Ephemeriden der Menschheit oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung: Band 1 Jänner bis Brachmond 1782 [Reprint 2022 ed.] 9783112624562


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Ephemeriden der Menschheit oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung: Band 1 Jänner bis Brachmond 1782 [Reprint 2022 ed.]
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Ephettreriden

der Menschheit, oder

Bibliothek Ver Sittenlehre, der Politik und bet Gesezgebung. Homines hommum causa sunt geherati, ut ipsi fe alii alus prodeffe poflint, Cicero»

Erster Ba nd»

Jänner bis Brachmond» t 7 8 r«

Leipzig in der W eygandschen Buchhandlung.

Ephemeriden

der

Me n sch ch eit, oder

Bibliothek der Sikkenlehre, der Politik und der Gesezgebung.

Erstes Stück.

Jänner.

1782.

Erster Theis.

Abhandlungen,

1.

Entwurf einer erlauchten Akademie, für Söhne

der Fürsten und der Grossen. Ein leitung.

Erziehung an den Höfen.

Universitäten.

Phü

lanthropinen. würde eine sehr leichte, aber hier sehr überflüssige Arbeit seyn, zu beweisen, daß die

Erziehung der Prinzen und der Grossen die wich­ tigste Angelegenheit der Staaten ist.

Schwerer

und nothwendiger hingegen ist es, die Mittel

A --

4

Abhandlungen

ausfindig zu machen, durch welche dieses grosse Werk am leichtesten und am vollkommensten zu Stande gebracht werden kam Wir kennen nur drei Wege, die bisher ge­ braucht worden sind. Die Erziehung in den väterlichen Häu­ sern, an den Höfen selbst, kan bis auf ein ge­ wisses Alter die beste seyn, wenn Sitten und Ordnung an einem Hofe in einem hohen Grade herrschen, und wenn die jungen Herren da nichts als Nachahmungswürdiges sehen, wenn da nichts in ihre Augen fällt, das ihre Einbildung verwirrt, ihre Begierden zu früh entflammt, ihren Ehrtrieb misleitet, mit einem Worte nichts das ihre Herzen vergiftet und entnervt; wenn wenigstens alle mögliche Sorgfalt ange­ wendet wird- die nachtheiligen Eindrücke zu verhüten oder auszulöschen, welche der Anblick des unausweichlichen Schlimmen in den Seelen erzeugen muß. Vielleicht ist Bekantmachung Les Uebels mit welchem zugleich das Gegengift verbunden wird, noch vortheilhafter, die See­ len zu stärken und zu erheben, als gänzliche Unkentniß davon, Wohl dem Lande, welches das seltene Glück genießt, einen solchen Hof zu ha­ ben, wo dessen zukünftige Beherrscher nichts, als Gutes sehen; oder wo die verderblichen Ein­ flüsse des Schlimmen, daß sich ihren Augen darbictet, durch weisen Unterricht abgewandt werden,

Abhandlungen.

5

Allein auch da ist es nicht wohl möglich, alles zu vereinigen, was bei angewachseaen Iah» reu ein Pein; an Unterricht und Erfahrung nö­ thig hat; wenigstens in einem grossen Umfange und in einem hohen Grade von Vollkommenheit. Ueber dieses scheint noch die Versezung in eine andere moralische Luft, die Angewöhnung mit Menschen von allerhand Gemüthsarten und Stimmungen, und insonderheit mit solchen umzugehen, die von ihnen unabhängig sind, eine für Prinzen und für Grosse unumgängliche Bedürfnis

Um sie zu wahren Menschen und Menschenfrennden zu machen, (und wer sollte die­ ses mehr seyn, als Fürsten und Grosse? ) svird ihnen nichts verträglicher seyn, als eine Zeitlang mit andern Menschen in einem Stande der Gleichheit zu leben, den Werth und die That­ kraft anderer kennen zu lernen, zu erfahren, daß cs Menschen gibt, die sie aiz Muth, an Ein­ sicht, an Tugend übertreffen können; empfinden zu lernen, daß die Vorzüge, welche das Gluck ihnen vor andern hat zu Theile werden lassen, nicht so viel zu bedeuten hat, als sie es sich ein­ gebildet hatten; daß cs Vorzüge von einem grössten Werthe und von einer höhern Wür­ de gibt. Unz diese Msichtzu erreichen, hat man bis­

her keine andern Gelegenheiten gehabt, als Uni-

Ä

Abhandlungen.

verspäten und Akademien, oder die seit kurzem errichteten Philanthropinen und andre ähnliche Anstalten. So groß auch die Vorzüge einiger Univer« sitaten in Rücksicht auf die Gelehrsamkeit seyn mögen: so haben sie doch in andern Gesichts/ punkten für die Absicht, . die wir eben berührt haben, sehr grosse Unbequemlichkeiten. Die Ausgelassenheit und die Rvhigkcit der Sitten, die auf den meisten herrschen, und die gar zu zahlreichen Anlasse zu feinern und vielleicht ver­ derblichern Zerstreuungen, die man quf einigen findet/ sind gar'zu gefährliche Klippen. Die Fürstensöhne sind auf Universitäten und auf Akademien noch immer zu viel über andre Men­ schen hinausgesezt, oder sie laufen Gefahr, sich auf eine Weise herabzulassen, die noch schädli­ cher ist. Sie finden da immer zu wenige ihres Gleichen, und sie treffen gar zu viele an, viel, leicht selbst unter denen, die ihnen an Stande am nächsten sind, deren Beispiel und Umgang ihre Herzen verderben können. Weit schicklicher sind in den meistenRücksichtcn die Philanthropinen und die andern ihnen ähnli­ chen Erziehungsanstalten. Allein sie sind hingegen nickt zureichend, alles zu leisten, was die Erziehung von Fürstensöhnen und von andern Grossen er­ heischt. Erstlich sind insgemein nur wenige oder nur einzelne Zöglinge, von hohem Range in sol-

Abhandlungen.

7

rfjcn, Anstalten, und diese geniessen daeineAuszcichnung, die ihnen immer nachthcilig ist. Leh­ rer , Mitschüler, Bediente, alles hat das Auge vorzüglich auf den grossen Herrn gerichtet, und er muß sehr wohl geartet seyn, weiln dieses nicht eine schlimme Wirkung bei ihm macht. Eine nicht weniger wesentliche Unbequemlichkeit dieser Anstalten besteht sodann darinn, daß der Unter­ richt nicht so vollständig und nicht so vollkommen seyn kan, . als es die Bedürfnisse solcbcr Zög­ linge erheischen. " So schrankt sich auch der Un­ terricht in diesen Schulen aus gar zu junge -äh­ re ein, da es sehr wichtig seyn würde, ihn bis auf die Jahre dauern zu machen, da man einen grossen Herrn als mehrjährig anschen muß; Zeitpunkt, den cs gut seyn würde, so weit hin­ aus zu sezen, als es möglich ist. Sollte es aber nicht möglich seyn, eine Einrichtung ausfindig zu machen, welche alle oder doch die meisten Mittel vereinigte, Prinzen und Grosse zu-der wichtigen Bestimmung vorzu­ bereiten, welche sie zu erfüllen haben? Mir deucht, es sey nichts leichter, nicht nur eine solche zu entwerfen, sondern auch sie zu Stande zu bringen. Ich mache mir davon ungefähr folgende Vorstellung: An statt einer gemeinen Erziehungsanstalt sollte nach dem Beispiele der Militairakademie

i)

Abhandlungen,

zu Kesmar, ober des Philanthropins zu Dessau ei­ ne hauptsächlich für Prinzen und für andere Grosse bestirnte Anstalt errichtet werben, die länger micht als fünf oder sechs Jahre dauern sollte. Es wird vorausgesezt-, das; wenigstens zehn Prinzen, oder andere grosse Herren, die nicht unter zwölf und nickt über vierzehn Jahre alt wären, in dieser Anstalt vereinigt wurden, So würde da jeder genug seines Gleichen fin­ den, und es würde unter ihnen eine Wetteiferung entstehen, wer der Leutseligste, der Gü­ tigste , der Geschickteste unter ihnen wäre, An statt, daß sonst jedermann sich bestrebt, nurihiten zu gefallen, würden sie sich bestreben, die Liebe und den Beifall andrer zu erwerben. Das Grundgesez, ihnen kein grösseres Maas von Ach? tung zufliessen zu lassen, als so viel sie durch ihr Betragen und durch ihren Fleiß verdienen würden, würde sie bescheiden und begierig ma? eben, sich durch gute Eigenschaften auszuzeich? neu. ,Dieses würde auf ihr ganzes Leben einen glücklichen Einfluß haben, Da in diese Schule neben Fürstensöhnen, vornehme Engländer und Grosse andrer Rationen würden ausgenommen werden, die eben keine regierende Herren, und doch durch ihren Stand über alle niedrige Ver? khrung dec Mgebligen erhoben sind: so würde dieses auch in dieser Betrachtung unendlich vor? theilhaft seyn, so wie die Anlegung der Anstalt

Abhandlungen, an einem Orte, tvo eine durchgehende Gleich­ heit der Bürger ein Grundgcsez des Staa­ tes ist.

Absicht dieser Anstalt, Alle Theile einer solchen Anstalt sollten dar hin übereinstiinmcn, den erlauchten Zöglingen in einem so hohen Grade, als sie es fähig sind, alle Tugenden, alle Neigungen und alle Einsich­ ten bcizubringeu, wodurch Menschen gut, nüzsich und glücklich werden, damit sie, wenn sie andre beherrschen sollen, die Pflichten, die ihnen als Fürsten obliegen, würdtglich erfüllen, und Hamit, sic mögen herrschen oder gehorchen, sie alle die Freuden geniessen, welche Kentniß, Fruchtbarmachung, Verschönerung, Veredlung der physischen, der moralischen und der imellektuellen Natur dem thätigen und wohlwollen­ den Menschen gewahren, damit sie das Leben sanft verschleussen, ut traducant leniter aevum, jn den Zeitpunkten ihres Daseyns, wo die Vor? sehung ihnen eine ebene dornenfreie Bahn angewiesen hat; damit in denjenigen, wo ein Minder günstiges Loos ihnen zu Theil geworden ist, sie die Uebel des Lebens mit Muth und nut Standhaftigkeit ertragen; mit einem Worte, damit sie so glücklich seyn, und so viel Glückse­ ligkett in dem ganzen Kreise ihrerThätigkejtaMs breiten, als es möglich ist.

10

Abhandlungen,

Alles, was die Zöglinge in dieser Anstalt sehn, hören, lesen, thun, soll Anleitung, Vor­ bereitung, Uebung zu diesem Genusse und zu die­ ser Thätigkeit seyn. Die Polizei sowohl, als der Unterricht sollen dahin zielen, die Kräfte ih­ rer Geister und ihrer Seelen in dieser Absicht zu entwickeln, zu starken, zu schärfen. Lasset uns zuerst von dem Unterrichte reden.

Religion. Die Religion soll da auf eine Weise gelehrt werden, die das Herz gut macht, indem sie den Geist erleuchtet. Die biblische Geschichte "soll die erste Grundlage von diesem Unterrichte aus­ machen. Eine kleine Vorbereitung soll die Zög­ linge belehren, wie die ganze Statur durch jedes ihrer Werke Zeugniß für das.Daseyn eines wei­ sen und gütigen Wesens ablegt, das alle empfin­ dende Wesen zu einer Glückseligkeit geschaffen hat, die dem Grade der Fähigkeit entspricht, den cs ihm zugetheilt hat, und das jedes bestirnt hat, ihm in diesem Maaße nachzuahmen, nachseinem grossen Beispiele so viel zu andrer Glück­ seligkeit beizutragen, so viel Gutes zu thun, als es ihm möglich ist. In diesem Sinne soll die biblische Geschich­ te von dem Anfänge der Welt an, bis auf die Zeiten Christi und der Apostel dargeftellt wer-

Abhandlungen.

II

den. Es soll den Zöglingen durch eine leuchtendr und urtheilsvolle Erzählung entwickelt wer­ den, wie die Gottheit nach den abwechselnden Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen sich als ihren Wohlthäter und ihren Freund in ei­ nem allmählig Hellen Lichte geoffenbaret habe, bis Christus gekommen ist, und ihnen eine Lehre von Gott und von den Mitteln, seine Freund­ schaft zu erhalten, in sein Reich zu gelangen, mitgethcilt hat, die alle Lehren seiner Vorgän­ ger übertroffen hat. Das Religionssystcm, wel­ ches in dieser Schule gelehrt werden soll, soll sodann nichts anders enthalten, als die reine, achte Lehre Jesu und seiner Apostel; und es soll insonderheit zeigen, wie die Absicht dieser hei­ ligen Lehre dahin gehr, aus dem ganzen mensch­ lichen Geschlechte eine grosse Brüderschaft, chte einzige Familie zu machen, in d.nen Friede, Liebe und Wohlthätigkeit unverlczt herrschen sol­ len ; wie jede Handlung, jede Verfügung, je­ des System, die diesem grossen Grundsaze zu­ wider laufen, dem Geiste Christi und der wah­ ren Religion entgegen gcsezt sind; und wie je­ der Mensch in jeder Periode seines Daseyns, disseitö und jenseits - des Grabes nur in dem Maasse sich Seelenruhe und ächte Glückseligkeit versprechen könne, wie jede seiner Handlungen mit dieser wohlthätigen Absicht der Gottheit übereinstimt.

i2

Abhandlungen.

2fllgeineine

Anmerkung.

So wenig als systematische Theologie, so wenig ist systematische Sittenlchre dem Alter an­ gemessen , in welchem der Unterricht in dieser Anstalt den Anfang nehmen sollte. Deswegen sollten mehrere Jahre hindurch Geschichte und Poesie die Stelle der Philosophie vertreten und gebraucht werden, das moralische Gefühl der Zöglinge zu bilden, und allmählig hellere und ausgebreitetere Begriffe von Recht und von Un­ recht in ihren Seelen zu erzeugen. Die Liebe und die Keiuniß dessen, was gut und recht ist, sollen so bei ihnen ihre volle Starke erhalten haben, ehe ihnen gesagt worden wäre, daß es eine Wissenschaft davon gibt. Erster Unterricht. Das erste Mittel hiezu sollte seyn, ausge­ suchte Stücke und Stellen der besten Schriftstel­ ler auf eine Weise und in einer Ordnung mit ihnen zu lesen, die für diese Absicht schicklich wä­ re ; in französischer oder in deutscher Sprache, Nachdem die eine oder die andre dieser Sprachen, diesen oder jenen Zöglingen am geläuffigsteg wäre. Sprachen,

Indessen sollte in der deutschen, der fran­ zösischen und der lateinischen Sprache besonderer

Abhandlungen.

13

Unterricht ertheilt, und diese lcztere gelehrte Sprache mit "eben dem Ernste betrieben werden, wie jede andre. Auch sollte dafür gesorgt seyn, daß dieje­ nigen Zöglinge, welche verlangten andre fremde Sprachen zu erlernen, die Gelegenheit dazu fan­ den , und man füllte sich bestreben, ihnen die Lust zu der Griechischen durch die Vorstellung einzuflöffen- daß sie sich dadurch die reichste Quelle zü Vergnügungen des Geistes und des Herzens eröffnen und des gewissesten Mittels versichert würden, zu dem edelsten und richtig­ sten Geschmack in den schönen Künsten,und Wis­ senschaften zu gelangen.

it e b ü n g e n. Üebrigens sollte, es einen wesentlichen Theil des" Unterrichtes in dieser Anstalt ausmachen, die klassischen Schriftsteller in allen drey Sprachen mit den Zöglingen kritisch zu lesen, ihnen ihre Schönheiten fühlbar zu machen, und sie zue deutschen und zur französischen Schreibart so anr zuführen- daß jeder nach dem Äcaasse sei­ nes Genie in jedem Falle sich mit Würde, mit Nachdruck und mit Richtigkeit auszudrücken wüßte. In diesen Absichten sollten nicht nur ist den ersten Jahren mit jedem Zöglinge insbeson­ dre Uebungen im Aufsezen vörgenommen, son­ dern es sollte in den lezten Jahren eine kleine

14

Abhandlungen,

Akademie errichtet und darin wöchentlich bald von diesem bald von jenem Zöglinge Aufsaze ver­ lesen und Vortrage gemacht werden. Auch sollten von Zeit zu Zeit fremde Aufsäze von den

Lehrern kritisch zergliedert, . und durch solche Uebungen der Geist der Zöglinge zu eigenen Urtheilen vorbereitet und angeführt werden. Wir wollten eben kein methodisches Studium, der Rhetorik *) anrathen; aber wir glauben, es würde unendlich nüzlich seyn, wenn in den

-Kursen von Lektur einige rhetorische Schriften des Cicero und einige Bücher des Quintilian, eine gute

Poetik der Franzosen, und eines oder mehrere un­ srer besten kritischen Werke ganz gelesen würden. Die Lesung der Originalschriftsteller erhebt die Seelen und vervollkommnet die Einbildungs­ kraft auf eine Weise, welche den verfeinerten Menschen fähig inacht, die Schönheiten der Na­ tur und der Kunst in einem höher» Maaße zu geniessen, indem durch seine eigenthümliche Ver­

schönerung sein Geist den ausser» Gegenständen Reize mitzutheilen scheint, durch die sie in ihm höhere und lieblichere Gefühle erwecken. So

*) Bei der Erklärung der Redekunst der Al­ ten muß man insonderheit ihre Verbindung mit der Verfassung der Griechen und der Rö­ mer bemerken, und daraus die Antipathie der wahren Philosophie und der Rhetorik, der Sophisten und der Philosophen erläutern.

Abhandlungen.

So haben Voltaire, Rousseau, Pope, Büsson, Bonnet, Thomson, wenigstens in den Augen­ blicken , wo ihr Leiste thätig war, die Natur und die Kunst viel vollkommener gekostet, als Locke, Wolf, Thümmig, Muischenbroock und andre trockne Denker. Weit aber sey es von uns entfernt/ diese Erhebung und Verschönerung der Geister wesentlichcrn Bedürfnissen aufzuopfern. Wir se­ hen es im Gegentheile als eine der, wichtigsten Fürsorgen bei diesen Lesübungcn an, die Zög­ linge vor solchen Ausschweifungen der Phantasie zu verwahren, durch welche höhere Vollkom­ menheiten in den Seelen erdrückt, und verderb­ liche Leidenschaften zu einer Uebermacht erhöben werden, die nur denjenigen gebührt, welche in ruhigen Augenblicken die Vernunft gut heissen kgn. Es ist weder möglich noch nöthig, .in die­ sem Zeitpunkt gar alle Werke der grossen Schrift­ steller dcs Alterthums sowohl als der neuern Zeiten zu lesen; die Weisheit schreibt deshalben den Lehrern das Gest; vor, diejenigen beiseite zu lassen, welche unreine und unordentliche Ge­ müthsbewegungen in jungen Herzen entflammen, und diejenigen vorzüglich auszuwühlen, welche darin den Enthusiasmus der Tugend und k der Religion erzeugen und starken können. Seelen, die auf diese Weise frühe gewöhnt werden, au dem was gut und anständig ist, was der Be-

46

Abhandlungen.

stimmung und der Würde der Menschheit ent­ spricht, Geschmack zu finden; solchen Seelen muß dereinst alles ekelhaft und niedrig Vorkommen, tvas nicht das Gepräge dieses Adels und dieser Würde tragt; muß nichts nüzlich, nichts wün­ schenswürdig scheinen, was nicht zugleich das Wohl und die Zufriedenheit ihrer Mitmenschen befördert. Und daß ihre Fürsten und ihre Gros­ sen solche Seelen haben, dieses ist die wichtigste Angelegenheit aller Nationen. Diese Lesungen aber sollten Nicht auf die Schriftsteller eingeschränkt werden, welche bloß für die Phantasie und für dcnWiz gearbeitet ha­ ben. Nach Masgabe, wie der Geist der Zög­ linge sich stärkt, wird er auch stärkerer Nah­ rung fähig. Was also durch die Lesung dex Dichter und der Redner angcfangen worden ist, muß durch die von den Philosophen vollen­ det werden. Es sollten deshalbcn die Bücher des Cicero von den Pflichten und einige andere sei­ ner philosophischen Werke, einige Werke des Seneka, Und selbst Kato, Varro und Columella in ihrer Ursprache, ausgesuchte Werke und Stücke von Plaw>, Lendphon, Antonin, Epik-tet ganz, und einige andre Werke griechischer Philösopycn in den besten Ucbersczungrn gelesen und vielleicht noch einige Stücke der drientaiischeN Litteratur beigc-sügt werden. Auf die gleiche Weise kötiten die besten populären Phils-

sophen unter den Engländern, den Franzosen, den Deutschen und andern neuern, theils ganz vorgelcsen, theils zur besondern Lesung empfoh­ len werden.

Die Bekantschaft mit solchen Gei­

stern, welche entweder Wahrheiten selbst erfun­ den, oder die von andern erfundenen in licht­ vollen und geschmackreichcn Werken ausgebreitet haben, wird den Seelen unsrer Zöglinge die

wahre und vcste Bestandheit geben, welche die Schriften der Redner und der Dichter ihnen nicht

geben könnten. Diese philosophischen Lektüren tönten grösten theils, so wie die von den Dichtern und von den andern schönen Geistern in chrono­ logischer Ordnung vorgenommen werden, also, daß immer die altern den neuern vorhcrgiengen. Sie sollten mit den historischen Lektüren, von denen wir gleich reden werden, in gsefcljer Zelt­ ordnung fortrücken. Der Lehrer sollte bei der Lesung der altestenDichter die allegorischeund^Bilderphilosophie der alten Zeiten auseinander se-

zen..

Mit der Lesung der Philosophen sollte er

die von den Quellen der philosophischen Ge­ schichte verbinden, daraus die Lücken ergänzen,

welche sich in den Schriften der Philosophen er­ geben, und so immer die neuen aus den altern erläutern. Der Lehrer der Geschichte sollte mit dem Lehrer der Litteratur

übereinstimmend ar­

beiten, und den Geist jedes Zeitalters, wie aus

Sphem. Ärmer 782,

B

18

Abhandlungen.

seinen politischen Revolutionen, auch aus den Ucbcrbleibscln der Werke seine Dichter und seine Weisen erklären.

Geschichtkunde. So muß eben so gut als der littera­ rische Unterricht, wenn cs erlaubt ist also zu re­ den, der historische beitragen, edle Gesinnun­ gen und richtige Begriffe zu erzeugen. Er soll auch zur gleichen Zeid angefangen werden; und zwar mit einer kurzen Anleitung zur historischen Geographie; welche die Zöglinge belehren soll: „daß,„ ich bediene mich hier der Worte, die ich in einer andern meiner Schriften zu dergleichen Absicht gebraucht habe, „daß die Erde sehr viele und sehr grosse Lander neben demjenigen enthalte, in dem wir wohnen; daß in jedem dieser Län­ der Mineralien, Manzen, Thiere, Menschen auf eine sehr merkwürdige Weise von einander verschieden seyn; daß der weise Schöpfer und Beherschcr des Weltalls, die Güter und die Ge­ schicklichkeiten, durch welche die menschliche Glückseligkeit erzeugt und erhöht wird, in allen Gegenden der Erde verschiedentlich vertheilt habe, um durch einen wohlthätigem Verkehr die Em­ sigkeit der Menschen zu beschäftigen, und ihrer Thätigkeit eine anzügliche Nahrung zu geben; daß, was einem Lande mangelt, durch den Ueberfluß eines andem ersezt werde, und daß das,

Abhandlungen.

19

jenigk, was durch feinen Ueberfluß einem Lande unnüz seyn würde, ihm brauchbar werde, in­

dem cs sich dafür dasjenige anschaffen könne, was

ihm abgeht;

daß dadurch die Handelschaft ent­

stehe, welche den Wohlstand so vieler Lander so merklich erhöhet; daß das Glück jedes diese Lander sehr enge mit dem Wohlstände jedes an­ dern verknüpft sey; und daß, gleichwie es eine

wichtige Angelegenheit jedes Menschen ist, daß jeder andre Mensch durch Fleiß und durch Rechtschaffenheit reich sey, cs auch so die grosse Angelegenheit jedes Staates sey, daß jeder an­ dere durch die ewigen Mittel, den größten mög­

lichen Wohlstand geniesse.,, Auf diese kurze Vorbereitung wollte ich die Lektur einiger Auszüge aus Reisebeschreibungen folgen lassen, in welchen der Zustand der Men­

schen beschrieben ist, die noch in einer gänzlichen

Einfalt oder gar rn der Verwilderung leben. Es sollte daraus gezeigt werden, wre in seinem ursprünglichem Zustande der M.nsch und die Erde, die er bewohnt, wett von den: entfernt

sind, was sie seyn sollen und können;

wie auf

einem unfruchtbaren Boden, der nur rohe und unvollkomm ne Früchte hervsrbrmgr, Menschen

herunurren,

die beinahe gefühllos und jeder

höhcrn Freude unfähig sind; wie nur sehr lang­ sam durch eine ailmahlige Entwicklung ihrer Für

B r

Abhandlungen.

20

higkeitey, und durch Vermehrung ihrer Vedürfuisse die Bewohner der Erde ihrem Geburts­

orte eine schönere Gestalt,

unb, ihrem Daseyn

einen höher» Werth geben, bis sic zu den er­ sten Anfängen eines gesitteten Standes gelan­

gen , sie viele abscheuliche Szenen durchlaufen müssen; und wie manche sie müssen durchwan­ dert haben, bis eines der asiatischen Reiche, oder

einer der griechischen Staaten hat gegründet wer­ den können, mit deren Geschichten wir insge­

mein unsre historischen Studien anfangen.

Auf diese Vorbereitung" sollte eine kurze Einleitung in die Geschichte folgen;

die in die

von mir schon an andern Orten angegebenen sechs Hauptepochcn getheilt wäre; die Geschichte

der morgenländischen Reiche, die Geschichte der

griechischen Freistaaten, die von Alexander dem Grossen und seinen Nachfolger», b:v von dem

römischen Fresstaate,

die von dem römischen

Kaiserthume, die von den neuern enropäischcn

Stgaten bis auf die Zeit dcr Rcformazion, die

von der Zeit

der Rcformazion an bis auf die

unscige, da sich gewiß eine für das menschliche

Geschleckt höchftwichrige Revoluzion zu entwi­

ckeln anfängt. Nach dieser allgemeinen Uebersicht der Ge­ schichte, sollte man auf eine umständlichere Ve­ rachtung jeder Epoche zurückkehren. Hier

Abhandlungen.

21

wollte ich wieder nicht gewöhnliche, Vorlesungen *)

über die Geschichte anrathen.

Ich wollte, daß

für die alte Geschichte insonderheit die Quellen selbst,

theils in ihrer, Ursprache, theils in den

besten Uebersezungen vorgelesen würden.

Die

alten Geschichtschreiber haben mehr noch als die Redner und die Dichter eine eigenthümliche Ma-

*) Ich gestehe überhaupt, daß ich über das, was man Kollegia, oder Vorlesungen nennt, nicht geringe Zweifel habe. Zeh kan mir vorstetten, daß ein Mann von riesen Einsichr ten und von einer lichtvollen Beredsamkeit, der einige wenige Schüler hat, deren Fähigkeiten, Karakter, Bedürfnisse er vollständig kennt, für solche Vorlesungen halten könne, die ihnen nüzlicher seyn werden, als die Vorle­ sung der besten Bücher. Solche Manner sind aber sehr selten, und noch seltner ist derFall, daß man einer auserwählten Anzahl von Schülern Vorlesungen zu halten habe. Man muß sie insgemein nehmen, wie sie der Zufall hin­ wirst, und da wird die Lesung und die Er­ klärung eines guten Buches, wahrscheinli­ cher Weise,' immer schicklicher seyn, als ir­ gend ein eigener Vortrag eines Lehrers, der niemals so ausgearbeitet seyn kan. Zch kan mir einmal nicht vorstellen, daß auf vielen Universitäten von Deutschland ein Kollegium über die Neichsgeschichte werde gelesen wer­ den, das so unterhaltend, so unterrichtend und so nüzlich seyn werde, als Hrn. Schmidts Geschichte der Deutschen.

r'r

Abhandlungen.

nicr, welche die Seelen erhebt und adelt, und zvenn dieses auch nicht wäre, wer würde uns besser mit dem Geiste des Alterthums befreunden können, als die Alten selbst ? Deshalbcn sollten mit den Zöglingen Herodotus, Thucidides, Tenophon, Plutarchus, Livius, Dionysius von Halicarnas, Diodvrus aus Sicilien, Cäsar, Tacitus gelesen werden. Der Lehrer würde dabei nichts weniger als überflüssig und müssig seyn. Er würde vieles zu erläutern, zu ergänzen, zu vergleichen, zu prüfen haben, und dieses würde ihm unzähliche Anlässe an die Hand geben, die Urtheilßkcaft der Zöglinge und ihre Empfindun­ gen zu entwickeln, zu schärfen, zu verfeinern. Er müßte immer alles auf die Bestimmung des Menschengeschlechts und auf die ächten Grundsäzc seiner Glückseligkeit hinleiten, und immer nach diesen Probiersteinen untersuchen: was ha­ ben jeder Zeitpunkt- jede Revolution, jede Ver­ fassung, jede Gcsezgcbung, jeder Fürst, jeder andre merkwürdige Mann beigetragen, die Fruchtbarkeit der Erde zu vermehren, ihre Her­ vorbringung zu verbessern, ihre Gestalt zu vcr-, schönern, die Künste auszubreiten und zu vervollkommen, die Menschen selbst gesitteter, menschlicher, zum Genusse, zur Verschönerung, zur Veredlung der physischen, der inetllektucl!en, der moralischen Natur fähiger zu machen ?

Aöh andlungen.

23

Auch für die mittlere und neuere Geschich­ te sollten die besten Schriftsteller über diejenigen Epochen ausgesucht werden, die den Zöglingen nach ihren besondern oder gemeinsamen Bedürf­ nissen vorzüglich zu erläutern waren. Und so sollten ihnen immer einige ursprüngliche Denk­ mäler jedes Zeitalters bekant gemacht werden, damit sie den Geist davon aus unveränderten Quellen kennen lernen. Aus jeder Epoche müssen immer einer oder einige-Männer herausgezogen werden, die sich durch Tugenden, durch Laster, oder durch eine bei grossen Köpfen nicht seltene Vereinigung von beiden ausgezeichnet, die grosse Revolutionen ge­ wirkt, und die besondre Schicksale gehabt ha­ ben. Man kan bei der Zergliederung ihrer Karaktere, bei der Entwicklung des Zusammenhan­ ges ihrer Schicksale mit ihren Karaktern, und des Einflusses, welche jede merkwürdige Ereigniß ihres Lebens in jede andre und in das Ganze davon gehabt haben, den Zöglingen die nöthi­ gen Regeln der Klugheit amschicklichsten beibrin­ gen, und jedem Anleitung geben, sich selbst zu prüfen; zu untersuchen, wodurch er vorzüglich glücklich und nüzlich werden könne, sich einen Lebensplan darnach zu entwerfen, und nach der Lehre eines Alten sich einen tugendhaften Mann auszuwählen, dessen Beispiel'er immer vor Augen habe.

Abhandlungen,

-4

Jede Woche sollten ein paar halbe Stun­ den der Lesung und der Erläuterung auscrwähl-

ter Artikel aus einigen der besten Zeitungen ge­

widmet,werden, um den jungen Zöglingen die Kentniß der gegenwärtigen Welt, ihrer Sitten

und ihrer politischen Lage zu erleichtern. Naturgeschichte.

. Die Natur erkennen, ihre Produkte ver­ vielfältigen, sie mit einem höher» Gefühle ge­

niessen, sie zum feinern Genusse veredlcn, ist das Vorrecht des Menschen, dieses .Königs der

Schöpfung.

