Evolutionäre Ethik?: Philosophische Programme, Probleme und Perspektiven der Soziobiologie 9783110820416, 9783110153927


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German Pages 249 [260] Year 1997

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Table of contents :
1. Einleitung
2. Das biologische Programm der Soziobiologie
3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie
4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie
4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus
4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene“
4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses
4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus
4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe
4.6 Ethik nach der Soziobiologie
5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik
6. Zusammenfassung
7. Zitierte Werke
8. Personenregister
9. Sachregister
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Evolutionäre Ethik?: Philosophische Programme, Probleme und Perspektiven der Soziobiologie
 9783110820416, 9783110153927

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Bernd Gräfrath Evolutionäre Ethik?

Philosophie und Wissenschi Transdisziplinäre Studien Herausgegeben von Carl Friedrich Gethmann Jürgen Mittelstraß in Verbindung mit Dietrich Dörner, Wolfgang Frühwald, Hermann Haken Jürgen Kocka, Wolf Lepenies, Hubert Markl, Dieter Sim

Band 14

W DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

Bernd Gräfrath Evolutionäre Ethik? Philosophische Programme, Probleme und Perspektiven der Soziobiologie

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Gräfrath, Bernd: Evolutionäre Ethik? : philosophische Programme, Probleme und Perspektiven der Soziobiologie / Bernd Gräfrath. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Philosophie und Wissenschaft ; Bd. 14) Zugl.: Essen, Univ., Habil.-Schr., 1996 ISBN 3-11-015392-0 NE: GT

© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Vera tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über! Zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroniscl Systemen. Printed in Germany Druck: Druckerei Gerike, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

'"For his successful progress, throughout the savage state, man has been largely indebted to those qualities which he shares with the ape and the tiger; his exceptional physical organization; his cunning, his sociability, his curiosity, and his imitativeness; his ruthless and ferocious destructiveness when his anger is roused by opposition. But, in proportion as men have passed from anarchy to social organization, and in proportion as civilization has grown in worth, these deeply ingrained serviceable qualities have become defects. After the manner of successful persons, civilized man would gladly kick down the ladder by which he has climbed. He would be only too pleased to see ,the ape and tiger die'. But they decline to suit his convenience..."' (T.H. Huxley)

Vorwort Die vorliegende Arbeit diente akademischen Qualifikationszwecken. Ich bin zuversichtlich, daß sie trotzdem lesbar und lesenswert ist. 1996 wurde sie an der Universität Essen als philosophische Habilitationsschrift angenommen. Als Gutachter fungierten Carl Friedrich Gethmann, Vittorio Hösle und Dieter Birnbacher. Ihnen gilt ebenso mein Dank wie Anne Bentfeld, Thorsten Sander und Brigitte Uhlemann, die das Manuskript

Inhalt 1. 2. 3. 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.6 5. 6. 7. 8. 9.

Einleitung 1 Das biologische Programm der Soziobiologie 11 Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie 42 Moralphilosophische Programme der Soziobiologie 77 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus 78 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene" 105 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses 123 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus 140 Soziobiologie als Orientierungshilfe 161 Die Bedeutung „evolutionär stabiler Strategien" 163 Der Wert des Überlebens 173 Die Grenzen des Nötigen und des Zumutbaren 182 Die Anwendung allgemeiner Prinzipien 190 Exkurs: Eine Minimal-Anthropologie für eine Ethik der Konfliktlösung 195 Ethik nach der Soziobiologie 206 Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik 212 Zusammenfassung 222 Zitierte Werke 225 Personenregister 244 Sachregister 248

1. Einleitung David Hume wollte nach dem Vorbild von Newtons „natural philosophy" eine analoge „moral philosophy" erarbeiten, die er in einem weiten Sinne nicht nur als Ethik, sondern generell als „the science of human nature" verstand. Für den psychologischen Teil dieses Unternehmens bedeutete das, daß er eine Vielzahl unterschiedlicher menschlicher Motive auf wenige allgemeine erklärende Prinzipien zurückführen wollte. Dennoch hebt Hume hervor, daß eine solche Reduzierung nicht in allen Fällen möglich ist. Dabei denkt er insbesondere an die gemeinhin als altruistisch angesehenen Neigungen bzw. Handlungen: To the most careless observer there appear to be such dispositions as benevolence and generosity; such affections as love, friendship, compassion, gratitude. These sentiments have their causes, effects, objects, and operations, marked by common language and observation, and plainly distinguished from those of the selfish passions. And as this is the obvious appearance of things, it must be admitted, till some hypothesis be discovered, which by penetrating deeper into human nature, may prove the former affections to be nothing but modifications of the latter. All attempts of this kind have hitherto proved fruitless, and seem to have proceeded entirely from that love of simplicity which has been the source of much false reasoning in philosophy.1

Ist mit der Soziobiologie diese Theorie zur Rückführung der altruistischen auf die egoistischen Neigungen gefunden worden, deren Möglichkeit Hume 1751 für theoretisch denkbar, aber 1

David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals (1751), in: ders., Enquiries concerning Human Understanding and concerning the Principles of Morals, hrsg. v. L.A. Selby-Bigge, Third Edition revidiert v. P.H. Nidditch (Oxford: Oxford University Press, 1975), S. 298.

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1. Einleitung

unplausibel hielt? Das „Problem" des Altruismus bildet jedenfalls einen zentralen Forschungsgegenstand dieser biologischen Disziplin, die mit einem neuartigen Ansatz zu einem besseren Verständnis des Verhaltens von Lebewesen beitragen will. Dieser neuartige Ansatz besteht in einem doppelten Wechsel der Perspektive: Zum einen wird der Anspruch erhoben, daß die Biologie zur Erklärung „sozialen" Verhaltens (zunächst bei Tieren, aber dann auch bezogen auf den Menschen) notwendig und vielleicht sogar hinreichend ist. Edward O. Wilson machte 1975 in seinem schon klassischen Werk Sociobiology: The New Synthesis die weitreichenden Ansprüche explizit: „Sociology and the other social sciences, as well as the humanities, are the last branches of biology waiting to be included in the Modern Synthesis."2 Damit hat sich ein anderer Perspektivenwechsel verbunden, der sich im Anschluß an Richard Dawkins' berühmtberüchtigte Theorie von „egoistischen Genen" 3 in der Soziobiologie fast allgemein durchgesetzt hat: Der evolutionäre Mechanismus von Mutation, Rekombination und Selektion sowie der daraus sich ergebende unterschiedliche Fortpflanzungserfolg werden nicht mehr primär auf die Ebene der einzelnen Le2

Edward O . Wilson, Sociobiology: The New Synthesis (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press (Belknap), 1975), S. 4. Wilson beansprucht mit seinem Untertitel einen ähnlich großen Fortschritt, wie ihn die „Große Synthese" des - schon radikalisierten - Darwinismus Weismannscher Prägung mit der Mendelschen Vererbungslehre in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts darstellte, die das heute akzeptierte Paradigma des Neodarwinismus hervorbrachte. Vgl. dazu Ernst Mayr, Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt: Vielfalt, Evolution und Vererbung (Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1984; urspr. englisch 1982). Wilsons Programm der Soziobiologie hat seinen Ursprung in den Untersuchungen von William D. Hamilton, „The Genetic Theory of Social Behaviour", \-\\, Journal of Theoretical Biology 7 (1964), S. 1-16 u. S. 17-32.

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Richard Dawkins, Das egoistische Gen (Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1978; urspr. englisch 1976). Wilson selbst lehnte Dawkins' Theorie übrigens als reduktionistisch ab; vgl. Richard Dawkins, „In Defence of Selfish Genes", Philosophy 56 (1981), S. 556-573, hier: S. 572. Wie wir unten sehen werden, beruht diese Kritik aber weitgehend auf einem Mißverständnis.

1. Einleitung

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bewesen (Individuen) bezogen, sondern in erster Linie aus der Perspektive der einzelnen Gene betrachtet. Beide Perspektivenwechsel können sich auf etablierte Fortschrittskonzeptionen der Wissenschaftstheorie berufen: Es bedeutet in der Regel einen Erkenntnisfortschritt, wenn vielfältige Phänomene auf wenige Prinzipien oder eine Gruppe von Naturgesetzen auf eine einzige Theorie zurückgeführt werden. Standardbeispiele für solche gelungenen theoretischen Reduktionen sind die Zurückführung der Gasgesetze auf die Gesetze der statistischen Thermodynamik und die weitreichende Rückführung der Molekularbiologie auf die Biochemie. Allerdings besteht auch die Gefahr eines überbordenden Reduktionismus, wie er sich etwa in den physikalistischen Konzeptionen einiger Vertreter des Logischen Empirismus findet.4 Die Soziobiologie stellt somit ein interessantes Forschungsprojekt dar, das auf seine Leistungsfähigkeit hin zu prüfen ist. Genuin philosophisches Interesse erweckt dieses Projekt, wenn es sich anschickt, Ethik zu betreiben. Edward O. Wilson schrieb in seiner ersten Phase in der für Schulgründer typischen Grobschlächtigkeit: „Scientists and humanists should consider together the possibility that the time has come for ethics to be removed temporarily from the hands of the philosophers and biologicized." 5 Auch wenn es einerseits als offensichtlich erscheint, daß jedenfalls nicht die gesamte Ethik als empirische Naturwissenschaft betrieben werden kann (was

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Vgl. dazu das traditionelle Leib/Seele-Problem, das durch das Forschungsgebiet „Künstliche Intelligenz" eine neue Aktualität gewonnen hat, aber auch reduktionistischen Mißverständnissen ausgesetzt ist; siehe John R. Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes (München: Artemis & Winkler, 1993; urspr. englisch 1992), bes. S. 130-146 („Der Reduktionismus und die Irreduzibilität des Bewußtseins" ). Zum Gegensatz zwischen reduktionistischer Einheitswissenschaft und wohlverstandener Interdisziplinarität vgl. allgemeiner: Bernd Gräfrath, Renate Huber u. Brigitte Uhlemann, Einheit, Interdisziplinarität, Komplementarität: Orientierungsprobleme der Wissenschaft heute (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1991).

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Edward O. Wilson, Sociobiology, S. 562.

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1. Einleitung

Wilson später auch selbst zugestand), scheint es doch andererseits ebenso evident zu sein, daß biologische Erkenntnisse für die Ethik zumindest relevant sind. Schließlich wird heute kein vernünftiger Mensch mehr bestreiten, daß der Mensch der biologischen Evolution entstammt und sich jedenfalls nicht völlig von diesen Wurzeln gelöst hat. Aber in welchem Sinne ist die Biologie wirklich relevant für die philosophische Ethik? Die Theorien der Anhänger einer „Evolutionären Ethik" (EE) bieten hier kein einheitliches Bild. Es genügt jedenfalls nicht, zur Stützung dieses Projekts schlicht zu behaupten: „Es ist sicher richtig, daß der Mensch im Zentrum aller philosophischen Betrachtung steht" und daraus zu folgern: „Insofern sind Philosophie und Anthropologie nicht nur nicht zu trennen, sondern nahezu identisch."6 Generell besteht der Verdacht, daß die weitreichendsten Ansprüche einfach verfehlt sind, die bescheidensten aber über bloße Trivialitäten nicht hinausgelangen. Interessant ist aber der Zwischenbereich der gehaltvollen und (möglicherweise) richtigen Theorien. Hier besteht denn auch erheblicher Klärungsbedarf. Es sind verschiedene Positionen einer EE zu unterscheiden, und es läßt sich nicht von vornherein ausschließen, daß einige biologische Erkenntnisse tatsächlich von systematischer Bedeutung für die Ethik sind - und zwar sowohl für die Metaethik, die sich mit Fragen der Rationalität und Begründbarkeit normativer Sätze (und eventuell einer zugehörigen Ontologie) beschäftigt, als auch für die normative Ethik, die Prüfverfahren bereitstellt, um bestimmte Handlungen (bzw. Maximen) oder Dispositionen gegenüber anderen moralisch auszuzeichnen (etwa als pflichtgemäß oder als tugendhaft), bis hin zur angewandten Ethik, bei der, ebenso wie in der Politikberatung, empirische Daten ohnehin berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Frage der konkreten Umsetzung akzeptierter Normen geht. Dabei ist zu erwarten, daß die Annäherung zwischen Biologie und Ethik für unterschiedliche 6

Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik (Stuttgart: Reclam, 1993), S. 103-132, hier: S. 107.

1. Einleitung

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ethische und metaethische Positionen von jeweils unterschiedlicher Reichweite sein wird: So vertritt ein radikaler Kantianer einen Begriff von Moral, der alles „bloß" altruistische Verhalten als „pathologisch" abwertet und nur Handlungen „aus Pflicht" überhaupt zu dem Bereich des genuin Moralischen rechnet. Auch weniger radikale Anhänger einer Pflichten-Ethik können die für die E E zentrale Debatte um Egoismus und Altruismus weitgehend vernachlässigen, weil diese Begriffe jedenfalls nicht zu den Grundbegriffen ihrer ethischen Theorie gehören. Eine Tugend-Ethik (wie sie schon von Aristoteles, aber auch von einigen bedeutenden „British Moralists" - etwa Shaftesbury und Hutcheson - vertreten wurde) wird dagegen über die entsprechenden neuen Erkenntnisse nicht einfach hinweggehen können; denn angesichts der vorgebrachten biologischen Erkenntnisse entsteht leicht der Verdacht, daß die im Rahmen dieser Theorien geäußerten Werturteile als bloße Epiphänomene einer biologischen Stammesgeschichte entlarvt werden müssen. Ein radikaler Vertreter der E E könnte zwar behaupten, daß angesichts der vorliegenden empirischen Erkenntnisse umgekehrt nur solche philosophischen Ethiken überhaupt akzeptabel sind, die eine direkte Verwandtschaft mit deskriptiven Thesen der Evolutionsbiologie aufweisen. Eine solche Herangehensweise verletzt aber in allzu eklatanter Weise grundlegende philosophische Erkenntnisse, zu denen das Wissen um den zu vermeidenden „naturalistischen Fehlschluß" 7 jedenfalls zu rechnen ist. Nur ein eifernder Konvertit wie Michael Ruse, der

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Dieser Begriff stammt von G e o r g e Edward Moore, Principia Etbica (Stuttgart: Reclam, 1970; urspr. englisch 1903), wird heute aber in einem anderen Sinne als bei M o o r e verwendet. Man bezieht sich damit nämlich eher auf eine Unterscheidung bei David H u m e , A Treatise of Human Nature, hrsg. v. L . A . Selby-Bigge, Second Edition revidiert v. P.H. Nidditch ( O x f o r d : O x f o r d University Press, 1978; urspr. 1739/40), S. 469 f, w o er darauf hinweist, daß bei einem Ubergang von bloßen „Is" -Sätzen zu einem „ O u g h t " -Satz besondere Begründungspflichten übernommen werden müssen - mit der Implikation, daß aus allein deskriptiven Prämissen keine präskriptive Konklusion deduktiv ableitbar ist. Zu einer präziseren Fassung von „ H u m e s Gesetz" siehe die Diskussion in Kapitel 4.2.

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1. Einleitung

ursprünglich aufgrund philosophischer Argumente zumindest das Projekt einer EE in ihrer „stärksten" (d.h. mit den weitreichendsten Ansprüchen auftretenden) Form entschieden ablehnte, kommt wohl in die scheinbare Zwangslage, das Kind mit dem Bade ausschütten zu müssen und alle philosophischen Einsichten nunmehr nur noch daran zu messen, ob sie gut zu dem Projekt einer EE passen. 8 Zuzugestehen ist allerdings, daß jede realistische Ethik keine unerfüllbaren Forderungen stellen darf. Eine solche Forderung mag vielleicht dazu verhelfen, einige besonders extreme Ethiken zu verwerfen; aber sie ist sicherlich nicht dazu geeignet, auf akzeptable Weise die Vielfalt verbliebener Theorien zu gewichten. Wie in der normativen Ethik, sind auch unterschiedliche meta,ethische Theorien in jeweils unterschiedlicher Weise von den Ergebnissen der EE betroffen. Insbesondere „intuitionistische" Positionen (deren Vielfalt allerdings zu einer detaillierten Untersuchung zwingt) geraten durch die (nach dem Ockhamschen Kriterium) ontologisch sparsamere Erklärung unserer moralischen Uberzeugungen unter Beweislast. Wenn moralische Rechtfertigung nur durch die Berufung auf unüberprüfbare, bloß subjektive „Intuitionen" vonstatten gehen könnte, müßte man Verständnis für Wilsons Urteil haben: „Ethical philosophers intuit the deontological canons of morality by consulting the emotive centers of their own hypothalamiclimbic system. [...] Only by interpreting the activity of their emotive centers as a biological adaptation can the meaning of the canons be deciphered." 9 Die heute in der Fachdiskussion vorherrschenden metaethischen Theorien sind aber nicht emotivistisch, sondern kognitivistisch, und sie zeigen auch, wie eine intersubjektive Rechtfertigung normativer Sätze möglich ist. Diese könnten sich zwar angesichts der Kritik durch die EE als naiv erweisen; aber das wäre dann erst einmal separat nachzu8

9

Vgl. dazu besonders kraß: Michael Ruse, „Evolutionary Ethics and the Search for Predecessors: Kant, Hume, and all the Way back to Aristotle?", Social Philosophy & Policy 8 (1990), S. 59-85. Edward O. Wilson, Sociobiology, S. 563.

1. Einleitung

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weisen. Jedenfalls lassen sich diese philosophischen Bemühungen nicht pauschal vom Tisch wischen. Die geäußerten ersten Bedenken gegen bestimmte philosophisch ambitionierte Biologen müssen allerdings ergänzt werden durch eine komplementäre Mahnung zur Vorsicht an die Adresse selbstsicherer Philosophen. Mit dem Hinweis auf einen zu vermeidenden naturalistischen Fehlschluß glauben viele Philosophen, sich den Niederungen der empirischen Naturwissenschaften entziehen zu können. Aber selbst wenn man den Ubergang von bloßen „Is"-Sätzen zu einem „Ought"-Satz tatsächlich als logischen Fehlschluß akzeptiert (was inzwischen auch die meisten Vertreter einer EE zumindest verbal tun), rechtfertigt das doch noch nicht eine selbstgenügsame Abkapselung der philosophischen Ethik. In diesem Spannungsfeld den richtigen Stellenwert der EE herauszuarbeiten, ist denn auch das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit. So kommt etwa keine Ethik ganz ohne bestimmte anthropologische Grundannahmen aus. 10 Diese sind aber ebenfalls von unterschiedlicher Art und auch von unterschiedlicher Reichweite. Eine Ethik, die sehr weitreichende anthropologische Annahmen voraussetzen muß, bietet größere Angriffsflächen als eine, die nur eine minimale Anthropologie benötigt und deshalb ceteris paribus vorzuziehen ist. Jede Anthropologie wird überdies einen empirisch überprüfbaren Gehalt aufweisen, der ebenfalls bei der vergleichenden Bewertung normativer Ethiken berücksichtigt werden muß. Hier sei zu Illustrationszwecken nur auf einen großen Moralphilosophen der Gegenwart hingewiesen: John Rawls argumentiert in seiner Theory of Justice gegen das utilitaristische Grundprinzip des anzustrebenden „größten Glücks 10

Dieser Sachverhalt hat sein Analogon in der theoretischen Philosophie: Auch die zurückhaltendste Erkenntnistheorie kommt nicht ganz ohne eine Ontologie aus, da sich eine solche unvermeidlich immer schon durch den jeweiligen kategorialen Apparat ergibt, ohne den keine Sprache auskommen kann. Vgl. dazu Carl Friedrich Gethmann, „Die Möglichkeit der Seinsfrage in einer operativen Sprachtheorie" (1969), in: ders., Dasein: Erkennen und Handeln - Heidegger im phänomenologischen Kontext (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1993), S. 51-69.

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1. Einleitung

der größten Zahl" u.a. dahingehend, daß dieses Prinzip stärkere und weniger verbreitete Neigungen voraussetzt, als dies sein Grundprinzip von „Gerechtigkeit als Fairneß" tut: Die Fähigkeit zu einer Lagebeurteilung nach Gerechtigkeitsprinzipien (von Rawls als „sense of justice" bezeichnet) läßt sich nach Rawls plausibler voraussetzen als die vom Utilitarismus angenommenen altruistischen Neigungen. 11 Das Projekt einer E E entstand, nachdem die Diskussion um eine „Evolutionäre Erkenntnistheorie" zu einem vorläufigen Ende gekommen war bzw. diese Diskussion sich totgelaufen hatte. Nachdem sich dort Biologen und Philosophen zunächst unversöhnlich (und teilweise verständnislos) gegenübergestanden hatten, entwickelte sich im Laufe der Debatte ein wachsendes Verständnis für die Begrenztheit der jeweiligen Positionen, die sich - wohlverstanden - als einander ergänzend herausstellten.12 Vorausgegangen war aber die unabdingbare genauere Analyse der jeweiligen Erkenntnisse. Wenn die entsprechende Analyse der verschiedenen Projekte einer E E zu einem analogen Ergebnis führen sollte, wäre das ertragreich genug. Aber auch der Nachweis, daß eine der konkurrierenden Disziplinen, nämlich E E oder philosophische Ethik, radikal reformbedürftig sei, wäre ein Ergebnis, das sich festzuhalten lohnte.

11

Siehe John Rawls, A Theory of Justice (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press (Belknap), 1971), S. 501; vgl. Allan Gibbard, „Human Evolution and the Sense of Justice", Midwest Studies in Philosophy 7(1982), S. 31-46.

12

Vgl. dazu Wolfgang Stegmüller, „Evolutionäre Erkenntnistheorie, Realismus und Wissenschaftstheorie", in: Robert Spaemann, Peter Koslowski u. Reinhard Low (Hrsg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis: Zur philosophischen Kritik eines Paradigmas moderner Wissenschaft (Weinheim: Acta humaniora, 1984), S. 5-34; Vittorio Hösle, „Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntnistheorie", Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 19 (1988), S. 348-377; Eve-Marie Engels, Erkenntnis als Anpassung?: Eine Studie zur Evolutionären Erkenntnistheorie (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989), bes. S. 367 ff („Ausblick auf Dialogmöglichkeiten zwischen .Geltungs-' und .Entstehungstheoretikern'" ).

1. Einleitung

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Die schon für die Auseinandersetzung um die „Evolutionäre Erkenntnistheorie" zentrale Unterscheidung zwischen Genese und Geltung muß hier schon zu Anfang ins Gedächtnis gerufen werden, um deutlich zu machen, auf welcher Ebene im folgenden die Diskussion der E E stattfinden soll: Uns interessiert - jedenfalls im Rahmen der vorliegenden philosophischen Untersuchung - nicht die reaktionäre politische Motivation, die anscheinend manche Betreiber einer E E bewegt. Ebensowenig soll das Argument zugelassen werden, daß die Soziobiologie abgelehnt werden muß, weil sie eventuell als Rechtfertigung für unerwünschte politische Programme dienen könnte. 13 Dem könnte zwar entgegengehalten werden, daß einige Vertreter dieser Schule durchaus nicht reaktionär sind und ihre Ergebnisse sogar als Anstoß für verstärkte fortschrittliche Reformen auffassen. Uns müssen hier aber nicht Personen, sondern Fragen zur wissenschaftlichen Akzeptabilität einer Theorie beschäftigen, und der Soziobiologie muß auf ihrem eigenen Feld - oder auf dem philosophischen Feld, in das sie eindringt - entgegengetreten werden, um sie nach wissenschaftlichen Kriterien zu prüfen. 14 Diese Kriterien werden unterschiedlicher Art sein, je nachdem, ob die Soziobiologie auf dem Feld der Biologie oder

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Typisch für solche Arten der Kritik sind die folgenden Äußerungen: „Sociobiology, which sees itself as the science of social behavior, seems ideally suited to provide a credible foundation for the ideology of capitalism. [...] Sexism [...] is an integral part of the theory. [...] We believe that there is a deeper connection between sociobiology and racism than just the alleged biological nature of inter-group prejudice." Siehe Joseph S. Alper, „Ethical and Social Implications", in: Michael S. Gregory, Anita Silvers u. Diane Sutch (Hrsg.), Sociobiology and Human Nature: An Interdisciplinary Critique and Defense (San Francisco: Jossey-Boss, 1978), S. 195-212, hier: S. 203, S. 206 u. S. 209. Vgl. dazu auch einen unter kämpferischem Gruppennamen veröffentlichten Aufsatz: Sociobiology Study Group of Science for the People [= L. Allen u.a.], „Sociobiology - Another Biological Determinism", Bioscience 26 (1976), S. 182-186.

14

Zu dem in diesem Zusammenhang relevanten und oft mißverstandenen Postulat von der „Wertfreiheit der Wissenschaft" vgl. Bernd Gräfrath, „Forschungsinteresse, Tatsachenwissen und praktische Orientierung", Zeitschrift für philosophische Forschung 45 (1991), S. 558-570.

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1. Einleitung

dem der Philosophie auftritt. Nach dieser Prüfung kann festgestellt werden, welche praktisch-politischen Schlußfolgerungen sich aus den geprüften Thesen überhaupt ergeben; und diese dürfen dann nicht einfach ignoriert werden, falls sie sich als unliebsam herausstellen sollten. Mit der Konzentration auf die E E steht die philosophische Debatte im Mittelpunkt. Die fachinternen Probleme der Soziobiologie müssen aber zumindest angerissen werden, denn die biologische Verankerung dieser Theorie bildet die vorausgesetzte Grundlage für alle darüber hinausgehenden philosophischen Projekte.

2. Das biologische Programm der Soziobiologie Charles Darwins Evolutionstheorie läßt sich (mit David L. Hull) ganz kurz zusammenfassen: „Gene mutieren, Individuen unterliegen der Selektion, und Arten entwickeln sich evolutionär." 1 Dawkins' Theorie des „egoistischen Gens" wurde demgegenüber des öfteren ein Abweichen vom „orthodoxen" Darwinismus vorgeworfen. So heißt es etwa, Gene könnten gar nicht egoistisch sein: „Genes cannot be selfish or unselfish, any more than atoms can be jealous, elephants abstract or biscuits teleological." 2 Ein anderer verbreiteter Vowurf ist, daß Dawkins das Individuum als Einheit der Selektion leugne: „Die Selektion kann die Gene einfach nicht sehen und direkt zwischen ihnen eine Auswahl treffen. Sie muß Körper als Zwischenformen verwenden. Ein Gen ist ein Stück D N A , das in der Zelle verborgen ist. Die Selektion aber betrachtet und beurteilt Körper." 3 Radikalere (und engstirnigere) Kritiker entwickeln auf dem Hintergrund dieser Kritikpunkte den absurden Verdacht, daß Dawkins eine Moral befürworte, nach der Gene wichtiger seien als Menschen, was sogar bis zu der Infamität reichen kann, Dawkins in die Nähe des sozialdarwinistischen Programms des Nationalsozialismus 1

Siehe Stephen J a y G o u l d , „Altruistische G r u p p e n und egoistische G e ne" , in: ders., Der Daumen des Panda: Betrachtungen zur Naturgeschichte (Basel/Boston/Stuttgart: Birkhäuser, 1987; urspr. englisch 1980), S. 8896, hier: S. 88.

2

Mary Midgley, „Gene-juggling", Philosophy 54 (1979), S. 439-458, hier: S. 439. Stephen J a y Gould, „Altruistische G r u p p e n und egoistische G e n e " , S. 94.

3

12

2. Das biologische Programm der Soziobiologie

z u r ü c k e n . 4 S o l c h e V o r w ü r f e sind aus einer g a n z e n A n z a h l v o n G r ü n d e n verfehlt u n d w e r d e n n o c h a u s f ü h r l i c h e r z u b e h a n d e l n sein. A l l e n g e n a n n t e n K r i t i k e n liegt aber ein M i ß v e r s t ä n d n i s z u g r u n d e , das die a n g e m e s s e n e E i n o r d n u n g des D a w k i n s s c h e n P r o g r a m m s innerhalb d e r d a r w i n i s t i s c h e n T r a d i t i o n betrifft. D a w k i n s w e i s t selbst d a r a u f hin, d a ß seine T h e o r i e n i c h t allzu w e i t v o n d e n traditionellen V o r s t e l l u n g e n des

Darwinismus

e n t f e r n t ist. E r b e t o n t n u r seine D i s t a n z z u einer Vorstellung, die b e s o n d e r s in D e u t s c h l a n d u n t e r d e m E i n f l u ß v o n K o n r a d L o r e n z sehr einflußreich w a r ; n ä m l i c h diejenige, n a c h d e r die b i o l o g i s c h e n I n d i v i d u e n n a c h d e m Ziel d e r E r h a l t u n g d e r eigen e n A r t s t r e b e n . 5 E s ist a b e r diese L o r e n z s c h e A u f f a s s u n g , die z u m o r t h o d o x e n N e o d a r w i n i s m u s in W i d e r s p r u c h steht, 6 u n d D a w k i n s m a c h t die I m p l i k a t i o n e n dieses D a r w i n i s m u s einfach b e s o n d e r s deutlich, i n d e m er eine alternative, auf die einzel4

Siehe Hansjörg Hemminger, „Soziobiologie des Menschen - Wissenschaft oder Ideologie?", Spektrum der Wissenschaft (Juni 1994), S. 7280, bes. S. 76; vgl. dazu die ausführliche Kritik an Hemminger im Spektrum der Wissenschaft (März 1995), S. 6-12, sowie Eckart Voland, „Kalkül der Eltern - ein soziobiologischer Musterfall", Spektrum der Wissenschaft (Juni 1995), S. 70-77, bes. S. 74. Allerdings überschreitet Voland in seiner berechtigten Kritik seinerseits fachwissenschaftliche Kompetenzen, wenn er etwa (S. 76) reduktionistisch behauptet: „Auch Mutterliebe obwohl psychologisch gesehen zweifellos altruistisch und selbstaufopfernd - ist gen-egoistisch und strategisch, also ausgerichtet auf die situationsbedingt maximal mögliche Effizienz."

5

Dieser große Einfluß der Lorenzschen Schule zeigt sich besonders deutlich bei populärwissenschaftlichen Werken. So schreibt der deutsche Verlag auf dem Umschlag des hervorragenden Buches von David Attenborough, Spiele des Lebens?: Verhaltensweisen und Uberlebenskampf der Tiere (Niedernhausen, Taunus: Falken, 1991; urspr. englisch 1990): „Instinktiv verfolgen alle Tiere nur ein Ziel: den Erhalt der eigenen Art." Dagegen heißt es im Buch selbst (S. 298) gerade, daß es das Bestreben der Tiere ist, „nicht die Art als solche in ihrem Bestehen zu fördern, sondern ausschließlich ihren persönlichen Nachwuchs, die Abbilder ihrer eigenen Gene."

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Die Lorenzsche Theorie kann zum Beispiel keine plausible Erklärung für die empirische Tatsache angeben, daß Lachmöwen regelmäßig die Küken anderer Paare ihrer Art verzehren. Siehe Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 2 u. S. 5 f.

2. Das biologische Programm der Soziobiologie

13

nen Gene konzentrierte Betrachtungsweise der biologischen Evolution vorschlägt, die sich in vielen Fällen als fruchtbarer erweist als diejenige, die sich auf die Ebene der Individuen konzentriert: „Die Leute - und zwar sowohl diejenigen, die mein Buch mochten, als auch die, die es ablehnten - schienen zu meinen, die Idee des Gens als Selektionseinheit sei etwas anderes als die Idee vom Einzelorganismus als Selektionseinheit. [...] Der Streit, ob das Gen oder das Individuum die Ebene der Selektion sei, ist zumindest zum Teil semantischer Natur. [...] Zumindest macht es für viele Zwecke keinen Unterschied, ob wir unsere Aufmerksamkeit auf Einzelorganismen konzentrieren und annehmen, sie bemühten sich, ihre Gene zu verbreiten, oder ob wir die Gene ins Auge fassen und sie als etwas betrachten, das die Körper der Individuen als .Vehikel' oder .Uberlebensmaschinen' für seine Zwecke manipuliert."7 Die Begriffe des „Bemühens" und des „Egoismus" dürfen dabei natürlich nicht intentionalistisch mißverstanden werden: Gene und zumindest niedere Tiere haben keine Absichten. Dawkins macht dies an mehreren Stellen exemplarisch deutlich.8 Es geht einfach um eine alternative Beschreibungsart, die zeigen muß, daß sie sich in ihrer Leistungsfähigkeit (wobei 7

Richard Dawkins, „Auf welche Einheiten richtet sich die natürliche Evolution?", in: Heinrich Meier (Hrsg.), Die Herausforderung der Evolutionsbiologie (München/Zürich: Piper, 1988), S. 53-78, hier: S. 63 f. Vgl. Richard Dawkins, The Extended Phenotype: The Long Reach of the Gene (Oxford/New York: Oxford University Press, 1989; urspr. 1982), S. 116 u. S. 232.

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Ein ausführliches Zitat sei hier als klärender Beleg aufgeführt; siehe Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 156: „Was bedeutet es wirklich, wenn wir die Hypothese aufstellen, Kuckucksjunge .erpreßten' ihre Pflegeeltern, indem sie schreien: .Räuber, Räuber, komm und hol mich und alle meine kleinen Geschwister ? In der Gensprache ausgedrückt, heißt es folgendes: Kuckucksgene für lautes Schreien sind im Kuckucksgenpool zahlreicher geworden, weil das laute Lärmen die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, daß die Pflegeeltern die Kuckucksbabys füttern. Der Grund, warum die Pflegeeltern in dieser Weise auf das Schreien ansprachen, war der, daß die Gene für das Reagieren auf das Lärmen sich im Genpool der Ammenspezies ausgebreitet hatten. Der Grund dafür wiederum war, daß die einzelnen Pflegeeltern, die den Kuckucken kein Extrafutter zukom-

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die Kriterien der Fruchtbarkeit, Reichweite und Einfachheit beachtet werden müssen) mit der traditionellen Herangehensweise messen kann. Es widerspricht jedenfalls nicht dem orthodoxen Darwinismus, wenn Dawkins zusammenfaßt: „Evolution consists in the differential copying success of genes relative to their alleles."9 Diese Formulierung macht im übrigen - wie auch die eingangs zitierte Kurzformel - deutlich, daß die Darwinsche Theorie keineswegs dem Popperschen Immunisierungsvorwurf ausgesetzt ist: Es ist nicht so, daß Darwin lediglich tautologisch das Uberleben der am besten Angepaßten postulieren und die Angepaßtheit dann zirkulär anhand des tatsächlichen Uberlebens bestimmen würde.10 Man muß das darwinistische Programm vielmehr als empirisch falsifizierbare Theorie verstehen, die z.B. behauptet, daß in bestimmten alten Gesteinsschichten bestimmte Arten von Fossilien einfach noch nicht zu finden sein werden, oder die behauptet, daß für jede neu aufgefundene Art eine plausible Geschichte konstruierbar ist, die erklärt, wie sie durch schrittweise Veränderungen entstehen konnte.11 Auch in ihren spezifischen Unterschieden zu anderen Evolutimen ließen, weniger eigene Kinder aufzogen - weniger als rivalisierende Eltern, die den Kuckuck tatsächlich besser fütterten. Dies deshalb, weil durch die Kuckucksschreie Räuber zu dem Nest hingelockt wurden. Obwohl Gene für Nichtschreien wahrscheinlich nicht häufiger im Magen von Räubern landeten als Gene für Schreien, litten die nicht-schreienden Kuckucke nichtsdestotrotz unter dem größeren Übel, daß sie keine Extrarationen zu fressen bekamen. Daher breiteten sich die Gene für Schreien im gesamten Kuckucksgenpool aus." 9 10

Richard Dawkins, „In Defence of Selfish Genes", S. 571. Vgl. Karl R. Popper, Unended Quest: An Intellectual Autobiography (Glasgow: Fontana/Collins, 1976), S. 167-180 („Darwinism as a Metaphysical Research Programme" ).

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Vgl. Stephen Jay Gould, „Die Evolution als Tatsache und als Theorie", in: ders., "Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt: Essays zur Naturgeschichte (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991; urspr. englisch 1983), S. 251-260, sowie Stephen Jay Gould, „Integrity and Mr. Rifkin", in: ders., An Urchin in the Storm: Essays about Books and Ideas (Harmondsworth: Penguin, 1990; urspr. 1987), S. 229-239, hier: S. 232 f. Vgl. auch Philip Kitcher, Vaulting Ambition: Sociobiology and the Quest for Human Nature (Cambridge, Massachusetts/London, England: The MIT Press, 1985), S. 62 f, sowie

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onstheorien (wie etwa derjenigen Lamarcks) läßt sich die darwinistische Theorie empirischen Tests (etwa zur Unmöglichkeit der Vererbung erworbener Eigenschaften) aussetzen. Wenn man Quines wissenschaftstheoretischen Holismus akzeptiert, kann man dann zwar immer noch entgegenhalten, daß wir niemals logisch gezwungen sind, im Falle „widerspenstiger" empirischer Daten gerade die Grundannahme des „survival of the fittest" aufzugeben. Aber nach Quine gilt dies eben für jede Theorie innerhalb unseres Gebäudes der etablierten Hypothesen aller Wissenschaften; und die Entscheidung, an welcher Stelle wir dieses umbauen wollen, ist letztlich pragmatischen Erwägungen überlassen. 12 Bevor wir zu einer genaueren Darstellung der Grundlagen von Dawkins' Theorie und ihrer Anwendung auf soziobiologische Fragestellungen übergehen, sollen aus der umfangreichen biologischen Fachdiskussion noch zwei wichtige Punkte erwähnt werden, in denen es jeweils darum geht, ob die Ergebnisse des traditionellen Ansatzes (nach dem Einzelorganismen versuchen, ihre Gene auszubreiten) und diejenigen des neuen (nach dem Gene sich zu Uberlebens- und Verbreitungszwecken Organismen bauen) sich tatsächlich vollständig ineinander übersetzen lassen. Nach der ersten These ist der neue Ansatz prinzipiell schwächer, nach der zweiten ist der neue Ansatz sogar prinzipiell stärker! Bei Gould heißt es: „Wenn die Selektion bei der Bevorzugung eines stärkeren Körpers direkt auf ein für Körperstärke zuständiges Gen einwirken würde, dann ließe sich die Theorie von Dawkins rechtfertigen. Wenn Körper unzweideutige Lagepläne ihrer Gene wären, dann könnten die miteinander kämpfenden Teile der DNA nach außen hin Flagge zeigen und die Selektion könnte direkt auf sie einwirken. Aber

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Vittorio Hösle, „Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntistheorie", S. 357 f. Siehe Willard Van Orman Quine, „Two Dogmas of Empiricism" (1951), in: ders., From a Logical Point of View: Logico-Philosophical Essays (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, 1964; urspr. 1953), S. 20-46, bes. S. 46.

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Körper sind so nicht aufgebaut."13 Dawkins hat allerdings keine Schwierigkeiten mit diesem Hinweis auf die (nicht nur von Stephen Jay Gould, sondern auch von Ernst Mayr 14 betonte) Einheit des Genoms. Er wendet sich gerade gegen die Vorstellung, daß der Genotyp eine Art Blaupause sei, und hält dem das Bild eines Computerprogramms oder Kuchenrezepts entgegen, wobei jede einzelne Programmzeile in ein übergreifendes Ganzes eingebunden ist und die Änderung einer einzelnen Zeile entsprechend sehr weitreichende Konsequenzen haben kann.15 Für ihn ist entscheidend, daß der individuelle Phänotyp zwar eine Funktionseinheit darstellt, es aber dennoch irreführend ist, ihn als grundlegende Einheit der Selektion zu bezeichnen, weil es nicht der einzelne Organismus ist, der durch Fortpflanzung überlebt. Die Gene spielen die Rolle der potentiell unsterblichen Replikatoren, und die Organismen sind ihre vergehenden Vehikel.16

Das Konzept der Betrachtungsweise kann gar nicht zu stark unterstrichen werden. Dawkins' Theorie impliziert keineswegs, daß Individuen „an sich" bloße „Uberlebensmaschinen"17 sind; hier geht es einfach um zweckmäßige begriffliche Instrumen13 14

Stephen Jay Gould, „Altruistische Gruppen und egoistische Gene", S. 94. Siehe Richard Dawkins, „Replicator Selection and the Extended Phenotype", Zeitschrift für Tierpsychologie 47 (1978), S. 61-76, hier: S. 69. 15 Siehe Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher: Ein neues Plädoyer für den Darwinismus (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1990; urspr. englisch 1986), S. 337-341. Vgl. auch Richard Dawkins, „In Defence of Selfish Genes", S. 556-573, bes. S. 565-567, sowie Richard Dawkins, The Extended Phenotype: The Long Reach of the Gene, S. 116 u. S. 175 f. 16 Richard Dawkins, „Auf welche Einheiten richtet sich die natürliche Evolution?", S. 64. Zur ontologischen Bedeutung dieser Konzepte vgl. David L. Hull, „Units of Evolution: A Metaphysical Essay", in: U.J. Jensen u. R. Harre (Hrsg.), The Philosophy of Evolution (Brighton, Sussex: Harvester, 1981), S. 23-44, bes. S. 30. 17 Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 28: „Heute begünstigt die natürliche Auslese Replikatoren, die fähige Konstrukteure von Überlebensmaschinen sind, Gene, die die Kunst der Embryonalentwicklung beherrschen. Dabei sind die Replikatoren keineswegs bewußter oder zielgerichteter als zuvor."

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te für die biologische Theoriebildung. Die Zwecke der Biologie sind aber eben andere als die der Ethik, und die Möglichkeit der Einnahme verschiedener biologischer Perspektiven zeigt nicht, daß andere Perspektiven zweitrangig oder gar illusionär wären.18 Ebenso unangemessen wäre es zum Beispiel, im Umgang mit Freunden diese nicht als Personen, sondern als Konglomerate von physikalischen Atomen zu betrachten - obwohl sie das auch sind. Während also die Dawkinssche Theorie nicht mit Hinweis auf die Einheit des Genoms verworfen werden darf, sprechen andere biologische Ergebnisse sogar dafür, daß Dawkins vielleicht zu bescheiden war und seine Theorie des egoistischen Gens dem traditionellen Darwinismus überlegen ist. Allem Anschein nach enthalten nämlich Genome (nicht nur des Menschen) viel mehr DNS, als zur Kodierung der Proteine nötig ist. Fast 90 Prozent des menschlichen Genoms bestehen demnach aus nutzlosen Wiederholungen von DNS-Sequenzen (oder aus einmaligen Sequenzen, die phänotypisch unwirksam bleiben); oder gröber gesprochen: aus „genetischem Müll" („junk DNA"). 1980 wurde von Francis Crick und Leslie Orgel zur Erklärung dieses Phänomens die Theorie „egoistischer

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Bayertz geht deshalb in seiner Kritik der Soziobiologie zu weit, wenn er die Durchhaltbarkeit der soziobiologischen (hier: kausalen) Perspektive leugnet; siehe Kurt Bayertz, „Autonomie und Biologie", in: ders. (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 327-359, z.B. S. 334, S. 337 u. S. 347. Seine Position schwankt jedoch etwas, denn andererseits spricht er auch (ebd., S. 350) von der „gleichberechtigte[n] Pluralität verschiedener, komplementärer Perspektiven". Auch wenn die Anhänger der Soziobiologie diese Komplementarität nicht anerkennen, folgt diese Weigerung doch nicht zwingend aus ihrem Ansatz. Zur Spannung zwischen den beiden Perspektiven vgl. Charles Fried, „Biology and Ethics: Normative Implications", in: Gunther S. Stent (Hrsg.), Morality as a Biological Phenomenon (Berlin: Dahlem Konferenzen, 1978), S. 209-219. Vgl. auch Franz von Kutschera, Die falsche Objektivität (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1993), der allerdings (S. 265) so weit geht zu behaupten, daß die Entstehung des Psychischen weder physikalisch noch biologisch erklärbar ist. Akzeptabel ist dagegen seine zurückhaltendere These (ebd.), daß wir uns selbst nicht als bloße Objekte betrachten können.

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D N S " („selfish D N A " ) e n t w i c k e l t ; 1 9 u n d t a t s ä c h l i c h k ö n n t e n w i r es h i e r m i t einer A r t v o n „ e x p e r i m e n t u m c r u c i s " z u t u n h a b e n , das u n s z u r V e r l a g e r u n g d e r P e r s p e k t i v e z w i n g t . Falls n u r C r i c k s T h e o r i e „egoistischer D N S " (die D a w k i n s ' T h e o rie „egoistischer G e n e " z u m i n d e s t s e h r n a h e v e r w a n d t ist 2 0 ) die E x i s t e n z des „genetischen M ü l l s " e r k l ä r e n k a n n , d a n n ist d e r von Dawkins vorgeschlagene Perspektivenwechsel zumindest f ü r m a n c h e K o n t e x t e u n v e r m e i d l i c h ; u n d d a n n stellt sich die F r a g e , o b m a n sich ( d u r c h A n w e n d u n g v o n „ O c k h a m s R a s i e r m e s s e r " ) n i c h t gleich in d e r g a n z e n E v o l u t i o n s b i o l o g i e auf diese eine P e r s p e k t i v e b e s c h r ä n k e n sollte, w e n n sie i m ü b r i g e n e b e n s o leistungsfähig ist w i e die traditionelle B e t r a c h t u n g s w e i s e . I m f o l g e n d e n soll jedenfalls - w i e sich dies a u c h in d e r tific community

scien-

d e r S o z i o b i o l o g e n w e i t h i n d u r c h g e s e t z t hat 2 1 -

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L.E. Orgel u. F.H.C. Crick, „Selfish DNA: the ultimate parasite", Nature 284 (1980), S. 604-607; vgl. W. Ford Doolittle u. Carmen Sapienza, „Selfish genes, the phenotype paradigm and genome evolution", Nature 284 (1980), S. 601-603.

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Vgl. Richard Dawkins, The Extended Phenotype, S. 156-164; vgl. Richard Dawkins, „In Defence of Selfish Genes", S. 568 (Anm.). Gould leugnet diese Verwandtschaft, aber dies beruht wieder auf seinem Mißverständnis von Dawkins' Position. Siehe Stephen Jay Gould, „Selbstbezogene Gene", in: ders., Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt, S. 164-174. Schon 1877 schrieb Samuel Butler in seinem Buch Life and Habit: „A hen is only an egg's way of making another egg." (Siehe Samuel Butler, Life and Habit [= „Shrewsbury Edition" of the Works of Samuel Butler, hrsg. v. Henry Festing Jones u. A.T. Bartholomew, Band 4] (London: Jonathan Cape/New York: E.P. Dutton, 1923; urspr. 1877), S. 109). Gould wendet sich des öfteren polemisch gegen diesen Aphorismus. Der Biologe und Nobelpreisträger Peter Medawar sieht dagegen ganz richtig, daß darin „eine der profundesten Wahrheiten der Biologie steckt." Siehe Peter B. Medawar u. Jean S. Medawar, Von Aristoteles bis Zufall: Ein philosophisches Wörterbuch der Biologie (München/Zürich: Piper, 1986; urspr. englisch 1983), S. 146-148 („Henne und Ei"), hier: S. 147. Dawkins' Theorie wurde im übrigen auch vorweggenommen in einem Buch, daß üblicherweise als Science Fiction eingeordnet wird: Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1986; urspr. polnisch 1973 bzw. 1981); vgl. dazu Bernd Gräfrath, Lems Golem: Parerga und Paralipomena (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996), S. 47-53 („Darwin, GOLEM, Dawkins").

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die Theorie des „egoistischen Gens" zugrundegelegt werden, wenn es darum geht, das Programm der Soziobiologie zu skizzieren und dann auf das von ihr als zentral angesehene Altruismusproblem ausführlicher einzugehen. Dawkins selbst charakterisiert Wilsons Soziobiologie sogar als „the ,selfish-gene' approach to ethology" ;22 und seine Untersuchungen zeigen, daß die Soziobiologie sich in erster Linie mit dem „sozialen" Verhalten von Tieren beschäftigt. Charakteristisch ist dabei, daß Wilson seine Ergebnisse zwar auch auf den Menschen überträgt, sich aber in erster Linie einen Namen als Insektenforscher gemacht hat.23 Die folgende Darstellung des „Altruismus" soll deshalb von allen tatsächlichen oder nur scheinbaren ethischen Implikationen absehen. Da aber auch die weitreichenden ethischen Ansprüche mancher Soziobiologen auf diesen Untersuchungen aufbauen, kann eine ausführlichere Darstellung die Leistungen der Soziobiologie auf diesem Gebiet würdigen und gleichzeitig ihre Grenzen abstecken. Für den orthodoxen Darwinismus scheint der empirisch anzutreffende Altruismus ein Problem darzustellen: „Wenn das Individuum ein Objekt der Selektion ist, das heißt, wenn die natürliche Auslese nur das belohnt, was für das Individuum von Vorteil ist, dann bleibt es ein Rätsel, wie sich irgendeine Art von Altruismus, der über Elternliebe hinausgeht, entwickeln konnte." 24 Hervorgehoben werden muß dabei, daß Soziobiologen unter „Altruismus" ein sehr einfaches Konzept verstehen, das sich erheblich von dem unterscheidet, was üblicherweise gemeint ist, wenn wir bestimmte Handlungen oder Neigungen als altruistisch bezeichnen. Der Begriff bezieht sich hier nicht auf

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23 24

Richard Dawkins, „Replicator Selection and the Extended Phenotype", S. 61. Wilson bezieht sich sogar selbst auf Samuel Butler und schreibt: „The organism is only DNA's way of making more D N A . " Siehe Edward O. Wilson, Sociobiology, S. 3. Siehe Edward O. Wilson, The Insect Societies (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press (Belknap), 1971). Ernst Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie (München/Zürich: Piper, 1988; urspr. englisch), S. 13.

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Motive (oder gar Gründe 25 ), sondern allein auf Effekte. In der Sprache des „egoistischen Gens" ausgedrückt: „A gene for altruism, then, is any gene that, compared with its alleles, causes individuals to benefit other individuals at a cost to themselves." 26 Jedenfalls stellt sich für den Darwinisten das folgende Problem: Wenn „Gene für Altruismus" dem betreffenden Individuum abträglich sind, wie konnten sie dann überhaupt erhalten bleiben oder sich sogar ausbreiten? Müßten „Gene für Egoismus" demgegenüber nicht erhöhte Uberlebens- und Ausbreitungschancen haben, so daß kein Altruismus mehr anzutreffen wäre? Soziobiologen unterscheiden zur Beantwortung dieser Fragen zwischen zwei (bzw. drei) Formen des Altruismus (in ihrem Sinne), wobei nicht einmal Einigkeit darüber besteht, ob diese „wirklich" als Altruismus anzusehen sind. Es geht dabei um die folgenden Varianten: 27 a) vollkommener Altruismus; b) strenger Altruismus; c) milder Altruismus. Die erste Form wird von Wilson nur beiläufig erwähnt und schließlich geleugnet. Im Tierreich sei sie ohnehin nicht anzutreffen, und auch die Menschen sind angeblich nicht zu ihr fähig: „Keine Form von menschlichem Altruismus strebt nachhaltig die vollkommene Selbstauslöschung an." 28 Das vielleicht naheliegende und immer wieder herangezogene Beispiel der Mutter Teresa wird nicht als Widerlegung zugelassen, weil diese 25

Vgl. Ludwig Siep, „Was ist Altruismus?", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 288-306. 26 Richard Dawkins, „Twelve Misunderstandings of Kin Selection", Zeitschrift für Tierpsychologie 51 (1979), S. 184-200, hier: S. 190. 27 Vgl. dazu Edward O. Wilson, „Altruismus" (urspr. englisch 1978), in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 133-152. [Bei diesem Aufsatz handelt es sich um einen Ausschnitt aus der deutschen Ubersetzung von Wilsons Buch On Human Nature (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1978).] 28 Edward O. Wilson, „Altruismus", S. 138.

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angeblich von ihrer Zuversicht bezüglich eines jenseitigen Lebens bewegt wird (an das Wilson im übrigen nicht glaubt).29 Will Wilson damit behaupten, daß Menschen niemals wirklich altruistisch in dem Sinne handeln, daß sie sich ohne persönlichen Nutzen für andere aufopfern? Das wäre doch eine allzu gewagte These. (Außerdem hält sich Wilson dabei nicht an die Prämisse, bei der Diskussion des Altruismus von der motivationalen Ebene abzusehen.) Ein anderer verbreiteter Versuch, auf rein begrifflicher Ebene die „Wahrheit" des Egoismus nachzuweisen, scheitert im übrigen ebenfalls: Die bloße Tatsache, daß es meine altruistischen Motive sind, die mich in meinen Handlungen bewegen, macht diese damit noch nicht automatisch zu egoistischen. Eine ganz andere These, mit der Wilson unklar operiert, ist darüber hinaus diejenige, daß es irrational sei, altruistisch zu handeln. Eine solche These setzt allerdings eine umfassende ethische Theorie voraus, die Wilson nicht ausführlich darstellt, auf die wir an anderer Stelle aber noch eingehen werden. Die Auseinandersetzung um die Möglichkeit wirklichen Altruismus (im üblichen Sinne) auf der menschlichen Ebene können wir allerdings auf ein späteres Kapitel verschieben. Wir wollen uns hier auf Wilsons andere beiden Formen von „Altruismus" konzentrieren, die nach Wilson jedenfalls im Tierreich anzutreffen sind. Allerdings werden auch diese Varianten von Wilson „entlarvt". Unter „mildem Altruismus" versteht er das, was William D. Hamilton und Robert L. Trivers „wechselseitigen Altruismus" („reciprocal altruism") nannten;30 und von diesem sagt Wilson: „Der,milde' Altruismus ist [...] letzten Endes egoistisch."31 Somit scheint nur der verbliebene „strenge" Altruismus diesen Namen zu verdienen und tatsächlich vorzukommen. Aber von diesem heißt es: „Man kann davon ausgehen, daß der stren29 30 31

Ebd., S. 147. Siehe Robert L. Trivers, „The Evolution of Reciprocal Altruism", Quarterly Review of Biology 46 (1971), S. 34-57. Edward O. Wilson, „Altruismus", S. 141.

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ge Altruismus den engsten Verwandten des Altruisten zugute kommt und an Häufigkeit und Intensivität stark nachläßt, je ferner die Beziehungen werden." 32 Ob man allerdings ein solches Verhalten wirklich als altruistisch bezeichnen sollte, ist auch unter Biologen umstritten. So schreibt Mayr: „Ein Verhalten ist dann altruistisch, wenn es einem anderen, nicht nahe verwandten Organismus nützt, während es offenbar für den Organismus, der sich so verhält, von Nachteil ist."33 Wir wollen uns aber im vorliegenden Kapitel nicht um Worte streiten - obwohl es sich hierbei, wie man an den verschiedenen Programmen einer EE sieht, keineswegs um einen bloßen Streit um Worte handelt.34 Uns soll hier vielmehr interessieren, wie die Soziobiologie mit ihren analytischen Mitteln das oben erwähnte Altruismus-Problem des Darwinismus lösen kann. Die Theorie des reziproken Altruismus bezieht sich dabei auf Ergebnisse der Spieltheorie (insbesondere das berühmte „Gefangenendilemma"). Die Theorie der Verwandtschaftsauslese („kin selection" ) läßt sich sogar besonders gut auf der Grundlage der Theorie des „egoistischen Gens" behandeln; denn dann stellt jene keinen evolutionären Sonderfall neben der „natürlichen Auslese" dar, sondern läßt sich auf eine übergreifende Theorie reduzieren.35 Die Leistungsfähigkeit dieses soziobiologischen Ansatzes tritt besonders deutlich hervor bei der Lösung eines Problems, für das der Darwinismus zunächst keine Lösung bereithalten zu können scheint: das Verhalten der „sozial" lebenden Insekten (Ameisen, Bienen, Wespen), bei denen nicht nur „KamikazeVerhalten und andere Formen von Uneigennützigkeit" 36 zu fin32 33 34

Ebd., S. 140. Ernst Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, S. 98. Vgl. dazu Gottfried Gabriel, Definitionen und Interessen: Über die praktischen Grundlagen der Definitionslehre (Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1972). 35 Vgl. Richard Dawkins, „Twelve Misunderstandings of Kin Selection", S. 184. Das angesprochene Mißverständnis findet sich sogar bei Wilson; vgl. dazu die Kritik bei Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 112. 36 Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 202.

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den sind, sondern der Großteil des „Staates" aus unfruchtbaren Arbeiterinnen besteht. Auch wenn wir Dawkins' moralisch gefärbte Metaphorik beiseite lassen: Es scheint für den Darwinismus das Problem zu bestehen, daß der individuelle Fortpflanzungserfolg die entscheidende Rolle in der biologischen Evolution spielen muß; und hier scheinen sich Individuen auf eine Art zu verhalten, die - evolutionär betrachtet - gerade kontraproduktiv ist. Weshalb hat sich eine solche Verhaltensdisposition aber dennoch genetisch erhalten können? Noch erstaunlicher ist vielleicht auf den ersten Blick, daß sich „echte Gesellschaftlichkeit mit Sterilität der Arbeiterinnen [...] bei den Hymenoptera nicht weniger als elf Mal unabhängig voneinander entwickelt hat."37 Entsprechend der scheinbaren Unlösbarkeit des Problems führte die soziobiologische Auflösung dieses Problems nach Dawkins denn auch „zu einem der spektakulärsten Triumphe der Theorie des egoistischen Gens."38 Die besondere Art der Fortpflanzung bei den erwähnten Hautflüglern verliert ihren Anschein des Unerklärlichen, wenn wir den hierbei festzustellenden spezifischen Index der genetischen Verwandtschaft ins Zentrum der Untersuchung rücken und nicht mehr fragen, welches Individuum sich erfolgreich fortpflanzen kann, sondern welche Gene sich erfolgreich in einer Population ausbreiten können. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist das Fortpflanzungsverhalten der Hautflügler nicht schwieriger zu erklären als das der Säugetiere. Bei letzteren beträgt die genetische Verwandtschaft zwischen einem Elternteil und einem Kind genau 50 Prozent, und das ist derselbe Grad wie der der durchschnittlichen genetischen Verwandtschaft zwischen Geschwistern.39 Auf dieser Grundlage ist das 37 38 39

Ebd., S. 206. Ebd., S. 204. Siehe ebd., S. 109. Genaugenommen muß man hier zwischen Genen und Gen-Allelen unterscheiden: So hat der Mensch ungefähr 99 Prozent seiner Gene mit dem Schimpansen gemeinsam. Wenn in unserem Zusammenhang davon die Rede ist, daß Geschwister durchschnittlich in 50 Prozent ihrer Gene übereinstimmen, ist damit gemeint, daß Geschwister im Durchschnitt 50 Prozent der Gen-Allele gemeinsam haben, die für Unter-

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Auftreten und Erhaltenbleiben sogenannter „altruistischer Gene" , die ein Verhalten hervorrufen, das Individuen zum Nutzen bestimmter anderer Individuen selbst Opfer (bis hin zum Freitod) bringen läßt, einigermaßen einfach erklärlich: „Damit ein selbstmörderisch altruistisches Gen erfolgreich ist, muß es zumindest mehr als zwei enge Verwandte (entweder Kinder oder Eltern) oder mehr als vier nicht ganz so nahe Verwandte (Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, Großeltern, Enkel) oder mehr als acht Vettern ersten Grades retten usw. Ein derartiges Gen lebt im Durchschnitt gewöhnlich in den Körpern von derart vielen von dem Altruisten geretteten Individuen weiter, daß der Tod des Altruisten ausgeglichen wird."40 Damit wird natürlich keineswegs behauptet, daß Individuen bewußt solche Berechnungen durchführen oder gar, daß eine solche Kalkulation moralisch erlaubt oder sogar geboten wäre. Es geht hier einfach um statistische Wahrscheinlichkeiten der Ausbreitung bestimmter Gene, die das Verhalten von Individuen auf eine bestimmte Weise hier: altruistisch - beeinflussen. Die genetische Erklärung der elterlichen Fürsorge ist dabei dieselbe wie die für geschwisterlichen Altruismus: „In beiden Fällen besteht eine große Wahrscheinlichkeit, daß das altruistische Gen im Körper des Nutznießers vorhanden ist."41 Das erstaunliche Verhalten der staatenbildenden Insekten mit sterilen Arbeiterinnen läßt sich nun nach demselben Muster erklären. Wir wollen uns dabei auf die Darstellung derjenigen Grundzüge beschränken, die für unsere Zwecke relevant sind. Stark vereinfacht, bestehen die folgenden genetischen Verwandtschaftsverhältnisse:42 Es gibt nur eine reife Königin, die auf dem Begattungsflug die Spermien für alle künftigen Beschiede bei bestimmten Merkmalen sorgen. Vgl. dazu Dieter E. Zimmer, „Der Mensch und sein Double: Uber Zwillinge und Zwillingsforschung", in: ders., Experimente des Lebens: Wissenschaftsreporte über wilde Kinder, Zwillinge, Kibbuzniks und andere aufschlußreiche Wesen (Zürich: Haffmans, 1989), S. 49-107, hier: S. 64. 40 41 42

Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 111. Ebd., S. 113. vgl. zum Folgenden: Ebd., S. 204-211.

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fruchtungen speichert. Die unbefruchteten Eier entwickeln sich zu Männchen. Sie haben nur einen einfachen Chromosomensatz, denn sie haben keinen Vater: „Eine Drohne bekommt alle ihre Gene von ihrer Mutter, aber eine Mutter gibt nur die Hälfte ihrer Gene an ihren Sohn weiter."43 Leibliche Schwestern haben dagegen alle denselben Vater, wobei die empfangenen Spermien sogar in jedem Gen identisch sind (denn Männchen haben nur einen einzigen Chromosomensatz), so daß sie, was die väterlichen Gene betrifft, eineiigen Zwillingen entsprechen. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Weibchen eines der Gene, die sie von ihrer Mutter erhalten hat, mit einer ihrer Schwestern gemeinsam hat, beträgt dagegen nur 50 Prozent. Deshalb beträgt die genetische Verwandtschaft zwischen Schwestern ungewöhnlicherweise 75 Prozent; und das hat wiederum das erstaunliche Ergebnis zur Folge, „daß bei Hautflüglern ein Weibchen mit seinen leiblichen Schwestern näher verwandt ist als mit seinen Nachkommen beiderlei Geschlechts. Wie Hamilton erkannte [...], könnte dieser Umstand sehr wohl ein Weibchen dazu disponieren, seine eigene Mutter als effiziente SchwesterErzeugungsmaschine zu .betreiben'."44 Aus der Perspektive „egoistischer Gene" bildet die Verwandtschaftsselektion kein gesondert zu erklärendes Phänomen: Es wird einfach gefragt, aufgrund welcher Mechanismen sich bestimmte Gene durch erfolgreiches Kopieren ausbreiten.45 Dawkins vollzieht nun einen noch radikaleren Schritt: Er weist die erfolgreiche Ausbreitung von Genen durch den Bau von Individuen, die in sich und ihren Nachkommen Kopien dieser verbreiten, als Sonderfall des „reziproken Altruismus" nach. Es geht dabei um symbiotische Systeme, die allen Beteiligten einen Gewinn einbringen, der die „Investitionen" 43 44 45

Ebd., S. 205. Ebd., S. 206. Ein traditioneller Darwinist würde es hier vorziehen, von der „Gesamtfitness" („inclusive fitness") eines Individuums (die sich aus dem direkten eigenen Fortpflanzungserfolg und dem spezifisch zu berechnenden der Verwandten zusammensetzt) zu sprechen. Für Dawkins ist dieser Begriff eine „überflüssige Wesenheit" (im Sinne Ockhams).

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übersteigt: „Dies gilt unabhängig davon, ob wir von Angehörigen desselben Hyänenrudels oder von ganz verschiedenen Geschöpfen wie Ameisen und Blattläusen oder Bienen und Blumen sprechen."46 Dawkins wagt sogar die revolutionäre These, „daß jedes einzelne unserer Gene eine symbiotische Einheit ist. Wir sind gigantische Kolonien symbiotischer Gene."47 Dawkins hat auch eine Erklärung für diese Kooperation innerhalb eines Individuums. Sie besteht in der Feststellung, „daß alle Gene im Körper dieselbe Methode haben, diesen zu verlassen, um in zukünftige Generationen einzugehen."48 (Aus dieser Perspektive liegt es nahe, Viren als Gene zu betrachten, die aus der Kolonie ausgebrochen sind und einen nichtgeschlechtlichen Weg der Verbreitung - etwa durch Ausgeniestwerden - gefunden haben!49) Damit stellt sich die Frage nach der Entstehung und Erhaltung kooperativer Strukturen. Mit diesem Thema beschäftigt sich sehr intensiv - und mit scharfen analytischen Mitteln - die Spieltheorie, die besonders im Rahmen der ökonomischen Wissenschaften ausgearbeitet wird, aber auch verstärkt in der Biologie Anwendung findet. Viele Anhänger einer EE berufen sich sehr oft auf sie, weil sie - wie auch einige Moralphilosophen der Hobbesschen Tradition50 - glauben, daß sich auf ihrer Grundlage eine akzeptable philosophische Ethik entwickeln läßt. Solche weitreichenden Ansprüche werden unten einer ausführlichen Kritik unterzogen werden. Im jetzigen Zusammenhang soll nur dargestellt werden, wie die Spieltheorie in der Soziobiologie Verwendung findet, um auf der Grundlage „egoistischer Gene" symbiotisches Verhalten zu erklären. Zwar muß immer vor übereilten Rückschlüssen gewarnt werden, die durch Wortwahl und theoretischen Anspruch zur Überschätzung der 46 47 48 49 50

Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 215. Ebd., S. 214. Richard Dawkins, „Auf welche Einheiten richtet sich die natürliche Selektion?", S. 67. Siehe ebd., S. 72. Vgl. etwa David P. Gauthier, Morals by Agreement (Oxford: Oxford University Press (Clarendon), 1986).

