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German Pages 371 [372] Year 2001
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann
Band 160
Olaf Hildebrand
Emanzipation und Versöhnung Aspekte des Sensualismus im Werk Heinrich Heines unter besonderer Berücksichtigung der >Reisebilder
Briefe aus Berlin< 2. Bergidylle und Brockensatire - Die Befreiung des Sinnlichen in der >Harzreise< 3. »Gleichviel! ich lebe« - Zum Konflikt zwischen Lebensgenuß und Selbstaufopferung in >Ideen. Das Buch Le Grand< 4. »Göttlich, liederlich, sterbefaul, dann wieder ätherisch erhaben« - Zur sensualistischen Ästhetik der >Reise von München nach Genua< 5. >Die Stadt Lukka< - Religionskritik und Religionsstiftung im Zeichen des Sensualismus II. Systematische Analyse
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ι. Die » Versinnlichung« des Glaubens - Sensualismus als Religion . 1.1 Methodische und definitorische Vorbemerkungen 1.2 Die Sakralisierung des Sinnlichen 1.3 Sensualismus als »religiöse Synthese« und die Berührung mit den Saint-Simonisten
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1.4 Das »religiöse Gefühl« als Moment diesseitiger Lebensfreude
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2. Sensualismus als politische Position - Heines EgalitarismusKritik im Interesse der Schönheit und der Kunst 2.1 Königtum und Kommunismus: die ästhetische Perspektive des Dichters 2.2 Distanzierung vom »Pöbel« - Heine und das einfache Volk . . 2.3 Gegen die »Rumfordsche Suppe der Nützlichkeit« - Heines sensualistisches Demokratie-Ideal 2.4 »Rousseauischer Rigorismus« und »Voltairesche Légèreté« Die historische Kontinuität ideologischer Konfliktmuster . . .
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254 254 271 274 277
V
3· Sensualismus als psychische Disposition - Heines Auseinandersetzung mit Ludwig Börne 3.1 Nazarener- und Hellenentum als psychologischer Antagonismus 3.2 >Die Götter Griechenlands< - Heines ethische Korrektur des Hellenismus 4. »Das klare Gold der Anschauung« - Kennzeichen einer sensualistischen Ästhetik 4.1 Plastizität: Heines Vermittlung im klassisch-romantischen Literaturstreit 4.2 Subjektivität und (Kunst-)Autonomie 4.3 »Du sublime au ridicule... « - Humor, Witz und Ironie 4.4 Zusammenfassung 5. »Die Verzweiflung des Leibes« - Krise und Kontinuität des Sensualismus im Spätwerk
280 280 293 299 301 312 317 319 321
Literaturverzeichnis
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Namenregister
360
Werkregister
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Einleitung
I have earned a right to be called the Coryphaeus of sensualism. 1
Heine gilt als einer der großen literarischen Fürsprecher des Leibes und der sinnlichen Glückseligkeit. Wohl kein anderer Dichter des 19. Jahrhunderts hat sich so engagiert gegen die restaurative Entsagungsideologie der MetternichÄra und die christliche Diskriminierung des Eros eingesetzt wie der als »pornographischer Witzbold« 2 verketzerte Autor der >Reisebilder< und der revolutionären Deutschland-Schriften (>De l'AllemagneReisebilderHellenen< und >Nazarener< brachte« (S.4if.). ' W. Preisendanz, Heine, Saint-Simonismus und Kunstautonomie. In: Art social und art industriel. Funktionen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus, hg. von Helmut Pfeiffer [u.a.], München 1987, S. 1 5 3 - 1 6 9 , hier S. 162. 10 N . Altenhofer, Chiffre, Hieroglyphe, Palimpsest. Vorformen tiefenhermeneutischer und intertextueller Interpretation im Werk Heines. In: Ders., Die verlorene Augensprache. Uber Heinrich Heine, hg. von Volker Bohn, Frankfurt a.M./Leipzig 1993 [zuerst 1979], S. 1 0 4 - 1 5 3 , hier S. 142. " Ebd. Wie Altenhofer stichhaltig zeigt, kann Heine so unterschiedliche »Positionen wie die des orthodoxen Christentums und des Jakobinismus Robespierrescher Prägung« typologisch als »historische Ausformungen der gleichen (nazarenischen) Grundstruktur« (ebd.) interpretieren. 12 N . Altenhofer, Die exilierte Natur. Kulturtheoretische Reflexionen im Werk Heines. In: Ders., Die verlorene Augensprache (Anm. 10), S. 174-206. Ähnlich erklärt schon Walter Hinderer (Nazarener oder Hellene: Die politische Fehde zwischen Börne und Heine. In: Monatshefte 66,1974, S. 3 5 5-365, hier S. 36if.), Heine habe mit seiner Antithese nicht nur den »Widerspruch in seiner Person« artikuliert, sondern auch eine »symptomatische Erfahrungsstruktur, [...] ein Spiegelbild von der Zerrissenheit seiner Zeit« gegeben.
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Andere Forscher haben sich den Thesen von Preisendanz und Altenhofer in einer Reihe von Einzeluntersuchungen angeschlossen. Wolfgang Kuttenkeuler etwa spricht von einer »für Heines poetologische Konzeption maßgebliche[n] Antithetik von Hellenentum und Nazarenertum«' 3 und bestätigt damit von dichtungstheoretischer Seite die von Preisendanz eingenommene Perspektive. Helmut Koopmann kommt auf der Grundlage der für Heines politische Position maßgeblichen Börne->Denkschrift< (1840) zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er die übergreifende Bedeutung jener »Streitfrage« feststellt, »die Heine in dieser Zeit wie kaum eine andere beschäftigt hat«: das »Problem des alle Lebens- und Denkbereiche durchdringenden Antagonismus zwischen dem judäischen Spiritualismus und der hellenischen Lebensherrlichkeit«. 14 Martin Bollacher sieht in dem Gegensatzpaar Spiritualismus und Sensualismus »die tragenden Grundbegriffe, denen die Vielheit des historischen Stoffs« in den beiden großen Deutschland-Schriften »zugeordnet wird«. 1 ' Und Jürgen Ferner schließlich, um ein Beispiel der jüngeren Heine-Forschung zu nennen, betont in seiner Arbeit über Heines Geschichtsphilosophie, daß das Begriffspaar Spiritualismus - Sensualismus »nicht nur eine Diagnose der kontemporären Weltverfassung, sondern auch eine Analyse der Geschichtsbewegung« lé enthält. Wie diese erste Bestandsaufnahme zeigt, handelt es sich bei der These, die Opposition von Spiritualismus und Sensualismus bilde den »dominierenden und universalen hermeneutischen Bezugsrahmen« 17 der Schriften Heines, mittlerweile um einen Topos der Heine-Forschung. Um so mehr muß es erstaunen, daß bis heute keine Analyse vorliegt, die das Gesamtwerk des Dichters konsequent auf die Aspekte seines sensualistischen Engagements hin untersucht. Z w a r gehen die genannten Arbeiten zu Ästhetik (Preisendanz und Kuttenkeu-
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W. Kuttenkeuler, Heinrich Heine. Theorie und Kritik der Literatur, Stuttgart [u.a.] 1972, S. 78. D H A 1 1 (Kommentar), S. 4 3 1 . In einem früheren Beitrag (Heines Geschichtsauffassung. In: Jb. d. Deutschen Schillergesellschaft 1 6 , 1 9 7 2 , 8.453-476) bezeichnet Koopmann diese Antinomie als Heines »Urdualismus« und spricht von einer »archetypischen Konstellation« (8.467). »Der gleichermaßen typologische, ideologische wie psychologische Gegensatz von Spiritualismus und Sensualismus«, bilde bei Heine »den argumentativen Bezugsrahmen der Romantik-Kritik«. M. Bollacher, Die Pariser Prosa: Frankreich und Deutschland. In: Heinrich Heine. Epoche, Werk, Wirkung, hg. von Jürgen Brummack, München 1980, S. 140-202, hier S. i82f.
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J . Ferner, Versöhnung und Progression. Zum geschichtsphilosophischen Denken Heinrich Heines, Bielefeld 1994, S. 254. »Das historische Geschehen«, so Ferner (ebd.), »gestaltet sich als triadische Abfolge: die antike, Geist und Materie gleichermaßen umschließende Einheit löst sich auf und bringt jene >Geschichte< auf den Weg, in der sich der Antagonismus von Spiritualismus und Sensualismus in Gestalt eines jeweiligen Dominanzstrebens entfaltet, um schließlich, so die Utopie des teleologischen Emanzipationsmodells, einer Versöhnung entgegenzuschreiten«.
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Preisendanz (Anm.9), S. 158.
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1er), Politik (Koopmann) und Geschichtsphilosophie (Ferner) auf wichtige Einzelaspekte des Themas ein, doch dienen sie meist der Behandlung oder Vertiefung eines anderen Sachverhalts - in der Regel bieten sie nur einen schmalen Ausschnitt aus der von Heine so facettenreich variierten Problemstellung. Lediglich die 1972 veröffentlichte Studie von Dolf Sternberger mit dem Titel »Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde« 1 8 hat sich dem Thema auf einer breiteren, monographischen Basis gewidmet.' 9 Sternbergers Buch, das auch über germanistische Fachkreise hinaus auf große Resonanz stieß, hat jedoch gravierende Mängel. Denn zum einen setzt die Beschreibung von Heines sensualistischem Engagement erst mit dem Exil des Dichters im Jahre 1831 ein und vernachlässigt damit den gesamten Werkkomplex der deutschen Periode. Zum anderen wird dieses Engagement allzu einseitig auf den Einfluß der Saint-Simonisten zurückgeführt, 2 0 so als hätte es außer dieser Bewegung, deren Schriften Heine erst kurz vor seinem Gang ins Exil kennenlernte, keine anderen und früheren Anregungen (Aufklärung, Spinozismus, Hegel, deutsche Klassik) für die »hellenische« Utopie einer sinnlich erfüllten Diesseitigkeit gegeben. Sternbergers These von der saint-simonistischen Indoktrination Heines, die so weit ging, Heine als eigenständigen Denker zu disqualifizieren, 21 ist von der Forschung zu Recht zurückgewiesen 2 2 und durch den Nachweis anderer Traditionslinien - etwa durch Holubs Studie über Heines Rezeption der klassischen Antikebegeisterung 2 3 - relativiert worden. Umgekehrt engt die 1999 erschiene-
Zitiert wird im folgenden aus der erweiterten Fassung von 1976 (D. Sternberger, Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde. Mit einem Nachtrag 1975, Frankfurt a.M. 1976). ' ' Zwei ältere monographische Studien zum Thema waren trotz vielfacher Bemühungen auch im internationalen Leihverkehr nicht zugänglich oder auffindbar: Hermann J. Weigand, Hellenism and Nazarenism in Heine's Dichten and Denken, Michigan 1916; sowie: Christiane Frick, Les concepts >d'Hellene< et de >Nazarener< dans l'Œuvre de Heinrich Heine, Paris [Diss.] 1967. 20 »Alles«, so Sternberger (Anm. 18, S. 228), »was Heine von der >Heiligung< der Materie und der Rechtfertigung der Sinne verkündigt, alles, was er zur Legitimation der Genüsse hervorbringt, hat seine Entsprechungen, nein: seine originalen Vorlagen in den Parolen der Saint-Simonisten«. 21 Vgl. Sternberger (Anm. 18), S.27 und 60. " Z u r Kritik an Sternbergers Heine-Buch vgl. Nigel Reeves, Heinrich Heine - Politics or Poetry? Hegel or Enfantin? A Review of Some Recent Developments in Research. In: M L R 75, 1980, S. 1 0 5 - 1 1 3 ; R o b e n C. Holub, Heine and Utopia. In: Heine-Jb. 1988, S. 8 6 - 1 1 2 , bes. S. 94ff.; sowie J . Ferner (Anm. 16), S. 2Ö7ff. 23 Robert C . Holub, Heinrich Heine's Reception of German Grecophilia. The Function and Application of the Hellenic Tradition in the First Half of the Nineteenth Century, Heidelberg 1981. Vgl. in diesem Zusammenhang auch meinen Aufsatz: Sinnliche Seligkeit. Goethes heidnischer Sensualismus und seine Beziehung zu Heine. In: Goethe-Jb. 1997, S . 2 3 1 - 2 5 1 .
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ne Dissertation von Ralph Martin,24 die Heines Hellenismus-Gedanken untersucht und mit der Analyse intertextueller Bezüge zu Novalis wertvolle neue Wege geht, die sensualistische Thematik zu sehr auf das hellenische Paradigma ein. Heines Sensualismus ist mit dem »Hellenismus« trotz enger Ubereinstimmungen nicht identisch. Martins These von einer »Wiederkehr der Götter Griechenlands« (so der Buchtitel) im Werk Heines und ihrer »Vorbildsfunktion für die Gegenwart«2® ist insofern nicht vorbehaltlos zuzustimmen, als Heine gerade im Rahmen seiner sensualistischen Utopie zu einer ethischen Korrektur des antiken Hellenismus kommt und eine kulturelle Vermittlung von christlicher Solidarität und hellenischer Sinnlichkeit intendiert.26 Diese Harmonisierung der gegensätzlichen Weltanschauungen, diese humane Aussöhnung zwischen »Jerusalem und Athen« (ιο,ι ι) - nicht die einseitige Restitution der sinnlichen Lebensweise der Antike - bestimmt Heines sensualistische Konzeption. Außer einigen Spezialstudien, die sich auf bestimmte motivische Ausprägungen (etwa den gastronomischen Sensualismus27) oder ideengeschichtliche Hintergründe28 beziehen, liegt bis heute keine Untersuchung vor, die Heines Werke unter dem Blickwinkel des Sensualismus interpretiert und die verschiedenen Aspekte des Themas systematisch zu erfassen sucht. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, diese Lücke zu schließen, indem sie die vielfältigen Motive und Figuren »sinnlicher« Argumentation in Heines Werk aus einer jeweils kontext- und themengebundenen Perspektive analysiert. Damit folgt sie der Prämisse, daß Heines Sensualismus in keine starre und endgültige Definition zu zwingen ist, sondern im Sinne der skizzierten Strategie antizyklischer Inter-
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R. Martin: Die Wiederkehr der Götter Griechenlands. Zur Entstehung des »Hellenismus«-Gedankens bei Heinrich Heine, Sigmaringen 1999. Ebd. S . 1 3 . Vgl. dazu Kap. 3.2 im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit. Bernd Wetzel, Das Motiv des Essens und seine Bedeutung für das Werk Heinrich Heines, München 1972; Jocelyne Kolb, Wine, Women, and Song: Sensory Referents in the Works of Heinrich Heine, Yale University 1979; Dies., The Sublime, The Ridiculous, and the Apple Tarts in Heine's >Ideen. Das Buch Le GrandReisebilder< - bis auf einige wenige Motive diesbezüglich kaum untersucht worden. Hier galt es anzusetzen, um die intellektuelle Kontinuität in Heines Werk aufzuzeigen und die These zu entkräften, erst Heines französische Phase und der Kontakt mit den Saint-Simonisten habe sein Engagement für die Rehabilitation der Sinne hervorgerufen. Zum anderen erschien es notwendig, neben der systematischen Analyse, die sich textübergreifend auf bestimmte Aspekte des Sensualismus konzentriert, die Relevanz des Themas auch durch detaillierte Interpretationen einzelner Texte nachzuweisen. Dabei ging es weniger um eine Zusammenstellung auffälliger Motive als vielmehr um die Frage, inwieweit sich auch die komplizierte Struktur der Texte unter dem sensualistischen Aspekt der Harmonisierung beschreiben und sich damit so etwas wie eine sensualistisch orientierte Textkomposition bestimmen läßt. Das Thema kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erschöpfend behandelt werden. Heines Werk ist so umfangreich und die Sekundärliteratur so stark angewachsen, daß es überhaupt vermessen erscheinen mag, heute noch eine Studie über den ganzen Heine vorzulegen. Der systematische Teil stützt sich denn auch stärker auf die vorhandene Literatur, überschreitet und ergänzt sie aber an vielen Punkten. Den Forschungsschwerpunkt bildet die Interpretation der frühen Prosatexte, wobei auch hier eine Auswahl getroffen werden mußte. Bis auf das Mémoire >Über Polens das >NordseeEnglischen Fragmente< und die >Bäder von LukkaDie Stadt Lukka< mit ihrer antispiritualistischen Kritik am Katholizismus und ihrer Gegenüberstellung von heidnischer und christlicher Religion als weitaus interessanter f ü r die Fragestellung als der auf die Platen-Satire konzentrierte, in den dritten Band der >Reisebilder< aufgenommene Text >Die Bäder von LukkaBriefen aus Berlin« bis hin zum letzten italienischen Reisebild einer genauen Analyse unter dem Gesichtspunkt des Sensualismus unterzogen worden. 3 0 Die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Kapitel seien hier knapp skizziert. Das erste Kapitel widmet sich Heines frühen, unter dem Titel >Briefe aus Berlin< publizierten Korrespondenzberichten aus der preußischen Metropole. Manche Themen und Episoden des in seiner kunstvollen Assoziationstechnik oftmals unterschätzten Textes werden erstmals eingehender untersucht. So wird zum ersten Mal die zentrale Bedeutung des Gastronomischen herausgearbeitet und gezeigt, daß Heine hier schon eine Technik der sensualistischen Reduktion und Substitution anwendet, indem er das Ideale und Heilige (die »Idee der Unsterblichkeit«, das »Himmelreich« und »Paradies«) durch sinnliche und materielle Genüsse ersetzt bzw. umgekehrt das Profane - die in den Konditoreien und Restaurants angebotenen Delikatessen - sakralisierend verklärt. Ferner w i r d die Jungfernkranz-Episode im zweiten Brief erstmals konsequent auf ihre Funktion hin befragt und im Kontext der >FreischützHarzreise< ist ein Versuch, Heines Wanderung durch die geistige Landschaft der Zeit im Sinne einer sensualistischen Vermittlung konträrer Weltanschauungen zu lesen. Romantik und Religion, Wissenschaft und Aufklärung stehen hier in einem Verhältnis wechselseitiger Kritik und werden vom Erzähler auf ein Modell hin organisiert, das den sinnlich-empirischen Diesseitsbezug mit dem Zauber der romantischen Märchenwelt verbindet. Dabei markiert das im Zentrum des Textes stehende Gedicht >Bergidylle< den geistigen Zielpunkt der Reise: Die an den ersten Wandertagen diskutierten Lebens- und Sinnentwürfe werden hier im Horizont der sensualistischen Utopie
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A u f eine allgemeine gattungspoetische Reflexion wird angesichts zahlreicher einschlägiger Untersuchungen bewußt verzichtet. Die literarhistorische Symptomatik und Originalität der >Reisebilder< in der Entwicklung des zeitgenössischen Reiseberichts analysieren: Jacqueline Bel, Le >Reisebild< heinéen. Sa place dans l'histoire du récit de voyage. In: Reisebilder de Heinrich Heine. Lectures d'une Œuvre, ouvrage collectif coordonné par René Anglade, Paris 1998, S. 7-26; Peter J . Brenner, D e r Reisebericht in der deutschen Literatur: Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte, Tübingen 1990 [zu Heine S. 361-442]; Manfred Link, Der Reisebericht als literarische Kunstform von Goethe bis Heine, Köln 1963. - Gleichwohl möchte die vorliegende Studie durch detaillierte Strukturanalysen einen Beitrag zum Verständnis von Heines innovativer Prosagattung leisten.
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aufeinander abgestimmt. Die Interpretation des Textes wirft damit zugleich ein Licht auf Heines ambivalente Stellung zwischen den Epochen und seinen Beitrag zu einer weltanschaulichen Konfliktbewältigung. Die Harmonisierung von Seele und Verstand, Gemüts- und Erscheinungswelt liegt quer zu den epochenspezifischen Idealen und unterstreicht die Relevanz des Sensualismus an der problematischen Schnittstelle zwischen Aufklärung und Romantik. Im Rekurs auf Schillers Idyllen-Konzeption wird die >Bergidylle< in ein komplementäres Verhältnis zu den satirischen Partien des Textes gerückt. Hebt die Idylle die für Schillers System relevante Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit, Natur und Kunst harmonisch auf, indem sie die Sphäre des Idealischen als wirklich vorstellt, so zeichnen sich Elegie und Satire durch ein disharmonisches Verhältnis aus, wobei letztere scherzhaft oder strafend die Unzulänglichkeit des Wirklichen verurteilt. Indem das Kapitel dieses komplementäre Verhältnis des Satirischen zum Idyllischen herausarbeitet, macht es zugleich deutlich, daß zwischen >Bergidylle< und Brockensatire, zwischen den beiden geographischen Höhepunkten der >Harzreise< also, ein innerer Zusammenhang und nicht etwa nur ein durch das Gerüst der Reisechronologie begründeter Zusammenhang besteht. Die intertextuellen Bezüge der >Harzreise< werden an mehreren Beispielen untersucht, zum einen an der sensualistischen Kontrafaktur des im >Heinrich von Ofterdingen< gestalteten Bergwerkmotivs, zum anderen im Verhältnis zu verschiedenen Referenztexten aus dem Werk Goethes. Waren die Bezüge zu Goethes >Werther< bereits mehrfach in den Blick der Forschung geraten, so blieben andere Werke Goethes als intertextuelle Anspielungshorizonte bisher weitgehend unbeachtet: Goethes eigene Harzreise (>Harzreise im Winten) sowie die Szenen >Auerbachs Keller< und >Walpurgisnacht< aus >Faust IHarzreise< als poetisch-autobiographische Goethe-Imitation an, indem er auf dem Weg nach Weimar ein literarisch bekanntes Reise-Erlebnis Goethes - Harzreise, Bergbauinspektion, Werther-Syndrom und Brockenbesteigung - variiert. Nicht gegen, sondern mit Goethe befreit er sich aus der bornierten Welt des Bürgers wie aus der »unfruchtbaren Sentimentalität« des Schwärmers und versucht dabei, sich des eigenen Standpunkts zu vergewissern. Daß dieser durch politische Zeitbezogenheit und engagierte Parteinahme von dem Goethes erheblich abweicht, ist oft festgestellt worden. Zu wenig wahrgenommen wurde hingegen die konzeptionelle Analogie der Texte, weil die klassische Harzreise im Schatten des offen parodierten >Werther< als möglicher Bezugstext kaum noch in den Blick geriet. Dasselbe gilt für die >FaustAuerbachs Keller< und >WalpurgisnachtIdeen. Das Buch Le Grand< aus dem Jahre 1826, einen Text, der sich durch sein heterogenes Themenspektrum (Liebesgeschichte und Kindheitserinnerungen, Napoleonic)
Verehrung und romantische Phantasien, geschichtsphilosophische und poetologische Reflexionen) als außerordentlich komplex erweist. Gegen die bisher vorgeschlagenen Strukturmodelle, die sich auf Heines hegelianische Geschichtsauffassung berufen und den Ubergang vom romantischen zum politisch engagierten Dichter beschreiben, wird die These vertreten, daß die Desillusionierung der »Ideen« hier sowohl den romantischen wie den geschichtsphilosophischen Idealismus betrifft und eine Entgegensetzung des »politischen« und »romantischen« Stoffkreises daher nicht möglich ist. Durch konkurrierende biblische Subtexte, so die Kernthese der Interpretation, wird im >Buch Le Grand< ein geschichtsphilosophischer Antagonismus aufgebaut, dem zur personalen Repräsentation die beiden Herrscherfiguren Napoleon und Salomon zugeordnet sind. Danach stehen Jesus und Napoleon für das lineare und teleologische Paradigma. Der biblische Kontext ergibt sich hier aus dem Neuen Testament. Das zyklische Paradigma hingegen hat sein biblisches Fundament im Alten Testament, das Heine in den >Ideen< wenn auch weniger auffällig, so doch weit häufiger zitiert. Gut ein dutzendmal nimmt er auf das Alte Testament Bezug, vom vierten Buch Mose über das Buch Esther bis zum Prediger Salomo, zum Hohenlied und zum Propheten Daniel. Während aber die neutestamentlichen Analogien zur Stilisierung der Napoleon-Figur immer wieder registriert und interpretiert worden sind, hat man bisher kaum nach der Funktion der alttestamentlichen Texte gefragt. Der überwiegende Teil der alttestamentlichen Zitate im >Buch Le Grand< stammt aus den Spruchweisheiten und Dichtungen des Königs Salomo. Sein berühmtes Diktum »es geschieht nichts Neues unter der Sonne« (Pred. 1,9) steht für ein zyklisches Geschichtsmodell und begründet jenen weltanschaulichen Pessimismus, dem alles irdische Bemühen als sinnlos und »eitel« gilt. Die Spannung zwischen dem napoleonischen und dem salomonischen Paradigma hat neben der geschichtsphilosophischen auch eine lebenspraktische Dimension: Das salomonische vanitas vanitatum fordert dort, wo es sich gegen das eschatologische Modell durchsetzt, zu einer lustorientierten Diesseitigkeit auf. Tod und Vergänglichkeit führen zur Einsicht, daß der Mensch sein kurzes Leben in Freude verbringen und so intensiv wie möglich genießen sollte. Dies wird sowohl am argumentativen Gang des Prediger-Textes als auch an den literarischen Entsprechungen im dritten Kapitel des >Buchs Le Grand< aufgezeigt, das angesichts des enttäuschenden Geschichtsverlaufs und im Bewußtsein des Todes ein sensualistisches Lebenspathos entfaltet (»Gleichviel! ich lebe«). So führt das Kapitel über die Analyse der strukturbildenden Geschichtsreflexion in den Themenkomplex des Sensualismus zurück, zu dem die >Ideen< einen wichtigen Beitrag leisten. Heines >Reise von München nach Genua< wird im vierten Kapitel als poetische Reflexion der »Zerrissenheit« und nicht - wie vielfach geschehen - als Reise in die arkadisch-exotische Gegenwelt der befreiten Sinnlichkeit gelesen. Im 11
Unterschied zur antikisierenden Gattungstradition der Italienreise mit ihrem paganen Schönheits- und Sinnenkult thematisiert Heine das Zerrissensein zwischen romantischer und plastischer, mystischer und sinnlicher, gegenwartsund vergangenheitsbezogener Orientierung, indem er einerseits progressiv zur »Emanzipation« aufruft, andererseits aber im Horizont der Metempsychose das eigene romantisch-katholische Regressionsbedürfnis reflektiert. Im selben Maße, wie der Text diese Zerrissenheit inszeniert, spielt er auch schon verschiedene Strategien ihrer »sensualistischen« Bewältigung durch. Dies wird sowohl an den allegorischen Frauenfiguren wie an den poetologischen Passagen der >Reise< untersucht. Während sich im Portrait der »schönen Spinnerin« antike und christliche Bildelemente verschränken und die Figur als eine Allegorie der Verbindung von Nord und Süd, Geist und Materie ausweisen, repräsentieren die korpulente Obstfrau von Trient und die ätherische Maria jeweils polare Teilaspekte der ambivalenten Erzähler-Identität. Maria steht für die romantische Seelenverfassung des Erzählers, die zwar einer vergangenen Zeit angehört, als Moment der eigenen Identität - poetisch chiffriert durch Präexistenz und Metempsychose - jedoch stets virulent bleibt. Das Leitmotiv der Seelenwanderung, in deren Horizont die rätselhafte Figur zu deuten ist, ermöglicht es dem Erzähler, die romantische Tiefendimension seiner eigenen Existenz zu kennzeichnen. In der antithetischen Figurenkonstellation Maria - Obstfrau wird diese Dimension jedoch mit der sinnlich-konkreten Lebenswelt konfrontiert und relativiert. Der beständig zwischen Traum und Wachen, romantischer Halluzination und sinnlicher Wirklichkeit schwankende Wahrnehmungsrhythmus des Reisenden folgt der Antinomie von Sensualismus und Spiritualismus und unterstreicht die Relevanz des Themas für das erste italienische Reisebild. Ansätze zu einem Konzept sensualistischer Ganzheitlichkeit, mit dem sich dieser Konflikt zumindest vorübergehend entschärfen läßt, werden von Heine an verschiedenen Stellen entwickelt: im ikonographischen Synkretismus der schönen Spinnerin, in der sexuellen Grundierung der katholischen Mystik, im kontrastharmonischen »Menschenkonzert« der Trienterinnen und nicht zuletzt im oxymorischen Tanz der kleinen Harfnerin. Der letzte Abschnitt, der sich den Kunstbetrachtungen von Genua zuwendet, deutet die gegensätzlichen Maler Rubens und Cornelius als Spiegelfiguren des zerrissenen Erzähler-Ichs und zieht die »mystische« Existenzform des Nazareners Cornelius, als dessen Schüler Heine sich ausgibt, zur Klärung des Rätsels um die tote Maria heran. Die >Stadt Lukka< weist von allen >Reisebildern< am stärksten auf sensualistische Vorstellungen der frühen Exilprosa voraus. Durch die radikale Verurteilung der christlichen Kirche, die mythisierende Konfrontation von Christentum und Antike in der Götterdämmerungsszene (Kap. VI) und die pantheistisch getönte Naturschilderung (Kap. I—III) läßt sich der Text als fiktionale Antizipation von Heines theoretischem Sensualismus lesen. Die für das pantheistische Ganzheitsideal relevanten Eingangskapitel werden auf ihre ver12
schiedenen Subtexte hin befragt und als positive Kontrastfolie zum katholischen Lucca gedeutet. Dabei gelangt die Untersuchung zu der These, daß Heines italienisches Städtebild keineswegs nur religions kritisch ausgerichtet ist, sondern auch zu einer Neudefinition des Religiösen jenseits konfessioneller Bindungen gelangt. Ansätze zu einer sensualistischen Religiosität werden im Horizont der pantheistischen Naturerfahrung wie auch im Verlauf der Franscheska-Episode entwickelt, die sich durch eine Verbindung religiösen und erotischen Erlebens auszeichnet. Indem >Die Stadt Lukka< den Konflikt zwischen romantisch-regressiven und aufklärerisch-progressiven Tendenzen im Rahmen eines pantheistisch begründeten Sensualismus vorläufig schlichtet, stellt sie nicht nur das chronologische Verbindungsstück, sondern auch das genealogische Brückenglied zwischen Heines deutscher und französischer Periode, zwischen den fiktionalen Reisebildern des jungen Dichters und den theoretischen Essays der Exilzeit dar. Der religionsspezifische Schwerpunkt der >Stadt Lukka< leitet zum systematischen Teil der Arbeit über. Unter dem Titel Die »Versinnlichung« des Glaubens untersucht das erste Kapitel den religiösen Aspekt des Sensualismus. Die ursprüngliche Harmonie von Geist und Materie beschwörend, stellt Heine den Begriff des Sensualismus zu Beginn der dreißiger Jahre in den religiösen Horizont einer pantheistischen Synthese. Die Sakralisierung der sinnlichen Liebe, die Vergöttlichung des ganzheitlichen Menschen und die Berührung mit den Saint-Simonisten in den frühen Jahren des Pariser Exils bilden die verschiedenen Facetten einer religiös überhöhten Idealisierung der Sinnlichkeit. »Gott war immer der Anfang und das Ende aller meiner Gedanken« (8,8/f.), erklärt Heine in der Philosophie-Schrift und formuliert damit eine Selbsteinschätzung, die lange Zeit kaum ernst genommen wurde. Erst nach Jahren einer vorrangig politischen Lesart Heines ist die religiöse Dimension seines Werkes wieder stärker in das Blickfeld der Forschung geraten. Das Kapitel vertritt die These, daß Heines »Rehabilitazion der Materie« immer auch das Projekt einer Rehabilitation der Religion einschließt: Der religionskritischen Verdiesseitigung des Lebens korrespondiert die Neubegründung einer sinnlichen »Religion der Freude«. Im Anschluß an einige einleitende Bemerkungen zur Religion nach der Aufklärung und den Funktionen religiösen Sprachgebrauchs im literarischen Text werden in Kap. II. 1.2 mehrere Texte untersucht, an denen sich die sakralisierende Tendenz exemplarisch nachvollziehen läßt. Während Kap. II. 1.3 auf den saint-simonistischen Hintergrund des religiösen Sensualismus eingeht und im begriffsgeschichtlichen Kontext Heines eigene Definition der Termini >Sensualismus< und >Spiritualismus< analysiert, fragt Kap. II. 1.4 nach der religiösen Valenz des »Enthusiasmus« und der Bedeutung des Uber-Sinnlichen für Heines sensualistische Utopie. Das zweite Kapitel analysiert die politischen Aspekte des Sensualismus. Zu zeigen ist, wie Heine ab Mitte der dreißiger Jahre zugunsten der konstitutionel13
len Monarchie gegen den als »trübsinnig« und lustfeindlich begriffenen Egalitarismus der Republikaner und Kommunisten streitet. Grundlegend für den Argumentationsgang dieses Kapitels ist die Beobachtung, daß Heine den puritanischen Gleichheitssinn der radikaldemokratischen Kräfte im nachrevolutionären Frankreich als säkulare Fortsetzung des christlichen Spriritualismus bekämpft. Sein sensualistisches Engagement löst sich daher zunehmend aus der religiösen Fixierung, um nun als Kritik am »ascetischen Glaubenseifer« (10,12) der Republikaner abermals die Genußrechte des einzelnen geltend zu machen. Angesichts der kunstfeindlichen Tendenzen innerhalb der neojakobinischen und friihkommunistischen Bewegung kommt es zu einer schicksalhaften Verbindung des »Dichters« mit dem »König«, ja zu einem sensualistischen Konnex von Aristokratie und Poesie, Königtum und Schönheit, welcher bei Heines Verteidigung der konstitutionellen Monarchie eine zentrale Rolle spielt. Gegen die Forschungsansätze von Oehler und Morawe, die Heines royalistische Haltung als ironische »Schelmerei« abtun, interpretiert das Kapitel diese Haltung als Heines Versuch, sinnliche Qualitäten wie Luxus und Glanz in die demokratische Gesellschaftsordnung hinüberzuretten. Dabei wird das in den »Französischen Zuständen« gegebene Portrait des Grafen Mirabeau erstmals eingehender untersucht und als politisch-moralische Selbstdarstellung des Autors analysiert. In Heines Auseinandersetzung mit Ludwig Börne, dem Wortführer der deutschen Republikaner, gewinnt der politische Konflikt zwischen Sensualismus und Spiritualismus eine zusätzliche, psychologische Dimension. So lenkt die 1840 publizierte Börne->Denkschrift< den Blick auf die charakterlichen Eigenschaften des Gegners und verrät insgesamt die Tendenz, ihn aufgrund seiner angeborenen »Denk- und Gefühlsweise« als den anthropologischen Typus des Asketen zu kennzeichnen. Im Zuge dieser Darstellung spricht Heine von der fundamentalen Differenz zwischen »Nazarenern« und »Hellenen« und formuliert damit ein Begriffspaar, das die antagonistischen Prinzipien seiner Religionskritik ins Universale wendet: »alle Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit [...] vergeistigungssüchtigen Trieben oder Menschen von lebensheiterem und [...] realistischem Wesen« (11,18f.). Während die saintsimonistisch geprägten Begriffe >Sensualismus< und >Spiritualismus< den historischen Wechsel sinnlicher und geistiger Epochen beschreiben und auf eine dialektische Vermittlung hinweisen, wird mit den anthropologischen Kategorien >Hellene< und >Nazarener< umgekehrt eine synchrone und transhistorische Rivalität bezeichnet, die die Möglichkeit einer Versöhnung radikal in Frage stellt. Das Kapitel forscht nach den Ursachen dieser pessimistischen Wende und analysiert die Differenzen zwischen Hellenismus und Sensualismus. Dabei wird auch das Gedicht >Die Götter Griechenlands« aus dem >Buch der Lieder« berücksichtigt, um Heines synkretistische, im Sinne der christlichen Mitleidsethik geläuterte Konzeption des Hellenismus zu verdeutlichen. H
Das vierte Kapitel fragt nach der ästhetischen Übersetzung des Sensualismus in formale und stilistische Qualitäten und stellt jene Merkmale zusammen, die für Heines sinnliche Ästhetik konstitutiv sind. Hierzu gehört vor allem die Qualität des Plastischen und Anschaulichen: Gegen die abstrahierende Tendenz, das »klare Gold der Anschauung für das Papiergeld der Bücherdefinizionen« einzutauschen (6,97), fordert Heine eine mit »bestimmten Umrissen« verfahrende »plastische Poesie« (10,195). Schon die erste Prosaveröffentlichung aus dem Jahre 1820 (>Die RomantikPlastizität< als ästhetisches Korrelat des Sensualismus fungiert und deshalb zu einem allgemeinen Gestaltungsprinzip erhoben wird. Wie Heine den Begriff definiert, mit welchen Mitteln er ihn poetisch vermittelt und auf welche Weise er mit ihm in den klassisch-romantischen Literaturstreit seiner Zeit eingreift, wird im ersten Teil des Kapitels untersucht. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf den ästhetischen Leitvorstellungen der >Subjektivität< und der Kunst->AutonomieHistorien< des >Romanzero< sowie der >LazarusGedichte. 1853 und 185 4TannhäuserElementargeisterDer Doktor FaustDie Göttin DianaDie Götter im ExilBriefe aus Berlin< Heines »Briefe aus Berlins zwischen dem 26. Januar und 7. Juni 1822 als eine Folge von zehn Korrespondenzberichten für den »Rheinisch-Westfälischen Anzeiger« verfaßt, stellen in doppelter Hinsicht eine Premiere dar. Sie sind sowohl Heines erste literarische Prosaarbeit als auch das frühe Zeugnis einer modernen Großstadtprosa, in der sich Eindrücke aus Gesellschaft, Kunst, Literatur, Politik und Musik nach dem Prinzip der freien »Assoziazion der Ideen« 1 kaleidoskopisch zusammenfügen. »Die große Stadt bringt unablässig das Entlegenste zu Figuren und Konstellationen zusammen, denen formell die Struktur des Witzes zukommt, der das Inkongruente plötzlich in eine überraschende Relation bringt«, konstatiert Karlheinz Stierle in seinem Werk über den M y thos Paris. 2 Lange bevor sich Balzac, Hugo und Baudelaire auf die »urbane Kinesis«3 der Großstadt Paris als ästhetisches Prinzip und literarisches Motiv konzentrieren, bringt Heine mit der Assoziationstechnik seiner »Briefe aus Berlin< bereits eine moderne, der Struktur des Witzes analoge Schreibart hervor, die die Phänomene der Stadt ständig in neue und überraschende Relationen setzt.4 Und doch herrscht in den »Briefen« kein impressionistisches Zufallsprinzip, sondern ein zeitkritisches Kontrastverfahren vor, dem ein bewußt komponiertes Arrangement von Spaziergängen durch die soziale Wirklichkeit zugrundeliegt. Heines Kritik teilt sich indirekt im ironischen Aperçu, in der entlarvenden Zusammenschau der grellen Gegensätze mit und fordert den Leser ständig zur eigenen Schlußfolgerung und Urteilsbildung heraus. »Nur andeu-
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» N u r verlangen Sie von mir keine Systematic; das ist der Würgeengel aller Korrespondenz. [...] Assoziazion der Ideen soll immer vorwalten« (6,9), erläutert Heine das Kompositionsprinzip seiner »Briefen K. Stierle, Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt, München 1993, S. 320. Ebd. Zur »Konstellation von Flânerie und Moderne« in Heines »Briefen« vgl. Anke Gleber, Briefe aus Berlin: Heinrich Heine und eine Ästhetik der Moderne. In: Monatshefte 82, 1990, 5.452-466.
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ten, nicht ausmalen« (6,9) lautet seine Devise für diese neue, auch die späteren Prosatexte kennzeichnende Assoziationstechnik. Leitfaden für den ersten Brief aus der preußischen Metropole ist ein Rundgang durch den inneren Stadtbezirk von Berlin. Gebäude und Straßenzüge bilden als Denkanstöße dabei nur den äußeren Rahmen, den exoterischen »prétexte« für eine über das Sichtbare hinausgehende Analyse der zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse.5 Die touristisch relevanten Monumente wie Schloß, Universität und Domkirche werden dem interessierten Leser zwar pflichtbewußt vor Augen geführt, so daß der repräsentative Teil der glanzvollen Metropole nicht zu kurz kommt. Es sind jedoch die abweichenden Seitenblicke auf andere, alltägliche Dinge, die Heines Städtebild eine unerhörte Wendung geben. Häufiger als von den großen »Prachtgebäuden« (6,12) und mit mehr Begeisterung spricht Heine von den vorzüglichen Konditoreien, den guten Restaurants und berühmten Küchen der Stadt. Das Kultur- und Geistesleben der Großstadt wird im ersten Brief eindeutig von den kulinarischen Interessen überlagert, so daß man hinsichtlich der >Briefe< geradezu von einem gastronomischen Städteportrait sprechen kann. Von der Statue des Kurfürsten aus gelangt der Leser über die Königstraße mit ihren bunten Warenauslagen auf den Schloßplatz. Diese für jeden BerlinReisenden herausragenden Stationen werden von Heine jedoch nur streiflichtartig berührt. Uber die Berliner Residenz des preußischen Königs heißt es lapidar: »Rechts das Schloß, ein hohes großartiges Gebäude. Die Zeit hat es grau gefärbt, und gab ihm ein düsteres, aber desto majestätischeres Ansehen« (6,10). Zu höheren Tönen kann es den Korrespondenten nicht verlocken. Josty hingegen, eine der ersten Konditoreien am Platze, ruft eine ans Hymnische grenzende Begeisterung hervor: Und hier wohnt Josty! - Ihr Götter des Olymps, wie würde ich Euch Eu'r Ambrosia verleiden, wenn ich die Süßigkeiten beschriebe, die dort aufgeschichtet stehen. O , kenntet Ihr den Inhalt dieser Baisers! O Aphrodite, wärest du solchem Schaum entstiegen, du wärest noch viel süßer. Das Lokal ist zwar eng und dumpfig, und wie eine Bierstube dekorirt. Doch das Gute wird immer den Sieg über das Schöne behaupten [...]. (é,io)
Auf diesen Ausruf kulinarischen Entzückens folgt die ironische Kontrafaktur eines Zitats aus Schillers >Lied von der GlockeBriefe< ihren Höhepunkt. Sie schlägt aber plötzlich in ein Unbehagen um, als dem Erzähler ihre »nüchternen« Konsequenzen zu Bewußtsein kommen. Drei Mal treibt der »Appetit« des Erzählers den Kutscher zur Eile an, wobei sich die Beschleunigung der Fahrt formal im beschleunigten Rhythmus von Frage und Antwort mitteilt. Es hat eine tiefere Bedeutung, daß Heine gerade jetzt, während dieser vom »Appetit« gesteuerten Fahrt durch die Großstadt, seinen Lesern folgende Fragen stellt: Was halten Sie von der Unsterblichkeit der Seele? Wahrhaftig, es ist eine große Erfindung, eine weit größere als das Pulver. Was halten Sie von der Liebe? Schnell, Kutscher. Nicht wahr, es ist bloß das Gesetz der Attrakzion. (6,16)
Der »Appetit« als Ausdruck des physischen Verlangens läßt alle höheren Sinnkonstruktionen, die ins Metaphysische reichen, rückhaltlos zusammenbrechen. Dabei zeugt der kurze Passus von einer meisterhaften Kunst der sinnbildlichen Konzentration. Die rasende Kutschfahrt durch die Stadt wird hier selbst zur Metapher für den ungezügelten physischen Trieb, womit der Gedanke, daß die »Idee des Mittagessens« das »Treiben der Menschheit« erkläre, in doppelter Weise, nämlich sowohl explizit wie metaphorisch zum Ausdruck gebracht wird. Das Treiben der Menschen wird im Antreiben des Kutschers (»Schnell, Kutscher«) sinnbildlich eingeholt. Bis in die Mikrostruktur hinein ist der Aufbau der Szene durchkomponiert: Auf die Frage, was von der Liebe zu halten sei, kann nach der Anrufung des Kutschers, der hier als Figuration des materialistischen Prinzips angesprochen wird, konsequenterweise nur der nüchterne Hinweis auf das »Gesetz der Attrakzion« folgen.
D H A 6, S.404. Vgl. dazu auch Pabel (Anm. 5), S. 5 5 f. 26
Das anschließende Urteil über die Stadt Berlin, die als Metropole den Zustand der zeitgenössischen Gesellschaft spiegelt, bringt die materialistische Tendenz der modernen Zivilisation vollends auf den Punkt. Heine pflichtet hier bemerkenswerterweise dem von Mme de Staël in ihrem Buch >De l'Allemagne< (1810) formulierten Eindruck bei: Wie gefällt Ihnen Berlin? Finden Sie nicht, obschon die Stadt neu, schön und regelmäßig gebaut ist, so macht sie doch einen etwas nüchternen Eindruck. Die Frau v o n Staël bemerkt sehr scharfsinnig: Berlin, cette ville toute moderne, quelque belle qu 'elle soit, ne fait pas une impression assez sérieuse; [...] ces magnifiques demeures nouvellement construites ne semblent destinées qu 'aux rassemblements commodes des plaisirs et de
l'industrie. (6,16)
Es ist das Oberflächliche einer einseitigen, auf Vergnügen und Bereicherung abzielenden und daher letztlich »ernüchternden« Gesellschaft, die hier qua Zitat der Kritik verfällt. Heine treibt seine Beobachtungen über Berlin als Stadt der Säkularisierung, des Vergnügens und materiellen Interesses bis zu jenem dialektischen Umschlag, an dem sich das positive Wogen des Bunt-Lebendigen und Heiteren in die negative Erfahrung des Nüchternen und Oberflächlichen verkehrt. Dieser Umschlag ins Negative ist in der Forschung nicht deutlich genug wahrgenommen worden. So gehen Hermand und Pabel hinsichtlich der »Idee des Mittagessens« von einer materialistischen Tendenz Heines aus 20 und übersehen dabei das Unbehagen an der mit ihr einsetzenden Ernüchterung. Die materialistische Reduktion der »Ideen« (Unsterblichkeit nur eine »Erfindung«, Liebe nur ein »Gesetz der Attrakzion«), die aus der Erkenntnis resultiert, daß allein das leibliche Bedürfnis das Treiben der Menschheit erklärt, bleibt für Heine insofern problematisch, als mit ihr zugleich das Schöne, Zauberhafte und Poetische eliminiert wird. Daß Heine der Reduktion der »Liebe« auf das Gesetz der Attraktion nicht zustimmen konnte, zeigt etwa der noch im selben Jahr entstandene Aufsatz >Uber Polens in dem er sich zur materialistischen Philosophie der Aufklärung äußert und erklärt: Ich will hier diese gewiß nicht verunglimpfen: es giebt Stunden, w o ich sie verehre, und sehr verehre; ich selbst bin gewissermaßen ein Kind derselben. A b e r ich glaube doch, es fehlt ihr die Hauptsache - die Liebe. Wo dieser Stern nicht leuchtet, da ist es Nacht, und wenn auch alle Lichter der Encyklopädie ihr Brillantfeuer umhersprühen. (6,6$)
Gerade also am irrationalen Moment der »Liebe« macht Heine seine Einwände gegen eine materialistische Reduktion der Ideen fest, wie sie im Hinweis auf das »Gesetz der Attrakzion« deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn die >Briefe aus Berlin< in der Tendenz auch einem aufklärerischen Materialismus verpflichtet bleiben, gilt es diese Ambivalenz, diesen skeptischen Reflex auf die Ernüchterung doch im Auge zu behalten. 2
° Vgl. Hermand, D H A 6, S.404; Pabel (Anm. 5), S. 5 S f .
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Der gedankliche Zielpunkt der Stadt-Exkursion ist nach den materialistischen Reflexionen der Kutschfahrt erreicht: »Gut, wir sind am Ziel. Halt! Hier ist das Café-Royal.« (6,i6f.) Heine lenkt den Blick nun auf die politischen Zusammenhänge, indem er kunstvoll mit dem Namen des für seine »Restaurazion« bekannten »Café-Royal« spielt. »Laßt uns hineingehen«, lädt er seine Leser ein. »Ein schönes Lokal, vorn das splendideste Caféhaus Berlins, hinten die schöne Restaurazion.« (6,17) Anspielungsreich setzt er den Begriff der R e stauration* hier in seiner Doppelbedeutung von physischer Rekreation und politischer Restitution der vorrevolutionären Verhältnisse ein.21 Der Blick auf die im Café versammelte Prominenz vermag sein Interesse vom Mittagessen nicht abzulenken: »Aber was kümmern mich alle diese Herren, ich habe Hunger. Garçon, la charte!« (6,i7) 22 Die gastronomisch maskierten Anspielungen (die Charte in der Restaurazion des Caft-Royat) sind zu deutlich, als daß sie dem zeitgenössischen Leser nicht sofort den politischen Kontext der Szene ins Bewußtsein riefen. Der Satz »Garçon, la charte!« spielt offen auf die restaurativen Verhältnisse in Frankreich und Preußen an. Ludwig XVIII., neben Metternich die Symbolfigur der Restauration in Europa, hatte eine unter dem Titel >Charte constitutionelle< bekannt gewordene Verfassung eingesetzt, welche zwar wichtige Errungenschaften von 1789 wie etwa Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs- und Religionsfreiheit garantierte, zugleich aber den Katholizismus zur Staatsreligion erklärte und die Machtfülle des Königs stärkte, indem sie ihm die volle Exekutivgewalt und alleinige Gesetzesinitiative übertrug. Mehr als auf die bourbonische Restauration aber zielt Heine hier wahrscheinlich auf das uneingelöste Verfassungsversprechen des preußischen Königs. Noch in der Vorrede zu den französischen Zuständen* wirft er Friedrich Wilhelm III. vor, »statt der zugelobten Magna Charta der Freyheit« dem Volk nur eine »verbriefte Knechtschaft ausgefertigt« (12,71) zu haben. Heine begnügt sich jedoch nicht mit der bloßen Anspielung auf diese Situation. Indem er die politische Charte hier in einen gastronomischen Kontext stellt (»Garçon, la charte!«), gibt er ihr ein zusätzliches, primär auf die leiblichen Bedürfnisse und Genüsse des Menschen abgestimmtes Profil. Die offenbar als Druckfehler überlesene und daher in den bisherigen Interpretationen nicht beachtete Lesart »Charte« für »Carte« ist ein für Heines politisch-sensualistische Intention aufschlußreiches Wortspiel, da
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In Deutschland wurde der Begriff der >Restauration< zuerst durch den konservativen Schweizer Staatsrechtler Karl Ludwig von Haller (>Restauration der Staatswissenschaften*, 1 8 1 6 - 1 8 2 0 ) bekannt, in Frankreich dagegen war er schon früher gebräuchlich. In seiner dezidiert politischen Bedeutung benutzt Heine das Wort schriftstellerisch erstmals 1830/31 in der Einleitung zu >Kahldorf über den Adel< ( 1 1 , 1 3 5 ) .
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Die Lesart »Charte« statt »Carte« findet sich im Journaldruck (»Rheinisch-Westfälischer Anzeiger« vom 26. Januar 1826, vgl. 6,375). Aus Gründen der thematischen K o härenz (»Café-Royal«, »Restaurazion«, »Charte«) geben wir ihr hier den Vorzug.
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sich in ihm die Forderung nach einem verfassungsmäßig garantierten Wohlbefinden verbirgt: Freiheit und Genuß à la charte. Die einzig legitime »Restaurazion« ist die Wiederherstellung des physischen Wohlbefindens durch Genuß; die Stillung des Hungers, freilich nicht mit Bettelsuppen, sondern mit den Köstlichkeiten einer stadtbekannten Küche vom Range des Café-Royal. In provozierender UnVerhältnismäßigkeit gegenüber den dort anzutreffenden Intellektuellen Berlins geht Heine vorzüglich auf die Inhalte der Speisekarte ein. Nicht die Namen der berühmten Zeitgenossen reißen den Korrespondenten zu Begeisterung hin, nicht sie, die Vertreter des literarischen Lebens (Kosmeli, Wolf, E.T.A. Hoffmann u.a.), schließen ihm das »Geisterreich« auf, sondern die Namen der »herrlichen Gerichte«: Garçon, la charte! Betrachten Sie mahl diese Menge herrlicher Gerichte. Wie die Namen derselben melodisch und schmelzend klingen, as music on the waters! Es sind geheime Zauberformeln, die uns das Geisterreich aufschließen. Und Champagner dabey! Erlauben Sie, daß ich eine Thräne der Rührung weine. (6,17) Offenbar versucht Heine hier, seinem sensualistischen Engagement gegen den oberflächlichen Kulturkonsum des bequemen »plaisirs« eine schwärmerische Note zu verleihen, es im Hinblick auf die Verfassung (»Charte«) nicht nur politisch zu profilieren, sondern auch visionär aufzuladen (»Zauberformeln«, »Geisterreich«). Gegen seine politisch-sensualistische Vision in der C(h)arte sticht die feuilletonistisch zerstreute Plaisir-Industrie, deren Neuigkeiten ihm der Kammermusikus nun beflissen referiertonegativ ab: Seine Nachrichten aus dem Kulturbetrieb der Stadt versickern in unpolitischer Beliebigkeit, in flachem Tratsch und nichtssagendem Amusement. Die gebildete Welt stürzt sich nur auf musikalische Zerstreuungen und ergeht sich im seichten KulturKlatsch des fait divers. Heine befriedigt die feuilletonistische Neugier seiner Leser nur widerwillig und wirft ihnen indirekt vor, das Wesentliche vom Irrelevanten nicht unterscheiden zu können. Doch Sie, Gefühlloser, haben gar keinen Sinn für alle diese Herrlichkeit [der »Charte«, O.H.], und wollen Neuigkeiten, armselige Stadtneuigkeiten. Sie sollen befriedigt werden. [...] Was giebt's Neues, mein lieber Herr Kammermusikus? Gar nichts. Die neue Oper von Hellwig: die Bergknappen, soll nicht sehr angesprochen haben. Spontini komponiert jetzt eine Oper [...]. (6,17) Es folgt eine Kaskade feuilletonistischer Notizen, der nicht zufällig ein lapidares »Gar nichts« vorausgeht. In ironischer Verachtung dieses nichtssagenden Geklingels beschließt Heine den ersten Brief. Verächtlich ist sein Ton deshalb, weil die hier vorgeführte Art der Kulturbetrachtung in den intellektuellen, politischen und moralischen Indifferentismus 23 führt. Im zweiten Brief wird
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Der Kammermusikus, der all die Neuigkeiten herunterbetet, gehört denn auch »zu keiner Parthey, zu keiner Schule, ist weder ein Liberale noch ein Romantiker« (6,19). 29
Heine am Beispiel des Weber-Spontinischen Opernstreits erneut zeigen, daß die feuilletonistische Berichterstattung auch ein politisch-soziales Engagement einschließen kann. Nach dem zeitdiagnostisch angelegten Stadtrundgang im ersten geht Heine im zweiten Brief ausführlicher auf einzelne Bereiche und Ereignisse des kulturellen Lebens ein. Er gibt einen detaillierten Bericht von der Musik- und Opernszene, spricht über die zeitgenössische Philosophie und Literatur, behandelt Neuigkeiten im Bereich des Dramas und erteilt schließlich noch einmal dem gut informierten Kammermusikus das Wort. Den breitesten Raum aber nehmen seine Erörterungen zur zeitgenössischen Oper ein. Heine geht es jedoch nicht in erster Linie um den musikalisch ausgefochtenen »Partheykampf von Liberalen und Ultras« (6,24), in dem sich die Anhänger des deutsch-romantischen >Freischütz< von Weber und die Vertreter der vom Hofe favorisierten barocken Huldigungsoper des italienischen Komponisten Gasparo Spontini gegenüberstanden. 24 Dieser spektakuläre, auf das »Gebiet der Tonkunst« (6,25) verlagerte Konflikt zwischen Bürgertum und Adel war der Öffentlichkeit längst bekannt. Der >Freischütz< erlebte schon bei seiner Uraufführung am 15. März 1821, ein gutes Jahr vor den >Briefen aus Berlin« also, einen so durchschlagenden Erfolg, daß es sich für Heine fast erübrigte, Spontinis übertriebenen Pracht- und Repräsentationskult erneut anzugreifen. Mit seiner Stellungnahme gegen Spontinis »Unnatur« und »schallenden Bombast« (6,25) stellt Heine zwar klar, daß er sich der antispontinischen Partei prinzipiell verbunden fühlt. Aus Gründen aber, die es im folgenden zu bestimmen gilt, ist ihm mehr noch an einer Auseinandersetzung mit dem >FreischützLied der Brautjungfern< (»Wir winden dir den Jungfernkranz / Mit veilchenblauer Seide«) 2 ' aus dem Schlußakt der Oper. Offenbar glaubte Heine in dem Lied wichtige Symptome seiner Zeit erfassen zu können, da er ihm mit der sogenannten »Jungfernkranz-Episode« gleich mehrere Seiten seiner Korrespondenz widmete.26 Merkwürdigerweise ist bis heute nie nach der Bedeutung dieser Episo-
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Zum Hintergrund dieses Streits vgl. Philipp Spitta, Spontini in Berlin. In: Ders., Zur Musik, Berlin 1892, S.291—355; Jost Hermand, Briefe aus Berlin. Politische Tendenz und feuilletonistische Form. In: Ders., Der frühe Heine. Ein Kommentar zu Heines >ReisebildernBriefeBriefen< vorliegen, gestehen ihr, wenn überhaupt, nur eine marginale Rolle zu. So sieht Höhn in dem Lied lediglich einen »unerträglichen Ohrwurm«, 2 8 womit er eher die ewige Wiederholung als den Inhalt des Liedes für wichtig erachtet. Wo dieser angesprochen wird, bleiben die Angaben eher vage: »verlogene Süßlichkeit« (Hermand), 2 9 »residenzstädtische Gefühlsseligkeit« als »preußische Variante der Sentimentalität« (Betz) 3 ° wird dem >Jungfernkranz< nachgesagt, ohne daß die Bedeutung des Liedes im Kontext der Oper oder der >Briefe< dabei je genauer berücksichtigt würde. Dies scheint jedoch um so eher angezeigt, als Heine nicht nur in den >Briefen aus BerlinJungfernkranz< anspielt. 31 Was also war es, das Heine daran so sehr zu reizen vermochte? Im Rahmen des hier zu untersuchenden Themenkomplexes fällt zunächst auf, daß Heine den >Jungfernkranz< zum Anlaß für eine Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Sexualmoral seiner Zeit nimmt - einer Moral, die außerhalb der ehelich sanktionierten jede geschlechtliche Beziehung verbietet, die Ehe aber nur dem bewilligt, der ihren ökonomischen Leistungsvorstellungen zu genügen vermag. Die fatale Bewährungsprobe des Jägerburschen Max im >Freischütz< wird in diesem Kontext - wie die Jagd überhaupt - zur Metapher einer sowohl im bürgerlichen Erwerbsleben wie in Liebesdingen notwendigen Geschäftstüchtigkeit. Vor dem Hintergrund dieser repressiven Sexualmoral erweist sich das Versprechen der Brautjungfern »Wir führen dich zu Spiel und Tanz, / Zu Glück und Liebesfreude« 3 2 als irreführend: Das Liebesglück wird, da es an die Ehe gebunden bleibt, gerade insofern zerstört, als deren soziale Voraussetzungen einen Zwang darstellen, der die Liebenden einander entfremdet. In Johann August Apels und Friedrich Launs >Gespensterbuch< von 1810, das Weber zu seiner Oper angeregt hatte, wird diese tragische Konsequenz dadurch verdeutlicht, daß Max, der sich aus Versagensängsten dem Teufel verschrieben hat, seine Geliebte mit dem obligatorischen Probeschuß tötet. 27 18
Hermand (Anm. 24), S. 28. Gerhard Höhn, Heine-Handbuch. Zeit, Person, Wirkung, Stuttgart/Weimar 2 1997, S. 173. Ahnlich argumentiert Peter Allenspach (Heinrich Heines >ReisebilderWertherMalbrough s'en va-t-en guerre< quer durch Europa verfolgt),34 so sieht Heine sich durch den Weberschen Schlager in Berlin wiederholt um sein erotisches Glück betrogen. Jedes Mal nämlich, wenn er der Erfüllung seiner Wünsche nahe ist, erklingt der Webersche >Jungfernkranz< und macht, einem Entsagungslied vergleichbar, sämtliche Hoffnungen zunichte. Dem Liede schon kurz nach dem Aufstehen entfliehend (»Bin ich mit noch so guter Laune des Morgens aufgestanden, so wird doch gleich alle meine Heiterkeit fortgeärgert, wenn schon früh die Schuljugend, den >Jungfernkranz< zwitschernd, bey meinem Fenster vorbeyzieht«; 6,21), eilt der Korrespondent zu einer geheimnisvollerweise nur »***li« genannten Dame. Statt ihn mit ihrer Liebe zu empfangen, begrüßt ihn die »Holde« am Klavier aber nur mit ein paar Versen aus dem >JungfernkranzFreischützJungfernkranzNordsee IIIHarzreise< ist also nicht nur ein Aufbruch aus der verhaßten Philisterwelt des Städters, sondern auch ein Ausbruch aus dem Bergwerk jener romantischen Traumwelt, ein poetischer Emanzipationsversuch, der mit Heines früher Prosa beginnt und quer durch die >Reisebilder< fortgesetzt wird. Am 28. Juli 1827, also etwa zweieinhalb Jahre nach der Niederschrift der >HarzreiseHarzreise< übertragen, denn sie selbst ist J7
HSA X X , S.73; meine Kursivierung. Ebd. S. 22; meine Hervorhebung. " Ebd. S. 294; meine Hervorhebungen. jS
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ein »Beyspiel« dafür, wie Heine sich an den »eignen Haaren« aus dem romantischen Schacht der Verinnerlichung in die sinnliche Wirklichkeit »wieder heraufzieht«. Zumindest konnte gezeigt werden, wie der Erzähler am zweiten Reisetag über drei Stationen hinweg (Schneider bei Osterode - Ossian/Werther; Kind bei Lerbach - Rousseau/Werther; Klausthaler Gruben - Novalis/Ofterdingen) romantische Positionen regelrecht abschreitet und abarbeitet, um sie zu negieren und hinter sich zu lassen oder doch partiell anzuerkennen und zu korrigieren. Die Heine-Forschung hat die >Harzreise< wiederholt vor dem Hintergrund des >Werther< gelesen 40 und dabei andere Referenztexte eher vernachlässigt. Zweifellos erhält die Auseinandersetzung mit Goethes erstem Roman in der >Harzreise< ein besonderes Gewicht. Es wäre jedoch verfehlt, wie Jost Hermand in Heines Versuch, die unfruchtbare Sentimentalität des Werther-Syndroms abzuschütteln, 41 einen Generalangriff auf Goethe und dessen angeblich »maßlose Ichbezogenheit« 42 sehen zu wollen. Hermand spricht wegen der vielen ironischen Bezugnahmen auf den >Werther< zu Recht von einer »Parodie« bzw. »Umfunktionierung« 43 des Romans, läßt aber außer acht, daß diese ironischen Anspielungen keine Ablehnung Goethes, sondern eine Ablehnung der empfindsam-ossianischen Schwärmerei bedeuten. Goethe hat sich bekanntlich selbst vom Werther-Syndrom distanziert, unter anderem in der >Harzreise im Winter< betitelten Hymne aus dem Jahre 1777, die als Vergleichsfolie für Heines >Harzreise< bisher vernachlässigt wurde. Hermand stellt sich zwar die Frage: »Wo wird hier [in Heines >HarzreiseHarzreise< insgesamt als Zeugnis der Goethe-Opposition zu deuten, freilich kaum vereinbaren lassen, daß zwischen Goethes und Heines literarischer Reise in den Harz sowohl inhaltliche wie strukturelle Ubereinstimmungen bestehen. Der autobiographische Hintergrund der Hymne (»Goethes Harzreise, auf der er mehrere Bergwerke besichtigte, viele Menschen, Orte, Herbergen sah, 40
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Vgl. z.B. Jost Hermand, Die Harzreise. Unmut gegen Goethe. In: Ders., Der frühe Heine. Ein Kommentar zu den >ReisebildernHarzreise im Winter< gehört zu den wenigen Gedichten, die Goethe für das zeitgenössische Lesepublikum selbst kommentiert hat, zuerst 1821 im zweiten Jahresheft der Zeitschrift »Uber Kunst und Altertum« und dann abermals in der >Campagne in Frankreich< (1822). 4é Goethe erläutert das Ziel seiner Harzreise als ein doppeltes: »ein unmittelbares Anschauen des Bergbaus zu gewinnen und einen jungen, äußerst hypochondrischen Selbstquäler zu besuchen und aufzurichten«. 47 Gemeint ist der spätere Duisburger Philosophieprofessor Friedrich Victor Lebrecht Plessing, der den Autor des >Werther< um Hilfe in einer seelischen Krise gebeten hatte. Plessing war für Goethe ein typischer Repräsentant jener »selbstquälerischen Art«, 48 wie sie im >Werther< als tödliche Krankheit dargestellt ist. »Ich hatte mich«, so Goethe in der >CampagneHarzreise< liegt nun zum einen darin, daß ihr fiktionales Erzähler-Ich ebenfalls eine solche Position der freien Uberschau anstrebt (»Auf die Berge will ich steigen«), um von dort aus die eigene poetologische und politische Position zu bestimmen, zum anderen darin, daß sich diese selbstreflexive Positionsbestimmung wie in Goethes Hymne erst über eine Reihe von Stationen und Begegnungen entwickelt, die für verschiedene, jeweils abzulehnende Lebensentwürfe stehen. Der Reiseweg dient hier wie dort einem »Sich-Vergewissern« über die richtige »Lebensform unter einer Reihe alternativer Lebensformen«. 53 Es wird kaum Zufall sein, daß die Abfolge dieser Stationen in beiden Texten einander entspricht. Auf zwei einleitende Strophen, die die Haltung der überschauenden Selbstreflexion markieren und eine Betrachtung über die den Menschen bestimmenden Schicksalsmächte enthalten, folgt in der dritten Strophe der >Harzreise im Winter< die verächtliche Abkehr von den bürgerlichen »Sperlingen« und reichen Philistern, die ihr Leben bequem im »Sumpf« zubringen. In Dickichtsschauer Drängt sich das rauhe Wild Und mit den Sperlingen Haben längst die Reichen In ihre Sümpfe sich gesenkt.' 4
Goethe kommentiert diese Verse wie folgt: »Wer seine Bequemlichkeiten aufopfert, verachtet gern diejenigen, die sich darin behagen. [...] Unser Reisender hat alle Bequemlichkeiten zurückgelassen und verachtet die Städter, deren Zustand er gleichnisweise herabsetzt.«" Zusammen mit der vierten Strophe, die den opportunistischen »Troß« der Fürstentreuen ablehnt, ist dies eine deutliche Kritik Goethes am angepaßten, reichen, auf Schutz und Sicherheit bedachten städtischen Bürgertum. In den folgenden Strophen (5-7) wendet sich der Wanderer dem Werther-Schicksal zu und bedauert, daß der sentimentale Schwärmer (in der >Campagne< ordnet Goethe diesen Versen das Schicksal Plessings zu) »Seinen eignen Wert / In ungnügender Selbstsucht« (V.4if.) aufzehrt, nimmt also auch gegenüber dem stadtflüchtigen Werther und seiner, so wörtlich, ins »Abseits« (V. 29) führenden Schwärmerei Distanz ein. in die Vogelperspektive einer reflektierenden Überschau rückt: »Dem Geier gleich, / Der auf schweren Morgenwolken / Mit sanften Fittichen ruhend / Nach Beute schaut, / Schwebe mein Lied.« ( H A 1, S. 50.) 52 J . Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Kunst und Philosophie 1750—1945, Bd. 1, Darmstadt 2 i988, S. 288. " Ebd. 14 H A ι, S. 50. " Ebd. S.395.
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Analog dazu verfährt Heine in der Komposition seiner >HarzreiseWerther< als möglicher Bezugstext nicht mehr in den Blick geriet. Setzt man mit dem Bergwerkserlebnis einen vorläufigen Schnitt an, so könnte man Heines >Harzreise< bis zu diesem Punkt als eine doppelte Abgrenzung beschreiben: Der Wanderer empfindet ein tiefes Ungenügen an einer rein wissenschaftlichen und zweckrationalen Weltordnung, kann sich jedoch ebensowenig für den romantischen »Weg nach innen« entscheiden. Die umrissenen Positionen stehen vielmehr, obgleich sie beide von einer spiritualistischen Lebensferne zeugen, in einem Verhältnis wechselseitiger Korrektur. Hatte der Wanderer zu Beginn seiner Reise den wissenschaftlichen Positivismus angegriffen, so findet er in der Traumsphäre des Bergwerks dennoch zum Licht ei-
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Vgl. die Prologverse »Auf die Berge will ich steigen, / Lachend auf Euch niederschauen« (6,83). Hermand (Anm.40), S.70. Vgl. Goethes >Harzreise imWinter< (V. 14-18) und Heine (DHA 6, S.134). 61
ner aufklärerischen »Höhe« zurück - nicht aber, ohne im nächsten Schritt sogleich die naive »Unmittelbarkeit« des einfachen Bergvolks und ihr »tiefes Anschauungsleben« (6,96) gegen das kursierende »Papiergeld der Bücherdefinizionen« (6,97) zu verteidigen. Offenbar besteht das Experiment der >Harzreise< darin, zwei konträre Positionen so aufeinander abzustimmen, daß deren positive, und d.h.: sinnenfrohe Elemente (nämlich eine helle, »aufgeklärte« Diesseitigkeit einerseits und der Reiz einer bezaubernden Märchenschönheit andererseits) ineinander verschränkt werden. Diese selektive Vermittlung konträrer Lebens- und Welthaltungen setzt schon mit der Verteidigung der Märchenfreude ein, die das Leben der Bergarbeiter auszeichnet. Die Befreiung aus der »dumpfigen Bergnacht« auf dem Rückweg ans Sonnenlicht bedeutet keineswegs, daß alle dem aufgeklärten Geist widerstrebenden Phänomene abgetan und im »dunklen Schacht« eines romantischen Aberglaubens zurückgelassen werden. Der Erzähler bemüht sich vielmehr sofort klarzustellen, daß er fasziniert ist von jener bunten Märchenwelt der Bergleute, »deren Eigenthümlichkeit darin besteht, daß nicht nur die Thiere und Pflanzen, sondern auch ganz leblos scheinende Gegenstände sprechen und handeln« (6,96). Diese zauberhafte Verlebendigung alltäglicher Gegenstände (Ofen, Schrank, Nähnadel und Stecknadel) führt er darauf zurück, daß der Mensch »ihnen einen Theil seiner Seele eingeflößt« (6,96) hat. Es handelt sich hier um ein ähnlich geheimnisvolles Einvernehmen mit der äußeren Sinnenwelt wie schon im Fall des kleinen Jungen, der mit den Vögeln und Bäumen »in gar eigenem Einverständniß« (6,91) stand. Und so ist es auch kein Zufall, daß im Zusammenhang mit dem »tiefen Anschauungsleben« (6,96) der Bergarbeiter noch einmal das Motiv der glücklichen Kindheit anklingt: Aus demselben Grunde ist unser Leben in der Kindheit so unendlich bedeutend, in jener Zeit ist uns Alles gleich wichtig, wir sehen Alles, wir hören Alles, [...] statt daß wir späterhin [...] uns mit dem Einzelnen ausschließlicher beschäftigen, das klare Gold der Anschauung für das Papiergeld der Bücherdefinizionen mühsam einwechseln, und an Lebensbreite gewinnen, was wir an Lebenstiefe verlieren. (6,^6i.)
Wird solchermaßen gegenüber dem vorangehenden Grubenbesuch die »Tiefe« rehabilitiert, so deshalb, weil sie sich jetzt auf Phänomene der Oberfläche und der empirisch-konkreten Sinnenwelt bezieht. Nicht in der Finsternis weltabgeschiedener Versenkung ins Innere, Unbewußte, sondern im Umgang mit den alltäglichen Dingen des Haushalts und der Natur entsteht jener märchenhafte Zauber, der über den materiellen Verwertungsaspekt hinaus die Welt mit Schönheit und »unendlicher Bedeutung« ausstattet.'8 Es ist gleichsam die Tiefendimension der Oberfläche, der sinnlich erfahrbaren und erfahrenen Welt 58
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Vgl. dazu Zlotkowski (Anm.9, S.26f.): »The popular culture of Clausthal does not lack spiritual depth [...]. Its depth, however, is a function of its natural immediacy of perception and experience.«
(»wir sehen alles, wir hören alles«), die hier sowohl gegen die spiritualistische Jenseitigkeit des dunklen Bergwerks wie gegen den prosaischen Empirismus einer »entzaubernden« Aufklärung geltend gemacht wird. Die Metapher vom »klaren Gold der Anschauung« verdient besonderes Interesse. Denn obwohl »Anschauung« in Opposition zur abstrakten »Bücherdefinizion« die empirische Anschauung meint, deutet der Kontext (»Unmittelbarkeit«, »Lebenstiefe« und »unendliche Bedeutung«) hier doch zugleich auf eine »kontemplative« Form der Anschauung hin. Bemerkenswert ist, daß die von Heine maßgeblich selbst besorgte französische Ubersetzung der >HarzreiseUber den Unterschied der Dichtarten< spricht Hölderlin von der »in der intellektuellen Anschauung vorhandenen Einigkeit« des Menschen »mit allem, was lebt«. 60 Als intuitive Wahrnehmung des Allzusammenhangs ist diese Anschauung gleichsam ein mystischer Zustand, weil sie die Trennung von Subjekt und Objekt überwindet und so die Erfahrung ursprünglicher Unmittelbarkeit ermöglicht. Heine nun verschafft dieser geistig-intuitiven Wesensschau ein sinnliches Fundament, indem er zwar am Ideal der Einheit und »Einigkeit« des Menschen mit seiner natürlichen Lebenswelt festhält (die Aussage »in jener Zeit ist uns Alles gleich wichtig, wir sehen Alles, wir hören Alles« deutet auf ein inneres Einvernehmen des Menschen mit seiner Umgebung hin), die sinnliche Erlebnisqualität der objektiven Welt aber dennoch nie ins Ubersinnliche und Mystische zurücknimmt. Das »tiefe Anschauungsleben« der Bergarbeiter bleibt am Konkreten haften, verflüchtigt sich nicht ins Absolute einer rein geistigen Anschauung, da der Mensch den Dingen nur »einen Theil seiner Seele« einflößt, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt also nur partiell auflöst, weshalb er die konkrete Gegenständlichkeit der Welt nie ganz verlieren kann. Das »klare Gold der Anschauung« soll mithin in geradezu paradoxaler Weise auf die Möglichkeit einer von konkreten Sinnesdaten (»klares Gold«) ausgehenden tieferen »Anschauung« hinweisen. Es bezeichnet gegenüber dem Abgeleiteten des theoretischen »Papiergeldes« das Primäre, die sinnliche Deckung als dessen Grund- und Gegenwert; es steht für eine innerweltliche Tiefe ohne
" Vgl. die Übersetzung >Les montagnes du Hartz< in D H A 6, S. 233-280, sowie den Kommentar S. 699-702. 60 Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe in drei Bänden, hg. von J. Schmidt, Frankfurt a.M. 1992-1994, Bd.2, S. 556 u. 555.
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Dunkelheit und macht als poetologische Metapher zugleich auf die ästhetische Währung der Heineschen Prosa aufmerksam - als Metapher, die in ihrer Anschaulichkeit den inhaltlichen Anspruch selbst schon einlöst. A m Morgen des dritten Reisetages erzählt der Wanderer vom »Traum der vorigen Nacht«, in dem er als kühner Ritter eine gefangene Prinzessin durch seinen Kuß aus dem Zauberschlaf erweckt. Dieser Traum endet jedoch als Alptraum, da der Moment der erotischen Erfüllung plötzlich in einen gräßlichen Spuk umschlägt: [...] aber in demselben Augenblick wurde es wieder Nacht, und Alles rann chaotisch zusammen in ein wildes, wüstes Meer. [...] über das gährende Wasser jagten ängstlich die Gespenster der Verstorbenen, ihre weißen Totenhemden flatterten im Winde [...]. (6,98)
Dieser Traum inszeniert den Konflikt zwischen Sensualismus und Spiritualismus abermals als allegorischen Streit zwischen gespenstischem Geist und sinnlich-erotischer Lust, Tod und Leben. Aber auch in seiner Lichtsymbolik ist er von Bedeutung. Denn im erotischen Traum der zweiten Nacht, der das Erlebnis des Grubenabstiegs verarbeitet (der Erzähler betont, daß der tiefe Brunnen des Traums die »dunkle Clausthaler Grube« war; 6,98), wird die zuvor auf eine aufklärende Diesseitigkeit bezogene Lichtsymbolik um eine religiöse Dimension erweitert: [...] ich gelangte in einen hellen Prachtsaal; in der Mitte stand [...] regungslos, die Herzgeliebte, und ich küßte ihren Mund, und, beym lebendigen Gott! ich fühlte den beseligenden Hauch ihrer Seele und das süße Beben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hörte ich, wie Gott rief: >Es werde Lichtl· blendend schoß herab ein Strahl des ewigen Lichts [...]. (6,98)
Das ersehnte, erlösende Licht ist hier nicht mehr das der Aufklärung, sondern das göttliche Licht, das vom »siècle des lumières« als Illusion bekämpft worden war. Heine erinnert hier an die religiöse Dimension des Lichts, um sie im Kontext des erotischen Traums zum Medium seiner Religionskritik zu machen. Im Unterschied zu einer rein spirituellen, das Sinnliche negierenden Haltung bringt er durch den Traum eine religiöse Erotik ins Spiel, die den »Kuß«, in der Dichtung traditionell der Moment der Vereinigung, selbst zum Erlebnis des Göttlichen macht - ein Vorklang auf die sinnliche Liebesreligion späterer Texte wie >Seraphine VII< (»Und Gott ist alles was da ist; / Er ist in unsern Küssen«; 2,34). So wie das »tiefe Anschauungsleben« aus dem dunklen Bergwerk an die helle Oberfläche der sinnlichen Welt zurückverlegt wird, so wird hier, im erotischen Traum der zweiten Nacht, auch die religiöse Erfahrung im Sinnlichen verankert. Daß der Traum erst am nächsten Morgen auf dem Weg nach Goslar erzählt wird, verleiht ihm eine überleitende Funktion. Er knüpft noch einmal an das vorangehende Bergwerkmotiv an, führt den Leser aber schon in den Themen64
horizont des dritten Reisetags ein. Es ist dies - nach der Philistersatire am ersten und der Romantikkritik am zweiten Wandertag - die Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen, insbesondere mit solchen der christlichen Religion: mit der christlichen Leidenstheologie (Kruzifix zu Goslar), mit der Bedeutung des Todes (Kirchhof und Begräbniskultur) und mit der »Idee der Unsterblichkeit« (6,102). Auch hier geht es Heine nur um eine partielle - eine sensualistische - Korrektur des religiösen Denkens und nicht um dessen grundsätzliche Verwerfung. Eröffnet wird das Thema durch die flüchtige Erwähnung eines hölzernen Kruzifixes in der Stephanskirche zu Goslar, das signifikanterweise aus dem eben erst niedergerissenen »uralten« Dom der Stadt stammt und deshalb nurmehr als museales Relikt neben anderen sakralen Exponaten (auch heidnischen) zu besichtigen ist. Der Erzähler fühlt sich von der naturalistischen Leidensdarstellung am Kreuz eher angewidert: Indessen noch unerfreulicher ist das dabeystehende [...] große hölzerne Crucifix. Dieser Christuskopf, mit natürlichen Haaren und Dornen und blutbeschmiertem Gesichte, zeigt freylich höchst meisterhaft das Hinsterben eines Menschen, aber nicht eines gottgebornen Heilands. [...] Solch Bild gehört eher in einen anatomischen Lehrsaal, als in ein Gotteshaus, (έ,ιοο)
Ist damit zwar vordergründig eine ästhetische Kritik formuliert, insofern der Kommentar auf die naturalistische, ja anatomische Nachahmung des sterbenden Leibes abhebt, so enthält diese ästhetische Kritik doch auch grundsätzliche Zweifel an einer Religion, die in den körperlichen Qualen des allmählichen »Hinsterbens« ein Sinnbild der Erlösung und des Lebens sieht - eine Vorstellung, die Heine später dazu veranlassen sollte, das Christentum eine »blutrünstige Delinquentenreligion« zu nennen. Die spiritualistische Abwertung des diesseitigen Lebens durch den Tod, der nach christlicher Auffassung den Übergang in das höhere, geistige Reich Gottes bedeutet, bleibt jedoch nicht unwidersprochen. Im Gasthof zu Goslar läßt Heine einen Weltreisenden auftreten, der von der Bestattungskultur fremder Völker berichtet und damit einen ganz anderen Blick auf den Tod freigibt. Im Gegensatz zur Auffassung der christlichen Religion, »daß es doch für die Seele gleichgültig sey, w o unser Leib begraben wird« (6,100), weil es nur auf das jenseitige Seelenheil ankommt, verrät die orientalische Gräberkultur gerade umgekehrt eine freudige Diesseitigkeit angesichts des Todes und sogar über den Tod hinaus. Noch an ihrem Bestattungsort werden die Toten in ein gesellig-heiteres Leben eingebunden, so daß man in einer diametralen Entgegensetzung der kulturellen Positionen - statt von einer Jenseitsorientierung des Lebens noch von einer Diesseitigkeit der Toten sprechen kann. [...] die Türken begraben ihre Todten noch weit schöner als wir, ihre Kirchhöfe sind ordentlich Gärten, und da sitzen sie auf ihren [...] Grabsteinen, unter dem Schatten ei-
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ner Zypresse und [...] rauchen ruhig ihren türkischen Tabak, aus ihren langen türkischen Pfeifen; - und bey den Chinesen gar ist es eine ordentliche Lust zuzusehen, wie sie auf den Ruhestätten ihrer Todten manierlich herumtänzeln, und beten, und Thee trinken, und die Geige spielen, und die geliebten Gräber gar hübsch zu verzieren wissen mit allerley vergoldetem Lattenwerk, Porzellanfigürchen, Fetzen von buntem Seidenzeug, künstlichen Blumen und farbigen Laternchen [...]. (6,ioof.)