Jeder nüzt dieses Vorrecht in klei­

nerm oder grösser,» Maasse nach

dem grösser»

oder kleinern Kreise von Thätigkeit, den das Glück ihm angewiesen, oder den sein Genie sich

erobert har. Dem Reichen, dem Grossen, dem Mächtigen steht gleichsam ihr ganzes unermeß­ liches Reich offen; sie dürfen nur gebieten., so

strömt ein Meer von Freuden ihren Seelen zu, unerschöpflich an Menge und an Mannigfaltig­

keit.

Es hat aber für sie keinen Werth, als

in sofern ein weiser und wohlgeordneter Unter­ richt sie der Wollust empfänglich gemacht hat, die darinn verborgen liögt. Dieses' ist die Ab­ sicht des Studiums der Natur und der Kunst, welches ebenfalls mit unsern erlauchten Zöglin­

gen bei dem ersten Eintritte,in die ihnen gewid­

mete Anstalt angefangen werden soll.

DerUn-

Abhandlungen.

25

terncht, der ihnen da ertheilt wird, soll ihnen allmählich alle Erscheinungen und alle Werke der Natur berant machen, sie zur richtigen und voll­

ständigen Beobachtung ihrer Natur und ihrer Wirkungen anführen; *)

sie auf jeden Nuzen,

*) Ich habe an einem andern Orte angemerkt, wie in diesem Unterricht Logik und Ontologie mit Nuzen verwebet werden können. Wenn schon da von einem zärtern Alter und von et; ncv ganz andern Klasse von Menschen die Rede ist: so sind doch die meisten Betrach; tungen, die da über diesen Gegenstand ge; macht worden sind, auch auf den Unterricht unsrer erlauchten Zöglinge anwendbar. Ich glaube deshalben, es sey nicht überflüssig, sie. hier zu wiederholen „In Betrachtung der Erkentnisse, welche den Kindern h diesem Zeiträume beigebracht werden sollen, der Ue; bung und der. Berichtigung ihrer Erkentniß; vermögen, und der Begriffe, welc-e man ih; neu von dem Nuzen, dem Werth? und dem Gebrauche der Dinge zu geben hat, wüßte ich den Anmerkungen, die ich oben ange; bracht habe,, wenig beizufügen; damit aber dieser Unterricht so leicht und so vollkommen werde, als es möglich ist: so wird es nöthig seyn, ein Buch auszuwählen oder vcrferti; gen zu lassen, welches den Lehr-rn Stoff an die Hand gebe, die Kinder zwei oder drei Jahre lang auf eine angenehme und lehr; reiche Weise zu unterhalten, ihnen die Kcntr Nisse beizubringen, deren ihr Mer fähig ist, und sie zu einem richtigen Gebrauche ihrer

26

Abhandlungen»

den sie haben können, aufmerksam, und für je«

de Schönheit und jcbe, Vollkommenheit, durch Sinne und ihres Urtheils anzuführen. Die­ ses Buch müßte die ersten Stücke eines Ele­ mentarwerkes enthalten, so, wie ehemals Herr Basedow eines zu liefern versprochen hat. Es sollte die Lehrer in Stand stellen, die Kinder anzugewöhnen, an allen 'Gegenstän­ den , die sich ähren Sinnen darbictcn, alles dasjenige richtig zu bemerken, was sie zu fas­ sen fähig sind; und so sollte es von den ein­ fältigsten Dingen, nach Maasgabe der muthmaßlichen Entwicklung ihrer Erkcntnißvcrmögen immer zu mannigfaltigern, von einzelnen zu allgemeinen fortschreiten. „ „Eine der wichtigsten Betrachtungen bei Verfertigung dieses Buches sollte dahin gehcr, daß sich darinn kein falscher Saz be­ fände, und auch keiner, der nicht gewiß wahr ist, ohne daß seine.zweifelhafte Beschaffenheit bemerkt würde. Man muß die Kinder früh aus dem Wahne ziehen, als ob die Menschen alles wüßten oder wissen tönten, und man muß ihnen zeigen, daß es schändlich und schäd­ lich isi, sich zu überreden, man wisse, was man nicht weiß; daß cs aber eine Ehre und eine Pflicht ist, seine Unwissenheit von Din­ gen zu gestehen, die man nicht hat einschen oder ergründen können.' Auch wünschte ich

-in diesem Buche schon, durch den Kindern faß­ liche Beispiele gezeigt zu sehen, wie flüchtige Beobachtung, voreilige Allgemeinmachung der Begriffe und der Urtheile, falsches und un­ vorsichtig angenommenes Zeugniß, Vorliebe

Abhandlungen.

-7

die sie sich auszeichncn, fühlbar machen; -ahnen zeigen, wie die Natur in ihren Werken immer für dasjenige, "was unsrer Eigenliebe schmei­ chele , »»gegründete Zuversicht in eigene Kräf­ te , und andre dergleichen Mängel uns schon, in den zärleften Jahren in. Irrthümer ver­ leiten , und wie diese schädlichen Wirkungen zu fürchten und zu verhüten sind. Auch soll­ te diese Vorsicht in allen folgenden Element tarbüchern forlgcsezt werden, um den anwach­ senden Menschen eine praktische Logik beizu­ bringen , welche bei denen, die nicht zur Ge­ lehrsamkeit bestimt seyn werden, den Mangel der sogenanten künstlichen glücklich ergänzen, und für die zukünftigen Gelehrten die Erler­ nung davon unendlich erleichtern wird. Noch einmal, denn es ist höchst wichtig, man soll alles Mögliche bei dem Kinde anwenden, da­ mit der Mann einst erkenne,' Unwissenheit sey noch besser als falsches Wissen, und da­ mit er empfinde, er könne niemals zu sorg­ fältig sich vor Irrthum und Ueberraschung hücxn. Auch die Folgens welche diese Uebel in dem menschlichen Leben haben, müssen

durch einleuchtende Beispiele der Jugend aus­ führlich bekant gemacht werden. „ Insbe­ sondre aber deucht es mir, sind für das Alter und für den Stand' unsrer Zöglinge folgende Anmerkungen wichtig. Die jungen Leute kommen-mehr unter Menschen, welche mit falschen Vorurtheilen angefüllt sind; sie selbst fangen mehr an nachzudenken, und da es ih­ rer Eitelkeit schmeichelt, Dinge zu wissen, die ost noch über ihren Gesichtskreis, erhoben

»8

Abhandlungen.

von einer geringern Vollkommenheit zu einer

höh'ern hinaufsteigt; wie sie jede geringere um

sind, und Gegenstände zu beurtheilen, die sie nicht im Stande sind, in ihrem wahren Zur sammenhange einzusehen; da sie also in einer beständigen Gefahr stehen, sich zu irren, und da jedes Versehen und vorzüglich die Anger wöhnung voreilig zu urtheilen, für ihr ganr zes Leben die traurigsten Folgen haben kan: so wird es höchst nüzlich seyn, wenn in jedem Theile der Elcmentarbücher Quellen von Zrrihümern entdeckt, ihre Folgen entwickelt und die Verwahrungsmittel darwider gelehrt werr den. Die Warnung wider die moralischen Ursachen, welche die Menschen von dem Pfar de der Wahrheit ableiten, wird wohl noch den wichtigsten Theil dieses Unterrichtes ausmar chen, weil es allezeit unendlich schwer ist, den Menschen von Uebeln zu heilen, welche seine Neigungen befriedigen. So wie die Logik sollte auch in diesen Theil des Elementarunterrichtes diejenige Wist senschaft verwebet werden, welche die Philo­ sophen die Ontologie oder die Wescnlehre nen­ nen, und welche in dem gemeinen Leben eben so brauchbar ist, als in den Wissenschaften.

'Sie verstehen dadurch diejenigen Begriffe und Beschaffenheiten, welche bei allen in der Na­ tur und in dem menschlichen Leben vorkomr wenden Gegenständen in Betrachtung kom­ men, und deren richtige und schickliche An­ wendung über alle Kenmisse des Menschen ein fruchtbares Licht verbreitet. Die niest

Abhandlungen.

-9

einer höhern willen gemacht hat; wie im physi­

schen das minder Vollkommene immer Stoff und Gegenstand der'Nahrung und des Genusses für das Vollkommenere ist; wie hingegen im Mo­ ralischen das Vollkommenere immer, zur Vered­

lung und Vervollkommung des minder Dollkomnen bestirnt ist; wie so der Mensch in der uns bekanten Schöpfung die erste Stuffe einnimt, weil durch seinen thätigen Fleiß Pflanzen und Thiere vermehrt, und vollkommener und brauchsten dieser Begriffe werden täglich von den Menschen gebraucht, ohne daß fle sich solche recht bestirnt und deutlich vorstellen. Alle Menschen reden täglich von Grund, von Ur­ sache, von Wirkung, von Güte, von Ord­ nung, von Vollkommenheit, von Möglichkeit, von Unmöglichkeit, vom Wirklichen, vom Fal­ schen, vom Wesentlichen, vom Zufälligen. Diese und andre Begriffe können am besten in dem Lehrbuche über die Naturgeschichte er­ klärt werden, weil sie da bei allen Anlässen vorkommen, und weil der unschickliche Ge­ brauch davon in dieser Wissenschaft sehr viele 'Verwirrung veranlassen kan. Überhaupt sollen alle Elementarbücher so eingerichtet iverd'e», daß die Kinder von jedem Worte, das da gebraucht wird, einen bestirnte« und kla­ ren Begriff bekcmmen, entweder durch die Vorstellung der Sache, die es bcbcitet, oder durch faßliche Beispiele, und sobald die Kin­ der fähig sind, sie zu begreifen, durch wohlabgefaßte Erklärungen.

30

Abhandlungen»

barer gemacht werden, weil er so ein Mitarbei­

ter Gottes ist; da ohne seine dienstfertige Hand die Erde eine öde, freudenleere Wüste verblei­ ben, wenige und sehr unvollkommene Produkte erzeugen, sehr wenige Einwohner ernähren, und den wohlthätigen Absichten 'Gottes sehr

schlecht entsprechen würde.

Dieser Unterricht

sollte nach einer allgemeinen Uebersicht der Na­

tur bei dem Mineralreiche, oder den sogenantcn

unorganisirten Wesen anfangen, von dar zu den organisirten, aber nicht empsindenden Pflan­ zen, von diesen zu den mit Empfindung begab­ ten, aber der Vernunft mangelnden Thieren, und von diesen zu' den der Vernunft fähigen

Menschen sich erheben.

Er sollte auch die phy­

sische Erdbefchreidnnq mirnchmen, und die Ver­ schiedenheiten beschreiben und erläutern, durch welche die verschiedenen Klimaten und Lander der

Erde in Betrachtung der Mineralien, der Pflan­ zen und der Thiere sich auszeichnen; und end­ lich daS ganze Weltgebäude, von dem unsre

Erde nur einer der kleinsten Theile ist, darstel­

len ; zeiaen, wie die uns bekantcn Einflüsse der andern Weltkörper auf den unsrigen alle Voll­ kommenheit , Schönheit und Nuzen erzeugen, daraus schliessen, daß auch der unfeine gegen sie, und jeder gegen den andern die gleiche Wir­ kung.thun, und daß alle ein Ganzesausmachen, in welchem nach den Absichten des all weisen und

Abhandlungen.

32

allgütigen Schöpfers alles übereinstimt, so viel empfindende Wesen glücklich zu machen, als es die Natur der Dinge erlaubt.

Kunstgeschichte.

Mit dem Unterrichte in der Kentniß der Natur muß dck über die mannigfaltigen Künste undManufakturen verbnnden werden,durch welche' der Mensch die Werke der. Natur vervielfältigt und genießbarer macht, und sich selbst veredelt und verbessert, da er bas Recht, welches ihm die gerechte Güte des Schöpfers auf die,Natur angewiesen hat, nicht anders in Bcsiz nehmen satt, als durch Arbeit, da er seinen Adel unter den übrigen Geschöpfen nicht anders gültig ma­ chen kan, als durch Verdienst. Dieser Unter­ richt kan am füglichsten mit dem über die Pro­ dukten der Natur selbst so vereiniget werden r daß in einem zweiten Kurse, denn es werden .mehrere nöthig seyn, bei der Verhandlung jeder ihrer Arten, die Künste erklärt werden, welche sich damit beschäftigen. Es ist ganz natürlich, daß man bei dem Einfachsten anfange Und bei den Zusammengeseztern immer zeige, was für Einflüsse jede andre darein haben. Er wird aber auch zeigen, wie die einfachsten erst zu ei­ ner rechten Vollkommenheit haben gelangen kön­ nen , nachdem die zusammengcseztesten erfunden worden waren; wi? oft bei den einfachsten sehr

34’

Abhandlungen.

viele andre thätig sind, wie das gemeinste Kunst­ werk ohne den Zusammenfluß sehr mannigfalti­ ger Fähigkeiten und Geschicklichkeiten nicht tön­ te zu Stande gebracht werden, wie dieses un­ auflösliche Band, welches die Künste miteinander verknüpft, auch die Menschen der entferntesten Ge­

genden miteinander verbinde; und wie diese Ver­ vielfältigung dcpArbeit das wirksamste Mittel sey, Ordnung und Wohlstand in der Gesellschaft zu erzeugen und zu vermehren. *)

Da in der Arbeit der wahre Werth des Menschen besteht, und da die Grossen, die Mäch­

tigen und die Neichen durch ihren Stand von1 der mechanischen Arbeit befreit find: so würden sie sehr unglücklich und sehr verächtlich seyn, *) Bei der Behandlung der Geschichte muß in­ sonderheit auch auf diesem wichtigen Gegen­ stand Nöck sicht genommen, und bei der Würr. digung jeder Epoche aus den Geschichtschrei­ bern und aus den Denkmälern hcrauegczogen, werden, worinn die Beschäftigungen einer Nation bestanden seyn; was diese Beschäf­ tigungen für einen Wohlstand erzeugt, was für Geisteskräfte ste icnrwick.lt, wie sie den Nationalkarakrcr und die Sitten gebildet, wie sie die wirthschaftliche Organisation der Gesellschaft vollkomner oder unvollkomner ge­ macht, und was sie für Einflüsse in die poli­ tische Verfassung gehabt haben.

Aöhan dlungen.

33

wenn ihnen nicht eine andre Art von Arbeit diesen Verlust ersezte. Diese besteht darin, daß sie den Fleiß und die Talente ihrer Mitmen­ schen erleuchten, aufmuntern, leiten, belohnen. In dem Laufe des Unterrichtes über die Natur und die Kunst must ihnen die Wichtigkeit dieses Vorzuges fühlbar gemacht, und die Anleitung ertheilt werden, wie sie ihn für das Wohl der Menschheit am vollkommensten nüzen können.'Sie müssen zu diesem Ende von der Würde und von dem Werthe jeder Kunst sowohl überhaupt, als in den besondern Verhältnissen und Zuständen jedes Staates belehrt und gewöhnt werden, jede nach dem Einflüsse zu schäzen, den sie in den Wohlstand des menschlichen Geschlechts hat, in dem Maaße aufzumuntern, in tvelchem sie an sich selbst oder durch' andre Umstände nöthig ist, und in dem Grade zu ehren, wie sie grosse und seltene Seelenkräfte und Tugenden erfor­ dert und erzeugt. Glücklich wird das Land seyn, dessen Grosse und Reiche ihre Macht und ihre Reichthümer nach diesen Grundsazcn ge­ brauchen aber es ist auch für die Grossen und für die Reichen nicht anders möglich, wahrhaf­ tig glücklich und schäzbar zu werden, als durch einen solchen Gebrauch dieser Vortheile.

34

Abhandlungen.

Experimentalphysik und ChymieUm sie zu diesem Gebrauche recht fähig zu machen >md um ihnen noch andre reiche und un­ erschöpfliche Quellen reinen und hohen Vergnü­

gens zu eröffnen, muß der Unterricht über Kunst

und Natur anfänglich von einem spielenden und. seltenen Unterrichte in der Experimentalphysik

und in der Chymie begleitet, nachher aber durcl) vollständige und eigene Kurse in jeder die­ ser den Geist unterhaltenden und den Verstand schärfenden Wiffenschaften vervollkommnet wer­

den.

Mathematische Kentnisse. Früher noch als dieser vollständige Unter­

richt in der Chymie und in der Experimentalphy­ sik muß der in den mathematischen Wiffenschaften angefangcn und wie jener durch alle Theile so weit fortgesezt werden, als die erlauchten Zög­ linge Lust und Geschmack daran finden. Ge­

schickte und solche Lehrer, welche selbst fähig sind,

die hohen und mannigfaltigen Vortheile zu em­ pfinden und zu beherzigen, welche diese ErkentNisse ihren Zöglingen, und durch sie unzähli­ gen Menschen gewähren können, we>. den ohne Mühe diesen Geschmack bey den meisten stärken,

und bis an das Ende des gesamten Unterrichtes lebhaft' unterhalten.

Sie werden alle ihre

A bhandlungeri.

z;

Kräfte dahin verwenden, wenn sie bedenken wer­ wie wichtig cs für das "menschliche Ge­

den,

schleckt ist, kostbare Stunden der Grossen und der Mächtigen, schädlichen und erniedrigenden Zerstreuungen zu rauben, sie löblichen und seelen­ erhebenden Unrcrhaltungeü zu erobern, und da­

durch zu bewirken, daß Geld und Arbeit, die sonst auf verderbliche Gegenstände würden ver­ wendet werden,

nnzlichern Entdeckungen und

Untersuchungen geheiligt werden..

Gärtnerei und Landwirthschaft. diesen Zweck in dem vollkommensten sollten die erlauchten Zöglinge auch in allen Theilen der Gärtnerei und Um

Umfange zu befördern,

des Landbaues, aber mehr praktisch als theore­ tisch unterrichtet werden. Dieser Unterricht sollte bei der Dlumengärtnereizur Belustigung anfan­ gen, von ßdar zur ökonomischen Gärtnerei und zur

Pflanzung der Obstbäume fortschreilen, und end­ lich alle Aeste der Landwirchsckaft und selbst das

Forstwesen umfassen.

Die chymiscben und phy­

sikalischen Kentniffe werden da mit Nuzen kön­ nen fruchtbar j gemacht uni), sogar erweitert werden. Hier wird sich den Zöglingen ein neues Feld von Vergnügen eröfntn, und weise Lehrer werden wissen, ihnen einen Enthusiasmus für diese unschuldigen und nüzlichen Freuden L 2

Abhandlungen. einzuflössen -,

der für ihr ganzes Leben wohlthä-

tigej Folgen haben wird. Die Forrsezung in dem folgenden Stück.

Maser»

Trost eines Eidgenossen.

kan es wohl begreifen, daß cs Ihnen, 'liebster Freund, endlich vör dem vielen Schlecht »en und bald auch vor demGuten ekeln muß, das in Deutschland über Pfarrer Masers Hinrichtung

geredt und geschrieben wird; aber daß es Sie darniederschlage, und daß es-Sie mit sich selbst und mit unserm Vaterlande ganz unzufrieden

mache, das kan ich mir von einem schweifen Manne nicht vorstellen. Erlauben Sie mir, einige Anmerkungen über

diese Ihre Gemürhsvcrfassung, die ich verehre, indem ich sie bekämpfe. Menn diese Schriftsteller die Absicht haben, uns brüderlich zu belehren, und uns begreiflich zu machen, wie schädlich es für uns ist, daß

wir über keinen Theil der Strafgercchtigkcit bestimte Grundsazc haben, daß Beifangung, Ver­ wahrung, Abhörung nach willkührlichen Begrif­ fen vorgenommen werden , und daß dabei der Freiheit und der Rechte der Bürger oft weniger

geschont wird,

als in den Staaten,

die wir

Abhandlungen.

37

für despotisch ansehen; daß in Verführung der Prozesse, bei Abhörung, Zulassung, Bestrei­ tung, Konfrontation der Zeugen ungemein vieles versäumt werde, das die allgemeine Rechtsregeln und eine gesunde Logik erheischen; daßdcnr Angeklagten rechtlicher Rath und ordentliche Vertheidigung versagt sind; daß.bisweilcn Vorsaz von verübtem Verbrechen, und die Grade des Vorsazes nicht genug unterschieden; daß bei. Abfassung und beiAbmchrgng dcr Urtheile wich­ tige Rechtsregcln versäumt werden; daß nicht. einmal die Strafen durch Geseze bestirnt sind; und daß endlich von Urtheilen, wo es um Leib, Leben und Ehre geht, weder Revision noch Ap­ pellation statt haben. Wenn, sage ich,, diese Schriftsteller die Absicht haben, unsre Vater und Vorsteher vor so. grossen Mangeln unsrer Verfas­ sungen zu warnen: so sollen wir ihnen billig allen Dank wissen. Wenn ihre wohlmeinenden Rathe nicht gleich eine Aenderung in den Gest­ zen bewirken können: so werden sie gewiß in dem wirklichen Verfahren der Richter eine Behutsamkeit einführen, die schon unendlich viel Gutes hervovbringen, und die für die Zukunft die Verbesserung der Geseze erleichtern muß. , , Wollen diese Schriftsteller aus Masers Un­ glücke ungünstige Schlüsse wider die republika­ nische Verfassung hcrlciten, so übernehmen sie eine vergebliche Mühe. Es war ' nicht nöthig.

38

Abhandlungen,

daß in der Schweiz, unter der Larve eines Hel­ den ein unbesonnener Geistlicher hingerichtet wur­ de, um zu beweisen,, daß Ungerechtigkeiten in Republiken möglich sind. Die Beispiele dieser Art sind leider nur allzuzahlreich. Sokrates und Phocion und Aristides sind Beweise, daß dieses gegen die besten und rechtschaffensten Men­ schen habe geschehen können. Aber auch diese Beispiele beweisen nichts, und , sollte, was sich doch beinahe nicht als möglich gedenken läßt, der Welse und tugendhafte Bodmer, dieser un­ sterbliche Wohlthäter feines Vaterlandes, in der Schweiz ein gleiches Schicksal gefunden haben: so würde auch dieses weiter nichts beweisen, als daß die Menschen in Republiken undankbar und ungerecht seyn können, wie an den Höfen. Das Wesen der republikanischen Verfassung würde im­ mer daffelbigc bleiben. Es würde dadurch be­ stätiget werden, was man schon lang weiß, daß in stürmischen und trüben Zeitpunkten die Men­ schen^ in Republiken handeln, wie an Höfen, und daß von Zeit zu Zeit in den besten Verfas­ sungen, wie in den besten Seelen Augenblicke kommen; wo die Vernunft die Zügel verliert. Allein die Vortheile, welche unsre republikanische Verfassungen ihren Bürgern gewahren, sind deswegen nicht minder wirklich, und sie sind groß genug, um zu verdienen, daß man sich den Stürmen ausseze, denen sie bisweilen unter-

Ab Handlungen.

39

rvorfen sind; so wie die schönen Jahrszriten erwünschlich sind, wenn schon bisweilen fürchter­ liche Ungewitter uns darin schreckest und be­ schädigen. Alle diese Vortheile fliessen einigermassen in einen einzigen zusammen, welcher darinnen'be­ steht, daß der Bau unsrer Staaten der natürli­ chen Ordnung und Gerechtigkeit viel näher kömmt, als der von allen andern europäischen despotischen und monarchischen Staaten. Die Geseze gehen da mehr als in allen andern Staa­ ten dahin, daß Gleichheit unter den Bürgern hersche, daß keiner reich, groß, vornehm wer­ de, als in sofern er arbeitet, in sofern er zu dem Wohl seiner Mitmenschen- beiträgt, und-daß der Wohlstand jedes Bürgers an dem Ort, wo er wohnt, und wo er seine Einkünfte her­ zieht, in dem gleichen Maasse Wohlstand auf seine Landsleute ergiesse, und Fleiß und' Thätigkeit be­ lebe und belohne. Lasset uns dieses etwas umständlicher betrachten. Wir haben keine grosse Herren, welche un­ geheure Ländereien besizen, welche die Einkünfte davon in entfernten Gegenden verzehren, oder größtcntheils für fremden Luxus ausser Landes schicken, und welche.durch ihre ausschweifenden Wollüste unsre Sitten zu Grunde richten, Wir haben keine Höfe, wohin unsre Gel­ der fliessen, um einen-solchen verderblichen Lu-

40

Abhandlungen.

xus zu unterhalten, und eine Menge unnüzev Beamten zu ernähren, die nüzlichen Arbeiten und Berufen entzogen, und von dar durch daS ganze Land verbreitet werden, um den Luxus und die Thorheiten dec Höfe unter den Landleu­ ten einzuführen, und sie mit der Begierde an­ zustecken , auch Herren, und Schreiber und Be­ amtete zu werden, und sich wie sie, und ihre Wei­ ber wie die ihrigen zu kleiden und zu amusiren. Wir haben keine oder wenige Auflagen, welche die Bedürfnisse des Lebens vertheucrn, und es ist bei uns unmöglich , daß sich jemand in Verwaltung der öffentlichen Einkünfte Schaze samlc. Wir kennen deshalben weder die ärger­ lichen Bereicherungen, welche daher entstehen, noch die unseligen Folgen, so sic für die Sitten und für den öffentlichen Wohlstand haben.

Unsre Gcscze vertheilen die Erbschaften größtentheils gleich junter'den Kindern. Cs ist daher unmöglich/ daß grosse Reichthümer lang beisammen bleiben. Wenn ein Vater seine Kinder in dem Wohlstände erhalten will, den er selbst genossen hat, so liegt ihm immer ob, spar­ sam, fleißig, bescheiden, ordentlich zu seyn. Und wenn die Kinder so reich werden wollen als ihre Vater, so müssen sie wieder sparsam und emsig seyn, und den Luxus meiden..

Abhandlungen.

4i

Kurz, die einzigen Mittel, durch welche

unsre Verfassungen gestatten reich zu werden und

eü zu bleiben, sind Fleiß, gute Wirthschaft, gute Sitten; und die Reichthümer, die aus dem Lande gezogen werden,

werden größtentheils

wieder verwandt, das Land zu befruchten und zu bereichern. In viele Gegenden fließt sogar noch auswärtiger Reichthum und vermehrt die Ergiebigkeit der Landwirthsaft und des Ku'nst-

fleisses *). Wenn in unsern, mit, langsamer Mühsamfeit aus den Unordnungen der Barbarei sich her­ auswindenden Gesellschaften ein Fürst scincnStaa-

*) Hier ist ein Hauplumstand vergessen, wel­ cher darinn besteht,' daß die Schwei; keine beständige Truppen zu unterhalten hat; diese sind freilich den grossen Staaten bei ihren dermaligcn Verhältnissen unentbehrlich, und sie waren vielleicht nöthig, um aus diesen Staaten Anarchie und Tirannci zu verban­ nen, welche den Monarchen zu einem Schat­ ten machten und den Bürger unterdrückten. Allein sie sind nichts dcftowcniger ein grosses wirthschastlichcs Uebel, und" ihre Unterhal­ tung fügt den Staaten, die sie nicht entbehren f inen, einen unaussprechlichen Schaden zu. @,e macht den auserlesensten Theil seiner ar­ beitsfähigen Glieder unthätig, und sie ver­ mindert so die Masse der gesellschastlichcit Produkten und Arbeiten. Sie führt Müssig-

41

Abhandlungen,

ten diese wirthschaftlichen Vortheile gewahren,

tvenn er ihnen die dazu erforderliche Organisa­

tion geben tönte,

so würde er sie bald eben so

blühend und eben so glücklich machen,

als es

so würde seine

unsre kleinen Republiken sind;

einfache Einzclherrschaft eben so erwünschlich, in manchem Stücke noch crwünschlicher seyn, als unsre verwickelten Verfassungen,

welche freilich

im Grunde größtentheils sehr schlecht eingerich­

tet, und so beschaffen sind,

daß Oligarchie die

Kleinen und die Guten, oder Anarchie die Gros­ sen und die Guten drückt...

Aber nur drückt,

lieber Freund! nicht unterdrückt;

denn dieses

geschiehet sehr selten, und insgemein nur gegen

gang und Verderbniß ein, und sie hindert den Fleiß und die Emsigkeit. Man sagt, der stehende Soldat beschäftige und ernähre wie­ der einen grossen Theil seiner, Mitbürger. Das erstere ist wahr, aber das andre nicht; man müßte denn sagen können, der Bettler, dem ein Becker einen Kreuzer steucrr, und der dagegen dem Becker um einen Kreuzer Brodtes abkaüst, ernähre seinen Wohlthä­ ter. Man bedenke im Gegentheile, wie sehr der gesellschaftliche Wohlstand würde ver­ mehrt werden, wenn der Fleiß des Soldaten auch Produkts erzeugte und verarbeitete, für die fremde Reichthümer in das Land gezogen würden , welche das Daseyn seiner Einwoh­ ner versüsseten und veredelten.

Abhandlungen-

41

solche, welche selbst unterdrücken würden, wenn

sie die Macht dazu in Händen hätten. Ja, Freund! mit allen ihren Fehlernha­

ben,

unabhängig von ihren wirthschaftlichen

Vortheilen, unsre Verfassungen noch herrliche Vorzüge für jeden Sterblichen, der sich fühlt,

und der seine Menschenrechte kennt und zu be­ haupten wünscht. Für mich einmal ist es ein

sehr kostbares Gefühl zu denken/ daß kein Mensch in meinem Vaterlande grösser gcbohren sey, als ich, daß da keiner grösser werden könne, als es das allgemeine Wohl erlaubt und erheischt, daß keiner sich über mich erheben könne, als durch

den Ruf und die Wahl seiner Mitbürger, daß auch

bei dieser Erhebung, er meines Gleichen

bleibt, daß er von dem Misbrauchc, den er von seiner Gewalt machen könte, Rechenschaft geben

muß, und daß der Stolz, mit dem er auf mich hinab sehen könte, ihn weit unter mich erniedrigt. Es ist ein kostbaresDefühl für mich, erwarten zu

können, daß auch ich werde aufgefordert wer­ den, zu dem Wohl meiner Mitbürger in öffent­ lichen Geschäften zu

rathen

und zu wirken,

und aus ihrem Bruder ihr Vater zu werden. Dieses Gefühl erhebt in Republiken die See­

len, gibt ihnen Thatkraft, und verbreitet Licht

und Kentnisse durch alle Stande desto mehr,

wie mehr die Theilnehmung an der Regierung

Abhandlungen.

44

ist, und wie kleiner die Staaten sind;

weil

nach Maaßgabe dieser Kleinheit immer meh> rere Bürger zu den Geschäften den Zutritt ha­

ben.

So werden Thätigkeit

und Einsicht

und grosse Eigenschaften unendlich vervielfältigt,

und die Menge der cdcln Seelen vergrössert. Daher befindet sich vielleicht in der Schweiz mehr nioralische und politische Thatkraft, mehr Licht und Wärme als in ganz Spanien, in Graubündten mehr, als in dem grossen russi­

schen Reiche, und in Genf mehr, als in ganz

Asien und Afrika zusammen.

Dieser Geist einer höher« und ediern Thä­

tigkeit ist nicht weniger den Sitten vortheilhaft, und er kan die Herzen von manchen Ausschwei­ fungen der Sinnlichkeit und der Verderbniß ver­

wahren. Lasset uns also, bester Freund, mit un­

serm Vaterlande zufrieden seyn, und lasset uns dem Himmel danken, daß er uns darinn hat lassen gebohrcn werden.

Lasset uns die Vor­

theile geniessen, die Boden und Verfassung ihm

gewahren. Lasset uns aber auch uns nicht ver­ bergen, daß diese Vortheile nur verhälrnißweise groß, daß sie an sich selbst noch unendlich schwach

und klein sind, und daß unzahliche Misbrauche, Irrthümer, Leidenschaften ihre Entwick-

Abhandlungen»

4$

King zurückhalten, ihre Einflüsse schwächen, und sie oft zu Werkzeugen des Elends und der Un­ terdrückung machen, und lasset uns es unscrnNach-

kömlingen nicht verheelen, daß ihnen noch unend­ lich viel zu thun übrig bleibt, bis unsre Eidsge-

nossenschast eine der natürlichen Ordnung ganz gemässe Organisation, und mit ihr den höchsten

Grad des Wohlstands erreichen wird; bis der

lezte Unterthan im Maynthale, in Betrachtung seines Vaterlandes, die gleichen Rechte sich wird zuschreiben dürfen, als der Sohn des Bürger­ meisters von Zürich in Betrachtung des sei-

Nachrichten und Auszüge

Zweiter Theil.

