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German Pages 309 [310] Year 2021
Anja J. Weissbrodt Etwas Besseres als den Tod – Aktuelle Regelung der Suizidbeihilfe und ihre Auswirkungen auf die Ärzteschaft Juristische Zeitgeschichte Abteilung 5, Band 26
Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen – Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mithrsg. Gisela Friedrich RA Prof. Dr. Franz Salditt
Band 26 Redaktion: Christoph Hagemann
De Gruyter
Anja J. Weissbrodt
Etwas Besseres als den Tod – Aktuelle Regelung der Suizidbeihilfe und ihre Auswirkungen auf die Ärzteschaft
De Gruyter
Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen als Dissertation angenommen.
ISBN 978-3-11-076561-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-076565-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-076573-1
Library of Congress Control Number: 2021948905 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort „Vor-Wort“ impliziert zum einen, dass es nicht die eigentliche Disputation vor-wegnehmen soll. Zum anderen, dass es kurz gehalten wird. Es soll in meinem Fall aber den Focus auf folgendes richten: Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Sterbehilfe“ ist einerseits seit Jahren gesellschaftspolitisch hochbrisant - aktuell mit dem Ziel, dass in der im Herbst 2021 beginnenden Legislaturperiode des XX. Deutschen Bundestags ein gutes und weitgehend Akzeptanz findendes Ergebnis erreicht werden kann. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten. Andererseits ist es ein hoch emotionales Thema: Im privaten Umfeld oftmals sprichwörtlich „totgeschwiegen“ und tabuisiert, so kann es doch jeden früher oder später betreffen: unmittelbar selbst als Patient, oder als (naher) Angehöriger, aber auch als Pflegekraft, Mediziner, Theologe... Und nicht zuletzt auch als Jurist. Mich selbst hat es doppelt betroffen: Während der Erarbeitung der These gab es mehr als einen emotionalen Moment, vor dem auch ich als Jurist nicht gefeit bin. Dies insbesondere bei der Schilderung der verschiedenen persönlichen Schicksale. Und schließlich fand ich mich während der Erstellung dieser Dissertation als Angehörige eines mir sehr nahestehenden Verwandten unmittelbar in der Situation wieder, in der eine Entscheidung zum ärztlich assistierten Suizid anstand. Während der gesamten Erstellung dieser Dissertation zählten daher eingehende Gespräche mit diversen Ansprechpartnern zur größten Unterstützung. Zuerst zählten dazu Gespräche mit meinem Mann, Michael Ermert – selbst Mediziner – der mir hier eine große Unterstützung war. Bis hin zu dem Punkt, dass er mich an einem Morgen im Februar 2020 darauf hinwies, dass am Vormittag desselben Tages das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 live im Fernsehen verkündet werden würde. Ihm sowie meinem niederländischen Kollegen Bas Droesen verdanke ich auch die detailgenaue Übersetzung und Erläuterungen der vielfältigen Textquellen vom Niederländischen ins Deutsche. Es sind die vielen kleinen Dinge, die Aspekte zu dieser Dissertation beitrugen. Hier sei vor allem die Tagung der Strafrechtlehrer und -lehrerinnen in Würzburg im Frühjahr 2018 genannt. Dort verdanke ich den Vorträgen, Diskussionen, aber auch persönlichen Gesprächen vor allem mit Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf,
https://doi.org/10.1515/9783110765731-202
VI
Vorwort
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albin Eser, Prof. Dr. Gerhard Igl sowie Prof. Dr. Jochen Taupitz wichtige Impulse für meine Arbeit. Ebenso kollegial war das Gespräch im Rahmen meiner Disputation mit Frau Prof. Dr. Gabriele Zwiehoff und Herrn Prof. Dr. Osman Isfen. Sie gaben mir zu jedem Moment der Prüfung das Gefühl, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen und ein geschätzter Gesprächspartner zu sein – eine Atmosphäre, die für mündliche Prüfungen sicher außergewöhnlich ist. Vielen Dank dafür! Besonders in organisatorischer Hinsicht bin ich dem Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtsgeschichte u. Rechtsphilosophie der Fernuniversität Hagen zu Dank verpflichtet. Herr Christoph Hagemann war mir hier eine große Stütze. Mein ganz besonderer und von Herzen kommender Dank jedoch gilt Herrn Prof. Dr. Stephan Stübinger, der die Entstehung dieser Inauguraldissertation zu jedem Zeitpunkt und auf allen Ebenen – wissenschaftlich wie organisatorisch – hervorragend unterstützt hat. Er war immer ein offener und verständnisvoller Gesprächspartner: Mit ihm waren jederzeit wohlwollende Gespräche möglich, die einen wesentlichen Beitrag bei der Erarbeitung dieser These dargestellt haben. München, im September 2021
Anja J. Weissbrodt
Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XV ERSTER TEIL Erstes Kapitel: Einleitung ................................................................................. 3 Zweites Kapitel: Sterbehilfe – Begriffe und Formen ......................................... 5 A)
Euthanasie .............................................................................................. 5
B)
Aktive Sterbehilfe .................................................................................. 9 I.
Zur ethnischen Debatte über den Unterschied zwischen aktiver Tötung und passivem Sterbenlassen ............................... 9
II.
Zur rechtsphilosophischen Debatte über den Unterschied zwischen aktiver Tötung und passivem Sterbenlassen ............. 12
C)
Indirekte aktive Sterbehilfe .................................................................. 16
D)
Palliative Sedierung ............................................................................. 19
E)
Passive Sterbehilfe ............................................................................... 22
F)
Assistierter Suizid ................................................................................ 24 I.
Grundsätzliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ..... 25
II.
Sind diese allgemeinen Abgrenzungstheorien auf § 216 StGB anwendbar? ..................................................... 27
Drittes Kapitel: Vordebatte zum § 217 StGB .................................................. 33 A)
Reformbewegungen vor 2015: Kernpunkte der Diskussion um Sterbehilfe ................................................................... 33 I.
Autonomieprinzip ..................................................................... 34
II.
Menschliche Würde .................................................................. 39 1. Definition ............................................................................ 39 a) „Mitgifttheorie“ ............................................................. 40 b) „Leistungstheorie“ ......................................................... 40 c) Objektformel ................................................................. 41 d) Stellungnahme zu den Theorien .................................... 42
VIII
Inhaltsverzeichnis 2. Heranziehung der Menschenwürde in der Sterbehilfediskussion .......................................................... 42 a) Gründe für die Heranziehung der Menschenwürde zur Bejahung der Sterbehilfe ......................................... 43 b) Gründe für die Heranziehung der Menschenwürde zur Ablehnung der Sterbehilfe ...................................... 47 c) Rechtliche Überlegungen zur Heranziehung der Menschenwürde ............................................................ 48 III.
Mitleid und Bewertung von Lebensqualität.............................. 50
IV.
Dammbruch-Argumentation ..................................................... 53 1. Logische Dammbruch-Argumente ...................................... 54 2. Empirische Dammbruch-Argumente .................................. 55
V.
Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens .............................. 56 1. Theologische Argumentation .............................................. 56 2. Conclusio ............................................................................ 61
VI. B)
Fürsorgeprinzip......................................................................... 62
Gesetzgebungsverfahren 2015 ............................................................. 64 I.
Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung ................................................. 66
II.
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung.... 70
III.
Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung ........................................................................ 75
IV.
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)................... 78
V.
Abstimmungsergebnis .............................................................. 81
Viertes Kapitel: Der am 10. Dezember 2015 in Kraft getretene, aber am 26. Februar 2020 für nichtig erklärte § 217 StGB ......................... 82 A)
Wortlaut und Tatbestandsmerkmale .................................................... 82 I.
Strafrechtssystematische Einordnung ....................................... 83
II.
Fehlende Akzessorietät ............................................................. 83
III.
Objektiver Tatbestand............................................................... 87 1. Selbsttötung ........................................................................ 87 2. Geschäftsmäßigkeit ............................................................. 90
Inhaltsverzeichnis
IX
3. Tathandlungen .................................................................... 96 a) Beispiele nicht erfasster Handlungen ............................ 96 b) Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln einer Gelegenheit ................................................................... 97 aa) Gelegenheit ........................................................... 97 bb) Gewähren .............................................................. 99 cc) Verschaffen ........................................................... 99 dd) Vermitteln ........................................................... 100 ee) Unterschied zwischen Verschaffen und Vermitteln ........................................................... 100 IV.
Subjektiver Tatbestand ........................................................... 104
V.
Rechtswidrigkeit ..................................................................... 106
VI.
Schuld ..................................................................................... 107
VII.
Persönlicher Strafausschließungsgrund des § 217 Abs. 2 StGB .................................................................. 108 1. Angehöriger ...................................................................... 109 2. Nahestehende Person ........................................................ 111
VIII. Konkurrenzen ......................................................................... 113 IX.
Rechtsfolgen ........................................................................... 113
X.
Auslandstaten ......................................................................... 113
XI.
Fazit ........................................................................................ 114
B)
Materielle Grenzen der Strafgesetzgebung ........................................ 114
C)
Verfassungsrechtliche Dimension ..................................................... 119 I.
Grundrechtseingriffe............................................................... 119 1. Recht auf Suizid ................................................................ 119 2. Recht auf Hilfe beim Suizid .............................................. 123 3. Eingriff in die Berufsfreiheit ............................................. 125 4. Eingriff in die Gewissensfreiheit ...................................... 127
II.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs .............. 129 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit ....................................... 129 a) Begründungspflicht ..................................................... 129 b) Bestimmtheitsgebot ..................................................... 132 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit ..................................... 133
X D)
Inhaltsverzeichnis Verwaltungsrechtliche Dimension ..................................................... 137 I.
Prozessgeschichte ................................................................... 138
II.
Urteil ....................................................................................... 141 1. Betäubungsmittelrecht ...................................................... 141 2. Bindungsfähigkeit ärztlichen Standesrechts...................... 142
III.
Kritische Würdigung .............................................................. 149
Fünftes Kapitel: Die empirische Datenlage .................................................. 154 A)
B)
Übersicht über die wissenschaftlich anerkannten Befragungen ......... 154 I.
Allensbach Institut .................................................................. 154
II.
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin ............................ 158
Zwischenergebnis .............................................................................. 160
Sechstes Kapitel: Auswege aus dem medizinischen Dilemma ....................... 162 A)
Patientenverfügung ............................................................................ 162 I.
Einführung .............................................................................. 162
II.
Urteil des BGH aus dem Jahre 2018....................................... 163
III.
Historische Entwicklung der Patientenverfügung .................. 165 1. Entwurf von Joachim Stünker ........................................... 171 2. Entwurf von Wolfgang Bosbach ....................................... 173 3. Entwurf von Wolfgang Zöller ........................................... 175 4. Einführung der § 1901a ff. BGB (Patientenverfügung) .... 177
B)
IV.
Aktueller Stand ....................................................................... 182
V.
Fazit ........................................................................................ 184
Reform des § 217 StGB ..................................................................... 185 I.
Abschaffung ........................................................................... 185 1. Grundsatz .......................................................................... 185 2. Verfassungswidrigkeit ...................................................... 187 3. Präventionsstrafrecht......................................................... 188 4. Schutz der Moral statt des Rechts ..................................... 189 5. Systemwidrigkeit .............................................................. 190
Inhaltsverzeichnis II.
XI
Umgestaltung in eine Ordnungswidrigkeit nach Roxin .......... 191 1. Pönalisierung im Rahmen des Strafrechts......................... 192 2. Absicht der geschäftsmäßigen Förderung ......................... 194 3. Problematik des ärztlich assistierten Suizids .................... 195
III.
Lösungswege in den Niederlanden ......................................... 197 1. Zur historischen Entwicklung in den Niederlanden .......... 197 a) Der Fall von Geertruida Postma .................................. 198 b) Der Fall von Frau Schoonheim ................................... 200 c) Der Chabot-Fall ........................................................... 201 2. Weitere Entwicklung ........................................................ 202 3. Übertragbarkeit in den deutschen Rechtskreis .................. 205 a) Freiwillige und wohlüberlegte Bitte des Patienten ...... 205 b) Aussichtsloses und unerträgliches Leid des Patienten... 205 c) Aufklärung des Patienten ............................................ 207 d) Fehlen einer vernünftigen anderen Lösung ................. 207 e) Konsultation eines zweiten, unabhängigen Arztes ...... 207 f) Medizinisch sorgfältige Ausführung ........................... 208 4. Problemkonstellationen..................................................... 209 a) Sterbehilfe bei vegetativem Zustand ........................... 209 b) Sterbehilfe bei Patienten mit Demenz ......................... 209 c) Patienten mit psychischer Erkrankung „existentielles Leid“ .................................................... 210 d) Der Fall Brongersma ................................................... 210
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 ....................... 213 A)
Ergebnis der Entscheidung ................................................................ 213
B)
Das Urteil im Einzelnen ..................................................................... 214 I.
Positionen einzelner Beschwerdeführer.................................. 214
II.
Stellungnahmen ...................................................................... 216
III.
Wesentliche Entscheidungsgründe ......................................... 220 1. Vorerwägungen ................................................................. 220
XII
Inhaltsverzeichnis 2. Verhältnismäßigkeitsprüfung ............................................ 224 a) Legitimer Zweck ......................................................... 225 b) Erforderlichkeit und Angemessenheit ......................... 229 3. Möglichkeit der einschränkenden Auslegung und Regelungsvoraussetzungen ............................................... 234 ZWEITER TEIL
Erstes Kapitel: Folgerungen aus dem Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 und Ausblick .......................................................... 239 Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag.............................................. 242 A)
Ausgangsüberlegung .......................................................................... 242
B)
Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit der Suizidbeihilfe ............ 243 I.
Verbot der aktiven Sterbehilfe ................................................ 243
II.
Verbot von Sterbehilfevereinen .............................................. 244
III.
Kein aktiver Vorschlag eines assistierten Selbstmords........... 244
IV.
Rechtsgültige Erklärung des Sterbewilligen ........................... 245 1. Volljährigkeit .................................................................... 245 2. Geistige Gesundheit – keine Suizidbeihilfe bei psychischen Erkrankungen oder Demenz ......................... 246 3. Schwere unheilbare und irreversible Erkrankung ............. 247
V.
Freiwilligkeit und Dauer ......................................................... 249
VI.
Möglichkeit zum Rücktritt...................................................... 250
VII.
Aufklärung des Patienten........................................................ 250
VIII. Außerachtlassung und Vermeidung externer Einflüsse .......... 251 IX.
Entscheidungsgremium .......................................................... 251
X.
Medizinische Durchführung ................................................... 252
XI.
Kein monetärer Anreiz für Ärzte ............................................ 252
XII.
Dokumentation ....................................................................... 253
XIII. Aufforderung an Apotheker.................................................... 253 XIV. Keine Verpflichtung des Arztes.............................................. 253
Inhaltsverzeichnis XV.
XIII
Einsetzung eines Komitees ..................................................... 254
XVI. Sanktionierung ........................................................................ 254 XVII. Jahresbericht ........................................................................... 255 C)
Fazit ................................................................................................... 255 ANHANG
Verzeichnis der verwendeten Literatur und Quellen ..................................... 259
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Auffassung
Abs.
Absatz
Alt.
Alternative
AMG
Arzneimittelgesetz
ApH
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Kant)
Arch Int Med
Archives of Internal Medicine
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
AWMF
Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften
BerlKaG
Berliner Kammergesetz
BfArM
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Amtliche Entscheidungssammlung des BGH in Strafsachen
BO-Berlin
Berufsordnung der Ärztekammer Berlin
BRJ
Bonner Rechtsjournal
BT
Besonderer Teil
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
BtMG
Betäubungsmittelgesetz
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BverfGE
Amtliche Entscheidungssammlung des BverfG
bzw.
beziehungsweise
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
ChemG
Chemikaliengesetz
CSU
Christlich-Soziale Union in Bayern
https://doi.org/10.1515/9783110765731-204
XVI
Abkürzungsverzeichnis
d.h.
das heißt
DEGAM
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V.
DGHS
Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V.
DGHO
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V.
DGP
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.
DKG
Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
DKH
Stiftung Deutsche Krebshilfe
DMW
Deutsche Medizinische Wochenschrift
DSM-V
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
EG
Europäische Gemeinschaft
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
engl.
englisch
et al.
und andere
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
f.
folgende
FDP
Freie Demokratische Partei
ff.
fortfolgende
Fn
Fußnote
FPR
Familie Partnerschaft Recht
FS
Festschrift
GA
Goltdammerʼs Archiv für Strafrecht
GCP
Good Clinical Practice(s)
GesR
Gesundheitsrecht
GG
Grundgesetz
Abkürzungsverzeichnis
XVII
ggf.
gegebenenfalls
GMS
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Kant)
h.M.
herrschende Meinung
h.L.
herrschende Lehre
ICD
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
i.d.R.
in der Regel
i.e.
id est, das heisst
i.S.d.
im Sinne des/der
i.V.m.
in Verbindung mit
JA
Juristische Arbeitsblätter
JAMA
Journal of the American Medical Association
JR
Juristische Rundschau
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
JRE
Jahrbuch für Recht und Ethik
KG
Kammergericht
KNMG
Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst (Königliche Niederländische Ärztevereinigung)
KpV
Kritik der praktischen Vernunft (Kant)
KriPoZ
Kriminalpolitische Zeitung
KrV
Kritik der reinen Vernunft (Kant)
lat.
lateinisch
LG
Landgericht
LK
Leipziger Kommentar
MBO(-Ä)
Musterberufsordnung (der Ärzte)
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
MedR
Zeitschrift Medizinrecht
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
Medstra
Zeitschrift für Medizinstrafrecht
MittBayNot
Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern
MS
Die Metaphysik der Sitten (Kant)
MüKo
Münchener Kommentar
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport
NK
Neue Kriminalpolitik
NK-Bearbeiter
Nomos-Kommentar-Bearbeiter
Nr.
Nummer
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
OL
Leitlinienprogramm Onkologie
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
PKS
Polizeiliche Kriminalstatistik
PST
Palliative Sedierungstherapie
PVVG
Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz
RG
Reichsgericht
RGSt
Amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen
RGZ
Amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen
RL
Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft (Kant)
Rn
Randnummer
S.
Satz, Seite
SK
Systematischer Kommentar zum StGB
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Abkürzungsverzeichnis
XIX
StGB
Strafgesetzbuch
StRG
Gesetz zur Reform des Strafrechts
TPG
Transplantationsgesetz
TvGR
Tijdschrift voor Gezondheidsrecht
u.a.
unter anderem
u.U.
unter Umständen
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
Vorbem.
Vorbemerkung
VuR
Verbraucher und Recht
WaffG
Waffengesetz
WHO
World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation)
WRV
Weimarer Reichsverfassung
z.B.
zum Beispiel
ZEV
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge
Ziff.
Ziffer
ZIS
Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik
ZfL
Zeitschrift für Lebensrecht
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
ERSTER TEIL
Erstes Kapitel: Einleitung Es gibt einen Cartoon, in diesem sitzen Charlie Brown und Snoopy symbolträchtig an einem Steg und blicken auf einen Fluss. Charlie Brown sagt bei diesem Anblick zu Snoopy: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“ Worauf dieser antwortet: „Ja, aber an allen anderen Tagen nicht.“ In den frühen Jahren des medizinischen Fortschritts ging es zumeist um Lebenserhaltung – um „all die anderen Tage“. Inzwischen ist der letzte Tag, der, an dem wir sterben werden – oder wollen –, in den Fokus gerückt. Die Diskussion um Sterbehilfe ist insbesondere geprägt von den unterschiedlichen Meinungen zum ärztlich assistierten Suizid. Ihre Zuspitzung fand diese, zumindest vorübergehend, durch die Neueinführung des – im Nachhinein vom BVerfG1 für nichtig erklärten – § 217 StGB in das deutsche Strafrecht. Die vorliegende Arbeit beleuchtet den Gang der Sterbehilfediskussion in Deutschland, wobei auch ein Blick auf die Regelungen in anderen Ländern gerichtet wird, wie zum Beispiel in den Niederlanden. Um die Grundlagen der Diskussion zu verstehen, erfolgt zunächst eine Erläuterung der diversen Begriffe, wie sie in Deutschland im Zusammenhang mit Sterbehilfe gebraucht werden. Sofern erforderlich, wird dabei auch auf die unterschiedlichen strafrechtstheoretischen Abgrenzungen eingegangen und es werden erste Beispiele aus der Rechtsprechung benannt und bewertet. Darauffolgend wird die Diskussion im Vorfeld der Schaffung des § 217 StGB beleuchtet und die einzelnen, damals diskutierten Gesetzesentwürfe werden vorgestellt. Hierbei erfolgt auch eine Stellungnahme zu den einzelnen Entwürfen vor dem damaligen Hintergrund der Diskussion. Die Arbeit stellt weiterhin die umstrittenen Kernpunkte der Sterbehilfediskussion vor: Fragen der Autonomie, der Würde, der Fürsorge und der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens werden diskutiert. Pro und Contra dieser Argumente wollen sorgfältig abgewogen werden – und es wird sich zeigen, dass es durchaus gute Argumente für beide Seiten gibt. Insbesondere das Argument des Dammbruchs wird einem in der gesamten Entwicklung der Sterbehilfeproblematik immer wieder begegnen.
1
BVerfG NStZ 2020, 528.
https://doi.org/10.1515/9783110765731-001
4
Erster Teil
Es folgt die Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens zu § 217 StGB und dessen letztlicher Wortlaut. Diesem ist das vierte Kapitel dieser Arbeit gewidmet. Es beschäftigt sich eingehend mit der Wortkritik dieses Paragraphen und stellt dessen verfassungs- und verwaltungsrechtliche Dimensionen in seiner Entwicklung dar. Das im Jahr 2020 ergangene Urteil des BVerfG zu § 217 StGB wird dargestellt und bewertet. Die empirische Datenlage in Deutschland mag wenig aussagekräftig sein, soll aber dennoch betrachtet werden. Welche Ärzte sprechen sich für Sterbehilfe aus? Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, im folgenden Allensbach Institut genannt, wenn auch bereits aus dem Jahr 2010, gibt hierüber näher Aufschluss. Der Schluss liegt nahe, dass § 217 StGB aus diversen Gründen nicht die beste aller möglichen Lösungen war. Es gab diverse Vorschläge anderer Regelungen: Etwa im Rahmen einer Patientenverfügung, durch gänzliche Abschaffung des Paragraphen oder der Schaffung einer Ordnungswidrigkeit. Unter Umständen böten auch die benachbarten Niederlande ein praktikables Modell? Das niederländische Modell wird abschließend in Beziehung gesetzt zu den Vorschlägen und Erwägungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem aktuellen Urteil getroffen hat. Welche Regelungen könnten zu einer lebenswerten Lösung für die Betroffenen beitragen? Denn letztlich geht es darum: Um Leben. Wir sterben nur an einem Tag. An all den anderen leben wir.
Zweites Kapitel: Sterbehilfe – Begriffe und Formen A) Euthanasie Der Begriff, der uns in Diskussionen um Sterbehilfe begegnet, ist jener der Euthanasie: griechisch εὐθανασία, von eu~: gut, richtig, leicht, schön; und thánatos: der Tod – der gute Tod. Der Begriff bezeichnete ursprünglich kein Konzept der ärztlichen Sterbehilfe – sondern einen schmerzlosen Tod zu einem angemessenen Zeitpunkt, oder auch einen würdigen und ehrenvollen Tod. So beschreibt Sueton Augustusʼ Sterbestunde: „(...) verschied er plötzlich in den Armen der Livia mit den Worten: ʻLivia, gedenke unserer glücklichen Ehe und lebe wohl!ʼ leicht und schmerzlos, wie er immer gewünscht hatte. Denn so oft er früher vernahm, daß irgendwer schnell und ohne Schmerzen gestorben sei, pflegte er von den Göttern eine ähnliche ʻEuthanasieʼ für sich und die Seinen zu erbitten.“1
Für die Menschen der Antike hatte der Begriff der Euthanasie keinen Bezug zur ärztlichen Unterstützung oder Hilfe am Lebensende. Ein solches Verhalten wurde damals strikt abgelehnt. Der im 4. oder 5. Jahrhundert vor Christus entstandene Hippokratische Eid verbot sie ausdrücklich. Dort heißt es: „Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödliches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; (…).“2
Die Gründe für dieses Verbot waren allerdings weniger ethisch als praktisch. Angesichts der geringen therapeutischen Mittel ging es den Ärzten von damals vor allem darum ihr Ansehen zu schützen. In der Antike zählte zum guten Tod vor allem auch Schmerzfreiheit – ein Gedanke, der uns später bei der palliativen Sedierung und der passiven Sterbehilfe wieder begegnen wird. Bereits Plinius der Ältere beschreibt und unterscheidet Gifte, die den Tod erleichtern: „Die Erde hat die Gifte nur aus Mitleid mit uns erzeugt, damit uns nicht, wenn wir des Lebens überdrüssig sind, der Hunger, eine den Verdiensten der Erde ganz unangemessene Todesart, in langsamem Siechtum zehre, oder ein Abgrund den zer1 2
Sueton, Kaiserbiographien, http://www.gutenberg-spiegel.de [Fassung vom 11.1.2018]. Bauer, Der Hippokratische Eid, S. 2.
https://doi.org/10.1515/9783110765731-002
6
Erster Teil schmetterten Körper zerstreue; damit die Strafe des Stricks uns nicht vorzeitig quäle durch Abschnüren des Atems, für den wir doch einen Ausweg suchen sollten; damit nicht, indem wir in Wasserstiefe den Tod suchen, unser Begräbnis dem Fraß der Fische zuteil werde, und da. nicht die Qual des Eisens unseren Leib zerreiße. So ist es: Aus Mitleid erzeugt sie, was wir mühelos mit einem Schluck einnehmen und wodurch wir, ohne den Körper zu verletzen, ohne allen Blutverlust, ohne Qual sterben konnten.“
Während für die Menschen der Antike der schmerzlose Tod ein guter Tod war,3 entwickelte die christliche Tradition ein ganz anderes Bild des Todes, das heute die Sterbehilfedebatte in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Im Mittelalter galt der Tod als Mahnung zur Vergänglichkeit und als Schwelle zum Jüngsten Gericht, vor welchem jeder Mensch schließlich seine Sünden zu bekennen und zu sühnen hatte. Vor diesem Hintergrund war ein guter Tod einer, der das Leben gut abschloss und heilsam war. Im Spätmittelalter entwickelte sich eine eigene Literaturgattung, die die christliche Vorbereitung auf einen guten Tod lehrte: Ars moriendi (lat., die Kunst des Sterbens). Dabei konnte Ars moriendi sowohl die unmittelbare Situation des Sterbens (den „guten Tod“) bedeuten als auch die Einübung des Sterbens zur rechten Zeit.4 Mit der Einübung dieser Kunst wollte man erreichen, dass die Menschen sich um das Heil ihrer Seele bemühten, solange noch Zeit dazu war. Der Begriff der Euthanasie hatte in diesem Weltbild keinen Platz, sollte der Tod doch überwunden und der Weg in die Ewigkeit geebnet werden. Doch auch für Ärzte im Spätmittelalter gab es bereits Handlungsempfehlungen, wie sie mit Patienten umgehen sollten, deren Leiden sie mit den damals zur Verfügung stehenden Mittel nicht heilen konnten. Der französische Chirurg Guy de Chauliac (um 1298–1368) spricht um 1363 in seiner Chirurgia von einer „cura larga, praeservativa et palliativa“5. Auf diese symptomlindernde Therapie, die nicht mehr auf Heilung ziele, könne sich der Arzt beschränken, wenn die Erkrankung ihrer Natur nach unheilbar sei, der Patient eine radikale, z.B. chirurgische Behandlung, ablehne und die kurative Behandlung mehr Schaden anrichte als nütze. Die Bedeutung von Euthanasie im Sinne einer medizinischen Sterbehilfe benutzt Francis Bacon (1561–1626) zum ersten Mal 1605 in seinem Werk „Of the Proficience and Advancement of Learning Divine and Humane“, übersetzt: „Vom Nutzen und Fortschritt göttlicher und menschlicher Wissenschaft“. Hier äußert er die Ansicht, es gehöre zu den Aufgaben eines Arztes Schmerz und 3 4 5
Vgl. Plinius, d. Ä. 2, 156; auch an den Tod der Cleopatra mag gedacht werden, Cass. Dio 51, 13, 4, der beschreibt: „Sie traf ihre Vorbereitungen zu einem möglichst schmerzfreien Tod“. Berger, Ars Moriendi, S. 35. De Chauliac, Chirurgia, [a2 verso–a3 verso].
Zweites Kapitel: Sterbehilfe – Begriffe und Formen
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Qualen auch dann zu lindern, wenn diese Behandlung nicht zur Genesung führe, sondern einen ruhigen und leichten Übergang ermögliche.6 Seine Ausführungen konkretisierte er 1623 in seinem Werk „De dignitate et augmentis scientiarium“ (Über die Würde und die Vermehrung der Wissenschaft), in dem er die Ärzte auffordert, denjenigen, bei denen keine Hoffnung mehr besteht, den Tod durch betäubende Mittel zu erleichtern; dies nennt er euthanasia exterior (äußere Euthanasie) in Abgrenzung zu der Euthanasie, die die Vorbereitung der Seele erfordere.7 Im 17. und 18. Jahrhundert machten sich Ärzte zunehmend Gedanken um ihre Aufgaben im Umgang mit sterbenden Patienten. Der deutsche Mediziner Georg Christoph Detharding spricht in seiner Dissertation „De mortis cura“ erstmals von einer „euthanasia palliativa“. Diese werde von den Sterbenden oder den Umstehenden gewünscht, damit sie „kein hartes Ende nehmen, einschlafen [und …] sanfte sterben“ können.8 1794 hielt der niederländische Arzt Nikolaus Paradys anlässlich seines Abschieds vom Amt des Prorektors der Universität Leiden eine bemerkenswerte Rede, die zwei Jahre später auf Deutsch im Magazin für Aerzte erschien: Euthanasia naturalis nennt er „die Kunst, den Tod so leicht und so erträglich wie möglich zu machen“9. In seiner Rede plädiert er dafür, unter bestimmten Voraussetzungen Medikamente einzusetzen, die den Patienten schwächen. Für den Fall, dass der tödliche Verlauf einer Krankheit sicher und der Tod bereits absehbar sei, könne auf lebensverlängernde Therapien verzichtet und stattdessen alle Anstrengung darauf ausgerichtet werden, den Tod zu erleichtern. Der „Faden des Lebens“ dürfe dabei allerdings nicht abgeschnitten werden. Paradys wirft damit bereits einige der Fragen auf, die bis heute bei der Abgrenzung von strafbarer aktiver und strafloser indirekter Sterbehilfe eine wesentliche Rolle spielen: Wann ist der tödliche Verlauf einer Krankheit unumkehrbar? Und: Wo ist der Tod bloße Nebenwirkung eines Medikamentes und wo schneidet der den Faden des Lebens ab? In keiner der historischen Quellen wird in Bezug auf den Terminus „Euthanasie“ über die Frage diskutiert, ob der Sterbende selbst das Handeln des Arztes positiv bewertet oder ihm gar eine autonome Entscheidung des Patienten zu-
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Bacon, Of The Provicience, S. 143. Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 60 f. Detharding, Disputation Inauguralis Medica, S. 84 ff. Paradys, Neues Magazin für Ärzte 1796, 560 ff.; Bezeichnung im Lateinischen Titel enthalten: „Oratio de euthanasia naturali“.
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grunde liegt. Diese Dimension kommt erst in der zeitgenössischen Diskussion über Sterbehilfe hinzu. In Deutschland wird der Ausdruck „Euthanasie“ heute vermieden, um Bezüge zu den systematischen Tötungen von Kranken und Behinderten im Dritten Reich zu vermeiden: Die Nationalsozialisten verwendeten für ihre heute als Krankenmorde bezeichnete „Aktion T4“ diesen euphemistischen Begriff. Stattdessen finden sich in der rechtspolitischen Diskussion die Begriff Sterbehilfe und Suizidbeihilfe. Mit diesen Termini wurden bereits vor Einführung des § 217 StGB unterschiedliche Sachverhalte beschrieben. Bei der Sterbehilfe unterscheiden wir grundsätzlich zwischen der Hilfe zum Sterben und der Hilfe im Sterben.10 Ausschlaggebend für die Unterscheidung ist der Zeitpunkt der Handlung: Hilfe, die vor Beginn des eigentlichen Sterbeprozesses geleistet wird, bezeichnet man als Hilfe zum Sterben, teilweise auch als Sterbehilfe im engeren Sinne.11 Hilfe im Sterben oder Sterbehilfe im engeren Sinne bezeichnet dagegen Pflege und Betreuung von Menschen, bei denen der Sterbeprozess bereits begonnen hat.12 Sie ist zwar nicht Gegenstand des § 217 StGB, spielt aber im Randbereich der sogenannten „Therapie am Lebensende“ eine Rolle. Die weitere Terminologie differenziert danach, wer letztendlich Herr des Geschehens ist. Wir werden die aktive direkte Sterbehilfe (der Sterbehelfer tötet den Sterbenden aktiv), die aktive indirekte Sterbehilfe (Lebensqualitätsverbesserung unter Inkaufnahme der Lebensverkürzung), sowie die passive Sterbehilfe (Zulassen des Sterbeprozesses ohne weiteres Eingreifen) beleuchten und darstellen, wie sie sich in der rechtswissenschaftlichen und in der rechtspolitischen Diskussion etabliert haben. Davon schon vom Lebenssachverhalt her abzugrenzen ist die sogenannte Suizidbeihilfe. Dabei behält der noch selbstbestimmungsfähige Sterbewillige die Tatherrschaft, und ein Gehilfe unterstützt ihn lediglich, z.B. indem er ihm ein entsprechendes Medikament zur Verfügung stellt. Die Suizidbeihilfe war bis zur Einführung des § 217 StGB als solches nicht strafbar.
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Vgl. NK-Neumann, StGB, vor § 211 Rn 93 f. Vgl. MüKo-Schneider, StGB, vor § 211 Rn 102. Vgl. NK-Neumann, StGB, vor § 211 Rn 93 f.; MüKo-Schneider, StGB, vor § 211 Rn 102.
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B) Aktive Sterbehilfe Als aktive Sterbehilfe gelten aus normativer Sicht Handlungen und Maßnahmen, die anstelle der tödlich verlaufenden Erkrankung den Tod beibringen. Sie umfasst: -
die Verabreichung analgesierender oder sedierender Medikamente im Präfinalstadium unter Inkaufnahme lebensverkürzender Nebenwirkungen (z.B. Morphinperfusor) – indirekte aktive Sterbehilfe – oder
-
die direkte Tötung, z.B. durch Gabe tödlicher (Über)dosen verschiedener Medikamente oder Injektionslösungen (z.B. Insulin, Kaliumchlorid) – direkte aktive Sterbehilfe.
In Abgrenzung dazu gilt als passive Sterbehilfe die Unterlassung oder der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen (z.B. Reanimation, Beatmung, Dialyse, Katecholamingabe).13 Es wird vertreten, die Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe könne in allen klinischen Situationen getroffen werden, da bei der passiven Sterbehilfe der Tod als Folge der Grunderkrankung eintrete, während der Patient bei der aktiven Sterbehilfe an einer gezielten Tötungshandlung – also unabhängig von seiner Erkrankung – versterben würde.14 Angesichts einer zunehmenden Diskussion im Rahmen der medizinischen Ethik, ob zwischen (aktivem) Töten und (passivem) Sterbenlassen ein intrinsischer (von innen herkommender) moralischer Unterschied besteht, erscheint diese Meinung allerdings zu kurzgefasst.
I. Zur ethnischen Debatte über den Unterschied zwischen aktiver Tötung und passivem Sterbenlassen Einer der Wortführer der Diskussion war James Rachels in den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Moralphilosoph und Professor für Philosophie an der University of Alabama15 verfasste 1975 den Artikel „Active and Passive Euthanasia“ im New England Journal of Medicine16. Darin zitiert er die Regelung der American Medical Association vom 4. Dezember 1973, von ihm auch die „doctrine“ genannt, die Sterbehilfe – dort als Gnadentod bezeichnet – ablehnt. Die Entscheidung über die Einstellung lebensverlängernder 13 14 15 16
Siehe dazu Prinz, Sterbehilfe, http://flexikon.doccheck.com/de/Sterbehilfe [Fassung vom 30.12.2019]. Richter, in: Gutes Leben, S. 283 (303). Siehe https://euthanasia.procon.org/view.source.php?sourceID=000551. Rachels, New England Journal of Medicine 292/1975, 78.
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Maßnahmen solle allerdings im Falle des sicher bevorstehenden Todes dem Patienten und seiner Familie vorbehalten sein. Ärztlicher Rat und Einschätzungsvermögen solle ihnen dabei frei zur Verfügung stehen.17 Rachels führt hiergegen insgesamt vier Argumente an: -
Aktive Sterbehilfe sei in vielen Fällen humaner als passive Sterbehilfe. Denn der leidende Patient müsse im Falle des Behandlungsabbruchs länger auf den Tod warten und leiden als im Falle einer tödlichen Injektion.
-
Die Regelung (engl. doctrine) der American Medical Association führe zu Entscheidungen über Leben und Tod aufgrund von irrelevanten Erwägungen.
-
Die Regelung gehe von einer moralischen Unterscheidung zwischen Töten und Sterbenlassen aus, die es so nicht gebe.
-
Die meisten Argumente, die für diese Regelung sprächen, seien irrelevant.
Rachels führt dabei aus, dass der grundlegende Gedanke an der Erlaubnis passiver Sterbehilfe der sei, den Patienten nicht leiden zu lassen – dass aber faktisch der Leidensweg des Patienten länger und qualvoller sei, wenn man ihn sterben ließe, als wenn man ihn töte.18 Rachels nennt dabei das eindrückliche Beispiel multimorbider Kinder mit Trisomie-21, deren Sterbenlassen unter Dehydrierung und mehrfachen Infektionen „über Stunden und Tage“ geschehe.19 Auf der anderen Seite führt er aus, dass z.B. Erkrankungen des Intestinaltrakts bei diesen Kindern einfach geheilt werden könnten – dass also der tatsächliche Grund, sie sterben zu lassen, ihre Trisomie-21 sei, und eben nicht die Komorbiditäten. Die Entscheidung für oder gegen eine wie auch immer geartete Sterbehilfe würde hier also aufgrund irrelevanter Annahmen geführt. Bemerkenswert ist auch die Aussage, die Rachels zum moralischen Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen trifft. Er wählt dafür das Beispiel eines Kindes und seines Erben. In einem Fall ertränke der Erbe das Kind aktiv, im anderen ließ der Erbe das Kind ertrinken. In beiden Fällen ist das hinter der Handlung liegende Motiv des Täters die zu erwartende Erbschaft.20 Rachels nennt dies das „Argument of Bare Difference“. Das Ergebnis sei allerdings in beiden Fällen dasselbe: Der Tod des Kindes. 17
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Rachels, New England Journal of Medicine 292/1975, 78; eine ähnliche Meinung vertrat auch noch der damalige Präsident der Bundesärztekammer, Montgomery; Aktive Sterbehilfe, http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/aerztepraesident-montgomery-ueber-suizidbeihilfe-durch-mediziner-dann-sind-wir-ganz-schnell-bei-aktiversterbehilfe/12404198.html [Fassung vom 30.12.2019]. Rachels, in: Humber / Almeder, Biomedical Ethics and the Law, S. 511 (512). Rachels, in: Humber / Almeder, Biomedical Ethics and the Law, S. 511 (513). Rachels, in: Humber / Almeder, Biomedical Ethics and the Law, S. 511 (513).
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Ebenso verhalte es sich aber mit dem Arzt, der Sterbehilfe leiste: Der bloße Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen mache keinen moralischen Unterschied. Ein Arzt, der seinen Patienten aus humanen Gründen sterben lasse, befinde sich in der gleichen moralischen Position, als hätte er dem Patienten aus den gleichen Gründen eine tödliche Injektion verabreicht. War seine Einschätzung falsch, beispielsweise weil der Patient hätte geheilt werden können, sei seine Entscheidung bedauerlich. Sei sie aber richtig, sei die Methode nicht wichtig.21 Es komme also moralisch nicht auf die Art der Herbeiführung des Todes an, sondern vielmehr auf die dahinter liegenden Motive. Die Unterscheidung zwischen aktivem Tun und passivem Unterlassen ist in Rachels Augen aus einem weiteren Grund irrelevant: Auch die Entscheidung, nichts (mehr) zu tun, sei auf moralischer Ebene eine Handlung.22 Im deutschen Sprachraum wurde der Diskurs um „Tun und Unterlassen“, auch im Rahmen der Sterbehilfe, später u.a. von Dieter Birnbacher fortgeführt.23 Birnbacher verlangt, zwischen moralischer und strafrechtlicher Bewertung des Unterlassens zu unterscheiden, weil die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Sanktion wegen der höheren individuellen und sozialen Kosten enger zu setzen seien als für moralische Sanktionen.24 Nach Birnbacher hat ein Unterlassen zwei Voraussetzungen: Zum einen darf das Geschehen bei naturalistischer Betrachtung nicht gleichzeitig als Handlung betrachtet werden können. Es gibt aber in jedem Augenblick unzählige Handlungen, die wir gerade nicht ausführen. So gehe ich gerade nicht spazieren, lese kein Buch, führe kein Gespräch etc. Um Unterlassen von bloßem NichtHandeln unterscheiden zu können, bedarf es einer zweiten Voraussetzung: Der Akteur hätte die Handlung ausführen können,25 die Handlung muss also grundsätzlich möglich gewesen sein. Birnbacher untersucht diese Möglichkeitsvoraussetzung näher und unterteilt sie im Weiteren wie folgt:26 (1) Die Gelegenheit zur Handlung muss bestanden haben. Um zum Beispiel die Rettung aus einem brennenden Haus unterlassen zu können, muss sich zunächst jemand in der entsprechenden Situation befinden. 21 22 23 24 25 26
Rachels, in: Humber / Almeder, Biomedical Ethics and the Law, S. 511 (514). Rachels, in: Humber / Almeder, Biomedical Ethics and the Law, S. 511 (515). Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 20 f. Vgl. Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 24 f. Vgl. Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 32. Vgl. zum Folgenden insgesamt Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 36 ff.
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(2) Zum zweiten muss nach Birnbacher der Akteur physisch in der Lage sein zu handeln. Man hätte Sisiphos nicht vorwerfen können, den Fels nicht den Berg hinaufzurollen, hätte ihm dazu schlichtweg die Kraft gefehlt. Eine Person aus einem brennenden Haus zu tragen ist zum Beispiel nur demjenigen möglich, der die entsprechende Muskelkraft hat. (3) Außerdem fordert Birnbacher, dass die unterlassene Handlung für den Akteur als solche hätte erkennbar sein müssen. Das Beispiel des Rettens aus dem brennenden Haus zeigt, dass dies insbesondere für solche Handlungen gilt, an deren Ende ein Resultat erwartet wird: Die Person muss am Ende aus dem brennenden Haus gerettet worden sein, damit die Handlung des Rettens wirksam vollzogen wurde. Dieses Resultat kann unter Umständen auf verschiedenen Wegen erreicht werden (man hätte die Person auch ggf. aus einem Fenster des Erdgeschosses stoßen können etc.). Damit wird klar, dass für den Akteur mindestens einer dieser Wege ersichtlich sein muss, damit er die Rettungshandlung vollbringen kann. (4) Birnbachers letzte Bedingung für ein Unterlassen ist, dass eine der Handlungsalternativen nicht nur erkennbar gewesen sein muss, sondern auch faktisch erkannt worden ist.
II. Zur rechtsphilosophischen Debatte über den Unterschied zwischen aktiver Tötung und passivem Sterbenlassen Aus den vorhergehenden Ausführungen zur Euthanasie wie auch zur moralethischen Diskussion zur Sterbehilfe wird ersichtlich, dass sie immer auch von religiösen, ethischen und auch rechtsphilosophischen Ansichten geprägt wird. Verständlicher wird dies, wenn man einen Blick auf den rechtsphilosophischen Hintergrund wirft. Mögen Theologen auch davon ausgehen, dass eine Selbsttötung gegen das fünfte Gebot verstößt27 und daraus den Schluss ziehen, dass die Verfügungsmacht des Menschen über sein eigenes Leben begrenzt ist,28 so sagt dies nichts darüber aus, ob diese christliche „Moral“ von einem Staat auf strafrechtlichem Weg durchgesetzt werden darf. Erstere betrifft die innere Entscheidung, das Empfinden des Menschen darüber, was er für geboten hält oder nicht. Letzteres betrifft eher das entsprechende Verhalten und die Durchsetzbarkeit des staatlichen Strafanspruchs zur Sanktionierung eben dieses Verhaltens ohne Berücksichtigung von moralischen Gesichtspunkten, sondern nach rein normativer Bewertung auf der Basis der Gesetze. Es wäre also der Diskussion zuträglich, zwischen diesen beiden normativen Systemen „Moral“ und „Recht“ sauber zu unterscheiden. Das würde einen Beitrag zur Versachlichung leisten. Diese Trennung nahm unter anderem bereits der Aufklärer Immanuel Kant vor. 27 28
So z.B. Katholische Kirche, Katechismus 1997 – Die Achtung vor dem menschlichen Leben, http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P86.HTM#1K8 [Fassung vom 20.2.2018]. Vgl. auch Deuteronomium 4,15 – „Nehmt euch um Eures Lebens willen gut in Acht!“.
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Kant trennt zwischen innerer Freiheit, die den Menschen befähigt, sich Ziele zu setzen, und einer Freiheit zum äußeren Gebrauch, die ihm die Möglichkeit gibt, so zu handeln, dass er seine Ziele durchsetzen kann. Innere Entscheidungen betreffen allein den einzelnen Menschen. Wie er hingegen nach außen hin tatsächlich handelt, betrifft auch andere Menschen und muss daher immer mit Blick auf diese und deren Handlungen bewertet werden. Diese Struktur der inneren Entscheidungsfreiheit und der äußeren Handlungsfreiheit macht die Probleme der Sterbehilfe deutlich, der sich Ärzte heute ausgesetzt sehen: Es gibt einen Unterschied zwischen der inneren Freiheit, sich für einen selbstbestimmten Tod zu entscheiden, und der äußeren Freiheit, diese Entscheidung auch umzusetzen. Für Kant sollte die Moral nur durch den Gebrauch der praktischen Vernunft geprägt sein: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“29
Durch diesen Grundsatz wird die freie innere Entscheidung nicht nur für jeden nachvollziehbar, sondern auch allgemein verbindlich.30 Für Kant ist Moral damit der Oberbegriff für Recht und Ethik. Deshalb spricht Kant von der moralischen Pflicht, der der Mensch sich zwar unterwerfen soll. In der Realität hat der Mensch jedoch auch im Kant’schen Denken neben dem praktischen Vernunftvermögen andere Wesenszüge und Vorlieben. Da die moralische Pflicht nur eine innere ist, kämpft der Mensch stets mit sich selbst. Ob er sie einhält oder nicht, ist eben seine Freiheit. Hält er sie ein, kann die moralische Pflicht zum „Ansporn“ seiner Handlung werden. Die innere Entscheidung eines Menschen, ob er sein Leben selbstbestimmt beendet oder wartet, bis der natürliche Tod eintritt, ist also nach Kant eine moralische, die von praktischer Vernunft geprägt sein sollte, tatsächlich aber auch von anderen Aspekten beeinflusst wird. Gleiches gilt für die Entscheidung eines Arztes, der einen Sterbenden begleitet. Demgegenüber steht nach Kant das Recht als Gesetz, das die äußere Freiheit regelt. Im Idealfall sollten sich Recht und moralische Pflicht decken – sie müssen es jedoch nicht. Die äußere Gesetzgebung macht zwar eine Handlung ebenfalls zur Pflicht, kann sich aber zur inneren Entscheidung, der moralischen Pflicht, gegensätzlich verhalten. Sie ist allein „juridisch“31. Die moralische 29 30 31
Kant, GMS, AA 04, 421: 7–8. Kant, KrV, AA 03, 847B, 869f.B, KpV, AA 05, 43: 4–26, GMS, AA 04, 388: 4–14. Kant, RL, AA 06, 218: 24–25, 219: 1–16.
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Pflicht ist nach Kant’scher Denkart unbedingt, sogar allgemein verbindlich. Das Gesetz allerdings sollte den Menschen in seiner Handlungsfreiheit nur soweit einschränken, als die Freiheitsrechte anderer Menschen gewahrt bleiben. Das Recht bildet also den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Rahmen, der dem Einzelnen die äußere Freiheit gibt, die moralische Pflicht zu erkennen und danach zu handeln. Die innere Entscheidung liegt jedoch weiter bei jedem selbst. Die Gesetze müssten also nach Kant’scher Denkart so gestaltet sein, dass ein Mensch seine innere Entscheidung zur Sterbehilfe an einer moralischen Pflicht ausrichten sollte, die Gesetze ihm aber die Freiheit geben sollten, alles zu tun, was die Freiheit seiner Mitmenschen nicht einschränkt. Damit würde dem Staat nur dann ein Sanktionsrecht zukommen, wenn durch die SterbehilfeHandlung die Freiheit eines anderen beeinträchtigt würde. Im Falle des Arztes, der einem Sterbenden Hilfe leisten möchte, ist also äußere Grenze und Richtschnur immer die Freiheit seines Patienten, die nicht übertreten werden darf. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Kants oberste Prämisse ist immer das Handeln aus der Pflicht, also aus Achtung vor dem Gesetz. Dass die rechtlichen Gesetze einen Handlungsrahmen gewährleisten sollen bedeutet nicht, dass damit dem Eigennutz Tür und Tor geöffnet werden soll. Vielmehr hat Kant seinen oben zitierten Imperativ zur sogenannten Selbstzweckformel weiterentwickelt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“32
Zweck, so schreibt Kant, sei „das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient“.33 Kant unterscheidet zwei Zielrichtungen: Objektive Zwecke würden von allen vernünftigen Menschen notwendigerweise verfolgt oder berücksichtigt. Unabhängig von subjektiven Interessen und Mittel-Zweck-Beziehungen haben sie einen absoluten Wert.34 Anders ist es bei relativen Zwecken: Sie haben nur für den einzelnen Menschen einen Wert, sie dienen allein dazu, ein eigenes Bedürfnis zu befriedigen. Als erstes Beispiel für den Unterschied der Zwecke zieht Kant interessanterweise sogleich die Selbsttötung heran.35 Er stellt in Frage, dass die Selbsttötungshandlung „mit der Idee der Menschheit als Zweck an sich selbst zusam-
32 33 34 35
Kant, GMS, AA 04, 429: 10–13. Kant, GMS, AA 04, 429: 1–3. Kant, GMS, AA 04, 427: 19–428: 2. Kant, GMS, AA 04, 429: 14–28.
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men bestehen könne“36 und schlussfolgert absolut systemkonform, dass derjenige, der, „um einem beschwerlichen Zustande zu entfliehen, sich selbst zerstört, […] sich einer Person bloß als eines Mittels zur Erhaltung eines erträglichen Zustandes bis zum Ende des Lebens“37 bediene. Der Mensch dürfe aber gerade nicht bloß als Mittel gebraucht werden, da er immer Zweck an sich selbst sei. Der Suizid verfolge also nur den relativen Zweck, sein leidvolles Leben durch den Tod zu erleichtern. Dieser relative Zweck müsse jedoch dem absoluten Zweck der Existenz des Menschen untergeordnet werden. Kant sieht deshalb in der Selbstentleibung einen Mord. Dieses Verbrechen kann gegenüber Ehepartnern, Kindern, Arbeitgebern und sonstigen Mitbürgern und schließlich auch gegenüber Gott begangen werden. Die Selbsttötung stellt aber auch eine Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst dar.38 Er geht damit nicht ausschließlich von Verpflichtungen gegenüber anderen aus. Vielmehr bestehen auch Verpflichtungen gegenüber der eigenen Person. Er trennt „vollkommene Pflichten“ von „unvollkommenen Pflichten“, wobei er die vollkommene Pflicht als „diejenige, die keine Ausnahme zum Vortheil der Neigung verstattet“39 definiert. Als moralisch vollkommene Verpflichtung gegen sich selbst erkennt er das Selbstmordverbot an.40 Konkret führt er aus: „Die Laster, welche hier der Pflicht des Menschen gegen sich selbst widerstreiten, sind der Selbstmord, der unnatürliche Gebrauch, den jemand von der Geschlechtsneigung macht, und der das Vermögen zum zweckmäßigen Gebrauch seiner Kräfte schwächende unmäßige Genuß der Nahrungsmittel.“41
Kant beschäftigt sich auch mit möglichen Ausnahmen. Selbsttötung ist weiterhin ein Verbrechen, auch wenn sie erfolgt, um sich zum Wohle eines anderen zu opfern.42 Das Gleiche gilt auch, wenn sie dem Tod durch ein ungerechtfertigtes Todesurteil zuvorkommen soll.43 Selbst in diesen Fällen sieht Kant ein Handeln wider die Moral. Patienten und Ärzte, die ihrer moralischen Pflicht nach Kant folgen wollen, müssten Sterbehilfe also ablehnen. Das sagt aber nichts über den gesetzlichen Handlungsrahmen aus, der zwar diese Entscheidung zulassen muss, aber auch 36 37 38 39 40 41 42 43
Kant, GMS, AA 04, 429: 16–17. Kant, GMS, AA 04, 429: 19–20. Kant, MS, AA 06, 422: 10–19. Kant, GMS, AA 04, 421: 23 Anmerkung*. Kant, GMS, AA 04, 421: 20–25. Kant, MS, AA 06, 420: 7–11. Kant, KpV, AA 05, 158: 8–17. Kant, ApH, AA 07, 259: 4–22.
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Raum für andere Entscheidungen lassen muss, solange die Freiheit anderer dadurch nicht beeinträchtigt ist.
C) Indirekte aktive Sterbehilfe Die deutsche Gesellschaft für Sterbehilfe bezeichnet mit „indirekter aktiver Sterbehilfe“ die Gaben von (meist) starken Schmerzmitteln, um Schmerzen und Leiden des Patienten zu reduzieren. Dass dadurch der Tod früher eintritt, wird als mögliche Nebenwirkung in Kauf genommen, es wird aber nicht direkt darauf gezielt.44 Strafrechtsdogmatisch wird diese Art der Hilfe im Sterben der aktiven Sterbehilfe zugeordnet. Denn nicht die Krankheit ist in diesem Fall ausschlaggebend, lebensverkürzend wirkt die schmerzlindernde Therapie des Arztes.45 In der Praxis ist die tödliche Wirkung der Schmerztherapie eher eine Möglichkeit, denn forensisch ist sie in der Regel nicht nachweisbar. Empirische Studien aus dem Jahre 2006 legen sogar den Schluss nahe, dass die Therapie mit hochdosierten Opiaten oder Sedativa das Leben der Patienten sogar verlängern können, das Risiko der Lebensverkürzung jedenfalls minimal ist.46 Auch die Bundesärztekammer, die grundsätzlich eine sehr restriktive Grundhaltung zur Sterbehilfe vertritt, hält eine unvermeidbare Lebensverkürzung für hinnehmbar, wenn die Linderung von Leiden Sterbender im Vordergrund steht.47 Die rechtswissenschaftlichen Begründungen dieser Wertung sind allerdings unterschiedlich: Nach einer Ansicht ist in diesen Fällen schon eine Kausalität abzulehnen.48 Der notwendige objektive Zusammenhang zwischen Tathandlung und Eintritt des Erfolgs unterliegt den Prüfungen der Kausalität und der objektiven Zurechnung, die beide dafür maßgeblich sind, „ob ein bestimmter eingetretener Erfolg als deliktisches ʻWerkʼ des Täters betrachtet werden kann, wobei die Kausalität einen tatsächlichen (quasi empirischen) Zusammenhang beschreibt, während die objektive Zurechnung ein normatives (wertendes) Zurechnungskorrektiv darstellt“.49 44 45 46 47 48 49
Deutsche Gesellschaft für Sterbehilfe, Lexikon A-Z, https://www.dghs.de/wissen/ lexikon-a-z [Fassung vom 1.5.2019]. Schreiber, NStZ 2006, 473 (475); zum Desintegrationsprozess treffend Höfling, JuS 2000, 111 (113). Vgl. Bosshard / de Stoutz / Bär, Ethik in der Medizin 18/2006, 120 (123 f.). Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 7/2011, S. A 346, 347 Ziff. I, Absatz 3, Satz 2. Spickhoff-Knauer / Brose, Medizinrecht, § 216 Rn 23. Kudlich, JA 2010, 681 (682).
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Die Lehre von der objektiven Zurechnung50 begrenzt die Strafbarkeit auf Fälle, in denen sich das vom Täter geschaffene, unerlaubte Risiko im Erfolg realisiert. Nur die Prüfung der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg greife zu kurz, weil sie den sozialen Sinngehalt der Handlung außer Acht lasse.51 Zur sachgemäßen Begrenzung der objektiven Zurechenbarkeit müsse der Taterfolg seinen Grund gerade in der objektiven Pflichtverletzung haben.52 Ein grundsätzlich tatbestandsmäßiger Erfolg sei eben nur dann zurechenbar, wenn der Täter gegen eine Verhaltensnorm verstoße, die das betreffende Rechtsgut schützen solle. Dadurch werde erst ein entsprechendes, verbotenes Risiko geschaffen, das sich in dem konkret eingetretenen Erfolg verwirkliche.53 Eine wichtige Fallgruppe des Ausschlusses der objektiven Zurechnung sind die Fälle des Fehlens einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung in Gestalt der Risikoverringerung, der Ausübung eines (sozial normalen) erlaubten Risikos sowie der mangelnden Beherrschbarkeit des Geschehens. Selbiges gilt für die Fälle der fehlenden Realisierung der Gefahrerschaffung in Form von völlig atypischen Kausalverläufen, des Mangels an einer Erhöhung des Risikos gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten und der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch freiverantwortliche Dritte. Ebenfalls eine wichtige Fallgruppe sind die Fälle der mangelnden Einschlägigkeit des Schutzzwecks, die sich im Eintritt des Erfolgs außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Norm sowie der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung äußern können.54 Die schmerzlindernde Medikation eines Sterbenden sei ärztlich geboten. Damit schaffe der Arzt zwar eventuell eine Gefahr der Lebensverkürzung, diese sei allerdings erlaubt,55 die Handlung sozialadäquat.56 Das Handeln des Arztes stelle sich seinem sozialen Gesamtsinn nach nicht als Tötungshandlung dar, da sie sich nicht gegen das Leben an sich richte. Die herrschende Meinung geht andererseits davon aus, dass es sich bei der indirekten Sterbehilfe um eine tatbestandliche Tötung handelt, die aber als
50 51 52 53 54 55 56
Roxin / Greco, Strafrecht AT I, § 10 Rn 55 und § 11 Rn 44 ff. Herzberg, JR 1986, 6. BGH NJW 2000, 2754 (2757). Schönke / Schröder-Eisele, StGB, vor §§ 13 ff. Rn 92. Kudlich, JA 2010, 681 (685 f.). Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 216 Rn 23. Vgl. Herzberg, NJW 1996, 3043.
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Nothilfehandlung gerechtfertigt ist.57 Nach der Zwecktheorie liegt allen Rechtfertigungsgründen der Gedanke zugrunde, dass Taten nicht rechtswidrig sein sollen, wenn sie sich als Anwendung des rechten Mittels darstellen, um ein rechtlich anerkanntes Ziel zu erreichen, oder anders ausgedrückt, wenn es zu einer Kollision von Werten kommt, die gegeneinander abgewogen werden.58 Im Falle der indirekten Sterbehilfe kollidiert der Wert des Lebens mit dem Ziel, dem Patienten ein menschenwürdiges Sterben ohne Schmerzen zu ermöglichen und dem Menschen Leid zu ersparen. Auch der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass indirekte Sterbehilfe gerechtfertigt sein kann: Die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen sei ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen, noch kurze Zeit länger leben zu müssen.59 Anlass für diese Wertung war der sogenannte Dolantin-Fall. Vor dem Landgericht Kiel wurde im April 1995 ein Fall verhandelt, der nach Revision von Staatsanwaltschaft und Angeklagten vom BGH abschließend entschieden wurde: Ein Ärzte-Ehepaar hatte eine befreundete Rentnerin betreut, die sich im Sterben befunden hatte. Nach Beratschlagung mit einem weiteren Arzt hatten sie sich entschlossen, die Patientin nicht mehr in ein Krankenhaus zu verlegen, sondern sie daheim medikamentös zu versorgen. Die Rentnerin verstarb kurz nach der Injektion einer Überdosis Dolantin. Bei dem Medikament handelt es sich um den Wirkstoff Pethidin, das ein bei starken Schmerzen wirksames, vollsynthetisch hergestelltes Opioidanalgetikum ist. Pethidin ruft im Vergleich zum Morphin in ähnlich potenter Dosierung eine etwa gleich starke Atemdepression hervor. Die euphorisierende und sedierende Wirkung ist größer als beim Morphin.60 Das Landgericht Kiel kam zunächst zur Überzeugung, dass die Frau an einer Überdosis des verabreichten Dolantin gestorben sei, welches das Ärzte-Ehepaar mit Tötungsabsicht injiziert hatte. In der Revision des Urteils vor dem Bundesgerichtshof wurde die Ärztin am 15. November 1996 freigesprochen. Gemäß den Karlsruher Richtern liege ein Mangel an Beweisen für die Tötungsabsicht und für die Todesursächlichkeit der Dolantingabe vor: Es könne nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen werden, 57 58 59 60
So schon Engisch, Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens, S. 5 f.; Blaha, Schutz des Lebens, S. 87; Herzberg, NJW 1996, 3043; Otto, NJW 2006, 2217 (2221); Schönke / Schröder-Eser / Sternberg-Lieben, StGB, vor § 211 Rn 26. Schönke / Schröder-Sternberg-Lieben, StGB, vor §§ 32 ff. Rn 6. BGHSt 42, 301 (305). Vgl. http://flexikon.doccheck.com/de/Pethidin.
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dass die Ärztin beabsichtigt hatte, die Sterbende durch therapeutisch gebotene, schmerzlindernde Medikation zu begleiten und dabei den beschleunigten Todeseintritt nicht intendiert hätte. Erstmalig wurde so die indirekte Sterbehilfe für zulässig erklärt: Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, „dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann“.61
D) Palliative Sedierung Ein Sonderfall der indirekten Sterbehilfe ist die Palliative Sedierung, die unter Ärzten und Juristen kontrovers diskutiert wird. Teilweise wird sie auch als „terminale Sedierung“ bezeichnet. Dieser Terminus ist jedoch missverständlich, weil es bei der Palliativen Sedierung gerade nicht um eine gezielte Lebensverkürzung geht, sondern ebenso wie bei den klassischen Fallgruppen der indirekten Sterbehilfe um eine Linderung belastender Symptome am bevorstehenden Lebensende. Allerdings steht diese Therapieform unter Missbrauchsverdacht. Vorwürfe einer Überdosierung, eines zu frühen Einsatzes oder einer Sedierung auf Wunsch der Verwandten statt des Todkranken werden immer wieder laut erhoben.62 Einige Autoren sehen auch die Gefahr einer langsamen Euthanasie.63 Inzwischen ist der Begriff der Palliativen Sedierungstherapie (PST) weiter verbreitet – auch und gerade um deutlich zu machen, dass es hier nicht um eine gezielte Lebensverkürzung, sondern um eine Linderung belastender Symptome am bevorstehenden Lebensende geht. Unter Palliativer Sedierungstherapie verstehen Mediziner den Einsatz sedierend wirkender Medikamente mit dem Ziel, durch eine Bewusstseinsminderung unerträgliches Leiden bei sonst therapierefraktären Symptomen zu lindern.64 Therapierefraktär bedeutet, dass andere mögliche Behandlungen nicht erfolgreich waren oder durch Teamkonsens auf der Grundlage wiederholter und aufmerksamer Beurteilung erfahrener Experten eingeschätzt werden kann, dass keine Methode im Rahmen der zeitlichen Rahmenbedingungen zur Linderung 61 62 63 64
BGHSt 42, 301 (305). Siehe zur öffentlichen Diskussion z.B. Dahlkamp / Frühlingsdorf / Ludwig, Tiefschlaf bis zum Tod, https://spiegel.de/spiegel/print/d-28781166.html [Fassung vom 5.2.2020]. So Billings / Block, Journal of Palliative Care, 12/1996, 21 ff.; Brody, Journal of Palliative Care, 12/1996, 38 ff. Vgl. Mü ller-Busch / Radbruch / Strasser / Voltz, DMW 2006, 2733 (2734).
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zur Verfügung steht bzw. aus einem möglichen Vorgehen dem Patienten „kein günstiges Nutzen-Schadens-Verhältnis“ erwächst.65 Unter unerträglichem Leid wird die individuelle und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen verstanden, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann.66 Ziel der palliativen Sedierung ist es, Symptome zu lindern und das Leiden der Patienten zu erleichtern. Ausschlaggebend ist dabei allein die subjektive Empfindung des Patienten. Während der Sedierung soll fortlaufend überprüft werden, ob nicht doch eine andere Möglichkeit zur Symptomlinderung besteht. Die Palliative Sedierung wird alleine bei refraktären Symptomen angewendet und soll, so sie kontinuierlich und tief zum Einsatz kommt, nur im Falle einer irreversiblen und so weit fortgeschrittenen Erkrankung zum Einsatz kommen, wenn der Tod innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen zu erwarten ist. Auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen unterliegt die Entscheidung zur palliativen Sedierung strengen Anforderungen. Sie muss in Abstimmung mit allen Mitgliedern des Behandlungsteams erfolgen und erfordert die sogenannte informierte Zustimmung des Betroffenen – sog. „informed consent“67. Diese bezeichnet im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung die von Information und Aufklärung getragene Einwilligung des Patienten in Eingriffe und andere medizinische Maßnahmen. Aufgrund des Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechts des Patienten dürfen nur solche Behandlungen durchgeführt werden, die von seinem Willen getragen sind. Diese Einwilligung rechtfertigt sodann im Straf- und Deliktsrecht den Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. Auch die Angehörigen sollen in diesen Entscheidungsprozess eingebunden sein; es ist eine sorgfältige Dokumentation in der Patientenakte vorzunehmen. Medizinische Empfehlungen zur Palliativen Sedierung beziehen sich meistens auf Krebspatienten. In Deutschland wurde im Frühjahr 2015 die „S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ erlassen. Sie ist Teil des Leitlinienprogramms Onkologie (OL), das die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF), die Deutsche Krebshilfe (DKH) und die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) gemeinsam erarbeitet haben. „S3“ klassifiziert die Leitlinie als eine, die alle Elemente der systematischen Entwicklung aufweist. Insbesondere die systematische Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege spielt dabei eine wesentliche 65 66 67
Cherny / Portenoy, Journal of Palliative Care 10/1994, 31 ff. Vgl. Mü ller-Busch / Radbruch / Strasser / Voltz, DMW 2006, 2733 (2734). Hierzu detailliert auch unter 3. Kapitel, A) I. Autonomieprinzip.
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Rolle.68 Damit steht die Leitlinie auf der höchsten Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik. Aktuell wird die Leitlinie überarbeitet, Anmerkungen und Kommentare werden geprüft und eingearbeitet.69 Hauptziel der Leitlinie ist „die Verbesserung der Symptomkontrolle und der palliativmedizinischen Versorgung von Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung und ihren Angehörigen“.70 Erstaunlich ist, dass selbst in der Kurzversion (107 Seiten) der eigentlichen Sterbephase nur ein sehr schmales Kapitel – Seiten 67 bis 74 – gewidmet ist, und es auch dort zunächst um die Diagnose des Sterbens und dann um Symptomlinderungen (Delir, Atmungsstörungen, Mundtrockenheit, Angst) geht. Alleine in Punkt 10.36 wird die palliative Sedierung erwähnt, die „durch in der Palliativmedizin erfahrene und kompetente Ärzte und Pflegefachkräfte erfolgen“ solle. In einem erläuternden Absatz dazu ist zu lesen: „In seltenen Fällen ist weder durch eine ursächliche noch durch eine symptomatische Therapie, bzw. durch das Weglassen von Maßnahmen, eine zufriedenstellende Linderung des Leidens bei Sterbenden zu erreichen. Als Ultima Ratio ist in solchen Situationen eine palliative Sedierung zu erwägen.“71
Hierbei war es den Verfassern der Richtlinie deutlich bewusst, auf welches sensitive Terrain sie sich begaben, führt doch die Langversion weiter aus: „Existentielles Leid ist für die an der Behandlung Beteiligten nicht leicht zu erfassen.“ Kissane schlägt eine Typologie vor, die den Inhalt des existentiellen Leides am Lebensende in acht Kategorien einordnet und so dem Team helfen soll, es zu erkennen und zu adressieren: (1) Angst vor dem Tod, (2) Trauer angesichts des Verlustes und der Veränderungen, die mit dem nahenden Tod einhergehen, (3) Restriktion oder Verlust der Autonomie bzw. der Kontrolle, (4) Gefährdung der Würde als Selbstwertgefühl, (5) Vereinsamung, (6) beeinträchtigte Qualität der Beziehungen z.B. mit Angehörigen, (7) Sinnverlust als Demoralisation und (8) Fragen angesichts des unbekannten Jenseits als Mysterium.72 Wie in den Leitlinien zu lesen ist, dient dieses medizinische Vorgehen dem Ziel der Symptomkontrolle und zielt primär keineswegs auf den Tod des Pati68 69 70 71 72
Siehe dazu Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V., https://www.awmf.org/leitlinien [Fassung vom 29.3.2019]. Siehe Leitlinienprogramm Onkologie unter: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de [Fassung vom 29.3.2019]. S3-Leitlinie Palliativmedizin (Kurzversion), S. 18. S3-Leitlinie Palliativmedizin (Kurzversion), S. 18; S-3 Leitlinie Palliativmedizin (Langversion), S. 165. Kissane, Arch Intern Med 172(19)/2012, 1501-5.
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enten ab. Dessen Eintreten muss aber wohl in einigen Fällen billigend in Kauf genommen werden.73 Wie ist nun dieses Vorgehen im Rahmen der Sterbehilfesystematik einordnen? Medizinische Leitlinien entfalten für deutsche Gerichte keine direkte Bindungswirkung, da Ärzten grundsätzlich Methodenfreiheit74 zugestanden wird. Das heißt jedoch nicht, dass sie rechtlich irrelevant sind. Gemäß § 276 BGB haben Ärzte bei der Behandlung ihrer Patienten berufsspezifische Sorgfaltspflichten zu beachten, die sich nach dem verfügbaren und zugänglichen Stand der medizinischen Wissenschaft richtet.75 Medizinische Leitlinien können diesen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses beschreiben. Sie können aber nicht unkritisch mit diesem gleichgesetzt werden, weil sie ihrerseits veralten. Daher geht der BGH in seiner Rechtsprechung davon aus, dass sie im Einzelfall zum Beispiel ein Sachverständigengutachten nicht ersetzen können.76
E) Passive Sterbehilfe Mit zunehmendem medizinischem Fortschritt verbessern sich auch die Möglichkeiten, sterbenskranke Menschen am Leben zu erhalten. Bei der passiven Sterbehilfe unterbleibt eine solche (Weiter)behandlung, um dem Patienten einen natürlichen Tod und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Mediziner differenzieren hier zwischen sogenannter primärer und sekundärer Sterbehilfe. Im ersten Fall werden Behandlungsmaßnahmen erst gar nicht ergriffen. Bei der sekundären Sterbehilfe werden derartige Maßnahmen ab einem bestimmten Punkt nicht fortgeführt. Juristisch bedeutsam ist vor allem die Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe. Hier haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Theorien herausgebildet. In der Literatur ist die Lehre vom Energieaufwand,77 die sich generell mit der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen befasst, verbreitet. Danach kommt es wesentlich auf das äußere Erscheinungsbild an, d.h. ob der Täter aktiv in das Geschehen eingreift, er also Energie aufwendet, oder ihm 73
74 75 76 77
Vgl. auch das Interview mit Dr. med. Thomas Jehser, Klinikum Havelhöhe, Palliativmediziner in der „Zeit“: „Wir müssen auch das Sterben miterleben“, http://www. zeit.de/gesellschaft/2015-04/palliativmedizin-sterbehilfe-mediziner-entscheidungen-sedierung/komplettansicht [Fassung vom 12.3.2018]. Vgl. BGH NJW 1982, 2121 (2122). Vgl. MüKo-Wagner, BGB, § 823 Rn 914. Vgl. BGH NJW-RR 2014, 1053 (1055). Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn 15 f.
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freien Lauf lässt. Danach wären strenggenommen lediglich Fälle primärer Sterbehilfe erfasst, in denen eine lebenserhaltene Behandlung erst gar nicht aufgenommen wird. Bei der Beurteilung der passiven Sterbehilfe orientierte sich früher auch der BGH an der äußeren Erscheinungsform von Tun und Unterlassen.78 Es komme darauf an, ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit beim aktiven Tun oder beim unterlassenden Verhalten liege. Maßgebend seien dabei immer Umstände des Einzelfalls sowie der soziale Sinngehalt des Handelns. Entscheidend wäre danach nicht eine einzelne „Tathandlung“ des behandelnden Arztes, sondern ob sich der Behandlungsabbruch nach einer Gesamtbetrachtung als Unterlassen umdeuten lässt. Der Begriff der passiven Sterbehilfe stößt daher auch in der allgemeinen Diskussion immer wieder auf Kritik. So äußerte sich der Nationale Ethikrat bereits in einer ersten Stellungnahme zur Sterbehilfe kritisch.79 Der Begriff „passive Sterbehilfe“ stifte Verwirrung, weil von ihm auch Fälle erfasst seien, in denen Mediziner aktiv eingriffen, etwa wenn Magensonden entfernt würden. Ärzte und Pflegepersonal verstünden derartige Maßnahmen oft eher als „aktive Sterbehilfe“. Eine solche Einordnung widerspreche jedoch den Besonderheiten der unterschiedlichen Handlungsweisen und den Intentionen der Handelnden. Ob eine Magensonde entfernt oder erst gar nicht gelegt werde, könne in der Gesamtbetrachtung keinen Unterschied machen. In beiden Fällen gehe es darum, einen Menschen sterben zu lassen. Dementsprechend wendet die Lehre von der normativen Betrachtung ein, dass gerade in Fällen, die sich mit einem Behandlungsabbruch beschäftigen, der Täter eine Vielzahl aktiver und passiver Verhaltensweisen an den Tag lege, die sich schwerlich zusammenfassen und eine Abgrenzung nach dem äußeren Erscheinungsbild nahezu unmöglich erscheinen ließen. Bei normativer Betrachtungsweise könne es auch keinen Unterschied machen, ob ein Arzt eine Behandlung erst gar nicht aufnehme oder später abbreche. Mit der Figur des „Unterlassens durch Tun“ deuten die Vertreter dieser Auffassung den aktiven Behandlungsabbruch daher in ein Unterlassen um.80 Der BGH hält diese Auffassung für dogmatisch nicht haltbar. Inzwischen fasst er diese Fälle unter den Begriff des Behandlungsabbruchs zusammen. Eine Umdeutung in ein Unterlassen halten die Richter gar nicht für notwendig. Tun 78 79 80
BGHSt 55, 191 (201 f.). Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge, S. 50. Vgl. Roxin, NStZ 1987, 345 (349).
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und Unterlassen grenzen sie nach den allgemein anerkannten Regeln ab.81 Danach ist die Ursächlichkeit das entscheidende Abgrenzungskriterium: Die Kausalkette, an deren Ende der Tod steht, hat lange vor der Sterbehilfe begonnen. Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe wird beim Behandlungsabbruch kein neuer Kausalverlauf (durch Gabe eines tötenden Mittels) gesetzt, sondern man lässt vielmehr nur den natürlichen Sterbeprozess geschehen. Das entscheidende Kriterium sehen die Bundesrichter jedoch nicht auf der Tatbestandsebene. Es komme nicht darauf an, ob es sich um aktives Handeln oder passives Unterlassen handele. Sie lösen das Problem erst auf der Ebene der Rechtfertigung. Entscheidend ist der Patientenwille: Falls der Betroffene aktuell nicht mehr einwilligungsfähig ist, kommt es auf seinen früher geäußerten Willen (Patientenverfügung) an. Fehlt eine Patientenverfügung, muss der mutmaßliche Wille festgestellt werden. In solchen Fällen entscheidet der Vorsorgebevollmächtigte bzw. (falls der Patient keinen Bevollmächtigten benannt hat) der gerichtlich bestellte Betreuer; ggf. benötigt dieser für die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts. Passive Sterbehilfe ist also nicht strafbar, weil sie Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist. Bei der passiven Sterbehilfe wird dem Patientenwillen und seiner Selbstbestimmung also bereits Rechnung getragen.
F) Assistierter Suizid Seit dem 2. StrRG82 gilt der Grundsatz, dass ein Verhalten nur dann sanktioniert werden darf, wenn es Rechtsgüter anderer oder die allgemeine Ordnung verletzt. Die Verletzung eines anderen Rechtsgutes könnte aber zu verneinen sein, wenn der Täter sein eigenes Rechtsgut verletzt oder das Opfer mit dessen Verletzung einverstanden ist. Die Tötungsdelikte der §§ 211 ff. StGB stellen stets nur die Tötung eines anderen Menschen unter Strafe, weshalb die Selbsttötung ebenso wie der Versuch hierzu bereits keinen Tatbestand erfüllen. Mangels vorsätzlicher rechtswidriger Haupttat im Sinne der §§ 11 Abs. 1 Nr. 5, 26, 27 StGB ist deshalb auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar. Wer hingegen einen anderen Menschen auf dessen ernstliches und ausdrückliches Verlangen hin tötet, macht sich gem. § 216 Abs. 1 StGB strafbar. 81 82
BGHSt 55, 191 (201 f.). Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. Juli 1969, nach Maßgabe des Gesetzes über das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 30. Juli 1973, in Kraft getreten am 1. Januar 1975.
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Fraglich ist, wann ein Sterbehelfer lediglich straflose Beihilfe leistet und wann er strafbarer Täter wird.
I. Grundsätzliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Zwischen Täterschaft und Teilnahme muss immer dann unterschieden werden, wenn die handelnde Person nach dem Sachverhalt entweder Täter oder Teilnehmer sein könnte. Im Fall der Sterbehilfe durch einen Arzt kommt regelmäßig grundsätzlich beides in Betracht. Da es sich bei den in Frage stehenden Tötungsdelikten nicht um Sonder-, Pflicht- oder eigenhändige Delikte, sondern um Allgemeindelikte handelt, ist eine Abgrenzung anhand von allgemeinen Theorien notwendig. Die früher vorherrschende Literaturansicht betrachtete als Täter, wer die tatbestandliche Ausführungshandlung ganz oder teilweise selbst vornahm. Als Teilnehmer hingegen wurde eingestuft, wer zur tatbestandlichen Verwirklichung nur durch eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beitrug.83 Mit dieser Ansicht ist allerdings die Existenz des § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB nicht erklärbar.84 Denn die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft und Formen der Täterschaft kraft Organisationsherrschaft können mit ihr nicht erfasst werden.85 Das RG86 vertrat demgegenüber die Auffassung, dass für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme primär auf den inneren Willen des Handelnden abzustellen sei. Die tatsächlichen Geschehnisse aus Sicht eines objektiven Betrachters besäßen lediglich indizielle Wirkung. Nach dieser Meinung ist Täter, wer die Tat als seine eigene will und somit Täterwillen (animus auctoris) besitzt, Teilnehmer, wer sie als fremde will und dadurch Teilnehmerwillen (animus socii) entwickelt.87 Auch diese extrem subjektive Theorie ist heute überkommen, da sie dem Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 1, 1. Alt. StGB widerspricht, der gerade Sachbezügen eine wesentliche Bedeutung beimisst.88 Zudem ist die Figur des animus auctoris zu unbestimmt und bietet Raum für ein zu weites richterliches Ermessen.89 83 84 85 86 87 88 89
Vgl. Freund / Rostalski, Strafrecht AT, § 10 Rn 36. So auch Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn 24. Vgl. Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn 804. So z.B. RGSt 2, 160; RGSt. 3, 181; RGSt. 37, 55; RGSt. 55, 60; RGSt. 63, 101; RGSt. 64, 273; RGSt. 66, 236; RGSt. 71, 364; RGSt. 74, 21; RGSt. 74, 84. Siehe RGSt 74, 84. Vgl. Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn 805. Vgl. Otto, JuS 2017, 289 (290).
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In der Literatur entwickelte sich hingegen die Tatherrschaftslehre zur vorherrschenden Meinung, die für die Abgrenzung von Täter und Teilnehmer sowohl objektive als auch subjektive Kriterien bemüht. Um die Tätereigenschaften zu ermitteln, werden Kategorien wie die „planvoll-lenkende Zentralgestalt“ im Gegensatz zur „Randfigur“ herangezogen. Die Zentralfigur zeichne sich dadurch aus, dass sie die Tatbestandsverwirklichung nach ihrem Dafürhalten hemmen oder beschleunigen könne, während die Randfigur die Tat ohne eigene Tatherrschaft veranlasse oder fördere. Als Tatherrschaft sei dabei das vom Vorsatz eingeschlossene In-Händen-Halten des den Tatbestand verwirklichenden Geschehensablaufs anzuerkennen.90 Inzwischen haben einige Autoren die Tatherrschaftslehre angepasst: Nahmen die Vertreter der reinen Lehre den gesamten Geschehensablauf in den Blick, fragen die Vertreter der modifizierten Tatherrschaftslehre danach, wer die letzte zum Tod führende Handlung vornahm. Nach ihrer Ansicht kommt es lediglich auf die Tatherrschaft im letzten todbringenden Augenblick an.91 Der BGH hielt lange am subjektiven Abgrenzungskriterium des Täterwillens fest. In jüngerer Zeit modifizierte er jedoch seine Rechtsprechung insofern, als bei der Ermittlung des Täterwillens eine wertende Beurteilung aller Umstände vorgenommen werden müsse.92 Hierbei sei insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft respektive der Wille zu einer solchen entscheidend, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhänge.93 Mittäter sei demnach, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in eine gemeinschaftliche Tat einfüge, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheine.94 Eine Mittäterschaft erfordere hingegen nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen oder eine Anwesenheit am Tatort.95
90 91 92 93 94 95
Siehe dazu Roxin, Strafrecht AT II, § 25 Rn 10 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn 17 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 41 Rn 10 ff. Vgl. Krey / Hellmann / Heinrich, Strafrecht BT 1, Rn 109; Küpper / Börner, Strafrecht BT 1 I, § 1 Rn 69 f.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 566; Scholderer, JuS 1989, 918 (919); Schönke / Schröder-Eser, StGB, § 216 Rn 11. Vgl. BGH NStZ 2006, 454. St. Rspr.: vgl. BGH StV 2016, 648; BGHSt 37, 289 (291); BGH NStZ 2000, 482 (483); BGH NStZ 2012, 379. BGH, Urteil vom 16. März 2016, 2 StR 346/15, https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/15/ 2-346-15.php. Vgl. BGH StV 2016, 648 (649).
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Nur wenn der Schwerpunkt auf den Willen gelegt wird, können in den Fällen, in denen im Hintergrund agierende Beteiligte sich Handlangern bedienen, um ihre geplanten Taten auszuführen, sachgerechte Entscheidungen getroffen werden. Bei Unterlassungsdelikten muss mangels objektiver Tathandlung auch auf den Willen abgestellt werden. Hier lässt sich besonders das Kriterium des Eigeninteresses aufgrund seiner subjektiven Natur und der Tatsache rügen, dass zahlreiche Tatbestände gerade ein Agieren in ausschließlich fremdem Interesse möglich machen (Bsp. §§ 242, 246, 253, 263 StGB).
