Erzählen von Macht und Herrschaft: Die ‚Kaiserchronik‘ im Kontext zeitgenössischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung [1 ed.] 9783737010832, 9783847110835


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Erzählen von Macht und Herrschaft: Die ‚Kaiserchronik‘ im Kontext zeitgenössischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung [1 ed.]
 9783737010832, 9783847110835

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Macht und Herrschaft Schriftenreihe des SFB 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“

Band 5

Herausgegeben von Matthias Becher, Elke Brüggen und Stephan Conermann

Elke Brüggen (Hg.)

Erzählen von Macht und Herrschaft Die ‚Kaiserchronik‘ im Kontext zeitgenössischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung

Mit einer Abbildung

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 2019, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Die ‚Kaiserchronik‘ (Fassung A), Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 361, fol. 40v. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2511-0004 ISBN 978-3-7370-1083-2

Inhalt

Vorwort zur Schriftenreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mathias Herweg Kaiser-Chronik oder Kaiser-Gesta? Die Gattungsfrage der frühmittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘ in sprachübergreifender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gesine Mierke Magische Säulen, sprechende Steine. Zum Zusammenhang von Architektur und Macht in der ‚Kaiserchronik‘ . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christoph Pretzer Rom, die erzählte Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alastair Matthews Formative Rhyming Chronicles in Medieval German and East Norse. A Comparison of the ‘Kaiserchronik’ with the Swedish ‘Erikskrönika’ and the Danish ‘Rimkrønike’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alheydis Plassmann Römisch-deutsche Kaiser als vorbildliche Herrscher bei Wilhelm von Malmesbury und Otto von Freising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Konrad Klaus Kalhanas ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘: ein indisches Pendant zur ‚Kaiserchronik‘? . . . 133 ˙ ˙

6

Inhalt

Daniel F. Schley Herrscherkritik in japanischen Vergangenheitserzählungen aus dem frühen 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Stephan Conermann Talking about Power and Domination in ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯’s (d. after ˙ 1350) Historical Epic ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 ˙ ˙ Liste der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Vorwort zur Schriftenreihe

Im Bonner Sonderforschungsbereich 1167 ‚Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ werden die beiden namengebenden Vergesellschaftungsphänomene vergleichend untersucht. Sie prägen das menschliche Zusammenleben in allen Epochen und Räumen und stellen damit einen grundlegenden Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften dar. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des disziplinär breit angelegten Forschungsverbundes, die Kompetenzen der beteiligten Fächer in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu bündeln und einen transkulturellen Ansatz zum Verständnis von Macht und Herrschaft zu erarbeiten. Hierbei kann der SFB 1167 auf Fallbeispiele aus unterschiedlichsten Regionen zurückgreifen, die es erlauben, den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen. Die Reihe ‚Macht und Herrschaft‘ enthält Beiträge, die den interdisziplinären Zugriff auf das Thema und die transkulturelle Perspektivierung abbilden. Die Arbeit des Bonner Forschungsverbundes ist von vier Zugängen zu Phänomenen von Macht und Herrschaft geprägt, die auch den Projektbereichen des SFB 1167 zugrunde liegen: Die Themen der Spannungsfelder ‚Konflikt und Konsens‘, ‚Personalität und Transpersonalität‘, ‚Zentrum und Peripherie‘ sowie ‚Kritik und Idealisierung‘ stehen im Zentrum zahlreicher internationaler Tagungen und Workshops, die dem Dialog mit ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland dienen. Dieser wichtige Austausch, dessen Erträge in der vorliegenden Reihe nachzulesen sind, wäre ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und das kontinuierliche Engagement der Universität Bonn zur Bereitstellung der notwendigen Forschungsinfrastruktur nicht möglich, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Matthias Becher – Elke Brüggen – Stephan Conermann

Einleitung

Die ‚Kaiserchronik‘ hat derzeit Konjunktur. Der Auftakt des XXV. Anglo-German Colloquiums, ausgerichtet von einer renommierten Vereinigung überwiegend britischer und deutscher Mediävistinnen und Mediävisten aus der Germanistik, bezeugt diesen Umstand sehr nachdrücklich: Die Tagung, die vom 6.– 10. September 2017 an der Universität Manchester stattfand und unter dem Titel ‚Geschichte erzählen: Strategien der Narrativierung von Vergangenheit in der deutschen Literatur des Mittelalters‘ firmierte,1 wurde mit sechs Vorträgen eröffnet, die ganz oder teilweise der ‚Kaiserchronik‘ gewidmet waren; damit galten diesem Text mehr als ein Viertel der gesamten Präsentationen. Die Präsenz des in mehreren Fassungen vorliegenden Textes im mediävistisch-germanistischen Diskurs wird überdies in dem von Mark Chinca und Christopher Young (Universität Cambridge) in Kooperation mit Jürg Fleischer und Jürgen Wolf (Universität Marburg) und der Universitätsbibliothek Heidelberg durchgeführten Editionsprojekt greifbar,2 mit dem die Bearbeitung eines schon seit längerem formulierten Forschungsdesiderats3 in Angriff genommen wurde; Mark Chinca, 1 Die Publikation des Tagungsbandes ist für 2020 vorgesehen: Sarah Bowden et al. (edd.), Geschichte erzählen. Strategien der Narrativierung von Vergangenheit in Mittelalter und Früher Neuzeit (Tagungsbände des Anglo-German Colloquiums), Tübingen 2020. 2 Angestrebt ist eine synoptische Edition der drei Versfassungen A, B und C. Vgl. dazu die Projektvorstellung auf den Seiten der Universitätsbibliothek Heidelberg: http://www.ub. uni-heidelberg.de/wir/projekt_kaiserchronik.html (08. 10. 2018); Mark Chinca/Christopher Young, Uses of the Past in Twelfth-Century Germany: The Case of the Middle High German Kaiserchronik, in: Central European History 49 (2016), 19–38, hier 19–24; Dies., Responsible Philology: Editing the Kaiserchronik in the Digital Age, in: Digital Philology 6 (2017), 288–329; Jürgen Wolf, Von der einen zu den vielen Kaiserchroniken, in: Nine Miedema/Matthias Rein (edd.), Die Kaiserchronik. Interdisziplinäre Studien zu einem buoch gehaizzen crônicâ. Festgabe für Wolfgang Haubrichs zu seiner Emeritierung, St. Ingbert 2017, 9–30. 3 Kurt Gärtner, Die Kaiserchronik und ihre Bearbeitungen. Editionsdesiderate der Versepik des 13. Jahrhunderts, in: Dorothee Lindemann/Berndt Volkmann/Klaus-Peter Wegera (edd.), bickelwort und wildiu mære. Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 618), Göppingen 1995, 366–379; Jürgen Wolf, Die

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Einleitung

Christopher Young und Helen Hunter stellten es im Eröffnungsvortrag zur Tagung in Manchester vor. Zum anderen hat unabhängig davon Mathias Herweg 2014 eine zweisprachige Auswahlausgabe der in die Mitte des 12. Jahrhunderts datierten A-Fassung vorgelegt, die dem Text den Weg in den akademischen Unterricht an deutschen Universitäten geebnet hat.4 Auf die ‚Kaiserchronik‘ war in den letzten zehn Jahren zudem eine beachtliche Zahl an Publikationen in unterschiedlichen Formaten bezogen;5 allein 2016 und 2017 kamen neben einem neuen Sammelband mit zehn Beiträgen6 vier substantielle Artikel von Mark Chinca und Christopher Young, Mathias Herweg und Claudia Wittig heraus,7 die bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (‚Uses of the Past‘, ‚Political Didacticism‘, Formen der Kohärenzstiftung) immer auch die Frage nach der Art des Erzählens im Blick hatten. Damit wird ein Zugriff auf den Text weiterverfolgt, der insgesamt als charakteristisch bezeichnet werden kann für die Neubelebung der literaturwissenschaftlichen Diskussion über einen Text, der, mittlerweile mit einer Fülle auszeichnender Qualifizierungen bedacht,8 als Experiment historischen Erzählens derzeit intensiv gewürdigt wird und somit als eine ebenso

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Kaiserchronikfassungen A, B und C oder Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, in: Michael Szurawitzki/Christopher M. Schmidt (edd.), Interdisziplinäre Germanistik im Schnittpunkt der Kulturen. Festschrift für Dagmar Neuendorff zum 60. Geburtstag, Würzburg 2008, 91–108; Wolf 2017. Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014. Wichtige Forschungsliteratur ist ebd. auf den Seiten 501–509 zusammengestellt. Eine auf größtmögliche Vollständigkeit zielende Bibliographie findet sich in: Miedema/Rein 2017, 231–256. Ich verweise hier nur auf ausgewählte neuere oder bei Herweg sowie Miedema und Rein nicht erfasste Beiträge: Chinca/Young 2016; Mathias Herweg, Nachwort, in: Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014; Ders., Geschichte erzählen. Die Kaiserchronik im Kontext (nebst Fragen an eine historische Narratologie historischen Erzählens), in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 146 (2017), 413–443; Mary E. Hodgins, The ‚Kaiserchronik‘ and the Arthurian romances of Hartmann von Aue, Diss. Austin, TX 2016, http://doi.org/10.15781/T2D50FX3F (08. 10. 2018); Claudia Wittig, Political Didacticism in the Twelfth Century: the Middle High German Kaiserchronik, in: Michele Campopiano/Henry Bainton (edd.), Universal Chronicles in the High Middle Ages (Writing History in the Middle Ages 4), Woodbridge 2017, 95–119. Vgl. Miedema/Rein 2017. Chinca/Young 2016; Mathias Herweg, Kohärenzstiftung auf vielen Ebenen. Narratologie und Genrefragen in der Kaiserchronik, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017), 281–302; Ders., Geschichte erzählen (2017); Wittig 2017. Vgl. Chinca/Young 2016: „a seminal work“ (S. 19) mit „several claims to uniqueness“ (S. 20), „[m]onumental in scale“ (S. 19), „the first verse chronicle in any European language“ (S. 19); Herweg, Kohärenzstiftung (2017): „erste nicht-biblische […] Reimchronik“ (S. 282), „erste zyklische Sammlung von Antiken- und Legendenstoffen im Deutschen“ (ebd.), „der erste deutsche Erzählzyklus überhaupt“ (S. 286), „Pioniertext volkssprachigen Erzählens“ (S. 283); Wittig 2017: „the first extensive verse chronicle in the Middle Ages in any European language, including Latin“ (S. 95), „imperial history written in a vernacular language“ (S. 96).

Einleitung

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seltsame (wenn auch erklärliche) wie bemerkenswerte Ausnahme zu einer erst kürzlich von Heike Sahm mit Recht beklagten Vernachlässigung des Frühmittelalters und der für seine Erforschung notwendigen Kompetenzen9 gelten darf. Im Rahmen des zum 1. Juli 2016 von der DFG bewilligten Sonderforschungsbereiches 1167 der Universität Bonn ‚Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‘ zählt die ‚Kaiserchronik‘ zu den epischen Texten, die im Teilprojekt ‚Kaiser und Könige. Macht und Herrschaft im Reflexionsmedium deutschsprachiger Literatur des Mittelalters‘ untersucht werden.10 Neben den Arbeitskontakten zu Kolleginnen und Kollegen, die editorisch und/oder mit Blick auf eine diskursgeschichtliche, gattungsmäßige und narratologische Erschließung der ‚Kaiserchronik‘ in den letzten Jahren neue Wege gegangen sind, sollte sich die transkulturelle Anlage des SFB 1167 als ein weiterer Stimulus für eine Befassung mit der ‚Kaiserchronik‘ erweisen. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang, dass Konrad Klaus, der Kollege aus der Bonner Indologie, die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ des Kalhana als Gegenstand seines Teil˙ projekts gewählt hatte. Schon bei der Ausarbeitung des Einrichtungsantrags war aufgefallen, dass die beiden in der Mitte des 12. Jahrhunderts fertiggestellten Texte prima vista deutliche Analogien aufweisen, beispielsweise die Entfaltung eines Panoramas ‚guter‘ und ‚schlechter‘ Herrschaft oder die Entgegensetzung einer Sphäre der Öffentlichkeit und einer Sphäre der Nicht-Öffentlichkeit, in denen das Handeln des Königs je unterschiedlich modelliert sein kann. Die Verbindung eines Anspruchs auf ‚Wahrheit‘ und Moraldidaktik mit einer Offenheit für exemplarisches Erzählen lässt in beiden Fällen die Einstufung der Texte als ‚Chroniken‘ als Behelf erscheinen – sie sind nicht lediglich ‚Geschichtsbücher‘, sondern versammeln darüber hinaus eine Fülle von erzählerisch ansprechenden Geschichten. Gespräche mit weiteren Kolleginnen und Kollegen aus dem SFB 1167 ließen dann den Plan zu einem internationalen und interdisziplinären Workshop entstehen, in dessen Rahmen aktuelle germanistisch-mediävistische Forschungen zur ‚Kaiserchronik‘ präsentiert und mit Hilfe von Beiträgen aus der Geschichtswissenschaft, der Indologie, der Japanologie und der Islamwissenschaft und anhand passender Textbeispiele in einen transkulturellen Zusammenhang zeitgenössischer europäischer wie außereuropä9 Heike Sahm, „Die ich rief, die Geister …“ – Kurzes Plädoyer für eine interdisziplinär integrierte Frühmittelaltergermanistik, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 47 (2017), 155–165. 10 Informationen zum Forschungsprogramm des SFB unter: https://www.sfb1167.uni-bonn.de/ forschungsprogramm (08. 10. 2018). Zum Zuschnitt des Teilprojekts vgl. Elke Brüggen, Politische Rede in der Kaiserchronik, in: Malena Ratzke/Christian Schmidt/Britta Wittchow (edd.), Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), Berlin 2019, 167–186.

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Einleitung

ischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung gestellt werden sollten. Dabei war das Interesse zum einen auf Strategien der Kritik von Macht und Herrschaft zu richten und nach den Schichtungen und Überlagerungen von überhöhenden und kritisch-transgressiven Passagen und Tendenzen zu fragen, um auf diese Weise eine Verknüpfung mit dem Spannungsfeld D ‚Idealisierung und Kritik‘ des SFB 1167 zu gewährleisten; zum anderen sollte es mit Blick auf ein zweites Spannungsfeld des SFB 1167 um literarische Reflexe der Bedeutung personaler und transpersonaler Faktoren und ihres Zusammenspiels für mittelalterliche Herrschaft gehen. Der Workshop fand vom 19.–20. Oktober 2017 an der Universität Bonn statt; für den vorliegenden Band wurden die acht Vorträge unter Aufnahme von Anregungen aus den intensiven Diskussionen zu schriftlichen Beiträgen ausgearbeitet. Den Auftakt des vorliegenden Bandes bilden vier Artikel zur ‚Kaiserchronik‘ von Mathias Herweg, Gesine Mierke, Christoph Pretzer und Alastair Matthews. Ihnen schließen sich vier Beiträge an, welche die Historikerin Alheydis Plassmann, der Indologe Konrad Klaus, der Japanologe Daniel F. Schley und der Islamwissenschaftler Stephan Conermann beigesteuert haben. In unterschiedlichen Zugriffen und in verschiedener Ausprägung werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem mittelhochdeutschen Text und Zeugnissen der lateinischen Tradition oder der Tradition in anderen europäischen Volkssprachen und Texten aus der außereuropäischen Literatur herausgearbeitet. Anknüpfend an die Bezeichnung des Textes als crônica im Prolog (V. 17) ist die ‚Kaiserchronik‘ bislang vor allem im Kontext des chronikalischen Schrifttums gesehen worden, wiewohl Bezüge zu einer Vielzahl von anderen ‚Gattungen‘ und Texttypen immer wieder registriert wurden. Im Beitrag von Mathias Herweg zur Gattungsfrage der frühmittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘, der den vorliegenden Band eröffnet, ist der Gedanke leitend, dass die ‚Kaiserchronik‘ eine Sammlung verschiedenartiger, nicht selten experimentell verfahrender Mikronarrative darstellt, die formal durch eine übergreifende Anlage der einzelnen Erzählungen zusammengehalten wird, welche weniger dem Muster der vita als vielmehr dem der (res) gesta(e) folgen: Erzählt wird von Herrschern und ihren Taten vom Zeitpunkt der Herrschaftsübernahme bis zu ihrem Tod. Herweg beleuchtet die spezielle Ausprägung dieses literarischen Darstellungstyps in der ‚Kaiserchronik‘, indem er berühmte Beispiele aus der zeitgenössischen oder wenig später entstandenen lateinischen und der volkssprachlichen Literatur zum Vergleich heranzieht: Ottos von Freising und Rahewins ‚Gesta Friderici‘, die ‚Gesta Regum Anglorum‘ des William of Malmesbury, Chansons de geste-Zyklen und die ‚Gesta Romanorum‘. Mit der Präsenz und der Funktionalisierung Roms in der ‚Kaiserchronik‘ befassen sich Gesine Mierke und Christoph Pretzer. Gesine Mierke fragt in ihrem Beitrag ‚Magische Säulen, sprechende Steine‘ dezidiert nach dem Zusammen-

Einleitung

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hang von Architektur und Macht. Sie verfolgt, auf welche Weise antike Bauwerke im Kontext einer christlichen Kultur im Text überformt und re-semantisiert werden, um sie für die Schaffung einer neuen Ordnung zu funktionalisieren. Sie bezieht dabei die Tradition der lateinischen ‚Mirabiliae Romae‘ aus der Mitte des 12. Jahrhunderts ein, die als Prätext in Betracht kommen und überdies weitaus ältere Rombeschreibungen aufgreifen, die schon seit der Karolingerzeit politisch eingebunden wurden und deren imperiale Rhetorik anregend und orientierend gewirkt haben könnte. Mierke verfolgt dabei den Gedanken, dass den entsprechenden Textzeugnissen und ebenso der ‚Kaiserchronik‘ das Konzept der renovatio imperii eingeschrieben ist. Die Imprägnierung des Stadtraums im Zuge der Christianisierung Roms zeigt sie im Rekurs auf verschiedene Gesten und anhand von unterschiedlichen Monumenten auf, so der Umweihung des Pantheons durch Bonifatius, der Residenz des Constantin, dem Thronsaal und ‚Himmel‘ des Kaisers Cosdras. Einen eigenen Stellenwert erhält überdies die Errichtung des Turms in der Crescentia-Episode, ein Motiv, an dem sich das narratologische Potenzial einer Einbindung und Semantisierung von Monumenten und Bauten in der ‚Kaiserchronik‘ besonders eindrücklich belegen lässt. Christoph Pretzer wiederum analysiert ‚Rom, die erzählte Stadt‘, so der Titel seines Beitrags, indem er anhand einer Gegenüberstellung von Passagen aus der ‚Kaiserchronik‘ mit solchen aus Vergils ‚Aeneis‘ und den ‚Mirabilia Romae‘ die erzählerische Konstruktion der Stadt analysiert, bei der ‚reale‘ oder imaginierte Bauwerke mit legendarischem oder mythologischem Material in Verbindung gebracht werden. Anknüpfend an eine im Zuge des ‚spatial turn‘ getroffene Unterscheidung von ‚Orten‘ als „‚räumliche[n] Verdichtungen von Handlungsvollzügen‘“ und ‚Räumen‘ als offeneren „‚Latenzfeldern‘ von simultanen und auf die Zukunft hin ausgerichtete[n] Möglichkeiten“ (S. 71) geht Pretzer der Frage nach, inwiefern die Stadt Rom im Text der ‚Kaiserchronik‘ narrativ konstruiert wird. Er konzentriert sich dabei auf den Umgang mit dem Kolosseum in der Erzählung von Kaiser Titus, um damit in programmatischer Absicht eine Grundlage zu legen für eine Untersuchung römischer Erinnerungstopographie. Die Artikel von Mierke und Pretzer treffen sich mit dem Beitrag von Alastair Matthews (‚Formative Rhyming Chronicles in Medieval German and East Norse‘) in der Frage nach der Behandlung raumzeitlicher Phänomene und auch in der komparatistischen Ausrichtung der Untersuchung, die hier allerdings die mittelalterliche Chronikliteratur Skandinaviens in den Blick nimmt und damit einen anderen Fokus hat. Ein Vergleich mit der schwedischen ‚Erikskrönika‘ vom Anfang des 14. Jahrhunderts und der in das späte 15. Jahrhundert datierten dänischen ‚Rimkrønike‘ bietet sich nach Matthews insofern an, als allen drei Texten ein ‚formativer‘ Status in der Entwicklung des historiographischen Schrifttums in den jeweiligen Ländern zugesprochen werden kann und sie sämtlich auf die Generierung einer königlichen oder kaiserlichen Identität ab-

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Einleitung

zielen. Der Abgleich von Merkmalen, die den drei Texten gemeinsam sind, und solchen, mit denen sich Unterschiede aufzeigen lassen, erweist sich als ein produktiver Zugriff auf die Verschroniken, die so in ihrer literarischen Komplexität wie auch ihrer politischen Funktionalität erhellt werden können. Mit Otto von Freising und Wilhelm von Malmesbury nimmt Alheydis Plassmann zwei Geschichtsschreiber in den Blick, die nicht nur in etwa Zeitgenossen waren, sondern die zudem in einer zeitlichen Nähe zum Verfasser (vielleicht auch: zu den Verfassern) der ‚Kaiserchronik‘ arbeiteten und deren Werke deshalb schon häufiger mit dem frühmittelhochdeutschen Text in Verbindung gebracht wurden; ein umfassender und systematischer Vergleich steht gleichwohl aus. Plassmann untersucht die Herrscherdarstellung in der lateinischen Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts, indem sie die Aussagen, die in Ottos von Freising ‚Chronica sive historia de duabis civitatibus‘ und in Wilhelm von Malmesburys ‚Gesta Regum Anglorum‘ zu Karl dem Großen, Ludwig dem Frommen, Karl III., Heinrich III. und Heinrich IV. getroffen werden, miteinander vergleicht. Dabei kann sie zeigen, dass die jeweilige Beurteilung der einzelnen Herrscher durch eine unterschiedliche Wahrnehmung von Herrschaft bedingt ist, welche in dem einen Fall (Otto) in einem geschichtsphilosophischen Denken gründet, das durch die Rezeption von Augustinus’ ‚De civitate Dei‘ beeinflusst ist, und in dem anderen Fall (Wilhelm) stärker pragmatisch ausgerichtet ist und die große Bedeutung eines gelungenen Zusammenspiels zwischen dem König und den Vertretern der geistlichen und weltlichen Eliten unterstreicht. Konrad Klaus stellt in seinem Beitrag die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ („Strom der Könige“) ˙ eines Autors mit Namen Kalhana vor. In einer mythischen Vorzeit einsetzend und bis zum Jahr 1150, dem Abschluss des Werks, reichend, entfaltet diese Sanskrit-Dichtung ein Panorama von 103 Herrscherportraits. Unterschiede hinsichtlich der konsultierten Quellen, der Organisation und Strukturierung des Materials sowie der Darbietungsform lassen wie bei der ‚Kaiserchronik‘ eine Zweiteiligkeit des Werkes erkennen; im Falle der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ macht dabei der ˙ erste Teil, der aus einer Folge von Abschnitten unterschiedlicher Länge zu einzelnen Herrschern und Herrscherinnen aus einem Zeitraum von fast 3500 Jahren besteht, etwa ein Drittel des Ganzen aus, während für den zweiten Teil, welcher den Charakter einer fortlaufend und zunehmend detaillierter erzählten Geschichte von Kaschmir im Zeitraum von 1063 bis 1149 annimmt und dabei nur noch von 9 Königen berichtet, etwa zwei Drittel des Textes aufgewendet werden – die Schwerpunktsetzung erfolgt demnach entgegengesetzt zur ‚Kaiserchronik‘, bei der die antiken Herrschergestalten und Vorkommnisse im Zentrum stehen, die stärker zeitgeschichtlichen hingegen deutlich geraffter behandelt werden. Gleichwohl kann der Verfasser bei den beiden in etwa zeitgleich entstandenen Texten klare Gemeinsamkeiten benennen; eine Folge ‚guter‘ wie ‚schlechter‘

Einleitung

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Herrscher als Aufbauprinzip, die Integration höchst heterogenen Quellenmaterials, das Schwanken zwischen chronikalischem und erzählerischem Darbietungsmodus sowie die Aufnahme und versierte Nutzung fiktionaler Elemente sind hier als besonders auffallende Momente zu nennen. Inwieweit die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, der ‚Kaiserchronik‘ vergleichbar, ein ethisch-didaktisches Programm ˙ verfolgt und als eine Art ‚Fürstenspiegel‘ intendiert war, bedarf noch weiterer Forschung. Dasjenige Spezifikum des altindischen Textes, bei dem die Grenze der Vergleichbarkeit zwischen den beiden literarischen Zeugnissen aus sehr verschiedenen Kulturkreisen erreicht ist, verortet der Verfasser eindeutig in der pragmatischen Dimension der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, insofern sie bei den Rezipienten ˙ auf die Erzeugung einer inneren Gestimmtheit des ‚Beruhigtseins‘, des ‚inneren Friedens‘ (s´a¯ntarasa), zielt und demzufolge auf einen bestimmten zeit- und kulturspezifischen philosophischen Kontext bezogen werden muss. Eine bemerkenswerte Textsammlung vom Anfang des 13. Jahrhunderts, Minamoto no Akikanes ‚Kojidan‘, ist der zentrale Gegenstand des Beitrags, den Daniel F. Schley zur Inszenierung von Herrscherkritik in japanischen Erzählungen über die Vergangenheit des Hofes erarbeitet hat. Respektlos und unterhaltsam zugleich, bieten diese Geschichten, die durch keinen übergreifenden Rahmen zusammengehalten werden und wertende Stellungnahmen vermissen lassen, ein erstaunliches, mitunter befremdliches Bild einer zutiefst negativ gesehenen höfischen Herrschaft, die aufgrund von Lasterhaftigkeit, Unfähigkeit, Dummheit oder Unbeherrschtheit der führenden Persönlichkeiten, seien es Herrscher oder Minister, einen gesellschaftlichen Niedergang verursacht. Schley weist nach, dass die Erzählsammlung, die in der japanologischen Forschung erst in neuerer Zeit eine gewisse Aufwertung erfahren hat, eine genauere Analyse lohnt, welche die Eigenarten ihrer Komposition, ihren Zugriff auf verschiedene Quellen und auch ihre intertextuellen Bezüge sorgfältig registriert, um auf diese Weise die konfuzianische Konzeption des Königtums und überhaupt die politische Agenda freizulegen, die ihr zugrunde liegt. Der Verfasser versteht es, vielfältige Bezüge zur mittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘ herzustellen und befördert so das transkulturelle Forschungsgespräch, das im Bonner SFB 1167 angestrebt wird. Mit dem historischen Epos ‚Futu¯h al-Sala¯t¯ın‘, im 14. Jahrhundert von dem ˙ ˙ indischen Autor ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯ in persischer Sprache verfasst, bringt Ste˙ phan Conermann ein weiteres Beispiel für einen Text in das Gespräch ein, der zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen nüchtern-chronikalischem Bericht und ausgeschmückter Erzählung, zwischen Geschichtsschreibung und Poesie changiert. Informationen über die historische Wirklichkeit, die Familiengeschichte und die eigene Biographie, die vom Verfasser in sein Werk aufgenommen wurden, haben dazu geführt, dass es bis heute in erster Linie dem historiographischen Genre zugerechnet wird; ein Großteil der Forschungsarbeit fließt

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Einleitung

dementsprechend in den Versuch, die Zuverlässigkeit des fast 12.000 Verse umfassenden Textes zu ermitteln, um so seine Verwendbarkeit als historische Quelle beurteilen zu können. Im Anschluss an eine Skizze zum historischen Kontext des Werkes und eine kurze Vorstellung seines Autors geht Conermann zu einer Darstellung seiner Struktur über, um auf dieser Basis zu beleuchten, wie über Macht und Herrschaft gesprochen wird. Auch hier, so zeigt sich, ist der Bericht über die Taten der muslimischen Herrscher in Indien als eine Kette von Biogrammen realisiert, die mit Hilfe von Anekdoten und Legenden angereichert werden. ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯ präsentiert ‚gute‘, vorbildliche, erfolgreiche Herr˙ scher und Helden, um Muhammad b. Tughluq, den von ihm verhassten Sultan, ˙ der für die unter größten Strapazen realisierte Zwangsumsiedlung seiner, des Verfassers, Familie von Delhi nach Daulatabad verantwortlich war, als abschreckendes Beispiel eines ‚bösen‘ und verrotteten Herrschers darbieten zu können. In einem weiteren Teil seines Beitrags fragt Conermann nach alternativen Herangehensweisen an den Text, solchen, mit denen seine ästhetischen und literarischen Qualitäten bestimmt und beschrieben werden können, und plädiert dafür, künftig an einer Freilegung intertextueller Bezüge, einer Analyse rhetorischer Stilmittel und einer breit angelegten narratologischen Untersuchung zu arbeiten. Mein Dank als Veranstalterin des Workshops und Herausgeberin des Bandes gilt all jenen, die beider Gelingen befördert haben, an erster Stelle den Beiträgerinnen und Beiträgern, die sich mit Freude auf die Anforderungen eines transkulturellen Dialogs eingelassen haben. Auch den Gästen, die mit ihren Wortmeldungen die Diskussion bereichert haben, sei an dieser Stelle noch einmal gedankt. An der Konzeption, Organisation und Durchführung des Workshops und der Veröffentlichung der Ergebnisse waren vor allem Anna Katharina Bücken, Ann-Kathrin Deininger, Niclas Deutsch, Dr. Susanne Flecken-Büttner, Peter Kerz, Jasmin Leuchtenberg, Johannes Mies, Florian Saalfeld und Theresa Wilke beteiligt; sie sollen in den Dank eingeschlossen sein. Verantwortlicher Reihenherausgeber war Herr Professor Dr. Matthias Becher; ihm und seinem Team sowie der Geschäftsführerin des SFB 1167, Frau Dr. Katharina Gahbler, danke ich für die abschließende Durchsicht des Manuskripts. Der DFG gebührt mein herzlicher Dank für die Übernahme der Druckkosten. Bonn, August 2019

Elke Brüggen

Mathias Herweg

Kaiser-Chronik oder Kaiser-Gesta? Die Gattungsfrage der frühmittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘ in sprachübergreifender Perspektive

Abstract One of the primary challenges in dealing with the early Middle High German ‘Kaiserchronik’ (c. 1146) is the plurality of generic affinities offered by its ‘serial’ structure. In this respect, the text – which declares itself a crônicâ – can be understood as a pool of novelistic, hagiographic, exemplary, and mythological micronarratives. The common denominator of all of these forms is the fact that they are repeatedly framed as the gesta of a particular Roman emperor from the time of his accession to the throne up to his death, starting with Caesar and ending with the contemporary Conrad III. My article analyses the text as a cycle of gesta, which by this time were a well-established historical genre that emphasizes the deeds of ecclesiastical or secular rulers over the course of their life from accession (not birth, as in a vita) to death. It is therefore productive to compare the ‘Kaiserchronik’ with contemporary Latin and vernacular works of this type: Otto von Freising and Rahewin’s ‘Gesta Frederici’, William of Malmesbury’s ‘Gesta Regum Anglorum’, the cyclical chansons de geste, and the somewhat later ‘Gesta Romanorum’. By combining an analysis of genre and terminology with close reading of exemplary passages, the article demonstrates the wide applicability and reach of the gesta in the mid-twelfth century, which in turn provides a framework for generic experimentation within the ‘Kaiserchronik’.

Die übliche, aufgrund der einschlägigen Prologaussage1 auch nächstliegende Verortung der ‚Kaiserchronik‘ im Umfeld der lateinischen und im Vorfeld der deutschen (Reim-)Chronistik ist im Blick auf das Werkganze legitim, zumal die mittelalterliche Chronistik als historiographisch-literarisches Genre ein weites

1 V. 17: gehaizzen ist iz crônicâ; zitierte Ausg. (Kürzel KC): Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, ed. Edward Schröder (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken 1.1), München 1892; Auswahled. mit Kommentar und Übers.: Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014; ebd. im Nachwort orientierend zu Autor und Werk.

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Mathias Herweg

Spektrum an Ausprägungen – und eben auch Ausnahmeprägungen – integriert.2 Allerdings lässt sich der Genrestatus des Werks komplementär und in mancher Hinsicht präziser erfassen, wenn man nicht nur das Ganze, sondern auch seine deutlich markierten Teile fokussiert, das Genreprofil mithin aus einer auch narratologisch geleiteten Analyse der teils abschnittsparallelen, teils abschnittsinternen Episodenstruktur gewinnt. Diese Hypothese lässt sich auf vier Beobachtungen stützen, die eine recht eigene (und eigenwillige) Anverwandlung der bis dahin exklusiv lateinisch-gelehrten Gattung ‚Chronik‘ in der ‚Kaiserchronik‘ indizieren: 1. das abschnittsweise geschlossene Erzählen des Chronisten mit der Folge einer additiv-disjunkten,3 eigentlich nichtzeitlich-seriellen Struktur;4 2. die stofflich-generische Nähe vieler Erzählepisoden zu kleinepischen Genres, die später auch autonom und in genrespezifischen Überlieferungsverbünden hervortreten, wie Märe, Legende, Fabel, Exempel usw. Diese Nähe stellt die ‚Kaiserchronik‘ an den Beginn einer ganzen Reihe volkssprachiger Genres, keineswegs nur der Verschronistik, und wirft zugleich die Frage auf, was die generisch so vielgestaltigen Teile eigentlich verbinde; 3. die Konvergenz der ersten beiden Befunde im exemplarischen Erzählen, das um 1300 in den parallel zur ‚Kaiserchronik‘ und mit ähnlichem Erfolg rezipierten ‚Gesta Romanorum‘ paradigmatisch zutagetritt; 4. schließlich die programmatische Exposition der phlege des rîche im Prolog als Inbegriff herrscherlichen Wirkens: die […] Rômisces rîches phlâgen / unze an disen hiutegen tac („die das Römische Reich bis zum heutigen Tag regierten“, KC 21–23). Meine von den vier Einstiegsbeobachtungen ausgehenden genrespezifischen Überlegungen setzen beim zeitgenössischen Begriffs- und Genrekonzept der Gesta an. Dieses soll aber nicht eine Blütenlese letztlich kontingenter Ähnlichkeiten in Gang setzen, sondern als Konzept erzählter Geschichte und historischer Narrativik erprobt werden, wobei die aufgeführten Fallbeispiele sich wechselseitig erhellen werden.

2 Vgl. orientierend: Norbert Ott/Gerhard Wolf (edd.), Handbuch Chroniken des Mittelalters, Berlin/Boston, MA 2016; Graeme Dunphy (ed.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle, 2 Bde., Leiden/Boston 2010. 3 Den Begriff verwende ich mit Christoph Petersen, Zeit, Vorzeit und die Narrativierung von Geschichte in der ‚Kaiserchronik‘, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), 321–353, hier 324–329. 4 Zum seriellen Erzählkonzept sei verwiesen auf Verf., Kohärenzstiftung auf vielen Ebenen: Narratologie und Genrefragen in der ‚Kaiserchronik‘, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 166 (2017b), 281–302, hier 286–289.

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Mit Isidors von Sevilla einflussreicher Definition sind Taten die Grundeinheit der historia, bestimmt diese sich doch als narratio rerum g e s t a r u m , per quam ea, quae in praeterito f a c t a sunt, dinoscuntur („Erzählung von Taten, durch die das, was in der Vergangenheit vollbracht wurde, dem Gedächtnis bewahrt wird“).5 Da gesta insofern nur als narratio erkannt und dem Gedächtnis bewahrt werden können, durchdringen die unmittelbare und die textualisierte Tat einander untrennbar. Der pluralische Gattungs- und Titelbegriff bietet eine zeitübliche, dazu halbwegs trennscharfe Abgrenzung zu anderen genera historica wie Vita, Annalen oder Chronik. Und offensichtlich ist die ‚Kaiserchronik‘ unterhalb ihrer chronistischen Makrostruktur als Gesta-Zyklus angelegt: Wahl bzw. Thronsetzung und Tod des behaupteten Protagonisten rahmen jeden einzelnen Abschnitt, vollständige Vitae kommen nur in Ausnahmefällen vor (Caesar, Constantin, Julianus, Karl) und haben dann, da nicht ‚nullmarkiert‘, spezifische Gründe.6 Zwischen Amtsantritt und Tod liegen der Wortbedeutung und Gattungsnorm nach ‚Taten‘ als eigentlicher Gegenstand der jeweiligen Erzählung. Es sind dies nicht immer die Taten des Kaisers, der mitunter nur als Zeitmarker und Anlass für die Erzählung der Taten und Untaten Dritter dient; doch werden die erzählten Taten auch dann stets auf den Kaiser selbst projiziert: Sie bestimmen über die ethische Bewertung seiner Herrschaft und über sein Ende. Schlechte Herrscher und Tyrannen sterben gewaltsam von Gottes, von fremder oder eigener Hand, gute Kaiser enden friedlich und vom Volke beklagt. Dieses Schema führt die einzelnen Kaiser-Gesta an exemplarisch-didaktische genera heran. Zeitgenössisch wird der Begriff (res) gesta(e) indes durchaus nicht so einheitlich verwendet, wie seine scheinbar klare Definition als Grundeinheit erzählter Geschichte bei Isidor suggeriert. Schon Stichproben in den Monumenta

5 Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX, ed. Wallace M. Lindsay, Oxford 1911 (ND Oxford 1985), lib. I, 41. Alle Übersetzungen stammen, soweit nicht anders vermerkt, vom Verf. 6 Zur Abgrenzung zwischen Vita und Gesta vgl. Anna-Dorothee von den Brincken, Mittelalterliche Geschichtsschreibung, in: Michael Maurer (ed.), Aufriß der Historischen Wissenschaften (Mündliche Überlieferung und Geschichtsschreibung 5), Stuttgart 2003, 188–280, hier 222f.; Herbert Grundmann, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen, Epochen, Eigenart, 2. Aufl., Göttingen 1965, 29–45. Melville sieht den Gesta-Begriff textsortenunspezifisch im Spannungsfeld von Historiographie und Chronographie: „Die Behandlung einerseits der gesta, andererseits der tempora bedürfen einander […], denn chronographia bliebe ohne zugeordnete Geschehnisse reine Komputistik, historiographia bestünde letztlich ohne zeitliches Nacheinander aus zusammenhanglosen Momentaufnahmen“ (Gert Melville, System und Diachronie. Untersuchungen zur theoretischen Grundlegung geschichtsschreiberischer Praxis im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 95 [1975], 33–67 und 308–341, hier 315). Die Relevanz der Unterscheidung von Gesta und Vita auch in volkssprachiger Epik zeigt der Vergleich der Eraclius-geste der ‚Kaiserchronik‘ mit den biographisch gerundeten Romanen Gautiers d’Arras und Ottes.

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Germaniae Historica ergeben eine beachtliche semantische Breite.7 Indes impliziert das relativ weite Feld an Optionen, den Begriff zu füllen, keine terminologische Beliebigkeit. Dies sollen vier paradigmatische, über das je gewählte Beispiel hinaus aussagekräftige Nutzungszusammenhänge zeigen, die zeitlich oder inhaltlich, meist sogar zeitlich u n d inhaltlich, der ‚Kaiserchronik‘ und ihrem Erzählprofil nahestehen. Sie stecken damit ihr generisch-narratologisches Umfeld jenseits der Chronistik, und m. E. auch repräsentativer als diese, ab. Gemeint sind Ottos von Freising ‚Gesta Frederici‘ (um 1156), Williams of Malmesbury ‚Gesta regum Anglorum‘ (um 1125), die Chanson de geste (schriftliterarisch fassbar ab ca. 1100) und die ‚Gesta Romanorum‘ (um 1300).

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Otto und Rahewin von Freising, ‚Gesta Frederici‘ (um 1156)

Ottos von Freising nach seiner (parallel zur ‚Kaiserchronik‘ vor/um 1140 entstandenen) ‚Chronica‘ zweites umfangreiches Werk gilt wie die Fortsetzung durch Ottos Notar Rahewin bei aller höfisch-dynastischen Tendenz als grosso modo valide zeithistorische Quelle über das Wirken Friedrichs I. (1152–90).8 Genrehinweise finden sich (außer im handschriftlich variablen Titel) besonders im Prolog und am Ende des letzten Buchs (IV, 85). Hier soll es weniger um den arbiträren Titel9 als um das Auswahl und Struktur prägende Konzept der Gesta gehen. [Titel: ‚Gesta Frederici‘ bzw. ‚Chronica‘] ‚Prologus operis sequentis‘: „Die Absicht aller, die vor uns Geschichte geschrieben haben, war es, so meine ich, die g l ä n z e n d e n Ta t e n tapferer Männer zu preisen, um die Menschen zur Tatkraft anzuspornen, die verborgenen Handlungen der Feiglinge dagegen entweder zu verschweigen, oder, wenn sie ans Licht gezogen werden, nur zu erwähnen, um die gleichen Sterblichen abzuschrecken.“10 7 Vgl. http://www.dmgh.de/de/fs1/search/query.html?fulltext=gesta&divisionTitle_str=&sort =score&order=desc&hl=false&action=Finden%21 (26. 03. 2018). 8 Ausg.: Otto von Freising und Rahewin, Gesta Frederici seu rectius Cronica / Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, übers. v. Adolf Schmidt, ed. Franz-Josef Schmale (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17), Darmstadt 1965, hier Einl., 16 und passim. Vgl. auch Franz-Josef Schmale, Otto von Freising, in: Verfasserlexikon 7 (2. Aufl. 1989), 215–223, hier 220–223; zu Rahewin Hans-Werner Goetz, Rahewin, in: Verfasserlexikon 7 (2. Aufl. 1989), 976–982. 9 Vgl. Schmale/Schmidt 1965, 75f., die ihn letztlich durch die editio princeps Cuspinians (1515) begründet sehen. 10 Schmale/Schmidt 1965, 114f.; lat.: Omnium qui ante nos res gestas scripserunt hec, ut arbitror, fuit intentio virorum fortium clara facta ob movendos hominum ad virtutem animos extollere, ignavorum vero obscura facta vel silentio subprimere vel, si ad lucem trahantur, ad terrendas eorumdem mortalium mentes promendo ponere.

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IV, 85: „Da aber nach unserem Vorsatz die Zahl der Bücher dieses Werkes die Zahl der Evangelien nicht überschreiten soll, wollen wir, bevor wir dieses vierte Buch beenden, nachdem wir die k r i e g e r i s c h e n H a n d l u n g e n u n d Ta t e n des erhabensten Kaisers in Kürze dargestellt haben, nun noch sein Wesen sowie die ü b r i g e n S e i t e n s e i n e s L e b e n s und seine Bemühungen um die Verwaltung des Reichs kurz schildern.“11

Otto wie Rahewin, der Buch III und IV verfasste, stellen damit das Gesamtwerk rahmend die gesta des Herrschers als Struktur- und Auswahlprinzip (in Ottos eigenen Worten: als Vorgabe für kritische fuga et electio des Quellenmaterials12) heraus. Sie qualifizieren ihr Werk damit konzeptionell als Gesta.13 Der handschriftlich konkurrierende Titel ‚Chronica‘ weist aber schon auf ein chroniknahes und -kompatibles Gesta-Konzept hin: Die zeitlich und universal erfasste Geschichte, die der Chronikbegriff (schon etymologisch) erwarten lässt, konstituiert sich in Reichen, deren Geschichte sich in H e r r s c h e r n (statt Strukturen, Ideen o. a.), sowie in Herrschern, deren Regierung sich in Ta t e n (statt integralen Lebensbeschreibungen) konkretisiert. Die zeitliche Folge der ‚Täter‘ und ihrer Taten bestimmt über die Makro- und Mikrostruktur. Der gesta-Begriff meint dabei (mehr oder minder synonym zu actus und facta) nach den zitierten Maßgaben erstens exemplarisches, zweitens aktives und drittens vor aller Augen vollzogenes Tun, speziell in Krieg und Gericht. Es hat Appell- und Vorbildcharakter, während im Gegenzug die „lichtscheuen Umtriebe der Feigen“ abschreckend wirken sollen. Aspekte der Lebensführung und Reichsverwaltung gehören nicht zu den gesta, weshalb sie am Werkende in einem übergreifenden Nachtrag zusammengefasst sind. Es gibt kein Indiz, dass Otto (resp. Rahewin) und der anonyme Regensburger Kaiserchronist einander kannten. Doch sie entstammen dem gleichen Milieu buchgelehrter clerici, arbeiten in zeit-räumlicher Nähe zueinander und schaffen Pioniertexte der Gattung in ihrer jeweiligen Sprache. Und: Die Textüberlieferung 11 Schmale/Schmidt 1965, 708f.; lat.: Quia vero huius operis libellos numerum evangelicum excedere non proposuimus, priusquam huic quarto volumini terminum demus, ex quo actus et gesta bellorum serenissimi principis summatim perstrinximus, mores quoque ceterasque vite illius partes et studia circa regni administrationem paulisper prosequamur. 12 So in Ottos Widmungsbrief an Rainald von Dassel zu Beginn der ‚Chronica‘: Otto von Freising, Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, übers. v. Adolf Schmidt, ed. Walther Lammers (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 16), Darmstadt 1961, hier 6: Scitis enim, quod omnis doctrina in duobus consistit, in fuga et electione. 13 Diese Gattungsbestimmung akzentuiert in Abgrenzung zu Vita, Chronik und historia Hans-Peter Apelt, der allerdings graduelle Unterschiede zwischen Ottos und Rahewins Anteilen konzediert: Hans Peter Apelt, Rahewins Gesta Friderici I. imperatoris. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts, Bamberg 1971, 135–144, hier bes. 136f. und 140f. Hans-Werner Goetz betont indes die „schwankende mal. Begrifflichkeit“ und „fließenden Gattungsgrenzen“, Goetz 1989, 978. Beides gilt für das volkssprachige genus historicum noch verschärft, wie gerade die ‚Kaiserchronik‘ zeigt.

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führt sie auch unmittelbar zusammen. Der berühmte Codex 276 der Stiftsbibliothek Vorau aus dem späten 12. Jahrhundert, in dem sich ein wesentlicher Teil frühmittelhochdeutscher Überlieferung bewahrt hat, setzt mit der ‚Kaiserchronik‘ ein, lässt ihr von gleicher Hand mehrere Bibel- und Heilsgeschichtserzählungen sub lege („unter dem Gesetz“ des Alten Bundes) und sub gratia („unter der Gnade“ des Neuen Bundes) sowie den ‚Vorauer Alexander‘ folgen – und schließt in einem planvollen, um 1200 vorgenommenen Nachtrag mit den ‚Gesta Frederici‘.14 Er vergemeinschaftet damit relativ ausgewogen antike, biblische und zeithistorische Texte im Zeichen des heilsgeschichtlich eingebetteten Reiches. Die ‚Gesta Frederici‘ fallen durch die lateinische Prosa formal aus dem Rahmen, bilden aber sonst ein schlüssiges strukturelles Komplement zu den rund 55 volkssprachigen ‚Gesta imperatorum‘, die die Sammelhandschrift eröffnen. Sie schreiben diese in die Gegenwart hinein fort, zumal Otto planvoll zurückgreifend schon mit Friedrichs Vorgänger einsetzt, mit dem der Kaiserchronist schließt: „Aber bevor ich die Reihe deiner Taten schildere, gedenke ich, über deinen Großvater, deinen Vater und deinen Oheim [sc. Konrad III.] einiges im Überblick vorauszuschicken und wie an einem Faden die Erzählung herabzuführen, damit das, was über deine Person zu sagen sein wird, durch den Glanz ihrer Taten noch glänzender erscheine.“15

Im unmittelbaren Fortgang stellt sich Otto zudem in eine ehrwürdige literarische Tradition, die auch der Kaiserchronist (von Ovid abgesehen indes ohne explizite Nennungen) umstandslos und letztlich aus ähnlichen Gründen für die Füllung seiner ‚Gesta‘ nutzte: „Auch Lukan, Vergil und die übrigen römischen Schriftsteller haben […] nicht nur geschichtliche, sondern auch sagenhafte Ereignisse […] erzählt, und sie haben auch oft Erörterungen eingeschoben, in denen sie an tiefste Geheimnisse der Philosophie rührten. Dadurch werden nicht nur die, denen es Freude macht, den Gang der geschichtlichen Ereignisse zu hören, sondern auch diejenigen, denen die Erhabenheit scharfsinniger Gedankengänge höheres Entzücken bereitet, angelockt, derartiges zu lesen und kennenzulernen.“16 14 Vgl. Marburger Repertorium, Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/ 1432 (mit Lit.; 26. 03. 2018). Orientierend Kurt Gärtner, Vorauer Handschrift 276, in: Verfasserlexikon 10 (2. Aufl. 1999), 516–521; Pius Fank, Die Vorauer Handschrift. Ihre Entstehung und ihr Schreiber, Graz 1967; Peter K. Stein, Beobachtungen zur Struktur der Vorauer Handschrift. Ein Versuch zum Gattungsproblem der frühmittelhochdeutschen Dichtung, in: Alfred Ebenbauer/Fritz P. Knapp/Ingrid Strasser (edd.), Österreichische Literatur zur Zeit der Babenberger. Vorträge der Lilienfelder Tagung, Wien 1977, 233–238. 15 Schmale/Schmidt 1965, 118f.; lat.: Sed antequam tuorum gestorum seriem attingam, de avo, patre patruoque tuo quedam summatim prelibare cogitavi, ut, sic quasi quodam filo narrationis descendens, per clara clariora, que de tua persona dicenda fuerint, appareant. 16 Schmale/Schmidt 1965, 120f.; lat.: Nam et Lucanus, Virgilius ceterique Urbis scriptores non solum res gestas, sed etiam fabulosas […], stilum tamen frequenter ad intima quedam philosophie secreta attingenda sustulerunt. Sic enim non solum hi, quibus rerum gestarum au-

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Wenn sich Ottos Stil, hier wie schon in seiner Chronik, trotzdem markant von der ‚Kaiserchronik‘ abhebt (wobei die Distanz in deren chronikaffineren Abschnitten nach Karl d. Gr. abnimmt)17, dann hat das weniger mit dem Gegenstand und den Autoren zu tun, als mit den intendierten Adressaten und causae scribendi. Bei aller panegyrischen Tendenz, die den von Otto selbst eingestandenen tragischen Grundton der vorausgehenden ‚Chronica‘18 vergessen macht, sind seine ‚Gesta‘ im Kern chronographisch angelegt und für ein mit der lateinischen historiographischen Tradition vertrautes Publikum bestimmt, das über die Zeitläufte informiert sein sollte und wollte. Und der kaiserliche Auftraggeber, so darf man vermuten, wollte in seinen Taten bei aller Schönung wiedererkannt werden und in der memoria des Hofs gegenwärtig bleiben, statt durch ihm lediglich assoziiertes Geschehen unterhalten oder belehrt zu werden.19 Entscheidender als diese Unterschiede ist für das Gesta-spezifische Erzählkonzept aber, dass sich die Autoren beider Texte im Rahmen jener Lizenzen bewegen, die Otto mit Berufung auf Vergil und Lukan absteckt20 und mit dem Zweck tieferen Erkennens der Geschichte begründet: Man müsse mitunter, erklärt er, von „der nüchternen Sprache der Geschichte“ (a plana historica dictione) zugunsten der „verdeckten Sinntiefen“ (intima secreta) absehen, die die Poeten und Philosophen vermitteln. Das sieht der deutsche Chronist nicht anders, auch wenn er in s e i n e m Prolog den scophelîchen (KC 31), d. h. dichtenden Kollegen den souveränen Tribut Ottos versagt und sie barsch in die Hölle wünscht. Der Lateiner konnte hier gelassener sein, und nur gegenüber Lateinern wie Ovid konnte es auch der vernakuläre Dichter.

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diendi seriem inest voluptas, sed et illi, quos rationum amplius delectat subtilitatis sublimitas, ad eiusmodi legenda seu cognoscenda trahuntur. Vgl. Verf., Geschichte erzählen. Die Kaiserchronik im Kontext (nebst Fragen an eine historische Narratologie historischen Erzählens), in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 146 (2017a), 413–443, hier 436–438. Lammers/Schmidt 1961, hier 4: […] ex amaritudine animi scripsisse ac ob hoc non tam rerum gestarum seriem quam earundem miseriam in modum tragediae texuisse et sic unamquamque librorum distinctionem […] in miseria terminasse. Die hier für Otto getroffenen Aussagen gelten mutatis mutandis auch für die Bücher aus Rahewins Feder; zu deren Konzeption und causa scribendi vgl. Roman Deutinger, Rahewin von Freising. Ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 47), Hannover 1999, 88–149. In geringerem Maße als Otto nutzt Rahewin antike Dichter, ausgenommen Lukan, der zeitüblich indes eher als historicus denn als Dichter galt; vgl. Deutinger 1999, 108f.

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William of Malmesbury, ‚Gesta regum Anglorum‘ (um 1125)

Die rund 20 Jahre vor der ‚Kaiserchronik‘ um 1125 entstandenen ‚Gesta Regum Anglorum‘ Williams of Malmesbury (Wiltshire) traten bislang kaum in den Gesichtskreis der ‚Kaiserchronik‘-Forschung.21 Dabei haben sie, von der Sprache abgesehen, viel mehr mit ihr gemein als nur eine punktuelle Quelle: Beide sind frühe Sammelbecken europäischer Antikenrezeption und gelten neben den ‚Mirabilia Romae‘ als „Hauptvermittler römischer Überlieferungen“ ins 12. Jahrhundert.22 Beide sind zudem als Abfolge herrscherlicher gesta strukturiert, nutzen das makrostrukturelle Format aber primär zur Integration mythologischen, legendarischen, novellistisch-anekdotischen und anderen kleinepischen Materials. Beide adaptieren damit, wiewohl in je unterschiedlichem Grade, eine „somewhat eccentric ‚biographical‘ form devised by Suetonius for the ‚Vitae Caesarum‘“23, und beide tun dies dank klerikaler Bildung und in Ermangelung affinerer zeitgenössischer, gar volkssprachiger Modelle so „easily and naturally“24 wie zugleich alternativlos. Beide folgen anders als Otto und Rahewin auch dem für das Genre üblichen Modus institutionenbezogener ‚Vergemeinschaftung‘ (narratologisch gesprochen: Serialisierung). Denn der Plural ‚Gesta‘, den Otto und Rahewin auf die Tatenserie eines Einzelnen beziehen, meint hier eine Serie von Tatenberichten innerhalb der gleichen Institution (das rîche bzw. das anglonormannische regnum), deren einleitende Nennung und Beschreibung die Vielzahl an Akteuren und Taten integriert (vgl. geläufige Titelformeln wie ‚Gesta regum‘, ‚episcorum‘, ‚abbatium‘, ‚pontificum‘ etc.)25 – auch dies schon ein Erbe Suetons, der indes noch Viten in solcher Art reihte.

21 Orientierend Lisa M. Ruch, William of Malmesbury, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 2 (2010), 1511f. Zu den hier relevanten Aspekten Joan Gluckauf Haahr, William of Malmesbury’s Roman Models: Suetonius and Lucan, in: Aldo S. Bernardo/Saul Levin (edd.), The Classics in the Middle Ages. Papers of the Twentieth Annual Conference of the Center for Medieval and Early Renaissance Studies, Binghamton, NY 1990, 165–173; Dies., The Concept of Kingship in William of Malmesbury’s Gesta Regum and Historia Novella, in: Mediaeval Studies 38 (1976), 351–371; Neil Wright, „Industriae Testimonium“. William of Malmesbury and Latin Poetry Revisited, in: Revue Bénédictine 103 (1993), 482–531. 22 So Ernst F. Ohly, Sage und Legende in der Kaiserchronik. Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung, Münster 1940 (ND Darmstadt 1968), 205. 23 Vgl. für William Gluckauf Haahr 1990, 166. Man denke auch an die bereits antike Zuspitzung dieses ‚Formats‘ in der spätantiken sog. ‚Historia Augusta‘, die wie die ‚Kaiserchronik‘ bereits fiktive Kaiser und Kaiserbiographien enthält und dem Novellistischen noch mehr Raum gibt als Sueton. 24 Vgl. Gluckauf Haahr 1990, 172, wieder bezogen auf William, aber ebenso gültig für den im antiken Schrifttum genauso versierten deutschen Anonymus. Weitere antike Quellen und Prätexte Williams bei Wright 1993, des Kaiserchronisten en détail bei Ohly 1968. 25 Vgl. die Lemmata bei Dunphy 2010, 693–702 (nur Anonyma; andere Titel sind den Autoren zugeordnet).

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Ich wähle zum direkten Vergleich der Begriffs- und Genreauffassungen eine Episode, die beide Autoren zum ersten Mal überhaupt überliefern: die im spätantiken Rom spielende, aber wohl mittelalterliche ‚novella‘ eines eher durch Leiden als durch aktive Tat hervortretenden Jünglings, der (nur) in der ‚Kaiserchronik‘ Astrolabius heißt.26 Der novellistische ‚Falke‘ (oder die ‚unerhörte Begebenheit‘ Goethes) ist die Verlebendigung einer marmornen Statue, in die sich der Knabe unsterblich verliebt.27 Den universalchronistischen Rahmen steckt der Umbruch vom antiken Kultus zum Christentum ab, in der ‚Kaiserchronik‘ konkret die Regierungszeit des in Kriechen gebürtigen, trotzdem (d. h. konträr zum Griechenbild des Chronisten) guoten Kaisers Theodosius. Der historische Theodosius I. (379–395 n. Chr.), tatsächlich ein Spanier, hatte das Christentum 391 zur Staatsreligion erklärt, alle paganen Kulte verboten und ihre Tempel geschlossen. Die ‚Gesta regum Anglorum‘ erzählen die Geschichte so (II,205)28: Ein namenlos bleibender, junger begüterter Römer (civis ephebus aetate, locuples opibus) steckt während seiner Hochzeit beim Ballspiel den Verlobungsring an den Finger einer Venusstatue. Als er ihn nach dem Spiel wieder abnehmen will, ist der steinerne Finger gekrümmt (invenit digitum curvatum), später ist der Ring verschwunden. In der Hochzeitsnacht legt sich eine Art Nebel zwischen den jungen Mann und seine Braut (quiddam nebulosum […], quod posset sentiri, nec posset videri), der dichter wird und sich schließlich in einer schönen Gestalt materialisiert, die sich als Venus vorstellt und Ansprüche auf den Jüngling erhebt. Als der sie zurückweist, verschwindet die Gestalt, doch der Nebel bleibt und verhindert die Liebesvereinigung und den Ehevollzug. Die Liebenden und ihre Eltern sind ratlos. Da vertraut sich das Mädchen dem zauberkundigen Priester Palumbus an. Dieser zögert zuerst, fasst dann aber einen magischen Brief ab, den der Jüngling nächtens auf einem Kreuzweg einer dämonischen Gestalt übergibt, die auf prächtigem Wagen mit großem Gefolge erscheint. Aus dem Gefolge tritt, auf einem Maultier reitend, mit goldenem Haar, frivolen Gesten und pene nuda, Frau Venus hervor. Widerstrebend gibt sie dem Zauber nach und den Ring heraus. Der Jüngling ist frei, Palumbus aber trifft der Fluch des magischen Fürsten: „Allmächtiger Gott, wie lange noch erträgst du die Nichtswürdigkeit des Priesters Palumbus!“ (Deus omnipotens, quamdiu patieris nequitiam Palumbi presbyteri). Er beichtet vor dem Papst und vor der Öffentlichkeit Roms seinen 26 Das auf Ovids Pygmalionerzählung (‚Metamorphosen‘ X, V. 243–297) fußende Kernmotiv bleibt bis zu Prosper Merimée (‚La Vénus d’Ille‘ 1837) und Henry James (‚The Last oft the Valerii‘ 1874) in volkssprachiger Literatur produktiv. 27 Zur mutmaßlichen Herkunft der Tradition und Quellen vgl. Ohly 1968, 204–210. 28 William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, 2 Bde., ed./übers. v. Roger A. B. Mynors/ Rodney M. Thomson/Michael Winterbottom, Oxford 1998/99; hier Bd. 1, 380–385 (text), Bd. 2, 197 (comm.).

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Frevel und richtet sich auf gräßliche Weise selbst, indem er sich Glied um Glied ausreißt. Das Schicksal des Jünglings verliert William am Schluss ganz aus dem Blick. Für ihn steht Palumbus im Fokus, ein Proto-Faustus, der sich zu guten Zwecken zwar, doch sündhaft der schwarzen Magie bedient und dabei um Leben und Seelenheil bringt. Der novellistische Kern der Geschichte ist die Brautnacht, in die Venus eindringt, um ihr durch den Verlobungsring erworbenes Recht auf den Bräutigam einzufordern: „Mit mir schlafe, weil du dich heute mit mir vermählt hast!“ (Mecum concumbe, quia hodie me desponsasti). Die Priorität dieser Version vor der des Kaiserchronisten ist sicher.29 Erst der deutsche Autor biegt die Teufelsbundmythe in die Bekehrungslegende um, die er funktional braucht, und passt sie präzise in die Episodenfolge der Theodosius-Gesta ein: Der individuellen Bekehrung des verstockten Heiden Astrolabius (KC 13089–13100) folgt die kollektive der häretischen Arianer auf der Synode von Ephesus und die Festigung des Glaubens aller Römer durch das spektakuläre Erlebnis der urstende an der Höhle der Siebenschläfer.30 Alle drei Episoden des Abschnitts sind verbunden durch den vorbildlich gottesfürchtigen (KC 13643f.), individuell (KC 13094f.) und kollektiv (KC 13484– 13486) für den rechten Glauben werbenden Kaiser. Diesem ‚Wiedererzählzweck‘ fallen Hochzeit und Brautnacht zum Opfer, denn dem Chronisten geht es nicht um sündhafte Liebe, sondern um Religion. Was bleibt, ist die pagane Passion des Astrolabius: Er findet in einem alten Gemäuer die steinerne, doch in seinem Glauben noch immer lebendige Göttin und fällt ihrem Zauber anheim. Der Erzähler erklärt dies durch seine hôhfart, aber zugleich durch teuflisches Wirken. Alle ovidischen Symptome unglücklicher Liebe martern ihn nun, er zieht sich zurück, isst und schläft nicht mehr, wird sterbenskrank, bis er sich in seiner Not einem Priester anvertraut, der in allem als Gegenbild zu Palumbus gestaltet ist: Der kaiserliche Kaplan Eusebius ist ein Helferheiliger, der in früher Jugend die swarzen buoch studiert hatte, um sein Wissen danach in Gottes Dienst zu stellen, und der es nun auf sich nimmt, den Teufel nicht etwa an einem Wegekreuz, sondern direkt in der Hölle zu stellen. Er zwingt ihn, die Ursache für die Leiden des Knaben preiszugeben, und beseitigt sie dann ohne Magie. Der so Geheilte lässt sich taufen, die Venusstatue wird dem heiligen Michael dediziert und neu 29 Vgl. Ohly 1968, 205–210 (mit breiter Diskussion der älteren Forschung). 30 Hier knüpft die Theodosius-Gesta (ein seltener Fall im ‚Kaiserchronik‘-Zyklus) direkt an die viel frühere Decius-Gesta an, in der die sieben verfolgten Christen in der Höhle verschwunden waren (KC 6417–6436). Zur der Episode eingeschriebenen Zeitstruktur vgl. Elke Koch, Zeit und Wunder im hagiographischen Erzählen. Pansynchronie, Dyschronie und Anachronismus in der Navigatio Sancti Brendani und der Siebenschläferlegende (Passio und Kaiserchronik), in: Susanne Köbele/Coralie Rippl (edd.), Gleichzeitigkeit. Narrative Synchronisierungsmodelle in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Würzburg 2015, 75–100.

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plaziert, so dass sie fortan ganz Rom überragt, alse man hiute wol kiesen mach (KC 13364; „wie man noch heute gut sehen kann“).31 Theodosius freut sich über den Erfolg seines Kaplans – dies ist seine einzige geste in der Erzählung. Die Konstante der ‚Gesta Theodosii‘ insgesamt aber, wie sie die ‚Kaiserchronik‘ referiert, ist der Triumph des neuen über den alten Glauben, den des Kaisers Tun passiv rahmt und aktiv fördert. Die Tendenz zur religiösen Relektüre der Sage teilt die ‚Kaiserchronik‘ mit späteren Adaptationen, in denen sich die frivole Venusmythe als wandelbar bis zur Marienlegende erweist.32 In Vinzenz’ von Beauvais ‚Speculum historiale‘ und seinen Bearbeitungen ist es eine Marienstatue, die den nächtlichen Sex unterbindet und monastische Reinheit erzwingt: „In der gleichen Nacht noch zog er sich heimlich in eine Klause zurück, wo er Gewand und Leben eines Mönchs annahm und seiner Herrin und Geliebten [sc. Maria] fortan all seine Tage demütig diente“ (Eadem nocte in eremum clam secessit, ubi habitum monachi vitamque professus, dominae et amicae suae cunctis diebus vitae suae devoto animo deservivit). Doch der Kaiserchronist leistet nicht nur im (verglichen damit) gemäßigten Ausgang, sondern auch narratologisch und generisch mehr: Statt den Plot schlicht asketisch umzubesetzen, integriert er ihn in einen weiteren Rahmen und stimmt ihn planvoll auf diesen ab, und zwar – historisch durch die Synchronisierung mit den Gesta eines Kaisers, dessen persönliche Frömmigkeit und politische Maßnahmen gegen Häretiker und Heiden notorisch bekannt sind, wodurch er auch diese ihm eigentlich fremden Taten leicht ‚absorbiert‘; – ideell-konzeptionell durch das zentrale Bekehrungsmotiv, das den novellistischen Gehalt legendarisch aufwertet und der Siebenschläferlegende anpasst; – mikrostrukturell durch Umwertung des Teufelsbündlers zum Nothelfer und Vorläufer der Siebenschläfer; – makrostrukturell durch den werkinternen Dialog dieser mit anderen Bekehrungs- und Teufelsbundfabeln in der Chronik, namentlich mit der rund 2500 Verse früher erzählten Geschichte von Julian und der Merkurstatue (KC 10688–10819). Schon hier war ein Marmorbildnis im Dienst des alten Glaubens lebendig und durch einen christlichen Heiligen ausgeschaltet worden33; – rezeptionsästhetisch schließlich durch die aitiologische Vergegenwärtigung des Geschehens in ‚heute noch‘ sichtbaren Spuren und Monumenten, Hinweis auch auf das ‚nostra res agitur‘ der Rezeptionssituation. 31 Die Erzählung hat damit eine im Kern aitiologische Funktion, doch ist diese vom Erzählten ganz überwuchert. Bei der Venus-Michaelstatue kann es sich um das krönende Wahrzeichen der Engelsburg handeln, das auch die ‚Mirabilia Romae‘ kennen. 32 Siehe die Textauszüge bei Hans Ferdinand Massmann, Der keiser und der kunige buoch, oder die sogenannte Kaiserchronik. Dritter Teil, Quedlinburg/Leipzig 1854, 923–929. 33 Zu Parallelen im einzelnen vgl. Ohly 1968, 209f.

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‚Chanson de geste‘: Empörer-, Karls- und Kaisergeste (ab ca. 1100)

Etwa zur Zeit Williams und des Kaiserchronisten etabliert sich in der Romania die Chanson de geste als schriftliterarisches Genre.34 Die Texte besingen in stofflich gesonderten Branchen ‚Taten‘ aus dem karolingischen ‚heroic age‘: Feldzüge gegen Muslime, Rebellionen und ihre Befriedung, Akte der Herrschaft und Gefolgschaft im Feudalverband. Welcher Art die Geste als Genre und die geste als ihr schon nominell konstitutives Thema35 sind, umreißt der Beginn der anonymen ‚Chanson de Roland‘ (um 1100), die der weiteren Gattungsgeschichte die Richtung gibt: Carles li reis, nostre emperere magnes, / Set anz tuz pleins ad estéd en Espaigne, / Tresqu’en la mer cunquist la terre altaigne; / N’i ad castel ki devant lui remaigne, / Mur ne citét n’i est remés a fraindre / Fors Sarraguce, ki est en une muntaigne (V. 1–6). „König Karl, unser großer Kaiser, war volle sieben Jahre in Spanien. Er eroberte das Land vom Gebirge bis zum Meer. Keine Burg widersteht ihm, keine Mauer und Stadt blieb uneingenommen, außer Saragossa, das auf einem Berg liegt“.

Unmittelbar darauf setzt die zu erzählende geste ein. Belagerung, Eroberung, Zerstörung: das hier Annoncierte entspricht etwa dem, was ex negativo schon um 1080 das frühmittelhochdeutsche ‚Annolied‘ erwähnt, wobei der hier relevante Passus primär auf die Taten antiker oder germanischer Helden zielen dürfte: VVir hôrten ie dikke singen / von alten dingen: / wî snelle helide vuhten, / wî si veste burge brêchen, / wî sich liebin vuiniscefte schieden, / wî rîche kunige al zegiengen.36

34 Vgl. Dominique Boutet, La chanson de geste: forme et signification d’une écriture épique du Moyen Âge, Paris 1993; Dies., Formes littéraires et conscience historique aux origines de la littérature francaise, 1100–1250, Paris 1999; François Suard, La chanson de geste: raisons d’un succès, in: Susanne Friede/Dorothea Kullmann (edd.), Das Potenzial des Epos. Die altfranzösische Chanson de geste im europäischen Kontext, Heidelberg 2012, 21–42. 35 In genreindizierender Bedeutung nutzt den Begriff schon der Gründertext: il es escrit en l’anciene geste; ci falt la geste que Turoldus declinet: La Chanson de Roland, ed./übers. v. Hans-Wilhelm Klein (KTRM), München 1963, V. 3742 bzw. 4002. Zur Wortsemantik vgl. Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye, Dictionnaire historique de l’ancien langage françois. Ou Glossaire de la langue françoise depuis son origine jusqu’au siècle de Louis XIV., Niort 1875–1882, tome 6, 391, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k50685v/f393.item (14. 05. 2018); Frédéric Godefroy, Dictionnaire de l’ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle. Composé d’après le dépouillement de tous les plus importants documents manuscrits ou imprimés qui se trouvent dans les grandes bibliothèques de la France et de l’Europe, Paris 1881–1902, tome 4, 268f., http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k50 6370/f271.item (14. 05. 2018). 36 Das Annolied. Mittelhochdeustsch / Neuhochdeutsch. Ediert, übersetzt und kommentiert v. Eberhard Nellmann, 4. Aufl., Stuttgart 1996, c. 1, V. 1–6.

