach dem Vergleich mit einigen vergangenen und gegenwärtigen Ansätzen der bildlichen Analyse des Menschen soll nun der Hintergrund betrachtet werden, vor dem Close seine technisch-analytische Herangehensweise entwickelt hat: Angesichts einer gesamtkulturell stattfindenden Technisierung, die sich in der modernen Gesellschaft auf alle Lebensbereiche und Wissensgebiete auswirkt, soll ein Blick darauf geworfen werden, wie die Entwicklung der Automatisierung und Komputation von der Kybernetik der Nachkriegszeit bis zur neuen digitalen Kultur zu einem technisierten Menschenbild beigetragen hat. Closes Porträtstrategie der 1960er Jahre war von Anfang an als Gegenposition zum traditionellen humanistischen Menschenbild gedacht. Inwiefern die von Kontroversen begleiteten technischen Transformationsprozesse in Closes Werken anklingen und welches Menschenbild sich in ihnen widerspiegelt, wird die abschließende Frage sein. Zuletzt muss die essentielle Spannung bei Close berücksichtigt werden, die aus seinem Beharren auf analogen Medien trotz der Technizität seiner Bilder erwächst. So mag sein ‚digitaler Blick‘ aus der systematischen Auseinandersetzung mit technischen Bildprinzipien heraus formuliert worden sein, doch im Werk wird dies erst als materielle, handwerkliche Struktur manifest und für den Betrachter erfahrbar. Sein Schaffen in den 1960er-70er Jahren lässt sich nicht nur historisch an der Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Kultur verorten – der entscheidende Übergang von analogen zu digitalen Bildmedien zeichnet sich auch innerhalb von Closes analogen Werken in ihren protodigitalen Strukturen ab. Hinzu kommt ein zwischen dinghaftem Modell und autonomer Person oszillierender Subjektbegriff in seinen Porträts, wo sich analytischer Formalismus, visuelle Abstraktion und physische Intimität überlagern. In welchem Verhältnis das zu den technisch geprägten Körperbegriffen steht, die infolge der Digitalisierung bis zum heutigen Tag immer weiter an Bedeutung gewinnen, wird zu untersuchen sein.

3.3.1 DER TECHNISIERTE MENSCH NACH 1950 – KYBERNETIK, TECHNISCHE BILDER UND VIRTUELLE KÖRPER Closes technoid-konzeptueller Ansatz beruht auf der Umdefinition des Porträtbegriffs mit Fokus auf Verfahren und Prozess, der Zurücknahme der eigenen Subjektivität sowie einem topografisch distanzierten Blick auf das Gesicht als Gegenstand

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einer strukturellen Analyse. Seine künstlerische Methode entstand in einer Zeit vielfältiger technologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Umbrüche, die zur Mitte des 20. Jahrhunderts virulent wurden und deren Auswirkungen auf das Arbeitsund Alltagsleben weitreichend waren. Auf vielen Ebenen schlug sich dies in wissenschaftlichen, philosophischen und künstlerischen Diskursen nieder. Die mit technologischem Fortschritt einhergehenden Veränderungen ab 1950 haben das Menschenbild und die Kultur der postindustriellen Gesellschaft nachhaltig geprägt – daran anschließend setzt sich nun in der digitalen Kultur die Entwicklung neuer Bild- und Körperkonzepte im Rahmen einer ‚technisierten‘ Anthropologie fort.1 Da Bildnisse stets die Epoche ihrer Entstehung mitreflektieren, stellt sich auch zu Closes Porträts die Frage, inwiefern die damalige technische Kultur mit ihrem speziellen Subjektbegriff als ‚Zeitgeist‘ aus ihnen spricht. Da die Betrachtung der komplexen kulturhistorischen Zusammenhänge den Rahmen sprengen würde, sollen hier nur Aspekte der Technisierung zur Sprache kommen, die sich in neuartigen visuellen Ordnungen und Bildpraktiken äußerten. Der Bogen soll dabei von der zunehmenden Automatisierung, begleitet von der Entwicklung der Kybernetik, über die Verbreitung der Computertechnologie bis zur digitalen Bildwelt der Gegenwart und ihrer virtuellen Transformation des Menschen gezogen werden. Die ‚Technisierung‘ des Menschen ist eigentlich die historische Konkretion einer philosophisch lang etablierten Konstante: Aus anthropologischer Sicht gehört Technik, deren etymologischer Ursprung im altgriechischen Wort technē (τέχνη) liegt und mit den Grundbedeutungen „Fertigkeit“, „Können“ und „Wissen“ schon in der antiken Philosophie eine wichtige Rolle gespielt hat, zu den Hauptaspekten bei der Bestimmung des menschlichen Wesens.2 Über die gesamte Breite philosophischer Lehren von Platon über Kusanus bis Ernst Cassirer bleibt die Frage der Technik immer an die Frage nach dem Menschen geknüpft, der sich durch Entwicklung und Ausübung von Technik – praktisch und epistemisch – erst als Mensch auszeichnet.3 Über diese konstitutive Rolle hinaus markiert die Technik in Verbindung mit dem wissenschaftlichen Fortschritt der Neuzeit eine zunehmende Emanzipation des Menschen gegenüber der natürlichen Welt, die mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert

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Zum Begriff der ‚nachindustriellen Gesellschaft‘ als Wissensgesellschaft siehe Bell, Daniel: Die nachindustrielle Gesellschaft, Hamburg 1973; zum künstlerischen Zusammenhang siehe Bippus, Elke/Sick, Andrea (Hg.): Industrialisierung Technologisierung von Kunst und Wissenschaft, Bielefeld 2005. Siehe Löbl, Rudolf: Texnh – Techne. Untersuchungen zur Bedeutung dieses Worts von Homer bis Aristoteles, Bde. 1-2, Würzburg 1997-2003; ders.: Texnh – Techne. Untersuchungen zur Bedeutung dieses Worts nach Aristoteles, Bd. 3, Würzburg 2008. Vgl. Fischer, Peter: Technikphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1996, S. 9; zur Genealogie der Technikphilosophie von den antiken Wurzeln bis zum Technologiebegriff der Neuzeit vgl. ebd., S. 255-335. Der Begriff ‚Technologie‘ wurde vom Ökonomen Johann Beckmann eingeführt und in seiner Anleitung zur Technologie (1777) für die systematische Darstellung des gesamten Bereichs der mechanischen und schönen Künste verwendet. Fortgeführt und begrifflich eingegrenzt wurde dies durch August Koelle in seinem Werk System der Technik (1822), wo Technik unter Ausschluss der Kunst nur auf menschliche Arbeit und die Unterwerfung der Natur bezogen wird.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 303

und dem Beginn der Moderne eine immer dynamischere und ambivalentere Entwicklung genommen hat. Ihr zunehmender Einfluss auf das menschliche Dasein im 20. Jahrhundert spiegelt sich nicht nur in der veränderten Lebens- und Arbeitswelt oder der Allgegenwart technischer Systeme und Produkte wider, sondern auch im intellektuellen Diskurs. So finden sich Analogien zu technischen Modellen oder Begriffen jeweils zeitgleich in sprachlichen Wendungen und kulturellen Formen, welche diese Ideen in ihre eigenen Systeme integrieren.4 In der Entwicklung des Porträts zeichnete sich mit der Moderne des 19. Jahrhunderts bereits ein ideenhistorisch bedingter Wandel des Subjektbegriffs ab, worin sich eine „Dekonstruktion des Subjekts“ in Zusammenhang mit einer Verschiebung von der personalen Repräsentation hin zum autonomen Bild erkennen lässt.5 Das Menschenbild erlebte aus philosophischer Sicht in dieser Phase einen Wandel durch gesellschaftliche und politische Umbrüche, begleitet von einer durch Industrialisierung und technischen Fortschritt veränderten Lebensweise, die das Welt- und Selbstbild des modernen Menschen maßgeblich umgestaltete. Der naturwissenschaftlich geleitete Fortschrittsglaube, der im 20. Jahrhundert enorm zunahm, gewann nach seinem kriegstechnologischen Triumph im Zweiten Weltkrieg, der zugleich einen traumatischen historischen Bruch markierte, eine besondere Brisanz. Die kontroverse Debatte um den Verlust des alten humanistisch und religiös geprägten Menschenbildes wurde auf künstlerischer Ebene über die Entwicklung von der gegenständlichen zur abstrakten Repräsentation ausgetragen, die nach Beltings Darstellung stellvertretend für den allgemeinen Streit um die Kultur und das Erbe der Moderne in der Nachkriegszeit stand.6 Während die Kunsttheorie in ihren Streitgesprächen immer noch den Geist und die Existenz des menschlichen Subjekts als Kernidee voraussetzte, wurde aus philosophischer Sicht ein ungleich kritischeres Menschenbild in einer technologisch beherrschten Gegenwart entworfen: Günther Anders’ pessimistische Haltung zum technologischen Fortschritt und seiner angeblich existenzbedrohenden Teleologie steht beispielhaft dafür. Anders geht von der anthropologischen Prämisse der Weltfremdheit des Menschen aus, die eine grundsätzliche Trennung, aber auch reflektierte Distanz zur Welt bedeutet und ihm im Unterschied zum instinktgebundenen Tier erst Freiheit und Produktivität ermöglicht. Denn um diese Differenz zur Welt und seine existenzielle Kontingenz zu überwinden, muss der „unangepasste“ Mensch sich seine

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Arnold Gehlen sieht die gesamte Kultur durch den „experimentellen, methodentechnischen“ Zeitgeist geprägt, so auch Hans Freyer, dessen Assistent Gehlen war und der die Technisierung des Menschen u. a. in der Ausweitung technischer Kategorien auf andere Lebensbereiche wie der Terminologie erkennt. Vgl. Gehlen, Arnold: Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957; Freyer, Hans: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, beides zit. nach Fischer 1996, S. 214-217, 330-334. Vgl. Boehm 1985, S. 10-11. Vgl. Belting, Hans: Bilderstreit – ein Streit um die Moderne, in: ders.: Szenarien der Moderne. Kunst und ihre offenen Grenzen, Hamburg 2005, S. 13-39, hier S. 23-26, unter Verweis auf konservative Stimmen wie Hans Sedlmayr und die Gegenposition von Werner Haftmann in den Darmstädter Gesprächen. Vgl. Evers, Hans G. (Hg.): Darmstädter Gespräche (1). Das Menschenbild in unserer Zeit, Darmstadt 1951.

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eigene Welt erschaffen, womit sein künstlicher, technischer Gestaltungswille ontologisch begründet wird.7 Anders’ Rede von der Antiquiertheit des Menschen ist vor diesem Hintergrund als „Resultat und Konsequenz der von ihm selbst geschaffenen Lebensformen“ mit all ihren Problemen und Gefahren zu verstehen. In seiner Diagnose zur „dritten industriellen Revolution“ – nach der ersten industriellen Revolution im 18. bis 19. Jahrhundert und der zweiten, die bis in die 1920er Jahre datiert und mit der Massenproduktion verknüpft wird – entwirft er ein düsteres Zukunftsbild des nuklearen Zeitalters, wo der Mensch vom technologischen Fortschritt überholt und wie alles organische Leben überhaupt durch die funktionale Übermacht der Geräte „liquidiert“, also überflüssig gemacht wird.8 Zum Bewusstsein der eigenen Schwäche als Mängelwesen, was den Menschen erst zur produktiven Selbstübersteigerung antreibt, gesellt sich die Erkenntnis der verwundbaren und gefährdeten Erde als einer globalen Lebenswelt, die mit dem technisch erzielten Perspektivwechsel nach der Mondlandung von 1968 bildlich auf den Punkt gebracht wird.9 Das tragische Paradox dieses Technikverhältnisses liegt also darin, dass eine immer stärkere Diskrepanz zwischen der körperlichen und geistigen Unzulänglichkeit des menschlichen Schöpfers und der übermächtigen Leistungsfähigkeit seiner technischen Schöpfungen entsteht, was Anders zufolge eine promethische Scham im Menschen weckt. Gegen diese kann er jedoch nur mit eigener Anpassung reagieren, was auf techniksoziologischer Ebene zur zunehmenden Unfreiheit in der Arbeits- und Lebenswelt führt. Die Spannung zwischen Mensch und Technik geht für Anders so weit, dass schließlich der Körper und seine Entwicklung durch technische Geräte definiert werden und das singuläre menschliche Leben gegenüber dem seriellen Maschinenprodukt defizitär erscheint – am Ende steht die negative Utopie einer Apparatewelt aus einem allumfassenden technischen Gebilde.10

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Vgl. Anders, Günther: Die Weltfremdheit des Menschen (1930), zit. nach Liessmann, Konrad Paul: Günther Anders. Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen, München 2002, S. 31, 33. 8 Vgl. ebd., S. 47-48; Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. II. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München 1980, S. 1920. 9 Der Begriff des Mängelwesens für die Charakterisierung des Menschen gegenüber Tieren stammt aus Johann Gottfried Herders Schrift Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) und wurde von Arnold Gehlen in Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940) als zentrale Idee ausgebaut. Zur Bedeutung des Blicks vom Mond siehe Anders, Günther: Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge, München 1970; Liessmann 2002, S. 49. Sein kritisch-globaler Blick auf die Technologie, der erst durch diese ermöglicht wurde, überlagerte sich bezeichnenderweise mit der Anfangsidee des 1968 von Steward Brand begründeten kalifornischen Counterculture-Magazins Whole Earth Catalog, das ebenfalls von NASA-Aufnahmen der Erde aus dem All angeregt war (Abb. 126). Vgl. Brand, Steward: Whole Earth Catalog, Herbst 1968 (zuletzt vereinzelte Ausgaben bis 1998). 10 Vgl. Liessmann 2002, S. 52-55, 65-67; Anders 19802, S. 108, 113-114, 120-121 zur „Universalmaschine“. Zum Verlust der Subjektivität vgl. ders.: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (1956), 5. Aufl., München 1980, S. 33: „Die Subjekte von Freiheit und Unfreiheit sind ausgetauscht. Frei sind die

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Das technikaffine Mängelwesen macht sich bei der Kompensation seiner Mängel unaufhaltsam zu einem neuen Mängelwesen. So sieht Anders im stetigen Fortschrittsstreben eine fatalistische Tendenz zur Selbstaufhebung durch Technik und hält dies für einen im menschlichen wie im technischen Wesen angelegten Grundzug. Obgleich Anders’ kulturkritische Position vor dem Hintergrund des industriellen, systematischen Mordens im Holocaust und des Schocks der Atombombe zu betrachten ist und weithin als unzeitgemäß und moralisierend gilt, prognostiziert er doch mit dem Begriff der Ikonomanie eine aktuell gebliebene Obsession der bildlichen Reproduktionen, die er im Wunsch nach technisch-serieller Perfektion begründet sieht und in einer medialen Substitution der Realität durch „Phantome“ aufgehen lässt – eine bildkritische Linie, die sich bei Guy Debord und Jean Baudrillard fortsetzt.11 Anders’ These von der Macht der Reproduzierbarkeit greift einer kritisierten Verschiebung in der postindustriellen Gesellschaft voraus, bei der immaterielle Bilder als Daten und Informationen die seriell erzeugten Dinge ablösen und als Symbole und „Masken der körperlosen Information“ eine neue realitätsstiftende Macht entfalten. Die Bildinformation wird zum virtuellen Fetisch und Konsumgut, während in der erlebten Gegenwart Fakten und Bilder den gleichen Realitätsstatus erhalten.12 Die ambivalente Bewertung des technischen Fortschritts zur Jahrhundertmitte äußerte sich in zahlreichen Debatten, in denen vor den sozioökonomischen Folgen einer wachsenden Technokratie im modernen Wirtschaftssystem gewarnt wurde – zur Kritik an der Vorherrschaft der Technik in der modernen Industriegesellschaft und der physischen wie psychologischen Kontrolle des Individuums durch die damit geschaffenen Strukturen gesellten sich philosophische Bedenken hinsichtlich des verschobenen (Macht-)Verhältnisses zwischen Mensch, Technologie und Welt. Wo dem Menschen die Herrschaft über die eigene Erfindung zu entgleiten drohte und die Technik sich zu einem omnipräsenten, übergreifenden Apparat zu entwickeln schien, befürchtete man eine Dehumanisierung (nach Marcuse) der Lebens- und Arbeitswelt, da alle menschlichen Bedürfnisse sich dem System der technischen Automatisierung und ökonomischen Effizienz unterordnen müssten.13

Dinge: unfrei ist der Mensch.“ Laut Anders hat die Technik den Menschen als „Subjekt der Geschichte“ abgelöst, vgl. ders. 19802, S. 279-280. 11 Zu seiner Rezeption vgl. das Vorwort von Liessmann 2002, S. 7-13. Zum Verhältnis von Bild vs. Realität bei Anders, Debord und Baudrillard siehe Belting, Hans: Idolatrie heute, in: ders. 2005, S. 267-284. Zur Ikonomanie und Welterfahrung „in effigie“ vgl. Anders 19801 (1956), zit. nach: ebd., S. 274-276. 12 Vgl. ebd., S. 275. 13 Ein Beispiel aus dem Kreis der Frankfurter Schule ist die Kulturkritik von Herbert Marcuse, siehe ders.: One-dimensional Man, Boston 1964, dt.: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied/Berlin 1967. Vgl. die zeitgleich erschienene Schrift des amerikanischen Historikers und Philosophen Lewis Mumford zum Begriff der „Megamaschine“ für ein summarisches technologisches System aus Wissen und Apparaten: ders.: The Myth of the Machine, 2 Bde., New York 1967/70. Für einen Überblick des Technikdiskurses im 20. Jahrhundert siehe Hubig, Christoph u. a. (Hg.): Nachdenken über Technik. Die Klassiker der Technikphilosophie und neuere Entwicklungen, 3. neubearb. Aufl., Berlin 2013. Zur Technokratie-Debatte siehe Lenk, Hans (Hg.):

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Während in der Techniksoziologie dieser Zeit die Zusammenhänge von Technologie, Wissenschaft und Wirtschaft im kritischen Gesamtblick betrachtet wurden – häufig mit einem negativen Urteil – entstanden gegenüber den düsteren Szenarien auch optimistische Entwürfe einer technisierten Welt. Ein früher Vordenker war Max Bense, dessen Informationsästhetik den experimentellen Versuch darstellt, künstlerisch-ästhetische Qualitäten in die Informationstheorie zu überführen. Sein Begriff der technischen Intelligenz setzt die Bedingungen der menschlichen Erkenntnis und Existenz philosophisch und wissenschaftstheoretisch unter das Vorzeichen der Technik: Aus seiner Sicht lässt sich die technisierte Welt als menschgemachte Realität weder leugnen noch verhindern – vielmehr muss der intelligente Mensch seine gegenwärtige und zukünftige Existenz durch eine rational angepasste Lebensweise hervorbringen und reflektieren.14 Noch weiter reicht der Technikbegriff von Stanislav Lem, der neben seinen literarischen Werken in der ebenfalls 1964 erschienenen Schrift Summa technologiae der biologischen Evolution (vor allem der Gattung Mensch) eine technologische Evolution zur Seite stellt, die ebenfalls einen materiellen Prozess nach dynamischen inneren Gesetzmäßigkeiten beschreibt, doch aufgrund ihrer konstruierenden Intention und Ansammlung theoretischen Wissens anders verläuft als in der Natur.15 Indem er die Entwicklung des Menschen an die der Technologie knüpft, relativiert Lem nicht nur das Machtverhältnis zwischen beiden Seiten im Sinne einer „Koevolution“, bei der Mensch und Technik sich gegenseitig formen, sondern betont zudem die Notwendigkeit für die Zivilisation, die Entwicklung ihrer Technologie verantwortungsvoll zu regulieren. Im Vorgriff auf das später entstandene Forschungsfeld der Futurologie eröffnet Lem einen weit über die eigene Gegenwart hinausgehenden Blick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Technik und ihre grundlegenden historischen Korrelationen. Dabei wird jenseits einer eingeschränkten Gegenwartskritik das Utopische als Wesenszug der Technologie hervorgehoben, deren potenzielle Unvorhersagbarkeit stets alle menschlichen Vorstellungen und Absichten zu übersteigen vermag.16 Einen weitaus praktischeren Blick auf das Verhältnis von Mensch und Technik findet sich in der Kybernetik der 1950er und 1960er Jahre, deren Ursprünge in den Untersuchungen zur statistischen Informationstheorie des amerikanischen Mathematikers Norbert Wiener am MIT liegen, die dieser zuvor im Rahmen der automati-

Technokratie als Ideologie. Sozialphilosophische Beiträge zu einem politischen Dilemma, Stuttgart u. a. 1973. 14 Siehe Bense, Max: Technische Existenz, Stuttgart 1949; ders.: Ungehorsam der Ideen, Köln u. a. 1965; vgl. hierzu Hubig u. a. 2013, S. 77-80. Zur Informationsästhetik bei Bense siehe Pias, Claus: „Hollerith ‚gefiederter Kristalle‘“. Kunst, Wissenschaft und Computer in Zeiten der Kybernetik, in: Hagner, Michael/Hörl, Erich (Hg.): Die Transformation des Humanen. Beiträge zur Kulturgeschichte der Kybernetik, Frankfurt/Main 2008, S. 72-106. 15 Lem, Stanislav: Summa technologiae, Krakau 1964, dt.: Summa technologiae, Frankfurt/ Main 1976. 16 Später hat Lem seine frühen futurologischen Konzepte und Prognosen in einem kritischen Rückblick kommentiert und rekapituliert, siehe ders.: Die Technologiefalle (1995), Frankfurt/Main u. a. 2000.

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sierten Flugabwehr und Nachrichtentechnik im Zweiten Weltkrieg betrieben hat.17 Die nach dem griechischen Wort kybernētēs (κυβερνήτης) für „Steuer/-mann“, „Lotse“ oder „Regler“ benannte transdisziplinäre Wissenschaft erhebt den Anspruch auf epistemische Universalität auf technischer Basis: Unter Begriffen wie Schema, System, Schaltung und Regelung versucht sie ausgehend von technischen Grundlagen der Informationsübermittlung und Rückmeldung (Feedback) sowohl die Fragen der Natur- als auch Geisteswissenschaften in sich zu vereinen. Dabei geht es nicht nur um die Überwindung der Trennung zwischen den ‚zwei Kulturen‘, mit denen C. P. Snow 1959 die Dualität aus klassischen Geisteswissenschaften und modernen Naturwissenschaften beschrieben hat, sondern ebenso um die Etablierung eines affirmativen, offenen Verhältnisses zur Technologie, die konstruktiv kritisiert statt dämonisiert werden soll.18 Die Betrachtung von kommunikativen, sensorischen und psychologischen Prozessen bei Menschen und anderen Lebewesen in Analogie zu den Funktionsweisen von Maschinen und Schaltkreisen führt zu einer epistemischen Überlagerung verschiedenster Wissensbereiche. So verbinden sich in kybernetischen Denkmodellen aus System, Kontrolle und Feedback über die Informations- und Kommunikationswissenschaft hinaus viele heterogene Felder, darunter Neurologie, Sprachwissenschaft und (Computer-)Technologie, Biologie und Soziologie sowie Ökologie und Politik.19 Die Kopplung von Mensch und Maschine unter technisch-materialistischen Begriffen zeigt sich unter anderem beim Ingenieur Karl Steinbuch, in dessen kybernetischer Anthropologie die Ambition dieser Metadisziplin auf den Punkt gebracht wird: Ausgehend vom eigenen technischen Stand soll auf die anderen Humanwissenschaften geschlossen und damit eine „verloren gegangene Einheit des Wissens“ wiederher-

17 Siehe Wiener, Norbert: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, Paris u. Cambridge/Massachusetts 1948; ders.: The Human Use of Human Beings (Cybernetics and Society), Cambridge/Massachusetts 1950, dt. Mensch und Menschmaschine, Frankfurt/Main 1952. 18 Seine Theorie der zwei Kulturen hat Charles Percy Snow erstmals in einem Vortrag in Cambridge vorgestellt, siehe ders.: The Two Cultures (1959), Cambridge 2001; siehe auch Kreuzer, Helmut (Hg.): Die zwei Kulturen, Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. C. P. Snows These in der Diskussion, München 1987. Zum Diskurs der Kybernetik und ihrer historischen Einordnung vgl. Hörl, Erich/Hagner, Michael: Überlegungen zur kybernetischen Transformation des Humanen sowie Hagner, Michael: Vom Aufstieg und Fall der Kybernetik als Universalwissenschaft, in: Hagner/Hörl 2008, S. 7-37, 38-71; Pias, Claus (Hg.): Cybernetics – Kybernetik. The Macy Conferences 1946-1953, 2 Bde., Zürich/Berlin 2003-04. Auf den zehn interdisziplinären Macy-Konferenzen, die in den USA unter der Schirmherrschaft der Macy-Stiftung stattfanden, wurden die Grundfragen der Kybernetik formuliert, ausgehend von der Erforschung neuronaler und computertechnischer Funktionssysteme. 19 Zur Idee der Kybernetik als Metawissenschaft vgl. Steinbuch, Karl/Moser, Simon (Hg.): Philosophie und Kybernetik, München 1970; Frank, Helmar G. (Hg.): Kybernetik. Brücke zwischen den Wissenschaften, Frankfurt/Main 1962. Siehe kritisch hierzu Taube, Mortimer: Der Mythos der Denkmaschine. Kritische Betrachtungen zur Kybernetik, Reinbek bei Hamburg 1966.

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gestellt werden.20 Eine solche Projektion von technischen Prozessen auf menschliches Leben, Denken und Verhalten setzt ein radikal rationalisiertes Menschenbild voraus, das essentiell auf die Koexistenz und Kommunikation mit Maschinen ausgerichtet ist. Unter dem Leitbegriff des Systems werden bei Steinbuch funktionale Ordnungen und Mechanismen auf beiden Seiten parallelisiert und äquivalenten Erklärungsmodellen unterstellt – ein Zug, der sich aktuell in den vielen computerwissenschaftlichen Analogien und Begriffsübernahmen spiegelt, die etwa im Bereich der Genetik und Kognitionswissenschaften bis hin zu Post-Human-Theorien anzutreffen sind. Vor dem Hintergrund der Kybernetik und ihrer universellen „Modellbegriffe“ ist bei Martin Heidegger von der Notwendigkeit einer philosophischen Grundlagenrevision die Rede, weil mit der „totalen Technisierung des Denkens“ durch die Maschinen des 20. Jahrhunderts die logisch-mathematische Denktradition seit der Antike eine neue Realisierung erfährt: Wo mentale und neuronale Prozesse mit Rechenprozessen gleichgesetzt werden, verwischt die philosophische Grenze zwischen innerem denkendem Bewusstsein und der äußeren mechanischen Kalkulation mit Buchstaben- und Zahlencodes. Das bislang philosophisch „Ungedachte“ findet nun in Form des ereignishaften Maschinendenkens statt – infolgedessen wird es nötig, den Begriff des Denkens selbst zu überdenken und umzudefinieren.21 In den 1960er Jahren regte sich jedoch weitere Kritik an einer physiologischmaterialistischen Reduktion von Gedanken und Gefühlen auf ein informationsverarbeitendes System, da die Gleichsetzung des Bewusstseins mit nachrichtentechnischen Prozessen und Elementen als grobe mechanistische Vereinfachung empfunden wurde.22 Obwohl die Ambitionen der Kybernetik beachtlich waren und sie international viel Beachtung fand, wurde die optimistische Grundstimmung der gesellschaftlichen, technologischen und ästhetischen Utopien mit ihren transhumanistischen Visionen eines neuen Mensch-Welt-Verhältnisses von der Skepsis gegenüber der technokratischen Automation und Kontrolle überdeckt – die Ablehnung wurde zusätzlich durch soziale und politische Spannungen sowie die atomare Bedrohung im Kalten Krieg

20 Vgl. Rieger, Stefan: Kybernetische Anthropologie. Eine Geschichte der Virtualität, Frankfurt/Main 2003, S. 7-10; Steinbuch, Karl: Automat und Mensch. Auf dem Weg zu einer kybernetischen Anthropologie (1961), 3. neubearb. Aufl., Berlin u. a. 1965. 21 Martin Heidegger (1965) zit. nach Hörl, Erich: Das kybernetische Bild des Denkens, in: Hagner/Hörl 2008, S. 163-195, hier S. 163-167. Hier zeichnet sich die Wende vom ideellen Begriff des logisch-mathematischen Denkens zu einem materiell-positivistischen Begriff des Denkens ab, das dynamisch, generativ und selbstregulativ ist – mit der kybernetischen Verlagerung von Wissen auf Nicht-Wissen wird Denken zum „subjektlosen Prozess“. Vgl. hierzu Max Benses Bezeichnung Denkmaschine für eine informationsprozessierende Technik, die über bisherige Arbeitsbereiche hinausgeht und eine „neue Seinsart“ erlangt, ders.: Vorwort, in: Couffignal, Louis: Denkmaschinen, Stuttgart 1955, S. 7-10; vgl. Hörl 2008, S. 170, 172. 22 Vgl. hierzu die Kritik an der Informationspsychologie und an kybernetischen Erklärungsmodellen bei Schwentek, Heinrich: Mensch und Kybernetik, Stuttgart 1965, S. 17-21. Zur Kritik an der technischen Vereinnahmung des Menschen von Helmut Schelsky bis Jürgen Habermas vgl. Hagner 2008, S. 63-67.

