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German Pages 242 [241] Year 1975
Elementare Einführung in die Quantenchemie unter besonderer Berücksichtigung der Quantenbiochemie
I. B. G O L O W A N O W A. K . P I S K U N O W N. M. S E R G E J E W
Elementare Einführung in die Quantenchemie unter besonderer Berücksichtigung der Quantenbiochemie Bearbeitet und herausgegeben von
F R I T Z D I E T Z , Leipzig J O A C H I M R E I N H O L D , Leipzig C O R N E L I U S W E I S S , Leipzig
Mit 47 Abbildungen
und 15
Tabellen
AKADE M I E - V E R L A G 19 7 4
•
BERLIN
H . B . TOJIOBAHOB,
A. K.
ÜHCKYHOB,
H. M. Cepreeu: „BneMeirrapHoe
KBäHTOByH) ÖHOXHMHK)"
Erschienen im Verlag „Nauka", Moskau
Erichienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin, 1974 Lizenznummer: 202 • 100/570/74 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Einband und Schutzumschlag: Annemarie Wagner Bestellnummer: 761 739 0 (6039) • LSV 1214, 1274 Printed in CDR EVP 3 8 , -
BB6R6HH6 B
Zur deutschsprachigen Ausgabe
Der Originaltitel des Werkes lautet „Elementare Einführung in die Quantenbiochemie". Da es sich inhaltlich vorwiegend auf die Grundlagen und Arbeitsmethoden der Quantenchemie bezieht, der quantenbiochemische Teil dagegen nur einen geringen Umfang hat, haben wir uns zu einer Änderung des Titels entschlossen. Das erschien uns um so berechtigter, als in deutscher Sprache bisher keine vergleichbare, für den Studenten so außerordentlich geeignete, knappe Einführung in das Gebiet der Quantenchemie vorliegt. Die seit der Niederschrift des Originals eingetretene Entwicklung wurde durch einige Umstellungen und Ergänzungen sowie durch zusätzliche Literaturzitate berücksichtigt. Die Herausgeber
Vorwort der Autoren
In den letzten Jahren ziehen Biologen, Biophysiker und Biochemiker bei der Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten biologischer Prozesse in immer stärkerem Maße quantenchemische Methoden heran. Die Quantenbiochemie ist ein Teil der Quantenchemie. Daher wird in diesem Buch besonderer Wert auf die gründliche Darlegung der wichtigsten quantenchemischen Begriffe und Vorstellungen gelegt. Das Buch verfolgt vor allem drei Ziele. Erstens soll dargestellt werden, daß die Begriffe, mit denen die Quantenchemie arbeitet, aus ganz allgemeinen Vorstellungen der Quantenmechanik hervorgehen. Zweitens soll der Leser über verbreitete Rechenmethoden der Quantenchemie informiert werden. Besondere Aufmerksamkeit wird deshalb der Behandlung der RooTHAANschen Gleichungen gewidmet, da sie die Grundlage aller quantenchemischen LCAO-MO-Verfahren darstellen. Darauf aufbauend werden einige halbempirische Näherungen vorgestellt, die bei konkreten Rechnungen häufig angewandt werden. Das dritte und im Prinzip wichtigste Ziel dieses Buches besteht in der Anwendimg quantenchemischer Methoden auf eine Reihe biologisch und biochemisch interessanter Fragestellungen. Wir hatten uns jedoch nicht vorgenommen, in dieser kurzen Einführung eine kritische Analyse und Verallgemeinerung der auf dem Gebiet der Quantenbiochemie vorliegenden Arbeiten vorzunehmen. Dafür sei auf das bekannte Buch von B. PULLMAN und A. PULLMAN „Quantenbiochemie" verwiesen. Wir wenden uns mit dieser Einführung an einen Leser, der auf dem Gebiet der Quantenbiochemie zu arbeiten beginnt, die Darstellung des Stoffes trägt daher elementaren Charakter. Wir hoffen, daß dieses Buch dem Leser bestimmte Fragen der modernen Biologie besser zu verstehen hilft.
Inhalt
1.
Einführung
1
1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
Die NEWTONSchen Gleichungen Das Prinzip der kleinsten Wirkung Die HAMTLTONSchen Gleichungen Die PoissoNschen Klammern
1 2 5 6
1.5.