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Leistungskraft dieses Ansatzes beitragen. Aber umgekehrt darf man auch nicht übereilt mathematische Modelle verwerfen, nur weil sie auf den ersten Blick kaum zu einem besseren Verständnis des Verhaltens von Individuen beitragen zu können scheinen. Letztere Warnung ist besonders wichtig, weil einige der wichtigsten für unseren Zusammenhang relevanten Ergebnisse durch Computersimulationen erzielt wurden. Robert Axelrod veranstaltete ein Computerturnier zur Erforschung des berühmten „Gefangenendilemmas", das in besonders deutlicher Weise vor Augen führt, daß individuell optimale Entscheidungen zu einem kollektiv suboptimalen Ergebnis führen können. Da die Spieltheoretiker üblicherweise ein ökonomistisch eingeschränktes Rationalitätskonzept voraussetzen (das nur die individuelle Nutzenmaximierung als rational akzeptiert), sah man in diesem Gefangenendilemma oft ein Paradox der Vernunft, das auch die Moralphilosophie vor unlösbare Probleme stelle. Daß diese letztere These verfehlt ist, wird noch zu zeigen sein. Interessant ist aber, daß Axelrod nachweisen zu können glaubt, daß auf der Grundlage seines eingeschränkten Rationalitätsverständnisses eine Lösung des Gefangenendilemmas (oder genauer: einer Variante desselben) möglich ist, die sogar bestimmte moralische Imperative rechtfertigen kann. Letzterer Anspruch hält der Prüfung zwar nicht stand; aber seine Ergebnisse sind zumindest biologisch - und auch kulturphilosophisch - bedeutsam. Hier soll deshalb auf seine Lösung mitsamt ihrer (mit dem Biologen William D. Hamilton erarbeiteten) evolutionsbiologischen Anwendungen eingegangen werden.51 Für unsere Zwecke läßt sich das Gefangenendilemma durch die folgende Matrix hinreichend deutlich darstellen:

51

Vgl. zum Folgenden: Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation (New York: Basic Books, 1984), sowie meine ausführlichere Darstellung in: Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies: Grenzgänger der Philosophie (Hamburg: Junius, 1993), S. 161-183 („Reflexionen über experimentelle praktische Philosophie und Evolutionstheorie").

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kooperiert

Spieler Β kooperiert mogelt (3;3) (0;5)

mogelt

(5;0)

Spieler A (1;1)

[„(x;y)" bedeutet, daß Α χ Punkte und Β y Punkte bekommt.] Unter den angegebenen Bedingungen bedeutet Kooperationswilligkeit das Risiko, durch Mogelei ausgenutzt zu werden und keiner will der Gelackmeierte („sucker") sein. Vom Standpunkt des rationalen Selbstinteresses scheint die Situation ohnehin so bewertet werden zu müssen, daß man - egal, wie der andere verfährt! - bei eigener Mogelei ein besseres Ergebnis erhält als bei eigener Kooperation: Falls der andere kooperiert, bekommt man bei eigener Mogelei 5, bei eigener Kooperation aber nur 3 Punkte; und falls der andere mogelt, bekommt man bei eigener Mogelei 1, bei eigener Kooperation aber gar keinen Punkt. Daher scheint das rationale Selbstinteresse beiden Betroffenen jeweils Mogelei zu empfehlen (insbesondere, weil jedem bekannt ist, daß der andere dieselben Überlegungen anstellt). Dies führt nun aber zu dem Ergebnis, daß beide mogeln und nur je 1 Punkt bekommen, während sie bei beiderseitiger Kooperation je 3 Punkte erhalten hätten. Zur Erzeugung eines Gefangenendilemmas ist eine bestimmte Bandbreite bei der Verteilung der Punktwerte möglich. Diese müssen jedoch einem allgemeinen Schema genügen. Wenn wir die vier möglichen Ergebnisse für ein Individuum „Versuchung" (V) - hier: 5 Punkte - , „Belohnung" (B) - hier: 3 Punkte - , „Regen" (R) hier: 1 Punkt - und „Traufe" (T) - hier: 0 Punkte - nennen,52 dann ergibt sich ein Gefangenendilemma, wenn für die Punktwerte gilt: V > B > R > T . 5 3 Was das Verteilungsraster angeht, so sind für eine spieltheoretische Analyse dieses Dilemmas zwei Aspekte besonders wichtig: Es handelt sich nicht um ein rei-

52 53

Die Verwendung der letzten beiden Begriffe in dem vorliegenden Kontext stammt von mir. Sie scheinen mir aber gut zu passen. Siehe Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation, z.B. S. 75 u. S. 206.

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nes Koordinierungsproblem, denn die beiden Beteiligten erhalten nicht bei jeder der vier möglichen Einordnungen untereinander die gleiche Ausschüttung; und es handelt sich nicht - wie etwa beim Schachspiel - um ein Nullsummenspiel („zero-sum game" ), denn der Gewinn des einen geht nicht notwendigerweise auf Kosten des anderen.54 Dieser letztere Aspekt wird besonders deutlich, wenn man dieselbe Entscheidungssituation wiederholt auftreten läßt, wodurch sich ein sogenanntes „iteriertes Gefangenendilemma" entwickelt. Um das Dilemma zu erhalten, müssen die Punktwerte dabei - neben der oben angegebenen Formel - einer weiteren Anforderung genügen: Das Problem darf nicht dadurch optimal lösbar sein, daß beide Spieler abwechselnd der „Versuchung" nachgeben und den jeweils anderen in die „Traufe" schicken. Formal ausgedrückt heißt das: B>(V+T)/2. 55 Für diese Form des Gefangenendilemmas ist nun aber eine „rationale" Lösung möglich; und zwar bei Voraussetzung des in der Spieltheorie üblichen, eingeschränkten Verständnisses von Rationalität. Axelrod zeigt nämlich, daß es unter genau zu spezifizierenden Bedingungen! - für Individuen, die allein an der maximalen Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse interessiert sind, rational ist, niemals als erster zu mogeln. Axelrods ursprüngliches Vorhaben war die Veranstaltung eines Turniers zum Test verschiedener Lösungen des iterierten Gefangenendilemmas. Dies geschah dadurch, daß er Wissenschaftler verschiedener Disziplinen (Volkswirtschaftslehre, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Mathematik), die sich alle mit Problemen der Spieltheorie beschäftigt hatten oder sogar Experten für das Gefangenendilemma waren, aufforderte, ein Computerprogramm mit der nach ihrer Ansicht bestmöglichen Strategie zu schreiben und dieses gegen alle anderen Ein-

54 55

Ebd., S. 121. Ebd., S. 75 u. S. 206. Außerdem muß zukünftigen Entscheidungssituationen zwischen beiden Partnern ein bestimmter Wert zugeordnet werden (siehe ebd., S. 207). Wir wollen der Einfachheit halber auf die Formalisierung dieser Bedingung verzichten und stattdessen bei der folgenden Darstellung auf die relevanten Nebenannahmen eingehen.

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sender antreten zu lassen. Es gab 14 Teilnehmer, und Axelrod ließ jedes Programm wiederholt (200 Züge lang) gegen jeden Konkurrenten, gegen ein Programm, das von einem Zufallsgenerator gesteuert wurde, und gegen eine Kopie seiner selbst antreten. Dabei galten die folgenden Spielregeln: Die Programme dürfen auf die Geschichte ihrer Verhandlungen mit ihren Konkurrenten Bezug nehmen; sie haben sozusagen ein Gedächtnis und die Fähigkeit zur Wiedererkennung eines früheren Verhandlungspartners. Metaregeln von der Art „Tue dasselbe, was der andere tun will" sind nicht erlaubt. Jede Entscheidungssituation hat jeweils nur zwei Beteiligte. Es können keine Worte (Versprechen, Drohungen, Entschuldigungen) gewechselt werden: Nur Taten zählen! Informationen über das Verhalten der Partner in anderen Verhandlungen bzw. Spielzügen sind nicht erhältlich. Allen Teilnehmern waren alle Bedingungen bekannt, und sie wußten auch, daß allen anderen Teilnehmern ebenfalls alle Bedingungen bekannt waren. Außerdem wurden allen Beteiligten Informationen über die Ergebnisse vorheriger Testturniere zugestellt, in denen sich ein sehr einfaches Programm, nämlich TIT F O R TAT, als sehr wirkungsvoll erwiesen hatte (ein erster und ein zweiter Platz). Dieses Programm ist sehr einfach (4 bzw. 5 Zeilen). Seine Strategie läßt sich auch umgangssprachlich sehr leicht wiedergeben: Kooperiere im ersten Zug, und tue ab dem zweiten Zug genau das, was der jeweilige Partner bzw. Gegner im vorherigen Zug tat. Und gerade dieses einfache Programm gewann! Auf den ersten Blick scheint es so, als ob TIT F O R TAT gar nicht gewinnen könnte, weil es nämlich aus der wiederholten Auseinandersetzung mit einem anderen Spieler notwendigerweise höchstens mit gleich vielen oder eben mit weniger Punkten als dieser hervorgeht: Wenn beide Spieler niemals als erste mogeln, erhalten beide 200 mal B, also gleich viele Punkte; und wenn der andere als erster mogelt, erhält er in dieser Auseinandersetzung entweder gleich viele oder etwas mehr Punkte als TIT F O R TAT. Entscheidend ist nun aber, daß bei der von TIT F O R TAT angewandten Strategie der andere, der als er-

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ster mogelt, vielleicht in diesem konkreten Spiel mit TIT FOR TAT mehr Punkte holt, daß beide dabei aber bedeutend weniger Punkte erreichen, als TIT FOR TAT in seinen Spielen mit Programmen, die nicht als erste mogeln. (Bei der Auseinandersetzung von TIT FOR TAT mit einem Mogler erhalten beide schließlich nur noch R oder abwechselnd V und T.) Maßgeblich ist das Gesamtergebnis aus allen Spielen, und hierbei zahlte sich in Axelrods erstem Turnier die Strategie von TIT FOR TAT aus. TIT FOR TAT läßt sich umgangssprachlich durch die folgenden Eigenschaften charakterisieren:56 Es ist 1. nett, denn es mogelt nie als erster Spielpartner; 2. provozierbar, denn es beantwortet eine Mogelei sofort (im nächsten Zug) seinerseits mit einer Mogelei; 3. vergebend, denn wenn das Programm, das durch eigene Mogelei eine Mogelei bei TIT FOR TAT hervorrief, wieder kooperiert, wechselt TIT FOR TAT im nächsten Zug ebenfalls wieder zur Kooperation; 4. durchsichtig, denn seine Strategie ist für die Gegenspieler leicht zu erkennen. Es zeigt sich sehr schnell, daß sich beim Kontakt mit TIT FOR TAT Kooperation lohnt. Diese quasi-moralischen Attribute sollten aber nicht verdecken, daß es TIT FOR TAT allein um seine eigenen langfristigen Interessen geht - wenn man hier überhaupt von Motivation reden kann. Jedenfalls nimmt das Programm keine Rücksicht auf die Interessen anderer Programme. Es geht um die eigene langfristige Interessenbefriedigung durch dauerhafte wechselseitige (Geschäfts-)Beziehungen. Axelrod gibt im übrigen sogar selbst zu, daß der konkrete Erfolg eines Programms von den Eigenschaften der anderen Programme - und natürlich von den Turnierbedingungen - abhängt: TIT FOR TAT würde z.B. nicht unter allen Umständen gewinnen, und unter bestimmten Umständen würde es sogar sehr wenig Punkte erzielen. Damit ist die Frage der Robustheit eines Programms angesprochen, bei der es dar56

Siehe ebd., S. 54.

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um geht, wie erfolgreich sich ein Programm in unterschiedlichen Kontexten „schlägt". In dem ersten Turnier gab es z.B. verschiedene „Königsmacher" ,57 die zwar selbst - etwa durch diverse Strategien der Mogelei - nicht sehr erfolgreich waren, aber zu klaren Unterschieden bei den Erfolgen der „netten" Programme führten. Die jeweils optimale Strategie ist deshalb abhängig von der Kooperations- oder Mogelbereitschaft unter allen Teilnehmern. Es ist z.B. so, daß in einem Kontext (bzw. Turnier), in dem alle anderen Programme grundsätzlich immer mogeln, die Strategie TIT FOR TAT mit der Kooperation im ersten Zug von allen Programmen am schlechtesten abschneiden würde. Wie wir aber noch sehen werden, ist TIT FOR TAT ein sehr robustes Programm, das in fast allen Kontexten „blühen" kann58 und selbst erfolgreich in eine reine Mogel-Gesellschaft eindringt, wenn gleichzeitig mehrere - obwohl wenige - kooperative Programme in dieser Umgebung starten.59 Dieses Kriterium der Robustheit legt eine biologischevolutionäre Interpretation nahe, die von Axelrod tatsächlich auch - neben anderen Anwendungen - vertreten wird. Den interessantesten Beleg für die Robustheit von TIT FOR TAT bildete nämlich eine evolutionäre Erweiterung des Turniers.60 Axelrod fragte sich zunächst, in welcher Weise sich die Verteilung der eingeschickten Programme bei weiteren Turnieren aller Wahrscheinlichkeit nach ändern würde. Die plausibelste 57 58

Ebd., S. 34. Neuere spieltheoretische Untersuchungen verweisen darauf, daß, sobald sich die Strategie TIT FOR TAT ziemlich weit durchgesetzt hat, unter Umständen eine weniger „nette" sogenannte „Pavlov-Strategie" sogar noch erfolgreicher sein kann. Diese „mogelt" manchmal unprovoziert und bleibt bei diesem Zug, solange er sich lohnt („Win-stay, loseshift" ); siehe Martin A. Nowak, Robert M. May u. Karl Sigmund, „Das Einmaleins des Miteinander", Spektrum der Wissenschaft (August 1995), S. 46-53. Dieser noch größere Erfolg hängt aber davon ab, daß es noch genügend viele leicht ausnutzbare Programme gibt - was, wie wir sehen werden, zumindest für biologisch-evolutionäre Anwendungen eine problematische Voraussetzung darstellt.

59 60

Vgl. Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation, z.B. S. 63-67. Siehe zum Folgenden ebd., S. 49-53.

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Vermutung war, daß die Programme, die in den durchgeführten Turnieren schlecht abgeschnitten hatten, zum größten Teil verschwänden, während mehr und mehr Teilnehmer TIT FOR TAT oder andere „nette" Strategien einsenden würden. Dieses Schema erinnert an das Muster von Auslese und Fortpflanzung in der natürlichen Evolution. Entsprechend führte Axelrod eine ganze Reihe von experimentellen Turnieren durch, wobei er jeweils unterschiedliche „Fortpflanzungsraten" simulierte, die er von dem jeweils erreichten Tabellenstand am Ende eines Turniers abhängig machte. Dabei zeigte es sich, daß nach 50 simulierten Turnieren („Generationen") die „Populationen" der Programme aus dem obersten Drittel der ursprünglichen Tabelle - allen voran TIT FOR TAT - immer weiter angewachsen waren, das zweite Drittel geschrumpft und das letzte Drittel praktisch verschwunden war. Nur diejenigen Programme erzielten dauerhafte Erfolge, deren Erfolg auf guten Einzelergebnissen mit anderen erfolgreichen Programmen basierte: Diejenigen Programme, die ihre einigermaßen hohe Gesamtpunktzahl der Ausbeutung schwächerer Programme verdankten, zerstörten nach und nach ihre eigene Erfolgsgrundlage, da die Ausgebeuteten nach und nach ausstarben. Eine gute Illustration liefert hier das ursprünglich bestplazierte unter den nicht-„netten" Programmen (die also unprovoziert mogeln), nämlich HARRINGTON. Dieses Programm (eingereicht von Paul D. Harrington) hatte ursprünglich den 8. Platz belegt und war zunächst auch „evolutionär" erfolgreich. Ab etwa der 200. Generation ging die Zahl seiner Kopien aber immer weiter zurück: Es gab immer weniger ausbeutbare Opfer, und nach 1.000 Generationen war HARR I N G T O N ebenso wie seine vorherigen Opfer ausgestorben. Es stellt sich nun die Frage, ob eine Welt, in der sich TIT FOR TAT ausgebreitet hat, erfolgreich von einer anderen Strategie „überfallen" werden kann. Dies könnte hervorgerufen werden durch eine Mutation, durch die Rückkehr eines vormals ausgestorbenen (oder eines in eine kleine Nische abgedrängten) Programms oder durch das Auftauchen einer völlig neuen Strategie (etwa durch „Einwanderung"). Biologisch gesprochen, ist

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dies die Frage nach der evolutionären Stabilität der Strategie TIT FOR TAT. Dieser Begriff einer „evolutionär stabilen Strategie" wurde von John Maynard Smith entwickelt 61 und wird von Richard Dawkins bestimmt als „eine Strategie, die - wenn die Mehrzahl der Angehörigen einer Population sie sich zu eigen macht - von keiner alternativen Strategie übertroffen werden kann." 62 Dieser Begriff erweist sich auch in seiner Anwendung durch Axelrod als hilfreich. 63 Wir wollen bei der Erörterung dieses Punkts zunächst voraussetzen, daß neue Strategien einzeln auftauchen. Danach werden wir untersuchen, inwieweit die uns interessierenden Strategien auch evolutionär stabil gegenüber Gruppen gleichartiger Eindringlinge sind. Eine entscheidende Voraussetzung für die folgende Diskussion ist die Dauerhaftigkeit der Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Individuen („Spielern"); bei einem einmaligen Kontakt zwischen TIT FOR TAT und einem Mogler würde der Mogler klar gewinnen, weil er V erhielte und TIT FOR TAT sich mit Τ begnügen müßte. Bei einer langfristigen Auseinandersetzung wirkt sich dagegen aus, daß TIT FOR TAT bei allen Kontakten mit seiner eigenen Spezies immer Β erhält, während das Konkurrenz-Programm aus den Kontakten mit diesen Strategien im Schnitt weniger als Β erhält. Da TIT FOR TAT ein minimales Gedächtnis von nur einer Auseinandersetzung hat, läßt sich die Unmöglichkeit des Eindringens in eine Welt von TIT FOR TATs einfach beweisen.

61

John Maynard Smith, „The Theory of Games and the Evolution of Animal Conflict", Journal of Theoretical Biology 47 (1974), S. 209-221. Vgl. John Maynard Smith, „Die Evolution des Verhaltens" (urspr. englisch), in: Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung, Evolution: Die Entwicklung von den ersten Lebensspuren bis zum Menschen (Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, 7 1988), S. 162-172. Nach Aussage von John Maynard Smith wurde er zu diesem Konzept durch William D. Hamilton inspiriert; siehe Richard Dawkins, „Replicator Selection and the Extended Phenotype", S. 61 f.

62 63

Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 83. Siehe zum Folgenden Robert Axelrod, The Evolution S. 55-69.

of

Cooperation,

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Die Alternativ-Strategien lassen sich reduzieren auf die Abfolge Mogeln/Kooperieren (M/K) und Mogeln/Mogeln (M/M), denn sonst läßt sich das Ergebnis, das TIT FOR TAT üblicherweise erzielt (nämlich B), nicht übertreffen. M/K ergibt im ersten Zug V und im zweiten Zug T; M/M erhält im ersten Zug V und im zweiten Zug R. M/M erhält erst wieder mehr als R, wenn diese Strategie vorher einmal Τ erleidet; auf lange Sicht sind deshalb beide Alternativen zu TIT FOR TAT weniger erfolgreich als dieses Programm, das in Kontakt mit seinesgleichen immer Β erhält.64 Es läßt sich darüber hinaus zeigen, daß eine Welt „netter" Programme, die wie TIT FOR TAT schnell provozierbar sind, auch von einer Gruppe nicht-„netter" Eindringlinge nicht erobert werden kann. Der Punktwert, den die Individuen dieser Gruppe erreichen, setzt sich zusammen aus den Ergebnissen, die sie in der Auseinandersetzung mit Vertretern ihres eigenen Typs und mit denjenigen von TIT FOR TAT machen. Beide Ergebnisse sind aber kleiner oder höchstens genauso groß wie der Punktwert, den die dominante „nette" Strategie erzielt. Demgegenüber ist die Strategie TIT FOR TWO TATS (die sich von TIT FOR TAT nur darin unterscheidet, daß sie weniger provozierbar ist und erst auf eine doppelte Mogelei ihrerseits mit einer Mogelei antwortet) nicht stabil; denn sie kann sich nicht derjenigen Eindringlinge erwehren, die nur in jedem zweiten Zug mogeln. Interessanterweise gibt es bezüglich der Erfolgschancen von Eindringlingen eine, wie Axelrod schreibt,65 „angenehme" Asymmetrie zugunsten der „netten" Programme: Während eine Welt von lauter Moglern das Eindringen einzelner „netter" Programme verhindern kann, ist die reine Mogel-Strategie nicht evolutionär stabil gegenüber dem Eindringen einer Gruppe („cluster") kooperativer Individuen. In einem Turnier, in dem alle übrigen Teilnehmer immer nur mogeln, wäre es dumm, jemals zu kooperieren: In diesem Umfeld werden kooperati64 65

Der mathematische Beweis ist zu finden ebd., S. 207-209. Ebd., S. 67.

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onswillige Individuen lediglich ausgenutzt. Die Stabilität dieser Mogel-Welt wird aber erschüttert, wenn die eindringenden Individuen, die TIT FOR TAT vertreten, einen gewissen Prozentsatz der Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung mit anderen Vertretern der Strategie TIT FOR TAT haben. Bei der Annahme von Standardwerten für das iterierte Gefangenendilemma genügt es schon, wenn „nette" Eindringlinge in 5% der Fälle mit ihresgleichen zu tun haben; und die Erfolgsaussichten für TIT FOR TAT verbessern sich sogar noch weiter, wenn die „Spiele" auf längere Zeit hin angelegt sind, so daß die Vertreter dieser Strategie öfters die Ausschüttung Β erreichen (während die nicht-„netten" Programme untereinander immer nur R und bei den seltenen Kontakten mit einem Individuum der Sorte TIT FOR TAT nur jeweils beim ersten Mal V, dann aber ebenfalls nur noch R erhalten). Da sich die Strategie TIT FOR TAT in einer reinen Mogel-Welt festsetzen und ausbreiten kann, eine reine TIT FOR TAT-Welt ihrerseits aber von keiner überhaupt möglichen Gruppe von Eindringlingen erobert werden kann, könnte man übertragen sagen, daß das Rad der Evolution „hängenbleiben" kann:66 Wenn sich Kooperation einmal entwickelt, besteht sie fort. Bei der Anwendung der gewonnenen Ergebnisse auf die Frage nach der Entstehung von Kooperation in biologischen Systemen müssen drei Aspekte einer Strategie untersucht werden:67 1. Robustheit: Welche Arten von Strategien sind erfolgreich in vielfältigen Kontexten mit anderen Strategien? 2. Stabilität: Unter welchen Bedingungen kann sich eine robuste Strategie, wenn sie sich einmal durchgesetzt hat, gegen andersartige Eindringlinge wehren? 3. Ursprüngliche Lebensfähigkeit: Wie kann solch eine robuste und prinzipiell stabile Strategie überhaupt in einer nicht kooperierenden Umgebung Fuß fassen?

66 67

Axelrod spricht von einer „Sperrklinke" („ratchet"). Siehe ebd., S. 177. Siehe ebd., S. 91 u. S. 95.

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Das Computerturnier zeigte, daß sich Kooperationswilligkeit der Art, wie sie von TIT FOR TAT praktiziert wird, auszahlt. Die Übertragung auf die Erklärung der Kooperation in der natürlichen Evolution bietet sich an, weil in dem Turnier weder Freundschaft noch Voraussicht angenommen wird: Alles, was für die Beteiligten vorausgesetzt werden muß, ist ein minimales Gedächtnis und die Fähigkeit, bisherige Verhandlungspartner bzw. Gegner zuverlässig zu identifizieren. Für die Verhandlungsposition ist nur wichtig, daß es sich um wiederholte Kontakte handelt, deren Ende offen ist. Unter diesen Bedingungen können wir bestimmte Grundzüge der natürlichen Evolution als ein iteriertes Gefangenendilemma analysieren. Es muß dabei nicht einmal vorausgesetzt werden, daß die „Ausschüttungen" für beide Beteiligten gleich oder überhaupt gleichartig sind. Nur die beiden eingangs genannten Bedingungen, V>B>R>T und B>(V+T)/2, müssen gegeben sein. Es ist zwar nicht klar, ob diese beiden Bedingungen tatsächlich die wirkliche Situation bei den von Axelrod und Hamilton analysierten Kooperationsformen wiedergeben. Manche ihrer Beispiele erinnern eher an bloße Koordinierungsprobleme, bei denen jedenfalls nicht beide Seiten die Möglichkeit haben, V zu wählen und dem Gegner Τ zukommen zu lassen: Man wird schließlich kaum behaupten wollen, daß in der Symbiose zwischen Ameisen und einer Ameisen-Akazie etwa der Baum die Möglichkeit hat, bei einem einmaligen Kontakt einen großen kurzfristigen Profit durch das Ausnutzen der Ameisen auf deren Kosten zu erzielen. 68 Interessanter für unseren Zusammenhang sind zwei andere Beispiele: Das Territorialverhalten von Vogelmännchen und das Verhalten von Lebensgemeinschaften zwischen Fischarten sehr unterschiedlicher Größe. Vogelmännchen grenzen mit ihrem spezifischen Gesang ihr Brutterritorium ab. Sie tolerieren den Gesang der Männchen in benachbarten Territorien, werden 68

Vgl. ebd., S. 90. Der Baum beherbergt die Ameisen und versorgt sie mit Futter, die Ameisen beschützen den Baum. (Axelrod und Hamilton berufen sich hier auf Forschungsergebnisse von Daniel H. Janzen.)

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aber aggressiv, wenn sie ein neues Männchen bemerken.69 Man könnte dieses Verhalten folgendermaßen als Reaktion auf ein iteriertes Gefangenendilemma interpretieren: Es nützt dem Männchen, ein möglichst großes Territorium zu beherrschen und möglichst wenige Konkurrenten in seinem Umfeld zu haben. (Genauer gesagt: Die Chancen, daß seine Gene durch Fortpflanzung überleben werden, steigen unter solchen Bedingungen.) Der Versuch, alle Konkurrenten zu vertreiben, würde für alle Beteiligten hohe Kosten verursachen. Es zahlt sich daher für alle Männchen aus, sich auf ein bestimmtes Territorium zu beschränken. Männchen, die sich in Kämpfen mit ihren Nachbarn aufreiben, haben schlechtere Fortpflanzungschancen. Die Grenzziehungen sind stabil, weil die Nachbarn sich durch ihre charakteristischen Gesänge identifizieren können. Die eigene Beschränkung lohnt sich langfristig für beide. Eindringlinge ohne etabliertes Territorium bilden dagegen eine Herausforderung, die einem nicht-iterierten Gefangenendilemma entspricht. Die „natürliche" Reaktion ist Kampf und Vertreibung. Bei Lebensgemeinschaften zwischen Fischen unterschiedlicher Arten kommt es vor, daß ein kleiner Fisch Parasiten vom Körper (und sogar aus dem Inneren des Mauls) eines größeren Fisches entfernt - und dies selbst bei Raubfischen, deren potentielles Opfer er ist.70 Wieder läßt sich spieltheoretisch analysieren: Die „Ausschüttungen" für beide Beteiligten sind zwar unterschiedlich, aber beide profitieren langfristig von der gegenseitigen Hilfe. Freundschaft ist hier nicht erforderlich: Der Raubfisch wird von Parasiten befreit, der kleine Fisch erhält Nahrung (und vielleicht abschreckenden Schutz). Theoretisch hätte der Raubfisch einen größeren kurzfristigen Nutzen, wenn er den kleinen Fisch fressen würde. Dies würde aber nicht nur kurzfristig dazu führen, daß seine Parasiten nicht entfernt wer69 70

Vgl. ebd., S. 102. schungsergebnisse Vgl. ebd., S. 101. schungsergebnisse

(Axelrod und Hamilton berufen sich hier auf Forvon Edward O . Wilson.) (Axelrod und Hamilton berufen sich hier auf Forvon Robert L. Trivers.)

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den; langfristig würde diese Strategie dazu führen, daß die Zahl der kleinen Fische mit Genen, die zum Entfernen von Parasiten bei Raubfischen anregen, abnimmt oder daß diese sogar aussterben. Daraufhin hätten auch die Gene des Raubfisches langfristig schlechtere Uberlebenschancen, denn die sie störenden Parasiten verlören bei diesem Fortgang der Ereignisse ihre natürlichen Feinde. Umgekehrt könnte man vielleicht postulieren, daß die kleinen Fische noch größere kurzfristige Vorteile hätten, wenn sie nicht nur die Parasiten des Raubfischs entfernten, sondern sich auch in direkter Weise von dem Raubfisch ernährten. Das würde aber wieder - zumindest langfristig - zum Abbruch der Kooperation führen, worunter beide Beteiligten schließlich zu leiden hätten. Zur Entwicklung von kooperativem Verhalten ist es notwendig, daß die Anonymität der Beteiligten aufgehoben wird. Der spezifische Gesang der Vogelmännchen ist ein Beispiel, der feste „Treffpunkt" an bestimmten Riffen bei den in Symbiose lebenden Fischarten ein anderes. Höhere Lebensformen können viele verschiedene Individuen ihrer Spezies an äußeren Merkmalen identifizieren. Niedere Organismen haben Ersatzmechanismen entwickelt, die diesen Zweck ebenfalls erfüllen. Eine einfache Möglichkeit ist der kontinuierliche Kontakt zwischen beiden Beteiligten: Dadurch werden die Anforderungen an das Gedächtnis und an das Wiedererkennen auf ein Minimum reduziert.71 Interessant ist dabei, daß nicht nur Bakterien, sondern vielleicht sogar schon Viren sehr genau auf unterschiedliche Aspekte ihrer Umgebung reagieren können: Auch ihnen könnte man eine Strategie zuschreiben, die in ihren Reaktionen von bestimmten Bedingungen abhängig ist.72 Natürlich haben Bakterien nicht die Fähigkeit zur Voraussicht. Die Evolution „lernt" einfach durch das Verfahren „trial and error", nämlich durch Mutation (bzw. sexuelle Rekombination) und Selektion, welche Strategien die besten Uberlebens71 72

Ebd., S. 100. Ebd., S. 93 f. (Axelrod und Hamilton berufen sich hier auf Forschungsergebnisse von Mark Ptashne, Alexander D. Johnson und Carl O . Pabo.)

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und Fortpflanzungschancen haben.73 Die Strategie, kooperativ zu handeln, ist stabil, denn wenn sie sich einmal in einer Population durchgesetzt hat, ist ein Individuum, das von dieser Strategie abweicht, weniger erfolgreich. Sie ist auch robust, denn sie kann sich unter sehr unterschiedlichen Bedingungen erfolgreich behaupten. Die biologisch interessanteste Frage ist aber, wie die Tendenz zur Kooperation überhaupt lebens- und entwicklungsfähig sein kann, wenn sie erstmals in einer nichtkooperativen Umwelt auftaucht. Wird sie nicht automatisch das Opfer der Räuber oder Konkurrenten? Kooperatives Verhalten könnte sich einerseits unter Verwandten entwickeln. „Altruistische" Gene haben Uberlebensvorteile, wenn sich bestimmte Individuen für Verwandte opfern, in denen mit großer Wahrscheinlichkeit diese Gene ebenfalls vorhanden sind.74 Wenn einmal durch Mutationen die Fähigkeit zur Kooperation erworben ist und sich unter Verwandten erfolgreich ausbreitet, ist nach Axelrod und Hamilton auch die Grundlage für weitergehende Kooperation gegeben.75 Entscheidend ist dabei natürlich wieder, daß die weitere Kooperation von dem Verhalten der anderen Seite abhängig gemacht werden kann. Das Leben in einer Gruppe, deren Mitglieder häufig Kontakt miteinander haben, macht Kooperation ebenfalls lohnend. (Das Entstehen solcher Gruppen kann dabei natürlich durch verwandtschaftliche Beziehungen verstärkt werden.) Wenn sich Kooperation aber einmal entwickelt hat, sorgen die Robustheit und Stabilität der Strategie TIT FOR TAT für die weitere Ausbreitung solcher Verhaltensmuster. Sowohl interessant als auch problematisch ist nun der von Soziobiologen erhobene Anspruch, daß sich die dargestellten Ergebnisse zur Entstehung und Ausbreitung bestimmter Strategien, die sich genetisch vererben können, auch auf den Menschen übertragen lassen. Dabei geht es zunächst einmal nicht um eine normative Ethik, sondern um eine deskriptive Analyse und 73 74 75

Vgl. ebd., S. 182. Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 110 f. Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation, S. 97.

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Erklärung der menschlichen Kultur - wobei die Sitten und Gebräuche eine besondere Rolle spielen. Da eine solche - zumindest partielle - Ubertragbarkeit von allen Vertretern einer E E vorausgesetzt wird, müssen wir sie einer genauen Prüfung unterziehen. Falls sich herausstellen sollte, daß diese Übertragung kaum zu rechtfertigen ist, wären praktisch alle Projekte einer E E schon in diesem Vorstadium gescheitert.

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie Die größte Herausforderung durch die Soziobiologie geht von ihrem Anspruch aus, ihre Ergebnisse zum Sozialverhalten der Tiere auf den Menschen übertragen zu können. Auch ohne den Anspruch, die philosophische Ethik nunmehr als naturwissenschaftliche Disziplin zu betreiben, ist dies eine Provokation für einige andere Disziplinen (etwa die Soziologie und die Philosophie), denen dies - zumindest auf den ersten Blick - als eine inakzeptable Form von Biologismus erscheinen muß. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß nach Ansicht vieler Theologen jede darwinistische Evolutionstheorie der Entstehung des Menschen verfehlt ist, so daß dies für die Soziobiologie umso mehr gilt.1 Im folgenden soll bezüglich dieser alten Kontroverse vorausgesetzt werden, daß der Mensch eher ein „avancierter Affe" als das Ebenbild eines Schöpfergottes ist.2 Die interessante Frage ist dann aber, ob der Mensch nichts als ein avancierter Affe ist. Wenn man die vor-darwinistische Vorstellung, daß die natürliche Evolution (die als solche schon von Lamarck erkannt wurde) sich von vornherein auf den Men1

2

Siehe etwa Andreas Knapp, Soziobiologie und Moraltheologie: Kritik der ethischen Forderungen moderner Biologie (Weinheim: VCH/Acta humaniora, 1989), bes. S. 47-54; vgl. dazu die Rezension dieses Buches bei Hans Werner Ingensiep, „Evolution und Ethik: Zur Kritik und Bedeutung evolutionärer Analysen für die philosophische Ethik", Philosophischer Literaturanzeiger 43 (1990), S. 281-297, hier: S. 286-289. Vgl. dazu Hartmut Kliemt, „Der avancierte Affe: Zur Rolle soziobiologischer und philosophischer Theorien über die menschliche Natur", Analyse & Kritik 16 (1994), S. 3-19.

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

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sehen als zu erreichenden Endpunkt ausrichtete, als „anthropozentrisches" Mißverständnis bezeichnet,3 dann steht diesem auf der anderen Seite ein „zoozentrisches" gegenüber, nach dem Menschen nichts als Tiere sind.4 In diesem Zoozentrismus liegt der zentrale Fehler der Soziobiologie, wie sie vom frühen Wilson (in seinem klassischen Werk Sociobiology) entwickelt wurde. Die Kehrseite dieses Reduktionismus ist im übrigen die ebenfalls verfehlte Übertragung menschlicher Kategorien auf die Tierwelt, wenn etwa von „Versklavung" bei Ameisen, „Vergewaltigung" bei Wildenten und „Ehebruch" bei Gebirgsblaudrosseln die Rede ist.5 In beiden Fällen wird aus der Tatsache, daß Menschen auch Tiere sind, der Fehlschluß gezogen, zwischen Menschen und Tieren bestünden keine wesentlichen Unterschiede. Die Grundannahmen der Soziobiologie des frühen Wilson lassen sich (im Anschluß an Philip Kitcher 6 ) in Form einer vierstufigen Leiter zusammenfassen:

3

4

5

6

Vgl. dazu Stephen Jay Gould, Zufall Mensch: Das Wunder des Lebens als Spiel der Natur (München/Wien: Carl Hanser, 1991;urspr. englisch 1989). Der hier kritisierte biologische Anthropozentrismus muß unterschieden werden von den unten diskutierten methodologischen und moralischen Anthropozentrismen. Siehe Stephen Jay Gould, „Unser natürlicher Platz", in: ders., Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt, S. 239-248, hier: S. 240. Siehe zu demselben Punkt auch Klaus Michael Meyer- Abich, Aufstand für die Natur: Von der Umwelt zur Mitwelt (München/Wien: Carl Hanser, 1990), S. 44. Problematisch ist hingegen, wenn Meyer-Abich es andererseits als Aufgabe des Menschen ansieht, „die Natur zu Wort und so zu sich kommen zu lassen"; siehe Klaus Michael Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur: Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik (München/Wien: Carl Hanser, 1984), S. 98. Siehe Stephen Jay Gould, „Unser natürlicher Platz", S. 241. Vgl. dazu auch Elliott Sober, „Evolutionary Altruism, Psychological Egoism, and Morality: Disentangling the Phenotypes", in: Matthew H. Nitecki u. Doris V. Nitecki (Hrsg.), Evolutionary Ethics (Albany, New York: State University of New York Press, 1993), S. 199-216, hier: S. 199. Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 126 f.

44

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

1. Durch die Standardmethoden zur Bestimmung biologischer Entwicklungsgeschichten können wir Hypothesen bestätigen, wonach alle Mitglieder einer Gruppe G ihre genetische „Fitness" durch ein Verhalten Β in der für die Mitglieder der Gruppe G typischen Umwelt maximieren würden. 2. Wenn wir ein Verhalten Β bei (nahezu) allen Mitgliedern von G finden, können wir schließen, daß Β durch natürliche Selektion vorherrschend wurde und blieb, und zwar gerade durch den Beitrag zur genetischen „Fitness". 3. Weil die Selektion nur dort tätig wird, wo genetische Unterschiede bestehen, können wir schließen, daß genetische Unterschiede zwischen den gegenwärtigen Mitgliedern von G und denjenigen Vorfahren (und gelegentlichen gegenwärtigen Abweichlern) bestehen, bei denen Β nicht festzustellen ist. 4. Weil es diese genetischen Unterschiede gibt und weil das Verhalten adaptiv ist, kann gezeigt werden, daß es schwierig sein wird, dieses Verhalten durch eine Änderung des sozialen Umfelds zu modifizieren. Der vierte Schritt macht deutlich, warum Wilson auf erbitterten politischen Widerstand stieß: Er will anscheinend (oder nur scheinbar! ?) naturwissenschaftlich beweisen, daß politische Reformprogramme in jedem Falle untauglich sind, die bestehenden Verhältnisse zu ändern. Für unseren Zusammenhang ist aber wichtiger, daß schon die zweite Behauptung verfehlt ist. Nach Gould handelt es sich dabei um den zentralen Fehler des adaptationistischen Programms: die Vermengung von gegenwärtigem Nutzen und historischem Ursprung. 7 Es ist eine verbreitete vulgärdarwinistische Meinung, daß nach der darwinistischen Evolutionstheorie die gegenwärtigen Arten und die Ausstattung einzelner Organismen als optimale Anpassungen an die gegebene Umwelt interpretiert werden müßten. Diese

7

Siehe Stephen Jay Gould, „Cardboard Darwinism", in: ders., An Urchin in the Storm, S. 26-50, hier: S. 35. Vgl. auch Stephen Jay Gould, „Genes on the Brain", in: ders., An Urchin in the Storm, S. 107-123.

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

45

Vorstellung, die Gould spöttisch (in Anlehnung an den satirischen Angriff auf Leibniz in Voltaires Candide) „Panglossismus" nennt, beruht jedoch auf einem groben Mißverständnis. Auch wenn Anpassung eine wesentliche Kategorie der Evolutionstheorie ist, stellen doch gerade die Unvollkommenheiten (wie sie sich etwa in rudimentären Organen zeigen) ihren entscheidenden Beleg dar: „Der Beweis, daß die Evolution und nicht das Machtwort einer rationalen Kraft die Organismen geschaffen hat, liegt in den Unvollkommenheiten, die eine Geschichte der Abstammungen darstellen und eine Schöpfung aus dem Nichts widerlegen. [...] Die Adaptation folgt nicht den Konstruktionszeichnungen eines perfekten Maschinenbauers." 8 Ahnlich weist Dawkins auf verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten hin, die auf evolutionärem Weg nicht erreicht werden können, weil die unvorteilhaften Zwischenstadien kaum zu überwinden sind oder weil die Evolution bei einer Gattung schon einen bestimmten Weg eingeschlagen hat, auf dem es kein Zurück gibt. Zum Beispiel sind die Augen der Kraken „vernünftiger" angelegt als die Augen der Wirbeltiere: „Jeder Ingenieur würde selbstverständlich annehmen, daß die Photozellen auf das Licht hin ausgerichtet sind und daß ihre Drähte nach hinten zum Gehirn führen. Er würde lachen, wollten wir ihm vorschlagen, die Photozellen vom Licht abzuwenden und ihre Drähte an der dem Licht am nächsten gelegenen Stelle anzuschließen. Doch genau dies ist bei Wirbeltier-Retinas der Fall."9 Viele Merkmale biologischer Organismen sind somit die Resultate historisch „eingefrorener Zufallsereignisse" .10 Sie

8 9 10

Stephen Jay Gould, „Ein Reich ohne Räder", in: ders., Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt, S. 156-163, hier: S. 158 u. S. 162. Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, S. 114. Siehe Murray Gell-Mann, Das Quark und der jaguar: Vom Einfachen zum Komplexen - die Suche nach einer neuen Erklärung der Welt (München/Zürich: Piper, 1994; urspr. englisch), S. 203-204 u. S. 323-327. Vgl. dazu meine Rezension dieses Buches im Spektrum der Wissenschaft (März 1995), S. 121-122.

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3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

bilden das Ergebnis einer evolutionären „Flickschusterei", 11 die unter sich ändernden äußeren Bedingungen das Beste aus den überlieferten (und ziemlich starren) Formen machen muß. Die Tatsache, daß auch Dawkins den „Panglossismus" ablehnt, sollte uns allerdings als Warnung dienen, daß der soziobiologische Ansatz nicht vorschnell mit dem Hinweis auf verfehlte Ansichten einiger seiner Vertreter verworfen werden darf. Zwar besteht die Möglichkeit, daß Dawkins sich einfach unbedarft in Widersprüche verwickelt, indem er auf der einen Seite die soziobiologische Orthodoxie verteidigt und auf der anderen Seite ihre (vermeintlichen) Voraussetzungen oder Konsequenzen ablehnt. 12 Eine solche generelle Ablehnung darf aber - wenn überhaupt - erst nach eingehenderer Prüfung der verschiedenen Aspekte des soziobiologischen Forschungsprogramms ausgesprochen werden. Auch Gould akzeptiert schließlich die von der Soziobiologie geleistete darwinistische Erklärung des „Altruismus"; 13 aber er betont gleichzeitig, daß zumindest wir Menschen auf dieser genetischen Grundlage doch ein bemerkenswertes Maß an Flexibilität erreicht haben, so daß unsere soziale Organisation nicht mehr überzeugend allein auf der Grundlage eines genetischen Determinismus interpretiert werden kann. Erstaunlicherweise hat auch Wilson selbst (gemeinsam mit dem Physiker Charles J. Lumsden) seinen ursprünglichen soziobiologischen Ansatz entsprechend revidiert oder, vorsichti-

11

12 13

Nach Mayr stammt diese Metapher von dem Biologen François Jacob; siehe Ernst Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, S. 139, S. 192 u. S. 334, wobei er allerdings nur auf einen Aufsatz von Jacob aus dem Jahre 1977 verweist. Vgl. dazu aber auch Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM, S. 65: „Die Evolution wurde zu einem Flickschuster, dem seine Fehler ständig zusetzten." Dies wird Dawkins vorgeworfen von Mary Midgley, „Gene-juggling", z.B. S. 446, S. 447 u. S. 456. Siehe Stephen Jay Gould, „Prologue", in: ders., Ever Since Darwin: Reflections in Natural History (Harmondsworth: Penguin, 1991; urspr. 1977), S. 11-17, hier: S. 16.

3. D a s kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

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ger ausgedrückt: ergänzt.14 Rückblickend heißt es: „Conventional sociobiology first addressed the genetic origins of such general behaviors as altruism, cooperation, sexual bonding, parental care, and aggression. [...] But the human condition is dominated by two qualities that cannot be handled by ordinary evolutionary theory and sociobiology: the human mind, operating with free will, and culture, which has created an astonishing diversity of behavior among different societies." 15 Angesichts dieses Eingeständnisses der Sonderrolle des Menschen stellt sich die Frage, was von dem Kern des soziobiologischen Programms eigentlich noch übrig bleibt. Der biologisch-genetische Determinismus schien doch eine entscheidende Voraussetzung der Soziobiologie zu bilden.16 Ein möglicher Ausweg besteht darin, den Sonderstatus der Kultur zuzugestehen, aber dennoch deren Rolle auf eine spezifische biologisch-adaptive Funktion zu beschränken. Diese Position wird etwa bei Richard D. Alexander vertreten, dessen soziobiologisches Programm darin besteht, „to analyze the variations in culture as the potential outcomes of different strategies of inclusive-fitness-maximizing behavior in different circumstances." 17 Immerhin sieht Alexander, daß sich aus seinem Ansatz keine ethischen Vorschriften ableiten lassen;18 aber schon sein deskriptiver Ansatz ist kritikwürdig, denn auch ihm muß ein panglossistisches Vorurteil angekreidet werden: Er betrachtet die menschliche Kultur lediglich funktional in ihrer Bedeutung für den genetischen Fortpflanzungser-

14

Siehe Charles J. Lumsden u. Edward O . Wilson, Genes, Mind, and Culture: The Coevolutionary Process (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1981), S. 259.

15

Charles J. Lumsden u. Edward O . Wilson, Promethean Fire: Reflections on the Origin of Mind (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1983), S. 170; vgl. ebd., S. 48 f.

16

Vgl. Stephen J a y G o u l d , „Biological Potentiality vs. Biological Determinism", in: ders., Ever Since Darwin, S. 251-259. Richard D . Alexander, Darwinism and Human Affairs (Seattle/London: University of Washington Press, 1982; urspr. 1979), S. 85. Vgl. ebd., S. 276-278.

17 18

48

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

folg; und diese Betrachtungsweise ist unzureichend für ein umfassendes Verständnis dieses Phänomens. Wir werden der kulturphilosophischen Relevanz der Soziobiologie am besten gerecht, wenn wir sie von vornherein von zwei fehlerhaften Annahmen reinigen und sowohl den biologisch-genetischen Determinismus als auch den Panglossismus aufgeben: Der biologisch-genetische Determinismus wird nicht von den empirischen Daten gestützt,19 und es ist sogar aus darwinistischer Perspektive einfach der falsche Ansatz, zur Erklärung jedes Phänomens immer nur zu fragen, auf welche Weise es zum Fortpflanzungserfolg beiträgt (bzw. beigetragen hat). Dann bleibt immer noch ein wichtiger Ansatz übrig, der nicht unterschätzt werden darf. Dabei stellen sich insbesondere zwei Fragen: 1. Gibt es für die Entstehung, Erhaltung und Ausbreitung von Geist und Kultur eine evolutionsbiologische Erklärung? 2. Haben die genetischen Ursprünge und Mechanismen weiterhin Einfluß auf Geist und Kultur, wenn diese einmal entstanden sind? Davon unterschieden werden muß eine andere Frage, deren Beantwortung hier vorweggenommen werden soll: Haben Geist und Kultur Auswirkungen auf die weitere biologische Evolution? Dies ist trivialerweise der Fall; denn alles, was überhaupt geschieht - ob Deiche brechen, Autobahnen gebaut oder Cocktailpartys veranstaltet werden - , hat zumindest indirekt einen Einfluß auf die genetische Ausstattung zukünftiger Lebewesen. Menschen allein deswegen als bloße Naturwesen zu betrachten, wäre ebenso irreführend, wie den Bau von Autobahnen und das Veranstalten von Cocktailpartys als bloße Naturereignisse zu betrachten. Für den weiteren Fortgang unserer Untersuchung wird dagegen entscheidend sein, daß die Einflußnahme durch vernünftige Wesen bloße Ursachen, aber auch Gründe haben kann. Mit der Frage nach der Rechtfertigung für Handlungen ist 19 Vgl. dazu Philip Kitcher, Vaulting Ambition, z.B. S. 131, sowie die Fallstudie ebd., S. 299-307.

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eine gewisse Sonderrolle der Vernunft angesprochen. Inwieweit diese Sonderrolle mit einer evolutionären Erklärung ihrer Entstehung vereinbar ist, müssen wir im Zusammenhang mit der Diskussion der ersten Frage erörtern. Kann ein blinder Mechanismus von zufälliger Mutation und äußerer Selektion (ergänzt durch sexuelle Rekombination und die reproduktive Isolation lokaler Populationen) Geist hervorbringen? Dies schien und scheint vielen unvorstellbar. Man darf sich aber eben nicht von den Grenzen der eigenen Vorstellungskraft täuschen lassen und muß eine solche Möglichkeit unvoreingenommen prüfen. Daß eine solche Unvoreingenommenheit schwer zu erreichen ist, liegt an den schwerwiegenden Konsequenzen für die Einschätzung der Stellung des Menschen im Kosmos. So schreibt etwa Samuel Butler: „Evolution entirely unaided by inherent intelligence must be a very slow, if not quite inconceivable, process. Evolution helped by intelligence would still be slow, but not so desperately slow. One can conceive that there has been sufficient time for the second, but one cannot conceive it for the first."20 Während Butler wissenschaftliche Zweifel bezüglich der Erklärungskraft des darwinistischen Ansatzes betont (und vielleicht nur vorschiebt),21 spricht der Butler-Schüler George Bernard Shaw deutlicher aus, daß ihm diese Theorie einfach unangenehm ist: „As compared to the open-eyed intelligent wanting and trying of Lamarck, the Darwinian process may be described as a chapter of accidents. As such, it seems simple, because you do not at first realize all that it involves. But when its whole significance dawns on you, your heart sinks into a heap of sand within you." 22

20 21

22

Samuel Butler, Life and Habit, S. 232. Zu Butler vgl. ausführlicher: Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, S. 185-215 („Eier, Hennen und Maschinen: Samuel Butlers Philosophie von ,Ergindwon'"). Vgl. auch Bernd Gräfrath, „Samuel Butler - der Darwin der Maschinenkultur", in: Samuel Butler, EREWHON oder Jenseits der Berge (Frankfurt a.M.: Eichborn, 1994; urspr. englisch 1872 bzw. 1901) [= „Die Andere Bibliothek", Band 120], S. 367-396. George Bernard Shaw, „Preface: The Infidel Half Century", in: ders., Back to Methuselah: A Metahiological Pentateuch [Revidierte, um ein

50

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Für die von Shaw angesprochenen lamarckistischen Theorien ist gegenüber darwinistischen charakteristisch, daß sie eine oder mehrere der folgenden drei Thesen vertreten: a) Die Evolution hat ein vorgegebenes telos, auf das sie sich hinbewegt; b) die Bedürfnisse der Organismen haben einen Einfluß auf die Richtung genetischer Mutationen; c) Die genetische Vererbung erworbener Eigenschaften und erlernter Gewohnheiten ist möglich. Die (heutzutage kaum noch anzutreffenden) Anhänger des Lamarckismus23 können sich sogar teilweise zu Recht auf Passagen in Charles Darwins eigenem Werk The Origin of Species by means of Natural Selection (1859) berufen, in dem die dritte These ausdrücklich nicht abgelehnt wird. Heute würde man dem allerdings entgegenhalten, daß Darwin selbst hier eben nicht radikal genug war und erst der Darwinist August Weismann um 1882/83 die erforderliche vollständige Loslösung vom Lamarckismus geleistet hat.24 Shaw betrachtete Weismanns Theorie noch als reductio ad absurdum des Darwinismus: „Weismann [...] developed Darwinism into an extravagant

23

24

Nachwort ergänzte Fassung] ( L o n d o n / N e w York/Toronto: Oxford University Press, 1945; urspr. 1921), S. vii-lxxxvii, hier: S. xliii. Zu diesen Anhängern hat in einem radikalen Sinne anscheinend lange Rupert Riedl gehört, da er sich nicht nur f ü r die dritte These aussprach, sondern auch der ersten (wie sie von Teilhard de Chardin vertreten wird) positiv gegenüberstand; siehe Rupert Riedl, Kultur - Spätzündung der Evolutionf: Antworten auf Fragen an die Evolutions- und Erkenntnistheorie (München/Zürich: Piper, 1987). Diese Position scheint er inzwischen allerdings weitgehend aufgegeben zu haben; siehe Rupert Riedl, Mit dem Kopf durch die Wand: Die biologischen Grenzen des Denkens (Stuttgart: Klett-Cotta, 1994), S. 32 f u. S. 62 f. Siehe dazu Ernst Mayr, Toward a New Philosophy of Biology: Observations of an Evolutionist (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press (Belknap), 1988), S. 491-524 („On Weismann's Growth as an Evolutionist" ). [Dieses Kapitel fehlt in der deutschen Übersetzung von Mayrs Buch.]

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lunacy." 25 Da es aber kein einziges überzeugendes empirisches Beispiel für die Vererbung erworbener Eigenschaften gibt, ist Weismanns Theorie heute das akzeptierte Paradigma in der akademisch verankerten Biologie. Gegen das Zufallskonzept der darwinistischen Evolutionstheorie wird oft auch eingewandt, daß die Rede vom Zufall nur von vorläufiger Unwissenheit zeuge, 26 oder es wird sogar darauf hingewiesen, daß sich hinter dem Zufall die Hand Gottes verbergen könne. 27 Beide Einwände sind keine triftigen Einwände gegen den Darwinismus. Wenn von zufälligen Mutationen die Rede ist, dann wird damit weder ein akausaler Zufall postuliert (wie er - nach der in der Physik gerade vorherrschenden Interpretation der Quantentheorie - im subatomaren Bereich zu finden ist), noch bedeutet diese Rede einen bloßen Zwischenschritt bis zur „wirklichen" Erklärung. Damit wird vielmehr einfach ausgedrückt, daß die Mutationen blind (ungesteuert, ziellos) geschehen - so, wie man einen guten Bekannten zufällig treffen kann, ohne sich vorher verabredet zu haben.28 Natürlich besteht immer noch die Möglichkeit, daß aufgrund späterer Forschungsergebnisse die Zufallsthese revidiert werden muß - wobei vielleicht nicht einmal übernatürliche (oder harmloser: außerirdische) Eingriffe prinzipiell ausgeschlossen

25

26

27

28

George Bernard Shaw, „Gilbert Cannan on Samuel Butler" (1915), in: Bernard Shaw's Nondramatic Literary Criticism, hrsg. v. Stanley Weintraub (Lincoln, Nebraska: University of Nebraska Press, 1972), S. 78-84, hier: S. 83. Siehe etwa Basil Willey, Darwin and Butler: Two Versions of Evolution (London: Chatto & Windus, 1960), S. 212: „Butler was right again, and truly scientific, in not wanting to fall back on .chance', which after all simply indicates scientific failure." Siehe etwa Robert Spaemann, „Sein und Gewordensein: Was erklärt die Evolutionstheorie?", in: ders., Peter Koslowski u. Reinhard Low (Hrsg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis, S. 73-91, hier: S. 87: „Das religiöse Weltverhältnis hat seit jeher gerade im Zufall die Hand Gottes verehrt." Vgl. dazu ausführlicher: Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, S. 281-290 („Reflexionen über den Zufall").

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werden dürfen.29 Das ändert aber nichts daran, daß die Zufallsthese eine befriedigende (und, als ontologisch „sparsamste", auch vorzuziehende) wissenschaftliche Theorie ist, wenn sie zur Erklärung der anzutreffenden Phänomene genügt. Viele (wenn auch typischerweise nicht bedeutende) Kritiker wenden nun ein, daß die sparsame darwinistische Erklärung eben nicht hinreichend leistungsstark ist. Standardbeispiele sind - neben dem Gehirn, auf dessen Entstehung wir gleich eingehen werden - das menschliche Auge und die Flügel der Vögel. Es wird die These aufgestellt, daß die Chancen einfach zu klein waren, daß sich etwas so Komplexes durch bloßen Zufall entwickelt haben könnte. Es ist nun aber so, daß der Darwinist etwas Derartiges gar nicht behauptet. Die (über längere Perioden einigermaßen konstante) natürliche Selektion sorgt dafür, daß die Evolution scheinbar eine Richtung erhält: Die Mutationen bilden quasi den ungeordneten input, von dem der Filter der Selektion nur einige hindurchläßt und dadurch einen geordneten output erzeugt. Engere Filter und anwachsender Konkurrenzdruck sorgen dann für eine immer feinere Ordnung. Das Auge konnte nicht auf einen Schlag entstehen; aber das mußte es auch gar nicht.30 Im Gegenzug verweisen Kritiker darauf, daß dann aber Zwischenformen existiert haben müßten, die von Uberlebensvorteil gewesen sein müßten. Eigentlich handelt es sich um zwei Fragen: Kann es solche Zwischenformen überhaupt geben? Und könnten diese Zwischenformen einen Uberlebensvorteil bie-

29

30

Es gibt allerdings prinzipielle Identifikationsprobleme für übernatürliche Wesen und ihre Handlungen; siehe dazu Bernd Gräfrath, Artikel „übernatürlich", in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 4 (Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler; erscheint ca. 1996). Das Beispiel des Auges, das seit William Paleys Standardwerk Natural Theology, or Evidences of the Existence of the Deity (1802) als primärer Beleg für den teleologischen Gottesbeweis herangezogen wurde, dient Richard Dawkins gerade als Beispiel, um zu zeigen, daß die kreationistische Kritik am orthodoxen Darwinismus keineswegs zwingend ist; siehe Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, z.B. S. 103.

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ten? Daß es solche Zwischenformen geben kann, läßt sich relativ schnell zeigen: Es kann lichtempfindliche Hautfalten geben, die die Vorformen des Auges bildeten. Während aber in diesem Fall die Zwischenform Überlebensvorteile bot (denn etwas Lichtempfindlichkeit ist besser als gar keine, und eine zehnprozentige Sehfähigkeit ist besser als eine fünfprozentige), scheint sich bei dem Federkleid der Vögel zu zeigen, daß die Annahme solcher Zwischenformen unplausibel ist, weil ein halber Flügel eben nicht flugfähig wäre. Zur Lösung ist nun auf zwei wesentliche Aspekte der Evolution hinzuweisen, die auch entscheidend für die Entwicklung des menschlichen Geistes waren: Funktionswandel und Uberschuß. „Federn eignen sich ausgezeichnet zum Fliegen, aber die Vorfahren der Vögel müssen sie aus anderen Gründen entwickelt haben - wahrscheinlich zur Temperaturregulierung - da ein paar Federn an den Armen eines kleinen, laufenden Reptils nicht einen Flug ermöglichen werden. Unsere Gehirne haben sich wegen einer Reihe komplizierter Gründe vergrößert, aber sicherlich nicht, damit ein paar von uns Essays darüber schreiben können." 31 Hier zeigt sich, daß nicht nur einige Soziobiologen, sondern auch einige Kritiker des Darwinismus diesen vulgärdarwinistisch mißverstehen, indem sie ihm die Theorie des Panglossismus zuschreiben. Nach der darwinistischen Vorstellung ist die Evolution aber gerade kein kluger und effizient arbeitender Konstrukteur. Es ist deshalb aus darwinistischer Perspektive gar nicht rätselhaft, wenn nicht alle Eigenschaften eines Organismus zu dessen Uberlebensvorteil beitragen. Manche Mutationen sind, vom Standpunkt der Selektion betrachtet, einfach neutral; andere sind vielleicht, für sich betrachtet, sogar leicht nachteilig, bilden aber einen zufälligen oder sogar unvermeidlichen Nebeneffekt einer damit verbundenen positiven Änderung: „Die frühesten Cro-Magnon-Menschen, die über ein Gehirn verfügten, welches größer war als das unsere, bemalten ihre Höhlen mit phantastischen Zeichnungen, schrieben aber weder Symphonien noch bauten sie Compu31

Stephen Jay Gould, „Selbstbezogene Gene", S. 168.

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3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

ter. Alles, was wir seither erreicht haben, ist das Produkt einer kulturellen Evolution, die auf ein Gehirn von gleichbleibender Fähigkeit gegründet ist. [...] Die natürliche Selektion kann ein Organ ,für' eine besondere Funktion oder eine Gruppe von Funktionen ausbilden. Doch die Fähigkeiten dieses Organs müssen nicht voll in einem solchen,Ζ weck' aufgehen. [...] Unser großes Gehirn mag ursprünglich ,für' ein Ensemble notwendiger Fertigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung, Vergesellschaftung und dergleichen entstanden sein. Doch diese Fertigkeiten erschöpfen keineswegs all das, was eine so komplexe Maschine zu tun vermag."32 Diese anti-panglossistische Einsicht hat inzwischen auch an verschiedenen Stellen Berücksichtigung in der philosophischen Diskussion gefunden. In der Philosophie des Geistes dient sie unterschiedlichen naturalistischen Positionen33 zur Verteidigung gegen eine Kritik, die - oft, ohne eine bessere Alternative anbieten zu können - diese Positionen von vornherein als unzureichend verwirft. Das Modell von Funktionswandel und Überschuß wird sich aber auch bei der Erklärung des Ursprungs moralischen Verhaltens (im Sinne des Ethos) und darüber hinausgehender Rechtfertigungsbemühungen (im Sinne der philosophischen Ethik) als leistungsfähig erweisen.34 Lumsden und Wilson scheinen die Entstehung des Gehirns und die darauf aufbauende Entwicklung der menschlichen Kultur in dem oben skizzierten Sinne einerseits auf biologisch-

32

33

34

Stephen Jay Gould, „Die natürliche Selektion und das menschliche Gehirn: Darwin versus Wallace", in: ders., Der Daumen des Panda, S. 49-60, hier: S. 59. Siehe etwa Dieter Birnbacher, „Epiphenomenalism as a Solution to the Ontological Mind-Body Problem", Ratio, New Series 1 (1988), S. 1732, hier: S. 30, sowie John R. Searle, Die Wiederentdeckung des Geistes, S. 126-129. Vgl. dazu Colin McGinn, „Evolution, Animals, and the Basis of Morality", Inquiry 22 (1979), S. 81-99, hier: S. 93, sowie Francisco J. Ayala, „The Biological Roots of Morality", Biology & Philosophy 2 (1987), S. 235-252, hier: S. 241 f. Vgl. auch Neil Tennant, „Evolutionary v. Evolved Ethics", Philosophy 58 (1983), S. 289-302, hier: S. 295.

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evolutionäre Bedingungen zurückzuführen, ihr andererseits aber auch eine gewisse Autonomie zuzugestehen: „The evolution of the human brain was in fact the fastest of any complex organ recorded in geological history. Gene-euculture coevolution started when the Homo level was reached. Its outward appearance was that of an autocatalytic reaction, in which the products created hastened the process still further."35 Allerdings zeigt schon dieses Zitat, daß Zweifel angebracht sind, inwieweit sich Wilson von dem biologisch-genetischen Determinismus seines Frühwerks gelöst hat: Es ist nicht die Rede von der Entwicklung der spezifisch menschlichen Kultur (die mit der Neuschöpfung „euculture" charakterisiert wird), sondern es ist von einer Gen-Kultur-Koevolution die Rede, ohne daß die Beziehungen zwischen Genen und Kultur genau bestimmt würden. Auch die Rede von dem äußeren Schein eines autokatalytischen Prozesses ist unklar. So wird zu diskutieren sein, ob kulturelle Leistungen hinreichend mit kausalen Kategorien beschrieben werden können: Es könnte sich etwa herausstellen, daß jede bloße Einnahme der Außenperspektive eine reduktionistische Verengung zur Folge hat. Es war charakteristisch für den frühen Wilson, üblicherweise als außerbiologisch akzeptierte Phänomene auf biologische Wurzeln zurückzuführen und ihnen reduktionistisch eine angeblich umfassende und ausschöpfende biologische Deutung zu geben. Einiges weist darauf hin, daß auch Wilson und Lumsden immer noch diese Position vertreten. Einerseits wird zwar zugestanden, daß die kulturelle Entwicklung dem Menschen eine Flexibilität verleiht, die ihn von anderen Tieren grundlegend unterscheidet; aber andererseits heißt es: „We need to remember that flexibility does not necessarily imply a lack of genetic determinism."36 Auf ähnliche Art wird die adaptationistische Betrachtungsweise zunächst zurückgenommen, im nächsten Halbsatz aber wieder als angemessener Forschungsansatz empfohlen: „Whether 35 36

Charles J. Lumsden u. Edward O. Wilson, Genes, S. 327. Ebd., S. 357.

Mind,

and

Culture,

56

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

the flexibility is adaptive or not, the epigenetic rules can be used to predict cultural patterns in the form of ethnographic probability distributions."37 Die Rede von „epirules" ist hier verräterisch: Letztlich kann von einer Autonomie der Kultur kaum die Rede sein. Was als große Wende der Soziobiologie angekündigt wird, fällt schließlich auf deren alten Kern zurück: „We should keep in mind that most of the wondrous inventions of science and technology serve in practice as enabling mechanisms to achieve territorial defense, communication of tribal ritual, sexual bonding, and the other ancient sociobiological functions."38 Das ist zwar eine vorsichtigere Formulierung, entfernt sich inhaltlich aber nicht von Wilsons früherer offenherziger These: „The genes hold culture on a leash."39 Lumsden und Wilson muß zumindest vorgeworfen werden, daß sie die Vernunft nur als eines unter verschiedenen Instrumenten betrachten, die von Relevanz für die Ausbreitung bestimmter Gene sind. Eine eventuelle Sonderrolle wird von ihnen nicht ausdrücklich ausgeschlossen, deren Behauptung im Regelfall aber als ideologische Chimäre veralteter Weltbilder abgelehnt. Diese irreführende Strategie wird von Anhängern der EE auch häufig im Zusammenhang mit Fragen der Grundlegung der Ethik eingeschlagen: Der Standpunkt der Biologie und der Standpunkt der traditionellen Religion werden als einzige Alternativen hingestellt, und wer sich weigert, in allen Fragen der biologischen Perspektive den Vorrang einzuräumen, muß sich den Vorwurf anhören, ins finstere Mittelalter zurückzufallen. Wohlverstandene Aufklärung besteht aber in der Bestimmung der Grenzen der Biologie in ihrer Eigenschaft als Wissenschaft: Wir brauchen eine Kritik der biologischen Vernunft. Eine angemessene Beschäftigung mit der Vernunft kommt nicht umhin, ihre Rolle bei der Prüfung von Geltungsansprüchen zu würdigen. Robert Nozick macht die unterschiedlichen Aspekte der Genese und der Geltung besonders deutlich: „The question 37 38 39

Ebd. Ebd., S. 360. Edward O. Wilson, Ort Human

Nature,

S. 167.

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

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is not whether there will be evolutionary explanations of how consciousness, language, and self-consciousness arise or are selected for. The question is whether once these do arise by a blind process, they then operate and lead to some things unblindly. (Do percepts with concepts stay blind?) That there is an invisible hand explanation of our having our cognitive capacities does not mean there is an invisible hand explanation of my writing the contents of this book." 40 Wenn wir die Wahrheit von Nozicks Behauptung prüfen, müssen wir von den Entstehungsbedingungen von Autor und Buch absehen. Damit ist nicht gesagt, daß die eine Perspektive falsch und die andere richtig ist; vielmehr gibt es für jede der beiden Perspektiven einen angemessenen Kontext, dessen Grenzen aber jeweils klar gezogen werden müssen. Diese Unterscheidung hat ihre Entsprechung in der althergebrachten Debatte um Freiheit und Determinismus.41 Lumsden und Wilson wollen zwar die Existenz eines „freien Willens" einräumen, dessen Reichweite durch ein tieferes Verständnis der menschlichen Natur vergrößert werde.42 Aber eine genauere Analyse zeigt, daß sie kaum die wichtigsten Aspekte dieses traditionellen philosophischen Problems kennen. Sie zielen wohl auf eine vergrößerte Handlungsfreiheit, deren Existenz auch dann eingeräumt werden kann, wenn man die Existenz einer Willensfreiheit im Sinne des Indeterminismus leugnet. Eine solche kompatibilistische Position, die mit der Handlungs40

Robert Nozick, Philosophical Explanations (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press (Belknap), 1981), S. 347. Vgl. auch Andreas Dorschel, „Kulturevolution, Biologie und Sprache: Empirische und ratio-

nale Selektionskriterien", Deutsche

38 (1990),

Zeitschrift für Philosophie

S. 984-992. 41

Vgl. zum Folgenden ausführlicher: Bernd Gräfrath, JWoral

praktische

Sense"

Vernunft: David Humes Ethik und Rechtsphilosophie

und

(Stutt-

gart: J.B. Metzler, 1991), S. 113-134 („Determinismus, Freiheit und Verantwortlichkeit" ). 42

Charles J. Lumsden u. Edward O. Wilson, Promethean Fire, S. 174. Vielleicht besteht ihr Mißverständnis auch in dem Punkt, daß sie unter Willensfreiheit lediglich die Unvorhersehbarkeit einer Handlung durch Dritte verstehen; vgl. Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 416.