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verschärft.23 Ohne ihren Anspruch als Universalwissenschaft einlösen zu können, verlor die Kybernetik schließlich bald an Relevanz, während die soziopolitischen Diskussionen um die Industriegesellschaft in der Studentenbewegung und Gegenkultur (Counterculture) in den USA weitergingen. Im Rückblick erscheint die Kybernetik weniger als eine tatsächliche Wissenschaft als vielmehr ein historischer Impuls in der Nachkriegszeit, worin sich ein generell vorhandener Drang zur Objektivierung von Wissenschaften und Künsten, Politik und Gesellschaft ausdrückte, durch die eine neue Wissenskultur unter technologischem Vorzeichen begründet werden sollte. Ihr universelles Programm machte die Kybernetik zu einer interessanten Quelle für die Künste wie für alternative Lebensentwürfe auf beiden Seiten des Atlantiks. Durch alle Disziplinen von Bildender Kunst über Architektur zu Literatur und Musik setzten sich experimentelle Strömungen mit technologischen und systemischen Konzepten auseinander, während Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler disziplinübergreifend mit Künstlern kooperierten und sich kreativ beteiligten. Avantgardistische Projekte wie die der Organisation E.A.T. (Experiments in Art and Technology), an deren Gründung Robert Rauschenberg und der Techniker Billy Klüver beteiligt waren, verbanden Technologie mit multimedialer, performativer Kunst in enger Zusammenarbeit mit Bell Labs.24 Das 1925 gegründete Telekommunikationslabor trug in den 1960er Jahren maßgeblich zu der Entwicklung neuester Technologien in den USA und ihrer Verknüpfung mit zeitgenössischer Kunst bei. An der Westküste gab es von 1967 bis 1971 das vom Los Angeles County Museum of Art organisierte Art and Technology Program, bei dem Teilnehmer aus Kunst, Forschung und Industrie in Kooperationsprojekten zusammengebracht wurden. Die Ergebnisse der oft ambitionierten Arbeitsvorhaben wurden bei der Expo 1970 in Osaka und 1971 im LACMA präsentiert.25 Darüber hinaus existierten gemeinschaftlich anonyme Künstlergruppen wie die 1962 gebildete Gruppe USCO („US Company“), die beeinflusst von der Me23 Zur Technokratie-Debatte und zum Niedergang der Kybernetik als Universalfach vgl. ebd., S. 59-71. 24 Bell Labs wurde 1925 als Bell Telephone Laboratories gegründet und gehört heute zur Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Nokia. E.A.T. ist vor allem bekannt für das experimentelle Kooperationsprojekt Nine Evenings: Theatre and Engineering (1966), an der neben Cage und Rauschenberg auch Yvonne Rainer und Lucinda Childs teilnahmen. Klüver arbeitete mit John Cage und Merce Cunningham an elektronischen Klang-Environments wie in Variations V (1965) zusammen. Siehe hierzu Asendorf, Christoph: Die Künste im technischen Zeitalter und das utopische Potential der Kybernetik, in: Hagner/Hörl 2008, S. 107-124, hier S. 114; Marga Bijvoet, How Intimate Can Art and Technology Really Be? A Survey of The Art and Technology Movement of the Sixties, in: Philip Hayward (Hg.), Culture, Technology and Creativity in the Late Twentieth Century, London 1990, S. 15-37; Davis, Douglas: Vom Experiment zur Idee. Die Kunst des 20. Jahrhunderts im Zeichen von Wissenschaft und Technologie, Köln 1975, S. 85-93. Zum Interesse an technischen Konzepten historischer mechanischer (Körper-)Maschinen bis zu den elektronischen Experimenten der 1960er Jahre (darunter E.A.T.) vgl. Hultén, Pontus: The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1968-69, New York 1968. Zur elektronischen Kunst der 1960er und 1970er Jahre und der digitalen Entwicklung bis zu den 1990er Jahren siehe Popper, Frank: Art of the Electronic Age, New York 1993. 25 Vgl. Bijvoet 1990, S. 32-35.

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dientheorie von Marshall McLuhan komplexe audiovisuelle Environments konstruierte, um eine der global veränderten „elektronischen Umwelt“ angepasste Kunstform zu schaffen.26 Mit den neuen Kommunikationsmedien verband sich die Vorstellung, dass der technologische Wandel radikale gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen würde, die schon bei den menschlichen Sinneserfahrungen ansetzten. Ästhetik und Kommunikation wurden ebenso wie der Begriff der Umwelt global gedacht, so dass mit dem kommunizierenden und rezipierenden Subjekt weniger die individuelle Person als vielmehr die Menschheit im Allgemeinen angesprochen war. Verbindungen zwischen Kybernetik, Kunst und Ästhetik wurden schon in den 1950er Jahren intensiviert: Begriffe wie Information, Interaktion, Regulation oder Automation flossen als Teil einer medial erweiterten Erlebnis- und Kommunikationssphäre in künstlerisch-futuristische Ideen ein, wofür Buckminster Fullers architektonische Entwürfe bis heute sinnbildlich stehen (seine geodätische Kuppel wurde 1954 patentiert), und wurden in den Aktivitäten der Independent Group um das Londoner ICA (Institute of Contemporary Arts) und der Künstlergruppe ZERO aufgegriffen. Die Ausstellung Cybernetic Serendipity, die 1968 am ICA eröffnet wurde und 1969-70 nach Washington, D.C. und San Francisco weiterreiste, trug besonders zur Popularisierung der Kybernetik im künstlerischen Kontext bei.27 Der system- und informationstheoretische Ideenfundus, der in technologischen und massenmedialen Veränderungen der zeitgenössischen Lebenswelt seine Realisierung fand, bot eine fruchtbare Experimentierfläche für die Erkundung eines technisch transformierten Sehens und Erlebens, wo sich Erkenntnis immer weiter von individuellen körperlich-lokalen Bindungen zu lösen schien. An deren Stelle traten neue Medien der Bild- und Erkenntnisproduktion mit ihrer vernetzten Ästhetik und rationalen Struktur, die sich an einen allgemeinen menschlichen Rezipienten – als Vertreter der Gattung Mensch gegenüber der Maschine – richteten.28 In den USA formierte sich mit der kalifornischen Gruppe um Stewart Brand und dem Whole-Earth-Netzwerk im Rahmen des Whole Earth Catalog (betrieben von 1968 bis 1972) eine global konzipierte, technikorientierte Bewegung, die den ideellen Boden für die Entwicklung der Cyberkultur bereitete, für die später das Hightech-

26 Vgl. Davis 1975, S. 83-85; siehe McLuhan, Marshall: Understanding Media. The Extensions of Man, New York 1964. 27 Vgl. Asendorf 2008, mit Verweis auf die kinetischen Arbeiten von Nicolas Schöffer. Siehe Shanken, Edward A.: Cybernetics and Art: Cultural Convergence in the 1960s, in: Clarke, Bruce/Dalrymple Henderson, Linda (Hg.): From Energy to Information. Representation in Science and Technology, Art, and Literature, Stanford 2002, S. 255-277; Reichhardt, Jasia: Cybernetic Serendipity. The Computer and the Arts, Ausst.-Kat., London, Institute of Contemporary Arts 1968, London 1968. 28 Einen bedeutenden Beitrag zur Vermittlung der Computertechnologie in Verbindung mit Kunst und Design leisteten Charles und Ray Eames, wie etwa ihre visuell-narrative Fahrt durch die Dimensionen in ihrem Kurzfilm Powers of Ten (1977) zeigt, der auf dem Buch Cosmic View (1957) von Kees Boeke basiert. Hinzu kommen ihre Ausstellungskonzepte für A Computer Perspective (1971-75) im IBM Corporate Exhibition Center, die wie der Film im Auftrag von IBM entstanden sind. Siehe Eames, Charles/Ray: A Computer Perspective: Background to the Computer Age, Cambridge/Massachusetts 1990.

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Zentrum Silicon Valley bekannt werden sollte.29 Das offene System des Whole Earth Catalog verband als fortlaufend aktualisiertes Projekt technische Innovation und Raumfahrt mit sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Zukunftsmodellen – die Mondlandung von 1968 und die Aufnahme der Erde vom All wurden zum Schlüsselerlebnis für das globale Bewusstsein, was sich im mittlerweile ikonischen Coverbild der ersten Ausgabe widerspiegelt (Abb. 126).30 Fred Turner hat den Übergang von der Counterculture der amerikanischen Jugendbewegung der 1960er Jahre zur Cyberculture der 1990er Jahre anhand ihres Verhältnisses zur Technologie nachgezeichnet: Dabei folgt er nicht der traditionellen Darstellung der Gegenkultur als Protestbewegung gegen die staatliche Kontrolle und Bürokratie während des Kalten Krieges, sondern schildert die experimentierfreudige, technikaffine Mentalität der Counterculture, die er aus der technologischen Forschungskultur des Zweiten Weltkriegs mit den aufkommenden kybernetischen Theorien und Wissensvernetzung herleitet. Auf Grundlage von staatlich vorangetriebenen technischen Entwicklungen etablierte sich damals ein Interesse an Kybernetik, Computertechnik und utopischinnovativen Lebensformen innerhalb der Jugendkultur, was wiederum in alternativen Gesellschaftsmodellen der sogenannten New Communalists in den späten 1960er Jahren erprobt wurde. In Reaktion auf die kritisch wahrgenommene Entfremdung des modernen Menschen strebten die utopischen Lebensgemeinschafen mithilfe innovativer technologischer Konzepte und eines universell gefassten Informationsbegriffs die harmonische Vereinigung von Natur, Gesellschaft und Technik an. Darin lag eine Verknüpfung des kybernetisch-futuristischen Realitätsmodells und seines globalen Informationssystems mit der pazifistischen Menschheitsvision der Hippie-Bewegung, was die historische Entwicklung der Computertechnologie in den Kontext einer sozialkritischen Gegenkultur und kreativen Avantgarde stellte.31 Auf Seiten des politischen Aktivismus in der Studentenbewegung überwog hingegen die intellektuelle Technologiekritik aufgrund der Ablehnung eines technokrati29 Zwischen 1968-1972 wurde der Whole Earth Catalog von Brand herausgegeben und erschien in unregelmäßigen Abständen noch bis 2003. Siehe Diederichsen, Diedrich/Franke, Anselm (Hg.): The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Ausst.-Kat., Berlin, Haus der Kulturen der Welt 2013, Berlin 2013; Turner, Fred: From Counterculture to Cyberculture. Steward Brand, the Whole Earth Network and the Rise of Digital Utopianism, Chicago 2006. Zu den Vertretern der Internet-Counterculture zählen Kevin Kelly, Esther Dyson und John P. Barlow, die 1993 das Netzkultur-Magazin Wired mitbegründet haben, vgl. ebd., S. 3. Zur Entwicklung des Silicon Valley vgl. Lécuyer, Christophe: Making Silicon Valley. Innovation and the Growth of High Tech, 1930-1970, Cambridge/Massachusetts 2005. 30 Turner beschreibt das Projekt als „a vision of technology as a countercultural force that would shape public understandings of computing and other machines long after the social movements of the 1960s had faded from view.“ Vgl. ebd., S. 6. Zum Aufbau und Inhalt des Whole Earth Catalog vgl. ebd., S. 69-102. 31 Vgl. ebd., S. 4-5. Zum Einfluss der Kybernetik auf die Kunstszene New Yorks (u. a. John Cage, Allan Kaprow, Robert Rauschenberg und USCO) und an den Hochschulen der Westküste vgl. ebd., S. 45-58. Zur Rolle der Kybernetik und Computertechnologie nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Edwards, Paul N.: The Closed World. Computers and the Politics of Discourse in Cold War America, Cambridge/Massachusetts 1996.

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schen Staats- und Verwaltungsapparats, der zusammen mit einer als inhuman empfundenen Ökonomie die Informationsgesellschaft bestimmte. So war der maschinenstürmerische Protest gegen eine ideologische und bürokratische Unterdrückung in der 1964 initiierten Free Speech Movement vor allem soziopolitisch geprägt und mit dem bürgerrechtlichen, pazifistischen und antiautoritären Engagement der neuen Linken (New Left) verbunden. Deren politische und intellektuelle Gesinnung lässt sich mit dem Begriff des ‚Antihumanismus‘ beschreiben, der sich über die antiimperialistische Kritik am Staat und die Ablehnung des konservativen akademischen Humanismus definierte – dieser konnte aus Sicht seiner Gegner keine adäquate Reaktion mehr auf den Vietnamkrieg, den Rassismus und die Spannungen des Kalten Krieges bieten.32 Die zwiespältige Haltung zur Technologie in den 1960er Jahren umfasst das komplexe Zusammenspiel mehrerer sozialer Bewegungen, die Turner in zwei Strömungen unterteilt: Auf der einen Seite stand die soziopolitisch motivierte Technikkritik der Studentenbewegung bzw. der allgemeinen New Left, auf der anderen Seite die intellektuell-experimentelle Technoaffinität der New Communalists und Künstler sowie der Hippie- und Beat-Kultur, die trotz ihrer Ablehnung gegenüber der herrschenden Technokratie vor dem Hintergrund des Kalten Krieges dennoch in technologischen Ideen nach Anregungen für esoterische oder utopische Gesellschaftsmodelle suchten.33 In den Netzwerken der Computer-Gemeinden, die in den 1980er Jahren noch vor der Popularisierung des Internets entstanden sind, wurde der Gedanke der Counterculture auf den virtuellen Plattformen der Cyberculture weiterentwickelt. Diese weitete sich von einem eingeschworenen Kreis aus fachlich Eingeweihten allmählich auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche aus, bis die digitale Technologie und Netzwerk-Kommunikation samt ihrer Ästhetik und sozialen Dynamik schließlich zu einem unverzichtbaren Teil der globalen Mainstream-Kultur geworden sind.34 Aus der Digitalisierung folgt eine neue Bildordnung, die strukturell durch die mathematische Kodierung und technische Synthese begründet wird. Zum Paradigma der technisch-algorithmischen Denkweise findet sich bei Vilém Flusser die Beschreibung einer kulturhistorischen Evolution der Medienepochen – und damit des menschlichen Weltbezugs – die sich in fünf Stufen vollzieht und einen Aufstieg von konkreter zu abstrakter Anschauung bedeutet: Vom sinnlichen Erleben des „Naturmenschen“ 32 Vgl. Said, Edward W.: Humanism and Democratic Criticism, New York 2004, S. 13. Zum antihumanistischen Denken der New Left in Abgrenzung zum traditionellen Humanismus und marxistischen Humanismus der europäischen Linken sowie zum kritisch-intellektuellen Antihumanismus in der poststrukturalistischen Theorie vgl. Braidotti, Rosi: The Posthuman, Cambridge 2013, S. 16-25. 33 Vgl. ebd., S. 11-16. Die Firma IBM verkörperte hierbei das Feindbild der technischen ‚Dehumanisierung‘. Turner verweist auf zahlreiche Untersuchungen u. a. von Douglas C. Rossino und Van Gosse zur historischen Differenzierung der New-Left-Bewegung, vgl. ebd., S. 31, 33-39. 34 Vgl. ebd., S. 142. Eine umfangreiche Quelle zeitgenössischer und historischer Forschung zur Cyberkultur bietet die Internet-Plattform Recource Center for Cyberculture Studies (RCCS), http://rccs.usfca.edu.

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bis zum Werkzeuggebrauch und von den „traditionellen Bildern“ zur linearen Textkultur durch die alphabetische Schrift, die als Vermittlungszone zwischen Mensch und Bild tritt, führt der letzte Schritt zur Stufe der komputierten technischen Bilder.35 Flusser setzt sie in Kontrast zur alphabetischen Schriftkultur („Buchstabendenken“), die er als linear, prozessual und historisch charakterisiert, während die technischen Bilder auf einem disjunktiven, kalkulatorischen und nicht-historischen „Zahlendenken“ in numerischen Codes basieren. Die Epochen sind demnach durch „Umkodierung“ ineinander verkettet und müssen in dieser historischen Kodifizierungslogik verstanden werden, wenn man sie entschlüsseln will. Dabei wird das „moderne Umkodieren“ des theoretischen Denkens von Buchstaben in Zahlen auf die Unzulänglichkeit der sprachlichen Episteme zurückgeführt, da im naturwissenschaftlichtechnischen Zeitalter nur noch das arithmetische Denken als erkenntnisbringend gilt – so vollzieht sich für Flusser die Wende vom aufklärerischen, diskursiven Denken zum formal-analytischen Denken.36 Zugleich bringt der geistige Umbruch eine Umstellung von den ‚statischen‘ Begriffen und Ideen der Textkultur zu universellen Modellen und Strukturen mit sich, wofür die Algorithmen der Programmierer stehen.37 Flussers utopisches Modell einer telematischen Informationsgesellschaft ist eine Rückkehr zu Bildern – aber auf einer höheren Entwicklungsebene als die (für obsolet erklärten) traditionellen Bilder der Malerei und Bildhauerei. Denn die technischen Bilder würden sich erst aus der Textkultur entwickeln und wären somit mathematische Umkodierungen textual gefasster Begriffe.38 Solche Technobilder weisen, anders als die kontinuierlichen Bilder der Vergangenheit, eine Mosaikstruktur aus Punktelementen auf, denen eine „nachgeschichtliche Nulldimensionalität“ zugeschrieben wird, weil zeitliche und räumliche Dimensionen in ihnen komprimiert werden. Aufgrund ihrer besonderen Bindung an Apparate werden sie erst durch deren Anzeigeund Herstellungsfunktion fassbar: Das rein automatische Funktionieren erzeugt nach Flusser Bilder als „blindlinks konkretisierte Möglichkeit, ein blindlinks sichtbar gewordenes Unsichtbares“. Demnach enthalten alle technischen Bildpunkte potentielle Erscheinungen – sowohl das Fotopapier als auch die digitale Bildmatrix bieten ein „Feld von Möglichkeiten“.39 Aus diesem Grund sind technische Bilder für Flusser nicht von ihrer inhaltlichen Bedeutung (dem Was des Signifikats), sondern vom Signifikanten her zu deuten. Denn um sie zu verstehen, muss der Ursprung ihrer synthetischen Struktur betrach35 Vgl. Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder (1985), 6. Aufl., Göttingen 1999, S. 9-15. 36 Vgl. ders.: Digitaler Schein, in: Florian Rötzer (Hg.), Digitaler Schein. Ästhetik elektronischer Medien, Frankfurt/Main 1991, S. 147-159, hier S. 149-151. Zur historischen Verknüpfung und „Umkodierung“ zwischen traditionellen Bildern, Texten bzw. Begriffen und technischen Bildern siehe auch Flusser, Vilém: Kommunikologie, 4. Aufl., Frankfurt/Main 1998. 37 Zur sozialen Konstruktion einer technokratischen Elite aus wenigen Programmierern gegenüber der traditionell „buchstäblich denkenden“ Mehrheit, die durch die „Projektion“ des numerischen Denkens nach außen an der Erkenntnis teilhat, vgl. ebd., S. 151-152. 38 Zur Konkurrenz zwischen neuen Medien und den klassischen Künsten vgl. Müller, HansJoachim: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Generierbarkeit, in: Rötzer 1991, S. 548-569. 39 Vgl. Flusser 1999, S. 21.

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tet, ihr „Programm“ aus ihnen „herausgelesen“ werden. Bildsemantik und Medium stehen dabei in einem ganz anderen Verhältnis, wo die produzierte Sichtbarkeit keinen Inhalt, sondern die Folge einer technischen Funktion darstellt. Diese als Richtung (Vektor) bezeichnete Bedeutung technischer Bilder ist nicht nur programmiert, sondern agiert ebenso programmierend hinsichtlich ihres „imperativen“ richtungsweisenden Einflusses auf das Erkennen und Erleben in der Gesellschaft, seien es der veränderte Realitätsbegriff, das Weltbild oder die Sehgewohnheiten und -dynamiken.40 So schematisch vereinfacht Flussers historisches Modell erscheinen mag, verdeutlicht es doch die wesentliche Differenz und gegenwärtige Relevanz von technischen Bildern, in deren medialem Wesen ihr Potenzial und zugleich ihre Kritikpunkte liegen. Wie aber funktioniert das Computerbild? Das historische Konzept des Computers gewann mit der raschen technologischen Entwicklung hin zur Vernetzung und Digitalisierung ab den späten 1960er Jahren zunehmend an Einfluss auf die moderne Arbeitswelt, das menschliche Denken und Handeln sowie die Wahrnehmung und Körpervorstellung.41 Mit dem 1936 von Alan Turing entwickelten theoretischen Modell der universellen Rechen- bzw. ‚Schreibmaschine‘ (Turing-Maschine) und den von Konrad Zuse in den 1940er Jahren erstmals gebauten Geräten schien es möglich geworden zu sein, die gesamte Realität in technischen Codes zu beschreiben.42 Die Grundlagen des Computerbildes und der Computer Vision wurden bereits in kybernetischen Theorien zur Umwandlung, Übertragung und Auswertung visueller Informationen vorformuliert, in denen elektronische Medien, visuelle Daten und biologische und künstliche Wahrnehmung zusammengeführt wurden.43 Bei der Über40 Vgl. ebd., S. 53-56. In Anlehnung an McLuhan heißt es: „Nicht das im technischen Bild gezeigte, sondern das technische Bild selbst ist die Botschaft. Und es ist eine sinngebende, imperative Botschaft.“ 41 Das Konzept des Computers als eine Mechanisierung der Mathematik lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, besondere Bedeutung erlangte sie in der Neuzeit (etwa bei Pascal und Leibiz) und mit den Erfindungen des 19. Jahrhunderts, zu denen Lochkartengeräte und der Hollerith-Tabulator (1890 eingesetzt) zählten, ebenso wie die 1837 von Ada Lovelace und Charles Babbage entwickelte Rechenmaschine (Babbage-Differenzmaschine). Zur Geschichte des Computers siehe Randell, Brian (Hg.): The Origins of Digital Computers. Selected Papers, 3. Aufl., Berlin u. a. 1982; Ceruzzi, Paul E.: A History of Modern Computing, 2. Aufl., Cambridge/Massachusetts 2003; Friedewald, Michael: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personalcomputers, Berlin u. a. 1999. Zur Entwicklung von der Rechenmaschine bis hin zum Medium siehe Bolz, Norbert u. a. (Hg.): Computer als Medium, München 1994; zum Wandel von „Medien“ zu „Neuen Medien“ siehe Manovich 2001, S. 18-26. 42 Die Turing-Maschine ist kein Gerät, sondern eine mathematische Darstellung universeller Berechenbarkeit als Algorithmus: Nach festen Regeln werden Symbole wie Zahlen und Buchstaben in Segmenten manipuliert und so aufgeschrieben, dass sie wieder gelesen (dekodiert) werden können. Es handelt sich also um eine Funktion, die Zeichenketten durch Berechnung übersetzt und abbildet. Zur Turing-Maschine siehe Herken, Rolf (Hg.): The Universal Turing Machine. A Half-Century Survey, 2. Aufl., Wien u. a. 1995. 43 Siehe Rieger, Stefan: Ungewollte Abstraktion. Zur Auflösung in der optischen Datenverarbeitung, in: Blümle, Claudia/Schäfer, Armin (Hg.): Struktur Figur, Kontur. Abstraktion in Kunst und Lebenswissenschaften, Zürich/Berlin 2007, S. 159-171; Rieger 2003, S. 53-105.

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tragung der Bildstruktur in kodierte Information war für die Auswertung derselben ein abstrahiertes, kategorisch ordnendes Sehen erforderlich – ein Aspekt, der auch in der gegenwärtigen Forschung im Bereich der Computer Vision und KI eine der größten technologischen Herausforderungen geblieben ist. Die in der Kybernetik angelegte Virtualität wird in Zusammenhang mit der programmierten ‚Scheinwelt‘ des Computers zu einem Schlüsselbegriff. Im medientheoretischen Diskurs um das Gegensatzpaar Sein und Schein ist an dieser Stelle vor allem die technisch geprägte ‚neue‘ Realität von Interesse: Mit dem Gedanken an eine universelle Programmierbarkeit (also Simulierbarkeit) geht ein Wandel des Realitätsbegriffs einher, wonach die Wirklichkeit, wie Norbert Bolz schreibt, als „rein operationaler Zusammenhang“ aufgefasst wird – an „die Stelle der linearen Rationalität der Gutenberg-Galaxis tritt heute ein Denken in Konfigurationen.“44 Wie beim kybernetischen Modell des Denkens wird die Auflösung des geistigen Dualismus aus einer inneren Repräsentation und einem äußeren Referenzobjekt konstatiert, so dass mit zunehmender Bedeutung der immateriellen Computerwelt der humanistische Weltbezug verdrängt wird: „An die Stelle des alphabetisierten Humanismus tritt die digitalisierte Weltgesellschaft.“45 Durch die Rede von der Selbstbezüglichkeit und Immersion neuer Medien, wo das menschliche Subjekt per Interface in die Feedback-Schleifen des Computers integriert werden kann, um zu einer Mensch-Maschine-Synergie mit dem Gerät zu verschmelzen, setzt sich das Systemdenken der 1950er Jahre in der digitalen Computertechnologie fort. Dem liegt die weiterhin gültige Annahme einer Äquivalenz zwischen den technischen Funktionen oder Rechenoperationen und dem menschlichen Nervensystem oder Bewusstsein zugrunde, was schon in Turings Konstruktion eines „Gehirns ohne Körper“ antizipiert worden ist und in der forcierten Entwicklung emergenter (lernfähiger) KI seine stärkste Ausprägung findet.46 Wiener beschäftigt sich bereits in den Anfängen der Kybernetik mit der Sinneswahrnehmung lebender Organismen und dem Verhältnis zwischen menschlichem Sehen und maschineller Mustererkennung. Auch Steinbuch bezeichnet das Sehen und seine Automatisierung bei der visuellen Informationsvermittlung als die „technische Herausforderung der Kybernetik schlechthin“, da die Technik nirgends dem

44 Vgl. Bolz, Norbert: Computer als Medium – Einleitung, in: Bolz/Kittler/Tholen 1994, S. 916, hier S. 10. Damit wird auf Marshall McLuhans Medientheorie zur Schriftkultur in The Gutenberg Galaxy: The Making of Typographic Man (1962) Bezug genommen. 45 Ebd., S. 11. Zum Diskurs über digitale Medien und ihr Verhältnis zur Kunst sowie die kontroverse Rolle von Simulation, Netzwerk und Interaktion, vgl. Rötzer 1991. 46 Vgl. ebd., S. 12-14, wo die Umorientierung in der Geist-Computer-Metapher von der Turingschen Rechenmaschine (repräsentiert im modernen digitalen Von-Neuman-Computer) hin zum biologischen Neuronetzwerk beschrieben wird: In Entsprechung zur Idee der Intelligenz überhaupt bewegt sich die KI von der programmierten logisch-operativen ‚Software‘ zur assoziativ-parallel arbeitenden ‚Hardware‘. Zum Problem des Mensch-TechnikVerhältnisses als Ausweitung des Organischen bzw. Einverleibung des Technischen vgl. Tholen, Georg Christoph: Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine, in: Bolz/Kittler/Tholen 1994, S. 111-135.

