Einleitung in die Septuaginta 9783641310936

Das vorliegende Werk ist die erste deutschsprachige und bisher umfangreichste Einleitung in die Septuaginta, die griechi

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German Pages 718 [720] Year 2016

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta
Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta
Allgemeine Hinweise
Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie
Allgemeine Abkürzungen
Entstehung und Überlieferung der Septuaginta
Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta
1. Pentateuch
1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch
1.1 Genesis / Das erste Buch Mose
1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose
1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose
1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose
1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose
2. Geschichtsbücher
2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua
2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter
2.3 Ruth / Das Buch Rut
2.4 Die Bücher der Königtümer
2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel
2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige
2.4.3 Baslieion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige
2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik
2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra
2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia
3. Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher
3.1 Esther / Das Buch Ester
3.2 Judith / Das Buch Judit
3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias
3.4 Die Bücher der Makkabäer
3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer
3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer
3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer
3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer
4. Psalmen und Oden
4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen
4.2 Odai / Das Buch der Oden
4.3 Psalmoi Solomontos / Die Psalmen Salomos
5. Weisheitsbücher
5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos
5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo
5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied
5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob
5.5 Sophia Solomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos
5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach
6. Prophetische Bücher
6.1 Dodekapropheton / Das Zwölfprophetenbuch
6.1.0 Dodekapropheton – Überblick
6.1.1 Osee / Hosea
6.1.2 Amos
6.1.3 Michaias / Micha
6.1.4 Joel
6.1.5 Abdiu / Obadja
6.1.6 Jonas / Jona
6.1.7 Naum / Nahum
6.1.8 Ambakum / Habakuk
6.1.9 Sophonias / Zefanja
6.1.10 Aggaios / Haggai
6.1.11 Zacharias / Sacharja
6.1.12 Malachias / Maleachi
6.2 Esaias / Isaias / Jesaja
6.3 Jeremiaschriften
6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia
6.3.2 Baruch
6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Die Klagelieder
6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistola Ieremiae / Der Brief des Jeremia
6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel
6.5 Danielschriften
6.5.1 Daniel
6.5.2 Susanna
6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache
Septuaginta und Neues Testament
Der Septuaginta-Text im frühen Christentum
Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Textgeschichte
Register
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
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Einleitung in die Septuaginta
 9783641310936

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HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT

LXX.H Herausgegeben von Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer

HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT

LXX.H

BAND VOLUME

1

Siegfried Kreuzer (Hg.)

Einleitung in die Septuaginta

Gütersloher Verlagshaus

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1. Auflage Copyright © 2023 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München ISBN 978-3-641-31093-6 www.gtvh.de

Inhaltsverzeichnis Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

. . . . . . . . . . . . . . .

17

Allgemeine Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kreuzer

29

Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund

89

Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

1.

Pentateuch

1.0

Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Rösel

97

1.1

Genesis / Das erste Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Kepper

107

1.2

Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Schwagmeier

120

1.3

Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Vahrenhorst

137

1.4

Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gilles Dorival

146

1.5

Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose . . . . . . . . . Melvin K. H. Peters

161

2.

Geschichtsbücher

2.1

Jesus / Josue / Das Buch Josua Cornelis G. den Hertog

2.2

Kritai / Iudices / Das Buch der Richter Natalio Fernández Marcos

2.3

Ruth / Das Buch Rut Eberhard Bons

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

5

Inhaltsverzeichnis

2.4 Die Bücher der Königtümer 2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philippe Hugo

207

.

232

2.4.3 Baslieion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige . Julio Trebolle

241

Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik . . . . . . Adrian Schenker

251

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra . . . . . . . . . . . . Dieter Böhler

260

2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia . . . . . . . . . . . . . . Dieter Böhler

265

2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige Martin Meiser

2.5

3.

Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher

3.1

Esther / Das Buch Ester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristin De Troyer

271

3.2

Judith / Das Buch Judit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Engel

279

3.3

Tobit / Das Buch Tobit / Tobias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Hauspie

289

3.4 Die Bücher der Makkabäer 3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Tilly

299

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Nicklas

306

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Orth

314

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer . . . . . . . . . . . . . . . Robert J. V. Hiebert

322

4.

Psalmen und Oden

4.1

Psalmoi / Das Buch der Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons / Ralph Brucker

6

333

Inhaltsverzeichnis

4.2

Odai / Das Buch der Oden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ioan Chirilă / Siegfried Kreuzer

354

4.3

Psalmoi Solomontos / Die Psalmen Salomos . . . . . . . . . . . . . . . . . Felix Albrecht

361

5.

Weisheitsbücher

5.1

Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos . . . . . . . . . . . Hans-Winfried Jüngling

375

5.2

Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter J. Gentry (mit Yun-Yeong Yi)

389

5.3

Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Schulz-Flügel

398

5.4

Job / Das Buch Ijob / Hiob Markus Witte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

407

5.5

Sophia Solomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos . . . . . . Helmut Engel

422

5.6

Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer

437

6.

Prophetische Bücher

6.1 Dodekapropheton / Das Zwölfprophetenbuch 6.1.0 Dodekapropheton – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez

461

Osee / Hosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Joosten

474

6.1.2 Amos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons

481

6.1.3 Michaias / Micha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez / Jan Joosten

490

6.1.4 Joel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez

497

6.1.5 Abdiu / Obadja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez

503

6.1.6 Jonas / Jona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez

507

6.1.7 Naum / Nahum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Josef Fabry

513

6.1.1

7

Inhaltsverzeichnis

6.1.8 Ambakum / Habakuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Josef Fabry

519

6.1.9 Sophonias / Zefanja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jong-Hoon Kim

526

6.1.10 Aggaios / Haggai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Pola

530

6.1.11 Zacharias / Sacharja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Pola

537

6.1.12 Malachias / Maleachi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez

552

Esaias / Isaias / Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arie van der Kooij

559

6.2

6.3 Jeremiaschriften 6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pierre Maurice Bogaert

577

6.3.2 Baruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pierre Maurice Bogaert

596

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Die Klagelieder . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer

600

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistola Ieremiae / Der Brief des Jeremia . . . . . . . . . Benjamin Wright

606

Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johan Lust

613

6.4

6.5 Danielschriften 6.5.1 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Settembrini

635

6.5.2 Susanna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Dieter Neef

649

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

655

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache Heinz-Dieter Neef

8

Inhaltsverzeichnis

Septuaginta und Neues Testament Der Septuaginta-Text im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer

663

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Textgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kraus

678

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

697

1. Biblische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Altes Testament / Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

697 697 703

2. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Qumran und Wüste Juda . . . . . . . . 2.2 Papyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Handschriften nach »Rahlfs-Nummern« 2.4 Codices . . . . . . . . . . . . . . . . .

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706 706 706 707 707

3. Autoren und Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Griechische und hellenistische Autoren und Texte 3.2 Jüdische Autoren und Texte . . . . . . . . . . . . 3.3 Christliche Autoren und Texte . . . . . . . . . . .

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708 708 709 710

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713

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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Vorwort zum Handbuch zur Septuaginta Das Handbuch zur Septuaginta dessen erster Band hier vorliegt, will eine umfassende Darstellung der derzeitigen Forschungen zur Septuaginta geben. Es ist damit Hinführung zu den vielfältigen Fragen und Ergebnissen der Septuagintaforschung, Bilanz des aktuellen Standes und Grundlage für die weitere Forschung. Folgende Bände sind vorgesehen: Einleitung in die Septuaginta, Textgeschichte der Septuaginta, Sprache der Septuaginta, der historische Kontext der Septuaginta, Theologie der Septuaginta, Wirkungsgeschichte. Die Planungen für das Handbuch entstanden auf dem Hintergrund von »Septuaginta Deutsch«. Schon die Übersetzung Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, 2009; 2 2010) und die damit verbundenen Bände Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (hg. von Martin Karrer und Wolfgang Kraus, 2011) waren international orientiert. In den Bänden des Handbuches spiegelt sich dieses Anliegen in der internationalen und interdisziplinären Zusammensetzung des Herausgeberkreises und auch der Autorenschaft. Die Septuagintaforschung erlebt in jüngster Zeit eine eindrucksvolle Blüte. Ein Ausdruck dafür sind die zahlreichen Übersetzungsprojekte. Während zuvor nur zwei schon ältere englische Übersetzungen existierten, gibt es nun bzw. sind in Bearbeitung eine neue Übersetzung in Englische, eine französische Übersetzung, die deutsche Übersetzung, aber auch eine Übersetzung ins Rumänische, ins Spanische, ins Italienische, in das Neugriechische und Übersetzungen in das Japanische und Koreanische. Die Übersetzungen erleichtern den Zugang zur Septuaginta und fördern ihre Wahrnehmung nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in anderen Fachgebieten wie etwa der Geschichte, der Sprachwissenschaft oder der Übersetzungs- und der Editionswissenschaft. Zugleich ergeben sich immer wieder neue Fragestellungen als Herausforderung an die Septuagintawissenschaft. Die verschiedenen Teilbände des Handbuchs zur Septuaginta wollen hier die bisherigen Forschungen bündeln, neue Fragestellungen aufnehmen und sowohl Basis als auch Impuls für die weitere Forschung geben. Die Hauptherausgeber danken den Herausgebern der Bände und den zahlreichen Autorinnen und Autoren für ihre engagierte Arbeit und dem Gütersloher Verlagshaus für den Mut, dieses große Projekt auf den Weg zu bringen und zu realisieren. Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer

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Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta Angaben zur Entstehung, zum Inhalt und zur Intention einer Schrift finden sich schon sehr früh sowohl zu den biblischen Schriften als auch zu anderer Literatur. Sie finden sich in den Überschriften zu den Prophetenbüchern, in den Überschriften der Psalmen, aber auch in gelegentlichen Bemerkungen wie jene am Schluss des Buches Kohelet. In der griechischen Literatur gibt es vielfach Vorreden oder Nachbemerkungen, die zunächst oft in das betreffende Werk eingebettet sind, später aber zunehmend davon abgehoben werden. Ein Beispiel dafür sind die Vorreden zum Lukasevangelium und zur Apostelgeschichte. Die umfangreichste Vorrede und leider auch die einzige dieser Art im Bereich der Septuaginta ist die Vorrede des Enkels von Ben Sira, der darin die Herkunft der Schrift sowie die Beweggründe und Anliegen seiner Übersetzung kundtut. In der jüdischen Tradition bzw. in der rabbinischen Literatur finden sich vereinzelt einschlägige Angaben. Dabei steht die Herleitung von heiligen Personen, meist der Hauptperson der betreffenden Schrift, im Vordergrund. Daneben finden sich aber auch Bemerkungen zur Sprache oder anderen Details wie etwa die interessante, allerdings erst sehr späte Bemerkung über jene Wörter, die in der Septuaginta dem Lagidenkönig Ptolemäus II. zuliebe geändert bzw. vermieden wurden Berühmt für die Gattung Vorrede sind die Vorreden des Hieronymus zu den einzelnen Büchern seiner Bibelrevision, der späteren Vulgata. Daneben gab es auch schon in der Antike Autoren eigenständiger Werke, die sich ganz oder zum Teil mit der Entstehung und Überlieferung der biblischen Schriften befassten, wie Julius Africanus (gest. ca. 240), Augustin (gest. 420) und insbesondere Isidor von Sevilla (gest. 636), der östliche und westliche Traditionen verband und vermittelte. Das wohl älteste bekannte Werk einer Einleitung in die biblischen Schriften ist die »Einleitung in die göttlichen Schriften« (Εἰσαγωγὴ εἰς τὰς θείας γραφάς) des Mönches Arrian (gest. um 440 n. Chr.). Der Titel ist vielleicht ein bewusstes Gegenstück zur Isagoge des Pophyrius zur Logik des Aristoteles aus dem 3. Jh. n. Chr. Isagogé war bereits der Titel der Einführung des Albinos (2. Jh. n. Chr.) in Platons Dialoge und wurde in der Antike und im Mittelalter für die Einführung in verschiedene Wissensgebiete verwendet. In der latinisierten Form Isagoge oder dann Introductio wurde der Begriff schließlich auch für die deutsche Bezeichnung der Thematik maßgebend: 1780 bis 1783 erschien die dreibändige »Historisch-kritische Einleitung in das Alte Testament« von Johann Gottfried Eichhorn, die bis in die Gegenwart namengebend für Werke dieser Thematik wurde (auch wenn daneben manchmal Titel wie »Einführung« oder »Entstehung [des Alten Testamens]« verwendet werden). In der englischen und französischen Bezeichnung »Introduction« lebt demgegenüber »introductio« als die lateinische Version der Isagoge weiter. In der Einleitungswissenschaft geht es vor allem um die Entstehung der einzelnen Schriften, um die Überlieferung des Textes und um den Ort im Kanon bzw. im Kontext der anderen Schriften. Die vorliegende »Einleitung in die Septuaginta« steht in dieser Tradition der Einleitungswissenschaft, wobei sich spezifische Besonderheiten daraus ergeben, 13

Vorwort zum Band Einleitung in die Septuaginta

dass ein großer Teil der Septuagintaschriften eine Übersetzung ihrer hebräischen (bzw. teilweise auch aramäischen) Vorlage darstellen. Dementsprechend geht es bei diesen Schriften nicht um deren ursprüngliche Entstehung und Überlieferung, sondern um die griechische Übersetzung, deren Anliegen, Besonderheiten und Überlieferung. Eine wichtige Grundlage der vorliegenden Beiträge sind die Einleitungen zu den einzelnen Schriften, wie sie insbesondere in »Septuaginta Deutsch. Einleitungen und Kommentare« vorhanden sind. Ein Teil der Artikel wurde von denselben Autorinnen und Autoren verfasst. Darüber hinaus wurden für die vorliegende Einleitung bewusst Autoren und Autorinnen aus den französischen (La Bible d’Alexandrie), englischen (New English Translation of the Septuagint) und spanischen (La biblia griega) Septuagintaforschungs- und -übersetzungsprojekten beteiligt. Der vorliegende Band der Einleitung in die Septuaginta ist Teil des Handbuchs zur Septuaginta. In diesem wird es Bände zur Textgeschichte, zur Sprache, zu den historischen Kontexten, zur Theologie der Septuaginta und zur Wirkungsgeschichte geben. Diese Fragen werden in der vorliegenden Einleitung natürlich im Blick auf das jeweilige Buch angesprochen; eine umfangreichere und an zusammenhängenden Themen bzw. wichtigen Autoren orientierte Darstellung wird in den weiteren Bänden des Handbuches zu finden sein. Jedes wissenschaftliche Werk steht an einem bestimmten Punkt in der Forschungsgeschichte. Der Entwicklung der Forschung wird dadurch Rechnung getragen, dass einerseits in den umfangreichen Bibliographien die Breite der bisherigen Forschung dokumentiert wird, dass bei aller individuellen Positionierung der einzelnen Autorinnen und Autoren immer auch die anderen Meinungen erörtert werden, und nicht zuletzt darin, dass unter »Perspektiven der Forschung« auf offene Fragen und zukünftige Perspektiven hingewiesen wird. Wir hoffen, dass diese erste deutschsprachige Einleitung in die Septuaginta Studierenden der Septuaginta einen Zugang zur Septuagintaforschung eröffnet und dass sie für die Fachgelehrten eine solide Grundlage und Orientierung für zukünftige Forschungen bietet. Unser Dank gilt den vielen Autorinnen und Autoren für Ihre Beiträge, dem Gütersloher Verlagshaus für das Engagement, das »Handbuch zur Septuaginta« in Angriff zu nehmen, und Herrn Lektor Diedrich Steen und Frau Lektorin Tanja Scheifele für die gute Betreuung des Werkes. Für die Herausgeber des Handbuchs zur Septuaginta

14

Siegfried Kreuzer

Allgemeine Hinweise Entsprechend den üblichen Strukturen einer Einleitung folgt die Darstellung neben den einleitenden Überblicksbeiträgen und einem Ausblick am Schluss im Wesentlichen den einzelnen Schriften der Septuaginta. Zum Pentateuch und zum Dodekapropheton gibt es darüber hinaus jeweils einen Überblicksartikel. Die einzelnen Artikel sind folgendermaßen gegliedert: 1. Literatur 2. Textüberlieferung und Editionen, 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung, 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil, 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte und 6. Perspektiven der Forschung. Ad 1.: Die Literaturangaben gliedern sich in der Regel in 1.1 Text und Editionen, 1.2 Qumrantexte, 1.3 Übersetzungen und Kommentare, 1.4 Weitere Literatur. Unter Text und Editionen werden die umfassenden Editionen, d. h. die Septuagintaausgaben von Swete und Rahlfs (/ Hanhart) sowie – wenn vorhanden – die Ausgabe von Brooke / McLean / Tackeray und die Göttinger Ausgabe verzeichnet, dazu kommen gegebenenfalls weitere Texteditionen. 1 Unter 1.2 sind die einschlägigen Qumrantexte vermerkt, und zwar sowohl die griechischen als auch alle hebräischen. Damit soll der großen Bedeutung der Qumrantexte nicht nur für die hebräische Textgeschichte sondern auch für die Septuagintaforschung Rechnung getragen werden. Diese Rubrik wurde vom Herausgeber zusammengestellt und von den Autorinnen und Autoren geprüft. Unter 1.3 Übersetzungen und Kommentare sind die entsprechenden Bände bzw. Abschnitte der Bible d’Alexandrie (BdA; soweit vorhanden), der New English Translation of the Septuagint (NETS) und von Septuaginta Deutsch. Das Griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (LXX.D) sowie Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (LXX.E) verzeichnet. Weitere Übersetzungen, die zum Teil noch im Entstehen sind, konnten nicht aufgenommen werden, sollen aber hier pauschal genannt werden: Die spanische Übersetzung »La Biblia Griega« (4 Bände), die rumänische Übersetzung »Septuaginta« (6 Bände). Darüber hinaus gibt es bzw. sind im Entstehen eine italienische, eine japanische, eine koreanische und weitere Übersetzungen, die allerdings in der Regel den Benutzern dieses Bandes kaum zugänglich sein werden. Bei den Büchern, die von Haus aus in Griechisch verfasst wurden, finden sich naturgemäß auch die Angaben zu den entsprechenden Übersetzungen (etwa »Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit«) sowie zu den Kommentaren aus den einschlägigen deutschen und internationalen Kommentarreihen. Unter 1.4 Weitere Literatur finden sich Angaben, die im Umfang weit über das hinausgehen, was üblicher Weise in Einleitungen verzeichnet ist, die aber trotzdem nicht vollständig sein können. Sie geben aber eine wesentliche Auswahl und verzeichnen Werke und Beiträge der verschiedenen Forschungspositionen. Ad 2.: Unter Textüberlieferung und Editionen finden sich, je nach Besonderheit des Buches, Angaben zu spezifischen Problemen des Textes aber auch zu Charakteristika 1.

Für die vollen bibliographischen Angaben der hier und im Weiteren genannten Werke siehe das folgende Verzeichnis häufig zitierter Literatur.

15

Allgemeine Hinweise

der Editionen, etwa die wichtigsten Handschriften, auf denen eine Edition basiert, oder eine Auflistung der seither gefundenen Handschriften. Ad 3.: Unter Übersetzungtechnik, Zeit und Ort der Übersetzung werden die entsprechenden Themen erörtert. Naturgemäß ist bei jenen Schriften, die in griechischer Sprache entstanden, nicht von Übersetzungstechnik zu reden, sondern von sprachlicher Eigenart und von Zeit und Ort der Abfassung. Die Überschriften sind dementsprechend jeweils sachgemäß modifiziert. Ad 4.: Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil. Das sprachliche Profil hängt zwar durchaus eng mit der Übersetzungstechnik zusammen, es bezieht sich aber vor allem auf den Sprachstand im Kontext des Griechischen. Das inhaltliche und theologische Profil bezieht sich bei den übersetzten Büchern vor allem auf die Unterschiede zum hebräischen Text, bei den griechisch entstandenen (oder nur da vollständig erhaltenen) Schriften naturgemäß stärker auf das Gesamtwerk. Ad 5.: Unter Aspekte der Wirkungsgeschichte werden erste, zum Teil auch durchaus umfangreiche Hinweise auf die Wirkungsgeschichte geboten. Zur Wirkungsgeschichte ist ein eigener Band im Handbuch vorgesehen. Die Wirkungsgeschichte wird dort auch im Blick auf thematische Zusammenhänge und im Blick auf einzelne bedeutende Autoren dargestellt. Hier werden die wichtigsten Aspekte für das jeweilige Buch erörtert. Ad 6.: Perspektiven der Forschung. Hier bieten die Autorinnen und Autoren Hinweise auf ihrer Meinung nach wichtige Fragen, die weiterhin oder neu zu bearbeiten sind. Wichtige und häufig zitierte Literatur ist in dem hier anschließenden Verzeichnis häufig zitierter Literatur erfasst. Dieses ist zugleich das Abkürzungsverzeichnis. Die weiteren bibliographischen Abkürzungen für Zeitschriften und Reihen folgen dem Üblichen (siehe dazu die Abkürzungsverzeichnisse in »Theologische Realenzyklopädie« und in »Religion in Geschichte und Gegenwart«), ebenso die Abkürzungen für antike Autoren und deren Schriften. Weniger bekannte Werke sowie seltene Zeitschriften und Reihen werden unabgekürzt genannt. Die allgemeinen Abkürzungen (wie z. B. oder usw.) entsprechen den geläufigen Abkürzungen.

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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie Das folgende Verzeichnis benennt häufig verwendete Literatur, insbesondere Texteditionen, Nachschlagewerke, Hilfsmittel, und wissenschaftliche Reihen der Septuagintaforschung. Darüber hinausgehende Abkürzungen von Zeitschriften, Reihen, Lexica und Quellen erfolgen nach »Religion in Geschichte und Gegenwart«, 4. Auflage, Tübingen, und S. M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 2 1994. Weitere Angaben werden nicht abgekürzt bzw. die Abkürzungen werden innerhalb eines Artikels bei ihrem ersten Vorkommen erklärt. Die verschiedenen Werke und Beiträge werden in der Regel mit Seitenzahl zitiert, Grammatiken nach Paragraphen; Lexikoneinträge mit Seitenzahl oder mit Verweis auf das Stichwort (s. v. = sub voce).

Häufig zitierte Literatur: Basisbibliographie Bauer

BBS BdA

Bauer, W. (ed. Aland, K. / Aland, B.), Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin / New York 61988. Botte, B. / Bogaert, P.-M., Septante et versions grecques, in DBS XII, (1993) 536-693. La Bible d’Alexandrie. Traduction et annotation des livres de la Septante sous la direction de Marguerite Harl, Gilles Dorival et Olivier Munnich, assistés de Cécile Dogniez, Paris 1986 ff. BdA 1 Harl, M., zus. mit Alexandre, M. / Dogniez, C., La Genèse, BdA 1, 21994 BdA 2 Le Boulluec, A. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, 1989 BdA 3 Harlé, P. / Pralon, D., Le Lévitique, BdA 3, 1988 BdA 4 Dorival, G., zus. mit Barc, B. / Favrelle, G. u. a., Les Nombres, BdA 4, 1994 BdA 5 Dogniez, C. / Harl, M., Le Deuteronome, BdA 5, 1992 BdA 6 Moatti-Fine, J., Jésus (Josué), BdA 6, 1996 BdA 7 Harlé, P. / Roqueplo, T., Les Juges, BdA 7, 1999 BdA 8 Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Ruth, BdA 8, 2009 BdA 9/1 Grille, B. / Lestienne, M., zus. mit Massonet, J. / Maesson, A., Premier Livre des Règens, BdA 9/1, 1997 BdA 11/2 Janz, T., Deuxième Livre d’Esdras, BdA 11/2, 2010 BdA 12 Cavalier, C., Esther, BdA 12, 2012 BdA 15/3 Mélèze Modrzejewski, J., Troisième Livre des Maccabées, BdA 15/3, 2008 BdA 17 D’Hammonville, D.-M., zus. mit Épiphane Dumouchet, S., Les Proverbes, BdA 17, 2000

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Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

Vinel, P., L’Ecclésiaste, BdA 18, 2002 Bons, E. / Joosten, J. / Kessler, S. u. a., Les Douze Prophètes. Osée, BdA 23/1, 2002 BdA 23/4-9Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. u. a., Les Douze Prophètes 4-9. Joël, Abdiou, Jonas, Naoum, Ambakoum, Sophonie, BdA 23/4-9, 1999 BdA 23.10-11 Casevitz, M. / Dogniez, C. / Harl, M., Les douze Prophétes 10-11. Aggée, Zacharie, BdA 23/10-11, 2007 BdA 23/12 Vianès, L., Les Douze Prophétes 12. Malachie, BdA 23/12, 2011 BdA 25/2 Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie, BdA 25/2, 2005 Blass, F. / Debrunner, A. / Rehkopf, F., Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 171990 Brock, S. P. / Fritsch, C. T. / Jellicoe, S., A Classified Bibliography of the Septuagint, ALGHJ 6, Leiden 1973. Ulrich, E., The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VTS 134, Leiden 2010 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 1, hg. von H.-J. Fabry / U. Offerhaus, BWANT 153, Stuttgart 2002 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 2, hg. von S. Kreuzer / J. Lesch, BWANT 161, Stuttgart 2004 Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, Band 3, hg. von H.-J. Fabry / D. Böhler, Stuttgart 2007 Barthélemy, D. [Hulst, R. / Ryan, S. D. / Schenker, A.], Critique textuelle de l’Ancien Testament, OBO 50/1-4, Göttingen 1973-2005 Dines, J., The Septuagint, London 2004 Discoveries in the Judaean Desert, Oxford, 1955 ff. DJD 2 Benoit, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R., Les Grottes de Murabbaʿ ât, 1961, Band 1 und 2 DJD 3 Baillet, M. / Milik, J. T. / de Vaux, R., Les »Petites Grottes« de Qumrân, 1962, Band 1 und 2. DJD 4 Sanders, J. A., The Psalms Scroll Of Qumrân Cave 11, 1965 DJD 5 Allegro, J. M. / Anderson, A. A., Qumrân Cave 4.I, 4Q158-4Q186, 1968 DJD 8 Tov, E., zus. mit Kraft, R. A. / Parsons, P. J., The Greek Minor Prophets Scroll from Nahal Hever (8ḤevXIIgr), 1990 DJD 9 Skehan, P. W. / Ulrich, E. / Sanderson, J. E., Qumrân Cave 4.IV, Palaeo-Hebrew and Greek Biblical Manuscripts, 1992 DJD 12 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Davila, J. R., Qumran Cave 4. VII, Genesis to Numbers, 1994 DJD 13 Attridge, H. / Elgvin, T. / Milik, J. u. a., Qumran Cave 4. VIII, Parabiblical Texts Part 1, 1994 DJD 14 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Crawford, S. W. u. a., Qumran Cave 4.IX, Deuteronomy, Joshua, Judges, Kings, 1995

BdA 18 BdA 23/1

BDR BFJ BQS Brennpunkt 1

Brennpunkt 2

Brennpunkt 3

CTAT Dines DJD

18

Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

Ulrich, E. / Cross, F. M. / Fuller, R. E. u. a., Qumran Cave 4.X, The Prophets, 1997 DJD 16 Ulrich, E. / Cross, F. M. / Fitzmyer, J. A. u. a., Qumran Cave 4.XI, Psalms to Chronicles, 2000 DJD 17 Cross, F. M. / Parry, D. W. / Saley, R. J. u. a., Qumran Cave 4.XII, 1-2 Samuel, 2005 DJD 19 Broshi, M. / Eshel, E. / Fitzmyer, J. u. a., Qumran Cave 4. XIV, Parabiblical Texts Part 2, 1995 DJD 22 Brooke, G. / Collins, J. / Elgvin, T. u. a., Qumran Cave 4. XVII, Parabiblical Texts Part 3, 1996 DJD 23 Garciá Martínez, F. / Tigchelaar, E. J. C. / van der Woude, A., Qumran Cave 11.2, 11Q2-18, 11Q20-31, 1998 DJD 28 Gropp, D. M. / Bernstein, M. / Brady, M. u. a., Wadi Daliyeh and Qumran Cave 4.XXVIII, Miscellanea Part 2, 2001 DJD 30 Dimant, D., Qumran Cave 4.XXI, Parabiblical Texts Part 4: Pseudo-Prophetic Texts, 2001 DJD 39 Tov, E., zus. mit Abegg, M. G., Jr / Lange, A., The Texts from the Judaean Desert, Indices and an Introduction to the Discoveries in the Judaean Desert Series, 2002 Dogniez, C., Bibliography of the Septuagint. Bibliographie de la Septante (1970-1993), VTS 60, Leiden / New York / Köln 1995. De Septuaginta Investigationes, Göttingen 2011 ff. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Ökumenischer Text, Stuttgart 1980 Field, F., Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta, 2 Bde., Oxford 1875 Fernández Marcos, N., The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible, Leiden 2000 (= 2009). Gesenius, W., Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearbeitet von Frants Buhl, Berlin / Göttingen / Heidelberg 171915; Nachdruck 1962 u. ö. Gesenius, W. / Donner H. / Rüterswörden, U., Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 181987 ff. Gesenius, W. / Kautzsch, E., Hebräische Grammatik, Leipzig 281909 Gesenius, W., Hebräische Grammatik, völlig umgearb. von Kautzsch, E.; Paradigmen und Register zu Gesenius’ Kautzsch Hebräischer Grammatik; Bergsträsser, G., Hebräische Grammatik, I. Teil: Einleitung, Schrift u. Lautlehre; Bergsträsser, G., Hebräische Grammatik, II. Teil: Verbum, Darmstadt 1985 Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum. Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Göttingen 1931 ff. I Wevers, J. W., Genesis, 1974 II/1 Wevers, J. W., Exodus II/2 Wevers, J. W., Leviticus, 1986 III/1 Wevers, J. W., Numeri, 1982 III/2 Wevers, J. W., Deuteronomium, 1977; 20062 IV/3 Quast, U., Ruth 2006, 20092 VII/2 Hanhart, R., Paralipomenon Liber II, 2014 VIII/1 Hanhart, R., Esdrae Liber I, 1974; 19912 DJD 15

Dogniez DSI EÜ Field

FMI Gesenius

Ges18 GesK GKB



19

Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

Hanhart, R., Esdrae Liber II, 1993 Hanhart, R., Esther, 1966; 19832 Hanhart, R., Iudith, 1979 Hanhart, R., Tobit, 1983 Kappler, W., Maccabaeorum Liber I, 1936 Hanhart, R. / Kappler, W., Maccabaeorum Liber II, 1959 Hanhart, R. / Kappler, W., Maccabaeorum Liber II, 1959 Hanhart, R., Maccabaeorum Liber III, 1960 Rahlfs, A., Psalmi cum Odis, 1931; 19793 Ziegler, J., Iob, 1982 Ziegler, J., Sapientia Salomonis, 1962; 19802 Ziegler, J., Sapientia Iesu Filii Sirach, 1965; 19802 Ziegler, J., Duodecim Prophetae, 1943; 19843 Ziegler, J., Isaias, 1939; 19833 Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, 1957; 20134 XVI/1 Ziegler, J., Ezechiel, 1952; 20063 (mit einem Nachtrag von D. Fraenkel) XVI/2 Ziegler, J. / Munnich, O. / Fraenkel, D. (Hg.), Susanna, Daniel, Bel et Draco, 1954; 19992 Köhler, L. / Baumgartner, W. / Stamm, J. J., Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 5 Bände und 1 Suppl.-Bd., Leiden 1967-1996 = unveränd. und seitengleicher Nachdruck in 2 Bänden, Leiden 2004 Harl, M. / Dorival, G. / Munnich, O., La Bible Grecque des Septante, Paris 21994 Helbing, R., Grammatik der Septuaginta. Laut- und Wortlehre, 1907 = Göttingen 1979 Helbing, R., Die Kasussyntax der Verba bei der Septuaginta. Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Koinê, Göttingen 1928 Hatch, E. / Redpath, H. A., A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament, 1897-1906 = Grand Rapids 1998 Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd. 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009 Jastrow, M., Dictionary of the Targumim, Talmud Babli, Yerushalmi and Midrashic Literature, New York 1971 Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 Joüon, P. / Muraoka, T., A Grammar of Biblical Hebrew, Subsidia Biblica 27, Rom 2006 Kühner, R. / Blass, F., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Teil 1, Elementar- und Formenlehre, Hannover, unveränderter Nachdr. 1998 Kühner, R. / Gerth, B., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Teil 2, Satzlehre, Hannover / Leipzig 18983 / 1904, unveränderter Nachdr. Hannover 1976 u. ö. Lust, J. / Eynikel, E. / Hauspie, K., A Greek English Lexicon of the Septuagint, Stuttgart 20032 VIII/2 VIII/3 VIII/4 VIII/5 IX/1 IX/2 IX/2 IX/3 X XI/4 XII/1 XII/2 XIII XIV XV

HAL

HDM Helbing, Gr Helbing, Ks HR

HTTM

Jastrow Jellicoe JMG KBG

KGG

LEH

20

Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

LSJ

LuthB LXX.D LXX.E Ma

MMV

MSU Muraoka, Index Muraoka, Lexikon NETS

PG PL QBS Ra RaHa Racj Rahlfs, Verzeichnis Rahlfs / Fraenkel

Siegert

SIG Swete, Intro Swete, OT Thackeray

Liddell, H. G. / Scott, R., A Greek-English Lexicon. Revised and Augmented throughout by H. S. Jones u. a., 19409, with a Supplement, ed. by P. G. W. Glare, Oxford 1996 Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen, Stuttgart 1984 Kraus, W. / Karrer, M. (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009; 20102 Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. I und II, Stuttgart 2011 El texto antioqueno de la Biblia griega I-III, ed. N. Fernández Marcos / J. Ramón Busto Saiz, TECC 50/53/60, Madrid 1989/1992/1996 (Madrider Ausgabe des antiochenischen Textes) Moulton, J. H. / Milligan, G., The Vocabulary of the Greek Testament. Illustrated from the Papyri and other non-literary Sources, 1939 = London 1952 Mitteilungen des Göttinger Septuagintaunternehmens, Berlin 1909 Muraoka, T., Hebrew/Aramaic Index to the Septuagint keyed to the Hatch-Redpath Concordance, Grand Rapids 1998 Muraoka, T., A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Leuven 2010. A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included under that Title, ed. A. Pietersma / B. G. Wright, Oxford / New York 2007 Patrologia Graeca, hg. von J. P. Migne, Paris 1857 ff. Patrologia Latina, hg. von J. P. Migne, Paris 1844 ff. Ulrich, E., The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VT.S 134, Leiden 2010 Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, 2 Bde., hg. von A. Rahlfs, Stuttgart 1935 (zahlreiche Nachdrucke, auch in einem Band) Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes. Duo volumina in uno. Editio altera quam recognovit et emendavit R. Hanhart, Stuttgart 2006 Konjektur bei Ra Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments für das Septuaginta-Unternehmen aufgestellt, MSU 1, Berlin 1914 Rahlfs, A. / Fraenkel, D., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments von A. Rahlfs, Band I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, bearbeitet von D. Fraenkel, Göttingen 2004 Siegert, F., Zwischen hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, zwei Teile (durchgehend paginiert), Münster 2001 und 2003 Sylloge Inscritionum Graecarum, ed. W. Dittenberger, 5 Bde., Leipzig 1915-1924 Swete, H. B., An Introduction to the Old Testament in Greek, Cambridge 1900 = Peabody, MA 1968 Swete, H. B. (Hg.), The Old Testament in Greek according to the Septuagint, vol. 1-3, Cambridge 1887-94, 31901-1907 Thackeray, H. S. J., A Grammar of the Old Testament in Greek according to the Septuagint, vol. 1, 1909 = 1970 = Hildesheim 1987

21

Bibliographische Abkürzungen und Basisbibliographie

Tov, Use Wevers, N-Gen Wevers, N-Ex Wevers, N-Lev Wevers, N-Num Wevers, N-Dtn Wevers, TH-Gen Wevers, TH-Ex Wevers, TH-Lev Wevers, TH-Num Wevers, TH-Dtn WUNT 219

WUNT 252

WUNT 286

WUNT 325

Ziegler, Sylloge

22

Tov, E., The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, JBS 3, Jerusalem 21996 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Genesis, SBL.SCS 35, Atlanta, GA 1993 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Exodus, SBL.SCSt 30, 1990 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Leviticus, SBL.SCSt 44, 1997 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Numbers, SBL.SCSt 46, 1998 Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Deuteronomy, SBL.SCSt 39, 1995 Wevers, J. W., Text History of the Greek Genesis, MSU 11, Göttingen 1974 Wevers, J. W., Text History of the Greek Exodus, MSU 21, Göttingen 1992 Wevers, J. W., Text History of the Greek Leviticus, MSU 19, Göttingen 1986 Wevers, J. W., Text History of the Greek Numeeri, MSU 16, Göttingen 1982 Wevers, J. W., Text History of the Greek Genesis, MSU 113, Göttingen 1978 Karrer, M. / Kraus, W. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.-23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008 Kraus, W. / Karrer, M. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse. 2. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 23.-27. 7. 2008, WUNT 252, Tübingen 2010 Kreuzer, S. / Meiser, M. / Sigismund, M. (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte. 3. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 22.-25. Juli 2010, WUNT 286, Tübingen 2012 Kraus, W. / Kreuzer, S. / Meiser, M. / Sigismund, M. (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014 Ziegler, J., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971

Allgemeine Abkürzungen * + > //

ursprüngliche Lesart einer Hs. Zusatz = add. Auslassung, ausgelassen bei (= om.) parallel zu

A add. Adj. Adv. Äg. / äg. Akk. Akt. / akt. alex. allg. antioch. Aor. App. Aq arab. aram. arm. Art. Assim. / assim. ast. AT /atl. äth.

Codex Alexandrinus Zufügung / fügt hinzu Adjektiv Adverb / Ägypten / ägyptisch Akkusativ Aktiv / aktivisch alexandrinisch allgemein antiochenisch Aorist Apparat Aquila arabisch aramäisch armenisch Artikel Assimilation / assimilierend Asteriskos / asterisiert (Origenes) Altes Testament / alttestamentlich äthiopisch

B Bd. / Bde. Bearb. / bearb. betr. byz. bzw.

Codex Vaticanus Band / Bände Bearbeiter / bearbeitet betreffend byzantinisch beziehungsweise

ca. christl. cf. Cj. / cj. Cod. crrp. cstr.

circa christlich confer / vergleiche Konjektur / konjiziert Codex korrupt status constructus

d. h. Dat. ders. det. dies.

das heißt Dativ derselbe determiniert dieselbe

23

Allgemeine Abkürzungen

Ditt. dt. Dubl.

Dittographie deutsch Dublette

ebd. ed. (frz. éd.) Ed. Em. / em. etc. Etym. / etym. Euphem. / euphem. Ev./Evv. evtl. Exeg. / exeg.

ebenda herausgegeben Edition(en) Emendation / emendiert et cetera Etymologie / etymologisch Euphemismus / euphemistisch Evangelium / Evangelien eventuell Exegese / exegetisch

Fem. / fem. f. ff. fig. etym. Fn. Frg. Fut. / fut.

Femininum / feminin folgender / folgende fortfolgende figura etymologica Fußnote Fragment Futur / futurisch

Gen. gen. abs. Geogr. / geogr. gnom. got. Gramm. / gramm. griech.

Genitiv genitivus absolutus Geographie / geographisch gnomisch gotisch Grammatik / grammatisch griechisch

Hapl. Hapleg. Harm. / harm. hasm. hebr. Hell. / hell. Hex Hg. / hg. hist. Homark. Homtel. Hs. / Hss. HT

Haplographie Hapaxlegomenon Harmonisierung / harmonisierend hasmonäisch hebräisch Hellenismus / hellenistisch Hexapla Herausgeber / herausgegeben (von) historisch Homoioarkton (gleicher Anfang) Homoioteleuton (gleicher Schluss) Handschrift(en) Hebräischer Text

idiom. Imp. Impf. Ind. / ind. indet.

idiomatisch Imperativ Imperfekt Indikativ / indikativisch indeterminiert

24

Allgemeine Abkürzungen

Inf. Inf. abs. inkl. instr. Interj. Interpol. / interpol. Interpr. / interpr. interr. intrans. Jh. Jt. jüd.

Infinitiv Infinitivus absolutus inklusiv instrumental Interjektion Interpolation / Interpolierend Interpretation / interpretierend interrogativ intransitiv Jahrhundert Jahrtausend jüdisch

Kap. Kaus. / kaus. Kj. Kol. Konj. / konj. Kop. kopt. Korr. / korr. KT Kt.

Kapitel Kausativ / kausativ Konjunktion Kolumne(n) Konjunktiv / konjunktivisch Kopula koptisch Korrektur / korrigiert Konsonantentext Ketib

lat. Lex. / lex. Lit. lukian. LXX

lateinisch Lexikon / lexikalisch Literatur lukianisch Septuaginta

m. a. W. Mask. / mask. Med. metaph. mg (hochgestellt) Modern. / modern. Ms. / Mss. MT

mit anderen Worten Maskulinum / maskulin Medium metaphorisch Randlesart Modernisierung / modernisierend Manuskript(e) masoretischer Text

n. Chr. Nbf. Neg. Neol. Neutr. / neutr. Nom. nom. pr. nom. loc. NT / ntl.

nach Christi Geburt Nebenform Negation Neologismus Neutrum / neutrisch Nominativ nomen proprium, Eigenname nomen loci, Ortsname Neues Testament / neutestamentlich

25

Allgemeine Abkürzungen

o. ä. Obel. / obel. Obj. Om. / om. Opt. orig. Orth. / orth.

oder ähnlich Obelos / obelisiert Objekt Omission, Auslassung / omittit Optativ original Orthodoxie / orthodox

pal. p123 Par. / par. Paraphr. / paraphr. Part. / part. Pass. / pass. Perf. Pesch phonol. Pl. / pl. Präp. / präp. Präs. / präs. Pron. / pron. ptol.

palästinisch Papyrus Nr. 123 Parallele(n) / parallel Paraphrase / paraphrasierend Partizip / partizipial Passiv / passivisch Perfekt Peschitta phonologisch Plural / pluralisch Präposition / präpositional Präsens / präsentisch Pronomen / pronominal ptolemäisch

Q Qr. rabb. Red. / red. refl. Reg. röm.

Qumran Qere rabbinisch Redaktion / redaktionell reflexiv Register römisch

S S. s. s. o. s. u. s. v. scl. seleuk. sem. Sg. / sg. Smr sog. Subj. Subst. Syh Sym syn. Synt. / synt. syr.

Kodex Sinaiticus Seite / Seiten siehe siehe oben siehe unten sub voce / unter dem Stichwort scilicet seleukidisch semitisch Singular / singularisch Samaritanus sogenannt Subjekt Substantiv Syrohexapla Symmachus synonym Syntax / syntaktisch syrisch

26

Allgemeine Abkürzungen

t. t. Tg Th Theol. / theol. trans. Transkr. / transkr. Translit. / translit. txt (hochgestellt)

terminus technicus Targum Theodotion Theologie / theologisch transitiv Transkription / transkribierend Transliteration / transliterierend Textlesart (in Handschriften)

u. a. u. ö. Übs. / übs. urspr. usw.

unter anderem und öfter Übersetzung / übersetzt ursprünglich und so weiter

V. v. Chr. Var. Vb. Vf. Vg vgl. VL Vok. Vokal. / vokal. Wiss. / wiss. wörtl.

Vers vor Christi Geburt Variante Verbum Verfasser Vulgata vergleiche Vetus Latina Vokativ Vokalisation / vokalisiert Wissenschaft / wissenschaftlich wörtlich

z. B. Zit. / zit. z.St. z. T. z. Z.

zum Beispiel Zitat / zitiert zur Stelle zum Teil zur Zeit

27

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta Siegfried Kreuzer

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta . . . . . . . 1.1 Politik und Kulturpolitik: Ägypter – Griechen – Ptolemäer 1.2 Museion und Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Judentum in Ägypten und in der westlichen Diaspora . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

30 30 34 38

2. Die Entstehung der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Tradition von einer bibliothekarisch-königlichen Initiative zur »Übersetzung der Siebzig« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten 2.3 Neuere Perspektiven zu Anlass und Verbreitung der Septuaginta . . .

. .

39

. . . . . .

40 44 46

3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek) . . 3.1 Zur Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Frage nach der ältesten Septuaginta . . . . . . . . . 3.3 Kennzeichen der ältesten Septuaginta (Erstübersetzung)

. . . .

. . . .

. . . .

49 49 50 52

4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta (kaige-Rezension, Semi-kaige) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die ältere Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Entdeckung der kaige-Rezension . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Weitere Formen hebraisierend-isomorpher Bearbeitung (semi-kaige)

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6. Christliche Revisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Hexapla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Weitere Revisionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der antiochenische Text und die Diskussion um eine lukianische Rezension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Die Bemerkungen des Hieronymus und die neueren Forschungen zur Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der Spätantike . . . . . 7.1 Zu Umfang und Anordnung des Kanons . . . . . . . 7.2 Zur Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die griechischen Übersetzungen im antiken Judentum

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75 76 77 79

8. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores) 5.1 Aquila . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Symmachus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Theodotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Eine Samaritanische Übersetzung? . . . . . . . . .

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Die Septuaginta hat – so wie jeder Text – ihre Entstehung in einer bestimmten historischen Situation und ihre Überlieferung, die ebenfalls von verschiedensten geschichtlichen Gegebenheiten geprägt ist. Die religiösen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Umstände und Zusammenhänge sind im Blick auf die einzelnen Schriften zu erörtern, wie es in dieser Einleitung im Folgenden geschieht. Die Schriften der Septuaginta bilden aber auch einen großen Zusammenhang, angefangen von dem Phänomen der Übersetzung der heiligen Schriften des Judentums in die griechische Sprache (wobei auch die jüngeren Schriften ohne hebräische Vorlage von dem gleichen Anliegen der Vermittlung jüdischer Traditionen mit der hellenistischen Welt geprägt sind) bis hin zur gemeinsamen Weitergabe dieser Schriften in großen Codices, die, wenn auch mit einzelnen Abweichungen, den »Kanon« der Septuaginta repräsentieren. Dieser große Zusammenhang begründet und rechtfertigt es, die Entstehung und Überlieferung der Septuaginta auch als Ganzes in den Blick zu nehmen.

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta Die Septuaginta entstand im Judentum, und sie entstand nicht nur in der Zeit des Hellenismus, sondern sie entstand im Hellenismus. Das gilt nicht nur für die Sprache der Septuaginta sondern auch für die Lebenswelt und die Gemeinschaft, für die sie übersetzt wurde, wobei immer zu beachten ist, dass das Judentum insgesamt in dieser Welt lebte und dass die Septuaginta inmitten dieser Welt verschiedene Bereiche des Judentums repräsentierte und verband. Von da her ist es angebracht, zunächst einen Blick auf die hellenistische Welt, insbesondere in Ägypten, zu werfen. 1

1.1 Politik und Kulturpolitik: Ägypter – Griechen – Ptolemäer Die hellenistische Zeit begann mit dem Siegeszug Alexanders des Großen. Als Beginn der hellenistischen Epoche gilt traditionell das Jahr 333 v. Chr. mit der Schlacht von Issos, die Alexander den Orient öffnete. Es ist aber heute zugleich auch anerkannt, dass der Hellenismus im Sinn hellenistischer Kultur schon zuvor begonnen hatte, den Orient zu beeinflussen. Immerhin war schon Kyros bei seinem Siegeszug um 540 v. Chr. bis in den Westen von Kleinasien vorgestoßen, so dass die Perser in unmittelbaren Kontakt mit griechischen Städten und der griechischen Kultur gekommen waren. Auch die sog. Perserkriege des 5. und des 4. Jh., die aus persischer Sicht Griechenkriege waren, hatten den Orient mit der griechischen Welt in Kontakt gebracht. Daneben gab es seit Jahrhunderten durch den Handel im ganzen östlichen Mittelmeerraum Verbindungen zwischen der griechischen Welt und dem Orient, die sich

1.

Zu Geschichte und Kultur in der Zeit des Hellenismus siehe: Gehrke, Geschichte des Hellenismus; Erskine, Companion; Heinen, Geschichte des Hellenismus. Zu Ägypten siehe insbesondere Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches. Zu einzelnen Themen: Schmitt / Vogt, Lexikon des Hellenismus.

30

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

keineswegs nur in der Übernahme des Alphabets manifestierte. Nicht lange danach schufen die Griechen, angefangen mit Homer, eine eigene Literatur. Um die Mitte des 1. Jt. v. Chr. kam es zu großen politischen, kulturellen und philosophischen Leistungen der Griechen, die dann auch in anderen Ländern bekannt wurden und Einfluss gewannen. Auch in der überragenden alten Kulturnation Ägypten begann man sich in verschiedener Weise für die griechische Kultur zu interessieren, wobei sich »griechisch« – was oft übersehen wird – nicht nur auf Griechenland, sondern ebenso sehr auf Kleinasien bezieht. Ab dem Ende des 7. Jh. wandte sich Ägypten zunehmend der griechischen Welt zu. Das mag auch mit der zuvor erlebten assyrischen Eroberung und der beginnenden Expansion des neubabylonischen Reiches zusammenhängen, hatte aber mehrere Gründe. Der »große Griechenfreund« (Herodot II, 178) Pharao Amasis (570–526) verlieh der damals schon bestehenden griechischen Ansiedlung Naukratis im Nildelta den Status einer Polis. Griechische Händler und griechische Söldner wurden bereits in dieser Zeit in Ägypten ansässig. Gewiss waren diese nicht die einzigen Fremdstämmigen in Ägypten. Die jüdischen Söldner in Elephantine waren ihre Zeitgenossen, und wir wissen, dass Juden auch in anderen Teilen Ägyptens, insbesondere im Bereich des Deltas lebten. Die Verbindung mit der griechischen Welt behielt aber ihre besondere Bedeutung. Sie war keineswegs passiv; Ägypten dehnte seine Herrschaft auch aktiv aus. Zur Zeit des Pharaos Amasis stand Zypern unter griechischem Einfluss, hatte aber auch für Ägypten Bedeutung. Dessen Eroberung durch die Perser bildete nur einen vorübergehenden Einschnitt. Wechselvoller war der Kontakt mit den Persern. Als Kambyses 525 v. Chr. in Ägypten einmarschierte, gelang es Udjahorresnet, einem Arzt und Priester des Gottes Neith, diesen davon zu überzeugen, die religiöse und politische Rolle eines Pharao zu übernehmen. »Er verfasste eine königliche Titulatur und organisierte einen feierlichen Einzug des Perserkönigs in Sais als Pharao. Damit hatte Udjahorresnet Ägypten nicht nur weitgehend vor Plünderungen geschützt, sondern einfach die ägyptische Kultur und Ordnung bewahrt.« 2 Allerdings vernachlässigte Kambyses die Priesterschaft und die Tempel. Sein Nachfolger Darius lernte daraus. Er suchte den Ausgleich mit den Priesterschaften, unterstützte und erbaute Tempel und ging so als großer und gepriesener Pharao in die ägyptische Geschichte ein. Gegen 400 wurde Ägypten wieder selbständig. Insgesamt vier persische Wiedereroberungsversuche scheiterten, nicht zuletzt weil sich Ägypten auf die Hilfe griechischer Söldner stützen konnte. »Ägypten behauptete sich in dieser Zeit … nur durch dauernde griechische Hilfe und durch eine sehr komplizierte Griechenlandpolitik.« 3 Innere Stabilität erreichten vor allem die beiden letzten einheimischen Pharaonen Nektanebos I. (380–362) und Nektanebos II. (361–343). Beide stützen sich auf die Priesterschaften und förderten Tempelbauten. Nektanebos II. verteidigte Ägypten und konnte einen Sieg über die Perser erringen. 343 jedoch eroberten die Perser ein letztes Mal Ägypten. Als 10 Jahre später Alexander die Perser besiegte, stand er prak-

2. 3.

Hölbl, Ptolemäerreich, 3. Hölbl, Ptolemäerreich, 4. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

31

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

tisch in der Tradition des Kampfes gegen und eines Siegers über die Perser; eine Perspektive, die für Griechen und Ägypter gemeinsam galt. Auch wenn diese Ereignisse und Gegebenheiten z. T. lange vor Alexander dem Großen und vor den Ptolemäern liegen, haben sie doch wesentliche Bedeutung für die Zeit der Ptolemäer und des Hellenismus in Ägypten. Mit den Worten von Günther Hölbl: »Es scheint nützlich, sich zu vergegenwärtigen, dass viele Grundzüge des ptolemäischen Ägypten in Politik, Gesellschaft und Religion schon in vorhellenistischer Zeit präsent sind, jedoch später bisweilen in anderer Akzentuierung und mit anderer Intensität fortgeführt werden.« Und weiter: »Bevölkerungsmäßig erhielt Ägypten seit der Saitendynastie immer mehr ein ›Doppelgesicht‹ : Durch die engen Kontakte mit Griechenland, den Zuzug von griechischen Söldnern und Kaufleuten wurde das hellenistische Element im Lande zunehmend stärker; selbst in den Verwaltungsapparat konnten Griechen eindringen. In der Landesverteidigung nahm der Einfluss der griechischen Söldnerführer auf die letzten einheimischen Könige immer mehr zu. Nektanebos I. hatte als eine offizielle Königsgemahlin eine Griechin namens Ptolemais. Auf diese Weise bereitete sich die spätere Dominanz der Griechen als eine Oberschicht im Lande langsam vor. Was die Religion betrifft, so setzten sich die Griechen seit langem mit der ägyptischen Religion auseinander und verehrten auch ägyptische Götter. […] Andererseits standen griechische Tempel in Naukratis, und König Amasis – auch hierbei ein Vorläufer der Ptolemäer – stiftete Votivgaben an griechische Heiligtümer. Es lässt sich somit eine ziemlich klare Linie vom saitischen Ägypten über die letzten einheimischen Dynastien [bis hin] zur Ptolemäerzeit verfolgen.« 4 Die Bedeutung Ägyptens für Alexander den Großen zeigt sich schon in der auffallenden Tatsache, dass er 333 v. Chr. nach dem Sieg von Issos nicht den persischen König nach Osten verfolgte, sondern sich zuerst nach Süden, nach Ägypten wandte. Dabei ging es sicher nicht nur um den berühmten Besuch in der Oase von Siwa, wo sich Alexander seine Eigenschaft als Sohn des Gottes Amun und wohl auch als künftiger Herrscher eines Weltreiches bezeichnen bzw. bestätigen ließ. Wahrscheinlich war es auch deshalb dringend geboten, nach Ägypten zu ziehen, weil sich sonst Ägypten vermutlich wieder als eigenes Reich mit einer eigenen Herrscherdynastie etabliert hätte. Alexander trat in Ägypten in die Rolle des Pharao. Schon bevor er nach Siwa zog, besuchte er die Hauptstadt Memphis sowie Heliopolis, die Stadt des Sonnengottes, und er brachte den Göttern Opfer dar. Das war nicht nur ein Ausdruck der Anerkennung, sondern damit erhob er zugleich den Anspruch, der neue Pharao Ägyptens zu sein, denn nur dem Pharao war die Darbringung dieser Opfer gestattet. Neben der inzwischen schon Jahrhunderte langen Verbindung zwischen Griechenland und Ägypten war es, wie seinerzeit bei Kambyses, nicht so wichtig, ob der Pharao ein Ägypter war, sondern ob und wie er die überkommene Rolle eines Pharao ausfüllte. Alexander tat das offensichtlich zur Zufriedenheit der Priesterschaft, wie es dann auch das Orakel in Siwa bestätigte. Der Gott Amun in seiner Ausprägung von Siwa hatte darüber hinaus noch einen besonderen Aspekt: Als Amun-Zeus wurde er auch in Griechenland an mehreren Kultstätten verehrt. Dieser Amun-Zeus war praktisch ein internationaler Gott mit Heimat in Ägypten; als solcher hatte er die Macht, Alexander die Weltherrschaft zuzusagen. 4.