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„Wir hörten oft singen von alten Geschichten: wie tapfere Helden kämpften und wehrhafte Städte zerstörten, wie enge Freundschaften zerbrachen, wie mächtige Könige völlig zugrundegingen.“

Ungeachtet der Stoffspezifika gibt es demnach ein gemeinsames Substrat von Erzählkernen, Heldentypen und Stilkonzepten heroischer Taten-Dichtung, das der zeitgenössische Gesta-Begriff voraussetzt und in das Genrekonzept einbringt. Die ‚Kaiserchronik‘ steht dabei in zwei Relationen: Sie ist zunächst eine Art römisch-deutsches Pendant zur gleichzeitig aufblühenden Epik der Romania, dann (im Gefolge des ‚Annolieds‘) schriftliterarisches Konkurrenzprojekt zur entstehenden germanisch-heroischen Epik. Die produktive Rezeption der Chanson beginnt schon vor ihrer ersten deutschen Adaptation im ‚Rolandslied‘ des Pfaffen Konrad: Der Karlsabschnitt der ‚Kaiserchronik‘ referiert bereits auf (romanische?) liet über Karl (KC 15072), offeriert aber zugleich ein Gegenkonzept zu ihnen. Fortan steht der römisch-deutsche Kaiser und voget von Rôme für Rezipienten diesseits der deutschen Sprachgrenze in Konkurrenz zum König von Kerlingen und Haupt der Franzoise. Für die Konzeptualisierung der ‚Kaiserchronik‘ als Gesta hat dieser Befund vier relevante Facetten, die indes eher analytisch als sachlich zu trennen sind: (a) Auf architextueller Ebene teilen Chronik und Chanson de geste das Interesse an der Heilsgeschichte und die Symbiose von individueller Tat und universellem Heilshandeln, die der originär germanischen Epik (wie etwa dem ‚Nibelungenlied‘) im Gegenzug fehlen. In der Karlsepik resultiert solche Verschmelzung aus der Einheit von militia Christi und douce France, in der ‚Kaiserchronik‘ aus der Rückbindung des Geschehens an die Weltreichelehre nach Daniel (Dn 2 und 7, vgl. KC 526–590), die letztlich alle erzählten Taten universalhistorisch überhöht: In den zîten iz gescach / dannen der wîssage Dânîêl dâ vor sprach (KC 526f.; „In jenen Zeiten erfüllte sich, wovon einst der Prophet Daniel gesprochen hatte“). (b) Plotsignifikant für beide Gesta-Varianten ist das Empörerschema. Schon die ‚Chanson de Roland‘ kennt es episodisch (Ganelon), später wird es zum Kern einer eigenen Branche. Die ‚Kaiserchronik‘ wiederum nutzt es in vielen ihrer Abschnitte und in vielen Varianten – ‚empörerfreundlich‘ u. a. bei Collatinus, Adelgêr oder den gegen Heinrich IV. rebellierenden Sachsen, ‚reichsloyal‘ in der Verschwörung des Ariolus gegen Titus, im Krieg der sieben wuoterîche (KC 7680) gegen Constantius oder in den meisten Aufständen des Mittelalterteils. Das zentrale tertium commune mit dem romanischen Pendant scheint mir dabei die durchweg ambiguisierende Konzeption zu sein: Licht und Schatten liegen fast immer auf beiden Seiten. Der historisch-ethischen und exemplarisch-didaktischen Klarheit läuft die poetische Komplexität zuwider (vgl. dazu auch im Fol-

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geabschnitt). Auch wo die Plots nur an- und nicht auserzählt werden, wie im Fall der Revolte gegen den princeps puer Otto (KC 16078–16119), wird zumindest ein subjektives Recht für die (vom Prolog und Ausgang her) ubele Seite reklamiert. All dies passt zum Regelfall der romanischen Empörer, gegen die sich der Herrscher zuletzt zwar behauptet, denen aber noch im Scheitern moralisches Recht zuerkannt wird. Meist gibt es gute Gründe für ihre Erhebung, oft zahlen sie mit Flucht und Exil und sehen ohnmächtig zu, wie Unbeteiligte (etwa der alte Haymon in ‚Renaut de Montauban‘) im tragischen Loyalitätskonflikt zwischen Sippe und Lehnsherrn zerrieben werden.37 (c) Neben Feudalkonflikten prägt die militia Christi als Idee und Strukturschema die Gesta-Konzepte der ‚Kaiserchronik‘ und der Chanson de geste. Regelrechte Kreuzzüge reichen im ersteren Fall von Eraclius’ Persienzug (mit Rückeroberung des Kreuzes Christi) über Karls Spanienkrieg bis zu Gottfrieds von Bouillon erstem und Konrads III. aus der erzählten in die reale Geschichte überleitendem zweiten Kreuzzug. Die Kämpfer sind von Märtyrergeist erfüllt, „die Heiden werden als die Feinde des Glaubens, als die Verbündeten des Teufels gesehen, deren Vernichtung ein Gott wohlgefälliges Werk ist.“38 Eraclius (KC 11206–11251), Gottfried (KC 16718–16725) und Bernhard von Clairvaux (KC 17278–17282) treten in den genannten Situationen als Prediger und Seelsorger auf. Doch bereits vor der ‚klassischen‘ christlich-muslimischen Konstellation werden kreuzzugaffine Konflikte unter den paganen Kaisern Tiberius (Eroberung Jerusalems, KC 839–1104), Vespasian (Eroberung Jerusalems und Weiterzug gegen die Könige Milian von Babylon und Hylas von Affrica, KC 5171–5344), Trajan (Krieg gegen die widerwertigen Nortman, KC 5597–6006) und – ein Grenzfall zwischen geste und Legende – Julian (KC 10936–11107) inszeniert. Im letztgenannten Fall greift Sankt Mercurius selbst zu scilt und sper, um seine Grabstatt vor dem Apostaten zu schützen. Die narrative Gestaltung des Plotschemas ‚Glaubenskrieg‘ durch den Chronisten stimmt im Großen wie in markanten Details mit der Chanson de geste überein, auch wenn sie insgesamt kursorischer und geraffter verfährt. Hier wie 37 Rebellenplots ähnlicher Prägung gibt es in frühhöfischen deutschen ‚Gesten‘ ohne romanische Stofftradition, v. a. im ‚Herzog Ernst‘; zu dessen Affinitäten insbesondere zur ‚Adelgêr‘-Geste der ‚Kaiserchronik‘ vgl. ‚Herzog Ernst‘. Fassung B, mit den Fragmenten der Fassungen A, B und Kl nach der Leiths. herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Mathias Herweg, Stuttgart 2019, hier Nachwort, 567–569. 38 Zum Kreuzzugsmotiv in der ‚Kaiserchronik‘ vgl. bündig immer noch Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters. Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit, Berlin 1960, 60–72, Zit. 67 (zum Kreuzzug Gottfrieds von Bouillon). Ähnlich Rose B. Schäfer-Maulbetsch, Studien zur Entwicklung des mittelhochdeutschen Epos. Die Kampfschilderung in ‚Kaiserchronik‘, ‚Rolandslied‘, ‚Alexanderlied‘, ‚Eneide‘, ‚Liet von Troye‘ und ‚Willehalm‘, Göppingen 1972, bes. 42–46 zur Darstellungsweise, 366–369 zur ideellen Nähe der ‚Kaiserchronik‘ zur Chanson.

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dort waten die milites Christi durch Blutströme, wirkt Gott Wunder für sie, stehen die Feinde im Bund mit dem Teufel, geht ihrer physischen Vernichtung die Erniedrigung ihrer Gesinnung und die Schändung ihrer Symbole voran, sind Atrozitäten an Nichtkombattanten die kaum problematisierte Regel. Schließlich, dies zugleich ein Grund für den Gleichklang, stellen biblische Vorbilder wie Josua und die Makkabäer hier wie dort die Darstellungsmuster bereit.39 (d) Mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit zu vermuten, doch nicht zu beweisen sind über die gemeinsamen biblisch-heroischen Darstellungs- und Deutungsmuster hinaus auch Direkteinflüsse romanischer Epik auf die ‚Kaiserchronik‘. So vermerkt der Erzähler am Ende des Karlsabschnitts: Solten wir sîniu wunder elliu sagen, / sô muosen wir die wîle haben: / des zîtes ist nû niet. / Karl hât ouch enderiu liet (KC 15069–15072; „Erzählten wir all seine erstaunlichen Taten, so brauchten wir sehr viel Zeit; die aber haben wir jetzt nicht. Es gibt über Karl noch andere Dichtungen“). Was er mit diesen liet auf die Leitfigur der romanischen Chanson de geste konkret meint, bleibt zwar offen, doch heroische Lieder vor und neben der Epik, vielleicht auch diese selbst, liegen nicht fern; dies umso mehr, als sich ein möglicher Beleg im althochdeutschen ‚Ludwigslied‘ (um 980) bewahrt hat, das als das „älteste volkssprachliche Beispiel eines christlichen […] Heldenlieds“ direkt in die Vorgeschichte der Chanson de geste gestellt wurde. Der besungene Held ist Ludwig III. von Westfranken, ein Nachfahr Karls des Großen.40 Die für die Gattung prototypische ‚Chanson de Roland‘ wurde rund 50 Jahre vor der ‚Kaiserchronik‘ literarisiert, eine Generation nach ihr vom Pfaffen Konrad, wohl in Regensburg, ins Deutsche gebracht, weitere rund 50 Jahre später in Strickers ‚Karl‘ erniuwet. Neben seiner französischen Quelle kannte Konrad die ‚Kaiserchronik‘ so gut, dass man ihn zeitweise sogar für den Chronisten halten wollte.41 – Darüber hinaus bieten auch die Gesta des Karlsohnes Ludwig (KC 15092–15235) Anhaltspunkte für die Kenntnis romanischer

39 So ist das Tauwunder, das die ‚Kaiserchronik‘ in der Schlacht um Jerusalem (KC 16730– 16739) und das ‚Rolandslied‘ in der Schlacht von Ronceval (V. 4454–4461) bietet, biblisch mehrfach vorgeprägt, vgl. Gen 27, 28; Ex 16, 13; Dt 33, 28. 40 Vgl. Max Wehrli, Gattungsgeschichtliche Betrachtungen zum Ludwigslied, in: Werner Kohlschmidt/Paul Zinsli (edd.), Philologia Deutsch. Festschrift zum 70. Geburtstag von Walter Henzen, Bern 1965, 9–20, hier 17 und 20. 41 Hierzu Carl Wesle, Kaiserchronik und Rolandslied, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 48 (1924), 223–258 (Frage der Autoridentität); Robert Folz, Le Souvenir et la Légende de Charlemagne dans l’Empire germanique médiéval, Paris 1950 (ND Genève 1973), 160–170; Eberhard Nellmann, Die Reichsidee in deutschen Dichtungen der Salier- und frühen Stauferzeit. Annolied, Kaiserchronik, Rolandslied, Eraclius, Berlin 1963; Georges Zink, ‚Rolandslied‘ et ‚Kaiserchronik‘, in: Etudes germaniques 19 (1964), 1–8; Karl-Ernst Geith, Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, Bern/München 1977, 48–83.

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Epik durch den Chronisten: Sie scheinen in ihrem hymnischen Duktus direkt gegen das unwürdige Ludwigsbild der einschlägigen Chansons gemünzt.42

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‚Gesta Romanorum‘ (um 1300)

Das abschließende Vergleichscorpus gehört nicht mehr ins entstehungszeitliche Umfeld der ‚Kaiserchronik‘, läuft aber ihrer langen Überlieferung parallel. Der Titel gilt einem Fundus exemplarischer Geschichten, die nominell sämtlich in der Antike ‚spielen‘, aber nur etwa zur Hälfte auf antike Quellen, daneben auf hagiographisches, orientalisches u. a. Traditionsgut zurückgehen.43 Schon dieses Spektrum erinnert an die ‚Kaiserchronik‘, und wenn man davon absieht, dass deren Rezeption sich auf den deutschen Sprachraum und die Manuskriptära beschränkte, während die ‚Gesta Romanorum‘ sprachbedingt auch übernational weite und bis in die Moderne andauernde Verbreitung finden konnten,44 gilt Ähnliches auch für die Wirkung. Über 250 lateinische und über 40 deutsche Handschriften, dazu rund 40 lateinische und mindestens 7 niederländischdeutsche Drucke bewahren den um 1300 entstandenen Zyklus; 50 Handschriften und Fragmente sind es für die ‚Kaiserchronik‘.45 Da Prolog und Erzählrahmen fehlen, konfrontierte der Zyklus jeden Bearbeiter und Kopisten mit einer fast unrestringierten makrostrukturellen Offenheit. Man konnte kürzen, umstellen, erweitern, und tatsächlich bietet fast jeder Textzeuge einen eigenen Textbestand. Unbeschadet ihrer disparaten Herkunft münden fast alle Gesta in eine ausführliche Lehre, die als moralizatio, misticus sensus oder reductio abgesetzt ist und den Erzählteil an Umfang nicht selten übertrifft. Bis zu 240 Legenden und Mirakelgeschichten, Fabeln und Parabeln, Disputationen, Aitiologien, Anekdoten und Abenteuerromane in nuce (Apollonius) folgen dergestalt narrativ unverbunden aufeinander. Die Plotfülle ähnelt der ‚Kaiserchronik‘ (einschließlich 42 Vgl. Verf., Sô wurdet ir nie Karels sun. Metamorphosen eines Herrscherbildes, in: Susanne Friede/Dorothea Kullmann, Das Potenzial des Epos. Die altfranzösische Chanson de geste im europäischen Kontext, Heidelberg 2012, 97–125, hier 103–107. 43 Ausg.: Gesta Romanorum, ed. Hermann Oesterley, Berlin 1872 (ND Hildesheim 1980) (zit.; Kürzel Oe); Gesta Romanorum / Die Taten der Römer. Ein Geschichtenbuch aus dem Mittelalter, ed. Hans E. Rübesamen, München 1962. Vgl. Udo Gerdes, Gesta Romanorum, in: Verfasserlexikon 3 (2. Aufl. 1981), 25–34; Brigitte Weiske, Gesta Romanorum. Untersuchungen zu Konzeption und Überlieferung, 2 Bde., Tübingen 1992; Johannes Schneider, Das Fortleben der römischen Kaiser in den Gesta Romanorum, in: Klio 52 (1970), 395–409; Rolf Sprandel, Die Gesta Romanorum als Quelle der spätmittelalterlichen Mentalitätengeschichte, in: Saeculum 33 (1982), 312–321. 44 Dies mit markanter Ausnahme des romanischen Sprachraums; vgl. zu möglichen Gründen Sprandel 1982, 320–322. 45 Vgl. Gerdes 1981, 25, 29; Marburger Repertorium, Handschriftencensus, http://www.hand schriftencensus.de/werke/189 (30. 03. 2018).

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stofflicher Dubletten)46, der Umfang der einzelnen Gesta reicht von wenigen Druckzeilen (z. B. 10 für Oe 32, 8 für Oe 52) bis zu mehr als 20 Seiten (Oe 153) – auch dies analog zur ‚Kaiserchronik‘ (zwischen 10 und 2800 Versen). Wenn nun in der Chronik der historiographische Anspruch für eine bemerkenswerte makrostrukturelle Überlieferungsstabilität sorgte, so ist im Gegenzug zu konstatieren, dass der didaktische Anspruch in den ‚Gesta Romanorum‘ maximale Unfestigkeit bedingt. Hier fehlt schon der Anspruch auf eine verbindliche Chronologie, wie ihn der Kaiserchronist im Prolog formuliert und zumindest zu Beginn und am Ende auch tentativ einlöst. Doch auch im Extremfall der offenen Makrostruktur, für den die ‚Gesta Romanorum‘ stehen, ist das Ganze mehr als die Summe der Teile. Mangels des chronologischen Rahmens bilden die stereotypen Eingänge und die stete Wiederkehr der Auslegungen die wichtigsten zentripetalen Momente in der sonst so zentrifugalen Erzählsumma. Der jeweils erste Satz eines Exempels nennt regelhaft die Quelle (refert X, legitur in Y) und den Herrscher, in dessen Lebenszeit oder familiärem Umfeld die ‚historiola‘ sich situiert. Die Quelle ist im Regelfall sekundär zitiert, der Herrscher willkürlich, mitunter auch unpräzise benannt (quidam rex u. ä.). Trotzdem dient beides der Authentifizierung. Der Auslegungsteil wird mit einer stereotypen Anredeformel eröffnet (carissime/i), darauf folgt erst ein allegoretischer, dann der didaktische Zugriff, wobei ersterer das Erzählte in einen geistlichen Rahmen stellt,47 letzterer zur konkreten Nutzanwendung (z. B. durch aktualisierendes id est) führt. Nach Quintilian sind exempla historisch verbürgte oder zumindest plausible gesta: res gestae aut ut gestae utilis ad persuadendum id quod intenderis48 („Dinge, die geschehen sind oder geschehen sein könnten und die geeignet sind, in der von dir beabsichtigten Sache zu überzeugen“). Demnach ‚funktioniert‘ ganz ohne historische Basis auch das Lehrbeispiel nicht. Dies, wie überhaupt die lange (und lange unhinterfragte) Gültigkeit der ciceronischen Formel historia magistra vitae,49 wirft Fragen auf: Jede Fiktion, die planvoll auf einen Lehrzweck hin abgestimmt ist, ist den Zu- und Wechselfällen der Geschichte didaktisch 46 Vgl. etwa Nerva (KC, Abschn. 15) – Perillus (Oe 48); Adelgêr (KC 20) – Gärtner Trajanus (Oe 83); Lucretia (KC 8; Oe 135); Crescentia (KC 30) – Octavians treue Frau und ungetreuer Bruder (Oe 249, app. 53). 47 Z. B.: Carissimi, per regem Alexandrum possumus intellegere Christum (Oe 96). 48 ‚Institutionis oratoriae libri XII‘, ed. Ludwig Radermacher, Leipzig 1965, V, 11, 6. Dies zielt letztlich auf einen Funktionstyp, der verschiedene Genres ‚vereinnahmen‘ kann. Zur mediävistischen Terminologie vgl. Claude Brémond/Jacques Le Goff/Jean-Claude Schmitt, L’exemplum, Turnhout 1982; Walter Haug/Burghart Wachinger (edd.), Exempel und Exempelsammlungen, Tübingen 1991. 49 Vgl. Reinhart Koselleck, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: Ders. (ed.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. Main 1989, 38–66.

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eigentlich notwendig überlegen. Von den Kategorien Ähnlichkeit und Wahrscheinlichkeit her argumentierend, hielt denn auch Aristoteles die Dichtung für philosophischer und lehrtauglicher als die Geschichte.50 Doch die gesamte Vormoderne hielt es hier eher mit Cicero, wohl infolge der Prämisse, dass etwas, das e i n m a l menschenmöglich und auf Erden geschehen war, auch k ü n f t i g u n d i m m e r möglich sein werde. Deshalb glaubt(e) man stets, aus der Geschichte lernen zu können, und deshalb verschaffen sich auch die prima vista so völlig ahistorisch-kasuistischen ‚Gesta Romanorum‘ einen oberflächlich historischen Anstrich. Im Vergleich mit der ‚Kaiserchronik‘, von Otto von Freising ganz zu schweigen, bleibt dieser Anstrich allerdings relativ fadenscheinig. Die den rex oder imperator verortenden Eingänge sind unspezifisch, die Abschnittsfolge manipulierbar, die Figuren typisiert und ihre ‚Taten‘ auf wenige Rollenmuster reduziert, bevorzugt Gesetzgeber, Richter, Feldherr, Mäzen oder Dynast (letzterer in den Funktionen des Werbers, Brautvaters, Erblassers). Einige Herrscher dienen ohne weitere Funktion oder Rolle auch nur der Einpassung der erzählten Geschichte in den Zyklus: Rex quidam regnavit, in cujus imperio erat quidam juvenis a piratis captus, qui scripsit patri suo pro redemcione (Oe 5; ohne Rolle). „Es regierte ein gewisser König, in dessen Reich ein von Piraten gefangener Jüngling um seiner Freilassung willen an seinen Vater schrieb“. Erat quidem imperator potens sed tyrannus qui quandam puellam regis filiam pulchram valde desponsavit (Oe 6; Dynast). „Es war ein mächtiger, aber tyrannischer Kaiser, der eine wunderschöne Königstochter zur Braut nahm“. Rex quidam erat in civitate romana, qui statuit quod quilibet cecus ab imperatore omni anno centum solidos haberet (Oe 73; Wohltäter/Mäzen). „In einer römischen Stadt regierte ein König, der verordnete, dass jeder Blinde jährlich hundert Solidi aus dem kaiserlichen Vermögen erhielt“. Dioclesianus regnavit, qui statuit pro lege, quod si mulier aliqua sub viro suo esset adulterata, occidi deberet. Accidit casus, quod […] (Oe 100; Gesetzgeber). „Es herrschte Dioclesianus, der ein Gesetz erließ, dass eine ehebrecherische Frau sterben müsse. Nun kam es zu dem Fall, dass […]“.

Dass die Herrschernamen im Zuge der Überlieferung (anders als in der ‚Kaiserchronik‘) oft wegfallen und die res gesta sekundär anonymisiert werden, hat 50 Allerdings sah und anerkannte er durchaus auch die höhere psychologische Wirksamkeit historischer Beispiele (‚Rhetorik‘ II,20); vgl. dazu Udo Friedrich, Topik und Narration. Zur rhetorischen und poetischen Funktion exemplarischen Erzählens in der ‚Kaiserchronik‘, in: Poetica 47 (2015), 1–24, hier 7f.

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also nicht nur mit der Akzentuierung des zeitlos Exemplarischen oder der Tilgung paganer Reminiszenzen zu tun, sondern liegt zuvörderst in der Logik eines jede Individualität entbehrenden Tatenkonzepts. Bei aller Unordnung schon in der Chronologie des Kaiserchronisten herrscht so recht eigentlich erst in den ‚Gesta Romanorum‘ tatsächliche Beliebigkeit: Neben römischen begegnen griechische, persische und andere Namen, und bei besonders prominenten wie Alexander, Caesar oder Diocletian fehlt genau das, was sich sonst mit ihnen verbindet. Das ‚Figurenprofil‘ tendiert zur Personifikation austauschbarer Epitheta, Tugenden und Laster. Der Kaiserchronist dagegen ist viel zu sehr Erzähler, als dass er sich auch bei Rollenträgern individualisierende Züge versagte, wofür unter anderen der kunstliebende Nerva, der von einer eloquenten Witwe bedrängte Trajan, der leidgeprüfte Sinnsucher Faustinian, der fromme Sünder Karl zeugen. Stellt man diese Unterschiede heraus, so muss man sogleich einschränkend anfügen, dass die Heterogenität beider Gesta-Corpora stets Ausnahmen birgt. Und ein Weiteres rückt die Zyklen gerade als Gesta wieder enger zusammen: die oft eklatante Dissonanz zwischen Erzählen und Lehre. Sie hat in beiden Texten aber unterschiedliche Gründe. In der ‚Kaiserchronik‘ ist die ‚Moral von der Geschicht‘ meist impliziter Teil der Erzählung, verpackt in bilanzierende Angaben über Todesursachen und -umstände, während die ‚Gesta Romanorum‘ der Lehre (wie erwähnt) einen autonomen Ort im Auslegungsteil geben. Im ersteren Fall ist die Inkonsistenz von Erzählsinn und Lehre daher primär narratologisch begründet: Allzu frivole, grausame oder schlicht zu breit auserzählte gesta unterminieren gleichsam ‚unter der Hand‘ die plane Didaxe; die Dynamik und die Faszination am Wiedererzählen vielerprobter Plots überlagern den Prologauftrag, was beispielhaft Gaius (in dessen Abschnitt der Namensträger gar keine Rolle spielt, aber als Tyrann endet) oder die grausam-faustischen Möchtegernforscher Nero und Gallienus bezeugen. In den ‚Gesta Romanorum‘ dagegen liegt das Problem in der Struktur. Oft trennt hier „die Geschichte mit ihrer [impliziten] Moral und die nachfolgende Moralisatio ein Graben“51, driften implizite und explizierte Lehre auseinander, wirkt die Lehre nach dem Erzählten fast widersinnig. Das liegt nicht am Stil, der sich am sermo humilis der Bibel und Legende orientiert, sondern am Eigensinn der ‚historiola‘, die in einer homogenen Lehre, und gar der offerierten, nicht aufgehen will.52 So gehen die beiden ‚Römergesta‘ mit den für Exempelzyklen stets kruzialen Widerspielen zwischen Episoden- und Gesamtsinn, Historizität und Exemplarität, Erzählen und Belehren, impliziter und expliziter Lehre durchaus je eigenständig um, aber sie generieren dabei gleichermaßen, und durchaus ähnliche, Inkommensurabilitäten und Brüche. 51 Sprandel 1982, 314. 52 Vgl. zu diesem generellen Problem exemplarischen Erzählens Friedrich 2015, bes. 11f.

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Als Beispiel kann die in Antike und Mittelalter genreübergreifend besonders oft wiedererzählte Geschichte der Lucretia dienen, die beide hier einschlägigen Gesta-Zyklen enthalten. Der Kaiserchronist fügt zwischen Nero und Galba einen kunig Tarquinius in die römische Kaiserreihe ein, der seit Livius eigentlich die über 500 Jahre frühere Schwelle von der Königszeit zur römischen Republik markiert (KC 4301–4834). Diesen auch für Zeitgenossen auffälligen Verstoß gegen die Chronologie nimmt er in Kauf, um nicht auf den reizvollen Plot verzichten zu müssen, für den er explizit Ovid als Gewährsmann benennt (KC 4338; gemeint sind die ‚Fasti‘). Die Römerin Lucretia ist glücklich mit einem (nur hier) Trierer Edlen namens Conlatinus vermählt, dem die gesamte erste Häfte der Tarquinius-Gesta gehört: Ain furste was bi den [sc. Tarquinius’] zîten ze Triere (KC 4305). Erzählt wird von dessen Flucht nach Rom, seinem Aufstieg an der Seite der edlen Lucretia, seiner Freundschaft mit dem König und der fatalen Wette, die den Weg zur Katastrophe bahnt. Eine Belagerungsszene lenkt den Blick sodann auf den Minne-Disput zweier Nebenfiguren ab – für den Plotkern, gar die plotinhärente Lehre völlig unnötigerweise, als narrative Beigabe aber sehr effektiv. Danach folgt, vermittelt über die genannte Wette, Lucretias Schändung durch den König. Lucretia macht das Verbrechen öffentlich und begeht darauf Selbstmord. Conlatinus rächt sie. Das Interesse des Chronisten gilt aber nicht der Rachetat und ihren chronik-notorischen Folgen, nämlich der Abschaffung der Monarchie und Beginn der Senatsherrschaft in Rom (die er beide ausspart): Ihm geht es um das im Gesamtzyklus der Chronik nicht weniger als viermal variierte Motiv der verfolgten weiblichen Unschuld und um Conlatinus’ tragisches Exulantengeschick. Dafür nimmt der Chronist markante Retuschen am tradierten Plot vor: Er fügt das Trierer Vorspiel und das Zwischenspiel vor Viterbo hinzu, macht Tarquinius statt seines Sohnes zum Täter, motiviert die Untat neu (Rache statt Liebesbrunst) und schiebt Tarquinius’ Gemahlin die Rolle der Anstifterin zu. Am Ende ist der König gerichtet, aber die Monarchie so intakt wie zuvor – schlicht, weil der Rahmen der Reichs- und Herrschergesta es so fordert. Der Exulant ist wieder so einsam und landfremd wie zu Beginn, seine Tat hat weder ihn noch Rom befreit. Eine andere, über Tarquinius’ Bestrafung hinausgehende Moral verweigert der Chronist: We d e r formuliert er als Gegenentwurf zu Lucretias Geschick ein Konzept höfischen Frauendienstes (es klingt im Minnedisput vor Viterbo nur punkuell an) n o c h diskreditiert er Lucretias Selbstmord aus dogmatisch-christlicher Sicht, n o c h kritisiert er die frivole Frauenprobe oder die perfide Königin im Sinne einer politisch-sozialen Ethik. Irritierend auch, dass die Anstifterin straflos bleibt. Solchem Gesamtbild eine tragfähige Lehre abzugewinnen ist schwierig. Doch nichts Anderes gilt für die nur scheinbar konsistentere Version der ‚Gesta Romanorum‘ (Oe 135). Der Titel ‚De conscientia nostra‘ und die Quellenangabe Augustinus de civitate dei deuten auf unzweideutig religiöse Didaxe,

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und die komplexe Geschichte ist dafür auf ihren Kern reduziert. Der Täter, hier der Tradition seit Livius folgend Tarquinius’ Sohn, vergewaltigt Lucretia aus Wollust, die Römer richten ihn und stürzen die Dynastie. Kein unnötiges Detail, keine Nebenfigur verunklart diesen Plotkern, selbst die beiden männlichen Protagonisten des Kaiserchronisten (König und Gatte) bleiben hier marginal. Die ‚historiola‘ ist kurz und narrativ unambitioniert referiert. Trotzdem rechtfertigt die ihr immanente Moral kaum jene in der Moralisatio entwickelte Lehre, der zufolge Lucretia die reine Seele verkörpert, in die der Teufel gewaltsam eindringt. Ihr Gatte stehe für Christus, ihr Vater für den Beichtvater, ihre Freunde für die Heiligen, die Fürsprache für sie tun. Der Selbstmord schließlich wird im Einklang mit dem Titel zur Gewissenstat und zum Vorbild erhoben: Er meine die Buße, die den Teufel vertreibt. Weder in der Tradition des Erzählens von Lucretia noch in der eigenen, minimalistischen Wiedererzählung ist dieser Sinn schlüssig festzumachen: Die Lehre erweist sich vor der Folie der Geschichte – sofern man didaktische Kohärenz im modernen Sinn erwartet – als eigenwillig, ja aufgesetzt.

5.

Die ‚Kaiserchronik‘ als ‚Gesta imperatorum‘: Zusammenführung und Bilanz

Jede der vier erörterten Bezugsgrößen für das Begriffskonzept und historiographisch-literarische Genre der Gesta steht in inter- oder architextuellem Dialog mit der ‚Kaiserchronik‘, jede weist strukturelle Affinitäten zu ihr auf und ist für das nur in der Volkssprache um 1150 noch neue Konzept der ‚narratio rerum gestarum‘ fruchtbar zu machen. Der wichtigste gemeinsame Nenner ist die aktive, oft heroische, mitunter auch selbstdestruktive, stets aber über sich hinausweisende herrscherliche Ta t , sei es in Krieg, Gericht oder Glaubensstreit – und als exemplarische Kehrseite dazu die Verweigerung der Tat im selbstbestimmten Erdulden. Sekundäre ‚Gesten‘ der Herrschaftsrepräsentation durch Bauten, öffentliche Auftritte, Gaben- oder Gnadenakte, schließlich auch stereotype Rollenkonzepte des Herrschers treten flankierend hinzu. Konzentriert man sich allein auf den Prolog, so scheint in der ‚Kaiserchronik‘ der exemplarisch-didaktische Funktionshorizont und der Bezugstext der ‚Gesta Romanorum‘ alle anderen zu dominieren. Doch abgesehen davon, dass Programm und Praxis offensichtlich nicht durchweg konform gehen und dass das Erzählen seine eigene, überschüssige Dynamik entwickelt, gibt auch das Prologprogramm widersprüchliche und wechselnde Signale: Wenn es all die kritisiert, die verachteten, was wîstuom unt êre („Weisheit und Ehre“) verschaffe und zugleich frum der sêle („dem Seelenheil zuträglich“, KC 13f.) sei, akzentuiert es die Lehre. Wenn es auf die Folge der bâbese unt chunige („Päpste und Könige“,

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KC 19) zielt, akzentuiert es die chronistische series temporum. Wenn es die Großen in guote und ubele scheidet (KC 20), sind moraldidaktische Kategorien berührt, wenn es sich gegen Wahrheitsverfälscher wendet, die die Ordnung der Geschichte korrumpierten (KC 29–34), legt es genuin historische, und durch die angedrohte Seelenstrafe schließlich auch religiöse Maßstäbe an. Und als wolle der Dichter die Ambiguität noch erhöhen, bietet der kurze Prolog auch noch drei Begriffe an für das Werk, die einander zwar nicht zwingend widersprechen, aber je eigene Erwartungen und Konnotationen aufrufen: crônicâ (KC 17), buoch (KC 15) und guote[s] liet (KC 42).53 ‚Chronica‘ deutet auf Fachschriftlichkeit und eine Suprematie der Zeit (chrónos) über alle anderen Erzählund Geltungsansprüche. ‚Buoch‘ impliziert Schriftlichkeit. ‚Liet‘ weist auf primäre Mündlichkeit. In ihrem engen Nebeneinander bringen diese drei Termini im Zusammenspiel mit den multiplen programmatischen Ansagen von Beginn an Spannungen in den Text und ins Spiel der Lektüre und Deutung, die umso schwerer wiegen, als es Vor- und Vergleichsbilder volkssprachig-nichtbiblischer Großepik für Publika um 1150 noch kaum gibt, der Prolog das folgende Werk also weitgehend kontextfrei ad hoc denominiert und dem Rezipienten das rechte Verständnis und die rechte Lesart anheimgibt. Weil dem so ist, verlagert sich die Frage des Umfelds und möglicher Vergleichsparameter auf die Ebenen unterhalb des Gesamtwerks, auf Abschnitte und Episoden. Hier aber kommt, wie mein komparatistischer Versuch zeigte, aufgrund der stereotypen Einhegung jedes einzelnen, oft auch in sich episodisch gefügten Abschnitts durch Thronsetzung und Tod jenem Genrekonzept eine Schlüsselrolle zu, das neben der Chronistik in zyklischer wie isolierter Form um 1150 bereits seit langem existierte, als Titelbegriff anonymer wie namhafter Texte florierte und (wie hier exemplarisch umrissen) auch hinreichend ausdifferenziert war, um neue, nun auch volkssprachige Spielarten anzuregen und zu integrieren.

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Magische Säulen, sprechende Steine. Zum Zusammenhang von Architektur und Macht in der ‚Kaiserchronik‘

Abstract Assuming that the ‘Kaiserchronik’ (“Chronicle of Emperors”) is based on the idea of renovatio imperii, the article pursues the thesis that this renewal can also be observed in the overwriting and resemantization of monuments and buildings within the text. Consequently, special attention is paid to the connection between architecture and power, which is described using selected examples from the text. The ‘Mirabilia Romae’ are interpreted in this context as a pre-text into which the ‘imperial rhetoric’ is inscribed in a distinctive manner.

Die ‚Kaiserchronik‘ vermittelt die Geschichte des Römischen Reiches entlang der Porträts von 36 römischen und 19 deutschen Kaisern.1 Sie beginnt mit Julius Cäsar und endet mit Konrad III. und dem Kreuzzugsaufruf Bernhards von Clairvaux 1146. Insbesondere der Episode um Karl den Großen kommt dabei eine „Scharnierfunktion“2 zu. Bereits der programmatische Satz Daz rîche stuont dô lære („Das Reich blieb danach ohne Herrscher“) (KC 14282)3, mit dem von den spätantiken Kaisern zu Karl übergeleitet wird, betont den Einschnitt.4

1 Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, ed. Edward Schröder (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken 1.1), Hannover 1892 (ND Hannover 1964), (zit.; Kürzel KC); Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014. 2 Alexander Rubel, Caesar und Karl der Große in der Kaiserchronik. Typologische Struktur und die translatio imperii ad Francos, in: Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens 47 (2001), 146–163, hier 163. Einen ‚Wendepunkt‘ sieht hier auch Otto Neudeck. Vgl. Otto Neudeck, Karl der Große – der beste aller werltkünige. Zur Verbindung von exegetischen Deutungsmustern und heldenepischem Erzählen in der Kaiserchronik, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift NF 53 (2003), 273–294, hier 279. 3 Die Übersetzungen folgen, soweit nicht anders angegeben, der Ausgabe von Mathias Herweg. 4 Dagegen vgl. Karl-Ernst Geith, Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts (Bibliotheca Germanica 19), Bern/ München 1977, 54f.

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Da die Kaiser griechischer Abkunft vor Karl dem Großen an der Herrschaft gescheitert sind, steht kein neuer Herrscher zur Verfügung. Schließlich schändet man den letzten griechischen König Zeno und sein Andenken, indem man ihm die Augen ausreißt, die Nase abschneidet und ihn so seiner Idoneität beraubt. Die ‚Kaiserchronik‘ reflektiert damit den Kampf um das Reich,5 i. e. die Auseinandersetzung zwischen West- und Ostrom, sowie die Spaltung der Christenheit. Somit wird die translatio auf die Franken vorbereitet.6 Das Reich im Sinne einer überdauernden Instanz, die translatio imperii als „Übergang hegemonialer Gewalt von einem Volk auf ein anderes“7, wie Werner Goez definierte, wurde von den Griechen als jenen, die es grundsätzlich hätten weitertragen können, getrennt, soweit die Aussage des Textes. Wenn auch die griechischen Herrscher quasi als „abgewiesene Alternative“8 in der ‚Kaiserchronik‘ ins Abseits gestellt werden, lässt sich die „antigriechische Tendenz“9 des Textes nicht nur als ein Übergehen der oströmischen Kaiser verstehen, sondern vor allem als eine Ablösung, eben Übertragung, der Herrschaft durch die Etablierung eines anderen, nämlich des weströmischen Herrschaftskonzepts. Dieses sah seinen Ursprung im antiken Kaisertum und formuliert die renovatio imperii.10 Es geht also nicht darum, etwas Altes – nämlich das rîche – aufzugeben, sondern darum, etwas zu

5 Vgl. dazu ausführlich die jüngst erschienene Dissertation von Johannes Dickhut-Bielsky, Auf der Suche nach der Wahrheit in ‚Annolied‘ und ‚Kaiserchronik‘. Poetisch-historiographische Wahrheitssuche in frühmittelhochdeutschen Geschichtsdichtungen (Zeitschrift für deutsches Altertum. Beiheft 23), Stuttgart 2015. 6 Dagegen Uta Goerlitz, Literarische Konstruktion (vor-) nationaler Identität seit dem ‚Annolied‘. Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11.– 16. Jahrhundert) (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 45), Berlin et al. 2007, 182f. 7 Werner Goez, Translatio imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958, 25. 8 Zum Begriff vgl. Peter Strohschneider, Einfache Formen – komplexe Regeln. Ein strukturanalytisches Experiment zum ‚Nibelungenlied‘, in: Wolfgang Harms/Jan-Dirk Müller (edd.), Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag, Stuttgart/Leipzig 1997, 43–75, hier 49, 58; Armin Schulz, Fragile Harmonie. ‚Dietrichs Flucht‘ und die Poetik der ‚abgewiesenen Alternative‘, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 121 (2002), 390–407, hier 391f. 9 Vgl. Friedrich Ohly, Sage und Legende in der ,Kaiserchronik‘. Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung (Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 10), 2. Aufl., Darmstadt 1968, 226. 10 Zum Unterschied zwischen translatio und renovatio vgl. Goerlitz 2007, 174–176. Sie definiert: „Die Theorie der T r a n s l a t i o i m p e r i i zeichnet sich durch eine ‚formale U m g e s t a l t u n g des Reiches b e i z e i t l i c h e r K o n t i n u i t ä t ‘ aus“ (ebd., 174; Hervorhebungen im Original). Die „R e n o v a t i o i m p e r i i […] impliziert ‚die Vorstellung weitgehender formaler I d e n t i t ä t des Reiches o h n e z e i t l i c h e K o n t i n u i t ä t […]‘“ (ebd., 176; Hervorhebungen im Original).

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übertragen und zu erneuern,11 eben die alte Herrschaftsgewalt. Translatio und renovatio schließen sich folglich nicht aus – darüber wird in der Forschung für die Kaiserchronik noch immer diskutiert12 – sondern es geht im gesamten Text um das Fortbestehen des Römischen Reiches und um die „Vorrangstellung Roms“13, seine Verlängerung im zeitlichen wie räumlichen Sinne. Diese Idee wird auf Textebene immer wieder betont und durch die Verbindung von sacerdotium und imperium, wie sie seit den Karolingern proklamiert wurde, in der Chronik neu interpretiert. So verengt sich etwa die Perspektive systematisch auf Karl den Großen und seine Taten werden in abgeschlossenen Episoden ausführlich geschildert.14 Zudem wird Karl als Heiliger stilisiert und steht somit gerade für die Vereinigung von sacerdotium und imperium.15 Überdies wird die Idee der renovatio innertextuell durch Mittel der korrelativen Sinnstiftung, durch kohärente Bezüge zum Ausdruck gebracht.16 Meine These ist, dass diese Idee der renovatio eine auch kompositorische Grundlage der Chronik bildet und die Idee der Erneuerung des Römischen Reiches in seiner christlichen Überformung konsequent durchgespielt wird. Dabei wird zugleich eine neue Ordnung etabliert. Diese bedarf, um überhaupt fortdauernde Geltung zu beanspruchen, einer Vorgeschichte, eben der römischen. Ursprungsmythen und Legenden, so hat es Hans Vorländer beschrieben, werden „in eine Geschichte verwoben“, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet – dabei wird das Vorgängige häufig durch Narrative und Praktiken in einen „Schleier des Ungefähren, des Magischen oder

11 Vgl. Franz J. Worstbrock, Translatio artium, in: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965), 1–22, hier 3. Zur translatio in der ‚Kaiserchronik‘ vgl. auch Dagmar Neuendorff, Studie zur Entwicklung der Herrscherdarstellung in der deutschsprachigen Literatur des 9.–12. Jahrhunderts (Acta Universitatis Stockholmiensis 29), Stockholm 1982, 135, 139. 12 Vgl. dazu den kurzen Abriss zum Problem bei Dickhut-Bielsky 2015, 59–86, jüngst vor allem Uta Goerlitz, Zu Erzählstrategie und Makrostruktur der ‚Kaiserchronik‘, in: Nine Miedema/Matthias Rein (edd.), Die Kaiserchronik. Interdisziplinäre Studien zu einem buoch gehaizzen crônica. Festgabe für Wolfgang Haubrichs zu seiner Emeritierung, St. Ingbert 2018, 91–121. 13 Dickhut-Bielsky 2015, 101. 14 Vgl. KC 14308–15091. 15 Zur Stilisierung Karls des Großen vgl. Geith 1977, 57–59; Gesine Mierke, Riskante Ordnungen. Von der ‚Kaiserchronik‘ zu Jans von Wien (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 18), Berlin/Boston 2014, 149–155; Neudeck 2003, 273–294. Zur Verbindung von sacerdotium und imperium vgl. vor allem Dickhut-Bielsky 2015, 63–77. 16 Zu Kohärenz in der ‚Kaiserchronik‘ vgl. grundlegend Armin Schulz, Fremde Kohärenz. Narrative Verknüpfungsformen im ‚Nibelungenlied‘ und in der ‚Kaiserchronik‘, in: Harald Haferland/Matthias Meyer (edd.), Historische Narratologie – mediävistische Perspektiven (Trends in medieval philology 19), Berlin/New York 2010, 339–360.

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Charismatischen gerückt“17, welcher der neuen Ordnung erst Geltung verleiht. In diesem Verhältnis stehen m. E. auch die Geschichten um antike und deutsche Herrscher in der ‚Kaiserchronik‘. Der damit verbundene Überschreibungs- und Wandlungsprozess und die Demonstration von Macht zeigen sich nicht zuletzt anhand der Funktionalisierung von Monumenten und Bauwerken, wie ich im Folgenden nachzuzeichnen versuche. Gerade im Komplex des Bauens und der semantischen Aufladung von Architektur, sei es auf Handlungsebene oder im Bildbereich, wird die Verbindung von Altem und Neuem sichtbar, deutet sich im weitesten Sinne ein Prozess der kulturellen Überformung, eine palimpsestuöse Struktur an.18 Vor diesem Hintergrund möchte ich in meinem Beitrag erneut auf die ‚Mirabilia Romae‘ als Prätext der ‚Kaiserchronik‘ eingehen und zeigen, dass der Verfasser bewusst auf die antiken ‚Mirabilia Romae‘ zurückgriff, die durch eine „imperiale Rhetorik“19, sprich durch den Ausdruck von Macht in Bauwerken, gekennzeichnet sind. Um diese monumentale Rhetorik auch für die ‚Kaiserchronik‘ aufzuzeigen, werde ich zunächst auf den Zusammenhang zwischen den benannten Texten eingehen. Im zweiten Teil des Beitrags wird es darum gehen, anhand ausgewählter Textbeispiele den Zusammenhang zwischen der Semantisierung von Bauwerken und der Macht des Herrschers in der ‚Kaiserchronik‘ fruchtbar zu machen.

1.

Bauten und Monumente in der ‚Kaiserchronik‘

Zuletzt hat sich Hiltrud Voswinckel in ihrer 1955 erschienen Dissertation zu ‚Repräsentation in der Kaiserchronik‘20 mit der Sinnträchtigkeit von Bauten innerhalb des Textes beschäftigt, diese allerdings eher in Abrede gestellt.21 Vos17 Hans Vorländer, Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen: Eine Einführung in systematischer Absicht, in: Ders. (ed.), Transzendenz und die Konstitution von Ordnungen. Im Auftrag des Sonderforschungsbereichs 804, Berlin/Boston 2013, 1–42, hier 3. 18 Gemeint ist hier ein palimpsestuöses Überschreiben des Vergangenen. Ausgehend vom Begriff des ‚Palimpsests‘ geht es vor allem darum, dass das Alte mehr oder weniger stark sichtbar bleibt. Zum Begriff vgl. Eike Kronshage/Cecile Sandten/Winfried Thielmann, Palimpsestraum Stadt: Einführung, in: Dies. (edd.), Palimpsestraum Stadt (Chemnitzer Anglistik/ Amerikanistik Today 5), Trier 2015, 1–11, hier 1f. 19 Annette Haug, Das spätantike Rombild zwischen Visualisierung und Imagination, in: Hans-Ulrich Cain et al. (edd.), Das antike Rom und sein Bild. Internationales und Interdisziplinäres Kolloquium zum Thema ‚Das antike Rom und sein Bild‘ (Transformationen der Antike 21), Berlin et al. 2011, 69–92, hier 89. 20 Hiltrud Voswinckel, Repräsentation in der ‚Kaiserchronik‘, Tübingen 1955. 21 Vgl. dazu ausführlich Voswinckel 1955, 82–91. Als ähnlich unbedeutend beurteilt auch Karl-Bernhard Knape die Repräsentation des Herrschers durch Architektur in der ‚Kaiserchronik‘. Vgl. Karl-Bernhard Knape, Repräsentation und Herrschaftszeichen. Zur Herr-

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winckel betonte, dass im Text nur wenige Bauten vorkämen und diese eher beiläufig beschrieben würden.22 Auf den Umfang des Textes gesehen, mag Voswinckel sicher zuzustimmen sein. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass jenen Bauten, die in der ‚Kaiserchronik‘ beschrieben werden, häufig eine besondere Funktion zukommt. Mithin fällt beispielsweise auf, dass besonders vorbildliche Herrscher auch als fleißige Bauherren in Erscheinung treten, während Tyrannen Städte – insbesondere Rom – eher zerstören bzw. in Brand setzen.23 Dieser Befund überrascht nicht. Es zeigt sich, dass vor allem im zweiten Teil der Chronik Bistumsgründungen und Kirchenstiftungen dominieren. Dabei liegt der Fokus stärker auf dem Prozess des Bauens und dem Wandel des Römischen Reiches, weniger auf der Ausstattung der Gebäude, was zugleich die Gestaltung des Reiches und somit die Umsetzung der christlichen Ordnung, die sich ebenfalls im Prozess befindet, hervorhebt. Im ersten Teil der Chronik werden vor allem die Monumente Roms, die Paläste, Statuen, Säulen, das Rathaus, die Arena, das Pantheon sowie Skulpturen und Standbilder beschrieben. Diese werden häufig mit verschiedenen Wundern belegt, die es immer wieder zu deuten gilt. So wird etwa Kaiser Julian Apostata in der ‚Kaiserchronik‘ durch ein Götzenbild, aus dem der Gott Merkur spricht, des Betruges überführt und fällt gänzlich vom christlichen Glauben ab.24 Sodann geht es in der Episode darum, das Götzenbild zu zerstören und den christlichen Gott zu re-institutionalisieren. Dieses Motiv des wahrsprechenden Standbildes hat in der Nachfolge vielfach Eingang in die Literatur gefunden und gilt vor allem in den deutschen ‚Mirabilia‘ als Ausweis der Zauberkünste des Römers Vergil,25 der das

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scherdarstellung in der vorhöfischen Epik (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 17), München 1974, 46f. Voswinckel hält fest: „Weder der Reichtum mittelalterlicher Städte noch die Stattlichkeit und Pracht königlicher Pfalzen werden greifbar.“ (Ebd., 82f.) Und weiter resümiert sie: „Im ganzen gesehen bleibt die innere Haltung der Kchr. äusserst negativ gegenüber einer Repräsentation des Besitzens, die sich in Bauwerken kundtut.“ (Ebd., 85). Neben der Darstellung Roms werden vor allem die drei deutschen Städte Trier, Köln und Regensburg als herausragend beschrieben. Überdies sind einige etymologische Gründerberichte in die Chronik integriert: Galba gründet Capua; Piso Pisa, Constantius Konstanz, Tiberius Tiberias (Regensburg). Zum Motiv vgl. Ohly, 1968, 171–174. Zu Vergil als Zauberer vgl. John W. Spargo, Vergil the Nigromancer. Studies in Virgilian Legends, Cambridge 1934; Franz J. Worstbrock, Vergil, in: Verfasserlexikon 10 (2., völlig neu bearb. Aufl. 2001), 247–284; Domenico Comparetti, Virgilio nel medio evo, 2 Bde., übers. v. Hans Dütschke, Leipzig 1875 (ital. Originalausg. Livorno 1872, erw. 2. Aufl. Florenz 1896); Frieder Schanze, ‚Von Virgilio dem Zauberer‘, in: Gutenberg-Jahrbuch 63 (1988), 88– 94; Ders., Von Virgilio dem Zauberer, in: Verfasserlexikon 10 (2., völlig neu bearb. Aufl. 1999a), 384f.; Otto Neudeck, Vergil in deutschsprachiger Literatur um 1300: Ein Zauberer und Magier in heilsgeschichtlicher Funktion, in: Germanica Wratislaviensia 85 (1989) (Acta Universitatis Wratislaviensis No 1164. Mikrofiche 7), 41–49. Zur Vergil-Figur in ‚Mirabilia‘

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Standbild, die nachmalige Bocca della verità, zum Entlarven von Ehebrechern geschaffen habe.26 In einer weiteren Episode verschreibt sich Astrolabius den Abgöttern und wird vom Teufel verführt.27 Er verliebt sich unsterblich in ain pilde lussam (eine „anmutige Statue“)28 (KC 13109), eine Venusstatue. Er steckt ihr einen Ring an, und er wendet sich in der Folge gänzlich von der Welt ab, verweigert die Nahrungsaufnahme und leidet unter Schlaflosigkeit. Erst der Papst, der das Götzenbild dem heiligen Michael weiht, kann Astrolabius von seiner Obsession erlösen.29 Schließlich bekehrt er sich zum Christentum und die Statue, so heißt es am Ende des Textes, obertriffet ze Rôme alle di stat, / alse man hiute wol kiesen mach („überragt in Rom alle Stätten, wie man es auch heute noch sehen kann“) (KC 13363f.). Und nicht zuletzt Helius Pertinax lässt sich zur Wahrung seines Andenkens eine kostbare Arena, ein spilhûs, errichten von guotem marmelstaine, / mit golde gezieret claine („aus teurem Marmor und mit Goldintarsien fein verziert“) (KC 7147f.). An diesem Ort finden sich die Adligen samstags zusammen und kämpfen entblößt und mit eingeölten Körpern gegeneinander. In einem dieser Kämpfe, die, da die Streiter aufgrund des Öls von ihren Waffen abrutschen, zur Erheiterung der Umstehenden beitragen, fällt der König seinem Gegner zum Opfer. Die Reihe der Beispiele von Gebäuden und Monumenten, die zu Ehren von Abgöttern errichtet oder in denen sonderbare Bräuche gepflegt wurden, ließe sich beliebig erweitern. Dass Bauwerke aufs Ganze gesehen eine besondere Rolle innerhalb der Darstellung römischer Geschichte spielen und damit für den Text sinnstiftend sind, wird in der Erzählung um Helius Pertinax betont. Hier wird beschrieben, dass es für die Adligen römischer Brauch sei, ein Bauwerk für die eigene Memoria zu errichten: ze Rôme was luzel dehain edel man, / der neworht im ain hantgemæle, / daz man iemer von im saget ze mære („Es gab in Rom kaum einen Edelmann, der sich nicht durch ein herrschaftliches Bauwerk ewiges Andenken zu sichern suchte.“ KC 7141–7143).

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und ‚Indulgentiae‘ vgl. Gesine Mierke, Transformationen Vergils in der spätmittelalterlichen Literatur: Sangspruchdichtung und Ablassverzeichnisse, in: Daphnis 44 (2016), 425–463. Zur Bocca della verità vgl. Comparetti 1875, 287–290; Schanze 1999, 381–384; Claus Riessner, Bocca della verità, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung 2 (1999), 545f. Vgl. KC 13101–13376. Übersetzung der Verfasserin. Vgl. dazu Karl Stackmann, Erzählstrategie und Sinnvermittlung in der deutschen ‚Kaiserchronik‘, in: Wolfgang Raible (ed.), Erscheinungsformen kultureller Prozesse. Jahrbuch 1988 des Sonderforschungsbereichs ‚Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘ (ScriptOralia 13), Tübingen 1990, 63–82, hier 77.

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Im Ganzen stehen die Beschreibungen der antiken Bauten und Relikte für die Wunder Roms, die einerseits die Größe der antiken Stadt zugleich aber auch ihr Verhaftetsein in einem anderen religiösen Kontext markieren. Aus dieser Perspektive haben die Erzählungen wiederum Eingang gefunden in die deutschen ‚Mirabilia Romae‘, die ab dem 15. Jahrhundert überliefert sind.30 Auch hier ragen die antiken Steine und Bauten als wundersame Überreste der paganen in die christliche Welt. Ein eindrucksvolles Zeugnis liefert dafür etwa die Überlieferung der ‚Mirabilia Romae‘ in der Münchener Handschrift Cgm 414.31 So wird in diesem Text von einem goldenen Himmel erzählt, von dem die Senatoren es blitzen und donnern lassen konnten. Auch waren Sonne, Mond und Sterne zu sehen, die ihre Bahnen kreisten. In der stat zw rom da sind uil tempel gewesen vnd daz aus genomen newn tempel vnd sind dar aws wesundert zwen tempel. Da ist genant der ain tempel haist tempelum Coliseӱ, vnd der tempel ist gewessen ein tempel der sunnen vnd des manes. Vnd der tempel was wunderleich gros vnd mit manigerlai farb gecziert vnd mit uil Löcheren vnd holen gemachet. Vnd der tempel waz allzw mal wedacht mit einem erden hymel, der waz all zw mal uber gult. Wan di herren wollten, so regt es uon hymel vnd wan si wollten, so dorot es vnd pliczt es, wann daz waz gemacht vnd gezicht mit plechen vnd mit pleien roren. Vnd an dem selben himel da waz sun vnd man, vnd die planeten lieffen iren lauf von aiger kraft, vnd daz waz mit czäbreӱ gemacht. (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 414, fol. 2v–3r)32 „In der Stadt Rom gab es viele Tempel und von neun Tempeln sind zwei besonders. Da ist der eine Tempel, der heißt Tempel Colosseum. Und der Tempel war einer für die Sonne und den Mond. Und der Tempel war sonderbar groß und mit verschiedenen Farben ausgeschmückt, und er hatte viele Löcher und Höhlen. Und der Tempel war bedeckt durch einen erdenen Himmel und der war ganz und gar vergoldet. Wenn die Herren wollten, so regnete es von dem Himmel. Und wenn sie wollten, so donnerte und blitzte es. Das wurde vor allem durch Bleche und bleierne Rohre ausgelöst. Und an demselben Himmel waren die Sonne und der Mond und die Sterne liefen von selbst auf ihrer Bahn. Und das war mit Zauberei gemacht.“

30 Zur Überlieferung der Texte vgl. Nine Miedema, Die Mirabilia Romae. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte (Münchener Texte und Untersuchungen 108), Tübingen 1996, 22–275; grundlegend zu den ‚Mirabilia‘ vgl. auch Volker Honemann, Mirabilia Romae, in: Verfasserlexikon 6 (2., völlig neu bearb. Aufl. 1987), 602–606; Ders., Mirabilia Romae, in: Verfasserlexikon 11 (2., völlig neu bearb. Aufl. 2004), 1006; Gerlinde Huber-Rebenich, Mirabilia urbis Romae. Einleitung, Übersetzung und Kommentar v. Gerlinde Huber-Rebenich et al., Freiburg et al. 2004; Maria A. Lanzilotta/ Emy Dell’Oro, I Mirabilia urbis Romae (Ricerche di filologia, letteratura e storia 4), Tivoli 2004. 31 München, BSB, Cgm 414, 1r–4v. 32 Transkription der Verfasserin, vorsichtige Einführung von Interpunktion sowie Groß- und Kleinschreibung.

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Ausdrücklich wird betont, dass die Planeten durch Zauberei gesteuert seien. Damit wird die Distanz zu den antiken Monumenten erklärt, die aus scheinbar ‚überlegener‘ Perspektive betrachtet werden. Der kurzen Episode der ‚Mirabilia‘ sind in Cgm 414 Federzeichnungen beigegeben, welche die beschriebenen Gebäude abbilden. Augenfällig ist, dass die Illustrationen zwar einige Besonderheiten der antiken Gebäude wiedergeben, sich indes an christlichen Kirchengebäuden orientieren. In den Zeichnungen überlagert die christliche Perspektive bereits die Imagination der antiken Gebäude, während der Text die Besonderheiten der antiken Monumente beschreibt und zu erklären versucht.

Abb. 1: ‚Tempelum Colisey‘, Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 414, fol. 2v.

Anhand der Beschreibungen von Bauten in den ‚Mirabilia‘ und der ‚Kaiserchronik‘ lässt sich einerseits der Umbauprozess des antiken Roms und die Bedeutung von Bauwerken und Monumenten für die Darstellung von Herrschermacht verdeutlichen. Andererseits lässt sich daran auch die stetige Veränderung

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von Narrativen, die immer wieder neu kontextualisiert werden, zeigen. Zwischen den in Rede stehenden Texten besteht ein reziprokes Abhängigkeitsverhältnis. Während der Kaiserchronist die eigentlichen, lateinischen ‚Mirabilia Romae‘ kannte, greifen die deutschen ‚Mirabilia‘ des 15. Jahrhunderts erneut auf Narrative der ‚Kaiserchronik‘ zurück. Im Folgenden werde ich versuchen, das Verhältnis der Texte zu beschreiben und dabei auf die Verbindung von Architektur und Macht, die spezifisch für beide Texte ist, eingehen.

2.

Die ‚Mirabilia Romae‘

Die bereits benannten ‚Mirabilia Romae‘ sind im Lateinischen seit dem 12. Jahrhundert überliefert.33 Die Texte zählen zunächst die antiken Bauwerke der Stadt auf. In einem zweiten Teil werden einzelne Gebäude beschrieben und „legendarisch ihre Entstehungsgeschichte geschildert“34. Abschließend stellt ein Rundgang durch die Stadt die Gebäudekomplexe einzelner Gegenden vor. An einigen Stellen ist die eher nüchterne Darstellung durch eingeschobene Anekdoten unterbrochen, wie etwa die Episoden um die sagenhafte Gründung Roms oder die ‚Salvatio Romae‘ zeigen. Dass ein Zusammenhang zwischen der ‚Kaiserchronik‘ und den lateinischen ‚Mirabilia‘ besteht, ist unstrittig.35 Allerdings lässt sich letztgültig nicht bestimmen, in welchem Abhängigkeitsverhältnis die Texte zueinander stehen.36 Die ‚Mirabilia‘ sind vermutlich um 1143 – also noch vor der ‚Kaiserchronik‘ – in Rom entstanden und werden dem Kanoniker Benedictus de Sancto Petro zuge33 Vgl. Miedema 1996. 34 Steffen Diefenbach, Beobachtungen zum antiken Rom. Städtische Topographie als Herrschafts- und Erinnerungsraum, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 97 (2002), 40–88, hier 79. 35 Auf die Verbindungen zwischen ‚Mirabilia‘ und ‚Kaiserchronik‘ hat bereits Hans F. Massmann ausführlich hingewiesen und die Herkunft der Sage um den Schellenturm analysiert, vgl. Der keiser und der kunige buoch oder die sogenannte Kaiserchronik, Gedicht des 12. Jahrhunderts. Dritter Theil, ed. Hans F. Massmann, Quedlinburg/Leipzig 1854, 424–430; 433–460. 36 Obwohl Ohly die Möglichkeit, dass der Kaiserchronist die lateinischen ‚Mirabilia‘ bei einem Aufenthalt in Rom kennengelernt haben könnte, verwarf, ist sie dennoch nicht auszuschließen. Vgl. die bei Ohly etwas missverständlich formulierte Aussage: „Wenn man nicht annehmen will, daß der Dichter sie [die Mirabilien, G. M.] selbst – wie der Engländer Magister Gregorius – bei einem Aufenthalt in Rom kennengelernt habe, wie ich annehmen möchte, da der Dichter römische Ortskenntnis vorgibt (208, 5524, 5534ff., 13363f., 13380), und die erhaltene Mirabilienliteratur bei allem Reichtum doch nur den Kaiserchroniküberlieferungen Verwandtes und nicht ihre Vorlagen erhalten hat, so ist man zur Annahme einer verlorengegangenen schriftlichen Quelle mit römischen Sagenüberlieferungen oder mündlicher Kenntnis durch Pilgererzählungen genötigt.“ Ohly 1968, 236.

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schrieben.37 Sie stützen sich auf weitaus ältere Rombeschreibungen; jene wurden schon frühzeitig, bereits im 9. Jahrhundert unter den Karolingern, politisch eingebunden.38 Dies basierte auf dem Erbe der Spätantike, in der die „imperiale Rhetorik“39 auch in der Baupolitik Ausdruck fand. Bereits für den im 9. Jahrhundert entstandenen ‚Codex Einsidlensis‘,40 der als Prätext der ‚Mirabilia Romae‘ gilt und neben der Sammlung römischer Inschriften, ein Itinerar sowie eine Beschreibung der Stadtmauern enthält,41 wurde in der jüngeren Forschung eine Verwendung als ,realer‘ Pilgerführer zunehmend in Zweifel gezogen.42 Denn insbesondere die Kombination aus Inschriftensammlung und Itinerar verweist auf ein Bild Roms, das die Größe der Stadt und die herausragende Fülle an Monumenten hervorhebt. Zudem entstand der Codex zu der Zeit, als die Karolinger sich als Herrscherdynastie etablierten und den Schutz für das päpstliche Rom übernahmen. Damit erscheint der Codex vor allem eingebunden in die Machtmetaphorik der Karolinger und steht für ihr spezifisches Herrschaftskonzept, das auf antike Traditionen zurückgreift, das karolingische Geschlecht zu legitimieren sucht und somit die römische renovatio proklamiert.43 Auch die Abfassung der ‚Mirabilia‘ um 1143 wird in einem politischen Kontext vermutet. Im Sommer des Jahres kam es nach einigen Revolten zur Errichtung eines Senats und eine kommunale Selbstregierung wurde etabliert.44 Auch hier diente die Erinnerung an eine ruhmreiche Vergangenheit und an die Souveränität des römischen Volkes dazu, kollektive Identität und Gemeinschaft zu stiften sowie eine römische Erneuerung zu proklamieren. Auch zu diesem Zeitpunkt

37 Vgl. dazu ausführlich Miedema 1996, 1–8, bes. 5. 38 Vgl. dazu Franz A. Bauer, Die Stadt Rom im Spiegel spätantiker und frühmittelalterlicher Beschreibungen, in: Hans-Ulrich Cain et al. (edd.), Das antike Rom und sein Bild. Internationales und Interdisziplinäres Kolloquium zum Thema ‚Das antike Rom und sein Bild‘ (Transformationen der Antike 21), Berlin/Boston 2011, 93–111, hier 107; Ders., Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter. Papststiftungen im Spiegel des Liber Pontificalis von Gregor dem Dritten bis zu Leo dem Dritten (Palilia 14), Wiesbaden 2004; Gesine Mierke, Die Stadt im Kopf. Rom als Erinnerungsort in Ablassverzeichnissen und Pilgerfahrten im Geiste, in: Jörg Oberste/Sabine Reichert (edd.), Stadtgeschichte(n). Erinnerungskulturen der vormodernen Stadt (Forum Mittelalter – Studien 14), Regensburg 2017, 137–157, hier 140f. 39 Haug 2011, 89. 40 Die Einsiedler Inschriftensammlung und der Pilgerführer durch Rom (Codex Einsidlensis 326). Faksimile, Umschrift, Übersetzung und Kommentar, ed. Gerold Walser (Historia. Heft 53), Stuttgart 1987. 41 Vgl. dazu Bauer 2011, 107. 42 Vgl. auch Bauer 2004, 18, 19. 43 Vgl. Mierke 2017, 140f. 44 Vgl. dazu auch Diefenbach 2002, 59; Mierke 2017, 141.

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waren die ‚Mirabilia‘ einer politischen Motivation verhaftet, beschreibt der Verfasser doch die Bauwerke, um an die antike Größe anzuknüpfen.45 Speziell für diesen Text, der dem Kaiserchronisten vorgelegen haben dürfte, wird in der Forschung, da er archäologisch unzuverlässig sei, zunehmend gefordert, ihn als eine „verdeckte Programmschrift einer kommunalen Renovatio Romae“46 wahrzunehmen. Und dieses Programm, die Formulierung des renovatio-Gedankens, die ihren Ausdruck auch in der architektonischen Rhetorik findet, scheint mir auch in der ‚Kaiserchronik‘ präsent. Der Text verhandelt dies in Geschichten, die miteinander ins Verhältnis zu setzen sind, d. h. zwischen denen sinnstiftende Bezüge bestehen. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Erzählungen um die römischen Tagesgötter, die Umweihung des Pantheons sowie die ‚Salvatio Romae‘ miteinander zu verbinden. Diese werden durch Mittel korrelativer Sinnstiftung mit den Geschichten um Konstantin/Silvester und Karl den Großen verknüpft. Mathias Herweg hat bereits auf die „makrostrukturelle Kohärenz des Werkes“47 hingewiesen. Überdies ist die Verbindung gerade dieser Geschichten zugleich mit Transzendierungsvorgängen verbunden bzw. diese werden im Text inszeniert und suggerieren eine neue Ordnung.48 Folglich geht es darum, das Alte anzueignen, zu verwerfen oder auszulegen. Ich werde im Folgenden versuchen, dies an einigen Beispielen zu zeigen. Dabei greife ich noch einmal die Eingangssequenzen der Chronik auf und nehme sodann auf einzelne Bauwerke ausführlicher Bezug.

3.

Textbeispiele: Konstantins Stadt, der Himmel des Cosdras, der Turm der Crescentia

Zu Beginn des Textes wird dem Publikum zunächst die Einteilung und Weihe der Zeit in der Antike erzählt. Es heißt im Text, dass Rom machtvoll aufstieg, und die Römer sich, da sie den wahren Gott nicht fürchteten, sieben Götter zu Ehren der 45 Vgl. dazu Peter C. Claussen, Renovatio Romae. Erneuerungsphasen römischer Architektur im 11. und 12. Jahrhundert, in: Bernhard Schimmelpfennig/Ludwig Schmussge (edd.), Rom im hohen Mittelalter. Studien zu den Romvorstellungen und zur Rompolitik vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Reinhard Elze zur Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres gewidmet, Sigmaringen 1992, 87–125, hier 122. Dagegen äußert sich Miedema: „Dieser Versuch, die Entstehung der ‚Mirabilia‘ mit einem konkreten politischen Ereignis zu begründen, erscheint mir jedoch grundsätzlich problematisch. Damit würde angenommen, daß die politischen Umstände im Rom des 12. Jahrhunderts den direkten Anlaß zur Abfassung eines Textes gegeben hätten, der sich mit der antiken Größe Roms auseinandersetzte.“ Miedema 1996, 7. 46 Claussen 1992, 122. 47 Herweg 2014, 398. 48 Dies passiert in unterschiedlichen Formen wie Aneignung, Verwerfung, Behauptung, Bestreitung, Interpretation, Auslegung, vgl. Vorländer 2013, 16.

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sieben Wochentage erschufen (KC 63–67). Die Erzählung von der Siebentagewoche wird erneut in der Faustinians-Episode und vor allem in der Vita Konstantins aufgegriffen,49 somit christlich interpretiert und die Zeit in die Heilsgeschichte überführt.50 Folglich geht es etwa in der Vita Konstantins nicht nur um die Taufe des Kaisers, sondern um die Taufe des gesamten orbis. Mithin ist nicht nur die Zerstörung der Götzentempel Zeichen des Wandels, sondern vor allem die Neuordnung des Hofes durch Konstantin. Damit wird das grundsätzliche Problem, dass aus der christlichen Offenbarung keine gesellschaftliche Ordnung folgt, aufgegriffen. Konstantin bestellt den Hof des Papstes und seinen eigenen, sodass auf diese Weise eine Linie von den antiken Göttern bis in die christliche Zeit gezogen wird. Mit der Erzählung von der Umweihung des Pantheons durch Bonifatius, die sich an den Tagesgötterabschnitt anschließt, wird sodann die christliche Weihe auf das gesamte antike Rom ausgeweitet, und die Heiligen erhalten endgültig Einzug in die Heilige Stadt. Vor diesem Hintergrund der Christianisierung Roms ist der Blick auf die Monumente, Säulen, Statuen, Paläste symptomatisch für diese Entwicklung – die neue Religion schreibt sich auch in den Raum ein. Insbesondere in der Erzählung um die ‚Salvatio Romae‘ wird die übergroße Macht und Stärke des antiken Roms ins Zentrum gesetzt.51 Demnach existierten in Rom für alle unterworfenen Provinzen und Länder steinerne Bilder, die eine Schelle oder Glocke trugen. Im Text heißt es: Duo hiezen Romaere giezen uzzer êre elliu lant diu si hêten bidwungen in ir gewalt. dar uber hiengen duo die snellen ir guldîne schellen iechlîchem lande. (KC 217–223) „Damals ließen die Römer für alle Länder, die sich unterworfen hatten, Erzbilder gießen. Über diese hängten die Kühnen für jedes Land eine goldene Schelle.“

Wenn ein Land aufbegehrte, erklang die Schelle als Warnung einer bevorstehenden Unruhe. So konnten die Römer von der Metropole aus die unterworfenen Gebiete kontrollieren. Auch in dieser Episode geht es neben der Besetzung der Zeit um die Besetzung des Raumes. 49 Vgl. Ohly 1968, 35. 50 Vgl. ausführlich Ohly 1968, 35–38. 51 In der Sage werden altorientalische Vorstellungen amalgamiert, vgl. dazu Fedor Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter. Die geistigen Grundlagen der Renaissance, Darmstadt 1959, 165, ausführlich dazu auch Ohly 1968, 40f.

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Im Anschluss wird die Cäsar-Geschichte erzählt und damit auch die Verbindung zwischen römischem und deutschem Gebiet vollzogen.52 Denn gerade Cäsar errichtet als einer der wichtigsten Bauherren neue Herrschaftssitze bei den Deutschen: Er gründet Deutz, Boppard, Andernach, Ingelheim, Mainz und Oppenheim.53 Weitere Städtegründungen finden in seiner Nachfolge statt, sodass das römische Gebiet stetig erweitert wird: Agrippa gründet Köln, Metius stiftet Metz etc. In den folgenden Episoden werden Geschichten aus den einzelnen Teilen des Reiches bzw. von den gentes, die nun das römisch-deutsche Volk ausmachen,54 erzählt. Die Eingangssequenzen der Chronik, in denen antike Kulte und Rituale geschildert werden, legen den Grundstein für die sich anschließende Erzählung der römisch-deutschen Geschichte. Somit wird das Alte nicht ausgelöscht, sondern christlich überschrieben und umgedeutet. Insbesondere Kulte, Rituale und Bauwerke können die Zeiten überdauern und bereits Vorhandenes sichtbar machen. Ihre Präsenz dient in diesem Text dazu, das Neue abzusichern und diesem Geltung zu verschaffen. In der ‚Kaiserchronik‘ werden Zeit und Raum ab der Konstantin/Silvester-Erzählung neu geordnet und sukzessive christlich gedeutet. Deshalb werden die ersten Sequenzen an entscheidenden Stellen der Chronik erneut aufgegriffen bzw. Sinnbezüge zu ihnen hergestellt. Der Wandel Roms und sein Machtausbau wird nicht zuletzt auch an der architektonischen Erneuerung und Überformung der Stadt sichtbar. So erhält etwa Konstantin von einem Engel den Befehl, seine Residenz zu vergrößern. Im Text heißt es: do rescrein im entriwen der engel vom himele, er zeiget im Constenobele; vil durnähteclîche er si sach, der engel aver zuo im sprach: ‚hie wirt dû sedelhaft! bowe diese hovestat, si sol an dem jungisten dîn urchunde sîn, daz gebiutet dir von himele mîn trehtîn.‘ Der chaiser wart vil frô, […] 52 Vor allem für diese Episode bezweifelt Ohly einen direkten Zusammenhang zwischen ‚Mirabilia‘ und ‚Kaiserchronik‘, vgl. Ohly 1968, 41f. 53 Julius worhte dô bî Rhîne / die sedelhove sîne: / Diuze ain stat guote, / Bocbarte der he huote; / Magenze ain stat guote, / Oppenhaim ir ze huote. (KC 379–386). 54 Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Mathias Herweg zur Rolle Cäsars im ‚Annolied‘, Mathias Herweg, Er kam, sah – und fand Verwandte: Julius Caesar, die trojanischen Franken und die ‚römischen Deutschen‘, in: Dorothea Klein/Lutz Käppel (edd.), Das diskursive Erbe Europas. Antike und Antikenrezeption (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 2), Frankfurt a. Main et al. 2008, 306–326, hier bes. 312–320.

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wol gemert er die hovestat: er maz ain ander gruntveste, wol hulfen im die geste. (KC 10430–10444) „Da erschien ihm wahrhaftig ein himmlischer Engel und stellt ihm Constantinopel vor Augen. Hell und klar sah Constantinus die Stadt, während der Engel zu ihm sprach: ‚Hier werde sesshaft! Baue hier deinen Herrschaftssitz, er soll dein ewiges Vermächtnis sein. Das gebietet dir mein himmlischer Herr.‘ Der Kaiser wurde überglücklich […]. Prächtig erweiterte er die Residenz: Er vermaß ein zweites Fundament mit der tatkräftigen Hilfe der Seinen.“

Die Auserwähltheit der neuen Residenz wird durch den Engel markiert, der den Kaiser auffordert, ein ander gruntveste zu errichten, die freilich als neues Rom gilt, denn selbst römische Erde wird nach Konstantinopel transferiert.55 Mit dem Bau der Residenz ist somit vorerst ein Höhepunkt christlicher Herrschaft erreicht, steht sie doch für die Verbindung von Ost- und Westrom. Von einem weiteren symbolisch ausdeutbaren Bau erzählt die Geschichte um den heidnischen Kaiser Cosdras, der einen ehernen Himmel erschaffen ließ:56 di wîle er [Herâclîus] ze Rôme voget was, ain haidenisker chuninch hiez Cosdras, dem geriet der vâlant, daz er hiez wurchen uber sîn lant ainen himel êrin, vil gerne wolt er got sîn: dô hiez er mâlen dar inne den sunnen unt di maeninne ûzer den karvunkeln, vôn plîen diu wolchen, ûzer edelem gestaine die sternen vil claine, inzwischen niun chôren den regen in den rôren. (KC 11142–11155) „Während er [Heraclius] Schutzherr von Rom war, lebte ein Heidenkönig namens Cosdras. Dem hatte der Teufel geraten, dass er über sein ganzes Land einen ehernen Himmel ausbreiten ließ. Sehr gerne wollte er Gott sein! Er ließ darauf aus Karfunkelsteinen Sonne und Mond abbilden, dazu Wolken aus Blei, glänzende Sterne aus Edelsteinen und Rohre für den Regen zwischen den neun [Himmels-]Chören.“

Cosdras kreierte aber nicht nur einen neuen Himmel, sondern ließ auch das Kreuz aus Jerusalem stehlen und wollte das Heilige Grab zerstören. Dies alles kann Heraclius verhindern, der sich taufen lässt und in das Geschehen eingreift. 55 Vgl. auch Goerlitz 2018, 111. 56 Diese Erzählung taucht in den deutschen ‚Mirabilia Romae‘ (vgl. Cgm 414) erneut auf, vgl. dazu den vorherigen Abschnitt dieses Beitrags.