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organischen Körper so weit unterlegen erscheint.47 Steinbuch stellt die Auflösung (per Quantisierung) und die Invariantenbildung (Gestaltwahrnehmung) als bildtechnische Kernbegriffe vor, wobei die Gestaltwahrnehmung erst durch die abstrahierende Auflösung zustande kommt und von der Feinheit ihrer Quantisierung abhängt, wie am Beispiel einer Elefantengestalt demonstriert wird (Abb. 127 a). Für die automatische Zeichenübermittlung und visuelle Datenverarbeitung wird das Fernsehen als zeitgenössisches Beispiel angeführt, dessen Abtast- und Übertragungstechnik die Bilder in einem Scan-Vorgang alphabetisiert, also in übermittelbare Segmente umwandelt, vergleichbar mit den älteren Kopiertelegraphen, die Bilder „Punkt für Punkt und Zeile für Zeile“ in elektrische Ströme übersetzten.48 Die verfahrenstechnische Kodierung einer ursprünglichen Bildinformation muss trotz Umwandlung ihren semiotischen Kern bewahren: So wie die Prägnanzbildung in der menschlichen Wahrnehmung eine Abstraktionsleistung ist, die Abweichungen korrigiert und Informationen herausdestilliert, hat auch die Signalkombination bei der technischen Übertragung einen gewissen Spielraum, Variationsbreite genannt, innerhalb dessen trotz Störeffekte und Abweichungen der richtige Sinn transportiert werden kann, worin sich die Übertragung von einer direkten Reproduktion unterscheidet.49 Von der Empfängerseite des lesenden Geräts muss die Information also ungeachtet der verschiedenen möglichen Zeichenveränderungen, die an der Ziffer „4“ vorführt sind (Abb. 127 b), bereinigt und erkannt werden. Hierbei stellt die Invarianzanforderung sicher, dass „reale Zeichen“ auch mit leichter Abweichung von den „Idealzeichen“ verarbeitet werden können.50 Obwohl wissenschaftliche Theorien, Künste, Medien und Technologien sich längst weiterentwickelt haben, sind Anwendungen und Denkmodelle der Kybernetik zusammen mit ihrem interdisziplinären Anspruch vielerorts absorbiert worden. Ihr universalwissenschaftlicher, rationalistischer Grundgedanke, dessen technisch-objektive Emphase historisch begründet und darum zeitgebunden war, macht sie zu einer äußerst ergiebigen „Epistemologie“, die eben keine Disziplin ist, sondern deren rückblickende Analyse, wie Claus Pias beschreibt, sich als eine „Archäologie der Gegenwart“ herausstellt.51

47 Vgl. Rieger 2003, S. 58-59. Zuverlässige Bilderkennung bleibt bis heute ein zentrales computertechnologisches Problem, wie sich an der biometrischen Gesichts- und Mustererkennung zeigt. 48 Zu Wieners Untersuchungen über das Fernsehen und die Kopiertelegraphen im 19. Jh. vgl. Rieger 2003, S. 58-63 (mit Literaturhinweisen zur Technik und Geschichte des Fernsehens). Zum Problem der Zeichenübertragung und -erkennung vgl. Steinbuch 1965, S. 98-110. 49 Zum Unterschied zwischen der Zeichenerkennung und Zeichenreproduktion (Kopie) sowie dem Zusammenhang zwischen Auflösung und Gestaltbildung vgl. ebd., S. 100; Rieger 2007, S. 166-170. 50 Steinbuch 1965, S. 104-105. 51 „Was aber nach dem Ende solcher Ansprüche geblieben ist, sind natürlich Applikationen, Anwendungen, Denkmodelle, die nach wie vor höchst virulent sind. Das macht die Beschäftigung mit Kybernetik zu einer Archäologie der Gegenwart.“ Pias, Claus: Kunst und Kybernetik. Ein Gespräch der Bildwelten des Wissens mit Claus Pias, in: Bildwelten des Wissens, Bd. 5/Nr. 1, 2007, S. 72-87, hier S. 84.

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Die Diskurse der postindustriellen Informationsgesellschaft, das technisierte Konzept von Leben und Wissen in der Kybernetik und die Seherfahrungen und Bildkonzepte neuer Medien tragen gemeinsam zu einem veränderten Menschenbild bei, welches sich von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart immer weiter auf das Ziel der Rationalisierung, Kontrolle und Abstraktion zubewegt. Begleitet wird die technologische Entwicklung seit den 1960er Jahren von antihumanistischen philosophischen Tendenzen (gemeint ist eine generelle begriffliche und methodische Verschiebung vom Menschen als Zentrum der Reflexion hin zu technisch-unpersönlichen Ordnungen und Systemen, denen er unterstellt ist), die sich insbesondere unter den französischen Theoretikern des Poststrukturalismus finden: Die Werke von Michel Foucault, Jean Baudrillard, Jacques Derrida, Gilles Deleuze und Félix Guattari aus den 1960er und 1970er Jahren boten wiederum wichtige Bezugspunkte für postmoderne angloamerikanische Autoren, die eine darauffolgende umfassende Kritik an der westlich-humanistischen Tradition formulierten, aus dem unter anderem das Konzept des Posthumanen hervorging.52 Der Begriff des posthumanen Körpers geht von einer technisch realisierten Emanzipation vom Menschen- und Körperbild in der humanistischen Tradition aus und versteht sich darin als Auflehnung gegen philosophische Ideologien, die in den Kategorien des Menschlichen, Normalen oder des Geschlechts liegen.53 Eine „posthuman condition“ wurde von Judith Halberstam und Ira Livingston Mitte der 1990er Jahre für die Gegenwart diagnostiziert, womit sie einen Transformationsprozess von „the human, humanism and the humanities“ meinten, der bereits voll im Gange war und weiterhin stattfindet.54 Tatsächlich löst sich mit den digitalen Technologien und ihrer Rolle im Alltag sowie in Forschung und Medizin das menschliche Selbst- und Körperbild – wie der Begriff des Organismus überhaupt – zunehmend von seiner biologischen Materialität ab, während sich mit jedem Fortschritt seine physischen und geistigen Grenzen um ein weiteres Stück verschieben. Über die Verknüpfung und Erweiterung der menschlichen Existenz durch Technologien und Medien lassen sich seine körperliche ‚Schwere‘ und biologische Imperfektion scheinbar überwinden – die Utopie des total vernetzten, selbstgestalterischen Menschen erscheint im Zeitalter des Internets und der 52 Zur kulturhistorischen Entwicklung des Anti-Humanismus in der Moderne vgl. Halliwell, Martin/Mousley, Andy: Critical Humanisms. Humanist/Anti-Humanist Dialogues, Edinburgh 2003, S. 5-7. Zu den Theorien des „technologischen Humanismus“ sowie Post- und Transhumanismus, vgl. ebd. S. 159-195. 53 Zum posthumanen Körperbegriff und seiner historischen Herleitung aus dem humanistischen Körper-Geist-Dualismus und der Kybernetik nach 1945 vgl. Hayles, Nancy Katherine: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature and Informatics, Chicago 1999. Für einen kritischen Überblick und eine Einschätzung der PosthumanDebatte vgl. Flessner, Bernd (Hg.): Nach dem Menschen. Der Mythos einer zweiten Schöpfung und das Entstehen einer posthumanen Kultur, Freiburg 2000; Zons, Raimar: Die Zeit des Menschen. Zur Kritik des Posthumanismus, Frankfurt/Main 2001. Im Kontext der Gender-Forschung und zu utopischen Körperentwürfen vgl. Halberstam, Judith/Livingston, Ira (Hg.): Posthuman Bodies, Bloomington/Indianapolis 1995, sowie die Cyborg-Theorie von Haraway, Donna J.: Simians, Cyborgs and Women. The Reinvention of Nature, New York/ London 1991; siehe auch Braidotti 2013. 54 Halberstam/Livingston 1995, S. 3.

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virtuellen Realität, der Biotechnologie und KI realer denn je.55 Während die Möglichkeiten zur optimalen Steigerung des menschlichen Potentials und der Aufhebung körperlicher Beschränkungen zunehmen, ob durch Medizin, Genforschung, Prothetik, Robotik oder den Eskapismus virtueller Avatare, entwickelt sich zeitgleich ein emphatischer Diskurs um den technisierten Körper angesichts der „Obsoletheit des biologischen Körpers“ – oftmals begleitet von Zukunftsoptimismus und einer experimentellen Lust, wenn nicht gar Euphorie, seitens der Wissenschaftler und Erfinder, der sich auch viele Künstler anschließen.56 Die Repräsentation von Körper, Gesicht oder Identität lässt sich kaum mehr ohne die Frage nach ihrer digitalen und virtuellen Form denken. Folglich impliziert das Bild des biologischen Körpers heute immer seine technische Dimension, ob als technisches Bild oder technisierter Körper. Mit der voranschreitenden High-Tech-Forschung wurde die in der Kybernetik eingeführte Parallelisierung von Mensch und Computer immer weiter forciert, bis die Vorstellung von Körper und Geist in der neuronalen Maschine bzw. im Netzwerk aufging: Seit den 1990er Jahren hat sich der Computer als Paradigma auf vielen Gebieten durchgesetzt, doch als Erklärungsmodell für die körperliche und geistige Existenz des Menschen spielt er eine besonders dominante, wenn auch kontroverse Rolle – so setzt die Metaphorik vom Denken als Processing und Komputation, von der DNA als Software und der Evolution als algorithmischem Prozess zwar auf sprachlicher Ebene an, doch in diesem Computerjargon lässt sich durchaus noch die Verlängerung des technischen Universalismus der Kybernetik heraushören.57 Obwohl die mechanische Auslegung organischer und mentaler Vorgänge philosophiegeschichtlich keineswegs neu ist, war das menschliche Selbstbild als biologisch-neuronaler Komplex einerseits und körperlos-vernetztes Bewusstsein andererseits noch nie so omnipräsent und populär wie heute. Dabei liegt die Entkörperlichung schon Turings Entwurf der universellen Rechenmaschine zugrunde, die jenseits physischer Bindungen nur über logisch-sprachliche Zeichen kommuniziert.58 Die Überwindung des natürlichen Körpers und sein Ersatz durch den Computer, was schon in Wieners Theorie vom ‚telegraphierbaren‘ Menschen aus den frühen 1950er Jahren anklingt, spitzt sich zu in Hans Moravecs Idee 55 Zur wissenschaftsphilosophischen und bioethischen Diskussion siehe Weiß, Martin G. (Hg.): Bios und Zoë. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/Main 2009; Fukuyama, Francis: Our Posthuman Future. Consequences of the Biotechnology Revolution, London 2002. 56 Vgl. Rötzer 19961; ders. (Hg.): Die Zukunft des Körpers II, Kunstforum International, Bd. 133, Feb.-April 1996. Hier wird der Einfluss neuer Technologien und wissenschaftlicher Forschung auf Körper und Körperbild durch diverse anthropologische Fragestellungen und künstlerische Ansätze diskutiert. Vgl. ders.: Einführung, in: ders. 19961, S. 55-70. 57 Vgl. Kelly, Kevin: The Computational Metaphor, in: Whole Earth, Nr. 95, Winter 1998, S. 5, wo die Computermetapher als „new universal metaphor“ bezeichnet wird, die ausgehend von der Sprache eine „unseen revolution“ im allgemeinen Denken bewirke. Vgl. Rötzer 19961, S. 63-64. 58 So impliziert der Turing-Test zur Unterscheidung menschlicher und maschineller Intelligenz durch sprachliche Kommunikation eine Entkopplung des repräsentierten (kommunizierten) Körpers vom natürlichen (handelnden) Körper, vgl. hierzu Hayles 1999, Prolog S. XI-XIV.

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einer Übertragung des menschlichen Bewusstseins auf den Computer, indem die gesamte biologische Information des Gehirns in Datenform eingelesen und in die Maschine hochgeladen werden soll. Was nach Science Fiction klingt, ist gleichzeitig die radikale kybernetische Fortsetzung des aufklärerisch-humanistischen Geist-KörperDualismus im freien Subjekt, welches über einen Körper als Werkzeug verfügen kann, ohne dieser Körper zu sein.59 Dagegen entwerfen neuere Theorien der Verkörperung (Embodiment) in der Philosophie und Kognitionswissenschaft das Bild des komplexen holistischen Gefüges, wo Körper und Bewusstsein in Überwindung des schematischen Dualismus als abhängig voneinander begriffen werden.60 Doch auch eine materiell verankerte Auslegung von Wahrnehmung und Denken lässt sich in das Konzept virtueller Körper-Surrogate oder intelligenter künstlicher Subjekte integrieren, was in einer Dialektik des überwundenen und technologisch wiedererschaffenen Körpers mündet, der mit dem Bewusstsein verschmilzt. Die diskursive Verschränkung von Mensch und Maschine zeigt sich nicht zuletzt daran, wie die Entwicklungen der Hirnforschung und künstlichen Intelligenz Hand in Hand verlaufen. Die international vorangetriebenen Forschungsprojekte auf diesen Gebieten bezeugen einen beschleunigten Trend: Hierfür stehen die zahlreichen Projekte auf dem Feld des Deep Learning, die Innovationen aus den Laboren von GoogleX (begleitet von besorgten bis euphorischen Diskussionen um den Singularity-Moment und die Superintelligenz von Computern) sowie die ambitionierten Forschungskooperationen zum Nachbau des menschlichen Gehirns im europäischen Human Brain Project sowie zu neuen Visualisierungstechnologien für Hirnaktivitäten in der amerikanischen BRAIN Initiative.61 59 Vgl. Wiener 1954, S. 103-104; Moravec, Hans: Mind Children. The Future of Robot and Human Intelligence, Cambridge/Massachusetts 1988, S. 109-110; vgl. hierzu Hayles 1999, S. 1. Derlei Ideen wurden im Science Fiction realisiert, wie das Moravec-Szenario im Film Transcencence (2014). Hayles äußert sich kritisch zum körperlosen Subjektbegriff in posthumanistischen Utopien, wo der Körper nur als manipulierbare Prothese statt der Bedingung der menschlichen Welteinbindung („ground of being“) gilt, vgl. ebd., S. 2-5. 60 Vgl. hierzu Varela, Francisco u. a.: The Embodied Mind. Cognitive Science and Human Experience, Cambridge/Massachusetts 1991; Gallagher, Shaun: How the Body Shapes the Mind, New York 2005; Fingerhut, Joerg u. a. (Hg.): Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte, Berlin 2013. 61 Zur Forschungsplattform HBP der EU vgl. www.humanbrainproject.eu; weitere Schwerpunktprojekte zur Hirnforschung laufen etwa in Israel, Japan und China. Die BRAIN (Brain Research through Advancing Innovative Neurotechnologies) Initiative ist ein unter der Präsidentschaft von Barack Obama gestartetes Forschungsprojekt zur Darstellung des menschlichen Gehirns: „By accelerating the development and application of innovative technologies, researchers will be able to produce a revolutionary new dynamic picture of the brain that, for the first time, shows how individual cells and complex neural circuits interact in both time and space.“ Vgl. www.braininitiative.nih.gov/index.htm. Das 2014 von Google übernommene DeepMind mit einem Schwerpunkt in der KI-Forschung zählt zu den wichtigsten Entwicklungslaboren des Konzerns neben GoogleX. Zur Debatte um superintelligente Computer zwischen distopischen Zukunftsvisionen und Technikoptimismus siehe Bostrom, Nick: Superintelligenz. Szenarien einer kommenden Revolution, Berlin 2014. Als frühe Mahnung zum kritischen Umgang mit Computerintelligenz siehe Weizen-

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Das Menschenbild im Computerzeitalter ist gekennzeichnet von einem höchst widersprüchlichen Verhältnis zum Körper: Einerseits soll die kognitive Intelligenz in entmaterialisierte Daten überführt und durch die Überwindung der fehlerhaften biologischen Hülle im klassischen Sinne ‚vergeistigt‘ werden – andererseits gestaltet die Technologie den biologischen Körper durch gezielte Eingriffe in seine „Meatware“62 oder erschafft künstliche Körpererweiterungen durch Prothesen, die ihn real oder in virtuellen Realitäten optimieren sollen. Ob die neurotechnologische Körperfeindlichkeit oder der Körperkult der Prothetik, Robotik und virtuellen Realität – beide Seiten implizieren eine technische Hybridisierung des Körpers durch Software (Daten und Funktionen) oder Hardware (Materialien und Maschinen), die den Menschen als Extensionen seiner kontingenten Existenz sublimieren sollen. Das futuristische Ziel liegt sowohl in der physischen und ökonomischen Leistungssteigerung als auch in der Befreiung von seiner natürlichen Begrenzung und Gebrechlichkeit.63 Während das Bild des Körpers neue abstraktere Repräsentationsformen durch digitale Pixelstrukturen, ungegenständliche Visualisierungen oder glatte, standardisierte Figuren erhält, verändern die informativen Begriffe wie Daten, Netzwerk und DNA das Wissen von ihm, wonach sich aus dem Programm des Körpers seine materielle Form nachvollziehen oder gar generieren lässt.64 Die Durchlässigkeit des körperlichen Innen und Außen, seiner potenziellen und realen Form, seiner virtuellen und physischen Materialität leitet sich hierbei aus dem technologischen Paradigma von Information und Kodierung ab. So lässt sich mit Belting einwenden, dass die Referenzialität zwischen Körper und Bild im System der virtuellen Körperbilder geleugnet wird, wodurch die Repräsentation des im Bild verkörperten Subjekts und das darin implizierte Menschenbild abhanden kommen – infolgedessen droht die Differenz zwischen Bild und Körper aufgehoben zu werden und beides als technisch gestaltbares Material zusammenzufallen: Wie die Bilder zu Körpern werden, werden demnach Körper zu Bildern.65 Doch während die technischen Körperbilder den Menschen im Zuge der standardisierten ‚Perfektionierung‘ zu entindividualisieren scheinen, gibt es umgekehrt die totale technisch erfasste Individualität, etwa in Bereichen der Medizin (z. B. in der Gen-Analyse), der Personenüberwachung oder der Dienstleistungen (z. B. durch Customizing). Während die utopischen Konzepte der Technokultur nach 1950 immer komplexer und realer werden – wenn sie sich nicht schon erfüllt haben – verschärft sich auch zunehmend die kritische Frage des Kontrollverlusts und Konfliktpotenzials zwischen Mensch und Technologie, was sich besonders an der Körperdebatte entzündet.

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baum, Joseph: Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation, San Francisco 1976. „Meatware“ meint den Körper als gestaltbares „Fleisch-Material“, vgl. Rötzer, Florian: Der virtuelle Körper, in: ders. 19962, S. 54-55. Vgl. Rötzer 19961, S. 70. Zum Körperbegriff in virtuellen Welten vgl. Lüdeking, Karlheinz: Das Vergnügen des Körpers, in: Rötzer 19962, S. 56-66. Vgl. Beltings PosthumanismusKritik bei Verlust der Bild-Körper-Referenz in: ders. 20052, S. 318-323; ders. 2001, S. 91-93. Belting sieht im Gen-Code einen der digitalen Virtualisierung des Körpers „analogen Ikonoklasmus“ gegen den physischen Körperbegriff, worin ein doppelter Reduktionismus liege (des Bildes als Information und des Körpers als Gen-Code), vgl. ders. 20052, S. 304-308. Vgl. ebd., S. 321-323.

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3.3.2 DER DIGITALE BLICK IM ANALOGEN MEDIUM Nach Betrachtung der formalen und methodischen Analogien und Differenzen zwischen Close und technisch-analytischen Porträts geht es nun vor dem Hintergrund der 1960er und 1970er Jahre um seinem Bezug zu den eben erwähnten Aspekten dieser Zeit. Daran schließt sich die Frage nach einer Verbindung in Closes Werk zum digitalisieren Menschenbild der Gegenwart an. Im Zuge seiner historischen Einordnung ist Closes Position als antihumanistisch beschrieben worden, und zwar zunächst in Abgrenzung zum humanistischen Subjektbegriff in der Kunst der 1950er Jahre. Abgesehen von der formalisierten Emotionalität des Abstrakten Expressionismus wurde dort von anderer Seite ein pathosgeladenes, konservativ geprägtes Menschenbild durch eine neoakademische Figuration und narrative Fotografie vermittelt, wofür die groß angelegte Ausstellung New Images of Man im New Yorker MoMA und die Wanderausstellung Family of Man berühmte Beispiele waren.66 So wie ein Bruch mit dem humanistischen Menschenbild in den Kunstströmungen der 1960er Jahre zu erkennen ist – allen voran Warhols nonchalante Oberflächenreduktion bei gleichzeitiger Ikonisierung des Individuums – weisen auch Closes Bildsubjekte in der von Big Self-Portrait eingeleiteten Airbrush-Serie eine monumentalisierte Hybris auf, während sie sich im Blow-up als menschliches Gegenüber entziehen.67 Die Mischung aus der Überpräsenz einer derart gesteigerten Repräsentation und ihrer Auflösung in eine abstrakte Bildstruktur wird besonders in Closes Selbstinszenierung als ‚JamesDean-Typ‘ deutlich: Im ikonischen Charakter des Porträts und seiner künstlerischen Geste spiegelt sich ein selbstbewusst-konfrontativer Individualismus seitens des jungen Malers wider („unblinking self-assertiveness“), was Close selbst dem damaligen Einfluss der Jugendbewegung und Counterculture zuschreibt.68 Sein Bestreben, sich als Neuankömmling inmitten der New Yorker Szene der 1960er Jahre künstlerisch abzusetzen war begleitet von einem verbreiteten Interesse an expansiven Formen und provokativen Gesten, mit denen die junge Generation eine antikonventionelle Attitüde demonstrieren wollte. Closes Tendenz zum antihumanistischen Ansatz und seine Kombination aus emotionaler Distanz und formaler Massivität speiste sich einerseits aus dem Lebensgefühl einer ‚coolen‘ intellektuellen Künstlergeneration und andererseits aus der Popkultur, die dem als klischeehaft empfundenen künstlerischen Pathos ihre Nonchalance entgegensetzte. Der Individualismus zeigt sich bei Close zudem am Bildpersonal seiner Porträts, die nicht nur physisch spezifisch wiedergegeben werden, sondern in vielen Fällen allein durch ihr Erscheinungsbild – vom Blick über die subtile Mimik bis zur Kleidung, Frisur, Bartoder Brillenmode – als Typen auftreten, die sich in den Zeitraum der späten 1960er Jahre einordnen lassen. Nicht nur Close inszenierte sein Künstler-Ego im Blow-up, sondern auch die Figuren des Künstlerzirkels, die sich durch den Filter des objektiven

66 Vgl. Selz, Peter: New Images of Man, Ausst.-Kat., New York, MoMA 1959, New York 1959. Halberstam und Livingston führen Family of Man als Beispiel eines dogmatisch-konservativen Humanismus an, gegen den sie einen postmodernen Pluralismus der Körperkonzepte setzen („zoo of posthumanities“), vgl. dies. 1995, S. 3. 67 Vgl. Lippard 1988, S. 98, zu Warhols emotionaler Distanz als Reflexion des Zeitgeistes. 68 Vgl. Close zit. nach Lyons 1987, S. 39; Friedman 2005. S. 91; Finch 20101, S. 41.