II. Sind diese allgemeinen Abgrenzungstheorien auf § 216 StGB anwendbar? Wie bereits erwähnt ist die Selbsttötung nach deutschem Recht straflos, weshalb (Akzessorietät der Teilnahme – es fehlt an der Haupttat) auch die Teilnahme an einem fremden Selbstmord straflos ist. Andererseits ist derjenige, der einen anderen auf dessen Aufforderung hin tötet, wegen einer Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zu bestrafen. Die ansonsten vertretenen Ansichten zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme sind im Falle der Selbsttötung nicht zielführend: So ist dem § 216 StGB die Unterwerfung des Täters unter den Willen des Opfers bereits immanent, weshalb die subjektive Theorie, die danach fragt, ob der Täter die Tat als eigene will, stets nur zur Bejahung der Beihilfe führen würde. Gleichzeitig stößt die Tatherrschaftslehre an ihre Grenzen, da auch der Suizident, der Handlungen eines anderen duldend hinnimmt, die Selbsttötung immer noch in freier Selbstbestimmung durchführen könnte.96 Im Einzelnen: Die formal-objektive Theorie und extrem-subjektive Theorie waren in den dreißiger Jahren (formal-objektiv)97 und sechziger Jahren (extrem-subjektiv)98 vorherrschend, werden aber heute, insbesondere in der Diskussion um § 216 StGB, nicht mehr vertreten. Nach der Tatherrschaftslehre ist Täter nur derjenige, der den zum Tode führenden Geschehensablauf tatsächlich in seinen Händen hält. Entscheidend hierfür ist der Gesamtplan sowie das Gewicht der einzelnen Tatbeiträge. Dabei wird argumentiert, dass nur das Abstellen auf die nach dem gemeinsamen Tatplan übertragene Tatherrschaft verhindert, dass die Anwendung des § 216 StGB unterlaufen wird. Entscheidend ist, ob der Getötete sein Schicksal aus der Hand gab. Es 96 97 98
Siehe Joecks / Jäger, StGB, § 216 Rn 12. So z.B. Mezger, Deutsches Strafrecht, 127 ff. BGHSt 13, 162 (166).
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kommt somit entscheidend darauf an, ob der Getötete bis zuletzt die Entscheidung über sein Schicksal behielt. Dabei ist Mittäterschaft denkbar. An dieser Ansicht wird kritisiert, dass die Einbeziehung von Faktoren, die vor dem entscheidenden Moment liegen, zu rein zufälligen Abgrenzungsergebnissen führt. Nicht Vorfeldhandlungen, sondern der konkrete Zeitpunkt des Todeseintrittes müsse entscheidend sein. Wegen dieses Mangels der reinen Tatherrschaftstheorie stellt die modifizierte Lehre (herrschende Lehre in der Literatur) darauf ab, wer das letztlich zum Tod führende Geschehen bis zum Schluss in den Händen hält. Daraus folgt, dass derjenige Suizid begeht, der den unmittelbar das Leben beendenden Akt beherrscht. Wer daran mitwirkt, ist sodann straffrei.99 Diese Ansicht vertritt auch der BGH, der davon ausgeht, dass es für die Abgrenzung zwischen einer straflosen Suizidbeteiligung und einer strafbaren Fremdtötung darauf ankommt, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht. Wenn der Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behalte, töte er sich selbst. Das gelte auch dann, wenn er sich dazu fremder Hilfe bediene. Begebe er sich aber in die Hand eines anderen, um von diesem den Tod duldend entgegenzunehmen, habe dieser die Tatherrschaft und sei nicht nur Teilnehmer, sondern Täter. Ausschlaggebend für die Beurteilung sei der Gesamtplan, nicht allein die rückwirkende Betrachtung, die auch von Zufällen geprägt sei.100 Für ärztlich assistierte Suizide wurde diese Abgrenzung in einem der ersten durch den BGH entschiedenen Fälle relevant. Im Jahre 1984 entschieden die Bundesrichter nach den oben genannten Kriterien zugunsten des Arztes Julius Hackethal, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, der einer vom Krebs schwer entstellten Patientin beim Selbstmord half. Nachdem die Patientin über einen längeren Zeitraum hinweg in mehreren Gesprächen ihren Todeswunsch zum Ausdruck gebracht hatte, besorgte der Klinikarzt vier Gramm Kaliumcyanid. Er übergab es nicht an die Patientin selbst, sondern an eine Freundin von ihr. Diese blieb bei der Patientin, als diese den Becher mit Gift in mehreren Schlucken leerte. Der beschuldigte Hackethal war zu diesem Zeitpunkt nicht im Raum.101 99
So auch Otto, Grundkurs Strafrecht, § 6 Rn 49; Rengier, Strafrecht BT II, § 8 Rn 8; Kühl / Heger, StGB, § 216 Rn 3. 100 Dazu schon BGHSt 19, 135 (139); ebenso BGH NJW 2019, 449. 101 Vgl. Helfen Sie, ich kann so nicht weiterleben, in: Der Spiegel Nr. 18/1984, S. 237 ff. unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1984-18.html [in der Fassung vom 17.12.2015].
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Die zuständige Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Tötung auf Verlangen. Vom Landgericht Traunstein wurde die Eröffnung eines Verfahrens allerdings abgelehnt. Nachdem die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde eingelegt hatte, stellte das Oberlandesgericht München am 31. Juli 1987 fest, dass kein hinreichender Tatverdacht gegen Hackethal bestehe. Für das Gericht lag im Fall Hackethal eine straflose Beihilfe zum Suizid vor. Entscheidendes Kriterium sei, wer das Geschehen tatsächlich beherrscht habe. Insofern folgten die Richter der Auffassung des BGH zur Tatherrschaftslehre.102 Danach komme es nicht auf subjektive Kriterien wie Tatherrschaftswillen oder eigene Interessen des Täters an. Ausschlaggebend sei allein, ob das Opfer „bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal“ gehabt habe.103 Auch die Tatsache, dass Hackethal Arzt sei, ändere an dieser Entscheidung nichts: „Auch ein Arzt bleibt jedenfalls straflos, soweit er sich lediglich als Gehilfe aktiv an einer freiverantwortlich verwirklichten Selbsttötung beteiligt.“104 Das Gesetz differenziere oder begrenze den Kreis der potentiellen Helfer gerade nicht, führt das Gericht weiter aus.105 Obwohl diese Ansicht bereits zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt, stellt sie zu sehr auf Äußerlichkeiten des Tatablaufs ab und führt damit zu Resultaten, die angesichts des Unterschieds auf der Ebene der Strafzumessung ungerecht sind. Darüber hinaus erscheint es auch moralisch fragwürdig, dass der Arzt, der, wie oben dargestellt, seinen Patienten alleine lässt, straffrei bleibt – derjenige, der aber bis zuletzt bei ihm bleibt und ihm die Hand hält, ggf. nach § 216 StGB strafbar wäre. Danach wäre z.B. auch Täter, wer dem Sterbewilligen auf dessen Wunsch hin eine Giftspritze verabreicht. Nur straflose Beihilfe beginge hingegen, wer einem Sterbewilligen ein Glas mit Gift an den Mund hält, weil in diesem Fall der Suizident noch die Herrschaft über das Schlucken besäße.106 Straffrei bliebe ebenso derjenige, der das Geschehen systematisch beherrscht – was z.B. wieder bei einem Palliativmediziner angenommen werden könnte – und nur im letzten Moment dem Getöteten die Herrschaft überlässt. Im Gegensatz dazu stellt der BGH doch immer noch wesentlich auf den Tatherrschaftswillen ab, auch wenn er mit seinen Abgrenzungskriterien inzwischen näher an die Tatherrschaftslehre heranrückt. Für den speziellen Fall der Abgrenzung einer täterschaftlichen Tötung auf Verlangen zur straflosen Bei102 103 104 105 106
BGHSt 19, 135 (137). OLG München, NJW 1987, 2940 (2941). OLG München, NJW 1987, 2940 (2942). Vgl. OLG München, NJW 1987, 2940 (2942). Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Hilgendorf, Strafrecht BT, § 3 Rn 42.
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hilfe zur Selbsttötung bedeutet das, dass der Wille des Sterbehelfers ermittelt werden muss. Insbesondere ist zu klären, ob er selbst töten (dann Täterschaft) oder lediglich eine fremde Tat unterstützen will (dann straflose Teilnahme). Vor diesem Hintergrund ist der konkrete Wortlaut des § 216 StGB zu untersuchen. § 216 StGB formuliert explizit, dass der Handelnde durch „das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden“ sein muss. Verlangen i.S.d. § 216 StGB ist dabei nicht nur bloßes Einwilligen.107 Der Getötete darf mit seiner Tötung also nicht nur einverstanden sein, sondern er muss die Tötung gewollt haben. Ein ausdrückliches Verlangen liegt vor, wenn der Getötete seinen Willen eindeutig mitgeteilt hat. Dafür genügt jede Form, also auch eine konkludente Erklärung – eine Tatsache, die vor allem bei multimorbiden Patienten mit Sprachstörungen, Absenzen etc. immer wieder zu Schwierigkeiten führen mag. Ernstlichkeit setzt zunächst dasselbe voraus wie die Freiwilligkeit bei der Einwilligung in § 228 StGB, vor allem die natürliche Einsichtsfähigkeit (d.h. genügende Reife sowie Abwesenheit der Defizite des § 20 StGB)108 und freien Willen (d.h. Abwesenheit von Zwang und Irrtum). Darüber hinaus verlangt § 216 StGB eine gewisse Beständigkeit des Verlangens – auch dies ein entscheidender Punkt bei Schwerstkranken: die Entscheidung soll nicht durch das Auf und Ab einer bestimmten Krankheitsentwicklung geprägt sein. Daran fehlt es z.B., wenn es auf einer vorübergehenden Depression oder einer situativen Stimmung beruht. Bestimmt worden sein muss der Täter durch das Verlangen. „Bestimmen“ kann in zweierlei Weise verstanden werden: Zum einen lässt sich das Bestimmen genauso verstehen wie bei der Anstiftung in § 26 StGB, d.h. das Opfer müsste durch sein Verlangen im noch unentschlossenen Täter den Tatentschluss geweckt haben.109 Der Anstifter muss den Tatentschluss des Haupttäters in seiner konkreten Gestalt hervorgerufen, mithin im Sinne der Äquivalenztheorie verursacht haben. Dies ist als Mindestanforderung anerkannt.110 Zum anderen kann vertreten werden, dass die Motive, die der Täter im Zeitpunkt der Tötung aufweise, gewertet werden müssen. Das Motiv, vom Opfer zur Tötung bestimmt worden zu sein, darf dabei durchaus nur eines von meh107 108 109 110
Siehe dazu bereits RGSt 68, 306 (307). Vgl. dazu Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn 640. Siehe Schönke / Schröder-Eser, StGB, § 216 Rn 9. MüKo-Eser / Sternberg-Lieben, StGB, § 216 Rn 26.
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reren Motiven sein (Motivbündel); umstritten ist aber, ob es das „bestimmende“ bzw. das dominante Motiv sein muss,111 oder ob es genügt, wenn es neben den anderen Motiven „mitläuft“.112 Welcher der beiden genannten Ansichten man auch folgt – die Konsequenz lautet: § 216 StGB erfordert (zumindest auch) eine Unterordnung unter den Willen des Getöteten. Durchdenkt man dies für den Fall der Suizidbeihilfe durch einen Arzt, so ist der Realität mit der Theorie nicht gedient: Die Bitte des Sterbenden wird man kaum als „Verlangen“ sehen können, das dadurch hervorgerufene Bedürfnis zu Helfen kaum als „bestimmtwerden“. Von einer Unterordnung unter den Willen des Getöteten kann hier selten die Rede sein: Hier liegt zumeist eine Übereinstimmung der inneren Haltung vor, die durch Gespräche nach und nach evaluiert wurde. Subjektive Kriterien sind hier zur Unterscheidung ungeeignet. Nach der Rollenverteilungstheorie liegt § 216 StGB nur vor, wenn der Getötete sich auf die Rolle des Quasi-Anstifters beschränkt. Wirkt er in irgendeiner Form selbst aktiv mit, scheidet § 216 StGB aus. Die Vertreter dieser Theorie argumentieren, § 216 StGB stelle den typischen Fall der Anstiftung unter Strafe. Tue der Getötete mehr, verlasse er den Bereich der Anstiftung, so dass § 216 StGB ausscheiden müsse. Das gelte selbst dann, wenn die eigentliche Tatherrschaft beim Mitwirkenden liege.113 Kritiker sehen den Anwendungsbereich des § 216 StGB durch die Rollenverteilungstheorie zu stark eingeschränkt. Beachtenswert ist die Rollenverteilungstheorie vor dem Hintergrund des aktuellen Bundesverwaltungsgerichtsurteils zur Erlaubnis des Erwerbs einer tödlichen Dosis Pentobarbitals: Besorgt sich der Suizident das Pentobarbital selbst, übernehme er auch damit einen Tatbeitrag, der weit über die Anstiftung hinaus reiche. Ein Arzt, der seinen Patienten anschließend bei der Einnahme helfe, verwirkliche damit keine Tötung auf Verlangen. Die einzelnen Tatbeiträge voneinander abzugrenzen, wird allerdings kritisch. Die nur wenig vertretene Psychologische Theorie vertritt die Ansicht, § 216 StGB wolle das Leben von Suizidenten schützen, die psychisch nicht zur Selbsttötung fähig seien, und stellt daher allein auf die geistige Verfassung des Opfers ab. Wenn der Sterbewillige noch Hemmungen habe sich selbst zu töten, sei sein Leben noch durch eine funktionierende Sperre geschützt. Wird diese Sperre nur
111 H.L.: Schönke / Schröder-Eser, StGB, § 216 Rn 9; Wessels / Hettinger / Engländer, Strafrecht BT I, Rn 178. 112 So etwa Alwart, GA 1983, 433 (446). 113 Siehe Dreher, MDR 1964, 337.
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dadurch überwunden, dass er sich in die Hände eines Dritten begibt, der die Tötung ausführt, liege eine Fremdtötung im Sinne des § 216 StGB vor.114 Im Gegensatz dazu sei die Autonomie desjenigen zu respektieren, der die Tat psychisch selbst ausführen könnte, nur physisch dazu nicht mehr fähig sei. In diesem Fall liege eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung vor.115 Auch wenn im Rahmen von Sterbehilfe durch Sterbehilfevereine vermehrt psychologische Gutachten eingeholt werden, um die geistige Klarheit und die Ernsthaftigkeit des Sterbewunsches festzustellen, so erscheint eine Feststellung des Geisteszustandes eines Menschen doch schwer nachweisbar. Insbesondere an der Realität Sterbenskranker geht diese Theorie vorbei. In dieser Situation können viele Motive eine Rolle spielen: von unerträglichen Schmerzen über Lebensüberdruss bis hin zur Todesangst. Woran will man hier festmachen, ob ein Sterbewilliger psychisch in der Lage ist sich selbst zu töten? Dieses Kriterium als Trennlinie zwischen Straflosigkeit und strafrechtlicher Verantwortung des Arztes zu setzen, stieße ihn in große Unsicherheit.
114 Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Hilgendorf, Strafrecht BT, § 3 Rn 42. 115 Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Hilgendorf, Strafrecht BT, § 3 Rn 40; vgl. auch: SK-Sinn, StGB, § 216 Rn 12.
Drittes Kapitel: Vordebatte zum § 217 StGB A) Reformbewegungen vor 2015: Kernpunkte der Diskussion um Sterbehilfe In der Diskussion um die Sterbehilfe wurde und wird von Befürwortern wie Gegnern ein Arsenal von Argumenten ins Feld geführt. Um einen Überblick zu schaffen, sollen oft verwendete Argumente eingeordnet und die wichtigsten danach näher beleuchtet werden:
Prinzipienebene
Handlungsebene
Ebene sozialer Prozesse
Argumente für die Sterbehilfe
Argumente gegen die Sterbehilfe
Autonomie
Entscheidungskontext
Lebensqualität
Unverfügbarkeit menschlichen Lebens
Menschenwürde (Recht auf ein menschenwürdiges Sterben)
Menschenwürde (Schutz der Würde im Sterben)
Arzt als Auftragsempfänger
Berufsethos des Arztes
Moralische Äquivalenz von Töten und Sterbenlassen
Töten und Sterbenlassen sind moralisch unterschiedlich zu beurteilen
Intention des Handelnden ist moralisch irrelevant
Intention des Handelnden ist moralisch relevant
Palliativmedizin erreicht nicht alle Patienten
Palliativmedizin als bessere Alternative
Möglicher Missbrauch lässt sich einschränken und kontrollieren
Missbrauch ist nicht zu verhindern und in den Auswirkungen fatal
Ökonomische Aspekte spielen eine untergeordnete Rolle
Ökonomischer Druck kann zu unfreiwilligen Bitten um Tötung führen
Sicherheitsmaßnahmen
Dammbruch-Argumente
Gute Erfahrungen in den Niederlanden
Gefährliche Entwicklungen in den Niederlanden
https://doi.org/10.1515/9783110765731-003
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Erster Teil
Aus dieser Übersicht seien hier einmal die sechs Kernpunkte der Diskussion um Sterbehilfe herausgegriffen:
I. Autonomieprinzip Das Autonomieprinzip ist ein philosophischer Begriff, der die menschliche Fähigkeit zur freien Willensentscheidung voraussetzt und dementsprechend die Möglichkeit freier Handlungen für den einzelnen fordert. Eine freie Handlung setzt allerdings einen inneren Entscheidungsprozess voraus; sie darf nicht nur auf äußere Umstände zurückzuführen sein. In die Medizinethik führten Tom Lamar Beauchamp und James F. Childress das Autonomieprinzip erstmals 1977 ein.1 Sie billigten jedem Patienten Entscheidungsfreiheit zu und wollten sie sogar fördern: Sie forderten die „informierte Zustimmung“. Ärzte sollten verpflichtet sein, das einsichtsvolle Verstehen und Abwägen des Patienten zu fördern, indem sie umfänglich und eingehend informieren.2 Diese Sicht hat sich später soweit durchgesetzt,3 dass wir heute den Begriff des „informed consent“ (die sog. „informierte Einwilligung“, die auf einer vorangegangenen, ausführlichen und angemessenen Aufklärung des Patienten basiert) sowohl in der EU-Verordnung zu klinischen Prüfungen4 als auch in den entsprechenden GCP-Leitlinien5 finden. Nach Beauchamp und Childress ist das Autonomieprinzip eines von vier ethisch-moralischen Prinzipien, die Angehörigen von Heilberufen Orientierung bieten sollten. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander, d.h. im Einzelfall müssen sie jeweils konkretisiert und gegeneinander abgewogen werden. In ihrem Buch „Principles of Biomedical Ethics“ stellen die beiden amerikanischen Autoren 1979 zum ersten Mal vier ethische Prinzipien auf, die dem behandelnden Arzt als Leitlinien für ein moralisches Handeln dem Patienten gegenüber dienen sollen: Respekt der Autonomie des Patienten (respect for autonomy), Schadensvermeidung (nonmaleficence), Fürsorge (beneficence) – auch ein Prinzip, das uns in der Sterbehilfediskussion wieder begegnet – und Gerechtigkeit (justice). Das erste Prinzip ist der Respekt der Autonomie des Patienten. Es billigt jeder Person das Recht zu, ihre eigene Meinung zu haben, 1 2 3 4 5
Beauchamp / Childress, Principles of Biomedical Ethics (mittlerweile in der 8. Auflage). Siehe dazu kritisch Illhardt, Die ausgeblendete Seite der Autonomie, S. 139 f. Schönke / Schröder-Sternberg-Lieben, StGB, § 223 Rn 37. Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG, Erwägungsgrund 27. GCP-Leitlinie E6, 1.28.
Drittes Kapitel: Vordebatte zum § 217 StGB
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ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und nur so zu handeln, wie dies den eigenen Wertvorstellungen entspricht. Das Autonomieprinzip fördert die Entscheidungsfreiheit und verbietet gleichzeitig äußeren Zwang und Einflussnahme. Daraus ergab sich für Beauchamp und Childress zwingend die Pflicht zur Aufklärung: Ein Arzt müsse nicht nur die Entscheidungen seines Patienten respektieren. Er sei sogar verpflichtet, seinen Entscheidungsprozess zu unterstützen, indem er ihn abgestimmt auf seine individuellen Bedürfnisse sorgfältig informiere.6 Das Recht auf eine freie Entscheidung des Patienten und die Pflicht des Arztes diese zu respektieren, gilt universell. Insbesondere am Lebensende. Denn gerade in dieser Situation haben Patienten ein zentrales Interesse, die Kontrolle zu behalten. Autonomie am Lebensende bedeutet Verfügungsmacht über den eigenen Körper und das eigene Leben. Diese Verfügungsmacht kann der autonome Patient sowohl an eigenen, liberalen oder aber an religiösen Normen ausrichten, also sein Leben als Gottesgeschenk begreifen und bis zum letzten Atemzug zu Ende leben. So schützt die Autonomie gerade auch religiöse Überzeugungen, ohne säkulare Vorstellungen auszuschließen. Die Rechtssphäre Dritter verletzt der Sterbewillige durch sein Handeln nicht. Er braucht sich also nicht zu überlegen, ob ein Dritter genauso handeln müsste wie er.7 Grundsätzlich besteht weitgehender Konsens darin – siehe dazu bereits die Ausführungen zur palliativen Sedierung –, dass sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, inklusive einer verbesserten Palliativmedizin und ihrer Angebote, um ein Leben und dann auch ein „Sterben in Würde“ zu ermöglichen. Jede Form der Sterbehilfe und insbesondere die Suizidassistenz sollte stets als ultima ratio betrachtet werden und an valide Regelungen und Bedingungen geknüpft sein, um Missbrauch oder andere nachteilige Effekte auszuschließen. Diese Regelungen bedürfen der ständigen Überprüfung und müssen bei Bedarf modifiziert werden können. Es ist aber ein Irrglaube, dass der Ruf nach selbstbestimmtem Sterben dann zum Erliegen gebracht würde, wenn die bestmögliche Schmerztherapie, eine umfassende Betreuung und größere Zuwendung zur Verfügung stünden. Palliativmedizin und andere Verbesserungen sind zwar wünschenswert, erreichen aber nicht den eigentlichen Nerv der Diskussion. Denn diese Angebote können gar nicht alles leisten, was Menschen am Ende ihres Lebens bedürfen. 6 7
Vgl. Marckmann, Ethik in der Medizin, 12/2000, 74. Vgl auch Gutmann, Ethik in der Medizin 14/2002, 170.
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Erster Teil
Im Kern geht es darum, dass Menschen ihre eigenen Vorstellungen von Würde im Leben und im Sterben realisieren möchten, und nicht extern oder heteronom vorgesetzt bekommen wollen, wie man zu sterben hat. Folglich geht es hier auch gar nicht um einen vermuteten Werteverfall, sondern gerade um die Realisierung hoher Werte. Der Rechtsphilosoph Ronald Dworkin bezeichnet es geradezu als „menschenverachtende Tyrannei“ (devastating, odious form of tyranny), dass ein Mensch gewissermaßen gezwungen wird, auf eine bestimmte Art und Weise zu sterben, die zwar nach Meinung anderer richtig erscheinen mag, für ihn selbst aber im gravierenden Widerspruch zu seinen eigenen Wertvorstellungen steht.8 Insbesondere Befürworter der aktiven Sterbehilfe9 fordern daher eine Konvergenz zweier Moralprinzipien: dem Respekt vor der Patientenautonomie sowie dem Fürsorge- oder Wohltätigkeitsgebot. Erst wenn beide in Einklang miteinander stehen, lösen sich Widersprüche, die sich ansonsten ergeben, wenn als wohltätig begriffene Handlungen nicht mit dem Patientenwillen übereinstimmen, oder der freie Wille eines anderen sich auf etwas richtet, was von außen unverständlich, bedeutungslos oder selbstschädigend aussieht. Gegner10 des Autonomieargumentes – denn hier geht es nicht um die Autonomie per se, sondern nur um ihre Verwendung als Argument für das Recht auf Sterbehilfe – wenden ein, die Sterbewünsche Schwerstkranker seien das Ergebnis unzureichender palliativer Versorgung oder fehlender psychosozialer Betreuung oder gar beider Komponenten. So könne eine Bitte um Sterbehilfe dadurch begründet sein, dass der Patient mangelhaft über die Möglichkeiten der Schmerzbehandlung aufgeklärt sei. Auch der unausgesprochene oder bloß empfundene Vorwurf von Angehörigen, die Pflege sei eine schwere Last, könne Ursache der Entscheidung sein. Was also auf den ersten Blick autonom erscheine, sei tatsächlich von außen beeinflusst und nicht mehr autonom. Sol8 9
10
Siehe Dworkin, Life’s Dominion, S. 217. Z.B. Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, die auf ihrer Homepage bereits mit der Frage auftritt: „Sie wollen bis zuletzt selbst entscheiden“, siehe https:// www.dghs.de oder Scheule, in: Sitte/May, Rechtsfragen am Lebensende – ein Stein des Anstoßes zur Diskussion, S. 24 ff. Z.B. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, S. 9 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 20); ähnlich: Lücking-Michel / Brand / Frieser, Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens, http://www.luecking-michel.de/positionspapier-begleiten-stattbeenden-schutz-der-wuerde-am-ende-des-lebens-in-berlin-vorgestellt/ [Fassung vom 30.12.2019]: Am Lebensende trage die Rechtsordnung dem Recht auf Selbstbestimmung hinreichend Rechnung, indem niemand gegen seinen Willen eine ärztliche Behandlungsmaßnahme hinnehmen müsse und der Suizid nicht unter Strafe gestellt werde.
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chen unauthentischen Wünschen müsse man mit aller Macht begegnen und dürfe sich ihnen nicht auch noch unterwerfen.11 Diese Behauptung können Sterbehilfebefürworter zwar nicht widerlegen. Um diese Motive auszuschließen, fordern sie Konvergenzkriterien wie z.B. die „Unerträglichkeit“ des Leidens, ein ärztliches oder ggf. psychiatrisches Konsil sowie die „Freiwilligkeit“ des Sterbewunsches. Der Behauptung, Sterbewüsche seien nicht authentisch, lässt sich schon ganz grundsätzlich begegnen. Sie setzt nämlich voraus, dass der Wunsch zu sterben zum einen alleine auf unerträglichen körperlichen Schmerzen basiert und diese im Rahmen einer palliativen Behandlung vollständig gelindert werden könnten. Was die erste Annahme betrifft, sprechen sämtliche Leitlinien zur Palliativmedizin von „Leid“, um zu beschreiben, dass es in der palliativen Behandlung um mehr als physischen Schmerz geht.12 Zudem weist Dworkin ausdrücklich darauf hin, dass Menschen der Art ihres Sterbens „spezielle symbolische Bedeutung“ beimessen. Sie möchten, dass die Werte, die ihnen im Leben wichtig waren – z.B. Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit – auch in ihrem Sterben deutlich werden.13 Dabei erschöpft sich deren Vorstellung eines guten Todes aber nicht nur im „Wie“, sondern schließt selbstverständlich auch das „Wann“ mit ein. Was die vollständige Linderung von körperlichen Schmerzen betrifft, so wird der Ablauf einer palliativen Behandlung weitgehend verkannt. Weltweit anerkannt bei der Schmerztherapie, auch im Rahmen einer palliativen Behandlung, ist der 3-Stufen-Plan der WHO, den diese zuerst für die Behandlung von Schmerzen bei Krebspatienten entwickelte.14 Darin wird ein auf drei Stufen basierendes, medikamentöses Behandlungskonzept mit einer schrittweise gezielten Eskalation unterschiedlicher Analgetika empfohlen. Die erste Stufe sieht einfache, nicht-opioide Schmerzmittel vor. Im Gegensatz zu den Opioiden wirken diese Analgetika nicht narkotisch und beeinträchtigen nicht die Wahrnehmungsfähigkeit des Patienten – zu diesen Wirkstoffen zählen z.B. auch Paracetamol oder Diclofenac. Auf der zweiten Stufe der Schmerztherapie werden schwache bis mäßig starke opioide Schmerzmittel wie Tramadol, Tilidin und Codein eingesetzt. Opioide 11 12 13 14
So z.B. Grewel, in: Student, Das Recht auf den eigenen Tod, S. 66. Siehe hier Ausführungen zur Palliativmedizin im 2. Kapitel D. Dworkin, Life’s Dominion, S. 208 ff. Siehe die sogenannte „Painladder“ unter https://www.who.int/cancer/palliative/painladder/en/.
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sind gute Schmerzmittel, können aber die Wahrnehmung beeinträchtigen und zudem abhängig machen. Stark wirksame Opioide wie Morphin werden erst in Stufe drei der WHOSchmerztherapie eingesetzt. Fast alle verursachen zum Teil starke Nebenwirkungen, darunter Erbrechen, Atemprobleme, Mundtrockenheit, Harnverhalt und Muskelzuckungen bis hin zur Sedierung. Zwar können andere Medikamente diese Symptome lindern, die Therapien begrenzen sich gegenseitig und verursachen dem Patienten weiteres Leid, wie es oben definiert wurde. So mag Schmerztherapie ein guter und wünschenswerter Weg sein, um einen Menschen von seinem Sterbewunsch abzubringen – das Allheilmittel hingegen ist sie nicht. Aus psychologischer Sicht spricht die Krankheitsthese gegen absolute Autonomie in der Sterbehilfe. Sie erklärt die Selbsttötung zum Symptom einer psychischen Störung. Der österreichische Psychiater Erwin Ringel bezeichnet sie in seinem Werk „Der Selbstmord“ im Untertitel sogar als „Abschluss einer krankhaften psychischen Entwicklung“, dem suizidalen Syndrom.15 Diese These wird allerdings vielfach kritisiert und bestritten.16 Auch die empirische Suizidforschung lehnt sie heute überwiegend ab.17 Angesichts schwerstkranker, dem Lebensende – ggf. auf grausamem Wege – naher Menschen wirkt dieses Postulat ja geradezu zynisch. Zusammengefasst ergibt sich daher, dass speziell im Bereich der Sterbehilfe das Autonomieprinzip von beiden Parteien – Befürwortern wie Gegnern – heftig diskutiert wird. Die letztlich stärkeren Argumente sprechen jedoch für die Autonomie im Sterben. Behandlungen, die nicht vom Willen des Patienten getragen sind, hat schon das Reichsgericht in den 1930er Jahren eine Absage erteilt: „Gegen den ausdrücklichen und ernstlichen Willen des Kranken darf der Arzt nicht zu dem Eingriff schreiten.“18
Diese Maxime gilt generell, bis zum Lebensende. Die Hospizbewegung bricht letztlich diese Leitlinie der Medizinethik in einem Zitat herunter, das einer ihrer Begründerinnen, Cecily Saunders zugeschrieben wird: „Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig.“19
15 16 17 18
Ringel, Der Selbstmord – Abschluss einer krankhaft psychischen Entwicklung. Vgl. Sonneck / Schjerve, in: Haesler / Schuh, Der Selbstmord/Le Suicide, S. 39. Vgl. Pohlmeier, in: Pohlmeier, Selbstmordverhütung – Anmaßung oder Verpflichtung?, S. 29. Siehe RGZ 151, 349 (352).
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II. Menschliche Würde Die menschliche Würde ist eines der Hauptargumente in der Debatte um Sterbehilfe und assistiertem Suizid, das sowohl von Befürwortern wie von Gegnern ins Feld geführt wird. Das lässt sich sogar empirisch belegen: In 433 Artikeln führender deutscher Tageszeitungen aus den Jahren 2006 und 2007 ist die Würde eine von vier Schlüsselkategorien, die die Grundlage nahezu aller Argumente in der Sterbehilfedebatte bilden. Die weiteren Schlüsselkategorien waren Selbstbestimmung, Unterversorgung und Unsicherheit. In den untersuchten Artikeln fand sich der Begriff insgesamt mehr als 160 Mal. Meistens wurde dabei allerdings nicht erläutert, wie Würde definiert oder wodurch sie gefährdet bzw. bewahrt werden kann.20 Der Begriff der Menschenwürde steht im Grundgesetz an vorderster Stelle. Dort heißt es in Art. 1 Abs. 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Art. 1 Abs. 1 GG hat keinerlei Entsprechung in anderen europäischen Verfassungen. Er leitet sich aus der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus ab. Mit Blick auf die Euthanasiemorde der Nationalsozialisten ist diese historische Dimension des Grundrechts besonders relevant für die heutige Diskussion um Sterbehilfe. Die formale Position am Beginn des Grundgesetzes verdeutlicht die herausragende Bedeutung, die dem Schutz der Menschenwürde im deutschen Rechtssystem zukommt. Die Menschenwürde ist die alles beherrschende Aussage des Grundgesetzes, die „Wurzel aller Grundrechte“21. Mittelbar wirkt sie auf alle anderen Grundrechte ein. Als oberstes Gut der Verfassung und höchster Rechtswert in unserem Staat unterliegt sie der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG, so dass selbst der Gesetzgeber den Art. 1 Abs. 1 GG nicht abschaffen kann.
1. Definition Die Rechtsprechung versteht unter Menschenwürde den „soziale[n] Wert- und Achtungsanspruch des Menschen (…), der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“22 (Objektformel)23. Dar19 20 21 22
So zitiert in: Twycross / Lack, Control of Alimentary Symptoms in Far Advanced Cancer, S. 19. Vgl. Hahnen / Pastrana / Stiel / May / Groß / Radbruch, Ethik in der Medizin 4/2009, 289 (292). BVerfGE 93, 266 (293); Jarass / Pieroth-Jarass, GG, Art. 1 Rn 5. Vgl. BVerfGE 87, 209 (228).
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über hinaus werden drei Ansätze zur Bestimmung des Begriffs der Menschenwürde diskutiert:
a) „Mitgifttheorie“ Unter dem Schlagwort „Mitgifttheorie“ sind verschiedene Ansätze versammelt, die dem Menschen eine eigene Qualität, einen Geltungsanspruch kraft seines Menschseins zusprechen. Diese Qualität ist ihm von Anfang an mitgegeben, unabhängig von seinen Fähigkeiten und Eigenschaften. Der Ansatz der Mitgifttheorie ist theologisch, natur- oder vernunftrechtlich geprägt. Am anschaulichsten tritt die Theorie in der christlichen Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen zu Tage: Danach leitet sich die Menschenwürde direkt von Gott ab. Da sie von einer dem Menschen übergeordneten Instanz abgeleitet ist, ist sie vor allem für den Staat unantastbar.24 Meist folgen die Vertreter dieser Theorie jedoch den Begründungen des Naturrechts und des Idealismus, die die Menschenwürde mit der menschlichen Fähigkeit zur Selbstbestimmung begründen. Diese Theorien gehen wiederum auf Kant zurück, demzufolge der Mensch einen „inneren Wert“ besitzt, nämlich die Würde.25
b) „Leistungstheorie“ Während die Mitgifttheorie auf einem bestimmten Wertekonstrukt basiert, vertritt die von Niklas Luhman26 entwickelte „Leistungstheorie“ ein leistungsbezogenes Konzept: Die Würde des Menschen äußert sich als Leistung, die sich nicht als dem Menschen automatisch mitgegebener Wert zeigt. Stattdessen muss der Mensch diesen (= diesen Wert; denn Leistung kann man nicht erwerben, sondern nur erbringen) selbst erwerben, allerdings kann dieses Ziel auch verfehlt27 werden. Der Mensch muss seine Würde durch eigene Darstellungsleistung begründen. Infolgedessen ist Würde „Identitätsbildung und gelingende Selbstdarstellung eines Menschen als individuelle Persönlichkeit im sozialen Verkehr“.28 Aufgrund seiner Selbstbestimmung und -entfaltung
23 24 25 26 27 28
Siehe hierzu die Ausführungen im 3. Kapitel A) II. 1. c) „Objektformel“. Vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 5. Vgl. Kant, GMS, AA 04, 435: 4. Vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 60 ff. Zum Verfehlen von Würde durch misslungene Selbstdarstellung auch Giese, Das Würde-Konzept: S. 65: “Der Verlust von Würde ereignet sich als Fehlleistung der Selbstdarstellung in einer sachlich, persönlich und zeitlich begrenzten Situation“. Teifke, Das Prinzip Menschenwürde, S. 47.
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kann der Einzelne frei entscheiden, wodurch sich seine eigene Würde auszeichnen soll. Dennoch wird die Leistungstheorie zu Recht weithin kritisiert: Wenn die Menschenwürde leistungsbedingt ist, kann sie auch verfehlt werden.29 Das würde bedeuten, es gäbe Menschen, denen weniger Würde als anderen zukäme. Insbesondere bei Säuglingen, Schwerstbehinderten und auch bereits Verstorbenen würde das zu Ergebnissen führen, die dem Menschenbild, das dem Art. 1 GG zugrunde liegt, nicht entspricht.30
c) Objektformel Die Menschenwürdegarantie „soll den Menschen davor schützen, dass er durch den Staat oder durch seine Mitbürger als bloßes Objekt, das unter vollständiger Verfügung eines anderen Menschen steht, zur Sache gemacht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird“.31 Oder anders ausgedrückt: Die Menschenwürde ist nach der Prägung durch Dürig verletzt, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“.32 Vom Bundesverfassungsgericht wurde in verschiedenen Entscheidungen auf die Objektformel abgestellt,33 welche auf das Instrumentalisierungsverbot von Kant zurückgeführt werden kann. In seinem Werk „Metaphysik der Sitten“ schreibt er: „Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen […] bloß als Mittel, sondern muss jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle anderen Weltwesen, die nicht Menschen sind, und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt. […].“34
Kritiker führen an, dass die Objektformel eben gerade keine hinreichende Definition biete. Denn jede staatliche Maßnahme, jede Norm, die menschliches Verhalten steuere und objektive Zwecke verfolge, instrumentalisiere den Menschen.35 Zudem hat sich auch das Bundesverfassungsgericht dahingehend 29 30 31 32 33 34 35
Vgl. Isensee / Kirchhof-Häberle, Handbuch Staatsrecht, Band I, § 20 Rn 39. Vgl. Isensee / Kirchhof-Häberle, Handbuch Staatsrecht, Band I, § 20 Rn 44. So von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 17. Maunz / Dürig-Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 36 mit Verweis auf Dürig. Z.B. BVerfGE 27, 1 (6); BVerfGE 45, 187 (228). Kant, MS, AA 06, 462: 21–26. Maunz / Dürig-Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 36; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 135.
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geäußert, dass „allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, (…) lediglich die Richtung andeuten [können], in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können“.36 Allerdings liefert auch keine der anderen Theorien eine präzisere Definition. Einige Autoren bezweifeln sogar, dass eine solche überhaupt möglich ist.37
d) Stellungnahme zu den Theorien Wie aufgezeigt, lässt sich die Menschenwürde in ihrem Gehalt schwer umreißen. Zwar ist der Objektformel wie auch der Mitgifttheorie insofern zuzustimmen, als die Menschenwürde jedem Menschen bedingungslos anhaftet, von ihm also nicht erworben und auch nicht verloren werden kann. Sie gilt sogar über den Tod hinaus – so doch erst recht am Lebensende. Jedoch hilft diese Formel wenig weiter, wenn es darum geht, ihren sachlichen Gehalt zu bestimmen. Auch können der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes erhebliche Argumente gegen die christliche Begründung der Mitgifttheorie entnommen werden. Der Parlamentarische Rat entschied sich 1948 bewusst gegen eine Formulierung, die die Menschenwürde als „von Gott gegeben“ bezeichnete. Statt einer bestimmten philosophischen Strömung oder sogar theologischen Wertvorstellungen zu folgen, haben die Verfasser das Grundgesetz zu einer konfessionellen Neutralität verpflichtet. Hierdurch entfaltet es auch für Atheisten, Agnostiker und Angehörige sonstiger Religionsgemeinschaften gleichermaßen Geltung und Autorität.38 Nach der Leistungstheorie hingegen bestimmt der Einzelne den Kern der Menschenwürde durch eigene Entscheidungen und sein Verhalten („Leistungen“) selbst. So lässt sich mit dieser Theorie der Inhalt der Menschenwürde individuell bestimmen.
2. Heranziehung der Menschenwürde in der Sterbehilfediskussion Im Folgenden soll der Meinungsstand zur Heranziehung der Menschenwürde in der Sterbehilfediskussion skizziert werden.
36 37 38
BVerfGE 30, 1 (25). Vgl. Maunz / Dürig-Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 33. Vgl. Gutmann, Struktur und Funktion der Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 3.
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a) Gründe für die Heranziehung der Menschenwürde zur Bejahung der Sterbehilfe Diesbezüglich interessant ist zunächst ein Blick darauf, wie mit dem Begriff der „menschlichen Würde“ in der Sterbehilfediskussion in anderen Staaten verfahren wird. Im US-amerikanischen Rechtskreis hat der Begriff der Würde sogar Eingang in den Titel entsprechender Gesetze gefunden: Vorreiter war dabei der „Death with Dignity Act“ im US-Bundesstaat Oregon.39 Im Jahre 1994 hatte eine Bürgerinitiative einen Volksentscheid über den Oregon's Death with Dignity Act (Oregon Ballot Measure No. 16) erwirkt, der mit 51% (627.980) zu 49% (596.018) knapp für das Sterbehilfegesetz ausging.40 Nach einer gerichtlichen Verfügung konnte das Gesetz am 27. Oktober 1997 endlich in Kraft treten.41 Bei einem weiteren Volksentscheid (Oregon Ballot Measure No. 51) im November 1997 fiel das Ergebnis weitaus deutlicher aus: 60% stimmten für den Erhalt des ʻ'Death with Dignity Actsʼ.42 Dieses Gesetz erlaubt – sofern 6 Voraussetzungen vorliegen43 – die ärztlich unterstützte Selbsttötung mittels Rezeptierung von tödlichen Medikamenten.44 Hierin ist eine Alternative
39 40 41 42 43
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Vgl. Death with Dignity Act unter https://www.oregon.gov/oha/ph/ProviderPartnerResources/EvaluationResearch/DeathwithDignityAct/Pages/index.aspx [in der Fassung vom 4.7.2018]. Das Ergebnis im Detail unter https://ballotpedia.org/Oregon_%22Death_with_Dignity%22,_Measure_16_(1994) [in der Fassung vom 4.7.2018]. Zur Historie des Gesetzgebungsverfahrens siehe http://www.oregon.gov/oha/ph/ProviderPartnerResources/EvaluationResearch/DeathwithDignityAct/Pages/faqs.aspx [in der Fassung vom 4.7.2018]. Das Ergebnis im Detail unter https://ballotpedia.org/Oregon_Repeal_of_%22Death_ with_Dignity%22,_Measure_51_(1997) [in der Fassung vom 7.4.2018]. Vgl. Jox, in: Kurze, Vorsorgerecht, Vor § 217 StGB Rn 15: „Die Modellregelung im Staat Oregon sieht folgende Voraussetzungen für eine Straflosigkeit der Suizidbeihilfe vor: (1) Der Patient hat eine unheilbare, lebensbegrenzende Erkrankung (mit einer Lebenserwartung von bis zu sechs Monaten) und ein anhaltendes, nicht anders zu linderndes Leiden. (2) Der Patient ist volljährig und seine Freiverantwortlichkeit und Einwilligungsfähigkeit ist von zwei Ärzten unabhängig voneinander geprüft worden. (3) Er wurde über alternative Möglichkeiten aufgeklärt und bekam palliativmedizinische Behandlungsoptionen vermittelt. (4) Der Wunsch nach Suizidhilfe ist anhaltend, schriftlich und mündlich dokumentiert und bezeugt. (5) Der Arzt respektiert Sorgfaltskriterien hinsichtlich der Verordnung und Anwendung der tödlichen Substanzen. (6) Die Suizidbeihilfe wird angemessen dokumentiert und gemeldet“. Oduncu, MedR 2005, 437; sehr detailliert zu diesem Gesetz Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, S. 191 ff.
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Erster Teil
zur Palliativmedizin zu sehen.45 Der Death with Dignity Act basiert darauf, dass der Tod gegenüber einem Leben ohne Würde zu bevorzugen ist.46 Befürworter der Sterbehilfe argumentieren mit der Menschenwürde vor allem, da die Sterbehilfe ein sanftes Ableben erlaube und so unnötiges Leid und Schmerzen zu vermeiden suche. Darüber hinaus würde alleine schon die Erlaubnis der Euthanasie den Menschen die Angst vor einem qualvollen, entwürdigenden Tod nehmen. Moralphilosophisch schrieb bereits in den 1960er-Jahren der Amerikaner Joseph Fletcher: „Death control, like birth control, is a matter of human dignity. Without it persons become puppets.“47
Dies sei des Menschen unwürdig. Das sind zwei entscheidende Punkte für die theologisch-ethische Beurteilung der aktiven Euthanasie: Zum einen das Verständnis von der Autonomie des Menschen – wie bereits im Kapitel zuvor erörtert –, und zum anderen die Behauptung, es gebe ein Leben, das des Menschen unwürdig sei, und dieser Zustand der Unwürdigkeit trete ein, wenn der Mensch sein Leben nicht mehr frei selbstbestimmen und gestalten könne. Die Renaissance und die Aufklärung, insbesondere ihr Vollender Immanuel Kant, haben die Autonomie als den entscheidenden Inhalt der Menschenwürde herausgestellt.48 Nach Kant hat ein Lebewesen Würde, sofern es sich in Freiheit selbst gemäß dem durch die Vernunft erkannten allgemeingültigen Sittengesetz bestimmt. Demnach ist jede Fremdbestimmung des Menschen unwürdig, worin die Verknüpfung von Autonomie und Würde wiederum zutage tritt. Für Kant ist die Freiheit allerdings keine empirische Größe in der Welt sinnlicher Erscheinungen, sondern ein „Postulat“ der „praktischen Vernunft“, und vor allem hat Kant dabei nur den Menschen als Vernunft- und Geistwesen im Blick, das sich in seinem sittlichen Handeln selbst bestimmen soll. Das Freiheitsverständnis erfährt eine wesentliche Veränderung, sofern die Freiheit ihre Rückbindung an Gott oder – Kant zufolge – an das allgemein verpflichtende Sittengesetz aufgibt, der Mensch nur auf seine Selbstverwirklichung reduziert und schließlich diese menschliche Autonomie als Qualität in der Welt von sinnlichen Wahrnehmungen begriffen wird, deren Existenz 45 46 47 48
Oduncu / Eisenmenger, MedR 2002, 327 (330). Pullman, Theoretical Medicine and Bioethics 23/2002, 55. Fletcher, in: Downing, Euthanasia and the Right to Death, S. 61 (69). Kant, GMS, AA 04, 436: 6–7; vgl. Pieper, Artikel „Autonomie“, in: Korff, Lexikon der Bioethik, S. 289 ff.; Baumann-Hölzle, Autonomie, S. 47 ff.
Drittes Kapitel: Vordebatte zum § 217 StGB
45
oder Mangel der Möglichkeit des empirischen Nachweises unterliegt. Sobald sich diese empirische Entscheidungs- und Handlungsautonomie als zentraler Inhalt der Menschenwürde zeigt oder sogar mit dieser gleichgestellt wird, kann daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass diese Autonomie auch das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich des Zeitpunkts und der Art des eigenen Todes (Selbsttötung) sowie das Recht auf Tötung durch andere umfasst. Dass ein solches Leben untermenschlich, menschenunwürdig und lebensunwert ist, hat als Erster Friedrich Nietzsche mit Sicht auf den „Tode Gottes“ im „Lied vom freien Tod!“ in „Also sprach Zarathustra“ zu der provokanten Erkenntnis verleitet: „Stirb zur rechten Zeit!“49 Die „faulen Äpfel“ solle man nicht so lange an den Bäumen hängen lassen, bis der Wind sie herabstoße. Man solle die „dumme physiologische Tatsache des naturbedingten Todes“ zu einer „moralischen Notwendigkeit“, einer Tat der Freiheit werden lassen. „Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will“50 und nicht, weil die Natur oder ein Gott es will. Den Tod solle man sich geben, bevor das Leben seiner Freiheit beraubt und so zum bloßen „Dahinvegetieren“, zum „lebensunwerten“ Leben werde. Angesprochen ist damit ein absolutes Verfügungsrecht über das eigene Leben, das auch beinhaltet, Dritte mit der eigenen Tötung „beauftragen“ zu dürfen. Gerechtfertigt werden solche Tötungssehnsüchte mit einem negativen Werturteil über das „menschenunwürdige“ Leben. Hintergrund dieser Argumentation ist die Säkularisierung unserer Lebensvorstellungen – mit Nietzsche gesprochen – zum einen dahingehend, dass die Menschen für den Tode Gottes verantwortlich sind und sich infolgedessen als ihr eigener Gott und Schöpfer erweisen müssen. Zum anderen kennen die Menschen nur das Diesseits, aber nicht das Jenseits, so dass es kaum zu vermitteln ist, warum der Mensch, der von vorneherein weiß, dass sein Leben ohnehin nur endlich ist, sich von diesem nicht bereits vor seinem natürlich-vorbestimmten Tod erlösen können soll. Jean Paul hat bereits lange vor Nietzsche in seinem Roman „Siebenkäs“ diese „gottlose“ Weltsicht des „autonomen“ Menschen als sein eigener Gott in seiner „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ wie folgt reflektiert:
49 50
Nietzsche, Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen - Kapitel 32 „Vom freien Tode“, S. 70. Nietzsche, Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen - Kapitel 32 „Vom freien Tode“, S. 71.
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Erster Teil „Ach, wenn ein jedes Ich sein eigener Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigener Würgeengel sein?“51
Wenn Freiheit und Würde nicht mehr mit Kant als „transzendentale Ideen“ begriffen werden, sondern stattdessen mit der positivistisch-empirischen Philosophie als empirisch nachweisbare geistige Fähigkeiten und Interessen, ist der Mensch nicht mehr nur als Geistwesen in seinen Gedanken frei (Gedankenfreiheit)52. Vielmehr hat er den Beweis seiner Freiheit auch als Herrschaft über seine Kreatürlichkeit zu führen. Somit muss er aufgrund seiner Selbstbestimmung und -begründung das Leben und Sterben nicht mehr erleiden. Vor allem über das Sterben und den eigenen Tod als Naturverhängnis soll er frei und selbst entscheiden. Wie von Nietzsche begründet, liegt auch heutigen Befürwortungen des „Freitods“ und der „aktiven Sterbehilfe“, u.a. durch Theologen wie den holländischen Ethiker H. M. Kuitert53 und den Schweizer H. Küng54, überwiegend eine Kombination von negativen Lebenswerturteilen und einer Außerkraftsetzung des Tötungsverbots im Namen der Freiheit des Individuums zugrunde. Die Radikalisierung der empirischen Entscheidungs- und Handlungsautonomie zu einem uneingeschränkten Verfügungsrecht über das eigene Leben führt dazu, dass die Autonomie mit der Würde des Menschen gleichgesetzt wird. Zugleich folgt hieraus das Recht auf Selbsttötung bzw. der Tötung auf Verlangen, um einem „autonomielosen“ und mithin mutmaßlich „würdelosen“ Leben vorbeugen bzw. ein Ende setzen zu können. Zeigt sich indes primär oder sogar ausschließlich die empirische Autonomie als Inhalt der Menschenwürde, ist sie – und nicht das Leben – als das höchste zu schützende Gut zu betrachten. In diesem Falle muss der Tötungswille stets Beachtung finden, es sei denn, es liegen bestimmte schwere psychische Erkrankungen vor. Leben ohne die Autonomie stellt sich als ein solches ohne Würde dar. Es ist dann lediglich ein biologisches, menschenunwürdiges Leben, von dem die Erlösung durch eigene oder „im Auftrag“ durch fremde Hand möglich ist. Dies bedeutet wiederum, dass dem Menschen die freie Wahl seines Sterbens zuzugestehen ist. Unter Gleichsetzung der Menschenwürde mit empirischer Autonomie untermauert jegliche Erweiterung dieser Wahlmöglichkeiten in der Verfügung über das eigene kreatürliche Leben die Würde des 51 52 53 54
Paul, Siebenkäs, Erstes Blumenstück, Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, Vorbericht. Vgl. Schiller, Don Karlos, S. 281, wo der Marquis von Posa vom absolutistisch herrschenden König Philipp II. verlangt: „Geben Sie Gedankenfreiheit“. Kuitert: Der gewünschte Tod. Euthanasie und humanes Sterben. Jens / Küng: Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung.
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Menschen, während aus jeglicher Einschränkung der denkbaren Wahlmöglichkeiten in der Verfügung über das Leben ein Widerspruch und Verstoß gegen die Menschenwürde resultiert. Diese Perspektive entspricht auch der Annahme des zumindest moralischen Rechts jedes Menschen auf Selbsttötung. Mithin zeigen sich etwa das Sterben an einem „natürlichen Tod“ im Rahmen einer guten palliativmedizinischen Versorgung auf der einen und die Selbsttötung bzw. die Tötung auf Verlangen auf der anderen Seite als gleichrangige Alternativen. Hieraus folgt wiederum, dass beide Möglichkeiten zur Beendigung des Lebens angeboten werden müssen. Weiter gedacht verleitet dies zu der Erkenntnis, dass zumindest die Beihilfe zur Selbsttötung keinen grundsätzlichen Einwänden unterliegt, und zudem zu der, dass eine Tötung auf Verlangen, die durch „fachlich qualifizierte“ Personen wie vor allem Ärzte durchgeführt wird, grundsätzlich keinem rechtlichen Verbot und erst recht keiner Bestrafung unterliegen sollte. Bei dieser Sicht von Freiheit äußert sich damit ein moralisches Verbot einer Selbsttötung ebenso wie das rechtliche Verbot einer Tötung auf Verlangen als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Darüber hinaus bedeuten beide Verbote die Missachtung der Menschenwürde. Auch in der wissenschaftlichen Literatur findet sich die Würde als Bestandteil des Autonomiekonzeptes wieder.55
b) Gründe für die Heranziehung der Menschenwürde zur Ablehnung der Sterbehilfe Es kann nicht behauptet werden, dass das Gebot der Menschenwürde per se contra Sterbehilfe eingewendet würde – das wäre zu weit gegriffen. Allerdings verstehen vor allem Vertreter christlicher Werte56 einen Tod in Würde anders. So wird z.B. argumentiert, dass in der Praxis nur die abstrakte Behauptung der objektiven Unveräußerlichkeit der Würde jedes Menschen nicht genügen könne. Vielmehr müssten ebenfalls das subjektive Selbsterleben des Einzelnen sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen etwa für konkrete und adäquate medizinische und pflegerische Maßnahmen Beachtung finden. Die berechtigte Sorge vor einer mutmaßlich „würdelosen Existenz“ am Lebensende basiere nämlich häufig auf völlig divergierenden Ansätzen. Diese erstreckten sich von der berechtigten Kritik an gewissen Gestaltungen der medizinischen Übertherapie in Form der Lebensverlängerung um jeden Preis, bis zu äußerst 55 56
Vgl. Chochinov, Würdezentrierte Therapie Was bleibt – Erinnerungen am Ende des Lebens, S. 23 ff. Vgl. z.B. Kommentare des EKD unter https://www.ekd.de/sterbebegleitung_2003.html.
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Erster Teil
emotionalen Vorstellungen vom eigenen Selbst-Bild. Deren alters- oder krankheitsbedingte Infragestellung führe nicht lediglich zur existentiellen Verunsicherung. Vielmehr seien sie zudem mit diversen Reaktionen z.B. in Form von narzisstischer Kränkung, Scham, Ekel oder Ängsten verknüpft. Allein wenn in der Praxis die Ausarbeitung von sensiblen Pflegekonzepten vorgenommen werde, welche für die Betroffenen mit der erforderlichen Diskretion eine wirksame Unterstützung bei der Suche nach neuen Lebensmöglichkeiten trotz ihrer verschiedenen Einschränkungen bedeute, „dürfte die in systematischer Hinsicht gut begründete und dem im deutschen Grundgesetz verankerten Definitions- und Graduierungsverbot des Würdebegriffs zugrunde liegende MitgiftTheorie auf breite Akzeptanz stoßen und damit rein subjektivistischen WürdeInterpretationen die Grundlage entziehen“.57 Es ergeben sich also zwei Konzepte des Würdebegriffes: Würde durch Selbstbestimmung einerseits (meist pro Legalisierung) und Würde durch Fürsorge andererseits (meist contra Legalisierung). Würde, die durch Fürsorge zu erhalten sei, ist meist der zentrale Ansatz in der Diskussion über die Leistungen der Palliativmedizin.58
c) Rechtliche Überlegungen zur Heranziehung der Menschenwürde In der aktuellen Debatte des Bundestages 2015 über eine neue Sterbehilfegesetzgebung stützte sich u.a. das Eckpunktepapier Peter Hintze (CDU), Dr. Carola Reimann (SPD), Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), Burkhard Lischka (SPD) in seiner Argumentation auf die menschliche Würde.59 Ihre Unterstützung der Zulassung eines ärztlich assistierten Suizids begründen die Teilnehmer darin u.a. mit einer Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Diesem solle ermöglicht werden, den Wunsch nach einer ärztlichen Hilfe bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung in Fällen irreversibel zum Tode führender Erkrankungen und schweren Leidens zu äußern. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Patienten einerseits das Recht hätten, dass ihre medizinische Behandlung auch gegen ärztlichen Rat auf Wunsch jederzeit abgebrochen werden könne, ihnen andererseits aber eine ärztliche Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung vorenthalten würde. 57 58 59
Bormann, Assistierter Suizid – Ethische Analyse der Hauptargumente (insbesondere zur ärztlichen Suizidbeihilfe), Vortrag beim 10. Deutschen Caritas-Diskurs, 15. September 2015, S. 9. Vgl. Klaschik / Nauck / Radbruch / Sabatowski, Der Internist 7/2000, 606. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Eckpunktepapier, http://www.carolareimann.de/images/2014/2014-10-16_Sterbehilfe_Positionspapier_Hintze_Reimann.pdf.
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Der entgegengesetzte Ansatz mit dem gleichen Argument der Würde lässt sich im Positionspapier Claudia Lücking-Michel, Michael Brand (beide CDU), Michael Frieser (CSU) finden.60 Bereits die Überschrift macht die Stoßrichtung deutlich: „Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens“. Die Unterzeichner dieses Thesenpapiers argumentieren wie folgt: Das Grundgesetz gebiete in Art. 1 Abs. 1 die unbedingte Achtung und den Schutz der Menschenwürde und in Art. 2 Abs. 2 den Schutz des Lebens eines jeden Menschen unabhängig von Alter, Gesundheit und geistigen Fähigkeiten. Eine solche Menschenwürde verlange aber ein menschliches Begleiten der Sterbenden statt eines aktiven Beendens des Lebens. Am Lebensende trage die Rechtsordnung dem Recht auf Selbstbestimmung (siehe oben: „Autonomieargument“) dadurch hinreichend Rechnung, dass niemand gegen seinen Willen eine ärztliche Behandlungsmaßnahme hinnehmen müsse und der Suizid nicht unter Strafe gestellt werde. Erneut aufgeflammt war diese Diskussion im Sommer 2014 – u.a. durch die Veröffentlichung der Schrift „Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids“ von vier Hochschulprofessoren: Gian Domenico Borasio, Professor für Palliativmedizin an der Universität Lausanne, Jochen Taupitz, Medizinrechtler und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates sowie die beiden Medizinethiker Ralf Jox von der LMU München und Urban Wiesing von der Universität Tübingen legten darin einen konkreten Vorschlag vor, wie die Beihilfe zum Suizid geregelt werden könnte. Dem Gesetzentwurf liegt eine pluralistische, nicht ideologische Haltung zugrunde. Staatliche Institutionen dürften in einem liberalen Rechtsstaat nicht das richtige Leben und Sterben vorschreiben, sondern müssten die insofern unterschiedlichen Überzeugungen ihrer Bürger respektieren.61 Im Folgenden weisen die Autoren auch darauf hin, dass Suizid und Suizidbeihilfe ethisch keineswegs einheitlich bewertet würden und es sogar namhafte Theologen wie z.B. Graf und Küng gebe, die der offiziellen Ablehnung durch die Amtskirchen widersprächen.62 In der begleitenden Pressemitteilung erklären die Verfasser ihren Entwurf als einen Versuch, sowohl Freiräume für selbstbestimmtes Sterben schaffen als auch Leben schützen zu 60
61 62
Lücking-Michel / Brand / Frieser, Positionspapier, https://www.epenportal.de/web/ datapool/storage/files100329/Begleiten%20statt%20Beenden%20-%20Schutz%20der% 20W%C3%BCrde%20am%20Ende%20des%20Lebens%20-%20Positionspapier%20 Suizidbeihilfe%20Palliativ-%20und%20Hospizversorgung.pdf. Vgl. Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben, S. 26. Vgl. Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben, S. 63 ff.
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Erster Teil
wollen. Insbesondere solle der Entwurf die Freigabe der Tötung auf Verlangen sowie eine Suizidbeihilfe für gesunde Hochbetagte oder psychisch Kranke verhindern.63 Auf der Grundlage ihrer Vorüberlegungen schlägt das interdisziplinäre Autoren-Team ein Gesetz vor, das die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt. Angehörige und nahestehende Personen sind von der Strafbarkeit ausnahmsweise ausgenommen. Für Ärzte sieht der Vorschlag einen Rechtfertigungsgrund vor. Sie handeln dann nicht rechtswidrig, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten sind: -
Der Patient muss volljährig und einwilligungsfähig sein und seinen Wohnsitz in Deutschland haben und
-
an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden;
-
es liegt ein ernsthaftes Verlangen vor;
-
der Arzt hat sich von dem freiwilligen Entschluss seines Patienten in einem persönlichen Gespräch überzeugt und
-
den Patienten umfassend über Zustand, Möglichkeiten und Aussichten aufgeklärt;
-
ein weiterer Arzt wurde hinzugezogen;
-
zwischen Gespräch und Beihilfe zum Suizid sind mindestens zehn Tage vergangen.64
In der liberalen medizinrechtlichen Literatur wurde der Vorschlag interessiert aufgenommen. Gelobt wurden vor allem die sachliche, nicht ideologische Argumentation auf einer empirischen Basis und die überzeugende Auseinandersetzung mit grundlegenden rechtsethischen Überlegungen.
III. Mitleid und Bewertung von Lebensqualität Anstatt sich auf die Vernunft – und insbesondere auf vorgeschriebene Regelungen – zu verlassen, kann auch an das Gefühl appelliert werden. Dies hat den „Vorteil“, dass hierdurch Diskussionen über den objektiven Sinn und Zweck von Maßnahmen im Keim erstickt werden. Das Mitleidsargument lässt die Tötung eines Schwerstkranken wie einen Gnadenakt erscheinen. Vertreter dieser These sind der Ansicht, dass Mitleid dazu geradezu verpflichte, stellvertretend zu handeln, wenn ein Mensch sterben wolle, selbst aber nicht mehr in der Lage sei, seinen Entschluss in die Tat umzusetzen. 63 64
Vgl. Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 1. Vgl. Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 3.
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Bekanntester Vertreter der sog. Mitleidsethik ist Arthur Schopenhauer: Im Gegensatz zu Kant geht es ihm nicht darum Regeln aufzustellen, nach denen sich der Mensch verhalten sollte. Er versucht lediglich zu begründen, warum sich Menschen tatsächlich so verhalten. Seinem Wesen nach sei der Mensch egoistisch. Er sei wie alle Lebewesen getrieben von einem unbändigen Willen, sein Leben zu erhalten und mehr noch: es frei von Leid mit größtem Genuss zu leben.65 Letzte Erfüllung seines Willens könne der Mensch allerdings nicht finden, weil jede Befriedigung nur ein Übergang zu neuem Begehren sei. Das Leben besteht für den Pessimisten Schopenhauer daher unweigerlich aus Schmerz und Leiden.66 Bliebe es nur bei diesem blinden Egoismus, würde das zum Krieg jeder gegen jeden führen. Schopenhauer erkennt an, dass „Handlungen von moralischem Werth“ real existieren, die den menschlichen Egoismus gerade verneinen. Daher müsse es dafür neben dem Egoismus eine weitere Triebfeder geben: Bosheit, die das Wehe und Mitleid, das Wohl des anderen will.67 Dieses Mitleid beschreibt er als alltägliches Phänomen, bei dem man unmittelbar am Leiden des anderen teilnehme und das frei sei von jedem Eigennutz.68 Es entspringe der „intuitive(n) Erkenntnis der metaphysischen Identität aller Wesen“, der Einsicht, dass alle übrigen Wesen dasselbe Leid des Lebens erfahren wie man selbst. Dabei beruft er sich auch auf die brahmanische Formel „Tat twam asi“, übersetzt: „Dies bist Du“69.Diese Erkenntnis sei in jedem Menschen vorhanden, der Überlebenswille widersetze sich ihr nur.70 Da Egoismus moralisch neutral und Bosheit verwerflich sei, könne nur Mitleid die Triebfeder moralischen Handelns sein. Ja, es ist seiner Meinung nach sogar der sicherste Garant sittlichen Wohlverhaltens. Denn wer von Mitleid erfüllt sei, dessen Handlungen trügen das „Gepräge der Gerechtigkeit und Menschenliebe“71. Zusammenfassend stellt er dennoch eine Maxime auf: „Neminem laede, immo omnes, quantum potes, iuva [Verletze niemandem, vielmehr hilf allen, soviel du kannst].“72
65 66 67 68 69 70 71 72
Schopenhauer, Über die Grundlage der Moral, S. 94 f. Vgl. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 182 f. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 265. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 333. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 952. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 952. Schopenhauer, Über die Grundlage der Moral, S. 135. Vgl. Schopenhauer, Über die Grundlage der Moral, S. 135.
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Erster Teil
Genau hier findet sich auch schon das Dilemma der Mitleidsethik in der Sterbehilfediskussion: Die „Neminem laede“-Maxime spiegelt sich im Hippokratischen Eid. Dort heißt es: „Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht. Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben […].“73
Oder im modernisierten Genfer Gelöbnis der Ärzte: „Ich werde den höchsten Respekt vor dem menschlichen Leben wahren.“74
Im Fall einer Bitte um ärztliche Assistenz bei einer Selbsttötung aber steht der zweite Teil der Schopenhauer’schen Maxime dem entgegen: „Hilf allen, soweit du kannst“ bedeutet in diesem Fall, die Hilfe aus Mitleid über das Gelöbnis zu stellen. Abseits Schopenhauer’scher Mitleidsethik ist dieses Argument in Zusammenhang mit Sterbehilfe in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Verantwortlich dafür sind unter anderem Fälle von Patiententötungen, die in die mediale Diskussion über Sterbehilfe eingebracht wurden. In diesen Fällen gaben die Täter an, aus Barmherzigkeit gehandelt zu haben.75 Was hier in möglicherweise strafmindernder Absicht vorgebracht wird, klingt aus moralischer Sicht zunächst begrüßenswert. Insbesondere im Lichte der Schopenhauerʼschen Mitleidsethik erscheint ihr Handeln zunächst uneigennützig. Allerdings handelt es sich in aller Regel um Patienten, die nicht um Sterbehilfe gebeten hatten. Das Leid der Patienten wurde allein aus der Sicht des Täters bewertet. Weiter ist hier zu bemerken, dass es sich um ein sehr intrinsisches Motiv handelt. Erst nach langwierigen Begutachtungen lässt sich feststellen, ob die Täter tatsächlich aus Mitleid handelten oder ob gerade doch egoistische Triebfedern wie Selbstmitleid im Vordergrund standen. 73 74 75
Hippokratischer Eid, gefunden unter https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/40 merkblaetter/20recht/10gesetze/hippoeid.pdf [in der Fassung vom 7.5.2018]. Genfer Gelöbnis in deutscher Sprache, gefunden unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/International/Deklaration_von_ Genf_DE_2017.pdf [in der Fassung vom 19.7.2018]. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang unter anderem auf den Fall des „Todespfleger von Sonthofen“, vgl. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/urteillebenslange-haft-fuer-todespfleger-von-sonthofen-1387095.html; siehe auch den Fall des LG Heilbronn, das eine Krankenschwester wegen Totschlags verurteilte, http:// www.spiegel.de/panorama/justiz/heilbronn-krankenschwester-wegen-totschlags-verurteilt-a-1040735.html; ganz im Gegenteil zum Fall Nils Högel, der Patienten aus narzisstischen Motiven tötete, https://www.spiegel.de/thema/niels_hoegel/.
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In der Medizinethik wird die Mitleidstheorie verworfen. So äußert Bernhard Irrgang in seinem „Grundriss der medizinischen Ethik“: „Es handelt sich (beim Mitleid) aber gar nicht um sittliche Verpflichtungen, sondern um charakterliche Gestimmtheiten der einzelnen Menschen (...). Eine begründete ethische Argumentation wird sich aber auf Charaktere nicht aufbauen lassen, so sympathisch (...) Mitleid auch klingen mag, und wenn es auch in der Nähe des hippokratischen Ethos steht.“76
Selbst Sterbehilfeorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. wollen Sterbehilfe nicht in die Nähe von Mitleidstötungen gerückt sehen: Eine gesetzlich geregelte aktive Sterbehilfe, die auf ausdrückliches, frei verantwortliches und wiederholtes Verlangen des Patienten erfolge, habe mit Mitleidstötungen deshalb ebenso wenig zu tun wie eine passive Sterbehilfe, die auf dem Willen des Patienten beruhe.77 Mit dieser Stellungnahme reagierte der Verein auf das Kemptener Urteil. In diesem Fall entschied der BGH, dass die Einstellung der Sondenernährung einer Wachkoma-Patientin rechtmäßig sei, obwohl deren Sterbeprozess noch nicht irreversibel eingesetzt hatte. Die obersten Richter erklärten hier den Patientenwillen für ausschlaggebend, persönliche Überlegungen von Ärzten, Pflegepersonal und Angehörigen, müssten hier hinter dem Schutz des Lebens zurücktreten.78 Eine gesetzlich geregelte aktive Sterbehilfe, die auf ausdrückliches, frei verantwortliches und wiederholtes Verlangen des Patienten erfolge, habe mit Mitleidstötungen deshalb ebenso wenig zu tun wie eine passive Sterbehilfe, die auf dem Willen des Patienten beruhe.79
IV. Dammbruch-Argumentation Als Dammbruch-Argument bezeichnet man eine rhetorische Technik: Der Gegner einer vorgeschlagenen Praxis A behauptet dabei, diese münde zwangsläufig oder zumindest höchstwahrscheinlich in einen inakzeptablen Zustand B. Um dies zu verhindern, müsse man A verbieten, selbst dann, wenn A für sich genommen akzeptabel sei. Neben dem Bruch des Dammes, der bisher noch die befürchteten negativen Folgen zurückhält, werden für diese Art von Argumenten weitere Metaphern 76 77 78 79
Irrgang, Grundriss der medizinischen Ethik, S. 33. Vgl. Pressemitteilung der DGHS vom 20.11.2006, http://www.dghs.de/presse/aktuellenachrichten/aktuelle-nachrichten/article/mitleidstoetungen-sind-keine-sterbehilfe.html. Vgl. BGHSt 40, 257. Vgl. Pressemitteilung der DGHS vom 20.11.2006, http://www.dghs.de/presse/aktuellenachrichten/aktuelle-nachrichten/article/mitleidstoetungen-sind-keine-sterbehilfe.html.
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verwendet: Zum Beispiel die schiefe Bahn, auf der alles ins Rutschen gerät (engl. auch „Slippery Slope“), der Domino- oder Lawineneffekt, der Geist, der aus der Flasche gelassen oder die Tür, die einen Spalt geöffnet wird.80 Das Dammbruch-Argument beschäftigt sich nicht vorrangig mit dem eigentlich diskutierten Vorschlag, sondern viel mehr mit dessen Funktion als Türöffner für ein weitergehendes Ergebnis. Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieses Endergebnis eintritt, und je breiter der Konsens darüber ist, dass dieses Endergebnis inakzeptabel ist, desto stärker wirkt das Dammbruch-Argument.81 Das heißt, neben der Wahrscheinlichkeit ist für die Wirksamkeit des Dammbruch-Arguments ein weiterer Aspekt ausschlaggebend: die Fallhöhe zwischen der vorgeschlagenen Praxis und dem weitergehenden Ergebnis. Dieses muss moralisch besonders verwerflich erscheinen, so dass es alle anderen Konsequenzen überwiegt. Insgesamt lassen sich zwei Gruppen von Dammbruch-Argumenten unterscheiden: logische und empirische Dammbruch-Argumente. Diese Unterscheidung, die von Bernard Williams und J. Rachels eingeführt wurde,82 hat sich in der Sterbehilfediskussion bis heute bewährt.
1. Logische Dammbruch-Argumente Logische Dammbruch-Argumente verweisen darauf, dass die Zulassung von A denknotwendig auch zur Zulassung von B führt, da beide Fälle letztlich gleichbehandelt werden müssen, weil sonst ein inkonsequentes System entstünde. Eine Unterscheidung von A und B, die jetzt noch für essentiell notwendig erachtet werde, werde sich schließlich auflösen („Wer A sagt, muss früher oder später auch B sagen“).83 Alternativ wird behauptet, A und B ließen sich lediglich graduell differenzieren. Die Grenze sei willkürlich gesetzt und verschiebe sich zwangsläufig mit der Zeit immer weiter in die Richtung der unerwünschten Konsequenz. Insbesondere unklare oder vieldeutige Begriffe wie „Lebensqualität“, „Schweres 80 81
82 83
Z.B. so dargestellt in Zimmermann-Acklin, Euthanasie, S. 346 ff. Riehl, Das Dammbruch- oder Slippery-Slope-Argument in der Debatte zur Sterbehilfe, http://www.humanistische-union.de/typo3/ext/naw_securedl/secure.php?u=0&file=uploads/media/v210_15_Rhiel.pdf&t=1581422414&hash=637f748cd452dcc41b8103aafa 3c3166 [Fassung vom 30.12.2019]. Vgl. Williams, Making Sense of Humanity, S. 213 ff; Rachels, The End of Life, S. 170 ff. Riehl, Das Dammbruch- oder Slippery-Slope-Argument in der Debatte zur Sterbehilfe, http://www.humanistische-union.de/typo3/ext/naw_securedl/ secure.php?u=0&file=uploads/media/v210_15_Rhiel.pdf&t=1581422414&hash=637f748cd452dcc41b8103aafa 3c3166 [Fassung vom 30.12.2019]; Van der Burg, Ethics 102(1)/1991, 42 (44).
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Leid“ oder auch „Todeszeitpunkt“ laden dazu ein. Dennoch hält Rachels dieser Argumentationslinie in der Sterbehilfediskussion für irrelevant und belegt dies mit einem Beispiel von J. V. Sullivan: „Once a man is permitted on his own authority to kill an innocent person directly, there is no way of stopping the advancement of that wedge. There exist no longer any rational grounds for saying that the wedge can advance so far and no further.“84
Eine einzige Form der Tötung eines Menschen zu legitimieren – in diesem Fall im Rahmen aktiver Sterbehilfe – würde also denknotwendig die vollständige Legitimierung der Tötung anderer Menschen nach sich ziehen, ohne dass dagegen je wieder ein Argument angeführt werden könne, welches das Abrutschen auf dieser „schiefen Ebene“ stoppe. Diese These ist allerdings so offensichtlich übertrieben, dass sie für die Sterbehilfedebatte keine Rolle spielt.85
2. Empirische Dammbruch-Argumente Im Gegensatz zu logischen Dammbruch-Argumenten, die von einer logischen Kausalkette zwischen A und B ausgehen, behaupten empirische DammbruchArgumente eine gewisse empirische Wahrscheinlichkeit der Entwicklung. Sie warnen davor, dass im Falle der Zulassung von A gute Gründe dafür sprechen, dass bald auch B zugelassen werden wird. Das empirische DammbruchArgument will also Risiken einschätzen und dabei diverse psychologische, soziale und sogar politische Faktoren einbeziehen.86 Konkret in Bezug auf Sterbehilfe sehen verschiedene Autoren eine ganze Bandbreite von wahrscheinlichen sozialpsychologischen Folgen. Für den niederländischen Rechtsphilosophen Wibren van der Burg reicht sie von einer Änderung der Haltung von Ärzten, die Sterbehilfe praktizieren bis hin zu einer allgemeinen Verschiebung der gesellschaftlichen Wertung von Tötungen allgemein.87 Die Zulassung aktiver Sterbehilfe breche ganz allgemein das absolute Tabu der Fremdtötung.88 Sobald der letzte Akt in die Hände eines Dritten falle, spielten auch fremde Einschätzungen und Interessen mehr und mehr eine Rolle. In der Folge werde der Unterschied zwischen der Erforschung des Patientenwillens und der Berücksichtigung eigener Wertungen immer weiter ver84 85 86 87 88
Sullivan, in: Kohl, Beneficent Euthanasia, Prometheus Books, Buffalo, S. 12 (24) (Hervorhebung eingefügt); vgl. auch Rachels, The End of Life, S. 172 f. Zimmermann-Acklin, Euthanasie, S. 360. Merkel, in: Fateh-Moghadam / Sellmaier / Vossenkuhl, Grenzen des Paternalismus, Ethik im Diskurs, Band 3, S. 285 (287). Vgl. van der Burg, Ethics 102(1)/1991, 42 (51). Vgl. Kutzer, ZRP 2003, 209 (212).
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Erster Teil
wischt.89 Mediziner wie Thomas Fuchs90 befürchten außerdem, dass die jetzt noch gedachten Beschränkungen auf die Phase des Sterbens langfristig nicht halten wird. Am Ende der Entwicklung stünde die Sterbehilfe in Fällen chronischer Leiden und bei seelischen Erkrankungen in jeder Lebensphase.91 Auch im Hinblick auf das Argument des humanen Sterbens kommt einiges ins Rutschen: Danach könne Sterbehilfe auch demjenigen nicht versagt werden, der die Fähigkeit der Selbstbestimmung verloren habe.92 Diese Art der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung unter Einbeziehung vieler Variablen macht die Argumentation lebensnah. Allerdings gilt: „wer eine bloße Schiefe-Bahn-Behauptung aufstellt, hat damit noch kein SchiefeBahn-Argument vorgelegt.“93
Denn bei aller lebensnahen Fantasie ist jeweils zu prüfen, wie rational und plausibel die Risikoeinschätzungen wirklich sind.94 Das heißt jedoch nicht, dass den Gegnern die gesamte Last der Beweisführung aufgebürdet werden kann. Kausale Zusammenhänge zukünftiger Ereignisse lückenlos nachzuweisen wird schwerfallen. Daher muss derjenige, der eine Lockerung von Regeln fordert, Befürchtungen auch dann schon ernst nehmen, bevor sie endgültig bewiesen sind.95
V. Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens 1. Theologische Argumentation „Du sollst nicht töten“96 lautet das 5. Gebot, das laut dem Alten Testament Gott seinem Volk gegeben hat. Der Grund des Tötungsverbotes wird an anderer Stelle in der Bibel deutlich: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.“97
89 90 91 92 93 94 95 96 97
Vgl. Kämpfer, Die Selbstbestimmung Sterbewilliger, S. 277 f. Vgl. Spaemann / Fuchs, Töten oder sterben lassen?, S. 90 f. Saliger, JRE 2007, S. 633 (643). Saliger, JRE 2007, S. 633 (643). Hegselmann, in: Hegselmann, Zur Debatte über Euthanasie, S. 197 (208). Vgl. Saliger, JRE 2007, S. 633 (642). Vgl. Schockenhoff, Ethik des Lebens, S. 556. Ex 20,13; Dtn 5,17. Gen 9,6.
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Die Textstelle verweist im zweiten Teil des Satzes auf den Anfang der Schöpfungsgeschichte: Der Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen. Daher ist ein jedes Verbrechen gegen den Menschen ein Verbrechen gegen Gott selbst, der alleine als Schöpfer Herr über das Leben ist. Das Argument, menschliches Leben sei unverfügbar, schimmert auch in der Diskussion um die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe durch.98 Die Unverfügbarkeit des Lebens steht immer im Diskurs mit dem Postulat der Autonomie, der menschlichen Freiheit zur Entscheidung.99 Diese Freiheit wurde auch schon von den Kirchenvätern diskutiert, allen voran von Aurelius Augustinus. In seiner Darstellung „De libero arbitrio“ („Über den freien Willen“) beschäftigt er sich mit der Frage nach der freien Willensbildung des Menschen. Anlass für seine Überlegungen gibt ihm die Frage, ob Gott als Schöpfer der Welt auch verantwortlich ist für das Böse darin. Augustinus vertritt in diesem Text die Auffassung, dass der freie Wille des Menschen die einzige Ursache des Bösen ist. Aus freier Entscheidung des Willens wende sich der Mensch vom Göttlichen ab und dem Vergänglichen zu und trage so nicht nur Sünde und Böses in die Welt, sondern ziehe auch die gerechte Strafe Gottes auf sich.100 Auch wenn Augustinus die Freiheit des Menschen hier zur Theodizee nutzt, also als Rechtfertigung Gottes, so bleibt doch festzuhalten: Augustinus erkennt die Freiheit des Menschen an. Seine Theorie wird als Gegenpol dazu Libertarismus genannt. Zwei Voraussetzungen beschreibt Augustinus für den menschlichen Willen, die auch die Kernpunkte seiner Theorie bilden. Erstens grenzt er die bewusste und damit beeinflussbare Entscheidung ab vom unbewussten und triebhaften Handeln, das gerade nicht von einem freien Willen getragen sein kann. Damit erkennt er zumindest in seinem frühen Hauptwerk an, dass dem Menschen Handlungsalternativen zur Verfügung stehen, nicht alles von Gott vorherbestimmt (determiniert) ist. Zweitens verlangt Augustinus, dass der Wille als eigener identifizierbar sein müsse. Damit formuliert er auch eine Verantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln. Beide Punkte schimmern in den aktuellen Diskussionen um Patientenverfügung und Sterbehilfe immer wieder durch, wenn mindestens eine freie und verantwortlich getroffene Entscheidung vorausgesetzt wird. 98 99
Vgl. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe et al., Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 7. Siehe oben 3. Kapitel A) I. Autonomie.
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Die Allmacht Gottes, auf der die These der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens beruht, will Augustinus mit seiner Theorie jedoch keineswegs in Frage stellen. Das Dilemma zwischen dem frei entscheidenden Menschen und einem unfehlbaren Gott löst er klug auf, indem er zwischen Vorherwissen (praescientia) und Vorherbestimmen (praedeterminatio) unterscheidet: Gott, so meint Augustinus, wisse zwar unfehlbar um alle Ereignisse im Voraus, er bestimme sie jedoch nicht. Unser freier Wille bleibe unser freier Wille, auch wenn Gott ihn vorhersehe.101 Erst nach seiner Diskussion mit Pelagius revidiert Augustinus seine Position und verneint um das Jahr 397 n.Chr. die Fähigkeit jedes Menschen, aus eigenem freien Willen die Entscheidung für das Gute zu treffen. Unter Aufgabe seiner Lehre vom freien Willen verfolgt er dann die Lehre von der Gnade, womit er das theologische Denken maßgeblich beeinflusst. Dem Menschen stehe keine Wahlfreiheit mehr gegenüber Gott zu, sondern diese Hinwendung könne allein auf göttlicher Gnade beruhen. Im Willen des Menschen sei die Kraft zu sehen, die den Menschen dazu befähige, Gutes zu tun. Jedoch lebe er unter der Bedingung des Sündenfalls, weswegen er nicht zum guten Willen befähigt sei. Diese Befähigung erlange er erst mit der Taufe.102 Bezeichnet u.a. als der „Augustinus des Nordens“103, fand der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard im 19. Jahrhundert ebenfalls im Alten Testament Inspiration für seine Gedanken zur Freiheit des menschlichen Willens. Dort wird das Bild eines Gottes gezeichnet, dass in ein freies Bundesverhältnis zu seinem Volk tritt. Er will von ihm freiwillig geliebt werden. Dieses Ja zu Gott wird aber erst möglich, wenn die Menschen frei sind in ihren Entscheidungen und eben nicht bestimmt von Gott. Kierkegaard notiert dazu: „Das Höchste, das überhaupt für ein Wesen getan werden kann (...) ist, es frei zu machen. Eben dazu gehört Allmacht, um das tun zu können.“104
Göttliche Allmacht ist danach eher eine Macht zur Ohnmacht, nämlich es von der Entscheidung eines freien Wesens abhängig zu machen, zurückgeliebt zu werden. Im 20. Jahrhundert beschäftigt sich der Münsteraner Dogmatiker Thomas Pröpper mit der Freiheit des menschlichen Willens. Er definiert sie als formal unbedingte Fähigkeit, sich zu jedem ihr Begegnenden zu verhalten, sich ihm 100 Augustinus, De libero arbitrio – Über den freien Willen, I, XVI. 35. I 17. 101 Vgl. Augustinus, De libero arbitrio – Über den freien Willen, III. III. 7. 29. 102 https://basiswissen-christentum.de/index.php?id=334&style=default [Fassung vom 8.8.2020]. 103 Nigg, Sören Kierkegaard, S. 12. 104 Kierkegaard, Tagebücher, S. 216.