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Ihm gelingt es mit Hilfe Gottes, den Heiden in einem Zweikampf zu besiegen, das Kreuz zurückzubringen und schließlich in Jerusalem einzuziehen. Diese auch im Text als Exemplum, ad exemplum (KC 11339), ausgewiesene Geschichte erzählt im Falle von Cosdras über superbia und stellt ihm Heraclius als hervorragendes Beispiel für Demut gegenüber.57 Letzterer erweist seine Macht und Idoneität insbesondere durch seine Kommunikation mit dem Engel und seine besondere Nähe zur Transzendenz (KC 11176–11185). Diese verleiht der Herrschaft Heraclius’ besondere Geltung und macht den Unterschied zwischen Altem und Neuem wiederum deutlich. Der eherne Himmel und Jerusalem, in das Heraclius am Ende der Episode einziehen darf, stehen somit für ein Gott ab- oder zugewandtes Leben. Die Episode lässt sich aber auch als Kernerzählung in Bezug auf den gesamten Text lesen: Das antike Rom wird umgebaut – die Perspektive endet mit dem Kreuzzugsaufruf, damit mit dem Ausblick auf das Himmlische Jerusalem, das allein den Christen vorbehalten ist. Rom und Jerusalem werden auf diese Weise miteinander verbunden. Einmal mehr spricht diese Erzählung für die Deutungsmöglichkeiten, die im Text angelegt sind. Neben der demonstrativen Einbindung und Semantisierung von Bauten und Monumenten in der ‚Kaiserchronik‘ haben diese überdies narratologisches Potenzial, wie sich am folgenden Beispiel verdeutlichen lässt. Als besonders symbolträchtiges Bauwerk erscheint der Turm der Crescentia. Die Geschichte, die in die Episode des Kaisers Narzissus eingebunden ist, folgt dem Erzählmuster der unschuldig verfolgten Frau58 und thematisiert als Grundproblem, wie Markus Stock vorgeführt hat, die Weitergabe von Macht.59 Da die Nachkommen des Kaisers Zwillinge sind, steht die Dynastie vor einem genealogischen Dilemma. Man entscheidet sich dafür, denjenigen regieren zu lassen, der zuerst heiratet. Die Brüder buhlen um Crescentia, eine afrikanische Königstochter. Sie muss ihren Bräutigam aus jenem Zwillingspaar – dem schönen und dem hässlichen Dietrich – wählen, und sie entscheidet sich für Dietrich den ungetânen (KC 11407), hässlichen, wie es im Text heißt. Durch die problematische Werberlage deutet sich bereits an, dass der Konflikt der Thronfolge damit nicht gelöst ist. Als Dietrich sich auf längere Heerfahrt begibt, übergibt er 57 Vgl. dazu mit dem Hinweis auf die allegorische Auslegung der Stelle: Knape 1974, 42–44; dazu auch Dickhut-Bielsky 2015, 120f. 58 Vgl. dazu ausführlich Christian Kiening, Unheilige Familien. Sinnmuster mittelalterlichen Erzählens (Philologie der Kultur 1), Würzburg 2009, 87–103; auch Markus Stock, Kombinationssinn. Narrative Strukturexperimente im ‚Straßburger Alexander‘, im ‚Herzog Ernst B‘ und im ‚König Rother‘ (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 123), Tübingen 2002, 54–72. Zur Fassung der Crescentia-Episode in der ‚Kaiserchronik‘ vgl. ausführlich Karen Baasch, Die Crescentialegende in der deutschen Dichtung des Mittelalters (Germanistische Abhandlungen 20), Stuttgart 1968, 27–39. 59 Ausführlich dazu Stock 2002, 57f.

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Crescentia zur Obhut in die vermeintlich treuen Hände seines Zwillingsbruders. Doch begehrt dieser seine Schwägerin, die sich dagegen wehrt. Damit allerdings beginnt ihre Odyssee. In der Crescentia-Geschichte wird im Grunde ein Marienmirakel erzählt. Die tugendhafte Crescentia wird von allen verstoßen, verachtet, geprügelt und schließlich des Kindsmords bezichtigt. Doch sie bleibt bei alldem standhaft und vertraut auf Gottes Hilfe, sodass sie gerettet wird und als Ärztin schließlich ihre inzwischen vom Aussatz befallenen Peiniger heilt. Für unseren Zusammenhang ist besonders der Bau des Turmes interessant. Jenen lässt Crescentia errichten, um ihren Schwager, den schönen Dietrich, von sich fern zu halten. Im Text heißt es: sie sprach: ‚ob du mih wellest minnen, so haiz dir e gewinnen daz tiure gestaine – vernim, war ich daz maine –, zimperman so spaehe. ainen turn vil waehe den solt du wurchen aller erist.‘ (KC 11522–11528) „Sie sprach: ‚Wenn du mich begehrst, so lass dir zunächst gute Steine beschaffen. Höre, worauf ich hinauswill: Erfahrene Zimmerleute [brauchst du], um zuallererst einen prächtigen Turm bauen zu lassen.‘“

Der Turmbau wird textintern aufwändig beschrieben. So heißt es, dass der Turm uzer stainen und uzer plien („aus Steinen und Blei“) (KC 11542) und aus marmelstaine[n] („Marmor“) (KC 11548) errichtet wird. Zudem wird er fest verschlossen, mit vil vesten slôzen („mit kräftigen Schlössern“) (KC 11554). Anschließend fordert Crescentia, den Bau mit Lebensmitteln, wîn unt prôt („Wein und Brot“) (KC 11572), zu versehen und schließlich mit „Reliquien“, hailictuom (KC 11592), auszustatten. Er hat also alles, was man zum Überleben braucht. Als der Bau beendet ist, sperrt die Frau ihren Schwager bis zur Wiederkehr ihres Mannes darin ein. Der Bau des Turmes steht für das Begehren des Werbers, zugleich aber auch für die Klugheit der Königin. Mit der List des Turmbaus und der damit verbundenen Abwehr des Werbers verdeutlicht Crescentia für alle weithin sichtbar, dass ihre Entscheidung für den hässlichen Dietrich richtig war und somit die Macht des Reiches an den passenden Nachfolger weitergegeben wurde. Daneben steht der Turm auch für die Wehrhaftigkeit und Standhaftigkeit der keuschen Frau – für firmitas und fortitudo, die auch als Grundprinzipien mittelalterlicher Baukunst gelten.60 Und schließlich verbinden sich im Bau des Turmes aus narratologischer 60 Vgl. Matthias Untermann, Abbild, Symbol, Repräsentation – Funktionen mittelalterlicher Literatur, in: Olaf Wagener (ed.), Symbole der Macht? Aspekte mittelalterlicher und früh-

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Perspektive Brautwerbungsmuster und das Erzählschema der unschuldig verfolgten Frau. Beide lösen sich nicht auf, sondern treiben die Handlung weiter voran. So bleibt der zweite Werber, Dietrich der Schöne, nicht zuletzt mit dem Turmbau als ‚abgewiesene Alternative‘ – hier im wörtlichen Sinne – bis zum Ende des Textes präsent. Diese Alternative ist kein blindes Motiv, sondern sie hält den Grundkonflikt der Episode, das genealogische Dilemma des Anfangs, die Frage nach dem richtigen Herrscher, bis zum Ende offen. Und so ist es vielleicht auch zu erklären, dass der Turm am Beginn und Ende der Episode erwähnt wird. Er ist, so wird am Ende der Erzählung noch einmal betont, die gesamte Zeit als Ärgernis für die Römer präsent und erinnert an die Ausgangssituation – an Machtübernahme und Begehren. Entsprechend erklärt Dietrich der Schöne, als Crescentia ihn heilen soll, in seiner Beichte: ‚si hiez mich wurchen ain turn – daz was Rômâren zorn – ze Rôme an der Fôre. dâ mit werte si sich des huores […]‘. (KC 12713–12716) „‚Sie ließ mich auf dem Forum in Rom einen Turm bauen [das war ein Ärgernis für die Römer]. Damit erwehrte sie sich meinen Nachstellungen […].‘“

Ich interpretiere die Verse hier so, dass der Turm deshalb den Zorn der Römer hervorrief, da er an die problematische Machtkonstellation erinnerte. Insbesondere das Verhalten Dietrichs des Schönen brachte die Königin und das Reich in Misskredit. Damit wird die abgewiesene Alternative bis zum Ausgang des Textes präsent gehalten und kommentiert das Geschehen, da es um die Weitergabe der Macht an den richtigen Sohn des Narcissus geht.61 Für diesen Zusammenhang findet sich in der Rezension C der ‚Sächsischen Weltchronik‘ ein interessantes Detail. Hier wird Crescentias Turm mit der Engelsburg identifiziert, jener Festung, die ebenfalls für die Wehrhaftigkeit Roms steht.62 Diese wurde im Mittelalter auch Domus Theoderici63 oder Castellum neuzeitlicher Architektur (Beihefte zur Mediävistik 17), Frankfurt a. Main et al. 2012, 15–32, hier 27. Vitruv nennt firmitas („Dauerhaftigkeit“) und utilitas („Zweckmäßigkeit“) Grundprinzipien der Baukunst, vgl. Vitruv, De architectura, I 3, zitiert nach Vitruv, De architectura libri decem. Lateinisch und Deutsch, übers. und mit Anmerkungen versehen von Curt Fensterbusch, 6. Aufl., Darmstadt 2008. 61 Zur Funktion der Poetik der abgewiesenen Alternative vgl. vor allem Schulz 2002, hier bes. 391f.: „Der Kommentar zum laufenden Geschehen wird nicht explizit formuliert, sondern erschließt sich nur indirekt aus der Handlungslogik.“ 392. 62 Vgl. Frühe Deutsche Literatur und lateinische Literatur in Deutschland 800–1150, ed. Walter Haug/Benedikt K. Vollmann, Frankfurt a. Main 1991, 1561; vgl. auch Baasch 1968, 81, Anm. 177. Die ‚Sächsische Weltchronik‘ (P 139, 34–143, 21) erklärt die Herkunft des Namens auf sachlich-faktische Weise und übernimmt damit scheinbar selbstverständlich den Zu-

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Crescentii64 genannt.65 Letztere Bezeichnung wird im 10. Jahrhundert auf einen Bürgermeister zurückgeführt, der sich gegen Kaiser Otto III. in benanntem Turm verschanzte. Auch die Bezeichnung als Domus Theoderici scheint in der Geschichte der ‚Kaiserchronik‘ nicht gänzlich getilgt, erzählt sie doch von zwei Dietrichen als ungleichem Brüderpaar, die einst die Macht in Rom übernahmen. Bereits Edward Schröder hatte vermutet, dass der Name Crescentias sich von dem Namen des Turmes ableitete oder aber der Name der Zwillinge etymologisch auf die alte Bezeichnung des Turmes zurückzuführen sei.66 Unabhängig davon, ob hier ein etymologischer Zusammenhang besteht oder nicht, ist der Turmbau der symbolische Kern der Geschichte und die Erzählung an das Bauwerk angelagert. Im Turm laufen die Erzählfäden und -muster zusammen. Durch die Überlagerung von unterschiedlichen Erzählmustern wird das Geschehen indirekt kommentiert, ohne dass ein Erzähler sich einschaltet. Somit ist auch diese Geschichte auszulegen. Sie lässt sich etwa als Beispiel für besondere Tugendhaftigkeit lesen. Sie lässt sich aber auch ganz allgemein auf die Standhaftigkeit Roms beziehen, jener Stadt, die mit Crescentia in einen christlichen Kontext überführt wird. Erst die Christin vermag es schließlich, das Alte ‚aufzuheben‘67 und ihm eine neue Deutung zu verleihen. Vor diesem Hintergrund

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sammenhang mit der Engelsburg: Dideric buwede do enen torn. De leget jegen de Tyberbrugge. He makede umme den torn enen viereggeden mantel van witten marmore, de seten sin ummate dicke unde lanc, se sin gelodet to enander mit bli unde mit eserinen crampen. Uppe der vierden egge jegen dat suden stet en osse gehouwen an enen sten. Men seget, dat en merosse toge de groten stene al tosamene. Binnen deme mantele is gebwuet de torn van tegele, senewolt unde ho, vile schone woninge sin darovene uppe. Zitiert nach Baasch 1968, 178. Auch die Leipziger Kleinepikhandschrift Ms 1279 übernimmt den Verweis auf die Engelsburg, vgl. ebenfalls Baasch 1968, 192. Vgl. den Abdruck der Crescentia-Legende nach der Leipziger Handschrift bei Gesine Mierke, Die Crescentia-Erzählung aus der ‚Leipziger Kleinepikhandschrift‘ Ms 1279 (Saxofodina. Fundstücke zur Literatur- und Kulturgeschichte Sachsens in Mittelalter und Früher Neuzeit 1), Chemnitz 2013. Vgl. Hans F. Massmann, Die südliche Wanderung der dt. Heldensage, in: Germania 7 (1846), 216–248, hier 237. Die Bezeichnung findet sich auch bei Thietmar von Merseburg und Ekkehard von Aura. Eine bis ins 15. Jh. existierende Statue auf der Engelsburg wurde von den Deutschen als Theoderich gedeutet. Vgl. Andreas Goltz, Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5.–9. Jahrhunderts (Millennium-Studien 12), Berlin/New York 2008, 9. Vgl. Johann G. T. Grässe, Beiträge zur Literatur und Sage des Mittelalters, Dresden 1850, 4, Anm. 3. Vgl. dazu auch Schneider 1959, 63. Vgl. Schröder 1892, 67, 289, Anm. 1.; auch Axel Wallensköld, Le conte de la femme chaste convoitée par son beau-frère. Etude de littérature comparée (Acta societatis Scientiarum Fennicae 34), Helsingfors 1907, 1–174, hier 62, Anm. 4. Dies ist in Anlehnung an die Hegelsche Figur des Aufhebens zu verstehen und meint hier aufheben im Sinne von emporheben, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die objektive Logik, in: Walter Jaeschke (ed.), Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 11, Hamburg 1978, 57f.

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sind das Bauen und der Bau nicht zuletzt als Ausdruck der christlichen Transformation der römischen Geschichte zu verstehen.

4.

Fazit

Ich versuche, die von mir benannten Punkte noch einmal zusammenzufassen. Es ging mir darum, den Zusammenhang von Architektur und Macht in den Episoden der ‚Kaiserchronik‘ herauszustellen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Idee der renovatio imperii auch auf dieser Ebene umgesetzt wurde. Es geht also nicht darum, etwas Altes – nämlich das rîche – aufzugeben, sondern darum, etwas zu übertragen und zu erneuern, nämlich die alte Herrschaftsgewalt. Translatio und renovatio schließen sich folglich nicht aus – darum wurde in der Forschung lange gestritten – sondern es geht im gesamten Text grundsätzlich um das Fortbestehen des Römischen Reiches und um die „Vorrangstellung Roms“68. Rom wird nicht abgelöst, sondern unter christlicher Prämisse erneuert. Dies ist an die Idee der Etablierung einer neuen Ordnung gebunden, die ihre Geltung durch die Bindung an die Vergangenheit behauptet. Daher geht es insbesondere im antiken Teil des Textes darum, das Verhältnis zum Alten durch Aneignung und Verwerfung zu beschreiben. An bestimmten Schlüsselstellen des Textes, auf die der Leser durch kohärente und sinnstiftende Bezüge aufmerksam gemacht wird, wird eine auf das Transzendente ausgerichtete Ordnung beschrieben. Der renovatio-Gedanke zeigt sich auf inhaltlicher Ebene auch an den Monumenten, Bauten und vor allem Umbauten. Als eine wesentliche Grundlage für die Beschreibung von Monumenten und Besonderheiten Roms gelten die ‚Mirabilia Romae‘, die ebenfalls im Dienste einer Romidee standen. Sie stehen für jene ‚imperiale Rhetorik‘, die auch für den Ausdruck von Herrschermacht in der ‚Kaiserchronik‘ in Anschlag zu bringen ist. Seit der grundlegenden Studie von Friedrich Ohly gilt die Struktur der ‚Kaiserchronik‘ als Forschungsproblem.69 In den letzten Jahren wurde zunehmend auf sinnstiftende Bezüge abgehoben, wie die Arbeiten von Markus Stock,70 Armin Schulz71 und die jüngst erschienene Marburger Dissertation von Johannes Dickhut-Bielsky72 zeigen. Das Bauen bzw. die Monumente sind nicht nur An68 Dickhut-Bielsky 2015, 101. 69 Vgl. Ohly 1968, dagegen Eberhard Nellmann, Kaiserchronik, in: Verfasserlexikon 4 (2., völlig neu bearb. Aufl. 1983), 949–964, hier 957; Peter Jentzmik, Möglichkeiten und Grenzen typologischer Exegese in mittelalterlicher Predigt und Literatur (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 112), Göppingen 1973; dazu auch Dickhut-Bielsky 2015, 62. 70 Stock 2002. 71 Schulz 2010. 72 Dickhut-Bielsky 2015.

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kerpunkte für kohärente Bezüge im Hinblick auf den ganzen Text, sondern sie liefern auch, wie Karl Stackmann bereits an anderen Beispielen zeigte, Sinnpotentiale innerhalb der Einzelepisoden und haben so eine narratologische Funktion.73 So ist der Turmbau in der Crescentia-Episode inhaltlich ausdeutbar und lässt sich im moralischen Sinne auf Tugenden beziehen, zugleich steht er für die Problematik der Machtkonstellation und vermittelt ferner etwas über das Erzählen selbst. Während die problematische Werbergeschichte die Frage nach dem rechtmäßigen Herrscher stellt, trägt das Erzählmuster der unschuldig verfolgten Frau eine christliche Lesart in die Erzählung. Beides wird miteinander verbunden und bringt schließlich die christliche Crescentia hervor, der mit dem Turm in der Chronik buchstäblich ein Denkmal gesetzt wird. Ein weiterer Stein des alten Rom also, der christlich umgedreht wird. Erst die Analyse der Erzählmuster zeigt schließlich, dass beispielswiese durch die Überlappung der Muster und die Poetik der ‚abgewiesenen Alternative‘ Kommentare in den Text integriert werden, die nicht der Erzähler vermittelt, die aber wesentliche Problempunkte der Episode beleuchten. Dieses Verfahren zeigt, dass der Chronist nicht nur die gängigen exegetischen Methoden für die Auslegung der Geschichte heranzog, sondern scheinbar bewusst auf der Ebene des Erzählens agierte. Er spannt einen weiten Deutungshorizont auf. Die imperiale Rhetorik, die der ‚Kaiserchronik‘ auf der Grundlage der ‚Mirabilia Romae‘ inhärent ist, trägt zur Umsetzung der renovatio-Idee bei, die den Text zusammenhält und Rom als „Sinnzentrum“74 emporhebt. Bauen und Bauen lassen sind so weitere Möglichkeiten, die Macht der Könige und Kaiser in der Chronik zum Ausdruck zu bringen. Dabei zeigt sich auch auf dieser Ebene, in welchem Verhältnis alte und neue Ordnung zueinander stehen. Es geht um die legitimatorische Evidenz von Gründungsgeschichten und -mythen, die häufig mit Erinnerungen an überwundene Formen der Gewalt, der Eroberung, des Vorhandenen verknüpft sind. Die magischen Steine und sprechenden Säulen müssen quasi als überwunden abqualifiziert werden, um aus ihrer Substanz etwas Neues zu begründen, das länger anhält. Und dieses Neue findet seine Geltung durch die Verbindung zur Transzendenz. Schließlich wird diese Geltung nicht nur auf der Ebene der ästhetischen Beschreibung von Bauten und Monumenten behauptet, sondern manifestiert sich auch im Erzählen selbst.

73 Stackmann 1990, 72, 81. 74 Goerlitz 2018, 111.

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Christoph Pretzer

Rom, die erzählte Stadt

Abstract This study explores the construction of the city of Rome’s monuments in time and space in three selected texts. The focus is on how Virgil’s ‘Aeneid’, the anonymous twelfth-century ‘Mirabilia urbis Romae’, and the roughly contemporary and likewise anonymous Middle High German ‘Kaiserchronik’ connect the physical monuments of Rome – be they real or legendary – with legendary or mythological stories; the aim is to identify the historiographical and literary concepts of Rome as narrated space. The techniques these texts employ are defined, on the one hand, by Rome’s physical monuments and structures and, on the other hand, by the cultures of imagination, knowledge, and perception of both medieval and classical authors. As theoretical approach, the article employs an adapted version of spatial social theory as established by Pierre Bourdieu in the 1980s and later extended by Martina Löw and Karl-Siegbert Rehberg. It distinguishes between ‘location’ (“Ort”) and ‘space’ (“Raum”) as operative terms. Locations will be understood as spatial condensations of actions with greater coherence and homogeneity, and spaces as settings for activities with greater openness and heterogeneity as a latent field of simultaneous and future possibilities. The article describes how, from the field of latency as which Rome is generated in the selected texts, the classical and subsequently medieval imagination of the city-space as a network of locations emerges. Through examination based on this concept, the article will show how the selected texts explore the space of the city of Rome not as a stable, objective framework of reference but as the product of an ongoing relational process in which perception, the perspectives of the protagonists and space-users, and the staging of locations and space are of crucial importance. By analysing the condensed actions of protagonists and narrators projected into the narrated space, it will be possible to examine the construction of Rome as both a physical and material and a social and political space.

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1.

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Roms Topographie als erzählter Raum und Raumerzählung

Die Stadt Rom wurde seit klassischer Zeit stark als Netzwerk von architektonischen Monumenten und städtischen Wundern erfahren und präsentiert. Der semantische Wert dieser Stätten ist für die historische Wahrnehmung Roms so essentiell, dass Vergil in seiner ‚Aeneis‘ dem Protagonisten Aeneas durch König Evander eine Art Führung durch ein bukolisch-prähistorisches Rom zuteil werden lässt. Auf dieser erschließt Aeneas sich die noch nicht existierenden Wunder Roms zu Fuß, während ihm Evander die mythologischen Kontexte nahe bringt, welche die historische Bedeutung, der noch durch Aeneas’ Erben zu errichtenden Stätten Roms, vorausdeuten. Diese Erkundung des vorgeschichtlichen Roms basiert also allein auf der physischen und narrativen Führung Aeneas’ durch Evander: „Aeneas wunderte sich und richtete seine regsamen Augen auf alles, er ließ sich von der Gegend fesseln, erkundigte sich fröhlich nach den einzelnen Denkmälern der Männer der Frühzeit und hörte über sie.“1 Aeneas wird im Wortsinne von dem Ort eingenommen (capiturque locis), während er diesen mit seinen Augen selbst erschließt und ausmisst (oculos fert omnia circum). „Kaum hatte er [Evander] dieses gesagt, da ging er weiter und zeigte einen Altar und ein Tor, das die Römer das carmentalische nennen, eine uralte Auszeichnung für die Nymphe Carmentis, eine schicksalsverkündende Seherin, die als erste geweissagt hat, Aeneas’ Söhne würden bedeutend sein und Pallanteum berühmt. Hierauf zeigte er einen überaus großen Hain, den der tapfere Romulus zur Freistätte machte, und unter einer starren Felswand die Höhle Lupercal, benannt nach arkadischer Sitte als zu Pan Lycaeus gehörig. Ferner zeigte er auch den Wald des verfluchten Argiletum, rief den Ort als Zeugen an und berichtete von dem Tod des Gastfreundes Argus. Hierauf führte er zur tarpeischen Burg und zum jetzt goldenen Kapitol, das einst mit wildem Gestrüpp bedeckt war. Schon damals erschreckte eine unheimliche Ehrfurcht vor dem Ort die ängstlichen Bauern, schon damals zitterten sie vor dem Wald und dem Felsen.“2

1 Deutsche Übersetzung nach Publius Vergilius Maro, Aeneis, ed. Johannes Götte, München 1955. Vgl. Virgil, 2 Bde., Bd. 2, Aeneid VII–XII. The Minor Poems, übers. v. Henry R. Fairclough, Revised Edition, Cambridge, MA/London 1986. (Im Folgenden: Aeneis), Lib. VIII, 310–312: miratur facilisque oculos fert omnia circum | Aeneas, capiturque locis, et singula laetus | Exquiritque auditque virum monumenta priorum. 2 Vgl. Aeneis Lib. VIII, 337–350.:Vix ea dicta: dehinc progressus monstrat et aram | Et Carmentalem Romani nomine portam | Quam memorant, Nymphae priscum Carmentnis honorem | Vatis fatidicae, cecinit quae prima futuros | Aeneadas magnos et nobile Pallanteum. | Hinc lucum ingentum, quem Romulus acer Asylum | Rettulit, et gelida monstrat sub rupe Lupercal, | Parrahiso dictum Panos de more Lycaei. | Nec not et sacri monstrat nemus Argileti, | Testaturque locum, et letum docet hospitis Argi. | Hinc ad Tarpeiam sedem et Capitolia ducit, | Aurea nunc, olim silvestribus horrida dumis. | Iam tum religio pavidos terrebat agrestis | Dira loci; iam tum silvam saxumque tremebant.

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Die Stadtführung endet an Evanders bescheidener Hütte, die sich genau an jener Stelle befindet, an der sich später das Forum Romanum befinden sollte.3 Die elaborierten urbanen Stätten und Strukturen des imperialen Roms, die Vergil und seinem Publikum vertraut waren, sind zur Zeit von Aeneas’ Besuch schlicht Haine oder Höhlen überwuchert mit Dornenranken (olim silvestribus horrida dumis). Erst später werden diese schließlich in Altäre, Tempel oder etwa das Capitol verwandelt. Und dennoch sind sie bereits von Beginn an durch die mythologischen Begebenheiten für die sich noch zu erfüllende urbane Pracht markiert, die sich aus der Vorzeit mit den Stätten verbinden, wie etwa durch die Existenz der Ruinen der Städte von Janus und Saturn.4 Aber ‚schon damals‘, wie das von Vergil mehrfach wiederholte iam tum anzeigt, also schon bevor Rom überhaupt existierte, sind die natürlichen Stätten des Ortes aufgeladen mit der Ehrfurcht gebietenden Aura der urbanen Monumente, in die sie einst durch das Wirken der Nachfahren Aeneas’ verwandelt werden sollten. Vergils Konzeption nach geht Roms historische Bedeutung seiner physischen Existenz voraus. Diese vorausdatierte Bedeutung kann physische Reaktionen bei jenen hervorrufen, welche sich den vorherbestimmten Stätten nähern. Rom und seine urbane Prachtentfaltung scheinen nicht nur durch die Jahrhunderte nach vorne in die Zukunft, sondern auch zurück in die Vergangenheit. Diese hier bei Vergil greifbar werdende transzendente Qualität der römischen Monumente und Stätten beeinflusste auch mittelalterliche Texte entscheidend. Das Beispiel aus Vergils ‚Aeneis‘ illustriert gut, wie Rom zum einen räumlich erwandert und physisch sensuell erschlossen wird und wie diese Bewegung die Form der Erzählung vorgibt. Zum anderen zeigt dieses Beispiel, wie die erschlossenen räumlichen Strukturen um einen narrativen Hinterraum erweitert werden, der über die physische Erschließung hinaus verweist und den nun physisch fixierten, erzählten Raum auch zeitlich zu Raumerzählungen erweitert. Diese textuelle Phänomenologie bildet den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung. Untersucht werden soll anhand exemplarisch ausgewählter Texte, wie die bei Vergil beobachteten Strukturen im 12. Jahrhundert fortleben und sowohl makro- als auch mikrostrukturell wirksam bleiben.

3 Vgl. Aeneis Lib. VII, 359–361. 4 Vgl. Aeneis Lib. VII, 355–358.: Haec duo praeterea disiectis oppida muris, | Reliquias veterumque vides monimenta virorum. | Hanc Ianus pater, hanc Saturnus condidit arcem; | Ianiculum huic, illi fuerat Saturnia nomen.

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Theoretischer Ansatz

Man kann kaum erwarten, dass Rom als Stadt in mittelalterlichen Quellen einem modernen kartesischen Raumverständnis entsprechend dargestellt wird: als in einem Koordinatensystem aufgespannter, dreidimensionaler Raum, in dem sich jeder topographische Punkt exakt lokalisieren und zu anderen ins Verhältnis setzen ließe. Diese anachronistische Erwartungshaltung hat in zahlreichen frühen Untersuchungen zum mittelalterlichen Raumverständnis zu überaus unbefriedigenden Ergebnissen geführt, bei denen die jeweiligen Autoren eher dazu neigten, den mittelalterlichen Texten Defizite zu unterstellen, als ihre eigene Methodologie kritisch zu reflektieren.5 Doch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts rückte der Raum als Erkenntniskategorie stärker ins Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen. Henri Lefebvre bezeichnete den Raum als eine in dieser Hinsicht unterschätzte Kategorie.6 Pierre Bourdieu arbeitete die produktive Dichotomie von physischem und sozialem Raum und ihre gegenseitige Bedingtheit heraus. Pauly und Scheutz haben seine Leistung wie folgt zusammengefasst: „Physischer Raum und sozialer Raum stehen dabei […] in einem Spannungsverhältnis. Der soziale, über Menschen und deren soziale Relationen und Hierarchien bestimmte Raum (der angeeignete physische Raum) findet innerhalb eines durch bauliche Maßnahmen bestimmten Stadtraumes statt. Der in bestimmter Weise von uns bewohnte und uns bekannte Raum ist sozial konstruiert und markiert. Sozialer und physischer Raum sind aber vor allem durch Relationen, also Beziehungen, geprägt.“7 Damit gilt der Raum nicht länger als stabiler, objektiver Referenzrahmen, sondern als Ergebnis eines fortlaufenden Prozesses, „bei dem die Wahrnehmung, die Sicht der Akteure und Raumnutzer sowie die Inszenierung der Orte und des Raumes von entscheidender Bedeutung sind.“8 Einen vorläufigen Höhepunkt in der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Raum und Räumlichkeiten stellte der sogenannte spatial turn der späten 1980er und frühen 1990er Jahre dar. Ihm entwuchsen die wegweisenden Arbeiten der Soziologin Martina Löw, in denen unterschieden wird zwischen Orten, die von größerer Kohärenz und Homogenität bestimmt werden, und 5 Beispiele listet Silvan Wagner, Erzählen im Raum. Die Erzeugung virtueller Räume im Erzählakt höfischer Epik (Trends in Medieval Philology 28), Berlin/Boston 2015, 4f. 6 Vgl. Henri Lefebvre, The Production of Space, übers. v. Donald Nicholson-Smith, Oxford 1991 (frz. Originalausg. Paris 1974). 7 Michel Pauly/Martin Scheutz, Der Raum und die Geschichte am Beispiel der Stadtgeschichte, in: Dies. (edd.), Cities and their spaces. Concepts and their use in Europe (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster 88), Köln et al. 2014, 1–14, hier 3. 8 Pauly/Scheutz 2014, 4.

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Räumen, die von größerer Offenheit und Heterogenität gezeichnet sind.9 Durch die Konkretisierung dieser Ergebnisse konnte Karl-Siegbert Rehberg seine Vorstellungen einer Differenzierung von Orten auf der einen Seite und Räumen auf der anderen Seite ausarbeiten.10 Diese Differenzierung steht im Zentrum des theoretischen Vorgehens in diesem Beitrag. Sie charakterisiert Orte als „räumliche Verdichtung von Handlungsvollzügen“11 und als „Bühne für Handlungswiederholungen“12 und kontrastiert sie mit Räumen als ‚Latenzfeldern‘ von simultanen und auf die Zukunft hin ausgerichteten Möglichkeiten. Die Beziehung zwischen Ort und Raum wird dabei vor allem bestimmt durch relationale Perspektiven von Erfahrung und Handlung.13 Diese Dichotomie in der narrativen Durchdringung von erzähltem Raum dient als Grundlage für die hier vorgenommene Untersuchung mittelalterlicher Texte. Ziel ist die Herausarbeitung der narrativen Konstruktion der Stadt Rom als physisch-materieller und als sozial-politischer Raum durch die verdichteten Handlungen der Protagonisten und Perspektiven, die in den erzählten Raum projiziert werden. Anhand der lateinischen ‚Mirabilia urbis Romae‘ und der mittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘, in welchen beiderseits, wenn auch unter sehr verschiedenen Umständen, die urbanen Stätten und Merkmale des historischen Roms eine zentrale Rolle spielen, soll herausgearbeitet werden, wie aus diesem als Latenzfeld erzählten Rom eine mittelalterliche Vorstellungswelt von der Stadt als Netzwerk von Orten und Handlungen hervorgeht.

3.

Die römische Renaissance des 12. Jahrhunderts

Bevor aber diese beiden exemplarischen Texte näher betrachtet werden können, muss das geistige und kulturelle Umfeld, in dem sie entstehen und in dem Rom im 12. Jahrhundert seine Neuentdeckung erlebt, ausgeleuchtet werden. Rom rückt in der lateinischen und volkssprachlichen Literatur seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wieder stärker in den Fokus. Vor allem die mittleren Dekaden des Jahrhunderts sind von der Forschung seit langem als eine Zeit der Intensivierung des Interesses an Rom als politischer und historischer Größe 9 Martina Löw, Vor Ort – im Raum. Ein Kommentar, in: Renate Dürr/Gerd Schwerhoff (edd.), Kirchen, Märkte und Tavernen. Erfahrungs- und Handlungsräume in der Frühen Neuzeit, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9. 3–4 (2005), 445–450, hier 445– 448. 10 Karl-Siegbert Rehberg, Macht-Räume als Objektivationen sozialer Beziehungen. Institutionenanalytische Perspektiven, in: Christian Hochmuth/Susanne Rau (edd.), Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2006, 41–58, hier 46f. 11 Rehberg 2006, 47. 12 Rehberg 2006, 47. 13 Vgl. Rehberg 2006, 46f.

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identifiziert worden. Die Einordnung des erneuerten Interesses dieser Zeit als eine Art von Renaissance ist untrennbar mit der Arbeit von Charles H. Haskins verbunden.14 Die sich mit dem Begriff der Wiedergeburt verbindende Vorstellung, dass das Interesse an der klassischen Antike im frühen 12. Jahrhundert wiederbelebt worden sei, ist seitdem vielfach kritisiert und korrigiert worden, und die lange und anhaltende Auseinandersetzung der früheren Jahrhunderte des als Mittelalter bezeichneten Zeitraumes mit der vorangegangenen Epoche der Antike wurde differenzierter herausgearbeitet.15 Rom selbst war kein Zentrum der Renaissancebewegung, die Haskins und seine Nachfolger in ihren Untersuchungen fokussierten. Deren Zentren lagen eher auf den britischen Inseln, im nördlichen Frankreich16 und in Oberitalien, wo die Rechtsschulen in Bologna und anderen Städten die Neuerschließung römischer Rechtstraditionen einleiteten. Doch auch in Rom entwickelte sich in derselben Zeit eine autonome Vorstellungswelt der Stadt selbst, „getragen von dem reichen Erbe antiken Wissens über die Geschichte und die Staatlichkeit des klassischen Roms.“17 Vor allem in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erreichte die politische und symbolische Auseinandersetzung mit Rom als Autoritätsstifter und Legitimationsquelle für Machtformationen einen Höhepunkt: Zwischen 1143 und 1144 trat in Rom ein neuer Senat zusammen, der sich durch den expliziten Rückbezug auf die antike Vorgängerinstitution konstituierte und legitimierte. Im Jahre 1149 würde dieser Senat soweit gehen, dem deutschen König Konrad III. anzubieten, ihn zum Kaiser zu erheben, womit der Senat eine säkulare Alternative zum etablierten Prozedere von Krönung und Salbung durch den Papst aufzeigte. Ein solches Vorgehen eines römischen Senates war in dieser Form seit der Spätantike im lateinischen Europa nicht mehr vorstellbar gewesen.18

14 Vgl. Charles H. Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century, Cleveland, OH 1967, 29: „[…] a revival of Roman law, of the Latin classics, of Latin poetry and theology with root in Boethius and the Latin Fathers.“ 15 Vgl. beispielsweise Percy E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio. Studien zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit, Darmstadt 1957; Fedor Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter. Die geistigen Grundlagen der Renaissance, München 1925. 16 Vgl. Haskins 1967, 49f.: Für Frankreich verweist Haskins auf Chartres, Orléans, Reims, Laon und Paris. In England konzentriert er sich auf Canterbury. Darüber hinaus erwähnt er noch Toledo als ein weiteres Zentrum dieser ‚Renaissance‘. 17 Jürgen Petersohn, Kaisertum und Rom in spätsalischer und staufischer Zeit. Romidee und Rompolitik von Heinrich V. bis Friedrich II (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 62), Hannover 2010, 46. 18 Vgl. Robert Benson, Political Renovatio. Two Models from Roman Antiquity, in: Ders. et al (edd.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Cambridge, MA 1982, 339–386, hier 340–346.

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Eine ganze Reihe von lateinischen Texten entstehen zu dieser Zeit, die das Interesse an Rom dokumentieren. Zentral ist unter diesen die ‚Mirabilia urbis Romae‘, verfasst von einem anonymen Autor vor 1143 und, auf diesen aufbauend, die ‚Graphia aurae urbis Romae‘, die kurz nach der ‚Mirabilia‘ vermutlich Petrus Diaconus kompilierte und in die dabei große Teile der ‚Mirabilia‘ integriert wurden. Ein Nachfolger im Geiste dieser Texte ist die ‚Narracio de mirabilibus Urbis Romae‘,19 die zwischen der zweiten Hälfte des 12. und dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde, laut Selbstidentifizierung von einem anderweitig nicht belegten Magister Gregorius, vermutlich einem englischen Gesandten, der einige Zeit in Rom verbracht haben dürfte.20 Das Interesse der ‚Narracio‘ an den Altertümern Roms ist dezidiert säkular.21 Von besonderem Interesse sind diverse narrative Verflechtungen von antiken Stätten mit persönlichen Erfahrungen des Autors, wie etwa seine augenscheinliche Betörung durch ein Standbild der Venus, durch das er sich wie unter einem magischen Bann findet (magica quaedam persuasio), der ihn dazu bringt, während seines Aufenthalts in Rom mehrfach zum Standort der Statue zurückzukehren, ungeachtet der scheinbar erheblichen Distanz zwischen dieser Skulptur und seiner Unterbringung.22

4.

Die ‚Mirabilia urbis Romae‘

Der zentrale dieser Texte aber, der hier als Beispiel für das makrostrukturelle Fortleben der vergilschen Raumchoreographie betrachtet werden soll, sind die ‚Mirabilia urbis Romae‘, die wohl vor September 1143 von einem Autor verfasst wurden, der überaus bewandert in antiker Literatur und Rhetorik sowie vertraut mit der gegenwärtigen Topographie Roms war.23 Für lange Zeit wurden die ‚Mirabilia‘ dem Kanoniker Benedikt von St. Peter zugeschrieben,24 doch rezen19 Magistri Gregorii, De Mirabilibus Urbis Romae, ed. Roberto Valentini/Giuseppe Zucchetti (Codice topografico della città di Roma 3, saec. XII–XIV, Roma: Tipografia del Senato 90), Roma 1946, 143–167. 20 Master Gregorius: The Marvels of Rome, übers. v. John Osborn (Mediaeval Sources in Translation 31), Toronto 1987 (lat. Originalausg. Rom 1946), 10–15. 21 Vgl. Roberto Weiss, The Renaissance Discovery of Classical Antiquity, Oxford 1969, 7. 22 Vgl. Erwin Panofsky, Renaissance and Renascences in Western Art, New York et al. 1960, 72–74. 23 Vgl. Nine Miedema: Die ‚Mirabilia Romae‘. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte (Münchner Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 108), Tübingen 1996, 6–11. 24 Erstmals 1904 von Duchesne als der wahrscheinliche Autor identifiziert, vgl.: Louis Duchesne, L’auteur des ‚Mirabilia‘, in: Mélanges d’archéologie et d’histoire 24 (1904), 479–489, 486.

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tere Untersuchungen haben dies in Zweifel gezogen,25 so dass man heute wieder weitgehend von einem anonymen Verfasser ausgeht.26 Die ‚Mirabilia‘ fanden sehr schnell ihren Weg in verschiedene Volkssprachen und beeinflussten beispielsweise die ebenfalls anonym überlieferte mittelhochdeutsche ‚Kaiserchronik‘ aus der Mitte des 12. Jahrhunderts in ihrer Romdarstellung entscheidend, wovon später noch die Rede sein wird.27 Nine Miedema, die die deutschsprachigen Bearbeitungen der ‚Mirabilia‘ erfasst und untersucht hat, teilt den Text in drei Teile ein. Der erste Teil bietet einen systematischen, aufzählenden Katalog der antiken Stätten der Stadt: Tore, Bögen, Hügel, Paläste, Theater, Orte von Martyrien, Brücken, Friedhöfe und Obelisken. Der zweite Teil kombiniert archivarische Erfassung mit legendären und mythologischen Narrativen, die mit bestimmten Stätten verbunden werden. Sechs solcher Erzählungen werden präsentiert. Eine handelt beispielsweise von der Umwidmung des Pantheons unter Papst Bonifatius von einem heidnischen Tempel in eine Kirche. Eine andere erzählt von der Ermordung des der Legende nach ersten christlichen Kaisers Roms, Philippus, durch Decius und vom geheimen Plan von Philippus’ Sohn, der daraufhin zu verhindern versucht, dass das umfangreiche Erbe seines Vaters Decius in die Hände fällt, weshalb er es der christlichen Gemeinde unter Papst Sixtus zuschanzt. Schließlich wird im dritten Teil der ‚Mirabilia‘ eine Route durch Rom nachgezeichnet. Die Monumente des antiken Roms werden hier nicht systematisch gruppiert und präsentiert wie im ersten Teil, sondern topographisch entlang einer festen Route aufgeführt. Diese verläuft ungefähr vom Vatikan über das Marsfeld, hin zu Capitol und Forum, wird weiter zum Palatin und Kolosseum geführt und geht von dort aus zu den Hügeln Aventinum und Caelius, bevor sie schließlich den Lateranpalast erreicht. Vom St. Johannes aus verläuft sie weiter zu Esquilin, Viminal und Quirinal und schließlich nach Trastevere.28 Der Text legt durchgängig ein großes Interesse an den heidnischen Gebäuden und Monumenten der Stadt an den Tag.29 Indem sie mit narrativen Traditionen angereichert werden, werden sie in Objekte einer idealisierten Erinnerungs-

25 Bernhard Schimmelpfenning, Die Zeremonienbücher der römischen Kurie im Mittelalter, Tübingen 1973, 8–11. 26 Dale Kinney, Fact and Fiction in the ‚Mirabilia urbis Romae‘, in: Roma Felix – Formation and Reflections of Medieval Rome (Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot/ Burlington 2008, 235–252, hier 236. 27 Vgl. Miedema 1996, 263f., v. a. Fußnote 26; Ernst Friedrich Ohly, Sage und Legende in der ‚Kaiserchronik‘. Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung, Münster 1940 (ND Darmstadt 1968), 41. 28 Vgl. Miedema 1996, 1f. 29 Vgl. John Kenneth Hyde, Medieval Descriptions of Cities, in: Bulletin of the John Rylands Library 49 (1966), 308–340, hier 322.

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landschaft verwandelt.30 Mit Pierre Nora möchte ich die römischen Monumente dabei als „lieux de mémoire“31 verstehen, die durch den Prozess der Narrativierung nicht nur im kulturellen und sozialen Gedächtnis Roms verankert, sondern überhaupt erst als Bedeutungsträger konstruiert werden. Das Vorgehen des anonymen Autors der ‚Mirabilia‘ exemplifiziert diesen Prozess: Um Licht in den dunklen historischen Hintergrund der Monumente zu bringen, die er beschreibt, bedient er sich einer Art „speculative archaeology“,32 um die Lücken im Wissen seiner Zeit um Geschichte, Herkunft und Funktion dieser Monumente zu füllen. Die Ergebnisse dieses Vorgehens sind natürlich weit davon entfernt, zutreffend zu sein, aber lassen doch ein großes Interesse und eine tiefe Wertschätzung der antiken Stätten erkennen, welche die mittelalterliche Stadt Rom durchzogen und deren Entstehung, Zweck und Kontext zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannt waren. Dieses ausgeprägte und produktive Interesse sowie die Priorität, die dem antiken Erbe Roms vor dem christlichen zugestanden wird, stehen im auffallenden Gegensatz zu anderen textuellen Niederschlägen der Beschäftigung mit Rom, die nur wenige Jahrzehnte vorher entstanden sind. So feiert etwa der französische Diakon und spätere Bischof von Le Mans und Tours, Hildebert von Lavardin, der 1133 verstorben ist, den Triumph des christlichen Roms über das heidnische: „Über dem Adler die Banner des Kreuzes, über Caesar Petrus.“33 Die ‚Laudes Veronensis civitatis‘ aus dem 8. Jahrhundert polemisieren zudem offen gegen die heidnische Vergangenheit, die unter der christlichen Gegenwart noch sichtbar war: „Seht, wie gut es begründet ist von schlechten Menschen, die nichts vom Gesetz unseres Gottes wussten, und alte Heiligtümer aus Holz und Stein verehrten.“34 Der Zugriff des Autors der ‚Mirabilia‘ auf die antiken Stätten Roms hingegen zielt nach eigenem Dafürhalten darauf ab, das flüchtige Wissen über die Antike für die Nachwelt festzuhalten. „Von welcher Schönheit an Gold und Silber, Erz, Elfenbein und wertvollen Steinen sie waren, haben wir uns bemüht, so gut wir konnten, zum Gedächtnis der künftigen Generationen schriftlich festzuhalten.“35 30 31 32 33

Vgl. Petersohn 2010, 47f. Vgl. Pierre Nora, Rethinking France. Les lieux de mémoire, Chicago, IL/London, 2001–2006. Hyde 1966, 322. Vgl. Hildebert von Lavardin, Carmina minora, ed. Brian Scott (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana 32), Leipzig 1969, Nr. 38, V. 11: plus aquila vexilla crucis, plus Cesare Petrus. Deutsche Übersetzung vom Autor. 34 Vgl. Laudes Veronensis civitatis, ed. Ernst Dümmler (Monumenta Germaniae Historica. Poetae Latini Aevi Carolini 1), Berlin 1881, 120, Str. 8: Ecce, quam bene est fundata a malis hominibus, | qui nesciebant legem Dei nostri, atque vetera | simulacra venerabant lignea, lapidea. Deutsche Übersetzung des Autors. 35 Vgl. Mirabilia urbis Romae, ed. Roberto Valentini/Giuseppe Zucchetti (Codice topografico della città di Roma 3, saec. XII–XIV, Roma: Tipografia del Senato 90), Roma 1946, 65: Quantae etiam essent pulchritudinis auri et argenti, aeris et eboris pretiosorumque lapidum,

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Die Frage, ob vor allem der dritte und letzte Teil der ‚Mirabilia‘ tatsächlich als Stadtführer hätte genutzt werden können, also eine physisch nachvollziehbare Topographie schilderte, die sich auf den materiellen Bestand in situ während des 12. Jahrhunderts bezog, hat die moderne ‚Mirabilia‘-Forschung von Beginn an beschäftigt. Louis Duchesne, der sich als erster ausführlicher mit dem Text beschäftigte, charakterisierte ihn als „le plus ancien essai de topographie érudite“,36 beklagte aber gleichzeitig auch, dass seine Schilderungen oft von „arbitraire absolu“37 gezeichnet seien. John Hyde fügte dem eine Warnung über das Vorgehen des Autors hinzu, das „the same relation to scientific archaeology“ habe, „as magic does to experimental science.“38 Nine Miedema zeigte eine spannende neue Perspektive auf, indem sie argumentierte, dass die mit fiktionalen Stätten angereicherte Darstellung Roms in den ‚Mirabilia‘ vor allem geschehe, um die Vorgaben und Erwartungen eines rhetorisch-literarischen Programms zu erfüllen, und nicht, um eine mimetische Darstellung topographischer Realitäten zu erzielen.39 Zuletzt legte Dale Kinney dar, dass der Weg, den der Autor der ‚Mirabilia‘ durch Rom nachzeichne, durchaus topographisch nachvollziehbar gewesen sei und mit älteren Reiseführern in Einklang gebracht werden könne,40 wenn man „false inference […], loose terminology […], [and] inability to decipher his sources“41 in solche Überlegungen miteinbeziehe. Darauf aufbauend schlägt Kinney vor, Miedemas These, die ‚Mirabilia‘ als rhetorische Konstruktion zu sehen, dahingehend zu modifizieren, dass man, im Lichte seiner Ergebnisse, den Anspruch des Autors der ‚Mirabilia‘ auf Faktualität durchaus ernst nehmen müsse. Weiterhin, stellt er fest, müsse man anerkennen, dass es unmöglich sei zu unterscheiden, aus welchen der zwei möglichen Gründe es stellenweise tatsächlich nicht mehr möglich sei, die Darstellung der ‚Mirabilia‘ mit der physischen Topographie des mittelalterlichen Roms in Einklang zu bringen: Entweder weil die Darstellungen des Textes durch terminologische und traditionale Korruption

36 37 38 39 40

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scriptis ad posterum memoriam, quanto melius potuimus, reducere curavimus. Deutsche Übersetzung nach Petersohn 2010, 47. Louis Duchesne/Paul Fabre, Le Liber Censuum de l’Église romaine, Paris 1910, 98. Duchesne/Fabre 1910, 99. Hyde 1966, 322. Vgl. Miedema 1996, 449f. Der erste Text, den Kinney zum Vergleich hinzuzieht, ist die ‚Ordo‘, ein päpstliches Protokoll, verfasst von Benedikt von St. Peter für Papst Innozenz III. zwischen 1140 und 1143. Es ist in derselben Handschrift des ‚Liber Censuum‘ überliefert wie die ‚Mirabilia‘, die Duchesne für seine erste Untersuchung vorliegen hatte: Vat. Lat. 8486. Der zweite Text, den Kinney nutzt, ist der sogenannte Einsiedler Itinerar, vermutlich im späten achten Jh. abgefasst und unikal überliefert im Codex Einsiedelensis 326. Vgl. Kinney 2007, 236, 239. Kinney 2007, 252.

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verfremdet oder weil sie tatsächlich in erster Linie rhetorischen und literarischen Normen verpflichtet seien.42 Seien sie nun rhetorisch konstruiert oder terminologisch verfremdet, so zeigen die ‚Mirabilia‘ doch auf der Ebene textueller Makrostruktur zwei verschiedene Zugriffe auf die Organisation und Repräsentation urbanen Raums im Text: Die erste ist die systematisch-kategoriale Aufzählung, die schlussendlich einen Katalog urbaner Stätten und Strukturen produziert. Die zweite hat die Form eines topographischen Itinerars, welches die Stätten grob in ihrem räumlichen Verhältnis zueinander organisiert und relational zu einer anzunehmenden, physischen Bewegung eines Besuchers der Stadt präsentiert. Die erste Vorgehensweise bietet Rom als einen analysierten Raum an, der zugleich über „an air of empirical specificity“43 verfügt, wenn der Text diese Darstellung mit einer Aufzählung der exakten Nummer von Türmen, Zinnen und Toren der Stadtbefestigung Roms einleitet.44 Zur Charakterisierung dieses narrativ undefinierten und nicht semantisierten Stadtraums bietet sich Rehbergs Konzept des Latenzfeldes an. Die zweite Vorgehensweise, im dritten Teil der ‚Mirabilia‘, unterwirft die textuelle Präsentation von Stadtraum einer fiktionalen Abfolge von determinierten und finiten Aktionen: Laufen und Sehen, in denen sich Handlung und Erfahrung verbinden. Diese Präsentationsweise synchronisiert also textuelle Bewegung durch den städtischen Raum mit der physischen Erfahrung und sensuellen Enthüllung seiner Struktur. Dadurch wird der Raum als Latenzfeld im Sinne Rehbergs in ein Netz von Orten transformiert. Im Mittelteil der ‚Mirabilia‘ stellen legendarische Erzählungen das Scharnier zwischen diesen beiden Präsentationsweisen des Raumes dar. Diese laden einige der paradigmatischen Elemente des urbanen Latenzraumes aus dem ersten Teil mit mythologischen Narrativen auf, wodurch ein Prozess der erzählerischen Relationalisierung, Vernetzung und Lokalisierung in Gang gesetzt wird. Indem die Geschichten des Mittelteiles mittelalterliche Wahrnehmung mit antiken Stofftraditionen verbinden, wirken sich diese Prozesse nicht nur räumlich, sondern auch temporal aus. Zu einem gewissen Grad geschieht dies sicherlich auch, weil Narration notwendigerweise temporal ist, doch insgesamt wird deutlich, wie erzählter Vergangenheitsraum und durchwanderter Gegenwartsraum zu den Koordinatenachsen werden, welche die antiken Denkmäler Roms semantisch in den ‚Mirabilia‘ lokalisieren.

42 Es handelt sich im Grunde um eine Fortführung der ewigen Diskussion, in der Philologen überall rhetorische Konstruktionen entdecken, während Historiker weiterhin darauf hoffen, die Wahrheiten hinter den Texten rekonstruieren zu können. 43 Kinney 2007, 235. 44 Mirabilia 3:17.

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Christoph Pretzer

Das Kolosseum und das Asîlus in der mittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘

Das produktive Fortleben des Vergilschen Roms als Netzwerk von Orten im latenten Raum, soeben anhand der ‚Mirabilia‘ auf makrostruktureller Ebene dargestellt, soll nun am Beispiel der bereits erwähnten volkssprachlichen ‚Kaiserchronik‘ auf mikrostruktureller Ebene nachvollzogen werden. So spielen die Stadt Rom und etliche ihrer Monumente in der mittelhochdeutschen ‚Kaiserchronik‘ eine zentrale Rolle.45 Die ‚Kaiserchronik‘, geschrieben von einem anonymen Geistlichen im bairisch-österreichischen Sprachgebiet in der Mitte des 12. Jahrhunderts, erzählt die Geschichte des römischen und später deutschen Kaiserreiches über 53 Episoden, die jeweils die Regierungszeit eines Kaisers umspannen, beginnend mit Julius Caesar bis hin zu Konrad III., bei dem sie, im Jahr 1147, während der Vorbereitungen zum Zweiten Kreuzzug, plötzlich abbricht. Rom dient vor allem den antiken Kaisergestalten der Chronik – viele von ihnen fiktiv oder aus diversen historischen Figuren synthetisiert – als Machtbasis und Ausgangspunkt oder Zielpunkt für ihre Unternehmungen. Auch wenn der Text kein kohärentes Bild der Stadt Rom entwickelt, so werden dabei doch immer wieder prominente Monumente oder Gebäude genannt und in die Erzählungen einbezogen. So geschieht es etwa mit dem Kolosseum in der Episode, die sich auf die Herrschaft von Kaiser Titus konzentriert. Es ist typisch für den Umgang der ‚Kaiserchronik‘ mit der monumentalen Materialität Roms, dass selbst ein so prominentes und in der mittelalterlichen sowie modernen Vorstellung so untrennbar mit Rom verbundenes Gebäude wie das Kolosseum46 erst eingeführt wird, als es unmittelbar als Schauplatz für die Narration benötigt wird: Als eine Gruppe von Verschwörern plant, Kaiser Titus zu ermorden, stellt dieser ihnen in einem spilhûs (KC 5485) eine Falle. Nur die Situierung in Rom legt eine Übersetzung von spilhûs mit Amphitheater oder, konkreter, Kolosseum nahe. Der Begriff könnte von Rom losgelöst auch generell jeden anderen Ort öffentlich zugänglicher Performanz von Sängern oder Spielleuten bezeichnen.47 Aber die ‚Kaiserchronik‘ nennt sogar einen Eigennamen für jenes spilhûs: Es werde asîlus (KC 5486) genannt. Dies überrascht: Zwar sind 45 ‚Kaiserchronik‘, in: Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters, 6 Bde., Bd. 1, Deutsche ‚Kaiserchronik‘, Trierer Silvester, Annolied, ed. Edward Schröder (Monumenta Germaniae Historica. Scriptorum quae vernacula lingua usi sunt 1), Berlin 1895 (ND Berlin 1964), Textreferenz im Folgenden abgekürzt als KC. 46 Vgl. Howard Vernon Canter, The Venerable Bede and the Colosseum, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 61(1930), 163. 47 Vgl. Matthias Lexer, „spilhûs“, in: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch II (1872), 1093. Noch weiter gefasst kann es auch Gemeinde- oder Gerichtshaus bedeuten. Allen Bedeutungen gemein ist aber eine öffentliche und performative Dimension.

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lateinisch antikisierende Eigennamen in der ‚Kaiserchronik‘ nicht unüblich, aber der asîlus etymologisch zugrunde liegende Name aesylus wird doch normalerweise mit einer relativ obskuren Lokalität auf dem Capitol in Verbindung gebracht und nicht auf das Kolosseum bezogen. Dieser Abschnitt des Textes wird von der Textkritik als eine recht eigenständige Komposition des unbekannten Autors angesehen, da keine direkte und mittelbare Quelle dafür identifiziert werden konnte.48 Dies macht die überraschende Benutzung des Eigennamens asîlus nur umso bemerkenswerter. Auf eine Lokalität namens aesylus weist schon Evander in der oben zitierten Passage aus Vergils ‚Aeneis‘ hin. Dort wird sie als „überaus große[r] Hain, den der tapfere Romulus zur Freistätte machte“49, charakterisiert. Sowohl Livius als auch Ovid bringen diesen Hain mit dem Capitolinischen Hügel in Verbindung, gelegen zwischen den beiden Kuppen des Hügels, auf denen jeweils das Capitol und die Zitadelle liegen. „Damit die Größe der Stadt nicht bloßer Schein blieb, griff Romulus sodann, um weitere Einwohner zu gewinnen, auf eine alte Methode der Städtegründer zurück, die eine Menge dunkler Gestalten und Leute von niedriger Herkunft an sich zogen und dann die Lüge ausstreuten, ihnen sei ein Volk aus der Erde entsprossen, und öffnete die Stelle, die jetzt, wenn man hinaufsteigt, zwischen den beiden Hainen eingehegt ist, als Freistatt (asylum). Hier suchten alle möglichen Leute aus den Nachbarvölkern, die ein neues Leben beginnen wollten, Zuflucht, wobei es nichts ausmachte, ob einer ein Freier oder ein Sklave war; und das war der erste Ansatz zu der beginnenden Größe.“50

Plutarch wird in seiner Lebensbeschreibung des Romulus noch konkreter:51 „Sobald dann die erste Stadtsiedlung geschaffen war, errichteten sie eine Zufluchtsstätte für Flüchtlinge, dem Asyl-Gott geweiht, und nahmen alle auf, lieferten weder den Herren einen Sklaven noch den Gläubigern einen Schuldner noch den Behörden einen Totschläger aus, sondern erklärten, daß sie gemäß einer Weisung des pythischen Orakels das Asylrecht heilig hielten.“52

Die somit in der ‚Kaiserchronik‘ stattfindende Vermengung einer historischen Stätte, die normalerweise auf dem Capitol verortet wird, mit dem Kolosseum ist angesichts der verworrenen Aneignung des römischen Stadtraumes, den sowohl die ‚Kaiserchronik‘ wie auch viele lateinische Texte an den Tag legen, an und für 48 Vgl. Ohly 1940, 109. 49 Vgl. Aeneis Lib. VIII, 341–342: Hinc lucum ingentum, quem Romulus acer Asylum | Rettulit […]. 50 Titus Livius, Historia Lib. 1 Cap. 8, 4–6, http://www.thelatinlibrary.com/livy/liv.1.shtml (29. 07. 2018). Übersetzung nach Hans Jürgen Hillen: Titus Livius, Römische Geschichte. Buch I–III. Lateinisch und deutsch, ed. Hans Jürgen Hillen, München/Zürich 1987, 29. 51 Plutarch, Βίοι Παράλληλοι, 4 Bde., Bd. 1, ed. Konrat Ziegler, München/Leipzig 2000, Ῥωμύλος 9, 45. 52 Plutarch, Grosse Griechen und Römer, 6 Bde., Bd. 1, übers. v. Konrat Ziegler (Bibliothek der Alten Welt), Zürich/München 1979, Romulus 9, 86.

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sich wenig überraschend.53 Doch dieser Fall sticht heraus, da das semantische Feld von Asyl hier in Zusammenhang mit einem Ort aufgerufen wird, an dem Kaiser Titus bald einer Gruppe von Verschwörern, die ihm nach dem Leben trachten, eine Falle stellen wird, was schlussendlich zur Exekution der beteiligten Verschwörer führen wird. Kluges Etymologisches Wörterbuch stellt fest, dass Asyl im modernen deutschsprachigen Verständnis erst ab dem späten 18. Jahrhundert belegt ist. Zuvor sei es vor allem in seiner lateinischen Form als eine Art Exotismus benutzt worden.54 Ist also die Namensreferenz der ‚Kaiserchronik‘ an dieser Stelle schlicht die zufällige Assoziation eines klassischen Toponyms mit einer ikonischen Stadtstruktur durch den Autor, mit dem Ziel, eine Vertrautheit mit römischer Topographie zu demonstrieren, gleichwie fingiert diese auch sein mag? Oder handelt es sich um eine semantisch informierte, gezielte Einfügung, welche beim Publikum des Textes eine Erwartungshaltung hätte aufbauen können, die dann durch die Vorführung der Handlung ad absurdum geführt worden wäre? Die Raumchoreographie des ganzen Abschnitts, der sich mit Titus’ Zugriff am spilhûs beschäftigt, ist überaus vielsagend. Zunächst lässt Titus in der ganzen Stadt verkünden, dass er sich zu einer bestimmten Zeit in dem spilhûs aufhalten werde (KC 5495–5498). Das Gerücht zielt darauf ab, seine Gegenspieler aus ihren Verstecken zu locken und dazu zu verleiten, ihn dort anzugreifen. Titus selbst betritt das spilhûs, im Sinne seines Planes, nur kurz, um es gleich darauf wieder zu verlassen (KC 5499f.). Er bewaffnet sein Gefolge und bereitet es darauf vor, bei Bedarf zuzuschlagen, ohne ihm aber Genaueres über ihre Mission mitzuteilen. Diese muss geheim gehalten werden, so dass das gezielt gestreute Gerücht seinen Effekt erzielen kann. Duo sagete man uber alle die burc mære daz der kunic in dem spilhûs wære. di vîande wâren des vil frô, vil sciere samenten si sih dô diu mezzer wâren gereht und gar, mit frouden huoben si sih dar. duo suochten die gesinden des si niene mahten vinden, si resuochten daz spilhûs allenthalben der kunic kom mit sînen mannen mit listen er in nâch slaich, unz er si alle samt begraif er hiez umbehaben daz spilhûs, man nelie nieman dar în noh dar ûz. (KC 5507–5520) 53 Vgl. Kinney 2007, 252. 54 Vgl. Elmar Seebold, „Asyl“, in: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (25., durchgesehene und erweiterte Aufl. 2011), 67.

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„Da verbreitete sich in der ganzen Stadt das Gerücht, dass der König in dem Theater wäre. Die Feinde waren darüber sehr froh. Sehr rasch sammelten sie sich daraufhin, die Messer waren fertig und bereit, erfreut machten sie sich auf den Weg dorthin. Dort suchten die Gefährten den sie nicht finden konnten. Sie durchsuchten das Theater von oben bis unten. Der König kam mit seinen Männern. Geschickt schlich er ihnen nach. Bis er sie alle miteinander ergriff. Er befahl das Theater zu umstellen, man ließ niemanden hinein oder hinaus.“55

Zu Beginn der Passage ‚ist‘ das spilhûs einfach nur (vgl. KC 5485f.). Es wird keine Beschreibung seines Äußeren und keine Verortung in der Stadt angeboten, auch betreffs seiner Funktion werden keine weiteren Informationen bereitgestellt. Es sind allein die Handlungen der in der Passage auftretenden Figuren, die es räumlich und physisch vermess- und greifbar machen: Es kann betreten und verlassen werden, ainhalp […] / anderhalp (KC 5499f.), was allein dadurch deutlich wird, dass Titus zum spilhûs geht und es wieder verlässt. Das Amphitheater kann allenthalben (KC 5515) durchsucht und umzingelt werden, sodass alle Ein- und Ausgänge kontrolliert werden können (vgl. KC 5519f.). Die physische Räumlichkeit des spilhûs wird also allein durch Handlungen vermessen. Der Text präsentiert keine expliziten Informationen über das Gebäude, alles muss aus den Interaktionen der Protagonisten mit dem Ort abgeleitet werden. Dies erlaubt keinen Raum für erzählerische Latenz, das Kolosseum wird nicht als ein narrativer Raum entwickelt, sondern als ein Netzwerk von Punkten, in denen sich Handlungen kondensieren. Es wird für das Publikum nur dort sichtbar, wo erzählte Handlung und die räumliche Erfahrung der Protagonisten an der imaginierten Raumsubstanz des Gebäudes abgebildet werden. Demnach ist es im Sinne Rehbergs reine Örtlichkeit und verfügt über keine eigene Räumlichkeit. Dies lässt auch den Eigen- oder Gattungsnamen asîlus, das einzige explizite Informationsangebot, das der Text zum Amphitheater bietet, in neuem Licht erscheinen. Es kreiert vor diesem Hintergrund insofern ein Latenzfeld, als dass man die Handlungen, welche das Kolosseum hervortreten lassen, auch auf dieses Angebot beziehen kann. Hierdurch tritt die Einspielung der Bezeichnung asîlus als Grundlage zur Erschaffung einer Erwartungshaltung seitens des Publikums hervor, die dann durch die Kollision mit den determinierten und finalen Handlungen der Protagonisten des Textes zum Einsturz gebracht wird: Das 55 Die Übersetzung ist meine eigene.

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Kolosseum wird nicht zur Freistätte für Titus’ Gegenspieler, wie es das latente Informationsangebot als potentiell angelegt hat, sondern durch Titus’ Aktionen zum Ort einer tödlichen Falle konkretisiert. Es wurde gezeigt wie in drei Texten die Zeitlichkeit und Räumlichkeit der historischen Stätten Roms verhandelt und erfahrbar gemacht wurde. Am Beispiel von Vergils ‚Aeneis‘ wurde dabei deutlich, wie gelenkte Interaktion eines Protagonisten mit dem Latenzfeld des städtischen Raumes Örtlichkeiten konkretisiert, die dann durch die Verbindung mit mythologischen Narrativen in eine zeitliche Bedeutungsdimension erweitert werden können. Diese grundlegende Vorgehensweise konnte makrostrukturell an den ‚Mirabilia‘ und mikrostrukturell an der ‚Kaiserchronik‘, beides Texte aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, nachvollzogen werden. Die ausgewählten Texte bilden Rom dabei nicht als einen stabilen, objektiven und messbaren Referenzrahmen heraus, sondern als das Produkt eines anhaltenden, relationalen Prozesses, bei dem sowohl die Wahrnehmung der Protagonisten und Benutzer des Raumes, als auch die Inszenierung von Raum und Ort von zentraler Bedeutung sind. Durch die Analyse der kondensierten Handlungsabläufe, die von den Erzählern in die Räume und auf die aus den Räumen hervortretenden Orte projiziert werden, tritt Rom als ein zeitübergreifend dynamisiertes, sowohl physisch und materiell als auch sozial und politisch dynamisch konstruiertes Netzwerk von Orten im Raum hervor. Die einzelnen Orte entwickeln dabei über ihre topographische Semantik hinaus auch eine historische Dimension, wodurch das Netzwerk der Stätten Roms nicht nur Orte im Raum, sondern auch Geschichten in der Zeit miteinander verwebt. Damit hat sich das Spannungsfeld zwischen analysiertem, katalogisiertem und unspezifischem Raum und relational verdichtetem und perspektivisch konkretisiertem Ort als ein produktives Mittel erwiesen, um aufzuzeigen wie Altertum im Bezug auf physische Monumente textuell konstruiert wird. Rom erweist sich dabei als ein Repertoire von urbanen Topoi, die Autoren und Rezipienten textuell in bemerkenswert konsistenter Weise eröffnet und erschlossen werden konnten und sich zu einer phänomenologisch sehr heterogen aber strukturell sehr ähnlich gegliederten Erinnerungstopographie zusammenfügen. Da somit nun ein überzeitlich produktiver narrativer Modus identifiziert wurde, kann in zukünftigen Untersuchungen anhand einer breiteren Auswahl von Texten herausgearbeitet werden wie die urbanen Stätten Roms, ob vorzeitlich, gegenwärtig oder nachzeitlich, als Projektionspunkte einer historischen Erinnerungskultur fungieren, etwa im Sinne von Maurice Halbwachs Konzept des ‚Kollektiven Gedächtnisses‘ oder Jan Assmanns ‚Kollektiver Erinnerung‘.56

56 Dass dies anhand mittelalterlicher Texte sinnvoll machbar ist, hat Michael Stolz beispielhaft vorgeführt. Vgl. Michael Stolz, Kollektive Erinnerung. Topographie und Topik in Walthers

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Alastair Matthews

Formative Rhyming Chronicles in Medieval German and East Norse. A Comparison of the ‘Kaiserchronik’ with the Swedish ‘Erikskrönika’ and the Danish ‘Rimkrønike’*

Abstract This article presents a comparison of the ‘Kaiserchronik’ with two medieval Scandinavian rhyming chronicles: the Swedish ‘Erikskrönika’ and the Danish ‘Rimkrønike’. After introducing the three chronicles, it argues that they have in common a ‘formative’ status: each represents a step-change in historiographical writing that was related to wider developments in the literary history of its language, and each supports power and rulership by generating a particular royal or imperial identity. The article then describes some of the ways in which the chronicles achieve this with respect to space – how a particular geographical focus is created – and time – how the succession of rulers is presented. Attention is drawn to shared features (such as the imagination of a ‘German’ and ‘northern’ space from outside in the ‘Kaiserchronik’ and the ‘Erikskrönika’ respectively), as well as distinctive ones (such as the monologues of the ‘Rimkrønike’, where rulers performatively create the past by narrating their own histories). The article concludes by underlining the importance of its comparative approach as a counterweight to discussions that focus on primacy and derivation, and the need to consider the literary complexity of rhyming chronicles alongside their political function. It also, finally, identifies the Baltic as a promising area of study for further research on medieval chronicle-writing across languages.

1.

Introduction

That the ‘Kaiserchronik’ (“Chronicle of the Emperors”) is embedded in historiographical practices and traditions that extend beyond the German language alone, has long been recognized. We might think here – to mention just two examples from early and more recent scholarship respectively – of the similarities with works by Godfrey of Viterbo that were observed by scholars such as

* Translations in this article are my own unless otherwise indicated. I would like to thank all whose generosity and support made researching and writing it without academic employment possible.

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Georg Waitz and Ernst F. Ohly,1 and of Mathias Herweg’s contextualization of narrative practice in the ‘Kaiserchronik’ with reference to Otto of Freising and Geoffrey of Monmouth.2 It should, therefore, come as no surprise that research on this twelfth-century German chronicle has a great deal to offer to – and gain from – current scholarly trends that seek to understand medieval literature from a European, if not wider, perspective.3 I aim here to contribute to this undertaking by outlining a comparison of the ‘Kaiserchronik’ with two chronicles from the medieval North: the Swedish ‘Erikskrönika’ (“Chronicle of Erik”) and the Danish ‘Rimkrønike’ (“Rhyming Chronicle”). The comparison has a twofold motivation. First, these chronicles all exemplify the narration of power and rulership with which the present volume is concerned. In each of them, this function goes hand-in-hand with the rhyming-chronicle form and a decisive position in the literary history of its respective language. Comparing the ‘Kaiserchronik’ with the two Scandinavian chronicles will thus show how the former partakes in literary-historical currents that extend beyond Germany and the twelfth century, and conversely shed light on how the Scandinavian texts relate to one of the main forms of European historical writing in the Middle Ages. Second, the choice of material from northern Europe stems from my interest in furthering dialogue between Medieval German and Scandinavian Studies, and in developing a framework with which to examine medieval literary relations involving Germany, Scandinavia, and the Baltic. This would be a long-term project on a scale beyond what can be achieved here; what follows is thus intended as a preliminary study that will, I hope, provide a foundation for further research. I hope, too, that the discussion may – not least by virtue of its juxtaposition with the other contributions to this volume – serve as a reminder that scholarship on regions such as northern Europe can and should coexist with,

1 See Waitz’s remarks in Gotifredi Viterbiensis opera, ed. Georg Waitz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 22), Hannover 1872, 1–338, here 4, 72 nn. 24–25 (cited in Maria E. Dorninger, Modern Readers of Godfrey, in: Thomas Foerster [ed.], Godfrey of Viterbo and his Readers. Imperial Tradition and Universal History in Late Medieval Europe [Church, Faith and Culture in the Medieval West], Farnham 2015, 13–35, here 27, 27 n. 76); Ernst F. Ohly, Sage und Legende in der Kaiserchronik. Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung (Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 10), Münster i. Westfalen 1940 (reprint Darmstadt 1968), 15. 2 Mathias Herweg, Geschichte erza¨hlen. Die ‘Kaiserchronik’ im Kontext (nebst Fragen an eine historische Narratologie historischen Erza¨ hlens), in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 146 (2017), 413–443. 3 The landmark publication is David Wallace (ed.), Europe. A Literary History, 1348–1418, 2 vols., Oxford 2016. On historical writing specifically, see e. g. Lars B. Mortensen, Comparing and Connecting. The Rise of Fast Historiography in Latin and Vernacular (12th–13th Cent.), in: Medieval Worlds 1 (2015), 25–39, 10.1553/medievalworlds_no1_2015s25 (21. 11. 2018).