322 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

Bildkonzepts der Öffentlichkeit präsentierten und sich mit ihrer Partizipation als Modell indirekt der Attitüde der ‚Indifferenz‘ anschlossen. Die sachlich aufgereihten Bildnisse lassen auf eine zwiespältige Haltung gegenüber der technokratischen Ordnung schließen, deren Regime sie scheinbar unterworfen sind. Einerseits wird jede Person in ihrem empirischen So-Sein wiedergegeben und ihre fotografisch erfasste Singularität bis zur Überzeichnung hervorgehoben, andererseits wird sie der rational-formalistischen Bildordnung des Künstlers unterstellt, der das Subjekt auf eine quantifizierbare Oberflächenstruktur reduziert. Die kühne Selbstbehauptung des Individuums in der suggerierten Natürlichkeit der alltäglichen Erscheinung, die Closes Porträts zu heroischer Größe erheben, wird relativiert durch die standardisierte modulare Form der seriellen ‚Köpfe‘, wodurch jeder wie im Falle einer Personenkartei auf gleichgültige Weise erfasst und eingeordnet wird. So kalt und bürokratisch das Passbild-Schema anmutet, lässt sich doch in der Gruppe eine gewisse egalitäre Verbundenheit erkennen, während die Gleichförmigkeit der Bildanlage auf eine Gleichwertigkeit der Bildsubjekte verweist. Auf diese Weise verschränkt sich die technokratische Kühle der Außenform mit einer sozialen Zusammengehörigkeit unter den Mitgliedern der Künstler-Community. Die Arbeit vieler der hier dargestellten Künstlerkollegen, darunter Nancy Graves, Richard Serra und Phil Glass, ist medienübergreifend, technisch-experimentell und von einem systematischen Ansatz geprägt. Besonders die als minimalistisch bezeichnete Musik von Phil Glass reflektiert mit ihrer modular-zyklischen Struktur, die oft mit iterativen Variationen einen Trance-Zustand evoziert, eine technische Mechanik und Intentionslosigkeit, worin zugleich Einflüsse fremder Kulturen vor allem aus Fernost und Indien verarbeitet sind.69 Wie ein Perpetuum Mobile evolviert die musikalische Form in repetitiven Mustern und entwickelt aus der strategischen ‚Langeweile‘ und hypnotischen Entleerung ihre kreative Bewegung. Glass sieht sich in konzeptueller Nähe zu Sol LeWitt, auch wenn er sich nur bedingt mit dem Minimalismus identifiziert. Close wiederum betont die Parallelen zwischen seiner Malerei und der Musik von Glass, weil für beide die Prozessualität entscheidend sei.70 Auf ähnliche Weise deutet Close nämlich den negativen Begriff von Langeweile und stupider Wiederholung in ein befreiendes und produktives Prinzip auf Basis einer strategischen Intentionslosigkeit um. An der konzeptuellen Verwandtschaft zu Glass’ Arbeit zeigt sich Closes kreative Verbundenheit mit dem zeitgenössischen Umfeld, in dem viele Werke auf dem Gedanken von Prozessualität, Systematik und Objektivität aufgebaut sind und medienübergreifende Berührungspunkte zu Closes Ansatz aufweisen. In seiner Atelierpraxis zeigt sich eine Ambivalenz in der technischen Methodik und Distanzierung. Strikt regelt Close seinen Umgang mit Farbe und Leinwand bzw. 69 Vgl. Strickland, Edward: Minimalism: T (1992), in: Kostelanetz, Richard/Flemming, Robert (Hg.): Writings on Glass. Essays. Interviews. Criticism, New York 1997 S. 113-128. Siehe auch Potter, Keith: Four Musical Minimalists: La Monte Young, Terry Riley, Steve Reich, Philip Glass, Cambridge 2000; Duckworth, William: Talking Musik: John Cage, Philip Glass, Laurie Anderson, and five generations of American experimental composers, New York 1995. 70 Vgl. Close zit. nach Curiger 1997, S. 31. Philip Glass spricht ebenso vom gemeinsamen Interesse am Prozess: „The process of making a work became its focus [...] the process allowed for the form and content to become one.“ Glass zit. nach Friedman 2005, S. 40.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 323

Papier, taktet die Arbeitszeiten rhythmisch und folgt der abgemessenen Rasterstruktur auf dem Arbeitsplan der Maquette – all das spricht für eine rationalisierte Organisation und Effizienz. Damit schafft er nicht nur eine emotionale Distanz zum Modell, das nur zur Fotosession anwesend ist und im nachfolgenden Arbeitsprozess aus dem Atelier verbannt wird, sondern auch zum Porträt selbst, das in permanenter Nahansicht für Close zu einem bloßen Arbeitsfeld wird und dessen Motiv er im langsamen, partikularen Herstellungsprozess buchstäblich aus dem Blick verliert. Andererseits aber hebelt die manische Sorgfalt und monatelange eintönige Beschäftigung den technokratischen Gedanken der optimierten Effizienz aus, da der ‚sinnlose‘ Aufwand der Kunst jeder modernen Arbeitsökonomie zuwiderlaufen muss. Close führt damit seine straffe Arbeitsorganisation mit dem geregelten Stundenpensum ad absurdum, wo das Produktionsergebnis im Verhältnis zum Zeitaufwand so gering ausfällt. Seine Unterwanderung des Leistungsbegriffs wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass Close die ineffiziente Handarbeit der instantanen fotografischen Bildproduktion entgegensetzt, während das intendierte Ergebnis bereits in der Foto-Maquette vorliegt. Die vergrößerte manuelle Re-Produktion mutet an wie ein aberwitziger Wettstreit zwischen Mensch und Technik, die der Mensch offenbar nur gewinnen kann, wenn er sich mit rationaler Selbstkontrolle die technische Methode zu Eigen macht. Closes Verhältnis zur Technologie zeigte sich in den 1970er Jahren als mehrdeutige Mischung aus Distanz und Anziehung. Seine frühe Entwicklung in den 1960er Jahren fand in einem stilistisch heterogenen Umfeld statt, wo neben dem Einfluss der Pop Art vor allem die Ideen aus der Kybernetik in technisch-experimentellen Ansätzen präsent waren. Dies galt nicht nur für die bereits erwähnten transmedialen Praktiken, sondern fand außerdem Anklang in Robert Smithsons Entropie-Begriff, der modularen Systematik der Minimal Art, der mathematischen Logik von Sol LeWitt und den präzise berechneten, virtuell-imaginativen Bildflächen Agnes Martins.71 Die interdisziplinären, performativen und technisch konzipierten Werke von Rauschenberg und Cage oder das mit Closes Porträts zeitgleich beginnende Frühwerk von Phil Glass, worin sich strenge Strukturen und Redundanz mit intuitiven Details vereinten, waren Close selbstverständlich bekannt. In seinen Äußerungen erwähnt er jedoch kein persönliches Interesse an der Technologie dieser Zeit und betont stattdessen seine Fremdheit ihr gegenüber. Bezeichnend hierfür ist eine Anekdote, die davon handelt, wie er zufällig im November 1973 einem Computerbild aus dem Scientific American begegnete: In seiner dritten Einzelausstellung bei der Bykert Gallery sollte Close erstmals seine gerasterten Punktarbeiten (dot drawings) präsentieren, an denen er gut drei Jahre gearbeitet hatte und zu denen Keith/Three Drawing Set und Robert/104.072 gehörten, ebenso wie Bob I-IV, eine nach demselben Prinzip wie Robert I-IV hergestellte vierteilige Serie auf Papier.72 Im selben Monat erschien auf dem Cover der Wissenschaftszeitschrift ein niedrig aufgelöstes Porträt von George Washington nach der Malerei von Gilbert Stuart (Abb. 125). Es gehörte zu einem Artikel des Biomedizintechnikers Leon D. Harmon zum Thema Gesichtserkennung, wo es um die Frage ging, welches Mindestmaß an Information nötig sei, um ein Gesicht auf dem Bildschirm identifizierbar

71 Zum mathematischen Aspekt bei LeWitt vgl. Kuspit 1975. 72 Vgl. Storr 1998, S. 47.

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zu machen.73 Auf dem Weg zu seiner Eröffnung lief Close zufällig an einem Zeitschriftenstand vorbei und wurde überrascht vom technischen ‚Doppelgänger‘ seiner Bildidee. Später schildert er den Schock angesichts der unerwarteten Parallele zur neuesten Bildtechnologie, von der er völlig überrascht gewesen sei: „I was nearly knocked off my feet! I thought, ‚Oh, my God, nobody’s going to believe that I made those dot pieces without knowing that this technology existed, or in fact that I didn’t use some of it to make my pictures.‘ I bought the magazine and took it to the gallery, reading it and poring over the illustrations.“74 An anderer Stelle fügt er scherzhaft hinzu, um seine selbstständige Erfindung zu unterstreichen: „And it was very primitive then, the images were very coarse. And, I’m pre-pixel. They got it from me.“75 Tatsächlich erkennt Close die Analogie zwischen seiner künstlerischen und der maschinellen Bildverarbeitung an, die zwar nicht auf direkter Imitation beruht, aber von einem vergleichbar analytischen Ansatz gegenüber dem zweidimensionalen Bildmaterial zeugt. Es müsse folglich eine Verbindung bestehen zwischen „the kind of averaging of information that the computer did and the way that I digest information and make marks in grid squares to represent it“, so Close.76 Seine Reaktion auf das Computerbild spricht sowohl für einen intuitiven Zugang zur technischen Bildordnung – im Sinne einer visuellen Vertrautheit, die sich erschließt, ohne den wissenschaftlichen Hintergrund der Bilder zu kennen – als auch für eine nachdrückliche Distanzierung in inhaltlicher, formaler und materieller Hinsicht: „I quickly realized I wasn’t interested in having the machine do the work for me, or in having any kind of artificial layer between the image and me.“77 Harmons Publikation von Gesichtsbildern aus Proto-Pixeln und Closes erste Ausstellung gerasterter Porträts aus Punktelementen fielen also zeitlich zusammen. Die Parallelen in ihrer Bildlogik erscheinen bestechend: Closes dot drawings und seine im Anschluss entstandenen Kästchenarbeiten auf Papier weisen Ähnlichkeiten zu den kybernetischen Prinzipien der technischen Bildverarbeitung auf, die der Digitalisierung von analogen visuellen Informationen zugrunde liegen. Indem er ein Raster anlegt, partialisiert Close das Ausgangsbild zu gleichmäßigen Bestandteilen, wobei Modulgröße und Menge verschiebbar sind und ein quantitativ modifizierbares Bildfeld erzeugen. Darin erfolgt die Übersetzung und Übertragung nicht-mimetischer 73 Harmon, Leon D.: The Recognition of Faces, Scientific American, Bd. 229/Nr. 5, Nov. 1973, S. 71-82. Das Cover zeigt eine Version des berühmten Athenaeum Portrait (1796) nach lebendem Modell, wonach Stuart viele Porträts geschaffen hatte, darunter das WashingtonBildnis auf der Ein-Dollar-Note. Der Artikel enthält mehrere „block portraits“ mit prominenten Motiven, u. a. Abraham Lincoln, die mit einem frühen Computer und einem einfachen „flying spot scanner“ hergestellt wurden. Neben der menschlichen Wahrnehmung geht es um automatische Mustererkennung. Obwohl mit Bildpunkten operiert wurde, kommt der Begriff ‚Pixel‘ noch nicht vor. 74 Close zit. nach Friedman 2005, S. 99; vgl. Storr 1998, S. 47-48. 75 Close zit. nach Finch 20102. 76 Close zit. nach Friedman 2005, S. 99. 77 Ebd.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 325

Bildzeichen, deren semantische Rolle ihnen erst durch ihre Position im Gesamtgefüge zukommt. Erst in diesem Gefüge wird die gegenständliche Information (das Porträtmotiv) generiert, während ihre Invarianz formale Abweichungen und damit eine Variationsbreite für Abstraktionen zulässt, die Close ausgiebig erprobt. Die flexible Bildmatrix von Robert I-IV, die homogenen Bildpunkte in Robert/104.072 oder die quadratischen Farbwerte von Mark Watercolor/Unfinished (Abb. 83), mit denen die kontinuierliche Struktur der analogen Foto-Maquette in distinkte Informationswerte umgewandelt wird, findet sich ebenso in Harmons komputierten Bildfeldern wieder. Unter den technischen Bildkreationen von Harmon lässt sich eine noch frühere Parallele zu Closes Arbeit entdecken: 1966 erstellte dieser mit dem Computerkünstler Kenneth C. Knowlton (geb. 1931) ein schwarzweißes sogenanntes ‚Fotomosaik‘ mit dem Titel Studies in Perception I, das einen liegenden Frauenakt zeigt (Abb. 128 a) und erstmals im Oktober 1967 in der New York Times abgedruckt wurde, im Rahmen eines Berichts über die „working alliance“ zwischen Kunst und Technologie im Studio von Rauschenberg und Klüver.78 Das mehr als drei Meter lange Großformat zeigt einen überlebensgroßen schematisch aufgelösten Frauenkörper und basiert auf einer analogen Fotografie. Diese wurde mit einem Scanner abgetastet und auf Magnetband gespeichert, wobei die elektrischen Impulse in binäre Zahlen umgerechnet und die verschiedenen Helligkeitswerte in die Ziffern 1 bis 7 übersetzt wurden. Diesen wurden jeweils elektronische Bildzeichen zugeordnet, deren Verteilung nach dem Halbtonprinzip im gedruckten Ergebnis die Figur ergaben (Abb. 128 b).79 Das so erzeugte schwarzweiße Geflecht aus Strichen, Punkten und Dreiecksformationen, in denen teils mathematische Rechenzeichen erkennbar sind, löst sich aus der Nähe in ein abstraktes Muster auf, während beim Zurücktreten die Figur erscheint. Das auch mit Nude betitelte Computerbild wurde neben acht weiteren Gemeinschaftswerken zwischen Künstlern und Technikern zusammen mit ‚rein‘ künstlerischen Arbeiten in der MoMA-Ausstellung The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age von 1968-69 gezeigt, wo überdies noch Automobile und Kameras präsentiert wurden.80 Nude entstand also fast zur selben Zeit wie Big Nude, das Close 1967 kurz nach seinem Umzug nach New York malte – die Bildidee stammte jedoch aus seiner Zeit an der University of Massachusetts. Obwohl Closes Konzept des gemalten fotografischen Blow-ups auf andere Quellen zurückgeht, ist die zeitliche und motivische Überschneidung bemerkenswert. Es ist anzunehmen, dass Close diese interdisziplinäre Großausstellung im MoMA – wie die Projekte von E.A.T. – gesehen hat oder zumindest davon wusste, da er das Geschehen in der New Yorker Kunstsze78 Lieberman, Henry R.: Art and Science Proclaim Alliance in Avant-Garde Loft, in: The New York Times, 11.10.1967, S. 49. Darin wird von einer Happening-ähnlichen Ausstellung der E.A.T.-Künstler im Studioloft in der Lafayette Street berichtet, ein Jahr nach den Nine Evenings. Laut Klüver war es das erste Mal, dass die New York Times ein Nacktfoto gedruckt habe, das aber als „in-your-face Art“ kaum pornografisch genannt werden könne, vgl. Knowlton, Ken: Portrait of the Artist as a Young Scientist, in: YLEM Journal, Bd. 25/Nr. 2, 2005, www.kenknowlton.com/pages/04portrait.htm. 79 Vgl. Lieberman 1967. 80 Vgl. Hultén 1968; The Museum of Modern Art, Press Release No. 123, Nov. 1968. Knowlton zufolge sollte das Fotomosaik idealerweise aus 1,5-2,4 m (5-8 Fuß) Entfernung betrachtet werden, vgl. ders. 2005.

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ne schon seit Beginn aufmerksam mitverfolgte und mit Rauschenbergs Arbeit wohlvertraut war. Harmon und Knowlton, die ihr Projekt wie Klüver in den Bell Labs entwickelt haben, das in den 1960er Jahren für technologische Pionierarbeit und die enge Kooperation zwischen Computerwissenschaftlern und Künstlern bekannt war, stellten in ihren spielerischen Fotomosaiken eine Frühform der Computergrafik her, bei der analoges Bildmaterial digitalisiert wurde. Zeitgleich wurde am MIT an der Entwicklung von Computergrafik-Softwares gearbeitet, wo unter anderem Tom Stockham in den Lincoln Labs ein Proto-Digitalisierungsverfahren für Fotovorlagen erfand, bei dem das Bild in homogene Elemente aufgeteilt und jedem Element ein Zahlenwert, gebunden an einen Grauton, zugeordnet wurde – eine Vorform der Pixel. Eine Bildbearbeitung fand dabei zusätzlich statt, indem die Eigenschaften der digitalisierten Version (wie etwa Kontrastwerte) verstellt wurden.81 Die computerwissenschaftliche Forschung vollzog sich zu dieser Zeit in einem Expertenkreis, der einem Künstler wie Close kaum zugänglich gewesen sein konnte, und doch haben Computertechnologien und ihre Bildkreationen über künstlerische Kooperationen wie die von Harmon und Knowlton ihren Weg in breit rezipierte Medien und Ausstellungen gefunden, wo sie ein fachfremdes Publikum erreichten. Dass frühe Computergrafiken gerade klassische Themen wie Akt, Porträt und Stillleben zeigten oder berühmte Gemälde zitierten, war ein paradoxer Rückgriff auf traditionelle Bildbegriffe und Motive, die sich die Zukunftstechnologie offenbar aneignen wollte. Die vertraute Thematik steigerte die Akzeptanz beim Betrachter und erleichterte ihm den Zugang zu einer (noch nicht recht begriffenen) Technologie. Dabei machte vor allem die demonstrative ‚Überschreibung‘ der analogen Fotografie und Malerei durch Computergrafik den Bruch zwischen altem und neuem Medium eklatant deutlich. Betrachtet man Closes Werke neben explizit computertechnischen Bildern wie den spielerischen Fotomosaiken von Knowlton, so treten die Berührungspunkte in seinen technischen Bildprinzipien umso stärker zutage.82 Wie Closes Big Nude ist der Computerdruck Nude ein überlebensgroßes Format, auch wenn es beträchtlich kleiner ist als die über sechs Meter breite Leinwand. Beiden sind aber die multiplen Betrachtungsebenen gemeinsam, die in der Nah- und Fernsicht die abstrakte und gegenständliche Doppelexistenz des Bildes begründen. Beiden geht es um eine Trans81 Vgl. Carlson, Wayne: A Critical History of Computer Graphics and Animation, 2003, Ohio State University, http://design.osu.edu/carlson/history/lessons.html. Steven A. Coons publizierte 1967 am MIT einen wichtigen Beitrag zum geometrischen Oberflächendesign mit interaktiver Computergrafik. Zu den Anfängen der Computer Art mit Pionieren wie Ken Knowlton und Charles Csuri bis zu den „Algorists“ (die mit algorithmisch hergestellten Formen arbeiteten) wie Ken Musgrave und Helamon Ferguson siehe Wilson, Stephen: Information Arts. Intersections of Art, Science, and Technology, Cambridge/Massachusetts 2002. Hier wird eine umfassende Klassifizierung der künstlerischen Auseinandersetzungen mit Computern und elektronischen Medien versucht, was einen allgemeinen Überblick über ihr breites Spektrum bietet. 82 Kowlton hat seit den 1960er Jahren eine Fülle von algorithmisch hergestellten Bildformen entwickelt, die von den frühen Fotomosaiken aus Zeichen und Bildern bis zu populären digitalen Puzzlespielen wie Jigazo (Japanisch für „Selbstporträt“) reichen, vgl. Künstlerwebsite www.kenknowlton.com.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 327

formation des Bildbegriffs in eine mechanisch hergestellte Allover-Oberfläche, was am klassischen Motiv des liegenden Frauenakts gezeigt werden soll, prinzipiell aber für jedes beliebige Motiv gelten kann. Close bemüht sich in seinem ersten fotomimetischen Bild allerdings noch um die 1:1-Übertragung der Schwarzweißfotografie, während Studies in Perception I ein Wahrnehmungsexperiment aus semiotisch polyvalenten Bildelementen kreiert. Die variabel komputierte Oberfläche entspricht vielmehr Closes Papierarbeiten und Drucken aus den 1970er Jahren: An der Detailstruktur von Keith/Six Drawing Series (Abb. 96 a-f) oder am Schraffurmuster von Self-Portrait (Abb. 90 a-b) und Phil/ Rubberstamp (Abb. 91 a-b), wo stetig kippende Negativ-Positiv-Formen im grafischen Geschwirr erscheinen, wird die Ähnlichkeit in der abstrakten Bildkodierung durch eine begrenzte Palette zeichenhafter Komponenten sichtbar. In Closes späteren Ölbildern tritt die strukturelle Gemeinsamkeit noch deutlicher zutage (Abb. 38, Abb. 129 a), weil das Großformat die Auflösung des Bildgegenstands in abstrakte Bausteine wie Kringel, Kreuze und Rauten zum zentralen Merkmal des Porträts erhebt. Die monochrome Malerei Janet von 1992 weist eine vergleichbar synthetische Anhäufung redundanter Symbole auf (Abb. 129 b), die als separate Zeichen gelten könnten, im Bild aber zu Mosaikbausteinen einer abstrahierten Figuration werden. Die Detailstruktur, die trotz ihrer bewegten, freihändig gemalten Formen dem kristallinen Raster folgt, lässt mit den unregelmäßigen und überraschenden Wechselwirkungen der Elementarzeichen an die schwarzweißen Bildsymbole des digitalen Drucks von Studies in Perception I denken. In beiden Fällen sind sie semiotisch offen, formal variabel und umkehrbar, doch im Unterschied zu Knowltons berechneten Bildcodes ist Closes Gestaltung für jedes Rasterfeld intuitiv und ergibt sich aus dem Kontext der Maquette sowie der bestehenden Untermalung auf der Leinwand. Anders als das formale Bildvokabular der früheren Schraffur- und Kästchenarbeiten beruht die Struktur der Ölmalereien auf einer schrittweise vollzogenen tonalen ‚Adjustierung‘ und Verdichtung der malerischen Elemente, was sich gut an Closes Arbeitsprozess beobachten lässt (Abb. 134). Obgleich Closes Bilder motivisch Porträts darstellen, sind sie strukturell gesehen Informationskonglomerate, in denen das diskrete grafische Zeichen entleert und zum Mosaikbaustein umfunktioniert wird. Es geht nicht mehr um den dargestellten Körper, sondern um seine visuelle Paraphrase als manipulierbare Information. Das Motiv dient der Exemplifizierung des technischen Bildverfahrens, weshalb dieselbe Vorlage bei Close wie auch in der Computergrafik auf beliebig viele Weisen durchgespielt werden kann. Parallel zum Realitätsbegriff des Computers wird mit der Umstellung einzelner Parameter jedes Mal eine neue Bildrealität in einem „operationalen Zusammenhang“ generiert, wobei alle Bildversionen gleichwertig nebeneinander bestehen können, da sich ihre Referenz zum realen Objekt nur auf die Ebene der FotoMaquette als des gemeinsamen Ausgangsmaterials beschränkt.83 Anders als die Computerkünstler verlässt Close nie den Bereich des Gegenständlichen, um mit rein abstrakten Strukturen wie ornamentalen Mustern zu arbeiten – stattdessen beharrt er

83 Zum entkoppelten Realität-Abbild-Verhältnis des Computers vgl. Bolz 1994, S. 10. Zu Beltings Kritik am technischen (Körper-)Bild, das als visuelle Information und manipulierbares epistemisches Objekt begriffen wird, vgl. ders. 20052, S. 307-308.

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auf der Rückbindung an das fotografische Ausgangsbild und seinen faktischen Realitätsbezug. Anhand der wiederverwendeten Maquetten wird die Variationsbreite in Closes Umwandlungen deutlich, da erst dasselbe Porträt als ikonische Konstante den Vergleich zwischen seinen unterschiedlichen Konfigurationen zulässt. Dem logischen Grundgerüst der Rasterstruktur folgend, entfaltet sich so das Spektrum der Bildzeichen mit all ihren ästhetischen und materiellen Spielarten, was sich an den Variationen von Phil verfolgen lässt (Abb. 64, Abb. 91-93). Wie in der bereits erläuterten digitalen Bildmatrix macht Closes technische Definition des Allover-Feldes die Leinwand oder das Papier zu einem universellen Bildgrund, wodurch alle Arbeiten als Teil eines Systems kommensurabel werden. Dabei liegt ihr Unterschied wesentlich in der verfahrenstechnischen und formalen Differenz – schon ein modifizierter Parameter wie Bildformat, Farbigkeit, Rasterdichte, Zeichengröße und Zeichenmenge kann die Gesamterscheinung wesentlich verändern, was vergleichbar wäre mit einer algorithmisch programmierten Transformation, die einen Modifikationsfilter auf das Bild anwendet und damit sogleich in eine neue Visualität überführt. Das Bildschirmprinzip wird besonders in der dominanten Rasterstruktur der Punkt- und Kästchenarbeiten deutlich. Bei der Arbeit tastet Close die mathematisch unterteilte ‚virtuelle‘ Fläche Zeile für Zeile ab und vollzieht dabei malend und zeichnend einen Kodierungsprozess von der kontinuierlichen Form im Rasterquadrat der Maquette zur abstrahierten, diskreten Form im Rasterquadrat des Bildes. Darin findet sich sowohl eine Analogie zur Anzeigefunktion digitaler Medien als auch ein Kontrast zur ganzheitlich instantanen Bildgenese der analogen Fotografie. In einer bildlichen Entsprechung zum Digitalisierungsprinzip stellt Close isolierte Bildpunkte her, die ein synthetisches, wiederholt modifizierbares Ganzes ergeben. Der so aufgebaute Bildgegenstand schlägt in ein abstraktes Flirren um, sobald der Betrachter durch Herantreten einen physischen ‚Zoom‘ auslöst. Closes Gedanke der gleichwertigen Elemente, aus denen ein Gegenstand konfiguriert wird, reflektiert indirekt das Verhältnis von technisch produziertem Bild und ‚Bildsignalen‘, das zu einem vexierhaften Kippen zwischen Motiv und Mikrozeichen führt, was bei analogen Halbtondrucken ebenso wie elektronischen TV-Bildschirmen und digitalen Computeranzeigen zu beobachten ist. Das in unterschiedlicher Weise auftretende Rauschen (noise) führt ebenso wie die Vorstellung von Information, Modul und System auf eine kybernetische Begrifflichkeit zurück, die sich in Closes Arbeitsansatz wiederfindet.84 Es fällt auf, wie technische Medien Closes Werk auch praktisch begleiten: So arbeitet er im Atelier noch bis heute bei eingeschaltetem Fernsehgerät, wobei der Bildschirm schräg neben der Leinwand platziert ist, so dass er ohne hinzusehen die Sendung als Hintergrundgeräusch laufen lassen kann (Abb. 75).85 Das im Arbeitsprozess von Mark sichtbare Nebeneinander von Foto-Maquetten (der fotografische Abzug 84 Vgl. Asendorf 2008; zum Vergleich von Closes Bildern mit Fernsehbildschirmen vor dem Wandel vom Schwarzweiß- zum Farbbild vgl. Dyckes 1974, S. 160-162. 85 Closes eigener Erklärung folgend, beschreibt Lyons das Fernsehgerät als beruhigende Begleitung und Konzentrationshilfe bei seiner Arbeit: „Listening to (not watching) television helps him maintain that subtle degree of detachment he needs from the tedious activity of building an image, part by part, with machine-like precision.“ Vgl. dies. 1980, S. 42. Zur aktuellen Präsenz des TV-Geräts im Studio vgl. Hylton 2016.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 329

mit den CMY-Farbseparationen aus dem Labor), großformatiger Malerei auf Leinwand und kleinem Schwarzweißfernseher ist bezeichnend für den technischen Bildbegriff, der sich in dieser Studioszene an den miteinander verknüpften Medien manifestiert. Ferner experimentierte Close für seine großen Foto-Arbeiten mit der neuesten Technik von Polaroid wie der MIT-Kamera oder der begehbaren Museumskamera in Boston, deren Verwendung er selbst beim Unternehmen angefragt hatte.86 Sein Interesse an neuesten Foto- und Druckverfahren wie an alten, als ausgestorben geltenden Techniken wie der Daguerreotypie oder dem Mezzotinto spricht für eine zeitunabhängige, offene Methodik, die technische Mittel einsetzt, um visuelle Ebenen zu erschließen und die jeweils in Format, Schärfe und Detailtreue gewünschte Bildqualität zu erreichen. Damit setzt sich bei Close der alte wie neue bildtechnische Wunsch fort, das Sehen mit allen verfügbaren Mitteln zu erweitern. In dem Maße, wie diese Mittel in seine Bildproduktion integriert werden und die Visualität seiner Werke bedingen, muss das technisierte Sehen zugleich als Methode und Motiv seiner Kunst begriffen werden. Während Closes Bilder durch ihre technischen Regeln als operationaler Zusammenhang erscheinen, ist auch seine Arbeitsweise mit der Rolle eines Rechners und Operators wie der futuristischen Mensch-Maschine vergleichbar. Obgleich er keiner anthropologischen Zukunftsvision im Sinne der Counterculture des Whole-EarthNetworks anhängt, speist sich sein konzeptuelles Ziel der programmierten Kontrolle über das künstlerische Schaffen doch aus der Möglichkeit einer technischen Transformation des menschlichen Bewusstseins und Handelns. Wenn er statt eines ganzheitlichen, sich organisch entfaltenden Schöpfungsprozesses eine durch Partialisierung, Regelwerk und Kontrolle determinierte Arbeitsmethode setzt und seine Bilder aus einer Abfolge verketteter Mikroentscheidungen herstellt, wo jedes Rasterquadrat oder Bildsegment eine gestalterische Einzelantwort oder -lösung verlangt, dann lässt sich darin eine Analogie zum Operationsprinzip des Computers herstellen. Für die gesamte Computerwissenschaft gelte eine „analytische Methodologie“, wie Simon Penny in Anlehnung an Phoebe Sengers Ausführungen zur KI schreibt: Dort werde das Bewusstsein reduktiv aufgefasst – als entkörpert, rational und repräsentierend – wonach das Verhalten eines Agenten in kleine Bereiche aufgeteilt und mittels Regelung durch einzelne „kohärente Entscheidungsmechanismen“ zu einem Ganzen zusammengesetzt sei. 87 Dieses Bewusstseinsmodell wendet Close insofern auf seine praktische Vorgehensweise an, als er sein bildliches ‚Handlungsfeld‘ mittels Rasterung partialisiert und seine gestalterischen Mittel als technische Handlungsoptionen isoliert betrachtet, die im Zuge von prozessualen Entscheidungen und Problemlösungen kombinierbar sind. Nach dieser technischen Beschreibung würde das Bildresultat bei ihm erst aus einer solchen Sukzession von Teillösungen generiert. Betrachtet man Closes Werke als technische Bilder, so findet man in ihnen die beiden Arten reflektiert, zwischen denen Flusser unterscheidet: das Abbild und das 86 Vgl. Finch 20101, S. 143. 87 Vgl. Penny, Simon: Körperwissen, digitale Prothesen und kognitive Diversität, in: Rötzer 19961, S. 151-157, hier S. 152, mit Verweis auf Sengers, Phoebe: Fabricated Subjects: Reification, Schizophrenia, and Artificial Intelligence, Virtual Futures Conference, Großbritannien, Mai 1995.