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freiheit das entscheidende Kriterium für die Zuschreibung von Verantwortlichkeit gegeben sieht, wird als „weicher Determinismus" bezeichnet und scheint gut mit einer EE vereinbar zu sein.43 Damit ist aber noch nicht alles Wichtige zu diesem Thema gesagt. Die Unvermeidlichkeit der Einnahme eines nichtkausalistischen Standpunkts (der die Wirksamkeit des Kausalprinzips, nach dem nichts ohne Ursache geschieht, nicht leugnet, aber zur Beantwortung von Geltungsfragen von diesem absehen muß) zeigt sich u.a. daran, daß selbst derjenige, der die Wahrheit des Determinismus behauptet, diesen zweiten Standpunkt einnehmen muß. Nur derjenige, der sich konsequent jedem Diskurs entzöge und nie irgend etwas behauptete (oder nur zynisch und damit parasitär an solchen „Behauptungsspielen" teilnähme), könnte sich diesem argumentum ad hominem entziehen. Aber selbst dann könnten wir daran festhalten, daß es diese zwei Diskurse gibt.44 Dies ist wohl auch der rationale Kern von Kants Zwei-Welten-Theorie.45 In der Anwendung auf die EE wäre in diesem Zusammenhang vorgreifend zu sagen, daß sie die Doppelnatur des Mensch als Organismus und Person46 (hinter der nichts Mystisches steckt) unzureichend berücksichtigt. Was für die Geltung von „Wahrheitswerten" gilt, läßt sich auf die Geltung moralischer „Werte" übertragen. Mit dieser Redeweise soll keine neue Seinssphäre postuliert werden, sondern die Aufmerksamkeit auf den Punkt gerichtet werden, daß Gel43 44

45 46

Vgl. Michael Ruse, Taking Darwin Seriously: A Naturalistic Approach to Philosophy (Oxford: Basil Blackwell, 1986), S. 261 (Anm.). Diese Unreduzierbarkeit ist auch die einzige vernünftige Deutung, die ich der These von der „Unerklärbarkeit" der Herkunft der Vernunft geben kann; siehe Hans Michael Baumgartner, „Die innere Unmöglichkeit einer evolutionären Erklärung der menschlichen Vernunft", in: Robert Spaemann, Peter Koslowski u. Reinhard Low (Hrsg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis, S. 55-71; hier: S. 69. Vgl. dazu Wilhelm Windelband, Uber Willensfreiheit: Zwölf Vorlesungen (Tübingen: J.C.B. Mohr, 1904). Diese Formulierung übernehme ich von Günther Patzig, „Verhaltensforschung und Ethik", Neue Deutsche Hefte 31 (1984), S. 675-686, hier: S. 676.

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tungsfragen sich nicht nur als theoretische Begründungsfragen, sondern auch als praktische Rechtfertigungsfragen stellen; und in beiden Fällen bildet eine genetische Erklärung über Entstehungsbedingungen eine unpassende Antwort. Hier zeigt sich ein Grundproblem aller Programme einer EE: Wie sollen soziobiologische Erkenntnisse überhaupt Geltungsfragen beantworten können? Wie wir unten sehen werden, bestehen im wesentlichen drei Möglichkeiten für eine EE, mit diesem Problem umzugehen: Ignoranz, Kritik, Rückzug. Alle drei Möglichkeiten werden uns im nächsten Kapitel begegnen. Dabei muß schon jetzt hervorgehoben werden, daß ein „Rückzug" nicht unbedingt die Irrelevanz einer EE zur Folge hat. Ein revidiertes, bescheideneres Programm kann immer noch von bedeutender Relevanz für die philosophische Ethik sein. Nur stellt sich die Frage, ob ein solchermaßen abgeschwächtes Programm tatsächlich noch als „Ethik" bezeichnet werden sollte. Eine ähnliche Frage stellt sich im jetzigen Zusammenhang der Diskussion des kulturphilosophischen Programms der Soziobiologie. So schreibt Wilhelm Vossenkuhl einerseits entgegenkommend: „Interessant sind die Thesen der evolutionären Ethik, wenn sie auf die Entwicklung von Brauchtum und Sitte angewandt werden. Es kann sinnvoll auf dem Hintergrund evolutionärer Analysen die Entwicklung von sozialen Verhaltensweisen, von Weisen der Selbstdarstellung sozialer Gruppen, von Formen des gesellschaftlichen Verkehrs usw. untersucht und erläutert werden." 47 Aber andererseits muß er einschränken: „Die evolutionäre Ethik ist jedenfalls keine Ethik." 48 Da ein solches Verständnis der EE nicht einmal den Anspruch erhebt, für die philosophische Ethik von Relevanz zu sein, soll die Diskussion dieses Projekts der Erklärung des Ursprungs moralischer Institutionen und Betrachtungsweisen der Erörte-

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Wilhelm Vossenkuhl, „Die Unableitbarkeit der Moral aus der Evolution" , in: Peter Koslowski, Philipp Kreuzer u. Reinhard Low (Hrsg.), Die Verführung durch das Machbare: Ethische Konflikte in der modernen Medizin und Biologie (Stuttgart: S. Hirzel, 1983), S. 141-154, hier: S. 152. Ebd., S. 153.

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rung der im engeren Sinne moralphilosophischen Programme der Soziobiologie vorgeschaltet werden. Zu diesem Zweck ist es hilfreich, auf die Theorie der Kulturogenese eines Denkers einzugehen, der häufig noch nicht angemessen gewürdigt wird, aber dennoch als einer der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts anzusehen ist: Stanislaw Lem.49 Seine Theorie der Entwicklung der Kultur aus biologischen Wurzeln ist auch deshalb interessant, weil er richtig sieht, daß durch eine solche evolutionäre Betrachtungsweise die Frage nach der Grundlage moralischer Verpflichtungen noch bei weitem nicht beantwortet ist. Im zweiten Band seiner Philosophie des Zufalls entwickelt Lem eine Theorie der „Grenzen des kulturellen Wachstums" .50 Dabei setzt er sich insbesondere mit Karl Poppers Theorie einer „offenen Gesellschaft" auseinander, die er zwar einer „geschlossenen Gesellschaft" vorzieht, aber dennoch von einer inhärenten Auflösungsdynamik bedroht sieht, die über eine permissive Gesellschaft zum Chaos führen kann.51 Uns soll hier allerdings eher der Ausgangspunkt seiner evolutionistischen Kulturbetrachtung interessieren. Für Lem ist die Kultur „eine Uber-

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Zu Lem als Philosoph vgl. Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, bes. S. 39-42 u. S. 241-279 sowie passim; vgl. Bernd Gräfrath, Artikel „Stanislaw Lem", in: Franco Volpi u. Maria Koettnitz (Hrsg.), Großes Werklexikon der Philosophie (Stuttgart: Alfred Kröner; erscheint ca. 1996). Vgl. auch Bernd Gräfrath, „Taking .Science Fiction' Seriously: A Bibliographie Introduction to Stanislaw Lem's Philosophy of Technology" , Research in Philosophy and Technology 15 (1995), S. 271-285.

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Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls: Zu einer empirischen Theorie der Literatur [2 Bände] (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989; urspr. polnisch 1968/1975), Band 2, S. 9-191, hier: S. 20. Dieser Teil wurde nachträglich 1984 verfaßt und zuerst 1985 in die deutsche Ubersetzung eingearbeitet. Davon berücksichtige ich im folgenden insbesondere die Seiten 9-99, die bereits 1974 verfaßt wurden; siehe ebd., S. 99.

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Zu einer ähnlichen Analyse der bestehenden Lage kommt Vittorio Hösle, „Moralische Reflexion und Institutionenzerfall: Zur Dialektik von Aufklärung und Gegenaufklärung" (1987), in: ders., Praktische Philosophie in der modernen Welt (München: C.H. Beck, 1992), S. 46-58. Im Gegensatz zu Hösles Hegelianischem Optimismus neigt Lem allerdings eher zu einem Schopenhauerschen Pessimismus.

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lebensstrategie vernunftbegabter Lebewesen."52 Das bedeutet nicht, daß Kultur bloß eine Uberlebensstrategie ist: Hier geht es zunächst um ihren Ursprung. Allgemeiner läßt sie sich bestimmen als „ein funktionierendes, überinstrumentelles kollektives Gedächtnis."53 Damit wird deutlich, warum ihre Entstehung evolutionär erfolgreich war: Die kulturelle Entwicklung verläuft nämlich quasi-lamarckistisch, denn sie erlaubt die „Vererbung" erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten. Eine solche Evolution kann natürlich schneller fortschreiten als eine, die sich (wie die natürlich-biologische) nach rein darwinistischen Prinzipien weiterentwickelt. Sie ist dafür allerdings auch mit größeren Risiken verbunden. Die Entstehung der Kultur erwies sich dabei als evolutionär erfolgreiches Komplement zur Starrheit der genetischen Ausstattung. Die „Neuralisierung der Organismen" erlaubt eine effektive Umgehensweise mit einer sich häufig verändernden Umwelt, indem sie eine Kombination reversibler und irreversibler Strategien ermöglicht, die beide ihre spezifischen Vor- und Nachteile haben: „Ein reversibler Strategiewechsel ist besser, weil er die Rücknahme einer einmal getroffenen Entscheidung erlaubt, und er ist zugleich schlechter, weil die phänotypische Anpassungsfähigkeit Grenzen hat, die nur mit der Radikalität einer irreversiblen genotypischen Umwandlung überschritten werden kann. [...] Wie verhält sich nun die Evolution angesichts dieses Dilemmas? [...] Von der phänotypischen Unzulänglichkeit und der genotypischen Unwiderruflichkeit in die Zange genommen, entwickelt sie einen neuen Kompromiß: Organismen, die genotypisch stark determiniert, aber phänotypisch äußerst plastisch sind."54 Eine Kultur kann sich also sehr schnell entwickeln und sich gegebenen Bedürfnissen schneller anpassen, als es der blinde Mechanismus genetischer Mutation und äußerer Selektion jemals könnte. Da kulturelle Entwicklungen aber auch in die Irre führen können, hat die Evolution immer noch quasi einen

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Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 50. Ebd. Ebd., S. 25.

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Notanker: Auch wenn etwa eine ganze Zivilisation zugrunde geht, stirbt die Gattung nicht unbedingt aus, denn sie ist genetisch so ausgestattet, daß ein Neuanfang (allerdings auf einem sehr primitiven, vorkulturellen Niveau) möglich ist: Die erschreckende Tatsache, daß sich eine Kultur innerhalb einer Generation auslöschen läßt, indem man etwa die führenden Köpfe „unschädlich" macht, hat, evolutionär betrachtet, den „Vorteil", daß auch die abstrusesten, zeitweise mächtigen Ideologien keine dauerhafte Änderung des Menschengeschlechts erreichen können. (Allerdings muß erwähnt werden, daß die moderne Gentechnik mit ihrer absehbaren Möglichkeit der Keimbahntherapie hier einen einschneidenden Wandel hervorrufen könnte, der alle Vor- und Nachteile revolutionärer Veränderungen mit sich bringen kann.) Dabei muß an dieser Stelle besonders betont werden, daß die Rede von „erfolgreichen" Strategien oder einer Probleme lösenden Evolution rein metaphorisch zu deuten ist und lediglich zur abkürzenden Beschreibung evolutionärer Mechanismen dient. Der £r/o/gsbegriff (wie er etwa in der Rede vom „Fortpflanzungserfolg" benutzt wird) ist dabei jedenfalls neutraler als der F o r t s c h r i t t s b e g r i f f , mit dem der Darwinismus oft verbunden wird. So, wie sich die biologische Evolution einfach weiterentwickelt, ohne sich damit notwendigerweise der Realisierung eines bestimmten Wertes anzunähern (im Sinne einer „Höherentwicklung" ), so ist mit „Erfolg" hier auch keine normative Auszeichnung verbunden. (Diese neutrale Verwendung kann zumindest an den akademischen Wortgebrauch anknüpfen, in dem die Etikettierung als „Erfolgsautor" auch nicht unbedingt als Lob verstanden werden darf.) Wichtig ist für unseren Zusammenhang nur, daß faktisch Organismen, die mit Gehirnen ausgestattet sind und im Laufe der Zeit eine Kultur hervorbringen, unter den gegebenen Umweltbedingungen viele Nachkommen hinterlassen haben.55 55

Mit Dawkins müßte man allerdings bei dieser neutralen Formulierung eigentlich noch einen Perspektivenwechsel vornehmen, so daß dann die biologisch angemessenere Beschreibung des evolutionären Geschehens lauten würde, daß Gene, die zur Ausbildung von Organismen mit Ge-

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Die Tatsache, daß kulturelle Entwicklungen dem biologischen Uberleben abträglich sein können, beruht darauf, daß Kultur nicht nur verläßliche Werkzeuge für instrumentales Handeln zum Zweck des Uberlebens bzw. Fortpflanzens hervorbringt, sondern auch Deutungsmuster zur symbolischen Interpretation der Welt.56 Beide sollen den Zufall bändigen, aber letztere können in die Irre führen, wenn sie nicht als bloße Weltbilder angesehen werden, sondern als gegebene Ordnungen, die allem scheinbar Zufälligen einen sinngebenden Ort zuweisen. Solche Weltbilder geraten unter Druck, wenn sie im Laufe der Geschichte miteinander in Berührung kommen. Lem unterscheidet drei Phasen dieser Geschichte:57 a) Die Frühphase der Kulturogenese: Polyphyletisch entstehen monoikonische Kulturtypen. b) Die mittlere Phase der Kulturogenese: Verschiedene Kulturtypen stoßen zusammen, und aufgrund pragmatischen Erfolgs setzt sich ein von Wissenschaft und Technik geprägter Kulturtyp durch. c) Die späte Phase der Kulturogenese: Das vorherrschende instrumenteile Verhältnis zur Welt führt zur Polyikonik mit den ihr eigentümlichen Problemen: „Die an die Instrumentalismen gefesselte Kultur ist eine zerrissene Kultur, die ihre diachronische Kontinuität und ihre synchronische Kohärenz einbüßt."58 Uns interessiert hier besonders die erste Phase, die sich ausführlicher und verständlicher so beschreiben läßt, daß unabhängig voneinander verschiedene Kulturtypen entstehen, die jeweils von einem spezifischen Weltbild geprägt sind, neben dem kein anderes geduldet wird. Lem vergleicht diese Entwicklung mit

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hirnen beitragen (gröber: Gene „für" Gehirne sind), sich (bzw. Kopien ihrer selbst) im Gen-Pool einer Gattung weiter ausbreiten konnten als andere, die sich nicht mit diesen erfolgreichen Genen verbanden. Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 26. Zum Folgenden siehe ebd., S. 33. Ebd., S. 45.

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der biologischen Entwicklung verschiedener Gattungen. Auch für die Entstehung dieser Vielfalt bietet er eine Erklärung nach evolutionistischem Muster:59 Nach dem Engpaß der Anthropogenese kam es zu einer „Gattungsradiation" durch das Wirken eines „Kulturgenerators". Die Entstehung „strenger" Kulturen (wie der der Azteken) und „milderer" (wie der der Maya) erfordert danach ebensowenig eine spezifische Erklärung wie die Entstehung vielfältiger biologischer Arten: Zufällige Mannigfaltigkeit und Stabilisierung vielfältiger isolierter Kulturen genügen zur Erklärung der Selbstorganisation unterschiedlicher Kulturtypen. 60 (Diese Stabilisierung in unterschiedlichen Kulturtypen läßt sich weiter erhellen durch das Konzept „evolutionär stabiler Strategien", das uns unten noch ausführlicher beschäftigen wird.) Die Weltbilder der verschiedenen Kulturen geben nicht nur den beobachtbaren Phänomenen eine Ordnung, sondern sind auch mit Vorschriften über das richtige Verhalten der Mitglieder einer spezifischen Kultur verbunden. Auf diese Weise läßt sich eine evolutionäre Erklärung der Entstehung sittlicher Normen geben, auf deren Gültigkeit reflektiert wird, sobald unterschiedliche Normsysteme (in der oben unterschiedenen zweiten Phase) aufeinanderstoßen. Sowohl die verschiedenen Moralen als auch die spezifisch moralische Betrachtungsweise, die 59

Vgl. zum Folgenden: Stanislaw Lem, Persönlicher Brief vom 25. Oktober 1994; vgl. auch Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 88, sowie Stanislaw Lem, „Die Ethik der Technologie und die Technologie der Ethik" (urspr. polnisch 1967), in: ders., Technologie und Ethik: Ein Lesebuch, hrsg. v. Jerzy Jarzebski (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990), S. 321-394, hier: S. 343 ff. Konrad Lorenz schreibt den Hinweis auf die „merkwürdige Ähnlichkeit zwischen der Entstehung der Arten und der von selbständigen Kulturen" Erik Erikson zu, der den Begriff der „Pseudo-Speciation" prägte; siehe Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels: Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1977; urspr. 1973), S. 242. 60 Vgl. dazu Ruth Benedict, Patterns of Culture (Boston: Houghton Mifflin, 1959; urspr. 1934); vgl. auch Ruth Benedict, The Chrysanthemum and the Sword: Patterns of Japanese Culture (New York/Scarborough, Ontario: Meridian, 1974; urspr. 1946).

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unterschiedliche Moralen kritisch prüft, lassen sich somit als Neben- und Folgeprodukte einer biologischen Entwicklung auffassen. Allerdings zeigt sich in der kulturellen Entwicklung, wenn sie einmal in Gang gekommen ist, eine Eigendynamik, so daß man, auch mit Lem, von einer „Autonomie der Kultur" 61 sprechen kann, durch die der Abstand von ihren biologischen Wurzeln wächst. Ein Großteil der heute vorgeschlagenen Versionen einer EE scheint sich in dem Hinweis zu erschöpfen, daß es diese biologischen Wurzeln unserer akzeptierten Sitten oder unseres moralischen Urteilsvermögens gibt. So heißt es etwa bei Franz Wuketits: „Eine evolutionäre Ethik hat also - und dabei trägt sie die Bezeichnung .Ethik' nicht zu Recht - zunächst einmal deskriptiv die Wege zu rekonstruieren, die beim Menschen (oder, allgemeiner, bei den Hominiden) dazu geführt haben, daß das moralische Verhalten überhaupt auftreten konnte und daß uns die Unterscheidung zwischen gut und böse zum Problem wurde. Moralität ist in diesem Zusammenhang als ein Verhaltenskomplex des Menschen zu verstehen, der erstens universell, d.h. bei allen Kulturen anzutreffen ist, und zweitens nur beim Menschen festgestellt werden kann."62 Wenn das alles wäre, was die EE zu bieten hätte, wäre das kaum großer Beachtung wert. Die Ansprüche sind denn in der Regel auch weitreichender; aber in kritischen Situationen geschieht doch oft der Rückzug auf die obige Position, die sich sogar noch gegen die naheliegendste Kritik immunisiert hat, indem sie in aller Offenheit direkt zugibt, diese EE trage ihren Namen nicht zu Recht. Was ist aber von einem theoretischen Ansatz zu halten, der trotzdem weiterhin einen Etikettenschwindel betreibt? Es besteht der Verdacht, daß dieser allein dazu dient, auf eine fast trivialerwei-

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Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 55. Franz M. Wuketits, „Die Evolutionäre Ethik und ihre Kritiker: Versuch einer Metakritik", in: Wilhelm Lütterfelds [u. Thomas Möhrs] (Hrsg.), Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus: Beiträge zu einer modernen Theorie der Moral (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993), S. 208-234, hier: S. 214.

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se richtige - aber eben auch ziemlich uninteressante - These zurückfallen zu können, wenn sich das Aufsehen erregende, eigentliche Forschungsprogramm unlösbaren Problemen gegenübersieht.63 Auch Wuketits will allerdings im Rahmen seines Ansatzes einer E E zu interessanteren Einsichten vordringen, die den Namen einer E E verdienen. Am naheliegendsten ist dabei wieder die These, daß evolutionäre Erkenntnisse auf die eine oder andere Weise für die philosophische Ethik zumindest relevant sind. Entsprechend heißt es bei Wuketits weiter: „Darüber hinaus aber kann uns die evolutionäre Ethik - hier mag die Bezeichnung .Ethik' gerechtfertigt sein - die Grenzen menschlicher Handlungsfähigkeit aufzeigen und damit gleichzeitig festlegen, was wir von uns selbst fordern sollen [B.G.: gemeint ist wohl: können] und welche Forderungen nicht zielführend zu sein scheinen." 64 Es ist hervorzuheben, daß Wuketits sogar bezüglich dieses weitreichenderen Programms Zweifel an der Angemessenheit des Etiketts „EE" hat. Die Bezeichnung mag hier gerechtfertigt sein - aber im engeren Sinne ist sie es eben nicht. Wir sollten uns allerdings nicht zu lange bei einem Streit um Worte aufhalten: Wenn soziobiologische Erkenntnisse für die philosophische Ethik relevant sind, wäre das ein wichtiges Ergebnis, das genauer zu analysieren wäre. Allerdings muß, um Mißverständnisse zu vermeiden, zunächst auch deutlich gemacht werden, inwiefern die E E tatsächlich keine Ethik ist (bzw. warum entsprechende Projekte scheitern müssen). Der traditionell einflußreichste Versuch einer E E war der Sozialdarwinismus, der tatsächlich beanspruchte, ethische Normen allein aus biologischen Erkenntnissen ableiten zu können. Ein solcher normativer Biologismus bedarf einer kritischen Darstel-

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Vgl. dazu Kurt Bayertz, „Evolution und Ethik: Größe und Grenzen eines philosophischen Forschungsprogramms", in: ders. (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 7-36, hier: S. 32 f. Franz M. Wuketits, „Die Evolutionäre Ethik und ihre Kritiker: Versuch einer Metakritik", S. 214.

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lung, zumal einige charakteristische Fehlschlüsse immer wieder auftauchen - so etwa beim frühen Wilson. Zunächst müssen wir uns aber noch einmal den beiden großen Fragen des kulturphilosophischen Programms der Soziobiologie zuwenden. Die Antwort auf die erste Frage lautet: Ja, für die Entstehung, Erhaltung und Ausbreitung von Geist und Kultur gibt es eine evolutionsbiologische Erklärung. Man muß zwar betonen, daß damit noch nicht alles - und nicht einmal das Wichtigste - über Geist und Moral gesagt ist; aber es kann zugestanden werden, daß die Entstehung beider hinreichend durch biologische Kategorien beschrieben werden kann. Das Ausbreitungsverhalten „egoistischer" Gene hat Formen von Altruismus auf der Ebene der individuellen Phänotypen hervorgebracht. Die Entwickung des Gehirns wirkte sich positiv auf den Fortpflanzungserfolg aus, aber dieses Gehirn brachte als Nebeneffekt u.a. die menschliche Vernunft hervor, die in der Lage ist, die „von Natur aus" partikuläre Moral eines begrenzten Altruismus universalistisch zu verallgemeinern. Zwar ist der Altruismus keineswegs die zentrale Kategorie der Ethik - man vergesse nicht die Möglichkeit des uneigennützigen Bösen. 65 Aber mit Günther Patzig läßt sich immerhin sagen, daß „die Fähigkeit, altruistisch zu handeln, eine der Voraussetzungen moralischer Kompetenz" ist;66 und die evolutionäre Erklärung des Ursprungs dieser moralischen Kompetenz ist sicherlich eine bemerkenswerte Erkenntnis. Die Frage ist allerdings wieder, wie relevant diese Erkenntnis für die Ethik ist. Mit dieser Frage kommen wir zurück auf die zweite eingangs gestellte Frage: Haben die genetischen Ur65

Die Tatsache, daß gerade die schlimmsten Verbrechen von Fanatikern begangen werden, die sich selbst zum Nutzen einer Idee „opfern" und dabei anderen Wesen Leid zufügen, ist vielleicht das stärkste moralische A r g u ment dafür, Personen so zu motivieren, daß sie ihr wohlverstandenes Eigeninteresse nicht allzu sehr vernachlässigen. Für dieses „Wohlverstehen" wird allerdings, wie Bertrand Russell einmal anregte, auf der empirischen Seite auch ein gewisses Maß an ideologiekritischem Skeptizismus nötig sein.

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Günther Patzig, „Verhaltensforschung und Ethik", S. 677.

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Sprünge und Mechanismen weiterhin Einfluß auf Geist und Kultur, wenn diese einmal entstanden sind? Wenn das der Fall sein sollte, wären Ethiker - zumindest, soweit sie auch Fragen der Anwendung moralischer Normen behandeln - gezwungen, die entsprechenden Ergebnisse der Soziobiologie zu berücksichtigen; und tatsächlich spricht einiges für einen weiterhin wirksamen Einfluß der genetischen Faktoren. Es wäre allerdings irreführend, eine solche (deskriptive) These als biologistisch zu reklamieren. Wilson baut einen anti-biologistischen Strohmann auf, wenn er die Frage stellt: „Can cultural evolution of higher ethical values gain a direction and momentum of its own and completely replace genetic evolution?"67 Natürlich kann die genetische Evolution nicht vollständig durch die kulturelle Evolution ersetzt werden. Wir sind immer noch biologische Wesen, die sich (zumindest heute noch weitgehend) biologisch fortpflanzen. Das wird von niemandem bestritten, ist aber auch gar nicht die Frage. Es geht nur um das Ausmaß der Autonomie kultureller Entwicklungen. Insofern es biologische Grenzen dieser Autonomie gibt, sollen die hierbei anzusprechenden Ergebnisse unter besonderer Berücksichtigung ihrer praktischen Konsequenzen im Rahmen der Diskussion unterschiedlicher moralphilosophischer Programme der Soziobiologie ausführlich erörtert werden. Schon hier soll aber skizziert werden, inwiefern wir mit weitreichenden Auswirkungen evolutionsbiologischer Mechanismen rechnen müssen. Viele Moralphilosophen der Vergangenheit (unter ihnen David Hume und Henry Sidgwick) stellten eine „natürliche" Tendenz zur Nahbereichsorientierung fest: Zum Beispiel werden familiäre Verpflichtungen ceteris paribus als vorrangig gegenüber solchen für Nichtverwandte angesehen. Die Soziobiologie bietet nun eine naturwissenschaftliche Erklärung für diese häufig anzutreffende Überzeugung 68 - womit im übrigen über deren Berechtigung noch nichts gesagt ist. Entsprechend könnte die Soziobiologie uns besser verstehen lassen, warum Frem67 Edward O. Wilson, On Human Nature, S. 167. 68 Vgl. Hartmut Kliemt, „Der avancierte Affe", S. 15 f.

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denfeindlichkeit ein häufig anzutreffendes Phänomen und ihre Bekämpfung nicht einfach ist.69 Auch hier muß festgehalten werden, daß damit, für sich genommen, weder eine moralische Wertung noch eine bestimmte praktische Handlungsanweisung nahegelegt wird: Fremdenfeindlichkeit wird nicht moralisch entschuldigt, und wenn wir sie ablehnen, hat das biologische Forschungsergebnis nicht einen Fatalismus, sondern eher die Aufforderung zu verstärkten Anstrengungen zur Folge. In eine ähnliche Richtung weist auch Richard Dawkins' Untersuchung zum „Krieg der Geschlechter" 7° Seine Untersuchung befaßt sich nicht in erster Linie mit der sexuellen Partnerschaft beim Menschen; aber dennoch spricht er selbst an, daß seine Ergebnisse „vertraute Saiten bei uns anklingen" lassen.71 Das unterschiedliche Fortpflanzungsvermögen von Männchen und Weibchen (das etwa von der unterschiedlichen Größe der jeweiligen Geschlechtszellen und dem unterschiedlichen Aufwand zur Erlangung der Elternschaft beeinflußt wird) erlaubt es, unterschiedliche „Strategien" der Geschlechter vorauszusagen, für die sich dann tatsächlich empirische Belege finden lassen. Die Rede von „Strategien" darf auch hier nicht im Sinne bewußten Planens mißverstanden werden: Bei allen sich geschlechtlich fortpflanzenden Tierarten werden sich unterschiedliche genetische Programme ausbreiten, und die unterschiedlichen Voraussetzungen werden unterschiedliche Verhaltensschemata der Geschlechter hervorbringen, weil andere Programme einen geringeren Fortpflanzungserfolg haben. Auf diese Weise kommt Dawkins etwa zu der Erkenntnis: „Das weibliche Geschlecht wird ausgebeutet, und die grundlegende evolutionäre Basis für diese Ausbeutung ist die Tatsache, daß Eier größer sind als Samen."72

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70 71 72

Vgl. Paul Winkler, „Zwischen Kultur und Genen?: Fremdenfeindlichkeit aus der Sicht der Evolutionsbiologie", Analyse & Kritik 16 (1994), S. 101115. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 165-194. Ebd., S. 193. Ebd., S. 173.

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Im Gegensatz zu manchen (normativen) Biologisten versteht Dawkins diese „natürlichen" Gegebenheiten aber gerade nicht als entschuldbare oder unvermeidliche Zustände: Er betont gerade, daß „die Lebensweise des Menschen in einem hohen Maße von der Kultur und weniger von den Genen bestimmt wird." 73 Der Schlußsatz seines Buches geht sogar noch weiter, und das in einem Ausmaß, das die Leserschaft überraschen muß, da Dawkins' Buch sie in keiner Weise auf diese These vorbereitet hat: „Wir allein - einzig und allein wir auf der Erde - können uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen."74 So richtig diese Erkenntnis ist: Dawkins zeigt nicht, wie er seine Schlußthese auf der Grundlage seiner eigenen Theorie rechtfertigen kann. Dawkins ist zwar kein genetischer Determinist;75 entsprechend lehnt er auch das zu MißVerständnissen anregende Titelblatt der deutschen Ausgabe seines Buches, das eine menschliche Marionette zeigt, ausdrücklich als irreführend ab.76 Aber was er als Beweggrund der Kultur präsentiert, sind lediglich die von ihm postulierten „Meme" : kulturelle Elemente (Dawkins' Beispiel ist der Gedankeninhalt eines „Gott-Mems" ), die in ihrer Ausbreitungsart biologischen Genen entsprechen. So schreibt er etwa: „Wenn ein Mem die Aufmerksamkeit eines menschlichen Gehirns in Anspruch nehmen will, so muß es dies auf Kosten ,rivalisieriender' Meme tun. [...] Ist das Gott-Mem zum Beispiel mit irgendwelchen anderen speziellen Memen verknüpft worden, und trägt diese Verbindung zu dem besseren Uberleben jedes der beteiligten Meme bei?"77 Damit begeht Dawkins denselben Fehler wie die traditionelle sogenannte „Wissenssoziologie", die sich mit den sozialen Bedingungen und Ursachen der Meinungs- und Wissensbildung 73 74 75

76 77

Ebd., S. 193. Ebd., S. 237. Dies wird ihm fälschlicherweise vorgeworfen von Franz M. Wuketits, Evolution, Erkenntnis, Ethik: Folgerungen aus der modernen Biologie (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984), S. 128. Siehe dazu den Kommentar bei Richard Dawkins, The Extended Phenotype, S. 17. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 232 f.

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beschäftigt. 78 Bloße Meinungen und begründetes Wissen werden dort unterschiedslos rein funktional analysiert, und Geltungsfragen werden völlig ausgeblendet. Die Wissensbildung läßt sich zwar - ebenso wie die Entwicklung wissenschaftlicher Forschungsprogramme 79 - auf diese Weise betrachten; aber auf diese Weise gerät das entscheidende Moment geistiger Leistungen überhaupt nicht in den Blick: nämlich die vernünftige Prüfung von Geltungsansprüchen. Dennoch verdient Dawkins' „Mem" -Theorie, die von Lumsden und Wilson aufgegriffen wurde in ihrer „Culturgen" Theorie, 80 einige Aufmerksamkeit. Auch wenn hier nicht das Fortwirken der biologischen Evolution in der kulturellen Evolution behauptet werden soll (was die für die Soziobiologie charakteristische These wäre), lassen sich doch Analogien zu dem Mechanismus von Mutation und Selektion auch bei kulturellen Leistungen nachweisen. Deshalb soll zum Abschluß des vorliegenden Kapitels auf diese evolutionären Mechanismen außerhalb des biologischen Bereichs eingegangen werden, wobei besonders der Bereich der Evolution der Technik durch diese Betrachtungsweise erhellt wird. Selbstorganisation, Zufall, Evolution und Emergenz sind die zentralen Kategorien der gerade im Entstehen begriffenen allgemeinen Komplexitätstheorie. 81 Schon Stanislaw Lem nahm al78

Vgl. dazu Bernd Gräfrath, Artikel „Wissenssoziologie", in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band

79

Vgl. dazu Imre Lakatos, „Falsification and the Methodology of Scientific Research Programmes", in: ders. u. Alan Musgrave (Hrsg.), Critiasm and the Growth of Knowledge (Cambridge: Cambridge University Press, 1970), S. 91-195; vgl. neuerdings auch David L . Hull, „ A Mechanism and Its Metaphysics: A n Evolutionary Account of the Social and Conceptual Development of Science", Biology & Philosophy 3 (1988), S. 123-155.

80

Zur Verwandtschaft dieser Konzepte vgl. die ausdrückliche Bezugnahme bei Charles J. Lumsden u. Edward O . Wilson, Genes, Mind, and Culture,

4.

81

5. 7. Vgl. dazu das oben erwähnte Buch von Murray Gell-Mann, Das Quark und der Jaguar, sowie Steven Levy, KL - Künstliches Leben aus dem Computer (München: Droemer Knaur, 1993; urspr. englisch 1992); Roger

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lerdings ihren übergreifenden Ansatz vorweg: „Ich bleibe jedenfalls dabei, daß die Kulturogenese durchaus kein Abklatsch der Biogenese ist, sondern daß beide nur Sonderfälle höherer Gesetzmäßigkeiten sind, die wir bisher noch nicht zu erkennen vermochten."82 Die rudimentären Organe der biologischen Evolution sind nur ein Spezialfall dessen, was die Komplexitätsforschung heute „eingefrorene Zufallsereignisse" nennt. Im Rahmen seiner „Philosophie des Zufalls" weist Lem auf analoge Elemente in der Geschichte menschlicher Kulturen hin: „Entscheidungen, die in sehr frühen Phasen der Kulturogenese (unbewußt) von der Gemeinschaft getroffen wurden, bestimmen spätere Entscheidungen vielleicht noch nach zehntausend Jahren." 83 Uberzeugende Beispiele für solche übergreifenden historischen Entwicklungen, die eben nicht eindimensional als konstante Optimierungsleistungen gedeutet werden können, finden sich gerade in der Geschichte technischer Entwicklungen. In seinem opus magnum, nämlich seiner Summa technologiae (1964),84 hat Lem in diesem Sinne die Biogenese ebenso wie die Technogenese (sowie auch die Linguogenese) als sich selbst organisierende Prozesse dargestellt. Diese BetrachLcwin, Die Komplexitätstheorie: Wissenschaft nach der Chaosforschung (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1993, urspr. englisch 1992); M. Mitchell Waldrop, Inseln im Chaos: Die Erforschung komplexer Systeme (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1993; urspr. englisch 1992); vgl. auch Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, S. 217-239 („Reflexionen über .Künstliches Leben'"). 82

Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 58. Vgl. dazu auch den von Hans Mohr angeregten „Entwurf einer generellen Evolutionstheorie, die sowohl die biologische als auch die ökonomische und kulturelle Evolution einschließen würde" ; siehe Hans Mohr, „Biologie und Philosophie - Biologie und Ökonomik: Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Forschungsprogramme", in: Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.), Einheit der Wissenschaften: Internationales Kolloquium der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bonn, 25.-27. Juni 1990 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1991), S. 162-174, hier: S. 165.

83

Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 40.

84

Stanislaw Lem, Summa technologiae (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1981; urspr. polnisch 1964); vgl. Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 56.

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tungsweise wurde - allerdings in ironischem Rahmen - von Samuel Butler in dem „Book of the Machines" seiner Satire Erewhon (1872) vorweggenommen. Für unseren Zusammenhang ist die Aufnahme dieser Art der Technikphilosophie durch gestandene Biologen am interessantesten, nämlich bei Konrad Lorenz und bei Stephen Jay Gould. Konrad Lorenz belegt das „Mitschleppen funktionslos gewordener Formmerkmale in der Entwicklung der Technik" durch eine Untersuchung des Wandels der Transportmittel von der Pferdekutsche zum Personenwagen der Eisenbahn.85 Die Befangenheit in traditionellen kulturellen Denkmustern zeigte sich daran, daß man bei der Umsetzung der Kutsche auf Eisenbahnräder zwar den Radstand verlängerte, aber an der alten Karosserie festhielt: Statt ganz neue Modelle zu konstruieren, reihte man praktisch nur mehrere Kutschkarosserien hintereinander. Jedes Abteil hatte seine eigene Tür, und um von Abteil zu Abteil zu gelangen, mußte der Schaffner außen auf Trittbrettern entlanglaufen. Diesem Beispiel könnte man entgegenhalten, daß immerhin auf Dauer nicht nur Gänge innerhalb der Abteilwagen verwirklicht wurden, sondern schließlich sogar Großraumwagen gebaut wurden, mit denen man sich weit von der ursprünglichen Kutschenform entfernte. Zwar ist auch hier noch zweifelhaft, ob sich die Neukonstruktion bei aller Optimierungsabsicht wirklich von allen traditionellen Gewohnheiten gelöst hat; aber Stephen Jay Gould bietet sogar ein Beispiel, bei dem eine optimale technische Konstruktion nicht nur bekannt, sondern auch realisierbar ist, dennoch aber an der Starrheit gewachsener Strukturen scheitern muß. Es geht dabei um die Anordnung der Buchstaben auf einer Schreibmaschinen- bzw.

85

Siehe zum Folgenden: Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S. 291 f; sowie ausführlicher: Wolfgang Schivelbusch, Geschichte der Eisenhahnfahrt: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert (München/Wien: Carl Hanser, 1977), bes. S. 79-83 („Problematisierung des Abteils").

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Computertastatur. 86 Die Buchstaben der obersten Reihe tragen die Buchstaben Q W E R T Z (bzw. Q W E R T Y bei der amerikanischen Tastaturbelegung). Das ist nicht die bestmögliche Anordnung der Buchstaben, denn eine andere Verteilung würde ein erheblich schnelleres Tippen erlauben. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts machte die U.S. Navy tatsächlich ein Experiment mit dem DSK (Dvorak Simplified Keyboard) von August Dvorak, und es stellte sich heraus, daß die höhere Geschwindigkeit sogar ein Umlernprogramm für alle Sekretärinnen rentabel machen würde. Auch dieser Test hatte aber kein allgemeines Umlernen zur Folge. Es ist einfach zu schwer, sowohl alle Gerätehersteller als auch alle Sekretärinnenschulen gleichzeitig umzurüsten, und für einen einzelnen Hersteller bzw. für eine einzige Schule ist es kontraproduktiv, auf eigene Faust die „effektivere" Lösung anzubieten. Wieso ist es aber dann jemals zu der jetzigen Anordnung der Buchstaben gekommen? Tatsächlich kam es nicht rein zufällig, sondern geplant zu dieser Verteilung; und diese ergab sich zwingend aus den technischen Möglichkeiten bzw. Unvollkommenheiten zur Zeit der ersten Schreibmaschinen. Zu dieser Zeit blockierten die Lettern leicht, wenn Buchstaben zu schnell hintereinander angeschlagen wurden. Die Lage wurde noch dadurch verschärft, daß man es bei den ersten Schreibmaschinen nicht direkt sehen konnte, wenn die Lettern blockiert waren: Das Getippte sah man erst, wenn man am Schluß das ganze Blatt aus der Schreibmaschine herauszog. Die Lösung war Q W E R T Y : Grundsätzlich orientierte man sich an einer alphabetischen Anordnung (vgl. D F G H J K L ) ; wichtige Buchstaben wurden aber entweder schwachen Fingern zugeordnet oder von der Hauptreihe entfernt verteilt - um das Tippen zu verlangsamen! 1867 meldete Christopher Lan-

86

Vgl. zum Folgenden Stephen Jay Gould, „The Panda's Thumb of Technology", in: ders., Bully for Brontosaurus: Further Reflections in Natural History (Harmondsworth: Penguin, 1992; urspr. 1991), S. 59-75. Gould bezieht sich auf Paul A. David, „Understanding Q W E R T Y : The Necessity of History", in: William N. Parker (Hrsg.), Economic History and the Modern Economist (Oxford/New York: Basil Blackwell, 1986), S. 30-49.

3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

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tham Sholes das Patent für die Anordnung Q W E R T Y an, und während der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts verschwanden andere Tastaturanordnungen, von denen es ursprünglich viele gegeben hatte, vom Markt: Sie „starben aus". Entscheidend für die richtige Einordnung der Erkenntnis, daß frühe „Anpassungen" richtungweisend gewirkt haben, ist nun aber die Einsicht, daß die kulturelle Entwicklung nicht mehr „blind" ist. Aus der Ungeplantheit der Entstehung und ersten Entwicklungsphase der Kultur darf man eben nicht schließen, „daß die Entwicklung unserer Kultur nicht von unserem Willen und noch weniger von unserem begrifflichen Denken, von Verstand und Vernunft, gelenkt sei." 87 Lorenz - anders als Gould! - will uns suggerieren, daß die einzige Alternative zu dieser Sichtweise die wissenschaftlich inakzeptable Theorie eines präexistenten Plans der gesamten Natur- und Kulturgeschichte wäre. Aber damit baut er dasselbe scheinbare Dilemma auf, das auch heute oft von Soziobiologen vorgetäuscht wird, wenn es um die Frage der Grundlegung der Ethik geht: Die menschliche Vernunft ist ebenso wie die menschliche Ethik auf „natürlichem", ungeplantem Wege entstanden; aber beide sind mit diesem Hinweis auf ihre Entstehungsbedingungen nicht erschöpfend beschrieben. Selbst wenn sich auch die gesamte menschliche Kulturgeschichte als Ergebnis eines deterministischen Prozesses betrachten ließe, in dem die Evolution der Technik durch eine ebensolche Eigendynamik vorangetrieben wird wie vormals die biologische Evolution, würde dies im übrigen nicht die Möglichkeit einer genuin moralischen Bewertung zunichte machen. (Wenn auch vielleicht einer Kantischen Pflichtenethik die Grundlage entzogen wäre, bliebe davon doch etwa eine Tugendethik Schopenhauerschen Typs unberührt.) Dies wird auch von Lem gesehen, dem der Technikphilosoph Friedrich Rapp ungerechtfertigterweise vorwirft, daß durch seine „naturalistische Interpretation [...] dem bisherigen Verlauf des technischen Wandels eine Zwangsläufigkeit zugesprochen und gleichzeitig 87

Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S. 289.

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3. Das kulturphilosophische Programm der Soziobiologie

eine kosmische Rechtfertigung erteilt" wird.88 Demgegenüber sagt Lem ausdrücklich, „daß die Bioevolution ein amoralischer Prozeß ist, was man von der technologischen Evolution nicht sagen kann."89 Die ursprünglichen Vertreter einer EE wenden sich nun erstaunlicherweise nicht gegen den zweiten, sondern gegen den ersten Teil von Lems Satz: Für sie ist die Bioevolution gerade kein amoralischer Prozeß. Wenn es tatsächlich gelänge, aus Beschreibungen der faktischen Bioevolution normative Sätze abzuleiten, dann trüge die EE ihre Selbstbezeichnung als „Ethik" zu recht. Ob dieses Projekt gelungen ist (oder überhaupt gelingen kann), soll im folgenden Kapitel geprüft werden.

88

89

Friedrich Rapp, „Die Technik als Fortsetzung der Evolution?", in: ders. (Hrsg.), Naturverständnis und Naturbeherrschung: Philosophiegeschichtliche Entwicklung und gegenwärtiger Kontext (München: Wilhelm Fink, 1981 ), S. 145-160, hier: S. 159. Vgl. auch Friedrich Rapp, Analytische Technikphilosophie (Freiburg/München: Karl Alber, 1978), S. 138-151. Stanislaw Lem, Summa technologiae, S. 34. „Amoralisch" ist zu unterscheiden von „unmoralisch" : Eine unmoralische Handlung ist moralisch verwerflich; ein amoralisches Geschehen läßt sich nicht sinnvoll mit moralischen Kategorien bewerten.

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie Nicht jeder Soziobiologe erhebt moralphilosophische Ansprüche. Aber jeder Vertreter einer EE behauptet, daß die Soziobiologie für die philosophische Ethik relevant ist. Im vorliegenden Kapitel werden wir verschiedene Entwürfe untersuchen, die eine solche Relevanz behaupten. Dabei gehen wir von den „stärksten" Programmen aus - wobei „Stärke" hier nicht auf die größte Uberzeugungskraft, sondern auf den weitreichendsten Anspruch abhebt. In ihrem Gefolge werden wir „weniger starke" Programme diskutieren, deren Anspruch sich darauf beschränkt, einen eigenständigen Beitrag zur philosophischen Metaethik zu leisten. Schließlich werden wir ausführlicher auf „schwächere" Programme eingehen, die ausdrücklich die Eigenständigkeit der philosophischen Ethik respektieren, aber dennoch - trotz dieser Bescheidenheit an der philosophischen Relevanz ihrer Erkenntnisse festhalten. Diese wird sich allerdings - wie schon in der Einleitung erwähnt - von Ethiktyp zu Ethiktyp unterscheiden. Eine angemessene Einordnung der moralphilosophischen Programme der Soziobiologie kann deshalb auch nicht ganz von dem Für und Wider der konkurrierenden Ethikkonzeptionen absehen. Es wäre allerdings verfehlt anzunehmen, biologische Erkenntnisse könnten die entsprechende philosophische Debatte entscheiden oder gar eigenständig die Grundlegung der „einen wahren" Ethik leisten. Die größten Mißverständnisse (bzw. Mißbräuche) kennzeichnen dabei eine klassische Version der harten EE, nämlich den Sozialdarwinismus, dessen

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Irrtümer und Fehlschlüsse von jeder ernstzunehmenden E E zur Kenntnis genommen werden müssen.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus Charles Darwin kann nicht nur als der Stammvater der modernen Biologie im allgemeinen, sondern auch als derjenige der Soziobiologie im besonderen angesehen werden. 1 In seinem Buch The Descent of Man (1871) unternimmt er u.a. den „Versuch, zu sehen, wie weit das Studium der niederen Thiere Licht auf eine der höchsten psychischen Fähigkeiten des Menschen werfen kann." 2 Dabei bezieht sich Darwin in erster Linie auf das „moralische Gefühl", das die schottischen Moralisten des 18. Jahrhunderts (besonders Francis Hutcheson, David H u m e und A d a m Smith) als Grundlage der Moral ansahen. Er fragt, ähnlich wie die neuere Soziobiologie, nach dem Ursprung der „sozialen Instinkte" (insbesondere der Sympathie) und kommt auch zu ähnlichen Ergebnissen: „Wie compliciert auch die Weise sein mag, in welcher dieses Gefühl zuerst entstanden sein mag, da es eines der bedeutungsvollsten für alle diejenigen Thiere ist, welche einander helfen und vertheidigen, so wird es durch natürliche Zuchtwahl vergrößert worden sein; denn diejenigen Gemeinschaften, welche die größte Zahl der sympathischsten Mitglieder umfassen, werden am besten gedeihen und die größte Anzahl von Nachkommen erzielen." 3 D a für Darwin der Mensch „ein sociales Thier" ist,4 benutzt er die Perspektive der Selektionstheorie auch zur Erklärung der frühen Phase der menschlichen Kulturgeschichte: „Kamen zwei Stämme der Urmenschen, welche in demselben Lande wohn1 2

3 4

Vgl. Philip Kitcher, „Confessions of a Curmudgeon", Behavioral and Brain Sdences 10 (1987), S. 89-99, hier: S. 94. Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen (Stuttgart: Schweizerbart'sches Verlagshaus, 5 1890; repr. Wiesbaden: Fourier, 2 1992; urspr. englisch 1871/1874), S. 107. Ebd., S. 117. Ebd., S. 119.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

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ten, mit einander in Concurrenz, so wird, wenn der eine Stamm bei völliger Gleichheit aller übrigen Umstände eine größere Zahl muthiger, sympathischer und treuer Glieder umfaßte, welche stets bereit waren, einander vor Gefahr zu warnen, einander zu helfen und zu vertheidigen, dieser Stamm ohne Zweifel am besten gediehen sein und den andern besiegt haben." 5 Im Anschluß an Malthus sieht Darwin, daß angesichts begrenzter Ressourcen die unterschiedliche Ausstattung der einzelnen Organismen sowie ihre soziale Organisationsweise einen entscheidenden Einfluß auf ihren Fortpflanzungserfolg hat. Die daraus sich ergebende Konkurrenzsituation kennzeichnet er mit dem Begriff des „Kampfs ums Dasein". Von zentraler Bedeutung für das richtige Verständnis Darwins (sowie der darwinistischen Evolutionstheorie im allgemeinen) ist nun aus der Sicht der philosophischen Ethik, daß mit dieser Betrachtungsweise noch keinerlei moralische Wertungen vorgenommen werden. Wie schon oben erwähnt, ist der hier herangezogene Erfolgsbegriff ethisch neutral. Darwin spricht zwar ab und zu von einem evolutionären „Fortschritt" ; aber in der Regel wird deutlich, daß für ihn der Fortgang der Evolution nicht per se einen Fortschritt darstellen muß. Für seine biologischen Untersuchungen setzte er sich den Grundsatz: „Never use the words ,higher' and ,lower'." 6 Wenn Darwin dennoch, etwa in bezug auf die Entwicklung und Verallgemeinerung des moralischen Gefühls beim Menschen, von einem festzustellenden Fortschritt spricht, dann geschieht dies durch Anwendung eines unabhängigen Maßstabs, der sich nicht auf ein Gutheißen des faktischen Verlaufs der Evolution reduzieren läßt. Im Unterschied zu dieser orthodox-darwinistischen Sichtweise verstehen Sozialdarwinisten den von Darwin dargestellten Mechanismus der Evolution als Prinzip der Höherentwicklung - und zwar als deren einziges Prinzip. Da der „natürliche" Kampf ums Dasein in den zivilisierten Gesellschaften ab5 6

Ebd., S. 143. Zitiert nach: Antony Flew, Darwinian Evolution (London: Paladin, 1984), S. 123.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gemildert ist, befürchten sie eine Degeneration, die durch gezielte Eingriffe des Staates bekämpft werden sollte. Ihre Argumentation läßt sich etwa wie folgt rekonstruieren:7 - Quasi-nomologische Prämisse: Natürliche Selektion führt zu organischer Höherentwicklung. - Empirische Nebenannahme: In zivilisierten Gesellschaften ist die Wirksamkeit der natürlichen Selektion eingeschränkt. - Konklusion: In zivilisierten Gesellschaften findet keine Höherentwicklung statt, sondern ihr Gegenteil, nämlich Degeneration. Wir werden noch sehen, daß nicht nur die Konklusion nicht aus den Prämissen folgt, sondern daß auch die Wahrheit der Prämissen zweifelhaft ist. Allerdings muß zugestanden werden, daß die Sozialdarwinisten sich in einem gewissen Maße auf Passagen in Darwins eigenem Werk berufen können. Für heutige Leser ist dabei besonders irreführend, daß Darwin sich in diesem Zusammenhang ausgerechnet auf seinen Vetter Francis Galton, den Vater der Eugenik (der seinerseits wesentlich von Darwins Hauptwerk The Origin of Species beeinflußt wurde!), beruft. Dies darf aber keineswegs als Beleg für Darwins Nähe zum Sozialdarwinismus gedeutet werden: Auch wenn Darwin Überlegungen von Galton übernimmt, stimmt er doch nicht mit dessen sozial-politischem Programm überein; und außerdem darf auch nicht die wenig zur Kenntnis genommene Tatsache übersehen werden, daß nicht alle Vertreter der Eugenik als Sozialdarwinisten eingeordnet werden dürfen. Beide Punkte müssen ausführlicher erläutert werden. Unter der Uberschrift „Natürliche Zuchtwahl in ihrem Einfluß auf civilisierte Nationen" schreibt Darwin unter Bezugnahme auf Galton: Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. 7

Diese Rekonstruktion übernehme ich aus: Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988), S. 77.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

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Auf der anderen Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Process dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Arzte strengen die größte Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. Es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Form ihrer schwachen Constitution früher den Pocken erlegen wären. Hierdurch geschieht es, daß auch die schwächeren Glieder der civilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticierter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, daß dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muß. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticierten Rasse führt, aber mit Ausnahme des den Menschen selbst betreffenden Falls ist wohl kaum ein Züchter so unwissend, daß er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuließe. 8

Das klingt ganz nach „Menschenzüchtung" - die von Darwin aber gerade nicht befürwortet wird. Für ihn zeichnet es die zivilisierte Gesellschaft gerade aus, daß in ihr das moralische Gefühl eine solche technisch-konstruktive Herangehensweise in ihre Schranken weist: „Die Hülfe, welche wir dem Hülflosen zu widmen uns getrieben fühlen, ist hauptsächlich das Resultat des Instincts der Sympathie, welcher ursprünglich als Teil der socialen Instincte erlangt, aber später in der oben beschriebenen Art und Weise zarter gemacht und weiter verbreitet wurde. Auch könnten wir unsere Sympathie, wenn sie durch den Verstand hart bedrängt würde, nicht hemmen, ohne den edelsten Teil unserer Natur herabzusetzen."9 Die Frage ist aber, ob Darwin damit Galton nicht schon zu weit entgegengekommen ist. So erweckt zumindest seine Ausdrucksweise den Eindruck, als ob unser moralisches Gefühl zwar einen verpflichtenden Status hätte, aber „eigentlich" irrational wäre - so daß kein Argument gegen einen Sozialdarwinisten zur Verfügung steht, der sich als „Stimme der Vernunft" präsentiert und entsprechend eine Reform unserer emotionalen „Vorurteile" fordert. Auch die Übernahme des Begriffs der Degeneration gesteht Galton schon zu viel zu: Ob die (zumindest scheinbar) deskriptive The8 9

Charles Darwin, Die Abstammung Ebd.

des Menschen, S. 148.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

se einer biologischen Degeneration in einer - auch nach Darwins Maßstäben - fortschrittlichen Gesellschaft überzeugend begründet werden kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Typisch für Galtons Degenerationstheorie ist die biologische Umdeutung sozialer Mißstände. So hält er es für gesellschaftlich nützlich, wenn kriminellen Gewohnheitstätern (und vielleicht auch Geistesschwachen) die Möglichkeit zur Fortpflanzung genommen würde. 10 Schon H.G. Wells hielt dem entgegen, daß die kriminellen Mitglieder einer Familie vielleicht gerade die intelligentesten sind, und Intelligenz war eines der zentralen Elemente, die Galton fördern wollte. 11 Ein solcher Einwand übersieht aber den schwerwiegendsten empirischen Kritikpunkt: Es ist überhaupt nicht erwiesen, daß Kriminalität genetisch bedingt ist - im Gegenteil: Alles spricht dafür, daß zur Erklärung der Straffälligkeit einer Person viel eher auf soziale Bedingungen rekurriert werden muß; und auch die Theorie von der genetischen Vererbung der Intelligenz ist, um es vorsichtig auszudrücken, jedenfalls noch nicht überzeugend bestätigt worden. 12 Galtons Definition der Eugenik weist darüber hinaus eine Schwerpunktsetzung auf, die auch für den Sozialdarwinismus charakteristisch ist. Er bestimmt sie zunächst zurückhaltend als „the science which deals with all influences that improve the inborn qualities of a race; also with those that develop them to the utmost advantage." 13 Aber auch hier wird schon deutlich, daß er mit der Eugenik auch ein politisches Programm der „Höherentwicklung" des Menschengeschlechts verbindet - wobei die Interessen des Individuums hinter den „Interessen" der „Rasse" zurücktreten müssen. Zwar ist bei Galton nicht immer klar, ob er sich damit auf die gesamte Menschheit („the human race" )

10 11 12 13

Siehe D.W. Forrest, Francis Galton: The Life and Work of a Victorian Genius (London: Paul Elek, 1974), S. 250 u. S. 262. Siehe ebd., S. 257. Vgl. dazu ausführlicher: Stephen Jay Gould, Der falsch vermessene Mensch (Basel/Boston/Stuttgart: Birkhäuser, 1983; urspr. englisch 1981). Zitiert nach: D.W. Forrest, Francis Galton, S. 256.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

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oder auf eine bestimmte Menschenrasse („the British race") bezieht.14 Aber man wird Galton aufgrund dieser Thesen mitverantwortlich machen müssen für die Vorstellungen der „Rassenhygiene" , die schließlich zu den staatlichen Zwangsmaßnahmen des Nationalsozialismus führten (während die frühen sowie die „linken" Vertreter der Eugenik - auf die gleich einzugehen sein wird - von humanistischen Idealen bewegt waren und eher auf wohlinformierte Freiwilligkeit setzten15). Biologisch ist es ohnehin zweifelhaft, ob sich einzelne Menschenrassen genetisch klar voneinander abgrenzen lassen. In jedem Fall ist es aber irreführend und falsch, von den „Interessen" verschiedener Rassen zu sprechen: Nur Individuen haben Interessen. Eine neutralere Formulierung des eugenischen Programms müßte daher eher von Populationen und den Interessen ihrer individuellen (allerdings: gegenwärtigen und zukünftigen!) Mitglieder sprechen. Unter dieser Voraussetzung kann es aber immer noch eine Vielfalt eugenischer Programme geben, die keineswegs alle als im engeren Sinne sozialdarwinistisch eingeordnet werden können. Viele dieser Varianten fanden auch historische Vertreter: „Das Spektrum der Positionen reicht von ,ariomanischen' Rassisten, die die nordische Rasse bedroht sahen, über medizinische Technokraten, die mit Hilfe des neuen Typus von sozialer Hygiene die Kosten des Gesundheitswesens senken und die Nation stärken wollten, bis hin zu evolutionären Idealisten, die von einer biologischen Höherentwicklung des Menschen träumten."16 Für alle diese Positionen ist aber charakteristisch, daß die Interessen der einzelnen Individuen vielleicht berücksichtigt werden, in jedem Fall aber gegenüber den Interessen der Gesamtgesellschaft (im Sinne des Konglomerats aller Einzelinteressen) zurücktreten, so daß sich notorische Gerechtigkeitsprobleme ergeben, die in der

14 15 16

Vgl. dazu unterschiedliche Verwendungen Galtons, ebd., S. 251 u. S. 255. Vgl. Kurt Bayertz, GenEthik: Probleme der Technisierung menschlicher Fortpflanzung (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987), S. 52 f. Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 105.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gegenwärtigen Debatte aus der Kritik des Utilitarismus (mit seiner Forderung des zu maximierenden „größten Glücks der größten Zahl") vertraut sind.17 Interessant ist aber, in welche verschiedenen Richtungen sich die Eugenik entwickelte - nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch, weil diese Vielfalt vielleicht ein Symptom für die Unmöglichkeit darstellt, aus der biologischen Evolution eindeutige Vorschriften für das politische Handeln abzuleiten. Zunächst fand die Darwinsche Theorie auch erheblichen Anklang im „linken" politischen Spektrum. Zu diesen Vertretern einer „sozialistischen Eugenik" 18 können etwa die auch nach dem Zweiten Weltkrieg aktiven Humangenetiker Herman J . Muller (USA) und J.B.S. Haidane (England) gerechnet werden.19 Dagegen fand dieser Flügel in Deutschland - nach einer kurzen Anfangsphase - kaum Vertreter. Philosophisch interessant ist dabei, daß sich die „rechte" wie die „linke" Eugenik zwar auf Darwin beriefen, dabei aber unterschiedliche Aspekte betonten: In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es „zu einem radikalen Richtungswechsel von einer progressivdemokratischen zu einer reaktionär-.aristokratischen' Deutung des politischen Inhalts der Darwinschen Theorie durch eine

17

Vgl. dazu zusammenfassend: Bernd Gräfrath, Wie gerecht ist die Frauenquote?: Eine praktisch-philosophische Untersuchung (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1992), S. 68-78. Zur Verteidigung des Individualismus vgl. Bernd Gräfrath, John Stuart Mill: „Uber die Freiheit" Ein einführender Kommentar (Paderborn/München/Wien/Zürich: F. Schöningh, 1992) [= U T B 1675],

18

Vgl. Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 113.

19

Muller und Haidane gehörten auch zu den Teilnehmern des berühmtberüchtigten CIBA-Symposiums „Man and His Future" (1962), auf das unten noch einzugehen sein wird. Siehe Robert Jungk u. Hans Josef Mündt (Hrsg.), Das umstrittene Experiment: Der Mensch - 27 Wissenschaftler diskutieren die Elemente einer biologischen Revolution - Dokumentation des Ciba-Symposiums 1962 Jüan and His Future" (Frankfurt a.M./München: J. Schweitzer, 1988; urspr. englisch 1963).

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

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Akzentverlagerung vom Prinzip der Evolution auf den Mechanismus der Selektion."20 Hier zeichnen sich schon unüberwindliche Begründungsprobleme eines normativen Naturalismus ab. Bevor wir auf diese näher eingehen, ist es hilfreich, zur Illustration der verschiedenen Fehlschlüsse und Fehlurteile des Sozialdarwinismus kurz auf einen seiner typischen Vertreter einzugehen: Alexander Tille, der als Vertreter einer „auf den Darwinismus gegründeten Sozialökonomie und Ethik" 21 auftrat. Sein Hauptpunkt besteht darin, „als großes sittliches Gesetz die Auslese der Tüchtigsten und die Ausscheidung der Untüchtigsten zu proklamieren";22 und die moderne Zivilisation weist für ihn „mehrere Züge auf, die einer Auslese der Leistungsfähigsten direkt entgegenwirken."23 Er nimmt an, daß die Entwicklungslehre zu etwas hinführt, das uns erlaubt, „aus diesem neuen Ziel des Sittlichen im Menschen Normen für das Leben zu gewinnen".24 Das „neue Weltbild" soll eine „wissenschaftliche Ethik" begründen, die „naturwissenschaftlich haltbare Ziele" vorgibt.25 Aus den „durch die Naturwissenschaft aufgezeigten Entwickelungszielen der Menschheit" sollen sich „neue sittliche Gebote" ableiten lassen, die den „Schaden" anrichtenden Idealen des Liberalismus und dem Ideal der allgemeinen Menschenrechte entgegenwirken.26 Die Vorstellung, „daß alle Menschen das gleiche Daseinsrecht, den gleichen Daseinswert haben", ist nach Tille „mit der Entwickelungslehre [...] unvereinbar."27 Tille beruft sich zwar auch auf Nietzsches Satz: „Ich aber lehre euch den Ubermenschen" (den er als Fortschritt Nietzsches 20 21 22 23 24 25 26 27

Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 116. Alexander Tille, „Charles Darwin und die Ethik" ( 1894), in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 49-66, hier: S. 57. Ebd., S. 51. Ebd., S. 60. Ebd., S. 53. Ebd., S. 55 u. S. 57. Ebd., S. 57. Ebd., S. 59.

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gegenüber dem zurückhaltenderen Darwin betrachtet); 28 aber letztlich wird doch deutlich, daß er ein anderes Ziel als Nietzsche verfolgt. Während dieser nämlich einem radikalen Individualismus das Wort redet, 29 heißt es dagegen bei Tille: „An die Stelle des Wohles aller Menschen, die heute auf der Erde wohnen, muß [nach der Ethik der Entwicklungslehre] eine glänzende Zukunft der am höchsten entwickelten Rasse treten." 30 Wie bei Galton schwankt auch hier der Rassebegriff zwischen einem spezifischen und einem allgemein-menschlichen. Dabei gelingt Tille nur eine Scheinlösung des Dilemmas, indem er ad hoc behauptet, „dass jeder Mensch zuerst einem Volke angehört und dass niemand der Menschheit besser dienen kann, als indem er seinem Volke dient." 31 Mit diesem Anschauungsmaterial können wir nun zur Kritik des Sozialdarwinismus übergehen. Dabei ist es zweckmäßig, zunächst auf bestimmte empirische Probleme einzugehen (von denen oben bereits einige im Zusammenhang mit der Biologisierung sozialer Bedingungen erwähnt wurden), um dann zu einer grundlegenderen philosophischen Kritik überzugehen, die auch dann durchschlagend ist, wenn von den empirischen Problemen abgesehen wird. Der Sozialdarwinismus beruht auf einer einseitigen Interpretation der biologischen Evolution im Sinne eines bloßen „Kampfes ums Dasein". Diese Einseitigkeit ist allerdings schon bei Darwin angelegt, der im Anschluß an Malthus die Konkurrenz zwischen den einzelnen Organismen ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückte. Damit vernachlässigte er aber die 28 29

Siehe ebd., S. 53 u. S. 56. Vgl. Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 72 (Anm.). Zur individualistischen (und nicht evolutionsbiologischen) Interpretation Nietzsches vgl. Annemarie Pieper, Jïin Seil geknüpft zwischen Tier und Ubermensch": Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem Zarathustra" (Stuttgart: Klett-Cotta, 1990), S. 64; vgl. auch ebd., S. 48. 30 Alexander Tille, „Charles Darwin und die Ethik", S. 59. 31 Alexander Tille, Von Darwin bis Nietzsche: Ein Buch Entwicklungsethik (Leipzig: C.G. Naumann, 1895), S. 241.