Formative Rhyming Chronicles in Medieval German and East Norse

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rather than be displaced by, the engagement with the ‘global’ that is fashionable in Medieval Studies at the time of writing.4

2.

Three rhyming chronicles in German, Swedish, and Danish

At least in English-language scholarship, historiography and the German literary tradition are apt to be overlooked in efforts to position medieval Scandinavian literature in a European context. Neither has a place, for instance, in a recent monograph whose aim was to appraise developments in Scandinavia by “foregrounding the continual movement of cultural ideas and literary forms and material across Europe in the Middle Ages”.5 Yet, as we shall see, the ‘Kaiserchronik’ lends itself ideally to contextualizing the two East Norse chronicles to be considered here.6 The discussion builds on a philological groundwork for understanding the interplay between German and Scandinavian literature in the Middle Ages that has been laid by research on topics such as language, subject matter, formal developments, and social contexts.7 Our three chronicles cannot, however, be linked straightforwardly by the direct pathways of circulation, transmission, and transfer that have shaped the priorities of much of this existing 4 For an accessible introduction to the issues to be addressed when conceiving a global Middle Ages, see Catherine Holmes/Naomi Standen, Defining the Global Middle Ages, in: Medieval Worlds 1 (2015), 106–117, 10.1553/medievalworlds_no1_2015s106 (21. 11. 2018). My vision is not a reactionary or uncritical Eurocentrism but a truly inclusive approach that avoids privileging particular disciplines as more ‘relevant’ than others. I return to this very briefly with reference to the Baltic at the end of the article. 5 Sif Rikhardsdottir, Medieval Translations and Cultural Discourse. The Movement of Texts in England, France and Scandinavia, Cambridge 2012, 168. 6 On the prose material in West Norse, see Sverre Bagge, Skandinavische Chroniken (1100– 1500), in: Gerhard Wolf/Norbert H. Ott (eds.), Handbuch Chroniken des Mittelalters, Berlin/ Boston 2016, 543–575, here 544, 546–550. 7 It is not practical to survey the literature here. Selected publications include P. Sture Ureland (ed.), Sprachkontakt in der Hanse. Aspekte des Sprachausgleichs im Ostsee- und Nordseeraum (Linguistische Arbeiten 191), Tübingen 1987; Susanne Kramarz-Bein, Die Þidreks saga im Kontext der altnorwegischen Literatur (Beiträge zur nordischen Philologie 33), Tübingen/ Basel 2002, esp. 1–9, 347–349, 357–359; Florian Bambeck, Herzog Friedrich von der Normandie. Der altschwedische Ritterroman Hertig Fredrik av Normandie. Text, Übersetzung, Untersuchungen (Imagines Medii Aevi 24), Wiesbaden 2009, 144–158; William Layher, The Big Splash. End-Rhyme and Innovation in Medieval Scandinavian Poetics, in: Scandinavian Studies 80 (2008), 407–436; Ulrich Montag, The Reception of St Birgitta in Germany, in: Bridget Morris/Veronica O’Mara (eds.), The Translations of the Works of St Birgitta of Sweden into the Medieval European Vernaculars (The Medieval Translator 7), Turnhout 2000, 106–116. Stefanie Würth, Eufemia. Deutsche Auftraggeberin schwedischer Literatur am norwegischen Hof, in: Fritz Paul (ed.), Arbeiten zur Skandinavistik. 13. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik in Oslo, Frankfurt a. Main 2000, 269–281.

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research.8 Instead, I intend to compare them as documents of how a particular literary (in a broad sense) form was established in three different vernaculars and how it was deployed in support of particular historical identities in them. The texts, and the central facts about them, are as follows (lengths are supplied for orientation only, on the basis of the editions cited): (i) The ‘Kaiserchronik’.9 Early Middle High German, rhyming-couplet verse, 17283 lines. Probably composed in Regensburg in the mid-twelfth century;10 whether it was the work of one or more authors remains to be ascertained. Its history covers the ‘Roman’ and ‘German’ rulers from Julius Caesar to Conrad III and the eve of the Second Crusade (1146). (ii) The ‘Erikskrönika’.11 Old Swedish, rhyming-couplet verse (so-called knittel), 4543 lines.12 The narrative covers events from the (temporary) deposition of Erik Eriksson as King of Sweden in 1229 to the election of the infant Magnus Eriksson in 1319; the latter’s father, Duke Erik Magnusson (the ‘Erik’ of the title) is singled out for favourable treatment. Opinion differs as to when the chronicle was composed – two points of orientation include the

8 The ‘Kaiserchronik’ did have a significant influence on the German rhyming chronicle genre to which works often cited as models for the Scandinavian texts belong, but these latter dependencies – like certain relationships between the Danish and Swedish chronicle traditions – remain contested (see p. 101 and n. 48 below). It should also be remembered that the ‘Kaiserchronik’ was known indirectly in northern Germany through manuscripts of recension C of the ‘Sächsiche Weltchronik’, into which it was worked (see Jürgen Wolf, Die Sächsische Weltchronik im Spiegel ihrer Handschriften. Überlieferung, Textentwicklung, Rezeption [Münstersche Mittelalter-Schriften 75], München 1997, 153–162). 9 Die Kaiserchronik eines regensburger Geistlichen, ed. Edward Schröder (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken 1.1), Hannover 1892. An English translation has been published as The Book of Emperors. A Translation of the Middle High German Kaiserchronik, trans. by Henry A. Myers (Medieval European Studies 14), Morgantown 2013. However, it should be used with caution (see the review by Alastair Matthews, in: Renaissance Quarterly 66 [2013], 1502–1503) and is not quoted here. 10 For the traditional association with Regensburg, see e. g. Edward Schröder, Einleitung, in: Die Kaiserchronik eines regensburger Geistlichen, ed. Edward Schröder (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken 1.1), Hannover 1892, 1–78, here 45–50. Schröder also reviews early arguments in favour of origins in Trier, a possibility that has recently been raised again by Jürgen Wolf, Von der einen zu den vielen Kaiserchroniken, in: Nine Miedema/Matthias Rein (eds.), Die Kaiserchronik. Interdisziplinäre Studien zu einem buoch gehaizzen crônicâ, St. Ingbert 2017, 9–30, here 15. 11 Erikskrönikan, ed. Rolf Pipping, Uppsala 1921 (reprint with supplement [Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet 68] n. p. 1963). English translation, used in what follows: The Chronicle of Duke Erik. A Verse Epic from Medieval Sweden, trans. by Erik Carlquist/Peter C. Hogg, Lund 2012 (based on Erikskrönikan, ed. Sven-Bertil Jansson, Stockholm 1985, which offers a version of Pipping’s text normalized for readability). 12 On the term knittel, see Gösta Holm, Knittel(vers), in: Phillip Pulsiano (ed.), Medieval Scandinavia. An Encyclopedia, New York/London 1993, 357, and also Layher 2008.

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last event to be mentioned (1320) and the coming of age of Magnus Eriksson (1332) – and by whom.13 (iii) The ‘Rimkrønike’.14 Middle Danish, rhyming verse (a variety of patterns are found), 5096 lines. Its history of the Danish kings extends from Humli, father of the legendary King Dan, to – in the 1495 Copenhagen print by Gotfred af Ghemen (Govert van Ghemen) – the death of Christian I (d. 1481). The version of the prologue preserved in the Low German translation identifies a Broder Nigels to Sore (“Brother Nigel of Sorø”; l. 13) as the author,15 but it has been suggested that the chronicle was the product of several layers of authorship that potentially extended much further back in the fifteenth century.16

3.

Formative texts

The three chronicles, despite the obvious differences in their dating, the scope of their coverage, and their length, constitute a group of what can be called ‘formative’ texts. By describing them in this way, I seek to capture three aspects that they have in common. (i) First, each chronicle represented a new literary development in its language: although they all had antecedents when it came to writing about the past, 13 The ‘Erikskrönika’ narrates the execution of Magnus Birgersson, which actually took place in 1320, before the election of Magnus Eriksson (see Erik Carlquist/Peter C. Hogg, Commentary, in: The Chronicle of Duke Erik. A Verse Epic from Medieval Sweden, trans. by Erik Carlquist/Peter C. Hogg, Lund 2012, 235–257, here 256). For theories on authorship, and the intertwined issues of dating, see e. g. Bengt R. Jonsson, Erikskrönikans diktare – ett försök till identifiering (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1.94), Uppsala 2010, 21–95; Corinne Péneau, Introduction, in: Erikskrönika. Chronique d’Erik, première chronique rimée suédoise (première moitié du XIVe siècle), ed. and trans. by Corinne Pénau (Textes et documents d’histoire médiévale 5), Paris 2005, 1–92, here 29–40; Gisela Vilhelmsdotter, Riddare, bonde och biskop. Studier kring tre fornsvenska dikter jämte två nyeditioner (Stockholm Studies in the History of Literature 42), Stockholm 1999, 23–36. 14 Den danske rimkrønike, 3 vols., ed. Helge Toldberg (Universitets-Jubilæets danske Samfunds skriftserie 402, 382, 388), København 1958–1961. See vol. 1, Ghementrykket 1495, for the Ghemen print, which is cited here unless otherwise noted. 15 Den danske rimkrønike, vol. 2, Nedertysk oversættelse. The Low German translation is also known as the ‘Niederdeutsche Cronick aller konninge tho Dennemarken’ (“Low German Chronicle of All the Kings of Denmark”). 16 See the survey by Pernille Hermann, Politiske og æstetiske aspekter i Rimkrøniken, in: Historisk Tidsskrift 107 (2007), 389–411, here 393–395, and e. g. Helge Toldberg, Forord, in: Den danske rimkrønike, ed. Helge Toldberg, vol. 1 (Universitets-Jubilæets danske Samfunds skriftserie 402), København 1961, vii–xxiii, here ix; Helge Toldberg, Den danske rimkrønike og folkeviserne, in: Danske Studier (1958), 5–45, here 5; Anker Teilgård Laugesen, Til den danske Rimkronikes datering, in: Acta Philologica Scandinavica 23 (1955–1957), 37–56; Johannes Brøndum-Nielsen, Om Rimkrønikens sprogform og tilblivelse, København 1930.

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they also achieved something that their forerunners had not. In German, earlier historical literature such as the ninth-century ‘Ludwigslied’ (“Song of Louis [III]”) can be mentioned, as should at least one other work where the rhyming chronicle is concerned: the eleventh-century ‘Annolied’ (“Song of Anno”), a “hagiographic vita of Anno II of Cologne, inserted in the framework of a universal chronicle”.17 Indeed, Jürgen Wolf has identified a progression from the eleventh-century ‘Ezzolied’ (“Song of Ezzo”), through the ‘Annolied’, to the fragmentarily preserved ‘Mittelfränkische Reimbibel’ (“Central Franconian Rhyming Bible”) from around 1100, which can, he argues, be seen as the first rhyming world chronicle in German.18 Yet the ‘Kaiserchronik’ is set apart from these predecessors by its scale, its transmission, and its scope, which extends beyond the “einzelnen Bibelgeschichten, Legenden und theologischen Abhandlungen” (“individual biblical stories, legends, and theological discussions”)19 of the ‘Reimbibel’ to include extensive coverage of ‘German’ rulers into the time of its composition as well as “die a¨lteste nichtbiblische (wiewohl nicht schon profane) Großerza¨ hlung” (“the earliest non-biblical [albeit not yet profane] long narrative”).20 Predecessors to the ‘Erikskrönika’ included the ‘Guta saga’ (“History of the Gotlanders”) and the so-called ‘Västgötakrönikor’/‘Västgötalängder’ (“West Gautish Chronicles”/“West Gautish Registers”). The former is noteworthy because it contains isolated verse elements and may, it has been suggested, in fact be a “compilation” of “traditions, some containing, or even wholly composed in verse and all dealing with famous factual or literary events in the history of Gotland”.21 The ‘Västgötakrönikor’, meanwhile, are significant because of their 17 Mathias Herweg, Annolied, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 97. For a concise overview of historical writing in German before the ‘Kaiserchronik’, see Stephan Müller, Anfänge deutschsprachiger Chronistik im 11. und 12. Jahrhundert, in: Gerhard Wolf/Norbert H. Ott (eds.), Handbuch Chroniken des Mittelalters, Berlin/Boston 2016, 129–143, here 129–130. 18 Wolf 2017, 13. There is a striking parallel between Wolf ’s thesis on the ‘Reimbibel’ and Middle High German chronicles, and scattered arguments in Scandinavian Studies that the ‘Fornsvenska legendariet’ (“Old Swedish Legendary”) – which antedates the ‘Erikskrönikan’ – is, despite the plentitude of hagiographical material in it, actually a universal chronicle that borrows extensively from Martin of Opava. See, with references, Werner Williams-Krapp, Mittelalterliche deutsche Hagiographie in Skandinavien, in: Lennart Elmevik/Kurt E. Schöndorf (eds.), Niederdeutsch in Skandinavien III. Akten des 3. nordischen Symposions ‘Niederdeutsch in Skandinavien’ in Sigtuna, 17.–20. August 1989 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie 6), Berlin 1992, 176–185, here 179–180. I am planning a more detailed exploration of this issue and the relationship of the ‘Fornsvenska legendariet’ to continental chronicle writing. 19 Wolf 2017, 13. 20 Herweg 2017, 416. 21 See Stephen A. Mitchell, On the Composition and Function of Guta saga, in: Arkiv för nordisk filologi 99 (1984), 151–174, here 157–165, 168–169. Edition: Guta saga, in: Guta lag

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structure, which is organized around the succession of historical figures in positions of power. They consist of three lists, including the Christian kings of Sweden, that appear, on the basis of the point at which they end, to have been composed in the 1240s. The originals have been lost, but the lists are preserved as appended to the ‘Äldre Västgotalag’ (“Older West Gautish Law”) in Stockholm, Kungliga biblioteket, Cod. Holm. B 59 around eighty years later – possibly, as has recently been suggested, by a certain Tyrgils Kristenesson.22 Although described at times as ‘chronicles’, they are essentially enumerations in which the entries are developed to varying degrees of narrativity in prose. Thus, writing on historical material was not unprecedented in a Swedish context either, but the sustained narrative of the ‘Erikskrönika’ in rhyming-couplet verse embodied a new development.23 Similarly, historiographical writing had existed in Danish prior to the ‘Rimkrønike’ – we might mention here the runic enumeration of kings on f. 92 of Copenhagen, Den Arnamagnæanske Samling, AM 28 8vo (the manuscript is from c. 1300),24 the translation-extension of the ‘Annales Ryenses’ (“Annals of Ryd”) to 1314,25 and the distinctly narrative account in the ‘Gesta Danorum pa danskæ’ (“History of the Danes in Danish”, generally believed to date from c. 1300)26 – but none offered a precedent for the innovative form of the ‘Rimkrønike’,27 the Ghemen print of which was also the first (known) printed book in the Danish vernacular. (ii) Second, these rhyming chronicles were all intertwined with wider developments in the literary history of their respective languages. The ‘Kaiserchronik’

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och Guta saga, ed. Hugo Pipping (Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur. Skrifter 33), København 1905–1907, 62–69. On manuscript and scribe, see Per-Axel Wiktorsson, Inledning, in: Äldre Västgötalagen och dess bilagor i Cod. Holm. B 59, 2 vols., ed. Per-Axel Wiktorsson (Skara stiftshistoriska sällskaps skriftserie 60), n. p. 2011, vol. 1, 11–37, here 14–15, 24–29. Vol. 2, 191–209, offers an edition with parallel translation in modern Swedish. The potential status of the ‘Fornsvenska legendariet’ (see n. 18 above) as a universal chronicle should also be taken into account here. Mention should further be made of the attractive possibility of drawing a direct connection between the ‘Erikskrönika’ and the earlier tradition by combining the theory that Kristenesson was the copyist of the ‘Västgotakrönikor’ with the suggestion of Jonsson 2010, 21–95, that he was the author of the ‘Erikskrönika’. Gammeldanske krøniker, 3 vols., ed. Marcus Lorenzen, København 1887–1913, vol. 3, 228– 229. The manuscript dating follows AM 28 8vo, https://handrit.is/en/manuscript/view/da/ AM08-028 (6. 11. 2018). Danmarks middelalderlige annaler, ed. Erik Kroman, København 1980, 176–209 (see also the introduction on 149). Despite the impression its title may give, this work is not merely a translation of Saxo Grammaticus. Edition: Gammeldanske krøniker, vol. 1, 1–60. For the dating, see e. g. Inge Skovgaard-Petersen, Amleds rolle i Saxos Danmarkshistorie, in: Historisk Tidsskrift 104 (2004), 1–29, here 7. For the earliest documents of Danish vernacular historiography, see Ellen Jørgensen, Historieforskning og historieskrivning i Danmark indtil aar 1800, København 1931 (reprint København 1964), 54–56.

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enjoyed a popularity that is reflected by the scale of its transmission and its influence on and use in subsequent chronicles, as well as the knowledge of it that is apparent in a number of Middle High German works outside the domain of historiography.28 The ‘Erikskrönika’, meanwhile, had a crucial influence on vernacular chronicle-writing in Swedish in terms of both content and genre: when the production of chronicles in Swedish resumed with the ‘Karlskrönika’ (“Karl’s Chronicle”) in the fifteenth century – or, better, the lost ‘Engelbrektskrönika’ (“Engelbrekt Chronicle”) assumed to be the source for part of it – the ‘Erikskrönika’ not only supplied the rhyming chronicle form but was also integrated into compilations of successive chronicles brought together to produce continuous accounts of Swedish history.29 Similarly, the model established by the ‘Rimkrønike’ remained productive in Denmark in the sixteenth century.30 The two Scandinavian chronicles are also, like the ‘Kaiserchronik’, bound up with wider literary developments in their respective languages. The ‘Erikskrönika’ draws verbally and thematically on the slightly earlier ‘Eufemiavisor’ (“Eufemia Poems”), a triad of narratives that have been described as the the “första romaner på svenska” (“first romances in Swedish”),31 and the ‘Rimkrønike’ displays clear affinities with ballads that have, because of the transmission history of the ballads themselves, led to heated debates about which has primacy.32 (iii) The three chronicles, finally, are deployed – as befits the widespread instrumentalization of chronicles to create and support particular identities – in

28 Wolf 2017, 16–28; Eberhard Nellmann, ‘Kaiserchronik’, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 4 (2nd edition 1983), 949–964, here 961–962. 29 For an overview of these processes, see Bagge 2016, 570–571; Sven-Bertil Jansson, Chronicles, Rhymed, in: Phillip Pulsiano (ed.), Medieval Scandinavia. An Encyclopedia, New York/London 1993, 83–84; Herman Schück, Chronicles. 2. Sweden, in: Phillip Pulsiano (ed.), Medieval Scandinavia. An Encyclopedia, New York/London 1993, 81–82. For a caution against reducing the legacy of the ‘Erikskrönika’ to one in which subsequent works (in this case the ‘Karlskrönika’) are merely poor imitations, see now Fulvio Ferrari, Karlskrönikan och utvecklingen av det senmedeltida svenska litterära systemet, in: Jonathan Adams (ed.), Østnordisk filologi. Nu og i fremtiden (Selskab for østnordisk filologi 1/Universitets-Jubilæets danske Samfund 587), Odense n. d., 185–195. 30 See e. g. Gustav Albeck/Frederik J. Billeskov Jansen, Dansk litteratur historie, vol. 1, Fra Runerne til Johannes Ewald, n. p. 1971, 173–177. 31 For a recent take on this relationship, see Corinne Péneau, Pouvoir et distinction des Eufemiavisor à l’Erikskrönika, in: Olle Ferm et al. (eds.), The Eufemiavisor and Courtly Culture. Time, Texts and Cultural Transfer (Kungliga Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien Konferenser 88), Stockholm 2015, 189–220. The quotation is from Lars Lönnroth, Der höviska tilltalet. ca. 1300–1530, in: Lars Lönnroth/Sven Delblanc (eds.), Den Svenska Litteraturen, vol. 1, Från runor till romantik. 800–1830, n. p. 1999, 93–123, here 97. 32 See e. g. Toldberg 1958, and the accessible account of the problem of dating the ballad genre in Vibeke A. Petersen, Folkeviser, in: Vibeke A. Petersen et al., Dansk litteraturs historie, vol. 1, 1100–1800, København 2007a, 143–188, here 144–148.

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the service of power and rulership.33 With the programme in its prologue of a buoch (“book”; l. 15) that reports von den bâbesen unt von den chunigen, baidiu guoten unt ubelen, die vor uns wâren unt Rômisces rîches phlâgen, (ll. 19–22) “about the popes and kings, both good and evil, who have preceded us and ruled the Roman Empire,”

the ‘Kaiserchronik’ documents a particular imperial (as distinct from both Greek/Byzantine and anachronistically German) identity.34 The history in the ‘Erikskrönika’ of the Bjälbo/Folkung dynasty negotiates relationships between the aristocracy and monarchy in Sweden,35 on which location the chronicle focuses when its prologue announces: huro herra ok första hawa ther liffuat thz finder man her in bokenne scriffuit huro the hawa liffuat giort ok farit her star thz scriwat huru thz hauer warit. (ll. 21–24) “Here in the book will be found how lords and princes have lived there, what they have done, what journeys they have undertaken – here it is written how it has been.” (trans. p. 32)

The ‘Rimkrønike’, meanwhile, after its opening gesture, Wilde gud meg ther tijll nadhen giffuæ / aff danæ konninghæ wilde iegh skriffuæ (“If God would grant me grace to do so, I would write of the Danish kings”; ll. 1–2), goes on to respond to 33 See e. g. Michele Campopiano, Introduction. New Perspectives on Universal Chronicles in the High Middle Ages, in: Michele Campopiano/Henry Bainton (eds.), Universal Chronicles in the High Middle Ages, Woodbridge 2017, 1–18, here 2–13, highlighting the role of universal chronicles in generating political identity, and, more widely, Uta Goerlitz (ed.), Sovereigns and Saints. Narrative Modes of Constructing Rulership and Sainthood in Latin and German (Rhyme) Chronicles of the High and Late Middle Ages (Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 70. Special section), Amsterdam 2013. 34 See Uta Goerlitz, Literarische Konstruktion (vor-)nationaler Identität seit dem Annolied. Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11.–16. Jahrhundert) (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 45), Berlin 2007, 105–202; Claudia Wittig, Political Didacticism in the Twelfth Century. The Middle-High German Kaiserchronik, in: Michele Campopiano/Henry Bainton (eds.), Universal Chronicles in the High Middle Ages, Woodbridge 2017, 95–119, here 100–119; Eberhard Nellmann, Die Reichsidee in deutschen Dichtungen der Salier- und frühen Stauferzeit. Annolied – Kaiserchronik – Rolandslied – Eraclius (Philologische Studien und Quellen 16), Berlin 1963, 82–163. 35 See Bagge 2016, 568–569, and, on the various interpretations of the political force of the ‘Erikskrönika’ in the literature, Fulvio Ferrari, Literature as a Performative Act. Erikskrönikan and the Making of a Nation, in: Massimiliano Bampi/Fulvio Ferrari (eds.), Lärdomber oc skämptan. Medieval Swedish Literature Reconsidered (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 3.5), Uppsala 2008, 55–80, esp. 57–59.

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political challenges facing the Danish Crown in the course of the fifteenth century, in particular the Kalmar Union and the problem of Sweden.36 In what follows, I explore in more detail two of the ways in which the chronicles define the entities at which their prologues direct attention: first, how space is represented early in each narrative, and second, how the succession of rulers in time is presented as each text continues.

4.

Textual mapping

In establishing a particular geographical focus, our three chronicles enter into a wider tradition that is exemplified by figures such as Adam of Bremen with his account of the North in book 4 of the ‘Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum’ (“History of the Archbishops of Hamburg-Bremen”). It is among the most famous examples of the role played by geography in Latin historical writing in late Antiquity and the Middle Ages, particularly – but only – where the North is concerned. Recent scholarship has drawn attention to how such accounts must be read in terms of a shifting dynamic between imagination, intertextual citation and allusion, and factual depiction,37 but the relationship of vernacular historiographical texts to these practices is yet to be fully explored.38 None of the three rhyming chronicles under consideration here, admittedly, offers a geographical survey of the kind or scale produced by an Adam or Orosius. Each does, however, establish at an early stage a frame of reference that fixes particular locations and certain aspects of knowledge about them. In the ‘Kaiserchronik’, this takes place when the Romans send Julius Caesar to quell an uprising by Dûtisc volch (“‘German’ warriors”; l. 246). The account of his campaign falls into three parts. In the first (ll. 267–378), he subdues the Swabians, Bavarians, Saxons, and Franks; the points traversed on this anticlockwise arc from south-west to west are marked not only by military encounters but also by 36 See Hermann 2007, 396–397. 37 See e. g. Lars B. Mortensen, The Language of Geographical Description in Twelfth-Century Scandinavian Latin, in: Filologia mediolatina 12 (2005), 103–121; Thomas Foerster, Imagining the Baltic. Mental Mapping in the Works of Adam of Bremen and Saxo Grammaticus, Eleventh–Thirteenth Centuries, in: Wojtek Jezierski/Lars Hermanson (eds.), Imagined Communities on the Baltic Rim, from the Eleventh to Fifteenth Centuries (Crossing Boundaries. Turku Medieval and Early Modern Studies), Amsterdam 2016, 37–58. For the background in late Antiquity and the early Middle Ages, see Andy H. Merrils, History and Geography in Late Antiquity (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series), Cambridge 2005. 38 Consider e. g. the opening of the ‘Ältere Livländische Reimchronik’ (“Older Livonian Rhyming Chronicle”, c. 1290): Livländische Reimchronik, ed. Leo Meyer, Paderborn 1876, 127–228. For the dating, see Michael Neecke, Ältere Livländische Reimchronik, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 33–34, here 33.

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information about the alleged etymological and/or genealogical origins of the various tribes and their names (e. g. the Swabians take their name from a mount Swêrô [l. 288], and the Franks are descended from the Trojans). In the second part of Caesar’s campaign (ll. 379–394), his foundations along the Rhine are enumerated; the third (ll. 395–454) describes how he gained control of Trier.39 The whole section, in mapping out the Dûtiscen landen (“‘German’ lands”; l. 263), is a counterpart to the basic knowledge supplied about the religious week of pagan Rome (ll. 43–208), and together with it sets the scene for the subsequent history of Rômisces rîches (“the Roman Empire”; ll. 15, 22). A similar process can be observed early in the Danish ‘Rimkrønike’. It reports ath danskæ komme først af Iapheth (“the Danes were descended from Japeth”; l. 24) via the Goths: Han fødde en søn Magog hed hand hans slæcth kom først tijl tesse land I Skaane oc gødeland sættis the gødingæ aff gog saa kalles the. (ll. 37–40) “He fathered a son, his name was Magog; his line was the first to come to these lands. In Scania and Goth-land they settled, and they are called Goths after Gog.”40

The chronicle then states that the legendary King Dan was skicket tijl konge oc tijl forman / I siæland loland falstær oc møen ey forgeth / hwilke land som kalles widesleth (“installed as king and as chieftain in Zealand, Lolland, Falster, and Møn not forgotten, which lands are called Videslet”; ll. 56–58); and that, following an invasion of Jutland, Dan for […] the tydskæ i mod och sloo them allæ ther ned for fod Saa hylde the hannum for en forman och neffndæ theris land saa allæ aff dan Som ære iutland bode frysland oc fyn siæland skone halland oc møen Laaland langland oc falster meth och manghe smaaland som liggæ ther weth. (ll. 67–74)

39 On these aspects of the Caesar section in the ‘Kaiserchronik’, see Almut Suerbaum, The Middle Ages, in: Miriam Griffin (ed.), A Companion to Julius Caesar (Blackwell Companions to the Ancient World), n. p. 2009, 317–334, here 323–325; Elke Brüggen, Römische Herrscher – ‘Deutsche’ Gegner. Zur Konstruktion von Geschichte in der Kaiserchronik, in: Sarah Bowden et al. (eds.), Geschichte erzählen. Strategien der Narrativierung von Vergangenheit in Mittelalter und Früher Neuzeit (Tagungsbände des Anglo-German Colloquiums), Tübingen 2020 (in print). 40 It is not clear whether the gødeland in the ‘Rimkrønike’ is to be equated with either Götaland or Gotland.

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“set forth […] against the Germans and cast them all down there at his feet. Thus they paid homage to him as a chieftain and named all their lands after Dan; they are Jutland, both Frisia and Funen, Zealand, Scania, Halland and Møn, Lolland, Langeland, and Falster too, and many Small Lands that lie nearby.”

This mapping out of the Danish realm contains topical elements, such as the biblical genealogy and the attempts at etymological explanation. It also appears to build on a passage that is found, in slightly different forms, in the ‘Annales Ryenses’ (“Annals of Ryd”) and the ‘Compendium Saxonis’, both of which are known sources for the ‘Rimkrønike’.41 There is, however, a striking change in how the information is presented. The Latin texts introduce the relevant passage with reference to sources and book learning: Ut testantur veteres hystoriographi (“As the old historians declare”) and vt dicit Papias (“as Papias says”; ‘Compendium Saxonis’, 219.21, 220.1).42 The vernacular text, by contrast, replaces these learned authorities with the voice of Humbli, the father of Dan: IEg Hwmble wil ey haffuȝ forgeth / ath danskæ komme først aff Iapheth (“I, Humbli, will not that it is forgotten that the Danes were descended from Japeth”; ll. 23–24) and Tha wor my søn som kalledis Dan / skicket tijl konge oc tijl forman (“Then my son called Dan was installed as king and as chieftain”; ll. 55–56). Placing the geographical surveys quoted above into Humbli’s mouth has an effect comparable to that of Caesar’s journey in the ‘Kaiserchronik’: both texts survey the space of their narratives not in an independent description preposed or appended to the history,43 but instead integrate it into their respective narrative frameworks.44 The ‘Erikskrönika’, on the other hand, creates a focus on Sweden with a brief passage in its prologue that evokes the position of Sweden in God’s created world:

41 Compendium Saxonis, in: Scriptores minores historiæ Danicæ medii ævi, ed. Martin C. Gertz, 2 vols., vol. 1, København 1917–1918, 216–439, here 219–220; Annales Ryenses, in: Danmarks middelalderlige annaler, ed. Erik Kroman, København 1980, 149–253, here 150– 151. For the sources of the ‘Rimkrønike’, see Vibeke A. Petersen, Underholdning og oplysning – folkebøger og danmarkshistorie på dansk, in: Vibeke A. Petersen et al., Dansk litteraturs historie, vol. 1, 1100–1800, København 2007b, 132–142, here 141; BrøndumNielsen 1930, 19, 22. Comparison can also be made with a similar account in the ‘Gesta Danorum pa danksæ’, which narrates events without either referring to written authorities or introducing an authorative voice in the guise of Humbli. 42 The parallel quotations in the ‘Annales Ryenses’, 150, are identical. 43 Contrast the works of e. g. Orosius, Adam of Bremen, or Saxo Grammaticus. 44 A further example of the historiographical configuration of space in the ‘Rimkrønike’ can be found in King Sweyn Forkbeard’s account of how he drew the border between Denmark and Sweden (ll. 3151–3213). Accounts of these events appeared first in Swedish, in two originally separate texts that appear in Stockholm, Cod. Holm. B 59 (Äldre Västgötalagen och dess bilagor i Cod. Holm. B 59, vol. 2, 161–162, 174–179); the rendition in the ‘Rimkrønike’ appears to be based on an intermediary Danish adaptation rather than drawn from them directly (see Hanne Regnar, En hidtil overset kilde til den danke rimkrønike, in: Danske Studier [1981], 81–96). I would like to thank Simon S. Boeck for drawing my attention to this.

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Verldena hauer han skipat swa widha skogh ok marka bergh ok lidha lööff ok gräss vatn ok sand mykin frögd ok margh land Ok eth ther med som swerighe heter. (ll. 11–15) “He has created the world so large: woodlands and fields, mountains and hillsides, leaves and grass, water and sand, much joy and many lands, and also one named Sweden.” (trans. p. 31, modified slightly)

Even this seemingly general description, though, is part of a specific strategy for generating identity, for it continues: hwar som nor i werlden lether / Tha faar han fynna huar thz er (“He who searches northwards in the world will find where it [Sweden] lies”; ll. 16–17, trans. p. 31). In the northwards motion envisaged here, this formative Swedish text thus adopts one of the tropes used to imagine the Scandinavian and Baltic lands from outside them.45

5.

Succession in time

As with their mapping of space, the three vernacular chronicles are related to wider practices in historical writing by their presentation of a sequence of rulers in time. Latin chronicles would often concentrate on rulers and/or provide a chronological reckoning for their reigns.46 The ‘Kaiserchronik’ follows a similar principle, dividing its narrative into sections on each of the Roman rulers with the well-known formulaic expressions that mark the beginning and end of each reign. That of Julian, for example is flanked by Daz buoch chundet uns sus: / daz rîche besaz Jujânus (“The book tells us that Julian controlled the Empire”; ll. 10634–10635) and Juljânus hête daz rîche vur wâr / rehte zwai jâr / und fiunf mânode mêre (“Julian held the Empire – this is the truth – for precisely two years and five months more”; ll. 11134–11136). In the later sections – those about the 45 Compare e. g. Adam of Bremen’s Transeuntibus insulas Danorum alter mundus aperitur in Sueoniam vel Nortmanniam, quae sunt duo latissima regna aquilonis (“In going beyond the islands of the Danes there opens up another world in the direction of Sweden and Norway, which are the two most extensive kingdoms of the north”; IV.21, trans. p. 202). Edition: Adam of Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, 3rd edition, ed. Bernhard Schmeidler (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum), Hannover/Leipzig 1917. Translation from Adam of Bremen, History of the Archbishops of Hamburg-Bremen, trans. by Francis J. Tschan (Records of Western Civilization), New York 2002. See further Nils Blomkvist, The Discovery of the Baltic. The Reception of a Catholic World-System in the European North (AD 1075–1225) (The Northern World 15), Leiden/Boston 2005, 3–21, from which the example from Adam is taken. 46 See Roman Deutinger, Lateinische Weltchronistik des Hochmittelalters, in: Gerhard Wolf/ Norbert H. Ott (eds.), Handbuch Chroniken des Mittelalters, Berlin/Boston 2016, 77–103.

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‘German’ rulers – the opening passages become more varied and it is the closing statement of reign length that becomes the main expression of segmentation.47 The ‘Erikskrönika’ does not employ chronological reckoning of this kind, but it does show a strong tendency to mark the deaths of the rulers it covers with passages that draw, in varying combinations, on typical markers of segmentation in chronicle-writing: the place of death, the place of burial, and a spiritually tinged encomium. For example: birge jerl doo j jälbolung thz lastade bade gamal ok vngh at hans liiff matte ey lenger vinna mykit got badho honom qwinna Han gaff them swa starken räth ok näfste mangin som giorde oreth swa at them matte engen göra ofrid vtan han hätte halsin wiid til eth kloster fördo the han honom fölgde margen erlik man The mwnka the äro graa ok boa a land äria ok saa thz kloster thz heter varneem. (ll. 522–534) “Earl Birger died at Jälbolung. Both old and young grieved that he did not live longer. The women prayed for him very well: he gave them such a strong legal status and punished many wrongdoers, so that no one could molest them without putting his neck at risk. They conveyed him to a monastery, and many honest men accompanied him. The monks are grey and till the land, plough and sow. That monastery is called Varnhem.” (trans. pp. 54–56, modified slightly)

These devices are not however, employed systematically to divide the narrative into sections on different Swedish rulers according to a fixed pattern (consider, on the one hand, the praise devoted to the saint-like King Erik IVof Denmark on his death [ll. 566–589] and, on the other, the disappearance of the fratricidal King Birger Magnusson of Sweden from the narrative after his flight to Denmark [ll. 4376–4395]). This more contiguous narrative structure may in part be a consequence of the nature of the events covered by the chronicle: feuding over power was rife, rulership and kingship were not always in the same hands, and not all rulers meet with approval from the narrator. It is, though, at least worth considering whether this structural aspect might not also be related to the vexed question of possible German models for this first Swedish rhymed chronicle, in particular the two works that are frequently mentioned in this respect: the ‘Ältere 47 Exceptions to the pattern do occur at the end of episodes about figures who are accorded special significance (e. g. exploits by and praise of Pope Sylvester I following the death of Constantine [ll. 10511–10633], or the praise of the saintly Heinrich II [ll. 16246–16253]).

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Livländische Reimchronik’ (“Older Livonian Rhymed Chronicle”, c. 1290) and the ‘Braunschweigische Reimchronik’ (“Brunswick Rhymed Chronicle”, late thirteenth century).48 The devices employed in the ‘Erikskrönika’ bear little resemblance to the clearly marked divisions in the former, but they do recall the praise of deceased rulers that is typical of the latter.49 The ‘Rimkrønike’ more closely resembles the ‘Kaiserchronik’ insofar as it is divided clearly into sections on different rulers, but this is achieved using a distinctive – and characteristically Scandinavian – device: the monologue structure that we encountered in the overview of the Danish lands discussed above. It also characterizes the rest of the chronicle, where each figure appears to narrate their own history in the first person.50 Margrethe I, architect of the 48 Hypotheses of a direct connection rest on apparent similarities (especially between the prologues of the ‘Ältere Livländische Reimchronik’ and the ‘Erikskrönika’) and on aristocratic networks through which the German texts could have become known in Sweden. See e. g. Kurt E. Schöndorf, Einwirkungen mittelniederdeutscher Literaturwerke auf die schwedische Übersetzungsliteratur, in: Kurt E. Schöndorf/Kai-Erik Westergaard (eds.), Niederdeutsch in Skandinavien. Akten des 1. nordischen Symposions ‘Niederdeutsch in Skandinavien’ in Oslo, 27.2.–1. 3. 1985 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie 4), Berlin 1987, 128–146, here 132; Rolf Pipping, Kommentar till Erikskrönikan (Svenska litteratursällskapet i Finland 187), Helsingfors 1926, 8–15; Sven-Bertil Jansson, Medeltidens rimkrönikor. Studier i funktionen, stoff, form (Studia litterarum Upsaliensa 8), n. p. 1971, 147–156, 202–216. The datings of the two German chronicles are from Neecke 2010, 33, and Albrecht Classen, Braunschweigische Reimchronik, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 209–210, here 209. 49 The ‘Ältere Livländische Reimchronik’ organizes its history around the successive masters of the Sword Brothers and then the Livonian masters of the Teutonic Knights, and gives formulaic summaries of the time each held office (e. g. ll. 7953–7964); see Alan V. Murray, The Structure, Genre and Intended Audience of the Livonian Rhymed Chronicle, in: Alan V. Murray (ed.), Crusade and Conversion on the Baltic Frontier 1150–1500, Aldershot 2001, 235–251, esp. 238–240, 251. For an example of the concern of the ‘Braunschweigische Reimchronik’ to locate events chronologically but also to conclude the stories of its rulers with laments and praise on their death and burial, consider lines 792–807. Editions: Livländische Reimchronik, ed. Leo Meyer, Paderborn 1876; Braunschweigische Reimchronik, ed. Ludwig Weiland (Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken 2), Hannover 1877, 430– 585. In his argument against any direct knowledge of the two German chronicles, Jansson 1971, 208–212, discusses the laments in the ‘Braunschweigische Reimchronik’ on the deaths of Henry the Lion and Albrecht I, but does not address the wider structural parallel of which they are a part. I hope to provide elsewhere a much-needed detailed assessment of the relationship between the ‘Erikskrönika’ and German-language chronicles. On the laments in the ‘Braunschweigische Reimchronik’, see also Gesine Mierke, Norddeutsche Reimchroniken – Braunschweigische und Mecklenburgische Reimchronik, in: Gerhard Wolf/Norbert H. Ott (eds.), Handbuch Chroniken des Mittelalters, Berlin/Boston 2016, 197–224, here 207–208. 50 Uncertainty about datings means that it is not clear whether the monologue form appeared first in the Danish ‘Rimkrønike’ or in the Swedish ‘Lilla rimkrönika’ (“Little Rhyme Chronicle”). As well as apppearing in further Danish chronicles, the monologue form was also used to remodel and continue the great Swedish compilation of existing chronicles as what is known as the ‘Yngsta rimkrönika’ (“Younger Rhymed Chronicle”). See Hermann 2007, 403 n. 14 (for references to literature in the debate about primacy); Albeck/Billeskov Jansen

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Kalmar Union, for example, is introduced with the heading Margrete Woldemars dotter (“Margrethe, Valdemar’s daughter”) and begins to tell her story: Iegh bedher ther om allæ gode men / hedre hwer gode quinne […] (“And so I ask all good men to honour every good woman […]”; ll. 4689–4690). This changes the historiographical dynamic in two ways, as Pernille Hermann has described.51 First, the moralizing topoi exemplified by many of the accounts are declared by the rulers themselves, rather than from a position of authority occupied by a third-person narrator. The section on the unfortunate Eric IV, who is murdered by his brother, for instance, begins with Eric announcing: Eth falsth oc swigefulth brøderskap / ær offtæ stor wodhe oc faræ (“A false and unfaithful brotherhood is often a great danger and threat”; ll. 4195–4196). Second, the rulers become able to perform the factually impossible feat of narrating their own deaths, as Canute IV does: I odhens ther sloffue the meg i hiell / fynboen the hwlpe fast ther tijl (“There in Odense they struck me to death, people of Funen assisted much in this”; ll. 3526–3527, fynboen, read here as fynboer). One effect of this is, as scholars have noted, to draw the ‘Rimkrønike’ toward a discourse other than historiography: that of death and the memento mori theme, as reflected, for example, in monologues on gravestones or in the later Danish ‘Dødedansen’ (“Dance of Death”).52 There is also, however, a further additional consequence: the role of time, which is so fundamental to the chronicle, even in broad understandings of the genre,53 changes. The events, granted, remain in the past: they are related in past-tense accounts and several of them are given dates that make their historical status explicit. The textual segmentation into a sequence of monarchs also generates a clear sense of progression in time. Nonetheless, the individual narratives of those monarchs, with features such as those described above, have the effect of creating history through performance. The stories are dependent on the presence of the narrating character in each case: they are brought into being through his or her voice, rather than belonging to a fossilized past that is merely reported by a single third-person narrator whose authority spans the entire text.

1971, 173–177; Olle Ferm, Yngsta Rimkrönikan, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 2 (2010), 1536. 51 Hermann 2007, 401–402. 52 Hermann 2007, 403–404. 53 See Graeme Dunphy, Chronicles (Terminology), in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 274–282.

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6.

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Conclusions

With its monarchs who relate their own histories in first-person narratives, the ‘Rimkrønike’ would lend itself perfectly to further study in relation to performativity and presence in medieval literature and culture.54 That is but one example of how much more there is to say about our three rhyming chronicles than is possible in the scope of this article. One of my aims, indeed, was to stimulate further enquiry of this kind by bringing these texts to the attention of a wider audience than has generally been reached by the separate contexts and scholarly traditions in which they have been studied – to draw together the key facts about them, and to demonstrate why they are distinctive. In that spirit, I shall conclude by reviewing some of the wider perspectives that have taken shape as a result of considering them alongside one another. My starting point lies in the observation that the literary-historical position of the three rhyming chronicles has, in the past, often been understood through a discourse preoccupied with identifying ‘firsts’ or ‘origins’. This is evident in, for example, the description of the ‘Kaiserchronik’ as “d[ie] erste[] deutschsprachige [] Chronik” (“the first chronicle in the German language”) on the one hand and the proposal that the “erste[] Reimweltchronik” (“first rhyming world chronicle”) was actually the ‘Mittelfränkische Reimbibel’ on the other;55 in Scandinavian scholarship that excludes the ‘Kaiserchronik’ from the emergence of the rhyming chronicle in the twelfth century;56 in the debates about whether the Danish ‘Rimkrønike’ or the Swedish ‘Lilla rimkrönika’ was first to introduce the monologue form, and whether the Swedish ‘Erikskrönika’ had German models;57 and in the suggestion that the inspiration to write the ‘Rimkrønike’ in verse might have been provided by the ‘Erikskrönika’ or by German verse chronicles.58 The questions raised in the process – the latter is a case in point – a r e worth pursuing, and I have indicated in the preceding pages further lines of enquiry of this kind that could be explored. At the same time, however, I have sought to advance the debate beyond this frame of reference and to advocate a more comparative approach to the material – one that is not limited to reconstructing such con54 For starting points on those topics, see e. g. Manuele Gragnolati/Almut Suerbaum (eds.), Aspects of the Performative in Medieval Culture (Trends in Medieval Philology 18), Berlin/ New York 2010; Christian Kiening, Gegenwa¨ rtigkeit. Historische Semantik und mittelalterliche Literatur, in: Scientia Poetica 10 (2006), 19–46. 55 Herweg 2017, 413; Wolf 2017. 56 Cf. Jansson 1971, 9–13, 74–75, or Hermann 2007, 390, who describes the rhyming chronicle as “en europæisk genre, der menes at have rod i Frankrig i 1100-tallet med Robert de Waces Roman de Brut (1155)” (“a European genre that is thought to have its roots in France in the twelfth century with Wace’s ‘Roman de Brut’ [1155]”). 57 See n. 48 above. 58 Petersen 2007b, 140.

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nections, and thus is neither faced with an impasse when they cannot, at least in the current state of knowledge, be drawn, nor with the potential of even a single lost text to fundamentally change the picture of textual interdependencies that results.59 It was for this reason that the comparison was grounded in the common status of the ‘Kaiserchronik’, the ‘Erikskrönika’, and the ‘Rimkrønike’ as what I have called ‘formative’ texts. More flexible and open than, say, ‘first rhyming chronicles’, this characterization accounts for the fact that none of them appeared, as it were, in a vacuum: they all have aspects that can be linked with earlier developments to some extent or another. It also reflects, conversely, the fact that each of the three chronicles combines a set of features that, bundled together, lent it a definitive status in its language; we might list here using verse form, being written in the vernacular (or not-Latin), recording the past, extending beyond biblical or religious subject matter, covering a broad span rather than a particular individual or event, and supporting a particular context of power and rulership. Comparison of the ways in which this last function is given textual expression has shown that, although all three chronicles reinforce a particular royal or imperial identity, they do so by means of a wide range of techniques and strategies. Some of these devices are common to more than one of the chronicles – for example the generation of identity from without in the ‘Kaiserchronik’ (where the narrative cue is Caesar’s campaign) and the ‘Erikskrönika’ (where an imagined movement to the North takes place). Other aspects are more distinctive – most obviously the monologue form in the ‘Rimkrønike’, but also the beginning populated by ridderskap ok häladha godha / the Didrik fan berner vel bestodo (“knights and brave heroes, who doughtily fought against Dietrich of Bern”; ll. 16–17, trans. pp. 31–32, modified slightly) in the ‘Erikskrönika’, where the literary reference contrasts with the origin stories in the ‘Kaiserchronik’ and the ‘Rimkrønike’. This richness and diversity cannot be properly appreciated if the chronicles are read purely as a reflection of particular historical contexts or processes – in terms, that is, of the political interests they serve and document.60 Taking literary qualities into account is essential to understanding the develop59 For recent efforts to address the status of lost material in and for premodern literary history, see Thomas Haye, Verlorenes Mittelalter. Ursachen und Muster der Nichtüberlieferung mittellateinischer Literatur (Mittellateinische Studien und Texte 49), Leiden/Boston 2016; Flavia Bruni/Andrew Pettegree (eds.), Lost Books. Reconstructing the Print World of Pre-Industrial Europe (Library of the Written Word 46/The Handpress World 34), Leiden/ Boston 2016. 60 Contrast e. g. Bagge 2016, 543, who argues “dass man zwei Hauptfaktoren berücksichtigen muss, um die skandinavische Geschichtsschreibung zu verstehen: ihre Beziehung zum Christentum, zur Monarchie bzw. zur jeweils herrschenden Dynastie” (“that two main factors must be considered in order to understand Scandinavian historiography: its relationship to Christianity, to the monarchy or the ruling dynasty in any particular case”).

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ment of the rhyming chronicle across languages, and it reveals the range of possibilities in terms of which we are operating when we describe the ‘Kaiserchronik’ as a representative of that genre. These findings could be developed further by exploring additional aspects of literary form. But there are also other possibilities. We might, for instance, extend the scope of analysis by interrogating the significance attached to the rhyming chronicle and take prose chronicles into consideration as well; or we could investigate how works such as those considered here resemble or differ from chronicles that support power and rulership in the context of more ‘local’, ‘regional’, or urban identities. It would also, finally, be rewarding to draw on ideas such as these in order to address chronicle-writing around the medieval Baltic more generally. Such an undertaking would cover – for instance – additional Scandinavian material, chronicles from northern Germany and the colonized lands along the southern shore of the Baltic, and such texts as the ‘Novgorod Chronicle’. With the appearance of this new horizon, however, the focal point of the present volume – the ‘Kaiserchronik’ – has begun to slip into the background. It is a fitting point at which to end.

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Alheydis Plassmann

Römisch-deutsche Kaiser als vorbildliche Herrscher bei Wilhelm von Malmesbury und Otto von Freising

Abstract Otto of Freising and William of Malmesbury were near-contemporaries whose work on the histories of their respective countries was of high quality and impact. Both are usually seen as examples of the so-called renaissance of the twelfth century. If we compare their pictures of the German emperors from the past, their views on history become apparent. Otto wrote a universal history that was highly influenced by Augustine, and he saw history as the rise and fall of realms and used rulers as examples to analyse this pattern he detected in history. William, on the other hand, officially wrote a history of just the English kings, but he frequently deviated to include the history of Germany. In his German examples, he identified the same mechanisms that were at work in England. The successful reigns, such as that of Charlemagne, were interpreted differently by both authors, but nonetheless fitted into their overall ideas of history. Otto saw the ascent of Charlemagne as the outward sign of a turning point in history when the Roman Empire was transferred to the Franks, while William set Charlemagne up as an example of how successful rule is a matter of interaction between king, nobles, and the contingent factor of favourable circumstances. Unsuccessful rule is, similarly, not just attributed to the vices or faults of the kings in question – although these are mentioned – but is either part of the unavoidable descent that follows ascent, as in Otto’s explanations, or is to be explained by the collective failure of the king and his nobles, the bishops in particular, as in William’s work. While both give German emperors as examples, none of their rulers – barring the exceptional Charlemagne – are exemplary. While Otto takes a more direct approach with regard to salvation history and is looking for signs that will induce his readers to repent and prepare for imminent death and the end of the world, William’s approach to history is much more secular. The conditions for successful secular rule have an impact on the salvation of the souls of Christians only insofar as peaceful times offer the opportunity for everyone to lead a good Christian life. How far this affects the salvation of the kings themselves, is a subject that is not addressed by William. Even if he had been better informed, William would probably still have seen the German emperors as examples demonstrating the conditions of secular rule, just as he did the English kings.

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Otto von Freising ist der berühmteste Geschichtsschreiber des Reiches im 12. Jahrhundert, wenn nicht gar des ganzen Mittelalters. Seine ‚Historia de duabus civitatibus‘ entstand zwischen 1132 und 1146 und wird als Beleg dafür genommen, dass die sogenannte Renaissance des 12. Jahrhunderts auch im Römisch-Deutschen Reich ankam.1 Otto studierte in Paris und schrieb exzellentes Latein, was dies nur unterstreicht. Dennoch ist sein Werk stärker von Augustinus’ ‚De civitate Dei‘ beeinflusst als von anderen Autoren. Auch wenn sein Umgang mit Augustinus durchaus als innovativ zu bezeichnen ist, ist sein Modell nicht das antike Rom, wie der Begriff Renaissance nahelegen würde – der daher auch verfehlt ist – sondern der spätantike Pessimismus. Otto schrieb seine Heilsgeschichte nach Augustinus’ Vorbild und sie hatte – zumindest vom Titel her – die ganze Welt als Thema. Otto versuchte auf der einen Seite Gottes Wirken in der Welt in den Ereignissen zum Vorschein zu bringen, wobei er gleichzeitig betonte, dass kein Mensch den Willen Gottes vollständig erkennen kann. Otto ist also etwas ambivalent. Der Aufstieg der Kirche nach dem Investiturstreit scheint ihm darauf hinzuweisen, dass die endgültige Trennung der civitas permixta, des vermischten Staates von weltlicher und geistlicher Sphäre, unmittelbar zu erwarten ist, dass also der jüngste Tag bevorsteht, auf der anderen Seite scheint er auch anzudeuten, dass auf den Aufstieg der Kirche der Niedergang und der Verfall folgen wird, wie es bis dato noch für jedes Reich der Fall war, weil der Verlauf der Geschichte für Otto in einer Art Sinuskurve zu beschreiben ist. Ottos ‚Gesta Friderici‘ scheinen auf den ersten Blick vollkommen anders zu sein. Die ‚Gesta‘ seines Neffen begann Otto im Jahr 1156 als ein Auftragswerk und sie haben einen sehr viel positiveren Grundton. Otto beschreibt den Beginn von Barbarossas Herrschaft als eine neue Morgendämmerung für das Reich und scheint damit der Auffassung von ‚De duabus civitatibus‘ zu widersprechen. Indes ist Otto von Freisings Weltsicht konsistent, wie Hans-Werner Goetz herausgearbeitet hat.2 Otto entschied sich nur seine Analyse der gegebenen histo1 Sverre Bagge, German Historiography and the Twelfth-Century Renaissance, in: Björn Weiler/Simon MacLean (edd.), Representations of Power in Medieval Germany (International Medieval Research 16), Turnhout 2006, 165–188. 2 Für Otto von Freising vgl. vor allem die Arbeiten von Hans-Werner Goetz: Hans-Werner Goetz, ‚Ratio‘ und ‚Fides‘. Scholastische Philosophie und Theologie im Denken Ottos von Freising, in: Theologie und Philosophie 56 (1981), 232–243; Ders., Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (Archiv für Kulturgeschichte. Beihefte 19), Köln 1984; Ders., Geschichtsbewußtsein und Frühscholastik in der spätsalischen und frühstaufischen Weltchronistik, in: Jörg Jarnut/ Matthias Wemhoff (edd.), Vom Umbruch zur Erneuerung? – Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (Mittelalter Studien 13), München 2006, 197–218; Ders., Die Rezeption der augustinischen civitas-Lehre in der Geschichtstheologie des 12. Jahrhunderts, in: Anna Aurast et al. (edd.), Vorstellungsgeschichte – gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, Bochum 2007, 89–113; aber ebenso Nikolaus Staubach, Geschichte als Lebenstrost. Bemerkungen zur his-

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rischen Situation zu ändern, nachdem sein Neffe den Thron bestiegen hatte. Nun meinte er erkannt zu haben, dass ein neuer Zyklus von Aufstieg und Verfall begonnen hatte und dass Barbarossa notwendigerweise aufsteigen musste. Wilhelm von Malmesbury ist ebenfalls einer der bekanntesten Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts und wie Otto gilt sein Latein und seine Gelehrsamkeit als Zierde der Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert.3 Er gilt als toriographischen Konzeption Ottos von Freising, in: Mittellateinisches Jahrbuch 23 (1988), 46– 75; Hubert Glaser, ‚De monte abscisus est lapis sine manibus‘ (Dan. 2,45). Die geschichtliche Rolle des Reformpapsttums im Spiegel der Weltchronik Ottos von Freising, in: Manfred Weitlauff/Georg Schwaiger (edd.), Papsttum und Kirchenreform – historische Beiträge. Festschrift für Georg Schwaiger zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1990, 151–191; Verena Epp, Ars und scientia in der Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts, in: Ingrid Craemer-Ruegenberg (ed.), Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter – Albert Zimmermann zum 65. Geburtstag (Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichtungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln 22.2), Berlin 1994, 829–845; Elisabeth Mégier, Tamquam lux post tenebras, oder: Ottos von Freisings Weg von der Chronik zu den Gesta Friderici, in: Mediävistik 3 (1990), 131–267; Dies., Cives Dei und cives mundi als individuelle Personen in der Chronik Ottos von Freising, in: Jan A. Aertsen/Andreas Speer (edd.), Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin 1996, 513–529; Dies., Fortuna als Kategorie der Geschichtsdeutung im 12. Jahrhundert am Beispiel Ordericus’ Vitalis und Ottos von Freising, in: Mittellateinisches Jahrbuch 32 (1997), 49–70; Tuomas M. S. Lehtonen, History, Tragedy and Fortune in Twelfth-Century Historiography, with special reference to Otto of Freising’s Chronica, in: Ders., Historia – the Concept and Genres in the Middle Ages (Commentationes humanarum litterarum 116), Helsinki 2000, 29–40; Roman Deutinger, Engel oder Wolf ? Otto von Freising in den geistigen Auseinandersetzungen seiner Zeit, in: Carola L. Gottzmann/Hans Szklenar (edd.), Ars et scientia – Studien zur Literatur des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Hans Szklenar zum 70. Geburtstag, Berlin 2002, 31–46; Sverre Bagge, Kings, Politics, and the Right Order of the World in German Historiography, c. 950–1150, Leiden 2002; Joachim Ehlers, Ab errorum tenebris ad veram lucem. Otto von Freising entdeckt den Ursprung seiner Zeit in der christlichen Spätantike, in: Walter Pohl (ed.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Denkschriften 8), Wien 2004, 307–315; Lars Hageneier, Die frühen Staufer bei Otto von Freising oder Wie sind die Gesta Friderici entstanden?, in: Hubertus Seibert (ed.), Grafen, Herzöge, Könige – der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079–1152), Ostfildern 2005, 363–396. Ich erhebe mit dieser Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 3 Zu Wilhelm vgl. Sigbjørn O. Sønnesyn, „Ad bonae uitae institutum“. William of Malmesbury and the Ethics of History, Bergen 2007, ebenso die erweiterte Ausgabe seiner Dissertation: Sigbjørn O. Sønnesyn, William of Malmesbury and the Ethics of History, Woodbridge 2012. Darüber hinaus veröffentlichten Wilhelms Editoren zahlreiche Studien, Rodney M. Thomson (ed.), William of Malmesbury, 2. Aufl., Woodbridge 2003, enthält viele dieser Studien. Zu Wilhelm vgl. zusätzlich Björn Weiler, William of Malmesbury on Kingship, in: History. The Journal of the Historical Association 90 (2005), 3–22; Ders., Royal Justice and Royal Virtue in William of Malmesbury’s Historia Novella and Walter Map’s De Nugis Curialium, in: István P. Bejczy/Richard Newhauser (edd.), Virtue and Ethics in the Twelfth Century, Leiden/Boston 2005, 317–339; Ders., William of Malmesbury, King Henry I and the Gesta regum Anglorum, in: Anglo-Norman Studies 31 (2009), 157–176; ebenso John Gillingham, The Beginnings of English Imperialism, in: Ders., The English in the Twelfth Century. Imperialism, National Identity and Political Values, Woodbridge 2000, 3–18 [zuerst veröffentlicht in Journal of Historical Sociology 5. 4 (1992), 392–409]; Julia S. Barrow, William of Malmesbury’s Use of

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charakteristisch für die Blüte der Geschichtsschreibung im England des 12. Jahrhunderts. Für Wilhelm sind die geistliche und die weltliche Sphäre zwei Seiten derselben Medaille, die er in den 1120er Jahren in den ‚Gesta regum‘ und den ‚Gesta pontificum‘, behandelt hat, wobei er sich in beiden Werken auf England konzentriert. Wilhelms causa scribendi ist schon vielfältig diskutiert worden, aber es kann festgehalten werden, dass Wilhelms didaktischer Zweck praktischer und mehr auf die Situation zugeschnitten war als Ottos Abhandlung über die Eitelkeit der Welt. Wilhelm wollte zeigen, wie Könige und Bischöfe zum Besten aller handeln sollten.4 Das beinhaltete nicht notwendigerweise tugendhaftes Verhalten seitens der Herrscher. Also, Otto schrieb über die Welt und Wilhelm über England. Wir würden also erwarten, bei Otto wenigstens einige Kapitel über die englischen Könige zu finden und nichts über das Römisch-Deutsche Reich bei Wilhelm, aber das Gegenteil ist der Fall. Otto erwähnt englische Könige kaum, während Wilhelm sich lange über die römisch-deutschen Kaiser auslässt. Wilhelm ist kaum der am besten informierte Engländer, der jemals über römisch-deutsche Angelegenheiten geschrieben hat. Seine Genealogie der späten Karolinger und deren Verbindungen zu den Ottonen hat wenig mit den tatsächlichen Verhältnissen zu tun und viele seiner Geschichten über die römisch-deutschen Kaiser sind legendenhaft und zum Teil dem falschen Herrscher zugeschrieben, jedenfalls wenn man sie mit den deutschen Versionen der Legenden vergleicht.5 Otto ist auch nicht immer zuverlässig. Dies ist indes für das Bild, das die beiden Autoren von Charters, in: Elizabeth M. Tyler/Ross Balzaretti (edd.), Narrative and History in the Early Medieval West, Turnhout 2006, 67–85; Kirsten A. Fenton, Gender, Nation and Conquest in the Works of William of Malmesbury, Woodbridge 2008. Die englische Version dieses Aufsatzes findet sich hier: Alheydis Plassmann, German emperors as exemplary rulers in William of Malmesbury and Otto of Freising, in: Rodney Thomson/Emily Dolmans/Emily Winkler (edd.), Discovering William of Malmesbury, Woodbridge 2017, 139–152. 4 Hierzu Alheydis Plassmann, Bedingungen und Strukturen von Machtausübung bei Wilhelm von Malmesbury und Heinrich von Huntingdon, in: Norbert Kersken/Grischa Vercamer (edd.), Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (Quellen und Studien 27), Wiesbaden 2013, 145–171. 5 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, 2 Bde., Bd. 1, ed. Roger A. B. Mynors/ Rodney M. Thomson/Michael Winterbottom (Oxford Medieval Texts), Oxford 1998, Buch II, Kap. 112/2, 170. Er verwechselte Ludwig III. den Blinden mit Ludwig IV. dem Kind und machte Heinrich I. zu einem Sohn von Konrad I., wie Thomson in seinem Kommentar zur Gesta Regum schrieb: Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, 2 Bde., Bd. 2. General Introduction and Commentary, ed. Rodney M. Thomson/Michael Winterbottom (Oxford Medieval Texts), Oxford 1999, 218: „At this point one notes again that most of William’s information about Germany, Italy, and the papacy is in the form of folk-tales, saga, and legend.“ Zu seinem Wissen über deutsche Angelegenheiten vgl. auch Stefan Pätzold, Germania – Alemannia – Regnum Teutonicum. Die Darstellung des ottonisch-salischen Reichs in den Gesta regum Anglorum des Wilhelm von Malmesbury, in: Historisches Jahrbuch 136 (2016), 201–266. Dort 220f. über die falsche Königsfolge/Genealogie und 240–261 über Wilhelms Quellen.

Römisch-deutsche Kaiser als vorbildliche Herrscher

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den Kaisern zeichnen, unerheblich. Es ist auch nicht unbedingt wichtig, was jetzt nun genau aus welcher Quelle stammte, denn wir können auf jeden Fall davon ausgehen, dass Otto und Wilhelm nur das in ihre Werke übernahmen, was in ihr Geschichtsverständnis passte. Aber während es für uns offensichtlich ist, warum Otto über die Vorgänger seines Halbbruders Konrads III. und seines Neffen Friedrich I. schrieb, liegt die Funktion der exempla der römisch-deutschen Kaiser bei Wilhelm nicht auf der Hand. Wilhelms Absichten lassen sich möglicherweise entschleiern, indem seine Geschichten mit den weniger subtilen Erzählungen bei Otto verglichen werden. Zu diesem Zweck sollen vor allem die Kaiser betrachtet werden, die beide als Vorgänger ihrer je zeitgenössischen Kaiser ansehen: Karl den Großen, Ludwig den Frommen, Karl III., Heinrich III. und Heinrich IV.

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Karl der Große

Es ist kaum überraschend, dass Karl der Große von Otto von Freising positiv beschrieben wird. Karl ist ein frommer und gerechter Herrscher, der der Kirche dient. Dies wird schon an einer Pilgerreise ad limina apostolorum6 deutlich. Otto deutet ihn als Apostel der Sachsen, die er nach vielen Kriegen vom Christentum überzeugte.7 Seine zahlreichen Eroberungen ebneten ihm den Pfad zum Kaisertum, obwohl seine Kaiserkrönung sowohl als Belohnung für ihn selbst als auch als Strafe für die byzantinische Kaiserin Irene geschieht, die die Frechheit besessen hatte, als Frau zu regieren.8 Die Herrschaft Karls des Großen ist der Wendepunkt in der Geschichte der Reiche. Ab diesem Zeitpunkt ist die Weiterführung des Kaisertums in den Händen des westlichen Reiches.9 Karl der Große ist daher ein gutes Beispiel dafür, wie Ereignisse sich bei Otto im Regelfall entwickeln. Karl ist der Höhepunkt der fränkischen Herrschaft nach dem Aufstieg von Karl Martell und Pippin, genauso wie Otto der Große später den Höhepunkt 6 Otto von Freising, Chronicon, ed. Adolf Hofmeister (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicum 45), Hannover/Leipzig 1912, Buch V, Kap. 26, 254: Et sequenti anno in Wormatio generalem curiam celebrans orationis causa limina apostolorum visitare disponit. Die Übersetzungen von Otto sind meine eigenen, angelehnt an Otto von Freising, Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, ed. Adolf Schmidt/Walther Lammers (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 16), Darmstadt 1960. 7 Otto von Freising, Chronicon, Buch V, Kap. 27, 254: Per idem tempus Saxones more suo non semel, sed sepe pactum mentientes Karolus diversis preliis pressit ac plurimis ex eis fidem Christianam accipere persuasit. 8 Otto von Freising, Chronicon, Buch V, Kap. 29, 255: cuius diebus orbis imperium, quod in manus feminae non digne devenerat, ad Francos transferretur. Otto stellt gelegentlich heraus, dass Karl der Große geeignet ist, Kaiser zu werden, Buch V, Kap. 30, 256: dignus, qui altius proveheretur. Diese Bemerkung über Irenes Schuld fügte Otto seiner Quelle Frutolf hinzu. 9 Otto von Freising, Chronicon, Buch V, Kap. 32, 257: regno Romanorum ad Francos translato.

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der Ottonen markiert.10 Abgesehen von der Rolle Karls als beispielhafter, nachahmenswerter Herrscher ist er auch ein Modell für die Wellenbewegung der Geschichte. Auch für Wilhelm ist Karl der Große beispielhaft. Er ist fromm, an der Bildung interessiert, freundlich und erfolgreich im Krieg.11 Aber über Karl sollte man schon deshalb Bescheid wissen, weil er Teil einer guten historischen Erziehung sein sollte: „Unwissen über die Karolinger halte ich für eine ernsthafte Wissenslücke.“, lässt Wilhelm verlauten.12 Karls Aufstieg zur Kaiserkrone ist beispielhaft dafür, wie man sich bescheiden zu verhalten hat: „[Karl] maßte sich nicht an, den Titel eines Kaiser anzunehmen, obwohl er oft von Papst Hadrian dazu aufgefordert wurde.“13 Nur das römische Volk und der Papst konnten ihm den Titel in Eintracht übergeben, was keinesfalls dazu führte, dass er seine Pflichten vernachlässigt hätte. „Später verteidigte er den Titel mit angemessenem Mut gegen die Kaiser von Konstantinopel“.14 Es ist wohl symptomatisch, dass Wilhelm einen Brief von Alcuin zitiert, in dem dieser Karls Empörung über die Intrigen und Morde am Hof von Northumbria wiedergibt.15 Vielleicht noch aufschlussreicher ist seine Schilderung der Freundschaftsabkommen zwischen 10 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 24, 286: Vide regnum Teutonicorum cum regno Francorum affine et quodammodo cognatum principium habere. Ibi primus Karolus sine regis nomine regis honorem gerebat. Hic magnus Otto, Saxonum dux, regibus adhuc ex stripe Karoli manentibus regni summam administrabat. Illius filius Pippinus non solum re, sed et nomine rex cepit esse dici. Huius simili modo filius Henricus regis nomine meruit honorari. Illius filius Karolus Magnus non solum regnum, sed et imperium capto Desiderio primus obtinuit ex Francis. Istius filius Otto Magnus post multos triumphos primus ex Teutonicis post Karolos catpo Berengario Romanis imperavit. 11 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 65 und 66, 96–99: Karl der Große ist freundlich zu Alkuin und zeigt Interesse an seinen Lehren; Buch IV, 367/3, 642: Karl der Große gründet eine Bibliothek in Jerusalem; Buch I, Kap. 68, 100 und Buch II, Kap. 135, 218: Laut Buch II, Kap. 135/4 hängt sein militärischer Erfolg vom Besitz der Heiligen Lanze ab, welche allerdings erst unter Heinrich I. in den Besitz der deutschen Könige kam. Zur Lanze vergleiche Hans-Werner Goetz, Heilige Lanze, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), 2020; sowie Franz Kirchweger/Gunther G. Wolf (edd.), Die Heilige Lanze in Wien. Insignie, Reliquie, „Schicksalsspeer“, Wien 2005. 12 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 67, 98: […] quia progeniem eorum nescire dampnum duco scientiae, cum et confines nobis sint et ad eos maxime Christianum spectet imperium. Die Übersetzungen von Wilhelm sind meine eigenen. 13 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 68, 100: et ab imperatoria appellatione, quanuis sepe ab Adriano papa inuitaretur, temperans. 14 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 68, 102: […] Inter has moras Quirites, collato cum presule consilio, die Natalis Domini Augustum inopinate acclamant; quod cognomen licet inuitus ut insuetum admisisset, postea tamen animositate qua decebat contra imperatores Constantinopolitanos defendens […]. 15 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 72, 106: Ita Karolus, retracta donorum largitate, in tantum iratus est contra gentem illam, ut ait, perfidam et peruersam et homicidam dominorum suorum, peiorem eam paganis estimans, ut, nisi ego [Alkuin] intercessor essem pro ea, quicquid eis boni abstrahere potuisset et mali machinari, iam fecisset.

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Karl und Offa von Mercia, die zustandekamen, obwohl – wie Wilhelm es ausdrückte – „[Offa] in Karls Charakter wohl kaum etwas finden konnte, was seiner eigenen Vorgehensweise entsprach.“16 Karl ist für Offa eine Art Rückversicherung: „Offa konnte, weil er sich auf dieses Bündnis verließ, seine Tage in Frieden enden.“17 Dies ist auch nicht das einzige Mal, dass Karl in England eingriff. Offas Tochter, von Wilhelm als Giftmischerin verunglimpft, erhielt ihre gerechte Strafe im Exil am Hof Karls des Großen.18 Karl der Große dient Wilhelm also als vollkommener Fürst an sich, dessen machtvolle Herrschaft gleichsam nebenbei auch England beeinflusst hat.19 Für Wilhelm ist Karl auch ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Herrscher, wenn er auch von den Umständen begünstigt wird. Wilhelm macht dies am Beispiel von Karls Verhältnis zur Kirche deutlich. In einer Rede, die er Papst Gregor VI. in den Mund legt, erwähnt Wilhelm das angebliche Investiturprivileg, das Hadrian I. Karl aus Gründen der Praktikabilität übergab: „[…] über so große Distanzen hinweg war es in jenen Tagen unpraktisch, den Heiligen Stuhl bei jedem einzelnen erwählten Kandidaten um Zustimmung zu bitten, wo es doch einen Fürsten gab, der dafür bekannt war, nichts aus Gewinnsucht zu tun, sondern der fromme Personen in seinen Kirchen in Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht einsetzte“.20

In Karls Zeit war es vernünftig, Land und Rechte an Kirchenleute zu geben, so dass die Kirche dabei behilflich sein konnte, die gerade getauften Völker unter 16 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 90, 134: quanuis non facile quod suis artibus conduceret in Karoli animo inuenerit. 17 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch I, Kap. 94, 136: cuius familiariate fretus, licet multorum impeteretur odio, dulci tamen uitam consumpsit otio […]. 18 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 113, 17. Das Hauptmotiv Karls des Großen scheint seine eigene gekränkte Eitelkeit gewesen zu sein, denn Eadburh hätte lieber einen seiner Söhne geheiratet als ihn selbst. Diese Geschichte ist schon bei Asser nachzulesen: Asser, Vita S. Alfredi, ed. Wilhelm H. Stevenson, 2. Aufl., Oxford 1959, Kap. 13 und 14, 12–14 (siehe 87). 19 Zu Karl dem Großen als idealer Fürst in Legenden siehe Friedrich Wolfzettel, Karl der Große, in: Enzyklopädie des Märchens 7 (1993), 981–1002. 20 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 202, 372: Cur ita? Quia [Charlemagne] erat animus Magni aduersus auaritiam inuictus, nec facile inuenisset aditum aliquis nisi intrasset per hostium. Preterea per tot terrarum interstitia nequibat requiri sedes apostolica ut unicuique electo assensum commodaret suum, dum esset prope rex qui nichil per auaritiam disponeret, sed iuxta sacra canonum scita religiosas personas aecclesiis introduceret. Dieses privilegium ist eine Fälschung. Wilhelms Editoren Thomson und Winterbottom sind sich nicht sicher, woher Wilhelm sein Wissen über die falschen Investiturprivilegien bezieht (Thomson/Winterbottom, Commentary, 1999, 194f. und 385). David Scotus, ein enger Vertrauter des deutschen Königs Heinrich V. könnte, wie in anderen Fällen, die Entwicklungen in Deutschland betreffen, als Quelle gelten, vgl. Claudia Märtl (ed.), Die falschen Investiturprivilegien (Monumenta Germaniae Historica. Fontes iuris Germanici antiqui 13), Hannover 1986, 113, Anm. 361.