Nachrichten und Auszüge von Büchern.

i.

Dr. Johann Salomo Semlerö Lebensbeschreibung von ihm selbst abgcfaßt. Erster Theil. .Halle, 1778.

Selbsterniedrigung eines Gelehrten.

Leutseligkeit

der Grossen in einer Reichsstadt bewundert.

Her.'

gblassung der Fürsten -— Mütter. Pietismus. Erziehung. Vergleichung der drei Neligionsparr teien.

Verdienste Herrn Semlers.

Quellen der

Intoleranz. Vertheidigung -der Proselyten. Son­ derbarer Beweis für die Vorsehung. Anpreisung der Chymie und der Physik. Semlerischer Essig.

Gelehrte Eigenliebe.

«M/ie Gelchrhmgeschichte würde freilich ziem­

lich weiklauftig und lästig werden, wenn jeder Gelehrte sein Leben so ausführlich beschreiben wollte, als es Herr Dr. Semlec theils gethan hat, theils noch thun will. Indessen würde es für junge Studierende, für Manner, welchen

von Büchern.

47

die Besorgung des Erziehungswesens und. der öffentlichen Studien anvertraut ist, und für solche überhaupt, welche den- Menschen kennen und studieren sollen,

unendlich Vortheilhaft seyn,

einige Duzend Lebensbeschreibungen vor Augen zu haben, welche mit der Aufrichtigkeit und mit der ansprachlosen Freimüthigkeit geschrieben wa­ ren, wie es die von dem berühmten höllischen Gottesgelehrten zu seyn scheinet.

Sie würden

da einen reichen Stoff zu Wahrnehmungen und zu Betrachtungen finden, welche ihnen in ihrem ganzen Leben unendlich nüzlich seyn würden.

Wir haben in diesem Gesichtspunkt, wie in vie­ len andern, diese Lebensbeschreibung mit lebhaf­ ter Theilnehmung gelesen, und wir haben einige der Züge ausgezeichnet, die uns am meisten aus­

gefallen sind, oder die uns am lehrreichsten ge­ schienen haben, obwohl vielleicht andre an sich selbst merkwürdiger seyn können.

Ganz befremdend ist uns sogleich in dec Vorrede die Selbsterniedrigung des Herrn Dok­

tors vorgckommen.

Er redt da mit einer Geringschazigkeit von dem Stande eines Professors, und insbesondre eines Professors in der Theolo­ gie, die uns wahrhaftig geärgert hat. „Ich kan eben nicht von Palästen anfangen, sagt er, wenn ich meine Gönner anrede.

Meine Sphä­

re, die durch das . Beiwort theologische, schon

stwas beschimpft heissen muß, in unsern ver-

Nachrichten und Auszüge

48

feinerten Zeiten, war zu gering, oder weine Den­ kungsart blieb stets zu niedrig, als das; ich un­ ter jenen Klienten mich hätte befinden können,

denen auch die höhere scharfe Luft nüzlich und vortheilhafr zu seyn pflegt. „ Als ob diese Manner, die in Palästen wohnen, ob Minister und Grosse, unter was für Namen sie auch auf

persischen Tapeten wandeln, oder Tunkins Nest aus Gold speisen, und Perlen aus Smaragd trinken mögen, sichs zur Erniedrigung rechnen sollten, ihre Augen auf würdige Theologen zu

richten, und ihre Gönner zu seyn.

Noch auf­

fallender waren uns S. 152, 165. die Lobsprü-

chc,

welche Herr Scmler den Grossen von

Nürnberg ertheilt, weil sie die'Professoren von Altors einer guten Aufnahme und eines freund­ lichen Blickes würdigen; welche der Universität die Ehre erweisen, mit den Professoren bcj ei­

ner feierlichen Mahlzeit alle Gesundheiten deS

heil, römischen Reichs von kaiserlicher Majestät an mit patriotischen Herzen und mit Franken­

wein zu trinken, der recht gesund seyn muß, da die Herren Professoren in Altorf dabei sehr,

alt werden.

Wir müssen unsern Lesern wenig­

stens einen -Theil dieser Mrzählung mittheilen. „Ich habe überhaupt eine sehr patriotische Den­ kungsart gegen Kaiser und Reich angetroffen; wovon man freilich wohl in andern Ländern,

d'll nicht gleichen Theil zu nehmen pflegen, viel

von Süchem»

weniger Merkmale an tri ft. Den andern Kag wurde die Universität wieder von den Herren von Nürnberg im Schlosse, oder auf dem Pfleger­ hofe traktirt; es herrschte hier iwch mehr Auf­ wand. Aus dem benachbarten Böhmen und der Oberpfalz ist hier bei solchen Gelegenheiten alles anzutreffen, was seltene und vortrefliche Gesichte gibt,' zumal an Wildpret, Vögeln, Fischen. Wiewohl ich gemerkt habe, daß die­ jenigen, welche sich mehr zum Wein hielten , fast gar nichts assen; ich ließ mirmanchcsfrems dr Gericht wohl schmecken, und wurde von den vielen Gesundheiten sehr gefällig dispensirr; die Pokale wechselten hier stets mit andern neuen ab. Auch hier blieb alles wohlanständig," und die ganz freundliche Geselligkeit sogar der Her­ ren, die Patronen der Universität hiessen, hat Mich sehr bald mit patriotischem Gefühl für sie eingenommen. „ Wir begreifen sehr wohl, daß die Aufnahme, die Herr Seniler, der eben noch vor kurzer Zeit Studiosus in Hallegewesen war, in Nürnberg genoß, und die ganze Cere­ monie bet dem Annivetsario in Altors im Jahre 1751. diesen Eindruck auf den jungen Mantt Machen konte; aber daß der gereifte Gelehrte nicht im I. 1780, da er sein Leben beschrieb, selbst über den Ernst lachen mußtemit dem er ehemals diese Dinge ansah, das können wir ' Gpßem; Sännet« 78Ä D



Nachrichten und Auszüge

nicht begreifen, in einem Decennio, wo Fürsten mit jungen Gelehrten Brüderschaft trinken und

Possen treiben.

Es soll in der That ein ganz

besondrer Kontrast herauskommen, wenn einige junge Manner nach dreissig Jahren gewisse Hö­ fe und das Leben beschreiben werden, so sie vor kurzer Zeit daran geführt haben, und wenn man.

ihren Sinn mit dem Sinne Herrn Dr. Semlers, und wenn man den pietistischen Sachscnkoburgischen Hof in Saalfeld von 1736. mit gewissen izigenHöfen in 1776 vergleichen wird.

Doch wir kommen wieder auf unsern ei­ gentlichen Gegenstand. Wir würden diese de­ müthige Aeusserung unsers Verfassers, und noch manche andre Stelle seiner Vorrede picht be­ greifen, wenn uns nicht der Lebenslauf selbst tiie Erklärung davon gäbe. Wenn wir den ganzen Gang der Erziehung und der jugendli­ chen Studien des grossen Gelehrten betrachten,

und wenn wir auch sein Univcrsitatsieben dazu

nehmen: so finden wie nichts, das die Seels erhebt, adelt, verschönert. Selbst das Glückdas er hatte, auf die klassischen Schriftsteller zü verfallen, nüzte er nicht, um Scelenstärke und

Geschmack für das ächte Schöne und Grosse daraus zu schöpfen, die doch in so reichem Maas­ se darinn liegen. Gr suchte Stoff zu Vokabu­

larien, zu Glossarien rc, seiner Zeit Mode war.

darinne, wie es zu

Wenn wir auf diess

von Dächern.

5t

Umstände sehn, so wird uns folgende Stelle et­ was heiterer: „Auch die christliche Religion hat meine menschlichen Fehler nicht vertilget, ob sie gleich gar wohl noch nichrcre hatte ver­ wischen und wegschaffen können, wenn ich sie nur noch Mehr hatte über mich herrschen lassen, Mögen es mir viele oder wenige glauben odeö Nicht: Dies ist meine liebste oder unaufhörliche Vorstellung, meiner moralischen Redlichkeit mit bewußt zu sehn ; ich könte sagen, sie hat mir Manchen äusserlichen Nachtheil ziemlich Natürlich zugezogen ; aber ich danke es wirklich Gott, mit Einstimmung Meines ganzen Bewußtseyns, daß ich diesen Eindruck behalten habe; wenn er auch zu groß wurde, und mich Um manche äusserliche menschliche Grösse gebracht hat. Ich bin für jenen Schritten gesichert blieben, die den Christen, oder auch überhaupt den moralischen Menschen in einen grossen verwandeln sollen, Und die Güte, wie et sie haben könte, dem Be­ wußtseyn entziehen. So habe ich wenigstens gedacht; und es gehört gerade zu meiner klei­ nen Gestalt, Ich habe mich hier nie verstellet; vielleicht sehen es meine Gönner ein, wenn ich auch in lcztet Zeit ihiem Gutachten, ihrem Rath, ihrem guten Rath, eben so wenig gera­ dehin gefolget bitt, als meinen so zärtlichen freunden in Altvrf-,, D 2

'52

Nachrichten Und Auszüge

Wir wachen diese. Anmerkungen nicht, Um dem vortrrflichen Manne zu nahe zu treten» Sie scheinen uns vorzüglich wichtig für junge Studierende,

oder vielmehr für ihre Eltern,

welche daraus ersehn können, wie leicht grosse Talente durch eine falsche Leitung unterdrückt, vder doch gehindert werden können, sich zu ih’rcv ganzen Würde empor zu schwingen. Lasset

Uns annchmen, unser Gelehrte wäre an stakt Unter den Pietisten zu Saalfeld, unter Professor Bodmer, Chorherr Zimmermann, Chorherr Breitingcr, Chorherr Geßncr, in Zürich erzo­

gen worden, an einem Orte, wo es den Ge­ lehrten-erlaubt ist, sich zu fühlen, von lautet

Männern, die Helle.Köpfe und murhige See­ len hatten, und er wäre an statt nach Halle, zu den pietistischen Studenten Und zu dem dun­ keln Baumgarten, nach Helmstädt zu Mosheim, oder nach Leipzig zu Ernesti, in die Gesellschaft vonKlopstvck, Ebert, Gsscke, Zachariä, Cramer gekommen; welch ein weit andrer Karakter wür­

de nicht herausgekommcn seyn. Wenn wir alle Hindernisse erwegen, die Herr Seniler zu be­ kämpfen gehabt hatte, um zu der Höhe zu ge­

langen, die er erreicht hat, um dieMaterialien zum Baue der Wahrheit zu sammeln, die er der

Welt mitgetheilt hat, um das Licht aufzusteckcn, das er in so vielen Theilen aufgeftcckt hat, der wird ihn gewiß bewunden, und der wird Die

Mit Bächerm

53

unseligen Umstande bedauern, durch welche die

Verdienste verdunkelt werden,

Halle und um

die

gelehrte

die er sich um V)elk

erworben

hat. Ein andrer Grund, aus dem wir diese An­

merkungen nicht lieber unterdrücken als bekant machen, ist, weil wir glauben, sie verdienen von Fürsten und von Ministern in Betrachtung gezogen zu werden, und sie sollen sie aufwecken,

den Zustand bei; Schulen und der Universitäten in ihren Staaten sich genau bekanf zu machen,

um versichert zu seyn, ob da für die Nachwelt gute Lehrer und Prediger gebildet werden kön-

nen.

Das, was Herr Semler mit grosser Ab­

neigung wider die Erziehungsreformatoren von der Schule erzählt, in der er erzogen worden ist, beweist mehr als genug, daß sie zu seiner

Zeit elend beschaffen gewesen seyn müsse, und daß, wenn alle andre Schulen ihr geglichen hatten, diejenigen, welche in unsern Zeiten eine gänzliche Umgiessung der Schulen gewünscht ha­

ben ,' wohl nicht ganz unrecht gehabt haben dürften: Die häusliche Erziehung unsers Gelehrten

war hingegen desto besser; und da-hatte er das

Meiste seiner vortrcsiichen Mutter zu verdanken. Wir halten cs für unstreitig, daß, wenn man

die Geschichten aller Manner genau wüßte, die sich durch Rechtschaffenheit und durchlügend aus-

gezeichnet haben, man unter zehnen immer neu­ ne finden würde, welche diesen Vortheil ihren Müttern schuldig wären. Es ist noch nicht genug anerkant, wie wichtig eine unschuldig und untqdelhaft zugebrachte Jugend für das ganze Leben eines Menschen ist, wie fast alle, welche diesen Vortheil genossen haben, ihn ihren Müt­ tern schuldig gewesen sind, und wie sehr über­ haupt die Vollkommenheit und das Glück der Menschheit auf dem weiblichen Geschlechte be­ ruht, Die verschiedenen Geschichten von Gespen­ stern und'von Schazgrabereien, von denen Hery Semler in seiner Jugend gehört, und wider de­ ren schlimmen Eindruck ihn sein Vater glücklich verwahrt hat, geben den Karakter der dama­ ligen Einwohner der Gegenden zu erkennen, in denen er lebte. Vielleicht sind diese Vorurtheilp in vielen Ländern noch nicht so sehr aus der Mo­ de gekommen, als cs diejenigen glauben tönten, welche eine bessere Erziehung frühe dagegen verwahrt har, So verhält es sich auch mit der vermein­ ten Frömmigkeit, welche in dem Anfänge von Herrn Semlers Laufbahn in so vielen Ländern Deutschlands Mode war, und picke redliche Leute tauschte. 5Die Beschreibung davon, die unser Verfasser liefert, ist ini höchsten Gxgd? merkwürdig.

von Büchern.

55

„Den genauern Zusammenhang weiß ich nicht mehr, worinn' der Grund enthalten war,

daß ein in Schlesien nicht unbeliebter Prediger, Lindner, der nebst etlichen andern damalen (ei­ nes zu grossen und unnüzen Eifers wegen) aus

den kaiserlichen österreichischen Staaten entlassen worden war, jezt nach Saalfeld kam, und her­

zoglicher Hofprediget,

Beichtvater und Super­

intendent wurde; welcher Plaz meinem Pater, der alten, nicht ungegxündeten Ordnung nach,

schon damalen gehört hatte, ihm aber erst ttn yoftcn Jahre seines Alters unter dxr herzoglichfoburgischcn Regierung zu Theil wurde; da ep ihn immer auch hätte qusschlagcn mögen. Ich

übergehe es, daß schon einiger Zusammenhang mit Graf Zinzendorfs neuen Anstalten, noch vor dieser Zeit wirklich statt gefunden hat, als Chri­ Es gab über­

stian Ernst noch Erbprinz hieß/

haupt jezt mehr merkliche Bewegungen und Mittel zur allgemeinen Pietät, seit den sogenan? zen pietistischen Händeln.

Die Absichten der Per­

sonen- die sich in diese Lage schickten, waren sehr

ungleich; manche hiessen gut genug, deswegen gber nicht geradehin gegründet. Cs ist ausge­

macht, daß dje Schlesier ein gleichsam erbliches Talent von Svade und nicht übelstehender Leb­ haftigkeit haben, die aber freilich noch nicht zu­ gleich allemal Beredsamkeit heissen muß. Lind­

ner hatte dies Talent sehr laut und helle; Muth-

mann, auch aus Schlesien, ebenfalls, tote es hieß, des Evangelii wegen vertrieben, hattsstoch mehr Kopf und noch mehr Gelehrsamkeit; der wurde Hofdiakonus. Lindner hatte manche neue Ein­ richtungen eingcführt, um gleich Aufsehen zu machen; alle Sonntage besondre Erbauungs­ oder Wiederholungöstnnden, die auf dem her­ zoglichen Schlosse so lange gehalten wurden, als ihn die herrschaftliche Karosse nach 4 Uhr abholen fönte; das heißt, als er noch gut fahren fönte; denn er litte viel an Hämorrhoiden, und hatte oft procidentiam ant Diese Stunde machte natürlich groß Aufsehen ; > man hatte schon an Früh ; Vor - und Nachmittagspredißten, wozu je^f auch gar noch von 1 bis 2 eine Betstunde kam, viele Jahre lang genug gehabt. Aber nun sollten die Leute auf einmal alle durch­ aus fromm, oder Wiedergebshrne werden; diese vorgegebene Absicht ist unmöglich, wenn nicht alle Schwärmerei und Heuchelei eingerechnet wird. Die wahre Absicht war , sich groß An­ sehen zu geben, ohne Arbeit und Gelehrsam­ keit, und sich des Herzogs und HofeS zu bemäch­ tigen. Ich weiß cs sehr wohl, daß mein Va­ ter noch lange Zeit nicht für diese neuen Anstalten war; ich brauche seine Gründe nicht zu wieder­ holen, sie kamen alle darauf hinaus, daß dies eine Anstalt sey, über Fürsten, über Hof und Unterthanen sehr fein zu herrschen; di? aber

von Büchern.

5?

vielmehr öffentliche Heuchelei und fromme Schel­

merei erzeugen, und mehr Verfall des bürger­ lichen Wohlstandes nach sich ziehen würde, als wir vorher je zu fürchten gehabt hatten, da die Würger tugendhafte, ehrliche Leute hiessen. Lind-/

ner gewann indeß die Oberhand über Herzog Christian Ernst, über die Gemahlin, über die'

brau von Coß, (Mutter der Gemahlin) über Hofbediente und alle Personen,' die zuweilen ein Wort dazwischen hatten reden können.

> Dee

herzogliche Speiscsaal mußte zu rechter Zeit alle

Sonntage eingerichtet werden, mit Danken und Stühlen, einem kleinen Positiv, das man tragen fönte, und allem Zubehör. Noch kan

ich .es nicht .begreifen, warum es- nicht in der Schloßkirche angesrellet wurde, die doch unmit­ telbar an den Saal stieß, und woraus Stühle, Kanapee, Banke und alles hereingeschlcppt wer­

den mußte. Auch der Ort mußte zum zNeuen gehören, und nicht blos Tafelzimmer seyn. Die Karavane aus der Stadt, so kan man cs nen­ nen, nach dem Schlosse war sehr groß und glän­ zend, gegen 5 Uhr mußte man schon da seyn,

wenn man Plaz finden wollte.

Die Rangord­

nung war doch in Acht genommen! obenan in der Mitte saß der Proponent, oder Herr Lind­

ner ; auf beiden Seiten der Hof, mittenan wa­ ren viele Banke für andre Personen; schlechterehljcben stehen,

Ich wgr sehr ardmlich dabei:

Nachrichten und Auszüge

aber ich will es sagen, wie viele andre aus ganz

verschiedenen Absichten,

Nirgend können Per­

sonen von beiderlei Geschlecht sich so nahe sizen, und unter andächtigen Mienen was ganz anders

unsichtbar reden,

So ging es hier.

Aus der

angeblich geistlichen Vereinigung in solchen Er­ bauungsstunden entstunden sehr viele menschliche sinnliche Verbindungen; und sehr leichte Heira-

ihen, weil solche Personen ganz unfehlbar vor

allen andern ihres Standes und Berufes den Vorzug bekamen, Ehrenstetten, Aemter, Be­ dienung , Kunden für Profeffionisten yder Kauf­ leute — kurz, alles fände sich nun in einem

neuen Zusammenhänge.,

So abfallend auch

häufig das Leben in der Wyche war, so gleich­ förmig wurden doch die Betstunden besucht. Die vielen neuen Lieder, häufig mit schönen Me­ lodien, hatten auch ihren besondern Reiz für

viele Liebhaber; im Ganzen aber gestehe ich frei', nach langer Betrachtung und Ueberlegung, daß die Gemüther der allermeisten Theilnehmcr an die­

sen neuen Anstalten, gar keine Besserung erfahren haben; daß vielmehr sogar viele Ausbrüche der ro­

hen Gemüthsfassung gar nicht selten bekant wur­ den.

Kurz, um diese Sache hier nicht weit-

jänftigex zu beschreiben, wozu ich mir ein.n an­

dern Plaz noch auszuzeichnen denke, cs ging' in Saatfeld wie m —-------- Es ist gerade alles

sy gewesen, wie in hem 74sten Brief, (im 4.

von Büchern,

59

Theil Karls von Burgheim) die Dorothea von Stein es ihres Oris beschrieben hat; völlig so. „

„Noch bequemer wurde es uns, als der Superintendent nicht gut fahren fönte, und de?

Hof und alle nach dieser Versamlpng oder Er­

bauung begierige Menschen sich nun auf der Su-

perintcndentenwohnung versamleten. — — Daß dieser- Page nun nach Halle sonst, erinnert Mich, daß Herzog Christian Ernst nun mit Tode äbgegangen, und dieser Theil des Herzogthums wiederan den Herrn Bruder, Herzog Franz Jo­ sias in Kobnrg zursickfiel, Dieser Herzog war schon lange mit dex sehr unsicherN Wirthschaft

in Saalfeld selbst unzufrieden gewesen; er wußte

alle Kleinigkeiten,, wie sehx man den Herzog gleichsam gefangen, führte, Sogar Schlitten­ fahren hieß eine stündliche Lust, Mehrere Per­ sonen wurden aus fürstlicher Küche, Keller,

Holz ganz richtig versorget; wie einige gar im

,Schlosse wohneten , blos der Erbauung wegen, per sie täglich vprstunden und sie regulieren. Wenn gemünzet wurde, gingen manche Deutel ab, für gute Seelen, die es bedurften. ------ , Der Herzog von Koburg machte auf einmal ein Ende; schickte den geheimen Rath Gruner wie­

der nach Saalfeld, und ließ alles öinziehen;

pnd es fönten nun manche Hinreisen, wo sie Moilten, und einen andern solchen, gutmeinenden Hof suchen; zumal man ernstliche Dienste, W

So

Nachrichten und Auszüge

zu menschlicher Ordnung gehören, nicht eben von Personen erwarten fönte, die sich stets für krank und schwächlich hielten; und Gottesfurcht als ein sichtbares besondres Geschäfte ansahen, bas alle andre, blos menschliche Arbeiten und

Geschicklichkeiten nicht wohl' neben, sich stehen liesse..

Gleich mit dieser öffentlichen Verände­

rung des HofeS und seines bisherigen Zustandes, war alle jene Andacht, Frömmigkeit, Kopfhän­

gen, Augendrehen, leise reden — auf einmal vorbei; es fönte nun niemand äusserliche Vor­ theile sich damit verschaffen; und innere reelle Vollkommenheiten kanten solche unwissende Leu­ te oder bedächtige Heuchler ohnehin gar nicht. Es hat mich oft sehr betrübt, und mir manche

starke Einwürfe erregt, über Manche Lchrarten

und vorgezogene Lehrsaze, die so wenig mora­ lischen bleibenden Werth in den Menschen wirk­ lich, feit so vielen Jahren gewähreten und be-. fördert hatten; und doch hielte ich diesen eige­ nen innern Werth und stete Ordnung der Seele für das Hauptmerkmal der besten und vollkom-

nen Religion.

Ich hatte aber selbst so einen

Hang zur Furchtsamkeit, aus steter Beschauung meiner Unwürdigkeit, durch jene heilige Larven

und Bilder, die sieh bei mir eingedruckt hatten,

daß ich mit Grunde sagen kan. Mein Gemüth sey noch so rechtmässigen mensch­ lichen Freuden nscmalen wieder'ganz offen bekommen;

von Büchern

6t

gewesen, vielmehr hab ich ein Vergnügen darin gefunden,

'innerlich über mich,

über meine

Mängel und Unvollkommenheiten, unaufhörlich mismükhig zu seyn.- Mit gtic nichts von mir, von Fähigkeiten, Geschicklichkeiten, bin ich zu­ geschweige darüber jemalen vergnügt

frieden,

worden.Dagegen alle jene Leute sich sogar in ihrer Heuchelei, eine Quelle zur sieten Fröhlich­

keit geschaft hoben, deren Folgen und Spuren gleichsam sie nie wieder verlohten haben, auch in, langen Jahren und nachher, da sie selbst an

ihre Frömmigkeit und vorigen Larven gar nicht

ohne den geringsten Vorwurf, oder ernstliche Erinnerung wieder zu empfinden. Man sahe vielmehr ganz öffentlich, daß jeder sich in die ganz andre Zeit eben so schickte, als mehr dachten,

vorher.,, Diese merkwürdige Erzählung zeigt, wie

viel Uebels Andächtelei in einem Lande erzeugen, und wie sie Genie und Muth erniedrigen und unterdrücken kan. Die Art, wie Herr S. seine eigne Kinder erzogen hat und erzieht, und das glückliche Le­ ben, so die treue Erfüllung ihrer Pflichten den

Eltern und den Kindern gewährt hat, verdient

den Beifall aller Wohldenkenden, und wenn alle-Häuser so bestellt wären, wie Herr S. das (einige beschreibt, so würden gewiß keine Philanthropinen nöthig seyn.:

„Was die eigens

Nachrichten und ÄuszügL

Erziehung, sagt Herr S.- unsrer Kinder betrift, so hwen wir uns dieser grossen Pflicht der El­ tern mit gemeinschaftlicher Lreue unterzogen; wenn wir gleich die besondre Unterweisung in einzeln Stunden, einigen ausgesuchten Studiosis anvertrauet haben. Es haben schon mehr verständige Männer sich hierin selbst mehr auf Erfahrung, als auf Spekulationen eingelassen, wobei gemeiniglich die ersten Proben noch mislingen, oder noch nicht eben klar am Tage lies geN. Dir hätten die Kinder fast stets um uns, wenn sie nicht bei ihrem Lehrer seyn Mußtenj wir haben ihnen das Lesen Meist selbst beige­ bracht ; alsdenn übten wir sie; daß sie Wechsels« weise uns ein Lied, einen Psalm, oder einige Seiten äus einem guten Buche vorlesen mußten. Dir lehrten sie ein Lied mirstngen, und fragten sie darüber, bis die Mittelste so viel auf dem Klavier spielen fönte, daß sie alle die Töne leichter hiel­ ten, Gellerts Lieder und andre unschuldige Arien — lernten sie auswendig. Die weibliche Geschicklichkeit besorgte die Mutter, so treu und unermüdet, als sie selbst aus eigener Erfahrung/ zumal bei ihrer Tante in Saaifeld, diese Erzie­ hung wußte, So war in unserm Zirkel lauter Ruhe Und Zufriedenheit, das Gesinde sahe und hörte Nichts Zweideutiges- geschweige je eins Unordnung; jedes fühlete.die Uebedlegenheit der Frau in allen vvrkommenden Geschäften 5

63

von Büchern.

jedes sahe unsre gleiche Liebe und ÜebereinstimL mung;

in allen blos häuslichen Sachen hieng

ab' von der Einrichtung und der Erkentniß einer so treuen Hausmutter. So ist zwanzig Jahre lang eiye grosse Gleichförmigkeit

ich gerade

unsers Lebens unterhalten werden; wir und unsre Kinder "wußten und fühlten es, daß wie

die allernächste engste Gesellschaft auf der ganzen Welt seyn, und also beobachteten wir die dar­ aus entstehenden Pflichten, ohne Geräusch und ohne Ausnahme. Es war freilich damalen lange so viel nicht von Erziehung geschrieben worden; aber wir schöpften aus der reinen Quelle der Re­ ligion; und es fehlte Uns nichts, wenn wie

auch vielen Schimmer entbehrten.

Ein unta-

delhaftes Beispiel der Eltern und der Lehrer ist von gewisserer Wirkung > als viele artige Be­ schreibungen in Büchern. Ich lasse indeß gern

einem jeden seine eigene Entscheidung; aber oft erfahren-

habe es

dass die alten schriftlichen

Grundsäze uyd Ordnungen die bewährtesten ge­

wesen sind ;

und daß viele Eltern ihre Kinder

aus -kostbaren neuen Anstalten schlecht zurück be­ kommen haben. Freilich wäre es so eine artige Sache- wenn man die aufs Papier gemahlten

Lehrer und Erzieher so ganz sicher und zuverläs­ sig gleiche vor sich fände. Deutschland wird nun in wenig Jahren es aus gewisser Erfah­ rung wissen, ob durch so viel pädagogische Prör

Nachrichten und Auszüge

jekte, auch dhne das ansehnliche Geld zu rech-r nen, ein glücklicheres Geschlecht gebildet worden sey. „ Nicht weniger schazbar und.'nachahmungswürdig ist Herr Semlers väterliches Betragen gegen die Studenten, so wie er es in folgender Stelle beschreibt: „ Ich habe wirklich ein eigen Gefühl davon gehabt',. wenn ich dckran dachte, daß ich zu den Vätern der Akademie gehöre, daß also Studiosi wirklich, so lange sie sich des Namens nicht unwerth machen, als anvertraute Söhne von einem Professor aufs treumeinendeste zu' behandeln wären, ■ Zureden, Ermahnen, auch anhaltendes gütiges'Zureden, und alle Mit­ tel zum Eindruck, habe ich nie gespacet, wenn ich nur irgend hoffen konnte, einen Endzweck auf diese Art noch zu erreichen. Manchem Eide habe ich auf ijicfc Art. glücklich vorgcbeuget. Bezahlung der Koliegiorum habe ich niemanden unfreundlich abgedrungen, oder irgend jemand darüber beschämet, wenn er zu erkennen gab,, er könnte selbst kaum zurechte kommen, noch we­ niger bezahlen; und nachdem ein besonder kö­ nigliches Rescript hierüber ertheilet worden, habe ich es auch gern geschehen lassen, wenn mich die meisten auf dessen Inhalt verwiesen , inbrünstige zu bezahlen, wenn sie in bessern Umstanden wä­ ren; auch da habe ich manchen eine völlige Quittung geschickt, wenn sie durchaus sich nicht

von Gücheru.

&5

helfen fönten. Mit manchen Studwsis habe ich gar oft einzeln geredet, ihrer Aufführung we­ gen r und habe nickt wenige gebessert, oder noch glücklich bewahret für dem Verderben, worein sie beinahe gerathen waren. Eben so gern habe ich zu aller Zeit, ohne jemalen mich zu entzie­ hen, Mich von jedem sprechen lassen, wenn ich Nicht schon wußte, daß cs eine Sache sey, wo­ ran heut nichts liegen könte. Im ganzen also habe ich niemand abweisen lassen; weil ich ei­ nige sehr wichtige Erfahrungen gehabt hatte, die mich überzeugten, es sey für meine Ruhr Und Gewissen besser gewesen, daß ich mich sögleich hatte anreden lassen, wenn ich auch vom Tische aufstehen mußte. Es betraf einigemal ganz wichtige Falle und Umstände, wb ganz wahr­ scheinlich aller Rath und Beistand zu spät gewe­ sen seyn würde, wenn ich es auch nur bis mor­ gen verschoben haben würde. Wie dieses äus­ serliche bürgerliche Dinge waren, so habe ich auch noch viel öfter vertrauliche Gespräche ge­ habt mit Studwsis, die was auf dem Herzen! 'zu haben schienen, wie man sagt, und doch furchtsam waren, es jemand geradeh n zu ent­ decken , der ihney treulich rathen möchte. Bei manchen erweckte ich wirklich ein Zutrauen; andre entschlossen sich, es mir schriftlich zu mel­ den, und erwarteten, wenn ich sie zu mir beSichm. JLnner 7«?. E

Nachrichten und Auszüge

66 stellen Liesse.

Dies betraf, theils manche eigene

moralische Noth und Acngstlichkeit,

die wahr­

lich weder Fanatizismus noch Hypochondrie im­

mer heissen muß,

zumal bei Studiosiö Theolo-

gia; theils oft grosse anhaltende ernstliche Zwei­ fel über manche Begriffe und Lehrwahrheiten. Da ich in beiderlei Lage nicht selten mich ehedem befunden habe:

so war es mir theils leicht,

theils eine wirkliche Angelegenheit des Herzens,

einen jungen Menschen wieder zu beruhigen, und

ihn im willigen reinen Dienst der christlichen Re­

ligion zu behalten.