Der orientalische Gegenentwurf zur christlichen Todesauffassung soll zweifellos eine Umkehrung der Perspektive auf das Leben bewirken: Der Tod muß das irdische Leben nicht entwerten, er kann im Gegenteil Anlaß zu einer lustvollen Diesseitsbejahung und Genußbereitschaft sein. Daß der Erzähler in diesem Sinne denkt und handelt, macht er sogleich deutlich: »Der Kirchhof in Goslar hat mich nicht sehr angesprochen. Desto mehr aber jenes wunderschöne Lokkenköpfchen«. (6,IOI) Das Bewußtsein von der Vergänglichkeit des Lebens macht den sinnlichen Genuß, besonders den der Liebe, zum Gebot - und zum Erfolg. So gelingt es dem Wanderer, dem »wunderschönen« Mädchen einen »Kuß« zu rauben - der »qualifizirte Diebstahl« der »Blümchen« (6,101) vor ihrem Fenster symbolisiert hier den Akt der défloration - , indem er auf sein Fortgehen hinweist: »Ich reise morgen fort und komme wohl nie wieder!« (ebd.) Das Wissen um die Vergänglichkeit intensiviert also nicht nur den Genuß des Augenblicks, es ermöglicht ihn sogar erst. Dennoch wird die transzendierende Kraft des religiösen Gefühls in der Rückbesinnung auf das Diesseitige nicht schlechthin negiert. Sie wird lediglich aus dem beseligenden Erlebnis des Sinnlichen erklärt, das sich nicht anders mitteilen läßt als in einer religiös getönten Sprache, die nach Begriffen für das Absolute sucht. So liegt die Erfahrung des Höchsten nicht jenseits, sondern bleibt an den realen (physischen) Genuß des gegenwärtigen Daseins gebunden. Die »Idee der Unsterblichkeit« könnte, so der Erzähler, von einem »Nürnberger Spießbürger« stammen, der mit »weißer Tonpfeife im Maule, am lauen Sommerabend vor seiner Hausthüre saß« (6,102) und diesen angenehmen Zustand zu verewigen wünschte. »Oder war es ein junger Liebender, der in den Armen seiner Geliebten jenen Unsterblichkeitsgedanken dachte, und ihn dachte, weil er ihn fühlte und nichts anders fühlen und denken konnte!« (ebd.) Wenn der Gedanke der Unsterblichkeit aus dem erotischen Gefühl entspringt, wird die metaphysische Konstruktion zwar auf ein physisches Motiv zurückgeführt, aber deshalb eben nicht zerstört.61 Statt der kirchlich-orthodoxen erhält der
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' Dies ist gegen die Deutung von Höhn (Heine-Handbuch, S. 193-200) einzuwenden. H ö h n bemerkt zwar richtig, daß »Genüsse wie Essen, Trinken oder Sexualität« in der >Harzreise< wiederholt »auf Pathetisches, Religiöses oder Abstraktes bezogen« werden. Seine Schlußfolgerung, daß das Pathetische oder Religiöse dadurch »bloßgestellt und verlacht« wird (S. 197), dürfte Heines Intention indes kaum gerecht werden. G e rade auf die Idealisierung des Sinnlichen kommt es an, weil sie das metaphysische Bedürfnis in einer säkularisierten Welt befriedigt, ohne von dieser Welt selbst abzulen-
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metaphysische Gedanke der Unsterblichkeit nun vielmehr eine physische Legitimation (»in meiner Brust ward es plötzlich so heiß«; ebd.) und ist nicht mehr auf das seelische Heil im Jenseits, sondern auf den ewigen Augenblick des erotischen Glücks im Diesseits bezogen. Sie liegt jetzt schon und schläft; zu ihren Füßen knieen Engel, und wenn sie im Schlafe lächelt, so ist es ein Gebet, das die Engel nachbeten; in ihrer Brust liegt der Himmel mit allen seinen Seligkeiten [...]. (6,102)
Im Gedanken an das geliebte Mädchen wird das Sinnliche zum dritten Male (nach der Göttinger Venus und der verzauberten Märchenprinzessin in den Träumen der ersten beiden Nächte) ins Ubersinnliche einer religiösen Erotik gesteigert. Es macht die Originalität von Heines Religionskritik aus, daß sie nicht einfach auf eine rationalistische Widerlegung religiöser »Ideen« zielt, sondern sie im Horizont einer genußvollen Weltzuwendung neu begründet. Deshalb ist es sinnvoll, von einer sensualistischen »Korrektur« zu sprechen. Heine läßt es bei der sinnlichen Rehabilitierung des Übersinnlichen nicht bewenden und stellt mit der anschließenden Ascher-Episode die Frage, inwieweit das der objektiven Erkenntnis entzogene »Noumenon«, das Übersinnliche also, als existenzbestimmende Kraft überhaupt ernstzunehmen und anzuerkennen sei. Die Ascher-Episode ist deshalb von großer Bedeutung, weil Heine sich hier - nach seiner antispiritualistischen Kritik am christlichen Glauben - nun auch mit dem Vernunftglauben der Aufklärung und ihrem wichtigsten Vertreter Kant auseinandersetzt. Kant ist für Heine der Revolutionär »im Reiche der Gedanken« (8,82), da seine Erkenntniskritik die »Beweisführungen von der Existenz Gottes« (8,88) und somit das religiöse Gefühl des Menschen, das »Bewußtseyn von der Urgüte und ewigen Harmonie« (8,87) nachhaltig zerstört hat. In seiner Studie über Heine und Kant betont Rudolf Malter: »Zentral an Kant ist für Heine [...] das negativ-zerstörende Moment des Kritizismus, d.i. die von einer größeren aufbauenden Arbeit [...] isoliert gesehene Destruktion des rationalistischen Gottesglaubens, kulminierend für Heine in der Gottesbeweiskritik der reinen Vernunft als der theoretischen Exekution des deistischen Gottes.« 62 Es wäre jedoch falsch wie Malter zu behaupten, daß Heine diesem »Zerstörungswerk« Kants »mit eindeutiger Sympathie« 6 3 begegne. Zwar würdigt er Kants Philoso-
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ken. Um diesen Prozeß geht es auch in der Philosophie-Schrift, in der Heine von der »Heiligung« der Materie (8,60) und dem Bedürfnis spricht, »in den Dingen etwas U r geistiges anzuerkennen« (12,247). Schon in der Ascher-Episode der >Harzreise< wird die Kritik an einem Empirismus laut, der allen »Glauben« aus dem Leben »herausphilosophiert« (6,103), u n < l nicht zufällig nennt sich der Wanderer einen Ritter vom »heil'gen Geist«. R. Malter, Heine und Kant. In: Heine-Jb. 1979, S. 3 5-64, hier S. 37. Ebd. S.39.
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phie in der >Geschichte der Religion und Philosophie< als eine, wie Malter sagt, »Hauptvoraussetzung der deutschen Revolution«,64 doch macht er zugleich deutlich, daß er den durch die Kantsche Kritik verursachten Tod Gottes (»der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute«; 8,89) als tödliche Bedrohung für sich selbst und sein eigenes Leben empfindet: Schon daß ich jemanden das Daseyn Gottes diskutiren sehe, erregt in mir eine so sonderbare Angst, eine so unheimliche Beklemmung [...]. >Gott ist alles was da ist< und Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, es ist der Tod. (8,87)
Was hier in einer allgemeinen Besprechung der Philosophie Kants als kritischer Einwand formuliert wird, ist im Spuk der Goslarer Nacht bereits allegorisch vorweggenommen.65 Der Berliner Philosoph Saul Ascher, der analog zu Kants Gottesbeweiskritik den »Gespensterglauben« des Erzählers kritisiert, vertritt ein rein empiristisches, seiner desillusionierenden »Kälte« wegen ebenfalls als tödlich empfundenes Vernunftprinzip: In seinem Streben nach dem Positiven hatte der arme Mann sich alles Herrliche aus dem Leben heraus philosophirt, alle Sonnenstralen, allen Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm nichts übrig, als das kalte, positive Grab. (6,103)
Ascher reiht sich denn auch in die Traum-Galerie jener grauen Gespenster ein, die in ihrem dogmatischen Verstandes- und Vernunftwesen für das Unlebendige, schlechthin Lebens widrige stehen. Wie die Göttinger Rechtsgelehrten bei ihrer Prozession durch die verstaubte Bibliothek zeichnet sich auch Ascher dessen Name sprechend ist - »mit seinen abstrakten Beinen, mit seinem engen, transcendentalgrauen Leibrock und mit seinem schroffen, frierend kalten Gesichte« (6,103) schon rein äußerlich als ein Vertreter des Todes aus. Die Religionskritik des dritten Wandertages geht also mit dem nächtlichen Spukgeschehen in eine Kritik der Aufklärung über, so als habe Heine seine antispiritualistische Kritik behutsam ausbalancieren und nicht einseitig auf die christliche Religion fixieren wollen. Um dem Mißverständnis vorzubeugen, er stelle sich hier in die geistige Tradition einer schon von Kant vertretenen aufklärerischen Religionskritik, läßt Heine auf das Tagesgeschehen in Goslar nun kontrapunktisch die in ihrer Bedeutung oft unterschätzte Ascher-Episode folgen. Sie ist keineswegs nur eine Fortsetzung der Wissenschafts- und Philistersatire, sondern leitet zu einer differenzierten Reflexion der Aufklärung und der für Heine zentralen Frage nach dem »religiösen Gefühl« und dem Glauben an das Göttliche über. Es gilt, die Auseinandersetzung mit Kant in dieser Episode genauer zu analysieren, weil sie das Sensualismus-Konzept der >Harzreise< zu präzisieren vermag. 64 65
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Ebd. Manfred Windfuhr ( D H A 8, S. 889) geht davon aus, daß Heine bereits 1824 genaue Kenntnisse der Kantschen Originaltexte und besonders der »Kritik der reinen Vernunft< besaß.
Nicht zufällig läßt Heine den spukenden Ascher Kants >Kritik der reinen Vernunft< zitieren, und zwar jenen die »Unterscheidung von Phänomena und Noumena« 66 behandelnden Abschnitt, den Heine noch in der »Geschichte der Religion< »für den wichtigsten Theil«, ja »für den Mittelpunkt« (8,86) der Kantischen Philosophie hält. Kant definiert hier das »Noumenon« in Abgrenzung zu den sinnlich wahrnehmbaren Phänomena als ein »Ding, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist«. Solche Objekte einer »nichtsinnlichen Anschauung« können erkenntnistheoretisch »keine objektive Gültigkeit« beanspruchen, sie sind, da sie sich empirisch nicht belegen lassen, vielmehr nur »ein bloßes Spiel, sei es der Einbildungskraft, oder des Verstandes«.67 Aus diesem Grund entziehen sie sich einer vernunftgeleiteten, d.h. einer auf das Phänomenale beschränkten Erkenntnis: A m Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen ist (für uns) leer, d.i. wir haben [...] keine Anschauung, [...] wodurch uns außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben, und der Verstand über dieselbe hinaus assertorisch gebraucht werden könne. 8
Wird hier zwar vorerst nur eine terminologische Unterscheidung getroffen bzw. eine Grenze 6 ' gezogen, über die hinaus jeder Erkenntniswille in den Bereich der Spekulation führen muß, so ist doch mit dieser Grenzziehung auch die Abwertung oder gar Entwertung des Numinosen schon vorgezeichnet. Denn wenn, wie Kant schreibt, »die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht einzusehen« ist, dann fehlt nur noch ein Schritt, um sie ins Pathologische einer Wahnvorstellung abzudrängen. In der >Kritik der Urteilskraft warnt Kant denn auch vor der »Gefahr der Schwärmerei, welche ein Wahn ist, über alle Grenzen der Sinnlichkeit hinaus etwas sehen zu wollen«.70 - Saul Ascher schließt sich ganz offensichtlich der Kantischen Argumentation an, wenn er
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D H A 6, S. 104. Der genaue Titel lautet: >Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und NoumenaFürchten Sie sich nicht, und glauben Sie nicht, daß ich ein Gespenst sey. Es ist Täuschung Ihrer Phantasie, wenn Sie mich als Gespenst zu sehen glauben. Was ist ein Gespenst? Geben Sie mir eine Definizion? [...] In welchem vernünftigen Zusammenhange stände eine solche Erscheinung mit der Vernunft? [...].< Und nun schritt das G e spenst zu einer Analyse der Vernunft, citirte Kants >Kritik der reinen Vernunft< [...], die Unterscheidung von Phänomena und Noumena, construirte alsdann den problematischen Gespensterglauben, setzte einen Syllogismus auf den andern, und Schloß mit dem logischen Beweise: daß es durchaus keine Gespenster giebt. (6,104)
Der nächtliche Spuk in Goslar verdichtet sich so zu einer poetischen Reflexion auf das Ubersinnliche schlechthin, vertritt doch der hier thematisierte »Gespensterglaube« nur beispielhaft den gesamten irrationalen Bereich des menschlichen Glaubens und insbesondere den Glauben an Gott. In der Philosophie-Schrift kommt Heine noch einmal auf die Unterscheidung von Noumena und Phänomena zu sprechen, um zu zeigen, daß Kant das Göttliche als ein Noumen bestimmt: »Gott ist, nach Kant, ein Noumen. In Folge seiner Argumentazion, ist jenes transzendentale Idealwesen, welches wir bisher Gott genannt, nichts anders als eine Erdichtung.« (8,86) Der von Ascher bekämpfte »Gespensterglauben« korrespondiert somit dem von Kant widerlegten Gottesglauben oder anders gesagt: Gespenster- und Gottesbeweiskritik beruhen auf derselben erkenntniskritischen Argumentation. 71 Einen zusätzlichen Hinweis darauf, daß das Goslarer Gespensterwesen allgemein für die unerforschliche Macht des Noumen steht, liefert schließlich das von Heine verwendete Beiwort »problematisch«, denn nach Kant ist gerade das Noumenon als das sinnlich nicht Belegbare »problematisch« in dem Sinne, daß dessen »objektive Realität auf keine Weise erkannt werden kann« 72 - »wir haben einen Verstand«, so Kant, »der sich problematisch weiter erstreckt« als die »Sphäre der Erscheinungen«. 73 Dennoch sei der Begriff des >Noumenon< nicht einfach »erdichtet«, sondern hänge als »Grenzbegriff mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außerhalb derselben setzen zu können«. 74 Dieses auf das empirisch »Positive« verengte Vernunftprinzip mag Heines Formulierung vom »positiven Grab« veranlaßt haben.
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Diese Parallelisierung ist interessanterweise auch in der Philosophie-Schrift zu finden, w o Heine die nächtlichen Geister mit Hilfe Kants zu vertreiben sucht: »Fort, Ihr Gespenster! ich spreche jetzt von einem Manne, dessen Name schon eine exorzirende Macht ausübt, ich spreche von Immanuel Kant! Man sagt, die Nachtgeister erschrekken, wenn sie das Schwert eines Scharfrichters erblicken - wie müssen sie erst erschrecken, wenn man ihnen Kants >Kritik der reinen Vernunft< entgegenhält!« (8,8of.)
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KdVS.279. Ebd. S.281. Ebd. S.282.
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Der in der Goslar-Episode formulierte Einwand gegen den »tödlichen« Kritizismus Kants liegt nun zunächst darin, daß Ascher das übersinnliche »Noumenon« - den Gespensterglauben - nicht widerlegen kann. Aschers »vernünftige« Argumentation schafft das Gespenstische nicht aus der Welt, sie widerlegt sich durch den unheimlichen Auftritt des Verstorbenen vielmehr selbst. Als ein gegen den Gespensterglauben rationalistisch ankämpfendes Gespenst ist Ascher ein spukendes Paradoxon - und eben dies verdient besondere Beachtung, weil es zeigt, daß Heine hier den dialektischen Umschlag von Vernunft in Unvernunft bzw. den Irrationalismus der Aufklärung reflektiert. Der spukende, die Unmöglichkeit von Gespenstern behauptende »Vernunftdoctor« (6,103) wird eben wegen seines fanatischen Rationalismus selbst zum Schreckgespenst, sein dogmatischer Vernunftglaube konstituiert gewissermaßen erst jenen Irrationalismus, den er zu widerlegen vorgibt. Ascher personifiziert also nicht etwa nur die Aufklärung in ihrer kalten, positivistischen Gestalt, sondern - Heine geht hier schon einen Schritt weiter - deren negative Dialektik. Doch ist damit nur eine Seite des nächtlichen Spuks erfaßt. Die Ascher-Episode zeichnet sich durch die komplizierte Uberlagerung verschiedener Perspektiven aus, weil sie das Gespenstische einerseits analog zu den vorangehenden Traumszenen als Ausdruck für die spiritualistische Weltentfremdung gebraucht, andererseits aber exemplarisch für das Kantische »Noumenon« einsetzt, das es für Heine als Moment der Lebensfreude gegen den positivistischen Geist einer fehlgeleiteten Aufklärung zu verteidigen gilt. Dieser Aspekt des Gespenstischen ist meist übersehen worden, obwohl Heine ihn unmittelbar nach der Spuk-Episode deutlich hervorhebt. Der Erzähler trifft nämlich am darauffolgenden Tag einen »aufgeklärten« Goslarer Bürger, der ihm zwar »allerlei Spukgeschichten« erzählt, diese dann aber mit dem Hinweis auf ihre realistischen Ursachen als Täuschungen zu entlarven sucht. N u r wenn der Mensch krank ist, setzte er hinzu, glaubt er Gespenster zu sehen; was aber seine Wenigkeit anbelange, so sei er selten krank, nur zuweilen leide er an Hautübeln, und dann kuriere er sich jedes Mal mit nüchternem Speichel. Er machte mich auch aufmerksam auf die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in der Natur. [...] So lange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur entzaubert, sobald er aber fort war, fingen die Bäume wieder an zu sprechen, und die Sonnenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen tanzten, und der blaue Himmel umarmte die grüne Erde. 7 5
Das Gespenstische besitzt also durchaus einen »Zauber«, den der Erzähler gegen die aufklärerische Ernüchterung in seiner Weltwahrnehmung wiederherzustellen sucht. Bedrohlich ist es nur dann, wenn es sich als Negation oder Zerstörung dieses Zaubers auswirkt. Beide Aspekte des Gespenstischen sind in der Ascher-Figur angelegt, weshalb sie eine herausragende Rolle in Heines Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie spielt/ 6 Erst in diesem Horizont 75 76
D H A 6, S. 106; meine Hervorhebung. Die Auffassung Malters, Heine habe Kants Kritik »mit eindeutiger Sympathie«
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ist die Ascher-Episode der >Harzreise< adäquat zu verstehen - sie stellt die gezielte Auseinandersetzung mit einem erkenntnistheoretischen Ansatz der Aufklärung dar, der die Wahrnehmung der Welt auf einen empirischen Sensualismus festzulegen und damit zu »entzaubern« droht. Das Zauberhafte oder, wie der Erzähler es auch nennt, »Herrliche« (6,103) ' s t dagegen mit einer die empirische Wirklichkeit transzendierenden, »¿ersinnlichen Bedeutung ausgestattet, die den sinnlichen Genuß erst zu einer ganzheitlichen, auch das »Gemüt« erfassenden Erlebnisqualität zu steigern vermag. Deshalb gehört gerade das Übersinnliche wesentlich zum sensualistischen Konzept Heines. Es entspricht schon hier dem erst Jahre später formulierten pantheistischen Bekenntnis: »Ich gehöre nicht zu den Materialisten, die den Geist verkörpern; ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück, ich durchgeistige sie wieder, ich heilige sie.« (8,494) Auch Saul Ascher gibt sich, wie der Erzähler beiläufig bemerkt, sinnlichen Genüssen hin, »denn die Vernunft verbietet nicht die Sinnlichkeit« (6,103). Doch verleiht die Vernunft ihr nicht jene Poesie und Idealität, ohne die sie nach Auffassung des Erzählers oberflächlich und schal bleiben muß. Erst in der verzauberten Sphäre des Märchenhaften, in der die »Liebe« oder der »Glaube« des Menschen alles »so unendlich bedeutend« machen, kommt der romantische Sensualismus der >Harzreise< voll zur Geltung. Es ist die Funktion der Ascher-Episode, diesen übersinnlichen Aspekt des Sinnlichen gegen den empirischen Sensualismus der Kantschen Erkenntniskritik zu behaupten. Mündet also das Geschehen des dritten Wandertages in eine Kritik der Aufklärung, so bewahrt es doch einen inneren Zusammenhang mit der vorangehenden Religionskritik - die christliche Religion wird ebenso wie die aufklärerische »Vernunft« von einer sensualistischen Position aus kritisiert, die sich des Sinnlichen vergewissert, ohne einer positivistischen »Entzauberung« Vorschub zu leisten. Heine geht es um die antispiritualistische Kritik an Religion und Aufklärung, weshalb er den Reisebericht des dritten Wandertages so komponiert, daß sich die aufklärerische Religionskritik und die unmittelbar anschließende Verteidigung des irrationalen »Noumenon«, das ja das religiöse »Gefühl« durchaus einschließt, gegenseitig ausbalancieren. Seine Position läßt sich weder auf der Seite eines aufklärerischen Empirismus noch auf der religiösen Seite verorten, sie liegt in ihrer sensualistischen Ausrichtung vielmehr quer zur traditionellen Parteienbildung. Die auf die Goslarer Ereignisse folgende >BergidylleBuch der Lieder< den Titel >Bergidylle< erhalten, der im folgenden beibehalten werden soll.
>HarzreiseBergidylle< knüpfen direkt daran an: »Auf dem Berge steht die Hütte, / Wo der alte Bergmann wohnt.« Die Zielperspektive des Prologs ist denn auch für das nähere Verständnis der >Bergidylle< entscheidend. Nach vier Tagen hat der Wanderer über verschiedene Stationen hinweg eine kritische Ubersicht gewonnen, die es ihm erlaubt, seine ReiseReflexionen über Wissenschaft und Romantik, Religion und Aufklärung zusammenzufassen und programmatisch aufeinander abzustimmen. So markiert der Ort der >Bergidylle< als geographisches Reiseziel zugleich den Zielpunkt einer gedanklichen Vermittlung - den geistigen Fluchtpunkt der Reise. Diese programmatische Vermittlung deutet sich schon in der Ortsbeschreibung an: Die Idylle spielt auf dem Berge, aber in der Hütte des Bergmanns, verbindet also die aufklärerische Position der Höhe mit der romantischen Tiefendimension der Bergleute und hebt von diesem übergeordneten Standpunkt aus die zuvor thematisierte Opposition zwischen Höhe und Tiefe, Innen und Außen, Vernunft und Gemüt in sich auf. Auch die Gattungswahl verrät eine Vermittlungsabsicht. Die >Bergidylle< formuliert ein aufklärerisches Programm im Ton der romantisch-numinosen Ballade, bietet also, obwohl sie doch selbst ein »Hirngespinst« (V. 98) vertreiben will, ihrerseits naturmagische Elemente (»böse Berggeister«, V. 35) und blühende »Märchenbilder« (V. 153) auf. Durch die romantisch-balladeske Form zeigt Heine, daß sich eine aufklärerische Position auch ohne jede Entzauberung vertreten läßt - dann nämlich, wenn sich der erlösende Zauber auf einen politischen Kontext bezieht und der aufklärerische »Geist« selbst die Züge des »Wunderbaren« und »Heiligen« annimmt. Das in der vierzeiligen Volksliedstrophe gehaltene Erzählgedicht besteht aus drei Teilen, deren erster in genrehaften Zügen den situativen Rahmen setzt. Der Wanderer ist bei Verwandten des Klausthaler Steigers 79 eingetroffen, es ist Nacht, das Mondlicht erglänzt in der Stube, w o die Alten am Feierabend ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen: Die Mutter sitzt am Spinnrad, der Vater spielt nach Bergmannsart »die alte Weis'« (V. 20) auf der Zither. In dieser Situa-
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Zur programmatischen Funktion des Gedichts vgl. Allenspach (Anm.9, S. 57), Zlotkowski (Anm.9, S. 13 u. 37) sowie Birgit Diekkämper, Heinrich Heines >Harzreise< im Spannungsfeld von idyllischem Traum und Gesellschaftssatire. In: Dies., Formtraditionen und Motive der Idylle in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts: Bemerkungen zu Erzähltexten von Eichendorff, Heine, Fouqué, Tieck und Stifter, Frankfurt a.M. [u.a.] 1 9 9 0 , 8 . 1 1 7 - 1 8 0 . »Die Bergidylle«, so Diekkämper (S. 157), »bildet aus sowohl tektonischer als auch aus handlungsorientierter Sicht den Höhepunkt des Erzählganzen«.
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»Ein alter Steiger [...] gab [...] mir einen Auftrag an seinen Bruder, der in der Nähe von Goslar wohnt, und viele Küsse für seine liebe Nichte.« (6,96) 73
tion bricht das Irrationale durch. Die kleine Bergmannstochter erzählt vom nächtlichen Spuk der Geister und führt den Gast in die Sphäre des Wunderbaren: Und die Kleine flüstert leise, Leise, mit gedämpftem Laut; Manches wichtige Geheimniß Hat sie mir schon anvertraut. (V. 2 1 - 2 4 )
Auch diese Bergleute leben noch in einer Welt kindlich-naiver Vorstellungen, die sich zwar Elemente des heidnischen Volksglaubens (die »Bergesgeister«, V. 34Í.) bewahrt hat, aber schon weitgehend christlich geprägt ist. Die »alte Weis'«, die der Vater zur Zither singt, ist jedenfalls eine christliche Weise, die das heidnisch »Böse« abzuwehren sucht: >Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen, Vor der bösen Geister Macht; Tag und Nacht, du liebes Kindchen, Halten Englein bei dir Wacht!< (V.44-48)
Durch diese christlich-romantische Vorstellungswelt wird der Leser insgesamt auf den Bereich des Religiösen und Geheimnisvollen eingestimmt und so auf den konfessionellen zweiten Teil des Gedichts vorbereitet. Dieser enthält das Religionsgespräch, in dem der Erzähler nach den ihm anvertrauten »Geheimnissen« nun auch sein eigenes Glaubensgeheimnis preisgeben und dem Mädchen seine poetisch-politische Rolle als »Ritter von dem heil'gen Geist« erklären kann. Als Antwort auf die Gretchenfrage80 des Mädchens »Glaubst wohl nicht an Gott den Vater, / An den Sohn und heil'gen Geist?« (V. 65-68) rekonstruiert er über mehrere Strophen hinweg (V. 69-88) seine religiöse Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und begründet anschließend (V. 89-100) seinen Glauben an den »heiigen Geist«. Der Glaube an Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist wird dabei aber nicht im Sinne der Heiligen Dreifaltigkeit als Dreieinigkeit aufgefaßt, sondern im Sinne einer sukzessiven Entwicklung zu Einsicht und Reife zeitlich auseinandergelegt. So wie schon Lessing in der »Erziehung des Menschengeschlechts* die religiöse Entwicklung der Menschheit in der geistigen Entwicklung des einzelnen spiegelt, setzt auch Heine die onto- und phylogenetische Entwicklung des Menschen so in Beziehung, daß die Glaubensinhalte der drei Altersstufen auf drei geistige Epochen der Menschheit hindeuten. Auf diese Weise übersetzt er die Heilige Dreifaltigkeit in ein progressives trinitarisches Geschichtsschema.81 Der Glaube des 80
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Zur ¡Parodie der Gretchenfrage vgl. Altenhofer (Anm. 2), S. 47ff. und Zlotkowski (Anm. 9), S. 43ff. Vgl. dazu Altenhofer (Anm. 2, S. 48): »Im Glaubensbekenntnis der >Berg-Idylle< wird hinter der dynamisch-geschichtlichen Auslegung der Trinität eine dialektische Geschichtsphilosophie sichtbar, die den Gedanken der Immanenz Gottes oder der gött-
Knaben an den väterlichen Schöpfergott verweist auf den alttestamentlichen Monotheismus des Judentums: Ach, mein Kindchen, schon als Knabe, Als ich saß auf Mutters Schooß, Glaubte ich an Gott den Vater, Der da waltet gut und groß; Der die schöne Erd' erschaffen, Und die schönen Menschen drauf, Der den Sonnen, Monden, Sternen, Vorgezeichnet ihren Lauf. (V. 69-76)
Mit fortschreitendem Alter glaubt der Erzähler - Heine reflektiert hier wohl das Problem seiner erzwungenen Assimilation als Jude 8 2 - aus pragmatischen Vernunftgründen auch an den »Sohn«, an das Neue Testament und das Christentum: Als ich größer wurde, Kindchen, Noch vielmehr begriff ich schon, Und begriff, und ward vernünftig, Und ich glaub' auch an den Sohn; (V. 77—80)
Das dritte Zeitalter des Glaubens markiert die höchste Stufe der Entwicklung und fällt mit der Epoche der Aufklärung (»viel gelesen«) und mit dem weiter ausgreifenden kulturellen Kenntnisstand (»viel gereist«) der Moderne zusammen: Jetzo, da ich ausgewachsen, Viel gelesen, viel gereist, Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen Glaub' ich an den heil'gen Geist. (V. 85-88)
Während die Bedeutung von »Vater« und »Sohn« mit jeweils nur einer Strophe kurz umrissen wird, erläutert der Erzähler die Bedeutung des »Heiligen Geists« in drei Strophen sehr viel ausführlicher, nämlich unter einem historischen, politischen und sensualistischen Aspekt. Dieser that die größten Wunder, Und viel größ're thut er noch; E r zerbrach die Zwingherrnburgen, Und zerbrach des Knechtes Joch. Alte Todeswunden heilt er, Und erneut das alte Recht: Alle Menschen, gleichgeboren, Sind ein adliges Geschlecht.
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liehen Vernunft in dieser Welt zwar festhält, ihn jedoch nicht in der Ordnung der Natur, sondern im historischen Fortschritt erkennen will«. Altenhofer (ebd., S. 44) vermutet, daß Heine hier »sein >Begreifen< des Existenznotwendigen, daher >VernünftigenDenkschrift< werden antike Götterbilder zur Rettung empfohlen, »um nicht unterzugehen im Nebelmeer des absoluten Geistes« (11,40), und am Ende verlieren die heidnischen Nymphen zunehmend an Farbe und Gestalt, »bis sie endlich ganz in Nebel zerflossen« ( 1 1 , 1 3 2 ) sind.
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Vgl. dazu Dolf Sternberger, Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, Frankfurt a.M. 1976, S.y^ff. »Es war die heilige Dreifaltigkeit selber, die sich hier [in der heilsgeschichtlichen Konzeption des Joachim di Fiore] in drei religiöse Zeitalter der Menschheit zerlegte, das Zeitalter des Gesetzes oder des Alten Bundes, dasjenige der Gnade oder des Neuen Bundes und ein drittes der Vollendung, [...] das >dritte Reichs nach dem Vater und dem Sohn das des Heiligen Geistes, worin die ganze Menschheit [...] geeint sein würde« (S. 80). Während Sternberger das trinitarische Modell di Fiores nur auf das siebte von Heines >SeraphineBergidylIe< übertragen: »Das joachimitische Auslegungsmodell, das [...] den Zeitaltern des Vaters und Sohnes ein drittes Zeitalter des heiligen Geistes folgen läßt, wird hier im Hinblick auf den durch die Französische Revolution als Angelpunkt eines neuen Heilsgeschehens eingeleiteten Befreiungsprozeß politisch-chiliastisch ausgedeutet.« (Altenhofer, Chiffre, Hieroglyphe, Palimpsest. In: Die verlorene Augensprache, Anm. 2, S. 1 0 4 - 1 5 3 , hier S. 104.)
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Pierre Grappin ( D H A 1, S.988). Vgl. ferner Hermand ( D H A 6, S.612): »Ebensogut könnte man das Reich des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in Anlehnung an Hegels Dreischrittspekulationen als Etappenfolge der menschheitlichen Entwicklung deuten«. Vgl. Walter Kanowsky, Vernunft und Geschichte. Heinrich Heines Studium als Grundlegung seiner Welt- und Kunstanschauung, Bonn 1975, S. 195 u. 385 (»Hegel
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Dreifaltigkeit den dialektischen Prozeß des zu sich selbst kommenden Geistes erklärt. 8 ' Es wäre daher denkbar, daß Heine im zweiten Teil der >Bergidylle< eher auf Hegel als auf Joachim di Fiore anspielt,90 zumal er sich dort ohnehin auf Hegel bezieht' 1 und es, wie Sternberger bemerkt, im Unterschied zu Heines vielfach bezeugter Hegel-Rezeption bis heute »kein Zeugnis dafür [gibt], daß Heine eine unmittelbare Kenntnis« di Fiores und seiner »untergründigen religionsgeschichtlichen Überlieferung gehabt hätte«.92 Man muß jedoch sehen, daß Heine mit seiner Darstellung der religiösen Stufenfolge in einem für das Verständnis der >Bergidylle< aufschlußreichen Maße von Hegel abweicht. Um Heines originelle Konzeption deutlicher ins Profil zu heben, ist es notwendig, kurz auf Hegels Religionsphilosophie einzugehen. Für Hegel ist das »Reich des Vaters« die absolute Idee an und für sich, Gott in seiner Ewigkeit vor Erschaffung der Welt, das ewige In- und Beisichsein des Geistes. Dieses Absolute überhaupt denken zu können, setzt indes Unterschiedenes voraus. Der reine Geist setzt aus sich selbst heraus den Widerspruch durch die Unterscheidung, d.h. er entäußert sich in die Form der an Raum und Zeit gebundenen Natur. »Gott ist nur offenbar als sich besondernd - objectiv werdend [...] Die Natur des Geistes selbst ist es - sich zu manifestiren - sich ge-
las in diesem Semester Logik und Religionsphilosophie. Heines Interessen legen den Besuch der letzteren nahe; wie seine Kenntnisse ausweisen, hat er diese gehört«); Mende (Anm.46), S. 23; sowie Jean-Pierre Lefebvre, Der gute Trommler. Heines Beziehung zu Hegel. Hamburg 1986, S. 33Í.: »Die Vorlesung von 1821 war die erste, die Hegel der Religionsphilosophie widmete. Sie ist insofern der Ausgangspunkt der Polemik, die im folgenden Jahr mit Schleiermacher ausbrach und aufgrund derer Hegel [...] als >Pantheist< klassifiziert wurde. [...] Angesichts der polemischen und politischen Dimension des Themas und vor allem der Bedeutung, die in Heines gesamtem Werk der Identität von Pantheismus und Hegelschem Atheismus zugeschrieben wird, kann es als wahrscheinlich gelten, daß er zumindest einige der Kollegs über die Religionsphilosophie in diesem ersten Semester gehört hat.« 8?
Vgl. den dritten, >Die vollendete oder offenbare Religion< betitelten Teil im Vorlesungsmanuskript (Anm. 93), bes. S. 5 2 1 , 5 2 7 , 5 4 9 u. 665. Der religionsphilosophischen Vorlesung von 18 31 legt Hegel ein der christlichen Trinität analoges Einteilungsprinzip vom Reich des Vaters, des Sohnes und des Geistes zugrunde (vgl. Hegel, Werke, Anm. 83, Bd. 17, S. 2 1 3 - 2 1 8 ) . Zu Hegels dialektischer Interpretation der christlichen Dreifaltigkeit vgl. Jörg Splett: Die Trinitätslehre G . W . F . Hegels, Freiburg/München 1965, S. 55-72.
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Diese Vermutung äußert schon Jürgen Ferner (Versöhnung und Progression. Zum geschichtsphilosophischen Denken Heinrich Heines, Bielefeld 1994, S. 137), ohne den Parallelen dann aber weiter nachzugehen. Heine spielt mit der Formel »Ritter von dem heil'gen Geist« nicht nur auf jene »welthistorischen Individuen« an, die nach Hegel als »Geschäftsführer des Weltgeistes« in Erscheinung treten. Er greift auch, wie Stuart Atkins ( D H A 1, S. 989) gezeigt hat, in V. 93 (»Alte Todeswunden heilt er«) einen Satz aus Hegels Phänomenologie des Geistes< auf: »Der Geist ist der Meister, der jede Todeswunde wieder heilt«.
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Sternberger (Anm. 86), S. 80.
genständlich zu machen«. 93 Aus dieser Bestimmung ergibt sich nun eine »zweyte Sphäre für die Vorstellung [des Göttlichen]«, nämlich »die Schöpfung und Erhaltung der Welt«.' 4 Hegel faßt diese Sphäre der Erscheinung allerdings negativ als Abfall (»Diremtion«) der Idee von sich selbst und nennt sie deshalb » Andersseyn« und »Entfremdung«: 9 ' »So ist aber diß Unterscheiden als Selbstständigkeit nur das für sich negative - Moment des Andersseyns, Aussersichseyns - das als solches keine Wahrheit hat«?6 In der christlichen Religion korrespondiert dieser »Verendlichung« oder Selbstoffenbarung des Geistes die Gottessohnschaftjesu Christi. Deshalb nennt Hegel die »zweyte Sphäre« der Erscheinung analog zur christlichen Dreifaltigkeit »das Reich des Sohnes«: Der »Sohn« ist, religionsphilosophisch betrachtet, der sich dialektisch entäußernde Gott. Das dritte »Reich des Geistes« schließlich ist dasjenige der Versöhnung, durch welche der Geist das, was er in seinem Offenbarwerden von sich unterschieden hat, wieder mit sich vereint, die Form der Rückkehr in sich selbst. Hegel erkennt nun in der christlichen Religion die absolute Religion bzw. die Religion des absoluten Geistes, weil gerade der Lebens- und Leidensweg Christi, seine Geburt, seine Selbstoffenbarung als Gottessohn und seine Wiederauferstehung den »Prozeß des Sichunterscheidens, Dirimierens und [...] Insichzurücknehmens« 97 des Geistes figurativ verdeutlicht. Die Wiederauferstehung Christi ist eine sinnbildliche Darstellung des zu sich selbst zurückkehrenden, absoluten Geistes. Aus dieser dialektischen Betrachtung der christlichen Heilsbotschaft erklärt sich, warum Hegel gerade im »unendlichen Schmerz« des Gekreuzigten »die unendliche Liebe« walten sieht und im Moment des Todes die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur wiederhergestellt sieht. In dem schmachvollen Tode [...] in dieser Entrückung liegt es, daß der Mensch nur auf das Innere verwiesen, alle Herrlichkeit der Welt, verschwunden ist - die Vorstellung die den Einzelnen als die unendliche Wahrheit, göttliche Idee gegeben ist, ist die absolute Einheit [...] der göttlichen und menschlichen Natur, die unendliche Liehe, die nur
als der unendliche Schmerz ist, als der Tod alles Weltlichen, Unmittelbaren ist.9*
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Wir zitieren aus dem von Karl-Heinz Iking herausgegebenen Vorlesungsmanuskript (G.W.F. Hegel, Religionsphilosophie, Bd. i: Die Vorlesung von 1821, Napoli 1978), da es den Text, den Heine gehört haben könnte, am genauesten wiedergeben dürfte. »Es enthält einen in der Regel bis ins einzelne ausgearbeiteten Text, der offenbar dazu bestimmt war, unverändert mündlich vorgetragen zu werden« (Iking, S. XIV). Zitat: S.495. Ebd. S.545. Ebd. S. 547. Ebd. S. 549; meine Hervorhebung. Hegel, Werke (Anm. 83), Bd. 17, S. 214. Vorlesungsmanuskript (Anm.93) S.657; meine Hervorhebung. Hegel führt diesen Gedanken weiter aus und betont: »Es ist alle Unmittelbarkeit hinweg, in der der Mensch Werth hätte, es ist allein jene absolute Vermittlung, in der ihm solcher - aber ein unendlicher zukommt« (ebd. 8.659).
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Es liegt auf der Hand, daß Heines Vorstellung vom Reich des Heiligen Geistes der Hegels diametral entgegengesetzt ist. Hegel kommt es im Hinblick auf das Natürliche und Weltliche allein auf den dialektischen, das Zusichselbstkommen des Geistes ermöglichenden Prozeß und nicht auf das Weltliche als ein in seinem konkreten Dasein gerechtfertigtes Gut an. Nicht in seiner materiellen Qualität und natürlichen Seinsweise ist das Weltliche und Endliche für ihn göttlich, sondern als Offenbarwerden der Tat, als Beweis für den Akt der O f fenbarung. Das materielle Resultat dieses Aktes, die »fixirte endliche Bestimmtheit« als natürliche Lebenswelt des Menschen, bleibt an sich wertlos, weshalb Hegel sich von der Idee einer »verklärten, göttlichen Welt« 99 klar distanziert. Materie oder Welt aber sind [...] das Negative, das eben selbst nur das Moment des Gesetztseyns ist - und das Gegentheil des Selbständigen — und das eben in seinem Daseyn nur diß ist, sich aufzuheben, und >Moment des< Processes zu seyn - Die natürliche Welt [...] ist Erscheinung [...] diß ist ihre Qualität - eben überzugehen, sich in die letzte Idee zurükzunehmen.lao Mit dieser Qualitätsbestimmung des Weltlichen ist das Materielle zwar der Selbständigkeit und also auch dem Fluch des Bösen enthoben (Hegel bemerkt dies im Anschluß ausdrücklich), jedoch nicht in seinem Sosein rehabilitiert. Im Gegenteil hat es sich wie im Christentum im Hinblick auf das Absolute »in die Idee zurückzunehmen«. Anders als dort ist es zwar Teil des Absoluten - als aus sich selbst heraus gesetzter Widerspruch - doch erschöpft sich seine Funktion darin, das Wahre dialektisch zu vermitteln. Dieser prozessual zu bestimmende, das Irdische als Moment seiner Äußerung einbeziehende Geist hebt den christlichen Spiritualismus nicht auf, sondern überführt ihn lediglich in einen dialektischen Denkhorizont: Das Weltliche ist ein im Sinne des dialektischen Fortschreitens notwendiger, an sich selbst aber wertloser Durchgang zum absoluten Geist. Heine setzt sich mit seiner sensualistischen Ausdeutung des »heiligen Geistes« von der im Kern noch spiritualistischen Konstruktion Hegels ab. Er konzentriert sich ganz auf »das Reich des Sohnes«, das Moment der Besonderung als einer Selbstoffenbarung des Geistes, ohne die dialektische Negation dieser Besonderung zu berücksichtigen, die nach Hegel erst die Erfahrung des Absoluten konstituiert. Damit nimmt er Hegel die spiritualistische Zielperspektive, ja man kann sagen, daß er Hegel sensualistisch interpretiert und damit unhegelianisch. Es geht ihm darum, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur - Hegels Einheit »im Geiste«101 - ins Praktische zu wenden, sie im sinnli" Beide Zitate ebd. S.497. Ebd. S.553 101 »Diese Einheit«, betont Hegel, »ist somit schlechthin nicht ein sinnlicher, weltlicher Zusammenhang / nicht ein Zusammenhang noch gültiger, übrigbleibende Besonderheit, Natürlichkeit - sondern Einheit schlechthin IM GEISTE« (ebd. S. 66}). 100
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chen Genuß der materiellen Lebenswelt zu konkretisieren. Als Ritter vom heiligen Geist löst der Dichter mit dem »rechten Wort« die verwünschte Schloßgesellschaft aus dem bösen Zauberbann der spiritualistischen Erstarrung und leitet, im farbenfrohen Fest deutlich erkennbar, ein Zeitalter der sinnlichen Lust und Lebensfreude ein. Jubel, Tanz und Herrlichkeit der erlösten Festgesellschaft bringen die neugewonnene, vom »dunklen Hirngespinst« des Christentums befreite Sinnlichkeit klar zum Ausdruck. Unabhängig davon, ob man der >Bergidylle< nun eher das joachitische oder hegelianische Trinitätsschema unterlegt, bleibt festzuhalten, daß Heine im Unterschied zu den heilsgeschichtlichen und dialektischen Konstruktionen, die das Christentum bestätigen, indem sie sein universales Reich ankündigen (di Fiore) oder seinen Geist philosophisch für »vollendet« erklären (Hegel), eine heilsgeschichtliche Perspektive eröffnet, derzufolge das Christentum überwunden wird. Die Botschaft des Ritters besteht ja gerade darin, daß die Herrschaft des Christentums beendet und das durch seine Leibfeindlichkeit verursachte Leid für immer ausgelitten sein wird. Auf diese sensualistische Kontrafaktur eschatologischer Visionen und Konstruktionen kommt es hier an, nicht so sehr auf die eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Modell. Es macht freilich die religionskritische Pointe der >Bergidylle< aus, daß der Ritter dieses Evangelium im Namen des Heiligen Geistes verkündet. Sie ist jedoch weit mehr als nur eine ironische Zugabe, zeigt sie doch, daß selbst der säkularisierende Geist der Aufklärung ein Gefühl für das Heilige zuläßt, sofern es sich ganz auf das Weltliche richtet. Das Zeitalter des Heiligen Geists, das sich im prunkvollen Ball des dritten Teils stofflich konkretisiert, deutet jedenfalls auf eine weltlichsensualistische und nicht mehr auf eine christliche Gesellschaftsutopie. Der dritte Teil der >BergidylleBergidylle< hat vor allem die Funktion, den in V. 97-100 angedeuteten sensualistischen Aspekt der Revolution stofflich zu konkretisieren. Zu diesem Zweck greift Heine auf die prunkvollen Requisiten der höfischen Welt zurück - ein früher kritischer Reflex auf den asketischen Egalitarismus jener neopuritanischen politischen Gruppierungen, die ihr Revolutionsprojekt »auf Kosten der letzten Schönheit« (11,129) betreiben und statt »Purpurmäntel[n]« nur »einfache Trachten«, statt »Ambrosia, [...] Wollust und Pracht« nur »ungewürzte Genüsse« (8,61) zulassen. Mit der paradoxen Verklammerung von politischer Revolution und höfischer Tradition weist Heine diese Tendenz zurück und macht deutlich, wie er sich die bessere Gesellschaft der Zukunft vorstellt: als ein glanzvolles, »adliges Geschlecht«106 und nicht als
105 ,oé
Hermand, D H A 6, S.612. Man beachte in diesem Zusammenhang auch den Vers »Diese Hütte ward zum Schloß« (V. 198), der das berühmte Revolutions-Wort Chamforts (»Friede den Hütten, Krieg den Palästen«) dahingehend abwandelt, daß nicht das luxuriöse Leben des
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häßliche Gesellschaft im »aschgrauen Gleichheitskostüm« (11,129). Nicht zufällig hat Heine das Dichterschicksal wiederholt mit dem Schicksal der Könige verknüpft, 1 0 7 um darauf aufmerksam zu machen, daß der puritanische Egalitarismus mit dem Privileg der Geburt auch Schönheit und Luxus zu vernichten droht. In seinem Shakespeare-Essay von 1839 analysiert er diesen Zusammenhang am Beispiel Englands 108 und verurteilt ausdrücklich die »nivellierende« Ideologie jener Revolutionäre, »die mit dem Königthum so auch aller Lebenslust, aller Poesie und aller heitern Kunst ein Ende« bereiten (10,10). Heines wiederholtes Bekenntnis zur »Herrlichkeit des Königthums« (12,39) wird auf diesem Hintergrund als ein Bekenntnis zur »Lebensfreude« und zu den Prinzipien des Sensualismus - Schönheit, Freude, Genuß und Glanz - lesbar. 109 Kein Text macht dies deutlicher als die Shakespeare-Schrift, in dem sich das monarchische Prinzip durch »überschwengliche Leidenschaft«, »farbenreiche Lust«, »schönen Rausch« und »Poesie« auszeichnet (10,9f.). Heine trauert hier um das »merry England«, wie es war, bevor »jene nivellierende Puritanerzeit« ihren »öden Trübsinn« über das ganze Land »wie eine graue Nebeldecke« auszubreiten begann (10,10): »All diese farbenreiche Lust ist seitdem erblichen, verschollen sind die freudigen Trompetenklänge, erloschen ist der schöne Rausch ...« (ebd.). Es sind just diese Elemente, bis hin zu den »Trompetenklängen«, die die sensualistische Erneuerungsutopie der >Bergidylle< kennzeichnen, ja man könnte meinen, es solle dort ein vorrevolutionärer Zustand wiederhergestellt werden, stünde dem nicht eben jener Satz von den »gleichgeborenen« Menschen entgegen. Wenn Heine nach den revolutionären Verlautbarungen des zweiten Teils in die feudale Welt des Mittelalters zurückfällt, so um sich auch von den politisch-säkularen Formen des Spiritualismus zu distanzieren und hier schon - gegen den »ascetischen Glaubenseifer« (10,12) jener Revolutionäre anzutreten, die im Namen der Gleichheit erneut nur Verzicht und Demut verlangen. Die >Bergidylle< verfolgt damit eine Doppelstrategie, denn sie richtet sich sowohl gegen den christlichen wie gegen den politischen Spiritualismus, gegen den asketischen Geist in seiner religiösen und säkularen Gestalt. Daraus ergibt sich die konzeptionelle Spannung zwischen dem zweiten und dritten Teil der >BergidylleSensualismus als politische PositionBergidylle< findet also keine »Zurücknahme«," 4 sondern vielmehr eine konsequente Entwicklung und bildhafte Ausgestaltung der politischen Vision statt. Auch Winkler verkennt die politische Dimension des märchenhaften Erlösungszaubers, wenn er in bezug auf den zweiten und dritten Gedichtteil von »heterogenen Zeichenreihen« spricht und behauptet, »für die revolutionäre philosophische Rede von den Menschen- und Bürgerrechten« sei »in dem märchenhaften Bild kein P l a t z « . " 5 » A m Ende der Berg-Idylle«, fährt er fort, »siegt das Märchen über die Moderne, die Idylle über die Utopie, die Magie über den revolutionären historischen W a n d e l « . " 6 Wie Altenhofer verkennt Winkler, daß das Märchen die Utopie nicht verdrängt oder zurücknimmt, sondern diese in jenem aufgeht: Die Utopie vom »revolutionären historischen Wandel« wird im Medium der magisch-idyllischen Märchenerzählung ausphantasiert und damit in poetisch-symbolischer Weise vergegenwärtigt. Die These von einer »Zurücknahme« des Politischen in der >Bergidylle< wird aber auch dann brüchig, wenn man einmal genauer nach der Funktion mythischer Stoffe in Heines Texten fragt. Markus Winkler hat in einer Studie 1IO
1,2
113
114
"5
1,6
Leistner (Anm. 9), S. Altenhofer (Anm. 2), S.44. Markus Winkler, Mythisches Denken zwischen Romantik und Realismus. Zur Erfahrung kultureller Fremdheit im Werk Heinrich Heines, Tübingen 1995, S. 1 1 7 . Zit. n. Winkler (Anm. 112), S. 1 1 7 . In Heines Fall führt diese »Retrospektion« keineswegs zu einem »Dilemma«, da sie einer progressiven Zielvorstellung verpflichtet ist. Altenhofer (Anm. 2), S.46. Winkler ( A n m . i i 2 ) , S . 1 1 7 . Ebd.
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zur >HarzreiseHarzreiseBergidylle< bildlich vorweggenommen.
zur Zither sang. Dieses alte Lied enthielt eine aus christlicher Sicht formulierte Absage an den heidnischen Volksglauben: >Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen, Vor der bösen Geister Macht; Tag und Nacht, du liebes Kindchen, Halten Englein bei dir Wacht!«121 Im zweiten Teil wird der christliche Geist dieses Liedes indes schon als »das dunkle Hirngespinst« entlarvt, »Das uns Lieb' und Lust verleidet, / Tag und Nacht uns angegrinst« (V. 99Í.)· Durch die bloße Wiederaufnahme einer scheinbar beiläufigen Formulierung (»Tag und Nacht«) entsteht eine kritische Relation zwischen dem »alten« Lied des Christentums und dem revolutionären Bekenntnis zum »Heiligen Geist«. Dessen neues Lied erklingt, wiederum umrahmt von der Zither, im dritten Teil des Gedichts: »Und die Zitter, hörbar kaum, fängt von selber an zu klingen, / U n d ich sitze wie im Traum.« (V. 1 6 6 168) Was hier ertönt, ist nicht die christliche Weise des Bergmanns, sondern die heidnische Weise, die die »Lust« im Medium des Volksglaubens rehabilitiert. Statt wie vorher die »bösen Geister« zu vertreiben, begleitet nun der Zitherklang die Lieder der heidnischen Zwerge: Zitterklang und Zwergenlieder Tönen aus des Berges Spalt, Und es sprießt, wie'n toller Frühling, Draus hervor ein Blumenwald. (V. 177-180) Der dreigliedrigen Komposition des Gedichts entspricht so eine dreistufige Motiventfaltung. Sie zeigt, wie kunstvoll Heine den Ubergang vom spiritualistischen zum sensualistischen Lied in dieser »ganz neuen Sorte Verse« 1 2 2 gestaltet. Von hier aus läßt sich zur Frage nach der Zielperspektive der >Harzreise< zurückkehren. Wie eingangs betont, stellt die >Bergidylle< insofern den Zielpunkt dieser intellektuellen Reise dar, als in ihr der zuvor thematisierte Konflikt zwischen Romantik, Aufklärung und Religion glücklich gelöst werden kann. Erst im utopischen Entwurf der >Bergidylle< gelingt es, die jeweils positiven Aspekte dieser drei Welthaltungen zu kombinieren. Alle f ü r Heines SensualismusKonzept maßgeblichen Zielvorstellungen sind darin enthalten, die aufklärerische Konzentration auf die diesseitige Welt des Sinnlichen ebenso wie deren romantisch-märchenhafte Verzauberung und religiöse Heiligung. Die >Bergidylle< markiert somit eine Position, die die in der ersten Hälfte der >Harzreise< diskutierten Sinn- und Lebensentwürfe in sich vereint und im Horizont einer sensualistischen Utopie aufeinander abstimmt. 1 2 3 121
V. 44-48; meine Hervorhebung. »Die Verse in meiner Harzreise sind eine ganz neue Sorte und wunderschön« 2 (XX,197)· I2 ' Diese neugewonnene Position teilt sich nirgendwo deutlicher mit als in der politisch122
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Die integrative Funktion der >Bergidylle< erweist sich schließlich an einer Reihe von Bildern und Motiven, deren polare Struktur in erster Linie dazu dient, die Harmonie der Gegensätze vorzuführen. Es beginnt mit der schon erwähnten Lokalisierung des Geschehens: »Auf dem Berge steht die Hütte, / Wo der alte Bergmann wohnt« (V. if.). Die der räumlichen Opposition (oben - unten) eingeschriebene Spannung zwischen aufklärerischer und romantischer Weltwahrnehmung, wie sie der Bergwerksepisode zugrundelag, wird hier durch die Lokalisierung des unter Tage arbeitenden Bergmanns auf dem Berg im Sinne einer harmonischen Integration, einer romantischen Aufklärung, von vornherein entschärft. Dasselbe gilt für die vormals so zentrale, leitmotivisch durchgehaltene Opposition von hell und dunkel, Tag und Nacht, die ihrerseits auf den Gegensatz von Romantik und Aufklärung bezogen war. Unter den »Märchenbildern« der >Bergidylle< gibt es das vielsagende Bild nächtlicher Sterne, die eine dem Sonnenlicht vergleichbare »Stralenfluth« ausströmen und so das Licht in die Nacht bzw. den Geist der Aufklärung in die Sphäre der Romantik zurückholen: Und die Sterne, groß wie Sonnen, Schau'n herab mit Sehnsuchtgluth; In der Liljen Riesenkelche Strömet ihre Stralenfluth. (V. 189-192)
So werden nach den räumlichen Gegensätzen auch Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit ineinander verschränkt, um die gelungene Vermittlung der scheinbar gegensätzlichen Positionen zu bezeugen. Drittens begegnet man in der >Bergidylle< auch dem Motiv der religiösen Erotik aus der Goslar-Episode wieder. War dort der metaphysische Gedanke der Unsterblichkeit an das physische Erleben der Lust gekoppelt und damit bereits eine Vermittlung der Gegensätze unternommen worden, so weist die Blumenmetaphorik des dritten Teils (V. 18 iff.) ihrerseits auf eine solche Vermittlung hin, indem sie die wilden Rosen der sinnlichen Leidenschaft mit den himmelwärtsstrebenden Liljen zu einem Strauß zusammenbindet: Rosen, wild wie rothe Flammen; Spriih'n aus dem Gewühl hervor; Liljen, wie kristallne Pfeiler, Schießen himmelhoch empor. (V. 1 8 5 - 1 8 8 )
poetologischen Formel »Ritter vom heiligen Geist«, da in ihr sowohl das kämpferische wie das romantische Moment, das aufklärerische wie das religiöse Moment anklingen. Daß Heine diese Formel identifikatorisch auf sich bezieht, wird aus einem Brief vom 20. August 1827 an Merckel deutlich, worin er erklärt, er wolle es trotz finanzieller Sorgen »nicht wie Walter Scott machen und ein schlechtes Buch, aber lukratives, schreiben. Ich bin der Ritter vom heiligen Geist« (XX,296). 88
Die Sphäre des Irdisch-Sinnlichen (Rosen) und Himmlisch-Übersinnlichen (Liljen) findet sich hier wie in der Goslarer Reflexion über die erotisch bedingte »Unsterblichkeit« zu einer inneren Einheit verbunden. 1 2 4 Mit diesem Befund der allseitigen Vermittlung läßt sich der zunächst so unorganisiert wirkende Aufbau der >Harzreise< rückblickend klarer bestimmen: Hatte sich schon bald gezeigt, daß das Spannungsverhältnis von Aufklärung und Romantik, Vernunft und Gemüt das eigentliche Erzählthema dieser Reise bildet, so wird aus der Analyse der >Bergidylle< deutlich, daß dieses Spannungsverhältnis nunmehr überwunden, d.h. jener Konvergenz- und Zielpunkt erreicht ist, auf den der Wanderer nach eigenem Bekunden ausgegangen war. Wenn dieser nun seine Reise nach dem zentrierenden Gipfelerlebnis der >Bergidylle< fortsetzt, bedeutet dies nicht, daß er den dort begründeten Standpunkt wieder verläßt. Die umfassende Synthese-Konzeption der >Bergidylle< liegt auch den folgenden Reisestationen und -reflexionen folienartig zugrunde, und gerade die weiteren Verseinlagen zeigen, daß die Reise auch im folgenden auf das in der >Bergidylle< entworfene Ideal hin ausgerichtet bleibt. Wie befreiend dessen poetische Antizipation für den Wanderer war, wird noch aus der heiteren Stimmung deutlich, in der er am nächsten Tag in Richtung Brocken aufbricht. Nicht nur, daß die Sonne, nachdem sie die christlich-spiritualistischen »Nebel« vertrieben hat, die weltlichen »Schönheiten« beleuchten und so den Blick erneut auf das Diesseitige lenken kann, in der Kommunikation mit den »rauschenden Tannen« stellt sich für den Wanderer nun auch der verlorene Einklang zwischen Subjekt und Natur wieder her, jene ursprüngliche Harmonie, die der kleine Junge bei Lerbach ihm schmerzlich in Erinnerung gerufen hatte. Durch die vorausgehende Nacht scheint somit eine idyllische Wende vollzogen: Der Geist des Gebirges [...] ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht Jeder sah. Aber auch mich sah der Harz, wie mich nur Wenige gesehen; in meinen Augenwimpern flimmerten eben so kostbare Perlen, wie in den Gräsern des Thals. Morgenthau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauschenden Tannen verstanden mich, ihre Zweige [...] bewegten sich herauf und herab, gleich stummen Menschen, die ihre Freude bezeigen [...]. (6,113)
Die Uberwindung entfremdender Lebensbedingungen, der sich diese idyllische Eintracht verdankt, gelingt aber nicht etwa, weil der Wanderer, auf seine rationalen Fähigkeiten verzichtend, regressiv in ein kindliches, vorreflexives Stadium der Kindheit zurückflieht. Sie gelingt vielmehr gerade dadurch, daß alle philosophischen und intellektuellen Kräfte - das lyrische Ich betont ja ausdrück-
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Freilich ist diese Beziehung von Geistigem und Sinnlichem schon im Portrait des Mädchens erkennbar: »Aeuglein wie zwey blaue Sterne, / Mündlein wie die Purpurros'. // Und die lieben, blauen Sterne / Schau'n mich an so himmelgroß, / Und sie legt den Liljenfinger / Schalkhaft auf die Purpurros'« (V. 1 1 - 1 6 ) . 89
lieh seine gedankliche Reifung vom naiven Kind zum aufgeklärten »Ritter« dazu eingesetzt werden, das entfremdende, emanzipationswidrige »Gespenst« des Christentums und die Macht des Ancien Régime zu überwinden. Dies erinnert an den progressiven Idealismus eines Schiller oder Kleist, demzufolge die ideale Versöhnung des Menschen mit sich selbst, seiner natürlichen und sozialen Umwelt nicht auf dem Rückweg in einen vergangenen Zustand, sondern nur als Fortschritt in der Weiterentwicklung aller intellektuellen und zivilisatorischen Kräfte möglich ist. Die >Bergidylle< steht in einer auffälligen Nähe zu Schillers Idyllenkonzeption, was allerdings durch eine meist ironische Lesart des Idyllischen12® bisher kaum wahrgenommen wurde. Der Idyllendichter, so Schiller in seinem Essay >Uber naive und sentimentalische DichtungBergidylleBergidylle< nun gleichwohl auf die traditionellen Topoi der Hirtenidylle zurückgreift und gar mit einem Beispiel bukolischer Dichtung aufwartet (»König ist der Hirtenknabe«), so zum einen, um die alte, gattungsspezifische Vorstellung vom Goldenen Zeitalter auf die moderne Wunschprojektion der vorangehenden Idylle hin transparent zu machen, zum anderen aber, um im Horizont vorchristlicher Arkadienträume den spezifisch heidnischen Charakter seiner Erlösungs- und Befreiungsphantasie zu unterstreichen. Im Gegensatz zu späteren Heine-Texten, die den Rückzug, das Exil und den Untergang der griechischen Götter nach der christlichen Zeitenwende beschreiben, erklingt nun, nach der Vertreibung der christlichen »Nebel«, das heidnische »Glockengeläute einer verlornen Waldkirche« (6,113), und zwar Heine verfährt konsequent in seiner Lichtsymbolik - just im Moment des ,2! 126
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Vgl. dazu den Forschungsbericht von Diekkämper (Anm. 78) S. 120-130. Friedrich Schiller, Werke in drei Bänden, unter Mitwirkung von Gerhard Fricke hg. von H.G. Göpfert, München 1966, Bd. 2, S. 583; meine Kursivierungen.
höchsten Sonnenstands, der die Stunde des Pan markiert. Pan ist nicht nur der alte arkadische Hirtengott, Beschützer des Weidelands und des Friedens, er gilt in seiner halbtierischen Gestalt - in der >Stadt Lukka< nennt Heine ihn den »bocksfüßigen Pan« (7,205) - auch als ausgesprochen liebestoll und steht für eine sexuelle, von keiner moralischen Scham behinderte Lüsternheit. Es ist daher kein Zufall, daß Heine gerade ihn bis zuletzt in seinem Werk als mythologische Figuration des Sensualismus gegen den christlichen Spiritualismus eingesetzt hat. Im Börne-Buch, das noch einmal eindringlich die Vertreibung der griechischen Götter durch das Christentum schildert, wird der »lüsterne« Pan nach der Sage Plutarchs denn auch als derjenige unter den Göttern erwähnt, der als erster dahinstirbt: Welch ein Heilquell für alle Leidende war das Blut welches auf Golgatha flöß! ... Die weißen marmornen Griechengötter wurden bespritzt von diesem Blute, und erkrankten vor innerem Grauen, und konnten nimmermehr genesen! [...] Zuerst starb Pan.
(">43) Und noch in Heines letztem Gedicht (»Es träumte mir von einer Sommernacht«), in dem sich der kranke Dichter als Verstorbener sieht, auf dessen Sarkophag mythologische Relieffiguren über den Tod hinaus den schon das ganze Leben beherrschenden Kampf zwischen Sensualismus und Spiritualismus fortsetzen, steht Pan für die heidnisch-sinnliche Seite: Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn? Und disputiren diese Marmorschemen? Der Schreckensruf des grimmen Waldgotts Pan Wetteifert wild mit Mosis Anathemen. (3,396)
Der » Waldgott« ist es denn auch, auf dessen Wiederauferstehung zur Mittagsstunde das »Glockengeläute« jener »verlornen Waldkirche« hinweisen will. Wenn das Christentum den heidnisch-lüsternen Pan zuerst vernichtet (»Zuerst starb Pan«; 11,43), s o ' s t e s ¡ m Blick auf die >Harzreise< nur konsequent, daß Pan nach der Uberwindung des Christentums zuerst wiederaufersteht. So gesehen chiffriert die arkadische Schäferwelt, in die der Erzähler nach dem »idyllischen« Erlösungszauber der Nacht weiterwandernd hineingerät, die Wiederkehr eines heidnischen, in der christlichen Epoche fast schon »verlornen« Sensualismus. Die christliche Kirche wird von einer heidnischen abgelöst, deren Glocken schon wie von fern (»und in der Ferne klang's wunderbar geheimnißvoll, wie Glockengeläute einer verlornen Waldkirche«; 6 , 1 1 3 ) das neue Zeitalter einläuten. Eine weitere Funktion der Hirtenidylle erhellt schließlich daraus, daß sich von der Figur des liebestollen, bocksfüßigen und gehörnten Pan die mittelalterlichen Teufelsdarstellungen herleiten, die das Sinnliche in den Bereich des Bösen und Monströsen abdrängen. Der zur Sphäre des heidnisch-antiken Pan gehörende Hirtenjunge erhält daher nicht von ungefähr die Aufgabe, den Blick
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des Wanderers auf den Brocken und die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Bereich der christlich diabolisierten Walpurgisnacht zu lenken: Nach dem Stand der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche Heerde stieß, und der Hirt, ein freundlich blonder junger Mensch, sagte mir: der große Berg, an dessen Fuß ich stände, sey der alte, weltberühmte Brocken. (6,113)
Insgesamt also läßt sich die Fortsetzung der Reise nach der >BergidylleBergidylle< an, als es in den beiden ausklingenden Strophen gleichfalls ein erotisch erfülltes »Reich« des Diesseitigen beschwört: >In den Armen meiner Kön'ginn Ruht mein Königshaupt so weich, Und in ihren lieben Augen Liegt mein unermeßlich Reich!« (6,114)
Die poetische Rangerhöhung des Hirten zum König stellt einen weiteren Rückbezug zur >Bergidylle< her, dessen lyrisches Ich ja ebenfalls zum König avanciert und sich als »junge Herrlichkeit« von der Schloßgesellschaft »huldigen« läßt. Schließlich haben beide Gedichte eine politische Dimension. Daß das »Zeitlos-Idyllische«, wie Hermand betont, bei Heine »immer wieder ins Politisch-Konkrete« hinüberführt, 127 wird im Hirtenlied durch die Satire auf das niederträchtige Höflingswesen der »Schmeichler« und »Cavaliere« deutlich, wie ja überhaupt die schläfrige Idylle als eine Verhöhnung der politischen Narkose in Deutschland gelesen werden kann. Wenn nun die kritische Funktion des Gedichts dessen arkadische Ruhe relativiert, heißt dies nicht, daß damit auch der ihrem Bereich zugeordnete Hirtengott Pan desavouiert würde. Vielmehr kommt hier eine andere Dimension des bocksfüßigen Gottes zur Geltung - das Satirische. Abweichend von der antiken Überlieferung 128 erfindet Heine in der Nachschrift zur >Stadt Lukka< die Genealogie einer mythischen Gestalt
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D H A 6, S.613. Überliefert ist zwar, daß Satyrn zur Hirtenflöte des Pan getanzt haben. Auch läßt sich, wie die antike Orthographie »satyra« belegt, eine »Herleitung« der Satire »aus dem griechischen Satyrspiel« (Der kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden, hg. von K. Ziegler, München 1975, Bd.4, S. τ 568) feststellen. Noch die ältere deutsche Schreibung »Satyre« (etwa bei Friedrich Schlegel) folgt dieser Auffassung. Eine zur mythologischen Figur gewordene Muse der Satire als Tochter des Pan findet man aber nur bei Heine.
namens »Satyra«, 1 2 9 die er als Muse seines satirischen Z o r n s anruft. Sie ist die Tochter der göttlichen Gerechtigkeit (Themis) und des sinnlichen Pan, dessen Flöte sich in ein Instrument vernichtender Kritik verwandelt: Klingende Flammenströme des Gesanges sollen sich ergießen von der Höhe der Freyheitslust [...]! Und du, holde Satyra, Tochter der gerechten Themis und des bocksfüßigen Pan, leih mir deine Hülfe [...]. Leih mir das Schwert deiner Mutter, damit ich sie richte, die verhaßte Brut, und gieb mir die Pickelflöte deines Vaters, damit ich sie zu Tode pfeife - Schon hören sie das tödtliche Pfeifen, und es ergreift sie der panische Schrecken [...]. (7,205) So entsteht im Zeichen des - in seinem mythologischen Bedeutungsspektrum insgesamt erweiterten - Hirtengotts Pan eine enge Verbindung zwischen idyllischem Liebesglück und satirischer Schelte, ein Zusammenhang, der noch in anderer Hinsicht für die Struktur des Textes von Bedeutung ist. Denn auch die beiden Bergesgipfel der >HarzreiseHarzreise< - und zwar nicht erst für das >Buch der Lieder< - der Gattung Idylle zuzuordn e n . ' 3 ' Traditionelle Idyllentopoi wie im darauffolgenden Hirtengedicht sind darin nicht zu finden, sieht man einmal von jener sehr allgemeinen Bestimmung ab, wonach die Idylle »jede Dichtung« bezeichnet, »die in räumlich-statischer Schilderung unschuldsvolle, selbstgenügsam-beschauliche Geborgenheit darstellt«.' 32 Doch selbst diese, für eine Gattungsdefinition kaum hinreichende Charakterisierung ließe sich, wenn überhaupt, nur auf den ersten Teil der G e dichttrilogie anwenden, wird doch der friedlich umgrenzte Bereich der frommen Hütte in der utopischen Befreiungsvision des dritten Teils regelrecht aufgesprengt und in eine alles andere als »selbstgenügsam-beschauliche« Welt überführt, die sich durch eine »hastig regsame« (V. 183), leidenschaftliche D y namik auszeichnet und deren »tolles« Wesen (V. 179) mit einem »Erbeben« (V. 1 7 4 ) anhebt. Offenbar ist hier ein anderes Idyllenverständnis zugrundegelegt, auf das auch Birgit Diekkämper in ihrer Studie über Form und Funktion der Idylle in Heines >Harzreise< 133 nicht näher eingeht. Gemeint ist die Idyllendefinition Schillers.
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Heine bezeichnet das Gedicht schon am 8. Oktober 1825, also noch vor dem Erstdruck der >HarzreiseBergidylle< läßt Heine dann die elegisch vermißte Schönheit der mittelalterlichen Welt unter anderen politischen Vorzeichen als revolutionäres Ereignis Wiederaufleben.
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gehalten, rückt doch die Satire die schlechte Wirklichkeit stets vor dem Hintergrund des vermißten Ideals vor Augen. »In der Satire«, so Schiller, »wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt«.137 Die Satire verhält sich also nicht widersprüchlich, sondern spiegelbildlich zur Idylle. Sie steht zu ihr in einem komplementären Verhältnis. Erst wenn man dieses komplementäre Verhältnis des Satirischen zum Idyllischen sieht, wird man auch erkennen, daß zwischen der >Bergidylle< und der Brokkensatire, zwischen den beiden »Höhepunkten« der >Harzreise< also, ein innerer Zusammenhang und nicht etwa ein nur durch das Gerüst der Reisechronologie gewährleisteter Zusammenhang besteht. Den genius loa des Brocken einbeziehend, läßt Heine seine DeutschlandSatire im Zeichen einer furchterregenden Walpurgisnacht aufgehen. Erst später, im Epilog der >HarzreiseFaust IAuerbachs Keller in Leipzig< und der >Walpurgisnacht^'3? Die Nähe des Brocken-Gelages zu Goethes >Auerbachs Keller< wurde von der Forschung bisher übersehen, obgleich zwischen beiden Szenen offenkundige Parallelen bestehen: In beiden Fällen handelt es sich um ein studentisches Trinkgelage,140 138
Es ist von daher nur konsequent, wenn der Wanderer in dieser Nacht - wieder eine versteckte Anspielung auf den Walpurgischarakter der Brockenepisode - von der »Hölle« träumt: »[...] ich hatte sehr schlecht geschlafen. Wüste, beängstigende Phantasiegebilde. Ein Ciavierauszug aus Dantes >HölleHegels Berliner Vorlesungen« ( S . 3 i f f . ) und K a p . 2 . 3 : >Die ersten Hegelianer* (S. 6 i f f . ) .
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vollen Leben. Vergleicht man die genannten Briefe mit dem dritten Kapitel des >Le G r a n d s so fällt auch hier eine genaue Umkehrung der Perspektive auf. »In vielen Zügen erkannte ich Göthe, dem das Leben, die Verschönerung und E r haltung desselben [...] das Höchste ist«, schreibt Heine 1825 noch ganz im Ton der Verachtung. »Da fühlte ich erst ganz klar den Contrast dieser Natur mit der meinigen, die das Leben im Grunde gringschätzt und es trotzig hingeben möchte für die Idee« (XX,200). Von dieser idealistischen Grundhaltung ist im >Buch Le Grand< nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil verteidigt Heine nun den unmittelbaren Wert des Lebens gegen alle Ansprüche, es einer höheren Idee zu opfern, indem er schon am Anfang erklärt: »ich lebe, und das ist die Hauptsache« (6,175). Deutlicher noch zeigt sich sein Gesinnungswandel an der polemischen Umformung der Schlußverse aus Schillers >Braut von MessinaIdeenIdeen< gleich drei Mal seine Sympathie für Goethe bekundet, zunächst, indem er anerkennend Egmonts »Liebe zum Leben« erwähnt; zweitens, indem er in Kap. X I Goethes >Faust< als Beispiel für jene von ihm selbst favorisierte Ästhetik erwähnt, die das »Pathetische« mit dem »Komischen« verbindet; drittens schließlich, indem er Goethe gegen die »Traktätchenverfasser« (6,206) in Schutz nimmt, die wie der westfälische Pfarrer Pustkuchen aus religiösen Gründen gegen ihn polemisiert hatten. Als »ketzerischer« Autor, für den »der Himmel doch so gut wie vernagelt ist« (ebd.), erklärt er hier indirekt seine Solidarität mit Goethe.
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Daß das Leben ein höchster, über allen ideellen Gütern anzusiedelnder Wert sei, wird schließlich durch eine Weisheit des jüdischen Königs Salomon bestätigt, die Heine ganz zuletzt, also noch nach den Worten Achills an Odysseus zitiert, weil sie gleichsam den Höhepunkt der unbedingten Kompromißbereitschaft für das Leben markiert. Während Achill lieber ein einfacher Tagelöhner wäre als in der Unterwelt die Schar der Toten zu beherrschen, ginge Salomon sogar so weit, seine menschliche Würde auf die Stufe eines Tieres zu erniedrigen, um sein Leben zu erhalten. Auf die an ihn ergehende Duellforderung (»Wenn Sie sich nicht stellen, Herr Löwe, so sind Sie ein Hund«) läßt Heine »den großen Israel Löwe« mit Salomo antworten: »Ich will lieber ein lebendiger Hund seyn, als ein todter Löwe!« (6,176).57 Heine hätte seine antiidealistische Verteidigung der physischen Existenz kaum provokativer zuspitzen können. Was er an Goethe einst tadelnswert fand, daß ihm »das Leben« bzw. »die Erhaltung des Lebens das Höchste sei«, das gilt ihm nun selbst als klug und richtig.'8 Wie erklärt sich dieser radikale Wandel in Heines Denken? Zunächst ist festzustellen, daß sich das sensualistische Lebenspathos in Kap. III als Reaktion auf die romantische Seelenliebe einstellt, in die sich der Erzähler bis zur Gefahr des Selbstmords verstrickt hatte. Damit gehört das Kapitel ganz allgemein in die Reihe jener literarischen Versuche Heines, sich aus dem sentimentalischen Werther-Syndrom seiner unglücklichen Liebe zu Amalie herauszuschreiben. Doch darf man den emphatischen Sensualismus im dritten Kapitel des >Le Grand< keineswegs auf den Horizont der Liebestragödie einengen. Denn die Einsicht, daß das Leben zu genießen und als höchster Wert anzuerkennen sei, resultiert hier nicht nur aus der Absage an das Werther-Modell, sondern mehr noch aus einer geschichtsphilosophischen Reflexion, die in pessimistischer Weise die ganze Welt- und Menschheitsgeschichte auf ein absurdes »Nichts« zulaufen sieht. »O Weiber! haßt mich, verlacht mich, bekorbt mich! aber laßt mich leben!« (6,175), nimmt der Erzähler seinen Gedanken zunächst noch im Kontext der Liebesgeschichte auf, um dann jedoch sogleich in den universaleren historischen Kontext überzuwechseln: Das Leben ist gar zu spaßhaft süß; und die Welt ist so lieblich verworren; sie ist der Traum eines weinberauschten Gottes, der sich aus der zechenden Götterversammlung à la française fortgeschlichen hat, und auf einem einsamen Stern sich schlafen gelegt, und selbst nicht weiß, daß er alles das auch erschafft, was er träumt - und die Traumgebilde gestalten sich oft buntscheckig toll, oft auch harmonisch vernünftig - die Ilias, Plato, die Schlacht bey Marathon, Moses, die medizäische Venus, der straßburger
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Vgl. Prediger Salomo 9,4: »Denn wer noch bei den Lebendigen weilt, der hat H o f f nung; denn ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe.« Im Gegensatz zu Hermand (Anm.40, S. 107), der Heines briefliche Aussagen von 1825 als Beleg für die Kontinuität seines Denkens heranziehen möchte, kann man an ihnen gerade zeigen, daß in den >Ideen< ein entscheidender Perspektivenwechsel stattgefunden hat.