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zu öffnen und sich so selbst zu bestimmen.105 Pröpper stellt sich sogar das Verhältnis von Gott und Mensch als ein Freiheitsverhältnis vor. Aufgrund der formalen Unbedingtheit seiner Freiheit sei der Mensch sogar gegenüber seinem letzten Ziel frei: Gott. Hingegen hat sich der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer intensiv mit Fragen der Euthanasie vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens – auch im Zusammenhang mit den Vorgängen im Dritten Reich – beschäftigt. Er bezieht sich, neben den beiden oben genannten Quellen, dabei auch noch auf ein weiteres Zitat aus der Bibel: „Halte dich fern von einer Sache, bei der Lüge im Spiel ist. Den Unschuldigen und den, der im Recht ist, sollst du nicht töten; denn ich lasse den Schuldigen nicht Recht haben.“106
Bonhoeffer hatte das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten107 in den von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel miterlebt und geholfen, Patienten davor zu schützen. Er findet in diesem Zitat die Bestätigung für seine eigene ablehnende Haltung gegenüber der Sterbehilfe. Grundlage von Bonhoeffers Überlegungen ist seine Auffassung von natürlichem Leben, das dem Menschen eine gewisse Freiheit einräume. Er grenzt es ab vom rein geschöpflichen, also von Gott abhängigen Leben.108 Wie diese Freiheit seiner Ansicht nach nicht gebraucht werden soll, beschreibt er in zwei Extrempositionen, die er beide als Irrwege bezeichnet. Auf der einen Seite stehe der Vitalismus, der das Leben als absolut und Selbstzweck betrachte. Das Leben sei dann eine Bewegung ohne Ende, ohne Ziel und ruhe nicht, bevor es nicht „alles in diese vernichtende Bewegung mit hineingerissen hat“.109 Auf der anderen Seite der Extreme sieht Bonhoeffer die Mechanisierung des Lebens als Mittel zum Zweck. In diesem Fall zähle allein der Nutzwert des Lebens. In diesen zwei Extremen spiegeln sich Extrem-Positionen, wie sie aus der Euthanasie-Debatte zu Zeiten Bonhoeffers bekannt sind: Auf der einen Seite die Erhaltung des Lebens um jeden Preis – auf der anderen Seite der Ökonomieaspekt eines früheren Todes. Bonhoeffer befasst sich insbesondere mit der 105 Die erste systematische Ausformulierung findet sich in Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, S. 171 ff. 106 Ex 23,7. 107 Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, S. 76 ff. 108 Bonhoeffer, Ethik, S. 164 ff. 109 Bonhoeffer, Ethik, S. 171.
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Frage, worin die Rechte des natürlichen Lebens wurzeln und wie sie zu begründen sind. Die „Suum cuique“-Formel110 aus dem klassischen römischen Recht ist ein Grundsatz für Verteilungsgerechtigkeit. Für Bonhoeffer drückt er aus, wie das Natürliche und die Rechte, die daraus entstehen, zugleich vielfältig aber auch einheitlich seien. Zwar sei das, was dem Einzelnen zustehe, unterschiedlich, aber eben auch objektiv begründet und damit allgemein gültig und nicht willkürlich. Bonhoeffer räumt Rechten, die aus dem Natürlichen entstünden, eine Priorität ein gegenüber solchen, die von einer Instanz gesetzt würden. Dieses natürliche Recht sei mit dem Menschen geboren und schon vor dem menschlichen Willen da. Deshalb dürfe es durch kein „von außen her kommendes Recht aufgehoben oder zerstört“111 werden. Eines dieser natürlichen Rechte ist die Bewahrung des Leibes vor Schädigung. Denn der Leib habe eine höhere Würde, weil Gott ihn als Existenzform des Menschen gewollt habe. Menschsein und Leiblichkeit seien daher untrennbar eins.112 Damit wendet sich Bonhoeffer gegen das oben zitierte Extrem, den Körper nur als Mittel zum Zweck zu begreifen, dessen Bedeutung wegfällt, sobald der Zweck erreicht ist. Vor dem Hintergrund des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten unterscheidet er zwischen Patienten, die nicht mehr in der Lage sind einzuwilligen oder den früheren Tod ablehnen und solchen, die selbst um den Tod bitten. Für die erste Gruppe zieht er als Beispiel einen geistig behinderten Menschen heran und erklärt, dass niemand beurteilen könne und dürfe, wie sehr dieser trotz seines Leides an seinem Leben hänge. Es spreche sogar vieles dafür, dass er sein Leben besonders bejahe.113 Mitleid, Rücksicht oder Fürsorge für den Kranken schließt Bonhoeffer damit als Argumente für die Sterbehilfe aus. Differenziert sieht er die Fälle, in denen unheilbar Kranke bei vollem Bewusstsein in die Beendigung ihres Lebens einwilligen oder selbst darum bitten. Wesentliches Kriterium für Bonhoeffer ist der Beginn des Sterbeprozesses: „So lange das Leben des Kranken noch seine eigenen Forderungen“114 stelle, sei der Arzt dem Leben an sich mehr verpflichtet als dem Willen des Patienten. 110 Deutsch: „Jedem das Seine“. Im Nationalsozialismus war diese Formel pervertiert: Sie stand als Inschrift am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. Bonhoeffer war dort von Februar bis März 1945 inhaftiert, bevor er am 8. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg zum Tode verurteilt und am Tage danach erhängt wurde. 111 Bonhoeffer, Ethik, S. 175. 112 Bonhoeffer, Ethik, S. 180. 113 Bonhoeffer, Ethik, S. 186. 114 Bonhoeffer, Ethik, S. 186.
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Wenn aber der Sterbeprozess begonnen habe, solle er nicht mehr alles tun, um es künstlich zu verlängern. Auch zur Selbsttötung bezieht Bonhoeffer Stellung: Zwar räumt er dem Menschen das Recht zum Tode ein. Allerdings nur, wenn die Vernichtung des Lebens nicht Selbstzweck ist, sondern Opfer für ein erstrebtes Gut.115 Wer aber sein Leben als verfehlt wahrnehme und sich daraufhin selbst töte, rechne nicht mehr mit dem lebendigen Gott, der das alleinige Verfügungsrecht über seine Schöpfung habe. Stattdessen nutze er die Selbsttötung als „letzte und äußerste Selbstrechtfertigung“116, obwohl nur Gott wisse, zu welchem Ziel sein Leben führen solle; auch wenn ihm das Leben zur Qual werde, könne er sich ganz in die Hand Gotte geben.
2. Conclusio Die Überzeugung, über sein Leben nicht verfügen zu dürfen, wurzelt also in der christlich-theologischen Vorstellung, dass der Mensch von Gott nach seinem Vorbild geschaffen ist. Zwar räumen Theologen von Augustinus bis Pröpper dem Menschen die Möglichkeit ein, sich frei zu entscheiden. Das schließt auch die Möglichkeit ein, über den eigenen Tod zu entscheiden. Die Erlaubnis, diese theoretische Möglichkeit auch auszuschöpfen, geben Theologen bis ins 21. Jahrhundert jedoch nicht. Im Ergebnis ist ihre Argumentation jedoch inkonsequent. Doch vor allem der katholische Fundamentaltheologe Magnus Striet, Schüler von Thomas Pröpper, geht den letzten, konsequenten Schritt. Er betrachtet auch die Selbsttötung als eine von Gott eingeräumte Möglichkeit und stellt fest, dass niemand das Recht habe, ihm den Grund für diese Entscheidung abzusprechen. Ein Leben, das nur als Qual empfunden werde, dürfe als Belastung empfunden und zurückgegeben werden, ohne dass damit angezweifelt werde, dass es auch glückliche Momente gehabt habe.117 Überzeugend ist das Argument der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens jedoch auch aus einem weiteren Grund nicht. Eine christlich-theologische Sichtweise zur Grundlage eines Gesetzes zu machen bedeutet, sie für alle Bürger dieses Staates gleichermaßen gültig zu erklären – gleich, ob sie selbst christlichen Glaubens sind oder nicht. Nichts spricht dagegen, dass der Einzelne sich nach einem christlichen Verfügungsverbot für sein eigenes Leben richtet. Als Argument für ein allgemeingültiges Verbot darf es jedoch nicht dienen. 115 Bonhoeffer, Ethik, S. 192. 116 Bonhoeffer, Ethik, S. 193. 117 Striet, Gottes Schweigen, S. 105.
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VI. Fürsorgeprinzip In der Regel richtet sich das Argument der Fürsorgepflicht für Kranke und Sterbende gegen die Freigabe der Suizidassistenz: Wenn für sterbende oder schwerstkranke Menschen besser gesorgt würde, wären die Ursachen eines Todeswunsches beseitigt und der Patient könne einem würdigen Sterbeprozess seinen Lauf lassen. Eine autonome Sterbeentscheidung sei gar nicht mehr nötig. In diesen Fällen geht es in der Regel darum, eine mangelhafte Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden als Ursache für Leid am Lebensende zu identifizieren und dieses letztlich als Grund für den Todeswunsch darzustellen. Das Argument der Fürsorgepflicht ist also eine Seite der Medaille, auf dessen anderer Seite Leid und Mitleid am Lebensende stehen, die von liberalen Befürwortern der Sterbehilfe oft ins Feld geführt werden: In der Bundestagsdebatte zum Thema Sterbebegleitung im November 2014 fordert der Abgeordnete Peter Hintze z.B., dass der Schutz des Lebens nicht zum Zwang eines „Qualtodes“ werden dürfe.118 Der Philosoph und Befürworter der Sterbehilfe, Dieter Birnbacher, weist darauf hin, dass Leiden am Lebensende sinnlos sei.119 Angesichts dieser Leidenssituation begreifen Befürworter die Suizidassistenz als eine mögliche Form der ärztlichen Fürsorge.120 Wie oben bereits erwähnt, befeuerte 2014 ein interdisziplinäres Autoren-Team um den Schweizer Mediziner Gian Domenico Borasio die Diskussion mit einem Gesetzesvorschlag unter dem Titel „Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben“. Sie entwarfen eine Sonderregelung für den ärztlich assistierten Suizid.121 Als Zielsetzung für ihren Entwurf gaben die Autoren die sachverständige Fürsorge durch Ärzte an: durch kompetente ärztliche Beratung könnten nicht freiverantwortliche Selbsttötungen verhindert werden.122 Die Gegner123 betrachten dagegen allein die Pflege und Versorgung im Sinne einer palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgung von Schwerkranken 118 Vgl. Hintze, Redebeitrag im Deutschen Bundestag am 13. November 2014, Plenarprotokoll 6121A. 119 Vgl. Birnbacher, Verantwortung für Leben und Sterben, https://www.dghs.de/file-admin/content/02_service/08_publikationen/00_pdfs/NR_3_verantwortung_fuer_leben_ und_sterben.pdf [Fassung vom 5.2.2020]. 120 Z.B. Gehring, Redebeitrag in der Debatte des Deutschen Bundestages am 6. November 2015, Plenarprotokoll 18/134. 121 Näheres dazu im nächsten Abschnitt B) Gesetzgebungsverfahren 2015. 122 Vgl. Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 3. 123 Z.B. Griese / Rachel, Redebeitrag in der Debatte des Deutschen Bundestages am 6. November 2015, Plenarprotokoll 18/134, S. 13072.
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und Sterbenden als fürsorglich. Diese sei nämlich nicht so mangelhaft, wie sie in der Diskussion oft dargestellt werde: Die pharmakologischen und nichtpharmakologischen Möglichkeiten der Symptomkontrolle seien inzwischen so ausgereift, dass sich vor dem Qualtod heute niemand mehr fürchten müsse. Nur bei zehn Prozent der Todesfälle sei überhaupt spezialisiertes palliativmedizinisches Wissen notwendig, bei lediglich ein bis zwei Prozent der Sterbenden seien die Probleme so gravierend, dass sie nur auf einer spezialisierten Palliativstation behandelt werden könnten.124 Die Anzahl derer, die palliativmedizinisch besser betreut werden müssten und deren Leid gemessen an medizinischen Maßstäben so groß ist, dass es allein durch einen Suizid beendet werden könnte, ist also verschwindend gering. Gegner der Sterbehilfe wie der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann nutzen diese Tatsache, um festzustellen, dass das Leid der Sterbenden genau nicht unabänderlich und die ärztliche Suizidassistenz damit nicht der einzige und alternativlose Ausweg sei.125 Es gebe zwei Kategorien von Sterbewünschen: Aktuelle, gesteigerte Sterbewünsche würden von Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium geäußert. Bormann beruft sich in einem Vortrag zum assistierten Suizid beim 10. CaritasDiskurs auf zwei Studien aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends, die aktuelle Todeswünsche nicht nur auf körperliche Symptome zurückführen. Ursachen seien meist Depressionen, Hoffnungslosigkeit und die Angst davor, anderen zur Last zu fallen. Deshalb sei in diesen Fällen neben einer Behandlung nach allen Regeln der ärztlichen Kunst eine psychiatrische Krisenintervention nötig. 126 In den wenigen Fällen, in denen die Palliativmedizin tatsächlich an ihre Grenzen stoße und keinen Zustand herzustellen vermag, der für den Patienten erträglich sei, sei die terminale Sedierung eine Alternative. Weil sie rückgängig gemacht werden könne, sei sie ethisch und medizinisch zu bevorzugen.
124 Borasio, Über das Sterben, S. 25; dazu auch Radbruch u.a. in: Bormann / Borasio, Sterben, S. 159. 125 Vgl. Bormann, Assistierter Suizid – Ethische Analyse der Hauptargumente (insbesondere zur ärztlichen Suizidbeihilfe), Vortrag beim 10. Deutschen Caritas-Diskurs, 15. September 2015. 126 Bormann, Assistierter Suizid – Ethische Analyse der Hauptargumente (insbesondere zur ärztlichen Suizidbeihilfe), Vortrag beim 10. Deutschen Caritas-Diskurs, 15. September 2015 unter weiteren Verweisen auf Breitbart / Rosenfeld, Depression, Hopelessness, and Desire for Hastened Death in Terminally Ill Patients with Cancer, JAMA 2000, 2907, sowie Nissim / Gaglies / Rodin, The Desire for Hastened Death in Individuals with Advanced Cancer: A Longitudinal Qualitative Study, Social Science & Medicine 2009, 165.
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In die zweite Kategorie gehören für Bormann Patienten, die noch am Beginn einer Krankheit stehen, die Kontrolle über die Situation bewahren möchten und deshalb einen hypothetischen Todeswunsch äußerten. Weil dieser unabhängig sei von tatsächlichen Krankheitssymptomen, sei der Arzt für diese Art des Todeswunsches der falsche Ansprechpartner. Das Leid, das von diesen Patienten empfunden werde, sei medizinisch nicht objektivierbar und könne daher nicht Grundlage einer Indikation sein, die zur Suizidassistenz berechtige.127 Diese Unterscheidung erscheint kritikwürdig. „Leid“ hat immer eine subjektive Komponente, die geprägt ist durch Erfahrungen und Lebensschicksale des Einzelnen. Solches an objektiven, medizinischen Kriterien festmachen zu wollen, dürfte zu keinem anwendbaren Ergebnis führen. Das Bedürfnis, objektive Kriterien für das Für und Wider einer Suizidbeihilfe zu finden, ist vollkommen nachvollziehbar; allerdings werden derartige Maßstäbe nur schwer zu gewinnen sein und in den meisten Fällen an der Lebenswirklichkeit scheitern. Den Arzt erst zum Ansprechpartner machen zu wollen, wenn der Patient im Sterben liegt, schadet dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Zum Wohle des Patienten muss sich dieser zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit seinen Sorgen und Nöten – mit seinem sprichwörtlichen Leid – an den Arzt wenden dürfen; zum Wohle des Arztes müssen diesem alle Chancen gegeben werden, den Patienten bestmöglich zu unterstützen und auf seinem Weg zu begleiten.
B) Gesetzgebungsverfahren 2015 Der Bundestag stimmte am 6. November 2015 über vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe ab. Vorausgegangen war eine lebhafte Debatte, in deren Zentrum die Frage der Beihilfe zur Selbsttötung stand. Wie oben128 bereits ausgeführt, war diese Diskussion im Sommer 2014 u.a. durch die Veröffentlichung der Schrift Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids erneut aufgekommen. Diesbezüglich wurde vertreten, dass ein generelles Verbot ärztlicher Suizidbeihilfe wie es z.B. die Musterberufsordnungen (MBO-Ä) postulierten, verfassungswidrig sei, weil es in die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG)
127 Bormann, Assistierter Suizid – Ethische Analyse der Hauptargumente (insbesondere zur ärztlichen Suizidbeihilfe), Vortrag beim 10. Deutschen Caritas-Diskurs, 15. September 2015. 128 Siehe die Ausführungen im 3. Kapitel A) II. 2. c).
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eingreife, ohne formell durch Gesetz legitimiert zu sein und zusätzlich materiellrechtlich das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) verletze.129 Kritik erntet die tatsächliche Ausgestaltung des Gesetzentwurfes, in der sich die vorgetragenen liberalen Werte der Autoren nicht widerspiegelten.130 Nicht konsequent seien die Autoren bei der Formulierung der Voraussetzung für die ärztliche Sterbehilfe: Wenn zusätzlich zum ausdrücklich erklärten und nachvollziehbaren Patientenwunsch eine aus der Sicht des Arztes unheilbare, zum Tode führende Erkrankung verlangt werde, werde damit die Konzeption eines abstrakten Lebensschutzes, der unabhängig vom Patienteninteresse sei, in die Regelung miteinbezogen. In dieser Stelle scheine eine gerade nicht weltanschaulich neutrale, sondern im Gegenteil christliche Einstellung zur „Heiligkeit des Lebens“ durch.131 Der vormalige Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, stand diesem Gesetzesvorschlag kritisch gegenüber: „Wer Ärzte an qualitätsgesicherten, klinisch sauberen Suiziden beteiligen will, verwischt die Grenzen zur Tötung auf Verlangen und zur Euthanasie.“132
Im Bundestag führte der Gesetzesvorschlag zu einer lebhaften Diskussion mit differenten Einstellungen zu den darin gemachten Vorschlägen. Am Schluss der Debatte standen vier Gesetzentwürfe, die im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages von Abgeordneten und Experten diskutiert wurden, bevor sie im November 2015 zur Abstimmung kamen. Interessant zu sehen ist auch, dass es bereits im Vorfeld entscheidende Kontroversen zum Thema gab. Selbst die Diskussionen im Bundestag waren eher von persönlichen Meinungen und Ansichten geprägt, juristische Erwägungen und methodisches Vorgehen trat dahinter teilweise – und angesichts des Themas wohl auch verständlicherweise – an manchen Stellen zurück. Es gab mehrfache Proteste im Vorfeld und eine im Herbst 2014 gestartete proSterbehilfe-Kampagne „Letzte Hilfe“133 konnten den Erlass des § 217 StGB n.F. nicht stoppen. Eine demoskopische Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach, veröffentlicht im Dezember 2015, hatte bereits gezeigt, dass 76 Prozent der Bevölkerung es ablehnen, dass ihr Leben mit allen medizi129 130 131 132
Neumann, medstra 2015, 16 (17). Neumann, medstra 2015, 16 (17). Neumann, medstra 2015, 16 (18). Montgomery, Ärzte nicht am Suizid beteiligen, https://www.focus.de/magazin/archiv/ montgomery-aerzte-nicht-an-suizid-beteiligen_id_4049518.html [Fassung vom 30.12.2019]. 133 Siehe http://letzte-hilfe.de (in der Fassung vom 25.7.2019).
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nischen Mitteln verlängert wird, wenn sie einmal schwer pflegebedürftig sein sollten. Unter den über 60-Jährigen lehnten es sogar 85 Prozent ab, dass ihr Leben im Falle einer schweren Krankheit mit allen medizinischen Mitteln verlängert wird. 63 Prozent der Bevölkerung – quer durch alle Bevölkerungsschichten – waren im Falle von schweren, nicht heilbaren Erkrankungen sogar für aktive Sterbehilfe, für die passive Sterbehilfe sogar 78 Prozent.134
I. Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung Der konservativste Gesetzentwurf, der dem Bundestag am 4. November 2015 vorlag, stammt von einer Gruppe Abgeordneter um die Mitglieder der CDU/CSUFraktion Prof. Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer und Hubert Hüppe. Ihr Ziel ist es, jede Teilnahme am Suizid unter Strafe zu stellen. Ihrer Ansicht nach entwickle sich die Debatte aber viel mehr dahin, die Beihilfe zur Selbsttötung zu organisieren. Insbesondere Angehörigen und Ärzten werde eine straffreie Teilnahme ermöglicht. Mit ihrem Vorschlag treten die Unterstützer dieser Entwicklung entschieden entgegen. Deshalb fordern sie folgenden neuen Paragraphen in das StGB aufzunehmen: „§ 217 Teilnahme an einer Selbsttötung (1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“
In ihrer Begründung berufen sich die Autoren zunächst auf das Argument der Unverfügbarkeit des Lebens. Hinter dem Begriff der Beihilfe zur Selbsttötung verberge sich ein wachsendes Unwerturteil hinsichtlich bestimmter Formen menschlichen Lebens. Es dürfe aber nicht zugelassen werden, dass das Leben eines Kranken, Schwachen, Alten oder Behinderten als lebensunwert angesehen werde – von ihm selbst oder von Dritten.135 Auch bemühen sie das Argument der menschlichen Würde, die hier in Gestalt des grundgesetzlich garantierten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit daherkommt. Dieses werde durch die Beihilfe zum Suizid verletzt. Eine zukünftige Entfaltung der Persönlichkeit werde nämlich durch den Suizid defini-
134 Institut für Demoskopie Allensbach, Roland-Rechtsreport 2016, S. 34 ff. 135 Vgl. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe et al., Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 6.
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tiv unmöglich gemacht. Wer hieran mitwirke, verletze damit das genannte Grundrecht.136 Zusätzlich setzen die Unterzeichner dieses radikalen Entwurfs das Dammbruch-Argument ein. Die Mitwirkung am Suizid eines Dritten für Teilnehmer risikolos zu machen, bedrohe das Leben aller schwachen Menschen.137 Gegen das vielfach pro Sterbehilfe genutzte Autonomieargument wenden sie ein, dass die Rechtsordnung den Suizid grundsätzlich nicht als Entfaltung des Selbstbestimmungsrechts begreife. Das zeige sich im Verbot der Tötung auf Verlangen. Das verbiete es explizit, sich dem Willen eines Sterbewilligen unterzuordnen.138 Befürworter sehen den Entwurf als sinnvolle Ergänzung zum § 216 StGB. Der konservative Staatsrechtler Christian Hillgruber, der schon zum Thema „Der Schutz des Menschen vor sich selbst“ promovierte, betrachtet das Ziel, Menschen vor dem Suizid schützen zu wollen, als legitim. Ein Recht auf Suizid stellt er in Frage. Insbesondere sei es nicht aus dem Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abzuleiten. Dieses sei kein Freiheitsrecht, sondern lediglich ein Statusrecht, das den positiven Bestand des Lebens vor staatlichem Einfluss schütze.139 Nur aus der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG könne sich ein Recht auf Selbsttötung ergeben – vorausgesetzt, der Sterbewillige sei überhaupt noch zur Selbstbestimmung fähig und seine Einsichtsund Steuerungsfähigkeit in Folge einer Krankheit nicht beeinträchtigt. Der konservative Medizinethiker Stephan Sahm wendet sich aus medizinethischen und medizinpraktischen Gründen sowie mit Blick auf die Suizidforschung gegen die Suizid-assistenz: Er führt an, dass empirische Daten aus Ländern, in denen die Beihilfe zum Suizid legale und gesellschaftlich akzeptierte Praxis sei, eine Gefährdung von suizidsensiblen Personen und Patienten zeige.140 136 Vgl. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe et al., Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 8. 137 Vgl. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe et al., Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 8. 138 Vgl. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe et al., Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 7. 139 Hillgruber, Schriftliche Stellungnahme zu dem a) Gesetzentwurf, https://www.bundestag.de/resource/blob/387804/452c910aa854cf719f009a22ae13e6c2/hillgruber-data.pdf, S. 4 [Fassung vom 4.8.2020] mit Verweis auf die Ausführungen seiner Dissertation: Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst. 140 Sahm, Gesetzliche Regelungen im Blick auf Assistenz beim Suizid – Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, https://www. bundestag.de/resource/blob/387622/16a9263378599ac84d97c6ad6be40497/sahm-data.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 15.
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Sahm belegt dies in seiner Darstellung nicht weiter; es gibt aber z.B. eine Studie aus dem Jahre 2015,141 in welcher Sterbehilfefälle an psychisch kranken Menschen untersucht wurden. Diese Gruppe wird zumindest eine große Schnittmenge mit der von Sahm als „suizidsensible Personen“ bezeichneten Gruppe aufweisen. Analysiert wurden insgesamt 66 Sterbehilfe-Fälle aus den Niederlanden. Dort dürfen Ärzte auch einer Sterbehilfe aus psychiatrischen Gründen zustimmen und diese dann auch unterstützen. Der Großteil der untersuchten Patienten litt unter einem multimorbiden psychischen Krankheitsbild, mindestens ein Drittel wurde mit Antidepressiva behandelt. Die Studie widerlegt den Schluss von Sahm keinesfalls; und man wird eingestehen müssen, dass eine Legalisierung der Sterbehilfe „suizidsensiblen Personen“ eine weitere Möglichkeit eröffnet. Allerdings ist zu bedenken, dass solche Patienten ohne diese Option häufig stattdessen einen Brutalsuizid als letzten Ausweg nutzen, ohne vorher über ihr Vorhaben zu sprechen und sich beraten zu lassen. Die Studie von Kim et al. belegt deutlich, dass in den meisten Fällen Zweit- oder gar Drittgutachten durch die behandelnden Ärzte eingeholt wurden; die Kriterien in den Niederlanden verlangen unter anderem eine Einschätzung von mindestens zwei Ärzten. Korrekt und konsequent angewendet, scheinen sie ein adäquates Mittel zu sein, die von Sahm benannte Gefahr einzudämmen.142 Human-liberale Medizinethiker gehen dagegen selbstverständlich von einem Recht auf eine freiverantwortliche Selbsttötung aus, das aus dem Selbstbestimmungsrecht jedes Patienten erwachse. Ein Totalverbot von Suizidhilfe, so wie es im Entwurf von Sensburg et al. formuliert ist, beeinträchtige dieses Recht in unzulässiger Weise. Denn wer Menschen ernsthaft ein Recht zum Suizid zugestehe, müsse auch berücksichtigen, dass gerade für schwer beeinträchtigte, todkranke Menschen, dieser oft alleine nicht mehr zu verwirklichen sei.143 Konsequenz dieses Entwurfes sei es, dass Patienten zum Weiterleben gegen ihren Willen gezwungen seien.144 Ganz grundsätzlich gegen die Dammbruch-Argumentation der Autoren des Entwurfs spricht auch die lange Tradition der derzeitigen Rechtslage, die den assistierten Suizid seit 1871 straffrei lässt. Empirisch lässt sich ein schwinden-
141 Kim / de Vries / Peteet, JAMA Psychiatry 2016, 362. 142 Siehe dazu auch das 6. Kapitel B) III. 143 Schöne-Seifert, Stellungnahme zur ethischen Beurteilung ärztlicher/organisierter Suizidhilfe und der vier zu deren Regelung vorliegenden Gesetzentwürfe, S. 6. 144 Vgl. Schöne-Seifert, Stellungnahme zur ethischen Beurteilung ärztlicher/organisierter Suizidhilfe und der vier zu deren Regelung vorliegenden Gesetzentwürfe, S. 1.
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der Respekt vor dem Leben seit dieser Zeit allerdings nicht belegen.145 Der Gesetzgeber dürfe zwar kollektive Risiken unterbinden – erfinden dürfe er sie jedoch nicht, so der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel in seiner Stellungnahme vor dem vorbereitenden Bundestagsausschuss.146 Auch die Gutachterin Ruth Rissing-van Saan hält die generelle Pönalisierung der Suizidbeihilfe für zu weitgehend und unverhältnismäßig. Die ehemalige Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof führt dafür in ihrer Stellungnahme zunächst dogmatische Gründe an: Die Straffreiheit der Selbsttötung folge schon aus dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das auch das Recht auf freie Entscheidung über sein Leben umfasse. Eine Lebenspflicht des Einzelnen sei mit den Grundsätzen der Verfassung nicht zu vereinbaren. Die Straffreiheit der Teilnahme an einer freiverantwortlich begangenen Selbsttötung folge schon aus den strafrechtlichen Akzessorietätsregeln.147 Zwar betrachtet sie die vorgeschlagene Regelung nicht als verfassungswidrig. Den begründeten Bedenken gegenüber einer Erlaubnis von ärztlicher Suizidbeihilfe könne der Gesetzgeber allerdings mit weniger einschneidenden Mitteln begegnen.148 Der radikale Gesetzentwurf führt außerdem zu Wertungswidersprüchen zur nach ganz h.M. straflosen indirekten Sterbehilfe. Das wird am Vergleich von zwei Fallkonstellationen deutlich, wie sie Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf in seiner Stellungnahme dem vorbereitenden Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz präsentiert: In einem Fall stellt ein Arzt einem sterbenskranken Patienten ein Schmerzmittel zur Verfügung, das in hoher Dosierung das Leben verkürzt. Das wissen Patient und Arzt. Dennoch nimmt der Patient das Medikament selbständig in 145 Mit weiteren Nachweisen vgl. Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https://www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e 2dd93933c1/merkel-data.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3. 146 Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https:// www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/merkeldata.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3. 147 Rissing-van Saan, Stellungnahme zur geltenden, insbesondere strafrechtlichen Rechtslage bei Entscheidungen am Lebensende des Menschen und den Gesetzesentwürfen, https://www.bundestag.de/resource/blob/387620/d86b50a3fe9d9b834127889ce5da3677/ rissing_van-saan-data.pdf, S. 7 f. 148 Rissing-van Saan, Stellungnahme zur geltenden, insbesondere strafrechtlichen Rechtslage bei Entscheidungen am Lebensende des Menschen und den Gesetzesentwürfen, https://www.bundestag.de/resource/blob/387620/d86b50a3fe9d9b834127889ce5da3677/ rissing_van-saan-data.pdf, S. 9.
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hohen Dosen ein und stirbt. In einem anderen Fall verabreicht der Arzt das lebensverkürzende Schmerzmittel über eine Infusion. Nach der aktuellen Rechtsauffassung sei der Arzt im zweiten Fall straflos, nach dem Sensburg et al.-Entwurf im ersten allerdings strafbar. Noch weniger zu vermitteln sei ein zweiter Wertungswiderspruch: Absatz 2 des Entwurfes stelle auch die versuchte Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe, die versuchte Beihilfe zum Mord bleibe allerdings weiter straflos.149
II. Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Mit der Bundestagsdrucksache 18/5373 brachte eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten um Michael Brand (CDU/CSU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Dr. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) ihren Gesetzentwurf zu Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ein. Darin forderten sie, einen neuen § 217 in das Strafgesetzbuch aufzunehmen: „§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“
Der Gesetzentwurf stellt das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit in den Fokus: „Damit wird gerade keine Erwerbs- oder Gewinnerzielungsabsicht vorausgesetzt, sondern es genügt, dass der Täter „die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung macht“. Damit wird auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung aus 2012 verwiesen, der noch auf die Gewerbsmäßigkeit der Tathandlung abzielte.150 Das ging den Unterzeichnern des hier diskutierten Entwurfs allerdings nicht weit genug. Nicht nur die Kommerzialisierung könne zu Interessenkollisionen führen.
149 Hilgendorf, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 23. September 2015, https://www.bundestag.de/resource/blob/ 387792/03e4f59272142231bb6fdb24abe54437/hilgendorf-data.pdf, [Fassung von 23.12.2019], S. 14. 150 Vgl. BT-Drs. 17/1112.
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„Beschränkt man das Verbot auf die gewerbsmäßig Handelnden, entfällt damit die Möglichkeit, selbst gegen die regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung der Selbsttötung vorzugehen.“151
In ihrer Begründung stellen die Abgeordneten klar, dass der Entwurf nicht die Suizidbeihilfe generell kriminalisieren will, „die in schwierigen Konfliktsituationen oder aus rein altruistischen Gründen gewährt wird“152. Sorge bereite aber die Entwicklung, dass nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen den assistierten Suizid propagierten und ihre Unterstützung dabei anböten. Als Nachweis zitieren sie verschiedene Presseberichte.153 Der Gesetzesinitiative voraus gegangen war allerdings ein Positionspapier, das die federführenden Autoren des Entwurfs bereits im Sommer 2015 in die Debatte eingebracht hatten. Unter der Überschrift Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens wandten sich die Autoren gegen alle „organisierten Formen der Förderung der Selbsttötung oder der Beihilfe zum Suizid“154. Darin wurden auch die Beihilfe durch Ärzte sowie entsprechende strafrechtliche Sonderregelungen explizit abgelehnt. Dabei kam es den Autoren in erster Linie darauf an, ob es sich um ein regelmäßiges Angebot an Suizidwillige handelt. Auf diese Weise, so betonten die Autoren, seien Angehörige und Ärzte, die einmalig handelten, von der Strafbarkeit weiter ausgenommen.155 Die Autoren des Papiers, Claudia Lücking-Michel (CDU), Michael Brand (CDU) und Michael Frieser (CSU), haben alle einen christlich-konservativen Hintergrund: Die Theologin Lücking-Michel ist seit 2005 Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Brand ist Mitglied im Förderverein des Hospiz-Fördervereins Fulda. Der dritte Abgeordnete ist der Nürnberger Jurist Michael Frieser. Auch er ist ebenfalls katholisch und war zum Zeitpunkt
151 BT-Drs. 18/5373, S. 11. 152 Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 14. 153 Siehe Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 9, mit Hinweisen auf „Hart aber fair“: „Therapie Tod – dürfen Ärzte beim Sterben helfen?“, Sendung vom 6.10.2014; Report Mainz: „Arzt gibt Suizidhilfe in bis zu 200 Fällen zu“, Sendung vom 6.6.2011. 154 Vgl. Lücking-Michel / Brand / Frieser, Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens, http://www.luecking-michel.de/positionspapier-begleiten-statt-beendenschutz-der-wuerde-am-ende-des-lebens-in-berlin-vorgestellt/ [Fassung vom 30.12.2019], S. 1. 155 Lücking-Michel / Brand / Frieser, Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens, http://www.luecking-michel.de/positionspapier-begleiten-statt-beendenschutz-der-wuerde-am-ende-des-lebens-in-berlin-vorgestellt/ [Fassung vom 30.12.2019], S. 3.
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der Debatte stellvertretendes Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. In ihrem Positionspapier stellten die Autoren vor allem auf das Dammbruchargument ab: Man dürfe keine Türen öffnen, durch die ein Sterbender freiwillig gehen, aber auch gedrängt werden könne.156 Die Möglichkeit der ärztlich organisierten Beihilfe fördere aber die Entscheidung zum Suizid. Insbesondere das Dammbruchargument aber ist ein stumpfes Schwert im Kampf gegen organisierte Sterbehilfe. Selbst wenn man diesem Argument insgesamt Beachtung schenken mag, würde das Risiko bei jeder Art von Sterbehilfe bestehen, nicht nur bei organisierter.157 Befürworter des Gesetzentwurfes halten gerade das strafbarkeitsbegründende Merkmal der Geschäftsmäßigkeit für tauglich, um einen tragfähigen Ausgleich zu finden zwischen straffreier Suizidbeihilfe aufgrund einer individuellen Gewissenentscheidung und legitimen Interessen des Lebensschutzes vor übereilten, nicht freiverantwortlichen Entschlüssen. Dem stellt sich der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel mit einer kategorischen Aussage entgegen: Da der Suizid als solcher kein Unrecht darstelle, eine akzessorische Strafbarkeit der Beihilfe ausgeschlossen sei, könne sich der Strafgrund der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe nur aus einem eigenen Unrechtgehalt der Tat ergeben. Da aber schon die individuelle Suizidbeihilfe keine Verletzung des Lebensrechts darstelle, weil der Sterbewillige keine Pflicht zum Leben habe, könne auch die Tat nicht allein dadurch zur Lebensverletzung werden, dass sie organisiert oder wiederholt erfolge.158 Verkürzt könnte man das auf die Formel bringen: Null Unrecht plus Null Unrecht ergibt Null Unrecht. Liberale Strafrechtler kritisieren an dem Entwurf weiterhin, dass der Täterkreis nicht eingeschränkt sei und damit gerade auch Ärzte, Pflegepersonal und Angehöriger Täter sein könnten, also gerade nicht nur die in der öffentlichen Kommunikation hervorgehobenen Sterbehilfevereine im Fokus ständen. Zudem sei der Tatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt gestaltet, weil er nicht den Sui156 Lücking-Michel / Brand / Frieser, Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens, http://www.luecking-michel.de/positionspapier-begleiten-stattbeenden-schutz-der-wuerde-am-ende-des-lebens-in-berlin-vorgestellt/ [Fassung vom 30.12.2019], S. 1. 157 Schöne-Seifert, Stellungnahme zur ethischen Beurteilung ärztlicher/organisierter Suizidhilfe und der vier zu deren Regelung vorliegenden Gesetzentwürfe, S. 9. 158 Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https:// www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/merkeldata.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3.
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zid als Taterfolg voraussetze, sondern stattdessen bereits das Gewähren, Vermitteln oder Verschaffen der Gelegenheit zur Selbsttötung unter Strafe stelle.159 Die betroffene Ärzteschaft betrachtete den Entwurf ebenso kritisch: Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) sieht durch den Gesetzentwurf auch die passive und indirekte Sterbehilfe in Gefahr: „Mit der Realisierung dieses Gesetzentwurfs wird eine ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung in der Praxis ausgeschlossen werden. Sie gerät in einen von der Kriminalisierung bedrohten Dunstkreis. Im schlimmsten Fall geraten auch die passive Sterbehilfe und die indirekte Sterbehilfe in diesen Kreis, wenn entsprechende Festlegungen des Patienten in Konfliktsituationen als Wunsch nach Selbsttötung ausgelegt werden. Der Vorstand der DGHO lehnt daher den Gesetzentwurf ab.“160
Auch aus medizinethischer Sicht wird der Entwurf ähnlich kritisch beurteilt wie der von Sensburg et al. Insbesondere im Hinblick auf ärztliche Suizidassistenz sei nicht klar, wie die laut der Begründung erlaubten Ausnahmefälle im Wiederholungsfall von der strafbegründenden Wiederholungsabsicht abgegrenzt werden sollten. Das verstärke in der Ärzteschaft die ohnehin schon bestehende subjektive Rechtsunsicherheit. Rissing-van Saan sieht in ihrer Stellungnahme für den vorbereitenden Ausschuss für Verbraucherschutz und Recht „das individuelle, auf Heilung, Leidenslinderung, sowie medizinische Hilfe und Rat angelegte Arzt-Patientenverhältnis“ grundsätzlich nicht von der Geschäftsmäßigkeit erfasst. Solange Ärzte ihre Patienten entsprechend ihrem Heilauftrag und ärztlichen Gewissen behandelten, komme ein strafbares Verhalten nicht in Betracht, selbst wenn im Einzelfall eine Gewissensentscheidung dazu führe, einem schwerleidenden Patienten zu helfen, sein Leiden zu beenden.161 Damit folgt die Gutachterin den Ausführungen der Autoren des Gesetzentwurfes, die ebenfalls keine Gefahr für Ärzte sehen. Die Hilfe zum Sterben gehöre nicht zum Selbstverständnis von Medizinern und werde daher grundsätzlich auch nicht gewährt. Dort, wo sie dennoch ausnahmsweise gewährt werde, 159 Hilgendorf, Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wissenschaft, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzgebung-sterbehilfe-tatbestandsmerkmaleanalyse/ [Fassung vom 30.12.2019]. 160 Freund, Stellungnahme des Vorstands der DGHO zu den im Deutschen Bundestag vorgelegten Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe, http://www.bundesgerichtshof.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/18_wp/Selbsttoetung/stellung_dgho.pdf?__blob=publicationFile [Fassung vom 30.12.2019], S. 7. 161 Rissing-van Saan, Stellungnahme zur geltenden, insbesondere strafrechtlichen Rechtslage bei Entscheidungen am Lebensende des Menschen und den Gesetzesentwürfen, https://www.bundestag.de/resource/blob/387620/d86b50a3fe9d9b834127889ce5da3677/ rissing_van-saan-data.pdf, S. 11.
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geschehe dies „typischerweise gerade nicht ʻgeschäftsmäßigʼ, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen“.162 Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages allerdings stellt dies mit Hinweis auf das verfassungsrechtlich geforderte Bestimmtheitsgebot in seinem Gutachten in Frage. Es sei naheliegend, dass insbesondere palliativ- und intensivmedizinisches Personal öfter mit dem Wunsch nach Hilfe zur Selbsttötung in Kontakt komme. Soweit es auf die Wünsche seiner Patienten eingehe, sei die Schwelle schnell erreicht, von der an die Sterbehilfe zum wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit werde. Allein der Umstand, dass es seine Tätigkeit nicht bewusst auf die Wiederholung anlege, lasse den Vorsatz, suizidbegleitende Hilfe zu leisten, nicht entfallen.163 Befürworter des Entwurfs sehen hier nicht das Bestimmtheitsgebot verletzt, sondern die Strafbarkeit in diesen Fällen als wünschenswert an. Wenn es sich nicht um Einzelfälle handele, sondern ein einzelner Arzt mehrfach Entscheidungen in diese Richtung fälle, könne er sich nicht mit dem Hinweis auf eine Gewissenentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 GG entschuldigen. Eine solche setze laut Definition des Bundesverfassungsgerichts eine „ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von ʻGutʼ und ʻBöseʼ orientierte Entscheidung [voraus], die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“164. Das sei in den oben genannten Fällen wiederholter Suizidbeihilfe nicht glaubhaft.165 Es stellt sich jedoch die Frage, ob gerade ein Arzt, der die kompetente Hilfe für Sterbewillige als gut und richtig betrachtet, in ähnlich gelagerten Fällen immer wieder gleich entscheiden muss, wenn er diese Gewissensentscheidung als bindend für sich betrachtet? Zudem ist eine wiederholte Entscheidung für die Suizidassistenz gerade nicht gleich zu setzen mit der unreflektierten Wie162 Brand / Griese / Vogler / Terpe, et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 18. 163 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Ausarbeitung zum Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Brand et al. (BTDrucks 18/5373) – Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot, Akz: WD 3 - 3000 - 188/15, S. 11. 164 BVerfGE 12, 45 (55). 165 Rissing-van Saan, Stellungnahme zur geltenden, insbesondere strafrechtlichen Rechtslage bei Entscheidungen am Lebensende des Menschen und den Gesetzesentwürfen, https://www.bundestag.de/resource/blob/387620/d86b50a3fe9d9b834127889ce5da3677/ rissing_van-saan-data.pdf, S. 11.
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derholung. Laut einer Untersuchung der University of Pennsylvania, Philadelphia, erhalten weniger als 20 Prozent der Ärzte in den US-Staaten, in denen Suizidbeihilfe legal ist, entsprechende Anfragen; nur 5 Prozent dieser Anfragen führen zu einer Suizidbeihilfe.166 Liberale Gutachter führen zusätzlich praktische Erwägungen der Strafverfolgung und ihrer nicht-juristischen Konsequenzen gegen den Entwurf ins Feld: Der Würzburger Strafrechtsprofessor Hilgendorf stellt in seiner Stellungnahme für den vorbereitenden Ausschuss für Verbraucherschutz und Recht dar, dass viele Fallkonstellationen, die in Hospizen und Palliativstationen regelmäßig aufträten, auf der Ebene des Vorsatzes entschieden werden müssten. Diesen Fällen müssten die Staatsanwaltschaften schon bei einem entsprechenden Verdacht nachgehen. Unsicherheiten und Unklarheiten bei der Auslegung des neuen Straftatbestandes gingen damit zu Lasten der Ärzte. Ihre berufliche Zukunft könne allerdings schon ein solches Ermittlungsverfahren vernichten. Ein gerichtlicher Freispruch ergehe eventuell zu spät.167 Den Vorbehalten insbesondere der DGHO und von Hilgendorf ist zuzustimmen und das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit als ungeeignet abzulehnen, was unten im 4. Kapitel A) III. 2. näher ausgeführt wird.
III. Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung Weitaus liberaler war der Entwurf der Abgeordnetengruppe um Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Petra Sitte (Die Linke) und Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Anders als die Entscheidungsvorlage aus den Reihen der Union lehnen sie eine Verschärfung des Strafrechts ab. Stattdessen versuchen sie, mit einem eigenen, insgesamt 11 Paragraphen umfassenden Gesetz der Sterbehilfe Leitplanken zu setzen. Über die ärztliche Suizidbeihilfe heißt es dort: „§ 6 Ärzte als Helfer zur Selbsttötung (1) Wer als Arzt von einem sterbewilligen Menschen um Hilfe zur Selbsttötung gebeten wird, hat nicht die Pflicht, dieser Bitte zu entsprechen. 166 Vgl. Emanuel / Onwuteaka-Philipsen / Urwin / Cohen, Attitudes and Practices of Euthanasia and Physician assisted Suicide in the United States, Canada and Europe, JAMA 2016, 79. 167 Hilgendorf, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 23. September 2015, https://www.bundestag.de/resource/blob/387792/03e4f59272142231bb6fdb24abe54437/hilgendorf-data.pdf, [Fassung von 23.12.2019], S. 5.
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Erster Teil (2) Die Hilfe zur Selbsttötung kann eine ärztliche Aufgabe sein und darf Ärzten nicht untersagt werden. Dem entgegenstehende berufsständische Regelungen sind unwirksam. §7 Beratungspflicht bei organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung (1) Wer als Arzt um Hilfe zur Selbsttötung gebeten wird und eine solche Hilfe nicht ablehnen will, hat die Pflicht, den sterbewilligen Menschen in einem umfassenden und ergebnisoffenen Beratungsgespräch über seinen Zustand aufzuklären, Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Alternativen zur Selbsttötung – insbesondere palliativmedizinische – aufzuzeigen, weitere Beratungsmöglichkeiten zu empfehlen sowie auf mögliche Folgen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches hinzuweisen. Der Arzt hat den Umfang sowie die Ergebnisse der Beratung schriftlich zu dokumentieren.“
In ihrer Begründung stellen die Abgeordneten vor allem auf das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Betroffenen ab. „Der einzelne Mensch ist Souverän seines eigenen Lebens“168, heißt es dort. Die Frage nach dem eigenen Tod müsse jeder für sich selbst beantworten. Damit wiederholen die Abgeordneten eine Aussage, die sie bereits im Sommer zuvor mit einem Positionspapier in die Debatte einbrachten. Unter dem Titel Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht: Gegen eine Strafbarkeit der Beihilfe beim Suizid vertreten sie dort: „Selbstbestimmt zu leben ist selbstverständlich, selbstbestimmt sterben können muss ebenso selbstverständlich sein, das ist ein Gebot der Menschenwürde.“169
In der Begründung ihres Gesetzentwurfs führen die Autoren diesen Gedanken weiter aus. Wer sich zu einer so schweren Entscheidung durchringe, solle nicht von anderen Menschen nach deren religiösen oder moralischen Kriterien bewertet werden. Das Strafrecht sei nicht der Ort, seine eigene Weltanschauung oder Religion zum Maßstab für andere zu machen.170 Stattdessen forderten die Abgeordneten mehr Fürsorge und Beratung für sterbewillige Menschen. Denn mit dem Angebot eines umfassenden Beratungsgesprächs werde eine eigenverantwortliche Entscheidung gefördert.171 168 Künast / Sitte / Gehring, Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheut der Hilfe zur Selbsttötung, BT-Drs. 18/5375, S. 7. 169 Vgl. Künast / Sitte / Gehring, Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht: Gegen eine Strafbarkeit der Beihilfe beim Suizid, http://www.gruene-bundestag.de/fraktion/fraktionaktuell/suizidbeihilfe_ID_4393281.html [Fassung vom 8.9.2015], S. 2. 170 Vgl. Künast / Sitte / Gehring, Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, BT-Drs. 18/5375, S. 7. 171 Vgl. Künast / Sitte / Gehring, Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, BT-Drs. 18/5375, S. 7.
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Sollte sich ein Patient nach einem solchen Gespräch für den Suizid entscheiden, solle ein Arzt auch weiterhin helfen dürfen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Entgegenstehende Regelungen des Standesrechts seien unwirksam.172 Rückendeckung für diese Argumentation gibt die „Stellungnahme Deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe“. Zwar erwähnt das Papier keinen der Gesetzentwürfe und bezieht so auch nicht explizit Stellung. Die sieben Punkte, auf die die 144 unterzeichnenden Strafrechtler die Aufmerksamkeit lenken, finden im Entwurf Künast et al. ihre Entsprechung: Neben der Forderung nach mehr Fürsorge und Begleitung für Sterbewillige und der Ablehnung von gegenläufigem ärztlichen Berufsrecht legen sie noch einmal das Augenmerk auf das verfassungsmäßige Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das auch das eigene Sterben umfasst und in den zivilrechtlichen Regelungen zur Patientenverfügung seinen Ausdruck findet. Anders als die Befürworter des Entwurfs von Brand et al. halten die Strafrechtslehrer und -lehrerinnen jede Neuregelung für verfassungswidrig, weil sie die ärztliche Gewissensfreiheit verletze. Außerdem verweisen sie wie die meisten anderen Kritiker einer Neuregelung auf die Verletzung des strafrechtlichen Akzessorietätsprinzips sowie auf den Widerspruch zwischen der nach h.M. straflosen indirekten Sterbehilfe und der strafbaren Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung.173 Auch der liberale Strafrechtler Reinhard Merkel liefert in seiner Stellungnahme gute Argumente für diesen Entwurf. Die Organisiertheit der Suizidbeihilfe erhöhe nämlich gerade nicht das Risiko, dass bei unfreien Selbsttötungen geholfen werde. Im Gegenteil könnten gerade Ärzte – wie im Entwurf Künast et al. beschrieben – die Voraussetzungen legitimer Suizidhilfe kompetenter beurteilen als Laien, die nach dem Entwurf Brand et al. weiterhin straffrei helfen dürften. Ärzte seien daher nicht nur besser geeignet, eine Gefährdung des Lebensguts „Leben“ auszuschließen – sie seien mit den durch den Entwurf Künast et al. formulierten Durchführungsbestimmungen auch besser kontrollierbar. Die strengen Voraussetzungen garantierten zudem, dass der ärztlich assistierte Suizid weiterhin ein „Notausstieg“ bleibe und gerade nicht gesellschaftsfähig und normal werde.174
172 Vgl. Künast / Sitte / Gehring, Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, BT-Drs. 18/5375, S. 7. 173 Vgl. Hilgendorf / Rosenau, Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe. 174 Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https://
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IV. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) Einen weiteren, liberalen Regelungsvorschlag macht eine Abgeordnetengruppe um Peter Hintze (CDU), Dr. Carola Reimann (SPD), Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) und Burkhard Lischka (SPD). Sie verzichten auf eine strafrechtliche Regelung, da es sich bei der Entscheidung für einen assistierten Suizid um die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts handele. Außerdem seien Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit nicht berührt.175 Stattdessen stellen sie zivilrechtliche Voraussetzungen auf: „§ 1921a BGB Ärztlich begleitete Lebensbeendigung (1) Ein volljähriger und einwilligungsfähiger Patient, dessen unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, kann zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen. (2) Eine Hilfestellung des Arztes nach Absatz 1 darf nur erfolgen, wenn der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz stattgefunden hat, die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und ebenso wie der Patientenwunsch und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten durch einen zweiten Arzt bestätigt wurde. (3) Die Hilfestellung des Arztes ist freiwillig. (4) Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Patient. Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung.“176
In ihrer Begründung zielen die Unterzeichner dieses Entwurfs vor allem auf die Argumente der Autonomie und der Menschenwürde ab. Denn das Grundgesetz gehe ganz generell von einem zu freier Willensbildung und selbstverantwortlichem Handeln und Entscheiden befähigten Menschen aus, der Anspruch auf Achtung seiner Autonomie habe.177 www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/merkeldata.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 4 f. 175 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 10. 176 Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 5. 177 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 9.
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Grundlage des Gesetzentwurfs ist ein Eckpunktepapier der fraktionsübergreifenden Abgeordnetengruppe. Unter dem Titel Sterben in Würde – Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte fordern sie darin erstmals die Assistenz eines Arztes beim Suizid. Gerade in den Fällen von irreversibel zum Tode führenden Erkrankungen sei es das Beste, Entscheidungen im Hinblick auf das Lebensende in die Hände von Patienten und Ärzten zu legen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidungen im Lichte der konkreten medizinischen und psychischen Situation des Patienten gemeinsam zu treffen. Auch könnten nur Ärzte bei suizidgeneigten Patienten Depressionen und andere psychische Erkrankungen entdecken und behandeln, und somit auch nicht wirklich gewollte Suizide vermeiden.178 Erstmals wird hier auch auf den Wertungswiderspruch zwischen Strafrecht und dem ärztlichen Standesrecht hingewiesen. So machen die Autoren deutlich: „Während die Hilfestellung zum Suizid straflos ist, untersagen einige Ärztekammern in Deutschland jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zur Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten.“179
In dem vorgelegten Gesetzentwurf versuchen die Autoren demgegenüber das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und dem besonders schützenswerten Rechtsgut des menschlichen Lebens über strenge Voraussetzungen zu lösen. Der Gesetzentwurf formuliert ein Ärzteprivileg zur Suizidbeihilfe. Denn Mediziner verfügten über das notwendige Fachwissen. Weil sie ihre Patienten in der letzten Lebensphase begleiteten, seien sie darüber hinaus in besonderer Weise geeignet zu beurteilen, welche Schritte medizinisch angezeigt und zu verantworten seien.180 Die ärztliche Beteiligung kann dem Patientenschutz dienen, etwa Beihilfeversuche mit unnützen Mitteln verhindern, die scheitern müssen und Qualen verlängern, statt sie zu verkürzen. Mit der Privilegierung stigmatisieren die Autoren des Entwurfes bewusst Angehörige und Berufsgruppen mit geringeren medizinischen Qualifikationen wie Krankenschwestern, Pfleger oder Sanitäter. 178 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka / Reiche / Wöhrl, Sterben in Würde – Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte, http://www.peter-hintze.de/uploads/media/ 2014-10-16_Sterbehilfe_Positionspapier_end.pdf [Fassung vom 8.10.2015], S. 2. 179 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka / Reiche / Wöhrl, Sterben in Würde – Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte, http://www.peter-hintze.de/uploads/media/ 2014-10-16_Sterbehilfe_Positionspapier_end.pdf [Fassung vom 8.10.2015], S. 1. 180 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 10, 12.
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Erster Teil
Die Abgeordneten beschränken den ärztlich assistierten Suizid nur auf solche Fälle, in denen organische Krankheiten nicht weiter therapiert werden können und tödlich verlaufen. Psychische Erkrankungen wie z.B. Depressionen oder Demenz erfüllen diese Voraussetzungen nicht.181 Wichtigste Voraussetzung ist die selbstbestimmte Entscheidung des Betroffenen. Diese soll mit verschiedenen Maßnahmen sichergestellt werden: Dazu soll der Betroffene zunächst alle wichtigen Informationen bekommen. Um Transparenz zu schaffen und vor übereilten Entscheidungen zu schützen, muss der Arzt seinen Patienten sowohl über Behandlungsalternativen als auch über die Art und Weise der Suizidassistenz aufklären. Der Wunsch nach ärztlicher Hilfestellung muss erkennbar ernsthaft und endgültig sowie ausdrücklich bekundet sein. Ein nur zeitweilig gehegter Wunsch genüge dazu nicht. Außerdem soll sichergestellt sein, dass der Betroffene Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung tatsächlich beurteilen kann. Dazu müsse der Betroffene tatsächlich einwilligungsfähig sein, und zwar nicht nur zum Zeitpunkt der vorgelagerten Beratung, sondern auch während der ärztlichen Suizidassistenz. Der Schutz vor Missbrauch und Fehldiagnosen soll durch ein Vier-Augen-Prinzip sichergestellt werden. Dazu muss ein zweiter Arzt hinzugezogen werden. Dieser soll sowohl die unheilbare Krankheit und deren wahrscheinlich tödlichen Verlauf bestätigen, als auch die Einwilligungsfähigkeit des Patienten und die Ernsthaftigkeit seines Todeswunsches.182 Insbesondere für das Ärzteprivileg, wie es der Entwurf Hintze et al. formuliert, spricht auch das Argument der Suizidprävention. Denn insbesondere Ärzte können kompetent beurteilen, ob einem Patienten anders geholfen werden kann, können ihn entsprechend beraten und von einer vorschnellen Selbsttötung abbringen. Das kann aber immer nur dann funktionieren, wenn der Suizidwillige sich mit seinem Wunsch auch tatsächlich an einen Arzt wendet. Das wird er nur dann tun, wenn der Arzt die Stelle ist, von der er Hilfe bei seinem Vorhaben erwarten kann – und nirgendwo anders.183
181 Vgl. Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 12. 182 Vgl. zu den Voraussetzungen Hintze / Reimann / Lauterbach / Lischka, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz), BT-Drs. 18/5374, S. 12 f. 183 Vgl. dazu auch Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https://www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/ merkel-data.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3.
Drittes Kapitel: Vordebatte zum § 217 StGB
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Die liberale Medizinethikerin Schöne-Seifert unterstützte in ihrer Stellungnahme den Entwurf Hintze et al. neben dem von Künast et al. als überfällige Verbesserung der derzeitigen Rechtslage, weil beide Entwürfe das Recht auf eine „Ultima-ratio-Suizidhilfe“ anerkennen und rechtssicher gestalten. Sie plädierte allerdings für einen gemeinsamen Kompromissentwurf, um die Chancen zu bündeln.184 Dem folgten die Abgeordneten jedoch nicht. Auch die spätere Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach sich vor der Abstimmung in der Debatte im Bundestag am 6. November 2015 für den Entwurf Hintze et al. aus. Insbesondere wendet sie sich gegen den Vorwurf, der Entwurf überschreite die Gesetzgebungskompetenz des Bundes: Im Gegenteil dazu hätten die Ärztekammern ihre Zuständigkeit bei weitem überschritten, als sie die Suizidbeihilfe verboten. Das Standesrecht sei dazu da, die Rechtssituation der Ärzte untereinander zu regeln, nicht aber Themen, mit denen sich der Bundestag so lange befasse.185
V. Abstimmungsergebnis Am 6. November 2015 stimmte der Deutsche Bundestag nach einer emotional geführten Debatte über die vier Gruppenanträge ab. Der Fraktionszwang war dabei aufgehoben. Nach der dritten Lesung entschied sich der Deutsche Bundestag mit 360 von 602 Stimmen für das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe gemäß dem Entwurf von Brand et al. 233 Abgeordnete stimmten dagegen, neun enthielten sich. Im vorausgegangenen Abstimmungsgang hatte der liberale Entwurf der Abgeordnetengruppe um Peter Hintze 128 Stimmen erhalten, der Künast-Sitte-Entwurf konnte 52 Stimmen auf sich vereinen. Nur 37 Abgeordnete stellten sich hinter den konservativen Ansatz der Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger. 70 Abgeordnete lehnten alle vier Vorlagen ab.
184 Vgl. Schöne-Seifert, Stellungnahme zur ethischen Beurteilung ärztlicher/organisierter Suizidhilfe und der vier zu deren Regelung vorliegenden Gesetzentwürfe, S. 3. 185 Barley, Deutscher Bundestag - Protokoll der 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. November 2015, S. 36.
Viertes Kapitel: Der am 10. Dezember 2015 in Kraft getretene, aber am 26. Februar 2020 für nichtig erklärte § 217 StGB A) Wortlaut und Tatbestandsmerkmale Der Bundestag stimmte somit am 6. November 2015 für den „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“1 und beschloss, § 217 ins Strafgesetzbuch einzufügen. Am 10. Dezember 2015 trat der neue Straftatbestand in Kraft. Wie oben schon in der Einleitung erwähnt, hat das BVerfG aber diese Norm mittlerweile, konkret mit Urteil vom 26. Februar 2020, für nichtig erklärt. Im Rahmen dieser Arbeit ist es dennoch sinnvoll, diese vom Gesetzgeber zunächst eingeführte Strafbestimmung ausführlich zu erläutern sowie – insbesondere vor dem Hintergrund des mit ihr verfolgten gesetzgeberischen Zwecks – detailliert zu diskutieren. Diese Diskussion bereitet vor allem den Boden für den im 2. Kapitel des Teils 2 unterbreiteten eigenen Regelungsvorschlag. Die Autoren des Gesetzentwurfs hatten sich zum Ziel gesetzt, sowohl die Tätigkeit von Sterbehilfevereinigungen wie auch von Einzelpersonen zu unterbinden, sobald sie sich „geschäftsmäßig“ mit der Suizidbeihilfe beschäftigten. Sie gaben an verhindern zu wollen, dass Sterbehilfe zu einer „Standardleistung“ werde. Der Tatbestand wurde denkbar kurz gefasst. Dies führte nicht nur zu vielfältigen Auslegungsfragen. Insbesondere die Tatbestandsmerkmale „geschäftsmäßig“ und „nahestehende Personen“ werfen erhebliche Anwendungsprobleme auf. Man möchte zum Beispiel fragen, ob es eine Person geben kann, die einem Schwerstkranken in dieser Situation nähersteht als sein behandelnder Arzt? Der Tatbestand wurde durch die knappe Form auch besonders weit. Allein „Angehörige“ und „nahestehende Personen“ bleiben vor Strafverfolgung verschont. Es stellt sich die Frage, ob dies den Autoren bewusst und von ihnen gewollt war. Zudem bricht dieses Gesetz den strafrechtlichen Grundsatz der Akzessorietät der Beihilfe. Zwar bleibt der Suizidversuch als solcher straflos – der Gehilfe an diesem misslungenen Versuch wird nun jedoch bestraft, obwohl es keine strafbare Haupttat gibt. 1
BT-Drs. 18/5373.
https://doi.org/10.1515/9783110765731-004
Viertes Kapitel: Der für nichtig erklärte § 217 StGB
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I. Strafrechtssystematische Einordnung Der neue Tatbestand wurde in den 16. Abschnitt des Strafgesetzbuches, „Delikte gegen das Leben“ eingefügt. An gleicher Stelle stand bis 1998 die Kindstötung, eine Privilegierung der Tötung eines unehelichen Kindes während oder kurz nach der Geburt. § 217 StGB lautet in seiner neuen Fassung: (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
Der Gesetzgeber hat § 217 StGB n.F. als unechtes Unternehmensdelikt konzipiert.2 Bei unechten Unternehmensdelikten sind die Tathandlungen so formuliert, dass nicht der Taterfolg – in diesem Fall der Suizid – kriminalisiert wird. Allein, dass der Täter durch seine Handlung dieses Ziel verfolgt, wird unter Strafe gestellt. Das kommt einer Gleichstellung von Versuch und Vollendung gleich und hat insbesondere Auswirkungen auf die Möglichkeit des Rücktritts.3 Eine gesonderte Strafbarkeit des Versuchs hält auch der Gesetzgeber laut Begründung nicht für notwendig.4 Der Gesetzgeber gibt an, mit dem Straftatbestand nicht nur das Rechtsgut Leben schützen zu wollen. Auch die Entscheidungsfreiheit des Patienten soll bewahrt werden.5 Ob es tatsächlich zum Suizid kommt, ist zum Zeitpunkt der tatbestandlichen Förderungshandlung noch völlig unklar und von sehr viel mehr als Zufall abhängig. Im Gegenteil: Es bedarf immer noch einer selbständigen Entscheidung und Handlung des Patienten. Die Gefahren, die hier pönalisiert werden, sind also abstrakt und quasi nur Motiv des Gesetzgebers.6 § 217 StGB ist insofern als abstraktes Gefährdungsdelikt zu klassifizieren.7
II. Fehlende Akzessorietät Die Dogmatik des Deutschen Strafrechts bestimmt, dass ein Teilnehmer nur dann strafbar ist, wenn es eine strafbare Haupttat gibt. Dieser Grundsatz der 2 3 4 5 6 7
BT-Drs. 18/5373, S. 19. Schönke / Schröder-Eser / Sternberg-Lieben, StGB, § 217 Rn 49. BT-Drs. 18/5373, S. 19. Siehe BT-Drs. 18/5373, S. 2. Zur Abgrenzung von konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten: Esser / Krey, Deutsches Strafrecht AT, § 8 Rn 222 ff. Ebenso: Duttge, NJW 2016, 120.
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Erster Teil
Akzessorietät erklärt sich aus dem Strafgrund der Teilnahme, der allerdings umstritten8 ist. Nach heute herrschender sog. Verursachungstheorie liegt der Strafgrund der Teilnahme darin, dass der Teilnehmer durch seine Handlung für ein Unrecht ursächlich geworden ist. Es ist ihm sozusagen zurechenbar. Nur so lässt sich erklären, dass jemand strafbar sein kann, obwohl er selbst die Tatbestandmerkmale einer Straftat nicht verwirklicht.9 Aufgrund der Aufgabe des strafrechtlichen Güterschutzes auf der einen und der gesetzgeberischen Entscheidung für eine in Bezug auf das realisierte Unrecht prinzipiell strenge Akzessorietät auf der anderen Seite müssen auch die Regelungen der Teilnahme dazu dienen, Rechtsgüter zu schützen. Angesprochen hiervon sind exakt diejenigen Rechtsgüter, die von der Haupttat beeinträchtigt werden. Die Strafbarkeit der Teilnahmehandlung setzt voraus, dass der Schutz des angegriffenen Rechtsguts auch gegenüber dem Teilnehmer besteht.10 Zudem hat die Akzessorietät rechtsstaatliche Bedeutung. Sie ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes,11 das in § 1 StGB einfachgesetzlich festgelegt ist. Nur wenn nämlich klar ersichtlich ist, an welcher Tat der Teilnehmer einen Beitrag geleistet hat, sind die Tathandlungen des Unterstützens oder Bestimmens hinreichend definiert.12 Allerdings ist die Akzessorietät limitiert: Es genügt eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat – ob die Strafbarkeit des Täters auf der Ebene der Schuld scheitert, ist für die Strafbarkeit der Teilnahmehandlung nicht ausschlaggebend. Liegt der Strafgrund einer Teilnahmehandlung ansonsten in der Zurechnung eines fremden Unrechts – gibt es im Falle der Suizidassistenz gar kein Unrecht, für das der Teilnehmer Verantwortung tragen könnte. Bereits in der Antike war der Suizid überwiegend nicht strafwürdig – ja in Teilen wurde er sogar als freiheitliches Recht des Menschen angesehen. Erst in der christlichen Religion und darauffolgend im Kirchenrecht wurde der Suizid als Unrecht mit Kirchenbußen geahndet.13 Auch das deutsche Strafrecht kennt keine Strafbarkeit des Suizids; verfassungsrechtlich lässt sich diese Straflosigkeit zweifellos aus dem Recht auf Leben als negative Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), oder auch aus 8 9 10 11 12 13
Siehe die Ausführungen zu den verschiedenen Ansätzen von MüKo-Joecks / Scheinfeld, StGB, Vorbemerkung zu § 26 Rn 3 ff. Zur Verursachungstheorie z.B. Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn 132. Vgl. Heintschel-Heinegg-Kudlich, StGB, § 26 Rn 3.1 f. Dazu näher unter 4. Kapitel C) Verfassungsrechtliche Dimension. Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn 134. Vgl. historischer Rückblick bei Dreier, JZ 2007, 317 (317 f.).
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dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG) ableiten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Fall Pretty auf Art. 8 Abs. 1 EMRK verwiesen.14 Strafrechtsdogmatisch betrachtet scheitert die Strafbarkeit der Suizidassistenz an der mangelnden Akzessorietät der Teilnahmehandlung. Ihre Pönalisierung durch § 217 StGB schafft eine Ausnahme, die der grundlegenden Strafrechtsdogmatik entgegenläuft und schon deshalb von vielen Juristen abgelehnt wird. Einen entsprechenden Entschluss fasste bereits der 66. Deutsche Juristentag im Jahr 2006.15 Nun ist es nicht so, dass das Strafgesetzbuch keine Ausnahmen des Akzessorietätsprinzips16 kennen würde: Selbständig unter Strafe gestellte Beihilfehandlungen sind zum Beispiel §§ 259 Abs. 1 StGB (Hehlerei – Absatzhilfe), 120 Abs. 1 StGB (Gefangenenbefreiung) oder § 219b Abs. 1 StGB (Inverkehrbringen zum Schwangerschaftsabbruch geeigneter Geräte). Das Beispiel Hehlerei ist jedoch mit der Suizidassistenz nicht vergleichbar: Hier besteht ein durch den Diebstahl zuvor bereits geschaffene Unrechtstatbestand, welcher durch die Hehlerei weiterhin aufrechterhalten wird. Somit mag man von einer „überspringenden“ Akzessorietät sprechen – sicher aber nicht von einer wirklichen Durchbrechung. Sehen wir uns das Verleiten oder Fördern des Entweichens eines Gefangenen an, so greift dieses in das Verwahrungsrecht des Staates ein, und die rechtswidrige Haupttat liegt in der Flucht des Gefangenen. Auch hier liegt wiederum keine echte Durchbrechung der Akzessorietät vor – hier ändern sich lediglich die zeitlichen Abläufe, und das denknotwendigerweise, weil sich nicht fördern lässt, was bereits abschließend stattgefunden hat. Auch dieser Fall ist mit § 217 StGB nicht vergleichbar. Betrachtet man § 219b Abs. 1 StGB, so mag eine Ähnlichkeit zunächst gegeben sein, wenn auch nur in entgegengesetzter Richtung – am Lebensanfang statt am Lebensende. Allerdings bezieht sich auch hier § 219b StGB auf eine grundsätzlich rechtswidrige Haupttat, § 218 StGB, den Schwangerschaftsabbruch. In allen anderen normierten Ausnahmefällen wird also der zugrunde liegende Strafgrund der Teilnahme umgesetzt: Ein Unrecht ist geschehen und der Täter 14 15 16
Siehe unten unter 4. Kapitel C) Verfassungsrechtliche Dimension. Beschlüsse Strafrecht, IV. Suizid, 4. Straflosigkeit der Teilnahme, Antrag Prof. Dr. Rosenau – angenommen. Z.B. siehe zur Abgrenzung von Absatzhilfe i.S.d. § 259 Abs. 1 StGB und Beihilfehandlung MüKo-Maier, StGB, § 259 Rn 124.
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Erster Teil
hat es durch seine Handlung soweit unterstützt, dass er dafür Verantwortung übernehmen soll. Anders im Fall der Suizidassistenz: Hier gibt es kein Unrecht, das dem Beihilfe Leistenden zugerechnet werden könnte. Anders wäre es nur dann, wenn man davon ausginge, dass der Suizid von unserer (Rechts)ordnung durchaus geächtet werde und dies auch bleiben müsse: In Großbritannien war dies jedenfalls noch bis 1961 der Fall. Der Strafgrund dort: die Krone verliere durch den Suizid einen Untertanen.17 Der katholische Philosoph Robert Spaemann vertritt die Ansicht, dass die Selbsttötung moralisch zu ächten sei. Der Mensch entziehe sich durch die Selbsttötung nur der Rechtsgemeinschaft, daher bliebe sie straffrei. Es sei für das Gemeinwohl wichtig, den Suizid weiter moralisch zu ächten, da es sich anderenfalls nicht vermeiden lasse, dass aus der sozial akzeptierten Möglichkeit eine Pflicht werde, um anderen nicht zur Last zu fallen.18 Nach Spaemann hat somit lediglich eine moralische Ächtung, aber keine strafrechtliche Sanktionierung der Selbsttötung zu erfolgen. Spaemann greift für sein Dammbruch-Argument auf die stoische Philosophie zurück, die denselben Schluss gezogen habe.19 Auch hier darf ihm widersprochen werden: Die stoische Ethik fordert, dass der Mensch nach Klugheit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Tapferkeit strebe. Dummheit, Zügellosigkeit, Ungerechtigkeit und Feigheit soll er überwinden, um sein Leben in vollkommener Harmonie mit der Weltvernunft zu führen. So findet er zu vollendeter Glückseligkeit. Alles andere betrachtet die stoische Philosophie als neutral. Zu diesen neutralen Dingen gehört für sie auch das Leben selbst und der Tod.20 Für den Stoiker wird die Selbsttötung dann zur Pflicht, wenn äußere Umstände ihn daran hindern, ein Leben nach seinen Maßstäben zu führen. Solche Umstände können unter anderem Krankheit, Verstümmelung oder Schmerzen sein. Darüber hinaus akzeptieren die Stoiker die Selbsttötung nur in wenigen Ausnahmefällen. Wie Spaemann also zu Recht feststellt, besteht für Stoiker unter Umständen eine Pflicht zum Suizid. Diese erwächst aber gerade nicht aus dem Gedanken, anderen nicht zur Last zu fallen. Sie ist im Gegenteil nur die konsequente 17 18 19 20
Holt, When suicide was illegal, https://www.bbc.com/news/magazine-14374296 [Fassung vom 30.12.2019]. Vgl. Spaemann, Euthanasie, https://www.zeit.de/2015/07/sterbehilfe-selbstmordpflicht-robert-spaemann [Fassung vom 30.12.2019]. Vgl. Spaemann, Euthanasie, https://www.zeit.de/2015/07/sterbehilfe-selbstmordpflicht-robert-spaemann [Fassung vom 30.12.2019]. Wieland, Geschichte der Philosophie, S. 291.
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Folge einer selbst gewählten Lebensgrundeinstellung: Der Tod ist für sie die einzige verbleibende vernünftige Handlungsoption, wenn es aus eigener Sicht nicht mehr möglich ist, ein Leben nach den Grundsätzen der stoischen Ethik zu leben. Der Rückgriff auf die stoische Philosophie vermag also Spaemanns Dammbruch-Argument ebenso wenig zu stützen, wie es die Empirie vermag.21 Betrachtet man also weiterhin die Selbsttötung als straffrei, müsste die Teilnahme ein eigenständiges Unrecht darstellen. Der Gesetzgeber gibt an, Leben und Entscheidungsfreiheit schützen zu wollen. Das strafwürdige Unrecht bestünde also darin, dass durch die Tathandlung eine mindestens abstrakte Gefahr für eben diese Rechtsgüter geschaffen würde. Eine Selbsttötung liegt aber nur dann vor, wenn das Opfer das Geschehen selbst bestimmt. Ist es nicht mehr zurechnungsfähig, wird eine mittelbare Tötung angenommen. Die Gefahr, vor der der Staat hier schützen will, setzt das Opfer ganz allein; eine paternalistische Ansicht, die mit dem heutigen Verständnis von Verhältnis zwischen Staat und Bürger kaum mehr vereinbar ist.22
III. Objektiver Tatbestand Der Tatbestand bezieht sich zunächst auf die geschäftsmäßige Tathandlung, um einem anderen beim Suizid zu assistieren, was also mithin ein Zwei-PersonenVerhältnis voraussetzt: zwischen dem Suizidenten und seinem Helfer.
1. Selbsttötung Im Zentrum des § 217 StGB steht der Begriff der Selbsttötung. Synonym werden in der Diskussion auch Freitod23, Selbstmord24 und Suizid25 gebraucht. Die ersten beiden Vokabeln sollen aber im Folgenden vermieden werden. Denn beide bringen Weltanschauungen zum Ausdruck: Freitod geht auf den Philosophen Friedrich Nietzsche zurück, der mit diesem Begriff die freie Entscheidung zwischen Leben und Tod beschrieb, die er positiv bewertete. Nietzsche philosophierte:
21 22 23 24 25
Siehe oben unter 3. Kapitel A) IV. Dammbruch. Ebenso: Rudlof, Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 21 f. Vgl. z.B. OLG München, NJW 1987, 2940; NK-Saliger, StGB, § 217 Rn 33. Vgl. z.B. Sensburg / Dörflinger / Beyer / Hüppe, Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-DS 18/5376, S. 7. Vgl. z.B. Berghäuser, ZStW 128 (2016), 741; Gaede, JuS 2016, 385; Jäger, JZ 2015, 875; Riemer, BRJ 2016, 96.
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Erster Teil „Der Tod, aus freien Stücken gewählt, der Tod zur rechten Zeit, mit Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen, so dass ein wirkliches Abschiedsnehmen noch möglich ist, wo Der noch da ist, der sich verabschiedet, insgleichen ein wirkliches Abschätzen des Erreichten und Gewollten, eine Summierung des Lebens – Alles im Gegensatz zu der erbärmlichen und schauderhaften Komödie, die das Christentum mit der Sterbestunde getrieben hat.“26
Demgegenüber steht die Wortverbindung mit dem verbrecherischen „Mord“. Sie ächtet die Selbsttötung bereits verbal.27 Vorzugswürdig sind daher die neutralen Begriffe Selbsttötung sowie das entsprechende lateinische Fremdwort Suizid (von lat. Sui: seiner, selbst und caedere: töten). Gesetzlich wurde die Selbsttötung bis zur Einführung des § 217 StGB nirgendwo definiert. Vermutlich, weil eine eigene Definition bis zu diesem Zeitpunkt rechtlich nicht relevant war. Auch in der Rechtsprechung wird die Selbsttötung bisher nur in Abgrenzung zur Fremdtötung betrachtet. Wichtigstes Kriterium ist bisher die Tatherrschaft, also wer das Tatgeschehen in der Hand hat.28 Entscheidend ist danach, dass der Sterbewillige über die unmittelbar zum Tod führende Ursache Kontrolle hat. Er selbst setzt den unmittelbar tödlich wirkenden Mechanismus in Gang. Eine Selbsttötung liegt also nur dann vor, wenn dem Suizidenten nach dem letzten Tatbeitrag des Dritten immer noch die freie Entscheidung über Leben und Tod bleibt.29 Seit der Schaffung des § 217 StGB findet man in der Literatur allerdings inzwischen erste Versuche einer eigenständigen Definition. Dies ist nicht nur deshalb dringend erforderlich, um eine (Fremd)Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB von der Förderung der Selbsttötung abzugrenzen. Auch die seit langem als straffrei anerkannten Formen der Sterbehilfe, insbesondere der Behandlungsabbruch, muss von § 217 StGB ausgeschlossen werden. Das jedenfalls entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers.30 Handlungsziel des Sterbehelfers im Sinne des § 217 StGB ist es nämlich gerade, dass ein geplanter Suizid Todesursache ist. Hilgendorf beschreibt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf eine Selbsttötung als einen unnatürlichen Tod, den der Getötete durch Tun oder Unterlassen herbeiführt.31 Eine Überdosis Medikamente oder sich selbst zu erhängen, 26 27 28 29 30 31
Nietzsche, Der Fall Wagner etc., Götzen-Dämmerung, S. 55 (134 f.). MüKo-Brunhöber, StGB, § 217 Rn 43. Vgl. z.B. BGHSt 19, 135 (Gisela-Fall). Vgl. Schönke / Schröder-Eser / Sternberg-Lieben, StGB, § 217 Rn 10; mehr zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnehmer oben im 2. Kapitel F) I. BT-Drs. 18/5373, S. 11. Hilgendorf, in: Bormann, Lebensbeendende Handlungen, S. 701 (709).
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könnten nach dieser Definition ebenso Tathandlung sein wie die Ernährung einzustellen, sich einer lebenserhaltenden Therapie zu verweigern oder auf sonstige Weise die Behandlung abzubrechen.32 Auch Fälle des Sterbefastens sollen als Selbsttötung gelten.33 Diese Definition kommt allerdings in Konflikt mit der Rechtsprechung zum Behandlungsabbruch. Dieser gilt als straffrei seit der Entscheidung über die passive Sterbehilfe aus dem Jahr 2010.34 Unabhängig davon, ob er durch Tun oder Unterlassen verwirklicht wird. Begründet wird dies mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Würde man die Definition der Selbsttötung soweit fassen, dass auch Fälle des Behandlungsabbruchs unter den § 217 StGB subsumiert würden, käme man u.U. zu einem anderen Ergebnis. Daher merkt Hilgendorf später an, von der Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB seien nur aktive Suizide erfasst.35 Eine Selbsttötung setzt in jedem Fall also eine „von außen wirkende Intervention“36 des Sterbenden voraus, der in den eigenen Lebensprozess einwirkt und kausal wird für den Tod.37 Das Gegenteil ist beim Behandlungsabbruch der Fall: hier überlässt sich der Sterbende dem Verlauf seiner Krankheit, die letztlich zum Tod führt. Erschwert wird die Suche nach einer passenden Definition dadurch, dass neben die juristische Sicht weitere medizinische und medizinethische Ansichten darüber treten, welche Komponenten einen Suizid ausmachen. Die einen verstehen darunter jedes willentliche Tun oder Unterlassen, dass vom Willen getragen ist, das eigene Leben zu beenden. Die anderen verstehen den Begriff weitaus enger. Danach sind lediglich Verhaltensweisen des Sterbenden erfasst, die von außen auf den Organismus einwirken und unmittelbar kausal werden für den Tod.38 Nach der ersten Ansicht wird mithin vor allem der Abbruch von lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen auf Wunsch des Patienten erfasst, nach der zweiten insbesondere der Waffeneinsatz gegen sich selbst. In anderen Definitionen werden indirekt bereits Tatbeiträge Dritter thematisiert, um die Suizidassistenz von der Tötung auf Verlangen abgrenzen zu 32 33 34 35 36 37 38
Vgl. im Ergebnis auch BGHSt 55, 191. MüKo-Brunhöber, StGB, § 217 Rn 42. BGHSt 55, 191 (204 f.). Hilgendorf, in: Bormann, Lebensbeendende Handlungen, S. 701 (709). LK-Rissing-van Saan, StGB, § 217 Rn 27. Duttge / Simon, NStZ 2017, 512 (516). LK-Rissing-van Saan, StGB, § 217 Rn 28 m.w.N.
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Erster Teil
können. Ist nämlich ein Dritter beteiligt, so kommt es darauf an, wer die Tatherrschaft über den letzten, unmittelbar kausal wirkenden tödlichen Akt innehat. Ist dies der Dritte und nicht der Sterbewillige selbst, handelt es sich um eine Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB, der dem § 217 StGB vorgeht. Einige Autoren führen deshalb in die Definition der Selbsttötung das Kriterium der „eigenhändigen“39 Tötung ein oder subsumieren nur „unmittelbare“ Selbsttötungen unter § 217 StGB.40
2. Geschäftsmäßigkeit Die Geschäftsmäßigkeit ist einer der zentralen Begriffe des § 217 StGB. Denn vor allem zielt er auf Sterbehilfe-Vereine, ähnliche Organisationen und Einzelpersonen ab, die das „Geschäftsmodell Sterbehilfe“ betreiben. Den Begriff der Geschäftsmäßigkeit hat der Gesetzgeber aus § 206 Abs. 1 StGB entnommen – einer Randvorschrift des Verwaltungsstrafrechts, welche „geschäftsmäßige Post- und Telekommunikationsdienste“ erfasst. Er beschreibt ein als solches moralisch nicht zu verurteilendes Merkmal des Täters. Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit wird hier also in einem völlig anderen Kontext verwendet, als ihm bei der Suizidbeihilfe zugedacht wurde. Alternativ hätte der Gesetzgeber an dieser Stelle den im Strafrecht bereits bekannten Begriff der Gewerbsmäßigkeit verwenden können. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will. Dabei genügt schon die erste Tatbegehung in dieser Absicht.41 Diese Formulierung hatte ein Gesetzentwurf vorgeschlagen, den die Bundesregierung 2012 in den Bundestag eingebracht hatte.42 Federführend war damals das von der FDP-Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geführte Bundesjustizministerium. In der Begründung des aktuellen Gesetzes macht der Gesetzgeber allerdings deutlich, dass ihm die Formulierung nicht weit genug geht. Er hat daher das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit eingeführt. Nach dem Begriffsverständnis des Gesetzgebers ist unter Geschäftsmäßigkeit „das nachhaltige Betreiben [...] oder 39 40
40 41 42
Vgl. Heintzschel-Heinegg- Oğlakcioğlu, StGB, § 217 Rn 19. Vgl. Hilgendorf, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 23. September 2015, https://www.bundestag.de/resource/blob/387792/03e4f59272142231bb6fdb24abe54437/hilgendorf-data.pdf, [Fassung von 23.12.2019], S. 3. Vgl. BGH NJW 2014, 3572. Siehe Rengier, Strafrecht BT 1, § 3 Rn 34. BT-Drs. 17/11126.