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vielfältigen Beispiele für Kooperation unter Individuen, die sich gemeinsam einer widrigen Umwelt entgegenstellen. Dieser Aspekt wurde demgegenüber von Pjotr Kropotkin überbetont, dessen Untersuchungen über die Gegenseitige Hilfe in der Tierund Menschenwelt (1902) ihm als Basis für seinen politischen Anarchismus (im Sinne eines Programms zur Erreichung einer staatenlosen Ordnung ohne Herrschaft) diente.32 Der „Kampf ums Dasein" in der Natur wurde interessanterweise gerade von einem Anhänger Darwins stark betont, der dem Konzept einer EE besonders skeptisch gegenüberstand: nämlich von Thomas Henry Huxley. In Zeiten wie den heutigen, in denen alte und neue Rousseauisten einer „Rückkehr zur Natur" das Wort reden, ist es im Sinne von Huxley angemessen, sich ein oft herangezogenes Beispiel für „Grausamkeit" in der Natur vor Augen zu führen und dessen Konsequenz für eine Ethik darzustellen, deren Grundlage das Ideal eines „naturgemäßen" Lebens bildet. Dieses Beispiel ist die „Ichneumonfliege", deren Fortpflanzungsart eine geradezu klassische Herausforderung für die Anhänger eines teleologischen Gottesbeweises darstellt.33 Ichneumonen sind Wespen mit einem parasitischen Larvenstadium. Als Wirte dienen meist Raupen, die von dem erwachsenen Weibchen gelähmt werden, wonach es seine Eier entweder auf der Oberfläche des Wirts oder (mittels einer Legeröhre) direkt in das Innere des Wirts ablegt. In beiden Fällen frißt sich die ausgeschlüpfte Larve durch das Innere des Wirts. Da dieser gelähmt ist, aber nicht tot, verwest er nicht, und die Larve kann sich nach und nach durch die Fettschichten und

32

Zur Bedeutung Kropotkins als Biologe siehe Stephen Jay Gould, „Kropotkin Was N o Crackpot", in: ders., Bully for Brontosauri, 325-339; zur Bedeutung Kropotkins als politischer Theoretiker siehe Franz Neumann, „Anarchismus", in: ders. (Hrsg.), Handbuch Politischer Theorien und Ideologien (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1977/1978), S. 222-294, bes. S. 257-266.

33

Vgl. zum Folgenden: Stephen Jay Gould, „Nichtmoralische Natur", in: ders., Wie das Zebra zu seinen Streifen kommt, S. 30-43. Allerdings läßt sich der „grausame" Charakter der Natur wohl eher anhand der N ö t e leidensfähiger Wirbeltiere illustrieren.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

die Verdauungsorgane fressen, wobei das Herz und das Zentralnervensystem zunächst „geschont" und der Wirt erst getötet wird, wenn er ganz ausgehöhlt worden ist. Es ist zwar möglich - und wurde auch tatsächlich versucht - , selbst dieses Verhalten durch Ad-hoc-Hypothesen als mit einem göttlichen Plan vereinbar darzustellen, indem etwa die wohlwollende Fürsorge des Ichneumonenweibchens für seine Nachkommen betont wird. Vorurteilslos betrachtet, wird man aber kaum umhin kommen, in dieser Frage eher Julian Huxley (einem Enkel T.H. Huxleys) beizupflichten, der unter Bezugnahme auf die Ichneumonen schrieb: „Tatsächlich hat die Natur, obwohl sie, wie die Mühlen Gottes, langsam und fein mahlt, sehr wenig Attribute, die eine zivilisierte Religion als göttlich bezeichnen würde." 34 Während allerdings Julian Huxley schließlich doch noch, wie wir unten sehen werden, in der biologischen Evolution einen Fortschritt erkennen zu können glaubt, betont sein Großvater in seiner berühmten Vorlesung „Evolution and Ethics" (1893) gerade den Gegensatz zwischen einer natürlich-biologischen und einer ethischen Entwicklung: „Let us understand, once and for all, that the ethical progress depends, not in imitating the cosmic process, still less in running away from it, but in combating it. [...] Ethical nature may count upon having to reckon with a tenacious and powerful enemy as long as the world lasts."35 T.H. Huxleys Betonung des „grausamen" Charakters der Natur bildet ein wirksames Korrektiv zu der Betonung des „milden" Charakters der Natur bei Kropotkin. Huxley geht aber noch einen Schritt weiter und beurteilt diese Debatte von einer höheren Warte: Die Tatsache, daß für beide Extrempositionen Belege in der Natur zu finden sind, legt nahe, daß sich aus der Natur überhaupt keine eindeutigen Verhaltensmuster ableiten lassen. In diesem Zusammenhang wendet er sich sogar 34 35

Zitiert nach: Ebd., S. 41. T.H. Huxley, „Evolution and Ethics" (1893), in: ders. u. Julian Huxley, Evolution and Ethics 1893-1943 (London: Pilot, 1947; repr. New York: Kraus, 1969), S. 60-84, hier: S. 82 u. S. 84.

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ausdrücklich mahnend gegen überzogene Ansprüche der Vertreter einer EE: „The propounders of what are called the .ethics of evolution', when the .evolution of ethics' would usually better express the object of their speculations, adduce a number of more or less interesting facts and more or less sound arguments, in favour of the origin of the moral sentiments, in the same way as other natural phenomena, by a process of evolution. I have little doubt, for my own part, that they are on the right track; but as the immoral sentiments have no less been evolved, there is, so far, as much natural sanction for the one as for the other." 36 Mit diesem Hinweis auf die gleichermaßen biologischen Wurzeln sowohl der „moralischen" als auch der „unmoralischen" Gefühle kommt Huxley implizit zu einem Punkt, an dem die Kritik der „harten" E E im allgemeinen und des Sozialdarwinismus im besonderen von empirischen zu philosophischen Argumenten überwechselt: Was moralisch richtig ist, kann überhaupt nicht an den faktischen Ereignissen in der Natur abgelesen werden; vielmehr brauchen wir ein eigenständiges Kriterium, das es erlaubt, die einen Gefühle (oder vielleicht besser: Handlungen) als moralisch richtig und die anderen als moralisch falsch zu beurteilen. Das „Natürliche" läßt sich einfach nicht mit dem moralisch Richtigen gleichsetzen. Damit sind wir zu einer Form des berühmten naturalistischen Fehlschlusses37 gelangt, dessen Nachweis zur Kritik na36 37

Ebd., S. 80. Wie schon erwähnt, findet sich die klassische Formulierung dieses Fehlschlusses (ohne daß dieses Etikett schon verwendet würde) bei David Hume, A Treatise of Human Nature, S. 469 f. Für den jetzigen Zusammenhang ist die folgende Passage (ebd., S. 475) fast noch wichtiger: „Nothing can be more unphilosophical than those systems, which assert, that virtue is the same with what is natural, and vice with what is unnatural. For in the first sense of the word, Nature, as opposed to miracles, both vice and virtue are equally natural; and in the second sense, as oppos'd to what is unusual, perhaps virtue will be found to be the most unnatural. [...] As to the third sense of the word, 'tis certain, that both vice and virtue are equally artificial, and out of nature. For [...] 'tis evident, that the actions themselves are artificial, and perform'd with a certain design and intention." Vgl. dazu Antony Flew, Darwinian Evolution, S. 129.

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turalistischer Ethiken besonders überzeugend von John Stuart Mill umgesetzt worden ist (weshalb der oft gegen Mill gerichtete Vorwurf, er selbst habe sich in seiner Schrift Utilitarianism (1861) diesen Fehlschluß zuschulden kommen lassen, in Frage gestellt werden sollte38). Er untersucht, was es überhaupt bedeuten kann, wenn es heißt, wir sollten uns nach der „Natur" richten. Zu diesem Zweck unterscheidet er verschiedene Naturbegriffe, die sich aber allesamt nicht als Grundlage einer naturalistischen Ethik (die als vor-darwinistische Variante einer EE angesehen werden kann) eignen. Der Schwerpunkt von Mills Untersuchung liegt auf einem Naturbegriff, nach dem unter „Natur" all das verstanden werden könnte, „was ohne Mitwirkung, d.h. die willentliche und absichtliche Mitwirkung des Menschen geschieht."39 Dem hält Mill (wie später T.H. Huxley) entgegen, daß, bei Voraussetzung dieses Naturbegriffs, „die Natur überwunden, nicht befolgt werden muß. [...] Um es ohne Umschweife zu sagen: Fast alles, wofür die Menschen, wenn sie es sich gegenseitig antun, gehängt oder ins Gefängnis gewor[f]en werden, tut die Natur so gut wie alle Tage."40 Nachdem wir uns mit diesem Naturbegriff schon oben kritisch auseinandergesetzt haben, ist für uns ein anderer Naturbegriff interessanter: „Natur" könnte auch als „Inbegriff der 38

Vgl. Dieter Birnbacher, „Nachwort" zu: John Stuart Mill, Drei Essays über Religion: Natur - Die Nützlichkeit der Religion - Theismus, hrsg. v. Dieter Birnbacher [urspr. hrsg. v. Helen Taylor] (Stuttgart: Reclam, 1984; urspr. englisch 1874), S. 217-244, hier: S. 228. Vgl. dazu auch Dieter Birnbacher, .„Natur als Maßstab menschlichen Handelns", Zeitschrift für philosophische Forschung 45 (1991), S. 60-76, wo auch (S. 68 f) zwischen einem „metaethischen Naturalismus" (der den naturalistischen Fehlschluß begeht) und einem „ethischen Naturalismus" (wie dem Sozialdarwinismus) unterschieden wird. Der Sozialdarwinismus fällt aber typischerweise - wie bei Tille - auf den metaethischen Naturalismus zurück, wenn es um die Begründung der Forderung geht, „der Natur zu folgen". Uns soll hier jedenfalls nur diese typische Position beschäftigen.

39

John Stuart Mill, „Natur" (verfaßt 1853/54), in: ders., Drei Essays Religion, S. 9-62, hier: S. 13. Ebd., S. 23 u. 30.

40

über

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

91

Kräfte und Eigenschaften aller Dinge"41 verstanden werden. Aus einem solchen Naturbegriff lassen sich aber keinerlei moralische Vorschriften ableiten, denn in diesem Sinne ist jede (moralisch richtige oder falsche) Handlung „naturgemäß". Zu dem entsprechenden Fehlschluß kommt es leicht aufgrund der Doppeldeutigkeit des Begriffs eines „Naturgesetzes". Mill verweist in diesem Zusammenhang auf eine Äußerung Montesquieus über den unterschiedlichen Grad der Gesetzesbefolgung bei anorganischen Körpern, niederen Tieren und Menschen. Mill kommentiert kritisch: „als ob es eine Inkonsequenz und ein Paradox wäre, daß die Dinge immer das sind, was sie sind, die Menschen aber nicht immer, was sie sein sollten."42 Naturgesetze haben eben nur den Namen mit juristischen Gesetzen gemein (wobei diese Namen wohl ihren gemeinsamen Ursprung in der Vorstellung eines göttlichen Gesetzgebers haben, der allen Sachen und Personen Gesetze vorgibt). Naturgesetze beschreiben lediglich empirische Regelmäßigkeiten und lassen sich nicht brechen, da neue Phänomene nur Umformulierungen bisheriger Theorien erforderlich machen; juristische Gesetze schreiben ein bestimmtes Verhalten vor und treten nicht aufgrund von Regelbrüchen außer Kraft, sondern bekämpfen solche mit Sanktionsandrohungen (die bei Naturgesetzen keinen Sinn machen).43 Zwar gibt es noch die abstrakte Vorstellung eines Naturrechts, die ihre Plausibilität aus der richtigen Einsicht bezieht, daß es einen Standard „höherer Gerechtigkeit" (im Sinne eines außerjuristischen Maßstabs) gibt, der es erlaubt, bestehende Rechtsordnungen nach einem unabhängigen Maßstab zu beurteilen. Mill hält es jedoch für irreführend, hier von „Naturrecht" oder von „natürlicher Gerechtigkeit" zu sprechen;44 und dieser normative Naturbegriff ist jedenfalls keiner, der sich auf die Rede 41 42

Ebd., S . l l . Ebd., S. 18 f.

43

Vgl. dazu auch Moritz Schlick, „Wann ist der Mensch verantwortlich?" (1930), in: Ulrich Pothast (Hrsg.), Seminar: Freies Handeln und Determinismus (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1978), S. 157-168, bes. S. 159 f („Zwei Bedeutungen von .Gesetz'" ). John Stuart Mill, „Natur", S. 14 u. S. 51.

44

92

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

von der Ordnung der Naturgesetze berufen kann. Ein solcher Naturbegriff kann nach Mill nur insofern normative Implikationen haben, als er zu Klugheitsgeboten führt: An die Stelle des „naturam sequi" tritt das bescheidenere „naturam observare" ,45 Daneben erwähnt Mill noch beiläufig die Möglichkeit, daß diejenigen, die sich auf die Natur als Maßstab des Handelns berufen, einfach einen bestimmten Maßstab vorschlagen, der nach ihrem Vorschlag „Natur" genannt werden sollte.46 Es wäre aber sicherlich irreführend, auf diese Weise vom Nachweis eines sinnvollen normativen Naturbegriffs zu sprechen. Damit sind die wesentlichen Analysen zur philosophischen Kritik des Sozialdarwinismus geleistet. Nur ein wichtiger Punkt muß noch erwähnt werden, auf den auch schon T.H. Huxley hinweist: 47 Anhänger des Sozialdarwinismus geben dem Begriff des „survival of the fittest" regelmäßig eine Umdeutung, die durch den biologischen Kontext, in den Darwin ihn stellte, nicht abgedeckt ist. Für Darwin ist mit „fitness" keine positive Bewertung verbunden; es geht für ihn einfach darum, welche Individuen sich am vielzähligsten (und nur in diesem Sinne am „erfolgreichsten" ) fortpflanzen. Das hat zur Folge, daß gerade diejenigen Gesellschaftsschichten, die nach Ansicht der Sozialdarwinisten für die Degeneration der zivilisierten Menschheit verantwortlich sind, orthodox-darwinistisch gerade die höchste „fitness" erreichen, wenn sie besonders kinderreich sind. Sozialdarwinisten wollen dagegen erreichen, daß die im normativen Sinne „Besten" sich am vielzähligsten fortpflanzen. 48 Für die Auszeichnung dieser „Besten" ist dann aber gerade ein Maßstab nötig, der nicht der Natur entnommen werden kann. 49 45 46 47 48 49

Ebd., S. 21 f. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. T.H. Huxley, „Evolution and Ethics", S. 81. Vgl. Antony Flew, Darwinian Evolution, S. 126. Die Willkür bei der Auswahl dieses Maßstabs zeigt sich etwa bei der schwankenden Beurteilung des Ersten Weltkriegs durch die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene": Während 1914 der Krieg noch als Mittel zur Verschärfung des „Kampfes ums Dasein" angesehen wurde, durch den es zu einer Verbesserung des Menschenmaterials kommen sollte, hieß

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

93

Die sozialdarwinistische Umdeutung der „fitness" findet sich auch bei Tille, wenn er von dem „großen sittlichen Gesetz der Auslese der Tüchtigsten und der Ausscheidung der Untüchtigsten" spricht. Den Maßstab für diese Tüchtigkeit kann er für seine Zwecke nicht der Natur entnehmen; und der Maßstab für ein solches evaluatives Kriterium kann jedenfalls kein „Naturgesetz" sein, denn Naturgesetze sind eben nur deskriptiv. Einen ähnlichen Fehler begeht Tille, wenn er von einem „neuen Ziel des Sittlichen im Menschen" spricht, das er aus der Entwicklungslehre ableiten will. Bei dieser Formulierung kommt erschwerend hinzu, daß dem darwinistischen Ansatz eine teleologische Deutung aufgepfropft wird, während das besondere Charakteristikum der Evolutionstheorie Darwins gegenüber ihren Vorläufern in der Zurückweisung der Vorstellung besteht, daß die Evolution zielgerichtet (etwa auf den Menschen oder einen „Ubermenschen" hin) verläuft. Aber auch hier ist der Haupteinwand gegen Tille, daß keine Normen daraus abzuleiten wären, wenn die Natur sich „natürlicherweise" auf ein solches Ziel hin entwickeln würde. „Durch die Naturwissenschaft aufgezeigte Entwickelungsziele der Menschheit" gibt es ebensowenig wie eine „wissenschaftliche Ethik" (im Sinne einer empirischen Disziplin). Umgekehrt kann deshalb die Vorstellung allgemeiner gleicher Menschenrechte gar nicht „mit der Entwicklungslehre [...] unvereinbar" sein; denn die normative These von der „Gleichheit" aller Menschen behauptet eben nicht, daß alle Menschen in allen Aspekten gleich ausgestattet seien (was offensichtlich falsch wäre), sondern sie besagt, daß allen Menschen bestimmte Rechte gleichermaßen eingeräumt werden sollen. Dagegen mag es Argumente geben; der bloße Hinweis, daß nicht alle Menschen empirisch gleich ausgestattet sind, ist jedoch keines. Neben diesen grundlegenden philosophischen Einwänden muß Tille außerdem entgegengehalten werden, daß er in unzulässiger Weise individuelle Errungen-

es 1922 unter dem Eindruck des verlorenen Krieges, daß der Krieg eine furchtbare kontraselektorische Auslese bewirke. Siehe Peter Weingart, Jürgen Kroll u. Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 230-232.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Schäften biologisiert, ohne die zu begründende Prämisse, nach der das, was er unter „Tüchtigkeit" versteht, vererbt wird, überhaupt explizit zu formulieren. Damit können wir auf die eingangs dargestellte Rekonstruktion des sozialdarwinistischen Standardarguments zurückkommen. Die erste Prämisse, nach der die natürliche Selektion zur organischen Höherentwicklung führt, ist unklar, weil das Kriterium für „Höhe" nicht hinreichend bestimmt ist. Jeder konkrete Vorschlag für ein solches Kriterium steht aber vor dem Problem, daß er nicht nur empirisch haltbar sein müßte, sondern auch den für den Sozialdarwinismus charakteristischen normativen Gehalt begründen müßte - was prinzipiell unmöglich ist. Die empirische Nebenannahme, nach der in zivilisierten Gesellschaften die Wirksamkeit der natürlichen Selektion eingeschränkt ist, steht vor dem Dilemma, entweder trivial (wenn auch wahr), oder falsch (wenn auch interessant) zu sein: Trivial ist, daß zivilisierte Gesellschaften sich von dem Hobbesschen Naturzustand unterscheiden, in dem das Leben „solitary, poore, nasty, brutish, and short" 50 ist; aber natürliche Selektion findet eben auch ohne brutalen „Kampf ums Dasein" weiterhin statt, weil die einzelnen Organismen sich weiterhin fortpflanzen, und das in unterschiedlichem Ausmaß. (Daß mit einer solchen biologistischen Betrachtungsweise die menschliche Kultur nicht hinreichend erfaßt ist, steht im übrigen auf einem anderen Blatt.) Die Konklusion, daß in zivilisierten Gesellschaften keine Höherentwicklung stattfindet, sondern ihr Gegenteil, nämlich Degeneration, ist nicht nur falsch, sondern sie folgt auch nicht einmal aus den Prämissen. In der ersten Prämisse ist nämlich nicht gesagt, daß nur die natürliche Selektion zur organischen Höherentwicklung führt; und damit ist nicht ausgeschlossen, daß auch andere Wege der Höherentwicklung möglich sind wobei gerade an die kulturelle Weiterentwicklung zu denken wäre, die wohl eher als die biologische zu einer Höherent50

Thomas Hobbes, Leviathan (London/Melbourne/Toronto: Dent/New York: Dutton, 1979; urspr. 1651), S. 65.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: D e r Sozialdarwinismus

95

wicklung (nach moralischen Maßstäben) fähig ist. Ganz abgesehen von diesen Schwierigkeiten, kommt zum Schluß auch noch einmal das grundlegende Begründungsproblem des Sozialdarwinismus zum Ausdruck: Selbst wenn wir zugeständen, daß fortschreitende Zivilisation zu einer biologischen Degeneration geführt hätte, wäre damit nicht gezeigt, daß es geboten sei, etwas gegen diese Entwicklung zu unternehmen. Es könnte ja gerade sein, daß es moralisch geboten wäre, der kulturellen Höherentwicklung den Vorrang vor der Bekämpfung angeblicher biologischer Degeneration zu geben. Tille und T.H. Huxley sind sich über den grausamen Charakter der natürlichen Selektion vielleicht sogar einig; wie man an ihren unterschiedlichen normativen Forderungen sieht, lassen sich auf dieser deskriptiven Prämisse jedoch entgegengesetzte politische Programme aufbauen. Die „facts of life" können eben keine normative Grundlage bilden. Zum Abschluß der Kritik des Sozialdarwinismus muß noch auf einen radikalen Angriff seitens seiner Kritiker eingegangen werden, der vielleicht über das Ziel hinausschießt. Es kann nämlich gefragt werden, ob die biologische Evolution vielleicht nicht nur kein moralisches Vorbild ist, sondern vielleicht in überhaupt keinem vorbildhaften Sinne fortschrittlich (im Sinne einer Höherentwicklung) ist. Mill scheint in diesem radikalen Sinne skeptisch zu sein, wenn er schreibt: „Noch immer findet sich die unklare Vorstellung, daß, so angemessen es auch sein mag, die eine oder andere Naturerscheinung zu beherrschen, der allgemeine Plan der Natur doch ein nachahmenswertes Muster für uns sei."51 Die entsprechende Skepsis kann sich sowohl auf die „Methode" als auch auf die Resultate der natürlichen Evolution beziehen. Diese werden besonders drastisch in Lems Beurteilung der Evolution „aus der Sicht des Konstrukteurs"

51

J o h n Stuart Mill, „Natur", S. 26.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

analysiert, die ihn zu einem halb-ironischen „Pasquill auf die Evolution" führt. Seine „Vorwürfe" lauten: 52 1. Die Evolution handelt nach einem „Prinzip der minimalen Redundanz". Durch ihr „statistisches Konstruktionsprinzip" wird nur sichergestellt, daß eine Art gerade noch überlebt: Ansonsten geht die Evolution mit den Organismen verschwenderisch um. Auch die einzelnen Organe eines Organismus sind unterschiedlich strapazierfähig und können bei einer einzigen Fehlfunktion leicht zum Tod des gesamten Organismus führen. Die Kehrseite der übertriebenen Verschwendung auf der Ebene der Populationen ist also der übertriebene Geiz auf der Ebene individueller Sicherungsmechanismen. Lem weist außerdem darauf hin, daß aus dieser Perspektive eine einzelne Zelle „ein vollkommeneres Gebilde als der Vielzeller" ist. 2. Uberflüssige Elemente werden nicht aus der individuellen Entwicklung ausgeschaltet. Ein vernünftiger Konstrukteur würde rudimentäre Organe wegfallen lassen. 3. Die genetische Unverwechselbarkeit einzelner Organismen macht helfende Eingriffe von außen (etwa durch Transplantationen) schwierig. 4. Die Evolution geht rein opportunistisch und äußerst kurzsichtig vor. Veränderungen kommen nur zustande, wenn sie sich unmittelbar verwenden lassen. Langfristige oder radikale Umstrukturierungen sind ihr nicht möglich. Zum Beispiel könnten manchen Tieren organische Räder nützlich sein; aber die Natur kann diese weder in einem Schritt noch über Zwischenschritte hervorbringen. 53 Die Blindheit der Evolution ist darüber hinaus dafür verantwortlich, daß manche Arten in Sackgassen enden. 5. Die Regenerationsfähigkeiten der einzelnen Organismen sind kaum ausgebildet. Alle derzeitigen Organismen sind 52

53

Siehe Stanislaw Lern, Summa technologiae, S. 560-579. Vgl. dazu ausführlicher: Bernd Gräfrath, Lems Golem, Kapitel 11 („GOLEMs ,Pasquill auf die Evolution'"). Vgl. Stephen Jay Gould, „Ein Reich ohne Räder", S. 156-163.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

97

das Produkt von Kompromißlösungen, die vom Beharren früherer Kompromißlösungen mitgeprägt sind. 6. Die Evolution vergißt ihre früheren konstruktiven Errungenschaften und muß deshalb alte Aufgaben, die sich irgendwo neu stellen, immer wieder über das aufwendige Verfahren von Versuch und Irrtum durch dieselben oder andere Erfindungen neu lösen. Zeitliche Grenzen und Grenzen zwischen den Arten lassen eine Übertragung vernünftiger Lösungen nicht zu. 7. Die Evolution geht lotteriehaft vor. Mutationen führen aber selten zum Fortschritt. Oft werden sogar langfristig schädliche Eigenschaften selektiert. Generell könnte man die Rückkopplung der Genotypen als lückenhaft bezeichnen, weil es überhaupt zu solchen Mutationen kommt. 8. Die Wahl des Baustoffes der Evolution (Eiweiß) ist kritikwürdig. Man muß nicht direkt an die phantastischen Möglichkeiten kernenergiebetriebener Organismen denken: Auch näherliegende Verbesserungsmöglichkeiten sind zu nennen. Unter dem „Gesichtspunkt der prospektiven Potenzen" liegt die Idee einer „Cyborgisierung" ,54 also der Ausstattung des Menschen mit vielfältigen Prothesen, nahe. Um naheliegenden Mißverständnissen entgegenzutreten, muß direkt angefügt werden, daß Lem selbst keineswegs ein technokratisches Programm vertritt, das den Menschen ebenso wie die übrige Natur rekonstruieren wollte. Für ihn ist die Einnahme der Sichtweise des Konstrukteurs (für den sich u.a. auch sexuelle Beziehungen in erster Linie als technische Produktionsverfahren darstellen) nur ein heuristisches Verfahren, das keinen begründeten Anspruch auf Vorrangstellung erheben kann - und von einem begründeten Absolutheitsanspruch kann schon gar nicht die Rede sein. Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes zeigt sich aber darin, daß sie tatsächlich schwer zu entkräftende Einwände

54

Vgl. Stanislaw Lem, Summa technologiae, S. 583-586. Vgl. auch Stanislaw Lem, Dialoge (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980; urspr. polnisch 1957), S. 155-178.

98

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gegen einen Panglossismus der „Methode" der natürlichen Evolution zum Vorschein bringt. Die natürliche Evolution ist also nicht nur kein moralisches Vorbild, sie ist auch kein Vorbild für einen klugen, effizient arbeitenden Konstrukteur. 55 Dann stellt sich nur noch die Frage, ob diese Evolution denn überhaupt sinnvoll „fortschrittlich" genannt werden kann. Stephen Jay Gould nimmt dabei eine Extremposition ein: Für ihn kann der Fortschrittsbegriff der Biologie keinerlei positive Bewertung enthalten, weshalb er auch aufgrund seiner Mißverständlichkeit besser ganz fallengelassen und ersetzt wird durch Darwins bescheideneren Begriff des „descent with modification" .56 Eine Gegenposition ist bei Julian Huxley zu finden, der sich 1943 gegen die krasse Gegenüberstellung von Evolution und Ethik, wie sie von T.H. Huxley vertreten worden war, wandte, und der seine Vorlesung deshalb auch nicht „Evolution and Ethics", sondern „Evolutionary Ethics" nannte. Darin spricht er ausdrücklich von einer Höherentwicklung der Evolution: „When we look at evolution as a whole, we find, among the many directions which it has taken, one which is characterized by introducing the evolving world-stuff to progressively higher levels of organization and

55

Bei diesem Urteil muß man sich vor Augen führen, daß Lem in sehr großen Zeiträumen denkt. Er gesteht natürlich zu, daß der heutige Stand unserer Technik noch kaum die Konstruktionsleistungen der N a t u r erreicht. Aber f ü r ihn ist entscheidend, daß es nicht nur denkbar ist, die N a t u r „einzuholen", sondern eben auch zu „überholen" ; siehe Stanislaw Lem, „Die Geschichte eines Einfalls" (urspr. polnisch 1978), Akzente: Zeitschrift für Literatur 26 (1979), S. 72-89. Zu seiner eigenen Überraschung konnte Lem feststellen, daß die ersten Anzeichen der Übernahme der Methoden der Natur (Stichwort: Gentechnik) noch zu seinen Lebzeiten erkennbar wurden; siehe dazu Stanislaw Lem, Die Vergangenheit der Zukunft (Frankfurt a.M./Leipzig: Insel, 1992). Zu einem interessanten Beispiel der Übernahme „verschwenderischer" Methoden der Natur, die sogar erfolgreicher als „nicht-blinde" sind, siehe John H. Holland, „Genetische Algorithmen" (urspr. englisch), Spektrum der Wissenschaft (September 1992), S. 44-51.

56

Stephen Jay Gould, „Darwin's Dilemma: The Odyssey of Evolution", in: ders., Ever Since Darwin, S. 34-38, hier: S. 38.

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

99

so to new possibilities of being, action, and experience." 57 Eine genauere Analyse zeigt aber, daß die Gegensätze zwischen Gould und Julian Huxley nicht so groß sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, und - was wichtiger ist - Goulds Position sich konsistent und plausibel verteidigen läßt. Zu diesem Zweck müssen vor allem verschiedene Fortschrittsbegriffe unterschieden werden, deren Vermengung etwa zu dem Mißverständnis geführt hat, Gould leugne allein aus ideologischen Gründen offensichtliche Tatsachen. 58 Gould sagt zwar selbst: „Von der Vorstellung, daß es in der Entwicklungsgeschichte einen Fortschritt gäbe, war es nur ein kleiner Schritt zu der Uberzeugung, daß eine Rasse anderen überlegen sei." 59 Und tatsächlich bezieht sich der Sozialdarwinismus auf eine solche biologistische Fortschrittsvorstellung. 60 Aber auch hier ist wieder die grundlegende Unterscheidung zwischen Genese und Geltung hervorzuheben: Auch wenn Gould von der Absicht motiviert sein sollte, dem Rassismus jede empirische Grundlage zu entziehen, müssen seine Thesen doch unabhängig von dieser Motivation geprüft werden.

57

Julian Huxley, „Evolutionary Ethics" (1943), in: T.H. Huxley u. Julian Huxley, Evolution and Ethics 1893-1943, S. 103-142, hier: S. 125. Vgl. dazu auch Julian Huxley, „Conclusion", in: T.H. Huxley u. Julian Huxley, Evolution and Ethics 1893-1943, S. 177-235, hier: S. 198 f: „We can obtain from the past history of the evolution of life not only reassurance as to the basis of some of our ethical beliefs, but also ethical guidance for the future."

58 59 60

Vgl. dazu Roger Lewin, Die Komplexitätstheorie, S. 180. Zitiert nach: Ebd., S. 178. So heißt es etwa bei Alexander Tille, daß „das wesentliche Merkmal der Entwicklung [...] das Aufsteigen von einfachen zu zusammengesetzteren Formen [ist], die die naturnotwendigen Funktionen besser oder vollkommener besorgen als jene." Nach Tille kann vom Standpunkt des Darwinismus „Fortschritt" nur (allerdings eher - und symptomatisch - recht vieldeutig!) verstanden werden „im Sinne der Kraftbereicherung, der Variierung der Daseinsformen, des Wachsens der Lebensfreude, der Entstehung eines (biologisch) höheren Typus Mensch in demselben Sinne, wie wir den Mensch heute bereits höher organisiert als das Tier nennen." Siehe Alexander Tille, Von Darwin bis Nietzsche, S. 70 f.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Wenn vom Fortschritt der natürlichen Evolution die Rede ist, könnten u.a. eine oder mehrere der folgenden Thesen gemeint sein: 1. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, und seine Entstehung war das vorgegebene Ziel der natürlichen Evolution. 2. Zunehmende Komplexität bedeutet Fortschritt, und in der natürlichen Evolution gab es einen entsprechenden Trend. 3. Im „Kampf ums Dasein" mußten sich die Arten ihrer Umgebung immer weiter anpassen, um weiterbestehen zu können, und verbesserte Anpassung bedeutet einen Fortschritt. 4. Bestimmte Merkmale - etwa Komplexität - traten im Laufe der natürlichen Evolution verstärkt auf. Bei einer genaueren Analyse von Goulds Position müssen wir feststellen, daß er diese vier Thesen sehr unterschiedlich beurteilt. Seine Ausführungen können zeigen, daß es bei Anerkennung des etablierten Standes der biologischen Forschung wie sie, wie wir hier voraussetzen wollen, von Gould repräsentiert wird - durchaus möglich und sinnvoll sein kann, von einem Fortschritt in der natürlichen Evolution zu sprechen, ohne damit gleich in vor-darwinistisches teleologisches Denken zurückzufallen. Die erste These besteht aus zwei Teilen: der erste, bewertende, läßt sich mit biologischen Mitteln nicht begründen. Außerdem widerspricht der zweite, empirische Teil einer Grundeinsicht des Darwinismus: Die Evolution ist blind und folgt keinem vorgegebenen Plan. Die zweite These wird von Gould ebenfalls abgelehnt. Dabei müssen auch hier ein bewertender und ein empirischer Teil getrennt diskutiert werden. Zunächst zum bewertenden Teil: Warum sollte Komplexitiät ein überragender Wert sein? Wie sollte dieser gegenüber möglichen Alternativen ausgezeichnet werden? Warum sollte man zum Beispiel nicht genetische Stabilität oder effiziente Einfachheit höher schätzen? Entsprechend den unterschiedlichen gewählten Werten ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen der Evolution, die unter Umständen auch eher einen Niedergang als einen Fortschritt herauskehren

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

101

würden. E i n e entsprechende Sichtweise wird besonders drastisch bei L e r n dargestellt: Wenn ihr meint, der Grad der Komplexität und der Grad der Vollkommenheit eines Bauwerks hingen untrennbar zusammen, so habt ihr zwei ganz verschiedene Dinge durcheinander gebracht. Ihr haltet die Alge für einfacher, folglich primitiver und folglich niedriger als den Adler. Diese Alge aber setzt die Photonen der Sonne in die Verbindungen ihres Körpers ein, sie wandelt den Niederschlag kosmischer Energie direkt in Leben um, und sie wird deshalb weiter leben, bis die Sonne stirbt. [...] Warum ist die Evolution von der Atomphysik heruntergekommen auf die Technologie des Mittelalters? [...] Warum hat sie, die auf der molekularen Ebene immer noch genial ist, bei größeren Dimensionen jedesmal gepfuscht, bis sie schließlich heruntergekommen ist auf Organismen, die trotz der Fülle von Regelungsmechanismen an der Verstopfung eines einzigen Arterienröhrchens sterben und während ihres Lebens, das, gemessen an der Zeit, in der die Evolution sie zu bauen lernte, von verschwindender Dauer ist, aus dem Gleichgewicht, das ihr Gesundheit nennt, geraten, um an Zehntausenden von Gebrechen zu erkranken, von denen die Alge nichts weiß? 6 ' Selbst w e n n m a n

Komplexität

durch außerbiologische

Be-

g r ü n d u n g e n als K r i t e r i u m d e r H ö h e r e n t w i c k l u n g r e c h t f e r t i g e n k ö n n t e , w ä r e die z w e i t e T h e s e z u m F o r t s c h r i t t in d e r E v o lution außerdem immer n o c h empirisch problematisch:

Der

s c h e i n b a r e T r e n d z u m e h r K o m p l e x i t ä t ist ein b l o ß e r „ P s e u d o t r e n d " . 6 2 D i e K o m p l e x i t ä t d e r O r g a n i s m e n h a t sich n i c h t stetig u n d g l e i c h m ä ß i g e r h ö h t , u n d die Z a h l d e r n i c h t - k o m p l e x e n O r g a n i s m e n ( u n d ihrer A r t e n ) h a t sich m i n d e s t e n s e b e n s o e r h ö h t : „ B e m e r k e n s w e r t e r w e i s e h a b e n die B a k t e r i e n i h r e n

Komple-

x i t ä t s g r a d nie v e r ä n d e r t , s o n d e r n n u r ihre V e r b r e i t u n g

und

Vielfalt e r h ö h t . [ . . . ] B a k t e r i e n h a b e n m e h r L e b e n s r ä u m e b e s e t z t u n d v e r f ü g e n ü b e r ein breiteres R e p e r t o i r e als jede a n -

61

62

Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM, S. 54 u. S. 56. Lem benutzt hier die Persona eines super-intelligenten Computers, um eine a-humane Perspektive auf die Evolution zu entwickeln. Stephen Jay Gould, „Die Evolution des Lebens" (urspr. englisch), in: Spektrum der Wissenschaft, Speziai: Leben und Kosmos (Heidelberg: Spektrum-der-Wissenschaft-Verlagsgesellschaft, 1994), S. 52-60, hier: S. 57.

102

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

dere Organismengruppe. Sie sind äußerst anpassungsfähig, unverwüstlich und verblüffend vielseitig."63 Der dritten Interpretation der Fortschrittstheorie kann Gould zustimmen: Es gibt lokale Anpassungen, und es gibt auch einen „Anpassungswettlauf", etwa zwischen Jäger und Gejagtem.64 So kommt es etwa zwischen Geparden und Gazellen zu einem evolutionären „Wettrüsten".65 Dieses führt allerdings nicht zur Entwicklung einer optimalen Angriffsund Verteidigungsmaschine, sondern zu einer einseitigen Spezialisierung, die zu starken Kompromissen in anderen Punkten zwingt. (Ähnliches gilt für die sexuelle Selektion innerhalb einer Art, die durch Konkurrenzdruck etwa unökonomisch große Pfauenräder hervorbringt.66) In diesem Sinne führt das „Wettrüsten" auch hier nicht zu einer optimalen Lösung, sondern nur zu unterschiedlichen Lösungen, die unter den gegebenen Umständen bzw. angesichts der einmal eingeschlagenen Richtung zweckmäßig sind. Der vierten These kann Gould zustimmen, aber er würde, wie schon bei der Diskussion der zweiten These ausgeführt, betonen, daß vieles andere im Verlauf der Evolution eben auch verstärkt aufgetreten ist. Wer will, kann deshalb sehr viele „Trends" aufzeigen. Solche Trends sind aber nicht vorgegeben, sondern ergeben sich aus der jeweiligen Sichtweise bzw. Interessenlage.67 Jede der heute anzutreffenden Arten könnte so 63 64 65

Ebd., S. 54 u. S. 57. Ebd., S. 55. Vgl. dazu Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher; S. 222 f. Ähnliche Optimierungsüberlegungen stellt schon Emamuel Lasker an, der allerdings auf diesem Wege einen übergreifenden Fortschritt nachweisen will. Siehe Emanuel Lasker, Die Philosophie des Unvollendbar (Leizig: Veit, 1919), S. 140 f; zu Lasker vgl. ausführlicher: Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, S. 133-159 („Das Leben als Optimierungsproblem: Emanuel Laskers „Philosophie des Unvollendbar").

66 67

Vgl. dazu Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, S. 232 f. Vgl. Stanislaw Lem, „Biologie und Werte" (urspr. polnisch 1968), in: ders., Essays (Frankfurt a.M.: Insel, 1981), S. 284-361, hier: S. 339 u. S. 361: „Wertmaße sind also um so weniger anwendbar, je genereller das zu Messende definiert wird. Eine Axiometrie, die uns objektiv festzustellen er-

4.1 Ein klassischer Vorläufer: Der Sozialdarwinismus

103

betrachtet werden, als ob die gesamte vorherige Evolution das Vorspiel zu ihrem Erscheinen bildete. Deshalb ist für Gould zur Beschreibung der Evolution auch die Metapher eines wuchernden Busches68 passender als die Metapher eines Baumes, von dessen Hauptstamm viele Aste abzweigen. Völlig irreführend wäre aber - aus der Sicht des Biologen - die Metapher einer hierarchisch aufsteigenden Leiter.69 Eine wohlwollende Lesart des oben angeführten Zitats von Julian Huxley würde deshalb hervorheben, daß auch er eine Vielfalt von Richtungen anerkennt, in die sich die Evolution entwickelt hat, und daß er nur davon spricht, daß darunter eine zu einer Höherentwicklung im Sinne komplexerer Strukturen führt. Betont werden muß aber, daß wir hier an die Grenzen dessen gelangen, was sich vom Standpunkt der Biologie aus sagen läßt. Gould überschreitet diese Grenzen, wenn er schreibt, daß die Wahl der „neuronalen Architektur" als Hauptkriterium für evolutionären Fortschritt „anthropozentrisch" ist,70 und er stattdessen die These aufstellt: „Dies ist das .Zeitalter der Bakterien', war es im Anfang und wird es immer sein."71 Wenn wir etwa mit außerbiologischen Argumenten zwar nicht das Gehirn, aber doch die Vernunft als Fortschrittskriterium rechtfertigen könnten, würde sich rückblickend die natürliche Evolution in einem bescheidenen Sinne als fortschrittlich erweisen. Denn auch wenn die Entstehung der Vernunft auf Zufällen beruhte und diese keineswegs auftreten „mußte", ist sie doch -

laubte, daß der Mensch ,die Krone der Schöpfung' ist, kann es nicht geben [...], weil dort, w o es nicht nur einen einzigen Fortschritt, sondern unermeßlich viele Fortschritte gibt, nicht eindeutig von Werten gesprochen werden kann." 68

69 70 71

Diese Metapher des Busches stammt nach Mary Midgley von dem Paläontologen A.L. Panchen; siehe Mary Midgley, Beast and Man: The Roots of Human Nature (Hassocks, Sussex: Harvester, 1979; urspr. 1978), S. 158 (Anm.). Siehe Stephen Jay Gould, „Die Evolution des Lebens", S. 60. Vgl. auch Stephen J a y Gould, Zufall Mensch, bes. S. 238. Stephen J a y Gould, „Die Evolution des Lebens", S. 55. Ebd., S. 56.

104

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

neben vielem anderen - hervorgebracht worden. Dafür, daß der Aspekt der Entstehung der Vernunft kein ebenso beliebiges Kriterium wie jedes andere ist, lassen sich nun tatsächlich Argumente (transzendentalphilosophischer oder auch nur zweckrationaler Art) vorbringen. Dies beinhaltet auch keinen inakzeptablen Anthropozentrismus; denn erstens wird nicht behauptet, daß die Menschen die einzigen vernunftbegabten Lebewesen sind, und zweitens ist der methodologische Anthropozentrismus (bzw. vielleicht genauer: Ratiozentrismus) durchaus vereinbar mit der Ablehnung eines moralischen Anthropozentrismus, der nur den Menschen (oder nur den Vernunftwesen) moralischen Status zubilligt.72 Gould kann trotz all dieser Uberlegungen aber daran festhalten, daß aus der Tatsache, daß wir Vernunftwesen sind und als solche jetzt über die Evolution der Vernunft nachdenken, keineswegs - wie das sogenannte „anthropische Prinzip" 73 suggeriert - folgt, daß die Vernunft ent-

72

Zur Debatte um den moralphilosophischen Anthropozentrismus vgl. Dieter Birnbacher, „Mensch und Natur: Grundzüge einer ökologischen Ethik", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Praktische Philosophie: Grundorientierungen angewandter Ethik (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1991), S. 278-321. Zum methodologischen Anthropozentrismus vgl. Carl Friedrich Gethmann, „Individuelle Freiheit und Umweltschutz aus philosophischer Sicht", in: Michael Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft: Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte - Ergebnisse des Ladenburger Kollegs „Umweltstaat" (Bonn: Economica, 1994), S. 42-54, bes. S. 44-49, sowie auch Georg Scherer, Welt - Natur oder Schöpfung? (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990), S. 6-8. Beide Anthropozentrismen sind zu unterscheiden von dem oben erwähnten biologischen Anthropozentrismus.

73

Vgl. dazu Stephen Jay Gould, „Of Kiwi Eggs and the Liberty Bell", in: ders., Bully for Brontosaurus, S. 109-123, hier: S. 115. Vgl. dazu auch Stanislaw Lem, Das Katastrophenprinzip: Die kreative Zerstörung im Weltall (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1983; urspr. polnisch), S. 57 f: „Man erkennt unschwer, daß das Anthropic Principle genaugenommen [...] wissenschaftlich ebensowenig taugt wie ein .Chartreuse Liqueur Principle' als kosmogonisches Kriterium. Gewiß wurde die Erzeugung dieses Likörs durch die Eigenschaften der Materie DIESES Kosmos ermöglicht, doch kann man sich die Geschichte DIESES Kosmos, DIESER Sonne, DIE-

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

105

stehen mußte (oder wir, wenn wir argumentieren, dieses wiederum voraussetzen müßten). 74 Unter den gegebenen empirischen Umständen der Entwicklung des Menschen war aber wohl mit der Entstehung von Kultur und von moralischen Regelsystemen zu rechnen. Über diesen kulturphilosophischen Kern der Soziobiologie will Edward O. Wilson hinaus: Zumindest in der ersten Phase seines Schaffens glaubte er, normative Richtlinien allein aus biologischen Erkenntnissen ableiten zu können - und das im doppelten Sinne: Die Ethik sollte rein naturwissenschaftlich betrieben werden; und eine andere Art, Ethik zu betreiben, sei nicht möglich. Inwieweit Wilsons moralphilosophisches Programm die Fehler vermeidet oder umgeht, die dem Sozialdarwinismus anzukreiden sind, wird im nächsten Abschnitt zu prüfen sein.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene" John Stuart Mill wandte sich insbesondere deswegen gegen die Idee eines normativen Naturalismus, weil er die Gefahr sah, daß sich durch die Berufung auf angeblich „Natürliches" leicht

74

SER Erde und DIESER Menschheit sehr wohl ohne die Entstehung von Chartreuse vorstellen." Diese Überlegungen zum „anthropischen Prinzip" waren mehrmals Gegenstand meiner Essener Mensadiskussionen mit Vittorio Hösle. Zu Hösles Position siehe etwa Vittorio Hösle, „Größe und Grenzen von Kants praktischer Philosophie" (urspr. englisch 1990), in: ders., Praktische Philosophie in der modernen Welt, S. 15-45, hier: S. 43 u. S. 44: „Die Natur muß z.B. so strukturiert sein, daß sie durch endliche Geister erkannt werden kann und daß sie sie hervorbringen kann. [...] Wir können nicht ausschließen, daß es irgendwo sonst in diesem unermeßlichen Kosmos andere endliche Geister gibt mit einer besseren Natur als der menschlichen und daß es sie sind, die das Werk der Idealisierung und der Realisierung des Idealen fortsetzen werden. Ja, wenn es sogar prädeterminiert sein sollte, daß sich die Menschheit selbst zerstört, dann ist es a priori notwendig, solche Wesen zu postulieren." Siehe auch Vittorio Hösle, Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie: Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik (München: C.H. Beck, 2 1994; urspr. 1990), S. 228.

106

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

reaktionäre Strukturen - zumindest scheinbar - rechtfertigen lassen, die aber auf bloßen Vorurteilen und traditionellen Gewohnheiten beruhen könnten. Durch die praktisch-politischen Äußerungen Edward O. Wilsons, etwa zum „natürlichen Ort" der Frauen, würde er sich wohl in seinem Verdacht bestätigt fühlen. So schrieb Wilson 1975 im New York Times Magazine·. „In hunter-gatherer societies, men hunt and women stay at home. This strong bias persists in most agricultural and industrial societies and, on that ground alone, appears to have a genetic origin.... My own guess is that the genetic bias is intense enough to cause a substantial division of labor even in the most free and egalitarian of future societies.... Even with identical education and equal access to all professions, men are likely to continue to play a disproportionate role in political life, business and science."75 Die normativen Implikationen dieser Ausführungen sind unklar - und damit ist schon ein wesentliches Moment des Programms einer harten EE in der Version des frühen Wilson (die uns im vorliegenden Kapitel vor allem interessieren soll) auf den Punkt gebracht. Handelt es sich um eine empirische Hypothese zur bisherigen Menschheitsgeschichte, um ein unabänderliches Gesetz der menschlichen Natur, oder um eine Rechtfertigung bzw. Empfehlung? Im folgenden soll in einer wohlwollenden Lesart der Kern von Wilsons Programm dargestellt werden (wobei das „Wohlwollen" sich hier darauf beschränkt, aus Wilson keinen bloßen Strohmann zu machen, dessen extremste Äußerungen sich leicht widerlegen lassen). Konzentrieren wollen wir uns auf Wilsons Anspruch einer biologischen Begründung der normativen Ethik. Dabei ist ihm von vornherein zuzugestehen, daß er einen Fehler des traditionellen Sozialdarwinismus vermeidet: Er behauptet nicht, daß der „natürliche" Verlauf der biologischen Evolutio n i e r se gut ist.76 Dennoch hält er aber an einem evolutionären 75 76

Zitiert nach: Stephen Jay Gould, „Biological Potentiality vs. Biological Determinism", S. 259. Vgl. Peter Singer, The Expanding Circle: Ethics and Sociobiology (Oxford: Clarendon, 1981), S. 61.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

107

Fortschrittskriterium fest, das naturwissenschaftlich bestimmt werden soll: „Ethical philosophy must not be left to the merely wise. Although human progress can be achieved by intuition and force of will, only hard-won empirical knowledge of our biological nature will allow us to make optimum choices among the competitive criteria of progress." 77 Auf diese Weise will er eine „neue Moral" 78 begründen, und die Erkenntnisse der Soziobiologie sollen den entscheidenden Schlüssel für dieses Projekt bilden. Für die Soziobiologie ist wiederum die Perspektive des unterschiedlichen Fortpflanzungserfolgs von Genen charakteristisch; und letztlich hat es die Moral nach Wilson auch mit nichts anderem zu tun: „The brain is a product of evolution. Human behavior - like the deepest capacities for emotional response which drive and guide us - is the circuitious technique by which human genetic material has been and will be kept intact. Morality has no other demonstrable ultimate function." 79 Hier sind die folgenden Voraussetzungen und Argumentationsschritte hervorzuheben: - Moral wird rein funktionalistisch betrachtet; - die Moral hat angeblich bisher nur eine einzige Funktion gehabt; - da auch keine andere Funktion für sie nachweisbar ist, Wilson aber weiterhin an einer Moral (wenn auch einer „neuen") festhalten will, soll sich Moral auf diese eine Funktion beschränken. In diesem kurzen Gedankengang ist eine Vielzahl philosophischer Probleme versteckt. Zunächst soll aber auf ein empirischbiologisches Problem hingewiesen werden: Wie sollen wir erkennen, was genau diese (tatsächliche und wünschenswerte) Funktion der Moral ist? Wie kommt Wilson darauf, daß es ausgerechnet die „Intakthaltung des menschlichen genetischen Materials" ist? Daß eine solche Funktionsbestimmung nicht ein77 78 79

Edward O. Wilson, On Human Nature, S. 7. Vgl. ebd., S. 4. Ebd., S. 167.

108

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

deutig ist, läßt sich am besten anhand der Ausführungen eines Biologisten illustrieren, der notorisch zwischen verschiedenen Funktionsbestimmungen schwankt, nämlich Irenäus EiblEibesfeldt. Einige Passagen bei Eibl-Eibesfeldt legen nahe, daß alle Organismen einen optimalen Fortpflanzungserfolg anstreben sollten: „Alle Organismen, die heute leben, verdanken dies der Tatsache, daß ihre Eltern und deren Vorfahren sich so verhielten, daß sie ihr Erbgut weitergaben. Sie verhielten sich angepaßt und damit wohl richtig." 80 Entsprechendes soll auch für verschiedene Menschengruppen gelten: „Die Fähigkeit, in Nachkommen zu überleben, d.h. sein Erbgut zu tradieren, bleibt nach wie vor das Kriterium, an dem sich Eignung mißt. Die Vertreter der verschiedenen Menschengruppen handeln demnach richtig und vernünftig, wenn sie jeweils ihr Uberleben in eigenen Nachkommen anstreben." 81 Eibl-Eibesfeldt schwankt dabei in seiner Entscheidung, ob er sich in erster Linie der deutschen oder der europäischen Menschengruppe zurechnen soll. Einerseits mahnt er die Politiker, die „Interessen des deutschen Volkes" zu wahren - wobei deutlich wird, daß dies für ihn nicht die Interessen der einzelnen deutschen Bürger, sondern die angeblichen „Interessen" des Gen-Pools der Deutschen sind.82 Andererseits fühlt er sich als Europäer, der seinen Kontinent vor einer Überfremdung („Europa wird farbig" ) schützen will: „Ist man selbst Europäer, dann muß es gestattet sein, dies nicht zu akzeptieren, und zwar nicht deshalb, weil man seine Gruppe für etwas Besonderes hält, sondern weil man bei aller Hochschätzung der anderen das eigene Uberlebensinteresse gewahrt sehen will und daher die eigene Verdrängung nicht begrüßen kann. Überleben heißt nun einmal genetisches

80

81 82

Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch - das riskierte Wesen: Zur Naturgeschichte menschlicher Unvernunft (München/Zürich: Piper, •'1990; urspr. 1988), S. 25. Ebd., S. 23. Ebd., S. 142; vgl. auch ebd., S. 190.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

109

Überleben." 83 Entsprechend erinnert er die Frauen (und insbesondere die Feministinnen) an ihre „Pflichten als Mütter" (womit Eibl-Eibesfeldt wohl eine Pflicht meint, Mutter zu werden)?* die besonders drängend seien angesichts eines Geburtenrückgangs des deutschen Volkes, dem Immigrantengruppen mit effektiveren Fortpflanzungsstrategien gegenüberstünden: Die „vom Egalitätswahn Besessenen" übersähen den praktisch unausweichlichen „Kampf der Wiegen", in dem das sich langsamer reproduzierende „Wirtsvolk" zu unterliegen drohe.85 „In einem Boot" sitzen wir angeblich nur insofern, als wir alle auf demselben Planeten leben, der unsere Existenzgrundlage bildet.86 (In diesem Zusammenhang spricht Eibl-Eibesfeldt sogar - irreführenderweise - von „Verbrechen gegen die Umwelt" .87) Ansonsten ist für ihn „die Menschheit (als abstrakter Begriff) [...] eine Erfindung des europäischen Geistes" - und das ist für ihn keine Leistung, sondern ein Makel: „Die Menschheit als biologische Einheit gibt es nicht. Zwar können sich alle Menschen miteinander kreuzen, aber als natürliche Einheiten sind nun einmal verschiedene, sich voneinander abgrenzende Populationen gegeben."88 Rechtfertigungen für seine (als naturwissenschaftliches Fachwissen getarnten) normativen Empfehlungen gibt EiblEibesfeldt nicht - und das liegt daran, daß es sie auf allein naturwissenschaftlicher Grundlage gar nicht geben kann. Sein Schwanken in der Befürwortung der Interessen unterschiedlicher Gruppen erklärt sich daraus, daß solche biologischen Einteilungen in einem sehr weitreichenden Maße willkürlich sind. „Natürliche Einheiten" können jedenfalls nicht einfach an der Natur abgelesen werden, sondern beruhen auf kulturellen Kategorisierungsleistungen, die für unterschiedliche Zwecke

83 84 85 86 87 88

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 186. S. 136. S. 142 f,S. 187 u.S. 190 f. S. 23. S. 258. S. 197.

110

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

unterschiedliche Beschreibungsraster entwickeln müssen.89 Der erbitterte Streit verschiedener taxonomischer Schulen in der Biologie beruht im übrigen auf dem analogen Mißverständnis - als ob es darum ginge, die „eine wahre" Klassifikation der biologischen Arten zu finden.90 Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß schon innerhalb der Biologie in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Klassifikationssysteme „am brauchbarsten" sind.91 Außerhalb der Biologie können aber erst recht andere Klassifikationen angebracht sein. Was spricht dagegen, die Tiere manchmal danach zu ordnen, wie sie im Londoner Zoo untergebracht sind (etwa in einem Zooführer), danach, ob sie schädlich oder nützlich sind (was für das Studium der Medizin oder der Landwirtschaft relevant sein könnte), oder danach, welchen Nährwert sie haben (was einen Ernährungswissenschaftler interessieren muß)?92 Moralphilosophisch können erst recht ganz andere Kategorien geboten sein: Nicht nur ein ethisch motivierter Vegetarier wird in diesem Kontext eine Aufstellung nach dem Nährwert der Tiere (oder gar der Menschen) ablehnen; und auch ein Menschenrechtler wird andere Kriterien (etwa das der Personenwürde) für wichtiger halten. Ein Verteidiger allgemeiner Menschenrechte wird deshalb etwa Eibl-Eibesfeldts Beschreibung des Zusammenlebens verschiedener ethnischer 89

90

91

92

Vgl. dazu Peter Janich, „Naturgeschichten: Benötigt die Biologie eine relativistische Revision?", in: ders., Grenzen der Naturwissenschaft: Erkennen als Handeln (München: C.H. Beck, 1992), S. 85-101. So vertritt etwa Richard Dawkins die These, daß nichtbiologische Klassifikationen zwar willkürlich sind, es im Bereich der Biologie aber ein „einzigartiges" System gibt, das aus prinzipiellen Gründen allen anderen vorgezogen werden muß, nämlich die kladistische Taxonomie, die ihr System allein auf evolutionären Verwandtschaften aufbaut. Siehe Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, S. 296-298. Siehe etwa Ernst Mayr, Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt, S. 196. Zu einer radikalisierenden Verallgemeinerung dieser Auffassung vgl. Nelson Goodman, Ways of Worldmaking (Indianapolis, Indiana: Hackett, 1978). Diese Beispiele übernehme ich von Dawkins, der sie jedoch zu anderen Zwecken (!) aufführt.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

111

Gruppen als „Kampf der Wiegen", bei dem das „Wirtsvolk" bedroht ist (um in der Analogie zu bleiben, müßte man sagen: von Parasiten), mit Recht als - gelinde gesagt - unpassend ablehnen. Umgekehrt ist es deshalb auch nicht möglich, eine moralphilosophische Unterteilung (etwa nach Personen, leidensfähigen Tiere und Sachen) mit dem Hinweis abzulehnen, daß dies nicht den „natürlichen biologischen Einheiten" entspreche. Eine genaue Analyse von Eibl-Eibesfeldts Begründungsansätzen zeigt sogar, daß auch er selbst sich teilweise auf die Interessen der gesamten Menschheit als Rechtfertigungsinstanz beruft. So schreibt er etwa (wenn auch unklar): „Der Untergang der Buschleute ist ein schmerzlicher Verlust für die Menschheit, denn diese Kultur war etwas ganz Besonderes." 93 Deutlicher spricht er sich an anderer Stelle für die Erhaltung einer ethnischen Vielfalt aus, um die „adaptive Breite unserer Gattung" 94 zu sichern: „Denn säßen wir wirklich in einem Boot, [wäre] das Risiko gemeinsamen Unterganges [...] zu groß." 95 Solche Rechtfertigungen klingen allerdings vorgeschoben und treten im Großteil des Textes zurück hinter politischen Empfehlungen, die uns heute sofort an die „ethnischen Säuberungen" im ehemaligen Jugoslawien denken lassen - etwa wenn Eibl-Eibesfeldt schreibt: „Verschiedene Ethnien koexistieren am besten, wenn jede über ihr eigenes Siedlungsgebiet verfügt, in dem sie ihre Geschicke selbst bestimmt. Dann kann jede Gruppe ihre Lebensform einschließlich ihrer Fortpflanzungsstrategie selbst bestimmen." 96 Als ob Ethnien wesentlich nicht durch Kultur, sondern durch ihren Gen-Pool bestimmt würden und die wesentlichste kulturelle Aufgabe die Bestimmung einer Fortpflanzungsstrategie wäre! Auch wenn Wilsons politische Andeutungen längst nicht so kraß sind wie diejenigen Eibl-Eibesfeldts, verdeutlicht die Po93 94 95 96

Irenaus Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch - das riskierte Wesen, S. 184. Ebd., S. 196. Ebd., S. 23. Ebd., S. 198.

112

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

sition des letzteren doch überzeichnend charakteristische Fehler, die beiden Autoren gemeinsam sind. Nur schwankt Wilson inhaltlich zwischen anderen Funktionsbestimmungen für die Moral: Im Gegensatz zu dem Lorenz-Schüler Eibl-Eibesfeldt betont Wilson nicht den Fortpflanzungserfolg von partikularen Gruppen, sondern - in orthodox-darwinistischer Tradition - denjenigen von einzelnen Individuen (bzw. deren Genen), die aber auch bei Wilson in einem Spannungsverhältnis zu allgemeinen Menschheitsinteressen stehen. Wilson will uns nämlich durch seine „biologisierte Ethik" drei (unabhängige!?) Werte nachweisen, deren Erhaltung anzustreben sei: der menschliche Gen-Pool, die Vielfalt des Gen-Pools - und universale Menschenrechte!97 Gerade der letzte Punkt (und seine Rechtfertigung) wird uns unten noch ausgiebiger beschäftigen. Zunächst muß aber auf das grundlegende Problem von Wilsons harter EE eingegangen werden, das auch verantwortlich ist für die schwankende Bestimmung verschiedener Werte, die aus der Biologie abgeleitet werden sollen. Dieses Schwanken beruht nämlich auch hier nicht darauf, daß die empirische Forschung noch nicht genügend weit fortgeschritten wäre, sondern darauf, daß solche empirischen Ergebnisse in keinem Fall bestimmte Werte rechtfertigen können - bzw., falls es solche Werte gibt, warum man ihre Verwirklichung anstreben sollte. Die eingangs thematisierte Funktionsbestimmung der Moral führt entsprechend zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob man nach der tatsächlichen oder der wünschenswerten Funktion fragt. Nur in Ausnahmefällen stimmen beide überein, und begrifflich müssen sie immer unterschieden werden. Wir haben es hier, kurz gesagt, wieder mit dem naturalistischen Fehlschluß zu tun, der schon bei der scheinbaren „Begründung" des Sozialdarwinismus auftrat. Da sich in der Philosophie der Gegenwart die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es sich dabei tatsächlich um einen Fehlschluß handelt, wird die ihm zugrundeliegende kategoriale Unterscheidung inzwischen auch mit der definiti97

Vgl. Peter Singer, „Ethics and Sociobiology", Philosophy 11 (1982), S. 40-64, hier: S.51.

& Public

Affairs

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

113

ven Bezeichnung „Hume's law" versehen, das in der präzisierten Formulierung von Richard M. Hare folgendermaßen lautet: JVo imperative conclusion can be validly drawn from a set of premises which does not contain at least one imperative. "98 Gegen Hares Formulierung läßt sich allerdings aus formallogischer Sicht einwenden, daß sie noch nicht präzise genug ist. So verweist Norbert Hoerster auf ein Beispiel von G.I. Mavrodes, das zeigt, wie durch logische Abschwächung trivialerweise ein Sollen aus einem Sein „abgeleitet" werden kann:99 a) Paris ist die Hauptstadt Frankreichs. b) Paris ist die Hauptstadt Frankreichs, oder man soll nicht lügen. Dieser Einwand ist für unseren Zusammenhang jedoch nicht relevant, da er nicht zeigt, daß eine tatsächlich handlungsanleitende präskriptive Konklusion aus allein deskriptiven Prämissen abgeleitet werden könnte. Dies wird besonders deutlich daran, daß aus der gegebenen Prämisse ebenso gut auch die entgegengesetzte Konklusion „abgeleitet" werden könnte: a) Paris ist die Hauptstadt Frankreichs. b) Paris ist die Hauptstadt Frankreichs, oder man soll lügen. Zudem muß angemerkt werden, daß Hares Formulierung schon eine Vorentscheidung für eine Imperativische Ethik (etwa im Gegensatz zu einer Werte-Ethik) beinhaltet.100 Dazu läßt sich neutral sagen, daß im folgenden das „Humesche Gesetz" zunächst nur in der Imperativischen Formulierung angewandt werden soll.

98 99

100

R.M. Hare, The Language of Morals (Oxford: Oxford University Press, 1964; urspr. 1952), S. 44. Siehe Norbert Hoerster, „Zum Problem der Ableitung eines Sollens aus einem Sein in der analytischen Philosophie", Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 55 (1969), S. 11-39, hier: S. 33 ff. Vgl. dazu Franz von Kutschera, „Das Humesche Gesetz", Grazer Philosophische Studien: Internationale Zeitschrift für analytische Philosophie 4 (1977), S. 1-14.

114

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Wilsons „Argumentation" bietet geradezu eine Standardillustration für einen Verstoß gegen dieses „Humesche Gesetz". Sie läßt sich folgendermaßen rekonstruieren:101 Prämisse:

Konklusion:

Unsere Gene entstammen einem gemeinsamen Gen-Pool und werden in einen gemeinsamen Gen-Pool zurückkehren. Daher sollten wir nichts tun, was den gemeinsamen Gen-Pool gefährdet.

Eine solche argumentative Rekonstruktion macht sofort deutlich, daß die Konklusion nicht folgt - es sei denn, man macht eine zusätzliche Prämisse explizit: Prämisse:

Wir sollten nichts tun, was das langfristige Uberleben unserer Gene gefährdet.

Für diese versteckte Prämisse bietet Wilson aber keinerlei Begründung; und es ist auch schwer zu sehen, wie sie auf der Grundlage seines Ansatzes (oder auch eines anderen plausiblen Ansatzes) zu leisten wäre. Aus diesem Grund darf man eben nicht, wie oben Eibl-Eibesfeldt, folgern, daß ein Verhalten, das biologisch „adaptiv" ist, deshalb moralisch „richtig" ist; und umgekehrt ist moralisch falsches Verhalten nicht deshalb falsch, weil es vielleicht „von negativem Selektionswert"102 ist. Auch wenn Wilson kein Sozialdarwinist ist, sind ihm aufgrund seines normativen Biologismus grundlegende philosophische Fehler anzukreiden, die auch bei Tille zu finden waren: Ethik läßt sich nicht als reine Naturwissenschaft betreiben, weil die Rechtfertigung moralischer Normen nicht rein empirisch möglich ist; und selbst wenn sich Entwicklungstrends der natürlichen Evolution aufzeigen ließen, ist damit noch nichts darüber gesagt, ob (und gegebenfalls warum) man solche Trends (oder einige unter ihnen) dulden oder verstärken sollte.

101 102

Vgl. Peter Singer, The Expanding Circle, S. 80. Irenaus Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch - das riskierte Wesen, S. 182.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

115

Die Tatsache, daß die Ethik sich wesentlich mit Rechtfertigungsfragen beschäftigen muß, wird von Wilson ohnehin unterbewertet. Deshalb mißversteht er auch völlig Rawls' Konzept eines hypothetischen Gesellschaftsvertrags, der keineswegs Menschen als „körperlose Geister" voraussetzt,103 sondern nur betont, daß man zur Rechtfertigung grundlegender Gerechtigkeitsprinzipien von der partikularen Situation der einzelnen Individuen absehen muß, um auf diese Weise zu verallgemeinerbaren Ubereinkünften zu gelangen.104 Gerade die für die Ethik grundlegenden Probleme der Verteilungsgerechtigkeit geraten bei Wilson völlig aus dem Blick, weil er nur in dem, was er „Altruismus" nennt, ein „ethisches" Problem sieht.105 Der „späte" Michael Ruse, der nach seiner „Bekehrung" 106 ein glühender Anhänger von Wilsons Projekt einer E E wurde, hält es gar für offensichtlich, daß sich Gerechtigkeitserwägungen auf einen reziproken Altruismus unter Egoisten reduzieren lassen. In seinem Aufsatz „The Morality of the Gene" schreibt er: „It hardly needs saying that Rawls's ideas truly understood are all very much in the Wilsonian spirit, particularly in the spirit of Wilson's ,soft-core altruism.' A Rawlsian just society attempts to mesh and satisfy self-interests. It recognizes that in order for people best to satisfy their interests, they have to be prepared to recognize the interests of others but, that they will only do this if they themselves get their fair share of available goods. This is precisely what soft-core altruism is all about." 107 Damit verwechselt Ruse - ebenso wie

103

Vgl. Edward O. Wilson, Soríobiology, S. 562: „While few will disagree that justice as fairness is an ideal state for disembodied spirits, the conception is in no way explanatory or predictive with reference to human beings."