Da ich. cs auch an treuer

wenn sie so habe ich ein fröhliches Andenken an diese lieben bewahrten Jünglinge; davon nun manche seit­

Khcilnehmung und Dienstwilligkeit,

dabei etwas helfen fönte, nicht fehlen ließ;

dem treue und rechtschaffene Dienste, thun, in gemeinnüzigstcr Amtsführung, und mir durch dankvolle Briefe gar oft eine Thräne'' ablocken,

die ich wieder zu ihrem Segen hin-uthue.,,

Ungemein richtig und wahr hat uns fol­ gender Gedanke über, ein Projekt geschie­

nen , das nun viel grosse Männer beschaftigt *), und das wir lang, ehe wir diese Stelle *) Wir vernehmen eben, dasi dieser Entwurf zur Vereinigung der drei Rcligionspartheicn, die im deutschen Reiche anerkant sind, auf

von Büchern-

6?

kanten, auf die gleiche Weise angesehen haben, obwohl wir eine gelindere Benennung dafür aus­ wählen würden. „ Es ist Tirannei, wenn man diese Gesellschaften durchaus vereinigen, und einen einigen Lehrbegrif für alle zurecht machen will. Diese Intoleranz ist jezt sehr geschäftig, unter der Gestalt der äusserlichen Vereinigung der Christen. Diese ist unmöglich;, Christen müssen sich selbst vereinigen; dies geschieht auch, so weit es je geschehen kan.„

So ist auch das Urtheil unendlich billig, das Herr S, über die Theosophen, Quietisten, Sepa­ ratisten, Pietisten und auch über die neuen Herrn­ huter fällt. S. 2 65 ff. Wir würden es abschrciben, wenn es nicht gar zu weilläuftig wäre. Wir empfehlen, es aber allen, welche sich ver­ pflichtet glauben fönten, solche Sckrirer zu verfolgen, bei denen sich so viel Verehrungs­ würdiges befindet, wenn auch viele ihrer Ide­ en, oder wenigstens ihrer Ausdrücke der gesun­ den Vernunft anstössig und der wahren Sitten­ lehre nachtheilig sind. 'Noch weit fruchtbarer sind folgende Aus­ sichten über die Kirchengeschichte. Da sie man«ine gemeinsame, angenommene Glauvenebekcntniß, nachdem er lang geschrieben herunu gegangen ist, im.Druck erscheinen soll, Es

ezt der Eifer

unserer Milnnterthancn > den weisesten Absich­ ten des Monarchen gem.s, fast allenthalben

rege wird- so werden wir in diesen Gegenden Handel und Wandel endlich wieder blühen se­ hen, die seit den Zeiten der , als es die Natur der menschlichen Dinge erlaubt,

Völkerrecht. Endlich sollte dieser Unterricht unsre Zög­ linge- auch von dm Verhältnissen belehren, in welchen alle Staaten der Erde gegen einander stehen Er soll ihnen erklären, wie die göttli­ che Vorsehung jedem die gleichen' Bedürfnisse und die gleichen Rechte zugeiheilt habe; wie jeder die Rechte des andern zu vermehren ver­ bunden sey, oder wie er erwarten müsse, sich selbst guf die gleiche Weise behandelt zu sehen, wie er andre behandelt hat; wie der Wohlstand jeder Nation in den Wohlstand jeder andern einen nothwendigen Einfluß habe; wie keiner blühen­ der werden könne, ohne die Wohlfahrt seiner Be­ nachbarten zu erhöhen; keiner.ärmer, ohne daß seine Nachbaren darunter leiden; wie diese Ein­ flüsse sich über alle Staaten auf dem ganzen Erd­ boden verbreiten; wie alle eigentlich nur-be­ sondre Gemeinden in dem grossen Staate Got­ tes ausmachen, und nur eine und dieselbige gross

st Angelegenheit haben, wirthschaftlkche Freiheit/ sittliche Freiheit, politische Freiheit. Aus diesen Säzen müßten die Gründsäze des Völkerrechtes hergeleitet und in einer leuch­ tenden Ordnung gründlich, ausgeführt werden« Wollts der Lehrer noch eine historische Nachricht über das sogenante angenommene oder positive Völkerrecht beifügen, so würde ich nichts dage­ gen haben, Beschluß

des Unterrichtes,

Vorbereitung

zum Gebern

Dec Beschluß des ganzen Unterrichtes un­ serer erlauchten Zöglinge sollte ihnen in einer kurzen und bündigen Wiederholung aller seiner Theile, ihre Verknüpfung unter einander, und ihre Beziehung auf die Bestimmung der Zöglin­ ge darstellen. Er sollte sie auffordern, zu prü­ fen, wie sie sich ihn zu Nuz gemacht hatten, und in wiefern sie sich nun im Stande befänden zu leisten, was sie leisten sollen, glücklich zu seyn und glücklich zu machen. Er sollte sie lehren, sich ihr zukünftiges Leben als ein Gemahl von unendlicher Mannigfaltigkeit vorzustellen, dein jeder Tag, jeder Augenblick eine neue Schönheit,, eine höhere Vollkommenheit zusezen soll, und das durch jede niedrige Begierde, durch jede un­ gerechte Handlung wird befleckt und verunstal­ tet werden« Er sollte sie anführen, sich eimn

i54

Abhandlung.

Plan davon zu entwerfen, in dem alle'theile übereinstimmcn, so viel Vollkommenheit m der physischen und in der moralischen Welt zu erzeugen, als es ihre Kräfte erlauben; ersollte sie mit dem lebhaftesten Eifer entflammen, sich täglich neue Stärke und neuen Muth zu Er­ füllung dieser grossen Absicht zu erwerben; und er sollte ihren Seelen den unveränderlichen Vorsaz einpflanzcn, jeden ihrer Entschlüsse nach die­ sem Endzwecke zu richten, jede ihrer Gesinnun­ gen darnach zu beurtheilen, und nie mit sich selbst, anders zufri den zu seyn, alö in sofern sie sich das Zeugniß geben können, darnach gehan­ delt zu hab n.

Leibesübungen.

Der wissenschaftliche Unterricht würde sol unsre erlauchten Zöglinge sechs Jahrelang täglich fünf Stunden in einer angenehmen Mannigfal­ tigkeit beschäftigen. Es müßte daneben die Ver­ fügung getroffen werden, daß sie täglich ein paar Stunden nach ihrem Geschmacke in Leibesübun­ gen, im 'Tanzen Fechten, Reiten, im Epercicen, in der Taktik, so wie,auch in schönen Künsten, im Zeichnen und in der Musik unterrichtet wür­ den. Auch dieser Unterricht sollte nach der Ab­ sicht, eingerichtet werden, welche ihre ganze Erziehung haben soll, ihren Leib zu stär­ ken und ihre Seelen zu adeln. Alles , was

Abhandlung.

155

diesem Endzwecke zuwider laufen könte, ,fo(£ sorgfältig vermieden werden. Jedem sollte frei stehen, welche Art der Uebung und der zeitvertreibenden Kunstarbeit es-ihm beliebte, vorzüglich auszuwählen;' so wie auch in derjenigen Wissenschaft, für die er einen ausgezeichneten Geschmack gefaßt hätte, sich einen besondern Unterricht geben zu lassen.

Konzerte. Zwei Tage in der Woche sollte in der An­ stalt Konzert gehalten werden.

Schauspiele. Zween andre,Tage sollten durch eine ganz oder zum Theil auf Unkosten der Anstalt unterhaltenr Gesellschaft Schauspiele vorgestellt wer­ den, die ganz nach dem Sinne des Unterrichts und nach den abwechselnden Bedürfnissen der Zöglinge ausgewählt oder gar verfertigt were den müßten.

Erholungen. S)rei. andre Abende sollten Zeitvertreibe Vorbehalten seyn, weiche sich die Zöglinge ^ver­ schiedentlich in verschiedenen Abtheilungen aus­ wählen würden, nachdem Geschmack und Nei­ gung sie in besondre Gesellschaften trennen und vereinige!» würden. Diese Zeitvertreibe sollten

r;6

Abhandlung.

immer unter der Leitung und der Aufsicht von Lehrern stehn. Ich weiß nicht, ob ich Vorschlägen dürfte,

daß eine oder zwo Wochen jedes Jahres Schau­ spiele, Musik und Zeitvertreibe ganz abgcstellt, und einige in Betrachtung der Nahrung ganz

auf die höchste Bedürfniß eingeschränkt werden sollten, um die Zöglinge an Entbehrungen und an Mühseligkeiten des Lebens zu gewöhnen.

Reisen. In jedem Jahre sollte eine Woche zu nüz-

lichen und angenehmen Reise» gewidmet, wer­ den , welche die Zöglinge auch in verschiedenen

Abtheilungen, an verschiedene Orte, unter der Führung von Lehrern vornehmen fönten. Wollte man von Zeit zu Zeit einen schönen

Tag zu einer kleinern Reise auf das Land nehmen, so tönte man an den fünf übrigen Tagen der Woche, wo diese Reise vergehen soll, jeden Tag

sechs Stunden dem wissenschaftlichen Unterrichte widmen. Allenfalls würden auch solche Stun­ den unersezt bleiben können,

wenn man nur

sich bestrebte, den Tag in andern Rücksichten nüz-

lich anzuwenden.

Polizey.

Ich will nun in die Polizey der Anstalt Nicht eintreten. Sie ist freilich ein wichtiger

Abhandlung.

157

Theil des ganzen Entwurfes, aber sie würde mich dermals allzuweit führen *). Nur dieses will ich hier anmerken, daß die Nahrung und die übrige Lebensordnung, unter Anleitung ei­ nes weisen Arztes, nach den Moralischen und phy­ sischen Bedürfnissen der Zöglinge so eingerichtet werden müßte, daß Stärke und Gesundheit des LeibeS und der Seele dadurch befördert werden sollten. Werkzeuge des Unterrichts.

Es ist beinahe überflüssig anzumerken, daß bei einer solchen Anstalt ein Naturalienkabinet, ») Ob die Zöglinge alle beisammen wohnen sol­ len oder nicht? ob sie ein reguläres oder sekulares Stift ausmachen'sollen ? dieses würde eine wichtige Frage seyn. Zch bin ziemlich geneigt, keine dieser Alternativen zu umfas­ sen. Ich wünschte, daß sie in drei, vier oder fünf kleine Gesellschaften getheilt wür­ den, und daß in jeder immer neben den Prin­ zen auch andre Grosse sich befänden. Zcde Gesellschaft müßte einen tugendhaften und gelehrten Mann zum Aufseher haben, der nicht einer der Lehrer wäre, und dem es be­ sonders obläge, die Sitten der Zöglinge zu bilden, und darauf zu sehn, wie sie sich den Unterricht der Lehrer zu Nuz machten. Auch iit vielen Unterrichtsstunden müßten die Zöglinge getheilt werden, damit, nach'Be­ schaffenheit der Gegenstände, die Menga Nicht nachtheilig wäre.

tjg

Abhandlung.

ein chymischcs Laboratorium, ein Apparat von

physikalischen Instrumenten,

eine Samlung

von Modellen und von Maschinen, eine kleine

Bibliothek, ein Blumengarten, ein Küchengar-

ten , ein Baumgarten und cm kleines Landgut nöthig seyn.

Einwendungen. Ich sehe unzähligen Einwendungen wider

diesen Vorschlag entgegen.

Es sey mir erlaubt,

einigen zuvor zu kommen.

Unausführbarkeit. Wenn cs auch möglich wäre, Fürstensöhns

nach diesen Ideen zu erziehen, so würden die Fürsten keine so erzogene Söhne verlangen, Leine Söhne, die besser er-ogen würden, als ihre Väter, und ihre Hofleute würden alles in der Welt onwenden, sie wider eine solche Er­

ziehung einzunehmen.

Das mag von den mei­

sten Hofleuten und von vielen Fürsten wahr seyn; oberes giebt Fürsten, und es sind uns mehr als

einer bekant, die anders denken, dienachdem sie das Glück gehabt haben, t>en Folgen der ge­ wöhnlichen Erziehung der Prinzen zu entgehn,

sich selbst erzogen haben, und nun empsin en, daß es gleich gefährlich ist, nicht ■ rzogrn zu wer­ den,

oder es so zu werden,

nsgemein zu werden pflegen.

rvw cs Prinzen

Abhandlung.

15S

Ueberladung mitKentm'ffen. Nach diesem Vorschläge würden die Zög-

lmge mit Kenknissen überladen werden. Grosse

sind nicht gebohren. Gelehrte, und gar nicht Vielwisser zu werden. Es ist auch die Absicht Les Vorschlags nicht, sie.bazu zu machen«

Es

ist keine Wissenschaft in dem Plane angegeben, von der nicht jeder Grosse wenigstens eine Tinktuv haben sollte; und ich bin weit entfernt, zu verlangen,

daß jeder sich von' allen eine liefe Zeder wird leicht die,

Einsicht erwerben sollte.

welche ihm nothwendig sind, von denen unterschei­ den, welche nur zur Zierde und zur Vergnü­

gung dienen. Jeder aber hat von diesen eine nöthig, die seinenrGeiste eine edle Befriedigung gewähre, 'die seine Erholungsstundcn anfülle,

die ihn widcb verderbliche und Aufwand gebielende Leidenschaften verwahre, und die ihm An­ laß gebe, sich auf eine Weise zu ergözen, welche die Glückseligkeit ihrer Mitmenschen befördert,

nnd welche die Maasse der Vollkommenheit in der Schöpfung vermehrt. Die andern Kents Nisse, die er zu Erfüllung seiner Pflichten nicht

nöthig hat, oder für die er keine Neigung bei sich spürt,

wird jeder nur obenhin oder gar

nicht berühren können, obwohl es eine Pflicht

der Lehrer seyn wird, ihnen fühlbar zu machen, daß, wie mehr sie Kentnisse mit einander in ei­

nem weisen Ebenmaasse vereinigen werden/'sie

jede desto gründlicher erlernen,

und sie desto

mehr Freude und Vergnügen geniessen werden,

und daß » wie mehr ihr Stand und ihre Reich­ thümer sie unabhängig und jeder andern Arbeit frei machen, sie Beschäftigung des Geistes und des Geschmackes desto nöthiger haben, um der Pein der Langenweile und den Gefahren des Dsüssigganges zu entgehn.

Zeitverlust.

Dieser Vorschlag verlängert die Zeit de»

Unterrichtes der Grossen gar sehr. Es ist wahr. Allein diese Verlängerung würde eine grosse Wohlthat für sie seyn. Der Mensch, dessen Un­ terricht und Bildung man zu hhr beschleunigt, wird meistens eine unschmackhafte und schlechte Frucht,

er bleibt meistens schwach an Leib und

am Geiste. Der Grosse insbesondre, der zu frühe in der Welt erscheint, wird, wie grösser

er ist, desto eher verdorben.

Die Ehre, die man ihm aller Orten erweist, überredt ihn, er

sey ein Mann, da er noch ein Kind ist, und so bleibt er immer ein Kind, ohne andrer Anlässen von Verderbs zu gedenken, denen zu entgehn

es für ihn beinahe unmöglich ist. Diese Ab­ sonderung von der grossen Welt, während dem gefährlichsten Zeitraume des Lebens, ist eine fast unumgängliche Bedingniß einer Erziehung, die den Grund zu einem wahrhaftig glücklichen und

Abhandlung. nüzlichcn Leben legen soll.

idi

Vielleicht liegt der

Grund der so grossen Verderbniss, die noch un­ ter allen Ständen herscht, grossentheils in der zu frühen Emanzipation. Diese ist in allen Stän­ den schädlich, und bei den Grossen qm meisten.

Nur einige wenige machen bisweilen eine Aus­ nahme von dieser Beobachtung, und erziehen sich selbst, nach der Zeit ihrer Erziehung, besser Uebrigcns wer­

als andre hatten thun können.

den wir in den Geschichten nicht finden, daß

viele von den Grossen, die in der Zeit schon Ge­ nerale gcwescn sind, da sie nach diesem Entwürfe noch in der Schule seyn sollten, grosse. Thaten verrichtet haben. Ich gehe noch weiter. Um

die Emanzipation, nach Beendigung des Un­ terrichtes im Institute, nicht allzugcfährlich zu machen, wollte ich die jungen Herren noch für ein Jahr nach Genf oder nach Lausanne schicken,

um ihnen eine Tinktur ton' dem Weltgcbrauche zu gebest, ohne sie gleich der verderblichen Luft

der Höfe und der grossen Städte auszusezen, und dahin sollten sie einen grossen Lehrer des Staats­

rechtes hinberufen, um ihnen in diesem ihnen' unentbehrliches Theile der Gelehi.unkeit Unter­ richt zu geben.

Lehrer. Solltees möglich seyn, die nöthigen Leh­

rer zu finden?

Warum sollte man nicht zehn

Sphem. Hornung 782.

L

i6i

Abhandlung.

oder zwölf rechtschaffene und gelehrte Manner für sechs Jahre zu einer solchen Anstalt finden können, wenn man nach Dersiusse dieser Zeit jedem,ein freies lebenslängliches Gehaltvoll ioo Karolinen , oder eine anständige Steile an ei-

«em Hofe versicherte.

Aufwand, Wer soll die Unkosten einer so grossen Stiflung bezahlen? Diese soll erstlich keine Stiftung seyn. Sie soll nur auf sechs Jahre errichtet wer­ den, und alsdcnn wieder aufhören, wenn sie

Tlicbt nach Verstosse dieser Zeit oder in dein Laufe davon auf,das neue angcfangen wird. Nach dieser Vorgussezung würden zehn odcrzwölfHöfe woyl i'in Stande seyn, neben den.orftgcdachten Pensionen, diesen Aufwand sechs Jahre lang zu bestreiten, und die übrigen vornehmen Zöglinge würden auch das Ihrige dazu beitragen;

ob­ wohl die Anzahl davon, die von fünf und zwan­ zig oder dreissig nie übersteigen sollte. Es würde seyn, als wenn zehn Höfe zusammen stünden,

um sechs Jahre lang alle Jahre eine grosse Oper spielen zu lassen, oder, als ob jeder jährlichem kostbares Feuerwerk spielen liesse.

i6z

Zweiter Theil.

Nachrichten und Auszüge von Büchern.

Dr. Joh, Sal. Semlers Lebensbeschreibung, von ihm selbst abgefaßt. Erster Theil, Halle 1781.

. Schluß von S. 78. tes vor. Stücks. Entbehrlichkeit

des

Pabstes für das katholisch^

Deutschland. Heinrich IV.' gerechtfertigt Qua.' ramainc der, neuen Entdeckungen. Akaeemischcr Unterricht.

2ikadcmische • Charlatanerie.

Würdigung des Lebens.

§8>r haben bis an das Ende eine Stelle Ver­ spart , wo wir mit Herrn S. ganz und gar nicht einer Meinung sind, und über die , wir es uns

zur Pflicht achten, unsre Gedanken ausführlich

zu eröfnen.

Sie befindet sich in folgender Er­

zählung einer Unterer düng, die Herr ,Dr. Seni­ ler mit einem elsässischen Geistlichen über seine neuen. Meinungen gehabt hat. Wir irzen die ganze vortrefiichs Stelle hieher, weil sie viele

8 s

164

Nachrichten und Auszüge

herliche Aussichten enthalt:

„Ich übergehe die

Erzählung von vielerlei Besuchen,

die ich von

Fremden'gehabt habe, wobei ich sehr oft die Freude hatte, inne zu werden, daß viele Präjudizia, welche man wider mich, bloß aus schie­ fen Erzählungen, aus unfreundlichem Verdacht oder Urtheilen über' manche meiner Schriften, angenommen hatte, in einer Zeit von einer hal­ ben Stunde gänzlich gehoben wurden. Die ein#.

zige Freude, für 20 - gojährige anhaltende Ar­ beiten, welche andern nüzlicher worden sind, als

mir» Nicht selten endigte sich die Unterhaltung, woran anfänglich manche gutgemeinte Paränesis, und Vorstellung von Schaden, .den ich stiften sollte., Theil hatte, von freien Stücken mit ei­

ner Umarmung und der Rede: Sie sind ein gu­ ter braver Professor. Ein sehr strenger Crusianer, Prediger im Elsas — traf mich gerade dabei an, daß ich an dem zweiten Stück der

Samlung vom Kanon schrieb,, und fieng einen

sehr ernstlichen Spruch an wider mich, daß ich Dinge in Zweifel zöge, die so lange Zeit schon ihre ausgemachte Richtigkeit hätten Z. E.von der Apvkalypsis wisse man ja alles schon aus dem heil. Irenäus rc. Ich sagte ganz sanft:

i) Ich wehre es ja niemanden, vom Kanon zu denken, was er kau und muß; ich will nur dem Anstoß abhelfcn^ den manche haben, und da­ her sich ganz und gar der christlichen Religion

165

von Büchern.

entziehen;

für diese lehre ich, was Luther und

andre gelehrte'Leute stets auch gelehrt haben. 2) Was den Irenaus betrift, so müssen Sie mir erst sagen» ob sie seine Bücher selbst gelesen

haben?

Nein, antwortete er, dafür sind die

gelehrten Männer,

denen kan ich doch wohl

eben so gut trauen, als ihren neuen Meinungen. Vergeben Sic, sagte ich,

Sie trauen, zu viel,

sonst fernten bloß die Predigten ihres Vorfahren, Jahr aus wenn Sie nicht selbst studieren;

Jahr ein dort vorgelesen werden, und ihre Stelle ■fönte, was das Predigen betrift, cingezogen

werden. Jch^will ihnen an diesem Irenaus zeigen, das; man sich durchaus nicht auf Ge­

lehrte voriger Zeit so verlassen kan, daß,man in jeziger Zeit eben jene Erkentnisse, noch immer behalten möge.

Weder Melanchton,

noch

Chemnitius, noch Hutterus tc. wußten es, daß in den bisherigen Abdrücken des Irenaus, die lezren Kapitel gänzlich

fehleten;

sic wußten

nicht, daß schon lateinische Abschreiber d.ie gro­

ben fanatischen (montanistischen) Brocken des Ire­ naus nicht einmal mehr abschreiben wollten, welche wirklich die lezren Kapitel ganz weggelas­

sen haben. Wer daher nur alte Ausgaben, die Erasmus besorgt hat, oder die darnach abge­

druckt worden, gelesen hatte, der fönte freilich nicht so leicht darauf kommen,

das; Irenaus,

selbst ein Montanist gewesen, und sich, vergeblich

166

Nachrichten und Auszüge

bemüht hat,

die Apokalypsin in die. römische

Kirche zu bringen;

Weher wissen Sir das?

fragte mich der Herr Magister. .Weil ich in einer andern Zeit lebe, und die-daseyenden Hülfsmit­ tel ernstlich zu gebrauchen mich bemühe. . Dar­ um halt der Staat ferner Profcssores 'und Pre­ diger, daß sie für die jezige Zeit Mehren sollen..

Lehren ist eine täglich fortgehende immer verän­ derliche Fertigkeit und Beschäftigung; jeder Leh­

rer behält seine lokale Einschränkung; und diese passet nicht geradehin in eine andre Zeit; dar­ um müssen immer Lehrer auf einander folgen;

sonst dürfte man nur Luthers Postille alle Sonn­ tage ablesen.

Der Magister begrif'dies gleich;

nun sagte ich, mein Lieber, warum sind Sic denn mit ihren Angehörigen so unwillig über mich, wenn Siem einer Rezension lesen, Seniler hat eine neue Meinung oder Anzeige---------- bekant

gemacht. Ist das nicht nothwendige Folge von der jczigen Zeit, worin ich selbst studiere, wenn. Sie mit einander so hochansehnlich schwazen, und paränesiren über den Schaden der'Kirche, den sch stiften sollte? Muß das Schade der Kirche seyn, was Sie so zufriedenmit einander dafür er­ klären? Ich wollte, daß mehrere" ihrer lieben Amtsbrüder mich besuchten, ich wollte .eben so

vertraulich mit ihnen hierüber sprechen, als mit Ihnen;

und da würden die Herren endlich wohl

Merken, wo der Schaden Josephs zu suchen sey;

von Dächern.

167

bei mir und meiner sauren Arbeit, oder bei ih­ ren alten Einbildungen und Grundsazen.

zcn Sie, fuhr ich fort,

Seihren Verstand erst in

Bewegung, wenden Sie ihn an auf das, was Ih­

nen ganz unbekant bleibet,

weil Sie in jeziger

Zeit nicht weiter studieren , als Sie auf der Uni­ versität ehedem gekommen "waren.. DicS war ja nur eine Anleitung für. Sie, ’bU ihr Ver­ stand von Ihnen selbst angewendet werden wür­ de , um nun ein solcher lokaler Lehrer zu. seyn,, und täglich besser zu werden, den kein Professor

schon aus den-Zuhörern selbst machen tonte.

Dieser Magister dankte mir sehr ernstlich,

dast

ich ihn auf den rechten Gesichtspunkt gewiesen hätte.;. gestund, daß er nichts von. meinen Schriften selbst gelesen, habe;

daß aber die Her­

ren Konfratres., wenn sie zusammen kommen, sehr ernstlich einander erzählten, was der und der

Rezensent dem Seniler vorgerückt habe,

und daß ste mit einander in den alten Glauben zu beharren, sich, wie sic meinten, ganz recht verbänden. Ich beschloß unser Gespräch damit:

Seyn Sic versichert, diese gelehrten Dinge, Neu­ oder gefährlichen Meinungen, gehören gar nicht zu dem allen un­ veränderlichen Glauben der Christen; sie gehö­ ren für den Ärden und Stand der sogenannten. igkeiten, wie Sie denken,

Gelehrten;

wer da wissentlich zurückbleibet,,

darf sich nicht so beschreiben,

er bliebe bei deiy

i6z

Nachrichten und ZluSzüge

alten Glauben; sondern es heißt, er bliebe in der alten Bequemlichkeit seines Lebens. - ------Aus Thüringen habe ich einige solche Besuche gehabt von Predigern, die unter dem scl. Baum» garten hier studiert hatten; die waren noch angst« licher, daß ja in der Airchenhistorie und Exe­ gese jezt alles ganz anders wurde, als fie in ih­ rer akademischen Zeit es gehört oder gelernt hät­ ten ; ich führte auf solche Art eine Ungewißheit und Skeptizismus ein rc. Ich sagte, i) daß sie unrichtig vvrausgcsezt hättendeoZnhalt ihrer Hefte begreife die Vollkommenheit und das Ziel der Erkentniß aller dieser Gegenstände. Auf allen Universitäten, wo neue und fleißige Lehrer wären, würde hingegen vorausgesezt, daß dies nur Anfangsgründe und Anleitung zu künftiger eigenen Erkentniß und Beurtheilung sey, die sie als Lehrer sich nach und nach selbst erst schaffen und sic täglich vermehren müßten. Sie wür­ den gefunden haben, daß wirkliche Gelehrte .über eine, und dieselbe Sache, gor Ungleiche und verschiedene Einsichten ausbreitetcn; und daß jeder in seinem Gesichlskreise "wirke; keincswegcs 'aber hiemit Gescze und Vorschriften geben wolle, an die sich die Lehrer, die aus akademi­ schen Zuhörern endlich selbst Manner würden, geradehin zu binden hatten, so bald sie ihre Seclenkrafte geüber und verfeinert hätten. Dies gelte sogar von der gelernten Dogmatik, die ket-

von Büchern.

169

ücsweges eine Unvecänderlichkcit begreife, wenn gleich die öffentliche kirchliche Lehre alle ihre Ge­ wißheit behielte wider jene römische oder sozinlanischen Lehrer, wider. Partikularisten re. 2) Sie würden die alte Anmerkung wissen: Non omnia poffumus omnes. Die Geschichte des griechi­ schen und hebräischen Textes sey ein ganz neuer Zweig der theologischen Gelehrsamkeit, der zur Zeit ihres Studierens in Deutschland erst hie und da gekeimet habe; viele Gelehrte, auch Baum­ garten , hatten daran keinen Theil genommen; folglich hatten sie auch vor40 - 50 Jahren nock­ gar nichts von allen diesen Sachen hören kön­ nen. Eben so wenig seyn die sonstigen Vorle­ sungen über die Kirchenhistorie mit eigenem steten Gebrauche der Quellen ehedem verbunden gewesen, und Patres hatten deutsche Theoiogi so gar nicht studiert oder studieren können, daß sie sich an Richard Simon und Petavio sehr ge­ ärgert/-und mit Bull's und noch viel schlechtem Schriften, diese Sachen für entschieden ange­ sehen hätten. . Sie würden auch wissen, daß man Theologie und den gemeinen Religionsun­ terricht ehedem stets mit einander vcrmengetHar 6c, wodurch viele Meinungen oder Entscheidun­ gen das Ansehen der christlichen Glaubensleh­ ren bekommen und lange behalten hätten; da dieses doch nur abwechselnde Gedanken oder Thevrien der und jener Theologen gewesen, t>ene$

I/O

Nachrichten und Auszüge

die vielen unsieissigen Zeitgenossen ein groß Präjudiz des Ansehens angehängt, und daher alles

für unentbehrliche Grundlehren des

Christen­

thums angesehen hatten. Da ich nun in allen diesen Stücken für mich einen neuen Weg zu ge­

hen mich bemühet hatte: so sey natürlich, daß ich in Beurtheilung des Textes, in Ausle­ gung , in Erklärung der auf-einander folgenden

Theorien, und Uebergang aus einer kirchlichen Provinz in die andre, oder weitere Abände­ rung,^ mehr in die Augen bekommen hätte;

und daß ich diese ganz unvermeidliche Ungleichheit

und Abwechselung der Lehrartcn mit allem Recht, als das Unterscheidungsstück der Lehrgeschicklich-

krit,

und als ein Eigenthum des Lehrstandes

angesehen hatte, welches der gemeine Christ in seiner täglichen öffentlichen Lage und Ordnung zu gar nichts gebrauchen könne re» daß diese meine

saure Arbeit von mir nicht als Kizel oder zum Zeitvertreib vorgenommen würde, sondern ich

mit Verläugnung meiner eigenen Vortheile des Lebens, die unmittelbare Bestimmung eines aka­ demischen Lehrers zu befolgen suchte; wenn nuu

viele dies nicht thun, sondern mit ihren ihnen geläufigen Lesebüchern zufrieden seyn wollten,

am keine neue und schwere Arbeiten sich aufzule­ gen: so gäbe dies niemanden ein Recht, Hö­

nisch oder nachteilig pon ' mir zu urtheilen.

Sön BächMl.

171

Man würde gewiß die leichte und die Menschen scligmachende christliche Religion besser behaupten

und-empfehlen, wenn die Dinge abgesondert würden, die ich als unwahr und ganz falsch er-

fennett, 5. E. warum so viele noch immer grosse Augen machten über meine gerade und deutliche

Erklärung über 1 Jol). 5, 7? Es solle erst jemand das widerlegen, was ich gesagt hätte; er fönte ja sehen, wie weit er mir Gerhard, Ca­ los und andern, hier auskäme.: Warum sollte

ich göttlichen Ursprung der hebräischen Lesezei­ chen lehren, da ich den ganzen Ungrund davon

kennete?. Solche alte Meinungen leiteten end­ lich ganze Haufen Prediger zum Aberglauben, oder zu despotischen Behandlungen fleissiger Ge­ lehrten, aus Stolz auf die Pluralität, und die, Religion würde immer leichter verachtet. Dies sind nur einige Beispiele, wie viele, stets freie Unterredungen ich mit allen denen gehalten ha­

be, die mich aufgesucht, und mir noch so viele Bedenklichkeiten vorgehalten haben. Am mei­ sten stieß ich bei manchen damit an, daß ich be­ hauptete, die Lehrer der lutherischen Kirche ha­ ben nicht allein die Anleitung zur christlichen

Wohlfahrt und Seligkeit in ihren Händen; die Grundartikel des Christenthums sind allen christlichen Kirchen gemein; die drei grossen Kirchen

haben sich

einander getrennet,

auch

nicht

darum

von

oder sich von einander w

ipz

Nachrichten und Auszüge

terschieden *), weil man in der römischen Kirche nicht ein wahrer seliger Christ werden und blei­ ben könne >r*); sondern weil ihnen viele be­

sondre kirchliche Lehrsäzc,

wodurch die römische

Kirche äusserliche Unordnungen fnr den Staat veranlasset, gar nicht zum christlichen Leben und Wandel nöthig waren; wo hatte also dec Grund Herkommen sollen,

das; protestantische Kirchen

ihre Lchrart aus Kölln oder Nom ferner holen

sollten?