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Karls Herrschaft zu zähmen.21 In der Zeit Heinrichs V., zwei Jahrhunderte später, war es vernünftig, die Investitur aufzugeben und der Kirche die Freiheit zu geben, nach der sie verlangte. Erst nach dem Wormser Konkordat, das die Streitigkeiten zwischen Heinrich V. und Papst Calixt beilegte, lobt Wilhelm Heinrich V. als den Herrscher, der beinahe an die Größe von Karl dem Großen heranreichte.22 Auch bei Wilhelm spielt Karl der Große also nicht nur die Rolle des beispielhaften Herrschers, sondern gibt gleichzeitig Hinweise auf Wilhelms Geschichtskonzeption und auf seine Vorstellungen von erfolgreicher Herrschaft.

2.

Ludwig der Fromme

Otto tut die zahlreichen Probleme der Regierungszeit Ludwigs des Frommen in einem Satz als Hörensagen ab: „Kaiser Ludwig, der angeblich wegen des schlimmen Verhaltens seiner Gattin abgesetzt, dann aber wieder eingesetzt worden war, starb in seinem 26. Regierungsjahr.“23 Die Teilung des Reiches nach seinem Tod ist durch das Wirken Gottes veranlasst: „Da Gott […] nicht wollte, daß das Frankenreich […] auf dem hohen Stand, den es erreicht hatte, bleibe, ließ er es sich selbst elendiglich zerspalten und dadurch entkräften und zugrunde richten, denn er wollte daran das Elend der Sterblichen und die dauernden Schicksalswandlungen im Weltlauf offenbar machen.“24

Gründe für die Auseinandersetzungen in der karolingischen Familie nennt Otto keine und geht gar nicht darauf ein, dass Karl der Kahle eine andere Mutter hatte 21 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch V, Kap. 420, 762: quia Karolus Magnus pro contundenda gentium illarum ferotia omnes pene terras aecclesiis contulerat, consiliosissime perpendens nolle sacri ordinis homines tam facile quam laicos fidelitatem domini reicere; preterea, si laici rebellarent, illos posse et excommunicationis auctoritate et potentiae seueritate compescere. 22 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch V, Kap. 438, 782: Sedato itaque tam ueterno morbo, qui aecclesiae statum conturbauerat, magnum gaudium quisquis Christiane sapuit accepit, quod is imperator, qui proxima fortitudinis gloria acriter Karoli Magni inuaderet uestigia, etiam a deuotione ipsius in Deum non degeneraret, qui, preter Teutonici regni nobiliter sopitas rebelliones, etiam Italicum ita subegit ut nullus adeo. Der Vergleich von Heinrich V. zu Karl dem Großen stammt möglicherweise von Wilhelms Quelle, David Scotus (Thomson/Winterbottom, Commentary, 1999, 391), aber es ist aufschlussreich, dass Wilhelm dies nur nach dem Konkordat von Worms erwähnt. 23 Otto von Freising, Chronicon, Buch V, Kap. 34, 259: Igitur Lodewicus imperator propter mala opera uxoris suae regno, ut dicitur, pulsus ac postmodum restitutus XXoVIo imperii sui anno diem obit extremum. 24 Otto von Freising, Chronicon, Buch V, Kap. 35, 259: Igitur cum regnum Francorum, ad quod post innumeras, quas supra dixi, mutationes regnum Romanorum devenerat, cum et ipsum ad ostendendas mortalium miserias ac instabiles mundi rotatus auctor omnium Deus in illo, ad quem profecerat, statu manere nollet, in se ipsum miserabiliter dividi ac per hoc desolari et imminui permisit.

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als Lothar I. und Ludwig der Deutsche. Ludwig der Deutsche ist also lediglich der Kaiser, unter dessen Herrschaft der Niedergang zufällig seinen Anfang nimmt. Für Wilhelm von Malmesbury indes sind die karolingischen Teilungskriege eindeutig Familienprobleme, die Auswirkungen auf die Politik haben. Er bezeichnet Ludwig als „milden und einfältigen Fürsten“, dessen einziger Fehler darin bestand mit seinem jüngsten Sohn Karl mehr Zeit zu verbringen als mit seinen anderen Söhnen. Sein Sohn Lothar – und nur dieser – begegnet seinem Vater daher mit unvorhersehbarer Grausamkeit und wirft ihn sogar in den Kerker – häufig, wenn wir Wilhelm glauben wollen.25 Aus den ‚Gesta pontificum Anglorum‘ erfahren wir, dass Lothar vorgab, über die inzestuöse Ehe seines Vaters mit Judith ernsthaft entsetzt zu sein, dass sein wahrer Beweggrund der Opposition gegen die Ehe aber der blanke Neid war.26 Ludwigs Einfalt findet ihr Ebenbild in der des englischen Königs Eduard des Bekenners. Dessen Herrschaft war, Wilhelm zufolge, nur deshalb ein Erfolg, weil er in der Gunst Gottes stand und weil seine Großen ihn unterstützten.27 Ludwig der Fromme hatte lediglich das Pech, dass seine unmittelbare Verwandtschaft und die anderen Großen ihn nicht unterstützten und er offenbar nicht fromm genug war, um Gottes Hilfe zu verdienen. Wie Karl der Große passt sich Ludwig in das Muster ein, das Wilhelm von erfolgreicher und von schlechter Herrschaft entwirft.

25 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 110, 158: uir [Lothar] omnium ante se longe immanissimus, quippe qui proprium patrem crebro captiuatum in ergastulis uinxerit. Erat sane ille [Ludwig der Fromme] mansueti animi et simplicis, sed quia mortua Ermengarde, de qua priores liberos tulerat, Karolum ex Iudith uxore natum arctius exosculabatur, a Lothario inclementer exagitatus. 26 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Pontificum Anglorum, 2 Bde., Bd. 1, Text and Translation, ed. Michael Winterbottom/Rodney M. Thomson (Oxford Medieval Texts), Oxford 2007, Buch I, Kap. 6/7, 16: Itaque illa in ergastulum, femina in monasterium includuntur, conante quam maxime, ut in Gestis Regum dixi, Lothario, Ludouici primogenito, ut is dictitabat Christianitatis instinctu, sed reuera inuidiae obtentu. 27 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 196, 348: Erat interea eius apud domesticos reuerentia uehemens, apud exteros metus ingens; fouebat profecto eius simplicitatem Deus, ut posset timeri qui nesciret irasci. Sed quanuis uel deses uel simplex putaretur, habebat comites qui eum ex humili in altum conantem erigerent. Zu Wilhelms Bild von Edward dem Bekenner vergleiche auch Sønnesyn 2012, 284–288 und Plassmann 2013, 145–171. Zu Eduard dem Bekenner vgl. Frank Barlow, Edward the Confessor (Yale English Monarchs), 3. Aufl., New Haven/London 1997 sowie Richard Mortimer (ed.), Edward the Confessor. The Man and the Legend, Woodbridge 2009.

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3.

Alheydis Plassmann

Karl III. der Dicke

Karl der Dicke ist für Otto von Freising ein Beispiel für das Auf und Ab der Geschichte nicht über eine Dynastie hinweg, sondern im Laufe eines einzelnen Lebens: „Der König, der bei der Teilung des Ostreichs den kleinsten Teil unter den Brüdern bekommen hatte, stieg zunächst so hoch empor, daß er das Ost- und das Westreich mit der römischen Kaiserwürde erhielt, schließlich aber sank er so tief herab, daß er sogar Mangel an Brot litt.“28 Die geheimnisvollen Wege Gottes wurden noch durch die Tatsache unterstrichen, dass Otto Karl nicht als besonders unfähig oder schlecht beschreibt.29 Auch Wilhelm zeichnet ein recht gefälliges Bild von Karl III. Aufschlussreich ist eine Vision Karls III., die Wilhelm in seine Erzählung aufgenommen hat, die ursprünglich geschrieben worden war, um einen möglichen Erben des Kaisers ins Spiel zu bringen: In dieser Vision sieht Karl all seine Verwandten, seine Onkel und Brüder und seinen Vater, wie sie im Fegefeuer Strafe für ihre Herrschaft erdulden müssen. Karl sieht außerdem die Bischöfe und Großen des Reiches, deren Sünde es war, dass sie zu Krieg statt zu Frieden rieten, die Mord und Raub liebten und dies alles aus Gier taten.30 Ein König regiert nicht allein und seine Fürsten, besonders die Bischöfe, haben die Pflicht, ihren Herrscher auf den rechten Pfad zu lenken. Wilhelm nennt dafür häufig Beispiele, sowohl in den ‚Gesta regum‘ als auch den ‚Gesta pontificum‘ und auch bei seiner Verwendung dieser etwas abseitigen deutschen Quelle gelingt es ihm, diesen Punkt noch einmal überdeutlich zu machen, indem er den Beweis liefert, dass diese Pflicht der Großen und Bischöfe wahrhaftig universell ist.31

28 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 9, 270: Rex iste, qui in divisione orientalis regni inter fratres minimam portionem acceperat, ad tantum primo fastigium, ut tam orientalia quam occidentalia regna cum Romano susceperit imperio, ad tantam postremo deiectionem venit, ut panis quoque egeret. 29 Dies könnte seinen Quellen geschuldet sein, denn weder Frutolf-Ekkehard noch Regino oder die ‚Annales Hildesheimenses‘ oder die ‚Annales Mellicenses‘ gehen ins Detail Karl III. betreffend und keine von ihnen spricht von seinen Fehlern als Herrscher. Die Fuldaer Annalen, die detailliert über Karls Fehler berichten, nutzte Otto nicht. Siehe zu Karl III. dem Dicken Simon MacLean, Kingship and Politics in the late ninth century. Charles the Fat and the End of the Carolingian Empire, Cambridge 2003. 30 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 111, 162–169. Über die Quellen für diese Vision siehe Thomson 2003, hier 148. 31 Über die Pflichten der Bischöfe, ihre Fürsten zu beraten, siehe Plassmann 2013, 161–164.

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4.

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Heinrich III. und die Salier

Während sich nach Ottos Vorstellung die Geschichte bis zu den Ottonen immer wiederholt hat, ergibt sich unter den Saliern eine Variation. Mit Konrad II. hatten sie einen guten Beginn, da dieser ein besonders tugendhafter König war: „Dieser König war energisch im Krieg, vorausschauend im Rat, mit juristischer und politischer Klugheit begabt, dem christlichen Glauben ganz ergeben und leutselig, wie es einem König geziemt.“32 Dieses Lob ist für Otto recht ungewöhnlich, da er überhaupt selten auf die Eigenschaften der Könige eingeht. Üblicherweise drückt er seine Haltung nur verschleiert aus. Als Konrad über drei Bischöfe urteilt, lässt Otto offen, ob diese Handlung gegen oder gemäß dem Recht stattfand.33 Die Tatsache indes, dass Konrads Heer auf dem Heimweg dann von einer Krankheit geplagt wird, kann man wohl als Strafe für den Herrscher verstehen.34 Heinrich III. kommt dann ganz auf seinen Vater: „Er soll in jeder Beziehung dem Vater an Mannestugenden nicht nur gleichgekommen sein, sondern ihn darin sogar noch übertroffen haben, indem er das Reich in höchster Besonnenheit regierte.“35 Trotzdem kann schon zur Zeit Heinrichs III. ein neuer Stern am Himmel wahrgenommen werden. Obwohl nicht jeder Papst, der von Heinrich III. ernannt wurde, kanonisch gewählt worden war und daher nicht unbedingt rechtmäßig war, haben schon die Päpste Leo IX. und Alexander II., wenn wir Otto glauben wollen, für die Freiheit der Kirche gekämpft und die daraus resultierende Dynamik nach oben sollte das Papsttum auf bisher ungeahnte Höhen tragen: „Sie selbst aber, die vorher klein und niedrig ist, zu welch großem Berg sie jetzt emporgewachsen ist, das kann nun jedermann sehen.“36 Dieses neue Reich der Kirche ist das Vorzeichen für den unmittelbar bevorstehenden Tag des Jüngsten Gerichtes, weil das Römische Reich nun an seinem Ende angekommen ist.37 In den ‚Gesta Friderici‘ indes erwähnt Otto Heinrich III. nicht und wir können daher nicht wissen, wie seine spätere Interpretation der Herrschaft dieses Kaisers aussah. 32 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, 28, 291: Erat autem idem rex armis strenuus, consilio providus, sapientia tam forensi quam civili preditus, in religione Christiana satis devotus, humilitate, quae regem decebat, adornatus. 33 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 31, 296: dubium utrum licite an secus. 34 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 31, 297: Sed cum per letifera loca iter ageret, ex corruptione aeris plurimos de exercitu et de claris principibus perdidit. 35 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 32, 297: Hic per omnia patrem in virtutibus non solum equasse, sed et transcendisse perhibetur, regnum moderatissime gubernans. 36 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 36, 305: Ipsa vero, quae antea parva fuit et humilis, in quantum montem excreverit, ab omnibus iam videri potest. 37 Otto von Freising, Chronicon, Buch VI, Kap. 36, 306: Tanta mutatione, tanquam a perfectione ad defectum vergente tempore, sexto operi finem imponamus, ut ad septenarium, requiemque animarum, quae miseriam presentis vitae subsequitur, Deo ductore properemus.

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Wilhelms Bericht über die Regierungszeit Heinrichs III. reicht nicht an seinen üblichen Standard der Verlässlichkeit heran. Wilhelm scheint alle Anekdoten, die er über irgendeinen römisch-deutschen Kaiser finden konnte, auf Heinrich III. übertragen zu haben und bietet so eine hohe Zahl an Erzählungen, die indes symptomatisch für seine Königsvorstellungen sind.38 Er erzählt, wie Gunnhild, die erste Frau Heinrichs III., des Ehebruchs angeklagt wurde und sich durch ein Gottesurteil, einen Zweikampf, reinigen konnte.39 Dies ist möglicherweise eine Mischung aus der Erzählung über Kunigunde, die Frau Heinrichs II., die ihre Unschuld in einem Ordal erwies,40 und einem Gerücht über Agnes, die zweite Frau Heinrichs III., der nachgesagt wurde, eine Affäre mit einem Bischof nach Heinrichs III. Tod gehabt zu haben und die, wie Gunnhild in Wilhelms Version, später eine Nonne wurde.41 Heinrich III. soll auch eines Nachts seine Schwester auf frischer Tat ertappt haben. Sie trug ihren klerikalen Liebhaber auf dem Rücken durch den frisch gefallenen Schnee, damit sein nächtlicher Besuch bei ihr nicht auffallen würde. Heinrich III. beschloss, sie nicht bloßzustellen, sondern gab dem Kleriker ein Bistum und seiner Schwester ein Kloster unter der Bedingung, dass die ‚Reitspielchen‘ ein Ende haben müssten.42 Während Wilhelm 38 Einige englische Historiker liehen diese Geschichten von Wilhelm von Malmesbury oder nutzten eine ähnliche (oder dieselbe) Quelle wie er. Siehe dazu Thomson/Winterbottom 1999, 182–185. Zu den Geschichten über Heinrich III. vgl. auch Pätzold 2016, 222–227, der diese Erzählungen als Spiegel einer Deutschland-Rezeption in den Blick nimmt. 39 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 188, 338. Zu Heinrichs Heirat mit der früh verstorbenen Gunhild siehe Johannes Laudage, Heinrich III. Ein Lebensbild, in: Johannes Rathofer (ed.), Das salische Kaiser-Evangeliar. Der Kommentar, 2 Bde., Bd. 1, Münster 1998, 87–145, hier 94. Zu dieser Geschichte, die in England ebenso verbreitet gewesen zu sein scheint, siehe auch Thomson/Winterbottom 1999, 181: Die Verwirrung der Namen Gunhild und Kunigunde könnte daher rühren, dass Gunhild in Deutschland auch Kunigunde genannt wurde. Diese Geschichte über die verleumdete Königin existiert in vielen Varianten, eine ist der Ballade von Sir Aldingar verdächtig ähnlich, siehe dazu Paul Christophersen, The Ballad of Sir Aldingar. Its Origin and Analogues, Oxford 1952, 20. Ich danke Linda Dohmen (Bonn) für diesen Hinweis. Linda Dohmen, Die Ursache allen Übels. Untersuchungen zu den Unzuchtsvorwürfen gegen die Gemahlinnen der Karolinger, Ostfildern 2017, 496–499 und 502–504 zu Agnes und Kunigunde. 40 Zur Kunigundelegende siehe Elisabeth Roth, Kunigunde, Hl., in: Enzyklopädie des Märchens 8 (1996), 608–610; Bernd Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde. Das heilige Kaiserpaar des Mittelalters, in: Stefanie Dick (ed.), Kunigunde – consors regni. Vortragsreihe zum tausendjährigen Jubiläum der Krönung Kunigundes in Paderborn (1002–2002), München 2004, 29–46. 41 Lampert von Hersfeld, Annales, in: Ders., Opera Omnia, ed. Oswald Holder-Egger (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 38), Hannover/Leipzig 1894, 1–304, hier ad a. 1062, 79. Dazu siehe auch Mechthild Black-Veldtrup, Kaiserin Agnes (1043–1077). Quellenkritische Studien (Münstersche Historische Forschungen 7), Köln/ Weimar/Wien 1995, hier 356–365; Claudia Zey, Vormünder und Berater Heinrichs IV. im Urteil der Zeitgenossen (1056–1075), in: Gerd Althoff (ed.), Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69), Sigmaringen 2009, 87–126, hier 101, Anm. 58. 42 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 190, 340–343.

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diese Anekdote nutzte, um Heinrichs III. Sinn für Humor unter Beweis zu stellen, finden wir dieselbe Geschichte in Deutschland etwas später. Hier wird über Karl den Großen und seine Tochter erzählt, und die Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie klug Karl im Rat mit seinen Großen agierte.43 Ein anderer Kleriker am Hof Heinrichs III. geriet in Verlegenheit, als er, nachdem er eine Nacht bei seiner Geliebten verbracht hatte, vom Kaiser gebeten wurde, eine Messe zu lesen. Der peinlich berührte Kleriker weigerte sich auch dann noch als Heinrich III. drohte, ihn vom Hof zu verbannen. Die Gottesfurcht des Klerikers, der sich geweigert hatte, die gebotene kultische Reinheit auf Befehl des Kaisers zu verletzen, wurde ebenfalls mit einem Bistum belohnt, unter der Bedingung seine Beziehung zu seiner Geliebten aufzugeben.44 Eine weitere Geschichte über Heinrich III. ist eine verzerrte Version eines öffentlichen Konfliktes zwischen dem Abt von Fulda und dem Erzbischof von Mainz über den Sitzplatz zur Rechten des Kaisers.45 Dieser sogenannte Sesselstreit fand tatsächlich in der Zeit von Heinrichs IV. Minderjährigkeit statt.46 Bei Wilhelm wird der Sesselstreit durch die Machenschaften des Teufels ausgelöst, und Heinrich III. verdarb dem Teufel seinen Triumph, als er einen Tag der öffentlichen Almosen ausrief.47 Die letzte Anekdote schließlich, die 43 Codex Laureshamensis, 3 Bde., Bd. 1, ed. Karl Glöckner, Darmstadt 1929–1936, Kap. 19, 298. Zu dieser Legende siehe Elisabeth Frenzel, Eginhard und Emma, in: Enzyklopädie des Märchens 3 (1981), 1020–1023. Sie argumentiert, dass Wilhelm von Malmesbury die Quelle für den ‚Codex Laureshamensis‘ war, lässt allerdings die Frage offen, warum die eine Quelle Karl den Großen nennt und die andere Heinrich III. Der andere wichtige Unterschied beider Versionen, die einen König darstellen, der seine weibliche Verwandte mit ihrem Geliebten erwischt, ist, dass Heinrich III. in Wilhelms Geschichte nach einer heimlichen Einigung sucht und den Liebenden kirchliche Ämter anbietet, während Karl der Große dem Paar schlicht erlaubt zu heiraten. Deswegen ist das ‚Schwester/Tochter beim Akt erwischt‘ mehr ein Volksmärchenmotiv. Zur Version im ‚Codex Laureshamensis‘ vgl. auch Gerd Althoff, Colloquium familiare – colloquium secretum – colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 24 (1990), 145–167, hier 148, sowie ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, 157–184, hier 160. 44 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 191, 342. Sønnesyn 2012, 373 betont, dass diese Geschichten mehr sind als Anekdoten, denn ihr Anspruch sei, die Tugenden des Kaisers, wie etwa Besonnenheit, zu verdeutlichen, ohne seine Angelegenheiten öffentlich zu machen. 45 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 192, 342. 46 Lampert von Hersfeld, Annales, hier ad a. 1063, 82. Vgl. Gerd Althoff, Heinrich IV. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2006, hier 57–59. Zur Wichtigkeit der Sitzordnung, besonders auf der rechten Seite des Königs vgl. Hans-Werner Goetz, Der ‚rechte‘ Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Gertrud Blaschitz/Harry Kühnel (edd.), Symbole des Alltags – Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, Graz 1992, 11–47. 47 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 192, 344: Finita missa, egenis per precones conclamatis, omnes dapes quae sibi et curialibus parabantur in usus eorum exhausit, ipse obsonia apponens, ipse iuxta disciplinam ministrorum delonge consistens, ipse superflua ciborum abstergens.

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Wilhelm über Heinrich III. zu berichten hat, unterstreicht Heinrichs Eifer im Kampf gegen die Simonie. Als Heinrich ein Kind war, machte ihm ein Kleriker eine Freude mit einem neuen Spielzeug und in seiner kindlichen Einfalt versprach der Junge dem Priester einen Bischofssitz. Als der Priester später das Versprechen einlösen wollte, tat dies Heinrich zunächst, aber nachdem er beinahe an einer Krankheit gestorben wäre, machte er die Erhebung wieder rückgängig.48 Wilhelm wusste möglicherweise von der schweren Krankheit, die Heinrich III. 1045 beinahe das Leben gekostet hätte,49 aber diese Erzählung kennen wir nur aus England und ihr scheint auch eine sehr strenge Auslegung von Simonie zugrunde zu liegen. Nach all diesen Geschichten ist es kaum verwunderlich, dass Wilhelm seine Kapitel über Heinrich III. damit abschließt, dass er erzählt, wie Heinrich III. eines Tages auf dem Rücken einer Hirschkuh in Sicherheit getragen wurde.50 Wilhelm hätte sogar noch mehr Geschichten zu erzählen, wie er seinen Lesern versichert: „Ich lasse sie aus, weil ich meine Glaubwürdigkeit bei meinen Lesern nicht gefährden will.“51 Welche Absichten Wilhelm mit diesen ausführlichen Geschichten über Heinrich III. verband, ist nicht so leicht zu durchschauen wie im Falle seiner Geschichten über die Karolinger. Mir scheint es, dass Wilhelm hier zeigen will, wie das Verhältnis zwischen dem König und den Fürsten idealerweise auszusehen hat. Der Kaiser sorgt für das moralisch rechte Vorgehen seines Klerus, aber tut dies nicht in der Öffentlichkeit. Er führt sie auf den rechten Pfad, aber untergräbt ihre Autorität nicht. Dass er dies zu allem Überfluss auch noch mit Humor tut, ist eine höfische Tugend, keine christliche, die auf jeden Fall im 12. Jahrhundert zu verorten ist.52 Nur die Geschichte der Gunnhild wirft einen Schatten auf den König, der sich ansonsten in allem wie ein idealer König verhält, dessen Abscheu gegen die Simonie als Beispiel für Heinrich I. von England herhalten kann.

48 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 193, 344. 49 Dazu Hermann von Reichenau, Chronicon, ed. Georg H. Pertz (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 5), Hannover 1844, 67–133, hier ad a. 1045, 125; Laudage 1998, 118. 50 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 194, 346: de cerua quae illum inimicos fugitantem ultra inuadabilem fluuium dorso exeuerit. Für die Hirschkuh als hilfreiches Tier vgl. Lothar Blum, Hirsch, Hirschkuh, in: Enzyklopädie des Märchens 6 (1990), 1067–1072; Stith Thompson, Motif-index of folk-literature. Durchgesehene und erweiterte Version, 6 Bde., Bd. 1, A–C, Copenhagen 1955, B 557.3: deer carries man. 51 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 194, 346: et quibusdam aliis, quibus ideo supersedeo quia estimationem lectoris supergredi nolo. 52 Zu hilaritas als höfischer Tugend vgl. Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 8. Aufl., München 1997, 427f.

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Heinrich IV.

Für Otto von Freising ist Heinrich IV. wie Karl III. ein gutes Beispiel für die Eitelkeit der Welt. Er geht nicht im Detail auf Heinrichs Regierungszeit ein und konzentriert sich auf die letzten Regierungsjahre Heinrichs IV. Contra legem naturae rebellierte sein Sohn Heinrich V. gegen den Vater, und der folgende Niedergang des Kaisers ist ein weiteres Exempel für die Bedeutungslosigkeit der weltlichen Macht.53 Genau wie Karl III. endete Heinrich IV. als Bettler.54 Alles, was dieser Interpretation der Ereignisse entgegenstehen könnte, wird von Otto abgewiegelt. Glückliche Ereignisse bekräftigen also nur den bevorstehenden Untergang der Welt, weil sich die Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Der Tatsache zum Beispiel, dass in der Regierungszeit Heinrichs IV. Jerusalem für die Christenheit gewonnen wurde, steht der allgemeine Verfall der Moral und der Sitten entgegen, der für Otto offensichtlich zu sein scheint.55 Er sieht es als ein Anzeichen für das Ende der Welt, dass Gut und Böse zunehmen. Was Heinrichs Abdankung angeht, überlässt Otto es dem Leser, ob er dies als Zeichen für die Verdammnis des Kaisers oder als Prüfung des Kaisers zum Heil seiner unsterblichen Seele deuten will.56 Die Anzeichen für den Untergang häufen sich nach dem Tod Heinrichs IV., als sich Heinrich V. genau wie sein Vater verhält.57 Heinrich IV., immerhin Ottos Großvater, passt sich wie alle anderen in das Muster der Geschichtsereignisse ein. Das einzige Zugeständnis an die Verwandtschaft ist, dass Otto persönlich kein Urteil über die mögliche Verdammnis seines Großvaters fällt. Der Bericht Wilhelms von Malmesbury über die Regierung Heinrichs IV. ist nicht ganz so verwirrend wie der über Heinrich III.,58 aber wenig überraschend spielt die Investitur eine wichtige Rolle. Wilhelm führt Heinrich IV. als einen Tyrannen ein, in dem Moment, als er über den Tod seines Vaters berichtet. „Wegen seiner Torheit und Schlechtigkeit bereitete er der römischen Welt viel Verdruss.“59 Man könnte meinen, dass Wilhelm mit orbis Romanus die Kirche 53 Otto von Freising, Chronicon, Buch VII, Kap. 9, 319. 54 Otto von Freising, Chronicon, Buch VII, Kap. 12, 323: Resignatis ab imperatore regalibus, ipse iam ex rege opulentissimo ac potentissimo – miserabile mortalibus relinquens exemplum – egens factus. 55 Otto von Freising, Chronicon, Buch VII, Kap. 9, 320. 56 Otto von Freising, Chronicon, Buch VII, Kap. 11, 322: Sunt tamen, qui credant ei ad probationem, non ad dampnationem hanc temptationem circa finem suum contigisse, affirmantque ipsum elemosinis ac multis misericordiae operibus a Domino meruisse, ut excessus eius lascivaque ex fastigio regni conversatio hoc modo in presenti puniretur. 57 Otto von Freising, Chronicon, Buch. VII, Kap. 14 und 15, 325–331. 58 Zu Heinrich IV. bei Wilhelm vgl. auch Pätzold 2016, 227–233. 59 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 225, 412: E uestigio quoque Henricus, pius Romanorum imperator, defunctus successorem Henricum filium habuit, qui multas oppressions orbi Romano fatuitate nequitiaque sua intulit.

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meint. Das nächste Mal, als Heinrich IV. erwähnt wird, geschieht dies im Kontext des Lebens von Robert Guiscard, als Wilhelm kurz über den Krieg Heinrichs gegen Papst Gregor VII. berichtet, der Robert Guiscard zu seinem Zug nach Rom veranlasste. Heinrich war „zornig auf den Papst, der ihn wegen der Investitur von Bischöfen exkommuniziert hatte“, eine recht kurze Erklärung für einen komplexen, eskalierenden Konflikt.60 Als Wilhelm dann von Gregor erzählt, geht er im Detail auf den Gang nach Canossa und die Wahl von Gegenkönigen ein und dafür scheint er von propagandistisch angehauchten Quellen aus Deutschland entlehnt zu haben.61 Er behauptet, der unnachgiebige Papst habe sich geweigert den bußfertigen Kaiser, der ihm barfuß mit Schere und Kamm gegenüberstand, zu vergeben, weil der Papst niemandem vergeben wollte, der „mit seiner Schwester Inzest und Sakrilegien begangen hatte“.62 Heinrichs Aktionen gegen Gregor sind also Racheakte wegen dessen Weigerung, die Exkommunikation aufzuheben. Heinrich triumphierte über seine Gegner, aber musste sich doch dem Schicksal unterwerfen, als sein Sohn seine Absetzung betrieb.63 Heinrich ist also in dem Moment bereits als ein Antiheld eingeführt, als Wilhelm sich schließlich dem Thema Deutschland erneut zuwendet. In diesem Zusammenhang wird Wilhelms Bericht etwas weniger einseitig und er fasst die Regierung Heinrichs sehr bemerkenswert zusammen: „Dies war die Zeit, der bemitleidenswerten und geradezu desaströsen kaiserlichen Herrschaft Heinrichs, die fünfzig Jahre lang den Deutschen eine schwere Last war. Er selbst war weder ungebildet noch müßig, aber durch eine merkwürdige Wendung des

60 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 262, 484: Imperator enim Alemannorum Henricus, filius Henrici de quo supra memorauimus, iratus contra papam quod excommunicationem in eum propter inuestituras aecclesiarum promulgauerat. 61 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 266, 490–493. Zum insgesamt düsteren Bild von Heinrich IV., das von der Opposition verstärkt wurde, vgl. Althoff 2006, 254–273; Gerd Althoff, Noch einmal zu den Vorwürfen gegen Heinrich IV. Genese, Themen, Einsatzfelder, in: Gerd Althoff (ed.), Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69), Sigmaringen 2009, 255–267; sowie Steffen Patzold, Die Lust des Herrschers. Zur Bedeutung und Verbreitung eines politischen Vorwurfs zur Zeit Heinrichs IV., in: Gerd Althoff (ed.), Heinrich IV. (Vorträge und Forschungen 69), Sigmaringen 2009, 219–253. 62 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 266, 490: Denique fertur quod, inter eum et imperatorem primi tumultus initio, illum nudipedem et forcipes cum scopis portantem nec etiam foribus admiserit, abominatus hominem sacrilegum et sororii incesti reum. Diese spezielle Anklage steht bei Bruno von Merseburg: Bruno of Merseburg, Saxonicum Bellum, ed. Hans-Eberhard Lohmann (Monumenta Germaniae Historica. Deutsches Mittelalter 2), Leipzig 1937, Kap. 9, 18. Vgl. dazu ebenso Althoff 2006, 271; Patzold 2009, 222. 63 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 266, 492: sed ille [Heinrich IV.], semper aduersis superior, et illum et ceteros improbe assurgentes tandem oppressit. Postremo non alienorum impetus sed domestico filli odio extrusus imperio, miserabilem uitae terminum habuit.

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Schicksals wurde er ein Ziel für alle, so dass ein jeder, der gegen ihn die Waffen erhob, glaubte, dass er der Sache der Religion dienen würde.“64

Das scheint zu implizieren, dass Heinrich zwar seine Fehler hatte, aber dass er vor allem das Unglück hatte, in einer Zeit zu regieren, die außerordentlich ungünstig war. Der beste Parallelfall ist in England wohl Ethelred der Unberatene, der, wie Heinrich, weder ungebildet noch müßig war, aber gegen schwierige Umstände zu kämpfen hatte.65 Alles in allem ist allerdings die Charakterisierung Heinrichs sehr viel positiver als die Ethelreds. Er war ein fähiger Krieger, gebildet, belesen, eloquent, gab Almosen etc., aber was wohl am wichtigsten ist: Seine Feinde nahmen ein schlimmes Ende.66 Wilhelm erzählt die Geschichte von einem namenlosen Feind des Kaisers, der von Mäusen gefressen wurde.67 Es ist ganz gut, dass er keinen Namen nennt, denn wir kennen den unglücklichen Bischof unter dem Namen Hatto von Mainz. Dieser lebte im 10. Jahrhundert unter den Königen Konrad I. und Heinrich I.68 Abgesehen von seinem falschen Umgang mit der 64 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 288, 520: Illa fuit tempestas qua Henrici, de quo inter gesta Willelmi locutus sum, miserabile et pene funestum per quinquaginta annos Alemannia ingemuit imperium. Erat is neque ineruditus neque ignauus, sed fato quodam ab omnibus ita impetitus ut rem religionis tractare sibi uideretur quisquis in illum arma produceret. 65 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch II, Kap. 165, 276: Veruntamen multa michi cogitanti mirum uidetur cur homo (ut a maioribus accepimus) neque multum fatuus neque nimis ignauus in tam tristi pallore tot calamitatum uitam consumpserit. Cuius rei causam si quis me interroget, non facile respondeam, nisi ducum defectionem ex superbia regis prodeuntem. Zu Ethelred in der Gesta Regum vgl. Sønnesyn 2012, 175–180 und 269– 275; Plassmann 2013, 148f. Insgesamt zu Ethelred vgl. jetzt Levi Roach, Aethelred the Unready, New Haven/London 2017. 66 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 289, 522: Inter haec erant multa quae in Cesare probares, quod esset ore facundus, acer ingenio, multa eruditus lectione, impiger elemosinis; prorsus in eo bona animi corporisque cerneres: ad arma prompte concurrere, ut qui sexagies et bis atie collocata dimicarit; iuste lites componere; cum res non successisset, querelis in caelum conuersis inde opem expectare. Plures inimicorum eius uitam exitu miserando conclusere. 67 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch III, Kap. 290, 524. 68 Die Geschichte von Hatto und den Mäusen ist in der ‚Chronica minor minoritae Erphordensis‘ zu finden, ed. Oswald Holder-Egger (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 42), Hannover/Leipzig 1899, 488–671, hier ad a. 918 und 969, 619 und 621; vgl. Jacek Banaszkiewicz, Die Mäusethurmsage. The symbolism of annihilation of an evil ruler, in: Acta Poloniae Historica 51 (1985), 5–32; Gerd Althoff, Verformungen durch mündliche Tradition: Geschichten über Erzbischof Hatto von Mainz, in: Hagen Keller/ Nikolaus Staubach (edd.), Iconologia sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 23), Berlin/New York 1994, 438–450; Johannes Fried, ‚vor fünfzig oder mehr Jahren‘. Das Gedächtnis der Zeugen in Prozeßurkunden und in familiären Memorialtexten, in: Christel Meier/Volker Honemann (edd.), Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur (Münstersche Mittelalter-Schriften 79), München 2002, 23–61, hier 43–56. Das Märchenmotiv, dass ein schlechter Mann von Ungeziefer

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Investitur, ist Heinrich IV. für Wilhelm ein Beispiel für einen König, der unter erschwerten Bedingungen regieren musste und der sich also in Wilhelms Vorstellung davon, dass die Fähigkeiten eines Königs gut und schön waren, dass sie aber nichts nutzten, wenn die Umstände nicht passten, gut einfügt. Darin scheint er Ottos pessimistischer Weltsicht durchaus nahezustehen. Umstände können sich indes ändern und nach Wilhelms Vorstellung können sie sich durch die Handlungen einzelner ändern. Heinrich V. ist ein gutes Beispiel dafür, da es ihm gelang, sich mit dem Papst zu versöhnen und den Investiturstreit zu beenden. Anschließend wird er von Wilhelm mit Karl dem Großen verglichen.69 Mit den Bischöfen an seiner Seite bekam Heinrich die Gelegenheit, seinem großen Vorgänger nachzueifern.

6.

Ergebnisse

Otto und Wilhelm nutzten beide die römisch-deutschen Kaiser als Beispiele, jedoch nicht als beispielhafte Herrscher, denen es nachzueifern galt – sieht man einmal von Karl dem Großen ab. Otto unterwirft die Darstellung ihrer Herrschaften rigoros dem Auf und Ab der Geschichte, die er überall am Werk sieht und das erst mit dem Ende der Welt aufhören wird. Die Ereignisse, die er uns berichtet, beweisen seine Geschichtssicht im Großen und im Kleinen. Beim Lesen von Ottos Abfolge der Geschichte muss auch dem Dümmsten klar werden, worauf die Geschichte hinausläuft. Ottos Darstellungsabsicht ist die Belehrung. Wenn der Leser erst einmal die Eitelkeit der Welt erkennt, wird er einsehen, dass all seine Bemühungen in der säkularen Sphäre umsonst sind. Dann kann er sich darauf konzentrieren, den Himmel zu erreichen, indem er sich den guten Menschen anschließt. Es ist bezeichnend, dass das einzige Ereignis der englischen Geschichte, das Otto nennt, diese Erkenntnis nur unterstützen kann. Die

gefressen wird, findet sich auch in anderen Quellen: Thietmar von Merseburg, Chronicon, ed. Robert Holtzmann (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum Neue Serie 9), 2. Aufl., Berlin 1955, Buch VI, Kap. 82, 372; Gallus Anonymus, Cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum, ed. Karol Maleczýnski (Monumenta Poloniae Historica. Neue Serie 2), Krakau 1952, Buch I, Kap. 3, 12; Giraldus Cambrensis, Itinerarium Kambriae, in: Giraldi Cambrensis, Opera 6, ed. James F. Dimmock (Rerum Britannicarum medii aevi Scriptores 21.6), London 1868, 1–152, hier Buch II, Kap. 2, 110–112. Zu diesem Motiv vgl. Hans-Jörg Uther, Mäuseturm von Bingen, in: Enzyklopädie des Märchens 9 (1999), 445–450; Leander Petzold (ed.), Historische Sagen. Von der Antike bis zur Gegenwart, Wiesbaden 2008, 37–40. 69 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, Buch V, Kap. 438, 782, vgl. Anm. 1. Über Heinrich V. bei Wilhelm ausführlich Pätzold 2016, 233–239.

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Anarchie in England nach dem Tod Heinrichs I. ist ein Zeichen für den zunehmenden Niedergang wie viele andere.70 Wilhelm hingegen benutzt die römisch-deutschen Kaiser genauso, wie er auch die englischen Könige benutzt. Ihre Regierungszeiten sind Lehrstunden über die Bedingungen von Herrschaft und wie alles zusammenhängt: die Fähigkeiten des Königs, gelegentlich sogar seine Tugenden, sein Umgang mit den Fürsten, insbesondere den Bischöfen, das Verhalten der Großen, die Rolle der Kirche und wie eine Herrschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle Faktoren zusammenwirken. Wilhelm konzentriert sich auf das hier und jetzt. Seine Vorstellung von Erlösung und Heil ist viel persönlicher und säkularer als die von Otto. Der König muss erfolgreich und friedlich herrschen und die Bischöfe müssen ihre Pflicht tun und die Christen zu einem besseren Leben anhalten. Wilhelm wäre seine Darstellung der römisch-deutschen Kaiser kaum anders angegangen, wenn er besser informiert gewesen wäre oder bessere Quellen gehabt hätte. Er hätte andere Erzählungen verwenden können und sie genauso in sein Schema einpassen können. Möglicherweise hat er ja auch einiges ausgelassen, das nicht passte. Für Wilhelm stellt sich die Frage nach dem Ende der Welt nicht; im Herzen seiner Darstellung stehen vielmehr die Bedingungen für erfolgreiche Herrschaft und die sind überall dieselben, in England ebenso wie im Reich.

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Konrad Klaus

Kalhanas ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘: ein indisches Pendant zur 1 ˙ ˙ ‚Kaiserchronik‘?

Abstract The ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’, the “River of Kings”, is a Sanskrit text written by a Kashmirian author ˙ named Kalhana in the middle of the twelfth century CE. It contains stories about the kings of ˙ the Kashmir Valley which add up to a history of that same valley spanning almost 3,600 years, starting from a mythical early period and ending in the year 1150, when the text was finished. The ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’ displays a number of similarities with the German ‘Kaiser˙ chronik’ and is introduced in this article in some detail. Basic information about the text’s author, its editions and translations, and its manuscript transmission is followed by a description of its content. Kalhana knows of altogether 141 ˙ people who ruled the Kashmir Valley, 138 kings and 3 queens, but since 35 early kings “had sunk in the ocean of oblivion”, the ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’ actually reports in more or less detail on ˙ 103 kings and 3 queens. In view of the way in which the rulers are introduced, two different parts of the text may be distinguished. The first part, which makes up just over one third of the text, comprises the first six books plus the beginning of book 7 up to stanzas 230–233, where the abdication of King Ananta (r. 1028–1063) and the enthronement of his son, Kalas´a (r. 1063–1089), are recorded. Covering almost 3,500 years of Kashmirian history, it is for the most part biographically structured, with more or less self-contained portraits of single rulers following one another sequentially. Being based on very different source materials, from chronicles to legends and fairy tales, the portrayals in this part vary significantly in type and scale. In contrast, the second part, which comprises the greater portion of book 7 as well as the lengthy book 8, and makes up just under two thirds of the text, consists of a continuous and increasingly detailed report on the political history of Kashmir in the period from 1063 to 1149; this is probably based for the most part on eyewitness accounts, and portraits of the nine kings from Kalas´a to Jayasimha (r. 1128–1155) are embedded in it. ˙ After addressing Kalhana’s handling of his source materials and his abilities in shaping ˙ these materials, the article highlights the double nature of the ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’. Exactly ˙ dating and localizing many of the reported historical events that happened during the five hundred years before it was completed, reporting not only on ‘good’ kings who complied in an exemplary manner with the standards of kingship in classical India, but also on ‘bad’

1 Ich danke Frau Theresa Wilke, Bonn, für ihre Hilfe bei den Recherchen für den vorliegenden Aufsatz, meinem Freund Walter Slaje, Halle a. d. Saale/Weimar, für die kritische Durchsicht desselben und Herrn John Stavrellis, Köln, für seine Hilfe bei der Formulierung des Abstracts.

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kings who failed miserably or were ferocious oppressors, it is, as a whole, characterized by a remarkably realistic narrative style. Within the vast range of Sanskrit literature, it comes closest to what we would regard as a historiographical text according to European standards. At the same time, the ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’ falls under the category of ka¯vya, that is, “poetry” ˙ in the premodern Indian understanding of the term. This has a strong impact on its character. Besides allowing the use of fictional elements, such as interior monologues on the part of the main characters, in order “to make the past times visible”, it determines above all the pragmatic intention of the text. Taking the lives of the Kashmirian kings and queens as an example of the ultimate heteronomy of all human life, the ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’ aims to create a ˙ mood of detachment from the world and to evoke a sentiment of inner calmness (s´a¯ntarasa) in the recipient, thus arousing in him a longing for his final liberation from the circle of transmigration. Finally, a preliminary list of some similarities and differences between the ‘Ra¯jataran˙gin¯ı’ ˙ and the ‘Kaiserchronik’ is provided; this could have been more comprehensive if the former had been studied as much as the latter.

„Es sind erstaunliche Dinge, die die älteste“ auf Sanskrit verfasste „Verschronik über“ die Könige des Kaschmirtals „mit pointiertem Wahrheitsanspruch in Umlauf setzt“: Ein König lässt seinen treuen Minister pfählen, als er gerüchteweise hört, dass dieser sein Nachfolger werden wird, doch noch auf dem Richtplatz erwecken mehrere Hexen den Leichnam des Ministers wieder zum Leben; die Frau eines andern Königs nimmt während einer schweren Hungersnot ob der Rechtschaffenheit ihres Mannes gewissermaßen die Weltordnung in die Pflicht, woraufhin es Tauben vom Himmel regnet; ein dritter König bekommt eine Gänsehaut, als er den Todesschrei eines Kriegselefanten hört, der im Gebirge einen Abhang hinabstürzt, und lässt daraufhin weitere einhundert Elefanten einen nach dem anderen den Abhang hinabstürzen, nur um jedes Mal erneut den Kitzel zu verspüren; ein vierter lässt inmitten einer großen Sandwüste einen Fluss hervortreten, indem er seine Lanze in den Sand stößt, und rettet so sein Heer vor dem Untergang; ein fünfter wird im gleichen Moment, da er über die Verfluchung durch einen von ihm erzürnten Brahmanen lacht, von einem goldenen Balken, der vom Baldachin über ihm hinabstürzt, schwer verletzt. „Solche Ereignisfolgen sind zunächst einmal unterhaltsame Geschichten unterschiedlicher Herkunft, Stoff- und Genrezugehörigkeit, die, zu einem großepischen Werk vereint, um 1150“ einen Meilenstein indischer „Erzählkunst“ bilden. „Kontext und Rahmen, vor allem aber das Selbstverständnis des Verfassers lassen sie zugleich zu biographisch strukturierten Ausschnitten aus der Geschichte werden.“ Das sind die auf Kalhanas ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, zu Deutsch etwa: „Der Strom der ˙ ˙ Könige“, umgemünzten Sätze, mit denen das Nachwort zu Mathias Herwegs

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Auswahledition und -übersetzung der ‚Kaiserchronik‘ beginnt,2 und es sind längst nicht die einzigen, die sich mit den notwendigen Anpassungen mehr oder weniger treffend zumindest auf Teile der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ übertragen ließen. Von ˙ daher liegt es nahe, dass ich als Indologe im Rahmen eines Workshops, der sich der deutschen ‚Kaiserchronik‘ im Kontext zeitgenössischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung widmet, einmal versuche, den indischen Text etwas genauer vorzustellen, als ich es sonst bei Vorträgen im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1167 tue, dies in der Hoffnung, dass seine Betrachtung dabei hilft, die Eigenheiten der ‚Kaiserchronik‘ schärfer in den Blick zu bekommen. Beginnen wir die Vorstellung mit dem, was wir über Kalhana, den Verfasser ˙ der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, wissen. Dessen genaue Lebensdaten sind nicht bekannt, je˙ doch geht unter anderem aus der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ selbst hervor, dass er in der ˙ ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gelebt haben muss.3 Weiterhin steht fest, dass er einer zur damaligen Zeit noch sehr angesehenen kaschmirischen Brahmanenfamilie entstammte,4 dass er also dem Lehrstand angehörte, aus dem vor allem sich – in Kaschmir wie auch sonst in Indien – die religiöse und intellektuelle Elite des Landes rekrutierte. Dabei ist als Besonderheit der kaschmirischen Brahmanen zu erwähnen, dass sie häufig Waffen trugen und dass einige von ihnen nicht nur in beratender und administrativer Funktion am Hof tätig waren, sondern auch militärische Dienste leisteten.5 So hatte etwa Kalhanas Vater unter ˙ König 135Harsa6 (1059–1101, reg. 1089–1101) am Ende des 11. Jahrhunderts eine ˙ Zeit lang das in Kaschmir sehr wichtige Amt eines Kommandanten der Grenztruppen inne.7 Anders als sein Vater hat Kalhana selbst anscheinend zu keiner ˙ Zeit eine politische Rolle am kaschmirischen Königshof gespielt. Er trat vielmehr als angesehener Poeta doctus in den literarischen Zirkeln der kaschmirischen 2 Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014, 465 (Hervorhebungen im Original). 3 Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı. A Chronicle of the Kings of Kas´mı¯r. Translated, with an introduction, ˙ ˙ commentary, and appendices, Bd. 1, ed. Marc. A. Stein, Westminster 1900, 6 und 15. 4 Ebd., 7f. 5 Walter Slaje, Geschichte schreiben. Vier historiographische Prologe aus Kaschmir, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 158 (2008b), 317–335, hier 320f. mit Anm. 16. Siehe zuletzt ausführlich Walter Slaje, A Glimpse into the Happy Valley’s Unhappy Past: Violence and Brahmin Warfare in Pre-Mughal-Kashmir, https://www.academia.edu/ 36366312/A_Glimpse_into_the_Happy_Valleys_Unhappy_Past_Violence_and_Brahmin_War fare_in_Pre-Mughal_Kashmir (10. 08. 2018). 6 Die tiefgestellte Ziffer vor dem Namen eines Königs gibt an, welchen Platz er in der langen Reihe der kaschmirischen Könige einnimmt. 7 Stein 1900 (1), 6f. Aus Ra¯jataran˙gin¯ı VII, 1117f. geht hervor, dass ein Onkel Kalhanas bei ˙ König 135Harsa Gesangsunterricht genommen und in dieser Zeit dessen besondere ˙ Gunst ˙ genossen hat, vgl. ebd., 7.

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Hauptstadt S´rı¯nagar auf,8 wobei er vermutlich von hohen Würdenträgern am Hof von 135Harsas Nachfolgern gefördert wurde.9 Mit dem ‚Ardhana¯rı¯s´varastotra‘, ˙ einem aus achtzehn Strophen bestehenden Lobpreis des Gottes S´iva in androgyner Gestalt, wird ihm neben der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ noch ein zweites Werk zuge˙ schrieben, doch handelt es sich dabei um eine Kompilation eines unbekannten Verfassers, dem unter anderem die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ als Quelle gedient hat.10 ˙ Obwohl die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ die Geschichte einer nur kleinen, noch dazu am ˙ Rand des indischen Subkontinents gelegenen Region behandelt und obwohl sie nicht zu den eigentlichen ‚Klassikern‘ der Sanskritliteratur zählt, sind bis heute sechs vollständige und zwei Teilausgaben von ihr erschienen.11 Davon seien an dieser Stelle nur drei erwähnt, nämlich (1) die zwischen 1832 und 1835 in Kalkutta erschienene editio princeps,12 die heute keinerlei „kritischen Wert“ mehr beanspruchen kann, sich aber in Indien in der Vergangenheit trotz aller an ihr geübten Kritik „großer Beliebtheit erfreut“ hat,13 dann (2) die von dem ungarisch-britischen Gelehrten Sir Marc Aurel Stein erstellte und 1892 in Bombay veröffentlichte Edition,14 die die bis heute sicherste Grundlage für die Arbeit mit und an der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ darstellt, und schließlich (3) die unter der Regie des ˙ bedeutenden indischen Gelehrten Vishva Bandhu angefertigte und 1963–1965 in Hoshiarpur erschienene Edition,15 in der zwar eine sehr viel größere Zahl von Handschriften Berücksichtigung gefunden hat als in derjenigen Steins, die aber trotzdem nicht wirklich über diese hinausführt, weil darin die Abhängigkeiten der Handschriften nicht beachtet worden sind.16 Ebenso liegen mehrere Übersetzungen des Textes in moderne Sprachen vor, namentlich ins Englische, Französische und Hindi, von denen hier zwei englische Erwähnung verdienen, nämlich zum einen die 1900, acht Jahre nach dem Erscheinen der Edition, von

8 Vgl. ebd., 10–14, sowie Walter Slaje, Bacchanal im Himmel und andere Proben aus Man˙kha (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Indologischen Kommission 3), Wiesbaden 2015, 250f. 9 Stein 1900 (1), 20. 10 Siehe Walter Slaje, Kalhanas Ode an den androgynen Gott (Ardhana¯rı¯´svarastotra), in: ˙ Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 165 (2015), 395–416. 11 Bernhard Kölver, Textkritische und philologische Untersuchungen zur Ra¯jataran˙gin¯ı des ˙ Kalhana (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland. Supplementband ˙ 12), Wiesbaden 1971, 63. Zu den Ausgaben vgl. ebd., 63–78. 12 The Rája Tarangini. A History of Cashmir. Consisting of Four Separate Compilations […], Calcutta 1835. 13 Kölver 1971, 65. 14 Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı or Chronicle of the Kings of Kashmir, ed. Marc A. Stein, vol. 1: ˙ text with critical ˙ notes, Bombay 1892. Sanskrit 15 Ra¯jataran˙gin¯ı of Kalhana. Ed., crit., and annotated […] by Vishva Bandhu. 2 Tle., Hoshiarpur ˙1963–1965. ˙ 16 Kölver 1971, 76.

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Stein vorgelegte17 und zum anderen die zuerst 1935 erschienene des indischen Gelehrten Ranjit Sitaram Pandit.18 Was die handschriftliche Überlieferung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ angeht, so sind seit ˙ dem Beginn des 19. Jahrhunderts insgesamt mehr als dreißig Manuskripte bekanntgeworden, von denen manche vollständig, andere nur fragmentarisch erhalten geblieben sind, manche den gesamten Text der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, andere nur ˙ Teile davon enthalten, manche heute noch erhalten, andere dagegen irgendwann nach dem Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens verschollen sind.19 Für die Rekonstruktion des Archetypus wirklich von Bedeutung sind allerdings nur drei, die üblicherweise mit den Sigeln A, L und M bezeichnet werden. A ist die älteste bekannte und mit Abstand wichtigste Handschrift. Sie ist in S´a¯rada¯-Schrift geschrieben, d. h. in einer in den ersten Jahrhunderten nach dem Beginn u. Z. in Kaschmir entwickelten und nur dort bzw. im Nordwesten des Subkontinents verwendeten, heute weitgehend aus dem Gebrauch gekommenen Schrift. A enthält zunächst die zwischen ca. 1650 und 1680 angefertigte, einigermaßen sorgfältige, in Steins Edition als A1 bezeichnete Abschrift eines älteren Manuskripts und darüber hinaus Korrekturen von insgesamt drei verschiedenen Händen. Wichtig sind vor allem die Einträge des zweiten Korrektors, von Stein A3 genannt, da diesen Einträgen eine Handschrift zugrunde liegt, die zwar mit der Vorlage von A verwandt, aber doch von ihr verschieden gewesen ist. Stein hat die Handschrift A nach der Fertigstellung der Edition an ihre Besitzer, die Oberhäupter von drei in S´rı¯nagar lebenden Brahmanenfamilien, zurückgegeben. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt, und wir müssen annehmen, dass sie nicht mehr existiert.20Alle anderen Handschriften – mit Ausnahme von L und M

17 Stein 1900. Zu Beginn der 1940er Jahre plante Stein einen Nachdruck seiner Übersetzung, dem er zusätzliche Anmerkungen zum Text und zur Übersetzung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ sowie ˙ von ihm selbst aufgenommene Fotografien von zahlreichen im Text erwähnten Örtlichkeiten und Bauwerken beigeben wollte, doch starb er 1943, ehe er den Plan in die Tat umsetzen konnte. Die von ihm für den Nachdruck vorbereiteten Materialien sind inzwischen von Luther Obrock herausgegeben worden: Marc A. Stein, Illustrated Ra¯jataran˙gin¯ı. Together ˙ with Eugen Hultzsch’s Critical Notes and Stein’s Maps. Edited by Luther Obrock in Collaboration with Katrin Einecke (Studia Indologica Universitatis Halensis 6), Halle a. d. Saale 2013. 18 Ranjit S. Pandit, Ra¯jataran˙gin¯ı, the Saga of the Kings of Kas´mı¯r. Translated From the ˙ ˙ skrta, Allahabad 1935 Original Sam (ND New Delhi 1968). – Zu den unterschiedlichen ideo˙ logischen Hintergründen der Übersetzungen von Stein und Pandit vgl. Citralekha Zutshi, Translating the Past: Rethinking Rajatarangini Narratives in Colonial India, in: The Journal of Asian Studies 70 (2011), 5–27. 19 Eine sehr hilfreiche Übersicht über die Handschriften, an der sich die folgenden Ausführungen orientieren, bietet Kölver 1971, 13–61. 20 Dies gilt umso mehr, als zahlreiche im Kaschmirtal lebende Brahmanenfamilien zu Beginn der 1990er Jahre durch militante muslimische Gruppen von dort vertrieben worden sind und seither z. T. in Flüchtlingslagern leben, vgl. Dietmar Rothermund, Krisenherd Kaschmir.

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– gehen entweder direkt oder über Zwischenstufen auf A zurück und sind deswegen für die Textherstellung ohne Bedeutung. Die Handschrift L hat Stein während der Arbeit an seiner oben erwähnten englischen Übersetzung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ im heutigen nordostpakistanischen ˙ Lahore entdeckt und ausgewertet. Zwar stammt L ebenfalls von A ab, enthält aber zahlreiche Korrekturen, die auf eine nicht zur Traditionslinie von A gehörende Handschrift zurückgehen. Auch L ist heute verschollen, so dass A1, A3 und L nur noch durch die Arbeiten Steins dokumentiert sind. Bei M schließlich handelt es sich um eine leider nur fragmentarisch erhaltene Handschrift, die 1885 von dem deutschen Indologen Eugen Hultzsch in S´rı¯nagar erworben worden ist und heute in der Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt wird. M enthält neben vielen Varianten, die sie in die Nähe von L rücken, im 8. und letzten Kapitel 161 Strophen, denen in A und ihren Derivaten lediglich 7 Strophen entsprechen.21 Hultzsch betrachtete M seinerzeit als einzigen Zeugen einer von Kalhana selbst revidierten, erweiterten Fassung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, die sich nicht ˙ ˙ gegen die ursprüngliche, kürzere Fassung durchzusetzen vermochte.22 Demgegenüber hat später Bernhard Kölver mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass M umgekehrt das einzige Relikt einer früheren Fassung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙ darstellt, die von der durch A repräsentierten, leicht gekürzten und durch die Kürzung trivialisierten späteren Fassung fast vollständig verdrängt worden ist.23 Wenden wir uns damit nun dem Inhalt der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ zu. Darin wird, wie ˙ eingangs bereits angedeutet, die Geschichte der Herrscher von Kaschmir erzählt,24 und zwar von einer mythischen Anfangszeit an bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts n. Chr. Insgesamt umspannt das Werk nach Kalhanas Angaben ˙

21

22 23 24

Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan (Beck’sche Reihe 1505), München 2002, 60f. Hultzsch hat sämtliche in M enthaltenen Varianten und den Text der 161 Strophen in mehreren Aufsätzen mitgeteilt, siehe Eugen Hultzsch, Critical Notes on Kalhana’s Seventh Taranga, in: Indian Antiquary 40 (1911), 97–102; Ders., Critical Notes on Kalhana’s Eighth Taranga, in: Indian Antiquary 42 (1913), 301–306; Ders., Kritische Bemerkungen zur Ra¯jataran˙gin¯ı, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 69 (1915), 129–167. ˙ Diese Aufsätze finden sich zusammen nachgedruckt in Stein 2013, 177–235. Hultzsch 1915, 138f. Kölver 1971, 79–85. Das Gebiet des Königreichs Kaschmir, von dem Kalhana erzählt, ist nicht identisch mit dem ˙ gebundenen ehemaligen FürstenGebiet des seinerzeit vertraglich lose an Britisch-Indien staates Kaschmir, das heute teils von Pakistan, teils von Indien, teils von China besetzt ist. Es umfasste vielmehr nur das im Nordwesten des heutigen indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir, nahe der Grenze zu Pakistan, gelegene Kaschmirtal, das eine Größe von gut 5.000 qkm hat, d. h. ungefähr so groß ist wie Luxemburg und das Saarland zusammengenommen. Es ist ringsum von hohen Bergen umgeben und nur über einige wenige, hauptsächlich im Süden und im Nordwesten gelegene Passstraßen erreichbar, ein Umstand, der es den Herrschern von Kaschmir stets erleichtert hat zu kontrollieren, wer das Land betritt und wer es verlässt, vgl. Slaje 2018, 4.

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einen Zeitraum von fast 3600 Jahren, konkret die Zeit von umgerechnet 2448 v. Chr., dem Jahr der Thronbesteigung des ersten Königs, bis 1149/50 n. Chr., dem Jahr, in dem Kalhana die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ zum Abschluss gebracht hat.25 In ˙ ˙ diesem Zeitraum gab es nach seiner Darstellung in Kaschmir praktisch nur eine einzige Herrschaftsform, nämlich eben die Königsherrschaft. Wohl lesen wir nicht selten von Zeiten von Thronwirren, wo aus der Logik der Erzählung folgt, dass der Thron für einige Tage oder Wochen verwaist war.26 Aber das sind stets Krisensituationen, eine wirkliche Alternative zur Königsherrschaft kennt Kalhana nicht.27 Insgesamt weiß er von 141 Personen – 138 Männern und drei Frauen ˙ –, die in den fast 3600 Jahren in Kaschmir den Königsthron bestiegen haben, jedoch war zu seiner Zeit die Erinnerung an 35 Könige der Frühzeit, konkret an die Könige Nr. 5–39 in der Liste der kaschmirischen Throninhaber, bereits vollständig verblasst, eine Tatsache, die er in der Strophe Ra¯jataran˙gin¯ı I, 83 kurz ˙ erwähnt: „Alsdann sind 35 Könige, deren Namen und Taten verloren gegangen sind, weil die Überlieferung abgerissen ist, im Meer des Vergessens versunken.“28

Was er von den danach noch verbleibenden 106 Königen und Königinnen erzählt, ist nach Art und Umfang sehr verschieden. Aus Tabelle 1 geht hervor, dass der Text insgesamt etwas mehr als 7.800 Strophen umfasst29 und dass diese sich sehr ungleichmäßig auf acht Bücher verteilen. Buch

Strophen

Zeitraum

1

373

2448– 180 v. Chr.

Anzahl der Könige und Königinnen 74 Könige + 1 Königin – 2448–1182: 53 Könige und 1 Königin; darunter 35 Könige, die vollständig vergessen sind – 1182–180: 21 Könige (Gonanda-Dynastie)

25 Zu der zeitlichen Ordnung, die Kalhana der kaschmirischen Geschichte gegeben hat, siehe Stein 1900 (1), 56–70, sowie ergänzend˙ dazu Michael Witzel, Kashmiri Brahmins under the Ka¯rkota, Utpala and Lohara Dynasties, 625–1151, in: Eli Franco/Isabelle Ratié (edd.), ˙ Abhinavagupta. Aspects of the Intellectual History of Kashmir From the Ninth to the Around Eleventh Century (Leipziger Studien zu Kultur und Geschichte Süd- und Zentralasiens 6), Berlin 2016, 609–643, bes. 609. 26 Vgl. z. B. Ra¯jataran˙gin¯ı V, 455–477: Zwischen der Flucht des Kindkönigs 119S´u¯ravarman II. ˙ Weihe seines Nachfolgers Yas´askara (reg. 939–948 n. Chr.) vergeht (reg. 939 n. Chr.) und der 120 ungefähr eine Woche. 27 Bezogen auf den gesamten indischen Subkontinent bemerkt Hartmut Scharfe, The State in Indian Tradition (Handbuch der Orientalistik. 2. Abt., 3), Leiden et al. 1989, 26: „Until very recent times monarchy was almost the exclusive form of government in India, though the form and content of monarchical rule varied greatly over the times.“ 28 a¯mna¯yabhan˙ga¯n nirnastana¯makrtya¯s tatah param | ˙¯˙ magna¯ vismr ˙ ˙ ||83|| pañcatrim´san mahı¯pa¯la tisa¯gare ˙ ˙ 29 Sämtliche Zahlenangaben beziehen sich auf die Edition von Stein.

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(Fortsetzung) Buch

Strophen

2

171

3

530

4

720

5

483

6

368

7

1.732

8

3.449 7.826

Zeitraum 180 v.– 12 n. Chr. 12– 601 601– 855/6 855/ 6–939 939– 1003 1003– 1101 1101– 1149/50 3598 Jahre

Anzahl der Könige und Königinnen 6 Könige (fremde Herkunft) 10 Könige (restaurierte Gonanda-Dynastie) 16 Könige (Ka¯rkota-Dynastie) ˙ 11 Könige + 1 Königin (Utpala-Dynastie) 9 Könige + 1 Königin (mehrere kurzlebige Dynastien) 6 Könige (1. Lohara-Dynastie) 6 Könige (2. Lohara-Dynastie) 138 Könige + 3 Königinnen

Tab. 1: Gliederung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙

Da sich, wie anhand der Tabelle weiterhin zu sehen ist, die Einteilung des Textes in acht Bücher grob an der Abfolge der kaschmirischen Königsdynastien orientiert, ergeben sich aus der ungleichmäßigen Verteilung der Strophen auf die acht Bücher auch große Unterschiede im Hinblick auf die Ausführlichkeit, mit der über die Herrschaft der Könige und Königinnen berichtet wird. Eine gewisse Zäsur markieren in dieser Hinsicht die Strophen Ra¯jataran˙gin¯ı VII, 230–233, in ˙ denen erzählt wird, wie König 132Ananta, der dritte Herrscher der sog. 1. Lohara-Dynastie, im Jahre 1063 nach 35-jähriger Herrschaft auf Drängen seiner Hauptgemahlin Su¯ryamatı¯ zurücktritt und ihren gemeinsamen Sohn 133Kalas´a zum König weiht. Durch diese Zäsur wird der Text in zwei Teile geteilt, von denen der erste gut ein Drittel, der zweite knapp zwei Drittel ausmacht. Bei dem längeren zweiten Teil handelt es sich um einen zusammenhängenden, sich über die Jahre 1063 bis 1149 erstreckenden Bericht über die wichtigsten politischen Ereignisse in Kaschmir, der sich aus einer Vielzahl von Episoden zusammensetzt und in den die Porträts der insgesamt neun in diesem Zeitraum regierenden Könige gewissermaßen eingewoben sind. Demgegenüber ist die Erzählung im ersten Teil der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ sehr viel stärker biografisch strukturiert. Wohl ˙ finden wir auch hier vereinzelt Fälle, wo der Nachfolger eines Königs bereits als Figur in der Vita seines Vorgängers erscheint,30 wo sich die Viten zweier Könige 30 Vgl. beispielsweise Ra¯jataran˙gin¯ı V, 182–213, wo der spätere König 110Gopa¯lavarman ˙ seines Vaters S´amkaravarman (reg. 883–902), die die (reg. 902–904) im Rahmen der Vita 109 ˙ Strophen V, 128–227 umfasst, als dessen Kritiker auftritt.

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teilweise überlappen31 oder ineinander verschachtelt sind,32 wo die Angaben zu einem König in die Vita eines anderen Königs integriert sind,33 aber aufs Ganze gesehen gilt, dass wir es in den Büchern 1–6 und am Anfang des Buches 7 mit einer Aufeinanderfolge von in sich abgeschlossenen, klar voneinander abgrenzbaren Ausführungen zu einzelnen Königen zu tun haben.34 Die Herrscherporträts im ersten Teil lassen sich dann weiterhin im Hinblick auf Art und Umfang grob in drei verschiedene Gruppen einteilen. Eine erste große Gruppe (1) bilden Kurzporträts im Umfang von einer halben bis zu zehn Strophen, die im mindesten Fall aus der Erwähnung des Namens des Königs, seiner Abstammung und – ab 55Gonanda III. – der Dauer seiner Regierungszeit bestehen, durch die wir aber zumeist darüber hinaus auch noch Auskunft über einige für seine Herrschaft charakteristische Taten und Eigenschaften erhalten. Als Beispiel können die vier Strophen Ra¯jataran˙gin¯ı I, 336–339 dienen, ˙ die Angaben über fünf aufeinanderfolgende Könige enthalten: „Darauf herrschte dessen Sohn 68Ksitinanda, den die Göttin als Wurzelknollen vom ˙ Baum der [königlichen] Familie übriggelassen hatte,35 dreißig Jahre lang über die Erde. (336) Dessen Sohn, 69Vasunanda mit Namen, berühmt als Verfasser eines Lehrbuchs über die Liebe, beschützte die Erde 52 Jahre und zwei Monate lang. (337) Dessen Sohn 70Nara war sechzig Jahre lang Herrscher (vibhu), ebenso lange dessen Sohn ¯la errichten ließ. (338) 71Aksa, der das Dorf Aksava ˙ ˙

31 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es sich beim Nachfolger eines Königs nicht um dessen Sohn oder Bruder handelt, vgl. etwa Ra¯jataran˙gin¯ı II, 63–81, wo die Geschichte König 80Jayendras eng verknüpft mit der an phantastischen˙ Elementen reichen Geschichte ¯ ryara¯ja erzählt wird. seines späteren Nachfolgers 81Samdhimat-A ˙ ¯ ryara¯jas, der mit der Strophe Ra¯ja32 So wird der Bericht über die Herrschaft Sam dhimat-A 81 taran˙gin¯ı II, 116 beginnt und mit II, 171 endet,˙ an geeigneter Stelle, nämlich Ra¯jataran˙gin¯ı II, ˙ unterbrochen, um dessen Nachfolger Meghava¯hana vorzustellen, dessen Vita dann ˙ 144–151, 82 die Strophen Ra¯jataran˙gin¯ı III, 2–96 umfasst. ˙ 33 Ein Beispiel sind die Angaben zu den vier Kindkönigen 125Abhimanyu II. (reg. 958–972), ¯magupta (reg. 975– 126 Nandigupta (reg. 972–973), 127 Tribhuvana (reg. 973–975) und 128 Bhı 980/1), die in die Geschichte ihrer Mutter bzw. Großmutter 129Didda¯, die für sie als Regentin fungiert, integriert sind, vgl. Ra¯jataran˙gin¯ı VI, 188–332. 34 Dies gilt auch noch für die Viten der ersten drei˙ Herrscher der 1. Lohara-Dynastie. Den Übergang von der Vita 130Samgra¯mara¯jas (reg. 1003–1028) zu derjenigen seines Sohnes und Nachfolgers 131Harira¯ja (reg. ˙1028) markiert die Strophe Ra¯jataran˙gin¯ı VII, 127. Dessen Vita ˙ (siehe unten, S. 142) endet mit der Strophe Ra¯jataran˙gin¯ı VII, 133, diejenige seines Sohnes ˙ Strophenpaar Ra¯jataran˙gin¯ı VII, und Nachfolgers 132Ananta (reg. 1028–1063) beginnt mit dem ˙ 134f. 35 68Ksitinandas Vater 67Baka und seine sämtlichen Brüder und Neffen waren zuvor von einer hier˙ als „Göttin“ (devı¯) bezeichneten Yogameisterin (yoges´varı¯) in einem tantrischen Ritual geopfert worden, vgl. Ra¯jataran˙gin¯ı I, 331–333. ˙

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Dann behütete dessen Sohn 72Gopa¯ditya die Erde mitsamt den Inseln [um sie herum], der die glücklichen Verhältnisse des anfänglichen [d. h. goldenen] Zeitalters vor Augen führte, indem er sich um die Stände und Lebensstufen kümmerte [d. h. für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung sorgte]. (339)“36

Nicht viel mehr erfahren wir gegen Ende des ersten Teils der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ aus ˙ den Strophen VII, 127–133 über König 131Harira¯ja, der im Sommer des Jahres 1028 n. Chr. für kurze Zeit in Kaschmir regierte: „Dieser König [d. h. 130Samgra¯mara¯ja] verstarb am Tag des Beginns des [Monats] ¯ sa¯dha des vierten Jahres ˙[d. h. am 1. A ¯ sa¯dha des Jahres [400]4 der Laukika-Ära = A ˙ ˙ ˙ ˙ 13. Mai 1028], nachdem er seinen Sohn mit Namen 131Harira¯ja [zum König] geweiht hatte. (127) Der sorgte, indem er von klugen (sumanas) [Männern] unterstützt sämtliche Hoffnungen (a¯´sa¯) [derer, die sich an ihn wandten,] Wirklichkeit werden ließ, bei jedem für Erquickung, ganz wie der Frühlingsbeginn, der von Blumen (sumanas) unterstützt alle Himmelrichtungen (a¯´sa¯) leuchten lässt. (128) Seine Befehle [gab er] nicht vergeblich, [und] während er die Erde von Dieben befreite, untersagte er auf dem Markt das Verschließen der Türen bei Nacht. (129) [Obwohl sie] nicht lange währte, gebührte der Befehl[sgewalt] dieses Königs, deren Größe unerwartet kam, die Anerkennung der [anderen] Könige, wie der Sichel des Neumonds [Anerkennung gebührt]. (130) Nachdem dieser König 22 Tage lang die Erde beschützt hatte, verstarb er als jemand, dessen Ruhm strahlend hell war, am strahlend hellen achten Tag der lichten Hälfte [des ¯ sa¯dha]. (131) Monats A ˙ ˙ Die Pracht, die Menschen begleitet, die wie Sterne nach einem Augenblick erglänzen, ist eine, die Verfall bewirkt wie eine Sommernacht.37 (132) Es heißt unter den Leuten übereinstimmend, dass die eigene Mutter gegen ihren Sohn Schadenzauber geübt hat, [weil] er [wegen] ihres promisken Lebenswandels zornig [auf sie] war. (133)“38 36 devya¯ kulataroh kandah ksitinando ’vas´esitah | ˙ trim´sad ˙ vatsara ˙ ˙ ¯m ||336|| tatas tasya sutas ¯ n anvas´a¯˙n mahı ˙ dva¯pañca¯´satam abda¯n ksma¯m dvau ca ma¯sau tada¯tmajah | ˙ ¯ tasmaras´a¯strakrt ||337|| ˙ apa¯sı¯d vasunanda¯khyah˙prakhya ˙ ˙ | narah sastim tasya su¯nus ta¯vato ’ksas´ ca tatsutah ˙˙ ¯˙d vibhur gra¯mam yo ’ks ˙ ava¯lam aka¯rayat ˙ varsa¯˙n˙abhu ||338|| ˙ gopa¯dityo ’tha ksma¯m ˙ sadvı¯˙pa¯m tada¯tmajah | jugopa ˙ varna¯´sramapratyaveksa¯˙dars´˙ita¯diyugodayah ||339|| ˙ ˙ ˙ ˙ 37 Übersetzung tentativ. Ich verstehe die Strophe nicht wirklich. 38 sa caturthasama¯sa¯dhapra¯rambha¯he mahı¯patih | ˙ ˙ ||127|| harira¯ja¯bhidham˙ putram abhisicya¯stam a¯yayau ˙ ˙ sumanahsevitah kurvann as´esa¯´sa¯praka¯´sanam | ˙ sa ˙sarvasya caitrotsava ˙ hla¯da¯vahah iva¯bhavat ||128|| ˙ amogha¯jñena tenema¯m nis´caura¯m kurvata¯ mahı¯m | ˙ ˙

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Zu einer zweiten Gruppe (2) lassen sich alle Fälle zusammenfassen, in denen die oben genannten Angaben um einzelne, erzählerisch mehr oder weniger breit ausgearbeitete Episoden aus der Regierungszeit des Königs erweitert werden. Als Beispiele lassen sich die Ausführungen zu 93Durlabha(ka)-Prata¯pa¯ditya und dessen Sohn 94Candra¯pı¯da-Vajra¯ditya anführen. Erstere umfassen die Strophen ˙ Ra¯jataran˙gin¯ı IV, 7–44, und gliedern sich wie folgt: ˙ 7–8: 9–10: 11–37: 38: 39–43: 44:

Bericht über die Namen und die Abstammung des Königs Bericht über die Gründung von Tempelanlagen durch einen Minister des Königs sowie die Erbauung der Ortschaft Prata¯papura durch den König selbst Geschichte, „wie der König Durlabhaka (Prata¯pa¯ditya II.) seine spätere Gemahlin Narendraprabha¯ kennenlernt, und unter welchen Umständen er sich mit ihr verbindet“39 Bericht über die Stiftung eines Schreins durch Narendraprabha¯ namentliche Vorstellung von drei Söhnen, die 93Durlabhaka und Narendraprabha¯ miteinander haben Bericht über 93Durlabhakas Tod und seinen Aufstieg in die himmlische Welt

Die Geschichte 94Candra¯pı¯da-Vajra¯dityas schließt unmittelbar an die seines Va˙ ters an und erstreckt sich über die Strophen Ra¯jataran˙gin¯ı IV, 45–118: ˙ 45–54: 55–77: 78–81: 82–109: 110–114: 115–117: 118:

Lob 94Candra¯pı¯das, speziell für seine Gesetzestreue und Gerechtigkeit Geschichte, wie ˙94Candra¯pı¯da einem Gerber dessen Hütte abkauft, um an deren ˙ zu lassen Stelle einen Tempel errichten weitere Tempelgründungen durch 94Candra¯pı¯da sowie seine Ehefrau und ˙ andere Große des Reiches Geschichte, wie 94Candra¯pı¯da einen mysteriösen Mordfall aufklärt und den Täter einer gerechten Strafe˙ zuführt Bericht und Reflexionen über den frühzeitigen Tod 94Candra¯pı¯das, für den sein ˙ jüngerer Bruder und Nachfolger 95Ta¯ra¯pı¯da-Udaya¯ditya verantwortlich ˙ gemacht wird abschließendes Lob 94Candra¯pı¯das Bericht über 94Candrapı¯da¯s Tod˙ und seinen Eintritt in den Himmel ˙

Eine dritte Gruppe (3) bilden schließlich die regelrechten Herrscherviten, in denen verschiedene Ereignisse aus dem Leben eines Herrschers und wichtige Aspekte seiner Regierungstätigkeit zur Sprache gebracht werden und unter panyavı¯thya¯m nis´¯ıthinya¯m nisiddha¯ dva¯rasamvrtih ||129|| ˙ acirastha ¯ yinı¯˙ ra¯jñas tasya¯˙jña¯ ˙cintitonnatih | ˙ ˙ ˙ ˙ vandya¯ navendulekheva pa¯rthiva¯na¯m aja¯yata ||130|| ´ dva¯vimsatim aha¯ny urvı¯m sa raksitva¯ ksama¯patih | ˙ yayau ´suciyas´a¯h ˙´sucis´ukla ˙¯ stamı¯˙dine ||131|| ˙ ksayam ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ pra¯nina¯m dyotama¯na¯na¯m naksatra¯na¯m iva ksana¯t | ˙ ¯smaksapeveyam ˙ sam˙ gata¯˙bhan˙gada¯˙yinı ˙ ¯ ||132|| laks˙mı¯r grı ˙ ˙svairin ˙ ¯ıvrttih sutasya ˙ ˙ jananı¯ nija¯ | samanyoh ˙ caka¯ra ˙¯ syety ˙ ˙ aviga¯na¯ janas´rutih ||133|| abhica¯ram ˙ ˙ 39 Kölver 1971, 126. Zu einer möglichen Vorlage für diese Geschichte in der kaschmirischen Märchenliteratur siehe ebd., 127–133.