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Modell.88 Die Fotovorlage bietet als dokumentarische Aufzeichnung ein (analoges) Abbild der Realität mit einer apparativ hergestellten indexikalischen Referenz zum Gegenstand. Die Weiterverarbeitung der Maquette zum synthetischen Bild produziert sodann ‚Modelle‘ – wobei die Maquette selbst auch eines ist – die in ihren jeweiligen konkreten, realisierten Versionen immer noch potenzielle weitere Versionen in sich tragen, wobei sie entweder auf bestehende Bilder rekurrieren oder andere mögliche Synthesen suggerieren. Jede Arbeit von Close repräsentiert als Porträt ein menschliches Individuum, so wie es als Bild eine technische Methode und materielle Strategie darlegt. Der ikonografische Gehalt des Porträts wird vom formalen Programm – als ‚Algorithmus‘ des Bildes – überschrieben und inhaltlich umgedeutet, jedoch nicht aufgehoben. Das Wie der Bildform wird zum Was des Porträts: In Closes Bildformulierungen steht sein technisierter Porträtbegriff in einem Resonanzverhältnis zum transformierten Bick auf das menschliche Individuum. Dieser Blick zeigt sich in seinen bildtechnologischen Repräsentationen, aber auch in der technischen Visualität überhaupt, die den medialen Weltzugang des Menschen in seinen ästhetischen und epistemischen Formen wesentlich bedingt. Damit gleicht Closes künstlerische Praxis einer parallel zur Technologie geführten Diskussion innerhalb eines individuellen Bildsystems, worin die virtuelle Dynamik und entkörperte Abstraktion an eigenen visuellen Übersetzungen exemplifiziert wird. Sein Formalismus gewinnt als eigenständiger Kommentar dadurch eine symbolische Dimension. Um aber Closes Werk als vielschichtige, autonome Reflexion des technischen (Menschen-)Bildes und nicht nur als dessen Illustration zu begreifen, muss seine künstlerische Abgrenzung zur Technologie noch weiter konkretisiert werden.

3.3.3 MALEREI UND KÖRPERLICHKEIT IM DIGITALEN ZEITALTER Die Nähe zur Technologie in Closes Ansatz ist als Spannungsverhältnis zu betrachten. Im Rückblick auf seine erste Begegnung mit einem digitalen Porträt im Jahr 1973 empfand Close dieses zunächst als Konkurrenz für die eigene Bildidee: „The idea that technology had overtaken him, or might be thought to have made his efforts redundant, greatly upset Close.“89 Seither hat er seine künstlerischen Methoden gegen den Verdacht verteidigt, dass sie der Computertechnologie entlehnt sein könnten oder diese direkt anwendeten. Er schien dabei den später populär gewordenen Kurzschluss zur ‚Pixelmalerei‘ schon geahnt zu haben, der von ästhetischen Ähnlichkeiten ausgeht und dabei die bildeigenen Qualitäten nivelliert – so lässt sich sein nachdrücklich geäußertes Desinteresse an der Computertechnik als Versuch verstehen, die Selbstständigkeit seiner Bildverfahren gegen die zunehmende Vielfalt und Leistungsfähigkeit der digitalen Bildverarbeitung zu verteidigen. Die dezidierte Abgrenzung gegenüber einer Bildtechnologie, die im Alltag auch für Close unübersehbar geworden ist, soll verhindern, dass etwa die Mikroabstraktionen in seinen späteren ‚prismatischen‘

88 Vgl. Flusser 1999, S. 47. 89 Ebd.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 331

Rastergemälden als malerische Imitationen niedrig auflösender (und darum wiederum malerischer) Digitalbilder verstanden werden: „Some people wonder whether what I do is inspired by a computer and whether or not that kind of imaging is a part of what makes the work contemporary. I absolutely hate technology, and I’m computer illiterate, and I never use any labor-saving devices although I’m not convinced that a computer is a labor-saving device. I’m very much about slowing things down and making every decision myself. But, there’s no question that life in the twentieth century is about imaging. It is about photography. It is about film. And it is about new digitalized things. There are layers of similarity, I suppose, that have to do with the way computer-generated imagery is made from scanning. I scan the photograph as well, and I break it down into incremental bits, and they can break it down into incremental bits.“90 Die verbreitete Rezeption seines Spätwerks verbindet die Rasterstruktur mit ihrer differenzierbaren Informationsdichte oft reflexhaft mit Pixelgrafiken und ihren verschiebbaren Auflösungswerten, worin sich eine von digitalen Sehgewohnheiten unweigerlich beeinflusste Lesart äußert: Nicht zuletzt wegen der vertrauten Ubiquität niedrigauflösender Digitalbilder und des verbreiteten Wissens um die Funktionen von Grafikprogrammen ist das Auge heute aufgeschlossener und sensibler denn je gegenüber Closes gerasterten Abstraktionen – der scheinbar unmittelbare Zugang zu ihrer Visualität äußert sich in reduktiven Vergleichen bis hin zu populären How-toAnleitungen zum Imitieren seiner ‚Pixelmalerei‘ für Hobbykünstler. Mit der vereinfachten Simulation von Bildeffekten durch Grafikfilter mehren sich die Nachahmer von ‚Close-Effekten‘ insbesondere unter Computerkünstlern, womit ironischerweise die digitale Technik nachträglich die handwerkliche ‚Digitalstruktur‘ einzuholen versucht, die Close anhand bildlogischer Prinzipien entwickelt hat.91 Das Auftreten algorithmisch errechneter Bilderpuzzles etwa bei Ken Knowlton fördert ebenfalls diese oberflächliche Rezeptionsweise, die sich nur durch den eingehenden Blick auf Closes vielfältige wie systematische Werkentwicklung und die Begegnung mit den Originalen widerlegen lässt.92 Wie Richard Shiff schreibt: „Whenever a new representational technology appears, we understand its products by whatever links to earlier imagery can be discerned. Or forged, by an artist’s pictorial invention.“93 Was aus heutiger Sicht wie eine offensichtliche Verbindung erscheint, ist 90 Close zit. nach Campbell-Dollaghan, Kelsey: After Decades Of Pixel Painting, Chuck Close Goes Truly Digital, in: Fast Company, 18.10.2012, www.fastcodesign.com; vgl. auch Backus, Jessica: Beyond the Portrait: The Many Categories of Chuck Close, in: Artsy, 16.09.2013, www.artsy.net/article/jessica-beyond-the-portrait-the-many-categories-of; Friedman 2005, S. 105. 91 So hat beispielsweise der junge Computerkünstler Scott Blake 2001 einen „Chuck-CloseFilter“ programmiert, der Bilder in einen beliebigen Stil von Close durch Rasterung und Transformation der Vorlage übersetzen kann. Seine Website FreeChuckCloseArt.com wurde jedoch geschlossen, nachdem Close ihm 2010 mit einer Klage gedroht haben soll. 92 Knowlton, der mit Computergrafik wie auch materiellen Puzzleteilen arbeitet, sieht sich als „computer graphics pioneer/mosaic portraitist“, vgl. www.knowltonmosaics.com. 93 Shiff 2000, S. 44-46.

332 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

in Wahrheit das Resultat eines langen Suchprozesses für den Maler Chuck Close, bei dem die Einflüsse aus den späten 1960er Jahren auf mehreren Ebenen zusammenlaufen: vom Allover-Bildbegriff der modernistischen Abstraktion über die Strategien der Pop Art und Minimal Art bis zur antihumanistischen Mentalität der Jugendkultur oder dem techno-futuristisch erweiterten Menschenbild der Counterculture – all das in Begleitung von neuen technikaffinen und interdisziplinären Kunstströmungen seiner Zeit. Vor diesem Hintergrund hat Close in den 1970er Jahren die quasi-digitale Struktur aus analogen Zeichenelementen entwickelt, die sich als Bildpunkte im Allover formieren. Da er eine parallele Bildmethode aus grundlegenden technischen Begriffen abgeleitet hat, stellen seine Malereien und Zeichnungen aus dieser Zeit einen Vorgriff auf das ihm noch fremde Computerbild dar. Im formanalytischen Vergleich hat sich gezeigt, dass viele Grundeigenschaften digitaler Bilder ein Pendant in Closes analogen künstlerischen Verfahren finden, so dass eine Technisierung sowohl strategisch (als Methode) wie auch strukturell (als Bildoberfläche) bei ihm vorliegt. Gegenüber einer ästhetisch reduktiven Lesart, die sich auf augenscheinliche Ähnlichkeiten zu ‚Pixelbildern‘ beschränkt, sind die intrinsischen Analogien und formalen Äquivalenzen zu den Bildern der digitalen Medien umso dezidierter zu betonen, da sie bereits in Closes Frühwerk angelegt sind. Auf der anderen Seite hat seine riskante Nähe zu dieser Bildwelt, die Close spätestens 1973 beim unerwarteten ‚Zusammenprall‘ seiner Kunst mit der Wissenschaft bewusst geworden ist, zu einer verstärkten Selbstpositionierung bezüglich seiner Medienwahl geführt. Denn die Konfrontation mit neuen Bildtechnologien steigert den künstlerischen Rechtfertigungsdruck für den Maler, wie auch seine Nähe zum Fotorealismus und zum Porträt ihn zuvor zu einer verschärften konzeptuellen Formulierung angetrieben hatte. So wie die Malerei der Gegenwart eine konzeptuelle Basis braucht, um weiterhin als relevantes Medium gelten zu können, steigert wiederum die konzeptuelle Nähe zur digitalen Bildtechnologie Closes Bewusstsein für die spezifischen Qualitäten der Malerei und seiner anderen künstlerischen Mittel, deren Differenz gegenüber der technischen Bildgenerierung er umso mehr hervorheben muss, je stärker er sich ihr annähert. Die Verbindung zwischen Kunst und Technologie wird heute in fast allen Fällen über die Medienkunst in ihren elektronischen, digitalen und installativen Formen und ihrem performativen, interaktiven sowie kommunikativen Charakter diskutiert. Die Betonung des Transdisziplinären, Experimentellen und Zukünftigen hat seit den Kunst- und Ausstellungsprojekten der 1960er Jahre bis zu den neueren Großausstellungen, wofür die Globale am ZKM in Karlsruhe von 2015-16 als „Kunstereignis im digitalen Zeitalter“ ein gutes Beispiel ist, nicht an Gültigkeit verloren.94 Malerei hingegen scheint – wie bereits in den 1960er und 1970er Jahre behauptet worden war und wie heute nahezu jede ambitionierte ‚zeitgenössische‘ Schau vermittelt – dem Gedanken des informationstechnisch erweiterten Kunstbegriffs und utopischen Menschenbildes (samt seiner sozialen, politischen und kulturellen Existenz) nicht mehr gerecht werden zu können. Die narrative, kommunikative und ästhetische Leistung sowie das Potenzial neuer Medien und Technologien wie auch hybrider Kunstpraktiken lassen offenbar die beschränkten Mittel der traditionellen Medien weit hinter sich. 94 Siehe Hübl, Michael: Globale. Renaissance 2.0: Der Mensch als Möglichkeitswesen, ZKM Karlsruhe, Kunstforum International, Bd. 237, Dez. 2015-Jan. 2016.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 333

Close aber verlässt nicht sein altes Medium, sondern bezieht über den veränderten Einsatz seiner künstlerischen Mittel Stellung zu den Veränderungen seiner Zeit. Seine Umformulierung der Malerei, die einerseits auf der kontrollierten Unterdrückung und andererseits auf der intensiven Steigerung ihres Eigencharakters basiert, spricht für eine außergewöhnliche Offenheit gegenüber der technischen Methodik und Visualität. Doch im Gegensatz zu zahlreichen späteren Künstlern, die sich direkt der digitalen Technologie bedienen, um eine angeblich ‚transformierte‘ Malerei zu erzeugen, was nur allzu oft in einer ästhetischen Hohlform mit technischer Rhetorik mündet – wie die digitalisierte Mona Lisa von Jean-Pierre Yvaral (Abb. 130) exemplarisch zeigt – gehen Closes Arbeiten nicht allein in technischen Bildprinzipien auf. Ein entscheidendes Gegengewicht liegt in im handwerklich-körperlichen Schaffensprozess und der faktisch-opaken Materialität des Bildes, worauf Close weiterhin beharrt. Diese zwei Seiten aus Virtualität und Materialität, digitalem Bild und analogem Medium stehen sich diametral gegenüber und bringen sich als komplementäre Qualitäten gegenseitig hervor – konzeptuell das eine, materiell das andere. Erst durch ihr dialektisches Zusammenwirken wird das Bild bei Close ontologisch und ästhetisch bestimmt. Ausgehend vom stofflichen Material aus Leinwand, Papier und Farbe sowie den formalen Parametern der Malerei, bestehend aus Format, Allover-Oberfläche, Grundierung, Farbauftrag, Farbschichten und Detailzeichnung, kommt Close einem technischen Konzept folgend über einen langen handwerklichen Prozess erst zum Ergebnis. Indem er das Bild aus modularen Elementen wie eine Architektur zusammenbaut, deren Finalform nicht aus dem einzelnen Stein abzuleiten ist, löst er das Sujet mittels Strukturierung auf, was bereits im Grundprinzip von antiken Mosaiken angelegt ist. Das synthetische Bild wird zwar formal im Voraus geplant, aber nur durch genaue Beobachtungen des Auges und zahllose singuläre Entscheidungen und Aktionen der Hand realisiert. Sein Realisierungsprozess ist bei aller Determiniertheit kreativ und von einer ‚minimalen Willkür‘ und materiellen Zufällen durchzogen, weshalb das vergleichende Sehen und manuelle Übersetzen zwischen Maquette und Bild zu jedem Zeitpunkt erforderlich sind. Wo der Computer einem Algorithmus blind folgend das Bild völlig homogen durchrechnen würde, ist die technische Regulation und ihre Übertragung auf das eigene Handeln für Close eine konzeptuelle Maßnahme, die nur annäherungsweise automatisiert und entleert sein kann. Die formalen Regeln seiner Bildverfahren geben den Rahmen vor, worin die wesentliche Arbeit erfolgen soll, nämlich im handwerklichen Malen und Zeichnen und der konkreten Behandlung des Materials durch die Detailarbeit. Aus diesem Grund ist es essentiell für Closes Bilder, technisch determiniert und manuell hergestellt zu werden. Parallel zu ‚digital‘ und ‚analog‘ enthält Closes Arbeitsweise zwei Seiten – das Regelwerk technischer Bildprinzipien, aus denen eine mathematisch-virtuelle Form generiert wird, und die materielle Schwere und Opazität handwerklicher Techniken, deren Einflüsse für ihn von amerikanischen Quilts bis zu römischen und byzantinischen Mosaiken reichen.95 Ihr visuell-materieller Doppelcharakter tritt vor allem in den Arbeiten aus Papiermasse (pulp paper) ab den frühen 1980er Jahren zutage, zu denen Self-Portrait/Manipulated (Abb. 35) und Phil II (Abb. 132 a-b) gehören. Hier 95 Close vergleicht seine Arbeitsweise gern mit der handwerklichen Quilt-Herstellung oder dem Stricken, vgl. Friedman 2005, S. 76-77; Yuskavage 1995, o. S.; Close 2007, S. 51.

334 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

wird die subtile Rasterstruktur aus den Papierarbeiten in eine feste, mit dem zähflüssigen Material gefüllte Gitterschablone überführt. Ihre unterschiedlichen Grautöne werden anhand von Nummern eingesetzt, die den Rasterzellen entsprechend dem Ton in der monochromen Maquette zugeordnet sind. Im Vergleich zu den singulär abgemischten Farben anderer Papierarbeiten sind diese vorgefertigten Graustufen stärker genormt und führen zu einem mechanisch vereinheitlichten Ergebnis. Trotzdem besitzen sie einen ausgeprägt handwerklichen Charakter aufgrund ihrer individuellen reliefartigen Kachelstruktur. Die zeichnerische Faktur der Papierarbeiten wird in die haptische Dreidimensionalität der unregelmäßigen Oberfläche verwandelt – virtuelle ‚Pixel‘ und körperliche ‚Mosaiksteine‘ fallen zu etwas zusammen, das Close als „a very low-tech, handmade, quasi-digitized image“ beschreibt.96 Bei seiner Synthese aus analogen und digitalen Elementen paraphrasiert Close die High-TechLogik im Low-Tech-Medium, indem er immaterielle Bildbegriffe durch materielle Strukturen umsetzt. Mit der analogen Entsprechung zum technisch generierten Bild thematisiert er zuletzt auch die Frage der Körperlichkeit in der digitalen Repräsentation, was den Blick auf ihre Aktualität als technisierte Körperbilder lenkt. Ikonografisch betrachtet ist das Gesicht im Zeitalter digitaler Medien ein Kultobjekt, das vielfach mit Begriffen der Identität und Individualität aufgeladen ist und diese zugleich in beliebig austauschbare, mess- und manipulierbare Konfigurationen und Projektionsflächen auflöst.97 Einerseits ist es ein Gegenstand der biometrischen Erfassung und wissenschaftlichen Analyse, andererseits ein Agent in der digitalen Welt, der sich körperunabhängig als omnipräsentes, unbegrenzt reproduzierbares Ikon einer Person durch Netzwerke bewegt. So ist das Gesicht sowohl faktischer Gegenstand als auch virtuelle Maske, Phantom oder Avatar – es wird mit der sichtbar gewordenen physischen und psychischen Realität einer Person verknüpft und ist doch gleichzeitig Inbegriff ihres Entzugs, nämlich da, wo sich die digitale Abstraktion des Körpers zu kodierter Information vollzieht. Die sich im Porträt offenbarende Rolle von Gesicht und Körper als einer (bewusst gestalteten) repräsentativen Form und eines Projektionsfeldes des Inneren nach Außen findet in digitalisierten personalen Repräsentationen und Visualisierungs- und Analysemethoden menschlichen Seins und Handelns – von der medizinischer Bildgebung bis zu Big Data – eine neue Entsprechung. In Closes Bildnissen, die analytisch und konstruiert, also hochgradig künstlich sind, spiegelt sich die gebündelte Problematik eines aktuellen technisch formulierten Menschenbildes wider, zusammen mit der hermeneutischen Frage nach seinem Gehalt. Closes Motive sind sorgfältig selektierte Aufnahmen realer Momenterscheinungen, doch sie entfalten mit ihrer repetitiven Verwertung eine ikonische Selbstständigkeit, die sie nicht nur formal, sondern auch ontologisch von der Person abstrahiert. 96 Close zit. nach Finch 20101, S. 126. Für neuere Arbeiten, die er 2012 in der Pace Gallery präsentiert hat, wurden erstmals digitale Hilfsmittel verwendet (in Zusammenarbeit mit Donald Farnsworth, Magnolia Editions, und David Adamson). Dafür wurden zunächst bis zu 14500 aufgemalte Aquarellflecken in verschiedensten Farbtönen eingescannt und per Photoshop den Bildpunkten der Foto-Maquette nach Farbe zugeordnet. Anschließend wurde jedes Porträt in sechs Schichten als CMYK-Bild im Inkjet-Verfahren ausgedruckt, wobei jede Schicht die Farbe des Bildpunkts weiter modifizierte, vgl. Campbell-Dollaghan 2012. 97 Vgl. Löffler/Scholz 2004.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 335

Seine Bildmethode – die strukturelle Analyse und technische Synthese desselben Motivs – erzeugt eine solche Distanz zur bekannten Person, dass die ‚Dehumanisierung‘ in Closes eigener Wahrnehmung wie im Bild gleichermaßen stattfindet. Für den Betrachter geht die anfängliche ästhetische Überwältigung durch die fotomimetischen Großformate spätestens beim Anblick der Motiv-Variationen in einen Formenvergleich über. So werden bewährte Bildvorlagen wie Keith, Phil, Leslie und sogar seine Selbstporträts zu Chiffren der Modellgesichter – vergleichbar mit Avataren – deren invariante Grundgestalt immer neu konfiguriert wird und sich dadurch allmählich von der wirklichen Person ablöst. Von ihren fotomimetischen bis zu den abstrakt aufgelösten Versionen bleibt als einzig positive referenzielle Basis nur der Name im Titel, der eine nominale Verbindung wie eine abgeschwächte ID-Bezeichnung zwischen Bild und Person aufrecht erhält, während Form und Struktur stetigen Wandlungen unterworfen sind. So überwiegt trotz der biografischen Aspekte in den ‚Aktualisierungen‘ der späteren Porträts (wie Phil von 2011, Leslie von 1986 oder Closes Selbstporträts) der Sinn eines vom realen Menschen entkoppelten künstlichen Bild-Modells.98 Weder nur die formale Disziplinierung des Körpers durch die Passbild-Methode noch seine kontrollierte, mechanische Umsetzung der Maquette durch Raster und Regelwerk reduzieren das Menschlich-Subjektive in Closes Porträts – es ist vor allem ihre im Grunde unbegrenzt fortsetzbare Generierung in Form von technischen und medialen Abwandlungen, die aus den Porträts anstelle von Bildnissen ‚Baupläne‘ für Gesichter macht. Weil sie sich nur verfahrenstechnisch und ästhetisch, nicht aber inhaltlich voneinander unterscheiden, wird ihr formaler Zusammenhalt und ihr generatives Prinzip (die beide auf derselben Makette basieren) zur eigentlichen Bildaussage. Die Aktualisierung der Bilderscheinung betrifft also weniger die reale Person als vielmehr die jeweilige Technik und ihre Position in Closes System, das nach Medium, Methode, Format und Werkphase unterteilt ist. Es gleicht darin einem Archiv, das stetig erweitert wird und eine Bilddatenbank aus fotografischen Maquetten sowie unzähligen Aufnahmen aller Fotosessions enthält, die für zukünftige Verarbeitungen zur Verfügung stehen und auf die Close von Zeit zu Zeit zurückgreift. Nicht ohne Grund führt die Suche etwa nach Phil-Arbeiten in Closes Werkverzeichnis zu einem ähnlichen visuellen Ergebnis wie eine Bildersuche im Internet mit den Suchbegriffen „Phil, Close“ (Abb. 133). Die Kakophonie der Einzelbilder, die sich gegenseitig erläutern und kommentieren, schafft eine Art visuelles Netzwerk, wo man der realen Person noch am nächsten kommt, wenn man die formalen Abwandlungen bis zur Originalinformation der Maquette zurückverfolgt – diese ist aufgrund ihrer Gestaltung selbst auch ein Werk, sofern das für Closes Porträtbegriff überhaupt von Belang ist. Denn die deutlichste Aussage über den Menschen – seine Repräsentation auf der Me-

98 Hier sei auf Beltings Kritik an der Eliminierung des realen Körpers in virtuellen Bildern verwiesen, wie die computergenerierten Figuren in den Post-Photographic-Bildern von Keith Cottingham. Belting unterscheidet zwischen der Bildebene (mit dem fiktiven, selbstreferenziellen Körper) und der natürlichen Körperebene, die mit der virtuellen Perfektion zu verschwinden drohe, vgl. ders. 2001, S. 108-109. Closes Bilder hingegen sind nur selbstreferenziell in ihrem internen Formendiskurs, während die motivische Referenz an das reale Modell mit seinen natürlichen Makeln gebunden bleibt.