Und eben so gäbe cs keinen Grund

mehr, nachdem Luther den freien Grund dec christlichen Religion, und ihrer Erklärung und Anwendung aus der Schrift, in daseyendcm Lo­ kalst wieder ins Reine gebracht hatte: noch ferner

jene Lehrsaze oder lokalen Bestimmungen zu behal­ ten, wodurch man ein Mitglied der bisherigen rö­ mischen Kirche, die unter dem Bsschofe in Rom stehen will, durchaus werden muß ***) ? Kch-

*) Es würde vielleicht besser und richtiger ger sagt seyn, sie hatten nickt nöthig gehabt sich deswegen zu trennen; oder die Gründe, aus welchen Theologen, und die, aus welchen die Fürsten die Trennung betrieben hätten, waren verschieden gewesen. A.d. H. **) So ist Heinrich der IV. gerechtfertigt, der lieber sich zur römischen Kirche bekennen, als einen unseligen bürgerlichen Krieg fortsezen wollte. A. d. H. Also kan die römische Neligion oder Dog­ matik, ohne Len römischen Bischof bestehn?

von Büchern. ren Sie sich nicht an solche Disputation: Extra ecclefiam lutheranam non efle falutem; fra­ gen Sie nur erst, was faius ist, wie es dem Menschen zu Theil wird ? da werden Sie einse, hen, daß solche Disputanten es zu gut meynen, und aus einem schon gefaßten Vorsaze dies be­ haupten ; wornach es ja ihre eigne Urtheile sind, denen andre Lehrer ihre Urtheile mit eben dem Rechte vorziehen müssen, als wenn sic Luthers Privarmeinungen, und ihm geläufige Urtheile, gleichwohl heut zu Tage nicht fortsczcn; oder wollten Sie etwa wohl noch weiter von Sakramentfeinden, das Brod wird Leib Christi, Fleisch­ brod rc. altlutherisch reden? Einige verstunden mich bald; aber manche fönten nicht begreifen, daß man in der päbstlichcn Kirche, die so viel Jrlhümer hatte, als wir in den schMalkaldlschen Artikeln angezeigt hatten, selig werden könre. Sie erinnerten sich auch ebenso nachdrücklich an Calixti Syncrelismus; dies ist^ sage ich, ein Name, den seine Gegner aufgebracht haben, der

und wenn das katholische Deutschland sich vor zwblf ober funszebn Zähren dem Hirtcnstabe des rLmischcn Bischofs entzogen hätte, so würde cs doch katholisch geblieben seyn, und seine Orthodoxie nicht verwirkt haben. Wenn dieses also noch geschieht, so kanZeder gute katholische Christ für das Heil seiner Seele ganz ruhig seyn. A.d. H. ,

174

Naschten und Auszüge

bei iCalixti guten Grundsäzen ganz und gar nicht statt findet, für diejenigen, die ebenfals darü­

ber urtheilen.

Hiermit unterscheiden sich nur

lutherische Akademien in Dingen, die gar nicht zum Wesen der lutherischen Gesellschaft gehören. Solche Faniilien gleichsam, oder kleine Parthcien

wird es immer geben; weil wir eben keinen Papst haben wollen, der doch auch solche besondre gelehrte Parrheien In der römischen Kirche nicht hat verhü­ ten oder unterdrücken wollen oder können.

Die

kleiner! Partheien behielten dennoch die Hauptsazc und Grundkaze, wodurch alle zu der römi­ schen Kirchcngesellschafr gehörete». Eben so ge­ hören alle noch so verschiedene Gelehrte oder aka­ demische Partheien der lutheriscvcn Lehrer, zu der ausgebreitetcn lutherischen Religionsvarchei, wenn sie gleich in gelehrten Entscheidungen und Urtheilen über theologische Aufgaben, sich von einander immerfort unterscheiden.,,

Wenn wir uns nun schon den Unterschied,

den Herr S. zwischen der künstlichen Theologie und zwischen der Religion macht, sehr wohl vor­ stellen können; wenn wir auch gar gern zugcben, daß seit ihren ersten Ursprüngen die Theo­ logie der Schule, so wir die Religion in jedem Jahrhunderte mit wissenschaftlichen und phanta­ stischen Zusözen beladen,

und dadurch endlich

ganz verunstaltet worden ist, und daß eödiewe.

von Büchern«,

’75

sentliche Pflicht ächter Gottesgelehrsamkcit ist, die Lehre und den Glauben von diesen Zusätzen zu reinigen: so glauben wir doch nicht, baß diese Bemühung der eigentliche Gegenstand des akademischen Lehramtes sey, und das; ein Mann, dec diese wichtige Arbeit unternimmt, seine Ent­ deckungen der akademischen Jugend in seinen Lehrstunden mitzutheilen habe. Uns deucht so gab, jede neue Entdeckung müsse eine Prüfung mehrerer Jahre ausgestanden und den Beifall vieler erleuchteter Manner erhalten haben, ehe sie in ein akademisches Lehrbuch, oder in den münd­ lichen akademischen Unterricht ausgenommen wer­ den soll. Jeder bescheidene und weise Mamr soll fürchten, daß seine neuen Gedanken noch unreif seyn, und daß sic Verwirrungen verursa­ chen tönten. Insonderheit soll er bedenken, daß die Meinung, mit neuer Weisheit groß, zu thun, junge Leute auf gefährliche Abwege verleiten kan, und daß solche Jünglinge, wenn sie nach Hause kommen, und sich mit ihrer neuen Sprache wei­ ser als alle andre Menschen dünken, geneigt seyn müssen, allerhand Neuerungen einzufüh­ ren, welche an sich selbst gut seyn können , aber erst bei gereiftem Verstände und nach langer Erdaurung unternommen werden müssen. Uns deucht, in den eigentlichen akademi­ schen^ Unterricht gehöre nichts, als dasjenige^ was deg zukünftigen Seelenhirten zu Führung

Nachrichten Und Auszüge einetz Pfarramtes vorbcreiten, was ihn tauglich machen,kan, Licht, Güte, Ordnung, Trost, Standhaftigkeit in die Seelen seiner Psiegbe-

fohlenen zu giessen , und die Masse des morali­ schen Guten unter den Menschen zu vergrößern. Alle Gelehrsamkeit, die nicht dahin zielt, ist ein Nebending, das aufgeopfert, werden muß, so bald es dem grossen Endzwecke des Unterrichtes, -er Erbauung hinderlich seyn köncc.

Ueberhaupt müssen wir gestehn, daß uns die Bestrebung, unter dem Scheine der Gelehr­

samkeit eine grosse

Menge

Studierender auf

Universitäten zu ziehen, höchstens im wirthschaft-

lichen Verstände Billigung zu verdienen scheint. In Absicht aus die Sittlichkeit und auf die Er­ leuchtung, deucht sie uns immer eher »achrheilig als vorlheilhast. Kollegia, die fünfzig, hundert, zweihundert jungen Leuten vorgelesen werden, machen keine andre Wirkung, als wie Predigten. S>c nüzen insgemein einem desto

kleinern Theil der Zuhörer,

tiefgedachcer sie sind;

wie gelehrter und

und die Mengen der Zu­

hörer hindert die vertrauliche Mittheilung der

Lehrer und der Lernenden..

Es ist freilich unmöglich, daß auf allen Uni­

versitäten Kollegia so

gut gelesen werden,. wie

Baumgarten, Mosheim, Böhmer, Thomasius vorlasen, öder zu lesen erachtet wurden —-

von Bücher».

177

Mer wenn solche Lichter der hohen Schulen wohlausgearbeitcte Kurse verfertigten, und wenn

auf geringern Universitäten die Lehrer, anstatt

schlechte Kursus selbst zu entwerfen, die Werke der bessern mit den Studenten läsen, wenn sie sie,

wo sie undeutlich wären, erläuterten, und wo et­ was mangelte,

ergänzten,

und wenn sie die

minder zahlreichen Zuhörer, ob sic auf das Vor­ gelesene und Erklärte aufmerkren, und ob sic es verstehn, prüf'eten: so würden gewiß auf den kleinsten und unberühmtesten Universitäten, von

mittelmässigen Lehrern bessere Leute gebildet wer­ den, als nun auf denen , die am meisten Aufse­ hens machen, von den gelehrtesten Männern,

die oft mehr Schriftsteller, als Lehrer sind. Es ist ganz natürlich, daß diese Kursus

mit der Erweiterung und der Aufheiterung der menschlichen Kentniss: von Zeit zu Zeit abgeandert werden müßten. Aber immer müßte

nichts darin als dogmatisch anerkant ausge­ nommen werden, als was die Prüfung mehrerer Jahre ausgeftanden hätte; und nichts, das nicht

den zukünftigen Geistlichen zu einem wahren Va­ ter und Hirten seiner Gemeinde zu machen dien­ lich wäre.

Wir sind wxit entfernt, die grossen Lehrer als unnüze Personen anzusehn. Wir sagen nur,

sie seyn dem grossen Haufen unnüz.

Sx!i«m ",3'vnimci 782.

M

Wir wün-

*78

Nachrichten und Auszüge

schen ihnen nur mehr Musse, damit die bessern

Köpfe, diejenigen, die dereinst auch Lehrer von Leh­

rern werden sollen,bey ihnen eine» höher« und ver­ traulichern Unterricht fanden, dersieinHeiligthü-

mer einführte, welche für die gemeinen Studieren­ den nicht ohne Nachtheil zu früh würden geöffnet

werden.

Den Zufluß solcher vorzüglich guter Kö­

pfe auf die hohen Schulen, wo die grossen Nazio-

nallehrer sich befinden, können wir nicht anders, als billigen. Aber die, so sich einen solchen Un­ terricht zu Nuz machen wollen, müssen schon or­

dentlich ihre Studien vollendet, und sich zu ausgedehntevn Aussichten erhoben haben.

Lasset uns nun noch die-Waage nehmen, und Gutes und BöseS, Lust und Unlust, die Herr S. in seinem Leben genossen haben mag, zur Belehrung und zur Warnung des Jünglings

abwägen,

der sich die gleiche Laufbahn wählt.

Wir werden hier nichts auf die Waage legen,

als das,

was in der Lebensbeschreibung steht,

und was sich durch behutsame und richtige Fol­ gerungen daraus schliessen laßt. Daß die Masse der Freude die des Schmerzens in diesem ar­ beitsamen und fleissigen Leben überwogen habe, so, wie in dem Leben eines jeden andern Men­

schen , der mehr moralisch gut als böse ist, das ist sehr auffallend; aber wer den Werth der Dinge-nur nach sinnlichen Gefühlen und nach

dem Scheine zu schäzcn gewöhnt ist, dürfte sich

von Düchcr».

i7?

von der Glückseligkeit, die unser Gelehrter ge? noffen hat, eben keine hohen Begriffe machen; tönte fein Leben vielleicht als einen neuen Be­ weis von den Uebeln ansehn, die den Stand dec Gelehrten nicht wünschenswürdig machen. Las­ set uns dieses näher erwegen. -Die Kindheit unsers Gelehrten war nicht bloß, wie bei den meisten andern Menschen, durch sich selbst unendlich viel reicher an Freu­ den als an Leiden; die vernünftige Leitung sei­ ner Mutter scheint ihm auch die meisten Leiden erspart zu haben, welche Kindern durch einge­ wurzelte Erziehungsvorurtheile zugezogen wer, den, und auch seine kindlichen Studien scheinen durch die verständige Führung des Vaters von dem Schuljammer größtentheils befreit geblie­ ben zu seyn. Dieses war nicht nur vorüber­ gehende Anmuth für den zukünftigen Menschen, es war wahres Glück für ihn; denn eine freie und liebreiche, aber von aller Verzärtelung und Verwöhnung entfernte Behandlung in der Kind­ heit ist die erste Grundlage eines glücklichen und zufriedenen Lebens. Und in diesem Gesichtspunkt war Herr S. glücklicher, als es weit der größte Theil der Menschen, auch in denhöhern Stan­ den, gewöhnlich ist, und cs insonderheit in dec Zeit seiner Kindheit war, wo die Gcundsaze ei­ ner guten Erziehung noch wenig bekant waren. M -

lös

Nachrichten und ZluLzüge

Nach ein grösseres Glück war es für ihn, in feinem Haufe nichts als gute Beispiele zu sehn.

Die Lust, mit welcher er studierte, und die Freiheit, mit welcher er es thun fönte, ver­

mehrte auch die Freuden seiner Kindheit und fei.;, nee JünglingLjahre nicht wenig-. Sie würde aber es noch mehr gethan, und Charakter und

Geist unendlich veredelt haben, wenn der junge Semler damals die Gelegenheit gehabt Hütte,

die ein junger Mensch in seinen Umstanden dermals leicht finden würde, die Alten in einem

bessern Sinne, und die besten französischen und deutschen Schriftsteller mit ihnen zugleich zu le­ sen, und sich einen richtigern und feinern Ge­ schmack des Guten und des Schönen zu erwer­ ben, als der, so zu seiner Zeit in Deutschland herschend war. Der in seinem Hause, nach

seiner Mutter Tode, eingeschlichene Pietismus und die damit verknüpfte Erniedrigung der Sin­ nesart seines Vaters, war nothwendig eine Quelle von vieler Unannehmlichkeit für ihn, und

hat ohne Zweifel in die ganze Folge seines Lebens bittre Einflüsse gehabt. Eine reiche Quelle von kostbarer Freude

war hingegen die in Unschuld und Reinigkeit durchlebte Jugend für unsern Gelehrten; er hat unzweifelbar die herlichsten Früchte davon durch

sein ganzes männliches Alter genossen, und er Hal

von Büchern.

S§I

bis in die Grcisenjahre sich noch mehrere da­ von zu versprechen. Der glückliche Fortgang in seinen, obwohlwie es scheint, nicht in der vollkommensten Ord­ nung, geführten Studien, die beständige Erwei­ terung seiner Einsichten, der Beifall seines Leh­ rers, müssen in seinen akademischen Jahren die Zahl, seiner frohen Augenblicke unendlich weit grösser gemacht haben, als es die der freuden­ losen oder dec traurigen war. . Die bittern Empfindungen, welche aus Unachtsamkeit oder durch litterarische Gelüste zu­ gezogene Schulden ihm verursacht haben, tha­ ten ohne Zweifel seinen gelehrten Freuden keinen geringen Abbruch; aber sie würden unendlich bitterer und für fein ganzes Leben unendlich lä­ stiger gewesen seyn, wenn er sie sich durch ein schwelgerisches und unsittliches Leben zugezogen hätte, und wenn er gar, wie cv nur zu oft der Fall junger Studierender ist, unglücklich genug gewe­ sen wäre, sie nicht bezahlen zu können. Unter das Unangenehme, das unser Ge­ lehrte ausgeftanden hat, gehören ohne Zweifel auch die Mühseligkeiten und die Reue, die er über die Annahme eines Amtes empfunden hat, dem er sich nicht gewachsen fühlte; ob wohl diese Leiden seinem Herzen nicht wenig Ehre ma­ chen, wie sie auch nach dem wahren Zwecke al­ ler Leiden ihm unendlich heilsam waren, da sie

iga

Nachrichten und Auszüge

ihn bewogen, unablässig der Vollkommenheit

nachzustreben, deren Mangel ihn so beschwer­ lich war. Hier kommen neue Freuden In Rechnung, die vielleicht alle diejenigen übertreffen, derer

wir bisher gedacht haben.

Die Freude der

Erfindung, die Luft, die aus dem Nachdenken entsteht, mit dem der Geist auf Eroberungen in dem Felde der menschlichen Erkentnisse ausgeht,

und die Befriedigung, die ihn beseligt, wenn er glaubt, neue Entdeckungen gemacht zu ha­

ben.

Diese sind freilich Herrn S. durch Wi­

derspruch und durch Verfolgungen nicht wenig verbittert worden. Allein üngegründcte Wider­ sprüche sollten ihn nickt gekränkt haben; cs wa­ ren Fehler seiner Gegner, und nicht die seinigen. Gegründeter Widerspruch soll ihm will­

kommen gewesen seyn. Er führte ihn näher zur Wahrheit, die über alles liebenswürdig ist. Und Verfolgungen,

so hart sie auch drücken,

werden zulezt auch Quellen von Freuden, wenn der Weise sie mit Muth besiegt hat, oder wenn,

sollte er untergelegen haben, er sich das Zeug­ niß ertheilen kan, nur für die Rechte der Wahrhe t minder Tugend, ohne niedrige Nebenab­ sichten, gekämpft zu hgbcn. Fehlt ihm auch dieser Trost,

und haben Ehrgeiz,

Eifersucht,

Geldgeiz, Ruhmbegierde ihn auf Abwege ver­ leitet, so dankt der geprüfte Gelehrte dem Him-

von'Bücher«.

5B3

mel für seine Leiden; so veredelt er, dadurch von der gefährlichen Bahn, auf der er sich befand, abgerufcn, die Triebfedern seiner Hand­ lungen , reinigt seine Aussichten, und ist sicher, nach einer Reue, die ihn nicht gereuen wird, höhere Freuden in dem Genusse der Wahr­ heit und in dem Gefühle der Liebe zu finden, durch die allein er Gott ähnlich und Gott gefäl­ lig, durch die allein er ein Mann von Religion, ein wahrer Theologe, ein wahrer Weiser und ein wahrer Christ seyn kan.

Das Bewußtseyn, als ein wohlthätiger Freund und Nachfolger der Tugend, manchen Jüngling auf der Dahn der Rechtschaffenheit erhalten, oder dahin zurückgcbracht zu haben, ist also unstrei­ tig für Hrn. S. eine Quelle noch höher» und ediern Vergnügens gewesen, als dasjenige, wel­ ches Wissenschaft und Gelehrsamkeit gewähren.

Sezen wir noch zu diesen Freuden diejeni­ gen hinzu, die ihn als Ehemann in zwo-glück­ lichen Ehen, und als Vater beseligt haben und noch beseligen, der seine Kinder selbst mit ge­ segnetem Erfolge erzieht: so können wir, unge­ achtet der Widerwärtigkeiten, die nun in einem hoffentlichen kurzen Schauer auf ihn zustürmen, sein Leben unter die, zählen, wo die Masse des Guten die des Uebels unendlich überwiegt.

Nachrichten und Auszüge

'8-i-

Nur eines fehlt, nach unsrer Einsicht, die­ ses Glück so vollkommen zu machen, als es

fordern

ein billiger Wunsch

Freund!

kan, —

ein

aber im höhern, heiligern Verstände

des Wortes. Roch einmal, wir schliessen auf die An­ gaben, die vor uns liegen. Sollten diese nicht vollständig seyn: so würde freilich im Grunde

tinc andre Summe herauskommen; aber für den Jüngling, zu dessen Belehrung wir diese Berechnung angestellt haben, ist es gleichgültig. Sie wird wenigstens als Ideal lehrreich für ihn seyn, und das Gefühl in ihm erzeugen oder stärken: daß der Menscb nicht anders glücklich

seyn könne,

als in dem Maasse, wie er weise

und rechtschaffen ist.

Herrn Stuve Abhandlung über die körperlickeEr? Aufforderung an die Wohlthä­ ziehung. tigkeit. er vortrefliche Herr Kohlbrenner hat die Abhandlung des Herrn Stuve über die körper­

liche Erziehung, die wir in einem unsrer vor­ hergehenden Stücke angezeigt haben, dem Mün-

bowBüchern.

ig$

chener Intelligenzblatte, das er besorgt, noch im vorigen Jahre eingerückt. Wir halten dafür, er habe seinen Landsleuten dadurch einen recht we­ sentlichen Dienst geleistet. Wir wünschten aber, daß wohlthätige Menschen sich vereinigten, sol­

che Schriften ihren Verfassern oder ihren Ver­ legern in grosser Menge abzukaufen, und unter ihren Mitbürgern auszutheilen. So tönten heil­

same Grundsäze schneller unter dem Volke aus­ gebreitet werden.

Historische Nachrichten.

Dritter Theil. Historische

Nachrichten.

i. Schreiben an den Herausgeber der Ephemeriben der Menschheit, über das königliche Pädagogium

zu Halle. E^ie haben, verehrungswürdiger Mann! bis­

her den Lesern der Ephemcriden so viel interes­ sante Nachrichten von dem, was hie und da zum Besten der Jugend, und also zum Besten

der Menschheit, in und ausser Deutschland ge­ schehen ist, mitgetheilt, haben uns mit so man­ cher treflichen Einrichtung neuer Schulanstalten

bekant gemacht, daß ich voraussezen darf, es' werde Ihnen nicht unangenehm seyn,' auch von solchem Guten etwas zu hören, das über Vielen,

was seitdem auf allerlei Art mit mehr oder min­ der glücklichem Erfolg geschehen'ist, beinahe in

Gefahr kommt, vergessen" zu werden.

Eine

Nachricht, die ich indem beiliegenden Blatte fin­ de, scheint mir eine sehr natürliche Veranlassung,

einmal ein paar Worte über eine mir immer um

Historische Nachrichten.

igp

vergeßliche Schulanstalt zu sagen, und Ihr war­ mer Eifer, alles Nüzliche und Gute, wo möglich, dem, Dunkel zu entreissen, übcrhcbet mich einer

weitern Entschuldigung, gerade Ihnen, als ein Unbekanter *), dessen Name auch hier nichts zur Sache thun kan, diese Worte zu addressiren. Das Pädagogium in Halle- welches eine

Nachricht, die Sie vielleicht Ihren Lesern mit­ theilen werden, (s. die Beilage) bctrift, ist der den bisherigen Schulverbesserungen wenig laut geworden. ' Wo es in Beurtheilungen öffentlicher Schulanstalten vorkam, wurde doch, bei manchen

historischen Unrichtigkeiten, immer mehr zu sei­ nem Ruhme als zu seiner Verkleinerung gesagt.

Was man vermißte, war zu wenig Denuzung neuerer Methoden zum Unterricht. Ich bin auf

dieser Schule erzogen, und ich werde es, so lang ich lebe, der göttlichen Vorsehung danken, daß ich es auf dieser bin. Worüber mancher Jüng­

ling zn klagen Ursach haben mag — daß ihm durch den Zwang der Schulzeit die unwieder­ bringlichsten Freuden seiner Jugend geraubt wor­ den sind, davon hab ich das Gegentheil zu rüh­

men.

Ich ward sehr früh dieser Schule über-

*) Indessen wünsche ich immer, daßdieFreum de, welche die Güte haben, mir,solche Nachr richtenmitzutheilcn / sich mir bekam machen. Sie können aller Verschwiegenheit versichert sehn', die sie verlangen mögen. I.

Historische Nachrichten.

jgs

geben, und habe an 2 kustra darauf gelebt; habe manche Vorfälle darauf gesehen, habe viel

Lehrer, freilich von sehr verschiedenem Werth,

gehabt, und bin wenigstens jezt im Stande,., bei dem ruhigen Rückblick in jene Zeiten, und

bei dem Aufhören aller näheren Verbindung mit dieser Schule,

mit Unparteilichkeit zu urthei­

len.. Aber auch izt, da ich manche andre mir zum Theil -durch ihre Vorsteher schon schäzbare Schulen kennen gelernt habe, muß ich doch noch immer gestehen — nicht daß sie ein Ideal ei­ ner ganz vollkömnen Schule sey; (selbst nach

meinen geringen Einsichten ist sie das nicht;) aber daß sie Vorzüge-in ihrer innern und aus­ fern Einrichtung habe, die für alle die Eltern,

die ihre Kinder dahin schicken - sehr beruhigend seyn müssen; daß sie mancher Verbesserung, die bei andern Instituten i nöthig -war,

entbehren

fönte, weil sie ihre Fehler nicht hatte; daß schon

seit langer Zeit viel vortrefliche Methoden in ihr gebraucht wurden,

die einige neuere Erzieher

als etwas ganz Unerhörtes ausgerufen habens

Dies könt ich Ihnen mit vielen Beispielen bele­ In einem solchen Verstände ist es wahr,

gen.

was der mir unbckante Verfasser der Beilage nur zu allgemein sagt: „Man finde hier vieles realisirt,

was die neuery Pädagogen projektirt

hätten.,,

Historische Nachrichten,

ig?

Eben diese Beilage überhebct mich,

De-

nenfclben eine detaiilirte Nachricht von der Ein­ richtung der Schule, den Beschäftigungen der Scholaren und dem Aeufsern des Hauses zu ge­

ben. ' Der V. muß bei seiner Reise genau beob­ achtet haben; denn ich wüßte beinahe keinen Umstand / der nicht völlig mit dem übereinstimte, was ich ehedem so manche Jahre lang gesehn und In Absicht der aussern -Ord­ nung , der durchgängigen Reinlichkeit, derZiererfahren habe.

lichkeit der Stuben und Klassen, (ohne unzweckmäs­

sigen Aufwand,) der gesunden Luft, in und aus­ ser den Zimmern, der Sicherheit vor Gefahr, wenn ja in einem Theil des Hauses Feuer auskom-

men sollte- durch die sogenanten Komnmnikazionsladm, die durch das ganze Gebäude ge­ hen — hab ich unter allen Schulgebäuden, die

ich an vielen Orten zu sehn Gelegenheit ge­ habt, nichts, gefunden, was diesem gleich wäre/

Freunde von mir, die grössere Reisen als. ich ge­ than haben, versichern mich dasselbe, und neh­ men nur manche fürst h Schulanstalten,

z. V.

die in Stutgard, in Absicht der Pracht, aus.

Schon auf dem Waisenhause / das eine von dem Pädagogio völlig verschiedene, und, wenn ich den gemeinschaftlichen Direktor ausnehme, gar nicht konnektirende Anstalt ist, ist dieser Grad äusserer Vollkommenheit sonst den Reisenden

nicht unmerkwiirdig.

Aber dennoch ist es nicht

i.9°

Historische Nachrichten.'

möglich, daß man bei der dasigen WeitlauftigLeit und Menge der Menschen das leisten könte, ivas bei einer, viel kleinern Anstalt erreicht wer­ den kam Die Ordnung der Wissenschaften hat der V. des Aufsazes, wie ich sehe, noch eben so ge­ funden, als sie ehedem war. Ich seze nur die­ ses hinzu: Der Fortschritt des Unterrichts, mit den Fähigkeiten ist wirklich sehr weislich einge­ richtet, besonders in denen Klassen, wo Spra­ chen getrieben werden. Daß der Verstand der Jünglinge sehr gebildet und zum Selbstnachden­ ken gewöhnet wird, schreibe ich mit auf die Rech-, nung der vielen Gelegenheiten, die man hat, selbst zu schreiben, Anfsäzc zu machen, sie auch wohl zu deklamirem In der obersten oratorischcn Klasse mußten wir oft ohne alle Vorbereitung auf­ treten, und einen Saz, bald deutsch, bald latei­ nisch, ausführen. Die Wahl des Inhalts war häufig von Dingen hergenommen, die un­ mittelbar vorher stark auf uns gewirkt haften. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. In einer anatomischen Lehrstunde wurde einmal ein lebender Hund gcöfnet, um den Umlauf des Ge­ blüts begreiflich zu machen. Die ganze Schule, die Lehrer selbst nicht ausgenommen, theilte sich damals in zwei Partheien; die „eine verdamte eine solche Behandlung eines armen Thieres, die andre, doch geringere, vertheidigte die Sache

Historische Nachrichten.

durch den Nuzen.

igr

Unser Lehrer ergrif unsern

sich entgegen arbeitenden Enthusiasmus, und gab

zweien aus unsrcrMitte die öffcntlicheAusmachung der Sache zum Thema unsrer nächsten Reden auf. Zwei römische Causarum patroni können

nicht so warm gegen einander gesprochen, kön­ nen sich nicht mehr Mühe gegeben haben, Herz, Leidenschaft und Verstand ihrer Zuhörer für sich zu interessiern, als sie thaten. Eine Spielerei, wird mancher sagen; Sie gewiß nicht , würdi­

ger Mann! denn Sie wissen zu gut, wie ge­ rade solche Arten, die Jünglinge zu beschäfti­ gen, die nüzlichsten, die wirksamsten sind, ih­

nen die Wissenschaft lieb zu machen, und ihren Ehrgeiz auf. die edelste Art von 'der Welt zu reizen. Ich finde', daß man häufig zwei Vorurtheile

gegen das Pädagogium hat. Man fürchtet den Zchang und Mangel an Vergnügungen und die überladene Religionsübungen. Man irrt gewiß in beiden.

Es kan seyn, daß esz'u-

weilen Lehrer gegeben hat, gendlichen Freude sagten:

die zu jeder ju­ und

Du bist toll!

die wahre Frömmigkeit bei sich und ihren Ele­

ven mehr in Mienen und Gebärden,, als in Wo ist die Schule, Oder wenn man dabei weniger Konvenienz fand, vielleicht das Gegen­ That und Werk suchten.

da es nicht deren gab?

theil, selbst den jungen Leuten dio feierlichsten

r?i

Historische

Rächrichten.

und wichtigsten Dinge gleichgültig, wo nicht lä­ cherlich zu machen. Man ist oft nur 511 schnell mit dem Vorwurf der Heuchelei, und vergißt, daß

andre, wenn sie wollten, eben so laut von Liberkinage reden tönten. Es ist falsch, daß man auf dem Pädagogium die Ncligionsübunqen

uberladet; fragen Siejeden, der dort war, und die Wahrheit sagen will.

Es ist falsch,

man jugendliche Freuden untersagt.

daß Ich erm-

die in unsern neuen Schriften die wir nicht, oder doch ein Analogon von ihr, genossen hatten. Unsern am meisten kindischen Einfällen und Planen ha­

re mich keiner,

genanr wäre,

ben unsere obersten Lehrer' selbst ihre Gegen­ wart mcyt entzogen, und wir hatten daun erst die

Freude ganz, wann sie dabei waren.

Scho­

laren, die bloß dieSchulstunden besuchten, und sonst in der Stadt wohnten, haben es für Freude

gehalten, wenn sie auch ausser den Schulstunden herauf kommen, an den Spielen und Spazier­ gängen der andern, oder den Besuchen der Werk­ state, Künstler und andrer Orte, wo wir uns

Sachkentniffe

zu erwerben

Gelegenheit hat­

ten, jTheil nehmen, und dann recht viel mit ihren Lehrern sprechen tonten. Misvergnügte — 0 ja, die gab es zu jener Zeit, und wird es noch geben. Jünglinge, die schon halb reif aus den

rauschenden Freuden der grossen Gesellschaften kamen, deren Geist und Herz verstimmt war.

Historische Nachrichten.

hie Freiheiten verlangten,' die keine Schule ge­ statten kan und soll, die— damit ich ganz un­

parteiisch sey — die gerade das Unglück hatten, unter der nähern Aufsicht eines mürrischen, eigen­ finnigen Lehrers zu fallen.

allerdings weg.