104

Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung der Rawlsschen Position in: Bernd Gräfrath, Wie gerecht ist die Frauenquote?, S. 78-90.

105

Vgl. Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 431-433, sowie Kurt Bayertz, „Evolution und Ethik: Größe und Grenzen eines philosophischen Forschungsprogramms" , S. 19.

106

Zu Ruses „Bekehrung" siehe Michael Ruse, „The Morality of the Gene", The Monist 67 (1984), S. 167-199, hier: S. 168 u. S. 196 (Anm.). Ebd., S. 182.

107

116

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Wilson - sehr unterschiedliche Theorien eines Gesellschafts Vertrags. An dieser Stelle kann nicht auf alle Besonderheiten vertragstheoretischer Modelle eingegangen werden. Diese haben eine lange Tradition, und ihre Vertreter - etwa Thomas Hobbes - berufen sich zur Rechtfertigung gesellschaftlicher Institutionen meist auf den Egoismus jedes einzelnen.108 Auch Rawls versteht den Staat zwar nicht als Selbstzweck; aber er vertritt in Abgrenzung von Hobbes die Idee einer wohlgeordneten Gesellschaft zum gegenseitigen Vorteil unter Gleichen. Bevor die Interessen der einzelnen Teilnehmer eines Gesellschaftsvertrags berücksichtigt werden dürfen, stellt Rawls so strenge Rahmenbedingungen für eine ideale Verhandlungssituation auf, daß damit bestimmte Werte wie Gleichheit und Unparteilichkeit immer schon vorausgesetzt werden, so daß ein hypothetischer Gesellschaftsvertrag, der unter den spezifizierten Bedingungen geschlossen ist, die normativen Grundlagen einer gerechten Gesellschaftsordnung ergibt.109 Die Kritik an Rawls darf im übrigen nicht übersehen lassen, daß auch Wilson eine normative Gesellschaftsvertragstheorie vertritt, die mit ihrer (für alle Gesellschaftsvertragstheorien typischen) Betonung der Rechte (oder zumindest Interessen) von Individuen in einem konzeptionellen Gegensatz zu Wilsons biologistischer Betonung des Gen-Pools steht. Einerseits kritisiert er ethische Rechtfertigungsversuche als „unwissenschaftlich" , andererseits will er selbst eine neue „wissenschaftliche" Ethik begründen, deren Ausrichtung wiederum uneindeutig ist. Der frühe Ruse spricht deshalb kritisch von „Wilson's pluralistic selfish moral relativism,"110 und Kitcher bemerkt da-

108 109

110

Eine solche Theorie in der Hobbesschen Tradition wird heute vertreten von David P. Gauthier, Morals b y Agreement (s.o.). Noch deutlicher als in A Theory of Justice wird dies in Rawls' späteren Aufsätzen, z.B. in „Kantian Constructivism in Moral Theory", The Journal of Philosophy 77 (1980), S. 515-572. Michael Ruse, Sociobiology: Sense orNonsensef (Dordrecht, Holland/Boston, USA/London, England: D. Reidel, 1979), S. 209.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

117

zu prägnant: „It is hard to wear the hats of skeptic and reformer at the same time." 111 Es ist ein verbreitetes Phänomen, daß moralphilosophische Skeptiker in einer egoistischen Gesellschaftsvertragstheorie der Hobbesschen Tradition ihr Heil suchen. Die auch in diesem Fall einzulösenden Begründungspflichten werden dann meist übersehen - als ob eine solche Theorie für kritische Geister offensichtlich die einzig angemessene sei. Erst recht irreführend ist aber die Ansicht, auf der Grundlage einer solchen egoistischen Theorie ließen sich unsere tiefsten moralischen Uberzeugungen rechtfertigen. Bevor wir zur Diskussion dieser MißVerständnisse, die heute insbesondere unter Befürwortern einer übergreifenden Anwendung der Spieltheorie zu finden sind, weitergehen, muß aber noch auf Wilsons überraschende Verteidigung universaler Menschenrechte eingegangen werden. Er schreibt: „Universal human rights might properly be regarded as a third primary value. [...] I suggest that we will want to give it primary status not because it is a divine ordinance (kings used to rule by divine right) or through obedience to an abstract principle of unknown extraneous origin, but because we are mammals. [...] We will accede to universal rights because power is too fluid in advanced technological societies to circumvent this mammalian imperative; the long-term consequences of inequity will always be visibly dangerous to its temporary beneficiaries." 112 Genau betrachtet, gibt Wilson den angesprochenen universalen Menschenrechten keineswegs „primären Status". 113 Er leitet sie vielmehr aus einem obskuren „Säugetier-Imperativ" ab, der darauf hinweist, daß Säugetiere - im Gegensatz etwa zu Ameisen - auf individuelle Fortpflanzung „setzen" und diese Strategie nur dann erfolgversprechend sei, wenn allen Säugetieren (oder nur allen Menschen!?) gleiche Rechte zuerkannt

111

112 113

Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 420. Vgl. dazu auch Philip Kitcher, „Vier Arten, die Ethik zu .biologisieren'" (urspr. englisch), in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 221-242. Edward O. Wilson, On Human Nature, S. 198 f. Vgl. Peter Singer, „Ethics and Sociobiology", S. 53.

118

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

würden. Die Rechtfertigung für einen (normativen!) Imperativ fehlt aber charakteristischerweise; und zudem lassen es die empirischen Daten ohnehin unplausibel erscheinen, daß sich aus dem Fortpflanzungsverhalten von Säugetieren eindeutige Sozialstrukturen ableiten lassen. Wilson kombiniert den naturalistischen Fehlschluß mit einer „einseitigen Diät" an empirischen Beispielen.114 Da Wilsons Bezugnahme auf universale Menschenrechte als nur rhetorisch entlarvt werden kann, müssen wir unser Hauptaugenmerk auf seine Theorie eines egoistischen Gesellschaftsvertrags richten. Sein Programm lautet, kurz zusammengefaßt: „Durch wahren Egoismus wird man, sofern die übrigen Imperative der Säugetierbiologie beachtet werden, [...] zu einem nahezu perfekten Gesellschaftsvertrag gelangen."115 Wir wollen hier von dem abermaligen Bezug auf obskure „SäugetierImperative" absehen und uns auf Wilsons Empfehlung des „wahren Egoismus" konzentrieren. Diesen sieht er allein in einem „reziproken Altruismus" verwirklicht (den er im biologischen Kontext auch „milden Altruismus" nennt). Das führt ihn erstaunlicherweise sogar zu einer Kritik des „strengen Altruismus", der sich in der Aufopferung für andere manifestiert, ohne daß Gegenleistungen damit verbunden wären (und den Wilson in der Natur nur in der „Verwandtschaftsauslese" verwirklicht sieht): „Die uralten Verhaltensbeschränkungen der Wirbeltiere, die auf eine rigide Verwandtschaftsauslese zurückgehen, wurden durch die Vervollkommnung des Gesellschaftsvertrags durchbrochen. Dank der Konvention der Gegenseitigkeit, einer flexiblen, unendlich produktiven Sprache und einer Begabung zur verbalen Klassifikation schaffen die Menschen langfristige Vereinbarungen, auf deren Grundlage Kulturen und Zivilisationen errichtet werden können." 116 Wilson macht nicht

114

115 116

Vgl. Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 431. Die Metapher der „einseitigen Diät" übernehme ich von Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1971; urspr. 1953), § 593. Edward O . Wilson, „Altruismus", S. 143. Ebd., S. 141 f.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

119

deutlich, wie weitreichend die moralischen Empfehlungen bzw. sogar Verpflichtungen, die sich aus diesem Modell ergeben, sich von unseren hergebrachten moralischen Uberzeugungen unterscheiden. Seine Anhänger sind in diesem Punkt deutlicher: Während Wilson üblicherweise behauptet, wirkliche „Heilige" könne es überhaupt nicht geben, nehmen seine Anhänger eher die „realpolitischere", aber eben moralisch fragwürdigere Position ein, daß Heilige nicht nur dumm, sondern auch sozial schädlich sind. Ihre Argumentation beruht auf dem Konzept „evolutionär stabiler Strategien", das wir noch ausgiebig auf seine Leistungskraft zur Stützung einer weichen E E prüfen werden. Im jetzigen Zusammenhang wird dieses Konzept zu dem Zweck benutzt, Heilige als destabilisierendes Element in einer Gesellschaft kluger Egoisten darzustellen, da sie als „Tölpel" („sucker") Schmarotzer gedeihen lassen, ihr eigenes Betrogenwerden provozieren und auf diese Weise bei anderen kriminelle Energien freisetzen. Am deutlichsten äußert sich hier John L. Mackie, der ausdrücklich Beziehungen zu Nietzsches Kritik der christlichen „Sklavenmoral" herstellt: „Some moralists, including Socrates and Jesus, have [...] tried to substitute ,Do as you would be done by' for ,Be done by as you did'. N o w this, which in human life we characterize as a Christian spirit or perhaps as saintliness, is roughly equivalent to the strategy Dawkins has unkindly labelled .Sucker. [...] The presence of suckers allows cheats to prosper, and could [...] ultimately bring about the extinction of the whole population." 117 Auf der Grundlage des „iterierten Gefangenendilemmas", wie es etwa in Axelrods oben besprochenem Computerturnier durchgespielt wurde, ist diese „Kritik der Heiligen" angemessen. Nur muß man fragen, ob das umgekehrt nicht gerade gegen die Reduktion der Moral auf ihre optimierende Funktion im Interes-

117

J . L . Mackie, „The Law of the Jungle: Moral Alternatives and Principles of Evolution", Philosophy 53 (1978), S. 455-464, hier: S. 463 f. Vgl. Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 178, sowie Alexander Rosenberg, „The Biological Justification of Ethics: A Best-Case Scenario", Social Philosophy & Policy 8 (1990), S. 86-101, hier: S. 94.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

senausgleich zwischen klugen Egoisten spricht. Wilson hat uns jedenfalls nicht deutlich gemacht, warum es moralisch geboten sein sollte, sich wie ein kluger Egoist zu verhalten. Ob man sich dagegen aus anderen Gründen wie ein kluger Egoist verhalten sollte, statt sich am Standpunkt der Moral zu orientieren, ist eine ganz andere Frage, die Wilson nicht einmal thematisiert. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß die moralphilosophischen Implikationen von Axelrods Computerturnier bedeutend weniger weitreichend sind, als das von Axelrod und den sich auf ihn berufenden Vertretern einer EE behauptet oder zumindest suggeriert wird. Die Strategie TIT FOR TAT, die metaphorisch als „nett", „provozierbar" und „vergebend" beschrieben werden kann, ist nur deshalb erfolgreich, weil die Rahmenbedingungen dafür sorgen, daß einige typische Probleme egoistischer Gesellschaftsvertragstheorien (die schon im Gespräch zwischen Sokrates und Glaukon im zweiten Buch von Piatons Politela angesprochen werden) nicht auftauchen können. So kann es bei dem Computerturnier zum Beispiel nicht zu heimlichen Regelbrüchen kommen, weil alle „Züge" prinzipiell öffentlich (jedenfalls für die unmittelbar Beteiligten) sind. Weiterhin wird vorausgesetzt, daß die Gegenspieler nicht „auszuschalten" sind, und schließlich ist unabsehbar, wieviele „Spiele" durchgeführt werden, so daß sich kooperatives Verhalten lohnt, weil das gute zukünftige „Geschäftsbeziehungen" unterstützt. All diese Annahmen sind unrealistisch: In unserer Welt sind heimliche Regelbrüche möglich, sogar Raubmorde bleiben unter Umständen unentdeckt. Bei Alten und Kranken läßt sich manchmal absehen, daß - in der Sprache des Egoismus ausgedrückt - keine langfristigen, für beide Seiten nützlichen Interaktionen mehr zu erwarten sind, und manche Menschen (sowie auch Tiere) haben überhaupt kein provozierbares Drohpotential, mit dem sie ihre Interessen durchsetzen könnten. Im Falle solcher wehrloser Wesen „lohnt" sich rücksichtsloses Ausnutzen, und was sich lohnt, ist nach einer allein spieltheoretisch basierten Moraltheorie nicht nur „rational" (im Sinne des wohlverstandenen Selbstinteresses), sondern auch moralisch erlaubt - und sogar geboten.

4.2 Der neue Biologismus: Die „Moral der Gene"

121

Mit dieser Kritik einer mit moralphilosophischem Anspruch auftretenden Spieltheorie soll aber nicht geleugnet werden, daß sich moralisches Verhalten - wie vieles andere auch - zu gesellschaftlichen Zwecken funktional einspannen läßt. „Moralisch" abgerichtete Bürger werden z.B. vielleicht weniger schwarzfahren, so daß die Stadtwerke Kosten für Kontrolleure einsparen können. Dieses letzte Beispiel macht aber zugleich deutlich, wie weit eine rein funktionalistische Betrachtungsweise, die allein auf Nutzenmaximierung - entweder des einzelnen oder der Gesamtgesellschaft - abzielt, von einem genuin moralischen Bewertungsstandpunkt entfernt ist. Dieser übergeordnete Standpunkt ist nicht auf Aspekte der Nutzenmaximierung reduzierbar; und jemand, der andere ungerecht behandelt, darf sich nicht durch den Hinweis darauf entschuldigen, daß diese Ungerechtigkeit ihm (oder vielleicht mehreren anderen) nutzt. Kluge Spieltheoretiker sehen daher auch richtig, daß solche funktionalen Betrachtungsweisen zwar vielleicht nützlich im Bereich der „Sozialtechnologie" sind, aber nicht zur Grundlegung der Ethik dienen können. 118 Damit stellt sich in verschärfter Form wieder die Frage nach der Begründung von Wilsons Ethik. Seine Entscheidung für eine Hobbessche Gesellschaftsvertragstheorie bleibt ohne überzeugende Rechtfertigung, und so läßt sich wohl nur spekulieren, daß er einer normativ-naturalistischen Umdeutung der Metapher (!) von den „egoistischen Genen" zum Opfer gefallen ist. Jedenfalls entsprechen die moralischen Konsequenzen dieser Theorie nicht Wilsons Einzelurteilen in konkreten Fragen, so daß zumindest eingeklagt werden muß, daß Wilson seine Uberzeugungen und Theorien in ein „reflektives Gleichgewicht" (im Sinne Rawls') bringt. Seine Betonung der Interessen der beteiligten Individuen an einem Gesellschaftsvertrag steht zum Beispiel in einem Gegensatz zu dem anderweitig unterstrichene

Siehe etwa Rainer Hegselmann, „Moralität im iterierten GefangenenDilemma", in: Martin Hollis u. Wilhelm Vossenkuhl (Hrsg.), Moralische Entscheidung und rationale Wahl (München: R. Oldenbourg, 1992), S. 183-190, hier: S. 188.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

nen Wert des menschlichen Gen-Pools, dessen wünschenswerte zukünftige Zusammensetzung nach der Ansicht klassischer Sozialdarwinisten die Interessen faktisch existierender Individuen zweitrangig werden läßt. Wilson verfällt in das andere Extrem, indem er alle Verpflichtungen gegenüber zukünftigen Generationen leugnet - Vertragstheorien haben eben notorische Schwierigkeiten mit der Berücksichtigung nicht am Vertrag beteiligter Betroffener.119 Wilsons eigene „Intuitionen" (im Sinne von Rawls), die durchaus von einem Verantwortungsgefühl für die Zukunft geprägt sind, passen aber nicht zu seiner Theorie. Deshalb ist er zu Hilfskonstruktionen gezwungen, wobei er zu allem Uberfluß auch noch in der biologistischen Vorstellung eines Lebensflusses, der durch die langfristige Weitergabe der eigenen Gene zu unterstützen ist, Zuflucht sucht.120 Die aufgezeigten Probleme von Wilsons harter EE müssen als unüberwindbar eingeschätzt werden, und es ist schwer vorstellbar, daß es überhaupt eine harte EE geben kann, die sich nicht vor analoge Probleme gestellt sähe. Auf diesem Diskussionsstand angelangt, sind drei Auswege denkbar: Einmal der Rückzug auf eine weiche EE, die nur beansprucht, relevante biologische Erkenntnisse für die philosophische Ethik liefern zu können. Weniger bescheiden ist eine skeptizistische Position, wie sie der späte Ruse vertritt. Dieser nimmt Wilsons Dilemma in dem Sinne ernst, als er aus dessen Schwierigkeiten einer eigenständigen Ethikbegründung den Schluß zieht, Wilsons biologische Ergebnisse könnten zeigen, daß überhaupt keine Ethikbegründung möglich ist. Bevor wir zur Diskussion dieser Variante einer EE (die eigentlich treffender als evolutionäre A/etaethik zu bezeichnen wäre) übergehen, müssen wir aber noch auf einen dritten Ausweg eingehen. Dabei handelt es

119 120

Vgl. dagegen alternativ: Dieter Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen (Stuttgart: Reclam, 1988). Siehe Edward O . Wilson, Biophilia (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1984), S. 120 f. Vgl. dazu die Rezension von Peter Singer, „Life, the Universe and Ethics", Biology & Philosophy 1 (1986), S. 367-371.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

123

sich um den Versuch, trotz aller guten Gründe, die für „Humes Gesetz" sprechen, eine EE zu entwickeln, die eine Grundlegung der Ethik leisten kann, aber dennoch den naturalistischen Fehlschluß umgeht. Dieser Versuch soll am Beispiel ihrer aktuell meistdiskutierten Version, nämlich der Theorie von Robert J. Richards, geprüft werden.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses Das neu erwachte Interesse an der Philosophie der Biologie fand 1986 seinen Niederschlag in der Gründung der Zeitschrift Biology & Philosophy, die eines ihrer ersten Hefte der Darstellung und kritischen Diskussion von Robert J. Richards' „Verteidigung Evolutionärer Ethik" widmete. Richards setzt sich dabei von seinen Vorgängern ab und bezeichnet seine eigene Position als „revidierte Version" (RV).121 Diese ist insbesondere deshalb interessant, weil sie wesentliche Kritikpunkte an früheren Versionen einer harten EE als triftig anerkennt, aber dennoch beansprucht, mit guten Gründen eine EE mit „harter" Reichweite zu entwickeln, da er ausdrücklich sagt: „Wir können kohärent und vernünftig moralische Werte aus Tatsachen herleiten."122 Skeptiker werden sofort Verdacht schöpfen, daß Richards' RV nicht nur Unmögliches behauptet, sondern auch inkonsistent ist. Bevor wir in dieser Frage zu einem begründeten Urteil kommen 121

122

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", Biology & Philosophy 1 (1986), S. 265-293. Richards antwortet auf seine unmittelbaren Kritiker in: Robert J. Richards, Justification Through Biological Faith: A Rejoinder", Biology & Philosophy 1 (1986), S. 337-354. In die Debatte um seine Position schaltete er sich noch mit zwei weiteren Beiträgen ein: Robert J. Richards, „Dutch Objections to Evolutionary Ethics", Biol o g y & Philosophy 4 (1989), S. 331-343; Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt" (urspr. englisch 1991), in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 168-198. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 179.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

können, müssen die verschiedenen Stränge in seiner Argumentation getrennt analysiert und diskutiert werden. Dabei ist es am zweckmäßigsten, zunächst auf Richards' eigene Kritik an früheren Varianten einer EE einzugehen. Seine Ansätze zu einer eigenen positiven Theorie können danach geprüft werden; und auch wenn sie sich als unzureichend erweisen sollten, bildet die Vielzahl seiner Argumente zur Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses (die, wie sich herausstellen wird, eher als eine Vielzahl unterschiedlicher Versuche zur Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses gedeutet werden müssen) doch eine gute Illustration für solche Versuche - und ihre jeweils spezifischen Probleme, die herausgearbeitet werden müssen. Besonders wichtig ist Richards' (zumindest implizite) Anerkennung der Unterscheidung zwischen dem Ursprung und dem Kriterium des Moralischen; oder genauer: zwischen Genese und Geltung. Zwar erliegt er manchmal einer Doppeldeutigkeit des Begriffs des „Moralischen", der einmal dem des Amoralischen (im Sinne des Nichtmoralischen) und einmal dem des Unmoralischen (im Sinne des moralisch Falschen) entgegengesetzt ist. Aber grundsätzlich erkennt er, daß es - trotz aller eventuellen Zusammenhänge - zwei zu unterscheidende Forschungsrichtungen sind, ob man fragt, wie es überhaupt zu erklären ist, daß Menschen vom Standpunkt der Moral aus urteilen können, oder ob man fragt, wie sich die Beurteilung konkreter Handlungen als moralisch richtig oder falsch begründen läßt.123 Dies wird besonders deutlich an der Kritik früherer Positionen einer EE: Weder läßt sich der gegenwärtig errreichte Zustand der (biologischen oder kulturellen) Evolution als per se moralisch gut rechtfertigen, noch lassen sich irgendwelche langfristigen Trends der Evolution ausmachen, deren Unterstützung per se moralisch gerechtfertigt wäre. Richards' (in diesem Kontext erstaunlicher) Einwand lautet: Diese Versio-

123

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 270. Vgl. Alan Gewirth, „The Problem of Specificity in Evolutionary Ethics", Biology & Philosophy 1 (1986), S. 297-305, hier: S. 298.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

125

nen einer EE begehen den naturalistischen Fehlschluß!124 Die Evolution hat den Menschen ebenso mit altruistischen wie mit aggressiven Instinkten ausgestattet, und die moralische Auszeichnung der einen gegenüber den anderen ist nur mit einem nicht-evolutionären Kriterium möglich.125 Richards geht sogar so weit, in diesem Zusammenhang von der Rolle der theoretischen und der praktischen Vernunft zu reden126 - ein Begriff, der (ebenso wie der Begriff der Gerechtigkeit) bei den Vertretern einer EE notorisch vernachlässigt wird. Sein eigener Vorschlag für die „höchste Form der Moralität" unterscheidet sich denn auch von Wilsons favorisiertem „reziproken Altruismus" unter klugen Egoisten: Richards sieht dagegen eine Verpflichtung zum „authentischen Altruismus".127 Die Fixierung auf den Altruismus, wie er für alle Vertreter einer EE charakteristisch ist, muß zwar auch hier kritisiert werden; aber wichtiger ist zunächst, daß Richards ausdrücklich eine „moralische Rechtfertigung" für die Auszeichnung bestimmter Handlungen als verpflichtend einklagt und zu liefern beansprucht.128 Seine Entfernung von Wilsons harter EE wird gerade auf dieser Begründungsebene deutlich: Richards hält es für möglich, daß der reziproke Altruismus tatsächlich nützlicher für das langfristige Weiterexistieren von Menschengruppen sein könnte; aber er betont gerade, daß die moralische Bewertung von diesem Faktum absehen muß.129

124

Robert J. Richards, JK Defense of Evolutionary Ethics", S. 280.

125 126

Ebd., S. 288. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 187. Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 273 f.

127 128

Vgl. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 174, wo er das „unabdingbare Erfordernis der Begründung" anerkennt, was Wilson nach seinem Urteil (siehe ebd., S. 175) nicht leistete: „Er unternahm keinen Versuch, seine Position moralisch zu rechtfertigen, sondern tat dies nur empirisch."

129

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 273; vgl. Robert J. Richards, Justification Through Biological Faith: A Rejoinder", S. 347.

126

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Angesichts all dieser Einsichten ist Richards' eingangs aufgeführtes Zitat zur Möglichkeit der Ableitung von Werten aus Tatsachen umso erstaunlicher; und dieses Staunen muß sich noch verstärken, wenn er dann noch behauptet, seine „revidierte Version" einer EE begehe keinen naturalistischen Fehlschluß - und außerdem sei der „naturalistische Fehlschluß" überhaupt kein Fehlschluß!130 Leider weicht dieses Erstaunen bei einer genaueren Untersuchung aber nicht dem Erkenntnisgewinn, sondern der Enttäuschung. Auch die wohlwollendste Lesart seiner positiven Theorie zwingt zu dem Urteil, daß er zum angeblichen Ubergang von deskriptiven Prämissen zu einer präskriptiven Konklusion nur durch mindestens einen (und vielleicht alle) der folgenden fehlerhaften „Züge" gelangt: 1. Verweis auf faktische Überzeugungen des „gesunden Menschenverstands", 2. Heranziehung einer versteckten normativen Prämisse, 3. unterschiedliche Verwendungen eines doppeldeutigen Sollensbegriffs, 4. Vernachlässigung der zuvor eingeführten Unterscheidung zwischen Genese und Geltung durch Rückzug auf „kausale Rechtfertigungen", 5. bloße Postulierung präskriptiver Sätze, die unbegründet und unverbunden neben Ergebnissen der Evolutionsbiologie stehen. Eine andere, ebenfalls bei Richards zu findende Art der Rechtfertigung ist dagegen ernstzunehmender, und sie führt zu einer Debatte, die die gesamte Grundlegung der Ethik bestimmt und auch in der fachphilosophischen Diskussion noch heftig umstritten ist: 6. Bezugnahme auf „Intuitionen" im Sinne wohlerwogener Einzelurteile, über die (zumindest ein sehr weitreichender) Konsens besteht. 130

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 280, vgl. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 174.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

127

Zunächst müssen aber die fünf erstgenannten Punkte ausführlicher diskutiert werden. Der erste ist kaum einer näheren Erörterung wert, da er entweder offensichtlich unzureichend für Begründungszwecke ist oder zu einem der anderen vier Punkte überleitet. Richards spricht davon, „daß wir normalerweise Imperative aus Tatsachenaussagen herleiten, ohne dabei irgendwelche logischen Sünden zu begehen." 131 Er bringt auch ein Beispiel: „Now the justification of moral imperatives from evolutionary facts can, I hope, be shown clearly and persuasively. If human communities have evolved in the way suggested by RV, then we can well imagine that, on the basis of their constant experience of heeding the community good and holding altruistic motivation as over-riding and authoritative, community members will have formed for themselves simple rules of the sort .From „action χ promotes the community good" conclude „x ought to be done."'" 132 Richards sieht selbst, daß er nicht bei dieser „Begründung" stehenbleiben kann, da für solche Schlußfolgerungen legitimerweise weitere Rechtfertigungen eingeklagt werden können.133 In der zitierten Passage schlägt er zu diesem Zweck die Auswege 3 (kombiniert mit 4) und 6 ein. An anderer Stelle versucht er in einem ähnlichen Kontext Ausweg 2.

131 132 133

Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 189; vgl. ebd., S. 190. Robert J. Richards, „Dutch Objections to Evolutionary Ethics", S. 334. Vgl. ebd., S. 335: „Now a critically inclined member of a community might, in a cool hour, ask: Why ought I [to] act for the community good? In this case, the critic would be calling for a justification of the meta-moral rule itself." Richards' Begriff der „cool hour" verweist auf die Ethik Bischof Butlers, die letztlich auf der These basiert, daß rationales Eigeninteresse und altruistische Handlungen nicht im Widerstreit miteinander liegen. Die empirische Problematik dieser These wird dabei noch dadurch verschärft, daß Butler sowohl derjenigen Person, die der Stimme des Gewissens folgt, als auch derjenigen, die nur klug ihr Eigeninteresse verfolgt, gleichermaßen eine „kühle" Überlegung zuschreibt. Siehe Joseph Butler (Bishop of Durham), Fifteen Sermons (1726), auszugsweise in: D.D. Raphael (Hrsg.), British Moralists 1650-1800 [2 Bände] (Oxford: Clarendon, 1969), Band 1, S. 325-377, bes. S. 342, S. 352, S. 355 u. S. 372.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Eines von Richards' Beispielen für eine präskriptive Konklusion aus allein deskriptiven Prämissen erscheint zunächst völlig ungereimt, erweist sich jedoch auf den zweiten Blick als unglaublich trivial, weil er mit entwaffnender Offenheit selbst die versteckte normative Prämisse aufführt, die er für seine Schlußfolgerung benötigt. Sein Beispiel (aus dem Kontext einer christlichen Gemeinschaft) lautet: „,Die Bibel sagt, daß Unzucht falsch ist; außerehelicher Geschlechtsverkehr aber ist Unzucht. Deshalb sollte man sich nicht auf vorehelichen Geschlechtsverkehr einlassen.' Hier würde an nichtmoralische, nichtimperative Voraussetzungen appelliert (d.h. an diejenigen, die genauer auslegen, was in der Bibel steht, und die Definitionen von Begriffen festlegen), um zu einer ethischen Schlußfolgerung zu gelangen. Dies ist eine vollkommen legitime Herleitung eines .Sollen' aus einem .Sein'."134 Direkt anschließend sagt er aber: „Sicherlich hängt das Argument davon ab, daß die Parteien eine metamoralische Regel akzeptieren, die ungefähr folgendermaßen formuliert werden könnte: ,Aus „das Verhalten χ wird in der Bibel verurteilt" folgt „das Verhalten χ sollte nicht vorkommen".'" 135 Was immer man zu diesem Ansatz sagen mag: Er führt jedenfalls keine „legitime Herleitung" einer präskriptiven Konklusion aus allein deskriptiven Prämissen vor. Auch Ausweg 2 hat letztlich keinen eigenständigen Status; in dem zitierten Beispiel muß Richards schließlich auf einen normativen Konsens (Ausweg 6) verweisen. Die ausführliche Darstellung, die Richards vermeintlich überzeugenden Schlußfolgerungen einräumt, die scheinbar legitim von einem „Sein" zu einem „Sollen" führen, weist aber darauf hin, daß nicht alle oben unterschiedenen Auswege bloße Vorstufen oder Varianten des Konsens-Arguments bilden. Die oben als Ausweg 3 aufgeführte Doppeldeutigkeit des Sollensbegriffs in der Alltagssprache soll jedenfalls nach Richards belegen, daß der naturalistische Fehlschluß kein Fehlschluß 134 135

Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 190. Ebd.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

129

ist. Da seine Beispiele dem unvorbereiteten Leser unglaublich erscheinen werden, müssen einige typische Beispiele für Sollens- bzw. „Ought"-Sätze zitiert werden, denen Richards große Aussagekraft zumißt: a) „Just as the context of physical nature allows us to argue ,Since lightening has struck, thunder ought to follow,' so the structured context of human evolution allows us to argue

,Since each man has evolved to advance the community good, each ought to act altruistically.'"136 b) „The justification for the imperative advice to a fellow creature ,Act for the community good' is therefore: .Since you are a moral being, constituted so by evolution, you ought [to] act for the community good.'" 137 c) „In der Atmosphäre sammelt sich Kohlendioxid an, deshalb sollte [...] die Welttemperatur steigen." 138 d) „Wenn Sie gut lernen, sollten [...] Sie eine Eins bekommen." 139 e) „Josef ist äußerst altruistisch. Er sieht die Notlage der Frau. Deshalb sollte [...] er altruistisch handeln und ihr über die Straße helfen." 140 f) „Genau wie wir im Fall der physikalischen Natur behaupten konnten, daß ,die Temperatur der Atmosphäre sich erhöhen sollte, weil C 0 2 sich angesammelt hat', so erlaubt uns der strukturierte Kontext der menschlichen Evolution zu behaupten, daß ,jede Person altruistisch handeln sollte, da jede Person durch die Evolution dazu disponiert ist, das Gemeinwohl zu fördern'." 141 Es kann Richards zugestanden werden, daß einige der aufgeführten Sätze doppeldeutig sind: Ist d) eine deskriptive Vor136 137 138 139 140 141

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 288. Ebd., S. 289. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 193. Ebd. Ebd. Ebd., S. 194.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

aussage oder ein Urteil darüber, was ethisch gerechtfertigt ist? Satz c) ist dagegen rein deskriptiv, und der Sollenssatz aus e) ist — jedenfalls nach dem üblichen Verständnis - zumindest in erster Linie ein normativer Imperativ. Aber was soll die Tatsache sprachlicher Doppeldeutigkeiten überhaupt zeigen? Der Nachweis solcher Doppeldeutigkeiten bildet jedenfalls - obwohl dies des öfteren behauptet wird - kein falsifizierendes Gegenbeispiel zu „Humes Gesetz" ; denn der Sinn dieses „Gesetzes" ist es ja nicht zu behaupten, daß sich alle Sätze exhaustiv in reine „Seins"- und reine „Sollens" -Sätze scheiden lassen. Hume geht es vielmehr darum, daß diese Unterscheidung der Bedeutungskomponenten vollzogen werden kann und in Begründungskontexten auch vollzogen werden sollte,142 Daß sich die Bedeutung eines Satzes - oder genauer: die Art des Sprechaktes - nicht anhand des Vorkommens einzelner Wörter („ist", „soll") bestimmen läßt, ist nicht erst seit Searle bekannt. Aus ähnlichen Gründen wie bei Richards scheint im übrigen auch John R. Searles eigener, zuerst 1964 veröffentlichter Versuch einer „Ableitung des Sollens aus dem Sein" fehlzuschlagen. Sein Beispiel sieht folgendermaßen aus: 1) Jones hat geäußert, „Hiermit verspreche ich, dir, Smith, fünf Dollar zu zahlen." 2) Jones hat versprochen, Smith fünf Dollar zu zahlen. 3) Jones hat sich der Verpflichtung unterworfen (sie übernommen), Smith fünf Dollar zu zahlen. 4) Jones ist verpflichtet, Smith fünf Dollar zu zahlen. 5) Jones muß Smith fünf Dollar zahlen.143 Searle erwähnt selbst die mögliche Kritik, daß „versprechen" eben einen bewertenden und einen beschreibenden Sinn hat.144 Searles Gegenargument beschränkt sich aber letztlich darauf, daß zwar „konstitutive Regeln" zur Ableitung „institutionel142 143 144

Vgl. Antony Flew, Darwinian Evolution, S. 126. Zitiert nach: John R. Searle, Sprechakte: Ein sprachphilosophischer (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1983; urspr. englisch 1969), S. 264. Siehe ebd., S. 286.

Essay

4.3 Ein Versuch der U m g e h u n g des naturalistischen Fehlschlusses

131

1er Tatsachen" herangezogen werden müssen, wir aber nicht bezüglich aller Institutionen den „neutralen anthropologischen Standpunkt" einnehmen können. 145 D a er aber gleichzeitig zugibt, daß es eine Pluralität von Institutionen gibt und man zumindest auf einige verzichten kann, 146 ist dies alles vollkommen verträglich mit „Humes Gesetz", und alles, was Searle hinzufügt, kann es nicht widerlegen. Richards' zitierte „ O u g h t " - bzw. Sollenssätze leiden daran, daß die Schlußfolgerungen allenfalls gültig sind, wenn das „ought" der Konklusion ebenso deskriptiv gelesen wird wie die Prämissen, aus denen es abgeleitet wird. Damit kommt er aber gerade nicht zu der präskriptiven Konklusion, die er braucht, um zu zeigen, daß der naturalistische Fehlschluß kein Fehlschluß ist. In Ausweg 4 reagiert Richards auf dieses Problem, indem er ganz offen behauptet, daß das „ought" in den Konklusionen seiner Beispielsätze in jedem Falle in einem kausalen Kontext verstanden werden muß. Damit umgeht er logische Fehler, nimmt aber - nur scheinbar! ? - die weitreichenden Ansprüche seines Programms völlig zurück. 147 D e m widerspricht allerdings der ausdrückliche Anspruch in Satz b), daß ein Imperativ gerechtfertigt wird; und an anderer Stelle wird behauptet, daß der Satz „If you study hard, you ought to pass" (vgl. Satz d)) zwar kausal verstanden werden soll, aber dennoch zu einer normativen Konklusion führt. 148 Das Problem bleibt: Entweder beschränkt 145 146 147

vgl. ebd., S. 275 u. S. 294. Siehe ebd., S. 277 (Anm.). Vgl. Robert J. Richards, „ A Defense of Evolutionary Ethics", S. 290: „In the context of the evolutionary constitution of human moral behavior, ,ought' means that the person must act altruistically, provided he has assessed the situation correctly and a surge of jealousy, hatred, greed, etc. does not interfere. The ,must' here is a causal ,must'... it means that in ideal conditions - i.e., perfectly formed attitudes resulting f r o m evolutionary processes, complete knowledge of situations, absolute control of the passions, etc. - altruistic behavior would necessarily occur in the appropriate conditions."

148

Siehe Robert J. Richards, „Dutch Objections to Evolutionary Ethics", S. 335.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

sich Richards auf Erklärungen und Prognosen, dann kommt er aber nicht zu einer harten EE; oder er postuliert einfach moralische Imperative, die dann aber durch seine deskriptiven Sätze nicht begründet werden. Richards' Schwanken zwischen dem bescheidenen Programm einer evolutionären Erklärung des Ursprungs der Moral (oder unseres moralischen Urteilsvermögens) und dem Anspruch einer EE im engeren Sinne kommt auch an anderen charakteristischen Doppeldeutigkeiten zum Vorschein. Was soll es etwa heißen, wenn er schreibt: „We have evolved [...] to recognize and approve of moral behavior when we encounter it [meine Hervorhebung, Β.G.]" 149 ? Ebenso bleibt es unklar, ob die Redeweise vom „moral way"150 als der Art, wie uns die Natur geformt hat, oder vom „moral being",151 als das wir von der Evolution hervorgebracht wurden, deskriptiv oder normativ verstanden werden soll.152 Wenn sich „moralisch" hier lediglich darauf bezieht, daß wir moralisch urteilen können, folgt daraus noch nichts Präskriptives; wenn aber, um zu Präskriptivem zu gelangen, „moralisch" hier normativ im Sinne von „moralisch richtig" (also als Gegensatz zu „unmoralisch") gelesen wird, dann bleibt völlig unklar, wie diese Behauptung empirisch gerechtfertigt werden sollte - insbesondere, wenn man bedenkt, daß Richards (ganz im Sinne von T.H. Huxley) zugibt, daß die Evolution Verhaltensweisen vielerlei Art hervorgebracht hat, von denen wir einige als moralisch richtig und einige als moralisch falsch bewerten würden. Die Vermengung erklärender und rechtfertigender Aspekte, die er eingangs zur Absetzung von früheren Versionen einer EE kritisiert, sich nun aber selbst ebenso zuschulden kom149

150 151 152

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 285. Vgl. dazu die Kritik bei Alan Gewirth, „The Problem of Specificity in Evolutionary Ethics", S. 299 f. Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 288. Ebd., S. 289. Vgl. Bart Voorzanger, „No Norms And No Nature - The Moral Relevance of Evolutionary Biology", Biology & Philosophy 2 (1987), S. 253270, hier: S. 262.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

133

men läßt, wird auch deutlich an Richards' evolutionistischer Umdeutung von Alan Gewirths transzendentalem Letztbegründungsversuch.153 Während Gewirth auf die Voraussetzungen abhebt, die jede Person in ihren Handlungen immer schon akzeptiert haben muß, verweist Richards auf die „evolutionären Kräfte", die unser Verhalten mitgeformt haben. Ein solcher Verweis hat jedoch einen ganz anderen Status als eine transzendentale Argumentation und hat entsprechend auch keine normativen Implikationen. Richards nimmt keine Geltungs-, sondern nur eine Geneseperspektive ein, wenn er schreibt: „The constructive forces of evolution impose a practical necessity on each man to promote the community good." 154 Aus dieser These folgt aber eben nicht, wie Richards behauptet: „We must, we are obliged to heed this imperative. We might attempt to ignore the demand of our nature by refusing to act altruistically, but this does not diminish its reality." 155 Die unbedarfte Rückkehr zum Konzept eines „demand of our nature" läßt wohl nur die Schlußfolgerung zu, daß Richards sich hoffnungslos in Inkonsistenzen verstrickt hat. Ausweg 5 stellt demgegenüber den Versuch dar, den naturalistischen Fehlschluß ernst zu nehmen. In einigen Passagen stellt Richards nämlich moralische Imperative heraus, die er gerade absetzt von dem, was in der Natur üblicherweise zu finden oder vielleicht dem Fortpflanzungserfolg dienlich ist. Das Problem hierbei ist nur, daß unklar wird, inwiefern Richards eine „Verteidigung der EE" liefert. Das diesbezügliche Schlußschema könnte wohlwollend folgendermaßen rekonstruiert werden: 156 1) Die Menschheit entwickelte altruistische Motive. 153

Siehe Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 287. Zu Gewirths Letztbegründungsprogramm siehe etwa Alan Gewirth, „The Ontological Basis of Natural Law: A Critique and an Alternative", The American Journal ofJurisprudence 29 (1984), S. 95-121.

154 155 156

Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 288. Ebd. Diese Rekonstruktion übernehme ich von Patricia Williams, „Evolved Ethics Re-Examined: The Theory of Robert J. Richards", Biology & Philosophy 5 (1990), S. 451-457, hier: S. 452.

134

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

2) Die Menschheit entwickelte den Glauben, daß altruistische Motive moralische Motive sind. 3) Altruistische Motive sind moralische Motive. 4) Nach altruistischen Motiven zu handeln, bedeutet, so zu handeln, wie Menschen handeln sollten. 5) Menschen sollten altruistisch handeln. Wie Patricia Williams zeigt, sind zur Ableitung der abschließenden Konklusion die ersten beiden Prämissen überflüssig. Nur diese sind aber spezifisch „evolutionär" ,157 Hinzu kommt, daß für Prämisse 3 keine hinreichende Rechtfertigung gegeben wird - und aus den ersten beiden läßt sie sich nicht ableiten. Kategorische Sätze wie „RV legt fest, daß das Allgemeinwohl das höchste moralische Gut ist"158 hängen deshalb sozusagen in der Luft. Diese Bestimmung des „höchsten Guts" steht außerdem in einem gewissen Gegensatz zu Richards' Bestimmung einer „guten Handlung". Nach Richards ist eine Handlung dann gut, „wenn sie drei Bedingungen erfüllt: (a) sie entsteht aus einer bestimmten Art von Motivation, aus einem altruistischen Motiv; (b) sie wird absichtlich aus diesem Motiv heraus ausgeführt; und (c) sie kann daher durch eine Bezugnahme auf dieses Motiv gerechtfertigt werden." 159 Richards übersieht, daß eine aus altruistischen Motiven hervorgegangene Handlung nicht notwendigerweise das Allgemeinwohl fördert, und der Imperativ zur Förderung des Allgemeinwohls ist schon gar nicht, wie Richards meint, gleichbedeutend mit dem Imperativ, „jedes Individuum als Mitglied eines Reichs der Zwecke zu behandeln." 160 Richards' Unvertrautheit mit den klassischen philosophischen Debatten (hier: zwischen utilitaristischen und deontologischen

157

158 159 160

Vgl. dazu die analoge Kritik an Julian Huxley bei Stephen Toulmin, The Return to Cosmology: Postmodern Science and the Theology of Nature (Berkeley/Los Angeles: University of California Press, 1982), S. 59. Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 192. Ebd., S. 186. Ebd., S. 196.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

135

Ethiken, die jedenfalls nicht aufeinander reduzierbar sind) führt ihn hier wieder in die Irre. Richards' Unkenntnis divergierender normativer Ethiken, die sich nicht nur in ihren Rechtfertigungsmustern unterscheiden, sondern auch in der Beurteilung konkreter Einzelfälle zumindest manchmal zu unterschiedlichen Bewertungen kommen, ist auch verantwortlich für sein großes Vertrauen in einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens, der als Grundlage akzeptabler moralischer Bewertungen dienen soll. Für ihn ist es unvorstellbar, daß sich zwar ein Konsens über die moralische Verurteilung der Politik Hitlers erreichen ließe, aber dennoch in Frage gestellt werden könnte, daß Altruismus das höchste moralische Prinzip ist.161 Damit übersieht er, daß sich Hitlers Politik auch aus anderen Gründen ablehnen läßt: nicht, weil er ungenügend altruistisch war, sondern weil er die Rechte von Individuen mißachtete - und das ist zweierlei. Es sind ohne größere Probleme realistische Fälle konstruierbar, in denen das Gebot des Altruismus, das Gebot der Förderung des Gemeinwohls und das Gebot der Achtung individueller Rechte miteinander kollidieren. So ist es etwa möglich, daß wohlwollende Motive zu Ergebnissen führen, die das Allgemeinwohl nicht fördern, und Paternalisten werden das Gebot, (möglichen) Schaden von anderen abzuwenden, höher stellen als das Gebot der Achtung des Selbstbestimmungsrechts urteilsfähiger Individuen.162 Wohlwollend muß man Richards' Ausweg 6 deshalb wohl so interpretieren, daß es zumindest einen allgemeinen Konsens bezüglich bestimmter Einzelurteile gibt und dieser Konsens als Ausgangsbasis für weitergehende Einigungsbemühungen dienen kann - wobei evolutionäre Gegebenheiten einen „natürlichen" Filter für die Vielzahl theoretisch denkbarer moralischer Uberzeugungen bilden.163 Diese Position wäre zu161 162 163

Siehe Robert J. Richards, „Dutch Objections to Evolutionary Ethics", S. 339. Vgl. ausführlicher: Bernd Gräfrath, John Stuart Mill: „Uber die Freiheit", passim. Siehe Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 292: „And here is where RV obliges: it shows that the pith of every man's na-

136

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gleich die vielversprechendste der bislang besprochenen Varianten einer EE, die nicht nur über Trivialitäten hinauskommt, sondern auch in einem spezifischen Sinne für die philosophische Ethik relevant ist. Die damit skizzierte Position einer Berufung auf einen gesellschaftlichen Konsens ist allerdings philosophisch nicht unumstritten. Insbesondere im Anschluß an John Rawls' epochales Werk A Theory of Justice wurde heftig diskutiert, inwiefern die faktisch übereinstimmenden „Intuitionen" (im Sinne wohlerwogener Einzelurteile) eine verläßliche Grundlage zur Bestimmung moralischer Verpflichtungen bilden können. So sieht Jürgen Habermas in Rawls' Konzept eines reflektiven Gleichgewichts lediglich eine „Nachrekonstruktion vortheoretischen Wissens", die nicht als Begründung dienen könne.164 Polemisch könnte man sogar den Verdacht äußern, daß Rawls lediglich die Vorurteile eines Amerikaners der gehobenen Mittelschicht des ausgehenden 20. Jahrhunderts rekonstruiert. Denselben Einwand könnte man auch gegen Richards erheben, wenn dieser sich auf „common beliefs and practices"165 beruft. Seine erste Verteidigung geht dahin, daß er sich nicht auf faktisch akzeptierte, sondern auf akzeptable Normen bezieht.166 Es muß aber festgehalten werden, daß diese Unterscheidung bei Richards nicht so konsequent durchgehalten wird, wie seine Verteidigung dies suggeriert; denn die Kriterien für das, was akzeptabel ist, entstammen nach Richards letztlich ebenfalls einem faktisch gegebenen Konsens. Es könnte hier eingewandt werden, daß bloß faktisch gegebene Konsense theoretisch immer auf falschen Voraussetzungen, Fehlurteilen, irreführender Propaganda oder anderen Fak-

164

165 166

ture, the core by which he is constituted a social and moral being, has been created according to the same standard." Jürgen Habermas, „Diskursethik - Notizen zu einem Begründungsprogramm" , in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1983), S. 53-125, hier: S. 89. Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 284. Siehe Robert J. Richards, „Dutch Objections to Evolutionary Ethics", S. 337.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

137

toren beruhen können, die geltungstheoretisch irrelevant sind. Diese theoretische Möglichkeit könnte zwar vielleicht noch als bloß theoretisch abgetan werden - im gleichen Sinne, in dem wir auch niemals mit unverrückbarer Gewißheit um die Wahrheit einer empirischen Tatsachenbehauptung wissen können: Wir müssen zwar die allgemeine Irrtumsfähigkeit des Menschen im Hinterkopf behalten, müssen für unsere Praxis aber eben die bestmögliche Auswahl unter möglichen Annahmen treffen. Das Konzept eines grundlegenden Konsenses wird aber prekärer angesichts der Tatsache, daß es einen solchen universalen Konsens auch nach Richards überhaupt nicht gibt. Zur Neutralisierung abweichender, konsensgefährdender Uberzeugungen benutzt er nun eine Doppelstrategie: Zum einen verweist er darauf, daß manche Konflikte nicht auf normativen, sondern auf empirischen Uneinigkeiten beruhen, und zum anderen behauptet er, daß es immer „Psychopathen"167 gibt, die einen universalen Konsens verhindern. Beide Strategien haben ihre spezifischen Schwierigkeiten. Zwar gibt es Fälle, in denen sich ein scheinbar normativer Konflikt auf einen bloßen empirischen Konflikt zurückführen läßt: So ist etwa denkbar, daß sowohl die Befürworter als auch die Gegner der Aufstellung der Pershing II die Erhaltung des Friedens anstrebten und sich nur uneinig darüber waren, ob die Aufstellung dieser Raketen das bestmögliche Mittel zu diesem Zweck bildete. Aber es sind doch Zweifel angebracht, wenn Richards analog über die Anhänger des Ku-Klux-Klans schreibt: „Most Klansmen are probably quite moral people. They simply have unsound beliefs about, among other things, different races, international conspiracies, etc."168 Auch Richards selbst will jedenfalls nicht so weit gehen, selbst Nazis bloße empirische Unwissenheit zu unterstellen.169 Damit entgeht er zwar der unerwünschten Konsequenz, Nazis moralisch gu167 168 169

Siehe Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 292. Ebd., S. 285. Siehe Robert J. Richards, „Evolutionäre Ethik, revidiert und gerechtfertigt", S. 183.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

te Handlungen zuschreiben zu müssen, weil sie theoretisch eventuell sein Kriterium des altruistischen Motivs erfüllen und dann nur aufgrund empirischer Irrtümer grauenhafte Handlungen vollzogen hätten. Aber gleichzeitig handelt er sich dann das Begründungsproblem ein, wie der Teilkonsens, der Hitlers Politik als unmoralisch ablehnt, gegenüber dem eventuell bestehenden Konsens der Nazis normativ gerechtfertigt werden kann. Sind sie alle „Psychopathen" ? Und wenn ja, wie läßt sich verläßlich bestimmen, wer ein Psychopath ist? Rein statistisch? Gewirth weist darauf hin, daß die Zahl der „Sünder" nicht unbedingt so klein ist, daß sich eine klare Mehrheit zur Bestimmung der moralisch richtig handelnden Menschen abzeichnen würde.170 Richards beruft sich zu diesem Zweck auf die „practices of rational men" ,171 oder er behauptet auch: „The reference class is moral men." 172 Sowohl für die Rationalität als auch die Moralität von Urteilenden hat Richards jedoch kein unabhängiges Kriterium zur Verfügung, so daß zumindest Anhänger eines Letztbegründungsprogramms einwenden werden, daß alle Begründungsversuche Richards' letztlich ins Leere laufen und damit zu gar keiner Fundierung gelangen. Bescheidenere Ethikkonzeptionen werden dagegen mit weniger zufrieden sein und darauf verweisen, daß eine Ethik, die „lediglich" greift, wenn ein grundlegender Konsens gefunden werden kann173 oder wenn gemeinsame Oberzwecke zur Konfliktlösung rekonstruiert werden können, 174 für alle lebensweltlichen Entscheidungsprobleme hinreichend leistungsfähig ist.

170 171 172 173

174

Siehe Alan Gewirth, „The Problem of Specificity in Evolutionary Ethics", S. 302. Robert J. Richards, „A Defense of Evolutionary Ethics", S. 284. Ebd., S. 285. Vgl. dazu die bescheidenere Konzeption des späten Rawls, etwa in seinem Aufsatz „Justice as Fairness: Political not Metaphysical", Philosophy & Public Affairs 14 (1985), S. 223-251. Vgl. dazu Carl Friedrich Gethmann, „Letztbegründung vs. lebensweltliche Fundierung des Wissens und Handelns", in: Forum für Philosophie, Bad Homburg (Hrsg.), Philosophie und Begründung (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1987), S. 268-302.

4.3 Ein Versuch der Umgehung des naturalistischen Fehlschlusses

139

Auch wenn zuzugestehen ist, daß eine Letztbegründung moralischer Imperative wünschenswert wäre, müssen doch die notorischen Durchführungsprobleme dieses Programms ernstgenommen werden. Richards' Verdacht, daß es entweder eine konsensorientierte Grundlegung der Ethik gibt (die auf faktisch verbreitete Präferenzen rekurriert) oder gar keine, muß jedenfalls ernstgenommen werden; und in diesem Fall könnten evolutionsbiologische Erkenntnisse - etwa über „natürlicherweise" zu erwartende, universale Präferenzen oder Dispositionen aller Menschen - eine wesentliche Rolle auch für die Grundlegung der Ethik spielen. Der naturalistische Fehlschluß wäre in diesem Fall trotz aller Berufung auf faktische Uberzeugungen immer noch vermeidbar, indem man die faktischen Uberzeugungen über moralische Verpflichtungen als bestmöglichen Weg zur Annäherung an die Erkenntnis der „wirklichen" moralischen Verpflichtungen ansähe; und die Vorstellung solcher „wirklicher" Verpflichtungen muß auch zumindest als regulative Idee herangezogen werden, wenn vom Standpunkt der Moral aus entschieden werden muß, wie Inkonsistenzen zwischen akzeptierten moralischen Prinzipien und konkreten Einzelurteilen in ein reflektives Gleichgewicht gebracht werden sollen. Man sollte deshalb auch das kritische Potential solcher Ansätze nicht unterschätzen.175 Es ist allerdings zuzugestehen, daß in der faktischen Debatte mit einem konsistenten Fanatiker letztlich kein Argument mehr zur Verfügung steht, das rational zwingend wäre, um seine Position als verfehlt nachzuweisen (und eine praktische Verhaltensänderung ist von einem Fanatiker allein auf der Grundlage von Argumenten ohnehin nicht zu erwarten). Hier werden letztlich pragmatische Regelungen 175

Vgl. dazu allerdings die Kritik bei Jürgen Mittelstraß, „Von der Vernunft: Erwiderungen auf Friedrich Kambartel" (1985), in: ders., Der Flug der Eule: Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989), S. 120-141. Mittelstraß wendet sich hier gegen die (vielleicht nur vermeintlich) konservativen Tendenzen bei Friedrich Kambartel, „Vernunft: Kriterium oder Kultur? - Zur Definierbarkeit des Vernünftigen" (1984), in: ders., Philosophie der humanen Welt: Abhandlungen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989), S. 27-43.

140

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

zu einer Konfliktlösung führen müssen. Die Frage, inwieweit dieser Sachverhalt eine intersubjektive Grundlegung der Ethik beeinträchtigt, wird im nächsten Abschnitt neu aufgenommen werden. Michael Ruse stellt (nach seiner „Bekehrung") die Ethik vor ein ähnliches Dilemma wie die Anhänger des Letztbegründungsprogramms: Entweder gibt es eine Letztbegründung, oder es gibt in der Ethik überhaupt keine Möglichkeit der „Begründung" im engeren Sinne.176 Nur wählt Ruse die andere Alternative, wobei er über die Soziobiologie zu einem radikalen metaethischen Skeptizismus gelangt.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus In seinem Buch Sociobiology: Sense or Nonsense? kritisierte Michael Ruse 1979 noch die schlichte metaethische Argumentation Edward O. Wilsons: „By making his case against ethics in terms of intuitionism, Wilson rather strikes me as being like a philosopher who rejects genetics because he or she finds fault with the classical gene concept of T.H. Morgan."177 Die Begründungsbemühungen der philosophischen Ethik dürfen sich eben nicht reduzieren lassen auf den Anspruch des „Schauens" moralischer Imperative oder „nichtnatürlicher Eigenschaften", wie dies etwa durch den Intuitionismus G.E. Moores postuliert wurde (der zu unterscheiden ist von dem ontologisch harmlosen „Intuitionismus" bei Rawls).178 Wilson führt seine nicht-philosophischen Leser in die 176

177 178

Vgl. dazu Vittorio Hösle, „Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntnistheorie", bes. S. 371 ff, wo nahegelegt wird, daß letztlich nur die Wahl zwischen einem konsequenten objektiven Idealismus und einem „totalen ethischen Nihilismus" bleibt. Michael Ruse, Sociobiology: Sense or Nonsense?, S. 205 f. Zu einer neueren Verteidigung einer intuitionistischen Metaethik im Sinne G.E. Moores siehe Franz von Kutschera, „Plädoyer für eine intuitionistische Ethik", in: Edgar Morscher u. Rudolf Stranzinger (Hrsg.), Ethik: Grundlagen, Probleme und Anwendungen - Akten des fünften in-

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

141

Irre, wenn er suggeriert, mit der Verwerfung dieser metaethischen Theorie habe er gezeigt, daß nur die „Biologisierung der Ethik" als Alternative bliebe. In späteren Werken ist Ruse aber gerade zu dieser Ansicht übergewechselt; und bei einem philosophisch geschulten Kopf sollte man erwarten, daß er überzeugende Gründe für diesen Positionswechsel anzubieten hat. Auch wenn sein Skeptizismus nicht als harte EE einzuschätzen ist (weil sie - zumindest auf den ersten Blick - gerade nicht behauptet, bestimmte präskriptive Sätze aus deskriptiven Sätzen zur Evolution des Menschen ableiten zu können), ist seine Position, wenn sie sich denn verteidigen läßt, doch bedeutsam für die philosophische Ethik, weil sie zeigen würde, daß aufgrund soziobiologischer Erkenntnisse das Konzept einer genuin philosophischen Ethik nicht haltbar ist. Seine Theorie bildet deshalb ein wichtiges eigenständiges moralphilosophisches Programm der Soziobiologie. Ruse beschreibt selbst, wie es zu seiner „Bekehrung" von einem Kritiker zu einem Anhänger Wilsons kam: Peter Singer bat ihn, als advocatus diaboli das Manuskript des Buches The Expanding Circle zu prüfen, in dem sich Singer kritisch mit den philosophischen Ansprüchen der Soziobiologie auseinandersetzt. Zum Ergebnis sagt Ruse: „I convinced myself. I confess that I did not convince Singer."179 Zum besseren Verständnis von Ruses metaethischem Skeptizismus ist es deshalb hilfreich, kurz Singers überlegte Kritik zu skizzieren, die einerseits dem moralphilosophischen Programm ein bestimmtes negatives Potential zubilligt, aber andererseits zeigt, daß damit noch nicht jede Form einer philosophischen Ethik ad absurdum geführt worden ist. Singer nimmt die Herausforderung der traditionellen Ethik durch die Soziobiologie ernst. Zu diesem Zweck muß diese allerdings zunächst von verfehlten Ansprüchen im Sinne einer harten EE gereinigt werden, so daß dann ein philosophisch

179

ternationalen Wittgenstein-Symposiums (Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1981), S. 108-112. Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 196.

142

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

wichtiger Punkt herausgearbeitet werden kann, der von den Soziobiologen selbst nicht die ihm angemessene Betonung erfährt: „A biological explanation can be a way of debunking what seemed to be eternal moral axioms. [...] Perhaps in this manner a general case for moral skepticism could after all be drawn out of the sociobiological program. For this case to succeed, however, it would need to do what, as I have already said, no sociobiologist tries to do: it would need to show that no moral judgments can be given a rational justification." 180 Singer geht seinerseits sogar so weit, fast existentialistisch von der „Wahl" unserer ethischen Prämissen zu sprechen.181 Aber eine genauere Analyse zeigt, daß er damit keineswegs einem subjektivistischen metaethischen Emotivismus das Wort redet: „Ethical judgments may have a rational component. [...] The fact that we choose our ethical premises does not in itself imply that the choice is arbitrary." 182 Der Hauptpunkt Singers ist dabei die Rechtfertigungspflicht, die von jeder Person eingeklagt werden kann, die in relevant ähnlichen Situationen183 unterschiedlich handelt und urteilt.184 Die Uberwindung der egoistischen Sonderbehandlung der eigenen Interessen bildet dabei für Singer nur den ersten Schritt zur Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen - und selbst darüber hinaus (im Sinne des „sich ausweitenden Kreises" ), nämlich bis zur Berücksichtigung der leidensfähigen Tiere, denen ein moralischer Status zugeschrieben werden muß, weil eine speziesistische Grenzziehung durch den Menschen nicht zu rechtfertigen ist.185 Das bedeutet zwar nicht, daß allen (oder auch nur den meisten) Tieren gleiche Rechte wie menschlichen Personen zuerkannt werden müßten - und Pflichten können sie ohnehin

180 181 182 183 184 185

Peter Singer, „Ethics and Sociobiology", S. 57. Siehe Peter Singer, The Expanding Circle, S. 84. Ebd., S. 85 f. Zur Bedeutung dieses Konzepts vgl. J.L. Mackie, Ethics: Inventing Right and Wrong (Harmondsworth: Penguin, 1983; urspr. 1977), S. 83 ff. Siehe Peter Singer, The Expanding Circle, S. 93. Siehe ebd., S. 120-124.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

143

nicht haben.186 Aber die Zuschreibung eines moralischen Status sozusagen „zweiter Klasse" könnte sich als moralisch geboten erweisen - wobei evolutionstheoretische Erwägungen durchaus eine rechtfertigende Nebenrolle (etwa bei der Interpretation des Wohl und Wehes von Tieren über Verhaltensähnlichkeiten) spielen könnten. Jedenfalls wird man nicht mehr (wie dies oft im Anschluß an den Cartesianismus geschah) Tiere mechanistisch als bloße Maschinen betrachten können, deren Leidensfähigkeit nur scheinbar wäre. Der zuletzt angesprochene Punkt bildet ein Beispiel für die Art, wie - im Sinne einer weichen E E - biologische Erkenntnisse für die philosophische Ethik bedeutsam sein könnten, nämlich als relevante empirische Prämissen bei der Ableitung konkreter Forderungen aus allgemeinen moralischen Prinzipien. An dieser Stelle muß aber nicht Singers angewandte, sondern seine Metaethik geprüft werden. Seine Ethik ist explizit interessenbasiert und führt ihn zu einer Variante des Utilitarismus - was jedoch keine zwingende Folgerung darstellt. Entscheidend für den jetzigen Zusammenhang ist dagegen, daß eine mögliche evolutionstheoretische Erklärung der Ursprünge unseres moralischen Urteilsvermögens genuin philosophische Rechtfertigungsbemühungen weder überflüssig macht noch als illusorisch entlarvt. In dieser Einsicht trifft sich Singer mit dem Nicht-Utilitaristen John Rawls, der in seiner Theorie der Gerechtigkeit ausdrücklich auf das wichtige, wenn auch begrenzte Erklärungspotential der Evolutionstheorie hinweist: „One might ask how it is that human beings have acquired a nature described by these psychological principles. The theory of evolution would suggest that it is the outcome of natural selection; the capacity for a sense of justice and the moral feelings is an adaptation of mankind to its place in nature." 187 Um Mißverständnis186

Das Konzept von Wesen, die zwar Rechte, aber keine Pflichten haben, ist in der Moralphilosophie relativ neu; siehe dazu Joel Feinberg, „Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen" (urspr. englisch 1974), in: Dieter Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik (Stuttgart: Reclam, 1991; urspr. 1980 bzw. 1988), S. 140-179.

187

John Rawls, A Theory of Justice, S. 502 f.

144

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

sen vorzubeugen, fügt Rawls eine kategoriale Klarstellung an: „These remarks are not intended as justifying reasons for the contract view."188 An dieser Stelle setzt der späte Ruse mit seiner Gegenkritik an und behauptet, daß die zunächst aufgeführten Erwägungen tatsächlich „rechtfertigende Gründe" sind.189 Dies ist jedoch eine ungenaue Charakterisierung von Ruses Position. Deutlicher sagt er an anderer Stelle: „Meta-ethically, Wilson argues that morality is based on emotions or feelings which we have, because we are thereby able to survive and reproduce. There is no further justification possible or needed."190 Ruse stimmt hier der (Wilson zugeschriebenen) These zu, daß zumindest im Bereich der Ethik die Grenzziehung zwischen rechtfertigenden Gründen und erklärenden Ursachen aufgehoben werden muß, so daß man entweder sagen muß, Rechtfertigungen seien überhaupt nicht möglich, oder daß von „Rechtfertigungen" nur noch in einem schwachen Sinne gesprochen werden kann, weil unter diesem Etikett nur noch genetische Erklärungen vorgebracht werden. Was ist nun aber Ruses Rechtfertigung (!) für diese These? Eine wesentliche Prämisse scheint diejenige zu sein, daß die Ethik keine „objektive" Grundlage hat. In einem mit Wilson gemeinsam verfaßten Aufsatz schreibt er: „We used the evolutionary argument to discount the possibility of an objective, external reference for morality."191 Damit geht Ruse einen großen Schritt über dasjenige Programm hinaus, das Singer oben als interessanten Ansatz für einen soziobiologisch gestützten metaethischen Skeptizismus formulierte. Falls die Ethik sich auf „objektive" Wesenheiten beziehen müßte, die aber einen „seltsamen" ontologischen Status hätten (weshalb Mackie dagegen ein „argument from queerness" vorbringt 192 ), es aber andererseits 188 189 190 191

Ebd., S. 504. Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 184. Ebd., S. 182. Michael Ruse u. Edward O. Wilson, „Moral Philosophy as Applied Science", Philosophy 61 (1986), S. 173-192, hier: S. 190.

192

J.L. Mackie, Ethics, S. 38-42; vgl. Peter Singer, The Expanding S. 107.

Circle,

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

145

eine plausible genetische Erklärung dafür gibt, daß Menschen motiviert sein könnten, fälschlicherweise an die Existenz solcher Wesenheiten zu glauben, dann besteht immerhin ein legitimer Verdacht, daß es überhaupt keine überzeugende Rechtfertigung für die Gebote der Ethik geben könnte und es für die entsprechenden „Intuitionen" bloß ursächliche Erklärungen gibt. Das würde die kategoriale Unterscheidung zwischen einem Geltungs- und einem Genesediskurs zwar nicht aufheben, aber immerhin zeigen, daß in manchen extremen Fällen genetische Erklärungen für Geltungsfragen relevant sein können. Umgekehrt darf aber gerade nicht geschlossen werden, daß die Möglichkeit genetischer Erklärungen Geltungsfragen per se entweder schon negativ beantwortet oder als überflüssig oder gar als unsinnig erweisen könnte. Zu diesem Zweck muß erst separat geprüft werden, ob es auch eine Rechtfertigung gibt. Ruse verfällt einem „objektivistischen" Mißverständnis, wenn er glaubt, jede ethische Rechtfertigung müsse sich auf einen „objektiven Referenten" beziehen, dessen Existenz gerade fraglich ist. Seine Kritik (oder zumindest das von Singer angeregte Programm) hat sicherlich einige Kraft gegenüber einer materialen Wertethik oder gegenüber einem Verständnis moralischer Imperative als göttlicher Gebote (wobei nicht nur das Problem der ontologischen „Seltsamkeit", sondern auch das der mangelnden Überprüfbarkeit im Falle widerstreitender Erkenntnisansprüche erwähnt werden muß). Aber moralische Gebote können eben auch inter subjektiv gerechtfertigt werden, ohne daß damit seltsame ontologische Wesenheiten postuliert werden müßten. Ruse berücksichtigt diese dritte Option (zwischen „subjektiven" und „objektiven" Ethikkonzeptionen) aber nicht einmal als Möglichkeit, wenn er kategorisch behauptet: „We feel that we ought to help others and to co-operate with them, because of the way we are. That is the complete answer to the origins and status of morality."193 In seiner frühen Kritik an

193

Michael Ruse, Taking Darwin Seriously, S. 252. Vgl. dazu Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 424: „Wilson's rush to emotivism depends on slashing the number of alternatives."