Hölbl, Ptolemäerreich, 4 f.

32

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Bekanntlich eilte Alexander danach weiter in den Orient und eroberte das Gebiet des Perserreiches bis hinüber an die Grenzen Indiens. Er starb im Jahr 323 v. Chr. überraschend in Babylon, ohne einen Nachfolger bestimmt zu haben. Für einige Zeit wurde noch die Idee eines Gesamtreiches und eines Gesamtherrschers aufrecht erhalten. Im Lauf der folgenden Jahre und im Zuge der sog. Diadochenkriege erwies sich dieses Ziel aber als undurchführbar. Letzten Endes kam es im Jahre 306 v. Chr. dazu, dass mehrere Diadochenherrscher den Königstitel annahmen und einander wechselseitig als Herrscher über Teilgebiete des Alexanderreiches anerkannten. Für die weitere Zukunft am wichtigsten wurden zum einen die Seleukiden, die über Syrien und Mesopotamien, aber auch über Teile Kleinasiens herrschten, und andererseits die Ptolemäer, die keineswegs nur über Ägypten, sondern auch über Zypern, Rhodos und über griechische Städte an der Südküste Kleinasiens herrschten und nicht zuletzt auch als Schutzmacht für Athen fungierten. Alexander der Große hatte keinen Nachfolger bestimmt. Ptolemaios I. brachte seinen Nachfolgeanspruch dadurch zum Ausdruck, dass er sein Krönungsfest auf den Todestag Alexanders legte und seine Regierungsjahre rückwirkend vom Tod Alexanders an zählen ließ (323–283/282 v. Chr.). Ganz in diesem Sinn hatte er auch schon zuvor den Leichenwagen Alexanders nach Ägypten geholt und für die Bestattung zunächst in Memphis, später in Alexandrien, gesorgt. Demgegenüber demonstrierten die Seleukiden ihren Herrschaftsanspruch durch ihre militärische Stärke und dadurch, dass sie ein riesiges Reich mit den Zentralgebieten der Babylonier und Perser beherrschten. Die Ptolemäer profilierten sich durch ein ausgezeichnetes Wirtschaftssystem, mit dem sie nicht nur ihr Militär und einen ungeheuren dynastischen Luxus finanzierten, sondern auch Kunst und Wissenschaft. Sie knüpften damit zum einen an die uralten Traditionen des Königtums und der Weisheit Ägyptens, sozusagen den schon damals bestehenden Mythos Ägypten, an und andererseits an die vergleichsweise junge, dafür aber umso modernere Gelehrsamkeit Griechenlands. Ptolemaios verlegte die Hauptstadt vom alten Memphis in die von Alexander gegründete Stadt Alexandria. Diese neue Hauptstadt zeigt die neuen Perspektiven des Ptolemäischen Reiches. Sie verbindet das Land Ägypten und den Wirtschaftsraum des Mittelmeeres. Alexandria wurde Gegenpol zur altägyptischen Gelehrsamkeit von Memphis und zugleich zu den griechischen Städten, wie etwa Athen; oder positiver ausgedrückt: Alexandria wurde der strahlende Mittelpunkt des ptolemäischen Herrschaftsgebietes mit seiner Verbindung von ägyptischer und griechischer Welt. Kultur und Wissenschaften bekamen ihren eigenen Ort: Das Museion (als Heiligtum und Wirkungsstätte der Musen) samt seiner berühmten Bibliothek. Dieses Museion knüpfte an die Schule des Peripatos in Athen an und wurde die alexandrinische Gelehrtenakademie. Die Ptolemäer versammelten hier die besten und berühmtesten Gelehrten der damaligen Welt: Philosophen, Mathematiker, Geographen, wie etwa Erathostenes, der die Erde als Kugel betrachtete und den Erdumfang berechnete, und viele Dichter. Ein besonderer Schwerpunkt war die Philologie. Bei der Pflege der Literatur spielte offenbar die Homerphilologie eine große Rolle, und zwar sowohl inhaltlich als auch stilbildend. Darüber hinaus war man bestrebt, die Werke der Weltliteratur in Alexandrien zu sammeln. Literatur wurde dabei umfassend verstanden; insbesondere Werke 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

33

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

der Geschichte und der Religionsgeschichte gehörten ganz wesentlich mit dazu. Angesichts der großen Menge an Werken bedurfte es nicht nur eines Ordnungssystems, sondern es entstand auch der Gedanke einer kanonischen, normativen Auswahl. In den Zusammenhang der umfassenden Sammlungen gehört auch die von Manetho verfasste Geschichte Ägyptens. Manetho war Priester und Angehöriger der einheimischen Oberschicht. Er gehörte zu den Ratgebern von Ptolemaios I. und beeinflusste dessen Religionspolitik. So war er wesentlich an der Schaffung und Ausdeutung des Serapiskultes beteiligt, der über Ägypten hinaus weite Verbreitung fand. Vor allem aber verfasste er seine berühmte Geschichte Ägyptens. Für diese standen ihm alte Quellen in den Tempeln zur Verfügung. 5 Manetho war es, der die ägyptische Geschichte in 30 Dynastien einteilte, eine Einteilung, die bis heute verwendet wird. Mit seinem Werk vermittelte er die ägyptische Geschichte an seine griechisch sprechenden Zeitgenossen. Die Abfassung dieses Geschichtswerks fällt allerdings dann schon in die Zeit von Ptolemaios II., der ihn ausdrücklich dazu aufgefordert haben soll. Ptolemaios I. war nicht nur Feldherr und Herrscher, sondern auch Gelehrter im Bereich der Geschichtsschreibung. Er verfasste eine Biographie Alexanders, die zwar nur indirekt über die Alexanderbiographie des Lucius Flavius Arrianus von Nikomedien (ca. 90–150 n. Chr.) erhalten blieb, aber doch eine der wichtigsten und besten Quellen über Alexander darstellt.

1.2 Museion und Bibliothek Der konkrete Ort all dieser gelehrten Bemühungen war die mit dem Museion verbundene Bibliothek. Ihre genaue Entstehungsgeschichte ist umstritten. Sie wird in der Tradition des Aristeasbriefes (s. dazu unten, 2.1) mit Ptolemaios II. in Verbindung gebracht. Allerdings wird man sagen können, dass die Planung und die erste Aufbauphase schon in die Zeit von Ptolemaios I. zurückgeht. Hier kommt nun auch der berühmte und umstrittene Demetrios von Phaleron ins Spiel. Demetrios war Schüler des Theophrast, der seinerseits in der Akademie in Athen tätig gewesen war, sich aber auch schon in Ägypten aufgehalten hatte. Demetrios von Phaleron war Staatsmann, Philosoph und Rechtsgelehrter. 307 v. Chr. wurde er aus Athen vertrieben. »297 kam er nach Ägypten, wurde von Ptolemaios freundlich aufgenommen und avancierte zu einem Ratgeber des Königs auf kulturellem Gebiet. Als solcher gehörte er auch der von Ptolemaios eingesetzten Gesetzgebungskommission an (Ail.var. [= Ailianos, varia historia] III,17).« 6 Insofern ist die vom Aristeasbrief dem Demetrios zugeschriebene Rolle für die Bibliothek nicht so falsch, auch wenn Demetrios nicht der eigentliche Bibliothekar war und vor allem nicht mehr unter Ptolemaios II. Damit kommen wir zur politischen Geschichte zurück. Ptolemaios I. starb im Winterhalbjahr 283/82 v. Chr., im Alter von 84 Jahren. Angesichts dieses hohen Alters des Königs wurde natürlich schon längere Zeit die Nachfolgefrage diskutiert. Ptolemaios II. war nicht der einzige mögliche Thronfolger. Immerhin gab es Nachkommen der Eurydike, der zweiten Gattin Ptolemaios I., während der spätere Ptolemaios II.

5. 6.

Helck, Manetho. Hölbl, Ptolemäerreich, 28.

34

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

von Berenike, der dritten Gattin abstammte. Schließlich aber setzte sich Ptolemaios II. durch: Er wurde ab 285 v. Chr. Mitregent. Ptolemaios II. hat später diese Zeit seiner Mitregentschaft in die Angabe der Regierungsjahre mit einbezogen. Auch er regierte fast vier Jahrzehnte (285–246 v. Chr.). Im Ringen um die Nachfolge war Demetrios von Phaleron für einen anderen Thronanwärter eingetreten. Er wurde dann anscheinend von Ptolemaios aus Alexandria verwiesen – allerdings noch nicht in der Zeit der Koregentschaft – und starb bald danach. Er muss damals über 60, eher gegen 80 Jahre alt gewesen sein. Auch in der Zeit Ptolemaios’ II. gab es eine ganze Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen: in Griechenland, in Makedonien, in Kleinasien und vor allem in Syrien mit den Seleukiden. Zum nicht geringen Teil waren das auch Kriege, in denen sich Mitglieder der weit verzweigten Familie auf verschiedenen Seiten gegenüberstanden. Andererseits wurde der Friede nach dem zweiten syrischen Krieg 253 v. Chr. dadurch besiegelt, dass Berenike, eine Tochter des Ptolemaios, mit Antiochos II. verheiratet wurde. Trotz zeitweiser Verluste behielt das Ptolemäerreich seine Besitzungen an der Südküste Kleinasiens und blieb in engem Kontakt mit Athen und Griechenland. Ptolemaios II. Philadelphos baute die Bibliothek in Alexandria aus und brachte sie zu großer Blüte. Für die Bibliothek wurden große Summen ausgegeben und vielerlei Anstrengungen unternommen, um Bücher und Gelehrte nach Alexandria zu holen. Die im Aristeasbrief gegebene Beschreibung des Aufwandes für die Beschaffung und Übersetzung der Heiligen Schriften des Judentums würde da keineswegs aus dem Rahmen fallen (womit allerdings noch nichts über die Tatsächlichkeit des Vorgangs gesagt ist). In Athen existierte ein Staatsexemplar der Schriften der drei großen Tragiker (Aischylos, Sophokles, Euripides). Dieses wurde gegen 15 Talente Silber zum Zweck einer Abschrift nach Alexandria ausgeliehen. Dort behielt man lieber das Original und ließ das Pfand verfallen. Regelmäßig wurden die Büchermärkte des Reiches beobachtet. Aus der Zeit von Ptolemaios III. wird berichtet, dass im Hafen von Alexandria die Schiffe nach wertvollen Schriften durchsucht wurden. Häufig erhielt man nur eine Abschrift zurück, während das Original in die Bibliothek wanderte. 7 Die Bibliothek soll schon im 3. Jh. v. Chr. 200.000, dann 490.000 und schließlich im 1. Jh. v. Chr. 700.000 Buchrollen umfasst haben. 8 Diese Zahlen mögen übertrieben sein, jedenfalls aber waren Größe und Bedeutung der Bibliothek kaum zu überschätzen. Ein solch großer Schatz musste geordnet und vor allem benutzbar und verwaltbar gemacht werden. Die Bücher waren zunächst nach Herkunft geordnet und verzeichnet. Um 250 schuf Kallimachos von Kyrene (ca. 300–nach 245 v. Chr.), der selbst ein bedeutender Gelehrter und Dichter war, ein großes Verzeichnis der Bestände, die sogenannten Pinakes in 120 Bänden. Dazu gab es Spezialverzeichnisse zu bestimmten Themen und Dichtern. Die Bibliothek war nicht Selbstzweck, sondern sie diente der Arbeit der Gelehrten, die man ebenfalls nach Alexandria holen wollte und auch holte. Sie wirkte aber natürlich auch darüber hinaus in der Hauptstadt und im Reich und war ein wesentlicher Faktor für das Selbstverständnis nicht nur der Oberschicht von Alexandria. Wichtig

7. 8.

So berichtet bei Galenos, In Hippocratis epidemiarum librum tertium commentarius 2,4. Dubielzig, Buchwesen, 214. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

35

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

ist, dass die Bibliothek prinzipiell öffentlich zugänglich war; d. h. alle Gebildeten und lesefähigen Bewohner konnten sie aufsuchen. Die große Bibliothek von Alexandria war nicht die einzige in der Stadt. Auf dem Gelände des Serapeums existierte eine weitere öffentliche Bibliothek. Auch in anderen hellenistischen Städten gab es Bibliotheken, z. B. in Pergamon beim Tempel der Athene, im syrischen Antiochien und in vielen anderen hellenistisch geprägten Städten. Es gab auch private Bibliotheken; so hatte z. B. schon Theophrast, der Lehrer des Demetrios, eine beachtliche Bibliothek, die später für die Bibliothek von Alexandria angekauft wurde. Im Umfeld der Bibliothek von Alexandria waren neben all den anderen Wissenschaften auch erhebliche philologische Kompetenzen einschließlich der Textkritik vertreten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Homer-Rezeption. Homer gehörte schon zur Zeit von Sokrates und Plato zum Bildungskanon und war Gegenstand der Diskussion und philologischer Erforschung. Diese Ansätze kamen in Alexandria zur Entfaltung. Die Dichter priesen Homer und orientierten sich für ihre eigenen Dichtungen an ihm, so z. B. Kallimachos, der erwähnte Verfasser des Bibliotheksverzeichnisses. Philologisch wurden z. B. seltene oder nicht mehr vorhandene Wörter aus Homer und anderen alten Dichtern gesammelt und erklärt. Aristarch von Samothrake wurde eine unumstrittene Autorität auf dem Gebiet der Textkritik und der Exegese der homerischen Schriften. Nach ihm sind die aristarchischen Zeichen Asteriskus, Obelos und Metobelos benannt, die später Origenes in seiner Hexapla verwendete. Ähnliche Zeichen hatte schon Zenodot aus Ephesus, der erste Leiter der alexandrinischen Bibliothek, bei seinen textkritischen und editorischen Arbeiten entwickelt. Zenodot erstellte durch Vergleich von Handschriften eine erste kritische (d. h. im Wesentlichen: von Zusätzen befreite) Homerausgabe. Außerdem erschloss er den homerischen Wortschatz durch ein Glossar. Zenodot wie auch die anderen Philologen beschäftigten sich natürlich nicht nur mit Homer, sondern ebenso auch mit anderen Autoren und deren Werken, wie z. B. Hesiod und dessen Theogonie. Die Philologie entwickelte sich in einem unglaublichen Ausmaß und stand im Mittelpunkt; selbst der als Mathematiker und Geograph bekannte Eratostenes verfasste auch philologische Werke. Eine besondere Blüte und auch eine Verselbständigung erreichte die Philologie bei Aristophanes von Byzanz, der um 200 v. Chr. Vorsteher der Bibliothek war. Aristophanes verfasste lexikographische Studien, die sich über verschiedene Literaturgattungen erstreckten, wobei er auch das Alter von Wörtern berücksichtigte. Mit seinem umfangreichen Werk »Lexeis« wurde er der Begründer der Lexikographie. Daneben machte Aristophanes noch einen weiteren interessanten Schritt: Er stellte eine Auswahl von sogenannten mustergültigen Autoren zusammen; eine Art Literatur- und Bildungskanon. Auf diese Weise wurden nicht nur bestimmte Autoren und Werke herausgehoben und ihr Stil und Inhalt als beispielhaft und normativ anerkannt, sondern es wurde auch ganz wesentlich beeinflusst, welche antiken Autoren weiterhin vorrangig und letzten Endes überhaupt überliefert wurden. Der Kanongedanke war schon in der Zusammenstellung der drei großen Tragiker (Aischylos, Sophokles, Eurypides; erstmals bei Aristophanes, 405 v. Chr.) enthalten. Er wurde nun aber explizit fortentwickelt und erhielt in der Literatur und anderen Wissensgebieten eine wichtige Funktion. Im Lauf der Zeit wurden Kanones für die verschiedenen Gebiete zusam36

1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

mengestellt: Für die Dichtung ein Kanon der Epiker (mit Homer an der Spitze), der Lyriker, der Tragiker, der Komödiendichter usw.; für die Prosa ein Kanon der Redner, der Historiker und der Philosophen. 9 Dieser Vorgang ist für das Alte Testament in zweifacher Hinsicht interessant: Einerseits zeigen diese Vorgänge, dass der Gedanke des Kanons in dieser Zeit in der Luft lag. Andererseits wird deutlich, dass die Gruppierung nach Textgattungen ein Phänomen ist, das in der Art der Zusammenstellung der alttestamentlichen Schriften eine gewisse Entsprechung zu haben scheint. Alle diese Entwicklungen sind schon an und für sich sehr interessant und bedeutsam. Hier aber geht es vor allem darum, in welchem geistigen Umfeld die Übersetzer der Septuaginta lebten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Septuaginta-Übersetzer diese kulturellen und insbesondere philologischen Leistungen ihrer Umgebung kannten und an ihnen partizipierten und sie auch ihrerseits anwandten. 10 Dass in dieser Zeit die ersten griechisch schreibenden jüdischen Historiker ihre Werke verfassten, 11 bezeugt jedenfalls, dass man im Judentum die alexandrinische Philologie kannte und berücksichtigte. Nochmals zu Homer: Homer spielte nicht nur in der Philologie eine enorme Rolle, sondern ganz generell im kulturellen Bewusstsein der griechischen und dann eben der hellenistischen Welt. So versuchten z. B. verschiedene Städte, ihre Wurzeln mit der homerischen Welt zu verbinden. Besonders in den griechischen Städten Kleinasiens stellte man gerne eine solche Verbindung her. So existierte z. B. in den Bergen der kleinasiatischen Küstenregion, gegenüber von Zypern, die Stadt Solyma. Ihre Einwohnerschaft setzte sich vermutlich zum Teil aus Einheimischen und zum anderen Teil aus jenen Griechen zusammen, die die Südküste Kleinasiens besiedelt hatten. Sie verbanden aber ihre Herkunft mit den Solymiern, die schon in Ilias (VI 184.204) und Odyssee (V 283) genannt werden. Die stolzen Bewohner von Solyma leiteten damit ihre edle Herkunft aus der altehrwürdigen homerischen Welt ab. Neben diesem Solyma in Kleinasien existierte noch ein weiteres Solyma, das sogar ein heiliges, ein »Hiero-solyma«, war, nämlich Jerusalem. Ab dem 3. Jh. v. Chr. findet sich bei verschiedenen griechischen Autoren (Polybius; Diodorus Siculus; Strabo, Cassian) für Jerusalem diese Bezeichnung, die – wie sich aus dem damit erhobenen Anspruch ergibt – gewiss aus Jerusalem selbst stammt. Sie wird in jüngeren Teilen der Septuaginta sowie im Aristeasbrief und in Jesus Sirach verwendet (und dann häufig im Neuen Testament). Dass dieser Name für Jerusalem überhaupt entstehen konnte, zeigt eine – zumindest aus späterer Sicht – ungewöhnliche und überraschende Offenheit für die griechischhellenistische Kultur sowie das Bestreben, dazu zu gehören und sich einen anerkannten Platz zu verschaffen.

9. Siehe dazu Dubielzig, Kanon. 10. Die auch noch von Siegert, Einführung, 32, vertretene Meinung, dass die jüdische Gemeinde und mit ihr die Septuagintaübersetzer mit der alexandrinischen Kultur und Bildung »zu keiner Zeit einen erkennbaren Kontakt hatte[n]«, ist so nicht mehr haltbar. Zu zahlreich sind die Spuren einschlägiger Kenntnisse. Siehe dazu etwa Usener, Griechisches im Griechisch der LXX, und ders., Zur Sprache der Septuaginta, sowie Maren R. Niehoff, Jewish Exegesis and Homeric Scholarship in Alexandria, Cambridge 2014. 11. Walter, Historiker. 1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

1.3 Judentum in Ägypten und in der westlichen Diaspora Verbindungen zwischen Israel und Ägypten gab es seit ältester Zeit. Ägypten ist im Alten Testament nicht nur das Land der Sklaverei und des Exodus sondern auch das Land der Zuflucht. Das spiegelt sich nicht nur in Erzählungen wie Gen 12,10-20 und Gen 42–45 sondern auch in den Berichten von der Flucht Hadads, des späteren Königs der Edomiter (1Kön 11,17-21) und Jerobeams, des späteren Königs von Israel (1Kön 11,40). Die politischen und militärischen Kontakte mit Ägypten in der späteren Königszeit gingen auch mit einem gewissen Bevölkerungsaustausch einher, möglicherweise mit der Entsendung von Arbeitern und Soldaten wie es in Dtn 17,16 abgelehnt, aber damit auch vorausgesetzt wird. Die in der schwer zu deutenden Stelle Jes 19,17-25 ausgesprochene Erwartung, dass fünf Städte in Ägypten die Sprache Kanaans sprechen werden, setzt wohl ebenfalls Menschen aus Juda und Israel in Ägypten voraus. Jene Judäer, die nach Jer 44 nach dem Ende Jerusalems nach Ägypten flohen, flohen wohl nicht ins Unbekannte sondern hatten vermutlich bereits Kontakte zu Landsleuten in Ägypten. In den berühmten Papyri der jüdischen Militärkolonie in Elephantine wird gesagt, dass diese Ansiedlung jüdischer Söldner im tiefen Süden Ägyptens bereits existierte bevor der persische König Kambyses 522 v. Chr. nach Ägypten kam. Die Zenon-Papyri bezeugen für das 3. Jh. v. Chr. einen intensiven wirtschaftlichen Austausch mit Ägypten, der gewiss auch mit der Wanderung von Personen einherging. Im Aristeasbrief wird gesagt, dass Ptolemaios (II.) zum Dank für die Übersetzung 100.000 kriegsgefangene judäische Sklaven freigelassen habe. Selbst wenn die Zahl vermutlich übertrieben und das Ereignis vielleicht überhaupt fiktiv ist, zeigt die Notiz, dass man im 2. Jh. v. Chr. von einer großen Zahl jüdischer Immigranten in Ägypten wusste, die vor allem in Unterägypten, aber auch in Mittel- und Oberägypten lebten. Diese Juden gehörten offensichtlich allen sozialen Ebenen an, wie die Papyri von Herakleopolis zeigen und andererseits die Nachricht von dem von Ptolemaios VI. aufgenommenen Hohepriester Onias IV., dem um 170 v. Chr. erlaubt wurde, in Leontopolis ein eigenes Heiligtum zu errichten und zu betreiben. Die genau datierbaren Papyri von Herakleopolis (143–133 v. Chr.) bezeugen, dass die Juden auf dem Land offensichtlich von bäuerlicher und handwerklicher Tätigkeit lebten und in der Form eines Politeuma auch ein gewisses Maß an Selbstverwaltung hatten. 12 Allerdings zeigen diese Papyri auch, dass diese jüdische Gemeinschaft voll die Sprache des Landes, d. h. Griechisch, und auch die wirtschaftlichen Praktiken (einschl. des Zinssatzes von 24 %) übernommen hatte. In den Städten waren die Verhältnisse wohl ähnlich oder noch ausgeprägter. Immerhin berichtet Josephus dass zwei der fünf Stadtbezirke von Alexandrien jüdisch waren. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass es schon vor aber insbesondere in der hellenistischen Zeit einen erheblichen jüdischen Bevölkerungsanteil in den verschiedensten Gebieten Ägyptens gab, wobei die Lebenswelt gewiss von der Religion der Vorfahren, aber auch ganz von der griechischen Sprache und Kultur geprägt war. Zeugnisse über das Judentum in der weiteren Griechisch sprechenden Diaspora sind leider nur spärlich erhalten, weisen aber doch auf eine geographisch wie auch zahlenmäßig große Verbreitung des Judentums hin. Alttestamentliche eschatologische 12. Cowey / Maresch, Urkunden; Cowey, Judentum in hellenistischer Zeit.

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1. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Texte sprechen wiederholt von der Heimkehr der Juden aus der Diaspora auch der westlichen Welt. Interessant ist das in Apg 2,9-11 entworfene Bild von der Verbreitung des Judentums im 1. Jh. n. Chr., wo u. a. Juden und Gottesfürchtige aus Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom genannt werden (siehe auch die Aufzählung bei Philo, Legatio ad Gaium 281). Auf Grund der klimatischen Bedingungen und späterer geschichtlicher Entwicklungen sind für die meisten dieser Gebiete kaum oder keine Handschriften sondern lediglich Inschriften an Gebäuden und auf Grabsteinen erhalten, die allerdings einen erheblichen Anteil an jüdischer Bevölkerung und reicher Kultur bezeugen, und in denen griechische Bibeltexte verschiedener Fassung zitiert sind.

2. Die Entstehung der Septuaginta Die Frage nach Anlass und Entstehung der Septuaginta ist von zwei Grundpositionen beherrscht. Auf der einen Seite steht die Auskunft des Aristeasbriefes 13, wonach die Initiative zur Übersetzung auf König Ptolemaios (II. Philadelphos, 283–246 v. Chr.) und dessen Berater und Bibliothekar Demetrios von Phaleron zurückging. Die Übersetzung selbst wurde dann von einer aus Jerusalem entsandten Gruppe von 70 bzw. 72 Übersetzern und auf der Basis von aus Jerusalem mitgebrachten hebräischen Handschriften durchgeführt. Nach dem Aristeasbrief wurde die fertige Übersetzung zwar zunächst auch von der jüdischen Gemeinde gebilligt, aber die eigentliche Approbation wurde – entsprechend der königlichen Beauftragung – vom König ausgesprochen, wobei dieser nicht nur die Qualität der Übersetzung würdigt, sondern auch dem Inhalt der Schrift höchste Bewunderung und Anerkennung zollt. Dieser Abschluss entspricht insofern dem Anfang, als die Initiative zur Übersetzung ja letztlich der Zugänglichkeit des Inhalts der jüdischen heiligen Schriften galt. Demgegenüber wurde seit Beginn der Neuzeit auf den apokryphen Charakter des Briefes (daher häufig auch »Pseudo-Aristeas«) hingewiesen 14 und vor allem vertreten, 13. Griechischer Text u. a. in Swete, Introduction, 531-606. Deutsche Übersetzung mit ausführlicher Einleitung bei Meisner, Aristeasbrief, 35-85); weitere Diskussion und Literatur bei Murray, Aristeasbrief, und Veltri, Aristeasbrief und ders., Tora; sowie jetzt auch Brodersen, Legende, und ders., Der König und die Bibel. Zum literarischen Umfeld des Briefes: Walter, Jewish-Greek Literature, 385-408, sowie zum weiteren Zusammenhang: Verbrugghe / Wickersham, Berossos and Manetho. 14. Erste Zweifel bei Luis Vives (1492–1540) und J. Justus Scaliger (1540–1609). Detaillierte Diskussion und Forschungsgeschichte zum Brief und zu den Theorien der Entstehung der Septuaginta bei Jellicoe, Septuagint and Modern Study, 29-73; Harl / Dorival / Munnich, La Bible Grecque, und Fernandez Marcos, Introduction, 2000, 35-66 [Lit.]). Von Bedeutung für die Analyse und Datierung des Briefes sind vor allem die Untersuchungen von Bickerman, Datierung (1930), 280-296 (= 1976, 109-136), sowie Meisner, Untersuchungen (1972), und W. Schmidt, Untersuchungen (1986). Schmidt klammert die Frage der Entstehung der LXX aus und bezieht sich nur auf die Abfassung des Briefes und der darin (scheinbar) zitierten Dokumente, wobei er mit guten Gründen und weitgehender Zustimmung zu Meisner den Entstehungszeitraum auf 125–114 v. Chr. (oder eventuell kurz danach) einengen kann. 2. Die Entstehung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

dass die Septuaginta nicht auf Grund äußerer Veranlassung sondern auf Grund innerer Notwendigkeiten in der jüdischen Gemeinde entstanden sei. Repräsentativ – vor allem für die Wahrnehmung des Problems in der deutschsprachigen Forschung – sind die knappen Sätze bei Würthwein: »Aber schon das, was der Aristeasbrief selber berichtet, ist in vielem unglaubwürdig. Nicht ein Heide, wie er vorgibt, hat ihn geschrieben, sondern ein Jude, der die Weisheit und das Gesetz seines Volkes durch den Mund eines heidnischen Königs verherrlicht. Dieser Verfasser hat nicht zur Zeit des Ptolemäus Philadelphos gelebt, sondern mehr als hundert Jahre später. Ferner wurde das Gesetz nicht deshalb übersetzt, weil es ein königlicher Förderer der Wissenschaften so wünschte, sondern weil die ägyptischen Juden, die das Hebräische nicht mehr verstanden, ohne eine solche Übersetzung nicht mehr auskamen. Und schließlich geht diese Übersetzung nicht auf palästinische Juden zurück, sondern auf Glieder der alexandrinischen Diaspora, denen Griechisch die Sprache ihres Alltagslebens war.« 15 Bei der Analyse und Bewertung dieser beiden Grundthesen sind verschiedene Ebenen zu unterscheiden. So relativiert zwar der Nachweis der Pseudonymität des Aristeasbriefes den Quellenwert seiner Aussagen, das ist aber für sich genommen noch kein positives Argument für die Gegenthese, denn auch ein pseudonymer Text kann zutreffende Informationen enthalten. 16 Andererseits basiert die These einer rein innerjüdischen Veranlassung auf Plausibilitätsargumenten im Rahmen eines zwar wahrscheinlichen, aber letztlich doch nur erschlossenen Geschichtsbildes. Die Faktoren und Argumente sind somit je für sich zu prüfen und zu bewerten, und nicht zuletzt muss die Möglichkeit für eine gegenüber den bisherigen Thesen differenzierte Antwort offen bleiben.

2.1 Die Tradition von einer bibliothekarisch-königlichen Initiative zur »Übersetzung der Siebzig« Die Tradition der Entstehung der Septuaginta auf Grund einer Initiative des ptolemäischen Königs hat ihr hauptsächliches Zeugnis im Aristeasbrief und in offensichtlich davon abhängigen Darstellungen, wie etwa bei Josephus, Antiquitates XII,2. Ein Zusammenhang mit dem Ptolemäerkönig findet sich aber auch in rabbinischen und talmudischen Zeugnissen, auch wenn dort die Septuaginta bzw. ihre Entstehung kritischer oder später auch negativ gesehen wird und bestimmte Textvarianten als dem König Talmai (= Ptolemäus) zuliebe formuliert erklärt werden. 17 Schließlich berichtet Ein Vergleich der einschlägigen Quellen bestätigt zudem die Annahme, dass die ursprüngliche Form des Namens Aristaios lautete und die Form Aristeas auf Kontexteinfluss und Verwechslung zurückgeht (Schmidt, Untersuchungen, 21 f.). Angesichts der standardmäßigen Verwendung, etwa auch in den neuesten Lexika, bleibe ich hier bei der geläufigen Namensform. 15. Würthwein, Text des Alten Testaments, 53. 16. Methodisch problematisch ist es auch, Aussagen des Briefes gegeneinander auszuspielen, vgl. Orth, Ptolemaios II, 105: »Das Argument, die [im Brief berichtete] Zustimmung der Juden zur Textvorlage spreche dafür, dass diese Übersetzung ganz allein Sache der Juden gewesen sei, ist schon deshalb problematisch, weil hier eine Aussage des Aristaios-Texts (Ptolemaios als Initiator) dadurch widerlegt werden soll, dass man eine andere Aussage (Juden als Genehmigungsgremium) wortwörtlich für korrekt hält.« 17. Vgl. dazu Veltri, Tora. Für die traditionsgeschichtliche Analyse der einschlägigen Stellen und

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2. Die Entstehung der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Philo von Alexandrien noch anfangs des 1. Jh. n. Chr. von einem alljährlichen Freudenfest auf der Insel Pharos zum Gedenken an die Übersetzung der Septuaginta, zu dem auch die nichtjüdischen Mitbewohner eingeladen waren (Philo, Vita Mosis II 41 f.). 18 Die Tradition von der Initiative eines heidnischen Königs für die Übersetzung der heiligen Schrift der jüdischen Gemeinschaft ist überraschend und ungewöhnlich und erschien später problematisch. Gerade wenn man annimmt, dass die Septuaginta aus rein innerjüdischen Gründen und Bedürfnissen entstand und verwendet wurde, ist es kaum erklärbar, warum man eine Initiative des heidnischen Königs erfunden haben soll. 19 – So besteht zunächst die Aufgabe, sich mit den Traditionen des Aristeasbriefes und dem darin gezeichneten Bild auseinander zu setzen, auch wenn der Brief pseudonym ist und mehr als ein Jahrhundert später, d. h. wahrscheinlich um etwa 125 v. Chr. und auf dem Hintergrund der Makkabäerzeit entstand. 20 Durch die Verbindung der Septuaginta mit Ptolemaios II. Philadelphos wird eine zeitliche Einordnung der griechischen Übersetzung der Thora 21 etwa in die Mitte des dritten Jh. v. Chr. behauptet. Diese zeitliche Einordnung der Anfänge der Septuaginta ist zutreffend: Die Nennung der griechischen Übersetzung nicht nur des Gesetzes, sondern auch der Propheten und der Schriften im Prolog von Ben Sira (Prolog 7) wie auch die Funde von Septuaginta-Manuskripten aus dem 2. Jh. v. Chr. 22 bestätigen, dass die Anfänge der Septuaginta in der Tat in der Mitte des 3. Jh. anzusetzen sind. Nach der Darstellung des Aristeasbriefes steht die königliche Initiative zur Über-

18. 19.

20.

21. 22.

zur Unterscheidung ihres Bezugs auf Septuaginta, auf hebräischen Text oder spätere rabbinische Interpretationen siehe besonders K. Müller, Die rabbinischen Nachrichten, 73-93. Vgl. Gehrke, Umfeld. Gerade wenn der rein innerjüdische Bedarf und Gebrauch als ganz selbstverständlich herausgestellt wird, spitzt sich diese Frage zu; vgl. etwa Siegert, Register, 29: »Am evidentesten ist das Interesse der Juden selbst, ihr Gesetz auch in griechischer Sprache lesen zu können; schließlich war die Weitergabe der Tora ein Gebot der Tora (Dtn 6,6). Daneben oder auch bald danach haben Juden der Diaspora die Übersetzung für ihre Synagogen nötig gehabt, sobald denn der Brauch aufkam, bei den Gebetszusammenkünften […] daraus vorzulesen. […] Wahrscheinlich haben beide Dinge einander verstärkt, die Toraübersetzung den Synagogengottesdienst und der Synagogengottesdienst den Gebrauch der Tora […] Jedenfalls ist, von der Rezeption her gesehen, die Septuaginta bis zum Aufkommen des Christentums ein rein jüdische Angelegenheit gewesen.« – Gerade wenn die Septuaginta eine solche rein innerjüdische Angelegenheit war, stellt sich umso mehr die Frage, wie es dann zur Behauptung einer heidnisch-königlichen Initiative für die Übersetzung kommen und wie sich diese Nachricht dann so exklusiv und unbestritten durchsetzen konnte. Vgl. dazu besonders Meisner, Untersuchungen, Schmidt, Untersuchungen, und Murray, Aristeasbrief. Lange, Standardization, datiert den Aristeasbrief auf Grund einer auch im Prolog zu Jesus Sirach vorkommenden Wendung in das 1. Jh. Allerdings könnte die ähnlich auch schon bei Aristophanes von Byzanz um 200 v. Chr. vorkommende Wendung traditionell sein. Faktisch datiert Lange deswegen auf die Mitte des 1. Jh. v. Chr., weil er auch die Standardisierung des masoretischen Textes erst für diese Zeit annimmt. Um diese und noch nicht um das ganze Alte Testament geht es im Aristeasbrief. »Dies stimmt mit der frühen Datierung einiger Papyrus- und Lederfragmente der Tora aus Qumran und Ägypten gegen Mitte oder Ende des 2. Jh. v. Chr. (4QLXXLeva, 4QLXXNum, Pap. Fouad 266, Pap. Rylands Gk 458) überein.« Tov, Text, 114. 2. Die Entstehung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

setzung im Zusammenhang mit dem Aufbau der alexandrinischen Bibliothek, von wo der eigentliche Impuls ausgeht. Zwar ist die Verbindung von Ptolemaios II. Philadelphos mit dem königlichen Bibliothekar Demetrios von Phaleron ziemlich sicher falsch, 23 weil Demetrios in der Nachfolgfrage nach Ptolemaios I. auf die falsche Person gesetzt hatte und er das Land verlassen musste, 24 Demetrios war aber an den Planungen für die Bibliothek beteiligt gewesen, und er selbst wie auch schon sein Lehrer Theophrast hatten Interesse an fremden Traditionen, insbesondere Rechtsordnungen, und deren Sammlung. 25 Abgesehen von der anachronistischen Einordnung des Demetrios ist im Aristeasbrief die Gesamtsituation am ptolemäischen Königshof in dieser Zeit durchaus zutreffend dargestellt: Die verschiedenen Diadochenherrscher versuchten auf je verschiedene Weise sich als die wahren Nachfolger Alexanders zu erweisen, wobei sich die Ptolemäer als Förderer der Künste, der Wissenschaft und der Kultur profilierten. 26 Im Umkreis von Museion und Bibliothek beschäftigte man sich mit berühmten Texten und Traditionen der damaligen Weltkultur wie auch – nicht zuletzt im Sinn der Akzeptanz der ptolemäischen Herrschaft bei den Einheimischen – mit den Traditionen der ägyptischen Geschichte. Dabei wurden nicht nur die Werke Homers und Hesiods ediert und kommentiert, sondern auch orientalische Texte und Traditionen bis hin zum Werk Zoroasters 27 aufgenommen und übersetzt; und nicht zuletzt geht Manethos um 280 v. Chr. verfasste Darstellung der ägyptischen Geschichte ihrerseits auf ägyptische Quellen zurück und basiert damit auch auf einer Form von Übersetzung. 28 Neben dem zeitgenössischen Bildungsinteresse, das auf dem Hintergrund des Völker und Kulturen umspannenden Alexanderreiches bzw. der hellenistischen Oikumene nur allzu verständlich ist, und auch abgesehen von der spezifischen Profilierung der frühen Ptolemäer durch Museion und Bibliothek, stellte sich auch die Aufgabe der Berücksichtigung der einheimischen Kulturen durch die zunächst fremden ptolemäischen Herrscher. Dies galt besonders für die ägyptische Bevölkerung, was sich in der Errichtung zahlreicher Tempel und in der Abfassung der erwähnten Geschichte Ägyptens von Manetho niederschlug. Ähnliche Bemühungen und Interessen sind aber auch gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen – und damit auch gegenüber der großen jüdischen Gemeinschaft – durchaus nicht unwahrscheinlich. Diese Interessen mussten

23. Anders neuerdings wieder N. Collins, Library, die bei ihrer Prüfung aller antiken Nachrichten zum Ergebnis kommt, dass die Nachricht über einen Konflikt zwischen Ptolemaios II. und Demetrios erst am Anfang des 1. Jh. entstanden sei, woraus sich für sie ergibt: »Demetrius of Phalerum was a trusted employee of Ptolemy II« (Überschrift zu Kapitel 3; 58-81). 24. Orth, Ptolemaios II., 108-110; zu Person und Werk des Demetrios siehe jetzt Fortenbaugh / Sutrumpf, Demetrius of Phalerum. 25. Orth, Ptolemaios II.; für Theophrast wird zudem die Beschäftigung mit Palästina und dem Judentum berichtet, ebd. 26. Orth, Ptolemaios II. Siehe auch Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches: »4.3 Alexandrinische Gelehrsamkeit«, und Jacob / Polignac, Alexandrie. 27. Plinius der Ältere berichtet in seiner Naturgeschichte XXX 2,4, dass Hermippos, ein Gelehrter des 3. Jh. v. Chr., Bemerkungen zum Werk des Zoroaster verfasst habe, was deren Übersetzung ins Griechische voraussetzt; vgl. Orth, Ptolemaios II., 107. 28. Wadell, Manetho; Verbrugghe / Wickersham, Berossos and Manetho; Helck, Manetho.

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2. Die Entstehung der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

keineswegs einseitig bleiben. So übte Manetho durch die Ausgestaltung und Verbreitung des Serapiskultes erheblichen Einfluss auf die hellenistische Religion aus. 29 Ein in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes, aber doch eigenes Problem stellt die Übersetzung von Rechtstraditionen dar. Offensichtlich wurden unter den Ptolemäern nicht nur neue Erlasse mehrsprachig publiziert, sondern wurden auch vorhandene Rechtstexte übersetzt. Beleg dafür ist ein demotischer Gesetzescodex aus Hermopolis, der durch einen Papyrus aus dem 3. Jh. v. Chr. bekannt ist. Der 1978 publizierte Papyrus 3285 aus Band 46 der Oxyrhynchuspapyri bietet offensichtlich eine griechische Übersetzung eines Teiles dieses demotischen Codex. Zwar stammt P.Oxy 3285 erst aus der Zeit nach 150 n. Chr., aber der Herausgeber J. R. Rea nimmt an, dass die zugrunde liegende Übersetzung in frühptolemäischer Zeit entstand. 30 Nachdem schon L. Rost 1970 auf Grund der im Aristeasbrief erwähnten doppelten Beglaubigung der Übersetzung auf eine staatliche Anerkennung des jüdischen Gesetzes geschlossen hatte, 31 wurde P.Oxy 3285 vor allem von J. Mélèze-Modrzejewski zur Unterstützung der These, dass die LXX auf Grund königlicher Veranlassung für juristische Zwecke entstanden sei, herangezogen. 32 Auch wenn es eine umfangreichere Übersetzungstätigkeit für juristische Zwecke in frühptolemäischer Zeit gegeben haben mag, so bleibt doch einerseits die Frage, ob eine solche Praxis über die ägyptische Bevölkerung, deren Rechtstraditionen gewiss nicht ignoriert werden konnten, auch auf die jüdische Minderheit ausgedehnt und damit für diese eine eigene Rechtsprechung geschaffen wurde; andererseits stellt sich die Frage, ob der Pentateuch überhaupt für einen solchen Zweck geeignet war. 33 Jedenfalls sind Spuren einer – frühen – entsprechenden Bezugnahme nicht wirklich nachgewiesen, 34 und der Verweis auf ein Gesetz der Väter kann genauso gut auf Gewohnheitsrecht der jüdischen Bevölkerung anspielen, wie auf die Septuaginta als Rechtscodex. Darüber hinaus ist eine eventuelle spätere Bezugnahme auf juristische Passagen der Septuaginta 35 nicht gleichzusetzen mit der Frage, ob die Übersetzung auch schon für diesen Zweck erstellt wurde. Auch wenn man sich in Alexandria sowohl aus Gründen der Rechtspflege wie auch im Zusammenhang des Bildungsanliegens im Umfeld der Bibliothek mit Rechts29. 30. 31. 32. 33.

Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, 93 f.; Wadell, Manetho. Rea, Oxyrhynchus Papyri. Rost, Vermutungen über den Anlass, 39-44. J. Mélèze-Modrzejewski, Justice lagide, 11-44; ders., Juifs d’Egypte; ders., Jewish Law, 75-99. Im Grunde wiederholt sich hier das Problem der These einer persischen Reichsautorisation des Pentateuch, wenn auch mit einem interessanten Unterschied: Bei Esra ist die Verbindung mit dem persischen Königshof unbestritten, aber das Gesetz nicht in der Verwaltungssprache des Reiches abgefasst, während die Septuaginta immerhin eine Übersetzung in die Sprache des Herrscherhauses darstellt. 34. Vgl. die differenzierte Diskussion bei Harl / Dorival / Munnich, La bible grecque, 73-76. 35. Eine solche spätere Bezugnahme könnte in der in Papyrus Herakleopolis P.Polit. Iud. 4 aus der Zeit 143–133 v. Chr. vorliegenden Erwähnung eines Scheidebriefes gegeben sein (siehe dazu die Textedition von Cowey / Maresch, Urkunden). Die dort erwähnte Forderung nach einem »Scheidebrief nach dem Recht der Väter« setzt aber nicht unbedingt einen griechischen Text von Dtn 24,1 voraus, sondern kann sich einfach auf das jüdische Gewohnheitsrecht beziehen. 2. Die Entstehung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

traditionen beschäftigte, 36 so ist damit noch nicht gesagt, dass königliche Interessen und/oder praktische Anforderungen der Rechtsprechung den Anlass zur Übersetzung der Thora gegeben haben. Zudem ist zu beachten, dass die Rede vom Nomos im Aristeasbrief zwar gewiss eine Brücke zu zeitgenössischen juristischen und philosophisch/ weisheitlichen Vorstellungen schlagen will, 37 dass diese Rede vom Nomos aber von der jüdischen Bezeichnung des Pentateuchs als Thora und von den zeitgenössischen Interessen des Briefes am Ende des 2. Jh. geprägt ist. – Eine spezifisch juristische Veranlassung der Septuaginta erscheint somit wenig wahrscheinlich. Dagegen erweist sich das allgemeine geistige und kulturpolitische Klima der Zeit als sehr offen und interessiert an geistigen Traditionen des eigenen wie auch fremder Länder. Insgesamt wird man sagen können, dass trotz aller Färbung durch die Zeit und die Intentionen, und trotz konkreter Fehler des pseudonymen Verfassers im Aristeasbrief wichtige Züge der frühptolemäischen Zeit zutreffend dargestellt sind. Allerdings ist mit der zutreffenden Beschreibung des kulturpolitischen Umfeldes noch kein Nachweis einer persönlichen Initiative des Königs gegeben.

2.2 Die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten Die in der Neuzeit vorherrschend gewordene Sicht der Entstehung der Septuaginta gründet sich auf die Annahme bzw. den Nachweis innerjüdischer Notwendigkeiten. Der oben zitierte Satz von Würthwein ist dafür repräsentativ: »Ferner wurde das Gesetz nicht deshalb übersetzt, weil es ein königlicher Förderer der Wissenschaften so wünschte, sondern weil die ägyptischen Juden, die das Hebräische nicht mehr verstanden, ohne eine solche Übersetzung nicht mehr auskamen.« Dass die Juden Alexandriens bzw. Ägyptens im dritten Jahrhundert das Hebräische nicht mehr verstanden, ist in der Tat anzunehmen. 38 Dieser Sachverhalt galt selbst für die Juden in Palästina, wo in der persischen Zeit das Aramäische zur Umgangssprache geworden war. Schwieriger ist die Klärung des konkreten Bedarfs. Wofür wurde die Übersetzung gebraucht? Paul Kahle 39 zog eine Parallele zu den aramäischen Targumen, die den Eindruck erwecken, dass sie gewissermaßen in mehreren Anläufen im Zusammenhang synagogaler Lesung entstanden. Wenn auch der targumische Charakter im Sinn von Kahle, d. h. die ursprüngliche Existenz mehrerer Übersetzungen, die dann erst vereinheitlicht wurden, nicht wirklich nachzuweisen ist und die entsprechenden Phänomene anders erklärt werden können, 40 so bleibt die Annahme des Bedarfs für synagogale Lesungen durchaus plausibel. Allerdings ist die Frage, ob einzelne Perikopen oder fortlaufende Texte gelesen wurden. Dass die Heiligen Schriften regelmäßig in der 36. In den späteren Inhaltsverzeichnissen der Bibliothek, den Pinakes des Kallimachos, wird eine Abteilung Rechtsbücher genannt. 37. In diesem Zusammenhang ist es interessant, an die im Brief so wichtige Gestalt des Demetrius zu erinnern, der sich durch rechtsvergleichende Studien hervorgetan hatte und diese später in Athen fortsetzte; vgl. dazu Orth, Ptolemaios II., und Fortenbaugh / Sutrumpf Demetrius of Phalerum. 38. Dafür spricht auch, dass selbst die ab dem 3. Jh. v. Chr. belegten Synagogeninschriften aus Ägypten griechisch abgefasst sind; vgl. Siegert, Register, 25. 39. Kahle, Untersuchungen, 399-439; ders., Die Kairoer Genizah. 40. Vgl. Fernandez Marcos, Introduction, 53-57.

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2. Die Entstehung der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Synagoge gelesen wurden, wird in Apg 15,21 als uralter Brauch bezeichnet, wobei allerdings offen bleibt, was diese Aussage vom Ende des 1. Jh. n. Chr. (vgl. Apg 13,15a) für das 3. Jh. v. Chr. bedeutet. Bei aller Plausibilität des Gebrauchs der Heiligen Schriften in den synagogalen Versammlungen bleibt doch das Problem, »daß die Annahme, die Pentateuch-LXX sei primär für den Gebrauch im Gottesdienst übersetzt worden, nicht wirklich zu belegen ist.« 41 Nicht unwichtig ist jedoch, dass im Pentateuch selbst die regelmäßige Verlesung des biblischen Textes in der Gemeinde (Dtn 31,10-13) und andererseits die familiäre Unterweisung (Ex 12,26 f.; Dtn 6,6-9.20-25) gefordert wird. Auch die gottesdienstliche Lesung, erst recht aber die familiäre Unterweisung, machen nur Sinn bzw. sind nur möglich, wenn die Inhalte verstanden werden. Die Aufgabe der familiären und gemeindlichen Unterweisung, die zweifellos gerade in der Diaspora eine große Rolle zur Wahrung der Identität spielte, ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Übersetzung der Heiligen Schriften. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auch die Frage halachischer und haggadischer Studien anzuschließen, für die über kurz oder lang ebenfalls eine Übersetzung notwendig geworden sein muss, und die auch vereinzelt ihre Spuren hinterlassen haben; 42 allerdings bleibt es schwierig zu entscheiden, ob solche Differenzierungen auf die Übersetzung oder nicht doch schon auf die hebräische Vorlage zurückgehen. – Insgesamt gibt es also eine Reihe von Gründen, die auf die Notwendigkeit einer Übersetzung auf Grund interner Notwendigkeiten in der jüdischen Gemeinde hinweisen. Allerdings war dabei nicht alles völlig neu, sondern es zeigt sich auch eine Verbindung mit gottesdienstlichem bzw. allgemeinem jüdisch-religiösem Sprachgebrauch. So etwa darin, dass Begriffe wie »Pascha« oder »Manna« in der aramäischen Form (mit Alef des status emphaticus) verwendet werden oder dass ein hymnisches Wort wie Halleluja nicht übersetzt sondern transkribiert wurde. 43 Dass bei dieser Entstehung der Septuaginta jüdische Übersetzer aus Alexandrien die wesentliche Rolle spielten, ist von der Situation wie von der notwendigen griechischen Sprachkompetenz her eo ipso anzunehmen. Zugleich bedurfte es auch einer gewissen hebräischen Sprachkompetenz und gewiss auch einer Vertrautheit mit den Inhalten. Beides weist auf enge Kontakte mit dem Mutterland, sei es durch eigene Kontakte, d. h. Aufenthalte in Palästina, oder durch Beteiligung von Personen mit entsprechenden 41. Rösel, Übersetzung, 257. Vgl. Fernandez-Marcos, Introduction, 63: »First of all, the Alexandrian Jewish sources as well as the rabbinic sources refer to the translation as a royal initiative and are silent on the motive of the liturgical or cultural needs of the Jewish community. No privately instigated translation is known before the 2nd century BCE, and it would be of the Prophets as a continuation of the Torah.« 42. Etwa Ex 21,22 wo bei der Bestimmung bezüglich des Abgangs eines Fötus anders als im masoretischen Text nach Entwicklungsstadium differenziert wird. Freilich muss auch hier offen bleiben, ob die Textvariante auf die Übersetzer oder auf eine entsprechende hebräische Vorlage zurückgeht. 43. Ein besonders interessantes Beispiel ist die Verwendung des weiblichen Artikels vor dem Namen des Gottes Baal, wie sie sich ab Ri 2,13 vor allem in den Geschichtsbüchern und im Jeremiabuch findet (vgl. im Neuen Testament das Zitat 1Kön 19,18 in Röm 11,4). Sie erklärt sich am wahrscheinlichsten als Hinweis, dass statt Baal ersatzweise αἰσχύνη = Schande gelesen werden soll (analog zu hebr. ‫ ;בֶֹשׁת‬zur Sache siehe die Fn. zu Ri 2,13 in LXX.D). 2. Die Entstehung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Kenntnissen am Übersetzungsprozess. Ähnliches gilt auch für die Textgrundlage. Gewiss besaßen die jüdischen Gemeinden in Ägypten hebräische Schriftrollen, zumindest der Thora, die die Grundlage für die Übersetzung bildeten. Diese Texte mussten letzten Endes aus Palästina, konkret wohl aus Jerusalem bzw. dem Umfeld des Tempels gekommen sein, 44 auch wenn die benutzten Manuskripte vielleicht bereits in Ägypten erstellte Abschriften waren.

2.3 Neuere Perspektiven zu Anlass und Verbreitung der Septuaginta So plausibel die Entstehung der Septuaginta aus innerjüdischen Notwendigkeiten ist, so bleibt doch ein gravierendes Problem, nämlich dass alle diesbezüglichen Nachrichten von einer äußeren Veranlassung sprechen. Diese Tradition ist gerade insofern historisch sehr widerständig, als ihre sekundäre Entstehung kaum plausibel zu machen ist. Wie ist es denkbar, dass eine erfundene Geschichte von der Übersetzung der heiligen Schriften auf Grund des Wunsches des heidnischen Königs bzw. seines Bibliothekars sich dermaßen rasch und vollständig verbreiten und akzeptiert werden konnte, zumal es ja auch Informationen über die eigentliche Entstehungsgeschichte gegeben haben musste? Diese Frage gilt auch und erst recht, wenn der Aristeasbrief erst ein Produkt der zweiten Hälfte des 2. Jh. ist. Insofern ist die Aufdeckung der Pseudonymität des Aristeasbriefes kein wirklich entscheidendes Argument für die Frage der Veranlassung und Entstehung der Septuaginta und hat das teilweise und neuerdings verstärkt zu beobachtende Festhalten an der Sicht des Aristeasbriefes 45 durchaus gute Gründe. Andererseits wird es dabei bleiben müssen, dass jedenfalls die großartige Ausschmückung des Geschehens, insbesondere der große Aufwand des Königs für eine Jerusalemer Übersetzerdelegation bis hin zum Gastmahl und wohl auch die königliche Approbation, so gut wie sicher nicht historisch sein können und auf Pseudoaristeas und/oder eine von ihm übernommene jüdische Tradition zurückgehen. 46 Wie aber ist dann die Tradition von der königlichen Initiative für die Übersetzung der heiligen Schriften zu erklären? Für eine Antwort ist zunächst zu unterscheiden zwischen älteren Traditionen und den spezifischen Anliegen und Problemen des Pseudo-Aristeas und seiner Zeit. Betrachtet man den Aristeasbrief in seiner Gesamtheit, so bildet die Geschichte von der Veranlassung und Übersetzung der Septuaginta bis hin zu abschließenden Beglaubigung zwar die Rahmenhandlung des Briefes, aber keineswegs die Hauptmasse des Textes. Der Brief ist vielmehr ganz wesentlich bestimmt vom 44. Durch die Qumranfunde zeigte sich, dass die allermeisten Besonderheiten der (hebräischen Vorlage) der Septuaginta nicht auf alexandrinische Sonderentwicklungen oder Freiheiten der Übersetzer zurückgehen, sondern auf Eigenheiten der Textüberlieferung im Mutterland. Vgl. dazu u. a. Tov, Text, 155 (im Zusammenhang der Diskussion verschiedener Textformen): »Der ältere Text konnte in geographisch oder sozial abseits liegenden Gegenden überleben. So ist es zu erklären, dass solche früheren Editionen in die Hände der griechischen Übersetzer in Ägypten gelangten und auch in den Qumranrollen erhalten blieben.« 45. Siehe etwa Fernandez-Marcos, Introduction, sowie Harl / Dorival / Munnich, La bible grecque, und Bogaert, Septante. 46. Die auf die Spitze getriebene These von N. Collins, Library, dass die Erstellung bzw. Fertigstellung der Septuaginta das krönende und legitimierende Ereignis zum Regierungsantritt von Ptomelaios II. gewesen sei, zeigt in sich, wie unwahrscheinlich eine solche Annahme ist.