Diese sehnten sich

Aber im ersten Fall — wohl

der Schule, waren sie weg gewesen; im andern -— wieder wohl ihr, wenn sie nie einen solchen

Lehrer gehabt hatte. Ich habe schon oben bezeugt, daß ich weit entfernt bin, das- haitische Pädagogium für fehlerfrei zu halten. Wenn der Ort hier wäre, so erlaubt ich mir manchen Vorschlag zu thun, deren vielleicht eimge impraktikabel, andre annehmungswürdtg waren. Im Religionsunterricht

z. B. gestehe ich, daß ich mehr Abwechselung, mehr Stusfenweise wünschte. Es kan seyn, daß man dies nach" meinem Abgänge selbst gethan har. Manche Lckzicmsbücher liessen sich auch wohl mit bessern vertauschen. Ich erinrc mich, daß lins in der untersten französischen Klasse hi vied’Er-

neft eben so sehr, als in der obersten die für fä­

higere Leser vortreflichen Charafteres de la Bruyere ermüdet Haden. Die grössern Briefe

des Cicero seztcn auch wohl, wenn sie mit In­ teresse gelesen werden sollten, einige Teinture von römischer Geschichte voraus, und das Grie­ chische könte vielleicht mehr allgemein getrieben^

Fxhem.Hvrn.782.

N'

Historische Nachrichten.

als auf blosse Theologen eingeschränkt werden. Doch ich komme unvermerkt ins Uttheilen, und wollte diesmal bloß Historiker seyn. Wenn Sie einem Unbetonten zutrauen können, daß ermit Aufrichtigkeitgeschrieben hat,so theilen Sie dies vielleicht ihren Lesern mit, Ich würde hierum kaum zu bitten wagen, wenn ich fürchten müßte, daß die, welche ehedem selbst auf dieser Anstalt waren, mir laut oder im Stillen widerspre­ chen würden, die wenigen Ausnahmen abgerech­ net, die ich schon erwehnk habe. ' Die Schule scheint sichs zum Gesez gemacht zu haben, wenig von sich zu sprechen; vielleicht zu wenig. Wer in­ des oaraus schliessen wollte, daß seil und meh­ reren Jahren keine nüzliche Abänderungen darauf vorgenommen wären, daß noch eben die Methode darauf hersche, ebensoviel von damals allgemei­ nen Schulpedamismus als etwa zu Freyers Zei­ ten, der doch auch jczt noch, in Absicht vieler schäzbaren Eigenschaften, von manchen seiner Schüler hochgeachtet wird; wer sich cinbildete, die Lesung vieler neuer Erziehungsschriften, unter denen bei vielem unüberlcgtenGeschwäz doch auch so sehr viel Gutes ist, habe für die Vervollkommung diesem Schule gar nichts gefruchtet, der wird in der That, sehr irren. Ich habc.noch neuerlich einen reisenden Lehrer gesprochen, der mich von dem Gegentheil versichert, und ich bitt gewiß, daß jedes Vertrauen, dessen künftig das Publikum eine

Historische Nachrichten.

195

Anstalt werth achten wicd, die doch so lange Zeit von den verschieden denkendsten Menschen für musterhaft, in vielen Rücksichten angeschn ist, auch für die, welche daselbst mit der Bildung der Jünglinge zu thun haben, eine Aufforderung seyn werde, sich in 'allen nüzlichen Verbesserun­ gen nicht übertreffen zu lassen. Die Anzahl der Scholaren ist jezt nicht sehr großich wünsche ihre Vermehrung, weil cs nöthig ist, um sich zu erhalten, und weil cs die Vorsteher aufmuntert. Die Eleven selbst leiden indeß darunter nicht; vielleicht gewinnen sie sogar, weil die Aufmerk­ samkeit der Lehrer jezt weniger durch die Menge diftrahirl wird. — Gott lasse jette Ihrer Bemühungen zum Besten der Menschheit so mit wohlthätigen Fol­ gen begleitet seyn, als Ihr Herz und das Herz eines jeden Menschenfreundes mitJhnen wünscht. Es sey mir vergönnt, unter diese Anzahl auch zu. rechnen Dero G.B. den 16. Nos. aufrichtigen Verehrer

A. H. F.Ul.

1780»

B ei läge. „Unter allen Schulqnstalten, die ich auf meiner Reise besucht habe, hat das Paedagogium Regium zu Halle meine größte Aufmerk­ samkeit erreget. Ich habe mich daher einige N a

10

Historische Nachrichten.

Lage länger an diesem Orte aufgehaltcn, um durch wiederholte Besuche das Innere dieser wirk­ lich respektablen Anstalt naher kennen zu lernen, damit ich Ew.... etwas ausführlichere Nach­ richt davon ertheilen könte.

Was viele unsrer

neuen Pädagogen projektirt haben, finde ich hi.cr realisirt;

und wenn ich alles zusammen nehme,

was ich hier gefunden, so zweifle ich, ob diese Anstaltviele ihres gleichen hat. Die äussere .so

wohl als die innere Einrichtung har meine Er­ wartung übertroffen, daß mich nichts mehr Wunder nimt,

als daß sie nicht mehr benuzt

wird, denn die Anzahl dec Zöglinge ist sehr mäs­ sig. Es liegt dieses Haus seitwärts der Stadt

hinter dem Waisenhause, und hat daher auf der Südseite, freie Aussicht ins Feld, und gegen Norden übersieht man die Stadt Auf beiden Sei­ ten hat es einen geräumigen und reinlichen Hof.

Der südliche ist mit einer Allee bepflanzt, und giebt

eine angenehme Promenade. Der nördliche ist ein freier Plaz zu andern Uebungen. Das oberste Stockwerk des Hauses enthält die kchrzimmer; die drei mittelsten sind die Wohnungen der Scho­ laren, und par terre befinden sich die Zimmer

zum Drechseln und Glasschleifen, der Speisesaal und dergleichen. Gerade gegen dem Hause über ist ein besonderer botanischer Garren, und ne­ ben demselben ein geräumiger viercckigrer Plaz mit Hecken eingeschlosscn, worauf die Schola-

Historische Nachrichten»

197

ren in der praktischen Geometrie geübt werden, oder sich auch in besondern Stunden, unterteil

Augen ihrer Gouverneurs kleine Belustigungen machen. ■ Die Wohnzimmer sind so eingerichtet, daß drei bis vier Zöglinge darauf wohnen. Ueber zwei nebeneinander liegende Zimmer ist ein besonderer Gouverncur'gcsezt, in dessen Ge­ sellschaft sich die jungen Leute befinden, wenn

sie ausser dem Hause sind,

als in der Kirche,

oder auf Spaziergängen.-, „93on der innern Einrichtung habe ich fol­

gendes theils selbst gesehen, theils mir sagen lassen: Des Morgens um 6 Uhr müssen sie sich

zu ihrer Morgenandacht anschicken. Nach die­ ser frühstücken sie, .und um 7 Uhr gehet die

erste Lehrstunde an,

wo die sämtliche Jugend

nach ihren verschiedenen Fähigkeiten in sechs la­

Von 8 bis 9 Uhr In dieser Zwi­ schenzeit haben einige Unterricht in der' Mu­

teinische Klassen getheilt- ist.

ist feine öffentliche Lehrstunde.

sik.

vier.

Ich hörte Flöte, Violine, Harfe und Kla­

Das ganze Haus schien je;t musikalisch zu

Einige giengen auf dem Hofe herum, und andere spielten mit dem Federball. Um 9 Uhr

seyn.

ward wieder Unterricht in der Theologie gegeben Hier fand ich unter andern eine Klasse, in welcher eine Einleitung

in verschiedenen Klassen.

zum richtigen Verstände der Bibel gegeben, und die. schwersten Stellen der heiligen Schrift er-

198

Historische Nachrichten,

Um io Uhr wurde in vier

kläret wurden.

Klassen Historie und Geographie doziret.

Diese

Wissenschaften wurden hier so miteinander ver­ bunden , daß in den beiden untern Klassen die Geographie, und in den beiden obern die Hi­

storie die Hauptsache war.

Ich muß hierbei ei­

nes Uinftandcs gedenken, der mir sehr wohlge-

fiel, und mir ganz-unerwartet war. Ich fand auf den Wohnzimmern viete Globos von ver­

schiedener Grösse, welche die Zöglinge mit vieler Geschicklichkeit und Genauigkeit recht meisterhaft

verfertiget hatten.

Es war die Verfertigung

derselben im vorigen Winter eine Nebenbeschäf­

tigung in den Freistunden gewesen. , Von ir bis i2 Uhr übten sich einige in der Kalligraphie, andere in Handzeichnungcn,

und wieder andre

wurden zur Pfianzenkentniß in dem botanischen

Garten angeführt.

Im Winter wird, wie mir

gesagt wurde, in dieser Stunde den Erwachsenen

die Experimentalphysik vorqctragen,

zu deren

Behuf ich einen ansehnlichen Apparatum von

Instrumenten in einem besondern Zimmer vor­

gefunden habe.,, „Um i2 Uhr wird an verschiedenen Tischen

unter Aufsicht und in Gesellschaft der Gouver­

neurs gespeiset.

Die Stunde darauf wenden ei­

nige zur Motion an, andre treiben Musik, die kleinern nehmen den Federball zur Hand und spielen im Hinterhofe; die Größten fand ich in

Historische Nachrichten» den

Drechselzimmern

unter

r-K

Anweisung eines

Drechselmeisters arbeiten, und andre waren wieder in einem andern Zimmer beschäftiget, sich Mikroscopia und Tubos zu verfertigen. Die jungen Leute sielen mehrentheils auf das Grosse, und es ist selten einer, der nicht einen iafuffi?

gen Tubum aufzuweisen hat.

Um 2 Uhr gien-

gcn die französischen Klaffen an.

Ausser dem eigenen Lehrer, oen jede Klasse hat, fand ich

noch einen besondern Sprachmeister, welcher die Klassen wechsclsweise besuchet, und in Gegen­

wart des ordentlichen Lehrers der Klaffe informiret, wodurch die Gleichförmigkeit in der Aus­

sprache erhalten wird. Um 3 Uhr wurde Arithmethik, Geometrie und die übrigen mathema­

tischen Wissenschaften in verschiedene» Klassen ge­ lehrt. Aus der Samlung von Rissen, die vor; Scholaren verfertiget waren, fönte ich sehen, daß sie es darin ziemlich weit bringen.

Die mit v. Boineburg unterschrieben waren, waren mei­ sterhaft gezeichnet.

Um 4 Uhr wurden wieder

lateinische Klassen gehalten, so wie des Morgens von 7 bis 8 Uhr, mit dem Unterschied, daß

jezt praktische Uebungen angestellt wurden. Diese

bestehen im Exercitio Stili, oder im Ekamiuiren und Repetircn.

Von 5 bis 7 Uhr wurden Ein jeder Zögling

keine Lehrstunden gehalten.

war auf. seinem Wohnzimmer und arbeitete, an seinem Schreibtische. Ihre Beschäftigungen

ros

Historische Nachrichten,

standen theils in Ausarbeitungen, theils in Prä­ parken und Repcliren. . Während dieser Zeit herschte eine allgemeine Stille, und man hätte glauben fetten, daß niemand zu Hause wäre.,,

„Uni 7 Uhr wurde wieder gcspeiset, und Nach der Mahlzeit der Garten geöfnct, wo sich einige divertirten, andere gehen mit ihren Gou­ verneurs manchmal aufs Feld spazieren.,, „Ichhabe oben vergessen, griechische und hebräische Lekzionen anzuzeigen. Da cs hier im-, mer die wenigsten sind, welche sich auf diese Sprachen legen, so wird denen, die darin profitiren wollen,, wöchentlich g Stunden in einer jeden dieser Sprachen ausgesezt,. die- entweder von den lateinischen oder französischen Stunden genommen werden, denn mehr als 7 öffentlicheLehrstunden werden den Tag über nicht gehal­ ten. In der ersten griechischen Klasse liefet man den Homer, und in der zweiten hatte man eine kleine Kollektion oder Chrestomathie aus griechi­ schen Schriftstellern. „ „Die Ordnung, in welcher diese verschie­ dene Geschäfte auf einander folgen, istbewundcrungswürdig.. Man siehet deutlich , daß cs recht darauf angelegt ist, ernsthafte und ange­ nehm , unterhaltende Sachen mit einander abwech­ seln zu lassen. Tändeleien sind mir nicht vorgciommen; ich" billige solches auch anderwärts

Historische Nachrichten»

201

Vichts denn ich Lin der Meinung derer, die dLfür halten, das; man ein Kind nicht zum Kinde,

sondern müsse.

zu' einem nüzlichen Manne erziehen

Man unterscheidet also mit Grunde sehr

gut von einander Arbeit und Spiel. '

Die Er­

ziehung ist, so viel ich aus dem gegenseitigen Betragen abnehmen fönte, sehr freimüthig, und es findet ein gutes Verhältniß zwischen den Zög­ lingen und ihren Lehrern statt.

-In den Lehr­

stunden fand ich die männliche Ernsthaftigkeit, und ausser'denselben freundschaftlichen Umgangs

Derjenige von den Jünglingen halt sich für be­ straft, gegen welchen der Vorgesezte die Mine der.Gleichgültigkeit annimt. Sie vor Aus-'

schweifungcn zu bewahren, finden sie kein zuver­ lässigeres Mittel, als die Bildung des Herzens

durch die christliche Religion, und sie glauben die Erfahrung für sich zu haben, daß alle an­ dere Mittel unzureichend sind, wenn diese un­ gebraucht bleibt. Ausser diesen suchen sie Um­

gang und Bekantschaft zu verhüten, von welchen

sie nicht überzeugt worden, daß sie für die Mo­ ralität unschädlich sind, daher auch nicht leicht einer ohne seinen Gouverneur aus dem Hause

gehen kau.„ „Die Kosten sind verhältnismäßig sehr billig, und ich kan nicht begreifen, wie das, was ich

gesehen, damit bewirket werden kgn. Ein Zög­ ling giebt nach willkührlichen Fallen, quartalsi

so*

Historische Nachrichten.

t« nicht mehr als 12 Th le 12 Gr. oder 16 Thlr.

6 Gr. zur Hauptkasse, wovon die Kosten für die öffentlichen Lehrstunden, Holz, Licht, Bedie­ nung und allgemeine Bedürfnisse bestritten wer­ den.

Der Tisch ist verschieden,, und wird quar­

taliter mit 10 Thlr. 12 Gr. oder 14 Thlr. auch 21 Thlr bezahlt, je nachdem der erste, zweite,

oder dritte Tisch gewählct wird.,, „Was-auf Kleidung, Wasche, Bücher,

besondere Maiterstunden verwendet wird,

ist

sehr verschieden, und wird besonders bezahlt.,,

«>Jch habe mir mehrere Rechnungen vor­ zeigen lassen, und fand die Summe von 50 — 80 Thlr. > In dem gedruckten Bericht, so hie­ bei erfolget *), werden die Eltern von den möglichen Fällen, wofür sie bei den Kosten Rück­ sicht nehmen müssen, weiter belehret, und man

siehet, daß man solche größtentheils ganz der Disposition der Eltern überläßt.,,

„ Ein vortheilhafter Umstand bei dieser Schulanstalt ist,daß die Borgesezten derselben in der Wahl der Gouverneurs und übrigen Lehrer sehr

sorgfältig sind. „ „ Sie nehmen bei einer Vakanz

niemand

anders als solchen, der sich durch Geschicklichr

*) Gedruckte Bericht« sind bei der Direktion des Hallischen Waisenhauses zu bekommen. Auch in dem leipziger JntelllgenzkoMwir.

Historische Nachrichten.

202

feit und Fleiß in der lateinischen Schuler des Waisenhauses (eine vom PaedagogioRegio ganz verschiedenen Anstalt) auch übrigen guten Den­ kungsart vorzüglich ausgezeichnet, und sich im Unterrichte der Jugend bereits eine glückliche

Fertigkeit erworben hat. Daher sie auch von Zeit zu Zeit geschickte und arbeitsame Weltbür­

ger ziehen, deren sie in den vornehmsten Standen sehr viele aufzuweisen haben. Es kommt übri­ gens hiebei allerdings, wie bei allen andern Um­ stünden in der Welt, Fähigkeit und Applikation

in Anschlag,

wenn ein Zögling den Wünschen

seiner Eltern entsprechen soll. Erstere sucht man nach Möglichkeit zu bearbeiten, und leztere durch allerhand Aufmunterungen zu befördern, und mehr kan man auch, wie mich deucht, nicht verlangen *). „ Diese ganze schazbare auf Wahrheit gegrünr bete Nachricht, einer der vorzüglichsten Schuir anstalten Deutschlands, stimmet mit demjenigen Urtheile eines diesen Sommer in Halle gewesenen Professoris Herrn P. aus Peters­ burg, welcher sich nach seiner Aeusserung, ein eigenes Geschäfte daraus gemacht hat, dieses Pädagogium genau zu untersuchen, völlig überein. Es ist anmcrkungswürdig, daß Leute aus der grossen Welt nicht allein die ihnen anvertraute Kinder in diese Anstalt gegebei» haben, sondern auch mit dem dortigen Auf­ enthalt und'Behandlung derselben sehr zustier den sind.

-«4

Historische Nachrlchten-

2. Erhöhet- Auflage in Frankreich. Wirket Erhöhung der Auflage immer Vermehrung der Einnahme? Sfld in dem Jahr 1780 der König in Frank­

reich einen neuen Geldaufbruch auf Leibrenten ankündigte, sagte er„ Wir befinden Uns für

dieses Jahr glücklicher Weise übcrhoben, solche Auflagen auszuschrciben, welche durch ihre Fort­ dauer Unsern Unterthanen zu beschwerlich seyn

dürften.

Wir wünschten, sie mit eben so vieler

Gewisheit von der Vesorgniß solcher Auflagen freisprechen zu können, welche mit dem Kriege

aufhörcn sollen.

Nicht weil Wir nicht den Ge­

sinnungen von Eifer und von Liebe Gerechtigkeit

wiedcrfahren lassen, mitdenen Unsre getreue Un­ terthanen nach allen ihren Kräften zu Bestreitung der Ausgaben beitragen würden, welche die Umstände erheischen, oder weil ihre Beiträge

und ihre Opfer Uns vielleicht schwerer drücken, als sie selbst, werden Wir so lange, als Unsre Klugheit es Uns erlauben wird, aufschiebcn, sie deShalben anzugehen.

Allein, in dem Augen­

blicke, wo es .die Noth erheischen wird, werden Wir es mit Zutrauen thun. Und Wir weiden alsdenn Unsre Ehre darin suchen, Unsern Fein­

den zu zeigen, daß, wie sie schon durch die Tap^rkeit Unsrer Krieger erfahren, keine Art von

Historische Nachrichten.

aoj

Anstrengung ist,. welche Wir nicht von einer Nazion erwarten können, die sich seit .undenklichen Zeiten durch ihre Anhänglichkeit an ihre Könige und durch ihren.Eifer für die Ehre der, Krone

auszeichnct *).„ Dieser Augenblick ist sehr geschwind gekom­ men. Im Augustmonate 1781. ist ein neues Edikt erschienen, dessen Eingang folgendermas­ sen lauter: In der Ueberzeugung, das; Wir Un­

sern Unterthanen die Vortheile eines ehrenvol­ len und dauerhaften Friedens nicht anders wer­

den gewahren können, als durch die Fortsezung der nachdrücklichsten Anstrengung gegen Unsre Feinde; haben Wir nöthig erachtet.

Uns von

nun an eines, ausserordentlichen Beistandes zu versichern. Wir hät.-en gewünscht, daß cs noch möglich wäre, keine andre Hülfsquellen zu ge-brauchen, als die Sparsamkeit bei Unsern Aus­

gabe-», die bessere Einrichtung der Verwaltung, und die.Geldaufbrüche. Allein die ausserordent­ lichen Ausgaben, welche eine unvermeidliche Folge der Fortdauer des Krieges ist,

der feste Ent»

schluß, den Wir gefaßt haben, alle Unsre Ver­ sprechen getreulich zu erfüllen, und die LagcUn-

srer, Finanzen nöthigen Uns, Uns' neue Gelder zu verschaffen, um diesen Aufwand bestreiten und *) s. Ephem. der Menschheit 117So. Sr. 3, S>. zgr.

2o6

Historische Nachrichten,

den Schuldgläubigern . des Staates Zutrauen einflössen zu können. Nach reifer Erwägung aller der verschie­ denen Vorschläge, die Uns gemacht worden sind, haben Wir die Erhöhung der Konsummationsauflagen, einer unmittelbaren Vesteurung - der Personen oder der Liegenschaften vorgezogen. Wir haben in Betrachtung gezogen, daß diese Art der Auflage am wenigsten lästig ist, daß sie am wenigsten Beziehungskosten erheischen würde, und dahin Vergleichung des gegenwär­ tigen Werthes der Mark Silber, mit demjcni-, gen, den eö zur Zeit der Bestimmung der ur­ sprünglichen Accisc hatte, die meisten Bedürf­ nisse dermals noch weniger belegt seyn würden, als damals; ungeachtet diese Gebühren allmäh­ lich erhöht worden sind. Aber, wie Wir Uns niemals von den Grundsäzen der Güte und dec Gerechtigkeit ent­ fernen werden, die Uns beseelen: so haben Wir einige Auflagen vermindert oder ganz abgeschaft, die Wir für Unsre Unterthanen allzubeschwerlich erachtet haben; und insbesondre die, welche auf gewisse Konsumtionsartikel lagen, die insbeson­ dere dem dürftigsten Theile der Nazion angele­ gen sind. Wir haben alle Ursache zu hoffen, baß diese aus­ serordentliche Beihülfe, die genaue Sparsamkeit, die Wir bei Unsern Atisgaben fortsezen werden,

Hlstorlsthe Nachrichten.

207

und die Wiederherstellung des Friedens, Uns die andern Hülfsquellcn entbehrlich machen werden, welche Wir sicher sind zu'allen Zeiten in der Liebe

und in der Freue Unsrer Unterthanen zu finden.

Aus diesem Grunde re. Hierauf sezr der erste Artikel dieses Edikts fest:

„Sollen von Zeit der Einprotokollirung

und Kundmachung dieses Unsers Edikts, bis und mit dem ersten Christmonate 1790. noch über und zu den 40 Prozenten, (huit fols pour livre) die Unser Edikt vom Hornung 1780. besagt, noch i o Prozent» über den ursprünglichen Be­

sag jeder Accise bezogen werden, sie mögen nun für Uns unmittelbar bestimmt, oder veräusscrt, abgetreten,, bewilligt oder abonniert seyn, und auch von denjenigen, welche für Landesstände,

Provinzen, Städte, > Gemeinden,

Spitäler,

Beamtete,

unter welcher Benennung es immer

seyn mag, gehoben werden; dergestallen, daß alle diese Abgaben der Erhöhung von 50 Pro­ zent , (dix fols pour^livre,) zu Unserm Behufe

für so lange sollen unterworfen werden, als sie

im Gefolge dieses Unsers Ediktes und dessen vom

Hornung 1780. dauern-sollen, mit den einzi­ gen im 6. 7. 8. und 9, folgenden Artikeln an­

gegebenen Ausnahmen „ Der zweite Artikel besagt: baß, so lange diese Erhöhung bestehen soll, der Betrag aller vom Könige zugestandenen Abönnemcntrr und

Historische Nachrichten»

;

die besondcrnVerkommnisse, welche über die Sum­

men, so den Bezug irgend einer solchen Gebühr vergüten sollen, durch Pachter, Einnehmer,

Verwalter der königlichen Einkünfte, mit Stän­ den, Provinzen, Landschaften, Städten, Ge­

meinden,

Gutsherrn und Partikularen Fönte

cingcgangen worden seyn, .so wie auch die be­ stirnten Summen, welche einige Provinzen, Städte und Gemeinden Uns jährlich für gewisse bewilligte Vorrechte und Einnahmen bezahlen. Der dritte Artikel erhöhet an den Orten, wo der Tabakverkauf verpachtet ist, den Preis

davon um 4 Sous auf das Pfund. Der vierte verdoppelt die Auflage auf dem Oele, der Seife 2c. Der fünfte erhöhet einige Eingangszölle in

Paris, und die folgenden enthalten ähnliche Er­ klärungen über verschiedene andre Gegenstände. Der eilfte hingegen und einige andre ver­

mindern einige Abgaben, die von Butter, von Holz, von Gemüsen, von Heringen bezo­

gen worben. Wenn der Erfolg dieser Operation richtig beobachtet und getreu ^gegeben wird : so wird

sich die Erfahrung machen lassen, ob die Er­ höhung der Auflagen allemal auch eine ihr ent­ sprechende Vergrösserung der davon herflicssendcn Einnahme bewirke, oder ob die Erhöhung der Auflagen durch verminderten Verbrauch und

Historische Nachrichten.

209

durch vermehrten Schleichhandel grossentheils fruchtlos, gemacht werde. Wenn die Accisen dem Könige nun sieben Prozente wirklich mehr eintragen werden als vor einem Jahre, so wird die Sache bald entschieden seyn. Allein man kan sich leicht vorstellen, wie schwer es seyn wirdvon diesem Erfolge richtige Nachrichten zu er­ halten , da so vielen Leuten angelegen seyn muß, dem Könige und der Nazion in diesem Stücke die Wahrheit zu verheelen. Indessen sagen doch die öffentlichen Nach­ richten, die Generalpachter schienen entschlossen zu seyn, den Preis des Tabaks nicht zu erhöhen, und sie wollten lieber aus Pem Ihrigen zwo Mil­ lionen bezahlen, als sich der Gefahr aussezen, den Verbrauch dieser Waare vermindert und den Schleichhandel damit vergrössert zu sehen.

Aufmunterungspreise für die gemeinnüzigsicn Werke, die im Jahre 1781. geschrieben werben.

der Versamlung vom ryten Heumonat des vorigen Jahres ist der französischen Akademie folgender Aufsaz vorgelegt worden: Meine Herren! Ein Bürger, der die Wis­ senschaften liebt und der dafür halt, daß sie der Sxhem. -Hornung 783, ■

£>

II».

Historische Nachrichten.

menschlichen Geseilchast nüzlich seyn, wünscht einen Preis zu stiften, für dasjenige Wei k von Gelehrsamkeit, welches für die Gesellschaft das größte Gute erzeugen .könte. Predigt, Schauspiel, Roman, Prosa, Vers, Geschichte, juristische Abhandlung, moralische Betrachtun­ gen, politische Abhandlung, Aufsäze über Wis­ senschaften oder Künste, gelehrte Nachforschun­ gen über das Alterthum, nichts ist ausgeschlossen.

Um diesen Preis hat man sich nicht zu tncldön, und ec wird ohne Prüfung ertheilt. Es braucht nämlich nur, daß die Richter aus­ sprechen , welches von den Büchern, die im vo­ rigen Jahre erschienen seyn werden, und das ihnen bckant seyn wird, ihrer Meinung nach, am meisten zum zeitlichen Glücke des menschli­ chen Geschlechtes bcigctragcn habe. Die Aka­ demie wird entscheiden, ob ihre Glieder auch den Zutritt zu diesem Preise haben sollen. Der Bürger, der diesen Vorschlag ent­ worfen hat, bittet die Akademie, dieses Opfer der Verehrung, so er'den Wissenschaften anbeut, anzunehmen, und sich mit dem Richteramte zu beladen, Es ist eine Summe von zwölf tau­ send Livres hinterlegt, um eine Leibrente auf den Kopf des Königs auszumachen, und jähr­ lich eine goldne Medaille für den Preis daraus zu erkaufen.

Historische Nachrichten.

an

Beweggründe dieser Verfügung.

Ein Mathematiker verachtete ein bewunder­ tes Trauerspiel, weil es nichts bewies. Die­ ser Mann hatte Unrecht. Ader ein Bürger wird Recht haben, wenn, um den Werth und das Verdienst eines Buchs za schazcn, er fragen wird: Wie viel Gutes schast cs? Ich mache dcrmals diese Frage, und der'Akademie steht es.zu, sie zu beantworten. Man hat die Wissen­ schaften und die Gelehrsamkeit als einen Zusaz zu den Uebeln vorgestellt, welche das menschliche Geschlecht elend machen. So har man oft un­ sere Religion, unsere Geseze und die weisesten Stiftungen verläumdet; und wenn das Schicksal der Welr nach unsern Meinungen geändert wor­ den wäre: so würde die Unvorsichtigkeit unsrer Wünsche die Masse unsrer Uebel vcrgcössert ha­ ben. Die Gelehrsamkeit bedarf keiner Schuzrede, aber die Menschen, die ihr ergeben sind, kön­ nen, wie der römische Landwirth, ihre vorgeb­ lichen Zaubermittel ihren Anklägern vor Augen legen. Man giebt vor, .unsere Nazion wäre flat­ terhaft und auf Armseligkeiten erpicht. Ich er­ laube mir nicht, sie zu richten oder zu tadeln. Aber ich seh ' ein müssiges Volk, das die Denkmä­ ler des Genie öde lässt, um den Poffenspielm O 2

513

Historische Nachrichten.

der Schanzen zuzulaufcn. Jch sehe,wie die Aufla­

gen schaaler und schwacher Romane sich ver­ vielfältigen. Ein ernsthaftes und 'tiefgedachtes Buch wird gcschäzt, aber nicht gelesen. Ich sehe, wie die Verfasser unsterblicher Werke in den Gesellschaften gewünscht, gekaut, wohl ausgenom­

men werden, bloß wegen einiger Ausschweifungen des Wizes, über die sie erröthcn sollten. Auch mangelt uns, alldieweil die Pressen, unter einer Menge scherzhafter, epigrammatischer, ausgc.lassener Brochurcn seufzen, eine vollständige und

lesbare Geschichte von Frankreich, ein System un­ serer Vcrfassungsgcseze, (un corps de droit pubjic

francois) eine Samlung von Versuchen und Wahrnehmungen über unser Klima und über seine Einflüsse. , Wir haben keine Beschreibung des Bodens unsrer Provinzen und der Reichthümer,

die er in sich schleußt;

Reichthümer,

die ein

Jahrhundert nach dem andern aufdeckt, und 'die den vorigen nur aus Mangel des Forschungsgcistes entgangen sind. Bei diesen Män­ geln müssen die Häupter der gelehrten Welt, je­ dem, der diese Bahn betritt, sagen:

ist das Ziel davon;

und der Nazion:

Dieses . dieses

sind unter den Gelehrten die, denen ihr am mei­ sten schuldig seyd. Ohne Zweifel wird man einwenden, daß für eine so kleine Stiftung diese ■ Aussichten zu groß find;

denn niemals ist eine löbliche That

Historische Nachrichten.

213

ungetadelt geblieben. Aber Sie, meine Herren! werden nicht so denken. Sie, welche bei allen Dingen Beweggründe und Folgerungen erwegen, und welche wissen, daß eine nicht be­ trächtliche Handlung einem grossen Gut den Ur­ sprung geben kan.. Das schwache Beispiel, das ich gebe, darf nur nachgeahmt werden. " Es dürfen nur alle meine Mitbürger, die reicher sind als ich, so viel thun, so werden Gelehr­ samkeit und Wissenschaften und Künste unermeß­ liche. Aufmunterungen finden.