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Anbieten [...] gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“ zu verstehen.43 Daraus schloss der Gesetzgeber, dass es genügen sollte, „dass jemand die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Geschäftstätigkeit machen will“.44 Damit wurde bewusst jeder gezielte Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen.45 Die Wahl dieses Tatbestandsmerkmals hat einen pragmatischen Hintergrund: In der Gesetzesbegründung legt der Gesetzgeber dar, dass die Gewerbsmäßigkeit einen großen Teil des bereits bestehenden Sterbehilfeangebots nicht erfasse, weil gerade Sterbehilfevereine die Strafbarkeit unterliefen, indem sie unentgeltlich arbeiteten. Eine geschäftsmäßige Handlung dagegen müsse eben nicht unbedingt eine kommerzielle, also auf Gewinnerzielung ausgerichtete Handlung sein.46 Es ging also offenbar vor allem darum, Beweislücken gegenüber kommerziellen Sterbehilfeorganisationen zu schließen, gegen die die Justiz ansonsten nichts tun konnte: Wenn man nicht beweisen konnte, dass sie mit Gewinnerzielungsabsicht – und somit überhaupt nicht altruistisch – handelten, dann musste eben der Tatbestand angepasst werden. Zur Erläuterung sagt der Gesetzgeber, ein für die Sterbewilligen gefährliches „Eigeninteresse an einer Fortsetzung der entsprechenden Tätigkeit“ müsse auch dort angenommen werden, „wo auf den Suizid spezialisierte Organisationen oder Personen ein ʻGeschäftsmodellʼ entwickeln und (kontinuierlich) betreiben wollen“.47 Das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit wirft allerdings verschiedene Probleme auf: Zunächst ist fraglich, warum eine ansonsten strafrechtlich nicht relevante Handlung deshalb strafwürdig ist, weil der Täter sie wiederholen will?48 Der Gesetzgeber erklärt die Notwendigkeit dieses Tatbestandmerkmals mit dem Schutzzweck: Erklärtes Ziel sei es, die Freiheit der Entscheidung am Lebensende zu schützen vor Eigeninteressen des Suizidhelfers. Diese sei insbesondere durch solche Sterbehelfer gefährdet, die auf die Fortsetzung ihres „Geschäfts- und Organisationsmodells“ ausgerichtet seien. Selbst wenn sie unentgeltlich handelten, könnten sie dadurch motiviert sein, ihre Dienstleistung „möglichst häufig und effizient“ anzubieten. Infolge wiederholter Suizid43 44 45 46 47 48
BT-Drs. 18/5373, S. 16. BT-Drs. 18/5373, S. 16 f. BT-Drs. 18/5373, S. 17. BT-Drs. 18/5373, S. 13; vgl. auch NK-Saliger, StGB, § 217 Rn 19. BT-Drs. 18/5373, S. 11. Duttge, NJW 2016, 120 (122).
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beihilfe entwickele sich diese zu einer Art Standard, was den Druck auf die Betroffenen erhöhe.49 Schon in der öffentlichen Anhörung wies der Kriminalwissenschaftler Reinhard Merkel auf den grundlegenden dogmatischen Bruch hin, den der Gesetzgeber mit dem Merkmal der Geschäftsmäßigkeit vollziehe: Es sei eine einfache Frage der Logik, dass Null Unrecht plus Null Unrecht kein Unrecht ergeben könne. Er bezeichnet dies sogar als evident.50 Fraglich ist auch, ob das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit überhaupt tauglich ist, um die Fälle zu identifizieren, die der Gesetzgeber unter Strafe stellen will. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass er zwischen zwei Fallgruppen unterscheidet: Zum einen unterstellt der Gesetzgeber den Suizidhelfern, sie handelten entweder „altruistisch“ oder aus „Eigeninteresse“51. Wie man § 217 Abs. 2 StGB entnehmen kann, wird dabei Angehörigen eher Altruismus, Fremden eher (finanzielles) Eigeninteresse unterstellt. Das schon diese Annahme so nicht korrekt ist, zeigen die diversen Fälle der „Mitleidstötungen“ durch Pflegekräfte.52 Zwar geht es bei diesen Fällen um Fremdtötungen. Dennoch geschehen diese aus Sicht der Pflegekräfte eher aus Mitleid denn aus finanziellen Interessen heraus. Die Merkmale „altruistisch“ und „mit Eigeninteresse“ werden zudem mit einem weiteren Attributpaar vermischt: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Taten mit Eigeninteresse mit einer Wiederholungsabsicht zusammentreffen, während Einzeltaten mit altruistischen Motiven ausgeführt werden. Das erscheint nicht logisch: auch eine einmalige Suizidassistenz kann eine eigennützige Komponente haben, z.B. bei „Sterbehilfe“ durch den im Testament bedachten Erben.53 Schon ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2018 zeigt, dass bei Tötungsdelikten insgesamt ein überdurchschnittlich 49 50
51 52
53
BT-Drs. 18/5373, S. 13, 17. Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https:// www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/merkeldata.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3 f.; zustimmend: Hoven, ZIS 2016, 1 (3). BT-Drs. 18/5373, S. 12/11. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Fall des „Todespfleger von Sonthofen“, vgl. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/urteil-lebenslangehaft-fuer-todespfleger-von-sonthofen-1387095.html; zuletzt verurteilte das LG Heilbronn eine Krankenschwester wegen Totschlags, vgl. http://www. spiegel.de/panorama/justiz/ heilbronn-krankenschwester-wegen-totschlags-verurteilt-a-1040 735.html. Das Schweizer StGB arbeitet hier im Gegensatz mit dem Begriff der „Selbsttüchtigkeit“ – mag dieser auch erst weniger fassbar erscheinen, so hätte er die oben beschriebene Gemengelage aber dennoch vermieden.
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hoher Anteil der Verdächtigen aus dem sozialen Umfeld des Opfers stammt. Denn bei vollendetem Mord und Totschlag kamen 63,1% der Tatverdächtigen aus dem Verwandten- oder näheren Bekanntenkreis, während 46,2% der Opfer von vollendetem oder versuchtem Mord, Totschlag oder Tötung auf Verlangen keinerlei Vorbeziehung zum Täter aufwiesen bzw. diese nicht festgestellt werden konnte.54 Vor allem beim Mord wird die niedere Motivation durch das Tatbestandsmerkmal der niedrigen Beweggründe besonders bestraft. Niedere Motive sind also in Näheverhältnissen keine Seltenheit. Indes kann auch ein altruistisch tätiger Suizidhelfer wiederholt und „nachhaltig“ tätig werden (wollen). Gerade jemand, der Suizidenten aus Hilfsbereitschaft bei der Umsetzung ihrer Entscheidung helfen möchte, kann (und wird häufig) bestrebt sein, seine Hilfe nicht nur einmal anzubieten, sondern immer dann, wenn er mit einem Bedarf konfrontiert wird.55 Insbesondere in Sterbehilfeorganisationen, die der Gesetzgeber unterbinden will, sind Menschen zu vermuten, die zu allererst aus Überzeugung und damit aus altruistischen Gründen handeln.56 Der Fall, dass jemand eine konkrete Selbsttötung unterstützt, um das Geschäftsmodell fortzusetzen, wirkt dagegen eher konstruiert. Auf den ersten Blick wirkt die Argumentation des Gesetzgebers, als würden Einzelfälle grundsätzlich straffrei bleiben.57 Tatsächlich gibt es aber keinen Freischuss. Schon die erstmalige Suizidassistenz kann strafbar sein, nämlich dann, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass mit ihr eine auf Dauer angelegte Tätigkeit beginnt. Gerade für Palliativmediziner, die regelmäßig mit Sterbenden in Kontakt treten, führt dieses Merkmal zu einem unkalkulierbaren Strafbarkeitsrisiko. Da im Falle einer erfolgreichen Tat das Ergebnis irreversibel ist, war der Gesetzgeber bestrebt, bei der Suizidhilfe möglichst frühe Tatbeiträge zu pönalisieren. Das führt auch zu einer erweiterten Auslegung des Merkmals der Geschäftsmäßigkeit. Dem Willen des Gesetzgebers zufolge soll sich schon das erstmalige Angebot als geschäftsmäßig darstellen, wenn es „den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit“ bildet. Nach der Gesetzesbegründung agiert bereits geschäftsmäßig, „wer die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung 54 55 56 57
Bundeskriminalamt, PKS-Jahrbuch 2018 – Band 2, https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2018/pks 2018_ node.html [Fassung vom 30.12.2019], S. 26. Ebenso: Weigend / Hoven, ZIS 2016, 681 (687). Das Schweizer StGB arbeitet daher mit dem Begriff der „Selbstsüchtigkeit“ – mag dieser auf den ersten Blick genauso wenig fassbar erscheinen, so vermeidet er doch die oben beschriebene Gemengelage. BT-Drs. 18/5373, S. 17.
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der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit“58. Hinter der Geschäftsmäßigkeit steht die Frage nach einem Motiv.59 Man spricht auch von „intentionaler Wiederholungskonzeption“60. Dieses kann nur durch Indizien zu ermitteln sein. Welche Umstände können aber in der Praxis darauf hinweisen, dass der Suizidhelfer plant, in Zukunft wieder bei einer Selbsttötung zu unterstützen? Genügt es, dass er mit der Tat eine Grundhaltung zum Ausdruck bringt, die es angesichts seiner Möglichkeiten wahrscheinlich erscheinen lässt, dass er es in einer vergleichbaren Situation wieder tut? Dagegen wird eingewendet, dass auch Ärzten, die mehrfach mit dem Wunsch nach Suizid-assistenz konfrontiert seien, in der Regel kein geschäftsmäßiges Handeln vorgeworfen werden könne, wenn sie in diesen Situationen jeweils Einzelfallentscheidungen träfen. Anders wäre es nur, wenn sie sich nach außen als „professionelle Suizidhelfer“ darstellten.61 Es wird daher auch vorgeschlagen, das Merkmal entsprechend auszulegen. Wenn man sich auf den Ursprung des Begriffs in § 206 StGB beziehe, sei erforderlich, dass der Täter die Suizidhilfe im Rahmen seiner hauptberuflichen Tätigkeit anbiete.62 Das sei bei Ärzten aufgrund ihres Selbstverständnisses, ihrer Standesregeln und auch ihrer Abrechnungsordnung eben gerade nicht der Fall.63 Diese Auslegung widerspricht jedoch der gesetzgeberischen Intention. Der Gesetzgeber wollte Ärzten gerade keinen Freibrief erteilen. Auch sie sollen nur dann straflos gestellt werden, wenn sie in einer extrem ungewöhnlichen Konfliktsituation handeln. Gleichzeitig führt diese Auslegung dazu, dass gerade diejenigen aus der Strafbarkeit fallen könnten, auf die der Gesetzgeber ausdrücklich zielt, nämlich die Mitarbeiter von Sterbehilfevereinen. Zum einen sind diese zumeist gerade nicht beruflich, sondern ehrenamtlich tätig – weshalb der Gesetzgeber gerade keinen wirtschaftlichen oder beruflichen Zusammenhang fordert. Zum anderen stellt die konkrete Suizidhilfe in der Regel wohl nicht den zentralen Schwerpunkt ihrer Arbeit dar: Beratung, Aufklärung
58 59 60 61 62 63
BT-Drs. 18/5373, S. 17. Vgl, auch Duttge, NJW 2016, 120 (123). NK-Saliger, StGB, § 217 Rn 20. Vgl. Heintschel-Heinegg- Oğlakcioğlu, StGB, § 217 Rn 30. Vgl. MüKo-Brunhöber, StGB, § 217 Rn. 61. Vgl. MüKo-Brunhöber, StGB, § 217 Rn. 61.
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und generelle Lobbyarbeit nehmen den weitaus größeren und gerade nicht tatbestandlichen Teil ihrer Tätigkeit ein.64 Nach anderer Ansicht ist das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit erst dann gegeben, sofern der Arzt objektiv die Suizidhilfe zu einem wiederkehrenden oder dauernden wesentlichen Element seiner Tätigkeit erhebe und subjektiv beabsichtige, die in Rede stehenden Handlungen gleichermaßen zu einem dauernden regelmäßigen Element seiner Beschäftigung zu erklären. § 217 StGB könne deshalb ausschließlich Sterbehilfevereine sowie Ärzte erfassen, welche sich explizit auf Suizidhilfe spezialisiert hätten.65 Auch dieser Definitionsversuch widerspricht dem gesetzgeberischen Willen: So bleiben solche Ärzte straffrei, die in erheblichem Umfang, aber nebenbei Suizidhilfe leisten, ohne sich zu spezialisieren. Damit würde der ärztlich assistierte Suizid quasi durch die Hintertür legalisiert.66 So kann letztlich keine der beiden restriktiven Auslegungsversuche überzeugen. Weder Wortlaut noch Begründung lässt irgendwo erkennen, dass ärztliche Suizidassistenz von Strafe ausgenommen werden soll. Stattdessen geht klar hervor, dass der Gesetzgeber die Grenzen der Strafbarkeit möglichst weit setzen wollte, indem er bereits die Intention erfasst, „im Bedarfsfall“ mehrfach Sterbehilfe zu leisten. Als einziges Abgrenzungskriterium kann nur die „intentionale Wiederholungskonzeption“67 in Betracht kommen: Die ärztliche Suizidhilfe fällt somit stets unter die Strafbarkeit nach § 217 StGB, falls die Handlung mit Wiederholungsabsicht durchgeführt wird und dabei kein altruistischer und konfliktbelasteter Einzelfall in Rede steht, wie es § 217 Abs. 2 StGB gerade privilegieren will.68 Nach der Gesetzesbegründung ist „eindeutig nicht strafbar […] die sogenannte Hilfe beim Sterben, die durch medizinisches und pflegerisches Personal etwa in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizen und anderen palliativmedizinischen Einrichtungen geleistet wird“.69 Gegensätzlich dazu liege keine medizinische Indikation der assistierten Selbsttötung vor. Diese entspreche keineswegs dem Selbstverständnis jener Berufe und Einrichtungen. Selbst wenn dieser Personenkreis im Einzelfall Suizidhilfe leiste, erfolge „dies typischer64 65 66 67 68 69
MüKo Brunhöber, StGB, § 217 Rn. 61. Vgl. Hillenkamp, KriPoZ 2016, 3 (8 f.). Vgl. NK-Saliger, StGB, § 217 Rn. 25. Siehe Fn 361. Vgl. NK-Saliger, StGB, § 217 Rn 26. BT-Drs. 18/5373, S. 17.
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weise gerade nicht ʻgeschäftsmäßigʼ“.70 Der Tatbestand spiegelt diese Intention jedoch nicht wider. So geht kein Palliativmediziner straffrei aus.
3. Tathandlungen a) Beispiele nicht erfasster Handlungen Keineswegs unterfallen alle auf die Förderung von Suiziden gerichtete Tathandlungen der Strafbarkeit gem. § 217 StGB. Eingeschlossen sind lediglich solche, „die einen ʻanderenʼ als konkrete Person ins Visier nehmen und diesem eine Gelegenheit gewähren, verschaffen oder vermitteln“.71 Keine strafbare Tathandlung ist mithin etwa im abstrakten Verfassen und Veröffentlichen von Ratgebern zu sehen, die sich an die Allgemeinheit wenden und nur die Beschreibung der technischen Durchführung des Suizids beinhalten.72 Gleiches gilt für jedwede Form von Werbung für Suizidbeihilfe, generelle oder gruppenbezogene Aufrufe zum Suizid, allgemeine Meinungsäußerungen sowie Teilnahmen an entsprechenden Diskussionsrunden. In der Regel gilt dies auch in Bezug auf einzelfallbezogene allgemeine Empfehlungen und Ratschläge wie „In deiner Situation würde ich mich eher umbringen, als in den Knast zu gehen“, „Ihre Lebensversicherung zahlt an ihre Hinterbliebenen auch bei Suizid“ oder „Jeder aufrechte Mann hätte sich an deiner Stelle längst erschossen“.73 Eine strafbare Handlung ist demnach eher auszuschließen, wenn noch keine konkrete Tathandlung ins Visier genommen ist, sondern es um Erklärungen allgemeiner Art geht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Initiative abgelehnt hat, welche sich auf die Strafbarkeit der Werbung für die Förderung des Suizids beschränkt hat.74 Diese schließe die eine freie Willensbildung beeinträchtigenden Förderungshandlungen nicht mit ein. Überdies würde sich diese Strafbarkeit noch viel zu weit vor der eigentlichen Rechtsgutverletzung bewegen.75
70 71 72
73 74 75
BT-Drs. 18/5373, S. 17 f. Riemer, BRJ 20016, 96 (99). Angesprochen hiervon ist z.B. die Beschreibung, in welcher Reihenfolge und Dosierung etwa Antibrechmittel, Beruhigungsmittel zwecks Verringerung der Nervosität vor der Tat, handelsübliche Gifte und verschreibungsfähige Medikamente „erfolgversprechend“ einzunehmen sind. Riemer, BRJ 20016, 96 (99). BR-Drs. 149/10. BT-Drs. 18/5373, S. 14.
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b) Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln einer Gelegenheit Grundsätzlich umfasst § 217 StGB drei mögliche Tathandlungen: Das Gewähren, das Verschaffen und das Vermitteln einer Gelegenheit zur Selbsttötung. Auch hier hat sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Terminologie wieder an anderen Tatbeständen bedient – bedauerlicherweise an § 180 Abs. 1 StGB (Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger) und § 29 Abs. 1 Nr. 10, 11 StGB (Förderung des verbotenen Gebrauchs von Betäubungsmitteln). Die Analogie zu letzterem mag noch einleuchten – aber wie bereits oben dargelegt, ist die unreflektierte Übernahme von Begriffen aus einer Deliktsgruppe mit einem anderen Unrechtsgehalt in die nächste selten fruchtbar. Beide Strafnormen richten sich gegen Verhaltensweisen, die schon nach der allgemeinen gesellschaftlichen Norm und dem sittlichen Empfinden der Mehrheit verabscheuenswert und damit zu verbieten sind.76 Wie oben gezeigt, ist eine solche Haltung der Bevölkerung gegenüber der Sterbehilfe jedoch gerade nicht gegeben. aa) Gelegenheit Zunächst ist der Begriff der Gelegenheit zu klären. In der Literatur findet sich dazu unter anderem folgende Definition: „Eine ʻGelegenheitʼ zur Selbsttötung eines anderen wird gewährt oder verschafft, wenn der Täter äußere Umstände herbeiführt, die unmittelbar geeignet sind, die Durchführung der Selbsttötung zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern, und damit für den anderen die äußeren Bedingungen für dessen (geplante) Selbsttötung günstiger gestaltet.“77
Faktisch gibt es – sieht man vom völlig bewegungsunfähigen potentiellen Suizidenten einmal ab – für einen Menschen ausreichend Möglichkeiten, sein Leben zu beenden. Schon Seneca wird folgendes Zitat nachgesagt: „Der Ausgang aus dem Leben ist euch leichter gemacht als der Eingang. Jeder Augenblick, jeder Ort kann euch lehren, wie leicht es sei, der Natur den Dienst aufzukündigen und ihr Geschenk heimzuzahlen... Sieh dich nur um, überall kannst du dein Elend endigen. Siehst du jene steile Stelle? Dort hinab geht’s in die Freiheit! Siehst du jenes Meer, jenen Fluss, jenen Brunnen? Auf ihrem Grund wohnt die Freiheit! Siehst du jenen kleinen, dürren, verkrüppelten Baum? An ihm hängt die Freiheit! Dein Hals, deine Kehle, dein Herz: lauter Wege, der Sklaverei zu entrinnen. Sind dir diese Auswege zu qualvoll,
76 77
Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (682). Küper / Zopfs, Strafrecht Besonderer Teil, „Gelegenheit zur Selbsttötung, Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln der - § 217 I StGB“, Rn 267.
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Erster Teil fordern sie zuviel Mut und Kraft, fragst du nach dem leichtesten Weg zur Freiheit: Jede Ader deines Körpers ist ein solcher Weg!“78
Auch bei diesem Merkmal der „Gelegenheit“ ist die Anlehnung an § 180 Abs. 1 StGB ersichtlich, die Ausgangslage jedoch eine völlig andere. Im Falle des § 180 Abs. 1 StGB ist bereits die Tat, der dort – wörtlich – „Vorschub geleistet“ werden soll, strafrechtlich sanktioniert und moralisch verpönt; die Beendigung des eigenen Lebens ist hingegen, wie oben dargelegt, per se nicht strafbar. Ferner ist die Selbsttötung in den hier zu diskutierenden Situationen auch in der breiten Bevölkerung durchaus akzeptiert.79 Also geht es doch nicht um die Gelegenheit per se – Zielsetzung des Unterstützung Suchenden ist doch, dass er einen leichteren, schmerzfreieren, ggf. sogar angstfreien Weg in den Freitod sucht. Dies hat eine völlig andere Konnotation als der „Vorschub“ in § 180 Abs. 1 StGB. Der Gesetzgeber hat diesen Wertungsunterschied nicht gesehen oder ignoriert. Er formuliert, sich beziehend auf den benannten Paragraphen: Es müssen äußere Umstände geschaffen werden, „die geeignet sind, die Selbsttötung zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern“.80 Davon mag man in Bezug auf verbotene sexuelle Handlungen sprechen – hier mögen Gelegenheiten erst geschaffen werden. Im Bereich der Selbsttötung sind sie grundsätzlich gegeben.81 Dasselbe gilt auch für das „wesentliche Erleichtern“ – je nachdem, wie Erleichtern definiert wird. Ein Tod durch ein Gift mag ein leichterer Tod sein als der Ausweg, sich irgendwo hinabzustürzen – leichter im Sinne von weniger brutal. Betrachten wir jedoch a) den Aufwand, dafür ggf. ins Ausland reisen zu müssen, b) das zu durchlaufende Prüfverfahren und c) das Sterben in einer völlig fremden Umgebung, so kann von „Erleichterung“ keine Rede mehr sein. Mit dem Merkmal des Verschaffens einer „Gelegenheit“ kann demnach nicht angesprochen sein, dass zugunsten des Sterbewilligen die Eröffnung irgendeines Zugangs zum Suizid ermöglicht wird, sondern die „Gelegenheit“ kann lediglich die Möglichkeit des Suizids in einer bestimmten, vom individuellen Sterbewilligen favorisierten Modalität meinen. Aus diesem Grunde ist zweifelhaft, inwiefern bereits die graduelle Steigerung des Suizidrisikos bei einem ohnehin Sterbewilligen der Strafbarkeit unterliegen sollte. Hinsichtlich des Verbots einer Erleichterung im beschriebenen Sinne kann jedoch immerhin auf 78 79 80 81
Zitiert nach: Decher, Die Signatur der Freiheit, S. 49. Vgl. generell zur Akzeptanz des Suizids Brassel-Ochmann, Die trügerische Akzeptanz, S. 109 ff. BT-Drs. 18/5373, S. 18 im Anschluss an Fischer, StGB, § 180 Rn 5. Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (683).
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die Erfahrung verwiesen werden, dass viele Sterbewillige dennoch keinen Mut dazu haben, leicht zugängliche, aber brutale Modalitäten wie z.B. den Sprung aus einem hohen Gebäude tatsächlich umzusetzen.82 Weigend / Hoven kommen deshalb zu dem Schluss, „dass eine ʻGelegenheitʼ […] der Täter dem Suizidwilligen […] (nur) dann [verschafft], wenn er ihm Umstände bietet, die es ihm möglich oder leichter machen, in der gerade von ihm bevorzugten Art und Weise aus dem Leben zu scheiden, z.B. weil er sich (nur) von der gewählten Methode einen sanften Tod verspricht oder weil sie das ʻÜberlebensrisikoʼ weitgehend ausschließt“.83 bb) Gewähren Das Gewähren einer Gelegenheit zur Selbsttötung durch den Täter liegt vor, „wenn er äußere Umstände herbeiführt, die geeignet sind, die Selbsttötung zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern, soweit diese äußeren Umstände dem Täter schon zur Verfügung stehen“.84 Hierunter fällt u.a. der Fall, dass der Täter dem Sterbewilligen eine schon existierende Räumlichkeit oder eigene Mittel überlässt, welche sich zum Suizid eignen.85 cc) Verschaffen Das Verschaffen einer Gelegenheit bedingt, „dass der Täter die äußeren Umstände, die für den Suizid geeignet sind, erst herbeiführt“.86 Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass der Täter Räumlichkeiten oder Mittel, die die Selbsttötung fördern und über die der Täter noch nicht verfügt hat, für den Sterbewilligen auftreibt.87 Das Verschaffen grenzt sich damit dadurch vom Gewähren ab, dass der Täter dem Sterbewilligen die zur Verwirklichung seiner Selbsttötungsabsicht erforderlichen Medikamente oder Räumlichkeit erst besorgt, da sie diesem – gegensätzlich zum Gewähren – bislang noch nicht verfügbar sind.88
82 83 84 85 86 87 88
Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (683). Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (683). Gaede, JuS 2016, 385 (388). Gaede, JuS 2016, 385 (388); vgl. auch Berghäuser, ZStW 2016, 741 (761). Gaede, JuS 2016, 385 (388). Gaede, JuS 2016, 385 (388). Berghäuser, ZStW 2016, 741 (762).
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Erster Teil dd) Vermitteln
Die Voraussetzung des Vermittelns einer Gelegenheit ist zu bejahen, wenn „der Täter den konkreten Kontakt zwischen einer suizidwilligen Person und der Person ermöglicht, die die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt oder verschafft“.89 Diesbezüglich nicht hinreichend ist der Hinweis auf allgemein bekannte Stellen. Außerdem muss der Täter mit beiden Personen in Kontakt stehen und „deren zumindest grundsätzliche Bereitschaft für eine solche ʻHilfeʼ abgeklärt haben“.90 In Folge der Aufnahme dieses Tatbestandmerkmals in § 217 StGB hat die Sterbehilfeorganisation „DIGNITAS Deutschland e. V.“ einstweilig ihr Angebot zurückgezogen, eine etwaige Sterbebegleitung seitens des Schweizer Vereins „DIGNITAS“ zu vermitteln.91 ee) Unterschied zwischen Verschaffen und Vermitteln Abgrenzungsprobleme können zwischen dem Verschaffen und Vermitteln einer Gelegenheit aufkommen. Denn immerhin hat der Täter, der vermittelt, die Möglichkeit und benutzt diese auch, den Kontakt des Sterbewilligen mit einem Dritten herzustellen, der über die notwendigen objektiven Gegebenheiten verfügt und auch bereit ist, diese zur Verfügung zu stellen.92 Hier wird also gezielt eine dritte Person ins Geschehen einbezogen. Der Gesetzgeber führt hierzu in seiner Begründung aus, es sei nicht zwingend erforderlich, dass es bereits zu einer persönlichen Kontaktaufnahme zwischen Sterbewilligem und Drittem kam;93 vielmehr genüge es, wenn „der Täter den konkreten Kontakt zwischen einer suizidwilligen Person und der Person, die die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt oder verschafft, ermöglicht“.94 Diese Begründung erscheint, geht man auf die allgemeine Strafrechtslehre zurück, zur Begründung einer Strafbarkeit wegen einer Haupttat eher fragwürdig. Zum einen mag man trefflich über den Begriff des „konkreten Kontaktes“ streiten – was wäre denn konkreter, als eine tatsächlich bereits stattgefundene Kontaktaufnahme? Zum anderen erscheint hier doch das Vermitteln, wie der Gesetzgeber es hier begründet, viel eher eine vorgelagerte Unterstützungshandlung zu sein, wenn und solange der Kontakt noch gar nicht stattfand. Hier wird also faktisch eine Beihilfehandlung kriminalisiert. Im Rahmen der Beihil89 90 91 92 93 94
Gaede, JuS 2016, 385 (388). BT-Drs. 18/5373, S. 18. Berghäuser, ZStW 2016, 741 (763). Siehe v. Heintschel-Heinegg-Oğlakcioğlu, StGB, § 217 Rn 26 f. BT-Drs. 18/5373, S. 18. BT-Drs. 18/5373, S. 18.
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fe gem. § 27 StGB meint „Hilfeleistung“ jeden Tatbeitrag, „der dem Täter und seiner Tat zugutekommt, dabei aber weder als Täterschaft noch als Anstiftung zu charakterisieren ist“.95 Laut den generellen Prinzipien der objektiven Zurechnung ist von einer beihilferelevanten Unterstützung allerdings lediglich dort auszugehen, „wo der Tatbeitrag das Risiko für das Opfer und dementsprechend die Erfolgschancen für den Täter nachweislich erhöht hat“.96 Bei den Formen der Beihilfe kann zwischen physischer und psychischer Beihilfe unterschieden werden. Unter den Begriff der „physischen Beihilfe“ fallen Handlungen, „bei denen entweder eine äußere, der Verwirklichung der Haupttat dienliche Bewirkungshandlung oder eine durch hierauf gerichtetes Unterlassen verursachte Veränderung der die Haupttat konstituierenden oder fördernden äußeren Bedingungen vorliegt“.97 Angesprochen hiervon ist u.a. die Beschaffung von Tatwerkzeugen, das Ausspähen von günstigen Gelegenheiten, das sog. Schmierestehen sowie der Transport zum bzw. vom Tatort weg.98 Dagegen nimmt bei der „psychischen Beihilfe“ die Tathandlung Bezug „auf die subjektive Beziehung des Haupttäters zu seiner Tat, ist also als unterstützende Bestärkung von Tatplan, Tatentschluss oder Tatausführungswillen zu verstehen“.99 Hierunter fallen etwa Ratschläge zur Tatausführung und das Ausreden von Skrupeln.100 Nach der Lehre muss der Beitrag des Gehilfen für den vom Täter bewirkten Erfolg, also die Haupttat, gemäß allgemeiner Zurechnungskriterien ursächlich geworden sein, womit allerdings keine Kausalität im strengen Sinne des Äquivalenzprinzips angesprochen ist. Ausreichend ist allemal eine Mitursächlichkeit dergestalt, „dass die Unterstützung des Gehilfen die in der Haupttat liegende Rechtsgutsverletzung eben auch ermöglicht oder verstärkt oder jedenfalls die Durchführung der Tat erleichtert oder abgesichert hat“.101 Demgegenüber lässt die Rechtsprechung jede Art von Förderungskausalität genügen. Zur Kausalität der Beihilfe reiche es aus, „dass der Gehilfe die den Verbrechenstatbestand verwirklichende Handlung, bevor sie zum Abschluss gekommen ist,
95 96 97 98 99 100 101
Geppert, Jura 2007, 589. Geppert, Jura 1999, 266 (267). Fischer, StGB, § 27 Rn 10. Geppert, Jura 1999, 266 (267 f.). Fischer, StGB, § 27 Rn 11. Geppert, Jura 1999, 266 (268). Geppert, Jura 2007, 589 (590).
102
Erster Teil
zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Willen, die Haupttat zu fördern, tatsächlich gefördert hat“.102 Wie in den Ausführungen zur Beihilfe zur Selbsttötung bereits dargelegt, ist diese straflos. Bei dieser ist zwar auf Seiten des Arztes ein aktives Handeln zu verzeichnen, jedoch nimmt letztendlich der Patient das Medikament selbst ein und übt die Herrschaft über den „point of no return“ selbst aus.103 Legt also der Arzt das todbringende Medikament auf den Nachttisch, welches dann vom Patienten eingenommen wird, ist der Arzt straffrei, während er der Strafbarkeit unterliegt, wenn er mittels Einschaltung eines Dritten dem Sterbewilligen die Gelegenheit zur Selbsttötung vermittelt. Diese Diskrepanz in der Strafbewertung ist nicht erklärlich. Würde man das Vermitteln so interpretieren, wie es der Gesetzgeber in seiner Begründung vermittelt, so führte das zur Kriminalisierung einer vorgelagerten Unterstützungshandlung, die, selbst wenn sie in der Form der Beihilfe strafbar wäre, eine vollendete Haupttat voraussetzen würde – nicht einmal das fordert § 217 StGB. Zu verlangen ist daher wenigstens eine Zusage an den vermittelnden Täter. Durch diese Zusage muss klar geworden sein, dass der Dritte willens und in der Lage ist, die von ihm erwartete Hilfeleistung zu erbringen. Hierdurch wird die Grenze einer reinen Kontaktvermittlung zwischen Suizidenten und Drittem überschritten. Der Wortlaut des Gesetzes „Vermitteln einer Gelegenheit“ macht eine erfolgreiche Vermittlung in Gestalt eines tatsächlich unterbreiteten Angebots notwendig, zu dem der Suizident „ja“ oder „nein“ sagen kann. Der Unrechtsgehalt des Vermittelns muss am Ende ebenso gravierend sein wie beim Verschaffen und Gewähren. Freilich kann eine solche Interpretation bereits am Wortlaut scheitern. Vermitteln kann bedeuten:104 a)
Der Täter (in der Tathandlung des Vermittelns) gibt dem potentiellen Suizidenten eine Information, mit deren Hilfe dieser einen Suizidhelfer kontaktieren könnte (die Weitergabe einer Telefonnummer oder Emailadresse, beispielsweise), oder
b)
Der Täter (in der Tathandlung des Vermittelns) gibt dem potentiellen Suizidenten eine Information, mit deren Hilfe dieser einen Suizidhelfer tatsächlich kontaktiert (beispielsweise die Weitergabe einer Telefonnummer, unter der der Suizident den Suizidhelfer dann auch faktisch kontaktiert), oder
c)
Der Täter (in der Tathandlung des Vermittelns) gibt dem potentiellen Suizidenten eine Information, mit deren Hilfe dieser einen Suizidhelfer tatsächlich kontaktiert
102 RGSt. 67, 191 (193). 103 Jäger, JZ 2015, 675 (677). 104 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (685 f).
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und dieser ihm die zur Selbsttötung notwendigen Mittel überlässt (beispielsweise die Weitergabe einer Telefonnummer, unter der der Suizident den Suizidhelfer dann auch faktisch kontaktiert, und dieser ihm das Mittel (Gift o. ä.) letztlich zur Verfügung stellt) – wobei man hier wieder weiter differenzieren könnte, ob der Suizident dann aa) das Mittel nimmt und bb) dieses auch wirkt – im letzten Fall hätten wir die vollendete Haupttat, wie sie der Beihilfetatbestand fordert.
Liest man die Gesetzesbegründung wie oben zitiert, so scheint der Gesetzgeber den Tatbestand möglichst nahe an Variante a) angelehnt wissen zu wollen. In der Gesetzesbegründung heißt es, es sei bereits (wegen Vollendung) zu bestrafen, wer „mit beiden Personen“ – i.e. dem Suizidenten und dem Sterbehelfer – „in Verbindung steht, und deren zumindest grundsätzliche Bereitschaft für eine solche Hilfe abgeklärt hat“.105 Für diese Interpretation kann auch auf die Auslegung des Begriffs des Vermittelns in § 180 Abs. 1 Nr. 1 StGB zurückgegriffen werden. Eine Strafbarkeit nach dieser Norm bedingt u.a. eine persönliche Kontaktaufnahme zwischen den möglichen Sexualpartnern.106 Von der Gesetzesbegründung jedoch wird eine parallele Bedingung für § 217 StGB nicht gefordert, da es allein um die Vermittlung einer Gelegenheit gehe, so dass es zur Tatvollendung noch keines Kontakts zwischen dem Dritten und dem Suizidenten bedürfe.107 Dieser Argumentation kann entgegengehalten werden, dass die Prämisse nicht zutreffend ist, dass das Vermitteln in § 180 StGB den strafbewehrten sexuellen Akt selbst betrifft, denn das Vermitteln zeigt sich dort als eine Art Vorschubleisten. Es geht darum, die Möglichkeit des verbotenen sexuellen Kontakts so weit wie machbar zu fördern. Hier kann ein Vergleich zum Verschaffen einer Gelegenheit, nämlich dort zu sexuellen Handlungen, gezogen werden, so dass es sinnvoll ist, in Bezug auf das Vermitteln von einer Parallele zwischen § 180 Abs. 1 StGB und § 217 StGB auszugehen.108 Außerdem muss der Täter i.S.d. § 217 StGB nicht nur eine belanglose Tätigkeit vornehmen, sondern konkret die Gelegenheit zur Selbsttötung vermitteln. Nicht ausreichend ist das Vermitteln einer Gelegenheit für den Sterbewilligen, damit dieser sich den Zugang zur Suizidmöglichkeit erst mittels eigener Tätigkeit wie etwa Kontaktaufnahme mit einem Arzt selbst verschafft.109 Ausgehend von den oben gemachten Ausführungen kann also nur die dritte Variante die der korrekten Auslegung sein: „Vermitteln“ ist erst dann (in voll105 106 107 108 109
BT-Drs. 18/5373, S. 18. Schönke / Schröder-Eisele, StGB, § 180 Rn 8. BT-Drs. 18/5373, S. 18. Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (686). Weigend / Hoven, BRJ 2016, 681 (686).
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endeter Form) gegeben, wenn eine faktische Kontaktaufnahme stattfand und der Suizidhelfer das Mittel zur Verfügung gestellt hat. Eine bloße Kontaktaufnahme (Variante 2) kann auch nicht genügen. Es mag sein, dass der potentielle Suizident, befangen im Gespräch – gerade gegenüber einem Arzt! – rein allgemeine Fragen gestellt hat, welche mit einer Beihilfe zum Suizid nichts zu tun hatten. Dies kann keinesfalls bereits zu einer Strafbarkeit des Arztes führen.
IV. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand des § 217 StGB erfordert neben dem Vorsatz die „Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“. Hinsichtlich der suizidalen Handlung genüge bedingter Vorsatz; in Bezug auf die Förderung selbst muss, so der Gesetzgeber in seiner Begründung, die Absicht – im Sinne eines Darauf-Ankommens – liegen.110 Diese Absicht wird in der Gesetzesbegründung auch als „Absicht im eigentlichen Sinne“ bezeichnet;111 es muss dem Täter gerade darauf ankommen, dem anderen den Zugang zum Suizid zu ermöglichen oder zu erleichtern. Keine Selbsttötung ist es, wenn der Sterbende „Opfer eines riskanten Lebensstils wird“112, sein Leben also fahrlässig aufs Spiel setzt; etwa indem ein Schmerzmittel zwar wissentlich hochdosiert wird, um Schmerzen zu bekämpfen, ohne aber den eigenen Tod zu wollen. Wie oben113 bereits erwähnt, schließt der Gesetzgeber erstaunlicherweise in seiner Begründung die palliativmedizinisch tätigen Ärzte von der Strafbarkeit nach § 217 StGB aus. In seiner Begründung heißt es wörtlich: „Sollte im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis Suizidhilfe gewährt werden, geschieht dies typischerweise gerade nicht ʻgeschäftsmäßigʼ, also nicht in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen.“114
In dieser Konstellation soll daher nach der Gesetzesbegründung keine Absicht vorliegen. In Bezug auf den subjektiven Tatbestand schreibt der Gesetzgeber: „Auf subjektiver Seite ist erforderlich, dass die gewährte Hilfestellung zur Selbsttötung absichtlich, also zielgerichtet, erfolgt […] Das Aufnehmen der Absicht sichert außerdem zusätzlich die Abgrenzung zu den soeben skizzierten Formen des 110 111 112 113 114
BT-Drs. 18/5373, S. 19. BT-Drs. 18/5373, S. 18. MüKo-Brunhöber, StGB, § 217 Rn 39. Siehe die Ausführungen im 4. Kapitel A) III. 2. BT-Drs. 18/5373, S. 18.
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zulässigen Behandlungsabbruchs und der zulässigen indirekten Sterbehilfe und vermeidet Wertungswidersprüche dazu.“115
Die letztgenannten Maßnahmen basieren eben nicht auf der Absicht der Förderung der Selbsttötung eines anderen. Vielmehr wollen sie den natürlichen Krankheitsverlauf nicht durch eine Behandlung unterbrechen bzw. für eine Linderung der Schmerzen und Leiden der Patienten mittels Verabreichung von schmerzstillenden Arzneimitteln sorgen. Der rasche Eintritt des Todes zeigt sich hier nur als unbeabsichtigte, jedoch unvermeidbare Nebenfolge.116 Diese Begründung vermag hier nicht zu überzeugen. Man gehe von zwei in der Realität immer wieder vorkommenden Fallkonstellationen aus: a)
Ein Hospizarzt stellt einem Patienten einen Raum zur Verfügung, in welchem dieser, z.B. nach Absetzen lebenserhaltender Medikamente oder auch durch sog. „Sterbefasten“, seinem Leben ein Ende setzen kann.
b)
Ein Arzt stellt einem Patienten über das Wochenende notwendige Morphinpräparate zur Verfügung in dem Wissen, dass eine Einnahme der gesamten Dosis zum Tod führen kann.
In beiden Fällen ist unzweifelhaft der objektive Tatbestand des § 217 StGB gegeben. Bedingung ist jeweils die geschäftsmäßige Vornahme der Unterstützungshandlung, mithin dass keine Beschränkung auf den Einzelfall vorliegt. Hiervon dürfte in beiden Fällen auszugehen sein. Das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit erlangt seine Relevanz lediglich dadurch, dass Einzelhandlungen nicht unter die Tatbestandsmäßigkeit des § 217 StGB fallen sollen. Hospiz- und Palliativmediziner sowie sonstige professionelle Sterbehelfer haben permanent mit Sterbenden zu tun und eröffnen diesen z.B. durch die Überlassung von Arzneimitteln die Gelegenheit zum Suizid. Damit handeln sie immer geschäftsmäßig.117 Die Absicht muss nicht die wirkliche Durchführung der Selbsttötung umfassen, im Hinblick darauf genügt dolus eventualis.118 Es reicht also aus, wenn der Akteur, z.B. ein Arzt, die Selbsttötung für möglich hält und sich damit abfindet. In den oben skizzierten Fällen, in denen ein Sterbezimmer zur Verfügung gestellt wird, ist dies ohne Weiteres der Fall; hier dürfte in Bezug auf die Selbsttötung des Sterbewilligen sogar Wissentlichkeit vorliegen. Die Förder115 BT-Drs. 18/5373, S. 18. 116 BT-Drs. 18/5373, S. 18 f. 117 Hilgendorf, Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wissenschaft, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzgebung-sterbehilfe-tatbestandsmerkmaleanalyse/ [Fassung vom 30.12.2019]. 118 BT-Drs. 18/5373, S. 19.
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handlung selbst, also das Zur-Verfügung-Stellen des Zimmers, geschieht mit Absicht. Auch in Bezug auf alle anderen Tatbestandsmerkmale liegt der erforderliche Vorsatz vor. Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt. Dasselbe dürfte aber auch in dem Fall zutreffen, in welchem ein Arzt einem potenziell Sterbewilligen Medikamente in einer u.U. todbringenden Dosis überlässt. Viele Patienten in onkologischen Abteilungen, Palliativstationen und Hospizen schwanken tagtäglich zwischen der Hoffnung, weiter zu leben, und dem Verlangen nach einem raschen Tod. Beim Überlassen von Medikamenten an einen solchen Patienten wird man also stets damit zu rechnen haben, dass sich der Patient eine Überdosis zuführt. Dies gilt auch dann, wenn sich der Patient das Medikament selbst, z.B. mittels einer Infusion, geben kann, etwa wenn er über das Wochenende die Möglichkeit erhält, eine Morphinpumpe selbst zu benutzen.
V. Rechtswidrigkeit Betrachtet man die deutsche Strafrechtssystematik, so käme als Rechtfertigungsgrund hier vor allem die Einwilligung des Sterbewilligen in Betracht. Die Norm des § 217 StGB soll dem Schutz des Lebens und die Entscheidungsfreiheit von potentiell Sterbewilligen dienen.119 Dabei geht es um Individualrechtsgüter, welche regelmäßig der Dispositionsbefugnis des Rechtsträgers unterfallen.120 Zwar könnte darauf abzustellen sein, dass sich aus § 216 StGB die Nichtverfügbarkeit über das Rechtsgut Leben und die Einwilligungssperre in lebensverkürzende Maßnahmen ergeben könnte. Nach vereinzelten Stimmen steht allerdings bei § 217 StGB nur die Einwilligung in abstrakte Lebensgefährdungen in Rede, jedoch nicht die Einwilligung in eine Verletzung i.S.d. § 216 StGB.121 Eine wirksame Einwilligung in Gefährdungen des Lebens, gleichgültig ob abstrakte oder konkrete, sei dem Betroffenen jederzeit möglich. Hierfür spreche auch gerade der angesprochene Schutz der Entscheidungsfreiheit durch § 217 StGB und die durch Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Freiheit der Entscheidung über das eigene Lebensende. Mithin müsse es als verfassungswidrig122 und widersprüchlich anzuerkennen sein, falls es dem Betroffenen versagt würde, in die 119 120 121 122
BT-Drs. 18/5373, S. 10. Riemer, BRJ 2016, 96 (101). NK-Saliger, StGB, § 217 Rn 32. Dieser Gedanke findet sich auch in BVerfG NSZ 2020, 528 (530) wieder, was im 7. Kapitel III. näher dargelegt wird.
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Gefährdung seines eigenen Lebens einzuwilligen.123 Die Konsequenz dieser Auffassung wäre allerdings ein grundsätzliches Leerlaufen des § 217 StGB in der Praxis, da in den hier erwähnten Fällen stets die Einwilligung des Sterbewilligen vorliegt.124 Zwar findet der ärztliche Eingriff seine rechtliche Behandlung auf dem Gebiet der Körperverletzung, doch werden die Strafrichter diesen einfachen Weg im Rahmen von Suizidhandlugen kaum verfolgen. Das bedeutet nicht, dass es nicht ausnahmsweise Einzelfallentscheidungen geben kann, in denen die tatbestandsmäßige Handlung durchaus ihre Rechtfertigung erfahren kann, falls die sonstigen Bedingungen an eine Einwilligung gegeben sind. In diesen Konstellationen ist aber dringend eine exakte Dokumentation der freiverantwortlichen Entscheidung des Sterbewilligen mittels Zeugen und Videointerviews sowie Darlegung der Beweggründe seines Sterbewunsches anzuraten.125 Auszuschließen ist ferner, in Ansehung des § 1904 BGB mit der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu argumentieren und damit einen Rechtfertigungsgrund durch vormundschaftliche Genehmigung zu konstruieren. Dagegen spricht schon, dass diese Norm zum 1. September 2009 in Kraft getreten ist und infolgedessen weit vor § 217 StGB. Der Gesetzgeber beabsichtigte im Zivilrecht lediglich die Regelung des technischen Verfahrensablaufs der vormundschaftlichen Genehmigung, aber keineswegs die Schaffung eines Rechtfertigungsgrunds für eine bis dato noch gar nicht bekannte Strafrechtsnorm.126
VI. Schuld Im Rahmen der Frage nach der Schuld kann sich das Problem stellen, ob über die Religionsfreiheit des Art. 4 GG, speziell in Gestalt der Mitmenschlichkeit des Suizidhelfers gegenüber dem Sterbewilligen als Nächstem, ein Entschuldigungsgrund anzuerkennen ist. Dass hier ein Interessenkonflikt besteht, äußert sich auch im Dilemma der Kirchen, zum einen gegen Sterbehilfe zu sein und zum anderen aber die christliche Nächstenliebe zu predigen.127 Auch laut der Gesetzesbegründung soll von § 217 StGB nicht die Suizidhilfe sanktioniert 123 Hilgendorf, Gesetz zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe: Eine Norm für die Wissenschaft, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzgebung-sterbehilfe-tatbestandsmerkmaleanalyse/ [Fassung vom 30.12.2019]. 124 Eine andere Bewertung kann sich nur ergeben, wenn der Suizident durch Täuschung oder Drohung zur Selbsttötung veranlasst wird. 125 Riemer, BRJ 2016, 96 (101 f.). 126 Riemer, BRJ 2016, 96 (102). 127 Riemer, BRJ 2016, 96 (102).
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werden, welche im Einzelfall in einer schwerwiegenden Konfliktsituation durchgeführt wird.128 Ein Schuldausschließungsgrund aufgrund von Gewissenskonflikten ist damit nicht von vornherein undenkbar.129
VII. Persönlicher Strafausschließungsgrund des § 217 Abs. 2 StGB In § 217 Abs. 2 StGB hat der Gesetzgeber einen persönlichen Strafausschließungsgrund normiert. Gemeint sind hier also Umstände, die bereits bei der Tatbegehung vorgelegen haben müssen und von vornherein zur Straflosigkeit führen. Gäbe es die Norm des § 217 Abs. 2 StGB nicht, käme es mit Blick auf die Akzessorietät der Beihilfe und § 28 Abs. 1 StGB zur Straflosigkeit des nicht geschäftsmäßig handelnden Täters und jedoch zur Strafbarkeit des nicht geschäftsmäßig handelnden Teilnehmers. So kann nun aber z.B. der nicht geschäftsmäßig handelnde Ehemann seiner Frau straffrei Suizidbeihilfe leisten, indem er sie zum geschäftsmäßig handelnden Sterbehelfer fährt.130 Hier entsteht durch die Systemwidrigkeit also ein Problem, das man nicht hätte, würde man der oben beschriebenen Dogmatik des Strafrechts bezüglich Beihilfe und vorsätzlich begangener rechtswidriger Haupttat folgen. Sollte dies die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, so ist fraglich, warum der Teilnehmerkreis dann weiter qualifiziert wurde – erst recht vor dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.131 Der Gesetzgeber begründet dies damit, „dass kein Strafbedürfnis gegenüber Personen besteht, die ihren Angehörigen oder anderen engen Bezugspersonen in einer in der Regel emotional sehr belastenden und schwierigen Ausnahmesituation beistehen wollten“.132 Es läge hier „kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten“133 zugrunde. Dieser Ansatz des Gesetzgebers geht an diversen Stellen fehl: a)
Zum einen wird hier ein familiäres Idyll unterstellt, das nur in wenigen Fällen faktisch bestehen mag. Dass jeder Angehörige von Mitleid mit dem Sterbenskranken ergriffen ist, und darum und alleine darum bereit ist, dessen Sterben und Tod
128 129 130 131 132 133
BT-Drs. 18/5373, S. 3. Vgl. Riemer, BRJ 2016, 96 (102). Kraatz, Arztstrafrecht, Rn 189i. Kraatz, Arztstrafrecht, Rn 189i. BT-Drs. 18/5373, S. 19 f. BT-Drs. 18/5373, S. 20.
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zu fördern, kann nur ein Ideal sein, das sich in der Realität durchaus anders darstellen kann. b)
Unterstellte man jedoch, was der Gesetzgeber hier unterstellt, so ist nicht nachvollziehbar, warum die nahestehenden Personen nur im Falle der Teilnahme von der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen – geht es hier wirklich um Mitleid und Mitgefühl, so wäre dies doch umso höher zu werten, wenn es sich beim Angehörigen um den direkten Täter handelte. Diesen belässt der Gesetzgeber aber im Strafbarkeitsbereich des § 217 Abs. 1 StGB.134
c)
Letztlich, geht man wirklich von der Kumulativität des Angehörigen und des nicht geschäftsmäßig Handelnden, aus, so wäre hier nur der „Serientäter“ im Kreise seiner Verwandten oder engen Freunde erfasst – was wohl eher eine rein theoretische Sachverhaltsvorstellung sein dürfte.135
Generell ist zu klären, wie die Unterscheidung zwischen einem Angehörigen und einer nahestehenden Person zu treffen ist:
1. Angehöriger Zum Begriff des Angehörigen sagt § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB: „Angehöriger (ist): wer zu den folgenden Personen gehört: a) Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist, b) Pflegeeltern und Pflegekinder.“
Hier ist bereits ein Widerspruch zur Gesetzesbegründung ersichtlich: Laut dieser wurde die Privilegierung geschaffen, weil der dem Suizidenten Nahestehende eine enge, besondere Beziehung zu diesem hat, die zu einer besonderen Gesinnung des Mitleids und des Mitgefühls führt, wodurch eine Unterstützung beim Suizid erklärlich zu werden vermag. Der Angehörigenbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst hingegen sowohl Schwager und Schwägerin, und zwar selbst dann, nachdem die die Angehörigeneigenschaft begründende Ehe bereits längst wieder geschieden wurde. Es erscheint doch eher fragwürdig und die Ausnahme, ein derartiges privilegierendes Näheverhältnis in solchen Fällen zu unterstellen, und diese Angehörigen alsdann vom Strafausschließungsgrund des § 217 Abs. 2 StGB profitieren zu lassen. Ggf. hätte man hier – wenn schon 134 Vgl. Kraatz, Arztstrafrecht, Rn 189i. 135 Kraatz, Arztstrafrecht, Rn 189i.
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eine derartig ausgestaltete Privilegierung gewollt war – eher mit dem Begriff des nächsten Angehörigen aus dem Transplantationsrecht arbeiten sollen. Nächste Angehörige im Sinne des § 1a Nr. 5 TPG sind in der Rangfolge ihrer Aufzählung: a)
der Ehegatte oder der eingetragene Lebenspartner,
b)
die volljährigen Kinder,
c)
die Eltern oder, sofern der mögliche Organspender zur Todeszeit minderjährig war und die Sorge für seine Person zu dieser Zeit nur einem Elternteil, einem Vormund oder einem Pfleger zustand, dieser Sorgeinhaber,
d)
die volljährigen Geschwister,
e)
die Großeltern.
Dabei ist hier der nächste Angehörige nach § 4 Abs. 2 S. 1 TPG nur dann zu einer Entscheidung befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organspenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte. Im TPG wird also dezidiert gefordert, dass zu der Person, die über die Entnahme von Organen des bereits toten Menschen entscheidet, ein besonderes Näheverhältnis bestehen muss. Im Gegensatz dazu stellt der Begriff, der in § 217 Abs. 2 StGB verwendet wird, auf eine rein formaljuristische Gegebenheit ab – in einer Situation, in der der Mensch immer noch lebt und sein Zustand fragiler und schützenswerter wohl kaum sein kann. Im Rahmen des § 35 StGB schließt der Angehörigenbegriff auch eigentlich zerrüttete Beziehungen mit ein, wobei der Wortlaut dieser Norm mit der Gefahr u.a. für einen Angehörigen oder einer anderen dem Täter nahestehenden Person einen ähnlichen Wortlaut aufweist wie § 217 Abs. 2 StGB. Für die Angehörigeneigenschaft nach § 35 StGB wird keine tatsächliche enge persönliche Beziehung verlangt, so dass auch bei § 217 Abs. 2 StGB die formale Bestimmung der Verwandteneigenschaft genügen könnte.136 Hierfür kann angeführt werden, dass die Eigenschaft als Angehöriger ein altruistisches Vorgehen ähnlich indiziert wie die Geschäftsmäßigkeit ein Eigeninteresse des Suizidhelfers. Sofern jedoch schon für die Strafbarkeit gem. § 217 Abs. 1 StGB ein geschäftsmäßiges Vorgehen genügt, ohne dass es tatsächlich auf ein darüber hinaus reichendes Eigeninteresse bzw. sogar eine den Suizid fördernde Einwirkung auf den Lebensmüden ankommen muss, ist auch anzuerkennen, dass es für den Strafaufhebungsgrund lediglich auf die Indizwirkung der formellen Angehörigeneigenschaft anzukommen braucht ohne dass wirk136 Kampmann, Die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 112 f.
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lich eine enge persönliche Beziehung zwischen dem Angehörigen und dem Sterbewilligen vorliegen muss.137 Die Voraussetzungen, die der Gesetzgeber hier an § 217 Abs. 2 StGB knüpft, sind also in sich widersprüchlich: Zum einen soll es – als negatives Tatbestandsmerkmal – an der Geschäftsmäßigkeit fehlen – was er immer dann unterstellt, wenn der Sterbehelfer aus Mitgefühl handelt, und dieses Mitgefühl schließe eine Geschäftsmäßigkeit eben gerade aus. Zum anderen wird der Angehörige rein formaljuristisch bestimmt – was keinerlei Rückgriff auf ein etwaiges Näheverhältnis erfordert – selbiges könnte aber durchaus ein Indiz für Mitleid sein.
2. Nahestehende Person Umso interessanter – im Lichte dieser rein formalen Betrachtung – erscheint der zweite Personenkreis, den der Gesetzgeber benannt hat: die nahestehende Person. Das erscheint dem Angehörigenbegriff je nach Situation diametral entgegengesetzt zu sein. Im Rahmen des § 35 Abs. 1 StGB lässt sich eine nahestehende Person charakterisieren durch „das Bestehen eines auf eine gewisse Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnisses […], das ähnliche Solidaritätsgefühle wie (i.d.R.) unter Angehörigen hervorruft und das deshalb im Fall der Not auch zu einer vergleichbaren psychischen Zwangslage führt“.138 Angesprochen hiervon sind etwa der feste Lebenspartner sowie ein sehr enger Freund, während bei einem Arzt diese Bedingung lediglich dann gegeben ist, falls eine Vertrautheit zu verzeichnen ist, die das gewöhnliche Arzt-Patienten-Verhältnis übersteigt. Da auch bei §§ 238 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 und Abs. 3 StGB und § 241 Abs. 1 StGB ein solch intensives Verhältnis gefordert wird, kann diesbezüglich ein allgemein anerkanntes Begriffsverständnis angenommen werden.139 Hinsichtlich der Forderung nach einer derartigen intensiven Beziehung wird mit der (vermeintlichen) Gleichstellung eines solchen NahepersonenVerhältnisses und der Verwandteneigenschaft argumentiert.140 Weil Verwandte selbst ohne enge Beziehung zum Suizidenten von der Strafausschließung nach § 217 Abs. 2 StGB profitieren, könnte hier bei oberflächlicher Betrachtung ein Widerspruch zu erkennen sein, welcher jedoch aufgelöst werden 137 138 139 140
Kampmann, Die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 113. Schönke / Schröder-Perron, StGB, § 35 Rn 15. Kampmann, Die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 114. Schönke / Schröder-Perron, StGB, § 35 Rn 15.
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kann. Während nämlich die Verwandteneigenschaft das Vorhandensein eines Solidaritätsverhältnisses indiziert, mangelt es bei einer nahestehenden Person an einem solchen formellen Verhältnis und einer derartigen Indizwirkung, so dass eine enge Beziehung zu fordern ist. Falls wirklich eine solch enge Beziehung vorliegt, „ist dies ein ausreichendes Indiz für eine altruistische, sich dem Sterbewunsch des Suizidenten unterwerfende Motivation“.141 Auch der Gesetzgeber verlangt nach einer intensiven Bindung dergestalt, „wie dies unter Angehörigen gemeinhin der Fall ist“.142 Dem TPG liegt die grundlegende rechtsethische Prämisse zugrunde, dass die Legitimation einer Organentnahme der Zustimmung des Betroffenen selbst oder seiner nächsten Angehörigen bedarf. In einem Eingriff in den menschlichen Körper bzw. sogar der Verwendung eines Teils davon ausschließlich zu fremdnützigen Zwecken ist dagegen immer noch eine illegale Instrumentalisierung zu sehen, welche den Eigenwert jedes Menschen als Subjekt seiner selbst fundamental anzweifelt.143 Nicht geklärt ist allerdings, wer zur stellvertretenden Deutung und rechtsverbindlichen Erklärung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen berechtigt ist. Den §§ 1896 ff., 1901a Abs. 2 BGB kann entnommen werden, dass auf dem Gebiet der Therapiebegrenzung die Legitimation zur Vertretung des Patienten einem vom Gericht zu bestellenden Betreuer zukommt, falls der Betroffene nicht schon vorher kraft seiner Privatautonomie eine konkrete Person zu seinem diesbezüglichen Stellvertreter erklärt hat. Dagegen gelten in Bezug auf Erklärungen im Zusammenhang mit der postmortalen Organspende – vorbehaltlich einer Bevollmächtigung nach § 2 Abs. 2 TPG – die oben erwähnten Normen des §§ 4 Abs. 2, 1a Nr. 5 TPG mit der Bestimmung des „nächsten Angehörigen“ zur stellvertretenden Entscheidung in einer starren Reihenfolge dieser Angehörigen. Die vor und nach dem Tod des Betroffenen zum Bevollmächtigten Erklärten können mithin durchaus personenverschieden sein.144 Dringend erforderlich ist die Schaffung einer einheitlichen Wortregelung, denn aus der Perspektive von Arzt und Patient ist es unzumutbar, sich in einem fließenden Sterbeprozess mit verschiedenen Ansprechpartnern auseinandersetzen und beraten zu müssen. Dabei kann es nicht sein, dass gegenüber einem Toten mehr Nähe gefordert wird als gegenüber einem Lebenden. Der Arzt klemmt so in einem Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen An141 142 143 144
Kampmann, Die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 114 f. BT-Drs. 18/5373, S. 20. Duttge / Neitzke, GesR 2015, 705 (706). Duttge / Neitzke, GesR 2015, 705 (706).
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sprechpartnern, obwohl er sich in dieser Situation auf das Kernstück seiner Tätigkeit, nämlich der vollen Konzentration auf seinen Patienten, ausrichten sollte. Obwohl Duttge / Neitzke145 auf diesen Widerspruch bereits im Jahre 2015 hingewiesen hatten, wurde er bei der Fassung des § 217 StGB nicht berücksichtigt.
VIII. Konkurrenzen Bezüglich der Tat nach § 217 StGB kann insbesondere Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB und im Falle der Garantenstellung mit (versuchtem) Totschlag oder Körperverletzung durch Unterlassen gegeben sein. Gleiches gilt mit Blick auf § 29 BtMG und diversen Straftatbeständen des AMG, ChemG und WaffG.146
IX. Rechtsfolgen Die Tat des § 217 StGB ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren zu sanktionieren. Dabei darf infolge des Doppelverwertungsverbots des § 46 Abs. 3 StGB keine strafverschärfende Berücksichtigung des geschäftsmäßigen Handelns stattfinden. Sofern indes z.B. der Arzt seine Suizidhilfe in Rechnung stellt, kann diese Gewinnorientiertheit zur Strafverschärfung führen.147 Bei Ärzten kann es zudem zu einem Berufsverbot oder dem Entzug der Approbation kommen.148
X. Auslandstaten Zur Erinnerung: Einer der Hauptauslöser der Diskussion um Sterbehilfe in Deutschland waren zunächst keine deutschen Fälle, sondern das Einsetzen eines „Sterbetourismus“ in die Schweiz, in welcher diverse Organisationen ihre Unterstützung beim Suizid anboten. Gem. § 3 StGB gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Inland begangen werden. Somit kann nur die Förderung des Suizids im Inland nach hiesigem Recht geahndet werden. Dagegen scheidet nach § 7 StGB eine Strafverfolgung im Inland aus, falls die Handlung im Ausland nicht der Strafbarkeit unterliegt.149
145 146 147 148 149
Duttge / Neitzke, GesR 2015 (707 f.). Riemer, BRJ 2016, 96 (103). Riemer, BRJ 2016, 96 (103). Vgl. Heintschel-Heinegg-Oğlakcioğlu, StGB, § 217 Rn 49. Vgl. Riemer, BRJ 2016, 96 (104).
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Insbesondere sollte hier der oben erläuterte Tatbestand des Vermittelns betrachtet werden. Er kann auch dann erfüllt sein, wenn der vermittelte Suizidhelfer seinen Sitz im Ausland hat. Hier spielt es auch keine Rolle, ob die Suizidbeihilfe im Ausland als Straftat bewertet wird; nach § 3 StGB kommt es hier alleine auf die Tat des Vermittelns an. Im Übrigen bleiben die Voraussetzungen die gleichen wie oben unter dem entsprechenden Punkt dargestellt. Entsprechend solcher Straftaten im Inland muss auch hier der Vermittler geschäftsmäßig handeln. Auch eine Strafbarkeit nach § 9 StGB im Falle sogenannter „grenzüberschreitender Dienstleistungen“ erscheint möglich.150
XI. Fazit Nach den obigen Ausführungen muss als Schlussfolgerung festgestellt werden, dass die Regelung des § 217 StGB völlig missglückt war. Der Gesetzgeber hätte besser daran getan, auf eine derartige Regelung ganz zu verzichten als die vorliegende in Kraft treten zu lassen.
B) Materielle Grenzen der Strafgesetzgebung Wie oben151 bereits dargelegt, wurden im Rahmen der Diskussion um die Einführung des § 217 StGB von verschiedenen Seiten unterschiedliche Argumente eingebracht. Zum Beispiel wurde auf die Unverhältnismäßigkeit der Bestrafung der Suizidhilfe hingewiesen und kritisiert, dass mit der Norm die Teilnahme ohne Täter geahndet werde. Dabei wurde nicht nur strafrechtsimmanente Kritik geäußert. Vielmehr standen auch verfassungsrechtliche und rechtspolitische Einwände im Raum. Insofern stellt sich die Frage nach der Gewichtung von solchen Kritikpunkten, die zu der (strafrechts-)wissenschaftlichen Frage führt, mit welchem Framework und in welcher Reihenfolge eine theoretische und effektive Kritik an der Gesetzgebung möglich ist.152 Die Strafrechtswissenschaft befasst sich u.a. mit den Voraussetzungen der Legitimation der Strafgesetzgebung. Eine wesentliche Problematik der Strafgesetzgebung liegt darin, ihre materiellen Grenzen festzulegen.153 Nach seinem klassischen Verständnis bezweckte das Strafrecht den Schutz von Leben, Leib 150 BT-Drucks. 18/5373, S. 20. 151 Siehe insbesondere die Ausführungen zum Gesetzgebungsverfahren 2015 im 3. Kapitel B) und diejenigen im 4. Kapitel A). 152 Nakamichi, ZIS 2017, 324. 153 Gärditz, JZ 2016, 641.
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und Eigentum sowie denjenigen der staatlichen Organisationen und Organe. Doch Mitte der 1970er-Jahre richtete es sein Augenmerk auf die Vorfelder der klassischen Rechtsgüter, namentlich auf Politik, Wirtschaft, Steuern, Umwelt und Drogen.154 Angesprochen hiervon sind u.a. Computer- und Umweltdelikte und die Finanzmarktkriminalität, die der klassischen Strafrechtsgesetzgebung noch fremd waren. Der Strafbarkeit des „white-collar-crime“ liegen dabei sogar Aspekte der Gerechtigkeit und sozialen Gleichheit zugrunde.155 Diese Ausdehnung des Strafrechts auf immer neue Gebiete, wodurch eine Neukriminalisierung statt einer Entkriminalisierung eintritt, wird als problematisch empfunden. Selbiges gilt für die flexible Handhabung von eigentlich herkömmlichen, rechtsstaatlichen Bindungen z.B. der Wortlautgrenze, des Analogieverbots und des juristischen Argumentationsstandards, das Verlassen des Ultima-Ratio-Prinzips, die Heranziehung weiterer, auslegungsfähiger Rechtsgüter wie vor allem Universalrechtsgüter sowie die vollumfängliche Vorfeldkriminalisierung mittels Einbeziehung von Versuchs- und Vorbereitungshandlungen. Ebenfalls starken Bedenken begegnen die umfangreiche Einführung von konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten und die schwammige Abgrenzung zwischen Straf- und Polizeirecht infolge der einseitigen Hervorhebung des präventiven Strafzwecks.156 Laut der Lehre vom Rechtsgut darf der Gesetzgeber allein solches Verhalten bestrafen, welches eine Bedrohung für ein Rechtsgut darstellt. Handlungen dürfen hiernach keineswegs als Delikte sanktioniert werden, wenn sie nur gegen moralische oder gesellschaftliche Wertvorstellungen sowie gegen staatliche Interessen abzielen.157 Dazu zählt z.B. die vormals noch unter Strafe gestellte Homosexualität.158 Nach Hassemer mutiert der Rechtsgüterschutz zu einer Aufforderung an den Gesetzgeber zur strafbewehrten Sanktionierung von gewissen Verhaltensweisen.159 Als diesbezügliches Beispiel führt er zum einen die Ansicht des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch an, der zufolge der Strafrechtsgesetzgeber seinen Rechtsgüterschutz auch auf das werdende Leben erstrecken und deshalb die Abtreibung größtenteils mit Strafe versehen müsse.160 Zum ande154 155 156 157 158 159 160
Kempf, NJW 1997, 1729 (1730). Hilgendorf, NK 2010, 125. Hilgendorf, NK 2010, 125. Hassemer, NStZ 1989, 553 (557). Frisch, NStZ 2016, 16 (22). Hassemer, ZRP 1992, 378 (380). BVerfGE 39, 1 (46 ff.).
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ren stellt er auf die Forderung ab, der Strafgesetzgeber dürfe die „Vergewaltigung in der Ehe“ nicht allein als Nötigung gem. § 240 StGB sanktionieren, sondern müsse sie zudem als Sexualdelikt bestrafen. Seiner Auffassung zufolge „[wandelt sich] das Prinzip des Rechtsgüterschutzes von einem bedingten Bestrafungsverbot in ein Bestrafungsgebot, von einem negativen in ein positives Kriterium richtiger Kriminalisierung“.161 Nakamichi hält jedoch dagegen, dass mittlerweile die Argumentation, dass eine Straftat eine feststellbare Rechtsgutverletzung voraussetze, nicht mehr zwangsläufig sei. Die Rechtsgutsargumentation weise für die konkreten Gesetzgebungen keine Überzeugungs- und Beschränkungskraft mehr auf.162 Hierzu greift er auf die sog. „Inzestentscheidung“ des BVerfG zurück, in der es u.a. heißt: „Strafnormen unterliegen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten.“163
Dabei stellt dieses Gericht u.a. darauf ab, dass der Begriff des Rechtsguts nicht einheitlich definiert sei und die Rechtsgutlehre keine inhaltlichen Maßstäbe vorgebe, deren Übernahme in das Verfassungsrecht unabdingbar sei. Stattdessen obliege dem Gesetzgeber mit den Mitteln des Strafrechts die Festlegung der zu schützenden Rechtsgüter.164 Rechtsgüter werden mithin vom Gesetzgeber keineswegs vorgefunden; vielmehr erschafft er diese erst durch seine Rechtsetzungsakte.165 Auch Greco lehnt die Rechtsgutslehre ab: „Wenn wir meinen, ein Verhalten nicht bestrafen zu dürfen, weil dieses Verhalten keine Rechtsgüter beeinträchtige, meinen wir, die Bestrafung dieses Verhaltens sei nutzlos, bringe für uns keine Vorteile. Diese Bestrafung produziere keine guten Folgen, sei also konsequentialistisch sinnwidrig und deshalb zu unterlassen.“166
Nur durch die Rechtsgutslehre kann keine Kontrolle oder Verbesserung der Gesetzgebung stattfinden.167
161 162 163 164 165 166 167
Hassemer, ZRP 1992, 378 (380). Nakamichi, ZIS 2017, 324. BVerfGE 120, 224 (241). BVerfGE 120, 224 (241 f.). Hilgendorf, NK 2010, 125 (130). Greco, ZIS 2008, 234 (236). Nakamichi, ZIS 2017, 324.
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Frisch wiederum verfolgt einen anderen Weg, um die Strafgesetzgebung zu begrenzen. Das wesentliche Merkmal der Strafe sei im sozialethischen Vorwurf zu erblicken. Dem Täter werde vorgeworfen, „etwas getan zu haben, was mit (auch) sozialethisch fundierten Grundanforderungen des Gemeinschaftslebens nicht vereinbar ist“.168 Es stehe keineswegs die Feststellung des fehlerhaften Verhaltens in Rede. Vielmehr werde der Vorwurf einer sowohl aus rechtlichem als auch sozialethischem Blickfeld verwerflichen Handlung erhoben.169 Diesem Ansatz entgegnet Nakamichi allerdings mit der Präzisierungsbedürftigkeit des dem Begriff des „sozialethischen Vorwurfs“ ähnlichen Begriffs der Sozialschädlichkeit, der unbestimmt und wertungsabhängig sei. Er stellt die Frage nach der Instanz, die die Voraussetzungen für die Bejahung der sozialethischen Vorwerfbarkeit und Sozialschädlichkeit von Handlungen aufstellen könne.170 Diesbezüglich stellt es der Meinung von Gärditz gemäß eine dauerhafte Aufgabe der demokratischen Gesetzgebung dar, „die beweglichen und wertungsabhängigen Grenzen des sozial Hinnehmbaren zu definieren, Interessenkonflikte aufzulösen, und Orientierungssicherheit auf ethisch umstrittenem Terrain durch Normierung zu vermitteln“.171 An diese Argumentation von Gärditz anknüpfend stellt sich das Problem der Einschränkung des gesetzgeberischen Ermessensspielraums, hinsichtlich dem auf die strafrechtlichen Grundprinzipien des Schuldprinzips, des Tatstrafrechts sowie des Rechtsgutsprinzips abgestellt werden kann.172 Während das Schuldprinzip im Grundgesetz verankert ist,173 ist die Legitimation der Begrenzungsmacht der strafrechtlichen Prinzipien aus positivrechtlicher Sicht noch zweifelhaft. Als sinnvoll erscheint es, die Grenzziehung der Strafgesetzgebung der Verfassung selbst zu entnehmen, da der Verfassung in Ansehung des Art. 20 Abs. 3 GG die Aufgabe auferlegt ist, die jeweiligen demokratischen Entscheidungen der Kontrolle zu unterziehen.174 Mithin kann die demokratische Strafrechtsgesetzgebung äußerlich ausschließlich durch die Verfassung begrenzt werden, so dass abseits des verfassungsrechtlichen Rahmens keine Gesetze existieren können. Sofern sich ein Gesetzentwurf nicht auf verfassungsrechtliche Aspekte stützen kann, ist er als nichtig 168 169 170 171 172 173 174
Frisch, NStZ 2016, 16 (20). Frisch, NStZ 2016, 16 (20). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325). Gärditz, JZ 2016, 641 (645). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325). Vgl. BVerfGE 20, 323 (331). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325).
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zu betrachten.175 Strafgesetze müssen also als verfassungsrechtliche Vorgabe – wie alle anderen Gesetze auch – den allgemeinen Gültigkeitsvoraussetzungen eines Gesetzes entsprechen. Mithin muss insbesondere der Gesetzgeber für den Erlass der Bestimmung zuständig und das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen sein. Weiterhin darf kein Verstoß der Norm gegen höherrangiges Recht vorliegen. Ebenso wie andere Gesetze müssen auch Strafgesetze dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.176 Allerdings weisen auch diejenigen Gesetzesentwürfe, die durch die genannten Aspekte legitimiert werden, keinesfalls sämtlich dieselbe Qualität auf, denn diese können von „ausreichend“ bis „gut“ eingestuft werden.177 Auf die verfassungsrechtliche Prüfung folgt eine weitere Bewertung, die u.a. die strafrechtliche Systemstimmigkeit sowie die rechtspolitische Effektivität ins Auge nimmt. Selbiges gilt für die nicht verfassungsrechtlich verwurzelten Grundprinzipien des Strafrechts, die herkömmlich als erforderlich erachtet werden. Diese Gesichtspunkte verfügen zwar über keine Kraft zur begrenzenden Bindung des Gesetzgebers, können aber als wissenschaftliche Empfehlung im Rahmen des politischen Diskurses verwendet werden.178 Diesbezüglich angesprochen ist die Problematik, dass sich bei einem Gesetz, das sich nicht als verfassungswidrig erweist, dennoch die Frage stellen kann, ob es sich aus rechtspolitischer Sicht als beste Lösung des Problems zeigt. Im Rahmen dieser Prüfung auf Systemimmanenz geht es speziell darum, ob sich eine Vorschrift im betreffenden Rechtsgebiet als Fremdkörper zeigt und ob es Alternativen zu dieser Bestimmung geben kann. Ferner könnte auch auf Statistiken zurückgegriffen werden, die belegen könnten, dass eine Änderung der bisherigen Rechtslage gar nicht zwingend erforderlich wäre, weil in der Praxis ohnehin nur eine relativ unbedeutende Anzahl an solchen Fällen zu verzeichnen ist, die von der neuen, abweichenden Rechtslage erfasst würden.179 Sofern sich also die Gesetzgebung noch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hält, kann aus strafrechtlichen und rechtspolitischen Einwendungen keinesfalls eine verfassungsrechtliche Nichtigkeit des Gesetzes resultieren.180 Als absolut unverhältnismäßig und demzufolge verfassungswidrig müsste etwa eine Strafnorm beurteilt werden, die das Ausspucken in der Öffentlichkeit mit erhebli175 176 177 178 179 180
Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325). Hilgendorf, NK 2010, 125 (127). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (325). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (328 ff.). Nakamichi, ZIS 2017, 324 (330).
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cher Freiheitsstrafe sanktionierte.181 Greco weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eben doch die Rechtsgutslehre bedinge, da ein Bezugspunkt für die Bewertung eines staatlichen Eingriffs als geeignet, erforderlich und angemessen benötigt werde.182 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich für den eigenen Regelungsvorschlag im 2. Kapitel des Teils 2 dieser Arbeit, dass die im 4. Kapitel A) aufgezeigten Mängel, die nach diesseitiger Einschätzung dazu führen, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 217 StGB völlig verunglückt eingebracht hat, beseitigt werden müssen. Eine neue Regelung muss vor allem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz standhalten und in Ansehung der in diesem Abschnitt dargelegten Erwägungen, insbesondere von Nakamichi, überdies auch systemstimmigen und rechtspolitischen Anforderungen genügen. Der eigene Regelungsvorschlag muss sich in den materiellen Grenzen der Strafgesetzgebung bewegen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass es nicht darum geht, „etwas zu tun, nur um etwas zu tun“. Eine neue Regelung muss eine Verbesserung der Strafrechtsgesetzgebung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage bedeuten. Anderenfalls könnte es auch bei der alten Rechtslage verbleiben und der Gesetzgeber könnte sich die Mühen ersparen, überhaupt eine Gesetzessänderung auf den Weg zu bringen.
C) Verfassungsrechtliche Dimension I. Grundrechtseingriffe Zunächst ist zu erörtern, welche Grundrechte durch den § 217 StGB beeinträchtigt sein könnten. Für diese Arbeit soll dabei die Relevanz für die Ärzteschaft entscheidend sein. Dazu ist dennoch zuerst zu klären, ob und wieweit Sterbewillige beschwert sind. Denn nur wenn Patienten ein Recht auf Suizid zusteht, können Ärzte durch ein Verbot auch als Teilnehmer in ihren Rechten verletzt sein.
1. Recht auf Suizid Ein Recht auf Suizid wird inzwischen mit unterschiedlichen Begründungen weitgehend anerkannt. Unstreitig ist, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG183 insbesonde181 Hilgendorf, NK 2010, 125. 182 Greco, ZIS 2008, 234 (238). 183 Siehe hierzu 3. Kapitel A) II. Menschliche Würde.
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re am Ende des Lebens gilt. Niemand soll menschenunwürdig sterben müssen. Nach der herrschenden Objekttheorie184 ist die Würde im Sterben zumindest dann verletzt, wenn ein Patient zum willenlosen Objekt einer medizinischen Behandlung gemacht wird. Mit dieser Begründung wird die indirekte Sterbehilfe als straflos eingestuft, bei der eine Verkürzung des Lebens zwar nicht beabsichtigt, aber für möglich gehalten wird. Umstritten ist aber nach wie vor, ob Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 GG auch die Entscheidung von Menschen schützt, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu wählen. Eingewandt wird hiergegen u.a., dass sich der natürliche Tod und die Selbsttötung nicht auf der gleichen Ebene gegenüberständen, so dass dem Menschen keineswegs die ethische und rechtliche Möglichkeit zugestanden werden müsse, zwischen beiden Alternativen auswählen zu dürfen. Die Selbsttötung sei kein Menschenrecht, das aus der Menschenwürde resultiere.185 Dagegen stellen die Befürworter u.a. darauf ab, dass die Selbstbestimmung des Menschen darüber, ob und unter welchen Bedingungen er sein Leben beenden kann, den „Normalfall einer freiheitlichen und auf die Menschenwürde konzentrierten Gesellschaft“186 darstellt. Denkt man die Objektformel konsequent zu Ende, muss es ein Recht zur Selbsttötung geben. Viele Autoren gehen davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten abzuwägen ist gegen eine allgemeine Wertentscheidung des Grundgesetzes, die das Leben als absoluten Wert und ebenfalls als Ausdruck der Menschenwürde schützt und dem Verfügungsrecht des Menschen entzieht. Daraus würde sich für den Einzelnen eine Pflicht zum Weiterleben gegen seinen Willen ergeben. Noch weniger als zum Objekt einer medizinischen Behandlung degradiert zu werden, darf der Mensch durch einen staatlichen Lebensschutz zum Objekt gemacht werden.187 Immerhin erfährt der Einzelne durch seine Menschenwürde auch Schutz davor, „zum Objekt der Menschenwürdedefinition eines anderen zu werden“.188 Das Verfügungsrecht über das eigene Leben muss in einem freiheitlichen Rechtsstaat bis hin zum Recht auf Selbstaufgabe und Selbstzerstörung reichen können. Sogar in dem Fall, dass der Betroffene nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, kommt es darauf an, welche Entscheidung er wohl treffen würde, wenn man ihn noch 184 Mit weiteren Nachweisen hierzu 3. Kapitel A) II. Menschliche Würde. 185 Eibach, ZfL 2016, 16; dagegen auch Isensee, in: Merten / Papier, Handbuch der Grundrechte IV, § 87 Rn 214. 186 Hufen, Selbstbestimmtes Sterben – Das verweigerte Grundrecht, NJW 2018, 1524 (1528). 187 Übereinstimmend zum Beispiel Hillgruber, ZfL 2006, 70 (75); Hufen, NJW 2001, 849 (852); Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337). 188 Hufen, NJW 2001, 849 (851).
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fragen könnte. Keinesfalls maßgeblich sind hier die „Wertvorstellungen der Gemeinschaft“. Auch dem Staat ist es aufgrund der Freiheit von Leid und dem Schutz vor Schmerzen untersagt, mittels Gesetzgebung und Rechtsprechung die bloße biologische Existenz noch so zu schützen, dass eine Verlängerung des unwürdigen menschlichen Lebens eintritt.189 Eine rechtliche Verpflichtung weiterzuleben kann es mithin nicht geben, zumal im bejahenden Fall die Persönlichkeitsautonomie völlig neu überdacht werden müsste. Dann dürfte nämlich kein Kranker eine lebensrettende Operation ablehnen, es müsste einen Kurierzwang und eine Kurierpflicht geben und es müsste zum staatlichen Verbot des Eingehens von lebensgefährlichen Risiken sämtlicher Art (sogar z.B. des Rauchens) kommen. Roxin zieht deshalb diesbezüglich den Vergleich mit einem Auswanderer, der auch freiwillig und ungehindert aus der deutschen Gesellschaft ausscheiden möchte und mithin auf weitere Leistungen und Schutz durch den deutschen Staat, aber auch auf seine weitere Verpflichtung diesem gegenüber, verzichten will.190 Ein weiteres Argument für ein Recht auf Suizid ist die Natur der Autonomie als Freiheitsrecht. Schutzrechte gegenüber dem Staat sollen die Durchsetzung solcher Freiheitsrechte gewährleisten. Würde man das Recht, über sein Lebensende selbst zu bestimmen, ablehnen, würde man das Lebensschutzrecht gerade gegen das Freiheitsrecht wenden und in die Menschenwürde eingreifen.191 Auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kann ein geschütztes Recht auf Suizid abgeleitet werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigt das in seiner inzwischen ständigen Rechtsprechung. Dem Fall Pretty ./. Vereinigtes Königsreich lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Beschwerdeführerin Diane Pretty unter der Nervenkrankheit Amyotrophische Lateralsklerose (ALS) im fortgeschrittenen Stadium litt. Aufgrund des bevorstehenden äußerst qualvollen und unwürdigen Verlaufs der Krankheit wollte sie selbst bestimmen, wann und auf welche Art sie aus dem Leben scheiden würde. Die vom Hals abwärts Gelähmte war jedoch bei der Umsetzung einer Selbsttötung auf die Hilfe ihres Ehemannes angewiesen. Sie beantragte deshalb bei der Generalstaatsanwaltschaft die Zusicherung von Straf-
189 Hufen, NJW 2001, 849 (852). 190 Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (338). 191 Fink, in: Merten / Papier, Handbuch der Grundrecht IV, § 88 Rn 49; Nettesheim, AöR 2005, 71 (106).