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2. Die Entstehung der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Symposion sowie den Reden und Erlässen, in denen die zeitgenössischen Probleme und die Anliegen des Verfassers ihren Ausdruck finden. 47 Dabei geht es keineswegs nur um die Stellung der Juden in Ägypten und um die Anerkennung jüdischer Weisheit, sondern wesentlich auch um die Jerusalemer Perspektiven und Erwartungen an die jüdische Diaspora sowie deren Reaktionen darauf. Diese Fragen bis hin zur Frage, an wen sich der Brief letzten Endes richtet, sind hier nicht zu thematisieren. 48 Die Beobachtung, dass die Rahmenhandlung von der Entstehung der Septuaginta zum Aufhänger der aktuellen Anliegen des Verfassers wird, zeigt, dass die Grundtradition bekannt gewesen sein muss und dadurch zum Transportmittel für die aktuellen Anliegen werden konnte. Als eine dieser älteren Traditionen wird man die oben herausgestellten Erinnerungen an die frühptolemäischen Unternehmungen um Museion und Bibliothek und die damit verbundene kulturpolitische Situation ansehen können. Diese kulturpolitische Situation war eng mit dem persönlichen Interesse des Königs verbunden, wie sich nicht nur aus der Errichtung von Museion und Bibliothek ergibt, sondern auch aus den Einladungen an die berühmtesten Gelehrten der Zeit und der intensiven Erwerbstätigkeit von Handschriften auf den Büchermärkten in Athen und auf Rhodos. 49 In diesem geistigen Klima ging es nicht einfach um abstrakte Gelehrsamkeit, sondern um Prestige und Anerkennung; und zwar einerseits im großen Rahmen der Diadochenreiche nach Alexander, in dem sich die Ptolemäer als die geistigen und kulturellen Erben präsentieren wollten. Daraus resultierte das Bemühen um die Kenntnisnahme und Sammlung der Geschichts-, Kultur- und Rechtstraditionen. Analoges galt andererseits aber auch nach innen hin: Die Wahrnehmung eines Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe vollzog sich wesentlich durch die Wahrnehmung der historischen und kulturellen Traditionen. Dieses Anliegen zeigt sich besonders im bereits erwähnten Werk des Manetho. Durch seine Geschichte Ägyptens wurde die faszinierende aber doch rätselhafte Welt Ägyptens für die griechische Bevölkerungsgruppe zugänglich und erhielt sie Bedeutung und Anerkennung. Darüber hinaus konnte Manetho durch die Form seiner historischen Darstellung nicht nur das hohe Alter der ägyptischen Kultur aufzeigen, sondern im Spiegel der Geschichte konnte er auch aktuelle Probleme und das ägyptische Selbstverständnis dazu andeuten. Letzteres zeigt sich etwa an der Darstellung des Verhältnisses zu ausländischen Eroberern, angefangen von den Hyksos über die Assyrer bis hin zu den Persern. In diesem Zusammenhang stehen nicht zuletzt auch die bekannten negativen Äußerungen über Mose und damit über die Juden und deren zum Teil befremdliche Gebräuche. 50 47. Ähnlich auch Veltri, Aristeasbrief, 727: »Doch nicht die Übers[etzung] ist der Hauptgegenstand der Erzählung des A[risteasbriefes], sondern die ihm [sc. dem König] von den Übersetzern beim Symposium vermittelte ›Lehre‹.« 48. Siehe dazu die Referate und Positionen bei Jellicoe, Septuagint; Meisner, Untersuchungen, Murray, Aristeasbrief und Brodersen, Der König und die Bibel, 2008. 49. Siehe Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, 64 f. Die Nachricht über die Beschlagnahmung von Handschriften bezieht dagegen sich auf Ptolemaios III. Euergetes (ebd.), sie bestätigt aber das auch über Ptolemaios IIßblockakß hinaus anhaltende große Bemühen um den Ausbau der Bibliothek. 50. Fragment 54, zitiert bei Josephus, Contra Apionem, I, 26-31 (Mose/Osarsiph und seine Ge2. Die Entstehung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Auch für die nicht unbeträchtliche und zu allen Schichten gehörende jüdische Bevölkerung Ägyptens und Alexandriens 51 muss diese bildungs- und kulturpolitische Situation eine enorme Herausforderung bedeutet haben – und auch die Juden mussten Interesse daran haben, ihre Geschichte und ihre Traditionen in diesem Umfeld und in eigenständiger, positiver Weise zur Geltung zu bringen. M. E. liegt hier ein entscheidender Punkt wenn nicht für die Entstehung, so jedenfalls für die Publikation der Septuaginta. Zwar ist das Gespräch zwischen Demetrios und Ptolemaios im Aristeasbrief fiktiv, aber es veranschaulicht genau die geistige und kulturpolitische Situation, durch die auch das Judentum in Alexandria herausgefordert war. Dieses gesellschaftliche Milieu verlangte von den Juden, ihre entsprechenden Traditionen zur Geltung zu bringen, und das heißt konkret, ihre heilige Schrift in griechischer Sprache zur Verfügung zu haben und sie möglichst auch in die Bibliothek aufgenommen zu sehen. M. a. W.: Auch wenn es keine unmittelbare bibliothekarisch/ königliche Initiative gegeben haben wird, so bildete doch die vom König und der Bibliothek geschaffene bildungs- und kulturpolitische Situation wahrscheinlich den entscheidenden Impuls für die Bekanntmachung der Septuaginta, und d. h. dann wohl auch für das Bemühen, die Septuaginta in der Bibliothek Aufnahme finden zu lassen. Im Unterschied zur Darstellung des Aristeasbriefes wäre dieses Bemühen nicht auf einen spezifischen Wunsch des Königs zurückgegangen, sondern auf die bildungsund kulturpolitische Situation, auf die man von jüdischer Seite reagierte, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Initiative in der Bibliothek und vielleicht auch vom König durchaus positiv aufgenommen und eventuell auch erwidert wurde. Dass die durch die bildungs- und kulturpolitischen Aktivitäten der frühen Ptolemäer indirekt veranlasste »Publikation« der Septuaginta bald als königliche Initiative und als abschließende königliche Approbation angesehen und dargestellt wurde, ist bei der damals üblichen – und im Orient weithin und bis heute zu beobachtenden – Personalisierung politischer Vorgänge durchaus naheliegend. Auch wenn diese Sicht ein jüdischer Wunschgedanke gewesen sein mag, so drückt sich darin eben der Stolz auf die eigene Tradition aus und ebenso das Bedürfnis nach offizieller Anerkennung. Dass man, zumindest beim Buch Genesis, die Kultur und die Anschauungen in der Umwelt im Blick hatte, ist u. a. auf Grund des – in der Septuaginta verlängerten – chronologischen Systems in der Genesis durchaus wahrscheinlich. 52 Sowohl der Inhalt setze). Auch hier ist bezeichnend, dass Kultur und Religion über das Thema Gesetze und Gesetzgebung zum Ausdruck gebracht werden. 51. Siehe dazu Gehrke, Umfeld. 52. Siehe dazu Rösel, Übersetzung, 129-144, bes. 142-144: »Das chronologische System der GenesisLXX«. Rösel verbindet das bekannte Phänomen der höheren Zahlen in der (Urgeschichte der) Genesis mit der Überlegung, dass zunächst nur die Chronologie der Genesis adaptiert wurde und für den weiteren Verlauf noch die ursprüngliche Chronologie des hebräischen Textes vorausgesetzt ist. Daraus ergibt sich ein annus mundi von 5000 für die Einweihung des Tempels. »Der rekonstruierten LXX-Chronologie zufolge geschah die Flut 2857 Jahre vor dem Tempelbau. Setzt man die Zeit des Übersetzers ca. 280 Jahre nach dem Baubeginn des zweiten Tempels an, so wäre seine alexandrinische Gegenwart ungefähr auf das Jahr 3135–3140 nach der Flut zu datieren, diese Zahl würde den Widerspruch zwischen den ägyptischen und den biblischen Überlieferungen vermeiden.« (144). Die Verlängerung des chronologischen Systems der Genesis wäre damit wahrscheinlich eine

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2. Die Entstehung der Septuaginta

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als auch die besondere Qualität der Übersetzung und die Adaption des chronologischen Systems der Genesis könnten darauf verweisen, dass das Buch Genesis für eine Publikation im Kontext der alexandrinischen Welt überarbeitet wurde. 53 In neuerer Zeit wurde von Adrian Schenker eine etwas anders gelagerte aber doch auch ähnliche These vorgetragen. 54 Schenker bezieht sich auf Dtn 4,2-8, wo es heißt, dass die umliegenden Völker über die guten Gesetze Israels staunen werden. Diese Bewunderung und vielleicht auch Hinwendung ist aber nur möglich, wenn die Menschen aus den Völkern diese Gesetze auch kennen. Dieses Anliegen habe zur Übersetzung der Thora geführt. Zugleich traf dieses Anliegen auf die von zeitgenössischen griechischen Philosophen wiederholt thematisierte Frage nach guten bzw. den besten Gesetzen für die Regierung eines Volkes (so z. B. bei Plato, Brief VII, 326a-b). Auch bei dieser These geht es um ein gewisses Zusammenspiel zwischen innerjüdischem Anliegen und äußerer, kulturpolitischer Situation. Aber anders als bei der These von Kreuzer geht es nicht um eine Unterscheidung zwischen (innerjüdischer) Entstehung und Publikation, sondern das sozusagen missionarische Anliegen sei der Grund für die Entstehung der Übersetzung (jedenfalls des Pentateuch) gewesen.

3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek) 3.1 Zur Begrifflichkeit Septuaginta als die Übersetzung der »Siebzig« bezog sich im Sinn des Aristeasbriefes zunächst auf den Pentateuch. In der Folgezeit erweiterte sich der Begriff auf alle heiligen Schriften, die aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen übersetzt worden waren und in weiterer Folge auch auf jene Schriften, die keine (bekannte) hebräische oder aramäische Grundlage haben, die aber eine gewisse wenn auch unterschiedliche »kanonische« Geltung erlangt hatten. Wesentliche Zeugnisse für die kanonische Geltung der Schriften sind die Zitierungen als normative Texte, wie sie sich in der frühjüdischen und in der christlichen, insbesondere der neutestamentlichen Literatur finden. 55 Weitere wichtige Zeugnisse für die Kanonizität der Schriften sind die einschlägigen Handschriften, insbesondere dann die ältesten erhaltenen Codices. Allerdings ist zu beachten, dass diese Codices Reaktion auf die Chronologie Manethos; vgl. Rösel, Übersetzung, 144: »Möglicherweise ist aber auch mit einem Einfluss der Arbeit Manethos zu rechnen. Den Ägyptiaca zufolge haben die historischen Pharaonen Ägyptens seit ca. 2000 Jahren regiert. Diese Zahl widerspricht aber einer kurzen oder mittleren Chronologie der biblischen Geschichte, nach der Mizraim (Gen 10,6) erst nach der Flut Ägypten gründete«. 53. Für weitere Aspekte diese These siehe Kreuzer, Entstehung und Publikation. 54. Schenker, Tora, und ders., Übersetzung. 55. Für eine Zusammenstellung der Zitate in jüdischen Schriften siehe Lange / Weigold, Quotations; für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament siehe die Liste der »Loci citati vel allegati« in den diversen Ausgaben des Neuen Testament von Nestlé-Aland (zuletzt in Eberhard Nestle / Barbara Aland, Novum Testamentum Graece, 28. rev. Aufl., Stuttgart 2012, 836878). 3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

unterschiedlichen Inhalt haben. So fehlen etwa im Codex Vaticanus die Makkabäerbücher, andererseits enthält der Codex Alexandrinus auch das Buch Henoch. 56 Was zur Septuaginta gerechnet wird, ist heute faktisch durch die sog. Handausgabe von Alfred Rahlfs von 1935 »kanonisiert« und nicht nur in der Fachwelt sondern – wie das griechische Vorwort zeigt – auch in der griechisch-orthodoxen Kirche anerkannt. Dem entspricht, dass auch die modernen Übersetzungen der Septuaginta im Umfang, wenn auch nicht immer in der Anordnung, 57 im Prinzip dieser Ausgabe folgen. Insofern ist bei der Rede von »der Septuaginta« immer zu beachten, in welchem Sinn der Begriff verwendet ist. Die Septuaginta ist uns nur in Abschriften erhalten. Diese zeigen nicht nur Varianten, die sich als Abschreibfehler erklären lassen, sondern die zum Teil auch auf bewusste Gestaltung zurückgehen bzw. manchmal auch auf das Bemühen, einen verderbten oder unklar gewordenen Text wiederherzustellen. Von da her stellt sich die Frage nach der ältesten Textgestalt. Mit den neuzeitlichen Editionen, die eine immer größere werdende Zahl von Handschriften (und damit auch unterschiedlicher Lesarten) verzeichneten, stellte sich die Frage nach der ältesten Textgestalt. Diese wurde früher einfach als Urseptuaginta bezeichnet, heute meistens als älteste Septuaginta oder ältester Septuagintatext. Nicht nur im englischen Sprachbereich hat sich die Bezeichnung als »Old Greek« verbreitet. Allerdings ist auch diese Bezeichnung nicht ganz glücklich, denn es gibt auch viele andere Texte, die »altgriechisch« sind, und andererseits gehören auch die jüngeren Bearbeitungen, insbesondere die sog. kaige-Rezension des 1. Jh. v. Chr., noch in die Phase der altgriechischen Sprache (im Gegensatz zu mittelalterlichem Griechisch und Neugriechisch). 58

3.2 Die Frage nach der ältesten Septuaginta Die großen diplomatischen Editionen der Septuaginta mit ihrer zunehmenden Zahl von Varianten führten zur Frage nach dem ältesten Text, 59 für dessen Erstellung dann jeweils textkritische Entscheidungen notwendig sind. Allerdings hat de facto immer der Obertext der diplomatischen Ausgabe das größte Gewicht. Das liegt allein schon daran, dass der Obertext der einzige zusammenhängend dargebotene Text in einer solchen Ausgabe ist. Da die meisten neuzeitlichen Ausgaben den Text des Codex Va56. Aus diesem Grund sind z. B. in der Ausgabe von Swete, die sich genau an den Codex Vaticanus hält, die Makkabäerbücher nicht in der üblichen Reihenfolge bei den Geschichtsbüchern zu finden, sondern als Ergänzung am Ende, und zwar mit einem aus Codex Alexandrinus übernommenen Text; auf dieser Basis sind dort auch die Psalmen Salomos, Henoch und die Oden zu finden. 57. So hat Septuaginta Deutsch die Psalmen Salomos nach Psalmen und Oden eingeordnet und nicht erst nach den Weisheitsschriften. NETS belässt die Oden nach den Psalmen, gibt aber nur jenen Text wieder, der nicht auch im Alten oder Neuen Testament vorkommt, nämlich das Gebet Manasses. 58. Ganz abgesehen von dem Problem, dass die Septuaginta nicht mehr klassisches Griechisch bietet, sondern grosso modo hellenistisches. 59. Diese Frage spielte faktisch auch schon bei den ersten Drucken im 16. Jh. eine Rolle, damals unter dem Vorzeichen der Suche nach den besten Handschriften als Grundlage für den Druck.

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3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

ticanus als Obertext haben, erhielt dieser Text das größte Gewicht auch in der Forschung und wird er als Haupttext bezeichnet. Erst am Anfang des 20. Jh. wurde es das Anliegen des Göttinger Septuagintaunternehmens und der sog. Handausgabe von Rahlfs, einen eklektischen Text herzustellen, in dem ein kritisch rekonstruierter, und damit der älteste erreichbare Text den Obertext bilden soll. Da sich Rahlfs vor allem auf die Codices B (Codex Vaticanus), S (Codex Sinaiticus) und A (Codex Alexandrinus) stützte, 60 wobei S unvollständig ist und A oft einen jüngeren Text bietet, blieb das Übergewicht des Codex Vaticanus weithin erhalten. 61 Die Frage nach dem ältesten, ursprünglichen Text wurde aber auch schon in der Antike gestellt. In den Diskussionen im 2. Jh. n. Chr. zwischen Juden und Christen wurde – wenn auch sozusagen unter dogmatischen Voraussetzungen – die Differenz zwischen dem (inzwischen verbindlich gewordenen) hebräisch-masoretischen Text und dem Text der Septuaginta festgestellt und die Frage nach dem ursprünglichen Text diskutiert. 62 Unter anderem Vorzeichen spielte die Frage bei Hieronymus eine Rolle. In der Rechtfertigung seiner Bearbeitung bzw. neuen Übersetzung der Psalmen erwähnt er, dass es zwei Formen des griechischen Textes gibt, den allgemein verbreiteten und den auf die Bearbeitung des Origenes (3. Jh. n. Chr.; siehe dazu unten, 6.1) zurückgehenden. 63 Die Abweichungen seiner neuen Übersetzung erklärte Hieronymus damit, dass er sich nicht an den verbreiteten Septuagintatext gehalten habe, sondern an den Text des Origenes, der dem hebräischen Text näher steht und den er als den besseren betrachtete, weil dieser der hebraica veritas näher stand. Genau genommen geht es damit bei Hieronymus nicht um den ältesten sondern um den besten Text. Das Beispiel zeigt aber, wie die Frage nach dem verbindlichen Text von den Vorentscheidungen und dem Bild von der Entstehung und Überlieferung des Textes abhängig ist. In der modernen historisch orientierten Forschung geht es dagegen um den ältesten Text, zumindest um den ältesten erreichbaren Text. Dieser liegt theoretisch in den kritischen Editionen vor. Allerdings muss man sich dabei immer bewusst sein, dass die textkritischen Entscheidungen von den Voraussetzungen des jeweiligen Bearbeiters abhängen. Diese haben sich im Lauf der Zeit geändert. Während Paul Anton de Lagarde in seinen drei sog. Axiomen im Prinzip jene Lesarten des griechischen Textes als die ältesten betrachtete, die am weitesten vom masoretischen Text entfernt sind, 64 kam es durch 60. Siehe dazu Rahlfs, Septuaginta: Vorwort des Bearbeiters. 61. Eine wichtige Ausnahme stellt des Buch Richter dar, wo Rahlfs (ähnlich wie die große Cambridger Ausgabe, BML) zwei Texte bietet, den älteren Text A, der auf Codex Alexandrinus basiert, der aber von Rahlfs noch textkritisch bearbeitet wurde, und den jüngeren Text B, der mit dem Text von Codex Vaticanus identisch ist. 62. So besonders in Justins Dialog mit dem Juden Tryphon. Siehe dazu u. a. Hengel / Schwemer, Septuaginta. 63. Brief des Hieronymus an die gotischen Bischöfe Sunnia und Fretelia, die ihn wegen der Unterschiede in seiner neuen Übersetzung gefragt hatten. Siehe dazu unten, 6.4. 64. Lagarde, Anmerkungen zur griechischen Übersetzung, 3: Satz I. besagt, dass man eklektisch arbeiten muss. Satz II. und III. nennen die Regeln: »II. wenn ein vers oder verstheil in einer freien und in einer sklavisch treuen übertragung vorliegt, gilt die erstere als die echte. III. wenn sich zwei lesarten nebeneinander finden, von denen die eine den masoretischen text aus3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

das traditionelle Übergewicht des Codex Vaticanus auch in den kritischen Editionen de facto oft zu Entscheidungen, die den rekonstruierten Text näher an den masoretischen Text heranführten. Dies geschah dann insbesondere auch, nachdem seit der dritten Auflage der Biblia Hebraica von 1937 durch den sog. Codex Leningradensis ein besonders guter hebräisch-masoretischer Text zur Verfügung stand, und vielleicht auch in Hochschätzung der Vulgata. Durch die Qumranfunde ergab sich nochmals ein neues Bild, das auch für die Septuaginta von Bedeutung wurde: Einerseits zeigen die Qumrantexte, dass in der frühjüdischen Zeit eine gewisse Mehrgestaltigkeit des hebräischen Textes existierte und dass spezifische Lesarten der ältesten Septuaginta oft nicht erst auf die Übersetzer, sondern bereits auf die hebräische Vorlage zurückgehen. Darüber hinaus zeigte sich auch, dass vermeintlich späte Lesarten, insbesondere des sog. antiochenischen oder lukianischen Textes oft mit Qumrantexten übereinstimmten und insofern hohes Alter und stärkere Berücksichtigung beanspruchen konnten. Diese Beobachtungen stärken auch die Bedeutung der alten Übersetzungen, insbesondere der Vetus Latina und der sahidischen Übersetzung, sowie der alten Zitate, etwa bei Josephus oder auch im Neuen Testament, für die Frage nach der ältesten Septuaginta. 65 Darüber hinaus zeigen die griechischen Texte aus Qumran und der Wüste Juda dass der Septuagintatext – selbst auch des Pentateuch – schon früh, d. h. noch in der frühjüdischen Überlieferung, eine hebraisierende Überarbeitung erfahren hat. 66 Während die Übersetzung des Pentateuch unbestritten in Alexandria lokalisiert wird, werden für einzelne Schriften auch andere Entstehungsorte, sei es in Ägypten, 67 sei es in Palästina, 68 diskutiert.

3.3 Kennzeichen der ältesten Septuaginta (Old Greek) Die Übersetzungstechnik und die sprachlichen Eigenheiten des griechischen Textes sind von Buch zu Buch verschieden und werden in den folgenden Kapiteln jeweils für die einzelnen Bücher erörtert. Es gibt aber auch gewisse allgemeine Kennzeichen und eine allgemeine Entwicklung. Diese Entwicklung verlief von einer natürlich immer eng am hebräischen Ausgangstext, aber doch auch an der Zielsprache orientierten

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drückt, die andre nur aus einer von ihm abweichenden urschrift erklärt werden kann, so ist die letztere für ursprünglich zu halten.« Insbesondere Alfred Rahlfs hatte Übereinstimmungen dieser Texte aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. mit dem von ihm auf ca. 300 n. Chr. datierten lukianischen Text nicht als Hinweis auf höheres Alter des Textes akzeptiert, sondern auf späte Quereinflüsse zwischen den Handschriften zurückgeführt. Bei den Qumrantexten ist ein solcher Quereinfluss nicht möglich. Siehe dazu Himbaza, 4QgrLeva. So argumentiert van der Kooij, Die alten Textzeugen des Jesajabuches, im Anschluss an Seeligman, Septuagint Version of Isaiah, für die Übersetzung des Jesajabuches in Leontopolis (siehe dazu auch die Einführung zu Jesaja in LXX.E). Die Entstehung verschiedener Teile der Septuaginta in Palästina wird vor allem von Emanuel Tov vertreten, wobei er vor allem Esther und Qohelet nennt (Tov, Text, 131, siehe auch Tov, Reflections). Dass die kaige-recension in Palästina entstand, ist weithin Konsens. Das ist aber etwas anderes als die Frage der Erstübersetzung.

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3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Übersetzungsweise hin zu einer auch formal immer enger an das Hebräische zurückgebundenen, isomorphen Übersetzung. Diese Entwicklung wurde bereits von Thackeray festgestellt und ist auch in neueren Lehrbüchern übernommen. 69 Allerdings steht daneben auch die andere, ebenfalls bereits von Thackeray ausgesprochene Beobachtung, dass in der jüngeren Zeit auch eine recht große Freiheit in der Wiedergabe, etwa bei den Büchern Hiob und Sprüche, zu beobachten ist. 70 M. E. hängen diese Differenzen mit dem unterschiedlichen kanonischen Status und dem weniger »historischen« Inhalt dieser Schriften zusammen. Dieser Regel wird man im Großen und Ganzen zustimmen können. Daraus die Entstehungszeit abzuleiten, 71 ist aber nur mit Vorsicht möglich. Denn einerseits bleibt, wie etwa beim Buch Ruth, die Frage, ob uns die ursprüngliche Übersetzung oder nur eine hebraisierende Textform erhalten ist, andererseits bleibt die Frage, welche Rekonstruktionsprinzipien der jeweilige Bearbeiter einer kritischen Edition verwendet hat. 72 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die ursprüngliche Übersetzung der Septuaginta zwar eng der hebräischen Vorlage, d. h. dem jeweils vorhandenen hebräischen Text, folgte, dass die Übersetzung dabei aber weithin ein durchaus gutes, oft idiomatisches und auch griechische Stilmittel verwendendes Griechisch präsentiert. Dabei wurden natürlich auch Verständnisprobleme geklärt (oder zumindest entschieden) und zeitgenössische exegetische Ansichten oder liturgische und andere Usancen berücksichtigt. 73 Eine andere Perspektive wurde in letzter Zeit vor allem in Nordamerika vertreten, nämlich das sogenannte interlinear paradigm. Dieses wurde von Albert Pietersma, dem Initiator und langjährigen Leiter der neuen englischen Übersetzung der Septuaginta, 74 entwickelt, und zwar ausgehend von seinen Psalmenstudien. Die Psalmen sind im Codex Vaticanus und auch in der von Rahlfs edierten Form ziemlich wortwörtlich und auch der hebräischen Wortfolge entsprechend wiedergegeben. Pietersma schloss daraus, dass die Psalmen und die ganze Septuaginta nicht als selbständige Übersetzung gedacht waren, sondern als eine Art Interlinearübersetzung, die zum Studium des hebräischen Textes hinführen soll (»Septuagint as produced«). Erst sekundär und gegen die ursprüngliche 69. Thackeray, Grammar, 6-16; Dorival / Harl / Munnich, La bible grecque, 93-96; Siegert, Einführung in die Septuaginta, 40-43. 70. Ebd. 71. Siehe etwa die Tabelle bei Siegert, Einführung in die Septuaginta, 42 f. 72. So hat sich etwa Josef Ziegler bei seinen Editionen der Prophetenbücher häufig für eine dem masoretischen Text nahe stehende Lesart entschieden, woraus sich eo ipso eine stärker hebraisierende Textform ergibt. 73. Um nur einige Beispiele zu nennen: Bei Gen 2,1 »Gott vollendete sein Werk und ruhte am siebten Tag« kann man fragen, was »vollenden« bedeutet und ob Gott am siebten Tag doch noch etwas getan hat. Die Septuaginta (oder vielleicht schon ihre hebräische Vorlage) klärt hier: »Gott vollendete sein Werk am sechsten Tag und am siebten Tag ruhte er«. Aktuelle religiöse Begrifflichkeit spiegelt sich wohl darin, dass Begriffe wie Manna und Pascha nicht nach ihrer hebräischen sondern nach der aramäischen Form wiedergegeben wurden. Die (oben in Fn. 42 erklärte,) ab Ri 2,13 zu findende Form von Baal mit weiblichem Artikel spiegelt wohl die liturgische Praxis einer Ersatzlesung wieder. 74. Pietersma, NETS. 3. Die ursprüngliche Septuaginta (Urseptuaginta, Old Greek)

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Intention habe sich die Septuaginta sozusagen verselbständigt (»Septuagint as received«). 75 Gegenüber dieser These wurde vielfach darauf hingewiesen, dass die einzelnen Schriften der Septuaginta unterschiedlichen Charakter haben und dass in vielen Teilen und an vielen Stellen durchaus freie Übersetzungen und auch eigenständige Interpretationsleistungen zu erkennen sind und zwar nicht nur im Pentateuch, sondern auch in den Geschichtsbüchern und bei den Propheten und durchaus auch in den Psalmen. 76 Die Argumentation, dass die ursprüngliche Septuaginta interlinear war, uns aber nicht mehr erhalten sei, ist eine schwer nachvollziehbare petitio principii, für die es keine Belege gibt. Die umfangreichste Verteidigung des interlinear paradigm stammt von Cameron Boyd-Taylor, der bezeichnenderweise mit einer Beschreibung der Übersetzung Aquilas (s. u. 5.1) beginnt und von da zur kaige-Rezension (s. u. 4.2) und weiter zu einem Psalm und zu einigen Versen in Gen 1 zurückgeht. 77 De facto gibt es Übersetzungen bzw. Revisionen, die den griechischen Text formal eng an das Hebräische binden und ihm so eine besondere »Hebraizität« verleihen wollen. Aber der kaige-Rezension (s. u., 4.2) ebenso wie der Übersetzung Aquilas (s. u., 5.1) geht es trotzdem um Wirkung und Verbreitung in der Zielsprache. 78 Zudem gibt es auch keine wirklichen Interlineartexte aus der Antike. Auch Boyd-Taylor kann so wie Pietersma nur eine relativ späte Handschrift aus byzantinischer [!] Zeit nennen, in der Passagen aus der Ilias in hellenistischem Griechisch und in volkstümlichem Griechisch (als Übersetzung bzw. vermutlich als Verständnishilfe) nebeneinander stehen. Das ist aber synoptisch angeordnet und nicht interlinear. Eine echte Interlinearität erscheint schon wegen der gegensätzlichen Schreibrichtung von Hebräisch und Griechisch kaum möglich bzw. kaum lesbar. – Pietersma hat denn auch seinen Begriff als metaphorischen Ausdruck für die Nähe des griechischen Textes zur hebräischen Vorlage relativiert, zugleich aber auch immer verteidigt. 79

4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta 4.1 Die ältere Forschung Während lange Zeit die Meinung vorherrschte, dass sich das Judentum im 2. Jh. n. Chr. auf Grund der Verwendung der Septuaginta bei den Christen von der Septuaginta getrennt habe und sich mit den Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion neue griechische Übersetzungen schuf, haben auch hier die Funde von Qumran und der Wüste Juda das Bild erheblich verändert. 75. Pietersma, A New Paradigm. 76. Siehe dazu die Abschnitte über den sprachlichen Charakter der Übersetzung in den in diesem Band folgenden Ausführungen zu den einzelnen Büchern. Für eine der vielen Stellungnahmen zum interlinear paradigm siehe Joosten, Reflections on the ›interlinear paradigm‹. 77. Boyd-Taylor, Reading between the Lines. 78. Dass man eine sehr genaue oder gar wortwörtliche Übersetzung auch verwenden kann, um den Ausgangstext besser zu verstehen, ist selbstverständlich. Aber das ist etwas anderes als wenn eine Übersetzung nur für diesen Zweck geschaffen wäre. 79. Pietersma, Interlinearity revisited.

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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Insbesondere identifizierte Dominique Barthélemy bei seiner Analyse der zwölfPropheten-Rolle aus Naḥal Ḥever die so genannte kaige-Rezension, die er auch in einer Reihe weiterer Schriften, etwa in 2 Samuel, identifizierte. Schon am Anfang des 20. Jh. hatte Thackeray festgestellt, dass in den Büchern der Königtümer (Samuel und Könige) zwei sehr unterschiedliche Übersetzungsstile vorliegen, ein älterer mit vergleichsweise gutem Griechisch und idiomatischen Gegebenheiten wie praesens historicum, und ein jüngerer mit enger isomorpher Anpassung an das Hebräische. In Aufnahme der Zählung von 1–4Königtümer mit griechischen Buchstaben kam er zu folgender Einteilung: Erste Übersetzung

Spätere Ergänzung

α’ für 1Kgt ββ’ für 2Kgt 1,1–11,1 βγ’ für 2Kgt 11,2–3Kgt 2,11 γγ’ für 3Kgt 2,12–21,43 γδ für 3Kgt 22,1–4Kgt 25,30

Thackeray nahm an, dass die Abschnitte α’, ββ’ und γγ’ zuerst übersetzt wurden und dass die Abschnitte βγ’ und γδ’, die in »asiatischem, stark manieriertem Stil« übersetzt wurden, erst später dazu kamen. Dabei identifizierte er bereits im Wesentlichen jene Kennzeichen, die später Barthélemy für die kaige-Rezension benannte (s. u.), u. a.: ἀνήρ für ‫ איש‬auch wo es ἕκαστος (ein jeder) bedeutet und κερατίνη statt σάλπιγξ für hebr. ‫ ;שופר‬καιγε für ‫ ;גם‬ἐγώ εἰμι für ‫ אנכי‬auch bei einer finiten Verbform, sowie Vermeidung des Präsens historicum. 80 Während die von Thackeray angenommen zwei Phasen der Entstehung keine große Akzeptanz fanden und diese Annahme heute hinfällig ist, hat die Unterscheidung der Übersetzungsstile und die Abgrenzung der Abschnitte bleibende Bedeutung erhalten. 81 Zu dieser Abgrenzung ist allerdings festzuhalten, dass sie sich in dieser strengen Form nur im Codex Vaticanus findet (in dem oder in dessen Vorlage offensichtlich Handschriften verschiedenen Typs kombiniert wurden). 82 Ein deutliches Beispiel für die hebraisierende Revision liegt auch im Richterbuch vor. Hier hatte schon 1705 Johannes Ernestus Grabe in seiner »Epistula ad Joannem Millium … in qua ostenditur libri Iudcum genuinam LXX. Interpretum Versionem eam esse, quam MS Codex Alexandrinus exhibet« aufgezeigt, dass im Codex Alexandrinus eine ältere Textform vorliegt als im Codex Vaticanus und anderen Handschriften. Diese Sonderstellung wurde schon im Apparat der großen Cambridge Ausgabe (BML) deutlich gemacht. Rahlfs ging in seiner Septuagintaausgabe noch weiter und 80. Thackeray, Worship, 114 f. 81. Lediglich der Anfang von βγ’ ist umstritten. Shenkel, J. D., Chronology and Recensional Development in the Greek Text of Kings, Cambridge/MA 1968, bes. 117-120, erkannte die Besonderheiten der Übersetzung schon ab 2Kgt 10,1. 82. Sowie, zumindest teilweise ähnlich, im Codex Sinaiticus, der jedoch für Samuel-Könige nicht erhalten ist. Bei den 1975 gefundenen, 2010 publizierten Texten aus dem Richterbuch entspricht der Text im Wesentlichen B und somit auch dem kaige-Text; Karrer, Sinaiticus. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

druckte beide Textformen übereinander ab, wobei der A-Text den von ihm kritisch rekonstruierten ältesten Text bietet, der dem Text des Codex Alexandrinus nahe steht aber nicht damit identisch ist, während der B-Text den jüngeren, hebraisierend bearbeiteten Text des Codex Vaticanus wiedergibt.

4.2 Die Entdeckung der kaige-Rezension Die Entdeckung der Schriften aus Qumran bzw. der Wüste Juda führten auch für die Septuagintaforschung zu völlig neuen Einsichten aber auch zur Bestätigung und Differenzierung älterer Erkenntnisse. In seiner Analyse der Zwölf-Prophetenrolle aus Naḥal Ḥever stellte Dominique Barthélemy 1963 eine den von Thackeray beobachteten Phänomenen entsprechende Bearbeitung des Septuagintatextes fest. 83 Vom Fundort her bezeichnete er diese Textform als palästinische Rezension bzw. – wegen der für ihn besonders wichtigen Wiedergabe von ‫»( גם‬auch«) mit καιγε (»und auch«) – als die kaige-Rezension. Beim Vergleich mit der entsprechenden Bearbeitung in anderen Büchern beobachtete Barthélemy eine gewisse Bandbreite vor allem in der Wortwahl. Er sprach daher zum Teil auch von einer »groupe kaige«, wobei man sowohl an eine Gruppe von kaige-Handschriften als auch von kaige-Bearbeitern denken kann. Das Stichwort kaige war für Barthélemy deshalb besonders wichtig, weil er dabei das rabbinische Prinzip der augmentation (Erweiterung) erkannte, das in der frühjüdischen Hermeneutik eine gewisse Rolle spielte. Außerdem dachte Barthélemy an das sog. prototheodotionische Problem, d. h. an das Phänomen, dass theodotionische Lesarten, die man eigentlich der Übersetzung des Theodotion im 2. Jh. n. Chr. (siehe dazu auch unten, 5.3) zuordnete, bereits im 1. Jh. zu finden sind (z. B. im Neuen Testament). Barthélemy identifizierte Jonathan ben Uzziel aus dem 1. Jh. mit Theodotion 84 und datierte damit auch die kaige- bzw. kaige-Theodotion-Bearbeitung in das 1. Jh. n. Chr. 85 Gegenüber dieser Zuordnung wird die Naḥal Ḥever Rolle heute aus paläographischen Gründen in das 1. Jh. v. Chr. datiert, 86 womit sich ergibt, dass die kaige-Rezension bereits im 1. Jh. v. Chr. erfolgte bzw. zumindest begonnen hat. Auch schon mit Barthélemys Datierung war klar, dass die kaige-Rezension eine innerjüdische und vorchristliche Bearbeitung der alten Septuaginta darstellt.

83. Die Zwölfprophetenrolle von Naḥal Ḥever hat darüber hinaus noch die Besonderheit, dass mitten im griechischen Text der Gottesname Jhwh nicht wie sonst üblich mit griechisch κύριος übersetzt, sondern mit Buchstaben der althebräischen Schrift wiedergegeben wird. 84. Barthélemy, Devanciers, 148-156. So auch bereits Kahle, P. E., The Cairo Genizah, 19592, 195. 85. Aus dieser Verbindung ergibt sich, dass vor allem in der englischsprachigen Literatur manchmal von kaige-Theodotion gesprochen wird, z. B. Tov, Textual History, wobei allerdings die Verbindung zu einem Theodotion des 2. Jh. n. Chr. (und damit letztlich dessen Existenz) entfällt. Die Rede von kaige-Theodotion erscheint insofern nützlich, als die spätere Tradition diese Textform mit dem Namen Theodotion (wer auch immer das war), und die Textform unter dieser Bezeichnung identifizierte. 86. Cross, F. M. / Parry, D. W. / Saley, Richard, J. u. a., 1–2 Samuel, Qumran Cave 4, XII, Oxford 2005.

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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Was waren die Gründe für diese isomorph-hebraisierende Bearbeitung? Ein erster Grund war die Beobachtung, dass der Text der Septuaginta an manchen Stellen von jener Form des hebräischen Textes abwich, der ab der Hasmonäerzeit, d. h. ab dem ausgehenden 2. Jh. v. Chr. zum normativen Text geworden war. Diese Entwicklung lässt sich an den Qumrantexten beobachten. Während die älteren Texte noch eine Mehrgestaltigkeit bezeugen, wurde im 1. Jh. v. Chr. praktisch nur mehr jener Text abgeschrieben oder zitiert, den wir heute den protomasoretischen Text nennen. Schon bei dem um etwa 125 v. Chr. verfassten Aristeasbrief hat man den Eindruck, dass die herkömmliche Septuaginta gegen Angriffe verteidigt werden soll: Immerhin wird betont, dass die Übersetzung unter Autorisierung des Jerusalemer Hohepriesters erfolgte und auf der Grundlage von Handschriften, die aus dem Jerusalemer Tempel stammten. Auch die im Aristeasbrief erzählte Autorisierung durch die jüdische Gemeinde und durch den ptolemäischen König verliehen der Septuaginta höchste Autorität. Aber: die Differenzen zum masoretischen Text waren unbestreitbar und waren wohl mit ein Grund für die Revision. 87 Ein zweiter Grund, der damit Hand in Hand ging und wohl noch gewichtiger wurde, war ein neues Schriftverständnis, das zu einer neuen Hermeneutik und zur Bearbeitung der alten Übersetzung führte. Prinzipiell ging es dabei nicht nur um den Inhalt sondern auch um die Form des hebräischen Urtextes. Dieser war nicht nur der Sache nach autoritativ, sondern auch nach seiner Form. Das hebräische Original sollte in der griechischen Übersetzung durchschimmern und erkennbar werden; von da her war auch die hebräische Wortfolge wichtig sowie etwa auch die Tempora, d. h. z. B. dass die hebräische Vergangenheitsform auch mit einer griechischen Vergangenheitsform wiedergegeben werden soll, und nicht mit einem praesens historicum. Da der hebräische Text ein heiliger und vollkommener Text ist, sind auch die Details wichtig, gerade auch solche, die scheinbar keinen Unterschied machen, wie etwa die beiden unterschiedlichen Formen des Personalpronomens der 1. Pers. Sing., ‫ אני‬und ‫אנכי‬. Damit man sie auch im Griechischen erkennen kann, wird ‫ אני‬mit ἐγώ wiedergegeben und ‫ אנכי‬mit ἐγώ εἰμι, auch wenn ein finites Verb folgt. Unter diesem Vorzeichen wird es auch wichtig, ob ein Artikel oder analoges Element 88 vorhanden ist oder nicht; d. h. der Artikel wird im Griechischen nicht nach (hebräischer) Determination oder Indetermination gesetzt, sondern nach dem Vorhandensein eines sichtbaren Artikels oder analogem Element. Ein weiteres Anliegen war die konkordante Wiedergabe, d. h. dass ein bestimmtes hebräisches Wort immer mit dem gleichen griechischen Wort wiedergegeben werden soll. Der hebraisierende Charakter der kaigeRezension ist somit näherhin als isomorphe Bearbeitung zu bestimmen. Einzelheiten lassen erkennen, dass die Bearbeiter durchaus gut Griechisch konnten, aber was ihnen wichtig war, war die isomorphe Entsprechung. Gerade gewisse Befremdlichkeiten 89 wie das erwähnte ἐγώ εἰμι auch bei folgender finiter Verbform oder die genaue An87. Allerdings blieb dieses Bemühen in gewissen Grenzen. So wurde z. B. beim Jeremiabuch keine mit dem längeren (proto)masoretischen Text übereinstimmende Fassung geschaffen. 88. Als solches fungiert vor allem die nota accusativi. Die nota accusativi bewirkt zwar (nach moderner Grammatik) keine Determination, aber sie steht vor determinierten Objekt, d. h. sie zeigt die Determination an und hat damit eine ähnliche Bedeutung wie der Artikel. 89. Rahlfs, Lucians Rezension, bezeichnete den (von ihm noch nicht so benannten) kaige-Text von 2Kön als »oft stumpfsinnig genau übersetzt« (293; ähnlich 223; 233; 263). 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

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passung in der Wortfolge sollten auf den eigentlichen Hintergrund verweisen, nämlich die hebräischen heiligen Schriften. 90 Die Entdeckung der kaige-Rezension ist in der Septuagintaforschung allgemein anerkannt. In der ersten Entdeckerfreude wurde den oben erwähnten Kennzeichen noch eine Reihe weiterer, vor allem semantischer Kennzeichen hinzugefügt. Diese waren aber zum großen Teil zu unspezifisch und nur für einzelne Schriften relevant. Im Wesentlichen bewährten sich die schon von Barthélemy herausgestellten Kennzeichen 91, dazu kamen die verschiedenen Beobachtungen bezüglich der isomorphen Anpassung, insbesondere der Wortfolge und der Artikelsetzung. Für Barthélemy hatte die Entdeckung der kaige-Rezension aber noch eine wichtige zweite Seite. Da die kaige-Texte, etwa in 2Sam und in 2Kön aber auch sonst, per definitionem überarbeitete Texte sind, stellt sich die Frage, ob die ältere Vorlage dieser Rezension noch erhalten ist, oder ob diese verloren sind. Barthélemy identifizierte diese Vorlage in dem sogenannten antiochenischen bzw. lukianischen Text, dessen Textgestalt üblicherweise auf eine Bearbeitung durch den 312 n. Chr. als Märtyrer umgekommenen Theologen Lukian von Antiochien zurückgeführt wird (siehe dazu unten 6. Christliche Revisionen). Entgegen der verbreiteten Meinung einer erst späten Entstehung dieser Textform stellte Barthélemy fest, dass dieser Text und der kaigeText des Codex Vaticanus zusammenhingen und dass der antiochenische Text die ältere Vorlage für den kaige-Text war. Das bedeutet aber, dass der antiochenische Text alt war und der beste Zeuge für den ursprünglichen Text der Septuaginta, wobei natürlich auch dieser Text – so wie alle anderen Textformen – im Lauf seiner Überlieferung einzelne Textverderbnisse erfahren hatte. In den Worten von Barthélemy: Der lukianische / antiochenische Text, »c’est la vieille Septante, plus ou moins abâtardie et corrumpue.« 92 Faktisch ist diese völlig neue Einordnung des lange Zeit vernachlässigten bzw. spät datierten lukianischen Textes die andere Seite der Medaille, d. h. der von Barthélemy identifizierten kaige-Rezension. Allerdings wurde diese zweite Erkenntnis Barthélemys lange Zeit wenig beachtet bzw. mit verschiedenen Argumenten relativiert. Erst in neuerer Zeit wurde die neue Einordnung und damit auch die Bedeutung des lukianischen Textes stärker aufgenommen 93 und durch neue Argumente, vor al90. Als moderne Analogie könnte man auf die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig verweisen, die mit ähnlichen Mitteln wie hebraisierende Wortbildungen und hebraisierende Syntax einen besonders »hebräischen« Eindruck und damit besondere Autorität vermitteln will. 91. Siehe dazu u. a. Barthélemy, Prise de Position. 92. Barthélemy, Devanciers, 127. Angesichts der weiteren Diskussion zur kaige-Rezension und zum lukianischen Text hat Barthélemy in seinem Beitrag »Prise de Position« zwar später im Rahmen eines Rückblick auf die Diskussion zur kaige-Rezension und zum lukianischen Text zugegeben, dass der antiochenische Text nicht nur zufällige Verderbnisse sondern zum Teil auch eine absichtliche Bearbeitung erfahren haben kann, aber diese wäre erheblich geringer als die klassisch angenommene lukianische Rezension. Insofern blieb Barthélemy im Wesentlichen bei seiner früheren Erkenntnis. 93. Neben Diskussionsbeiträgen ist die Edition des lukianischen Textes von 1Sam durch Taylor, The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns, und vor allem die umfangreiche kritische Edition des antiochenischen Textes zu Samuel, Könige und Chronik durch Fernandez Marcos und Busto Saiz, El texto antioqueno, zu nennen.

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lem durch den Vergleich mit der isomorphen Bearbeitung der kaige-Rezension, klar nachgewiesen.

4.3 Weitere Formen hebraisierend-isormorpher Bearbeitung (semi-kaige) Gab es auch außerhalb der kaige-Texte eine hebraisierende Bearbeitung? Im Blick auf den geistigen Hintergrund der kaige-Rezension und andererseits angesichts der Existenz unterschiedlicher Textformen in der Überlieferung der Septuaginta stellt sich die Frage, ob es auch jenseits der klaren kaige-Texte ähnliche Bearbeitungen gab. Dass es solche Bearbeitungen gab, ist schon impliziert in den oben erwähnten sog. Axiomen von Lagarde. Wenn er jene Textform als die älteste betrachtet, die am weitesten vom masoretischen Text entfernt ist, dann impliziert das die Ansicht, dass die Septuagintatexte an Hand des (proto)masoretischen Textes bearbeitet wurden. In seiner kritischen Handausgabe folgte Rahlfs zwar im Wesentlichen den großen Codices B, S und A (Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus) und darin wiederum vor allem der sog. Hauptüberliefrung des Codex Vaticanus, aber er weicht doch an vielen Stellen davon ab und folgt nicht selten auch dem lukianischen Text. Auch das impliziert, dass der Codex Vaticanus nicht immer den ältesten Text bietet, sondern in einem bestimmten Sinn bearbeitet wurde und zwar offensichtlich im Sinn einer gewissen Anpassung an den masoretischen Text. Ähnliches hat auch Anneli Aejmelaeus im Blick auf 1Sam festgestellt: »One must be ready to accept corruption or correction towards the Hebrew in the main line [= B-text and related manuscripts; SK] of textual transmission«; 94 und: »This kind of recensional development, typical of the so-called καίγε sections is clearly not absent in the non-καίγε sections either, but can be sporadically detected in the B-text«. 95 Das Problem ergibt sich auch aus der oben erwähnten neuen Einordnung des antiochenischen Textes. Wenn dieser der ursprünglichen Septuaginta nahe steht und wenn zugleich auch der Text des Codex Vaticanus in den sog. nicht-kaigeAbschnitten der ursprünglichen Septuaginta sehr nahe ist, dann stellt sich die Frage, wie die Differenzen zwischen den beiden Texten zu interpretieren sind. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, entweder sind beide Texte (gegenüber der ursprünglichen Septuaginta) bearbeitet oder einer der beiden ist der ältere und der andere Text ist bearbeitet. Der erste Fall erweist sich am ehesten dadurch, dass manchmal der eine, manchmal der andere Text sekundär ist. Im zweiten Fall sind die Änderungen durchwegs oder zumindest weit überwiegend 96 einem der beiden Texte zuzuschreiben. Die Analyse zahlreicher Texteinheiten aus den nicht-kaige Abschnitten von 2Sam aber auch zahlreiche andere Fälle zeigen, dass in der Tat an vielen Stellen im Codex Vaticanus eine hebraisierende Bearbeitung vorliegt, die nicht nur zufällig und punktuell sondern systematisch erfolgte. 97 Wenn auch diese Bearbeitung wesentlich milder ausfiel, als in der eigentlichen kaige-Rezension, so folgte sie doch denselben Prinzipien einer isomorphen Anpassung an den hebräischen Bezugstext, nämlich Anpassung in 94. Aejmelaeus, 1 Samuel, 127. 95. Aejmelaeus, Reconstructing the Old Greek, 366. 96. De facto wird es auch in der ältesten Textform Textverderbnisse oder einzelne Korrekturen geben. 97. Siehe dazu Kreuzer, B or not B?; ders., Old Greek und Semi-kaige. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

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der Wortfolge, in der Artikelsetzung und zum Teil in der Wortwahl. Siegfried Kreuzer hat daher die Bezeichnung als semi-kaige Bearbeitung vorgeschlagen. 98 Diese Phänomene sind auch im nicht-kaige Text von 1Kön und in anderen Texten zu erkennen. ein illustratives Beispiel ist die Wiedergabe von ‫טוב בעיניך‬, »gut deinen Augen«. Die älteste Wiedergabe (erhalten im antiochenischen Text und einer Reihe weiterer Textzeugen) ist relativ frei und sachgemäß: τὸ ἀρεστὸν ἐνώπιόν σου. In den kaige-Abschnitten des Codex Vaticanus wird genau wortwörtlich übersetzt: τὸ ἀγαθὸν ἐν ὀφθαλμοῖς σου; in den nicht-kaige Abschnitten wird dagegen nur zu τὸ ἀγαθόν ἐνώπιόν σου angepasst. Ein interessantes Beispiel ist die bereits erwähnte (s. o. 2.2; Fn. 46) Verbindung des Namens des Gottes Baal mit weiblichem Artikel. Diese ist im antiochenischen Text von 1Kön 19,18 (d. h. im nicht-kaige Abschnitt) und im Zitat dieser Stelle in Röm 11,4) noch erhalten, während sie in Codex Vaticanus – so wie sonst im kaigeText – geändert ist. 99 Die vorgestellten Beobachtungen und Sachverhalte gelten nicht nur für das Gegenüber von Codex Vaticanus und antiochenischem Text (das in den Geschichtsbüchern besonders markant ist), sondern generell in der Textüberlieferung. So gibt es z. B. für Psalm 103,4, der in Hebr 1,7 zitiert wird, zwei verschiedene griechische Textformen: Gott macht seine Engel zu Geistern und seine Diener zu πῦρ φλέγον, »brennendem Feuer« (so Rahlfs mit B, S, A), bzw. zur πυρὸς φλόγα, »Flamme des Feuers« (Sa, Bo, L, und Ac), wobei die erste Lesart genau der hebräischen Wortfolge und Grammatik (‫ )ֵאשׁ ל ֵֹהט‬entspricht. Da diese hebraisierende Lesart im Griechischen genauso gut möglich ist und keinen Grund zur Beanstandung (und damit zu einer Korrektur) bietet, erklärt sich die Differenz am ehesten aus isomorpher Anpassung, und zwar an die masoretische Vokalisation bzw. Lesetradition (der Konsonantentext erlaubt beide Auffassungen). D. h. die in den großen Codices bezeugte Lesart ist die jüngere, an den masoretischen Text angepasste Lesart, während die im Sahidischen, im Bohairischen, im lukianischen/antiochenischem Text und von Korrektor C des Codex Alexandrinus bezeugte Lesart den ursprünglichen Septuagintatext darstellt, der auch im Hebräerbrief zitiert ist. 100 Insbesondere das letztgenannte Beispiele macht deutlich, dass es bei der Frage nach einer hebraisierend-isomorphen Bearbeitung und der damit eng zusammenhängenden Frage nach der ältesten Septuaginta (»Old Greek«), nicht mehr nur um den Bereich des Entdeckungszusammenhanges (kaige-Rezension zu Dodekapropheton bzw. in Codex Vaticanus und Antiochenischer Text in den Samuelbüchern) geht, sondern generell um den Sachzusammenhang von ältester, ursprünglicher Septuaginta (»Old Greek«) und hebrai98. Ebd. 99. Die Lesart ist leider weder in Rahlfs, Septuaginta, noch in Rahlfs/Hanhart, Septuaginta, angeführt, aber in der Ausgabe von Brooke/McLean nachgewiesen. Interessanterweise hat auch das Zitat dieser Stelle in Röm 11,4 noch den femininen Artikel, woraus sich ergibt, dass Paulus – jedenfalls für diese Stelle – noch den alten Septuagintatext vor sich hatte; siehe dazu Kreuzer, Lukian redivivus, 259-261. 100. Die Bemerkung bei Rahlfs, die Lesart von Sa, Bo, L, und Ac. sei »ex Heb 1,7« ist angesichts der geographisch weiten Streuung der Textzeugen nicht sehr wahrscheinlich, und durch die textinterne textkritische Überlegung hinfällig. Zum Phänomen der Erhaltung alter Lesarten in den Randgebieten der Textüberlieferung siehe auch unten, 6.4.