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denen die Viten 96Mukta¯pı¯da-Lalita¯dityas (Ra¯jataran˙gin¯ı IV, 126–371) und seines ˙ ˙ jüngsten Enkels 101Jaya¯pı¯da (Ra¯jataran˙gin¯ı IV, 402–659) als in besonderer Weise ˙ ˙ gelungen gelten dürfen. Eine – sehr grobe – Übersicht über letztere könnte etwa so aussehen: 402: 403–469:

470–481: 482–513:

514–590:

591: 592–619: 620–639: 640–659:

Bericht über die Thronbesteigung 101Jaya¯pı¯das Geschichte einer etwa drei Jahre dauernden˙ militärischen Kampagne und Abenteuerreise 101Jaya¯pı¯das, die ihn, am Ende ganz allein, bis nach Bengalen in ˙ den Nordosten des Subkontinents führt, wo er einige Zeit inkognito bei einer Tänzerin lebt, einen menschenfressenden Löwen tötet, die Hand der Königstochter Kalya¯nadevı¯ gewinnt und deren Vater zum Oberherrscher über die fünf Königreiche˙ Bengalens macht Bericht über die Rückkehr 101Jaya¯pı¯das nach Kaschmir und die Tötung seines ˙ Schwagers Jajja, der in seiner Abwesenheit dort die Herrschaft an sich gerissen hat Bericht über die segensreiche Phase der Herrschaft 101Jaya¯pı¯das, die sich durch die Gründung zahlreicher Ortschaften durch ihn selbst und ˙die Großen seines Reiches sowie durch sein Auftreten als Mäzen zahlreicher Literaten und Gelehrter auszeichnet40 Geschichte einer zweiten militärischen Kampagne 101Jaya¯pı¯das ins Ausland, auf ˙ der er zwischenzeitlich vom König von Nepal gefangen genommen wird, letztlich aber doch siegreich bis ins „Königreich der Frauen“ (strı¯ra¯jya) ganz im Norden der bekannten Welt vordringt Bericht über die Rückkehr 101Jaya¯pı¯das nach Kaschmir Geschichte, wie 101Jaya¯pı¯da einen Na¯˙ga41 vor der Entführung durch einen Zauberer aus dem Süden˙ Indiens bewahrt, wofür ihm der Na¯ga im Gegenzug den Fundort einer Kupfermine verrät Bericht über einen plötzlichen Charakterwandel 101Jaya¯pı¯das hin zum ˙ Schlechten, in Folge dessen er seine Untertanen, insbesondere die Brahmanen in seinem Reich, unterdrückt und ausplündert Bericht über eine Machtprobe 101Jaya¯pı¯das mit den Brahmanen des Ortes ˙ hat und stirbt Tu¯lamu¯lya, in deren Folge er einen Unfall

Die ungleichmäßige Darstellungsweise des Stoffes hat bei Bekanntwerden der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst Anlass zu der Vermutung ˙ gegeben, diese sei von zwei verschiedenen Personen verfasst worden, von denen die eine für die eher summarischen Schilderungen in den Büchern 1–6, die andere für die eingehenden Ausführungen in den Büchern 7 und 8 verantwortlich 40 Vgl. dazu Yigal Bronner, From Conqueror to Connaisseur. Kalhana’s Account of Jaya¯pı¯da ˙ Indian Economic and ˙ and the Fashioning of Kashmir as a Kingdom of Learning, in: The Social History Review 50 (2013), 161–177. 41 Na¯gas sind nach in Südasien und den angrenzenden Regionen weit verbreitetem Glauben in Gewässern lebende, schlangenartige Wesen, die über übernatürliche Kräfte verfügen und deren Beziehungen zu den Menschen beiderseits von Ambivalenz geprägt sind, vgl. Laurie A. Cozad, Na¯gas, in: Brill’s Encyclopedia of Hinduism 6 (2015), 72–80, sowie ausführlicher Jean P. Vogel, Indian Serpent-Lore or The Na¯gas in Hindu Legend and Art, London 1926; zum Na¯ga-Glauben in Kaschmir ebd., 220–246.

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sei, doch ist dieser Vermutung schon früh widersprochen worden,42 und spätestens seit den 1971 erschienenen diesbezüglichen Untersuchungen Kölvers kann die Einheitlichkeit der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ als gesichert gelten.43 Die beschrie˙ benen Unterschiede und die damit einhergehende Disproportionalität des Textes dürften primär das Resultat der Quellensituation sein, die Kalhana seinerzeit ˙ vorgefunden hat. So können wir davon ausgehen, dass ihm für die Behandlung des Zeitraums ab 1063 umfangreiche Zeitzeugenberichte aus erster und zweiter Hand zur Verfügung gestanden haben, dass er zum Teil sogar selbst Augenzeuge einzelner Geschehnisse gewesen ist und dass er damit den zweiten Teil der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ sozusagen als Zeithistoriker verfasst hat. Bei der Behandlung der ˙ vorausgehenden rund 3500 Jahre war er demgegenüber als Vergangenheitshistoriker teils auf schriftliche Quellen, teils auf mündliche Überlieferungen angewiesen. Auf die schriftlichen Quellentexte, die ihm für den Überblick über die kaschmirische Geschichte bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts zur Verfügung gestanden haben, geht er ansatzweise in einem insgesamt 45 Strophen umfassenden Prolog ein, den er der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ vorangestellt hat.44 Es handelt sich um (1) ˙ historische carita-s, Werke der Panegyrik, in denen die Taten einzelner Herrscher beschrieben bzw. genauer gesagt verherrlicht werden, (2) vam´sa¯valı¯-s, Listen von ˙ Königen und deren Regierungszeit, die manchmal durch die Erwähnung von religiösen Stiftungen und wichtigen politischen Ereignissen erweitert waren, (3) das ‚Nı¯lamatapura¯na‘, eine Art religiöser Enzyklopädie zu Kaschmir, sowie (4) ˙ historische Dokumente und wissenschaftliche Werke.45 Da heute von all diesen Texten nur noch das ‚Nı¯lamatapura¯na‘ erhalten ist, lässt sich vom Umgang ˙ Kalhanas mit seinen Quellen nur mehr ein sehr ungefähres Bild zeichnen. So hat ˙ Michael Witzel ausgehend von der Untersuchung einer nepalesischen Chronik wahrscheinlich machen können, dass Kalhanas Angaben zu den frühen ˙ kaschmirischen Königen in den Büchern 1–3 der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ auf separaten, ˙ sich teils ergänzenden, sich teils aber auch überschneidenden Königslisten be-

42 Kölver 1971, 86. 43 Ebd., 87–112. 44 Ra¯jataran˙gin¯ı I, 3–47. Vgl. dazu Kölver 1971, 113–124, und vor allem Walter Slaje, ‚In the ˙ Guise of Poetry‘ – Kalhana Reconsidered, in: Ders. (ed.), S´a¯stra¯rambha. Inquiries into the ˙ Preamble in Sanskrit (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes LXII), Wiesbaden 2008(a), 207–244. Eine deutsche Übersetzung bietet Slaje 2008(b), 323–331. In aller Regel werden auch die beiden vorausgehenden Strophen, Ra¯jataran˙gin¯ı I, 1f., dem Prolog zuge˙ rechnet, aber genau genommen handelt es sich dabei um zwei Segensstrophen (man˙gala), von denen die erste das gesamte Werk und die zweite das erste Buch eröffnet, vgl. Kölver 1971, 113. 45 Ra¯jataran˙gin¯ı I, 11–20, Slaje 2008(b), 325f. Ausführlich dazu Kölver 1971, 2–11. ˙

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ruhen, die er kurzerhand aneinandergefügt hat.46 Und Kölver vermutet im Anschluss an einen genauen Vergleich zweier Textabschnitte aus der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙ mit ihren Entsprechungen im ‚Nı¯lamatapura¯na‘, „daß Kalhana seinen Quellen˙ ˙ text nach der Lektüre passagenweise in mehr oder weniger enger Anlehnung an den Wortlaut nachschrieb“, dass er „seine Quellen ohne Verfälschungen, ja sogar ohne wesentliche Änderungen wiedergab“ und dass er sich „[in] der Darstellung der sachlichen Substanz […] inhaltlich und formal eng an seine Vorlage [anschloß]“.47 Nach Kölvers Dafürhalten hat Kalhanas Umgang mit seinen Quel˙ lentexten im ersten Teil seines Werkes damit als „unkritisch“ zu gelten,48 doch abgesehen davon, dass er an mindestens drei Stellen ihm vorliegende Berichte zurückweist,49 legen mehrere Erzählerkommentare innerhalb der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙ den Schluss nahe, dass er sich des Öfteren zumindest Gedanken um die Glaubwürdigkeit seiner Erzählung gemacht hat. So erklärt er beispielsweise Ra¯jataran˙gin¯ı III, 94f. am Ende der Vita des Königs 82Meghava¯hana, in der neben ˙ mehreren Na¯gas auch der Meeresgott Varuna und die Göttin Durga¯ eine Rolle ˙ spielen: „Wir sind peinlich berührt, [dass wir] solchermaßen auch [im Fall] dieses der jüngeren Zeit angehörenden Königs ein Leben schildern, das im Fall von gewöhnlichen Menschen unmöglich ist, (94) doch finden diejenigen, die sich auf den Pfad der Weisen der Frühzeit begeben haben, nicht anders als literarische Werke keinen Gefallen daran, sich nach den Vorstellungen der Hörer zu richten. (95)“50

Und nachdem er verschiedene, zu seiner Zeit im Umlauf befindliche Ansichten darüber referiert hat, wie der große König 96Mukta¯pı¯da-Lalita¯ditya auf seiner ˙ letzten Auslandsexpedition gestorben ist – die einen meinten, er sei in einem Schneesturm umgekommen, andere, er habe sich selbst verbrannt, und wieder 46 Michael Witzel, On Indian Historical Writing. The Role of the Vams´a¯valı¯s, in: Journal of the ˙ Japanese Association for South Asian Studies 3 (1990), 1–57. 47 Vgl. Kölver 1971, 125–146, die Zitate 126 und 145. 48 Ebd., 126 und 145. Vgl. auch Stein 1900 (1), 27–32. 49 Zu den bereits in Stein 1900 (1), 28, Anm. 3, verzeichneten Stellen Ra¯jataran˙gin¯ı II, 6, und VI, ˙ 108–113, vgl. auch II, 52. 50 itya¯dy adyatanasya¯pi caritam tasya bhu¯pateh | ˙ ¯ mahe ||94|| prthagjanesv asambha¯vyam ˙varnayantas trapa ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ´ athava¯ racana¯nirvisesam a¯rsena vartmana¯ | ˙ ˙ ˙citta¯nuvartanam ||95|| ´srotr prasthita¯ na¯nurundhanti ˙ D. h. ebenso wie literarischeWerke, die über das Leben der Weisen der Frühzeit berichten, nimmt auch jemand wie König 82Meghava¯hana, der bereit und in der Lage ist, wie die Weisen der Frühzeit zu agieren und die für diese geltenden sehr viel strengeren Verhaltensnormen getreulich zu erfüllen, keine Rücksicht darauf, was den Menschen der Spätzeit plausibel erscheint. Stein (1900 [1]) und Pandit (1968) verstehen die beiden Strophen etwas anders, doch ist hier nicht der Ort, um darauf im Detail einzugehen.

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andere, er habe im äußersten Norden der bekannten Welt die Gefilde der Unsterblichen erreicht –, bemerkt er Ra¯jataran˙gin¯ı IV, 370f.: ˙

„Wie von diesem König überaus staunenswerte Taten überliefert sind, genauso ist von ihm auch ein überaus staunenswertes Ende überliefert. (370) Von der untergegangenen Sonne sagen manche, sie sei in das Wasser des Ozeans eingetreten, andere, sie sei ins Feuer eingegangen, [und wieder] andere, sie befinde sich in der jenseitigen Welt51 – oh ja, selbst mit Bezug auf das Ende der Großen, die sich auf einen Beginn ohnegleichen kaprizieren,52 entstehen Geschichten, die [ihr] Verbundensein mit einer ganz außergewöhnlichen Größe zum Ausdruck bringen. (371)“53

Auch im Fall des zweiten Teils der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, der wie schon angedeutet ˙ „weitgehend nach Familientradition, eigener Anschauung, mündlichen Berichten niedergeschrieben sein [dürfte]“, sieht Kölver die kompositorische Leistung Kalhanas eher kritisch: „Da, wo – vermutlich – kein früheres Werk sichtend ˙ zwischen dem Geschehen und seinem Chronisten liegt, fallen Breite und episodenhafter Charakter der Darstellung besonders auf. Die aus Quellen geschilderte Vergangenheit ist durch den chronologischen Ablauf und das Gedächtnis der Generationen hinlänglich gegliedert. Solche Gliederung für seine Gegenwart zu finden, Berichte, Erinnerungen, Emotionen zu sondern, geht Kalhana das Ver˙ mögen ab.“54 Jedoch greift auch diese Auffassung wohl zu kurz. Aus meiner Sicht liegt es näher, Whitney Cox zu folgen, der die Tatsache, dass im zweiten, zeithistorischen Teil der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ die erzählte Welt enorm an Komplexität ˙ zunimmt und damit einhergehend auch die Sprache und der Stil des Werkes 55 immer schwieriger werden, zuletzt sehr ansprechend als adäquate Darstellungsweise der von Kalhana beobachteten absoluten Kontingenz des Weltge˙ schehens gedeutet hat: „The world for Kalhana was thus a barely contained and ˙ scarcely knowable chaos, which his adopted verse style served to enact through its ambiguities and its verbal tensions. This is not realism, nor a species of positivist historiography, but a different mode of historical consciousness, in which knowledge of the past is concerned with neither a full understanding of its causal 51 Man beachte die Parallelität zwischen den Gerüchten über den Tod 96Mukta¯pı¯da-Lalita¯dityas ˙ und den Theorien über den Nachtweg der Sonne. 52 Kalhana spielt hier einerseits auf das Schauspiel des Sonnenaufgangs im Kaschmirtal an, ˙ andererseits auf die überaus erfolgreichen Eroberungszüge, die den Anfang der Regierungszeit 96Mukta¯pı¯da-Lalita¯dityas markieren. ˙ ´sruta¯ny asya yatha¯ kila | 53 atyadbhuta¯ni krtya¯ni vipattir api bhu¯˙bhartus tathaiva¯tyadbhuta¯ ´sruta¯ ||370|| ya¯to ’stam dyumanih payodhisalilam kais´cit pravisto ’paraih ˙ dahanam ˙ ˙ gatah kila parair ˙ loka¯ntaram˙˙kı¯rtyate ˙| sampra¯pto ˙ ˙ nirupamaprastha ˙ ˙ ¯m ja¯yante mahata¯m aho ¯ naheva¯kina nihsa¯ma¯nyamahattvayogapis´una¯ va¯rta¯ vipatta¯v api ˙||371|| ˙ 54 Kölver 1971, 146. 55 Vgl. Stein 1900 (1), 40f.

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structures nor with the presentation of a redemptive trajectory in which to see ourselves. […] this kind of Sanskrit verse is able to capture the ebb and flow of the world’s congenital instability by rendering itself dense and rich enough to capture something of it, while being constantly forced up against the impossibility of its task.“56 Innerhalb der Sanskritliteratur nimmt die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘, wie schon oft be˙ merkt worden ist, eine Sonderstellung ein.57 Das liegt zunächst einmal daran, dass darin in einer für das vormoderne Indien einzigartigen Weise epische und chronikalische Elemente miteinander verschmolzen sind: Über weite Strecken hin wird das historische Geschehen ähnlich wie in den oben erwähnten historischen carita-s in mehr oder weniger großer Breite erzählt, gleichzeitig aber ähnlich wie in den ebenfalls schon erwähnten vam´sa¯valı¯-s räumlich – jedenfalls ˙ soweit das Kaschmirtal betroffen ist – und zeitlich – zumindest von der Mitte des 9. Jahrhunderts n. Chr. an – mit großer Genauigkeit verortet.58 Hinzu kommt, dass Kalhana kein Hofgelehrter im strengen Sinne war, d. h. nicht in Diensten des ˙ zur Abfassungszeit der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ amtierenden Königs 141Jayasimha ˙ ˙ (reg. 1128–1155) stand. Auch wenn er sich mehrfach sehr positiv über diesen äußert,59 so bewahrt er doch auch in dem umfangreichen Bericht über dessen

56 Whitney Cox, Literary Register and Historical Consciousness in Kalhana. A Hypothesis, in: The Indian Economic and Social History Review 50 (2013), 131–160, hier˙ 146–159, Zitat 158f. Auch wenn man skeptisch sein darf, ob Cox der ebenda angekündigte Nachweis der Existenz eines nur in Kaschmir gepflegten, als ´slokakatha¯ zu bezeichnenden literarischen Genres, für das vor allem stilistische Merkmale konstitutiv sind, tatsächlich gelingen wird, so behalten seine Interpretationen doch ihre Gültigkeit. 57 Vgl. zuletzt David Shulman, Preface: Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı: What is it?, in: The Indian ˙ 127–130. – Die˙ Sonderstellung teilt Kalhanas Economic and Social History Review 50 (2013), ˙ ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ mit einigen anderen Werken, in denen an Kalhana anschließend die Ge˙ ˙ schichte der Herrscher von Kaschmir bis ins 19. Jh. hinein weitererzählt wird. Zu diesen vgl. Walter Slaje, Kaschmir im Mittelalter und die Quellen der Geschichtswissenschaft, in: Indo-Iranian Journal 48 (2005), 1–70, und Slaje 2008(b). Eines dieser Werke, die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ des Jonara¯ja, findet sich ediert und übersetzt in Walter Slaje, Kingship in Kas´mı¯r ˙ ¯ bidı¯n. Critically (AD 1148–1459). From the Pen of Jonara¯ja, Court Pandit to Sulta¯n Zayn al-‘A ˙ ˙ Edited With an Annotated Translation, Indexes and˙ Maps (Studia Indologica Universitatis Halensis 7), Halle a. d. Saale 2014. Da die besagten Werke von der Forschung bislang noch kaum beachtet worden sind, müssen sie auch hier beiseite bleiben. 58 Zur räumlichen Verortung vgl. Stein 1900 (2), 365–372; Kölver 1971, 149–158; Walter Slaje, Kashmir Minimundus. India’s Sacred Geography en miniature, in: Roland Steiner (ed.), Highland Philology. Results of a Text-Related Kashmir Panel at the 31st DOT (Studia Indologica Universitatis Halensis 4), Halle a. d. Saale 2012, 9–32, zur zeitlichen Stein 1900 (1), 56– 70. 59 Vgl. vor allem die Lobrede auf 141Jayasimha in Ra¯jataran˙gin¯ı VIII, 1549–1566. ˙ ˙

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Regierungszeit die kritisch-distanzierte Haltung,60 die er im Prolog zu seinem Werk gewissermaßen zum Programm erhebt: „Zu rühmen ist eben der mit dem [besagten] Vorzug ausgestattete [Autor], dessen Worte sich bei der Erzählung vergangenen Geschehens wie [die] eines Richters des Begehrens und des Hasses enthalten.“61

Diese Haltung führt dazu, dass in der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ eine für indische Verhält˙ nisse ausgesprochen realistische Erzählweise vorherrscht. Wohl fehlt es in ihr zumindest im ersten Teil nicht an – gemessen an unserem Wirklichkeitsverständnis – phantastischen und mythischen Elementen; zum Inventar der erzählten Welt gehören, wie gelegentlich bereits angeklungen ist, durchaus auch Götter, Na¯gas, Amazonen, Hexen und Zauberer. Aber aufs Ganze gesehen bezieht Kalhana sich weitaus stärker als die Klassiker der vormodernen Sanskrit˙ literatur auf eine – wenn ich so sagen darf – ‚wirkliche‘ Wirklichkeit, d. h. auf eine solche, die wir nach unseren Maßstäben ohne weiteres für möglich halten, zum Teil sogar mithilfe anderer Quellen verifizieren können.62 Hervorgerufen wird der Eindruck des Realismus unter anderem auch durch die Tatsache, dass Kalhana sich die Freiheit nimmt, ähnlich wie der Verfasser der ‚Kaiserchronik‘ […] ˙ von den chunigen, / baidiu guoten unt ubelen („[…] von den Königen, gleichermaßen edlen und verworfenen“)63 zu erzählen, dass er nicht nur von Königen handelt, die – etwas überspitzt gesagt – in mustergültiger Weise die für das Königtum im vormodernen Indien geltenden Normen erfüllen,64 sondern ebenso von scheiternden Königen, von solchen, die mit der ihnen durch ihre hervor-

60 Eine detaillierte Untersuchung der Darstellung 141Jayasimhas und seines Vaters und Vor˙ aus. Vgl. vorläufig Stein 1900 gängers 139Sussala (reg. 1112–1120 und 1121–1128) steht noch (1), 124. 61 Ra¯jataran˙gin¯ı I, 7: ´sla¯ghyah sa ˙eva gunava¯n ra¯gadvesabahiskrta¯ | ˙ ˙yasya stheyasyeva ˙ sarasvatı ˙ ˙ ¯ ||7|| bhuta¯rthakathane Übersetzung in Anlehnung an Slaje 2008(b), 324, und Kölver 1971, 114. 62 Von den kulturellen Gegebenheiten des mittelalterlichen Kaschmir, die in der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙ zur Sprache kommen, dürfen wir annehmen, dass sie Kalhanas reale Lebenswelt widerspie˙ geln, vgl. Kölver 1971, 10f. und 161–186; Bronner 2013. Bei Slaje 2005, 30–42, wird an zwei Beispielen die Faktizität zweier Sachverhalte aufgezeigt, die in den späteren ‚Ra¯jataran˙gin¯ıs‘ ˙ (siehe oben, Anm. 57) dargestellt werden. 63 Herweg 2014, V. 19f. 64 Eine Studie der Königsdarstellungen in den zahlreich erhaltenen Werken der auf Sanskrit verfassten epischen Kunstdichtung steht noch aus. Vgl. vorläufig Moriz Winternitz, Rez. Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı. A Chronicle of the Kings of Kas´mı¯r. Translated, with an intro˙ commentary,˙ and appendices, 2 Bde., ed. Marc A. Stein, Westminster 1900, in: duction, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 16 (1902), 405–419, hier 405–408, und Christiane Schnellenbach, Geschichte als „Gegengeschichte“? Historiographie in Kalhanas ˙ Ra¯jataran˙gin¯ı (Edition Wissenschaft. Reihe Orientalistik 3), Marburg 1996 (Microfiche˙ Ausgabe), 129–146.

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gehobene Stellung zuwachsenden Verantwortung nicht zurechtkommen, von paranoiden Versagern, sexsüchtigen Verschwendern und grausamen Tyrannen. Dabei zeichnet er – auch in diesem Punkt weicht er von den besagten Klassikern ab – zumindest dort, wo er ausführlicher wird, nicht bloße Typen, sondern versteht es nach den Worten von Moriz Winternitz immer wieder, „ungemein realistisch dem Leben nachgezeichnete individuelle Charaktere lebendig vor uns hinzustellen“.65 Als Beispiel nennt Winternitz „den gutmüthigen Schwächling Ananta (Ra¯jat. VII, 142ff.), der sich zuerst von leichtsinnigen Freunden und dann von seiner Frau leiten lässt und schliesslich von der letzteren überredet wird, auf den Thron zu verzichten, um seinen Sohn krönen zu lassen,“66 ehe er – so wäre noch hinzuzufügen – nach einem üblen Streit mit seiner Frau auf schreckliche Art und Weise Selbstmord begeht. Alle genannten Punkte zusammengenommen führen dazu, dass die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ unter den Werken der indischen Geschichtsschreibung67 mit einigem ˙ Abstand dem am nächsten kommt, was in der von abendländischen Vorstellungen geprägten Forschung als Historiographie gilt,68 und von daher ist es verständlich, dass die Indienhistoriker sie sehr stark als ‚ihren‘ Text vereinnahmt haben: „[K]eine Darstellung des mittelalterlichen Indien, keine Behandlung der indischen Realien dieser Periode ist vollständig, wenn der Name Kalhanas und ˙ seines Werkes fehlt.“69 Zuletzt ist sogar vorgeschlagen worden, Kalhanas Auf˙ bereitung der kaschmirischen Geschichte als narrative ‚Gegengeschichte‘ zu betrachten, d. h. als ein Werk, in dem gegen herkömmliche Formen der Aneignung der Vergangenheit angeschrieben wird und das damit „zutreffend mit dem von Rüsen70 definierten Modus der kritischen historischen Sinnbildung zu kennzeichnen ist.“71 Dabei versteht Kalhana sich nicht als jemand, der über vergangenes Gesche˙ hen (bhu¯ta¯rtha) ‚nur‘ berichtet (Wurzel kath, Denominativum varnay),72 d. h. als ˙ ‚bloßer‘ Chronist oder Historiograph, sondern darüber hinaus auch als kavi, d. h. 65 Winternitz 1902, 408. 66 Ebd. 67 Nach Hermann Kulke, Indische Geschichte bis 1750 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 34), München 2005, 105, nehmen diese sich „[g]emessen an […] dem schier unermesslichen Reichtum indischer Literatur in nahezu allen anderen Gebieten menschlichen Wissens und verglichen mit der hoch entwickelten Geschichtsschreibung in den benachbarten Kulturen in China und dem islamischen Vorderen Orient […] eher bescheiden aus.“ Ebd., 105–118, findet sich eine knappe Übersicht über die indische historiographische Literatur. 68 Einen guten Überblick über die Forschungsgeschichte gibt Schnellenbach 1996, 22–27; vgl. auch Zutshi 2011, 6–8. 69 Kölver 1971, 1. 70 Gemeint ist der deutsche Geschichtstheoretiker Jörn Rüsen (http://www.joern-ruesen.de/). 71 Schnellenbach 1996, 98–184, hier 184. Vgl. auch Kulke 2005, 112. Entschieden dagegen argumentiert Slaje 2008(a). 72 Vgl. bhu¯tarthakathane in Ra¯jataran˙gin¯ı I, 7 und bhu¯ta¯rthavarnane in Ra¯jataran˙gin¯ı I, 10. ˙ ˙ ˙

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als „Dichter“, als jemand, der vermag, mithilfe seiner besonderen Imaginationskraft die Personen und die Ereignisse vergangener Zeiten wieder lebendig werden zu lassen. So sagt er zu Beginn des bereits erwähnten Prologs in den Strophen Ra¯jataran˙gin¯ı I, 3–5:73 ˙

„Zu preisen ist dieser gewisse Vorzug eines guten Dichters, durch den der Ruhmeskörper – sein eigener und der des anderen [d. h. des Protagonisten] – zur Dauerhaftigkeit gelangt [und der dadurch] mit einem Strom von Nektar wetteifert. (3)

Wer anders außer den Dichtern, die sich Schöpfergöttern gleich auf die Schaffung von [Dingen] verstehen, an [denen] man sich erfreuen kann, ist dazu imstande, vergangene Zeiten vor Augen zu führen? (4) Wenn er die Dinge, die er allen kundtun will, nicht mittels seiner Imaginationskraft sähe, was ließe sonst noch erkennen, dass der Dichter quasi über ein göttliches [d. h. über Zeit und Raum hinweg sehendes] Auge verfügt? (5)“74

Die Tatsache, dass die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ damit unter Gattungsgesichtspunkten ein ˙ ka¯vya, wörtlich: „das Erzeugnis eines kavi“, ein Werk der Dichtkunst darstellt, hat verschiedene Implikationen, von denen ich hier nur zwei erwähnen will. Zunächst einmal entstehen dadurch fiktionale Spielräume, die es Kalhana ˙ möglich machen, die erzählte Welt zu konkretisieren und so den bereits angesprochenen Eindruck von Wirklichkeitsnähe zu erreichen. Dafür nutzt er gängige Verfahren wie die Figurenrede und die Darstellung des Innenlebens von Figuren, darüber hinaus aber auch solche, die für ein Werk der vormodernen Sanskritliteratur eher ungewöhnlich sind, etwa die explizite Darstellung von Gewalt und Grausamkeit. Als Beispiel mag hier die Beschreibung der Ermordung des Königs 115Cakravarman (reg. 923–933, 935 und 936–937) dienen, der eine Tänzerin aus der verachteten Kaste der Dombas zu seiner Hauptgemahlin gemacht hat, dafür ˙ von seinen rechtmäßig geheirateten Frauen gehasst und am Ende von einer Gruppe von Da¯maras75 massakriert wird: ˙

„Um [König 115Cakravarman] hinterrücks zu erschlagen, hielten sich einige räuberische Da¯maras, denen er vertraute, in seiner Nähe auf und warteten auf eine Gelegenheit für ˙ [ihren] Verrat. (406)

73 Text und Übersetzung in Anlehnung an Slaje 2008(b), 323f. Vgl. auch Kölver 1971, 113f. 74 vandyah ko ’pi sudha¯syanda¯skandı¯ sa sukaver gunah | ˙ ||3|| ˙ yena ya¯˙ti yas´ahka¯yah sthairyam svasya parasya ca ˙¯ ntam netum ˙ pratyaksata¯m ksamah | ko ’nyah ka¯lam˙ atikra ˙ ¯ patı¯ms tyaktva¯ ramyanirma ˙ ˙ ¯ nas´a¯linah ˙ ˙||4|| ˙ ˙ kavipraja ˙ ˙ na pas´yet sarvasam vedya¯n bha¯va¯n pratibhaya ¯ ˙yadi | tad anyad divyadr˙stitve kim iva jña¯pakam kaveh ||5|| ˙˙˙ ˙ Landbesitzer ˙ 75 Bei den Da¯maras handelt es sich um reiche („Barone“), die sich vor allem im 11. ˙ der Herrschaft der König in S´rı¯nagar weitgehend entziehen, vgl. Stein 1900 (2), und 12. Jh. 304–308.

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Einmal trafen sie ihn des Nachts unbewaffnet an, als er sich gerade auf der Toilette, die nahe bei dem Schlafgemach der Hundekocherfrau76 lag, reinigte. (407) Da war ihre Zeit gekommen, [und] sie ließen rasch [und für ihn] völlig überraschend von allen Seiten in ununterbrochener Folge all [ihre] scharfen Waffen auf ihn niederfallen. (408) Die Augen [noch] träge vom Schlaf, [doch] von den Streichen der Waffen [ganz] erwacht, stieß er schreckliche Schreie aus, wie jemand, der im Schlaf vom Ufer in einen Teich gefallen ist. (409) Unbewaffnet nach einer Waffe suchend, von Blut überströmt, rannte er [und] gelangte in das Schlafgemach, von den Feinden verfolgt. (410) Sie drangen nach ihm ein und während die schreiende Hundekocherfrau seinen Körper umschlungen hielt und sein Kopf zwischen ihren Brüsten lag, erschlugen sie ihn, da er keine Waffe fand. (411) Es heißt (kila), sie hätten ohne jede Hemmung mit einem Stein die Knie des im Sterben liegenden Königs zerschmettert, von dessen eigenen Frauen aufgehetzt. (412)“77

Ebenso wie die Erzählweise wird auch die Pragmatik des Werkes wesentlich durch dessen Dichtungsein bestimmt. Nach den zur Zeit Kalhanas gültigen Lehren der ˙ altindischen Poetik soll ein Werk der Dichtkunst im Rezipienten eine bestimmte Stimmung (rasa) evozieren – vorzugsweise eine erotische oder eine heroische –, die ihn entzückt und ihn gewissermaßen aus seinem Alltag heraushebt. Damit dieses Ziel erreicht wird, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Auf der einen Seite muss der Rezipient nicht nur allgemein empfänglich für eine solche Stimmung sein, sondern er muss auch zuvor in seinem Leben bereits den sich in der Stimmung manifestierenden Gefühlszustand (bha¯va oder stha¯yibha¯va) erlebt haben. Eine erotische Stimmung (s´rn˙ga¯rarasa) beispielsweise kann ˙ 76 S´vapa¯ka- m., „Hundekocher“, ist eine von Kalhana des Öfteren verwendete abfällige Bezeichnung für die Dombas, vgl. Stein 1900 (1), 216,˙ Anm. zu Ra¯jataran˙gin¯ı V, 218. ˙ ˙ 77 Ra¯jataran˙gin¯ı V, 406–412: ˙ hantum vya¯jena vis´vasta¯h kecid da¯marataskara¯h | ˙ ˙¯ nehah ˙ ˙ ||406|| tasthus˙ tasya¯ntike drohacchidra pratı¯ksinah ˙ ˙ ˙ ˙ ´svapa¯kı¯´sayana¯va¯sa¯sanna¯vaskaramandire | ´saucasthitam tam nih´sastram te ra¯trau pra¯pur ekada¯ ||407|| ˙¯ ptasamayair ˙ ˙ ˙ atha taih pra akasma ¯ t tasya sarvatah | ˙ ksipram˙nyapa¯tyata¯´sesas´a¯tas´astraparampara¯ ||408|| ˙ ˙ ˙ ˙ suptas tata¯d dhrade bhrasta iva nidra¯laseksanah | ˙ ´sastrapa¯taih˙˙sa vyamucad bhairava ˙ ˙ ˙¯ n rava¯n ||409|| prabuddhah ˙ ˙ ´ ´ nihsastrah sastram anvisyan ksaratksatajanirjharah | ˙ ˙’ribhir dha¯vañ˙ chayya ˙ ¯ ves´ma ˙ vives´a tat ||410|| ˙ anudruto apra¯ptahetim krandantya¯ ´svapa¯kya¯lin˙gita¯n˙gakam | ˙ tatkucotsan˙galagna ¯ n˙gam jaghnus te ’nupravis´ya tam ||411|| svair eva prerita¯ da¯rais ˙te tasya nrpateh kila | ˙ ¯ rnayan ||412|| mumu¯rsor ja¯nunı¯ svairam ´silaya¯ ˙samacu ˙ ˙ ˙

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nur jemanden ergreifen, der zuvor schon einmal Liebeslust (rati) erlebt hat. Auf der anderen Seite muss die Stimmung auf die eine oder andere Weise im Dichtungswerk angelegt sein, etwa so, dass an gewissen ‚Symptomen‘ deutlich wird, dass einzelne Protagonisten, üblicherweise der Held und/oder die Heldin, die entsprechenden Gefühlszustände erleben.78 In der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ herrscht aufs Ganze gesehen die etwa seit dem 8. oder ˙ 9. Jahrhundert besonders in der kaschmirischen Literaturszene geschätzte Stimmung des Beruhigtseins, des inneren Friedens (s´a¯ntarasa) vor,79 wie Kalhana selbst in der Strophe Ra¯jataran˙gin¯ı I, 23 betont: ˙ ˙

„Bitte machen Sie sich immer wieder klar, dass das plötzliche Erscheinen der Menschen [in dieser Welt] alsbald [wieder] endet, und stellen Sie dann fest, dass in diesem [Werk] die Stimmung des Beruhigtseins herrscht. (23)“80

Anders als im Fall der erotischen Stimmung, die nach einhelliger Auskunft der altindischen Literaturtheoretiker wie schon gesagt an das Erleben sexueller Lust anknüpft, ist die Gefühlslage, die der Erfahrung inneren Friedens zugrunde liegt, zumindest begrifflich nicht ganz eindeutig bestimmt. So heißt es bei Hacker „s´ama = Leidenschaftslosigkeit (des Asketen), wenn man will, Quietismus, man hat dafür das Synonym nirveda = Entsagung von allen Genüssen; ihm entspricht ´sa¯nta als rasa, der ästhetische Zustand der beschaulichen Ruhe“,81 bei Slaje: „[…] disenchantment with the world (vaira¯gya) was the basic emotion (stha¯yibha¯va) of the sentiment of equanimity (s´a¯ntarasa)“82 und bei McCrea: „Some take this stable emotion to be nirveda (‚despair‘ – which leads one to turn away from ¯ nandavardhana [9. Jahrhundert; einer der führenden worldly pursuits), but A Theoretiker, KK] indicates instead that it is ‚the pleasure that comes from the cessation of desire‘ (trsna¯ksayasukha).“83 ˙˙ ˙ ˙

78 Ausführlicher dargestellt wird die rasa-Theorie etwa in Paul Hacker†, Grundlagen indischer Dichtung und indischen Denkens. Aus dem Nachlass hrsg. von Klaus Rüping (Publications of the De Nobili Research Library XII), Wien 1985, 26–36. 79 Zum Folgenden vgl. Slaje 2008(a), 225–232, und Slaje 2014, 32–34, sowie Lawrence McCrea, S´a¯ntarasa in the Ra¯jataran˙gin¯ı. History, Epic, and Moral Decay, in: The Indian Economic and Social History Review 50˙ (2013), 179–199. 80 ksanabhan˙gini jantu¯na¯m sphurite paricintite | ˙ ¯ ˙rdha¯bhisekah ´sa¯ntasya ˙ rasasya¯tra vica¯ryata¯m ||23|| mu ˙ ˙ Mu¯rdha¯bhiseka, wörtlich übersetzt „Kopfbegießung“, heißt das Ritual, mit dem jemand in ˙ auch sonst in Indien zum König geweiht wird, vgl. Scharfe 1989, 80–85. „Die Kaschmir wie Kopfbegießung der Stimmung des Beruhigtseins“ (mu¯rdha¯bhisekah ´sa¯ntasya rasasya) be˙ den ˙ rasa-s die Herrschaft deutet also, dass in der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ dem Beruhigtsein unter ˙ eingeräumt wird. 81 Hacker 1985, 31. 82 Slaje 2008a, 225. 83 McCrea 2013, 184.

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McCrea weist noch auf eine weitere Unsicherheit hin, nämlich auf die Frage, wie denn die Stimmung des Beruhigtseins bzw. das ihr zugrunde liegende Gefühl von Gleichmut im Werk angelegt ist. Nichts deutet darauf hin, dass die eine oder das andere von beiden in den Protagonisten präsent wäre.84 Slaje geht in diesem Zusammenhang davon aus, „that the creation of equanimity (s´a¯nta) as the leading sentiment (rasa) of a work was feasible only on the precondition that its author – or, in the words of Kalhana: creator – had previously experienced ˙ himself, or actually was in, the very mood of detachment (vaira¯gya)“85 und dass die Beschreibung der Schicksale und Taten der kaschmirischen Könige Kalhana ˙ genügend Gelegenheit bot, „suitable suggestive expression (dhvani) productive of the sentiment (rasa) of equanimity (s´a¯nta)“ in Anwendung zu bringen,86 verzichtet allerdings darauf, diese Auffassung mit Textbeispielen zu unterfüttern. McCrea wiederum ist, wenn ich ihn richtig verstehe, der Ansicht, dass das Gefühl des Gleichmuts und die daraus erwachsende Stimmung allein im Rezipienten zu verorten sind: „Kalhana’s epic survey of Kashmiri kingship can be seen […] as a ˙ critique of, or a judgement on, literature, kingship and even the world in general. To tell the real story – of a life, a reign, a dynasty, or a kingdom – is, almost inevitably, to tell a tragic story; one that, if we see it clearly, will fill us with a conviction of the futility of all human endeavour and lead us to turn away in despair.“87 Dem kann ich nicht zur Gänze folgen. Aus meiner Sicht stellt Kalhana ˙ die Geschichte Kaschmirs nicht so negativ dar, wie McCrea es beschreibt.88 Wohl 89 gibt es keinerlei Grund, das Kaschmirtal als „happy valley“ zu betrachten, aber auch dort werden Zeiten der Wirren, der Unsicherheit und der Not immer wieder abgelöst von solchen der Ordnung, des Friedens und des allgemeinen Wohlstands. Es gibt Geschichten voller Tragik wie die von König 135Harsa oder König ˙ ¯ pı¯da, die McCrea als Beleg für seine Sicht der Dinge ins Feld führt, aber es 101Jaya ˙ gibt daneben auch Geschichten wie die von König 82Meghava¯hana, der seine Untertanen liebt (raktapraja)90 und als Herrscher 34 Jahre lang der Sonne gleich Licht in die Welt bringt,91 oder König 108Avantivarman, der im Jahr 883 geläuterten Geistes (bha¯vita¯tman) sein Leben ausklingen lässt,92 nachdem er zuvor 28 Jahre lang die Erde wie der mythische König Ma¯ndha¯tr regiert und das gol˙ dene Zeitalter (krtayuga) zurückgebracht hat.93 ˙ 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

Ebd., 182–185. Slaje 2008a, 226. Ebd., 237. McCrea 2013, 198. Vgl. ebd., 190–198. Vgl. Slaje 2018. Vgl. Ra¯jataran˙gin¯ı III, 3. Vgl. Ra¯jataran˙gin˙ ¯ı III, 96. Vgl. Ra¯jataran˙gin˙ ¯ı V, 125f. Vgl. Ra¯jataran˙gin˙ ¯ı V, 122. ˙

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Sehen wir uns nur einmal einen kleinen, stark gerafften Ausschnitt aus dem „Strom der Könige“ an: König 93Durlabha(ka)-Prata¯pa¯ditya und Königin Narendraprabha¯ haben zusammen drei Söhne: den edelmütigen Candra¯pı¯da˙ Vajra¯ditya, den grausamen Ta¯ra¯pı¯da-Udaya¯ditya und den kühnen Mukta¯pı¯da˙ ˙ 94 Lalita¯ditya. Nachdem 94Candra¯pı¯da die Nachfolge seines Vaters angetreten hat, ˙ errichtet er eine gerechte Herrschaft, doch fällt er schon nach neun Jahren als König einer Intrige seines jüngeren Bruders 95Ta¯ra¯pı¯da¯ zum Opfer. Auch dieser ˙ stirbt, nachdem er wenig mehr als vier Jahre lang die Herrschaft ausgeübt hat, eines gewaltsamen Todes und macht seinem jüngeren Bruder Platz, dem großen König 96Mukta¯pı¯da, der während seiner mehr als 37 Jahre dauernden Herrschaft ˙ seine Macht weit über das Kaschmirtal hinaus auszudehnen vermag und am Ende von einem Kriegszug in die nördlichen Lande nicht mehr zurückkehrt. Auf ihn folgt sein Sohn 97Kuvalaya¯pı¯da, der aber ob der Notwendigkeit, sich beständig mit ˙ Gewalt gegen seine Widersacher behaupten zu müssen, schon nach einem Jahr resigniert zurücktritt und Platz für seinen Halbbruder macht, den ebenso grausamen wie geizigen 98Bappiya-Vajra¯ditya, der nach sieben Jahren als König infolge seiner zahlreichen sexuellen Exzesse an Schwindsucht stirbt. Was Kalhana in diesem Ausschnitt darstellen will, ist – zumindest aus meiner ˙ Sicht – nicht eine unvermeidliche Tragik, die allem irdischen Dasein zu allen Zeiten eignet, sondern das ewige Auf und Ab des Lebens, im Großen wie im Kleinen, oder, wie Cox es sehr schön formuliert, „the ebb and flow of the world’s congenital instability.“ Aus der Beobachtung dieses Auf und Ab resultiert dann die Erkenntnis der Unverfügbarkeit der Welt, und diese führt – das ist mein zweiter Kritikpunkt – nicht zu ‚despair‘, sondern zu ‚Gleichmut‘ oder ‚Gelassenheit‘, wie wir nirveda in diesem Zusammenhang besser übersetzen:95 Dass aus dem Gefühl der Verzweiflung je ein Beruhigtsein als ästhetische Erfahrung erwachsen könnte, erscheint mir ausgeschlossen. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass es in der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ neben einer ˙ ungeheuer großen Zahl von Figuren auch einen Erzähler gibt, der zwar der erzählten Welt nicht angehört, aber dennoch im Text außergewöhnlich präsent ist, nicht zuletzt durch zahlreiche Kommentare, in denen er sich sowohl zu dem, was er erzählt, als auch zu seinem Erzählen äußert.96 Auch wenn sich bislang noch niemand auch nur ansatzweise darum bemüht hat, ein Profil dieses Erzählers zu erstellen, so drängt sich doch der Gedanke auf, dass er die Textinstanz ist, die um die letztendliche Heteronomie des menschlichen Lebens weiß und sich mit derselben – ich möchte meinen: einigermaßen komfortabel – eingerichtet hat. 94 Vgl. oben S. 143. 95 Vgl. auch Luther Obrock, History at the End of History. S´rı¯vara’s Jainataran˙gin¯ı, in: The ˙ Indian Economic and Social History Review 50 (2013), 221–236, hier 230. 96 Vgl. oben S. 146f.

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Drei Beispiele müssen an dieser Stelle genügen, um seine Abgeklärtheit zu belegen: „In der Maßnahme, die unweise [Menschen] ergreifen mögen, um ein bevorstehendes Ereignis zu verhindern, eben darin muss man die geöffnete Tür erkennen, die das Schicksal vorbereitet hat: (77) Wenn der Schöpfer ernsthaft möchte, dass ein Feuerfunke, der in einem Haufen verbrannter Holzkohlen glimmt und kaum noch Glanz versprüht, unvergleichliche Kraft bekommt, dann sorgt er dafür, dass der Mann, der ihn auslöschen möchte, den daneben stehenden Topf voller Ghee, das von der Hitze flüssig geworden ist, irrtümlich für einen Wasserkrug hält. (78)“97 „Als ob es [unbedingt] recht behalten wollte, legt das Schicksal das Glück exakt bei dem ab, bei dem diejenigen, die meinen, dass sie [sich damit aus-]kennen, beharrlich darauf bestehen, dass er es nicht verdient hat.“98 „Der Mensch, der – [so viel] steht fest – zuerst nichts ist und nachher nichts,99 führt dazwischen einem Schauspieler gleich, der weder Kopf noch Füße hat, eine Zeit lang ein Schauspiel auf, indem er sich plötzlich [und] ohne erkennbaren Grund eifrig bemüht zeigt, [stets] mit Rücksicht darauf, ob es ihm Nutzen bringt oder nicht. Wohin er dann geht, verborgen hinter dem Vorhang des Nichtdaseins100 – wir wissen es nicht.“101

97 Ra¯jataran˙gin¯ı II, 77f.: ˙ ¯ budha¯h kuryur upa¯yam sthagana¯ya yam | bha¯vyarthasya ˙ jñeyam daivena ˙ kalpitam ||77|| sa eva¯pa¯vrtam dva¯ram ˙ ˙ ˙ ˙ dagdha¯n˙ga¯rakadambake viluthatah stokonmisattejaso ˙ ¯ m˙ a¯dha¯tuka¯˙mo hatha¯t | vedha¯ vahnikanasya ´saktim atula ˙ ˙ tannirva¯panam icchatah pratanute pumsah samı¯pasthite ˙ ˙ i ghate pa¯nı¯yakumbhabhramam ˙ ˙ samta¯padrutabhu ¯ risarpis ||78|| ˙ 98 Ra¯˙jataran˙gin¯ı III, 491: ˙ nis´cinvate hi˙ jñammanya¯ yam eva¯yogyam a¯graha¯t | ˙ nidadha¯ti vidhih ´subham ||491|| jigı¯sayeva tatraiva ˙ ˙ 99 Tentative Übersetzung: „zuerst“ = bevor er geboren worden ist und zugleich bevor das Stück begonnen hat, „nachher“ = nachdem er gestorben ist und zugleich nachdem das Stück geendet hat. 100 [’]bhavajavanika¯ntarhitah, „verborgen hinter dem Vorhang des Nichtdaseins“. Die bisherigen Übersetzer scheinen˙ allesamt bhava° gelesen zu haben: Stein 1900 (1), 402: „behind ˙ sa¯ra)“; Pandit 1935, 404: „behind the screen of the curtain of mundane existence (Sam existence“. McCrea 2013, 196, übersetzt syntaktisch und sachlich unmöglich: „when the curtain falls on his existence“. Im altindischen Theater hebt oder senkt sich kein Vorhang. Vielmehr befindet dieser sich im Hintergrund der Bühne und grenzt dieselbe nicht gegen den Zuschauerbereich, sondern gegen den Raum hinter der Bühne (nepathya) ab, in dem die Schauspieler sich auf ihren Auftritt vorbereiten und in den sie sich nach ihrem Auftritt zurückziehen. 101 Ra¯jataran˙gin¯ı VII, 1731: ˙ bhavati niyatam yas´ ca pas´ca¯n na kimcin na¯dau kimcid ˙ ˙ madhye ’kasma¯t sapadi ghatayan sausthyadausthya¯˙nurodham | ˙ ko ’pi jantur natitva¯ nih´s¯ırsa¯n˙ghrir nata iva muhuh ˙¯mo [’]bhavajavanika ˙ ˙ no˙ ja¯nı ¯ ntarhitah kva praya˙¯ ti ||1731|| ˙

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Durch die Darstellung des ewigen Auf und Ab des Weltgeschehens, durch die Abgeklärtheit, mit der der Erzähler diesem Auf und Ab begegnet, und durch die damit einhergehende Evokation der Stimmung des Beruhigtseins bekommt der Text nach indischer Vorstellung auch eine soteriologische Dimension, insofern er im Rezipienten die Sehnsucht nach Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten weckt respektive diese verstärkt.102 Mit dem Hinweis, dass es zwar gelegentlich immer wieder einmal Versuche gibt, Zweifel an der Doppelnatur der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ zu säen und entweder ihr ˙ dichterisches oder ihr historiographisches Profil kleinzuschreiben,103 dass aber die Mehrzahl der Forscher bereit ist, dieselbe in vollem Umfang anzuerkennen,104 möchte ich die Vorstellung des indischen Textes abschließen. Ich denke, die Frage, ob man ihn als ein Pendant der ‚Kaiserchronik‘ betrachten kann oder nicht, lässt sich am Ende – erwartungsgemäß – nicht eindeutig beantworten. Abgesehen davon, dass beide Texte ungefähr zur gleichen Zeit entstanden sind und den Beginn einer je eigenen literarischen Tradition markieren, weisen sie auf jeden Fall auffällige Gemeinsamkeiten auf: In beiden finden wir epische und chronikalische Elemente zu einer untrennbaren Einheit miteinander verbunden, in beiden reihen sich in einem chronologischen Rahmen angeordnet Geschichten über Könige zur Geschichte einer Region aneinander, beide gründen ihre Darstellung auf schriftliche Quellen unterschiedlicher Art und mündliches Erzählgut,105 und in beiden lassen sich in der Darstellung gewisse Einschnitte erkennen.106 Auf der anderen Seite sind genauso gravierende Unterschiede zu verzeichnen. So liegt, um nur zwei Dinge zu nennen, das Schwergewicht in der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ deutlich auf dem Bericht über die zeitgeschichtlichen Ereignisse, ˙ in der ‚Kaiserchronik‘ dagegen eher auf dem antiken Teil,107 und aufs Ganze gesehen scheint der Chronist auf historische Faktizität wesentlich weniger Wert gelegt zu haben,108 als Kalhana es getan hat.109 Darüber hinaus verliert sich jede ˙ 102 Vgl. insbesondere Slaje 2008(a), 224–235. 103 So meint etwa Kulke (2005, 112) unter Verweis auf Schnellenbach 1996, „dass Kalhanas ˙ Kaschmir-Chronik entgegen indologisch-historischer Deutung […] allenfalls nominell der Ka¯vya-Kunstdichtung zuzuordnen ist,“ während auf der anderen Seite Narayana Rao/ Shulman/Subrahmanyam (Textures of Time. Writing History in South India 1600–1800, New York 2003, 256–260) unter Hinweis auf die fiktionalen Elemente der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ˙ deren Status als historiographisches Werk in Zweifel ziehen. 104 Vgl. zuletzt Slaje 2008(a), 2008(b) und 2014, 30, Anm. 16; Bronner 2013, 161 und 175; Cox 2013, 131. Schon bei Winternitz (1902, 409) heißt es: „Während er (Kalhana) aber ei˙ nerseits ein Dichter ist und sein Werk mit gutem Recht als Dichtung aufgefasst wissen will, ist er doch auch ein Historiker.“ 105 Zu den Quellen der ‚Kaiserchronik‘ vgl. Herweg 2014, 477–486. 106 Zu den Zäsuren in der ‚Kaiserchronik‘ vgl. ebd., 485f. und 489–492. 107 Vgl. ebd., 480 und 489f. 108 Vgl. ebd., 486–492.

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Ähnlichkeit rasch, sobald man beginnt, die beiden Texte unter dem Gesichtspunkt der Pragmatik zu betrachten und sie dazu in ihre jeweiligen literarhistorischen Kontexte einzuordnen. Bei alldem ist schließlich noch zu berücksichtigen, dass die Erforschung der ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ zwar bereits eine lange Geschichte ˙ hat, aber im Vergleich zu derjenigen der ‚Kaiserchronik‘ gewissermaßen noch in den Kinderschuhen steckt. Inwieweit etwa die ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘ ähnlich wie die ˙ ‚Kaiserchronik‘ auch ein ethisch-didaktisches Programm verfolgt,110 indem im ersten, vergangenheitshistorischen Teil Rollenmodelle für den obersten Herrscher entworfen werden, anhand derer dann die die Zeitgeschichte bestimmenden Könige beurteilt werden können, der Text also auch als eine Art Fürstenspiegel gelesen werden kann, in dem Wissen über Macht und Herrschaft generiert wird, das bedarf noch eingehender Untersuchung.

Quellenverzeichnis Walter Slaje, Bacchanal im Himmel und andere Proben aus Man˙kha (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Indologischen Kommission 3), Wiesbaden 2015. Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014. Walter Slaje, Kingship in Kas´mı¯r (AD 1148–1459). From the Pen of Jonara¯ja, Court Pandit ˙˙ ¯ bidı¯n. Critically Edited With an Annotated Translation, Indexes and to Sulta¯n Zayn al-‘A ˙ Maps (Studia Indologica Universitatis Halensis 7), Halle a. d. Saale 2014. Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı or Chronicle of the Kings of Kashmir, ed. Marc A. Stein, Vol. 1: ˙ ˙ Sanskrit Text with Critical Notes, Bombay 1892. The Rája Tarangini. A history of Cashmir. Consisting of Four Separate Compilations […], Calcutta 1835. Ra¯jataran˙gin¯ı of Kalhana. Ed., crit., and annotated […] by Vishva Bandhu. 2 pts., ˙ ˙ Hoshiarpur 1963–1965. Ranjit S. Pandit, Ra¯jataran˙gin¯ı, the Saga of the Kings of Kas´mı¯r. Translated from the ˙ ˙ skrta, Allahabad 1935 (ND New Delhi 1968). Original Sam ˙ Kalhana’s Ra¯jataran˙gin¯ı. A Chronicle of the Kings of Kas´mı¯r. Translated, with an intro˙ ˙ duction, commentary, and appendices, 2 Bde., ed. Marc A. Stein, Westminster 1900, https://archive.org/details/RajataranginiVol1 (27. 04. 2019) und https://archive.org/de tails/RajataranginiVol2 (27. 04. 2019).

109 Insbesondere Slaje (2008[a], 218–223) besteht darauf, dass Kalhana seine Stoffe nicht ˙ erfunden hat. 110 Vgl. Herweg 214, 492–495.

Kalhanas ‚Ra¯jataran˙gin¯ı‘: ein indisches Pendant zur ‚Kaiserchronik‘? ˙ ˙

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Daniel F. Schley

Herrscherkritik in japanischen Vergangenheitserzählungen aus dem frühen 13. Jahrhundert

Abstract Minamoto no Akikane’s collection of “Stories from the Past”, ‘Kojidan’, is full of embarrassing stories about emotionally unbalanced, greedy, lascivious, or simply ignorant rulers and ministers. In the collection, completed around the time of his death in 1215, Akikane narrated the court’s past through a recollection of its shortcomings, arbitrariness, and failures. The ‘Kojidan’ thus gives the impression of a fractured and declining society, contesting the parallel cultural and religious achievements under the patronage of the senior sovereign, Gotoba, who employed the leading poets, scholars, and monks of his time, such as Fujiwara no Teika, Saigyo, or Jien. What makes Akikane’s cynical perspective on his past fascinating is at the same time an obstacle for using the ‘Kojidan’ as a source for historical studies. The stories are neither connected with each other through an overall narrative nor commented on directly. They seemingly stand for themselves, unrelated to further meanings. A close reading, however, makes it possible to detect smaller narrative cycles and intertextual connections, which allows some conclusions about Akikane’s conception of kingship to be drawn. Careful scrutiny in this manner will uncover several components that Akikane deemed to be necessary for a good and wise ruler, and which otherwise remain hidden in the ‘Kojidan’. In addition to Akikane’s political agenda, a thorough reading also reveals his historical consciousness, in particular in the way he arranged his tales in a chronological order, gave exact dates, and quoted from historical sources. Even a schema for periodization can be detected, one that gives the ‘Kojidan’ qualities similar to courtier historiography. But it ultimately remains a collection of entertaining tales, thus blurring the modern distinctions of fact and fiction, history and literature, in regard to narrating the past. In this article, I discuss how the past is revisited in the use of factual and fictional accounts of historical rulers and their ministers. I analyse the collection’s first story, which is about Sho¯toku’s death, and the episodes focusing on Kazan’s forced abdication. Core to Akikane’s argument is a hitherto undervalued Confucian notion of kingship that remains otherwise hidden beneath the satirical stance of the ‘Kojidan’. By reconstructing the temporal scheme inherent in the ‘Kojidan’, I understand Akikane’s collection not just as a personally motivated attack on Gotoba’s dominance of courtly affairs but also as expressing a more serious political endeavour.

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1.

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Einleitung

Gemessen am Grad der Kontrolle über die am Hof kursierenden Darstellungen befand sich das Königtum in Japan zu Beginn des 13. Jahrhunderts in einer ernsten Legitimierungskrise. So mag kaum weniger auf die „Erzählungen vergangener Ereignisse“ (‚Kojidan‘ 古事談) vom ehemaligen Hofbeamten und Laienmönch Minamoto no Akikane (源顕兼, 1160–1215) zutreffen, was Mathias Herweg zur ‚Kaiserchronik‘ festhielt. Denn durchweg „erstaunliche Dinge“ sind es, von denen in beiden Texten an prominenten Stellen die Rede ist. Kröten gebärende Kaiser und sexuelle Eskapaden eines die Notlage Roms ausnutzenden Jünglings einerseits, ausufernde Ausschweifungen, religiöse Eskalationen oder exzentrisches Betragen der höchsten Herrscher andererseits.1 Gleich mit einem schwer zu überbietenden Skandal leitet das ‚Kojidan‘ sein eigenwilliges Panorama der Herrscherfolge im ersten von insgesamt sechs Abschnitten ein: 称徳天皇(聖武御女、母光明皇后不比等女也、初孝謙天皇、後号称徳、又号高 野姫)、道鏡之陰、猶不足ニ被思食テ、以薯蕷作陰形、令用之給之間、折籠ル 云々、仍腫塞、及大事之時、小手ノ尼(百済国医師、其手加嬰子ノ手)奉見 云、帝病可愈、手ニ塗油ヲ欲取之、爰右中弁百川( 宇合二男、式部卿参議、 淳和外祖、拾子贈皇太后宮父、贈太政大臣正一位)霊狐也ト云テ、抜剣切尼肩 云々、仍無療帝崩、 „Man berichtet von Sho¯toku Tenno¯ – Sho¯mus Tochter, ihre Mutter war die königliche Gemahlin von unterem Rang Ko¯myo¯: Zuerst nannte sie sich Ko¯ken Tenno¯, später Sho¯toku, auch Prinzessin Takano2 – sie sei unzufrieden mit Do¯kyo¯s Verborgenem3 gewesen. Eine Yamswurzel schnitt sie in dieselbe Form,4 [doch] während sie diese benutzte, brach es [der Dildo] und blieb [in ihr] verkeilt. Darauf schwoll ihr Unterleib an und war verschlossen. Als es sehr schlimm um sie stand, kam eine Nonne mit kleinen Händen (eine Ärztin aus Baekche mit Händen wie denen eines Kleinkindes), die sich die Sache besah und sagte: ‚Die Krankheit der Herrscherin5 muss geheilt werden. Ich werde meine Hände einfetten und versuchen, es herauszuholen.‘ Da rief der Mittlere Ver-

1 Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg, Stuttgart 2014, 465. 2 高野姫, persönlicher Name Abe (阿倍, 718–770), Herrschertitel Ko¯ken (孝謙) für ihre erste Regierungsphase (749–758), Sho¯toku (称徳) für ihre zweite (764–770). Die Erläuterungen sind auch in den Handschriften vom Haupttext abgesetzt. Es bleibt unklar, ob diese von Akikane selbst stammen oder später hinzugefügt worden sind. 3 Im Original Yin (陰), hier als Metapher für das männliche Glied. 4 Im Original „in Gestalt des Yin“ (in no katachi 陰形), also in die Form eines Dildo. 5 Auch „Kaiser“ (mikado 帝). Im Folgenden wird darauf verzichtet, die moderne Übersetzung für tenno¯ (天皇), „himmlischer Herrscher“, zu übernehmen, um das zur Gegenwart aber auch zu Europa oder China andersartige Herrschaftsverständnis in Japans älteren Epochen zu kennzeichnen.

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waltungsminister zur Rechten6 [Fujiwara no] Momokawa – zweiter Sohn von Umakai, Minister für Zeremonien,7 Staatsrat,8 Großvater mütterlicherseits von Junna,9 der Vater der posthum zum Rang der Herrschergemahlin erhobenen Tabiko,10 posthumer Großminister ersten Ranges11 – ‚ein Fuchsgeist!‘,12 zog sein Schwert und schnitt der Nonne in die Schulter. Aus dem Grund war [die Krankheit] nicht kuriert und die Herrscherin verstarb.“13

Weitere Rückblicke auf vergangene Herrscher enthüllen zahlreiche andere Peinlichkeiten, mit denen das Königtum entgegen seiner andernorts inszenierten Herrlichkeit der Lächerlichkeit preisgegeben war. Kaum ließe sich damals wohl ein schonungsloserer Blick hinter die Kulissen höfischer Pracht und Machtdemonstrationen vorstellen, als ihn Akikane durch seine Auswahl an peinlichen Enthüllungen und delikaten Einzelheiten vorführte. Yo¯zeis (陽成, 868–949) Verrücktheit, Daigos (醍醐, 885–930) Verbissenheit, Kazans emotionale Instabilität oder Shirakawas (白河, 1053–1129) Exzentrik, um nur einige Beispiele zu nennen, machen in ihrer Ballung das ‚Kojidan‘ zu einer außergewöhnlichen Enthüllungsschrift verfehlter Herrscher, die über das Maß älterer Kritiken an der königlichen Würde hinausging. Von der offiziellen Selbstbeschreibung der politischen Elite, die sich in höfischen Ritualen, auf poetischen Zusammentreffen, bei eleganten Banketten, durch monumentale Tempelbauwerke oder aufwendige Pilgerfahrten gelungen zu inszenieren wusste, stand das ‚Kojidan‘ weit entfernt. Akikanes Sammlung fügt sich so besehen zu der von der Forschung ausgemachten Tendenz, der vornehmlich religiös geleisteten Überhöhung der Herrscher deren menschliche Dimension gegenüberzustellen.14 Mit dem Titel des ersten Abschnittes scheinen derlei Bloßstellungen auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen, wenn der ‚Königsweg und die Herr-

6 Uchu¯ben (右中弁), wie im Folgenden handelt es sich um eine Amtsbezeichnung nach dem Straf- und Verwaltungsrecht (ritsuryo¯ 律令), das während des 7. Jh. aus China über Korea eingeführt worden war. 7 Shikibukyo¯ (式部卿). 8 Sangi (参議). 9 Junna (淳和, 786–840). 10 Fujiwara no Tabiko, eine Nebengemahlin von Kanmu und Mutter Junnas. Nachträgliche Rangerhebungen waren häufig und mit Zusatz wie hier gekennzeichnet (zo¯ ko¯tai ko¯gu¯ 贈皇太 后宮). 11 Das höchste Amt unter dem Herrscher, auch „Großkanzler“ (dajo¯ daijin 太政大臣). 12 Reiko (霊狐). 13 Kojidan, in: Kawabata Yoshiaki/Araki Hiroshi (edd.), Shin Nihon koten bungaku taikei 41, Tokyo 2005, 3. Für eine englische Übersetzung dieses ersten Abschnittes der Einleitungsepisode siehe Donald Keene, Seeds in the Heart. Japanese literature from earliest times to the late sixteenth century, New York 1993, 585f. ¯ ken no chu¯ sei, Kyoto 1998, 228f. Zuvor bereits Ishii Susumu, 14 Sato¯ Hiroo, Kami – Hotoke – O Insei jidai, in: Rekishigaku kenkyu¯ kai/Nihonshi kenkyu¯ kai (edd.), Ho¯ ken shakai no seiritsu (Ko¯ za Nihonshi 2), Tokyo 1970, 193–220, hier 218f.

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schergemahlinnen‘ (王道后宮) das Thema sein sollen.15 Mit dem „königlichen Weg“ ist eine konfuzianische Idealvorstellung von Herrschaft aufgegriffen, die zu Akikanes Zeit zum Grundbestand der höfischen Bildung aus chinesischen Klassikern gehörte. Doch war deren Qualität ihm zufolge offenkundig schon in der Vergangenheit mangelhaft. Diese frappierende Diskrepanz zwischen Titel und Inhalt ist einer der Kritikpunkte, mit denen die japanische Literaturwissenschaft dem ‚Kojidan‘ ernstzunehmende literarische Qualitäten abspricht. Verglichen mit dem üblichen Kanon mittelalterlicher Erzählungen seien die Mängel offensichtlich, was die strukturelle Geschlossenheit, originäre Aussagen, sprachliche Eleganz oder narrative Kreativität betreffe. Solche Einwände sind nicht unberechtigt. Aus Quellenvergleichen geht klar hervor, dass Akikane viele seiner Geschichten aus bekannteren Vergangenheitserzählungen wie der „Geschichtensammlung von jetzt und damals“ (‚Konjaku monogatari shu¯‘ 今昔物語 ¯ kagami‘ (大鏡, spätes 集, Mitte 12. Jahrhundert), dem „Großen Spiegel“ ‚O ¯ e no 12. Jahrhundert) oder der Episodensammlung des gelehrten Hofministers O Masafusa (大江匡房, 1041–1111), ‚Go¯dansho¯‘ (江談抄, um 1108) entnommen hatte. Hinzu kommt, dass Akikane sich persönlicher Urteile enthielt und ebenso wenig eine die Einzelepisoden verbindende Erzählung leistete. Das Fehlen jeglichen Kommentars oder eines narrativen Rahmens bekräftigt den ersten Eindruck nur geringer kompositorischer Dichte und äußerst schwacher Poetizität gegenüber den Dichtergrößen und Gelehrten der Zeit wie Fujiwara no Teika (藤 原定家, 1162–1241) oder Jien (慈円, 1155–1225).16 Lange Zeit blieb es deshalb nur bei wenigen Aufsätzen zur Person Akikane, den intertextuellen Bezügen oder den Referenzbezügen der auftretenden Personen, mit denen alles Wesentliche gesagt zu sein schien.17 Weitere Bekanntheit erlangte das ‚Kojidan‘ durch Kobayashi Yoshiharus Aufnahme in die „Bibliothek der Klassiker“ (‚koten bunko¯‘ 古典文庫) des Gendai Shicho¯ (現代思潮) Verlags in Tokyo 1981 und schließlich durch die Eingliederung in den offiziellen Kanon durch die zweite Auflage der „Reihe klassische Japanische Literatur“ (‚Nihon koten bungaku taikei‘ 日本古典文学大系) des Iwanami (岩波) Verlages. Narratologische Studien mittelalterlicher Erzählliteratur sowie neuere kulturwissenschaftliche Fragestellungen haben eine Aufwertung des ‚Kojidan‘ auch

15 In Titel und Inhalt hat die ältere Forschung einen Widerspruch gesehen. Dazu und zu einer alternativen Einschätzung: Ito¯ Tamami, Inseiki setsuwashu¯ no kenkyu¯ , Tokyo 1996, 46–51. 16 Zu Fujiwara no Teika einführend A. E. Commons, Japanese poetic thought, from earliest times to the thirteenth century, in: Haruo Shirane/Tom Suzuki/David Lurie (edd.), The Cambridge History of Japanese Literatur, Cambridge 2016, 218–229, bes. 226–229, auch Keene 1993, 659f. 17 Zur grundlegenden Quellenkritik von Masuda Katsumi, siehe Kawabata Yoshiaki, Kojidan kaisetsu, in: Kawabata/Araki 2005, 853–872, bes. 860f.