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Münster, die französische Revoluzion, Hegel, die Dampfschiffe u.s.w. sind einzelne gute Gedanken in diesem schaffenden Gottestraum — aber es wird nicht lange dauern, und der Gott erwacht, und reibt sich die verschlafenen Augen, und lächelt - und unsre Welt ist zerronnen in Nichts, ja sie hat nie existirt. (6,175)
Der gleitende Ubergang vom Privaten ins Historische bestätigt nicht nur den schon oben an verschiedenen Motivbeziehungen aufgezeigten Zusammenhang zwischen Liebes- und Weltgeschichte, er stellt die Hinwendung zum »Leben« auch in einen weiteren Begründungszusammenhang: Die Rückbesinnung auf das konkrete Leben als höchstes Gut wird dort um so dringlicher, wo teleologische Denkmodelle und eschatologische Perspektiven grundsätzlich in Zweifel geraten. Das gilt sowohl für die jenseitsorientierte Heilserwartung der christlichen Religion wie für die idealistische Geschichtsphilosophie Hegels. Beide Modelle, das christliche Heilsmodell ebenso wie das Hegeische Geschichtsmodell, werden aus der nihilistischen Perspektive des Gottestraums vollends entwertet. Nicht nur weicht die heidnische Phantasie von einem weinberauschten Gott, »der sich aus der zechenden Götterversammlung à la française fortgeschlichen hat«, in eklatanter Weise von christlichen Vorstellungen ab. Die Prophezeiung, daß mit dem Erwachen des göttlichen Zechers alles in »Nichts« zerrinnt, macht auch alle Versuche des Menschen, sich nach religiösen Geboten gottgefällig zu verhalten, sinnlos. Die schon im ersten Kapitel des >Le Grand< parodierte Vorstellung von einem Jüngsten Gericht, das die menschlichen Taten durch Höllenstrafe und Himmelswonne vergilt, wird spätestens hier, durch die nihilistische Perspektive des Gottestraums, ad absurdum geführt. Damit ist zunächst die christliche Heilserwartung entwertet. Auf ihre konsequente Ironisierung im >Buch Le Grand< wird noch zurückzukommen sein. Doch auch die säkularisierte Heilserwartung der Hegeischen Geschichtsphilosophie erweist sich als hinfällig: Statt die vielen gegensätzlichen Elemente (Piatonismus, Hellenismus, Judentum, Christentum, Revolution etc.) des Gottestraums von einem übergeordneten Standpunkt aus dialektisch in einen vernünftig fortschreitenden Geschichtsprozeß einzubinden, wie es erforderlich gewesen wäre, um eine sinnvolle Totalität zu begründen, steht Hegels Geschichtsphilosophie hier nur als ein Element im »buntscheckigen« Traum der Geschichte, die ins »Nichts« zerrinnt. Die sensualistisch akzentuierte Hinwendung zum »Leben«" läßt sich damit als ein kritischer Reflex auf jene idealistischen Zielvorstellungen begreifen, die den Menschen um sein gegenwärtiges Glück betrügen, indem sie ihm Opfer für eine künftig zu realisierende »Idee« abverlangen. Sie resultiert hier insbesonde-
" Zur sensualistischen Grundierung der Begriffe >Lebenlebendig< in der zeitgenössischen Literatur des Jungen Deutschland vgl. Wulf Wülfing, Schlagworte des Jungen Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung, Berlin 1982, S. 1 5 9 168. I 2
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re aus einer tiefen Skepsis gegenüber der Idee eines progressiven Geschichtsverlaufs. So ergibt sich bereits von der Rahmenschicht her eine Perspektive auf die im Zentrum des Buches stehende Napoleon-Figur, die als »welthistorisches Individuum« zum Träger einer geschichtsphilosophischen Heilserwartung erklärt worden war: Nicht zufällig verleiht Heine Napoleon die Züge eines weltlichen Messias und deutet schon im biblisch anmutenden Titel des Werks (>Das Buch Le GrandLe Grand< zugrunde legt. Seine »schwärmerische Neigung« und »aufopfrende Begeisterung« bringt der Ich-Erzähler hier in bezug auf die Geliebte mit stärkstem Pathos zum Ausdruck. Von dem in Kap. III gewonnenen Standpunkt der »Vernünftigkeit, die den Lebensgenuß billigt«, wird aber die »aufopfrende Begeisterung« (hier die Selbstmordabsicht des Schwärmers) für »töricht« befunden. So läßt sich die vermeintlich marginale Liebeshandlung im >Buch Le Grand< auch allegorisch als kritische Reflexion auf die idealistische Haltung des Schwärmers lesen, sei dies nun der romantische Schwärmer des Werther-Typs oder der geschichtsphilosophisch begeisterte NapoleonSchwärmer. Wo der realhistorische Gang die geschichtsphilosophische »Idee« entwertet und ein sinnloser Kreislauf die Erfahrung der Vergeblichkeit und eigenen Hinfälligkeit fördert, verlagert sich das Glücksverlangen des Individuums zwangsläufig auf die eigene, konkret erfahrbare Gegenwart. Dem geschichtsphilosophischen Nihilismus des Gottestraums, demzufolge alles welthistorische Geschehen einst im »Nichts« verschwindet (»es hat nie existirt«), korrespondiert in Heines >Ideen< ein geradezu barockes Vanitas-Bewußtsein auf der Ebene der Individualgeschichte. In der Heine-Forschung ist das leitmotivisch ausgeprägte Todes- und Vanitas-Bewußtsein erstaunlicherweise gar nicht registriert worden. Dabei gibt es wohl keinen anderen Prosa-Text Heines, der sich so konsequent dem Thema des Todes widmet wie das >Buch Le GrandBuch Le Grand< zu sprechen. Der Erzähler setzt sich auch mit der Möglichkeit seines eigenen Todes auseinander, indem er sich in seinem Liebesleid mit Selbstmordgedanken trägt.60 So rückt von vornherein auch die Gegenwart des Todes ins Bewußtsein. Schließlich wird das Todesbewußtsein auch auf die Zukunft ausgedehnt. Im vierten Kapitel antizipiert der Erzähler seinen Tod und beschreibt bis in Einzelheiten hinein (nämlich bis hin zur Inschrift des Leichensteins) das eigene Grab: »Aber einst 60
»Ich war zum Tode verurteilt« (6,151); »als ich da stand, ein Verurteilter, der dem Tode geweiht war« (6,15 2; meine Hervorhebungen). I2
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wird kommen der Tag, und die Gluth in meinen Adern ist erloschen [...]. In verwitterten Gräbern liegen meine Freunde [...], schlaftrunken schließen sich meine Augen, meine Seele verhallt wie die Töne einer Harfe« (6,177). O b nun also in der Erinnerung an die vergangene Kindheit, in der Bewältigung des gegenwärtigen Leids oder im Blick auf das Künftige - der Tod ist dem Erzähler stets im Bewußtsein, er behauptet in allen zeitlichen Dimensionen sein Recht, er ist omnipräsent. Nicht zufällig ist daher in das >Buch Le Grand* eine längere, philosophisch grundierte Reflexion über das »Übel« bzw. das »kalte schwarze leere Nichtsein des Todes« eingeschaltet. Sie verarbeitet die in die verschiedenen Erzählsequenzen des Textes eingelagerte Todeserfahrung und Todesgewißheit, indem sie das sinnlich erfahrbare »rothe Leben« (6,176) gegenüber allen ideellen Wertsetzungen zum »höchsten Gut« erklärt. Sie zieht damit, wie schon am unmittelbar vorausgehenden Gottestraum deutlich wurde, die Konsequenz aus dem realhistorischen Scheitern der »Ideen«. Es gilt, die sensualistische Argumentationsstruktur des »Buchs Le Grand< anhand seiner Todesreflexion noch etwas genauer aufzuzeigen. Im 6. Kapitel wendet sich der Erzähler, nachdem ihm der Name der »kleinen todten Veronika« wieder eingefallen ist, seiner frühesten Kindheit in Düsseldorf zu. Erzählperspektivisch ist diese Rückwendung aber so angelegt, daß dem erinnerten Ich der Kindheit stets das erinnernde Ich mit seinem Zeit- und Todesbewußtsein zugeordnet, ja übergeordnet bleibt. Mehr noch: Weil das erinnernde Ich um den zwischenzeitlichen Tod vieler seiner ehemaligen Gefährten weiß, wird ihm die Kindheitserinnerung zum Anlaß, sofort auch an den eigenen Tod zu denken. Man beachte, wie Heine Geburt und Tod in einem, und zwar gleich im ersten Satz seiner Erinnerungen an Düsseldorf zusammenspannt: Ja, Madame, dort bin ich geboren, und ich bemerke dieses ausdrücklich für den Fall, daß etwa, nach meinem Tode, sieben Städte [...] sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt zu seyn. Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da 16,000 Menschen, und viele hunderttausend Menschen liegen noch außerdem da begraben. Und darunter sind manche, von denen meine Mutter sagt, es wäre besser, sie lebten noch, z.B. mein Großvater und mein Oheim, [...] die beide so berühmte Doctoren waren, und so viele Menschen vom Tode kurirt, und doch selber sterben mußten. Und die fromme Ursula, die mich als Kind auf den Armen getragen, liegt auch da begraben, und es wächst ein Rosenstrauch auf ihrem Grab - [ . . . ] ihr Herz war lauter Rosenduft und Güte. Auch der alte kluge Kanonikus liegt dort begraben. Gott, wie elend sah er aus, als ich ihn zuletzt sah! Er bestand nur noch aus Geist und Pflastern, und studine dennoch Tag und Nacht, als wenn er besorgte, die Würmer möchten einige Ideen zu wenig in seinem Kopfe finden?1 Der Rückblick auf die Kindheit als den Anfang des Lebens ist hier in ungewöhnlicher Weise vom Blick auf das Ende des Lebens beherrscht. Was das Zitat über ein allgemeines Todesbewußtsein hinaus zum Ausdruck bringt, ist die tie61
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DHA 6, S. i8if.; meine Hervorhebungen.
fe Gleichgültigkeit, mit der sich der Tod seine Opfer sucht. Seiner ehernen Notwendigkeit kann niemand entgehen, denn für den Tod spielt es keine Rolle, welche Taten der einzelne zu Lebzeiten vollbracht und welcher Glaube ihn geprägt hat. Die Toten, an die sich der Erzähler hier erinnert, sind jeweils Repräsentanten bestimmter Lebensentwürfe und -inhalte: Großvater und Oheim vertreten als Mediziner die moderne Naturwissenschaft, die den Menschen letztlich doch nicht vor dem Tode bewahren kann. Heine betont, daß sie, obwohl sie »so viele Menschen vom Tode kurirt« haben, schließlich »doch selber sterben mußten«. Die »fromme Ursula« steht für den gottgefälligen Lebensweg der Demut und Nächstenliebe, sie »trägt das Kind auf den Armen« und verkörpert die reine »Güte«. Aber auch sie mußte sterben, ihre Frömmigkeit konnte sie nicht vor dem Tod bewahren. Der »kluge Kanonikus« schließlich repräsentiert den Typus des Gelehrten, der sich dem Studium der »Ideen«, d.h. der philosophischen Beschäftigung hingibt und dabei schon zu Lebzeiten an den Tod erinnert. Heine hat in den drei verstorbenen Figuren gleichsam systematisch drei verschiedene Lebenswege, nämlich Wissenschaft, Religion und Philosophie verschlüsselt und sie aus der Perspektive des Todes, des unabdingbaren Sterbenmüssens, auf ihre tiefere Legitimation hin befragt. Freilich: Er zieht w e der die medizinische Leistung der Arzte noch die »Güte« der frommen Ursula in Zweifel. Die Tatsache, daß er die Verdienste dieser Menschen so hartnäckig mit dem Tod konfrontiert, deutet dennoch auf eine Relativierung ihrer höheren Ideale hin. Sie vermittelt die radikale Einsicht, daß einzig das Leben selbst einen Wert darstellt und es angesichts des unvermeidlichen Todes töricht wäre, es für eine »Idee« zu opfern. Das wird besonders am Beispiel des Kanonikus deutlich, der seine »Ideen« letztlich doch nur für die Würmer produziert. Einmal mehr gibt Heine hier die »Ideen«, das Titelwort des Textes, der Lächerlichkeit preis, und dies gerade im Kontext seiner Todesreflexion. Es ist aber am Anfang des sechsten Kapitels noch von einem weiteren Toten die Rede, dem kleinen Wilhelm nämlich, der in der Düssel ertrank, als er einer Katze das Leben retten wollte. Wilhelm beschließt die Reihe der erinnerten Toten, weil sein Tod die Tragik der Selbstaufopferung in besonderer Weise zum Ausdruck bringt. An seinem Beispiel wird im nachhinein deutlich, was die erinnerten Figuren miteinander verbindet: Sie alle haben ihr Leben uneigennützig eingesetzt - für den wissenschaftlichen Fortschritt und die Menschenliebe (die Herren von Geldern), für die christliche Güte und Nächstenliebe (Ursula), für die philosophischen »Ideen« (Kanonikus) und für ein Kätzchen, das, bezogen auf das Leben der Kinder, symbolisch für all diese »Ideen« oder Ideale zu nehmen ist. Die skeptische Betrachtung der »Ideen« im Kontext der Todesreflexion stellt sicherlich ein Hauptanliegen von Heines >Ideen< dar. Der Terminus >Idee< faßt darin jene Orientierungsmodelle zusammen, die den Menschen um das Glück seiner Gegenwart betrügen, indem sie ihn auf ein imaginäres Telos festlegen. Heines Ideen-Kritik richtet sich im wesentlichen gegen eine solche Fina129
lisierung und Instrumentalisierung der Lebensenergien, gegen die Fixierung auf rein imaginäre Güter, die sich angesichts des Todes (oder auch der restaurativen Zirkularität des Geschichtsprozesses) als nichtig erweisen. Das >Buch Le Grand< greift damit der antiteleologischen Argumentation in Heines späteren Schriften voraus, insbesondere der im Fragment Verschiedenartige Geschichtsauffassung< erhobenen Forderung, »daß die Gegenwart ihren Werth behalte, und daß sie nicht bloß als Mittel gelte, und die Zukunft ihr Zweck sey« (10,302). Verschiedenartige Geschichtsauffassungen, nämlich eine teleologisch-lineare und eine iterativ-zirkulare, liegen auch den >Ideen< zugrunde. Bemerkenswert ist, daß diese konträren Geschichtsauffassungen jeweils in einen religiösen bzw. in einen biblischen Kontext eingebettet sind. Wie bereits einer der ersten Rezensenten erkannte, spielt Heine schon im Titel des >Buchs Le Grand< auf Biblisches, nämlich auf die Gattung der alttestamentlichen »Bücher« (das Buch Josua, das Buch Ruth etc.) an. Daß diese Analogie zur »Heiligen Schrift« vor allem darauf abzielt, den für Napoleon stehenden Tambourmajor Le Grand zu sakralisieren, dürfte kaum einem Zweifel unterliegen. Heine bedient sich mehrfach biblischer Anspielungen, um Napoleon als »weltlichen Heiland« zu stilisieren und in die Nachfolge Christi zu stellen. Das ist insofern konsequent, als an Napoleon die säkulare Heilserwartung des Revolutionszeitalters, ja eine geschichtsphilosophische Eschatologie geknüpft worden war, die ihn zu einem Messias machte. Studien zum Napoleon-Mythos im 19. Jahrhundert belegen, daß die Parallelen zum Neuen Testament keineswegs eine Erfindung Heines, sondern in der europäischen Kunst und Literatur häufig anzutreffen waren.62 Geschichtsphilosophisch betrachtet stehen Jesus und der »Kaiser« im »Buch Le Grand< für das lineare und teleologische Paradigma. Der biblische Kontext ergibt sich hier aus dem Neuen Testament. Das zyklische Paradigma hingegen hat sein biblisches Fundament im Alten Testament, das Heine im >Buch Le Grand< wenn auch weniger auffällig, so doch weit häufiger zitiert.63 Mehr als ein dutzendmal nimmt er auf das AT bezug, vom vierten Buch Mose (Bileams Esel) über das Buch Esther (Tod Hamans) bis zum Prediger Salomo, zum Hohenlied und zum Propheten Daniel.64 Damit sind die >Idecn< wie kein anderer
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Vgl. etwa J . Adolf Schmoll, Der heroisierte, der vergottete, der verborgene Kaiser. Z u m Napoleon-Mythos in der französischen Kunst, Kleinkunst und Trivialkunst. In: Mythos, Mythologie in der Literatur des 19. Jahrhunderts, hg. von H . Koopmann, Frankfurt a.M., S. 1 0 9 - 1 2 2 , bes. S. i n . Peter Guttenhöfer (Heinrich Heine und die Bibel, München 1970, S. 227) erkennt unter den biblischen Bezügen im >Buch Le Grand< 25 direkte Anspielungen auf das A T gegenüber 9 Anspielungen auf das N T . Vgl. u.a. S. 173 (Anspielung auf Susanna; Daniel 13); S. 176 (»ich will lieber ein lebendiger Hund seyn«; Pred. Salomo 9,4); S. 187 (Tod Hamans, Buch Esther, Kap. 5-7); S. 197; S. 203 (Bileams Esel, 4. Mose 22, 21 ff.); S. 209 (»der Thurm, der gen Damaskus
Prosatext aus Heines deutscher Schaffensperiode von biblischen Subtexten durchzogen, deren Sinn es noch genauer zu bestimmen gilt. Denn während die neutestamentlichen Analogien zur Stilisierung der Napoleon-Figur immer wieder registriert und interpretiert worden sind, hat man bisher kaum nach der Rolle der alttestamentlichen Texte gefragt. Dabei stellen sie ein skeptisches Gegengewicht, eine innere Balance zum heilsgeschichtlichen Napoleon-Evangelium her. Der überwiegende Teil der alttestamentlichen Zitate im >Buch Le Grand« stammt bezeichnenderweise aus den Spruchweisheiten und Dichtungen des legendären Königs Salomo (Sprüche Salomos, Prediger Salomo und Hohelied Salomos). Sieben Mal (in Kap. III, XIV und XV) zitiert Heine den für seine Weisheit und seinen unermeßlichen Reichtum berühmten König des Morgenlands. Mit dem historischen Salomo verbindet sich die Vorstellung orientalischer Pracht, patriarchalischer Vielweiberei und luxuriöser Genüsse. Durch die biblische Uberlieferung seiner Spruchweisheiten gilt der Sohn Davids aber auch als die Symbolfigur eines geschichtsphilosophischen Fatalismus. Sein sprichwörtlich gewordenes Diktum »es geschieht nichts Neues unter der Sonne« (Pred 1,9) steht paradigmatisch für ein zyklisches Geschichtsmodell und begründet jenen weltanschaulichen Pessimismus, dem alles irdische Bemühen als sinnlos und »eitel« gilt. »Es ist alles ganz eitel« - so beginnen die im A T unter dem Titel »Der Prediger Salomo« überlieferten Betrachtungen des jüdischen Königs (1,2-9): Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, daß sie dort wieder aufgehe. Der Wind geht nach Süden und dreht sich nach Norden und wieder herum an den Ort, w o er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, dahin sie fließen, fließen sie immer wieder. [...] Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne.
In dem 1833 entstandenen Fragment >Verschiedenartige Geschichtsauffassung« hat Heine sich auf eben diese Aussagen Salomos berufen, um die Auffassung derer zu charakterisieren, die in der Geschichte und »allen irdischen Dingen nur einen trostlosen Kreislauf« sehen: »>Es ist nichts Neues unter der Sonne!« ist ihr Wahlspruch; und selbst dieser ist nichts Neues«, schreibt Heine, »da schon vor zwei Jahrtausenden der König des Morgenlandes ihn hervorgeseufzt« (10,301). Nun wird dieser »Wahlspruch« im >Buch Le Grand« zwar nicht ausdrücklich als salomonische Weisheit, sondern in den Worten des hoschaut«; Hohelied 7,4); S. 214 (»was ich thue, ist den Vernünftigen eine Thorheit und den Narren ein Gräuel«; vgl. Sprüche Salomos 29,27); S. 214 (»Stein ist schwer«; Sprüche Salomos 27,3); S. 215 (»wie einst der jüdische König Salomon«, vgl. Hohelied 7, jf.); S. 216 (»Ich bin der Allernärrischste«; Sprüche Salomos 30,2).
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merischen Glaukos zitiert.6' Die Tatsache aber, daß Heine so viele SalomonAnspielungen in seinen Text streut, deutet auf einen salomonischen Geist hin, der hier in Konkurrenz zum napoleonischen, d.h. zum geschichtsoptimistischen »Weltgeist« der Hegeischen Philosophie tritt. Dies macht etwa das zehnte Kapitel der >Ideen< deutlich, das vom Tod Le Grands und dem Untergang der napoleonischen Armee handelt und einen denkbar scharfen Kontrast zu Napoleons Auftritt im Düsseldorfer Hofgarten bildet. Hatte Heine, die historischen Fakten bewußt verfälschend, diesen Auftritt in den Frühling verlegt, um die Stimmung des politischen Aufbruchs und Neubeginns zu akzentuieren, so entwirft er im zehnten Kapitel, das bezeichnenderweise ebenfalls im Düsseldorfer Hofgarten spielt, ein eher düsteres Szenario (»Es war ein klarer, fröstelnder Herbsttag«; 6,195) und markiert die allgemeine Resignation noch zusätzlich durch das schon erwähnte Glaukos-Zitat. Im Zentrum dieses Kapitels steht ein der salomonischen Lehre entsprechender Satz, der die tiefe Desillusionierung der kindlichen Träume und politischen Hoffnungen treffend zusammenfaßt: »Träume sind Schäume«.66 Im Hofgarten vermißte ich manchen Baum, und mancher war verkrüppelt, und die vier großen Pappeln, die mir sonst wie grüne Riesen erschienen, waren klein geworden. [...] Ich war nicht müde, aber ich bekam doch Lust, mich noch einmal auf die hölzerne Bank zu setzen, in die ich einst den Namen meines Mädchens eingeschnitten. Ich konnte ihn kaum wiederfinden, es waren so viele andere Namen darüber hingeschnitzelt. Ach! einst war ich auf dieser Bank eingeschlafen und träumte von Glück und Liebe. >Träume sind Schäume*. (6,197)
Der in die alte Bank des Hofgartens eingeschnitzte Name des geliebten Mädchens kann mutatis mutandis für die in die kindliche Psyche tief eingebrannte Napoleon-Begeisterung stehen, die den Jungen im Düsseldorfer Hofgarten einst ergriffen hatte. Im Kontext der symbolischen Restaurationsschilderung, die das zehnte Kapitel anhand elegisch getönter Naturmetaphern und Kindheitserinnerungen leistet, wäre der eingeschnitzte Name der Geliebten ein Hinweis auf die politische Liebe zu Napoleon: Das hölzerne Palimpsest, das die Namen der Geliebten übereinander »hingeschnitzelt« zeigt, wird hier zum Sinnbild der politischen Auslöschung und kollektiven Verdrängung des geliebten »Kaisers« aus dem Buch der Geschichte. Bestätigt wird dies durch die spä-
6s
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»Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen; / Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann / Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling: / So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes verschwindet« (6,196; >IliasBuch Le Grand< wird also nicht zuletzt durch konkurrierende biblische Subtexte verdeutlicht, die den beiden Herrscherfiguren Salomon und Napoleon zugeordnet sind: die neutestamentlichen Evangelien (Napoleon) mit ihrer heilsgeschichtlichen Perspektive und die alttestamentliche Weisheit (Salomo) mit ihrem pessimistischen Geschichtsbegriff. Die schon im Titel >Das Buch Le Grand< angelegte Bibel-Reminiszenz macht die Bedeutung dieser Subtexte von vornherein offenkundig: Sie führt bereits in den Problemhorizont des Werkes, indem sie das Alte mit dem Neuen Testament spannungsvoll verschränkt: »Das Buch« (Gattung des AT) »Le Grand« (NT, da Le Grand den analog zu Jesus Christus dargestellten »weltlichen Heiland« vertritt). Ja man könnte noch weitergehen und das erste Glied des Titels (»Ideen«) in diese Deutung einbeziehen. Die »Ideen« der Hegelschen Geschichtsphilosophie würden im >Buch Le Grand< danach aus konkurrierenden Perspektiven, nämlich sowohl aus einer alttestamentlich-salomonischen wie aus einer neutestamentlich-eschatologischen reflektiert, womit der Titel bereits recht genau die Kontraststruktur des Textes umkreisen würde. Aufschlußreich ist die Spannung zwischen dem napoleonischen und salomonischen Paradigma im >Buch Le Grand< aber nicht nur im Hinblick auf den geschichtsphilosophischen Gegensatz. Sie hat außerdem lebenspraktische Konsequenzen, die in der Alternative von Selbstaufopferung und Lebensgenuß widerspruchsvoll aufscheinen. So ist das salomonische vanitas vanitatum hier wohl gerade deshalb von Bedeutung, weil darin bereits klare Ansätze zu einer sinnlichen Lebensform und genußorientierten Diesseitigkeit zu finden sind. Das Wissen um Tod und Vergänglichkeit führt Salomo zu der Einsicht, daß es für den Menschen gut sei, sein kurzes Leben in Freude zu verbringen und so bewußt wie möglich zu genießen. Dies läßt sich am argumentativen Gang des biblischen Textes gut nachvollziehen: Nachdem er mehrfach betont hat, daß alles »eitel« sei, stellt der Prediger zunächst die rhetorische Frage: »Ist's denn nicht besser für den Menschen, daß er esse und trinke und seine Seele guter 133
Dinge sei bei seinem Mühn?« (2,24), um dann jedoch schon bald in einem affirmativen und schließlich adhortativen Ton die diesseitige und sinnenfrohe Existenz zu preisen: D a merkte ich, daß es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da ißt und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. (3,12f.) Darum pries ich die Freude, daß der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. (8,15) So geh hin und iß dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; [...] genieße das Leben mit deinem Weibe, das du liebhast, solange du das eitle Leben hast (9,7ff.); Berechne nicht die Zukunft, sondern nütze den Tag ( 1 1 ) ; Freue dich deiner Jugend, ehe Alter und Tod kommen (12).
Ahnlich wie bei Heine dient der Gedanke an den Tod auch bei Salomo der intensivierenden Vergegenwärtigung des Lebens, dem Glück des Augenblicks. Mit seinem eindringlichen Appell »Berechne nicht die Zukunft, sondern nütze den Tag« hat der weise Prediger bereits in altorientalischer Zeit eine dem horazischen »carpe diem« entsprechende Bewußtseinshaltung propagiert.67 Angesichts dieser Nähe zu dem Epikureer Horaz kann es nicht verwundern, daß die salomonische Lehre rezeptionsgeschichtlich zu einer Genußphilosophie zugespitzt und wie eine biblisch autorisierte Einladung zu sinnlicher Lust und Freude aufgefaßt wurde. Belege dafür findet man im 18. Jahrhundert etwa bei Lessing, der in einem 1753 veröffentlichten Gedicht mit dem Titel >Salomon< dem jüdischen König huldigt und dabei gerade auf die sinnlichen Aspekte seiner Weisheit eingeht: Lobt mir Davids weisen Sohn! Auch bei Lieb und Wein und Scherzen War er doch nach Gottes Herzen. Brüder, lobt den Salomon. 68
Noch deutlicher läßt sich die Zuspitzung auf das Sinnliche in Diderots philosophischem Dialog >Le Neveu de Rameau< aus dem Jahre 1761 verzeichnen. Vom Standpunkt einer materialistischen Moralkritik führt der Gesprächspartner (»Lui«) des Philosophen (»Moi«) darin jeden Ansatz einer altruistischen Ethik ad absurdum. »Tugenden« könne sich nur der leisten, so Rameaus Neffe, wer es sich materiell erlauben kann. Um die radikalen Konsequenzen dieses Denkens zu verdeutlichen, beruft er sich schließlich auf die Weisheit Salomos: 67
So wie Salomo dazu auffordert, sich auf das Heute zu besinnen statt die Zukunft zu berechnen und über ein ungewisses Leben nach dem Tod nachzudenken, bittet auch das lyrische Ich der berühmten Horaz-Ode (carm. 1 , 1 1 ) die Freundin Leuconoë, die Zeit nicht mit Fragen an die Zukunft zu vergeuden: »carpe diem quam minimum credula postero« — »genieße, pßücke den Tag, und traue nicht leichtgläubig dem kommenden«.
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Gotthold Ephraim Lessing, Werke, hg. v. Herbert G . Göpfert [u.a.], München 1976. Bd. ι, S. 1 1 2 . Vgl. auch Lessings Fabel >Der Geist des Salomo< (ebd. S. 2j9f.).
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Tenez, vive la philosophie; vive la sagesse de Salomon: Boire de bon vin, se gorger de mets délicats; se rouler sur de jolies femmes; se reposer dans des lits bien mollets. Excepté cela, le reste n'est que vanité. 6 '
Dieses vulgärepikureische Programm als salomonische Weisheit auszugeben, ist freilich eine unzulässige Ubertreibung.70 Sie zeigt jedoch recht gut, welche Tendenz man im wesentlichen mit Salomo verband und bis zu welchem Punkt seine Einsicht in die Eitelkeit (Rameaus Neffe greift das Stichwort »vanité« hier bewußt auf) und seine Empfehlung, »fröhlich [zu] sein und sich gütlich [zu] tun in seinem Leben« in der Rezeptionsgeschichte führen konnte. Die vielfache Bezugnahme auf Salomo im >Buch Le Grand< gehört ebenfalls in diese Rezeptionsgeschichte, wenn Heine hier auch nicht so weit geht wie Diderots zynischer Dialogpartner. Sie hat vor allem die Funktion, ein Gegengewicht zur neutestamentlich perspektivierten Heilserwartung zu schaffen, die sich mit Napoleon und der »Idee« einer geschichtsphilosophischen Progression verband. Der »salomonische« Geist steht bei Heine für die tiefe Skepsis gegenüber Zukunftshoffnungen und Heilserwartungen (»Träume sind Schäume«), für ein ausgeprägtes Todes- und Vanitas-Bewußtsein und, als Konsequenz daraus, für eine radikale Vergegenwärtigung und Höchstbewertung des Lebens (»lieber ein lebendiger Hund seyn, als ein todter Löwe«), Religiöse Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele und einem Leben nach dem Tod werden in diesem salomonischen Denk- und Argumentationszusammenhang verworfen. Dies beginnt im >Buch Le Grand< schon mit der satirischen Darstellung von Himmel und Hölle (i. Kapitel), insofern das »Gefühl der Seligkeit« (6,171) hier im wesentlichen auf kulinarische und erotische Erlebnisse reduziert, d.h. wie schon in den >Briefen aus Berlin< sinnlich begründet wird. 71 Der Himmel ist nicht der Ort, wo der Mensch bei Gott, sondern umgekehrt Gott bei den Menschen ist: »im Himmel amüsiert man sich ganz süperbe, [...] man lebt in lauter Lust und Plaisir, so recht wie Gott in Frankreich.«71 Statt einer kategorialen Trennung (Diesseits - Jenseits) wird hier eine Verschmelzung der irdischen und himmlischen Sphäre imaginiert und das Himmelreich im Diesseits lokalisiert.
69
Denis Diderot, Œuvres complètes, éd. Roger Lewinter, Paris 1969-1972. Bd. 10, S- 3 3 9 ·
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Bei Diderot findet sich diese extreme Auslegung Salomos gleichwohl öfter - nicht nur in der figurengebundenen Rede. So heißt es etwa in Diderots >Voyage à Bourbonnec »II boit, il mange, il dort; il est profond dans la pratique de la morale de Salomon, la seule qui lui paraisse sensée pour des êtres à n'être un jour qu'une pincée de poussière.« (Œuvres complètes, Anm. 69, Bd. 8, S. 606). »Man speist von Morgen bis Abend, [...] ohne sich den Magen zu verderben, man singt Psalmen, oder man tändelt und schäkert mit den lieben, zärtlichen Engelein«
(6,171).
Ebd. Meine Hervorhebung.
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Die salomonische Verdiesseitigung des Lebens läßt sich - freilich in sensualistischer Zuspitzung - quer durch das >Buch Le Grand< verfolgen, so etwa auch dort, wo der Erzähler seinen Glauben an die Barmherzigkeit Gottes kundtut und erklärt: E R pflegt uns [...] ketzerische Schriftsteller, f ü r die der H i m m e l doch so gut w i e vernagelt ist, desto mehr mit vorzüglichen G e d a n k e n und M e n s c h e n r u h m zu segnen, u n d z w a r aus göttlicher G n a d e und Barmherzigkeit, damit die arme Seele [...] nicht ganz leer ausgehe und wenigstens hienieden auf E r d e n einen Theil jener Wonne empfinde, die ihr dort oben versagt ist. (6,206)
Der religionskritische Dichter führt seine »profane, sündhafte, ketzerische« Schreibart (ebd.) damit ironischerweise auf göttliche Inspiration zurück (»ich verlasse mich dafür auf den lieben Gott«; 6,207) und treibt seine Leser in immer tiefere Paradoxien hinein: »Madame, Sie dürfen meine Schriften lesen, sie zeugen von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes« (ebd.). Wo dem Dichter in Erwartung einer furchtbaren Höllenstrafe aus göttlicher Barmherzigkeit ein ausgleichender Trost auf Erden zuteil wird, gerät der Vergeltungsgedanke von Himmel und Hölle völlig ins Absurde. Heines religionskritische Ironie zielt hier unverkennbar auf eine konsequente Verdiesseitigung des menschlichen Lebens. Die Relevanz des salomonischen Denkens für Heines sensualistische Diesseitigkeit wird indes deutlicher, wenn wir hinsichtlich des alttestamentlichen Predigers noch einmal auf den rezeptionsgeschichtlichen Hintergrund der Aufklärung eingehen, und zwar auf die theologiekritischen Fragmente des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus, die Lessing von 1774 bis 1778 in mehreren Schüben ohne Nennung des Verfassers herausgegeben hatte und deren Publikation schließlich am 17. August 1778 zur Aufhebung der Zensurfreiheit und sogar zum Publikationsverbot für Lessing führte. 73 Im vierten Fragment von Lessings Mitteilungen >Aus den Papieren des Ungenannten< versucht Reimarus nachzuweisen, »daß die Bücher A T nicht geschrieben, um eine Religion zu offenbaren« 74 und hebt gerade in diesem Zusammenhang den Immanenzgedanken und die Diesseitsorientierung Salomos hervor: »Es kann gewiß niemand die Meinung, daß die Seele des Menschen mit dem Leibe vergehe, [...] daß kein Leben nach diesem Leben, keine Belohnung einer Seligkeit sei, stärker an den Tag legen«, 75 schreibt Reimarus und beruft sich dabei zum einen auf Salomos Vergleich zwischen Mensch und Vieh, wonach beide »einerlei Geist« haben und zuletzt »an einen Ort« fahren/ 6 zum anderen auf die auch im
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Z u Lessings Position gegenüber Reimarus und zu den Folgen der Publikation vgl. A r n o Schilson, Lessings Christentum, Göttingen 1980, S. 1 7 - 3 3 . Lessing, Werke ( A n m . 68), Bd. 8, S. 398. E b d . S. 409. »Wie dieses stirbt, so stirbt jener auch, und haben alle einerlei Geist, und der Mensch
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>Buch Le Grand< formulierte Erkenntnis, »daß allen einerlei begegnet, (dem Frommen wie dem Gottlosen) und - sie gleichwohl darnach zu den Toten fahren müssen«.77 Wie anhand des sechsten Kapitels gezeigt wurde, hat Heine diesem Gedanken ein besonderes Gewicht verliehen, indem er sich seiner verstorbenen Angehörigen und Freunde erinnert und betont, daß sie trotz ihrer guten Taten am Ende doch wie alle anderen Menschen sterben mußten. - Reimarus kommt zu dem Ergebnis, »daß das alte Testament von keiner Unsterblichkeit und ewigen Leben weiß« und daß religiöse Vorstellungen von der »Unsterblichkeit der Seelen«, von »Himmel, Hölle und Auferstehung« allein aus dem »neuen Testamente oder Catechismo« zu erklären seien.78 Dies ist insofern interessant, als er damit bereits aus dem Gegensatz der Testamente zwei konkurrierende Lebenshaltungen ableitet und - wie Heine - die unorthodoxe Diesseitsorientierung des AT indirekt legitimiert. Zwar sprechen auch das Alte Testament und Salomo verschiedentlich von der »Hölle«, räumt Reimarus ein, doch sei bekannt, »daß das hebräische Scheol, so Hölle gegeben wird, nichts anders bedeute, als das Grab, den Tod, oder den Zustand der Toten, welche unter der Erde begraben liegen«. Daher, fügt er hinzu, behalte das »Leben« im AT auch »seine eigentliche, natürliche Bedeutung«.79 Reimarus' immanentistische Salomo-Exegese belegt die Kontinuität der aufklärerischen Tradition, an die das sensualistische, auf den alttestamentlichen Prediger anspielende Lebenspathos in den >Ideen< anknüpft. Deutet Heine die »Hölle« anfangs noch neutestamentlich im Sinne einer jenseitigen Vergeltungsinstanz nach dem Tode (Kap. I), so identifiziert er sie im Horizont seiner salomonischen Diesseitswende (Kap. III) dem hebräischen Scheol entsprechend mit dem Tod selbst: »das schlimmste Übel ist der Tod« (6,175). Zwischen dem ersten und dritten Kapitel hat damit ein entscheidender Perspektivenwechsel stattgefunden. Daß das dritte Kapitel der >Ideen< von einem alttestamentlichen oder »salomonischen« Geist durchdrungen ist, zeigt außer der Deutung des Todes, der zum »schlimmsten Übel«, zur eigentlichen Hölle erklärt wird, auch das dem Prediger-Zitat (»Lieber ein lebendiger Hund seyn, als ein todter Löwe«) folgende Bekenntnis zum genußvollen »Augenblick«. Es entspricht den salomonischen Geboten »Nütze den Tag« und »Genieße dein Leben« recht genau, weil es den Umgang mit der eigenen Lebenszeit gerade unter dem Aspekt des Genießens thematisiert:
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hat nichts vortrefflichers, dann das Vieh, dann sie sind allzumal eitel: sie fahren alle an einen Ort, sie sind alle aus dem Staube gemacht, und werden alle wieder zu Staub«, zitiert Reimarus den Prediger Salomo (Lessing, Werke, Anm. 68, Bd. 7, S. 409). Ebd. S. 4 o8f. Ebd. S.409. Ebd. S.415. I
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mit einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr genießen als Andre, mit ihren sämmtlichen Gliedmaßen, Zeit ihres Lebens. Jeder Augenblick ist mir ja eine Unendlichkeit; ich messe nicht die Zeit mit der [...] kleinen Hamburger Elle, und ich brauche mir von keinem Priester ein zweytes Leben versprechen zu lassen, da ich schon in diesem Leben genug erleben kann [...]. 8 °
In diesen Worten klingen das salomonische »carpe diem« und die dem Christentum kritisch entgegengesetzte Diesseitsorientierung geradezu programmatisch an. Doch so sehr Heine hier auch den sinnlichen Genuß des Augenblicks beschwört, so wenig ist er doch bereit, unter den Bedingungen der politischen Restauration in Europa das Glück der Gegenwart zu preisen. Soziale Benachteiligungen und politische Unterdrückung machten es im restaurativen System Metternichs für viele, darunter auch für Heine, gerade unmöglich, die Gegenwart zu genießen und sich »gütlich« zu tun. »Außerdem, wie gesagt, lebe ich wirklich sehr ökonomisch, verdammt ökonomisch«, faßt der in einer »betrübten Stube auf der Düsternstraße« (6,210) schreibende Autor seine beklagenswerte Situation zusammen. Von einem gegenwärtigen Lebensglück kann in seiner Situation keine Rede sein. Liest man das dritte Kapitel der >Ideen< genau, fällt einem denn auch bald ein argumentativer Bruch in der Hinwendung zum »Leben« auf, ein Bruch, den man auf Heines politisches Bewußtsein zurückführen muß. So bekennt sich der Erzähler zwar zu einem diesseitigen und gegenwartsbezogenen Leben, indem er erklärt: »ich brauche mir von keinem Priester ein zweytes Leben versprechen zu lassen, da ich schon in diesem Leben genug erleben kann«, fügt dann aber einen Satz hinzu, der diesen Gegenwartsbezug sogleich wieder dementiert: »da ich schon in diesem Leben genug erleben kann, wenn ich rückwärts lebe, im Leben der Vorfahren, und mir die Ewigkeit erobere im Reiche der Vergangenheit« (6,176). Hier findet nicht etwa der Wechsel von einem zukunfts- in ein gegenwartsorientiertes Leben statt, wie man es infolge des vehement vertretenen Anspruchs auf »Leben« hätte erwarten dürfen, sondern der Wechsel von einem religiösen in ein historisches Jenseits, vom zukünftigen »zweyten Leben« in das vergangene »Leben der Vorfahren«. Die gegenwärtige Existenz bleibt ausgeklammert. In dem argumentativen Bruch spiegelt sich die historische Problemlage: Der restaurationsbedingte Geschichtspessimismus der Zeit führt zwar zu einem Aufbegehren gegen Zukunfts- und Jenseitsvertröstungen, zur Rückbesinnung auf den »Augenblick« (hier gestaltet im Kontext salomonischer Lebensfreude), läßt aber unter den gegebenen Bedingungen keine Perspektive für eine glückliche Existenz in der Gegenwart erkennen. Wo nun ein Leben für die Zukunft und ein Leben in der Gegenwart gleichermaßen inakzeptabel wird, bleibt nur die Flucht in die Vergangenheit. Die Formel vom »rückwärtigen Leben«81 indiziert die roman-
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° D H A 6, S. 176; meine Hervorhebung. Hermands Vermutung, daß dies eine Anspielung auf Friedrich Schlegel und sein Wort
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tische Regression in die Geschichte, die sich hier als Geschichte der indischen Urahnen präsentiert. Damit führt Heine die verschiedenen Konsequenzen vor, die sich aus der desillusionierenden Restaurationserfahrung ziehen ließen: die radikale Hinwendung zur Gegenwart und zum »Leben«, die Regression in die Geschichte oder in eine diffuse romantische Schwärmerei. 82 Welche Konsequenz zieht Heine? Nach einigen Mystifikationen gibt er dem Leser in Kapitel X V eine klare Auskunft: »Ich will ihnen jetzt das ganze Räthsel lösen: Ich selbst bin zwar keiner von den Vernünftigen, aber ich habe mich zu dieser Parthey geschlagen« (6,213). Diese Parteizugehörigkeit, so erfährt man, macht den Erzähler zu einem sozialen Außenseiter, konfrontiert ihn mit Leid und materiellen Entbehrungen. Der Vernünftige macht »keine Carriere weder im Himmel noch auf Erden« (6,214), weil er sich weder zum christlichen Glauben bekennen noch einen Schlafrock anlegen und als braver Philister die fütternde Hand küssen mag. Statt also sein Leben gut salomonisch zu genießen und sich gütlich zu tun, wie er es könnte, wenn er sich in opportuner Weise den Narren anschlösse, kämpft der Autor gegen die intellektuelle und politische »Sonnenfinsterniß« (6,215) seiner Zeit, womit er das salomonische Prinzip »Lieber ein lebendiger Hund, als ein todter L ö w e « teilweise revidiert. Das Hundemotiv nämlich wird in Kapitel X I V noch einmal aufgegriffen, diesmal aber, um die hündische Servilität der regierungstreuen Autoren zu geißeln: ach! und wenn sie [die »Mäcenaten«] ja mahl einen armen Hund füttern, so ist es der Unrechte, der die Brocken am wenigsten verdient, z.B. der Dachs, der die Hand leckt, oder der winzige Bologneser, der sich in den duftigen Schooß der Hausdame zu schmiegen weiß, oder der geduldige Pudel, der eine Brodwissenschaft gelernt und apportiren, tanzen und trommeln kann [...]. (6,207) Heine macht deutlich, daß er sich von einem derart hündischen Leben und Lebensgenuß distanziert. So läßt sich die Problemkonstellation des >Buchs Le Grand< im wesentlichen aus der Spannung zwischen gegenwärtigem Glücksanspruch (Lebensgenuß) und schwärmerischem Ideenkampf (Aufopferung) herleiten - eine Konstellation übrigens, die in ähnlicher Weise auch dem Fragment »Verschiedenartige Geschichtsauffassung< zugrundeliegt. Der von Strodtmann erstmals 1869 aus dem Nachlaß edierte Text kann in mancher Hinsicht als eine
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vom Historiker als »rückwärts gewandten Propheten« (DHA 6, S. 807) sei, dürfte kaum zutreffen, da es hier nicht um eine historische Herleitung zukünftiger Ereignisse, um eine rückschauende Vorschau geht, sondern um die romantische Welt der indischen Vorfahren, in die sich der Erzähler in Kap. II und V zurückversetzt. Daß Kap. III im Zeichen romantischer Sehnsucht endet, deutet an sich schon auf die Defizienz der Gegenwart hin und läßt erahnen, daß das Leben im Augenblick die Glückserwartungen des Erzählers nicht erfüllen kann. »Aber wenn [...] die große Nacht heraufsteigt, mit ihrem großen sehnsüchtigen Auge, O! dann durchbebt mich erst recht die rechte Lust, wie schmeichelnde Mädchen legen sich die Abendlüfte an mein brausendes Herz, und die Sterne winken« (6,177). T
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theoretische Fortsetzung der >Ideen< gelesen werden. Heine beschreibt darin zunächst das salomonisch-zirkulare Geschichtsmodell, distanziert sich aber sogleich von dieser »fatalistischen Ansicht«, die den »Weltweisen der historischen Schule« und den »Poeten aus der Wolfgang Goetheschen Kunstperiode« dazu diene, »einen sentimentalen Indifferentismus gegen alle politischen Angelegenheiten des Vaterlandes allersüßlichst zu beschönigen« (10,301). Diesem Modell stehe eine »lichtere« Ansicht entgegen, »die mehr mit der Idee [!] einer Vorsehung verwandt ist, und wonach alle irdischen Dinge einer schönen Vervollkommenheit entgegenreifen« (ebd.). Aufschlußreich für das >Buch Le Grand< ist hier sowohl der Terminus >Idee< zur Kennzeichnung der idealistischen Geschichtsphilosophie als auch der der >VorsehungIdeen< mehrfach ironisiert wird. Beide Geschichtsauffassungen verletzen die Rechte des »Lebens« und fallen der Kritik anheim: Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht. Das Leben will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit und dieses Geltendmachen ist die Revoluzion. Der elegische Indifferentismus der Historiker und Poeten soll unsere Energie nicht lahmen bei diesem Geschäfte; und die Schwärmerey der Zukunftbeglücker soll uns nicht verleiten, die Interessen der Gegenwart und das zunächst zu verfechtende Menschenrecht, das Recht zu leben, aufs Spiel zu setzen. (10,302)
Diese Aussagen lesen sich wie ein nachträglicher Kommentar zum >Buch Le Grands wird darin doch ebenfalls das Recht des Lebens »gegen den erstarrenden Tod« (in den >Ideen< ist einmal vom »kalten schwarzen leeren Nichtsein des Todes« die Rede) vor dem Hintergrund verschiedener geschichtsphilosophischer Modelle reflektiert. Mehr noch: Wie in dem nachgelassenen Fragment führt Heine auch im >Le Grand< das salomonisch-zirkulare Geschichtsparadigma und die idealistische »Schwärmerey der Zukunftbeglücker« - ob nun christlicher oder hegelianischer Provenienz - als gleichermaßen unbefriedigend und inakzeptabel vor. Die antagonistische Konstellation des Fragments über Verschiedenartige Geschichtsauffassung< strukturiert also schon das >Buch Le Grands mit dem Unterschied allerdings, daß Heine den Antagonismus der Geschichtsauffassungen hier sehr viel deutlicher auf seine sensualistischen Aspekte hin durchleuchtet. Vor dem Hintergrund seiner desillusionierenden historischen Erfahrung (Sieg über Napoleon) wird ihm das schwärmerische »Leben für und in der Idee« (XX,205) nun zum Inbegriff einer spiritualistischen Lebensentfremdung, ja - gespiegelt im Selbstmordversuch der Rahmenhandlung - zum Ausdruck törichter Selbstaufopferung. Im Konflikt zwischen »Idee« und »Leben«, Napoleon und Salomon, Neuem und Altem Testament scheint damit auch der Antagonismus von Sensualismus und Spiritualismus auf. 140
4· »Göttlich liederlich, sterbefaul, dann wieder ätherisch erhaben« - Zur sensualistischen Ästhetik der >Reise von München nach Genua< Auf dem Marktplatz von Trient, direkt vor den Türen des alten Doms, bietet sich dem gerade erst in Italien eingetroffenen Erzähler »ein wunderlieblicher Anblick« (7,44). Statt der landestypischen Früchte sieht er in einem Obstkorb einen »wunderschöne[n] Knaben« (ebd.) liegen, der jeden Schlag der großen Domglocke mit dem lustigen Klingeln seines eigenen Glöckchens beantwortet - eine kleine Genreszene nur, die aber ebenso wie das kindliche Treiben auf dem Marktplatz von Ala hochsymbolisch zu nehmen ist. »Auf dem steinernen Bruchstück eines großen, altadligen Wappenschilds, saß dort ein kleiner Junge und nothdürftelte. Die blanke Sonne beschien seine naive Rückseite, und in den Händen hielt er ein papiernes Heiligenbild, das er vorher inbrünstig küßte.« (7,52) Im Handeln der beiden Kinder, dem kontrapunktischen Läuten des kleinen Glöckners und dem »Nothdürfteln« des Knaben, ist die politische Aussage der >Reise< bildhaft konzentriert: Domglocke, Wappen und Heiligenbild sind Insignien der restaurativen Allianz von Thron und Altar, der Heine in den italienischen Reisebildern mit ungewöhnlicher Schärfe den Kampf ansagt. Dieser Nexus von Adels- und Religionskritik ist für die im Dezember 1829 (>Reise von München nach Genuas 'Die Bäder von LukkaDie Stadt LukkaItalien< als Fortsetzung der >Reisebilder< veröffentlichten Prosatexte insgesamt charakteristisch. »Meine Liebe für Menschengleichheit, mein Haß gegen Clerus war nie stärker als jetzt« (XX,341), teilt Heine seinem Freund Moser im September 1828 aus den Bädern von Lucca mit, w o er mit der literarischen Ausarbeitung seiner italienischen Reiseeindrükke beginnt. 1 Ob nun in den wiederholten Angriffen auf die Arroganz »einiger tausend privilegirter Ritter« (7,69) in der >Reise von München nach Genua*, der Satire auf Platen (>Bäder von LukkaStadt Lukka< 7,194) - überall in den italienischen Reisebildern ist die antiaristokratische Tendenz scharf ausgeprägt. Eine ähnliche Konsequenz findet man im Bereich der Religions- und Kirchenkritik. Sie wird nicht nur, wie René Anglade bemerkt, »zusammenhängender, programmatischer formuliert« 2 als in den vorangehenden >ReisebildernDie Stadt Lukka< einen »Feldzug gegen Paffen und Aristokraten« (XX,361). René Anglade, Mignons emanzipierte Schwester. Heines kleine Harfenistin und ihre Bedeutung. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift N F 41:3, 1991, S. 3 0 1 - 3 2 1 , hier S. 3 1 1 .
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Komplex auch immer weiter durch und dominiert schließlich die als »klerikales Städtebild« (Höhn) 3 angelegte >Stadt LukkaReisebildernEngland und Italien< von Johann W. Archenholtz (Karlsruhe 1785), einem Werk, das Heine schon als Gymnasiast in Düsseldorf las. In einer aufklärerischen Tradition standen auch die von ihm konsultierten Reiseberichte von Ernst Moritz Arndt (>Bruchstücke aus einer Reise durch einen Theil Italiens im Herbst und Winter 1798 und 1799s Leipzig 1801) und Lady Morgan (>ItalyReise von München nach Genua< endet nämlich nicht mit der utopischen Aussicht auf ein »neues« emanzipiertes »Geschlecht«. Sie klingt vielmehr im »mystischen Schauer« (7,79) der Erlebnisse von Genua aus, wo der Erzähler das Portrait der toten Maria entdeckt und Betrachtungen über das »trostlos ewige Wiederholungsspiel« (7,79) der Geschichte anstellt, die in deutlichen Gegensatz zum Fortschrittspathos der Kapitel X X I X und X X X I treten. Bis zuletzt dominiert die dem Leitmotiv der toten Maria eingeschriebene elegische Grundstimmung des Reisenden.16 Sind solchermaßen die Schwierigkeiten skizziert, die es fragwürdig machen, Italien als Land sinnlicher Fülle und Emanzipation zu verstehen, muß die Frage nach der Bedeutung des Sensualismus in Heines >Reise< neu gestellt werden. Die Forschungsdiskussion der letzten Jahre hat sich im wesentlichen auf drei Problemkreise konzentriert, auf Heines parodistischen Umgang mit den Modellen der italienischen Reisebeschreibung, auf das problematische Gegen-
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' »Die Tyroler sind schön, heiter, ehrlich, brav, und von unergründlicher Geistesbeschränktheit. Sie sind eine gesunde Menschenrace, vielleicht weil sie zu dumm sind, um krank seyn zu können.« (7,34) ,6 Höhn (Heine-Handbuch, S. 190) hat darauf hingewiesen: »Das strukturierende Motivgewebe aus unglücklicher Liebe, Trauer und Tod kündigt sich in Kap. IV [...] an, wird in dem Lied von den >Königskindern< aufgegriffen (Kap. XII) und dann ab Kap. X I V leitmotivisch durch die Erinnerung an die tote Maria entwickelt.« 144
einander der im Text thematisierten Geschichtsauffassungen und auf das rätselhafte Leitmotiv der toten Maria. Während der erste Bereich durch die Analyse der von Heine benutzten Quellen recht gut erforscht ist und zur allgemein anerkannten These von der »politischen Umfunktionierung« der Gattung geführt hat, herrscht auf den anderen Gebieten nach wie vor Unsicherheit. So ist man sich zwar darin einig, daß der toten Maria in der >Reise von München nach Genua« eine wichtige Funktion zukommt. Sie spiele nicht nur die »Rolle eines geheimen Fokus« (Espagne),' 7 sondern stelle auch »das einzige und eigentliche Motiv des Werkes« dar (Grubacic), 18 weshalb ihre Berücksichtigung als »Maßstab« für den Wert einer Interpretation (Brummack)' 9 zu nehmen sei. Die genaue Funktion des Motivs ist jedoch nach wie vor umstritten. Die tote Maria wird biographisch als Nachklang des Amalien-Erlebnisses, naturphilosophisch im Zusammenhang mit Heines Pantheismus 20 und geschichtsphilosophisch als Figuration der »ewigen Wiederkehr« gedeutet. 21 Grubacic, für den das kryptische Motiv »keine eindeutige Auflösung« erlaubt, will ihr lediglich eine »tektonische Bedeutung für das Sinn-Gefüge« 22 zuerkennen. Ebenso kontrovers wie das Maria-Motiv wird das Gegeneinander von linearem und zyklischem Geschichtsmodell diskutiert, das sich, ähnlich wie im >Buch Le Grands zugleich als ein Gegeneinander von individualgeschichtlicher und gattungsgeschichtlicher Perspektive darstellt. Während - um hier nur zwei repräsentative Positionen zu skizzieren - Allenspach in der >Reise< die »enthusiastische H o f f nung eines Revolutionärs« überwiegen sieht, der seine privaten Skrupel zurückstellt und die Menschheitsgeschichte am Ende doch als »eine irreversible universale Emanzipation« 23 versteht, vertritt Brummack die These, daß das Spannungsverhältnis zwischen den konträren Geschichtsauffassungen nicht aufzulösen ist, da der einzelne »eine private, nur ihm eigene Geschichte« erhält, »die mit der Geschichte der Gattung letztlich nicht zu vermitteln ist«. 24 Heines Trauer darüber, daß er den »Siegestag« nicht mehr erleben kann, an dem sich die Menschheit als eine »Gesellschaft von Pairs« um den reich gedeckten Tisch versammeln wird (7,70), bringt diese Spannung zwischen »individualgeschichtli-
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Michel Espagne, Die tote Maria: ein Gespenst in Heines Handschriften. In: D V j s 57, 1983, S. 298-320, hier S. 3 1 5 . Slobodan Grubacic, Heines Erzählprosa. Versuch einer Analyse, Stuttgart 1975, S. 30. Jürgen Brummack, Erzählprosa ohne Fabel: Die Reisebilder. In: Heinrich Heine. Epoche - Werk - Wirkung, hg. von J. Brummack, München 1980, S. 1 1 3 - 1 3 9 , hier S- 1 34Vgl. Espagne (Anm. 17). Höhn, Heine-Handbuch, S . 2 3 J . Vgl. auch den Forschungsbericht ebd. und den Kommentar in D H A 7, S. 8é4Íf. Grubacic (Anm. 18), S. 30. Allenspach (Anm. 13), S. 146. Brummack (Anm. 19), S. 135.
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chem Pessimismus und gattungsgeschichtlichem Optimismus«25 klar zum Ausdruck. Die Frage nach der Bedeutung des Sensualismus in der >Reise von München nach Genua< kann nur innerhalb des hier skizzierten Problemhorizonts beantwortet werden, hängt sie doch in hohem Maße von der Beurteilung der umstrittenen Themen ab: vom elegischen Motiv der toten Maria, das in der Erinnerung an den Tod und die »alten Schmerzen« eher einen Kontrapunkt zum sinnenfrohen Genuß der Gegenwart setzt, ebenso wie vom Motiv des »trostlos ewigen Wiederholungsspiels« (7,79), das die Idee der »Emanzipation« zu unterlaufen droht. Angesichts der problematischen Brüche und inneren Gegenläufigkeiten des Textes scheint es sinnvoll, sich dem Thema des Sensualismus unter dem Gesichtspunkt der »Zerrissenheit« zu nähern. Wie die >Bäder von Lukka< zeigen, hat sich Heine gerade im Hinblick auf Italien, das Land, das in den >Reisebildern< am ehesten die Wiederentdeckung antiker Sinnlichkeit hätte bedeuten können, zur Zerrissenheit des modernen Menschen bekannt: Ach, theurer Leser, wenn du über jene Zerrissenheit klagen willst, so beklage lieber, daß die Welt selbst mitten entzwey gerissen ist. [...] Einst war die Welt ganz, im Alterthum und im Mittelalter, trotz der äußeren Kämpfe gabs doch noch immer eine Welteinheit, und es gab ganze Dichter. Wir wollen diese Dichter ehren und uns an ihnen erfreuen; aber jede Nachahmung ihrer Ganzheit ist eine Lüge, eine Lüge, die jedes gesunde Auge durchschaut und die dem Hohne dann nicht entgeht. (7,9$)
So wie Heine in der Restauration der Kirchengewalt einen absurden Anachronismus26 sah, mußte ihm auch die antikisierende Italienbegeisterung, die dem Leiden an der Moderne durch eine regressive Geschichtsflucht entkommen will, als »Lüge« erscheinen. In einer merkwürdigen Dialektik, die die klassische Pathologisierung der Moderne korrigiert, erklärt Heine den Kranken für »gesund«, der sich der »Ganzheit« früherer Epochen verweigert - »jedes gesunde Auge«, formuliert er, durchschaue die »Lüge« der Nachahmung. Krankheit und Gesundheit folgen hier also nicht den Maßgaben einer natürlichen oder idealistischen Anthropologie, sondern ergeben sich aus dem Umgang mit der eigenen historischen Realität: »Gesundheit« ist Ausdruck einer zeitgemäßen Verfassung, auch wenn diese im wesentlichen durch Leid geprägt ist. Dies erklärt, warum Heine die Revitalisierung eines archaisch-heidnischen Sensualismus in Italien von vornherein obsolet erscheinen muß. Heine bereist das südliche Nachbarland nicht, um dessen antikes Kultursubstrat gegen den spiritualistischen Norden auszuspielen. Italien ist für ihn nicht Chiffre freier Sinnlich-
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Höhn, Heine-Handbuch, S. 235. Die Werdersche Kirche in Berlin, so Heine, sei nur gebaut worden, um »zu zeigen, wie läppisch und albern es erscheinen würde, wenn man alte, längst untergegangene Instituzionen des Mittelalters wieder neu aufrichten wollte, unter den neuen Bildungen einer neuen Zeit« (7,18).
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keit, sondern Ausdruck der Zerrissenheit zwischen Romantischem und Klassischem, Christlichem und Antikem, Geistigem und Sinnlichem. Diese Zerrissenheit zu thematisieren und zu reflektieren, ist das eigentliche Ziel seiner Italienreise. Wenn wir im folgenden Heines Aussagen zur Zerrissenheit in den Mittelpunkt unserer Interpretation stellen, folgen wir darin Norbert Altenhofer, der überzeugend dargelegt hat, daß »gerade Italien, in dem Antike und christliches Mittelalter gleichermaßen ihre Spuren hinterlassen haben«, für Heine »zum Paradigma jener Zerrissenheit« wird, »die das Bewußtsein des modernen Menschen prägt«. 27 Diese Einschätzung wird der komplexen Problemlage des Textes am ehesten gerecht. Aus ihr ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Beurteilung des Sensualismus in Heines italienischer Reise. So gilt es zunächst zu fragen, wie überhaupt eine heidnisch-sinnliche Lebenslust mit dem Problem des Zerrissenseins in der christlichen Moderne zu vermitteln ist, ohne daß die historische Entwicklung verdrängt oder künstlich korrigiert wird. Der Begriff des Sensualismus, wie Heine ihn erstmals in der >Geschichte der Religion und Philosophie< gebraucht, kann hier Klarheit schaffen. Dient er nämlich einerseits als polarer Begriff im Oppositionspaar Sensualismus - Spiritualismus und bezeichnet die sinnliche Gegensphäre zur materiefeindlichen Entsagungsideologie des Christentums, so soll er doch andererseits auch ein diese Opposition überschreitendes Synthesekonzept vertreten. E r markiert eine Haltung, die »den Sinnen ihre Rechte vindizirt, ohne die Rechte des Geistes, ja nicht einmal die Supremazie des Geistes zu läugnen« (8,49). »Resultat des Pantheismus« (8,50), wie Heine ihn versteht, kann dieser Sensualismus nur sein, indem er die gegenseitige Durchdringung von Geist und Materie beschwört. Heines Sensualismus hat demnach sowohl eine antithetische wie eine synthetische Funktion (siehe dazu Teil II, Kap. 1.3). Im folgenden soll gezeigt werden, daß Heine in der >Reise von München nach Genua* nicht, wie in manchen Interpretationen zu lesen, das einseitig oppositionelle, sondern jenes umfassendere Konzept des Sensualismus umsetzt, indem er seine »Zerrissenheit« zwischen Christentum und Antike, Geistigem und Sinnlichem, Romantischem und Klassischem als einen nach Versöhnung drängenden Konflikt vorführt. Die vielen oxymorischen Fügungen der >Reise< können demgemäß als Ausdruck moderner »Zerrissenheit« wie auch als Ausdruck einer dialektischen Vermittlungsabsicht gelesen werden. Der von Grubacic gebrauchte Begriff der »paradoxen Kontrasteinheit« 28 kommt diesem eigentümlichen Sachverhalt sehr nahe. Heines sensuali27
N . Altenhofer, Heines italienische Reisebilder. In: Ders., Die verlorene Augensprache. Uber Heinrich Heine, hg. von V . Bohn. Frankfurt a.M./Leipzig 1993, S. 2 3 3 - 2 5 5 , hier S. 242. »Weder die Zuflucht zum klassischen Antikenideal, noch die Rückkehr zum Ordnungsdenken des christlichen Mittelalters« seien für Heine »noch legitime Wege« (ebd.).
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Grubacic (Anm. 18), S. 38. I
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stische Vermittlungsabsicht entgeht insofern dem Verdikt der »Lüge«, als sie eben nicht regressiv dem Vergangenen (etwa der heidnischen Antike) huldigt, sondern die Widersprüche und Brüche der eigenen Epoche einbezieht und sich dialektisch vorwärtsorientiert. Die in der >Reise< wahrzunehmende Tendenz einer solchen »sensualistischen« Vermittlung soll im folgenden anhand der allegorischen Frauenfiguren (Spinnerin, Maria, Obstfrau und Harfnerin) sowie an den - diesen Allegorien oft eng zugeordneten - poetologischen Selbstaussagen vorgeführt werden, die bisher nur wenig beachtet wurden. Dabei wird sich die Untersuchung vor allem auf die Trient-Kapitel (XIV-XXI) konzentrieren, die einmal mehr Heines große Kunst der epischen Verklammerung und thematischen Sequenzierung belegen. Heine hat die >Reise von München nach Genua< mit einer Reihe allegorischer »Frauenbilder« (7,45) versehen, in denen sich die italienischen Lebensverhältnisse gestalthaft konkretisieren. Die allegorische Darstellung Italiens ist in der zeitgenössischen Literatur und Malerei vielfach anzutreffen, man denke nur an Goethes Mignon-Figur oder an das 1828, im selben Jahr wie Heines >Reise< entstandene Gemälde >Italia und Germania* von Johann Friedrich Overbeck, das die beiden Länder als Frauenpaar in offener Landschaft vorstellt. Heines allegorische Praxis ist jedoch insofern bemerkenswert, als sie sich nicht auf eine synthetisierende Figur beschränkt, sondern mehrere, durchaus gegensätzliche »Frauenbilder« schafft, in denen jeweils verschiedene Facetten des Landes aufleuchten.2' Die erste wichtige Allegorie dieser Art ist die in Kap. XIII geschilderte »schöne Spinnerinn an den Marken Italiens« (7,38). Wie die Ortsangabe besagt, kündigt sich in ihr zwar schon ein italienisches Phänomen an, als Bewohnerin der Grenzregion ist die Spinnerin jedoch keinem der beiden Länder ganz zuzuordnen. Heine hat großen Wert darauf gelegt, diese kulturelle Grenzsituation zu betonen. So spricht er nicht nur von der »Spinnerinn an den Marken Italiens«, sondern teilt auch gleich zu Beginn des Kapitels mit, daß er sich nun in Südtirol, unweit der italienischen Grenze befindet: »Im südlichen Tyrol klärte sich das Wetter auf, die Sonne von Italien ließ schon ihre Nähe fühlen, die Berge wurden wärmer und glänzender, ich sah schon Weinreben, [...] und ich konnte mich schon öfter zum Wagen hinauslehnen.« (7,37) Das drei-
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»Die lächelnde Spinnerin, die mütterlich-natürliche Obstfrau, die lebensprühende Franscheska und die streitlustige Mathilde sind [...] auf einer tieferen Ebene Allegorisierungsangebote, die sich nicht gegenseitig ausschließen«, konstatiert Waltraud Maierhofer (Italia und Germania. Zum Frauen- und Deutschlandbild in Heines italienischen >ReisebildernBädern von Lukka< übertragend, schreibt er: Bartolo »mag zu jener Zeit wohlbelaubt und glühend gewesen seyn, vielleicht ähnlich dem heiligen Dionysos selbst, und seine Laetizia-Ariadne stürzte ihm gewiß bacchantisch in die blühenden Arme - Evoe Bacchae!« (7,98) Bedenkt man, daß Heine bei der Abfassung der textgenetisch zusammenhängenden Reisebilder Ariadne mit dem antiken Weingott assoziiert, 33 so erhält die Spinnerin eine zusätzliche - dionysische - Qualität. Heine hätte das dionysische Moment dann bereits durch den Ariadne-Vergleich evoziert und bei der Ortsbeschreibung im Bild der Weinrebe symbolisch wiederaufgenommen. Daß die schöne Spinnerin keineswegs als ein Bild des Spiritualismus angelegt ist, macht schließlich auch die dritte, ästhetisch-poetologische Annäherung an die Figur deutlich. Die lieben Züge kamen mir den ganzen Tag nicht aus dem Gedächtniß, überall sah ich jenes holde Antlitz, das ein griechischer Bildhauer aus dem Dufte einer weißen Rose geformt zu haben schien, ganz so hingehaucht zart, so überselig edel, wie er es vielleicht [...] geträumt in einer blühenden Frühlingsnacht. Die Augen frey lieh hätte kein 31
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Günter Oesterle, Heines >Reise von München nach Genua« - »ein träumendes Spiegelbild« vergangener und gegenwärtiger Zeiten. In: Italienische Reise. Reise nach Italien, hg. von I.M. Battafarano, Gardolo di Trento 1988, S. 257-277, hier S. 272. Altenhofer (Anm. 27), S. 253. Indirekt wird die Treulosigkeit des Theseus auch in der >Reise von München nach Genua< thematisiert, wenn der Erzähler betont, daß er selbst Ariadne »niemals verlassen« würde (7,38).
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Grieche erträumen können und noch weniger begreifen können. Ich aber sah sie und begriff sie, diese romantischen Sterne, die so zauberhaft die antike Herrlichkeit beleuchteten. (7,39)
Nach der Harmonisierung der religiösen Gegensätze in den vorangehenden Abschnitten kommt es hier nun zu einer Harmonisierung der ästhetischen Gegensätze. Sie gelingt durch dieo Verbindung des antik Plastischen (»griechischer Bildhauer«) mit der romantischen Sphäre traumhafter Innerlichkeit, die ihrerseits durch die Worte »geträumt«, »erträumen« und »Nacht« (als Zeit romantischer Introspektion) indiziert wird. Die so bewirkte Spannung zwischen Form und Traum, antiker Gegenständlichkeit und romantischer Seligkeit wird schließlich im letzten Satz, aufs äußerste gesteigert, in ein Bild vollkommener Harmonie aufgelöst: »die romantischen Sterne, die so zauberhaft die antike Herrlichkeit beleuchteten«. Der moderne Dichter erst (»Ich aber sah sie und begriff sie«) ist in der Lage, die getrennten Kulturepochen zuzuordnenden Reize der Spinnerin als Ganzes zu erfassen, ihm erst schließen sie sich zur ästhetischen Einheit zusammen. Der durch die christliche Moderne geprägte Mensch vermag daher auch im Gegensatz zum antiken Bildhauer (»kein Grieche« hätte ihre Augen erschaffen können) den seelischen Ausdruck der Augen zu begreifen, d.h.: sympathetisch wahrzunehmen, ohne darüber die antike Form des Antlitzes außer acht zu lassen. Sehend begreift er, daß die »romantischen Sterne« die »antike Herrlichkeit« beleuchten, also in einer harmonischen Beziehung zu ihr stehen. Heines expliziter Hinweis auf das Romantische und Antike läßt darauf schließen, daß auch schon das Bild von Kruzifix und Weinrebe im Sinne dieser gegenseitigen Durchdringung und Versöhnung der kulturellen Gegensätze angelegt war. In Anlehnung an den von Goethe 1827 als »Zwischenspiel« zum >Faust< veröffentlichten Helena-Akt, in dem Faust und Helena als Repräsentanten ihrer Epochen in reimender »Wechselrede« für Augenblicke zu harmonischem Einklang finden,34 läßt sich die schöne Spinnerin in der >Reise von München nach Genua< als Heines »klassisch-romantische Phantasmagoric« bezeichnen. Wie sehr Heine an einer Versöhnung »zwischen Romantikern und Plastikern« (10,196) gelegen war, dokumentiert sein 1820 entstandener Aufsatz >Die RomantikSeegespenst< denken, in dem ebenfalls in einer Art halluzinatorischer Hinwendung zum Vergangenen eine versunkene Stadt mit ihrem beschaulich-archaischen Leben heraufbeschworen wird. Ahnlich wie dort durch den Kapitän (»Doktor, sind Sie des Teufels?«; 1,388) wird der Ich-Erzähler hier durch die Obstfrau aus der romantischen Illusion gerissen. In beiden Fällen liegt übrigens auch eine Anspielung auf Hoffmanns Märchen >Der goldene Topf< vor. Während der Schlußvers in >Seegespenst< den Ausruf des Schiffers in der zweiten Vigilie variiert (»Ist der Herr des Teufels?«),46 erinnert Heines Obstfrau an jenes »häßliche alte Weib«, über dessen Korb mit Äpfeln und Kuchen der junge Anselmus am Himmelfahrtstag stolpert. Die Anspielung auf Hoffmanns Figur des Anselmus zeigt, daß der Erzähler der >Reise< in einer vergleichbaren romantischen Traumbefangenheit lebt. Seine Erinnerungen an die 44
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Die »Metempsychose ist oft der Gegenstand meines Nachdenkens«, heißt es hier (vgl. D H A 6, S . i j i f . ) . Vgl. D H A 6, S. 178 und 228: »als vor einigen Jahren eine gütige Dame [...] mir die hübschen Bilder zeigte, die ihr Vater, der [...] Gouverneur in Indien war, von dort mitgebracht, schienen mir die zartgemalten, heiligstillen Gesichter so wohlbekannt, und es war mir, als beschaute ich meine eigene Familiengallerie.« Die Parallelen zu den altindischen Reminiszenzen im >Buch Le Grand< sprechen dafür, daß der Metempsychose-Gedanke der >Reise< ebenfalls eine romantische Disposition zum Ausdruck bringen soll. E . T . A . Hoffmann, Fantasiestücke in Callot's Manier. Werke 1814, hg. von H . Steinecke, Frankfurt a.M. 1993, S.238. Z u Heines Motivparodie vgl. Briegleb (B 2, S. 751). 1
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uraltertümliche Welt von Trient stellen wie bei Anselmus eine Verstrickung ins Illusionäre und Phantastische dar, die durch den Zusammenprall mit der Alltagsrealität ironisch aufgelöst wird. Da die Obstfrau den träumenden Erzähler in die »wirklichste Wirklichkeit« (7,41) zurückholt, vertritt sie hier gleichermaßen allegorisch das sinnliche Realitätsprinzip. Wie sehr gerade ihre korpulente Statur und ihre erotisch konnotierte Ware (Feigen) sie dazu prädisponieren, wird noch im einzelnen zu sehen sein. Festzuhalten bleibt zunächst, daß Heine die kurze Beschreibung seiner Ankunft in Trient bereits dazu nutzt, seinen inneren Widerstreit zwischen romantischer Traumwelt und sinnlicher Wirklichkeit nach dem aus dem >Buch der Lieder< bekannten Schema von Traum und Erwachen 47 zu inszenieren und damit die noch im Bild der Spinnerin harmonisch verbundenen Gegenwelten erneut zu polarisieren. Der Rhythmus von Traum und Erwachen, romantischem Schauer und desillusionierender Wirklichkeit bestimmt auch im folgenden die Struktur der Trient-Sequenz. Interessant ist, daß die Figur der toten Maria ausgerechnet hier, im Kontext der präexistentiell vermittelten Traumbilder, zum ersten Mal erwähnt wird, und zwar just vor der desillusionierenden »Ohrfeige« der Obstfrau. So rätselhaft die Figur Marias auch erscheint, deutet doch dieser Kontext schon darauf hin, daß sie wie die untergegangene Stadt Trient für eine irreale Traumwelt steht, also das Archaische und Romantische, aber eben auch Anachronistische und Tote repräsentiert, das sich nur unter gespenstischem Grauen zu neuem Leben erwecken läßt. An einer späteren Stelle nennt der Erzähler Maria sein »süßes gestorbenes Leben« (7,61) und bestimmt sie damit selbst als Figuration einer früheren Existenz, die zwar immer wieder durchbricht, aber letztlich doch wie die altitalienischen Gesichter »etwas jahrtausendlich Verstorbenes« (7,40) hat und der Welt der Toten angehört: Maria habe »gar keinen Fehler« gehabt, heißt es lapidar, »außer daß sie todt war« (7,41). Die tote Maria und die dicke Obstfrau stehen sich damit in einer antagonistischen Konstellation gegenüber. Ähnlich wie die »buntallegorischen Figuren« (7,41) auf den Palazzi von Trient, die Heine hier nicht zufällig erwähnt, weisen sie allegorisch über sich hinaus und verkörpern Teilaspekte der in der Spinnerin zum Einklang gebrachten Prinzipien. Die antagonistische Konzeption der beiden Figuren läßt sich freilich auch schon an der Handlungssequenz der Kapitel X I V - X V I ablesen. Zwei Mal begegnet der Erzähler der Obstfrau, und zwar jeweils unmittelbar nach seiner halluzinatorischen Hinwendung zur toten Maria. Das erste Mal wecken ihn die Feigen der Obstfrau aus seiner Maria-Phantasie, das zweite Mal begegnet er ihr, als er aus dem Dom, w o ihn die Gestalt Marias erneut mit »aller Traumgewalt« 47
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»Vielleicht auch, dacht ich, ist das Ganze wirklich nur ein Traum, und ich hätte herzlich gern einen Thaler für eine einzige Ohrfeige gegeben, bloß um dadurch zu erfahren, ob ich wachte oder schlief.« (7,41)
(7,4 2 ) heimsucht, auf den Marktplatz zurückeilt. Kontrapunktisch aufeinander bezogen sind die Figuren aber nicht nur durch dieses Prinzip der wechselnden Begegnung, sie sind es vor allem auch durch ihre physischen Merkmale. Während die blasse Maria in gespenstischer Weise das Tote verkörpert und daher hauptsächlich »etwas Geistiges« (7,42) ausstrahlt, bietet die korpulente Obstfrau mit ihren südlichen Früchten umgekehrt ein Bild des prallen bunten Lebens. Auf die vitale Sinnlichkeit deutet insbesondere die Feige, die sie dem träumenden Erzähler an die Ohren wirft. In der griechischen Antike war der Feigenbaum dem Dionysos heilig und galt als Symbol der Fruchtbarkeit. Die Beziehung der Feige zum Geschlechtsleben ist sowohl für die heidnische Antike wie für das frühe Christentum belegt. 48 Noch heute gilt die sogenannte »Ficageste« in den Mittelmeerländern als Sexualsymbol. Daß die Feige auch bei Heine als solches fungiert, geht aus dem Paralipomenon A 8. >Ala< hervor, das einen Zusammenhang zwischen dem Busen und den Früchten der Obstfrau herstellt.49 Während also das Portrait der toten Maria von sentimentalischer Trauer umflort ist, vermittelt die Obstfrau umgekehrt ein Bild sexueller Vitalität,' 0 wenn nicht gar obszöner Aufdringlichkeit. Romantisch-spiritualistische Seelenliebe und krude Fleischlichkeit stehen sich hier in recht drastischer Weise gegenüber. Das der katholischen »Sommerreligion« (7,42) gewidmete 15. Kapitel, das im Dom von Trient spielt, arbeitet ebenfalls mit sexuellen Konnotationen. Es ist nicht unerheblich, daß das Kapitel von den sinnlich gesättigten Marktszenen und Begegnungen mit der Obstfrau umrahmt ist. Sie legen gleichsam eine kontrapunktische Klammer um die mystische Seelenandacht im Inneren des Gotteshauses und tragen dementsprechend zur sensualistischen Ironisierung der religiösen Empfindung bei. Die Feststellung, daß »ein solcher Dom mit seinem gedämpftem Lichte und seiner wehenden Kühle [...] ein angenehmer Aufent48
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Vgl. den Artikel »Feige« in: Reallexikon für Antike und Christentum, hg. von Theodor Klauser, Bd. 7, Stuttgart 1969, S.65of. »An der Ecke des Marktes [...] sitzt ein dickes Obstweib und fächert sich. Der braune Busen quilt und duftet hervor aus einem gleichfarbigen Hemde. Ihr Obst aber steht auf zierlich weißen Teller. D a sind frische Feigen, die ersten die ich mein Lebtag gesehen habe. D a ich bald sie selbst, bald ihre Feigen ansehe, so weiß sie nicht welche Früchte sie mir anbieten soll und kokettiert verschämt mit dem grünen Fächer.« (7,332)Daß Heine die ursprünglich für Ala vorgesehene Obstfrau nach Trient verlegt hat, dürfte damit zu erklären sein, daß er sie dort als Kontrastfigur für die tote Maria einsetzen konnte. Zum sexuellen Motiv der Feige vgl. auch >Die Bäder von Lukka< (7 Ιθ8) ' · »Lieben und geliebt zu werden, ist das größte Glück auf Erden« (7,43) lautet denn auch das Motto, das der Erzähler ihrem Gesicht abliest. Die Obstfrau steht damit im Gegensatz zu den vielen unglücklich Liebenden in Heines Werk f ü r ein erfülltes Liebesleben. Aus ihrer vitalen Sexualität mag im übrigen auch das Detail der »armen Lilje« (7,332) zu erklären sein, die sie laut Bruchstück A 8. in den »klebrig weißen Flechten« ihrer gepuderten Haare trägt.
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halt [ist], wenn draußen greller Sonnenschein und drückende Hitze« (7,42), und man deshalb eine gute Siesta darin halten kann, zeigt bereits, daß hier eine sensualistische Umfunktionierung des Gotteshauses, nämlich eine Verschiebung vom religiösen Seelenheil zum physischen Wohlbefinden stattfindet. Wichtiger für die sensualistische Tendenz der Szene als dieser »materialistische Religionsvergleich unter dem Gesichtspunkt pragmatischer Funktionen«' 1 aber ist die erotische Grundierung der Mystik - die Sexualisierung der Andacht. Man muß nicht erst die unterdrückten Lesarten heranziehen, um die erotische Bedeutungsschicht der Szene freizulegen. Hinter dem grünseidenen Vorhang am Eingang des Doms bietet sich dem Betrachter ein Bild, das mit seinen »hingestreckten« Frauen, großen Fächern und wehenden Schleiern eher an einen orientalischen Selam als an ein frommes Gebet erinnert. Es waren meistens Frauenzimmer, in lange Reihen hingestreckt auf den niedrigen Betbänken. Sie beteten bloß mit leiser Lippenbewegung, und fächerten sich dabei beständig mit großen grünen Fächern, so daß man nichts hörte als ein unaufhörliches Wispern, und nichts sah als Fächerschlag und wehende Schleyer. Der knarrende Tritt meiner Stiefel störte manche schöne Andacht, und große katholische Augen sahen mich an, halb neugierig, halb liebwillig, und mochten mir wohl rathen, mich ebenfalls hinzustrecken und Seelensieste zu halten. (7,42)'*
Die Lesarten, die die »Wollust der Gottesbeschauung« und »wollüstige Andacht« (7,712f.) der Frauen verzeichnen, lassen Heines Intention, das spirituelle und erotisch-sexuelle Moment zu vermischen, noch deutlicher hervortreten. Wichtig ist, daß die mystische Qualität dabei nicht zerstört wird, sondern zur Steigerung des erotischen Erlebnisses dient. Die sensualistische Korrektur der katholischen Andacht leugnet nicht die kontemplative Gotteserfahrung im Gebet, sie fügt ihr nur ein erotisches Moment hinzu. Dabei kommt es kurzfristig zu einer ähnlichen Durchmischung der Ebenen wie bei der Spinnerin, in deren Nähe die Tauben »hin und her« flattern »wie Liebesengel« (7,39) - in den Lesarten sind es sogar »Liebesgötter« (7,701), also Eroten - , während die weiße, den Heiligen Geist symbolisierende Taube »über ihrem Haupte mystisch die Flügel« (7,39) bewegt. Für Augenblicke stellt sich im Dom von Trient wie schon im Traum von der Spinnerin die Empfindung einer sinnlich-übersinnlichen Totalität ein, die aber ebensowenig wie das idyllische Traumbild stabili-
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Alfred Opitz ( D H A 7, S. 868). Man vergleiche die hingestreckten Frauenzimmer mit dem »Harem voll verliebter Odalisken« (8,160), den Heine in der >Romantischen Schule< beschreibt. Darin wird dem Leser »zu Muthe, als läge er behaglich ausgestreckt auf einem persischen Teppich, [...] während eine schwarze Sklavinn ihm mit einem bunten Pfauenwedel Kühlung zuweht« (8,161; meine Kursivierung). Wie die Liegestellung und der Fächerschlag erinnern auch die erotisierenden Augen an die Domszene: Die »großen katholischen Augen« der andächtigen Trienterinnen, die den Hinzutretenden »halb liebwillig« ansehen, korrespondieren den schwarzen »Gazellenaugen« der Odalisken.