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4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

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sierender Bearbeitung (kaige-Rezension, semi-kaige-Bearbeitung). Das wesentliche Kriterium ist die klassische textgeschichtliche Frage: In welcher Richtung lassen sich die Änderungen am einfachsten begründen und erklären? Ergänzend sei erwähnt, dass die hier erörterte Frage nach hebraisierender Überarbeitung für den Pentateuch bisher kaum gestellt wurde. Die Entwicklung scheint aber auch in diesem Bereich zuzutreffen, auch wenn hier die älteste Textform nur sporadisch erhalten zu sein scheint. So scheint 4QLXXLeva eine ältere Textform des Levitikusbuches zu bezeugen, als sie uns in den übrigen Manuskripten erhalten ist. 101 Ein interessantes Beispiel in der anderen Richtung, d. h. einer hebraisierenden Überarbeitung, bietet der schon länger bekannte Papyrus / Ms Strasbourg gr 748 aus dem 5. Jh. n. Chr., der offensichtlich zumindest Genesis und Exodus umfasste und der eine dem B-Text des Richterbuches, modern gesprochen: der kaige-Rezension, entsprechende Textform aufweist. 102 Im Blick auf die Überlieferung und Verbreitung der Septuaginta ergibt sich damit das Bild von zwei Phasen: Die erste Phase ist die erste Übersetzung der »Septuaginta«, wie sie (zumindest in den Anfängen und zum Großteil) in Alexandrien erfolgte, und ihre Verbreitung in der jüdischen Diaspora und wohl auch im Mutterland. Die zweite Phase ist die Revision der Septuaginta in einem hebraisierend-isomorphen Sinn, d. h. die sog. kaige- und die semi-kaige-Bearbeitung. Auch dieser Text verbreitete sich – von Jerusalem oder auch von anderen jüdischen Zentren ausgehend – ebenfalls in der jüdischen Welt. Offensichtlich überlagerte diese zweite Welle der Ausbreitung sukzessive die erste, d. h. die hebraisierende Textform wurde intensiver abgeschrieben und verbreitet. 103 Diese zweite Textform, die sich zum Teil auch mit der ersten mischte, dominiert auch die uns erhaltene Überlieferung, d. h. vor allem die großen Codices. Die ältere Textform ist eher fragmentarisch in einzelnen Papyri und in Fragmenten aus Qumran erhalten, offensichtlich aber auch in den Randzonen der Verbreitung: Im Norden in Syrien/Antiochien, im Westen durch die Übersetzung der Vetus Latina, im Süden durch die sahidische (d. h. die ältere koptische) Übersetzung. Es ist interessant, dass die Septuagintazitate im Neuen Testament zum Teil die ältere Septuaginta, zum Teil die hebraisierende Bearbeitung wiederspiegeln. 104

101. Himbaza, What are the consequences if 4QLXXLeva contains the earliest formulation of the Septuagint? 102. Siehe dazu Plasberg, Strasburger Anecdoten, und Bülow-Jacobsen / Strange, Fragment, sowie / Bogaert/ Botte, Septante, 565. 103. Wie die erste Übersetzung der »Septuaginta« dauerte wohl auch die Phase der hebraisierenden Bearbeitung eine gewisse Zeit. Die Verbreitung der Handschriften erfolgte wohl unterschiedlich rasch, je nach Bedarf und Bedeutung des jeweiligen Buches. Ein schönes Beispiel, wie man sich die Verbreitung von Handschriften im 1. Jh. und wohl nicht nur für private Bedürfnisse vorstellen kann, bietet die Erzählung in Apg 8. 104. Die neutestamentlichen Zitate gehören damit zugleich zu den ältesten Quellen für den Text der Septuaginta; siehe dazu etwa Kreuzer, Bedeutung, aber auch einschlägige Untersuchungen zum Neuen Testament, z. B. Docherty, S., The Text Form of the OT citations in Hebrews chapter 1 and the Implications for the Study of the Septuagint, NTS 55(2009), 355-365. 4. Die ersten hebraisierenden Revisionen der Septuaginta

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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores) Im Lauf des 2. Jh. n. Chr. entstanden neue Übersetzungen der hebräischen heiligen Schriften. Diese jüngeren (recentiores) Übersetzungen werden traditionell mit den Namen Aquila, Symmachus, Theodotion verbunden. Lange Zeit wurden diese neuen Übersetzungen als jüdische Alternativen zur Septuaginta verstanden, weil die Septuaginta von den Christen verwendet wurde. Spätestens mit der Entdeckung der kaigeRezension wurde jedoch klar, dass die Revisionstätigkeit an der Septuaginta schon in vorchristlicher Zeit und als innerjüdischer Prozess begonnen hatte. Die Recentiores setzen im Grunde diesen Revisionsprozess fort, sofern nicht Theodotion, wie oben dargelegt, als kaige-Theodotion mit der kaige-Rezension zu identifizieren und damit wesentlich früher einzuordnen ist. Allerdings wird man den Gegensatz zum Christentum und dessen Verwendung der Septuaginta auch nicht ganz negieren können. Dass Aquila für »salben« und »Gesalbter« nicht χρίειν und χριστός verwendete, sondern Formen von ἀλείφειν und in Jes 7,14 nicht παρθένος sondern νεᾶνις, wird wohl nicht unabhängig von der christlichen Rezeption erfolgt sein. Diese Differenzen an theologisch wichtigen Stellen und auch andere Unterschiede im Wortlaut spielten im 2. Jh. eine Rolle in den Diskussionen zwischen Juden und Christen, insbesondere bei Justin dem Märtyrer (Dialog mit dem Juden Tryphon) und bei Irenäus von Lyon. 105 Allerdings ist auch zu beobachten, dass dieser Gegensatz in der folgenden Zeit eher zu einem Nebeneinander und einer Ergänzung wurde. Im 3. Jh. setzte Origenes in seiner Hexapla die Recentiores neben die Septuaginta und benutzte sie zum Vergleich und zur Ergänzung; und spätere christliche Autoren zogen diese jüdischen Übersetzungen oft zur Ergänzung und zum Vergleich heran, weil sie auf ihre Art eine genaue Übersetzung des Hebräischen boten. Auf diesem positiven Hintergrund erklärt sich auch, dass die leider sehr fragmentarische Überlieferung dieser Texte zu einem großen Teil durch die christliche Tradition durch Zitate und durch die Bemerkungen in Bibelhandschriften erfolgte. 106 auch die Nachrichten über die Person dieser Übersetzer entstammen zum guten Teil christlichen Quellen, die allerdings untereinander divergieren. Die Recentiores werden traditionell als neue Übersetzungen bezeichnet. Freilich muss man sich bewusst machen, dass auch damals eine neue Übersetzung nicht ohne Kenntnis und ohne Vergleich mit vorliegenden Übersetzungen erfolgte und dass diese gelehrten Übersetzer gewiss die vorhandenen Übersetzungen zur Verfügung hatten. Von da her und weil man sie als eine Fortsetzung der bereits begonnenen Revisionstätigkeit betrachten kann, werden die jüngeren »Übersetzungen« von manchen Autoren unter der Rubrik »Revision« angeführt. 107 105. Siehe dazu etwa Hengel / Schwemer, Septuaginta. Der damalige wechselseitige Vorwurf der Schriftverfälschung, der auf den in der Tat unterschiedlichen Textformen beruhte, ist jedoch weniger ein Problem der Übersetzungen, sondern ergab sich, wie wir heute auf Grund Entdeckung der frühjüdischen Mehrgestaltigkeit der hebräischen Texte wissen, aus den unterschiedlichen hebräischen Bezugstexten der alten Septuaginta und der späteren Revisionen. 106. Siehe dazu Salvesen, Aquila, Symmachus. 107. So Tov, Text und ders., Textual Criticism; ebenso Fischer, Text.

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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)

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Die jüngeren jüdischen Übersetzungen sind nur in Fragmenten erhalten, und zwar in einzelnen Zitaten sowie durch die allerdings auch nur fragmentarische Überlieferung der Hexapla und entsprechende Randnotizen in Handschriften sowie vereinzelt durch Inschriften. Eine Zusammenstellung der bis dahin bekannten Fragmente findet sich in der Hexaplaausgabe von Field und im Apparat der Göttinger Septuagintaausgabe sowie in verschiedenen Einzeluntersuchungen.

5.1 Aquila Die bekannteste, am meisten verbreitete und zugleich merkwürdigste Übersetzung ist die Übersetzung Aquilas. Aquila soll aus Sinope am Schwarzen Meer stammen und Schüler von Rabbi Akiba gewesen sein. Seine Übersetzung entstand um 125 n. Chr., was sich auch daraus ergibt, dass sie in den oben erwähnten Kontroversen in der Mitte des 2. Jh. bereits eine Rolle spielte und somit bekannt und verbreitet war. Aquila verfolgte eine besonders wortwörtliche und auch konkordante Übersetzung. Das markanteste Beispiel seiner Übersetzungstechnik ist die einheitliche Wiedergabe von ‫ ֶאת‬durch σύν. ‫ ֶאת‬kann sowohl als nota accusativi den Akkusativ anzeigen als auch als Präposition die Bedeutung »mit« oder »bei« haben. Durch die einheitliche Wiedergabe mit σύν wurde in Gen 1,1 aus »Gott schuf den Himmel und die Erde« »Gott schuf mit Himmel und Erde«. Aquila versuchte auch, etymologisch zusammengehörende Wörter im Griechischen ebenfalls möglichst einheitlich und möglichst etymologisierend wiederzugeben. Hebräisch ‫ ר ֹאשׁ‬bedeutet Kopf, Haupt (griechisch: κεφαλή). Das mit ‫ ר ֹאשׁ‬zusammenhängende Nomen ‫ ֵראִשׁת‬bedeutet »Anfang«. Aquila versuchte, einen analogen Zusammenhang auch im Griechischen herauszustellen und übersetzte ‫ ֵראִשׁת‬mit κεφάλαιον, was aber nicht Anfang heißt sondern Hauptsache. Somit erhielt Gen 1,1 in der Übersetzung von Aquila die Bedeutung »In der Hauptsache schuf Gott mit Himmel und Erde«. Dieser extrem isomorphen Übersetzungsweise lag ein ähnliches Schriftverständnis zugrunde wie der kaige-Rezension. Barthélemy hatte im Titel seines Buches die kaigeRezension zu Recht als Vorläufer Aquilas (»Les Devanciers d’Aquila«) bezeichnet. Umgekehrt kann man die Übersetzung Aquilas als die kaum mehr überbietbare Fortsetzung der mit der kaige-Rezension begonnenen Tendenz betrachten. Wie bei den anderen Recentiores ist auch der Text Aquilas nur fragmentarisch erhalten. 108 Er war aber bekannt und verbreitet und trotz der Verständnisschwierigkeiten wegen ihres hebräischen Flairs die im spätantiken Judentum am meisten verwendete Übersetzung, was insbesondere durch Synagogen- und andere Inschriften aus Kleinasien und anderen Bereichen bezeugt ist. 109

5.2 Symmachus Auch die Frage »Wer ist Symmachus?« 110 ist nicht leicht zu beantworten. Symmachus wirkte in der 2. Hälfte des 2. Jh. In der Überlieferung wird er als Jude oder als Jude, der 108. Neben den oben erwähnten Ausgaben sei auf Reider / Turner, Index to Aquila, hingewiesen. 109. Siehe dazu Boyd-Taylor, Echoes of the Septuagint, und van der Horst, Saxa judaica. 110. Vgl. Barthélemy, Qui est Symmaque?. 5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)

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Samaritaner wurde (so bei Epiphanius, De mensuris et ponderibus), oder als Ebionit (Judenchrist; so bei Eusebius und Hieronymus) bezeichnet. Die Übersetzung des Symmachus zeigt ein gepflegtes Griechisch und erweist ihn als guten Kenner der griechischen Sprache aber auch rabbinischer Tradition. Das wäre auch für einen zum Christen gewordenen Juden denkbar. Es fällt auf, dass Symmachus für »salben« und »Gesalbter« anders als Aquila Formen von χρίειν und χριστός verwendet, allerdings übersetzt er Jes 7,14 mit νεᾶνις. 111 Symmachus wird aber auch mit einem in rabbinischen Quellen erwähnten Somchos gleichgesetzt und als Schüler von Rabbi Meir gesehen. 112 Unabhängig von der Frage seiner Herkunft besteht überwiegend die Meinung, dass Symmachus seine Übersetzung als Jude gemacht hat. 113 Die Übersetzung des Symmachus stellt einen gewissen Mittelweg zwischen, besser gesagt: eine gute Verbindung von Orientierung an der Ausgangssprache und an der Zielsprache dar. 114 Der hebräische Bezugstext stand wohl, wie für das 2. Jh. n. Chr. anzunehmen, dem proto-masoretischen Text nahe. Symmachus kannte vermutlich sowohl die Septuaginta als auch kaige-Texte und auch Aquila. Der offensichtlich weit verbreitete und auch von den Christen geschätzte Text wurde von Origenes in der Hexapla aufgenommen und insbesondere auch von Hieronymus für die Arbeit an der Vulgata herangezogen. 115 Leider ist auch der Text von Symmachus nur fragmentarisch erhalten. Eine erwähnenswerte Einzelheit ist, dass manchmal ein Wort bei Symmachus und im antiochenischen Text exklusiv übereinstimmen. Traditionell wird diese Gemeinsamkeit auf Übernahme aus der Hexapla durch Lukian interpretiert. Allerdings ist es ebenso möglich, dass solche Übereinstimmungen auf die ursprüngliche Septuaginta zurückgehen und die Lesart in den revidierten Textformen nicht erhalten geblieben ist. Nicht zuletzt stellt sich auch bei Symmachus das Problem von Symmachus-Lesarten vor Symmachus. Solche finden sich im Neuen Testament und auch schon bei Jesus Sirach. Besonders Fernandez Marcos weist darauf hin, dass sich damit in gewisser Analogie zu Proto-Theodotion ein Problem von Proto-Symmachus stellt. 116 Eventuell ist auch hier die Perspektive, dass Symmachus (so wie frühjüdische und neutes111. Zur Diskussion des Hintergrundes von Symmachus siehe Fernandez Marcos, Introduction, 124 f. 133 f. 112. So Barthélemy, Symmaque. 113. Eine interessante Beobachtung ist, dass Symmachus bestimmte Stellen anscheinend unpolitisch oder unmessianisch übersetzt, was man als eine Reaktion auf die Aufstände (Bar Kochba) und die Verschlechterung des Verhältnisses zu den Römern verstehen könnte (so Mulder, Symmachus’ depoliticising translation, im Anschluss an Arie van der Kooij und Michael van der Meer). 114. Vgl. Tov, Textual Criticism, 145: »On the one hand he was very precise …, while on the other hand, he very often translated ad sensum«. 115. Abraham Geiger bezeichnete Symmachus sogar als den »Großvater der Vulgata«; Geiger, Einleitung, 92. 116. Fernandez Marcos, Introduction, 136-139: »To some extent these indications tell us that not only Aquila but also Symmachus had his predecessors« (138); aber auch: »Even so, this dependence on earlier revisions should not be exaggerated, and Symmachus should continue to remain as a new, independent translation« (ebd.).

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5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

tamentliche Autoren) noch Lesarten und Sätze (bzw. Handschriften) der alten Septuaginta kannte, die in der übrigen Überlieferung von den Revisionen überdeckt wurden.

5.3 Theodotion Traditionell wird die Übersetzung des Theodotion als die dritte der Recentiores betrachtet. Nach Irenäus von Lyon (Adversus haereses III, 23) soll er aus Ephesus stammen und zur Zeit des Kaisers Commodus, d. h. um 190, gewirkt haben. 117 Er soll von der Gnosis zum Judentum gekommen sein. Oben wurde bereits das sog. proto-theodotionische Problem erwähnt, nämlich die Beobachtung, dass es Theodotion-Lesarten auch schon in älteren Texten, etwa im Neuen Testament gibt. Durch die Identifikation der kaige-Rezension ist dieses Problem im Prinzip gelöst: Die theodotionischen Texte entsprechen im Prinzip der kaige-Rezension. Oft wird daher einfach von kaige-Theodotion gesprochen; so etwa bei Emanuel Tov, der nur mehr Aquila und Symmachus nennt und sonst von kaige-Theodotion spricht: »Consequently, the revision as a whole is now named kaige-Th, although its various attestations are not uniform in character and accordingly different individuals may have been involved.« 118. Damit entfällt jeder Bezug zu einer Person des späten 2. Jh. 119 Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass in der späteren Tradition von Theodotion die Rede ist. Insofern ist die Bezeichnung kaige-Theodotion eine Erinnerung an diese Zuordnung. Woher kommt aber dann die Nennung Theodotions? Denkbar erscheint mir, dass die kaige-Textform in der Überlieferung mit einem historischen Theodotion verbunden wurde, ähnlich wie in der rabbinischen Überlieferung bestimmte schon länger existierende Traditionen mit bestimmten Autoritäten verbunden wurden. 120

5.4 Eine Samaritanische Übersetzung? In einigen Handschriften der Septuaginta finden sich griechische Zitate aus einem sogenannten Samareitikon (τὸ Σαμαρειτικόν), das auch von Origenes an einer Stelle erwähnt wird. Es besteht allerdings heute weitgehend Konsens darüber, dass es sich um keine durchgehende und selbständige Übersetzung handelt, sondern um punktuelle Bezugnahmen auf samaritanische Texte. Darüber hinaus scheinen bestimmte scheinbar samaritanische Texte, insbesondere aus den leider zerstörten Giessener Pa117. Ob diese zeitliche Einordnung zutrifft, ist umstritten. Möglicherweise geht die traditionelle Reihenfolge Aquila – Symmachus – Theodotion auf die Reihenfolge in der Hexapla zurück. 118. Tov, Textual Criticism, 143. 119. Ein spezielles Problem ist der sogenannte Theodotion-Text des Danielbuches. Dieser Text wurde traditionell mit dem Namen Theodotions verbunden und verdrängte fast vollständig den alten Septuagintatext. Allerdings wird dieser Text schon von neutestamentlichen Autoren vorausgesetzt. Am ehesten wird man auch diesen Text als eine Rezension im Bereich der kaige-Gruppe betrachten können (für Weiteres siehe den Artikel zum Danielbuch). 120. Ein ähnlicher Fall scheint im christlichen Bereich bei der Benennung des lukianischen Textes vorzuliegen, wenn Hieronymus davon berichtet, dass der allgemein verbreitete Septuagintatext von den meisten jetzt als lukianisch bezeichnet wird: »… et a plerisque nunc λουκιάνειος dicitur.« Hieronymus, Brief 106 § 2 (Brief an Sunnia und Fretela). 5. Die jüngeren jüdischen Übersetzungen (die Recentiores)

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pyri nicht auf spezifisch samaratanische Lesarten zurückzugehen, sondern vormasoretische Septuagintalesarten zu bezeugen, so insbesondere die Lesung »Garizim« in Dtn 27,4. 121 Für diese Erklärung spricht, dass diese Lesart auch in der Vetus Latina bezeugt ist, was eher für eine Abhängigkeit von der Septuaginta spricht. Andererseits stimmen die ca. 40 Verweise auf samaritanische Lesarten mit dem samaritanischen Targum überein. Außerdem wurde an einer samaritanischen Synagoge in Thessaloniki eine Inschrift mit dem griechischen Text von Num 6,22-27 gefunden, der der spezifisch samaritanischen Lesart dieses Textes entspricht. 122 Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass die durchaus zahlreichen samaritanischen Gemeinden im Mittelmeerraum so wie die Juden ihre heilige Schrift (den Pentateuch) in Griechisch zur Verfügung hatten und verwendeten, sei es als originale Übersetzung oder als revidierte Fassung der Septuaginta.

6. Christliche Revisionen 6.1 Die Hexapla Die wichtigste und auch klar bezeugte Revision im christlichen Bereich ist die Hexapla des Origenes (ca. 185–245 n. Chr.), die wohl um 230 und wahrscheinlich in Caesarea entstand. Origenes will dieses enorme Projekt unternommen haben, um für die Diskussion mit Juden eine verlässliche Textgrundlage zu haben (Epistula ad Africanum 5). Darüber hinaus darf man wohl auch gelehrtes Interesse, besonders als Grundlage für die Exegese, annehmen. Die Hexapla umfasste in der Regel wie ihr Name sagt, sechs Spalten, und zwar den hebräischen Text in (damals noch unvokalisierter!) hebräischer Schrift und den hebräischen Text in griechischer Umschrift sowie vier griechische Textformen: Aquila, Symmachus, Septuaginta und Theodotion. In manchen Büchern wurden noch weitere Textformen hinzugefügt, die als Quinta, Sexta 123 und Septima bezeichnet werden, wobei sich diese Zählung nur auf die griechischen Spalten bezieht. 124 Diese Übersetzungen bzw. Textformen sind leider nicht namentlich bekannt; man weiß auch nicht, ob sie jüdischen oder christlichen Ursprungs sind. Auch die ersten vier Spalten sind nicht immer mit dem gleichen Text(typ) belegt. Die sechste Spalte enthält im Zwölfprophetenbuch eine unbekannte Übersetzung und in Teilen von 1–4Kgt einen Text, der dem antiochenischen Text nahe steht. 125 121. Zum Samareitikon siehe Tov, Bibelübersetzungen, 185 f.; zu Dtn 27,4 ders., Textual Criticism, 88. Fn. 140 (Lit.). 122. Für die Annahme einer samaritanischen griechischen Übersetzung bzw. ein Samareitikon siehe Fernandez Marcos, Introduction, 167-169. Zur Synagogeninschrift siehe B. Lifshitz / J. Schiby, Une synagogue samaritaine à Thessalonique, RB 75 (1968), 368–378. 123. Über Eusebius berichtet Epiphanius dazu, dass dieser Text in der Nähe von Jericho in Gefäßen (Tonkrügen) gefunden wurde. Es könnte sich dabei um einen frühen »Qumranfund« handeln. 124. Die Zählung der Übersetzungen unterscheidet sich somit von der Zählung der Spalten. Insofern ist z. B. die Quinta (ε’) nicht identisch mit der 5. Spalte des Gesamtwerkes, die den Septuagintatext enthält (und somit die dritte griechische Textform ist). 125. Barthélemy, Textual Criticism, 145, Fn. 244; nach Kim, Textformen, 54 f., verwendete Origenes

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Das wesentliche Anliegen von Origenes war es offensichtlich, einen Text herzustellen, der dem zeitgenössische autoritativen Text (mehr oder weniger der protomasoretische Text), gut entsprach. Er verwendete dabei die textkritischen Zeichen des Aristarch (s. o.): Dort, wo der hebräische Text gegenüber seinem Septuagintatext ein Plus hatte, setzte er eine entsprechende Ergänzung in den Text, die durch Asteriskus eröffnet und mit Metobelos beschlossen wurde. Wo sein griechischer Text ein Plus hatte, kennzeichnete er dieses durch Obelos und Metobelos als zu löschen. Interessanter Weise tilgte aber Origenes – jedenfalls in der Regel – die Überschüsse nicht einfach und er machte auch keine eigene Übersetzung sondern er füllte die »Lücken« aus den anderen Übersetzungen. Mit diesem Verfahren stellte Origenes einen Text her, der im Rahmen der Tradition blieb und dem hebräischen Text sehr nahe stand. Im Grunde ist auch dieser hexaplarische Text der Septuaginta eine Revision auf den zu seiner Zeit gültigen Text hin. Der von Origenes erstellte Septuagintatext gewann bald hohes Ansehen und weite Verbreitung. Er wurde separat abgeschrieben, zum Teil noch mit den aristarchischen Zeichen, die aber zunehmend fehlerhaft oder gar nicht mehr tradiert wurden. Leider ist die Überlieferung fragmentarisch, hexaplarische Zeichen und einschlägige Lesarten finden sich in diversen Handschriften. Etwas umfangreicher ist die Überlieferung in der durch Bischof Paul von Tella 616/617 geschaffenen Syrophexapla, die nicht nur eine sehr genaue Übersetzung der Septuagintaspalte darstellt, sondern wo auch die hexaplarischen Zeichen recht sorgfältig wiedergegeben sind. Mit dem hexaplarischen Septuagintatext liegen eigentlich zwei Textformen vor: Einerseits der von Origenes geschaffene Text, andererseits, wenn man die asterisierten Zusätze weglässt und die obelisierten Passagen belässt, die von Origenes verwendete Grundlage, die faktisch ein vor-origeneischer Text ist. Der Umfang des Werkes wird auf ca. 6.000 Seiten bzw. 50 Bände geschätzt. Die Hexapla wurde in der Bibliothek in Caesarea aufbewahrt, wo sie z. B. noch von Hieronymus eingesehen wurde. Der enorme Umfang (und die damit verbundenen Kosten für eine Abschrift) verhinderten wohl eine Verbreitung dieses Werkes in seiner Gesamtheit. Leider ist die Hexapla nur sehr fragmentarisch erhalten. Eine Vorstellung von der Hexapla vermitteln die 1895 gefundenen Mailänder oder Mercati-Fragmente (nach Bischof Giovanni Mercati, 1866-1957). Beim Bericht über Origenes und seine Hexapla erwähnt Eusebius (VI, 16) beiläufig und knapp auch eine Tetrapla, also eine Ausgabe ohne die beiden hebräischen Spalten. Ob diese eine Vorarbeit oder ein Exzerpt darstellte, ist umstritten. Unklar ist auch, ob sie alle oder nur einzelne Bücher der Septuaginta enthielt. Wichtiger ist, dass die hexaplarische Textform in die Septuagintaüberlieferung eingegangen ist und dass in einigen Handschriften, vor allem im Codex Colberto-Savarrianus (G), im Codex Coislianus (M) und Marchalianus (Q), die hexaplarischen Zeichen und Zitate der Recentiores erhalten sind. im βγ-Abschnitt von Samuel/Könige den kaige-Text für die Septuagintaspalte, während die sechste Spalte eine dem antiochenischen Text nahe stehende Version enthält. Jellicoe, Prolegomenon, XXXIIf., nennt noch weitere Beispiele bzw. Vermutungen und vertritt dazu die Meinung, dass es Origenes nicht um die genaue Zuordnung zu Übersetzern ging, sondern um die möglichst umfangreiche Materialsammlung für seine Bearbeitung der Septuaginta. 6. Christliche Revisionen

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Die erhaltenenen hexaplarischen Texte werden in der großen Cambrigder Ausgabe von Brooke / McLean / Thackeray und in der Göttinger Ausgabe verzeichnet. Darüber hinaus ist die Ausgabe von Frederic Field, Origenis Hexaplorum quae supersunt; sive, Veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum fragmenta, Oxford 1875 nach wie vor unentbehrlich. 126 Die Bedeutung der Hexapla ist neuerdings umstritten. Folker Siegert bezeichnet sie sogar als »größten anzunehmenden Unfall« in der Textgeschichte der Septuaginta. 127 In der Tat bildet die Hexapla ein Sammelbecken, in dem Verschiedenes zusammenkam, was später oft nur ungenau oder nicht mehr zu unterscheiden war, wodurch sich die Analyse erschwert. Andererseits wäre uns wohl ohne die Arbeit des Origenes die Existenz der jüngeren jüdischen Übersetzungen gar nicht bekannt. Das eigentliche Problem liegt m. E. nicht in der Hexapla sondern in deren fragmentarischer Überlieferung. Hätten wir die Hexapla oder wenigstens umfangreiche und zusammenhängende Teile, dann hätten wir ausgezeichnete Belege für die Recentiores (auch wenn die genaue Zuordnung wegen der teilweise wechselnden Belegung der Spalten schwierig bliebe) und für die Septuaginta einen gut erschließbaren vororigeneischen Text. Darüber hinaus ist zu sagen, dass durch die Qumranfunde und durch die Erkenntnisse über die frühen Rezensionen sich die Diskussion zeitlich zurück verlagert hat. Für die Frage nach dem ältesten Septuagintatext hat die Hexapla nicht mehr die Bedeutung, die sie früher hatte. Sie ist aber nach wie vor ein wichtiges Zeugnis für die Überlieferung der Septuaginta und auch für die jüngeren (jüdischen) Rezensionen.

6.2 Weitere Revisionen? Traditionell werden an dieser Stelle weitere christliche Rezensionen genannt, nämlich die Rezension des Lukian und des Hesychius. Diese Vorstellung geht auf die berühmte Bemerkung des Hieronymus in der Vorrede zur Übersetzung der Chronik zurück, derzufolge der Text des Hesychius in Alexandrien und Ägypten, der des Lukian in den Kirchengebieten von Antiochien bis Konstantinopel, und der Text des Origenes in den Gebieten dazwischen, also in Palästina verbreitet und anerkannt seien: »Alexandria et Aegyptus in Septuaginta suis Hesychium laudat auctorem, Constantinopolis usque Antiochiam Luciani martyris exemplaria probat, mediae inter has provinciae palestinos codices legunt, quos ab Origene elaboratos Eusebius et Pamphilius vulgaverunt, – totusque orbis hac inter se trifaria varietate conpugnat.« 128 Ausgehend von diesem Statement wollte Paul Anton de Lagarde zunächst diese drei Textformen herstellen und von da zum Urtext der Septuaginta zurückkommen. Allerdings stellten sich diesem Ansatz eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen, die hier nicht weiter zu erörtern sind.

126. Eine neue elektronische Edition des heute verfügbaren Materials ist in Vorbereitung. 127. Siegert, Einführung Bd. 2, 369; Fischer, Text des Alten Testaments, 138, Fn. 37, verweist auf eine ähnliche aber vorsichtigere Bemerkung von Julius Wellhausen. 128. Hieronymus, Vorwort zur Chronik, in: Weber / Gryson, Biblia Sacra, 546-547.

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Von den drei erwähnten Textformen ist der Text des Origenes der bekannteste und seinen hexaplarischen Text kann man in der Tat als Rezension bezeichnen. Wesentlich schwieriger ist es mit Hesychius, bei dem schon unklar ist, wer überhaupt damit gemeint ist. Im Allgemeinen nimmt man an, dass es sich um einen ägyptischen Bischof aus etwa gleicher Zeit wie Lukian, d. h. um etwa 300 n. Chr. handelt. Zudem ist es nicht überzeugend gelungen, bestimmte Handschriften für diese Textform aufzuzeigen. Die Annahme einer hesychianischen Rezension bzw. Textform ist daher heute in der Forschung praktisch aufgegeben. Auch in den Göttinger Editionen wird höchstens von ägyptischen Handschriftengruppen gesprochen, die ggf. bestimmte Textformen haben. 129

6.3 Der antiochenische Text und die Diskussion um eine lukianische Rezension Anders verhält es sich mit der lukianischen Textform bzw. Rezension. Der Presbyter Lukian von Antiochien 130 war in seiner kirchlichen Karriere offensichtlich nicht unumstritten, hatte aber erhebliche Bedeutung und Bekanntheit als (ein) Gründer der antiochenischen Exegetenschule. Er starb in der Verfolgung unter Maximian 312 n. Chr. Nach seinem Martyrium wurde die über seinem Grab erbaute Kirche zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte, die insbesondere durch die Verbindung über Eusebius auch für das Kaiserhaus wichtig wurde. Neben der Erwähnung bei Hieronymus gibt es für den lukianischen Text Randnotizen in Handschriften, die mit ολ (Lambda mit darunter stehendem Omikron) offensichtlich auf lukianischen Text verweisen (allerdings kann das Zeichen auch οἱ λοιποί bedeuten). 131 Die lukianische bzw. antiochenische Textform war natürlich bei den antiochenischen Autoren bekannt und ist vor allem in den Kommentaren von Theodoret greifbar. Eine neue Situation entstand, als an Hand der Edition von Holmes-Parsons Manuskripte des Lukianischen Textes greifbar und identifizierbar wurden. Offensichtlich war Antonio Ceriani der erste, der 1863 diese Entdeckung machte indem er die Übereinstimmung der Handschriften 19, 82, 93 und 108 (später kam 127 hinzu) untereinander und mit dem Text der antiochenischen Autoren Johannes Chrysostomus (344/349–407 n. Chr.) und Theodoret von Cyrrhos (ca. 393–466 n. Chr.) feststellte. 132 Julius Wellhausen ging 129. Für eine ausführliche Diskussion siehe Fernandez Marcos, Introduction, 239-246, der allerdings auf dem Weg über eine alexandrinische Textform versucht, eine hesychianische Textform festzuhalten. Dagegen stellte schon Würthwein, Text, 61, fest: Gegenüber den anderen Rezensionen »hören wir von der hesychianischen an keiner anderen Stelle: Sie ist für uns zu blaß und kaum greifbar, auch zeitlich nicht einreihbar.« 130. Zu unterscheiden von dem Literaten und Satiriker Lukian von Samosata, ca. 120–180 n. Chr. Nach der vita (siehe dazu Brennecke, Lukian) scheint auch der Märtyrer Lukian aus Samosata zu stammen. 131. Field, Fragmenta, kam erst bei 2Kön 9,9 auf diese Identifikation. Siehe dazu die Erörterungen bei Fernandez Marcos, Introduction, 224-226; faktisch steht das Siglum nur teilweise für Lukian. 132. Zur Forschungsgeschichte siehe Kim, Textformen, 4-31. 6. Christliche Revisionen

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am Ende seiner Studie zum Text der Samuelbücher auf diese Textgruppe ein. Er stellte fest, dass sie häufig seine textkritischen Entscheidungen und sogar einige seiner Konjekturen bestätigten und schlug vor, diese Textgruppe separat zu edieren, um sie besser studieren zu können. Nach den übereilten Anfängen bei Lagarde liegt nun zu 1Sam eine Mehrheitsausgabe des lukianischen Textes vor 133 und insbesondere eine kritische Ausgabe zu Samuel, Könige und Chronik, in der der auch die relevanten Zitate, insbesondere von Josephus, aus dem Neuen Testament und aus der Vetus Latina, verzeichnet sind. 134 Die lukianischen Texte sind aber auch in der Handausgabe von Rahlfs (allerdings dort nur in begrenzter Auswahl) und in der Göttinger Ausgabe verzeichnet. Die von Lagarde und Wellhausen ausgesprochene hohe Erwartung an die Bedeutung dieses Textes wurde durch die Untersuchung von Adam Mez noch unterstrichen, der feststellte, dass der Text des Josephus in den Antiquitates weithin mit den lukianischen Text übereinstimmte. 135 Auch Übereinstimmungen des lukianischen Textes mit neutestamentlichen Zitaten und mit der Vetus Latina waren deutlich geworden. Diese Beobachtungen an Texten des 1. und 2. Jh. führten zur Annahme eines erheblichen protolukianischen Textanteils. Alfred Rahlfs analysierte in zwei großen Untersuchungen den lukianischen Text der Psalmen und der Königebücher. 136 Dabei erklärte er die Übereinstimmungen mit den vorlukianischen Zeugen des 1. und 2. Jh. durchwegs als spätere Quereinflüsse zwischen den Handschriften (d. h. vom lukianischen Text zu Josephus und zur Vetus Latina und aus dem Neuen Testament auf die lukianischen Handschriften) und schob sie damit beiseite, auch wenn er einzelne protolukianische Elemente vor allem bei den Namen akzeptierte. 137 Diese Einordnung des lukianischen Textes als spät, d. h. um 300 n. Chr. und damit als jüngste Revision, blieb lange Zeit erhalten und bestimmte für lange Zeit die Auswahlkriterien nicht zuletzt für die kritischen Editionen des Septuagintatextes. Mit dieser Datierung waren offensichtlich auch alle Besonderheiten dieses Textes gegenüber der sogenannten Haupttradition, insbesondere gegenüber Codex Vaticanus, sekundär und das Ergebnis der Bearbeitung Lukians. Was waren nun die Charakteristika dieser lukianischen Rezension? Rahlfs nannte vor allem die Hinzufügung erklärender Wörter (etwa zur Identifikation der sprechenden Personen), die Ergänzung des Artikels, andere Wortwahl und gelegentlich auch Attizismen. Nun stellte aber auch Rahlfs schon ein großes Problem fest: Alles diese Charakteristika waren jedoch nicht einheitlich. Wörter oder der Artikel wurden nicht nur ergänzt sondern auch gestrichen. Ebenso verhält es sich mit den anderen Kennzeichen. Rahlfs sah darin aber kein Problem der Analysen, sondern er erklärte diese Widersprüchlichkeiten als ein weiteres bzw. sogar als ein Hauptkennzeichen der Arbeit Lukians: »Auch aus dem Gesamtcharakter L’s läßt sich kein Kriterium gewinnen. 133. Taylor, The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns. 134. Fernandez Marcos / Busto Saiz, El texto Antioqueno. 135. Mez, Bibel des Josephus. Die Ergebnisse von Mez wurde später durch Thackeray, Josephus, bestätigt. 136. Rahlfs, Psalmen, 1907; ders., Lucians Rezension, 1911. 137. Zu letzterem siehe auch die wiederholt vorkommende Bemerkung »ex [und neutestamentliche Stelle] in seiner Handausgabe.

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Denn der Hauptcharakterzug[!] dieser Rezension ist das Fehlen eines klaren Prinzips.« 138 Die Arbeit von Rahlfs und seine Charakterisierung Lukians wurden bestimmend für die folgende Forschung und auch für die textkritischen Kriterien der kritischen Editionen. So sagt Ziegler in seiner Untersuchung zum Jeremiabuch, bei der der Artikelgebrauch eine wichtige Rolle spielt, über Lukian kurz und bündig: »Die Beispiele zeigen deutlich, daß Lukian gern den Artikel beifügt. Jedoch hat er dies nicht immer getan; Konsequenz war nicht seine Stärke.« 139 Durch das Bekanntwerden der Qumrantexte änderte sich die Situation. Insbesondere zeigte sich, dass der Text der Samuelrolle 4QSama vielfach und in vielen Details mit dem lukianischen Text übereinstimmte. 140 Diese Übereinstimmungen konnte man nicht, wie es Rahlfs getan hatte, als spätere Quereinflüsse zwischen den Handschriften wegschieben, sondern man musste anerkennen, dass wohl auch die Lesarten des antiochenischen Textes zu einem großen Teil alt waren und schon eine hebräische Grundlage hatten. Durch diese neuen Textzeugen änderte sich aber auch das Gewicht der lukianischen Lesarten bei Josephus, im Neuen Testament und in der Vetus Latina. Ein weiterer wichtiger Schritt war die oben dargestellte Entdeckung der kaige-Rezension. Wie oben (4.) bei der kaige-Rezension bereits erwähnt, stellte Barthélemy auch die Frage, nach dem Vorläufer des kaige-Textes und ob dieser noch erhalten sei. Er stellte fest, dass der lukianische Text und der kaige-Text nicht voneinander unabhängig sind und dass der lukianische Text nicht aus dem kaige-Text entstanden sein kann, sondern dass es sich umgekehrt verhält, d. h. dass der antiochenische Text alt ist und der ursprünglichen Septuaginta nahe steht bzw. dieser entspricht, wobei es natürlich – wie bei allen Textformen – im Zuge der Überlieferung auch Textverderbnisse gab. 141 Damit ist der antiochenische Text nicht das Produkt einer späten lukianischen – und uneinheitlichen – Redaktion, sondern praktisch der alte Septuagintatext, sprachlich mit den bisher Lukian zugeschriebenen Eigenheiten, nämlich mit Nähe

138. Rahlfs, Lukians Rezension, 293. 139. Ziegler, Jeremias-Septuaginta, 162. 140. 4QSama steht zweifellos in vielen Lesarten dem antiochenischen Text nahe. Gegenüber einer sehr großen Nähe wird neuerdings verstärkt auch auf die Unterschiede hingewiesen. Das Wesentliche ist aber nicht das genaue Ausmaß der Übereinstimmung, sondern dass durch diesen und andere Qumrantexte viele Lesarten des antiochenischen Textes als alt erwiesen werden. 141. Der Gang der Untersuchung zeigt sich sehr schön an den einzelnen Kapitelüberschriften: »Relations entre la Septante et la recension kaige pour la section βγ des Règnes«; 91. Identische Grundlage: »Identité de base entre la forme antiochienne et la forme palestinienne du texte grec«; 92-102). Nähe des palästinischen Textes zum hebräischen (proto-masoretischen; 102110). Aus der weiteren Untersuchung folgt die entscheidende Erkenntnis: Der Antiochenische Text kann nicht durch Textverderbnis aus dem palästinischen hervorgegangen sein: »La forme antiochienne ne peut être issue de la forme palestinienne par abâtardissement«; 110-113). Nach der Untersuchung wechselseitiger Einflüsse, 113-126, und der Feststellung, dass die lukianische Rezension nur ein fälschliche Annahme ist: »La prétendue ›recension lucianique‹«; 126-128, folgt schließlich die Aussage: Der antiochenische Text ist im Wesentlichen die alte Septuaginta, mit mehr oder weniger Textverderbnissen: »C’est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue.«; 127. 6. Christliche Revisionen

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zur hebräischen Vorlage aber auch mit Freiheiten der Übersetzung und mit der Beachtung der Besonderheiten der griechischen Sprache. 142 Während die Entdeckung der kaige-Rezension in der Forschung voll übernommen wurde, verlief die Rezeption der Neubewertung des Antiochenischen Textes, die für Barthélemy die andere Seite der Medaille war, wesentlich anders. Neben weiteren Faktoren 143 spielte es vor allem eine Rolle, dass es (anders als beim hesychianischen Text) zu den meisten Büchern (außer dem Pentateuch?) Handschriften gab, die man als lukianisch identifizieren konnte, 144 dass man vor allem auf Basis der Arbeiten von Rahlfs und Ziegler der Meinung war, die Charakteristika der lukianischen Rezension zu kennen, 145 und wohl nicht zuletzt auch auf Grund der Vertrautheit mit dieser Vorstellung. Vor allem jene Autoren, die die Qumrantexte mit heranzogen, räumten einen erheblichen Anteil an protolukianischem Text ein, sofern sie nicht, wie Emanuel Tov den lukianischen bzw. antiochenischen Text als »die oder eine Old Greek« 146 betrachteten. Vielfach wurden und werden gewisse Kompromisslösungen vorgetragen, dass dort, wo ein Qumrantext oder ein Zitat bei Josephus oder aus der Vetus Latina vorliegt, protolukianischer Text zugestanden wird, während man an den anderen Stellen an der lukianischen Rezension festhält. Allerdings führt das zur wenig wahrscheinlichen Implikation, dass der Charakter des lukianischen Textes dort wechselt, wo zufällig ein Qumranfragment oder ein altes Zitat vorliegt. Einen neuen Zugang zum Problem fand Siegfried Kreuzer, und zwar, wie oben dargestellt, bei der Untersuchung der kaige-Rezension. Er stellte fest, dass die angenommenen Unregelmäßigkeiten der lukianischen Rezension verschwinden, wenn man das höhere Alter des lukianischen/antiochenischen Textes akzeptiert. D. h. anstelle der Unregelmäßigkeit und Gegenläufigkeit in der Hinzufügung und Streichung des Artikels, erklärender Wörter oder auch bei semantischen Änderungen tritt eine konsistente Erklärung der Differenzen. Mit dieser neuen Perspektive, bei der es letztlich nur darum geht, die Varianten ohne Vorentscheidung über ihr Alter und ihr vermeintlichen Cha142. In einer »Stellungnahme« (Barthélemy, Prise de position) von 1972 bezog sich Barthélemy auf die Diskussionen zur kaige-Rezension und auch auf die Kritik an der Aufgabe der lukianischen Rezension. Darin akzeptierte er den Gedanken, dass auch der lukianische Text in der Antike nicht nur unabsichtliche sondern auch ein gewisses Maß an absichtlichen Änderungen erfahren haben könnte. Das ist aber weit entfernt von den klassischen Vorstellungen über die lukanische Redaktion. 143. Siehe dazu Kreuzer, Lukian redivivus. 144. Siehe dazu etwa die Angaben zu den einzelnen Büchern in der Handausgabe von Rahlfs und in den Einleitungen der Bände der Göttinger Septuaginta. 145. So schreibt Udo Quast noch 2000 in seiner »Einführung in die Editionsarbeit«: »… Lediglich von dem Vorkommen der zwei großen christlichen Rezensionen des Origenes und Lukian kann von vornherein – oder wenigstens in den meisten Büchern – ausgegangen werden. Für sie stehen die Rezensionsmerkmale außerdem weitestgehend fest.« Quast, Editionsarbeit, 394 f. 146. Allerdings mit Unterscheidung zwischen lukianischem und protolukianischem Text: Tov, Lucian and Proto-Lucian, 103: Der vorlukianische Text »contained either the Old Greek translation or any Old Greek translation.«

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rakteristika zu beurteilen, haben sich Barthélemys Erkenntnisse im Wesentlichen bestätigt. Gewiss ist die Möglichkeit offen zu halten, dass im Zuge der Überlieferung nicht nur Textverderbnisse sondern da und dort auch bewusste Veränderungen erfolgt sind. Da sich aber der weit überwiegende Teil der Varianten als Veränderung durch die isomorph-hebraisierenden Bearbeitungen (kaige- und semi-kaige-Rezension) erklären lässt, bleibt schon rein quantitativ nur mehr ein relativ kleiner Bestandteil an Varianten, die für eine um 300 erfolgte Rezension in Anspruch genommen werden können. Somit stehen sich in der Frage nach einer lukianischen Rezension zwei Positionen gegenüber: Eine Position, die die Annahme eine lukianischen Rezension als hinfällig betrachtet, weil sich die fraglichen Differenzen im Wesentlichen und zum größten Teil – und nicht zuletzt konsistent – aus dem Wirken der isomorph-hebraisierenden Rezensionen des 1. Jh. v. Chr. und des 1. Jh. n. Chr. erklären lassen, und eine Position, die an der Annahme einer lukianischen Rezension festhält und nur dort, wo es vorlukianische Belege gibt (Texte aus Qumran, Zitate bei Josephus oder im Neuen Testament, Fragmente der Vetus Latina) einen vorlukianischen Text annimmt. Allerdings ist in den konkreten Ergebnissen der Abstand zwischen den beiden Positionen insofern geringer geworden, als bei den Vertretern der zweiten Position der Anteil des sog. protolukianischen Textes zunehmend höher eingeschätzt wird, wodurch sich de facto die lukianische Rezension relativiert. 147

6.4 Die Bemerkungen des Hieronymus und die neueren Forschungen zur Septuaginta Lässt sich der Verzicht auf die lukianische (sowie auf die hesychianische) Rezension mit den Aussagen des Hieronymus in Einklang bringen? Dazu ist zu beachten, dass es von Hieronymus zum lukianischen Text zwei Aussagen gibt, 148 die bekanntere Aussage im Prolog zur Chronik und die Aussage im Brief an Sunnia und Fretela, in dem Hieronymus die von den beiden gotischen Geistlichen monierten Abweichungen im 147. Siehe dazu etwa die Darstellung bei Fernandez Marcos, The Antiochene Edition, und bei Diez Caro, The Status of the Antiochene Text in the first century A.D., sowie die Textanalysen in Hugo, Die antiochenische Mischung, und bei Piquer Otero, The Secondary Versions of Kings. 148. Darüber hinaus gibt es noch eine Äußerung des Hieronymus in einer an Papst Damasus gerichteten Einführung in die Evangelien (In euangelistas ad Damasum praefatio). Darin erklärt er, dass er die Handschriften des lukianischen und des hesychianischen Textes nicht berücksichtigt und emendiert habe, weil sie fehlerhaft sind und falsche Hinzufügungen haben: »Praetermitto eos codices quos a Luciano et Hesychio nuncupatos, paucorum hominum asserit perversa contentio: quibus utique nec in toto Veteri instrumento emendare quid licuit, nec in Novo profuit emendasse: cum multarum gentium linguis scriptura ante translata, doceat falsa esse quae addita sunt« (PL 29, 527; siehe Fernandez Marcos, Introduction, 224. Faktisch ist das (gegenüber seinem Auftraggeber für die Vulgata!) eine Begründung, warum er sich an den dem Hebräischen näher stehenden und von ihm bevorzugten Origenes-Text gehalten hat. Dieser Text zeigt noch mehr als bei der Klage über die textlichen Verschiedenheiten in der Vorrede zur Chronik, dass bei Hieronymus nicht nur die Begründung sondern auch die Rechtfertigung seines Tuns mitschwingt. 6. Christliche Revisionen

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Psalterium Gallicanum vom verbreiteten Septuagintatext begründet. Hieronymus schreibt darin von zwei Textformen, dem hexaplarischen Text des Origenes, den er für den besten hielt und der die Grundlage seiner Revision der Psalmen war, und den allgemeinen (κοινή) Text der Septuaginta, der jetzt, d. h. in der Zeit des Hieronymus, von den meisten als der lukianische bezeichnet wird: »… iliud breviter admoneo, ut sciatis aliam esse editionem, quam Origenes et Caesariensis Eusebius omnesque Graeciae tractatores κοινήν, id est communem, appellant atque vulgatam et a plerisque nunc λουκιάνειος dicitur, aliam LXX interpretum, quae et in ἑξαπλοῖς codicibus invenitur et a nobis in Latinum sermonem fideliter versa est et Hierosolymae atque in orientis ecclesiis decantatur.« (Letter 106, § 2, 2) »Das schreibe ich, damit ihr wisst, dass es verschiedene Ausgaben gibt, die Ausgabe, die Origenes und Eusebius von Caesarea und andere Autoren als koine, das ist die allgemeine, bezeichnen und die jetzt die lukianische genannt wird, und (andererseits) die Septuaginta, die in den Hexapla-Codices gefunden wird und die von uns treu ins Lateinische übertragen wurde und in Jerusalem und in den Kirchen des Ostens rezitiert (wörtlich: gesungen) wird.«

Anders als das Statement im Vorwort der Chronik spricht dieses nur von zwei Textformen und, besonders interessant, dass der lukianische Text der allgemein verbreitete ist und dass er jetzt (»nunc«), d. h.: noch nicht lange, so genannt wird. Dieses Statement tritt in ein neues Licht, wenn man sich nicht nur damit beschäftigt, dass Lukian Gründer der exegetischen Schule in Antiochien aber zu seinen Lebzeiten doch auch theologisch umstritten war, sondern die Nachgeschichte berücksichtigt: 149 Lukian erlitt das Martyrium in Nikomedien. Sein Leichnam wurde in einen See geworfen, gelangte aber wunderbarerweise auf die andere Seite und wurde dort bestattet, und zwar in Drepanon, von wo die Kaisermutter Helena stammen soll und das ihr zu Ehren in Helenopolis umbenannt wurde. Bald entstand in Drepanon/Helenopolis ein Märtyrerkult durch den dieser Ort zu einem wichtigen Wallfahrtszentrum wurde, das vom Kaiserhaus gefördert und auch aufgesucht wurde. Die hagiographische Tradition zeigt ab etwa der Mitte des 4. Jh. die Verehrung Lukians in der gesamten orthodoxen Reichskirche. Helenopolis und damit Lukian der Märtyrer erhielten höchste Anerkennung. In diesem Kontext lag es nahe, die verbreitete Version der Septuaginta mit dem Exegeten und Märtyrer Lukian zu verbinden und ihr so gewissermaßen sowohl gelehrte als auch kaiserliche Approbation zu verleihen. Möglicherweise geschah dies als Reaktion auf Ansprüche, wie sie dann auch Hieronymus selbst verkörpert, nämlich dass der dem hebräischen näher stehenden Hexaplatext der bessere Septuagintatext sei. Jedenfalls erklärt die hagiographische Entwicklung die Inanspruchnahme Lukians für den Septuagintatext und das nunc des Hieronymus. Zugleich sagt Hieronymus ausdrücklich, dass es sich beim lukianischen Text nicht um einen neuen Text handelt, sondern um die verbreitete Septuaginta. Das von Hieronymus gebotene Bild lässt sich durchaus vereinbaren mit dem aktuellen Bild der Entstehung und Überlieferung der Septuaginta in zwei Phasen, nämlich einerseits die ursprüngliche Septuaginta bzw. Old Greek und andererseits die hebraisierend 149. Siehe dazu Brennecke, Lukian.

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6. Christliche Revisionen

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isomorphe Bearbeitung im Sinn der kaige bzw. semi-kaige-Rezension. Diese zweite Phase und Form des Textes wurde für Hieronymus durch die hexaplarischen Texte greifbar (»in ἑξαπλοῖς codicibus invenitur«). Auch das Statement des Hieronymus in der Vorrede zur Chronik lässt sich grosso modo mit der heute erkennbaren Überlieferung der Septuaginta in zwei Hauptphasen in Verbindung bringen. 150 Wie oben dargestellt, verbreitete sich die Septuginta in zwei Phasen, zunächst die ursprüngliche Septuaginta, im Wesentlichen von Alexandria ausgehend, dann die revidierten Textformen, im Wesentlichen wohl von Jerusalem bzw. Palästina ausgehend. Die zweite Phase überlagerte allmählich die erste, und zwar vor allem dadurch, dass die neuen, dem hebräischen Standardtext angenäherten Textformen verstärkt abgeschrieben und verbreitet wurden. In den »Randzonen« blieben die alten Textformen am längsten erhalten. Das passt dazu, dass die besten Zeugen für die ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) im Norden zu finden sind, in Form des antiochenischen Textes, im Westen indirekt bezeugt durch die Vetus Latina und im Süden durch den ägyptischen griechischen Text bzw. durch die sahidische Übersetzung. 151 Mit der trifaria varietas hatte Hieronymus offensichtlich diese Unterschiede zwischen Ägypten, Syrien und Palästina vor Augen. – Wieweit er diese Textformen wirklich kannte, oder ob ihm die Zuschreibungen an Lukian und Hesychius nur aus der Tradition bekannt waren, muss allerdings offen bleiben. Hieronymus kannte sicher einerseits mehr an Nachrichten und auch an Handschriften und andererseits weniger als der Forschung heute zugänglich ist. 152

7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike Bei den bisher dargestellten Themen ging es immer auch schon um die Überlieferung der Septuaginta in der Antike, wie sie sich einerseits in den erhaltenen Handschriften spiegelt und andererseits in den vielfältigen Formen der Verwendung der Septuaginta in der jüdischen und der christlichen Überlieferung, wie sie sich in Exegese, Predigt, Liturgie theologischer Diskussion etc. wiederspiegelt. Diese Themen werden im Rahmen des Handbuchs zur Septuaginta in den Bänden zur Textgeschichte und zur Wir150. Siehe dazu Kreuzer, trifaria varietas. 151. Diese Sicht wird jetzt offensichtlich auch von Piquer Otero, The Secondary Versions of Kings, geteilt. Er verweist auf eine Reihe auffallender Übereinstimmungen zwischen nicht voneinander abhängigen Traditionen (»agreement[s] between unrelated translations«), insbesondere Vetus Latina, Syro-Hexapla und koptische Übersetzung, aber auch weiter entfernter Bereiche wie georgisch, armenisch oder äthiopisch. Passend zu dem hier vorgestellten Bild von Phasen der Ausbreitung schreibt er: »This ›remoteness from the center‹ in time or space is highly relevant for textual criticism, as innovation irradiated from the center does take longer to reach areas in the periphery, which may preserve for a longer time (thus increasing chances of survival in textual witnesses) earlier forms of text, liturgy and so on.« Diese Beobachtung ist nicht nur für die textkritische Bewertung der Lesarten relevant, sondern für das Bild der Ausbreitung der Septuaginta an sich. Siehe dazu auch oben, 4.3, das Beispiel mit Ps 103,4. 152. Zur Arbeit, zu den Voraussetzungen und zu den Intentionen von Hieronymus siehe u. a. Schulz-Flügel, Hieronymus. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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kungsgeschichte dargestellt. Hier kann es zunächst nur um einige allgemeine Bemerkungen zur Überlieferung und zum Gebrauch der Septuaginta gehen.