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freiheit für ihren Ehemann. Der Antrag wurde zurückgewiesen, auch Rechtsmittel blieben erfolglos.192 In diesem Fall stellte der EGMR erstmals in diesem Zusammenhang fest, dass die Achtung der Menschenwürde und die Freiheit des Menschen das zentrale Wesen der EMRK darstellten. Im Rahmen des Art. 8 EMRK habe daher der Begriff der Lebensqualität eine besondere Bedeutung. In Anbetracht des medizinischen Fortschritts seien viele Menschen besorgt, dass sie entgegen ihrer Überzeugungen gezwungen würden, trotz fortgeschrittenen körperlichen und geistigen Verfalls weiterzuleben. Die damalige Beschwerdeführerin sei durch das britische Recht, das Suizidassistenz untersagt, daran gehindert, einen von ihr als unwürdig und qualvollen empfundenen Tod zu vermeiden. Damals formulierte das Gericht noch etwas vage, es könne daher nicht ausschließen, dass dies einen Eingriff in ihr Recht aus Art. 8 EMRK begründe: „The applicant in this case is prevented by law from exercising her choice to avoid what she considers will be an undignified and distressing end to her life. The Court is not prepared to exclude that this constitutes an interference with her right to respect for private life as guaranteed under Article 8 § 1 of the Convention.“193
Eine eindeutige Position brauchte das Gericht damals noch nicht zu beziehen, denn es führte weiter aus, dieses Recht könne unter den Voraussetzungen des Art. 8 II EMRK eingeschränkt werden. Im Fall Haas ./. Schweiz empfand der psychisch kranke Beschwerdeführer Haas sein Leben nicht mehr als lebenswert. Nach zwei missglückten Selbsttötungsversuchen wendete er sich an die Schweizer Sterbehilfe-Organisation DIGNITAS. Voraussetzung für straflose Sterbehilfe ist in der Schweiz allerdings eine ärztliche Verordnung des Medikaments Pentobarbital. Nachdem mehrere Psychiater die Verordnung verweigerten, beantragte Haas bei den zuständigen Behörden, ihm das Medikament ohne Verschreibung zur Verfügung zu stellen, was diese ablehnten.194 Diesmal erkannte das EGMR ausdrücklich das Recht auf einen freiverantwortlichen Tod als ein Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK an. Wörtlich führte es aus: „[…] the Court considers that an individual’s right to decide by what means and at what point his or her life will end, provided he or she is capable of freely reaching a decision on this question and acting in consequence, is one of the aspects of the right to respect for private life within the meaning of Article 8 of the Convention.“195 192 193 194 195
EGMR NJW 2002, 2851 (2851 f.). EGMR NJW 2002, 2851 (2854). EGMR NJW 2011, 3773. EGMR NJW 2011, 3773 (3774).
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Theologen und christlich geprägte Gegner der Suizidassistenz kritisieren, es handele sich um eine „rein säkulare“ Sichtweise, die den absoluten Schutz des Lebens außer Acht lasse, die Menschenwürde auf die Autonomie verkürze196 und den Gedanken der Väter und Mütter des Grundgesetzes verkenne.197 Sie argumentieren vor allem damit, das Recht auf Leben sei Grundlage der Menschenwürde und sei nicht disponibel. Dem ist entschieden entgegenzutreten. Zu einen muss es demjenigen, dem ein Rechtsgut zusteht, möglich sein, darüber zu verfügen. Das schließt auch den Verzicht darauf ein. Diese Verfügungsmacht ist Ausdruck seiner Autonomie.198 Zudem haben weltanschauliche Argumente bei der Beurteilung von Grundrechtskonformität außer Acht zu bleiben. Der Staat ist in einer pluralistischen Gesellschaft „Heimstatt aller Bürger“199 und deshalb zu religiöser und konfessioneller Neutralität verpflichtet. Diesen Grundsatz leitete das Bundesverfassungsgericht bereits Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV i.V.m. 140 GG her und beruft sich in seiner ständigen Rechtsprechung immer wieder auf diesen Grundsatz. Der Staat dürfe sich weder ausdrücklich noch konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren.200 So hat auch das Strafrecht weltanschaulich neutral und somit säkular zu sein. In dieser pluralistischen Gesellschaft haben sich die Vorstellungen vom guten Tod längst entsprechend auseinanderentwickelt. Und so ist es völlig legitim, aus weltanschaulichen Gründen einen Suizid für sich selbst auszuschließen. Mit dem Neutralitätsgebot aber nicht vereinbar ist es, ihn für alle auszuschließen. Das Strafrecht darf dem Menschen eben kein Bild vom richtigen Tod vorgeben.201
2. Recht auf Hilfe beim Suizid Im Falle der Suizidbeihilfe durch Ärzte ist allerdings nicht allein entscheidend, ob es ein grundrechtlich geschütztes Recht auf Selbsttötung gibt. Hier steht in Frage, ob darüber hinaus auch die Teilnahme daran geschützt ist. Zwar ist auch 196 197 198 199 200 201
So z.B. Eibach, ZfL 2016, 16. Hillgruber, ZfL 2006, 70 (73). Vgl. auch Hoven, ZIS 2016, 1 (2). BVerfGE 108, 282. BVerfGE 93, 1 (16 f.); BVerfGE 108, 282 (300). So auch Duttge, NJW 2016, 124.
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beim Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet, weil es die Umsetzung der autonom getroffenen Entscheidung beeinträchtigt. Allerdings wenden Sterbehilfe-Gegner202 ein, es sei nicht mehr der Kernbereich des Selbstbestimmungsrechtes, das hier betroffen sei. Viele Betroffene sehen sich aber mit Situationen konfrontiert, die eine Selbsttötung unmöglich machen. Angehörige oder nahe Freunde existieren nicht mehr. Und selbst wenn diese zur Hilfe bereit wären, hätten sie selbst kaum eine Möglichkeit dazu. Denn der Zugang zu Medikamenten, die einen schmerzlosen Tod gewährleisten, ist stark reglementiert. So werden Betroffene in der Praxis auf brutale Methoden der Selbsttötung verwiesen. Ob diese das Grundrecht auf Würde im Sterben erfüllen, bleibt fraglich. Daher sind Betroffene weitgehend auf professionelle Hilfe angewiesen, um ihr Vorhaben umzusetzen. Durch die Kriminalisierung von geschäftsmäßiger Suizidassistenz wird deshalb das Selbstbestimmungsrecht nahezu ausgehebelt.203 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht daher den Weg konsequent weiter: Er sieht eine staatliche Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, einen würdevollen Suizid zuzulassen.204 Allerdings wies er darauf hin, dass sich aus der Konvention ebenfalls die Pflicht des Staates ergebe, Selbsttötungen zu verhindern, wenn die Entscheidung nicht frei und mit vollem Verständnis getroffen wurde. Beides müsse gegeneinander abgewogen werden. In dieser Hinsicht billigt der Gerichtshof den Staaten einen Ermessensspielraum zu. Der sei im Fall der Sterbehilfe besonders groß, weil die Unterzeichnerstaaten weit entfernt seien von einem Konsens in Fragen der Sterbehilfe und die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten dem Schutz des Lebens derzeit größere Bedeutung beimäßen. Dem folgte im Jahre 2017 auch das BVerwG, als es über die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung entschied. Eine Pflicht zum Weiterleben dürfe der Staat schwer und unheilbar kranken, aber zur Selbstbestimmung fähigen Menschen nicht auferlegen. Nicht nachvollziehbar ist zwar, warum das Gericht sich in seiner Aussage auf unheilbar Kranke beschränkte, obwohl es zuvor feststellte, dass es in den „Kern
202 Vgl. Bauer, ZfL 2012, 113 (119). 203 Vgl. auch Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme Nr. 48/2017, https://anwalt-verein.de/ de/newsroom/sn-48-17-strafbarkeit-der-sterbehilfe [Fassung vom 30.12.2019], S. 7. 204 EGMR NJW 2011, 3773 (3774).
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eigenverantwortlicher Selbstbestimmung“205 eingreife, einen Menschen zum Weiterleben zu verpflichten. Wenn man also davon ausgeht, dass der Staat die Pflicht hat ein Umfeld zu schaffen, in dem Betroffene ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod verwirklichen, gehört dazu auch, dass er professionelle Beratung und Begleitung durch Ärzte ermöglicht. Dies besonders auch unter dem Aspekt des Lebensschutzes, denn nur im Rahmen einer professionellen Beratung können Sterbewilligen auch Alternativen zum Suizid aufgezeigt werden. Ein Recht auf Hilfe zum Suizid ist mithin anzuerkennen.
3. Eingriff in die Berufsfreiheit Aus Sicht der Ärzte ist vor allem ein Eingriff in ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 GG anzunehmen. Von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist generell die Ausübung jedes Berufs, der auf Dauer angelegt ist, dem Erhalt einer Lebensgrundlage dient und nicht generell sozialschädlich ist.206 Die Beratung und Begleitung von Patienten, die den Zeitpunkt ihres Todes freiverantwortlich bestimmen möchten, ist mindestens ein Teilbereich ärztlichen Handelns, der von Patienten gewünscht und gefordert wird. Der Schutzbereich des Art. 12 GG wäre nur dann nicht eröffnet, wenn es sich bei der Suizidhilfe um eine Tätigkeit handelte, die grundsätzlich sozialschädlich wäre. Das ist zumindest im Falle der Suizidhilfe umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass solche Tätigkeiten nicht von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst sind, „die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben können“.207 In einem Fall kommerzieller Suizidhilfe hat das Verwaltungsgericht Hamburg mit dieser Begründung die Eröffnung des Schutzbereichs der Berufsfreiheit abgelehnt.208 Anders als im Hamburger Fall geht es aber bei § 217 StGB gerade nicht um gewerbsmäßige, sondern bereits um geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen.
205 BVerwGE 158, 142, mit Verweis auf Maunz / Dürig-Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 89, und Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge, S. 58. 206 BVerfGE 7, 377 (397 f.); Maunz / Dürig-Scholz, GG, Art. 12 Rn 29. 207 BVerfGE 115, 276 (301). 208 VG Hamburg, MedR 2009, 550 (553 f.).
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Der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes kann aber schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden: Wie oben festgestellt, ist die freiverantwortliche Entscheidung zu sterben legitimer Ausdruck verfassungsmäßig garantierter Autonomie. Wenn schon diese Haupttat nicht als sozialschädlich bewertet wird, so kann für die Unterstützungshandlung nichts anderes gelten. Im Gegenteil ist ärztliche Suizidbegleitung ein Ausdruck der Achtung von Würde und Autonomie der Patienten. Diese ist als ärztliche Aufgabe im Genfer Gelöbnis209 aufgeführt und damit legitimer Inhalt der Berufsfreiheit von Ärzten. In die Berufsfreiheit greift jede staatliche Maßnahme ein, die die Wahl oder Ausübung eines Berufes einschränkt oder unmöglich macht. Durch das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung wird insbesondere Palliativmedizinern mindestens ein Teil ihrer Berufsausübung unmöglich gemacht. Insofern sind sie mindestens in der Art und Weise der Ausübung ihres Berufs beschränkt. Solche Mediziner, die sich offen zur Suizidbeihilfe bekannten, gegen Entlohnung Gutachten für Sterbewillige erstellten oder für Sterbehilfeorganisationen tätig sind, geht der Eingriff sogar noch weiter: dieser Bereich ihrer Berufsausübung ist ihnen gänzlich unmöglich geworden. Soweit gefordert wird, dass das staatliche Handeln eine Berufsregelungstendenz haben muss,210 also wenigstens objektiv darauf gerichtet sein muss, die Berufsausübung zu regeln und diese nicht nur zufällig betrifft, liegt auch diese Voraussetzung vor. Dass § 217 StGB zumindest auch darauf zielt, Suizidassistenz durch Ärzte unmöglich zu machen, zeigt bereits die Begründung des Gesetzentwurfs. Die Autoren weisen ganz konkret auf einen Berliner Arzt hin, der sich offen zur Suizidassistenz bekenne.211 Neben Sterbehilfeorganisationen ist es also gerade die offene Praxis der Suizidassistenz durch Ärzte, die herangezogen wird, um die Notwendigkeit der Regelung zu begründen. Die Autoren des Gesetzentwurfes wollen also diese Art und Weise der Berufsausübung unterbinden. Aber selbst wenn man feststellte, der § 217 StGB sei nicht primär darauf ausgerichtet, die Ausübung des Ärzteberufs zu regeln, ist gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG gegeben, wenn die tatsächlichen Auswirkungen zu einer Beeinträchtigung der freien Berufsausübung führen. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, mittelbar oder unmittelbar, rechtlich oder tatsächlich mit oder ohne Zwang erfolgt.
209 Siehe Genfer Gelöbnis, das der MBO-Ä vorangestellt ist. 210 BVerfG, NJW-RR 2012, 1071 (1072) m.w.N. 211 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 9.
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4. Eingriff in die Gewissensfreiheit Die Gewissensfreiheit ist in Art. 4 Abs. 1 GG geregelt. Diese Vorschrift ist lex specialis zur durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Gedankenfreiheit.212 Unter Gewissensentscheidung versteht man „jede ernste und sittliche, an den Kategorien von ʻGutʼ und ʻBöseʼ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln kann“.213 Im Vergleich zur Freiheit des religiösen Bekenntnisses basiert die Freiheit des Gewissens auf einer stärkeren individualistischen Konzeption.214 Den Rückgriff auf das Gewissen nimmt auch § 2 Abs. 1 bis 3 MBO-Ä, in denen die gewissenhafte Berufsausübung durch die Ärzte vorgesehen ist. Im Rahmen des Schutzbereichs des Art. 4 GG muss die gleichmäßige Entfaltung der durch diese Norm geschützten unterschiedlichen Aspekte der geistigen Freiheit erfolgen. Religiöse Sinnentwürfe dürfen nicht weltanschaulichen Sinnentwürfen vorgehen und diese auch nicht gegenüber Gewissensentscheidungen bevorzugt werden.215 Zwar klingt es paradox, dass die Vorbehaltlosigkeit des Art. 4 GG die geistige Freiheit in besonderem Maße schützen soll, aber gleichfalls dieser Schutz neutral zu gewähren ist. Dieser scheinbare Widerspruch kann dadurch aufgelöst werden, „dass der Schutzbereich des Art. 4 GG genau so weit reicht, als geistige Freiheit eines besonderen, vorbehaltlosen Grundrechtsschutzes bedarf“.216 Genauso wie Ärzte, die sich gegen Suizidassistenz aussprechen, weil sie aus weltanschaulichen Gründen das Recht auf Leben für nicht disponibel halten, orientieren sich auch die Ärzte, die sich generell für eine Suizidassistenz aussprechen, an den Kategorien „Gut“ und „Böse“. Gut ist es in ihren Augen, die autonom getroffene Entscheidung ihres Patienten und ihre Vorstellung eines menschenwürdigen Tods absolut zu respektieren. Diese Entscheidung ist für sie innerlich bindend, sie würden Betroffenen in der gleichen Situation immer wieder die gleiche Hilfe zu Teil werden lassen. Diese frei getroffene Patientenentscheidung zu ignorieren, nicht wenigstens professionell beraten zu dürfen, bringt Ärzte sehr wohl in ethisch-existenzielle Gewissensnot.
212 213 214 215 216
Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 190. BVerfGE 12, 45 (55). Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 186. Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 187. Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 187.
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Das VG Berlin erklärte eine unbeschränkte und ausnahmslose Untersagung des ärztlich begleiteten Suizids für mit dem Grundrecht des Arztes auf Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar. Dies treffe vor allem dann zu, wenn der Arzt „aufgrund einer lang andauernden, engen persönlichen Beziehung in einen Gewissenskonflikt geraten würde, weil die Person, die freiverantwortlich die Selbsttötung wünsche, unerträglich und irreversibel an einer Krankheit leide und alternative Mittel der Leidensbegrenzung nicht ausreichend zur Verfügung stünden“.217 Das Gewissen unterliegt dem Schutz lediglich als Selbstkorrektiv, ein Motiv zur Weltverbesserung ist damit nicht geschützt. Gewährleistet ist ausschließlich die Wahrung von ethischen Grundsätzen für die eigene Person. Sofern jemand der Auffassung ist, dass er für das Handeln von Dritten ethisch verantwortlich ist, kann er keineswegs vom Staat verlangen, dass dieser ihm bei der Durchsetzung dieser Überzeugung gegenüber dem Dritten hilft.218 Aus der Gewissensfreiheit des Arztes lässt sich weder dessen Recht noch dessen Pflicht herleiten, ungewollt in die Rechte des Patienten einzugreifen. Denn das Gewissen des Arztes ist keineswegs über der verfassungsmäßigen Ordnung angesiedelt, sodass ihm gegenüber durchaus der Zwang durchgesetzt werden kann, eine nicht gewünschte Heilbehandlung zu beenden, auch wenn er dies nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. In Betracht kommen kann dann aber ggf. die Übertragung der ärztlichen Betreuung an einen anderen Arzt.219 Auch zählt zum Selbstverständnis des Gewissenstäters, dass er seine Gewissensmotivation offenlegt. Als Ausübung geistiger Freiheit i.S.d. Art. 4 GG kann sein Handeln lediglich dann bewertet werden, sofern es vom Gewissen her unabdingbar notwendig und mithin alternativlos ist. Diesbezüglich obliegt ihm die Darlegungslast.220 Der Rückgriff auf die Gewissensfreiheit kann ohnehin nicht in Erwägung gezogen werden, wenn es um die Durchführung von strafbaren Handlungen geht. Hierzu kann der Arzt keinesfalls gezwungen werden.221
217 218 219 220 221
Pressemitteilung des VG Berlin Nr. 17/2012 vom 2.4.2012. Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 196. Hufen, NJW 2001, 849 (853). Michael / Morlok, Grundrechte, Rn 194. Hufen, NJW 2001, 849 (853).
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II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Grundrechte sind nicht schrankenlos geschützt. Im Falle des Eingriffs in die freie Berufsausübung von Ärzten gilt die herrschende Drei-Stufen-Theorie. Danach kann die hier beeinträchtigte Freiheit der Berufsausübung durch Gesetz aus vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls eingeschränkt werden, sofern sie nicht übermäßig und unzumutbar belastet.222
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit a) Begründungspflicht § 217 StGB könnte bereits formal daran scheitern, dass er mangelhaft begründet ist. Welche Ansprüche an eine Begründungspflicht zu stellen sind, ist allerdings fraglich. Hier vertreten die beiden Senate des Verfassungsgerichtes abweichende Auffassungen: Der 1. Senat argumentiert wie folgt: „Das Grundgesetz beinhaltet in den Art. 76 ff. GG Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sichern. Das Grundgesetz schreibt jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und berechnen ist. Es lässt Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss.“223
Hiernach genügt es also, wenn sich ein Gesetz im Nachhinein begründen lässt. Demgegenüber hat der 2. Senat, der auch über die Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 StGB entscheiden wird, in seinen Urteilen zur Professorenund Richterbesoldung eine Begründungspflicht des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren angenommen.224 Erst jüngst hat der 2. Senat seine Rechtsprechung bestätigt und klargestellt „dass der mit der Ausgleichsfunktion der Prozeduralisierung angestrebte Rationalisierungsgewinn auch mit Blick auf die Ermöglichung von Rechtsschutz effektiv nur erreicht werden könne, wenn die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen vorab erfolgten und dann in der Gesetzesbegründung dokumentiert würden; eine Prozeduralisierung ziele auf die Herstellung von Entscheidung und nicht auf ihre Darstellung, das heißt auf ihre nachträgliche Begründung ab“.225 222 223 224 225
Epping / Hillgruber-Ruffert, GG, Art. 12 Rn 94 ff. BVerfGE 132, 134 (162). BVerfG, NJW 2015, 1935 (1942); BVerfGE 130, 263 (302); BVerfGE 140, 240. BVerfGE 149, 382 (396) mit Hinweis auf BVerfGE 139, 64 (127), BVerfGE 140, 240 (296), BVerfGE 76, 107 (121 f.) und BVerfGE 101, 158 (216 ff.).
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Erster Teil
Wie wichtig eine transparente Begründung für den effektiven Rechtsschutz gegen ein Gesetz ist, insbesondere im Hinblick auf das spezielle Thema Sterbehilfe, zeigt der Blick in die Zeitgeschichte: Die Nationalsozialisten begründeten ihr Euthanasieprogramm mit der sozialdarwinistischen Argumentation, Volksvermögen und Arbeitsaufwand würden durch die Pflege von sogenannten „Ballastexistenzen“ produktiven Zwecken entzogen.226 So behandelte das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 die Zwangssterilisation von angeblich Erbkranken mit der Folge der zwangsweisen Sterilisation von fast 400.000 Menschen. Von der nationalsozialistischen Propaganda wurden Behinderte und Kranke als „nutzlose Esser“ bezeichnet und ab Frühjahr 1939 fielen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren mit schweren und schwersten Behinderungen der „Kinder-Euthanasie“ zum Opfer. Ab August 1939 wurden auch Erwachsene von den Patientenmorden erfasst und gegen Ende jenes Jahres mussten sämtliche Pflegeheime und Heilanstalten Angaben zu den Patienten machen, auf deren Grundlage Gutachter über Leben oder Tod (zumeist durch Vergasung) der jeweiligen Patienten entschieden, was bis 1941 zur Ermordung von 70.000 Menschen führte. Bis zum Kriegsende wurden in unzähligen Krankenhäusern und Heilanstalten weitere etwa 100.000 Menschen getötet, indem sie systematisch nicht bzw. zu wenig ernährt oder ihnen Injektionen oder Überdosen von Medikamenten verabreicht wurden. In den Jahren 1941 und 1942 fand sogar eine Ausweitung des Euthanasieprogramms auf Menschen in Konzentrationslagern statt.227 Insbesondere aus Sicht der Angehörigen, denen Todesurkunden mit fiktiven Todesursachen vorgelegt wurden, kam es ab Ende 1939 immer häufiger zu Widersprüchen und Ungereimtheiten. Aufgrund dessen schöpften sie Verdacht und es traten in der Bevölkerung Gerüchte auf, dass Behinderte vorsätzlich getötet würden.228 Auch eine Gesetzesbegründung kann dem Entstehen von Gerüchten über vermeintliche andere gesetzgeberische Intentionen vorbeugen. Die Autoren des Gesetzentwurfes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung begründen ihren Entwurf mit der Gefahr, insbesondere alte Menschen könnten sich durch ein geschäftsmäßiges Angebot von Suizidhilfe 226 Gruchmann, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3/1972, S. 235. 227 Koppehl, „Euthanasie“-Morde im Nationalsozialismus, https://www.bundestag.de/ resource/blob/488084/d91b41cac0fd7945180acbccc27454b6/euthanasie-morde-im-nationalsozialismus-data.pdf [Fassung vom 30.12.2019]. 228 Koppehl, „Euthanasie“-Morde im Nationalsozialismus, https://www.bundestag.de/ resource/blob/488084/d91b41cac0fd7945180acbccc27454b6/euthanasie-morde-im-nationalsozialismus-data.pdf [Fassung vom 30.12.2019].
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zur Selbsttötung verleiten lassen und würden ohne dieses Angebot diesen Weg nicht erwägen.229 Außerdem zitieren sie Medienberichte, die von einer zunehmenden Zahl von assistierten Suiziden in Deutschland und in Nachbarländern berichten.230 Diese Begründung erscheint aus mehreren Gründen nicht plausibel: Selbst wenn man die empirische Grundlage der zitierten Medienberichte nicht in Zweifel zieht, sagen die steigenden Zahlen nichts darüber aus, was dazu geführt hat. Da die Teilnahme an der Selbsttötung nicht erst kürzlich freigegeben wurde, sondern im Gegenteil schon seit Jahrzehnten straffrei ist, kann hier kein Zusammenhang hergestellt werden. Entscheidend aber ist, dass der Eindruck entsteht, zwischen den angeblich steigenden Suizidzahlen und der abstrakten Gefahr unüberlegter Freitode bestünde ein Zusammenhang. Die genannten Zahlen deuten aber allein darauf hin, dass Menschen die Möglichkeit eines selbstbestimmten Todes vermehrt ins Kalkül ziehen. Nichts weist darauf hin, dass mit ihnen die Zahl der unüberlegt getroffenen Entscheidungen steigt. Auch mit anderen Fakten untermauern die Autoren ihre Behauptung nicht. Die abstrakte Gefahr unfrei getroffener Suizidentscheidungen wird also rein behauptet.231 Auch Merkel merkte in seiner Stellungnahme an, dass die Unfreiheit von Suiziden eine vom Einzelfall abstrahierte Fiktion sei.232 Die vom Verfassungsgericht geforderte Sachverhaltsermittlung ist damit gerade nicht hinreichend erfolgt. Überhaupt nicht begründet wird zudem, warum die Teilnahme an der Selbsttötung grundsätzlich weiter straflos bleiben soll, aber dann strafbar sein soll, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist.233
229 Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 8. 230 Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 9. 231 So auch Saliger, Selbstbestimmung bis zuletzt, S. 185; Eidam, medstra 2016, 17 (19); Hufen, NJW 2018, 1524 (1526). 232 Merkel, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 23. September 2015 im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz, https:// www.bundestag.de/resource/blob/388404/ad20696aca7464874fd19e2dd93933c1/merkeldata.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3. 233 So auch Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme Nr.: 48/2017, https://anwaltverein.de/ de/newsroom/sn-48-17-strafbarkeit-der-sterbehilfe [Fassung vom 30.12.2019], S. 10.
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b) Bestimmtheitsgebot Fraglich ist auch, ob § 217 StGB den Anforderungen an die Bestimmtheit aus Art. 103 Abs. 2 GG standhält. Den nulla poena sine lege – Grundsatz erklärt das Bundesverfassungsgericht schlicht so: „Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.“234
Insbesondere Ärzte, die regelmäßig Patienten am Ende ihres Lebens begleiten, nämlich Palliativmediziner, können das in der derzeitigen Situation nicht sicher vorhersagen. Die Autoren des Gesetzes gehen davon aus, dass in Krankenhäusern und Palliativeinrichtungen gerade kein assistierter Suizid im Sinne des § 217 StGB angeboten werde, weil dies dem Selbstverständnis der Ärzte widerspreche. Wenn aber „im Einzelfall nach sorgfältiger Untersuchung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung einer zur Selbsttötung entschlossenen Person“ doch einmal Suizidhilfe gewährt werde, sei dies nach § 217 StGB nicht strafbar, da das Gesetz klarstelle, dass altruistische Motive nicht erfasst seien. Anders liege der Fall nur dann, wenn die Suizidhilfe als „normale Dienstleistung“ angeboten und so quasi zum Geschäftsmodell erklärt werde.235 Diese Einschränkung gibt der Wortlaut des § 217 StGB aber nicht her. Geschäftsmäßig handelt jeder, der Suizidhilfe zu einem „wiederkehrenden oder dauernden zentralen Bestandteil seiner Tätigkeit macht und subjektiv beabsichtigt, die fraglichen Handlungen in gleicher Art zu einem dauernden regelmäßigen Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen“.236 Man kann sich leicht vorstellen, dass auch Palliativmediziner, die sich nicht auf Suizidbeihilfe spezialisiert haben, immer wieder in Situationen kommen, in denen sie von Patienten um Beratung zu dieser Möglichkeit gebeten werden. Soweit sie immer wieder auf die Wünsche ihrer Patienten eingehen, wird mindestens die Schwelle zum objektiv wiederkehrenden zentralen Bestandteil ihrer Tätigkeit schnell erreicht sein. Aus diesem Grund mahnte schon der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags die mangelnde Bestimmtheit des § 217 StGB im Gesetzgebungsprozess an und 234 BVerfGE 73, 206 (234 f.); zuvor bereits ähnlich BVerfGE 25, 269 (285). 235 Vgl. Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 18. 236 Vgl. Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 17.
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stellte klar, dass ein in der Gesetzesbegründung dargelegter anders lautender Wille daran nichts ändere, weil dieser nicht positiviert werde.237
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit Bedenken gibt es auch gegen die materielle Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB, insbesondere gegen die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs. Die Regelung des § 217 StGB muss nämlich geeignet, erforderlich und angemessen sein. Zunächst ist zu klären, ob § 217 StGB überhaupt einen legitimen Regelungszweck verfolgt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Festlegung des Bereichs des strafbaren Handelns regelmäßig dem Gesetzgeber obliege. Das Bundesverfassungsgericht habe nur zu überwachen, ob die Strafvorschrift in materieller Hinsicht mit den Bestimmungen der Verfassung sowie den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Grundgesetzes konform gehe. Darüberhinausgehende Prüfungsmaßstäbe ergäben sich insbesondere nicht aus der Rechtsgutlehre.238 So stellte auch der erste Senat wenig später klar, dass „jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist“239, eine Strafvorschrift legitimieren könne. Welches Interesse im Einzelnen legitim sei, hänge aber vom Grundrecht ab, in das eingegriffen werde. Jedenfalls nicht legitim sei es, das in ihm enthaltene Freiheitsprinzip als solches aufzuheben.240 Ein wichtiger Diskussionspunkt an dieser Stelle ist das Ultima-Ratio-Prinzip. Das BVerfG stellt zutreffend fest, das Strafrecht sei die schärfste Waffe des Gesetzgebers, von der er nur zurückhaltend Gebrauch machen dürfe.241 Einige Stimmen argumentieren, es handele sich daher um ein allgemeines Verfassungsprinzip, das nicht nur auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit zu prüfen sei. Weil Strafe den Wert und Achtungsanspruch der Betroffenen berühre, sei der Einsatz des Strafrechts ohnehin erst dann gerechtfertigt, wenn das Ziel der 237 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Ausarbeitung zum Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – Brand et al. (BT-Drucks 18/5373) – Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Bestimmtheitsgebot, Akz: WD 3 - 3000 - 188/15, S. 11 f.: ebenso: Herdegen, Stellungnahme zu den Gesetzesentwürfen zur Sterbehilfe, https://www.bundestag.de/resource/blob/387372/ eef149cd33fed27865472dda29978c1d/herdegen-data.pdf [30.12.2019], S. 7 f. 238 BVerfGE 120, 224 (241). 239 BVerfGE 124, 300 (331). 240 BVerfGE 124, 300 (331). 241 Vgl. BVerfGE 39, 1 (47).
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Erster Teil
Normstabilisierung nicht durch andere Instrumente erreicht werden könne.242 Die Normstabilisierung stellt sich als Aufgabe der Theorie der positiven Generalprävention dar, „die heute als die reifste der zeitgenössischen Strafzielbestimmungen gelten darf“.243 Ihr zufolge findet Prävention nicht mittels Abschreckung statt. Vielmehr ist die Einhaltung der Rechtstreue maßgeblich. Ein Mensch ist nicht mehr unbedingt zur Normbefolgung bereit, wenn er erkennt, dass andere Menschen Normen verletzen, ohne dafür bestraft zu werden.244 Das Strafrecht ist durch seine Formalisierungsleistung charakterisiert, nämlich den Schutz „elementarer menschlicher Interessen vor Verletzung durch den Normbrecher und vor Verletzung durch die Bewältigung des Abweichungskonflikts“.245 Dies leistet das Strafrecht durch die Berücksichtigung einer formalisierenden Schutztechnik einerseits und die Verknüpfung mit Wertgrundsätzen andererseits. Hiermit ist genau der Inhalt der positiven Generalprävention angesprochen, nämlich „die öffentliche Behauptung und Sicherung von Normen sowohl der wirksamen Konfliktvermeidung als auch der formalisierten Konfliktverarbeitung“.246 Unabhängig von der Frage, ob das Ultima-Ratio-Prinzip ein allgemeines Verfassungsprinzip oder in der Gestalt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist, geht das Verfassungsgericht jedenfalls davon aus, dass es „oberstes Ziel des Strafens ist, die Gesellschaft vor sozialschädlichem Verhalten zu bewahren und die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen (ʻallgemeine Generalpräventionʼ)“.247 So müsse „bei der […] erforderlichen Gesamtbetrachtung zunächst von dem Wert des verletzten Rechtsguts und dem Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung – auch im Vergleich mit anderen unter Strafe gestellten Handlungen – ausgegangen werden“.248 Gerade die Sozialschädlichkeit wiederholter Suizidhilfe ist jedoch höchst umstritten. Die von den Gesetzesautoren postulierte Gefahr, die Selbsttötung könne als normale Alternative zum natürlichen Tod erscheinen, ist kaum plausibel belegt. Zwar wäre es zu weit gegriffen zu fordern, dass der Gesetzgeber Handlungen erst dann kriminalisieren darf, wenn feststeht, dass sie schädlich sind. Zumin242 Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme Nr.: 48/2017, https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-48-17-strafbarkeit-der-sterbehilfe [Fassung vom 30.12.2019], S. 9. 243 NK-Hassemer / Neumann, StGB, Vorbemerkungen zu § 1 Rn 288. 244 MüKo-Joecks, StGB, Einleitung Rn 71; Roxin / Greco, Strafrecht AT, § 3 Rn 27. 245 NK-Hassemer / Neumann, StGB, Vorbemerkungen zu § 1 Rn 290. 246 NK-Hassemer / Neumann, StGB, Vorbemerkungen zu § 1 Rn 288. 247 BVerfGE 45, 187 (254). 248 BVerfGE 45, 187 (254).
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dest aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts sollte schon bestehen.249 Diese belegt der Gesetzgeber jedenfalls nicht. Im Strafrecht zeigt sich damit die Sozialschädlichkeit „eines bestimmten Verhaltens […] als notwendige, freilich nicht hinreichende Bedingung für dessen Kriminalisierung oder Pönalisierung“.250 Hiermit ist keinesfalls gesagt, dass jedwedes sozialschädliche Verhalten bestraft werden müsste. Dies gilt vor allem hinsichtlich solcher gesellschaftsrechtlicher Vorstellungen, „was jeweils als ʻkriminellʼ im Wortsinne – sei es aus Gründen großer Sozialschädlichkeit oder besonderer Verwerflichkeit – empfunden wird“.251 Sozialschädlich kann die Teilnahme an einer Selbsttötung ganz allgemein nur dann sein, wenn diese gerade nicht freiverantwortlich erfolgt. In der Sozialschädlichkeit spiegelt sich dann der Vorwurf der Gesellschaft an den Teilnehmer wider, diese unfreie Entscheidung des Suizidenten nicht als solche erkannt zu haben. Dieses Risiko beschwören die Autoren ebenfalls herauf. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die Teilnahme an einer nicht freiverantwortlichen Selbsttötung bereits nach alter Rechtslage strafbar war: Wenn eine Zwangslage des Betroffenen, ein Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche bekannt ist, ist der Suizidhelfer bereits nach den allgemeinen Grundsätzen des Täters hinter dem Täter strafbar.252 Der Gesetzgeber argumentiert damit, dass „geschäftsmäßige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten könnten, sich das Leben zu nehmen“.253 Obwohl er sich vordergründig darauf stützt, das Selbstbestimmungsrecht von Patienten schützen zu wollen, kommt der Gesetzgeber doch immer wieder auf ihre Sorge vor der Enttabuisierung der Sterbehilfe als Alternative zum natürlichen Tod zurück.254 Zweck ist es also eher, die Autonomie von Betroffenen vor der abstrakten Gefahr eines liberalen gesellschaftlichen Klimas zu schützen. So kommen in der Diskussion um den § 217 StGB auch immer wieder Stimmen zu dem Schluss, dass im Normzweck des § 217 StGB die Grenzen von Recht und Moral verschwimmen.255 Die
249 250 251 252 253 254
Vgl. Günther, JuS 1978, 8. Müller-Dietz, NStZ 1993, 57 (62). Müller-Dietz, NStZ 1993, 57 (62). Duttge, NJW 2016, 123. BT-Dr. 18/5373, S. 2. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 9. 255 Duttge, JuS 2016, S. 387.
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Durchsetzung von Moralvorstellungen aber ist wegen des Neutralitätsgebotes des Grundgesetzes gerade verfassungsrechtlich ausgeschlossen.256 Ferner ist spätestens auf der Ebene der Erforderlichkeit zu prüfen, ob kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung steht, um den genannten Schutzzweck zu erreichen. Nach dem BVerfG ist das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel erforderlich, wenn der Gesetzgeber „nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können“.257 Das scheint angesichts einer Fülle von anderen Vorschlägen fraglich. Als mildere Mittel werden sowohl Regelungen als Ordnungswidrigkeit vorgeschlagen,258 als auch über das Zivilrecht,259 das Vereins- oder Polizeirecht. In die Betrachtung einzustellen sind auch die Alternativen, die die Gesetzeslage den Betroffenen lässt: ohne professionelle Beratung und Unterstützung durch Ärzte verweist der Gesetzgeber den Betroffenen so zur Durchsetzung seines Selbstbestimmungsrechtes auf Möglichkeiten, die weit weniger geeignet sind, seine Würde und sein Leben zu schützen: eine Reise ins liberale Ausland, Sammeln von Schlafmitteln, Brutal-Selbstmorde – oder nach der Rechtsprechung des BVerwG – ein Antrag beim BfArM.260 Auf der Ebene der Angemessenheit ist im Falle des Eingriffs in die Berufsfreiheit von Ärzten zunächst der Maßstab zu klären, der sich nach der herrschenden Drei-Stufen-Theorie danach richtet, ob § 217 StGB in die Berufswahl oder Berufsausübung eingreift. Im Falle von nicht spezialisierten Ärzten handelt es sich mindestens um einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung, der – wie oben dargelegt – nur dann gerechtfertigt ist, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls diesen zweckmäßig erscheinen lassen. Im Falle von Sterbehilfeorganisationen und Medizinern, die sich auf Suizidbeihilfe spezialisiert haben, handelt es sich um einen Eingriff in die Berufswahl, der nur dann angemessen ist, wenn er der „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“261 dient. Der Gesetzgeber geht in seiner Begründung davon aus, dass diese Voraussetzung in jedem Fall erfüllt ist, weil geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe einen Schritt in den selbst gewählten Tod „normal“ erscheinen ließen und 256 Vgl. auch Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme Nr.: 48/2017, https://anwaltverein.de/ de/newsroom/sn-48-17-strafbarkeit-der-sterbehilfe [Fassung vom 30.12.2019], S. 13. 257 BVerfGE 30, 292 (316). 258 Roxin, NStZ 2016, 185. 259 Hilgendorf, JZ 2014, 545. 260 Vgl. auch Hufen, NJW 2018, 1524 (1528). 261 BVerfGE 103, 172 (183).
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Menschen zur Selbsttötung verleiteten, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Er beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, das die starre Stufenlehre im Falle von „atypischen“ Tätigkeiten gelockert habe.262 In diesen Fällen seien Eingriffe schon dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnismäßigkeitsgrundsätze eingehalten werden. Wegen der hohen Wertigkeit der Rechtsgüter, die durch die Suizidhilfe gefährdet würden, sei der Eingriff daher verhältnismäßig.263 Gerade diese postulierte Angemessenheit ist jedoch fraglich. Dazu sind nämlich die Bedeutung und Gewichtigkeit des Eingriffszwecks einerseits mit der Intensität des Grundrechtseingriffs sowie der Bedeutung des betreffenden Grundrechts andererseits zu vergleichen. Auf der einen Seite steht die Behauptung, das Leben vor einer nicht nachgewiesenen, nicht einmal plausiblen Gefahr schützen zu wollen, die sich bei näherer Betrachtung als Mittel entpuppt, weltanschauliche Moralvorstellungen durchsetzen zu wollen. Auf der anderen Seite steht ein gewichtiger Eingriff in die legitime Berufswahlfreiheit von Ärzten, die mit ihrer professionellen Hilfe die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes ihrer Patienten sicherstellen.264
D) Verwaltungsrechtliche Dimension Neben dem Bundesverfassungsgericht mit Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB beschäftigen sich inzwischen auch Verwaltungsgerichte mit dem Recht auf assistierten Suizid. Der aufsehenerregendste Fall ist der des Ehepaars Koch, der den gesamten zur Verfügung stehenden Instanzenzug durchlaufen hat. In diesem Fall entschieden die Richter zwar nicht über die Unterstützung durch einen Mediziner, sondern über den grundsätzlichen Anspruch einer Patientin auf eine tödliche Dosis Pentobarbital. Zu klären hatten die Verwaltungsrichter damit aber die grundlegende Frage, ob staatliche Stellen eine Selbsttötung verhindern dürfen oder sie im Gegenteil unterstützen müssen – eine Entscheidung, die durchaus eine Grundlage bilden kann für Fragen des ärztlich assistierten Suizids, insbesondere, wenn die Begleitung durch Ärzte in Krankenhäusern als Amtsträger erfolgt.
262 Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 12, mit Hinweis auf BVerfGE 103, 172. 263 Vgl. Brand / Griese / Vogler / Terpe et al., Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5373, S. 12. 264 Ähnlich auch Hufen, NJW 2018, 1524 (1528).
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I. Prozessgeschichte Der Fall begann mit einem Unfall im Frühjahr 2002. Infolge eines Sturzes war Frau Koch fast vollständig gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Trotz der Lähmung empfand sie Schmerzen. Eine Besserung des Zustandes war nicht mehr zu erwarten. Da Frau Koch ihren Zustand selbst als unerträglich und entwürdigend empfand, äußerte sie den Wunsch zu sterben. Sie besprach ihn mit ihren nächsten Angehörigen, den behandelnden Ärzten und dem Pflegepersonal, einem Psychologen und einem Geistlichen.265 Damit hatte sie viele der Kriterien erfüllt, die der oben bereits erwähnte Death of Dignity Act fordert. Alle Gesprächspartner respektierten ihre Entscheidung. Im Dezember 2004 beantragte Frau Koch beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Frau Koch wies in ihrem Antrag darauf hin, dass Pentobarbital grundsätzlich verkehrs- und verschreibungsfähig sei. Weil in Deutschland aufgrund des geltenden Standesrechts aber kein Arzt eine tödliche Dosis verschreiben dürfe, sei das BfArM verpflichtet, ihr Zugang dazu zu gewähren. Zwar sei die von ihr angestrebte Selbsttötung mit dem Barbiturat in der Schweiz möglich, die Belastungen einer Reise dorthin seien ihr allerdings nicht zumutbar.266 Das BfArM lehnte ihren Antrag ab. Die Erlaubnis sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG267 zu versagen, da Art und Zweck des beantragten Verkehrs mit Betäubungsmitteln nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar seien. Es könne nicht mehr von einer notwendigen medizinischen Versorgung gesprochen werden, wenn das Betäubungsmittel für einen Suizid eingesetzt werde. Der Begriff der notwendigen medizinischen Versorgung könne nur so verstanden werden, dass es hierbei um die lebenserhaltende oder lebensfördernde, nicht jedoch die lebensvernichtende Anwendung gehe.268
265 Vgl. BVerwGE 158, 142. 266 Vgl. BVerwGE 158, 142. 267 Wortlaut: (1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn (...). die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist. 268 VG Köln FamRZ 2006, 1673.
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Im Januar 2005 wurde sowohl im Namen von Frau Koch selbst als auch im Namen ihres Ehemannes, Herrn Koch, gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch eingelegt. Der Erwerb eines Betäubungsmittels sei nicht nur zum Zwecke der Lebenserhaltung und Lebensförderung zulässig. Weil es keine gesetzliche Pflicht zum Weiterleben gebe, müsse die Medizin alles unternehmen, einen verantwortlich begleiteten Suizid zu ermöglichen. Dieses weite Verständnis der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften sei auch im Lichte des Art. 8 EMRK geboten.269 Das BfArM wies den Widerspruch von Frau Koch mit Bescheid vom 3. März 2005 als unbegründet, den Widerspruch ihres Ehemanns als unzulässig zurück. Herr Koch habe kein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung. Frau Koch erreichte der Bescheid nicht mehr: Sie hatte sich wenige Tage zuvor in der Schweiz das Leben genommen.270 Im April 2005 erhob Herr Koch vor dem VG Köln Feststellungsklage: Der Widerspruchsbescheid stelle einen unzulässigen Eingriff in seine Rechte aus Art. 8 und Art. 13 EMRK und Art. 6 GG auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar. Das BfArM sei verpflichtet gewesen, seiner Ehefrau das Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu verschaffen. Es lege den Begriff der Gesundheit zu eng aus. Dieser beinhalte auch die Möglichkeit, den Tod durch ein sicheres Mittel risikolos und schmerzfrei herbeizuführen, wenn ein Leiden nicht anders als durch Tod behoben werden könne.271 Das Verwaltungsgericht wies die Klage wiederum als unzulässig zurück, weil der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt sei. Insbesondere ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK sah das Gericht nicht verletzt. Ergänzend führten die Richter aus, dass die Klage auch unbegründet gewesen sei. Insofern schlossen sie sich dem BfArM an: Das BtMG könne nicht so ausgelegt werden, dass es den Erwerb eines tödlichen Betäubungsmittels zum Zweck der Beendigung eines als qualvoll empfundenen Lebens einschließe. Dem stehe der Wille des Gesetzgebers entgegen, der durch die Verbote und Einschränkungen des Betäubungsmittelgebrauchs Leben und Gesundheit der Bevölkerung schützen wolle.272 Ebenso wenig sei Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt, weil dem nationalen Gesetzgeber bei den Einschränkungen dieses Rechts auf Achtung des Privat-
269 270 271 272
VG Köln FamRZ 2006, 1673. VG Köln FamRZ 2006, 1673. VG Köln FamRZ 2006, 1673. VG Köln FamRZ 2006, 1673 (1674).
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und Familienlebens aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Rechte anderer ein weiter Beurteilungsspielraum zustehe. Der Ehemann legte daraufhin beim Oberverwaltungsgericht Münster Berufung ein. Die Richter hatten jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung der Vorinstanz. Auch aus ihrer Sicht sei der Ehemann nicht klagebefugt gewesen. Ein eigenes Recht auf Erteilung der betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis für seine Frau ergebe sich weder aus dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie noch aus dem Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK.273 Herr Koch gab nicht auf und wendete sich im Jahre 2008 ans Bundesverfassungsgericht. Doch die Richter nahmen seine Verfassungsbeschwerde nicht an, beschäftigten sich also nicht in der Sache mit dem Fall.274. Dem Ehemann fehle die Beschwerdebefugnis im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG, da er weder ein Recht auf Beendigung der ehelichen Gemeinschaft durch Suizid der Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG herleiten noch die höchstpersönlichen Rechte seiner Ehefrau aus Art. 1 Abs. 1 GG geltend machen könne.275 Dagegen reichte Herr Koch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Sommer 2012 stellte der Gerichtshof in seinem Urteil einstimmig fest, dass der Ehemann in eigenen Rechten aus Art. 8 EMRK verletzt sei, ohne dass der Eingriff durch legitime Interessen gerechtfertigt sei, weil die nationalen Gerichte sich weigerten, die Begründetheit seiner Klage zu prüfen.276 Auf diese verfahrensrechtliche Aussage beschränkte sich der EGMR. Er prüfte nicht, ob die Versagung der Erlaubnis mit Art. 8 EMRK zu vereinbaren sei. Da es unter den Mitgliedsstaaten keinen Konsens über die Beurteilung des assistierten Suizids geben, stehe ihnen ein erheblicher Ermessensspielraum zu.277 Vor dem Hintergrund dieses Urteils des EGMR konnte Herr Koch sein Feststellungsbegehren nun mit einer Revision beim Bundesverwaltungsgericht weiterverfolgen; die nationalen Gerichte mussten sich endlich den materiellrechtlichen Fragen des Falles stellen. Es gilt hier also eine Antwort zu finden auf die verfassungsrechtlich278 und ethisch279 hoch umstrittene Frage, inwie273 274 275 276 277 278
OVG Münster, NJW 2007, 3016. BVerfG NJW 2009, 979. BVerfG NJW 2009, 979. EGMR NJW 2013, 2953. EGMR NJW 2013, 2953. Aus den ersten Reaktionen siehe Hillgruber, JZ 2017, 777; Gärditz, ZfL 2017, 38.
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weit der Staat Hilfe leisten muss, um eine Selbsttötung durch die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb letal wirkender Mittel zu ermöglichen. Herr Koch machte geltend, das Oberverwaltungsgericht habe § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG falsch ausgelegt. Aus dem Gesetz ergebe sich nicht, dass Betäubungsmittel der Anlage III nicht auch zum Zweck der Lebensbeendigung erworben werden dürften. Ein Regelungsverständnis, das dazu führe, dass ein Suizidwilliger in einer Situation wie derjenigen seiner Frau zusätzlich leiden müsse, verstoße gegen die Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention. Das Recht, selbstbestimmt über den Zeitpunkt und die Umstände des eigenen Todes zu entscheiden, laufe leer, wenn dem Betroffenen verwehrt werde, auf eine möglichst risikolose und schmerzfreie Weise aus dem Leben zu scheiden. Werde der Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ausgeschlossen, würden Betroffene wie seine Frau vor die Alternative gestellt, weiter leiden zu müssen, eine andere Suizidmethode wählen zu müssen, die erheblich risikoreicher und mit der Gefahr zusätzlicher Schmerzen verbunden sei, oder eine beschwerliche Reise in die Schweiz unternehmen zu müssen, um den Sterbewunsch dort in der gewünschten Weise umsetzen zu können. Das sei mit dem Schutzgehalt der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar.280
II. Urteil 1. Betäubungsmittelrecht Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Erwerb der tödlichen Dosis Pentobarbital für Frau Koch erlaubnispflichtig gemäß § 3 BtMG war, weil es für sie nicht aufgrund einer ärztlichen Verschreibung zu bekommen war. Zwar gehört Pentobarbital zu den verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln, die grundsätzlich verschrieben werden können. Voraussetzung ist eine Indikation. Das Mittel muss also im Rahmen einer medizinischen Behandlung zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden.281 Das BVerwG lässt in seinem Urteil allerdings völlig offen, ob diese gesetzliche Voraussetzung für die Verschreibung einer letalen Dosis von Betäubungsmitteln erfüllt ist. Ihm genügt die Tatsache, dass Frau Koch im Wege der Verschreibung tatsächlich nicht an das Medikament gelangen konnte, weil die 279 Dazu die – als beispiellos bezeichnete – Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates vom 1. Juni 2017 (Suizidprävention statt Suizidunterstützung. Erinnerung an eine Forderung des Deutschen Ethikrates anlässlich einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Ad-hoc-Empfehlung) und die Kritik daran von Lindner, ZRP 2017, 148. 280 BVerwGE 158, 142. 281 BVerwGE 158, 142.
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Ärzteschaft sich darauf geeinigt habe, dass die Verschreibung einer tödlichen Dosis nicht mit dem hippokratischen Eid vereinbar sei.282 Hier soll das rechtliche Spannungsfeld der Verschreibungsfähigkeit dennoch konkreter beleuchtet werden, da es für das Handeln und den Spielraum von Ärzten von entscheidender Bedeutung ist.
2. Bindungsfähigkeit ärztlichen Standesrechts Die fehlende Verschreibungsfähigkeit eines tödlich wirkenden Medikamentes begründet sich derzeit nämlich weniger aus den gesetzlichen Vorschriften, sondern vielmehr aus dem Standesrecht der Ärzte. Als Reaktion auf die Mitwirkung von Ärzten am Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten entstand 1947 das Bad Nauheimer Gelöbnis, das einer künftigen Berufsordnung der Ärzte vorangestellt werden sollte. Hatte sich das Standesrecht bis dahin alleine mit Wettbewerbs- und Konkurrenzschutznormen beschäftigt, verpflichtete das Bad Nauheimer Gelöbnis den Arzt erstmals, Leben zu bewahren und es selbst nicht auf Wunsch eines Kranken zu zerstören.283 Allerdings wurde es bei der Wiederaufnahme in den Weltärztebund durch das wesentlich liberaler formulierte Genfer Gelöbnis ersetzt.284 Erst in der Musterberufsordnung (MBO-Ä) von 1997 fanden Gedanken zur Sterbehilfe wieder Eingang. Die damalige Reglung war vergleichsweise weich formuliert. Dort hieß es: „Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen.“285
Mit Beschluss des 114. Ärztetags wurde 2011 die MBO-Ä in Bezug auf die Sterbebegleitung verschärft. Die aktuelle Fassung aus dem Jahr 2015, in dem auch der neue § 217 StGB erlassen wurde, regelt in § 16 nun: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“286 282 BVerwGE 158, 142. 283 Nach Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin I – Ethische Kodizes, S. 2, http://www.meduniwien.ac.at/user/michael.peintinger/literatur/ethkodiz.pdf: „[…] In Ehrfurcht vor dem schöpferischen Walten in der Natur und im Vertrauen auf ihre mir oft verborgenen Kräfte werde ich alles menschliche Leben bewahren und in seinen natürlichen Ablauf auch nach dem Wunsche des Kranken nicht zerstörend eingreifen“. 284 Das sodann nur noch formulierte: „Ich werde das menschliche Leben von der Empfängnis an bedingungslos achten.“, sich über das Ende des menschlichen Lebens aber wohlweislich ausschwieg. 285 Vgl. Art. 16 MBO-Ä 1997 in der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach. In: Deutsches Ärzteblatt 1997/37, S. A-2354.
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Als Sanktion droht bei Verstoß der Verlust der Approbation. Die Verschreibung einer tödlichen Dosis Pentobarbital durch einen Arzt scheitert also zunächst an seiner Berufsordnung. Schon das erscheint fragwürdig, betrachtet man die Tatsache, dass Medikamente verfügbar sind, die in frei zugänglicher Dosis ebenfalls tödlich wirken. Als Beispiel sei hier Paracetamol benannt, das bis zu einer Packungsgröße von unter 10 Gramm frei erhältlich ist. Schon 7,5 Gramm des als harmlos bekannten Schmerz- und Fiebermedikamentes können tödlich sein. Ohne Antidot kommt der Tod allerdings langsam und qualvoll: Nach anfänglicher Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen zeigen sich die Folgen der unumkehrbaren Leberschädigung wie Gelbsucht, Unterzuckerung und gesteigerter Blutungsneigung. Nach etwa fünf Tagen kommt es zu Krämpfen, Koma und schließlich zum Tod. Die ärztliche Berufsordnung mag regeln, dass der Arzt dem Leben dienen soll. Das wird niemand bestreiten. Sieht man sich aber das oben benannte Beispiel an – eines von diversen Beispielen qualvoller Suizidversuche, weil ein friedliches, begleitetes Sterben verweigert wird – so kann man die rechtliche Bindungswirkung solcher Berufsordnungen durchaus in Zweifel ziehen. Vergleichbar äußerte sich das VG Berlin im Jahre 2012. Damals ging es um einen Vorgang aus dem Jahr 2007, als die Ärztekammer Berlin einem Arzt unter Androhung eines hohen Zwangsgeldes untersagte, die letale Dosis eines Medikamentes an eine Patientin abzugeben. Als Begründung führte die Kammer das ärztliche Ethos an. Die Ärztekammer berief sich auf § 1 Abs. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (BO-Berlin), über die auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung Gültigkeit entfalteten. Danach werte die deutsche Ärzteschaft die Mitwirkung an einer Selbsttötung weiterhin als unärztlich. Das Verbot des ärztlich assistierten Suizids ergebe sich auch aus § 16 Abs. 1 Satz 2 BO-Berlin, wonach der Arzt das Leben eines Sterbenden nicht aktiv verkürzen dürfe. Der 114. Deutsche Ärztetag 2011 habe zudem § 16 der Musterberufsordnung so geändert, dass Ärzte „keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ dürften.287 Der Kläger, der zum Zeitpunkt der Verschreibung 2. Vorsitzender des Sterbehilfe-Vereins Dignitate (heute: Dignitas-Deutschland) war, hielt es für ethisch unvertretbar, die ärztliche Begleitung eines Suizids generell zu verweigern. Unter Beachtung der Menschenwürde sei der Heilauftrag des Arztes weit zu 286 MBO-Ä in der Fassung der Beschlüsse des 118. Deutschen Ärztetages in Frankfurt, siehe http://www.bundesaerztekammer.de/recht/berufsrecht/muster-berufsordnung-aerzte/ muster-berufsordnung/. 287 VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html.
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verstehen. Die Konsultation mit einem Patienten, das Verschreiben von Medikamenten und die Erörterung von Möglichkeiten der Lebensbeendigung stellten seiner Ansicht nach keine Verletzung der Berufspflichten eines Arztes dar. In diesem Zusammenhang berief er sich auch auf entsprechende Äußerungen des damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. h.c. mult. Jörg-Dietrich Hoppe288, und des Medizinrechtlers Prof. Dr. Jörg Taupitz, Mitglied der zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer.289 Die Verwaltungsrichter entschieden zu Gunsten des Arztes. Ein Verbot ärztlicher Beihilfe zum Suizid ergebe sich aus der Generalklausel im Berliner Kammergesetz (BerlKaG) zur gewissenhaften Berufsausübung i.V.m. der Generalklausel zur Beachtung des ärztlichen Berufsethos in der als Satzung erlassenen Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (BO-Berlin). Der Arzt sei durch Berufsethos und Berufsrecht darauf verpflichtet, sich grundsätzlich für die Erhaltung menschlichen Lebens einzusetzen. Grundsätzlich unterlägen Ärzte also einem allgemeinen Gebot der Förderung des Lebens und der Gesundheit, dem beispielsweise die Überlassung todbringender Medikamente an körperlich und seelisch gesunde Personen widerspreche. Genauso zu den Aufgaben des Arztes gehöre es aber, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten.290 Der Arzt dürfe sogar auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde.291 Das Gebot der Lebenserhaltung werde also gerade in Grenzsituationen des Lebens durch das Gebot der Linderung von Leiden und des Respekts vor der Selbstbestimmung des Patienten eingeschränkt. Daher lasse sich aus dem Gebot der Lebenserhaltung kein ausnahmsloses Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid ableiten.292 Selbst wenn man dies als ausnahmsloses Verbot aus einer satzungsmäßigen Generalklausel interpretieren wolle, so stellten die Berliner Verwaltungsrichter fest, sei dies immer noch keine ausreichende Rechtsgrundlage, um einem Arzt die Weitergabe todbringender Mittel an Sterbewillige generell zu untersagen. 288 Siehe Hoppe, „Wer helfen will, kann das tun.“, https://www.dgpalliativmedizin.de/ images/stories/SPIEGELgespraech_Hoppe.pdf [Fassung vom 30.12.2019]. 289 VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html. 290 Siehe § 1 Abs. 2 BO-Berlin. 291 Vgl. § 16 S. 1 BO-Berlin in der damals geltenden Fassung. In der aktuellen Fassung findet sich die hier zitierte Regelung zum Behandlungsabbruch nicht mehr. 292 VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html.
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Das Gericht beruft sich dabei auf das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Regelung von nicht statusbegründenden Berufspflichten293 sowie der von ihm dazu entwickelten Stufentheorie.294 Zwar dürfe ein Berufsverband grundsätzlich ermächtigt werden, die Pflichten des Berufs zu regeln. Das Maß des Eingriffs müsse der Gesetzgeber aber umso deutlicher bestimmen, je stärker der Betroffene in seiner freien Berufsausübung beeinträchtigt und je mehr die Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit interessiert sei.295 Zu beanstanden sei nicht, dass das KG (Kammergericht) Berlin die ärztlichen Berufspflichten im Allgemeinen generalklauselartig umschreibe und deren Konkretisierung dem Satzungsrecht der Ärztekammer überlasse. Auch könne das Standesrecht Verhalten verbieten, das nicht strafbar sei.296 Entscheidend sei hier die Intensität des Eingriffs in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes sowie in seine Gewissensfreiheit. Die Berliner Verwaltungsrichter erkannten, dass schon in der Formulierung des § 16 BO-Berlin die Möglichkeit von Konfliktlagen deutlich werde, in denen das Gebot der Lebenserhaltung mit dem Gebot der Leidenslinderung und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Streit stünden. Zudem müsse man die Gewissensentscheidung eines Arztes respektieren, der in einer lang andauernden, engen Arzt-Patient-Beziehung oder einer längeren persönlichen Beziehung zum Betroffenen stehe. Ins Gewicht fiel auch die Tatsache, dass die ethische Zulässigkeit in bestimmten Fallkonstellationen auch innerhalb der Ärzteschaft äußerst kontrovers diskutiert werde.297 In diesen Situationen sei eine schwierige Güterabwägung erforderlich, die nicht allein auf der Grundlage einer weit gefassten gesetzlichen Generalklausel verbindlich getroffen werden könne. Daher schätzten sie den Grundrechtseingriff als so intensiv ein, dass es verfassungsrechtlich geboten sei, eine Ausnahme vom generellen Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid ausdrücklich zu regeln. Dieser Forderung folgten bisher weder die Ärztekammer Berlin noch eine der anderen Landesärztekammern. Im Gegenteil: In zehn von 16 Bundesländern verbietet § 16 der entsprechenden Berufsordnung inzwischen den Ärzten die Leistung von Hilfe zur Selbsttötung – Ausnahmen dazu bestehen allerdings 293 294 295 296 297
BVerfGE 33, 125. BVerfGE 33, 171; BVerfGE 38, 373; BVerfGE 71, 183. VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html. VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html unter Hinweis auf BVerfGE 88, 203. VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html.
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nicht. Nur in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gilt auch heute noch eine Regelung, die vergleichbar ist mit der zum Zeitpunkt des Urteils in Berlin gültigen. Sie verbietet es Ärzten nur, das Leben eines Sterbenden aktiv zu verkürzen und verweist damit auf das Verbot aktiver Sterbehilfe,298 woraus Teile von Literatur und Rechtsprechung wiederum ein Verbot der Suizidassistenz ableiteten.299 Inzwischen hat die Landesärztekammer Berlin den § 16 BO-Berlin geändert. Sie verlangt von Ärztinnen und Ärzten nun „Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen“. Damit gilt hier – genau wie in den als konservativ bekannten Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt – zwar kein direktes Verbot mehr. Allerdings ergibt sich weiterhin ein indirektes Verbot aus den Generalklauseln zur ethisch korrekten und gewissenhaften Berufsausübung. Eine vom Verwaltungsgericht geforderte Ausnahme ist weiterhin nicht enthalten. Da auch die übrigen Berufsordnungen die Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeit nicht erfüllen, kann aus ihnen allgemein keine ausreichende Rechtsgrundlage für ein zwangsgeldbewehrtes Abgabeverbot tödlicher Medikamentendosen abgeleitet werden. Das BVerwG äußerte sich im Fall Koch nicht zur Verfassungsmäßigkeit der Berufsordnung. Es begnügte sich mit dem Hinweis auf eine „mehrheitliche Einigung der Ärzteschaft“ – ohne diese allerdings statistisch oder in anderer Form nachzuweisen. Nach Wortlaut und Ziel des BtMG habe das BfArM die Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 versagen müssen, da eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar gewesen sei.300 Dieser sei allein auf lebenserhaltende oder lebensfördernde Maßnahmen und Verwendungszwecke gerichtet. Das BVerwG geht in seinen Ausführungen auch auf den Einsatz von schmerzstillenden Medikamenten am Ende des Lebens ein und grenzt diese scharf vom Einsatz von Betäubungsmitteln zum Suizid ab. Die beiden Verwendungszwecke seien nicht zu vergleichen. Bei der palliativen Versorgung sterbender Menschen stehe die Linderung von Schmerzen und Atemnot im Vordergrund, eine lebensverkürzende Wirkung werde lediglich als unvermeidliche Nebenfolge der notwendigen Behandlung in Kauf genommen. Diese Bewertung 298 Vgl. dazu auch VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html. 299 VG Berlin, https://openjur.de/u/428212.html; Lipp/Simon, Beihilfe zum Suizid – Keine ärztliche Aufgabe, Deutsches Ärzteblatt 2011, A 212; a.A. offenbar Ratzel / Lippert / Prütting, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte, § 16 Rn 11. 300 BVerwGE 158, 142; so auch di Fabio, Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen: Rechtsgutachten zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Presse/Rechtsgutachten.pdf?blob=publicationFile&v=2 [Fassung vom 30.12.2019], S. 102.
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stimme auch mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung zwischen erlaubter, durch Einwilligung des Patienten gerechtfertigter Sterbehilfe i.S.d. Hilfe beim Sterben und einer strafbaren Tötung nach §§ 212, 216 StGB überein. Danach könne als Sterbehilfe zulässig sein, eine lebenserhaltende oder -verlängernde medizinische Behandlung zu unterlassen oder abzubrechen, nicht hingegen eine lebensbeendende Handlung außerhalb des Zusammenhangs einer medizinischen Behandlung.301 All das klingt zunächst einmal nach den bekannten Argumenten gegen Suizidassistenz. Dann vollzieht das BVerwG jedoch eine elegante Kehrtwende, indem es auf die Grundrechte des Schwerstkranken hinweist und eine grundrechtskonforme Auslegung der Regelungen des BtMG herleitet, die die Autonomie des Sterbewilligen respektiert. Ein ausnahmsloses Verbot, Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, so das Gericht in seinen Ausführungen, greife in das grundrechtlich geschützte Recht schwer und unheilbar kranker Menschen ein, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden solle.302 Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sichere gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren könne. Dazu gehöre, dass der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten könne. Das Bundesverwaltungsgericht verweist an dieser Stelle auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes seit den siebziger Jahren303 und setzt hinzu, dass Ausdruck der persönlichen Autonomie auch der Umgang mit Krankheit sei.304 Ausgehend davon umfasse das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden solle, vorausgesetzt, er könne seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.305. 301 BVerwGE 158, 142. 302 BVerwGE 158, 142. 303 BVerwGE 158, 142 unter Hinweis auf BVerfGE 49, 286, sowie BVerfGE 117, 202; so auch schon BVerfGE 35, 202. 304 BVerwG 158, 142. 305 Vgl. BVerwG 158, 142 unter Verweis auf Dreier-Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn 154 und Art. 2 Abs. 1 Rn 29; Roxin, NStZ 2016, 185 (186); Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge, S. 61 f.
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Dabei beschränke sich der Grundrechtsschutz nicht auf Fälle, in denen der Sterbeprozess bereits begonnen habe oder unmittelbar bevorstehe. Die verfassungsrechtlich gebotene Achtung vor dem persönlichen Umgang des Einzelnen mit Krankheit und dem eigenen Sterben schließe auch die freiverantwortlich getroffene Entscheidung schwerkranker Menschen ein, ihr Leben vor Erreichen der Sterbephase oder losgelöst von einem tödlichen Krankheitsverlauf beenden zu wollen. In Anbetracht von Achtung und Würde eines selbstbestimmten Lebens kann man dieser Entscheidung nur zustimmen. Ebenso entspricht sie auch der ethisch-moralischen Perspektive auf das Autonomieprinzip am Lebensende.306 Außerdem schafft das BVerwG damit eine Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR, den der Kläger ja zuvor angerufen hatte.307 Zugleich nimmt es den Gegnern der Suizidbeihilfe ihre Argumente des Dammbruchs und der Nicht-Freiwilligkeit, in dem es auf den willensbildungsfähigen Patienten abstellt. Das BVerwG lässt offen, ob es sich hier um einen direkten Eingriff in die Grundrechte des Klägers handelt. Dem Gericht genügt eine mittelbare Beeinträchtigung, weil sie in ihrer Zielsetzung und in ihren Wirkungen einem Eingriff gleichkomme.308 Die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu einem Betäubungsmittel zu therapeutischen Zwecken im engeren Sinne verhindere, dass ein Mittel wie Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung zur Verfügung stehe. Diese könne dazu führen, dass schwer und unheilbar kranke Menschen, die frei und ernsthaft entschieden hätten, ihr Leben zu beenden, diesen Sterbewunsch nicht oder unter unzumutbaren Bedingungen realisieren könnten. Darin liege eine entsprechende Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.309 Aber selbst wenn es sich nicht um einen Eingriff in die Grundrechte handele, sei bei der Auslegung der Regelungen des BtMG die Schutzpflicht für die Autonomie des Patienten zu beachten. In diesem Punkt verweist das Gericht auch nochmal auf die Ausführungen des Ethikrates zu „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ aus dem Jahre 2006. Dieser wies darauf hin, dass Entscheidungen immer unter bestimmten Bedingungen getroffen würden. Von einer selbstbestimmten Entscheidung könne nur dann keine Rede mehr sein,
306 Siehe auch Ausführungen im 3. Kapitel A) I. Autonomieprinzip. 307 Zur verfassungsrechtlichen Einordnung siehe Kapitel 4 C) Verfassungsrechtliche Dimension. 308 BVerwGE 158, 142 unter Verweis auf BVerfGE 110, 177 (191). 309 BVerwG 158, 142.
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wenn die Bedingungen eine bestimmte Entscheidung erzwingen.310 Das BVerwG räumt daher dem Einzelnen auch nicht das Recht ein, vom Staat Rahmenbedingungen und Strukturen zu verlangen, die die Selbsttötung ermöglichen. Wenn sich ein schwer und unheilbar Kranker wegen seiner Erkrankung aber in einer extremen Notlage befindet, aus der es für ihn selbst keinen Ausweg gibt, verdichte sich das Recht auf Autonomie zu einer konkreten Schutzpflicht.311 Um entscheiden zu können, ob eine solche Notlage vorliegt, entwickelt das Gericht drei Kriterien: (1)
Der Betroffene müsse schwer und unheilbar erkrankt sein. Zusätzlich muss die Krankheit mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere mit starken Schmerzen verbunden sein. Mit dieser Voraussetzung scheint das BVerwG psychische Erkrankungen auszuschließen. Insbesondere mit Blick auf Fallstatistiken des Sterbehilfe Deutschland e. V. ist dies eine interessante Facette: In den Jahren 2010 bis 2015 hatte der Verein insgesamt 254 Menschen in den Tod begleitet.312 Die Fälle mit psychischen Erkrankungen machten davon ca. 15% aus.313 Die Schmerzen müssten beim Betroffenen kausal für einen unerträglichen Leidensdruck sein. Außerdem dürfe keine andere Möglichkeit der ausreichenden Linderung bestehen.
(2)
Der Betroffene muss außerdem entscheidungsfähig sein und sich frei und ernsthaft entschieden haben, seinem Leben ein Ende zu setzen.
(3)
Zu guter Letzt darf es keine andere, zumutbare Möglichkeit geben den Sterbewunsch zu verwirklichen. Interessant ist diese Voraussetzung insbesondere im Zusammenhang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Suizidbegleitung durch Ärzte. Würden für sie ähnliche Kriterien gelten, wären Betroffene gerade nicht auf den ultimativen Schutz durch das BfArM angewiesen.
III. Kritische Würdigung Das BVerwG hat also entschieden, dass Sterbenskranke ausnahmsweise Betäubungsmittel erwerben dürfen, um ihr Selbstbestimmungsrecht am Ende ihres Lebens verwirklichen zu können. Es folgt damit einer in der Bevölkerung und der generellen Diskussion allgemeinen Entwicklung.314 Gleichzeitig stellt 310 Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge, S. 18 f. 311 BVerwGE 158, 142; vgl. di Fabio, Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen: Rechtsgutachten zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Presse/Rechtsgutachten.pdf 312 Kusch, Der Ausklang, Kapitel B) 2. 313 Eigene Auswertung anhand des Kriteriums „mit ausführlicher Begründung“, welches nach Angabe des Vereins immer dann notwendig wird, wenn es sich um Mitglieder mit psychischer Erkrankung handelt. 314 Etwa 60–70% der Bevölkerung bejahen Sterbehilfe im Allgemeinen – vgl. Statistikteil.
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Erster Teil
es sich gegen die Zielsetzungen des Gesetzgebers, der mit § 217 StGB die Beihilfe zur Selbsttötung gerade erschweren wollte. Obwohl das Gericht zu Recht und mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts feststellt, dass die staatliche Gemeinschaft hilflose Menschen nicht einfach sich selbst überlassen dürfe,315 ist im Ergebnis genau das der Fall: denn die Anwendung des tödlichen Gifts bleibt dem Suizidwilligen allein überlassen; eine Beratung durch den Arzt des Vertrauens wird gerade durch § 217 StGB verhindert. Ärzteverbände üben Kritik an dem Urteil. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sieht zum einen praktische Probleme bei der Subsumtion der konkreten Situation unter die entwickelten Kriterien.316 Dies gelte insbesondere für die Beurteilung der Frage, ob die Entscheidung frei oder unter dem Eindruck einer behandelbaren Depression getroffen worden sei. Die palliative Praxis zeige, dass viele Sterbewünsche eher den Wunsch nach alternativen Angeboten zum Ausdruck brächten.317 Die DGP mag hier das Urteil insgesamt ablehnen. Es zeigt sich in diesem Urteil jedoch vielmehr die Nicht-Anwendbarkeit des § 217 StGB im Falle der Erlösung von unerträglichem Leid. So hat das BVerwG hier einen – man mag ihn als gescheitert ansehen oder nicht – mutigen Versuch unternommen, die Beschränkungen des § 217 StGB in ihrer Absolutheit zu lösen. Dieses Urteil krankt daran, dass hier immer noch der behandelnde Arzt und damit der Fachkundige, der Palliativmediziner, außen vor bleibt, der ggf. sogar andere, lebensbejahendere Lösungen anbieten könnte. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält das Urteil insgesamt für eine Fehlentscheidung, denn es bleibe offen, was eine unerträgliche Leidenssituation sei. Obwohl das weder objektiv messbar noch juristisch definierbar sei, müsse das BfArM jetzt genau darüber in konkreten Fällen entscheiden.318 Der 315 BVerwG 158, 142 unter Verweis auf BVerfGE 142, 313. 316 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Pressemitteilung: DGP zu SterbehilfeEntscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: „Schritt in die falsche Richtung“, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/PM_20170303_DGP_zum_Urteil_Bundesverwaltungsgericht.pdf [Fassung vom 18.12.2018]. 317 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Pressemitteilung: DGP zu SterbehilfeEntscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: „Schritt in die falsche Richtung“, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/PM_20170303_DGP_zum_Urteil_Bundesverwaltungsgericht.pdf [Fassung vom 18.12.2018]. 318 Vgl. Deutsche Stiftung Patientenschutz, Betäubungsmittel: Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist praxisfern, https://www.stiftung-patientenschutz.de/news/738/ 68/Betaeubungsmittel-Enscheidung-des-Bundesverwaltungsgericht-ist-praxisfern [Fassung vom 12.12.2018].
Viertes Kapitel: Der für nichtig erklärte § 217 StGB
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vormalige Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte dem Deutschen Ärzteblatt: „Dass eine so grundsätzliche ethische Frage wie die der ärztlich assistierten Selbsttötung auf einen bloßen Verwaltungsakt reduziert werden soll, ist mir völlig unverständlich.“319
Man mag hier kritisch anmerken, dass Montgomery auch auf einer Pressekonferenz der Bundesärztekammer am 12. Dezember 2014 äußerte, Sterbehilfe „solle doch der Klempner, oder der Apotheker oder der Tierarzt machen, aber eben nicht der Arzt“.320 Nun beurteilen es Verwaltungsbeamte – eindeutig keine Ärzte – und es scheint auch wiederum nicht der Lösung letzter Schluss zu sein. Sollte das nicht zum Nachdenken darüber anregen, ob der Arzt nicht doch der rechte Ansprechpartner sei? Insbesondere das Kriterium der Zumutbarkeit, auf welches das BVerwG hier abgestellt hat, wird einen doch an der Begleitung „durch den Klempner“ zweifeln lassen. Man mag an diesem Urteil viel Kritik üben, und diese mag in Teilen berechtigt sein – allerdings wendeten bis zu diesem Urteil Behörden und Gerichte das Recht auf Leben in vergleichbaren Situationen gegen den Betroffenen an und verpflichteten ihn gleichsam zum Weiterleben. Auch wenn die Kritik, der Sterbewillige sei nun einer Behördenentscheidung auf der Basis schwer auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe ausgeliefert, durchaus begründet ist, stellt die neue Situation doch einen Vorteil dar.321 Das BVerwG hat mit seinem Kriterienkatalog einen ersten Schritt getan – kann darauf der zweite, menschlich und intellektuell logische, folgen? Insbesondere für den Schutz der Autonomie des Patienten, die nur auf der Basis einer umfassenden Aufklärung denkbar ist, wäre es besser, einen Arzt an der Seite des Sterbewilligen zu wissen, als ihn mit einem tödlich wirkenden Medikament alleine zu lassen. Es gilt also zu prüfen, ob mit gleicher Begründung und unter der Voraussetzung eines ähnlichen Kriterienkatalogs nicht auch die Suizidbegleitung durch einen Mediziner zu rechtfertigen wäre. Im Hinblick auf den dargelegten grundrechtlichen Schutz des Selbstbestimmungsrechts ist § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG dahin auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes, die not319 Deutsches Ärzteblatt vom 3.3.2017, abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/73454/Aerzte-ueben-scharfe-Kritik-am-Urteil-zur-aerztlich-assistiertenSelbsttoetung [in der Fassung vom 12.12.2018]. 320 So zitiert z.B. von der Berliner Zeitung, https://www.berliner-zeitung.de/chef-der-bundesaerztekammer-frank-ulrich-montgomery--aerzte-uneins-ueber-sterbehilfe-63688, (in der Fassung vom 12.12.2018). 321 So auch Will, Vorgänge 2017, 117 (121).
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Erster Teil
wendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG grundsätzlich nicht erlaubnisfähig ist. Das Verbot dient, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, dem Schutz von Menschen in vulnerabler Position und Verfassung vor Entscheidungen, die sie möglicherweise voreilig, in einem Zustand mangelnder Einsichtsfähigkeit oder nicht freiverantwortlich treffen, sowie der Verhinderung von Missbrauch. Mit der Abwehr solcher Gefahren verfolgt der Gesetzgeber legitime Ziele, die es rechtfertigen, den Zugang zu einem Betäubungsmittel zu verbieten. Doch nun konterkariert das BVerwG mit seinem Urteil genau diese Ziele: Es bringt todkranke Menschen in eine Lage, in der sie noch viel leichter verwundbar sind als zuvor: Es gibt ihnen ein tödliches Gift in die Hand, lässt sie und ihre Angehörigen in dieser Situation allein zurück. Fachkundig begleiten könnte sie jetzt ein Arzt. Es wäre gemessen an ethischen Grundsätzen und selbst gemessen an seinem Gelöbnis genau seine Aufgabe, seinen Patienten am Lebensende zu begleiten, seine Autonomie und Würde zu schützen. Doch im Zweifel ist der Arzt durch § 217 StGB von Strafe bedroht. Ohne den § 217 StGB käme die Ausnahme von § 5 BtMG auch gar nicht zur Anwendung: Wären Ärzte nämlich in der Lage, ihren Patienten bei einer Freitod-Entscheidung fachkundig zur Seite zu stehen, wären die Voraussetzungen der Ausnahme nämlich nicht zu erfüllen.322 Die Ziele des BtMG können das Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, im Lichte von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG aber nicht mehr rechtfertigen, wenn sich der Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Dies ist unter den oben genannten Voraussetzungen gegeben. Ist der Betroffene in einer solchen Weise seiner Krankheit ausgeliefert, kommt seinem Selbstbestimmungsrecht ein besonderes Gewicht zu, hinter dem die staatliche Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zurücktritt. Wenn aber die extreme Notlage eines unheilbar Kranken im Falle des BtMG eine Ausnahme vom Verbot des Betäubungsmittelerwerbs begründet, muss sie
322 Zum Verhältnis zwischen § 217 StGB und § 5 BtMG siehe Hufen, NJW 2018, 1524 (1527 f.).
Viertes Kapitel: Der für nichtig erklärte § 217 StGB
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nicht auch eine Ausnahme vom Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung begründen? Denn wie das Verwaltungsgericht zu Recht feststellt, steht die selbstbestimmt getroffene Entscheidung des Betroffenen über allem. Eine Pflicht zum Weiterleben darf es nicht geben, erst recht nicht unter staatlichem Zwang. Zwar sieht das BVerwG den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen als eine anderweitige Möglichkeit, die eine Erlaubnis nach dem BtMG ausschließen würde – allerdings nur, wenn diese tatsächlich in absehbarer Zeit zum Tod führt und nicht nur zu einer Verschlechterung des Zustands. Außerdem fordern die Richter in diesem Fall, dass eine palliativmedizinische Betreuung gesichert sei. Leider zu Recht stellt das Gericht fest, dass ärztliche Sterbehilfe keine anderweitige Möglichkeit im Sinne der von ihm aufgestellten Kriterien sei. Es geht nämlich davon aus, dass für einen Arzt sowohl berufsrechtliche als auch strafrechtliche Verbote gegen eine Suizidassistenz sprechen.323 Den Weg zum BfArM betrachtet das BVerwG daher wohl zu Recht als ultima ratio für einen Patienten, der sein Recht auf autonome Entscheidung über sein Lebensende durchsetzen will.
323 BVerwGE 158, 142.
Fünftes Kapitel: Die empirische Datenlage A) Übersicht über die wissenschaftlich anerkannten Befragungen Angesichts der belasteten Diskussion um Sterbehilfe und der Verschärfung der Situation für Ärzte nach der Einführung des § 217 StGB ist die Datenlage in Deutschland schwierig. Wissenschaftlich auswertbar und verlässlich sind derzeit zwei statistische Erhebungen: 1.
Zum einen die Befragung des Allensbach Institutes, welche im Juli 2010 im Auftrag der Bundesärztekammer erfolgte, und die Einstellung von Ärzten zur Sterbehilfe erfragte;
2.
Zum anderen eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin angesichts einer Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September 2015.
I. Allensbach Institut Im Zeitraum vom 14. August bis 7. September 2009 befragte das Allensbach Institut für Demoskopie insgesamt 527 Ärzte, die zu ca. einer Hälfte niedergelassen und zur anderen Hälfte in einer Klinik tätig waren.1 Die Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen auf den ausdrücklich erklärten Wunsch des Patienten hin wurde von den Befragten größtenteils (74%) befürwortet.2 Was den Wunsch nach einem begleiteten Suizid angeht, so gab die Mehrheit der befragten Mediziner (75%) an, dass diese Frage eher in Ausnahmefällen an sie gestellt werde – aber jeder dritte Arzt zumindest einmal bereits um Hilfe beim Suizid gebeten worden sei.3 Den größten Teil der Gefragten bildeten dabei – nachvollziehbarerweise – die Hausärzte; die Anzahl der Bitten war umso höher, je mehr die Ärzte mit unheilbar Kranken zu tun hatten.
1 2 3
Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019]. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 6.
https://doi.org/10.1515/9783110765731-005
Fünftes Kapitel: Die empirische Datenlage
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Die Wünsche des Patienten waren für einen großen Teil der Ärzte nachvollziehbar (29% der insgesamt 34% der befragten Ärzte, welche bereits einmal um Hilfe beim Suizid gebeten worden waren); 41% der übrigen 66% der befragten Ärzte, welche noch nie um Hilfe beim Suizid gebeten worden waren, gaben an, zumindest grundsätzlich Verständnis für diese Bitte eines Patienten zu haben. Hier ist ein deutlicher Widerspruch zu den Aussagen der Bundesärztekammer4 erkennbar, welche die Begleitung im Suizid nicht als ärztliche Aufgabe betrachtet, und die in ihren Aussagen, insbesondere des früheren Präsidenten Montgomery, eher den Eindruck erweckte, die Ärzte stünden diesem Ersuchen ablehnend gegenüber. Demgegenüber widersprüchlich erscheinen die Aussagen der Ärzte zum Pro und Contra zum ärztlich begleiteten Suizid: 89% der Ärzte stimmten dem vom Allensbach Institut als einem von vier zur Auswahl gestellten Argumenten zu, dass eine Legalisierung dazu führen könnte, dass Patienten um ärztliche Hilfe beim Suizid bitten würden, da sie sich durch Gesellschaft oder Familie als Belastung für diese zum Suizid gedrängt fühlen.5 Dies erscheint nicht konsequent zu Ende gedacht: Was geschieht denn, wenn die Begleitung des Arztes nicht legalisiert wird? Dann wird das Geschehen intransparent, dem Patienten fehlt die notwendige Begleitung und Aufklärung, und Maßnahmen, die man ergreifen könnte, um die Gesamtsituation in der Familie zu entlasten, können nicht empfohlen werden – die Chance des „Bedrängens“ des Patienten scheint dadurch doch eher zu steigen als zu fallen. Bei den drei weiteren zur Auswahl gestellten Argumenten zum Pro und Contra zum ärztlich begleiteten Suizid (nahezu bestehende Unmöglichkeit der Einschätzung der Endgültigkeit des Sterbewunsches, Verstoß gegen den hippokratischen Eid, Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten) liegen die Zustimmungen der Ärzte gleichmäßig zwischen 64 und 69%. Eine Mehrheit von 58% der Ärzte geht zumindest davon aus, dass ihre Berufsgruppe am besten dazu geeignet sei, einen Patienten beim Suizid zu begleiten. Zugleich lehnen 62% der Ärzte die Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids ab – was wiederum die These der Bundesärztekammer, die Begleitung beim Suizid gehöre nicht zu den ärztlichen Aufgaben, eher stützen
4 5
Siehe die Ausführungen im 4. Kapitel D) III. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 10.