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siert werden kann. In der katholischen Dämmerstimmung des Doms verliert sich der Erzähler bald wieder an die tote Maria oder, da Maria als Tote nicht leibhaftig im D o m erscheinen kann, an die romantisch-sentimentalische Grundstimmung, als deren Figuration sie zu deuten ist. Traum, Seele, Geist und Erinnerung, alle spirituellen Erfahrungsmodi also, werden durch ihre Person stimuliert. Die durch das Seitenbrett des Beichtstuhls hervorschauende Hand Marias erscheint dem Betrachter als »etwas Geistiges«, Ätherisches, das mit den »animalischen« Händen gewöhnlicher Menschen nichts gemein hat: Ich konnte nicht aufhören diese Hand zu betrachten; das bläuliche Geäder und der vornehme Glanz der weißen Finger war mir so befremdlich wohlbekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Gesicht zu bilden, das zu dieser Hand gehören könnte. Es war eine schöne Hand, und nicht wie man sie bey jungen Mädchen findet, die [...] nur gedankenlose, vegetabil animalische Hände haben, sie hatte vielmehr so etwas Geistiges, so etwas geschichtlich Reitzendes, wie die Hände von schönen Menschen, die sehr gebildet sind oder viel gelitten haben. [...] meine Seele drückte einen unsichtbaren Abschiedskuß auf die schöne Hand, diese zuckte in demselben Momente, und zwar so eigenthiimlich, wie die Hand der todten Maria zu zucken pflegte, wenn ich sie berührte. U m Gotteswillen, dacht ich, was thut die todte Maria in Trient? - und ich eilte aus dem Dome.' 3
Die tote Maria bringt die »Seele« des Erzählers in Aufruhr, und seine »Seele« ist es auch, die der Hand der Toten einen Kuß gibt. Die Fokussierung des Vorgangs auf das Seelische paßt zur vorher thematisierten Seelenwanderung des Erzählers, die überhaupt erst erklärt, warum ihm das »uraltertümliche« Trient »so längst vergessen wohlbekannt« erscheint. Marias Hand kommt ihm nun genauso »befremdlich wohlbekannt« vor wie das alte katholische Trient. Eben deshalb schreibt er ihr »etwas geschichtlich Reitzendes« zu. Das Rätsel der toten Maria wird, wenn man dieses Geschichtliche auf die »märchenhafte« Welt 54 jener mittelalterlich-vorrevolutionären Zeit bezieht, allmählich durchsichtiger. Maria steht für die romantische Seelenverfassung des Erzählers, die in ihrer historischen Ausrichtung auf das Vergangene zwar längst obsolet erscheint, als Tiefendimension der persönlichen Biographie - poetisch chiffriert durch Präexistenz und Metempsychose - jedoch virulent bleibt. Weil nun die »geschichtlich reizende« Präexistenz nicht phänomenal wahrgenommen, sondern allenfalls erinnert werden kann, bleibt sie rein geistiger Natur und äußert sich dem-
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D H A 7, S.42; meine Hervorhebung. Wiederholt wird die vorrevolutionäre Epoche, »als die marmorne Madonna [...] noch ihren wunderschönen Kopf aufhatte« (7,40), von Heine mit den Epitheta »märchenhaft« und »zauberhaft« belegt, was die romantische Verklärung dieser Zeit, aber eben auch ein Bewußtsein von dieser Verklärung erkennen läßt. In Kap. X V I I betont der Reisende die »Zaubermacht der ersten Ueberraschung, die Märchenhaftigkeit der wildfremden Erscheinung« (7,45) bei seiner Ankunft in Trient und in Kap. X X I I I erklärt er, die »Erscheinungen« in Trient haben ihn »nur dämmernd und ahndungsvoll, wie Mährchenschauer« (7,54) berührt.
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entsprechend »nur dämmernd und ahndungsvoll« (7,54) als Traum oder gespenstisches Déjà vu. Maria ist »tot«, weil sie eine unzeitgemäße Existenzform verkörpert, und doch lebendig, insofern diese Existenzform als Ahnung und regressive Sehnsucht im Erzähler nachschwingt, ja ihm sogar als romantischer und d.h.: »deutscher Schmerz« (7,46) in das südliche Land nachfolgt. So wie der später portraitierte Peter Cornelius, als dessen Schüler Heine sich ausgibt, in dem Bewußtsein lebt, »daß er einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nachsendung ist« (7,78), so wird auch die tote Maria für den Reisenden zur »mystischen Nachsendung« einer »längst verklungenen« Epoche. Nicht zufällig - wir wiesen schon darauf hin - nennt Heine sie »mein süßes gestorbenes Leben« (7,61). Das in Maria gestaltgewordene Bewußtsein, einer längst vergangenen Zeit anzugehören, mag auch erklären, warum die politische Zukunftsverheißung der Kap. X X I X - X X X I am Ende gebrochen reflektiert und, eben weil sie nicht mehr das eigene Leben betrifft, gar melancholisch grundiert w i r d . " Die >Reise< spiegelt eine zwischen romantischer Vergangenheitssehnsucht und progressiver Zukunftsbegeisterung gespannte Konfliktsituation wider, die keine befriedigende Lösung erkennen läßt. Als der Erzähler Maria und den Dom verläßt, findet er sich in das bunte Markttreiben zurückversetzt. Dom und Markt verhalten sich zueinander wie Traum und Wirklichkeit oder Innen- und Außenwelt. Die Obstfrau, die in der Welt der sinnlichen Realpräsenz ihren Ort hat, bietet dem Reisenden einen ganz anderen Blick auf die Geschichte als die tote Maria. Ich betrachtete diese Frau mit derselben Aufmerksamkeit, wie irgendein Antiquar seine ausgegrabenen Marmortorsos betrachtet, ich konnte an jener lebenden Menschenruine noch viel mehr studieren, ich konnte die Spuren aller Civilisazionen Italiens an ihr nachweisen, der etruskischen, römischen, gothischen, lombardischen, bis herab auf die gepudert moderne [...]. (7,43)
Die Obstfrau wird so zu einer Allegorie der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Während die tote Maria eine Figur aus vergangener Zeit ist und aus historischer Perspektive als Anachronismus zu bezeichnen wäre, wird an der Obstfrau umgekehrt die chronologische Reihenfolge der historischen Entwicklung bzw. das Fortschreiten der Zeit im zivilisatorischen Prozeß erkennbar. Das antithetische Rollenspiel der beiden Frauen wird also nicht zuletzt auch durch das »geschichtlich Reitzende« ihrer Erscheinung bestätigt. Zusammenfassend läßt sich zum Wahrnehmungsrhythmus des Erzählers sagen, daß er beständig zwischen Traum und Wachen, romantischer Halluzination und sinnlicher Wirklichkeit schwankt: War die Ankunft in Trient ganz von der traumhaften Empfindung des altertümlichen Zaubers geprägt, so reißt die Begegnung mit der Obstfrau den Reisenden aus seinen romantischen Visionen. " » O wir armen Kämpfer! die wir unsre Lebenszeit in solchem Kampfe vergeuden mußten, und müde und bleich sind, wenn der Siegestag hervorstralt!« (7,74)
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Und gerät dieser im D o m gleich darauf erneut in den Bann der »Traumgewalt«, so wird er auf dem bunten Marktplatz durch seine historischen »Studien« an der Obstfrau und deren »geographische, ökonomische, hortologische, klimatische Fragen« (7,45) auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dieser Erzählrhythmus spiegelt die innere Zerrissenheit des Reisenden wider, jene Zerrissenheit zwischen einer seelisch-romantischen und einer sinnlich-konkreten Lebensausrichtung, die im Bild der »Spinnerinn an den Marken Italiens« visionär überwunden worden war. Im zweiten Teil der Trento-Sequenz wird diese Zerrissenheit erneut, nun aber vorwiegend in poetologischer Hinsicht thematisiert. In Kap. X V I I etwa findet man den soeben beschriebenen Erzählrhythmus der >Reise< in ein poetologisches Bild übersetzt. Der rhythmische Gang der schönen Trienterinnen wird dem Erzähler hier zur Metapher seiner wechselnden Erlebnisweise und damit zum Sinnbild seiner eigenen dichterischen Verfahrensweise. Ich weiß nicht, ob andere Reisende hier das Beywort >schön< billigen werden; mir aber gefielen die Trienterinnen ganz ausnehmend gut. Es war just die Sorte, die ich liebe: und ich liebe diese blassen, elegischen Gesichter, w o die großen, schwarzen Augen so liebeskrank herausstralen; ich liebe auch den dunkeln Teint jener stolzen Hälse, die schon Phöbos geliebt und braun geküßt hat; ich liebe sogar jene überreife Nacken, worin purpurne Pünktchen, als hätten lüsterne Vögel daran gepickt; vor allem aber liebe ich jenen genialen Gang, jene stumme Musik des Leibes, jene Glieder, die sich in den süßesten Rhythmen bewegen, üppig, schmiegsam, göttlich liederlich, sterbefaul, dann wieder ätherisch erhaben, und immer hochpoetisch. Ich liebe dergleichen, wie ich die Poesie selbst liebe, und diese melodisch bewegten Gestalten, dieses wunderbare Menschenkonzert, das an mir vorüberrauschte, fand sein Echo in meinem Herzen, und weckte darin die verwandten Töne. (7,45)
Der rhythmisch gestaltete Gegensatz zwischen »üppiger« Leiblichkeit und »ätherischer« Entstofflichung, »liederlicher« Reizentfaltung und sublimierender »Erhabenheit« deutet zurück auf die Spannung zwischen Christus und Dionysos, romantischer Sehnsucht und antiker Herrlichkeit im Bild der schönen Spinnerin. Läßt der blasse, elegische Ausdruck auf einen sentimentalischen Habitus schließen, so deutet der braune und purpurne Teint, der mit Liebe (Phöbos) und Lust (»lüsterne Vögel«) assoziiert wird, dagegen auf eine antiknaive Haltung hin. Kennzeichnend für all diese Gegensätze ist zum einen, daß sie in ihrer Tiefendimension den Antagonismus von Spiritualismus und Sensualismus beschreiben, und zum anderen, daß sie im Kontext ihrer Entfaltung zugleich einer harmonisierenden Vermittlung zugeführt werden. Die Art und Weise dieser Vermittlung fällt jedoch recht unterschiedlich aus. Im Fall der Spinnerin nämlich erfolgt sie durch die synkretistische Verschränkung christlicher und antiker Bildelemente, bei den Trienterinnen durch die musikalischrhythmische Auflösung der Dissonanz in ein »Konzert«. Das »Menschenkonzert« von Trient läßt sich daher als musikalische Variation der ikonographisch vermittelten Gegensätze beschreiben, mit der Einschränkung allerdings, daß es 163
sich hier nicht mehr um ein Erlebnis der sinnlichen Kopräsenz, sondern um ein rhythmisches Alternieren der Gegensätze handelt. Daß Heine die so entstehende dissonantische Harmonie oder harmonische Dissonanz als Kennzeichen des Poetischen schlechthin wertet (»Ich liebe dergleichen, wie ich die Poesie selbst liebe«), wirft ein besonderes Licht auf sein eigenes ästhetisches Verfahren. Seine kontrastharmonische Ästhetik ist nicht »schön« im traditionellen Kunstsinn (»Ich weiß nicht, ob andere hier das Beywort >schön< billigen werden«), aber doch insofern »genial« (»genialer Gang«), als sie der Versuchung jeder harmonisierenden Ganzheitslüge widersteht, also der modernen Bewußtseinslage des Zerrissenseins gerecht wird, ohne deshalb den Anspruch auf eine Vermittlung der ethisch-ästhetischen Prinzipien völlig aufzugeben. Das »Menschenkonzert« in Kap. XVII kann daher auch als poetologisches Resümee der im ersten Teil der Trento-Sequenz entfalteten Kontraststruktur gelesen werden. Die ikonographisch vermittelte Synthese der Gegensätze im Bild der Spinnerin war, wie gezeigt wurde, für Heine nur als Idylle, d.h. im Bewußtsein naiver Weltfremdheit denkbar. Das Lied von den Königskindern, die nicht zueinander kommen können, hatte diese quasi ontologische Unvereinbarkeit von Ideal und Wirklichkeit schon an der Schwelle zum 13. Kapitel deutlich gemacht. Anders verhält es sich mit dem musikalisch-rhythmischen Modell. In ihm nämlich wird die antagonistische Konstellation nicht geleugnet, sondern umgekehrt zum grundlegenden Moment des Kunstwerks erhoben. Totalität im Sinne der oben referierten Sensualismus-Definition kann dabei nur linear im rhythmischen Wechsel der dissonanten Prinzipien entfaltet werden. Heines kontrastharmonische Ästhetik darf insofern tatsächlich als »genial« gelten - sie bietet eine ganz eigene, unerhörte Musik. Poetologisch relevant im Sinne dieser Ästhetik ist nicht nur das »wunderbare Menschenkonzert« von Trient. Auch die von der Heine-Forschung vielbeachtete Harfnerin kann als Figuration einer oxymorischen oder kontrastharmonischen Erlebnisweise gedeutet werden. Der »tiefe Schmerzenston« (7,47) der kleinen, in Begleitung zweier erbärmlicher Gestalten auftretenden Straßenmusikerin hat sicher in erster Linie eine politische Bedeutung. Michael Werner sieht in der Harfnerin zu Recht »das kranke, leidende, wissende, >geknechtete< Italien, das durch die politischen Verhältnisse gezwungen ist, sein nationales Unglück hinter grotesken Spaßen zu verbergen und die Narrenkappe aufzusetzen«.'6 Diese Einschätzung spiegelt Heines eigene Auffassung vom »esoterische[n] Sinn der Opera Buffa« wider: Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kund geben. All sein Groll gegen fremde Herr56
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Werner (Anm.39), S.36. Ähnlich argumentieren Allenspach ( A n m . 1 3 , S . 1 3 5 ) und Stefan Oswald (Italienbilder: Beiträge zur Wandlung der deutschen Italienauffassung 1770-1840, Heidelberg 1985, S. 1 3 6 - 1 4 1 ) .
schaft, seine Begeisterung für die Freyheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht, seine Wehmuth bei der Erinnerung an vergangene Herrlichkeit [...] verkappt sich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herabgleiten, und in jene Pantomimen, die von schmeichelnden Caressen zu drohendem Ingrimm überschnappen. (7,49)
Im Lichte dieser Erläuterungen und zumal in Anbetracht der parodistischen Anspielungen auf Goethes Mignon-Figur' 7 wird das tragikomische Musiktrio mitsamt der Harfnerin als eine komplexe politische Allegorie lesbar. Die »Lokanda dell' Grande Europa« (7,46), in deren Nähe das Trio auftritt, deutet zudem auf die gesamteuropäische Dimension seines pantomimischen Spiels. Doch so offenkundig die Anspielungen auf die restaurativen Verhältnisse darin auch sind, läßt es sich doch nicht ausschließlich auf politische Fragen reduzieren. Ebenso ausgeprägt wie die politische ist die poetologische Aussagekraft der Szene. Die Harfnerin nämlich verkörpert jenen lasziv-ätherischen Kontrast, der den Erzähler schon im »Menschenkonzert« von Trient verzaubert hatte; ihre Gestalt ist ganz von der oxymorischen Spannung geprägt, die ihm dort als eine »geniale«, seiner eigenen Empfindung »verwandte« Ästhetik erschienen war. Den »blassen elegischen Gesichtern« (7,45) der Trienterinnen entspricht »das bleichsüchtige Welken« ihres »schönen Gesichtes« (7,47), dessen »stolzgeschwungene Formen« (ebd.) wiederum an die »stolzen Hälse« (7,45) der erwähnten Frauen erinnern. Elegische Sehnsucht und antike Herrlichkeit stehen sich in beiden Fällen spannungsreich gegenüber. Da der Erzähler die kontrastharmonische Spannung des »Menschenkonzerts« eben noch zum Prinzip des Poetischen erklärt und enthusiastisch begrüßt hat (»ich liebe dergleichen«), darf man annehmen, daß die Harfnerin, deren Auftritt gewissermaßen eine solistische Variante des großen Konzerts bietet, nicht nur eine politische These vertritt. Politisch betrachtet ist ihre oxymorische Existenz erlösungsbedürftig - poetologisch betrachtet entspricht sie der Zerrissenheit des modernen Schriftstellers und damit einer zeitgemäßen Ästhetik. Als Allegorie der modernen Poesie - und gerade die Harfe als klassisches Attribut des Dichters prädestiniert sie dazu - hat sie trotz, ja man kann sagen wegen ihrer »Krankhaftigkeit« eine Vorbildfunktion. Bestätigt wird diese These durch den Monolog des Erzählers, der dem Tanz der Harfnerin in Kap. X V I I I unmittel-
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Vgl. dazu Werner (Anm. 39, S. 36), sowie Anglade (Anm. 2, S. 301): »Heine hat tatsächlich seine Harfenistin als eine zweite, eine andere Mignon konzipiert und sie Punkt für Punkt von seinem Modell abgehoben.« Anglades These, daß »der Grad der Erotisierung des Tanzes«, den die Harfnerin mit ihrem Vater aufführt, »zum Maßstab des Emanzipationsdranges und dessen möglicher Radikalisierung« wird (S. 303), muß indes zurückgewiesen werden, da der »laszive Paarungstanz« (ebd.) als ein dem Mädchen auferlegter Zwang und damit als Zerstörung ihrer Kindheit dargestellt wird. Auch widerspricht sich Anglade selbst, wenn er die dem lasziven Tanz entsprechende Prostitution des Mädchens im Anschluß als »soziale Unordnung« ( S . 3 1 1 ) bezeichnet. 165
bar vorausgeht. In diesem Monolog stellt er fest, daß seine »alten deutschen Schmerzen« ihm nach Italien gefolgt sind und sich wie »kleine Schlangen« tief in seiner Brust »verkrochen« haben. D a sie ihm dort ein »pittoreskes Weh« (7,47) verschaffen, kultiviert er sie als Quelle seines romantischen Lustgewinns: Und warum sollten sich die alten Schmerzen nicht auch einmal freuen? Hier in Italien ist es ja so schön, das Leiden selbst ist hier so schön, in diesen gebrochenen Marmorpallazos klingen die Seufzer viel romantischer, als in unseren netten Ziegelhäuschen, unter jenen Lorbeerbäumen läßt sich viel wollüstiger weinen als unter unseren mürrisch zackigen Tannen [...]. Bleibt nur in meiner Brust, Ihr Schmerzen! Ihr findet nirgends ein besseres Unterkommen. Ihr seyd mir lieb und werth, und keiner weiß Euch besser zu hegen und zu pflegen als ich, und ich gestehe Euch, Ihr macht mir Vergnügen. (7,46) M a n ist geneigt, diese Selbstreflexion als Ironisierung des romantischen Weltschmerzes zu lesen. Die übertriebene Kultivierung des eigenen Leids läßt zumindest eine selbstironische Distanz erahnen. Allerdings sind die ausdrücklichen Bekenntnisse zu Krankheit und Leid' 8 und die Sympathiebekundungen f ü r die »blassen elegischen Gesichter« in der >Reise< allzu zahlreich, um als ironischer Reflex auf den romantischen Weltschmerz abgetan zu werden. Sie deuten eher auf eine romantische Grundstimmung hin, die nicht einfach zugunsten antiker Sinnlichkeit zurückgestellt oder verleugnet werden kann. Das wollüstige Weinen und süße Sehnen ist wenn auch kein sinnliches, so doch gleichwohl ein »Vergnügen«, ein lustvolles Erlebnis, zu dem sich der moderne, in seiner Kindheit romantisch geprägte Dichter in ironischer Form bekennt. Besonders aufschlußreich ist der Hinweis, daß das Trio den selbstreflexiven Monolog des Erzählers währenddessen »melodramatisch« inszeniert, seine Reflexionen über den Schmerz also gewissermaßen musikalisch-pantomimisch widergespiegelt habe: »Ich glaube, die Musik, die, ohne daß ich darauf achtete, vor der Botega erklang, [...] hatte melodramatisch diesen Monolog begleitet.« (7,47) Da der M o n o l o g ein (poetologisches) Bekenntnis zum Schmerz darstellt, erscheint die kleine Harfnerin in einem doppelten Licht: Ist sie nämlich als »geknechtetes«, zur Prostitution gezwungenes Mädchen politisch erlösungsbedürftig, so entspricht sie doch in ästhetischer Hinsicht dem Ideal des Reisenden vollkommen. I m Anblick ihrer Person mischen sich politische Anklage (das Mitleid mit dem O p f e r der bestehenden Verhältnisse) und romantischer Lustgewinn:
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Vgl. D H A 7, S. 34 (»zu dumm, [...] um krank sein zu können«); S. 42 (etwas »Reitzendes, wie die Hände von schönen Menschen, die [...] viel gelitten haben«); S.45 (»ich liebe diese blassen elegischen Gesichter«); S. 46 (»Bleibt nur in meiner Brust, Ihr Schmerzen*.«); S-4j{. (»über dem unglücklichen Mädchen, diesem Frühling, den der Tod schon verderblich angehaucht, lag eine unbeschreibliche Anmuth«); S. 61 (»O du dummes Herz, [...] kennst du denn nicht mehr das Lied vom kranken Mohrenkönig, das [...] Maria so oft gesungen?«); S.65 (»kranke Menschen sind immer wahrhaft vornehmer als gesunde; denn nur der kranke Mensch ist ein Mensch «).
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Je frecher sie sich gebehrdete, desto tieferes Mitleiden flößte sie mir ein, und wenn ihr Gesang dann weich und wunderbar aus ihrer Brust hervorstieg, und gleichsam um Verzeihung bat, dann jauchzten in meiner Brust die kleinen Schlangen, und bissen sich vor Vergnügen in den Schwanz. (7,48)
Die kleine Harfnerin ist also die Figur in der >Reise von München nach Genua«, in der sich die textstrukturierende Problemkonstellation am deutlichsten widerspiegelt. Zum einen nämlich wird an ihr selbst und ihrer Wirkung auf den Erzähler der Konflikt zwischen politischem Emanzipationsstreben und romantischem Lustgefühl thematisiert - ein Konflikt, der durch die Hinwendung zur toten Maria am Ende erneut aufbricht - , zum anderen bringt sie durch Tanz und Gesang die oxymorische Grundstimmung des Reisenden zum Ausdruck. Wie schon die schöne Spinnerin und die Frauen von Trient verkörpert sie sowohl das sentimentalisch-moderne wie auch das naiv-antike Moment und führt damit noch einmal den kontrastharmonischen Gegensatz vor Augen. Die Harfnerin kann daher als allegorische Darstellung einer im Text selbst immer schon eingelösten oxymorischen Poetik gelesen werden. Ihre antithetischen Konstituenten werden von Heine wiederholt zu paradoxalen Einheiten verbunden: »pittoreskes Weh« (7,46), »entsetzlich drollig« (7,48), »tolle Empfindelei«, »lachende Wehmuth« und »lebenssüchtige Todesbegeisterung« (ebd.). In Kap. XIX ordnet er diese Kontrastästhetik der Opera buffa zu und würdigt Rossini als den herausragenden Meister dieser Gattung. Rossini wird so zu einer Spiegelfigur des Erzählers. Was Heine über die fehlende Anerkennung des italienischen Komponisten in Deutschland sagt, läßt sich denn auch leicht auf seine eigene Rezeption als Autor übertragen: »Divino Maestro, verzeih meinen armen Landsleuten, die deine Tiefe nicht sehen, weil du sie mit Rosen bedeckst, und denen du nicht gedankenschwer und gründlich genug bist, weil du so leicht flatterst, so gottbeflügelt!« (7,48) Die Nähe zu Rossini ergibt sich zum einen aus der esoterischen Codierung einer nach außen hin leichtfüßig wirkenden Kunst (ausdrücklich ist vom »esoterischen Sinn der Opera buffa« die Rede), zum anderen aber aus dem für sie konstitutiven Wechselspiel zwischen »grotesker Lebenstrunkenheit« und »elegischer Weichheit« (7,48), wie es auch im Hinblick auf die Empfindungsweise des Erzählers festgestellt und als Strukturmerkmal der Trento-Sequenz herausgearbeitet werden konnte. Wie eingangs betont, endet die >Reise< nicht im Ausblick auf ein »neues Geschlecht« (7,74), sondern im mystischen Schauer über das Bild der toten Maria, so als habe Heine keinen Weg gesehen, seine mystisch-romantische Disposition - symbolisiert durch die Wiederkehr der Toten - mit der Forderung nach einer politisch-sinnlichen Emanzipation zu vermitteln. Dies gelingt ihm vorerst nur in seiner oxymorischen Schreibweise, sofern sie die Gegensätze in einem ästhetischen Horizont vereint. Auch die Kunstbetrachtungen in Genua, der letzten Station der Reise, bieten dem Erzähler Anlaß zu poetologischer Selbstreflexion. Die alte Hafenstadt 167
leitet einen merkwürdigen Stimmungsumschwung ein, da das prophetische Pathos vom Siegestag unter der »Freyheitssonne« (7,74) hier dem Bild einer dunklen, todesverfallenen Welt weicht. Die Stadt ist »alt«, »eng«, »häßlich« und »dunkel« (7,77), sie liegt da »wie das gebleichte Skelett eines ausgeworfenen Riesenthiers«, auf das »der Mond, das blasse Auge der Nacht« mit »Wehmuth« hinabschaut (ebd.). Gebäude und Statuen sind »verwittert und verstümmelt«, das Wasserbassin »ausgetrocknet«, und »die Möven nisten in den schwarze Zypressen« (ebd.). Bilder und Symbole des Todes sind hier auf dichtestem Raum zusammengedrängt, so als gelte es, nach dem siegesgewissen Blick in die Zukunft auch noch einen Nekrolog auf die alte, todesreife Welt anzustimmen. Dieser düstere Abgesang ist - und dies ist in den bisherigen Interpretationen gar nicht beachtet worden - zugleich auch ein Abgesang auf die Kunst: Die in der Gemäldegalerie des Palazzo Durazzo ausgestellten Bilder von Rubens und Cornelius führen den Betrachter zu der Einsicht, daß die Zeit, in der die »großen Meister« ihre Werke schufen, »von der unsrigen« völlig »abgeschieden ist«, und man über ihr gespenstisches Wesen heute »fast erschrekken« (7,77) muß. Der auf die Stadt Genua fallende Schatten des Todes lastet auch auf den Epochen der Kunst, die in ihren alten Palästen zu sehen ist. Dies ist nicht etwa ein zeitbewußter Reflex auf die veränderten Maßstäbe der Kunst in der Moderne; es ist vielmehr ein elegischer Reflex auf den Untergang der Kunst in der Moderne: » - denn ach! er [Cornelius] ist nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt noch lebt, sondern vielleicht auch der letzte, der auf dieser Erde malen wird«.''9 Hier geht es nicht um die Veränderung der Kunst im Wandel der Zeit, sondern schlichtweg um ihr Ende. Was nun diese Aussagen zur Malerei über die Kunst im allgemeinen und insbesondere über die Dichtkunst verraten, wird deutlich, wenn man die im Mittelpunkt der Kunstbetrachtung stehenden Maler Rubens und Cornelius in Beziehung zu Heine selbst setzt. Das ist bisher nur unzureichend geschehen. So hat man Heines Gegenüberstellung von Rubens und Cornelius zwar wiederholt auf die Antinomie von Sensualismus und Spiritualismus bezogen und Heines Ästhetik dementsprechend mit der sinnlich-üppigen Malerei von Rubens verglichen.60 Zweifellos hat Heine die Portraits beider Maler ganz im Sinne seines antagonistischen Urschemas angelegt, wenn er Rubens' »kolossale Heiterkeit« und »Farbenlust« (7,77) mit der »schwermüthigen« Karfreitagsstimmung des Nazareners Cornelius konfrontiert. Und doch greift das antagonistische Modell hier aus zwei Gründen zu kurz - zum einen, weil Heine zwischen beiden Malern eine »geheime Verwandtschaft« (7,77) entdeckt, zum anderen aber, weil er auch für
" D H A 7, S. 78; meine Kursivierung. Wenig später heißt es in bezug auf Cornelius: »Ich habe diese letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer betrachten können« (ebd; meine Kursivierung). 60 Vgl. etwa Werner (Anm. 39), S. 34 u. 40, sowie Opitz ( D H A 7, S.928). 168
den gespenstischen Cornelius eine tiefere Sympathie verspürt. Freilich - es läßt sich »fast kein größerer Gegensatz ersinnen« (7,77) als der zwischen Cornelius und Rubens, »und nichts destoweniger«, so Heine, »ist mir bisweilen zu Sinn, als hätten beide dennoch Aehnlichkeiten, die ich mehr ahnen als anschauen könne. Vielleicht sind landsmannschaftliche Eigenheiten in ihnen verborgen, die den dritten Landsmann, nemlich mich, wie leise heimische Laute ansprechen« (7,77). Nach Rossini sind also auch Rubens und Cornelius Spiegelfiguren des Dichter-Ichs. In Heine vermischen sich die Züge der beiden Maler, die Heiterkeit des sensualistischen Rubens und die elegische Schwermut des nazarenischen Cornelius, zu jener oxymorischen Gemengelage, die die >Reise von München nach Genua< insgesamt auszeichnet und im Paradoxon der »lebenssüchtigen Todesbegeisterung« (7,48) ihren prägnanten Ausdruck findet. Daher Heines Sensibilität für die »geheime Verwandtschaft« der beiden Maler: »Die höchste Lust in einigen Bildern des Rubens und der tiefste Trübsinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht dasselbe Gefühl« (7,78). Gemeint ist die »wehmütige Ahnung des Sterbens«, denn auch die heiteren Gestalten des Rubens scheinen »den Todeskeim in sich zu tragen, und es ist uns, als müßten sie eben durch ihre Lebensüberfülle, durch ihre rothe Vollblütigkeit, plötzlich vom Schlage gerührt werden« (7,78). Spricht schon diese innere Verwandtschaft dagegen, die beiden Künstler nach der Antinomie von Sensualismus und Spiritualismus auseinanderzudividieren, so noch viel mehr die Tatsache, daß Heine, der bei solchen Oppositionsbildungen ja üblicherweise den Sensualisten zugerechnet wird, sich hier eher noch als in Rubens auf geheimnisvolle Weise in Cornelius wiedererkennt. Es lohnt sich daher, einen genaueren Blick auf sein Cornelius-Portrait zu werfen. Woher aber dieser Trübsinn bey einem Niederländer? Es ist vielleicht eben das schaurige Bewußtseyn, daß er einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nachsendung ist — denn ach! er ist nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt noch lebt, sondern vielleicht auch der letzte, der auf dieser Erde malen wird; [...] seine Hand ist eine lichte, einsame Geisterhand in der Nacht der Kunst, und die Bilder, die sie malt, tragen die unheimliche Trauer solcher ernsten, schroffen Abgeschiedenheit. Ich habe diese letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer sehen können, [...] und doch wieder erregte diese Hand in mir das Gefühl der traulichsten Pietät, da ich mich erinnerte, daß sie mir einst liebreich auf den kleinen Fingern lag, [...] als ich [...] auf der Akademie zu Düsseldorf zeichnen lernte. (7,78)
Tatsächlich hat Heine nie bei Peter Cornelius, sondern bei dessen Bruder Lambert Zeichenunterricht erhalten. 6 ' Daß er sich hier dennoch zum Schüler des bekannteren Cornelius erklärt - und dies recht pointiert am Ende des Kapitels - , darf als versteckter Hinweis auf seine »geheime Verwandtschaft« mit dem Maler gelesen werden, eine Verwandtschaft, die freilich nicht in der nazareni61
Zu den biographischen Fakten vgl. den Kommentar von Briegleb (B 4, S. 865) und Opitz ( D H A 7, S.929Í.).
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sehen Ästhetik zu suchen ist, sondern in dem »schaurigen Bewußtseyn«, daß er wie Cornelius »einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nachsendung ist«. 62 Die Tatsache, daß sich der Erzähler in Trient wie bei einem Déjà-vu-Erlebnis an die vergangene Zeit erinnert, als die »hübschen Malereyen noch farbig glänzten, als die goldenen Zierrathen [...] noch nicht so geschwärzt waren, und als die marmorne Madonna [...] noch ihren wunderschönen Kopf aufhatte« (7,40), konnte - wie der Gedanke der Metempsychose überhaupt - als Indiz f ü r eine romantische Tiefendimension seiner Existenz gedeutet werden, die wiederholt in ihm aufbricht und ihn in Gestalt der toten Maria heimsucht. Cornelius' Bewußtsein, einer »längst verklungenen Zeit« anzugehören und als deren »mystische Nachsendung« zu leben, findet durch die präexistentiellen Erinnerungsbilder und die Metempsychose des E r zählers ihre innere Entsprechung. Als wandelnde Tote, die den Reisenden in Gedanken, Visionen und Träumen verfolgt, ist Maria selbst eine »mystische Nachsendung«, und dies um so mehr, als der Erzähler sie einmal sogar ausdrücklich »mein süßes gestorbenes Leben« (7,61) nennt. Von Cornelius und seiner anachronistischen Existenzform fällt damit auch ein Licht auf das Rätsel der toten Maria. 63 In ihrer unheimlichen »Abgeschiedenheit« sind die Bilder von Cornelius ebenso gespenstisch wie das Auftreten der toten Maria. »Betrachten wir seine Bilder, so sehen sie uns an, wie mit Augen des fünfzehnten Jahrhunderts, gespenstisch sind die Gewänder, [...] zauberkräftig sind die Leiber, traumrichtig gezeichnet, gewaltsam wahr, nur das Blut fehlt ihnen, das pulsirende Leben, die Farbe« (7,78). Was für Cornelius' gemalte Figuren gilt, trifft auch für die erdichtete Figur der toten Maria zu. Es dürfte jedenfalls kaum Z u fall sein, daß der Erzähler ihr Portrait ausgerechnet auf einem Gemälde des »fünfzehnten Jahrhunderts« entdeckt. 64 Die portraitierte Herzogin des Quattrocento, die der Museumsbesucher als Maria persönlich gekannt zu haben erklärt, steht für die geliebte, aber »längst verklungene Zeit«, und wie den gespen-
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Aus Italien schreibt Heine an Eduard von Schenk: »So eine abgebrochene Säule aus der Römerzeit, so ein zerbröckelter Langobardenthurm, so ein verwittertes gothisches Pfeilerstück versteht mich recht gut. Bin ich doch selbst eine Ruine, die unter Ruinen wandelt.« (XX,3 39) Eine bemerkenswerte Parallele der Figuren ergibt sich auch aus der »geistigen« Qualität ihrer Hände: Marias Hand hat »etwas Geistiges« und Cornelius' Hand »ist eine Geisterhìnà in der Nacht der Kunst«. Bei beiden Figuren ist das Geistige Signum für die »mystische« Rückorientierung auf eine vergangene Existenz. Marias Hand hat darum etwas »geschichtlich Reitzendes« - so wie die Bilder von Cornelius' Hand etwas »Abgeschiedenes« haben. Interessant ist auch der Vergleich mit der »durchsichtigen« Hand von »Madame« im >Buch Le Grand< (vgl. DHA 6, S. 218), die ebenfalls als Figuration einer früheren Existenz (Veronika) auftritt. So erklärt der Aufseher der »Gallerie«: »es ist gemalt von Giorgio Barbarelli da Castelfranco nel Trevigiano, [...] er war einer der größten Maler der venezianischen Schule, wurde geboren im Jahre 1477 und starb im Jahre 1511. « (7,79)
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stischen Bildern von Cornelius fehlt auch ihr, wenn sie den Reisenden als totenblasses Gespenst heimsucht, »das pulsirende Leben«. 6 ' Schon in Trient übrigens kommen dem Erzähler die Gesichter der alten Frauen so bekannt vor wie auf »jenen altitalienischen Gemälden«,66 die er als Knabe in Düsseldorf sah und die Cornelius künstlerisch wiederzubeleben sucht - gerade so wie der Erzähler, der seine geliebte Maria »aus dem Tode aufküssen wollte« (7,80). Nicht zuletzt ergibt sich aus der »mystischen« Stimmung ein Hinweis auf die Verwandtschaft zwischen Cornelius und dem Erzähler. Lebt jener in dem Gefühl, »daß sein Leben eine mystische Nachsendung ist«, so erfaßt diesen vor dem Portrait der toten Maria, die sein »gestorbenes Leben« repräsentiert, ein »mystischer Schauer« (7,79). Damit schließt sich der Bogen zwischen der Trento- und der Genua-Sequenz sowie zwischen Cornelius und der Figur des Erzählers. Indem Heine sich einerseits zum Verkünder einer glücklicheren Generation der Zukunft macht, andererseits aber elegisch der märchenhaften Vergangenheit nachhängt und sich ihr durch die tote Maria innerlich verbunden zeigt, reflektiert er an seiner historisch-biographischen Situation die Problematik des Epochenumbruchs. Man darf bei Heines politischer Botschaft von der »Emanzipazion der ganzen Welt« (7,69) nicht vergessen, daß die >Reise von München nach Genua< die »Geschichte von dem Ritter« erzählt, »der seine Geliebte aus dem Tode aufküssen wollte« (7,80). Wenn Heine diese Geschichte nach Sternescher Manier auch immer nur anfängt und nie zu Ende führt, so bildet sie doch, da sie nicht weniger als sechs Mal aufgenommen wird, hinter dem chronologischen Reisevorgang das verborgene epische Gerüst des Textes.67 Noch der letzte Satz der >Reise< nimmt die Geschichte auf und läßt sie erneut ins Leere laufen. Als »braver Soldat im Befreyungskrieg« für das Glück der Zukunft zu kämpfen und zugleich Maria als Gespenst der Vergangenheit vom Tode aufküssen zu wollen ist freilich ein gegenläufiges Unternehmen. Heine tritt in der »Reise von München nach Genua< gewissermaßen in Konkurrenz zu sich selbst, indem er zugleich in den Rollen des romantischen »Ritters« und politischen »Soldaten« agiert. Dieser innere Widerspruch läßt sich nur dann auflösen, wenn man die Genua-Kapitel als Nekrolog auf die totgesagte alte Zeit versteht. Vieles spricht für eine solche Lesart. Der Besuch in der Gemäldegalerie inszeniert den Abschied von
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' Daß der Erzähler in der historischen Gemäldegalerie schließlich auch sein eigenes Portrait entdeckt, ist der äußere Beleg für sein Gefühl, »einer längst verklungenen Zeit« anzugehören. 66 D H A 7, S.40; meine Kursivierung. In einem überlieferten Bruchstück der >Reise< spielt Maria am Flügel eine »altitalienische Melodie« (7,330). 67 Vgl. dazu Grubaèic (Anm. 18, S. 30): »Ihre Wiederholung stellt sich in dieser Prosa wie eine Art vergrößerte Aufnahme des Reims dar, dessen musikalische Funktion [...] im motivischen Zusammenfließen und im Befestigen der überwölbenden Spannung liegt.«
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Cornelius wie bei einem Begräbnis im »Gefühl der traulichsten Pietät« (7,78). Da Cornelius aber als letzter Maler schlechthin verabschiedet wird, gilt Heines funerale »Pietät« hier auch der Kunst und seiner eigenen Teilidentität als Künstler. In der Neudefinition seiner Rolle als »braver Soldat im Befreyungskriege der Menschheit« (7,74) hat Heine die Absage an sein altes Rollenverständnis als »Dichter« ja ohnehin indirekt mitformuliert. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte, war mir immer nur heiliges Spielzeug, oder geweihtes Mittel für himmlische Zwecke. Ich habe nie großen Werth gelegt auf DichterRuhm, und ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreyungskriege der Menschheit. 68
Eine Neudefinition der Kunst jenseits der Alternative von Poesie und Politik ist hier noch nicht in Sicht. Heines Selbstaussagen gegen den »Lorbeer« und für das »Schwert« gehen vielmehr von einer strengen Entgegensetzung aus. Erst später, als er die Teilaspekte seiner Rolle in der Formel »Künstler, Tribun und Apostel« (8,218) zu synthetisieren vermochte, konnte Heine das soldatische Engagement statt als bloße Alternative als Signatur einer neuen Kunst auffassen. Daher führt der Blick auf die abgeschiedene Welt des Cornelius hier noch zu einer Reflexion auf das Ende der Kunst. Ganz so, wie Heine Cornelius als letzten Maler sieht, sah er sich wohl selbst vom neugewonnenen Standpunkt des Befreiungskämpfers aus als letzten Dichter.69 Der Zwiespalt zwischen romantischem Dichtertum und politischer Autorschaft wird in der >Reise< zugunsten des letzteren entschieden, aber in dieser Entscheidung schwingt unüberhörbar ein Ton der Trauer um das verlorene »Traumland der Romantik« (15,13) mit. Heines >Reise von München nach Genua« erfüllt nicht das Muster der sinnlich befreienden Italienreise, sie thematisiert vielmehr gerade vor dem Hintergrund der sensualistisch-antikisierenden Gattungstradition des 18. Jahrhunderts das Problem des inneren Zerrissenseins zwischen romantischer und plastischer, mystischer und sinnlicher, gegenwarts- und vergangenheitsbezogener Orientierung, indem sie einerseits progressiv zur »Emanzipazion« aufruft, an68
D H A 7, S. 74. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage darf bezweifelt werden, da Heine, wie seine Korrespondenz belegt, selbst immer allergrößten Wert auf die Pflege seines Dichterruhms gelegt hat (vgl. Opitz, D H A 7, S. 92 if.). Auch deutet die Tatsache, daß er sich demonstrativ zum Befreiungskämpfer erklärt, auf das Bedürfnis einer Rollenkorrektur hin. Sie bezieht sich, wie die Rede von den »Liedern« zeigt, auf sein Image als Dichter des >Buchs der Lieder*, dessen Ton er zwar in Richtung auf eine politisch engagierte Prosa überschreitet, dessen schauerromantische Elemente er aber im Motiv der toten Maria auch hier wiederaufnimmt.
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Vgl. auch die Selbsteinschätzung in den »Geständnissen«, wo Heine über die romantische Schule sagt: »Ich weiß, [...] ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward« (15,13).
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dererseits aber über die Metempsychose das eigene romantisch-katholische Regressionsbedürfnis reflektiert. Im selben Maße, wie Heine diese Zerrissenheit episodisch (Ankunft in Trient) und allegorisch (Harfnerin) inszeniert, spielt er auch schon verschiedene Modi ihrer ästhetischen Bewältigung durch: im ikonographischen Synkretismus der idyllisch umrahmten Spinnerin, in der sexuellen Grundierung der katholischen Mystik (Dom von Trient), im rhythmischen »Menschenkonzert« der schönen Trienterinnen und nicht zuletzt in der oxymorischen Verfassung der kleinen Harfnerin. Die sensualistische Tendenz der >Reise< zielt daher nicht in erster Linie auf die Emanzipation des Fleisches. Der Begriff des Sensualismus läßt sich hier vielmehr in Ubereinstimmung mit seiner Definition in der »Geschichte der Religion und Philosophie< als eine das romantisch-spirituelle Moment einbeziehende Totalität fassen. Anders als in den Pariser Schriften, w o sie philosophisch begründet wird, ist diese sensualistische Totalität hier vorerst nur als tagtraumartige Vision oder im Modus der oxymorischen Schreibweise verfügbar. Eine weiterführende Perspektive für die Vermittlung des Geistig-Mystischen und Materiellen ergibt sich für Heine erst im Kontext der pantheistischen und saint-simonistischen Lehre.
5. >Die Stadt Lukka< - Religionskritik und Religionsstiftung im Zeichen des Sensualismus Die den Zyklus der Italien-Texte beschließende >Stadt Lukkas die zusammen mit den »Englischen Fragmenten< 1831 als »Nachtrag« zu den >Reisebildern< erschien, ist zweifellos das Werk aus Heines deutscher Periode, das am stärksten auf die sensualistischen Vorstellungen seiner Exilprosa vorausweist. Dies liegt vor allem an der verschärften religionskritischen Ausrichtung des Textes. Blieb nämlich die Religionskritik der vorangehenden >Reisebilder< im wesentlichen auf politische Aspekte reduziert, indem sie die Funktion der Kirche im restaurativen Staat geißelte, so erweitert Heine sie nun um eine psychologisch-diagnostische Perspektive, in der sich ihm die Heraufkunft und Entwicklung des Christentums als pathogenetischer Prozeß erschließt. Ahnlich wie die spätere Religions- und Philosophie-Schrift, die die christliche Religion als Krankheit definiert, stellt auch schon die >Stadt Lukka< die kulturhistorische Wende zum Christentum als eine leidvolle Verelendung dar: »Es gab keine glücklichen Götter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth w o geschundene, gebratene und gespießte Götter langweilig umherschlichen, und ihre Wunden verbanden« (7,173). Dabei inszeniert Heine die Vertreibung und Diabolisierung der antiken Götter erstmals nach dem antithetischen Schema von Sensualismus und Spiritualismus, wenn er Jesus im sechsten Kapitel als bleichen Juden auftreten und die fröhliche Götterversammlung des Olymp in ein tristes Krankenlager
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verwandeln läßt. In diesem Schreckensszenario ist der universale Antagonismus zwischen asketischem Entsagungsethos und sinnlicher Lebensfreude figurativ vorweggenommen. Drittens schließlich deutet die >Stadt Lukka< auch insofern auf Heines Religions- und Philosophie-Schrift voraus, als sie neben der Pathologisierung des Christentums und der mythisierenden Konfrontation der beiden Welthaltungen auch schon die Uberwindung des Spiritualismus in einer pantheistischen Ganzheitskonzeption ankündigt. Anders als in der Philosophie-Schrift, in der Heine sich zum Pantheismus klar bekennt, geschieht dies in der >Stadt Lukka< jedoch nur indirekt durch die Offenbarungen des alten »Eydechs«, jenes »hieroglyphenhäutigen Naturphilosophen« (7,161), der den Wanderer in manches »Geheimniß« (ebd.) der Natur einweiht und ihm bedeutet, daß Gott sich einst in alle »Erschaffnisse« verwandeln und damit »die ganze Welt« (7,159) erlösen werde. Dieser erste summarische Uberblick über zentrale Themen und Motive der >Stadt Lukka< mag schon verdeutlichen, daß Heines zuletzt entstandenes Reisebild im Hinblick auf den Sensualismus eine wichtige Sonderstellung einnimmt. Läßt sich der Text nämlich einerseits als poetisch-fiktionale Antizipation der für Heines theoretischen Sensualismus zentralen Philosophie-Schrift betrachten, so schließt er andererseits den Bogen der >Reisebilder< ab, indem er deren intellektuellen Konflikt zwischen romantischen und aufklärerischen Tendenzen im Rahmen einer pantheistisch-sensualistischen Emanzipationsforderung vorläufig schlichtet. Die >Stadt Lukka< geht der theoretischen Bestimmung des Sensualismus in Heines Werk zwar voraus, deutet aber schon eine über den bisherigen Konflikt der >Reisebilder< hinausführende Perspektive an. Damit stellt sie nicht nur das chronologische, sondern auch das genealogische Brückenund Verbindungsglied zwischen Heines deutscher und französischer Periode, zwischen den fiktionalen Reisebildern des jungen Dichters und den theoretischen Essays der Exilzeit dar. Der konzeptionelle und thematische Zusammenhang des Textes mit Heines sensualistischen Vorstellungen ist im Gegensatz zu den anderen >Reisebildern< bereits relativ gut erforscht worden. So hat Wolfgang Preisendanz in seiner bahnbrechenden Studie zum »Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik« (1968) 1 am Beispiel der >Stadt Lukka< die »Wechselwirkung von ideologischer Erfahrungsstruktur und imaginativer Schreibart« 2 untersucht und demonstriert, wie bei Heine »alles Geschilderte, Faktisches und Imaginäres, auf die >weltpsychologische< Bezugsebene«, nämlich den Gegensatz von Sensualismus und Spiritualismus »hin funktionalisiert ist«.3 Hatte Preisendanz damit
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Zit. nach W. Preisendanz: Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge, München 2 i983, S . 2 1 - 6 8 . 2 Ebd. S.54. ' Ebd. S . 5 1 .
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die tiefenhermeneutische Relevanz von Heines »ideologischem Bezugsrahmen« 4 für die >Stadt Lukka< erwiesen, so konnte die spätere Forschung einzelne Motive und Szenen - insbesondere die Götterdämmerung in Kap. V I - um so überzeugender dem Antagonismus von Hellenen- und Nazarenertum zuordnen. 5 Die folgende Analyse sensualistischer Themen und Motive in der >Stadt Lukka< kann damit stärker als bisher auf vorhandene Forschungsergebnisse zurückgreifen. 6 Sie setzt sich jedoch das Ziel, Heines italienisches Städtebild aus den genannten Gründen genauer im werkgeschichtlichen Kontext zu situieren. Rück- und Vorverweise auf andere >Reisebilder< und die >Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland* sollen zum Verständnis einzelner Sequenzen beitragen. Ferner stellt die strukturelle Analyse der >Stadt Lukka< noch immer ein Desiderat der Forschung dar. So wird gerade am Verhältnis zwischen dem naturphilosophischen Eidechsengespräch, der religionskritischen Lucca-Partie und der Don Quixote-Begeisterung, den drei größeren Erzählsequenzen, die die Makrostruktur des Textes kennzeichnen, Heines sensualistischer Argumentationszusammenhang aufzuzeigen sein. Daß die >Stadt Lukka< Heines Religionskritik in besonders konzentrierter und systematischer Weise zum Ausdruck bringt, ist von der Forschung mehrfach betont worden. »Diesem Werkchen«, stellt Jost Hermand fest, »geht eine lange Reihe antiklerikaler Äußerungen vorauf, die allerdings hier zum erstenmal in essayartiger Form zusammengefaßt werden«. 7 So sei die >Stadt Lukka< wohl überhaupt »die schärfste antiklerikale Schrift, die in Deutschland um 1830 erschienen ist«.8 Ähnlich beurteilen Gerhard Höhn und Klaus Pabel den Text: Heines Religionskritik zeige sich darin nicht nur »radikaler und politischer«, 9 sondern werde auch »zum erstenmal vollständig vorgebracht und strukturbestimmend«. 10 So sehr diese These angesichts der scharfen Kritik an Klerus und Kirche berechtigt erscheint, so wenig trifft sie doch auf den Text im ganzen zu. Sie charakterisiert ihn nur unzureichend, da sie suggeriert, daß Heine sich zum Thema Religion ausschließlich kritisch und ablehnend äußert. Tatsächlich aber werden religiöse Fragen und Belange hier durchaus auch in einer 4 5
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Ebd. S.40. Vgl. P. Allenspach, Heinrich Heines >ReisebilderReisebilderDie Stadt LuccaReisebildernDie Stadt Lukka< behandelt das Thema im Stil des sokratischphilosophischen Dialogs (Gespräche mit Mathilde) und knüpft an Positionen der Aufklärung an (Voltaire), sie bezieht sich auf die romantische Identitätsphilosophie von Schelling und überträgt sie auf das religiöse Naturerlebnis in der Eingangspartie, sie aktualisiert das von Gottfried Arnold in seiner >Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie< entwickelte Degenerationsschema, indem sie die Perversion des Urchristentums in seiner historischen Entwicklung herausstellt, und sie antizipiert schließlich Feuerbach und Marx, indem sie auf die quietisierende Funktion der Kirche und die gefühlstheologische Begründung des Göttlichen (Don Quixote) zu sprechen kommt. Vor diesem weitgefächerten Hintergrund kann >Die Stadt Lukka< als Heines umfassendste Religionsschrift bezeichnet werden. Zum anderen zeigt das Strukturmodell, daß Heine in den Rahmenkapiteln I—III und X I V - X V I I gegenüber der im Mittelteil diskutierten »Staatsreligion« zu einer Neu- und Umdefinition des Religiösen jenseits konfessioneller Bindungen zu gelangen sucht. Dies ist insofern konsequent, als die sensualistische Emanzipation vom Christentum ein pantheisti-
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H ö h n (Heine-Handbuch, S. 2 5 3) nimmt Heines abweichende Religiosität wahr, wenn er betont, daß die »Religionskritik des Lucca-Textes ihrerseits auf eine zutiefst religiöse, jedoch nicht auf eine offiziell-christliche Grundeinstellung zurückgeht«.
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sches Naturkonzept voraussetzt und damit selbst ein religiöses Moment aufweist. Dieser religiöse Gegenentwurf soll zunächst am Beispiel der Eingangskapitel verfolgt werden. Unter dem Titel italienische Fragmente. II. Auf den Appeninen< hatte Heine die Kapitel I und II bereits am 6. November 1829 - also fast ein Jahr vor der eigentlichen Hauptarbeit an der >Stadt Lukka< - im »Morgenblatt für gebildete Stände« separat veröffentlicht. Obwohl er sie durch das Handlungsmoment der Wanderung (Kap. III) episch in den Gesamtzusammenhang eingliedert, bleiben die beiden Kapitel dem Lucca-Portrait doch merkwürdig vorgelagert: Einige uralte Eidechsen orakeln über das Verhältnis von Mensch, Gott und Natur, prophezeien dem Wanderer den Gang der Geschichte und mokieren sich über Schelling und Hegel. Dabei kennzeichnet es eher das philosophische als das erzählerische Genre, daß Heine den Text mit einer Reihe von Fragen eröffnet: Die umgebende Natur wirkt auf den Menschen - warum nicht auch der Mensch auf die Natur, die ihn umgiebt? [...] Hatte einst wie die Natur auch der Mensch mehr inneres Leben? Die Gemüthskraft eines Orpheus, sagt man, konnte Bäume und Steine nach begeisterten Rhythmen bewegen. Könnte noch jetzt dergleichen geschehen?
(7.159) Die Antworten der Eidechsen fallen geheimnisvoll aus: Sie erzählen dem Wanderer »Geschichten von Atlantis« (7,160), zeigen ihm die wunderbaren Hieroglyphen auf »ihren Köpfchen, Leibchen und Schwänzchen« (ebd.) und berichten ihm von einer Sage, wonach Gott sich einst in alle Steine, Pflanzen und Tiere verwandeln werde, um sie aus ihrer Sprachlosigkeit zu befreien: »Einst, wenn die ganze Welt erlöst ist, werden alle anderen Erschaffnisse ebenfalls sprechen können, wie in jenen uralten Zeiten, wovon die Dichter singen« (7,159^). Heine führt den Leser damit in den Kreis sowohl antiker wie romantischer Vorstellungen zurück. Die einleitenden Fragen nach dem inneren Leben der Natur und ihrer poetischen Erweckung nämlich spielen auf den Mythos vom Goldenen Zeitalter an, dessen eschatologisch verstandene Wiederkehr bei Novalis ein übergeordnetes Wunschziel markiert. Nach der ältesten mythischen Uberlieferung bei Hesiod zeichnet sich das Goldene Zeitalter durch ewigen Frieden, ewige Jugend, den freundschaftlichen Umgang der Götter mit den Menschen und eine allumfassende Natursprache aus, die Menschen, Tiere und Pflanzen miteinander verbindet. 12 Der harmonische Einklang des Menschen mit der zu ihm sprechenden und sich ihm wundervoll offenbarenden Natur hat das romantische Verständnis vom Goldenen Zeitalter wesentlich geprägt. »In alten Zeiten«, heißt es im >Heinrich von OfterdingenOfterdingenUrzeit< bezeichnet Mähl (Anm. 12, S. 3 1 3 ) zufolge »mehr eine notwendig zu fordernde und dichterisch erschaute als eine historisch aufweisbare Urgestalt alles Lebens, ein Postulat, das den absoluten Ausgangspunkt der Geschichte und letztlich ihr Zielbild deutlich machen soll«. Da das Wissen um diese urbildliche Welt vorzüglich den Dichtern eignet, ist die archetypische Dichter-Figur des Orpheus in besonderer Weise mit der Vorstellung des Goldenen Zeitalters verwoben. Zur inneren Beziehung zwischen orphischer Sagenzeit und Goldenem Zeitalter vgl. auch Mähl, S. 3 1 0 u. 400f.
In den >Lehrlingen zu Sais< (Novalis, Schriften, Anm. 1 3 , Bd. 1, S. 107) wird »das Leben des Universums« als »ein ewiges tausendstimmiges Gespräch« bezeichnet, da im Sprechen »alle Kräfte, alle Arten der Tätigkeit auf das unbegreiflichste vereinigt« sind. ' 6 E . T . A . Hoffmann, Fantasiestücke in Callot's Manier. Werke 1814, hg. von H. Steinecke, Frankfurt a.M. 1993, S. 290. Auch in Gotthilf H. Schuberts >Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (Dresden 1808, S.9) wird der Verlust des Goldenen Zeitalters als Sprachverlust dargestellt: »Unter dem Scepter der ehernen Zeit [...] sieht die Natur mit traurigem Unwillen den Geist des Menschen sich ihren Armen entwinden [...], der Mensch versteht die Natur nicht mehr und [...] verstoßen aus der Mitte der seeligen Anschauung, ist die alte Weisheit [...] dem Untergang nahe.« 17
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Novalis, Schriften (Anm. 13), Bd. 1, S.95.
de Band jener königlichen Menschen mit überirdischen Gegenden und Bewohnern gewesen war«.' 8 Heine nun ruft die romantische Vorstellung vom Goldenen Zeitalter in den Eingangskapiteln der >Stadt Lukka< herauf, indem er die mystische Allverbundenheit mit der Natur, ihren Verlust und ihre utopische Wiederkehr ebenfalls am Beispiel der Sprache thematisiert. Er spielt auf den der Natursprache mächtigen Sänger Orpheus an, läßt die Eidechsen verkünden, daß die Welt erlöst sein wird, wenn alle Erschaffnisse sprechen können, und betont schließlich, daß die hieroglyphenhäutigen Tiere ihn »eine Zeichensprache« gelehrt haben, »vermittels welcher ich mit der stummen Natur zu sprechen vermag« (7,160). Der Wiedereintritt in das Goldene Zeitalter vollzieht sich damit ganz nach romantischer Vorstellung durch den kommunikativen Umgang mit der Natur. Dabei knüpft Heine nicht zufällig auch an das urromantische Motiv vom sagenhaften Atlantis an. Die romantische Atlantis-Mythe, wie sie etwa bei Novalis, G . H . Schubert und E.T.A. Hoffmann zu finden ist, konvergiert insofern mit der Vorstellung vom Goldenen Zeitalter, als in ihr das Ideal der natürlichen Allverbundenheit utopisch ausphantasiert wird. Novalis gestaltet die Mythe im >Heinrich von Ofterdingen< (Atlantis-Märchen) und in den »Lehrlingen zu SaisStadt Lukka< seine Einblicke in die Natur und die Geschichten von Atlantis den Eidechsen des Apennin. Beiden wird der Blick auf das Goldene Zeitalter durch ein mit dem Naturhaft-Elementaren verbundenes Reptil eröffnet. In der Sekundärliteratur und den Kommentaren zu >Die Stadt Lukka< sind die romantischen Subtexte des Eingangskapitels nirgendwo erwähnt oder be-
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Novalis, Schriften (Anm. 13), Bd. 2: Das philosophische Werk I, Darmstadt '1965, S- 545-
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Daß Heine hier gleich zweimal den ägyptischen Ursprung der geheimnisvollen Zeichen erwähnt, läßt auf >Die Lehrlinge zu Sais< als Subtext schließen. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, daß der Wanderer—wie Hyazinth in Hardenbergs Fragment die Natur als »Jungfrau« apostrophiert (vgl. D H A 7, S. 160 und Novalis, Schriften, Anm. 13, Bd. 1, S. 93). Damit könnte die von Ralph Martin untersuchte Auseinandersetzung Heines mit Novalis (R. Martin, Heines Hymne an die Nacht. Zur NovalisRezeption in »Die Stadt Lukka«. In: Aurora 57, 1997, S. 1 4 9 - 1 7 3 ) auf eine breitere Textgrundlage gestellt werden. 2 > E . T . A . Hoffmann (Anm. 16), S.286. 2é Ebd. S.287. 27 Schon Allenspach (Anm. 5, S. 179) geht davon aus, daß Heine mit Atlantis auf den utopischen Ort in Hoffmanns »Goldenem Topf< anspielt. 28 E . T . A . Hoffmann (Anm. 16), S. 3 2 1 .
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rücksichtigt worden. Sie spielen indes eine wichtige Rolle und bedurften hier einer ausführlicheren Darstellung, da sie einen sowohl für Heines Religionskritik wie für sein Sensualismus-Konzept zentralen Vorstellungskomplex heraufbeschwören. Dem märchenhaften Einklang der Natur- und Geisterwelt, wie er der romantischen Vorstellung vom Goldenen Zeitalter zugrundeliegt, entspricht in Heines kämpferischer Prosa die »Versöhnung« der Materie »mit dem Geiste«, ihre »moralische Anerkennung« und »religiöse Heiligung« (8,60). So sehr die romantische Dichtung in ihrem Innerlichkeitsstreben und ihrer phantastischen Realitätsflucht für Heine im ganzen auch unbefriedigend blieb - in ihrer mystischen Einheitssehnsucht war sie seiner sensualistischen Utopie doch nicht fremd. Hans-Joachim Mähl hat gezeigt, daß sich die goldene Vorzeit für Novalis »unter durchaus wechselnden Vorstellungsformen« und in verschiedenen historischen Epochen konkretisieren kann, daß aber »das Gemeinsame aller dieser Vorstellungen immer die ursprüngliche Einheit und Verwebung des Göttlichen mit dem Menschen, der Natur mit dem Geiste, des Diesseitigen mit dem Jenseitigen darstellt« 29 - eine Zielvorstellung, die insofern auch Heines sensualistische Utopie treffend charakterisiert, als sie deren pantheistisch-ganzheitlichen Charakter erfaßt. Diese Kontinuität erklärt, warum Heine die romantische Idee des Goldenen Zeitalters an den Anfang seiner bis dahin schärfsten Auseinandersetzung mit der christlichen Religion und ihrer dualistischen Auffassung vom Menschen stellt. Heine geht dabei in geradezu systematischer Weise vor. Entfaltet er nämlich die Vorstellung einer harmonischen Allverbundenheit von Geist und Natur im ersten Kapitel mit Hilfe der romantischen Poesie, so begründet er sie im zweiten Kapitel durch die romantische Naturphilosophie. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Naturauffassung Schellings, dessen sogenannte »Identitätsphilosophie« die Allgegenwärtigkeit Gottes in der Erscheinungswelt postuliert und damit Heines sensualistischem Projekt die philosophischen Grundlagen vermittelte. In seiner Philosophie-Schrift gesteht Heine Schelling denn auch eine herausragende Rolle bei der Uberwindung des christlichen Spiritualismus zu: »Herr Schelling setzte die Natur wieder ein in ihre legitimen Rechte, er strebte nach einer Versöhnung von Geist und Natur, er wollte beide wieder vereinigen in der ewigen Weltseele« (8,115). Schellings Identitätssystem nimmt dem Sinnlichen den Charakter der Geistfeindschaft, indem es die Natur als Produkt eines geistigen Prinzips bestimmt, das sich in steter Potenzierung über die anorganische Erscheinungswelt bis hin zum Selbstbewußtsein im Menschen steigert. »Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur sein«, faßt er seine Lehre in den >Ideen zu einer Philosophie der Natur< (1797) programmatisch zusammen. 30 Wie sehr diese Lehre dem Spinozismus 19 3
Mähl (Anm. 12), S. 31 o. ° Schellings Werke, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von M. Schrö181
und seiner Auffassung v o n einer allumfassenden G o t t - N a t u r entsprach, hat Heine mehrfach ausdrücklich vermerkt: Schelling sei der Mann gewesen, »welcher einst am kühnsten in Deutschland die Religion des Pantheismus ausgesprochen, welcher die Heiligung der N a t u r und die Wiedereinsetzung des Menschen in seine Gottesrechte am lautesten verkündet« hat ( 8 , n j ) . 3 1 Daß Heine auf diese Feststellung Wert legt, ist hinsichtlich seines pantheistisch f u n dierten Sensualismus-Konzepts 3 2 nur verständlich, kommt es ihm doch darauf an, die Versöhnung von Geist und N a t u r nicht nur als ein persönliches Wunschziel, sondern auch als eine notwendige Konsequenz aus der historischen Entwicklung des philosophischen Denkens selbst abzuleiten. A m A n f a n g des zweiten Kapitels greift Heine Schellings idealistische E n t wicklungslehre auf, um aus ihr die G o t t w e r d u n g des Menschen und die »Wiedereinsetzung« in seine Gottesrechte zu begründen: Nichts in der Welt will rückwärts gehen, sagte mir ein alter Eydechs, Alles strebt vorwärts, und am Ende wird ein großes Naturavanzement stattfinden. Die Steine werden Pflanzen, die Pflanzen werden Thiere, die Thiere werden Menschen und die Menschen werden Götter werden. (7,160) Diesem Zitat liegt die von Schelling vertretene Auffassung zugrunde, daß der absolute Geist aus sich selbst heraus die N a t u r produziert, indem er sich in z w e i widerstreitende Kräfte spaltet, 33 welche über mehrere Stufen (sog. » P o tenzen«) die verschiedenen Grundstoffe und Organismen hervorbringen. 3 4 Die durch diesen Prozeß der Entzweiung entstehende Produktivität führt nun in der ersten Potenz zur Materie und zu allen anorganischen Produkten, aus denen sich, da das erste Produkt in »unendlicher Metamorphose begriffen« 3 5
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ter, Bd. 1, München 1927, S. 706. »Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese selbst; nicht nur die Erscheinung oder Offenbarung des Ewigen, vielmehr zugleich eben dieses Ewige selbst«, heißt es in Schellings A b handlung >Uber das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur< (8.446). Im zweiten Buch der Philosophie-Schrift betont Heine, daß sich Schelling »in seiner früheren Periode, w o er noch ein Philosoph war [Heine spielt auf den Katholizismus des späten Schelling an], nicht im Gringsten von Spinoza unterschied« (8,57). Später heißt es: »Die Lehre des Spinoza und die Naturphilosophie, die Herr Schelling in seiner besseren Periode aufstellte, sind wesentlich eins und dasselbe.« ( 8 , 1 1 1 ) »Da die französischen Sensualisten gewöhnlich Materialisten waren, so entstand der Irrthum daß der Sensualismus nur aus dem Materialismus hervorgehe. Nein, jener kann sich eben so gut als ein Resultat des Pantheismus geltend machen, und da ist seine Erscheinung schön und herrlich.« (8,50) »Die Natur muß ursprünglich sich selbst Objekt werden, diese Verwandlung des reinen Subjekts in ein Selbst-Objekt ist ohne Entzweiung in der Natur selbst undenkbar« (Schellings Werke, Anm.30, Bd. 2, S. 288). Z u Schellings Begriff der >Potenz< und seiner Entwicklungslehre vgl. Hermann Zeltner, Das Identitätssystem. In: Schelling. Einführung in seine Philosophie, hg. von H . M . Baumgartner, München 1975, S. 81 ff. Schellings Werke (Anm. 30), Bd. 2, S. 300.
bleibt, in zweiter Potenz die organischen Wesen entwickeln, bis schließlich in einem letzten potenzierenden Akt das Selbstbewußtsein des Menschen entsteht. 36 Der alte Eidechs greift also genau Schellings Gedanken der verschiedenen Potenzen der Naturentwicklung auf, wenn er dem Wanderer erklärt, wie aus den Steinen Pflanzen, den Pflanzen Tiere und aus diesen Menschen werden - mit dem Unterschied freilich, daß er die natürliche Stufenordnung bis zur Gottwerdung des Menschen forttreibt und damit um eine vierte Potenz erweitert. Deutlicher als Schelling zieht Heine hier die Konsequenz aus dem Gedanken, daß der Mensch als allein mit Selbstbewußtsein begabtes Wesen sich als Teil der göttlichen Substanz begreifen und infolgedessen auch für sich die »Gottesrechte« reklamieren kann. Wenn die Gottheit, wie Schellings idealistisches System lehrt 37 und wie Heine es später selbst formuliert, 38 im Menschen zum Selbstbewußtsein kommt, dann kann der Mensch seine demütig-theonome Haltung aufgeben und seinen Glücksanspruch im Diesseits um so vehementer einklagen. Das ist der revolutionäre Sinn des »Naturavanzements«, dessen soziale Konsequenzen Heine in der späteren Philosophie-Schrift zieht, wenn er eine »Demokrazie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter« (8,61) fordert. Das auf Schelling zurückgehende »Naturavanzement« steht also im diametralen Gegensatz zu der in Kap. VI geschilderten Auflösung der olympischen Götterversammlung durch das Christentum, wie ja überhaupt die Eingangskapitel mit ihrer pantheistisch geprägten Vorstellung vom Goldenen Zeitalter und ihrer naturphilosophischen Identitätslehre den denkbar schärfsten Kontrast zu der im Hauptteil der »Stadt Lukka< diskutierten dualistischen Religion des Christentums bilden. In Kapitel III schließlich, dem Kapitel, das das romantische Fragment von 1829 mit den später entstandenen Lucca-Partien verbindet, wird das naturphilosophische Orakel der Eidechsen ganz offenkundig in den Bereich der realen Erfahrung überführt. Der in der Natursprache unterwiesene Wanderer spricht
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Popularisiert wurde die Schellingsche Entwicklungslehre durch Schuberts »Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft< (Anm. 16), wobei die Ubergänge in die nächsthöhere Entwicklungsstufe hier durch sogenannte »kosmische Momente« (S. 203 u.ö.) erklärt werden. Sofern Schelling in allem Geschaffenen die Sehnsucht des unvollendeten Gottes nach Vollkommenheit erkennt, erschließt sich ihm die Entwicklung des natürlichen Geschehens als historischer Prozeß der Selbstbefreiung Gottes im Selbstbewußtsein des Menschen. Es ist anzunehmen, daß Heine auf eben diesen Gedanken anspielt, wenn er gleich im ersten Kapitel bemerkt: »Auch die Natur hat ihre Geschichte und das ist eine andere Geschichte als wie die, welche in Schulen gelehrt wird.« (7,159) Die Naturgeschichte wird damit auf die historisch-politische Emanzipation des Menschen übertragbar. »Im Menschen kommt die Gottheit zum Selbstbewußtseyn, und solches Selbstbewußtseyn offenbart sie wieder durch den Menschen.« (8,60) 183
zu den Vögeln, Schmetterlingen und Blumen und erlebt schließlich, als er sich auf seinem Weg nach Lucca immer tiefer in der Wildnis des Gebirges verirrt, den harmonischen Einklang der göttlich beseelten Allnatur: Ich war wirklich im Gebirge verirrt, als schon die Dämmerung hereinbrach, und die bunten Waldlieder allmählig verstummten und die Bäume immer ernsthafter rauschten. Eine erhabene Heimlichkeit und innige Feyer zog, wie der Odem Gottes, durch die verklärte Stille. Hie und da, aus dem Boden, blickte ein schönes dunkles Auge zu mir herauf, und verschwand im selben Augenblick. Zärtliches Flüstern tändelte mir ums Herz, und unsichtbare Küsse berührten luftig meine Wangen. (7,164p 9
Indem der Wanderer den »Odem Gottes« nun selbst in der Natur verspürt, verwandelt sich ihm die romantische Utopie vom Goldenen Zeitalter in konkrete Erfahrungswirklichkeit. Die pantheistische Allgegenwärtigkeit Gottes in der Erscheinungswelt wird hier als pananimistisches Naturgeschehen dargestellt, wobei die erotische Tönung (»dunkles Auge«, »zärtliches Flüstern«, »unsichtbare Küsse«) den Eindruck der liebenden Allverbundenheit noch intensiviert. So baut Heine in der Anfangspartie der >Stadt Lukka< über intertextuelle Anspielungen (Kap.I), naturphilosophische Theoreme (Kap. II) und fiktionale Elemente (Kap. III) ein pantheistisches Natur- und Weltbild auf, das zwar gelegentlich von ironischen Signalen begleitet wird,40 im ganzen aber als Gegenentwurf zur anschließend thematisierten »Delinquentenreligion« fungieren kann. Dem eigentlichen Reisebericht aus dem katholischen Lucca vorgelagert, gibt das ältere Prosafragment >Auf den Appeninen< die positive Folie für Heines Kritik der christlichen Anthropologie ab. Diese Kontrastfunktion wird um so deutlicher, wenn der Erzähler in Kap. IV statt der eben noch erfahrenen Har-
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Diese Naturdarstellung erinnert an das erotische Naturerlebnis des Anselmus beim Eintritt in das Goldene Zeitalter: »Es rischeln und rauschen die dunklen Büsche - die hohen Bäume: Komme zu uns! - Glücklicher - Geliebter! [...] wir umsäuseln liebend dein Haupt, denn du verstehst uns [...]. lauter regen sich die Bäume und die Büsche [...] Diamanten blicken wie funkelnde Augen aus der Erde! - [...] seltsame Düfte wehen mit rauschendem Flügelschlag daher [...].« (E.T.A. Hoffmann, >Der goldene TopfStadt Lukka< wird so von vornherein eine kategoriale Opposition zwischen sensualistischer Naturnähe und christlicher Naturverteufelung hergestellt und dem Leser eine diesem weltanschaulichen Antagonismus entsprechende Perspektive eröffnet. Gleich zu Beginn der Lucca-Partie entwickelt Heine seine fundamentale Kritik an der christlichen Religion, indem er auf ihr eklatantes Mißverhältnis zur sinnlichen Existenz und zur leibhaftigen Wirklichkeit des Daseins hinweist. Da das christliche Entsagungsethos den Menschen überfordert - in der Religionsgeschichte spricht Heine ausdrücklich von der »Unausführbarkeit der christlichen Idee« (8,30) - , treibt sie ihn in einen pathologischen Konflikt mit seiner leiblichen Natur und zwingt ihn erst zu jener »Sünde«, von der sie ihn erlösen will. Diese kreisläufige Selbstlegitimation entlarvend, setzt Heine ganz am Ursprung der christlichen Idee, nämlich an dem von ihr selbst geschaffenen Konflikt zwischen dem Geist und der Materie an. Indem er die Naturwidrigkeit der christlichen Askese gerade am Beispiel des Klerus demonstriert, führt er nicht nur dessen moralische Autorität, sondern auch dessen spiritualistisches Ethos selbst ad absurdum: »Eben der Contrast, den die idealen Pflichten und Ansprüche des geistlichen Standes und die unabw eislich en Bedürfnisse der sinnlichen Natur bilden müssen, jener uralte, ewige Conflikt zwischen dem Geiste und der Materie, macht die italienischen Pfaffen zu stehenden Charakteren des Volks-Humors, in Satyren, Liedern und Novellen.« 4 ' Während dieser Konflikt in Italien humoristisch ausgetragen, d.h. als solcher überhaupt offen thematisiert werden kann, führt er in Deutschland zu eindeutig negativen Verhaltensformen: In Deutschland ist das anders, der katholische Priester will da [...] sein Amt durch seine Person repräsentiren; und weil er es vielleicht Anfangs mit seinem Berufe wirklich ganz ernsthaft gemeint hat, und er nachher, wenn seine Keuschheits-und Demuthsgelübde etwas mit dem alten Adam kollidiren, sie dennoch nicht öffentlich verletzen will, [...] so sucht er wenigstens den Schein eines heiligen Wandels zu bewahren. Daher Scheinheiligkeit, Heucheley und gleißendes Frömmeln bey deutschen Pfaffen; bey den italienischen hingegen viel mehr Durchsichtigkeit der Maske, und eine gewisse feiste Ironie und behagliche Weltverdauung. (7,166)
Die mentalitätsbedingten Unterschiede im Verhalten der Deutschen und der Italiener weisen nur um so deutlicher auf das grundsätzliche Problem der christlichen Moral hin: ihre Unvereinbarkeit mit den Bedürfnissen der sinnlichen Natur. Um die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit zu verschleiern, bleibt dem Klerus nur die Flucht in die Scheinhaftigkeit, das Spiel mit der 41
D H A 7, S. 166; meine Hervorhebung. 185
frommen »Maske«. Der Begriff der Maske ist für Heines Religionskritik von zentraler Bedeutung, da er impliziert, daß die christliche Entsagungsmoral nicht authentisch gelebt, sondern nur theatralisch vorgetäuscht werden kann: Der Christ muß seine tatsächliche Natur verleugnen, um den Eindruck moralischer Integrität zu erwecken. Dabei deutet die Doppelexistenz des Maskenträgers zugleich auf die Doppelmoral hin, wie Heine sie noch Jahre später in den berühmten Versen des >Wintermärchens< (V. 31 f.) angreift: »Ich weiß, sie tranken heimlich Wein / und predigten öffentlich Wasser« (4,92).42 Um das Moment der Scheinhaftigkeit zu akzentuieren, vergleicht er die Institution der Kirche und den Klerus durchgängig mit der Welt des Theaters und seinen Komödianten. Heine erinnert an die im Januar 1818 von Brühl inszenierte >Jungfrau von Orleanss in der enorme Mittel für »goldne Bischofsmützen, festonirte Chorhemden, buntgestickte Meßgewänder, und ähnlichen Kram« (7,166) aufgewendet worden waren, um den Krönungszug möglichst realistisch auf der Bühne darzustellen. Die mit dem katholischen Prozessionswesen zunächst eher beiläufig assoziierte Opern- und Theaterwelt wird schließlich zum festen Beschreibungsmodell für den Klerus allgemein. So sei es »vom Parterre aus« nicht bemerkbar, welche »Religionsgeschäfte« sich in den Gesichtern der Kleriker abspiegeln, und »wenn der Generalintendant«, so Heine weiter, die geistlichen »Herren gut bezahlt, so werden sie ihre Rolle, wie immer, recht täuschend spielen«.43 Am Ende ist das Fundierungsverhältnis von Wirklichkeit und theatralischer Mimesis völlig umgekehrt - nicht die Schauspieler imitieren den Klerus, sondern der Klerus orientiert sich an der theatralischen Darstellungspraxis. Die katholische Prozession wird zu einem großen Kostümfest, einer Art klerikalem Mummenschanz: Hierauf folgten Kutten von anderen Farben, schwarz, weiß, gelb, panaché, auch herabgeschlagene dreyeckige Hüte, kurz all jene Klosterkostüme, womit wir durch die Bemühungen unseres Generalintendanten [Brühl] längst bekannt sind. Nach den Mönchsorden kamen die eigentlichen Priester, weiße Hemde über schwarze Hosen, und farbige Käppchen; hinter ihnen kamen noch vornehmere Geistliche, in buntseidne Decken gewickelt, und auf dem Haupte eine Art hoher Mützen, [...] die man auch aus dem Denonschen Werke, aus der Zauberflöte und aus dem Belzoni kennen lernt [...]. (7,165*)
Bis in die Details hinein hat Heine also den aus der Inkongruenz von Sein und Schein resultierenden Masken- und Kostümcharakter des Klerus herausgear42
Ein Beispiel für die Doppelmoral des Klerus gibt Heine am Anfang seines Lucca-Berichts: »Auch erinnere ich mich, oben am Fenster eines schwärzlich morschen Häuslein sah ich einen Mönch, der den rothen Hals mit dem feisten Glatzenhaupt recht lang aus der braunen Kutte hervorreckte, und neben ihm kam ein vollbusig nacktes Weibsbild zum Vorschein; unten [...] sah ich einen kleinen Jungen hineingehen, der als ein schwarzer Abbate gekleidet war, und mit beiden Händen eine mächtig großbäuchige Weinflasche trug.« (7,i68f.)
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D H A 7, S. 168; meine Hervorhebungen.