7.1 Zu Umfang und Anordnung des Kanons Eine der interessanten Fragen ist die Frage nach dem Kanon der Septuaginta. Diese hängt naturgemäß auch mit der Frage nach dem Kanon des hebräischen Alten Testaments zusammen. Beim Kanon geht es um die Autorität bestimmter Schriften bzw. der Zusammenstellung dieser Schriften. Dabei gibt es schon von alters her eine gewisse Abstufung. Bekanntlich haben die Samaritaner nur den Pentateuch als autoritative heilige Schrift akzeptiert, während im Jerusalemer Judentum eine große Anzahl weiterer Schriften dazukam, von denen allerdings viele auf Jerusalem, auf das Davidshaus oder auf den Tempel bezogen sind. Die Kanonfrage hat aber nicht nur eine theologisch-inhaltliche sondern auch eine praktische Seite: Solange die Texte nur in Form einzelner Rollen existieren, bleiben die Grenzen fließend. Nicht jede Synagoge wird gleich die Mittel gehabt haben, alle Schriftrollen anzuschaffen, sondern man wird den Bestand sukzessive über den Pentateuch hinaus vergrößert haben. (Private Anschaffungen werden noch bescheidener gewesen sein; vgl. die Erzählung in Apg 8). Insofern ist die Kanonfrage zunächst einerseits eine Frage nach einem grundlegenden Minimum und dann des allmählichen Anwachsens. Damit verbindet sich natürlich die Frage der Gruppierung und der Anordnung der Schriften. Zu den ältesten Belegen für eine Bezeichnung der Kanonteile gehören bekanntlich die Nennung von Gesetz, Propheten und Schriften im Prolog zu Jesus Sirach. Ähnlich ist auch die Bezeichnung am Ende des Lukasevangeliums und auch in 4QMMT. Allerdings gibt es auch schon im alten Text des Sirachbuches eine Zusammenstellung, die man als Zusammenfassung zu den heiligen Schriften sehen kann (Sirach 38,34–39,1). Ben Sira spricht dort über verschiedene Berufe und lobt den (Schrift-)gelehrten, der sich mit Gesetz des Höchsten, der Weisheit aller Vorfahren und mit Prophezeiungen beschäftigen kann. Wohl zu Recht wird darin eine Anspielung auf die heiligen Schriften gesehen. Es fällt auf, dass diese Zusammenstellung der späteren Anordnung der Septuaginta entspricht. Offensichtlich gab es in Jerusalem um 180 v. Chr. schon eine Benennung bzw. Anordnung der Kanonteile, die der Reihenfolge der Septuaginta entspricht; und vielleicht daneben auch schon jene, die später als die typisch hebräische galt und die dann auch dem Enkel des Ben Sira selbstverständlich war. Mit der Entwicklung des Codex wird die Sammlung der kanonischen Schriften fixiert. Sie können nicht mehr unterschiedlich angeordnet und gegebenenfalls ergänzt werden, sondern es müssen Entscheidungen getroffen werden. Es ist allerdings interessant, dass die Dinge trotzdem im Fluss bleiben und auch ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis besteht. So hat bekanntlich keine der mittelalterlichen hebräischen Handschriften die in der rabbinischen Überlieferung geforderte Anordnung mit der Chronik am Ende. 153 Ebenso divergieren auch die griechischen Codices hinsichtlich der Reihenfolge der Schriften untereinander und auch gegenüber Kanonlisten. Eines der ältesten Zeug153. Trotz der sonstigen Nähe zum Codex Leningradensis weichen die Ausgaben der Biblia Hebraica (BHK3, BHS und voraussichtlich auch BHQ) in dieser Hinsicht von ihrer Vorlage ab.

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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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nisse für Umfang und Anordnung des Septuagintakanons ist Papyrus 967. Dieser entstand um 200 n. Chr. und umfasst Ezechiel, Daniel und Esther. Er war offensichtlich der letzte Band einer mehrbändigen Ausgabe des Alten Testaments (oder vielleicht des alttestamentlichen Teiles einer Gesamtbibel). Das Interessante ist, dass sich am Ende von Daniel (bzw. Susanna) nicht nur die subscriptio »Daniel« findet, sondern auch ein Segenswunsch des Schreibers (»Friede, dem der geschrieben hat und den Lesenden«), obwohl derselbe Schreiber dann auch noch Esther geschrieben hat. Offensichtlich spiegelt sich darin noch eine alte Kanongrenze, nach der dann noch Esther angefügt wurde. Dies entspricht dem Lehrgedicht des Amphilochios aus dem 4. Jh. Dort werden die Schriften des Alten Testaments aufgezählt, und zwar in der Anordnung der Septuaginta aber im Umfang des hebräischen Kanons, wobei Esther offensichtlich noch immer fraglich ist: Nach schönen Formulierungen zu Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel heißt dann: »Manche rechnen auch noch Esther hinzu«. 154 Auch die ältesten Codices divergieren: Codex Vaticanus hat die Makkabäerbücher nicht, dagegen enhält Codex Alexandrinus auch 3 und 4Makk, und – erstmals – die 14 Oden. Weitere Septuagintacodices enthalten ebenfalls jeweils ihre Besonderheiten.

7.2 Zur Textüberlieferung Die Septuagintaforschung kennt heute Manuskripte ab dem 2. Jh. v. Chr., d. h. aus der vorchristlichen und aus der vorkonstantinischen Zeit. Sowohl jüdische als auch christliche Quellen setzen voraus, dass die heiligen Schriften an vielen Orten zur Verfügung standen und auch in vielfältiger Weise verwendet wurden. Auch wenn die biblischen Schriften zu den am besten erhaltenen und bezeugten Schriften der Antike gehören, würde man angesichts der großen Verbreitung doch eine höhere Zahl an Handschriften erwarten, die erhalten geblieben sind. Dass nicht mehr erhalten blieb, liegt einerseits an den klimatischen Bedingungen: Ein großer Teil der Überlieferung sind Papyri, die im trockenen Klima Ägyptens oder in klimatisch ähnlichen Gebieten wie etwa der Wüste Juda erhalten blieben, während in anderen Gebieten die organischen Schreibmaterialien verdorben sind, sofern sie nicht in Gebäuden, im Prinzip in Synagogen oder Kirchen bzw. Klöstern geschützt aufbewahrt wurden. Sofern sie nicht an einem klimatisch geeigneten Ort versteckt oder vergraben waren, waren die Schriften damit Plünderungen und Zerstörungen ausgesetzt. Das war leider auch das Schicksal der antiken Bibliotheken, bei denen nicht nur an die großen Bibliotheken wie in Alexandrien, Antiochien, Pergamon und Cäsarea zu denken ist, sondern auch an die kleinen Bibliotheken und Sammlungen bei Synagogen und Kirchen. Als Ursache für die Verluste älteren jüdischen Schrifttums in Ägypten wird man an Zerstörungen insbesondere im Zuge des Pogroms von 38 n. Chr. und bei der Niederwerfung des jüdischen Aufstandes von 115–117 n. Chr. zu denken haben. Ein gravierendes Geschehen im christlichen Bereich war wohl die diokletianische 154. Kreuzer, Papyrus 967, 79 f. Dass hier eine Handschrift und noch für das 4. Jh. ein Lehrgedicht mit dem Umfang des hebräischen Kanons aber in der Anordnung der Septuaginta vorliegen, ist bisher wenig beachtet und relativiert die schematische Einteilung in hebräischen und griechischen Kanon. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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Verfolgung ab 303 n. Chr. Offensichtlich hatte der römische Staat, der sich in dieser Verfolgung nicht mehr nur gegen einzelne Christen sondern gegen die Kirche insgesamt wandte, die große Bedeutung der heiligen Schriften für die Kirchen erkannt. So wurden in dieser Verfolgung nicht nur Menschen verfolgt, sondern auch Bücher aufgespürt und vernichtet. Das Geschehen spiegelt sich in der nachfolgenden Diskussion über den Umgang mit den traditores, jenen Personen, die unter dem Druck der Verfolgung die heiligen Schriften herausgegeben hatten. Leider ist auch von den 50 Codices, die Konstantin für die neuen Kirchen in der Hauptstadt in Auftrag gegeben haben soll (Eusebius, Vita Constantini, IV,36 f.), nichts erhalten. 155 Aber es gab jedenfalls wieder Skriptorien und Zentren der textlichen Überlieferung auf die die großen Codices mit ihren zum Teil traditionellen, zum Teil neuen Gliederungs- und anderen Textauszeichnungen zurückgehen, deren Erforschung erst in den Anfängen steht. 156 Eine wichtige Widerspiegelung der griechischen Textüberlieferung ist durch die sogenannten Tochterübersetzungen gegeben. Hier ist vor allem die sog. alte lateinische Übersetzung zu nennen, aber auch die sahidische Übersetzung, die syrische und die gotische. Diese Übersetzungen sind oft eine Pionierleistung für den entsprechenden Sprach- und Kulturraum. Sie sind aber auch von Bedeutung für die Textgeschichte der Septuaginta, weil sie schon früh »abgezweigt« sind. Insbesondere die in das 2. Jh. zurückgehende Vetus Latina ist hier von großer Bedeutung, zumal sie sehr genau übersetzt ist. Leider ist der Erhaltungszustand dieser Übersetzungen teilweise sehr fragmentarisch. In methodischer Hinsicht ist zu bedenken, dass die Bezeugung einer bestimmten Lesart durch eine Übersetzung in der Regel das entsprechende Alter dieser Lesart bezeugt. Allerdings darf daraus nicht auch ein negativer Schluss für andere Lesarten gezogen werden: Wenn z. B. Lesart A in einer Tochterübersetzung bezeugt ist, bedeutet das nicht, dass es Lesart B oder C noch nicht gegeben hätte. 157 Die Beschreibung der Tochterübersetzungen und ihrer Bedeutung für die Textgeschichte der Septuaginta ist im Band zur Textgeschichte zu finden.

155. Ob, wie manchmal vermutet, Codex Vaticanus und Codex Sinaiticus dazu gehören, bleibt sehr fraglich. 156. Siehe etwa: U. Schmid, Diplé, und Karrer / deVries, Schriftzitate. Eine der interessanten neuen Erkenntnisse ist, dass, entgegen der bisher in der Forschung verbreiteten Annahme, die Zitate zwischen Septuaginta und Neuem Testament innerhalb der Codices nicht harmonisiert wurden, selbst dort nicht, wo die Zitate durch Diplé markiert waren; d. h. man ließ die Divergenzen bewusst stehen. Diese Erkenntnis erhöht den textgeschichtlichen Wert sowohl der betreffenden Lesarten im Septuagintatext als auch der neutestamentlichen Zitate. Siehe dazu: D. Müller, Zitatmarkierungen, und Karrer / deVries, Septuagintatext. 157. Z. B. gab es zur Zeit der Vetus Latina (ab dem 2. Jh.) sowohl die oft durch den antiochenischen Text bezeugte ursprüngliche Septuaginta als auch die kaige-Rezension. Wenn z. B. durch VL die Lesart des antiochenischen Textes bestätigt wird, bedeutet das nicht, dass es die kaige Lesart noch nicht gegeben hätte, bzw. auch umgekehrt: Wenn die kaige-Lesart bestätigt wird, ist das nur eine Aussage über diese Lesart, aber nicht über das Fehlen oder Vorhandensein der anderen Lesart.

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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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7.3 Die griechischen Übersetzungen im antiken Judentum Für das Judentum in der hellenistischen Welt gelangte die Septuaginta schon bald zu grundlegender Bedeutung. Das zeigt sich bei den jüdisch-hellenistischen Schriftstellern, die die griechische Form der heiligen Schriften als Grundlage und Bezugspunkt ihrer Werke verwendeten, bis zu jenen jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit, welche dann noch in die Septuaginta im weiteren Sinn aufgenommen wurden. Die Verbreitung nicht nur in der Diaspora sondern auch im Mutterland ist darüber hinaus durch die Funde biblischer Texte in griechischer Sprache in Qumran belegt. Auch die schon im 1. Jh. v. Chr. einsetzende Revisionstätigkeit zeigt, dass die griechische Form der heiligen Schriften in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wurde, andernfalls hätte man sie nicht revidieren müssen. Dass das sich ausbreitende Christentum offensichtlich jeweils vor Ort auf die Septuaginta zurückgreifen und sich für die Verkündigung auf die heiligen Schriften in griechischer Sprache beziehen konnte und für die theologische Diskussion darauf beziehen musste, zeigt ebenfalls die weite Verbreitung der griechischen Bibel. Dass dabei nicht alle Schriften im gleichen Maß herangezogen wurden, sondern vor allem Genesis, Deuteronomium, Jesaja und Psalmen, entspricht ungefähr dem, was auch für die hebräische Tradition etwa in Qumran festgestellt werden kann. Wie oben dargestellt, setzte mit der kaige-Rezension schon in vorchristlicher Zeit eine Revision der Septuaginta ein, die sie auf den inzwischen vorherrschend gewordenen protomasoretischen Text hin adaptierte und darüber hinaus dem neuen Schriftverständnis anpasste, in dem auch formal-hebräische Aspekte größere Bedeutung erhielten. Die neuen jüdischen Übersetzungen des 2. Jh. n. Chr. (die man auf Grund der faktischen Identifikation der angeblichen Theodotion-Übersetzung mit der kaige-Rezension auf Aquila und Symmachus reduzieren muss) führten die Revisionstätigkeit weiter und versuchten, in unterschiedlicher Weise den neuen Vorstellungen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Ihr Anlass für diese neuen Übersetzungen war wohl nicht wie früher angenommen, dass die Christen die Septuaginta verwendeten; aber zumindest bestimmte sprachliche Einzelheiten bei Aquila sind wohl doch aus einer gewissen Distanzierung, weniger von der Septuaginta an sich, sondern von den Interpretationsmöglichkeiten, die sie bot, zu erklären. Trotz ihrer Besonderheiten und der Beschwerlichkeiten, die sie für Griechisch sprechende Menschen zweifellos bot, avancierte die Übersetzung Aquilas zu großer Beliebtheit. Vermutlich vermittelte sie gerade in ihrer Fremdartigkeit den Eindruck der besonderen Nähe zum Geist des hebräischen Originals und damit ihrer »Hebraizität«. 158 Interessanterweise spielten im 2. Jh. n. Chr. offensichtlich die Diskussionen zwischen Juden und Christen um den Wortlaut der griechischen Bibel eine große Rolle, jedenfalls 158. In gewisser Weise könnte man als Analogon auf die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig verweisen, die in ihrer sprachlichen Form deutschsprachigen Leserinnen und Lesern erhebliche Schwierigkeiten macht, die aber gerade mit ihrer oft gekünstelten Hebraizität den Anspruch einer besonderen Nähe zum Original erhebt. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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soweit es aus bestimmten Schriften, insbesondere aus Justins Schrift »Dialog mit dem Juden Tryphon« bekannt ist. Wir wissen heute, dass die Differenzen, die dort zu den wechselseitig erhobenen Vorwürfen der Schriftverfälschung führten, letzten Endes auf die Revisionsgeschichte der Septuaginta zurückgehen. Die Konfrontation scheint aber – jedenfalls für die Beschäftigung mit den heiligen Schriften – mit der Zeit dem Respekt und der ernsthaften Bezugnahme auf die verschiedenen Traditionen gewichen zu sein. Markantestes Beispiel ist Origenes, der in seiner Hexapla auch die jüngeren jüdischen Übersetzungen heranzog. Ohne dieses Werk des christlichen Gelehrten wären noch weniger Informationen über und Texte von diesen jüdischen Übersetzungen erhalten. Auch in weiterer Folge zeigt sich diese Offenheit, die jüngeren jüdischen Übersetzungen zur Ergänzung der Septuaginta heranzuziehen, wobei offensichtlich deren Genauigkeit und ihre Hilfe zum Verständnis schwieriger Texte besonders geschätzt wurden. 159 Während früher die Meinung vorherrschte, dass nur christliche Handschriften der Septuaginta erhalten seien, ist dies heute durch verschiedene Textfunde praktisch widerlegt. So ist im Oxyrhynchus-Papyrus 1007 der Gen 2–3 enthält, das Tetragramm mit althebräischen Buchstaben geschrieben, was ihn ziemlich sicher als jüdischen Text ausweist. Zugleich findet sich darin ΘΕΟΣ abgekürzt, was der späteren nomina-sacra-Schreibung entspricht, die offensichtlich jüdische Wurzeln hat. 160 Auch der kürzlich publizierte P. Oxy 5101, der wahrscheinlich der älteste erhaltene Papyrus mit Psalmen ist und aus der Zeit um 100 n. Chr. stammt, enthält das Tetragramm in althebräischer Schrift. 161 Ob der um 200 n. Chr. entstandene Papyrus 967 jüdischer Herkunft ist, ist fraglich, aber er enthält jedenfalls inhaltliche und formale Elemente, die wahrscheinlich auf unmittelbar vorausgehende jüdische Tradition zurückgehen. 162 Nach Robert Kraft ist P.Oxy 656, ein Papyruscodex von Ende des 2. oder Anfang des 3. Jh. n. Chr. so gut wie sicher jüdisch, was bedeutet, dass auch die Codexform nicht automatisch die christliche Herkunft einer Handschrift anzeigt. 163 Spätere jüdische Handschriften der Septuaginta oder der Recentiores sind schwer zu identifizieren. Möglicherweise geht der Mangel an erhaltenen jüdischen Handschriften auf eine ähnliche Praxis wie bei den hebräischen Handschriften zurück, nämlich dass sie vernichtet wurden, wenn sie nicht mehr den Anforderungen entsprachen. Allerdings hat sich sehr interessantes Material aus der Kairoer Genizah erhalten, das griechische Bibeltexte indirekt bezeugt. Es handelt sich um zum Teil schon länger bekannte, zum Teil neu identifizierte frühmittelalterliche Texte aus der Kairoer Genizah, in denen sich griechische Randnotizen finden, die zum Teil Aquila, zum Teil aber auch die Septuaginta voraussetzen. Das bedeutet, dass zumindest Teile sowohl von Aquila als auch der Sep-

159. Siehe dazu Salvesen, Proof-texts. 160. Siehe dazu Kraft, Textual Mechanics. 161. Jannes Smith, The Text-Critical Significance of Oxyrhynchus Papyrus 5101 (Ra 2227) for the Old Greek Psalter, JSCS 45 (2012), 5-22. 162. Kreuzer, Papyrus 967. 163. Kraft, Textual Mechanics.

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tuaginta noch in der Spätantike und im frühen Mittelalter im Umlauf und bekannt waren. 164 Dass die Septuaginta auch in der späteren Antike im Judentum in Gebrauch war, ergibt sich auch daraus, dass christliche Autoren verschiedentlich darauf hinweisen, dass die Septuaginta (bzw. allgemeiner: die Bibel in griechischer Sprache) auch bei den Juden vorhanden ist und öffentlich gelesen wird. Gewissermaßen im Sinn des Altersbeweises und der allgemeinen Verbreitung und Zugänglichkeit der Heiligen Schriften beruft sich Tertullian (ca. 150–nach 220 n. Chr.) in seinem Apologeticum XVIII, 7 und 8 einerseits auf die bekannte Entstehungslegende der Septuaginta und andererseits darauf, dass sie (nicht nur bei den Christen sondern auch bei den Juden) vorhanden sei und gelesen werde. 165 Dass natürlich auch die Recentiores in Gebrauch waren, ergibt sich etwa aus dem Bemühen des Irenäus zu erweisen, dass die Apostel (mit ihren Schriftzitaten) älter sind als die neuen jüdischen Übersetzungen, womit auch der höhere Rang der Septuaginta (der die neutestamentlichen Autoren folgen), erwiesen ist. Im jüdischen Bereich zeigen diverse Zitate aus Aquila in der rabbinischen Literatur, dass zumindest diese griechische Übersetzung auch im rabbinischen Bereich anerkannt wurde. 166 Neben den außer im Wüstenklima sehr vergänglichen organischen Schreibmaterialien (Papyrus, Leder, Pergament) gibt es auch die Inschriften. Zwar bieten die Inschriften in der Regel eher kurze Texte, die zudem oft sehr standardisiert sind (z. B. Grabinschriften), aber sie sind dauerhaft und dadurch für die Überlieferung der Septuaginta und auch der Recentiores von großer Bedeutung. 167 Neben vielen anderen Aspekten der Lebenswelt lassen diese vor allem aus dem griechisch sprechenden Osten des römischen Reiches stammenden Inschriften Bezüge zur Septuaginta aber auch zu den jüngeren jüdischen Übersetzungen, die sukzessive die Mehrheit darstellen, erkennen. Für viele Bereiche sind die epigraphischen Belege nicht nur die Hauptquellen der Information, sondern zum Teil die einzigen. Die Inschriften zeigen, dass es eine große jüdische Bevölkerung in der (von Jerusalem aus gesehen) westlichen Diaspora gab, die nicht von den Rabbinen beherrscht war, die eine blühende Kultur hatten und die ihre Bibel in einer der griechischen Versionen lasen und natürlich auch im Gottesdienst verwendeten. 168

164. Boyd-Taylor, Echos of the Septuagint, 282-287. 165. Boyd-Taylor, Echos of the Septuagint, 166. Eine Erörterung der Schriftzitate in der rabbinischen Literatur, die Aquila zugeschrieben werden, bietet Veltri, Gegenwart der Tradition, 83-92. 167. Siehe dazu u. a. Kant, Jewish Inscriptions in Greek and Latin, und van der Horst, Saxa judaica loquuntur. 168. Siehe dazu van der Horst, Saxa judaica loquuntur, 65: »What we learn from ancient Jewish inscriptions is, inter multa alia, that there was a huge, mainly Greek-speaking diaspora in the West, not dominated by rabbis, with a flourishing culture, reading their Bible in one of the available Greek versions, in varying degrees of acculturation but often quite well integrated in Graeco-Roman society …«. 7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

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Dies blieb allerdings nicht immer so. Gegen Ende der Antike kam es zu einem verstärkten Ausgreifen der Rabbiner und der rabbinischen Tradition auch in die westliche Diaspora. In Verbindung damit wurde versucht, das Hebräische verstärkt als Identifikationsmerkmal des Judentums auch in der westlichen Diaspora herauszustellen. Da dies im Alltagsleben weniger möglich war, wurde dies vor allem in Gottesdienstgestaltung und Liturgie betont. Diese Intentionen führten zur Spannung gegenüber der bis dahin offensichtlich nicht angefochtenen Verwendung griechischer Bibeltexte. Eine mögliche Strategie war dabei die Historisierung der Septuaginta: Sie war eine Übersetzung für den König Talmai (= Ptolemäus II.). D. h. sie hatte ihr historisches Recht und ihren historischen Platz. Aber das könnte Vergangenheit sein. In diesen Kontext gehört auch das vielzitierte aber keineswegs repräsentative Wort aus dem nachtalmudischen Traktat Soferim 1,7 aus dem 8. Jh., demzufolge der Tag der Übersetzung der Septuaginta ein ähnlich großes Unheil war wie der Tag an dem das goldene Kalb angefertigt wurde. Solche delegitimierenden Äußerungen standen wohl im Kontext des größeren kulturgeschichtlichen Phänomens der sukzessiven Auflösung der engen Verbindung zwischen Judentum und griechischer Kultur bzw. zumindest der Bemühungen in dieser Richtung. Diese mögen wohl von den anwachsenden Separationstendenzen der verschiedenen Regionen gegenüber Byzanz in der Spätantike und für das Judentum wohl auch von dem verstärkten Gewicht des babylonischen Judentums beeinflusst gewesen sein. Diese Tendenzen standen möglicherweise hinter den Konflikten, auf die Justinian mit seinem Erlass von 553 n. Chr. (Novella 146) reagierte. Eine Partei wollte den exklusiven Gebrauch des Hebräischen in der Liturgie, während andere an der (begleitenden?) Lesung der heiligen Schrift in Griechisch festhalten wollten. Justinian entschied zugunsten der Lesung in griechischer Sprache, wobei er die Septuaginta empfahl, aber auch Aquila akzeptierte. Dass er die Septuaginta empfahl, ist aus der Perspektive des christlichen Kaisers verständlich, setzt aber wohl doch auch voraus, dass prinzipiell beide Formen der griechischen Bibel zur Verfügung standen. Auch wenn Griechisch sukzessive aus der Liturgie verdrängt wurde, so wurden, wie ein Text aus der Kairoer Genizah aus dem 6. Jh. zeigt, weiterhin griechische Bibeltexte abgeschrieben (in diesem Fall Aquila) und waren, wie die oben erwähnten mittelalterlichen Glossen zeigen, weiterhin die Septuaginta und die Recentiores im Judentum bekannt und wurden sie, wenn auch auslaufend, weiterhin im Judentum tradiert.

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7. Die Überlieferung der Septuaginta in der späteren Antike

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

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8. Literatur

Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

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Entstehung und Überlieferung der Septuaginta

Biblical Interpretation Series (BiInS) 134, Leiden / Boston 2015 — van der Kooj, Arie, Die alten Textzeugen des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Textgeschichte des Alten Testaments, OBO 35, Fribourg / Göttingen 1981 — van der Kooj, Arie, The Old Greek of Isaiah and other prophecies Published in Ptolemaic Egypt, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 72-84 — Veltri, G., Aristeasbrief, RGG4 I, Tübingen 1998, 726 f. — Veltri, G., Eine Tora für den König Talmai. Texte und Studien zum antiken Judentum 41, Tübingen 1994 — Veltri, G., Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Kulturgeschichte, Leiden 2002 — Verbrugghe, G. P. / Wickersham, J. M., Berossos and Manetho, introduced and translated: Native Traditions in Ancient Mesopotamia and Egypt, Ann Arbor/MI 1996 — Wadell, W. G., Manetho, The Loeb Classical Library 350 Cambridge/ London 1940 = 1980 — Walter, N., Jewish-Greek Literature of the Greek Period, Cambridge History of Judaism 2, Cambridge 1989, 385-408 — Walter, N., Jüdisch-hellenistischer Literatur vor Philon von Alexandrien (unter Ausschluß der Historiker), ANRW II. 20.1, Berlin 1987, 67-120 — Walter, N., Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, in: Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit 1, Gütersloh 19802, 89-163 — Walter, N., Fragmente jüdischhellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas JSHRZ 3, Gütersloh 19802, 257-299 — Walters (Katz), P., The Text of the Septuagint, Cambridge 1973 — Weber, R. / Gryson, R., Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 20075 — Wright, B. G., The Textual-Linguistic Character and Sociocultural Context of the Septuagint, in: R. J. V. Hiebert (Hg.), »Translation is required«. The Septuagint in retrospect and prospect, SBL.SCS 56, Atlanta/GA 2010, 235238 — Würthwein, E., Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica, Stuttgart 19885.

88

8. Literatur

Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund

Die folgende Übersicht soll einen ersten Eindruck über die Textzeugen vermitteln, die für die Überlieferung der Septuaginta von Bedeutung sind. Der Überblick ist chronologisch strukturiert. Dabei werden nicht nur die griechischen Textzeugen einschließlich der Zitate genannt, sondern auch die hebräischen, insbesondere aus Qumran, und die verschiedenen Übersetzungen, die je auf ihre Art auf den zugrunde liegenden Text zurückschließen lassen und die angesichts der Entstehungszeit dieser Übersetzungen wichtige Seitenreferenten für die Geschichte der Überlieferung des Septuagintatextes darstellen. Angesichts der Fülle an Manuskripten ist vor allem für die späteren Jahrhunderte nur eine Auswahl genannt. Die Einteilung nach Jahrhunderten dient nur der groben Orientierung. Bei manchen Manuskripten müsste man 2./1. Jh. oder 4./5. Jahrhundert schreiben. Soweit möglich entspricht die Reihenfolge innerhalb des Feldes der wahrscheinlichen Reihenfolge. Bei den Handschriften geht es um das wahrscheinliche Alter der Handschrift bzw. der entsprechenden Quelle (z. B. Korrektor C des Alexandrinus) nicht um das Alter der darin bezeugten Textform. Bei den meisten Handschriften ist die sog. »Rahlfs-Nummer« (nach dem von Robert Holmes und Jacob Parsons begonnenen, von Alfred Rahlfs etablierten und in Verbindung mit der Göttinger Edition fortgeführten System) hinzugefügt. Für weitere Informationen siehe die unten genannte Literatur. Die ausführliche Darstellung und Erörterung der hier nur kurz genannten Textzeugen und der damit verbundenen Textgeschichte ist für den Band »Textgeschichte« im »Handbuch zur Septuaginta« vorgesehen. 3.–2. Jh. v. Chr.: Zeit der Entstehung und der ältesten Überlieferung der Septuaginta Hebräisch/aramäisch

Griechisch

Zitate und Übersetzungen

Übersetzung der Septuaginta Qumrantexte (ab Mitte 3. Jh.): Vielfalt der Textformen mit bestimmten Grundtypen. PRylGr 458 = Ra 957 4QLXXDeut = 4Q122 = Ra 819 Ende des 2. Jh.: beginnende Revision im Sinn einer Standardi- 7QLXXExPapyrus = 7Q1 = Ra 805 sierung des Textes; Heraus4QLXXLeva = 4Q119 = Ra 801 bildung/Schaffung des protomasoretischen Textes. 7QLXXEpJer = 7Q2 = Ra 804

Erste Bezugnahmen auf die Septuaginta bei jüdischen Schriftstellern: Demetrios (noch 3. Jh.?) Eupolemos Philo der Ältere Ezechiel der Dramatiker Aristobul Jason von Kyrene Prolog zu Jesus Sirach

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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta

1. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.: Dominanz des protomasoretischen Textes; Revisionen des Septuagintatextes in Richtung des protomasoretischen Textes und im Sinn des neuen, protorabbinischen Schriftverständnisses: kaige bzw. kaige-Theodotion sowie semi-kaige Textformen. Sukzessive Verbreitung der isomorph-hebraisierenden Textformen Hebräisch/aramäisch

Griechisch

Qumrandfunde mit deutlicher Dominanz des protomasoreti- PFouad 266a = Ra 942 schen Textes in den Kommen- PFouad 266b = Ra 848 tar-Handschriften (Pescharim) 4QpapLXXLevb = 4Q120 = Ra 802 8ḤevXIIGr = Ra 943 PFouad 266c = Ra 847 4Qpap ParaExod gr = 4Q127 4QLXXNum = 4Q121 = Ra 803 POxy 3522 = Ra 857 POxy 5101 = Ra 2227

Zitate und Übersetzungen Zitate und Anspielungen in jüngeren Septuagintaschriften

Zitate und Anspielungen bei Josephus, bei Philo von Alexandrien und im Neuen Testament.

2. Jh. n. Chr.: Weitere Fixierung des masoretischen Textes; Fortsetzung der jüdischen Revisionen bzw. neue jüdische Übersetzungen ins Griechische (Aquila, Symmachus). Beginn der Übersetzung ins Lateinische (Vetus Latina; vielleicht noch mit jüdischen Anfängen); christlich-jüdische Diskussion um den ursprünglichen/richtigen Septuagintatext; Zitate bei christlichen Autoren Hebräisch/aramäisch

Griechisch

POxy 4443 = Ra 996 Weitere Bearbeitung und Fixierung des (proto)masoretischen PYale 1 = Ra 814 Textes P. Chester Beatty VI = Ra 963 Heidelberg, Pap.Gr. 8 = Ra 970 PSchøyen 2648 = Ra 816 PSchøyen 2649 = Ra 830 PBodl5 = Ra 2082

Zitate und Übersetzungen Übersetzung des Aquila Zitate in christlichen Schriften Justin, Dialog mit Tryphon Übersetzung ins Lateinische: Vetus Latina (mit jüdischen Anfängen?) Übersetzung des Symmachus

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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta

3. Jh. n. Chr.: Entwicklung und Verbreitung der Codexform; Aufnahme des biblischen Textes in Predigt, Unterricht und in exegetischen Werken; Schaffung eines an den hebräischen Text adaptierten Septuagintatextes durch Origenes; Übersetzung der Septuaginta in das Koptische (Sahidisch) Hebräisch/aramäisch Griechisch

Zitate und Übersetzungen

P967 (PChester Beatty9 und PKöln. Theol. sowie PBarc inv 2 = Montserrat II und andere Orte) = Ra 967 Tertullian von Karthago PChBeat 8 = Ra 966 POxy 656 = Ra 905 PLeipzig 170 = Ra 2014 PBerlin 6772 = Ra 902 POxy 4442 = Ra 993 POy 1075 = Ra 909 PVind/Wien 26035B = 2094 PAnt 8 = Ra 928 PBodmer XXIV = Ra 2110 PVindob/Wien Rainer 8024 = Ra 948 PBerlin fol 66 I/II = Ra 911 Chester Beatty V = Ra 962 Chester Beatty VII = Ra 965 Washington, Freer Ms V = W

Anfänge der Sahidischen Übersetzung

Exegetische Schulen in Alexandrien, Antiochien und anderen Zentren Clemens von Alexandrien;

Hexapla des Origenes

4. Jh. n. Chr.: Am Anfang des Jahrhunderts Vernichtung zahlreichen Handschriften in der Diokletianischen Verfolgung; nach der Konstantinischen Wende neue Möglichkeiten zur Produktion von Handschriften bzw. Codices (nur vereinzelt noch Rollen); Existenz von Bibliotheken und Skriptorien in verschiedenen christlichen Zentren. Tochterübersetzungen aus der Septuaginta in Gebieten jenseits des römischen Reiches

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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta Hebräisch/aramäisch

Griechisch

PAmherst 1.3 = Ra 912 Alexandria Gr.röm. Museum p 203 (Rolle!) = Ra 850 Florenz P. Vitelli = Ra 828 Rylands P 460 = Ra 958 Der von Hieronymus verwen- New York P Feinberg 1. = Ra 842 dete hebräische Bezugstext ent- Wien P.Vindob G 2312 = Ra 2031 spricht im Wesentlichen dem masoretischen Text, aber mit Archetyp (?) des Antiochenischen einigen Differenzen. Textes (1./4. Jh.) 1

Zitate und Übersetzungen Lukian von Antiochien Hesychius von Alexandrien (?) Zitate in zahlreichen Werken verschiedener Theologen

Kommentare des Theodoret von Kyrrhus mit dem Antiochenischen Text

Rom Bibl.Vat. Gr 1209 = Codex Vaticanus = B Gotische Übersetzung (Wulfila) London Br.Lib. Add 43725 / Leipzig / Sinai, Katharinenkloster / St. Peters- Äthiopische Übersetzung burg = Codex Sinaiticus = S Vulgata

5. Jh. n. Chr.: Zahlreiche Fragmente von Handschriften zu allen Schriften der Septuaginta; Verbreitung großer Codices; weitere Tochterübersetzungen Hebräisch/aramäisch

Griechisch

Zitate und Übersetzungen

Leiden, Voss. gr. 8 = Codex Colberto-Sarravianus = G Prag Nat. Bibl. Gr. II 301 = o-S 53 Armenische Übersetzung (Mesrob)

1.

London, Royal I D.V-VIII = Codex Alexandrinus = A

Koptische Übersetzungen (Fajjumisch, Bohairisch)

Mailand, Bibl. Ambros A 147 = Codex Ambrosianus … = F Paris Bibl. nat. Gr 9 = Codex Ephraimi rescriptus … = C Washington, SIL Nr. 06.273 = Ra 1219 Washington, SIL Nr. 06.292 = WI Wien, PVindob 39.775 = Ra 2039 Codex Purpureus Vindobonensis = Wiener Genesis (illuminiert!) = L

Georgische Übersetzung aus dem armenischen mit Revision nach dem Griechischen Griech. Bibeltexte in jüdischen und christlichen Inschriften

Siehe das Stemma in Fernandez Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El texto antioqueno de la Biblia Griega I (TECC 50), Madrid 1989, XXXIII; II (TECC 53), Madrid 1992, XXVIII; III (TECC 60), Madrid 1996, XXVI.

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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta

6.–8. Jh. n. Chr.: Zahlreiche Fragmente von Handschriften zu allen Schriften der Septuaginta; Verbreitung großer Codices (die Großen Codices, auch schon B, S und A sind durchwegs codices mixti, weil sie entweder auf Schriftrollen unterschiedlicher Prägung zurückgehen oder später verschiedene Texttradition aufgenommen haben); Übersetzungen die ganz oder zum Teil auf die Septuaginta zurückgehen. Hebräisch/aramäisch

Griechisch

Zitate und Übersetzungen Syrohexapla

Giessen, Univ.Bibl. 13.19.22.26 = Ra 884 Cambridge, Taylor-Schechter 12.182 = Ra 2015 Wien, P.Vindob. K 9907 = Ra 1220 Berlin, Äg. Mus P. 11763 = Ra 2063

Ansätze zur Vokalisation des Textes

Codex Marchalianus = Q

Arabische Übersetzung (zumindest teilweise auch aus dem Griechischen) Schriftzitate in zahlreichen exegetischen und anderen Werken Griech. Bibeltexte in jüdischen und christlichen Inschriften

Codex Veronensis = R Älteste Fragmente aus der Kairoer Genizah

Codex Turicensis = T Codex Venetus = V

Verlust von Handschriften in Folge der Zerstörungen durch die persischen Kriegszüge und die islamische Eroberung Abnehmende Verwendung des Griechischen im jüdischen Gottesdienst Erlass des Kaisers Justinian bezüglich Verwendung von Septuaginta und Aquila im jüdischen Gottesdienst.

9.–10. Jh. n. Chr.: Hebräisch: Entwicklung des tiberiensischen Vokalisationssystems; Fixierung des masoretischen Textes und der masoretischen Tradition in den ältesten masoretischen Codices; auffallende Übereinstimmungen zwischen Ketib/Qere-Lesarten und Septuaginta-Lesarten; Auffallende Übereinstimmungen zwischen Lesarten in einzelnen mittelalterlichen hebräischen Codices und Septuaginta-Lesarten (alte Tradition oder Quereinflüsse?). Übergang zur Minuskelschrift; Überarbeitung und teilweise Korrekturen (z. B. Anpassung des sog. beweglichen Ny an die byzantinische Schulregel durch den Instaurator in Codex Vaticanus); Nachwirkung der Gestaltung der Majuskelcodices in den Minuskeln (z. B. Ra 127). Nach dem Ende des Bildersturms auch illuminierte Handschriften, vor allem Psalterhandschriften (Chludov-Psalter, aus Konstantinopel, Mitte 9. Jh. = Ra 1101; Pariser Psalter, aus Konstantinopel, 10. Jh. = Ra 1133). Slawische Übersetzung aus dem Griechischen (Kyrill und Method).

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Überblick zu den Textzeugen der Septuaginta

Literatur van Haelst, J., Catalogue des Papyrus littéraires Juifs et Chrétien, Papyrologie 1, Paris 1976 — Rahlfs, A., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments für das Septuaginta-Unternehmen, MSU II, Göttingen 1914 — Rahlfs, A. / Fraenkel, D. Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, Bd. I,1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, Göttingen 2004 — Kraft, R. A., The ›textual mechanics‹ of Early Jewish LXX/OG papyri and fragments, in: S. McKendrick / O. A. O’Sullivan (Hg.), The Bible as Book: The Transmission of the Greek Text, London 2003, 51-72 — Kraft, R. A. Chronological List of Early Papyri and MSS for LXX/OG Study, http://ccat.sas.upenn.edu/rak//earlylxx/earlypaplist.html, 1999/ 2001/2004 (abgerufen 24. 8. 2015) — Tov, E, The Greek biblical texts from the Judean desert, in: S. McKendrick / O. A. O’Sullivan, The Bible as Book: The Transmission of the Greek Text, London 2003, 97-122 — Tov, E, Scribal Features of Early Witnesses of Greek Scripture, in: R. J. V. Hiebert / C. E. Cox (Hg.), The Old Greek Psalter: Studies in Honour of Albert Pietersma, JSOT.S 332, Sheffield 2001, 127-135.

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1. Pentateuch

1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch Martin Rösel

1. Literatur Aristeas, Der König und die Bibel. Griechisch / Deutsch. Übs. und hg. von K. Brodersen, Stuttgart 2008 — Barr, J., Did the Greek Pentateuch really serve as a Dictionary for the Translation of the Later Books, in: M. F. J. Baasten (Hg.), Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 523-543 — Beck, J. A., Translators as Storytellers. A Study in Septuagint Translation Technique, Studies in Biblical Literature 25, Leiden 2000 — Bons, E., Der Septuaginta-Psalter. Übersetzung, Interpretation, Korrektur, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 450-470 — Boulluec, A. L. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, Paris 1989 — Collins, N. L., 281 BCE: The Year of the Translation of the Pentateuch into Greek under Ptolemy II. in: G. J. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls, and Cognate Writings, SCS 33, Atlanta/GA 1992, 403-503 — Cowey, J. M. S., Das ägyptische Judentum in hellenistischer Zeit, in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 24-43 — den Hertog, C. G. Einführung zu: Deuteronomion, LXX. E I, Stuttgart 2011, 523-530 — den Hertog, C. G. Erwägungen zur relativen Chronologie der Bücher Levitikus und Deuteronomium innerhalb der Pentateuchübersetzung. in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, Stuttgart 2004, 216-228 — Dines, J. M., The Septuagint, London / New York 2004 — Dogniez, C. / Harl, M., Le Deutéronome, BdA 5, Paris 1992 — Dorival, G., Les Nombres, BdA 4, Paris 1994 — Dorival, G., Les phénomènes d’intertextualité dans le livre grec des Nombres, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 261-285 — Dorival, G., New Light about the Origins of the Septuagint? in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Stuttgart 2010, 36-47 — Honigman, S., A Study in the Narrative of the Letter of Aristeas, London / New York 2003 — Joosten, J., To See God. Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Stuttgart 2008, 287-299 — Kooij, A. v. d., The Septuagint and Alexandrinian Scholarship, BiOr 68 (2011), 492-509 — Kooij, A. v. d., The Septuagint of the Pentateuch and Ptolemaic Rule, in: G. N. Knoppers (Hg.), The Pentateuch as Torah. New Models for Understanding its Promulgation and Acceptance, Winona Lake/IN 2007, 289-300 — Kreuzer, S., Entstehung und Publikation der Septuaginta im Horizont frühptolemäischer Bildungs- und Kulturpolitik, in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, Stuttgart 2004, 61-75 — Kreuzer, S., Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit. Wie kam es zur Vorherrschaft des masoretischen Textes?, in: G. Fischer / A. Vonach (Hg.), Horizonte biblischer Texte (FS J. M. Oesch), OBO 196, Fribourg / Göttingen 2003, 117-129 — Kreuzer, S., Papyrus 967. Beobachtungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 64-82 — Lange, A., »They confirmed the Reading A« (y. Taʿ an. 4.68a). The Textual Standardization of Jewish Scriptures in the Second Temple Period, in: ders. / M. Weigold / J. Zsengellér (Hg.), 1. Literatur

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1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

From Qumran to Aleppo, FRLANT 230, Göttingen 2009, 29-80 — Lee, J. A. L., A Lexical Study of the Septuagint Version of the Pentateuch; SCS 14, Atlanta/GA 1983 — Orth, W., Ptolemaios II. und die Septuaginta-Übersetzung, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 97-114 — Pietersma, A., A New Paradigm for Addressing Old Questions. The Relevance of the Interlinear Model for the Study of the Septuagint, in: J. Cook (Hg.), Bible and Computer. The Stellenbosch AIBI-6 Conference proceedings of the Association internationale Bible et informatique, Leiden / Boston 2002, 337-364 — Pietersma, A., Text-Production and Text-Reception: Psalm 8 in Greek, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 487-501 — Rösel, M., Schreiber, Übersetzer, Theologen. Die Septuaginta als Dokument der Schrift-, Lese- und Übersetzungskultur des Judentums, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 83-102 — Rösel, M., Der Brief des Aristeas an Philokrates, der Tempel in Leontopolis und die Bedeutung der Religionsgeschichte Israels in hellenistischer Zeit, in: F. Hartenstein / M. Pietsch (Hg.), »Sieben Augen auf einem Stein« (Sach 3,9) (FS I. Willi-Plein), Neukirchen-Vluyn 2007, 327-344 — Rösel, M., Jakob, Bileam und der Messias. Messianische Erwartungen in Gen 49 und Num 22-24, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 151-175 — Rösel, M., Theo-Logie der griechischen Bibel. Zur Wiedergabe der Gottesaussagen im LXX-Pentateuch, VT 48 (1998), 49-62 — Rösel, M., Translators as Interpreters: Scriptural Interpretation in the Septuagint, in: M. Henze (Hg.), A Companion to Biblical Interpretation in Early Judaism, Grand Rapids / Cambridge 2011, 64-91 — Rösel, M., Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin 1994 — Schenker, A., Was führte zur Übersetzung der Tora ins Griechische? Dtn 4,2-8 und Platon (Brief VII,326a-b), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 23-35 — Troxel, R. L., LXX-Isaiah as translation and interpretation. The strategies of the translator of the Septuagint of Isaiah, Leiden / Boston 2008 — Utzschneider, H., Die LXX als »Erzählerin«: Beobachtungen an der LXX-Fassung der Geburts- und Kindheitsgeschichte des Mose (Ex 2,110), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 462-477 — Walter, N., Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten, Aristobul, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III,2, Gütersloh 1980 — Ziegert, C., Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell für eine integrative Übersetzungstechnik, Bib 89 (2008), 221-251.

2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch 2.1 Pentateuch und Septuaginta Im strengen Sinne sind nur die Bücher des griechischen Pentateuch mit dem Terminus »Septuaginta« zu bezeichnen, da auf diese der pseudepigraphe Bericht des Aristeas zielt, wonach sie von 72 Übersetzern in 72 Tagen aus dem Hebräischen ins Griechische übertragen wurden. Diese Bücher wurden schon in später entstandenen Teilen der hebräischen Bibel (z. B. Neh 8,1) als ‫» ֵסֶפר תּוֹ ַרת מ ֶֹשׁה‬Buch der Tora« bezeichnet; über die Übersetzung ins Griechische durch βιβλίον νόμου Μωυσῆ bürgerte sich schließlich die Bezeichnung nomos für den griechischen Pentateuch ein, vgl. Sirach-Prolog 8 oder im NT etwa Lk 24,44, wo mit πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προφήταις καὶ ψαλμοῖς die drei Teile des hebräischen Kanons genannt werden. Singulär ist in Dan 9,13LXX die Verwendung von διαθήκη Μωσῆ »Bund des 98

2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

Mose« für die Schriften der Tora, die den besonderen Charakter dieser Schriftensammlung als Grundurkunde des Judentums deutlich werden lässt. Mit der Übersetzung der Tora Israels in die griechische Sprache verbindet sich eine ganze Reihe von Forschungsproblemen, die beim gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht eindeutig zu lösen sind. Aufgabe dieses Abschnitts ist daher, ergänzend zu den Darstellungen der einzelnen Bücher Genesis bis Deuteronomium, auf einige übergreifende Fragestellungen hinzuweisen, die für die weitere Forschung von Bedeutung sein sollten.

2.2 Pentateuch und einzelne Bücher Untersuchungen zu den einzelnen Büchern haben darin ihr Recht, dass – anders als es der Aristeasbrief suggeriert – der Pentateuch sicher nicht als eine Einheit übersetzt wurde. Offenkundig sind die Bücher nacheinander von unterschiedlichen Übersetzern ins Griechische übertragen worden, was sich an deutlich divergenten Sprachstilen erkennen lässt. Auch die Frage, wie wörtlich der hebräische Text wiederzugeben ist, wurde von den jeweiligen Übersetzern verschieden beantwortet; so ist die ExodusÜbersetzung deutlich freier und sprachlich eleganter als die des Numeribuches. Zugleich ist zu beobachten, dass es in der Regel auch innerhalb eines Buches unterschiedliche Übersetzungsweisen gibt. So ist die Treue zum Ausgangstext offenbar auch von der zu übersetzenden Textgattung abhängig, denn Vorschriften und Gesetze werden meist ausgangstextgetreuer übersetzt als Erzählungen, bei denen stilistische Überlegungen eine Rolle spielen konnten, 1 oder gar bei Texten, die als aktualisierbare Prophezeiungen gesehen wurden, z. B. Gen 49; Num 23–24. 2 Durchaus vergleichbare Phänomene lassen sich auch in anderer, ungefähr zeitgenössischer Literatur wie etwa den rewritten Bibles, dem Genesis-Apokryphon oder dem Jubiläenbuch feststellen, in denen Leerstellen der Erzählung aufgefüllt werden konnten. So richtig es also ist, dass die einzelnen Bücher der LXX je für sich untersucht werden, so notwendig sind auch Untersuchungen, die größere Textkomplexe im Blick haben und vergleichend auf ihre Übersetzungsweise hin befragen. 3 Allerdings ist in der gegenwärtigen Forschung eher der Trend zur intensiven Bearbeitung immer kleinerer Textabschnitte festzustellen, deren Ergebnisse zu leicht verallgemeinert werden. 4

1. 2. 3.

4.

Vgl. etwa den Ansatz von Beck, Translators as storytellers. Besonders eindrücklich dokumentiert diesen Ansatz Utzschneider, Die LXX als »Erzählerin«. Rösel, Bileam. Ein möglicher Ansatzpunkt ist auch die Skopos-Theorie nach Reiß / Vermeer, vgl. dazu etwa Reiß, K. / Vermeer, H. J., Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen, 1984 und Ziegert, Buch Ruth. Vgl. als jüngst erschienene Beispiele aus dem Bereich der Psalmen Smith, J., Translated Hallelujahs. A linguistic and exegetical commentary on select Septuagint Psalms, Leuven 2011; hier werden fünf Psalmen bearbeitet (104, 105, 110-112), oder Olofsson, S., As a deer longs for flowing streams. A study of the Septuagint version of Psalm 42-43 in its relation to the Hebrew text, DSI 1, Göttingen 2011. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

99

1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

2.3 Die Anfänge der Übersetzung Zum Blick auf den Pentateuch als Einheit gehört untrennbar die Frage, wie es zu diesem in der Geistesgeschichte bis dahin offenbar vorbildlosen Werk einer Übersetzung eines so umfangreichen religiösen Textes gekommen ist. Zur Erklärung stehen in einer fast nicht mehr zu überschaubaren Fülle von Einzelstudien verschiedene Grundmuster bereit, die Gilles Dorival sehr übersichtlich aufgearbeitet hat: 5 Entweder wird die Grundintention des Aristeasbriefes 6 für zuverlässig gehalten, wonach es eine ptolemäische Initiative für die Übersetzung gegeben habe, oder es wird für interne Gründe der jüdischen Gemeinde plädiert, seien es erzieherische, liturgische oder wissenschaftlichapologetische. Besonders ausführlich ist dabei die Arbeit von Sylvie Honigman, The Septuagint and Homeric scholarship in Alexandria. 7 Hier wird als Hintergrund ein »Homeric Paradigm« angenommen: die Entstehung der LXX sei parallel zu Entwicklungen der alexandrinischen Homer-Wissenschaft zu verstehen, der es um einen standardisierten Homer-Text gegangen sei. Die LXX ist demnach letztlich nicht aus konkreten Anforderungen der jüdischen Gemeinde heraus entstanden, sondern im Umfeld des alexandrinischen Wissenschaftsbetriebes eher aus Prestigegründen: die Juden Alexandrias wollten sich mit ihrer griechischen Version der Gesetze als gleichbefähigt und -berechtigt darstellen. Demgegenüber hat Arie van der Kooij jüngst in einer sehr ausführlichen Rezension deutlich gemacht, dass die Idee eines »Homeric Paradigm« der Darstellung des Aristeasbriefes nicht angemessen ist; viel eher ginge es um ein »philosophisches Paradigma« 8. Aus der positiven Darstellung des Judentums bei Philosophen wie Theophrast und Hekataios von Abdera schließt er dann im Gefolge von Wolfgang Orth, 9 dass die im Aristeasbrief erzählte Beteiligung des Demetrius von Phaleron am Übersetzungswerk der LXX als Ideengeber für Ptolemaios I. durchaus plausibel sei (S. 509). Die Argumentationslinie, dass entgegen der Mehrheitsmeinung der Forschung doch mit einem ptolemäischen Impuls für die Übersetzung zu rechnen ist, wird aktuell wieder häufiger vertreten, auch z. B. bei G. Dorival mit Hinweis auf die seit kurzem zugänglichen Papyri aus Herakleopolis 10 und der Vermutung, dass die Übersetzung von rechtlichen Regelungen als ein wesentlicher Grund für die Entstehung der LXX anzusehen ist. Entgegen der wieder stärker gewordenen Tendenz, dem Aristeasbrief hohe Glaubwürdigkeit einzuräumen, ist m. E. daran festzuhalten, dass die Schrift auf weite Strecken hin einen apologetischen Charakter hat. Ihre konkreten Hinweise auf frühere und ungenaue Übersetzungen (§ 30 f. + 314) sind am besten als Reflex einer innerjüdischen Diskussion zu verstehen, bei der es entweder um die Frage des Kanons geht 11 oder, wenn man den Brief später als sonst üblich datiert, um die Frage nach der Standardisierung einer proto-masoretischen Textform. 12 Hinzu kommt eine wei5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Dorival, New Light. Text und Übersetzung in: Aristeas, Der König und die Bibel. Honigman, Narrative of the Letter of Aristeas. V. d. Kooij, Alexandrinian Scholarship. Orth, Ptolemaios II. Cowey, Judentum. So Rösel, Brief des Aristeas. Lange, Reading.

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2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

tere Überlegung. Auch Adrian Schenker hat sich gegen eine königlich-kulturelle oder juridische Veranlassung der Übersetzung ausgesprochen und im Gegenzug dafür votiert, dass der Anlass zur Übersetzung mit innerer Notwendigkeit aus Dtn 4,2-8 entstanden sei. 13 Damit kommen also die Frage nach den Entstehungsanlässen und die Auslegung konkreter Texte des Pentateuch zusammen. Diese Fragerichtung scheint mir erfolgversprechend zu sein. Wenn man mit Jennifer Dines davon ausgeht, dass die in Alexandria neu entstehende Übersetzung sich nicht einem einzigen Zweck verdankt, sondern verschiedene Aspekte – Legislatives, Exegetisches, Paraphrasierendes – abzudecken versucht, 14 wäre es Aufgabe der LXX-Exegese, konkret festgestellte Charakteristika entsprechend zuzuordnen und zur Überprüfung auszuwerten: Ist es etwa sinnvoll anzunehmen, dass Priester an der Übersetzung mitgewirkt haben, 15 wenn sich ausgerechnet bei der Beschreibung der Stiftshütte gewichtige Diskrepanzen zwischen Vorlage und Übersetzung feststellen lassen? Lässt sich der Übersetzungshintergrund in der Schule verorten, auch wenn sich die Kenntnis entwickelter philosophischer Terminologie wie z. B. in Gen 1+2 zeigen lässt? 16 In dieser Fragehinsicht bekäme auch das zeitweise intensiver diskutierte Paradigma der Interlinearität seinen Platz, 17 das sicher nicht dazu taugt, die gesamte LXX zu erklären, bei einigen Schriften aber seinen heuristischen Wert besitzt. 18 Eine differenzierte Sicht vertritt Siegfried Kreuzer, 19 der davon ausgeht, dass die Übersetzung – vielleicht auf Grund nicht nur eines, sondern unterschiedlicher Bedürfnisse – zunächst innerjüdisch entstand, dass aber die im Aristeasbrief im Wesentlichen zutreffend beschriebene kulturpolitische Situation (vgl. auch die Werke von Manetho und Berossos) dazu führte, dass man auch von jüdischer Seite die eigene Ursprungsgeschichte bekannt machen wollte, wofür die Genesis besonders geeignet war.