336 | 3 Die technische Auflösung des (Bild-)Körpers

taebene einer ‚Bildwahrheit‘ – liegt eigentlich nur in der Loslösung der Bildformen vom repräsentierten Subjekt. Obwohl Close in den frühen Airbrush-Porträts einen indifferenten Blick vermitteln will, wird dies in seiner Mimesis der analogen Fotografie gerade durch die weitere Entwicklung seines Werks relativiert und in ein subjektives Seherlebnis umgekehrt: Im Kontrast zu den quasi-digitalen Abstraktionen der späteren Bilder kommt die Fotomimesis in den großen Porträts dem Körper des Modells wesentlich näher, so dass ihre physische Präsenz das Gegenteil eines distanzierten Sehens hervorruft. Zugleich manifestiert sich nur bei extremer Vergrößerung und Nahsicht das klinischtechnoide Körperverständnis in Closes Bildern, welches auf der konzeptuellen Umdeutung der menschlichen Form in visuelle Information resultiert. Mit der so erzielten Auflösung des organischen Körpers und seiner Repräsentation wird die bildformale Steigerung der ikonischen Körperlichkeit bei Close aber erst möglich. Die Distanzierung vom Natürlichen bedeutet die Überwindung des konventionellen Blicks auf Figur und Porträt, um ihnen durch die reduktive Behandlung eine strukturell begründete Prägnanz und Körperpräsenz zu verschaffen. Entlang dieser Linie lässt sich ein argumentativer Bogen zwischen Closes fotomimetischem Ansatz und seinen abstrakteren Werkserien beobachten. Ästhetische Wandelbarkeit und formale Manipulationen sind zwar nicht erst mit der digitalen Bildtechnologie erfunden worden, haben aber an Grad und Präsenz so weit zugenommen, dass der im Fotodiskurs stets thematisierte Glaube an die objektive Dokumentation nun kontraintuitiv wirkt – aus diesem Grund hat die Pointe in Closes fotomimetischen Airbrush-Porträts heute deutlich an Schärfe verloren. Seine variierenden Bildverfahren stellen dagegen eine Analogie zur technischen Bildgenerierung her, deren Darstellungsmodi unterschiedliche Informationsebenen und visuelle Erkenntnisse am selben Objekt bieten können. Jede Version gleicht einer vorläufigen Form, einer von vielen möglichen Facetten, und ist supplementär und erweiterbar in Bezug auf andere Bilder. Während sich kaum Hierarchien ausmachen lassen, finden Verdichtungen, Steigerungen und ‚Upgrades‘ innerhalb der Werkgruppen statt, wo eine Struktur verstärkt, verfeinert oder durch handwerklich besser geeignete Materialien neu erzeugt wird, so wie in den Fingerprints. Dennoch leben komplexe Hauptwerke wie Robert/104.072 auch von den kleineren dot drawings auf Papier, die ihr Prinzip pars pro toto explizieren. Die technisch programmierte, ästhetisch jedoch kaum vorhersehbare Dynamik aus Transformation und Konfiguration, mit denen Close die fotografisch-analoge Faktizität in die semiotisch offene Struktur der Malerei und Zeichnung überführt, begründet die Parallelität seines Werks zur Entwicklung digitaler Bilder. Mit der Prämisse des umkodierten Ausgangsbildes, auf das alle weiteren Versionen rekurrieren, könnte keine Transformation einen höheren Wahrheitsgehalt als die andere beanspruchen. In ihren offenen Zusammenhängen entfaltet sich Closes ‚digitaler Blick‘ im analogen Medium. Während der antihumanistische Impuls in Closes Frühwerk vor dem künstlerischen, intellektuellen und politischen Hintergrund der späten 1960er Jahre zu sehen ist, der von einem technologisch geprägten, unsentimentalen Menschenbild begleitet war, lässt sich mit Blick auf seine digitalen Bildstrukturen das ‚Antihumanistische‘ konkretisieren und in die Nähe einer posthumanen Bildlichkeit rücken, wobei der problematische Begriff hier nur unter Vorbehalt verwendet werden soll – nämlich in Bezug auf einen technischen Zugang zum menschlichen Subjekt und Körper, woraus

3.3 Close und das technische Menschenbild | 337

sich eine losgelöste Dynamik ihrer Repräsentationsweisen entwickelt.99 Closes Bildstrategie agiert auf einer ikonischen Metaebene und verstellt den Blick auf das Subjekt im traditionellen Sinne. Dafür reflektiert seine Arbeit wiederum den gegenwärtigen Blick auf den Menschen, der von technischen Erfassungsmethoden und digitalen Medien gekennzeichnet ist. Seine Bildstrukturen lassen sich in ihrer Form und Dichte flexibel zwischen ‚reduktiv‘ und ‚elaboriert‘ einstellen, sind aus konvertierbaren Zeichen gebaut und dabei doch nach simplen Regeln hergestellt, was sie zu bildlichen Paraphrasen dieses medialen wie epistemologischen Wandels macht. Die Tatsache, dass dieses Menschenbild nie eindeutig ist, spiegelt sich in der Ambivalenz von Closes technischem Ansatz wider. Eben weil das formale Gewicht seiner Arbeiten die Ikonografie des Porträts und das subjektive Element im Motiv und im Medium überdeckt, lässt sich darin eine Umdeutung des Porträt- und Subjektbegriffs unter technischem Vorzeichen erkennen. Seine emotionslose, rationalisierte Behandlung des menschlichen Motivs bei der Umsetzung als Allover-Oberfläche spricht für eine Körperüberwindung, die das Gewicht des Körpers, seine Plastizität und Beweglichkeit zu einer transparenten Bildhaut im virtuellen Velum reduzieren will. Dieser Bildkörper oszilliert zwischen der eigenen Objektphysis und dem gezeigten Körper, der mittels Fotografie bereits verflacht worden ist, bis beide zusammenfallen und sich in den fotomimetischen Arbeiten nur durch wechselnde Betrachtungsabstände differenzieren lassen. Dort geht die per Blow-up gesteigerte konkrete Sichtbarkeit des realen Körpers in die strukturelle Abstraktion durch die malerische Bildphysis über. In den explizit gerasterten Arbeiten wird hingegen die Auflösung und Synthese des Körpers in Bildzeichen als eine den digitalen Bildpunkten formal analoge Methode präsentiert. Wie bereits angesprochen, sind körperliche Aspekte wie Distanz und Intimität je nach Bildverfahren sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die großen Airbrush-Porträts werden von der Spannung zwischen der unpersönlichen, normierten Form und eindringlichen Nähe des individuellen Körpers beherrscht, dessen physisch-reale und virtuell-fotografische Kontingenz zur Überlebensgröße gesteigert wird. Dabei erweisen sich Closes Modelle mit ihrer profanen Erscheinung als das Gegenteil technisch optimierter Körperentwürfe: Ihre physiognomischen Eigenheiten werden genauso detailliert dargestellt wie die Kontingenz der fotografischen Effekte. Statt das Imperfekte idealisierend zu glätten, wird es mit einer beinahe aggressiven Scharfsicht beobachtet und nachgebildet – der ‚natürliche‘ Körper wird aber kaum aus einer romantisch-menschlichen Empathie heraus dargestellt, auch wenn Bilder wie Fanny dies vermuten lassen, sondern aus Interesse an seiner visuellen Faktizität. Eine Optimierung und Standardisierung findet währenddessen auf der Ebene der Bildverfahren statt. Closes technisch-analytischer Blick bezieht sich zuerst auf das Bild – seine Reproduzierbarkeit, Vermessung, Rasterung und iterativ-mathematische Ordnung – von wo aus er sich auf den Körper und den Menschen allgemein ausweitet. Die technische Perfektion und standardisierte Systematik seiner Werke stehen im Kontrast zur akzidentellen Natürlichkeit der Individuen. Aneinandergereiht erschei99 Vgl. hierzu Rosi Braidottis Überleitung vom kritischen Diskurs des Anti-Humanism im historisch-intellektuellen Kontext der 1960er bis 1970er Jahre zum Post-Humanism in Bezug auf den Status Quo („condition“) des Menschen und sein Selbstverständnis, vgl. dies. 2013, S. 16-25.

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nen die Werkserien wie Demonstrationen spezifischer Darstellungsmodi, durch die alle Gesichter vergleichbar gemacht werden sollen, ganz im Sinne analytischer Porträts, die das Individuelle im normierten Rahmen hervortreten lassen. So birgt die gleich-gültige Uniformität von Closes Porträtverfahren eine ‚Demokratisierung‘ der Repräsentation: Die Bildformel und technische Methode gilt für jedes Modell gleichermaßen und lässt keinen Raum für Status-Inszenierungen, es sei denn im ironischsubtilen Rollenspiel. 100 Close widerspricht der technischen Normierung auf zwei Ebenen: Jedes Modell tritt innerhalb des formalen Rahmens als singuläres Individuum auf und jede Arbeit behauptet sich als singuläre Realisierung eines Bildverfahrens, die auf ihrer spezifischen Materialität insistiert. Die Singularität der Arbeit hängt wesentlich mit der körperlichen Autorschaft von Close zusammen. Auch hier steht am Anfang des konzeptuellen Ansatzes der Versuch einer Körperüberwindung: Seine Maßnahmen, die ihn strategisch als ‚Maschine‘ handeln lassen, sprechen für eine maximale Steuerung und Disziplinierung des eigenen Körpers. Dies gilt nicht nur für die ausführende Hand, die durch technische Apparate und Werkzeuge erweitert und deren Duktus dissimiliert wird (wie das Umfunktionieren des Fingers zum Stempel), sondern ebenso für die subjektive Willkür. Close versucht, als prozessierender Agent streng nach technischen Regeln zu handeln, während ihre Festlegung seine einzige Freiheit sein soll. Der dialektische Begriff der künstlerischen Gestaltungsfreiheit aus der Selbstbegrenzung heraus findet sich in zahlreichen konzeptuellen Ansätzen der 1960er Jahre, nicht zuletzt bei Sol LeWitt, doch in Closes Fall führt das in Verbindung mit dem menschlichen Motiv zu einer doppelten Bedeutung von Analyse und Kontrolle durch technisch-formale Prinzipien: Methodisch meint es die strategische, mechanisierte Arbeitsweise des Künstlers, ikonografisch verweist es auf die funktionalen Repräsentationen von Passbildautomaten und kriminalistischen Bildtechniken. Ähnlich einem wissenschaftlichen Zeichner gibt Close sich als Instrument und Mittler einer visuellen Erkenntnis, indem er dem Untersuchungsgegenstand mit der mechanischen Präzision der Hand und dem objektiven Scharfblick des Auges begegnet.101 Dass seine epistemische Bildformulierung letztlich der Fotovorlage gilt, deren Oberfläche wie eine opake Wand zwischen dem Sehen und dem Körper steht, weist Closes gegenständlichen Ansatz als sekundäre Bildstrategie aus, mit der er den Körper zeigt und zugleich ausklammert. Dem Anschein nach negieren und eliminieren seine physisch wie visuell extrem herausfordernden Bildverfahren den motorisch selbstbestimmten Künstlerkörper und sein von subjektiven Emotionen und Launen beeinflusstes Bewusstsein. Der Künstler, so könnte man meinen, folgt dem Vorbild des körperlos kalkulierenden Geistes des Computers, wie schon die autopoietische ‚Hand der Natur‘ für die frühe 100 Vgl. Yuskavage 1995, o. S., wo Close von ihrem „demokratischen“ Charakter spricht. 101 Closes Verarbeitung der Fotovorlage, die Formerfindung und Formtreue vereint, lässt sich dennoch als epistemischer Prozess aus Beobachtung, Suche und Übersetzung beschreiben, der mindestens so wichtig ist wie das Bildresultat selbst – so erklärt sich seine fortwährende Beschäftigung mit denselben Maquetten. Siehe hierzu Wittmann, Barbara: Das Porträt der Spezies. Zeichnen im Naturkundemuseum, in: Hoffmann, Christoph (Hg.): Daten sichern. Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Aufzeichnung, Berlin/Zürich 2008, S. 47-72, hier S. 54-55.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 339

Fotografie ein Denkmodell war. Allerdings liegt hier schon der größte Unterschied zwischen Close und dem Computer: Während dort das „Körperwissen“ als aktive, komplexe Körperintelligenz aufgrund der Reduktion auf eine kybernetische Schnittstelle zwischen Hand und Auge, Tastatur und Bildschirm in der Gebrauchspraxis verloren geht, nähert Close seine physische Leistung der Technik maximal an, ohne sie tatsächlich zu ersetzen.102 Das erratisch-körperliche Handeln verschwindet nur scheinbar, um sich noch stärker zu behaupten, nämlich als alleiniger Urheber des Bildes. Da Close auf der handwerklichen Arbeit und ihrer langsamen Prozessualität besteht, lenkt er die Aufmerksamkeit umso mehr auf die Aktivität des Bildproduzenten, der nicht nur durch Fingerabdrücke seine Präsenz bekundet, sondern genauso durch jede Airbrush-Bewegung und jeden gezeichneten Strich, selbst dort, wo die Struktur duktusfrei erscheint. Die kaschierte Expressivität und unterdrückte Willkür lassen nicht die Malerei und Zeichnung vergessen – vielmehr betonen sie ihren Sonderstatus als synthetische Medien und die virtuose Leistung des freihändig arbeitenden Künstlers. Im Unterschied zu handwerklichen Glanzleistungen alter Meister ist jedoch Virtuosität bei weitem kein normatives Kriterium mehr für gute Kunst, sondern kann nur als integraler Bestandteil in Closes Konzept gelten. Gegen die subjektiv aufgeladene Virtuosität der abstrakten Malerei setzt er die kalte, technizistische Virtuosität nur im Stil der Maschine, da sich seine Bildproduktion in Wahrheit auf das bloße Auge und die freie Hand verlässt. Hier kommen die Wechselwirkungen mit der spezifischen Struktur und Materialität des Mediums ins Spiel, die spontan, intuitiv und unbewusst ablaufen und als Materialkenntnis oder als ein mit Erfahrung verinnerlichtes ‚Körperwissen‘ des Malers bezeichnet werden können, vergleichbar mit dem tacit knowledge in der Wissenschaft. Ihre Dynamik bringt die materielle Komplexität und Reichhaltigkeit des Bildes hervor, was unlösbar mit einer subtilen Irrationalität, Unschärfe, Willkür und Dichte in den opaken Details verbunden ist. Es wird nun deutlich, warum Closes Ansatz die Verwendung des Computers ausschließen muss: Der Diskurs über die Möglichkeiten der Malerei und des Bilderschaffens muss innerhalb des Mediums stattfinden, um dieses transformieren und aktualisieren zu können. Closes künstlerische, intermediale und antihumanistische Argumentation baut auf seinen analogen Bildtechniken auf. Dieser Diskurs würde nicht stattfinden oder wäre ein vollkommen anderer, wenn der Maler direkt auf die Computertechnologie zugreifen würde. Selbst seine erstmals mit digitaler Bildbearbeitung hergestellten Inkjet-Drucke aus jüngerer Zeit basieren auf handgemalten Aquarellflecken, die eingescannt und in digitalisierter Form wieder für einen Druck aus Aquarellpigmenten auf Hahnemühle-Papier eingesetzt wurden (Abb. 131).103 Als solche stellen sie wie die Arbeiten aus vorgefärbter Papiermasse auch nur eine strengere, berechnete Form der Kästchenbilder dar, deren Prinzip schon in Mark Watercolor/ Unfinished von 1978 vorgeführt wird (Abb. 83). Closes Einsatz von Computertechnik erscheint hier nur wie die verlängerte Herstellungsweise eines schon entwickelten Bildkonzepts, da sich zwischen der handwerklich kreierten technischen Bildform und der technisch reproduzierten handwerklichen Bildmethode ein zirkuläres Verhältnis abzeichnet. 102 Vgl. Penny 1996, S. 154. 103 Vgl. Campbell-Dollaghan 2012.

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In seinen ohne Computertechnik angefertigten Arbeiten ist die subtile Imperfektion der Technik von essentieller Bedeutung. In den Abweichungen und Unregelmäßigkeiten der Detailstruktur äußern sich die lebendige Geste der Hand, das physische Verhältnis zwischen Künstler und Bild sowie der offene, akkumulative Herstellungsprozess. Sie mischt sich mit der Trägheit und dem Eigensinn der Materie, der Struktur von Leinwand und Papier, der autonomen Präsenz des Bildkörpers. Lange vor dem aufgelockert-spontanen Duktus in den prismatischen Ölbildern taucht der nervös-verspielte, doch in der Gesamtschau präzis erscheinende Duktus in den Mikrostrukturen aller Arbeiten auf. Im Widerspruch zwischen Körperlichkeit und Technizität liegt ein dialektischer Grundzug: Je mehr das rationale Konzept gegen den Körper arbeitet und ihn kontrolliert, desto stärker ist die Affirmation des handwerklichen Mediums und der subjektiv-körperlichen Leistung, die im Arbeitsprozess trotz aller technischen Beschränkungen das Bild hervorgebracht hat. Die Verschränkung von handwerklicher Malerei und technischen Bildprinzipien sowie analogen Medien und digitaler Visualität führt an ihren Schnittstellen in Closes Werk zu einer Blickschärfung auf beiden Seiten. Unter dem Druck neuer künstlerischer Konzepte und Medien, der Diversifizierung des thematischen Spektrums und der Ausweitung des Kunstbegriffs hat Close seit Ende der 1960er Jahre zu einer hybriden, technisierten Strategie innerhalb der Malerei gefunden. Es zeichnet seinen Ansatz aus, dass er trotz der Wechselwirkungen zwischen Kunst und Technologie an den Spezifika dieses Mediums festhält und über ihre eigenen Mittel und Materialien eine Erweiterung erreicht. Die Reaktion der Malerei auf die Dominanz neuer digitaler Medien muss weder zum Ausstieg aus dem Bild führen noch das Ende ihrer „Abbildungsfunktion“104 bedeuten, die sie schon mit der Abstraktion der Moderne verloren hatte. Stattdessen zeigt sich bei konzeptuellen malerischen Ansätzen, zu denen neben Close auch Gerhard Richter und Luc Tuymans (geb. 1958) zählen, wie die mediale und spezifisch digitale Beschaffenheit von Bildern parallel zum abstrakten Grundprinzip der Malerei reflektiert werden kann. Dabei zeigt sich besonders an gegenständlichen Repräsentationen von ‚Realität‘ die Ambivalenz ihrer technisch-medialen Manifestationen – was zur Ambivalenz der fotografischen Aufzeichnung zurückführt, die über das fiktive wie subjektive Medium der Malerei diskutiert wird. Close spricht zwar bezüglich der Entwicklung seiner Bildverfahren lapidar von einer „Erfindung der Mittel“, doch liegt darin auch eine Antwort der bereits in den 1960er Jahren für obsolet erklärten Malerei auf ihre Kritiker, indem sie auf technologisch veränderte Sehgewohnheiten, Bildwelten und Realitätsbegriffe reagiert. Hierfür leugnet Close vordergründig die Eigenschaften seiner analogen Medien durch deren Assimilation an technische Bildformen und hebt im selben Zug das abstrakte Wesen und die materielle Eloquenz der Malerei hervor. Gerade durch die Annäherung an technische Medien wird ihre Differenz zu diesen geschärft, weil sich an ihrem Bildkörper nun ihre ganze artifiziell-virtuelle und materiell-reale Doppelnatur präsentiert. Die technische Distanzierung von der Malerei und vom Menschen meint bei Close also keine Ablehnung eines obsoleten Mediums und Motivs, sondern eine anhaltende

104 Vgl. Rötzer 1991, S. 18-19, zur „Interessensverschiebung“ der Malerei als Folge der Konkurrenz der Bildmedien.

3.3 Close und das technische Menschenbild | 341

Suche nach fruchtbaren Bildstrategien, um bestehende Mittel unter aktuellen Umständen neu zu begreifen. Die Kehrseite seines technisch-analytischen Ansatzes birgt die Herausforderung des Malers und Künstlersubjekts an eine technisierte Gegenwart: In der opaken Bildstruktur und ihrem materiellen Eigensinn spiegelt sich die bewusste Affirmation des anachronistischen, antitechnologischen Handwerks wider, das der ‚dumme‘ Maler in täglicher aufwändiger Arbeit praktiziert – in diesem Sinne verweigert er sich gleichzeitig der Akzeleration des modernen Lebens, dem effizienten, optimierten Leistungsbegriff und dem körperlich wie geistig aufgerüsteten Menschenbild. Closes Bejahung des physischen Arbeitsprozesses und der Komplexität und Irrationalität des Materials entspricht der agnostischen Sinnverweigerung von Richter: Was in den 1960er Jahren bei beiden als subversive Ablehnung künstlerischer Ansprüche durch eine indifferente Haltung ihrer Malerei begann, wurde schließlich zum Analogon einer technisch-visuellen Epistemologie.105 Während die Entwicklung der Computertechnologie vom betrieblichen Einsatz der Rechen- und Lochkartenmaschinen bis zur militärischen Hochrüstung in den 1940er und 1950er Jahren und ihrer Ökonomisierung ab den 1960er Jahren stets dem Gedanken der Kontrolle und Leistungssteigerung gefolgt ist, stellt Closes langsame Bildproduktion zwischen Auge und Hand dessen Gegenteil dar. Wo seine Bildverfahren die technisch und medial veränderte Perzeption und das darin transformierte Menschenbild konzeptuell reflektieren, bieten seine Werke selbst einen materiellen Widerspruch zu dieser Transformation, indem sie die Ebene der kontingenten Körperlichkeit und Handwerklichkeit einbringen. So verweigert sich ihre körpergebundene Realität der mechanischen Präzision und Perfektion sowie der reduktiven Eindeutigkeit von ‚wahr‘ und ‚falsch‘. So wie seine Modelle ihre Makel zur Schau stellen, setzt Close sein imperfektes, körperlich gebundenes Sehen und Arbeiten der vollkommenen Übernahme durch technische Kontrolle, Kalkulation und Reproduktion entgegen. Dass sich der körperliche Aspekt seiner Arbeit mit seiner Behinderung ab 1988 deutlicher denn je zeigt, ist eine tragische Ironie – passenderweise hat Close auch diese Widrigkeiten mit technischer Hilfe bewältigen können, etwa durch spezielle mechanische Vorrichtungen im Atelier (Abb. 134).106 Obgleich die gröbere Struktur seiner Ölbilder durchaus von dieser physischen Einschränkung zeugt, hat sich die Wende zur loseren, farbigeren Malerei schon in vereinzelten Bildern der 1980er Jahre angekündigt. Ihre Fortführung in den 1990er Jahren steht für einen neuen malerischen Ansatz, der das Bild weiterhin als Schnittstelle zwischen Körper und Leinwand begreift. Während die Technik heute eine wesentliche Bedingung der menschlichen 105 Varnedoe vergleicht Closes Ansatz in den 1960er Jahren mit der provokanten Banalität und Mechanik der Pop Art: „[...] this laborious way of making art also just seemed mammothly dumb – which was part of ist offensive, subversive force. Such in-your-face-dumbing-down [...] trumped the soup cans and serialism that had seemed so shokingly brainless a decade before.“ Vgl. ders. 1998, S. 63. 106 Die großen Leinwände lassen sich auf verstellbaren Schienen auf- und abwärts bewegen und sogar in den Boden versenken, damit Close jeden Abschnitt der gekippten Bilder auf Sitzhöhe des Rollstuhls bearbeiten kann. Selbst darin ließe sich eine pragmatische Erweiterung seiner technisch-apparativen Arbeitsmethode sehen.

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Existenz und Erkenntnis darstellt, besteht immer noch eine diffuse, komplexe Realität im lebendigen Körper – sei es im Denken, Fühlen oder ästhetischen Erleben – die eine nicht rationalisierbare Differenz enthält. Die damit verbundenen Fragen, die sich bis in die aktuellsten Diskurse über den Menschen fortsetzen, werden in Closes Werk auf einer künstlerischen Ebene facettenreich reflektiert.

Schluss

Chuck Close gehört zu den wenigen Künstlern, die ein rationales Konzept und eine handwerklich anspruchsvolle Ausführung auf so extreme Weise vereinen können. Im Unterschied zu Konzeptkünstlern wie Sol LeWitt, die ihn maßgeblich beeinflusst haben, setzt Close seine Bildideen als Maler und Zeichner eigenhändig um. Er tut dies nicht um einer authentischen, subjektiven Autorschaft willen, sondern strebt im Gegenteil die Entsubjektivierung und Mechanisierung seiner virtuosen Malerhand und die Kontrolle über seine künstlerische Intention an. Dass er auf diesen Medien beharrt, spricht für seinen Ausgangspunkt in der abstrakt-expressiven Malerei im Geiste Pollocks und de Koonings, deren Flächenbegriff schon zu Beginn die Grundlage für Closes strukturelles Allover bietet. Indem er diesen Aspekt herausnimmt und in das Raster überführt, schafft er einen mathematisch geordneten Bildraum, den er mithilfe der Fotografie als Modell und Bezugspunkt einer objektivierten, flächigen Visualität bearbeiten kann. Das technisch-apparative Bild der Fotografie gewährt ihm den Zugang zum gegenständlichen Motiv im Porträt, welches Close durch das fotomimetische Blow-up einerseits in einen erweiterten medialen Kontext außerhalb der malerischen Porträttradition stellt, andererseits zur zweidimensionalen, abstrakten Bildinformation umdeutet. Die Facetten seiner konzeptuellen Neubestimmung des subjektiven Mediums – die er ausgerechnet am subjektiv aufgeladenen Porträt entwickelt – belegen seine mediale Offenheit und starke Einbindung in die Kunstströmungen der 1960er Jahre, die in New York zusammenliefen. Was seinen Ansatz einer ‚technisierten‘ Malerei einzigartig macht, ist die Verbindung von streng formalisierten Bildstrategien mit dem Porträtthema, wofür er aus dem privaten Kreis seiner Modelle Bildmotive bezieht und wiederholt verwertet. Sein Fokus liegt sowohl auf der im Stil von Polizeioder Passfotos ‚verobjektivierten‘ Person als auch auf der wiederholt transformierten Bildstruktur. Closes rigoroser Formalismus und seine Bildkonzepte der späten 1960er bis 1970er Jahre, die sich vor dem Hintergrund technikaffiner künstlerischer Experimente sowie technologischer Veränderungen in Gesellschaft und Wissenschaft herausgebildet haben, verdeutlichen im Rückblick seine als intuitiv zu bezeichnende Reaktion auf eine technisierte Umwelt und das sich darin verändernde Menschenbild. Die in den Theorien der Kybernetik forcierte Verbindung zwischen Mensch und Technik hat bis in die digitalisierte Gegenwart hinein zahlreiche kontroverse Diskussionen erlebt und dabei kein bisschen an Aktualität verloren. Parallel zu dieser Entwicklung lässt sich Closes Ansatz sowohl symptomatisch für den Zeitgeist der späten 1960er

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Jahre als auch antizipierend gegenüber der aktuellen Vorherrschaft von digitalen Bildmedien und Körperkonzepten verstehen. Neben dem im face scan implizierten Vorgriff auf das informationstechnisch geprägte Menschenbild findet sich bei ihm ein medialer Vorgriff in der ‚protodigitalen‘ Bildstruktur: Was heute unwillkürlich an digitale Bildpunkte oder Pixel denken lässt, ist eine von Close schrittweise aus der konzeptuellen Fotomimesis entwickelte synthetische Abstraktion, die von Minimal-Begriffen wie Prozess, Mechanik und Struktur ausgeht und deren Ordnung aus Elementarzeichen auf dem Allover-Raster basiert. Ohne bewusst die technischen Prinzipien elektronischer Medien und früher Computerbilder imitieren zu wollen, hat Close bei seiner künstlerischen Suche nach einer verfahrenstechnisch objektivierten Bildstrategie über eine inhärente Technizität malerische Analogien zum digitalen Bild geschaffen. Die Parallelität zwischen technischen Bildprinzipien und Closes konzeptuellen Formulierungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in seinen handwerklichen Verfahren eine wesentliche Differenz zur technischen Bildproduktion liegt. So wie die Arbeit zwischen Auge und Hand nie rein mechanisch verläuft, determiniert auch in seiner strengsten Fotomimesis nie die Maquette das Bildergebnis vollkommen. Nicht nur besitzt der Bildkörper mit seiner materiellen Präsenz einen anderen bildontologischen Status und eine eigene physische Ästhetik – schon der Arbeitsprozess des Künstlers ist weniger automatisch als vielmehr konstant kreativ. Closes Methodik bedeutet eben nicht die simple Ausführung eines Plans, auch wenn er es zur Bekräftigung seines Ansatzes so formuliert hat, sondern beinhalten einen emergenten Prozess, bei dem ein Bild allmählich aus dem handwerklichen Umgang mit Formen und Materialien ‚erfunden‘ wird. Bei dieser über reduktive Ja-Nein-Entscheidungen hinausgehenden Tätigkeit fließt das implizite Wissen und Können des Malers ein: Seine gestalterische Suche, die sich in jeder strukturellen Variation und jedem singulären Bildzeichen äußert, trägt etwas Unberechenbares, Unauflösbares und letztlich Subjektives in die Arbeiten hinein, womit diese eine Qualität erhalten, die sich niemals durch exakte Computertechnik erzielen ließe. Hiermit lässt sich auch die Frage beantworten, darum ein Künstler mit Interesse an den technischen Strukturen digitaler Bilder nicht gleich zu neuen Medien greift. Closes Festhalten an der Malerei und ihren medienspezifischen Qualitäten zeigt, dass der Sinn ihrer künstlerischen Auseinandersetzung weder in der bloßen Herstellung eines Bildergebnisses liegt noch durch die konzeptuelle Idee allein erfüllt wird. Der handwerkliche Gestaltungsprozess birgt die Herausforderung des Konkreten in der Handhabung der Details, was sich komplementär und kontrastierend zum technischen Überbau der formalen Strategie verhält. So beziehen Closes Arbeiten aus dem Widerstand des trägen, opaken Mediums ihren Eigenwert, der als Differenz zur technischen Visualität nur im ‚anderen‘ Medium der Malerei erscheinen kann. Erst 2010 zeigte Close Werke, die mit der Photoshop-Software, einem Scanner und einem Inkjet-Drucker hergestellt sind, wobei die Singularität der rund 14500 eingescannten Farbflecken und die Ästhetik des Aquarellbildes eher für eine mechanische Imitation der handwerklichen Malerei sprechen. Neuere Selbstporträts von 2014-15 zeigen dagegen grafisch vereinfachte, in farbige Zonen unterteile Fotografien, die Close zuvor mit dem Grafikprogramm bearbeitet hat (Abb. 135). Die Simplizität dieser Ölbilder, deren schematische Farbigkeit den künstlichen Effekten digitaler Bildbearbeitung nachempfunden zu sein scheint, ist ernüchternd im Vergleich zur

Schluss | 345

visuellen und konzeptuellen Komplexität seines vorherigen Bildsystems. Die Problematik, die sich bereits in den aufgelösten Malereien der 1990er Jahre angekündigt hat, deren bunte Bildeffekte immer wieder zu Pixel-Vergleichen anregen, liegt in der Frage, wie sich die Malerei im Zeitalter digitaler Medien behaupten kann. Welche Positionierungsmöglichkeiten bleiben ihr, wenn sie als traditionelles Medium noch einsetzbar sein will, jedoch die anerkannte Rolle als Ausdrucksform subjektiver Emotionen und Narrationen ablehnt, weil sie sich nicht auf das Klischee der Unmittelbarkeit und Authentizität einlassen möchte? Mit welchen Inhalten und formalen Mitteln kann sie heute als zeitgenössische Kunst Stellung beziehen in einer technisierten Gesellschaft, deren Vorstellung vom Bild geradezu zum Synonym des digitalen Bildes bzw. der konvertierbaren oder animierten Grafik geworden ist? Die formale Adaption dieser technischen Ästhetik und das bloße Übertragen ihrer Bildfunktionen auf Leinwand reichen dazu nicht aus. Was Close damals als ‚Übersetzung‘ der analogen Fotografie in abstrakte Bildzeichen beschrieben hat, wäre heute nicht als gleichwertige künstlerische Leistung erkennbar, weil die vom gemeinsamen Zeithintergrund bedingte Simultaneität in der Entwicklung seiner Bildtechnik und der Bildtechnologie fehlt – diese zeichnet sein Werk als selbstständig und in sich begründet aus. Dieselben abstrakten Bildzeichen von Close erhalten in der von ihnen antizipierten digitalen Bildwelt von heute jedoch einen anderen Stellenwert. So könnte eine Malerei, die sich in einem solchen Maße technischen Bildordnungen annähert, in der visuellen Abundanz heutiger Medien nur fremden Effekten hinterherlaufen. Sich als Nicht-Medienkünstler mit aktueller Technik auseinanderzusetzen heißt auch immer, ihr produktiv zu widerstehen – Closes Werk der späten 1960er bis 1980er Jahre führt wie kaum eine andere künstlerische Praxis ein Bilddenken im Spannungsverhältnis zur Technik vor. Er müsste sich kaum so defensiv gegen die Computertechnologie äußern, da schon ein genauer Blick auf seine Werke den Abstand offenbart, von wo aus eine fruchtbare Reflexion möglich wird. Seiner eigenen Handlungslogik folgend hat Close mit den Mitteln analoger Medien Bildformen geschaffen, die sich als aufschlussreiche Kommentare zur technisierten Welt und ihrer Repräsentation des menschlichen Subjekts begreifen lassen und deren Implikationen erst im Rückblick in ihrer damaligen wie gegenwärtigen Relevanz erkennbar werden.