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beitet. Sein Augenmerk auf Kostüm und Maske dient freilich in erster Linie der Demaskierung des geistlichen Standes. Um nämlich den Schein der Authentizität aufrechtzuerhalten, darf die Maske selbst nicht in Erscheinung treten. Heines bloßer Hinweis auf das Vorhandensein der Maske schon genügt, um ihre Hauptfunktion - die Illusionsbildung - zu durchkreuzen. Die entlarvende Strategie, der er sich hier bedient, zielt darauf ab, die klerikale Maske auf den dahinter verborgenen »alten Adam« hin transparent zu machen, d.h. die unter dem Deckmantel scheinheiligen Gebarens verhüllte Bedürfnisstruktur offenzulegen. Aus dieser Strategie erklärt sich die am Anfang der Lucca-Partie (Kap. IV und V) entwickelte Argumentationslinie: Die prinzipielle Konfliktsituation zwischen christlichem Ideal und leiblicher Natur zwingt den Klerus zu einer heuchlerischen Doppelexistenz, die dieser nur deshalb akzeptiert, weil er aus ihr bestimmte materielle und politische Vorteile ziehen kann. Auf die Feststellung seiner trügerischen Maskerade folgt daher fast zwangsläufig die interessenpsychologische oder ideologische Entlarvung des Klerus. Um dessen eigentliches Handlungsmotiv zu kennzeichnen, greift Heine auf den schon früher entwickelten Vergleich zwischen klerikaler und kommerzieller Praxis44 zurück und bemerkt, daß die Pfaffen in der ganzen Welt [...] im Gesichte eine gewisse Familienähnlichkeit haben, wie man sie immer findet bey Leuten, die ein und dasselbe Gewerbe treiben. Schneider, in der ganzen Welt, zeichnen sich aus durch Zartheit der Glieder, Metzger und Soldaten tragen wieder überall denselben farouschen Anstrich, [...] und der Frankfurter christliche Kaufmann sieht dem frankfurter jüdischen Kaufmanne ebenso ähnlich, wie ein faules E y dem andern. Die geistlichen Kaufleute, solche die von Religionsgeschäften ihren Unterhalt gewinnen, erlangen daher auch im Gesichte eine Aehnlichkeit. (7,167)
Heines Beobachtung zeigt, daß die wahre Identität der Geistlichen nicht auf bestimmten konfessionellen Bindungen beruht. Wäre es so, könnte es zwischen Juden, Christen, Moslems und Buddhisten keine Verwandtschaft geben. Die wahre Identität des »Pfaffen« ist nicht theologisch, sondern soziologisch durch seine gesellschaftliche Funktion - geprägt, womit freilich alle konfessionellen Differenzen eingeebnet und als Sekundärphänomen hinter die kommerzielle Mittlerfunktion des Klerus zurücktreten. Von daher gewinnen Heines physiognomische Bemerkungen ihre demaskierende Wirkung: Sie setzen der theologisch-idealistischen Perspektive auf den Klerus eine materialistische Perspektive entgegen und zeigen, daß »religio« im Hinblick auf den geistlichen Stand nicht als Rückbindung an Gott, sondern an ein »bestimmtes Salair« (7,167) zu verstehen ist.
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Zum Vergleich von Religion und Kommerz vgl. S. lyi. der vorliegenden Arbeit sowie Günter Oesterle, Integration und Konflikt. Die Prosa Heinrich Heines im Kontext oppositioneller Literatur der Restaurationsepoche, Würzburg 1971, S. 69-74. 187
Nicht zuletzt sind die eigentlichen Handlungsmotive des Klerus in seinem politischen Machtstreben zu suchen. Darauf deutet schon das Wort vom »diplomatischen Corps Gottes« (7,167), das dem Bereich der Regierungsgeschäfte und der politischen Beziehungen entlehnt ist. In dieselbe Richtung zielen Heines Assoziationen mit der militärischen Staatsgewalt. Die den Prozessionszug eröffnenden Kapuziner bezeichnet er als »Sappeure« einer »Glaubensarmee«, in der einige »altgediente Gesichter« auf eine »Art von alter Garde« (7,170) deuten. Daß »mehrere Compagnien Militär« (ebd.) den geistlichen Zug flankieren, läßt das politische Bündnis zwischen Klerus und Staat und die eigentliche Funktion der Kirche als zweiter Macht im Staat erahnen. Studiert man die Prozessionsschilderung genau, so fällt weiterhin auf, daß Heine auch die strenge Hierarchie der klerikalen Organe abgebildet hat. Den Kapuzinern und ihren kindlichen Kerzenträgern folgen Mönche mit etwas größeren Buben; nach ihnen sind bereits »vornehmere Orden« (7,171) mit erwachsenen Dienern zu sehen, denen wiederum »hochmützige Priester« (ebd.) und ehrbare Bürgersleute als Kerzenträger folgen. Gekrönt wird der Zug schließlich durch die Figur des Erzbischofs: Aber endlich gar der Herr Erzbischof - denn das war wohl der Mann, der in vornehmer Demuth unter dem Thronhimmel ging und sich die Gewandzipfel von greisen Pagen nachtragen ließ - dieser hatte an jeder Seite einen Lakayen, die beide in blauen Livreen mit gelben Tressen prangten, und zeremoniös, als servirten sie bey H o f , die weißen Wachskerzen trugen. (7,171)
Die Assoziationen mit dem höfischen Zeremonialprunk sind hier allzu deutlich ausgeführt, als daß nicht ein weiteres Mal die politische Funktion des Klerus zum Ausdruck käme und erkennbar würde, wie weit sich die Kirche in ihrer hierarchischen Struktur von ihrer urchristlichen Mission entfernt hat.45 Die in der >Stadt Lukka< geschilderte Prozession ist kaiserlicher Triumphzug, stolze Militärparade und heiliges Kirchenfest in einem, und eben in der Verquickung dieser Funktionen erweist sich Heines Kunst der entlarvenden Beschreibung. Bleibt der Mensch innerhalb der kirchlich verfaßten Religion auf die Mittlerfunktion des Klerus angewiesen und damit in eine hierarchische Struktur eingebunden, die ihn in Abhängigkeitsverhältnisse seelischer und politischer Art zwingt, so gilt für die in der Anfangspartie entfaltete pantheistische Religion umgekehrt, daß sie den Menschen aus diesen hierarchischen Bindungen befreit, indem sie ihn vom Untertan zum »Kaiser der Welt« befördert. Das Abendroth umhüllte die Berge wie mit Purpurmänteln, und die letzten Sonnenstralen beleuchteten ihre Gipfel, daß es aussah, als wären sie Könige mit goldenen
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® Beim Anblick der katholisch-militärischen Prozession kommt es dem Erzähler gar so vor, als würde der »Heiland selbst, umringt von Lanzenträgern, zur Richtstätte« abgeführt (7,170).
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Kronen auf den Häuptern. Ich aber stand, wie ein Kaiser der Welt, in der Mitte dieser gekrönten Vasallen, die schweigend mir huldigten. (7,ié4f.)
Der katholische Erzbischof und der in der beseelten Natur als »Kaiser der Welt« auftretende Wanderer sind insofern kontrapunktisch aufeinander bezogen, als sie die sozialen Konsequenzen der Religion auf verschiedene Weise verdeutlichen: die hierarchische, an den militärischen Kastengeist und den höfischen Absolutismus erinnernde Machtstruktur der katholischen Kirche einerseits, die egalitäre - da für alle Menschen geltende - Kaiserwürde des Subjekts in der pantheistisch verstandenen Gott-Natur andererseits. In dieser Gegenüberstellung ist die emanzipatorische Kraft der pantheistischen Naturauffassung zum Ausdruck gebracht. Und so ist es nur konsequent, daß der Ich-Erzähler während der Prozession seinen Blick auf die »Sterne von Lukka« lenkt, die ihn »übereinstimmend« (7,170) ansehen und in einer Art kontrastivem Rückverweis an die religiöse Naturerfahrung seiner Wanderung erinnern. Das kontrapunktische Verhältnis zwischen dem pantheistisch geprägten Naturbild und dem katholisch geprägten Städtebild ist aber nicht nur in dieser sozialen Hinsicht aufschlußreich. Es impliziert auch Aussagen über das Verhältnis beider Religionen zum Leben allgemein. Denn während die monistische Naturreligion den Menschen harmonisch in seine natürliche Lebenswelt integriert und ihm darin sogar einen höheren Platz anweist, gilt für die dualistische Lebensauffassung des Christentums umgekehrt, daß sie die diesseitige Existenz des Menschen in der Ausrichtung auf das jenseitige Seelenheil zur uneigentlichen Daseinsform erklärt und entsprechend abwertet. Auch diesen Aspekt thematisiert Heine in der >Stadt Lukkas wenn er die Prozession als ein »Vermählungsfest mit dem Tode« (7,169) charakterisiert und so auf die christliche Geringschätzung des irdischen Lebens hinweist. Daß der Mensch erst nach seinem Tode zu einem eigentlichen, höheren Leben gelange, ist ein christlicher Gedanke, den Heine durch die unheimliche Verbindung von Tod und Leben als gespenstisch und widernatürlich zu illustrieren sucht. Das zeigt schon die dem Verhältnis von Tod und Leben korrelierende Tag-Nacht-Symbolik zu Beginn des ersten Lucca-Kapitels (Kap. V). A m Tage, der Zeit lebendigen Wirkens und Gestaltens, »war die ganze Stadt still wie das Grab, alles war so verblichen und verstorben, auf den Dächern spielte der Sonnenglanz, wie Goldflitter auf dem Haupte einer Leiche« (7,168). Nachts dagegen ist Lucca vom Kerzenschein erleuchtet und von einem drängenden Volk erfüllt, das als »Gespenst aus dem Grabe gestiegen« scheint, »um im tollsten Mummenschanz das Leben nachzuäffen« (7,169). Der Umkehrung des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus im katholischen Lucca entspricht die christliche Verkehrung von Tod und Leben die Pervertierung der natürlichen Lebensverhältnisse. Sie manifestiert sich vor allem in der erotischen Komponente der Prozession, die hier nicht zufällig mit einer Hochzeit verglichen wird. Statt daß die erotischen und sexuellen Bedürf189
nisse sinnlich ausgelebt werden, kommt es zu einer symbolischen Paarung mit dem spiritualisierenden Tod46 - zu einer religiösen Kompensation also, die bereits auf die Problematik der sinnlich-katholischen Franscheska vorausdeutet. Die christliche Pervertierung natürlicher Lebensverhältnisse wird schließlich noch an einem weiteren Beispiel demonstriert, wenn Heine bald danach auf die religiöse Umkehrung von Gesundheit und Krankheit zu sprechen kommt. Wo nämlich der Tod als »der einzige Arzt« (7,171) fungiert, werden Medizin und ärztliche Hilfe nicht mehr zur Verbesserung und Erhaltung des Lebens, sondern zur Erlösung vom Leben eingesetzt. Das Leben ist nicht ein vor Krankheit zu schützendes Gut, es ist vielmehr selbst das Übel, von dem es den Menschen durch eine »ewige Erdkur« (7,171) zu heilen gilt - auch das eine Form spiritualistischer Naturentfremdung. Sie konvergiert mit der christlichen Auffassung vom irdischen »Jammertal«, das der Mensch erst durch seinen leiblichen Tod verlassen kann. Daß das Leben eine Krankheit sei, ist denn auch eine Vorstellung, die der Erzähler im Kontext des Prozessionsgeschehens thematisiert und den Gesichtern der Geistlichen entnehmen kann: »in allen diesen Gesichtern lagen die Spuren derselben Krankheit, einer schrecklichen, unheilbaren Krankheit, die wahrscheinlich Ursache seyn wird, daß mein Enkel, wenn er hundert Jahre später die Prozession in Lukka zu sehen bekommt, kein einziges von jenen Gesichtern wieder findet« (7,171). Heines kritische Beschreibung der naturwidrigen Phänomene und pervertierenden Tendenzen innerhalb der christlichen Lebenspraxis gipfelt schließlich in der Pathologisierung dieser Phänomene. Die konsequente Mißachtung der natürlichen Lebensbedürfnisse erscheint ihm vor dem Hintergrund seiner ganzheitlichen Anthropologie als abnorme Verirrung in krankhafte Verhaltensformen. Dementsprechend erweitert er das betreffende Metaphernfeld des Pathologischen (»Krankheit«, »Anstekkung«, »Arzt«, »Erdkur«) und bezeichnet die ganze Welt als ein großes Lazarett: »O! es ist keine Ubertreibung, wenn der Poet in seinem Schmerze ausruft: das Leben ist eine Krankheit, die ganze Welt ein Lazareth!« (7,171) 47 Mit der Lazarett-Metapher kennzeichnet Heine die christkatholische Welt abschließend in einem pathologisch-diagnostischen Sinne. Im berühmten sechsten Kapitel, das die Vertreibung der griechischen Götter durch das Christentum schildert, wird diese Diagnose historisch profiliert und damit entscheidend erweitert. Das sechste Kapitel stellt insofern das Herzstück 46
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So bemerkt der Erzähler, daß »holde Mädchengesichter, so frisch, so blühend«, an dem »Vermählungsfest mit dem Tode« (7,169) teilnehmen. Die Assoziation mit dem Hochzeitsfest wird außerdem dadurch unterstützt, daß die Kleriker einen »heiligen Todtenschädel und noch einige Extra-Knochen, mit Blumen und Edelsteinen geziert« unter »hochzeitlicher Musik herumtragen« (ebd.; meine Hervorhebung). Später greift der Erzähler die Metapher erneut auf und bemerkt, die Sonne habe »jene trübseligen [...] Gedanken« vertrieben, die »mir das Leben wie eine Krankheit und die Welt wie ein Lazareth ansehen ließen« (7,176).
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des Textes dar, als es zu den Ursachen der beschriebenen Leiden vordringt und nach den manifesten Symptomen gleichsam die kulturhistorische Pathogenese liefert. Wenn Heine hierfür den archaischen Sprachgestus des Mythos wählt, so weil die christliche Usurpation des O l y m p s für ihn eine symbolische Ur-Szene darstellt, auf die alle zuvor geschilderten Leidenssymptome und Mißverhältnisse brennpunktartig zurückweisen. Die mythologische Inszenierung der G ö t terdämmerung in der »Stadt Lukka< ist nicht nur die erste, sondern wohl auch die eindrucksvollste und facettenreichste Darstellung der Antithese von Sensualismus und Spiritualismus, Hellenen- und Nazarenertum in Heines Werk, weshalb sie hier vollständig zitiert werden soll. Z u r Illustration der sensualistischen Daseinsform wählt Heine eine Szene aus der >Ilias< (I, 597ff.), in der ein Streit zwischen Zeus und Hera geschildert wird. Hephaistos schlichtet und überreicht Hera einen Becher mit Nektar. A n dieser Stelle setzt sein Zitat ein: Jener schenkte nunmehr auch der übrigen Götterversammlung, Rechtshin, lieblichen Nektar dem Mischkrug emsig entschöpfend. Doch unermeßliches Lachen erscholl den seeligen Göttern, Als sie sahn, wie Hefästos im Saal so gewandt umherging. Also den ganzen Tag bis spät zur sinkenden Sonne Schmausten sie; und nicht mangelt ihr Herz des gemeinsamen Mahles, Nicht des Saitengetöns von der lieblichen Leyer Apollons, Noch des Gesangs der Musen mit holdantwortender Stimme. (Vulgata) Da plötzlich keuchte heran ein bleicher, bluttriefender Jude, mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen Göttertisch, daß die goldnen Pokale zitterten, und die Götter verstummten und erblichen, und immer bleicher wurden, bis sie endlich ganz im Nebel zerrannen. Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine glücklichen Götter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo geschundene, gebratene und gespießte Götter langweilig umherschlichen, und ihre Wunden verbanden und triste Lieder sangen. Die Religion gewährte keine Freude mehr, sondern Trost; es war eine trübselige, blutrünstige Delinquentenreligion. (7,172^) In ihrer polaren Struktur, aber auch in ihrem Symbolcharakter und ihren wertenden Epitheta entspricht diese Szene recht genau der begrifflichen Dichotomie von Sensualismus und Spiritualismus, Hellenen- und Nazarenertum. 4 8 Das Bankett der Götter ist eines der sensualistischen Kernmotive in Heines Werk, da es zwei wesentliche Momente kombiniert: das sinnliche Moment des Gelages als Zeichen der physischen Lebensfreude und das politische Moment des
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Dabei gilt es festzuhalten, daß die Szene diese begriffliche Dichotomie avant la lettre entfaltet. Man kann schon daher mit Sicherheit sagen, daß Heine sein dualistisches Modell nicht erst aus einer abstrakten Begrifflichkeit entwickelt, sondern diese Begrifflichkeit, wo sie ihm in der philosophisch-theologischen Literatur begegnet, für ein schon vorhandenes Konzept aufgreift und einsetzt. 191
runden Tisches, um den sich die Götter zum gemeinsamen Mahl versammeln. In der >Reise von München nach Genua< preist Heine die Franzosen, weil sie »für die z w e y größten Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft, für gutes Essen und bürgerliche Gleichheit« (7,70) gesorgt haben, und er träumt von einer Zeit, in der »wir einst alle, als gleiche Gäste, das große Versöhnungsmahl halten, und guter Dinge sind - denn was gäbe es Besseres als eine Gesellschaft von Pairs an einem gutbesetzten Tische?« (ebd.). Die der >Ilias< entnommene Versammlungsszene der Götter entspricht zweifellos dieser sensualistischen G e sellschaftsutopie. U n d weil Heine das eine nicht ohne das andere, die bürgerliche Gleichheit nicht ohne Nektar und Ambrosia, die Gesellschaft von Pairs nicht ohne dampfende Schüsseln denken will, widersetzt er sich später solchen Gesellschaftskonzepten, die aus antifeudalem Ressentiment einen asketischen Egalitarismus im »aschgrauen Gleichheitskostüm« fordern. Eben diese Problematik wird im sensualistischen Programm der Philosophie-Schrift berührt, w o Heine bezeichnenderweise an Elemente der >IliasIliasMemoiren des Herren von Schnabelewopski< über den Maler Jan Steen, »daß auf dieser Erde ewig Kirmes seyn sollte; er begriff, daß unser Leben nur ein farbiger Kuß Gottes sey und er wußte, daß der heilige Geist sich am herrlichsten offenbart im Licht und Lachen« (5,182). 49 Das frohe Gelächter der olympischen Götter ist dem »tristen« und »trübseligen« Delinquententum der christlichen Ära diametral entgegengesetzt, wobei Heines Be-
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Der Asket Robespierre, so Heine in den französischen Zuständen«, »haßte die [...] Orgien der Atheisten, und das laxe Treiben der Esprits, und er haßte vielleicht jeden, der witzig war und gern lachte« (12,150). Vgl. außerdem die Bemerkung in den >Elementargeisternc »All diese frohe Lust, all dieses frohe Gelächter ist längst verschollen, und in den Ruinen der alten Tempel wohnen noch immer [...] die altgriechischen Gottheiten, aber sie haben durch den Sieg Christi all ihre Macht verloren« (9,47; meine Hervorhebung).
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griff >Delinquentenreligion< auf das christliche Sündenbewußtsein hinweist, das aus der Verdammung der sinnlichen Natur herrührt und den Göttern völlig fremd ist. Ihr Gelächter kann als Ausdruck jener ganzheitlichen Lebensform begriffen werden, wie sie Heines sensualistischer Utopie zugrundeliegt und in der pantheistischen Eingangspartie prophetisch in die Zukunft projiziert wird: »und die Menschen werden Götter werden« (7,160). Ebenso stark wie das Gelächter (»unermeßliches Lachen erscholl den seeligen Göttern«) ist in dem >IliasIlias< die wichtigsten Elemente der sensualistischen Utopie zusammen. Sie läßt sich gleichsam als deren bildhafte Konzentration beschreiben, als sensualistische Utopie in nuce. Diese Motivkonzentration läßt sich umgekehrt auch für die Darstellung der spiritualistischen »Delinquentenreligion« feststellen. Die Epitheta »traurig« und »trübselig« gehören zu den festen Beschreibungstopoi der spiritualistischen Weltentsagung bei Heine,' 1 und mit der Farbe »grau« kennzeichnet er schon in der >Harzreise< das Abstrakte, Sinnenfeindliche und Leblose.' 2 Sie kehrt auch in seiner antispiritualistischen Republikanismus- und Kommunismus-Kritik53 wieder und bleibt damit durchgeVgl. dazu Kap. II. 2 ('Sensualismus als politische PositionElementargeisternDie Götter Griechenlands< (1826) vorliegt, einem Gedicht, in dem das lyrische Ich auf der Basis einer christlichen Mitleidsethik für die besiegten olympischen Götter Partei ergreift, also genau jene Vermittlung von hellenischer Heiterkeit und christlicher Nächstenliebe leistet, auf die Pabel auch die mythologische Szene der >Stadt Lukka< zulaufen sieht. 61 Und doch läßt der engere Kontext des Zitats eine solche dialektische Perspektive nicht zu: Ausdrücklich erklärt der Erzähler, daß es sich bei seinen Reflexionen über die Notwendigkeit des Christentums um eine vorübergehende Verirrung seiner Gedanken gehandelt habe, um eine Manipulation gleichsam, die auf einen Kirchenbesuch zurückzuführen sei: Dem Menschengewühl entfliehend, habe ich mich in eine einsame Kirche verloren, und was du, lieber Leser, eben gelesen hast, sind nicht so sehr meine eignen Gedanken, als vielmehr einige unwillkührliche Worte, die in mir laut geworden, während ich, 60 61
Pabel (Anm.6), S.219. Vgl. dazu Kap. II. 3.2 der vorliegenden Arbeit. Pabel selbst erwähnt das Gedicht nicht, das dem Thema der Götterdämmerung in >Die Stadt Lukka< gleichwohl eng verwandt ist: »Es schaut so traurig Phöbos Apollo, / Der Jüngling. Es schweigt seine Ley'r, / Die so freudig erklungen beim Göttermahl. / Noch trauriger schaut Hephaistos, / Und wahrlich, der Hinkende! nimmermehr / fällt er Heben ins Amt, / Und schenkt geschäftig, in der Versammlung, / Den lieblichen Nektar - Und längst ist erloschen / Das unauslöschliche Göttergelächter« (1,414). Wie die vielen Motivparallelen zeigen, geht diese Darstellung - in negativer Umkehrung - wohl von derselben >IliasDie Stadt LukkaStadt Lukka< betont. So richtig es ist, Heines apologetische Aussagen über das Christentum an dieser Stelle als bewußt inszenierte Verirrung zu werten, so falsch wäre es jedoch, Heines Position deshalb generell mit christlichen Vorstellungen zu kontrastieren. Eine Annäherung der Thesen Pabels und Martins ist möglich, wenn man hinsichtlich der Aussageintentionen Heines schärfer differenziert. Zunächst ist festzuhalten, daß es in der >Stadt Lukka< zu keiner Pauschalverurteilung der christlichen Leidenstheologie kommt. Heine wußte von der Leidausgesetztheit des Menschen und war nicht ohne Anerkennung für die Mitleidsethik und Trostfunktion der christlichen Religion. Vom ersten Prosawerk aus dem Jahre 1820 (>Die RomantikStadt Lukka< und ergänzt die hellenistische Position um ein zentrales humanes Moment. Nicht zufällig äußert sich Heine anerkennend über den alten Priester, der sich mit »zerrissenen Sandalen« durch »Dorn und Gestrippe« schlägt, »um droben, in den Bergdörfern, Kranke zu trösten« (7,165). »Gegen den Mann«, heißt es gleich zu Beginn des Lucca-Berichts, »will ich nicht schreiben« (ebd.).64 Auch die im JohannesEvangelium geschilderte Barmherzigkeit der Maria Magdalena, die Jesus mit kostbarer Narde die Füße salbt und so ein Exempel der Nächstenliebe statuiert, wird für Heine zum Modellfall mitmenschlichen Verhaltens: Jesus »lächelt gerührt hinab auf das kniende Weib, das [...] jene barmherzige That verrichtet, eine That, die nie vergessen wird, so lange es leidende Menschen giebt, und die zur Erquickung aller leidenden Menschen durch die Jahrtausende duftet«
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Martin (Anm. 24), S. 173. Ebd. S.155. Leitmotivisch nimmt Heine diesen Gedanken am Ende des fünften Kapitels wieder auf, als er einen »armen, bleichen Priester« schildert, der sich am Ende seines Lebens hoffnungsvoll dem Tode anvertraut und von diesem Trost und Rettung erwartet: »>Gegen den Mann will ich auch nicht schreiben^ dacht ich« (7,172).
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(7,178)· Immer wieder kommt Heine in seinen Schriften auf den Vorbildcharakter der christlichen Mitleidsethik und Nächstenliebe zurück, und immer wieder sieht er gerade in dieser Ethik eine wichtige Ergänzung des hellenischdiesseitigen Genußstrebens.6' Das Christentum erscheint ihm dort sinnvoll und gut, wo es dem gebeugten Menschen Hilfe und Trost zu spenden vermag. Selbst in seiner schärfsten Kritik des Christentums, der >Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschlands kann Heine nicht umhin, die Religion des Kreuzes wegen »jener großen Tröstung« zu loben, die sie den Menschen »während achtzehn Jahrhunderten« gespendet hat: »Ewiger Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gottes, [...] des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann« (8,18). Es ist jedoch ein gravierender Unterschied, ob die Religion in einer leidvollen Situation Trost gewährt und damit positiv in Erscheinung tritt oder ob sie dieses Leid selbst erst verursacht. Eben hier setzt Heines Kritik an: Indem die christkatholische Religion dem Menschen die irdischen Genüsse als »Sünde« versagt, schafft sie selbst erst jene Leiderfahrung, in der sie ihm tröstend zur Seite steht. Sie gewährt den Kranken im »Lazareth« zwar Trost, ist aber doch insofern verwerflich, als sie selbst diese Krankheit in die Welt gebracht hat: »Nun gabs eine traurige Zeit«, beschreibt Heine das Werk Christi, »und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine glücklichen Götter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth« (7,173). Weil Heine das Christentum als Ursache des allgemeinen Übels vorführen oder genauer: die christliche Medizin selbst als die Seuche erkennbar machen will,66 distanziert er sich hier von ihren falschen Palliativen. Dort aber, wo menschliches Leid aus anderen als aus religiösen Ursachen entsteht - durch Krankheit, politische Unterdrückung oder Todesangst - erscheint ihm die Mitleidsethik und Trostfunktion der christlichen Religion als unverzichtbare, da von den hellenischen »Festtagsgöttern« in keiner Weise gewährleistete Hilfe. Wenn man in dieser Art die auf das Christen6
' »Heil einer Religion«, heißt es in der Börne-Schrift ( 1 1 , 1 0 3 ) , »die dem leidenden Menschengeschlecht in den bittern Kelch einige süße, einschläfernde Tropfen goß, geistiges Opium, einige Tropfen Liebe, Hoffnung und Glauben«. Das zumeist in Verbindung mit der Marxschen Religionskritik (»Opium«) gebrachte Zitat ist wohl kaum kritisch oder ironisch zu verstehen, da es sich auf den »grauenhaft peinlichen Z u stand« der römischen Antike, also auf einen bestimmten historischen Kontext bezieht, in dem, wie auch die >Romantische Schule< belegt (8,i 27), Heine der christlichen Religion eine durchaus positive Rolle zuschrieb.
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Hier konvergiert Heines Perspektive mit der der späteren Philosophie-Schrift, in der er das Christentum als Krankheit bezeichnet: »die eigentliche Idee des Christenthums hatte sich, [...] über das ganze römische Reich verbreitet, wie eine ansteckende Krankheit [...], und wir Modernen fühlen noch immer Krämpfe und Schwäche in den Gliedern. Ist auch mancher von uns schon genesen, so kann er doch der allgemeinen Lazarethluft nicht entrinnen« (8,i6f.; meine Hervorhebung).
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tum bezogenen Aussageintentionen Heines unterscheidet, lassen sich Pabels dialektische Deutungsperspektive und Martins These von der Ironisierung der christlichen Trostqualität problemlos vermitteln. Die Götterdämmerung der >Stadt Lukkas so wurde festgestellt, ist im Hinblick auf Heines Sensualismus von herausragender Bedeutung, weil sie in knappster Form nicht nur die grundlegende Antinomie von sinnlicher Lebenslust und asketischer Weltentsagung widerspiegelt, sondern auch deren historische Genese erklärt und zugleich in der Darstellung des usurpatorischen Akts und seiner pathologischen Folgen eine dezidierte Kritik des Christentums enthält. Ebenso wichtig aber ist, daß Heine hier auch die Defizite des Hellenismus thematisiert. Die kulturhistorische Opposition von Nazarener- und Hellenentum ist, das wird auf diesem Hintergrund deutlich, nicht einfach mit der Antithese von Spiritualismus - Sensualismus gleichzusetzen, da Heines Sensualismus ein durch das christliche Solidaritäts- und Trostmoment erweitertes Hellenentum 67 darstellt, also - wie schon am Beispiel der schönen Spinnerin in der >Reise von München nach Genua« erkennbar - auf einem synkretistischen Religionsentwurf basiert. Die sensualistische Religionskritik der >Stadt Lukka< ist mit der Prozessionsschilderung und der mythisierenden Götterdämmerung allerdings noch nicht abgeschlossen. Von der ideologiekritischen Gesamtperspektive auf den Klerus und der kulturhistorischen Analyse in der Götterdämmerungsszene wendet Heine sich nun dem individuellen Bereich zu, wenn er die Problematik der katholischen Franscheska in den Blick nimmt. Die Franscheska-Episode unmittelbar an die Götterdämmerung anzuschließen ist insofern konsequent, als an ihr die mythisierende Makroperspektive konkretisiert und geschärft werden kann. Die zwischen sinnlicher Leidenschaft und übersinnlicher Mystik schwankende Franscheska nämlich steht sowohl für die leiderzeugende Tendenz des Christentums wie für die unhintergehbaren sinnlichen Bedürfnisse der menschlichen Natur. Ihr sexuelles Verlangen bleibt unerfüllt, da Cecco, ihr früherer Liebhaber, die spiritualistische Existenzform des Geistlichen angenommen und sich ihr damit entzogen hat.68 Aus dieser Leiderfahrung erklärt sich die Identifikation der sinnlichen Beterin mit der Gottesmutter Maria: Die »schöne Schmerzensmutter einer gekreuzigten Liebe« (7,173) wird für sie zur
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Heines ethische Korrektur des Hellenismus wird am Beispiel des schon erwähnten Gedichts >Die Götter Griechenlands« ausführlich in Kap. II. 3.2 der vorliegenden A r beit behandelt. Wie in der >Stadt Lukka< kommt es Heine auch in diesem Gedicht auf die synkretistische Verbindung ambrosischer Rechte und christlicher Liebe an und nicht auf eine einseitig »hellenistische« Positionsbestimmung. »Franscheska [...] flocht einen Hut, für ihren caro Cecco, und küßte jeden Strohhalm, den sie dazu nahm, [ . . . ] - das lockige Haupt, das den hübschen Hut nachher so schön trug, hat jetzt eine Tonsur, und der Hut selbst hängt, alt und abgenutzt, im Winkel eines trüben Abbatestübchens zu Bologna.« (7,163)
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Spiegelfigur im Verlustgefühl. Heines indirekter Vergleich der schönen Franscheska mit der heiligen Maria ist jedoch insofern brisant, als Cecco nicht wie Jesus durch die Gegner der christlichen Lehre, sondern durch das Christentum selbst »gekreuzigt« (d.h.: ihr genommen) wird. So geht auch in bezug auf Franscheska die verbrecherische Rolle auf die Kirche über. Die Opferung der »Liebe« durch die christliche Religion ist indes nur ein Aspekt der religionskritischen Franscheska-Episode. Der andere, von Heine stärker akzentuierte Aspekt ist der der verdrängten Sinnlichkeit. Heine macht fortwährend auf das erotische, ja sexuelle Substrat der katholischen Andacht aufmerksam, um die sublimierende Funktion des Christentums zu verdeutlichen. Die Bezeichnung der Gottesmutter Maria als »Venus dolorosa« (7,173) läßt jedoch erkennen, daß das Christentum die heidnische Götterwelt und die in ihr zum Ausdruck kommende Geschlechtlichkeit nicht vollkommen eliminieren, sondern lediglich auf ihre eigenen Symbole und Figuren übertragen kann. Die Franscheska-Szene dient insgesamt dazu, die sexualpsychologische Motivation der religiösen Andacht offenzulegen und damit den Primat des Sinnlichen zu demonstrieren. Die religiöse Verschleierung des erotischen Antriebsmoments hat Heine durch die Kirchenszene in Kap. VI virtuos zum Ausdruck gebracht - nicht nur durch die synkretistische Wendung von der »Venus dolorosa«, sondern auch durch das signifikante Spiel von Licht und Schatten im Inneren der Kirche, das die schöne Beterin zu einer Doppelfigur, einer spiritualistischen Katholikin und einer orientalischen Selam-Schönheit macht. Der sich von der Beterin abspaltende Schatten verweist auf die erotisch-sexuelle Dimension ihres Handelns: Wer ist die Verschleyerte, die dort kniet vor dem Bilde einer Madonna? Die Ampel, die davor hängt, beleuchtet grauenhaft süß die schöne Schmerzensmutter einer gekreuzigten Liebe, die Venus dolorosa; doch kupplerisch geheimnißvolle Lichter fallen zuweilen, wie verstolen, auf die schönen Formen der verschleyerten Beterinn. Diese liegt zwar regungslos auf den steinernen Altarstufen, doch in der wechselseitigen Beleuchtung bewegt sich ihr Schatten, läuft manchmal zu mir heran, zieht sich wieder hastig zurück, wie ein stummer Mohr, der ängstliche Liebesbote in einem Harem [...]. Er verkündet mir die Gegenwart meiner Herrinn, der Sultaninn meines Herzens.
(7,i73f·)
Der flackernde Schein der Ampel fällt sowohl auf die heilige Madonna wie auf die vor ihr kniende Beterin und dehnt den sakralen Lichtkegel auf deren »schöne Formen« aus. So stiftet das Licht nicht nur eine geheime Beziehung zwischen den Frauen, sondern deutet auch schon auf den erotischen Hintergrund der Anbetung hin. Im changierenden clair-obscur des schwachen Kirchenlichts, das die Beterin in einem auszudeutenden Dunkel läßt, enthüllt sich um so klarer die gebrochene Identität der Figur: Im Licht der Kirche erscheint sie einerseits als devote Gläubige, deren starre Haltung - wie eine Tote liegt sie »regungslos auf den steinernen Altarstufen« - an das Motiv des religiös bedingten 201
Scheintodes69 erinnert. Dort jedoch, wo sie nicht vom kirchlichen Licht erfaßt wird, teilt sich Franscheska durch die Liebesbotschaft ihres Schattens andererseits als eine dynamisch-lebendige Person voller Leidenschaft und Verlangen mit. Das Spiel von Licht und Schatten hat also, da es Franscheska als eine Doppelexistenz ausweist, eine ähnlich demaskierende Funktion wie die vorausgehenden Beobachtungen über den Lebensstil und die Kostümherrlichkeit des Klerus. Immer wieder läuft Heines religionskritische Strategie darauf hinaus, den aus dem Konflikt von Geist und Materie resultierenden Doppelcharakter der Christen zu entlarven. Bei Franscheska stehen sowohl die heidnische Venus wie die orientalischen Elemente - »Harem«, »Sultaninn«, später ist auch noch vom »Halbmond« (7,174) die Rede - in eindeutiger Spannung zur christlichen Andacht und vertreten insgesamt das sensualistische Moment. An der Figur der schönen Beterin bestätigt sich also die vorab entwickelte Analyse des Christentums: Ihr Glaube bleibt stets auf ein sinnliches Fundament hin transparent; in ihrer Leiderfahrung sucht sie Trost bei einer Religion, die dieses Leid selbst erst verursacht hat (»gekreuzigte Liebe«), und schließlich korrespondiert ihr eigener Werdegang exakt dem in der Götterdämmerung entfalteten Degenerationsschema. So wie die olympischen Götter durch das Christentum zu gebeugten Patienten und Delinquenten degradiert werden, so entwickelt sie sich selbst von einer heiter Liebenden zu einer »Venus dolorosa«: »Ihr Gang, der sonst so heiter dahinschwebend, war jetzt wie kirchlich gemessen, ihr Schritt war düster katholisch, sie bewegte sich wie nach dem Takte einer feyerlichen Orgel, und wie in früheren Nächten der Sünde, so war ihr jetzt die Religion in die Beine gefahren.« (7,175) Die Entgegensetzung des Heiteren und Düsteren ist nur eine Variation der kulturhistorischen Antithese von Hellenismus und Nazarenertum, woraus der konzeptionelle Zusammenhang zwischen der Götterdämmerung und der Franscheska-Episode in Kap. VI erhellt. Sofern Franscheska zur individuellen Ausgestaltung einer kulturhistorischen Gesamtproblematik dient, kann die Verführungsstrategie des Erzählers ihr gegenüber immer auch als Reaktion auf die spiritualistische Kultur insgesamt gelesen und entsprechend verallgemeinert werden. In Franscheska wird die »Delinquentenreligion«, die der Erzähler ja bisher nur distanziert als Betrachter der Prozession beschrieben und analysiert hat, zum Problem für ihn selbst. Seine Opposition gegen die von Franscheska verkörperte spiritualistische Lebenspraxis läßt sich im wesentlichen an zwei Strategien festmachen: an der Säkularisierung des Sakralen und an der Sakralisierung des Profanen. Beides gehört, wie die >Briefe aus Berlin< zeigen, von Anfang an zu Heines antispi-
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»Es war als ob [...] jener lebende Tod ewig dauern wollte, [...] als wäre ich scheintodt begraben worden, ja als wäre ich, ein Längstverstorbener, aus dem Grabe gestiegen, und sey [...] in die Gespensterkirche gegangen, um die Todtengebete zu hören, und Leichensünden zu beichten.« (7,174).
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ritualistischer Opposition und ist in seinem italienischen Städtebild besonders konsequent durchgeführt. Die G o t t und der Kirche geweihte Liebe Franscheskas wird ihrer ureigenen Intention entsprechend auf das diesseitige Erfüllungsobjekt zurückübertragen und als erotisch-sexuelle Liebe gewissermaßen sensualistisch verweltlicht, während der Liebesakt umgekehrt durch das Vokabular der religiösen Messe zum Gottesdienst erhoben wird. Diese chiastische Struktur liegt dem Werben um Franscheska im sechsten Kapitel zugrunde und nimmt die oben beschriebene Pervertierung der natürlichen Lebensverhältnisse im Sinne einer diesseitig erfüllten Existenz zurück. Unterwegs vor jedem Heiligenbilde bekreuzte sie sich Haupt und Busen; vergebens versuchte ich ihr dabey zu helfen. Als wir aber auf dem Markte [...] vorbeykamcn, wo die marmorne Schmerzensmutter mit den vergoldeten Schwertern im Herzen [...] aus der dunkeln Nische hervorleuchtete, da schlang Franscheska ihren Arm um meinen Hals, küßte mich und flüsterte: Cecco, Cecco, caro Cecco! / Ich nahm die Küsse ruhig in Empfang, obgleich ich wohl wußte, daß sie im Grunde einem bolognesischen Abbate [...] zugedacht waren. Als Protestant machte ich mir kein Gewissen daraus, mir die Güter der katholischen Geistlichkeit zuzueignen, und auf der Stelle säkularisirte ich die frommen Küsse Franscheskas. Ich weiß, die Pfaffen [...] schreyen gewiß über Kirchenraub [...]. Leider muß ich gestehen, daß besagte Küsse das einzige waren, das ich in jener Nacht erbeuten konnte. (7,175) Franscheskas leidenschaftlicher Ausbruch macht deutlich, daß es sich bei der synkretistischen Formel »Venus dolorosa« nicht etwa nur um eine Projektion des männlichen Erzählers handelt. Ihr eruptiv auftretendes Verlangen zeugt vielmehr von ihrer eigenen
sinnlichen Natur, davon, daß »die religiöse Devo-
tion hier im Grunde die entfremdete oder sublimierte F o r m erotischer Hingabe« 7 0 oder, wie Allenspach formuliert, ein »Surrogat ihrer wahren Bedürfnisse« 7 ' ist. Indem Heine die religiöse Haltung Franscheskas auf ein sinnliches Verlangen zurückführt, demonstriert er nicht nur das Primat des Sinnlichen schlechthin, sondern verlegt auch den Erfüllungsort des »Heils« in die diesseitige Lebenswelt des Menschen zurück. Die zur Verweltlichung der »frommen Küsse« Franscheskas komplementär angelegte Sakralisierungsszene, in der der Erzähler vor der verschlossenen T ü r der Geliebten den erhofften Liebesakt im Stil einer religiösen Messe umschreibt, verkehrt schließlich die asketisch-spiritualistische Religion des Christentums in ihr Gegenteil. Sie begründet, wenn auch vorerst nur im Modus des ironischen Verführungsspiels, eine Religion der sinnlichen Glückseligkeit und weist damit auf sensualistische Kernvorstellungen der dreißiger Jahre voraus, 70 71
Preisendanz (Anm. 1), S. 52. Allenspach (Anm. 5), S. 193. Vgl. dazu auch Martin (Anm. 24, S. 165), der in Franscheskas Glaube ebenfalls eine »Funktion ihres Trieblebens« und »bloße Maskierung des erotischen Begehrens« sieht: »Die christliche Leibfeindlichkeit bewirkt [...] eine Verschiebung der erotischen Energien, so daß sie sich entweder überhaupt nicht oder am falschen Objekt manifestieren.« 203
in denen Heine seiner radikalen Diesseitigkeit durch Bezüge zum Pantheismus und Saint-Simonismus ein religiöses Fundament verleiht. Franscheska! [...] für diese einzige Nacht, die du mir noch gewährst, will ich selbst katholisch werden [...]. O die schöne, seelige, katholische Nacht! Ich liege in deinen Armen, strengkatholisch glaube ich an den Himmel deiner Liebe, von den Lippen küssen wir uns das holde Bekenntniß, das Wort wird Fleisch, der Glaube wird versinnlicht, in Form und Gestalt, welche Religion! Ihr Pfaffen! jubelt unterdessen Eur K y r i e Eleison, klingelt, räuchert, läutet die Glocken, laßt die Orgel brausen, laßt die Messe von Palestrina erklingen - das ist der Leib! (7,175h)
Geht es hier auch in erster Linie um eine Parodie christlicher Glaubensinhalte und Rituale, so wird die darin vollzogene Verbindung religiösen und erotischen Erlebens doch nicht grundsätzlich ironisiert. Slobodan Grubacic will den Eindruck, »als gäbe Heine eine religiöse Feier entbundener Sinnlichkeit, als würde hier ein Theorem von Religion und Libido inszeniert«/ 2 mit dem Argument zurückweisen, daß es sich bei der blasphemischen Verbindung von Gottesdienst und Liebesakt »stilistisch gesehen« um eine »semantische Verschiebung«, also um »Übertragung aus einem bestimmten semantischen Bereich auf einen anderen« handelt, deren Ziel es sei, die »festen Vorstellungsschemata« des Lesers zu sprengen. 73 Warum diese in stilistischer Hinsicht treffende Analyse gegen die sakralisierende Tendenz der Szene spricht, ist nicht nachvollziehbar, um so weniger, als die »Versinnlichung« der Religion, die hier gefordert wird, auf die pantheistische Naturdarstellung der Eingangspartie zurückweist, also die schon zuvor entfaltete Vorstellung von einer auch dem Leiblichen und Physischen innewohnenden Göttlichkeit bekräftigt. 74 Wie in der Naturerfahrung des Wanderers am Anfang der >Stadt Lukka< könnte auch in der »seeligen« Liebesnacht der christliche Dualismus von Geist und Materie zugunsten einer religiösen Einheitskonzeption und sinnlichen Emanzipation überwunden werden. 75 Das Verfahren der sensualistischen Interpretation religiöser Handlungen bleibt auch in den anschließenden Religionsgesprächen mit der Engländerin Mathilde vorherrschend. In diesen Gesprächen behandelt Heine ein weitgefächertes Spektrum von religiösen Fragen und Themen im Stil des sokratischen 72 73 74
7!
Slobodan Grubacic, Heines Erzählprosa. Versuch einer Analyse, Stuttgart 1975, S. 71. Ebd. Gegen Grubacic ließe sich außerdem einwenden, daß das »Sprengen der festen Vorstellungsschemata« durch die Sakralisierung der Sexualität ja keineswegs verhindert wird: Was könnte die gewohnten Aspekte stärker verwirren als die Heiligung der »Sünde«? Für Martin (Anm.24, S. 1 7 1 ) dagegen wird hier das transzendente Modell durch die »wahrhaft sensualistische Version einer Liebes- und Mittlerreligion« korrigiert. Vgl. dazu Pabel (Anm.6, S.228) sowie Martin (Anm.24), S. 1 7 1 : »Für einen Moment entsteht das Bild einer sinnlichen Religion, in der allem Körperlichen eine neue spirituelle Würde zuwächst.«
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Dialogs, wobei Mathilde, deren Figur ganz nach dem Klischee der nüchternen Rationalistin angelegt ist, gegenüber dem Erzähler die Rolle des aufklärenden Philosophen übernimmt. Ihre »brittische Spottlust« (7,177) entzündet sich gerade an den christlichen Glaubensinhalten und folgt darin dem vernunftzentrierten aufklärerischen Diskurs der Desillusionierung und Entmystifizierung. Während der Messe im Dom von Lucca greift sie nicht nur den für die Aufklärung zentralen Topos des Priestertrugs 7 ^ auf (Kap. VIII), sie ironisiert auch den Jenseits- und Unsterblichkeitsglauben (Kap. IX), thematisiert die Instrumentalisierung der Religion zu politischen und militärischen Zwecken (Kap.X), spottet über den naiven Wunderglauben (Kap. X I ) und verneint die Frage nach der Notwendigkeit der Religion für das Volk (Kap. XIII), indem sie anhand einer Parabel auf die fatalen Folgen von Glaubensstreitigkeiten hinweist. Vor allem aber macht sie zusammen mit dem Erzähler immer wieder auf die sinnliche Valenz religiöser Symbole aufmerksam und setzt damit die antispiritualistische Argumentationsstrategie der >Stadt Lukka< fort. Bei der Betrachtung der Gemälde im Dom von Lucca etwa verleiht sie den dargestellten religiösen Motiven konsequent einen erotisch-sexuellen Hintersinn: Sieh da! rief sie, auch Lady Eva, Geborne von Rippe, wie sie mit der Schlange diskurirt! Es ist ein guter Einfall des Malers, daß er der Schlange einen menschlichen Kopf mit einem menschlichen Gesichte gab; es wäre jedoch noch weit sinnreicher gewesen, wenn er dieses Verführungsgesicht mit einem militärischen Schnurrbart verziert hätte. Sehen Sie [...] dort den Engel, welcher der hochgebenedeiten Jungfrau ihren gesegneten Zustand verkündigt und dabey so ironisch lächelt? Ich weiß, was dieser Ruffiano denkt! Und diese Maria, zu deren Füßen die heilige Allianz des Morgenlandes [...] niederkniet, sieht sie nicht aus wie die Catalani? (7,177)
Den Erzengel Gabriel als Zuhälter oder Kuppler zu apostrophieren (ital. »ruffiano«), zeugt ebenso klar von der sexualpsychologischen Analyse der Sakralmalerei wie der doppelte Hinweis auf das männliche (den Bart, der noch in Büchners >Woyzeck< als Symbol sexueller Verführungsgewalt fungiert) 77 und weibliche Schönheitsideal (die Sängerin Angela Catalani) der Zeit. Von den in der Kirche ausgestellten »Passionsbildern« (7,177) wird der Blick auf die erotisch-sexuelle Passion jener »altflorentinischen Gemälde« (7,178) gelenkt, de76
Zur sog. Herren- und Priestertrugstheorie in >Die Stadt Lukka< und den >Reisebildern< allgemein vgl. Pabel (Anm. 6, S. 2 1 5 ) und Höhn (Heine-Handbuch, S. ζ5 3f.) sowie Ders., »Wissenschaft der Freiheit« und jesuitische Falschmünzerei. Zu Heines Politikbegriff. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum zoo. Geburtstag, hg. von J . A . Kruse [u.a.], Stuttgart/Weimar 1999, 8.33-46, bes. S. 34ft.
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»MARIE (ihn [den Tambourmajor] ansehend, mit Ausdruck). [...] Uber die Brust wie ein Stier und ein Bart wie ein Low. So ist keiner. - Ich bin stolz vor allen Weibern.« (Georg Büchner, Werke und Briefe, S. 241.) Auch Heines Tambourmajor Le Grand eine »bewegliche Figur mit einem fürchterlichen, schwarzen Schnurrbarte« (6,190) erscheint als eine verführerische und attraktive Männergestalt.
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ren antikisierende Ästhetik der Erzähler gegen Winckelmann in einer »ewigen Leidenschaft ohne Unruhe« (ebd.) begründet sieht. Der Erzähler deutet nun seinerseits auf den erotischen Subtext der Kirchengemälde hin, wenn er bemerkt, daß »durch die fromm gesenkten Augenwimpern mancher Madonna aus jener Zeit ein so schalkhafter Liebeswink blinzelt, als ob sie uns gern noch ein zweites Christkindlein schenken möchte« (7,177). Das spiritualistische Dogma der unbefleckten Empfängnis wird damit wie schon bei der Anspielung auf Gabriels Kupplerrolle ins Gegenteil des sexuellen Lustgewinns gewendet. Von einer sensualistischen Interpretation der christlichen Lehre zeugt auch der Hinweis auf die Hochzeit von Kanaan, bei der Jesus »sich heiter mischt in die Reihe der Heitern« (7,178) und für die Festgesellschaft Wasser in Wein verwandelt - eine bei Heine selten zu findende Erwähnung des sinnenfrohen Christentums, die eine Parallele zur Heiterkeit der olympischen Zecher darstellt und daher von der herrschenden Perspektive auf das Christentum deutlich absticht/ 8 Auch in Kap. I X wird die verdrängte Sinnlichkeit im kulinarischen und sexuellen Bereich als geheime Triebfeder des religiösen Eifers vorgeführt. Ein predigender Mönch stattet das paradiesische Himmelreich mit so vielen sinnlichen Genüssen aus, daß es auf den Erzähler geradezu »barbarisch überladen« wirkt: es gab da viel Gold, Silber, Edelsteine, köstliche Speisen, und Weine von den besten Jahrgängen; dabey machte er ein so verklärt schlürfendes Gesicht, und er schob sich vor Wonne in der Kutte hin und her, wenn er, unter den Englein mit weißen Flüglein sich selber dachte als ein Englein mit weißen Flüglein. (7,180)
Schließlich führt Mathilde die heilige Schrift konsequent auf ihr sinnliches Substrat zurück, indem sie die Geschichten von Betrug, sexueller Verführung und Begierde als das »Hauptsächlichste« bezeichnet, »was in der Bibel steht« (7,188). Sie erwähnt die Geschichte der Thamar, die sich als Hure verkleidet, um von ihrem Schwiegervater Juda ein Kind zu empfangen (1. Mose 38), die Geschichte von Loth, dessen Töchter ihm Wein zu trinken geben, um sich von ihm schwängern zu lassen (1. Mose i9,3off.), sie erinnert daran, wie »die Frau des Potiphar den Rock des frommen Josephs in Händen behalten« (7,188) und wie die lüsternen Alten die schöne Susanna im Bade überraschen (Septuaginta Kap. 13). Man wird angesichts dieses Befundes wohl sagen dürfen, daß kaum ein anderer Text der deutschen Literatur die sexuelle Depotenzierung und Desillusionierung religiöser Vorstellungen so rücksichtslos und gründlich betreibt wie Heines italienisches Städtebild. Gleichwohl ist Heines Aussageintention in bezug auf das Religiöse damit nur unvollständig erfaßt. Zwar ist die britische 78
Christus, der hier »als sinnlicher, geradezu antikischer Gott« erscheine, könnte »fast der ausgelassenen feiernden Götterrunde auf dem Olymp angehören«, betont Martin (Anm.24, S. 83).
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Spötterin Mathilde eindeutig als Kontrastfigur zur christlich-katholischen Franscheska angelegt, so daß rationale Entzauberung und irrationale Mystik in der Konstellation der beiden Frauenfiguren den denkbar schärfsten Gegensatz bilden. Während Franscheska ihren Liebesschmerz religiös sublimiert und sich in den Trost eines metaphysischen Sinnangebots flüchtet, besteht Mathildes Strategie umgekehrt darin, alle religiösen Sinnstiftungen zu entsublimieren und zu rationalisieren. In dieser figurativ erzeugten Polarität jedoch ist die Position des Erzählers und Autors nicht einfach dadurch zu bestimmen, daß sie einseitig mit der rationalistischen Religionskritik Mathildes identifiziert wird. In der Forschung ist diese These wiederholt vertreten und Mathilde als »Sprachrohr« 79 oder als »alter ego«8° des Dichters bezeichnet worden. Zwar stimmt der Erzähler hinsichtlich religiöser Fragen tatsächlich mehr mit Mathilde als mit der Katholikin Franscheska überein, doch wäre es falsch, daraus schon eine Stellvertreterfunktion abzuleiten. Nicht umsonst delegiert Heine die Rolle der atheistischen Religionskritikerin an die Figur der Engländerin Mathilde, 8 ' statt sie der ihm selbst verwandten Erzähler-Figur zuzuschreiben. Dies geschah wohl weniger aus taktischer Vorsicht - der Autor der >Reisebilder< hatte nach der Zerschlagung seiner Hoffnungen auf eine Staatsanstellung nichts mehr zu befürchten und war auch sonst nicht gerade zögerlich, wenn es um Religionsund Staatskritik ging - als vielmehr aus einer inneren Distanz zu den Positionen der »kalten« Aufklärerin.82 Heine entwirft in der >Stadt Lukka< ein Dreiecksverhältnis, das den Erzähler zwischen den extremen Positionen beider Frauen, d.h. weder in einer atheistisch-agnostischen noch in einer mystisch-katholischen Haltung zeigt. Erst wenn man diese Zwischenposition des Erzählers berücksichtigt, wird man Heines differenzierte Einstellung hinsichtlich der religiösen Fragen adäquat bestimmen können. Am deutlichsten kommt diese Mit79 80
Erich Loewenthal, Studien zu Heines >ReisebildernReisebilder< im Kontext deutscher Italien-Allegorien von Goethe bis Schack. In: »Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen.« Festschrift für Manfred Windfuhr zum sechzigsten Geburtstag, hg. von G . Cepl-Kaufmann [u.a.], Köln/Wien 1990, S. 203—219, hier S. 214. Ahnliches behaupten Allenspach (Anm. 5), S. 196 und Pabel (Anm.6), S.218.
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Hier gewinnt Mathildes englische Herkunft ihre Bedeutung: England galt Heine als Schreckbild einer negativen Aufklärung in ihrer ökonomisch-technischen Herrschaftsform. »Daß mit der Niederlage Karls durch Cromwells stur-asketische [...] Rundköpfe jede Spur von Poesie, Farbe und Lebenslust aus der englischen Lebensweise dahin war, bedeutete für Heine [...] bald den notwendigen Preis der Demokratie, bald einen kulturell unzumutbaren. Wie dem auch sei - es ist eine bekannte Ambivalenz Heines im Politisch-Sozialen, die sich in seinem Verhältnis zu England niedergeschlagen hat.« (Terence J. Reed, Unerwiderte Abneigung. Heine und England. In: »Ich Narr des Glücks«. Heinrich Heine 1797-1856. Bilder einer Ausstellung, hg. von J . A . Kruse, Stuttgart/Weimar 1997, S. 230-234, hier S. 232.
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Der Erzähler vergleicht Mathilde denn auch mit »kalten, nüchternen Tulpen aus Porzellan« (7,187).
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telposition - die, wie noch zu zeigen sein wird, zugleich eine vermittelnde ist in Kap. X I zum Ausdruck. Es schildert den Besuch in einem Kloster, wo ein wundertätiges Kruzifix aufbewahrt wird. Während die wundergläubige Franscheska das Kreuz »mit wilder Begeisterung« küßt (7,186), überzieht die »witzige Brittinn« (ebd.) das sakrale Objekt mit ihrem beißenden Spott. Interessant ist nun die Bemerkung des Erzählers, daß der »wilden Begeisterung« Franscheskas eine »eben so wilde Spottlust« (ebd.) bei Mathilde gegenübersteht, daß es also bei den gegensätzlichen Frauenfiguren, dem irrationalen wie dem rationalen Typus, jeweils zu einer inadäquaten Extremreaktion kommt, die sich in ihrer »Wildheit« entspricht. Mathilde verkehrt das irrational übersteigerte Entzücken Franscheskas in eine ebenso irrational übersteigerte Ablehnung. Daß dem Erzähler diese reaktive Wildheit im Spott ähnlich mißfällt wie die fromme Haltung Franscheskas, gibt er offen zu: »Verdrießlich wurde mir die eben so wilde Spottlust der witzigen Britinn.« (7,186) Der so angedeutete Dissens zwischen ihm und der Vertreterin einer aufklärerischen Entzauberung handelt es sich hier doch um Reaktionen auf den »Wunderglauben« - gipfelt schließlich in der bündigen Zurückweisung der »kalten« und »nüchternen« Geisteshaltung Mathildes: Mylady, ich liebe keine Religionsverächterinnen. Schöne Frauen, die keine Religion haben, sind wie Blumen ohne Duft; sie gleichen jenen kalten, nüchternen Tulpen, die uns aus ihren chinesischen Porzelantöpfen so porzelanhaft ansehen, und wenn sie sprechen könnten, uns gewiß auseinander setzen würden, wie sie ganz natürlich aus einer Zwiebel entstanden sind, wie es hinreichend sey, wenn man hienieden nur nicht übel riecht, und wie übrigens, was den D u f t betrifft, eine vernünftige Blume gar keines Duftes bedarf. (7,187)
Es hieße diese Aussage mißverstehen, wollte man sie nur als ironische Entrüstung deuten. Heine wendet sich hier vielmehr gegen eine Tendenz der Aufklärung, die mit dem religiösen Wunderglauben zugleich alles Höhere, Ideale und Gefühlshafte aus dem Leben heraustreibt. Für diesen Komplex steht der »Duft«, der hier nicht zufällig in Opposition zur »Vernunft« rückt und auch sonst bei Heine den geistig-emotionalen Gegenbereich zur Ratio bedeutet: »Düfte sind die Gefühle der Blumen«, heißt es etwa in der >HarzreiseHarzreise< gezeigt hat, ist die romantische oder religiöse Emotion Teil der gegen die abstrakte Verwissenschaftlichung der Welt verteidigten Lebenslust und damit ein zentrales Moment der sensualistischen Opposition. Deshalb wendet sich Heine wiederholt gegen das utilitaristisch-szientistische Weltbild einer einseitigen Aufklärung und verteidigt - wiederum am Beispiel der Blumen - den poetischen Duft der Blüten gegen deren klassifikatorische Reduktion auf die Anzahl der Staubfäden nach dem System des Linné: »Soll 208
doch mahl eine Einteilung stattfinden, so folge man dem Vorschlage Theophrasts, der die Blumen mehr nach dem Geiste, nämlich nach ihrem Geruch, eintheilen wollte.« (6,129) Wie diese motivischen Parallelen zeigen, richtet sich der Vorwurf steriler Geruchlosigkeit, den der Erzähler der mit einer Porzellanblume verglichenen Mathilde macht, gegen die Verdrängung des Gefühlshaften und Poetisch-Mystischen durch das rationalistische Weltbild der Aufklärung.83 Mit dem Blumenmotiv greift Heine also den schon 1825 in der >Harzreise< thematisierten Konflikt zwischen aufklärerischer Religions- und Romantikkritik einerseits und romantischer Aufklärungs- und Wissenschaftskritik andererseits auf. Jene »nüchterne Tulpe«, die, anstatt zu duften, auf ihre morphologische Genese aus einer »Zwiebel« verweist und es für »hinreichend« erklärt, daß man »nicht übel rieche«, erinnert sowohl an den prosaischen Weltbezug derer, die die Natur unter rein wissenschaftlichen und pragmatischen Aspekten betrachten (»die Sonne hat dann bloß so und so viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach Staubfäden classifizirt«; 6,91), wie an den philosophischen Diskurs des »Vernunftdoctors« Ascher, der sich »alle Sonnenstralen, allen Glauben und alle Blumen« aus dem Leben »heraus philosophiert« hat (6,103). Die oszillierende Mittelstellung des Erzählers zwischen den Frauenfiguren Franscheska und Mathilde - der Erzähler liebt Franscheska, aber philosophiert mit Mathilde - läßt sich als Variation eines fundamentalen Zwiespalts zwischen Gefühl und Verstand, Romantik und Aufklärung begreifen, der in den >Reisebildern< durchgehend virulent bleibt, weil seine gegensätzlichen Forderungen quer zu Heines Zielvorstellungen liegen und jeweils wichtige Elemente für seine sensualistische Utopie beinhalten. Konnte Heine diesen Konflikt in der >Harzreise< nur ansatzweise und vorübergehend lösen, indem er seine religiöse Begeisterung und romantische Märchenlust auf die politische Emanzipation übertrug (>BergidylleStadt Lukka< schon sehr viel konsequenter, da er sie hier gleich dreifach umsetzt: in der pantheistischen Eingangspartie, die 85
Es ist, wie gesagt, kein Zufall, daß Mathilde aus England stammt, dem Land des »maschinenmäßig« (5,227) abstrakten Lebens, das den Prozeß der ökonomischen und technischen Vernunft nach Heines Auffassung um den Preis der Schönheit und Lebensfreude in Europa am weitesten vorangetrieben hat. Im Prosafragment >Florentinische Nächte< wird das Negativbild Englands am deutlichsten ausgeführt, und bezeichnenderweise kehrt hier auch das Motiv der duftlosen Blume wieder: »Wie mein Mißbehagen in diesem Lande sich täglich steigerte, können Sie sich wohl vorstellen. Nichts aber gleicht der schwarzen Stimmung, die mich einst befiel, als ich, gegen Abendzeit, auf der Waterloo-Brücke stand, und in die Wasser der Themse hineinblickte. Mir war als spiegelte sich darinn meine Seele [...] mit all ihren Wundenmalen [...]. Ich dachte an die Rose, die immer mit Essig begossen worden und dadurch ihre süßesten Düfte einbüßte und frühzeitig verwelkte.« (5,227)
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Religion und politische Emanzipation in eins faßt, in der positiven Darstellung eines politisch verstandenen Urchristentums 84 und schließlich in dem revolutionär grundierten Don Quixote-Portrait am Ende des Textes. Allen diesen Entwürfen ist gemeinsam, daß sie eine romantisch-religiöse mit einer aufklärerisch-politischen Haltung verbinden, genauer: daß sie aus den gegensätzlichen Welthaltungen eine ganzheitliche Synthese schöpfen, sofern sie das spirituelle Moment der Religion und der romantischen »Begeisterung« mit der politischen Forderung nach den materiellen Genüssen verbinden. Insbesondere die pantheistische Naturreligion in Kap. I—III begründet eine solche ganzheitliche oder - nach Heines Definition des Wortes - sensualistische Lebensform, weil sie einen genußvollen Welt- und Naturbezug ohne utilitaristische oder materialistische Entzauberung ermöglicht. Da der pantheistische Horizont der >Stadt Lukka< bereits ausführlich behandelt wurde, sei dieser ganzheitliche Ansatz abschließend noch am Beispiel der Don Quixote-Reflexion erörtert. A m Ende des dreizehnten Kapitels bricht der Erzähler das religiöse Gespräch mit Mathilde ab, um sich mit einer Selbsterklärung an den Leser zu wenden. Durch diesen Ubergang zur bekennenden IchAussage leitet er zu einer Schlußfolgerung aus den vorangegangenen Diskussionen über: ich ehre die innere Heiligkeit jeder Religion [...]. Wenn ich auch dem Anthropomorphismus nicht sonderlich huldige, so glaube ich doch an die Herrlichkeit Gottes [...]. Ich hasse nicht den Altar, sondern ich hasse die Schlangen, die unter dem Gerülle der alten Altäre lauern; die argklugen Schlangen, die unschuldig wie Blumen zu lächeln wissen, während sie heimlich ihr G i f t spritzen in den Kelch des Lebens [...]. (7,193^)
Indem Heine sich solchermaßen zu einer prinzipiellen Religiosität bekennt, gleichzeitig aber deren Institutionalisierung zum Machtapparat im Staat verurteilt und gegen die »Mißgeburt« der »Staatsreligion« (7,194) seine laizistische Position geltend macht, gelingt es ihm, die von den beiden gegensätzlichen Frauenfiguren verkörperten Haltungen miteinander zu verbinden: Er setzt die religionskritische Tradition der Aufklärung fort 8 ' und bewahrt doch gleichzeitig das Gefühl für die »innere Heiligkeit jeder Religion« und die »Herrlichkeit Gottes«. Entscheidend ist, daß diese vermittelnde Synthese jenseits kirchlich
84
»Wie schön, wie heilig lieblich [...] war das Christenthum der ersten Jahrhunderte, als es selbst noch seinem göttlichen Stifter glich im Heldenthum des Leidens. Da wars noch die schöne Legende von einem heimlichen Gotte, der in sanfter Jünglingsgestalt unter den Palmen Palästinas wandelte und Menschenliebe predigte, und jene Freyheits- und Gleichheitslehre offenbarte, die auch später die Vernunft der großen Denker als wahr erkannt hat, und die, als französisches Evangelium, unsere Zeit begeistert.« (7,195)
8i
Zu den Spuren dieser Tradition in >Die Stadt Lukka< vgl. Loewenthal (Anm. 79, S. 98ff.), der zahlreiche Anspielungen auf Montesquieu und Voltaire nachweist, sowie Höhn, Heine-Handbuch, S.253^
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etablierter - oder wie Heine formuliert - »positiver« Glaubensformen vollzogen wird. Nicht zufällig spricht der Erzähler von der Heiligkeit »jeder Religion«, so wie er vorab schon gegenüber Mathilde erklärt, daß er »alle« Religionen habe (7,188). Dieser konfessionelle Indifferentismus oder Universalismus schmilzt das Religiöse auf eine menschliche Grundhaltung ein, die Heine als »Begeisterung, Aufopferung« (7,195) und Märtyrertum beschreibt und zunächst auf die ursprüngliche Religion Christi, dann aber in einer verallgemeinernden Form auf den Typus des begeisterten Don Quixote überträgt. Die Don Quixote-Reflexion steht konsequenterweise am Ende der >Stadt Lukkas weil sie deren Hauptaspekte Politik und Religion so vermittelt, daß der politische Kampf eine Funktion der religiösen Begeisterung wird. Zugleich wird in der »selbstbewußten Donquixoterie« (7,198) ein moderner Reflexionsstand erreicht, der das Göttliche und den religiösen Glauben auf die menschliche Begeisterungsfähigkeit zurückführt und damit psychologisch begründet. Immer wieder spricht Heine von der »Begeisterung« als der eigentlichen religiösen Dimension des Menschseins. Sie sei nicht nur »das Preisenswerteste des Lebens«, sondern komme auch einer »mystischen Gewalt« gleich und sei ihrem Wesen nach »immer göttlicher Art«. 86 Daß Heine mit dieser psychologisch-anthropologischen Reduktion des Religiösen auf die Begeisterung des Herzens die religionskritischen Positionen Feuerbachs antizipiert, wird an jenem Passus deutlich, in dem er die gähnende Leere des entgötterten Himmels - ein bei Heine geläufiges Bild für die Widerlegung der Gottesbeweise und die Uberwindung des Deismus - mit der »göttlichen« Fülle des Herzens konfrontiert: In meiner Brust aber blüht noch jene flammende Liebe, die sich sehnsüchtig über die Erde emporhebt, abentheuerlich herumschwärmt in den weiten, gähnenden Räumen des Himmels, dort zurückgestoßen wird von den kalten Sternen, und wieder heimsinkt zur kleinen Erde, und mit Seufzen und Jauchzen gestehen muß, daß es doch in der ganzen Schöpfung nichts Schöneres und Besseres giebt als das Herz der Menschen. Diese Liebe ist die Begeisterung, die immer göttlicher Art, gleichviel ob sie thörigte oder weise Handlungen verübt. (7,200f.)
Auf den Verlust seiner transzendenten Heilsgewißheit reagiert der sehnsüchtig im leeren Raum herumschwärmende Mensch mit einem »Seufzen«, aber doch insofern auch mit einem »Jauchzen«, als er das Moment des Göttlichen gleichwohl retten und in seinem Herzen verorten kann. Der durch die moderne Philosophie der Aufklärung hindurchgegangene Mensch des neunzehnten Jahrhunderts ist sich bewußt, daß die extramundanen Gottheiten Projektionen seiner eigenen Sehnsüchte und Wunschvorstellungen waren und die göttlichen Prädikate daher keinem fremden oder jenseitigen Wesen, sondern ihm selbst
8i
D H A 7, S. I98ff., meine Hervorhebungen. Heine spielt hier offenbar auf den etymologischen Ursinn des »Enthusiasmus« (gr. ενθεος, »gotterfüllt«) an, wonach die menschliche Begeisterung göttlichen Ursprungs ist.
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und seinem Gefühl zuzusprechen sind. Das 17. Kapitel bietet damit im Vorgriff auf Feuerbach die gefühlstheologische Variante der anfangs an Schelling orientierten Prognose, daß die Menschen Götter werden. Eben diese Wende zur Feuerbachschen Gefühlstheologie87 vollzieht Heine, wenn er feststellt, daß das menschliche Herz, da es »nichts Besseres und Schöneres giebt«, gleichsam das Absolute bedeutet. Betrachtet man also die religionsthematische Diskussion der >Stadt Lukka< aufs ganze, so fällt auf, daß dem Text eine kulturhistorische Chronologie des religiösen Denkens von der griechischen Mythologie bis zu Feuerbach eingeschrieben ist. Sie beginnt mit der antiken Vorstellung von einem Goldenen Zeitalter (Kap. I—III) und reicht über die christliche Religion (Kap. IV-VI) bis hin zum religionskritischen Diskurs der Aufklärung (Gespräche mit Mathilde; Kap. VII-XIII) und zur anthropologischen Gefühlstheologic des neunzehnten Jahrhunderts. Bei dieser Entwicklung des religiösen Denkens schließen sich der Anfangs- und Endpunkt - und eben dies ist für Heines sensualistische Argumentation entscheidend - zu einem Kreis zusammen: Wie im Goldenen Zeitalter, wo der Mensch engen Umgang mit den Göttern pflegte und in Harmonie mit der Natur lebte, kann es auch für den modernen Menschen, der das Göttliche in sich selbst entdeckt, keine Abwertung seiner natürlichen und sinnlichen Lebensgrundlagen geben. Der Konflikt zwischen dem Geist und der Materie, der im Zentrum der »Stadt Lukka< steht, wird aus dieser Perspektive überwunden. Entscheidend ist aber auch, daß sich am Endpunkt dieser historischen Entwicklung die religiöse Begeisterung auf alle Themen und Bereiche des Lebens öffnet und somit auf die soziale Emanzipation übertragbar wird. Die Begeisterung sei »immer göttlicher Art«, erklärt Heine, »gleichviel ob sie thörigte oder weise Handlungen verübt« (7,200f.) - gleichviel auch, ob sie sich nun eher auf kirchliche, private, künstlerische oder politische Handlungen bezieht. Daß Heines »Donquixoterie« als eint politische Begeisterung zu verstehen ist, geht schon aus seinen Bemerkungen über das moderne »Martyrthum« derer hervor, die sich gegen »lauernde Pfaffen und Junker« (197) zur Wehr setzen, und wird in der 1837 entstandenen Einleitung zu Cervantes' >Don Quixote< nochmals deutlich, in der Heine betont, daß es nicht nur einen retrograden, dem mittelal87
»Das Gefühl«, so Feuerbach in >Das Wesen des Christentums^ »ist deine innigste und doch zugleich eine von dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in dir Uber dir [...], dein eigenstes Wesen, das dich als und wie ein anderes Wesen ergreift, kurz, dein Gott - wie willst du also von diesem objektiven Wesen in dir noch ein anderes Wesen unterscheiden? wie über dein Gefühl hinaus?« (Ludwig Feuerbach, Werke in sechs Bänden, hg. von E. Thies, Bd. 5, Frankfurt a.M. 1976, S. 29). Vgl. dazu Karl Löwith, Feuerbachs Reduktion der christlichen Religion auf das natürliche Wesen des Menschen. In: Ders., Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, Stuttgart '1978, S. 3 58—365.
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terlichen Leben verschworenen Don-Quixotismus, sondern auch einen progressiven politischen Don-Quixotismus gibt, der darin besteht, daß man »die Zukunft allzu frühzeitig in die Gegenwart einführen will und bey solchem Ankampf gegen die schweren Interessen des Tages nur einen sehr mageren Klepper, eine sehr morsche Rüstung und einen eben so gebrechlichen Körper besitzt« (10,251). Die Figur des Don Quixote wird auch in bezug auf den Sensualismus zu einer Schlüsselfigur in Heines Werk, und zwar nicht so sehr, weil sich der Ritter von La Mancha und sein Diener Sancho Pansa als Allegorien des Spiritualismus und Sensualismus deuten lassen,88 sondern weil sich in der Figur des Don Quixote selbst die schon in der >Harzreise< gegen den kalten Rationalismus einer szientistischen Welthaltung geltend gemachte Schönheitsliebe des Künstlers und Träumers mit dem politischen Kampf für die Emanzipation des Fleisches verbindet. Der deutsche Don Quixote der >Reisebilder< steht sowohl in der aufklärerischen Tradition des Emanzipationsgedankens wie in der Tradition eines romantisch-mystischen - ja religiös grundierten - Idealismus. Indem er seine Begeisterung auf das Diesseitige und Sinnliche lenkt, schlichtet er nicht nur den Streit zwischen Geist und Materie, sondern harmonisiert auch die in den >Reisebildern< problematisierte Spannung zwischen Aufklärung und Romantik, poetischer Idealisierung und antispiritualistischer Säkularisierung. Doch kommt es darauf an, daß sich diese Vermittlung der säkularisierenden und idealisierenden Tendenz bei Heine im Horizont des Sensualismus vollzieht: Das Moment der ideellen oder religiösen Begeisterung gehört für ihn ebenso wie die sinnliche Lust zum Genuß eines erfüllenden Lebens, 8 ' und ebenso wie er im >Buch Le Grand< die nackte Existenz gegen alle idealisierenden und spiritualisierenden Anfechtungen als »der Güter höchstes« (6,175) verteidigt, nennt er hier die ideale Begeisterung »das Preisenswertheste des Lebens, ja das Leben selbst« (7,198). Es hieße Heine mißverstehen, würde man sein Konzept des Sensualismus eben nicht als eine Verbindung dieser Momente, und das heißt: als eine (religiöse) Idealisierung des Sinnlichen begreifen. Wie in der >Bergidylle< der >Harzreise< schlichtet Heine den Grundkonflikt zwischen Romantik und Aufklärung, idealistischen und materialistischen Tendenzen dadurch, daß er das spirituelle Moment im Sinnlich-Konkreten selbst auf-
88
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Diese Perspektive auf das berühmte Figurenpaar entwickelt Heine in der R o m a n t i schen Schulec »Hat er [Cervantes] vielleicht in der Gestalt des Don Quixote unseren Geist, und in der Gestalt des Sancho Pansa unseren Leib allegorisirt, und das ganze Gedicht wäre alsdann nichts anders als ein großes Mysterium, w o die Frage über den Geist und die Materie in ihrer gräßlichsten Wahrheit diskutirt wird?« (8,184L) »Göthes Abneigung sich dem Enthusiasmus hinzugeben«, schreibt Heine in einem Paralipomenon zur >Romantischen Schule< über den »Lebemenschen« aus Weimar, »ist eben so widerwärtig wie kindisch - solche Rückhaltung ist mehr oder minder Selbstmord« (8,466), und kritisiert damit den einseitigen Hedonismus eines »egoistisch behaglichen Lebens« (XX,205) ohne aufopfernde Begeisterung.
2!3
gehen läßt. Die Analogie zur >Bergidylle< ist aufschlußreich: Das Gedicht teilt die revolutionäre Botschaft in der romantischen Szenerie eines verzauberten Märchenschlosses samt Rittern und »Knappentroß« mit, verbindet also selbst schon das romantische mit dem politischen Motiv. Auch in >Die Stadt Lukka< tritt der Erzähler in der Rolle des romantischen Ritters auf, wenn er sich als ein zwar zukunftsorientierter, aber eben doch dem Modell des Don Quixote verpflichteter Enthusiast ausgibt.' 0 Die romantische Grundierung im politischen Selbstverständnis des Erzählers bleibt stets erhalten, weil sie für das sensualistische Projekt, das sich als eine Kombination poetischer »Mährchenlust« (6,132) und sinnlicher Lebensfreude versteht, konstitutiv ist. Doch während die sensualistische Vermittlung dieser Momente in der >Harzreise< nur punktuell eben nur in der Erlösungsphantasie der Idylle - gelingt, wird sie durch die Rollendefinition des Erzählers als eines politischen Don Quixote zu einer tragfähigen und fortan gültigen Position erklärt. Bezeichnenderweise steht die Figur des Don Quixote nicht nur am Ende der >Stadt Lukkas sondern auch, soweit man das Werk entstehungsgeschichtlich betrachtet, am Ende der >ReisebilderBuch Le Grand< ist er der »irrende Ritter der Liebe, der Ritter vom gefallenen Stern« (6,220), und in >Die Stadt Lukka< schließlich begegnet man ihm als einem neuen D o n Quixote. Diese romantischen Selbststilisierungen zeugen von einem identitätsbildenden Moment, das sich in der Spannung mit gegenläufigen Rollen immer wieder neu bestimmen, zurücknehmen oder behaupten muß.
91
A m 30. November 1830 teilt er Varnhagen mit: »[ich] habe [...] diese Tage noch einen Schluß zu meinem Buche geschrieben - denn mein Schuft von Verleger, der mein Buch in Sachsen drucken läßt und mir versichert hatte es ginge dort alles durch die Censur, kommt plötzlich mit der Nachricht, daß es doch nicht ganz der Fall sey und ich mußte noch einige Arien einlegen und ein Finale schreiben um 20 Bogen zu füllen.« (XX,425)
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[...] holde Satyra, Tochter der gerechten Themis und des bocksfüßigen Pan, leih mir deine Hülfe, du bist ja mütterlicher Seite dem Titanengeschlechte entsprossen, und hassest gleich mir die Feinde deiner Sippschaft [...]. Leih mir das Schwert deiner Mutter, damit ich sie richte, die verhaßte Brut, und gieb mir die Pickelflöte deines Vaters, damit ich sie zu Tode pfeife - Schon hören sie das tödtliche Pfeifen, und es ergreift sie der panische Schrecken, und sie entfliehen [...] wie damals, als wir den Pelion stülpten auf den Ossa Aux armes citoyens! Man that uns armen Titanen sehr Unrecht, als man die düstere Wildheit tadelte, womit wir, bey jenem Himmelssturm, herauftobten, - ach, da unten im Tartaros, da war es grauenhaft dunkel, und da hörten wir nur Cerberusgeheul und Kettengeklirr, und es ist verzeihlich, wenn wir etwas ungeschlacht erschienen [...]. (7,205)
Diese Mythologisierung der revolutionären Ereignisse weist insofern auf die in der Eingangspartie der >Stadt Lukka* entfaltete Vorstellung vom Goldenen Zeitalter zurück, als die goldene Zeit nach der antiken Uberlieferung durch Hesiod ( Έ ρ γ α κ α ι Ή μ έ ρ α ι i 0 6 - 2 0 i ) der Herrschaft des Titanenkönigs Kronos zugeordnet war. Die Funktion dieses Rückverweises auf den utopischen Vorstellungskomplex der Anfangspartie erklärt, warum Heine hier auf die Titanen und nicht, wie in Kap. V I , auf die olympischen Götter der >Ilias< als Symbolfiguren eines glücklicheren Weltzustandes Bezug nimmt. 92 D u r c h die ringkompositorische Wiederaufnahme der Idee des Goldenen Zeitalters schließt sich der Kreis zwischen dem naturphilosophischen Eidechsengespräch am Anfang und dem revolutionären A u f r u f am Ende der >Stadt LukkaStadt Lukka< auf, um sie im Hinblick auf eine gesellschaftliche Veränderung zu funktionalisieren: Die sensualistisch-pantheistische Utopie, die er in Anspielungen auf die romantische Dichtung und N a turphilosophie evoziert, kann aus seiner Perspektive nur durch die revolutionäre Verteidigung der materiellen Genußansprüche gegen die asketische Entsagungsdoktrin der christlichen Kirche und das politische Unrechtssystem des Ancien Régime realisiert werden. So gelingt Heine die Einbeziehung seines romantischen Erbes in die zukunftsweisende Perspektive der sozialen Emanzipation. Durch diese revolutionäre Einklage der sinnlichen Genußrechte, aber auch durch die sensualistische Vermittlung der romantisch-religiösen und der politisch-aufklärerischen Tradition weist die >Stadt Lukka< auf die programmatischen Schriften der ersten Exiljahre voraus.