2.4 Datierungen Ein weiterer offener Punkt, der in der Regel nicht hinreichend diskutiert wird, ist die Frage, von wann an der Pentateuch übersetzt wurde. Dem Aristeasbrief und seiner Nennung der bekannten Protagonisten Demetrius von Phaleron und Ptolemaios II. folgend, wird üblicherweise die erste Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts angenommen; 20 die Herkunft aus Ägypten / Alexandria wird m. W. für den griechischen nomos nicht bestritten. Diese Datierung lässt sich durch sprachliche Untersuchungen ergänzen; hier war vor allem die Studie von James Lee wegweisend. 21 Exaktere Datierungsvorschläge sind kaum möglich. Der Terminus ad quem ist durch das Werk des 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Schenker, Übersetzung. Dines, Septuagint, 61. So v. d. Kooij, Ptolemaic Rule. S. dazu Rösel, Vollendung. Pietersma, Paradigm. S. dazu meine Anmerkungen in: Rösel, Translators as Interpreters, 71-74. Kreuzer, Entstehung und Publikation. Besonders exakt, aber wegen ihrer strikten Orientierung am Aristeasbrief nicht überzeugend: Collins, 281 BCE. Die Einleitungen zu den Büchern des Pentateuch in BdA oder auch die Artikel in diesem Handbuch votieren jedoch alle in eine ähnliche Richtung. 21. Lee, Lexical Study. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

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1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

Exegeten Demetrios gegeben, das unter Ptolemaios IV. (221–204 v. Chr.) entstand und eindeutig die Genesis- und Exodus-Septuaginta voraussetzt. 22 Es ist unklar, ob es Vorläuferübersetzungen gegeben hat. Im Aristeasbrief werden sie zwar erwähnt (§ 314), doch weitere Belege gibt es dafür nicht. Jedenfalls wird es eine parallele, wohl mündliche Überlieferung über die Geschichte Israels gegeben haben, da sich anders die (z. T. entstellten) Kenntnisse bei Manetho und Hekataios von Abdera nicht erklären lassen (worauf möglicherweise in der Exodus-LXX angespielt wird, vgl. die Einleitung zu Exodus in diesem Band). Hinzu kommt, dass schon die ersten Übersetzungen in sich sehr einheitlich sind, besonders in lexikographischer Hinsicht. Leider ist nicht bekannt, ob es Hilfsmittel und Erfahrungen für ein solches Projekt gab. Die oft zum Vergleich genannten großen Geschichtswerke von Berossos oder Manetho sind keine Übersetzungen und taugen daher nur dazu, das allgemeine Interesse jener Zeit an umfassenden Volksgeschichten zu belegen. Man kann aber annehmen, dass vorab Vokabellisten angefertigt wurden, da solche pinakes aus Alexandria bekannt sind, ähnlich wie es im syrisch-mesopotamischen Raum seit dem 2. Jt. mehrsprachige Wortlisten gegeben hat. Mit Hilfe solcher Listen konnte man ein großes Maß an Einheitlichkeit erreichen, was besonders bei den Fachbegriffen für Opfer und Kult wichtig war. In der Kairoer Geniza sind vergleichbare Hilfsmittel erhalten geblieben, allerdings aus deutlich späterer Zeit. 23 Jedenfalls ist anzunehmen, dass eine Reihe wichtiger Äquivalente bereits in der Gemeinde in Alexandria oder in der weiteren griechischsprachigen Diaspora geprägt waren, dafür spricht etwa die Verwendung des Neologismus θυσιαστήριον für einen rechtmäßigen Altar von Gen 8,20 an oder auch die Übersetzung von ‫ ְבּ ִרית‬mit διαθήκη »Verfügung / Bund« ab Gen 6,18. Es lässt sich spekulieren, ob es vor der umfassenden Übersetzung ganzer Bücher Versuche gegeben hat, einzelne Teile ins Griechische zu übertragen, die zu konkreten Zwecken gebraucht wurden. So ließe sich erklären, dass in einem der jüdischen Papyri von Herakleopolis auf den nomos verwiesen wird (P. Polit. Iud 4, Zeile 14 f.: Ausstellung eines Scheidebriefes »nach dem Gesetz der Väter«), wenn man nicht annehmen will, dass hier die LXX als Ganze gemeint ist 24 (oder bezieht sich der Appell an das »Gesetz der Väter« nur auf das traditionelle jüdische Gewohnheitsrecht?). Wenigstens für die Erweiterung des Schema Israel in Dtn 6,4 ist wahrscheinlich, dass hier der Übersetzer auf eine vorauslaufende Tradition Rücksicht nehmen und daher auch die Anspielung an den Dekalog aufnehmen musste; das gleiche Phänomen ist ebenfalls im Papyrus Nash belegt. 25 Ein eigenes Problem ist die Frage der relativen Chronologie der Pentateuch-Übersetzungen untereinander. Theoretisch ist natürlich denkbar, dass ähnlich der im Aristeasbrief beschriebenen Weise zeitgleich an den einzelnen Büchern gearbeitet wurde. Doch gibt es deutliche Hinweise, dass das Buch Genesis als erstes und unabhängig von den anderen Schriften übersetzt wurde. Dazu zählt zum einen die besondere Weltchronologie in Gen 5 und 10, die offenkundig mit den Zahlen des hebräischen, noch nicht übersetzten Exodusbuches rechnet, zum anderen die Übersetzung von Gen 26,5, 22. 23. 24. 25.

Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten, 281 f. Rösel, Schreiber, Übersetzer, Theologen, 96. Dorival, Origins, 44. Vgl. dazu d. Hertog, Einführung zu Deuteronomion, 525 und ad loc.

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2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

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wo die Reihung ‫ ִמְשַׁמ ְרִתּי ִמְצוַֹתי ֻחקּוַֹתי ְותוֹר ָֹתי‬durch τὰ προστάγματά μου καὶ τὰς ἐντολάς μου καὶ τὰ δικαιώματά μου καὶ τὰ νόμιμά μου übersetzt wurde, wobei keines der späteren Standardäquivalente für die Gebotstermini verwendet wurde; ähnliches gilt für die Opferterminologie in 8,20. 26 Diese Alleinstellung der Genesis lässt sich sehr gut nachvollziehen, denn im Buchganzen begründet sie, wie Israeliten in Ägypten sesshaft wurden und wie ihr Vorvater Josef an Ägyptens Reichtum mitarbeitete; 27 sie ist also gut als Ursprungslegende der jüdischen Gemeinde Alexandrias vorstellbar. Offensichtlich wurde danach das Exodus-Buch übersetzt, in eine vergleichbare historische Situation hinein, wie Peter Schwagmeier deutlich gemacht hat (siehe die Einleitung zu Exodus), wobei sich auch Hinweise finden, dass Ex deutlich nach Gen übersetzt wurde, die anderen Bücher dann aber die Exodus-LXX voraussetzen. Eine Diskussion gibt es allerdings um die Frage, ob sich klären lässt, welches Buch danach übersetzt wurde. Cornelis den Hertog hat die These geäußert, dass das Deuteronomium nicht in der üblicherweise zu erwartenden Reihenfolge als letztes Buch, sondern nach Exodus und vor Levitikus übersetzt wurde. 28 Er geht von der Grundüberlegung aus, dass die Kultverordnungen der Bücher Lev und Num in der Diaspora nicht von besonderer Bedeutung waren, daher sei es plausibel, wenn das Deuteronomium vorher übersetzt wurde. Dies begründet er dann mit einer Reihe von Textstellen, an denen er wahrscheinlich zu machen sucht, dass die Levitikus-Übersetzung sich auf das griechische Deuteronomium zurückbezieht bzw. dessen Übersetzung sogar korrigiert. Die beigebrachten Beispiele sind von unterschiedlicher Überzeugungskraft, 29 und die konstatierten Parallelen lassen sich auch anders erklären, etwa, wie oben angenommen, mit vorab erstellten Vokabellisten, für die gerade bei kultischen Termini ein Bedarf bestanden haben sollte. Eine umfassende Überprüfung der Argumente den Hertogs ist hier nicht möglich. Allerdings sind bereits an anderen Stellen Beobachtungen zusammengestellt worden, die seiner These nicht günstig sind. Hier wäre auf die Exegese von Num 27,12-14 zu verweisen, die Gilles Dorival vorgetragen hat (siehe die Einleitung zu Numeri in diesem Band), wonach es in diesem Abschnitt zwar Anspielungen auf Dtn 32,49-51 gibt, diese aber auf den hebräischen Text zielen und nicht die griechische Übersetzung schon voraussetzen. 30 Hinzu kommt das Phänomen der Intertextualität zwischen den Büchern des griechischen Pentateuch, auf das ebenfalls Dorival hingewiesen hat. Er konnte für das Buch Numeri zeigen, dass an einer Fülle von Stellen Texte aus den Büchern Gen–Lev im Hintergrund der Übersetzung stehen; für eine Beeinflussung vom Dtn her fand er keine Hinweise. 31 Ähnlich ist das Ergebnis von Cécile Dogniez und Marguerite Harl, die bei einer Reihe von Lexemen aus dem griechischen Dtn 26. 27. 28. 29.

Rösel, Vollendung, 139-144. 191 und 228-230. S. dazu Kreuzer, Entstehung und Publikation, 72. Den Hertog, Erwägungen zur relativen Chronologie. So leuchtet nicht unmittelbar ein, warum die Verwendung von ἐξόδιον in Dtn 16,8 früher sein soll als die in Lev 23,36 und Num 29,35, nur weil sich hier die Ergänzung ἑορτή findet, bei den anderen Stellen aber nicht. 30. Dorival, Intertextualité, 285, lehnt ausdrücklich die Annahme einer älteren Dtn-Übersetzung ab; siehe auch die Einleitung zu Numeri in diesem Band. 31. Dorival, Nombres, 66-72. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

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zeigen konnten, dass sie auch in den anderen Büchern verwendet wurden. Demgegenüber weist das Dtn eine Fülle von spezifisch nur hier genutzten Neologismen auf, 32 so dass eher anzunehmen ist, dass das fünfte Buch der Tora den Übersetzern des Levund Num-Buches nicht vorgelegen hat. Letztlich ist aber auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Bücher nachträglich überarbeitet und einander angeglichen wurden. So zeigt sich auch hier der Bedarf für buchübergreifende Forschungen, um die relative Chronologie der Pentateuch-Übersetzungen zu erhellen. Dies gilt umso mehr, wenn man einen Einwurf von James Barr berücksichtigt, der nicht nur die übliche These in Frage stellt, dass der Pentateuch als »Wörterbuch« für die folgenden Übersetzungen gedient habe, sondern auch die These äußert, dass nicht die Tora, sondern andere, weniger bekannte Bücher zuerst übersetzt worden seien. 33 Dies erschließt er zum einen aus der Tatsache, dass bereits in Qumran ein Hiob-Targum erhalten ist, zum anderen aus dem Sprachstand des griechischen Jesaja-Buches, der dem Pentateuch nahe steht, aber, so Barr, stilistisch deutlich weniger ausgearbeitet ist als der nomos. Auch wenn man diesen Überlegungen nicht zustimmt, 34 zeigt sich doch, dass bei der Frage nach der relativen und absoluten Chronologie der Übersetzungen und den Arbeitstechniken der ersten Übersetzer noch Forschungsbedarf besteht.

2.5 Aktualisierungen und Theologie In den bisherigen Ausführungen war davon ausgegangen worden, dass die einzelnen Übersetzer willens und in der Lage waren, in bestimmten Grenzen den Aussagegehalt ihrer Vorlage zu modifizieren, um ihn der geänderten historischen oder hermeneutischen Situation ihrer Umgebung anzupassen. In den Beiträgen für dieses Handbuch finden sich eine ganze Reihe von sehr instruktiven Beispielen dafür, von nicht abweisbaren Veränderungen wie der Aufnahme des Ibis in die Liste unreiner Vögel in Lev 11,17 bis zu möglichen Anspielungen wie in Ex 4,6, wo Manethos antijüdische Polemik, die Israeliten seien aussätzig, im Hintergrund stehen kann. 35 In der Forschungsdiskussion gibt es demgegenüber auch Ansätze, die einen eigenen Aussagewillen der Übersetzer strikt zurückweisen und im Zweifelsfall eher eine nicht erhaltene, abweichende Vorlage annehmen; in diesem Handbuch vertritt der Beitrag von Melvin Peters zum Deuteronomium diese Position. Allerdings räumt er bei zwei Themenfeldern doch die Möglichkeit ein, dass auch Interpretationen des Übersetzers greifbar sein können, nämlich bei der Wiedergabe der Wurzel ‫» בער‬entfernen« und bei der Übersetzung von ‫» ֶמֶלְך‬König« mit ἄρχων »Anführer« (siehe die Einleitung zu Dtn in diesem Band). Peters konzediert die Möglichkeit einer theologisch motivierten Wiedergabe, weil im Übersetzungstext die abweichende Wiedergabe von üblicherweise gleich übersetzten Lexemen festzustellen ist. Der Übersetzer ist also von seinen eigenen Standard-Äquivalenten abgewichen, weshalb nun die Frage nach dem Anlass dieses Verfahrens zulässig ist. Dies ist insofern interessant, als damit ein methodisches Kriterium zur Verfügung steht, das auch von Anhängern des Inter32. 33. 34. 35.

Dogniez / Harl, Deutéronome, 64 f. Barr, Dictionary. Troxel, LXX-Isaiah, 24; er datiert die Gen-LXX auf ca. 140 v. Chr. Boulluec / Sandevoir, Exode, 97.

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2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

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linear-Paradigmas (s. o.) akzeptiert werden kann. Interessanterweise lassen sich damit nicht nur semantische Differenzen zwischen Vorlage und Übersetzung erkennen, sondern auch stilistisch-syntaktische, wenn man etwa die differenzierende Wiedergabe der im Hebräischen überaus häufigen Copula waw mit καὶ einerseits und δὲ andererseits beachtet, die etwa in Gen 4 deutliche Sinnakzente zu setzen vermag. Meines Erachtens lässt sich jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Die Anwendung des Kriteriums, dass Abweichungen vom üblichen Standard hermeneutische Rückschlüsse zulassen, ist auch für das Gottesbild von Bedeutung. So ist interessant zu sehen, dass die Übersetzer kontextsensitiv den Singular ὁ θεός oder Plural οἱ θεοὶ für ‫ ֱאל ִֹהים‬verwendet haben, je nachdem, ob der eigene Gott oder andere Götter gemeint waren; dies auch dann, wenn im Kontext der Plural nicht eindeutig ist, so Gen 31,30-32; 35,2 oder sehr instruktiv in Dtn 32,31. Im Buch Genesis führen vergleichbare Beobachtungen zu der Erkenntnis, dass der Übersetzer inhaltlich zwischen den Gottesbezeichnungen κύριος einerseits und ὁ θεός andererseits unterschieden hat, dies auch gegen die Vorlage, wie etwa in Gen 6,6 oder besonders instruktiv in 38,7 zu sehen ist: nicht der den Menschen zugewandte κύριος führt Strafen aus, sondern Gott, ὁ θεός. Mit minimalen Eingriffen in den Text und unter Beibehaltung der Wort-für-Wort-Übersetzungsweise wird demnach das Gottesbild Israels vereindeutigt. 36 Ein weiteres Beispiel ist die oben (2.4) erwähnte Differenzierung in der Wiedergabe des Wortes für Altar. Offenkundig lassen sich vergleichbare Phänomene nicht nur im Pentateuch, sondern z. B. auch in den Psalmen beobachten. 37 Damit ist deutlich, dass eigene Sinnakzente bereits bei der Produktion der griechischen Texte gesetzt wurden, nicht erst in der späteren Rezeption eingetragen wurden. 38 Es wird künftig eine wichtige Aufgabe der Forschung sein, solche übergreifenden Tendenzen deutlich werden zu lassen und diese Erkenntnisse methodisch gegen Projektionsvorwürfe abzusichern. Dass diese Perspektive eine lohnende ist, zeigt sich z. B. daran, dass inzwischen in wichtigen Psalmenkommentaren (HKAT, BKAT) die LXX nicht mehr nur als Element der Textkritik, sondern als eigenständiger Aspekt der Rezeptionsgeschichte der hebräischen Textfassung gesehen wird, die Entscheidendes zum Verständnis dieser Texte in Judentum und Christentum beiträgt.

2.6 Konkrete Handschriftenüberlieferungen Die unterschiedlichen Projekte zur Übersetzung der LXX haben sich – soweit vorhanden – auf die Ausgaben der Göttinger Septuaginta gestützt. Doch natürlich sind die textkritischen Entscheidungen der jeweiligen Herausgeber nicht über alle Zweifel erhaben, wie etwa am bekannten Vers Dan 7,13 zu sehen ist, wo die Rahlfs-Ausgabe sicher den besseren Text als die Göttinger LXX bietet. J. W. Wevers hat daher seinen Göttinger Editionen in späteren Publikationen Corrigenda-Listen beigegeben, die nun 36. Dazu s. Rösel, Theo-Logie. 37. So etwa Bons, Septuaginta-Psalter; auch Joosten, To See God. 38. Pietersma, Text-Production, der aber letztlich zu dem etwas unbefriedigenden Ergebnis kommt, theologische Modifikationen im Zuge der Textproduktion seien im Wesentlichen Projektionen oder methodische Unsauberkeiten moderner Exegeten. 2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

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1.0 Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

auch in LXX.E mitgeteilt werden und daher leicht zugänglich sind. Schließlich führt Melvin Peters in diesem Handbuch vor, dass in konkreten Einzelfällen neue textkritische Entscheidungen zu treffen sind (Einleitung in das Deuteronomium). Parallel dazu ist an der virtuellen Zusammenführung des Codex Sinaiticus (www.codexsinai ticus.org) deutlich geworden, wie ertragreich und faszinierend die Arbeit mit konkreten Handschriften ist. Das gilt auch für andere Handschriften, etwa Papyrus 967, der für das Ezechiel- und Danielbuch eine eminente Bedeutung hat. 39 Durch das Studium solcher Handschriften wird erkennbar, dass diese Manuskripte ebenfalls eigene Charakteristika auch inhaltlicher Art haben, die wahrzunehmen sich lohnt. Insofern ist das Projekt der bei Brill erscheinenden »Septuagint Commentary Series« durchaus lohnend, den Text einer konkreten Handschrift zu kommentieren; im Falle des bisher einzigen zum Pentateuch erschienenen Kommentars ist das der Codex Alexandrinus. 40 Allerdings ist die Durchführung des Programms bei den bisher erschienenen Bänden der Reihe wenig überzeugend, da in methodischer Hinsicht nicht genügend zwischen Kommentaren zum übersetzten und zu übersetzenden Text einerseits und zwischen Übersetzungsproblem und Überlieferungsproblem auf der Ebene der Handschriften andererseits differenziert wird. 41 Auch hier besteht also noch Forschungsund Klärungsbedarf, der sicher zum anhaltenden Boom der Septuaginta-Forschung beitragen wird.

39. Kreuzer, Papyrus 967. 40. Brayford, Genesis. 41. Vgl. etwa die Rezensionen von J. Joosten in RBL 11/2008 (www.bookreviews.org) oder M. Rösel, ZAW 120 (2008), 290 f.

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2. Probleme und Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose Martina Kepper

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/1, 1906 — RaHa 1935/2006 — Rahlfs 1926 — Wevers, J. W., Genesis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum I, Göttingen 1974 (für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Gen).

1.2 Qumran 1QGen = 1Q1 (DJD I) — 2QGen = 2Q1 (DJD III) — 4QGen-Exa = 4Q1 — 4QGenb.c.d.e.f.g.h.h1.h2.j.k = 4Q.2.3.4.5.6.7.8.8(a).8(b).9.10 (DJD XII) — 4QpalaeoGen-Exl = 4Q11 — 4QpalaeoGenm = 4Q12 (DJD IX) — 4QpalaeoGeno = 4Q483 (DJD XII) — 4QGenn = 4Q576 (DJD XXV) — 6QpalaeoGen = 6Q1 — 8QGen = 8Q1 (DJD III) — MurGen(a) = Mur 1 (DJD II) — Mur(?)Gen(b) = Mur(?) (Puech) — SdeirGen = Sdeir 1 (DJD XXXVIII) — MasGen = Mas 1 (Masada VI).

BQS 1-26 — HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M., La Genèse, BdA 1, Paris 19942 — Dogniez, C. / Harl, M. (Hg.), Le Pentateuque d’Alexandrie. Texte grec et traduction, Paris 2001 — Brayford, S., Genesis, Septuagint Commentary Series, Leiden 2007 — Hiebert, R. J. V., Genesis, NETS, Oxford/New York 2007, 1-42 — Prestel, P. / Schorch, S., Genesis. Das erste Buch Mose, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 3-55 — Prestel, P. / Schorch, S., Genesis. Das erste Buch Mose, LXX.E, Stuttgart 2011, 145-257.

1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Parataxis in the Septuagint. A Study of the Renderings of the Hebrew Coordinate Clauses in the Greek Pentateuch, AASF B Diss 31, Helsinki 1982 — Barr, J., Did the Greek Pentateuch Really Serve as a Dictionary for the Translation of the Later Books?, in: M. F. J. Baasten / W. T. v. Peursen (Hg.), Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 523-543 — Dafni, G., Genesis 1-11 und Platos Symposion, OTE 19 (2006), 584-632 — Evans, T. V., Verbal Syntax in the Greek Pentateuch: Natural Greek Usage and Hebrew Interference, Oxford 2001 — Evans, T. V., Approaches to the Language of the Septuagint, JJS 56 (2005), 25-33 — Görg, M., Die Septuaginta im Kontext spätägyptischer Kultur. Beispiele lokaler Inspiration bei der Übersetzungsarbeit am Pentateuch, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 1, BWANT 153, Stuttgart 2001, 115-130 — Hendel, R. S., On the text-critical Value of Septuagint Genesis: A Reply to Rösel, BIOSCS 32 (1999), 31-34 — Hertog, C. G. den, Erwägungen zur relativen Chronologie der Pentateuchübersetzung, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, 1. Literatur

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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

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2. Textüberlieferung und Editionen Für die Septuaginta liegt die vollständig neu bearbeitete Textausgabe im Rahmen des Göttinger Septuaginta-Unternehmens durch W. J. Wevers vor. Wevers hat den dort gebotenen Text durch einen umfangreichen Kommentarband 1993 nochmals an mehr als 60 Stellen geändert, 1 Die Änderungen betreffen neben wenigen Veränderungen der Lesarten vor allem die Interpunktion. Die von R. Hanhart besorgte editio altera des Rahlfs-Textes greift in der Genesis abgesehen von kleinen Korrekturen bei der Akzentsetzung nicht substantiell ein. Damit gilt für die Genesis-Septuaginta der in der Göttinger Ausgabe dargestellte Textbestand als mutmaßlich älteste Fassung. Erwähnt sei, dass Wevers keine Konjekturen in den Text aufnahm, während Rahlfs beginnend mit 1,30 acht Konjekturen im Text hat. 2 Die Überlieferung der alten Codices Sinaiticus (S, 4. Jh.) und Vaticanus (B, 4. Jh., nur ab 46,28) ist zwar nur mehr fragmentarisch erhalten, doch liegt ein fast vollständiger Text im Codex Alexandrinus (A, 5. Jh., mit zahlreichen Rasuren von erster Hand) vor. Er zeigt leider oftmals revisionsartige eigentümliche Lesarten und ist daher kein sicherer Zeuge für den ursprünglichen LXX-Text. 3 Umfangreich ist die Überlieferung des Textes in den Minuskelhandschriften ab dem 9. Jh. Die erhaltenen, z. T. sehr fragmentarischen Papyri sichern den Text, so stammt z. B. der mutmaßlich älteste Textzeuge Pap 942, der Teile aus Gen 7 und 38 bietet, noch aus dem 1. Jh. v. Chr., oder Pap 814 mit Teilen aus Gen 14 aus dem 1. Jh. n. Chr. Aus Qumran stammen mehr als ein Dutzend Handschriften, von denen einige sich 1. 2. 3.

Vgl. Wevers, Notes, Appendix, 855 f. Siehe dazu Kreuzer in LXX.E I, 108 f. Vgl. Dines, 7. 2. Textüberlieferung und Editionen

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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

über die Genesis hinaus erstreckten (Gen–Ex bzw. Pentateuch), die jedoch durchwegs nur sehr fragmentarisch erhalten sind. 4 In den erhaltenen Passagen fehlen Hinweise auf eine gezielte Rezensions- bzw. Revisionstätigkeit. Die in Oxyrhynchus gefundenen Pap 905 und 907 (2./3. bzw. 3. Jh.) könnten jüdischen Ursprungs sein. 5 In der Ausgabe von Wevers noch nicht ausgewertet sind die Zitate, wobei vor allem die Schriften Philos (1. Jh.) und des Theophil von Antiochia (2. Jh.) relevant sein werden (s. u. 6.). Für die Tochterübersetzungen gilt nach Wevers folgender Befund: Der höchste textkritische Wert kommt schon allein aufgrund des Alters der altlateinischen Übersetzung (Siglum La, greifbar in der Beuroner Vetus Latina Ausgabe) zu. Dabei wäre zwischen der vornehmlich von Cyprian benutzten und ab dem 3. Jh. nachweisbaren Tradition aus Karthago (Siglum LaK) und der durch etwa Augustin ab der Mitte des 4. Jh.s benutzten Tradition (Siglum LaC) zu unterscheiden. Der spätere »europäisierte« Mischtext (Siglum Lae) glättet in Richtung der hebräischen Textform. Der Charakter der anderen Tochterübersetzungen ist gegenüber der altlateinischen von untergeordnetem Rang: Die syrischen Texttypen liefern eine verglichen mit dem Masoretischen Text sehr wortgetreue Übersetzung. Das Äthiopische ist durch den Codex P als ältestem Textzeugen aus dem 13. Jh., sowie den Codex F repräsentiert und zeigt eine sehr freie Wiedergabe einer griechischen Vorlage mit dem Hang zum Pleonasmus. Die armenischen und die koptischen Texte wurden z. T. durch Wevers nicht kollationiert, da vor allem das Armenische stark von Origenes beeinflusst sei und zudem zahlreiche Sonderlesarten und eine überaus freie Wortstellung zeige. Schließlich ließe sich noch auf eine arabische Version verweisen, die durch sechs Handschriften aus dem 13. Jh. n. Chr. repräsentiert wird. Wevers kollationiert sie mit, da sie eine direkt aus dem Griechischen erstellte Übersetzung zu sein scheint. Sie ist textkritisch jedoch eher mit Vorsicht einzubeziehen, da sie eine freie Wiedergabe mit häufiger Textauslassung durch Parablepse zeigt. Anders als bei manchen anderen biblischen Büchern gehen die meisten Forscher davon aus, dass es in der Genesis im Wesentlichen nur eine Texttradition gibt. Das bedeutet, dass die Vorlage des MT und die (zu rekonstruierende) Vorlage der LXX (»Old Greek«) im Wesentlichen übereinstimmten. 6 Die größten Unterschiede beider Textarten bestehen neben einigen Versen, die mal im MT, mal in der Gen-LXX einen Langtext bieten, vor allem in der unterschiedlichen Textsegmentierung: Es gibt Textumstellungen und -änderungen auf kleinstem Raum 7 sowie abweichende Kapitel- und 4. 5. 6.

7.

S. o. 1.2. Zu den sog. Reworked Pentateuch-Handschriften HTTM 36-43. Grund für die Annahme sind Sonderlesarten und die Schreibung des Gottesnamens; siehe dazu Rahlfs / Fraenkel, Verzeichnis, 291-294 und die dort genannte Literatur. Siehe auch Dines, 5 f. So erstmals E. Ulrich, dann auch Hanhart, Skehan und Wevers. Harl, BdA 1, urteilt skeptischer und rechnet mit größeren Unterschieden in der jeweiligen Vorlage. Ähnlich auch Prestel / Schorch in LXX.D, 47, die neben einer anderen Vorlage auch unterschiedliche Vokalisationen als mögliche Gründe für unterschiedliche Lesarten ins Spiel bringen. Hingewiesen sei auch auf den Versuch einer Rückübersetzung durch Zipor, Notes. Vgl. z. B. die bereits von Origenes erkannte Inkonsistenz (διαφωνία) in 1,9 (fr. D 5 Metzler) oder die gegenüber der Tetrapla erkannte Umstellung der Verse 47,5 f. / 4 f., (fr. E 152 Metzler). Das LXX-Plus in 4,8 mit der Aufforderung Kains an Abel, mit ihm zu kommen, wird bereits von Aquila mit Hinweis auf οι Εβραιοι (vgl. Origenes fr. D 24 Metzler) als sekundär ausgeschieden.

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2. Textüberlieferung und Editionen

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Abschnittsgrenzen. Am auffälligsten dürfte die Abgrenzung in der Urgeschichte sein, wo anders als im MT eine Zäsur zwischen 5,32 und 6,1 erfolgt. Damit markiert für die Gen-LXX Noah den Beginn einer neuen Epoche, während er aufgrund der formalen Struktur des MT den Abschluss der alten darstellt. Die griechischen Handschriften aus Qumran zeigen dem gegenüber entweder gar keine Abschnittsmarkierungen oder dann ab etwa der mischnischen Zeit eine Gliederung, die die synagogale Vorlesetradition sichern sollte. 8 Die Annahme einer den Old Greek Text der LXX in Richtung auf den MT hin korrigierenden Rezension ist für den Pentateuch insgesamt und damit auch speziell für die Gen-LXX umstritten. 9 Aufgrund dieses textgeschichtlichen Befundes ergeben sich bei unterschiedlichen Lesarten von MT einerseits und LXX andererseits nun aber größere Spielräume in der Frage nach den theologischen Änderungen und Akzentsetzungen aufgrund der Übersetzungsarbeit.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Nach den Überlegungen zur Textgeschichte, die im Wesentlichen von einem Texttyp ausgehen, muss daher folgerichtig nach den speziellen Übersetzungstechniken gefragt werden, um den Charakter der Gen-LXX zu skizzieren. Da sie nach dem derzeitigen Stand der Forschung als erste hebräische Schrift ins Griechische übertragen worden ist, kommt ihr besonderes Augenmerk bei der Frage nach der Übersetzungstechnik zu. Der Stil der Übersetzung lässt sich als ambivalent beschreiben: Es wechseln sich sehr wortgetreue, fast sklavisch am hebräischen Text orientierende Wiedergaben mit durchaus freieren, idiomatischen Passagen ab. 10 Der vielleicht treffendste Begriff für eine derart ambivalente Sprachgestalt dürfte die »sub-language« sein. 11 Einige Standards in der Übersetzungstechnik werden in der Gen-LXX entwickelt. Lange erkannt ist bereits der Hebraismus προστίθημι mit Infinitv für hebräisches ‫יסף‬ mit Infinitiv 12 oder die Wiedergabe des hebräischen pleonastischen Infinitivus absolutus mit einem Nomen oder Partizip. 13 Während das hebräische Verbalsystem durch die Wiedergabe der Narrativformen im gr. Aorist und der kontextuell variablen Wiedergabe der übrigen Verbformen offenbar verstanden worden ist, 14 zeigen sich ebenfalls eine Reihe von für griechische Ohren hart klingenden Formulierungen bis hin zu Soloecismen. 15 8. Vgl. b.Sabb 103b; y.Meg.1.9 und dazu Oesch, Gliederungshermeneutik, 81. 9. Rahlfs, Genesis (1926), 28, sieht in Hs. 75 eine immerhin noch schwach erhebbare lukianische Rezension vorliegen. Negativ urteilt Wevers, Genesis. Hanhart bezieht auch die Hs. 458 mit ein und plädiert sachgemäß für eine qualitative, nicht rein quantitative Beurteilung der jeweiligen Lesarten, vgl. Hanhart, Vierzig Jahre Septuagintaforschung I, ThR 73 (2008), 247-281: 254. 10. Vgl. Schorch / Prestel, LXX.D, 41. 11. So FMI, 24. 12. Vgl. z. B. 4,7 und dazu Soisalon-Soininen, Infinitive, 44 f. 13. Vgl. z. B. 2,16 und dazu Tov, Renderings, 60. 14. Vgl. Voitila, Présent, 223; Aejmelaeus, Translation Technique, 70 f. sowie Barr, Greek Pentateuch, 537 f. 15. Vgl. Siegert, 142 f. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Die u. a. 1981 in der Barthélémy-Festschrift vertretene These von E. Tov, die GenLXX habe dabei als eine Art Wörterbuch für die Übersetzung der anderen biblischen Bücher fungiert, liegt zwar aufgrund der relativen Chronologie nahe, doch konnten von J. Barr 16 gewichtige Gründe gegen die Annahme vorgebracht werden, dass die GenLXX stil- und begriffsprägend für die nachfolgenden Bücher gewesen ist. Unbenommen davon ist natürlich die Feststellung, dass in der Gen-LXX tatsächlich erstmals theologisch wirksame Begriffsbildung vorgenommen worden ist, wie z. B. die Wiedergabe des 6,18 erstmals auftretenden hebr. Begriffes ‫ ברית‬mit dem aus der griechischen Rechtssprache stammenden Begriff διαθήκη, der dann schließlich über das Lateinische prägend für den christlichen Sammelbegriff Altes Testament geworden ist. 17 Bei der Frage nach der Datierung der Gen-LXX werden in der Forschung überwiegend relative Chronologien ins Feld geführt. Dabei zeigen die Datierungsversuche seit der Antike eine gewisse Unschärfe, die u. U. auf die Benutzung unterschiedlicher Kalendersysteme zurückzuführen sein könnte. 18 Unter der Voraussetzung, dass die Genesis als erste Schrift ins Griechische übertragen worden ist, und dass die Konstellation des Aristeasbriefes, wonach die Übersetzungsarbeit in der Zeit von Demetrios von Phaleron als Bibliothekar des Museions und Ptolemaios II. Philadelphos begonnen wurde, zutrifft, kommt man zu einer Ansetzung in der 1. Hälfte des 3. Jh.s v. Chr. Eine Reihe von griechischen Schriften nehmen Bezug auf die Gen-LXX. Die älteste dürfte das Werk Über die Könige von Juda des Chronographen Demetrios sein. Vor allem seine Mosegenealogie in dessen über Alexander Polyhistor in der Praeparatio Evangelica des Eusebios überliefertem Fragment 3 dürfte Gen 25,1-4 LXX benutzen. 19 Damit läge – bei aller Vorsicht – möglicherweise eine externe Bezeugung aus der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. vor. Seit Ende des 3. Jh.s v. Chr. nehmen eine Reihe hellenistischer Autoren Bezug auf die Gen-LXX und den Pentateuch als Ganzen. 20 Sicher ist, dass bereits Philo die GenLXX kennt und als Heilige Schrift benutzt. 21 Auch die von der Gen-LXX benutzte Sprache deutet auf eine Übersetzung im Laufe des 3. Jh.s v. Chr. Das Vokabular wurde dabei von Lee untersucht, die Syntax von Evans. Beide Untersuchungen sehen aufgrund des verwendeten Griechisch den Zeitraum der Übersetzung zwischen dem Beginn des 3. Jh.s und der Mitte des 2. Jh.s als wahrscheinlich an. Damit bleibt eine Spanne von ca. 150 Jahren für die mögliche Entstehungszeit, wobei der Aristeasbrief letztlich die Waage in Richtung des 3. Jh.s v. Chr. ausschlagen lässt. 16. Vgl. Barr, Greek Pentateuch, spez. 537ff. zu den Neologismen. 17. Vgl. hierzu den Exkurs von Rösel in LXX.E, 170 sowie bereits Rösel, Übersetzung, 82. 18. So Dorival, in: Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 34, der die Zählung der Jahre nach den Olympiaden, nach dem makedonischen bzw. ägyptischen Kalender sowie schließlich der christlichen Rechnung nach Christi Geburt anführt. Er votiert selbst ebd. mit N. Collins (The library in Alexandria and the Bible in Greek, VT.S 82, Leiden 2000) unter Rückgriff auf Megillat Taanit für die Ansetzung des Beginns der Übersetzungsarbeit am 28./29. Dezember 281 v. Chr. und der Verlesungszeremonie im Frühjahr 280 v. Chr. 19. Text in Übersetzung bei Charlesworth, Old Testament Pseudepigrapha II, London 1985, 853. Vgl. auch Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 33 (Dorival) und 46 (Hadas-Lebel). 20. Eine Liste (einschl. Zitate des griech. Textes) findet sich bereits bei Swete, Introduction, 369 f. 21. Vgl. de vita Mosis 2, 37 und dazu Dines, 67 f., sowie Steyn, Quotations.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Der Ort, an dem die Übersetzungsarbeit stattgefunden haben soll, ist wiederum nach dem Aristeasbrief Alexandria. Auch wenn diese legendenhafte Schilderung nicht unkritisch übernommen werden darf, so spricht einiges dafür, die Gen-LXX in dieser hellenistischen Metropole anzusiedeln. Hinweise auf diesen Abfassungsort können vorliegen in der Übersetzung des Landes Goschen (Gen 46,28 f.) mit Ηρώων πόλις, wohinter sich der Tell el-mashuta verbergen dürfte. 22 Die Wiedergabe der hebräischen Heilkundigen (‫ ) ְרָפִאים‬mit den ägyptischen Bestattungsspezialisten, den Einbalsamierern (ἐντάφισται), in 50,2 liefert ebenfalls ein stichhaltiges Argument. Weitere griechische Begriffe zeigen ägyptisches, vielleicht sogar speziell alexandrinisches Kolorit. Es überrascht nicht, dass diese Begriffe – vornehmlich Verwaltungstermini und Beamtentitel sowie Realia – gehäuft in der Josephsnovelle vorkommen, die ohnehin in Ägypten spielt. 23 Sind somit Ort und Zeit der Gen-LXX recht gut einzugrenzen, so fällt es schwer, die Übersetzungstechnik mit einheitlichen Kriterien zu beschreiben, zumal methodologisch überhaupt geklärt werden muss, was man unter diesem Terminus verstehen will: Fragen nach der hebräischen Vorlage sind dabei genauso von Bedeutung wie die Klärung von Idiomatik und Semantik der jeweiligen griechischen Übersetzungstermini. 24 In diesem Bereich gibt es eine reiche und durchaus kontroverse Methodendiskussion, die sich an den Polen »Historizität« einerseits und »Linguistik« andererseits festmachen ließe. 25 Auf der einen Seite stehen z. B. die Übersetzer der »New English Translation of the Septuagint«, die anhand ihrer Übersetzungsarbeit sehr ausführlich fünf grundlegende Übersetzungsprinzipien 26 in der LXX ausmachen und zu einem in allen Schriften mehr oder minder deutlich fassbaren Modell der sog. Interlinearität ausbauen. Demnach zeige die Sprache der LXX deutlich entweder (1) den nicht überraschenden Befund, dass die benutzten griechischen Begriffe im Wesentlichen dem Gebrauch in der übrigen Gräzität entsprechen. Jedoch lege innerhalb dieses Spektrums (2) der jeweilige Kontext die genaue Bedeutung fest. D. h. in der überwiegenden Zahl der Fälle bemühen sich die LXX-Übersetzer um ein gutes, verständliches Griechisch, u. U. zulasten einer konkordanten Übersetzung. Interessant wird es jedoch an den Stellen, an denen von diesem Grundprinzip abgewichen und entweder (3) doch zugunsten einer konkordanten Übersetzung nach griechischem Gebrauch aber ohne Beachtung des Kontextes übersetzt wird (»stereotypes«), oder (4) das Hebräische ganz literalistisch ohne Rücksicht auf griechischen Sprachgebrauch wiedergegeben wird 22. Vgl. Rösel, Genesis, 241. 23. Als Beispiele ließe sich auf den Gefängnisoberaufseher (Archidesmophylax) in 39,21 oder die Distriktsgouverneure (Toparchai) in 41,34 verweisen, vgl. dazu Tov, Compound Words, 201.208; Rösel, Übersetzung, 243; Prestel / Schorch, Erläuterungsband z.St. Eindrücklich ist auch die von Wevers, Notes, 626, als Anpassung an das alexandrinische Preisniveau angesprochene Übersetzung des Kaufpreises für Josef (37,28, vgl. ähnlich 45,22), der im hebr. Text 20 Silber- im gr. Text jedoch 20 Goldstücke beträgt. Allerdings muss man bedenken, dass die Begriffe nicht eindeutig auf Alexandria weisen, sondern ggf. »ägyptisieren« sollen. Vgl. dazu Kepper, Kontextualisierende Übersetzungspraxis. 24. Vgl. grundlegend Aejmelaeus, Translating a Translation, in: Trail, 257. 25. Vgl. besonders die Definitionen von wörtlichen gegenüber freien Übersetzungen bei Tov, Textcritical Use, 17-29. 26. Vgl. NETS, XVII (Pietersma). 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

(»isolates«). Besonderes theologisches Gefälle zeigen schließlich (5) die Stellen, an denen die LXX-Übersetzer einen geläufigen griechischen Begriff ganz gegen seinen Gebrauch in der übrigen Gräzität gleichsam inhaltlich neu prägen (»calques«). Die Gen-LXX zeige nun in besonderem Maße alle Arten dieser Übersetzungstechnik in sinnfälliger Weise. Viele der »calques« (Lehnübersetzungen), also der neugeprägten Begriffe, finden sich in der Gen-LXX erstmals. 27 Ebenso lassen sich in der Gen-LXX eine Reihe von Standardäquivalenten (»stereotypes«) nennen. Prominente Beispiele dafür wären etwa die Altersangabe in 11,10 mit ὑιὸς ἑκατὸν έτων und natürlich die beinahe kontinuierliche Wiedergabe des Tetragramms mit dem Begriff κύριος. Die Untersuchung der translation technique ist aber mit größter methodologischer Vorsicht durchzuführen, besonders, wenn statistische Aussagen gemacht werden sollten. 28 Eine ganz andere Erklärung für das Gegenüber von fast sklavisch wortgetreuer Übersetzung und eher freieren Wiedergaben in gutem Griechisch liefern Prestel / Schorch in der Septuaginta deutsch (LXX.D). Arbeitshypothese dieser Übersetzung ist, dass die LXX-Übersetzer im Prinzip ein gutes Griechisch herstellen wollten. Die Inkonsistenzen erklären sie damit, dass nur dort eine sklavisch wortgetreue Übersetzung angefertigt wurde, wo die Übersetzer mit dem Inhalt des Ausgangstextes nicht vertraut waren. An Stellen, deren Inhalt bekannt war, wagten sie gleichsam eine freiere, sensus de senso Übersetzung. 29 Wiewohl diese Argumentation beim ersten Eindruck psychologisierend klingen mag, so hat sie doch eine ganze Reihe von Befunden für sich. Vor allem kann positiv in Anschlag gebracht werden, dass sich die meisten freien Wiedergaben und Zusätze in der Josefsnovelle (Kap. 37–50) befinden. Da nahezu übereinstimmend angenommen wird, dass die Übersetzung in Alexandria, also einem ägyptischen Milieu entstanden ist, hat die These einiges für sich: Das ägyptische Sujet spräche eben für eine Vertrautheit in ägyptischem Umfeld, während etwa die Verhältnisse in Mesopotamien im Abraham-Zyklus eher wortgetreu übersetzt sind, weil die Inhalte durch die räumliche und zeitliche Entfernung weniger bekannt waren. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die Gen-LXX einen sehr ambivalenten Charakter zeigt: Passagen mit fast sklavisch wortgetreuer Wiedergabe bis hin zu reinen Transkriptionen der hebräischen Vorlage wechseln sich ab mit eher freien, den (hebräischen) Sinn in ein gefälliges Griechisch übertragenden Stellen. Beide Pole der Stilistik ließen sich mit Hiebert als »translationese« und »idiomatic« beschreiben. 30 Ebenfalls unstrittig ist die Charakterisierung der Sprache der Septuaginta insgesamt und der Genesis im Speziellen als eine Vertreterin der Koine ihrer Zeit, jedoch als einer »idiosyncratic, purpose-built version«. 31 Eine einleuchtende Erklärung für diesen ambivalenten Stil könnte sein, dass der Übersetzer als Pionier, der er war, ganz unterschiedliche Strategien benutzt, gleichsam ausprobiert hat, 32 wobei stellenweise durchaus ein eleganter, auch für griechische Ohren ästhetisch ansprechender Stil gelingt. 33 27. 28. 29. 30. 31. 32.

Vgl. Hiebert, NETS, 3. Vgl. die gute Zusammenstellung der Probleme bei Dines, 118 f. Vgl. Prestel / Schorch, LXX.D, 41. Vgl. Hiebert, Hermeneutics of Translation, 91. Rajak, Translation, 125. Ähnlich argumentieren anhand einer Analyse von Gen 4,1-8 Jobes / da Silva, Septuagint, 206215. 33. So kommt Rösel, Übersetzung, 63, sogar zu der These, dass die Gen-LXX als jüdischer Beitrag

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Bereits auf dem Feld der Grammatik fällt auf, dass die Übersetzung deutlich mehr ihren Ausgangstext im Blick hat als die Zielsprache. Seit langem bekannt ist die signifikant geringere Zahl von Partizipialkonstruktionen in der Septuaginta und speziell auch in der Genesis gegenüber der Koine. 34 Ebenso lassen sich viele Beispiele für den »un«-griechischen Gebrauch des pleonastischen Infinitives beibringen oder für einen eher am Hebräischen orientierten Artikelgebrauch. 35 Der hebräische parataktische Stil wird gegen die griechische Hypotaxe beibehalten. Der Gebrauch des Optativs ist eher als gering einzuschätzen. 36 Das participium coniunctum 37 findet überdurchschnittlich oft Verwendung. In der Summe zeigt die Gen-LXX damit ein Doppelgesicht. Es wird weiteren Studien vorbehalten sein müssen, den divergenten Befund zu deuten. Leitend sollte m. E. bei der Bewertung sein, positiv einzukalkulieren, dass diese Übersetzung tatsächlich etwas Neues geschaffen hat: Nicht nur ein Hilfsmittel für das Lesen des Hebräischen, keine reine Werbeschrift für den jüdischen Glauben mittels des Altersbeweises, auch keine midraschartige Fortschreibung, sondern ein kongenial Neues, das alle diese verschiedenen Anliegen und Techniken in sich zu vereinen vermag. 38

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Was für die Sprache der LXX insgesamt gilt, gilt auch für die Gen-LXX: Das verwendete Griechisch ist weder deckungsgleich mit der zeitgenössischen Koine, noch zeigt es größere Nähe zum klassischen Griechisch, noch ist es ein reines Übersetzungsgriechisch. Kurzum: die Gen-LXX zeigt ein »grec insolite« 39, das – nach dem Diktum von A. Momigliano – eigentlich nicht geeignet gewesen sein dürfte, in einer griechisch sprechenden Umwelt nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. 40 Eine einheitliche Beschreibung des sprachlichen Profils ist daher für die Gen-LXX nur schwerlich möglich. Drei grundlegende Strategien, eine Übersetzung zu gestalten, sind durchgeführt: Es gibt Begriffe, die nach dem Prinzip der Kohärenz stets ein Äquivalent für einen Begriff benutzen (ἴερ- usw. für die Wurzel ‫)כהן‬, sodann gibt es kontextuelle Übersetzungen, die ein und denselben hebräischen Begriff je nach Zusammenhang unterschiedlich wiedergeben, sowie schließlich auch interpretierende

34. 35. 36.

37. 38. 39. 40.

für die wissenschaftliche Beschäftigung im Museion von Alexandria konzipiert worden ist. Vgl. dagegen Siegert, 32 f.; s. jedoch auch Kreuzer, Kontext. Vgl. Conybeare / Stock, Grammar, § 79; Thackeray, Grammar, 24. Vgl. Schenker, Infinitiv, 158. Es finden sich nur 18 reine Optativformen, hautsächlich das aus der Gebetssprache stammende δῴη. Zum Vergleich: Das ebenfalls überwiegend erzählende 4. Makkabäerbuch weist weit mehr als doppelt so viele Belege auf. Ähnlich häufig wird der Optativ nur mehr in den Psalmen verwendet, dort aber noch deutlicher formelhaft und nicht in freier Formulierung. Vgl. Aejmelaeus, Parataxis, 88-109. Ähnlich Dines, 61; siehe auch Kreuzer, Kontext, 2007. Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 74 (Moatti-Fine). Vgl. Momogliano, Sagesses barbares, Paris 1979, 103 und dazu Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 44 (Hadas-Lebel). 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Reformulierungen (z. B. θυσιασθήριον für ‫ ִמ ְזֵבַּח‬statt des üblichen βωμός in 8,20). 41 Unter Umständen könnte das Nebeneinander von freieren und wortgetreueren Abschnitten in direkter Folge ein Hinweis auf alexandrinische Übersetzungstechnik sein. 42 In ähnlicher Weise wie bei der Übersetzungstechnik fällt es auch in der Frage nach dem spezifischen theologischen Profil der Gen-LXX schwer, eine einheitliche Ziesetzung zu formulieren. Bereits durch die in den verschiedenen Handschriften angefügten inscriptiones bzw. superscriptiones wird die Gen-LXX theologisch gedeutet. Erstmals im Codex Alexandrinus erscheint die Überschrift γένεσις κόσμου, so dass abweichend von der jüdischen Tradition nicht mehr der erste Begriff den Namen für das Buch liefert, sondern ein den Inhalt zusammenfassender Begriff gewählt wird. Zum anderen findet sich spätestens ab dem 11./12. Jh. in den Überschriften auch der Bezug auf Mose (z. B. Minuskeln 25, 82, 408, 615, 761 und im jungen, ergänzten Teil von Codex B). Diese theologische Deutung des Buchganzen ist durch die Verwendung des Begriffes γένεσις innerhalb der Übersetzung vorbereitet: Von den 15 Vorkommen im ersten Buch der Bibel wird der Singular pointiert nur in 2,4 und 5,1 gebraucht, 43 und gewinnt so zu Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes beim Stammbaum Adams theologische Gliederungsfunktion. An den übrigen Stellen fungiert der Plural als Wiedergabe von hebr. ‫ תולדות‬als Stereotyp für die Generationenfolge. Vor allem ist bei der Benutzung der Ortsnamen und Realien eine »Rekontextualisierung« 44 zu beobachten. Augenfällig ist die Angleichung der Himmelsrichtungen an das ägyptische Umfeld 45 oder die Ersetzung des Winters durch den (ägyptischen) Frühling in 8,22. 46 Durch die Wahl der Übersetzungsbegriffe erfolgt in der Gen-LXX durchaus eine stärkere Periodisierung der Geschichte: Während nämlich nach der LXX in der Generation vor dem Sinai – also ohne göttliches Gebot – der hebr. Opferterminus ‫ ֹעָלה‬stets mit ὁλοκάρπωσις wiedergegeben wird, wird er danach durchgängig mit ὁλοκαύτωμα bzw. ὁλοκαύτωσις übersetzt. 47 Besonderes Augenmerk muss in der Frage der Übersetzungstechnik neben der Grammatik auch auf die Semantik der Wörter gelegt werden. Interessant ist dabei vor allem die Frage nach der Wiedergabe von sog. idiomatischen, d. h. einer bestimmten Sprache eigentümlichen Wendungen In der Gen-LXX kommen eine Reihe von derlei idiomatischen Wendungen vor, wie z. B. »(aus der) Nase brennen« für »zornig werden«. Der Befund entspricht dabei den schon bei der Wiedergabe der grammatischen Phänomene gemachten Beobachtungen: Der Übersetzer hat verschiedene Stra41. Vgl. hierzu zusammenfassend Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 68 (Moatti-Fine). βωμός wird dann ab Ex 34,13 für illegitime Altäre verwendet. Diese Unterscheidung wird bis Jos 22 und zum Teil in den weiteren Büchern durchgehalten. 42. Vgl. Dines, 63. 43. Vgl. aber die Singularformen in 31,13; 32,10 und 40,20, dort im Sinne der persönlichen Abstammung als Übersetzung von ‫מולדה‬. 44. Schorch / Prestel, LXX.D, 42. Vgl. aber auch die allgemeinen Prinzipien zur Wiedergabe oder Transliteration hebräischer Namen bei Krasovec, Transformation, 89-94. 45. Vgl. Harl, BdA I, 64 f. 46. Vgl. Rösel, Übersetzung, 194. 47. Vgl. Schorch / Prestel, LXX.E zu 8,20.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

tegien benutzt, um diese besonderen sprachlichen Probleme zu meistern. Es finden sich nämlich sowohl sehr wörtliche, literalistische Übersetzungen (vgl. 39,19) als auch sich eher von der genauen Nachbildung trennende Wiedergaben. (vgl. 30,2; 44,18). Eine bedeutsame Entscheidung des Übersetzers dürfte die Wiedergabe des hebräischen Tetragrammes sein. Es ist entgegen der sonst oft angewandten Praxis, Ortsnamen zu transkribieren, Personennamen indes etymologisch zu interpretieren, 48 nie transkribiert, sondern mit dem Begriff κύριος wiedergegeben. Der Übersetzer folgt dabei vermutlich der Praxis der Ersatzlesung mit ’adonaj, Herr. 49 (Möglicherweise wurde schon zeitgenössisch in der hellenistischen Diaspora κύριος gesagt, wenn man über Gott sprach oder zu ihm betete.) Der Übersetzer arbeitet mit diesem Begriff durchaus theologisch: Im MT tritt das Tetragramm bekanntlich das erste Mal in 2,4b und dann fortlaufend (2,5b.7a) auf, also zu Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes. In der Gen-LXX steht das Äquivalent κύριος jedoch erstmals in 2,8 und d. h. nach der Menschenschöpfung. Damit ist das Tetragramm in einen Relationsbegriff überführt: JHWH heißt HERR erst dann, als ein menschliches Gegenüber da ist. 50 Theologische Deutung liegt in der Verwendung des Wortes κιβωτός (Truhe/Lade) für die Arche Noahs, Gen 6,14 ff., vor, das ab Ex 25 die Bundeslade bezeichnet, während – abweichend vom Hebräischen – für den Sarg Josefs (Gen 50,26) ein anderer Begriff verwendet wird. Gleichwohl ist die Frage, ob der Übersetzer der Gen-LXX theologisch gearbeitet hat oder nicht vielmehr treu seinen Urtext wiedergeben wollte, in der Forschung umstritten: Während z. B. Rösel und Wevers den Übersetzer als Theologen ansehen, votiert z. B. Hanhart anders und sieht mögliche Varianten primär als durch die jeweiligen Vorlagen verursacht an. 51

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Bezugnahme auf die griechische Fassung der Genesis dürfte schon recht früh eingesetzt haben. Bereits der im 2. Jh. v. Chr. schreibende und über Alexander Polyhistor

48. Vgl. die Übersetzungen für Kusch mit Ἀιθιόπια in 2,3, Aram mit Μεσοποταμία in 28,2 oder der Stadt On mit Ηλὶου πόλις in 48,20 einerseits mit den Etymologien für z. B. Josef in 30,23 f., für Issachar in 30,18 oder Moab in 19,37 f. andererseits. Vgl. dazu mit weiteren Beispielen Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 73 (Moatti-Fine). 49. Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 73 (Moatti-Fine), wertet die Wahl dieses Äquivalentes als Hinweis auf den mündlichen Ursprung der Übersetzungspraxis. Dazu ließe sich allerdings anmerken, dass nach E. Bickerman noch im 2. Jh. v. Chr. und das bedeutet knapp ein Jh. nach Entstehung der Gen-LXX in liturgischen Zusammenhängen nur einzelne Verse verlesen wurden und keine lectio continua gepflegt wurde; zitiert nach Dogniez / Harl, Pentateuque grec, 43 (Hadas-Lebel). Der Gebrauch des Gottesnamens ist hängt aber nicht an der Frage liturgischer Schriftlesung in der Synagoge, sondern stellt sich auch für die Gebetssprache sowie für Unterricht und Verkündigung. Grundlegend hierzu Rösel, Adonaj. 50. Vgl. zu den weiteren Übersetzungsäquivalenten des Tetragrammes Krasovec, Transmission, 55 f. 51. Vgl. zusammenfassend Dines, 126. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

117

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

in Eusebs praeparatio evangelica erhaltene Pseudo-Eupolemos nutzt die Genesis als Basis, von der aus er seine Reformulierung der jüdischen Geschichte entwickelt. 52 Der Index loci citati vel allegati des Nestle/Aland27 verzeichnet ferner ca. 200 Verse der Gen-LXX, auf die im NT Bezug genommen wird, wobei sich nur etwa ein Achtel der Belege (ca. 25) als echte Zitate mit keiner oder nur geringen Abweichungen im Text ansprechen lassen, während die übrigen Anspielungen sind. Damit gehört das Buch zusammen mit dem Exodus und nach den Psalmen und Jesaja zu den einflussreichsten alttestamentlichen Schriften im Neuen Testament. Als echte und wirkungsgeschichtlich bedeutsame Zitate ließen sich folgende ansprechen: In Mt 19,4 f. par Mk 10,7 (vgl. 1Kor 6,16) wird Gen 1,27LXX mit 2,24LXX kombiniert: Die Schaffung des Menschen als Mann und Frau aus dem ersten Schöpfungsbericht wird mit dem »Ein-Fleisch-Sein« des zweiten Schöpfungsberichtes so zur Begründung neutestamentlicher Eheethik. Das Zitat von Gen 15,6 in Röm 4,3 und Gal 3,6 dürfte nicht zuletzt wegen der Bedeutung für die reformatorische Erkenntnis der Rechtfertigung aus dem Glauben mit zu den wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Texten gehören. 53 Innerjüdisch hat es vereinzelt Bezugnahmen auf die griechische Genesis gegeben. So wird der in Gen 36,31-33 erwähnte Iobab im Hiob-Kolophon aufgenommen und mit der Hiob-Figur identifiziert. Damit läge ein Beispiel für griechische Intertextualität vor. Der Hinweis in Gen 41,45, dass Joseph die Ägypterin Aseneth (hebr. Asnat) zur Frau genommen hat, findet eine midraschartige Fortschreibung im Roman Joseph und Aseneth. 54 Vor allem hat die Urgeschichte eine breite Wirkungsgeschichte aus sich heraus gesetzt. In Alexandria dürfte es die ersten 11 Kapitel der Genesis auf einer eigenen Megillah gegeben haben, da sie möglicherweise zur Kindererziehung benutzt wurde. 55 Verschiedene Begriffe der Weltschöpfung haben ihren Weg in die christlich-philosophische Diskussion gefunden, so vor allem die Wiedergabe des hebräischen Tohowabohu mit den beiden Adjektiven ἀόρατος und ακατασκεύατος.