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Abbildungsnachweise

Alle Abbildungen von Chuck Close und seinen Werken: © Chuck Close, Courtesy: Pace Gallery Abb. 1

Big Self-Portrait: http://chuckclose.com/work007_zoom.html, Courtesy: Walker Art Center, Minneapolis

Abb. 2 a Maquette für Self-Portrait: http://chuckclose.com/work006_zoom.html, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York b Maquette für Self-Portrait: http://chuckclose.com/work005_zoom.html Abb. 3

Big Nude: http://chuckclose.com/work002_003_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 4

Kontaktabzug mit Detailaufnahmen für Big Nude: Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967-Present, https://artifexpress.com/catalogues/ chuck-close/artwork/#id=4eb428a1a1937c5f56001529&query=c:chuckclose/d:1960|1969/s:creation_date|asc&index=5&length=11, Foto: David Adamson, Courtesy: Adamson Editions, Washington, D.C.

Abb. 5

Willem de Kooning, Woman I: Prather, Marla (Hg.): Willem de Kooning. Paintings, Ausst.-Kat., Washington, D.C., National Gallery of Art u. a. 1994, Washington, D.C. 1994, S. 139, Abb. 27, © The Willem de Kooning Foundation, New York / VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York

Abb. 6

The Ballerina: Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967-Present, https://artifexpress.com/catalogues/chuck-close/artwork/#id=5072f3d7a0 d5e6528700009a&query=c:chuck-close/d:1960|1969/s:creation_date|asc& index=2&length=11, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 7

Frank Stella, Jill: Rubin, Lawrence: Frank Stella. Paintings 1958 to 1965. A Catalogue Rasonné, New York 1986, Abb. 50, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 8

Hollis Frampton, # 3 (Frank Stella, New York 1959): Weiss 2007, Abb. 7

Abb. 9

Jackson Pollock, Autumn Rhythm No. 30: Karmel, Pepe / Varnedoe, Kirk: Jackson Pollock, Ausst.-Kat., New York, The Museum of Modern Art / London, Tate Gallery 1998-99, New York 1998, Abb. 183, © PollockKrasner Foundation, New York / VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Courtesy: The Metropolitan Museum of Art, New York

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Abb. 10

Jasper Johns, Target with Four Faces: Weiss 2007, Abb. 3, © VG BildKunst, Bonn 2018, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York

Abb. 11

Makette für Big Nude: http://chuckclose.com/work001_zoom.html, Foto: Kerry Ryan McFate

Abb. 12

Close bei der Arbeit an Keith, 1970: http://chuckclose.com/work021_ zoom.html, Foto: Wayne Hollingworth

Abb. 13

Jasper Johns, Flag: Varnedoe 1997, Abb. 9, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York

Abb. 14

Flag Painting / Betsy Ross Revisited: Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967-Present, https://artifexpress.com/catalogues/chuck-close/ artwork/#id=4eb4079aa1937c5f56001466&query=c:chuck-close/d:1960| 1969/s:creation_date|asc&index=1&length=11, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 15

Ad Reinhardt, Abstract Painting, Black: Joachimides, Christos / Rosenthal, Norman (Hg.): Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert. Malerei und Plastik 1913-1993, München 1993, Abb. 125, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 16

Robert Morris, Installation in der Green Gallery, New York, 1964: Meyer, James: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2004, Abb. 85, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 17

Sol LeWitt, Serial Project No. 1 (ABCD): Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, 6. Ausg., München 1989, Abb. 3, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 18

Sol LeWitt, Drawing Series I, II (Series A, Series B): Legg, Alicia (Hg.): Sol LeWitt, Ausst.-Kat., New York, The Museum of Modern Art 1978, New York 1978, Seite 88, Abb. 152, 153, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 19

Sol LeWitt, Wall Drawing #47 und Diagramm für Wall Drawing #47: Gary Garrels (Hg.), Sol LeWitt. A Retrospective, Ausst.-Kat., San Francisco, Museum of Modern Art u. a. 2000, New Haven/London 2000, Tafel 76, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 20

Sol LeWitt, Variations of Incomplete Open Cubes: Legg 1978, Seite 81, Abb. 143, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 21

Agnes Martin, Leaf: Haskell, Barbara (Hg.): Agnes Martin, New York 1992, S. 68, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 22

Robert Ryman, Winsor 5: Sauer, Christel / Raussmüller, Urs (Hg.): Robert Ryman, Ausst.-Kat., Schaffhausen, Hallen für neue Kunst / Paris, Espace d’Art Contemporain 1991, Schaffhausen 1991, S. 99, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 23

Robert/104.072: http://chuckclose.com/work048_zoom.html, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York

Abb. 24

Chuck Close bei der Arbeit an Robert/104.072, 1973-74: http://chuckclose. com/work046_zoom.html

Abb. 25

Ausstellungsansicht, Head-On/The Modern Portrait: Finch 2010, S. 196

Abb. 26

Jan van Eyck, Mann mit rotem Turban: The National Gallery, https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/jan-van-eyck-portrait-ofa-man-self-portrait (Public Domain)

Abbildungsnachweise | 375

Abb. 27

Antonello da Messina, Porträt eines Mannes: The National Gallery, https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/antonello-da-messinaportrait-of-a-man (Public Domain)

Abb. 28

Paul Cézanne, Madame Cézanne: Adriani 1993, S. 142, Abb. 40

Abb. 29

Vija Celmins, Untitled Portfolio: Ocean: © Vija Celmins, Courtesy: Matthew Marks Gallery

Abb. 30

Leslie/Watercolor: http://chuckclose.com/work033_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 31

Parmigianino, Selbstbildnis im Konvexspiegel: Beyer, Andreas: Das Portrait in der Malerei, München 2002, S. 169

Abb. 32

Close vor Big Self-Portrait im Atelier, 1968: http://chuckclose.com/work008 _zoom.html, Foto: Kenny Lester

Abb. 33

Kontaktabzug für Big Self-Portrait, 1967: http://chuckclose.com/work004_ zoom.html

Abb. 34

Makette für Self-Portrait: Engberg/Grynsztejn 20051, Abb. 8

Abb. 35

Self-Portrait/Manipulated: http://chuckclose.com/work095_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 36

Self-Portrait/Watercolor: http://chuckclose.com/work064_zoom.html, © Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien

Abb. 37

Self-Portrait: http://chuckclose.com/work065.html, Courtesy: Walker Art Center, Minneapolis, Foto: Maggie L. Kundtz

Abb. 38

Self-Portrait: http://chuckclose.com/work248_zoom.html, Foto: Kerry Ryan McFate

Abb. 39

Jasper Johns, Souvenir 2: Weiss 2007, S. 146, Abb. 82, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 40

Marcel Duchamp, Wanted: $2000 Reward: Schwarz, Arturo: The Complete Works of Marcel Duchamp, Bd. 2, 3. überarb. Aufl., New York 1997, S. 386, Abb. 140, © Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 41 a Andy Warhol, Thirteen Most Wanted Men: McShine 1989, S. 279, Tafel 289, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS) b Andy Warhol, Thirteen Most Wanted Men, No. 6 Thomas Francis und No. 10 Louis Joseph M.: Billeter, Erika (Hg.): Andy Warhol, Ausst.-Kat., Zürich, Kunsthaus Zürich 1978, Bern 1978, S. 127, Abb. 97, 100, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Ar tists Rights Society (ARS) Abb. 42

Andy Warhol, Self-Portrait: Billeter 1978, S. 101, Abb. 67, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS)

Abb. 43

Andy Warhol, Early Self-Portrait: Heinrich 1999, S. 87, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS)

376 | Face Scan

Abb. 44

Andy Warhol, Ethel Scull 36 Times: McShine 1989, S. 305, Abb. 325, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS), Courtesy: Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 45

Andy Warhol, Silver Liz: Bastian 2001, S. 152. Abb. 102a, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS)

Abb. 46

Andy Warhol, Marilyn Diptych: McShine 1989, S. 211, Tafel 204, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS)

Abb. 47

Andy Warhol, Double Self-Portrait: McShine 1989, S. 82, Tafel 5, © 2018 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS)

Abb. 48

Guillaume Duchenne de Boulogne, Frontispiz in Mécanisme de la physiognomie humaine...: Dewitz, Bodo von / Nekes, Werner (Hg.): Ich sehe was, was Du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten – die Sammlung Werner Nekes, Ausst.-Kat., Köln, Museum Ludwig 2002, Göttingen 2002, S. 385

Abb. 49

Ed Ruscha, Doppelseite aus Twentysix Gasoline Stations: Wolf, Sylvia: Ed Ruscha and Photography, Ausst.-Kat., New York, Whitney Museum of American Art 2004, Göttingen 2004, S. 112, Abb. 124, © Ed Ruscha

Abb. 50

Walker Evans, Allie Mae Borroughs: Keller, Judith: Walker Evans. The Getty Museum Collection, Malibu 1995, S. 165, Abb. 532, Courtesy: Getty’s Open Content Program

Abb. 51

August Sander, Konditor: Michalski, Sergiusz: Neue Sachlichkeit. Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919-1933, Köln 1992, S. 180, © Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 52

Walker Evans, Penny Picture Display: The Metropolitan Museum of Art, http://www.metmuseum.org/art/collection/search/265556 (Public Domain)

Abb. 53

Gerhard Richter, Onkel Rudi: Storr, Robert (Hg.): Gerhard Richter. Malerei, Ausst.-Kat., New York, The Museum of Modern Art 2002, OstfildernRuit 2002, S. 121, © Gerhard Richter 2018 (06062018)

Abb. 54

Philip Pearlstein, Crouching Female Nude with Mirror: http://philippearlstein.com/figure-oil-1970s/jynj16fykmdbqhron1kbas5pyc28q8, © Philip Pearlstein 2018, Courtesy: der Künstler und Betty Cuningham Gallery

Abb. 55

Philip Pearlstein, Portrait of George Klauber: http://philippearlstein.com/ portrait-oil-1970s/1yc0w1la9gka9ds6xhrbqpabbsn3bl, © Philip Pearlstein 2018, Courtesy: der Künstler und Betty Cuningham Gallery

Abb. 56

Alex Katz, Ted Berrigan: Gute, Charles (Hg.): Alex Katz. The Sixties, Ausst.-Kat., New York, Pace Wildenstein 2006, Mailand 2006, o. S., © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abbildungsnachweise | 377

Abb. 57

Robert Bechtle, ’61 Pontiac: Bishop, Janet (Hg.), Robert Bechtle. A Retrospektive, Ausst.-Kat., San Francisco Museum of Modern Art / Modern Art Museum of Fort Worth 2005, San Francisco 2005, © Robert Bechtle, Foto: Geoffrey Clements, Courtesy: Whitney Museum of American Art, NY

Abb. 58

Richard Estes, Bus Reflections (Ansonia): Meisel 1980, Tafel 451, S. 220, © Richard Estes

Abb. 59

Franz Gertsch, Christina I: Baumgartner, Marcel: L’Art pour l’Aare. Bernische Kunst im 20. Jahrhundert, Bern 1984, S. 283, © Franz Gertsch

Abb. 60

Nancy: http://chuckclose.com/work010_zoom.html, Courtesy: Milwaukee Art Museum

Abb. 61

Frank: http://chuckclose.com/work015_zoom.html, Courtesy: Minneapolis Institute of Arts

Abb. 62

Richard: http://chuckclose.com/work012_zoom.html, Foto: Ellen Page Willson, Courtesy: Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen

Abb. 63

Joe: http://chuckclose.com/work014_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson, Courtesy: Osaka City Museum of Modern Art

Abb. 64

Phil: http://chuckclose.com/work017_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson, Courtesy: Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 65

Bob: http://chuckclose.com/work019_zoom.html, Courtesy: Australian National Gallery of Art, Canberra

Abb. 66

Keith: http://chuckclose.com/work022_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson, Courtesy: The Saint Louis Art Museum

Abb. 67

Maquette für Phil: Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967-Present, https://artifexpress.com/posts/chuck-close-photo-maquettes, FotoCourtesy: Chuck Close Studio

Abb. 68

Rembrandt Harmensz van Rijn, Selbstbildnis mit offenem Mund: Van Straten, Roelof: Rembrandts Weg zur Kunst 1606-1632, Berlin 2006, S. 142, Abb. 207

Abb. 69

Albrecht Dürer, Der Zeichner des liegenden Weibes, aus: Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt, Nürnberg 1525 (Wikimedia Commons, Public Domain)

Abb. 70 a Robert (maquette): The Museum of Modern Art, https://www.moma.org/ collection/works/33677?artist_id=1156&locale=de&page=1&sov_referrer =artist MoMA, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York b Robert (maquette), Detail: Foto der Autorin Abb. 71

Phil, Details: Foto der Autorin, Courtesy: Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 72

Maketten mit Farbseparation für Linda: http://chuckclose.com/work059. html

Abb. 73

Linda: http://chuckclose.com/work059_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson

378 | Face Scan

Abb. 74

Mark: http://chuckclose.com/work075_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson, Courtesy: The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 75

Close bei der Arbeit an Mark, 1978-79: http://chuckclose.com/work074_ zoom.html

Abb. 76

Study for Kent: http://chuckclose.com/work023_zoom.html, Foto: G. R. Christmas

Abb. 77

Study in Three Colored Pencils/Small Kent: http://chuckclose.com/work024_ zoom.html

Abb. 78

Kent: http://chuckclose.com/work026_zoom.html, Foto: Craig Boyko, Courtesy: Art Gallery of Ontario

Abb. 79

John mit Zwischenstadien: http://chuckclose.com/work030.html

Abb. 80

Mark, Details: Foto der Autorin, Courtesy: The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 81 a Nat: http://chuckclose.com/work032_zoom.html, Foto: Ellen Page Wilson b Nat, Detail: Foto der Autorin Abb. 82 a Grauverlauf im Halbtonbild: Wikimedia Commons b Farbiger Halbtondruck mit CMYK-Separation: Wikimedia Commons Abb. 83

Mark Watercolor/Unfinished: http://chuckclose.com/work073_zoom.htm

Abb. 84 a Leslie/Fingerpainting: http://chuckclose.com/work122_zoom.html, Foto: Douglas M. Parker b Close bei der Arbeit an Leslie/Fingerpainting: http://chuckclose.com/work 120b_zoom.html Abb. 85 a

Keith/1.280: http://chuckclose.com/work039_zoom.html, Foto: Kerry Ryan McFate b-d Keith/Three Drawing Set: http://chuckclose.com/work040.html, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 86

Chris: http://chuckclose.com/work051.html, Foto: Ellen Page Wilson

Abb. 87 a-d Robert I/154, Robert II/616, Robert III/2.464, Robert IV/9.856: http://chuckclose.com/work048.html, Foto: © 1991 Fredrik Marsh Abb. 88

Punktmatrix-Anzeige mit Alphabet: Shutterstock.com

Abb. 89

Study for Self-Portrait Etching: Engberg/Grynsztejn 20051, Tafel 16, © 2004 The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 90 a Self-Portrait: http://chuckclose.com/work065.html, Courtesy: Walker Art Center, Minneapolis, Foto: Maggie L. Kundtz b Self-Portrait, Detail: Foto der Autorin, Courtesy: Walker Art Center, Minneapolis Abb. 91 a Zeichnung für Phil Rubberstamp: http://chuckclose.com/work061.html b Phil/Rubberstamp, Detail: Foto der Autorin, Courtesy: The Museum of Modern Art, New York Abb. 92

Phil/Fingerprint: http://chuckclose.com/work087.html, Foto: Al Mozell

Abb. 93

Phil Fingerprint/Random: http://chuckclose.com/work080.html, Foto: Al Mozell

Abbildungsnachweise | 379

Abb. 94

John/Fingerpainting: http://chuckclose.com/work109.html

Abb. 95 a Fanny/Fingerpainting: http://chuckclose.com/work120_zoom.html b-c Fanny/Fingerpainting, Details: Foto der Autorin Abb. 96 a-f Keith Six Drawing Series: Reynolda House, http://www.reynoldahouse. org/collections/online-gallery/keithsix-drawing-series-by-chuck-close? display=lightbox, Courtesy: Reynolda House Museum of American Art, Winston-Salem, North Carolina, Foto: Bevan Davies Abb. 97 a-b Keith/Six Drawings: Artists’ Books, http://artistsbooksandmultiples. blogspot.de/2016/08/chuck-close-keith-six-drawings-1979.html Abb. 98

Self-Portrait/Composite/NineParts: http://chuckclose.com/work081_zoom. html, Courtesy: Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 99

Self-Portait/Composite/Six Parts: http://chuckclose.com/work091_zoom. html

Abb. 100

Bruce Nauman, Studies for Holograms a-e (Ausschnitte): Cordes, Christopher (Hg.): Bruce Nauman. Prints 1979-1980. A Catalogue Raisonné, New York 1989, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Abb. 101

David Hockney, Kasmin, Los Angeles, 28th March 1982: Tuchman, Maurice (Hg.): David Hockney. A Retrospective, Ausst.-Kat., Los Angeles County Museum of Art u. a. 1988-89, Los Angeles 1988, S. 212, © David Hockney

Abb. 102

Laura Triptych: http://chuckclose.com/work118_zoom.html

Abb. 103

Laura I: http://chuckclose.com/work116_zoom.html

Abb. 104

Keith/Mezzotint: http://chuckclose.com/work038_zoom.html, Foto: Maggie L. Kundtz

Abb. 105 a-b Keith/Mezzotint, Probedrucke Nr. 6 und Nr. 1: Foto der Autorin, Courtesy: Achenbach Foundation for Graphic Arts, Legion of Honor, San Francisco c Keith/Mezzotint (Fragment I): The National Gallery of Australia, Canberra, http://artsearch.nga.gov.au/Detail-LRG.cfm?IRN=56393, Courtesy: The National Gallery of Australia, Canberra Abb. 106

Keith/Mezzotint: The National Gallery of Australia, Canberra, http://artsearch.nga.gov.au/Detail.cfm?IRN=56403, Courtesy: The National Gallery of Australia, Canberra

Abb. 107

Makette von Study for Keith/Four Times: Weinberg 2013, S. 4, Abb. 1, Foto: Light Blue Studio

Abb. 108

Slow Pan for Bob, Filmstills: UbuWeb Film, http://ubu.com/film/close_ bob.html

Abb. 109

Johann Caspar Lavater, Neun erdichtete Silhouetten zur Überprüfung des physiognomischen Genies: Lavater, Johann Caspar: Von der Physiognomik (1772), hg. v. Karl Riha / Carsten Zelle, Frankfurt/Main 1991

Abb. 110

Paul Régnard, Attitudes Passionelles – Extase: Didi-Huberman 1997, S. 163, Abb. 64

380 | Face Scan

Abb. 111

Cesare Lombroso, Epileptische Kriminelle (Ausschnitt): Lombroso, Cesare: L’homme criminel, Paris 1887, Tafel 15

Abb. 112

Verbrecheralbum Polizei Hannover: Regener 1999, S. 64, Abb. 32a, 33

Abb. 113

Verbrecheralbum Polizei Hannover, Porträt Georg Gunkel: Regener 1999, S. 78, Abb. 48b

Abb. 114

Alphonse Bertillon, Selbstbildnis in anthropometrischer Kartei: Archive du Service Regional d’Identité Judiciaire, Préfecture de Police, Paris (Public Domain)

Abb. 115

Polizeikartei mit anthropologischem Signalement, 27. Mai 1898: Jäger, Jens: Photography: A Means of Surveillance? Judical Photography, 18501900, in: Crime, Histories & Societies, Bd. 5/Nr. 1, 2001, S. 27-51, Abb. 2

Abb. 116

Alphonse Bertillon, Übersicht physiognomischer Züge: The Metropolitan Museum of Art, New York (Public Domain)

Abb. 117

Alphonse Bertillon, Ansicht mit Aufnahmestuhl und Vorrichtungen für Tatort und Beweismittelfotografie: Musée de la Préfecture de Police, Paris (Public Domain)

Abb. 118

Francis Galton, Kompositporträts von überführten Dieben: Pearson, Karl: The Life, Letters and Labours of Francis Galton, Bd. 2 (4 Bde.), Cambridge 1924, Abb. 328

Abb. 119 a b

Abb. 120

Schema mit rechtsverbildlichen Vorgaben für das Passbild: Richtmeyer 2014, S. 34 Anwendungsbeispiel für biometrisches Passbild: Bundesministerium des Inneren/Bundesdruckerei, http://www.biometrisches-passbild.net/ download/passbildschablone_erwachsene.pdf Biometrische Gesichtserkennung: Schönborg, Sandro: Der automatische Bildvergleich, in: Richtmeyer 2014, S. 47, Abb. 4, Abb. 5

Abb. 121 a-b Durchschnittsbild aus 16 Trainingsbildern und Beispiele für Eigenfaces: Turk/Pentland 1991, S. 75, Abb. 1b, Abb. 2 Abb. 122

Elastic Bunch Graph Matching: Wiskott u. a. 1997, Abb. 4

Abb. 123

3D-Gesichtsscan: imago/Jochen Track, in: Krauter 2015

Abb. 124

3D-Scanner für Zahnmedizin und Gesicht: Motion View Software, http://motionview3d.com/products.php?product=fi, © Motion View Software

Abb. 125

Scientific American, Titelseite von 1973: Friedman 2005, S. 104

Abb. 126

Whole Earth Catalog, Titelseite von 1968: Whole Earth Project, http://www.wholeearth.com/issue-electronic-edition.php?iss=1010

Abb. 127 a-b Zeichenerkennung durch Beispiele für Zeichenveränderungen: Steinbuch 1965, S. 111, Abb. 51, S. 105, Abb. 43 Abb. 128 a-b Leon D. Harmon / Kenneth C. Knowlton, Studies in Perception I: http://www.knowltonmosaics.com/pages/HKnewd.html, © Kenneth C. Knowlton

Abbildungsnachweise | 381

Abb. 129 a b

Janet: http://chuckclose.com/work153_zoom.html, Foto: Bill Jacobson Janet, Detail: http://chuckclose.com/work153a_zoom.html, Foto: Bill Jacobson

Abb. 130

Jean-Pierre Yvaral, Synthetized Mona Lisa: Popper 1993, S. 84, Abb. 125, Courtesy: Michele Vasarely

Abb. 131

Cindy (Smile): http://chuckclose.com/work286_zoom.html, Foto-Courtesy: Magnolia Editions

Abb. 132 a b

Phil II: http://chuckclose.com/work103_zoom.html, Foto: Maggie L. Kundtz Herstellung von Phil II: http://chuckclose.com/work101_zoom.html

Abb. 133

Google-Bildersuche nach „Phil, Close“: Google Search, https://www.google.de/search?q=Phil,+Close&biw=949&bih=472&source=lnms&tbm=isc h&sa=X&ved=0ahUKEwiU1rXr1P3OAhUB0hoKHejjAq0Q_AUIBigB, Foto: Autorin

Abb. 134

Chuck Close bei der Arbeit an John: http://chuckclose.com/work154_ zoom.html, Foto: Bill Jacobson

Abb. 135

Self-Portrait I: Chuck Close Catalogue Raisonné: Paintings, 1967-Present, https://artifexpress.com/catalogues/chuck-close/artwork/#id=536a7d2fa0 d5e66417003167&query=c:chuck-close/d:2010|2019/s:creation_date|asc& index=14&length=21, Foto: Tom Barratt

Abbildungen

Abb. 1 Big Self-Portrait, 1967-68, Acryl auf Leinwand, 273 x 212,1 cm, Collection Walker Art Center, Minneapolis, Art Center Acquisition Fund, 1969

384 | Face Scan

Abb. 2 a Maquette für Self-Portrait, 1967-68, Silbergelatineabzug, Tinte, Bleistift, Klebeband, Acryl, montiert auf Karton, 47,9 x 34 cm, The Museum of Modern Art, New York Abb. 2 b Maquette für Self-Portrait, 1967-68, vier Silbergelatineabzüge, Tinte, Klebeband, Acrylfarbe aus Airbrush, montiert auf Hartschaumplatte, 76,2 x 61 cm, Privatsammlung, Connecticut