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Wilson hatte er diesem, wie oben gezeigt, gerade vorgeworfen, ein zu einseitiges Bild möglicher Ethikkonzeptionen vorauszusetzen. Ruse entwickelte damals zwar keine eigene positive Gegenposition,194 wies aber immerhin auf die Möglichkeit alternativer, nicht-„objektivistischer" Ethiken hin. Angesichts seiner neuen Thesen muß wohl davon ausgegangen werden, daß er solche Alternativen für überhaupt nicht gangbar oder zumindest für nicht tragfähig genug hält. Eine Begründung für diese Auffassung liefert er jedoch nicht - im Gegenteil: Es entsteht eher der Eindruck, daß er einen philosophischen Strohmann aufbaut, der zwar leicht umzuwerfen ist, aber die möglichen Gegenpositionen kaum angemessen darstellt.195 Immerhin setzt sich Ruse aber mit einem naheliegenden Gegenargument auseinander, nämlich mit dem Hinweis auf die Mathematik, die ein kognitives Unternehmen ist, ohne sich notwendigerweise auf „seltsame Wesenheiten" zu beziehen.196 Eine ähnliche Kritik weist darauf hin, daß die Physik nicht ihren kognitiven Status verliert, nur weil es vielleicht biologische Ursachen dafür gibt, daß wir überhaupt die Physik als Wissenschaft betreiben (können).197 Ruse versucht diesen Einwand auf zwei Arten zu entkräften, die jedoch miteinander unvereinbar und auch jede für sich von zweifelhafter Güte sind: Zum einen behauptet er, daß Wilson gerade dieses „biologische Verständnis" von Mathematik und Physik anstrebt; und er selbst sagt zustimmend, was das bedeuten soll: „We accept ,2 + 2 = 4' for much the

194

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Vgl. dazu die Kritik bei J.L. Mackie, „Michael Ruse, Sociohiology: Sense or Nonsense f" [Rezension], Erkenntnis: An International Journal of Analytic Philosophy 15 (1980), S. 189-194, hier: S. 194. Vgl. etwa Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 168, wo von „der" objektivistischen Gegenposition die Rede ist - so, als ob es nur diese eine gäbe. Siehe Philip Kitcher, Vaulting Ambition, S. 422 f. Vgl. dazu auch Friedrich Kambartel, „Ethik und Mathematik", in: ders. u. Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Zum normativen Fundament der Wissenschaft (Frankfurt a.M.: Athenäum, 1973), S. 115-130. Siehe Thomas Nagel, „Ethics as an Autonomous Subject", in: Gunther S. Stent (Hrsg.), Morality as a Biological Phenomenon, S. 221-231.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

147

same reason that we accept justice as fairness' : individual selection has favored people who have endorsed such views."198 Damit verletzt Ruse auf krasse Weise das Gebot der zu treffenden Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen; denn will er etwa behaupten, daß jede Behauptung, die sich durchsetzt, gut begründet ist? Daß es sich dabei um zweierlei handelt, gibt er auch insgeheim zu; denn seine zweite Entgegnung auf den Hinweis zur Geltung der Mathematik zielt bescheidener nur auf den Punkt ab, daß eine begründende Rechtfertigung zwar nicht unbedingt unmöglich, aber doch „redundant" wäre, wenn eine kausale Erklärung zur Verfügung stünde: „At the least, the objectivist must agree that his/her ultimate principles are (given Darwinism) redundant. You would believe what you do about right and wrong, irrespective of whether or not a ,true' right and wrong existed!"199 Ruse bezieht sich in diesem Fall explizit nur auf Begründungen in der Ethik. Aber prinzipiell müßte derselbe Einwand auch auf die Mathematik und Physik zutreffen; und in beiden Fällen läßt sich zeigen, daß Ruses Argument nicht stichhaltig ist. Wenn jemand eine mathematische oder physikalische These vorbringt und daraufhin eine Begründung eingeklagt wird, reicht es nicht, einfach darauf hinzuweisen, daß die Menschheit so beschaffen ist, daß sie diese spezifische Behauptung glauben „muß". Gleiches (oder zumindest Analoges) gilt aber auch für den Fall, daß jemand behauptet, ein bestimmtes Verhalten sei moralisch geboten: Auch hier entbindet der Hinweis auf evolutionäre Ursprünge und Ursachen nicht von einer darüber hinausreichenden Rechtfertigungspflicht. Damit kommen wir wieder auf den entscheidenden Punkt zurück, daß der Geltungs- und der Genesediskurs auf zwei irreduziblen Perspektiven beruhen, wobei der Geltungsdiskurs eben keine separate Welt postulieren muß, die neben der empirischen existierte. Jedenfalls kann die Möglichkeit einer evolutionären Betrachtungsweise, die nach Ursachen fragt, niemals per se zei-

198 199

Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 185. Michael Ruse, Taking Darwin Seriously, S. 254; vgl. Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 192.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gen, daß jede andere Betrachtungsweise illusionär oder redundant ist. Darüber hinaus sind für jeden, der überhaupt etwas behauptet (und sei es die These von der Redundanz des Geltungsdiskurses!), diese beiden Perspektiven nicht nur irreduzibel, sondern auch unvermeidlich: Auch Ruse beansprucht für seine Thesen, daß sie nicht nur evolutionär hervorgebracht wurden, sondern auch wahr sind. Es mag zwar immer noch eingewendet werden, daß moralische Gebote nicht im selben Sinne „wahr" sind wie die Sätze der Mathematik oder Physik. Aber auch sie können zumindest gut oder schlecht gerechtfertigt sein; und damit ist gezeigt, daß auch der Standpunkt der Moral nicht auf genetische Erklärungen reduzierbar ist. Zwar könnte sich jemand vielleicht konsistent jeder moralischen Bewertung enthalten - was wohl leichter ist, als sich jedem Geltungsdiskurs zu entziehen. Aber auch damit läßt sich nicht zeigen, daß der Standpunkt der Moral auf Illusionen und Irrtümern beruht. Es läßt sich eben nicht begründet behaupten: „The Darwinian claims that his/her theory gives an entire analysis of our moral sentiments. Nothing more is needed."200 Es muß aber ein verwandtes, potentiell weitreichendes Argument berücksichtigt werden, das die Unterscheidung zwischen Gründen und Ursachen nicht ignoriert, aber dennoch auf einer bestimmten Ebene in Frage stellt. Dieses Argument stammt von Jeffrie G. Murphy, auf den auch Ruse beiläufig verweist, ohne allerdings dessen argumentatives Niveau zu erreichen.201 Murphy knüpft an Thomas Nagels Verteidigung der „Ethik als autonome Disziplin" an, der dabei dem Konzept einer EE sogar entgegenkommt: „Ethics [...] is the result of a human capacity to subject innate or conditioned prereflective motivational

200

201

Michael Ruse, Taking Darwin Seriously, S. 254. Vgl. zu einem ähnlichen Fehler: Michael Ruse u. Edward O. Wilson, „Moral Philosophy as Applied Science", S. 186. Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life (Totowa, New Jersey: Rowman and Littlefield, 1982). Vgl. Michael Ruse, Taking Darwin Seriously, S. 257 f.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

149

and behavioral patterns to criticism and revision, and to create new forms of conduct. [...] Biology may tell us about perceptual and motivational starting points."202 Damit gibt Nagel nach Murphy nämlich schon eine ganze Menge zu.203 Die „Eingabedaten" der ethischen Maximenprüfung (etwa durch den kategorischen Imperativ) entstammen vortheoretischen Uberzeugungen, für die eine EE wiederum kausale Erklärungen anbieten kann - und auf dieser vortheoretischen Ebene sind kausale Erklärungen das einzige, was uns zur Verfügung steht. Wenn man nun mit Nagel annimmt, daß keine Letztbegründung moralischer Normen gelingen kann, dann sind alle ethischen Theorien (mitsamt ihren unterschiedlichen „Filtern" ) letztlich immer an die faktischen moralischen Uberzeugungen rückgebunden, die immer auch bloß kausal erklärbare Komponenten enthalten. Besonders deutlich wird dies bei Rawls' Modell eines „reflektiven Gleichgewichts", in dem konkrete moralische Uberzeugungen in ein konsistentes Verhältnis zu moralischen Testverfahren gebracht werden, die wiederum selbst aus faktischen moralischen Uberzeugungen abgeleitet sind. Die Soziobiologie hat daher nach Murphy in einem bestimmten Ausmaß „relativistische" Konsequenzen für die philosophische Ethik: According to Rawls, a theory puts us in the desirable and theory-confirming state of reflective equilibrium if it does a better job than any other theory of embracing and ordering the largest possible subset of our pretheoretical convictions about what is good and evil, right and wrong, just and unjust. But where do these convictions come from and what is their status in justification - i.e., why do we place so much confidence in them ? Wilson and other sociobiologists are, I think, dead right in wanting to ask this question and dead right in thinking that an honest answer to it will unmask, at least partially, some of the pretensions of moral philosophy. If these convictions can be shown to be simply the result of biological instincts preserved in evolution by natural selection, then their status in moral epistemology will be affected. For moral theory would then be

202 203

Thomas Nagel, „Ethics as an Autonomous Subject", S. 230. Siehe Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 108 f.

150

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

relativized to a degree that many of the ,New Deontologists' in ethics - Rawls, Nozick, Fried, Dworkin - would no doubt find objectionable.204

Er selbst zieht daraus allerdings keine wirklich „relativistischen" Konsequenzen; und seine weitere Vorgehensweise könnte sogar eine Stütze zur Verteidigung einer Ethik bilden, die sich zu einem wesentlichen Teil auf „bloße" Intuitionen (im Sinne faktischer Überzeugungen) beruft - so, wie dies gegen Ende des vorigen Unterkapitels skizziert wurde. Murphy entwickelte sich im Laufe seiner Untersuchungen der moralphilosophischen Implikationen der Soziobiologie von einem Kantianer zu einem Humeaner; und er zeigt, daß die Humesche Ethik keine unerwünscht relativistischen Konsequenzen haben muß. 205 Wie schon Singer206 verbindet er eine naturalistische Grundlage mit einer verallgemeinernd fortschreitenden Vernunft: „Advances or civilized morality then, is not the artificial creation, ex nihilo, of something totally new. It is rather, simply an increasingly disinterested and abstracted generalization of the primitive caring that insured the survival of human beings." 207 Hume weist in einem ähnlichen Zusammenhang 204

Ebd., S. 99 f; vgl. auch ebd., S. 112 (Anm.): „The sociobiologist may well agree with the point [...] that value judgments are properly defended in terms of other value judgments until we reach some that are fundamental. All of this, in a sense, is the giving of reasons. However, suppose we seriously raise the question of why these fundamental judgments are regarded as fundamental. There may be only a causal explanation for this! [...] If this is so, then at a very fundamental point the reasons/causes [...] distinction breaks down, or the one transforms into the other. This may all be wrong, of course, but it is at least interesting at a rather profound level, and it requires something more by way of a response than attacking it with the very distinctions it seeks to undermine."

205

Zu einer generelleren Verteidigung der Humeschen Ethik siehe ausführlicher: Bernd Gräfrath, fiorai Sense" und praktische Vernunft. Vgl. auch Bernd Gräfrath, „Hume's Metaethical Cognitivism and the Natural Law Theory", The Journal of Value Inquiry 25 (1991), S. 73-79. Dort wird u.a. gezeigt, daß Hume weder ein metaethischer Emotivist noch ein normativer Utilitarist ist.

206

Vgl. dazu auch Singers Verweis auf Hume: Peter Singer, The Expanding Circle, S. 93. Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 73.

207

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

151

darauf hin, daß die Einnahme des Standpunkts der Moral einen verallgemeinernden Wechsel der Perspektive erforderlich macht: „He must here, therefore, depart from his private and particular situation, and must choose a point of view, common to him with others; he must move some universal principle of the human frame, and touch a string to which all mankind have an accord and symphony." 208 Gegen eine solche Grundlegung der Ethik, die sich auf faktische Präferenzen bezieht, lassen sich vier grundsätzliche Einwände erheben: a) Diese Ethik ist zu konservativ, weil sie lediglich traditionelle Vorurteile reproduziert und (scheinbar) legitimiert. b) Diese Ethik könnte unter Umständen verabscheuungswürdigen Gruppen eine (scheinbare) Legitimation geben, die, nachdem sie die Macht in einem Staat erlangt hätten, die Bevölkerung (und insbesondere zukünftige Generationen) im Sinne ihrer eigenen Machtinteressen „abrichten" würden, um sich durch diese Änderung der Präferenzen gegen jede weitere Kritik vom Standpunkt der Moral zu immunisieren. c) Diese Ethik führt zum Chaos, wenn es keine hinreichende Gleichartigkeit in der Präferenzstruktur aller Menschen gibt. d) Diese Ethik kann nicht unsere Uberzeugung erklären, daß moralische Verpflichtungen uns binden, unabhängig davon, ob unsere Präferenzen damit übereinstimmen oder nicht. Bei der Diskussion dieser Einwände soll hier die Position des Konstruktivismus der Erlanger Schule (sowie dessen neuere 208

David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals, S. 272. Zur allgemeinen Charakteristik von Theorien eines „Standpunkts der Moral" siehe William K. Frankena, „Moral-Point-of-View Theories", in: Norman E. Bowie (Hrsg.), Ethical Theory in the last quarter of the twentieth century (Indianapolis/Cambridge: Hackett, 1983), S. 39-79. Frankena bezieht sich auch ausdrücklich auf Hume; siehe z.B. William K. Frankena, Ethics, Second Edition (Englewood Cliffs, New Jersey: Prentice-Hall, 1973, '1963), S. 108.

152

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Entwicklungen) ausgeklammert werden, der zwar nicht die „Normativität des Faktischen", aber doch die „Normativität des im faktisch Normativen Präsupponierten"209 gelten läßt. Mit den spezifischen Problemen dieser Schule - sowie mit deren Ergänzungsbedürftigkeit durch eine weiche EE - wird sich ein eigener Exkurs (zur „Minimal-Anthropologie für eine Ethik der Konfliktlösung" ) befassen. Gegen den Vorwurf der übergroßen Konservativität einer solchen Ethikkonzeption wurde oben schon ins Feld geführt, daß auch das kritische Potential des „reflektiven Gleichgewichts" nicht unterschätzt werden sollte. Wenn zu den Faktoren, die bei diesem zu erreichenden Gleichgewicht für Bewegung sorgen, die verallgemeinernde Tendenz der praktischen Vernunft gehört, dann wird es immer eine Herausforderung für moralische Einzelurteile geben, die ein vorzeitiges Erstarren einmal etablierter Sitten verhindern kann. Die These von der Konservativität dieser Ethikkonzeption muß allerdings vielleicht auch eher deskriptiv gelesen werden: Wenn die Prüfung unserer Maximen immer von faktischen Uberzeugungen ihren Ausgang nehmen muß, dann wird es schwierig sein, radikale Änderungen unserer moralischen Uberzeugungen zu erreichen - ähnlich, wie nach Bertrand Russell unsere metaphysischen Ansichten noch diejenigen der Steinzeit in sich bergen.210 Diese Einsicht einer weichen EE muß (wenn sie denn stichhaltig ist) von jeder Ethikkonzeption berücksichtigt werden, der an der Umsetzung ihrer normativen Forderungen gelegen ist. Die Befürchtung einer totalitären Indoktrination könnte gerade aufgrund dieser schwierigen Veränderbarkeit unserer moralischen Uberzeugungen wenig begründet sein. Das ist zwar ein kontingentes Faktum, und radikale Kritiker werden auf der 209

Carl Friedrich Gethmann, „Universelle praktische Geltungsansprüche: Zur philosophischen Bedeutung der kulturellen Genese moralischer Uberzeugungen", in: Peter Janich (Hrsg.), Entwicklungen der methodischen Philosophie (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992), S. 148-175, hier: S. 172.

210

Siehe Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 103.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

153

theoretischen Möglichkeit bestehen, die einer geltungstheoretischen Antwort bedürfe. Auch hier ist aber eine angemessene Erwiderung möglich: Es wäre dann zwar der Fall, daß sich in einer einheitlich indoktrinierten Bevölkerung kein Zweifel an der moralischen Vortrefflichkeit der Herrscher regen würde; aber damit ist ja nicht gesagt, daß die in einem solchen Kontext geäußerten moralischen Urteile richtig wären. Sobald eine abweichende moralische Bewertung als Vergleichsmaßstab zur Verfügung steht - innerhalb oder außerhalb der betreffenden Gesellschaft, oder auch durch die Perspektive späterer Epochen - entstehen normative Bewertungskonflikte, für die wiederum eine argumentative Lösung gefunden werden muß, um dem Anspruch zu genügen, nicht durch bloße Macht oder Propaganda zustande gekommen zu sein. Ob eine solche argumentative Lösung möglich sein wird, ist eine ganz andere Frage. Die oben skizzierte Ethikkonzeption ist zumindest mit der Hoffnung verbunden, daß eine hinreichende Gleichartigkeit menschlicher Interessen und Uberzeugungen tatsächlich gegeben ist, so daß kein Chaos zu befürchten ist, das auf die prinzipielle Unlösbarkeit moralischer Konflikte zurückzuführen wäre.211 Die Idee eines solchen übergreifenden Konsenses halten heute viele vielleicht für ein bloßes Relikt aus dem 18. Jahrhundert. Wilson weist etwa im Zusammenhang seiner Generalabrechnung mit der philosophischen Ethik darauf hin, daß John Rawls und Robert Nozick sich gleichermaßen auf Intuitionen berufen, die aber zu völlig entgegengesetzten moralphilosophischen Positionen führen.212 Allerdings ist es durchaus denkbar, daß auch absurd erscheinen211

Vgl dazu Gilbert Harman, The Nature of Morality: An Introduction to Ethics (New York/Oxford: Oxford University Press, 1977), S. 30: „Emotivism says that moral judgments express attitudes for and against things. This can be part of a nonrelativistic theory if it is combined with the view that there is a uniformity in basic human attitudes." Harman bezieht sich dabei auf Aristoteles und Hume.

212

Siehe Edward O. Wilson, On Human Nature, S. 5 f. Wilson bezieht sich auf Robert Nozick, Anarchy, State, and Utopia (New York: Basic Books, 1974).

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

de Handlungsvorschriften, wie sie uns des öfteren in ethnologischen Berichten begegnen, sich allein aus der Anwendung akzeptierter allgemein-menschlicher Normen auf unterschiedliche äußere Bedingungen (wozu nicht nur empirische Bedingungen, sondern auch Weltbilder zu rechnen sind) ergeben.213 Daß sich nicht alle ethischen Theorien, die jemals von Philosophen vertreten worden sind, mit dem sonst sehr weitreichenden Konsens decken, müßte uns demgegenüber nicht unbedingt beunruhigen: Hume weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß manche Menschen leicht durch religiösen Aberglauben oder philosophische Schwärmerei in die Irre geführt werden.214 Selbst bei Rawls und Nozick sollte man nicht vorschnell die Hoffnung aufgeben, auch bei ihnen noch einen Konsens zu finden, der zu einer Annäherung der beiden Positionen führen könnte.215 Letztlich muß aber eingestanden werden, daß die Einigung auf eine argumentative Konfliktlösung nicht in jedem Fall zu einer eindeutigen Lösung führen wird.216 Dies liegt u.a. daran, daß der Streit darüber, was relevant ähnliche Umstände sind, immer nur auf der Basis von geteilten Hintergrundannahmen geschlichtet werden kann; und eine Einigung auf diese ist nicht rational erzwingbar, weil auf dieser Ebene nicht mehr im strengen Sinne von „Wissen" gesprochen werden kann.217 Wie soll man 213

214

215 216 217

Dieses Argument findet sich schon bei dem (empirisch gesonnenen!) Aufklärer Hume; vgl. David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals, S. 333. Selbst die heutige ethnologische Forschung gibt hier keine eindeutige Antwort; vgl. William K. Frankena, Ethics, S. 109 f. Siehe David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals, S. 343. Vgl. dazu Bernd Gräfrath, „Vernünftige Gelassenheit: Zur Bedeutung der Dialogform im Werk David Humes", in: Gottfried Gabriel u. Christiane Schildknecht (Hrsg.), Literarische Formen der Philosophie (Stuttgart: J.B. Metzler, 1990), S. 121-138, hier: S. 128. Siehe dazu Bernd Gräfrath, Wie gerecht ist die Frauenquotei, S. 90-102. Vgl. Günther Patzig, Ökologische Ethik - innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983), S. 11 f. Deshalb ist vielleicht auch Wellmers Programm etwas zu optimistisch, moralischen Fortschritt durch die „Eliminierung des Unsinns", die bestimmte nur scheinbare Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen als

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

155

etwa mit jemandem umgehen, der als entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Zuschreibung von moralischem Status den Besitz eines Zellkerns vorschlägt, so daß alle Eukaryonten die gleiche Achtung verdienen würden wie menschliche Personen? Wittgenstein würde antworten: „Von einem, der dies sagte, würden wir uns geistig sehr entfernt fühlen." 218 Auch wenn es aber keinen übergreifenden Konsens gibt, der wirklich alle einschließt, hat das doch weder für die Geltungsfrage noch für die Frage der praktischen Einigungsmöglichkeit zerstörerische Konsequenzen: Daß sich nicht immer das am besten Begründete durchsetzt, hat nicht zur Folge, daß der Mächtigste immer recht hat; und es spricht einiges dafür, daß zumindest große Mehrheiten Grundüberzeugungen teilen, die als Basis für weitere Beratungen dienen können. Es bleibt die Frage zu erörtern, ob die oben skizzierte Ethikkonzeption, die sowohl an Rawls als auch an (einen recht verstandenen) Hume anknüpft, 219 die Kantische Intuition erklären kann, daß moralische Verpflichtungen unabhängig von faktischen Neigungen gelten und deshalb mit diesen konfligieren können. Vorausgesetzt, daß eine Letztbegründung kategorischer Imperative nicht möglich ist,220 kommt es hier auf einer neuen Ebene zu einer Art von „reflektivem Gleichgewicht" zwischen Theorien und Intuitionen: Ontologisch aufwendige Theorien könnten der oben skizzierten Konzeption vorwerfen, daß sie zu „sparsam" ist, um unsere moralischen Intuitionen

218 219

220

unhaltbar entlarvt, zu erreichen; siehe Albrecht Wellmer, Ethik und Dialog: Elemente des moralischen Urteils bei Kant und in der Diskursethik (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1986), S. 127. Ludwig Wittgenstein, Uber Gewißheit (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1979; urspr. 1969, verfaßt 1949-1951), § 108. Zu der (häufig vernachlässigten) Verwandtschaft der Konzeptionen von Hume und Rawls vgl. Bernd Gräfrath, fiorai Sense" und praktische Vernunft, S. 158-167. Zur Unterscheidung des kategorischen Imperativs (im Singular) von kategorischen Imperativen (im Plural) vgl. Allen Buchanan, „Categorical Imperatives and Moral Principles", Philosophical Studies 31 (1977), S. 249260.

156

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

zu erklären. Zur Verteidigung muß gezeigt werden, daß diese Erklärung dennoch angemessen geleistet werden kann, so daß dann „Ockhams Rasiermesser" für die „sparsamere", aber praktisch ebenso leistungsfähige Theorie spricht. Murphy verweist zu diesem Zweck auf eine Unterscheidung, die der MoralSense-Tradition der britischen Moralisten des 18. Jahrhunderts entstammt.221 Es gibt primäre Interessen (zu denen u.a. die grundlegenden biologischen Bedürfnisse gehören), aber auch ein sekundäres Interesse, moralischen Kriterien zu genügen. Hume und Rawls verweisen in diesem Zusammenhang beide auf die große Bedeutung der Selbstachtung,222 und bei einer Person, die ein entsprechendes Interesse hat, kann es eben zu Konflikten mit anderweitigen Interessen kommen. Ruse bevorzugt demgegenüber eine andere Erklärung, und er knüpft zu diesem Zweck an Mackies Theorie der „obj edification"223 an. Damit will Mackie gerade nicht sagen, daß das emotionale Rohmaterial durch die verallgemeinernde Vernunft seinen bloß subjektiven Charakter verliert, sondern er betont den angeblich illusionären Aspekt der Rede von moralischen Verpflichtungen: Für ihn handelt es sich bei dieser Vorstellung um „a useful fiction" .224 Dabei darf der Untertitel seines Buches Ethics: Inventing Right and Wrong nicht ganz wörtlich genommen werden: Er behauptet nicht, daß die Moral „erfunden" wurde, sondern bezieht sich ausdrücklich auf deren unbewußte Entstehung im Laufe der natürlichen Evolution. 225 Für Mackie ist die Moral ein Überschußphänomen, das dadurch entsteht, daß rationale Egoisten, die klugerweise einen „reziproken Altruismus" zum gegenseitigen Nutzen entwickeln, aufgrund inhärenter Mechanismen der menschlichen Natur Dispositionen entwickeln, die dazu führen, daß sie auch dann im engeren 221

223 224

Siehe Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 71 f. Siehe David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals, S. 283, sowie John Rawls, A Theory of Justice, S. 440-446. J.L. Mackie, Ethics, S. 30-35. Ebd., S. 239.

225

Siehe ebd., S. 113.

222

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

157

Sinne moralisch handeln, wenn dies aus rein egoistischer Perspektive nicht rational ist. Dieses funktional-reduktionistische Verständnis der Moral bietet sich für eine Verbindung mit kruden soziobiologischen Vorstellungen einer EE als besonders plausibel an. Dabei ist charakteristisch, daß nicht mehr von moralischen Verpflichtungen sui generis, sondern nur noch von dem Glauben an moralische Verpflichtungen die Rede ist: „Wilson will see us as having rules which lead us to think that we ought to be altruistic - friendly and helpful - to others. [...] He argues that in fact morality will usually function best when it is done genuinely, because we think it right."226 Ruse referiert hier nicht nur Wilsons Position, sondern verschärft dessen These noch in einem gemeinsam mit Wilson verfaßten Aufsatz: „Human beings function better if they are deceived by their genes into thinking that there is a disinterested objective morality binding upon them, which all should obey."227 Mit Günther Patzig wird man hier einwenden müssen, daß das, was Mackie für einen irrationalen Uberschuß hält, gerade das genuin Moralische ausmacht, das in seinem verallgemeinernden Anspruch auf einem Vernunftinteresse beruht.228 Eine wohlwollende Lesart Ruses müßte daher seine Fiktionstheorie der Moral einschränken, könnte sie aber in einem anderen Sinne gelten lassen: Man kann davon ausgehen, daß die Einnahme des Standpunkts der Moral von allen Menschen erlernt wird, da sich aufgrund der gegebenen anthropologischen und sozialen Umstände dieser Standpunkt praktisch aufzwingt und - anders als etwa die Einnahme des Standpunkts der ästhetischen Bewertung - unvermeidlich ist. In einem bestimmten Sinne sind solche anthropologischen Annahmen kontingent; aber sie haben auch nicht den Status bloßer empirischer Vermutungen. (Wie unten noch ausführlicher zu zeigen sein wird, sieht der Rechtspositivist H.L.A. Hart in dem Hinweis auf den Sonderstatus solcher 226 227 228

Michael Ruse, „The Morality of the Gene", S. 177 u. S. 179. Michael Ruse u. Edward O. Wilson, „Moral Philosophy as Applied Science", S. 179. Vgl. Günther Patzig, Ökologische Ethik, S. 10 f.

158

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Annahmen sogar den rationalen Kern der traditionellen Naturrechtslehre.) Menschen beziehen - zumindest im Regelfall die Innenperspektive des „moralischen Sprachspiels", und dieses „Spiel" läßt sich nicht einfach abschütteln.229 Erhellend ist hier auch der Vergleich mit der religiösen Weltsicht: Man wird Hume zustimmen müssen, daß es sich bei dem religiösen Glauben um keinen „natural belief" (wie etwa den Glauben an die Realität der Außenwelt oder die Gültigkeit des Kausalprinzips) handelt, der quasi instinktiv unser lebensweltliches Handeln leitet. Deshalb läßt sich der religiöse Glaube auch leichter ablegen (wertender: entweder verlieren oder überwinden); und die bloße Erinnerung an den funktionalen "Wert der religiösen Weltsicht - etwa im Sinne der „Kontigenzbewältigung"230 - wird diese Weltsicht auch nicht funktionabel erhalten können. Für diese Sonderrolle des Standpunkts der Moral ist jedoch eben nicht nur sein praktisch unvermeidlicher Erwerb verantwortlich, sondern auch die in ihm implizierte Verallgemeinerungsforderung der praktischen Vernunft: Moralisches Urteilen setzt eben, metaphorisch gesprochen, Herz und Hirn voraus.231 Die von Patzig aufgeführte Forderung der Vernunft, über die 229

230 231

Vgl. dazu Peter F. Strawson, „Freiheit und Ubelnehmen" (urspr. englisch 1962), in: Ulrich Pothast (Hrsg.), Seminar: Freies Handeln und Determinismus, S. 201-233, bes. S. 230; vgl. auch die entsprechende Bezugnahme auf Strawson bei Jürgen Habermas, „Diskursethik - Notizen zu einem Begründungsprogramm", S. 57. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Graz/Wien/Köln: Styria, 1986), S. 160-178. Vgl. dazu Roger Trigg, „Evolutionary Ethics", Biology & Philosophy 1 (1986), S. 325-335, bes. S. 335. Diese Betonung der Rolle der Vernunft bildet den Gegenpol zu der Betonung der Rolle „moralischer Gefühle", wie sie gegen einseitig intellektualistische Positionen (wie etwa bei Gewirth) hervorgehoben werden muß. Auch Kant erkennt zwar an, daß das moralische Gefühl „als subjektive Bedingung der Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff" zugrundeliegt; aber er betont andererseits, daß es sich dabei nicht um eine „objektive Bedingung der Moralität" handelt. Siehe Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, hrsg. v. Wilhelm Weischedel (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1982; urspr. 1797), A 35,36. Gegen Kant wird hier aber angenommen, daß die Vernunft als objektive Bedingung der Moralität nicht hinreichend ist.

4.4 Soziobiologie und metaethischer Skeptizismus

159

Verfolgung des bloßen wohlüberlegten Eigeninteresses hinauszugehen, ist deshalb gerade nicht, wie Ruse (im Anschluß an Mackie) annimmt, als solche irrational. 232 Das wäre sie nur bei einem eingeschränkten Rationalitätsbegriff, der zwar unter Spieltheoretikern verbreitet, aber nicht sachlich begründet ist. Da Ruse den verallgemeinernden „Uberschuß" der Moral jedoch nicht als ihr Spezifikum erkennt und daher die funktional nützliche Konditionierung als einzigen Punkt übrig läßt, gerät seine Theorie in Schwierigkeiten, denn für ihn kann Moral nur noch Täuschung sein. Das ist nicht nur aus den oben aufgeführten Gründen nicht überzeugend, sondern führt auch zu internen Problemen, auf die hier abschließend eingegangen werden soll. Wilson und Ruse treten mit dem Anspruch auf, die Menschheit von jahrhundertealten Irrtümern zu befreien; aber gerade diese „Ent-täuschung" könnte zum Zusammenbruch dieser aufgeklärten Gesellschaft führen. 233 Die Frage ist nämlich, ob die Entlarvung des angeblich illusionären Charakters der Moral nicht deren Zusammenbruch zur Folge haben muß. Mackie spricht diese Frage an, beantwortet sie im Zusammenhang seiner Ethik aber nicht;234 Ruse und Wilson gehen auf die Frage ein, geben aber widersprüchliche Antworten: 232

Selbst Stegmüller, der ansonsten Mackies Position nahesteht, hält an dieser Einsicht fest; siehe Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Band IV (Stuttgart: Alfred Kröner, 1989), S. 305 f: „Vielleicht aber kann man noch über Mackie hinausgehen und die zweite Stufe der Universalisierung zumindest als ein regulatives Prinzip für moralphilosophische Betrachtungen anerkennen."

233

Aus ähnlichen Gründen wendet sich Hume auch gegen eine Uberbewertung der „künstlichen" gegenüber den „natürlichen" Tugenden: Obwohl kooperative Strukturen nützlich für alle Beteiligten sein können, untergraben sie mit ihrer egoistischen Rechtfertigung womöglich àen freundschaftlichen Umgang miteinander. Siehe dazu Annette C. Baier, A Progress of Sentiments: Reflections on Hume's „Treatise" (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1991), S. 246 f.

234

Siehe J.L. Mackie, Ethics, S. 239. In einem späteren Werk geht Mackie aber etwas ausführlicher auf diese Frage ein; siehe J.L. Mackie, Hume's Moral Theory (London/Boston/Henley: Routledge & Kegan Paul, 1980), S. 154156. Dort setzt er sich mit dem „case against morality" (ebd., S. 161) von Ian Hinckfuss auseinander. Er kommt schließlich zu der Beurteilung, daß

160

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Nach Wilson (und seinem Mitautor Ruse?) wird die „moralische Praxis" nicht bedroht, sondern es wird nur die Heuchelei verschwinden: „Bigotry declines."235 Bei Ruse heißt es einerseits pessimistisch: „If everyone recognized the illusionary nature of morality (and could escape from their biology sufficiently to take advantage of this recognition) then very soon people would start to cheat and the whole social system would collapse."236 Andererseits scheint er sich an die Hoffnung zu klammern, daß die psychische (oder gar genetische!?) Konditionierung weiterhin wirksam bleiben wird: „Wenn ich jedoch, wie es der Fall ist, denke, daß die Moral mich wirklich bindet - und selbst die Tatsache, daß ich die Grundlage dafür erkennen kann, ändert nichts an den psychologischen Gegebenheiten - , dann werde ich dazu veranlaßt, mich weiterhin moralisch zu verhalten." 237 Ruses Ausdrucksweise ist hier doppeldeutig: Nach seiner Ansicht ist es nicht der Fall, daß die Moral ihn wirklich (begründet) bindet, sondern es ist nur der Fall, daß er denkt, die Moral binde ihn wirklich. Ob eine als unbegründet entlarvte Moral tatsächlich weiterhin kausal bindet, muß allerdings ernsthaft in Zweifel gezogen werden: Ein entsprechendes soziales Regelsystem wäre zumindest langfristig nicht stabil. Erstaunlicherweise erweist sich in dieser kritischen Durchleuchtung von Ruses Fiktionstheorie der Moral gerade ein Konzept als hilfreich, dessen Leistungskraft üblicherweise gerade als Beleg für die Relevanz der Evolutionsbiologie für die Ethik

235 236 237

es einerseits Sinn macht, an der Sprache der Moral festzuhalten, daß andererseits Moral aber am besten wirkt, wenn sie richtig (im Sinne Mackies) verstanden wird. Michael Ruse u. Edward O. Wilson, „Moral Philosophy as Applied Science"^. 188. Michael Ruse, „Evolutionary Ethics and the Search for Predecessors", S. 66. Michael Ruse, „Noch einmal: Die Ethik der Evolution", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 153-167, hier: S. 165. vgl. Michael Ruse, „Evolutionary Ethics and the Search for Predecessors", S. 67: „Ethical skepticism may be the correct philosophy, but our genes are working flatout to make such a conclusion counterintuitive."

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

161

vorgebracht wird: nämlich das einer evolutionär stabilen Strategie. Dieses und andere Konzepte einer weichen EE sollen im nächsten Unterkapitel ausführlich erörtert werden.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe Die heute verbreitetsten Varianten einer EE setzen sich von früheren Positionen in zwar unterschiedlicher, aber doch entschiedener Weise ab. So heißt es etwa bei Hans Mohr: „Wir wissen heute, daß die Natur, die .Natur des Menschen' eingeschlossen, uns nicht als moralisches Vorbild dienen kann";238 und „der naturalistische Fehlschluß vom Sein auf das Sollen [...] wird in der biologischen Ethikdiskussion strikt vermieden."239 Entsprechend sagt selbst Gerhard Vollmer an einer Stelle: „Die Evolutionäre Ethik ist also keineswegs als eine Alternative zur philosophischen Ethik zu sehen, sondern als ein Versuch, in die Ethik als philosophische Disziplin evolutive Gesichtspunkte einzubeziehen."240 Was bleibt, ist eine „weiche" EE, die sich im wesentlichen auf Fragen der Erklärung des Ursprungs der Moral und auf Fragen der Umsetzbarkeit moralischer Verpflichtungen beschränkt. Dazu ist zunächst zu sagen, daß biologische Erkenntnisse zwar in einem bestimmten Sinne einen direkten Einfluß auf die inhaltliche Formulierung konkreter Verpflichtungen haben können; aber das gilt eben für alles empirische Wissen, das zur Ableitung konkreter Forderungen aus übergeordneten Prämissen herangezogen werden muß. Ob sich auf dieser 238

Hans Mohr, „Evolutionäre Ethik als biologische Theorie", in: Wilhelm Lütterfelds [u. Thomas Möhrs] (Hrsg.), Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus, S. 19-31, hier: S. 30.

239

Hans Mohr, Natur und Moral: Ethik in der Biologie (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987), S. 77. Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 104. Dieser schon oben zitierte Aufsatz wird zwar als Originalbeitrag deklariert, unterschiedet sich aber praktisch kaum von Gerhard Vollmer, „Uber die Möglichkeit einer Evolutionären Ethik", Conceptus: Zeitschrift für Philosophie 20 (1986), S. 51-68.

240

162

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Grundlage gerade „die Schlüsselrolle biologisch-evolutionärer Tatsachen"241 für die philosophische Ethik nachweisen läßt, ist deshalb in Zweifel zu ziehen. Im folgenden soll aber die Position der Befürworter einer EE - nach der erforderlichen Kritik - möglichst stark gemacht werden: Nur wenn wir auch die Argumente prüfen, die die Vertreter einer EE vorbringen sollten (aber nicht unbedingt auch vorbringen), ist eine gerechte Einschätzung dieses Projekts möglich. Das Thema der Erklärung des Ursprungs der Moral wurde schon oben im Zusammenhang mit dem kulturphilosophischen Programm der Soziobiologie abgehandelt. Wenn es sich auf bloß historische Untersuchungen beschränkt, ist es jedenfalls für die systematische Ethik irrelevant. Die Vertreter der EE versuchen deshalb, darüber hinausgehend zu zeigen, daß die aufgewiesenen biologischen Wurzeln auch eine systematische Relevanz haben. Bevor wir die Reichweite dieses Ansatzes erörtern, müssen noch zwei andere Punkte diskutiert werden, die die Möglichkeit eines fruchtbaren Transfers biologischer Konzepte in die philosophische Ethik belegen könnten. Dabei wird im übrigen eine mißliche Doppeldeutigkeit des Begriffs „biologisch" deutlich: Während in anderen Wissenschaften in der Regel unterschiedliche Begriffe zur Benennung des Forschungsgegenstands und der mit diesem Gegenstand befaßten Wissenschaft zur Verfügung stehen, ist das in der Wissenschaft der Biologie üblicherweise nicht der Fall: Der Psychologe hat psychologische, aber nicht unbedingt psychische Probleme; die Biologie befaßt sich mit den „biologischen" Gegebenheiten - und das heißt eben nicht, daß ihr Forschungsgegenstand nur die eige241

Gerhard Vollmer, „Über die Chancen einer Evolutionären Ethik, oder: Wie man Türen zuschlägt", Conceptus: Zeitschrift für Philosophie 21 (1987), S. 87-94, hier: S. 87. Vollmer reagiert in diesem Aufsatz auf zwei Kritiker: Manfred Stöckler, „Uber die Schwierigkeiten und Aussichten einer Evolutionären Ethik", Conceptus: Zeitschrift für Philosophie 20 (1986), S. 69-72; Edgar Morscher, „Was ist und was soll Evolutionäre Ethik? (oder: Wie man offene Türen einrennt): Ein Kommentar zu Gerhard Vollmers Programm einer Evolutionären Ethik", Conceptus: Zeitschrift für Philosophie 20 (1986), S. 73-77.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

163

ne Wissenschaft selbst ist.242 Das Überleben ist eine biologische Kategorie, die zwar von zentraler Bedeutung für die biologische Theoriebildung ist, zunächst einmal aber als empirische Größe gilt, die nach Ansicht vieler Vertreter einer EE auch in den Mittelpunkt der philosophischen Ethik gerückt werden muß - und zwar angeblich aus naturwissenschaftlichen Gründen. Demgegenüber entstammt der Begriff der „evolutionär stabilen Strategie" (ESS) der aktuellen Theoriebildung der Soziobiologie;243 und dieser Begriff könnte in dem Sinne eine Relevanz der Biologie (als Wissenschaft) für die philosophische Ethik in sich bergen, insofern er aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst und im Rahmen einer anderen Wissenschaft fruchtbar gemacht werden könnte. All diese unterschiedlichen Arten, in denen eine weiche EE eine Orientierungshilfe für die philosophische Ethik bilden könnte, müssen separat untersucht werden.

4.5.1 Die Bedeutung ¿evolutionär stabiler Strategien" Das Konzept einer „evolutionär stabilen Strategie" (ESS) wurde oben schon im Zusammenhang mit der Darstellung der spieltheoretischen Grundlagen des biologischen Programms der Soziobiologie angesprochen. Die wichtigsten Arbeiten zu diesem 242

Es wäre daher bedenkenswert, im Deutschen konsequent eine Unterscheidung anzuwenden, die in der derzeit vorherrschenden Wissenschaftssprache, nämlich dem Englischen, inakzeptabel künstlich klänge: Die biologische Evolutionstheorie befaßt sich mit der biotischen Evolution. Siehe dazu die Begriffsverwendung bei Rolf Löther, Artikel „biologische Evolutionstheorie", in: Herbert H ö r z u.a. (Hrsg.), Philosophie und Naturwissenschaften: Wörterbuch zu den philosophischen Fragen der Naturwissenschaften [Neuausgabe 1991 in 2 Bänden] (Berlin: Dietz, 3 1991), Band 1, S. 135-138. Ahnliche begriffliche Probleme gibt es in der Ö k o logie, von der man präziserweise sagen müßte, daß sie sich mit unseren „ökischen" Problemen beschäftigt.

243

Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 100: „Ich habe den Verdacht, daß wir eines Tages vielleicht auf die Erfindung des Begriffes der ESS als auf einen der bedeutendsten Fortschritte in der Evolutionstheorie seit Darwin zurückblicken werden."

164

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Thema stammen von dem Biologen John Maynard Smith, der definiert: „Evolutionär stabil ist eine Strategie, die - nachdem sie von der Mehrzahl der Mitglieder einer Population übernommen worden ist - einer mutanten Strategie keine Chance läßt."244 Üblicherweise wird dieses Konzept verdeutlicht anhand des Zusammentreffens von „Tauben"- und „Falken" Strategien innerhalb einer Art:245 „Tauben" fliehen im Konfliktfall, „Falken" kämpfen so lange, bis eine der beiden Konfliktparteien kampfunfähig ist oder die Gegenpartei flieht - wobei sie selber niemals fliehen. Es läßt sich nun zeigen, daß - unter plausiblen Nebenannahmen - weder eine reine „Tauben" - noch eine reine „Falken" -Strategie evolutionär stabil ist: Wenn sich in einer Population alle immer wie „Tauben" verhalten, wird ein durch Mutation entstandener „Falke" sehr erfolgreich sein. Spieler, die aber immer nur die „Falken" -Strategie wählen, werden in einer Population, in der sich alle immer wie „Falken" verhalten, des öfteren größere Nachteile verkraften müssen, als wenn sie die „Tauben"-Strategie verfolgten. Es gibt aber eine Strategie, die „evolutionär stabil" ist, insofern sie von keiner alternativen Strategie übertroffen werden kann: Dies ist eine Mischstrategie, die die Spieler manchmal wie „Tauben" und manchmal wie „Falken" handeln läßt, wobei sich eine ganz bestimmte Häufigkeitsverteilung - bzw. eine ganz bestimmte Taktik des Reagierens auf das Verhalten der Gegenspieler - als optimal stabil (was nicht unbedingt heißt, daß sie für die beteiligten Individuen optimal ist!246) herausstellt. Das bedeutet nicht, daß diese optimal stabile Strategie von jedem einzelnen Spieler verfolgt wird; sie könnte sich auch dadurch durchsetzen, 244

John Maynard Smith, „Die Evolution des Verhaltens", S. 168. Genauer müßte man vielleicht zwischen dem evolutionär stabilen Zustand („evolutionary stable state" ) einer Population und der evolutionär stabilen Strategie („evolutionary stable strategy") eines Individuums unterscheiden; siehe Elliott Sober, Philosophy of Biology (Oxford: Oxford University Press, 1993), S. 136-138.

245

Vgl. dazu ausführlich: John Maynard Smith, Evolution and the Theory of Games (Cambridge: Cambridge University Press, 1982), S. 10-27. Siehe Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 87 u. S. 90.

246

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

165

daß sich in einer Population ein entsprechendes Mischverhältnis von Spielern etabliert, die sich entweder nur gemäß der einen oder nur gemäß der anderen Strategie verhalten. Diese Betrachtungsweise läßt sich mit ihren weitreichenden Konsequenzen modellhaft besonders gut anhand von Axelrods Computerturnier zum Gefangenendilemma illustrieren. Dort sahen wir, daß sich in mehreren Turnieren unter den Bedingungen eines iterierten Gefangenendilemmas die Strategie TIT FOR TAT als sehr erfolgreich herausstellte: eine Mischstrategie, die weder immer kooperiert noch immer mogelt. Allerdings zeigte sich, daß in dem ersten Turnier die Strategie TIT FOR TWO TATS noch erfolgreicher gewesen wäre: Unter den gegebenen Umständen hätte sich also eine geringere „Provozierbarkeit" (mit dem gleichen Maß an „Nettigkeit" und „Vergebungsbereitschaft" ) für einen Spieler besonders ausgezahlt.247 Interessanterweise reichte im zweiten Turnier gerade der Experte John Maynard Smith dieses Programm ein, mußte dann aber feststellen, daß es dieses Mal weniger erfolgreich war als TIT FOR TAT.248 Das lag daran, daß TIT FOR TWO TATS erst nach zwei hintereinanderfolgenden Mogelzügen des Gegners selber auch mogelt, auf diese Weise aber ausnutzbar ist. Mehrere (gezielte!) „Mutanten" waren im zweiten Turnier gerade so konstruiert, ab und zu einmal zu mogeln. Diese Programme waren zwar insgesamt nicht so erfolgreich wie TIT FOR TAT, trugen aber dazu bei, daß TIT FOR TWO TATS nur den 24. Platz erreichte. TIT FOR TWO TATS ist also keine ESS. Die Frage nach der evolutionären Stabilität einer Strategie scheint damit unsere Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Punkt gelenkt zu haben, der sich für die ethische Prüfung von Maximen eignen könnte. Vollmer geht so weit, nicht nur die moralphilosophische Relevanz des Begriffs der ESS zu behaupten, sondern er setzt die „sinnvolle" sogar mit der „evolutionär

247 248

Siehe Robert Axelrod, The Evolution Ebd., S. 47.

of Cooperation,

S. 119.

166

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

stabilen" Konfliktlösung gleich.249 Diese These ist schon deswegen problematisch, weil es für die meisten Konfliktsituationen mehrere ESS gibt; und oft hängt es allein von zufälligen Ausgangsbedingungen ab, zu welcher ESS sich eine Population hin entwickelt.250 So ist es möglich, daß sich in einer Population bei Revierkämpfen die folgende Strategie entwickelt: „Wenn du der Ansässige bist, dann greif an; wenn du der Eindringling bist, dann zieh dich zurück!" Stattdessen könnte sich aber auch eine andere ESS etablieren: „Wenn Ansässiger, zieh dich zurück; wenn Eindringling, greif an!" 251 Dabei ist es zwar theoretisch möglich, daß es zu „Sprüngen" in den „Anziehungsbereich" der anderen ESS kommt; aber auch bei einem möglichen Schwanken zwischen entgegengesetzten Polen können verschiedene ESS gleichermaßen stabil sein: Ist einmal eine bestimmte ESS erreicht, wird jedes einzelne Abweichen sofort „bestraft".252 Das Bestehen des ESS-Tests kann jedenfalls kein hinreichendes Kri249 250

251 252

Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 119; vgl. ebd., S. 129. Stanislaw Lem überträgt ähnliche Überlegungen auf die Analyse der menschlichen Kuhurgeschichte; siehe Stanislaw Lem, „Die Ethik der Technologie und die Technologie der Ethik", S. 357, wo er schreibt, „daß die Ethik einer Gruppe eine probabilistische Wanderung durchmacht und verschiedene Zustände durchläuft, bis sie einen Zustand erreicht, der sich als stationär herausstellt und damit die Rolle des .Absorptionsschirms' spielt." Es könnte scheinen, als ob die Stabilität dieser Zustände ethisch relevant wäre; wie Lem zeigt (ebd., S. 374), ist dieser Schein jedoch irreführend: „Nur versagen instrumenteile Argumente (was die Unterstützung humanistischer Bestrebungen angeht) bei stationären Kulturen, wenn in der einen eher Milde und in der anderen eher Grausamkeit herrscht, denn es kann durchaus sein, daß das Gesamtgleichgewicht in beiden gleichermaßen stabil ist." Siehe Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 93. Siehe ebd., S. 83 f; vgl. ebd., S. 93-97 u. S. 218. Zwar gibt es auch Fälle, in denen eine ESS sich gegenüber einer anderen ESS als quasi „stabiler" erweisen könnte (obwohl nach Definition eine ESS durch keine alternative Strategie übertroffen werden kann!). Dies beruht darauf - wie Axelrod in seinem Computerturnier zeigte —, daß manchmal eine Invasion einer bestimmten ESS zwar nicht durch ein abweichendes Individuum, aber doch durch eine in mehreren Individuen gleichzeitig auftretende Abweichung möglich ist. Wie schon oben erwähnt, ist eine reine „Mogel" -Gesellschaft

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

167

t e r i u m für m o r a l i s c h e A k z e p t a b i l i t ä t bilden; d e n n es ist völlig unplausibel, d a ß u n s e r e A u s w a h l z w i s c h e n m e h r e r e n - u n d o f t e n t g e g e n g e s e t z t e n - E S S i m m e r völlig beliebig sein sollte ( w i e es e t w a bei d e r E n t s c h e i d u n g z w i s c h e n d e m R e c h t s - u n d L i n k s f a h r g e b o t in d e r S t r a ß e n v e r k e h r s o r d n u n g prinzipiell d e r Fall wäre). B e s c h e i d e n e r ist d e m g e g e n ü b e r die T h e s e , das B e s t e h e n des E S S - T e s t s k ö n n t e w e n i g s t e n s eine notwendige

Bedingung m o -

ralischer A k z e p t a b i l i t ä t bilden. 2 5 3 D i e s ist w o h l die A n s i c h t W o l f g a n g W i c k l e r s , w e n n er d a v o n s p r i c h t , d a ß auf diese W e i se ein „biologisches W e r t u r t e i l " gefällt w e r d e n kann, das f ü r die E t h i k „ w i c h t i g " ist. 2 5 4 E i n e s o l c h e A u f f a s s u n g k ö n n t e sich o r i e n t i e r e n an d e r R o l l e , die die Publizitätsbedingung

in R a w l s '

T h e o r i e d e r G e r e c h t i g k e i t spielt. R a w l s ü b e r n i m m t v o n K u r t B a i e r die F o r d e r u n g , d a ß m o r a l i s c h e P r i n z i p i e n universal

lehr-

bar sein m ü s s e n . 2 5 5 D i e d a m i t i m p l i z i e r t e O f f e n t l i c h m a c h u n g

gegen ein vereinzeltes Auftreten von T I T F O R TAT immun; einer Gruppe von T I T F O R TAT kann die Invasion jedoch gelingen. Daß die umgekehrte Invasion einer TIT-FOR-TAT-Gesellschaft durch reine „Mogler" nicht möglich ist, ist eine Asymmetrie, die Axelrod optimistisch als positive „Sperrklinke" der Evolution deutet; siehe Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation, S. 177. Dieser Sonderfall ändert aber nichts daran, daß es auch viele Fälle gibt, in denen prinzipiell verschiedene ESS möglich sind und letztlich nicht eine „Sperrklinke", sondern der Zufall entscheidet, auf welcher ESS sich eine Population einpendelt. 253

254

255

Vgl. Neil Tennant, „Evolutionary v. Evolved Ethics", S. 302, wo er das folgende Projekt anregt: „predicting what would befall our species if, as it were, various maxims were to spread in the population. Whether we would still need criteria of ultimate value in assessing the various outcomes is a question I cannot tackle." Zum Nachsatz Tennants ist zu sagen, daß wir oben sahen, warum dieser Test jedenfalls nicht hinreichend ist. Siehe Wolfgang Wickler, „Hat die Ethik einen evolutionären Ursprung", in: Peter Koslowski, Philipp Kreuzer u. Reinhard Low (Hrsg.), Die Verführung durch das Machbare, S. 125-140, hier: S. 138. Siehe zum Folgenden: John Rawls, A Theory of Justice, S. 130 (Anm.), S. 133, S. 181, u. S. 454. Rawls bezieht sich mit dem Begriff der „universal teachability" auf Kurt Baier, The Moral Point of View: A Rational Basis of Ethics (Ithaca/London: Cornell University Press, 1969; urspr. 1958), S. 195 f.

168

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

der tatsächlich grundlegenden Prinzipien schließt etwa bestimmte Formen des Egoismus als moralisch akzeptabel aus, falls eine egoistische Begründung von Gerechtigkeitsprinzipien nur dann effektiv funktionieren würde, wenn die meisten Mitglieder einer Gesellschaft etwa über die Grundlage ihrer Pflicht zum Rechtsgehorsam getäuscht würden. 256 Damit ist noch nicht gezeigt, welche Moralkonzeption die (zumindest vergleichsweise) beste ist; aber es sind doch schon einige Kandidaten ausgeschlossen, so daß sich die weitere Diskussion auf eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten Gegenpositionen (für Rawls: die Verteidigung seiner Vertragskonzeption gegenüber verschiedenen Spielarten des Utilitarismus) konzentrieren kann. Eine ähnliche „Filter"-Leistung könnte nun auch der ESS-Test erbringen. Wie wir schon oben sahen, könnte er zum Beispiel zur Kritik von Ruses Verteidigung einer „Täuschungstheorie" der Moral dienen: Eine solche Gesellschaft wäre wahrscheinlich nicht evolutionär stabil, weil Egoisten, die sich lediglich der Rhetorik des Standpunkts der Moral bedienen und diesen ansonsten zynisch unterlaufen, erfolgreicher sein können als Personen, die in dieser angeblichen Täuschung befangen sind. Erst recht wäre die „moralische Verfassung" dieser Gesellschaft nicht stabil, wenn einerseits auf Täuschung gesetzt, andererseits diese Täuschung aber als solche entlarvt würde. Kulturpessimisten könnten auf dieser Grundlage auch den radikaleren Verdacht äußern, daß eine säkularisierende Aufklärung durch ihre In-Frage-Stellung aller traditionellen Normen vielleicht von einer „offenen" über eine permissive Gesellschaft zum Chaos führt und sich so selbst aufhebt. Nach dem ESS-Test wäre dann eine „geschlossene" Gesellschaft, falls sie tatsächlich stabiler sein sollte (was mit guten

256

In ähnlicher Weise müßte ein radikaler Handlungsutilitarismus verworfen werden, wenn er nur dann tatsächlich zum „größten Glück der größten Zahl" führen würde, wenn die Mitglieder der Gesellschaft so abgerichtet werden müßten, daß sie glaubten, es gäbe - entgegen den Grundlagen der vorausgesetzten Theorie - unbedingt geltende kategorische Imperative.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

169

Gründen in Zweifel gezogen werden kann), vorzuziehen.257 Da diese aber aus anderen Gründen nicht wünschenswert ist, bietet sich hier eine Schlußfolgerung an, die von Vertretern der EE des öfteren als philosophisch bedeutsame Erkenntnis aus der Evolutionstheorie angeführt wird; nämlich „daß nur Mischstrategien evolutionär stabil sind. [...] Auch innerhalb der Sippe, also im Einzugsgebiet der inclusive fitness, beobachten wir demgemäß Mischstrategien: Altruismus und Egoismus, Liebe und Haß, Verzicht und Bereicherung, Mitleid und Schadenfreude, Gewaltlosigkeit und Gewalttätigkeit."258 Das Konzept der Mischstrategie ist allerdings keineswegs so unproblematisch übertragbar, wie dies hier erscheint. Zum einen ist die empirische Basis fragwürdig. In dem bekannten „Tauben"/„Falken"-Beispiel ist dies zwar der Fall; aber es gibt durchaus auch Spiele mit einseitigen Strategien, die evolutionär stabil sind. So ist etwa die Strategie „Kooperiere nie!" auch im iterierten Gefangenendilemma eine ESS, wenn sie sich einmal etabliert hat. Außerdem wird in diesem Zusammenhang besonders deutlich, daß es überhaupt fraglich ist, ob optimale evolutionäre Stabilität ein akzeptables Kriterium für moralische Akzeptabilität ist. Sollte man etwa sagen: „Es ist moralisch geboten, manchmal zu hassen" ? Zur Verdeutlichung dieser Problematik bietet sich ein anderes Beispiel an, das oben schon einmal kurz angesprochen wurde, nämlich Mackies Polemik gegen „Heilige", die gerade an das Konzept einer ESS anknüpft. 259 In der „kalten" Analyse des Spieltheoretikers folgt der Heilige nämlich einem zu „weichen" Programm, das aufgrund seiner zu geringen Provozierbarkeit Mutanten, die im Gegensatz zu den „netten" Program-

257 258

259

Vgl. dazu die kulturpessimistischen Ausführungen bei Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, bes. S. 165 ff. Hans Mohr, „Evolutionäre Ethik als biologische Theorie", S. 27. Vgl. dazu auch Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 120. Siehe John L. Mackie, „The Law of the Jungle", S. 463.

170

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

men manchmal als erste mogeln, zum Erfolg verhilft.260 Die Vertreter einer EE stehen hier vor einem Dilemma: Sollen wir unsere grundlegenden Uberzeugungen bezüglich moralischer Akzeptabilität ändern, nur weil das Konzept der ESS besagt, daß in diesem Fall die traditionelle Moral und die Rationalität der Spieltheorie zu unterschiedlichen Bewertungen führen? Mindestens ebenso nahe liegt doch der Schluß, daß das Konzept der ESS eben keine so grundlegende Bedeutung für die philosophische Ethik hat, wie dies manchmal glauben gemacht wird. Zwar ist die traditionelle Moral nicht sakrosankt; aber für ihre Veränderung müssen erst einmal gute Gründe vorgebracht werden. Die starke Betonung des ESS-Tests weist allerdings auf einen wichtigen Punkt hin, ohne diesen jedoch korrekt zu bezeichnen. Tatsächlich ist Stabilität nämlich ein für die philosophische Ethik relevanter Aspekt. Rawls benutzt selber Stabilitätserwägungen, sowohl um seine Theorie der Gerechtigkeit auf dieser Seite abzusichern, als auch um ihre Vorteile gegenüber konkurrierenden Theorien aufzuzeigen. Dabei geht es aber nicht um optimale, sondern nur um hinreichende Stabilität.261 Während bei Hobbes ein starker Staat nötig ist, um künstlich die Stabilität einer Gesellschaft von Egoisten zu sichern, sind die Rawlsschen Vertragspartner keine bloßen Egoisten, sondern akzeptieren einander als Gleiche. Ihr „Sinn für Gerechtigkeit" und ihre „Sorge" um das Wohl anderer (die von Rawls-Kritikern manchmal übersehen wird, weil sie in die Rahmenbedingungen der Verhandlungssituation eingebaut ist und nicht explizit „verhandelt" wird) stellen sicher, daß eine Ge260

261

Konsequente Spieltheoretiker zeigen sogar, daß nach ihren Kriterien TIT FOR TAT unter bestimmten Umständen zu wohlwollend ist, weil es diejenigen Programme, die nicht schnell provozierbar sind, nicht ausnutzt obwohl das ungestraft möglich wäre. Siehe Martin A. Nowak, Robert M. May u. Karl Sigmund, „Das Einmaleins des Miteinander", S. 52. Siehe John Rawls, A Theory of Justice, wo er zwar zunächst (S. 498) fragt, welche Gerechtigkeitskonzeption die stabilste ist, sich aber abschließend (S. 504) mit dem Nachweis zufriedengibt, daß seine Konzeption „stable enough" ist.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

171

sellschaft entsteht, deren grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien jedermann zustimmen kann - und zwar auch, wenn durch das Differenz-Prinzip etwa die Gehaltsstruktur innerhalb dieser Gesellschaft Abstufungen aufweist: Wenn garantiert ist, daß diese Unterschiede auch zur Verbesserung der Lage der am schlechtesten Weggekommenen beitragen, ist das Möglichste getan, um destabilisierenden Neid zu vermeiden. Eine solchermaßen organisierte Gesellschaft kann sich auch einige Trittbrettfahrer leisten. Solange sichergestellt ist, daß eine hinreichende Anzahl von Menschen sich den gemeinsamen Prinzipien verbunden fühlt, ist nicht zu befürchten, daß der Trittbrettfahrer allzu viele Nachahmer finden und die Grundstruktur der Gesellschaft dadurch ernsthaft gefährdet wird. (Im übrigen zeigt sich hier, daß Stabilitätserwägungen eher für die politische Philosophie als für die Ethik - die sich zumindest auch mit individuellen Verpflichtungen befaßt - relevant sind. Vielleicht ist das auch ein Beleg dafür, daß Erkenntnisse der Evolutionsbiologie, für die die Betrachtung von Populationen charakteristisch ist, überhaupt eher für die Politikberatung, der es um eine effektive Sozialtechnologie - bzw. genauer: Sozialtechnik geht, als für die Ethik relevant sind.) Beispiele für gefährliche Instabilitäten können dabei durchaus auch aus biologischen Gedankenmodellen abgeleitet werden. So könnte für den Umgang der Menschen mit Problemen der Überbevölkerung und der Knappheit natürlicher Ressourcen der Blick des Evolutionsbiologen zur besseren Orientierung beitragen.262 Louis Pascal weist darauf hin, daß eine „natürliche" Weiterentwicklung der Menschheit notwendigerweise zu Uberbevölkerungsproblemen führen wird: Die Zurückhaltung kluger Menschen bezüglich einer übermäßigen Fortpflanzung fällt überhaupt nicht ins Gewicht angesichts der sich selbst verstärkenden Tendenz „erfolgreicher" Gene, sich exponentiell zu vervielfältigen. Wenn die Überbevölkerungsprobleme ernstgenommen werden sollen, macht diese Überlegung deutlich, welch große (und schnelle!) Anstrengungen 262

Vgl. Antony Flew, Darwinian Evolution, S. 130.

172

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

zur Lösung dieses Problems erforderlich sind.263 Zu diesen Anstrengungen könnte auch eine Einsicht aus dem „Wettrüsten" zwischen Wirten und Parasiten beitragen: Parasitenarten, die zu erfolgreich in der Ausnutzung ihrer Wirte sind, ziehen den optimalen kurzfristigen Nutzen aus diesen Wirten, die daraufhin aber aussterben. Damit haben sich die Parasiten ihrer eigenen Lebensgrundlage beraubt und folgen ihren Wirten bald nach in den Untergang. Damit soll nicht einer obskurantistischen „Gaia" -Hypothese (die den gesamten Planeten Erde als Lebewesen deutet) das Wort geredet werden;264 aber das biologische Beispiel könnte deutlich vor Augen führen, daß kurzfristige Erfolge der Menschheit auch im Lichte langfristiger Interessen bewertet werden sollten. Verfechter des ESS-Tests könnten in einem Rückzugsgefecht versuchen, über ihren ursprünglichen Ansatz zur optimalen Stabilität nicht bloße Orientierungshilfe zu geben, sondern zumindest einen materialen Wert als solchen nachzuweisen, der vielen Vertretern einer EE als zentrales Kriterium nicht nur der Biologie, sondern auch der Ethik erscheint: den des Uberlebens. Auch dieses Argument ist aber erstaunlicherweise nicht schlüssig: Nach den etablierten Definitionen einer ESS ist es nämlich keine notwendige Bedingung für das Etablieren einer ESS, daß die Population mit dieser Strategie langfristig weiterbestehen kann. Dawkins macht diese Konsequenz explizit: „Man beachte übrigens, daß eine Population von Betrügern zwar möglicherweise mit größerer Wahrscheinlichkeit ausstirbt als eine Population von Nachtragenden, daß dies aber keineswegs ihren Status als ESS beeinträchtigt. Wenn eine Population bei einer ESS anlangt, die sie dem Untergang weiht, dann geht

263

Siehe Louis Pascal, „ H u m a n Tragedy and Natural Selection", Inquiry 21 (1978), S. 443-460; vgl. dazu die Kritik von J. Patrick G r a y u. Linda Wolfe, „The Loving Parent Meets the Selfish G e n e " , Inquiry 23 (1980), S. 233-251, sowie die Reaktion von Louis Pascal, „Rejoinder to G r a y and Wolfe", Inquiry 23 (1980), S. 242-251.

264

Als Begründer dieser Theorie wird heute oft James Lovelock aufgeführt. Sie ist aber schon bei Gustav Theodor Fechner zu finden.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

173

sie eben unter, da ist nichts zu machen."265 Wenn also Überleben als solches ein Wert ist, dann muß dies auf einer anderen Grundlage nachgewiesen werden.