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II. Systematische Analyse
ι. Die »Versinnlichung« des Glaubens - Sensualismus als Religion Bei sinnlichen Menschen ist auch die Religion sinnlich
(Hegel, GW I, S. 86) i.i Methodische und definitorische Vorbemerkungen Sosehr Heine in der religionskritischen Tradition der Aufklärung steht, sowenig ist er bereit, auf religiöse Vorstellungen und die Kategorie des Sakralen gänzlich zu verzichten. Viele seiner Texte vermitteln den Eindruck, als setze er vielmehr alles daran, die in Auflösung begriffenen und von ihm selbst heftig bekämpften Bindungen des christlichen Glaubens durch neue, ebenfalls religiöse Inhalte zu ersetzen. Zwar hat Georg Lukács schon 1935 auf Heines Strategie hingewiesen, das dem Jenseits polemisch entgegengesetzte Diesseits »selbst religiös zu verhimmeln«,' doch erst nach Jahren einer vorrangig politischen Lesart Heines ist die religiöse Dimension seines Werkes wieder in das Blickfeld der Forschung geraten.2 Diese Dimension läßt sich in verschiedenen Bereichen ausmachen: In der Sakralisierung des Fleisches und der Idee des Gottesmenschen, in der heilsgeschichtlichen Perspektive des politischen Emanzipationsprozesses, in der religiösen Aufwertung des dichterischen Engagements und in der theologischen Auseinandersetzung des als Lazarus und Hiob sprechenden Dichters auf dem Sterbebett. 1
2
Vgl. G . Lukács, Heinrich Heine als nationaler Dichter. In: Ders., Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts, Berlin 1952,8.89-146, hier S. 116. Es sei hier nur exemplarisch auf folgende Forschungsbeiträge verwiesen: Wilhelm Gössmann, Lazarus oder Apollo-Gott. Religion und Religiosität im Spätwerk. In: Der späte Heine. 1848-1856. Literatur - Politik - Religion, hg. von W. Gössmann und J. A . Kruse, Hamburg 1982, S. 175-204; Hermann Lübbe, Heinrich Heine und die Religion nach der Aufklärung. In: Ebd. S. 205-218; Karl Josef Kuschel, Religion im Werk von Heinrich Heine. In: Poet und Prophet. Heines Dichtung und Religionskritik. Offene Tagung 14./15. März 1987, o.Hg., Stuttgart-Hohenheim 1987, S. 3 3 - 7 1 ; Joseph A. Kruse, »Die wichtigste Frage der Menschheit«. Heine als Theologe. In: Ders., Heine-Zeit, Stuttgart 1997, S. 256-272 [zuerst 1990]; Christian Höpfner, R o mantik und Religion. Heinrich Heines Suche nach Identität, Stuttgart/Weimar 1997.
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Da eine detaillierte Untersuchung dieses Themenspektrums im Rahmen der vorliegenden Arbeit weder möglich noch sinnvoll ist, konzentrieren sich die folgenden Überlegungen auf Heines religiöse Legitimation des sensualistischen Engagements und auf die mit der sinnlichen Emanzipation verbundene Neubegründung der Religion. Schon in der >Stadt Lukka< hatte Heine bei aller Kritik an der Staatsreligion und kirchlichen »Menschenmäkeley« (7,193) sein Anliegen zu erkennen gegeben, »die Religion vor gänzlichem Untergang zu bewahren« (7,196). Die Frage, wie sie »zu ihrer ursprünglichen Herrlichkeit wieder erblühen« (ebd.) kann, sollte er wenige Jahre später in der PhilosophieSchrift beantworten: »Indem die nothwendigsten Ansprüche der Materie nicht bloß berücksichtigt, sondern auch legitimirt werden, wird die Religion wieder eine Wahrheit.« (8,34f.) Aus diesem Satz schon erhellt, wie eng Heine das Projekt der sinnlichen Emanzipation mit dem einer religiösen Erneuerung verband. Dieser Nexus verdient um so mehr Beachtung, als die Verteidigung der diesseitigen Glücksansprüche ja durchaus ohne die Kategorie des Sakralen hätte auskommen können. Gerade für den antispiritualistischen Kritiker, der Heine war, wäre eine irreligiöse oder atheistische Haltung in der Tradition des Epikureismus oder Materialismus ebenfalls denkbar, wenn nicht gar konsequenter gewesen. Doch anders als den materialistischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts, mit deren Auffassungen er seine Ideen keinesfalls verwechselt wissen will,3 geht es Heine nicht nur um eine »Rehabilitazion der Materie« im Sinne einer bloßen »Wiedereinsetzung derselben in ihre Würde«, sondern um ihre »religiöse Heiligung« (8,60). Die folgenden Überlegungen beruhen auf der These, daß die von Heine geforderte »Rehabilitazion der Materie« (ebd.) das Projekt einer Rehabilitation der Religion einschließt, und zwar nicht etwa nur als sekundäres Nebenprodukt, sondern als ein gleichermaßen vordringliches und vom erstgenannten Ziel untrennbares Projekt. Anders gesagt: Wo immer man von Heines »Sensualismus« spricht, gilt es zu berücksichtigen, daß dieser Begriff ein Doppeltes bezeichnet, da er sowohl für die religionskritische Verdiesseitigung des Lebens wie für die religionsstijtende Neubegründung des Göttlichen in einer »Religion der Freude« steht. Die glücklicheren und schöneren Generazionen, die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen, werden wehmütig lächeln über ihre armen Vorfahren, die sich aller Genüsse dieser schönen Erde trübsinnig enthielten [...] Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sey η als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit als jene
3
»Ich gehöre nicht zu den Materialisten, die den Geist verkörpern« (8,494), erklärt Heine in der >Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschlands Vgl. ferner die Philosophie-Schrift (DHA 8, S. 50).
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frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen.
(8,17)4
Daß Heine auf die Idee des »Göttlichen« nicht verzichten mag, gibt seinem Sensualismus eine charakteristische Prägung, die bei einer Untersuchung des Themas nicht unterschlagen werden darf. Bevor dieser Aspekt jedoch stofflich konkretisiert und präzisiert werden kann, bedarf es einiger Vorbemerkungen, die sich auf die veränderte Situation der Religion nach der Aufklärung, die Funktionen religiösen Sprechens im literarischen Text und eine im Hinblick auf Heine tragfähige Definition von >Religion< beziehen. Daß Heine wie kein anderer Dichter des 19. Jahrhunderts mit religiösen Fragen gerungen hat, macht schon ein kurzer Blick auf seine Biographie deutlich: Als Jude geboren, konvertiert er 1825 zum protestantischen Christentum, entwickelt sich in den >Reisebildern< zum schärfsten Kirchen- und Religionskritiker seiner Zeit, bekennt sich zur »verborgene[n] Religion Deutschlands« (8,62), dem Pantheismus, tritt im Horizont der saint-simonistischen Bewegung als Religionsstifter und Prophet einer neuen Kirche hervor und kehrt schließlich in der Leiderfahrung seines physischen Zusammenbruchs zum Gott seiner Väter und damit zu einem theistischen Religionsmodell zurück. Gerade weil Heine, wie Hans Mayer bemerkte, seiner familiären Herkunft und Erziehung nach »jenseits der Religionen, Weltanschauungen und eingespielten gesellschaftlichen Systeme«' stand, keine selbstverständliche religiöse Tradition kannte und von Kindheit an mit verschiedenen Konfessionen konfrontiert war, ist er mehr als andere zum religiösen Denker, emphatischen Bekenner und Verfasser poetischer Theologien geworden: »Gott war immer der Anfang und das Ende aller meiner Gedanken« (8,8/f.), heißt es in der Philosophie-Schrift. Bemerkenswert an dieser Selbstaussage ist nicht nur die pathetisch beschworene Totalität (»immer«, »alle«), sondern auch die Betonung des Gedanklichen. Für Heine ist »Gott« keine geoffenbarte, durch externe Autoritäten vermittelte »Wahrheit«, sondern ein der intellektuellen Such- und Orientierungsbewegung des modernen Subjekts überantwortetes Konzept. Dem entspricht die Situation der Religion nach der Aufklärung, welche sich dadurch auszeichnet, daß die transzendente Realität der Gottesidee durch die Bewußtseinsimmanenz des religiösen Subjekts weitgehend ersetzt ist. Die in diesem Substitutionsprozeß vorangetriebene Entdogmatisierung und Entpositivierung der theologischen Gehalte läßt eine selbständige, bewußtseinsunabhängige Wesensbestimmung des Göttlichen immer fragwürdiger erscheinen. »Alle trans-
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5
Meine Kursivierungen. Zum Begriff >Religion der Freude< vgl. die Rezension von Menzels >Die deutsche Literatur< ( D H A 10, S. 244), die »Romantische Schule» ( D H A 8, S. 2 1 7 ) sowie Kap. X I in den >Memoiren des Herren von Schnabelewopski< ( D H A 5, S. 182). H . Mayer, Von Lessing bis Thomas Mann, Pfullingen 1959, S. 275. 219
formierbaren [theologischen] Gehalte«, faßt Reiner Preul den Subjektwechsel innerhalb der Religion zusammen, »werden nun einem Tauglichkeitstest für die Selbstauslegung des religiösen Bewußtseins unterworfen«. 6 Heines Werk verdeutlicht diese radikale Neufundierung des Religiösen in besonderer Weise: Gott und das Heilige werden hier im Sinne der funktionalistischen Religionstheorie von gesellschaftlichen oder individuellen Bedürfnissen her gedacht und je nach historischer oder biographischer Situation unterschiedlich bestimmt. Nichts macht diese bedürfnisorientierte Relativität der Gottesidee deutlicher als Heines eigene, von wechselnden konfessionellen Bindungen gekennzeichnete Biographie. So gibt sich der Achtzehnjährige in seiner unglücklichen Liebe zu Amalie einer katholischen Marienverehrung hin, weil er, wie er Christian Sethe am 20. November 1816 (XX,22) mitteilt, »eine Madonna« haben muß, der er seine Schmerzen anvertrauen kann. So bekennt sich der Revolutionär zur pantheistisch verstandenen Gott-Natur, weil sie die sinnliche Emanzipation einer um ihre Genußrechte betrogenen Gesellschaft legitimiert, und so kehrt der Todkranke in seinem Trostbedürfnis zu einem außerweltlichen Gott zurück, weil er einen personalen Adressaten braucht, den er anklagen und um Gnade bitten kann. Bei einer derart Subjekt- und bedürfnisorientierten Religiosität können wechselnde konfessionelle Selbstaussagen in Heines Werk nicht verwundern - in ihrer Vielfalt belegen sie nur um so eindrucksvoller die lebensund werkgeschichtliche Kontinuität seiner religiösen Haltung. Ungeachtet aller theologischen Konversionen und Revisionen bleibt die religiöse Kategorie des Sakralen und die Rede von Gott ein Charakteristikum von Heines Schreibweise: »Gott war immer der Anfang und das Ende aller meiner Gedanken«
(8,88).
Daß es sich bei dem Versuch, Heine als religiösen Autor zu lesen, um keine willkürliche philologische Konstruktion handelt, mögen außer der durchgehaltenen theologischen Perspektive die vielgestaltigen Formen religiöser Sprache in Heines Werk belegen. Imitationen der homiletischen Rhetorik, archaisierende biblische Wendungen und ein ausgeprägter Sakralwortschatz (»Gott«, »Heil«, »Sünde«, »Gebet«, »Heiligkeit, »Segen« samt entsprechenden Adjektiven und Verben) verleihen den Texten ein religiöses Moment und tragen zum prophetischen Gestus seines Schreibens bei. Nicht zuletzt zeichnet sich Heines Werk durch eine erstaunliche Fülle von direkten oder indirekten Bibelzitaten aus, die in verschiedenen Kontexten zur Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen und Traditionen einladen. Peter Guttenhöfer schätzt die Zahl solcher Zitate bei Heine auf über 6007 - eine Fülle, die an sich schon Heines außerordentliches Interesse an religiösen Gegenständen belegt.
6
7
R. Preul, Religion. In: Theologische Realenzyklopädie, hg. von G . Müller [u.a.], Bd. 28, Berlin/New Y o r k 1997, S. 513-559, hier S. 529. P. Guttenhöfer, Heine und die Bibel, München 1970, S.225.
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Betrachtet man überblicksweise die Vielfalt an Themen und Motiven, für deren Behandlung Heine auf religiöse Deutungsmuster zurückgreift, so lassen sich mindestens vier größere Gruppen unterscheiden. Als erste thematische Gruppe ist der Bereich der diesseitigen Lebensfreude und Sinnlichkeit zu nennen, der von Heine auffallend häufig mit einer Aura des Sakralen umgeben wird. In diese Gruppe gehört vor allem die Lust am Eros und an der freien Sexualität, in weiteren Abstufungen aber auch der kulinarische Genuß, die Lust am Tanz, am ausgelassenen Fest und Gelächter. Die vom Erzähler des >Schnabelewopski< vertretene Auffassung, daß »der heilige Geist sich am herrlichsten [...] im Licht und Lachen« offenbare (5,182), zeugt ebenso von der Heiligung der irdischen Lust wie die enthusiastische Beschreibung des auf dem Pariser Salon 1831 ausgestellten Robert-Gemäldes >Die Schnitten, in dessen sinnlicher Fülle von Früchten, Tanz und menschlicher Schönheit Heine »gleichsam die Apotheose des Lebens«, ja ein »gemaltes Evangelium« (12,32) zu erkennen glaubte. Der zweite große Bereich, in dem eine Tendenz zu sakraler Überhöhung und religiöser Ausdeutung vorherrscht, umfaßt den Komplex von Politik, Revolution und Geschichte. So wird bei Heine nicht nur der historische Prozeß wiederholt als Ausdruck des Göttlichen interpretiert (»Gott ist in der Bewegung, in der Handlung, in der Zeit, sein heiliger Odem weht durch die Blätter der Geschichte«; 8,154), sondern auch die revolutionäre Zielsetzung im Horizont eschatologischer Heilserwartungen formuliert: Das letzte Wort ist [...] nicht gesagt worden, und hier ist vielleicht der Ring, woran sich eine neue Offenbarung knüpfen läßt. Sie beginnt mit der Erlösung vom Worte, macht dem Martyrthum ein Ende und stiftet das Reich der ewigen Freude, das Millenium. Alle Verheißungen finden zuletzt die reichste Erfüllung. (11,42)
Daß die revolutionäre Tat für Heine einem göttlichen Heilsplan entspricht, hatte schon die Interpretation der >Bergidylle< aus der >Harzreise< gezeigt, in der der »Heilige Geist« die »Zwingherrnburgen« und »des Knechtes Joch« (6,109) zerbricht. Doch das Religiöse gibt sich bei Heine nicht nur in der prophetisch-eschatologischen Vision, sondern auch im historischen Rückblick auf das Zeitalter der Französischen Revolution zu erkennen, das er in den E n g l i schen Fragmenten< das »heiligste [...] von allen seinen Vorgängern und Nachfolgern« (7,269) nennt. Dort heißt es: »die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit. [...] Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evangelien und Dogmen verzeichnet, Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land trennt von dem Lande der Philister« (ebd.). Der dritte und vierte Bereich religiöser Sprachverwendung bezieht sich auf Personen und deren weltliches Erlöser- und Prophetenamt - auf Symbolfiguren wie Napoleon, dessen Heiligsprechung durch Heine man zu Recht als »ha221
giographische Deutung einer geschichtlichen Figur« 8 bezeichnet hat, sowie auf die eigene Rolle als Dichter und Verkünder eines neuen Evangeliums. Von einem »messianischen Sendungsbewußtsein« 9 erfüllt, hat Heine seine Rolle wiederholt mit der des Märtyrers, Apostels oder Propheten 10 verglichen und so dem Dichter im frühkapitalistischen »Nützlichkeitssystem« (8,59) des 19. Jahrhunderts noch einmal die am antiken Vorbild des poeta vates orientierte Würde zurückverliehen. Daß das religiöse Repertoire bei Heine als sprachliches Leit- und Konstruktionsprinzip fungiert, wird man angesichts der hier nur exemplarisch beschriebenen Vielfalt religiöser Deutungsmuster zweifellos behaupten dürfen. Weit schwieriger ist indes die Frage zu beantworten, inwieweit der Gebrauch religiöser Ausdrucksformen tatsächlich auf eine religiöse Haltung schließen läßt und nicht vielmehr nur für profane Zwecke - sei es in parodistisch-kritischer Absicht oder zum Zweck rhetorischer Steigerung - erfolgt. Wenn Martin Walser Heine als »ununterbrochen religiös« charakterisiert, weil er »doch alles, was er trieb, religiös betrieben« habe, 11 bleibt die entscheidende Frage offen, was genau mit Religion gemeint ist: eine theologisch beschreibbare Gottesbeziehung, ein Zeichen emotionaler Intensität oder eben nur ein Phänomen sprachlicher und stilistischer Art. Um dem Wesen von Heines Religiosität auf der Basis seines Sprachgebrauchs gerecht zu werden, gilt es verschiedene Funktionen zu unterscheiden, die religiöses Sprechen in seinen Texten annehmen kann. Prinzipiell lassen sich mindestens fünf solcher Funktionen unterscheiden, nämlich ι . die profanierende Degradation religiöser Gehalte durch Übertragung der spezifischen Terminologie in einen anderen, meist banalisierenden Kontext. Kennzeichnend für diesen Säkularisationsvorgang - Heine spricht einmal von seinen »profanirende[n] Scherze[n]« (8,14) - ist die religions kritische Absicht, deren satirische Tendenz bis zur aggressiven Travestie und Blasphemie reichen kann. 2. Zu unterscheiden davon ist eine Säkularisationsform, bei der der heterodoxe Gebrauch religiöser Formeln vorzüglich dazu dient, den weltlichen Gegenstand aufzuwerten. Anders als im ersten Fall steht hier nicht die satirische Degradation der traditionellen sacra, sondern umgekehrt die verherrlichende 8 9
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Ebd. S.53. Wolfgang Kuttenkeuler, Heinrich Heine. Theorie und Kritik der Literatur, Stuttgart 197z, S. 28. Z u den religiösen Begriffen >HohepriesterEvangelistProphet< und >Apostel< in Heines poetologischer Selbstreflexion vgl. Sabine Bierwirth, Heines Dichterbilder. Stationen seines dichterischen Selbstverständnisses, Stuttgart/Weimar 1995, S. 134ff. und S. 2 0 1 - 2 1 5 . M. Walser, Heines Tränen. In: Ders., Werke in zwölf Bänden, hg. von H. Kiesel unter Mitwirkung von F. Barsch, Bd. 12, Frankfurt a.M. 1997, S. 3 9 1 - 4 1 7 , hier S. 396.
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Emporsteigerung des Profanen im Vordergrund, weshalb diese Funktion des religiösen Sprachgebrauchs als Sakralisierung zu beschreiben ist. 3. Religiöser Sprachgebrauch kann ferner eine zensurtaktische Strategie verfolgen und dazu dienen, auf der exoterischen Rezeptionsebene den Eindruck von Frömmigkeit zu erzeugen, um so eventuellen Repressalien gegenüber Text und Autor zuvorzukommen. Die Möglichkeit einer solchen Strategie ist etwa in bezug auf Heines theologische Aussagen aus der Matratzengruft diskutiert worden. 12 4. Nicht zuletzt spielt die kommunikative Breitenwirkung biblischer Sprachmuster eine zentrale Rolle. Für den politischen Schriftsteller des Vormärz stellt die Bibel ein weit verbreitetes Bild- und Metaphernreservoir bereit, das von den meisten zeitgenössischen Lesern problemlos rezipiert werden konnte: »Die Bibelsprache im landläufigen Sinn, unterhalb der Ebene der Theologie, ist derjenige Teil unseres Sprachsystems, in dem bis ins 19. Jahrhundert eine relativ störungsfreie Ubereinstimmung zwischen Redner und Hörer, Autor und Publikum herrschte. Ihre appellative Wirkung muß daher hoch bewertet werden.«' 3 5. Eine rein ästhetische Funktionalisierung der religiösen Sprache liegt schließlich dort vor, wo diese lediglich zur Erzeugung und Steigerung von Pathos, d.h. als Mittel der rhetorischen Verstärkung und Beschwörung eingesetzt wird. Bei Heine sind die hier skizzierten Funktionen religiösen Sprachgebrauchs allesamt wahrzunehmen und nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen. Wenn im folgenden der Akzent auf die sakralisierende Wirkung religiöser Formeln gelegt wird, so nicht, weil andere Strategien für Heine keine Rolle spielten, sondern weil sein sensualistisches Engagement in den 1830er Jahren ein religiöses Moment annimmt, das aus der Heiligung der materiellen Welt hervorgeht. Im Zeichen dieser pantheistischen Neubestimmung des Göttlichen gewinnt der religiöse Sprachgebrauch einen konfessionellen Ton, der sich mit der Kategorie des Parodistischen nur unzureichend qualifizieren läßt. In seinem Werk über »Säkularisation als sprachbildende Kraft« (1958) hat Albrecht Schö12
1
Vgl. Dolf Oehler, Heines Frömmigkeit als List der Vernunft. Die Lektion aus der Matratzengruft. In: Merkur 1985, S.968-979. Oehler liest das Nachwort zum >Romanzero< als »die erste einer Reihe verblüffender Ergebenheits- oder besser: Schicksalsergebenheitsadressen, mit deren Hilfe die überempfindliche Kritik und Zensur wenn schon nicht entwaffnet, so doch wenigstens weitgehend neutralisiert werden soll« (S. 968).
' Joachim Bark, Bibelsprache in Büchners Dramen. Stellenkommentar und interpretatorische Hinweise. In: Zweites Internationales Georg Büchner-Symposium 1987. Referate, hg. von B. Dedner und G . Oesterle, Frankfurt a.M. 1990, S.476-505, hier S. 504. Eines der populärsten Beispiele dieser Art ist der von Büchner und Weidig zum Zwecke revolutionärer Agitation an die Landbevölkerung ausgegebene »Hessische LandboteAbgottes< [...] zu bewerten ist. Ein Kennzeichen der Ersatzreligion ist also der zwar verbindliche, aber nicht mehr authentische Gebrauch religiöser Sprachelemente.21 Bezogen auf Heine ergeben sich aus dieser Definition zweierlei Schlußfolgerungen. Die Einschränkung, Religion könne nicht als »authentisch« gelten, wenn ihre Sprache sich statt auf Gott auf Innerweltliches bezieht, trifft insofern nicht auf Heines frühe Exil-Texte zu, als diese ihrem pantheistischen Ansatz entsprechend das Weltliche mit dem Göttlichen identifizieren. Demnach bezieht sich die zur Beschreibung weltlicher Größen eingesetzte religiöse Sprache immer auch auf »Gott und die Gottesbeziehung«. Doch auch wenn man Preuls Einschränkung akzeptiert und Heines religiöse Sprache ihrer immanenten Bezüge wegen als Kennzeichen einer »Ersatzreligion« nimmt, wird man zugestehen müssen, daß sie gleichwohl eine religiöse Haltung widerspiegelt: Die in Abgrenzung zu orthodoxen Modellen so genannte »Ersatzreligion« bleibt doch allen Traditionsbrüchen zum Trotz im Kern ein religiöses oder religionsäquivalentes Phänomen. »Zum Wesen der Religion gehört die lebensvolle Hinbeziehung des Menschen auf Gott«, schreibt der Religionswissenschaftler J o seph Geyser. »Wer keinerlei Vorstellung von Gott hätte und keinerlei Gemütsbewegung irgendwelcher Art Gott gegenüber, der und nur der wäre ein völlig religionsloser Mensch, ein Irreligiöser. Welche Vorstellungen nun der Mensch sich von Gott macht, ist gewiß für den inneren Wert seiner Religion entscheidend, berührt aber doch das letzte Wesen der Religion nicht.«12 Der Begriff der Ersatz- oder Pseudoreligion erweist sich vor diesem Hintergrund als fragwürdig. Er dient letztlich der theologischen Disqualifizierung heterodoxer Religionsvorstellungen vom Standpunkt einer zur konfessionellen Norm erhobenen Glaubensrichtung. Ein angemesseneres, weil unserer pluralen Welt entsprechendes Religionsverständnis wäre dort erreicht, wo man das Kriterium der »Authentizität« allein von dem der »Verbindlichkeit« abhängig machen und nicht normativ an bestimmte Gottesvorstellungen knüpfen würde. Als »authentisch« - und damit als Kennzeichen von »Religiosität« - könnte sodann jedes religiöse Sprachmittel gelten, mit dem eine verbindliche Aussage über das Göttliche gemacht wird. Diese These vertritt übrigens auch Preul, wenn er präzisiert, »daß ein authentischer Gebrauch religiöser Sprache dann vorliegt, wenn das religiöse Sprachspiel sich semantisch auf ein Wirklichkeitsverständnis bezieht, welches Annahmen über die Verfassung und Bestimmung menschlichen
21 11
Ebd. J. Geyser: Intellekt oder Gemüt. In: Die Diskussion um das »Heilige«, hg. von C. Colpe, Darmstadt 1977, S.302-336, hier S.307; meine Hervorhebungen.
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Daseins und der Welt unter Einschluß des transzendenten Grundes der gesamten phänomenalen Wirklichkeit enthält, also die Relation Gott - Welt/Mensch betrifft«. 23 Damit ist eine im Hinblick auf Heine tragfähige Definition des Religiösen gegeben, die es erlaubt, den pantheistisch orientierten Autor der dreißiger Jahre nicht nur als einen theologischen, sondern eben auch als einen religiösen Autor zu bezeichnen. 24 Wenn Heine eine »größere Meinung von der Gottheit« (8,17) hegt als die entsagungsbereiten Christen, weil er glaubt, daß der Mensch zum freudigen Genuß seiner irdischen Existenz bestimmt sei, wenn er erklärt, daß der heilige Geist sich »am herrlichsten im Licht und Lachen« offenbare, und wenn er schließlich, bezogen auf die erotisch-sexuelle Liebe, verkündet: »Und Gott ist alles was da ist; / Er ist in unsern Küssen« (2,34), - so trifft er damit Aussagen über die Relation Gott - Welt/Mensch, deren existentielle Verbindlichkeit kaum zu bezweifeln ist. Weder der Kontext dieser Aussagen noch die bekenntnishafte Tonlage lassen darauf schließen, daß hier eine parodistische oder rhetorische Strategie vorherrscht. Heine hätte auf die Kategorie des Sakralen ebensogut verzichten können, um seiner Forderung nach der »Rehabilitazion der Materie« Geltung zu verleihen. Daß er die Existenz des Göttlichen nicht negiert, hat nicht zuletzt mit seiner Freude am religiösen Gefühl zu tun, das selbst ein Moment der Lebenslust ist. Die Bejahung des Göttlichen (»ich gehöre nicht zu den Atheisten, die da verneinen, ich bejahe«) 25 setzt jenen Enthusiasmus frei, der Heine für ein lebendiges und erfülltes Leben stets unverzichtbar erschien. Zu wenig berücksichtigt wurde bisher, daß der sensus numinis, den er im Widerstand gegen die utilitaristische Weltordnung nie preisgegeben hat, ein zentrales Moment seines Sensualismus bildet. Worauf sich dieser sensus numinis primär bezieht und in welchem Maße Heine den Begriff des >Sensualismus< religiös fundiert, wird im folgenden zu klären sein.
23 24
25
Preul (Anm.é), S. 546. Die Forschung hat Heines Auseinandersetzung mit religiösen Fragen vorwiegend als »theologisch« qualifiziert - vgl. etwa Ferdinand Schlingensiepen, Heinrich Heine als Theologe, München 1981; Johann M. Schmidt, »Ritter von dem heiigen Geist«. Heine als theologischer Literat. In: Der evangelische Erzieher 4 3 , 1 9 9 1 , 8 . $ 1 3 - 5 2 8; Joseph A. Kruse, »Die wichtigste Frage der Menschheit« - Heine als Theologe (Anm. 2). Obgleich Kruse wiederholt von Heines »Religiosität« spricht (S. 260), legt auch er den Akzent auf dessen »theologische Aktivität« (S. 259). »Theologie als solche«, so Kruse (ebd.), »hat [...] eine Meta-Position, ergründet und betrachtet die Sachverhalte der Religion unabhängig von der gläubigen oder ungläubigen Haltung des Theologen«. Die damit unterstellte wissenschaftliche Distanz gegenüber religiösen Fragen (»MetaPosition«) wird m.E. Heines engagiertem und bekenntnishaftem Sprechen über Religion nicht gerecht. Vielmehr konvergieren Theologie und Religiosität bei Heine dergestalt, daß von Theologie in einem theoretisch-akademischen Sinne nicht die Rede sein kann. D H A 8, S.494.
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1.2 Die Sakralisierung des Sinnlichen Literarische Reflexe eines religiös fundierten Sensualismus finden sich schon in Heines früher Hamburger Zeit, als er unter dem Pseudonym Sy Freudhold Riesenharf eine Art mystisch-erotischer Liebeslyrik verfaßt, die die Heilige Madonna zur Adressatin seiner Sehnsucht macht. Den Hintergrund dieser frühen Lyrik bildet Heines unerwiderte Liebe zu Amalie, der dritten Tochter seines Onkels Salomon, in dessen Hamburger Bankkontor er seit Juni 1816 eine kaufmännische Lehre absolviert. In einem leidenschaftlichen Brief vom 27. Oktober 1816 teilt er Sethe den Schmerz über Amalies Zurückweisung mit: »Sie liebt mich nicht' Mußt lieber Christian dieses letzte Wörtchen ganz leise, leise aussprechen. In den ersten Wörtchen liegt der lebendige Himmel, aber auch in dem letzten liegt die ewig lebendige Hölle« (XX, 19). Die gegenüber der großbürgerlichen Bankiersfamilie eingenommene Außenseiterposition bestätigt den jungen Dichter in seiner Künstlerrolle. Heine stilisiert sich in die Rolle des tragischen »Sonderlings« (XX,22), zitiert aus Goethes >Tasso< und stellt die Existenzformen des Künstlers und Kaufmanns scharf gegeneinander. Seine in dieser Zeit entstehenden »Minnelieder«26 sind Initiationsversuche eines zum Dichterberuf hinneigenden Kontorsgehilfen. Da nun aber die Minnelyrik, an die Heine in deutschtümelnder Manier anknüpft, traditionell die Distanz zur Geliebten fordert, stellt sich die Frage, ob sein berühmter Jugendbrief tatsächlich ein biographisch folgenreiches Trauma artikuliert oder nicht vielmehr eine für das dichterische Selbstverständnis notwendige Konstellation beschwört. Auffällig ist, daß die in dieser Konstellation entstehenden Gedichte eine religiöse Komponente haben. Sie sind, wie Heine formuliert, Beispiele einer »frommen Minne«,27 in der sich religiöse Andacht und erotisches Begehren untrennbar verbinden. Das am 18. Februar 1817 in »Hamburgs Wächter« zusammen mit >Der Traum< unter dem Titel >Zwey Lieder der Minne< veröffentlichte Gedicht >Die Weihe< inszeniert die Liebeswerbung als Gebet, indem es die religiöse Andacht des am Altar hingesunkenen Knaben auf seinen erotischen Hintergrund transparent macht: Wenn der Knabe in der Kapelle vor »dem Bild der Himmelsjungfrau« betet, diese möge ihn nicht »verstoßen«; wenn er sodann ihre sinnlichen Reize preist und sie um ein »Huldeszeichen« anfleht, wird die Anrufung der Muttergottes mehr und mehr als Minnelied eines um Erhörung werbenden Liebhabers lesbar. O Madonna! sonder Wanken Trug ich deine Schmerzenprüfung, 26
27
Die »jetzigen Poesien« in Druck zu geben, teilt Heine dem Freund mit, sei »Schwerenothssache: da es [...] lauter Minnelieder sind würde es mir, als Kaufmann, ungeheuer schädlich seyn« (XX,21). Vgl. .Die Weihe« ( D H A i, S. 4 3if.), V. 19; sowie >Minnegruß< (ebd. S.434), V. i 3 f f .
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Frommer Minne blind vertrauend N u r in deinen Gluthen glühend. O Madonna! hör mich heute, Gnadenvolle, Wunderreiche, Spende mir ein Huldeszeichen, N u r ein leises Huldeszeichen. 28
Der durch die fünfmalige Anrufung der Jungfrau (»O Madonna!«) zum Gebet stilisierte Text verwandelt sich in einen Liebesmonolog. Aus ihm spricht die erotische Begierde eines auf Erfüllung seiner Wünsche hoffenden Jünglings. Daß das Gebet in diesem Sinne von der Madonna erhört wird, bezeugt die zweite Hälfte des Gedichts, die von der Ich-Perspektive des betenden Knaben in die des außenstehenden Erzählers wechselt. Eine wunderbare Verwandlung findet statt, in der die himmlische Gottesmutter die Gestalt eines irdischen Mädchens annimmt und dem Knaben seinen »Minnelohn« entrichtet. Und staunend stand er im schmucken Saal, Madonna saß dort, ohne Glorienstral; Sie hat sich verwandelt in liebliche Maid, Und grüßet und lächelt mit kindlicher Freud. (1,432, V. 29-32)
Wunder sind wie die Marienerscheinung selbst ein fester Bestandteil der katholischen Religion. Doch handelt es sich hier um ein besonderes Wunder, um den Prozeß einer erotisch-sexuellen Verdiesseitigung nämlich, bei dem das kirchlich-katholische Szenario gänzlich eliminiert wird: Die Kapelle weicht einem »schmucken Saal«, und die Madonna verliert, indem sie sich in ein irdisches Wesen verwandelt, ihren »Glorienstral«. Sie wird zu einer weltlichen Madonna, und ihr Lockengeschenk an den Knaben zum stellvertretenden Akt der Hingabe: Und sieh! vom holden Lockenhaupt Sie selber sich eine Locke raubt, Und spricht zum Knaben mit himmlischem Ton: N i m m hin den heiigen Minnelohn. (1,432, V. 33-36)
Gewagt ist vor allem der dreistrophige Abgesang, der die theologische Quintessenz des Gedichts formuliert und die Frage nach der im Titel erwähnten »Weihe« aufgreift, um sie nun, nach der Inkarnation der Heiligen, im Sinne der erotischen Erfüllung zu beantworten:
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D H A i, S . 4 3 1 , V . 16-24. Offensichtlich spielen die Verse »Gnadenvolle, Wunderreiche« auf die Szene >Zwinger< in Goethes >Faust< an. Gretchens Gebet vor dem »Andachtsbild der Mater dolorosa« (Szenenanweisung, H A 3, S. 1 1 4 ) bezieht sich auf die N o t ihrer unehelichen Schwangerschaft. Handelt es sich damit um ein Gebet »post coitum«, so macht Heine es umgekehrt zu einem Mittel, das zur Vereinigung hinführen soll.
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Sprich nun, wer bezeugt die Weihe? [...] Knabe hat es wohl verstanden, Was mit Sehnsuchtglut ihn ziehet, Fort und fort nach jenen Landen, Wo die Myrte ewig blühet. (1,432, V. 37-48)
Die Nähe des Göttlichen, in Heines Gedicht als »Weihe« bezeichnet, wird durch das diesseitige erotische Glück »bezeugt«. Der Knabe hat seine »Sehnsuchtglut«, die ja ursprünglich eine religiöse Sehnsucht zu sein schien, als sein eigenes Liebesbegehren »verstanden«. Damit sind Eros und Religion, irdische Liebe und »Weihe« untrennbar verbunden. Das Religiöse erhält eine erotische, das Erotische umgekehrt eine religiöse Legitimation. Zu betonen bleibt indes der säkulare Aspekt des Ganzen: Die angerufene Madonna führt dem Knaben nicht irgendein Mädchen zu, das sein Liebesbegehren erfüllt, sie selbst verwandelt sich in eine irdische Figur. Die transzendente Orientierung wird so durch eine weltliche abgelöst. Auch findet der Betende nicht in dem Sinne Gehör, daß sein Begehren geläutert und durch ein Höheres, Geistiges vom Irdischen abgezogen wird. Sein Minnelohn bewegt sich nicht auf der Ebene der spirituellen Marienliebe. Vielmehr gilt, daß die heilige Gottesmutter ihren Glorienschein das Zeichen ihrer makellosen Reinheit - ablegt und sich zu einer weltlichen Gestalt materialisiert. Statt zu einer spirituellen Läuterung des Betenden kommt es zu einer fleischlichen Säkularisierung der Heiligen. Heines Gedicht >Die Weihe< ist ein frühes Beispiel für die Ambivalenz seines religiösen Sprechens. Die dargestellte Tendenz zur erotischen Verweltlichung der »Madonna« gibt dem Gedicht zwar eine parodistisch-blasphemische Note, die aber durch die biblisch geprägten Schlußstrophen und zumal durch das Festhalten an der religiösen Kategorie der »Weihe« weitgehend neutralisiert wird. Daraus ergibt sich der für Heines Texte insgesamt charakteristische Schwebezustand. Das »Wunder« findet zwar statt und bezeugt als solches die Kraft des frommen Gebets und der göttlichen Gnade, doch konterkariert seine erotische Kraft gleichzeitig den katholischen Hintergrund, aus dem es hervorgeht. Maria verliert zwar ihren überirdischen Glanz und wird zu einer Weltlichen, doch bleibt sie für ihren Liebhaber eine Heilige: »Madonna saß dort, ohne Glorienstral«. So entsteht jenes sinnlich-übersinnliche Vexierspiel, in dem die mehrmals erwähnten »Gluten« (»in deinen Gluthen glühend«, V. 20; »Sehnsuchtglut«, V. 46) ein sowohl erotisches wie mystisches Valeur annehmen können. Die Figur der Madonna hat auch in späteren Texten die Funktion, das Moment der »Weihe« auf die irdische Liebe und Schönheit zu übertragen. Allerdings komponiert Heine nun eher synkretistische Figuren- und Bildarrangements, um solche Übertragungen auf das Weltliche zu inszenieren. In der >Harzreise< etwa findet man das Traumbild einer »mediceischen Venus«, die zugleich Züge der »hochgebenedeiten« Madonna annimmt: 230
[...] ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttinn, [...] meine Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochgebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele, und über mein Haupt, wie himmlischer Segen, goß seine süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo. (6,89)
Heines synkretistisches Traumbild fügt das heidnische Moment griechischer Schönheit und das christliche Moment himmlischer Seligkeit zu einer psychophysischen Totalität zusammen, in der der christlich-cartesianische Dualismus zwischen Seele und Leib, Geist und Materie überwunden ist. Die schöne Spinnerin aus der »Reise von München nach Genuas in deren Bildnis sich Züge der antiken und christlichen Ikonographie vereinen, zeugt von einem ähnlich synkretistischen Verfahren. 29 Auch ihr sind Kennzeichen der heiligen Gottesmutter eingeschrieben, die ihre Ganzheitlichkeit sakralisieren und in der Verbindung mit antiken Elementen den christlichen Spiritualismus korrigieren. Wie das Gedicht >Die Weihes das die Geliebte zur Adressatin des Gebets und den Eros zur Quelle religiöser Energien macht, basiert auch das zentrale Religionsgespräch in der Verstragödie >Almansor< (1820-22) auf der Gleichsetzung von Gott und Liebe, Seligkeit und Sinnlichkeit. Die im Spanien der Reconquista angesiedelte Liebestragödie thematisiert den Assimilations- und Identitätskonflikt der spanischen Mauren unter der Herrschaft der Christen. Aus Treue zu ihren kulturellen Wurzeln fliehen Almansors Eltern ins moslemische Exil, während Zuleima mit ihrer Pflegefamilie in Spanien zum Christentum konvertiert. Da die verschiedene Religionszugehörigkeit die Familien einander verfeindet, wird die geplante Verbindung zwischen Zuleima und Almansor unmöglich. Als dieser nach Spanien zurückkehrt, kommt es zu einer Aussprache, in der religiöse Vorstellungen eine zentrale Rolle spielen. Gegenüber Almansor, der in der Heiligung des Gekreuzigten und insbesondere in der Eucharistie-Feier einen düsteren Totenkult sieht und sich deshalb angewidert von den christlichen Symbolen abwendet, verteidigt Zuleima das Christentum als Religion der Liebe. Durch ihre Konversion zum katholischen Glauben hat sie sich »zu einer spiritualistischen Liebeskonzeption verurteilt, die ihr kein irdisches Glück mehr erlaubt«. 30 Da sie die »Liebe« im Sinne des christlichen Heilsversprechens als Teilhabe am ewigen Leben deutet, gerät sie in Konflikt mit Almansors Wunsch nach irdischer Erfüllung. Anders als Zuleima interpretiert er »das große Wörtlein« Liebe (V. 1069) als religiöse Erfahrung im Weltlichen und gibt ihm damit eine rein diesseitige Qualität: Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort, Das Welten schafft und Welten hält zusammen; Du sprachest aus das große Wörtlein >Liebe!< [...] Du sprachst es aus und Wolken wölben sich, 2
' Z u r Interpretation der Figur vgl. S. 1 4 8 - 1 5 6 der vorliegenden Arbeit. Höhn, Heine-Handbuch, S.48.
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Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel, Die Ulmen rauschen auf, wie Orgeltöne, Die Vöglein zwitschern fromme Andachtlieder, Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch, Der Blumenrasen hebt sich als Altar, N u r eine Kirch' der Liebe ist die Erde. (5,44; V. 1067-1078)
Die weltliche Ausdehnung des heiligen Bezirks, dessen Sinn es ja gerade ist, sich gegen das Profane abzugrenzen, entspricht der pantheistischen Konzeption von der einen Gott-Natur, für die es keinen profanen Gegenbereich mehr gibt. Wie in Werthers Brief vom 10. Mai wird hier der geschlossene Bezirk des weitabgewandten Gotteshauses aufgesprengt und sein Heiligtum auf das Naturganze übertragen. Zumal der letzte Vers der Replik (»Nur eine Kirch' der Liebe ist die Erde«) bezeugt Almansors Glauben an eine Natur, in der die Liebe sowohl als Manifestation des Göttlichen wie als Gottesdienst und Gebet aufzufassen ist. Zuleima widersetzt sich dieser Auffassung mit dem Hinweis auf die Todesnähe und Vergänglichkeit des Irdischen: »Die Erde ist ein großes Golgatha, / Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet« (V. io79f.). Bis hierhin läßt sich das Religionsgespräch als Variation des weltanschaulichen Konflikts zwischen christlichem Spiritualismus und heidnischer Sinnenlust fassen. Für den gesamten Dialog greift dieses Deutungsmuster allerdings zu kurz. Denn in der folgenden Replik Almansors geht es nicht mehr um Argumente zugunsten der einen oder anderen Seite, sondern um die Neufundierung des Glaubens in der erotischen Glückserfahrung. Auf Zuleimas Golgatha-Hinweis reagiert Almansor mit den Worten (V. 1081-1089): O, flechte nicht zum Todtenkranz die Myrthe, Und hüll' die Liebe nicht in Trauerflore. Der Liebe Priesterinn bist du, Zuleima, Die Liebe wohnt in deines Busens Zelle, Aus deiner Aeuglein klaren Fenstern schaut sie, Ihr Odem weht aus deinem süßen Munde Auf Euch, Ihr sammetweichen Purpurkissen, Auf Euch, Ihr holden Lippen, thront die Liebe, Auf Euch möcht' sich Almansors Seele betten [...].
Almansor identifiziert Zuleima mit der göttlichen »Liebe«, indem er sie zunächst als deren »Priesterinn«, und dann, in einer kühnen Steigerung, sogar als deren weltliche Verkörperung anspricht: Die Liebe »wohnt« in ihrem Busen, »schaut« aus ihren Augen, »weht« aus ihrem Munde, »thront« auf ihren Lippen - sie ist mithin Zuleima selbst und lebt in ihren erotischen Reizen. Heine setzt hier nicht zufällig Formeln ein, die traditionell Gott selbst und seiner Allmacht vorbehalten sind: den inspirierenden »Odem«, den »Thron« und den Ruheort, an dem sich die Seelen in ewigem Frieden versammeln. Almansor verleiht diesen Vorstellungen einen erotischen Hintergrund, indem er sie auf Mund und Lippen der Geliebten bezieht. Seine ganze Rede ist erotisch so stark aufgeladen, 232
daß man hier ohne weiteres von einer sinnlichen, wenn nicht gar sexuellen Konnotation (»sammetweiche Purpurkissen«) der göttlichen Liebe sprechen kann. Vollends deutlich wird dies an dem kausalen Verhältnis zwischen leiblicher Umarmung und religiösem Bekenntnis in den Versen 1099-1106: ALMANSOR: [...] (Umschlingt sie.) Ich laß nicht ab von dir, von dir, Zuleima! Und ständen offen Allahs goldne Hallen, Und Houris winkten mir mit schwarzen Augen, Ich ließ' nicht ab von dir, ich blieb' bey dir, Umschlänge fester deinen süßen Leib, Dein Himmel nur, Zuleimas Himmel nur, Sey auch Almansors Himmel, und dein Gott, Sey auch Almansors Gott [...]. (5,45)
Liebeserklärung und religiöses Bekenntnis greifen hier auf eine Weise ineinander, die viel über den Ursprung religiöser Gefühle verrät. Den Leib der Geliebten umschlingend, bekennt Almansor sich zu ihrem Gott. Seine Konversion zum Christentum ist tatsächlich ein Bekenntnis zur sakralisierten Macht des Eros. Es ist die Körpersprache, der theatralische Gestus, der dieses tiefere Bekenntnis - zumal auf der immer mitzudenkenden Bühne - dem Betrachter der Szene zu entdecken vermag. Heine arbeitet hier bereits sehr kunstvoll mit hintergründigen Anspielungen und Aussageformen, die dem Text eine semantische Vielschichtigkeit und Tiefe verleihen. Der zwischen »Leib« und »Himmel« gespannte Bindestrich (»Umschlänge fester deinen süßen Leib, - / Dein Himmel nur [...]«) schafft eine spannungsvolle Zäsur zwischen dem physischen und dem metaphysischen Teil der Rede. Dieses kurze Innehalten, das nach außen hin den eigentlichen Moment der Konversion kennzeichnet, markiert jedoch keine qualitative Wende, sondern das Festhalten an sensualistischen Prinzipien: Indem Almansor sich zum Gott derer bekennt, deren Leib er umschlingt, leitet er seine Konversion aus dem erotischen Glücksgefühl ab. Damit aber fungiert der zum Christentum hinführende Gedankenstrich als Zeichen einer inneren Kontinuität - er übersetzt den erotischen Diskurs lediglich in die religiöse Sprache der Geliebten. Ein Drittes schließlich macht die subversive Verbindung von Eros und Religion in Heines >Almansor< deutlich. Unmittelbar vor der tragischen Peripetie bringt der Protagonist in höhepunktartigen Wendungen das sinnlich-übersinnliche Liebesglück zum Ausdruck, das er durch Zuleimas Kuß erfährt: Beseligt schwimm' ich wie in Liebeswellen, [...] Die Englein schütten neckend Sonnenstralen Und bunten Blüthenstaub auf mich herab; Erschlossen ist des Himmels stille Pracht; Hellgoldne Schwingen tragen mich hinauf, Zur Seligkeit hinauf! (5,45; V. 1 1 1 0 - 1 1 1 7 )
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Gegenüber den vorhergehenden Partien des Religionsgesprächs, in denen Zuleima die christliche Vorstellung himmlischer Seligkeit vertrat, ergibt sich hier eine bezeichnende konzeptionelle Verschiebung. Hatte nämlich Zuleima die Erfahrung der Seligkeit an die Eucharistiefeier gebunden (»Auch du [...] kannst setzen dich zu Tisch mit Engeln / Und Gottesbrod und Gotteswein genießen, / Auch du darfst wohnen in der Sel'gen Halle«, V. 1059-1063) und erklärt, daß durch Christi Tod und Auferstehung die »Himmelspforte« (V. 1046) für alle Menschen aufgeschlossen sei, so korrigiert Almansor mit seiner erotischen Vision der »Seligkeit« diese spiritualistische Jenseitsliebe. Nicht Brot und Wein, sondern Zuleimas Kuß vermittelt ihm das Gefühl höchster - himmlischer Glückseligkeit. Und nicht Jesu »Todesseufzer« (V. 1044), sondern Zuleimas lebendiger Leib öffnet ihm die Himmelspforte (»Erschlossen ist des Himmels stille Pracht«). Heine baut hier eine subversive Parallele zu den beiden Elementen der christlichen Eucharistie auf. Jesu Leib und Blut werden von Almansor durch die Liebesgaben Zuleimas ersetzt. Der Kuß, den Almansor als »der Liebe Odem« aus ihrem Munde, »einem Becher mit Rubinenrande« (V. 1094^) trinkt, korrespondiert dem Blut, das bei der Eucharistiefeier in einem Becher Wein dargereicht wird. Der Becher als tertium comparationis stiftet hier den inneren Zusammenhang. Christi Leib, symbolisch im Brot als Teilhabe am Göttlichen und seiner Gnade genossen, wird durch den Leib Zuleimas (»Umschlänge fester deinen süßen Leib«) auf einer erotisch-sexuellen Stufe ersetzt. So entsteht jene erotisch getönte Paradiesvorstellung, jene sinnliche Seligkeit, die in einer betont antispiritualistischen und antiasketischen Diesseitswendung irdisches Liebesglück und Gotteserfahrung, Eros und Religion in eins setzt. Heines >Almansor< ist ein sehr frühes Beispiel für die Sakralisierung des Sinnlichen, das die Kontinuität zu den späteren, saint-simonistisch geprägten Aussagen dieser Art belegt. Die subversive Strategie, das Göttliche im Eros oder ganz allgemein im sinnlichen Genuß zu verherrlichen, begegnet bei Heine in den zwanziger Jahren immer wieder - mal wie hier in ausgeprägter Form, mal auch nur, wie in der >HarzreiseEs werde Licht ! < blendend schoß herab ein Stral des ewigen Lichts [...]. (6,98)
Die Sakralisierung des Eros kann freilich auch einen ironischen Zug annehmen, wovon die »Briefe aus Berlin< zeugen, in denen Heine die flanierenden Frauen als ein »wandelndes Paradies, ein wandelnder Himmel, eine wandelnde Seligkeit« (6,14) bezeichnet. Der dabei aufgebotene Gestus der Selbstironie (»ich 2
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werde poetisch«) gehört zum festen Repertoire Heines und macht sich überall dort bemerkbar, w o das Erzähler-Ich in seinem Pathos verletzbar wird. Die »Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen« (6,200), ein poetologischer Grundzug in Heines Werk, stellt den diskutierten Gegenstand aber nicht prinzipiell in Frage, sondern kann auch ein Indiz für die Ernsthaftigkeit des Themas sein. Daß es jedenfalls nicht in Heines Absicht lag, die Sakralisierung des Sinnlichen qua Ironie zu entwerten, wird aus der Redouten-Schilderung im zweiten Brief deutlich, der mit seiner Gottesbestimmung spätere Thesen Heines vorwegnimmt: »Die reinste Lustigkeit ist die Liebe, Gott ist die Liebe, Gott ist die reinste Lustigkeit« (6,37). Die inhaltliche Ubereinstimmung dieser Aussage mit der saint-simonistisch inspirierten Jan Steen-Passage im >Schnabelewopski< läßt klar erkennen, wie stark Heines Affinität zu einer sinnlichen Diesseits-Religion schon vor seinem Gang ins Exil und seiner Berührung mit den Saint-Simonisten war. Von der Franscheska-Episode der >Stadt Lukka< wurde bereits ausführlich gehandelt. Auch sie beruht auf der Vermischung religiöser und erotischer Vorstellungen und bietet ein Beispiel dafür, wie Heine - wenn auch nur für einen Augenblick und mit einer eindeutig satirischen Zielsetzung - die Sexualität religiös dimensioniert: Ich liege in deinen Armen, strengkatholisch glaube ich an den Himmel deiner Liebe, von den Lippen küssen wir uns das holde Bekenntniß, das Wort wird Fleisch, der Glaube wird versinnlicht, in Form und Gestalt, welche Religion! Ihr Pfaffen! jubelt unterdessen Eur Kyrie Eleison, klingelt, räuchert, läutet die Glocken, laßt die Orgel brausen, laßt die Messe von Palestrina erklingen - das ist der Leib! (7,175^)
Die blasphemische Übertragung religiöser Formeln auf den begehrten Leib der Geliebten dient in erster Linie der Kritik an den »Pfaffen« und ihrer asketischen Moral. Bemerkenswert ist jedoch, daß Heine hier an das Motiv des erotisch-religiösen Bekenntnisses aus dem >Almansor< anknüpft. Die Bereitschaft des Mauren, in den Armen der christlichen Geliebten deren Gott anzubeten (»Umschlänge fester deinen süßen Leib, - / Dein Himmel nur [...] sey auch Almansors Himmel«), konnte als eine religiöse Neuorientierung hin zum Eros und zur Sexualität gedeutet werden. Derselbe Prozeß kennzeichnet auch die Franscheska-Episode (»Ich liege in deinen Armen, strengkatholisch glaube ich an den Himmel deiner Liebe«), mit dem Unterschied freilich, daß er zum Zwecke der Provokation sehr viel radikaler durchgeführt wird. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Heine hier schon jene »Religion der Freude« anvisiert, mit der er dann in der ersten Phase des Exils seine sensualistischen Utopien umschreibt. Der Ubergang von einem witzigen Spiel auf verschiedenen semantischen Ebenen (Leib Christi - Leib Franscheskas) hin zu einem neuen Glaubensbekenntnis ist freilich oft nur schwer zu bestimmen. Ein erstmals 1834 publizier-
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tes Gedicht aus dem Zyklus >Verschiedene< zeigt jedoch, wie Heine nur wenige Jahre später eine ganz andere Tonlage wählt, um dasselbe Thema, nämlich die religiöse Dimension der sinnlichen Liebe, zu gestalten. Dieses Gedicht (>Seraphine VIISeraphine VII< zweifellos einen Höhepunkt. Von einer Sonderstellung des Gedichts in Heines Werk oder gar einem »Unikum« in der deutschen Liebeslyrik zu sprechen, wie Peters dies tut, 37 wäre jedoch im Hinblick auf ähnliche Motive in der frühromantischen und jungdeutschen Literatur' 8 wie auch im Hinblick auf andere Heine-Texte mit sakralisierender Tendenz verfehlt. Vielmehr bilden Zuleima, Franscheska und Seraphine in Heines Werk eine Figurenreihe, an der sich die Kontinuität dessen ablesen läßt, was man als Heiligung des Eros, Versinnlichung des Glaubens oder, noch allgemeiner, als Sakralisierung des Diesseits bezeichnen kann. Trotz der parodistischen Absicht, die darin mitwirkt, handelt es sich doch immer um Reflexe einer sensualistischen oder pantheistischen Liebesreligion, in der das Sinnliche zur Erfahrung des Göttlichen wird. Daß dieser Liebesreligion in >Seraphine VII< eine Kirche gebaut wird, gibt dem Gedicht eine besondere Note, darf aber nicht den Blick auf die längere Vorgeschichte solcher Ideen in Heines Werk verstellen. Auch der Kontext der >VerschiedenenSeraphine VII< bildet das Kernstück einer Binnensequenz, die vier Gedichte umfaßt (Nr. V I - I X ) und durch das Handlungsgerüst einer Liebesgeschichte zusammengehalten wird, die über die Stationen Verfolgung (»Sie floh vor mir wie'n Reh so scheu«; VI), Verführung (VII), Erfüllung (VIII) und Trennung (IX) voranschreitet. Wie zur Bestätigung der theologischen Aussagen im siebten Gedicht (»Der heiige Gott der ist im Licht / Wie in den Finsternissen«) entwirft Heine im folgenden Gedicht ein Naturszenario, das die wiederhergestellte Harmonie zwischen Himmel und Erde als ein kosmisches Konzert vorstellt. Es beginnt mit vereinzelten Stimmen aus dem Meer und steigert sich durch den Sturm, der die Meereswellen »wie Orgelpfeifen« zum Tönen bringt, schon bald zu einer klar vernehmbaren »Melodey«. Heidnisch halb und auch halb kirchlich Klingen diese Melodeyen, Steigen muthig in die Höhe, Daß sich drob die Sterne freuen. (2,3 5)
Auch hier stellt die vertikale Achse eine Verbindung zwischen Himmel und Erde her. Die im harmonischen Konzert der irdischen Elemente erzeugte Musik steigt in höhere Sphären hinauf und erfreut dort die Sterne. Damit nimmt das Geschehen eine kosmische Dimension an:
37 j8
Vgl. Peters ( A n n . 31), S.86. Vgl. dazu meinen Aufsatz: »Der göttliche Epicur und die Venus mit dem schönen Hintern«. Zur Kritik hedonistischer Utopien in Büchners >Dantons TodDe caeloFaust< voranstellt. 39 Heine nun gibt dem Ganzen eine subversive Wendung, indem er die allumfassende Sphärenharmonie als »Riesenwollust« bezeichnet und in die Nähe einer orgiastischen Erfahrung
" In der Forschung wurde bisher übersehen, daß Heine in >Seraphine VIII< direkt auf den >Prolog im Himmel< anspielt. So benutzt er wie Goethe das Wort >WeiseFaustSeraphine< auf die Seraphim, den höchsten der neun Engelchöre, zu dem auch die von Goethe als Verkünder der Sphärenharmonie eingesetzten Erzengel zählen. Gegen die christliche Tradition, derzufolge Engel als rein geistige oder geschlechtslose Wesen Mittler zwischen Gott und Welt sind, läßt Heine indes die vom Christentum befreiten Menschen zu Engeln werden und in der sinnlichen Liebe die kosmische Allharmonie erfahren.
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rückt, die freilich dem hier erreichten Moment der Liebeshandlung genau entspricht. Daß >Seraphine VII< mit seiner religiösen Idealisierung der Sexualität innerhalb der >Verschiedenen< eine Ausnahme darstellt, kann also schon im Hinblick auf das Folgegedicht nicht behauptet werden. 4 0 A b e r auch innerhalb des Gesamtwerks gibt es aufschlußreiche Parallelen. Erinnert sei nur an die >Bergidylle< der >HarzreiseSeraphine VII< korrespondiert. 4 1 In beiden G e dichten bricht mit dem Ende der christlichen Lustabtötung ein neues, glücklicheres Zeitalter an: »das dunkle Hirngespinst, / Das uns Lieb' und Lust verleidet« (6,109) ~~ >Seraphine VII< entspricht dem die »Leiberquälerey« - wird endgültig verabschiedet. U n d in beiden Gedichten schließlich stellt Heine den Anbruch des neuen Zeitalters als Vereinigung von Himmel und Erde in ähnlichen, kosmischen Bildern dar. Blumen, »Wie gedrängt von Leidenschaft« (6,112), wenden ihre »Riesenkelche« dem Himmel zu, w o sonnengroße Sterne ihre »Stralenfluth« über sie ausgießen: Und die Sterne, groß wie Sonnen Schau'n herab mit Sehnsuchtg/»t¿; In der Liljen Riesenkelche Strömet ihre Stralenfluth. (6,112) Man beachte die große Ubereinstimmung der Bilder in >Seraphine VIIBergidylleSeraphine IX< die religiöse Aura des siebten Gedichts. Wenn vom »Vergessen« die Rede ist, das aus der Hinfälligkeit alles Irdischen resultiert (»Was wir leiblich fest besessen / Schwindet hin, wie Träumereyn«; 2,3 5), ist darin zwar die Erfahrung der Vergänglichkeit ausgedrückt. Der im Augenblick des erotischen Glücks erlebte religiöse Schauer wird durch diese Erfahrung aber nicht grundsätzlich widerlegt.
41
Auf diese Parallele weist schon Elisabeth Genton in ihrem Stellenkommentar hin (vgl. DHA 2, S.447).
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zum Ausdruck bringen. So beschwören beide Gedichte das nachchristliche Zeitalter in Bildern der kosmisch-erotischen Attraktion. Während sich jedoch das Zeitalter des »Heiligen Geistes« in der >Bergidylle< vorerst nur als märchenhafte Utopie vorstellen ließ, wird das dritte Testament in >Seraphine VII< schon sehr viel bestimmter im »triumphierenden Perfekt« 42 ausgerufen: »Das Leid ist ausgelitten«. Allenfalls dieser Ubergang vom Wunschgedanken zur Feststellung markiert einen Unterschied zwischen der >Bergidylle< und dem >SeraphineSeraphine VIII< hat Heine das eigene Dichten charakterisiert. Seine Texte sind »heidnisch«, ja ketzerisch in ihrer antidogmatischen Stoßrichtung. Liest man sie vom Standpunkt der Orthodoxie, dann tritt jener satirisch-parodistische Zug hervor, der die zeitgenössischen Leser schockiert und dazu beigetragen hat, Heine als Religionskritiker in der Tradition der A u f klärung zu würdigen. Liest man aber, wie es hier versucht wurde, diese »Melodeyen« von ihrer »kirchlichen« Seite, so wird deutlich, daß Heine immer auch um eine sensualistische Neubegründung des Glaubens innerhalb der weltlichen Grenzen gerungen hat.
1.3 Sensualismus als »religiöse Synthese« und die Berührung mit den SaintSimonisten War Heines Kampf für die Rechte der Materie meist von einer provokativen Absicht getragen, die sich in der Bestimmung der Sinnlichkeit als eines »Gegengifts« kundtat, so erfährt dieser Sensualismus in dem skizzierten Horizont einer neureligiösen Orientierung eine wichtige Bedeutungserweiterung. Was das Gedicht >Seraphine VII< programmatisch verkündet, nämlich die Uberwindung des christlichen Dualismus von Leib und Seele, das wird etwa zur selben Zeit - nämlich ab 1832/33 - auch terminologisch in einem religiös fundierten »Sensualismus« fixiert. Neben die oppositionelle und ideologiekritische Funktion des Sensualismus tritt so ein zusätzlicher Aspekt, der sich im wesentlichen aus einer dialektischen, auf Versöhnung zielenden Heilsperspektive herleitet. Heine entwickelt diese Perspektive aus verschiedenen geistigen Strömungen seiner Zeit: aus einem pantheistisch geprägten Monismus, der ihm durch Lessings Spinoza-Rezeption und Goethes poetische Adaptionen 43 vertraut war,
41 4J
Sternberger (Anm. 31), S. 84. F ü r Heine ist Goethes Spinozismus »keinem Zweifel unterworfen«: »Alle Gedichte Goethes sind durchdrungen von demselben Geiste der uns auch in den Schriften des Spinoza anweht« (8,101).
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aus d e r idealistischen P h i l o s o p h i e H e g e l s , die er als S t u d e n t k e n n e n g e l e r n t hatte, u n d aus d e r L e h r e der u m 1 8 3 0 z u g r ö ß e r e m E i n f l u ß gelangenden S a i n t - S i m o n i s t e n , deren S c h r i f t e n er z.T. n o c h in D e u t s c h l a n d intensiv rezipiert hatte. 4 4 N e b e n einigen A r t i k e l n i m » G l o b e « w a r i h m v o r allem die v o n B a z a r d 1 8 2 8 1 8 3 0 v e r f a ß t e z w e i b ä n d i g e >Exposition de la d o c t r i n e d e Saint-Simon< f r ü h b e k a n n t g e w o r d e n . 4 5 A u f diese S c h r i f t e n , die mit p r o p a g a n d i s t i s c h e m E i f e r f ü r die W i e d e r e i n s e t z u n g des Fleisches, f ü r die »réhabilitation des b e s o i n s et des j o u i s s a n c e s de la chair« u n d » c o n s é c r a t i o n de la matière« 4 6 eintraten, gehen H e i n e s w e l t a n s c h a u l i c h e Positionen in d e n bald nach seiner U b e r s i e d l u n g ins E x i l entstandenen D e u t s c h l a n d - E s s a y s z u e i n e m g r o ß e n Teil z u r ü c k . Z u m i n d e s t f a n d er bei d e n S a i n t - S i m o n i s t e n in b e g r i f f l i c h a u s d i f f e r e n z i e r t e r F o r m vor, w a s er selbst in d e n >Reisebildern< b i s h e r n u r v e r e i n z e l t u n d p o e t i s c h v a g e v o r f o r m u l i e r t hatte, n u n aber, mit B e g i n n seiner P a r i s e r Z e i t , auch theoretisch ausf ü h r e n sollte. D a sich d e r E i n f l u ß des S a i n t - S i m o n i s m u s auf H e i n e s W e r k z u ein e m g e s o n d e r t e n K o m p l e x der H e i n e - P h i l o l o g i e e n t w i c k e l t hat, k a n n hier n u r auf d i e vielen S p e z i a l u n t e r s u c h u n g e n z u d i e s e m T h e m a v e r w i e s e n w e r d e n . 4 7
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A b Februar 1829 beschäftigt sich Heine in Berlin intensiver mit dem in Paris erscheinenden »Globe«. Die von Paul Dubois und Pierre Leroux begründete Zeitschrift wird im Dezember 1830 zum zentralen Organ der Saint-Simonisten. Durch wen Heine der Saint-Simonismus nahegebracht wird, ist unklar. Vermutet wird allgemein, daß er 1829 durch Karl August Varnhagen und Raheis Berliner Salon mit ihm in Berührung kam (dazu Werner Vordtriede, Der Berliner Saint-Simonismus. In: Heine-Jb. 1975, S. 9 3 - 1 1 0 ; gegen diese These Jean-René Derré und Christiane Giesen in D H A 12, S. 512). Eliza M. Butler (The Saint-Simonean Religion in Germany. A Study of the Young Germany Movement, Cambridge 1926, S. 7 1 ) dagegen schließt nicht aus, daß es umgekehrt Heine war, der Varnhagen auf den Saint-Simonismus hinwies. Denkbar ist jedenfalls, daß Heine, der den »Globe« tatsächlich schon seit 1828 kannte (in einer Fußnote zu den >Englischen Fragmenten« erwähnt er ihn lobend als eine progressive Zeitschrift der französischen Jugend, vgl. D H A 7, S. 507^), von sich aus auf die saintsimonistische Doktrin aufmerksam wurde.
41
Heine liest die >Exposition< Anfang 1831 in Hamburg und erwähnt den Saint-Simonismus erstmals am 10. Februar 1831 in einem Brief an Hartwig Hesse (vgl. H S A X X , S. 432), w o er die Doktrin als sein »neues Evangelium« bezeichnet. Die zweite Erwähnung findet sich dann in dem berühmten Brief an Varnhagen vom 1. April 1 8 3 1 , in welchem er seine Exilpläne andeutet: »[ich] träume jede Nacht ich packe meine K o f f e r und reise nach Paris, um [...] ganz den heiligen Gefühlen meiner neuen Religion mich hinzugeben, und vielleicht als Priester derselben die letzten Weihen zu empfangen« (XX,435). Die Parallele »neues Evangelium« (10. Februar 1 8 3 1 ) - »neue Religion« (1. April 1 8 3 1 ) läßt keinen Zweifel daran, daß Heine hier an den Saint-Simonismus denkt.
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»Le Globe« vom 2. Januar 1832, S. 5, und vom 20. Juni 1 8 3 1 , S.685. Überblicksartig informieren Manfred Windfuhr ( D H A 8, S. 53off.); Gerhard Höhn, Heine-Handbuch, S. 344ff.; Walter Grab, Heinrich Heine als politischer Dichter, Frankfurt a.M. 1992, S. 5 3-67. Ausführlichere Studien bieten: Butler (Anm. 44); Wingolf Scherer, Heinrich Heine und der Saint-Simonismus, Bonn 1949; Georg G . Iggers,
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Betont sei lediglich, daß die Forschung ganz verschiedene Einflußbereiche ausgemacht hat: Während Kuttenkeuler 48 die Bedeutung der Geschichtskonzeption und das neue Selbstverständnis des Künstlers hervorhebt, betont Holub 4 9 die sozialreformerische Idee einer wirtschaftlichen Versorgung der ärmsten Bevölkerungsklasse, also das auf industriellem Fortschritt basierende sozialutopische Element der Doktrin. Sternberger und andere sehen in der »Abschaffung der Sünde«, d.h. in der theologischen Erneuerung den Grund für Heines Interesse am Saint-Simonismus. Schon diese Diversität der Rezeptionsebenen zeigt, wie tief der Saint-Simonismus in Heines Denken eingedrungen war und in den unterschiedlichsten Bereichen seines Werkes Spuren hinterlassen hat. Doch war es in erster Linie das Religiöse, was ihn an der Doktrin der französischen Sozialutopiker fasziniert hat. Im Mai 1832 teilt er Varnhagen zu den »saintsimonistischen Erscheinungen« mit, daß »der politische Theil« und besonders »die Eigenthumslehre« ihn bisher nicht überzeugt habe. »Was mich betrifft, ich interessiere mich eigentlich nur für die religiösen Ideen, die nur ausgesprochen werden brauchten, um früh oder spät ins Leben zu treten« (XX,3 7). Wenig später erhält Varnhagen die Nachricht: »Ich ziehe mich übrigens von der Tagespolitik zurück und beschäftige mich jetzt meistens mit Kunst, Religion und Philosophie. [...] Mit Michel Chevalier [...] habe ich stundenlange Berathungen über Religion« (XXI, 59). Ursache für diese Konzentration auf das Religiöse war, daß die Saint-Simonisten den cartesianischen Gegensatz von »Esprit« und »Matière« in einem übergreifenden Synthesekonzept - einer »synthèse théologique«* 0 - für beendet erklärten und diese Synthese zur Grundlage eines neuen, »wahren« Christentums machten: »Le véritable Christianisme doit rendre les hommes heureux, non seulement dans le ciel, mais sur la terre.«' 1 Der zwischen Romantik und Aufklärung stehende Dichter findet damit ein utopisches Konzept vor, das den Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft, Poesie und Industrie, Seele und Leib in einem progressiven unitarischen Ansatz aufzulösen verspricht. Diese Tendenz zur Harmonisierung (»nous sommes prêtres selon la révélation définitive et universelle qui nous
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Heine and the Saint-Simoneans. A Re-Examination. In: Comparative Literature 10, 1958, S. 289-308; sowie Sternberger (Anm. 31). Kuttenkeuler (Anm. 9), S. 79-89. Richard C . Holub, Heine and Utopia. In: Heine-Jb. 1988, S. 8 6 - 1 1 2 . Œuvres de Saint-Simon et d'Enfantin, publiées par les membres du conseil institué par Enfantin pour l'exécution de ses dernières volontés, 42 e vol. de la collection générale, Paris 1877, S. X X I V . »Vienne donc vite le jour«, heißt es zur Erklärung dieses Begriffs, »où les amis du progrès social [...] salueront avec empressement l'apparition d'une nouvelle synthèse qui remplace le dualisme biblique et qui consacre l'unité dans la nature humaine, comme dans l'être infini et suprême qui vit et se sent vivre dans tout ce qui est«. Œuvres de Saint-Simon et d'Enfantin (Anm. 50), 14 e vol. de la collection générale, Paris 1868, S. 6.
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commande d'HARMONISER en tous lieux, en tous temps, les deux aspects de la vie humaine«)52 erklärt die große Anziehungskraft der saint-simonistischen Ideen auf den »zerrissenen« Autor der >ReisebilderGeschichte der Religion und Philosophie in Deutschland< ändert sich dies grundlegend. Der methodisch an Hegel geschulte Dichter übernimmt hier die Dichotomie von Sensualismus und Spiritualismus, um aus ihrer dialektischen
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Ebd. S. 65. »II ne s'agit plus aujourd'hui de condamner ou de critiquer, mais d'harmoniser., Telle est la volonté de Dieu« (»Globe« vom 25. Februar 1832). In Heines Nachlaßexemplar ist dieser Passus durch ein Handzeichen markiert. Zwar taucht der Begriff >Spiritualismus< in den Artikeln des »Globe« schon seit längerem auf(vgl. etwa die Ausgaben vom 12. Mai 1 8 3 1 , 1 1 . Juni 1831 und 16. Januar 1832). Als sein Gegenpol wird hier jedoch der »Materialismus«, das Fleisch (»la chair«) oder der Genuß (»jouissances matérielles«) angeführt. In der >Exposition< (Anm. 50, S. 85) heißt es entsprechend über die beiden gegensätzlichen »doctrines philosophiques«: »elles sont impuissantes ces rêveries du spiritualisme ou du matérialisme«. Das von Heine übernommene Begriffspaar wird damit innerhalb der saint-simonistischen Lehre erst relativ spät eingeführt.
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Spannung den kulturgeschichtlichen Prozeß in Deutschland zu rekonstruieren und den Weg einer Versöhnung zu weisen. Allerdings kommt es dabei zu einer interessanten Abweichung von der saint-simonistischen Terminologie. In einem Prozeß kreativer Fortentwicklung gibt Heine dem Begriff des >Sensualismus< eine neue Definition und macht ihn so zu seiner eigenen Formel. Wie dies geschieht, läßt sich an zwei definitorischen Aussagen der Philosophie-Schrift nachvollziehen. Im ersten Buch gibt Heine zum ersten Mal eine genauere Definition des Begriffspaars: Ich habe mich [...] schon mehrmals der Worte Spiritualismus und Sensualismus bedient; diese Worte beziehen sich aber hier nicht, wie bey den französischen Philosophen, auf die zwey verschiedenen Quellen unserer Erkenntnisse, ich gebrauche sie vielmehr [...] zur Bezeichnung jener beiden verschiedenen Denkweisen, wovon die eine den Geist dadurch verherrlichen will, daß sie die Materie zu zerstören strebt, während die andere die natürlichen Rechte der Materie gegen die Usurpazionen des Geistes zu vindiziren sucht. (8,29)
Stimmt Heine hier noch im wesentlichen mit der von den Saint-Simonisten formulierten Auffassung überein, wonach Spiritualismus und Sensualismus in kämpferischer Weise jeweils den Geist oder die Materie vertreten, so wird diese Bestimmung am Anfang des zweiten Buchs in entscheidender Weise erweitert: Den Namen Spiritualismus überlassen wir [...] jener frevelhaften Anmaßung des Geistes, der nach alleiniger Verherrlichung strebend, die Materie zu zertreten, wenigstens zu fletriren sucht; und den Namen Sensualismus überlassen wir jener Opposizion, die, dagegen eifernd, ein Rehabilitiren der Materie bezweckt und den Sinnen ihre Rechte vindizirt, ohne die Rechte des Geistes, ja nicht einmal die Supremazie des Geistes zu läugnen. (8,49)
Zentral an dieser Definition ist der Nachsatz, demzufolge der Sensualismus nicht mehr einseitig als Gegenteil des Geistes - als Korrelat der »matière« - , sondern als ein Fleisch und Geist harmonisierendes Verhältnis zu verstehen ist. Genau hierin liegt Heines originelle Abweichung gegenüber dem Saint-Simonismus. Hatte nämlich Michel Chevalier in dem zitierten Artikel des »Globe« die Formel »spiritualisme« et »sensualisme« als Apposition zu »esprit« und »matière« gebraucht und damit in einem rein polarisierenden Sinne verwendet, so löst Heine den Begriff >Sensualismus< aus seiner antithetischen Bestimmung und macht ihn zu einer Formel der Versöhnung. Und zweitens: Indem Heine dem Geist hier nicht nur »Rechte«, sondern sogar die »Supremazie« zugesteht, verlagert er den Hauptakzent des Versöhnungsprozesses von der Versinnlichung des Geistigen auf die Vergeistigung des Materiellen, was insofern bedeutend ist, als er damit materialistischen Theorien zugunsten einer religiösen A u f wertung der Materie eine Absage erteilt: »Ich gehöre nicht zu den Materialisten, die den Geist verkörpern« betont er in der Vorrede zur »Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschlands »ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück, ich durchgeistige sie wieder, ich heilige sie« (8,494). U m
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auch jeder Verwechslung dieses »Sensualismus« mit dem französischen Materialismus vorzubeugen, markiert Heine seine Position schließlich noch deutlicher, als gehe es hier um die wichtigste Weichenstellung seiner Schrift: Da die französischen Sensualisten gewöhnlich Materialisten waren, so entstand der Irrthum daß der Sensualismus nur aus dem Materialismus hervorgehe. Nein, jener kann sich eben so gut als ein Resultat des Pantheismus geltend machen, und da ist seine Erscheinung schön und herrlich. (8,50)
Aus dem Befund dieser Definitionen wird ersichtlich, daß Heine den Sensualismus-Begriff mehrdeutig verwendet: Fungiert er noch im ersten Buch der Philosophie-Schrift als polarer Begriff in der Opposition von Geist und Materie, so wird er im zweiten Buch als ein diese Opposition überschreitender SyntheseBegriff verstanden, denn »Resultat des Pantheismus« kann er nur sein, indem er die gegenseitige Durchdringung von Geist und Materie signalisiert. Besonders deutlich wird dieser konzeptionelle Wandel am Beispiel des Luther-Portraits im ersten Buch. Heine lobt den großen Reformator wegen seiner komplementären Charakterzüge (»er konnte sich ganz versenken ins reine Geistthum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde«; 8,33) und stellt ihn dem Leser als Vorbild für einen ganzheitlichen Lebenswandel vor: »Er war ein kompleter Mensch, ich möchte sagen ein absoluter Mensch, in welchem Geist und Materie nicht getrennt sind.« (8,33) In bezug auf Luther erweisen sich die Begriffe Sensualismus und Spiritualismus deshalb als unbrauchbar: »Ihn einen Spiritualisten nennen«, merkt Heine aufschlußreich an, »wäre daher eben so irrig als nennte man ihn einen Sensualisten« (ebd.). Anders als im zweiten Buch, wo der »Sensualismus« als »Resultat des Pantheismus« die Versöhnung von Geist und Materie bezeichnet, wird er hier in bezug auf den »kompletten« Menschen, dem diese Versöhnung gelang, verworfen. Heine unterläuft damit eine terminologische Inkonsequenz, die um so bemerkenswerter ist, als sie einen wichtigen, wenn nicht gar den zentralen Begriff seiner Philosophie-Schrift betrifft. Zu erklären ist sie aus der zeitlichen Verzögerung zwischen dem ersten und zweiten Teil der französischen Artikelfassung, die bekanntlich die Vorstufe zur späteren Philosophie-Schrift bildet.54 Zwischen dem im Herbst des Jahres 1833 entstandenen ersten Artikel (>De l'Allemagne depuis Luther«, première partie) und dem zweiten Teil mit der philosophiegeschichtlichen Phase von Descartes bis Lessing erstreckt sich, anders als zwischen Heine und dem Herausgeber der »Revue des deux mondes« geplant, ein Zeitraum von insgesamt acht Monaten, in dem es zu einer konzeptionellen Neubestimmung des Sensualismus bzw. zu dessen Annäherung an den Spinozismus gekommen sein muß. Insofern der Spinozismus die von Heine ersehnte Totalität theoretisch vermitteln konnte, bildet er in den dreißiger und frühen vierziger Jahren die
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Z u den entstehungsgeschichtlichen Daten vgl. D H A 8, S. 50Sensualismus< im Sinne einer pantheistisch verstandenen Versöhnung von Geist und Materie neu besetzen. Damit löst er den Begriff auf originelle Weise aus seiner philosophischen Tradition heraus: Anders als Cousin, dem er in der negativen Beurteilung des Empirismus zwar weitgehend zustimmt, rettet Heine den Sensualismus als revolutionäre Kategorie, insofern er ihn sowohl gegen seine materialistische Reduktion wie gegen den restaurativen Zeitgeist zum Kennwort für ein ganzheitliches Glück bestimmt. Daß Heine den Begriff des >Sensualismus< aus seinem epistemologischen Kontext löst, ist der eine signifikante Traditionsbruch, den er mit seiner Definition vollzieht. Der andere betrifft die hedonistische Komponente des Begriffs, die sich aus dessen materialistischer Auslegung entwickelte und die erkenntnisphilosophischen Inhalte schon bald in den Hintergrund zu drängen begann. In seinem 1834 erschienenen Werk >Uber französische und deutsche Philosophie< schreibt Cousin: »Wenn Alles im Menschen sich lediglich auf Empfinden beschränkt, dann kann bei ihm auch von nichts Anderem, als bloßem Genießen und Leiden die Rede seyn. Den Schmerz fliehen und die Lust suchen - ist dann die einzige Regel für unser Handeln. [...] Es ist dieß das System der sensualistischen Schule, wie man sie nach dem Principe genannt hat, das sie einzig und allein anerkennt.« 60 Cousins Argumentation macht deutlich, wie es, bedingt durch die polemische Kritik der Restauration, zu einer allmählichen Verwechslung der sensualistischen Erkenntnis- mit einer materialistischen Lustphilosophie kommen konnte. Die anfänglich zu beobachtende Parallelentwicklung einer erkenntnistheoretischen und einer ethischen Verwendung des Begriffs >Sensualismus< wird in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts immer häufiger auf das hedonistische Moment verkürzt. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht dieser Prozeß in Frankreich mit der Definition des Begriffs als »amour de plaisirs de sens« 61 bzw. »doctrine morale qui abandonne l'homme aux passions sensuelles«. 62 Die Verwechslung des Sensualismus mit dem Hedonismus setzt sich im philosophischen Diskurs schließlich so weit durch, daß Intellektuelle wie Sainte-Beuve vor einer weiteren Begriffsverwirrung warnen. In einer Note seiner >Pensées et Maximes< wirft er dem zeitgenössischen Hauptgegner der sensualistischen Schule, Victor Cousin, terminologische Ungenauigkeit vor:
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° V. Cousin, Über fanzösische und deutsche Philosophie, aus dem Französischen von Dr. Hubert Beckers, nebst einer beurtheilenden Vorrede von Schelling, Tübingen 1834, S. 10. 61 Complément du Dictionnaire de l'Académie Française, Brüssel 1842. Zit. n.: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von J . Ritter, Bd.9, Darmstadt 1995, S . 6 1 5 . 62 D.J. Mozin, Nouveau dictionnaire compi, des langues françaises et allemandes (1842). Zit. n.: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Anm. 61), S. 61 $. Der Artikel »Sensualismus« (S. 6 1 4 - 6 1 8 ) enthält weitere Belege - u. a. aus den Tagebüchern von Flaubert - für diese Festlegung auf das Lustprinzip.