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Erster Teil
würde. Dieser hohe Anteil der Ablehnung verteilt sich im Übrigen über alle befragten Ärztegruppen.6 Interessant ist – wie auch schon oben7 bei den Grundsatzpunkten der Diskussion dargestellt –, dass bestimmte Argumente sowohl von Befürwortern wie von Gegnern der Legalisierung verwendet werden. So sehen beide Seiten die Gefahr, dass Patienten zum Suizid gedrängt werden – Befürworter sehen sich aber möglicherweise eher in der Rolle, diesen Druck dann durch ärztliche Aufklärung verhindern zu können. Auch ist beiden Seiten bewusst, dass sich nie ausschließen lässt, dass der Patient seinen Wunsch später noch geändert hätte. Auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten achten mehr als 50% der Gegner der Legalisierung – man darf annehmen, dass sie nur bei dessen Verwirklichung nicht involviert werden möchten.8 Diese Vermutung wird auch durch eine weitere Aussage der Befragten gestärkt: 53% aller Ärzte, Befürworter wie Gegner, erachten eine Legalisierung als zu hohe Bürde für ihren Berufsstand, wobei der Anteil unter den Gegnern natürlich weit höher ist (68%).9 Ebenso werden bei ca. der Hälfte der Befragten negative Auswirkungen auf das eigene Image als Arzt befürchtet.10 Die Umfrage zeigt also, dass die Motivationen der Ärzte vorwiegend dem eigenen Interesse geschuldet sind. Die Sorge um den Patienten scheint hier erst an zweiter Stelle zu stehen. Bei der Befragung der Ärzte zu den Voraussetzungen einer legalen Sterbehilfe wird dann auch deutlich, dass die Sorge um die negativen Auswirkungen vor allem einer großen eigenen Unsicherheit geschuldet ist. Dabei werden nämlich Voraussetzungen genannt wie eine gesicherte infauste Prognose (48%), eine gute Kenntnis des Patienten und seiner Krankengeschichte (34%), sowie die Feststellung extremen Leidensdrucks (29%) und der Ausschluss einer psychischen Erkrankung (18%).
6 7 8 9 10
Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 12 f. Siehe Ausführungen im 3. Kapitel A. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 16. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 19. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 20.
Fünftes Kapitel: Die empirische Datenlage
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Hierzu kann angemerkt werden, dass diese Voraussetzungen in Ländern wie den Niederlanden oder den Bundesstaaten der USA, in denen Sterbehilfe erlaubt ist, bereits umgesetzt werden. So gibt es Regelungen zur gesicherten infausten Prognose, der Feststellung der geistigen Gesundheit des Patienten etc. Es bleibt also festzuhalten, dass diese Voraussetzungen erfüllt werden könnten – was dazu beitragen könnte, den Ärzten die eigene Unsicherheit zu nehmen und sie dadurch eher zu befähigen, einem Patienten in dieser Phase beizustehen. Im Fall einer Neuregelung des § 217 StGB sollten eben diese Voraussetzungen geschaffen und beachtet werden, um beiden Seiten – Ärzten wie Patienten – angesichts der unsicheren Vorstellung eines nahenden Todes die größtmögliche Sicherheit in ihren Entscheidungen zu bieten. Anders stellt sich das Bild dar, wenn es um aktive Sterbehilfe durch den Arzt geht. Hier befürworten nur 17% der Befragten eine Legalisierung durch den Gesetzgeber.11 25% können sich allerdings vorstellen, selbst aktive Sterbehilfe zu leisten.12 Interessant ist, dass hier der genannte Hauptgrund der Verstoß gegen den hippokratischen Eid darstellt (so äußern sich 29% derer, die die Legalisierung aktiver Sterbehilfe ablehnen). Die eigene moralische Hürde, das Sterben eines Menschen aktiv zu veranlassen, erscheint dann doch zu hoch. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der prozentuale Anteil unter den Palliativmedizinern hinsichtlich der Ablehnung höher war als unter den übrigen Befragten: So war die Befürwortung der Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen unter ihnen geringer (59% der Palliativmediziner gegenüber 74% der Gesamtzahl der Befragten), die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe war rudimentär (3% gegenüber 25%). Es erscheint schwierig diese Zahlen zu beurteilen: Den Palliativmedizinern zu unterstellen, sie seien nur am eigenen Geschäft interessiert – und das blühe nun mal nur beim lebenden Patienten –, wäre sicher eine unfaire Unterstellung. Auf der anderen Seite pauschal davon auszugehen, jeder Palliativmediziner habe eine tiefgehende Einsicht in das Wünschen und Wollen eines sterbenden Patienten und könne damit einen verifizierbaren Todeswunsch eines Patienten absolut ausschließen, erscheint wiederum dem Patienten und seiner freien Willensäußerung gegenüber nicht gerecht. Die Wahrheit wird vermutlich irgendwo dazwischen zu suchen sein. 11 12
Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 24. Institut für Demoskopie Allensbach, Ärztlich begleiteter Suizid und aktive Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft, https://www.slaek.de/media/dokumente/04presse/ 2010/074sterbehilf/studie.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 26.
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Erster Teil
II. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin Die Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (im folgenden DGP) fand unmittelbar im Rahmen der öffentlichen Diskussion vor der Einführung des § 217 StGB statt. Bereits im März 2013 hatten die in der Gesellschaft verbundenen Palliativmediziner anlässlich einer Tagung intensiv über das Thema diskutiert und ihre Ergebnisse schließlich im März 2014 in „Ärztlich assistierter Suizid – Reflexionen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin“ veröffentlicht.13 Anlass dazu gab insbesondere der bereits im Jahre 2011 neu gefasste § 16 der Musterberufsordnung und dessen – nur in einzelnen Ordnungen der Länder enthaltene – Satz: „Sie [die Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Die Umfrage, auf die hier Bezug genommen wird, fand im Rahmen einer Online-Befragung vom 15. Juni bis 31. August 2015 statt.14 Es nahmen daran 1.836 in der Palliativversorgung tätige Personen teil, darunter 47,7% Ärzte, 17,4% Pflegende und 14,0% Vertreter weiterer Berufsgruppen – sowie 20,9% ohne Angabe einer Tätigkeit. Die Umfrage bietet also kein allein auf Ärzte bezogenes Bild. 91% der Befragten fanden den Wunsch nach einem ärztlich assistierten Suizid grundsätzlich nachvollziehbar, wobei 94% allerdings davon ausgingen, dass dieser Sterbewunsch oftmals eher Ausdruck einer Ambivalenz sei, und keine absolute Gültigkeit habe15 – eine weit höhere Zahl als in der zuvor genannten Umfrage, wo diese „nur“ bei 69% lag. 96% waren aber der Ansicht, dass ein Gespräch über den Sterbewunsch zumindest entlastend sei. Bereits in den zuvor genannten Reflexionen hatte die DGP verlauten lassen: „Die Äußerung von Sterbewünschen kann als ein Zeichen des Vertrauens gewertet werden. Es kann ein vorsichtig tastender Versuch sein auszuloten, ob sich das Gegenüber auf eine solche tiefe und existentielle Frage einlässt. Das Gespräch kann eine große Entlastung (ʻdenken dürfenʼ) für die Betroffenen und eine Bereicherung der Team-Patienten-Beziehung bedeuten. Der Todeswunsch ist dabei nicht absolut 13 14
15
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Ärztlich assistierter Suizid – Reflexionen der Gesellschaft für Palliativmedizin, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/140128_%C3%A4rztsuizid_online.pdf [Fassung vom 30.12.2019]. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www. dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 3. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 4.
Fünftes Kapitel: Die empirische Datenlage
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und ausschließlich zu sehen, sondern kann durchaus Ausdruck einer Ambivalenz sein. Dadurch kann sich die Situation ergeben, dass parallel zwei Hoffnungen – Hoffnung auf ein baldiges Ende des Lebens und Hoffnung auf mehr Leben – nebeneinander bestehen.“16
Betrachtet man die Stellungnahme der Palliativmediziner im Vergleich, so kann hier sicher davon ausgegangen werden, dass die tägliche und intensive Beschäftigung mit sterbenden Patienten zu einer tieferen Einsicht und damit ggf. auch zu einer valideren Aussage führen mag. Zumal die befragte Gruppe hier sehr divers zusammengesetzt war, und nicht nur aus Medizinern bestand. Unter den befragten Ärzten in dieser Gruppe lehnten 56% die Beteiligung am Suizid als Arzt grundsätzlich ab – selbst in diesen Kreisen ist die Ablehnung also größer als die Bereitschaft zur Beteiligung.17 Dies erscheint insoweit interessant, als es sich hier um eine ausgewählte Klientel an Palliativmedizinern handelt. 47 (2,6%) der insgesamt 1836 Befragten gaben an, mindestens einmal „Beihilfe zum Suizid“ geleistet zu haben – wobei darunter allerdings Beratungen ebenso fielen wie die letztliche Bereitstellung einer Substanz. Ebenso wie die berufsrechtliche Ordnung durch ihren Satz in der MBO den Anstoß der Diskussion bildete, wünschen sich die meisten der Befragten (34%) eine reine Änderung des Berufsrechts; für eine strafrechtliche Regelung sprachen sich hingegen nur 21% aus.18 Ebenso wie die befragten Ärzte in der Allensbach-Umfrage sehen viele Beteiligte den Dreh- und Angelpunkt in einer verbesserten Palliativversorgung – zwei Drittel der Befragten äußerten sich dahingehend, dass „bei einem flächendeckenden, bedarfsgerechten palliativmedizinischen Angebot weniger Menschen den Wunsch nach ärztlicher Hilfe bei der Selbsttötung äußern würden“.19
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Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Ärztlich assistierter Suizid – Reflexionen der Gesellschaft für Palliativmedizin, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/140128_%C3%A4rztsuizid_online.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 9. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www. dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 5. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 6. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 7.
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Das erscheint zu kurz gegriffen: Wie bereits der Internist und Intensivmediziner de Ridder in einem Gespräch mit der Tagesschau am 19. Juli 2012 erläuterte, stößt auch Palliativmedizin an ihre Grenzen20 – und seien dies auch „nur“ die Grenzen des Patientenwillens, dem ein Sinn seiner Existenz, bei aller Schmerzfreiheit, nicht mehr zu vermitteln ist. Lukas Radbruch, zu diesem Zeitpunkt Präsident der DGP, hatte bei einem parlamentarischen Abend zum Thema Sterbehilfe für diesen Fall zwar immer noch auf die palliative Sedierung verwiesen, doch letztlich muss auch hier der Wille des Patienten entscheidend sein. Es ist nachvollziehbar, dass Mediziner, deren Aufgabe und Motivation immer die Bewahrung von Leben ist und sein soll, vor der aktiven Suizidbeihilfe durch den Arzt zurückschrecken. Es geht hier letztlich jedoch um die Eröffnung eines Weges für den leidenden Patienten, unter der freiwilligen Hilfe des Arztes. Der Einwand der DGP, der assistierte Suizid müsse die Ausnahme bleiben, und wenn er gesetzlich geregelt würde, so werde er zur Norm, wurde bereits oben21 bei der Diskussion des Dammbruchs widerlegt. Die steigenden Zahlen an begleitenden Suiziden in den Niederlanden und Belgien, die auch der DGP hier wieder als Nachweis des Dammbruches anführt,22 ist kein solcher: Selbstverständlich werden Möglichkeiten, sobald sie legalisiert werden, vermehrt genutzt. Dies ist jedoch kein automatischer Nachweis dafür, dass das entsprechende gesellschaftliche Verhalten ausufert. Betrachtet man den Bericht der DGP insgesamt, so wird dahinter vor allem eine Motivation deutlich: Die Angst der Mediziner, zur Beihilfe zum Suizid gedrängt zu werden – insbesondere, wenn man den abschließenden Satz des Berichts betrachtet: „Es gehört jedoch nicht zum Grundverständnis der Palliativmedizin, Beihilfe zum Suizid zu leisten.“
B) Zwischenergebnis Die oben dargestellten Umfragen zeigen deutlich die Unsicherheit der Ärzteschaft zu diesem Thema. Der Tod, egal in welcher Form er uns als Menschen begegnen mag und welche Profession wir auch ausüben, verunsichert uns. 20 21 22
Schriftlich niedergelegt unter https://www.tagesschau.de/inland/prosterbehilfe100.html, abgerufen am 12.10.2019. Siehe die Ausführungen im 3. Kapitel A) IV. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Stellungnahme für die Anhörung zum Thema Sterbebegleitung am 23. September vom 21.9.2015, https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Deutsche_Gesellschaft_für_Palliativmedizin_Stellungnahme_ zur_Anhörung_Sterbebegleitung.pdf [Fassung vom 30.12.2019], S. 7.
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Umso wichtiger und entscheidender muss es daher sein, klare Grundlagen und Voraussetzungen für den letztmöglichen Fall zu schaffen. Es ist den Palliativmedizinern zuzustimmen, wenn sie postulieren, die Erfüllung des Todeswunsches könne nur ultima ratio ihres Berufsstandes sein. Überdies ist es ehrenvoll, dass gerade die Palliativmedizin immer mehr und weiter forscht, um Leiden am Ende des Lebens zu minimieren oder gar gänzlich zu verhindern. Aber es muss auch eine Offenheit und ein klarer Rahmen für jenen finalen Wunsch des Patienten geben, bei dem all diese Bemühungen nicht mehr zu greifen scheinen.
Sechstes Kapitel: Auswege aus dem medizinischen Dilemma A) Patientenverfügung I. Einführung Als Ausweg aus dem medizinischen Dilemma könnte sich die Patientenverfügung erweisen. Deren Begriff ist in § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB legaldefiniert.1 Während früher die Rechtsverbindlichkeit von Patientenverfügungen äußerst streitig war, hat das am 1. September 2009 in Kraft getretene „Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ die Rechtsverbindlichkeit solcher Verfügungen bestimmt.2 Der Betroffene kann selbst dann die Forderung nach dem Abbruch von lebenserhaltenden und -verlängernden Maßnahmen stellen, falls dieser Abbruch der Behandlung auf die Beendigung seines Lebens gerichtet ist, obwohl noch Lebensperspektiven gegeben sind.3 Aus zivilrechtlicher Perspektive wird diese Forderung eben durch das Recht der Patientenverfügung gestützt. Unzählige Menschen wollen sicher gehen, dass bei ihnen keine lebenserhaltenden oder -verlängernden Maßnahmen angewendet werden. Ihnen steht deshalb die verbindliche Festlegung frei, ob sie in möglicherweise in der Zukunft erforderliche medizinische Maßnahmen einwilligen oder nicht.4 Im Großteil der Patientenverfügungen findet sich die Erklärung der Ablehnung von lebenserhaltenden oder -verlängernden Maßnahmen.5 Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen sind sämtliche Beteiligte an diese Ablehnung gebunden, so dass Zwangsbehandlungen gegen dessen Willen nicht in Betracht kommen können. Sofern der Arzt dennoch die erwähnten Maßnahmen einleitet, stehen dem Betroffenen zivilrechtliche Abwehransprüche nach § 1004 BGB analog zu.6 1 2 3 4 5 6
Putz, FPR 2012, 13. NK-Neumann, StGB, Vorbemerkungen zu § 211 Rn 113; siehe zur aktuellen Rechtslage die Ausführungen im 6. Kapitel A) II. 4. BGH NJW 2014, 3572 (3574). Leitmeier, NJW 2020, 2844 (2846). Lipp, MedR 2015, 762 (764). Leitmeier, NJW 2020, 2844 (2846).
https://doi.org/10.1515/9783110765731-006
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II. Urteil des BGH aus dem Jahre 2018 Zuletzt hat der BGH sich im Jahre 2018 mit der Rechtmäßigkeit der Patientenverfügung im Hinblick auf den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen beschäftigt. Diesem Beschluss lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine 40-jährige Frau im Jahre 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte und seitdem im Wachkoma lag, wobei sie über eine Magensonde Flüssigkeit und künstliche Ernährung erhielt. Schon im Jahre 1998 hatte sie eine Patientenverfügung erstellt, in der sie bei schwerer Hirnschädigung lebensverlängernde Maßnahmen ablehnte. In gleicher Weise äußerte sie sich auch gegenüber Angehörigen, als sie im Bekanntenkreis von Wachkoma-Fällen gehört hatte. Im weiteren Verlauf wurden der Sohn sowie der Ehemann zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern bestellt. Während der Sohn im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt der Ansicht war, dass die künstliche Flüssigkeitszufuhr und Ernährung eingestellt werden sollte, um dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen zu entsprechen, war der Ehemann anderer Auffassung.7 Der BGH entschied, dass eine Genehmigung des Betreuungsgerichts gem. § 1904 Abs. 2 BGB nicht erforderlich sei, da die Frau in ihrer Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 BGB wirksam in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung eingewilligt habe. Die betreuungsgerichtliche Genehmigung müsse nicht verlangt werden, falls ein entsprechender eigener Wille schon in einer wirksamen Patientenverfügung enthalten und diese Verfügung hinsichtlich der konkret eingetretenen Lebens- und Behandlungssituation einschlägig sei.8 Nach der Ansicht des Gerichts kommt einer Patientenverfügung jedoch lediglich dann unmittelbare Bindungswirkung zu, „wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können“.9 Dabei fordere der Bestimmtheitsgrundsatz nicht nur Erklärungen in der Patientenverfügung in Bezug auf die ärztlichen Maßnahmen, hinsichtlich derer die Einwilligung oder Untersagung erklärt werde. Vielmehr müsse der Patientenverfügung ihre Geltung in der konkreten Behandlungssituation entnommen werden können. Die hinreichende Bestimmtheit der Verfügung sei nur im Falle der Feststellung zu bejahen, in welcher Behandlungskonstellation die Durchführung oder Unterlassung von ärztlichen Maßnahmen 7 8 9
BGH NJW 2019, 600 (600 f.). BGH NJW 2019, 600 (601). BGH NJW 2019, 600 (602).
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erfolgen solle, wobei die Anforderungen an die Bestimmtheit aber auch nicht überspannt sein dürften.10 Insofern könne nur die umschreibende Festlegung dessen erwartet werden, was sich der Betroffene in einer konkreten Lebens- und Behandlungssituation wünsche. Entscheidend sei keineswegs, dass er eine Vorahnung bezüglich seiner Biographie als Patient besitze und spätere medizinische Entwicklungen vorausschauend einbeziehe. Unzureichend seien indes generelle Anweisungen, denen zufolge im Falle eines zu erwartenden Ausbleibens eines Therapieerfolgs ein Sterben in Würde ermöglicht bzw. zugelassen werden solle.11 Zwar könne dem geäußerten Wunsch nach Ablehnung von lebenserhaltenden Maßnahmen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung entnommen werden, jedoch könne die notwendige Konkretisierung im Einzelfall mittels Bezugnahme auf hinreichend beschriebene Krankheiten und Behandlungssituationen eintreten. Die Frage nach der Existenz einer hinreichend konkreten Patientenverfügung könne durch Auslegung ihrer Erklärungen ermittelt werden.12 Die Frau habe mittels Bezugnahme ihrer Bestimmungen zu den ärztlichen Maßnahmen, zu denen sie ihre Einwilligung erteile oder nicht, auf die medizinisch unzweifelhafte Feststellung, dass die Wiedererlangung ihres Bewusstseins aussichtslos sei, eine hinreichend konkrete Beschreibung einer Lebensund Behandlungssituation vorgenommen. Diese Lebens- und Behandlungssituation liege bei der Frau vor, denn sie befinde sich in einem Zustand irreversibler schwerster Gehirnschädigung mit kompletter Auslöschung von Großhirnfunktionen. Da bei ihr keine Chancen auf die Wiedererlangung des Bewusstseins mehr zu verzeichnen sei, sei die Lebens- und Behandlungssituation gegeben, an die sie in ihrer Patientenverfügung den Wunsch nach dem Unterbleiben von lebensverlängernden Maßnahmen gekoppelt habe.13 Mittels Auslegung sei dieser Wunsch auch dahingehend zu verstehen, dass der Abbruch einer schon eingeleiteten künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung eingeschlossen sei. Das zu diesem Auslegungsergebnis gekommene Beschwerdegericht habe zu Recht den Zeugenaussagen erhebliches Gewicht beigemessen, denen zufolge die Frau vor ihrer Erkrankung häufiger die Ablehnung einer künstlichen Ernährung kundgetan habe. Auch habe dieses Gericht 10 11 12 13
BGH NJW 2019, 600 (602). BGH NJW 2019, 600 (602). BGH NJW 2019, 600 (602). BGH NJW 2019, 600 (602).
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die in der Patientenverfügung enthaltene Formulierung „Aktive Sterbehilfe lehne ich ab“ zu Recht nicht dahingehend ausgelegt, dass die Frau damit den Abbruch von bereits eingeleiteten lebensverlängernden Maßnahmen ablehne.14
III. Historische Entwicklung der Patientenverfügung Um die historische Entwicklung der Patientenverfügung aufzuzeigen, hilft ein Blick auf die Vereinigten Staaten. Dort wurde im Rahmen der Anerkennung eines Patientenrechts auf Ablehnung von lebensverlängernden Maßnahmen der „Living Will“ entwickelt. Diesen Begriff verwandte erstmalig im Jahre 1967 der Chicagoer Rechtsanwalt Dr. Luis Kutner.15 Im Jahre 1969 publizierte dieser im Indiana Law Journal seinen Aufsatz „Due Process of Euthanasia: The Living Will, a Proposal“.16 Kutner kritisierte den Mangel an objektiven Kriterien für richterliche Entscheidungen bezüglich Sterbehilfefällen und hielt aufgrund der willkürlichen Entscheidungen den „Living Will“ für eine Option zur Minimierung von rechtlichen Unsicherheiten und für richtungsweisend in Bezug auf die gesetzliche Regulierung der Sterbehilfe.17 Der „Living Will“ beinhaltet „die schriftliche Erklärung eines geschäftsfähigen Verfassers, dass er die Anwendung außergewöhnlicher lebensverlängernder Behandlungsformen (extraordinary treatment) ablehnt, und zwar gerade für den Fall, dass er geschäftsunfähig werden sollte.“18 Zu seiner Wirksamkeit setzt der „Living Will“ eine irreversible, unheilbare Krankheit des Verfassers sowie den Umstand voraus, dass dieser nachträglich entscheidungsunfähig geworden ist. Die Möglichkeit der eigenen selbstbestimmten Entscheidung im entscheidungsfordernden Zeitpunkt darf mithin nicht mehr gegeben sein. Das Ziel eines „Living Will“ ist somit darin zu sehen, die Entscheidung hinsichtlich der Anwendung von lebensverlängernden Behandlungsmaßnahmen selbst dann noch dem Erkrankten zu überlassen, wenn er seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass dieser in der letzten Phase seines Lebens nicht der Entscheidungsfindung Dritter unterworfen ist.19 Die erstmalige Kodifikation des „Living Will“ erfolgte in dem am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen kalifornischen „The Natural Death Act“. Dieses Gesetz legte die Verbindlichkeit des „Living Will“ fest, so dass Ärzten von da an unter be14 15 16 17 18 19
BGH NJW 2019, 600 (603). Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 31. Kutner, Indiana Law Journal 44(4)/1969, 539. Vgl. Peuten, Die Patientenverfügung, S. 51. Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 31. Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 31 f.
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stimmten Bedingungen die Abkürzung des Lebens von unheilbar Kranken erlaubt war.20 Schon im Jahre 1965 hat sich der United States Supreme Court in der Grundsatzentscheidung Griswold vs. Connecticut mit dem sog. „Recht des Einzelnen auf seine Privat-sphäre“ auseinandergesetzt. Dieser Entscheidung zufolge war ein Gesetz des Staates Connecticut verfassungswidrig, das die Anwendung von Empfängnisverhütungsmitteln für verheiratete Paare mit Strafe belegt hatte. Das Gericht erkannte auf eine Verletzung des 14. Zusatzartikels der Verfassung der Vereinigten Staaten, wonach Einzelstaaten der Erlass solcher Gesetze untersagt ist, die die Grundrechte der Bürger unverhältnismäßig beschränken („nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law“).21 Eine ausdrückliche Erwähnung des „right of privacy“ enthielt diese Entscheidung allerdings nicht.22 In der Bundesverfassung der Vereinigten Staaten mangelt es an einer expliziten Anerkennung eines „right of privacy“. Stattdessen resultiert seine Legitimierung aus dem Umfeld verschiedener in der Bill of Rights verorteter Verfassungsgarantien. In mehreren Gerichtsentscheidungen wurde auf ein „right of privacy“ in dem Sinne abgestellt, dass jedem Einzelnen das Recht eingeräumt sei, in Angelegenheiten der Persönlichkeitssphäre freie und unbeeinflusste Entscheidungen zu treffen.23 In der Folge haben verschiedene Gerichte das „right of privacy“ sogar soweit ausgedehnt, dass dieses das Recht des Einzelnen gewährleiste, frei über seine medizinische Fürsorge zu entscheiden. Hierdurch wurde das Recht des Patienten zur Ablehnung der Einwilligung in künstlich lebensverlängernde Behandlungsformen bekräftigt.24 Mit der Entscheidung des New Jersey Supreme Court in der Rechtssache „in re Quinlan“ aus dem Jahre 1976 erfuhr das „right of privacy“ seine Anwendung auf nicht entscheidungsfähige Patienten; auch diese konnten nunmehr ihre Ablehnung zu lebensverlängernden, medizinischen Behandlungen erklären.25 Im Zuge solcher Entscheidungen zum „right of privacy“ kam es auch zu Diskussionen hinsichtlich eines „right to die“, wobei nicht verkannt werden darf, dass auch in den Vereinigten Staaten die 20 21 22 23 24 25
Hierzu Detering, JuS 1983, 418 (420). United States Supreme Court, 381, U.S. 479 (1965). Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 29. Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 30. Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 30. New Jersey Supreme Court, 355 A. 2d 647 (1976) cert. Denied, 429 U.S. 922 (1976), S. 15.
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aktive Sterbehilfe untersagt ist. Stattdessen ist dieser Begriff des „right to die“ dahingehend zu verstehen, dass der Einzelne in Situationen, in denen er folgenschwere Entscheidungen für sein Leben treffen muss, autonom und vom Staat unbeeinflusst agieren kann.26 In Deutschland war es Wilhelm Uhlenbruck, der die ersten Überlegungen zur Patientenverfügung anstellte. Der zunächst auf Insolvenzrecht spezialisierte Jurist machte sich mit einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen zum Experten auch für Medizinrecht und medizinethische Entscheidungen am Lebensende. Bereits ab dem Jahre 197427 thematisierte er das Recht von Patienten auf einen menschenwürdigen Tod – Überlegungen, die in den „Patientenbrief“28 mündeten. Er sollte dazu dienen, den Kranken vor Fremdbestimmung zu schützen und zwar auch und gerade dann, wenn der Betroffene sich aktuell nicht mehr äußern konnte. Die Veröffentlichung dieses Patientenbriefes forcierte die Debatte für die kommenden Jahre. Im Jahre 1979 formulierte die Bundesärztekammer erstmals Richtlinien für die Sterbehilfe.29 In dieser Richtlinie hieß es u.a.: „Bei der Behandlung ist nach angemessener Aufklärung der Wille des urteilsfähigen Patienten zu respektieren, auch wenn er sich nicht mit der von dem Arzt für geboten angesehenen Therapie deckt“ und „Beim bewusstlosen oder sonst urteilsunfähigen Patienten sind die im wohlverstandenen Interesse des Kranken medizinisch erforderlichen Behandlungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag durchzuführen. Hinweise auf den mutmaßlichen Willen des Patienten sind dabei zu berücksichtigen. Dem Patienten nahestehende Personen müssen angehört werden; rechtlich aber liegt die letzte Entscheidung beim Arzt, es sei denn, dass nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Pfleger zu bestellen und dessen Einwilligung einzuholen ist.“30 In Bezug auf Erklärungen des Patienten stellte die Richtlinie fest: „Eine frühere schriftliche Erklärung, worin der Patient auf jede künstliche Lebensverlängerung verzichtet, kann für die Ermittlung seines Willens ein gewichtiges Indiz abgeben. Entscheidend ist jedoch der gegenwärtige mutmaßliche Wille, der nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Falles gefunden werden kann. Verbindlich ist die frühere Erklärung schon deshalb nicht, weil sie zu jeder Zeit rückgängig gemacht werden kann.“31 26 27 28 29 30 31
Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung, S. 31. Uhlenbruck, Der Rechtsanspruch des Patienten, S. 127 ff. Uhlenbruck, NJW 1978, 566–570. Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1979, S. A-957 ff. Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1979, S. A-957. Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1979, S. A-959.
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Im Alternativentwurf eines Gesetzes über die Sterbehilfe aus dem Jahre 1986 wurde die Patientenverfügung noch nicht berücksichtigt.32 In den Richtlinien der Bundesärztekammer für die ärztliche Sterbebegleitung aus dem Jahre 1993 hieß es dann u.a.: „Bei bewusstlosen oder sonst entscheidungsunfähigen Patienten sind die dem in der konkreten Situation ermittelten mutmaßlichen Willen des Kranken entsprechenden erforderlichen Behandlungsmaßnahmen durchzuführen. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind frühere schriftliche Äußerungen oder Erklärungen gegenüber nahestehenden Personen lediglich ebenso Anhaltspunkte wie religiöse Einstellung, Schmerzen und Lebenserwartung.“33
Vor allem auch der sog. „Kemptener Fall“ aus dem Jahre 1994 hat die Debatte um die Patientenverfügung dann weiter ins Rollen gebracht. In diesem Fall hat sich der BGH detailliert mit der Thematik der Sterbehilfe auseinandergesetzt. In diesem Urteil führte der BGH aus, dass die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses des entscheidungsunfähigen Betroffenen mit dem Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme in tatsächlicher Hinsicht strengen Anforderungen unterliege. Maßgeblich sei auf dessen mutmaßlichen Willen im Tatzeitpunkt abzustellen, wie er sich im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände zeige. Vorherige mündliche oder schriftliche Erklärungen des Betroffenen müssten dabei ebenso in diese Abwägung einbezogen werden wie dessen religiöse Überzeugung, anderweitige persönliche Wertvorstellungen, Lebenserwartung aufgrund des Alters sowie das Erleiden von Schmerzen.34 Nach dieser Entscheidung kam mithin keine nur ergänzende Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens in Frage. Vielmehr diente er als Entscheidungsgrundlage. Obwohl die Begriffe „Patientenverfügung“ oder „Patiententestament“ keine explizite Erwähnung fanden, ist diesem Urteil erheblicher Einfluss auf die Diskussion über solche Vorausverfügungen zuzuschreiben. Einen markanten Beschluss fasste das BVerfG im Jahre 2001, welches sich mit der Verfassungsmäßigkeit einer amtsgerichtlichen Anordnung mit Blick auf die befristete vorläufige Betreuung35 bezüglich der Bluttransfusion einer bewusstlosen Patientin beschäftigt hat, welche als Zeuge Jehovas aus Glaubensgründen zuvor eine derartige Transfusion abgelehnt hatte. Obwohl dem Amtsgericht die Religionszugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bekannt war und es auch von dem vor der Operation gegenüber den Ärzten erklärten Wunsch, keine Bluttrans32 33 34 35
Vgl. Peuten, Die Patientenverfügung, S. 53. Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1993, S. A-2404. BGH NJW 1995, 204 (205). Davon, dass die Patientin tatsächlich schon einen Bevollmächtigten zur Ausführung ihres Willens bestellt hatte, hatte das Amtsgericht keine Kenntnis.
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fusion zu bekommen, wusste, äußerte sich das BVerfG dahingehend, dass die Zweifel des Amtsgerichts, ob die Patientin selbst in Kenntnis der nunmehr bestehenden Lebensgefahr immer noch am Verzicht auf solche lebenserhaltenden Maßnahmen festhalten wolle, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterlägen. Immerhin habe das Amtsgericht das Recht der Patientin auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG in seine Überlegungen einschließen müssen und durch die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf den Ehemann der Patientin als vorläufigen Betreuer, der der Transfusion zustimmte, den zu diesem Zeitpunkt geringsten Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Patientin gewählt.36 In seinem Grundsatzbeschluss aus dem Jahre 2003 wies der BGH darauf hin, dass gem. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB eine Orientierung des Betreuers am Wohl des Betreuten zu erfolgen habe, wobei laut Satz 2 dieses Wohl aus der Sicht des Betreuten zu ermitteln sei. Mithin sei auf dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen zurückzugreifen, so dass insofern von einem (individuell-)mutmaßlichen Willen des Betroffenen die Rede sein könne. Jedoch könne ein derartiger (individuell-)mutmaßlicher Wille lediglich hilfsweise Beachtung finden, „wenn und soweit nämlich eine im einwilligungsfähigen Zustand getroffene antizipative Willensbekundung des Betroffenen – mag sie sich als Einwilligung in oder als Veto gegen eine bestimmte medizinische Behandlung darstellen – nicht zu ermitteln ist“.37 Falls eine derartige Willensäußerung z.B. in Form einer sog. „Patientenverfügung“ gegeben sei, stelle diese als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts und der Selbstverantwortung des Betroffenen eine Bindung des Betreuers dar, weil bereits die Menschenwürde des Betroffenen nach Art. 1 Abs. 1 GG fordere, dass seine eigenverantwortliche Entscheidung selbst dann noch Respekt finde, wenn seine Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden mittlerweile abhandengekommen sei. Eine Korrektur des Betreuers in Bezug auf die Willensbekundung des Betroffenen pro oder contra bestimmter medizinischer Maßnahmen mittels Rückgriffs auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen sei ausgeschlossen. Eine Ausnahme könne nur dann in Betracht kommen, sofern eine auf erkennbarem Widerrufwillen basierende Distanzierung des Betroffenen von seiner früheren Verfügung vorliege oder im Nachhinein eine dermaßen erhebliche Änderung der Sachlage zu verzeichnen sei, dass die heutige Sachlage nicht von der früheren selbstverantwortlichen Entscheidung eingeschlossen werde.38 36 37 38
BVerfG NJW 2002, 206 (207). BGH NJW 2003, 1588 (1591). BGH NJW 2003, 1588 (1591).
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Der BGH verdeutlichte für den Fall der mangelnden Einwilligungsfähigkeit des Patienten zum Zeitpunkt der ärztlichen Maßnahme die Fortgeltung seiner früheren Willensbekundung, mit dem dieser seine Einwilligung „in Maßnahmen der in Frage stehenden Art für eine Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, erklärt oder verweigert hat […], falls der Patient sie nicht widerrufen hat“.39 Denn die mittlerweile eingetretene Einwilligungsunfähigkeit führe angesichts der Norm des § 130 Abs. 2 BGB zu keiner Änderung der fortdauernden Maßgeblichkeit der vorherigen Willenserklärung. Dem Betreuer obliege die Aufgabe, den Willen des Patienten gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener Verantwortung und in Ansehung des § 1901 BGB durchzusetzen.40 Mit diesem Beschluss haben sich sowohl Juristen und Mediziner als auch die breite Öffentlichkeit mit höchst gegensätzlichen Ansichten auseinandergesetzt.41 Von der damaligen Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, wurde daher Anfang September 2003 die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ eingesetzt, welche sich mit der Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen beschäftigte. In der entsprechenden Pressemitteilung wurde darauf hingewiesen, dass der BGH eine explizite Bestätigung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts vorgenommen, jedoch auch Fragen zur Durchsetzbarkeit solcher Verfügungen in den Raum gestellt und daher eine gesetzliche Klarstellung als begrüßenswert betrachtet habe.42 Im Jahre 2005 wies der BGH darauf hin, dass in einer künstlichen Ernährung, die gegen den erklärten Willen des Patienten vorgenommen werde, eine rechtswidrige Handlung zu erblicken sei, bezüglich der der Patient gem. §§ 1004 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 823 Abs. 1 BGB ihre Unterlassung fordern könne. Dies beanspruche selbst dann Geltung, falls die begehrte Unterlassung den Tod des Patienten zu Folge habe. Aufgrund des Rechts, über seinen Körper zu bestimmen, stellten sich selbst Zwangsbehandlungen mit lebenserhaltender Wirkung als unzulässig dar.43 Auch der mit dem Patienten geschlossene Heimvertrag bedeutete keine Berechtigung für die Fortsetzung der künstlichen Ernährung entgegen dem Patientenwillen. Ferner konnte eine diesbezügliche 39 40 41 42 43
BGH NJW 2003, 1588 (1589). BGH NJW 2003, 1588 (1589). Vgl. nur Kutzer, ZRP 2003, 213; Spieckhoff, JZ 2003, 738 (739); Lipp, FamRZ 2003, 756; Hahne, FamRZ 2003, 1619; Hufen, ZRP 2003, 248. Aus: Pressemitteilung des BMI Nr. 70/03 vom 8. September 2003, NJ 2003, 522; hierzu auch Höfling, NJW 2009, 2849. BGH NJW 2005, 2385.
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Berufung der Ärzte und Pflegekräfte auf ihre ethischen und medizinischen Vorstellungen keine Zwangsernährung rechtfertigen.44 Vom Grundsatz her war zum damaligen Zeitpunkt bereits deutlich erkennbar, dass eine aktive Behandlung wider den Patientenwillen keine Legitimität mehr beanspruchen konnte. Dem Arzt stand kein eigenständiges Behandlungsrecht (mehr) zu. Selbst wenn aus medizinischer Sicht die Entscheidung des Patienten völlig irrational war, war die Durchführung einer zu seiner Lebensrettung erforderlichen medizinischen Maßnahme gegen seinen Willen bereits untersagt. Noch offen war indes die Frage nach dem Entscheider, wenn der Betroffene nicht mehr zur Äußerung in der Lage oder – infolge Komas oder anderweitiger Einschränkungen – sein Wille nur schwer zu eruieren war. Die Kenntnis der Wünsche und Wertvorstellungen des Patienten zwecks Ermöglichung einer daran ausgerichteten Behandlung wurde mit der fortschreitenden Annäherung an den Sterbeprozess immer bedeutsamer. Vor der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung wurden drei Vorschläge jeweils der Bundestagsabgeordneten Joachim Stünker, Wolfgang Bosbach und Wolfgang Zöller vorgelegt.
1. Entwurf von Joachim Stünker Der Entwurf von Joachim Stünker sah das Problem, dass die Menschen sicher sein wollen hinsichtlich der Art und Weise ihrer medizinischen Behandlung selbst zu bestimmen, falls ihnen aufgrund einer Erkrankung bzw. eines Unfalls ihre Entscheidungsfähigkeit abhandengekommen ist. Diesbezüglich sei die Nutzung sämtlicher verfügbarer Kommunikationswege und Vorsorgemöglichkeiten wesentlich, wozu insbesondere die Patientenverfügung zu zählen sei. Immerhin habe auch der BGH in seinen Beschlüssen vom 17. März 2003 und 8. Juni 2005 die Relevanz des Selbstbestimmungsrechts bei ärztlichen Maßnahmen sowie die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung herausgestellt.45 Ungeachtet dessen könne in der Praxis teilweise noch Verunsicherung im Umgang mit Patientenverfügungen verzeichnet werden, was vor allem auf ihre Bindungswirkung und Geltung in sämtlichen Phasen einer Erkrankung zutreffe. Es mangele außerdem an einer gesetzlichen Regelung, wann die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in Bezug auf besonders weitreichende Entscheidungen eines Betreuers oder Bevollmächtigten notwendig sei. Als Ziel 44 45
BGH NJW 2005, 2385 (2386). Stünker, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442, S. 2.
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des Gesetzesentwurfs sei deshalb die Schaffung von mehr Rechtssicherheit anzusehen und die Gewährleistung dessen, „dass der das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Achtung des Selbstbestimmungsrechts entscheidungsunfähiger Menschen auch bei medizinischen Behandlungen beachtet wird“.46 Als Lösungsansatz sah der Entwurf fünf Punkte vor. Das Rechtsinstitut der Patientenverfügung sollte im Betreuungsrecht verortet und seine Schriftform als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit festgelegt werden. Zudem sollten Regelungen im Hinblick auf die Aufgaben eines Betreuers bzw. Bevollmächtigten beim Umgang mit einer Patientenverfügung sowie bei Feststellung des Willens des Patienten aufgenommen und dabei verdeutlicht werden, dass dieser Wille unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung Berücksichtigung zu finden hat. Überdies sollten Bestimmungen in einer Patientenverfügung, welche eine verbotene Tötung auf Verlangen bedeuten, weiterhin unwirksam sein. Darüber hinaus sollte bei Zweifeln in Bezug auf besonders schwerwiegende Entscheidungen hinsichtlich der Einwilligung, Nichteinwilligung oder des Widerrufs der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich werden. Schließlich sollte der Schutz des Patienten mittels verfahrensrechtlicher Regelungen gewährleistet werden.47 Diesem Entwurf zufolge sollte die Norm des § 1901a BGB („Patientenverfügung“) eingefügt werden mit u.a. folgendem Wortlaut: (1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. (2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen, sonstige persönliche Wertvorstellungen und das Schmerzempfinden des Betreuten […].
46 47
Stünker, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442, S. 2 f. Stünker, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442, S. 3.
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(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.
In der Norm des § 1904 BGB sollte die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen geregelt werden. Insbesondere sollte es in Absatz 1 Satz 1 heißen: „Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.“
2. Entwurf von Wolfgang Bosbach Der Entwurf von Wolfgang Bosbach erkannte als Problem, dass im Falle von entscheidungsunfähigen Patienten deren Einwilligung für jegliche ärztliche Maßnahme notwendig sei, aber ein entscheidungsunfähiger Patient keine Einwilligung mehr erteilen könne. Diesbezüglich sei in der Praxis u.a. das Instrument der Patientenverfügung anerkannt, in der im Voraus Entscheidungen für den Fall getroffen werden könnten, dass die eigene Entscheidungsunfähigkeit eintrete. Obwohl in der Rechtsprechung die Patientenverfügung als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts bestätigt sei, seien weiterhin enorme Unsicherheiten und Zweifel hinsichtlich der aktuellen Rechtslage zu verzeichnen.48 Als Ziel des Entwurfs komme die Klarstellung der Rechtslage sowie die Schaffung von Verkehrssicherheit für sämtliche Beteiligte in Betracht. Denn selbst im Fall des Verlusts der Einwilligungsfähigkeit müsse das Selbstbestimmungsrecht – auch wenn sich der Patient gegen lebensverlängernde Maßnahmen ausspreche – durchgesetzt werden und Lebensschutz, ärztliche Fürsorge und Patientenwohl sichergestellt bleiben. Dabei sei Missbrauchs- und Irrtumsgefahren vorzubeugen und dürfe keine Verwischung der Grenzen zu aktiver Sterbehilfe und strafbarer Tötung auf Verlangen eintreten.49 Nach diesem Entwurf sollte die Norm des § 1901b BGB („Patientenverfügung“) eingefügt werden mit u.a. folgendem Wortlaut: (1) Wünsche zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen, die eine 48 49
Bosbach, Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – PatVerfG), BT-Drs. 16/11360, S. 1 f. Bosbach, Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – PatVerfG), BT-Drs. 16/11360, S. 2.
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Erster Teil einwilligungsfähige Person in schriftlicher Form für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit geäußert hat (Patientenverfügung), gelten nach Verlust der Einwilligungsfähigkeit fort. Der Betreuer hat ihnen Geltung zu verschaffen, wenn sie auf die eingetretene Situation zutreffen, es sei denn, dass der Betreute sie widerrufen hat oder an ihnen erkennbar nicht festhalten will.
(2) Wünschen oder Entscheidungen einer Patientenverfügung, die auf den Abbruch oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen gerichtet sind, hat der Betreuer Geltung zu verschaffen, wenn 1.
der Errichtung eine ärztliche Aufklärung über die Möglichkeiten medizinischer Behandlung und die Folgen eines Abbruchs oder der Nichtvornahme der medizinischen Maßnahme, die das eingetretene Krankheitsbild umfasste, zeitnah vorausgegangen ist,
2.
sie nach Belehrung über die rechtlichen Wirkungen mit Widerrufsmöglichkeiten zur Niederschrift vor einem Notar errichtet wurde, und die Beurkundung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt und
3.
darin auf eine von dem Arzt gefertigte Dokumentation über die Aufklärung verwiesen wird, die der Patientenverfügung beigefügt ist […].
(3) Erfüllt eine Patientenverfügung die Voraussetzungen des Absatzes 2 nicht, so hat der Betreuer darin enthaltenen Wünschen oder Entscheidungen, die auf den Abbruch oder die Nichtvornahme lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen gerichtet sind, Geltung zu verschaffen, 1.
wenn nach ärztlicher Überzeugung eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder
2.
wenn der Betreute ohne Bewusstsein ist, nach ärztlicher Überzeugung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird und eine Behandlung für diesen Zustand ausdrücklich untersagt hat.
(4) Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung sind nicht verbindlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden und anzunehmen ist, dass der Betroffene bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen hätte […].
Ferner sah auch dieser Entwurf in der neu zu fassenden Norm des § 1904 BGB die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen vor. Die Entwurfsbegründung macht deutlich, dass das Recht auf Selbstbestimmung keineswegs schrankenlos gewährt wird. Vielmehr haben auch Rechte Dritter Berücksichtigung zu finden, wozu u.a. die Schutzpflicht des Staates für das Leben zählt.50
50
Vgl. Bosbach, Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – PatVerfG), BT-Drs. 16/11360, S. 17 ff.
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3. Entwurf von Wolfgang Zöller Vom Entwurf Wolfgang Zöllers wurde vor allem das Problem angesprochen, dass vielen Menschen die Vorstellung zuwider sei, am Ende ihres Lebens als Objekt einer hochtechnisierten Medizin unterworfen zu sein. Aus diesem Grund befassten sich immer mehr Menschen frühzeitig mit ihrer Behandlung am Lebensende und legten dabei ihr Augenmerk auf die Erstellung einer Patientenverfügung. Der Umgang mit einer derartigen Verfügung unterläge bis dato aber keinen spezifischen, sondern nur generellen rechtlichen Regelungen.51 Der Grundsatz, dass auch Leben mit Schwäche, Krankheit und Behinderung lebenswert sei, umfasse auch, dass jeder Mensch in einer höchstpersönlichen Entscheidungsfindung bestimmen dürfe, wann er den Kampf gegen den natürlichen Sterbeprozess aufgeben und keinen Einsatz der Intensivmedizin (mehr) haben wolle. Mit der Schaffung einer rechtlichen Regelung zur Verbindlichkeit und Umsetzung von Patientenverfügungen müsse Forderungen nach rechtlicher Zulässigkeit der sog. Tötung auf Verlangen entgegengetreten und die Relevanz der palliativmedizinischen, palliativpflegerischen und hospizlichen Versorgung betont werden.52 Dieser Aspekt wird in dieser Deutlichkeit nur von diesem Entwurf angesprochen. Des Weiteren forderte der Entwurf, dass aber auch kein Klima entstehen dürfe, in dem die Gesellschaft auf schwerstkranke und sterbende Menschen einwirke, um sie dazu zu veranlassen, mittels Patientenverfügung auf eine Behandlung am Lebensende zu verzichten. Der oben genannte Grundsatz des lebenswerten Lebens dürfe nämlich keine Relativierung durch ökonomische oder anderweitige Aspekte erfahren.53 Auch dieser Gesichtspunkt wird allein in diesem Entwurf erwähnt. Markant ist der Bezug auf das Slippery-SlopeArgument.54 Als primäres Ziel nannte dieser Entwurf ebenfalls die Beseitigung der in der Praxis existierenden Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Dabei stehe nicht die individuell definierte Miss-
51 52 53 54
Zöller, Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG), BT-Drs. 16/11493, S. 1 f. Zöller, Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG), BT-Drs. 16/11493, S. 2. Zöller, Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG), BT-Drs. 16/11493, S. 2. Siehe die Ausführungen im 3. Kapitel A) IV.
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Erster Teil
brauchsbekämpfung im Vordergrund; vielmehr habe eine Orientierung an Freiheit, Individualität und Selbstbestimmung zu erfolgen.55 Laut diesem Entwurf sollte die Norm des § 1901b BGB („Patientenverfügung“) u.a. folgenden Wortlaut haben: (1) Erklärungen zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte oder bestimmbare medizinische Maßnahmen, die eine einwilligungsfähige, natürliche Person geäußert hat (Patientenverfügung), gelten unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung nach Verlust der Einwilligungsunfähigkeit fort, es sei denn, dass diese Person sie widerrufen hat oder an ihr erkennbar nicht festhalten will. Der Betreuer hat ihnen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. (2) Absatz 1 gilt auch hinsichtlich des zu ermittelnden mutmaßlichen Willens einer natürlichen Person […].
Gemäß der neuen Vorschrift des § 1901c BGB („Form der Patientenverfügung“) sollte die Patientenverfügung in schriftlicher Form verfasst werden und angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) und an welchem Ort sie verfasst wurde. Sie sollte in regelmäßigen Abständen bestätigt werden. Die neue Norm des § 1901d BGB („Ermittlung des Patientenwillens im Falle der Entscheidungsunfähigkeit des Betreuten“) sollte u.a. wie nachstehend lauten: (1) Der Arzt prüft, welche Behandlungsmaßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist, und erörtert diese unter Berücksichtigung des verbindlichen Parteiwillens nach § 1901b mit dem Betreuer. Der Betreuer willigt in die vorgeschlagene medizinische Behandlungsmaßnahme ein, wenn sie dem fortgeltenden Parteiwillen nach § 1901b entspricht. (2) In Zweifelsfällen sollen Arzt und Betreuer Pflegepersonen, Mitglieder des Behandlungsteams und dem Patienten nahestehende Personen, wie Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Pflegeeltern und Kinder sowie vom Betreuten schriftlich hierfür benannte Personen, zur Ermittlung des Patientenwillens nach Absatz 1 hinzuziehen […].
Ferner sollte die Bestimmung des § 1904 Abs. 2 BGB dahingehend geändert werden, dass die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff, die lebensverlängernd oder -erhaltend wirken, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf, wenn Arzt und Betreuer bei der Ermittlung des Patientenwillens nach § 1901d keine Einigkeit erzielen.
55
Zöller, Entwurf eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz – PVVG), BT-Drs. 16/11493, S. 3.
Sechstes Kapitel: Auswege aus dem medizinischen Dilemma
177
4. Einführung der § 1901a ff. BGB (Patientenverfügung) Die drei Entwürfe zeichneten sich durch wenige Gemeinsamkeiten aus. Diese betreffen die Form, Widerruflichkeit und Beteiligung des Vormundschaftsgerichts.56 In den meisten Punkten wichen sie indes voneinander ab.57 Vor allem bestand keine Einigkeit in der Frage, inwiefern eine Patientenverfügung auch dann Verbindlichkeit aufweisen soll, „wenn die Krankheit noch nicht einen ʻirreversibel tödlichen Verlaufʼ angenommen hat“.58 Dies führte zu heftiger kontroverser Diskussion in der Literatur59 und im parlamentarischen Entscheidungsprozess.60 Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries befürwortete den Stünker-Entwurf mit seiner maximalen Reichweite und Verbindlichkeit und erachtete eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts bei Patientenverfügungen wie in den zwei anderen Entwürfen für verfassungsrechtlich bedenklich. Ihrer Ansicht zufolge existiert für den Staat kein Rechtfertigungsgrund zur Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für eine bestimmte Lebensphase. Das Recht zur Ablehnung eines ärztlichen Eingriffs sei stets zu respektieren, außer wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Betroffene aufgrund psychischer Erkrankung eine Einschränkung seiner Urteilsfähigkeit aufweise.61 Umsetzung fand letztendlich der „Stünker-Entwurf“ in Gestalt der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses.62 Dieser Entwurfsfassung wurde am 18. Juni 2009 im Bundestag mit 320 von 566 Abgeordnetenstimmen zugestimmt.63 Aufgrund des dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes („Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ vom 29. Juli 2009) hatte die Norm des § 1901a BGB („Patientenverfügung“) in ihrer Fassung zum Inkrafttreten am 1. September 2009 u.a. den nachstehenden Wortlaut: (1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder untersagt (Patien56 57 58 59 60 61 62 63
Albrecht / Albrecht / Böhm / Böhm-Rößler, Die Patientenverfügung, S. 15 f. Zusammenfassend Olzen, JR 2009, 354 (356 f.) und Olzen / Metzmacher, FPR 2010, 249 (251 f.). Albrecht / Albrecht / Böhm / Böhm-Rößler, Die Patientenverfügung, S. 15. Überblick bei Tamm, VuR 2009, 449 (453). Höfling, NJW 2009, 2849 (2850). Pressemitteilung, https://www.presseportal.de/print/958743-ptint.html. Schmitz, FamFR 2009, 64. Olzen, JR 2009, 354 (356).
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Erster Teil tenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. (4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
Zum 22. Juli 2017 wurde diese Norm durch einen neuen Absatz 4 ergänzt, womit der bisherige zu Absatz 5 wurde. In Absatz 4 heißt es nunmehr: Der Betreuer soll den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen. Laut § 1901b Abs. 1 S. 1 BGB prüft der behandelnde Arzt, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Dem Satz 2 zufolge erörtern er und der Betreuer diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung. Gemäß Absatz 2 soll bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Nach § 1904 BGB kann die Einwilligung bzw. Nichteinwilligung in eine ärztliche Maßnahme der Genehmigungsbedürftigkeit des Betreuungsgerichts unterworfen sein.64 Es obliegt keineswegs dem behandelnden Arzt, von sich aus Erkundigungen einzuholen, ob der Betroffene eine Patientenverfügung erstellt hat.65 Der Be64 65
Detailliert zur neuen Fassung des § 1904 BGB Albrecht / Albrecht / Böhm / BöhmRößler, Die Patientenverfügung, S. 33 ff. Diehn / Rebhan, NJW 2010, 326 (328).
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griff der Einwilligungsfähigkeit verdeutlicht, „dass der Betroffene Art, Bedeutung, Tragweite und die Risiken der Maßnahmen in einem natürlichen Sinn erfassen können muss“.66 Keine Gleichsetzung dieses Begriffs erfolgt mit dem der Geschäftsfähigkeit, denn auf die Letztgenannte kommt es nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung an.67 Die Festlegungen in der Verfügung müssen dem Bestimmtheitsgebot Genüge tun. Wenn es sich nur um Anweisungen von allgemeiner Art handelt, können diese lediglich als Behandlungswünsche i.S.d. § 1901a Abs. 2 BGB betrachtet werden.68 Grundsätzlich sind zwei Elemente erforderlich: eine Situationsbeschreibung und eine Handlungsanweisung.69 Dies kann in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen, denn die hohe Anzahl von nicht vorhersehbaren Krankheitssituationen macht dem gesunden Menschen das Erreichen des Bestimmtheitsgrads nahezu unmöglich.70 Es bedarf der konkreten Beschreibung z.B. der Sterbephase, einer tödlichen Krankheit, des (Wach-)Komas oder der diagnostizierten Krankheit. Das Konkretisierungsgebot nicht erfüllen „unbestimmte Einzelformulierungen mit Beurteilungsspielraum, das Zeitmoment ansprechende, wertende Adjektive, subjektiv geprägte Formulierungen des Verfügenden und u.U. auch unsachgemäß verwendete medizinische Begriffe“.71 Das Tatbestandsmerkmal der Schriftform stellt sich als Wirksamkeitspostulat dar; hinreichend ist die eigenhändige Unterschrift i.S.d. § 126 BGB.72 Über diese Schriftformerfordernis und die Volljährigkeit hinaus sind keine weiteren Anforderungen an die Formalien einer Patientenverfügung gestellt, d.h. es sind weder Beratung noch Wiederholung oder Beurkundung erforderlich.73 In der Aktualitätskontrolle des Betreuers, der prüfen muss, ob die Festlegungen des Patienten noch auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, ist eine zwingende Bestimmung zu sehen; ein Verzicht auf sie im Voraus durch den Erkrankten ist ausgeschlossen.74 Ebenfalls scheidet ein unmittelba66 67 68 69 70
71 72 73 74
Tamm, VuR 2009, 449 (455). Beermann, FPR 2010, 252. Beermann, FPR 2010, 252 (253). Detailliert zur Bestimmtheit Seibl, NJW 2016, 3277 (3279 f.). Albrecht / Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (428) stellen die Frage: „Wie soll auch der Arzt einem Gesunden mit vertretbarem Zeitaufwand eine Vielzahl komplexer Krankheitsbilder, die dabei nach dem heutigen Stand indizierten Maßnahmen sowie mögliche künftige therapeutische Forschungsergebnisse darstellen und mit ihm die dazu erforderlichen Einwilligungen diskutieren?“. Lange, ZEV 2009, 537 (542). Tamm, VuR 2009, 449 (455). Putz, FPR 2012, 13 (16). Diehn / Rebhan, NJW 2010, 326 (327).
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Erster Teil
rer Vollzug der Patientenverfügung aus; selbst wenn eine Patientenverfügung vorliegt, ist es dem Arzt ohne Einwilligung des Betreuers nicht erlaubt, eine medizinisch indizierte Maßnahme nicht vorzunehmen. Die Patientenverfügung selbst bedeutet keine Rechtfertigung für ärztliches Tun oder Unterlassen, maßgeblich ist die Entscheidung des Betreuers nach dem vorgeschriebenen Verfahren gem. §§ 1901a f. BGB.75 Keine Anwendung auf Patientenverfügungen finden insbesondere die Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen nach §§ 119 ff. BGB, ferner kommt die Stellvertretung laut §§ 164 ff. BGB nicht in Frage. Hingegen ist eine analoge Anwendung der zur Auslegung von Willenserklärungen nach § 133 BGB entwickelten Grundsätze möglich.76 Eine Beschränkung der Wirksamkeitsdauer der Patientenverfügung ist nicht gegeben. Mithin findet weder ein Wirksamkeitsverlust durch Zeitablauf statt noch bedarf es ihrer regelmäßigen Bestätigung.77 Gemäß § 1901a Abs. 1 und 2 BGB geht das Selbstbestimmungsrecht der medizinischen Machbarkeit und Sinnhaftigkeit vor.78 Sofern der mutmaßliche Wille gem. § 1901a Abs. 2 BGB nicht eruiert werden kann, ist im Zweifel der Schutz des Lebens vorrangig.79 Infolge der Norm des § 1901a Abs. 3 BGB findet keine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung statt, so dass auch Fälle des Wachkomas und der Demenzerkrankung erfasst sind.80 Entfallen ist mithin die früher angenommene Reichweitenbegrenzung, der zufolge Verfügungen mit der Forderung nach Behandlungsabbruch lediglich bei irreversibel tödlichem Verlauf befolgt werden konnten.81 Immerhin bleibt – wie sich am Erbrecht zeigt – der Wille eines Menschen selbst bei dessen Tod bestehen, so dass kein Grund gegeben ist, einen dauerhaft Bewusstlosen anders zu behandeln.82 Jedoch kann keineswegs von einer grenzenlosen Selbstbestimmung gesprochen werden. Zum einen existiert weiterhin das Verbot der aktiven Sterbehilfe und zum anderen ist die ärztliche Indikation einer Behandlungsmaßnahme zu
75 76 77 78 79 80 81 82
Diehn / Rebhan, NJW 2010, 326 (329). Beermann, FPR 2010, 252. Lange, ZEV 2009, 537 (542). Boemke, NJW 2015, 378 (380). Tamm, VuR 2009, 449 (455). Höfling, NJW 2009, 2849 (2850). Albrecht / Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (429). Putz, FPR 2012, 13 (15).
Sechstes Kapitel: Auswege aus dem medizinischen Dilemma
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berücksichtigen. Die mangelnde Reichweitenbegrenzung gibt kein Recht auf eine medizinisch nicht indizierte Behandlung.83 Nach der Ansicht von Lange hätte die Bestimmung des § 1901a Abs. 3 BGB zumindest den Grenzbereich zwischen zulässiger verlangter indirekter Sterbehilfe und strafbarer aktiver Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB) darstellen und die Abgrenzung zum Strafrecht regeln müssen. Denn die Zulässigkeit der verlangten indirekten Sterbehilfe könne allein unter den Voraussetzungen des § 34 StGB in Betracht kommen. Diese zulässige verlangte indirekte Sterbehilfe und die strafbare aktive Sterbehilfe trenne lediglich eine „hauchdünne Grenze“, die durch § 1901a Abs. 3 BGB nicht aufgezeigt werde.84 Das allgemeine zivilrechtliche Koppelungsverbot in § 1901a Abs. 4 S. 2 BGB bezieht sich z.B. auf Heimverträge.85 Wie sich aus § 1901b BGB ergibt, ist die Indikation der ärztlichen Maßnahme als zentrale Vorfrage zur Patientenverfügung und zum Behandlungswunsch zu betrachten. Wenn der Arzt eine bestimmte Maßnahme für nicht mehr indiziert erachtet, ist die Problematik einer aktuellen oder in einer Patientenverfügung antizipierten Einwilligung seitens des Erkrankten nicht mehr relevant.86 Die medizinische Indikation „beruht auf einem aktiven Entscheidungsprozess, der sich definieren lässt als die Beurteilung eines Arztes, dass eine konkrete medizinische Maßnahme angezeigt ist, um ein bestimmtes Behandlungsziel zu erreichen“.87 Die neuen Vorschriften bedeuten eine Stärkung der rechtlichen Verantwortung des behandelnden Arztes, denn diesem obliegt nicht nur die alleinige Verantwortung für die zu stellende ärztliche Indikation, sondern zudem die Mitverantwortung für die Auslegung einer Patientenverfügung bzw. Eruierung des mutmaßlichen Behandlungswillens durch den Betreuer. Die Pflicht des Betreuers zum Anrufen des Betreuungsgerichts zur Genehmigung seiner Erklärungen ist an das Verhalten des Arztes gekoppelt.88 Der Arzt muss die Prüfung vornehmen, inwiefern er dem vom Betreuer angenommenen Inhalt des Willens des Erkrankten teilt, und das Ergebnis in der 83 84 85 86 87 88
Beermann, FPR 2010, 252 (255). Lange, ZEV 2009, 537 (540). Höfling, NJW 2009, 2849 (2850). Albrecht / Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (431). Bundesärztekammer, Stellungnahme „Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung“ [Fassung vom 1.11.2019]. Kutzer, MedR 2010, 531 (532).
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Erster Teil
Krankenakte festhalten. Denn allein beim Einvernehmen zwischen Arzt und Betreuer hinsichtlich des wirklichen oder mutmaßlichen Willens des Patienten braucht der Betreuer schwerwiegende Entscheidungen nicht gem. § 1904 BGB gerichtlich genehmigen lassen.89 In der Praxis bieten viele Stellen – vor allem im Internet – Patientenverfügungen an, die zum Teil kostenpflichtig und zum Teil kostenlos sind, wobei die Angebote im Internet in der Regel die gleiche konkrete Ausgestaltung einer Patientenverfügung bieten wie die Vorschläge der Justizministerien und Ärztekammern. Mehrere Verbände offerieren Möglichkeiten zur Gestaltung einer stärker individualisierten Patientenverfügung mit darüber hinausgehenden zusätzlichen Behandlungssituationen und -folgen. Zudem unterbreiten örtliche gemeinnützige Träger und Organisationen häufig entsprechende Angebote.90 Coeppicus hält es insbesondere für ratsam, jenseits des Gesetzeswortlauts des § 1901a BGB auch zu regeln, ob die Einwilligungsunfähigkeit unumkehrbar sein muss.91
IV. Aktueller Stand Es wäre wünschenswert, wenn nach dem aufgezeigten jahrelangen Disput um die Patientenverfügung aufgrund der gesetzlichen Normierung in §§ 1901a ff. BGB nunmehr ein Ende dieser Diskussion zu verzeichnen wäre. Doch auch heute, 10 Jahre später, ist keine Übereinstimmung in allen Punkten zu erkennen. Dies zeigt beispielhaft der nachstehend dargelegte aktuelle Fall des Landgerichts München. Denn die Problematik der Haftung eines Arztes, der einen Patienten zu lange durch künstliche Ernährung am Leben erhält, kann bei der Diskussion um die Sterbehilfe erhebliche Folgen haben – sie stellt quasi die Grenze von der anderen Seite her dar. Das LG München I hatte im Jahre 2017 über einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung des Vaters des Klägers durch eine PEG-Sonde in den Jahren 2010 und 2011 zu entscheiden. Beklagter war der behandelnde Arzt. Der verstorbene Vater hatte keine Patientenverfügung erstellt. Zudem konnte dessen tatsächlicher und mutmaßlicher Wille bezüglich der Durchführung von lebenserhaltenden Maßnahmen nicht festgestellt werden. Der Kläger machte insbesondere geltend, dass durch die 22-monatige Ernährung über die PEG-Sonde eine fortgesetzte 89 90 91
Kutzer, MedR 2010, 531 (532 f.). Weigl, MittBayNot 2017, 346 (352 f.). Coeppicus, NJW 2011, 2085.
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Körperverletzung verwirklicht worden sei. Hierdurch habe der Beklagte verursacht, dass die Krankheit fortgedauert habe und – damit verknüpft – der Verstorbene Schmerzen und Leiden habe hinnehmen müssen.92 Das Gericht führte insbesondere aus, dass selbst in lebenserhaltenden Maßnahmen inklusive künstlicher Ernährung mittels PEG-Sonde ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten zu erblicken sei. Die Rechtfertigung einer lebenserhaltenden Maßnahme sei lediglich zu bejahen, sofern sie indiziert und vom Willen des Patienten gedeckt sei. Dies betreffe nicht allein das ursprüngliche Legen, sondern zugleich das Beibehalten der Sonde, welche als andauernder Eingriff eine fortdauernde Indikation und Einwilligung des Patienten bzw. seines Vertreters erforderlich mache. Anhand der Normen der §§ 1901b Abs. 1 S. 1, 1904 Abs. 2 BGB lasse sich erkennen, dass die Problematik der Einwilligung allerdings erst aufkomme, wenn und soweit die Indikation zu verzeichnen sei.93 Der Indikation sei eine weichenstellende Bedeutung zuzuschreiben, wobei es für die Indikation einer lebensverlängernden Behandlungsmaßnahme maßgeblich sei, welches Behandlungsziel neben der zeitlichen Verlängerung erreicht werden solle. Zur Festlegung eines Behandlungsziels in Übereinstimmung mit dem Patienten bzw. dessen Betreuer müsse geklärt werden, „welche Ziele medizinisch überhaupt verfolgt werden können, erst daran kann dann die Bestimmung des Behandlungsziels und die Einwilligung und die sich danach ergebenden Maßnahmen anknüpfen“.94 Unter Zugrundelegung dieser Prämissen des LG München I ist in der medizinischen Indikation eine zwingende Voraussetzung für die Durchführung von lebenserhaltenden Maßnahmen zu erblicken. Wenn es an der medizinischen Indikation mangelt, ist der Wille des Patienten nicht mehr maßgeblich. Somit ist der Arzt bei fehlender Indikation dazu verpflichtet, die Behandlung abzubrechen, um sein Handeln nicht behandlungsfehlerhaft werden zu lassen. Andernfalls macht er sich gem. §§ 223 ff. StGB strafbar und kann Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen nach §§ 823, 630a ff., 280 BGB unterlegen sein. Neben der Einwilligung des aufgeklärten Patienten (§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB) und der Behandlung de lege artis (§ 630a Abs. 2) BGB stellt die
92 93 94
LG München I, BeckRS 2017, 112362. LG München I, BeckRS 2017, 112362. LG München I, BeckRS 2017, 112362.
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medizinische Indikation die Grundvoraussetzung dafür dar, ärztliche Maßnahmen als rechtmäßig werten zu können.95 Bis hierhin könnte man davon ausgehen, dass der beklagte Arzt zuletzt verurteilt worden wäre, da er die Sonde nicht entfernte und selbiges auch nicht mit dem Betreuer erörtert hatte. Doch mitnichten: Das Gericht führt weiterhin aus, zunächst habe der Kläger nicht ausreichend nachgewiesen, „Dass eine Erörterung zwischen dem Beklagten und dem Betreuer des Patienten über die mit der PEG-Sonden-Ernährung nur noch erreichbaren Ziele, nämlich die reine Lebenserhaltung bei kontinuierlicher Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, zu einer Entscheidung im Sinne von § 1901a BGB, die Ernährung zu beenden, geführt hätte“.96 Zum einen könne – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass eine Behandlung, mit der kein weitergehendes Therapieziel verfolgt werden könne, im konkreten Fall zweifelsfrei unterlassen werden müsse. Gerade lebenserhaltende Maßnahmen berührten unmittelbar das zentrale und fundamentale Grundrecht auf Leben. In diesem Sinne schütze jede das Leben erhaltende Maßnahme das Grundrecht auf Leben. Ob dieses Leben „lebenswert“, d.h. aus Sicht des Betroffenen wert ist, auch tatsächlich durch eine künstliche Ernährung aufrecht erhalten zu werden, sei eine höchstpersönliche Entscheidung. Daraus folge einerseits nicht, dass ein Leben ohne Aussicht auf Besserung in jedem Fall erhalten werden müsste. Andererseits folge aber auch nicht, dass es nicht erhalten werden dürfte. Vielmehr erfordert die Frage eine konkrete, abwägende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall, wobei sich die Entscheidung an den Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB zu orientieren habe.97
V. Fazit Das oben genannte Urteil zeigt, dass die tatsächliche Lage noch immer ungeklärt ist. Die Patientenverfügung könnte sich als eine Möglichkeit zeigen, wenn wieder eine dem nichtigen § 217 StGB ähnliche, dann indes wirksame Regelung in Kraft träte, aber es bestehen sowohl auf der Seite des Patienten als auch auf der des Arztes immer noch zu viele rechtliche Unsicherheiten. Dies gilt besonders in Bezug auf die stichhaltige juristische Formulierung einer solchen Verfügung (Bestimmtheitsgebot). Insbesondere die getroffene Formu95 96 97
Laufs / Katzenmeier / Lipp-Lipp, Arztrecht, VI B Rn 95. LG München I, BeckRS 2017, 112362. LG München I, BeckRS 2017, 112362.
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lierung des Gerichts („Einerseits… andererseits…“) gibt dem Arzt keine praktische Leitlinie an die Hand. In der Praxis wird sich der behandelnde Arzt also aus Unsicherheit eher für die lebensverlängernden Maßnahmen entscheiden.
B) Reform des § 217 StGB I. Abschaffung 1. Grundsatz Die hier vor allem im Rahmen der Diskussion der Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB angestellten Überlegungen – siehe oben im 4. Kapitel C) II. – haben auch in der Politik Anlass dazu gegeben, sich für die Abschaffung der Norm des § 217 StGB zu positionieren, die ja schließlich auch durch das Urteil des BVerfG98 aufgehoben wurde. Im Großen und Ganzen waren die Parteien dazu eher zurückhaltend;99 allein die FDP hat sich in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2017 ganz klar geäußert: „Der neue § 217 StGB muss wieder abgeschafft werden. Die Strafandrohung für die Beihilfe zur Selbsttötung eines Schwerkranken schafft eine erhebliche Grauzone für Palliativmediziner, beeinträchtigt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und verletzt das Selbstbestimmungsrecht als Kern der Menschenwürde. Das ärztliche Standesrecht unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland teilweise stark. Daher fordern wir eine bundeseinheitliche Regulierung, unter welchen Umständen die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung sanktionsfrei ist.“100
Die alleinige Aufhebung des § 217 StGB wird aber – ebenso wenig wie der Ruf nach der Schaffung desselben Paragraphen nur ein paar Jahre zuvor – nicht zur Lösung des Problems beitragen. In diesem Zusammenhang muss ohnehin zunächst eruiert werden, aufgrund welcher Gesichtspunkte überhaupt aus strafrechtlicher Sicht eine Norm abgeschafft werden kann – schließlich muss es hier Hürden und fundierte Begründungen geben, die solch eine Abschaffung rechtfertigen. In den vergangenen Jahren waren Abschaffungen von Paragraphen eher selten – im Gegenteil, es konnte eine steigende Anzahl neuer Gesetze beobachtet
98 99
BVerfG NStZ 2020, 528. Siehe dazu eine Übersicht mit Ausschnitten aus den verschiedenen Stellungnahmen auf der Homepage des IFW - https://weltanschauungsrecht.de/meldung/217StGB-aufhebenJamaika. 100 FDP, Wahlprogramm 2017, https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2017/08/07/ 20170807-wahlprogramm-wp-2017-v16.pdf, S. 91 „Ausbau Palliativmedizin und Hospizwesen“ [Fassung vom 30.12.2019].
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werden.101 Besonders im Mittelpunkt stehen dabei die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts und das neue Sexualstrafrecht. Die Ausdehnung des Strafrechts führt jedoch dann zu Problemen, „wenn sie nicht das Ergebnis eines sachlichen, die Wirkungen und Grenzen des Strafrechts berücksichtigenden Diskurses ist“.102 Ein solches Risiko kann vorliegen, sofern europarechtliche oder internationale Vorgaben eine Neuregelung dermaßen beeinflussen, dass dem deutschen Gesetzgeber kein Raum mehr dafür bleibt, die dogmatischen und strukturellen Eigenarten des deutschen Strafrechts einfließen lassen zu können. Aufgrund der Pflicht zur Umsetzung färben die Ausdehnungstendenzen des europäischen Strafrechts auf das innerstaatliche (Straf-)Recht ab, wodurch dieses immer mehr sein Selbstverständnis als „ultima ratio“ des staatlichen Handelns aufweicht und nur noch zum „technischen Steuerungsinstrument“ ohne deutliche Abgrenzung zum Gefahrenabwehrrecht mutiert.103 Ebenso ist ein Risiko im obigen Sinne zu erkennen, falls das Strafrecht dazu missbraucht wird, als „politische Allzweckwaffe“ die Medien und die sonstige Öffentlichkeit zu besänftigen. In den sozialen Medien hitzig diskutierte Vorfälle wie die sog. „Kölner Silvesternacht“ bauen Druck auf den Gesetzgeber auf, schnellstmöglich neue Vorschriften zu erlassen. Speziell in der Verschärfung des Strafrechts sieht der Gesetzgeber dann häufig eine scheinbar entschlossene und kostengünstige Reaktion, die die öffentliche Stimmung wieder abkühlt und zudem Handlungsfähigkeit suggeriert.104 Somit wird das Strafrecht auch immer dann herangezogen, falls eine Verunsicherung in der Gesellschaft relativ zügig aufgelöst werden soll. Die immer deutlicher werdenden Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts zeigen sich als Symptom einer Gesellschaft, die unter dem Einfluss von Globalisierung, Migration sowie der Relativierung von deutlichen familiären und religiösen Ordnungen einem stetigen Wandel unterlegen ist. Das Strafrecht dient als Zeichen zur Wahrung eines vermeintlich in Gefahr geratenen gemeinsamen Wertekanons und insofern als Schutzschild gegen die Schieflage der Welt infolge Terrorismus und Finanzkrisen, wobei die nahezu allgegenwärtige 101 Vgl. Statistik zur Gesetzgebung des deutschen Bundestages, https://www.bundestag.de/ resource/blob/196202/3aa6ee34b546e9ee58d0759a0cd71338/kapitel_10_01_statistik_zur _gesetzgebung-data.pdf. 102 Hoven, ZStW 2017, 334 (335). 103 Hoven, ZStW 2017, 334 (335) unter Verweis auf das Beispiel der Diskussionen um das Rindfleisch-etikettierungsgesetz. 104 Hoven, ZStW 2017, 334 (336).
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Kontrolle durch den Staat („Big Brother“) eher akzeptiert wird als dessen Untätigkeit.105 Dieser neuen Flut an Gesetzen stehen nur leider wenige Revisionen der entsprechenden Normen gegenüber. Abseits aller plakativen Forderungen sollte zunächst einmal die Frage geklärt werden: Kann ein Paragraph einfach wieder „abgeschafft“ werden?
2. Verfassungswidrigkeit Es wurde im 4. Kapitel C) II. bereits dargelegt, dass der mittlerweile aufgehobene § 217 StGB auch nach in dieser Arbeit vertretener Auffassung aus diversen Gründen verfassungswidrig war, und zwar zumindest einmal, weil er gegen die Berufsfreiheit der Ärzte verstößt. Ein entscheidender Punkt bei der Verfassungswidrigkeit eines Straftatbestandes bildet auch immer wieder die Unverhältnismäßigkeit der Strafbarkeit. Die Vorschrift des § 217 StGB wird von vielen Stimmen weder für geeignet noch für erforderlich erachtet, um die tatsächlich selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten zu schützen.106 Des Weiteren kritisierte bereits Roxin – siehe dazu unten 6. Kapitel B) II. –, dass zur Erfassung des Unrechts der Sterbehilfe und deren „Geschäftsmäßigkeit“ das Ordnungswidrigkeitenrecht ein ausreichendes Mittel sei. Wird das Strafrecht als „ultima ratio“ gesehen – wie es nach der deutschen Geschichte verankert ist –, so kann es – wie bereits durch das BVerfG entschieden wurde – nur die Taten bestrafen, die „über ihr Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben unter Menschen unerträglich“107 sind. Wie bereits bei den Hintergründen zur Schaffung von § 217 StGB diskutiert, bestand die Unerträglichkeit der Sterbehilfe vordergründig nicht in der betreuenden und vertrauensvollen Unterstützung durch einen dem sterbenden Menschen bekannten Mediziner. Den Stein des Anstoßes bildeten Sterbehilfevereine, die mehr oder weniger unerkannt und unbekannt operierten. Vor diesem Hintergrund kann also die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Regelung durchaus bestritten werden.
105 Hoven, ZStW 2017, 334 (336). 106 Hoven, ZStW 2017, 334 (340). 107 BVerfGE 120, 224 (239 f.).
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Erster Teil
3. Präventionsstrafrecht In einen ähnlichen Dunstkreis fällt die Argumentation, Straftatbestände seien dann abzuschaffen, wenn sie lediglich der Gefahrenabwehr dienten, und damit vielmehr polizeirechtliche Aspekte als strafrechtliche Repressionen regelten.108 Hier darf nicht außer Acht gelassen werden, dass mit § 217 StGB erstmals ein abstraktes Gefährdungsdelikt in den Tötungstatbeständen geschaffen wurde. Es ist mehr als fraglich, ob dessen Einführung generell argumentativ darauf zurückgeführt werden kann, dass die Gefahr, dass die Willensfreiheit von potentiellen Selbstmördern durch die sie begleitenden Sterbehilfevereine eingeschränkt und somit das Risiko eines „Todes aus Systemzwang“ heraufbeschworen wird, einzudämmen ist. Immerhin kann sich vor dem Hintergrund der Straffreiheit gem. § 217 Abs. 2 StGB die Frage stellen, wie ein zumindest gebilligtes Verhalten des Sterbewilligen nur wegen der auf sein Ansinnen hin geleisteten professionellen Hilfeleistung dazu führen kann, dass ein strafrechtlich zu ahndendes Verhalten infolge der Beeinträchtigung seines Selbstbestimmungsrechts vorliegt.109 Als abstraktes Gefährdungsdelikt bedingt § 217 StGB eine strafrechtlich zu ahnende Tathandlung im Vorfeld eines potenziellen Suizids. Dabei ist die objektive Tathandlung erfüllt, wenn ein nicht vollkommen ungeeigneter Förderbeitrag wie u.a. das Überlassen des Tatmittels geleistet wird, wobei bereits entferntere Förderhandlungen wie vor allem eine Information bzgl. des Tatmittels vom Tatbestand des § 217 StGB erfasst sein können.110 Dieser weite objektive Tatbestand, der ohne klare Grenzen fast jede Förderhandlung einschließt, verleiht dem § 217 StGB nach Ansicht der Kritiker den Charakter einer illegitimen Verdachtsstrafe,111 die die Grenzen des legitimen Präventionsstrafrechts überschreitet. Der Gesetzgeber ist gut beraten, sich vor dem Einbringen strafrechtlicher Tatbestände mit etwaigen kritischen Positionen insbesondere der Strafrechtswissenschaft, Expertenkommissionen oder zusammengeschlossenen Strafrechtslehrern detailliert auseinanderzusetzen. Die (Straf-)Rechtswissenschaft muss ihren Teil dazu beitragen, dass rechtzeitig das Anvisieren neuer Straftatbestände kritisch durchleuchtet und kontrovers diskutiert wird. Dies gilt besonders auch bezüglich der europäischen Gesetzgebung und internationaler 108 Vgl. Mitsch, NJW 2015, 209. 109 Saliger, Vortragsbericht, https://www.jura.uni-tuebingen.de/fakultaet/nachrichten/1511 10_sterbehilfe_saliger [Fassung vom 30.12.2019]. 110 Duttge, NJW 2016, 120 (121 f.). 111 Duttge, NJW 2016, 120 (123).
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Verträge, denn wenn erst einmal die Umsetzungsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland existent ist, können die entsprechenden Rechtsänderungen nur noch in den seltensten Fällen verhindert werden.112
4. Schutz der Moral statt des Rechts Wie schon zuvor unter 1. ausgeführt, erscheint es hier fraglich, ob tatsächlich eine unerträgliche Rechtsgutsverletzung mit § 217 StGB verhindert werden sollte. Wie erwähnt, boten den Anstoß zur Diskussion die geschäftsmäßigen Angebote sogenannter Sterbehilfevereine. Im Rahmen dessen schalteten sich dann konservative Beteiligte und Vertreter der Kirchen in die Diskussion ein, und hoben die Debatte damit auf eine moralische Ebene.113 Bedauerlicherweise haben auch einige Ärztekammern mit ihren Vorschriften in den Berufsordnungen entsprechend § 16 S. 3 M-BOÄ, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, diese Diskussion noch weiterhin befeuert. In diesem Zusammenhang ist vollständigkeitshalber darauf hinzuweisen, dass nicht durch sämtliche Landesärztekammern die Bestimmung des § 16 S. 3 M-BOÄ umgesetzt worden ist, so dass sich die pauschale Behauptung verbietet, dass es von vornherein nicht zu einem ärztlich assistierten Suizid kommen könne.114 Auch die neuesten Äußerungen des ehemaligen Kammerpräsidenten Dr. Frank Ulrich Montgomery, lassen von dieser Argumentation leider nicht ab. In einem Interview des Tagesspiegel vom 8. Mai 2019 äußerte er, der erlaubte ärztlich assistierte Suizid führe direkt zur Euthanasie – was er im Übrigen nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus und die dortige Notation beziehe.115 Dies mag sein Ansinnen sein – aber die Aussage selbst rückt wiederum den Fokus auf eine moralische Debatte. Wie im statistischen Teil dieser Arbeit gezeigt wurde – siehe 5. Kapitel – findet Suizidbeihilfe in breiten Teilen der Bevölkerung jedoch ihre Zustimmung. Selbst innerhalb der Ärzteschaft wird die Option des Bereitstellens von ggf. tödlichen Mitteln unter bestimmten Voraussetzungen keinesfalls von vornherein ausgeschlossen.116 Somit kann in der Legalisierung derselben schon 112 113 114 115
Hoven, ZStW 2017, 334 (348). Hoven, ZStW 2017, 334 (347). Duttge, NJW 2016, 120 (124). Montgomery, Interview „Arzt ist kein geschäftsmäßiger Sterbehelfer“, https:// www.tagesspiegel.de/politik/aerztepraesident-gegen-assistierten-suizid-der-arzt-ist-keingeschaeftsmaessiger-sterbehelfer/24311698.html, [Fassung vom 15.7.2019], worin er im Übrigen äußert, § 217 StGB richte sich gegen gewerbsmäßige Sterbehilfe. 116 Duttge, NJW 2016, 120 (124).