4.5.2 Der Wert des Überlebens Wenn Lem es als „Minimum an Tauglichkeit einer Kultur" betrachtet, „daß sie mindestens so gut überlebt wie Arten, die keine Kultur besitzen" ,266 dann scheint er Uberleben per se als Wert zu betrachten. Der Kontext macht jedoch deutlich, daß er hier für seine kulturphilosophischen Zwecke den Standpunkt der Biologie bzw. sogar den Standpunkt einer personifizierten Evolution einnimmt. Dieses geschieht natürlich nur metaphorisch; denn er sagt ausdrücklich: „Diese Axiomatisierung, nämlich dem Leben den höchsten Wert beizumessen, ist weder eine empirische noch eine logische Notwendigkeit." 267 Damit relativiert er den Begriff des „Werts" aber so stark, daß er keine ethischen Implikationen mehr beinhaltet. Wir sahen schon im Rahmen der Kritik der biologistischen Positionen von Wilson und Eibl-Eibesfeldt, daß eine moralische Verpflichtung zum „Uberleben" nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf und die vorgebrachten biologischen Erwägungen jedenfalls nicht auf sich allein gestellt eine entsprechende Begründung leisten können. Dies wurde schon deutlich an der Unklarheit bei der Bestimmung des Subjekts des Überlebens. Die Rede vom Überleben macht normalerweise nur Sinn im Zusammenhang mit dem Leben von Individuen, die etwa eine Katastrophe überlebt haben. Dauerhaft überleben kann aber kein einziges Individuum; und deshalb schwanken Wilson und Eibl-Eibesfeldt auch zwischen den Geboten, die eigenen Gene weiterzugeben oder zur Weiterexistenz der Menschheit (bzw. des menschlichen Gen-Pools) beizutragen. 265 266 267

Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 218. Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls, Band 2, S. 52. Ebd.

174

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Eine interessen- oder intuitionenbasierte Ethik müßte das Gebot zur Erhaltung des homo sapiens von den faktischen Wünschen aller Beteiligten - aber auch der bloß Mitbetroffenen - abhängig machen. Das entsprechende Gebot würde dann allenfalls kontingenterweise gelten; und es ist nicht einmal ausgemacht, daß unsere faktischen Interessen und Intuitionen entsprechend gedeutet werden können oder ein ethisches Testverfahren zu einem entsprechenden Ergebnis führen würde. Hier ist zwar der Einwand zu berücksichtigen, daß zukünftige Generationen mitbetroffen sind und nicht über ihren Kopf hinweg solch weitreichende Entscheidungen getroffen werden dürfen. Aber es ist andererseits keineswegs klar, daß deren Mitbetroffensein etwa ein Fortpflanzungsgebot rechtfertigen könnte. Es läßt sich zwar ein Gebot begründen, daß zukünftigen Generationen keine inakzeptablen Lebensbedingungen hinterlassen werden dürfen: In diesem Sinne können manche Interessen begründete Ansprüche an uns darstellen, ohne daß deren Träger schon existieren. Es ist aber eine ganz andere Frage, ob es Sinn macht, zukünftigen Generationen ein Recht zuzusprechen, überhaupt Existenz zu erlangen, da es im Falle einer „Zuwiderhandlung" die entsprechenden angeblichen Rechtsträger überhaupt nie gegeben hat und auch nie geben wird.268 Es ließe sich sogar argumentieren, daß es unter bestimmten Umständen geboten sein könnte, sich nicht fortzupflanzen. Eine pessimistische Weltsicht bringt etwa Schopenhauer zu der Auffassung, daß die zeugungswilligen Liebenden „Verräther sind, welche heimlich danach trachten, die ganze Noth und Plackerei zu perpetuiren, die sonst ein baldiges Ende erreichen würde" .269 Der Schopenhauer-Schüler Philipp Mainländer 268

269

Siehe Joel Feinberg, „Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen", bes. S. 172 f. Dieselbe Position vertritt auch Günther Patzig, Ökologische Ethik, S. 16 f. Arthur Schopenhauer, „Metaphysik der Geschlechtsliebe", in: ders., Die Welt als Wille und Vorstellung [= Zürcher Ausgabe der Werke Arthur Schopenhauers, Bände I-IV], hrsg. v. Arthur Hübscher (Zürich: Diogenes, 1977; urspr. 1819 bzw. 1844), Zweiter Band, Zweiter Teilband, S. 621656, hier: S. 656.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

175

geht sogar noch weiter als sein Lehrer und befürwortet in seiner Philosophie der Erlösung270 nicht nur allgemeine Virginität, sondern auch individuellen und sogar kollektiven Selbstmord, den er allerdings zwanglos durch den Konsens wohlinformiert und wohlüberlegt entscheidender Individuen erreichen will. Mainländer sucht diese ethische Forderung zwar teilweise auch normativ-naturalistisch über eine angeblich der gesamten Evolution des Kosmos innewohnende Tendenz zur allgemeinen Auslöschung zu rechtfertigen. Aber wenn wir von diesen fragwürdigen Fundierungsversuchen absehen, ist schwer zu sehen, was sich ethisch gegen eine solche Entscheidung der Menschheit sagen ließe, wenn die genannten Bedingungen tatsächlich erfüllt wären. Auch durch das formale Verallgemeinerungsgebot des kategorischen Imperativs läßt sich jedenfalls keine moralische Pflicht zur Sicherstellung der Fortexistenz der Menschheit begründen.271 Ein Denker, der besonders deutlich gesehen hat, daß sich weder allein auf der Grundlage biologischer Erkenntnisse noch allein auf der Grundlage einer kantischen Ethik eine Verpflichtung der Menschheit zum Uberleben begründen läßt, ist Hans Jonas, der schreibt:

270

Philipp Mainländer, Die Philosophie

der Erlösung,

Band 1 (Frankfurt

a.M.: Jaeger'sche Verlags-Buch- und Landkartenhandlung (C. Koenitzer's V e r l a g ) , 3 1 8 9 4 ; urspr. 1876); Philipp Mainländer, Die Philosophie Erlösung,

der

Band 2 (Frankfurt a.M.: Jaeger'sche Verlags-Buch- und Land-

kartenhandlung ( C . Koenitzer's Verlag),

21894;

urspr. 1882-1886). Z u

Mainländer vgl. ausführlicher: Bernd Gräfrath, „Sozialdemokratie oder Selbstmord: Philipp Mainländers .Philosophie der Erlösung"' ,Juni: gazin für Kultur

Ma-

und Politik, Heft 19 (Dezember 1993), S. 9 7 - 1 0 4 , so-

wie Bernd Gräfrath, „Pessimismus, Egoismus, Sozialdemokratie: Philipp Mainländers ,Philosophie der E r l ö s u n g " , Schopenhauer-]ahrbuch

77

(1996), S. 2 1 1 - 2 4 0 . 271

Vgl. dazu Kants Argumente gegen den Selbstmord, die auf der Grundlage seiner ethischen Theorie allein nicht schlüssig sind; siehe Immanuel Kant, Grundlegung praktischen

Vernunft

zur Metaphysik

der Sitten (1785), in: ders., Kritik

und Grundlegung

zur Metaphysik

der

der Sitten, hrsg.

v. Wilhelm Weischedel (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1982), B A 53, 54.

176

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Jedem steht es frei, „Werte" überhaupt als bloß subjektive, entweder biologisch oder umstandsbedingte Präferenzen anzusehen und im besonderen das Verantwortungsgefühl (wie jede Form des Sollenswahns) als eine von der Evolution begünstigte, dem Gattungsüberleben förderliche Zweckausstattung - die als solche natürlich der Gattung selbst keinen höheren Titel auf Uberleben verleiht als irgendeine sonstige Zweckausstattung irgendeiner sonstigen Tierart. Ganz gewiß ist der einzelne dem „Imperativ" einer solchen biologischen Programmierung keinen Gehorsam schuldig - dieser so wenig wie dem Imperativ anderer evolutionärer Gaben, wie etwa dem Sexualtrieb oder Aggressionstrieb - , geschweige denn, daß diese Disposition, mit der so viele andere konkurrieren, ihn der Idee des immer weiteren Daseins einer Menschheit nach ihm verpflichtet. 272

Zwar suggeriert Jonas hier irreführenderweise, daß für alle Ethikkonzeptionen, die die Existenz an sich existierender Werte leugnen, die Idee moralischer Verpflichtungen als bloßer „Sollenswahn" gedeutet werden müsse; aber seine Erkenntnis ist richtig, daß er ohne diese Annahme materialer Werte jedenfalls nicht zur Begründung einer Verpflichtung zur Sicherung der Weiterexistenz der Menschheit kommen kann. Ob dies gelingen kann, selbst wenn man die Annahme solcher Werte „schenkt", wird noch zu prüfen sein. Zunächst müssen aber die Prämissen von Jonas' Ethik analysiert werden, die er auch selbst explizit nennt. Er macht nämlich deutlich, daß seine Ethik „in die Metaphysik reichen" muß,273 um zu dem angestrebten Imperativ zu kommen; bzw. neutraler: um für den als gültig vorausgesetzten Imperativ eine Grundlage zu finden, die seine Ableitung erlaubt. Dabei müssen allerdings zwei Begründungsstränge unterschieden werden, die u.a. nach ihren ontologischen Voraussetzungen separat bewertet werden müssen. Das Ausmaß dieser ontologischen Voraussetzungen scheint auch von Jonas selbst als relevanter Maßstab anerkannt zu werden; denn er beansprucht nicht, seine spezifische Ontologie zu „beweisen", sondern bescheidet sich damit, sie nur als „eine Opti272

273

Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994; urspr. 1992), 139 f. Zu seiner Kant-Kritik siehe Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989; urspr. 1979), S. 167-170. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 8.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

177

on"274 zu präsentieren, die mit anderen Ontologien konkurrieren kann. Da Ontologien wiederum nach unterschiedlichen Kriterien gewichtet werden müssen, die nicht unbedingt alle in dieselbe Richtung weisen - denn zwischen ontologischer Sparsamkeit und methodologischer Einfachheit besteht oft eine umgekehrte Proportionalität275 - , ist wohl auch Jonas in einem bestimmten Ausmaß pragmatischen Abwägungsgesichtspunkten verpflichtet. Die Debatte könnte dann eventuell auf die Frage zurückgeführt werden, ob man bereit ist, eine weitreichende (und damit, wenn man Mackies „argument from queerness" gelten läßt, problematische) Ontologie aufzubauen, um bestimmten grundlegenden moralischen Intuitionen gerecht zu werden, oder ob man bestimmte moralische Intuitionen aufgeben muß, um zumindest in einem gewissen Ausmaß den Forderungen von Ockhams Rasiermesser gerecht zu werden. Bevor wir zu diesem Begründungsproblem übergehen, müssen die beiden Hauptstränge von Jonas' Argumentation separat diskutiert werden. Diese beruhen auf zwei Hauptthesen, die am besten durch zwei Zitate belegt werden, die sich teilweise schon in ihrer Wortwahl weit vom mainstream der Gegenwartsphilosophie entfernen (was an sich natürlich noch kein Fehler ist): 1. „Es geht um den Fortgang des gesamten irdischen Schöpfungswunders, von dem unser Menschendasein ein Teil ist und vor dem sich Menschenandacht auch ohne »Begründung' neigt."276 2. Für ihn ist „Verantwortungsfähigkeit als solche, außer daß ihr Besitz zu ihrer Ausübung von Fall zu Fall mit seinen 274

Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen tungen, S. 140.

und metaphysische

275

Siehe dazu Carl Friedrich Gethmann, Artikel „Ockham's razor", in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 2 (Mannheim/Wien/Zürich: B.I.-Wissenschaftsverlag, 1984), S. 1063-1064.

276

Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen tungen, S. 146.

und metaphysische

Vermu-

Vermu-

178

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

wechselnden Gegenständen des Handelns verpflichtet, selber auch ihr eigener Gegenstand, indem ihr Besitz auf die Fortdauer ihrer Anwesenheit in der Welt verpflichtet. Diese Anwesenheit ist an das Dasein derart befähigter Kreaturen gebunden. Also verpflichtet Verantwortungsfähigkeit an sich ihre Träger, das Dasein künftiger Träger zu ermöglichen." 277 Die erste These beruht auf einer anti- oder zumindest nichtdarwinistischen Evolutionstheorie. Jonas spricht von der „Zweckarbeit der Natur", 278 wobei nun, selbst wenn die Menschheit durch „blinden Zufall" 279 entstanden sein sollte, „in unsere unsteten Hände, jedenfalls in diesem irdischen Winkel des Alls, das Schicksal des göttlichen Abenteuers gelegt ist und auf unseren Schultern die Verantwortung dafür ruht." 280 Diese Berufung auf der Natur inhärente oder vorgegebene Zwecke, die verfolgt werden sollen, macht wohl nur Sinn auf der Grundlage eines religiösen Schöpfungsglaubens, von dem man allenfalls sagen kann, daß er so konstruiert werden kann, daß er mit den empirischen Daten vereinbar ist. Umgekehrt läßt sich auf diese Weise jedoch keinesfalls ein schlüssiges Argument begründen. Dies wird schon daran deutlich, daß das „Erbe einer vorangegangenen Evolution", das es angeblich zu wahren gilt,281 nicht einmal eindeutig bestimmbar ist: Sollen wir den status quo erhalten oder sollen wir bestimmte Tendenzen der Evolution aktiv verstärken? Noch grundlegender ist aber ein anderer Einwand, der sogar von Jonas selbst angeführt wird: „Kann die Natur Zwecke, dadurch daß sie sie hat, legitimieren?" 282 So formuliert, wird auch Jonas diese Frage nur verneinen können. Entscheidend ist der Schritt von 277 278 279 280 281 282

Ebd., S. 137. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 249; vgl. ebd., S. 142 u. S. 144. Ebd., S. 187; vgl. aber auch ebd., S. 144. Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, S. 246. Siehe Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 72 f. Ebd., S. 146.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

179

Zwecken zu Werten - wobei gerade beim Begriff des „Wertes" harmlose und normativ aufgeladene Verwendungsweisen genau unterschieden werden müssen (weshalb manche es vorziehen werden, auf diesen mißverständlichen Begriff ganz zu verzichten). Wie Jonas selbst sieht, können Werte (im harmlosen Sinne) jedenfalls keine Verpflichtungen begründen: „Daß die Welt Werte hat, folgt direkt daraus, daß sie Zwecke hat [...], aber ich brauche ihre .Werturteile' nicht zu teilen und kann sogar befinden, ,Drum besser wär's, daß nichts entstünde'."283 Jonas glaubt demgegenüber, daß die Annahme absoluter Werte den Schritt vom „Sein" zum „Sollen" ermöglicht: Er hält sich an „gewisse unbewiesene, axiomatische Voraussetzungen", von denen eine lautet, daß es „,Werte an sich' gibt, die im Sein verankert sind - daß letzteres also objektiv werthaltig ist."284 Hierzu ist zunächst einmal festzuhalten, daß Jonas sich damit von der evolutionären Anbindung des ersten Begründungsstranges löst: Ob eine materiale Wertethik zur Grundlegung der Ethik hinreicht, kann (und sollte) unabhängig von genetischen Erwägungen geprüft werden. Auch bezüglich solcher „Werte an sich" kann der Skeptiker allerdings einwenden, daß ihre bloße Existenz noch keine Sollensforderungen begründen kann. Jonas entgeht diesem Einwand nur dadurch, daß er die Sollensforderungen direkt in diese Werte quasi „hineinlegt"; aber damit wird wohl das Maß des ontologisch Akzeptablen überschritten: Zumindest hier wird das „argument from queerness" davon überzeugen, daß Jonas' „Intuition" zu einer inakzeptablen Ontologie geführt hat, für die es nach eigener Aussage keinen Beweis gibt, sondern bei der es sich um eine „letzte metaphysische Wahl" handelt.285 Hier wird der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet, und die Vielfalt der wenig sparsamen Ontologien - wenn man sie einmal zuläßt - trägt eher zur Vervielfältigung argumentativ unlösbarer Konflikte als zu deren Vermeidung bei. 283 284 285

Ebd., S. 148. Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, S. 139. Siehe ebd., S. 139, und Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 155.

180

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Es muß aber hervorgehoben werden, daß die transzendentale Argumentationsstruktur286 des zweiten Hauptstrangs einen interessanteren Weg darstellt, der womöglich tragfähiger ist, als die vorgebrachte Kritik denken läßt. Vielleicht läßt sich nämlich dieses Argument stärker machen, indem man nicht auf die Verantwortungsfähigkeit, sondern auf die Vernunft rekurriert. Allerdings hätte auch dies keineswegs zur Folge, daß der Vernunft auch ein zukünftiger Wert zugesprochen werden muß: Ihr Wert könnte etwa auf den derzeitigen Kontext oder auf einen Kontext, in dem es überhaupt Menschen (oder andere vernunftbegabte Wesen) gibt, beschränkt sein. Wenn aber keine potentiellen Vernunftträger existieren, läßt sich auch nicht begründen, warum für deren Wirklichwerden gesorgt werden sollte: Denn es wäre ein Zirkelschluß, wenn man dies wiederum damit begründen wollte, daß die Vernunft einen Träger braucht. Wie weit Jonas' Argumente für eine Verpflichtung zur Sicherung des Weiterbestehens der Menschheit aber auch reichen mögen: Die Anhänger einer EE können sich nicht auf ihn zur Stützung ihres Projekts berufen. Eine harte EE (nach der Art der neuen oder alten Biologisten) lehnt Jonas gerade ab; und eine weiche EE hat, verglichen mit Jonas' Ethik, nur recht bescheidene Ansprüche. So heißt es etwa bei Wuketits, wir hätten mit der EE „erstmals eine Ethik, die mit dem Postulat des Uberlebens ernst macht."287 Was für dieses „Postulat" jedoch als Begründung vorgebracht wird, ist eher dürftig: „Man

286

Ein ähnliches Argument wurde auch - ohne Bezugnahme auf Jonas - in der neueren Debatte um eine EE entwickelt; siehe William A. Rottschaefer u. David Martinsen, „Really Taking Darwin Seriously: An Alternative to Michael Ruse's Darwinian Mctaethics", Biology & Philosophy 5 (1990), S. 149-173, hier: S. 168: „Human S/R [survival and reproduction] is a necessary condition for both cultural human values and culturally specified biological human values. [...] Thus we believe that the value of human fitness can serve a justificatory role for the value of the objects of the moral sentiments and must, as a necessary condition for other above-mentioned values, be presupposed as valuable in any justification of these values, or actions based on these values."

287

Franz M. Wuketits, „Die Evolutionäre Ethik und ihre Kritiker", S. 231.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

181

kann [...] auch unabhängig von idealistischen Ansätzen, so etwas wie ethische Minimalforderungen entwerfen, wenn wir uns nur (und das wäre ja biologisch erklärbar) auf eine Basisnorm einigen könnten: Die Menschheit soll überleben!"288 Damit reduziert sich das anzustrebende Uberleben der Menschheit nur auf einen Vorschlag unter vielen, ohne daß gerade für diesen eine besondere Rechtfertigung vorgebracht wird, während es doch gerade der Punkt der EE war, etwas zu diesen Rechtfertigungsaufgaben beizutragen.289 Darüber hinaus ist es sogar fraglich, ob der Wert des Uberlebens nicht überschätzt wird. Jonas ordnet diesem Wert alles andere unter (was auch erklärt, warum er sich unter bestimmten Umständen für eine Ökodiktatur ausspricht290), etwa nach dem Motto: Lieber eine Menschheit unter schlechtesten Bedingungen als gar keine. Auch für Jonas selbst scheint diese These allerdings nur unter der kontingenten Prämisse akzeptabel zu sein, „daß selbst in den totalitärsten Zwangssystemen das Freiheitsvermögen einzelner sich unbesiegbar regt und unsern Glauben an den Menschen neu belebt."291 Argumente für diesen Optimismus, a priori anzunehmen, daß das Freiheitsvermögen 288

Ebd., S. 226. Vgl. dazu auch Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 124, wo es undeutlich heißt: „Um also biologische Fakten für die Beurteilung von Normensystemen fruchtbar zu machen (.relevant' werden zu lassen), müssen wir über mindestens eine Basis- oder Supernorm verfügen. Diese Norm könnte lauten: ,Die Menschheit soll überleben'."

289

Vollmer versucht, dieses Problem zu umgehen, indem er postuliert, daß der faktische Uberlebenswille der Menschheit uns solcher Begründungspflichten sogar enthebt; siehe Gerhard Vollmer, „Über die Chancen einer Evolutionären Ethik", S. 92. Diese These ist nicht nur empirisch falsch, sondern müßte konsequenterweise auch zur Folge haben, den Anspruch der EE, eine Ethik zu sein, aufzugeben, um stattdessen zu postulieren, daß wir eine eigenständige Ethik gar nicht benötigen. Aber das will Vollmer auch wieder nicht behaupten.

290

Siehe besonders Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 262-269. Zur Verteidigung siehe Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, S. 145. Hans Jonas, Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, S. 146.

291

182

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

„unbesiegbar" sei, sind aber wiederum wohl nur auf einer religiösen Grundlage zu rechtfertigen - und diese ist selbst nach Jonas' eigener Ansicht unsicher; denn auch nach ihm müssen wir „die ganze erbauliche Idee einer intelligiblen Gesetzlichkeit eines Gesamtprozesses, der von vornherein seines Erfolges versichert ist, [...] verneinen. Zu erdrückend ist das Gegenzeug-

4.5.3 Die Grenzen des Nötigen und des

Zumutbaren

Wenn die Anhänger einer weichen EE von der Relevanz der Biologie (und insbesondere der Evolutionstheorie) für die Praktizierbarkeit und die Anwendbarkeit der Moral sprechen, meinen sie mehr als bloße Vorschläge (wie den oben erwähnten, das Uberleben der Menschheit als grundlegende Forderung zu akzeptieren). Ihnen geht es um unabweisbare Tatsachen, die bei der Formulierung konkreter moralischer Verpflichtungen berücksichtigt werden müssen. Die Probleme der Anwendung allgemeiner Prinzipien, bei der immer auch empirische Daten berücksichtigt werden müssen, werden im nächsten Abschnitt behandelt. Hier sollen uns zunächst Aspekte der Rahmenbedingungen moralischer und auch juristischer Gebote beschäftigen. Die in diesem Zusammenhang von Vertretern der EE behauptete Relevanzthese, die prinzipiell durchaus wichtige und weitreichende Implikationen haben könnte, wird von diesen jedoch bedauerlicherweise kaum jemals mit interessanten Beispielen belegt. So heißt es bei Vollmer zu Illustrationszwecken etwa: „So kann man nicht von Männern verlangen, daß sie Kinder gebären."293 Hier wird also darauf hingewiesen, daß bestimmte natürliche oder reproduktionsmedizinische Sachverhalte (die sich mit der Zeit ändern können) für die Festlegung dessen relevant sind, was überhaupt zumutbar ist. Diese Zumutbar292 293

Ebd., S. 242. Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 123.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

183

keit betrifft sowohl den moralischen als auch den juristischpolitischen Bereich: In beiden Bereichen gilt nach allgemein verbreiteter Ansicht: „Ultra posse nemo obligatur" ; oder, um es in der internationalen Wissenschaftssprache der Gegenwart auszudrücken: „Cannot implies Ought Not". Vollmers Beispiel dafür, daß biologische Erkenntnisse auch relevant sind für das, was an Regeln überhaupt nötig ist, ist ebenfalls eher trivial: „Man braucht Männern das Kinderkriegen auch nicht zu verbieten."294 Diese These bezieht sich nun allein - oder zumindest in erster Linie - auf den Bereich des Juristisch-Politischen: Es geht um Klugheitsregeln zur Bestimmung des politisch Sinnvollen. Die Frage des politisch Nötigen hat damit zwei interessante Aspekte, die aber schon im Rahmen der Diskussion des moralisch und politisch Zumutbaren oder später im Rahmen der Anwendungsprobleme allgemeiner Prinzipien behandelt werden können. Deshalb wollen wir uns in dem vorliegenden Abschnitt auf die Grenzen des Zumutbaren konzentrieren. Die Behauptung, daß aus dem „Nicht-Können" das „NichtSollen" folgt, scheint problemlos aus der These zu folgen, daß das „Sollen" ein „Können" impliziert. Beides ist jedoch in der Moralphilosophie keineswegs unumstritten. Nach Wittgenstein wird die zitierte Sichtweise z.B. nicht vom orthodoxen Christentum geteilt: Danach folgt aus dem „Sollen" nicht unbedingt ein „Können", sondern nur ein „Versuchen-Können" .295 Dahinter steht eine Motivation, die wohl auch von Kant geteilt wird: Die Berufung auf ein „Nicht-Können" kann leicht dazu mißbraucht werden, sich der Erfüllung einer Sollensforderung zu entziehen.296 Wenn deshalb nach Kant gilt: „Du kannst, denn du sollst!",297 hat dieser Satz nicht die Funktion, eine Hintertür 294

Ebd.

295

Siehe O . K . Bouwsma, Wittgenstein:

Conversations

1949-1951

(Indiana-

polis: Hackett, 1986), S. 37 f. 296

Vgl. L o r e n z Krüger, „Ethics According to N a t u r e in the Age of Evolutionary Thinking?", Grazer Philosophische schrift für analytische

297

Philosophie

Studien:

Internationale

Zeit-

30 (1987), S. 2 5 - 4 2 , hier: S. 27.

Diese prägnante Formulierung der Kantischen Position stammt allerdings von Friedrich Schiller. Bei Kant selbst heißt es zum moralisch gebotenen

184

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für Entschuldigungen zu öffnen, sondern er postuliert vielmehr, daß wir einfach von der Möglichkeit dieses Könnens ausgehen müssen, wenn wir eine Sollensforderung als begründet nachgewiesen haben. Dennoch wird man nicht leugnen können, daß es auch Fälle gibt, in denen Entschuldigungsargumente tatsächlich triftig sind: Die Ausführung mancher Handlungen können wir nicht einmal versuchen, und bezüglich mancher Handlungen muß zumindest berücksichtigt werden, daß ihre Ausführung den Menschen, so, wie sie beschaffen sind, einfach schwerfällt. Dieser Punkt wird zu Recht von den Anhängern einer weichen EE betont. Die Frage ist nur, wie weitreichende Konsequenzen diese Erkenntnis hat und ob sie es rechtfertigt, von einer „EE" zu sprechen. Wenn Wilson mit seiner These recht hätte, daß „die Gene die Kultur im Zaum halten", wären biologische Erkenntnisse tatsächlich sehr relevant für die Bestimmung moralischer Verpflichtungen. Manche Ethiken wären aber selbst davon nicht betroffen, insofern sie menschliche Handlungen nur nach moralischen Kategorien bewerten. Aber für alle Ethiken, die moralische Verpflichtungen kennen und zumindest für normale Fälle an deren Umsetzbarkeit festhalten, ist es wichtig, diese Grenzen näher zu bestimmen. Dazu wären weitergehende empirische Untersuchungen wünschenswert - oder der Nachweis, daß bestimmte biologische Erkenntnisse, die Auswirkungen auf das Können der Menschen haben, bislang unzureichend berücksichtigt wurden. Hier sei ein Beispiel angesprochen, das oft bei normativen Biologisten zu finden ist, aber eher hier seinen richtigen Platz hat: Fremdenfeindlichkeit und die Berücksichtigung der Interessen der Menschen in den Entwicklungsländern. Die Soziobiologie kann erklären, warum wir „natürlicherweise" stärker auf den Nah- als auf den Fernbereich orienHandeln, „daß man es könne, weil unsere eigene Vernunft [...] sagt, daß man es tun solle"·, siehe Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), in: ders., Kritik der praktischen Vernunft und Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, A 283, 284.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

185

tiert sind. Im Regelfall fördern wir die eigenen Kinder stärker als die des Nachbarn, und gegen das Verhungern eines Nachbarn tun wir eher etwas als gegen Hungersnöte in den Entwicklungsländern. Unsere universalistische Ethik wird uns sagen, daß es vielleicht Abstufungen des Grades der Verpflichtung geben mag, daß aber sowohl das Schicksal des Nachbarn als auch das von Menschen, die wir persönlich überhaupt nicht kennen, moralisch ebenfalls relevant ist und spezifische Verpflichtungen zur Folge hat. Wie sollen wir nun mit diesem Gegensatz umgehen? Bei vielen Anhängern einer EE besteht die Tendenz, in diesem Fall die hergebrachte Ethik als unrealistisch zu kritisieren.298 Gerade hier besteht aber der Verdacht der Immunisierung hergebrachter Vorurteile, Gebräuche und Sitten (die nicht mit der „hergebrachten" Ethik verwechselt werden dürfen). Die faktischen Sitten hinken oft den moralischen Einsichten hinterher; und wenn uns die Soziobiologie erklären kann, warum es zu diesem Zwiespalt in der Umsetzung von Verallgemeinerungsforderungen kommt, dann kann das eben der Ansatzpunkt für verstärkte Anstrengungen zur Überwindung der Hindernisse sein, die die Änderung einer als inakzeptabel erkannten Praxis aufhalten. Im Anschluß an die Theorien der moralischen Entwicklung von Jean Piaget und Lawrence Kohlberg läßt sich durchaus zugestehen, daß Kinder überfordert wären, wenn sie von vornherein ein „Weltethos" erlernen müßten.299 In diesem Sinne kann eine E E dazu beitragen, lebensfremde Ethikkonzeptionen zu kritisieren. Entscheidend ist aber, daß das „Schwerfallen" noch nicht das letzte Wort ist. Dies erkennt auch Mohr, obwohl sein Bild der Schwierigkeiten bei der Reform moralisch inakzeptabler Sitten übertrieben ist, wenn er schreibt: „Die Widerstände werden horrend sein,

298

Vgl. dazu auch Antony Flew, „Social Justice: From Rawls to Hume", Hume Studies 12 (1986), S. 177-191.

299

Vgl. dazu auch Günther Patzig, „Verhaltensforschung und Ethik", S. 683. Zu Kohlberg vgl. Peter Singer, The Expanding Circle, S. 137 f, sowie auch Jürgen Habermas, „Rekonstruktive vs. verstehende Sozialwissenschaften" , in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 29-52.

186

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weil Sittlichkeit die im Dienste der biologischen Fitnessmaximierung stehende ,Moral der Gene' transzendieren muß."300 Hier wird man Mohr entgegenhalten müssen, daß er mit seiner Übernahme von Wilsons Begriff der „Moral der Gene" die Flexibilität der Vernunft und die fortschreitende Autonomisierung der Kultur im Verhältnis zu ihren evolutionsbiologischen Wurzeln vernachlässigt. Ausgewogener ist hier die Darstellung bei Christian Vogel, der einerseits auf die Umsetzungsschwierigkeiten bislang kaum berücksichtigter moralischer Verpflichtungen hinweist,301 andererseits aber fordert, „daß die menschliche Sittlichkeit mit hohem ethischem Anspruch diese diskriminierenden Prinzipien und biologisch vorgezeichneten Grenzen zu überwinden und zu transzendieren"302 hat. Die „Grenzen des Menschen" sollten daher nicht vorschnell allzu eng gezogen werden. Bei Versuchen revolutionärer Gesellschaftsveränderungen, die innerhalb einer Generation einen allgemeinen Altruismus erzwingen sollen, wird man allerdings zu Recht auf bestimmte unüberwindbare Grenzen hinweisen müssen.303 300 301

302

303

Hans Mohr, Natur und Moral, S. 87. Siehe Christian Vogel, „Soziobiologie und die moderne Reproduktionstechnologie", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 199-219, hier: S. 214. Christian Vogel, „Gibt es eine natürliche Moral? - Oder: wie widernatürlich ist die Ethik?", in: Heinrich Meier (Hrsg.), Die Herausforderung der Evolutionsbiologie, S. 193-219, hier: S. 213. Vgl. Ludwig Siep, „Was ist Altruismus?", S. 303. Vgl. dazu auch das politikwissenschaftliche Forschungsgebiet „Biopolitics", dessen N a m e etwas anrüchig klingt, aber denkbar fern von normativ-biologistischen Programmen (wie etwa dem des Sozialdarwinismus) angesiedelt ist, in dem aber schon lange auf die praktisch-politischen Auswirkungen der Einsicht „Nicht-Können impliziert Nicht-Sollen" hingewiesen wurde; siehe Heiner Flohr u. Wolfgang Tönnesmann, „Selbstverständnis und Grundlagen von Biopolitics", in: dies. (Hrsg.), Politik und Biologie: Beiträge zur Life-Sciences-Orientierung der Sozialwissenschaften (Berlin/Hamburg: Paul Parey, 1983), S. 11-30. Zur Anwendung auf die Ethik vgl. Heiner Flohr, „Das Dilemma von philosophischer Theorie und politischer Praxis", in: Thomas Meyer u. Susanne Miller (Hrsg.), Zukunftsethik und Industriegesellschaft: Dokumentation einer wissenschaftlich-politischen Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung (Bonn)

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187

Eine ähnliche Problematik wie bei der Reform ungerechter Diskriminierungen ergibt sich im Zusammenhang mit dem sogenannten „moralischen Rigorismus". Mohr erklärt noch vorsichtig: „Die Spieltheorie mit ihrem Theorem der stabilen Mischstrategien erklärt auch, warum ein moralischer Rigorismus (.Normen müssen ausnahmslos befolgt werden') gegen unsere Natur ist und uns so entsetzlich schwerfällt."304 Vollmer argumentiert auch hier gröber: „Müssen Normen ausnahmslos befolgt werden? (Von den .sittlichen Normen' wird das häufig behauptet. Dafür gibt es aber keine stichhaltige Begründung. In der Regel sind nur Mischstrategien erfolgreich.)"305 In dieser Aussage begegnet uns zunächst einmal wieder eine moralphilosophische Uberschätzung spieltheoretischer Strategien, die sich bei Vollmer mit der Hintergrundprämisse verbindet, nur solche Handlungen seien sinnvoll, die zum „Fortpflanzungserfolg" beitragen. Neu ist hier aber das zusätzliche Mißverständnis der „Ausnahmslosigkeit" moralischer Regeln, von denen Vollmer audrücklich sagt, daß es für sie keine Rechtfertigung gibt. Für letztere These bringt er seinerseits überhaupt keine Begründung vor (die er immerhin prinzipiell für möglich zu halten scheint). Vollmer denkt wohl an Beispiele wie das folgende von Ernst Mayr, das belegen soll, daß die traditionellen moralischen Regeln des Abendlandes zu „starr" sind: „Das Gebot ,Du sollst nicht töten hat im allgemeinen absolute Gültigkeit. Aber wenn man bei einem Patienten, der im Sterben liegt und ungeheuer leidet, die Maschine, die ihn künstlich am Leben hält, abschaltet, so ist dies ein Akt der Gnade und nicht Mord." 306 In diesem Fall wird zwar noch kritisch einzuwenden sein, daß zumindest eine eindeutige Anweisung des betroffenen Patienten vorliegen muß, um ein solches Abschalten rechtfertigen zu

304 305 306

und der Philosophisch-Politischen Akademie (Frankfurt/Main) am 25. und 26. Oktober 1985 in Bonn (München: J. Schweitzer, 1986), S. 64-67. Hans Mohr, „Evolutionäre Ethik als biologische Theorie", S. 27. Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 129. Ernst Mayr, Eine neue Philosophie der Biologie, S. 113.

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können. Aber Mayr weist doch zu Recht darauf hin, daß in einem bestimmten Sinne moralische Regeln Ausnahmen erlauben. Damit ist aber eben nicht gezeigt, daß alle Arten von Ausnahmen erlaubt wären und man etwa mit Mayr sagen könnte: „Ethik ist eine sehr private Angelegenheit, eine ganz persönliche Entscheidung."307 Mayr folgt hier mit umgekehrten Vorzeichen Kant, der ebenfalls nicht hinreichend zwischen zwei Arten von Ausnahmen unterscheidet, daraus aber schließt, daß moralische Regeln niemals Ausnahmen zulassen können. Die auflösende Klärung dieser Mißverständnisse wird ermöglicht durch W.D. Ross' Konzept von „Prima facie"-Pflichten. Danach sind moralische Imperative bindend für jedermann, so daß niemand ohne besondere Begründung sich selbst von einer derartigen Verpflichtung ausnehmen kann. Solche besonderen Begründungen kann es aber geben - nur müssen sie dann intersubjektiv zu rechtfertigen sein. So ist etwa das Tötungsverbot moralisch bindend, und keine Person darf diesem zuwiderhandeln, nur weil dies gerade zu ihrem Vorteil sein könnte. Aber neben dem Tötungsverbot gibt es auch ein moralisches Gebot, den wohlinformierten, wohlüberlegten Willen einer Person über den Umgang mit dem eigenen Körper zu achten; und, wie wir in Mayrs Beispiel sahen, können solche Regeln unter Umständen in Konflikt miteinander geraten, und es ist dann nicht immer von vornherein klar, welche Regel in einem konkreten Fall „stärker" zu gewichten ist. In keinem Fall läßt sich aber zeigen, daß moralische Gebote nicht ausnahmslos befolgt werden müßten, weil uns das vielleicht „schwerfällt". Eine charakteristische Doppeldeutigkeit weist auch Vollmers These auf: „Die elementarste Instanz für eine Normbegründung ist das Selbstinteresse."308 Dies könnte heißen, daß nur Begründungen, die sich auf das wohlüberlegte Eigeninteresse einer Person beziehen, gute Begründungen sind. Diese Deutung würde gut zusammenpassen mit spieltheoretischen Versuchen einer Moralbegründung, auf die Vertreter einer EE 307 308

Ebd., S. 117. Gerhard Vollmer, „Über die Chancen einer Evolutionären Ethik", S. 93.

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des öfteren verweisen. Wie wir jedoch sahen, müssen diese Versuche scheitern. Eine andere Lesart würde Vollmers These so deuten, daß Appelle, die sich nicht allein an das wohlverstandene Eigeninteresse richten, unzumutbar sind. Dieser These werden Hobbesianer zustimmen können; als moralphilosophische These ist sie aber ebenfalls inakzeptabel, und Vollmer macht auch nicht den Versuch, irgendwelche neuen Argumente für sie vorzubringen. Eine wohlwollende Lesart müßte deshalb Vollmers These vielleicht so interpretieren, daß es politisch klug ist, auf das Eigeninteresse der betroffenen Individuen einzugehen und dieses gegebenenfalls nutzbringend umzulenken. Dieser These kann man zustimmen; nur bleibt die Frage, inwiefern sie noch zur Ethik gehört und inwiefern sie noch evolutionär ist. Auch hier stellt sich die Frage, ob biologische Erkenntnisse mit ihrer Konzentration auf das Verhalten von Populationen nicht eher für die Politikberatung als für die philosophische Ethik relevant sind. Ethik läßt sich jedenfalls nicht auf politische Klugheit reduzieren, und bezüglich des evolutionären Charakters seiner These müßte Vollmer sich wohl zurückziehen auf einen Vorschlag Paul Winklers: „Wir sollten versuchen, unsere evolutiven Neigungen im positiven Sinne auszunutzen."309 Auch das kann aber nicht das übliche Programm einer weichen EE als eigenständiges Unternehmen retten; denn speziell mit den Erkenntnissen der Soziobiologie hat das wenig zu tun: Wenn es um die Frage der klugen Durchsetzung gerechtfertigter Zwecke durch die gezielte Einflußnahme auf die Motivation der Betroffenen geht, sind evolutionsbiologische Erkenntnisse auch nicht bedeutsamer als etwa tiefenpsychologische.310 Da309 310

Paul Winkler, „Zwischen Kultur und Genen?", S. 113. Vgl. dazu Ingrid Craemer-Ruegenberg, „.Evolutionäre Ethik' und .Idealistische Ethik'", in: Wilhelm Lütterfelds [u. Thomas Möhrs] (Hrsg.), Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus, S. 166-179, hier: S. 176. Nach Michael Funken sollte in diesem Zusammenhang deshalb nicht von einer „Evolutionären Ethik", sondern eher von einer „Evolutionären Handlungstheorie" gesprochen werden; siehe Michael Funken, Das Spiel des Lebens und sein Sinn: Evolutionäre Metaphysik und Praktische Philosophie (Würzburg: Königshausen 8c Neumann, 1994), S. 153.

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mit sind wir wieder auf ein Problem der weichen E E gestoßen, das uns auch im nächsten Abschnitt beschäftigen wird: Worin genau besteht die von Vollmer beanspruchte „Schlüsselrolle biologisch-evolutionärer Tatsachen" im Vergleich mit all den anderen empirischen Daten, die in die moralische Bewertung konkreter Fälle einfließen?

4.5.4 Die Anwendung allgemeiner Prinzipien Schon Axelrod zeigte, daß evolutionäre Erkenntnisse relevant sind für die Anwendung allgemeiner moralischer Prinzipien. So muß jede Ethik die Tatsache berücksichtigen, daß Kooperation sehr leicht entstehen kann, ohne daß die Beteiligten von altruistischen Neigungen bewegt werden und auch ohne daß dieser Kooperation explizite Absprachen vorausgehen. Das hat allerdings nicht nur positive, sondern auch negative Folgen, und entsprechend ist es geboten, Kooperation in manchen Kontexten gerade zu unterbinden, so etwa im Bereich der Kartellbildung.311 Axelrod verweist hier u.a. auf die Preispolitik der Olkonzerne: Wenn einer die Benzinpreise erhöht, ziehen die anderen nach. Um solche koordinierten Aktionen zu verhindern, müssen hier Bedingungen geschaffen werden, die nicht günstig für die Entstehung kooperativer Strukturen sind. Axelrod macht darauf aufmerksam, daß dies ein schwieriges Unterfangen ist, weil solche Strukturen, wie wir oben sahen, fast „natürlicherweise" - oder jedenfalls sehr einfach entstehen.312 Weder Freundschaft noch explizite Absprachen unter den Olkonzernen sind nötig. Derjenige, der die Preise erhöht, bietet quasi kooperatives Verhalten an, und die anderen gehen klugerweise darauf ein, weil ein Preiskrieg allen Olkonzernen langfristig schadet, von der Preiserhöhung aber alle langfristig profitieren. Es dürfte daher nötig sein, daß eine über311 312

Zum Folgenden vgl. Bernd Gräfrath, Ketzer; Dilettanten S. 182 f. Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation, S. 180.

und

Genies,

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

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geordnete Macht - der Staat - dafür sorgt, daß solche Kartelle nicht entstehen. Axelrod gibt nur ein einziges Beispiel für die Art, wie der Staat gegen, wie man sagen könnte, „unausgesprochene Preisabsprachen" vorgehen kann: Die Regierung sollte künstlich hochgehaltene Preise bei Militäraufträgen dadurch zurückdrängen, daß durch geeignete Maßnahmen eine allzu starke Spezialisierung der wenigen konkurrierenden Firmen verhindert wird. Eine solche Spezialisierung führt nämlich dazu, daß sich dieselben Firmen bei Ausschreibungen immer wieder gegenüberstehen, und dabei kann sich leicht eine für den Steuerzahler ungünstige Kooperation entwickeln. 313 Andererseits gibt es viele Situationen, in denen Kooperation wünschenswert ist. Axelrod gibt das Beispiel eines Politikers, dessen Amtszeit sich dem Ende nähert.314 Es ist im Interesse der Öffentlichkeit, daß er weiter genauso gemeinschaftsdienlich handelt, als wenn es ihm bald um die Wiederwahl ginge. Hier ist es günstig, daß Politiker stark mit der Partei identifiziert werden, aus der sie stammen. Die Parteien sind längerfristig auf die Wähler angewiesen; und wenn die gewählten Politiker für eine bestimmte Partei stehen, ist es auch im Interesse dieser Partei, dafür zu sorgen, daß der gewählte Politiker sein Amt nicht mißbraucht. Aus dieser Perspektive könnte man also ableiten, daß die parlamentarische Demokratie, bei der die Abgeordneten in weitem Maße über Parteilisten ins Parlament gelangen, einen besseren Schutz gegen den Mißbrauch der Führungsämter bietet als die direkte Demokratie, in der ohne Zwischenschaltung der Parteien die politischen Spitzenämter von Einzelkämpfern besetzt werden. Im wirtschaftlichen Bereich kann das Beachten der langfristigen Interessen dazu beitragen, daß die Qualitätsstandards hochgehalten werden. Den erfolgreichsten amerikanischen Firmen geht es tatsächlich nicht um kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern um den tadellosen Ruf eines Qualitätsunternehmens:

313 314

Ebd. Ebd., S. 183 f.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Der langfristige Erfolg stellt sich dann fast von selbst ein.315 Aus dieser Perspektive hat die „Stiftung Warentest" eine sehr wichtige Aufgabe, indem sie durch unparteiische Qualitätskontrollen öffentlich macht, welche Firmen heimlich ihre QuasiVersprechen guter Leistungen brechen und auf welche Markennamen Verlaß ist. Axelrods Ergebnisse können also zeigen, daß eine gerechte Gesellschaftsordnung nicht umhinkönnen wird, Maßnahmen durchzusetzen, die das „Klima für Kooperation" in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich günstig werden läßt. Wenn wir eine gerechte Gesellschaftsordnung wollen, haben uns hier deskriptive Erkenntnisse zu sehen geholfen, was - zumindest prima fade - konkret geboten ist. Damit wird das „Humesche Gesetz" natürlich nicht außer Kraft gesetzt; aber es wird deutlich, daß deskriptive Prämissen einen entscheidenden Einfluß auf die Inhalte konkreter moralischer Verpflichtungen haben können. Dies ist wohl auch gemeint, wenn Vollmer einerseits die „Berücksichtigung biologischer Fakten" einfordert, andererseits aber festhält: „Der Schluß vom Sein auf das Sollen ist nicht zulässig."316 Nun ist Axelrods Untersuchung eher spieltheoretisch als evolutionsbiologisch. Ein besseres Beispiel für moralisch relevantes Datenmaterial aus der Biologie ist deshalb Dawkins' schon oben kurz angesprochene evolutionstheoretische Erklärung der Diskriminierung von Frauen. Nach Dawkins ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen biologischen Voraussetzungen von Männchen und Weibchen für den jeweiligen Fortpflanzungserfolg, „daß Gene, die sagen: .Körper, wenn du männlichen Geschlechts bist, so verlaß deine Gattin ein klein bißchen früher als du dies auf Veranlassung meines rivalisierenden Gens hin tun würdest, und such dir eine andere Frau', im 315

316

Vgl. dazu Thomas J. Peters u. Robert H. Waterman, Jr., In Search of Excellence: Lessons from America's Best-Run Companies (New York: Harper & Row, 1982). Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und .Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 124.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

193

Genpool wahrscheinlich erfolgreich sein werden." 317 Wenn wir uns aber einig sind, daß die relative Größe der Geschlechtszellen oder die einseitige „Kostenverteilung" bei dem Austragen eines Embryos nicht relevant ist für die Zuschreibung gleicher moralischer Rechte, dann ist es aufgrund der gegebenen biologischen Tatsachen geboten, etwas gegen eine einseitige Lastenverteilung oder gar eine Unterdrückung eines der beiden Geschlechter zu tun. Das allgemeine Gleichheitsgebot kann daher in diesem Fall ungleicher Ausgangsbedingungen bestimmte Formen einer Ungleichbehandlung rechtfertigen. Dawkins bringt ein Beispiel aus dem Tierreich - wobei er sich allerdings bewußt ist, daß sich vielleicht Analoges für das menschliche Sozialverhalten sagen läßt: „Von einem angehenden Ehemann zu fordern, daß er ein Nest baut, ist für ein Weibchen eine wirksame Methode, ihn einzufangen. Man sollte meinen, daß theoretisch fast alles, was das Männchen viel kostet, den Zweck erfüllt, selbst wenn der Preis nicht unmittelbar in Form eines Vorteils für die ungeborenen Kinder gezahlt wird." 318 Eine entsprechende Steuerung des Sozialverhaltens des Menschen (im Sinne eines „social engineering" 319 ) müßte mit bestimmten Verhaltenstendenzen bei Männern rechnen, auf die durch die Änderung der empirischen (etwa: gesetzlichen) Bedingungen motivational Einfluß genommen würde, um ein vielleicht „natürliches", aber moralisch verwerfliches Verhalten zu unterdrücken. Wenn also in manchen Fällen aus Gerechtigkeitsgründen eine Ungleichbehandlung der Geschlechter geboten sein kann, so bedeutet dies doch andererseits nicht, daß jede Form von „umgekehrter Diskriminierung" zum Ausgleich der „natürli317 318 319

Richard Dawkins, Das egoistische Gen, S. 173. Ebd., S. 181. Auch Herbert Spencer, dem G.E. Moore einen naturalistischen Fehlschluß unterstellte, muß vielleicht im Sinne dieses bescheideneren Programms einer Ethik des „social engineering" interpretiert werden, der es nur um hypothetische Imperative geht; siehe dazu Eve-Marie Engels, „Herbert Spencers Moralwissenschaft - Ethik oder Sozialtechnologie?: Zur Frage des naturalistischen Fehlschlusses bei Herbert Spencer", in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik, S. 243-287, hier: S. 273.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

chen" Ungleichheiten gerechtfertigt wäre. Gerade die biologischen Unterschiede der Geschlechter könnten sich z.B. auch in unterschiedlich verteilten Talenten äußern.320 Das Unbehagen im Zusammenhang mit solchen Hinweisen ist verständlich, weil sie oft dazu mißbraucht werden, Frauen die Gleichberechtigung zu verwehren und sie etwa an ihren angeblich „natürlichen Ort" (Kinder, Küche, Kirche) zurückzuschicken. Dieses Unbehagen beruht jedoch auf einem MißVerständnis; denn gleiche Rechte werden ja nicht aufgrund einer empirischen völligen Gleichausstattung aller Menschen zugeschrieben.321 Wer das behaupten wollte, würde ein leichtes Opfer für den Sozialdarwinisten abgeben, der eine solche empirische Hypothese leicht widerlegen könnte. Eventuelle natürliche Begabungsunterschiede müssen daher vorurteilslos erst einmal als solche zur Kenntnis genommen werden: Mit einer Gleichberechtigung, deren Rechtfertigung sich auf illusionäre empirische Daten gründet, ist langfristig niemandem gedient. Wenn aber solche Begabungsunterschiede tatsächlich bestehen, hat dies u.a. Auswirkungen auf die Arten der Frauenförderung, die moralisch zu rechtfertigen sind. So läßt sich die Verwirklichung der Chancengleichheit keineswegs allein durch statistische Untersuchungen über „Unterrepräsentationen" überprüfen. 322 Prozentuale Unterschiede in der Verteilung der Geschlechter in bestimmten Berufen und hierarchischen Ebenen können sehr unterschiedliche (u.a. eben: biologische) Ursachen haben und müssen nicht notwendigerweise auf der Unterdrückung von Frauen trotz ihrer höheren

320

Vgl. dazu Doreen Kimura, „Weibliches und männliches Gehirn" (urspr. englisch), Spektrum der Wissenschaft (November 1992), S. 104-113, bes. S. 113: „Ich würde beispielsweise nicht erwarten, daß beide Geschlechter unbedingt gleichermaßen in Tätigkeiten oder Berufen repräsentiert sind, bei denen es auf räumliches Orientierungsvermögen oder auf mathematische Fähigkeiten ankommt wie bei den Ingenieurwissenschaften oder der Physik. Doch würde ich mehr Frauen in der medizinischen Diagnostik erwarten, wo Wahrnehmungsfähigkeiten wichtig sind."

321

Vgl. Dieter Birnbacher, ,„Natur' als Maßstab menschlichen Handelns", S. 71. Vgl. Peter Singer, „Ethics and Sociobiology", S. 63.

322

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

195

Qualifikation gegenüber dem besten männlichen Bewerber beruhen. Ob Chancengleichheit herrscht, läßt sich nicht allein anhand der Ergebnisse der Einstellungspraxis bestimmen.323 Es läßt sich also festhalten, daß biologisches Datenmaterial für die Ableitung konkreter Verpflichtungen aus allgemeinen Prinzipien heranzuziehen ist. Nur gilt dies eben nicht nur für biologisches Datenmaterial! Edgar Morscher weist etwa darauf hin, daß auch der Chemiker die Resultate der Mathematik „angemessen berücksichtigen" muß; „aber soll man deswegen schon von einer .Mathematischen Chemie' sprechen?"324 In die gleiche Richtung zielt Lorenz Krüger mit dem Hinweis, daß ökonomisches und ökologisches Wissen für die Ethik relevanter sein wird als dasjenige der Evolutionsbiologie.325 Die Tatsache allein, daß solche Erkenntnisse auch relevant sind, rechtfertigt kaum das Etikett einer „EE". Mindestens ebenso gut könnte ein Geologe auf die überragende Bedeutung der Knappheit natürlicher Ressourcen für unsere Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen hinweisen und deshalb vorschlagen, die Ethik aus den Händen der Philosophen in diejenigen der Geologen zu geben, um durch diese „Geologisierung" endlich eine naturwissenschaftlich abgesicherte „Geologische Ethik" (GE) zu etablieren. 4.5.5 Exkurs: Eine Minimal-Anthropologie Konfliktlösung

für eine Ethik der

John Rawls behandelt in seinem umfassenden Werk A Theor y of Justice u.a. auch die „Circumstances of Justice" .326 Damit bezieht er sich auf die empirischen Rahmenbedingungen, die gegeben sein müssen, damit sich überhaupt die „Gelegenheit" 323 324 325 326

Vgl. dazu ausführlicher: Bernd Gräfrath, Wie gerecht ist die Frauenquote?, bes. S. 1 0 3 - 1 1 2 („Zielquoten: Was bedeutet .Affirmative Action'?"). Edgar Morscher, „Was ist und was soll Evolutionäre Ethik?", S. 75. Siehe Lorenz Krüger, „Ethics According to Nature in the Age of Evolutionary Thinking?", S. 31. John Rawls, A Theory of Justice, S. 126-130.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

für Gerechtigkeitserwägungen ergibt. Dies ist nach Rawls dann der Fall, wenn menschliche Kooperation sowohl möglich als auch nötig ist. Er beruft sich in diesem Zusammenhang vor allem auf David Hume, der insbesondere den begrenzten Altruismus, die Instabilität der Besitzverhältnisse und die Knappheit der natürlichen Ressourcen betont: I have already observ'd, that justice takes its rise from human conventions; and that these are intended as a remedy to some inconveniences, which proceed from the concurrence of certain qualities of the human mind with the situation of external objects. The qualities of the mind are selfishness and limited generosity·. And the situation of external objects is their easy change, join'd to their scarcity in comparison of the wants and desires of men.327

Wie Rawls sieht, werden damit Gerechtigkeitserwägungen akut, weil eine Gesellschaft zwar ein kooperatives Unternehmen zum gegenseitigen Nutzen (später betont er stärker: unter Gleichen) ist, es aber dennoch zu Interessenkonflikten kommen kann, die geschlichtet werden müssen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß allerdings hervorgehoben werden, daß Rawls seine Gerechtigkeitstheorie ausdrücklich nicht als umfassende Moraltheorie verstanden wissen will.328 Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Frage nach dem moralischen Status von leidensfähigen Tieren, die als Nicht-Personen am Rawlsschen Gesellschaftsvertrag nicht beteiligt, aber doch von diesem mitbetroffen sind; sondern nach seiner Auffassung läßt sich Moral auch nicht funktionalistisch auf ihren Wert für die Lösung von Konflikten reduzieren. Damit entspricht Rawls sicherlich der Auffassung des „gesunden Menschenverstandes", für den die Ethik u.a. auch die Frage behandeln muß, wie eine Person (z.B. ein heranwachsendes Kind) ihr Leben einrichten soll - und zwar zunächst einmal unabhängig von der Frage, ob damit Konflikten aus dem Weg gegangen werden kann oder nicht. Hier könnte man noch entgegenhalten, daß solche Fragen zwar auch wichtig sind, aber vielleicht nicht in den Bereich der Ethik im engeren Sinne fallen. Schwerer ist aber 327 328

David Hume, A Treatise of Human Nature, S. 494. Siehe John Rawls, A Theory of Justice, S. 512; vgl. auch ebd., S. 17.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

197

der Einwand zu entkräften, daß eine Beurteilung vom Standpunkt der Moral sich wesentlich mit den Motiven der Handelnden befassen muß.329 Eine Ethik, die sich auf die Aufgabe reduziert, effektive Instrumente zur Konfliktlösung bereitzustellen, und entsprechend auch die Moral funktionalisiert, verengt sich dagegen im Sinne einer juristischen Betrachtungsweise.330 Im folgenden sollen die damit verbundenen Probleme anhand der Ethik des Konstruktivismus der Erlanger Schule dargestellt werden. Dabei ist für unseren Zusammenhang die Herausarbeitung eines „evolutionär-ethischen" Aspekts jedoch noch wichtiger als die Kritik: Für solch eine Ethik nehmen nämlich die anthropologischen Rahmenbedingungen einen ähnlich wichtigen Platz wie bei Rawls ein. Eine solche Ethik muß u.a. zeigen bzw. voraussetzen, daß die Menschen so beschaffen sind, daß für sie eine vernünftige Konfliktlösung möglich ist und ein Interesse an dieser besteht. Eine entsprechende Untersuchung bringt auch dann wichtige Ergebnisse (auf die sich vielleicht auch das Projekt einer EE stützen könnte), wenn die dabei vorausgesetzte Ethikkonzeption als zu eindimensional und daher ergänzungsbedürftig kritisiert werden muß. Diese Ergebnisse könnten nämlich eine größere Bedeutung im Sinne einer Minimal-Anthropologie für die Rechtsphilosophie erlan-

329

Vgl. dazu auch Jeffrie G. Murphy, Evolution, Morality, and the Meaning of Life, S. 85, der diesen Punkt - mit Darwin! - gerade gegen juristische Verengungen der Ethik betont.

330

Nur diese juristische Verengung ermöglicht wohl auch eine antimentalistische Position in der praktischen Philosophie: Zuerst werden u.a. „bloße" Absichten und Motive als allenfalls zweitrangig bewertet, danach gilt ihre Erwähnung als sinnlos, und schließlich wird sogar ihre Existenz geleugnet. (Allerdings ist zuzugestehen, daß der juristische Begriff des „Vorsatzes" sich nur auf Kriterien beziehen sollte, die intersubjektiv überprüfbar sind.) Zur Vernachlässigung von Intentionen und Intentionalität in der E E vgl. Alan Gewirth, „How Ethical ist Evolutionary Ethics?", in: Matthew H. Nitecki u. Doris V. Nitecki (Hrsg.), Evolutionary Ethics, S. 241-256, hier: S. 243 f, sowie B.A.O. Williams, „Conclusion", in: Gunther S. Stent (Hrsg.), Morality as a Biological Phenomenon, S. 309-320, hier: S. 312. [Bernard Williams bezieht sich dabei auf John R. Searle.]

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

gen; und tatsächlich sind entsprechende Untersuchungen schon auf diesem Feld durchgeführt worden: u.a. von H.L.A. Hart, der den „sinnvollen Kern" der Naturrechtslehre in einer Theorie über bestimmte kontingente, aber doch allgemein gegebene Eigenschaften der Menschen sieht, die das formale Gerüst des Rechtspositivismus ergänzen kann.331 Solche anthropologischen Annahmen (die in unterschiedlicher Weise bei allen Moralphilosophen zumindest implizit zu finden sind), dürfen dabei insofern in den Rahmen einer weichen EE gestellt werden, als bestimmte anthropologische Gegebenheiten bezüglich ihres Ursprungs und ihrer zu erwartenden Konstanz evolutionsbiologisch erklärt werden können. Nach Paul Lorenzen sollen die Wissenschaften vor allem zur Sicherung des Friedens ohne Armut beitragen. Die Wissenschaften, die dieses leisten, sind in diesem Sinne ausgezeichnete „Notwissenschaften", und nach Lorenzen gilt der Imperativ: „Für Notwissenschaften soviel wie nötig, alles Übrige für freie Wissenschaften."332 Wie frei diese übrigen Wissenschaften auf der Grundlage dieser Philosophie wirklich sein dürfen, bleibt allerdings etwas unbestimmt. Denn nach Lorenzen sind „die Naturwissenschaften im Gesamtzusammenhang unserer Kultur sekundär [...]. Sie setzen ja eine gelungene technische Praxis voraus. Und das heißt doch, sie setzen voraus, daß wir Menschen uns zunächst über die Erreichung gewisser Zwecke, denen die Technik dient, verständigt haben müssen."333 Die Konsequenzen dieser Orientierung an vorausgesetzten Zwecken, für die „nur" noch die passenden Mittel gefunden werden müssen, hat erhebliche Auswirkungen auf die darauf basierende Ethikkonzeption, die sich im wesentli331 332 333

Siehe H.L.A. Hart, The Concept of Law (Oxford: Clarendon, 1981; urspr. 1961), bes. S. 189-195 („The Minimum Content of Natural Law"). Paul Lorenzen, „Konstruktivismus", Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 25 (1994), S. 125-133, hier: S. 129. Paul Lorenzen, „Wissenschaftstheorie und Politikberatung: Die gegenwärtige Ohnmacht der pädagogischen Gewalt" (1976), in: ders., Theorie der technischen und politischen Vernunft (Stuttgart: Reclam, 1978), S. 140-164, hier: S. 153.

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199

chen beschränkt auf die Konfliktlösung durch das Auffinden gemeinsamer Oberzwecke. Dieser alles beherrschende Zweckgedanke schränkt letztlich auch die „freien Wissenschaften" ein. So illustriert Carl Friedrich Gethmann seine Verteidigung der „zweck-freien Suche nach Wahrheit" mit einer vielsagenden Metapher: „Wer vom Honigsammeln der Bienen profitieren möchte, tut gut daran, die Eigengesetzlichkeit des Bienenlebens anzuerkennen." 334 Die Rechtfertigung für das scheinbar zweckfreie Handeln ist also letztlich doch, daß auf diese Weise der vorausgesetzte Zweck am effizientesten erreicht wird. Allerdings darf diese Orientierung an der Lösung von Konflikten durch das Auffinden gemeinsamer Oberzwecke nicht als bloß strategisch mißgedeutet werden: Es geht hier nicht um eine sophistische Schulung für Leute, die immer das letzte Wort haben oder störende Diskussionen möglichst schnell aus der Welt schaffen wollen. Denn „das wissenschaftliche Wissen" wird aufgefaßt „als ein Störungsbewältigungsinstrument für diejenigen Störungstypen, die durch situationsgebundene, parteienvariante Orientierungen der kommunikationsgestützten menschlichen Kooperation hervorgerufen sind",335 wobei eine konkrete Aufgabe darin besteht, „für bestimmte Annahmen zweckmäßig zu demonstrieren, daß sie parteiemravariante (,intersubjektive') Geltung beanspruchen können."336 Es geht also um intersubjektiv zu rechtfertigende „Störungsbewältigungsinstrumente", und nur der Rückzug auf die faktischen „Interessen des Menschen an Verallgemeinerbarkeit" ist vielleicht etwas irreführend; denn auch wenn ein solches faktisches Interesse die „lebensweltliche Bedingung"117 für die Etablierung solcher „Instrumente" ist, kann die Verallgemeinerbarkeitsforderung — zumindest abstrakt, bevor es zur Debatte über

334

335 336 337

Carl Friedrich Gethmann, „Vielheit der Wissenschaften - Einheit der Lebenswelt" , in: Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.), Einheit der Wissenschaften, S. 349-371, hier: S. 367. Ebd., S. 361 f. Ebd., S. 363. Ebd., S. 362.

200

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

relevant ähnliche Fälle kommt - als solche intersubjektive Geltung beanspruchen. Zuzugestehen ist zwar, daß vielleicht nur solche verallgemeinerbaren Instrumente eine langfristige Konfliktlösung ermöglichen; aber damit scheint doch noch nicht das entscheidende Moment einer ethisch zu rechtfertigenden Konfliktlösung erfaßt zu sein. Einige Konstruktivisten tendieren deshalb dazu, in der Grundlegung der Ethik nicht bei bloß faktisch erreichten Konfliktlösungen stehenzubleiben. So schreibt Lorenzen: „Aus der Geschichte wissen wir allerdings, daß faktisch die frühen Formen der gemeinsamen Willensbildung sich nicht auf vernünftig-nachvollziehbare Autorität gründen, sondern auf bloße Gewalt von Kriegern oder die unvernünftige Autorität von Priestern, d.h. Magiern oder Mythologen."338 Daß aber ein solches Bestehen auf vernünftigen Konfliktlösungen tatsächlich immer zum „stabileren Frieden" führt, 339 ist eine nicht weiter begründete Hintergrundannahme, die durchaus in Zweifel gezogen werden kann. Ein ähnliches Schwanken findet sich auch bei Jürgen Mittelstraß, der einerseits an der grundlegenden „Unterscheidung zwischen bloß faktischen (subjektiven) und gerechtfertigten Interessen"340 festhält, diese Rechtfertigung aber ohne weitere Problematisierung gleichzusetzen scheint mit einem Verfahren, „das die Transformation konfligierender Interessen in nichtkonfligierende Interessen zum Inhalt hat."341 An anderer Stelle wehrt sich Mittelstraß sogar ausdrücklich gegen eine „Iden-

338

339 340

341

Paul Lorenzen, „Wissenschaftstheorie und Politikberatung", S.153. Vgl. auch ebd., S. 162: „Man sollte bei faktischem Dissens lieber gemeinsam zugeben, noch zu keiner begründeten Entscheidung gekommen zu sein, als zuzulassen, daß die Wissenschaft von den bloß faktischen Interessen von Teilgruppen in Dienst genommen wird." Zu diesem Ziel des stabileren Friedens siehe Paul Lorenzen, „Konstruktivismus", S. 132. Jürgen Mittelstraß, „Uber Interessen", in: ders. (Hrsg.), Methodologische Probleme einer normativ-kritischen Gesellschaftstheorie (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1975), S. 126-159, hier: S. 150. Ebd., S. 152.

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tifikation von wahren und faktischen Bedürfnissen" und gegen eine Auffassung der Lehre vom richtigen Handeln, die diese nicht mehr als Lehre des gerechten Handelns, sondern nur noch als Lehre des zweckmäßigen Handelns versteht.342 Im Zweifelsfall scheint sich zumindest Mittelstraß denn auch eher an der Vernunft als an einer Konfliktlösung zu orientieren. In seinem späteren Aufsatz „Von der Vernunft" spricht er von einer „Verschwörung der Vernunft [...] gegen unaufgeklärte Verhältnisse" ,343 wobei „Vernunft im Grunde nur als eine Form des Widerstands wirklich werden kann, als Kritik bestehender Verhältnisse und als Entwurf anderer Verhältnisse, als Aufklärung."344 Die daneben immer noch erwähnte Orientierung an Kants Vorstellung eines „ewigen Friedens" 345 klingt daneben eher wie ein Anhängsel. Mit dieser (durchaus überzeugenden) Position wird allerdings ein wesentliches - oder zumindest ein charakteristisches - Element der Ethik des Konstruktivismus aufgegeben, die der Orientierung an einer effizienten Konfliktlösung gerade ihre Eigenständigkeit verdankt.346 Nach dieser groben Skizzierung einer möglichen Kritik der Ethik des Konstruktivismus soll nun auf seine anthropologischen Voraussetzungen eingegangen werden, die zwar - in unterschiedlicher Weise - auch bei anderen Ethiken nachzuweisen sind, in seiner Herangehensweise aber einen besonders prominenten Platz einnehmen. Dies klang schon an in Gethmanns Hinweis auf die lebensweltliche Bedingtheit des menschlichen Interesses an Verallgemeinerbarkeit, und dieser Ansatz wird

342

Jürgen Mittelstraß, „Beratung und Kontrolle: Bemerkungen zur Rolle des unabhängigen Sachverstandes im System wirtschaftlichen Handelns", in:

ders. (Hrsg.), Methodenprobleme chen Handeln 343 344 345

346

der Wissenschaften

vom

gesellschaftli-

(Frankfurt a.M: Suhrkamp, 1979), S. 384-408, hier: S. 393.