6. Perspektiven der Forschung Die unterschiedlichen Tendenzen, die die Forschung an der Genesis-Septuaginta beschäftigen, lassen sich in mehrere Bereiche gliedern. Zunächst interessiert nach wie vor die Frage nach der Textkritik und Textgeschichte. Hier steht vor allem die Auswertung der Zitate an, die in der Göttinger Ausgabe noch nicht berücksichtigt sind und die älter als die ältesten Handschriften sind. 56 Sodann versuchen die Untersuchungen vor allem, die Sprache und Übersetzungstechnik zu beschreiben. Ein dritter Bereich beschäftigt sich mit der Frage nach der Bedeutung des LXX als theologisches Zeugnis der Auslegungstradition im hellenistischen Judentum sowie im jungen Christentum. 52. 53. 54. 55. 56.

Vgl. dazu ausführlich, Gruen, Heritage, 146-150. Vgl. dazu Köckert, Glaube, 441-444. Vgl. Rajak, Translation, 224 mit Literatur in Anm. 48. Vgl. J Mg 74 a und dazu Rajak, Translation, 91. Siehe dazu Steyn, Quotations, und Prostmeier, Autolykos.

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6. Perspektiven der Forschung

1.1 Genesis / Das erste Buch Mose

Hierher gehört auch die Frage nach einer möglichen Theologie der Septuaginta. So formuliert z. B. Rösel neuerdings die Bedingungen für eine Theologie der Septuaginta. 57 Viele Einzelstudien zur Gen-LXX bemühen sich, dem Charakter dieser ersten griechischen Übersetzung der heiligen Schrift des Judentums nachzuspüren, ohne dass sich im Moment bereits ein Gesamtbild zeichnen ließe. Sinnvoll wären demnach Studien, die z. B. die intertextuellen Bezüge des MT einerseits mit der der Gen-LXX andererseits vergleichen. Im MT wird beispielsweise das göttliche Machtwort, das Abram aus seinen gesamten verwandtschaftlichen Bezügen herausruft und das – theologisch anstößige – fordernde Wort, mit dem JHWH den einzigen Sohn Abrahams fordert, intertextuell aufeinander bezogen, da innerhalb der Genesis nur in 12,1 und 22,2 der Imperativ von ‫ הלך‬mit Dativus ethicus auftritt. In der LXX-Fassung dieser beiden Textstellen wird ein intertextueller Bezug durch Verwendung der unterschiedlichen Verben ἐξελθεῖν und πορεύεσθαι unmöglich. Ein anders gelagerter, nämlich nicht durch den hebräischen Text nahe gelegter intertextueller Bezug der Gen-LXX entsteht indes in der Urgeschichte zwischen 1,2 und 7,18: Die Bewegung des göttlichen »Geistes« über dem Wasser (hebr. ‫ רחף‬pi) und die Bewegung der Arche auf der Flut (hebr. ‫ )הלך‬werden durch die gleiche griechische Verbform ἐπεφέρετο aufeinander bezogen. Die griechische Wurzel, die im Medium eine schnelle, unkontrollierte Bewegung bezeichnen kann, greift sehr elegant die durch den ähnlichen Kontext geforderte Bedeutung auf. Zudem werden durch semantisches Leveling die Wassermassen parallelisiert: Während das Hebräische durch den mythologischen (‫ )תהום‬und den gewöhnlichen Begriff (‫ )מים‬Anfangssituation und geschichtliche Situation differenziert, steht in der Gen-LXX beidesmal ὕδωρ. Dadurch wird die Chaosschilderung der Schöpfung auch für die Sintflut gebraucht. Der Mensch Noah sieht sich nach der Gen-LXX in der Sintflut demnach dem widergöttlichen Chaos ausgesetzt, nicht einer durch Gott herbeigeführten »Strafe« und Bewahrung. 58 Derlei neue kontextuelle Bezüge oder gar Eingriffe in den Text umspannen u. U. sogar mehrere Bücher. So konnte Kreuzer zeigen, dass die Jakobgeschichte (Gen 3032) hinter der Übersetzung von Dtn 26,5 steht: Im berühmten kleinen heilsgeschichtlichen Credo ist nach MT der Erzvater ein »umherirrender Aramäer«, während er nach der LXX »Syrien verlassen« hat; das passt zur Jakoberzählung der Genesis. 59 Lässt sich der Befund durch das Paradigma der Interlinearität erklären oder steckt eine planvolle Übersetzungstechnik dahinter, die den heilvollen Auszug Abrams nicht mit dem möglicherweise als anstößig empfundenen Ruf nach dem Opfer des einzigen Sohnes zu parallelisieren möchte? Wenn man in Betracht zieht, dass sich durchaus eine Tendenz innerhalb der Gen-LXX nachweisen lässt, das Thema Recht und Gerechtigkeit der Menschen wie Gottes zu unterstreichen, wird man hoffen dürfen, dass weitere Studien dazu beitragen, das eigenständige theologische Profil der Gen-LXX und ihren stilbildenden Charakter für die anderen Schriften der LXX, die man wohl als die erste Bibel der Christen ansprechen darf, herauszuarbeiten. 57. Vgl. Rösel, Die graphe, 650-652. 58. Vgl. zu weiteren exegetischen Implikationen auch Harl, BdA 1, 87; 135. 59. Vgl. Kreuzer, Kontext, 49. 6. Perspektiven der Forschung

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1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose Peter Schwagmeier

1

Wichtige Literatur

1.1 Text und Editionen Swete, OT I 1887 — BML I/2, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Exodus, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum II/1, Göttingen 1991 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Ex).

1.2 Qumran-Texte 1QEx = 1Q2 (DJD I) — 2QExa.b.c = 2Q2.3.4 (DJD III) — 4QGen-Exa = 4Q1 (DJD XII) — 4QpaleoGen-Exl = 4Q11 (DJD IX) — 4QExb.c.d.e 4QEx-Levf 4QExg.h.j.k = 4Q13.14.15.16.17.18.19.20.21 (DJD XII) — 4QpaleoExm = 4Q22 (DJD IX) — 4QDtnj cols. IX-X (Ex 12,13) = 4Q37 (DJD XIV) — 7QpapLXXEx = 7Q1 (DJD III). MurGen-Ex.Numa = Mur 1 (DJD II). BQS 27-107 — HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten werden künftig in BHQ vermerkt sein.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Gurtner, D. M., Exodus. A Commentary on the Greek Text of Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series, Leiden / Boston 2013 — LeBoulluec, A. / Sandevoir, P., L’Exode, BdA 2, Paris 1989 (überarbeitet in: Dogniez, C. / Harl, M., Le Pentateuque, BdA, Paris 2001, 312-461) — Perkins, L. J., Exodus, NETS, New York / Oxford 2007, 43-81 — Roloff, J. / Weber, E. / Schaper, J., Exodos. Das Zweite Buch Mose, LXX.D, Stuttgart 20102, 56-98 — Salvesen, A., Exodus, in: The J. K. Aitken (Hg.), T&T Clark Companion to the Septuagint, London / New Delhi / New York / Sydney 2015, 29-42 — Schaper, J., Exodos. Das Zweite Buch Mose, LXX.E, Stuttgart 2011, 325-430.

1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Parataxis in the Septuagint. A Study of the Rendering of the Hebrew Coordinate Clauses in the Greek Pentateuch, AASF 31, Helsinki 1982 — Aejmelaeus, A., What Can We Know about the Hebrew Vorlage of the Septuagint?, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 71-106 — Aejmelaeus, A., Participium Coniunctum as a Criterion of Translation Technique, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 1-10 — Aejmelaeus, A., Septuagintal Translation Techniques — A Solution to the Problem of the Tabernacle Account?, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 107-121 — Aejmelaeus, A., Translation Technique and the Intention of the Translator, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators. Collected Essays, BiExT 50, rev. and expanded ed. Leuven u. a. 2007, 59-69 — Ausloos, H., The Septuagint Version of Exod 23:20-33. A »Deuteronomist« at Work?, JNWSL 22 (1996), 89-106 — Ausloos, H. / Lemmelijn, B., Faithful Creativity Torn Between Freedom and Literalness in the Septuagint’s Translations, JNWSL 40 (2014), 53-69 — Barthélemy, D., Les

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1 Wichtige Literatur

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

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121

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

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1 Wichtige Literatur

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

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2. Textüberlieferung und Editionen Von den Unzialhandschriften bezeugen die Codices B (4. Jh.), G (Sarravianus-Colbertinus, 4./5. Jh.), A (5. Jh.), F (Ambrosianus, 5. Jh.) und M (Coislinianus, 7. Jh.) das griech. Buch Ex (ExLXX). 1 Vollständig überliefert ist der Buchtext nur in B, A und M sowie in etlichen der aus der Zeit zwischen dem 9./10. und dem 15. Jh. stammenden 91 Minuskeln mit Ex-Text. 2 Die meisten älteren griech. Manuskripte bieten lediglich Teile einzelner Verse. Dies gilt auch für eine ganze Reihe Papyri aus der Zeit von ca. 100 v. Chr. bis ins 6. Jh. n. Chr. 14 dieser Texte konnte J. W. Wevers für seine 1991 erschienene ExLXX-Edition auswerten (805, 808, 835, 836, 843, 908, 909, 914, 960, 970, 972, 978, 1000, Gr. bibl. F.4). 3 805 (7Q1, um 100 v. Chr.) ist nicht nur der älteste Zeuge des griechischen Ex, Wevers konnte an den zwei erhaltenen Fragmenten mit Text aus Ex 28,4-7 auch sehr frühe Revisionstätigkeit nachweisen. 4 1. 2. 3.

4.

Rahlfs, Verzeichnis, 337-344[B].221-226[A].229-231[F].184-187[G].307-308[M]. Gö II,1, 7-14. Gö II,1, 14-15. Beschreibung: Rahlfs, Verzeichnis, 29[835].31-32[960.836].35-36[978].139-141 [970].154[805].232-233[972].264-265[914].280 f.[Gr. bibl. F. 4, bei Wevers Oxf 4].282[843].294 [908].295[909].312-322[1000].422[808].473 f.533 f. Wevers, Scrolls, 1-2; ders., Activity, 122-123. Edition: DJD 3, Oxford 1962, 142 f. + plate 30 (Baillet, M.). Ob es sich bei 4Q127 (1. Jh. v. Chr. / frühes 1. Jh. n. Chr.) um eine griech. Ex-Paraphrase han2. Textüberlieferung und Editionen

123

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

Die folgenden Papyri sind seit 1991 bekannt geworden und konnten von Wevers noch nicht berücksichtigt werden: 865 (3. Jh., Text aus Ex 4,2-6.14-17); 877 (5. Jh., Text aus 21,27-28.36); 896 (3. Jh., Text aus 22,27.31-23,2; 23,14-15.16); 993 (3. Jh., Text aus 20,1017.18-22), P. Alex. Inv. 95 (Datierung ungeklärt, Text aus 2,19-20 [recto]; 2,9.10 [verso]) sowie 866 (Schøyen-Sammlung, Ms 187). Bei 866 handelt es sich um die Reste eines Codex aus dem 4./5. Jh., von dem sechs Blätter mit Text aus Ex 4.5.6.7 sowie weitere Blätter mit Text aus Ex 31.32.34.35 erhalten sind. 5 Zu dieser Hs. gehören möglicherweise auch Fragmente, die erst nach der Überarbeitung des »Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments« (2004) publiziert wurden: 2006 veröffentlichten D. A. Desilva und M. P. Adams die Überreste einer Unzialhandschrift (Mitte 4. bis Mitte 5. Jh.) mit Text aus Ex 10,3-5.8-9 (Frg. 1), 10,12-15.17-22 (Frg. 2), 10,24-28; 11,2-5 (Frg. 3), 12,9-12.15-18 (Frg. 4), 30,18-21; 26,21-25; 26,30-33; 30,11-15 (Frg. 5), 34,12-15.20-24 (Frg. 6) und 35,9-17.22-25 (Frg. 7). 2007 präsentierte Desilva weitere Fragmente der Hs. mit Text aus Ex 3,16-18; 3,21-4,3 (Frg. 1), 11,7-10; 12,3-6 (Frg. 2), 12,19-22.25-29 (Frg. 3), 12,30-34.37-41 (Frg. 4) und 12,45-51; 13,3-7 (Frg. 5). Die Fragmente stehen für eine bislang unbekannte, nichtrezensionale Texttradition. 6

Die Arbeit mit Ex-Zitaten der griech. Kirchenväter wird erleichtert durch Bd. 1 der »Biblia patristica«. 7 Die »Quaestiones in Octateuchum« Theodorets von Cyrrhus (5. Jh.) 8 zeigen nicht nur eine besonders hohe Dichte an Ex-Bezügen; Theodoret wird als Bischof von Cyrrhus (Antiochia) mit dem dort üblichen Bibeltext gearbeitet haben, so dass die »Quaestiones« auch für die Frage nach dem antiochenischen bzw. lukianischen Text im Pentateuch von Bedeutung sind. Ein entsprechender Nachweis ist für diesen Textbereich bislang nicht gelungen; 9 das gilt auch für die ohnehin unsichere hesychianische Rezension.

5.

6.

7.

8.

9.

delt, wie man gemeint hat, ist äußerst unsicher (s. DJD 9, Oxford 1992, 12 f.222 ff. + plate XLVII [P. W. Skehan]). Rahlfs, Verzeichnis, 47-48[865].114[877].305[993].44[896].1[P. Alex Inv. 95].271-272.323[866], ferner 162[929, Palimpsest, in der Zweitbeschriftung des 13. Jh.s auch Ex 21,22-22,15]. Die Publikation von p866 ist geplant in: »Manuscripts in the Schøyen-Collection« (s. http://www. schoyencollection.com unter »Bible«). Desilva, D. A., Five Papyrus Fragments of Greek Exodus, BIOSCS 40 (2007), 1-29; Desilva, D. A. / Adams, M. P., Seven Papyrus Fragments of a Greek Manuscript of Exodus, VT 56 (2006), 143-170. Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique. Bd. 1: De origines à Clément d’Alexandrie et Tertullien, hg. v. Centre d’analyse et de documentation patristique, Paris 1975, 88-103. Internetzugriff: https://www.biblindex.mom.fr. Ferner Petit, F., La chaîne sur l’Exode. I: Fragments de Sévère d’Antioche, Tradition Exegetica Graeca 9, Leuven 1999; Petit, F., La chaîne sur l’Exode. Édition intégrale. II: Collectio Coisliniana. III: Fonds caténique ancien (Exode 1,1-15,21), Tradition Exegetica Graeca 10, Leiden u. a. 2000; Petit, F., La chaîne sur l’Exode. Édition intégrale. IV: Fonds caténique ancien (Exode 15,22-40,32), Tradition Exegetica Graeca 11, Leiden u. a. 2001. Hill, R. C., Theodoret of Cyrus. The Questions on the Octateuch. Vol. 1: On Genesis and Exodus. Greek Text rev. by J. F. Petruccione, The Library of Early Christianity 1, Washington, D.C. 2007, bes. 222-345; ferner der Bd. Tradition Exegetica Graeca 10 (s. Fn. 8). Ältere Ed.: Fernández Marcos, N. / Saenz-Badillos, A., Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Octateuchum. Editio critica, TECC 17, Madrid 1979. Hill, Theodoret, xxii-xxvi; Hill, R. C., Reading the Old Testament in Antioch, Bible in Ancient

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2. Textüberlieferung und Editionen

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

Gut erforscht sind für Ex die Rezensionen aus der Zeit vor Origenes (s. auch oben zu 805); 10 umstritten bleibt der Charakter des von den Herausgebern als möglicherweise vorhexaplarisch eingestuften pGr. bibl. F. 4. 11 K. O’Connell konnte nachweisen, dass die Theodotion-Lesarten (θ’) in Ex der kaige-Rezension zuzuordnen sind und auf der alten LXX aufbauen und dass Aquila (α’) auf dem kaige-Text fußt. 12 Einfluss von Theodotion wiederum zeigt sich in den Randnotizen der Kap. 36-39 in F (Fh). 13 A. Salvesen hat für die Symmachus-Lesarten (σ’) plausibel gemacht, dass α und wohl auch θ bekannt waren und dass Sym die alte LXX voraussetzt. 14 Sie hat auch die Bedeutung der für Wevers’ Edition wichtigen Randglossen in F (Fb) für die Geschichte der Rezensionen aufgezeigt. 15 Wevers’ Edition beruht auf einem Verfahren, das rezensionale Elemente ausscheidet, um so zu einem möglichst frühen Textstadium zu gelangen. Im Folgenden werden daher die für diese Arbeitsweise wichtigsten Gruppen der griechischen Textzeugen sowie die wichtigsten Tochterübersetzungen thematisiert. Besondere Bedeutung hat einerseits B als ältester vollständiger Textzeuge, der zudem – anders als A – kaum vorhexaplarisch-rezensionalen Einfluss zeigt und dabei zahlreiche Sonderlesarten bietet. 16 Andererseits erhalten die Handschriften, die HexText bieten, erhebliches Gewicht. Zu dieser Gruppe O gehören G und die Minuskelgruppen oI und oII, von denen 64, 135, 707 und 708 hexaplarische Zeichen bieten. 17 Diese finden sich auch in M, 85, 108, 127, 128, 130 (ab 16,28), 321, 343, 344, 346, 416, 458, 646, 730, die alle nicht zu O zu rechnen sind. Der Byzantinische Text, repräsentiert in den Minuskelgruppen d, t und n, ist »expansionist«, war »the object of a great deal of carelessness« und ist erheblich von Hex beeinflusst, ohne selbst »independently recensional« zu sein. 18 Die Gruppe der späten Catenen-Texte C ist ebenfalls stark von Hex beeinflusst und weist stilistische Besonderheiten und fehlerhafte Auslassungen auf. 19 Die altlateinische Bezeugung 20 ist uneinheitlich, nicht nur im Blick auf das Verhältnis der Handschriften zueinander. So treffen sich im Cod. Monacensis ein afrikanischer Text in Ex 31–40 und ein europäischer in 9–20, wobei in 36–40 die älteste Fassung der LXX erhalten blieb, die sich in diesem Buchteil erheblich von der späteren LXX unterschieden haben muss. 21 Nicht zuletzt der Befund in 36 ff. illustriert die im-

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Christianity 5, Leiden / Boston 2005, 54-57.57-61; Fernández Marcos, N., Theodoret’s Biblical Text in the Octateuch, BIOSCS 11 (1978), 27-43, bes. 28 f.37 ff. Zur Übersetzungstechnik s. Salvesen, Midrash in Greek? Edition: Spottorno, V. / Fernández Marcos, N., Nuevos fragmentos del Exodo griego (Ms. Gr. Bibl. F. 4 [P]), EM 44 (1976), 385-395. Dazu: Gö II,1, 16; Rahlfs, Verzeichnis, 280 f. O’Connell, Theodotionic Revision; ferner Fraenkel, Quellen. Wevers, Secondary Text. Salvesen, Symmachus, 63-111.182-183.189.192 f.199 ff. Salvesen, Relationship; Gö II,1, 43 f.; Fraenkel, Quellen, 144.174 f. Gurtner, Exodus, 5-11.12 ff.; Wevers, TH-Ex, 81-103.40; Schäfer, Benutzerhandbuch, 98-100. Wevers, TH-Ex, 9-40; Schäfer, Handbuch, 101 f. Wevers, TH-Ex, 41-63 (Zitat: 59); Schäfer, Handbuch, 104 f. Wevers, TH-Ex, 64-80; Schäfer, Handbuch, 102 f. S. den Überblick bei Dietzfelbinger, Vetus Latina, 8-21.108-111.112-114. Bogaert, L’importance; ders., Construction; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 64-74. 2. Textüberlieferung und Editionen

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1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

mense Bedeutung dieses Überlieferungszweigs, der seine griechischen Vorlagen in der Regel treu wiedergibt. 22 Da eine kritische Edition nur für Ex 1 vorliegt, 23 müssen die ausnahmslos fragmentarischen Zeugen einzeln eingesehen werden: Ms. 100 (Ludgunensis, 6. Jh., Text aus Ex 1–7.21.25–26.27–40), 24 der Palimpsest Ms. 101 (Vindobonensis, 5. Jh., Text aus Ex 3–4.10–12), 25 Ms. 102, eine Mischhandschrift mit Vulgata und Vetus Latina-Text (Ottobonianus, Cervinianus, 7./8. Jh., Text aus Ex 10.11.16–17.23– 27), 26 der Palimpsest Ms. 103 (Wirceburgensis, 5. Jh., überschrieben ca. 700, Erstbeschriftung: Text aus Ex 22.25–26.32.33–34.35–36.39–40), 27 der Palimpsest Ms. 104 (Monacensis, 5. Jh., überschrieben im 9. Jh., Erstbeschriftung: Text aus Ex 9–10.12– 14.16–20.31–33.36–40) 28 und Ms. 106 (5. Jh., Text aus Ex 8–9). 29 Ex 15,1-19 wuchs als Canticum zunehmend liturgische Bedeutung zu; die altlateinischen Fassungen waren auch nach Einführung der Vulgata noch länger in Gebrauch (Mss. 7, 109, 250, 251, 254, 255, 257, 263, 300, 306, 325, 330, 331, 341, 373, 434, 441, 456, 460). 30 Zu berücksichtigen sind ferner die Lesungstexte in den Mss. 108 (11. Jh., Text aus Ex 14; 20; 34–35) und 111 (9. Jh., Text aus Ex 14–15), 31 die Glossen in den Bibeln 91, 92, 93, 94, 95, 96, 175 (10. bis 16. Jh.) 32 sowie die Zitate der lateinischen Kirchenväter. 33 Die freie, von Hex aber unbeeinflusste äthiopische Übersetzung liegt in Form der 22. S. dazu Everson, Vetus Latina. 23. Dietzfelbinger, Vetus Latina, 116-146. 24. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 159-160; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 33-43; Billen, Texts, 7-16.140 ff.172 ff. Ed.: Robert, U., Pentateuchi versio latina antiquissima e codice Lugdunensi, Paris 1881, 49-98.165-201. 25. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 161; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 4348. Ed.: Fischer, B., Palimpsestus Vindobonensis, in: ders., Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, VL 12, Freiburg 1986, 308-438: 382 ff.419-426. 26. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 162; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 4854. Ed.: Vercellone, C., Variae lectiones Vulgatae latinae Bibliorum editionis. Bd. 1, Rom 1860, LXXXVIf.307-310 (dort: Codex E). 27. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 163; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 5461; Billen, Texts, 35-40.140 ff.172 ff. Ed.: Ranke, E., Par Palimpsestorum Wirceburgensium. Antiquissimae Veteris Testamenti versionis latinae fragmenta, Wien 1871. 28. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 164-165; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 61-74; Billen, Texts, 23-35.140 ff.172 ff. Ed.: Ziegler, L., Bruchstücke einer vorhieronymianischen Übersetzung des Pentateuch aus einem Palimpsteste der k. Hof- und Staatsbibliothek zu München, München 1883; Burkitt, F. C., The Text of Exodus XL 17-19 in the Munich Palimpsest, JThS 29 (1928), 146-147; Dold, A., Versuchte Neu- und Erstergänzungen zu den altlateinischen Texten im Cod. CLM 6225 der Bayer. Staatsbibliothek, Bib. 37 (1956), 39-58. 29. Beschreibung und Auswertung: Gryson, Handschriften I, 167; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 7475. Ed.: Vaccari, P. A., Frammenti Biblici Latini dall’Egitto in Parte Palinsesti, Bib 22 (1941), 112. 30. Gryson, Handschriften I, 28-30.170-173.349-350.351-353.356-357.358.360.369; ders., Handschriften II, 29-31.37.72-73.81-83.84-85.99-100.144-145.255-256.267-268.290.296-300; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 25.77-78.83.84-87.88-89.89-90.90-91.92-93.93 sowie 91-92 zu MS 327; Gö II,1, 31-33. 31. S. dazu Gryson, Handschriften I, 169.175-177; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 75-76.79-81. S. ferner Dietzfelbinger, Vetus Latina, 25 f.26 f.87 f. zu Ms. 32 (Ex 14,29), Ms. 57 (Ex 12,1-14) und Ms. 262. 32. S. dazu Gryson, Handschriften I, 147-155.267-269; Dietzfelbinger, Vetus Latina, 27-33.81-83. 33. S. Fn. 7. Biblia Patristica, Bd. 2, Paris 1977, 99-112; Bd. 3, 1980, 59-75; Bd. 4, 1987, 51-60; Bd. 5, 1991, 151-165; Bd. 6, 1995, 49-58; Bd. 7, hg. v. Antiquité Romain et Chrétienne, Paris 2000, 56-58.

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2. Textüberlieferung und Editionen

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

Edition des Cod. Paris (Y, 13./14. Jh.) vor, die einen Apparat mit Lesarten fünf weiterer Handschriften bietet. 34 Die ältesten koptischen Textzeugen stammen aus dem 4. Jh., der umfangreichste unter ihnen ist pBodmer XVI (sa 7) mit Ex 1,1–15,21 in Sahidisch. 35 Allerdings ist Ex in Sahidisch, Achmimisch und Fajumisch nur fragmentarisch erhalten. 36 Die beiden erhaltenen achmimischen Handschriften (4. Jh.) zeigen, dass dieser Zweig eine Tochterübersetzung des Sahidischen ist. 37 Für den bohairischen Text liegt die Edition von M. K. H. Peters vor, die aus Handschriften aus der Zeit vom 9. bis zum 19. Jh. schöpft; zusätzlich sollten die von O. H. E. Burmester edierten frühen Lektionarstexte eingesehen werden. 38 Der auf prähexplarischer Grundlage beruhende syro-palästinische Text ist in der Ausgabe von M. H. Goshen-Gottstein zugänglich. 39 Von Ex sind lückenhaft erhalten: 4,14-18; 8,18-28; 9,1-35; 10,1-29; 11,1-10; 12,28-51; 14,18-27; 15,1-19 (V. 7 ff. in zwei Fassungen); 16,2-10.32-36; 17,1-6; 19,7-17; 26,3-36; 28,1-12; 38LXX,4-18.20-23; 39,11.14; 40,4-17. In der Überlieferung der Syrohexaplaris ist Ex als einziges Buch des Pentateuch in 34. Boyd, J. O., The Octateuch in Ethiopic. Pt. II: Exodus and Leviticus. According to the Text auf the Paris Codex, With the Variants of Five other Manuscripts, Bibliotheca Abessinica 4, Leiden / Princeton 1911, 1-137 (zu den Hss. s. ders., Octateuch. Pt. I, Bibliotheca Abessinica 3, Leiden / Princeton 1909, XIII-XX). Wevers konnte auch den nicht revidierten Cod. M (14. Jh.) beiziehen, der aber nicht in Buchform zugänglich ist. 35. Ed.: Kasser, R., Papyrus Bodmer XVI. Exode I-XV, 21 en sahidique, Cologny / Genf 1961. 36. Belegt sind (auch Versteile) in Sahidisch: 1,1-6.19-22; 2,4-6.17-19.23-24; 3,12-13.15-16; 4,6-7.10.2325.29-30; 5,11-13.17-18; 6,13?; 7,20?.24-25? (sa 5); 1,1-15,21 (sa 7); 16,6-19,11 (sa 8.1); 19,24-24,18; 31,1234,32 (sa 8.2); 26,24-36 (sa 8.3); 23,15.20 (sa 9.1); 3,9-14 (sa 10.1); 28,35.39 (sa 10.2); ? (sa 10.3); 1,1 (sa 86ex); 12,1-14; 15,19.21; 15,22-16,3; 17,1-7; 19,1-11 (sa 108L); 17,7-12 (sa 145.2); 19,10-16 (sa 148L.1); 15,1-3.4b.6.7b.8b.9-12.13b.15-18.19b (sa 177lit); 21,17-35; 23,5-21 (sa 181); 4,10-18 (sa 212L.11); 16,27-36 (sa 212L.1); 29,1-9 (sa 212L.8); 34,18-26 (sa 212L.13); 27,21; 28,1-2.5-6.8-9 (sa 235); ferner 15? (sa 16lit). Zu den Handschriften und Ed.: Biblia Coptica. Die koptischen Bibeltexte 1,1, hg. v. K. Schüssler, Wiesbaden 1995, 43 ff.48.49 ff.52 ff.62 f.89 f.; Biblia Coptica 1,3, 1986, 86; Biblia Coptica 1,4, 2000, 49 ff.; Biblia Coptica 2,1, 2012, 72 ff.79 f.129 f.134 f.; Biblia Coptica 2,2, 2015, 68 ff.121. Die hier in Klammern angegebenen Nummerierungen der Handschriften entsprechen den in Biblia Coptica verwendeten; die Nummerierungen bei Wevers, Gö II,1, 35 f. weichen ab. Zum Achmimischen: Ed.: Lacau, M. P., Textes coptes en dialectes akhmimique et sahidique, BIFAO 7 (1911), 43-109: 43.45-64.82 ff. mit plate I (Ex 1,1-12.14-15.16–2,19; 4,2-9.10-13.14-25; 5,22.23; 6,112.13–7,4, auch Nagel, Papyrus Bodmer [s. Fn. 36], 107-141); Leefort, L. T., Fragments bibliques en dialecte akhmîmique, Muséon 66 (1953), 1-30: 1-15 mit 2 plates (Ex 15,14-22.24-26; 16,1-19; 23,20-32; 24,2-3). Fajumisch belegt sind mit der liturgischen Hs. Brit. Mus. Or. 4717 (11) Teile von Ex 15,1.2.4.6.8.11.12.15.16.17-19, s. Vaschalde, A., Ce qui a été publié des versions coptes de la Bible, Muséon 46 (1933), 300-313: 301. Zu Brit. Mus. Or. 5299 (Text aus Ex 15) s. Gö II,1, 35. 37. S. Nagel, P., Papyrus Bodmer XVI und die achmimische Version des Buches Exodus, in: M. Görg (Hg.), Religion im Erbe Ägyptens (FS A. Böhlig), ÄAT 14, Wiesbaden 1988, 94-152, bes. 94-106.143-152. 38. Peters, M. K. H. (Hg.), A Critical Edition of the Coptic (Bohairic) Pentateuch. Vol. 2: Exodus, SBL.SCSt 22, Atlanta/GA 1986 (Hss.: S. ix). Zu den entsprechenden Publikationen Burmesters s. den Überblick bei Nagel, P., Editionen koptischer Bibeltexte seit Till 1960, APF 35 (1989), 43100: 43-44.71-72. 39. Goshen-Gottstein, M. H., The Bible in the Syropalestinian Version. Pt. I: Pentateuch and Prophets, Jerusalem 1973, 17-31. 2. Textüberlieferung und Editionen

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1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

einem – zudem sehr alten – Manuskript. vollständig belegt (London, British Museum, MS. Add. 12.134, Ende 7. Jh.). 40 Zudem ist es mit nur kleinen Lücken (22,31–23,25; 29,41– 30,17) in der als Faksimile publizierten Handschrift Tur Abdin (11./12. Jh.) erhalten. 41 Als Ausgabe des armenischen Texts dient vor allem die Bibelausgabe von H. Zohrapian (Venedig 1805). 42 C. E. Cox hat für Ex zudem die hexaplarischen Zeichen in neun armenischen Handschriften. (13. bis 17. Jh.) ausgewertet. 43 Nach den Editionen des B-Texts durch H. B. Swete und A. E. Brooke / N. McLean, je mit einem selektiven Apparat, hatte A. Rahlfs zwar einen eklektischen Text erstellt, dieser beruhte aber im Wesentlichen auf einem Abgleich von B und A. Erst Wevers’ Edition bezieht die Fülle der Überlieferung ein und erlaubt eine textgeschichtliche Verortung der Zeugen. Gegenüber der Ausgabe von Rahlfs, auch in Form der Editio altera, ist Wevers’ Text häufig kürzer (z. B. 1,12; 2,3.16.19; 4,6.28; 6,23; 7,19; 8,4.5.16; 9,4.7; 10,4.5), selten länger (z. B. 3,22; 4,11; 5,5; 6,16.22; 7,7), bietet verschiedentlich andere Wortfolgen (z. B. 2,8; 3,17; 12,14; 16,19.20), gibt der Partikel ἄν den Vorzug vor ἐάν, καὶ ἐγώ (»und ich«) vor κἀγώ und unterscheidet sich in Namensschreibungen. 44 Wevers hat die Vg-Zählung übernommen (z. B. 8,1-32 par. 7,26–8,28MT; 22,1-31 par. 21,37–22,30MT; 25,6-34 par. 25,7-35MT; 32,9 par. 32,8MT; 35,8-19 par. 35,9-19MT). Das Hex-Material 36 ff. 45 (bei Brooke / McLean als Appendix) bietet er in Petit in MT-Zählung hinter 37,2, 38,11 und 38,17. 28,23-28MT46 fügt er nach 28,22LXX ein.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Auf der formalen Ebene zeigt ExLXX das Bemühen, die Vorlage genau abzubilden, dies in der Regel aber in Orientierung an der Zielsprache und nicht auf deren Kosten. Der damit verbundenen Absicht, eine inhaltlich verständliche Übersetzung zu erstellen, wird höherer Rang eingeräumt als der formalen Entsprechung. Es ist somit keine Übersetzungstechnik im mechanischen Sinn zu erwarten. 47 40. Ed. bis Ex 33,2: Ceriani, A. M., Pentateuchi syro-hexaplaris quae supersunt cum notis accedunt nunnulla alia fragmenta Syriaca, MSP 2, Mailand 1863. Edition: ab Ex 33,2: De Lagarde, P., Bibliothecae Syriacae quae ad philologiam sacram pertinent, hg. v. A. Rahlfs, Göttingen 1892. 41. Ed.: Vööbus, A., The Pentateuch in the version of the Syro-hexapla. A fac-simile Edition of a Midyat MS. Discovered 1964, CSCO 369. Subsidia 45, Leuven 1975, fol. 19-fol. 65. 42. Nachdruck: Cox, C. E., Astuatsashunchʾ Matean Hin ew Nor Ktakaranatsʾ . The Zohrab Bible. Introduction by C. E. Cox, Delmar/NY 1985 (beruhend auf MS 57 [14. Jh.] und acht weiteren Hss., meist aus dem 17. Jh.). Zur von A. Zeytunian erstellten Exodus-Ed. Girk’ Elits’. K’nnaken Bnagir, Yerevan 1992 s. Cox, C. E., The Armenian Bible: Status Quaestionis, in: V. Calzolari (Hg.), Armenian Philology in the Modern Era. From Manuscript to Digital Text, HdO 23/1, Leiden / Boston 2014, 231-246: 233. 43. Cox, C. E., Hexaplaric Materials Preserved in the Armenian Version, SBL.SCSt 21, Atlanta/GA 1986, 5 ff. (Hss.) 39-77.221-223 (Auswertung). 44. Wevers, TH-Ex, 147 ff. 45. S. dazu Fraenkel, Quellen. 46. Wevers, N-Ex, 455 f. 47. Vgl. Lemmelijn, Plague, 104 f. mit Fn. 42, grundlegend: 96-107.126-136; Aejmelaeus, Vorlage. Zum Problem der Charakterisierung von Übersetzungen s. Ausloos / Lemmelijn, Faithful

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

Das Bemühen um formale Abbildung der Vorlage zeigt sich im Umgang mit im Griechischen unüblichen, durch die Vorlage bedingten Konstruktionen wie diesen: 1) Suffixe an koordinierten Nominalpaaren, 2) anaphorische Suffixe in präpositionalem Gefüge im Relativsatz, 3) anaphorisches »dort« im Relativsatz, 4) die für hebräische Erzähltexte typische Parataxe. Der Befund ähnelt sich in allen Fällen: Die Konstruktionen können vermieden werden – der Übersetzer weiß um gutes Griechisch. Überwiegend werden sie aber übertragen – der Übersetzer bemüht sich um Abbildung der Vorlage (zu 1: 14,23. 26/9,14; zu 2: 17,5/4,17; zu 3: 18,5; 20,21/8,22). 48 Auch die Parataxe wird in der Regel wiedergegeben, allerdings in stilistischer Vielfalt – ein Zugeständnis an das Griechische (s. unten, 4). Abgebildet wird auch Stil: In Ex 15LXX gelingt eine bis zu einem gewissen Grad auch nach griech. Maßstäben poetische Wiedergabe der Vorlage. 49 Eine enge formale Bindung an die Vorlage erklärt auch manche agrammatische oder missverständliche Wiedergabe wie den Relativsatz in 6,5. 50 Die Überordnung der inhaltlichen Verständlichkeit zeigt sich in der ausgeprägten Tendenz zu semantisch verdeutlichenden Übertragungen, die man als »context sensitive« charakterisieren kann und die häufig Vertrautheit mit idiomatischem Griechisch erkennen lassen. 51 In 3,2.3 übersetzt ExLXX ‫»( בער‬brennen«, MT: Qal) in V. 2 als καίω (»brennen«), in V. 3 aber sachlich bedingt als κατακαίω (»verbrennen«). κατακαίω und nicht zu erwartendes κατεσθίω (»essen«, vgl. Lev 10,2) steht in 3,2 auch für ‫»( אכל‬essen«). Semantisch klärend verfährt der Übersetzer auch bei Calques: In Ex 12 führt er πάσχα (»Passa«) als terminus technicus ein. Dessen Bedeutung erläutert er narrativ, indem er verbales ‫ פסח‬einerseits mit σκεπάζω (»beschützen«, V. 13.27) und andererseits mit παρέρχομαι (»vorübergehen«, V. 23) wiedergibt (wie ‫ עבר‬im selben Vers). 52 Der Übersetzer fügt auch Klärendes hinzu: Beim ersten Vorkommen von σάββατον (»Sabbat«, 16,23) erläutert er dessen Bedeutung durch die Zusätze ανάπαυσις (»Ausruhen«, vgl. 35,2) und ἡμέρα (»Tag«, 16,29). Wie weit er bereit ist, um der Verständlichkeit willen zu gehen, zeigt 6,30, wo ‫»( אני ערל שפטים‬ich bin unbeschnitten an den Lippen«) als ἐγὼ ἰσχνόφωνός εἰμι (»ich bin stimmschwach«) wiedergegeben wird (vgl. Dtn 10,16LXX). Eine mutige Umschreibung ist die Wiedergabe des in seiner Bedeutung nicht eindeutigen ‫ האבנים‬in 1,16 durch τίκτω (»gebären«). 53

ExLXX ist auch theologisch gesteuert. 54 So zeigt 4,6.7 mit der Nichtübersetzung von ‫»( מצרעת‬Aussatz«) und dem Zusatz εἰς τὴν χρόαν (»zur Farbe«): Mose soll nicht mit Aussatz in Verbindung gebracht werden, nur die Farbe seiner Haut hatte sich verändert. 55 Auch Differenzen gegenüber MT in halachischen Passagen wie 21,22 f. wer-

48. 49. 50. 51. 52.

53. 54. 55.

Creativity. Auch von der Vorlage abweichende Wortstellungen erklären sich verschiedentlich durch spezifische Aussageabsichten des Übersetzers, s. Perkins, Order. Sollamo, Repetition, 1-6.7-18.30-44.81-94.95-103; Soisalon-Soininen, Auslassung, 92-95; ders., Rendering, 58-60. Levine Gera, Translating. Sollamo, Pleonastic Use, 44-47. S. unten, Fn 88 mit Lit. zu zahlreichen Beispielen. BdA 2, 48-51; Wevers, N-Ex, 175.181; Büchner, Relationship, 406 f.; Lee, Study, 50. Inwieweit dieses Verfahren ohne Kenntnis des hebräischen Texts nachvollziehbar war, bleibt eine offene Frage. Vgl. Aejmelaeus, Vorlage, 94. Frankel, Einfluss, 82-101; Prijs, Tradition, 1-14.21.38.41 ff.65 f.89-92.95 f.102; Popper, Bericht, 144 ff.162 ff.; Wevers, Translation. Entweder ExLXX bekämpft antijüdische Polemik, die eine Verbreitung von Krankheiten unter3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

129

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

den vor dem Hintergrund differierender theologischer Traditionen plausibel. 56 D. Büchner konnte traditionsgeschichtliche Linien zur MekhJ aufzeigen; 57 seine Versuche, den Befund auch für die Vorlagenfrage von ExLXX und MekhJ auszuwerten, sind methodologisch bedenkenswert. 58 Zur Veranschaulichung theologischer Übersetzungen: 1) Für das Tetragramm steht in der Regel artikelloses κύριος (»Herr«), in Strafzusammenhängen wie 16,7 kann aber gegen MT das unspezifischere θεός (»Gott«) stehen: κύριος soll nicht mit dem Negativen verbunden werden. 59 Im Kontext mit dem Pharao findet sich θεός oder κύριος mit Artikel: Der Pharao hat den Gott Israels nicht erkannt (s. unten, 4). 60 2) In ExLXX fehlen Aussagen über das »Wohnen« Gottes: Für ‫»( משכן‬Wohnung«) steht mit σκηνή (»Zelt«) dasselbe Wort wie für ‫»( אהל‬Zelt«), 61 statt verbalem »wohnen« mit Subj. Gott bietet 24,16 »herabsteigen«, 25,7LXX/V. 8MT »erscheinen«, 29,45 f. »angerufen werden« und 40, 29LXX/ V. 35MT »beschatten«. Grund dafür ist nach M. Rösel nicht eine Vermeidung von Anthropomorphismen, sondern das Konzept eines kontingenten Erscheinens Gottes im Heiligtum (s. unten, 4). 62 Theologisch gelenkt ist in ExLXX auch die Rede vom »Gott Sehen«: In 24,10.11 wird sie gegen MT vermieden, sie findet sich mit MT in 3,16; 4,1.5; 6,3 und gegen MT in 25,7LXX; 33,13. Die Diskussion muss zeigen, ob dies a) durch textinterne Spannungen bedingt ist (33,11.20), b) von ägyptischen Vorstellungen beeinflusst ist, die die Schau Gottes kultisch einbinden, c) betonen soll, dass Menschen Gott nicht sehen können, d) auf ein kontingentes Erscheinen Gottes abzielt, oder e) ob es vorlagenbedingt ist. 63

Es ist wohl platonischer Einfluss, der sich in 3,14 im ἐγώ εἰμι ὁ ὤν (»ich bin der Seiende«) für ‫»( אהיה אשר אהיה‬ich werde sein, der ich sein werde«) 64 und vielleicht auch in 25,8.40LXX mit παράδειγμα und τύπος (Urbild, mit implizitem Abbild) zeigt. 65 So werden die Umrisse einer Vorlage erkennbar, die dem späteren MT nahe kommt. Mit ihm identisch war sie nicht, das zeigt schon 1,5, wo LXX mit »75« die

56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63.

64.

65.

stellte (BdA 2, 97; Hata, Beginning, 85), oder im Blick war, dass Aussatz unrein macht und zudem Strafe Gottes sein konnte (Num 12,10). Isser, Traditions, bes. 30-40; s. schon Prijs, Tradition, 10-11. Büchner, Relationship zu Ex 12,13.16.21; 13,12; 20,23; 21,6b.13; 22,12.17; 23,8; ders., Variants, bes. 38.46.49-51 zu 21,15 f.LXX.22; s. auch Frankel, Einfluss, 91 f.; Prijs, Tradition, 21.65-66. Büchner, Variants, 39-42.45-47.49.53 f. zu Ex 12,21; 13,5.6; 14,10; 21,17LXX.22; 23,8. Die Änderung kann auf die Übersetzer oder auf die hebräische Vorlage zurückgehen. Rösel, Reading, 420-424; grundlegend Perkins, ΚΥΡΙΟΣ, 21 ff. (zur Artikelsetzung bes. 28.33). Vgl. MT/LXX in 26,1.7.12.13.15.17.18.22.23.26.27.30.35; 27,9; 33,7. S. schon Frankel, Einfluss, 84 ff. Rösel, Tempel, 452 ff. Zur Vermeidung von Anthropomorphismen Frankel, Einfluss, 85. Anders als etwa Tg Onqelos vermeidet ExLXX auch nicht die Rede von der »Hand« Gottes. Vgl. die Positionen bei Sommer, Translation, 53-56; Joosten, See God; NETS, 47-49; Himbaza, Voir Dieu, 103 ff.108 ff.; Gurtner, Exodus, 108.410 f.; Wevers, Translation, 302; Rösel, Tempel; zur Interpretation des »Orts« in 24,10LXX als Vorschau des Tempelbergs s. Wyckoff, When Does Translation Become Exegesis? Dass mit ὁ ὤν (der Seiende) der personale Aspekt erhalten blieb, ist schon früh wahrgenommen worden, s. Elowsky, J. C., Exodus in the Fathers, in: T. B. Dozeman / C. A. Evans / J. N. Lohr (Hg.), The Book of Exodus. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 164, Leiden / Boston 2014, 511-534: 516 f. Zu Ex 25,9(8LXX).40 s. Rösel, Tempel, 454 f.461. Platonischen Einfluss in 3,14 verneint Wevers, N-Ex, 33-34; ders., Reflections, 31.

130

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

ursprüngliche Zahl der Jakobskinder behalten hat. 66 Die entscheidende Frage ist, ob man die Differenzen zwischen LXX und MT, etwa den »expansionistischen Charakter« von ExLXX, wesentlich der Vorlage zuschreibt oder dem Übersetzer. 67 Scheinen die skizzierten Übersetzungstendenzen auch für eine Lösung im zweiten Sinn zu sprechen, so machen neuere Arbeiten deutlich, dass die Antwort so einfach nicht ist. J. E. Sanderson hat die Bedeutung hebräischer expansionistischer Ex-Texte herausgearbeitet, zu denen auch die Vorlage von ExLXX gehört haben könnte. 68 Damit kommt den in LXX gegenüber MT kürzeren Passagen besondere Bedeutung zu. 69 In diesem Rahmen hat B. Lemmelijn Ex 7–11 einer methodisch differenzierten textvergleichenden Analyse unterzogen und dabei auch die Bedeutung der Unterschüsse in LXX bestätigt. 70 H. Ausloos wiederum konnte gegenüber MT längere Texte auf eine entsprechende Vorlage zurückführen. 71 Ein Problem bleiben die Textfolgen im Dekalog und im Textblock um das Zeltheiligtum. Im Vergleich der Verbotsfolgen Ehebruch – Diebstahl – Mord in Ex 20,13-15LXX mit Ehebruch – Mord – Diebstahl (DtnLXX, pNash) und Mord – Ehebruch – Diebstahl (ExMT, DtnMT) zeigt ExLXX Eigenständigkeit und keine Harmonisierungstendenz: ExLXX könnte eine ältere Textform bewahrt haben. 72 In Ex 25–40 ist der Text ab 35 kürzer und anders organisiert als MT (s. unten, 4). 73 Zwischen den Blöcken 25 ff. und 35 ff. besteht weder Symmetrie 74 noch Konkordanz, 75 der Bau des bronzenen Altars (27,1-8) wird nicht erwähnt, und das Zelt ist in 26,18 ff.; 37,7 aus palästinischer, in 27,9 aber aus alexandrinischer Perspektive ausgerichtet. 76 Die Frage, ob mit einem Wechsel der Übersetzungstechnik, einem anderen Übersetzer oder einer von MT abweichenden Vorlage zu rechnen ist, stellt vor eine falsche Alternative, 77 zumal Konkordanz auch innerhalb der Blöcke fehlt. 78 Auffällige Unterschiede in den Wiedergaben sprechen nach M. L. Wade für einen Übersetzerwechsel, zugleich schlägt sie vor, z. B. 38,13 ff.LXX/37,17 ff.MT als Klärung von 25,31 ff. zu verstehen. 79 Dass dieser neue Übersetzer dann die Symmetrie des Blocks aufgebrochen haben soll, ist unplausibel. Die »Übersetzungsinkongruenz« ist somit zu trennen von der Vorlagenfrage. Es ist mit einer 66. Barthélemy, Tiqquné Sopherim, 296 ff. »75« auch in 4QExodb und 4QGen-Exoda. 67. Im zweiten Sinn Wevers, TH-Ex, 148; ders., Reflections und NETS, 44. 68. Sanderson, Exodus Scroll, z. B. 243 ff.264 ff.; dies., Old Greek, bes. 101.103; sowie zu Ex 12,40 Kreuzer, Zur Priorität. 69. Inventarisiert bei Polak, F. / Marquis, G., A Classified Index of the Minuses of the Septuagint. Part II: The Pentateuch, CATSS.Basic Tools 5, Stellenbosch 2002, 101-181.406-408. 70. Lemmelijn, Plague, z. B. 165 f.172 f.174.176.190, zusammenfassend: 212 f.216 f. 71. Ausloos, Version, 91-101; ähnlich Perkins, Name, 456-458 mit Fn. 44. 72. Vgl. Himbaza, Décalogue, 292 f.152 ff.197 f.; zur Reihenfolge auch Greenspoon, Textual and Translation Issues, 342. Zur Ex-Überlieferung s. Wevers, N-Ex, 314. 73. S. Wevers, TH-Ex, 117-146; Salvesen, Exodus, 33-35; Forschungsüberblick bei Salvesen, Textual and Literary Criticism. 74. Wevers, TH-Ex, 117 f.; Aejmelaeus, Solution, 109 (auch zum Gegenüber MT/LXX). 75. Vgl. die Wiedergaben von ‫ תרומה‬in 25,2/35,5, ‫ לחם הפנים‬in 25,29LXX(V. 30MT)/39,18, ‫ מכבר‬in 27,4/ 38,24LXX(V. 4MT); weitere Beispiele bei Gooding, Account, 32 ff. 76. Bogaert, L’orientation; Fraenkel, Übersetzungsnorm, 77 ff. 77. S. Wade, Consistency, 4-9; Gooding, Account, 3-9; Aejmelaeus, Parataxis, 175. 78. στῦλοι: ‫ קרשים‬und ‫( מודים‬36,30; 38,10); κλίτος: ‫פאה‬, ‫( צלע‬26,27; 27,9); weitere Beispiele bei Gooding, Account, 20 ff.; Wade, Consistency, 68 ff.114 ff. 79. Wade, Consistency, 215-222.227 ff.235 f.239 f.243 ff. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

131

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

von MT abweichenden Vorlage zu rechnen, die in einer von 1-34 abweichenden Übersetzungsweise übertragen wurde. 80 Ein Vergleich von Cod. Monacensis (s. oben, 2.), LXX und MT macht deutlich, dass an den Zelttexten lange und intensiv gearbeitet wurde. Wie komplex die Situation ist, zeigt sich im Fehlen von 28,23-28MT in LXX, also einer Passage im vorderen Block (vgl. 28,24 f. LXX ), es zeigt sich im Plus in 38,4LXX/37,5MT, das Sam und LXX gegen MT teilen, und es zeigt sich in kontextorientierten Überschüssen des MT gegenüber Sam und LXX: 30,6b (Präzisierung von V. 6a mit Blick auf 25,21 f.); 35,14a (Vervollständigung mit Blick auf 39,37); 38,25b (Maßangabe mit Blick auf V. 26; 39,37); 35,13 (mit Blick auf 39,36; 25,30). Bei allen offenen Problemen: Es muss zu gezielten Eingriffen in die Texte gekommen sein, und der symmetrische MT ist als relativer Endpunkt einer Entwicklung zu charakterisieren. Die in ExLXX fehlende Symmetrie wird zum Problem erst aus dieser Perspektive (s. unten, 4.). Die Handschriften spiegeln Stadien einer nichtlinearen Textgenese, in der Redaktions- und Textgeschichte sich gegenseitig beeinflusst haben. Zu bedenken sind deshalb auch verwandte Phänomene in Ez 40 ff., 1Kön 6 ff. und 2Chr 3 ff., da die Heiligtumstexte als Sachzusammenhang verstanden wurden. 81

ExLXX wurde in erster Linie für Juden im nichtjüdischen Ägypten erstellt, dafür spricht etwa die Differenzierung zwischen Ägyptern als ἔθνος und Israel als γένος (»Volksstamm« und »Geschlecht«, 1,9, vgl. 5,14; MT jeweils ‫»[ עם‬Volk«]). Auch ägyptenfreundliche Züge, die dem hebr. Text abgehen (s. unten, 4.), erklären sich als Antwort auf die Herausforderung, Ex im ägyptischen Kontext präsentieren zu müssen. Und es sind diese Züge, die zeigen, dass bei der Übersetzung auch an nichtjüdische Leser gedacht wurde. 82 LevLXX und NumLXX übernehmen kultische Terminologie aus ExLXX; DtnLxx setzt in 9,13 Ex 33,3.5LXX voraus. 83 ExLXX seinerseits übernimmt in 25,9.13 κιβωτός für ‫ארון‬ (»Kasten, Lade«) aus Gen 6 ff.LXX und schlägt mit 23,31 und 1,11 Bögen zu Gen 15,18 bzw. 41,45.50; 46,20LXX. 84 Ex wurde somit als zweites Buch des Pentateuch, nach Gen, übersetzt. Im Nebeneinander von Abbildung und gezielter Deutung der Vorlage wie auch in der Tendenz, anstößige Formulierungen der Vorlage zu vermeiden, trifft sich ExLXX mit den Targumim, deren ältestes erhaltenes Gattungsfragment 4Q156 noch aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt. 85 Vergleichbare Tendenzen zeigen sich außerbiblisch erstmals bei Aristobul, ebenfalls im 2. Jh. v. Chr. 86 Da dieser Befund nicht gegen die traditionelle Datierung der Übersetzung ins 3. Jh. v. Chr. spricht und diese Ansetzung durch sprachgeschichtliche Beobachtungen bestätigt wird, 87 könnte mit ExLXX der älteste Beleg für diese Tradition(en) vorliegen.