Abbildungen | 385

Abb. 3 Big Nude, 1967, Öl auf Leinwand, 297,2 x 642,6 cm, Jon and Mary Shirley Collection, Medina, Washington

Abb. 4 Kontaktabzug mit Detailaufnahmen für Big Nude, 1964

386 | Face Scan

Abb. 5 Willem de Kooning, Woman I, 1950-52, Öl auf Leinwand, 192,7 x 147,3 cm, The Museum of Modern Art, New York

Abb. 6 The Ballerina, 1962, Öl auf Leinwand, 210,8 x 155,6 cm, Green Family Collection

Abbildungen | 387

Abb. 7 Frank Stella, Jill, 1959, Emaillefarbe auf Leinwand, 229,6 x 200 cm, Albright-Knox Art Gallery, New York

Abb. 8 Hollis Frampton, # 3 (Frank Stella, New York 1959), aus: The Secret World of Frank Stella, 1958-1962, Silbergelatineabzug, Addison Gallery of American Art, Andover

388 | Face Scan

Abb. 9 Jackson Pollock, Autumn Rhythm No. 30, 1950, Emaillefarbe auf Leinwand, 266,7 x 525,8 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 10 Jasper Johns, Target with Four Faces, 1955, Enkaustik auf Zeitungspapier und Stoff über Leinwand, farbige Gipsabgüsse im aufklappbaren Holzkasten, 85,3 x 66 x 7,6 cm, The Museum of Modern Art, New York

Abbildungen | 389

Abb. 11 Maquette für Big Nude, 1964, Fotografie, Tinte, Klebeband, montiert auf Karton, 15,9 x 34,3 cm (ohne Karton), Privatsammlung

Abb. 12 Close bei der Arbeit an Keith, 1970

390 | Face Scan

Abb. 13 Jasper Johns, Flag, 1954-55, Enkaustik, Öl, Collage auf Stoff, aufgezogen auf Holz, 107,3 x 153,8 cm, The Museum of Modern Art, New York

Abb. 14 Flag Painting/Betsy Ross Revisited, 1960-61, Mischtechnik auf Leinwand, 218,4 x 281,9 cm, Privatsammlung, New York

Abbildungen | 391

Abb. 15 Ad Reinhardt, Abstract Painting, Black, 1954, Öl auf Leinwand, 198 x 198 cm, Marlborough Fine Art, New York

Abb. 16 Robert Morris, Installation in der Green Gallery, New York, 1964, sieben verschiedene Polyeder aus Sperrholz, hellgrau gestrichen

392 | Face Scan

Abb. 17 Sol LeWitt, Serial Project No. 1 (ABCD), 1966, Stahl, Installation Kunsthalle Bern (1972), 51 x 200 x 200 cm

Abb. 18 Sol LeWitt, Drawing Series I/II, III/IV (Series A, Series B), 1969-70, Rohrfeder, Tinte auf Papier, je 30,5 x 30,5 cm, Craig F. Starr Gallery, New York

Abbildungen | 393

Abb. 19 Sol LeWitt, Wall Drawing #47, Bleistift, 1970 (erstmals im Juni 1970 ausgeführt bei Philippe-Guy Wood in Vasenaz, Genf )

Abb. 20 Sol LeWitt, Variations of Incomplete Open Cubes, 1974, Druck, 40,6 x 40,6 cm

394 | Face Scan

Abb. 21 Agnes Martin, Leaf, 1965, Acryl und Grafit auf Leinwand, 182,9 x 182,9 cm, Modern Art Museum of Fort Worth, Texas

Abb. 22 Robert Ryman, Winsor 5, 1965, Öl auf Leinen, 159,5 x 159,5 cm, Hallen für neue Kunst, Schaffhausen

Abbildungen | 395

Abb. 23 Robert/104.072, 1973-74, Acryl, Tusche, Bleistift auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, The Museum of Modern Art, New York

396 | Face Scan

Abb. 24 Chuck Close bei der Arbeit an Robert/104.072, 1973-74

Abb. 25 Ausstellungsansicht Head-On/The Modern Portrait, organisiert von Chuck Close, The Museum of Modern Art, New York, Januar-März 1991

Abbildungen | 397

Abb. 26 Jan van Eyck, Mann mit rotem Turban, 1433, Öl auf Holz, 26 x 19 cm, The National Gallery, London

Abb. 27 Antonello da Messina, Porträt eines Mannes, um 1475-76, Öl auf Holz, 35,6 x 25,4 cm, The National Gallery, London

398 | Face Scan

Abb. 28 Paul Cézanne, Madame Cézanne, 1886-87, Öl auf Leinwand, 46,8 x 38,9 cm, Philadelphia Museum of Fine Art

Abb. 29 Vija Celmins, Untitled Portfolio: Ocean, 1975, zweifarbige Lithografie auf Twinrocker-Handmade-Rag-Papier, 33 x 43,2 cm (Bild), 42,2 x 50,8 cm (Bogen)

Abbildungen | 399

Abb. 30 Leslie/Watercolor, 1972-73, Aquarell auf Papier, aufgezogen auf Leinwand, 184,2 x 144,8 cm, Privatsammlung, Kalifornien

Abb. 31 Parmigianino, Selbstbildnis im Konvexspiegel, um 1523-24, Öl auf Holz, Durchmesser 24,4 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien

400 | Face Scan

Abb. 32 Close vor Big Self-Portrait im Atelier, 1968

Abb. 33 Kontaktabzug für Big Self-Portrait, 1967, Privatsammlung, New York

Abbildungen | 401

Abb. 34 Maquette für Self-Portrait, 1975, schwarzweiße Polaroid-Fotografie, Tinte, Acetat, Klebeband, 11,4 x 7,9 cm, Sammlung des Künstlers

Abb. 35 Self-Portrait/Manipulated, 1982, handgeschöpftes graues Papier in 24 Tönen, luftgetrocknet, 96,5 x 76,2 cm, Aufl. 25

402 | Face Scan

Abb. 36 Self-Portrait/Watercolor, 1976-77, Aquarell auf Papier, aufgezogen auf Leinwand, 206 x 149 cm, Museum Moderner Kunst, Stiftung Ludwig, Wien

Abb. 37 Self-Portrait, 1977, Radierung und Aquatinta auf Papier, 136,2 x 107 cm, Aufl. 35, Drucker: Crown Point Press/ Oakland, Sammlung Walker Art Center, Minneapolis, Geschenk von Joe Zucker

Abbildungen | 403

Abb. 38 Self-Portrait, 2004-05, Öl auf Leinwand, 259,1 x 214,6 cm, Kravis Collection

Abb. 39 Jasper Johns, Souvenir 2, 1964, Mischtechnik auf Leinwand, 73 x 54 cm, Sammlung Sally Ganz, New York

404 | Face Scan

Abb. 40 Marcel Duchamp, Wanted: $2000 Reward, 1923, kolorierter Druck, 49,5 x 35,5 cm, Privatsammlung

Abb. 41 a Andy Warhol, Thirteen Most Wanted Men, 1964, Siebdruck auf Holzfaserplatten, Installation an der Außenfassade des New York State Pavilion der New Yorker Weltausstellung

Abb. 41 b Thirteen Most Wanted Men, No. 6 Thomas Francis (oben); No. 10 Louis Joseph M. (unten), Siebdruck auf Leinwand, je 122 x 101,5 cm, Sonnabend Collection, New York

Abbildungen | 405

Abb. 42 Andy Warhol, Self-Portrait, 1964, Siebdruck auf Acryl auf Leinwand, 101 x 91 cm, Privatsammlung

Abb. 43 Andy Warhol, Early Self-Portrait, 1964, Siebdruck auf Silberfarbe, Acryl auf Leinwand, 50,8 x 41cm, Sammlung Froehlich, Stuttgart

406 | Face Scan

Abb. 44 Andy Warhol, Ethel Scull 36 Times, 1963, Siebdruck auf Acryl auf Leinwand, 202,6 x 363,2 cm, Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 45 Andy Warhol, Silver Liz, 1963, Siebdruck, Acryl- und Silberfarbe auf Leinwand, 101,6 x 101,6 cm, The Brant Foundation, Greenwich

Abbildungen | 407

Abb. 46 Andy Warhol, Marilyn Diptych, 1962, Siebdruck auf Acryl auf zwei Leinwänden, je 208,3 x 114,8 cm, Tate Modern, London

Abb. 47 Andy Warhol, Double Self-Portrait, 1967, Siebdruck auf Acryl auf Leinwand, je 182,9 x 182,9 cm, Detroit Institute of Arts

408 | Face Scan

Abb. 48 Guillaume Duchenne de Boulogne, Frontispiz aus Mécanisme de la physiognomie humaine, ou, Analyse électrophysiologique de l’expression (Ausschnitt), 1862, Sammlung Werner Nekes

Abb. 49 Ed Ruscha, Doppelseite aus Twentysix Gasoline Stations, 1963, Künstlerbuch, 17,8 x 12,7 cm, 48 Seiten, National Excelsior Press

Abbildungen | 409

Abb. 50 Walker Evans, Allie Mae Borroughs, 1936, Silbergelatineabzug, 25,2 x 20,2 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles

Abb. 51 August Sander, Konditor, 1928, Silbergelatineabzug, 26 x 17,3 cm, August Sander Archiv, Köln

410 | Face Scan

Abb. 52 Walker Evans, Penny Picture Display, Savannah, 1936, Silbergelatineabzug, 24,7 x 19,3 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 53 Gerhard Richter, Onkel Rudi, 1965, Öl auf Leinwand, 87 x 50 cm, Sammlung Lidice, Prag

Abbildungen | 411

Abb. 54 Philip Pearlstein, Crouching Female Nude with Mirror, 1971, Öl auf Leinwand, 152,4 x 121,9 cm, Besitz des Künstlers

Abb. 55 Philip Pearlstein, Portrait of George Klauber, 1976, Öl auf Leinwand, 74,9 x 62,2 cm, Brooklyn Museum, New York

412 | Face Scan

Abb. 56 Alex Katz, Ted Berrigan, 1967, Öl auf Leinwand, 122 x 122 cm, Privatsammlung

Abb. 57 Robert Bechtle, ’61 Pontiac, 1968-69, Öl auf Leinwand, dreiteilig, 151,8 x 214 cm, Whitney Museum of American Art, New York

Abbildungen | 413

Abb. 58 Richard Estes, Bus Reflections (Ansonia), 1972, Öl auf Leinwand, 101 x 132,2 cm, Privatsammlung

Abb. 59 Franz Gertsch, Christina I, 1983, Acryl auf ungrundierter Baumwolle, 236 x 263 cm, Privatsammlung

414 | Face Scan

Abb. 60 Nancy, 1968, Acryl auf Leinwand, 275,3 x 208,9 cm, Milwaukee Art Museum

Abb. 61 Frank, 1969, Acryl auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, The Minneapolis Institute of Arts

Abb. 62 Richard, 1969, Acryl auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen

Abb. 63 Joe, 1969, Acryl auf Leinwand, 275 x 214,5 cm, Osaka City Museum of Modern Art

Abbildungen | 415

Abb. 64 Phil, 1969, Acryl auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, Whitney Museum of American Art, New York

416 | Face Scan

Abb. 65 Bob, 1969-70, Acryl auf Leinwand, 275 x 213,4 cm, Australian National Gallery, Canberra

Abb. 66 Keith, 1970, Acryl auf Leinwand, 275 x 213,4 cm, The Saint Louis Art Museum

Abb. 67 Maquette für Phil, 1969, Silbergelatineabzug und Klebeband, montiert auf Karton, 35 x 27,4 cm, George Eastman Museum, Rochester, New York

Abbildungen | 417

Abb. 68 Rembrandt Harmensz van Rijn, Selbstbildnis mit offenem Mund, 1630, Radierung, 8,1 x 7,2 cm, Rijksmuseum, Amsterdam

Abb. 69 Albrecht Dürer, Der Zeichner des liegenden Weibes (Unterweysung der Messung), um 1527, Holzschnitt, Kunsthalle Bremen

418 | Face Scan

Abb. 70 a Robert (maquette), 1973, vier Schwarzweißfotografien mit Klebeband, Airbrush, Stift, Tusche, Bleistift, Kugelschreiber, montiert auf Hartschaumplatte, 128,9 x 101,6 cm, The Museum of Modern Art, New York

Abb. 70 b Robert (maquette), Detail

Abbildungen | 419

Abb. 71 a Phil, 1969, Detail

Abb. 71 b Phil, 1969, Detail

Abb. 71 c Phil, 1969, Detail

Abb. 71 d Phil, 1969, Detail

420 | Face Scan

Abb. 72 Maquetten mit Farbseparation für Linda, 1975-76: Magenta, Cyan, Magenta/Cyan Gelb, Magenta/Cyan/Gelb

Abb. 73 Linda, 1975-76, Acryl auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, Akron Art Museum, Ohio

Abbildungen | 421

Abb. 74 Mark, 1978-79, Acryl auf Leinwand, 274,3 x 213,4 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 75 Close bei der Arbeit an Mark, 1978-79

422 | Face Scan

Abb. 76 Study for Kent, 1970, Aquarell und Bleistift auf Papier, 76,2 x 57,2 cm, Allen Memorial Art Museum, Ohio

Abb. 77 Study in Three Colored Pencils/ Small Kent, 1970, Farbstift, Bleistift, Klebeband auf Papier, 61 x 54,6 cm, Privatsammlung, New York

Abbildungen | 423

Abb. 78 Kent, 1970-71, Acryl auf Leinwand, 254 x 228,6 cm, Art Gallery of Ontario, Toronto

Abb. 79 John mit Zwischenstadien, 1971-72, Acryl auf Leinwand, 254 x 228,6 cm, The Eli and Edythe L. Broad Collection, Los Angeles

424 | Face Scan

Abb. 80 a Mark, 1979, Detail

Abb. 80 b Mark, 1979, Detail

Abb. 81 a Nat, 1971, Acryl auf Leinwand, 254 x 228,6 cm, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Abb. 81 b Nat, 1971, Detail

Abbildungen | 425

Abb. 82 a Grauverlauf im Halbtonbild, gerastert und kontinuierlich (wahrgenommen)

Abb. 82 b Farbiger Halbtondruck mit CMYK-Separation, ganz rechts: überlagerte Rasterstruktur und wahrgenommener Farbeindruck

Abb. 83 Mark Watercolor/Unfinished, 1978, Aquarell und Bleistift auf Papier, 135,9 x 102,9 cm, Collection Sydney and Francis Lewis Foundation

426 | Face Scan

Abb. 84 a Leslie/Fingerpainting, 1985, Tusche auf Ölbasis auf Leinwand, 259,1 x 213,4 cm, Privatsammlung, Los Angeles Abb. 84 b Close bei der Arbeit an Leslie/Fingerpainting, 1985

Abbildungen | 427

Abb. 85 a Keith/1.280 (Ausschnitt), 1973, Tusche und Bleistift auf kariertem Papier, 55,9 x 43,2 cm, Privatsammlung, New York

Abb. 85 b Keith/Three Drawing Set (Ausschnitt), 1973, Tusche auf weißem Papier, je 76,2 x 57,2 cm, Privatsammlung, San Francisco.

Abb. 85 c Keith/Three Drawing Set, 1973, Tusche und Bleistift auf weißem Papier

Abb. 85 d Keith/Three Drawing Set, 1973, weiße Tusche auf schwarzem Papier

428 | Face Scan

Abb. 86 Chris, 1974, Tusche und Bleistift auf Papier, 76,2 x 55,9 cm, Privatsammlung, San Francisco

Abb. 87 a Robert I/154, 1974, Tusche und Bleistift auf Papier, jeweils 76,2 x 55,9 cm, Wexner Center for the Arts, The Ohio State University Abb. 87 b Robert II/616

Abb. 87 c Robert III/2.464 Abb. 87 d Robert IV/9.856

Abbildungen | 429

Abb. 88 Punktmatrix-Anzeige mit Alphabet

Abb. 89 Study for Self-Portrait Etching, 1977, Silbergelatineabzug, 51,4 x 42,6 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

430 | Face Scan

Abb. 90 a Self-Portrait, 1977, Radierung und Aquatinta auf Papier, 136,2 x 107 cm, Aufl. 35, Drucker: Crown Point Press/Oakland

Abb. 90 b Self-Portrait, 1977, Detail, Sammlung Walker Art Center, Minneapolis, Geschenk von Joe Zucker

Abbildungen | 431

Abb. 91 a Zeichnung für Phil/ Rubberstamp, 1976, Tusche auf Papier, 19,4 x 16,5 cm

Abb. 91 b Phil/Rubberstamp, 1977, Detail, Gummidruck auf Papier, 20,3 x 20,3 cm, Aufl. 1000, Drucker: A. Colish Press, Verleger: Parasol Press, Ltd., The Museum of Modern Art, New York

432 | Face Scan

Abb. 92 Phil/Fingerprint, 1980, Stempelfarbe auf Papier, 236,2 x 175,3 cm, Chase Manhattan Bank Collection, New York

Abb. 93 Phil Fingerprint/Random, 1979, Stempelfarbe auf Papier, 101,6 x 66 cm, Seattle Art Museum

Abb. 94 John/Fingerpainting, 1984, Tusche auf Ölbasis auf Papier, 62,2 x 52,1 cm, Privatsammlung, Kalifornien

Abbildungen | 433

Abb. 95 a Fanny/Fingerpainting, 1985, Tusche auf Ölbasis auf Leinwand, 259,1 x 213,4 cm, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Abb. 95 b Fanny, 1985, Detail

Abb. 95 c Fanny, 1985, Detail

434 | Face Scan

Abb. 96 Keith/Six Drawing Series (Ausschnitte), 1979, Reynolda House, Museum of American Art, Winston-Salem a. Square Fingerprint Version, Stempelfarbe und Bleistift auf Papier, 75,6 x 56,5 cm b. Watercolor Version, Aquarell und Bleistift auf Papier, 74,9 x 56,2 cm

c. Round Fingerprint Version, Stempelfarbe und Bleistift auf Papier, 75,6 x 56,8 cm d. White Conté Version, weiße Conté-Kreide, Bleistift, schwarze Guache auf Papier, 75,2 x 56,2 cm

e. Ink Stick Version, Tusche und Bleistift auf Papier, 74,9 x 55,9 cm f. Random Fingerprint Version, Stempelfarbe und Bleistift auf Papier, 75,6 x 56,5 cm

Abbildungen | 435

Abb. 97 a Keith/Six Drawings, Künstlerbuch, Schwarzweiß-Offset-Lithografie auf Papier, 12 Seiten aus einem Bogen in Leporello-Faltung, 15,2 x 15,9 cm, Aufl. 2000, Lapp Princess Press, New York 1979

Abb. 97 b Keith/Six Drawings, 1979, Innenansicht

436 | Face Scan

Abb. 98 Self-Portrait/Composite/Nine Parts, 1979, neun Polaroid-Fotografien, 210,8 x 175,3 cm (unregelmäßig), Whitney Museum of American Art, New York

Abb. 99 Self-Portait/Composite/Six Parts, 1980, sechs Polaroid-Fotografien, 431,8 x 337,8 cm (vermutlich zerstört)

Abbildungen | 437

Abb. 100 Bruce Nauman, Studies for Holograms a-e (Ausschnitte), 1970, farbige Serigraphien auf Papier, 66 x 66 cm, Aufl. 150, Verleger: Castelli Graphics/New York

Abb. 101 David Hockney, Kasmin, Los Angeles, 28th March 1982, 1982, Komposit-Polaroid, 106 x 75,6 cm, Privatsammlung

438 | Face Scan

Abb. 102 Laura Triptych, 1984, drei Polaroid-Polacolor-II-Fotografien, 215,9 x 325,1 cm, Privatsammlung

Abb. 103 Laura I, 1984, fünf Polaroid Polacolor-II-Fotografien, 215,9 x 528,3 cm, Privatsammlung

Abbildungen | 439

Abb. 104 Keith/Mezzotint, 1972, Mezzotinto auf Papier, 130,8 x 106,7 cm (Blatt), Aufl. 10, Drucker: Crown Point Press/Oakland, Verleger: Parasol Press/New York

440 | Face Scan

Abb. 105 Keith/Mezzotint, Probedrucke von Details, 1972, Mezzotinto auf Papier a. Probedruck Nr. 6 von Probeplatte/Graphic Cem, 21,5 x 26,7 cm (Bild), Achenbach Foundation for Graphic Arts, Legion of Honor, San Francisco

b. Probedruck Nr. 1 von Probeplatte/Taille Douce, 21,1 x 26,6 cm (Bild), Achenbach Foundation for Graphic Arts, Legion of Honor, San Francisco

c. Keith/Mezzotint (Fragment I), 28,4 x 32,5 cm (Blatt), National Gallery of Australia, Canberra

Abb. 106 Keith/Mezzotint, Probedruck Nr. 6 von 9, 1972, Mezzotinto auf Papier, 122,2 x 98 cm (Blatt), National Gallery of Australia, Canberra

Abbildungen | 441

Abb. 107 Maquette von Study for Keith/Four Times, 1975, 1 von 4 Silbergelatineabzügen mit Tusche, Bleistift, Klebeband, montiert auf Hartschaumplatte, 50,5 x 39,7 cm, John Berggruen Gallery, San Francisco

Abb. 108 Slow Pan for Bob, 1970, Filmstills, 16mm-Schwarzweißfilm, ohne Ton, 10:43 min, Aufl. 2 Kopien, Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen; Centre Pompidou, Paris

442 | Face Scan

Abb. 109 Johann Caspar Lavater, Neun erdichtete Silhouetten zur Überprüfung des physiognomischen Genies, aus: Von der Physiognomik, Leipzig 1772

Abb. 110 Paul Régnard, Attitudes Passionelles – Extase, Fotografie von Augustine, Kollotypie-Druck, aus: Iconographie photographique de la Salpêtrière, Paris 1878, Tafel 23

Abbildungen | 443

Abb. 111 Cesare Lombroso, Epileptische Kriminelle (Ausschnitt), aus: L’homme criminel. Étude anthropologique et psychiatrique, Paris 1887, Tafel 15

444 | Face Scan

Abb. 112 Verbrecheralbum Polizei Hannover: Einzelaufnahme, 1860-65 (links); älteste Fotografie dieser Sammlung (rechts), 1858, LKA Hannover

Abb. 113 Verbrecheralbum Polizei Hannover: Porträt Georg Gunkel, 1860, Fotografie (links); Lithografie v. Georg Müller (rechts), Beilage Hannoversches Polizeiblatt, Bd. 14

Abbildungen | 445

Abb. 114 Alphonse Bertillon, Selbstbildnis in anthropometrischer Kartei, 1912, Archive du Service Regional d’Identité Judiciaire, Préfecture de Police, Paris

Abb. 115 Polizeikartei mit anthropologischem Signalement, 27. Mai 1898 (Fingerabdrücke vermutlich später hinzugefügt), aus: Friedrich Paul, Handbuch der kriminalistischen Photographie, Berlin 1900

446 | Face Scan

Abb. 116 Alphonse Bertillon, Übersicht physiognomischer Züge: Tableau synoptique des traits physionomiques: pour servir a l‘étude du “portrait parlé”, um 1909, Detail, Silbergelatineabzug, The Metropolitan Museum of Art, New York

Abbildungen | 447

Abb. 117 Alphonse Bertillon, Ansicht mit Aufnahmestuhl und Vorrichtungen für Tatort- und Beweismittelfotografie, Aufnahme der Préfecture de Police für die Pariser Weltausstellung 1889, Musée de la Préfecture de Police, Paris

Abb. 118 Francis Galton, Kompositporträts von überführten Dieben (ohne Gewalttat), aus: Inquiries into Human Faculty and its Development, 1883

448 | Face Scan

Abb. 119 a Schema mit rechtsverbildlichen Vorgaben für das Passbild, publiziert von der ICAO (Internationale Zivilluftfahrtorganisation) nach einer Musterdatei der ISO

Abb. 119 b Anwendungsbeispiel für biometrisches Passbild, markierter Augenbereich und Nasenmitte, aus: Passbild-Schablone der Bundesdruckerei für Personen ab 10 Jahren

Abb. 120 Automatischer Bildvergleich mit gefundenen Merkmalen wie Gesichtsfragmenten (unten), bei Ausschluss von unzutreffenden oder nicht gemeinsamen Informationen

Abbildungen | 449

Abb. 121 a Durchschnittsbild aus 16 Trainingsbildern von individuellen Gesichtern

Abb. 121 b Beispiele für Eigenfaces, errechnet aus Trainingsbildern (Originalfotos) für Abb. 128a

Abb. 122 Elastic Bunch Graph Matching: automatisch an Objekt angepasste Gitter in verschiedenen Positionen für Gesichtsdetektion (links) und -erkennung (rechts)

450 | Face Scan

Abb. 123 3D-Gesichtsscan zur Erfassung biometrischer Merkmale durch projiziertes Streifenlicht, Registrierung von Körper- und Kopfform als digitaler Datensatz

Abb. 124 3D-Scanner für Zahnmedizin und Gesicht (Ausschnitt), Programm Facial Insight 3D von Motion View Software

Abb. 125 Titelbild von Scientific American, November 1973, Porträt von George Washington von Leon D. Harmon aus dessen Artikel The Recognition of Faces

Abbildungen | 451

Abb. 126 Whole Earth Catalog, Titelseite der ersten Ausgabe, 1968

Abb. 127 a Zeichenerkennung durch Vergleich, am Beispiel eines Elefanten mit unterschiedlich feiner Quantisierung: a. sehr groß, b. 2400, c. 600, d. 150, e. 37,5, f. 9,4 Bildpunkte

Abb. 127 b Zeichenerkennung, Beispiele für Zeichenveränderungen: lineare geometrische und nichtlineare geometrische Veränderungen, Gradationsveränderungen

452 | Face Scan

Abb. 128 a Leon D. Harmon/Kenneth C. Knowlton, Studies in Perception I, 1966, computergenerierter Druck nach einer Schwarzweißfotografie, 152,4 x 304,8 cm

Abb. 128 b Studies in Perception I, 1966, Detail

Abbildungen | 453

Abb. 129 a Janet, 1992, Öl auf Leinwand, 254 x 213,4 cm, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, New York

Abb. 129 b Janet, 1992, Detail

454 | Face Scan

Abb. 130 Jean-Pierre Yvaral, Synthetized Mona Lisa, 1989, digitalisierte Bilder (sogenannte „images numérisées“)

Abb. 131 Cindy (Smile), 2013, Druck mit Aquarell-Archiv-Pigmenten auf Hahnemühle-Papier, 190,5 x 152,4 cm

Abbildungen | 455

Abb. 132 a Phil II, 1982, handgeschöpftes graues Papier, pressgetrocknet, 162,6 x 135,9 cm, Aufl. 15

Abb. 132 b Herstellung von Phil II, Dieu Donné Studio, New York

Abb. 133 Suchergebnis im Browser bei der Google-Bildersuche nach „Phil, Close“

456 | Face Scan

Abb. 134 Close bei der Arbeit an John, 1992, Öl auf Leinwand, 254 x 213,4 cm, Privatsammlung, Los Angeles

Abb. 135 Self-Portrait I, 2014, Öl auf Leinwand, 275,6 x 213,4 cm, David Booth Collection

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