Jürgen Mittelstraß, „Von der Vernunft", S. 122. Ebd., S. 131. Vgl. ebd., S. 133, wo Mittelstraß von der Hoffnung schreibt, daß „der Frieden nicht nur ein momentaner Waffenstillstand, sondern ein .ewiger' (vernünftiger) Frieden werden möge." Vgl. dazu die Kritik an der Diskursethik bei Albrecht Wellmer, Ethik und

Dialog, z.B. S. 11.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

weiterverfolgt in seinen Untersuchungen „zur philosophischen Bedeutung der kulturellen Genese moralischer Uberzeugungen" . 347 Die dort angestellten Überlegungen können im übrigen zur Klärung der Position Friedrich Kambartels beitragen, 348 die den konkreten Angriffspunkt der oben dargestellten Verteidigung der Vernunft durch Mittelstraß bildete. Dabei wird sich zeigen, daß es auch Kambartel nicht um eine unhinterfragte Verteidigung bestehender Verhältnisse geht, sondern daß er eher auf die kulturellen Voraussetzungen jeder aufklärerischen Kritik hinweist. Wesentliche Thesen von Kambartel und Mittelstraß lassen sich dann (mit Gethmann als „Übersetzer") als vereinbar erweisen. 349 Während sich die frühen Versionen der Ethik des Konstruktivismus für ihre lebensweltliche Fundierung an den Praktiken des Plattenlegens und Steinewerfens orientierten, wählt Gethmann das überzeugendere Beispiel des Streitschlichtens als Paradigma. 350 Entscheidend ist aber, daß eine lebensweltliche Fundierung erforderlich ist: Es gibt Kulturbedingungen 347

Carl Friedrich Gethmann, „Universelle praktische Geltungsansprüche" (s.o.). Dort wird auch (S. 165 f) auf verschiedene Stufen der Verallgemeinerung eingegangen, deren Unterscheidung zwar nicht für die vorliegende Arbeit, aber für die allgemeine ethische Debatte relevant ist: Die Generalisierung verallgemeinert bezüglich bestimmter Situationstypen, die Universalisierung verallgemeinert bezüglich aller Handelnden (wobei allerdings die Frage geklärt werden muß, wer überhaupt zum Kreis der Handelnden gehört).

348

Friedrich Kambartel, „Vernunft: Kriterium oder Kultur?" (s.o.). Genauer müßte man hier vielleicht von dem mittleren Kambartel sprechen, der sich als Anhänger des späten Wittgenstein kritisch mit dem Konstruktivismus des frühen Kambartel auseinandersetzt. Bei dem späten Kambartel sind demgegenüber Wittgenstein und Kant zu einander ergänzenden Einflüssen geworden. Wichtige Erkenntnisse zu diesen und anderen Kontroversen um die Ethik des Konstruktivismus im allgemeinen und deren anthropologische Präsuppositionen im besonderen verdanke ich regelmäßigen Diskussion in gemeinsam mit Carl Friedrich Gethmann veranstalteten Oberseminaren an der Universität Essen. Siehe Carl Friedrich Gethmann, „Universelle praktische Geltungsansprüche", S. 158 u. S. 162.

349

350

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203

sowohl der Moral als auch der Vernunft: „Vernunft ist in der Tat zunächst ein Kulturphänomen; ansonsten hätten Universalitätsansprüche keinen Sitz im Leben."351 Dies ist wohl auch der Hauptpunkt von Kambartels These von der „Vernunft als Kultur" . Sie kann akzeptiert werden, wenn man sie ergänzt durch den Hinweis, daß „Universalität [...] ein aus Lebensformen heraus angezielter Limes" ist; denn dann „transzendiert Universalität alle Lebensformen." 352 Die Verbindung dieses Universalismus mit einer Ethik der Konfliktlösung ergibt sich daraus, daß „lebensweltliche Konfliktlösungen [...] trotz ihrer faktischen Leistungsfähigkeit grundsätzlich störanfällig sind, weil sie aufgrund ihrer Situationsgebundenheit uneindeutig, lückenhaft und bereichsbezogen sind. [...] Die Suche nach universellen Regeln ist somit eine in der inneren Tendenz lebensweltlicher Konfliktbewältigung liegende Dynamik."353 Das „Faktum der (praktischen) Vernunft" hängt damit ab von Kulturbedingungen;354 und diese Bedingtheit (die durchaus zu vereinbaren ist mit der Unabdingbarkeit ihrer Geltung355) ist lebensweltlich, damit aber teilweise auch biologisch fundiert. Schon der frühe Schwemmer rechnete in seiner Ethik die „immer schon" geleistete Praxis des Aufforderns, Mögens, Sichverhaltens und Bewirkens zu unserer „Naturgeschichte" ,356 Dazu läßt sich im Sinne einer vorausgesetzten Minimal 351 352 353 354 355 356

Ebd., S. 167. Ebd. Ebd., S. 166. Siehe ebd., S. 170. Siehe ebd., S. 171. Oswald Schwemmer, Philosophie der Praxis: Versuch zur Grundlegung einer Lehre vom moralischen Argumentieren in Verbindung mit einer Interpretation der praktischen Philosophie Kants (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980; urspr. 1971), S. 51 f, wobei er auf entsprechende Passagen bei Kant und Wittgenstein verweist. Im Nachwort zur Neuausgabe (ebd., S. 274) gesteht Schwemmer seinen Kritikern übrigens zu, „daß gerade die Betonung des zweckrationalen Handelns dazu verführen kann, ein durch uns gesteuertes Ausführen von selbst entworfenen Plänen zum Paradigma des Handelns zu erklären und damit die Sozialtechnologie an die Stelle der Ethik zu setzen." Vgl. dazu auch Carl Friedrich Gethmann,

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Anthropologie jedoch noch einiges ergänzen: Es geht hier um eine bestimmte Deutung der „condition humaine" ,357 Eine Ethik der Konfliktlösung muß etwa die drei folgenden Voraussetzungen treffen: a) Menschen folgen Zwecken. b) Zweckkonflikte sind kein bloßer Schein. c) Wir wollen diskursive Konfliktlösungen. Vertreter einer weichen EE könnten an dieser Stelle darauf hinweisen, daß es für die Plausibilität dieser drei Voraussetzungen tatsächlich überzeugende evolutionäre Erklärungen gibt.358 Auch damit wäre zwar keine eigenständige EE etabliert, die den Namen „Ethik" wirklich verdiente; aber es wäre doch immerhin eine neue Art gezeigt, in der evolutionsbiologische Erkenntnisse relevant für die philosophische Ethik sind. Der Rechtsphilosoph H.L.A. Hart weist in seiner Diskussion des vernünftigen Kerns der traditionellen Naturrechtslehre deskriptiven Prämissen eine ähnliche Rolle zu: Sie können keine eigenständige rechtsphilosophische Position begründen; aber sie sind zu berücksichtigen - und zwar auch, wenn man selber

„Proto-Ethik: Zur formalen Pragmatik von Rechtfertigungsdiskursen", in: Herbert Stachowiak u.a. (Hrsg.), Bedürfnisse, Werte und Normen um Wandel der Zeit (München/Paderborn/Wien/Zürich: Wilhelm Fink/Ferdinand Schöningh, 1982), Band 1 („Grundlagen, Modelle und Prospektiven"), S. 113-143. 357 Vgl. Carl Friedrich Gethmann, „Vielheit der Wissenschaften - Einheit der Lebenswelt", S. 365: „Wenn die condition humaine so gedeutet wird, daß (i) transokkasionelle Wissens- und Handlungsorientierungen im Interesse der Bewältigung okkasioneller Störungen gewünscht werden, und daß (ii) diese Bewältigung nur durch parteiemrcvariante Wissens- und Handlungsorientierungen zu haben ist, dann ist der Weg einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation - einschließlich ihrer Kosten - unvermeidlich." Zur Kontingenz der Ausbildung von Wissenschaft vgl. Wolfgang Stegmüller, „Wertfreiheit, Interessen und Objektivität: Das Wertfreiheitspostulat von Max Weber" (1973), in: àeis., Rationale Rekonstruktion von Wissenschaft und ihrem Wandel (Stuttgart: Reclam, 1979), S. 177-203, hier: S. 201. 358 Vgl. dazu Mary Midgley, Beast and Man, S. 169.

4.5 Soziobiologie als Orientierungshilfe

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eher Anhänger eines recht verstandenen Rechtspositivismus 359 ist. O b Hart die Naturrechtslehre dabei als ganze angemessen würdigt, muß hier nicht diskutiert werden. Für unseren Zusammenhang ist seine Liste grundlegender anthropologischer Gegebenheiten interessanter, die für ihn erklären, warum Menschen überhaupt Rechtsordnungen brauchen: 360 1. Menschliche Verletzlichkeit. Wenn Menschen biologisch so ausgestattet wären, daß sie sich nicht töten könnten (etwa wie Schildkröten), wären entsprechende Verbote überflüssig. 2. Annähernde (physische) Gleichheit. Kein Mensch ist so mächtig, daß er ohne jede Kooperation andere unterdrücken könnte. 3. Begrenzter Altruismus. Unter Engeln wären Verbote unnötig, unter Teufeln wären sie nutzlos. 4. Begrenzte Ressourcen. Menschen brauchen Nahrung, Kleidung und Schutz vor einer bedrohlichen Natur. Diese sind nicht im Überfluß vorhanden, so daß Besitzregeln etabliert werden müssen.

5. Begrenztes Verstehen und begrenzte Willensstärke. Menschen sind nicht immer in der Lage, ihre langfristigen Interessen angemessen gegenüber kurzfristigen Verlockungen zu gewichten.

Hart spricht diesbezüglich bescheiden von „certain elementary truths of importance for the understanding of both morality and law."361 Dieser Behauptung der Relevanz bestimmter anthropologischer Gegebenheiten werden nicht nur Rechtsphilosophen, sondern auch Ethiker zustimmen können - und zwar auch diejenigen, die an der Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität festhalten.

359

Vgl. dazu Norbert Hoerster, Verteidigung des Rechtspositivismus (Frankfurt a.M.: Alfred Metzner, 1989), sowie Jules L. Coleman, „Negative and Positive Positivism", Journal of Legal Studies 11 (1982), S. 139-164.

360 361

Zum Folgenden siehe H.L.A. Hart, The Concept of Law, S. 190-193. Ebd., S. 184.

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4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

4.6 Ethik nach der Soziobiologie Sind aufgrund der Erkenntnisse der Soziobiologie tiefgreifende Reformen oder Neukonstruktionen der philosophischen Ethik erforderlich? Eine „Neue Ethik" wäre dann erforderlich, wenn die Projekte einer harten EE erfolgversprechend wären. Wie wir jedoch sahen, ist keines der Argumente für solche Programme überzeugend: Der neue normative Biologismus kann ebensowenig wie der klassische Sozialdarwinismus eine „Neue Ethik" begründen, und der metaethische Skeptizismus auf soziobiologischer Basis kann nicht zeigen, daß überhaupt keine Ethik haltbar ist und deshalb das traditionelle Projekt einer philosophischen Ethik aufgegeben werden müßte. Demgegenüber sind die Projekte einer weichen EE vergleichsweise trivial. Sie begehen zwar nicht unbedingt die Fehlschlüsse ihrer „anspruchsvolleren" Vorgänger, sind in ihrer Reichweite aber dafür auch recht begrenzt. Ebensowenig, wie das Projekt einer evolutionsbiologischen Erklärung der Ursachen unserer egoistischen und altruistischen Neigungen das Etikett einer „EE" verdient, wäre es angemessen, den Nachweis der moralphilosophischen Relevanz biologischer Erkenntnisse als Grundlegung einer eigenständigen „Ethik" zu betrachten; denn selbst bei der Ableitung konkreter Verpflichtungen aus normativen Prämissen kommt spezifisch biologischen oder evolutionstheoretischen Daten keine Sonderrolle gegenüber anderen deskriptiven Sätzen zu. Diese kritische Beurteilung darf allerdings nicht so mißverstanden werden, als ob aus der Untersuchung diverser Projekte einer EE überhaupt nichts für die philosophische Ethik im engeren Sinne zu gewinnen wäre. Zwar würde schon der Nachweis dieser begrenzten Reichweite einen Erkenntnisgewinn ex negativo bedeuten; aber es lassen sich darüber hinaus doch auch einige positive Aspekte festhalten. So ist etwa das Konzept „evolutionär stabiler Strategien" sicherlich hilfreich für die Analyse der langfristigen Tendenzen gesellschaftlicher Entwicklungen: Stabilität ist zwar nicht der höchste Wert; aber die hinreichende Stabilität eines Gemeinwesens ist ein grundlegendes Erfordernis für eine Gesellschaft, in der langfristige

4.6 Ethik nach der Soziobiologie

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Pläne verfolgt und dabei auch die Interessen zukünftiger Generationen berücksichtigt werden. Für diejenigen Ethiker, die sich an einer Rawlsschen Moralbegründung - mit ihrer charakteristischen Berufung auf „Intuitionen" (im Sinne wohlerwogener Einzelurteile) - orientieren, wird ein anderes moralphilosophisches Projekt der Soziobiologie am interessantesten sein, das in seinem philosophischen Anspruch zwischen einer harten und einer weichen EE steht. Dieses Projekt will keine eigenständige Ethik begründen, sondern beschränkt sich darauf, hergebrachte Ethiken mit ihren moralischen Prinzipien als evolutionsbiologisch naiv zu kritisieren. Tatsächlich stellt eine solche „Entlarvung" unserer moralischen Grundüberzeugungen als „bloßer" Anpassungsphänomene eine Herausforderung dar; nur ist eben die Frage, inwieweit es sich dabei wirklich um eine „Entlarvung" handelt - oder, noch zurückhaltender: ob eine erfolgreiche „Entlarvung" wirklich weitreichende philosophische Konsequenzen hätte. Entscheidend ist hier wieder die Unterscheidung zwischen zwei irreduziblen Perspektiven: derjenigen der Genese und derjenigen der Geltung. Die Tatsache allein, daß eine bestimmte Uberzeugung kausal erklärt werden kann, bedeutet eben noch nicht, daß damit schon deren Irrationalität gezeigt wäre. Allerdings erzwingt sie als Antwort einen Nachweis dafür, daß mit der kausalen Betrachtungsweise noch nicht alles über eine bestimmte Überzeugung gesagt ist. So, wie eine skeptizistische Metaethik jede moralische Uberzeugung zunächst einmal unter Ideologieverdacht stellen kann, könnte sie diese Uberzeugungen auch als unbewußte Produkte von Uberlebensmaschinen betrachten, denen die „wahre Natur" der Moral verborgen bleibt. Peter Singer vergleicht diese Herausforderung an die philosophische Ethik mit der aufklärerischen Infragestellung aller Vorurteile, die in William Godwin und Edmund Burke zwei entgegengesetzte Reaktionen fand.362 Während Godwin radikal alle Vorurteile beiseite schieben will, um der Vernunft Raum zu schaffen, mahnt Burke konservativ zur Vorsicht, da sich seiner 362

Siehe zum Folgenden: Peter Singer, The Expanding

Circle, S. 148 ff.

208

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

Meinung nach in den hergebrachten Vorurteilen latente Weisheiten entwickelt und erhalten haben. Für Singer ist allein das Gebot der Unparteilichkeit ein ethisches Prinzip, das vor der aufklärerischen Vernunft bestehen kann,363 so daß sich alle Vorurteile (oder besser: alle hergebrachten Sitten und Uberzeugungen) dem Urteil dieses Richters stellen müssen. Dennoch steht Singer aber nicht allein auf der Seite Godwins, sondern sucht eher eine vermittelnde Position. 364 Dies nicht, weil er Burke darin zustimmen würde, daß die hergebrachten Uberzeugungen schon nicht so schlecht sein werden, sondern weil er erkennt, daß es nicht so einfach ist (wie sich das etwa der Anarchist Godwin vorstellt), etablierte Sitten radikal zu ändern. Hier verbindet sich das skeptizistische Potential der E E mit einem konstruktiven Aspekt: Bei der Umsetzung ethischer Einsichten muß eine realistische Ethik Rücksicht nehmen auf die Schwierigkeit der Durchführung von Reformen, die sowohl schnell als auch weitreichend - und dabei erfolgreich! 365 - sein sollen. Die Frage ist allerdings, ob dieser Punkt noch zu der Ethik im engeren Sinne gerechnet werden kann: Vielleicht sollte man ihn eher zur politischen Philosophie oder zur Pädagogik und Politikberatung zählen. Singers Beispiel ist wieder die moralische Verantwortung für die Bevölkerung in den Entwicklungsländern. Auch wenn 363

364

365

Im Zusammenhang der jetzigen Diskussion soll vernachlässigt werden, daß Singer auf dieser Grundlage allein den Utilitarismus als akzeptable normative Ethik nachweisen zu können glaubt. Eine solche Mittelposition wird auch von David Hume eingenommen; siehe dazu Bernd Gräfrath, oral Sense" und praktische Vernunft, S. 98103 („Hume - ein Konservativer!?"). Singer vergleicht hier moralisch-politische Reformen mit Reformen in der Städteplanung: Auch wenn naturwüchsige Städte in ihrer Ordnung oft irrational erscheinen mögen, zeigt sich bei radikalen Neuplanungen doch oft, daß die alte Ordnung nicht so dumm war, wie sie vielleicht erschien. Siehe Peter Singer, The Expanding Circle, S. 154. Philosophisch wird man diese unterschiedliche Herangehensweise vielleicht verallgemeinern können: Als charakteristische Vertreter der beiden Schulen dürften einerseits Descartes und andererseits der späte Wittgenstein einzuordnen sein.

4.6 Ethik nach der Soziobiologie

209

sich p e r se kein überzeugendes Argument finden läßt, deren Interessen weniger zu berücksichtigen als die unserer direkten Nachbarn, wird man eine entsprechende Verhaltensänderung doch nicht allein durch vernünftige Argumente erreichen können. Es ist daher sinnvoll, grundlegende Tendenzen der menschlichen Natur - über die uns die Soziobiologie aufklären kann - in eine moralisch gerechtfertigte Richtung des Handelns umzulenken,366 statt deren Unterdrückung zu versuchen. So wird man die Nahbereichsorientierung der Menschen kaum völlig aufheben können; aber man könnte sie einspannen, indem man etwa eine persönliche Beziehung zu einzelnen förderungswürdigen Personen oder Gruppen aufbaut - etwa durch Patenschaften zwischen Personen in der ersten und in der dritten Welt.367 Auch wenn man sich, wie in der Kritik des Sozialdarwinismus gezeigt, davor hüten muß, soziale Mißstände vorschnell zu biologisieren, ist doch andererseits nicht zu verleugnen, daß kulturelle Leistungen, die genetische Tendenzen korrigieren, auch auf genetische Gegebenheiten zurückwirken. In vielen Fällen wird diese Rückwirkung keine identifizierbare Tendenz haben; in manchen Fällen ist dies aber sehr wohl möglich. Singer verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel der Vergewaltigung.368 Falls es für solche Handlungen genetische Dispositionen gibt und diese sich somit unter „natürlichen" Umständen womöglich in einer Population ausbreiten würden, können entsprechende staatliche Gegenmaßnahmen, die poten366

Diese Frage nach moralisch gerechtfertigten politischen Reformen führt keineswegs notwendigerweise zu einem Rechtsmoralismus, der die Freiheit eines Individuums radikal beschneiden will, selbst wenn dessen Handlungen keinem anderen Individuum Schaden zufügen. Es geht hier allein darum, daß politische Zielsetzungen sich an außerpolitischen Maßstäben (also nicht nur an dem der Durchsetzbarkeit, sondern etwa auch an dem der Gerechtigkeit) messen lassen müssen. Zur Kritik des Rechtsmoralismus vgl. ausführlicher: Bernd Gräfrath, John Stuart Mill: „Uber die Freiheit" (s.o.).

367 368

Siehe Peter Singer, The Expanding Ebd., S. 171 f.

Circle,

S. 170.

210

4. Moralphilosophische Programme der Soziobiologie

tielle Täter abschrecken oder die Fortpflanzungschancen verurteilter Täter einschränken, auch zu einem Rückgang der entsprechenden genetischen Dispositionen führen. Dies stellt nun wiederum einen neuen Zusammenhang zwischen Evolution und Ethik her, der sich von den traditionellen Ansätzen einer EE weitreichend unterscheidet. Vollmer stellt zwar auch dies als eine der zahlreichen Aufgaben dar, die für ihn durch eine EE gelöst werden können (bzw. sollen). Aber das muß wohl als Manöver gedeutet werden, mit allen Mitteln die philosophische Relevanz der Evolutionsbiologie zu belegen. Auch wenn es nicht sinnvoll ist, die entsprechenden Fragen zu einer EE zu rechnen, ist aber zuzugestehen, daß Vollmers diesbezügliche Fragen von der philosophischen Ethik ernster genommen werden müssen als bisher: „Sollen wir die künftige Evolution lenken? (Das ist fast keine Frage des Sollens mehr, da wir dies schon längst tun.) Wie und wohin aber sollen wir die Evolution ausrichten?" 369 Diese Fragen stellen sich allerdings nicht erst heute, weil etwa die Philosophen die Evolutionstheorie bislang zu wenig berücksichtigt hätten, sondern weil wir erst heute (langsam) über das spezifische Wissen und die entsprechenden technischen Mittel verfügen. Mit unserer wachsenden Macht wächst unsere moralische Verantwortlichkeit; und auch wenn alle unsere Handlungen bislang als Nebeneffekt bestimmte Auswirkungen auf die genetische Zusammensetzung zukünftiger Generationen hatten, verlieren wir doch langsam die Unschuld des Nichtwissens - und das Nichteinsetzen neuer Mittel ist ebenso moralisch zu verantworten wie ein freiwilliger Forschungsverzicht, der uns vor dem entsprechenden Wissen „bewahrt" ; denn nicht nur unser Tun, sondern auch unter Unterlassen ist ein zu rechtfertigendes Handeln. 370 Gerade der Sachverhalt, der das unüberwindliche Problem einer harten EE darstellt, nämlich, daß uns die Natur keine mo369 370

Gerhard Vollmer, „Möglichkeiten und Grenzen einer evolutionären Ethik", S. 129; vgl. ebd., S. 105 f. Vgl. dazu das gerade erschiene Buch von Dieter Birnbacher, Tun und Unterlassen (Stuttgart: Reclam, 1995).

4.6 Ethik nach der Soziobiologie

211

raiischen Normen vorgeben kann, stellt nun umgekehrt eine Herausforderung für die philosophische Ethik der Zukunft dar: Die Natur wird nun selbst zum moralisch neutralen Rohmaterial menschlicher Planungen. Zumindest für Eingriffe in die unbelebte Natur und für Eingriffe in die phänotypische Struktur nicht-menschlicher Lebewesen gibt es wohl einen entsprechenden weitreichenden Konsens: „Die Natur ist nicht sakrosankt. Sie darf und soll über sich selbst hinausgeführt, mit einem alten Motiv der Aufklärung: vervollkommnet werden." 371 Kontroverser ist die Frage, ob auch beim Menschen entsprechende Maßnahmen zu rechtfertigen - oder sogar moralisch geboten! sind.372 Wir wollen sogar noch weiter gehen und uns zum Abschluß mit einem derzeit heftig diskutierten Thema der sogenannten „Bioethik" beschäftigen, nämlich mit der Keimbahntherapie beim Menschen, die ja im Gegensatz zur somatischen Gentherapie (die sich prinzipiell kaum von traditionellen medizinischen Heilverfahren unterscheidet) Auswirkungen auf die genetische Zusammensetzung möglicher Nachkommen der betroffenen Patienten hat und in diesem Sinne direkter als „bloße" medizinische Therapien Auswirkungen auf die zukünftige Evolution der Menschheit haben kann.

371 372

Dieter Birnbacher, „Mensch und Natur", S. 310. Mit Birnbacher ist zunächst einmal zu vermuten, daß die „Natur" des Menschen prima fade nicht anders als die übrige Natur zu betrachten ist; siehe Dieter Birnbacher, „.Natur' als Maßstab menschlichen Handelns", S. 74: „Warum ist .Naturwüchsigkeit' überhaupt ein Wert? Schließlich ist nicht nur die gesamte Medizin, ja die ganze Kultur, darauf angelegt, den Zumutungen der Natur zu begegnen, der Mensch ist auch .von Natur aus' darauf angewiesen, die äußere (und seine innere) Natur zu überformen und zu transformieren. Das .Unnatürliche' ist insofern keine Beeinträchtigung, sondern geradezu eine Bestätigung menschlicher Würde."

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik Die sogenannte „Bioethik" ist ebensowenig wie die weichen Varianten der EE eine „Neue Ethik". Neu an ihr ist nur, daß sich mit dem technischen Fortschritt unsere Einflußmöglichkeit auf biologische Prozesse erhöht hat und sich damit der philosophischen Ethik auch neue moralische Probleme stellen. Die Probleme mit den weitreichendsten Folgen stellen sich im Zusammenhang mit der Keimbahntherapie, deren Methoden prinzipiell auch eine gesteuerte „Autoevolution" des Menschen als Gattung ermöglichen.1 Die entsprechenden Techniken sind zwar noch nicht einsatzfähig; aber solche Entwicklungen verlaufen immer schneller, als dies meist erwartet wird. Gerade Philosophen sollten sich als Vordenker betätigen, um nicht unvorbereitet vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Sie sollten rechtzeitig die sich abzeichnenden Möglichkeiten auf ihre Akzeptabilität (im Sinne ihrer zu prüfenden gerechtfertigten Akzeptanz) hin prüfen und gegebenenfalls auf den Bedarf nach steuernden (bzw. unterbindenden) Regelungen hinweisen. Ein frühes Zeugnis für ein solches Vordenken bildet das berühmt-berüchtigte CIBA-Symposium „Man and His Future" (1962),2 das schnell in den Verdacht geriet, „Men1

2

Ich übernehme diesen Begriff der „Autoevolution" von Stanislaw Lem, Summa technologiae, S. 69; vgl. auch ebd., S. 560 ff. Dieser Begriff wurde aufgegriffen bei Kurt Bayertz, GenEthik (s.o.). Vgl. dazu auch Bernd Gräfrath, Ketzer, Dilettanten und Genies, S. 257-267 („Grenzen der menschlichen Natur: Autoevolution der Gattung!?"). Robert Jungk u. Hans Josef Mündt (Hrsg.), Das umstrittene Experiment: Der Mensch (s.o.). Entsprechende Überlegungen sind sogar noch früher

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

213

schenzüchtung" zu befürworten.3 Allerdings sind hier einige wichtige Unterscheidungen zu treffen: Die heute diskutierte Keimbahntherapie unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von den inakzeptablen eugenischen Praktiken der Nazis: Es geht hier nicht um staatliche Zwangsmaßnahmen im Interesse der Gattung oder Rasse, sondern gerade um eine ausgeweitete Selbstbestimmung freier Individuen. Deshalb ist es wohl auch allzu irreführend, in diesem neuen Kontext von „Eugenik" zu sprechen - obwohl dieser Begriff in der angelsächsischen Diskussion als wertneutraler Oberbegriff eingeführt ist.4 Eine andere Unterscheidung, die in diesem Zusammenhang relevant ist, deren moralphilosophische Bedeutung aber einer weitergehenden Klärung bedarf, ist die zwischen einer negativen und einer positiven Zielsetzung, wobei erstere im engeren Sinne einer Therapie Mißstände beseitigen, letztere aber den Zustand eines Individuums über das „normale" Maß hinaus in seiner genetischen Ausstattung „verbessern" soll. Ein solches „positives" Programm wird manchmal ebenfalls als „Eugenik" bezeichnet - was zu weiteren Mißverständnissen beiträgt. Im folgenden soll es allein um freiwillige Keimbahneingriffe gehen, wobei wir sowohl eine negative Therapie als auch eine positive Autoevolution behandeln wollen. Ein wichtiger Punkt ist allerdings die Frage, inwiefern es sich bei Keimbahneingriffen überhaupt um selbstbestimmte Maßnahmen handeln kann, weil davon ja immer Dritte (nämlich eventuelle Nachkommen) betroffen sein können, die an einer Entscheidung prinzipiell nicht beteiligt werden können, deren Identität aber teilweise durch solche Eingriffe mitbestimmt in der Science Fiction zu finden; siehe W. Olaf Stapledon, Last and First Men: A Story of the Near and Far Future (1930), in: ders., Last and First Men & Star Maker (New York: Dover, 1968), S. 1-246, bes. S. 155 f. 3

4

Friedrich Wagner (Hrsg.), Menschenzüchtung: Das Problem der genetischen Manipulierung des Menschen (München: C.H. Beck, 2 1970; urspr. 1969). Vgl. Peter B. Medawar u. Jean S. Medawar, Von Aristoteles bis Zufall, S. 82-89 (Artikel „Eugenik").

214

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

wird. Auch hier läßt sich aber die Unterscheidung zwischen der Eigenperspektive des betroffenen Individuums und eventuellen Interessen der Eltern oder der Gesamtgesellschaft aufrechterhalten. Zwar ist den Gegnern solcher Eingriffe zuzugestehen, daß bei dem erwähnten CIBA-Symposium diese Unterscheidung vernachlässigt wurde 5 - was zeigt, daß hier Gefahren lauern, die nicht unterschätzt werden dürfen. Aber auch wenn jeder Keimbahneingriff - als Nebenúiekú - Auswirkungen auf den gesamten menschlichen Gen-Pool hat, ist es doch ein entscheidender Unterschied, ob man Eingriffe etwa utilitaristisch oder antizipierend vor dem Betroffenen selbst rechtfertigen muß. Aus dieser Perspektive des Betroffenen selbst läßt sich aber unter Umständen gerade das Unterlassen eines Eingriffs nicht verantworten. 6 Gegen diese Argumentation könnte eingewandt werden, daß zwischen dem Ausführen und dem Unterlassen einer Handlung tatsächlich ein entscheidender moralisch relevanter Unterschied bestehe. Diese These läßt sich aber wohl nur auf der Grundlage gewagter metaphysischer Annahmen aufrechterhalten; denn, kraß gesagt, muß man damit zurückkehren zu einer Vorstellung von „Gottesurteilen", die (zumindest im Zweifelsfalle) impliziert, daß wir für den „Lauf der Natur" weniger verantwortlich sind als für unsere eigenen Handlungen - und zwar selbst dann, wenn wir uns bewußt entscheiden, uns eines möglichen Eingriffs zu enthalten.7 Das ist aber keine Beurteilung der Lage, die in einer säkularen Gesellschaft als hinreichende Recht5

6 7

Siehe etwa Julian Huxley, „Die Zukunft des Menschen - Aspekte der Evolution", in: Robert Jungk u. Hans Josef Mündt (Hrsg.), Das umstrittene Experiment: Der Mensch, S. 31-52, hier: S. 47, wo er die Frage aufwirft: „Wozu sind die Menschen da?" Vgl. dazu auch Francis Crick, der sich auf derselben Tagung (siehe ebd., S. 303) zur Diskussion meldet mit der Frage: „Haben die Menschen überhaupt das Recht, Kinder zu bekommen?" Vgl. dazu Dieter E. Zimmer, „Freiheit oder Frevel?", Die Zeit vom 3. März 1995 (Nr. 10), S. 3. Die Position von Hans Jonas ist hier zwiespältig. Einerseits sagt er zwar, daß auch „quietistisches Unterlassen" eine Art des Handelns ist; siehe Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 77. Aber andererseits wendet er sich doch gegen ein menschliches Verbesserungsstreben, das sich an-

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

215

fertigung für verbindliche Regelungen akzeptiert werden könnte. Interessanterweise werden sogar von manchen Theologen radikale Eingriffe in die Natur durchaus nicht pauschal abgelehnt. Karl Rahner äußert sich diesbezüglich geradezu provokativ: Aber darum von vornherein das heraufziehende Zeitalter der Selbstmanipulation als solches schlechthin zu verdammen, in lyrische Klagen auszubrechen über würdelose Barbarei, über die Zerstörung des „Natürlichen", über kalten, technischen Rationalismus, über Rationalisierung der Liebe, über heidnisches Unverständnis der Krankheit, dem Leid, dem Tod, der Armut gegenüber, über nivellierte Massengesellschaft, über das Ende der Geschichte in einer geschichtsund antlitzlosen Fellachengesellschaft usw., das alles wäre nur ein Zeichen eines feig bürgerlichen Konservativismus, der sich hinter falsch verstandenen christlichen Idealen und Maximen versteckt. 8

Selbst aus einer theologischen Perspektive läßt sich eben nicht überzeugend zeigen, warum man im Zweifelsfall „der Natur ihren Lauf lassen" sollte: Der Zufall muß verantwortlich kontrolliert werden. 9 Das soll natürlich nicht heißen, daß es überhaupt keine moralphilosophischen Bedenken gegen Keimbahneingriffe beim Menschen geben kann; aber sie müssen sich eben auf eine andere Grundlage beziehen. Rahner verweist zu diesem Zweck auf das dem Menschen „Wesensgemäße";10 aber er sieht auch das Problematische dieser Orientierung: Eine Bestimmung des Wesentlichen anhand des faktisch Gegebenen würde unplausiblerweise jeden Eingriff des Menschen in den Naturablauf verbieten müssen; und eine Bestimmung des „Wesensgemäßen" anhand einer theologischen Vorstellung vom Menschen als „personalem Geist" müßte wiederum prima

8

9

10

schickt, die Rolle des Schöpfers zu übernehmen; siehe Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik: Zur Praxis des Prinzips Verantwortung (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1987; urspr. 1985), S. 169, S. 178 u. S. 218. Karl Rahner, „Experiment Mensch: Theologisches über die Selbstmanipulation des Menschen" (1965), in: ders., Schriften zur Theologie, Band VIII (Einsiedeln/Zürich/Köln: Benziger, 1967), S. 260-285, hier: S. 268. Vgl. dazu Joseph Fletcher, The Ethics of Genetic Control: Ending Reproductive Roulette (Buffalo, N e w York: Prometheus, 1988), z.B. S. 36 u. S. 126-129. Karl Rahner, „Experiment Mensch", S. 272.

216

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

fade jeden Eingriff in die empirische Körperwelt als moralphilosophisch irrelevant betrachten.11 Aus dieser theologischen „Wesens"-Debatte läßt sich allerdings vielleicht ein rationaler Kern ableiten, und dieser läßt sich fassen mit dem moralphilosophischen Konzept der Würde einer Person. Dieses Konzept erlaubt es, bezüglich der Erlaubtheit von Keimbahneingriffen prinzipielle moralische Grenzen zu ziehen. Zwar ist damit nicht gezeigt, daß jeder Eingriff unvereinbar mit der Personenwürde ist; aber es zeigt doch zumindest, daß manche Formen von Keimbahneingriffen kategorisch abzulehnen sind. Dazu sind etwa gentechnische Änderungen zu rechnen, die die freie Selbstbestimmung eines künftigen Menschen inakzeptabel beeinträchtigen würden - etwa durch die einseitige Ausstattung mit bestimmten Eigenschaften, die den weiteren Lebensweg in enge Bahnen lenken. Die dauerhafte Beseitigung einer Erbkrankheit kann dagegen durchaus im Interesse der Betroffenen sein; und die bloße Tatsache des Eingriffs bedeutet noch keinen Eingriff in die Selbstbestimmung oder die „Identität" der künftigen Person. Eine solche Auffassung wäre nämlich zu der unplausiblen Konsequenz gezwungen, auch jede ohne technische Hilfsmittel vollzogene Zeugung als Fremdbestimmung eines Individuums zu betrachten. Es gibt keine vorexistentielle Identität, die hier verfälscht würde.12 11 12

Siehe ebd., S. 273. Vgl. Dieter Birnbacher, „Gefährdet die Reproduktionsmedizin die menschliche Würde?", in: Volkmar Braun, Dietmar Mieth u. Klaus Steigleder (Hrsg.), Ethische und rechtliche Fragen der Gentechnologie und der Reproduktionsmedizin: Dokumentation eines Symposiums der Landesregierung Baden-Württemberg und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in Verbindung mit der Universität Tübingen vom 1.-4. September 1986 in Tübingen (München: J. Schweitzer, 1987), S. 77-88, hier: S. 78 f. Siehe dazu auch Wolfgang van den Daele, Mensch nach Maß: Ethische Probleme der Genmanipulation und Gentherapie (München: C.H. Beck, 1985), S. 190-193. Birnbacher will allerdings über die Würde individueller Personen hinaus auch noch das Konzept einer menschlichen Gattungswürde verteidigen. E r sieht jedoch selbst, daß es große Schwierigkeiten gibt, dafür eine überzeugende Begründung zu liefern.

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

217

Neben einigen prinzipiellen ethischen Grenzen von Keimbahneingriffen, die man als kategorische bezeichnen könnte, sind auch pragmatische zu berücksichtigen.13 Diese können durchaus weiter reichen, als gemeinhin oft angenommen wird. So wird eine Abwägung der Chancen und Risiken sehr langfristig angelegt sein müssen, und bei der UnZuverlässigkeit dieses empirischen Teils der Technikfolgenabschätzung wird man im Zweifelsfall der Vorsicht den Vorrang einräumen müssen. Andererseits wird der Leidensdruck aber auch hier nicht erlauben, sekuristisch jede Maßnahme - oder gar die Forschung, die uns erst über die entsprechenden Möglichkeiten aufklären kann kategorisch zu verbieten. Ein weiteres wichtiges pragmatisches Problem betrifft die Schwierigkeit der Auswahl positiver Ziele. Diese Schwierigkeit bildet wohl auch den rationalen Kern der häufig betonten Unterscheidung zwischen negativer Therapie und positiver Autoevolution. Bei der Bekämpfung bestimmter Krankheiten wird sich noch relativ leicht ein Konsens finden lassen; aber schon der Krankheitsbegriff hat diffuse Ränder, und wenn wir darüber hinaus zu angeblich allgemein wünschbaren Eigenschaften übergehen, deren Verbreitung anzustreben sei, entstehen Schwierigkeiten, die nicht unterschätzt werden dürfen.14 Ein von Fürsprechern der Autoevolution oft vorgeschlagenes Merkmal ist die zu fördernde Intelligenz. Nun ist es einmal zweifelhaft, inwieweit Intelligenz überhaupt genetisch bestimmt ist; aber selbst wenn sich Intelligenz durch gentechnische Eingriffe fördern ließe, stellt sich immer noch die Frage, ob das Ergebnis wünschenswert wäre: Eine nur aus Genies bestehende Gesellschaft könnte vielleicht nicht dauerhaft existieren; wenn entsprechende Maßnahmen aber nur bestimmten

13

14

Zu dieser Unterscheidung vgl. die etwas andere Strukturierung bei Kurt Bayertz, „Drei Typen ethischer Argumentation", in: Hans-Martin Sass (Hrsg.), Genomanalyse und Gentherapie: Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin (Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 1991), S. 291-316. Vgl. Stanislaw Lem, Summa technologiae, S. 512 u. S. 638 f.

218

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

Bevölkerungsgruppen vorbehalten blieben, ergäben sich Probleme der Verteilungsgerechtigkeit.15 Auch wenn man sich bei Keimbahneingriffen auf die negative Therapie beschränkt, sollte man aber nicht deren weitreichende Konsequenzen unterschätzen, die sich vielleicht kaum von den Ergebnissen einer Autoevolution unterscheiden. Wenn man sich etwa an den Imperativ hielte, „nur" sicherzustellen, daß alle Menschen zumindest den Durchschnittswert an Gesundheit erreichen, würde eine ständige Weiterentwicklung zur Folge haben, daß der Durchschnitt ständig stiege. Noch deutlicher werden die weitreichenden Auswirkungen scheinbar geringfügiger Handlungsweisen im Falle einer genetischen Eheberatung: Selbst wenn die Aufklärung über eventuelle Erbkrankheiten von Nachkommen mit keinerlei Zwangsmaßnahmen verbunden wäre, hätte eine entsprechende Beratung wohl Auswirkungen auf die Praxis, die sich in ihren Ergebnissen vielleicht kaum von denjenigen neuartiger technischer Eingriffe unterschiede.16 Bei allen Bedenken, die für eine Einschränkung von Keimbahneingriffen sprechen, ist aber entscheidend, daß sich auf diese Weise nicht zeigen läßt, daß jeder solche Eingriff moralisch verwerflich wäre. Eine prinzipielle Ablehnung wäre nur möglich auf der Grundlage eines normativen Naturbegriffs, der heute nicht mehr haltbar ist: Was an traditionellen „Natürlichkeitsargumenten" überzeugend ist, muß auf einer anderweiti-

15 16

Vgl. Stanislaw Lem, „Die Ethik der Technologie und die Technologie der Ethik", S. 327 f. Vgl. Stanislaw Lem, Summa technologiae, S. 592: „Ein .Zusammenstückeln von Gehirnen und Körpern erregt Abscheu, während eine ,maschinelle Eheberatung' als ganz unschuldiges Mittel erscheint und dennoch sind beides nur Wege von unterschiedlicher Länge, die zu den gleichen Resultaten führen können." Vgl. auch Mathias Greffrath, „Der Traum vom perfekten Menschen: Biologen und Mediziner auf der Suche nach dem Bauplan des menschlichen Lebens", in: Reiner Klingholz (Hrsg.), Die Welt nach Maß: Gentechnik - Geschichte, Chancen, Risiken (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990; urspr. 1988), S. 169-188, hier: S. 181.

5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

219

gen Grundlage rekonstruierbar sein oder aber verworfen werden. Wenn wir in diesem Kontext zu den oben diskutierten frühen Kritikern des ethischen Naturalismus zurückkehren, lesen sich ihre Vorschläge zur Umgestaltung der Natur teilweise so radikal,17 daß verständlich wird, warum neue technische Entwicklungen oft den entsetzten Aufschrei hervorrufen, der Mensch wolle „Gott spielen". Entsprechend klagt Odo Marquard einen „Fatalismusbedarf' ein und wehrt sich gegen einen „Gottwerdungsdruck".18 Diese Wünsche wären aber nur dann erfüllbar, wenn es tatsächlich, wie Marquard voraussetzt, ein unentrinnbares Jichicksalszufälliges"19 gäbe. Der Bereich des „Unentrinnbaren" wird mit dem wissenschaftlichtechnischen Fortschritt aber immer weiter zurückgedrängt. Die Natur schränkt unser Können immer weniger ein, und unsere Verantwortung wird immer größer. Wenn etwas unentrinnbar ist, dann ist es die schwere Aufgabe, zukünftig „Gott zu spielen" .20 Gerade diese Aufgabe darf natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden, aber sie kann uns eben nicht 17

Siehe etwa T.H. Huxley, „Evolution and Ethics", S. 83 u. S. 84: „In virtue of his intelligence, the dwarf bends the Titan to his will. [...] I see no limit to the extent to which intelligence and will, guided by sound principles of investigation and organized in common effort, may modify the conditions of existence, for a period longer than now covered by history. And much may be done to change the nature of man himself."

18

Odo Marquard, „Ende des Schicksals?: Einige Bemerkungen über die Unvermeidlichkeit des Unverfügbaren" (1976/1977), in: ders., Abschied vom Prinzipiellen: Philosophische Studien (Stuttgart: Reclam, 1981), S. 6790, hier: S. 78 u. S. 76. Odo Marquard, „Apologie des Zufälligen: Philosophische Überlegungen zum Menschen" (1984 bzw. 1985/86), in: ders-, Apologie des Zufälligen: Philosophische Studien (Stuttgart: Reclam, 1987), S. 117-139, hier: S. 128.

19

20

Vgl. John Harris, Wonderwoman and Superman: The Ethics of Human Biotechnology (Oxford/New York: Oxford University Press, 1992), S. 146. Vgl. auch Claus Koch, Ende der Natürlichkeit: Eine Streitschrift zu Bio-Technik und Bio-Moral (München/Wien: Carl Hanser, 1994), sowie meine Rezension dieses Buches: Bernd Gräfrath, ,„Gott spielen' als Zukunftsaufgabe" , Gaia: Ökologische Perspektiven in Natur-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften 3 (1994), S. 182-183.

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5. Ausblick: Die Herausforderung der Bioethik

von den Schultern genommen werden, so daß die Einsicht in die Schwere der Aufgabe nur dazu anleiten kann, diese Aufgabe klug und umsichtig, unter Berücksichtigung aller oben erwähnten moralischen Rahmenbedingungen wahrzunehmen. Das heutige oder zumindest zukünftige Dilemma besteht nun gerade darin, daß uns für unser zu verantwortendes Tun und Unterlassen eindeutige Maßstäbe fehlen. Das mag unerfreulich sein; aber in der entzauberten Welt müssen wir „dem Schicksal der Zeit [...] in sein ernstes Antlitz blicken." 21 Aus der Perspektive dieser Orientierungsprobleme ist es verständlich, warum die Anhänger eines moralphilosophischen Letztbegründungsprogramms dessen Durchführung für so dringlich halten: Wenn schon die Anwendungsprobleme schwierig zu lösen sind, soll zumindest die Ethik selbst ein unverrückbares Fundament mit klarem Grundriß besitzen. Da die Durchführbarkeit dieses Programms aber noch nicht nachgewiesen ist, sollten Verteidiger und Kritiker sich zumindest ernsthaft mit der Frage beschäftigen, was für eine Grundlegung der Ethik bleibt, wenn das Letztbegründungsprogramm scheitert. In diesem Fall scheint der plausibelste Bezugspunkt der möglichst weitreichende Konsens von moralischen „Intuitionen" (im Sinne wohlerwogener Einzelurteile) zu sein. Ein solcher Ansatz führt nicht in Max Webers relativistischen Dezisionismus, wenn wir voraussetzen, daß die Menschen sich in ihren grundlegenden Uberzeugungen nicht so weitreichend unterscheiden, wie dies die Vielfalt beobachtbaren Verhaltens vielleicht erscheinen läßt. Vielleicht läßt sich hier sogar - trotz aller sonstigen Kritik an Programmen einer EE - Hoffnung aus evolutionsbiologischen Erkenntnissen ziehen, die darauf hinweisen, daß sich die Annahme übereinstimmender „moralischer Gefühle" auf soziobiologische Ergebnisse stützen kann. 22 21

22

Max Weber, „Wissenschaft als B e r u f (1919), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann (Tübingen: J.C.B. Mohr, 7 1988), S. 582-613, hier: S. 605. Vgl. dazu den Verweis auf „anthropologisch elementare Gemeinsamkeiten" bei Albrecht Wellmer, Ethik und Dialog, S. 49; vgl. auch ebd., S. 132 u. S. 139.

5. Ausblick: D i e Herausforderung der Bioethik

221

Damit ist die Ethik in einem bestimmten Sinne „grundlos"; aber nur in dem Sinne, in dem auch unsere Lebensformen und Sprachspiele (im Sinne Wittgensteins), die ja keineswegs der Willkür Tür und Tor öffnen, kein Fundament „in der Sache selbst" haben.

6. Zusammenfassung Die Soziobiologie bildet eine Weiterführung früherer Vereinheitlichungsbestrebungen in den Wissenschaften. Aber nicht jeder Vereinheitlichungsversuch ist angemessen: Es gilt, einen unangemessenen Reduktionismus zu vermeiden. Zunächst einmal trägt aber jeder entsprechende Versuch - in positiver oder negativer Weise - zur Erkenntniserweiterung bei. Ob das Forschungsprogramm der Soziobiologie progressiv oder degenerierend (im Sinne von Imre Lakatos) ist, bleibt noch abzuwarten. Nicht abzustreiten ist, daß sie zum besseren Verständnis des Sozialverhaltens im nicht-menschlichen Bereich (so weit es Sinn macht, von einem solchen zu sprechen) beigetragen hat. Dieser Beitrag begründet aber noch keinen Alleinvertretungsanspruch. Zumindest für die Erklärung der spezifischen Ausprägung menschlicher Kultur (bzw. Kulturen) erscheint das biologische Beschreibungsraster als unzureichend und unangemessen. Dies beruht im wesentlichen auf der einseitig kausalen Perspektive der Naturwissenschaften. Menschliche Vernunft und Moral können aber nur angemessen erfaßt werden, wenn die „Innenperspektive" von uns als Handelnden nicht vernachlässigt und Geltungsfragen angemessen berücksichtigt werden. Das bedeutet umgekehrt nicht, daß die Soziobiologie nichts Wichtiges zur Erklärung des Ursprungs der Moral beizutragen hätte. Aber eine solche kausale Erklärung bildet eben noch keine Ethik; und deshalb ist es irreführend, wenn ein solches Projekt als „Evolutionäre Ethik" bezeichnet wird. Die moralphilosophischen Programme der Soziobiologie unterscheiden sich in ihrer Reichweite und ihrer Uberzeugungs-

6.

Zusammenfassung

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kraft erheblich; und diese beiden Faktoren stehen leider meist im Verhältnis einer umgekehrten Proportionalität. Das heißt konkret: Die Programme mit der größten Reichweite sind am wenigsten überzeugend, und die überzeugendsten Programme sind die trivialsten. Es gibt jedoch einen Mittelbereich, der zeigt, daß evolutionsbiologische Erkenntnisse in einem interessanten Sinne relevant für die philosophische Ethik sein können. Zwar ist es auch hier zweifelhaft, ob diese Relevanz das Etikett einer „Evolutionären Ethik" rechtfertigt; aber vielleicht sollten wir uns dabei nicht zu lange mit einem Streit um Worte aufhalten - solange klar ist, welche Programme einer „Evolutionären Ethik" nicht durchführbar sind. Verschiedene Formen von „weichen" moralphilosophischen Programmen der Soziobiologie können zeigen, daß diese als Hilfsdisziplin der philosophischen Ethik dienen kann - und zwar insbesondere, wenn es um Anwendungsprobleme geht, die auch Fragen der Politikberatung betreffen. Soziobiologische Erkenntnisse können darüber hinaus vielleicht sogar einen positiven Beitrag zur Grundlegung der Ethik liefern. Nicht nur die Ethik des Konstruktivismus, sondern auch etwa Rawls' Theorie eines hypothetischen Gesellschaftsvertrags, die von einem grundlegenden Konsens in moralischen Bewertungsfragen ausgeht, setzt bestimmte anthropologische Annahmen voraus. Wie im Anschluß an die Diskussion um mögliche skeptizistische Konsequenzen der „Evolutionären Ethik" gezeigt werden konnte, gewinnen solche Annahmen eines Konsenses aufgrund soziobiologischer Erkenntnisse an Plausibilität, so daß auch eine Ethik, die zwar bestimmte Einsichten Kants übernimmt, in Fundierungsfragen aber eher einer wohlverstandenen Humeanischen Position nahesteht, einen dezisionistischen Relativismus vermeiden kann. Für die Zukunft ist zu hoffen, daß im Gefolge des neu erwachten Interesses an der Philosophie der Biologie nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Die Soziobiologen müssen den „Witz" des naturalistischen Fehlschlusses verstehen, und die Moralphilosophen müssen lernen, daß sie es sich nicht mit dem Hinweis auf diesen zu vermeidenden Fehlschluß

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6. Zusammenfassung

einfach wieder in ihrem der empirischen Welt entrückten Lehnstuhl bequem machen dürfen, ohne die Erkenntnisse der (übrigen) Wissenschaften weiter zu berücksichtigen. Zwischen der Skylla des Fachidiotentums und der Charybdis der „Einheitswissenschaft" liegt der Königsweg der problemorientierten Interdisziplinarität; und in der besten aller möglichen Welten werden entsprechende Bemühungen nicht nur von Erfolg gekrönt werden, sondern auch disziplinäre Anerkennung finden.

7. Zitierte Werke Einen ersten Überblick zum Thema bieten die von Bayertz (1993) und Lütterfelds/Mohrs (1993) herausgegebenen Sammelbände. Die dort außerdem zu findenden Bibliographien sollen hier nicht wiederholt werden. Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.). Einheit der Wissenschaften: Internationales Kolloquium der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bonn, 25.-27. Juni 1990 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1991). Alexander, Richard D. Darwinism and Human Affairs (Seattle/London: University of Washington Press, 1982; urspr. 1979). Alper, Joseph S. „Ethical and Social Implications", in: Michael S. Gregory, Anita Silvers u. Diane Sutch (Hrsg.), Sociobiology and Human Nature: An Interdisciplinary Critique and Defense (San Francisco: Jossey-Boss, 1978), S. 195212. Attenborough, David. Spiele des Lebens?: Verhaltensweisen und Uberlehenskampf der Tiere (Niedernhausen, Taunus: Falken, 1991; urspr. englisch 1990). Axelrod, Robert. The Evolution of Cooperation (New York: Basic Books, 1984). Ayala, Francisco J. „The Biological Roots of Morality", Biology & Philosophy 2 (1987), S. 235-252. Baier, Annette C. A Progress of Sentiments: Reflections on Hume's „Treatise" (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1991). Baier, Kurt. The Moral Point of View: A Rational Basis of Ethics (Ithaca/London: Cornell University Press, 1969; urspr. 1958). Baumgartner, Hans Michael. „Die innere Unmöglichkeit einer evolutionären Erklärung der menschlichen Vernunft", in: Robert Spaemann, Peter Koslowski u. Reinhard Low (Hrsg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis: Zur philosophischen Kritik eines Paradigmas moderner Wissenschaft (Weinheim: Acta humaniora, 1984), S. 55-71. Bayertz, Kurt. GenEthik: Probleme der Technisierung menschlicher Fortpflanzung (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987).

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7. Zitierte Werke

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Williams, Patricia. „Evolved Ethics Re-Examined: The Theory of Robert J. Richards", Biology & Philosophy 5 (1990), S. 451-457. Wilson, Edward O . The Insect Societies (Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press (Belknap), 1971). Wilson, Edward O . Sociobiology: The New Synthesis (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press (Belknap), 1975). Wilson, Edward O . On Human Nature (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1978). Wilson, Edward O . „Altruismus" (urspr. englisch 1978), in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Evolution und Ethik (Stuttgart: Reclam, 1993), S. 133-152. [Bei diesem Aufsatz handelt es sich um einen Ausschnitt aus der deutschen Übersetzung von Wilsons Buch On Human Nature.] Wilson, Edward O . Biophilia (Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press, 1984). Windelband, Wilhelm. Uber Willensfreiheit: Zwölf Vorlesungen (Tübingen: J.C.B. Mohr, 1904). Winkler, Paul. „Zwischen Kultur und Genen?: Fremdenfeindlichkeit aus der Sicht der Evolutionsbiologie", Analyse & Kritik 16 (1994), S. 101-115. Wittgenstein, Ludwig. Philosophische Untersuchungen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1971; urspr. 1953). Wittgenstein, Ludwig. Uber Gewißheit (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1979; urspr. 1969, verfaßt 1949-1951). Wuketits, Franz M. Evolution, Erkenntnis, Ethik: Folgerungen aus der modernen Biologie (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984). Wuketits, Franz M. „Die Evolutionäre Ethik und ihre Kritiker: Versuch einer Metakritik", in: Wilhelm Lütterfelds [u. Thomas Möhrs] (Hrsg.), Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus: Beiträge zu einer modernen Theorie der Moral (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993), S. 208-234. Zimmer, Dieter E. „Der Mensch und sein Double: Über Zwillinge und Zwillingsforschung", in: ders., Experimente des Lebens: Wissenschaftsreporte über wilde Kinder, Zwillinge, Kibbuzniks und andere aufschlußreiche Wesen (Zürich: Haffmans, 1989), S. 49-107. Zimmer, Dieter E. „Freiheit oder Frevel?", Die Zeit vom 3. März 1995 (Nr. 10), S. 3.

8. Personenregister Alexander, R.D. 47 Allen, L. 9 Alpers, J.S. 9 Aristoteles 5, 153 Attenborough, D. 12 Axelrod, R. 27-40,119 f, 165, 167, 190-192 Ayala, F.J. 54 Baier, A.C. 159 Baier, K. 167 Baumgartner, H.M. 58 Bayertz, K. 17,66,83-86,93,115, 212,217 Benedict, R. 64 Birnbacher, D. 54, 90, 104, 122, 194, 210 f, 216 Bouwsma, O.K. 183 Buchanan, Α. 155 Burke, E. 207 f Butler, J. 127 Butler, S. 18, 49, 73 Coleman, J.L. 205 Craemer-Ruegenberg, I. Crick, F.H.C. 17 f, 214 Darwin, C.

189

11, 50, 78-81, 86, 197

und passim David, P.A. 74 Dawkins, R. 2,11 -20, 22-26, 34, 40, 45 f, 52, 62, 69-71, 102, 110, 119, 163 f, 166,172 f, 192 f

Descartes, R. 143 Doolittle, W.F. 18 Dorschel, A. 57 Dvorak, A. 74 Dworkin, R. 150 Eibl-Eibesfeldt, I. 108-112,114, 173 Engels, E.-M. 8,193 Erikson, E. 64 Fechner, G.T. 172 Feinberg, J. 143,174 Fletcher, J. 215 Flew, A. 79, 89,92,130,171,185 Flohr, H. 186 Forrest, D.W. 82 f Frankena, W.K. 151 Fried, C. 17,150 Funken, M. 189 Gabriel, G. 22 Galton, F. 80-83 Gauthier, D.P. 26 Gell-Mann, M. 45, 71 Gethmann, C.F. 7, 104, 138,152, 177,199,201-204 Gewirth, A. 124, 132 f, 138, 197 Gibbard, A. 8 Godwin, W. 207 f Goodman, N. 110 Gould, S.J. 11, 14-16, 18, 43-47, 53 f, 73-75, 82, 87, 96, 98-104

8. Personenregister Gray, J.P. 172 Greffrath, M. 218 Habermas, J. 136,158,185 Haidane, J.B.S. 84 Hamilton, W.D. 2,21,27, 34, 37-40 Hare, R.M. 113 Harman, G. 153 Harrington, P.D. 33 Harris, J. 219 Hart, H.L.A. 157,198,204 f Hegel, G.W.F. 60 Hegselmann, R. 121 Hemminger, H. 12 Hinckfuss, I. 159 Hitler, A. 135, 138 Hobbes, T. 26,94,116,121,170, 189 Hoerster, N. 113,205 Hösle, V. 8,15,60, 105,140 Holland, J.H. 98 f Huber, R. 3 Hull, D.L. 11,16,71 Hume, D. 1,5, 68, 78, 89, 113 f, 123,130 f, 150 f, 153-156,158 f, 192,196,208, 223 Hutcheson, F. 5, 78 Huxley, J. 88, 98 f, 103, 134,214 Huxley, T.H. 87-90, 92, 95, 98, 132, 219 Ingensiep, H.W.

42

Jacob, F. 46 Janich, P. 110 Janzen, D.H. 37 Jesus von Nazareth 119 Johnson, A.D. 39 Jonas, H. 175-182, 214 f Kambartel, F. 139,146, 202 f Kant, I. 5,58,75, 150,155,158, 175 f, 183 £, 188, 201-203,223 Kimura, D. 194

245

Kitcher, P. 14,43 f, 48,57, 78, 115-118,145 f Kliemt, H. 42, 68 Knapp, A. 42 Koch, C. 219 Kohlberg, L. 185 Kroll, J. 80,83-86,93 Kropotkin, P. 87 f Krüger, L. 183,195 Kutschera, F. von 17,113,140 Lakatos, I. 71,222 Lasker, E. 102 Leibniz, G.W. 45 Lem, S. 18,46,60-65,71-73, 75 f, 95-98,101-105,166,169,173,212, 217 f Levy, S. 71 Lewin, R. 71 f, 99 Löther, R. 163 Lorenz, Κ. 12,64,73,75,112 Lorenzen, P. 198, 200 Lovelock, J. 172 Lübbe, H. 158 Lumsden, C.J. 46 f, 55-57, 71 Mackie, J.L. 119,142,144,146, 156,159 f, 169,177 Mainländer, P. 174 f Malthus, T.R. 86 Marquard, O. 219 Martinsen, D. 180 Mavrodes, G.I. 113 May, R.M. 32,170 Maynard Smith, J. 34,164 f Mayr, E. 2,16, 19, 22, 50, 110,187 f McGinn, C. 54 Medawar, J.S. 18,213 Medawar, P. 18,213 Mendel, G.J. 2 Meyer-Abich, K.M. 43 Midgley, M. 11,46,103,204 Mill, J.S. 90-92,95,105 Mittelstraß, J. 139,200-202 Möhr, H. 72, 161,169,185-187

246

8. Personenregister

Montesquieu, C. de 91 Moore, G.E. 5,140,193 Morgan, T.H. 140 Morscher, E. 162,195 Muller, H.J. 84 Murphy, J.G. 148-150,152,156, 197 Mutter Teresa 20 f Nagel, T. 146,148 f Neumann, F. 87 Newton, I. 1 Nietzsche, F. 85 f, 119 Nowak, M.A. 32,170 Nozick, R. 56 f, 150, 153 f Orgel, L.E.

17 f

Pabo, C.O. 39 Paley.W. 52 Panchen, A.L. 103 Pascal, L. 171 f Patzig, G. 58, 67,154,157 f, 174, 185 Peters, T.J. 192 Piaget, J. 185 Pieper, A. 86 Plato 120 Popper, K.R. 14, 60 Ptashne, M. 39 Quine, W.V.O.

15

Rahner, K. 215 f Rapp, F. 75 f Rawls, J. 7 f, 115 f, 121 f, 136,138, 140,143 f, 149 f, 153-156,167 f, 170 f, 195-197, 223 Richards, R.J. 123-139 Riedl, R. 50 Rosenberg, A. 119 Ross, W.D. 188 Rottschaefer, W.A. 180 Rousseau, J.-J. 87 Ruse, M. 5 f, 58, 115 f, 119, 140 f, 144-148, 156 f, 159 f, 168

Russell, Β.

67, 152

Sapienza, C. 18 Scherer, G. 104 Schiller, F. 183 Schivelbusch, W. 73 Schlick, M. 91 Schopenhauer, A. 60, 75,174 Schwemmer, O. 203 Searle, J.R. 3, 54,130 f, 197 Shaftesbury, A.A.C. 5 Shaw, G.B. 49-51 Sholes, C.L. 74 f Sidgwick, H. 68 Siep, L. 20,186 Sigmund, K. 32,170 Singer, P. 106, 112, 114, 117, 122, 141-145,150, 185,194, 207-209 Smith, A. 78 Sober, E. 43,164 Sokrates 119 f Spaemann, R. 51 Spencer, H. 193 Stapledon, W.O. 213 Stegmüller, W. 8,159,204 Stöckler, M. 162 Strawson, P.F. 158 Teilhard de Chardin, M.-J.P. 50 Tennant, N. 54,167 Tille, A. 85 f, 90, 93, 95, 99, 114 Tönnesmann, W. 186 Toulmin, S. 134 Trigg, R. 158 Trivers, R.L. 21, 38 Uhlemann, B.

3

Van den Daele, W. 216 Vogel, C. 186 Voland, E. 12 Vollmer, G. 4, 161 f, 165 f, 169, 181-183,187-189,192,210 Voltaire 45 Voorzanger, B. 132

247

8. Personenregister Vossenkuhl, W.

59

Waldrop, M.M. 72 Waterman, R.H., Jr. 192 Weber, M. 220 Weingart, P. 80, 83-86, 93 Weismann, Α. 2, 50 Wellmer, Α. 154 f, 201, 220 Wells, H.G. 82 Wickler, W. 167 Willey, B. 51 Williams, B.A.O. 197 Williams, P. 133 f

Wilson, E.O. 2-4, 6, 19-22, 38, 43 f, 46 f, 55-57, 67 f, 71, 105-107, l l l f , 114-122,125,140,144,146,148, 153, 157,159 f, 173, 184,186 Windelband, W. 58 Winkler, P. 69,189 Wittgenstein, L. 118, 155,183, 202 f, 221 Wolfe, L. 172 Wuketits, F.M. Zimmer, D.E.

65 f, 70,180 f 24, 214

9. Sachregister Das Sachregister ist nicht auf Vollständigkeit hin angelegt, sondern soll als Weg weiser zu Themen oder Schwerpunkten dienen, die nicht einfach über das Inhaltsverzeichnis zu finden sind. Altruismus 5,19-22,67,119, 125, 134,159 und passim Anthropisches Prinzip 104 f Anthropozentrismus 42 f, 93, 100, 103 f biologisch/biotisch Determinismus 70, 75

162 f

9, 17, 46-48, 55-58,

Erkenntnistheorie, Evolutionäre 8f Ethos 54, 59, 64 f, 152,185,207 f Eugenik/Autoevolution 48, 62, 79, 82-85, 94,209-220 Fortschritt 62, 79, 88, 94-103,106 f, 150,154 f, 186,208,211,219 Funktionswandel 53 f Genese/Geltung 8 f, 20,48 f, 54, 56-59, 70 f, 75, 99,124,126, 133, 136 f, 144-150,207 Gerechtigkeit 8, 83, 85, 91, 93, 110, 112,115-118, 121,125,134 f, 142 f, 147, 167 f, 170 f, 193-196, 201,209, 218

Klassifikationen 109-111

16 f, 48, 97, 102 f,

Konstruktivismus

151 f, 197-204

Lamarckismus 15, 42, 49 f, 61, 93, 100 Leib/Seele-Problem 3,17 Letztbegründung 133,138-140, 149,155,220 moral sense 65, 78, 89, 132, 143, 148-150,156,158,220 Naturgesetz

91,93

Ockhams Rasiermesser 6, 18, 25, 52, 144 f, 155 f, 176 f, 179 Panglossismus 44-48, 53 f, 96-98 Personalität 17, 58,110,142 f, 174, 188,216 Politikberatung/Sozial technologie 9 f, 44, 80 ff, 119 f, 171, 183, 185 f, 189-195, 203, 208 f Rassismus/Dritte Welt 9, 68 f, 82 f, 86, 99,108 f, 111,184-186,208 f Rechtsphilosophie 91, 157 f, 197 f, 204 f, 209 Rigorismus, moralischer 187 f Sexismus/Frauenförderung 106,109,192-195

9, 69 f,

9. Sachregister Spieltheorie 22, 26-40,117, 119-121,159,163-170,187 f, 192 survival of the fittest 14 f, 25,92 f Technik 56, 62,63, 71-76, 81,97 f, 117,198,204, 210-212, 217, 219 Theologie 42 f, 50-52, 56, 75, 87 f, 91,100,117, 119, 128,145,158, 177 f, 182 f, 200,214-216,219

249

Tiere, moralischer Status der 87, 104,110 f, 117 f, 120,142 f, 154 f, 196 Uberbevölkerung 171 f Überschuß 53 f, 156 f, 159 Utilitarismus 7 f, 84, 134 f, 143, 150, 168,208,214 Zufall

51 f, 63,103 f, 167,214 f, 219