Die HAMILTON-jACOBische Gleichung
7
1.6. 1.7. 1.8.
Die Wirkung. Einige Beispiele Die Wellenbewegung Die Analogie zwischen mechanischer und Wellenbewegung
10 12 13
2.
Die Grundbegriffe der Quantenmechanik
15
2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.5. 2.5.1. 2.5.2. 2.5.3. 2.5.4. 2.5.5. 2.5.6. 2.6. 2.6.1. 2.6.2. 2.6.3. 2.6.4.
Die ScHRÖDiNOEE-Gleichung Zusammenhang zwischen mechanischen Größen und Operatoren Die Prinzipien der Quantenmechanik Die Unschärferelation Das Superpositionsprinzip Die Wellenfunktion und einige ihrer Eigenschaften Operatoren und Wellenfunktionen Mittelwerte und Eigenwerte von Operatoren Rechenregeln und Eigenschaften von Operatoren Kommutatoren Die Orthogonalität der Eigenfunktionen Entwicklung von Wellenfunktionen Die geometrische Interpretation der Wellenfunktion Matrizen Quantenmechanische Operatoren und Matrizen Terminologie und Bezeichnungen Matrizenalgebra Die Diagonalisierung von Matrizen
. . . .
15 18 20 20 23 25 27 27 29 32 32 33 34 35 36 38 39 43
3.
Die ScHEÖDiKOEB-Gleichung für einfache Systeme
46
3.1. 3.2.
Stationäre und nichtstationäre ScHRÖDiNGER-Gleichung Die Bewegung eines freien Teilchens
46 49
3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7.
Der Durchgang von Teilchen durch eine Potentialschwelle Der Durchgang von Teilchen durch eine Potentialschwelle endlicher Breite Der Potentialtopf. Die Quantisierung der Energie Der lineare harmonische Oszillator Der starre Rotator
51 57 61 63 68
4.
Atome
72
4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6. 4.7. 4.8.
Die ScHBÖDnraEE-Gleichung für wasserstoffähnliche Atome Die Quantenzahlen Die Wellenfunktionen wasserstoffähnlicher Atome Der Elektronenspin Mehrelektronenatome. Das PAULI-Prinzip Elektronenkonfigurationen Die Wellenfunktionen von Mehrelektronenatomen Atomorbitale von Mehrelektronenatomen
72 77 79 83 84 87 89 93
5.
Moleküle
98
5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.5.1. 5.5.2. 5.5.3. 5.6. 5.7. 5.7.1. 5.7.2. 5.7.3.
Molekülorbitale Die RooTHAANschen Gleichungen Lösungsschema für die RooTHAANschen Gleichungen Die Matrixelemente der RooTHAANschen Gleichungen Einelektronenintegrale Überlappungsintegrale Integrale der kinetischen Energie Kernanziehungsintegrale Zweielektronenintegrale Die halbempirische Behandlung der Matrixelemente Die Diagonalelemente H k k Die Nichtdiagonalelemente H ^ Die Elektronenwechselwirkungsintegrale
98 99 110 110 111 113 115 117 118 120 121 121 123
6.
Chemische Bindung und Molekülbau
124
6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 6.6. 6.7. 6.8. 6.9. 6.10. 6.11. 6.12. 6.13.
Das Ha+-Molekülion Das Wasserstoffmolekül Das H3+-Molekülion Bindungen und Orbitale Bindende und antibindende Orbitale Gerichtete Bindungen Hybridisierung Valenzzustände der Atome; o-, n- und (5-Bindungen Kovalente und polare Bindungen Experimentelle Methoden zur Untersuchung von Bindungseigenschaften Elektronenmangel-Verbindungen Donator-Akzeptor-Verbindungen Wasserstoffbrücken
124 129 130 133 134 136 139 143 145 . 148 149 154 157
7.
Näherungen der RooTHAAirschen Methode und einige Bechenbeispiele . . 162
7.1. 7.2. 7.3. 7.4.
7.6.4.