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Une petite iniquité philosophique s'est introduite et s'est consacrée depuis 1 8 1 7 et dans les années suivantes. M. Cousin, pour désigner l'École adverse du X V I I I e siècle qui rattachait les idées aux sensations, la dénommée l'École sensualiste. Pour être exact, il eût fallu dire sensationniste. Le mot de sensualiste appelle naturellement l'idée d'un matérialisme pratique qui sacrifie aux jouissances des sens; et si cela avait pu être vrai de quelques philosophes du X V I I I e siècle, de La Mettrie ou d'Helvétius par exemple, rien ne s'appliquait moins à Condillac et à tous les honorables disciples sortis de son École. 6 3
Interessant an dieser begrifflichen Differenzierung ist, daß Sainte-Beuve den >Sensualismus< gar nicht mehr auf seine ursprüngliche epistemologische Bedeutung zurückzuführen sucht. Statt ihn von fremden Konnotationen freizuhalten und diese dafür mit einem anderen Begriff zu belegen, schlägt er umgekehrt ein neues Wort (»sensationnisme«) für Condillacs Erkenntnistheorie vor. Dies zeigt, wie unwiderruflich sich die hedonistische Komponente des Begriffs im öffentlichen Bewußtsein festgesetzt hatte. Sie war nicht mehr zu korrigieren. Heines Werk mag an dieser Entwicklung einen nicht geringen Anteil haben. Dies hat allerdings eher mit rezeptionsgeschichtlichen Faktoren - der verkürzten Wahrnehmung seines sensualistischen Engagements und der öffentlichen Skandalwirkung seiner Texte - als mit seinen eigentlichen Absichten zu tun. Tatsächlich distanziert sich Heine sowohl von der empiristischen wie von der rein hedonistischen Definition des Sensualismus, indem er den Begriff als »Resultat des Pantheismus« (8,50) und damit als Ausdruck einer »religiösen Synthese« (8,61) versteht. Daß diese Synthese den sinnlichen Genuß legitimieren soll, ändert nichts daran, daß sie den atheistischen Materialismus des 18. Jahrhunderts hinter sich läßt. Nicht zuletzt deshalb reagierte Heine empört auf den Beschluß, mit dem der deutsche Bundestag am 10. Dezember 1835 über seine Schriften das berüchtigte Publikationsverbot verhängte. In dem Verbotsantrag hieß es zur Begründung: »Die schlechte Literatur, die hier gemeint ist, läßt sich wesentlich als antichristlich, gotteslästerlich, und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichtlich mit Füßen tretend bezeichnen.« (11,796) Heine nahm in einem Brief Stellung, der in besonderer Weise die sittlich-religiöse Absicht seiner Schriften dokumentiert: »Sobald mir das freye Wort vergönnt ist, hoffe ich bündigst zu erweisen, daß meine Schriften nicht aus irreligiöser Laune, sondern aus einer wahrhaft religiösen und moralischen Synthese hervorgegangen sind« (11,148). Es wäre falsch, diese Aussage als ein beschwichtigendes Manöver zu werten, wird in ihr doch nur das wiederholt, was Heine schon im zweiten Buch der Philosophie-Schrift erklärt hatte, wo er im Rahmen der Pantheismus-Debatte betont, daß er seine »Ueberzeugungen aus einer tieferen Quelle« als die Materialisten, »aus einer religiösen Synthese« (8,61) geschöpft habe. Es ist diese »Synthese«, die Heines Denken in den dreißiger Jahren bestimmt und zugleich 6j
Sainte-Beuve, Pensées et Maximes, éd. M. Chappelan, Paris 1954, S. 104.
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die originelle Konzeption seines Sensualismus begründet. Die pantheistische Beziehung auf das Göttliche grenzt diesen Sensualismus gegen alle vorhergehenden Verwendungsformen empiristischer und hedonistischer Provenienz ab und macht ihn zu einem religiösen Begriff der Versöhnung - einer Versöhnung wohlgemerkt, die auch philosophiegeschichtlich von Bedeutung ist. Denn mit seinem Konzept des religiösen Sensualismus gelingt es Heine, gegen die spiritualistische Reaktion der Cousin-Schule den revolutionären Materialismus mit seiner idealistischen Kritik zu vermitteln. Die Forschung hat zu Recht betont, daß Heine die saint-simonistische Terminologie in erster Linie zur Versprachlichung eigener, längst vorhandener Konzepte aufgreift. »In Saint-Simonianism«, so Iggers, »he found concepts which helped him to express more clearly his own religious ideas«.64 Ähnlich beurteilen Reeves (»perhaps Heine's greatest debt to the Saint-Simonians was on the level of voca bulary«), 6 ' Windfuhr 66 und Höhn 6 7 den Einfluß der saintsimonistischen Bewegung auf Heine. Dennoch sollte berücksichtigt werden, daß Heine in ganz entscheidender Weise von der offiziellen Sprachregelung der Bewegung abweicht, wenn er den >Sensualismus< als harmonische Verbindung von Geist und Materie und nicht als Verabsolutierung der letzteren versteht. Erst wenn man diese Erweiterung von einem polaren zu einem synthetischen Konzept nachvollzieht, wird man zu einem angemessenen Verständnis von Heines Sensualismus gelangen.
1.4 Das »religiöse Gefühl« als Moment diesseitiger Lebensfreude Warum, so wäre zu fragen, genügt es Heine nicht, seinen Fortschrittsoptimismus politisch oder geschichtsphilosophisch zu begründen, und warum bleibt der Glaube an eine glücklichere Generation der Zukunft an die Vorstellung einer »Gottheit« 68 gebunden? - Sicher ist, daß das Göttliche in der Philosophie-
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Iggers (Anm.47), S. 308. In diesem Sinne deutet auch Holub (Anm. 49, S. ioof.) die Berührung mit den Saint-Simonisten: »He certainly listened carefully to the language of Enfantin and his cohorts, and evidently found the catchy phrasing and the imaginative idiom much to his liking [...], but it is evident that Saint-Simonism provides only the outer garments for what was already a well-formed body of thoughts.« 6 * Nigel Reeves, Heinrich Heine. Poetry and Politics, Oxford 1974, S. 8if. 66 »Durch die Beschäftigung mit dem Saint-Simonismus wurde nun aus einem Gefühl ein Bewußtsein, aus der bloßen Ahnung ein begriffliches Schema« (8,531). Damit folgt Windfuhr E.M. Butler (Anm. 44, S. 144): »He had known it all beforehand, but by touch and not by sight, by his feelings and not by reason.« 67 Das in den >Reisebildern< Angedeutete erhalte jetzt »eine begriffliche Präzisierung« (Höhn: Heine-Handbuch, S. 346). 68 »[...] ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit als jene frommen Leute, die da wähnen, sie habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen« (8,17). 2JI
Schrift nicht mehr als metaphysische Heilsgewißheit für ein hilfesuchendes Subjekt gedacht wird. Vielmehr muß man bei Heine bis zum Ausbruch der Krankheit im Jahre 1848 von einem selbstbewußten Subjekt ausgehen, dem die Rede von Gott zum Ausdruck seiner pantheistischen Weltfreude oder aber und hier stößt man in einen anderen Geltungsbereich der religiösen Sprache vor - zum Ausdruck der eigenen Begeisterungsfähigkeit und Idealisierungsbereitschaft wird. Wenn Heines Texte trotz ihres aufklärerischen Gehalts nach wie vor von religiösem Pathos durchdrungen sind, so geht es ihnen nicht um die Wiederherstellung religiöser Bindungen, sondern um die Wiederbelebung eines religiösen Gefühls, um das Gefühl, daß etwas den Rang des Heiligen, Geheimnisvollen und Verehrungswürdigen aufrechterhält.69 Dies wird insbesondere am Kant-Passus der Philosophie-Schrift deutlich. Dort stimmt Heine zwar der erkenntnistheoretischen Argumentation zu, mit der Kant den Gott der Deisten »über die Klinge springen« (8,89) läßt, doch nimmt er zugleich sein Unbehagen darüber zum Anlaß, die Gründe für sein Festhalten am Dasein Gottes zu erklären. Die Darstellung der Kantschen Philosophie abbrechend, schreibt er: ich würde sie weitläuftiger besprechen wenn mich nicht ein religiöses Gefühl davon abhielte. Schon daß ich jemanden das Daseyn Gottes diskutiren sehe, erregt in mir eine so sonderbare Angst, eine so unheimliche Beklemmung [...]. >Gott ist alles was da ist< und Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, es ist der Tod. / So verwerflich aber jede Diskussion über das Daseyn Gottes ist, desto preislicher ist das Nachdenken über die Natur Gottes. Dieses Nachdenken ist ein wahrhafter Gottesdienst, unser Gemüth wird dadurch abgezogen vom Vergänglichen und Endlichen. [...] Der Denker findet diese heilige Stimmung in der Ausübung jener erhabenen Geisteskraft, welche wir Vernunft nennen, und deren höchste Aufgabe es ist die Natur Gottes zu erforschen. [...] religiöse Menschen beschäftigen sich mit dieser Aufgabe von Kind auf, geheimnißvoll sind sie davon schon bedrängt durch die erste Regung der Vernunft. Der Verfasser dieser Blätter ist sich einer solchen frühen, ursprünglichen Religiosität, aufs Freudigste bewußt und sie hat ihn nie verlassen. (8,87)
Wie sehr es sich bei dieser Religiosität um eine Domäne des Gefühls handelt, wird hier deutlich: Entscheidend ist für Heine, daß das »Gemüth« affiziert und von der Banalität der Wirklichkeit »abgezogen« wird. In dieser Verteidigung des Glaubens spiegelt sich eine Sehnsucht nach dem »geheimnißvoll« Höheren, die nicht zufällig noch an die Gefühlswelt der Kindheit zurückgebunden wird, sich aber ausdrücklich von irrationalen Strömungen abgrenzt, indem sie sich auf die »Vernunft« beruft. Die Vernunft erübrigt für Heine keineswegs die Frage nach der »Natur Gottes«, denn anders als Kant, der das Göttliche als »Nou-
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Weil es Heine um das religiöse Gefühl schlechthin und nicht etwa um die konfessionelle Bindung geht, kann er als Erzähler der >Stadt Lukka< generalisierend betonen: »ich ehre die Heiligkeit jeder Religion« (7,193) und auf die Frage nach seiner persönlichen Religion antworten: »ich habe sie alle« (7,189).
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menon« zu den Gegenständen der Spekulation zählt und damit aus dem Bereich der rationalen Erkenntnis verbannt, sieht Heine die »höchste Aufgabe« der Vernunft gerade darin, »die Natur Gottes zu erforschen« - so gelingt es ihm, die Vernunft, das religionskritische Instrument der Aufklärung, weiterhin mit einer religiösen Haltung zu vereinbaren. Die Kant-Kritik der Philosophie-Schrift knüpft in aufschlußreicher Weise an die Ascher-Episode der >Harzreise< an, in der die verabsolutierte Vernunft als Schreckgespenst karikiert und aufgrund ihres starren Positivismus mit dem Tod identifiziert wurde. In seinem Streben nach dem Positiven hatte der arme Mann sich alles Herrliche aus dem Leben heraus philosophirt, alle Sonnenstralen, allen Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm nichts weiter, als das kalte positive Grab. (6,103)
Wie schon aus der Analyse dieser Episode deutlich wurde, macht Heine hier gerade das religiös begriffene »Noumenon«, das ¿7¿er-Sinnliche also, das sich empirischer Nachprüfbarkeit entzieht, zum Kennzeichen eines lustvollen und erfüllten Lebens. Ebenso wie der christliche Spiritualismus rückt damit der wissenschaftliche Empirismus in die Nähe des Todes: Indem er das Herrliche »aus dem Leben heraus philosophirt«, zerstört er auf seine Weise den Genuß am Leben. Es scheint von daher angeraten, das Moment des Numinosen in den für die Steigerung der Lebensfreude und -intensität werbenden Sensualismus Heines einzubeziehen. Wenn Heine in seiner Kant-Kritik von einem »religiösen Gefühl« und einer »heiligefn] Stimmung« spricht, so schwingt darin etwas von jener emotiven Religionstheologie mit, für die die Anschauung des Absoluten in erster Linie mit einem Gefühl verbunden ist, durch welches das Gemüt erregt und verändert wird. Es sind eben diese Erregungsreize des Numinosen, die Heines Sensualismus jenseits aller Orthodoxie für den Bereich des Religiösen öffnen. Ein Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist der »Enthusiasmus« (gr., »gotterfüllt«), der durch seine emotionale Qualität den beschriebenen Nexus von Gefühl und Religion in besonderer Weise trifft. Schon in der >Stadt Lukka< spricht Heine von der »Begeisterung, die immer göttlicher Art« sei (7,200), und lobt sie als eine Kraft, die »die ganze Welt [...] zu kühnerem Schwünge beflügelt« (7,198). Enthusiasmus und Religion werden von Heine quasi synonym verwendet, was übrigens erklärt, warum er die Gegenstände seiner Begeisterung - die Freiheit, die Revolution - als Religion der Gegenwart apostrophieren kann. Und es erklärt auch, warum ihm »Göthes Abneigung sich dem Enthusiasmus hinzugeben« wie »Selbstmord« vorkommen mußte (8,466): Wo die idealistische Donquixoterie, die Begeisterung für das Höhere abhanden kam, drohten nach Heines Auffassung Tod und Erstarrung. Liest man vor diesem Hintergrund den Satz: »>Gott ist alles, was da ist< und Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, es ist der Tod« (8,87), so wird deutlich, wie sehr das
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»Göttliche« als Ausdruck der vitalen Dynamik und Begeisterungsfähigkeit für Heine zum unverzichtbaren Lebenselixier wird. 70 Versucht man, Heines Religiosität in die von Reiner Preul erarbeitete Systematik der Religionstheologien 71 einzuordnen, so könnte man sie am ehesten der von Schleiermacher vertretenen Konzeption einer auf Gemüt und Gefühl basierenden Religion 72 annähern. Allerdings überschreitet Heine den gefühlstheologischen Ansatz dadurch, daß er das »religiöse Gefühl« mit der »erhabenen Geisteskraft« der Vernunft verbindet und die »Natur Gottes« zum Gegenstand des »Nachdenkens« macht. Von einem sacrificium intellectus kann also gerade im Hinblick auf Heines Religiosität keine Rede sein. Vielmehr stellt diese im Zuge einer zweiten Aufklärung, einer Aufklärung der Aufklärung, die Beziehung zum Numinosen gegen die positivistische Tendenz der Zeit als Glückserfahrung heraus, die die menschliche Existenz um das Gefühl des »Herrlichen« bereichert.
2. Sensualismus als politische Position - Heines EgalitarismusKritik im Interesse der Schönheit und der Kunst 2.1 Königtum und Kommunismus: die ästhetische Perspektive des Dichters In der zweiten Hälfte der 1830er Jahre richtet sich Heines antispiritualistische Kritik zunehmend gegen radikale politische Gruppierungen, die das revolutionär erkämpfte Genußrecht einer Ideologie der spartanischen Beschränkung unterordnen und in ihren Gesellschaftsentwürfen einen asketischen Egalitarismus fordern. In bezug auf die sinnliche Emanzipation führt dies zu einem Paradigmenwechsel: Heines sensualistisches Engagement löst sich aus der religions- und kirchenkritischen Fixierung, um nun als Kritik an einem ent-
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»Das ist aber das Schöne unsres jetzigen Zustandes«, schreibt Rahel Varnhagen im Februar 1832, »daß das für Recht Anerkannte uns zum Höchsten in uns führt, und so von uns geehrt wird, wie die unerwartetste Offenbarung, von Chören von Engeln aus den Wolken gereicht! Diese unumstößliche Anerkennung des Rechten, diese heilig gewordene Verehrung dafür, ist jetzt religiös, aber nicht mehr Religion« (zit. η. Β 8, S. 736). Raheis Unterscheidung zwischen (positiver) »Religion« einerseits und »Religiosität« andererseits, welche letztere als Ausdruck des »Höchsten in uns« an die Stelle der Offenbarung tritt, scheint mir in hervorragender Weise geeignet, um Heines aufgeklärte Religiosität zu charakterisieren. In diesem Sinne argumentiert auch Karl Josef Kuschel (Anm. 2, S. 60): »Religion ist für Heine in dieser Zeit Ausdruck einer durch Politik nicht auflösbaren Utopie des Menschen von sich selbst.«
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Vgl. Preul (Anm.6), S. 529-534. Z u Schleiermachers Religionstheologie vgl. ebd. S. 53if.
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sagungsvollen Egalitarismus abermals die Genußrechte des einzelnen geltend zu machen. Phantasien von luxuriösen Schwelgereien, von Purpur, Wollust und Pracht, wie Heine sie schon 1826 in der >HarzreiseBergidylle< in Kap. 1.2 der vorliegenden Arbeit (S. 72-89). In seiner Kritik des Republikanismus berührt sich Heine mit den Saint-Simonisten. A m 3 i.Januar 1832 hatte Michel Chevalier im»Globe« (S. 1 2 1 ) erklärt: »Le regime républicain est sans poésie, il a trop d'aridité et de sécheresse [...]. Le régime républicain est trop mesquin, trop dépourvu de haute solennité [...].« Noch deutlicher wird er in einem >Notre politique< betitelten Artikel vom 21. März 1832 (S. 321): »Le sentiment de hiérarchie qui est en nous [...] sera un lien entre nous et les légitimistes«. Blieb Hei-
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nen. Diese schicksalhafte Verbindung des Dichters mit dem König ist um so bemerkenswerter, als es ja Heine selbst war, der die Rolle des Dichters in Abgrenzung zur »Kunstperiode« politisch definiert und in den Dienst der revolutionären Bewegung gegen die absolutistische Willkür gestellt hatte. Daß er sich nun auf die Seite der vertriebenen Könige stellt, hat indes nichts mit politischer Inkonsequenz zu tun. Seine Sympathie für den Royalismus belegt vielmehr die Kontinuität des sensualistischen Prinzips, das sich im Königtum symbolisch behauptet und gegen die puritanische Ideologie der Radikalen geschützt werden soll. In dem Essay über >Shakespeares Mädchen und Frauen< (1838) hat Heine seine Angst vor dem »republikanische^ Fanatismus« (10,12) am Beispiel der englischen Puritaner verdeutlicht. Dabei fällt erneut die Verknüpfung des Königs- mit dem Dichterschicksal auf: Mit dem Blute Karls des Ersten, des großen, wahren, letzten Königs, flöß auch alle Poesie aus den Adern Englands; und dreymal glücklich war der Dichter, der dieses kummervolle Ereigniß [...] nimmermehr als Zeitgenosse erlebt hat. Shakespear ward in unsern Tagen sehr oft ein Aristocrat genannt. Ich möchte dieser Anklage keineswegs widersprechen, und seine politischen Neigungen vielmehr entschuldigen, wenn ich bedenke, daß sein Zukunft-schauendes Dichterauge [...] schon jene nivellierende Puritanerzeit voraussah, die mit dem Königthum, so auch aller Lebenslust, aller Poesie und aller heitern Kunst ein Ende machen würde. (10,10)
Heine sah in den nivellierenden Tendenzen der puritanisch-jakobinischen Demokratiebewegung eine Gefahr nicht nur für die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen, sondern auch für die künstlerische Kreativität und damit eine Bedrohung seiner Identität als Künstler. Man darf nicht darüber hinwegsehen, daß seine politische Position nicht zuletzt aus der Interessenlage des Künstlers resultiert, dem das Recht der herausragenden schöpferischen Persönlichkeit, vor allem aber das Recht auf ein sinnlich-ästhetisches Lebensgefühl, als wesentlich gilt. Die Verbindung von künstlerischer Genialität und königlicher Autorität, die Heines Essay herstellt, variiert den alten Topos von der Gemeinschaft zwischen Sänger und König, zwischen Macht und Geist, wie sie bereits in antiker Zeit von Hesiod und Pindar beschrieben wird. Kalliope, die Muse der Sprache, schenkt bei Hesiod 3 die Kraft, auf der gleichermaßen das herrscherliche Wirken des Königs wie das Wirken des Dichters beruht. Heine wandelt den Topos insofern ab, als er diese Gemeinschaft nicht nach antiker Auffassung auf die beiden verliehene Weisheit - die prophetische Gabe und die Erkenntnis der Tugend - , sondern auf die »Lebenslust« zurückführt, die Dichter und Herrscher ne auch ein Gegner der Legitimisten, so plädierte er doch aus ähnlichen Gründen wie Chevalier - nämlich aus Rücksicht auf das »sentiment de la grandeur et de la magnificence« - für die konstitutionelle Monarchie. ' Vgl. >TheogonieDie Stadt Lukka< schreibt Heine: »[...] wenn auch die Könige so thörigt sind, dem Geiste des Volks zu widerstreben, [...] so bleibe ich doch, meiner tiefsten Uberzeugung nach, ein Anhänger des Königthums, des monarchischen Prinzips. Ich hasse nicht den Thron, sondern nur das windige Adelgeziefer, das sich in den Ritzen der alten Throne eingenistet [...].« (7,i9}f·) ' Vgl. den schon im Hinblick auf Heines Goethe-Kritik erwähnten Brief an Rudolf Christiani vom 26. Mai 1825 (HSA X X , S. 200). Daß diese Sympathie für das Königtum auf einer »Neigung zur Schwärmerey« beruht, macht vor allem die ShakespeareSchrift deutlich, in der Heine mit dem monarchischen Prinzip ein ekstatisches Lebensgefühl, nämlich »überschwengliche Leidenschaft«, »farbenreiche Lust«, »schöne[n] Rausch«, ja alle »Glorie der Poesie« (10,pf.) verbindet. 6 Wolfgang Kuttenkeuler, Heinrich Heine. Theorie und Kritik der Literatur, Stuttgart 1972, S. 59. 7 Heines klarstes Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie findet sich in der Beilage zum 6. Artikel der französischen Zuständen Darin würdigt er die Verdienste Mirabeaus, der als Mitglied der Nationalversammlung eine konstitutionelle Reform durchzusetzen suchte und dabei mit den radikalen Demokraten in Konflikt geriet. »In den Schriften Mirabeaus finden wir die Hauptideen einer konstituzionellen Monarchie [...]; allen weisen und bangen Regenten Europas empfehle ich das Studium [...] dieser Staatshülfslinien, die das größte politische Genie unserer Zeit, mit prophetischer Einsicht [...] vorgezeichnet hat.« (12,149) Heine glaubt, daß das »konstituzionelle Königthum [...], mehr oder minder demokratisch formulirt, auch von der Gegenwart, von uns in Deutschland, verlangt wird« (ebd.).
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sehe Bedürfnis nach glanzvoller Repräsentation - das sentiment de la majesté wie den politischen Souveränitätsanspruch des Volkes zu befriedigen. In seinem Shakespeare-Essay vertritt Heine den Standpunkt: »Demokratie und Königthum stehen sich nicht feindlich gegenüber [...]. Die beste Demokratie wird immer diejenige seyn, wo ein Einzelner als Inkarnazion des Volkswillens an der Spitze des Staates steht wie Gott an der Spitze der Weltregierung« (10,41). Daß Heine in seiner Einstellung zur sozialen Gleichheit ein Saint-Simonianer war, ist von der Forschung bereits verschiedentlich nachgewiesen worden.8 Die Konzeption Saint-Simons setzt auf eine neue Elite von Leistungsträgern, die ihre Fähigkeiten in den Dienst der »classe la plus nombreuse et la plus pauvre« stellt und auf diese Weise den Individualismus des 18. Jahrhunderts mit den sozialen Anforderungen des modernen Industriezeitalters verbindet. Die neue Aristokratie der Fähigen ersetzt die Privilegien der Geburt durch Leistungsprivilegien9 und interpretiert das revolutionäre Postulat der »Égalité« als Rechts- oder Chancengleichheit, nicht aber als ökonomische und moralische Nivellierung: Partisans de l'égalité! Saint-Simon vous dit que les hommes sont inégaux; mais il vous dit aussi qu'ils ne se DISTINGUERONT plus entre eux que par leur puissance d'AMOUR, de science et d'industrie. [...] Défenseurs de la liberté! Saint-Simon vous dit que vous aurez des chefs, mais ces chefs sont ceux qui vous aimeront, [...] qui seront les plus capables d'élever vos sentiments, de cultiver votre intelligence, d'augmenter vos richesses [...]. 1 0
Durch den Dienst des außerordentlichen Individuums am Gemeinwohl erhält der aristokratische C^daté-Gedanke seine soziale Legitimation. Unter dem Stichwort des >Cäsarismus< findet er popularisierende Verbreitung und wird auch von Heine, der ihn auf den »Bauernsohn« (12,218) Napoleon überträgt, positiv aufgegriffen. In einem auf den 20. August 1830 datierten Tagesbericht aus der Normandie unterstreicht er am Beispiel Napoleons den Zusammenhang zwischen individueller Superiorität und kollektivem Interesse und erklärt: Wie Cäsar der bloßen Herrschergewalt seinen Namen gab, so giebt Napoleon seinen Namen einem neuen Cäsarthume, wozu nur derjenige berechtigt ist, der die höchste Fähigkeit und den besten Willen besitzt.
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Vgl. Wingolf Scherer, Heinrich Heine und der Saint-Simonismus, Bonn 1949, S. 86f.; Dolf Sternberger: Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, Frankfurt a.M. 1976, S. 56f.; Giorgio Tonelli, Heinrich Heines politische Philosophie (1830-1845), Hildesheim/New York 1975, S. j6f. und 8/f. In der >Exposition< (Œuvres de Saint-Simon et d'Enfantin, B d . 4 1 , Paris 1877, S.38) heißt das leistungsbezogene Rechtsprinzip: »à chacun suivant sa capacité, à chaque capacité suivant ses Œuvres: voilà le D R O I T nouveau, qui remplace celui de la conquête et de la naissance«. Ebd. S. 57.
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In gewisser Hinsicht war Napoleon ein saint-simonistischer Kaiser; wie er selbst vermöge seiner geistigen Superiorität zur Obergewalt befugt war, so beförderte er nur die Herrschaft der Kapazitäten, und erzielte die physische und moralische Wohlfahrt der zahlreichern und ärmern Klassen. (12,217)
Freilich hat es auch scharfe Kritik an der elitären Doktrin der capacité gegeben. Ein Blick auf das negative Urteil zeitgenössischer Autoren wie Ludwig Börne und Georg Büchner mag Heines »aristokratische« Position hier deutlicher ins Profil heben. Für Börne ist die saint-simonistische Parole »A chacun selon sa capacité, à chaque capacité selon ses Œuvres« deshalb eine »heillose Irrlehre«, 11 weil sie die Grundidee des Sozialstaates, die darin besteht, den von Natur aus Schwächeren zu entlasten, in ihr Gegenteil verkehrt. Der natürlich Befähigte, so Börne, sei schon entschädigt und »hat keinen weitern Lohn zu fordern«, wohingegen derjenige unterstützt werden müsse, »der nichts von der Natur geerbt«. 12 Der Staat soll also umverteilen und Gerechtigkeit üben, indem er sich der Benachteiligten annimmt. Gegen das meritokratische Prinzip der Saint-Simonisten argumentiert Börne von einem naturrechtlichen Ansatz aus: »Was der Mensch ist, bestimmt also seinen Wert und seinen Preis, nicht das, was er tut. Ist das, was er tut, seiner Natur gemäß, ist es bloß Lebensäußerung, Selbsterhaltungstrieb, und er hat dafür keinen Lohn zu fordern«. 13 Anders gesagt: Natur kann nicht Verdienst sein. So wie der von Natur aus Minderbegabte nicht bestraft werden darf, so darf umgekehrt aus der natürlichen Befähigung keinerlei Privileg abgeleitet werden. Damit vertritt Börne einen radikaleren Egalitarismus als Heine. Dasselbe gilt für den jungen Sozialrevolutionär Büchner, der seinen Eltern im Sommer 1833 von Straßburg aus über einen Anhänger der Saint-Simonisten mitteilt: E r [...] steckt die Hände in die Taschen und predigt dem Volke die Arbeit, wird für seine Kapazität gut bezahlt und marche vers les femmes, wie er sich ausdrückt. E r ist übrigens beneidenswert, führt das bequemste Leben unter der Sonne, und ich möchte aus purer Faulheit Saint-Simonist werden, denn man müßte mir meine Kapazität gehörig honorieren.' 4
Büchner entlarvt den aristokratisch-elitären Anspruch der Saint-Simonisten, die sich die soziale Gerechtigkeit zum Ziel setzen und doch andere für sich arbeiten lassen. Mit seinen Anspielungen auf ein genußvolles Leben, sexuelle Freizügigkeit und materiellen Reichtum hebt er jene sensualistischen Vorzüge heraus, die der Saint-Simonismus zwar propagiert, aber nach Büchners Auffassung eben nur auf dem Rücken anderer garantieren kann. 11
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Ludwig Börne, Sämtliche Schriften, neu bearbeitet und hg. von I. und P. Rippmann, Düsseldorf 1964, B d . 3 , S.432 (>Briefe aus ParisExposition< wirft, in der Bazard mit rhetorischen Fragen die »Absurdität« der »égalité« zu verdeutlichen sucht: Vouliez vous perdre jusqu'au souvenir du bonheur que font éprouver l'admiration pour le génie, l'adoration pour les âmes généreuses [...]? Non, non, vous aviez des maîtres détestés, et vous vous êtes écriés: Loin de nous ces maîtres, mais vous n'avez pas dit: Plus de [...] grands hommes! vous n'avez pas voulu comprimer les cœurs, courber les intelligences [...] sous l'absurde niveau de l'ÉGALITÉ: il faut encore de la gloire et de la reconnaissance.15 Dieser Passus zeigt exemplarisch, wie man in saint-simonistischen Kreisen die Elitenbildung aus einem Glücksgefühl legitimiert, dessen sich nicht nur das kreative Genie, sondern auch die gemeine Menge erfreut: Von einem »bonheur« der Bewunderung ist hier die Rede, von »gloire« und »reconnaissance« als Qualitäten, die die Lebensfreude aller Individuen innerhalb der sozialen Hierarchie zu steigern vermag. Wie sehr Heine mit seinem Wunsch nach individueller Größe noch dem Genie-Gedanken der Goethe-Zeit verbunden ist, läßt das fünfte Buch der BörneSchrift erahnen, in dem er zwischen Dichter und König abermals eine historische Schicksalsgemeinschaft stiftet: Für die Schönheit und das Genie wird sich kein Platz finden in dem Gemeinwesen unserer neuen Puritaner, und beide werden fletrirt und unterdrückt werden, noch weit betrübsamer als unter dem älteren Regimente. Denn Schönheit und Genie sind ja auch eine Art Königthum, und sie passen nicht in eine Gesellschaft, wo jeder, im Mißgefühl der eigenen Mittelmäßigkeit, alle höhere Begabniß herabzuwürdigen sucht, bis aufs banale Niveau. Die Könige gehen fort, und mit ihnen gehen die letzten Dichter, (i i,i29f.)
' ' Œuvres de Saint-Simon et d'Enfantin, Bd. 41, Paris 1877, S. 57; meine Kursivierungen. 260
Heines Bejahung der Monarchie, das machen diese Bemerkungen deutlich, geht aus dem Superioritätsbewußtsein des Genies hervor, das sich gegen die streng egalitäre Gesellschaftsordnung im Namen der »höheren Begabniß« zur Wehr setzt. Das politische Urteil, das sich darin abspiegelt, ist von einer ästhetischen Position her vermittelt; es orientiert sich im wesentlichen an der poetischen Aristokratie 16 des genialen Künstlers. Wie ein Brief vom 19. Januar 1830 an Varnhagen bezeugt, hat Heine seinen »aristokratischen Stolz« offen eingestanden und selbstkritisch kommentiert. 17 Gleichwohl war ihm das Argument der Kunst Anlaß genug, sich von der mächtigsten politischen Oppositionsbewegung im Exil, den um Börne versammelten Republikanern, öffentlich zu distanzieren und jenem »Gleichheitsschwindel« (4,24) entgegenzutreten, der nach Heines Auffassung darin bestand, den Unterschied zwischen gleichen Rechten und gleichen Fähigkeiten zu verwischen: Die Gesellschaft ist eine Republik. [...] Keiner soll tugendhafter und geistreicher seyn als die übrigen. Wer aber durch die unbeugsame Gewalt des Genius hinausragt über das Gemeindemaß, den trifft der Ostrazismus der Gesellschaft [...]. Ja, die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach republikanisch. Jede Fürstlichkeit ist ihr verhaßt, die geistige eben so sehr wie die materielle. [...] Der Lorbeer eines Dichters war unseren Republikanern eben so verhaßt, wie der Purpur eines großen Königs. Auch die geistigen Unterschiede der Menschen wollten sie vertilgen, und indem sie alle Gedanken [...] als bürgerliches Gemeingut betrachteten, blieb ihnen nichts mehr übrig, als auch die Gleichheit des Styls zu dekretieren. [...] ein guter Styl wurde als etwas Aristokratisches verschrien, und vielfach hörten wir die Behauptung: [...] Das ist ein Aristokrat, ein Liebhaber der Form, ein Feind des Volkes. (10,25 jf.)
Angesichts dieser prinzipiellen Kritik am Republikanismus muß die These von Kanowsky,' 8 Heine habe sich nur gegen die unzeitgemäße Einrichtung der Republik in Deutschland, nicht aber gegen die Staatsform als solche ausgesprochen, als unzutreffend zurückgewiesen werden. Daß der »Soldat im Befreyungskriege der Menschheit« (7,74) stets engagiert für die politische Gleichberechtigung gekämpft hat, ist unumstritten und soll hier keineswegs in Frage gestellt werden. Manfred Windfuhr hat zu Recht betont, daß »Heine der erste Demokrat unter den deutschen Dichtern war«, 1 ' weil er es sich zur Hauptauf-
' 6 »Die wahrhaft großen Dichter« erklärt Heine 1843, »haben sich wenig darum bekümmert, wenn die knechtische Menge, deren Roheit sie anwidert, ihnen den Vorwurf des Aristokratismus machte« (14,48). 17 Darin bekennt Heine: »[...] am gefährlichsten ist mir noch jener brutale aristokratische Stolz, der in meinem Herzen wurzelt und den ich noch nicht ausreuten konnte, und der mir so viel Verachtung gegen den Industrialismus einflüstert und zu den vornehmsten Schlechtigkeiten verleiten könnte [...]«. (XX,423) 18 Vgl. Walter Kanowsky, Vernunft und Geschichte. Heinrich Heines Studium als Grundlegung seiner Welt- und Kunstanschauung, Bonn 1975, S. 162. ' ' M. Windfuhr, Zum Verhältnis von Dichtung und Politik bei Heinrich Heine. In: Heine-Jb. 1985, S. 1 0 3 - 1 2 2 , hier S. 106.
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gäbe gemacht hat, gegen das aristokratische Geburtsprivileg zu kämpfen. »Wir schlagen uns für den Grundsatz, heißt es in den französischen ZuständenStadt Lukka< anknüpft und die trübsinnige Existenz der häßlichen Patienten ausmalt, dann wird deutlich, daß Heine die radikale Gleichmacherei wegen ihrer asketischen Tendenz ablehnt, die er mit der des Christentums gleichsetzt. Sein Antirepublikanismus hat eine sensualistische Wurzel. Zwar fällt auf, daß die Kritik am Republikanismus im wesentlichen auf ästhetische Belange, nämlich auf die Sorge um den »guten Styl« fixiert bleibt 20 und damit aus der eher verengten Perspektive des um seinen Geltungsanspruch bangenden Künstlers vorgetragen wird. Bedenkt man allerdings, welche zentrale Rolle gerade der Kunst als Medium des Schönen in Heines sensualistischer Utopie zukommt, so gewinnt diese Fixierung auf den Bereich der Kunst soziale auch eine politisch-soziale Dimension. Das zeigt etwa die Kritik, mit der Heine auf die asketisch-kunstfeindlichen Tendenzen reagierte, die die französischen Frühkommunisten und insbesondere die Neobabouvisten in ihren Programmen entwickelten. Wie Leo Kreutzer 21 anhand von historischen Dokumenten belegen konnte, war Heines Angst vor 10
U n t e r Heines nachgelassenen A u f z e i c h n u n g e n finden sich ähnliche Aussagen: » E n d e der Literatur in der Demokratie: Freiheit und Gleichheit des Stils. J e d e m sei es erlaubt, nach Willkür, also so schlecht als er wolle, zu schreiben und doch soll kein anderer ihn stilistisch überragen und besser schreiben dürfen.« (Β 1 1 , 6 6 2 ) » D e m o k r a t i scher H a ß gegen die Poesie - der Parnaß soll geebnet w e r d e n , nivelliert [...] und w o einst der müßige D i c h t e r geklettert und die Nachtigallen belauscht, w i r d bald eine platte Landstraße sein, eine Eisenbahn, w o der D a m p f k e s s e l wiehert und d e r geschäftigen Gesellschaft vorübereilt« (ebd.).
21
L . Kreutzer, H e i n e und der K o m m u n i s m u s , G ö t t i n g e n 1970. Kreutzers maßgebliche Studie hat gezeigt, daß Heines B i l d v o m K o m m u n i s m u s auf den N e o - B a b o u v i s m u s zurückgeht, »der sich seit der Mitte der dreißiger J a h r e z u r einflußreichsten Richtung unter den F ü h r e r n des französischen Proletariats entwickelt hatte« (S. 1 2 ) . U n s e r e V e r w e n d u n g des B e g r i f f s >Kommunismus< bezieht sich auf diesen Erkenntnisstand. In E r g ä n z u n g dazu sei auf die Studien v o n W o l f g a n g Schieder (Heinrich H e i n e und der » K o m m u n i s m u s « . In: Heinrich Heine 1 7 9 7 - 1 8 5 6 . O . H g . Trier 1 9 8 1 , S. 1 0 2 - 1 3 3 ) s o w i e Michael Werner (Heine und die französischen Frühsozialisten. In: Internationales A r c h i v f ü r Sozialgeschichte der deutschen Literatur 7, 1982, S. 8 8 - 1 0 8 ) verwiesen.
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dem ikonoklastischen Eifer kommunistischer Gleichheitsfanatiker nicht immer unbegründet. In einem von den Anhängern Babeufs herausgegebenen >Manifest der Gleichen< w a r zu lesen: »Mögen, wenn es sein muß, alle Künste untergehen, wenn uns nur die wirkliche Gleichheit bleibt!« 2 2 U n d in Buonarottis >Analyse der Lehre BabeufsLuteziaBuch der Lieder< als Packpapier verwenden. Dieser vielzitierte Passus der Vorrede enthält Heines bekannteste Stellungnahme zum Kommunismus, ist aber meist als generelle Ablehnung seiner Herrschaft verkürzt zitiert worden. Denn andererseits muß Heine gestehen, daß er sich nicht der »Logik« 2Ä verschließen kann, die besagt, daß die soziale Gerechtigkeit - Brot für alle - nur dann zu haben ist, wenn man die ganze »alte Weltordnung« mit ihren »phantastischen Schnurrpfeifereyen« (13,294) verabschiedet. Dies ist der Zwiespalt des revolutionär engagierten Sensualisten, der begreift, daß das Recht aller Menschen zu essen vorläufig nur auf Kosten der edelsten Genüsse garantiert werden kann. 27
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Man vergleiche, um Heines ästhetischen Aristokratismus und die Abneigung gegen das Volk im historischen Kontext zu beurteilen, wie Büchner, in dem man ja gemeinhin einen politischen Weggefährten sieht, sich zu dieser Frage äußerte. Während Heine aus Sorge um die »moderne Civilisazion« seine Einwände gegen die Herrschaft des Proletariats vorträgt, vertritt Büchner den revolutionären Standpunkt: »Ich glaube man muß [...] die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volk suchen und die ganze abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen« (Büchner, Anm. 14, S.320).
26
»[...] ein schrecklicher Syllogismus behext mich, und kann ich der Prämisse nicht widersprechen: >daß alle Menschen ein Recht haben, zu essenLuteziaLuteziaVorrede< vorbeigeht. Oehlers philologische »Genauigkeit« entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ungenaue Vereinfachung eines komplexen Reflexionsprozesses. In der Tat, es wäre, wie Oehler sagt, ein »Mißverständnis«, wollte man Heine als antikommunistischen Dichter hinstellen. Gleichzeitig aber, und das verkennt Oehler, würde es auf eine spiegelbildliche Umkehrung dieses Mißverständnisses hinauslaufen, wollte man Heines Ambivalenz gegenüber dem Kommunismus so auflösen, daß man die Angst vor seiner historisch nachweisbaren Kunstfeindlichkeit als bloße »Schelmerei« oder als »Mummenschanz« 3 6 bagatellisiert. Auch Morawes Interpretation der f r a n z ö s i s c h e n ZuständeStadt Lukka< zu lesende Erklärung zugunsten des »monarchischen Prinzips«: »Ich hasse nicht den Thron, sondern nur das windige Adelgeziefer, das sich in den Ritzen der alten Throne eingenistet« (7,194). Morawe übersieht, daß Heine sich in den f r a n z ö sischen Zuständen< Mirabeaus Vorschlägen zu einer konstitutionellen Reform anschließt.40 Nicht zufällig bringt die Beilage zum sechsten Artikel ein ausführliches Portrait des zügellosen Grafen. Mirabeau wird hier zu einer politischmoralischen Spiegelfigur des Autors: Er repräsentiert Heines eigene Wesensspannung zwischen aristokratisch-sinnlicher Genußsucht und revolutionärem Gerechtigkeitsideal. Die erste Schicht des Portraits bringt diese »moralischen Widersprüche« auf den Punkt. Mirabeau war ein sorglos verschuldeter Gott, dem Himmel und Erde gehörte und der kapabel war, seinen letzten Fixstern und seinen letzten Louisd'or [...] zu verspielen; [...] ein Herkules, der am Scheidewege sich mit beiden Damen verständigt und in den Armen des Lasters sich von den Anstrengungen der Tugend zu erholen weiß; [...] ein verklärter, anbetungswürdiger Wüstling der Freyheit, ein Zwitterwesen [...]. Eben durch die moralischen Widersprüche seines Charakters und Lebens, ist Mirabeau der eigentliche Repräsentant seiner Zeit, die ebenfalls so liederlich und erhaben, [...] ebenfalls [...] die schlüpfrigsten Romane, aber auch die edelsten Befreyungsbücher geschrieben. (i2,i47f.)
Daß es sich hier um ein verstecktes Selbstportrait handelt, geht aus der anschließenden >Note a< hervor, in der Heine den am Beispiel Mirabeaus aufgezeigten Widerspruch zwischen Laster und Tugend auf die Parteien Rousseaus und Voltaires überträgt und erklärt: »Der Kampf unter den Revoluzionsmännern des Convents war nichts anders als der geheime Groll des rousseauischen Rigorismus gegen die voltairesche Légèreté« (ebd.). Entscheidend ist Heines abschlie-
" Vgl. die entsprechenden Äußerungen in D H A 12, S.72, 88 u. 187. Vgl. dazu Anm. 7 bzw. D H A 12, S. 149 u. 189. »Mirabeau war der Verkünder jenes konstituzionellen Königthums«, erklärt Heine (S. 149), »das, [...] mehr oder minder demokratisch formulirt, auch von der Gegenwart, von uns in Deutschland verlangt wird.« Heines identifikatorische Rede »von uns« macht deutlich, daß es sich bei dieser Aussage nicht um eine distanzierte Analyse, sondern um eigenes Wunschdenken handelt.
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ßende Stellungnahme zu diesem Konflikt, weil sie eine Verbindung zum vorangehenden Mirabeau-Portrait herstellt: »Ich bin nicht tugendhaft genug, um jemals dieser Parthey [der rousseauischen Republikaner] mich anschließen zu können; ich hasse aber zu sehr das Laster, als daß ich sie jemals bekämpfen würde« ( 12,151 ). Damit steht Heine - wie Mirabeau - am »Scheidewege«, ohne sich für den einen oder anderen Weg entscheiden zu können. Er arrangiert sich - wie Mirabeau - mit beiden Damen, der Tugend wie dem Laster, weil er nicht vor die falsche Alternative einer asketischen Gerechtigkeit und einer sinnenfrohen Privilegienherrschaft gestellt sein will. In dieser Unentscheidbarkeit bekundet sich Heines Nähe zu dem politisch-moralischen »Zwitterwesen« Mirabeau. Seine Doppelnatur umfaßt das ganze Spektrum der in feindliche Flügel zerfallenen Montagnards und drängt daher zu einer politischen Lösung, die das Postulat der republikanischen Volkssouveränität mit dem einer quasi »aristokratischen« Sinnenlust vermittelt: zur konstitutionellen Monarchie. Die von der Forschung bisher übersehene Spiegelfunktion des MirabeauPortraits wird schließlich noch durch zwei weitere Parallelen bestätigt. Mirabeaus Vorschläge sind von der revolutionären Linken ebenso mißverstanden worden wie Heines promonarchistische Äußerungen im Kreise der Republikaner. »Dieser konstituzionelle Royalismus war es, was dem Leumund des Grafen am meisten geschadet; denn die Revoluzionäre, die ihn nicht begriffen, sahen darin einen Abfall und meinten, er habe die Revoluzion verkauft« (12,149). Heine wehrt sich gegen dieses historische Mißverständnis, um damit zugleich dem irrigen Vorwurf des Renegatentums zuvorzukommen, der ihn, wie er wohl wußte, als Anhänger des monarchischen Prinzips bald selbst treffen würde. Jahre vor dem Börne-Buch, das ihm bekanntlich den Ruf eines »ausgesöhnten Legitimisten« und »Ralliirten« des politischen »Sumpfes«41 eintrug, sah Heine »die Zeit herannahen, wo sie [die Republikaner] mich als Vertheidiger der Instituzion des Königthums noch bitterer befehden werden als Andere« (XXI,31). Mirabeau dient dabei als historisches Exempel - zur Selbsterkenntnis im Medium einer rückwärtsgewandten Prophetie. Schließlich spricht Heine auch über sich selbst, wenn er gegen Ende des eindrucksvollen Portraits auf Mirabeaus Kritik der politischen Extreme eingeht und betont: »Wie ihn aber die Misere der Privilegirten anwiderte, so mußte ihm auch die Roheit der meisten Demagogen fatal seyn, um so mehr, da sie, in jener wahnwitzig debordirenden Weise, die wir wohl kennen, schon die Republik predigten« (12,149). Heine umschreibt damit exakt jenen politischen Zweifrontenkampf, den er selbst gegen die unsoziale Privilegienwirtschaft des Adels und das asketische Gleichheitsansinnen der Republikaner geführt hat. Weil sich die konstitutionelle Monarchie bei diesem Kampf als politischer Kompromiß anbot, vertritt Heine ihn über den Gewährsmann Mirabeau in den 41
Rezension von Karl Gutzkow im »Telegraph für Deutschland« ( D H A 1 1 , S. 321).
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französischen ZuständenZustände< als Manifest des »consequentesten Royalismus«44 lasen, dann muß man die Frage stellen, für wen Heine eigentlich schrieb und ob er wirklich bereit war, sich vermeintlichen Fehldeutungen dieser Art auszusetzen. Die Tatsache, daß durch Heines Voraussage einer republikanischen Staatsordnung in Frankreich die »personale Ich-Aussage des Schriftstellers« und die »Sachaussage« auseinandertreten, läßt sich keinesfalls, wie Morawe meint, als »Dementi-Technik« bewerten, durch die die royalistischen Aussagen relativiert werden. Wie schon in der Kommunismus-Frage gilt auch hier, daß der voraussichtliche Sieg der neuen Idee nichts an der persönlichen »Neigung« zum Alten - dort zum romantischen, hier zum monarchischen Prinzip - ändert. Und schon gar nicht kann man Heines scharfe Kritik am Bürgerkönig Louis Philippe (Artikel I und II) als generelles Dementi des Royalimus deuten. 4 ' Denn diese Kritik richtet sich zwar gegen den heimlichen Absolutismus des sogenannten »roi-citoyen«,*6 nicht aber gegen die Idee einer von absoluti-
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4! 46
Morawe (Anm. 29), S. 24f. »Das konnte unmittelbar und exoterisch kaum so verstanden werden«, räumt Moraw e (ebd. S. 26) in bezug auf Heines raffinierte »Metakommunikation« selbst ein. Karl Gutzkow, >Brief eines Narren an eine Närrin< (1832), zit. n.: Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen, hg. von E. Galley und A. Estermann, Bd. 2, Hamburg 1985, S. 120. Zu Börnes Urteil vgl. D H A 12, S. 668. So bei Morawe (Anm. 29), S. 26f. »Ludwig Philipp zieht einen Graben zwischen sich und dem Volke«, kritisiert Heine (12,84) u n d fügt im zweiten Artikel hinzu: »Eben weil er den absoluten Königen täglich ähnlicher wird, müssen wir ihm grollen.« (12,86) Ludwig Philipp wird also
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stischer Willkür befreiten konstitutionellen Monarchie, an der Heine im Interesse seiner sensualistischen Prinzipien ausdrücklich festhält. »Was Heine in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und mit wechselnden Signaturen (Puritaner, Republikaner, Radikale, Sozialisten, Proletarierherrschaft, Kommunismus) eigentlich ins Auge faßt«, schreibt Wolfgang Preisendanz in einer treffenden Darstellung des Sachverhalts, sei »letztlich, gleichsam als Fluchtpunkt all dieser Erscheinungen«, die Herabwürdigung der Kunst »in der entstehenden Massen- und Industriegesellschaft«, nämlich das ihr drohende Schicksal, »mitsamt allen menschlichen Beziehungen und Verhältnissen vergesellschaftet, nivelliert und reglementiert zu werden«. 4 7 Dieser Aussage ist lediglich das sensualistische Moment hinzuzufügen: Insofern Kunst und Königtum für eine ästhetisch anspruchsvolle Lebensform und luxuriöse Genüsse stehen, bedeutet ihre Herabwürdigung eine Bedrohung des sensualistischen Prinzips. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch Heines problematische Beziehung zur Klasse der Arbeiter, die den kulturellen »Errungenschaften« der von ihm verteidigten »Civilisazion« verständlicherweise kein vitales Interesse entgegenbringen konnten.
2.2 Distanzierung v o m »Pöbel« - Heine und das einfache Volk Heines Elitebewußtsein als Künstler und Intellektueller äußerte sich nicht nur in der Vorliebe f ü r einen »genialen Personalismus« (13,98), sondern auch in einer Abneigung gegen jede engere Berührung mit der ungebildeten Masse des Proletariats. Im Unterschied zu Büchner, den ein tiefes Mitgefühl mit dem einfachen und notleidenden Volk verband, hat Heine »nur ein gespanntes, ja eigentlich gar kein Verhältnis zum Volk besessen«. 48 In einer ästhetischen Abwehrhaltung distanzierte er sich vielmehr von dem als roh, schmutzig und stinkend empfundenen »Pöbel« 49 - ein Wort, das bei Büchner, der sich »in das Leben des Geringsten«,' 0 in den deklassierten und getretenen Woyzeck hineinzuversetzen suchte, nicht zu finden ist. Wo Heine für die Rechte des ausgebeudeshalb von Heine kritisiert, weil er die Prinzipien der konstitutionellen Monarchie politisch nicht umsetzt. 47 W. Preisendanz, Heine, Saint-Simonismus und Kunstautonomie. In: Art social und art industriel. Funktionen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus, hg. von H. Pfeiffer [u.a.], München 1987, S. 153-169, hier S. 161. 48 Hans Boldt, Heine im Zusammenhang der politischen Ideen seiner Zeit. In: Heinrich Heine im Spannungsfeld von Literatur und Wissenschaft. Symposion anläßlich der Benennung der Universität Düsseldorf nach Heinrich Heine, hg. von W. Gössmann und M. Windfuhr, Bonn 1990, S. 65-80, hier S. 72. 49 »Pöbel« (11,37), »rohe Plebs« (15,30), »große rohe Masse« (ebd.) und ähnlich pejorative Wendungen werden von Heine wiederholt zur Bezeichnung des Volkes verwendet. s ° Vgl. das Kunstgespräch in Büchners >Lenz< (Anm. 14), S. 144. 271
teten Volks eintrat, geschah dies eher aus Begeisterung für das universelle, auf die Menschheit insgesamt bezogene Ziel der Emanzipation als aus Sympathie mit dem einfachen Volk und dessen plebejischer Kultur: [...] die Emanzipazion des Volkes war die große Aufgabe unseres Lebens und wir haben dafür gerungen und namenloses Elend getragen in der Heimath wie im Exile aber die reinliche, sensitive Natur des Dichters sträubt sich gegen jede persönlich nahe Berührung mit dem Volke, und noch mehr schrecken wir zusammen bey dem Gedanken an seine Liebkosungen, vor denen uns Gott bewahre! Ein großer Demokrat sagte einst: er würde, hätte ein König ihm die Hand gedrückt, sogleich seine Hand ins Feuer halten, um sie zu reinigen. Ich möchte in derselben Weise sagen: ich würde meine Hand waschen, wenn mich das souveraine Volk mit seinem Händedruck beehrt hätte. (i5,3°f.)
Mit dem »Demokraten« ist Ludwig Börne gemeint, den Heine schon mehrfach verspottet hatte, weil er es als Volksfreund »dahin brachte, die schlimmsten Mistdüfte mit Wonne einzuschnaufen und sich vergnüglich im plebejischen Koth zu wälzen« ( n , 7 i f . ) . Daß die »reinliche, sensitive Natur des Dichters« sich lieber in den Pariser Salons als im »plebejischen Koth« bewegte, und daß Heine es einem »Jan Hagel« (i 5,30), dem einfachen Mann aus dem Volke, nicht zutraute, sein sensualistisch-ganzheitliches Menschenideal zu verwirklichen, daran läßt er nicht den geringsten Zweifel. In den >Geständnissen< stellt er klar, daß der Prozeß der sozialen Gleichstellung nicht als Herabwürdigung der kultivierten Eliten auf das proletarische Niveau, sondern umgekehrt als Emporsteigerung der plebejischen Lebensverhältnisse auf ein höheres, quasi aristokratisches Kulturniveau vonstatten gehen müsse. Damit korrigiert Heine die genuß- und kunstfeindliche Tendenz der kommunistischen Bewegung und erteilt der sozialromantischen Verklärung des niedrigen Volkes, die in den vierziger Jahren durch die Fortsetzung der rousseauistisch-jakobinischen Tradition nach wie vor anzutreffen war, eine dezidierte Absage. Wohl unter direkter Anspielung auf deren irreführende Propaganda erklärt Heine in seinen autobiographischen >GeständnissenGeständnissen< bezeichnet er die
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Hier bestätigt sich die These von Norbert Altenhofer, wonach Heines sensualistische Kritik den »Status einer Tiefenhermeneutik« gewinnt, »in deren Perspektive sich die politischen und konfessionellen Fronten der vergangenen und gegenwärtigen Geschichte zu neuen Konstellationen gruppieren« (N. Altenhofer, Chiffre, Hieroglyphe, Palimpsest. Vorformen tiefenhermeneutischer und intertextueller Interpretation im Werk Heinrich Heines. In: Ders., Die verlorene Augensprache. Uber Heinrich Heine, hg. v. V . B o h n , Frankfurt a.M./Leipzig 1993, S. 1 0 4 - 1 5 3 , hier S. 142).
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radikalen Kräfte als »fanatische Mönche des Atheismus« (15,29) und in einem Artikel für die »Allgemeine Zeitung« vom 15. Juni 1843 vergleicht er die französischen Kommunisten mit der »Ecclesia pressa des ersten Jahrhunderts« (13,100). Dieser Vergleich akzentuiert die spiritualistische Seite der kommunistischen Bewegung. Denn für Heine ist das frühe Christentum untrennbar mit der Abkehr vom dekadenten Lebensstil der römischen Spätantike, vor allem aber mit der Zerstörung der heidnischen Tempel und Kunstwerke verbunden. Insofern sich ihm die genußfeindliche Haltung der jakobinischen Ultras und Kommunisten als Wiederholung dieser historischen Ereignisse erschloß, konnte das spiritualistische Christentum bei allen Differenzen, die zwischen ihm und den frühkommunistischen Ideen lagen, doch modellhaft für deren präsumptive Auswirkungen auf Kunst und Gesellschaft herangezogen werden: Wo er vom Ikonoklasmus der Kommunisten spricht, steht ihm der Bildersturm der frühen Christen vor Augen. Heine ergeht es wie dem Magister Hinrich Kitzler in den >ElementargeisternDantons TodBriefen aus Berlin< und in den >Englischen Fragmenten< noch als einen Freiheitshelden idealisiert und die Jakobiner als die »Bergprediger« gefeiert, »die von der Höhe des Convents zu Paris ein dreyfarbiges Evangelium herabpredigten« (7,266), so weicht dieses Bild unter dem
" Die auf die seelischen oder körperlichen Schwächen des Gegners bezogene Argumentationsstrategie dominiert auch Heines Kritik an dem Sozialistenführer Louis Blanc, von dem es im 2 5. Artikel der >LuteziaFaust II Alteste Urkunde des Menschengeschlechts^ hin. 40 Zur Metaphorik der Schiffahrt vgl. auch Heines Hinweis auf die Gefahr, »im Nebelmeer des absoluten Geistes [unterzugehen]« (11,40), den Passus über das Seeabenteuer seines Helgoländer Wirts (11,45), sowie den Traum, in dem er das kostbar beladene »Schiff« mit großem »Zeitverlust« und unter großer »Anstrengung« über Land, nämlich über »weite Ebenen, Waldsteege, Moorgründe« trägt, obwohl er doch »weit schneller und bequemer gereist wäre«, wenn er »wie ein gewöhnlicher armer Teufel immer zu Fuß gegangen wäre« ( 1 1 , 1 i7f.). 37
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Vgl. auch >ElementargeisterKunstperiodePoesie< und wirklichem Leben charakteristisch ist und die so [...] ein Trugbild >idyllische[r] Ruhe< vermittelt«.
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4· ι Plastizität: Heines Vermittlung im klassisch-romantischen Literaturstreit Die ästhetische Ubersetzung des Sensualismus in formale und stilistische Qualitäten läßt sich am deutlichsten an Heines plastischer, das Konkrete und Anschauliche bevorzugenden Schreibweise nachvollziehen. Im Gegensatz zur Idealität und reflexiven Innerlichkeit der romantischen Poesie hat Heine die sinnliche Gestaltung zu einem Hauptmerkmal seiner Kunst entwickelt. Von der Dichtung fordert er prinzipiell, daß sie ihren geistigen Gehalt in sinnlichen, prägnanten Bildern darstellt: [...] die Künstler sollen ihren Stoff immer plastisch bearbeiten, [...] sie sollen ihn in klaren Umrissen darstellen, kurz: plastische Gestaltung soll in der romantisch modernen Kunst, eben so wie in der antiquen Kunst, die Hauptsache seyn. (8,130)
Bemerkenswert an diesem Postulat ist die enthistorisierende Aufwertung des Plastischen zu einem Wertungskriterium für die Kunst schlechthin. Während Heines Bonner Universitätslehrer August Wilhelm Schlegel das Plastische in seiner Kunsttheorie noch ausschließlich zur Kennzeichnung der antiken Kunst verwendete (»der Geist der gesamten antiken Kunst und Poesie ist plastisch, so wie der modernen pittoresk«),2 macht Heine das Plastische zu einem systematischen Begriff, 3 indem er es zu einer gattungs-und epochenübergreifenden Schreibweise erklärt. Damit wird das vormals zur Unterscheidung von antiker und romantischer Kunst gebrauchte Kriterium des Plastischen selbst für die romantische Kunst zum Qualitätsmaßstab. Dies ist wohl das zentrale Moment von Heines Maxime: Die Forderung nach einer sinnlich-plastischen Gestaltung ist nicht per se antiromantisch, sie schließt die mystische Empfindungsweise der romantischen Dichtung nicht grundsätzlich aus, sondern verleiht ihr eine materielle Basis, die sie vor einer spirituellen Verflüchtigung ins Gestaltlose bewahrt.4 Seinem sensualistischen Synthesekonzept entsprechend vertritt Heine damit eine Kunstauffassung, die sich ebenso gegen den mimetischen Objektivitätsanspruch des Naturalismus wie gegen den Subjektivismus einer alles Reale transzendierenden Phantasie abgrenzt. »In der Kunst bin ich Supernaturalist«, erklärt er in der Schrift französische MalerReise von München nach Genuas in der Heine das Oxymoron als rhetorisches Medium der sensualistischen Totalität einsetzt und den rhythmischen Gang der Trienterinnen zur Metapher seiner eigenen dichterischen Verfahrensweise macht. Der Reisende bewundert 8
H A 2, S. 7. Z u Heines >DivanDivanDie Romantik< aus dem Jahre 1820, der zugleich seine erste Prosaveröffentlichung darstellt. Mit ihr reagierte Heine auf eine antiromantische Satire des Offiziers Wilhelm von Blomberg, welche in einer Beilage zum »Rheinisch-Westfälischen Anzeiger« erschienen war. Obgleich Heine Blombergs Forderung, daß »der wahre Dichter [...] die Idee in eine organische, körperliche, natürliche Form zu kleiden«11 und also plastisch zu verfahren habe, ohne weiteres zustimmen konnte, verteidigt er die romantische Tendenz zum Ubersinnlichen und plädiert für eine Dichtung, die den von A.W. Schlegel gelehrten Gegensatz zwischen »plastischer« und »romantischer« Kunst zugunsten einer dritten Position, die man als konturierte Innerlichkeit oder plastische Mystik bezeichnen könnte, zu vermitteln sucht.12 So rückt er Schlegels Dichotomie in eine historische Perspektive, die den Ubergang vom antiken »Sinnenrausch« zur christlichen »Liebe« zwar als zivilisatorischen Fortschritt präsentiert, letztlich aber dennoch auf eine dialektische Versöhnung der beiden Prinzipien ausgerichtet bleibt.
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D H A 7, S.45; meine Hervorhebungen. »[...] das duftet und glüht darin, wie ein Harem voll verliebter Odalisken mit schwarzen geschminkten Gazellenaugen und sehnsüchtig weißen Armen« (8,160). Zit.n. D H A 10, S.503. Vgl. dazu auch Kuttenkeuler (Anm. 1), S. 34-40.
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Im Alterthum, das heißt eigentlich bey den Griechen und Römern, war die Sinnlichkeit vorherrschend. Die Menschen lebten meist in äußern Anschauungen, und ihre Poesie hatte vorzugsweise das Aeußere, das Objektive, zum Zweck und zugleich zum Mittel der Verherrlichung. Als aber [...] die Menschen anfingen zu ahnen, daß es noch etwas besseres giebt als Sinnenrausch, als die unüberschwenglich beseligende Idee des Christenthums, die Liebe, die Gemüther zu durchschauern begann: da wollten auch die Menschen diese geheimen Schauer, diese unendliche Wehmut und zugleich unendliche Wollust mit Worten aussprechen und besingen. [...] Es mußten jetzt neue Bilder und neue Worte erdacht werden, [...] die, durch eine geheime, sympathetische Verwandtschaft mit jenen neuen Gefühlen, diese letztern zu jederzeit im Gemüthe erwekken und gleichsam herauf beschwören konnten. So entstand die sogenannte romantische Poesie [...]. (io,iNeu-deutsche religios-patriotische Kunst< von Johann Heinrich Meyer zu erinnern, der zwar in erster Linie als Streitschrift gegen das ganze »klosterbrudrisirende, sternbaldisirende Unwesen«' 4 der romantischen Kunst angelegt war, gleichzeitig aber ein Versöhnungsangebot unterbreiten sollte. Wie nicht nur die brieflichen Äußerungen Goethes, sondern auch die konzilianteren Schlußpartien des Aufsatzes bezeugen, war es Goethe und Meyer um eine konstruktive Form der Kritik zu tun, aus der sich Perspektiven für ein weiteres Kunstschaffen ableiten ließen. »Eine Vermittlung«, schreibt Goethe im Juli 1817 an Sulpiz Boisserée, »wird sich um desto eher bilden lassen, als die kleine Schrift, genau besehen, sie schon enthält«.1' Vermutlich spielt er hier auf die am Ende der Schrift formulierte These an, wonach das plastische Kunstprinzip den Bereich seelischer Innerlichkeit keineswegs negieren oder gar destruieren, sondern ihn vielmehr integrieren wolle in die Sinnlichkeit des Kunstwerkes. Das »rein Gemüthliche«, betont Meyer, »kann sich im Heitern, Großen, ja Erhabenen offenbaren, und in diesem Sinne war die griechische Kunst höchst gemüthvoll. [...] Hält man dieses recht fest im Auge, so erscheint auch der Widerstreit zwischen alter und neuer Kunst, zwischen christlicher und hellenischer keineswegs so schreiend als er manchmal angesprochen wird«. 16 Die subjektive Innerlichkeit des »Gemüts« könne auch in einer realitätsnahen und irdisch gesättigten Kunst befriedigt werden. In der Kunstmaxime, die aus diesen Überlegungen resultiert, ist Heines ästhetische Position schon ausgesprochen: »Eben in geschickter Vereinigung des geistig Bedeutenden und des sinnlich Rührenden feiert die echte Kunst ihren Triumph.«17 So wie schon Meyer gefordert hatte, daß das »Gemüth« des »Beschauers« angesprochen, aber »das Auge zugleich wohlthuende Befriedigung« erfahren müsse,18 so verlangt auch Heine, daß das Kunstwerk nicht nur parabolisch erwecken, sondern »an und für sich schon ergötzlich seyn« (10,195) solle. Dieses Postulat bleibt für ihn auch nach der Ubersiedlung ins französische Exil und bis in die letzte Schaffenszeit hinein19 von zentraler Bedeutung: »Es dünkt mich aber des höchsten Setzung mit der romantischen Theorie, Stuttgart/Weimar 1998, S.yyñ. »Vor dem Hintergrund einer auf die Synthese angelegten Konzeption der Brüder Schlegel«, so Boerner (S. 103), »mutet Heines Vorstellung einer Vollendung der klassisch-plastischen und der romantischen Kunst nicht mehr so singular an, wie es in der Forschung gern behauptet wird«. 14 W A 1,48, S.122. " W A IV, 28, S . 1 5 7 . 16 W A I, 49/1, S. 53; meine Hervorhebung. 17 Ebd. S. jof. 18 Ebd. S.50. ' 9 »Heines Forderung nach >plastischen< Bildern durchzieht alle seine kunsttheoretischen Äußerungen, von der frühen Schrift >Die Romantik< bis zu den späten Werken, 306
Preises werth«, erklärt er im Bericht über den Salon von 1831 und greift dabei den elf Jahre zuvor formulierten Gedanken auf, »wenn die Symbole, womit der Künstler seine Idee ausspricht, abgesehen von ihrer innern Bedeutsamkeit, noch außerdem an und für sich die Sinne erfreuen, wie Blumen eines Selams, die, abgesehen von ihrer geheimen Bedeutung, auch an und für sich blühend und lieblich sind und verbunden zu einem schönen Strauße« (12,25). Weist das Kunstwerk in seiner symbolischen Dimension auch auf die geistige »Idee« hin, so garantiert es in seiner sinnlich-konkreten Gestaltung (»Strauß«) doch zugleich einen unmittelbaren ästhetischen Reiz. Goethes Maxime, daß selbst dichterische »Phantasiebilder« »Knochen und Mark«20 haben müssen, findet in Heines Plastizitätspostulat ein deutliches Echo. Heine steht damit (auch über die deutsche Schaffensperiode hinaus) in der ästhetischen Tradition der klassisch-romantischen Versöhnung. Wurde diese Harmonisierungstendenz - zumal im Hinblick auf den dichtungstheoretischen Aufsatz >Die Romantik< - auch schon früher wahrgenommen,21 so hat man sie doch nur selten mit Heines sensualistischem Engagement korreliert.22 Tatsächlich bilden Heines poetologische Aussagen von 1820 die theoretisch profilierteste Vorwegnahme des späteren sensualistischen Konzepts einer Versöhnung von Geist und Materie, sinnlicher und geistiger Welterfahrung. Anders gesagt: Im Bereich der Ästhetik entwickelt Heine die ersten Ansätze zur Überwindung des christlich-cartesianischen Dualismus. Es bedarf keiner tieferen Einsicht, um zu erkennen, daß die Opposition »plastisch«-»romantisch« stellvertretend für den universalen Konflikt zwischen Leib und Seele steht. Kontur, Sinnlichkeit und Objektivität werden als ästhetische Korrelate des Körperlichen seelisch-geistigen Qualitäten (Idee, Unendlichkeit, Seligkeit und Gemüt) gegenübergestellt. Eine künstlerische Vermittlung dieser polaren Existentialien traut Heine nur einer Poesie zu, welche sich formal gegen die spiritualistische Entstofflichung (»verworrene und verschwimmende Bilder«) und inhaltlich gegen reaktionäre und regressive Tendenzen (katholisches Mönch- und Ritter-
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den Tanzpoemen und den letzten Gedichten. Sie macht den konstantesten Teil der Heineschen Kunsttheorie aus und bleibt von allen wechselnden Erwägungen weitgehend unberührt«, konstatiert Maier (Anm. 3), S. 62. H A 12, S.99. Vgl. Maier (Anm. 3), S. 62-69; Kuttenkeuler (Anm. 1), S. 3 j£.; Boerner (Anm. 13), S-98ff. Nach Heines Definition bezweckt der Sensualismus »ein Rehabilitiren der Materie, ohne die Rechte des Geistes, ja nicht einmal die Supremazie des Geistes zu läugnen« (8,49). Exakt diese Vorstellung bestimmt auch die poetologische Aussage des >RomantikAlmansor< hat Heine das Ideal einer plastisch konturierten Romantik noch im selben Jahr künstlerisch umzusetzen versucht. In der programmatischen Vorrede weist er ausdrücklich auf das integrative und harmonisierende Prinzip seiner Dichtung hin: Glaube nicht, es sey so ganz und gar phantastisch Das hübsche Lied, das ich Euch freundlich biete! Hört zu: es ist halb episch und halb drastisch, Dazwischen blüht manch lyrisch zarte Blüthe; Romantisch ist der Stoff, die Form ist plastisch, Das Ganze aber kam aus dem Gemüthe; Es kämpfen Christ und Moslem, Nord und Süden, Die Liebe kommt am End' und macht den Frieden. 2 *
Entspringt das »Lied« auch der dichterischen Phantasie, so ist es als Ausdruck der historischen Wirklichkeit im Spanien der Reconquista doch nicht ausschließlich (»ganz und gar«) phantastisch. Es vereint die Großgattungen Lyrik, Drama und Epik, wie Goethe sie in seiner bekannten Balladendefinition als »Gundarten der Poesie« definiert2' (»drastisch« ist ein zeitübliches Synonym für »dramatisch«). Der gattungsübergreifenden Harmonisierung entspricht die der großen Kunstepochen: klassische Antike (»plastisch«) und christliche Moderne (»romantisch«), deren anthropologische Entsprechung wiederum im kulturellen Konflikt zwischen Nord und Süd codiert ist. Da der Streit zwischen den Familien Zuleimas und Almansors auf einer abstrakteren Ebene den Hader zwischen Sensualismus und Spiritualismus repräsentiert, läßt sich das persönliche Leid der Protagonisten parabolisch auf den universalen Konflikt »zwischen dem Leben im Geiste und dem Geist im Leben« (10,11) beziehen.
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»Deutschland ist jetzt frey; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adelicher Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Frohn zu peitschen, und deßhalb soll auch die deutsche Muse wieder ein frey es [...] Mädchen seyn, und kein schmachtendes Nönnchen, und kein ahnenstolzes Ritterfräulein.« (10,196) D H A 5, S. 8; meine Kursivierung. H A i, S.400.
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Diese parabolische Qualität des Geschehens bildet neben der Idee der »Liebe« und der monologisierenden Introspektion der Protagonisten den romantischen Kern des Dramas, das in seiner szenischen Bilderfülle gleichwohl vollkommen »plastisch« und klar gestaltet ist.26 Die Harmonisierung der gegensätzlichen Kunstprinzipien kann somit als Analogon und Modell der interkulturellen und überkonfessionellen Versöhnung gedeutet werden. Für Heine bleibt das sensualistische Prinzip der plastisch-romantischen Synthese auch während der Arbeit an den >Reisebildern< eine ästhetische Leitvorstellung. Im August 1826, also bereits nach dem erfolgreichen Auftakt der Prosareihe, schreibt er an Friedrich Merckel: Daß D u Kleist jetzt zu lesen beginnst, freut mich. Er hat in höherem Grade, was Dir bey mir gefällt. Er ist ganz Romantiker, will nur das Romantische geben und giebt dieses durch lauter plastische Gestalten, so daß er wieder äußerlich ganz Plastiker ist. (XX,257)
Wie aus der Interpretation der >Harzreise< deutlich wurde, sieht Heine sich zu Recht in der Nähe des für seine plastisch-romantische Dichtkunst gerühmten Kleist. Die intellektuelle Wanderung durch den Harz verlief sowohl als Abgrenzung zur positivistischen Verabsolutierung des Empirischen (im Sinne einer szientistisch-utilitaristischen Objektivität), wie auch als Abgrenzung zur spiritualistischen Verabsolutierung romantischer Innerlichkeit (Ossian-, Werther- und Novalis-Parodie). Nachdem so der Randbereich der unbefriedigenden, da einseitigen Extrempositionen abgesteckt war, konnte Heine zu einer vermittelnden Position fortschreiten, wie er sie in bezug auf das »tiefe Anschauungsleben« (6,96) der Bergarbeiter paradigmatisch entfaltet. Statt das »klare Gold der Anschauung für das Papiergeld der Bücherdefinizionen« (6,97) einzutauschen, leben die Bergleute wie Kinder im geheimnisvollen Einvernehmen mit der sie umgebenden Sinnenwelt: Sie sind offen für die Eindrükke der konkreten Alltagsrealität (»wir hören alles, wir sehen alles«, schreibt Heine über diesen kindlichen Zustand der sinnlichen Wahrnehmungslust), transzendieren diese aber insofern, als sie ihnen einen »Theil« ihrer »Seele« einflößen (6,96). Damit erleben sie sowohl die konkrete Gegenständlichkeit der Sinnenwelt wie - aufgrund der geistigen Kommunikation - deren mystischesoterische Tiefendimension. In einer »Anschauung«, die über die sinnliche Perzeption hinaus auch die kontemplative Intuition einschließt, (zur »intellek-
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M . E . verkürzt Windfuhr den Begriff des >PlastischenAlmansor< mit der Einhaltung der drei »Einheiten« gleichsetzt (vgl. D H A 5, S. 416Í.). Als Kennzeichen einer sinnlich konkreten Kunst geht das Plastische auch in Heines Maurentragödie weit über die klassisch-aristotelische Regelpoetik hinaus. Das Prinzip »ergötzlicher« Sinnfälligkeit, als das das Plastische zu fassen ist, wirkt sich hier sowohl auf Kolorit, Szene und Kostüme wie auf zentrale Vorstellungskomplexe (das himmlische Paradies) und die Sprache (Metaphorik) aus. 309
tualen Anschauung« s.o. S. 63), verdichtet sich dieser doppelte Weltbezug in mustergültiger Weise. Das »klare Gold der Anschauung« wird, um im semantischen Feld des Geldes zu bleiben, zu Heines ästhetischer Währung, weil es in seiner Doppelqualität (seiner materiellen wie magischen Bedeutung) die sensualistische Utopie einer Versöhnung von Geist und Materie künstlerisch zur Geltung bringt. Diesbezügliche Ansätze hat Heine in den >Reisebildern< mehrfach entwickelt: Dem arabesken Zusammenspiel von Gemüts- und Erscheinungswelt (Ilsen-Episode), aber auch dem synkretistischen Portrait der schönen Spinnerin und dem oxymorischen Bewegungsrhythmus der Trienterinnen in der >Reise von München nach Genua< sind jeweils poetologische Modelle eingeschrieben, die zumindest auf ästhetischem Gebiet eine Uberwindung des Leib-Seele-Konflikts zu leisten vermögen. Ist Heine auch ein Dichter der »Zerrissenheit«, der es sich gegen die »Kunstperiode« zur Aufgabe macht, jede »Nachahmung« von Ganzheit als »Lüge« (7,95) zu entlarven, so entwickelt er doch parallel dazu Modelle einer sensualistischen Ästhetik, die diese Zerrissenheit im Blick auf eine psychophysische Ganzheit bewältigt. Ohne diesen Anspruch hätte er der Kunst kaum die Kraft eines »Heilmittels« im Kampf gegen den Spiritualismus zuschreiben können. Indem sie sich durch Plastizität ihrer materiellen Basis versichert und das Kriterium der Sinnfälligkeit erfüllt, sich von hier aus aber einer tieferen - mystischen - Anschauung öffnet, kann die Kunst zum Modell der utopischen Versöhnung werden. Daß Heine das Prinzip der plastischen Gestaltung selbst meisterhaft beherrscht hat, ließe sich an zahllosen Beispielen belegen. Seine Sprache gewinnt durch den großen Reichtum an Bildern und Metaphern eine Aussagekraft, welche selbst abstrakteste Zusammenhänge vermitteln kann, ohne dabei je auf theoretisches Gebiet ausweichen zu müssen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Darstellung der historischen Wende vom heidnischen Polytheismus zum Christentum. Indem Heine den griechischen Polytheismus als schmausende Götterrunde vorführt, die Szene farbenprächtig ausmalt und das spiritualistische Christentum in der Gestalt eines bluttriefenden Juden vergegenwärtigt (s. o. S. 191 ), läßt er vor dem Auge des Lesers ganze Bildkomplexe entstehen, die in ihrer Schärfe und Eindringlichkeit eine theoretische Erörterung des Themas gänzlich erübrigen. Dasselbe Verfahren wird in der Kant-Besprechung der Philosophie-Schrift wirksam. Gerade auch in diesem Werk verfügt Heine meisterhaft über die Fähigkeit, die für ein breites Publikum schwer nachvollziehbare Philosophie des deutschen Idealismus sinnfällig zu verdeutlichen. Um etwa zu erklären, wie Kant von der Kritik des Metaphysischen zu den »praktischen Postulaten« von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit kommt, bettet er den zu vermittelnden Gedanken in wechselnde, wiederum szenisch arrangierte Situationen ein.
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Kant [...] hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es giebt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, [...] die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten Zügen - das röchelt, das stöhnt - und der alte Lampe [Kants Diener] steht dabey mit seinem Regenschirm unterm Arm als betrübter Zuschauer und Angstschweiß und Thränen rinnen ihm vom Gesichte. D a erbarmt sich Immanuel Kant [...] und halb gutmüthig und halb ironisch spricht er: >der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich seyn [...].< [...] Hat vielleicht Kant die Resurrekzion [...] bloß des alten Lampe wegen [...] unternommen? [...] E r handelte da fast eben so weise wie mein westphälischer Freund, welcher alle Lanternen auf der Gronerstraße zu Göttingen zerschlagen hatte, und uns nun dort, im Dunkeln stehend, eine lange Rede hielt über die praktische Nothwendigkeit der Lanternen, welche er nur deßhalb theoretisch zerschlagen habe, um uns zu zeigen, wie wir ohne dieselben nichts sehen können. (8,89^)
Bei diesen Beispielen (religiöse Zeitenwende und Begründung der »praktischen Postulate«) dienen in erster Linie die szenische Visualisierung und die illustrierende Rückbindung komplexer Gedanken an Körper und Physiognomien einzelner Figuren zur sinnlichen Konkretisierung. Portrait und Allegorie gehören in Heines Werk denn auch zu den wichtigsten Techniken der plastischen Verfahrensweise. Wo es darum geht, philosophische Ideen, epochale Tendenzen oder anthropologische Muster zu beschreiben, greift Heine in der Regel auf repräsentative Einzelpersonen zurück, die sich ihm aufgrund ihrer ins Extreme oder gar karikaturesk gesteigerten Wesenszüge als Demonstrationsobjekt anbieten. Dies können sowohl historische wie fiktive Personen sein. U m etwa den Gegensatz zwischen Spiritualismus und Sensualismus bzw. Geist und Materie zu veranschaulichen, hat Heine sich wiederholt des Figurenpaars Don Quixote und Sancho Pansa bedient. Aber auch andere Figuren erhalten eine allegorische Funktion: Der schöne Tambourmajor Le Grand verkörpert die irrationale, vorzüglich ästhetisch vermittelte Revolutionsbegeisterung, und Napoleon wird als »menschgewordene Revoluzion« ( 1 1 , 1 4 2 ) mit dem Weltgeist identifiziert. Für die wissenschaftliche Entzauberung der Natur steht der ausgemergelte »Vernunftdoktor« Saul Ascher aus der >HarzreiseBuch Le GrandReise von München nach GenuaRomanzero< personifizieren »Frau Unglück« (3,78) und »Frau Sorge« (3,1 ijf.), aber auch die historische Gestalt Karls I., letztere als Symbolfigur für das Königtum und die alte Ordnung, 27 eine problematische Grunderfahrung.