Die Akademie hat hierauf beschlossen, die­ sen Antrag unter folgenden Bedingnissen anzu­ nehmen : 1) Daß unter den, dem menschlichen Ge­ schlechte nützlichen Werken, welche in dem Laufe jedes Jahres erschienen seyn werden, sie demje­ nigen den Vorzug geben werde, das nach ihrem Urtheile am besten gemacht und geschrieben seyn wird. Da dieses ^Verdienst dem Werke eine grössere Anzahl Leser verschaffen soll: so wird es desto besser den von dem Stifter hauptsächlich abgesehnen.Zweck erfüllen. 2) Daß die Akademie kein Urtheil über Werke fallen werde , welche theologische oder be­ sondre rechtliche Materien zum Gegenstände ha­ ben werden; auch nicht über solche, welche in das Pebict der Akademie der Wissenschaften ge-

$i4

Historische Nachrichten.

hören *); und endlich auch nickt über solche, die in die Politik und in die Staatsverwaltung ciwcklagen, deren Erörterung die Regierung nicht zugebcn würde. .3) ,Daß sie nur französisch geschriebene Werke beurtheilen werde, ohne Rücksicht, ob der Verfasser ein Franzose ist oder nicht. 4) Daß cs ihr, nach ihren» jeweiligen Er­ messen frei stehen soll, die Erthcilung des Prei­ ses auszustellen, oder ihn zwischen zween Wer­ ken zu theilen, oder ihn zu verdoppelns , 5) Daß sie ihre Glieder von dem Konkurs ausschliessen werde. Der Stifter hat diese Bedingni'sse gutgeheissen, und die Akademie hat einmüthig und mit Genehmigung des Königs ihres Beschüzers, die Schenkung angenommen, und sie wird zu Ende des Christmonats i 7 .8 2.5;ii>en ersten Preis austhcilcn. Der Stifter dieser zween Preise verdient Dank und Hochachtung. Er merkt aber sehr wohl an, daß die Summe, die er dazu bestimt hat, zu klein sey, um nach ihrem Grldwerthe eine beträchtliche Wirkung zu machen, und er fordert deshalben "alle reichen Leute auf, sei-

*) Die nämliche Person hat der Akademie der Wissenschaften eine gleiche Summe für die Ge­ genstände verehrt , die in ihrem Fache dem menschlichen Geschlechte am nüzlichsten sind.

Historist Nachrichten.

21 j

11cm Beispiele nachzuahmen. Sollte es des­ halben nicht der Würde der Akadcmiefund der Gelehrsamkeit angemessener gewesen seyn,. den vielen Bedingnisscn der Annahme, welche diese gelehrte Gesellschaft gemacht hat, diese bcizufü-

gcn, daß der Preis nicht in einem Geldvortheile für denjenigen bestehen sollte/ der ihn verdienen würde, sondern in einer anständigen Ehrendem

Zeugung/ j. B. in einer Medaille, die ihm zu Ehren geprägt werden könte; in Aufstellung seines Bildes an einem öffentlichen, den Wissen­

schaften geheiligten Orte.

4» Preisfrage von Göttingen über die Arbcits« Häuser. SDie Akademie der Wissenschaften in Göttin­

gen hat den Preis über die Frage von den Ar­ beitshäusern nicht gutbefunden zu ertheilen, da eine einzige Schrift für dies Jahr cingekommeir

war.

Sie hat diese Frage auf das Jahr 1782

wiederholt, und sie nun folgendermassen bcstimt:

Welches sind die schicklichsten und- derge­ stalt einträglichen Arbeiten für Zucht- und Werk­

häuser, daß durch ihren Ertrag,

wo nicht die

Kosten der Anlage und der Unterhaltung zusam-

nien,

doch die Kossen der Unterhaltung allein

bestritten werden können?

»i Ä

Historische

Nachrichten.

Der Preis ist zwölf Dukaten, und die Auf-

säze

müssen vor Ausgang

Les

Herbstmonats

eingelaufen seyn.

5Herzoglich Toscaniscke Warnung wider den

Luxus.

(§eine königl. Hoheit sehen mit dem größten Bedauren jenen ausschweifenden Aufwand, der seit etwas Zeit in der Klciderprawt, sonderheitlich in der des Frauenzimmers, überhand genommen hat, und bemerken die höchstschad-

liehen Folgen, so daraus entspringen.

Die­

jenigen Frauen , die entweder aus eignen Mitteln, oder durch Gefälligkeit, oder durch den Reichthum ihrer Manner überflüßigcs Geld beziehen, haben, anstatt dasselbe zu nüzlichern

und edlem Bestimmungen zu verwenden, die Schwachheit, cs durch eine lächerliche Art von Eitelkeit durchzubringen; Einige, die zwar von gleichem Stand und Herkommen sind, sich aber nicht in den gleichen Glücksumstanden wie

andre befinden, halten sich aus einer verkehr­ ten Ehrbegicrde verbunden, es in allen Stücken

den andern gleich zu thun;

daher auch Frau­

enzimmer von andrem auch geringerem Stande

sich durch die Nacheiferung/ die ihrem Geschlechte

Historische Nachrichten»

217,

eigen ist, Gewalt anthun, die ihren Wohlstand untergräbt, nur um diejenigen nachzuahmen,

die weit mehr sind als sie.

Sogleich verbreitet,

sich dieser verschwenderische Eigensinn, den die

Mode eingeführt hat, von der Hauptstadt in die. übrigen Städte der Provinz, und von da'mit glei­ chem Verhältniß, aber ungleich grösserem Nach-

theil unter das Landvolk. Daher entsteht in allen Ständen die immer grössere Bedenklichkeit zu heirathen, der Man­ gel an Mitteln für den wichtigen Gegenstand der Erziehung, der Aussteuer der Töchter, die Schwä­

chung der zu Unternehmungen nöthigen Kräfte, Schulden, oft Untreue, Abgang der Kapitalien zum Behuf des Gewerbes, weniger Untcrstüzung für den Landbau, verminderter Ertrag des Landes, überhaupt Unglück/und daher Zwie­

tracht in den Ehen und verdorbene Sitten. Und was für eine Ausschweifung von Ei­

telkeit, die bei einigen wenigen Frauen nichts als eine verachtungswürdige Schwachheit ist, zeigt sich nicht bei dem größten Theil der andern,

unter denen es als ein wahres Vergehen ausge­ breitet wird, da sie, um den Abgang ihres Vermögens zu ergänzen, entweder sich mit ans derer Leute Mitteln helfen, oder mit denjeni­

gen, so sie vielmehr verwenden sollten, um den

wichtigern Pflichten eines Hausvaters oder einer Hausmutter ein Genügen zu leisten,

218

Historische Nachrichten.

Se. königl. Hoheit haben, nach den von Ihnen angenommenen Grundsäzen, die Freiheit der Handlungen so wenig als möglich e'mzustbränken," über diesen Pracht jczt noch kein Gesez machen wollen, Nebst dem, daß Sie wohl begreifen, wie schwer es sey, eine so vielen Wen­ dungen fähige Materie durch Geseze zu.bestim­ men, hauptsächlich deswegen, weil cs Derzicrungen des Frauenzimmers betrift, wovon die Ausschweifung öfters, wie in dem gegenchärtigen Falle, in dem Misbrauch bestehet. Auch werden Se. K. H. dergleichen Ge-, seze, als mit Ihrer angebornen Milde- streitend anschen, die sowohl zu häufigen Uebertrelungen, als zu Bedrückungen Anlaß geben können. Sic sezen aber ein solches Vertrauen in die Ehrfurcht Ihrer Untergebnen, daß Sie nicht zweifeln können, daß, da ihnen diese väterliche Vorsicht bekant ist, sie nicht anstehen werden, Ihren Absichten nach allen Kräften zu entspre­ chen , und seinem höchsten Willen entgegen zu gehen. Da eS hauptsächlich nöthig ist, daß die Verbesserung bei dem Adel den Anfang nehme, und daß dessen Beispiel auf andre Stände sich erstrecke: so werden Sie . ♦. mein Herr! diese königliche Absicht zuerst dem Adel bekant machen. Dero zufolge Se. königl. Hoheit wollen, daß der Abel beiderlei Geschlechts, in allen Zimmern

Historische Nachrichten.

2T9

des Hofes, bei Galla, und bei allen andern An­ lassen nicht anders als in einfacher und zwar schwarzer Kleidung-erscheine, auch mit den min­ desten Verzierungen; Sie halten dafür, daß eine einfache und simple Kleidung anständiger und nüzlicher sey als eine überladene, die sich

besser fürs Theater schickt. Es. sollen auch Hochdcroselben Untergebene für ein und allemal'versichert seyn, daß Se.

königl. Hoheit allzu erleuchtet sind, daß Sieden Adel nicht'durch kostbare Kleidung, sondern

durch ehrenvolle Gesinnungen, durch eine gute Aufführung, durch einen weisen Gebrauch ihrer

Güter und durch eine wohlangewendete Freige­ bigkeit ausgezeichnet wünschen. Hingegen werden des H^rrn Erzherzogs königl. Hoheit in der Fvrmirung des KaraktciH

des Volkes von der Mässigung in der Kleidung der Männer von allen Ständen, ihrer Frauen

und Töchter, oder von den sonstigen Ausschwei­ fungen , auf ihre gute und schlimme Auf­ führung, und auf ihre kluge oder verkehrte

Denkungsart den richtigen Schluß ziehen. Es dürfte auch dieser Schluß vielen Einfluß auf'die Austheilung der höchsten Wohlthaten und vorzüg­

lich in die Amtsstellen haben,

zu welchen ge­

naue Ueberlcgung und Sicherheit vor Gefahr

im Hauswesen, erforderlich ist.

210

Historische Nachrichten. Ich bin

mit gewohnter

ausgezeichneter

Ergebenheit re. Florenz, den io. Aug.

Dero gehorsamster Diener

1781.

V.inzenz von Alberti, Es ist nicht leicht möglich, alle traurige Folgen des Luxus bündiger und einleuchtender

zusammen zu fassen, als cs in diesem Schreiben geschehen ist, das auf Befehl Sr. königl. Ho­

hen des Großherzogs von Toscana dem florcntinischen Adel ist zugeschriebcn worden.

Der

erste Gedanke, den es bei uns erzeugte, war, daß es entweder keine, oder eine zu große Wir­ kung haben könte. Dao erste ließ sich nicht wohl in einem Staate muthmassen, wo cm weiser und der größten Liebe würdiger Fürst hcrschet. Das

andre kam uns wahrscheinlicher vor.

Es scheint auch wirklich, daß wir uns nicht betrogen ha­ ben. Die öffentlichen Papiere berichten uns, daß das Misvergnügen der Kaufleute über diese

Wirkungen bis zur Verzweiflung gehe. „ Un­ sere Frauenzimmer vom höchsten Range, schreibt

man von Florenz, tragen weder Edelgesteine, noch goldne und silberne Stoffe, keine Feder­ büsche mehr, keine mehr von diesen Straussen­ federn , die ehemals bestirnt waren, die Helme

der Helden zu zieren.

Nur die Köpfe der Zai-

Historische Nachrichten.

den sind noch mit Federbüschen geschmückt.

iax;

Die

Röcke, die Unterkleider, die Mantillien sind äusserst bescheiden; und, um das gute Beispiel zu bestärken,

haben die Herren vom Stande

sich in trauriges Schwarz gehüllt,

ohnc-Spizen , ohne Müffeline, ohne Kammcrtuch, und sogar ohne seidene Strümpfe.,, In einem Lande, wo Scidenfabriken ein­ heimisch sind, den Gebrauch dcrseidnen Strüm­

pfe abzuschaffcn, scheint mehr Enthusiasmus, als wahre Wirthschaft, und kan der Betriebsamkeit

einen dauerhaften Nachtheil.bringen. .Anders verhält es sich mit dem Verluste, den die Kaufmanschaft durch die freiwillige Verbannung der Edelgesteine und anderer fremden Kostbarkeiten leidet. Dieser Verlust ist bloß vorübergehend

und kan durch weise Beispiele und Anstalten,

zum Besten der innern Betriebsamkeit geleitet werden. Es braucht, deucht es uns, indessen auch noch

sehr vieles, um die Wirkung einer solchen Bekeh­

rung dauerhaft zu machen.

. Sie ist entweder

Enthusiasmus, oder gar nur Heuchelei *). Allervordcrft sollten nun die Grossen und Neichen von Florenz, theils einzeln, theils in verschiedenen auf einander wetteifernden Verbrü*) Die Hvflcute sind der leztcrn eher fähig, als ' des erste», und in Italien doppelt.

Historische Nachrichten.

ALL

derungen, mit'dem weislich ersparten Gelde Anstellten unternehmen 6i)cv unterstüzen, durch welche Licht, Rechtschassenheit, Talente und Wohlstand in ihrem Lande mehr auvqebreitet, und also diejenigen ßCireftet. roeeben könnten, welche durch die Abschaffung verderblicher Artikel des Luxus gelitten haben dürften. Die Leitung des

Aufwandes, der für das Wohl der Gesellschaft unentbehrlich ist, auf solche Gegenstände, macht

erst die Vertilgung des Luxus zu einer wahren Wohlthat.

Sodenn muß, wenn der Luxus für lange aus einem Lande verbannt werden soll, eine sorg­ fältige Erziehung die gute Denkungßadt der El­ tern auf die Nachkömmlinge verpflanzen, und

diese solcher Freuden empfänglich machen, welche ihnen die eiteln Vergnügungen des Puzcs, des Prachtes und des Wohllebens reichlichersezen.

Es werden hierzu noch allerhand Mittel erfordert, welche theils von den Beisyielen und von der thätigen Fürsorge des Landeshcrrn und

der in feine Absichten eintretenden Grossen; theils von der Mitwirkung der Geistlichkeit, der Schrift­ steller, und selbst der Künstler, abhangen.

Alle diese Mittel wirken indessen nur sehr

langsam und oft ganz unmerklich, bis endlich Blatter, Blüthe und Früchte sich zeigen, wo

Historische Nachrichten.

223

man kurze Zeit vorher noch die ganze Natur er-

sterben geglaubt hatte. 6. Augspurgische Verfügun icnävlder den Bettel.

17S1-

Regierung von der Reichsstadt Augspurg hat in 'd'cr. Mitte dieses Jahres eine Einrichtung wider" den Bettel gemacht, welche auf die besten

Grundsaze gebaut ist. und welche von den heil­ samsten Wirkungen seyn wird, wenn sie die Schwierigkeiten wird besiegen können, welche in republikanischen Staaten noch mehr als in andern,

jeder guten Unternehmung im Wege stehn. Diese Regierung hat indessen die Maasre-

gcln ergriffen, welche am wirksamsten seyn sollen, einer öffentlichen Unternehnrung einen guten Ein­

gang vorzubereiten. Sie hat durch einen wohl und nachdrücklich abgefaßten Unterricht ihre

Bürger von den Absichren ihrer Verfügungen

belehrt. Dieser Unterricht theilt erstlich die Armen in zwo Klassen, in die natürlich Armen, denen wirklich Kräfte und Mittel mangeln, sich zu er­

halten , und in die sittlich Armen, welche Kräfte und Mittel dazu haben, oder durch ihre

Schuld verlohren haben.

Die fremden Armen,

2-4

Historische Nachrichten.

beider'Art, werden von der Stadt weggewie^ sen, denen einheimischen wird alles Betteln un­ tersagt. Die Bettler nehmen in Augspurg immer zu, und zwar die sittlich Armen; chcnn dienatürlich Armen nehmen eher ab, indem Über­ fluß an Verdienst ist, besonders in den Wollen­ fabriken. Indessen entsteht die MeNge der sittlich Armen viel aus den Anlässen zu leichtem und unbe­ ständigem Verdienste, wo die Leute gewöhnt werden am Sonntage zu verschwenden , was sie in der Woche einbringen. Dieser muthwillige Vettel hat abscheuliche Folgen, sowohl sittliche als wirthschaftliche. Die sittlichen Armen wer­ den deshalben an die Arbeit gewiesen. Doch sind unter diesen nicht alle gleich. Es sind solche 1) die arbeiten wollen und können / aber die tägliche Nothdurft durch ihre' Arbeit ganz zu verdienen nicht im Stande sind. 2) Die zu arbeiten nicht gelernt haben, und 3) die zu arbeiten fähig sind, über von der Trägheit, von dem Hange zum müssigen Leben bemeistert. Nicht arbeiten wollen; son­ dern zur Arbeit gezwungen werden müssen» Hierauf werden die schädlichen Folgen der un­ überlegten Almosen gezeigt, und die Unwirksamkeit der bisher gegen den Bettel gebrauchten Mittel»

Historische Nachrichten.

ar;

Nun sollen nachdrücklichere Maasregeln ge­

nommen werden. entworfen.

Die erste Anlage ist schon

Eine Deputation von vierzehn Per­

sonen , beider Religionen,

soll sie nun ausar­

beiten. Dieser Plan sezt voraus,

daß muthmaß-

licher Weise der drei - oder vier und dreißiqste Theil *) der Einwohner arm wäre, und daß

unter dieser Anzahl, wovon gewiß immer fünf und vierzig gegen sieben öffentlich gebettelt hät­ ten, wenigstens zwanzig gegen drei zu arbeiten und ihren Unterhalt ganz oder doch zum Theil zu verdienen fähig wären. So hätten vier und dreißig Personen, die ihrer Nahrung sicher sind, einen Armen zu un­

terhalten. Allein unter sechs oder sieben der ersten Klasse sind immer fünf oder sechs Kinder, Der Schriftsteller, welcher bei der Akademie von SvissonS de» Preis über die Versorgung der Armen gewonnen hat, rechnet nach den göttingischen Anzeigen von 1780. auf 80000 Seelen 17500 Arme. Wir muthmassen hier einen Druckfehler, und glauben, es soll 800000 heissen. Da würden auf 40 Ein­ wohner ein Armer herauskommen, welches wahrscheinlich ist. Zn einer Stadt, wo viele reiche Leute sind, befinden sich auch mehr Arme, als in einem ganzen Lande, wo mehr Gleichheit ist.

Ephem. -hernung 78-3.

P

22§

Historische Nachrichten.

Dienstboten rc/die wenig oder nichts beitragen können. Und so würden fünf oder sechse eines zu erhalten haben, wenn nicht unter zwanzig Armen siebzehn im Stande wären, durch ihre

-Arbeit'sich ganz oder zum Theile durchzubringen.

Die Regierung hoft auch ansehnliche Beiträge

von den privilegipten Geistlichen. und Adelichcn, dio hier nicht in Anschlag gebracht worden sind; und sie rechnet mit Grunde darauf,

daß eine

Kute Polizey und eine verbesserte Kinderzucht, die Anzahl der Armen für die Zukunft gewiß verMindern werde*). Man rechnet, daß eine Person für ihren

jährlichen Unterhalt 91 Fl. **) oder;edesTags *) Einen Umstand, den uns dieser Unterricht bekam macht, und der uns von einer wohl polizlrccn republikanischen Stadt, wo die Handwerker insgemein weit mehr auf Ehr­ barkeit halten, unglaublich scheinen würde, wenn er nicht so authentisch versichert wäre, können wir hier nicht unangcmerkt lassen. Man hat, Heist es, Beispiele genug, daß Leute, so die ganze Woche durch arbeiten, auch an Sonn - und Feiertagen wohl geklei­ det und nicht sparsam zu zechen gewohnt sind, den Samstag sich in alte Luinpcn einhüllen, und mit Weibern, Kindern, Gesellen und Dienstmägden die ganze Stadt abbctteln. 7*) Wenn wir, wie eS wahrscheinlich ist, an­ nehmen , daß in Augspurg das Malter Waizen von 24s Pf. g bis 9 Gulden gelten möge.

Historische Nachrichten. r§ Kr. brauche ,

sr?

ein Ehepaar mit einem Kinde

des Tages 32 Kr., mit zwei Kindern 36 Kr. mit mehrern 40, auch 45 Kr., für Kranke und

Hochbctagte muß,

nach den Umständen, mehr

gerechnet werden. Man köntebeiden vielen Bettlern die matt

sieht, rechnen, es möchte» wohl ihrer 1500 in Augspurg angctroffen werden, und cs also nicht

möglich seyn, die zu ihrer Unterstüzung nöthige

Summe aufzubringen.

Allein, wenn die frem­

den Bettler werden abgetrieben, die,

so arbei­

ten können, zur Arbeit angehalton, und nur die unter die Armen gerechnet-werdcn, welche wirk­

lich darunter gehören, so wird ihre Anzahl nicht mehr so groß seyn.

Ueber dieses hüt man bis­

her diese Bettler reichlicher besteuert, als es bei

so bestätigt auch diese Angabe, den in den Trau­ men eines Menschenfreundes I. Th. S. 1; re. angenommenen Saz: daß der gewöhnliche jährliche Unterhalt eines Menschen sich auf bett Werth von io Malter Walzen belaufe, und daß ein Mensch, der in Deutschland, vielleicht in ganz Europa, für sich, seine Frau und jedes sei­ ner Kinder, einen solchen Unterhalt gesichert voraus sehen würde, das natürliche Maas des Wohlstandes geniessen würde, auf das je­ der Mensch, welcher der Gesellschaft nicht ausserordentliche Dienste leistet, eine gerechte Ansprache zu machen hat. P 2

318

Historische Nachrichten,

dec neuen Anstalt geschehen wird. Man hat also von diesen keine grössere Last zu befürchten. Ein jeder Bürger, heißt es sehr, bündig, hat dem Armen und dem Bettler inzwischen seinen Pfenning, Kreuzer, Groschen oder Gulden täg­ lich oder wöchentlich in die Hand gegeben, von dem Tag des Verboths, daß der Bettel aufhö­ ren solle, wird er zwar von. dem Ueberlauf des Armen, zumalen des müssigen Gesindels, ent­ ledigt seyn, aber das grosse Gebot von der Liebe. Gottes und des Nächsten wird nicht aufgehoben; unaufhörlich bleibt der Christ verbunden, dem Armen Gutes zu thun. Weil nun fürohin die ge­ samte Armuth aus einer einzigen gemeinen Dorcathskammec gcspeiset werden soll, so schüttet jeder Geber seine Gabe in den Gemeindskastcn um so fröhlicher, als er der zweckmässigen guten Ver­ wendung gesichert seyn, und nicht argwohnen darf, daß der Bettler sein Almosen trüg, müs­ sig und sündhaft verzehre. Nun folgt dec Gang der ganzen Einrich­ tung. „ Die erste Grundlage zu berichtigen, die Armen sowohl zu beschreiben,- als das Publi­ kum um milde Hülfe anzusprechen, die allenfalls noch unverdauten Zweifel über den genauen Voll­ zug und sichern Bestand dieser allgemein nüzlichen Ordnung zu benehmen: dieses alles wollen die Herren Deputaten sich selbst angelegen seyn

Historische Nachrichten»

229

lassen, alsdann aber, wann die freimüthig be­

willigten wachen - oder monatlichen Beitrage in und folg­ sam keine Llnterschleife mehr möglich sind, wer­ die gehörigen Register eingetragen,

den die Einsamlungen durch ihre Untergebene, mit­

telst Vorweisung des alle Monat zu erneuernden .schriftlichen Deputationsauftrags in jedem Quar­ tier vor sich gehen können.

Der oder die Ein-

samler bekommen von dem Hauptkassler der neuen Armenanftalt eine Abschrift des Beitragregisters für das ihnen anvertraute Quartier; sie wissen also, wie viel der oder die Einwohner des Hau­ ses in dem Quartier unter jener Nummer, wö-

chent- oder monatlich beizulragen sich erkläret ha­

ben. Wollte nun Jemand mehr oder weniger geben, als in seinem Register eingeschrieben steht,

so darf der Einsamlcr das mehrere oder weni­ gere keinesweges annehmen, sondern muß den. Geber erinnern, daß er mit so und soviel vor­ getragen wäre; würde er künftighin mehr oder weniger zu geben-gemeint seyn, so möge er es bei dem nächsten Deputationssiz selbst münd­

lich oder schriftlich änzeigen. ~

Gleichergcstalten

darf der Samler von jenem, der seine Gabe nur

monatlich zu reichen gedenkt,

unter der Zeit,

das ist vor dem lezten oder vorlezten Tage in dem

Monat nichts fordern, aber auch nicht weiter warten,! sondern gleichwie er täglich, nämlich alle Freitag und Samstag in der Woche, bei dm

23ö

Historische Nachrichten,

wöchentlichen, den vorlezten und lezten Tag in dem Monat aber bei' den monatlichen Samlungen, die gesammelten Gelder dem Hauptkaffirer einzuliefern schuldig, und nicht eine Nacht über bei sich zu behalten befugt ist, so wird er auch zugleich dem Kassier jedesmal anzeigcn, ob und warum

von diesem oder jenem der bestirnte Beitrag nicht

erhoben worden sey. Zur Sicherheit des Samlcrs,. des Gebers und des Kassiers dienen der­ gleichen strenge Vorschriften, und sind öfters un­

entbehrlich. Ein jeder gibt, so viel ihm seine Umstünde erlauben, so viel die Liebe des Näch­ sten von ihm fordert,, mit redlichem guten Her­

zen, ohne Schuldigkeit, ohne Zwang; Frei­ heit und eigner Antrieb sollen die Gabe be­ stimmen und den Werth vergrössern. Damit

also niemand aus unverdicnstltchen Absichten, oder aus Ehrgeiz zu einem grösser», aber auch nicht aus eigennüziger Bescheidenheit, oder dun­

keln Begriffen zu einem geringern Beitrag sich zu Erbiethen veranlasset werde, weil vielleicht man­ cher die Rede: Deine linke Hand soll nicht erfahren, was die rechte giebt, .im buchstäbli­ chen aber uneigentlichen Verstände ausdeüten

möchte: so wird der Samler aus dieser und an­ dern. mchrern Rücksichten, auch eine verschlossene Büchse bei sich tragens

in welche ihre Freige-

bigkkit sich, von allem menschlichen Urtheil ge­ sichert And unbemerkt, ausschütten kam

Historische Nachrichten»

231

Die gesammelten Gelder fliessen alle in eine Truhe, in die Hauptkasse; von dem Hauptkas-

ficv erhall ein jeder in den acht Quartieren der Stadt bestellte Untorkassier wöchentlich so viel, als zu Unterhaltung der in seinem Bezirk woh­

nenden Armen erforderlich ist. Dieser Unter­ kassier wird in der Woche einen gelegenen Tag bestimmen, an welchem alle ihm zugethe'lte Ar­ me die Gebühr.ablangen können. Weil der Unterkaffier dieses Amt unentgeltlich nir Ehre Gortes, als einen Liebesdienst der Armuth vor?

richtet,

so muß ihm erlaubt seyn,

einen Tag

zu wählen, der zu seinen eigenen Berufs - und

Der Kassier weiß, wie viel er dem Armen zu geben, und der Arme, wie viel er zu empfangen habe, weiblez-

Mahrungsgesckäften entbehrlich ist.

Lerer einen Schein von der Deputation in Han­ den hat, den er dem Kass er vorweisen muß; ohne solchen vorgewiesen zu haben, beköml er

Wenn schon denArmen'überhaupt ein gleicher Gehalt ausgeworfcn ist, so können doch

nichts.

Die Scheine nicht gleich lauten, z. B auf einem Schein wird.eine einzige arme Person, auf ei­ nem andern eine ganze Familie vorqcmerkt; die­

ser Arme ist zu allem Verdienst Alters - und Ge­ sundheitshalber untüchtig, jener hingegen kan nnd soll arbeiten, und was dergleichen wesenrche Umstande mehr sind. Alle diese Scheine müssen

auch von halben zu halben Jahren ausgewechsettz

azr

Historische Nachrichten,

werden, zu Georgi- und Michaelisziele, weil

die armen Leute ötters ihre Wohnungen ver­ wechseln, mithin auch aus dem Bezirk dieses Kassierers in einen andern übertreten. Die Ar­ men von der arbeitenden Klasse werden hiernachst

neben dem Depurations''chein auch den Spaltzettel oder das Büchlein vorleaen müssen, worin

dec Aufseher des Quartiers auswerfen wird, wie

viel Arbeitslohn der einzelne Arme, oder die ganze Familie, die Woche über verdient und be­ zogen habe

dann was der Arbeitende wöchent­

lich zu empfangen berechtiget wäre, ist nur eine Zulage, um den Abgang zu ersezen, z. B. ei­ ner vermag den Tag über zwölf Kreuzer, der

andre nur zehn, der dritte gar nur drei durch die Handarbeit zu verdienen, so gebührt dem ersten zu seinem Unterhalt noch drei, dem an­ dern fünf, dem dritten zwölf Kreuzer Zulage-

nnd so weiter.

Es ist gar wohl möglich, daß eine

fleissig arbeitende Person dennoch so viele Fer­

tigkeit zu arbeiten nicht besize,

als eine andre

minder fleissige, so kan auch eine Mutter vie­ ler unerzogener Kinder nicht den ganzen Tag

arbeiten, sie muß der Hauswirthsthaft und der Kinderwartung mehrere Stunden widmen: alle

solche Umstände verdienen milde Beherzigung,

nur der sträflliche Hang zur Trägheit verdient scharfe Züchtigung, und an Mitteln soll es der

Deputation über die neue Armenanstalt nicht

Historische Nachrichten.

ab­

gebrochen, dem Müssiggänger wenigstens die Er­

kenntniß, daß er zu arbeiten schuldig sey, und den Gehorsam, wo nicht gar einen fröhlichen guten -Willen zur Arbeit cinzuflössen; denn ar­ beiten müssen alle) die können, jeder so viel, als

ihm seine natürliche Fähigkeit erlaubt; kein Müssiggänger soll in der menschlichen Gesellschaft

aber auch kein Armer über Mangel der Arbeit, zu welcher er tüchtig wäre,

geduldet werden,

oder über die Unzulänglichkeit des 'Verdienstes zum täglichen Unterhalt zu beklagen Ursach ha­

ben;

er bekömt fünfzehn Kreuzer des Tages ge­

wiß, damit kan er seine Erfordernisse sorgenund kummcrfrei bestreiten. Gelüste sind keine

Erfordernisse; Zufriedenheit mir dem Unentbehr­ lichen beglückt den Menschen, nicht der uner­

sättliche Hang zum Wohlleben; mancher wakre

Handwerksmann wird dem Armen begreiflich ma­ chen, daß er des Tages kaum die 15 Kr. ge­ winne, und dennoch vergnügt lebe.,, Für den durchreisenden Handwerksbursch Wird nach 23. auch gesorgt. - Dieses ist billig, so" lange die herschende Vorurtheile in diesem Stück nicht verbessert werden. Allein es wäre unendlich zu wünschen, daß dem jungen Hand­ werker die Sparsamkeit angewvhnt und Ehre eingcpflanzt würde, damit er sich des Bettelns

schämcte. voll ist,

So lange es diesem Stande ehren­ seine Bahn mit Fechten anzufangen^

234

Historische Nachrichten.

so wird er sich nicht scheuen, sie mit Betteln zu

enden, und man bedenke, was bei dieser Den­ kungsart die Mitte davon seyn muß.

Diese Absicht gehört insonderheit zu der §. 24. so nachdrücklich empfohlenen Sorge für die Jugend. es da,

„Das Hauptaugenmerk,

heiss

werden die Herren Deputirten auf die

Erziehung der armen Kinder, auf Beförderung

der Magdlein zu Hausdiensten, und der Knaben zu Professionen, richten. Gute Bürger zu bil­ den , die von der Religion, von den guten Sit­ ten, von der Pflicht, sich selbst zu ernähren re.

nicht im mindesten unterrichtete , nur auf den Bettel und Müssiggang, und andre daraus ent­ springende Laster gewöhnte Kinder zur Reli­ gion, zu guten Sitten, zur Arbeit anzuführen, Handwerke lernen zu lassen, ihr künftiges Glück

zu bauen und zu befördern, und den durch eine schlechte oder gar keine Erziehung gehäuften Saamen von unglücklichen Generationen,

noch int

Aufkeimen jutobten, ist nicht nur gut und löb­ lich, sondern äusserst nothwendig, und nebenbei' in den Folgen für das ganze gemeine Wesen wich­ tig und nüzlich.

Der anfängliche Zwang geht

mit der Zeit nicht nur in eine Gewohnheit, son­

dern in einen Hang zur Arbeit, zu Verdiensten, zu einetp gewerbsamcn Leben über. Wann erst

noch eine Ermunterung zu rechter Zeit ange­ bracht wird, so darf man für die Zukunft zu

Historische Nachrichten.