Das PoPLEsche SCF-Verfahren Das HMO-(HücKELsche MO)-Verfahren Die Beschreibung von Verbindungen mit Heteroatomen Anwendung der HMO-Methode zur Erklärung einiger Eigenschaften konjugierter und aromatischer jr-Elektronensysteme Quantenchemische Größen zur Charakterisierung von Molekülen . . . . Die Ji-Elektronendichte Die Bindungsordnung Die Freie Valenz Moleküldiagramme Allvalenzelektronenverfahren Das EHT-(extended fliickel iheory)-Verfahren von Hoitmaiw Das Konzept der lokalisierten er-Bindungen (Del Re) Allvalenzelektronen-SCF-Verfahren und das CND0/2-(complete meglect of Differential overlap)-Verfahren Modifizierte Verfahren
180 181
8.
Quantenchemie einiger wichtiger biologischer Systeme
183
7.6. 7.5.1. 7.5.2. 7.5.3. 7.5.4. 7.6. 7.6.1. 7.6.2. 7.6.3.
8.1. 8.1.1. 8.1.2. 8.1.3. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5. 8.6. 8.6.1. 8.6.2. 8.7. 8.8. 8.9. 8.10.
162 164 166 169 174 174 175 176 177 178 178 179
Nukleinsäuren Die Zusammensetzung der DNS Die Struktur der DNS Der genetische Code Die Basen der DNS Die Basenpaare der DNS Tunneleffekt von Protonen in der DNS Die Struktur der Eiweiße Die Elektronenstruktur der Aminosäuren Die EHT-Methode Die D e l Rosche Methode Die Peptidbindung Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Peptidgruppen Energiereiche Phosphatbindungen Die quantenchemische Untersuchung der Struktur der Phosphate. Zur Struktur der Komplexe [ATP - Me2+] 8.11. Einige Beispiele zur Anwendung von Moleküldiagrammen 8.11.1. Die fermentative Hydrolyse 8.11.2. Die biologische Oxydation 8.11.3. Die Mediatoren der Nervenreizung; Acetylcholin
183 183 184 185 188 190 194 199 200 200 201 204 206 209 210 218 218 219 220
9.
Literatur
223
Sachwortverzeichnis
226
1
1.1.
Einführung
Die Newtonschen Gleichungen
Die Bewegung eines Massenpunktes unter dem Einfluß einer äußeren Kraft wird in einem rechtwinkligen (kartesisehen) Koordinatensystem durch die NEWTONschen Bewegungsgleichungen mx = Fx,
my — Fy,
ml = F s
(1.1)
oder in Vektorform mf = F
(1.2)
beschrieben. Dabei ist m die Masse des Massenpunktes, F die auf ihn wirkende Kraft (Fx, Fy und Fz sind die Projektionen von F auf die Koordinatenachsen) ; r ist der Radiusvektor, der vom Ursprung des Koordinatensystems zum Ort des Massenpunktes zeigt. Die Punkte über den Variablen bezeichnen die Ableitung nach der Zeit (x — dxjdt, x — d2xjdt2 usw.). Die Bewegung eines Systems von N Massenpunkten wird durch N NEWTONsche Gleichungen (1.2) beschrieben, wobei die Kraft F die mögliche Wechselwirkung zwischen den Punkten berücksichtigt. Die NEWTONschen Gleichungen (1.1) für einen Massenpunkt stellen ein System von. drei Differentialgleichungen zweiter Ordnung dar. Ihre Integration gibt die Möglichkeit, die Bahnkurve des Punktes zu bestimmen, eine Grundaufgabe der klassischen Mechanik. Zur Ermittlung der sechs freien Konstanten, die bei der Integration auftreten, müssen Anfangsbedingungen gegeben sein, das heißt die Koordinaten und Geschwindigkeiten zum Anfangszeitpunkt: 3|t=o = ^o»
V\t=o — 2/o>
¿|(=o = *o>
if Ii—o== Vor
lf=o
2
=
o>
z
= V
(1-3)
2
Einführung
Dabei wird vorausgesetzt, daß die Koordinaten und Geschwindigkeiten zum Anfangszeitpunkt mit beliebiger Genauigkeit bestimmt werden können. Wie wir später sehen werden, steht diese Voraussetzung im Falle von Mikrosystemen nicht mehr im Einklang mit der Erfahrung. Da aber die Übereinstimmung mit der Erfahrung das Grundkriterium für die Gültigkeit eines Gesetzes ist, bedeutet das, daß an die Stelle der Ausdrücke (1.1) bzw. (1.2) andere Bewegungsgleichungen treten müssen. Daß die Anfangsbedingungen (1.3) nicht mit beliebiger Genauigkeit angegeben werden können, wurde nicht sofort erkannt, sondern erst knapp zwei Jahrhunderte nach der Entdeckung N E W T O N S . Die klassische Mechanik war lange Zeit ein Eckpfeiler der Physik und der gesamten Naturwissenschaft, obwohl man mehrfach feststellen mußte, daß die Gleichungen (1.1) bzw. (1.2) nicht universell sind. Für einige Bewegungsformen, etwa das Licht oder chemische Reaktionen, sind sie höchst ungeeignet. 1.2.