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einmal gar kein Verstoß gegen die allgemeine Moral gesehen werden. Sofern dennoch dieser Ansicht gefolgt wird, dass der ärztlich begleitete Suizid unmoralisch sei, bleibt festzuhalten, dass das Strafrecht dann vordergründig Verstöße gegen gesellschaftliche Vorstellungen von moralischem Verhalten kriminalisieren würde. Ein Staat mit toleranten und freiheitlichen Attributen sollte sein Strafrecht nicht dazu verwenden, um Verhaltensweisen zu sanktionieren, die einerseits zwar die moralischen Sensibilitäten einiger Menschen tangieren, andererseits sonst jedoch keinem Schaden zufügen.117 Die Kritik am § 217 StGB basiert – wie bereits ausgeführt – ebenfalls auf einer mangelnden Trennung von Recht und Moral.118
5. Systemwidrigkeit Auf die Systemwidrigkeit des § 217 StGB wurde in dieser Arbeit bereits hingewiesen.119 Nur, um auch diesen Punkt hier als Grund einer Abschaffung noch zu erwähnen: Mit § 217 StGB wird eine Teilnahme an einer Haupttat unter Strafe gestellt, welche per se nicht strafbar ist. Dies ist dem Beteiligungsrecht des StGB fremd, da es im Widerspruch zum Grundsatz der Akzessorietät steht. Durch diesen dogmatischen Einwand wird zugleich der Mangel an einem legitimen Schutzinteresse verdeutlicht: Durch die freiwillige und selbständige Entscheidung des Sterbewilligen über sein Leben, die ihm seitens der Rechtsordnung nicht verwehrt wird, liegt keine Verletzung eines schützenswerten Rechtsguts durch ihn vor.120 Die autonome Disposition des Menschen schließt in der Regel auch seine Freiheit ein, die Einwilligung in die Tötung durch einen anderen zu erteilen, wobei zuzugeben ist, dass sich .diese Autonomie nicht mit § 216 StGB vereinbaren lässt.121 Die Vorschrift des § 217 StGB zeigt sich als bevormundender Eingriff in die Autonomie.122 Aus all den genannten Argumenten wäre es durchaus zu rechtfertigen, den aufgehobenen § 217 StGB nicht durch eine andere Regelung zu ersetzen. Allein: Was bliebe dann? Wir erinnern uns, dass Ausgangspunkt der Diskussionen die fehlende Regelung der Sterbehilfe in Deutschland war. Zusammengefasst zeigte sich die Norm des § 217 StGB als gesetzgeberische Antwort auf das Vorgehen diverser Organisationen, die Angebote zur Sterbehilfe unterbrei117 118 119 120 121 122
Hoven, ZStW 2017, 334 (343). Hoven, ZStW 2017, 334 (343). Siehe z.B. die Ausführungen im 4. Kapitel A) VII. Hoven, ZIS 2016, 1 (7). Hoven, ZIS 2016, 1 (3, 8). Hoven, ZStW 2017, 334 (347).
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ten. Dabei bestand die Befürchtung, hierdurch falsche Signale an bestimmte Personenkreise auszustrahlen, denn mit der womöglich steigenden Anzahl an Suizidfällen aufgrund organisierter Strukturen könnten sich in erster Linie alte und kranke Menschen geradezu zum Suizid „genötigt“ fühlen. Dies könnte bei ihnen den Gedanken aufkommen lassen, dass der Suizid unter Beihilfe solcher Organisationen die zu bevorzugende Alternative dazu darstellt, ihren Angehörigen oder der Gesellschaft zur Last zu fallen.123 Sofern es jedoch bereits von vornherein an einer derartigen Alternative der Sterbehilfe mangelt, sollen derartige Überlegungen gar nicht erst entwickelt werden können.124 Die Befürchtungen mögen dahingestellt bleiben – was nicht entfiele, wenn der aufgehobene § 217 StGB nicht durch eine wirksame Norm ersetzt würde, wären wiederum die Diskussionen darüber. Diese würden wieder aufflammen, nur um die Variante einer weiteren Möglichkeit, sie zu regeln, verschärft. Die Norm des § 217 StGB hätte dann eben nicht funktioniert. Sofern die aufgehobene Norm des § 217 StGB nicht ersetzt wird, wären wir wieder an den Ausgangspukt der Diskussionen im Jahre 2015 (und früher)125 zurückversetzt. Doch gerade dieser damalige Zustand hat die Notwendigkeit heraufbeschworen, die Sterbehilfe strafgesetzlich zu regeln. Ein alternativloses Zurück kann es mithin nicht geben. Allein die Aufhebung der Vorschrift des § 217 StGB, ohne sie durch eine wirksame Vorschrift zu ersetzen, kann also nicht als mögliche Lösung angesehen werden. Eine Möglichkeit wäre jedoch, mittels Auslegung diese Vorschrift auf einen rational nachvollziehbaren Kern zu begrenzen.126
II. Umgestaltung in eine Ordnungswidrigkeit nach Roxin Bereits kurz nach Einführung des neuen § 217 StGB hat Roxin sich dazu in einem Aufsatz kritisch geäußert.127 Er nimmt darin zunächst auf die ein oder andere kritische Stimme in der Entwurfsdebatte zum § 217 StGB Bezug, um
123 Rostalski, JuS-Kurzinterview, https://rsw.beck.de/docs/librariesprovider51/nldocs/jus_ interview_rostalski.pdf?sfvrsn=58746c4c_2 [Fassung vom 30.12.2019]. 124 Vgl. Duttge, NJW 2016, 120 (121). 125 Siehe die Ausführungen im 2. Kapitel A) „Reformbewegungen vor 2015“ und B) „Gesetzgebungsverfahren 2015“. 126 Siehe beispielhaft die restriktive Auslegung von Weigend / Hoven, ZIS 2016, 681 (691). 127 Roxin, NStZ 2016, 185.
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zu schlussfolgern, dass die Debatte „nachdem der Gesetzgeber sein Wort gesprochen hat“128, noch lange nicht vorbei sei. Ausgehend vom Schutzzweck der Norm statuiert Roxin – und diese Ansicht wird hier durchaus geteilt –, dass jedem Menschen das Recht zustehe, über Zeitpunkt und Art seines Sterbens selbst zu entscheiden. Eine solche Ansicht, so Roxin, teile auch der Gesetzgeber, wie es nun an § 1901a BGB zu erkennen sei.129 Ebenso führt er die Ansicht des EGMR130 an, wie sie in dieser Arbeit bereits oben131 diskutiert wurde. Einen sehr interessanten Aspekt, der für die freie Verfügbarkeit des Lebens spricht, erwähnt Roxin überdies: „Die grundgesetzlich garantierte Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) gestattet keine theologisch fundierten Verbote, und die Menschenwürde ist ein Abwehrrecht und dient nicht der Einschränkung selbstbestimmten Handelns.“132
Im Weiteren stimmt Roxin der Ansicht von Reimer zu, demzufolge „das Recht auf Leben dieses konkreten Suizidenten ein staatliches Verbot der Suizidhilfe nicht mehr rechtfertigen [kann]“.133 Nach Roxin ist es daher nahezu unmöglich, ein Rechtsgut zu ermitteln, welches durch die Bestrafung geschäftsmäßiger Suizidförderung Schutz erfährt.134 Davon abgesehen kritisiert Roxin den neuen § 217 StGB in drei Punkten:
1. Pönalisierung im Rahmen des Strafrechts Laut seiner Auffassung stellt die Pönalisierung bekanntermaßen das weitreichendste Eingriffsmittel dar, das dem Staat zur Verfügung steht. Sofern sonstige Sanktionen wie die von ihm präferierte Einstufung als Ordnungswidrigkeit dieselbe Verhinderungswirkung aufwiesen und den Unwertgehalt des verbotenen Tuns ebenso dokumentierten, liege bei einer Kriminalisierung ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe dar, welcher als Element des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang besitze. Demgemäß führt Roxin aus, dass die organisierte Suizidhilfe unzweifelhaft auch durch eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit unterbunden werden könne. Darüber hinaus sprächen der mögliche Täterkreis, die Möglichkeit der staatlichen 128 129 130 131 132 133 134
Roxin, NStZ 2016, 185. Roxin, NStZ 2016, 185. EGMR NJW 2013, 2953 Ls. 3. Siehe die Ausführungen im 4. Kapitel D) I. Roxin, NStZ 2016, 185.(186). Reimer, ZfL 2015, 66 (73). Roxin, NStZ 2016, 185.(186).
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Kontrolle sowie der Mangel eines durch die Suizidhilfe verletzten konkreten Rechtsguts eher dafür, auf eine Strafdrohung zu verzichten.135 In die vergleichbare Richtung zielt auch Hilgendorf, der eine zivil- und/oder verwaltungsrechtliche Regulierung präferiert, weil kein Bedarf einer strafrechtlichen Regulierung von Sterbehilfeorganisationen existiere.136 Auch Hecker ist der Ansicht, dass „das im Gemeinschaftsinteresse liegende und verfassungsrechtlich legitime Ziel, suizidwillige Personen vor einer übereilten oder fremdbestimmten Umsetzung ihres Sterbewunsches zu schützen, […] bereits durch die Schaffung verwaltungsrechtlicher Regelungen erreicht werden [kann], in denen Standards für die Erbringung organisierter Sterbehilfe vorgegeben werden“.137 Die Auffassung, eine Ahndung im Ordnungswidrigkeitenrecht sei ausreichend, ist jedoch abzulehnen. Die Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht ist in quantitativer Hinsicht dadurch zu treffen, dass sich das Ordnungswidrigkeitenrecht auf weniger schwere Beeinträchtigungen von geschützten Interessen bezieht und es lediglich Geldbußen, aber keine Strafen verhängen kann. Umstritten ist zwar schon seit langem, ob auch eine qualitative Differenz zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht anzuerkennen ist. Immerhin lässt sich das Bemühen des Gesetzgebers erkennen, „den mit der Kriminalstrafe verbundenen Vorwurf auf solche Taten zu beschränken, die über die Interessenverletzung hinaus durch einen besonderen sozialethischen Unwertgehalt gekennzeichnet sind“.138 Insofern ist Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht in einer gemischt quantitativen-qualitativen Betrachtungsweise voneinander abzugrenzen, die auf Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitskriterien abstellt.139 Diese Begriffe zeichnen sich allerdings durch Unschärfe aus, weil sie Wertungs- und Prognosebegriffe sind, und lassen dem Gesetzgeber mithin einen verantwortungsvoll auszufüllenden Ermessensspielraum.140 Der Zweck des § 217 StGB besteht darin, sowohl das Rechtsgut „Leben“ als auch das Selbstbestimmungsrecht des Erkrankten zu schützen. Diese Rechtsgüter sind in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG 135 Roxin, NStZ 2016, 185 (188). 136 Hilgendorf, JZ 2014, 545 (551), demzufolge aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Ahndung durch Polizeirecht nur in den Fällen nicht mehr ausreichend sein könnte, in denen die Sterbehilfe-Aktivitäten auf Gewinnsucht oder Ausnutzen einer Zwangslage des Erkrankten in Bereicherungsabsicht beruhten. 137 Hecker, GA 2016, 455 (467). 138 Schönke / Schröder-Kinzig, StGB, Vorbem. zu §§ 38 ff. Rn 37. 139 Schönke / Schröder-Kinzig, StGB, Vorbem. zu §§ 38 ff. Rn 37. 140 Mitsch-Rogall, OWiG, Vorbem. Rn 2.
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verfassungsrechtlich gewährleistet. Die Rechtfertigung der Inanspruchnahme des Strafrechts ist gegeben, soweit der Schutz von ganz elementaren Gemeinschaftsgütern wie Leben und Selbstbestimmung in Rede steht und dieser Schutz weiter reicht als das Interesse im Einzelfall, also z.B. wie durch den Erlass der Norm des § 211 StGB, bei dem die Bestrafungsnotwendigkeit gegenüber dem Täter im Interesse der Allgemeinheit liegt. Zur Einschlägigkeit des Strafrechts ist erforderlich, dass sich die vorbereitende Handlung selbst als schuldhaftes Unrecht zeigt und nicht erst die spätere Rechtsgutverletzung. Eine spezielle Verbindung zur zukünftigen Rechtsgutverletzung und mithin eigenständiges Unrecht ist darin zu erkennen, „dass durch das vollständige Verbot des geschäftsmäßigen Vorhaltens der Gelegenheit zur Selbsttötung der Anschein ihrer Normalität unterbunden und damit jede hierdurch mögliche Beeinträchtigung des freien Willens verhindert wird“.141 Die Norm des § 217 StGB bezieht sich daher keineswegs auf staatliche Intervention, die in den Zuständigkeitsbereich des Polizei- und Ordnungsrechts fallen würde. Vielmehr steht das konkrete Verbot des Vorhaltens von Suizidangeboten im Mittelpunkt.142 Gegen die Ahndung als Ordnungswidrigkeit kann ferner die Nähe zu den Vorschriften der §§ 211 ff. StGB herangeführt werden. Vor der Prüfung der Verwirklichung des § 217 StGB muss nämlich zunächst eruiert werden, ob überhaupt ein Selbstmord oder die Fremdtötung eines Lebensmüden vorliegt bzw. beabsichtigt war. Wenn der Suizidhelfer die Grenze zur aktiven Tötung überschreitet, da ihm die ausschlaggebende Tatherrschaft zukommt, geht es um die Frage der Tatbestandsmäßigkeit der §§ 211 ff. StGB und zumeist um die des § 216 StGB.143 Als Exkurs zeigt ein Blick ins benachbarte deutschsprachige Ausland zudem, dass sowohl die Schweiz als auch Österreich in Art. 115 schweizStGB und § 78 österrStGB eine vergleichbare Regelung in ihren Strafgesetzbüchern verortet haben. Diese Staaten haben sich daher ebenfalls für eine Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in ihrem jeweiligen StGB und gegen eine Verortung im Polizei- und Ordnungswidrigkeitenrecht entschieden.
2. Absicht der geschäftsmäßigen Förderung Ferner bestreitet Roxin die Geeignetheit des Abstellens auf die Geschäftsmäßigkeit als Verbotskriterium. Die Vermeidung von nicht gewollten Suizidanreizen als originäre Ratio des Verbots werde durch den Begriff der 141 Wörner, NK 2018, 157 (170). 142 Wörner, NK 2018, 157 (170 f.). 143 Vgl. Gaede, JuS 2016, 385 (388).
Sechstes Kapitel: Auswege aus dem medizinischen Dilemma
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Geschäftsmäßigkeit nicht erreicht. Überdies sei dieses Kriterium unklar und rufe Beweisschwierigkeiten hervor. So könne z.B. bei einer erstmaligen Suizidhilfe nur schwerlich bewiesen werden, dass der Täter auch in Zukunft noch derartige Taten plane, und sei zudem nicht rational erklärbar, wieso jemand, der häufiger ohne Fortsetzungsplan Sterbehilfe gebe, aufgrund mangelnder Geschäftsmäßigkeit nicht bestraft werde, während sich jemand mit einmaliger Fortsetzungsabsicht strafbar mache. Schließlich erreiche das Gesetz mittels der Pönalisierung der Vorbereitung einer geschäftsmäßigen Suizidförderung nicht das eigentliche Ziel der Verhinderung dessen, „dass Menschen ein Anreiz zur Suizidbegehung geboten wird, die ohne diesen Anreiz am Leben geblieben wären und den Weg zu einem sinnvollen Weiterleben hätten finden können“.144 Mit dem Erfordernis der Geschäftsmäßigkeit ist allerdings keine bestimmte Anzahl von Förderhandlungen angesprochen. Vielmehr geht es um die Qualität dieser Handlung.145 Nach der Gesetzesbegründung handelt bereits derjenige geschäftsmäßig, der eine Handlung erstmalig vornimmt, sofern dies „den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt“.146 Die Geschäftsmäßigkeit liegt dabei nicht nur dann vor, wenn Täter aus Suizidvereinen die verbotene Handlung als Art Hauptberuf betrachten, sondern auch, wenn Ärzte und Angestellte aus der Palliativmedizin entsprechend tätig werden.147 Ferner darf der Ausdruck der Geschäftsmäßigkeit nicht mit dem der Gewerbsmäßigkeit gleichgesetzt werden.148 Die Beweisproblematik darf kein Hinderungsgrund sein, denn zum einen können derartige Probleme z.B. auch in der Abgrenzung zwischen Mord gem. § 211 StGB und Totschlag gem. § 212 StGB bei der Umfassung des Vorsatzes von Mordmerkmalen auftreten und zum anderen müsste auch der Vorwurf der Ordnungswidrigkeit bewiesen werden.
3. Problematik des ärztlich assistierten Suizids Der weiteren Ansicht von Roxin zufolge besteht selbst dann, wenn die Suizidförderung durch Selbsthilfevereine abgelehnt werde, in ausweglosen Fällen ein Bedürfnis der expliziten Zulassung eines ärztlich assistierten 144 145 146 147
Roxin, NStZ 2016, 185 (189). Duttge / Simon, NStZ 2017, 512 (515). BT-Drs. 18/5373, S. 17. Vgl. Taupitz, in: Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Assistierter Suizid: Der Stand der Wissenschaft, S. 115 (120). 148 Grünewald, JZ 2016, 938 (941).
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Suizids. Es sei nämlich unmenschlich, die unheilbar kranken Menschen der Selbsthilfe oder dem Beistand von Laien zu überlassen, obwohl nur ein Arzt für einen schmerzlosen Tod sorgen könne. Zudem sei bereits heute die Zulässigkeit von lebensverkürzenden Maßnahmen im Rahmen der ärztlichen Sterbebegleitung zu bejahen, sofern ein entsprechender Wunsch und Wille des verantwortlichen Patienten gegeben seien. Darüber hinaus könne der behandelnde Arzt am besten die Einsichts- und Verantwortungsfähigkeit des sterben wollenden Patienten einschätzen. Überdies trete eine suizidprophylaktische Wirkung ein, falls die Suizidhilfe ausschließlich in die Hände dieses behandelnden Arztes gelegt werde, da dieser alles Machbare unternehmen werde, um dem Patienten wieder Lebenswillen und lebenswerte Alternativen zu vermitteln. Bei dieser Beschränkung auf den Arzt verlasse der Vorgang auch nicht den Privatbereich, während bei der Einschaltung von Sterbehilfevereinen eine in die Öffentlichkeit ausstrahlende Anreizwirkung vorliege. Ohnehin seien solche Organisationen überflüssig, da der unheilbar Kranke sich eben an seinen vertrauten Arzt wenden könne.149 Diese Argumente sprechen nach der Meinung von Roxin für die gesetzliche Zulassung einer ärztlichen Suizidassistenz. Die Regelung des § 217 StGB entspreche diesem Bedürfnis indes nicht, weil „weder der Gesetzestext noch seine Begründung“ […] eine Straflosigkeit oder gar ausdrückliche Erlaubtheit eines ärztlich assistierten Suizides mit hinreichender Deutlichkeit erkennen [lassen]“.150 Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass die indirekte Sterbehilfe weiterhin erlaubt ist. Außerdem kann sich eine Suizidbeihilfe durch einen Arzt als Widerspruch zu dessen Berufsrecht erweisen.151 Nach § 16 S. 3 MBO-Ä dürfen Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Hierbei wird nicht verkannt, dass die MBO-Ä keine Rechtsverbindlichkeit aufweist, sondern nur als Rechtsempfehlung zu charakterisieren ist.152 Eine Art Straferlass, nur weil jemand als Arzt infolge guter Ausbildung über ein medizinisches Fachwissen verfügt, kann nicht anerkannt werden. Außerdem besteht auch bei Ärzten ebenso wie bei Suizidvereinen die Gefahr, dass sie bei der Suizidbeihilfe eine Geschäftsmäßigkeit entwickeln.
149 150 151 152
Roxin, NStZ 2016, 185 (189 f.). Roxin, NStZ 2016, 185 (190). Gaede, JuS 2016, 385 (389). Kuhli, ZStW 2017, 691 (711).
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III. Lösungswege in den Niederlanden In den Niederlanden gilt seit 2002 das Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung.153 Grundsätzlich ist auch in den Niederlanden die aktive Sterbehilfe verboten. Artikel 293 Abs. 1 des niederländischen Strafgesetzbuches lautet: „Wer vorsätzlich das Leben eines anderen auf dessen ausdrückliches und ernstliches Verlangen hin beendet, wird mit Gefängnisstrafe bis zu zwölf Jahren oder mit einer Geldstrafe der fünften Kategorie bestraft.“154
Ebenso verhält sich dies mit der Beihilfe zur Selbsttötung, Artikel 294: „Wer einen anderen vorsätzlich zur Selbsttötung anstiftet, wird, wenn die Selbsttötung vollzogen wird, mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft. Wer einem anderen vorsätzlich bei der Selbsttötung behilflich ist oder ihm die dazu erforderlichen Mittel verschafft, wird, wenn die Selbsttötung vollzogen wird, mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft.“155
Das oben benannte Gesetz hat jedoch Erleichterungen eingeführt für den Fall, dass derjenige, der aktive Sterbehilfe (Art. 293) oder Beihilfe zum Suizid (Art. 294) leistet, ein Arzt ist. Bis zur Einführung dieses Gesetzes waren jedoch, ebenso wie in Deutschland, vielfältige Diskussionen zu verzeichnen.
1. Zur historischen Entwicklung in den Niederlanden Die Diskussionen fanden ihren Anstoß im Buch „Medizinische Macht und Medizinische Ethik“156 des Arztes und Wissenschaftlers Jan Hendrik van den 153 „Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding“ In seiner aktuellen Version zu finden unter https://wetten.overheid.nl/BWBR0012410/2018-08-01. 154 „Hij die opzettelijk het leven van een ander op diens uitdrukkelijk en ernstig verlangen beëindigt, wordt gestraft met een gevangenisstraf van ten hoogste twaalf jaren of geldboete van de vijfde categorie.“; https://wetten.overheid.nl/BWBR0001854/2012-0509/1/BoekTweede/TiteldeelXIX/Artikel293/afdrukken, Übersetzung laut http://www. dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/euthanasie.pdf [Fassung vom 2.8.2020]. 155 „Hij die opzettelijk een ander tot zelfdoding aanzet, wordt, indien de zelfdoding volgt, gestraft met een gevangenisstraf van ten hoogste drie jaren of geldboete van de vierde categorie“. https://wetten.overheid.nl/BWBR0001854/2021-07-01 „Hij die opzettelijk een ander bij zelfdoding behulpzaam is of hem de middelen daartoe verschaft, wordt, indien de zelfdoding volgt, gestraft met een gevangenisstraf van ten hoogste drie jaren of geldboete van de vierde categorie.“ https://wetten.overheid.nl/BWBR0001854/202107-01 ;Übersetzung laut http://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/euthanasie.pdf [Fassung vom 2.8.2020]. 156 Van den Berg, Medische macht en medische ethiek.
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Erster Teil
Berg, erschienen erstmals im Jahr 1969. In diesem Buch widmete er sich als einer der Ersten den enorm gestiegenen medizinischen Möglichkeiten und den damit verbundenen ethischen Fragen. Van den Berg geht darin in seiner Auffassung sehr weit. Anhand des Beispiels Contergan-geschädigter Kinder legt er u.a. dar, dass „eine tödliche Injektion“ durchaus das ärztlich gebotene Handeln sein könne.157 Er beginnt also sogleich mit dem Extremfall: Der Sterbende ist minderjährig, nicht (mehr) einwilligungsfähig und es geht um aktive Sterbehilfe. Eine Diskussion, die – betrachtet man die deutsche Geschichte – so in unserem Land nie stattgefunden hätte – und das, wenn man weitere Argumente van den Bergs betrachtet, aus gutem Grund. Unabhängig von seinen Schlussfolgerungen ist für die vorliegende Arbeit vor allem die Perspektive dieses Werks bemerkenswert: Hier geht es nicht primär um die Rechte und Freiheiten von Patienten am Lebensende. Die Diskussion in den Niederlanden beginnt unmittelbar mit den Rechten, Pflichten und Möglichkeiten des behandelnden Arztes. Die Entwicklung der gerichtlichen Entscheidungspraxis in den Niederlanden lässt sich vor allem an drei Fällen darstellen:
a) Der Fall von Geertruida Postma Im Jahre 1971 injizierte Dr. Geertruida Postma158 ihrer Mutter Morphium und Curare, eine Sammelbezeichnung für verschiedene alkaloidhaltige Substanzen aus Brechnuss-Arten und Mondsamengewächsen,159 in einer Dosierung, die zum Tod der Patientin führte. Bei mehreren Gelegenheiten hatte die Patientin ihre Tochter „ernstlich bestimmt“160, ihr Leben zu beenden. Sie hatte eine Gehirnblutung erlitten, nach der sie kaum sprechen, hören und sich aufrichten konnte. Dr. Postma wurde nach Artikel 293 des niederländischen Strafgesetzbuchs angeklagt. Im Jahre 1973 befand das Leeuwardener Strafgericht Dr. Postma für schuldig, verfügte jedoch nur eine einwöchige Strafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, wobei die Bewährungsfrist ebenfalls nur eine Woche betraf. Das Gericht wies darauf hin, dass ein Arzt unter bestimmten Umständen schmerzstillende Medikamente verabreichen könne, die zum 157 Van den Berg, Medische macht en medische ethiek, S. 28. 158 Nederlandse Jurisprudentie 1973, no. 183, District Court of Leeuwarden, 21, February 21, 1973. 159 Pelt, Die Geheimnisse der Heilpflanzen, S. 100. 160 Nederlandse Jurisprudentie 1973, no. 183, District Court of Leeuwarden, 21, February 21, 1973, – „op het uitdrukkelijk en ernstig verlangen“.
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Tod des Patienten führen würden, vorausgesetzt, das Ziel der Behandlung sei die Linderung von physischen oder psychischen Schmerzen infolge einer unheilbaren Krankheit. In diesem Fall bestand das Hauptziel von Dr. Postma jedoch darin, den Tod der Patientin herbeizuführen. Das Gericht formulierte in seinem Urteil Voraussetzungen für die indirekte Sterbehilfe: Erstens handelt es sich um eine Patientin, die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls als unheilbar gilt – unabhängig von der Dauer des „Auf- und Niedergangs“161. Zweitens ist ihr körperliches oder geistiges Leiden für die Patientin subjektiv unerträglich oder schwerwiegend. Drittens hat die Patientin zu erkennen gegeben, dass sie das Leben beenden oder zumindest von ihrem Leiden befreit werden möchte. Das kann auch schriftlich im Voraus geschehen sein. Viertens hat die Sterbeperiode der Patientin begonnen oder sich nach medizinischer Einschätzung angekündigt. Fünftens ist das Eingreifen eines Arztes, nämlich des behandelnden Arztes oder Facharztes erforderlich, oder es erfolgt in Absprache mit diesem Arzt. Ebenso sei es allgemein anerkannt, dass dann durch den behandelnden Arzt bewusst in Kauf genommen werde, dass der beabsichtigte Zweck, nämlich die Linderung, eine Lebenszeitverkürzung für die Patientin mit sich bringe. Die Punkte Eins bis Fünf sah das Gericht hier – entsprechend des Antrags des Verteidigers von Frau Dr. Postma – als gegeben an. Es verneinte allerdings die letzte Voraussetzung, die Anwendung durch den Arzt zur Leidenslinderung. Hier sei es Frau Dr. Postma gerade um die Herbeiführung des Todes gegangen. Im selben Jahr gab die Königliche Niederländische Ärztevereinigung (KNMG) eine Erklärung heraus, in der sie die Beibehaltung von Art. 293 des niederländischen Strafgesetzbuchs unterstützte. Gleichzeitig argumentierte sie jedoch, die Verabreichung von schmerzlindernden Medikamenten und die Zurückhaltung oder der Entzug oder die vergebliche Behandlung seien auch dann gerechtfertigt, wenn der Tod eintrete. Auf Initiative von Ärzten und mit Unterstützung der niederländischen Ärztekammer folgten weitere Fälle, in denen die Grenzen erweitert und die Bedin-
161 Nederlandse Jurisprudentie 1973, no. 183, District Court of Leeuwarden, 21, February 21, 1973, S. 1, in der Zusammenfassung des Gerichts dargestellt.
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gungen weiter liberalisiert wurden, unter denen aktive Sterbehilfe und Suizidbeihilfe, obwohl weiterhin illegal, nicht bestraft wurden.162
b) Der Fall von Frau Schoonheim Das Alkmaar-Urteil163 des niederländischen Obersten Gerichts von 1984 betraf Frau Schoonheim, eine 95-jährige bettlägerige Patientin, die kurz vor ihrem Tod weder essen noch trinken konnte und vorübergehend das Bewusstsein verlor. Die Patientin bat ihren Arzt um Sterbehilfe, der sich sodann mit einem anderen Arzt absprach. Letzterer hielt es genau wie sein Kollege für unwahrscheinlich, dass die Patientin wieder gesund werde. Der entscheidende Punkt in diesem Fall war, dass die Patientin an einer chronischen und nicht an einer unheilbaren Krankheit litt. Der zuständige Arzt wurde von einem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht wegen einer Straftat nach Art. 293 des niederländischen Strafgesetzbuchs verurteilt, wobei aber keine Strafe verhängt wurde. Man ging dabei von einer „medizinischen Ausnahme“ (medische exceptie) aus. Nach der Lehre der medizinischen Ausnahme sollte ein lege artis handelnder Arzt gar nicht erst den Tatbestand der Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte erfüllen.164 Im Berufungsverfahren hob der Oberste Gerichtshof die Verurteilung auf und erläuterte, grundsätzlich sei Sterbehilfe (zwar) strafbar, wenn ein Arzt jedoch mit einem Widerspruch seiner diversen Pflichten konfrontiert werde, so könne dies als Fall der „overmacht“ – deutsch: der höheren Gewalt – angesehen werden. Diese ist in § 40 des niederländischen Strafgesetzbuches geregelt.165 Eine Strafbarkeit scheidet danach aus, wenn ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Ein solcher Fall sei gegeben, wenn der Arzt aufgrund seiner ethischen Einstellung und seines Mitgefühls für den Patienten sich dazu verpflichtet fühle, gegen das Strafrecht zu verstoßen.166 Diese Aussage wurde in diesem Verfahren auch wiederum durch eine Stellungnahme der KNMG unterstützt. Bei Art. 40 des niederländischen Strafgesetzbuches handelt es sich um eine Regelung, die dogmatisch einem deutschen Strafausschließungsgrund ent162 Vgl. z.B. Smies, Across Borders International Law Journal, 7 (2004). 163 Nederlandse Jurisprudentie 1985, no. 106. 164 Wöretshofer, Volgens de regelen van de kunst, S. 209; Anjewierden, Strafrecht en euthanasie (Ars Aequi cahiers), S. 13 f. (mit Beispielen). 165 „Niet strafbaar is hij die een feit begaat waartoe hij door overmacht is gedrongen“. 166 Nederlandse Jurisprudentie 1985, no. 106.
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spricht. Es ist ausdrücklich geregelt, dass die Strafbarkeit in solchen Fällen von vornherein entfällt. Im Alkmaar-Fall wurde klargestellt, dass „overmacht“ in diesem Fall den Konflikt des Arztes regelt, der zwischen seinen berufsrechtlichen Vorgaben und dem Wissen um das Leid seiner Patienten entsteht. Die höhere Gewalt stellt sich dar wie eine Art des rechtfertigenden Notstandes, auf den sich nur Mediziner berufen können. Auch hier fällt wiederum auf, dass – im Gegensatz zu Deutschland – der Fokus der Diskussion ganz klar auf der Ärzteschaft, deren Pflichten und Konflikte liegt – eine Perspektive, die der deutschen Diskussion auch zu empfehlen wäre. Eine Fokussierung auf den Patienten und sein Leid erscheint im ersten Anschein nachvollziehbar – es darf aber nicht vergessen werden, dass der medizinisch ausgebildete Arzt hier das größere Fachwissen hat und den unemotionalen Überblick sowohl über den Verlauf einer Erkrankung als auch alternative Behandlungsmöglichkeiten. Der Arzt ist hier also der objektive(re) Entscheider; und letztlich wird diesem, wenn er den Patienten beim Sterben – in welcher Form auch immer – unterstützen soll, auch die Verantwortung in einem hohen Maße aufgebürdet.
c) Der Chabot-Fall Der sogenannte Chabot-Fall führte zu einem weiteren Durchbruch in Bezug auf die oben genannte Verteidigungsstrategie der „höheren Gewalt“. Eine fünfzigjährige Patientin, Frau Netty Boomsma, hatte eine lange Vorgeschichte: Depressionen, eine gewaltsame Ehe und ihre beiden Söhne waren gestorben, einer durch Selbstmord und einer durch Krebs. Ihr Leiden war hauptsächlich psychischer Natur. Nach dem Tod des zweiten Sohnes entschloss sie sich, Selbstmord zu begehen, und wandte sich an die Niederländische Föderation für freiwillige Sterbehilfe, die sie an Dr. Boudewijn Chabot verwies. Dr. Chabot diagnostizierte, dass sie an schwerem und hartnäckigem seelischem Leiden leide. Er konsultierte eine Reihe seiner Kollegen, von denen jedoch keine Frau Boomsma persönlich untersuchte. Im September 1991 half Dr. Chabot Frau Boomsma, Selbstmord zu begehen, indem er eine tödliche Dosis von Medikamenten verschrieb. Er meldete ihren Tod dem Gerichtsmediziner.167 Dr. Chabot wurde nach Art. 294 des niederländischen Strafgesetzbuches verfolgt. Er versuchte wiederum, sich auf die oben dargestellte Verteidigung der „overmacht“ zu beziehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Oberste Gerichtshof entschieden hat, dass der Strafausschließungsgrund der höheren Gewalt nicht schon deshalb ausscheidet, weil die Ursache des Leidens 167 So dargestellt in NJ 1994, 656 Rn 9.2.
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eines Patienten psychiatrischer Natur ist. Die Verteidigung scheiterte jedoch aus einem anderen Grund: Der Patient müsse von einem unabhängigen medizinischen Experten untersucht werden. Dr. Chabot hatte sieben Kollegen um medizinische Gutachten gebeten, aber keine hatte Frau Boomsma tatsächlich gesehen. Deshalb wurde Dr. Chabot im Juni 1994 einer Straftat nach Art. 294 des niederländischen Strafgesetzbuchs für schuldig befunden. Der Oberste Gerichtshof lehnte jedoch die Verhängung einer Strafe ab, obwohl Dr. Chabot im Februar 1995 einen Verweis von einem medizinischen Disziplinargericht erhielt. Festzuhalten bleibt, dass hier erstmals ein Gericht über einen Fall von Sterbehilfe entschieden hat, die für eine körperlich gesunde Patientin geleistet wurde. Jedoch litt sie wohl unter einer sog. „major depression“, einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung also, für welche keine Aussicht auf Besserung bestand. Kritiker der Sterbehilfe in den Niederlanden könnten dies durchaus als Hinweis darauf deuten, dass hier ein Dammbruch stattfände. Denn in diesem Fall wurde der Schritt zur Suizidhilfe für Personen mit physischer Erkrankung zur Suizidhilfe für Personen mit psychischer Erkrankung vollzogen, wobei sich im letzteren Fall ganz andere Probleme stellen, insbesondere natürlich das der Einsichtsfähigkeit der Patientin zum Zeitpunkt der Suizidhilfe. Im Laufe der Zeit könnte sich die Gefahr verwirklichen, dass alle Sterbewilligen „über einen Kamm geschert werden“ mit der Folge, dass wie bei „nur“ physisch Erkrankten die Frage ihrer vorhandenen Einsichtsfähigkeit gar nicht mehr so im Mittelpunkt steht.
2. Weitere Entwicklung Als Reaktion auf die mittlerweile aufgeheizte Diskussion um Sterbehilfe in den Niederlanden wurde damals eine erste Studie zur Praxis der Sterbehilfe in Auftrag gegeben. Damit die gesammelten Informationen so genau und detailliert wie möglich waren, wurde den Ärzten sowohl Immunität als auch Anonymität in Bezug auf ihre Antworten auf die entsprechenden Fragen zugesagt. Diese erste von der niederländischen Regierung am 10. September 1991 veröffentlichte Studie ergab, dass durch Ärzte verursachte Todesfälle mehr als 9,1 Prozent der jährlichen Todesfälle ausmachten. Von diesen Todesfällen stammten 2.300 aus der aktiv angefragten Sterbehilfe – also dem Bereich des Art. 293 des niederländischen Strafgesetzbuches, 400 aus dem assistierten Suizid – Art. 294 des niederländischen Strafgesetzbuchs – und 1.030 (durch-
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schnittlich ca. 3 pro Tag) starben an Sterbehilfe, die ohne Wissen oder Zustimmung der Patienten verabreicht wurde.168 Insbesondere diese ca. 1.000 Fälle „nichtfreiwilliger Euthanasie“169 führten im In- und Ausland zu Diskussionen: Zum einen mit Blick auf die Praxis der Euthanasie selbst, zum anderen in Bezug auf die dafür gegebenen gesetzlichen Regelungen. Die Remmelink-Kommission empfahl in ihrem Abschlussbericht vom September 1991, die „Euthanasie“ formal nicht zu legalisieren, jedoch das Bestattungsgesetz so zu ändern, dass bei Einhaltung gewisser Verfahrensregeln gemeldete Fälle von „Euthanasie“ und Beihilfe zum Suizid nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten. Damit sollte ein bis dato noch nicht formalisiertes Meldeverfahren im Falle der Sterbehilfe im Bestattungsgesetz geregelt werden. Geändert wurde der Art. 10 des entsprechenden Gesetzes, der dann wiederum den Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung ermöglichte, die am 17. Dezember 1993 erlassen wurde und die exakten Voraussetzungen der Meldung eines Falles von Suizidbeihilfe enthielt.170 Das Parlament verabschiedete einen entsprechenden Gesetzesentwurf, eingebracht im Jahr 1992, bereits im Februar 1993. Das Gesetz trat nach Senatszustimmung am 1. Juni 1994 in Kraft. Danach sind Artikel 293 und 294 des niederländischen Strafgesetzbuchs weiterhin gültig – ein Arzt bleibt allerdings straffrei, wenn die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, dass die vorgeschriebenen Grundsätze eingehalten werden, die sich aus dem im Anhang des Bestattungsgesetzes abgedruckten Fragebogen ergeben, den der Arzt im Todesfall ausfüllen muss. Neben diesem Bogen ist eine vollständige Dokumentation vorzulegen. Es folgte eine weitere Studie, fünf Jahre später, deren Ergebnisse auch im New England Medical Journal veröffentlicht wurde.171 Auch diese zeigte ähnliche Ergebnisse wie zuvor Remmelink I, wenn auch die Zahlen generell leicht gestiegen waren. So wurden hiernach im Jahre 1995 34.500 Fälle verzeichnet, in denen für den Fall eines später irgendwann einmal eintretenden Leidens um Euthanasie oder begleiteten Suizid gebeten wurde. Im Jahre 1990 betrug dieser Wert noch 25.100. Die Anzahl der Fälle, bei denen es um ausdrückliche Wünsche ging, Euthanasie oder begleiteten Suizid zu einem konkreten Zeitpunkt zu 168 Commissie Onderzoek Medische Praktijk inzake Euthanasie, Medische Beslissingen Rond Het Levenseinde, Sdu Unitgeverij Plantijnstraat (1991), Bd. 1, S. 13. Diese Studie ist allgemein auch als der „Remmelink Bericht“ bekannt. 169 In der Literatur auch LAWER Fälle genannt – „Ending life without explicit request“. 170 Ausführlich zum Meldeverfahren Wöretshofer, TvGR 1994, 410 ff. 171 Van der Maas / van der Wal / Haverkate / de Graaff, New England Medical Journal 1996, 335: 1699 ff.
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beanspruchen, wurden für das Jahr 1995 mit 9.700 und für das Jahr 1990 mit 8.900 ermittelt. Bei den Verfahren, das Leben zu beenden, standen mit 14,7% im Jahre 1995 und 16,3% im Jahre 1990 jeweils Überdosierungen mit Opioiden an erster Stelle. Am 28. November 2000 wurde ein geänderter Antrag für ein „Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung“ eingereicht, der Anfang 2001 umgesetzt wurde: In das niederländische Strafgesetzbuch wurde je ein besonderer Rechtfertigungsgrund für den Arzt aufgenommen, „der unter Einhaltung gesetzlich festzulegender Sorgfaltskriterien die Lebensbeendigung auf Verlangen ausführt oder Hilfe bei der Selbsttötung leistet und dies dem kommunalen Leichenbeschauer […] mitteilt“; die Art. 293 und 294 des niederländischen Strafgesetzbuchs wurden um den jeweils entsprechenden Absatz ergänzt: 293(2) Die im ersten Absatz bezeichnete Tat ist nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen worden ist, der dabei die Sorgfaltskriterien im Sinne von Artikel 2 des Gesetzes über die Überprüfung von Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung erfüllt und den kommunalen Leichenbeschauer gemäß Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen informiert. 294(2) Wer einem anderen Menschen vorsätzlich bei der Selbsttötung behilflich ist oder ihm die dazu erforderlichen Mittel verschafft, wird, wenn die Selbsttötung begangen wird, mit Gefängnisstrafe bis drei Jahren oder einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft. Artikel 293 Absatz 2 gilt entsprechend.
Die Sorgfaltskriterien, die der Arzt erfüllen muss, und die bereits in den oben genannten Verfahren anklangen, wurden dabei wie folgt festgeschrieben: -
Es muss sich zur Überzeugung des Arztes um eine freiwillige und wohlüberlegte Bitte des Patienten handeln;
-
der Arzt muss davon überzeugt sein, dass das Leiden des Patienten aussichtslos und unerträglich ist;
-
der Patient muss über sonstige Behandlungsalternativen und den weiteren Verlauf seiner Erkrankung aufgeklärt sein;
-
Arzt und Patient müssen sich einig sein, dass es für die Situation des Patienten keine andere Lösung mehr gibt;
-
ein anderer Arzt muss konsultiert worden sein, der den Patienten gesehen und untersucht hat;
-
die Sterbehilfe muss medizinisch sorgfältig ausgeführt worden sein.172
172 Die Voraussetzungen dafür werden in einer Ausführungsverordnung detailliert geregelt.
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3. Übertragbarkeit in den deutschen Rechtskreis Es stellt sich die Frage, ob eine derartige Lösung auch auf Deutschland übertragbar wäre. Bei Betrachtung der einzelnen Voraussetzungen lässt sich folgendes feststellen:
a) Freiwillige und wohlüberlegte Bitte des Patienten Der Arzt muss sich davon überzeugen, dass der Patient seine Bitte freiwillig, also ohne dazu gedrängt worden zu sein, und wohlüberlegt vorbringt. Vorausgesetzt wird insbesondere, dass die Bitte ausdrücklich (egal ob mündlich oder schriftlich) erfolgt ist.173 Im Regelfall wird auch davon ausgegangen, dass die entsprechende Bitte mehrfach und wiederholt vorgetragen worden sein muss.174 Wenn der Patient selbst nicht mehr handlungsfähig ist, kann er keinen Stellvertreter zur Erklärung bestimmen. Die Leistung von Sterbehilfe unterliege nicht dem allgemeinen Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient, weshalb hier auch keine Regelung durch einen Stellvertreter getroffen werden könne.175 Allerdings kann der Patient seinen Wunsch unter bestimmten Voraussetzungen in einer Patientenverfügung äußern. All dies ist dem deutschen Rechtskreis durch die eigenen Regelungen zur Patientenverfügung vertraut – die Chancen derselben ebenso wie die Risiken. Für die passive und indirekte Sterbehilfe ist es bereits üblich, in Deutschland in entsprechenden Patientenverfügungen Rahmenbedingungen festzulegen. Sicher mag eine Erweiterung der Möglichkeiten einer Patientenverfügung auf die aktive Sterbehilfe weitere Diskussionspunkte zur Bestimmtheit der Verfügung etc. mit sich bringen. Ausgeschlossen oder gar unmöglich wäre eine solche Regelung für Deutschland aber keinesfalls.
b) Aussichtsloses und unerträgliches Leid des Patienten Der Arzt muss sich davon überzeugen, dass das Leiden des Patienten aussichtslos und unerträglich ist.176 Beachtenswert ist bei diesem wie dem zuvor genannten Kriterium wiederum, dass es immer auf die Überzeugung des Arztes ankommt. Der Arzt an sich erhält in diesem Prozess also eine verantwortungsvolle, sehr aktive Rolle. 173 Kamerstukken (Parlamentarische Papiere) TK 1998-1999, 26 691, Nr. 3, S. 8. 174 Kamerstukken TK 2000-2001, 26 691, Nr. 137b, S. 43. 175 So explizit die Minister in ihrer Begründung, Kamerstukken TK 2000-2001, 26 691, Nr. 137b, S. 18. 176 So schon das Urteil des Hoge Raad vom 21.10.1986, NJ 1987, Nr. 607.
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Aussichtslos ist eine Lage dann, wenn der Arzt als Heilender die Situation des Patienten nicht mehr verbessern kann. Eine solche Aussichtslosigkeit liegt nicht vor, sofern noch Behandlungsalternativen bestehen, die in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung des Zustandes des Patienten führen können und diesen dabei nicht außer Verhältnis belasten.177 Die Beurteilung der Unerträglichkeit liegt hingegen – verständlicherweise – beim Patienten. Was für den einzelnen Menschen erträglich ist und was nicht, lässt sich kaum objektivieren. Die Unerträglichkeit muss aber für den Arzt zumindest nach seinem medizinischen Wissen nachvollziehbar sein.178 Denn nur in diesem Fall kann er sich seine angesprochene Überzeugung bilden. Zugegebenermaßen erscheint vor allem das letzte Kriterium schwer fassbar. Allerdings gilt dies für jedwedes subjektives Empfinden des Patienten; nichtsdestotrotz haben sich Leitlinien zur Erfassung desselben entwickelt. Ein Arzt muss auch den akuten oder chronischen Schmerz eines Patienten einschätzen, er muss zwischen nozizeptivem Schmerz (Schmerz, der von speziellen Schmerzrezeptoren [Nozizeptoren] ausgeht), neuropathischem Schmerz (Schmerz, der durch eine Läsion oder eine Dysfunktion des Nervensystems verursacht wird) und funktionellem Schmerz (psychosomatische Irritationen) trennen können; hierzu wurden in Deutschland explizite Leitlinien der Beurteilung entwickelt.179 Letztlich trifft ein Arzt bei jeder Behandlung eine Einschätzung darüber, was für seinen Patienten noch erträglich ist. Die Kriterien mögen schwierig sein; das sollte eine Übertragbarkeit der niederländischen Regelungen ins deutsche Rechtssystem allerdings nicht verhindern. Überblickt man die Voraussetzungen der zulässigen Sterbehilfe in den Niederlanden, so lässt sich feststellen, dass diese sich auch gegenseitig regulieren. Es mag sein, dass in unserer heutigen Gesellschaft immer geringere Leiden als immer unerträglicher gewertet werden; ist dies der Fall, so sollte im Ausgleich dazu allerdings die Anforderung an die Unausweichlichkeit der Situation höher gewertet werden. Liegt die subjektive Schwelle der Unerträglichkeit beim Patienten besonders niedrig, ist die Anforderung an den 177 Kamerstukken, TK 1999-2000, 26 691, Nr. 6 (Nota naar aanleiding van het verslag), S. 59. 178 Kamerstukken, TK 1999-2000, 26 691, Nr. 6 (Nota naar aanleiding van het verslag), S. 60; Kamerstukken EK 2000-2001, 26 691, Nr. 137b, S. 25. 179 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Leitlinie zu Chronischem Schmerz vom 30.9.2013, https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S1-Handlungsempfehlung/053-036%20 chronischer%20Schmerz/S1-HE_Chronischer%20Schmerz_Langfassung.pdf [Fassung vom 30.12.2019].
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Arzt, zunächst alle Möglichkeiten der Linderung des Leidens voll auszuschöpfen, eben höher zu stellen.
c) Aufklärung des Patienten Die Aufklärungspflicht sei hier nur der Form halber erwähnt; eine solche Aufklärung wird schon allgemein im Arzt-Patienten-Verhältnis bei jeder sonstigen Behandlung vorausgesetzt. Im Falle der Sterbehilfe wären hieran erhöhte Anforderungen zu stellen.
d) Fehlen einer vernünftigen anderen Lösung Arzt und Patient müssen zu dem Schluss kommen, dass es keine Alternative zur Sterbehilfe mehr gibt. Die Einführung eines solchen Kriteriums in Deutschland würde vor allem diejenigen Stimmen beruhigen, die immer wieder betonen, es müssten alle Möglichkeiten der Palliativmedizin ausgeschöpft werden. Diese Voraussetzung gilt, wie an den Niederlanden zu sehen, auch im Falle der Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe. Daran, dass die niederländische Lösung sowohl die Aussichtslosigkeit der Situation als auch das Fehlen einer Alternative fordert, ist ersichtlich, dass aktive Sterbehilfe als die letzte Option gilt. Selbstverständlich kann ein Patient die mögliche Behandlung im Rahmen seiner Patientenautonomie ablehnen; dann ist, so sieht es ein Teil des niederländischen Schrifttums,180 eine aktive Sterbehilfe nicht straffrei möglich. Bereits im oben zitierten Chabot-Fall stellte das Gericht fest, dass die erforderliche Aussichtslosigkeit nicht gegeben sei, wenn eine reale Alternative, die das Leiden lindern würde, vom Sterbewilligen im Rahmen seiner Patientenautonomie abgelehnt wurde.181
e) Konsultation eines zweiten, unabhängigen Arztes Wie ebenfalls im Chabot-Fall ausgeführt, muss ein weiterer Arzt den Patienten gesehen und untersucht haben. An diesen Arzt werden diverse Anforderungen gestellt, er muss auf dem aktuellen Stand der Medizin sein, möglicherweise Erfahrung auf dem Gebiet der Sterbehilfe haben und das erforderliche Prozedere kennen.182 Dies erscheint eine gute Voraussetzung zu sein, verhindert sie doch Pseudo- und reine Freundschaftsgutachten. In Deutschland wäre eine zwingend ärztliche Fortbildung denkbar, oder auch die Gründung eines entsprechenden 180 Kamerstukken TK 1998-1999, 26 691, Nr. 3, S. 9 f. 181 Hoge Raad (21.6.1994) NJ 1994, Nr. 656, Punkt 6.6.3. 182 Kamerstukken EK 2000-2001, 26 691, Nr.137b (Memorie van antwoord), S. 48.
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Ärztenetzwerks, aus welchem ein unabhängiger Arzt zu wählen wäre. Das würde allerdings einen offenen und vorurteilsfreien Umgang mit der Problematik der Sterbehilfe voraussetzen – nicht eine moralisch geprägte Diskussion, wie sie vor und nach Einführung des § 217 StGB immer wieder geführt wurde.
f) Medizinisch sorgfältige Ausführung Die medizinisch sorgfältige Ausführung ist ein Erfordernis, dass sich grundsätzlich nach dem „de-lege-artis-Prinzip“ von selbst versteht. Insbesondere setzt es die eigenhändige Ausführung durch den Arzt und auch den Verbleib des Arztes beim Patienten bis zum Eintritt des Todes voraus.183 Sicher wären all diese Voraussetzungen auch in Deutschland möglich und umsetzbar. Denken ließen sich auch weitere Maßnahmen, wie sie z.B. der Oregon Death of Dignity Act184 vorsieht, so z.B. die psychiatrische Begutachtung des Patienten, die Erforderlichkeit der Volljährigkeit und die dringend angeratene vorherige Benachrichtigung der nächsten Angehörigen.185 Schließlich muss der Arzt nach geleisteter Sterbehilfe ein bestimmtes Meldeprozedere einhalten. Hier wird häufig kritisiert, dass die Meldung erst nach erfolgter Sterbehilfe erbracht werden muss. Zwar wird im Nachhinein das Handeln des Arztes nochmals von einer Kommission geprüft; allerdings ist dann „der Schaden schon angerichtet“. Das mag ein berechtigter Kritikpunkt sein; allerdings muss dazu gesagt werden, dass andere Länder, in welchen die aktive Sterbehilfe erlaubt ist, ein solches Meldeverfahren gar nicht kennen. Im Übrigen entspricht bzw. ersetzt dieses Verfahren die sonst bei „natürlichem Tod“ übliche Ausstellung des Totenscheines, wie ihn auch Deutschland kennt. Das Verfahren per se mag also verbesserungswürdig sein; seine generelle Existenz als Voraussetzung für die rechtfertigende Wirkung der Art. 293 Abs. 2 bzw. Art. 294 Abs. 2 des niederländischen Strafgesetzbuchs hat durchaus seine Berechtigung, dient sie doch dem transparenten Umgang mit der Sterbehilfethematik. 183 Kamerstukken TK 1998-1999, 26 691, Nr. 3, S. 10. „De toetsing van levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding en tot wijziging van het Wetboek van Strafrecht en van de Wet op de lijkbezorging (Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding)“; https://zoek.officielebekendmakingen.nl/kst-26691-3.html. 184 Siehe die Ausführungen im 3. Kapitel A) II. 2. a). 185 Oregon Death with Dignity Requirements, abrufbar auf der Homepage der Regierung unter https://www.oregon.gov/oha/ph/providerpartnerresources/evaluationresearch/deathwithdignityact/Documents/requirements.pdf.
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4. Problemkonstellationen In der Folgezeit der Gültigkeit dieser Rechtfertigungsgründe wurden auch Fallkonstellationen diskutiert, wie sie in Deutschland immer wieder in Rede stehen:
a) Sterbehilfe bei vegetativem Zustand Fasst man die Voraussetzungen für die Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe auf Seiten des Patienten nochmals zusammen, so liegt hier der Fokus u.a. auf der Unheilbarkeit der Erkrankung und der Unerträglichkeit des Leidens. Ähnlich wie in Deutschland186 darf eine Behandlung, die nur noch „biologisches Leben“ aufrechterhält, in den Niederlanden straflos abgebrochen werden. Andererseits setzt, wie oben erläutert, aktive Sterbehilfe ein nicht mehr zu linderndes Leid voraus – und zwar bei demjenigen, der sterben soll – und nicht bei den Angehörigen, die „den Zustand nicht mehr mit ansehen können“. Wird das Sterbehilfegesetz und seine Voraussetzungen also korrekt und konsequent angewendet, stellt sich die Problematik nicht – aktive Sterbehilfe wäre hier in keinem Fall gerechtfertigt.
b) Sterbehilfe bei Patienten mit Demenz Die Problematik der Sterbehilfe bei Demenzerkrankten liegt im Zeitablauf. Wohl kann ein Patient, der zum Zeitpunkt vor dieser Erkrankung noch im Vollbesitz der geistigen Kräfte war, eine entsprechende Verfügung verfassen. Allerdings verlangen die Voraussetzungen der Rechtfertigung zum einen unerträgliches Leid und zum anderen eine aktive, aufgeklärte und bewusste Entscheidung des Patienten. Nach medizinischen Erkenntnissen, so stellte der Gesundheitsrat im Jahr 2002 fest, nähmen Patienten im späteren Stadium der Demenz diesen Zustand wohl nicht mehr als leidvoll wahr.187 Damit fehlen sowohl die Voraussetzung des Leids als auch das der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit – und beides sinkt mit zunehmender Zeit, die vergeht, womit der Zeitpunkt, zu welchem diese Voraussetzungen gegeben sein müssten, immer näher rückt. Konsequent zu Ende gedacht, wäre somit Sterbehilfe für Demenzpatienten ausgeschlossen. Im tatsächlichen Gebrauch wird heute allerdings auch Sterbehilfe für Demenzkranke zugelassen. Dies trifft, auch in der Presse, immer wieder auf harsche
186 Siehe oben bei der Abhandlung zur passiven Sterbehilfe. 187 Gezondheidsraad, Advies 2002, S. 126.
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Kritik.188 Hierbei handelt es sich um eine ethische Grauzone bei der Anwendung des bestehenden Gesetzes. Dieser könnte man vorbeugen, wenn man zum Zeitpunkt der Tötungshandlung noch immer eine geistige Zurechenbarkeit einfordern würde.
c) Patienten mit psychischer Erkrankung „existentielles Leid“ Letztlich ist auch bei Patienten mit psychischer Erkrankung die Definition des Leides strittig. In den Niederlanden hat die Kommission der KNMG die ärztliche Suizidbeihilfe auch für gerechtfertigt erklärt, wenn und soweit ein psychisches Leiden und die – damit einhergehenden Suizidgedanken – als nicht heilbar eingestuft werden kann.189 Kritisch zu sehen sind hieran zwei Punkte: Zum einen darf der Suizidgedanke nicht von der psychischen Erkrankung selbst herrühren, da sonst die Regelung ad absurdum geführt würde. Dies erscheint aber, betrachtet man das Leitbild der Depression, als nur schwer voneinander abgrenzbar. So setzt das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) für die Diagnose einer Major Depression u.a. als ein mögliches Kriterium „Wiederkehrende Gedanken an den Tod (nicht nur Angst vor dem Sterben), wiederkehrende Suizidvorstellungen, genaue Planung eines Suizids oder tatsächlichen Suizidversuch“ voraus.190 Die Argumentation für die Zulassung einer aktiven Sterbehilfe setzt hier also zugleich die eigentliche Krankheit voraus. Zum anderen ist eine Grundvoraussetzung die Unheilbarkeit des Leidens, wie oben191 bereits ausgeführt. Diese kann bei einem physischen Leiden mit relativ großer Präzision festgestellt werden. Beim Einsatz von Antidepressiva und Antipsychotika ist dies nicht der Fall; hier spielen äußere Umstände als Eindruck auf die menschliche Psyche eine weit größere Rolle.
d) Der Fall Brongersma Das Ausmaß der Unberechenbarkeit lässt sich gut an einem weiteren Fall192 der niederländischen Justiz zeigen. Der Senator Brongersma193, geboren im 188 Siehe z.B. einen Bericht des Deutschlandfunks vom 20.10.2014, https://www.deutschlandfunk.de/niederlande-sterbehilfegesetz-auf-dem-pruefstand.886.de.html?dram:article_ id=300791. 189 CAL-report (Commissie Aanvaardbarheid Levensbeëindigend handelen), Wilsonbekwame patienten, S. 150. 190 DSM-V 296.xx. 191 Siehe die Ausführungen im 6. Kapitel B) III. 3. b). 192 Rechtbank Haarlem (30.10.2000) PVH 2000, S. 196. 193 Ehemaliges Mitglied der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments (i.e. des Senats).
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Jahre 1911, bat 1998 angesichts seines – allerdings altersgemäßen – körperlichen Verfalls, des Vorversterbens vieler Freunde und eines allgemeinen Gefühls der Sinnlosigkeit seines Lebens seinen Hausarzt in mehreren Gesprächen um aktive Sterbehilfe. Ein weiterer Arzt sowie ein Psychiater begutachteten Brongersma und kamen zu dem Ergebnis, dass er nicht an akuten physischen oder psychischen Erkrankungen litt – wohl aber an etwas, was „Lebensüberdruss“ genannt werden könnte. Am 22. April 1998 stellte der Hausarzt dem Patienten Brongersma das gewünschte Mittel zur Verfügung, blieb bis zu seinem Tod bei ihm und meldete danach die Leistung aktiver Sterbehilfe ordnungsgemäß nach dem damals gültigen Meldeverfahren. Es wurden also alle Voraussetzungen, wie sie oben dargestellt sind, eingehalten – alleine das zu definierende „Leiden“ war hier eher existentieller Art und nicht einfach zu definieren. So sah die Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes als nicht gegeben an und erhob Anklage vor der Rechtbank Haarlem. Dort wurde der Hausarzt freigesprochen. Streitig war hier alleine die Voraussetzung des unerträglichen und aussichtlosen Leides. Das Gericht ging davon aus, dass der Begriff des Leides und dessen Empfinden in höchstem Maße subjektiv ist und auch situative Komponenten aufweist.194 Hinsichtlich der Unerträglichkeit wurden drei Sachverständige angehört, von welchen zumindest einer nicht ausschloss, dass das Leiden unerträglich gewesen sein könnte. Auch was die Aussichtslosigkeit betraf, kam das Gericht zu dem Schluss, dass diese gegeben gewesen sei. Betrachtet man die Anforderungen an die Aussichtslosigkeit, ist eine Lage – wie oben bereits ausgeführt – dann aussichtslos, wenn der Arzt als Heilender die Situation des Patienten nicht mehr verbessern kann. Eine solche Aussichtslosigkeit liegt nicht vor, sofern noch Behandlungsalternativen bestehen, die in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung des Zustandes des Patienten führen können und diesen dabei nicht außer Verhältnis belasten: eine Voraussetzung, die hier entweder nicht gegeben, oder zumindest nicht hinreichend geprüft worden zu sein scheint. Ebenso kann der eher lapidare Hinweis, es könne durchaus möglich sein, dass das Leiden unerträglich gewesen sei, nicht genügen. Aus diesen Gründen erfolgte auch die Berufung beim Hof Amsterdam (Berufungsgericht). Dieser verurteilte den Arzt wegen Beihilfe zur Selbsttötung;195 dieses Urteil wurde später vom Hohen Rat bestätigt.196 194 Rechtbank Haarlem (30.10.2000), PVH 2000, S. 196 f. 195 Hof Amsterdam (Berufungsgericht) (6.12.2001), PVH 2001, S.165 (169), wobei er jedoch vom Auferlegen einer Strafe absah. 196 Hoge Raad (24.12.2002), MC 2003, S. 147.
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Die oben dargestellten Problemfälle zeigen, dass auch eine detaillierte gesetzliche Regelung nicht allen Situationen immer gerecht zu werden vermag. Allerdings bietet das niederländische Recht gute Ansätze. Würden die aufgestellten Voraussetzungen streng eingehalten (siehe das Beispiel zur Aussichtslosigkeit im Falle Brongersma, die eben nicht nachweisbar war), oder – schärfer formuliert – im Sinne eines physischen Leidens, so wären die genannten zweifelhaften Fälle einfach zu entscheiden. Ebenso ließe sich daran denken – wie z.B. im Oregon Death of Dignity Act – die aktive Sterbehilfe nur für Volljährige zuzulassen. Auch das Dammbruch-Argument verfängt hier wiederum nicht. Wenn ein Verhalten legalisiert wird, so liegt es in der Natur der Sache, dass von legalen Möglichkeiten mehr Gebrauch gemacht wird als von einem zuvor illegalen Prozedere. Hier bricht also kein Damm, hier entsteht eine natürliche Entwicklung als Folge einer Legalisierung. Insgesamt ist zu sagen, dass die niederländische Regelung gute Ansätze enthält, die für eine Regelung in Deutschland als Grundgerüst dienen könnten.
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 A) Ergebnis der Entscheidung Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020, in dem mehrere Beschwerdeverfahren miteinander verbunden wurden, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt. Durch dieses Verbot trete eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG derjenigen Menschen ein, die zur Selbsttötung entschlossen seien. Das Persönlichkeitsrecht sei in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben tangiert. Erfasst hiervon sei auch das Recht, sich der freiwilligen Hilfe von Dritten zu bedienen. Das Gericht kommt daher zum Ergebnis, dass durch § 217 StGB ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt und diese Norm deshalb nichtig ist.1 Das Recht auf Hilfe beim Suizid ist im 4. Kapitel C) I. 2. anerkannt worden. Nach in der Literatur vertretener Auffassung stellt dieses Urteil einen großen Erfolg für Ärzte und schwerstkranke Menschen dar.2 Hilgendorf bezeichnet es als „Befreiungsschlag, gerade in Zeiten einer Tendenz zur Übertherapie am Lebensende“.3 Die Entscheidung könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, auch weise sie eine überraschende Deutlichkeit auf. Aufgrund des Bekenntnisses zur persönlichen Autonomie sei durch das BVerfG Rechtsgeschichte geschrieben worden. Besonders die ambulante Palliativmedizin erfahre durch das Urteil eine Stärkung.4 Das Urteil des BVerfG reiht sich in die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung ein. Sie berücksichtigt den Fortschritt der medizinischen Technik und 1 2
3 4
BVerfG NStZ 2020, 528. Lorenz, Sterbehilfeförderungsverbot verfassungswidrig: BVerfG kippt § 217 StGB – mit deutlichen Ansagen, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-urteil-2bvr234 715-2bvr65116-217-stgb-verbot-geschaeftsmaessige-foerderung-sterbehilfe/ [Fassung vom 14.3.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020].
https://doi.org/10.1515/9783110765731-007
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Erster Teil
die Neubesinnung auf die Werte, welche durch die Medizinethik vermittelt werden. Dabei ist eine der wichtigsten aus der Entscheidung zu ziehenden Schlussfolgerungen darin zu erblicken, dass auch Schwerstkranken bis zu ihrem Tod Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde zustehen.5 Allerdings ruft dieses Urteil auch Kritik hervor: So äußert der Journalist und Bioethik-Korrespondent Rehder sogar die Befürchtung, dass nunmehr „sich – in schwierigen Situationen und bei schwerer Krankheit – nicht das Leben zu nehmen insgesamt begründungspflichtiger wird“.6
B) Das Urteil im Einzelnen I. Positionen einzelner Beschwerdeführer Zwei Beschwerdeführer erklärten die Ablehnung ihrer Pflege durch Dritte wie z.B. in Palliativeinrichtungen oder Pflegeheimen.7 Sie machten u.a. geltend, dass vor allem für vereinsamte Sterbewillige ein Bedarf an fachkundiger Hilfe bestehe.8 Dem Urteil des BVerfG zufolge muss sich ein Patient nicht auf die Palliativpflege verweisen lassen. Wie bei jeder anderen Behandlung auch steht ihm die diesbezügliche Ablehnung offen. Ein weiterer Beschwerdeführer, ein in Deutschland eingetragener Verein mit dem satzungsmäßigen Zweck der Verankerung des „Rechts auf Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug“ in Deutschland nach dem Vorbild der Schweiz, berief sich auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG. Dieser Schutz erstrecke sich nicht allein auf die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, dem Verfahren ihrer Willensbildung sowie die Führung ihrer Geschäfte. Tangiert sei zudem die „spezifisch vereinsmäßige Tätigkeit“, soweit jene den existentiellen Kernbereich der Vereinstätigkeit für 5 6 7
8
Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020]. Rehder, Kommentar um “5 vor 12“: Karlsruhe kassiert § 217 StGB, https://www.dietagespost.de/politik/aktuell/Kommentar-um-5-vor-12-Karlsruhe-kassiert-217-StGB;art 315,205838 [Fassung vom 14.3.2020]. BVerfG NStZ 2020, 528; die Positionen in dieser Ausführlichkeit sowie die Stellungnahmen finden sich nur in der Internetquelle BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715. pdf; jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 34 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 40 [Fassung vom 22.3.2020].
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020
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die Existenz und Funktion des Vereins darstelle. Es werde nicht verkannt, dass die Vereinsautonomie regelmäßig dem gemeinsam verfolgten Vereinszweck keinen weiterreichenden Schutz einräume als einem individuell verfolgten Zweck. Jedoch könne aus qualitativer Perspektive keine Gleichstellung der vereinsmäßigen Suizidhilfe mit derjenigen von Einzelpersonen erfolgen, da ihre Erbringung in einem kollektiven Rahmen stattfinde.9 Bei einem weiteren Beschwerdeführer handelte es sich um einen Internisten, der u.a. eine Tätigkeit als Chefarzt der Rettungsstelle eines Berliner Klinikums sowie als Geschäftsführer eines von ihm gegründeten Hospizes ausübte. Dieser Beschwerdeführer berief sich auf seine Gewissensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 2. Alt. GG und seine Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG. Er trug vor, dass die ärztliche Suizidhilfe in die Schutzbereiche dieser beiden Grundrechte falle. Zwischen der ärztlichen Tätigkeit und der Gewissenfreiheit sei eine enge und berufsspezifische Beziehung anzuerkennen, welche sich in § 2 Abs. 1 bis 3 MBO-Ä sowie in den einschlägigen Berufsordnungen der Landesärztekammern zeige.10 Darüber hinaus wies dieser Beschwerdeführer vor allem darauf hin, dass es für einen Arzt einen inneren Konflikt bedeute, wenn er Entscheidungen über Behandlungen am Lebensende zu treffen habe. Mithin stelle sich die ärztliche Suizidhilfe stets als Resultat einer Gewissensentscheidung dar, welche als solche unter die ärztliche Berufsausübung und damit auch unter die Berufsfreiheit falle. Das gesetzgeberische Abstellen darauf, dass die Suizidhilfe dem ärztlichen Berufsverständnis zuwiderlaufe und die im Einzelfall dennoch durchgeführte Suizidhilfe regelmäßig nicht geschäftsmäßig stattfinde, lasse unberücksichtigt, dass an die Ärzteschaft wiederholt Suizidwünsche herangetragen würden und innerhalb dieser keine diesbezügliche Einheitlichkeit zu verzeichnen sei. Der Arzt, dessen Gewissen ihn zur Suizidhilfe bewege, werde in der Zukunft in vergleichbaren Fällen genauso agieren.11 Auch weitere Beschwerdeführer, die als Ärzte in der Palliativmedizin tätig sind, trugen vor, dass sie in einzelnen Fällen, in denen diese Medizin an ihre 9 10 11
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 47 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 71 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 73 f. [Fassung vom 22.3.2020].
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Grenzen stoße und nicht mehr für eine Linderung des Leidens sorgen könne, einem Wunsch nach Suizidhilfe prinzipiell offen gegenüberständen. Unter anderem machten sie geltend, dass es das gesetzgeberische Ansinnen des Schutzes der Allgemeinheit vor einer allgemeinen Relativierung des Lebensschutzes sowie der schädlichen Wirkung von frei erhältlicher Suizidhilfe nicht begründen könne, das Verbot in § 217 StGB auszusprechen, da es insofern an einem empirischen Beleg der Gefährdungslage mangele.12 Dies entspricht dem Fazit beim Dammbruch-Argument im 3. Kapitel A) IV. Eine weitere Beschwerdeführerin ist als niedergelassene Allgemeinärztin in der Schweiz und als Mitbegründerin einer Stiftung als „Freitodbegleiterin“ aktiv, die das an die Mitgliedschaft in einem Schweizer Verein gekoppelte Angebot einer Suizidhilfe gemäß der schweizerischen Rechtslage unterbreitete. Als solche besuchte sie Suizidwillige in Deutschland und überprüfte die Einsichts- und Urteilsfähigkeit und die Ernsthaftigkeit des Antrags. Zudem war Beschwerdeführer ein im Bereich des Gesundheits- und Pflegerechts spezialisierter Rechtsanwalt, der seit dem Inkrafttreten des § 217 StGB keine Mandate mehr zur Beratung zur Problematik der – vor allem ärztlich begleiteten – Suizidhilfe annahm sowie Anliegen der Begleitung in die Schweiz eine Absage erteilte, da hierin das geschäftsmäßige Verschaffen einer Gelegenheit zur Selbsttötung zu erblicken sei.13 Wenn also bereits ein auf diesem Gebiet spezialisierter Rechtsanwalt solche Befürchtungen hegt, sich strafbar zu machen, weil lediglich eine entsprechende Beratung zur Suizidhilfe nicht mehr gestattet sein soll, ist verständlich, dass behandelnde Ärzte noch mehr der rechtlichen Ungewissheit ausgesetzt sind.
II. Stellungnahmen Der Bundestag hielt die Verfassungsbeschwerden teilweise für unzulässig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG könne seinem Wesen nach prinzipiell keine Anwendung auf juristische Personen finden.14 Auch könnten sich die beschwerdeführenden Organisationen 12 13 14
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 76 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 83 f. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 93 [Fassung vom 22.3.2020].
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nicht auf eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Durch diese Norm werde der organisierten Betätigung kein Schutz vermittelt, der über den eines individuell verfolgten Interesses hinausreiche. Die durch einen Verein durchgeführte Suizidförderung weiche nicht wesentlich von der durch eine Einzelperson ab, so dass es an einem besonderen Bezug zur korporativen Organisation mangele, um im Ausnahmefall den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG berühren zu können. Auch stelle diese Vorschrift keine Existenzbedrohung für diese Organisationen dar, da die satzungsgemäßen Beratungsleistungen auch in der Zukunft erlaubt seien, diese Norm mithin keineswegs die Gesamtheit der Tätigkeit verbiete.15 Des Weiteren vertrat der Bundestag die Auffassung, dass kein Eingriff in die Berufsfreiheit dieser Organisationen aus Art. 12 Abs. 1 GG verzeichnet werden könne. Denn bei § 217 StGB mangele es an der berufsregelnden Tendenz. Das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit sei keineswegs auf eine notwendig auf Gewinnerzielung abstellende berufliche Tätigkeit ausgerichtet.16 Außerdem wies der Bundestag darauf hin, dass es bei der Straffreiheit der indizierten (palliativ-)medizinischen Versorgung sowie des auf dem Patientenwillen beruhenden Behandlungsabbruchs verbleibe.17 Dies steht jedoch ohnehin außer Frage und war auch nicht Gegenstand dieser Verfassungsbeschwerde. Der Bundestag gestand ausschließlich den zur Suizidhilfe bereiten Ärzten die Berufung auf ihre Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG zu. Allerdings tangiere das Verbot des § 217 StGB lediglich einen untergeordneten Teil der ärztlichen Berufsausübung. Infolgedessen sei es auch vor dem Hintergrund seines Regelungszwecks im Verhältnis zu Ärzten angemessen.18 Wie jedoch bereits oben im 4. Kapitel C) II. 2. im Rahmen der Angemessenheit bei der materiellen Verfassungsmäßigkeit aufgezeigt wurde, handelt es sich beim Verbot keineswegs nur um einen untergeordneten Teil der ärztlichen Berufsausübung.
15 16 17 18
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 94 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 95 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 111 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 120 [Fassung vom 22.3.2020].
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Auch nach Meinung verschiedener kirchlicher und medizinischer Organisationen besteht Verfassungskonformität des § 217 StGB.19 Zwar stellten die Bundesärztekammer und der Marburger Bund unter Bezugnahme auf das Berufsethos und das Berufsrecht der Ärzteschaft darauf ab, dass mit dem Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Tod als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinesfalls ein Anspruch auf ärztliche Assistenz zur Selbsttötung einhergehe. Denn in der Suizidhilfe sei nach grundsätzlicher Haltung der Ärzteschaft keine ärztliche Aufgabe zu erblicken, was auch das berufsrechtliche Verbot verdeutliche. Wenn indes die Suizidhilfe gesetzlich unter die ärztliche Tätigkeit falle, könne die Gefahr heraufbeschworen werden, dass diese Hilfe zu frei erhältlichen Regelleistungen des ärztlichen Handelns und den Ärzten dann wegen der an sie gerichteten Erwartungshaltung die moralische Pflicht zur Leistung von Suizidhilfe aufgebürdet werde. Eine derartige Entwicklung werde durch § 217 StGB verhindert.20 Einige medizinische Organisationen wiesen darauf hin, dass statistische Erhebungen aus Staaten mit positiver Regulierung der Suizidhilfe aufzeigten, dass sich die Anzahl der assistierten Selbsttötungen permanent erhöhe. Das Gefährdungspotential, dem vor allem ältere und kranke Menschen wegen der sich immer mehr auflösenden Familienstrukturen sowie der beschränkten Ressourcen der Sozialversicherungssysteme im Rahmen einer moralischen Pflicht unterworfen seien, die Angebote der frei erhältlichen, professionellen Suizidhilfe anzunehmen, „sei nicht derart unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen der ihm obliegenden Einschätzungsprärogative daraus nicht einen Handlungsauftrag hätte ableiten dürfen“.21 Der angesprochene Anstieg der Anzahl der assistierten Suizide kann auch alleine darauf zurückzuführen sein, dass sich die Betroffenen in diesen Staaten mit positiver Regulierung der Suizidhilfe eben zu deren Inanspruchnahme trauen, weil es gesetzlich gestattet ist. Dem Aspekt des Handlungsauftrags aufgrund der Einschätzungsprärogative zum Gefährdungspotential stimmt das BVerfG grundsätzlich zu. Des Weiteren brachten diese Organisationen vor, dass aus palliativmedizinischer Perspektive für suizidwillige Personen keine Gründe erkennbar seien, 19 20 21
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 144 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 150 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 157 [Fassung vom 22.3.2020].
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welche im Einzelfall die geschäftsmäßige Förderung des Suizids in der Weise erforderlich mache, dass sich das diesbezügliche Verbot des § 217 StGB als unangemessen erweise.22 Wie oben im 4. Kapitel A) III. 2. erörtert, ruft der Begriff der Geschäftsmäßigkeit in § 217 StGB erhebliche Zweifel hervor. Er erfasst auch den einzelnen, für jeden seiner Patienten Sorge tragenden Arzt. Hierin liegt der Fehler. Eine andere Bewertung kann sich nur mit Blick auf Sterbehilfevereine ergeben. Nach weiterer Ansicht dieser Organisationen findet keine derartige verfassungsrechtliche Aufwertung der grundrechtlichen Position von Sterbewilligen durch nichtbehandelbare Schmerzzustände oder anderweitige Leidenssituationen statt, dass aufgrund dessen die vom Gesetzgeber intendierten Schutzwirkungen des § 217 StGB hintenan stehen müssten. Die durch § 217 StGB hervorgerufenen Einschränkungen seien auch in Bezug auf solche Betroffenen begründet, welche in freier Verantwortung keine palliativmedizinische Behandlung wollten oder eine geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid unabhängig von erheblichen körperlichen Leiden bzw. lebensbegrenzender Erkrankung und Todesnähe in Anspruch nähmen.23 Das BVerfG geht in seinem Urteil sogar darüber hinaus, indem es feststellt, dass das Recht auf den eigenen Tod nicht an ein unerträgliches Leid als Voraussetzung geknüpft werden darf. Der Meinung des Deutschen Anwaltvereins zufolge stellt sich § 217 StGB als verfassungswidrig dar. Trotz der dem Gesetzgeber eingeräumten Einschätzungsprärogative müsse dieser den empirischen Beleg für den Zusammenhang zwischen dem Angebot einer geschäftsmäßigen Suizidhilfe und sich erhöhenden Suizidfällen erbringen.24 Außerdem wies der Deutsche Anwaltverein darauf hin, dass „der mit einem strafrichterlichen Schuldspruch verbundene Makel […] den personalen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen [berühre] und … deshalb mehr als einer nur utilitaristischen Rechtfertigung [bedürfe]“.25 Vor allem sei es
22 23 24 25
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 158 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 159 f. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 163 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 166 [Fassung vom 22.3.2020].
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nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, für den Schutz des Rechtsguts Leben gegen den freien Willen des Menschen Sorge zu tragen.26 Des Weiteren ist der Deutsche Anwaltverein der Ansicht, dass der Schutz von Selbstbestimmung und Leben vor allem durch ein Verwaltungsverfahren gewährleistet werden könne, welches im Einzelfall die Förderung der Suizidhilfe freigeben könne und an dem Berufsträger verschiedener Bereiche mitwirken könnten. Zwecks Eindämmung der abstrakten Gefährdungslage für das Leben Dritter könne diesem Verwaltungsverfahren ein gewerberechtliches Werbeverbot an die Seite gestellt werden.27 Ein vergleichbarer Vorschlag wurde bereits bei der Frage der Abtreibung diskutiert.28 Hier besteht das Problem, dass, wenn § 219a StGB gespiegelt würde, Ärzte wiederum nicht informieren dürften, außer wenn sie Suizidhilfe kostenlos anböten. Damit würde die gleiche Diskussion aufkeimen wie bei § 219a StGB. Ein Werbeverbot alleine bringt mithin im Rahmen der Diskussion um § 217 StGB nicht weiter.
III. Wesentliche Entscheidungsgründe 1. Vorerwägungen Das BVerfG erläuterte den Begriff der Sterbehilfe in expliziter Abgrenzung zu dem der Suizidhilfe. Hiernach „[umfasst] der Begriff der Sterbehilfe […] eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte, denen in Abgrenzung zur Suizidhilfe ein von außenstehenden Dritten beherrschbares Verhalten gemein ist, das kausal zu einer Lebensverkürzung führt oder diese auf andere Weise fördert“.29 Die Sterbehilfe bedinge dabei ferner einen Leidenszustand. Durch das Element der Hilfe würden bereits definitorisch Handlungen ausgeschlossen, welche wider den expliziten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen vorgenommen würden. Von der straffreien Sterbehilfe erfasst sei einerseits die indirekte Sterbehilfe in der Gestalt eines vorzeitigen unbeabsichtigten Todeseintritts bei einer sterbenden oder todkranken Person aufgrund einer medizinisch notwendigen schmerz26 27 28 29
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 167 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 169 [Fassung vom 22.3.2020]. Siehe https://www.tagesschau.de/inland/abtreibung-werbeverbot-105.html [Fassung vom 31.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 23 [Fassung vom 22.3.2020].
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oder leidensmindernden Therapie. Andererseits beziehe sie sich auf den Behandlungsabbruch „als jede aktive oder passive Begrenzung oder Beendigung einer lebenserhaltenden oder lebensverlängernden medizinischen Maßnahme im Einklang mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen“.30 Dem Gericht zufolge soll durch § 217 StGB eine weitere Konkretisierung der Differenzierung zwischen straffreien und strafbewehrten Handlungen im Kontext mit einem Sterbewunsch erfolgen. Diese Norm sei darauf ausgerichtet, „die prinzipielle Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran nicht infrage zu stellen, aber dort korrigierend einzugreifen, wo geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe die Selbstbestimmung und das Leben gefährden“.31 Oben im 4. Kapitel A) II. wurde jedoch der Widerspruch erörtert, dass durch § 217 StGB die Akzessorietät ausgehebelt wird. Es ist mithin falsch, dass diese Norm die grundsätzliche Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid nicht in Frage stellt. Überdies wies das BVerfG darauf hin, dass in der Schweiz allein die Beihilfe zur Selbsttötung in Betracht kommen dürfe und in den Niederlanden sowie Belgien unter gewissen Bedingungen und ausschließlich für Ärzte geltend auch die Tötung auf Verlangen keiner Strafbarkeit unterliege. Im USamerikanischen Bundestaat Oregon sowie in Kanada sei die ärztliche Suizidbeihilfe unter gewissen Bedingungen nicht strafbewehrt.32 Das Gericht stellte darauf ab, dass unter der Annahme, „dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet, […] die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität [umfasst]“.33 Mit der Identität ist dabei sowohl der Innen- als auch der Außenbezug angesprochen, „das Ich und das Wir, das ambivalente Spannungsverhältnis der zwei Zonen des freien Menschen, nämlich der des einsamen und der des gemeinsamen Menschen“.34 Wie bereits oben im 4. Kapitel C) I. 1. dargelegt, ist auch das BVerfG der Auffassung, dass vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Zeichen der persönlichen 30 31 32 33 34
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 23 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 24 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 26 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfGE NStZ 2020, 528 (529). Sachs-Höfling, GG, Art. 1 Rn 38.
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Erster Teil
Autonomie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eingeschlossen sei, das wiederum das Recht auf Selbsttötung enthalte. In der Entscheidung zur Beendigung des eigenen Lebens zeige sich ein existenzielles Element des Persönlichkeitsrechts eines Menschen. Vom Recht auf selbstbestimmtes Sterben sei keinesfalls allein das Recht auf Ablehnung von lebenserhaltenden Maßnahmen gedeckt, sondern zudem die Befugnis der eigenhändigen Beendigung des Lebens.35 Dies wurde in dieser Arbeit oben im 4. Kapitel C) I. 1. insbesondere im Zusammenhang mit dem Fall Haas ./. Schweiz erörtert. Auffallend ist, dass das BVerfG zur Untermauerung dieser Ansicht u.a. eine Quelle aus dem Jahre 199036 heranzieht. Diese Auffassung besteht mithin schon seit längerer Zeit. Dem Gericht zufolge darf keine Begrenzung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben auf fremddefinierte Situationen stattfinden. Mithin komme dieses Recht in jedweder Lebensphase zum Tragen und nicht nur bei schweren oder unheilbaren Krankheitszuständen bzw. gewissen Lebens- und Krankheitsphasen. Für die eigenverantwortliche Entscheidung in Bezug auf das eigene Lebensende sei eine weitere Begründung oder Rechtfertigung nicht erforderlich. Wenn der Schutzbereich auf gewisse Ursachen oder Motive beschränkt wäre, würde daraus eine Beurteilung der Beweggründe des Suizidenten folgen. Dies wiederum würde eine inhaltliche Vorbestimmung bedeuten, welche jedoch dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes widerspräche.37 Eine solche Regelung würde jedoch z.B. weit über die niederländische hinausreichen, in der u.a. der Arzt davon überzeugt sein muss, dass das Leiden des Patienten aussichtslos und unerträglich ist, um im Rahmen seiner Suizidhilfe nicht bestraft zu werden. Nach Lorenz hat die deutliche Feststellung, dass eine unheilbare Krankheit keine Voraussetzung darstellt, praktische Auswirkungen darauf, konträr zum Urteil des BVerwG keine Herausgabe von tödlichen Medikamenten vorzunehmen.38 Das BVerwG hat im Jahre 2017 das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bekräftigt und den Anspruch eines schwerstkranken Menschen im Extremfall auf todbringende Medikamente bejaht.39 Bundesgesundheitsminis-
35 36 37 38
39
BVerfG NStZ 2020, 528 (529). Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 90 f. BVerfG NStZ 2020, 528 (530). Lorenz, Sterbehilfeförderungsverbot verfassungswidrig: BVerfG kippt § 217 StGB – mit deutlichen Ansagen, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-urteil-2bvr2347 15-2bvr65116-217-stgb-verbot-geschaeftsmaessige-foerderung-sterbehilfe/ [Fassung vom 14.3.2020]. BVerwGE 158, 142.