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hinsichtlich seiner literarischen Qualitäten bewirkt.18 Allerdings erschließt sich die narrative Strukturierung nicht unähnlich zu den einzelnen Biographien der ‚Kaiserchronik‘ erst bei wiederholter und zumeist noch anderweitig motivierter Lektüre. Dann aber wird sichtbar, wie Personen, Objekte, Ereignisse oder Motive Überleitungen bilden oder aus mehreren Episoden in sich abgestimmte Erzähleinheiten formen. Darin werden heute spezifisch mittelalterliche Erzählweisen ausgemacht, die ihren modernen Varianten in nichts nachstehen müssen. Das frühere Urteil gegen sowohl die ‚Kaiserchronik‘ als auch das ‚Kojidan‘ ist daher vielmehr bezeichnend für die neuzeitlichen Maßstäbe für Klassik und Literarizität.19 Eine nachhaltige Revidierung des negativen Urteils, die für den hier verfolgten politischen und historiographischen Zusammenhang weiterführend ist, gelang dem Literaturwissenschaftler Ito¯ Tamami. Aus seiner Analyse des ersten Faszikels zog Ito¯ den Schluss, dass Akikane es nicht bei einer Aneinanderreihung seiner Geschichten belassen hatte, sondern seine Zusammenstellung von zwei um die Herrscher Ichijo¯ (一条, 980–1011) und Gosanjo¯ (後三條, 1034–1073) gruppierten Erzählkomplexen seine politischen Vorstellungen zumindest indirekt geäußert hatte. Gosanjo¯s Durchsetzungsvermögen hebe sich markant von Ichijo¯s Machtlosigkeit ab, der im ‚Kojidan‘ nicht aus dem Schatten seiner Stellvertreter treten konnte.20 Weitere Bestätigung erbringt auch die Herrscherfolge zwischen beiden Herrscherbeispielen, für die Akikane die zeitliche Gliederung seiner Herrscherchronik mehrfach auflöste und den Eindruck einer beliebigen Reihe abhängiger Kindkönige verstärkte.21 In diese Herrscherkritik hat Akikane ebenso seine Klage über den verkommenen Bildungsstand seiner Zeit integriert, da lange schon nicht mehr die richtige Etikette gepflegt werde und das Wissen um den ordentlichen Vollzug der höfischen Rituale kaum noch präsent sei. Dieses Motiv spitzte Akikane in der letzten Geschichte des ersten Faszikels zu, mit der er die Einleitungsepisode zu Sho¯toku (称徳, 718–770) gewissermaßen in eine positive Aussage umgekehrt spiegelte. Die kurze Episode gibt eine Behauptung von Gosanjo¯s Sohn und 18 Für den neueren Forschungsstand siehe die Beiträge in dem umfangreichen Sammelband von Asami Kazuhiko (ed.), Kojidan wo yomitoku, Tokyo 2008. 19 Dazu Haruo Shirane, Curriculum and Competiting Canons, in: Haruo Shirane/Tom Suzuki (edd.), Inventing the Classics. Modernity, National Identity, and Japanese Literature, Stanford 2000, 220–250, bes. 247–248. Für einige Merkmale des vormodernen Literaturverständnisses bes. Wolfgang Schamoni, The Rise of „Literature“ in Early Meiji. Lucky Genres and Unlucky Ones, in: Irmela Hijiya-Kirschnereit (ed.), Canon and Identity. Japanese Modernization Reconsidered. Trans-Cultural Perspectives, München 2000, 37–60, 40f. 20 Ito¯ 1996, 52–74. 21 Dazu auch Daniel F. Schley, Herrschersakralität im frühmittelalterlichen Japan. Eine Untersuchung der politisch-religiösen Vorstellungswelt des 13.–14. Jahrhunderts, Münster 2014, 70.

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Nachfolger Shirakawa wieder, der sich stolz damit brüstete, mit einem der Idealherrscher aus Chinas Altertum, Zhou Wen (文王, 11. Jahrhundert v. Chr.) gleich zu kommen. Was Shirakawa damit meinte, so Akikane weiter im Herrscherzitat, sei indes nicht, wie man erwarten würde, die eigene Gelehrsamkeit, sondern die persönliche Macht und politische Klugheit, seine Minister aufgrund ihrer Qualifikationen selbst auszuwählen. Nach Ito¯ ist am Ende der Herrscherchronik die ideale konfuzianische Ordnung noch einmal abschließend aufgegriffen.22 Doch indem mit Wen ein erfolgreicher König und zugleich noch der Begründer der Zhou Dynastie angesprochen ist, dürfte Akikane mit dieser Anspielung nicht nur das von ihm favorisierte Abhängigkeitsverhältnis der Minister von ihren Herrschern hervorgehoben haben. In übertragener Bedeutung bildete Shirakawa selbst den Anfang einer neuen politischen Epoche, in der die abgedankten Seniorherrscher weitreichende Machtmittel für sich zu reklamieren verstanden und eine parallele Herrschaftsstruktur organisierten, in der sie nicht mehr selbst den Thron als „himmlischer Herrscher“ (tenno¯; auch sumeramikoto 天皇) einnahmen, sondern sich als Senior des Königsgeschlechts in Vorrangstellung brachten und ihre neue Macht mit dem Titel eines den „Himmel regierenden Königs“ (chiten no kimi 治天の君) Ausdruck verliehen.23 Für diese Epochenwertung durchbrach Akikane am Ende nochmals seine sonst verfolgte chronologische Ordnung. Sein Urteil zu Shirakawa blieb jedoch zwiespältig, so die von ihm erzählenden Episoden voll exzentrischer Einzelheiten den am Ende so selbstbewusst vorgetragenen Führungsanspruch im Gesamtzusammenhang konterkarieren. So besehen bilden die erste und die letzte Geschichte des ersten Faszikels keinen Gegensatz von verfehlter und idealer Herrschaft, da beide Episoden letztlich gemeinsam die Exzentrik der Monarchen hervorheben. Der Befund genügt vorerst, um im ersten (und auch im zweiten) Faszikel des ‚Kojidan‘ eine Art politisches Manifest zu erkennen, das anhand von aus Exempeln aus der Vergangenheit gebildetem Narrativ die normative Gültigkeit konfuzianischer Politikgestaltung behauptet.24 Fragt man weiter nach den möglichen Motiven für diese zu den historischen Umständen doch anachronistische Behauptung, so liegt der Schluss nahe, dass Akikane mit seiner eigenwilligen Zusammenstellung vergangener Herrscher die formal eigentlich zuständigen Verwaltungsbehörden, zu denen er selbst gehört hatte, gegen Gotobas politische Dominanz verteidigte. 22 So auch Ito¯ 1996, 75. 23 Dazu aus der Perspektive der finanziellen Reorganisation des Königtums durch die Seniorherrscher, bes. Ihara Kesao, Nihon chu¯sei no kokkusei to kasei, Tokyo 1995. Zum aktuellen Forschungsstand jetzt Hongo¯ Keiko, Insei ron, in: Iwanami ko¯za Nihon rekishi 6. Chu¯sei 1, Tokyo 2013, 29–60, bes. 38–44. 24 Zu narrativen Begründungstechniken und ihrer Gültigkeit siehe die Überlegungen von Michael Hampe, Die Lehren der Philosophen. Eine Kritik, Frankfurt a. Main 2014, bes. Kap. 10.

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Das war aber sicher nicht der ausschlaggebende Anlass für sein eben sehr viele verschiedene Themen umfassendes Kompendium, da er sonst eindeutigere Strategien ergriffen hätte, sein Plädoyer explizit zu begründen oder durch eine engere Auswahl der Geschichten zu fokussieren. Man wird Ito¯s Schlussfolgerung, die nur auf seiner Analyse des ersten Abschnittes beruht, deshalb nicht gleich auf die gesamte Quelle ausweiten können.25 Die knappen Beispiele dürften indes deutlich gemacht haben, dass mit dem ‚Kojidan‘ keine narrativ belanglose oder literarisch unbedeutende Erzählsammlung vorliegt. Etwas anders verhält es sich innerhalb der Geschichtswissenschaften. Als ein weitgehend fiktionales Werk mit geringem Aussagegehalt zu historischen Verhältnissen hält das ‚Kojidan‘ einer allein faktenorientierten Abschätzung des Quellenwertes kaum stand und bleibt von zweitrangiger Bedeutung. Eine umfassende Berücksichtigung der Gesamtquelle für kulturwissenschaftliche Fragestellungen steht selbst in der japanischen Forschung weiter aus, die auf Detailanalysen einzelner Motive, Personen oder Vorstellungen begrenzt bleibt.26 Darüber vermag auch der vorliegende Beitrag nicht hinauszugehen. Im Anschluss aber an die Einsicht in Akikanes Komposition einzelner Erzählkomplexe und deren Verdichtung zur selbstständigen Aussage sei durch Anregung durch die ‚Kaiserchronik‘ weiter beleuchtet, wie durch Selektion und strukturelle Änderungen ein eigenständiges Geschichtsbild aufscheint und geprüft, inwieweit das ‚Kojidan‘ historiographisch verfuhr. Damit sei zumindest ein weiteres Anknüpfungsmoment an die originäre Darstellungsweise der mit dem historiographischen Wahrheitsanspruch kokettierenden ‚Kaiserchronik‘ angedeutet, mit dem die außerhalb der engen Fachdiskussionen in Japan kaum bekannte Vergangenheitserzählung für vergleichende Perspektiven geöffnet werden kann.

2.

Geschichte schreiben im 13. Jahrhundert

Die ‚Kaiserchronik‘ behauptet heute ihren besonderen Platz in der historischen und literaturwissenschaftlichen Forschung zum hochmittelalterlichen Königtum unter anderem deshalb, weil sie vulgärsprachlich die Vergangenheit im Modus faktualen Erzählens vorträgt, inhaltlich aber die historische Herrscherfolge durch anachronistische Sprünge und fingierte Ergänzungen umgestaltet. Als Geschichtsschreibung so wenig verlässlich wie die ‚Kaiserchronik‘, war doch das vom ‚Kojidan‘ nicht minder geteilte Selbstverständnis entscheidend, eine 25 Näher Schley 2014, 74–87. 26 Stellvertretend Hotate Michihisa, Kojidan kara no shiteki tenkai. Fujiwara no Norimichi to buke genji, in: Asami Kazuhiko (ed.), Kojidan wo yomitoku, Tokyo 2008.

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Chronik zu schreiben beziehungsweise faktual von der Vergangenheit zu berichten.27 Eine Annäherung beider an sich unabhängiger Geschichtswelten erleichtern neben den forschungsgeschichtlichen Parallelen auch geistesgeschichtliche Ähnlichkeiten. Übereinstimmend mit Mathias Herwegs Worten zur ‚Kaiserchronik‘ wird man in der Verortung des ‚Kojidan‘ ebenso feststellen können, dass Akikane offenkundig den „Nerv einer Zeit [traf], die an historischer Identitätsfindung hochinteressiert war.“ Auch in Akikanes Umfeld entstanden folgenreiche Chroniken, die „stil- und gattungsprägend für die [hier japanische, D.S.] Chronistik des 13. und 14. Jahrhunderts“ wurden.28 Herweg bezog sich in seiner Besprechung der ‚Kaiserchronik‘ auf die bekannte Geschichtsschreibung Ottos von Freising und wies darauf hin, dass diese dem damaligen Verständnis nach zusammen mit der ‚Kaiserchronik‘ über alle sprachlichen, strukturellen und textuellen Differenzen hinweg gemeinsam das Spektrum von Vergangenheitserzählungen bestimmte. Dafür spricht unter anderem die gemeinsame Edition von Ottos ‚Gesta‘ und der ‚Kaiserchronik‘ in einem Band aus dem späten 13. Jahrhundert. Dichter und Chronisten reflektierten seit Homer und Herodot gemeinsam das Spannungsfeld von fabula und historia, sie verfuhren dabei aber auf unterschiedliche Weise.29 Dieser Aspekt wird im Anschluss näher vertieft, doch seien zuvor weitere historische Hintergründe genannt, um den Zugang zum japanischen Fallbeispiel zu erleichtern. In Europa hatten die unter dem Einzelaspekt der Investitur subsumierten, tatsächlich aber wesentlich weiter reichenden Auseinandersetzungen zwischen Adel, Königtum und Kirche zu vielfachen Reflektionen von Herrschaft Anlass gegeben, die sich über den engeren juristischen Bereich hinaus auch in geschichtlichen und literarischen Genres fortsetzten. Eine ähnliche Ausgangslage traf auf Akikanes zeitliche Umstände zu, die in Folge von Machtkämpfen zwischen Königssippe, Adelsgeschlechtern und Kriegergruppen seit Mitte des 12. Jahrhunderts die Zeitgenossen nicht weniger herausforderte. Bekannt ist diese Zeit über die Japanforschung hinaus für die Entstehung einer ersten, vom Hof unabhängigen Kriegerregierung in Kamakura durch Minamoto no Yoritomo (源頼朝, 1147–1199) und die damit einhergehenden soziopoliti27 Ausführlicher Mathias Herweg, Geschichte erzählen. Die ‚Kaiserchronik‘ im Kontext (nebst Fragen an eine historische Narratologie historischen Erzählens), in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 146 (2017), 413–444, hier: 425f. 28 Herweg 2014, 466. 29 Herweg 2014, 488, auch Hans-Werner Goetz, ‚Konstruktion der Vergangenheit‘. Geschichtsbewusstsein und ‚Fiktionalität‘ in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der Annales Palidenses, in: Johannes Laudage (ed.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln 2003, 225– 257.

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schen Veränderungen zu einer im übertragenen Sinne oft als ‚mittelalterlich‘ apostrophierten Herrschaftsorganisation auf der Grundlage von Vasallität und militärischer Spezialisierung.30 Konflikte um Zuständigkeiten der Gebietskontrolle und Personengruppen zwischen beiden Herrschaftszentren nahmen zu, bis die Spannungen 1221 in einer kurzen aber intensiven Militäraktion günstige Bedingungen für den weiteren politischen und gesellschaftlichen Aufstieg der Kriegerverbünde schaffen sollten. Akikane erlebte die nachfolgenden Zerwürfnisse unter dem Hofadel und den Kriegern nicht mehr, aber er hätte sich wohl kaum über die Niederlage von Gotobas Truppen gewundert. Zu anderen Schlüssen kam einer seiner Zeitgenossen, der gegenüber Akikanes ‚Kojidan‘ heute exemplarisch die damaligen historischen Deutungsversuche repräsentiert. Ähnlich der historiographischen Nachbarschaft der ‚Kaiserchronik‘ zu Ottos von Freising (1112–1158) Geschichtsschreibung in Chronik und Gesta, schrieb nur wenige Jahre nach Akikane ein anderer buddhistischer Mönch die Geschichte der Herrscher und ihrer Stellvertreter aus dem Geschlecht der Fujiwara (藤原). Der derselben Sippe entstammende hochrangige Geistliche und versierte Gelehrte Jien ist in Fachkreisen berühmt für seine „persönlichen Ansichten“, so der japanische Titel seines Geschichtsrückblicks und Zukunftsentwurfs ‚Gukansho¯‘ (愚管抄, um 1220). In seiner Konzeption, den historischen Verlauf als Wirkung religiös definierter Kräfte zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen für die weitere Entwicklung zu ziehen, ähnelt er in mancher Hinsicht Ottos theologischem Geschichtsdenken. Wenn diesem Augustinus und Orosius wichtige Stichwortgeber zur Ordnung der Zeitläufe und Erklärung der Wandelbarkeit alles Irdischen waren, so gaben Jien buddhistische Zeitvorstellungen und überlieferte Herrschaftsmythen den Rahmen für seine theologisch-teleologische Vergangenheitskonstruktion vor, aus denen er ein ambitioniertes Orientierungsangebot für die Machtkrise seiner Herrscher ableitete. Jien und Akikane griffen auf einen gemeinsamen Bestand höfischer Überlieferung zurück und beide verfügten über hinreichend literarische Fertigkeiten, um den historischen Stoff auf ihre eigenen Erzählabsichten hin zu arrangieren. In ihrer Ausrichtung wie auch ihrem sozialen Umfeld nach unterschieden sich beide ähnlich stark, wie Otto von Freising und der oder die unbekannt gebliebene(n) Verfasser der ‚Kaiserchronik‘, was die Beobachtung von Ähnlichkeiten reizvoll macht. Jien war ein Bruder des ehemaligen Regenten (Fujiwara) Kujo¯ Kanezane (九条兼実, 1149–1207), viermaliger Leiter (zasu 座主) der Tendai-Gemeinde, 30 Für einen Überblick u. a. Kasaya Kazuhiko, Joron. Zenkindai shakai ni okeru kanryo¯sei to ho¯kensei no rekishiteki igi, in: Ders. (ed.), Kuge to buke 4, Kyoto 2008, 3–31, bes. 6f., 19–24, Detlev Taranczewski, The Court and Its Provinces: Producing and Distributing Wealth in Classical Society, 700–1200, in: Karl Friday (ed.), Routledge handbook of premodern Japanese history, London 2017, 116–137, bes. 123–127. Auch Kondo¯ Shigekazu, Kamakura jidai seiji ko¯zo¯ no kenkyu¯, Tokyo 2016.

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früherer Schutzgeistlicher (gojiso¯ 護持僧) und Vertrauter des nach seiner Abdankung inzwischen politisch aktiven Seniorherrschers Gotoba (後鳥羽, 1180– 1239). Darüber hinaus war er eingeweiht in esoterische buddhistische Lehren und ein angesehener Poet, dessen Gedichte Aufnahme in Gotobas Anthologie „Neue Sammlung von Kurzgedichten aus alter und neuer Zeit“ (‚Shin kokin wakashu¯‘ 新 古今和歌集, 1205) erlangt hatten.31 Ihm gegenüber stand Akikane innerhalb der höfischen Ranghierarchie auf niedrigerer Position und er war nicht in dem Maße wie Jien in das aktuelle politische Geschehen involviert. Offiziell gelangte er 1203 und in Nachfolge seines Vaters auf den Posten eines Justizministers (gyo¯bukyo¯ 刑部卿) des unteren dritten Ranges und war dadurch zum Zugang zu den königlichen Privatgemächern berechtigt. Die derart vom Herrscher persönlich ausgezeichneten Hofadeligen (tenjo¯bito 殿上人) erfüllten diverse Aufgaben, darunter Botengänge und die persönliche Überbringung von Nachrichten an den Herrscher. Bei einer dieser Gelegenheiten war es im zweiten Monat des Jahres Sho¯ji 2 (1200) zum Eklat mit Gotoba gekommen, was wohl Akikanes weitere politische Karriere verhinderte. Vermutlich auch aus Frustration über seinen geringen Erfolg am Hof Gotobas entsagte er 1211 mit 52 Jahren seinen höfischen Aufgaben. Zusätzlich aus Trauer über den Verlust seiner Frau und Tochter nahm Akikane schließlich die buddhistischen Gelübde auf sich und widmete sich seiner Erzählsammlung bis zu seinem Tod vier Jahre später.32

3.

Akikanes Geschichtsverständnis

Wenn nun im Folgenden eine Art Herrscherchronik, herausgelöst aus dem ersten Faszikel des ‚Kojidan‘, das Vergleichsmoment zur ‚Kaiserchronik‘ bilden soll, dann dürfen die gravierenden Unterschiede nicht außer Acht bleiben. Das ‚Kojidan‘ ist weder ein „früher und hochkomplexer Erzähltext“, wie Mathias Herweg zur ‚Kaiserchronik‘ urteilt, noch „formt und präjudiziert“ die „Funktion und der Geltungsanspruch der Chronik auch ihr Erzählen.“33 Akikane erdichtete kaum eigene Passagen noch formte er die Geschichte der Herrscher und ihres Hofes ähnlich motivgeleitet um. Er hielt sich an die offizielle dynastische Folge und arbeitete mehr mit Auslassungen und Sprüngen zwischen einzelnen Herrschern. Auch blieb er im Wortlaut teilweise direkt an seinen Vorlagen und ohne dabei jedes Mal auch auf sprachliche Kohärenz zu achten. Seine Nachlässigkeit be31 Ausführlicher Paul S. Atkins, Shin kokinwakashu¯. The New Anthology of Ancient and Modern Japanese Poetry, in: Shirane/Suzuki/Lurie 2016, 230–238. 32 Überblick nach Kawabata 2005, 854f. 33 Herweg 2017, 423f.

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dingte direkte Stilbrüche, wenn unvermittelt der Erzähler wechselt. So übernahm er beispielsweise aus Fujiwara no Sanesukes (藤原実資, 957–1046) Tagebuch ‚Sho¯yu¯ki‘ (小右記) neben dem Bericht über eine Ausfahrt des abgedankten Enyu¯ (円融, 959–991) auch gleich dessen Selbstbezeichnung.34 Dennoch ist damit eine problemorientierte Begegnung von ‚Kojidan‘ und ‚Kaiserchronik‘ nicht ausgeschlossen. Dazu sei hier im Konzept von Vergangenheitserzählungen eine Variante von Geschichtsschreibung bezeichnet, die quer zu den modernen Gattungsgrenzen in der je unterschiedlich austarierten Balance zwischen fiktionalen Konstruktionen und faktualen Referenzbezügen ihr vermittelndes Element aufweist.35 Um dieses Merkmal vormoderner Historiographie in Japan zu verdeutlichen, bietet sich erneut die Einleitungsgeschichte im ‚Kojidan‘ an. Auf die eingangs zitierte Enthüllung von Sho¯tokus Tod folgt in sachlicher Erzählweise die von Übersetzungen und Analysen oft vernachlässigte Vor- und Nachgeschichte. So heißt es gleich im folgenden Satz zu obigem Zitat: 此女帝者、大炊天皇御宇天平宝字六年寅壬、落簪入仏道、法諱称法基尼、春秋 四十五、同七年九月、以道鏡法師、為小僧都、 ¯ i Tenno¯ [d.i. Junnin] im sechsten Jahr Tenpyo¯ „Diese Herrscherin löste zur Zeit des O ho¯ji36 [763] ihre Haarnadeln37 und trat auf den Pfad Buddhas. Sie nannte sich darauf mit buddhistischem Namen Nonne des Dharma Grundes.38 Sie war 45 Jahre alt. Im neunten Monat des siebten Jahres [Tenpyo¯ ho¯ji] erhob sie den Mönch Do¯kyo¯ in den unteren Rang eines Sangha-Leiters des zweiten Grades.“39

Auch die weitere Darstellung von Do¯kyo¯s (道鏡 ?–772) beispiellosem Aufstieg bis zum eigens für ihn geschaffenen Amt, durch den Sho¯toku ihn zu ihrem geistlichen Äquivalent erhoben hatte, folgt dem Stil der hierfür konsultierten Geschichtsschreibung.40 Um Do¯kyo¯s Machtintentionen und seine Überwindung durch die Adelsopposition anzugeben, zitierte Akikane sogar die „Fortgesetzte

34 Kojidan I/15, 25f. 35 Unter Vergangenheitserzählung seien hier historisch verfahrende Varianten von „Wirklichkeitserzählungen“ verstanden, wie sie Christian Klein und Matías Martínez für Texte prägten, die sich in fiktionalen oder faktualen Erzählmodi konkret auf „reale Begebenheiten“ beziehen. Näher dazu Christian Klein/Matías Martínez (edd.), Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Stuttgart 2009, 1–13, Zitat S. 6. Darin auch bes. Stephan Jaeger, Erzählen im historiographischen Diskurs, 110–135. 36 Ärabezeichnung (天平宝字), dauerte von 757 bis 765. 37 Wörtl. rakushin (落簪), im übertragenen Sinn die Haare scheren, also die Tonsur nehmen, um in den geistlichen Stand einzutreten. 38 Ho¯gi no ama (法基尼). 39 Kojidan, 3. Rangbezeichnung sho¯so¯zu (小僧都). In den Statuten für den geistlichen Stand waren drei Ränge mit weiteren Unterteilungen vorgesehen. 40 Der Titel lautet wörtlich „Dharma-Souverän“ (ho¯o¯ 法皇). Später nutzten die abgedankten und ordinierten Seniorherrscher dieselbe Bezeichnung.

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Chronik Japans“ (‚Shoku Nihongi‘ 続日本紀, 797).41 Nur machte er seine Quellen an anderen Stellen nicht immer explizit und es bleibt dem akribischen Quellenvergleich überlassen, die Bezüge der Herrscherepisoden und Ministergeschichten in den ersten beiden Faszikeln in der Hofgeschichtsschreibung zu verifizieren. Wenn genaue Jahresangaben fehlen, so sind sie oft indirekt aus den Rangbezeichnungen der Beteiligten ableitbar. Biographische Ergänzungen, die sich auch schriftlich vom Haupttext durch kleinere Zeichen abheben, verstärken den referenziellen Anspruch, wobei unklar bleibt, ob sie von Akikane selbst stammen. Genaue Zeit- und Ortsangaben sind bei weitem kein Alleinstellungsmerkmal des ‚Kojidan‘, sondern häufiger in Erzählsammlungen anzutreffen, die sich insofern von den hauptsächlich zur Unterhaltung verfassten und durch eindeutige Fiktionalitätssignale ausgewiesenen Geschichten unterscheiden. Weniger entscheidend ist hierbei, dass nicht wenige Daten im ‚Kojidan‘ von den heute als verlässlicher ausgewiesenen Quellen abweichen. Auch widersprechen die von Akikane in den Abschnitten zum Klerus und spirituellen Orten aufgegriffenen Wundergeschichten nicht dem Anspruch, sich auf eine reale und keine fiktive Welt zu beziehen. Die Trennung zwischen Fakten und Fiktionen erfolgte in Japan wie auch im mittelalterlichen Europa bekanntlich über anderes Grundverständnis in Hinsicht auf die Aufgabe der Geschichtsschreibung und ihre pragmatischen Funktionen.42 Einblicke in die damaligen Möglichkeiten, Fiktionalität positiv über einen eigenständigen Wahrheitswert zu bestimmen, der für alle von der Vergangenheit erzählenden Texte eine geeignete Grundlage anbietet, lieferte die Hofdame Murasaki Shikibu (紫式部, um 978–um 1016) in ihrer „Erzählung von Genji“ (‚Genji monogatari‘ 源氏物語, um 1000). An der gerade von der narratologischen Forschung in Japan und der Japanologie vielbeachteten Stelle im Abschnitt zu den „Leuchtkäferchen“ (hotaru 蛍) verhandelt der fiktive Höfling königlichen Geblüts Hikaru Genji (光源氏) den Wert fiktionaler Erzählungen. Dieses Genre sah sich viel mehr als die didaktischen oder religiösen Erzählsammlungen (setsuwa) dem Vorwurf ausgesetzt, nur ein frivoles Spiel mit „leeren Worten“ (soragoto 虚言) zu treiben. Gegen diese Abwertung bot Genji elegante Argumente für die alethische Eigenständigkeit aller menschlich anrührenden Erzählungen an, da sowohl faktuale Hofchronistik als auch fiktionale Unterhaltungen sich auf Wahrheit beziehen. Nicht zu vergessen ist dabei der Kontext, in den diese ansprechend abstrakte Diskussion eingebettet ist. Denn Genji war darauf aus, seine Adoptivtochter Tamakazura zu verführen, und vertrat zu die41 Kojidan, 3f. 42 Dazu stellvertretend die Beiträge in Johannes Laudage (ed.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln 2003.

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sem Zweck eine für seine Bildung und politische Stellung eigentlich unorthodoxe Position. Der pointierte Wahrheitsanspruch, mit dem die ‚Kaiserchronik‘ ihre gerade nicht den historiographischen Wahrheitsbedingungen entsprechenden Sonderlichkeiten vergangener Herrscher vorträgt, findet hier zumindest gedanklichen Anklang.43 Fiel nun die ‚Kaiserchronik‘ bereits aus dem Rahmen der üblicherweise von Historikern gewahrten Gattungsgrenzen, war das ‚Kojidan‘ noch viel weniger eine Chronik, weder den modernen Maßstäben noch den kulturellen Voraussetzungen nach. Was Geschichtsschreibung auszeichnete, hatte in Japan durch die Übernahme kontinentaler Kulturtechniken und Genrevorstellungen spätestens ab dem 6. Jahrhundert klare Konturen angenommen. In den sukzessive entstandenen offiziellen Chroniken, die mit insgesamt sechs abgeschlossenen Werken die Hofgeschichte bis zum Tod von Ko¯ko¯ (光孝, 830–887) 887 fortführten, folgten die damit beauftragten Historiker weitgehend ihren chinesischen Vorgaben und schufen einen bis zum 19. Jahrhundert gültigen Kanon der annalistischen Geschichtsschreibung. In China waren die Werke der offiziellen Dynastiegeschichten (zhèngshıˇ 正史) Bestandteil des Bildungskanons der Beamtenelite, aus deren Reihen sich die Historiker wieder selbst rekrutierten. Neben ihrer herrschaftslegitimierenden Funktion waren der Geschichtsschreibung didaktische Zwecke zugewiesen, wozu sie aus historischen Beispielen gesellschaftliche Normen ableitete.44 Ähnlich bezog sich auch der Hofadel in Japan auf seine Chroniken, um aus der Vergangenheit allgemeingültige Präzedenzfälle für gegenwärtige politische Interessen abzuleiten.45 Die Formen historischer Selbstversicherung beschränkten sich jedoch nicht auf die Geschichtsschreibung im hier angezeigten, engeren Sinne. Gleichfalls waren unterschiedliche literarische Projekte produktiv, mit denen das Königtum im späten 7. Jahrhundert seine bis zu Akikanes Gegenwart fortwirkenden sprachlichen, rechtlichen und religiösen Grundlagen erhielt.46 Aufgrund von hier nicht eingehender zu behandelnden Gründen lief das ehemalige Prestigeprojekt 43 Für die Kaiserchronik siehe Herweg 2017, 433, 440f. 44 Zur chinesischen Historiographie siehe jetzt die zahlreichen Beiträge in Andrew Feldherr/ Grant Hardy (edd.), The Oxford History of Historical Writing, 5 Bde., Bd. 1, Beginnings to AD 600, Oxford 2011, auch Helwig Schmidt-Glintzer, Herrschaftslegitimation und das Ideal des unabhängigen Historikers im mittelalterlichen China, in: Oriens Extremus 38. 1–2 (1995), 91–107. Für die sogenannten „sechs Reichsgeschichten“ (Rikkokushi 六国史) in Japan jetzt Endo¯ Keita, Rikkokushi. Nihon shoki ni hajimaru kodai no ‚seishi‘, Tokyo 2016, bes. 3– 17, 57–99. ¯ sumi Kazuo, Rekishi monogatari to shiron, in: Rekishi monogatari ko¯za kanko¯ iinkai 45 O (ed.), Rekishi monogatari ko¯za 1 (So¯ron hen), Tokyo 1998, 62f. 46 Darauf lenkten jüngst einige Studien der literaturwissenschaftlichen Japanforschung das Augenmerk, siehe stellvertretend Torquil Duthie, Man’yo¯shu¯ and the imperial imagination in early Japan, Leiden 2004.

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der höfischen Annalistik Mitte des 10. Jahrhunderts aus. Erst gut ein Jahrhundert später und wesentlich von den Entwicklungen höfischer Erzählkunst beeinflusst, entstanden mit Akazome Emons (赤染衛門, um 956–1041) ‚Eiga monogatari‘ („Geschichte von Pracht und Glanz“ 栄花物語) und dem daran anschließenden ¯ kagami‘ neue Geschichtswerke aus privater Hand, die verkürzt gesagt mehr ‚O dem literarästhetischen Ideal des ‚Genji monogatari‘ als den historiographischen Genrevorgaben chinesischer Chroniken verpflichtet waren.47 Vor allem aufgrund ihrer explizit fiktionalen Erzählformen unterscheidet die moderne Forschung die neuen „Geschichtserzählungen“ (rekishi monogatari 歴史物語) von den älteren Chroniken oder der Unterhaltungsliteratur (monogatari 歴史物語, auch tsukuribanashi 作り話 für „erfundene Geschichten“). Nach dem zeitgenössischen Verständnis aber handelte es sich dabei um nicht minder gültige Geschichtsschreibung, so wie auch die fiktionale Erzählung des ‚Genji monogatari‘ historisch gelesen wurde. Unter dem hier verwendeten Sammelbegriff von Vergangenheitserzählungen konstituierte Fiktionalität aus heutiger Perspektive zweifellos ein entscheidendes Genremerkmal, ohne dass damals damit gleich jeglicher Referenzbezug auf reale Geschehnisse in der Vergangenheit aufgegeben war.48 Man kannte gleichwohl andere Einwände gegen erfundene Geschichten, darunter vor allem konfuzianische und buddhistische Kritik gegen eine bloß unterhaltsame Lektüre. Diskreditiert zu ‚leeren Worten‘ würde sie gesellschaftliche Verpflichtungen und religiöse Erlösung behindern. Der ästhetisch-artistisch motivierte Umgang mit der Sprache befördere lediglich „unsinniges Sprechen und verzierte Wörter“ (kyo¯gen kigo 狂言綺語), wie eine gängige Ablehnungsformel lautete.49 In dieser Hinsicht waren auch in China und Japan Dichter dem Vorwurf der Lüge (mo¯go 妄語 für „unwahre Worte“) ausgesetzt und mehr noch mit dem Vorwurf konfrontiert, eines der fünf Laienverbote (gokai 五戒, Skt. pañca-s´i¯la) zu verletzen. Solche Vorwürfe trafen nach einer im Mittelalter verbreiteten Überlieferung sogar Murasaki Shikibu, die für

¯ kagami, Gukansho¯, in: 47 Näher Elizabeth Oyler, Vernacular histories. Eiga monogatari, O Shirane/Suzuki/Lurie 2016, 193–205. 48 Deren Fiktionalität wird noch oft einseitig als Mangel problematisiert und an einem modernen Geschichtsverständnis von historischer Objektivität gemessen. So exemplarisch etwa John Bentley, Historiographical Trends in Early Japan, New York 2002, 61, der von einer „deliberate embellishment or fabrication of events“ spricht. 49 Zum Hintergrund und dem in Japan geschätzten Tang Dichter Bái Ju¯yì (白居易, 772–846), auf den die Formel zurückgeht, grundlegend William LaFleur, The Karma of Words. Buddhism and the Literary Arts in Medieval Japan, Berkeley/Los Angeles, 1983, 8f., 88 f. Für die generelle Entwicklung des Konzepts aus buddhistischer Perspektive, Nunami Masayasu, kyo¯gen kigyo¯ no tenkai, in: Do¯ho¯ daigaku ronso¯ 81–82 (2000), 17–41.

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ihre poetischen Verführungskünste in einer der buddhistischen Höllen zu büßen hatte.50 Für ein demgegenüber vorwiegend faktual verfahrendes Format nach Abbruch der Hofchronistik wird man vor allem in den Ritualaufzeichnungen (kojitsusho 故実書, bzw. gishikisho 儀式書) und höfischen Tagebüchern (kanbun nikki 漢文日記) fündig. Sie waren ebenso wie die Hofchroniken auf Chinesisch geschrieben, wohingegen die Unterhaltungswerke einschließlich der erzählenden Geschichtsdarstellungen das Japanische nutzten. Mit beiden Sprachformaten waren spezifische Bildungshintergründe und soziale Ansprüche verknüpft, die den chinesischen Schriften in offiziellen Belangen und bezüglich ihres Wirklichkeitsgehaltes den Vorrang gaben.51 Ähnlich aber wieder zu erzählenden Texten und Chroniken verfuhren auch sie kaum anders, wenn sie die Vergangenheit unter erinnerungswürdigen Präzedenzfällen kreativ zusammenfassten. Akikane hatte für das ‚Kojidan‘ einen gemischten Sprachstil verwendet, in dem Chinesisch dominiert, aber immer wieder mit japanischen Silben und Wendungen ergänzt ist. Das bedingte auch formal die Rezeption der Geschichten im Sinne einer faktualen Wirklichkeitserzählung vergangener Ereignisse. Selbst wenn im ‚Kojidan‘ Nacherzählungen älterer Legenden enthalten sind, wie die Geschichte von Urashima Taro¯ (浦島太郎). Sie folgt gleich auf die Enthüllung zu Sho¯tokus Ende und berichtet, wie der junge Mann die Drachenprinzessin auf dem Meeresgrund besuchte und erst nach übermenschlich langer Zeit, ohne an Jugend eingebüßt zu haben, in sein Heimatdorf zurückkehrte.52 Akikane hat die nach heutigen Gesichtspunkten fiktive Handlung historisch behandelt, indem er sie mit näheren Zeitangaben durch die regierenden Herrscher temporal fixierte. Ob er die Fabel selbst für wahr hielt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Doch gerade seine ansatzweise kreative Vergangenheitsbearbeitung macht das ‚Kojidan‘ besonders interessant für die durch die ‚Kaiserchronik‘ beispielhaft aufgeworfene Problematik von Fiktionalität in der Geschichtsschreibung. Akikanes Sammlung bietet so besehen auch für diese Forschungsrichtung eine von der Japanforschung noch nicht hinreichend erkundete Ergänzung an, die zu den genannten Textbeispielen aus dem Umfeld höfischer Bildungsdiskurse und politischer Machtinteressen treten kann. Vergleichende Überlegungen zu Erzählungen von Macht und Herrschaft in anderen Kulturräumen und Zeiten liegen somit auf der Hand und es steht zu hoffen, mit der folgenden dichten

50 Ausführlicher hierzu Sebastian Balmes, „Verrückte Sprache und ausgeschmückte Worte“ – Zum buddhistischen Diskurs über den Wert der Literatur im Rahmen der Genji-Rezeption des 12. Jahrhunderts, in: Bunron. Zeitschrift für literaturwissenschaftliche Japanforschung 4 (2017), 1–33, bes. 3f., 14f. ¯ sumi 1998, 53f. 51 O 52 Kojidan I/2, 6f. Beiläufig erwähnt von Keene 1993, 570.

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Lektüre des ‚Kojidan‘ und Folgerungen zu Akikanes Herrschaftskritik und seinem Geschichtsbild weitere Überlegungen hierzu anzuregen.

4.

Eine eigenwillige ‚Kaiserchronik‘

Zu den fabelhaften Geschichten der ‚Kaiserchronik‘ bietet gleich die verstörende erste Geschichte im ‚Kojidan‘ ein geeignetes Vergleichsmoment an, das zur Reflektion über vergangene Herrscher und die Qualitäten gelingenden Königtums herausfordert. Das macht die Analyse nur nicht leichter, denn gerade der Anfang dürfte mit zu den herausforderndsten Einzelepisoden für das Gesamtverständnis des ‚Kojidan‘ gehören.53 Doch sollte man sich dabei nicht durch die ostentative Beschreibung exzessiver Sexualität seitens der buddhistisch ordinierten Herrscherin ablenken lassen. Schnell erweist sich die naheliegende negative Wertung der Szene selbst als ein höchst fragwürdiges Element der Rezeptionsgeschichte, wie sie beispielsweise Donald Keene voraussetzte. In Rechnung gestellt werden müssen neben den historischen Zusammenhängen auch die in Japan damals gültigen rhetorischen Bedingungen für sexuelle Darstellungen und deren wiederum in sich heterogenen buddhistischen wie konfuzianischen Bewertungen. Um beim historischen Kontext zu beginnen, so ist das Verhältnis zwischen der Herrscherin und ihren Mönchen bekannt dafür, beinahe eine gelungene Usurpation des Throns durch einen Außenseiter ohne königliche Abstammung bedingt zu haben.54 Ihr Vater Sho¯mu hatte Prinzessin Abe (阿倍) schon frühzeitig zur Thronerbin erklärt (738) und gegen manchen Widerstand gefördert. Unter ihrem ersten Thronnamen Ko¯ken (孝謙) regierte sie von 749 bis 758 und sorgte für die weitere Verbreitung buddhistischer Klöster und Lehren durch das von Sho¯mu und seiner Fujiwara Gemahlin Ko¯myo¯ (光明, 701–760) initiierte Netzwerk von Provinztempeln. Nach Sho¯mus Tod regierte Ko¯ken in enger Absprache mit ihrer Mutter und deren Neffen Fujiwara no Nakamaro (藤原仲麻呂, 706– ¯ i (大炊), dem 764), woraus sich auch ihre Abdankung 758 zu Gunsten von Prinz O Schwiegersohn Nakamaros und späteren Herrscher Junnin (淳仁, 733–765) 53 So z. B. Asami Kazuhiko, Kojidan bo¯to¯wa no yomikata, in: Kokubungaku kaishaku to kansho¯ 70 (2005), 34–43, 42. 54 Für eine Auswahl aus der Forschung siehe, Kimoto Yoshinobu, Sho¯toku, Do¯kyo¯ seiken no jitsuno¯. Nara jidai makki no seiji konran, in: Ko¯gakkan ronso¯ 49. 2 (2016), 1–30, Herman Ooms, Imperial Politics and Symbolics in Ancient Japan. The Tenmu Dynasty, 650–800, Honolulu 2009, 195f., Grundlegende Überblicke, auch zu den religionspolitischen Auswirkungen, Naoki Ko¯jiro¯, The Nara State, in: Delmer Brown (ed.), Ancient Japan (The Cambridge History of Japan 1), Cambridge 1993, 221–267, 263f., Murakami Shigeyoshi, Nihonshi no nakan no Tenno¯. Shu¯ kyo¯ gaku kara mita tenno¯ sei, Tokyo 2006 [1986], 130f. Zur Nachwirkung in der literarischen Tradierung, Michelle Osterfeld Li, Ambiguous bodies. Reading the grotesque in Japanese setsuwa tales, Stanford 2009, 102f.

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ergab. Auch nach ihrem Rücktritt und ihrer Ordination blieb sie einflussreich am Hof, doch sollte sie nach dem Tod ihrer mächtigen Mutter in Opposition zu ihrem Nachfolger und dem politisch ambitionierten Nakamaro geraten.55 Während dieser Zeit erkrankte sie 761 schwer und es war erst der Wunderheiler Do¯kyo¯, dem ihre Heilung gelang. Bald darauf verschaffte sie ihrem Retter weitreichende Zugänge zu politischen Posten, nicht zuletzt um Nakamaros Machtstellung einzudämmen. Ko¯kens politische Manöver eskalierten bald in einem offenen Militärkonflikt mit Nakamaro, der gegen Ko¯kens Truppen erfolglos blieb. Nachdem sie den Aufstand niedergeschlagen hatte, setzte sie auch den von Nakamaro kontrollierten Junnin ab und übernahm unter ihrem neuen Namen Sho¯toku erneut das Königsamt, dieses Mal als Nonne und erstmalig unter Beteiligung des Klerus bei den zentralen Inthronisierungszeremonien. Für Do¯kyo¯ ergab sich daraus ein beispielloser Aufstieg zur höchsten Machtstellung diesseits des Throns. Für den weiteren Verlauf im mutmaßlichen Usurpationsversuch kam dem Schrein des „Großen Bodhisattva Hachiman“ (Hachiman daibosatsu 八幡大菩 薩) in Kyu¯shu¯ eine religionsgeschichtlich bedeutende Funktion zu. Das Medium der ursprünglich von koreanischen Immigranten nach Japan überführten Gottheiten hatte 769 Do¯kyo¯ die Königswürde angetragen.56 Auf Drängen anderer Hofadeliger und durch Vermittlung von Wake no Hiromushi (和気広虫, 730– 799), einer Sho¯toku vertrauten Nonne, wurde Hiromushis Bruder Wake no Kiyomaro (和気清麻呂, 733–799) zur Bestätigung des überraschenden Götterspruches entsandt. Er kam jedoch mit einem gegenteiligen Götterspruch zurück, der die in den königlichen Gründungsmythen zu Beginn des Jahrhunderts formulierte Herrschaftslegitimation erneuerte. Dafür musste er in die Verbannung gehen, doch änderte sich kurz darauf mit Sho¯tokus Tod die politische Lage. Kiyomaro durfte bald wieder zurückkehren, nachdem die Adelsopposition aus einer dynastischen Nebenlinie den Nachfolger bestimmt und Do¯kyo¯ in die Verbannung geschickt hatte, wo er im Exil zwei Jahre später starb.57 Mit dem dynastischen Wechsel stieg auch Hachiman in der königlichen Gunst und die Gottheit wurde zusammen mit den in Ise verehrten Ahnengottheiten zu einem weiteren Grundpfeiler der religiösen Herrschaftssicherung.58 Eine weitere Konsequenz aus der Annäherung der weltlichen und geistlichen Sphären betraf die offizielle Trennung buddhistischer und shinto¯istischer Rituale in Hinsicht auf die öffentliche Präsentation des Herrschers. Erst nach ihrer Abdankung war 55 Zum ereignisgeschichtlichen Verlauf siehe Ooms 2009, 193f., 214f. Naoki 1993, 262–265. 56 Ausführlicher Ooms 2009, 199–206. 57 Kiyomaro sollte später unter Kanmu politisch Karriere machen. Dazu Paul Groner, Saicho¯. The Establishment of the Japanese Tendai School, Honolulu 2000, 34–37. 58 Brian O. Ruppert, Jewel in the ashes. Buddha relics and power in early medieval Japan, Cambridge, MA 2000, 50–58.

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es den Monarchen gestattet, buddhistische Gelübde abzulegen und selbst aktiv an Ritualen teilzunehmen, wohingegen sie während ihrer Amtszeit lediglich Empfänger von buddhistischen Ritualen waren. Eine scharfe Grenzziehung zwischen den beiden religiösen Formen gab es in Japan ohnehin nicht vor dem 15. Jahrhundert.59 Im Rückblick der „Fortgesetzten Chronik Japans“ erhielt die Konstituierung einer neuen königlichen Stammlinie ab 770 eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die zum Zweck der Legitimierung der neuen Herrscher die Gefahr für das Königtum durch Do¯kyo¯ dramatisierte. Wie Akikane aus dem ‚Shoku Nihongi‘ zitierte, soll Do¯kyo¯ mit seiner Usurpation nicht einmal gewartet haben „bis die Erde auf dem königlichen Grab getrocknet war.“60 Auch für die heutige Geschichtsschreibung bleibt Do¯kyo¯ einer der wenigen Fälle, in denen ein Außenseiter nahe daran war, einen Bruch in der königlichen Thronfolge zu bewirken. Manche Forscher sehen sogar die Ansprüche der Hofelite durch die Möglichkeit einer alternativen Königslinie bedroht, die aus den eventuellen Erben Sho¯tokus und Do¯kyo¯s hätte entstehen können.61 Do¯kyo¯s Chancen zur Bildung einer eigenen Dynastie sollten nur nicht zu hoch eingeschätzt werden, da der kinderlose Geistliche selbst bei erfolgreicher Machtübernahme über keine eigenen Erben zu Weitergabe verfügte und die Bildung einer theokratischen Regierungsform gegen den ohnehin schon großen Widerstand am Hof unwahrscheinlich war.

4.1

Die Erzählung von Sho¯toku und Do¯kyo¯ im ‚Kojidan‘

Nach diesem längeren Geschichtsexkurs ist auf die vordergründig obszönen Details im Einleitungssatz des ‚Kojidan‘ zurückzukommen. Akikane bediente sich dafür pointiert älterer buddhistischer Diffamierungsstrategien, die er nicht bloß übernahm, sondern selbständig weiterentwickelte. Eine frühe Variante ist von Kyo¯kai (景戒, unbek.) in seiner buddhistischen Erzählsammlung „Berichte 59 Grundlegend zur historischen Entwicklung von ‚Shinto¯‘ aus den buddhistischen Lehren und Praktiken in Übersetzung, Kuroda Toshio, Shinto in the History of Japanese Religion, übers. v. James C. Dobbins/Suzanne Gay, in: The Journal of Japanese Studies 7. 1 (1981), 1–21. Jüngst Anna Andreeva, Assembling Shinto. Buddhist approaches to Kami worship in Medieval Japan, Cambridge 2017, bes. 16–36. Zur Identifikation des Herrschers mit Amaterasu und Dainichi nyorai (Maha¯vairocana), Uejima Susumu, Nihon chu¯sei shakai no keisei to o¯ken, Nagoya 2010, 377–383. Dazu auch der ältere doch grundlegende Überblick auf Deutsch von Nelly Naumann, Die Einheimische Religion Japans, 2 Bde., Bd. 2, Synkretistische Lehren und religiöse Entwicklungen von der Kamakura- bis zum Beginn der Edo-Zeit, Leiden 1994, 16f., 97f. 60 Shoku Nihongi, in: Naoki Ko¯ jiro¯ (ed.), To¯yo¯ bunko¯ Shoku Nihongi 3, Tokyo 1990, 153. Eintrag zu Ho¯ki 1 (770)/8/21. 61 Osterfeld Li 2009, 103. Das hohe Alter beider bleibt auch hier ein Einwand.

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über Wundersames in Japan“ (‚Nihon ryo¯iki‘ 日本霊異記, um 822) überliefert. Aus der im ‚Shoku Nihongi‘ vermerkten „zuneigungsvollen Begünstigung“62 (cho¯ko¯ 寵幸) der Herrscherin zu ihrem geistlichen Vertrauten und ihrer politischen Förderung hatte Kyo¯kai eine amouröse Affäre gemacht, welche die Chronik höchstens angedeutet hatte. Kyo¯kai wurde dagegen deutlicher: 帝姫阿倍天皇御世之天平神護元年歳次乙巳年始弓削氏僧道鏡法師、与皇后同枕 交通、天下政相摂治天下、 „Während der erlauchten Regierungszeit der Herrscherin Abe Tenno¯ im Jahr Tenpyo¯ jingo63 im zweiten Kalenderjahr der Schlange [d.i. 765] teilte der buddhistische Mönch64 Do¯kyo¯ aus dem Geschlecht der Yuge zum ersten Mal mit der Herrscherin65 dasselbe Kopfkissen und verkehrte ehelich mit ihr. Sie tauschten sich über die Reichsregierung aus und lenkten das Reich.“66

Sho¯toku hatte Do¯kyo¯ offiziell zu ihrem Schutzgeistlichen ernannt und ihm dadurch Zugang zu ihren privaten Räumen gewährt. Kyo¯kai erwähnte beide in einer Passage, in der er mit prophetischen Liedern die größeren Revolten und Umbrüche des 8. Jahrhunderts behandelte. Der situative und kulturelle Kontext der Quelle lässt keinen Zweifel daran, dass leibliche Begierden als Teil weltlicher Übel abgewertet sind. Sho¯tokus Königtum ist aus dieser buddhistischen Perspektive durch ihre sinnlichen Begierden ebenso diskreditiert wie die von ihr geförderte Einmischung buddhistischer Geistlicher in politische Angelegenheiten. Das entsprach weitgehend der politischen Umorientierung unter den neuen Herrschern Ko¯nin (光仁, 709–781) und Kanmu (桓武, 737–806). Was auch immer über die Amtsgeschäfte von Sho¯toku und Do¯kyo¯ hinaus zwischen dem damals weit über sechzigjährigen Geistlichen und der ordinierten Herrscherin vorgefallen sein mag, ausschlaggebend für die Kolportage waren die politischen Hintergründe und das gewandelte Interesse der Geschichtsschreibung, die überwundene Erbenlinie nachhaltig in Verruf zu bringen. Wie es der anschließende autobiographische Bericht im ‚Nihon ryo¯iki‘ nahelegt, war der Hinweis auf das Verhältnis beider für Kyo¯kai nur eines unter mehreren Beispielen, um die Lebensumkehr zu Buddhas Lehre zu propagieren.67

62 Shoku Nihongi, in: Naoki Ko¯ jiro¯ (ed.), To¯yo¯ bunko¯ Shoku Nihongi 4, Tokyo 1992, 9f. Eintrag zu Ho¯ki 3 (772)/4/7. 63 天平神護, Ära unter Sho¯toku mit der Dauer von 765 bis 767. 64 Ho¯shi (法師). 65 Kisaki (皇后), auch Bezeichnung für die Herrschergemahlin. 66 Nihon ryo¯iki III/38, in: Osamu Izumoji (ed.), Shin Nihon koten bungaku taikei 30, Tokyo 1996, 188 (Japanisch), 292 (Chinesisch). Vgl. Kyoko M. Nakamura, Miraculous Stories from the Japanese Buddhist Tradition. The Nihon ryo¯iki of the Monk Kyo¯kai, Cambridge, MA 1973, 278. Keene 1993, 586, hält das behauptete Liebesverhältnis für historisch. 67 Nihon ryo¯iki, 190/293. Nakamura 1993, 279f.

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Diesen religiösen Bezugsrahmen hat Bernard Faure in seiner Untersuchung buddhistischer Haltungen gegenüber Sexualität geprüft und im Vergleich der unterschiedlichen Versionen in der „abgekürzten Geschichte Japans“ ‚Nihon kiryaku‘ (日本紀略, Ende 11. Jahrhundert), im „Wasserspiegel“ ‚Mizukagami‘ (水鏡, Ende 12. Jahrhundert) und im ‚Kojidan‘ eine Verlagerung des Fokus von Do¯kyo¯ auf Sho¯toku festgestellt. Erst bei Akikane ist es Sho¯toku, die sich selbst durch ihre Bearbeitung einer Yamswurzel zu behelfen sucht. Sexualität bleibe dabei durchweg negativ besetzt.68 Ebenfalls mit Bezug auf das ‚Kojidan‘ hat Asami Kazuhiko eine gegenteilige Deutung vorgeschlagen und dafür auf die unterschiedliche Wahrnehmung sexueller Bezüge innerhalb der Hofgesellschaft und deren künstlerische Bearbeitung hingewiesen. Asami zufolge seien Darstellungen sexueller Potenz integraler Bestandteil der legitimierenden Gründungsmythen Japans und seiner himmlischen Herrscher, darüber hinaus in positivem Sinne Bestandteil vieler Göttergeschichten oder Erzählungen zur Erheiterung und Parodie. Sie garantierte nicht nur rein biologisch die in den Mythen versprochene ewige Dauer einer dynastisch ungebrochenen Thronfolge, Sexualität soll ebenso spirituelle Überlegenheit demonstriert haben können.69 Ob Asamis mentalitätsgeschichtlicher Hinweis hinreicht, die Einleitung andersherum zu Gunsten von Sho¯tokus Königtum auszulegen, steht im Hinblick auf Akikanes Modifikation der Legende und seiner später noch deutlicher werdenden politischen Agenda doch zu bezweifeln. Im ‚Kojidan‘ bleiben an dieser und anderen Stellen rein sinnliche Vergnügen das Ziel, wohingegen an eine verpasste Chance zur dynastischen Reproduktion oder die Sakralität von Herrschaft nicht gedacht sein dürfte. Die unverblümt dargestellte Sexualität bleibt im ‚Kojidan‘ nun nicht primär aufgrund buddhistischer Vorschriften problematisch, sondern gerade auch deshalb, weil andere Herrscher wie Kazan, Goichijo¯ (後一条, 1008–1036) oder Shirakawa in ihren öffentlichen Funktionen als Repräsentanten der himmlischen Herrschaftsordnung durch ihre privaten Gelüste den erwarteten Amtspflichten nicht nachkommen.70 Faures Hinweis bleibt aufschlussreich für die erzählerische Gestaltung im ‚Kojidan‘, doch vergisst er, wie auch Keene oder Asami, den narrativ weniger spektakulär gestalteten zweiten Teil der Einleitung zu berücksichtigen, der Do¯kyo¯s Aufstieg und dessen Scheitern behandelt. Zum vollen Verständnis der Einleitungsepisode ist der Zusammenhang beider Teile unverzichtbar. Denn in 68 Bernard Faure, The Red Thread. Buddhist Approaches to Sexuality, Princeton 1998, 167, zur negativen Bewertung ebd., 133f. 69 Asami 2005, 38f. 70 Für Akikane dürfte diese konfuzianische Ausrichtung des Königtums ausschlaggebend gewesen sein. Für eine andere Beurteilung siehe Abe Yasuro¯, Ho¯ju to o¯ken. Chu¯sei o¯ken to mikkyo¯ girei, in: Yamaori Tetsuo¯ et al. (edd.) Nihon shiso¯ 2 (Iwanami ko¯za, To¯yo¯ shiso¯ 16), Tokyo 1989, 115–169, 122f.

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der chronologischen Einbettung von Sho¯tokus dramatischem Ende zeigt sich erneut Akikanes Geschichtsverständnis, da er es offenbar für notwendig hielt, die Ereignisfolge im Stil der Hofchronistik zu vervollständigen. Möglich ist, dass Akikane bei seinen Zeitgenossen nur geringes historisches Wissen zu Do¯kyo¯ und dessen Gönnerin voraussetzen konnte. Wahrscheinlich ist es jedoch nicht, wenn man die Bedeutung von 770 für die politische und mythisch-geschichtliche Repräsentation des Herrschergeschlechts im 13. Jahrhundert bedenkt. Spekulieren ließe sich daher, ob Akikane durch den formal wie stilistisch erzeugten Kontrast unterschiedlicher Erzählstile nicht seinen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der Hofgesellschaft von der offiziellen Selbstdarstellung der Herrscherelite abzusetzen versuchte. Die Nennung eindeutiger Daten ab dem zweiten Abschnitt markiert dazu den Übergang zu einer strenger faktual ausgewiesenen Erzählform, die für den Rest der ersten Episode nah an der Hofchronistik bleibt. Ob der erste Abschnitt dagegen fiktional gelesen oder doch für authentisch gehalten wurde, lässt sich an dieser Stelle nicht entscheiden. Quellenangaben zum ausgeplauderten Geheimnis von Sho¯tokus Tod fehlen, wie sie auch bei den meisten der folgenden Enthüllungen ungenannt bleiben. Nennen musste er sie nicht zwangsläufig, sofern er unter seinen Hofbekannten und dem gebildeten Klerus noch ein geteiltes Bildungswissen voraussetzen konnte.71 Akikane wusste auch zu Do¯kyo¯ in anderen Überlieferungen ungenannte Einzelheiten aufzudecken. Dessen öffentlichen Erfolg und private Gunst bei der Herrscherin führte er auf seine esoterischen Ritualkünste zurück, was soweit bekannt war, doch fügte er eine bezeichnende Ergänzung hinzu: 元河内国人、俗姓弓削氏也、法相宗、西大寺、義淵僧正門流也、常侍禁掖、甚 被寵愛、如意輪法験徳云々、 „[Do¯kyo¯] stammte aus der Provinz Kawachi und besaß den weltlichen Namen Yuge. Er gehörte zur Hossho¯ Gemeinde am Saidaiji und war ein Schüler des hohen Geistlichen Gien.72 Er diente bereits im Palast und erhielt außerordentliche Gunst. Man erzählte sich, dass er durch das Ritual des Bodhisattva Cinta¯manicakra Lokeshvara73 Wunderkräfte besaß.“74

Auf den mit Do¯kyo¯s Machtbestrebungen eng verbundenen Hachiman verwies Akikane dagegen nicht, obgleich er durch seine eigene Bindung an den Iwashimizu Schrein (石清水八幡宮) der Gottheit durch seine Familie und seine Kenntnisse des an dieser Stelle zitierten ‚Shoku Nihongi‘ ebenso über die Orakelsprüche informiert war. Akikane scheint hier vielmehr anzudeuten, dass 71 In der Biographie von Momokawa im ‚Nihon kiryaku‘ (日本紀略) und im ‚Mizukagami‘ (水鏡) sind ähnliche Varianten überliefert. 72 義淵, 643–728. 73 Nyoi rinho¯ (如意輪法). 74 Kojidan, 3f.

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Do¯kyo¯ durch seine Ritualkünste sowohl über den Körper wie auch den Geist der Herrscherin weitreichende Macht hatte erlangen können.75 Mit diesem ersten, schonungslosen Blick auf die sehr menschlichen Verfehlungen der Monarchen ist die Einleitungsgeschichte in ihrer Bedeutung für die politische Aussage des ‚Kojidan‘ und Akikanes Geschichtsverständnis noch nicht ausgereizt. In der Abhängigkeit Sho¯tokus von ihrem geistlichen Vertrauten ist das Leitmotiv des ersten Faszikels exemplifiziert, die physische wie psychische Abhängigkeit des Königtums von den es umgebenden Personengruppen. Auch wenn es erst im weiteren Verlauf der arrangierten Geschichten deutlicher wird, ist dieses Motiv in der von Akikane behaupteten wahren Ursache von Sho¯tokus Tod gleich zu Beginn aufgezeigt. Denn zunächst schien Rettung für die notleidende Herrscherin durch die Nonne aus Paekche sogar in Reichweite. Nur stürmte Fujiwara no Momokawa (藤原百川, 732–779) an den Ort des Geschehens und verhinderte eigenhändig die gesicherte Heilung seiner Herrscherin. Mit der zudem kaum glaubwürdigen Behauptung, es hätte sich bei der Nonne um einen übelwollenden „Fuchsgeist“ gehandelt, erzwang Sho¯tokus politischer Berater in Akikanes Erzählung mit physischer Gewalt seine Kontrolle über das Königtum, wie es Do¯kyo¯ durch subtilere Mittel in den Jahren zuvor ebenso gelungen war.76 Am Schluss seiner Nacherzählung deutet Akikane die Neubesetzung des Throns und das Ende von Do¯kyo¯ bloß noch an. Er geht im ersten Faszikel des ‚Kojidan‘ somit nicht mehr auf die Restrukturierung des Königtums unter dem neuen Herrscher Ko¯nin und dessen Sohn Kanmu ein. Beide nutzten dafür verstärkt chinesische Herrschaftsmodelle, die zu einem Höhepunkt konfuzianischer Gelehrsamkeit und chinesischer Dichtkunst im 9. Jahrhundert führen sollten. Es ist aber auch dieses Königsgeschlecht, das sich im weiteren Verlauf der Herrscherchronik des ‚Kojidan‘ als der Kontrolle durch die Fujiwara ausgeliefert erwies. Akikanes auffällige Auslassung von Kanmu an dieser Stelle erhellt erst der weitere Fortgang, wenn dieser idealisierte Herrscher absichtlich nicht im Zusammenhang mit seinen machtlosen Verwandten auftaucht, sondern im dritten Faszikel zu Themen aus buddhistischen Überlieferungen und Hagiographien.77 Akikane machte für den Dynastiewechsel neben Do¯kyo¯ maßgeblich Fujiwara no Momokawa verantwortlich, weil dieser im ‚Kojidan‘ indirekt für Sho¯tokus Tod verantwortlich war. Ähnlich hatte der ‚Mizukagami‘ schon den Verdacht verbreitet, Sho¯toku sei das Opfer von Momokawas eigenen politischen Ambitionen gewesen, die jener durch Do¯kyo¯ behindert sah. Für diese Auslegung spricht unter anderem, dass Akikane die an der Nachfolgeregelung ebenso beteiligten Perso75 Näher dazu Abe 1989, 122f. 76 Unklar an der Stelle bleiben weitere Einzelheiten, darunter wer die Nonne gerufen hatte (vielleicht Do¯kyo¯ selbst) oder gegen wen Momokawa sich mit seinem Ausruf gewandt haben mag. 77 Kojidan, 248–251.

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nen wie Kibi no Makibi (吉備真備, 695–775) ausblendete. Gleichfalls ignorierte Akikane die internen Machtkämpfe unter den vier eigenständigen Erbenlinien der Fujiwara-Sippe. Im ‚Kojidan‘ ist dadurch eine direkte Linie von Momokawa zur Machtübernahme durch die späteren Fujiwara ab Mitte des 9. Jahrhunderts angedeutet. Historisch besehen führten erst einige Epidemien und politische Revolten dazu, dass die politischen Gegner geschwächt für die sogenannte nördliche Linie der Fujiwara waren, die sich unter Yoshifiusa (藤原良房, 804– 872) und dessen Adoptivsohn Mototsune (藤原基経, 836–891) gegen ihre internen Konkurrenten durchzusetzen vermocht hatten. Von Momokawa an war ihr Aufstieg zu exklusiven königlichen Stellvertretern, wie ihn das ‚Kojidan‘ nahelegt, keineswegs vorgezeichnet.78 Indem die erste Geschichte in dieser Weise aufzeigte, was im darauf folgenden chronologischen Gesamtzusammenhang des ersten Faszikels noch an Überlieferungen zum Hofadel und dessen Monarchen zu erwarten stand, ersetzte sie gewissermaßen das fehlende Vorwort. Fernab auch einer Reproduktion des offiziellen höfischen Geschichtsbildes nahm das Thema einer gesteigerten Abhängigkeit des Königtums von seinen Ministern und Vertrauten in den weiteren Geschichten noch prägnantere Konturen an. So besehen scheint dann zwischen dem im Titel formulierten konfuzianischen Ideal des „Königswegs“ (o¯do¯) und der historischen Entwicklung des Königtums in Japan ein Widerspruch aufzubrechen. Das hatten moderne Kritiker des ‚Kojidan‘ bemängelt, doch lässt sich mit Ito¯ Tamami dagegen argumentieren, dass die an Gosanjo¯ exemplifizierte normative Dimension von Herrschaft den anspruchsvollen Titel dennoch aufgegriffen hat.79

4.2

Kazans kurzes Königtum in der höfischen Erinnerung

Dieser Aspekt sei hinsichtlich Akikanes Geschichtsbild mit dem Geschichtenzyklus um Kazans Königtum mit dessen dramatischem Ende abschließend vertieft. Durch seine indirekte Erzählweise setzte er hier einen weiteren historischen Epochenschnitt, zu dem das Verhältnis von Herrschern und Ministern sich weiter vom Ideal entfernte. Denn auf Kazan (花山, 968–1008, reg. 984–986) folgte mit Ichijo¯ derjenige Herrscher, den Akikane nach Ito¯ zum Gegenbild von Gosanjo¯ konstruiert hatte.80 Wie wenig Kazan zur Herrschaft geeignet war, machte erneut gleich die Auftakterzählung zu seiner Thronbesteigung deutlich. Hier wie auch in der Folgegeschichte waren es wieder sexuelle Gewalt und emotionaler Kon78 Sasaki Keisuke, Tenno¯ to sessho¯, kanpaku (Tenno¯ no rekishi 3), Tokyo 2011, bes. 26f., 54f. 79 So Ito¯ 1996, 49f., gegen die ältere Forschung. 80 Ito¯ 1993, 65–74.

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trollverlust, mit denen Akikane die Schwächen individueller Herrscher vorführte. In den beiden Episoden 17 und 18 des ersten Faszikels heißt es: 花山院御即位之日、馬内侍為褰帳命婦進参之間、天皇令引入高御座内給、忽以 配偶云々、 „Am Tag von Kazans Thronbesteigung diente des Stallmeisters Tochter81 Kencho¯ als Hofdame der inneren Gemächer.82 Als sie hereintrat, zerrte der himmlische Herrscher83 sie ins Innere des Thronsitzes und verkehrte geschwind mit ihr.“84 花山院殿上人冠ヲ令取給ケリ、其中惟成弁奉被取、関白参給ケルニ、不着冠 云々、関白頼忠問給ケレハ、ミカトノメシタレハト申ケリ、仍不便之由被奏ケ レハ、其後不令取惟成冠給云々、 „Einmal geruhte Kazan die Hofkappen seiner Höflinge85 herunter zu stoßen. Unter diesen nahm er [die Kappe] des Verwalters Koreshige.86 Da der Regent87 einst seine Aufwartung machte, trug er keine Hofkappe. Als [Kazan] den Regenten – Yoritada – befragte, so erwiderte er: ‚Seine Hoheit88 haben es bemerkt.‘ Daraufhin mahnte [Yoritada] das schlechte Betragen [Kazans] an, weshalb [der Herrscher] von da an Abstand nahm, nach Koreshiges Kappe zu greifen, heißt es.“89

Das Gerücht von Kazans Vergewaltigung einer Hofdame ausgerechnet zu Beginn ¯ e no Masafusa ein gutes Jahrhundert der Inthronisierungszeremonien hatte O später in Umlauf gebracht. Aus dessen Erzählsammlung ‚Go¯dansho¯‘ ist die wohl nicht historische Geschichte im ‚Kojidan‘ entlehnt, die aus keinen anderen Quellen bekannt ist. Die zweite Episode vertieft dazu noch den Eindruck von Kazans Desinteresse an seinen Pflichten. Anstatt eigenständig zu regieren, flüchtet er sich in Vergnügungen mit seinen Höflingen, deren erotischer Charakter hier nur angedeutet bleibt. Die textinterne Verbindung zwischen den zeitlich unabhängigen Episoden ist im ‚Kojidan‘ unklar und erst, wenn man die Version im ‚Go¯dansho¯‘ heranzieht, wird ein verbindendes Motiv sichtbar. In Masafusas Erzählsammlung stand Fujiwara no Koreshige (藤原伊周, 974–1010)

81 82 83 84 85 86 87 88 89

Uma no naishi (馬内侍). Myo¯bu (命婦). Hier tenno¯ (天皇), nicht mikado wie an anderen Stellen meist. Kojidan, 29. Der persönliche Name der Hofdame ist nicht überliefert. Ihre Bezeichnung leitet sich vom Amt ihres Ziehvaters Minamoto no Tokiakira (源時明) ab, der als Stallmeister zur Rechten diente, ein Amt mit militärischen, später auch polizeilichen Aufgaben. Tenjo¯bito (殿上人), besondere Bezeichnung für Höflinge unter dem vierten Rang, denen Zutritt zu den Privatgemächern des Herrschers gestattet war. Zu der Zeit führte Koreshige den Rang eines unteren Verwalters zur Linken (sasho¯ben 左少 弁). Hier Kanpaku (関白) für den volljährigen Herrscher. An der Stelle in Silbenschrift mikado (みかど). Kojidan, 29f.

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während besagter Untat Kazans neben dem Thron und hatte das „Klimpern“ von dessen Krone hinter den Vorhängen bemerkt.90 Weitere Ereignisse aus Kazans Regierungszeit, die Akikane gegenüber der darauffolgend geschilderten Abdankung offenbar nicht weiter erwähnenswert schienen, bleiben ungenannt. So haben auch hier wieder ausschließlich diskreditierende Überlieferungen von Kazan Aufnahme in das ‚Kojidan‘ gefunden, obgleich Akikane durch seine an anderer Stelle ausgewiesenen Kenntnisse von Sanesukes Tagebuch ‚Sho¯yu¯ki‘ über weitere Ereignisse informiert gewesen sein dürfte. Aus den Hoftagebüchern und erhaltenen Regierungserlassen sind jedoch Maßnahmen überliefert, die zeigen, dass Kazan sich zunächst um die Belange der Reichspolitik gekümmert hatte. Kazan war seinem Onkel Enyu¯ auf dessen Abdankung 984 hin mit 17 Jahren auf den Thron gefolgt und damit schon älter als der damalige Durchschnitt. Wie üblich hatte Enyu¯ mit Fujiwara no Yoritada (藤原頼忠, 924–989) einen regierenden Stellvertreter91 für seinen Nachfolger bestimmt, der auch schon sein eigener gewesen war.92 Zusammen mit Yoritada erließ Kazan zunächst einige Regulierungen zur Kontrolle des Warenverkehrs, der Steuerleistungen sowie weitere Maßnahmen gegen die zu der Zeit bereits zunehmenden Kämpfe um Gebietsansprüche in den Provinzen.93 Solche Reformprojekte gehörten seit der Jahrhundertmitte zu den drängendsten Herausforderungen, mit denen die Zentralverwaltung ihren Herrschaftsanspruch gegen die Herausbildung unabhängig agierender Machtgebiete und Personengruppen zu behaupten versuchte.94 Man darf solchen Erlassen allerdings nicht zu viel Gewicht beimessen. Unter der Bezeichnung „Neue Regulierungsmaßnahmen“ (shinsei 新制) waren sie ein Bestandteil königlicher Fürsorgepolitik, um den himmlischen Zuspruch zur herausgehobenen Stellung zu demonstrieren. Durch die so zumindest symbolisch angezeigte Leistung suchten die neuen Herrscher und deren Stellvertreter die Anerkennung ihrer Herrschaft und deren Prestige zu steigern. Eine konkret spürbare Verbesserung der sozioökonomischen Verhältnisse war meist nicht 90 Go¯dansho¯, in: Satake Akihiro et al. (edd.), Shin Nihon koten bungaku taikei 32, Tokyo 1997, 6. 91 Für die japanischen Titel kanpaku (関白) bzw. sessho¯ (摂政) für den minderjährigen Herrscher, auch „Kanzler“ oder „Regent“. 92 Siehe den aktuellen Überblick bei Furuse Natsuko, Sekkan seiji (Shirı¯zu Nihon kodaishi 6), Tokyo 2011, bes. Kap. 1–2. 93 Näher Sasaki 2011, 113–116. 94 Allgemein zu den verfassungs- und sozialgeschichtlichen Entwicklungen u. a. Soga Yoshi¯ cho¯ kokka seimu no kenkyu¯, Tokyo 2012, Cameron G. Hurst III, Kugyo¯ and zuryo¯. nari, O Center and periphery in the era of Fujiwara no Michinaga, in: Mikael Adolphson/Edward Kamens/Stacie Matsumoto (edd.), Heian Japan. Centers and Peripheries, Honolulu 2007, 66–101.