=35

allen Künsten, Handwerkern und Gewerben auf tüchtige, geschickte, erfindsame, nüzliche Leute

Rechnung machen;

man kan viele,, wo nicht

die meisten auswärtigen Arbeiter entbehren, z. B. Hausknechte, Laglöhner, -Maurer , Zimmer­

leute und dergleichen mehrere Gesellen,

auch Dienstboten von beiderlei Geschlecht. Alle diese Lohn - und Tagegelder kommen von bürgerlichen

wieder in bürgerliche Hönde, und das Geld bleibt in der Stadt. Nur kein Zwang muß

hier eintreten, sondern der Vortheil, wer bes­ ser und fleissiger arbeitet,

sich begnüglicher be­

trägt, Und dergleichen mehrere Eigenschaften, müssen die Wahl des Meisters Professiomsten

und Hausvaters bestimmen. * Man kan hoffen, daß die Gewerbe einen neuen Züsaz erhalten, daß gemeine Bedürfnisse von Wolle und andern hier eben so billig bearbettet werden, als es auswärts geschieht, so, daß ein den Absa; be­ günstigendes, Verhältniß des Preises und der Qualität eintreten, und daß mancher vernach­

lässigte Artikel wieder zurückkehren sollte.

Man

könte sogar vermuthen, daß die unter einer ge­ meinschaftlichen Anstalt Erzognen zu einer zwar «sättigenden, dem Alter und dem gemeinen

Mann gebührenden, aber nicht leckerhaften Kost,

auch ehrbaren Kleidung angewöhnten Knaben und" Mägdlein, wenn sie dereinsten Gesellen oder Dienstmägde, sofort Hausväter und Hausmüt-

r;6

Historische Nachrichten.

ter werden, und in den Dienstjahren von ihren Flauen und Herrschaften selbst weiter nicht ver­ dorben , oder wieder zu dem Ueppigen verleitet

worden sind, die gewohnte Ordnung, Wirth­ schaft und Genügsamkeit, ohne Zwang beibe­ halten werden.---------- Davon hat freilich der

Bettler, noch vielwenigcr das Kind des Bett­ lers nicht den geringsten Begrif; die in dem müssigen Bcktclberuf aufwachscnden Kinder hören von ihren Eltern nichts Gures, und von dem übri­

gen verächtlichen Gesindel alles Böse; die Sitten werden durch den Umgang täglich schlechter; sie

erreichen die männlichen Jahre, ohne wahre Menschen, ohne Christen jemals gewesen zu seyn; sie betteln unter dem Gottesdienst, und kennen Gott und seinen Dienst nicht; die Trägen, die

Taugenichts,

die Niederträchtigen,

die Hu­

ren, die Diebe, diese der guten Gemeinde schändliche und lästige Brut muß' ausgerottet, nicht gctödtet, sondern zu thätigen, nüzlichen Mitgliedern einer bürgerlichen Gesellschaft umge­

bildet werden, wenn die Zahl der Armen sich

verringern, und die Anstalt zur Verpflegung der Die Her­

wahren Armuth dauerhaft seyn soll.

ren Deputirten werden solchemnach auf das Erziehungsgeschäfte der Armenkindev den vorzüg­ lichsten Bedacht nehmen.

In dieser Rücksicht

mag bei Kindern, die entweder schon verwaiset find, oder deren Eltern auf die Erziehung frei-

Historische Nachrichten»

337

müthige Verzicht thun, ebenmässig, wie bei einer andern Person,

der Unterhalt auf 15 Kreuzer billig zu erhöhen seyn. Um dieses Kostgeld

dürften sie entweder von gottesfürchtigen, recht­ schaffenen, und nach dem mittlern Bürgers­

stand wohlgesitteten Hausvätern und Müttern

in Verpflegung genommen, oder aber in die Armen - Waisen - und Findelhäuscc ihrer Reli­ gion untergebracht werden.

Fall hin,

wenn es möglich,

Gelegenheit vorhanden,

Auf diesen lezten

wenn Plaz und

und das Stiftungsin-

stitut nicht darunter leidet, sollen solche arme Kinder mit den übrigen, so den Stiftungsun­

terhalt geniessen, nicht vermengt werden, son­ dern als Miethlinge oder Inwohner nur unter einem Dach wohnen,

hingegen ihre Verpfle­

gung in Kost und Kleidern, ihr Unterricht und alles, was Erziehung heißt,

den Herren De-

putirten zur neuen Armenanstalt lediglich über­

lassen seyn. Die Hauptabsicht ist, Christen und Burger zu erziehen, folgsam die Einrichtrmg zu treffen,

daß erstlich Reinlichkeit und Ord­

nung beobachtet. Kost und Kleidung nicht über­ flüssig, aber genüglich angeschaft, für die Ge­ sundheit und für den Wuchs des Körpers phy­ sikalisch vernünftig, auf. das Beste gesorgt; daß zweitens die Kinder zu einem gründlichen, kern-

haften und thätigen Christenthum angeführt, in Sitten und Kentnissen derjenigen guten Eigen-

ÄZS schäften,

Historische Nachrichten,

die dem menschlichen Herzen seinen

wahren Werth geben,

gebildet-,.

im Lesen,

Schreiben und Rechnen. genüglich unterrichtet;

daß drittens, weil die Magdlein, sobald es die Jahre und Kräfte erlauben, zum Dienen, die Knaben aber zu Handwerken, auch Künsten, je­ der nach seinen Fähigkeiten, Fleiß und Anwen­ dung bestirnt sind; jene im Nähen, SpinnenStricken und andern weiblichen Beschäftigungen geübt, diesen hingegen praktische Begriffe von

ihrem künftigen Beruf von Handwerken und Künsten, von den Schuldigkeiten eines Bürgers,

von den verschiedenen Ständen in der menschli­ chen Gesellschaft bcigebracht; überhaupt, daß beide, Mägdlein und Knaben, milden ersten Wahrheiten bckant werden, daß sie natürliche gute Begriffe von Dingen und Sachen sammeln mögen, die im gemeinen Leben täglich vorkom­ men, und jedem in seinem künftigen Stand nüzlich seyn können; daß sie im Christenthum,

im Gehet nicht Papageyen, im Lesen, Schrei­ ben, Rechnen und Arbeiten nicht gedankenlosen Maschinen gleich zu achten, , sondern dereinstcn

fähig wären , selbst zu denken, zu begreifen, zu untersuchen, zu entwickeln, zu erfinden, zu prüfen, zu beurtheilen, zu folgern, zu schlies­

mit einem Wort, daß alle Zöglinge zu allen Geschäften, leiblich und sittlich

sen, zu handeln;

yyrbereitet werden, ein jeder nach seinen Gaben

Historische Nachrichten. und nach seinem Körper.

239

Alle Nahrungs-und

Gewerbsstande sind in ihrer Art gut, und, int

Ganzen genommen, der menschlichen Gesellschaft unentbehrlich;

mithin gebührt eigentlich dem

Stande nicht, sondern dem Manne, der den Stand mit redlichen Pflichten ausfüllt, seine volle Schazur.g.

Nur studieren sollen die Knaben

nicht, whferne nicht bei ein und andern sichsonderbare und untrügliche Kennzeichen einer ausser­

ordentlichen Fähigkeit in allen ihren Handlun­ gen aufklären würden „

Die Arbeit, womit die Armen beschäftigt werden sollen , ist das Wollenspinnen;

die Ein'richtung dazu folgende: ,, In einem jeden Stadt­ quartier , deren gegenwärtig bei Nummerirung der Häuser achte angezcigt sind, werden ein oder

mehrere Aufseher, je nachdem in solchem Quar­ tier viel oder wenige Arme wohnen, bestellt; diese theilen die Wolle aus, nehmen die Ge­ spinst wieder zu sich, beurtheilen solche nach der

Gestalt, nach der Zahl, nach dem Gewicht, da­ mit der Eigenthümer nicht beschädiget werde; weisen die spinnende Personen zurecht, lassen die Nichtfähige unterrichten, bezahlen die gelieferte

Gespinst, und fertigen dem Spinner, oder der

Spinnerin das Spaltbüchlein, welches mit und

neben dem gedruckten Armenscheine jedesmal dem Quartierskaffirer vorzulegey ist, wenn bei sol-

24°

Historische Nachrichten.

chem die wöchentliche Aufgabe über den vom Auf­ seher schon bezogenen und eingeschriebenen Spin­ verdienst abgelangt wird. — Wer sich der Ord­ nung nicht fügen, nicht arbeiten, sondern den sträflichsten Müssiggang fortsezen und betteln will,

soll ohne weiters ins Arbeitshaus geschaft, und

dorten bei der geringsten Kost zur Arbeit ange­

halten werden, so lange, bis sein böser Wille gebessert, und mit Zuversicht zu hoffen ist, daß dergleichen Personen auch in ihrer Freiheit vom Bettel abstehen und ihr Brod durch Handarbeit

zu gewinnen sich befleissen werden.

Das Ar­

beitshaus kan wegen Aufnahme und Unterhal­ tung dieser Leute nichts verlieren, sondern muß für jeden Kopf nach Abzug dessen, was der Mann oder das Weib die Woche hindurch ver­

dienet, das ist, durch Handarbeit erworben hat, eben so viel empfangen 7 als der Arme selbst be­ zogen hatte.

Wer nach der ersten Korrektion

das zweitemal auf dem Bettel betroffen wird, soll ein halbes Jahr im Arbeitshause behalten, und zur Arbeit gezwungen werden. Hierüber wird keine Entschuldigung, keine Gnade Plaz finden. Der Unverbesserliche, der nämlich schon

den dreifachen Arrest überstanden,

und doch

tvieder gebettelt hat, soll aus der Stadt wan­ dern, Bürgerrecht, oder Beisiz verlohren haben,

und unter keiner andern Bedmgniß wieder heceinkomlyen- als daß er seinen sträflichen Ungs-

Historische Nachrichten.

04.1

horsam in dem Arbeitshause lebenslänglich buffe»

Ein einziges Beispiel dürfte die milde Obrigkeitdes

öftern Gebrauchs der Scharfe entübrigen, vbwohlen dieses Gescz keineswegs scharf ist, son­ dern durch die Beschaffenheit des Arrests, durch die Absichten und selbst durch die Verpflegung

des muthwilligen Tagediebs gelind, billig und

heilsam wird, vielmehr nach dem rechten Ver­ stand die Gestalt eines Verbots ablcgt, und in ein Werk der Liebe, in eine gnädige Vorsorge von seiner Obrigkeit verwandelt wird. „

„ Daß jeder Arme, der gar nicht arbeiten kau, täglich 15 Kreuzer bekommen, und dem­

jenigen, der so viel durch seine Arbeit nicht ge­ winnt, der Abgang crsezt werden soll, bleibt immer der Grund zu gegenwärtiger Ordnung.»,

Die Vortheile, die von dieser Anstalt er­ wartet werden, sind sehr wohl beschrieben» „ Die Mägdlein in der gemeinen Erziehungsan­

stalt lernen und können also schon Wolle spinnen»

Die Mägdlein werden Dienstboten, und sohin auch Weiber, also können Dienstbolen und Haus­ mütter spinnen;

benmägde,

Dienstboten richten ihre Ne-

die Hausmütter ihre Kinder zum

Spinnen ab, die Spinnkunst theilt sich also selbst

von Haus zu Haus mit.

Bei beiden Gattum

gen von Weibsleuten, beim

Dienstboten wie

342

Historische

Nachrichten.

bei der Hausmutter, giebt es manche Stunden ohne Arbeit,

also Gelegenheit ?u einem ausser­

ordentlichen Verdienst oder Gewinst. In Augspurg sind mehrere hundert Weber, im Durch­ schnitt verarbeitet einer das Jahr durch io Zent­

ner Wolle, vielleicht 12 und weiter; auf ein Pfund Wolle von guter Art werden 11, auch 15 und j 8 Rtcklcin gesponnen; von einem gu­ ten Gespinst bezahlt der Weber gerne das Ricklrin mit zwei und einem halben Kreuzer. Man darf das; höchstens der achte Theil hier in Augspurg gesponnen werde, die übrigen

sicher glauben,

sieben Achtel aber in den umliegenden Dörfern. Also ziehen die Fremden von den hiesigen We­

bern, ein Jahr ins andre, unglaubliche Sum­ men aus der Stadt, die der hiesige arme Mann, Weib, Kind, Dienstbot re. verdienen tönten.

Der Unterschied würde sehr groß, und die Ver­ minderung des Zusazes bei den täglichen Bedürf­ nissen nicht unbeträchtlich ausfallen,

wenn dec

gemeine Mann dieses Verhältniß überdenken und

bcnuzcn wollte; auch selbst der gesamten Weber­ schaft müßte diese Anstalt ersprießlich und vortheilhaft seyn, da wiche weder Mangel an Ge­

spinst, weder Vcrluftam Gewicht, weder Vertheurung durchs Kippern und Aufkäufen, noch'

andre gefährvene Eingelenke weiter zu besorgest

hatte,,,

Historische Nachrichten,

243

Hier ist noch der Schluß dieses mit vieler Weisheit abgefaßten Unterrichts: „ Die in Sa­ chen verordnete aus allen Klassen der Bürger­

schaft zusammengesczre Deputation wird solchemnach auf den Hauptplan im Ganzen zwar im­ mer das volle Augenmerk sichren und behalten, bei der Ausführung aber in einzelnen Theilen

sich nach Umstanden benehmen müssen,

welche

erst in der Folge kennbar werden, und dermalen schon zu bestimmen, oder nur als wahrschein­ liche Zufälligkeiten aufzuwerfen weder thunlich noch nüziich wäre. Ein Hochedler und Hoch­ weiser Rath begnügt sich inzwischen,

das ge­

samte Publikum von der ganzen Grundlage die­ ser den Nothstand der Armuth erleichternden, die Nachkömlinge beglückenden,- die öffentliche Sicherheit befördernden, und die Erwartung aller Bürger und Einwohner befriedigenden An­

stalt unterrichtet,

die gedeiliche Mitwirkung,

sowohl durch ergiebige Beitrage, (in deren Er­ manglung ein 'cs Generals misbilligte, diese Ablässe als ei­ nen Eingrif in die Rechte des Bischofs verstellte, und sie als Misbräuche, die dem Geiste des Evangeliums und dem Sinne der allgemeinen Kirchverordnungen zuwider wären, abgeschaffk wissen wollte»

Historische Nachrichten.

-45

Es erschienen bald hierauf einige Schriften zur Widerlegung des Schreiben. Man kan sich wohl verstellen, daß sie nicht sonderlich bündig

gewesen seyn können, da sie den Kapuzinergene-

neral als einen Mann vorstellen, der den Ger schlagencn heilen, den Stolzen demüthigen sollrc. Der Verfasser des erstem Schreibens ^ant­ wortete hierauf in einem neuen Schreiben, und

daher entstanden immer grössere Bewegungen.

Der Geistlichkeit in Constanz, sagt eine Schrift, * ) auö der wir diese Nachricht gezogen

haben,

oder wenigstens dem größten Haufen

davon, schiene das erste Schreiben über das Ablaßgeschäft ein grobes Verbrechen zu seyn; 4yan gab für, dec Verfasser dieses Schreibens

hatte die Gerechtsamen des Bischofs vcrlezet,

und wider die schuldige Ehrfurcht und Gehor­ sam gehandelt, daß er den Bischof seiner Pflich­ ten für die Religion erinnert hatte: Wie er stet)1 bei einem unerwarteten Auftritt, da ein fremder Bettelmönch von Ron« in seinem Kir-

chcnsprengel angekommen, und sich bei seiner Gemeinde einer grössern Gewalt in seinen geist­

lichen Verrichtungen, als die Ausspendung dief.T h. Ablässe gewesen ist, angemasset, zu ver­ halten gehabt hätte. *) Meine Laune, 1781. Herr Philipp Eberlin.

Der" Verfasser ist

Historische Nachrichten.

246

Die bischöfliche Curia zu Constanz fände'sich

beleidiget,

daß der Herausgeber dieser Schrei­

ben den Vorwurf ihr gemachct hatte, daß eilt Kapuziner eine weit grössere Gewalt als der Bi­ schof selbst«!, bei diesortiger Gemeinde, wo der Bürger in Constanz ohnehin fanatisch gebo­ ren und dumm erzogen ist; das ist, wo der Bürger ohnedies mehr auf Ausübung dergleichen

ungereiniten Rcligiositätsdingcn, alö Erfüllung

wahrer und christlicher Standespflichten bedacht ist, ungeahndet hatte ausübcn lassen, und derlei nichtige Feqfeuerspüsse mehrere Wochen hindurch

wie Marktschreierre-zeptcn in dem'Publikum aus­ theilen und herumtraaen lassen ; allein das ge­ meine Sprichwort hiesse schon bei den Alten: Veritas odium parit; und der Verfasser dieser Schriften mußte diesen Machtspruch in 'seiner vollen Gewalt fühlen. Und endlichen, daß der

Verfasser niemals berechtiget gewesen wäre, oh­

ne Censur von der bischöflichen Curia eine Druck­ schrift zu verfertigen,

und hierdurch Anlaß zu

geben, daß dieselbe in das Publikum vertheilet würde rc. Die gottesgelehrten Herren Curialistcn be­ merkten also ein dreifaches Verbrechen in einer

Schrift, welche, wenn man dieselbe ohne Bor­ urtheil durcbgelesen hat, nicht nur keinen Schein eines Verbrechens auffallend hat, sondern im Gegentheil zur Unterstüzung der Gerechtsamen

Historische Nachrichten.

247

des Bischofs über feine Kirchen und allgemeinen Nuzen des Christenthums geschrieben und einge­

richtet war. Ich bin versichert, wenn über wenige oder

viele Zeit die Stadt Constanz das unschazbare Glück wieder geniessen sollte, einen Bettelmönchenaeneral auf einige Zeit in ihren Mauren zu

beherbergen, und wohl zu versorgen,, und jähfingen derselbe sich wieder unterfangen sollte,,

derlei Ablaßzettel unter das Volk zu vertheilen, diese Curia gewiß nicht so nachseh>.nd seyn wür­ de , als sie der Zeil bei dem Betragen des Ka­ puzinergenerals über die Ausspendung seiner hei­

ligen Ablässe gewesen ist.

Der Kurfürst von Mainz, also liefet man in dem öffentlichen privilegirten Zeitungsblatte der

kaiserl. Reichsstadt Ulm sub Num. 119. vom Lten Weinmonal 1780. habe alle Ablässe, wel­

che der Kapuzinergeneral bei seiner legten Anwe­ senheit im Mainzer Erzblsthum halte austheilen, lassen, für ungültig erkläret rc. Der Verfasser des Schreibens aus Constanz sagt, daß die heil. Ablässe gut und nüzlich wa­ ren ; daß aber die allzu viele Ausspendung der­ selben von der Kirche öfters geahndet, und durch die heiligen Kirchenschlüsse selbsten wiederholter wären eingeboten worden rc»

248

Historische Nachrichten.

Dieses war der wesentliche Inhalt dieses Schreibens, und die Kirchenschiffe wurden bei gehörigen Stellen angcführet re. Das Publikum findet in diesem Schreiben

die reine Wahrheit gesagt zu seyn.

Nachdem nun das Zcugenverhör einmal vol­ lendet gewesen, so wurde auf den Verfasser die­

ser Schreiben aus Constanz unmittelbar inquiriret, und derselbe *) bei der geistlichen Gerichts­ stelle zu erscheinen fürgcladen.

Der Verfasser dieser Schreiben erschien auch ohne Bedenklichkeit, stellte sich für seine Richter mit gleichgültigem Gemüth, und verbat sich gleich anfänglich von dem Konstituenten das un-nüze und zeitverlicrende Fragen, daß er demsel­

ben ganz dreist sagte,

er möchte ohne weitere

Umschweife nur platterdings fragen, ob er der Verfasser dieser Schreiben gewesen, und so wür­

de er mit Ja antworten; wie denn solches auch geschehen ist. Bei dieser Vernehmlassung hatte es noch nicht sein ganzes Bewenden; es wurden

gleich nach einander mehrere Konstituenten ange-stcllet, und dem Verfasser dieser Schriften Mei-

*) Herr Anton Neininger,. Kaplan auf dem Kawanverge in Bvdmann, und Hofmeister des Freiherr» von Bvdmann zu Bvdmann.

Historische Nachrichten»

249

nungen aufgedrungen, an welche derselbe in sei­ nem Leben wohl niemals gedacht hatte. Ver­ muthungen , sage ich, welche nur von einer ge­ wissen GattungLeutcn vermeinet werden tonten. Das Konstitut wurde endlich den rysten Jänner mit dieser lezten Frage beschlossen : Ob Schrift tenverfasser sich denn gar nicht vorstellen fönte, -aß er bei Verfertigung dieser Schreiben einige Fehlschritte begangen? Antwort: Ganz und gar nicht; denn die Pflichten eines jeden recht­ schaffenen Mannes sind, die Wahrheit, wo sie leidet, zu vertheidigen; sollten mir aber Fehler und Irrthümer angezeiget werden, welche sich in meinen Schriften hervorgethan, bin ich erbietig, mich belehren zu lassen, und allenfalls der Kirche, dem Bischof und dem Publikum wegen meiner begangenen Unwissenheit Genuathuung zu leisten. Dm 12ten Hornung 1781. wurden über gedachte Konstituten, als den Verfasser selbsten, die Urtheile von der geistlichen Curia herausge­ geben ; hierdurch wurde der Verfasser dieser Schriften beschuldiget, und ihm 0I6. tin Ver­ brechen angerechnet, daß er ohne Vormssen und Bewilligung des Bischofs zwo Druckschrften über Ausspendung der-Ablässe des Kapuzilurgenerals verfasset, und diese Schriften in seine« Mutter­ sprache geschrieben halte, und zwar ohne Be­ nennung des Drnckorts, noch Beisezmg seines

a;o

.Historische Nachrichtekr.

eigenen Namens, auch dieselben m einem un­ katholischen Orte hätte abdrucken lasst». *) Man lasse, fährt Herr Ebcrlin fort, diese Schriftenvon einer theologischen Landesfakultät, dergleichen eine zu Freiburg, Jnsprug und Wien ist, gcnauest prüfen, ob man den Ver­ fasser einer theologischen Censur in seiner Leh­ re wird unterwerfen können; dessen ungeacht, weil einmal dieses Geschäft nach einer an­ dern Wendung mußte behandelt werden, wurde erstlich der Verfasser in alle erlassene geistliche Gerichtsunkosten., **) welche über dieses Jnqui*) Constare, quod is absque praevia cenfura et approbatione ordinariatus inconfiderato quodarn ienbendi pruritu abrogatus cafu plane temerario binos Libellos in materia Indulgentiarum, et quidem in lingua vernacula impferit, fuppreiToque loci et autoris no­ mine in typographiis acatholicorum imprimi curaveric etc,

**) Es will einigen vernünftigen Leuten glaub­ würdig seyn, daß der geistlichen Curia mehr Mir die Geldstrafe, als um die Korrektion sellsten zu thun gewesen sey: weil man bei aller Gerichtsstellen jederzeit angemerket hat, daß die Bezahlung der Gerichtskosten gemei; niglch den Schluß in diesem Gruß'ausma­ chen; wo hingegen in diesen geistlichen Ur; theilm die Bezahlung der Gerichtskosten der erste Punkt gewesen ist.

ap

HistorisLe Nachrichten,

sitionsgericht erloffen sind, kondeMniret; zwei­

tens in das bischöfliche Seminarium, die geistli­

chen Exerzitien

zu machen,

beschicken,

und

drittens auf drei Monat von der Cura anima« rum, die er zwar bis dahin nicht exerziret hat, suspendiret, Idola tribus, - Idola specus.

Die geistliche Curia machte in diesem Ur­ theile annoch einen besondern Paragraph.

Daß der Verfasser dieser Schreiben den gu­ ten Rath des Kapuziners wider die Meinung und Gesinnung dieses' guten Rathgebers in öf­ fentlichen Druck befördert hatte, und worüber

die P. P. Kapuziner Anlaß genommen, Klagdcn bei der Turin einzubringen, um ihren Ordens­ brüdern , oder vielmehr ihnen sechsten, Genug­

thuung zu verschaffen.

Wenn des guten Ka­

puziners Widcrlcgungsschrifr gerathen und in dem Publikum Beifall gefunden hätte, so wür­ de gewiß niemand diese Klage erreget, und um Genugthuung angefordcrt haben ;

obgleich er­

wiesen ist, daß der gute Pater wider die Erlaub­

niß seiner Obern diese Schrift verfasset,

er

sechsten Hand geboten, daß diese Sch-rrek in öffentlichem Druck erschienen, und dessen Ab­ drücke im Publikum vertheilet worden. Ich

frage

einen

jeglichen

vernünftigen

Mann, ob der Verfasser dieser Schriften ein solches Verfahren von der geistlichen Curia der-

'diener hat, als ein Verbrecher gestraft und ans

»5-

Historische Nachrichten.

gesehen zu werden? Was würde in diesen Zciren wohl für ein Fortgang in den Wissen­ schaften zu hoffen seyn,

wenn Manner, Ge­

lehrte, die die Wahrheit lieben, suchen, fin­

den und sagen,

auf eine so unwürdige Art,

statt der Belohnung, sollen mishandclt werden, uni) bei ihrer gerechten Sache kaum einen Freund finden können, der zu Vertheidigung der Wahr­

heit ein oder andre Zeilen hin zu schreiben sich .wagen würde. Die bischöfliche Curia hat sich an ihrem ver­

meintlichen Feinde gerochen; allein Strafen oh­ ne Verbrechen machen die üble Sache niemals gut, oder man müßte zum voraus sezen, daß

es wirklich unmöglich sey, zu strafen.

einen Unschuldigen

(So weit Herr Eberlin.)

8. Schreiben des Königs in Schweden an den Baron von Spurre.

Unser geliebter Sohn,

der Kronprinz,

in dem Alter, zu dem er nun gekommen ist, die Sorgfalt des Frauenzimmers nicht weiter nör-

thig hat; so haben Wir für gut befunden, einen Obcrhofmeister zu ernennen, der für seine Erziehung Sorge tragen sollte.

Die Wahl ist

picht schwer gewesen; und da Wir Ihnen diese

wichtige Stelle

anvertrauen,

so haben Wir

25;

Historische Nachrichten.

wie sehr Unsre Wahl auf Fceundschaft und Vertrauen gegründet ist. gleich bezeugen wollen, Schon in Unsrer

Jugend

haben

Wir Ihre

Dienste erfahren, und in Ihrer Person die sel­

tenen und erhabenen Eigenschaften erkant, die Wir als König und Vater bei dieser Gelegen­ heit suchen, und zu finden wünschen müssen.

Bereits feit Unsrer Gelangung zum Throne ha­

ben Wir Ihrer Sorgfalt die wichtigsten Angele­ genheiten anverrraut; und da Sie bei diesem Throne täglich Zeuge der Verathschlagungen und der Schlüsse gewesen sind, so haben Sie da­

durch die nächste Gelegenheit gehabt, die Pflich­ ten eines künftigen Regenten, den Grund der

Gcscze,

die Anwendung

derselben,

und die

Nothdurft des Reichs einzusehen, und sich die Staatsmaximen bekant zu machen, die Wir mit dem größten Vergnügen Unserm sehr lieben

Sohne eingeprägt sehen werden.

In dieser Ab­

sicht übergeben Wir die Erziehung Sr. königli­ chen Hoheit Ihrer treuen Leitung, mit einem zu

grossen Vertrauen, als daß Wir nöthig hatlen, es durch Regeln einzuschränken. Um Ihnen aber doch die vielen Sorgeit zu erleichtern, die von diesem Geschäfte unzertrennlich sind, haben Wir

eine Jnstrukzion aufgesezt, die Ihnen mit die­ sem Schreiben übergeben wird. Wir verlassen Uns üböigcns auf Ihren Elfer und auf Ihre Beurtheilungskraft, um die Absichten derselben

254

Historische Nachrichten»

zu erfüllen, ohne Sie verbindlich zu machen > dieselbe buchstäblich zu befolgen. -

Dieser Dienst

wird Uns und Unsrer sehr wehrten Gemahlin zur lebhaftesten Freude gereichen, und so wer­ den Sie auch das Wohl des Kronprinzen, das Vergnügen der ganzen Nazion, ja das Wohl

eines künftigen Jahrhunderts, folglich auch die schmeichelhafteste Belohnung für sich selbst sicher stellen.

Worüber Wir Gott bitten, daß er Sie

in seinem heiligen Schuze erhalten wolle.

Ge­

geben auf dem Schlosse Drottningholm,

den

1. Iulii 178t.

Gustav.

9Rechtsfrage aus der peinlichen Rechtsgelehrsamkeit. Erdichteter Selbstmord. StBoc ungefehr dreißig Fahren sah ein franzö­

sischer Kaufmann seine Sachen in Zerrüttung. Er fürchtete sich vor der Unbarmherzigkeit seiner Schuldglänbigec, und um ihnen zu entgehen,

wollte er sich für gestorben ansehn machen. geht zu dem Todrenqraber

Gr

seines Kirchspiels,

begehrt einen Leichnam von ihm, und kauft ihm einen frischen unlängst begrabenen ab. Er bringt ihn heimlich in sein Hans, legt ihn in fein Bett, giebt ihm zween Pistolenschüsse ins Ge­

sicht, um ihn tmkenclich zu machen, macht sich

Hljlsrische Nachrichten.

s;z

durch feine Gartenfenster fort, schifft sich ein, und begiebl sich auf eine französische Insel in Amerika. Indessen hatte man in seinem Hause Pistolen­

schüsse gehört.

Das Gericht nimt eine Besichti­

gung vor; allein die Familie findet Mittel, die Sache im Stillen richtig zu machen. Der Körs per wird beerdiget,

und ein förmlicher Beerdi­

gungsschein wird ausgcfcrtigt.

Es ist zu bemer­

ken , daß der Mann niemand, selbst seiner Frau nicht, sein Geheimniß anvertrauet hatte. Diese nahm also ohne Bedenken einen zweiten Mann,

von dem sie verschiedene Kinder hat. Nun kömt der erste Mann mit grossen Reich­ thümern aus der Insel zurück, erbietet sich, al­

le seine Schulden zu bezahlen,

und 'zu bewei­

sen, daß sein Tod nur eine Erdichtung gewesen

ist.

Auch seine Frau will er wieder haben.

Diese will ihn nicht anerkennen. Sie sagt: Gestorben, sey gestorben, sonst könte man gar auf nichts mehr zählen, und ihr erster Mann gehöre mit allem Rechte unter die Abgestorbenen.

Man versichert, die angefragten Rechtsge­ lehrten hätten diesen Todtlebendigen gerathen, sich still zu halten, weil die Sache für ihn sehr gefährlich werden könre, wenn das öffentliche

Richreramt, gegen das er sich gröblich verfehlt

hätte,,sich zu Sinne kommen liesse, ihn zur Verantwortung zu ziehen.

$5 6

Historische Nachrichten, Wir geben zu, daß der Mann, wenn feine

Lift gleich nach der That bekant geworden wäre, aus sehr guten Gründen zu einer nicht geringen

Strafe hätte verurtheilt werden können, inson­ derheit, wenn "er nicht alle ersinnliche Fürsorge um Unschuldige von allem Verdachte zu befreien. Allein was dreißig Jah­ re nachher ein Mann für eine Strafe ausstehen

genommen hatte,

soll , der durch sein nachheriges Leben und durch

die redliche Ersezung alles Uebels, das er ge­ wirkt haben mag, sich mit der Gerechtigkeit aus­ gesöhnt hat, und ferner noch aussöhnen will, von ihr ferner zu befürchten haben soll,

das

können wir uns nach den Grundsäzen des gesun­ den Menschenverstandes nicht vorstellen. Was soll nun seine Strafe mehr für einen

Endzweck haben? was soll sie Gutes bewirken? Seine Besserung ? — Die ist schon geschehen. Eriaz des Uebels? — Den will er leisten. Beispiel? —- Ist für einen solchen Fall eines nö­ thig ?

Befriedigung der öffentlichen Rache ? —»

Was ist öffentliche Rache ohne Nuzen?

Grkruckt in Jftns Buchdrucker«! ju WriffenlctS»