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020
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ter Spahn jedoch hat veranlasst, keine derartigen Medikamente an Sterbewillige herauszugeben.40 Weiter führte das BVerfG aus, dass hinsichtlich der Selbstbestimmung über das eigene Lebensende die Freiheit des Betroffenen zur Wahl seiner diesbezüglichen Maßstäbe und Entscheidung nach innen bestehe. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthalte die Ermächtigung jedes Einzelnen, sein Leben nach seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit des Weiterlebens eigenständig bewusst und gewollt beenden zu wollen. Dieser Akt der autonomen Selbstbestimmung habe seine Anerkennung in Gesellschaft und Staat zu erfahren.41 Nach der Ansicht des Gerichts ist in der auf einem freien Willen beruhenden Selbsttötung kein Widerspruch zur Menschenwürde zu erblicken. Stattdessen erweise sich die selbstbestimmte Verfügung als unmittelbarer Ausdruck der autonomen Persönlichkeitsentfaltung und stelle den letzten Akt der Würde dar. Die Anerkennung des Menschen als Subjekt sowie die Wahrung seines Wertund Achtungsanspruchs seien lediglich dann gewährleistet, wenn er die Entscheidung über seine Existenz nach von ihm selbst ausgewählten Kriterien treffen könne.42 Laut BVerfG ist vom Recht auf Selbsttötung auch die Freiheit der Inanspruchnahme der diesbezüglichen Hilfe durch Dritte bzw. der Annahme entsprechender Angebote durch solche erfasst. Das Grundgesetz enthalte die Garantie, sich zur Entfaltung der Persönlichkeit mit Dritten, die wiederum ihrerseits freiheitlich agierten, austauschen zu können. Sofern die Wahrnehmung eines Grundrechts der Einbeziehung Dritter bedürfe und somit die freie Entfaltung der Persönlichkeit deren Mitwirkung bedinge, dürfe das Recht auf Selbsttötung nicht dadurch eingegrenzt werden, dass diesen Dritten untersagt werde, im Rahmen ihrer Freiheit ihre Unterstützung zu offerieren.43 Ein vergleichbarer Fall mag beim straflosen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a StGB zu verzeichnen sein, bei dem die Schwangere auf die Mitwirkung eines Arztes angewiesen ist. In Bezug auf die Suizidhilfe jedoch besteht momentan keine
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41 42 43
Vgl. Lorenz, BVerfG kippt § 217 StGB: „Die freie Entscheidung in letzter Konsequenz akzeptieren“, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-2-bvr-2347-15-verbot-geschaeftsmaessige-foerderung-selbsttoetung-verfassungswidirg-selbstbestimmung-letzte-konsequenz/ [Fassung vom 14.3.2020]. BVerfG NStZ 2020, 528 (530). BVerfG NStZ 2020, 528 (530). BVerfG NStZ 2020, 528 (530).
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Erster Teil
rechtliche Möglichkeit des Arztes zur Mitwirkung, da ihm das Verschreiben von letalen Dosen untersagt ist. Das Gericht ging davon aus, dass infolge des § 217 Abs. 1 StGB den Beschwerdeführern die Inanspruchnahme von geschäftsmäßig angebotener Suizidhilfe faktisch unmöglich gemacht wird. Denn entsprechende Anbieter hätten mit ihren diesbezüglichen Tätigkeiten aufgehört, um den straf- und ordnungsrechtlichen Folgen zu entgehen. Von einer rechtfertigenden Einwilligung könne nicht ausgegangen werden, weil diese Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert sei, dessen verfolgter Rechtsgüterschutz über den Individualschutz hinausreiche.44 Die Konzeption des § 217 StGB wirkt demnach bereits von vornherein grundrechtsbeeinträchtigend. Der Auffassung des BVerfG gemäß ist daher aufgrund der existentiellen Bedeutung der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität ein besonders schwerer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht anzuerkennen. Hierzu führe auch der Gesichtspunkt, dass aus § 217 StGB eine enorme Erschwerung der Ausübung des Grundrechts resultiere.45
2. Verhältnismäßigkeitsprüfung Dem Gericht zufolge wird durch das in § 217 Abs. 1 StGB sanktionierte Verbot die Freiheit zum Suizid in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt, da es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht.46 Es stellte darauf ab, dass die öffentliche Gewalt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einwirken könne. Staatliche Maßnahmen müssten akzeptiert werden, „wenn sie im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots ergriffen werden“.47 Dabei seien hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Vergleich zur allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen. Von der freien Entscheidung zur Beendigung des eigenen Lebens mittels Unterstützung Dritter sei nicht nur die engste Privatsphäre berührt. Denn trotz ihres höchstpersönlichen Charakters sei ihre Wechselwirkung mit dem Verhalten Dritter zu verzeichnen. Die Offerten der geschäftsmäßigen 44 45 46 47
BVerfG NStZ 2020, 528 (530). BVerfG NStZ 2020, 528 (531). BVerfG NStZ 2020, 528 (531). BVerfG NStZ 2020, 528 (531).
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Suizidhilfe tangierten keineswegs allein das Verhältnis zwischen dem sich frei entscheidenden Suizidenten und seinem Helfer. Vielmehr seien mit ihnen Vorund Folgewirkungen verknüpft, mit denen enorme Missbrauchsgefahren und Gefährdungen für die autonome Selbstbestimmung von Dritten einhergingen.48 Das BVerfG geht mithin durchaus von einer möglichen Gefahr des Dammbruchs im Rahmen einer Legalisierung aus. Aber dennoch erlaubt es die Suizidhilfe als Ausdruck dessen, dass das Persönlichkeitsrecht jedes Einzelnen in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben berührt und hiervon auch das Recht erfasst ist, sich der freiwilligen Hilfe von Dritten zu bedienen.
a) Legitimer Zweck Nach Meinung des BVerfG kann zwar mit dem Verbot in § 217 StGB ein legitimer Zweck erreicht werden, da diese Regelung den Schutz der Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen über sein Leben – und mithin auch den Schutz des Lebens als solches – verfolge. Das gesetzgeberische Ziel sei in der Eindämmung der geschäftsmäßigen Angebote von Suizidhilfe zu erblicken. Hierdurch sollten die Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Leben entsprechenden Schutz erfahren. Dabei solle einerseits vermieden werden, dass sich die Suizidhilfe zu einem „Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung“ entwickle und Menschen deshalb dazu bringe, sich umzubringen. Der unter Rückgriff auf die Entwicklung der assistierten Suizide in Deutschland und in der Schweiz geäußerten Ansicht des Gesetzgebers zufolge sei die Befürchtung gegeben, dass infolge von Angeboten der geschäftsmäßigen Suizidhilfe vor allem der Anschein erweckt werde, dass dies der Normalität entspreche.49 Die Verwendung des Begriffs des „Dienstleistungsangebots der gesundheitlichen Versorgung“ ist darauf zurückzuführen, dass nach dem Entwurf des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in Deutschland vermehrt Fälle zu verzeichnen sind, „in denen Vereine oder auch einschlägig bekannte Einzelpersonen die Beihilfe zum Suizid regelmäßig anbieten, beispielsweise durch die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung eines tödlichen Medikamentes“.50 Diesem Erwecken des Anscheins der Normalität wurde jedoch oben im 3. Kapitel A) III. bereits bei der Bewertung des Dammbruch-Arguments widersprochen. Andererseits soll sich laut dem Gericht – gemäß der gesetzgeberischen Intention – § 217 StGB als Ausdruck des Integritäts- und Autonomieschutzes u.a. 48 49 50
BVerfG NStZ 2020, 528 (531). BVerfG NStZ 2020, 528 (532). BT-Drs. 18/5373, S. 2.
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Erster Teil
solchen Interessenkonflikten entgegenstellen, die die Autonomie gefährden. Aus der Inanspruchnahme eines geschäftsmäßig tätigen Suizidhelfers mit auf die Vornahme des Suizids abstellenden Eigeninteressen könne resultieren, dass die freie Willensbildung und Entscheidungsfindung der potentiellen Beeinflussung ausgesetzt seien.51 Wie oben im 3. Kapitel A) I. und 4. Kapitel C) I. 1. schon dargelegt, wird jedoch auch die Meinung vertreten, dass überhaupt erst die Zulassung des Suizids und der Suizidbeihilfe die Autonomie gewährleiste. Beide Auffassungen sind mit guten Argumenten vertretbar. Im Weiteren führt das BVerfG aus, dass über Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Autonomie jedes Einzelnen in Bezug auf seine Entscheidung zur Beendigung seines Lebens begründet werde. In der Verhinderung dessen, dass sich die Suizidhilfe in der Gesellschaft als gewöhnliche Form der Beendigung von Leben etabliere, sei ein legitimes Ansinnen zu erkennen. Zwar müsse ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe zu dem ausschließlichen Zweck, die assistierten Suizidhilfefälle zahlenmäßig überschaubar zu belassen, für nicht zulässig erklärt werden. Selbiges gelte für die Intention, die Entscheidung des autonom agierenden Grundrechtsträgers, sich der Hilfe Dritter bewusst und gewollt für seinen Suizid zu bedienen, zu missbilligen oder einem Tabu bzw. Makel zu unterwerfen.52 Zu Letzterem passt die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Suizid nicht unter Strafe stellt, weil es bereits tatbestandsmäßig an einer für die Tötungsdelikte notwendigen Tötung eines anderen Menschen mangelt.53 Allerdings – so das Gericht weiter – sei dem Staat das Eindämmen solcher Tendenzen gestattet, die auf die Förderung sozialen Drucks hinwirkten, unter gewissen Bedingungen, wie z.B. Nützlichkeitserwägungen, Suizid zu begehen.54 Wie sich den obigen Erörterungen zur empirischen Datenlage im 5. Kapitel entnehmen lässt, ist eine derartige Drucksituation eher in Abrede zu stellen, da eine Legalisierung der ärztlichen Begleitung viel eher zur Beratung und Aufklärung beitragen und somit auch einen Sinneswandel beim Sterbewilligen – ggf. auch beim kompletten Familienverbund – herbeiführen könnte. Überdies wies das BVerfG darauf hin, dass die Einschätzung und Prognose der Gefahren, der der Einzelne oder die Allgemeinheit ausgesetzt seien, der dahingehenden verfassungsrechtlichen Überprüfung bedürfe, inwiefern diese auf 51 52 53 54
BVerfG NStZ 2020, 528 (532). BVerfG NStZ 2020, 528 (532). Schönke / Schröder-Eser / Sternberg-Lieben, StGB, Vorbemerkungen zu den §§ 211 ff. StGB, Rn 33. BVerfG NStZ 2020, 528 (532).
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einer hinreichend gesicherten Grundlage basierten. Dabei dürften im Falle eines schwerwiegenden Eingriffs in ein hochrangiges Grundrecht Unsicherheiten in der Beurteilung von Tatsachen prinzipiell nicht dazu führen, dass der Grundrechtsträger dadurch Nachteile erleide. Da es keine wissenschaftlich begründeten Erkenntnisse zu langfristigen Auswirkungen der Zulassung von geschäftsmäßiger Suizidhilfe gebe, genüge die gesetzgeberische Orientierung an einer sachgemäßen und vertretbaren Bewertung der zur Verfügung stehenden Informationen und Erkenntnismittel.55 Diese Äußerung des BVerfG kann lediglich auf Deutschland bezogen sein, weil mit Sicht auf den Death of Dignity Act und die Rechtslage in den Niederlanden, die beide schon seit Jahren existieren, entsprechende wissenschaftlich begründete Erkenntnisse zu langfristigen Auswirkungen der Zulassung verfügbar sind. Außerdem stellt sich die Frage, woher denn die Erkenntnis der „hinreichend gesicherten Grundlage“ kommt, wenn doch nach Meinung des BVerfG die angesprochenen wissenschaftlich begründeten Erkenntnisse überhaupt nicht vorliegen. Sich frei für einen Suizid zu entscheiden, bedingt dem Gericht zufolge die Fähigkeit, „seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können“.56 Insofern relativiert das BVerfG seine Ansicht, dass jeder Einzelne sein Leben eigenständig bewusst und gewollt beenden könne. Die Bejahung der Kriterien „bewusst“ und „gewollt“ kann nämlich dann problematisch sein, wenn es um Demenzkranke und psychisch Kranke geht. Wie im 6. Kapitel B) III. aufgezeigt wurde, ist die entsprechende Rechtslage bei derart Erkrankten auch in den Niederlanden noch äußerst umstritten. Außerdem müsse der Betroffene tatsächliche Kenntnis von sämtlichen entscheidungserheblichen Aspekten besitzen. Nur wenn er über alle Informationen verfüge, sei er zur Abwägung des Pro und Contra auf einer ausreichenden Beurteilungsbasis fähig. Vor allem müsse er Handlungsalternativen zum Suizid erkennen können. Des Weiteren dürfe er keiner unzulässigen Beeinflussung oder Druck unterworfen sein. Außerdem müsse seine Entscheidung zur Lebensbeendigung auf einer gewissen „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ beruhen.57 Bei der Prüfung, inwiefern ein Wunsch nach Selbsttötung auf freiem Willen beruhe, muss nach dem BVerfG häufig auf nicht näher nachvollziehbare Plausibilitätsgesichtspunkte zurückgegriffen werden. Vor allem sei von Sterbehil55 56 57
BVerfG NStZ 2020, 528 (532 f.). BVerfG NStZ 2020, 528 (533). BVerfG NStZ 2020, 528 (533).
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Erster Teil
feorganisationen im Falle von körperlichen oder psychischen Erkrankungen Suizidhilfe erbracht worden, ohne dass die medizinischen Unterlagen des Suizidenten bekannt gewesen seien; und auch ohne dass fachärztlicherseits untersucht, beraten und aufgeklärt worden sei. Mithin erweise sich die Einschätzung des Gesetzgebers als plausibel, dass es bei der Inanspruchnahme von geschäftsmäßigen Suizidhelfern vorrangig auf Leistungen ankomme, die auf die Durchführung der Selbsttötung abzielten, und daher keine ausreichende Gewährleistung der freien Willensbildung und Entscheidungsfindung zu verzeichnen sei.58 Diese Argumentation stützt die in dieser Arbeit vertretene Ansicht, dass Sterbehilfevereine verboten werden müssten. Auffallend ist, dass das Gericht die gesetzgeberische Befürchtung einer „gesellschaftlichen Normalisierung“ der Suizidhilfe lediglich als „nachvollziehbar“ betrachtet. Insbesondere aufgrund des sich erhöhenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen sei es „nicht unplausibel, dass einer ungeregelten Zulassung der geschäftsmäßigen Sterbe- und Suizidhilfe diese Wirkung zukommen kann“.59 Das BVerfG formuliert mithin sehr vorsichtig und zurückhaltend; von einer Evidenz z.B. ist keine Rede. Nach Ansicht des Gerichts basiert die gesetzgeberische Prognose des Anstiegs von Suiziden alter und kranker Personen infolge der Inanspruchnahme der geschäftsmäßig angebotenen Suizidhilfe auf einer hinreichenden Basis. Zwar könne die Tatsache der Zunahme von assistierten Selbsttötungen und Tötungen auf Verlangen in Staaten mit liberalen Vorschriften zur Suizid- und Sterbehilfe für sich betrachtet keineswegs als Beleg dafür genommen werden, dass der Suizid gesellschaftlich normalisiert und auf einen autonomiegefährdenden sozialen Druck zurückzuführen sei. Vielmehr könne dieser Anstieg auch darauf basieren, dass die Sterbe- und Suizidbeihilfe in der Gesellschaft eher anerkannt, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gestärkt oder das Bewusstsein erhöht werde, dass sich der eigene Tod nicht länger als nicht beeinflussbares Schicksal erweise.60 Diese Auffassung wird auch im 5. Kapitel bei der Bewertung der empirischen Datenlage vertreten. Ungeachtet dessen kann dem BVerfG zufolge der Gesetzgeber annehmen, dass unregulierte Angebote von geschäftsmäßiger Suizidhilfe eine Gefahr für die Selbstbestimmung bedeuten könnten. Immerhin trügen Versorgungslücken in der Medizin und in der Pflege dazu bei, dass Ängste vor dem Verlieren der Selbstbestimmung einträten, wodurch wiederum die Entschlüsse zur Selbsttö58 59 60
Vgl. BVerfG NStZ 2020, 528 (533). BVerfG NStZ 2020, 528 (533). BVerfG NStZ 2020, 528 (533).
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tung gestärkt würden. Überdies komme bei Suizidwilligen oftmals der Wunsch zum Tragen, die assistierte Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, um Angehörigen oder Dritten nicht ihre Pflege aufbürden zu müssen.61
b) Erforderlichkeit und Angemessenheit Das Gericht erachtete § 217 StGB auch als geeignetes Instrument, da ein mit Strafe sanktioniertes Verbot von gefahrheraufbeschwörenden Handlungen allemal der Förderung des anvisierten Rechtsgüterschutzes dienen könne. Die Ungeeignetheit ergebe sich auch nicht daraus, weil ggf. im Einzelfall eine grenzüberschreitende Organisation eine gem. § 217 Abs. 2 StGB als Teilnehmer straflos ausgehende Person einbinden könnte.62 Hingegen ließ das BVerfG die Frage nach der Erforderlichkeit des § 217 StGB trotz etwaiger Zweifel wegen des Nichtvorhandenseins von empirischen Nachweisen zur Wirksamkeit von alternativen, weniger eingriffsintensiven Schutzmechanismen bewusst unbeantwortet.63 In dieser Arbeit wurde im 4. Kapitel C) II. 2. die Erforderlichkeit zumindest als zweifelhaft eingestuft. Das Gericht verneinte jedoch die Angemessenheit des § 217 StGB und stellte darauf ab, dass „die existentielle Bedeutung, die der Selbstbestimmung speziell für die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität im Umgang mit dem eigenen Leben zukommt, […] dem Gesetzgeber strenge Bindungen bei der normativen Ausgestaltung eines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Suizidhilfe [auferlegt]“.64 Vom BVerfG wurde festgestellt, dass seitens des Gesetzgebers eine Überschreitung dieser Bindungen vorliegt. Zwar könnten es die hochrangigen Verfassungsgüter Autonomie und Leben prinzipiell rechtfertigen, dass auf das Instrument des Strafrechts – selbst in Gestalt von abstrakten Gefährdungsdelikten – zurückgegriffen werde. Einzelfallabhängig könne die staatliche Schutzpflicht die Ausgestaltung von rechtlichen Regelungen derart erfordern, dass schon die Gefahr gebannt werde, dass Grundrechte verletzt würden.65 Diese Ansicht findet in dieser Arbeit Niederschlag, da im 6. Kapitel B) II. die von Roxin vorgeschlagene Alternative des alleinigen Verweises auf das Ordnungswidrigkeitenrecht abschlägig beurteilt wurde. 61 62 63 64 65
BVerfG NStZ 2020, 528 (534). BVerfG NStZ 2020, 528 (534). BVerfG NStZ 2020, 528 (534). BVerfG NStZ 2020, 528 (534). BVerfG NStZ 2020, 528 (534 f.).
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Erster Teil
Nach Meinung des Gerichts ist die verfassungsrechtlich anerkannte Hochrangigkeit des Lebens und der Autonomie in der Regel zur Legitimation von wirksamem Präventivschutz geeignet. Dies gelte vor allem im Bereich der Suizidhilfe, in dem besondere Gefahren zu verzeichnen seien. Denn immerhin könne der vollzogene Suizid nicht mehr rückgängig gemacht werden. Indes sei der legitime Rückgriff auf das Strafrecht zwecks Schutzes der Autonomie jedes Menschen in Bezug auf die Beendigung seines Lebens dann begrenzt, wenn die freie Entscheidung unmöglich gemacht anstatt lediglich geschützt werde. Sowohl die Straflosigkeit des Suizids als auch die Hilfe hierzu unterlägen als Zeichen der grundgesetzlich geforderten Anerkennung der individuellen Selbstbestimmung keineswegs der freien gesetzgeberischen Disposition. Die Verfassung beruhe auf einem Menschenbild, welches von der Würde des Menschen ebenso geprägt sei wie von der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Autonomie und Eigenverantwortung. In der Entscheidung jedes Einzelnen, sich bei eigener Betrachtung der Sinnhaftigkeit seines weiteren Lebens dieses nehmen zu wollen, sei ein Akt der autonomen Selbstbestimmung zu sehen.66 Dem BVerfG zufolge ist trotz des anerkannten Rechts auf selbstbestimmtes Sterben dem Gesetzgeber keinesfalls die Durchführung der generellen Suizidprävention verwehrt. Vor allem dürfe dieser krankheitsbedingten Suizidwünschen dadurch entgegentreten, dass er palliativmedizinische Behandlungsangebote erweitere und stärke. Ferner müsse er sich gegen die Gefahren für das Leben und die Autonomie stemmen, die Einfluss auf die Entscheidung des Einzelnen für den Suizid haben könnten. Allerdings dürfe er sich dieser sozialpolitischen Verpflichtung nicht mittels kompletter Außerkraftsetzung des geschützten Rechts auf Selbstbestimmung zwecks Bannung von autonomiegefährdenden Risiken entledigen. Stattdessen müsse jeder Mensch frei in seiner Entscheidung darin sein, Angebote zur Erhaltung seines Lebens nicht in Anspruch zu nehmen und seinem Leben sogar mit der Hilfe Dritter ein Ende setzen zu können.67 Mit dem in § 217 StGB erklärten Verbot gehe eine Verletzung der autonomen Selbstbestimmung einher. Im Verbund mit der bei seiner Einführung gegebenen Rechtslage werde das Recht auf Suizid hierdurch größtenteils faktisch aufgehoben.68 Diese Wirkung wird laut dem BVerfG dadurch verstärkt, dass dem Suizidwilligen oftmals abseits der geschäftsmäßigen Angebote der Suizidhilfe keineswegs noch reelle Optionen zur Umsetzung seines Selbsttötungsentschlusses 66 67 68
BVerfG NStZ 2020, 528 (535). BVerfG NStZ 2020, 528 (535). BVerfG NStZ 2020, 528 (536).
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020
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zur Verfügung stünden. Wenn er kein geschäftsmäßiges Angebot zur Suizidhilfe annehmen könne, sei er insbesondere darauf angewiesen, dass ein insoweit bereitwilliger Arzt mittels Verschreibung der erforderlichen Wirkstoffe den Suizid assistierend unterstütze. Eine solche Bereitschaft eines Arztes könne indes lediglich in Ausnahmefällen angenommen werden. Immerhin existiere keine Verpflichtung des Arztes zum Leisten von Suizidhilfe.69 Dieser Ausnahmefall wurde durch den § 217 StGB erst richtig befeuert. Im Falle einer gesetzlichen Erlaubnis für Ärzte zur Suizidhilfe wäre mit Sicherheit eine höhere Bereitschaft zu erkennen. Die in dieser Arbeit aufgezeigte Statistik belegt diesbezüglich eine eher geringe Bereitschaft. Des Weiteren wird nach Ansicht des Gerichts die persönliche Bereitschaft der einzelnen Ärzte durch deren Berufsrecht abseits oder sogar wider ihre individuelle Gewissensentscheidung begrenzt.70 In dieser Arbeit wurde oben im 4. Kapitel D) II. 2. die Diskussion der Anpassung und Öffnung des ärztlichen Berufsrechts zur freien Gewissensentscheidung des Arztes dargelegt. Im Hinblick auf den Zugang zum assistierten Suizid kann es dem BVerfG zufolge aber nicht darauf ankommen, ob Ärzte sich bereit erklärten, nicht gemäß dem geschriebenen Recht zu handeln, sondern sich unter Rückgriff auf ihre eigene grundgesetzlich garantierte Freiheit eigenständig dem zu widersetzen. Bei Fortgeltung dieser Situation sei ein tatsächlicher Bedarf anzuerkennen, Suizidhilfe geschäftsmäßig anzubieten.71 Durch diese Aussage wird die in dieser Arbeit aufgeworfene Forderung nach einer entsprechenden Änderung der ärztlichen Berufsordnungen bekräftigt. Gleichfalls wird, wenn in Bezug auf Ärzte auf das Verbot in den Berufsordnungen verwiesen wird, somit der Weg wieder für Suizidhilfevereine geebnet, für die die ärztlichen Berufsordnungen und mithin das darin enthaltene Verbot nicht gelten. Dies kann sich in der Konsequenz keineswegs als Lösung erweisen. Weiter führt das Gericht aus, dass die unverhältnismäßige Begrenzung der individuellen Selbstbestimmung auch nicht dadurch kompensiert werden könne, dass die palliativmedizinische Patientenversorgung verbessert werde, zumal keine Pflicht existiere, die palliativmedizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Von der Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, sei gleichzeitig diejenige Entscheidung erfasst, nicht auf vorhandene Alternativen zurückgreifen zu müssen. Hierin sei ebenfalls ein Akt der autonomen Selbstbestimmung zu erblicken. Überdies dürfe der Sterbewillige keineswegs auf die 69 70 71
BVerfG NStZ 2020, 528 (536). BVerfG NStZ 2020, 528 (536). BVerfG NStZ 2020, 528 (537).
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Erster Teil
Möglichkeit verwiesen werden, sich die Suizidhilfe im Ausland zu organisieren. Denn angesichts des Art. 1 Abs. 3 GG müsse Deutschland den notwendigen grundgesetzlichen Schutz innerhalb der nationalen Rechtsordnung garantieren.72 Der Träger von deutschen Grundrechten muss also seinen grundrechtlichen Schutz auch von der deutschen Rechtsordnung erfahren. Er darf nicht darauf verwiesen werden, diesen Schutz im Ausland durch ausländische Verfassungen und Rechtsnormen erlangen zu müssen. Der deutsche Gesetzgeber ist verpflichtet, selbst für diesen rechtsstaatliche Lösungen bereit zu halten. Darüber hinaus können nach Meinung des Gerichts Aspekte des Schutzes Dritter, z.B. die Verhinderung von Nachahmungseffekten, nicht für eine Rechtfertigung dessen sorgen, dass der Einzelne es zu akzeptieren hat, dass sein Recht auf Selbstbestimmung faktisch aufgehoben wird.73 Außerdem weist es darauf hin, dass seine Beurteilung mit der EMRK sowie den vom EGMR verlangten konventionsrechtlichen Wertungen konform geht.74 Dies wird in dieser Arbeit im Rahmen der Behandlung des Postma-Falles im 6. Kapitel B) III. 1. a) dargelegt. Laut BVerfG stellt § 217 StGB ferner eine Verletzung der Grundrechte der deutschen Ärzte und Rechtsanwälte dar, die Hilfe zum Suizid offerieren wollen. Diese Norm tangiere zwar nicht die durch Art. 4 Abs. 1 2. Alt. GG geschützte Gewissensfreiheit. Denn die auf einer Gewissensentscheidung basierende Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung, welche eben nicht auf einer Wiederholungsabsicht beruhe, stelle keine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung dar.75 Hingegen liegt gemäß dem Gericht ein Eingriff in das Grundrecht dieser Personengruppen aus Art. 12 Abs. 1 GG insoweit vor, als § 217 StGB strafbewehrt verbiete, bei ihrer ärztlichen oder anwaltlichen Berufsausübung geschäftsmäßig Gelegenheit zum Suizid zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Eine im Rahmen der beruflichen Tätigkeit geleistete Suizidhilfe falle keineswegs von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG heraus. Vor allem könne das einfachgesetzliche Verbot des § 217 StGB nicht zum Ausschluss des geschäftsmäßigen Förderns des Suizids von diesem grundrechtlichen Schutz führen. Denn der Gewährleistungsgehalt könne als verfassungsrechtliches Kriterium hinsichtlich eines gesetzlichen Verbots keine Bestimmung durch das einfa72 73 74 75
BVerfG NStZ 2020, 528 (537). BVerfG NStZ 2020, 528 (537). BVerfG NStZ 2020, 528 (537). BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 309 [Fassung vom 22.3.2020].
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020
233
che Recht erfahren. Ferner zeige sich die selbst geschäftsmäßig erbrachte Suizidhilfe keineswegs „schon ihrem Wesen nach als verboten […], weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben könne[n]“.76 Aus Sicht u.a. der beschwerdeführenden Ärztin mit Schweizer Staatsangehörigkeit und der deutschen Vereine kommt dem BVerfG zufolge eine Berufung auf den subsidiären Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht. Schweizer Staatsangehörige könnten sich schon in persönlicher Hinsicht nicht auf die den Deutschen vorbehaltene Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG stützen. Aus dem Blickwinkel der Vereine stelle das Angebot der Suizidhilfe keine berufliche Tätigkeit i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG dar, da das insofern zu verlangende Vorhandensein eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur zu bejahen sei, falls der Verein wie ein Kaufmann auf dem Markt agiere. Dies wiederum sei gegeben, sofern ein Verein seinen Mitgliedern als Leistungsanbieter gegenüberstehe und diese Leistungen unbeeinflusst von einer Mitgliedschaft gewöhnlicherweise auch von Dritten offeriert würden. Dieser letzte Aspekt sei beim beschwerdeführenden Verein nicht gegeben, da seine Tätigkeit auf die Verwurzelung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in Deutschland und die Unterstützung seiner Vereinsmitglieder bei dessen Durchsetzung abziele.77 Ebenfalls nicht tangiert ist nach Auffassung des Gerichts der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG. Diese Norm bedeute eine spezifische Organisationsgarantie. Diese gewährleiste Freiheitsschutz allein für Organisationsakte, biete jedoch keine allgemeine Handlungs- oder Zweckverfolgungsfreiheit, welche mit keiner anderen Bedingung verknüpft wäre als ihre vereinsmäßige Ausübung. Ferner sei in § 217 StGB ein allgemeines Strafgesetz zu sehen, das mit dem Schutzzweck des Art. 9 Abs. 1 GG konform gehe und auf das als Bezugsnorm für ein Vereinsverbot zurückgegriffen werden könne.78 Den Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG begründete das BVerfG damit, dass § 217 StGB aufgrund des Verstoßes gegen das objektive Verfassungsrecht auch im 76 77 78
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 310 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 313 ff. [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 325 ff. [Fassung vom 22.3.2020].
234
Erster Teil
Verhältnis zu unmittelbaren Normadressaten nichtig sei. Die grundrechtlich geschützte Freiheit des Suizidenten, sein Leben mithilfe Dritter ein Ende zu setzen, sei inhaltlich vom grundrechtlichen Schutz der Suizidhilfe abhängig. Deshalb müsse den tatsächlich zur Suizidhilfe bereiten Dritten das Recht zur Umsetzung dieser Bereitschaft auch in rechtlicher Hinsicht eingeräumt werden. Daher gehe unter dem Aspekt der rechtlichen Abhängigkeit mit dem Recht auf Selbstbestimmung des Sterbewilligen ein weitreichender grundrechtlicher Schutz solcher Dritten einher.79 Somit muss der Grundrechtsschutz des Sterbewilligen als Voraussetzung für das dazu in Abhängigkeit stehende Recht der Ärzte zur Suizidhilfe bejaht werden.
3. Möglichkeit der einschränkenden Auslegung und Regelungsvoraussetzungen Nach Ansicht des Gerichts ist eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung des § 217 StGB ausgeschlossen, weil sie der gesetzgeberischen Intention widerspräche. Insbesondere eine Auslegung zur Ausnahme von Ärzten vom Verbot des § 217 StGB könne nicht in Erwägung gezogen werden. Denn diese Vorschrift sei vom Gesetzgeber als Allgemeindelikt konzipiert mit einer bewussten Abstandnahme davon, in Heilberufen Tätige zu privilegieren.80 Jedoch stellte das BVerfG klar, dass dem Gesetzgeber keineswegs von Verfassung wegen die Regulierung der Suizidhilfe verwehrt sei. Diesbezüglich müsse jedoch gewährleistet sein, dass in Bezug auf die Befugnis des Einzelnen zur selbstbestimmten Beendigung seines Lebens noch ausreichender Platz zur Entfaltung und Umsetzung eingeräumt bleibe. Um diese Selbstbestimmung zu schützen, sei dem Gesetzgeber mit Sicht auf die organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten eröffnet. Dieses Spektrum könne von der positiven Bestimmung von prozeduralen Sicherungsmechanismen wie gesetzlichen Aufklärungs- und Wartepflichten über Erlaubnisvorbehalte zwecks Gewährleistung der Sicherung von Angeboten zur Suizidhilfe bis hin zu Verboten von besonders gefahrträchtigen Arten der Suizidhilfe analog der Intention zu § 217 StGB in Frage kommen. Auch sei der strafrechtliche Schutz derartiger Regelungen denkbar.81
79 80 81
BVerfG, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2020/ 02/rs20200226_2bvr234715.pdf;jsessionid=AF1B39F1F28B48BC1ADD3008CF7276 C2.2_cid361?__blob=publicationFile&v=4, Rn 331 [Fassung vom 22.3.2020]. BVerfG NStZ 2020, 528 (538). BVerfG NStZ 2020, 528 (538).
Siebentes Kapitel: Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020
235
Das verfassungsrechtlich anerkannte Recht auf Selbsttötung untersagt nach Meinung des Gerichts allerdings die Unterwerfung der Zulässigkeit der Suizidhilfe unter materielle Kriterien wie etwa die Feststellung einer unheilbaren bzw. tödlichen Krankheit. Nichtsdestotrotz dürfe der Gesetzgeber abhängig von der jeweiligen Lebenssituation unterschiedliche Bedingungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Willens des Suizidenten aufrufen.82 Damit könnte in der Konsequenz doch an eine terminale Erkrankung angeknüpft werden, wenn eben diese letzte Phase einer lebensbedrohlichen Erkrankung als entsprechende Lebenssituation mit Sicht auf Suizidhilfe reguliert werden darf. Laut BVerfG bedarf es dann der Anpassung des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker sowie ggf. der Änderung des Betäubungsmittelrechts. Das bedeute aber nicht, dass der Verbraucher- und Missbrauchsschutz aus dem Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht nicht weiterhin bestehen bleiben und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe integriert werden könne. Allemal dürfe keine Verpflichtung zur Suizidhilfe ausgerufen werden.83
82 83
BVerfG NStZ 2020, 528 (538). BVerfG NStZ 2020, 528 (538).
ZWEITER TEIL
Erstes Kapitel: Folgerungen aus dem Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 und Ausblick Laut dem Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 existiert keine Basis für ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen. Vielmehr stellt das Gericht einen Bedarf solcher Organisationen fest, den der Gesetzgeber zumindest so lange nicht mehr leugnen kann, wie er den Suizidenten nicht andere Möglichkeiten zur Seite stellt, um in Würde und Ausübung ihrer Autonomie ihrem Leben ein Ende setzen zu können.1 Doch trotz der Nichtigkeit des § 217 StGB muss in der Zukunft vermieden werden, dass Suizidhilfeangebote à la „Mr. Die“ – und mithin als eine auf Profit ausgerichtete Massenabfertigung – unterbreitet werden dürfen, die sich für ein unproblematisches, rasches und sozialverträgliches Ableben einsetzen und hierfür großzügig entlohnt werden. Die Sterbehilfe darf nicht auf diese Art kommerzialisiert werden.2 Nach Hilgendorf wird nunmehr ein austariertes System benötigt, „das die Hilfe zum Sterben am besten den Ärzten überlasse“.3 Diese Unterstützung des Sterbewilligen durch Ärzte setzt voraus, dass sich diese zur Übernahme dieser Aufgabe bereit erklären. Hierzu bedarf es einer Fortentwicklung der ärztlichen Ethik, damit die Ärzteschaft Handlungssicherheit erlangt. Diesbezüglich ist deren Zusammenarbeit mit der Medizinethik sowie der praktischen Philosophie erforderlich.4 Gemäß der Meinung von Wortmann sollte „die Ärzteschaft
1
2 3 4
Lorenz, BVerfG kippt § 217 StGB: „Die freie Entscheidung in letzter Konsequenz akzeptieren“, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-2-bvr-2347-15-verbot-geschaeftsmaessige-foerderung-selbsttoetung-verfassungswidirg-selbstbestimmung-letztekonsequenz/ [Fassung vom 14.3.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020].
https://doi.org/10.1515/9783110765731-008
240
Zweiter Teil
[…] die nun geschaffenen Freiräume rasch besetzen, ehe es andere tun, die keinen Eid auf das Leben geschworen haben“.5 Das in der Zukunft zu lösende Problem besteht darin zu erkennen, wann von einer mangelnden Autonomiefähigkeit ausgegangen werden muss und wo die Grenzen der autonomen Entscheidungsmacht liegen. Möglicherweise kann ein Rückgriff auf die Prinzipien der Einwilligung in einen Heileingriff und in den Behandlungsabbruch erfolgen. Zudem muss vermehrt auf psychiatrische Erkenntnisse in Bezug auf die Autonomiefähigkeit jedes Einzelnen abgestellt werden.6 Denn nur bei Bejahung der Autonomiefähigkeit kann auch die Überprüfung der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des geäußerten Suizidwunsches erfolgen. Das BVerfG hat geurteilt, dass keine in der Person des Sterbewilligen selbst liegenden Voraussetzungen gefordert werden dürfen. Vor allem wird damit kein letales Leid zur Bedingung gemacht. Zur Minderjährigkeit eines Suizidenten hat sich das Verfassungsgericht überhaupt nicht geäußert. In der Konsequenz könnte dies zu einer Fristenlösung wie in § 218a StGB führen, der wie folgt lautet: (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1.
die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 S. 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,
2.
der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und
3.
seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
Es ist keineswegs davon auszugehen, dass das BVerfG auf eine vergleichbare Regelung mit einer Drei-Tages-Frist abzielt. Denkbar wäre aber z.B. eine Frist für die Beratung von drei Monaten. Dann aber soll die Suizidbeihilfe durch geschäftliche Suizidhelfer geleistet werden, weil diese den Ärzten aufgrund ihrer Berufsordnung immer noch untersagt ist. Hieraus würden jedoch die Konsequenzen resultieren, dass die Suizidhilfe auch bei verhältnismäßig nichtigem Anlass wie etwa Liebeskummer rechtlich zulässig wäre und die Betreuung der Suizidenten wieder in die Hände von Sterbehilfevereinen gelegt würde. Mit anderen Worten: Es würde sich keine Veränderung zur jetzigen 5 6
Wortmann, „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ - BVerfG-Urteil zur Sterbehilfe ist ein Aufruf zum Handeln für Ärzte, https://www.aerztezeitung.de/Politik/BVG-Urteil-zurSterbehilfe-ist-ein-Aufruf-zum-Handeln-fuer-Aerzte-407157.html [Fassung vom 9.4.2020]. Hilgendorf, Zum Urteil des BVerfG zu § 217 StGB: Selbstbestimmt bis in den Tod, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-sterbehilfe-217-stgb-kommentarautonomie-gesetzgebung-aerzte-sterbehilfeorganisationen/ [Fassung vom 14.3.2020].
Erstes Kapitel: Folgerungen aus dem Urteil des BVerfG und Ausblick
241
Rechtslage ergeben, so wie es sich nach der Nichtigerklärung des § 217 StGB momentan darstellt. Denn beide erwähnten Konsequenzen sind nach jetziger Rechtslage schon gegeben. Das ursprüngliche Ziel des Gesetzgebers, durch § 217 StGB eine Änderung der Rechtslage zu bewirken, könnte also auch durch eine an § 218a StGB orientierte Lösung nicht erreicht werden. Zu Ende gedacht würde in Deutschland die laxeste europäische Regelung zur Suizidhilfe entstehen. Zunächst sollte nach der Intention des Gesetzgebers die Suizidhilfe mithilfe des § 217 StGB faktisch unmöglich gemacht werden. Aber mit diesem Urteil des BVerfG wird die Suizidhilfe zu einem Recht, das jedermann zu jeder Zeit für sich beanspruchen könnte. Eine solche „neue“ Rechtslage wäre abzulehnen. Durch dieses Urteil des BVerfG ist der Suizidhilfe nun wieder Tür und Tor geöffnet, denn mit der Aufhebung des § 217 StGB ist der vorherige ursprüngliche Rechtszustand wieder hergestellt. Zwar ist Hillgruber der Auffassung, dass dem BVerfG eine geltungserhaltende Reduktion des Anwendungsbereichs des § 217 StGB möglich gewesen wäre. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention zur Eindämmung von Sterbehilfeorganisationen hätte das Gericht eine dementsprechende Beschränkung dieser Norm vornehmen können.7 Die Diskussion über die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion ist nun aber müßig, da sich das BVerfG – wie oben im 7. Kapitel B) III. 3. dargelegt – dagegen ausgesprochen und den § 217 StGB in seiner Gesamtheit für nichtig erklärt hat. Damit stellt sich für die Zukunft die Frage, ob dennoch ein Weg gefunden werden kann, das gesetzgeberische Ziel so weitgehend wie rechtlich möglich zu erreichen. Diesen Weg kann der im 2. Kapitel dargelegte eigene Regelungsvorschlag ebnen.
7
Hillgruber, Sterbehilfe-Urteil: Was tun?, https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/ Sterbehilfe-Urteil-Was-tun;art315,206003 [Fassung vom 14.3.2020].
Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag A) Ausgangsüberlegung Zunächst erscheint es, als habe das BVerfG das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“: Hatten wir zuvor eine allzu enge Regelung, die die Sterbehilfe faktisch überhaupt nicht mehr zuließ, stehen wir derzeit vor einem völlig ungeregelten Sachverhalt, und die Idee des Verfassungsgerichts, die man als möglichen indirekten Vorschlag einer Fristenlösung deuten mag, erscheint eher vage. Auch Hillgruber sieht eine verklausulierte Aufforderung des BVerfG, das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker für Suizidhilfe zu öffnen. Außerdem sei ein deutlicher Wink in die Richtung zu erkennen, den Erwerb von Selbsttötungsmitteln freizugeben.1 Wichtig erscheint es, im Rahmen der Ausarbeitung eines Lösungsvorschlages nochmals auf die Grundprämisse des Gerichts einzugehen: Jeder Mensch müsse frei in seiner Entscheidung darin sein, Angebote zur Erhaltung seines Lebens nicht in Anspruch zu nehmen und seinem Leben sogar mit der Hilfe Dritter ein Ende setzen zu können.2 Achtet man hier auf den Wortlaut, lässt sich feststellen, dass von passiver Sterbehilfe – Nichtinanspruchnahme von Angeboten zur Erhaltung des Lebens, wie sie bereits generell erlaubt ist – und assistiertem Suizid gesprochen wird. Der aktiven Sterbehilfe jedoch, wie sie in den Niederlanden ermöglicht wird, wird eine Absage erteilt. Dies erscheint, betrachtet man die Entwicklung in den Niederlanden, nur folgerichtig: Man mag allen Beteiligten nur beste Absichten unterstellen – denn es ist offensichtlich, dass zumindest der Verdacht des Missbrauchs um ein Vielfaches höher ist, wenn wir von aktiver Sterbehilfe sprechen. Das BVerfG scheint hier, davon abgesehen, sehr weite Türen geöffnet zu haben. Allerdings muss man dessen Urteil auch im Licht der Rechtsprechung des EGMR sehen: Danach müssen liberale Lösungen in Bezug auf die Unterstützung der Selbsttötung immer von geeigneten Maßnahmen zur Umsetzung
1 2
Hillgruber, Sterbehilfe-Urteil: Was tun?, https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/ Sterbehilfe-Urteil-Was-tun;art315,206003 [Fassung vom 14.3.2020]. BVerfG NStZ 2020, 528 (533).
https://doi.org/10.1515/9783110765731-009
Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag
243
der entsprechenden Gesetzgebung, insbesondere zur Verhinderung von Missbrauch, flankiert sein.3
B) Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit der Suizidbeihilfe Aus der Arbeit wird deutlich, dass die rechtliche Gestattung von Suizidbeihilfe wichtig ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass es nach der Aufhebung des § 217 StGB bei der vormaligen Rechtslage, d.h. derjenigen vor dem Inkrafttreten dieser Norm bestehenden, verbleiben sollte. Um die Suizidbeihilfe möglich und rechtlich zulässig zu machen, sollten die nachfolgenden Rahmenbedingungen Berücksichtigung finden:
I. Verbot der aktiven Sterbehilfe Als erste Bedingung hat zu gelten: Die aktive Sterbehilfe bleibt (weiterhin) untersagt. Ja, es gibt Fälle, in denen ein Patient derart bewegungsunfähig ist, dass er sich selbst das Leben nicht mehr zu nehmen vermag – und diese Fälle mögen quälerisch für alle Beteiligten sein. Dennoch: Dieses Spannungsfeld gilt es auszuhalten, auch und gerade um Argumenten gegen die Suizidbeihilfe immer wieder voller Überzeugung widersprechen zu können. Bereits Borasio et al. verweisen in ihrer Begründung darauf, dass die vorgeschlagene Neuregelung die Grenze zu der nach § 216 StGB verbotenen Tötung auf Verlangen unberührt lassen soll. Bei der Suizidhilfe habe der Betroffene selbst die Tatherrschaft inne, nehme also z.B. die tödliche Substanz selbst ein, während bei der Tötung auf Verlangen ein anderer das todbringende Mittel verabreiche.4 Wichtig ist dies auch im Hinblick auf die Straffreiheit der Suizidbeihilfe. Nur diese alleine trägt dem deutschen System, in welchem Beihilfe eine rechtswidrige Haupttat verlangt – welche der Suizid nicht ist – gebührend Rechnung. Ein Bruch innerhalb dieses Systems wird hier nicht befürwortet. Nichtsdestotrotz steht es dem Staat frei, auch ein strafloses Verhalten mit bestimmten Voraussetzungen zu versehen. Die aktive Sterbehilfe muss weiterhin verboten bleiben.
3 4
EGMR NJW 2011, 3773 (3774 f.). Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 6.
244
Zweiter Teil
II. Verbot von Sterbehilfevereinen Das Verbot von Sterbehilfevereinen und deren Tätigkeit muss im Rahmen einer strafrechtlichen Regelung bestehen bleiben. Insofern ist, wie schon im 6. Kapitel B) II. dargelegt, der Forderung Roxins, eine Regelung nur durch das Ordnungswidrigkeitenrecht herbeizuführen, zu widersprechen. Hierbei geht es nicht um die Strafbarkeit des assistierten Suizids an sich – diese kann ja, mangels Akzessorietät, nicht gegeben sein. Aber die Herabwürdigung des Sterbevorganges dadurch, dass ein Profit erzielt wird, die mögliche Gewinnsucht der Vereine und die Ausnutzung der Angst der Menschen vor einem qualvollen Tod erscheint durchaus strafwürdig. Ärzte hingegen sind durch ihre Qualifikation am besten dazu geeignet, den Patienten am Ende seines Lebens zu begleiten. Die Kenntnisse in der Medizin schreiten von Tag zu Tag voran. Ein schneller wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt, zugleich ein Anstieg chronischer Krankheiten, dagegen wiederum die Fähigkeit, chronische Patienten über viele Jahre am Leben zu erhalten, sind entscheidende Entwicklungen in der Medizin. Auch die fortschreitenden Erkenntnisse in der Geriatrie und Palliativmedizin gehören dazu. Die Ärzteschaft sollte auf die Wünsche aller Patienten achten und sich bemühen, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Der assistierte Suizid durch den Arzt muss von der Strafbarkeit ausgenommen sein, sofern er bestimmten Regelungen folgt – außerhalb des Strafrechts, die umgrenzen, wie eine Suizidbegleitung de lege artis zu erfolgen hat. Zwar ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass Ärzte auch in Sterbehilfevereinen aktiv mitwirken. Trotzdem wird durch das Verbot von Sterbehilfevereinen das Risiko eingedämmt, dass nicht aus medizinischen Gründen gehandelt wird, sondern in erster Linie aus Profitgier.
III. Kein aktiver Vorschlag eines assistierten Selbstmords Der Arzt sollte dem Patienten keinen assistierten Selbstmord vorschlagen. Stattdessen sollte der Patient die Möglichkeit haben, um eine solche Unterstützung zu bitten. Dafür muss ein vertrauensvolles Umfeld geschaffen werden. Der aktive Vorschlag durch den Arzt könnte das Vertrauen zwischen dem Arzt und dem Patienten untergraben und dem Patienten vermitteln, dass der Arzt ihn aufgibt. Ebenso könnte ein solches Angebot den Willen des Patienten untergraben, zu leben und weitere Wege der Behandlung in Betracht zu ziehen. Viele niederländische Forscher und Ärzte sehen dieses Problem nicht als signifikant an. Einige von ihnen halten es für wichtig, das Problem anzusprechen, wenn es den Anschein hat, als würden Patienten es nicht wagen, das Gespräch
Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag
245
über Sterbehilfe und assistierten Suizid selbst zu initiieren. Zweifellos sind sich jedoch alle Menschen in den Niederlanden der Verfügbarkeit von Sterbehilfe und assistiertem Suizid bewusst. Jegliche Zurückhaltung des Patienten in Bezug auf eine derartige Erörterung sollte gewürdigt und respektiert werden. Ganz wichtig ist somit das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und seinem Arzt. Der Patient muss das Gefühl und die Überzeugung haben, dass der Arzt alles Erdenkliche macht, um ihn am Leben zu erhalten. Dieses Verhältnis ist nicht gegeben, wenn der Arzt den Patienten aktiv überzeugen will, dass es besser wäre, keine weiteren Behandlungen mehr durchzuführen.
IV. Rechtsgültige Erklärung des Sterbewilligen Der Wunsch des Sterbewilligen hinsichtlich eines assistierten Suizids muss „wasserdicht“ sein. Seine Erklärung muss deshalb in Form eines dokumentierbaren Antrags erfolgen. Der Antrag auf einen assistierten Suizid sollte nur von einem geistig gesunden, erwachsenen Patienten gestellt werden können, der an einer schwer zu behandelnden, unheilbaren und irreversiblen Krankheit leidet.
1. Volljährigkeit In vielen Ländern, in denen der assistierte Suizid und sogar die aktive Sterbehilfe legalisiert wurden, ist deren Inanspruchnahme inzwischen – unter bestimmten Voraussetzungen – auch Minderjährigen möglich. Auch das deutsche Recht stellt bei der Behandlung eines minderjährigen Patienten auf dessen Einsichtsfähigkeit und nicht auf die Volljährigkeit ab. Dennoch erscheint das Abstellen auf die Volljährigkeit als Mindeststandard für eine derart unwiderrufliche Entscheidung vorzugswürdig: Es nimmt den Patienten aus dem Spannungsfeld mit den Eltern. Der Patient, wenn er volljährig ist, trifft eine eigene, selbst zu verantwortende Entscheidung. Es besteht weder die Notwendigkeit einer Zustimmung durch die Eltern – was ggf. bei Minderjährigkeit der Fall wäre – noch entsteht eine Situation, in der die Eltern – egal in welche Richtung – Druck auf den Patienten ausüben könnten. So fordern bereits Borasio et al. in ihrem Gesetzesvorschlag die Volljährigkeit des Patienten.5 Entscheidend ist dies für die Freiverantwortlichkeit des Suizid5
Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 3.
246
Zweiter Teil
entschlusses. Ein Suizid kann auf affektiven Impulsen, Fehlinformationen, unzulänglicher medizinischer Versorgung, Druck von Außenstehenden oder schweren seelischen Störungen basieren.6 Bei Suizidenten unter 18 Jahren kann in der Regel keine freiverantwortliche Entscheidung angenommen werden, da es ihnen an geistiger Reife fehlt, die komplette Tragweite ihres Suizidwunsches zu überblicken.
2. Geistige Gesundheit – keine Suizidbeihilfe bei psychischen Erkrankungen oder Demenz Aus oben genannter Erwägung heraus ergibt sich auch, dass eine Suizidbeihilfe nur bei Feststellung geistiger Gesundheit und voller Zurechnungsfähigkeit zum aktuellen Zeitpunkt des Todeswunsches zu verantworten ist. Ein Gegenbeispiel hierzu bildet eines der aktuellen Urteile des Hohen Rates der Niederlande.7 Hiernach besteht derzeit die Möglichkeit, in einer Patientenverfügung Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine bewusste Entscheidung nicht mehr getroffen werden kann, wie z.B. im Falle der Demenzerkrankung. Der Arzt kann einer solchen ehemals schriftlich niedergelegten Aufforderung nachkommen, wenn alle Anforderungen des Sterbehilfegesetzes – wie oben im 6. Kapitel B) III. über die Regelungen der Niederlande dargelegt – erfüllt sind. Der Arzt ist dann nicht strafbar. Diese Möglichkeit, einem früheren schriftlichen Antrag auf Beendigung des Lebens nachzukommen, besteht nach dem Hohen Rat auch dann, wenn die Unfähigkeit, einen Willen auszudrücken, durch fortgeschrittene Demenz verursacht wird. Auch in diesem Fall müssten alle Anforderungen des Sterbehilfegesetzes erfüllt sein. Diese Anforderungen stellten sicher, dass Ärzte mit der gebotenen Sorgfalt handeln, und deshalb müssten sie hier so interpretiert werden, dass sie den Sonderfällen fortgeschrittener Demenz gerecht würden. Diese Argumentation scheint nicht schlüssig, denn die Anforderungen an die gebotene Sorgfalt beim assistierten Suizid sind eine Folge, wenn der Suizid ansonsten den notwendigen Voraussetzungen entspricht. Die Sorgfalt aber ebenfalls zur Rechtfertigung zu machen, um auch Sonderfällen die entsprechende Legitimation zu vermitteln, erscheint daher rechtstheoretisch verfehlt. 6 7
Borasio / Jox / Taupitz / Wiesing, Pressemitteilung anlässlich der Präsentation des Buches Selbstbestimmung im Sterben, S. 5. ECLI:NL:HR:2020:712, Urteil des Hohen Rats vom 21.4.2020, https://uitspraken. rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:HR:2020:712&showbutton=true&keyword =dementie+euthanasie [Fassung vom 20.8.2020]; siehe die Urteilsbesprechung von Hörnle, JZ 2020, 872 (873 f.).
Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag
247
Ähnliches hat zu gelten im Falle von psychischen Erkrankungen. Unter die krankhaften seelischen Störungen i.S.d. §§ 20, 21 StGB fallen exogene Psychosen oder Persönlichkeitsveränderungen wie u.a. Hirnverletzungen, Hirninfektionen, progressive Paralyse, Wochenbettpsychosen ebenso wie endogene Psychosen wie z.B. Schizophrenie und Paranoia sowie Manie und Depressionen.8 Wenn eine rechtliche Zurechnungsfähigkeit i.S.d. vorgenannten Normen die Grundlage eines zulässigen assistierten Suizids sein soll – und diese Anforderung wird vorliegend gestellt –, ist gerade eine Depression, vor allem eine schwere, hier ein Ausschlussgrund. Laut der aktuellen Ausgabe der ICD, F.32 „leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor“.9 Dem Depressiven erscheint die Welt komplett aussichtslos. Damit ist hier kein aufgeklärtes Handeln unter Abwägung aller Behandlungsalternativen (Antidepressiva, tiefe Hirnstimulation etc.) möglich. Unter derartigen Prämissen ist ein assistierter Suizid durch den Arzt abzulehnen. Aus dieser Voraussetzung ist zu folgern, dass zum Zeitpunkt des aktuellen Suizidentschlusses eine Begutachtung durch einen Psychiater zu erfolgen hat, der die geistige Gesundheit des Suizidwilligen zweifelsfrei attestiert.
3. Schwere unheilbare und irreversible Erkrankung Wie auch im Entwurf von Borasio et al. gefordert, muss der Patient an einer unheilbaren, und vor allem somatischen, letalen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden. Das BVerfG hat gerade diese Voraussetzung in seinem Urteil nicht zur Bedingung gemacht. Nach diesseitiger Ansicht ist dies jedoch zwingende Voraussetzung, um eine uferlose Ausweitung des assistierten Suizids von vorneherein zu verhindern. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine psychische Erkrankung mit hohem Leidensdruck die Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht ausschließe – so wird dies in den Niederlanden gesehen – und wenn es Fälle geben mag, in denen selbst eine geistige Erkrankung nicht zu Defiziten in der Willensbildung führt, muss auch den Einwänden der 8 9
UKSH, Schuldunfähigkeit, https://www.uksh.de/uksh_media/Dateien_Kliniken_Institute+/Diagnostikzentrum/Rechtsmedizin/L%C3%BCbeck/Dokumente/Schuldunfaehigkeit_online.pdf [Fassung vom 20.8.2020], S. 4. Vgl. International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, abrufbar unter https://www.icd-code.de/icd/code/F32.-.html [Fassung vom 20.8.2020].
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Zweiter Teil
Kritiker des assistierten Suizids Rechnung getragen werden. Durch diese strenge Regelung kommt der Staat seiner Pflicht aus Art. 2 EMRK und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach, verwundbare Personen „vor Handlungen zu schützen, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährden“.10 In diesem Zusammenhang wäre auch eine Begutachtung des Patienten durch einen zweiten, unabhängigen Arzt zu fordern. Der Oregon Death of Dignity Act bietet zu diesem und der zuvor geforderten Voraussetzung nach geistiger Gesundheit eine gute Leitlinie, fordert er doch wie folgt (so erläutert in den Questions & Answers):11 „[…] 3.
The attending physician and a consulting physician must confirm the patient's diagnosis and prognosis.
4.
The attending physician and a consulting physician must determine whether the patient is capable of making and communicating health care decisions for him/herself;
5.
If either physician believes the patient's judgment is impaired by a psychiatric or psychological disorder (such as depression), the patient must be referred for a psychological examination;“
Entscheidend muss also sein, dass zwei – unabhängige – Ärzte zu demselben Ergebnis kommen, dass der Patient an einer unwiederbringlich zum Tod führenden Krankheit leidet – sie müssen sich in Diagnose und Prognose einig sein. Weiterhin müssen sie überprüfen, ob der Patient in vollem Umfang eine derartige Entscheidung für sich treffen kann – was den oben benannten Grenzen hinsichtlich geistiger Gesundheit Rechnung trägt. Ist auch nur einer der Ärzte hierüber im Zweifel, so ist eine psychologische Untersuchung einzuleiten. Dass dieses Vorgehen einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen mag, in dem möglicherweise der Patient bereits ohnehin verstirbt, ist im Sinne der Rechtssicherheit zur Straflosigkeit der Ärzte hinzunehmen. Zu betonen ist hierbei auch noch, dass die Unabhängigkeit der Ärzte voneinander unbedingt gewahrt werden sollte. Am besten ein Spezialist, ggf. auch gleich ein Palliativmediziner, der weder beruflich noch anderweitig vom ersten Arzt abhängig ist, sollte die zweite Meinung abgeben. Eine niederländische Studie ergab, dass die Art der Beziehung zum beratenden Arzt im EuthanasieEntscheidungsprozess manchmal unklar war. Es wurde berichtet, dass der 10 11
EGMR NJW 2011, 3773 (3774 ff.). Q&A zum Oregon Death of Dignity Act, https://www.oregon.gov/oha/ph/ProviderPartnerResources/EvaluationResearch/DeathwithDignityAct/Pages/faqs.aspx#whatis [Fassung vom 20.8.2020].
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beratende Arzt ein unbekannter Kollege (39%), oder ein bekannter Kollege (21%) war; in einigen Fällen schien es nicht klar, ob der Kollege bekannt war oder nicht (9%); in 24% der Fälle gar hatten die Ärzte in ihrem Bericht nicht deutlich dargelegt, ob sie in einer beruflichen Beziehung zueinander standen oder nicht. In diesem Zusammenhang kann auch gefordert werden, dass die Identität und Qualifikation der beiden Ärzte von einem kleinen Ausschuss von Spezialisten näher geprüft werden, der die Anträge auf ärztlich unterstützten Suizid begutachtet. Dies dient dazu, die Möglichkeit zu vermeiden, Vereinbarungen zwischen Ärzten zu treffen („Sie werden mich in Bezug auf Herrn Müller beraten und meine Entscheidung genehmigen, und ich werde Sie in Bezug auf Frau Meier beraten, um Ihre Entscheidung zu genehmigen.“). Die vierte Anforderung stellt also Bedingungen an die Rechtsgültigkeit der Erklärung des Sterbewilligen auf, die sich sowohl auf sein Alter als auch die Schwere seiner Erkrankung nebst deren ärztlicher Begutachtung beziehen.
V. Freiwilligkeit und Dauer Der Antrag auf ärztlich assistierten Suizid eines kompetenten erwachsenen Patienten, der an einer schwer zu behandelnden, unheilbaren und irreversiblen Krankheit leidet, muss freiwillig und von gewisser Dauer sein. Der Patient sollte diesen Wunsch über einen bestimmten Zeitraum wiederholt äußern. Es muss überprüft werden, dass dieser Wunsch nicht aus einem momentanen Drang oder einem Impuls heraus oder als Produkt vorübergehender Depressionen entsteht. Diese Betonung der dauerhaften Forderung war eine der Anforderungen des abgeschafften Northern Territory-Gesetzes in Australien und ist eine der Anforderungen des Oregon Death with Dignity Act sowie der niederländischen und belgischen Rechtsrichtlinien. Mit einem aktuell bzw. zeitnah unterschriebenen Dokument sollte festgestellt werden, dass der Patient jetzt bereit ist zu sterben. Gemäß Abschnitt 2 des Oregon Act muss z.B. der schriftliche Antrag auf Einnahme von Medikamenten zum Ende des Lebens vom Patienten unterschrieben und datiert und von mindestens zwei Personen bezeugt werden, wobei von diesen Zeugen mindestens einer kein Mitarbeiter der Einrichtung sein darf, in der der Patient behandelt wird. Diese müssen in Anwesenheit des Patienten nach bestem Wissen und Gewissen bezeugen, dass der Patient in der Lage ist, eine solche Entscheidung zu treffen, dass er freiwillig handelt und dass er nicht zur Unterzeichnung des Antrags gezwungen wird. Dies sind entscheidende Voraussetzungen dafür, einen entsprechenden Miss-
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Zweiter Teil
brauch und die Gefahr einer Zwangslage, in die ein Patient ggf. gebracht werden könnte, zu verhindern. In der Freiwilligkeit und der Beständigkeit des Antrags auf assistierten Suizid ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Zulässigkeit der Suizidbeihilfe zu erblicken.
VI. Möglichkeit zum Rücktritt Daraus resultiert wiederum, dass der Patient natürlich auch bis zum letzten Moment von seinem Sterbewunsch zurücktreten kann. Dies gilt bereits unter dem Australian Northern Territory Act und unter dem Oregon Death with Dignity Act. Ebenso besagt Kapitel III, Artikel 4 des belgischen Sterbehilfegesetzes, dass Patienten ihre Sterbehilfeerklärung jederzeit zurückziehen können. Freiheit, so sie denn vollständig gewährleistet werden soll, muss immer auch Freiheit zur Umkehr bedeuten.
VII. Aufklärung des Patienten Der Arzt muss ein ausführliches, alle Alternativen beleuchtendes Gespräch vor der schriftlichen Erklärung mit dem Patienten führen, in welchem er ihm zunächst seine genaue Diagnose und Prognose erläutert und ihm sämtliche alternativen Behandlungsmöglichkeiten darlegt. Der Patient muss über die Situation und die Prognose für die (wenn auch kaum mögliche) Genesung oder Eskalation der Krankheit mit dem damit verbundenen Leiden informiert werden. Es muss ein Informationsaustausch zwischen Ärzten und Patienten stattfinden. Wir wissen, dass das ärztliche Standesrecht derzeit die Suizidhilfe noch ablehnt.12 Diese Ablehnung in ihrer Absolutheit wird vorliegend nicht geteilt; allerdings sind durchaus Standesregeln denkbar, die den Arzt zuvorderst dem Leben und dessen Erhaltung verpflichten. Umso höher müssen die Anforderungen an ein solches – selbstverständlich schriftlich dokumentiertes – Gespräch sein. Der Patient muss über alle Möglichkeiten aufgeklärt werden, einschließlich denen der Palliativmedizin, der Hospizpflege sowie der Schmerzkontrolle. Mit einer vollumfänglichen Aufklärung seitens des Arztes ist der Sterbewillige vollständig informiert, was aufgrund der Endgültigkeit seiner Entscheidung ein elementares Element seines Sterbewunsches darstellt. Bleibt der Erkrankte dennoch bei seiner Entscheidung, ist dies ein Zeichen für die ethische Rechtfertigung der Suizidbeihilfe, da dann der Autonomie des Patienten Rechnung getragen wird. 12
Siehe die Ausführungen im 3. Kapitel B).
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VIII. Außerachtlassung und Vermeidung externer Einflüsse Es muss sichergestellt werden, dass die Entscheidung des Patienten nicht auf familiären oder sonstigen äußeren Belastungen oder Beeinflussungen beruht. Manchmal haben Patienten das Gefühl, dass sie eine Belastung für ihre Angehörigen darstellen. Es ist die Aufgabe des medizinischen Personals und des professionellen Umfelds, die Motive der Patienten zu untersuchen und zu beurteilen, inwieweit sie von verschiedenen externen Belastungen betroffen sind (im Gegensatz zu einem wirklich freien Willen zu sterben). Es könnte auch eine Situation bestehen, in der der Patient keinem solchen Druck ausgesetzt ist, aber dennoch keine Belastung für andere darstellen möchte. Diese Motivlage des Patienten muss der behandelnde Arzt behutsam eruieren und so gut wie möglich jegliche Einflussnahme von außen ausschließen. Aus diesem Grund sollte auch das Aufklärungsgespräch (siehe oben die Rahmenbedingung VII. „Aufklärung des Patienten“) zwischen den Ärzten und dem Patienten ohne Anwesenheit von Familienmitgliedern geführt werden, um familiären Druck zu vermeiden. Wird schließlich ein Termin für den assistierten Suizid vereinbart, sollten die Angehörigen des Patienten allerdings benachrichtigt werden, damit sie bis zur Ausführung der Handlung anwesend sein können. Einen geliebten Menschen zu verlieren ist schmerzhaft, und im Falle eines Suizids oftmals traumatisch – dem sollte bestmöglich begegnet werden. Es ist mithin wichtig, dass auch die Motivlage zum Sterben die Suizidbeihilfe trägt und deshalb frei von externen Einflüssen besteht.
IX. Entscheidungsgremium Der ärztlich assistierte Suizid darf nur von einem Arzt und in Anwesenheit eines anderen Arztes durchgeführt werden. Das Entscheidungsgremium, das den Patienten betreut, sollte aus mindestens zwei Ärzten und ggf. einem Anwalt bestehen, der die rechtlichen Aspekte prüfen kann. Das Beharren auf diesem Protokoll würde als Sicherheitsventil gegen möglichen Missbrauch dienen. Diese zusätzliche Vorsicht sollte sicherstellen, dass das Recht, in Würde zu sterben, nicht zur Pflicht wird und sollte weiterhin zur Meldung von Fällen in ein zu schaffendes Register beitragen. Die Erfahrungen sowohl in den Niederlanden als auch in Belgien sind alarmierend, da viele Fälle des ärztlich assistierten Suizids nicht gemeldet werden. Der Arzt, der den assistierten Suizid durchführt, sollte derjenige sein, der den Patienten am besten kennt und der an der Behandlung des Patienten beteiligt war. Mit der Installation eines Entscheidungsgremiums wird das öffentliche Vertrauen in die Suizidbeihilfe gefördert.
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Zweiter Teil
X. Medizinische Durchführung Auch über die medizinische Durchführung des assistierten Suizids wird zu diskutieren sein. Möglich wäre eine von drei Arten, die alle offen diskutiert und vom Arzt und vom Patienten gemeinsam entschieden werden sollten: (1) orale Medikation; (2) selbst verabreichte, tödliche intravenöse Infusion; (3) selbst verabreichte tödliche Injektion. Orale Medikamente können für viele Patienten aufgrund von Übelkeit oder anderen Nebenwirkungen ihrer Krankheit schwierig oder unmöglich einzunehmen sein. Zwar kann es vorkommen, dass orale Medikamente eingenommen werden und der Sterbevorgang lange andauert, so dass aus Sicht des Patienten die weitere Verabreichung einer tödlichen Injektion gewollt sein könnte. Dann müsste allerdings wohl bereits strafbare aktive Sterbehilfe angenommen werden. Das im zitierten Pentobarbital-Urteil13 in Rede stehende Mittel Pentobarbital kann oral, intravenös, intraperitoneal, inhalativ, intrathorakal, intramuskulär oder subkutan verabreicht werden. Aufgrund des verzögerten Wirkungseintrittes bei allen anderen Methoden sollte eigentlich eine intravenöse Applikation bevorzugt werden. Da aber der Patient diese kaum allein durchführen kann, besteht wieder das Risiko, dass eine aktive Sterbehilfe zu verzeichnen wäre. Bei peroraler Gabe wird es rasch im Darm absorbiert.14 Die medizinische Durchführung sollte damit so schonend wie möglich erfolgen, d.h. weitere Zeiten der Qual nach Einnahme sind soweit wie möglich zu vermeiden.
XI. Kein monetärer Anreiz für Ärzte Ärzte dürfen keine besondere Gebühr für die Durchführung des assistierten Suizids verlangen. Das Motiv für ärztlich unterstützten Suizid ist human, daher darf es keinen finanziellen Anreiz und keine besondere Zahlung geben, die zur Kommerzialisierung und Förderung solcher Verfahren führen könnte.15 Bezüglich der Kostenübernahme für das tödliche Medikament dürfen keine anderen Regeln gelten wie für andere Medikationen, d.h. in der Regel hat die Krankenkasse zu zahlen. Müsste jeder Patient die Kosten selbst tragen, könnte dies darauf hinauslaufen, dass sich völlig Verarmte die Behandlung des assistierten Suizids gar nicht leisten könnten und damit faktisch die Pflicht zum Weiterleben hätten. 13 14
BVerwGE 158, 142. Siehe https://flexikon.doccheck.com/de/Pentobarbital#Dosierung [Fassung vom 20.8.2020].
Zweites Kapitel: Eigener Regelungsvorschlag
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XII. Dokumentation Die Krankenakte des Patienten muss eine umfassende Dokumentation enthalten, einschließlich der folgenden Inhalte: Diagnose und Prognose der Krankheit durch den behandelnden und den beratenden Arzt; versuchte Behandlungen; die Gründe des Patienten für den Antrag auf ärztlich assistierten Suizid; die schriftliche Anfrage des Patienten oder die Dokumentation in Form einer Videoaufzeichnung; die Dokumentation von Gesprächen mit dem Patienten; das Angebot des Arztes und die Aufklärung des Patienten über die Möglichkeit, von seinem Antrag zurückzutreten; die Dokumentation der Gespräche mit den Angehörigen des Patienten; und, sofern erforderlich, einen psychologischen Bericht, der den Zustand des Patienten bestätigt. Diese sorgfältige Dokumentation soll Missbrauch jeglicher Art verhindern – sei er persönlich, medizinisch oder institutionell. Jeder Bericht sollte nach Abschluss des ärztlich unterstützten Suizids von einem weiteren unabhängigen Mediziner daraufhin geprüft werden, ob der tatsächliche mit dem dokumentierten Vorgang übereinstimmt. Rechtliche Vorgaben zur Vermeidung von Missbrauch fördern die gesellschaftliche Akzeptanz von Suizidbeihilfe und können jeden einzelnen Menschen dazu bewegen, sich über die Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe in eigener Sache Gedanken zu machen.
XIII. Aufforderung an Apotheker Auch Apotheker sollten aufgefordert werden, alle Rezepte für tödliche Medikamente (z.B. Pentobarbital) zu melden, um die Berichterstattung der Ärzte weiter zu überprüfen. Dies führt zu einer erhöhten Sicherheit und Überwachung der geleisteten ärztlichen Suizidhilfe.
XIV. Keine Verpflichtung des Arztes Bei all dem muss klar sein, dass Ärzte nicht gezwungen werden dürfen, Maßnahmen zu ergreifen, die ihrem Gewissen oder ihrem Verständnis ihrer Rolle widersprechen. Das mag, wenn man die Voraussetzung der Unabhängigkeit der Ärzte zueinander (siehe oben unter Rahmenbedingung IV. „Rechtsgültige Erklärung des Sterbewilligen“) betrachtet, zu Schwierigkeiten führen: es mag ein Szenario geben, in welchem es nicht genügend Ärzte gibt, die sich nicht kennen, um gemeinsam einen assistierten Suizid durchzuführen. Diesem Pro15
Siehe zur Diskussion über die Geschäftsmäßigkeit 4. Kapitel A) III. 2.
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Zweiter Teil
blem wird man begegnen müssen, wenn es sich dann stellt – als reine Hypothese darf dies jedoch nicht zu einer Verpflichtung des einzelnen Arztes zur Suizidhilfe führen. Die Durchführung des assistierten Suizids bedarf nicht nur der Freiwilligkeit des Sterbewilligen, sondern auch der Ärzte.
XV. Einsetzung eines Komitees Wie schon oben unter der Rahmenbedingung IV. „Rechtsgültige Erklärung des Sterbewilligen“ angedeutet, muss ein Komitee aus Ärzten, Wissenschaftlern und Juristen gegründet werden, welche die Voraussetzungen der gestellten Anträge verifizieren und unabhängig beurteilen. Ihnen kommt auch eine Überwachungsfunktion zu. In den Niederlanden existiert ein solches Komitee,16 welches allerdings erst nach bereits geleisteter Suizidhilfe tätig wird. Die Fehleranfälligkeit dieses Systems haben die diversen Remmelink-Reporte17 gezeigt. Es wird zu diskutieren sein, wie sich, angesichts der knapp bemessenen Lebensspanne und des Leidensdrucks der betroffenen Patienten, hier eine ex-ante Beurteilung durch das Komitee ermöglichen lässt.
XVI. Sanktionierung Verstöße gegen entsprechende Regelungen, welche die hier genannten Voraussetzungen kodifizieren, müssen mindestens standesrechtlich, in bestimmten Fällen auch strafrechtlich, geahndet werden. Es sollten standesrechtliche Sanktionen gegen diejenigen Ärzte verhängt werden, die gegen die entsprechenden Richtlinien verstoßen, keine Konsultationen durchführen oder keine Berichte einreichen, ohne Zustimmung des Patienten oder bei Patienten ohne angemessene Entscheidungsfähigkeit gegen deren zuvor festgehaltenen Willen deren Leben beenden. Gegen Ärzte, die die oben genannten Richtlinien nicht einhalten, sollte ein Verfahren zu ihrer Sanktion von einem zu berufenden Ausschuss der Ärztekammer eingeleitet werden. Die standesrechtliche Höchststrafe für Verstöße gegen die Richtlinien muss der Widerruf der ärztlichen Zulassung des Arztes sein. Für den Fall, dass diese Strafe nicht ausreicht, um potenzielle Missbrauchstäter abzuschrecken, besteht Raum für weitere strafrechtliche Sanktionen, einschließlich hoher Geldstrafen und Gefängnisstrafen. Schließlich handelt es sich auch bei der 16 17
Siehe zu den Lösungswegen in den Niederlanden 6. Kapitel B) III. Siehe 6. Kapitel B) III. 2.
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Gabe eines Mittels zum assistierten Suizid, sofern sie nicht de lege artis erfolgt, um eine rechtswidrige Körperverletzung, ggf. mit Todesfolge. Etwaigem Missbrauch, wie er von den Befürwortern einer strafrechtlichen Verbotsnorm postuliert wird, wird hiermit ausreichend Gegenwehr geboten. Die gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe muss so konkret sein, dass jedem Beteiligten seine Verpflichtungen deutlich werden. Insbesondere die Ärzte müssen anhand der Regelung ohne Weiteres erkennen können, wann, d.h. mit welchem Tun oder Unterlassen, sie die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Regelung so ausgestaltet sein muss, dass die Voraussetzungen klar werden, unter denen Straffreiheit besteht.
XVII. Jahresbericht Ein jährlicher Bericht entsprechend durchgeführter Fälle der ärztlichen Suizidbeihilfe sollte erstellt und veröffentlicht werden. Dieser könnte – im Gegenteil z.B. zu den freiwilligen Offenlegungen der Zahlungen an Ärzte durch die Pharmaindustrie – rechtlich verpflichtend sein.
C) Fazit Ärztliche Suizidbeihilfe muss im Deutschen Rechtssystem zugelassen werden. Seit längerem wird, wie hier gezeigt, divers darüber diskutiert – den Geist, wie mit § 217 StGB versucht, wieder zurück in die Flasche zu verbannen, ist keine Lösung der gesellschaftlichen Problematik. Den Tatbestand im Strafrecht zu verorten geht, mangels Akzessorietät der Haupttat, fehl. Ebenso erscheint eine Pönalisierung des Arztes, der einem sich in Todesnähe und inneren wie äußeren Konflikten befindlichen Patienten helfen will, der falsche Weg zu sein. Wie der nunmehr geltungslose § 217 StGB gezeigt hat, verschärft dies eher die Problematik, als dass es sie lösen würde. Ärztliche Suizidbeihilfe am Ende eines Lebens erfordert allerdings Umsicht unter mehreren Aspekten. Der Wille des Patienten muss respektiert werden. Ebenso soll auch die freie Gewissensentscheidung des Arztes geschützt werden. Folglich brauchen beide ein Umfeld, in welchem sich Gespräche über den Tod und das Sterben vertrauensvoll führen lassen. Das Vertrauensverhältnis des Arztes zu seinem Patienten darf nicht dadurch verschlechtert oder gar dessen Aufbau verhindert werden, dass es dem Arzt in jeder Form benommen wird, seinem Patienten in der wohl prekärsten Situation eines menschlichen Lebens beizustehen.
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Zweiter Teil
Ärzte brauchen die Sicherheit, wie in der sonstigen Ausübung ihres Berufs auch, dass, wenn sie sich korrekt an bestimmte Vorgaben halten, ihr Handeln gerechtfertigt und damit legitim ist. Der Arzt selbst ist mit diesem Konzept nicht unvertraut: Ist doch jeder kurative Eingriff des Arztes tatbestandlich zunächst als Körperverletzung zu sehen – der durch die Einwilligung des Patienten nach entsprechend umfassender Aufklärung gerechtfertigt ist. Angesichts der Finalität der hier diskutierten Maßnahme des Arztes – der Verabreichung eines letalen Medikaments - erscheint es angemessen, weitere Anforderungen zu stellen. Auch dieses Konzept kennen die Ärzte, zum Beispiel aus der klinischen Forschung, bei denen sogenannte Good Clinical Practices (GCP) genaue Vorgaben zur Durchführung eines Vorhabens vorgeben. Ein durchaus enger, aber gut gesteckter Rahmen für die ärztliche Suizidunterstützung verschafft allen Beteiligten Sicherheit. Den Ärzten, wie bereits dargelegt – aber auch dem Patienten, der sich mit seinen Ängsten und Wünschen an den Arzt wenden kann, weil er weiß, dass seine Interessen und sein Wohlergehen bis zuletzt im Fokus stehen und durch berufsrechtliche Pflichten des Arztes gewahrt werden sollen. Wiederholende Diskussionen, seien sie mit sich selbst oder mit anderen geführt, enden sowohl für den Patienten wie auch für den Arzt. Es kann ein offener Umgang mit der Thematik des gewollten Sterbens entstehen – und die entsprechende Unterstützung durch den Arzt wird nicht mehr an den Rand der Gesellschaft, ins Ausland oder in die Illegalität verdrängt. Die Gedanken müssen nicht mehr jeden Tag um den Tod – den eigenen oder den des Patienten – kreisen. Eines Tages sterben wir alle. Aber klar definierte Freiheiten und Vorgaben für diesen Tag, so an ihm ärztliche Suizidbeihilfe benötigt wird, machen an allen übrigen Tagen ein gutes Leben möglich.
ANHANG
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Juristische Zeitgeschichte
Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen
Abteilung 1: Allgemeine Reihe
1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006) 22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011)
23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013) 25 Minoru Honda: Beiträge zur Geschichte des japanischen Strafrechts (2020) 26 Michael Seiters: Das strafrechtliche Schuldprinzip. Im Spannungsfeld zwischen philosophischem, theologischem und juridischem Verständnis von Schuld (2020)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte – Symposium der Arnold-FreymuthGesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010)
20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014) 21 Helmut Irmen: Das Sondergericht Aachen 1941–1945 (2018)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; fünf Textbände (1999–2017) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetz gebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008)
21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014)
44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015) 45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016) 46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018) 48 Karl Müller: Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO). Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert (2018) 49 Katharina Kühne: Die Entwicklung des Internetstrafrechts unter besonderer Berücksichtigung der §§ 202a–202c StGB sowie § 303a und § 303b StGB (2018) 50 Benedikt Beßmann: Das Strafrecht des Herzogtums Braunschweig im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2019) 51 Josef Roth: Die Entwicklung des Weinstrafrechts seit 1871 (2020) 52 Arne Fischer: Die Legitimität des Sportwettbetrugs (§ 265c StGB). Unter besonderer Berücksichtigung des „Rechtsguts“ Integrität des Sports (2020) 53 Julius Hagen: Die Nebenklage im Gefüge strafprozessualer Verletztenbeteiligung. Der Weg in die viktimäre Gesellschaft. Gesetzgebung und Reformdiskurs seit 1870 (2021)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010)
14 Karoline Peters: J.D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010) 15 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2019) 16 Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016) 17 Rudolf Bastuck: Rudolf Wassermann. Vision und Umsetzung einer inneren Justizreform (2020) 18 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen II (2021)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000) 7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004)
16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militär justiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 23 Pascal Johann: Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögenschabschöpfungsrechts. Eine Untersuchung zur vorläufigen Sicherstellung und der Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (2019) 24 Zekai Dag˘as¸an: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016) 26 Anja J. Weissbrodt: Etwas Besseres als den Tod – Aktuelle Regelung der Suizidbeihilfe und ihre Auswirkungen auf die Ärzteschaft (2021)
Abteilung 6: Recht in der Kunst – Kunst im Recht Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß und Prof. Dr. Anja Schiemann 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001) 8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechts geschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002)
10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schre ckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007)
33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016) 46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte. Roman (1841). Mit Kommentaren von Luigi Lacchè und Christian von Tschilschke (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E.T.A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (1822). Mit Kommentaren von Michael Niehaus und Thomas Vormbaum (2018) 51 Bodo Pieroth: Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen (2018) 52 Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik (1880). Mit Kommentaren von Anja Schiemann und Walter Zimorski (2018) 53 Britta Lange / Martin Roeber / Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Grenzüberschreitungen: Recht, Normen, Literatur und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 8. bis 10. September 2017 (2019) 54 Wolfgang Schild: Richard Wagner recht betrachtet (2020) 55 Uwe Scheffler u.a. (Hrsg.): Musik und Strafrecht. Ein Streifzug durch eine tönende Welt (2021) 56 Britta Lange / Martin Roeber / Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Verbrechen und Sprache. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 13. bis 15. September 2019 (2021) 57 Dirk Falkner: Straftheorie von Leo Tolstoi (2021)
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von RA Dr. Dieter Finzel (†), RA Dr. Tilman Krach; RA Dr. Thomas Röth; RA Dr. Ulrich Wessels; Prof. Dr. Gabriele Zwiehoff 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007) 3 Dieter Finzel: Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm (2018)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)
Abteilung 9: Beiträge zur modernen Verfassungsgeschichte 1 Olaf Kroon: Die Verfassung von Cádiz (1812). Spaniens Sprung in die Moderne, gespiegelt an der Verfassung Kurhessens von 1831 (2019)