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deren zentrales Anliegen, das vielmehr in der Inszenierung königlicher Sorge um das Reich und seine Menschen zu suchen ist. Das schloss selbstverständlich nicht aus, dass dieselben Kommunikationswege auch für reale Reformen genutzt werden konnten, wie es später Gosanjo¯ oder Shirakawa gelingen sollte.95 Im Unterschied zu seinen politisch wieder einflussreicheren Nachkommen hatte es Kazan noch an geeigneten Mitteln und günstigen Umständen ermangelt, vorausgesetzt ernstgemeinte Reformen wären tatsächlich seine Absicht gewesen. Kazans Regent Yoritada und andere seiner Vertrauten, besonders Fujiwara no Koreshige, waren nicht so einflussreich, wie es deren spätere Darstellungen behaupteten. Gegen den Widerstand im Hofadel, und darunter vor allem die Fujiwara-Erbenlinie um den später mächtigen Kaneie (藤原兼家, 929–990), konnten sie sich von Anfang an nicht durchsetzen. Immerhin aber dürfte es den Bemühungen von Kazans Höflingen zuzuschreiben sein, dass eine andere von ¯ kagami‘, Kazans ansonsten überwiegend negative Akikanes Quellen, der ‚O Darstellung mit einer (allerdings wiederum zwiespältigen) Würdigung versah. Kazan soll, wie es dort lapidar heißt, „im Privaten ungeschickt und in öffentlichen Angelegenheiten glanzvoll“ gewesen sein.96 Der ausschlaggebende Grund für diese Bewertung war, dass die Hofminister und vor allem die königlichen Stellvertreter für die Auftritte ihrer Herrscher verantwortlich waren. Akikane entblößte in den beiden zitierten Episoden nicht nur Kazans Schwächen, er stellte folglich auch die Machtlosigkeit seiner Berater dar, die nicht in der Lage waren, Kazans öffentliches Betragen nach konfuzianischen Maßstäben zu kontrollieren.97 In der abschließenden Schilderung von Kazans Abdankung lässt das ‚Kojidan‘ aber auch durchblicken, wie der unglückliche Herrscher allzu leicht das Opfer der ‚falschen Berater‘ werden konnte. Für die folgende Analyse verdienen es beide Episoden, hier in vollständiger Länge zitiert zu werden. ‚Kojidan‘ I/19 – Kazans Abdankung I 花山院御出家寛和二年六月廾三日事也、子時許主上私令出御在所給、蔵人左小 弁道兼、天台僧厳久候御共、厳久候御車則厳久遣車也、道兼騎黒云々、向御花 山、即以厳久令剃御頭給云々、此間左大臣法興院殿参青宮固諸陣禁出入云々、 権中納言義懐(一条摂政五男)、権左中弁惟成等(右少弁雅材男)、後朝尋参 花山寺、同以出家、未だ時許頭中将実資参入、即候御前、仰云、是已遂宿念 也、全不知世間誹謗、但尊号及封等事、更不可受容、暫可住横川者、中納言法

95 Näher zu diesem Aspekt, Schley 2014, 55f., 181f. ¯ kagami, in: Matsumura Hiroji (ed.), Nihon koten bungaku taikei 21, Tokyo 1964, 146. Das 96 O Thema an der Stelle bleibt Michinagas Ruhm und im Zusammenhang mit dem anschließend geschilderten, exzentrischen Verhalten Kazans überwiegt auch in dieser Würdigung eines ¯ kagami‘ charakteristische Ironie. himmlischen Herrschers die für den ‚O 97 Näher Suzuki Toshihiro, Sekkan seiji seiritsu ki no kokka seisaku. Kazan tenno¯ ki no seiken ko¯zo¯, in: Ho¯sei daigaku shigakkai 50 (1998), 140–159, hier 145.

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師云、御在位之間、浴無涯之朝恩、今遇辞退之時、若改奉従之誠者、本意相違 歟、仍所出家也、亦趨朝市、更無其益歟云々、惟成所陳同之云々、 „Kazan dankte am 23. Tag im sechsten Monat des zweiten Jahres Kanna [1.8.986] ab. Gerade zur Stunde der Ratte98 schlich ihre Majestät99 heimlich aus dem Palast. Der Sekretär100 und untere Verwalter zur Linken101 Michikane und der Tendai Mönch Gongu begleiteten seine Hoheit. Sie benutzten Gongus Fahrzeug. Das heißt sie verwendeten Gongus Wagen und Michikane ritt zu Pferd. So machten sie sich auf den Weg zum Kazan [Kloster].102 Gongu hatten sie dabei, um ihre Köpfe zu scheren. Der Großminister zur Rechten – d.i. der Herr des Ho¯ko¯ Tempels [d.i. Fujiwara no Michitsuna] – ging zu den Gemächern des Kronprinzen, ließ die Wachquartiere abriegeln und verhing eine Ausgangssperre. Der mittlere Rat103 [Fujiwara no] Yoshichika, der mittlere Verwalter zur Rechten104 Koreshige – der Sohn des unteren Verwalters zur Rechten105 [Fujiwara no] Masaki106 – und andere schlossen sich nacheinander Kazan an, um gleichfalls aus der Welt zu treten. Als gerade die Stunde des Schafes107 begonnen hatte, kam der mittlere Hauptmann108 Sanesuke hinzu und trat vor seine Hoheit.109 Er sprach [folgendes]: ‚Damit erfüllt Ihr Euren lang gehegten Wunsch.110 Schon wisst Ihr nichts mehr von den weltlichen Verleumdungen. Nur dürft Ihr nun weder Ehrentitel noch Siegel oder anderes empfangen.111 Für eine Weile solltet Ihr am Yokawa [-Tempel] wohnen.‘ Der mittlere Rat und buddhistische Geistliche Yoshichika sprach: ‚Während Eurer erlauchten Regierung genoss ich Eure Gunst. Jetzt nun bei Eurem Rückzug vom Amt, kann denn da ein Abirren von meiner wahren Absicht sein, sofern ich meine Aufrichtigkeit nicht ändere? Deshalb entsagte ich der Welt. Ist da von nun an nicht auch das Herumeilen bei Hofe und auf den Märkten allen Wertes enthoben?‘ Auch Koreshige entsprach [in seiner Absicht] ganz dem [von Yoshichika] der Reihe nach Vorgebrachtem, heißt es.“ ‚Kojidan‘ I/20 – Kazans Abdankung II 此御出家之発心ハ、弘徽殿女御恒徳公女鍾愛之間、忽薨逝、仍御悲嘆之所、町 尻殿得便宜、書世間無常法文妻子珍宝及王位、臨命終時不随者等文也等奉見、 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Ne no toki (子の時), gegen 23 Uhr. Shujo¯ (主上). Kuro¯do (蔵人). Sasho¯ben (左少弁). Dem heutigen Kangeiji (元慶寺) im Osten Kyo¯tos. Gon chu¯nagon (權中納言). Gon uchu¯ben (權右中弁). Usho¯ben (右少弁). 藤原雅材, Lebensdaten unbekannt. Hitsuji no toki (未の時), gegen 13 Uhr. Gon chu¯sho¯ (權中将). In anderen Quellen nicht erwähnt. Eventuell bezog Akikane sich auf Zusätze aus dem ‚Sho¯yu¯ki‘, so die Shin Nihon koten bungaku taikei Editoren in den Anmerkungen, Kojidan, Anm. zu I/19, 32. 110 Auch im Sinne einer Bestimmung durch das Karma früheren Lebens im Ausdruck shukunen (宿念). 111 Kazan war durch seinen geistlichen Rang vom Ehrentitel eines abgedankten Herrschers (dajo¯ tenno¯ 太上天皇) und den damit verbundenen Vorzügen ausgeschlossen.

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被勧申御出家事、師共出家可御共之由被契申云々、而令剃御首給之後、申云、 オトヽニカハラヌスカタ今一度ミユテ可帰参之由申テ既電云々、其時我ヲハカ ルナリケリトテ涕泣給云々、亦令出御在所給之時、弘徽殿手土取忘ニケリ還入 テトラント被仰ケレハ、道兼申云、剣璽已渡春宮御方了、イマハカナヒ候ハシ ト申ケリ、又已欲令出給之時、在明月クマナキ影ヲ、サスカ見所ニ思食テ、立 ヤスラハセ給之間、村雲ノ月ノ面ヲ隠タリケレハ、我願既満ト被仰テ、貞観殿 高妻戸ヨリ令躍下給テ、自北陣土御門ヲ東ヘ被渡給云々、 „Der Wunsch Ihrer Majestät zum Rückzug aus der Welt entwickelte sich aus seiner tiefen Liebe zur königlichen Gemahlin112 – die Tochter von Fujiwara no Tamemitsu (藤 原為光)113 – die doch allzu schnell verstarb. Als er daraufhin von tiefer Trauer erfüllt war, bot sich dem Herrn von Machijiri [d.i. Michikane] eine günstige Gelegenheit. Er schrieb eine Auslegung über die Vergänglichkeit alles Irdischen114 – weder Ehefrau, noch Kinder, noch Reichtum oder königliche Würde begleiten einen, wenn man aus dem Leben tritt, und dergleichen Sätze – und zeigte diese [dem Herrscher]. Er befürwortete dessen Rückzug aus der Welt und beteuerte, zusammen mit Seiner Majestät der Welt zu entsagen. Als jedoch Seine Majestät das Haupt geschoren hatte, sprach jener: ‚Ich muss meine unveränderte Gestalt noch einmal dem Minister [d.i. Kaneie] zeigen und heimkehren‘ und machte sich verstohlen aus dem Staub. Als das geschah, jammerte [Kazan] ‚Ich bin betrogen worden‘ und weinte bitterlich.115 Auch als [Kazan] seine Residenz verließ hob er noch einmal an und sagte: ‚Ich vergaß die Briefe meiner Gemahlin mitzunehmen. Ich will zurückkehren und diese holen.‘ Doch Michikane erwiderte, ‚Schwert und Siegel sind bereits dem Kronprinzen überreicht. [Eurem Wunsch] kann nun nicht mehr entsprochen werden.‘ Auch schon zu dem Zeitpunkt, da er [Kazan] aufbrechen wollte, doch der späte Mond noch alle Schatten offenbarte, da zögerte er. Als Wolken den Mond verbargen, so sprach er schließlich, ‚Ich werde mein Gelübde zweifellos erfüllen.‘ So stieg er durch die Takatsuma Tür der nördlichen Wohnräume116 hinaus und machte sich durch das Tsuchimikado Tor hinter den nördlichen Wachräumen auf gen Osten. Der Herr von Kurita [d.i. Michikane] stieg innerhalb von fünf Monaten vom fünften Rang eines unteren Verwalters zum oberen dritten Rang eines mittleren Rates auf.“

Kazans Flucht aus dem Palast in ein Kloster ist sehr viel ausführlicher als die meisten Herrschergeschichten im ‚Kojidan‘ behandelt. Es liegt daher nahe, nach den Gründen zu fragen, weshalb gerade diese Szene zur zentralen Erinnerung an Kazan wurde. Zum einen bot Kazan ein von den höfischen Unterhaltungserzählungen geschätztes Sujet, um tiefere Gefühle und menschliche Schicksale an historischen Stoffen literarisch aufzubereiten, wie es das ‚Eiga monogatari‘ vorgeführt hatte. Zum anderen hatte Kazans erzwungene Abdankung unvor112 113 114 115 116

Kokiden nyo¯go (弘徽殿女御), d.i. Fujiwara no Shishi (藤原忯子), 969–985. Genannt mit seinem posthumen Namen Ko¯toku ko¯ (恒徳公). Seken mujo¯ (世間無常), eine charakteristische Wendung in buddhistischen Schriften. Wörtl. „unter vielen Tränen“, teikyu¯ (涕泣). Jo¯ganden (貞観殿).

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hersehbare Veränderungen in der politischen Konstellation begünstigt, deren Tragweite für das Königtum heute kaum zu hoch eingeschätzt werden kann. Vergleicht man dazu die Bewertungen in den verschiedenen Erzählvarianten der aufeinanderfolgenden Vergangenheitserzählungen, dann lässt sich eine bemerkenswerte Steigerung bis zum ‚Kojidan‘ feststellen. Zuerst hatte Akazome im ‚Eiga monogatari‘ Kazans Rückzug psychologisch ¯ kagami‘ deutete erklärt und die politische Dimension ausgeblendet.117 Der ‚O schon stärker eine Intrige der Fujiwara an. Akazome mag ähnlich gedacht haben, doch erst mit zeitlichem Abstand von Fujiwara no Michinagas Herrschaft und dem Machtverlust seiner Nachfolger war eine Atmosphäre für Kritik am Hof entstanden, wie zugleich von den abgedankten Seniorherrschern gegen die Fujiwara gefördert worden. An dem unter neuen pragmatischen Interessen ge¯ kagami‘, der entgegen seiner Selbstaussage mehr als eine einseischriebenen ‚O tige Aufwertung von Fujiwara no Michinagas Sonderstellung am Hof war, orientierte sich auch Akikane. Eine genaue Prüfung beider Versionen zeigt dann allerdings, dass Akikane inhaltlich seiner Vorlage weitgehend folgte, deren Erzählstruktur aber eigenständig veränderte und mit weiteren Details ergänzte. Wie nun zu zeigen sein wird, legte er dadurch den Akzent noch pointierter auf eine Verschwörung Kaneies und Michikanes gegen Kazan. ¯ kagami‘ wichtig waren, Einige Einzelheiten fehlen im ‚Kojidan‘, die dem ‚O darunter etwa die Nennung des Divinationsmeisters Abe no Seimei (安倍晴明, 929–990), der Kazans Flucht bemerkt und dem Palast gemeldet haben soll. Auch ¯ kagami‘ hatte Kaneie ist die bewaffnete Eskorte für Michikane ausgelassen. Im ‚O vorgebeugt, damit sein Sohn in einem schwachen Moment nicht doch das Gelübde ablegte, was seine Chancen auf den Stellvertreterposten für Kazans Nachfolger Ichijo¯ verringert hätte.118 Akikane drehte sogar bei der entscheiden¯ kaden Fluchtszene aus dem Palast die schlüssige Handlungsreihenfolge des ‚O gami‘ um, wenn er Kazans Zögern erst nennt, nachdem Michikane den jungen Herrscher schon zur Eile angestoßen hatte. Zusätzlich fügte er Details aus dem ‚Sho¯yu¯ki‘ hinzu, deren Verfasser er in seiner Variante sogar mit einem wörtlichen Kommentar integrierte.119 Zusammengenommen bleiben die Veränderungen minimal und nur im direkten Quellenvergleich deutlich. Doch wird Kazans angeblich aus Trauer motivierte Flucht aus dem Palast noch eindeutiger um ihre politische Dimension ¯ kagabereichert. Wies die Abdankungsgeschichte im ‚Kojidan‘ durch den im ‚O mi‘ fehlenden Hinweis zu Michikanes rasanter Beförderung unter dem neuen 117 Eiga monogatari, in: Matsumura Hiroji/Yamanaka Yutaka (edd.), Nihon koten bungaku taikei 75, Tokyo 1964, bes. 97–100. ¯ kagami, 53. 118 O 119 Kojidan, 32.

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Herrscher Ichijo¯ schon auf politische Motive hin, ist auch die kurze Nennung von Michikanes Vater Kaneie und dessen kühler Reaktion in der darauffolgenden Episode ein wohl platzierter Hinweis, mit dem im ‚Kojidan‘ die Ambitionen Kaneies nicht mehr im Hintergrund verborgen bleiben. So heißt es in dem kurzen aber eigens aufgeführten Nachtrag: „Als der Herrscher Kazan ins Kloster eintrat, da war das Reich120 in vollem Aufruhr. Man berichtete es dem Großen Laienmönch [Kaneie], der dazu ohne jegliche Aufregung sprach: ‚Es wird schon nichts sein. Sucht gut.‘“121

Kaneies befremdliche Ruhe angesichts des spurlos verschwundenen Herrschers und seine scheinbar indifferente Beschwichtigung wären wohl nicht eigens erwähnenswert in einer Chronik zum Königsweg der Monarchen, wenn damit nicht doch mehr gesagt wäre. Unabhängig davon, wie Kaneie wirklich reagiert haben mag, im ‚Kojidan‘ weist dessen gelassene Reaktion unmissverständlich auf eine vorsorgliche Planung hin. Nur im Vertrauen darauf, unter dem nächsten Herrscher Ichijo¯ selbst zum Regenten aufzusteigen, und in der Überzeugung, dass Kazans Verschwinden keine Gefahr für die politische Stabilität bedeutete, macht Kaneies Reaktion Sinn. Durch diesen kurzen Nachsatz gibt die Erzählung von Kazan im ‚Kojidan‘ mehr als ihre Vorgänger zu verstehen, dass Ichijo¯s frühzeitige Thronerhebung nicht nur das Resultat von Kazans emotionaler Instabilität oder Michikanes Manipulation war, sondern dahinter ein Komplott von Michikanes Vater Kaneie stand.122 Entscheidend für den historischen Kaneie war, dass Kazan ein denkbar ungeeigneter Herrscher für seine Ambitionen war, da er über jenen keine engeren Familienbeziehungen zum Königsgeschlecht aufbauen konnte. Die im Kindbett gestorbene Gemahlin Kazans, Fujiwara no Shishi (藤原忯子, 969–985), gehörte zwar wie Kaneie zu den Nachkommen von Morosuke (藤原師輔, 908–960), doch stand sie als Tochter von Morosukes neuntem Sohn Fujiwara no Tamemitsu in einer anderen Erbenlinie als Kaneie. Selbst wenn sie die Geburt überlebt und einen Thronfolger zur Welt gebracht hätte, wäre Kaneie als dritter Sohn Morosukes der begehrten Position eines königlichen Regenten nicht näher gerückt. Anders stand er familiär zu Kazans Vater Reizei (冷泉, 950–1011) und dessen Vorgänger Enyu¯, über deren Kinder Kaneie auf lange Sicht hin für sich und seine 120 Mit der Bezeichnung für das „Reich“ (tenka 天下) ist auch der Palast als dessen Mikrokosmos gemeint. 121 花山院御出家之時、天下騒動、有人申大入道殿、仰云、ケシウハアラシ、ヨク求ヨ 云々、不令騒給云々, Kojidan, 34. 122 Ozaki Isamu, Gukansho¯ to sono zengo¯, Osaka 1993, 367f., verweist auf Yamanaka Yutaka, der zuerst spekuliert hatte, ob nicht der zeitliche Abstand von Michinaga, dessen Machtstellung auf Kaneies Manipulationen beruhte, diese zunehmend kritische Haltung begünstigt hatte. Im ‚Gukansho¯‘ sollte Jien schließlich offen von einem Komplott gegen Kazan und Yoritada sprechen.

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Erben die politische Kontrolle über den Hof würde sichern können. Nicht zuletzt drängte auch die hohe Altersdifferenz zu Kazan Kaneie zum Handeln, was mit ¯ kagami‘ oder ‚Kojidan‘ ausgearbeiteten Eile zur erzwungenen Abdander im ‚O kung und Abschiebung ins Kloster durch Michikanes Drängen effektvoll aufgegriffen sein mochte.123 Ein wesentlicher Faktor für Kaneies Strategie war seine Sicherheit über die weitere Thronfolge. In Japan gab es keine schriftlich fixierten Bestimmungen darüber, weshalb in der Regel eine wechselnde Koalition aus ehemaligen Herrschern, Herrschergemahlinnen und den Regenten aus dem Geschlecht der Fujiwara aushandelte, wer unter den meist zahlreichen Kandidaten zum Kronprinzen erhoben werden sollte. Mitte des 10. Jahrhunderts hatte sich durch die Bildung eines kleinen Schismas um die beiden Söhne Murakamis (村上, 926– 967), Reizei und Enyu¯, eine besonders diffizile Konfliktsituation ergeben. Ein Kompromiss bestand insofern, als dass beide Linien sich vorerst abwechseln sollten. Zu Kazans Regierungsantritt war deshalb bereits der damals fünfjährige Sohn Enyu¯s mit Kaneies Tochter Senshi (詮子, 962–1002), Yasuhito (懐仁), zum Kronprinzen ernannt worden.124 Die von Kaneie hervorgerufene dynastische Krise blieb folglich allein durch ihn selbst vermittelbar, da Kaneie mit beiden Linien familiär verbunden war und diese Beziehungen gegen seine Konkurrenten auszuspielen verstand. Akazome Emon hatte im ‚Eiga monogatari‘ die politischen Konflikte noch wenig brisant dargestellt.125 Sie schrieb vielmehr, dass der Thronwechsel seinen Grund in der als kränklich beschriebenen Erbenlinie von Reizei und Kazan habe, wohingegen Akazome die Linie von Enyu¯ und Ichijo¯ politisch opportun zu ihrer Zeit als vorbildlich hervorhob. Dafür griff sie auf vertraute Legitimierungsstrategien der chinesischen Geschichtsschreibung zurück.126 Dynastische Wechsel und militärische Umstürze wurden unter der bekannten Berufung auf den „Himmelsbefehl“ (tia¯nmìng 天命) als notwendige Folge mangelnder Eignung oder besonderer Grausamkeiten nachträglich gerechtfertigt. Auch wenn in Japan nach dem 6. Jahrhundert keine vergleichbaren Umbrüche mehr wie in China erfolgten, blieben dynastieinterne Machtverschiebungen dennoch nicht aus, wie sie sich etwa aus den Konkurrenzkämpfen um den begehrten Regentenposten ergaben und nicht minder weitreichende Konsequenzen für die höfische Ordnung bedingten. Die vielen sonderbaren Geschichten über Yo¯zei oder Reizeis und Kazans Exzentrik mögen zwar nicht zwingend jeglicher historischen Grundlage entbehrt haben, doch war die Art ihrer Überlieferung und Auslegung Teil des Fujiwa123 124 125 126

Vgl. Sasaki 2011, 113f., Kuramoto Kazuhiro, Ichijo¯ tenno¯, Tokyo 2003, 7–11. Näher Sasaki 2011, 104–111, 169f. Eiga monogatari, 103f. Dazu Kuramoto Kazuhiro, Fujiwara shi. Kenryoku chu¯su¯ no ichizoku, Tokyo 2017.

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ra-tendenziösen Geschichtsbildes, neben dem es bis weit ins 12. Jahrhundert kaum Alternativen gab.127 Was aber gab gerade dem Thronwechsel von Kazan zu Ichijo¯ seine große Bedeutung für die spätere Machtentfaltung der Fujiwara unter Kaneies Sohn Michinaga? Der außerplanmäßige Thronwechsel hatte Kaneie zunächst lediglich den eigenen Enkel als Herrscher gesichert, aber noch nicht automatisch die wichtige Stellvertretungsfunktion. Dazu ist zu beachten, dass bis zum Thronwechsel zu Ichijo¯ stets der höchste Amtsträger innerhalb der Hofbürokratie den Regenten stellte, was meist der oberste Kanzler (dajo¯ daijin 太政大臣) war. Yoritada bekleidete diesen Posten, wodurch er über Kaneie an der Spitze der offiziellen Reichsordnung stand und Vorrang vor Kaneie gehabt hätte. Dass Kaneie dennoch Regent für Ichijo¯ wurde, hat viel mit Kaneies Einfluss, aber ebenso viel mit den Gründen für Yoritadas hohe Stellung zu tun. Denn Yoritada verdankte sein Amt gar nicht der eigenen politischen Behauptung sondern vielmehr einer Fehde zwischen Kaneie und dessen Bruder Kanemichi (藤原兼通, 908–960). Die besondere Konstellation zu Kazans Regierungszeit hatte die letzte Amtshandlung des todkranken Regenten Kanemichi ausgelöst. Absichtlich gegen Kaneie hatte jener den politischen Außenseiter Yoritada zu seinem Nachfolger bestimmt und Kaneie sogar noch im Rang degradiert.128 Erst im Zusammenhang mit diesem Zwist unter den Fujiwara werden sowohl Yoritadas politischer Auf- und Abstieg, als auch Kazans Abschiebung ins Kloster und die auffallend positive historische Darstellung Kaneies nachvollziehbar.129 Davon aber berichteten die früheren Vergangenheitserzählungen ‚Eiga mo¯ kagami‘ nicht direkt. Deren betonte Perspektivität beförderte nogatari‘ und ‚O eine unterkomplexe Darstellung des politischen Konflikts Ende des 10. Jahrhunderts.130 Erst unter Berücksichtigung weiterer Regierungsdokumente und vor allem der höfischen Tagebücher wird klar, wie Kaneie im Alleingang die 127 Noch die neuere Geschichtsschreibung folgte der Abwertung im ‚Eiga monogatari‘ und ¯ kagami‘, wenn beispielsweise William McCullough, The Heian Court, in: Donald ‚O Shively/William McCullough (edd.), Heian Japan (The Cambridge History of Japan 2), Cambridge 1999, 20–96, hier 51f., für Yo¯zeis Charakterisierung auf die Beschreibung von Caligula verwies. 128 Die Dramatisierung in den erzählenden Geschichtswerken dürfte auf historischen Vorlagen beruhen, da auch die „abgekürzte Chronik Japans“, ‚Nihon kiryaku‘ (日本紀略, Mitte 11. Jh.) Kanemichis entschlossenes Vorgehen gegen Kaneie vermerkte. Vgl. Ozaki 1993, 362. 129 Aus der zahlreichen Forschungsliteratur zu dem bekannten Konflikt siehe bes. McCullough 1999, 65f. 130 Beispielsweise Eiga monogatari, 73f. zum Konflikt zwischen Kaneie und Kanemichi oder 57– 60 zum Anna Zwischenfall, durch den die Fujiwara ihre Vorrangstellung am Hof festigten. Zur Darstellung im ‚Eiga monogatari‘ im Vergleich zu anderen Aufzeichnungen, v. a. Tagebücher, jetzt bes. Nakamura Yasuo, Ko¯i keisho¯ no kiroku to bungaku. Eiga monogatari no nazo wo kangaeru, in: Kuramoto Kazuhiro (ed.), Nikki de yomu Nihonshi 8, Kyoto 2017, 111–146.

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Thronfolge legitimierte und sich darüber hinaus gewissermaßen selbst zum Stellvertreter krönte. Unter normalen Bedingungen wäre der neue Regent vom Vorgänger bestimmt worden, doch hatte Kaneie sich durch Kazans eilig erzwungene Abdankung dieser Möglichkeit beraubt und sich kurzerhand selbst eine neue Lösung geschaffen. Dafür nutzte er seinen Einfluss auf den abgedankten Enyu¯, um rückwirkend eine entsprechende Verfügung zu erwirken. Mit einem weiteren Kunstgriff änderte er darüber hinaus sogar das bisherige Hofprotokoll. Durch das Ritual imaginierter Präsenz (nyozai no rei 如在礼) erzwang er die Akzeptanz des Hochadels zur Rechtmäßigkeit der Thronerhebung des Kronprinzen, als ob die Order vom Vorgänger stammte.131 Zusammen mit seiner selbsterwirkten Ernennung zum Regenten hatte Kaneie einen Präzedenzfall geschaffen, durch den er langfristig die institutionelle Beziehung zwischen der offiziellen Ämterstruktur und den Regenten auflöste. Erst ab dieser Zeit wurden die Fujiwara-Regenten zu Stellvertretern mit weitreichenden Herrschaftsbefugnissen, die parallel zu den etablierten Kommunikationsstrukturen die politischen Geschicke lenkten.132 Es ließe sich sogar argumentieren, dass Kaneie dadurch einer Art Mitkönigtum den Boden bereitet hatte, auf dem sein Sohn Michinaga die höchste Machtentfaltung erreichte. Später sollte der Hofadel dieses besondere Ritual häufiger nutzen, um Thronvakanzen oder andere Probleme im Hofzeremoniell zu überbrücken.133 Zum Herrscherwechsel von 986 war das Ritual indes noch nicht in dem Maße etabliert. Kaneies Anwendung stellte daher einen frühen erfolgreichen Versuch dar, durch die Fiktion gewahrter Ordnung die eigene Macht über das Königtum zu stärken. Für diese Deutung im ‚Kojidan‘ selektierte und arrangierte Akikane mit einer erst auf den zweiten Blick erkennbaren Sorgfalt die ihm bekannte Überlieferung, um überraschend erst am Ende, und in gewohnt nüchterner Weise, Kaneies Machtansprüche als treibende Kraft aufzudecken. Wie wenig er von Kaneie hielt, gab er mit weiteren Überlieferungen zu Kaneies nachlässigem Benehmen am Hof indirekt kund.134 Zusammenfassend lässt sich der Befund dahingehend deuten, dass Akikane, wenn auch insgesamt mehr in Andeutungen, doch noch erkennbar genug, in den ersten beiden Faszikeln seiner Sammlung gegen die Entmachtung der Ministerien und der überkommenen Ämterstruktur durch die Regenten argumentierte. Er verteidigte damit letztlich auch die frühere eigene Stellung, wenn er seine Vorliebe für eine Regierung der Herrscher in Absprache mit ihren Ministerien durchblicken lässt. 131 Kuramoto 2003, 10. Sasaki 2011, 115. 132 Hierzu Suzuki 1998, 141, 144. 133 Zur Anwendung des Rituals mimetisch erzeugter und damit imaginierter Präsenz, auch nyozai no gi (如在儀), siehe v. a. Hori Yutaka, Tenno¯ no shi no rekishiteki ichi. Nyozai no gi wo chu¯ shin ni, in: Shirin 81 (1998), 38–69. 134 Kojidan, 34f.

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Fazit

Abschließend seien einige der vorläufigen Ergebnisse der Teilanalyse des ‚Kojidan‘ zusammengefasst und auf ihre Konsequenzen für Vergangenheitserzählungen von Macht und Herrschaft hin befragt: Für seine „Erzählungen alter Begebenheiten“ trug Akikane scheinbar willkürlich ausgewählte Einzelheiten zumeist peinlichsten Inhalts aus Hofadel und Klerus zusammen. Erst bei wiederholter Lektüre erschließen sich textinterne Strukturierungen und inhaltliche Aussagen. Im Ganzen betrachtet präsentiert sich das ‚Kojidan‘ nicht durchgängig als ein nur zynischer Kommentar zum Machtverlust des Königtums und den unpolitischen Umtrieben des Hofadels, da die Sammlung darüber hinaus auf die religiösen Gemeinden und deren Überlieferungen ebenso eingeht, wie auf die Künste oder die Krieger. Allem vorangestellt aber bleibt im ersten Faszikel ein weitgehend chronologisch gegliederter Überblick über die Herrscherfolge der für Akikane relevanten Vergangenheit, mit der er gewissermaßen gegen das offizielle Geschichtsbild seine persönliche ‚Kaiserchronik‘ formte. So besehen ist es wohl nicht zu weit gegriffen, im ‚Kojidan‘ ebenso einen politischen Kommentar zur Krise des Königtums mit allerdings mehrschichtigen Lektüreoptionen zu sehen. Es las sich für die in die höfischen Überlieferungen Eingeweihten ebenso unterhaltsam wie politisch herausfordernd, da vieles sich kaum anders denn als Kritik an Gotobas politischer Dominanz und seinen Restaurationsbemühungen der Hofkultur verstehen ließ. Ein Indiz für diese Rezeptionsweise bietet eine Art Gegenerzählung, die nur wenige Jahre darauf 1219 unter dem Titel ‚Zoku Kojidan‘ („Fortgesetzte Erzählungen vergangener Ereignisse“, 続古事談) entstanden war. Anstelle der zu erwartenden Fortsetzung weiterer Enthüllungen bestätigte diese Sammlung andersherum die damaligen Herrschaftsverhältnisse und Gotobas Vorrangstellung. Gleich die erste Geschichte machte den im ‚Kojidan‘ bloß schwächlich dargestellten Ichijo¯ zum vorbildlichen Idealherrscher.135 Im ‚Kojidan‘ wies die einleitende Erzählung um Sho¯tokus Tod in eine andere Richtung, wobei erst eine gründliche Analyse der Einleitungsepisode im Ganzen deutlicher machte, wohin einen die Erzählsammlung im Folgenden mitzunehmen gedachte. Zudem gelang es, zwei zentrale Ziele herauszuarbeiten: eine alternative Perspektive zur offiziellen Geschichtsschreibung anzubieten und den Kontrollverlust des Königsgeschlechts durch den Kontrast zwischen dem zu selten realisierten Ideal und dem historischen Normalfall königlichen Versagens eindringlich darzustellen. Die Gründe für die Schwäche des Königtums sind 135 Zoku Kojidan, in: Kawabata Yoshiaki/Araki Hiroshi (ed.), Shin Nihon koten bungaku taikei 41, Tokyo 2005, 603.

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pauschal der Fujiwara-Sippe zugewiesen, ohne dabei die eigentlich weitverzweigte und intern gespaltene Adelsgruppe gründlicher zu differenzieren. Erst im zweiten Faszikel zu den Hofministern erhalten manche Fujiwara sowie Höflinge anderer Sippen eine ausgewogenere Darstellung. Dem stellte das ‚Kojidan‘ keine ferne Vergangenheit oder sogar mythisch zum nostalgisch bedachten Ideal oder verlorenen Rückzugspunkt entrückte Urzeit gegenüber, wie sie andere Schriften in buddhistischen und konfuzianischen Begriffen häufig thematisierten.136 Verbesserung blieb wie unter Gosanjo¯ durchaus möglich, wenn auch kaum noch zu erwarten. Dabei kam einer Besinnung auf die eigentlich vorgesehenen Herrscherpflichten der Hauptanteil zu, die an einzelnen Beispielen auch positiv genannt wird, darunter Gesetzesreformen, eigenständige Regierungsverantwortung und die Achtung der offiziellen Bürokratie. Meist müssen die erwünschten Qualitäten aber umgekehrt aus dem königlichen Fehlverhalten geschlossen werden. Die Einzelbefunde legen insgesamt nahe, dass Akikane eine Restauration der älteren Verwaltungsstrukturen favorisierte, in denen die amtierenden Herrscher eng mit ihren Ministerien zusammengearbeitet hatten. Seine Präferenzen können auf diese Weise sinnvoll erschlossen werden, nur sollte man nicht so weit gehen und ihm eine politisch klar gefasste Motivation unterstellen, wie sie Jien offensiv vertreten hatte und aufgrund dessen sozialer Stellung und privaten Verbindungen, anders als Akikane, auch direkt gegen Gotoba behaupten konnte.

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Stephan Conermann

Talking about Power and Domination in ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯’s ˙ (d. after 1350) Historical Epic ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ ˙ ˙

Abstract When in 1327 Sultan Muhammad b. Tughluq (d. 1351) ordered the (partial) transfer of his ˙ capital from Delhi to Daulatabad on the Deccan Plateau, among those forced to leave their homes in Delhi were the Indo-Persian poet ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯ (d. after 1350) and his ˙ family.ʿIsa¯mı¯’s grandfather died on the long and arduous journey south. The poet composed ˙ his well-known epic ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ (“The Conquests of the Sultans”) in Daulatabad, ˙ ˙ dedicating it to the founder of the newly established Bahmanid dynasty,ʿAla¯ʾ al-Dı¯n Hasan ˙ Bahman Sha¯h (r. 1347–58). The deep hatred of Muhammad b. Tughluq that is inscribed in ˙ the work can be traced back to the author’s painful experience described above. In this article, I shall first give a brief introduction toʿIsa¯mı¯ and his epic, followed by an outline of ˙ some important literary devices employed in the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ to depict power and ˙ ˙ domination. In the last section, I will discuss three other potential interpretations of the epic on the basis of selected examples.

1.

Background

Muhammad b. Tughluq was the second sultan of the Tughluq dynasty in Delhi ˙ and the eldest son of the founder of the line, Ghiya¯s al-Dı¯n Tughluq (r. 1320–25).1 ¯ The few extant sources do not allow us to reconstruct a precise chronology of his 1 For Ghiya¯s al-Dı¯n Tughluq see Peter Jackson, The Delhi Sultanate. A Political and Military ¯ History, Cambridge 1999, 255–277 and Stephan Conermann, Die Beschreibung Indiens in der “Rihla” des Ibn Battu¯ta. Aspekte einer herrschaftssoziologischen Einordnung des Delhi-Sul˙ unter Muhammad ˙˙ ˙ tanates Ibn Tug˙luq, Berlin 1993. Recent years have seen the publication of several interesting˙ monographs about the Delhi Sultanate: Richard M. Eaton, A Social History of the Deccan, 1300–1761. Eight Indian Lives, Cambridge et al. 2005; Iqtidar H. Siddiqui, Authority and Kingship under the Sultans of Delhi (Thirteenth–Fourteenth Centuries), New Delhi 2006; Sunil Kumar, The Emergence of the Delhi Sultanate: 1192–1286, Ranikhet et al. 2007; Finbarr B. Flood, Objects of Translation. Material Culture and Medieval “HinduMuslim” Encounter, Princeton, NJ 2009; Iqtidar H. Siddiqui, Delhi Sultanate. Urbanization and Social Change, New Delhi et al. 2009; Blain H. Auer, Symbols of Authority in Medieval Islam. History, Religion and Muslim Legitimacy in the Delhi Sultanate, London/New York 2012 and Manan A. Asif, A Book of Conquest. The Chachnama and Muslim Origins in South

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reign. We are not even certain of the date he assumed power. Some chroniclers criticise decisions made by the sultan during his reign, including the move to a new capital, mentioned above. But the choice of Daulatabad on the Deccan, and the move of many aristocratic households there, was merely the logical consequence of the Delhi Sultanate’s attempts over several generations to extend its power southward.2 This necessitated a targeted resettlement of Muslims from the north to the Deccan Plateau. At the same time, a catastrophic drought brought devastating famine to the northern Indian provinces. The 1335 military campaign against Ahsan Jala¯l al-Dı¯n in Maʿbar ended in disaster when cholera ravaged ˙ almost the sultan’s entire army.3 Over the following years famine and epidemics devastated large parts of the realm. The economic situation was so dire even in Delhi that in 1337 the sultan moved his residence to the region near Jaunpur and Awadh, which had been spared by the famine.4 Not until 1340 did things improve sufficiently for him to return to Delhi. Muhammad Ibn Tughluq now sought to ˙ restore the old position of the Delhi Sultanate through economic reforms.5 But the loss of trust had been too great. Afghan emirs banded together with a group of his administrative officers and staged a revolt in Gujarat in 1344. And things threatened to fall apart further.6 The sultan himself set off with an army to crush the revolt, but he did not succeed. Rebellion spread to Daulatabad. Order was restored eventually, but only superficially. The provinces around Daulatabad finally seceded in 1347 after an emir rebelled in Gujarat and the sultan set off to quell the uprising. This was the founding moment of the new, independent Bahmanid Sultanate. While the Delhi Sultanate reached its greatest extent under Muhammad b. ˙ Tughluq, he was unable to maintain control permanently in the individual regions.7 Toward the end of his reign local governors in many provinces renounced the Sultanate and set up their own ruling associations. We do not as yet have a really satisfactory explanation for the rapid disintegration of the Delhi Sultanate, so that is is difficult to give an overall evaluation of Muhammad b. Tughluq’s ˙ reign. We should resist the temptation to follow the very negative depiction in ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’, which shows the sultan as a difficult and over˙ ˙ ˙

2 3 4 5 6 7

Asia, Cambridge, MA/London 2016. See also the very interesting collection edited by Francesca Orsini and Samira Sheikh, After Timur Left. Culture and Circulation in Fifteenth-Century North India, New Delhi 2014. Also very interesting is: Simon Digby, Before Timur Came: Provincialization of the Delhi Sultanate through the Fourteenth Century, in: Journal of the Economic and Social History of the Orient 47. 3 (2004), 298–356. Jackson 1999, 164–165, 256–260, Conermann 1993, 70–75. Jackson 1999, 192, Conermann 1993, 83–85. Conermann 1993, 91–92. Conermann 1993, 96–99. Conermann 1993, 104–112. Conermann 1993, 179–182.

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ambitious man. A close reading of the sources conveys the impression that there was a coherent policy behind Muhammad’s many initiatives. His measures may ˙ also be interpreted as reactions to a prolonged economic crisis. In 1347 ʿAla¯ʾ al-Dı¯n Hasan Bahman Sha¯h (r. 1347–58), who had revolted ˙ against Tughluq rule in Delhi, established the Bahmanid in the Deccan.8 The dynasty held on to power until 1528, when it split into five independent Muslim empires. Interestingly, the Bahmanids claimed descent from Bahman b. Esfandiya¯r, the legendary Shah of Iran. In addition to the local Hindu population, the Bahmani elite consisted primarily of Iranians, Turks or Muslim migrants from northern India. The Iranians dominated Bahmani society and were instrumental in shaping its culture. It follows that the Bahmani Empire was not only the first independent Muslim sultanate in South Asia, but also the centre of Iranian culture on the subcontinent. Scholars from Iran, Arabia and Central Asia went to the Bahmani capital where the sultans patronised poets and writers. Let me name ¯ dharı¯ (d. 1461), known, amongst other works, for here only Shaikh Fakhr al-Dı¯n A his ‘Bahman-na¯ma’ (“The Book of the Bahmanids”), a verse chronicle about the Bahmanids. There was a good deal of support for education and education facilities. We know of several madrasas in different places within the empire where Persian, Arabic and Islamic sciences were taught. There are stylistic elements from Iran in Bahmani architecture, making it noticeably different from the rest of Muslim architecture in northern India. Some major buildings of the Bahmani period were constructed under the direction and supervision of Rafı¯ʿ b. Shams, a master architect from Qazwin.

2.

The Author

Regrettably, none of the Indo-Persian biographical dictionaries we know has an entry for ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯, so that we have almost no information about his ˙ life.9 Even his name – ʿIsa¯mı¯ – appears to be a pseudonym. We know that he was ˙ forced to leave Delhi, as we have seen, when Muhammad b. Tughluq set up ˙ Daulatabad as his new capital in the Deccan in 1327. The loss of his grandfather and the enforced exile meant that ʿIsa¯mı¯ was a disappointed writer in search of a ˙ patron in Daulatabad.10 There are bitter complaints in his work, both about the Bahmanis’ low literary standards and bad taste, and about the lamentable plight 8 For the following see N. H. Ansari’s entry ‘Bamanid Dynasty’, in: Encyclopædia Iranica 3 (1989), Fasc. 5, 494–499. 9 For ʿAbd al-Malik ʿIsa¯mı¯ see Peter Hardy, Historians of Medieval India, London 1966, 94– ˙ On History and Historians of Medieval India, New Delhi 1983, 107– 111; Khaliq A. Nizami, 123. 10 For what follows see Hardy 1966, 95.

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of talented authors like himself.11 But one morning, ʿIsa¯mı¯ relates, there arrived a ˙ messenger sent by one of the qadis appointed by the Bahmani sultan.12 When ʿIsa¯mı¯ told him about his troubles and his talent that was going to waste, the qadi ˙ agreed that “such a sweet-voiced nightingale is fit for the orchard of paradise. It is a pity that such a bird should have continued neglected in this garden and such a parrot should have remained a captive in Hindustan! There is no tulip-bed befitting such a nightingale except the king’s court.”13 The qadi presented ʿIsa¯mı¯ to the sultan, ʿAla¯ʾ al-Dı¯n Hasan Bahman Sha¯h, ˙ ˙ thus paving the way for his art to be appreciated – and remunerated. ʿIsa¯mı¯ set to ˙ work; his epic was finished in 1350. Things then apparently did not go according to plan, however, because after this date we hear no more from him. But in his work ʿIsa¯mı¯ mentions his intention to go on a pilgrimage and move to the Hejaz. ˙ Perhaps he settled in Medina and died there. We do not know the year of his death.

3.

Talking about Power and Domination

The ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ contain a total of 11693 verses and follow in both form and ˙ ˙ content Firdausı¯’s (d. 1020) famous ‘Sha¯h-na¯ma’ (“Book of Kings”).14 The epic is structured as follows: Ll. 1–288 Ll. 289–387 Ll. 388–503 Ll. 604–1177 Ll. 1178–1951 Ll. 1952–3820 Ll. 3821–6739 Ll. 6740–8003 Ll. 8004–10191 Ll. 10192–11389 Ll. 11390–11692

the development/genesis of the work the author introduction Mahmu¯d of Ghazna ˙ of the Ghaznavid and rise of the Ghu¯rid dynasties decline from Qutb al-Dı¯n Aybak (r. 1206–10) to Kaykuba¯d (r. 1287–90) from Jala¯˙l al-Dı¯n Fı¯ru¯z Sha¯h (r. 1290–95) to ʿAla¯ʾ al-Dı¯n Khaljı¯ (r. 1296–1316) from Muba¯rak Sha¯h (r. 1316–1320) to Ghiya¯s al-Dı¯n Tughluq (r. 1320– ¯ 1325) Muhammad b. Tughluq (r. 1325–51) ˙ collapse of the Tughluq kingdom on the Deccan conclusion

The ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ describe the deeds of the Muslim kings in India. But for ˙ ˙ ʿIsa¯mı¯, Muslim history in India does not begin with the Arabic invastion of Sind. ˙ He starts his account with Mahmu¯d of Ghazna’s (d. 1030) assumption of power. ˙ 11 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın, ed. A. S. Usha, Madras 1948, 12–13; ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın, transl. ˙ Husain, ˙ ˙ ˙ ˙ by˙ Agha Mahdi 3 vols., New York, NY 1967–1977, 12–13. 12 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (ed.), 22–24. 13 ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 1, 53–54, ll. 464–466. 14 ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (ed.), 608–610. ˙ ˙ ˙

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For ʿIsa¯mı¯ – as for many other Indo-Persian poets and chroniclers – Mahmu¯d of ˙ ˙ Ghazna embodies the ideal Muslim ruler,15 and he devotes an entire chapter to this sultan. A brief overview of the Ghaznavid and Ghu¯rid dynasties is followed by descriptions of the Delhi Sultans down to the reign of Muhammad b. Tughluq’s ˙ father. ʿIsa¯mı¯ gives vivid and eulogising biograms for most of the kings, lavishing ˙ praise on royal courage, wisdom, piety and munificence. Here he is writing about the accession of Qutb al-Dı¯n Muba¯rak Sha¯h (r. 1316–20): ˙

“Whomever the Creator of the Universe supports, He raises him from profound depths to sublime heights. He takes him out of utter destruction and throws the head of his enemy into dust. He delivers into his hands the key of countries and places on his head the Kiyani cap.16 He brings a world right under his order and makes all. High and low, submit to him. If you require an illustration to this, hear from me, O enlightened friend. I have heard from the village headman of Hindustan that when thorns had been taken away from this garden, they selected for rule that prince who was like a cypress of freedom. Mubarak Shah – that veritable king, with sky-like dignity, Saturn like abode and the axis of religion – ascended the ivory throne and wore the crown and robe in high spirit. In attendance on him recognized veterans stood with girded loins to the right and left. Before anything else that intelligent ruler ordered: ‘Wherever there be prisoners in chains they should be made happy through the good tidings that we have kindly set them free and that their chains should be cut off at once, and that the oppressed herd should be relieved thus from the oppressive wolves.’ Immediately, as the officers of the old regime heard this order of the new king, they cut off the fetters. Wherever there was a prisoner even of twenty years’ duration, whether guilty of political disaffection or involved in debt on account of revenue, he was set free. All the prisons were emptied and all houses filled with joy.”17

Frequent anecdotes and legends enliven the biograms. The following is an example from the time of Mahmud of Ghazna: “An old village headman narrated to me that that enlightened king had once led the troops to capture a fortress and continued besieging it for a period of six months. When in the course of the sixth month it was captured, he trumpeted his retreat. When the royal sweeper set about dismantling the camp, he noticed a little sparrow had built its nest in the king’s tent. In that tent he saw a few eggs and stopped his work. He came down quickly from the top of the tent and reported the matter to the king. When the king came to know of it he stayed on and remained there until the raw eggs became ripe and were hatched and the young ones had winged and flown away. Then the king prepared to start from that place.”18

15 Nilanjan Sarkar, ‘The Voice of Mahmu¯d’: The Hero in Ziya¯ Baranı¯’s Fata¯wa¯-i Jaha¯nda¯rı¯, in: ˙ The Medieval History Journal 9. 2 (2006), 327–356. 16 The traditional coronation crown. 17 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 2, 551–552, ll. 6740–6755. 18 ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 1, 110–111, ll. 1069–1078. ˙ ˙ ˙

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The line of genuine Muslim heroes ends during ʿIsa¯mı¯’s lifetime with his ˙ longed-for patron, ʿAla¯ʾ al-Dı¯n Hasan Bahman Sha¯h. ˙

“He is an exalted and successful ruler of the age. His reign has received the glory of the reign of Isfandyar. During his reign, Time is ashamed of oppression, through his justice the atmosphere of the world has become moderate. Since the choice of his justice has passed the nine skies, the spirit of angels is thereby revived […] King Ala ad-Din is the refuge of the world. During his reign the aggrieved enjoy relief […] The single man is equal in strength to the strength of the two-hundred armies since he is Bahmani by descent and Bahman by name. He has revived the world by means of his generosity and justice; and the sky is resounding his beneficence.”19

The life of Muhammad b. Tughluq, as we will see below, is presented as some˙ thing of a negative counterfoil to this shining paragon. Since it was ʿIsa¯mı¯’s ˙ avowed intention to emulate Firdausı¯, his ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ deal primarily with ˙ ˙ secular matters.20 ʿIsa¯mı¯ concentrates on depicting the heroic deeds of Muslim ˙ kings, especially their military successes, public appearances and charitable actions and measures. Having said that, the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ are unmistakably the ˙ ˙ work of a poet who is firmly rooted in the religious philosophy of his time. This includes the acceptance of divine revelation as man’s only possible way to God, truth and justice. “Who has the courage to call in question this by saying why and wherefore? God created the opposite of all things in order that the value of everything may become known. In every breast He has installed fear and hope – the former being heart-distracting and the latter soul-exhilarating. He has created paradise as well as hell and believers as well as fire-worshippers. He has created high lands as well as low lands and has roofed this earth with nine skies. Among the various things He has created may be counted sin and devotion, retribution and generosity, life and death, existence and non-existence, night and day, sun and moon, morning and evening, flower and thorn, mountain and dale, game and snare, fire and water, earth and wind, pain and cure, oppression and justice, beauty and ugliness, fairies as well as demons and poor dervishes as well as glorious kings. Know that whatever exists, exists through His command.”21

ʿIsa¯mı¯ does stress the role of divine mystery in his epic. It is impossible for man to ˙ know God’s will and His plan. The universe, the scope of human action and emotion, and good and evil are determined by God. Success and failure, friendship and enmity can only happen at God’s command. No man must complain when God decrees his death. None but God can know why one man – a sultan, in this case – may sometimes be exceedingly successful and at other times experience nothing but failure. 19 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 1, 13–14, ll. 152–164. ˙ follows ˙ paragraph ˙ Hardy 1966, 97–105. 20 This 21 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 1, 5–6, ll. 39–48. ˙ ˙ ˙

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“Each and all are subject to His command whether it be ruin of an enemy or the prosperity of a friend. It is mere justice on His part, no oppression, if He involves a friend in trouble or if he He exalts an enemy. Even if He kills a living being there can be no ground for complaint. Sometimes he transfers a certain person from hell into paradise and sometimes He takes one from the Ka’ba into a temple. Nobody excepts He knows why man – a handful of earth – is sometimes in the heights of glory and sometimes in the abyss of destruction.”22

Always in the background of the events described in the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ is the ˙ ˙ concept that God’s intentions and commandments are unknowable to man. He explains the past to his readers – who are, of course, faithful Muslims – within the parameters of their conventional religious and moral expectations. He shows characters acting in accordance with certain moral stereotypes, formal rules for bad or good conduct and compliant behaviour in basic human situations. He is not interested in whether or how a king might have behaved differently in different historic contexts. He looks for recurring patterns, for examplary tales from which we can draw lessons for the present and the future. His most important characters are either heroes or villains. Mahmu¯d von Ghazna is the ideal Muslim ˙ hero, a role model to be emulated by generations to come. Muhammad b. ˙ Tughluq is a perfect thug. We know that ʿIsa¯mı¯ wrote for a Bahmanid sultan who ˙ had terminated his allegiance with the Delhi Sultanate, so this is hardly surprising. His Muhammad b. Tughluq is a bad and vicious ruler.23 ˙

“When the tyranny of Time handed over this country to Zahhak and through the oppression of the Zahhak horde human beings were tortured to death and for six months in the country of Deogir the cry of suffering believers rose from all directions and out of the blood of true Muslims a second deluge swept over the world, then in such a critical condition you, O renowned king, girded up your loins to wage war against the tyrant. You unsheathed the dragon-like sword with which you severed the enemy’s head from the body. You pierced his head with a lance and crushed the whole of his army. You liberated the country from his atrocities and rescued Islam from persecution. You freed groups after groups of those who had held prisoner in the hill and plains.”24

Finally, ʿIsa¯mı¯ comes to the subject that, other than the undying glory of the ˙ renowned poet, is particularly close to his heart: “Since I – a slave of Your Majesty – have received God’s favor and found the way to ascertaining the truth through praising the Prophet, I now pray the all-knowing God to make your royal heart kind to me. If Your Majesty’s favour were extended to me and if I were accepted as your panegyrist, I would produce a garden-like book out of the history of the kings of Hindustan. I will decorate it with the royal insignia and make it known in every country. As soon as this book is completed in your name it will become current 22 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 1, 6, ll. 49–53. ˙ ˙ the following ˙ 23 For sections see Conermann 1993, 119–123. 24 ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 1, 15–16, ll.175–185. ˙ ˙ ˙

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among all – high and low. The world will drink a toast in your honour and the book will be taken from Hindustan to Ghazna.”25

The pattern of black and white is established from the beginning, and ʿIsa¯mı¯ only ˙ deviates from it in his decription of the reign of Muhammad b. Tughluq in˙ asmuch as he says that the sultan’s evil and abominable side had only come to the fore after some time, after he had started out as a good and just ruler: “In the beginning he made full display of his spirited policy of justice and scattered so much gold everywhere that he won the hearts of all and all wished him well.”26

Even after his campaign in Peshawar and Kalanaur in 1325, ʿIsa¯mı¯ continues, ˙ Muhammad b. Tughluq went on ˙

“to pursue his much-appreciated policy of goodness. He administered justice and showed benevolence to everyone, introducing everyday some new project for benefit of the empire. As a result, all became happy in the capital as well as in the country, under him; and everyone high and low prayed that his reign be prolonged.”27

But eventually he abandoned these benevolent policies: “After the lapse of two years, he changed his attitude and gave up justice and goodness. He became suspicious of everyone in the capital with the result that the antidote in him was now turned into deadly poison. He transformed his justice into tyranny and changed his kindness into cruelty and torture.”28

His nature darkened and he began to look upon his subjects with disdain. He took such arbitrary and cruel measures and imposed such punishments that revolts broke out all over his kingdom. So unjust was his tyranny, ʿIsa¯mı¯ writes, ˙ that even a Sufi shaykh, Rukn al-Haqq, protested against the inhuman punish˙ ment of some rebels in Multan and reminded the sultan that mercy and forgiveness were truly royal virtues.29 ʿIsa¯mı¯ claims that the sultan’s projects – such ˙ as introducing a new currency or mounting an expedition to Qarachil – were undertaken not from political or economic motives, but merely because of his compulsion to cause his people as much harm as possible.30 One of the most inhumane of these measures had been the mass relocation of the people of Delhi to Daulatabad.31 None had been safe: “I do not know why the emperor became suddenly suspicious of that set of innocent people (Muslims) so much that he uprooted the foundations which had been laid by 25 26 27 28 29 30 31

ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 1, 17–18, ll. 210–218. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 648, ll. 8025–8026. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 560, ll. 8059–8061. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 651, ll. 8062–8064. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 671–672, ll. 8405–8421. ˙ al-Sala¯˙t¯ın (transl.), vol. 3, 693–695, ll. 152–164 und 702–705, ll. 8840–8884. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h ˙ ʿIsa¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 681–682, ll. 8542–8558. ˙ ˙ ˙

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their ancestors; and still he is after destroying their offspring. His heart melts neither for a child nor for an old man; neither a man of wealth nor an indigent person is safe at his hands.”32

The sultan had turned apostate, ʿIsa¯mı¯ believed; this justified all resistance ˙ against him: “Should the people of this country join hands and unitedly prepare to raise insurrections, no wonder, they would easily remove this tyrant and kill him, for he is a danger to the cause of Islam.”33

This fundamental characterisation sets the tone for the rest of Muhammad b. ˙ Tughluq’s reign. ʿIsa¯mı¯ calls him “the accursed Emperor”34, “the dragon-like ˙ Emperor”35, “the pagan Emperor”36, “that mean and short-tempered Emperor”37 or “that tyrant Emperor”.38 He does not hold back. “The Emperor who is a friend of the mean and the enemy of the Faith has completely abandoned the path of Islam. Everyone high or low is annoyed with him and a rebellion of the country against him is justified. The Shariat has decreed his bloodsheds and hearts are disgusted because of his deceit. The qazis have issued a fatwa to kill him. Destiny has slammed the door of salvation on him. He has revolted against the principles of Islam and has allied himself with the community of kafirs. He has stopped the customary call for prayers and the believers are suffering at his hands day and night. He has given up the Friday congregational prayer and participates in Hindu festivals. He has taken the jogis into confidence and planted into his heart love for the kafir’s faith. Few muftis see eye to eye with him and hardly anyone of them concurs with him without abasing himself. In every province are aloud cries against his tyranny; and war on him is considered lawful according to every school of thought. Towards the close of his reign, I am told, that blood-thirsty king of impure faith crushed many rebel contingents and seized their banner. He followed in the footsteps of Zahhak and has ever lived like a treacherous person.”39

Epic as much as historiography or medieval literature employs configurations of power and domination as a means of representation and reflection. The objective is to arrive at a discursive articulation of power and domination together with an analysis of narrative techniques. ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ are all about the ˙ ˙ ˙ question of ‘good’ v. ‘bad’ domination. Almost all of the monarchs in the epic are judged according to this dichotomy. As we have seen, the roles of hero and villain 32 33 34 35 36 37 38 39

ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın (transl.), vol. 3, 681, ll. 8538–8541. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 683, ll. 8568–8569. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 787, l. 10088 and 809, l. 10198. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 789, l. 10120 and 783, l. 10023. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 789, l. 10132. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 789, l. 10022. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 789, l. 10151 and 10177. ʿIs˙ a¯mı¯, Futu¯h˙ al-Sala¯t˙¯ın (transl.), vol. 3, 764–765, ll. 9747–9769. ˙ ˙ ˙

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are clearly defined; just as clearly discernible are the criteria of good and bad rule. If power and domination can be wielded only by one who is widely acknowledged to exercise them legitimately, then we must ask whether ʿIsa¯mı¯’s might have been ˙ a lone voice. It is fairly likely that he was not in a position to circulate his worldview widely in public discourse. But his epic was very influential for the reception of the Delhi Sultanate in the Mughal period. Most of the Mughal chroniclers consulted his work40 for their interpretation of the past.

4.

Alternative Approaches

Until now, the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ have been studied only as a historiographical ˙ ˙ text. Historians like Peter Hardy or Khaliq Nizami – the only scholars to date to have worked on the epic – wanted to find out the extent to which the facts it contains are reliable and dependable.41 But this is not the best or the most appropriate approach. ʿIsa¯mı¯’s text is not a chronicle, it is a literary work whose ˙ aesthetic and literary qualities should be understood in comparison with similar texts. No one has as yet analysed the poetics of the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’. This is why ˙ ˙ in the last section of this essay, I would briefly like to suggest three very different analytical approaches that will, I believe, enable us better to understand the work.

4.1

Intertextuality

In his text, ʿIsa¯mı¯ both directly and indirectly references earlier works that were ˙ well known and highly respected in the Indo-Muslim world. So it makes sense to compare the poetics of his ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ with those of these other works in ˙ ˙ order to identify structural, conceptional, aesthetic and literary connections. The ultimate objective is an analysis of intertextual interrelations, especially, if we base it on the following, brief but very useful, definition of intertextuality: “Intertextuality is a sophisticated literary device making use of a textual reference within some body of text, which reflects again the text used as a reference. Instead of employing referential phrases from different literary works, intertextuality draws upon the concept, rhetoric, or ideology from other writings to be merged in the new text.”42 For ʿIsa¯mı¯ we can identify three main role models: ˙ 40 See Stephan Conermann, Historiographie als Sinnstiftung. Indo-persische Geschichtsschreibung während der Mogulzeit (932–118/1516–1707), Wiesbaden 2002, 328–329 – using the example of ʿAbd al-Qa¯dir Bada¯ʾu¯nı¯’s (d. 1597–1598) ‘Muntakhab al-Tawa¯rı¯kh’. 41 Hardy 1966, Nizami 1983. 42 Literary Devices. Definition and Examples of Literary Terms, https://literarydevices.net/ intertextuality/ (06. 06. 2019).

Talking about Power and Domination in the ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ ˙ ˙

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1. The ‘Sha¯h-na¯ma’ (“Book of Kings”) of Firdausı¯ (d. 1020).43 The ‘Sha¯h-na¯ma’ is an epic poem made up of over 50000 couplets. It is based in the main on a prose work by the same name compiled during Firdausı¯’s youth in his home city of Tus. This prose ‘Sha¯h-na¯ma’ in turn is based largely on the translation of a Middle Persian text, the ‘Xwada¯yna¯mag’ (“Book of Kings”). The ‘Xwada¯yna¯mag’ is a late Sassanian compilation of tales about the kings and heroes of Persia from mythic times down to the reign of Khosrau II (r. 590– 628). Firdausı¯ added material by continuing the historical narrative beyond the Arab victory that caused the fall of the Sassanians in the mid-seventh century. 2. The ‘Khamsa’ (“Quintet”) of Niza¯mı¯ Ganjavı¯ (d. 1209).44 This includes the ˙ didactic poem ‘Makhzan al-Asra¯r’ (“The Treasury of Mysteries”) of some 2260 couplets in sariʿ metre (about 6500 couplets in hazaj metre), ‘Layla¯ u Majnu¯n’ (“Layla and Majnun”) (about 4600 couplets in hazaj metre), and ‘Haft Paykar’ (“seven portraits”) (5130 couplets in khafı¯f metre); and finally the ‘Iskandar-na¯ma’ (“The Book of Alexander”), which is probably best described as an epic interlaced with didactic observations. It consists of two parts and comprises a total of 10500 couplets in mutaqa¯rib metre. 3. Amı¯r Khusraw Dihlavı¯ (d. 1325),45 who was born in 1253 in a small town in modern-day Uttar Pradesh and is considered one of the most famous Indo-Persian poets. Of Turkish descent, he was initially in the service of some of Sultan Balban’s (r. 1266–87) relatives until he came to the court in Delhi where Jala¯l al-Dı¯n Khaljı¯, who thought highly of him because of his poetic talent, agreed to pay him an annual stipend. This arrangement was continued by Jala¯l al-Dı¯n’s successors, all of whom held the poet in high esteem. He finally died shortly after the accession of Muhammad b. Tughluq in 1325 and ˙ was buried at the feet of his master, Niza¯m al-Dı¯n Awliya¯ʾ. In addition to his ˙ own Khamsa (‘Matlaʿ al-Anwa¯r’ [“Rising of Lights”], ‘Khusraw u Shı¯rı¯n’ ˙ ¯ ʾı¯na-yi [“Khusraw and Shirin”], ‘Layla¯ u Majnu¯n’ [“Layla and Majnun”], ‘A Sikandarı¯’ [“The Alexandrine Mirror”], ‘Hasht Bihisht’ [“Eight Paradises”]) 43 For the ‘Sha¯h-na¯ma’ see the recent work by Nader Purnaqchéband, Firdawsı¯ und der autochthone Diskurs. Autorenbezogene und textbezogene Untersuchungen zum Sˇa¯hna¯ma, ˙ Halle 2017. (Unpublished habilitation thesis, Halle 2017). 44 For Niza¯mı¯ Ganjavı¯ see Renate Würsch, Niza¯mı¯s Schatzkammer der Geheimnisse. Eine ˙ ˙ 2005; Johann-Christoph Bürgel/Christina Untersuchung zu ‘Mahzan ul-asra¯r’, Wiesbaden ¯ van Ruymbeke (eds.), A Key to the Treasure of the Hakim: Artistic and Humanistic Aspects of Nizami Ganjavi’s Khamsa, Leiden 2011 and Renate Würsch, Niza¯mı¯s Reise ins eigene Herz als Erfahrung mystischer Wirklichkeit, in: Asiatische Studien: Zeitschrift der Schweizerischen Asiengesellschaft/Études asiatiques: revue de la Société Suisse – Asie. 50. 2 (1996), 547–561. 45 A recent study on Amı¯r Khusraw Dihlavı¯ is Sunil Sharma, Amir Khusraw. The Poet of Sufis and Sultans, Oxford 2005.

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he composed a series of historical epics, each focusing on the artistic description of a single historic event. His ‘Qira¯n as-Saʿdayn’ (“Conjunction of Two Stars”) is a long poem (mathnavı¯) about the encounter of sultan Muʾizz al-Dı¯n Kaykuba¯d with his father Na¯sir al-Dı¯n Bughra on the banks of the River ˙ Sarju in Awadh. ‘Mifta¯h al-Futu¯h’ (“Key to the Victories”) describes four ˙ ˙ successful military campaigns by Jala¯l al-Dı¯n Fı¯ru¯z Khaljı¯, while ‘Duval Ra¯nı¯ Khizr Kha¯n’ (“Duval Rani and Khizr Khan”) tells the tale of the love between ˙ Khizr Kha¯n (the son of sultan ʿAla¯ al-Dı¯n Khaljı¯) and Diwaldi, daughter of ˙ Raja Karan from Nahrwala. Amı¯r Khusraw later added an account of the subsequent incarceration, blinding and murder of the hero. ‘Nuh Sipihr’ (“Nine Heavens”) realates the glorious deeds of sultan Qutb al-Dı¯n Muba¯rak ˙ Sha¯h Khaljı¯; and the ‘Tughluq-na¯ma’ (“Book of the Tughluqs”) is a mathnavı¯ about the victory of Ghiya¯s al-Dı¯n Tughluq over Khusraw Kha¯n in the year ¯ 1320. This form, i. e. the focus on a single episode, does not occur in other historiographical works written in Persian. We might therefore call this type of poem an independent genre of Persian historiography. An intertextual juxtaposition of these works with ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ ˙ ˙ ˙ would, to my mind, represent an initial and promising field of study.46

4.2

Rhetoric

Another way better to understand the complexity of ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ ˙ ˙ ˙ would be an analysis of the rhetorical elements used in the text.47 A comparison with approaches developed by Muslim scholars would be paticularly productive. Persian literature is high in symbolism. This is reflected both in the frequent use of rhetorical figures in prose and poetry, and in the elevated status enjoyed by poetry in Persian culture. All poetry manuals include rules for rhetorical figures, imagery and metaphor as a matter of course. There is a reasonable number of works about rhetoric, the most original doubtlessly being the ‘Asra¯r al-Bala¯gha’ (“The Secrets of Eloquence”) by ʿAbd al-Qa¯hir Jurja¯nı¯ (d. 1078). During the Ghaznavid era, Persian scholars adapted Arabic literary theory. The earliest extant work is the ‘Qa¯bu¯s-na¯ma’ (“Book of Qabus”, finished 1082–3) by Kay Ka¯wu¯s b. Iskandar, one chapter of which is devoted to the theory of poetry. The first 46 Initial work has been done by Sunil Sharma, Amir Khusraw and the Genre of Historical Narrative Writing, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 22 (2002), 112–118. 47 The next two sections build on Ali A. Seyed-Ghorab, Introduction: Persian Rhetorical Figures, in: Id. (ed.), Metaphor and Imaginary in Persian Poetry, Leiden/Boston, MA 2012, 1–13, especially 1–4.

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author to write an independent treatise on Persian rhetoric was Muhammad b. ˙ ʿUmar Ra¯du¯ya¯nı¯. In his ‘Tarjuma¯n al-Bala¯gha’ (“The Interpreter of Eloquence”), which he finished around the year 1100, he cites many examples from Persian poetry to illustrate his definitions of rhetorical figures. The most popular work of Persian literary theory is doubtlessly the ‘al-Muʿjam fı¯ Maʿa¯yı¯r Ashʿa¯r al-ʿAjam’ (“The Clarification of the Measures of Persian Poetry”), authored by Shams al-Dı¯n Muhammad b. Qays Ra¯zı¯ in 1233. ˙ All books divide rhetoric into semantics (ʿilm al-maʿa¯nı¯), the theory of figurative speech, and the science of rhetorical embellishment (ʿilm al-badı¯ʿ). It was hoped that understanding the potential of rhetoric would give not only scholars and poets, but also chroniclers and clerks the means to improve their style and thus render their writings more persuasive. The ultimate objective was to foster the development and refinement of literary tastes. These could, of course, change over time. Each society knew what it liked, and which rhetorical devices to emply to achieve the best effects. Poets were in constant, tough competition wth each other, the prize being a place at court and royal patronage. This literary contest could only be won by the poet who thought up the most original metaphors within the existing framework of rules. As a result, readers confronted with this unending stream of new and complicated metaphors were increasingly unable to understand them. At some courts, an amusing, communal guessing game developed. The fun lay in decoding fiendishly complicated metaphors that were at first glance utterly incomprehensible. The central question of a possible second field of study would be: to what extent did ʿIsa¯mı¯ employ rhetorical devices in his ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’? ˙ ˙ ˙

4.3

Narratology

ʿIsa¯mı¯’s epic ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ is without doubt also a narrative text, so it makes ˙ ˙ ˙ sense to analyse it with the aid of narratological tools. A useful theoretical framework might be the results of the ‘Narratology’ research group at the University of Hamburg (www.narrport.uni-hamburg.de), which comprised scholars from several philological disciplines (German, English and American Studies, Romance Philology and Slavic Philology) who joined forces to study current problems in narrative theory. Between 2001 and 2007, the group received funding from the German Research Foundation (DFG); it has now merged with the International Centre for Narratology (ICN – www.icn.uni-hamburg.de). Its aim was to disseminate narratological models through intercultural exchange. Regrettably, it has so far limited itself to the disciplinary spectrum of traditional culture studies and not included textual or culture studies that work on

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non-European societies.48 It remains to be seen whether the classical narratological concepts and methods (time, voice, mode) can usefully be applied to ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’. It would make sense to combine this with an analysis ˙ ˙ ˙ of the work’s grammatical compositional structures, compilation techniques, motifs, topoi, tropes, historical sense-making, genre expectations, narrative strategies, its ideological frame of reference and its impact history. In a programmatic article about narratology the Germanist Jörg Schönert wrote that narratives appear to be principal organisational patterns for the generation and transmission of knowledge, for orienting oneself in the present and the past, and for designing fictitious worlds. As such, the narrating of tales appears to be a principal human need, and narrations a fundamental way to pattern the cultural shaping of society. According to Schönert, if we take a ‘theory of narration’ and combine it with systematically developed guidelines for narrative analysis, the result is a ‘science of narration’: narratology. Research subjects and tasks appropriate to narratology are to be found not only in textual scholarship, but in all communications and cultural manifestations that may be regarded as ‘stories’ or that include such ‘stories’. As such, narratives would be anthropologically predefined, culturally developed and diversified basic patterns that help us to find our way in the world and create meaning. According to Schönert, in a broad interdisciplinary spectrum of interests and after the ‘narrativist turn’, the questions we have to ask must include not only how stories or narratives are organised, but also, What do they accomplish? What is their function in terms of context and practical relevance? What do they accomplish when it comes to creating and transporting ‘meaning’? Why are narratives produced, and why are they consumed? What are the cognitive and emotional processes required? For narratological text analysis Schönert advises us to ask what a given text conveys (its histoire). Categories for plot (‘strukturierte Handlung’) derived from histoire might include circumstances, event elements, incidents, and sequences (i. e. an initial situation that has changed). We should also ask how a text is being conveyed: récit or discours? Relevant categories include its temporal organisation (prospective or retrospective, analepsis or prolepsis), its mode (how does it control perception or gaze, how does it allocate information), possible differentiation or gradation or the marking of mediators, of voices (narrator’s or character’s voice), of different mediation modes for how characters speak (including in their heads) such as direct or indirect speech, free indirect speech or internal monologue. Finally, histoire and récit are tied to a

48 Jörg Schönert, Was ist und was leistet Narratologie? Anmerkungen zur Geschichte der Erzählforschung und ihrer Perspektiven, in: Literaturkritik, http://www.literaturkritik.de/ public/rezension.php?rez_id=9336 (15. 5. 2019).

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concrete or fictitious speech act (narratio) which requires specification in terms of the place, time and duration of speech. The third field of research for the further study of ʿIsa¯mı¯’s ‘Futu¯h al-Sala¯t¯ın’ ˙ ˙ ˙ would be an analysis of the narrative strategies employed in the epic.

Sources ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın, ed. A. S. Usha, Madras 1948. ˙ ˙ ˙ ʿIsa¯mı¯, Futu¯h al-Sala¯t¯ın, transl. by Agha Mahdi Husain, 3 vols., New York, NY 1967–1977. ˙ ˙ ˙

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Liste der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Stephan Conermann Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Orient- und Asienwissenschaften Abteilung für Islamwissenschaft Brühler Straße 7 53119 Bonn [email protected] Prof. Dr. Mathias Herweg Karlsruher Institut für Technologie, Universitätsbereich Institut für Germanistik Abteilung für Mediävistik und Frühneuzeitforschung Kaiserstraße 12 76131 Karlsruhe [email protected] Prof. Dr. Konrad Klaus Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Orient- und Asienwissenschaften Abteilung für Südasienstudien Brühler Straße 7 53119 Bonn [email protected] Dr. Alastair Matthews 20 Merlin Drive Dunfermline Fife KY11 8RX United Kingdom [email protected]

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Liste der Autorinnen und Autoren

PD Dr. Gesine Mierke Technische Universität Chemnitz Institut für Germanistik und Kommunikation Thüringer Weg 11 09107 Chemnitz [email protected] PD Dr. Alheydis Plassmann Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft Abteilung für Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte Am Hofgarten 22 53113 Bonn [email protected] Dr. Christoph Pretzer King’s College London Department of German Virginia Woolf Building 22 Kingsway London WC2B 6NR United Kingdom [email protected] Jun.-Prof. Dr. Daniel F. Schley Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Orient- und Asienwissenschaften Abteilung für Japanologie und Koreanistik Nassestraße 2 53113 Bonn [email protected]