Das Prinzip der kleinsten Wirkung
Die Suche nach neuen Formulierungen der Bewegungsgleichungen wurde durch ständige Veränderung (Präzisierung) solcher Begriffe wie Kraft, Koordinate, Bahnkurve, materielles Objekt hervorgerufen. Ein zweckmäßiger Weg war die Ausnutzung des Energie-Erhaltungssatzes. Dieses Postulat ist jedoch zur Beschreibung eines Bewegungsprozesses nicht ausreichend. Eine sehr allgemeine Formulierung der Bewegungsgleichungen ergibt sich aus dem sogenannten Prinzip der kleinsten Wirkung ( Ü A M r L T O N s c h e s Prinzip), das auf den energetischen Eigenschaften des Materiesystems beruht [1]. Dieses Prinzip besagt, daß die Bewegung des Systems entlang desjenigen Weges verläuft, für den das Integral
t%
(1.4)
den kleinsten Wert annimmt. Hierbei ist S die Wirkung; L ist die LAGBAITGE-Funktion des gegebenen Systems, die durch die Differenz zwischen der kinetischen Energie T und der potentiellen Energie U des Systems bestimmt ist; q( und q{ sind verallgemeinerte Kordinaten und-verallgemeinerte Geschwindigkeiten; t ist die Zeit. Zur Vereinfachung nehmen wir an, daß die Funktion L nur von einer Koordinate abhängt, d. h. L = L(q, q, t)1). x
) Die Integration erfolgt vom Zeitpunkt t = tx bis zum Zeitpunkt t = i2. An und i2 nimmt das System bestimmte feste Lagen und q{t2) ein. Die Bewegung zwischen q(tj) und q{t2) verläuft so, daß die Wirkung (1.4) einen extremalen Wert hat. Man kann zeigen, daß dieses Extremum nicht immer ein Minimum ist; auf die folgenden Ableitungen hat das jedoch keinen Einfluß, da lediglich die allgemeine Extremalbedingung öS = 0 benutzt wird.
3
Das Prinzip der kleinsten Wirkung
Die Forderung, daß das Integral (1.4) ein Minimum annehmen soll, entspricht der Forderung öS — 0 (die Variation der Wirkung soll verschwinden). Zur Illustration sind in Abb. 1 zwei Bahnkurven A und B gezeichnet. Die wirkliche Bewegung soll entlang der „Bahn" A erfolgen. Für die Bewegung entlang dieser Bahn hat die Wirkung 8 ein Minimum (68 — 0). Das bedeutet, daß beim Übergang von der wirklichen zu einer beliebigen anderen gedachten Bahn, was mit einer Änderung von q um die Größe dq verbunden ist, der Wert des Integrals S zunimmt. Die Größe dq bezeichnet die Variation der Koordinate q.
Abb. 1: Gedachte Bahnkurven eines Teilchens mit festem Anfangs- und Endpunkt
Wenn wir kleine Größen mit s bezeichnen, so kann bei einer Abweichung der verallgemeinerten Koordinate von ihrem wahren Wert qw für den neuen Wert geschrieben werden q{t) =
q„ +
ef(t),
(1.5)
wobei f(t) eine beliebige Funktion der Zeit ist. Der Ausdruck (1.5) zeigt, daß die Abweichung von der wahren Bahn beliebig aber klein ist (wegen des kleinen e), d. h. ?(
Mit Hilfe der Beziehung (1.10) formen wir das zweite Glied in (1.6) um und integrieren es partiell: fZL
J Hdqdt=J