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Z u Heines kontinuierlicher Beschäftigung mit Karl I. vgl. den Kommentar von Destro ( D H A 3, S. 597-602).
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Heines Technik der Allegorisierung oder Personalisierung hat aber über die ästhetische hinaus auch eine ideologiekritische Funktion, kann die Beschreibung bestimmter Physiognomien doch an sich schon entlarvend wirken. 28 Oft nutzt Heine die Personenbeschreibung auch zur spiegelbildlichen Selbstdarstellung oder zur intellektuellen Abgrenzung. Er »gehört zu den Dichtern«, so Mende, »die das Allgemeingültige ihrer Welterfahrung vorzugsweise in Urteilen über andere Menschen zum Ausdruck bringen«.29 Heines Portraitkunst ist auch deshalb auffällig virtuos und elaboriert - und nicht zuletzt ihretwegen gewinnen seine Texte einen so hohen Grad an plastischer Anschaulichkeit. 4.2 Subjektivität und (Kunst-)Autonomie Ein zweiter wichtiger Leitbegriff in Heines sensualistischer Ästhetik ist die Subjektivität. In Anlehnung an die Sturm und Drang-Dichtung, mit deren antirationalistischer Rebellion die Literatur der Jungdeutschen oft verglichen wurde, kultivieren Autoren wie Heine, Gutzkow und Wienbarg eine provozierende, das Erotische und Sexuelle betonende Subjektivität, um ihrer Forderung nach sinnlicher Emanzipation Ausdruck zu verleihen. Wenn Heine in seinen >Reisebildern< den Erzählvorgang durch die subjektive Willkür eines frei assoziierenden Erzähler-Ichs organisieren läßt und damit alle Gattungskonventionen sprengt oder wenn er in dem Gedichtzyklus >Verschiedene< über vierzig erotische Gedichte aneinanderreiht, in denen das lyrische Ich seine amourösen Erfahrungen mit Angelique, Diana, Hortense, Ciarisse, Marie und manch anderer reflektiert, so wird dieser radikale Anspruch auf Subjektivität und sinnliche Selbstbefreiung zumindest poetisch weitgehend erfüllt. Wo Kunst zur Uberwindung der spiritualistischen Sinnenfeindlichkeit beitragen soll, muß sie nach Heines Auffassung »mit Farben und Klängen f...] die selbsttrunkenste Subjektivität, die weltentzügelte Individualität, die gottfreye Persönlichkeit mit all ihrer Lebenslust [...] geltend machen« (12,47), d.h. im Gegenzug zur klassischen Dämpfung und Affektkontrolle die sittlichen Normen der restaurativen Gesellschaftsordnung außer Kraft setzen. Auffällig an dieser 1831 formulierten Position ist die demonstrative Ineinssetzung von Subjektivität und
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Dem Grundsatz folgend, daß es »nur zwey Menschensorten« gibt, »die mageren und die fetten« (11,32), entwirft Heine mit wenigen Strichen das Portrait des Nazareners. So heißt es über Börne: »Das bischen Fleisch, das ich früher an seinem Leibe bemerkt hatte, war jetzt ganz verschwunden [...]. Aber das Mitleid überwog, wenn er aus dem weiten Aermel die [...] abgemagerte Hand zum Gruße [...] ausstreckte.« (11,59). Ahnlich entlarvend ist das Portrait Saul Aschers in der >HarzreiseSubjektivitätIndividualität< und >Persönlichkeit< werden mit bacchantischen Genußfreuden, nämlich mit Trunkenheit (Rausch), Zügellosigkeit und Lust assoziiert. Dahinter steht ein Konzept von Subjektivität, das mit träumerischer Introspektion, dem romantischen »Weg nach Innen«, nur wenig gemein hat. Subjektivität versteht sich hier vielmehr als ein Moment sinnlicher Opposition. N u r die überzogene Behauptung seiner emotionalen und physischen Bedürfnisse ermöglicht es dem Subjekt der biederen Restaurationsära, sich der herrschenden spiritualistischen Moral zu erwehren. Solange die Prinzipien der neuen Kunst noch nicht entwickelt sind und es vorerst gilt, sich von den alten Prinzipien der »Kunstperiode« zu distanzieren, befürwortet Heine das provozierende Extrem einer bacchantisch-orgiastischen Zügellosigkeit. 3 0 Ein dominantes Kriterium seiner sensualistischen Ästhetik kann es jedoch schon deshalb nicht sein, weil es den hedonistischen Aspekt reaktiv überzeichnet. Die »weltentzügelte Individualität«, wie Heine den hedonistischen Subjektivismus nennt, hat hier eher den Charakter eines kompensatorischen »Gegengifts« und will darum auch nicht mehr als eine Zwischenlösung darstellen. Subjektivität verbürgt aber nicht nur ein höheres Maß an Sinnlichkeit, sondern auch ein höheres Maß an Authentizität, sofern es Einblick gewährt in die tatsächlichen Beweggründe individuellen Handelns und Denkens und nicht etw a durch den vermeintlich objektiven Weltbezug das Eigene als »normal« oder »real« zu legitimieren strebt. In der Börne->Denkschrift< begreift Heine das »beständige Constatiren« seiner »Persönlichkeit« als das »geeignetste Mittel ein Selbsturtheil des Lesers zu fördern« ( 1 1 , 1 1 9 ) , womit er in einer dialektischen Volte das Subjektive selbst zum Maßstab einer transparenten und eben »objektiven« Darstellung macht. Schließlich ist Heines Festhalten am Autonomieprinzip der Kunst als dritte und vielleicht wichtigste Konsequenz seiner subjektiven Schreibweise zu verbuchen. »Nur der eignen Lust gehorchend«, - also nach Maßgabe der eigenen, subjektiven Bedürfnisse und Impulse - »tummelt sich im Fabelreiche mein geliebter Pegasus«, 3 1 erklärt der Dichter in Caput III des > Atta Troll·. Der lustvollen Freiheit des emanzipierten Subjekts entspricht hier die wilde Fabulierlust der dichterischen Phantasie. Sie weiß sich keiner anderen Instanz verpflichtet als der individuellen schöpferischen Freude. - Daß Heine ein »Apologet der
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° Heine betont das Vorläufige dieses Prinzips, wenn er erklärt: »die neue Zeit wird auch eine neue Kunst gebären, die mit ihr selbst in begeistertem Einklang sein wird, die nicht aus der verblichenen Vergangenheit ihre Symbolik zu borgen braucht«. »Bis dahin«, so Heines temporale Einschränkung, die zugleich erkennen läßt, daß es sich im folgenden nicht um diese neue Kunst handelt, »möge [...] die selbsttrunkenste Subjektivität, die weltentzügelte Individualität sich geltend machen« ( 12,47). JI DHA 4, S. 17; meine Hervorhebung. 31Î
Kunstautonomie«32 gewesen sei, ist eine These, die gleichwohl lange umstritten blieb und sich erst durch differenzierende Abgrenzungen gegenüber der französischen l'art pour l'art-Bewegung durchsetzen konnte. »Das Plädoyer für Kunstautonomie bedeutet bei ihm kein Manifest des hermetischen Asthetizismus«, hat der koreanische Heine-Forscher Takanori Teraoka diese Position jüngst noch einmal stellvertretend zusammengefaßt. »Es ist vielmehr im ästhetischen Projekt der Moderne verankert, dem Versuch, die Kunst von religiösmoralischen und politisch-staatlichen Instanzen zu befreien.«35 Wie schon betont, kann die Kunst überhaupt erst durch die Demonstration ihrer »selbsttrunkensten« Subjektivität und Autonomie zum Modell einer allgemeinen Emanzipation werden und ihr soziales Analogon anmahnen. Um dieses poetologische Paradoxon einer engagierten Autonomie adäquat zu beschreiben, hat man Heines Forderung nach der Eigengesetzlichkeit der Kunst als »relative Autonomie«34 bezeichnet, oder - im Rekurs auf Kants >Kritik der Urteilskraft - vom Prinzip einer nur auf den Gegenstand der Kunst bezogenen »Heautonomie«35 gesprochen, aus der sich im Unterschied zur französischen »poésie pure« kein Anspruch auf eine absolute »zweite Welt« ergebe.36 Die so verstandene Autonomie der Kunst ist für Heine integraler Bestandteil und damit schon immer Ausdruck der Freiheit, die auf gesellschaftlicher Ebene erst noch erkämpft werden muß. Eine Kunst, die keinen anderen Prinzipien unterworfen ist als der schöpferischen Lust der »gottfreye[n] Persönlichkeit«, ist bereits Kennzeichen gelungener Emanzipation. In einem Brief an Karl Gutzkow vom 23. August 1838 formuliert Heine den schon zitierten »Wahlspruch«: »Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe, und gar das Leben
' 2 W. Preisendanz, Heine, Saint-Simonismus und Kunstautonomie. In: Art social und art industriel. Funktionen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus, hg. von H . Pfeiffer [u.a.], München 1987, S. 1 5 3 - 1 6 9 , hier S. 153. " T . Teraoka: Plädoyer für Kunstautonomie in Heines Briefen an Gutzkow. In: A u f klärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag, hg. von J . A . Kruse [u.a.], Stuttgart/Weimar 1999, 8.464-474, hier S.464. 34 Sabine Bierwirth, Heines Dichterbilder. Stationen seines ästhetischen Selbstverständnisses, Stuttgart/Weimar 1995, S. 22. »Bei dem Begriff Autonomie ist Vorsicht geraten, denn Heines Eigengesetzlichkeit besitzt nicht die Bedeutung des Autonomiebegriffs von heute, der im Sinne des l'art pour l'art jeden Realitätsbezug oder die Vorstellung von Engagement abweist und Kunst als übergreifende Sinngebung des Lebens versteht« (ebd.). M
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Vgl. Preisendanz (Anm. 32), S. i66f. »Heautonomie meint [...] gesetzgebend zu sein, nicht in Ansehung eines objektiven Gegenstandsbereichs (etwa der Natur oder der Sitten), sondern in Ansehung von sich selber als subjektivem Vermögen«, erläutert Preisendanz (ebd.) den auf Heine übertragenen Begriff. »Heines Behauptung der Autoteile bestreitet nicht die aus dem jeweiligen >Sitz im Leben< resultierende kulturelle und soziale Funktion als gleichwohl heautonomer.« (Preisendanz, ebd., S. 167.)
selbst der Z w e c k des Lebens ist.« 37 Man ginge eindeutig fehl, wollte man diese Devise als Rückzug in einen desengagierten Ästhetizismus werten. 3 8 Vielmehr läßt der verallgemeinernde Vergleich mit der Liebe und dem Leben darauf schließen, daß hier mehr als eine poetologische Frage, nämlich eine prinzipielle Haltung dem Leben gegenüber gemeint ist, die sich am ehesten als antiteleologisch charakterisieren läßt. Heine argumentiert von einer naturphilosophischen Position aus gegen die Entfremdung des Menschen in einer mechanisierten Welt, die das Leben zugunsten des jeweils anvisierten Telos stets neuen Bindungen unterwirft und damit letztlich zu entwerten droht. Wie sehr es sich hier um ein epochenspezifisches Gefühl der Bedrohung handelt, mag daraus erhellen, daß zur selben Zeit auch Georg Büchner sich intensiv mit dem teleologischen, den Menschen instrumentalisierenden Weltbild der Moderne auseinandersetzt. In seiner Zürcher Probevorlesung kritisiert er den »teleologischen Standpunkt« der modernen Naturwissenschaft mit dem Einwand: Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sie reibt sich nicht in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt; sondern sie ist in allen ihren Äußerungen sich unmittelbar selbst genug. Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da. 35 Diese Kritik kann sich freilich auch auf das christlich-eschatologische Telos beziehen, sofern es den Menschen um seine diesseitigen Entfaltungsmöglichkeiten bringt. Das sensualistische Valeur, das in Heines antiteleologischer Kritik mitschwingt, ergibt sich aus der Verteidigung der diesseitigen Lebens- und Glücksansprüche. Hat Heine seinen Unmut über den utilitaristischen Geist der Moderne seit der >HarzreiseUber die französische Bühnec »[...] ich bin für die Autonomie der Kunst; weder der Religion, noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst.« (12,259) Wenn Friedrich Sengle (Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld von Restauration und Revolution 1815-1848, Bd. 1, Stuttgart 1971, S. 194) Heines Autonomieforderung als Beleg dafür wertet, daß »das vielzitierte Wort von der überholten >Kunstperiode< nicht überbetont werden darf«, so weil er das emanzipatorische Potential verkennt, das diese Autonomie in einer Zeit zunehmender politischer und moralischer Instrumentalisierung darstellt. G. Büchner, Werke und Briefe, hg. von K. Pörnbacher [u.a.], München 2 i98o, S.260. Schon in dem Schulaufsatz >Uber den Selbstmord< schreibt Büchner (ebd. S. 36): »Die Erde wird nämlich hier ein Prüfungsland genannt; dieser Gedanke war mir immer sehr anstößig, denn ihm gemäß wird das Leben nur als Mittel betrachtet, ich glaube aber daß das Leben selbst Zweck sei, denn: Entwicklung ist der Zweck des Lebens, das Leben selbst ist Entwicklung, also ist das Leben selbst Zweck.« Vgl. DHA 6, S. I05Í.: »[...] ein wohlgenährter Bürger von Goslar machte mich [...] aufmerksam auf die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in der Natur. [...] So lange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur entzaubert, sobald er aber wieder fort war, fingen die Bäume wieder an zu sprechen [...].«
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die »Rumfordsche Suppe der Nützlichkeit« ( 1 1 , 1 2 9 ) und das industrialisierte England mit seinen »mechanischen« Lebensformen 4 ' wandte, so bildet sein fragmentarischer Essay Verschiedenartige Geschichtsauffassung< den eigentlichen Höhepunkt dieser Kritik. Ahnlich wie Büchner erklärt Heine darin: [...] wir fühlen uns wichtiger gestimmt, als daß wir uns nur als Mittel zu einem Zweck betrachten möchten; es will uns überhaupt bedünken, als seyen Zweck und Mittel nur konvenzionelle Begriffe, die der Mensch in die Natur und die Geschichte hineingegrübelt, von denen aber der Schöpfer nichts wußte, indem jedes Erschaffniß sich selbst bezweckt und jedes Ereigniß sich selbst bedingt, und Alles, wie die Welt selbst, seiner selbst Willen da ist und geschieht. - Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht. Das Leben will dieses Recht geltend machen [...], und dieses Geltendmachen ist die Revoluzion. (10,302)
Heine überträgt nun, und damit wird die politisch-soziale Dimension seiner ästhetischen Forderung erkennbar, das Prinzip der Selbstbezüglichkeit auf den Bereich der Kunst - sie soll das als ein Recht begriffene Leben in der hier dargelegten Weise »geltend machen«. Dies kann sie aber nur, wenn sie ihre Autonomie gegen jede politische Vereinnahmung behauptet. Im Versepos >Atta Troll·, das eine fulminante Absage an die zeitgenössische Tendenzdichtung enthält, hat Heine das Recht auf Autonomie eindeutig festgeschrieben: Traum der Sommernacht! Phantastisch Zwecklos ist mein Lied. Ja, zwecklos Wie die Liebe, wie das Leben, Wie der Schöpfer sammt der Schöpfung! N u r der eignen Lust gehorchend, Galoppirend oder fliegend, Tummelt sich im Fabelreiche Mein geliebter Pegasus. Ist kein nützlich tugendhafter Karrengaul des Bürgerthums, Noch ein Schlachtpferd der Parteywuth, Das pathetisch stampft und wiehert! (4,17)
Der aus sich selbst heraus gerechtfertigten Natur des Menschen mitsamt ihrem sinnlichen Glücksverlangen und ihrem Recht auf freie, allseitige Entfaltung trägt Heines Kunst Rechnung, indem sie jede politische Instrumentalisierung ablehnt. Seine Forderung nach einer autonomen Kunst entspringt weder dem zeitgenössischen Rückzugsbedürfnis in den Elfenbeinturm noch der Verachtung für alles Politische, sondern dem emanzipatorischen Engagement eines auf seine spezifischen Möglichkeiten bedachten Dichters. 41
»England müßte man eigentlich im Style eines höheren Handbuchs der Mechanik beschreiben«, heißt es im 4. Artikel der französischen ZuständeSchnabelewopski< den holländischen Maler Jan Steen, »daß auf dieser Erde ewig Kirmes seyn sollte; er begriff, daß unser Leben nur ein farbiger Kuß Gottes sey, und er wußte, daß der heilige Geist sich am herrlichsten offenbart im Licht und Lachen« (5,182). Durch seine entkrampfende und enthemmende Wirkung verschafft das Lachen ein körperliches Wohlbefinden; es ist sowohl therapeutisches Mittel wie demonstrativer Beleg für eine freie und genußvolle Sinnlichkeit. Rebellion und Vergnügen, Aufklärung und Lust bilden im Gelächter eine subversive Einheit. Bei Heine hat das Lachen allerdings sehr verschiedene Funktionen. Lachend inszeniert und genießt er wie Jan Steen die sinnlichen Freuden des Lebens, lachend bringt er aber auch seine tiefe Verzweiflung über die absurde »Lächerlichkeit« seines Tuns zum Ausdruck. 43 Unabhängig davon, ob man Heines Gelächter als fröhlich oder melancholisch qualifiziert, kann man wohl sagen, daß bei keinem anderen deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts - von Jean Paul einmal abgesehen - der Witz, die komische Pointe und die humoristische Wendung eine so zentrale Rolle spielen wie bei Heine. 44 Noch bis in die letzten leidvollen Lebensjahre hinein hat er seiner Dichtung jene spielerische Leichtigkeit verliehen, die als unverwechselbarer Heine-Ton in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Was diesen Ton jedoch von der Oberflächlichkeit des bloß Scherzhaften unterscheidet, ist das darin anklingende Problembewußtsein. Der Ubergang vom Erhabenen zum Komischen und von der Krise zum Gelächter wird hier gewissermaßen spielend bewerkstelligt. »Je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muß man ihn behandeln« (7,256), lautet eine entsprechende, die Tiefendimension seines Humors enthüllende Maxime. Im >Buch Le Grand« zitiert Heine ein Napoleon-Wort aus dem Jahre 1812, um die Komisierung des Schmerzes zu akzentuieren:
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44
Vgl. dazu das Kapitel Ärmlichkeit und Sinn - Lachen und Lächeln in Heines >Schnabelewopski« von Margarete Galler, »Lachen und Lächeln« in poetischen Texten, Frankfurt a.M. 1997, S. 1 1 1 - 1 3 4 . Z u der bei Heine rekurrenten »Figur vom Lachen über die eigenen Schmerzen« vgl. die motivgeschichtliche Arbeit von Walter Höllerer, Zwischen Klassik und Moderne. Lachen und Weinen in der Dichtung einer Ubergangszeit, Stuttgart 1958, S. 58-99. Z u r Begriffsbestimmung von >Humor< bei Heine vgl. W . Preisendanz, Die umgebuchte Schreibart. Heines literarischer Humor im Spannungsfeld von Begriffs-, Form- und Rezeptionsgeschichte. In: Ders., Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge, München ^198 j , S. 1 3 1 - 1 5 7 . Preisendanz versucht hier das etablierte Bild von Heine als dem »Ironiker« im Hinblick auf die humoristischen Elemente seiner Schreibart zu korrigieren.
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Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas, Madame! Aber das Leben ist im Grunde so fatal ernsthaft, daß es nicht zu ertragen wäre ohne solche Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen. Das wissen unsere Poeten. Die grauenhaftesten Bilder des menschlichen Wahnsinns zeigt uns Aristophanes nur im lachenden Spiegel des Witzes, den großen Denkerschmerz, der seine eigne Nichtigkeit begreift, wagt Goethe nur in den Knittelversen eines Puppenspiels auszudrükken, und die tödtlichste Klage über den Jammer der Welt legt Shakespeare in den Mund eines Narren, während er dessen Schellenkappe ängstlich schüttelt. (6,200)
Heines Witz ist demnach auch Ausdruck einer tieferen Verzweiflung, die sich nicht mehr im unglaubwürdig gewordenen Pathos einer phrasenhaften Rhetorik mitteilen will und deshalb nur in ein tragisch grundiertes Gelächter über den »menschlichen Wahnsinn« ausbrechen kann. Sein Hohn- und Spottgelächter ergibt sich aus einer unleugbar gewordenen Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit, welche nur noch durch Ironie, Witz und Humor zu überbrücken ist. 45 Heines spöttischer Humor ließe sich daher mit Jean Paul als das »umgekehrte Erhabene« 46 bestimmen - als ein Versuch, den schmerzlichen Verlust auf komische Weise zu verarbeiten und den Humor selbst als einen Wert zu begreifen: Und wenn das Herz im Leibe ist zerrissen, Zerrissen, und zerschnitten, und zerstochen, Dann bleibt uns doch das schöne gelle Lachen. 4 7
Drückt dieses Lachen auch in erster Linie Schmerz und Trauer aus, so ist doch entscheidend, daß Heine seine Verzweiflung auf unverbissene, leichte und elegante Weise behandelt. Das Heiter-Belustigende ist, und zwar auch noch dort, w o es sich auf das eigene Unglück und Leid bezieht, ein wesentlicher Bestandteil seiner sensualistischen Ästhetik. Heine-Leser eint bei allen Kontroversen, die der streitbare Autor hervorruft, die Erfahrung einer lustvollen Lektüre, die selbst in den schwierigen und düsteren Bereichen das Jokose nie ganz verläßt. Heines poetische Gestaltung des Schmerzes trotzt diesem gleichsam in ihrer leichten, lustvollen Form. 48 Jan-Christoph Hauschild vermutet, daß Heines
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»Die Wahrheitsfrage«, so beschreibt Preisendanz das Problem, »erzwingt Ironie als Tiefenstruktur der poetischen Vermittlung von Leben und Dichten, und diese Ironie bedeutet die Kapitulation vor einer Wirklichkeit, in der sich die poetischen Vorstellungen nicht halten lassen. Idealität läßt sich nur ironisch realisieren, Realität nur ironisch idealisieren«. (W. Preisendanz, Der Ironiker Heine. Ambivalenzerfahrung und kommunikative Ambiguität. In: Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile, hg. von G. Höhn, Frankfurt a.M. 1991, S. 1 0 1 - 1 1 5 , hier S. 103.)
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Jean Paul, Werke, hg. von N. Miller, München 1960-1963, Bd. 5 (>Vorschule der AsthetikBuch der LiederAesthetik< des Göttinger Universitätslehrers Friedrich Bouterwek geprägt wurde,49 der das Heitere als ein Hauptmerkmal der »poetischen Anschauung« begriff: »In der poetischen Anschauung hebt sich der freie Geist zwar nicht über das Irdische, aber über alles Aengstliche, Drückende und Peinigende des wirklichen Lebens empor. Poetische Anschauung ist immer eine Lust.« s ° Im Hinblick auf diese emanzipatorische »Lust« entsprechen Heines Humor und das Gelächter seiner Erzähler-Masken auch noch in den tragisch grundierten Partien seines Werkes einer sensualistischen Poetik. Nach siebenjähriger Qual in der »Matratzengruft« hat Heine in einem Gedicht aus dem >LazarusRomanzero< beklagt, daß Gott ihm, dem »fröhlichsten Dichter«, jetzt »seine gute Laune« raube. Nichts vermag Heines humorvolles Wesen treffender zu bezeichnen, als daß er auch diese Klage mit verblüffender Leichtigkeit vortragen konnte: Der Schmerz verdurapft den heitern Sinn Und macht mich melancholisch; Nimmt nicht der traurige Spaß ein End, So werd' ich am Ende katholisch. Ich heule dir dann die Ohren voll Wie andre gute Christen O Miserere! Verloren geht Der beste der Humoristen! (3,349)
4.4 Zusammenfassung Konnten Plastizität, Anschaulichkeit, Autonomie, Subjektivität und Humor auch als Leitbegriffe einer spezifisch »sinnlichen« Ästhetik qualifiziert werden, so bleibt doch daran zu erinnern, daß Heines Dichtung im Sinne einer utopischen Synthese-Vorstellung, derzufolge sich Geist und Materie versöhnen lassen, einen ganzheitlichen Weltbezug anstrebt. »Selbsttrunkenste Subjektivität« und »weltentzügelte Individualität« waren nur die Forderungen für eine Kunst der Ubergangszeit, die auf das »todte Scheinwesen der alten Kunst« reagierte, langfristig aber am Ziel einer ganzheitlichen Daseinsform festhielt. Für die Dichtung war dieses Ziel erst dann zu erreichen, wenn auch sie den weltanschaulichen Grundkonflikt zwischen Spiritualismus und Sensualismus endgül-
tion Anlaß gäbe, daß man sich vermittels der humoristischen Einstellung über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinweg setzt. In solcher Sicht bedeutet der Humor nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse durchsetzt und behauptet.« (W. Preisendanz, Die Gedichte aus der Matratzengruft. In: Ders., Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge, München ^ 9 8 3 , S.99-130, hier S. 122.) 45
Vgl. Kommentar D H A 10, S. 395, 505 u.ö. Zit. n. D H A 10, S.525. 3J9
tig überwunden hatte. Heine hat wiederholt darauf hingewiesen, daß nur die Dichtung wahrhaft poetisch sei, die diesen Dualismus in ein harmonisches Verhältnis überführen bzw. das Spirituelle und Materielle in ein inneres Gleichgewicht bringen kann. Es wäre also falsch, Heines sensualistische Ästhetik ausschließlich als Orientierung am Materiellen und Plastischen zu verstehen. Heine vertritt vielmehr die Ansicht, daß ein Sieg des Sensualismus (im pejorativen Begriffssinn einer einseitigen Betonung des Sinnlichen) für die Lyrik ebenso negative Auswirkungen hätte wie die Dominanz des romantischen Spiritualismus zur Zeit der Kunstperiode. Die dialektische Ausgleichsbewegung vorhersehend, die eine Austreibung des Geistes aus der Lyrik zwangsläufig hervorrufen würde, schreibt er in einer aus dem Nachlaß überlieferten Note: Unsere Lyrik [die romantische Lyrik in Deutschland, O . H . ] ist ein Produkt des Spiritualismus, obgleich der Stoff sensualistisch - : die Sehnsucht des isolierten Geistes nach Verschmelzung mit der Erscheinungswelt: to mingle with nature - Mit dem Sieg des Sensualismus muß diese Lyrik aufhören, es entsteht Sehnsucht nach dem Geist: Sentimentalität, die immer dünner verdämmert, nihilistische Pimperlichkeit, hohler Phrasennebel [...]. (B 11,649)
Daß auch der »Sieg des Sensualismus« Heines Dichtungsideal nicht einlösen würde, ist wiederum auf seine Einseitigkeit zurückzuführen. Denn insofern dieser Sieg nun umgekehrt die »Sehnsucht nach dem Geist« hervorruft, bewirkt er gerade nicht die von Heine angestrebte Versöhnung geistiger und sinnlicher Bedürfnisse, sondern lediglich den Durchbruch eines insgesamt unbefriedigenden Materialismus. Sein Produkt, die Sentimentalität, wäre das Symptom eines neuen Ungleichgewichts, und zwar das eines ideellen Ungenügens: Der Materialist trägt nemlich in der Seele das dämmernde Bewußtseyn, daß [...] in der Welt nicht Alles Materie ist; wenn ihm sein kurzer Verstand die Materialität aller Dinge noch so bündig demonstrirt, so sträubt sich doch dagegen sein Gefühl; es beschleicht ihn zuweilen das geheime Bedürfniß, in den Dingen auch etwas Urgeistiges anzuerkennen; und dieses unklare Sehnen [...] erzeugt jene unklare Empfindsamkeit, welche wir Sentimentalität nennen. Sentimentalität ist die Verzweiflung der Materie, die sich selber nicht genügt und nach etwas Besserem, ins unbestimmte Gefühl hinausschwärmt. (12,247)
Heine hat beide Formen des Ungenügens in seiner Dichtung zum Ausdruck gebracht. Zwischen sinnlichem Emanzipationsstreben und romantischer Sentimentalität, oder anders gewendet: Zwischen spiritualistischer Weltabkehr und materialistischer Weltentzauberung hat er nach einer gültigen Position der Mitte gesucht. Das Oszillierende seiner nach beiden Seiten polemisierenden Dichtung scheint darauf hinzudeuten, daß er diese Position trotz anhaltender, noch im Spätwerk unternommener Balancierungen nicht wirklich oder eben nur zeitweilig zu finden vermochte. Wenn es aber für einen Autor, der sich den Problemen seiner Zeit nicht einfach versperren wollte, überhaupt noch möglich war, an der Epochenschwelle einer politisch bewegten, widersprüchlich kom320
plexen und »zerrissenen« Moderne eine ganzheitlich-heilsame Dichtung zu gestalten, so gehört Heine zweifellos zu jenen, die sich dieser Herausforderung unter den gegebenen Bedingungen noch einmal, aber eben im Zeichen des Sensualismus gestellt haben.
5. »Die Verzweiflung des Leibes« - Krise und Kontinuität des Sensualismus im Spätwerk Heines körperlicher Zusammenbruch im Jahre 1848 markiert, einmal abgesehen vom Gang ins Exil, die stärkste biographische und werkgeschichtliche Zäsur im Leben des Dichters. So jedenfalls lautet eine gängige Auffassung, die sich bis in die Lesebücher und Lexika hinein zum Topos der Heine-Literatur verfestigt hat. Die allzu schematische Einteilung des Werks in eine Periode vor und nach dem Ausbruch der Krankheit hat Heine freilich selbst forciert, indem er die körperliche Lähmung nicht nur zur physischen, sondern auch zur geistigen Lebenswende erklärte. Für wie tiefgreifend er sie hielt, zeigen seine Mitteilungen aus der »Matratzengruft«: Eine »große Umwandlung« sei mit ihm »vorgegangen« (15,112), informiert er im April 1849 seine Leser; von einer gedanklichen »Umwälzung« 1 ist im Brief an Campe die Rede, und in den Geständnissen« spricht Heine sogar von einer allgemeinen »Geistesrevoluzion« (15,40). Deutlicher hätte er den Bruch mit früheren Ideen nicht artikulieren können. Umwandlung, Umwälzung und Revolution - das sind Begriffe, die eine totale Wende des Bestehenden, eine radikale Revision des Alten implizieren. Nun bezieht sich die aus der Krankheitserfahrung resultierende »Umwälzung« bei Heine in erster Linie auf religiöse Fragen und die Rückkehr zu einem außerweltlichen Gott. Seinem Freund Heinrich Laube teilt er im Januar 1850 mit, er habe »den Hegeischen Gott oder vielmehr die Hegeische Gottlosigkeit aufgegeben, und an dessen Stelle das Dogma von einem wirklichen, persönlichen Gotte, der außerhalb der Natur und des Menschen Gemüthes ist, wieder hervorgezogen«. 2 Die »Heimkehr zu Gott« (3,179), wie Heine die Rehabilitation des Theismus nennt, wirft aber auch die Frage nach seiner aufklärerischen und politischen Haltung auf, die ja bisher gegen die restaurative Ideologie einer außerweltlichen Vertröstung gerichtet war. Vor allem scheint mit der Heimkehr zu Gott die sensualistische Utopie von einer sinnesfrohen Demokratie der Götter hinfällig geworden zu sein. Wie die hegelkritischen Passagen im Spät-
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Brief vom 1. Juni 1850, H S A X X I I I , S.43. H S A X X I I I , S. 24. Das Nachwort zum >Romanzero< rückt diese theologische Wende durch eine Anspielung auf das Neue Testament gar in eine christliche Perspektive: »Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bey den Hegelianern die Schweine gehütet« (3,179).
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werk belegen, hat Heine jener Philosophie abgeschworen, die das Göttliche an das Selbstbewußtsein des Menschen knüpfte und so die geistigen Voraussetzungen für seine Heiligung schuf. Daß die Menschen als »gottlose Selbstgötter« (8,498) eine genußselige, paradiesische Zeit auf Erden einleiten werden, ist eine Vorstellung, die der gelähmte, halb erblindete und extrem abgemagerte Dichter vor sich und seinem Publikum nicht länger vertreten kann. D e r hegelsche Gott wird in der Krankheitserfahrung zusammen mit der Vorstellung von einer pantheistischen Gott-Natur endgültig verabschiedet. N a c h einjähriger Bettlägerigkeit in der »Matratzengruft« verfaßt Heine im April 1849 für die Augsburger »Allgemeine Zeitung« einen Artikel, in dem er die Mitteilungen über seinen Gesundheitszustand mit einer Absage an den sinnenfrohen Hellenismus verbindet: In manchen Momenten, besonders wenn die Krämpfe in der Wirbelsäule allzu qualvoll rumoren, durchzuckt mich der Zweifel ob der Mensch wirklich ein zweybeiniger Gott ist [...]. Im Wonnemond des vorigen Jahres mußte ich mich zu Bett legen und ich bin seitdem nicht wieder aufgestanden. Unterdessen, ich will es freymüthig gestehen, ist eine große Umwandlung mit mir vorgegangen: ich bin kein göttlicher Bipede mehr; [...] ich bin nicht mehr der große Heide Nr. II, den man mit dem weinlaubumkränzten Dionysus verglich, [...] ich bin kein lebensfreudiger etwas wohlbeleibter Hellene mehr, der auf trübsinnige Nazarener heiter herablächelt - ich bin jetzt nur ein armer todtkranker Jude, ein abgezehrtes Bild des Jammers, ein unglücklicher Mensch! Daß der heidnische Fürsprecher des Leibes nun selbst wie ein demütiger »Nazarener« 3 auftrat, mußte dem zeitgenössischen Publikum nach Heines jahrzehntelangem Kampf f ü r die Verdiesseitigung des Lebens und die Emanzipation der Sinne tatsächlich wie eine »Geistesrevoluzion« erscheinen. Die Forschung des 20. Jahrhunderts hat Heines theologische Revision sehr unterschiedlich interpretiert. Entweder hat sie die religiöse »Umwälzung« allzu leichtfertig für bare Münze genommen und die These vom »Bruch« reproduziert, ohne sie an der späten Lyrik ernsthaft zu überprüfen, 4 oder aber sie hat, gleichsam in extremer A b w e h r des irritierenden Faktums, die theologischen Aussagen des Dichters zur rhetorisch-strategischen »List« erklärt, mit der die
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»Ich kehrte zurück in die niedre Hürde der Gottesgeschöpfe«, heißt es im autobiographischen Rückblick der >GeständnisseHarzreise< die »Idee der Unsterblichkeit« mit dem Gefühl der »Liebe« (6,102), und da bekundet das lyrische Ich der >Götter Griechenlands< aus ethischen Erwägungen seine Solidarität mit den dämonisierten Olympiern. Diese religiöse Wahlfreiheit basiert auf dem Konzept einer »Gewerbefreyheit der Götter« (7,196), in der, marktwirtschaftlichen Regeln vergleichbar, die Götter auf die Nachfrage des Menschen angewiesen sind. Der Mensch wählt nach pragmatischen Gesichtspunkten seine Religion, er »hält es«, wie in >Die Götter Griechenlands^ mit einer bestimmten göttlichen »Parthey«. Auch die theologische Revision des kranken Dichters ändert nichts an diesem Prinzip. Weil er den pantheistischen Gott in seinem Elend »nicht gebrauchen« (3,179) kann, kehrt Heine zu einem persönlichen Helfergott zurück. Seine Mitteilung an den Bruder Maximilian: »daß es einen Himmel gibt [...] ist jetzt ganz gewiß, seit ich dessen so sehr nöthig habe bei meinen Erdenschmerzen« (XXIII,316), belegt nur einmal mehr die bei aller konfessionellen Flexibilität durchgehaltene Orientierung am eigenen - irdischen - Bedürfnis.' 7 Diesbezüglich hat sich zwischen dem frühen Brief an Sethe von 1816 und der Einstellung des Todkranken nichts geändert. War die Madonna damals erforderlich, um in die »unendlichen Tiefen der Mystik« den »unendlichen Schmerz hinab [zu] wälzen« (XX,22), so ist nun ein personaler Gott vonnöten, um dem qualvoll Sterbenden die Genugtuung der blasphemischen Anklage zu verschaffen - die Funktionalisierung von Religion zum Zwecke der Schmerzbewältigung steht nach wie vor über allen theologisch-weltanschaulichen Prinzipien. Markus Küppers hat Heines Konzeption einer »Marktwirtschaft der Religionen« am deutlichsten herausgearbeitet und dafür plädiert, die Absage an den "6 Ebd. S . 1 2 5 . 17 Alberto Destro betont im Hinblick auf das Postulat der »Brauchbarkeit« die »Kontinuität in Heines religionsgeschichtlicher Betrachtung«: Seine »theologisch so anfechtbare Begründung der Existenz Gottes als für den leidenden Menschen notwendig, stellt nur die individuelle Variante des alten Interesses für religionsgeschichtliche Probleme dar, die er auf ihre Nützlichkeit hinsichtlich der Entwicklung der Menschheit prüfte. Was einmal auf historische Relevanz hin geprüft wurde, wird jetzt angenommen, weil es für den Einzelmenschen von existentieller Bedeutung ist« ( D H A 3, S. 9 6 4 f.). 328
Hellenismus im Sinne dieser Konzeption nicht als Bruch mit früheren Positionen, sondern als »konsequente Reaktion auf eine geänderte persönliche Bedarfslage« zu lesen.18 Die Kontinuität, die Küppers (wie vor ihm bereits Destro) 19 in bezug auf das religiöse Konzept der »Brauchbarkeit« feststellt, unterstreicht zugleich die Kontinuität der sensualistischen Perspektive: Der religiöse Bedarf definiert sich nach den akuten Bedürfnissen der irdischen Existenz und bleibt also auch dort, wo er deistische Modelle wiederbelebt, radikal diesseitig ausgerichtet. Man kann angesichts dieser Zusammenhänge (der nach wie vor dominanten Leiblichkeit, der leidbedingten Blasphemie und der Kontinuität eines am irdischen Bedarf orientierten Glaubens) nur von einer partiellen Korrektur des Heineschen Sensualismus sprechen. Verworfen wird lediglich jener »Eudämonismus der Diesseitigkeit« 20 und der Glaube an die Göttlichkeit des Menschen, wie er in den Deutschland-Schriften und den revolutionären Konzepten der dreißiger Jahre zum Ausdruck kam. Da Heine aber gerade auch in der Leiderfahrung an der Prävalenz des Sinnlichen gegen den Spiritualismus festhält und seine Konzentration auf die leibliche Materialität keinesfalls nachläßt, erscheint es sinnvoll, auch in bezug auf das Spätwerk von einer sensualistischen Position zu sprechen. Sternberger hat vorgeschlagen, von einem umgekehrten Sensualismus des Leids, einer »Sinnlichkeit des Schmerzes« 21 auszugehen. Diese Formel trifft zwar einen wesentlichen Aspekt, greift jedoch insofern zu kurz, als sie das Sinnliche allzu einseitig auf das Leid reduziert. Steht die Selbsterfahrung der gequälten Kreatur zwar ganz unverkennbar im Vordergrund, so wird sie doch in Heines letzten Gedichten auch immer wieder um das positive Moment der Lust und die engagierte Einklage diesseitiger Glücksansprüche ergänzt. Mit anderen Worten: Nicht nur das leidgeborene »Argument« (Sternberger), sondern auch die Lust des Fleisches wahren hier die Kontinuität der sensualistischen Perspektive. Auf diese hedonistische Qualität der Sterbelyrik möchte ich im folgenden eingehen. Allen leiblichen Qualen zum Trotz gibt Heine seine prinzipiell bejahende Haltung dem Leben gegenüber auch in den letzten großen Gedichtsammlun18
Küppers (Anm. 6), S. ι ο ι. »Heines erneute Hinwendung zum personalen Gott [...] ist keine Inkonsequenz, noch ist sie eine fundamentale Revision der vorher eingenommenen Position: innerhalb seiner Konzeption der Konkurrenz der Religionen ist sie lediglich folgerichtig.« (S. i o j . )
' ' Siehe Anm. 17. ° Jürgen Ferner, Versöhnung und Progression. Zum geschichtsphilosophischen Denken Heinrich Heines, Bielefeld 1994, S. 168.
2
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Sternberger (Anm. 14), S. 286. Michel Espagne (Federstriche. Die Konstruktion des Pantheismus in Heines Arbeitshandschriften, Hamburg 1 9 9 1 , S . 2 7 5 ) schließt sich dieser Einschätzung an, wenn er die »Verzweiflung des Leibes« als »bittere Verwirklichung des früheren Sensualismus« bezeichnet und demgemäß von einer »paradoxefn] Kontinuität« des Sensualismus spricht.
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gen nicht auf. 22 Im Gegenteil: Eros und Sexualität spielen als Kennzeichen diesseitiger Vitalität nach wie vor eine so große Rolle, daß zeitgenössische Kritiker die sinnliche »Frivolität« des Dichters hier sogar gesteigert sahen. »Wir finden noch«, schreibt ein Rezensent des >Romanzero< im »Dresdner Journal« vom 31. O k t o b e r 1851, dieselbe graziöse Frivolität, dieselbe süß vergiftete Sinnlichkeit, dieselbe Satyre und G r o b h e i t in despectirlichen Saft- und Kraftausdrücken, die uns o f t aus dem holden sentimentalen Traume der Poesie [...] a u f w e c k t und den heiligen Ernst mit diabolischem Gelächter erstickt. Ja es ist sogar diese Heine'sche Eigenthümlichkeit, welche [...] mehr als sonst z u r Manier geworden, und die höhere poetische Seelenweihe des Dichters hat sich nicht geläutert. 23
Das moralische Verdikt, das um so schärfer ausfällt, als die »Sinnlichkeit« des Dichters dessen religiöse Bekehrung zu ironisieren und die Erwartungen der Leser zu verspotten schien, blieb keinesfalls singulär. Der anonyme Rezensent der »Europa« sah im >Romanzero< nichts anderes als eine Fortsetzung der »Heine'schen Blocksbergpoesie«. 24 U n d Julian Schmidt ging gar so weit, in bez u g auf die >Historien< von, so wörtlich, »priapischer Poesie« 2 ' z u sprechen. Tatsächlich läßt sich im ersten Z y k l u s des >Romanzero< eine Tendenz ausmachen, die ich als Verherrlichung des Eros bezeichnen möchte. Ihr gebührt ein besonderes Interesse, weil sie sich gegen den radikalen Geschichtspessimismus des >RomanzeroSchlachtfeld bey Hastingss in dem der 1066 errungene Sieg der Normannen über den angelsächsischen K ö n i g Harold II., ein Ereignis v o n welthistorischem Rang, mit der privaten Liebe zwischen Harold und einer einfachen Frau aus dem Volk kontrastiert wird. Sie soll nach verlorenem Kampf auf das blutige Schlachtfeld kommen, um unter den vielen Toten die Leiche des Königs zu finden. Dabei ermöglichen ihr »Drey kleine Narben« (V. 111), die sie Harold beim Liebesspiel in die
" »Heine aber hält an der Wichtigkeit des Lebens fest«, so H ö p f n e r ( A n m . 6, S. 137) »und unterstreicht sie durch den T o d , der nur zeigt, w i e begrenzt die Zeit ist, das L e b e n z u genießen«. 2' 24
Zit. n. D H A 3, S.476; meine Hervorhebung. »Im G r u n d e aber hat sich in Heine nichts verändert, der nackte Satyr w a r ja schon f r ü h in ihm fertig, der Bocksfuß zertrat ja schön im Frühling seine schönsten Blumenbeete.« (»Europa. C h r o n i k der gebildeten Welt«, 22. N o v e m b e r 1851, S . 7 4 1 - 7 7 4 3 ; zit. η. Β 12, S. 34Í.)
25
Rezension in den »Grenzboten«, Jg. 10, 1851, 2. Semester, B d . 2 , S . 2 4 1 - 2 4 7 (zit. n. D H A 3, S.479).
26
Beispiele dafür sind die Gedichte >Valkyren< (»Und das Heldenblut zerrinnt, / U n d der schlecht're Mann gewinnt«; 3,21) sowie >König David< ( D H A 3, S. 4of.).
33°
Schulter gebissen hat, die Identifikation des Toten. Als »Denkmäler der Lust« (ebd.) werden sie dem historischen Denkmal der Schlacht so gegenübergestellt, daß sie über dessen blutige Monumentalität triumphieren. Dieser Triumph des Erotischen über das Historische resultiert nicht nur aus der Perspektivenführung des Gedichts, das von der Großaufnahme der kollektiven Katastrophe zur persönlichen Liebesgeschichte des Toten überschwenkt. Er verdankt sich vor allem der individualisierenden Auszeichnung der Liebe. Während nämlich das große Schlachtfeld der Geschichte, für das Hastings symbolisch steht, seine Opfer in anonymer Unkenntlichkeit zurückläßt, verleiht die Liebe dem Menschen eine personale Identität. Die Anagnorisis bei Hastings illustriert dies auf großartige Weise. Daß selbst der König am Ende sein Gesicht verliert und von den Getreuen nicht mehr gefunden wird, ist Ausdruck für die Anonymität, die der Kreislauf der historischen Katastrophen über den einzelnen verhängt. Sofern sich Geschichte im Verein mit dem Tod als ewige Wiederkehr des Gleichen präsentiert, depersonalisiert sie selbst ihre illustren Akteure. 2 7 Nur die »Denkmäler der Lust« erlauben schließlich die Identifikation und damit auch die individuelle Würdigung des Toten. Heines >Schlachtfeld bey Hastings< behauptet sich damit gegenüber allen historischen Heroisierungen als Beispiel für die erotische Individuation des Menschen. Der Kontrast von Anonymität in der Geschichte und Individualität in der Liebe hat zwar keine »priapische« Dimension, läuft hier aber auf eine deutliche Aufwertung des Eros hinaus. Von der Macht des Eros handeln auch die drei ersten Gedichte des >Romanzero< (>RhampsenitDer weiße Elephant< und >Schelm von BergenRomanzero< die alles bezwingende Macht des Eros demonstriert/ 8 Ein ähnliches Beispiel der erotischen Revolutionierung schildert das Gedicht >Schelm von Bergens in dem ein maskierter Henker, ein gemiedener outcast der untersten Schicht also, die schöne Herzogin beim Tanz derart betört, daß sie seine wahre Identität zu kennen verlangt. Die Enthüllung führt indes nicht zur Achtung des Betrügers, sondern zu dessen Adelung: »So ward der Henker ein Edelmann, / Und Ahnherr der Schelme von Bergen« (3,20). Der an pikareske Motive erinnernde Aufstieg des attraktiven Schelms korrespondiert hier dem Aufstieg des Diebes in >RhampsenitHistorien< des >Romanzero< bezogene Rezensenten-Wort von Heines »priapischer Poesie« wäre aus diesen Gedichten allein freilich kaum zu rechtfertigen. Mit dem phallischen Fruchtbarkeitsgott Priapos verbindet man in der Regel jene auf Sexualkomik abzielenden Sprüche und epigrammatischen Gedichte (sogenannte »Priapea«), wie sie von Catull, Horaz und Martial verfaßt wurden, zumindest aber setzen die priapeischen Gedichte schon aufgrund der Affinität des Gottes zu Dionysos 29 eine offenere, ekstatischere Erotik als in den >Historien< voraus. Und doch gibt es hier zwei Gedichte, die in ihrer erotischen Freizügigkeit den priapeischen Kühnheiten sehr nahekommen, nämlich 28
In >Der weiße Elephant* wird dagegen die therapeutische Kraft des Eros betont: Der vor Liebeskummer kranke Elefant kann nur durch die Erfüllung seiner erotischen Sehnsüchte geheilt werden. Der König erhält den Rat, das Tier nach Paris zu schicken: »Wenn ihn alldort in der Wirklichkeit / Der Anblick der schönen Frau erfreut, / Die seiner Träume Urbild gewesen, / Dann wird er von seinem Trübsinn genesen«
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Priapos galt nach mythologischer Uberlieferung nicht nur als ein von Aphrodite geborener Sohn, sondern auch als ein enger Begleiter des Dionysos (vgl. Der kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden, hg. v o n K . Ziegler [u.a.], München 1975, Bd. 4, Sp.1131).
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die lyrische Beschreibung des Tanzes in >Das goldne Kalb< und das große Gedicht über die Halbwelt-Tänzerin >PomareHistorienGöttern Griechenlands< formulierten Anspruch, die konträren ethischen Positionen der beiden Religionen in einer »humanen« Grundhaltung zu versöhnen. Das ist eine sensualistische Utopie, an der Heine auch in der Matratzengruft unvermindert festhält. Die ringkompositorische Wiederaufnahme des Liebesmotivs im vierten Teil (V. i: »Liebesgötter«; V. 92: »so viel geliebt«) gibt dem Gedicht >Pomare< statt der bisher antithetischen eine zyklische Struktur, die den spannungsvollen Gegensatz zwischen heidnischer Promiskuität und christlicher Moral entschärft. Statt zu einer aggressiven Zurückweisung kommt es in der letzten Gedichtpartie zu einer (christlichen) Anerkennung der Sexualität. Aufgrund dieser integrativen, Heidnisches wie Christliches aktualisierenden Struktur ist dem Gedicht eine Schlüsselfunktion in Heines spätem Œuvre zuzusprechen. >Pomare< ist repräsentativ für die erweiterte Perspektive des kranken Dichters: Der sterbende Mensch ist in seinem Bedürfnis nach Trost zwar auf andere Instanzen als die heidnischen »Festtagsgötter« (7,173) angewiesen, muß sie als mythologische Objektivationen der irdischen Lust aber keineswegs diabolisieren. Heines religiöser Synkretismus hält vielmehr die Versöhnung des weltanschaulichen Antagonismus als Utopie aufrecht. Dem Gedicht >Pomare< kommt aber auch wegen einiger identifikatorischer Momente eine Schlüsselrolle in Heines Sterbelyrik zu. Ähnlichkeiten zwischen der Pariser Grisette und dem Pariser Poeten ergaben sich sowohl aus ihrer öffentlichen Rolle als Künstler wie aus der Krankheit: Élise Sergent starb 1846 an der Schwindsucht, war also von einer ähnlichen Krankheit wie Heine heimgesucht. Seine »Rückgratschwindsucht« (15,112) führte dieser auf eine aus der Göttinger Zeit herrührende syphilitische Infektion zurück, woraus sich eine weitere Parallele zum Schicksal der Prostituierten ergibt. Eine direkte motivische Entsprechung zwischen >Pomare< und dem Gedicht >GedächtnißfeyerRomanzeroHistorienRomanzero< kann hier schon aus Platzgründen nicht weiter beleuchtet werden. Verwiesen sei lediglich noch auf Gedichte wie >Der Ungläubiges in dem die nahende sexuelle Vereinigung blasphemisch mit dem Auferstehungsglauben des zweifelnden Apostels verglichen wird, 4 3 oder >Disputazion< (das letzte Gedicht der »Hebräischen Melo-
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In >Pfalzgräfin Jutta< ( D H A 3, S. 44) wird das Motiv der Eifersucht erneut aufgenommen: A u s A n g s t v o r einem eventuellen Treuebruch läßt die G r ä f i n sieben Verehrer ermorden. » O , heil'ger Thomas! Ich glaub' es kaum! / Ich zweifle bis zur Stunde, / W o ich den
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dienRomanzero< wird man nicht umhin können, auch im Hinblick auf das Spätwerk von einem sensualistischen Orientierungskontinuum zu sprechen. Den religiösen Erklärungen im Nachwort zum Trotz feiern, behaupten und demonstrieren die Gedichte des >Romanzero< die Macht des Eros in einer Weise, die keinen Zweifel an der diesseitigen Ausrichtung des Autors erlaubt. In Heines letztem lyrischen Zyklus mit dem lapidaren, auf die Jahre der Agonie hinweisenden Titel >Gedichte. 1853 und 1854^ wird diese DiesseitsTendenz erstaunlicherweise noch verstärkt. Die nur dreiunddreißig Gedichte umfassende Sammlung ist für Heines späten Sensualismus besonders aufschlußreich, weil sie die Lebensbejahung des Kranken anhand der zyklischen Struktur als intellektuellen Prozeß markiert. 45 Über relevante Motive hinaus wird nun auch eine aus der Erfahrungskonsequenz des Sterbenden ableitbare Begründung für die Prävalenz des Sinnlichen erkennbar. Dies soll abschließend am Subzyklus >Zum Lazarus*, welcher thematisch an die gleichnamige Sequenz im >Romanzero< anknüpft, verdeutlicht werden. Auf den ersten Blick muten die >Gedichte< wie eine planlose Sammlung der letzten lyrischen Werke an. Da folgen auf die todesdüsteren Eingangsgedichte >Ruhelechzend< und >Im Mai< die grausame Fabel von Katz und Maus (>Rote PantoffelnBabylonische Sorgen« und die politische Satire >Das Sklavenschiff«. Freilich gibt die lyrische Introduktion (»Laß bluten deine Wunden, laß / Die Thränen fließen unaufhaltsam - / Geheime Wollust schwelgt im Schmerz, Und Weinen ist ein süßer Balsam«; 3,185) eine gewisse thematische Klammer vor: Alle diese Gedichte sind blutende » Wun-
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Finger legen kann, / in meines Glückes Wunde.« (3,100) Die sexuell konnotierte Berührung von »Finger« und »Wunde« tritt so an die Stelle der christlichen Bekehrung. Sexualität vertritt oder genauer: ersetzt die Religion. Ahnlich wie die Christen, die sich das himmlische Paradies als Ort der üppigen Genüsse ausmalen (»Trinkend, küssend, lachend wollen / Wir die Ewigkeit verbringen«; 3,165), ergehen sich die Vertreter des Judentums in Phantasien von göttlichen Gerichten wie Fisch in »Knoblauchbrühe« oder »Rosinensauce«, die ihnen am »Tag der A u f erstehung« (3,168) serviert werden. Arnold Pistiak gebührt das Verdienst, den von der Forschung bislang vernachlässigten Gedichtzyklus erstmals unter strukturellen und motivischen Gesichtspunkten umfassend analysiert zu haben. Zum Aufbau des Zyklus stellt Pistiak fest, »daß er mit überraschender Eindeutigkeit auf einen Spannungsbogen hinausläuft, der von dem ersten bis zum letzten Gedicht des Zyklus reicht; auf die vollständige Uberwindung der Motive von Todessehnsucht und Weitabgewandtheit zugunsten einer prononciert vorgetragenen Betonung des Irdisch-Sinnlich-Lebendigen« (A. Pistiak: »Ich will das rote Sefchen küssen«. Nachdenken über Heines letzten Gedichtzyklus, Stuttgart/ Weimar 1999, S. 121).
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den«, ein lyrisches Schwelgen im »Schmerz«, eine auf die politische und persönliche Misere dieser Jahre bezogene Trauerarbeit. In ihrem Mittelpunkt steht der Todeskampf des Dichters, der bisweilen auch in Todessehnsucht umschlägt. Das langsame Sterben (»Wie langsam kriechet sie dahin, / Die Zeit, die schauderhafte Schnecke! [...]// In meine dunkle Zelle dringt / Kein Sonnenstral, kein Hoffnungsschimmer«; 3,199) erweist sich als so qualvoll, daß der Todgeweihte nicht nur das Ende herbeiwünscht, sondern, in geradezu nihilistischer Zuspitzung, das ganze Leben entwertet sieht: »Der Tod ist gut, doch besser wär's, / Die Mutter hätt' uns nie geboren« (3,185). Das gleich am Anfang exponierte Motiv der Todessehnsucht46 dominiert jedoch nur den ersten Teil der Sammlung. Dieser erste Teil, der in sieben Gedichten gleichsam ein allgemeines Panorama der Verzweiflung entwirft und die leidvolle Realität als den gegebenen Zustand beschreibt, reicht bis zum Beginn des Subzyklus >Zum LazarusLazarusRuhelechzendMorphineGedichte< zurück (»Weinen ist ein süßer Balsam«), als habe er sich, letztlich doch nur auf der Stelle tretend, in einem aporetischen Zirkel bewegt. Dieser Eindruck wird jedoch durch die Fortsetzung des >LazarusRomanzeroZum L a z a r u s * N r . 4) 4 8 u n d der Vision einer » p o s t h u m e n « V e r e i n i g u n g mit d e r einstigen G e l i e b t e n (»[...] als böte sie p o s t h u m e / G e w ä h r u n g m e i n e r L i e b e s g l u t h « ; N r . 5); z u m a n d e r e n aber auch in der a g g r e s s i v e n Schelte w e i b l i c h e r K ü h l e u n d A b w e i s u n g ( N r . 6 - 8 ) . D i e Wut ü b e r das f r ü h e r e V e r s c h m ä h e n u n d eigene V e r s c h m ä h t w e r d e n l ä u f t hier auf ein B e k e n n t n i s z u r diesseitigen Sinnenlust hinaus. Z e u g n i s d a f ü r ist schon das 1 8 5 2 entstandene G e d i c h t >An d e n B r u d e r MaxmateriellenLazarusGedichte< endet bezeichnenderweise mit einer dezidierten Absage an das himmlische Paradies: Mich locken nicht die Himmelsauen Im Paradies, im sel'gen Land Dort find' ich keine schönre Frauen Als ich bereits auf Erden fand. (3,204)
Auch dieses Gedicht zeugt von einer Kontinuität des erotischen Sensualismus. Die Ironisierung des Jenseitsglaubens 49 zieht sich quer durch Heines Alterswerk und läßt allen gegenteiligen Erklärungen zum Trotz eine ungebrochene Diesseitigkeit erkennen. Desillusioniert wird der Glaube an ein himmlisches Jenseits vor allem durch das im Bild der »Pantoffeln« konkretisierte Motiv der Langeweile. So spricht die Seele zum sterbenden Leib des Dichters: Weh mir, jetzt soll ich gleichsam nackt, Ganz ohne Körper, ganz abstrakt, Hinlungern als ein sel'ges Nichts, Dort oben in dem Reich des Lichts, In jenen kalten Himmelshallen, Wo schweigend die Ewigkeiten wallen Und mich angähnen - sie klappern dabey Langweilig mit ihren Pantoffeln von Blei. O das ist grauenhaft; o bleib, Bleib bey mir, du geliebter Leib! (3,187)'°
Das den >LazarusHimmelfahrtDer ScheidendeBuch Le Grand< an: Mein liebes deutsches Publikum, Die guten Leutchen sind nicht dumm, Das speist jetzt ganz vergnügt zur Nacht, Und trinkt ein Schüppchen, singt und lacht E r hatte recht, der edle Heros, Der weiland sprach im Buch Horneros': Der kleinste lebendige Philister 53
Im Gespräch mit Adolf Stahrund Fanny Lewald erklärt Heine im Herbst 18 50: »Bei meiner Abneigung gegen die Langeweile der Seeligkeit möchte ich, so elend ich bin, doch noch lange leben. Denn die miserabelste Erdenexistenz scheint mir noch beneidenswerth und weit vorzuziehen vor den himmlischen Freuden. Der herrliche Achill wußte es wohl, warum er lieber ein fröhnender Knecht auf der schönen Erde sein wollte, als herrschender Fürst im Schattenreich der Todten« (Begegnungen mit Heine, Anm. I i , B d . 2 , S.244). Vgl. auch Pistiak (Anm.45, S. 126).
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Ich zitiere die vollständige Fassung H (vgl. D H A 3, S. 1503) nach der Ausgabe von Briegleb (B 1 1 , S. 349^).
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Z u Stukkert am Neckar, viel glücklicher ist er A l s ich, der Pelide, der tote Held, D e r Schattenfürst der Unterwelt. (B 11,350)
Wie der tote Achill bringt der sterbende Dichter seine ungebrochene Lebenslust zum Ausdruck. Während aber der ruhmvolle Pelide vor allem zu leben wünscht, um für die Ehre seines Volkes zu kämpfen,' 5 ist die Lebenssehnsucht des sterbenden Heine eindeutig sinnlich motiviert: Speisen, Trinken, Singen und Lachen sind die Reize, um deretwillen er noch den kleinsten schwäbischen Philister beneidet. Der ironische Kontrast zwischen dem großen Krieger Achill und dem kleinen Bürger von »Stukkert« belegt aufs neue die antiheroische Tendenz dieses ganz auf den Erhalt des Lebens und der irdischen Genußfähigkeit angelegten Sensualismus. Die gleichsam d'outre-tombe formulierte Ermahnung, das Leben nicht f ü r imaginäre Ziele und falsche Ehrbegriffe zu opfern, es vielmehr so lange wie möglich intensiv zu genießen, erinnert an das antike Motiv des »carpe diem«. Schon den >Hebräischen Melodien< des >Romanzero< hatte Heine dieses Motiv - wiederum mit einer deutlich antiheroischen Tendenz als Motto vorangestellt: O laß nicht ohne Lebensgenuß Dein Leben verfließen! U n d bist du sicher vor dem Schuß, So laß sie nur schießen. Fliegt dir das Glück vorbey einmahl, So fass' es am Zipfel. Auch rath' ich Dir, baue dein Hüttchen im Thal Und nicht auf dem Gipfel. (3,124)
Das Gedicht heißt den Leser um des Genusses willen aus der Schußlinie der historischen Kämpfe zu gehen, sich nicht auf dem »Gipfel« der Gefahr zu exponieren. Die Diminutivform »Hüttchen« (vgl. auch schon »Leutchen«, »Schöppchen« in >Der Scheidende·;) unterstreicht noch einmal das, was ich den »Sensualismus des bescheidenen Lebens« genannt habe und was in letzter Konsequenz eine superlativische Aufwertung des Irdischen, die allerhöchste Wertschätzung der leiblichen Existenz meint. Sicher, Heine ist kein »heiterer Hellene« mehr, aber er plädiert noch immer, wenn auch in viel bescheidenerer Form, für die sinnliche Wärme des Lebens. Die »Gedichte der Agonie«' 6 zeugen noch 5
' Vgl. Achills Aussage im 1 1 . Gesang der >Odysseec »Wenn ich doch unter den Strahlen der Sonne ein Helfer wäre, dergestalt, wie ich einst im breiten Troerlande das beste Volk getötet habe, [...] wenn ich dergestalt auch nur für ein kleines in das Haus des Vaters kommen würde: ich würde machen, daß sich vor meiner Kraft und meinen unnahbaren Händen mancher von denen entsetzen sollte, die jenem Gewalt antun und ihn verdrängen aus seiner Ehre!« (Homer, Die Odyssee. Deutsch von W. Schadewaldt, Hamburg 1958, S. 151.)
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So Heines eigene Bezeichnung seiner späten Lyrik im Gespräch mit August Gathy ( H S A X X I I I , S.294).
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in ähnlicher Weise wie die >Reisebilder< von der Sehnsucht nach sinnlicher Lebensfülle. Heines >EpilogGedichte. 1853 und 1854s sondern auch das letzte von ihm veröffentlichte Gedicht überhaupt, endet mit einem Hymnus auf das Diesseits und die sinnliche Lebensfreude: Unser Grab erwärmt der Ruhm. Thorenworte! Narrenthum! Eine beßre Wärme giebt Eine Kuhmagd, die verliebt Uns mit dicken Lippen küßt Und beträchtlich riecht nach Mist. Gleichfalls eine beßre Wärme Wärmt dem Menschen die Gedärme, Wenn er Glühwein trinkt und Punsch Oder Grog nach Herzenswunsch In den niedrigsten Spelunken, Unter Dieben und Halunken, Die dem Galgen sind entlaufen, Aber leben, athmen, schnaufen, Und beneidenswerther sind, Als der Thetis großes Kind Der Pelide sprach mit Recht: Leben wie der ärmste Knecht In der Oberwelt ist besser, Als am stygischen Gewässer Schattenführer sein, ein Heros, Den besungen einst Horneros. (3,236)
Mit diesem Epilog schließt Heine den Bogen seiner lyrischen Daseinsbejahung. Er knüpft an eine Maxime aus den >Ideen< an, die der späten Lyrik insgesamt vorangestellt sein könnte: »Das Leben ist der Güter höchstes, und das schlimmste Uebel ist der Tod!« (6,175) Der sensualistische Lobpreis des Lebens, der bis an die Schwelle des Todes reicht, wird so zum Leitmotiv des Gesamtwerks. Als der todkranke Dichter bei einem Louvre-Besuch vor der Statue der Venus von Milo zusammenbricht, muß er zwar erkennen, daß ihm die einstigen »Idole« des Glücks, die heidnischen Götter der Schönheit und Freude, in seiner jetzigen Verfassung nicht mehr helfen können, 57 doch läßt er sich deshalb nicht zu einer spiritualistischen Umkehr bewegen: »Ich habe nichts abgeschworen«, schreibt er im Nachwort zum >Romanzero< (3,18of.), »nicht einmal meine alten Heidengötter, von denen ich mich zwar abgewendet, aber scheidend in Liebe und Freundschaft«.
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Vgl. die berühmte Schilderung der Szene im >RomanzeroReisebilderIdeen. Das Buch Le Grand< und Deutschland. Ein WintermärchenReisebild< heinéen. Sa place dans l'histoire du récit de voyage. In: Reisebilder de Heinrich Heine. Lectures d'une Œuvre. Ouvrage collectif coordonné par René Anglade, Paris 1998, S. 7-26. Bergmann, Helga, Die Überwindung metaphysischen Denkens in der sensualistischen Erkenntnistheorie. In: Französische Aufklärung. Bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung, o.Hg., Leipzig 1979, S. 146-168. Betz, Albrecht, Ästhetik und Politik. Heinrich Heines Prosa, München 1 9 7 1 . Bierwirth, Sabine, Heinrich Heines Dichterbilder, Stationen seines ästhetischen Selbstverständnisses, Stuttgart/Weimar 1995 [Diss. Düsseldorf 1993], (Heine-Studien).
3Í*
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Bouterwek, Friedrich 319 Buonarotti, Filippo Michele 263 Braembussche, Antoon van den 287 Brenner, Peter J. 9 Briegleb, Klaus 20, 40, 157, 169, 298, 333 Brühl, Karl Friedrich 41, 186 Brummack, Jürgen 43, 145 Büchner, Georg 205, 223, 259, 264, 271, 273, 276-279, 282f., 287, 31 j f . Butler, Eliza M. 242, 251, 299 Byron, George Noël Gordon 101 Caesar, Gaius Julius 258 Campe, Julius 214, 266, 273, 289, 321 Catalani, Angela 205 Catull 332 Cervantes de Saavedra, Miguel 2i2f. Chamberlain, Houston Stewart 1 Chamfort (Sébastien Roch Nicolas) 83 Chamisso, Adalbert von 22, 104 Chevalier, Michel 243ff., 255 Christiani, Rudolf 31, 41, 59, 117^, 257, 288 Claudius, Matthias 100 Condillac, Étienne Bonnot de 2 4 7 ^ 250 Cornelius, Lambert 169 Cornelius, Peter 12, 162, 168-172 Cotta, Johann Friedrich 265 f. Cousin, Victor 248-251 Crockford, John 1 Cromwell, Oliver 207 Dante Alighieri 97 Danton, Georges 278f., 282f., 287 Denon, Dominique Vivant, Baron de 186 Derré, Jean-René 242 Descartes, René 246 f. Destro, Alberto I42f., 311, 328f., 333, 338 Detmold, Johann Hermann 57 Diderot, Denis I34f. Diekkämper, Birgit 73, 90, 94, 105 f.
Dodds, Eric R. 23 Dubois, Paul 242
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1 1 , 26,
Eichendorff, Joseph von 194t. Enfantin, Michel 243, 258, 260 Engels, Friedrich 263 Erhart, Walter 143 Espagne, Michel 7, 145, 329
Heine, Amalie, verh. Friedländer 34f.,
Ferner, Jürgen 5Í., 78, 1 1 7 , 119, 247, 329 Feuerbach, Ludwig 176, 211 f. Fiore, Joachim di 77f., 81 Flaubert, Gustave 249, 263 Förster, Friedrich 41 Freud, Sigmund 318 Friedländer, Jonathan 34 Friedrich Wilhelm III. 28 Galler, Margarete 317 Gans, Eduard 122 Gathy, August 348 Geldern, Gottschalk van (Heines Großvater) 128 f. Geldern, Joseph van (Heines Onkel) I28f.
Genton, Elisabeth 237, 240 Geyser, Joseph 226 Giesen, Christiane 242 Gleber, Anke 17 Gössmann, Wilhelm 217 Goethe, Johann Wolfgang von 10, 32, 4 2 f f . , 48, 5 8 - 6 1 , 96-99, 1 0 1 , 1 1 8 , I 2 3 Í . , 140, 1 4 3 , 148, 1 5 2 , 1 6 5 , 2 1 3 , 228f., 239, 2 4 1 , 247, 2 5 3 , 257, 260, 280, 284^, 288f., 298, 303, 3 o 6 f f . , 3 1 8
Grappin, Pierre 77 Grab, Walter 242, 274 Gray, Richard Τ. 1 1 1 f. Grenier, Edouard 344 Grimm, Gunter E. 143 Grimm, Jacob und Wilhelm 104, 155 Guttenhöfer, Peter 130, 220, 225 Gutzkow, Karl 269^, 312, 314 Grubaiic, Slobodan 109, 116, 145, 147, 154 Haller, Karl Ludwig von 28 Hansen, Klaus P. 8 5 Hardenberg, Friedrich von (s. Novalis) Harold II. 3 3of. Hauschild, Jan-Christoph 318
7 6 - 8 1 , 1 0 1 , 1 1 4 , i 2 o f f . , 1 2 5 , 1 3 3 , 140, 1 7 7 , 2 1 7 , 242, 244, 3 2 1 f. 57Í., i n , n 6 f . , 1 2 4 , 1 4 5 , 220, 228
Heine, Elisabeth (geb. van Geldern) 128 Heine, Mathilde, geb. Mirat 337, 339 Heine, Maximilian 324, 328, 344 Heine, Salomon 228 Heinse, Wilhelm 143 Hellwig, Ludwig 29 Helvétius, Claude Adrien 247^, 250 Hennings, August von 97 Hérault-Séchelles, Marie-Jean 279 Herder, Johann Gottfried 298 Hermand, Jost 26f., 3of., 33, 38, 58, 61, 77, 83, 92, i n , 1 1 7 , 12of., 123f., 138, 175.^76 Hesiod 177, 256 Hesse, Hartwig 242 Hinderer, Walter 4, 281 Hitzig, Julius Eduard 94 Höhn, Gerhard 31, 66, io8f., 117, 142, I 4 4 f f . , 1 5 3 , I 7 j f . , 205, 2 1 0 , 2 3 1 , 2 3 7 , 240,242,251,293,344
Hölderlin, Friedrich 63 Höllerer, Walter 317 Höpfner, Christian 217, 323, 330 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 21 f., 29, 51 f., 157, 178ff., 184, 303 Hofmannsthal, Hugo von 51 Hofstaetter, Ursula 43 Hohendahl, Peter-Uwe 281 Holbach, Paul, Baron von 248 Holub, Richard L. 6f., 16, 243, 251, 281 Homer 195, 304, 347ff. Horaz 134, 332 Hugo, Victor 17 Iggers, Georg G. 242, 251 Ilting, Karl-Heinz 79 Immermann, Karl Leberecht 123 Jacobs, Jürgen i09f. Jahn, Friedrich Ludwig 33 Jean Paul 317f. Kanowsky, Walter 7, 77, 261 Kant, Immanuel 67-72, 179, 252^, 3iof., 314 Karl I. 84, 207, 256, 3 1 1
361
Karl Χ. 215, 298 Kleist, Heinrich von 90, 123, 309 Kolb, Gustav 265 Kolb, Jocelyne 7, 109 Komar, Kathleen L. 45, 51 Koopmann, Helmut 5 f., 280, 290 Kosmeli, Michael 29 Kreutzer, Leo 262ff. Kruse, Joseph Anton 217, 227, 281, 344 Küppers, Markus 16, 194, 196, 293, 323, 327ff. Kuschel, Karl Josef 217, 254 Kuttenkeuler, Wolfgang 5, 222, 243, 257, 300, 304, 307 Langen, August 224 Lamettrie, Julien Offray de 248, 250 Las Cases, Emmanuel-Augustin 114 Laube, Heinrich 321, 325f. Laun, Friedrich 31 Lavater, Johann Kaspar 97 Lefebvre, Jean-Pierre 78, 122 Leibniz, Gottfried Wilhelm 247 Leistner, Bernd 48, 85 Leroux, Pierre 242 Lessing, Gotthold Ephraim 74,134, 136f., 241, 246 Lewald, Fanny 266, 347 Link, Manfred 9, 154 Linné, Carl von 208 Locke, John 247t. Loewenthal, Erich 45, 108, 142, 207, 210 Löwith, Karl 212 Louis Philippe I. 270 Ludwig XVIII. 28 Lübbe, Hermann 217, 323 Lukács, Georg 217 Luther, Martin 246 Mahl, Hans-Joachim 50, I77f., 181 Maier, Willfried 301 f., 307 Maierhofer, Waltraud 148 Maitland, Frederick Lewis 114 Malter, Rudolf 67, 71 Mann, Thomas 281 Martial 332 Martin, Ralph 7, 180, 195, 198, 200, 203^, 206, 286, 291, 293, 295t. Marx, Karl 176, 199, 263 Mayer, Hans 219 Mayer, Thomas M. 278 362
Meißner, Alfred 3 24 f. Mende, Fritz 59, 78, 276, 280, 312 Mendelssohn, Moses 22 Menzel, Wolfgang 219 Merckel, Friedrich 88, 309 Metternich, Klemens Wenzel Fürst von 28, 138 Meyer, Johann Heinrich 59, 306 Milton, John 23, 25 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti, Graf von 14, 257, 268ff. Möller, Dierk 108-114 Montesquieu, Charles de 210 Morawe, Bodo 14, 265, 2é 7 f., 270 Morgan, Lady Sidney 142 Moser, Moses 31, 35, 59, 94, 118, 122, 141 Müller, Wilhelm 99, 142 Napoléon I. iof., 24^, 47f., 1 1 0 - 1 1 7 , 119, 121 f., I26f., 130-133, 135, 140, 221, 225, 2 5 8f., 3 1 1 , 3 1 7 Neander, Johann August Wilhelm 22-25 Neubauer, Kai 7 Nicolai, Christoph Friedrich 97 Novalis 7, 50-56, 58, 177-181, 184, 194, 3°3> 3°9 Oehler, Dolf 14, 223, 26jff., 270, 323 Oellers, Norbert 281 Oesterle, Günter i5of., 187 O'Meara, Barry Edward 114 Opitz, Alfred 160, 168 f., 172, 207 Oswald, Stefan 164 Overbeck, Johann Friedrich 148, 150 Pabel, Klaus 18, 20, z6f., 175 f., 197^, 200, 204Í., 207 Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin 33 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 19 Peters, Paul 237^ Pikulik, Lothar 53 Pindar 256 Pistiak, Arnold 341, 344-347 Platen-Hallermund, August Graf von 141 Piaton I24Í., 287 Plessing, Victor Leberecht $9f. Plutarch 91, 297 Polheim, Karl Konrad 107 Prawer, Siegbert Salomon 346
Preisendanz, Wolfgang 4f., 15, 153^1 I74Í., 203, 271, 314, 3 i 7 f f . , 344 Preul, Reiner 220, 22jff., 254 Pustkuchen-Glanzow, Johann Friedrich
Reed, Terence James 207 Reeves, Nigel 6, 251 Reimarus, Hermann Samuel i}6f. Riemen, Alfred 42, 59 Rilke, Rainer Maria 51 Rippmann, Inge 281, 286, 288 Robert, Leopold 221 Robespierre, Maximilien de 4, 192, 277283,287 Rossini, Gioacchino 167, 169 Rousseau, Jean-Jacques 50, 58, 268, 277t. Rubens, Peter Paul i68f. Rückert, Friedrich 99 Saint-Simon, Claude Henri de 242 ff., 258, 260 Sainte-Beuve, Charles-Augustin 249f. Salomo i l , 124, 130-140 Sammons, Jeffrey L. 45, 58, 76, 114, 121 Schanze, Helmut 107 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 63, i7éf., 181-184, 212 Schenk, Eduard von 170 Scherer, Wingolf 242, 258, 322 Schieder, Wolfgang 262 Schiller, Friedrich 10, 18f., 45, 90, 94-97, 123, 295f. Schilson, Arno 13 6 Schlegel, August Wilhelm 301, 304, 306, 308 Schlegel, Friedrich 92, 107, 138, 306, 326 Schleiermacher, Friedrich 78, 254 Schlingensiepen, Ferdinand 227 Schmidt, Jochen 60, 97f. Schmidt, Johann M. 227 Schmidt, Julian 330 Schmoll, Adolf 130 Schneider, Ronald 93 Schöne, Albrecht 97, 223^ Schubert, Gotthilf Heinrich 51, 178^, 183 Schulz, Heinrich 20 Scott, Walter 88 Secci, Lia 82 Sengle, Friedrich 315 Sergent, Élise 334, 338
Sethe, Christian 57, 220, 228, 328 Seume, Johann Gottfried 142 Shakespeare, William 256, 279, 290, 304, 318 Spencer, Hanna 286 Spinoza, Baruch (Benedictus) de 63, 181 f 2 4 1 , 246f. Spitta, Philipp 30 Spleth Jörg 78 Spontini, Gasparo 29^, 36 Staël, Germaine de 27 Stahr, Adolf 347 Steen, Jan 39, 192, 235, 317 Stein, Charlotte von 59 Stenger, Gerhardt 248 Sternberger, Dolf 6f., 77f., 237, 241, 243, 32é> 329
Sterne, Laurence 171 Stich, Auguste 2 3 ff. Stierle, Karlheinz 17, 56 Strodtmann, Adolf 139 Taine, Hippolyte 248 Teraoka, Takanori 314 Theophrast 209 Theremin, Franz 19 Tieck, Ludwig 51 Thümmel, Moritz August von 142 Tonelli, Giorgio 258 Trunz, Erich 59 Uhland, Ludwig 99 Varnhagen von Ense, Karl August 22, 35, 59, I08, 112, 214, 242Í., 266 Varnhagen von Ense, Rahel, geb. Levin 2
42,
2
54
Voltaire 176, 210, 268, 277t. Vordtriede, Werner 242 Walser, Martin 222 Weber, Carl Maria von 3off., 35, 40 Weidig, Friedrich Ludwig 223 Weitling, Wilhelm 273 f. Werner, Michael 154, 164^, 168, 262 Wetzel, Bernd 7 Wienbarg, Ludolf 312 Wiese, Benno von 295 Winckelmann, Johann Joachim 206 Windfuhr, Manfred 68, 11 y f., 242, 251, 261, 309
363
Winkler, Markus 16, 85f., ioéf., 298 Wirth-Ortmann, Beate 24 Wohl, Jeannette 282Í. Wohlwill, Immanuel 57 Wolf, Friedrich August 29 Wülfing, Wulf 115, 125
Zeltner, Hermann 182 Ziolkowski, Theodore 51 Zlotkowski, Edward A. 48, 5of., 62, 73f., 93, 100, m Zola, Emile 334
Werkregister I. Das lyrische
Werk
Almansor. Eine Tragödie 231-235, 3o8f. An den Bruder Max 344^ Atta Troll. Ein Sommernachtstraum 313, 316 Babylonische Sorgen 341 Bergidylle 260, 266, 275, 280-292, 297ff., 3:3 Lutezia 263 f., 266, 279, 302 Reise von München nach Genua 1 1 , 1 4 1 172, 192, 200, 231, 303, 31 of. Romanzerò (Nachwort) 321, 324, 326f. Shakespeares Mädchen und Frauen 3, 84, 256ff., 281 Uber die französische Bühne 315 Über Polen 8, 27 Verschiedenartige Geschichtsauffassung i3of., I39Í., 316 Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland (s. Die Romantische Schule) Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland 2, 24,40, 68ff., 86,147, 154, i73ff., 181 ff., 192,196, 199,2i8f., 244-248, 250-253, 275ff., 284, 286ff., 295, 302, 3iof., 324
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