80. 81. 82. 83. 84.

Mit Aejmelaeus, Solution. S. auch Bogaert, Construction, bes. 75. Vgl. auch Hata, Beginning. S. BdA 3, 36-43; BdA 4, 42 f.49 ff.52-54.59 f.66-72; Wevers, N-Ex, 156 f. Zu κιβωτός: BdA 2, 253 f. (zu M. Harl). Zu Ex/GenLXX: Perkins, Name, 461-462.451.454.458.467. 471. 85. S. die Targumim zu Ex 4,24, Pseudo-Jonatan zu 4,6 f., Pseudo-Jonatan und Onqelos zu 19,4. 86. Bloch, Moses, 149 f. mit Fn. 192. 87. Evans, Syntax, 263(f.); Lee, Study, 145.148.

132

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Der Übersetzer ist mit der zeitgenössischen Koine gut vertraut. Das zeigt sich in seiner Verbalsyntax, in der bewussten Gestaltung narrativer Abläufe, in stilistischen Variationen und in den vielen Fällen, in denen er auf eine Element für Element-Wiedergabe zugunsten eines idiomatischen Griechisch verzichtet. 88 Er hat eine Vorliebe für das Präsens historicum, das er gezielt einsetzt. 89 Die Parataxe der Vorlage gibt ExLXX variantenreich wieder: vor allem durch καί (»und«), besonders bei Themenwechseln durch δέ (wie »aber«), durch temporale Konstruktionen oder durch Participium conjunctum, 90 was nur vereinzelt zu grammatisch inkorrekten Konstruktionen führt. 91 Damit ist ExLXX deutlicher an der Zielsprache orientiert als LevLXX und NumLXX. Literarisch erstmals greifbar sind etwa ἱλαστήριον (»Sühnestätte«, 25,16LXX), ἱεράτευμα (»Priestergemeinwesen«, 19,6), 92 ῥοΐσκος (»Granatapfel«, 28,29LXX), πολυέλεος (»voller Mitleid«, 34,6) und φαρμακός (»als Magier«, 7,11) sowie die Lehnwörter πάσχα, σάββατον und μάν (16,31, »Manna«). Mit πάσχα und ϑῖβις (tibis) (2,3.5.6) zeigen sich Einflüsse aus dem Aramäischen bzw. dem Ägyptischen. 93 In der Makrostruktur entspricht ExLXX dem MT (1,1-15,21: Befreiung aus Ägypten; ab 15,22: Israel in der Wüste; ab 25: das Zeltheiligtum); Unterschiede bestehen im Detail. So zeugt »Götter (θεούς) sollst du nicht lästern« (22,28) als Wiedergabe des hebräischen »Gott (‫ )אלהים‬sollst du nicht lästern«, von einer vorsichtigeren und damit toleranteren Haltung der Umwelt gegenüber. 94 H. Utzschneider hat gezeigt, dass die Tochter des Pharao in Ex 2LXX positiver gezeichnet wird als im MT, was er als »Verbeugung der Übersetzer vor [dem] Gastland und dessen herrschender Schicht« versteht. 95 Tatsächlich finden sich ägyptenfreundliche Züge auch sonst. Die Frage Pharaos in 5,2MT wird meist – grammatikalisch keineswegs zwingend – als Provokation verstanden: »Wer ist JHWH, dass ich auf seine Stimme hören soll(te)?!« In ExLXX bittet Pharao um Auskunft: »Wer ist es, auf dessen Stimme ich hören soll?« Er weiß nicht, mit wem er es zu tun hat, also gebraucht er κύριος mit Artikel (5,2: »den Herrn«) und geht davon aus, dass Mose Israel als sein (Pharaos!) Volk aus Ägypten führen will (5,4LXX: »mein Volk« / MT: »das Volk«). Dass Israel nicht sein Volk ist, wird ihm spät klar

88. Exemplarisch zur Verbalsyntax: Evans, Syntax, 98-104; zur narrativen Gestaltung: Wevers, Reflections, 21-26; Utzschneider, LXX; zum Stil: Lee, Study, 123 f. (Gottesrede 9,18 mit altehrwürdigem ὕω, Erzählerperspektive 9,23 mit »modernem« βρέχω); zu idiomatischen Wiedergaben: Lee, Study, 25(4,18; 18,7).28(21,18).35(22,8).36(23,7).39 f.(29,17).49(9,24).57(9,31).89-91 (28,43; 24,14; 36,2).150 f.(17,14; 32,15; 34,10.27; 21,5.7 u. a.); Aejmelaeus, Intention, 61-64; dies., Vorlage, 85 ff.; Wade, Evaluating, 65-73. 89. Evans, Syntax, 98-104.119 f.263.271; Voitila, Présent, 92.100-106-236. 90. Aejmelaeus, Parataxis, bes. 13.36.40.88 ff.122 ff.145 ff.155.164.166.170 ff.176; dies., Participium, 1 f.6 ff. 91. Voitila, Remarks, 33-36. 92. Dazu den Hertog, Übersetzung; vgl. auch van der Kooij, LXX Exodus 23. 93. Joosten, J., Language as Symptom. Linguistic Clues to the Social Background of the Seventy, in: ders., Collected Studies on the Septuagint. From Language to Interpretation and Beyond, FAT 83, Tübingen 2012, 185-194: 188-191; Lee, Lexical Study, 16.115. 94. BdA 2, 230-231; Wevers, Reflections, 35; Hata, Beginning, 85 f.; Salvesen, Exodus, 36. 95. Utzschneider, LXX (Zitat: 473); kritisch dazu: van der Louw, Narratological Approach. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

133

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

(8,8LXX/4MT). Mit der Charakterisierung der Gerichtstaten Gottes als »Vergeltung« (7,4) lautet die Botschaft an Ägypten: Es war dieser Pharao der Vergangenheit, der die Katastrophe gebracht hat. Das hätte verhindert werden können, zumal Mose als Untertan gezeichnet wird, der vom Pharao Befehle annimmt (vgl. 8,9.12LXX mit 8,5.8MT).

Differenzen bestehen auch im Zusammenhang mit dem Heiligtum: In ExLXX »wohnt« Gott nicht im Heiligtum, er erscheint dort kontingent, was konzeptionell auffallend zur Einführung des »Gott Sehens« im Kontext des Heiligtums (25,7LXX) gegen MT passt (s. oben, 3.). 96 Wie MT lässt auch ExLXX in 25–40 der Beauftragung zum Bau des Zelts (25–31) die Episode mit »goldenem Kalb« und Bundesschluss folgen (32–34), bevor dann die Bauausführung geschildert wird (35–40). In 35 ff. rahmen 35,35; 37,21ExLXX die Verarbeitung der Textilien und zeigen, dass dieser Text nicht an einer Ausführungssymmetrie zu 25 ff. interessiert ist, sondern an den verarbeiteten Materialien 97 und daran, was mit ihnen geschieht. Im Anschluss an die Textilverarbeitung beginnt mit Ex 38 die Metallverarbeitung, denn der Schwerpunkt aller folgenden Arbeiten liegt auf dem Gold. Zweck der Verarbeitung ist die Ermöglichung des Priesterdiensts (36,34; 37,19; 39,12). 39,12 ff. stellen abschließend die Verwendung des gesamten, auch des bislang nicht verarbeiteten Materials sicher. Hintergrund könnte die Herstellung des goldenen Kalbs sein – ein Fall illegitimer Materialverarbeitung. Tatsächlich sollen die Israeliten in 33,5.6 nicht nur den Schmuck (MT), sondern auch die Gewänder ablegen, und auch 39,12 f. erwähnt ausdrücklich Gold(!) und Stoffe. Das Heiligtum darf mit keinem Material aus der Zeit des Kalbkults belastet werden; vor diesem Hintergrund könnten auch 38,8.22 eine Erklärung finden. Der Block zeigt ein ureigenes priesterliches Interesse: Die Reinheit all dessen, das mit dem Heiligen Kontakt hat. 98

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Im Umfeld »biblischer« Texte hatte ExLXX zunächst Einfluss auf die Übersetzung anderer Bücher der LXX: Vor allem die erstmals literarisch greifbare kultische Terminologie wurde in LevLXX und NumLXX rezipiert (s. oben 3.). Seit langem gesehen hat man die Bedeutung des Texts für JesLXX. 99 Weish greift bes. in 10,15 ff. und in Kap. 19 auf Ex 96. Joosten, See God, vermutet Einfluss eines ägyptischen Konzepts, in dem die Schau Gottes an den Tempel gebunden ist. 97. Grundlegend Wevers, Building, 123.126.137.130-131. 98. S. in diesem Kontext auch van der Kooij, LXX Exodus 23. Ob die Übersetzer einen palästinischen (van der Kooij, 548) oder einen ägyptischen Hintergrund haben (s. Joosten, Language, 189, s. Fn. 93), ist gesondert zu diskutieren. 99. Vgl. (je LXX) Jes 5,10/Ex 16,36; Jes 14,1/Ex 12,19; Jes 19,6/Ex 7,19; Jes 58,4/Ex 21,18; Jes 43,16-17/Ex 14,23; Jes 48,21/Ex 17,6; Jes 48,17/Ex 18,20; Jes 58,4/Ex 21,15.18; Jes 56,3.6/Ex 12,49 in Ms. A. S. Thackeray, H. S. J., The Greek Translators of the Prophetical Books, JThS 4 (1903), 578-585: 583; Seeligman, I. L., The Septuagint Version of Isaiah, in: ders., The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, hg. v. R. Hanhart / H. Spieckermann, FAT 40, Tübingen 2004, 119-294: 187-190 (mit Fn. 13); Ziegler, J., Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, ATA 12,3, Münster 1934, 103.121.112.124-125.129; Le Moigne, P., »C’est moi qui établis la lumière

134

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

zurück. 100 Im NT fußen auf ExLXX sicher Mt 27,10 (Ex 9,12); Apg 7,14.18 (Ex 1,5.8); 12,11 (Ex 18,4); Röm 9,15 (Ex 33,19); 13,9 (Ex 20,13-17); 1Kor 10,7 (Ex 32,6); Gal 3,17 (Ex 12,40); Eph 6,2-3 (Ex 20,12) und 1Petr 2,9 (Ex 23,22). Die ntl. Autoren teilen mit ExLXX auch die meisten Namensformen. 101 Die frühste »außerbiblische« Rezeption findet sich im 3. Jh. v. Chr., bei Demetrius (»dem Historiker«), der Ex 15,22 ff.LXX und wohl auch Ex 13,18LXX kennt. 102 Die Bezugnahmen auf ExLXX in der Tragödie »Exagoge« von Ezechiel Tragicus (2. Jh. v. Chr.) hat P. Lanfranchi detailliert aufgezeigt. 103 D. Barthélemys Annahme, der »70« Nachkommen Jakobs in Frg. 1, Z. 2 wegen habe dem Vf. ein revidierter früher griech. Ex-Text vorgelegen, ist angesichts von p866 (7Q1) keineswegs abwegig (s. oben, 2.). 104 In den Schriften Philos von Alexandrien ist ExLXX bis hin zu Namensformen greifbar (z. B. Ex 20,13 ff. in decal. 25.26; Ex 24,10 in somn. I,61-63; Ex 3,14 in Mos. I,75.88; im Fall der Quaestiones in Exodum setzen zumal die griech. Fragmente ExLXX voraus); in De vita Mosis II,25-44 stellt er die Entstehung der LXX in den Kontext der Gesetzesverkündigung des Mose, wie er sie aus ExLXX kennt. 105 Eine Sichtung der Ex-Bezüge in den

100.

101. 102.

103.

104. 105.

et fis l’obscurité, qui fais la paix et fonde les malheurs«: Théologie du choix des thèmes verbaux des participes (présent vs aoriste) se rapportant à Dieu, dans la Septante d’Ésaïe, in: A. van der Kooij / N. van der Meer (Hg.), The Old Greek of Isaiah: Issues and Perspectives. Papers Read at the Conference on the Septuagint of Isaiah, held in Leiden 10-11 April 2008, CBET 55, Leuven u. a. 2010, 71-106: 92-95; Perkins, Greek Exodus. Zur Frage der Textform vgl. Cheon, S., The Exodus Story in the Wisdom of Solomon. A Study in Biblical Interpretation, JSPS.S 23, Sheffield 1997; Enns, P., Exodus Retold. Ancient Exegesis of the Departure from Egypt in Wis 10:15-21 and 19,1-9, Harvard Semitic Museum Monographs 57, Atlanta/GA 1997. Zum Befund s. Fichtner, J., Der AT-Text der Sapientia Salomonis, ZAW 57 (1939), 155-192: 187 (Weish 16,22/Ex 9,24).188 (18,1/Ex 10,23; 18,5/Ex 15,10). 188 (18,13/Ex 7,11.22; 8,3.14; Weish 18,14/Ex 12,29).189 (18,25/Ex 12,23; 19,10/Ex 7,28).190.192; Larcher, C.: Le livre de la sagesse ou La sagesse de Salomon Bd. II, EtB 5, Paris 1984, 640 (10,16/Ex 4,10; 14,31).642 (10,17/ Ex 13,17).643 ff.; Bd. III (1985), 1059 (19,7/Ex 14,21 f.).1064 (19,10/Ex 8,14) u. ö. Perkins, Name, 455 f. mit Fn. 40. Holladay, C. R., Fragments from Hellenistic Jewish Authors. Vol. I: Historians, SBL.TT 20, Pseudepigrapha 10, Chico/CA 1983, 51-91: 75 ff.89 f.; zu 13,18 auch Salvesen, Midrash in Greek?, 528f. Lanfranchi, P., L’Exagoge d’Ezéchiel le Tragique. Introduction, texte, traduction et commentaire, SVTP 21, Leiden / Boston 2006, 7.10.116-128.149.174.205-212.221-233.237 ff.252-255.260263.276 u. ö., zu Ezechiel Tragicus s. Bloch, Moses, 141-147 (ff.). Zur Rezeption im Aristeasbrief s. Salvesen, Tabernacle Accounts, 562-565. Barthélemy, D., Pourquoi la Torah a-t-elle été traduite en Grec?, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 322-340: 333-334 Fn. 29. Sterling, G. E., The People of the Covenant or the People of God. Exodus in Philo of Alexandria, in: T. B. Dozeman / C. A. Evans / J. N. Lohr (Hg.), The Book of Exodus. Composition, Reception, and Interpretation, VT.S 164, Leiden / Boston 2014, 404-439; Feldman, L. H., Philo’s Portrayal of Moses in the Context of Ancient Judaism, Christianity and Judaism in Antiquity Series 15, Notre Dame/IN 2007, 13 f.23 f.100.274.347.360; Steyn, G. J., Reflections on the Reception of the LXX Pentateuch in Philo’s De Vita Mosis, in: W. Kraus / S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014, 363-380: 370-378; Salvesen, Exodus, 37f.; dies., Tabernacle Accounts, 566 f.568-570. Zu den Namen: Perkins, Name, 455. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

135

1.2 Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose

Werken des mit jüdischer Auslegungsliteratur und hellenistischer Historiographie vertrauten Flavius Josephus erlaubt häufig keine klare Quellenzuweisung. 106 Da sich in den ersten Büchern der Antiquitates aber konzeptioneller Einfluss von ExLXX aufzeigen lässt, muss er griechisches Material benutzt haben. 107 Auf wirkungsgeschichtliche Spuren in der rabbinischen Überlieferung hat jüngst wieder M. Vahrenhorst hingewiesen. 108 Konzeptionell hat besonders ἐγώ εἰμι ὁ ὤν (Ex 3,14) Spuren in der Literatur von Judentum und Christentum hinterlassen, von Weish 13,1 über Philo (opif. 172; Mos. I,75; det. 160) bis zu Eusebius (Catenenfragmente 3,15; Or.comm Joh 2,13; princ. I,3.5), um nur die Anfänge zu nennen. 109

6. Perspektiven der Forschung Der unter 3. skizzierte Charakter der Übersetzung macht die konkrete Vorlagenrekonstruktion in vielen Fällen unmöglich. Damit bleiben textgeschichtliche Urteile häufig der Subjektivität des Forschers überlassen. Vor diesem Hintergrund besteht einerseits die Gefahr, ExLXX als reines Rezeptionsdokument misszuverstehen. Andererseits droht vergessen zu werden, dass es auch im Bereich des hebräischen Textes zu späten Eingriffen gekommen ist, dass somit auch MT Züge eines Rezeptionsdokuments trägt. Ein Schlüssel zur Textgeschichte könnte aber gerade in konzeptionell gesteuerten Umarbeitungen liegen, wie sie sich in den Texten um das Zeltheiligtum zeigen – auf welcher textlichen Seite auch immer. Ein Schwerpunkt der Forschung muss deshalb die Herausarbeitung konzeptioneller Differenzen zwischen MT und LXX sein. Eine große Herausforderung bleibt dabei die Arbeit an der Entwicklung der Texte um das heilige Zelt. 106. Feldman, L. H., Josephus’s Interpretation of the Bible, Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley u. a. 1998, 3-13.14-23.23-36.37-50.56-61.62 ff.65-73.374 ff.; ders., Studies in Josephus’ Rewritten Bible, JSJ.Suppl. 58, Leiden u. a. 1998, 55 ff.74 ff.539 ff.; Bloch, Moses, 35 f. mit Fn. 80; HadasLebel, M., À propos des récits de la Genèse et de l’Exode dans les Antiquités, Livres I à III, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), KATA TOYS Oʾ selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 409-422; Nodet, É., Le Pentateuque de Josèphe, La Bible de Josèphe I, Paris 1996, 195.13-17.2123.29-33. 107. S. Feldman, L. H., Judean Antiquities 1-4, Translation and Commentary, Flavius Josephus. Translation and Commentary Bd. 3, Leiden u. a. 2000, 18 7 (2,203/Ex 1,11).217 (2,293/Ex 7,20).273 (3,156/Ex 28,28).449 (4,279/Ex 22,17; 7,11). 108. Vahrenhorst, M., Zwischen Alexandria und Tiberias – Berührungen zwischen dem Text der LXX und rabbinischen Traditionen, in: W. Kraus / S. Kreuzer (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption. 4. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 19.-22. Juli 2012, WUNT 325, Tübingen 2014, 483-500: 487 f.495 f.497-499; s. auch schon Gooding, Possible Examples, 39-41 (zu Ex 27,14-16 und bEr 2b); die von Büchner (s. oben 3.) aufgewiesenen Berührungen mit der Mekh können natürlich auch wirkungsgeschichtlich ausgewertet werden. 109. Heither, T., Schriftauslegung – Das Buch Exodus bei den Kirchenvätern, NSKAT 33/4, Stuttgart 2003, 68-73; Elowsky, Exodus in the Fathers (s. Fn. 64), bes. 516 f.; Kobusch, T., Sein, Seiendes II., HWP 9 (1995), 180-186; BdA 2, 92 (Lit.); Martin, J. P., La primera exegesis ontologica de »Yo soy el que es« (Exodo 3,14-LXX), Strom. 49 (1983), 93-115.

136

6. Perspektiven der Forschung

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose Martin Vahrenhorst

1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/2, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Leviticus, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum II/2, Göttingen 1986 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Lev).

1.2 Qumran-Texte 1QpaleoLev = 1Q3 frg. 1-7.22-24 (DJD I) — 2QpaleoLev = 2Q5 (DJD III) — 4QEx-Levf = 4Q17 — 4QLev-Numa = 4Q23 — 4QLevb.c.d.e.g = 4Q24.25.26.26a.26b (DJD XII) — 4Qpap cryptA Levh = 4Q249j (DJD XXXIV) — 6QpaleoLev = 6Q2 (DJD III) — 11QpaleoLeva = 11Q1 (Freedman, D. N. / Mathews, K. A.,The Paelao-Hebrew Leviticus Scroll, Winona Lake 1985) — 11QLevb = 11Q2 (DJD XXIII) — 4QtgLev = 4Q156(DJD VI) — MasLeva.b = Mas 1a.b (Masada VI).

BQS 108-137 — HTTM 35-183. Wichtige Varianten sind auch in BHS und (künftig) in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harlé, P. / Pralon, D., Le Levitique, BdA 3, Paris 1988 — Büchner, D. L., Leuitikon, NETS, Oxford/New York 2007, 82-106 — Vahrenhorst, M., Levitikon, LXX.D, Stuttgart 20102, 98-132 — Vahrenhorst, M., Levitikon, LXX.E, Stuttgart 2011, 325-430.

1.4 Weitere Literatur Casabona, J., Recherches sur le vocabulaire des sacrifices en grec: des origines à la fin de l’époque classique, AFL 56, Paris 1966 — Cerutti, M. A., La terminologia religiosa e cultuale nel Pentateucho greco, AScRel 6 (2001), 191-214 — Daniel, S., Recherches sur le vocabulaire du culte dans la Septante, EeC 61, Paris 1966 — Den Hertog, C. G. den, Erwägungen zur relativen Chronologie der Bücher Levitikus und Deuteronomium innerhalb der Pentateuchübersetzung, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 216-228 — Dorival, G., »Dire en grec les choses juives«. Quelques choix lexicaux du pentateuque de la septante, REG 109 (1996), 527-547 — Dorival, G., Le sacrifice dans la traduction grecque de la Septante, AnnSE 18/1 (2001), 61-79 — Fabry, H.-J., Das Buch Levitikus in den Qumrantexten, in: ders. / H.-W. Jüngling (Hg.), Levitikus als Buch, BBB 119, Berlin / Bodenheim 1999, 309-341 — Frankel, Z., Über den Einfluss der palästinischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik, Leipzig 1851, Nachdruck Westmead 1972 — Gerstenberger, E. S., Das 3. Buch Mose. Leviticus, ATD 6, Göttingen 1993 — Goldenberg, R., The Septuagint Ban on Cursing the Gods, JSJ 28 (1997), 381-389 — Haacker, K., Ehrfurcht vor dem Wort, in: M. Haarmann / J. von Lüpke / A. Menn (Hg.), Momente der Begegnung (FS B. Klappert), Neukirchen-Vluyn 2004, 30-33 — Himmelfarb, M., 1. Wichtige Literatur

137

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

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2. Textüberlieferung und Editionen Die Textüberlieferung des Buches Levitikus ist ausgesprochen einheitlich. Von geringen Varianten abgesehen (vgl. dazu unter 3.1.2) entsprechen sich der hebräische und der griechische Text weitgehend. Am griechischen Text selbst sind keine Rezensionsspuren auszumachen. Auch die Tochterübersetzungen lassen keine Rückschlüsse auf eine längere Textgeschichte des griechischen Levitikusbuches zu. In manchen Fällen weichen die LXX und der samaritanische Pentateuch gemeinsam vom masoretischen Text ab. Das lässt darauf schließen, dass beiden gemeinsam Texttraditionen vorlagen, die von der des masoretischen Textes abweichen. 1 Solche Abweichungen lassen aber auch vermuten, dass auch in Fällen, wo es keine weitere Bezeugung gibt, Differenzen gegenüber dem MT nicht nur auf die Übersetzer, sondern teilweise auch auf eine unterschiedliche hebräische Vorlage zurückgehen können. Das Buch Levitikus liegt neben den Editionen von Swete und Rahlfs (/Hanhart 1935[/2006]) in der großen diplomatischen Ausgabe von Brooke / McLean sowie in der kritischen Ausgabe der Göttinger Septuaginta vor.

1.

Solche Abweichungen werden von Wevers, N-Lev und auch in LXX.E vermerkt.

138

2. Textüberlieferung und Editionen

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik 3.1.1 Treue Wiedergabe des hebräischen Textes in Inhalt und Form Der Übersetzer orientiert sich bei seiner Arbeit in aller Regel an der syntaktischen Struktur seiner Vorlage und nicht an den Konventionen seiner Zielsprache. Daraus ergibt sich eine Treue zum hebräischen Text in Inhalt und Form. Das zeigt sich in syntaktischer Hinsicht daran, dass der griechische Satzbau bzw. die Reihenfolge der Wörter meistens mit dem hebräischen identisch ist. Da das Griechische hinsichtlich der Wortstellung recht tolerant ist, bleiben die Sätze, selbst wenn sie zunächst unübersichtlich scheinen (vgl. Lev 15,2), sprachlich korrekt und verständlich (vgl. aber Wevers, N-Lev, IX). Das ändert nichts daran, dass ein griechischer Leser, der mit der Sprache der Bibel nicht vertraut war, bestimmte Hebraismen kaum verstanden haben dürfte (vgl. 15,2.16.17; 20.2). J. W. Wevers hat zudem mit Recht darauf hingewiesen, dass man zum Verständnis bestimmter Begriffe eigentlich kein griechisches, sondern ein hebräisches Wörterbuch benutzen müsste (vgl. Wevers, N-Lev, X). Der Kontext macht es aber in jedem Fall möglich, auch an sich unverständliche Wendungen, angemessen zu verstehen.

Die Übersetzung macht von den reichen Möglichkeiten, die die griechische Sprache zur Verbindung von Haupt- und Nebensätzen bereitstellt, nur selten Gebrauch. In der Regel wird die hebräische Konjunktion ‫ ו‬mit καὶ, wiedergegeben. Hebräische Konditionalsätze (‫» )ו … אם‬wenn … dann«) werden meist wörtlich ins Griechische übertragen (ἐὰν … καὶ / »wenn … und«), obwohl der Folgesatz im Griechischen üblicherweise ohne καί eingeleitet wird (vgl. BDR § 442,5a). Die Treue zum hebräischen Text führt zu weiteren Auffälligkeiten. Lev 2,1 hat z. B. im Hebräischen ein feminines Subjekt (‫)נפש‬, verweist jedoch im gleichen Satz auf ein maskulines Subjekt zurück (‫קרבנו‬/ »seine Gabe«). Dieses Phänomen ahmt die griechische Übersetzung nach, indem sie auf das feminine ψυχή, ein maskulines Possessivpronomen (αὐτοῦ / »sein«) folgen lässt. Schon die Wahl des Äquivalentes ψυχή, für ‫ נפש‬kann als Beispiel für die Treue zum Hebräischen dienen. ‫( נפש‬oft mit »Seele« übersetzt) bezeichnet allgemein die Lebenskraft eines Menschen und kann daher auch eine unbestimmte Person meinen (»man / jemand«). Dafür kennt das Griechische das Wörtchen τις. Für dieses entscheiden sich die Übersetzer aber nicht, sie wählen statt dessen das ungewöhnliche ψυχή, da dieses auch Leben, Lebenskraft bzw. Seele bedeutet. Auf der gleichen Linie liegt die Übersetzung des Syntagmas ‫איש – איש‬, das im Hebräischen schlicht »jeder Mensch« bedeutet, mit ἀνδρὶ άνδρί, (15,2 [»einem Mann, einem Mann«]) oder mit ἄνθρωπος ἄνθρωπος (17,3 u. ö. [»ein Mensch, ein Mensch«]). Aufgrund der exakten formalen Entsprechung zum hebräischen Text entsteht ein im Griechischen ungewöhnlicher, aber doch noch verständlicher Text, der freilich wegen dieser sprachlichen Eigenheiten immer als Übersetzung erkennbar ist. Diese Besonderheiten stechen besonders dadurch hervor, dass der Übersetzer zuweilen zielsprachlich einwandfreie Sätze produziert, obwohl er das gleiche hebräische Phänomen sonst wörtlich übersetzt. So wählt er manchmal das Aorist-Partizip, statt 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

139

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

wie üblich mit καί zu übersetzen und schafft so hypotaktische Satzverbindungen (Lev 1,6; 2,8; 3,10; 5,12 u. ö.). In Lev 20,2 gibt er ‫ איש – איש‬ausnahmsweise mit τις wieder. Ebenso verzichtet er in einigen Fällen auf das καί, in Konditionalsätzen (z. B. Lev 5,7; 13,56; 14,21; 20,6) und schafft so Sätze, die dem, was im Griechischen üblich ist, entsprechen. Die hebräische Wendung ‫ ואם‬wird manchmal wörtlich mit καὶ ἐὰν übersetzt (vgl. Lev 13,56; 26,18.21). An manchen Stellen findet sich das elegantere ἐὰν δέ (Lev 1,10.14; 2,1). Man könnte erwägen, dass hier ein Redaktor tätig war. Doch sind die Glättungen zu inkonsequent, um eine solche zweite Hand am Text zu sichern.

3.1.2 Differenzen zwischen dem griechischen und dem hebräischen Text Bei aller Treue zur hebräischen Vorlage nimmt die Übersetzung behutsame »Verbesserungen« vor, indem sie ähnliche Verse harmonisierend aneinander angleicht (1,10; 3,2; 4,34; 5,18; 6,9; 11,26 u. ö.) und formelhafte Wendungen ergänzt (6,17.29; 12,6; 21,7). Da diese Varianten nicht immer Parallelen in anderen Textzeugen haben, darf man vermuten, dass der Übersetzer in vielen Fällen selbst eingegriffen hat. In manchen Fällen präzisiert die Übersetzung Sachverhalte, die im hebräischen Text unklarer formuliert sind (vgl. 2,13; 3,3; 5,3.8; 6,4.18; 10,1; 12,4 u. ö.). Exemplarisch seien einige Präzisierungen genannt: Im hebräischen Text von 8,15 soll der Priester »das Blut« an die Hörner des Altars streichen. Die LXX stellt klar, dass nur ein Teil des Blutes dafür bestimmt ist, denn ein anderer Teil soll an den Sockel des Altars gegossen werden. Lev 13,5 schreibt in der hebräischen Fassung vor, dass der Priester »ihn« d. h. den Aussätzigen untersuchen soll. Die LXX präzisiert dahingehend, dass nicht die Person an sich, sondern die befallene Haut der Untersuchung bedarf. 2 Es bleibt aber in jedem Fall zu erwägen, ob solche Präzisierungen nicht schon in der hebr. Vorlage gestanden haben könnten. Sehr häufig findet sich die Wendung ‫( הקטיר … המזבחה‬etwas in Richtung des Altars in Rauch aufgehen lassen [z. B. Ex 29,13; Lev 1,9]; vgl. dazu Rendtorff, Leviticus, 60 f.). Die LXX übersetzt das Verb zumeist entweder mit ἀναφέρω ([auf die Opferstätte] hinaufbringen) oder etwas seltener mit ἐπιτίθημι ([auf die Opferstätte] legen). Alternativ begegnen noch προσφέρω (darbringen), ἐπιτελέω (opfern), oder in passenden Kontexten (Ex 30,7.8; 40,27) θυμιάω (räuchern). Abgesehen vom letzten Begriff liegen alle etymologisch weit von der hebräischen Vorlage entfernt. Es hat den Anschein, als hätte die LXX lieber allgemeine Termini der Opferdarbringung gewählt, weil »in Rauch aufgehen lassen« ihr in vielen Fällen nicht passend erschien. Es zeigt sich, dass der Übersetzer alles andere als mechanisch vorgegangen ist. Er hat seinen Ausgangstext verstanden und behutsam nach Möglichkeiten gesucht, dessen Gehalt in der Zielsprache auszudrücken. Manche Differenzen zwischen dem hebräischen Text und der LXX weisen Entsprechungen zu frührabbinischen Diskussionen auf. So präzisiert die LXX in 4,3 ebenso wie die rabbinische Tradition, dass dieser Vers vom Hohenpriester spricht, und stellt in 4,6 – analog zur rabbinischen Exegese – klar, dass das Opferblut nicht an, sondern nur in die Richtung des Tempelvorhangs gesprengt werden soll. Einige Unterschiede zwischen dem MT und der LXX hinsichtlich des Numerus lassen sich vor dem Hintergrund von Diskussionen über die Frage, ob bestimmte rituelle Vollzüge 2.

Weitere Beispiele bei Wevers, N-Lev, XII-XVI.

140

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

allein den Priestern vorbehalten sind, oder ob sie jeder Israelit ausführen kann (z. B. 1,3), erklären. Bisweilen entspricht der Text der LXX einer Position, die in halachischen Diskussionen vertreten und von der Mehrheit abgelehnt wird (vgl. zu 15,2), oder er lässt sich als Ausdruck eines Textverständnisses lesen, das die rabbinische Auslegung ebenfalls kennt (z. B. 21,9.20). Diese Indizien lassen darauf schließen, dass rabbinische Kreise mit einigen Texttraditionen der LXX selbst oder solchen, die sie repräsentiert, gut vertraut gewesen sein dürften (vgl. MekhY zu Ex 12,40). Die geläufige These, die LXX sei im Judentum nach 70 rasch ganz verloren gegangen, ist insofern zu differenzieren. Außerdem zeigen die Berührungen zwischen LXX und rabbinischen Texten, dass rabbinische Diskussionen durchaus auf ältere Auslegungstraditionen zurückgreifen können. Grundsätzlich wird man sagen können, dass die Übersetzung des Lev-Buches sich sehr eng an ihre hebräische Vorlage hält und nur sehr behutsam Änderungen vornimmt, wobei sie in vielen Fällen vom Willen zu einheitlicher Formulierung geleitet zu sein scheint. Daneben finden sich aber auch immer wieder Variationen, die das Prinzip der Konkordanz durchbrechen. 3 Wenn man das nicht dem Zufall zuschreiben oder sich jeder Erklärung enthalten möchte, so könnte man dies als Indiz dafür werten, dass der Übersetzer signalisieren wollte, dass der hebräische Text sich nicht einfach in eine andere Sprache übertragen lässt, »dass keine Übersetzung ein Ersatz für die Bibel selbst ist«. 4 Nur in der Vielfalt der Ausdrucksweise kann sein Gehalt transportiert werden (vgl. Dorival, Dire en grec, 530 f.).

3.2 Ort und Zeit der Übersetzung Die genannten formalen und inhaltlichen Tendenzen durchziehen das ganze Buch, so dass nichts dazu nötigt, das Buch auf mehrere Übersetzer aufzuteilen. Verschiedene Indizien spiegeln die Lebenswelt Ägyptens und lassen darauf schließen, dass die Übersetzung dort entstanden ist. In der Liste der unreinen Tiere findet sich z. B. der Ibis, ein Vogel, der nicht nur im Nildelta lebte, sondern auch eine kultische Bedeutung als Tier des Gottes Thot hatte (Lev 11,17). Lev 19,31MT warnt vor der Befragung von Totengeistern (‫[ תואב‬vgl. 1Sam 28,7]). Die LXX kontextualisiert die Übersetzung so, dass sie auf Praktiken Bezug nimmt, die in Alexandrien offenbar bekannt waren. Sie spricht von ἐγγαστρίμυθοι (Bauchrednern). Plutarch und der Alexanderroman nennen so genannte Bauchredner neben anderen ägyptischen Wahrsagern (Plut., Hist. Alex. 1.4.12 [zur Sache vgl. auch Plut., mor. 414E]). Als ein weiteres Beispiel solcher Kontextualisierung darf Lev 19,27 gelten. Dort heißt es hebräisch (‫)לא תקפו פאת ראשכם‬, man solle den »Rand seines Haupthaares nicht rundscheren« (ElbB). Die LXX übersetzt: »Ihr sollt keinen Zopf aus eurem Haupthaar machen« (οὐ ποιήσετε σισόην ἐκ τῆς κόμης τῆς κεφαλῆς ὑμῶν). Das Wort für »Zopf« (σισόη) ist ein griechisches Hapaxlegomenon, seine Bedeutung kann

3. 4.

Wevers spricht zuweilen von der »love of variation« des Übersetzers (Wevers, N-Lev, 28 u. ö.). Haacker, Ehrfurcht, 32. Was Haacker im Blick auf die Übersetzung von Buber und Rosenzweig gesagt hat, scheint mir in gewisser Weise auch für die LXX zu gelten. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

141

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

man aber sicher bestimmen, weil es im Ägyptischen ein gleichlautendes Wort gibt, das eindeutig »Zopf« bedeutet. 5

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Das Levitikusbuch ordnet alles Leben in konzentrischen Kreisen um Gottes Gegenwart im Heiligtum herum an und sucht nach Wegen, wie Gottes Gegenwart in einer für die Menschen heilvollen Weise erhalten bleiben kann. Dabei ist Gott an der Gemeinschaft mit seinem Volk interessiert und stellt Mittel zur Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft bereit. Dazu dienen die verschiedenen Opferarten, die in Lev 1–7 vorgestellt werden, die Einsetzung des Kultpersonals (8–9) und Handlungsanweisungen, die ihm gelten (10). Dazu dient ferner die Beachtung der Fundamentalunterscheidung von Rein und Unrein (Lev 10,10; 11,43 ff. u. ö.) und die Reinigung des Heiligtums nebst der Sühne für Priester und Volk am Sühnetag (Lev 16). Im Erzählduktus des Pentateuch ist diese Akzentuierung dadurch vorbereitet, dass ab Ex 25 von den Vorbereitungen zur Aufnahme des Kultes am Fuße des Sinai (von dort bricht das Volk erst in Num 10,11 auf), die in Lev 9,24 abgeschlossen ist, erzählt wird. Die besondere Herausforderung für den Übersetzer des Lev-Buches lag sicher in der Übertragung der kultischen Begrifflichkeit. Dabei ist zuerst festzuhalten, dass der Übersetzer grundsätzlich keine Scheu hat, Termini aus der hellenistischen Kultsprache zu übernehmen. Das häufig zu findende σφάζω (schlachten) ist auch in paganen Kulten geläufiger Terminus technicus (Vgl. Casabona, Recherches, 155). Libationen kennen pagane Kulte ebenso wie schon die hebräische Bibel, wo es vor allem das Blut der Opfertiere ist, das an die Seite des Altars oder seinen Sockel gegossen wird (Lev 1,5; 4,7). Für das hebräische ‫קזר‬ ausschütten, ausgießen, sprengen) verwendet die LXX προσχέω (ab Ex 24,6), das ein etwas engeres Bedeutungsspektrum hat (»an etwas heran gießen«; vgl. Wevers, N-Lev, 4). Die Vokabel χέω bezeichnet im Griechischen sehr oft das Ausgießen von Trankspenden (Homer, Odyssee 10,518; Herodot 7,43; vgl. Casabona, Recherches, 279 ff.). Besprengungsriten (hebr. ‫[ נזה‬hi.] gr. [προσ / περι]ῥαίνω) [Lev 4,6; 14,7; 4,17]), die an Altären vollzogen wurden (Aristophanes, Lysistrate 1130) oder zur Reinigung dienten (SIG 982,8; Plutarch, Lykurg 2), werden in paganen Quellen mit den gleichen Worten beschrieben, die auch die LXX wählt. Die oben genannten Äquivalente für die Wendung ‫ הקטיר המזבחה‬sind alle auch in der paganen Sprache kultisch konnotiert (vgl. GDI 3537; Anklänge an den heidnischen Opferherd bzw. Altar haben die Übersetzer nicht davon abgehalten das hebräische ‫( מרחשת‬Backpfanne; vgl. Rendtorff, Leviticus, 105) mit έσχάρα zu übersetzen (Sophokles, Antigone 1016; Aischylos, Persae 205; Xenophon, Kyropaedie 8.3.12) [vgl. dazu Stengel, Kultusheiligtümer, 15 f.], wobei sie durch Buchstabenvertauschung das Wort der hebr. Vorlage wahrscheinlich nachgeahmt haben.

Eine Differenz zu den Kulten der griechischsprachigen Umwelt ergibt sich auch im Levitikusbuch aus der Verwendung des schon in Gen 8,20 gebildeten Neologismus 5.

Die politischen Verhältnisse im ptolemäischen Alexandrien könnte die Anwendung des Terminus ἔθνος auf Israel in 19,16 spiegeln, galten doch die Juden im Ptolemäerreich als Ethnos unter anderen.

142

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

θυσιαστήριον. Die klassische Bezeichnung für den griechischen Altar βώμος behalten die Übersetzer nichtisraelitischen Altären vor (Ex 34,13; Num 23,1; Dtn 7,5) – und zwar auch da, wo der hebräische Text ohne zu differenzieren von ‫ מזבח‬Altar) spricht. Dass hier eine solche begriffliche Differenzierung vorgenommen wurde, erklärt sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein Altar nicht einfach als neutraler Gegenstand gilt, sondern dass er einer bestimmten Gottheit geweiht ist. Von dem einer Gottheit geweihten Altar her bestimmt sich, welcher Kult dort vollzogen wird. Bei aller Ähnlichkeit, die zwischen einzelnen rituellen Vollzügen paganer Kulte und dem Kult Israels bestehen, bleibt die Unverwechselbarkeit des Kultes Israels also dadurch gewahrt, dass er am Altar des Gottes Israels vollzogen wird. Eine Unterscheidung von den Kulten der Umwelt schafft zudem die Bildung neuer Opferbezeichnungen (ὁλοκαύτωμα, περὶ ἁμαρτίας u. a.). Als leitendes Interesse ist dabei allerdings weniger das Bedürfnis nach Abgrenzung von den Kulten der Umwelt auszumachen, als vielmehr der Wille, den Lesern das Wesen eines Rituals nahezubringen: Bei der ‫ עולה‬handelt es sich um ein Opfer, das Gott ganz übereignet wird. Da das durch Verbrennen vollzogen wird, übersetzt man dies mit ὁλοκαύτωμα (»Ganzbrandopfer«), so dass deutlich wird, was bei dem Opfer wesentlich geschieht. Gleiches gilt für das so genannte Schwingopfer (z. B. 7,30). Sein genauer Vollzug liegt im Dunkeln, die unterschiedlichen Übersetzungen haben gemeinsam, dass sie das Ritual als Abgabe verstehen, die von einer bestimmten Größe separiert wird, um dann Gott oder den Priestern übereignet zu werden. 6 Wie unter 3.1.2 bemerkt handelt es sich bei der Übersetzung um ein durchdachtes Werk. Dass dies auch in theologischer Hinsicht gilt, wird unter anderem an der Art und Weise erkennbar, wie die Übersetzung mit Dämonen und Götzen umgeht. Spezielle Dämonen werden auf das reduziert, was sie in den Augen der Übersetzer sind: »Nichtigkeiten« (vgl. zu 17,7). Auch der ‫ עזאזל‬aus Lev 16 wird »entpersönlicht«. Indem man in 16,8.10.26 verschiedene Übersetzungen für das gleiche Wort wählt, verschwindet der Gedanke an eine personale Gestalt. In gleicher Weise wird der Moloch, bei dem es sich im hebräischen Text (wahrscheinlich) um eine Gottheit handelt, der man Kinder geopfert (oder geweiht?) hat, »entdämonisiert«. Er wird zum ἄρχων (Herrscher [18,21; 20,2 ff.]), wohl weil man den Namen nach dem hebräischen Konsonantenbestand deutete, so dass das Wort wie »König« zu lesen war. Ob man darin eine vorsichtige Kritik am ptolemäischen Herrscherkult sehen darf, ist jedoch fraglich. Bringt man aber die genannten Phänomene in einen Zusammenhang, so wird man sie als Versuch verstehen können, ältere Texte an die inzwischen selbstverständliche Vorstellung vom Monotheismus anzupassen bzw. als Bekundung des für die Übersetzer selbstverständlichen Monotheismus werten dürfen. Wichtiges Pendant dessen bildet die Zuspitzung von Lev 24,16: Schon das Aussprechen und nicht nur das Verfluchen des Namens des einen Gottes wird verboten. Diese Zuspitzung begegnet in keiner Quelle vor der LXX. Sie spiegelt auf jeden Fall die Entwicklung hin zu den Ersatzlesungen für den Gottesnamen, wie sie im sog. elohistischen Psalter (Ps 42–83; Verwendung von Elohim = Gott an Stelle des Gottesnamens) und im Gebrauch von ‫’ אדוני‬adonaj = Herr bzw. κύριος sichtbar wird. Darüber hinaus könnte die 6.

Vgl. Rendtorff, Leviticus, 255 f. Weiteres zur Kultsprache bei Vahrenhorst, Terminology, 117135 und im Exkurs zur Opferterminologie in LXX.E, 335-346. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

Verschärfung eine Stellungnahme gegen magische Verwendung des Gottesnamens sein, d. h. gegen die gerade in Ägypten (auch) unter Nichtjuden sich ausbreitende Neigung, den Gottesnamen in der Form IAO in magischen Formeln und auf magischen Plättchen zu verwenden. Der Schritt von der Kenntnis des Gottesnamens zu seinem magischen Geund Missbrauch war klein. Das Verbot, den Namen überhaupt auszusprechen, war ein möglicher Schutz dagegen (selbst die Einschärfung des Verbots durch die Todesstrafe könnte dazu passen, denn die Todesstrafe passt zu Bedenken gegen die Magie).

Erwähnenswert sind weiterhin folgende theologische Akzente: Schon im hebräischen Text ist Mose Empfänger und Übermittler der Gebote. Zuweilen erscheint er aber auch selbst als Urheber eines bestimmten Gebotes (Lev 8,31; 9,21). Die LXX eliminiert diese Lektüremöglichkeit des hebräischen Textes und macht ausschließlich Gott zum Urheber und Mose ganz zum Empfänger der Gebote (vgl. auch 8,36). Ähnlich wie andere Bücher der LXX minimiert die Übersetzung des Lev-Buches Anthropomorphismen: Das Wort ‫»( לחם‬Brot / Speise«) wird in Opferzusammenhängen oft weggelassen (3,11.17; 21,6.8.17.21.22; 22,25) oder beispielsweise mit δῶρα (»Gaben«) übersetzt (21,8; 17,21 f.; 22,25). So vermeidet der Übersetzer den Eindruck, dass Gott sich von den Opfern ernähre. Auch stellt man durch die Übersetzung klar, dass Gott auch da, wo er erscheint, nicht direkt zu sehen ist (Lev 9,4.6). Ein schönes Beispiel für die Tendenz, Gott zu transzendentalisieren ist die Übersetzung von 26,33. Nach dem hebräischen Text kündigt Gott an, er wolle ein Schwert ziehen. In der griechischen Fassung wird daraus »ein Schwert wird gezogen werden«. Nimmt man alle genannten Charakteristika zusammen, so wird man sagen können, dass dem Übersetzer des Levitikusbuches bei aller Orientierung am hebräischen Text mehr gelungen ist als eine Interlinearübersetzung. Er schafft ein Werk, das eine Übersetzung ist und bleibt, aber eine bewusst gestaltete mit eigenen theologischen Akzenten.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Levitikusbuch hat, wie gesagt, einen eindeutigen Schwerpunkt in der Welt des Kultes. Die ersten 17 Kapitel sind allein ihm gewidmet. Und auch der zweite Teil, der Heiligkeit stärker ethisch definiert (vgl. 19,2 ff.), ist immer wieder von Passagen durchzogen, die kultische Angelegenheiten betreffen (vgl. z. B. 21,1–24,9). Die Übersetzung der kultischen Sprache ins Griechische stellte für das gesamte griechischsprachige Judentum der Antike (einschließlich der jüngeren Bücher der LXX; vgl. Vahrenhorst, Wörterbuch, 52-63) den Wortschatz bereit, mit dem über kultische Dinge kommuniziert werden konnte. Das gilt auch für neutestamentliche Texte, die sich auf die Welt des Kultes beziehen. Sie arbeiten weitgehend mit dem Vokabular, das die Übersetzung des Levitikusbuchs bereitstellte. In der christlichen Tradition ist kein Vers des Levitikusbuchs so präsent wie Lev 19,18b. Die Übersetzung trifft eine Entscheidung, die eine Verbindung von Selbst- und Nächstenliebe herstellt. Den hebräischen Text kann man mit Buber-Rosenzweig auch mit »er ist wie du« übersetzen, durch die Wahl des Akkusativs »ὡς σεαυτόν« ist das im Griechischen nicht möglich. Den Nächsten soll man so lieben, wie man sich selbst liebt. 144

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

1.3 Levitikon / Levitikus / Das dritte Buch Mose

6. Perspektiven der Forschung Auch wenn die Übersetzungstechnik, die dem griechischen Levitikusbuch ihre Gestalt gegeben hat, recht klar zu beschreiben ist, stellt sich doch die Frage, inwieweit man sie einer bewussten Entscheidung des Übersetzers zuschreiben darf. Wollte er kenntlich machen, dass es sich bei seinem Werk um eine Übersetzung handelte, die dem Original niemals gerecht werden kann, oder hatte er einfach keine Alternative? Es wäre lohnend die Übersetzung der LXX mit der anderer Texte der Antike hinsichtlich ihres Umgangs mit der Wortstellung und dem Wortschatz der Ausgangssprache zu vergleichen (so schmal die Textbasis dafür auch sein mag), um auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Übersetzungskonventionen genaueres über die Vorgehensweise des Übersetzers sagen zu können. Weiterer Überprüfung bedarf die Vermutung, dass das Lev-Buch nach dem Dtn übersetzt wurde (vgl. dazu den Hertog, Chronologie, 216-228). Viele Berührungen zwischen den beiden Büchern lassen sich so leichter erklären, als wenn man die kanonische Reihenfolge auch für die chronologische hält (vgl. zu 11,4.13 ff.; 19,10.19; 23,36). Von Interesse sind weiterhin die Beziehungen zwischen der LXX und den im hebräisch/aramäischen Bereich des antiken Judentums überlieferten Auslegungstraditionen.

6. Perspektiven der Forschung

145

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose Gilles Dorival

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete I, 1887 — BML I/3, 1911 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Numeri. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum III/1, Göttingen, 1982.

1.2 Qumrantexte u.ä 4QLXXNum = 4Q121 (DJD IX) — 1QpalNum = 1Q3 (DJD I) — 2QNuma.b.c.d? = 2Q6.7.8.9 (DJD III) — 4QLev-Numa = 4Q23 — 4QNumb = 4Q27 (DJD XII) — 4QLXXNum = 4Q121 (DJD IX) — MurNum = Mur 1 (DJD II) — 5/6ḤevNuma = 5/6Ḥev 1a — XḤev/SeNumb = XḤev/Se 2 — 34SeNum = 34Se 2 (DJD XXXVIII). BQS 138-174 – HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Dorival, G., Les Nombres, BdA 4, Paris 1994 — Flint, P. W., Numbers, NETS, Oxford / New York 2007, 107-140 — Morahu, M., Numerii, in: C. Badilita / F. Baltaceanu / M. Brosteanu / D. Slusanschi, Septuaginta 1, Bukarest 2004, 419-518 — Mortari, L., Il Pentateuco, Rom 1999, 535-721 — Rösel, M. / Schlund, C., Numeri, LXX.D, Stuttgart 20102, 133-175 — Rösel, M. / Schlund, C., Numeri, LXX.E, Stuttgart 2011, 431-522.

1.4 Weitere Literatur Aejmaleaus, A., Parataxis in the Septuagint, Helsinki 1982 — Bajard, J. / Poswick, R.-F., Aspects statistiques des rapports entre la Septante et le texte massorétique, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 123-156 — Collins, J. J., Messianism and Exegetical Tradition. The Evidence of the LXX Pentateuch, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, Leuven / Paris / Dudley/MA 2006, 129-149 — Collins, N., The Library in Alexandria and the Bible in Greek, Leiden / Boston 2000 — Dorival, G., Les phénomènes d’intertextualité dans le livre grec des Nombres, in: ders. / O. Munnich (Hg.), KATA TOYS O’ Selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 253-285 — Dorival, G., Moïse est-il le fruit d’un inceste? A propos de Nombres 26,59, in: F. Garcia Martinez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation (FS J. Lust), Leuven 2005, 97-108 — Frankel, Z., Über den Einfluss der palästinischen Exegese aud die alexandrinische Hermeneutik, Leipzig 1851, 167-200 — Horbury, W., Monarchy and Messianism in the Greek Pentateuch, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, Leuven / Paris / Dudley/MA 2006, 79-128 — Lust, J., Messianism and Septuagint, in J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Salamanca 1983, VT.S 36, Leiden 1985, 174-191 — Lust, J., The Greek Version of Balaam’s Third and Forth Oracles. The aνθρωπος in Num 24,7 and 17. Messianism and Lexicography, in: L. Greenspoon / O. Munnich (Hg.), VIII Congress of the International Organiza-

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1. Literatur

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

tion for Septuagint and Cognate Studies, Paris 1992, SCSt 41, Atlanta/GA 1995, 233-257 — Quast, U., Der rezensionelle Charakter einiger Wortvarianten im Buche Numeri, in: D. Fraenkel / U. Quast / J. W. Wevers (Hg.), Studien zur Septuaginta (FS R. Hanhart), Göttingen 1990, 230252 — Rösel, M., Die Septuaginta und der Kult. Interpretationen und Aktualisierungen im Buch Numeri, in: C. Uehlinger / Y. Goldman (Hg.), La double transmission du texte biblique (FS A. Schenker), Göttingen 2001, 25-40 — Rösel, M., Die Textüberlieferung des Buches Numeri am Beispiel der Bileamerzählung, in: Y. Goldman / A. van der Koij / R. D. Weis (Hg.), Sôfer Mahîr (FS A. Schenker), Leiden / Boston, 2006, 207-226 — Rösel, M., Jakob, Bileam und der Messias. Messianische Erwartungen in Gen 49 und Num 22-24, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, Leuven / Paris / Dudley/MA 2006, 151-175 — Sollamo, R., The Pleonastic Use of the Pronoun in Connection with the Relative Pronoun in the Greek Pentateuch, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 75-85 — Tov, E., The Rabbinic Tradition Concerning the »Alterations« Inserted into the Greek Pentateuch and their Relation to the Original Text of the LXX, JSJ 15 (1984), 65-89 — Tov, E. / Wright, B. G., Computer-Assisted Study of the Criteria for Assessing the Literalness of Translation Units in the LXX, Textus 12 (1985), 131-187 — Ulrich, E., The Septuagint Manuscripts from Qumran: a Reappraisal of their Value, in: G. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls and Cognate Studies, Papers Presented to the International Symposium on the Septuagint and Its Relation to the Dead Sea Scrolls and Other Writings (Manchester 1990), SCSt 33, Atlanta/GA 1992, 49-80 — Wevers, J. W., Text History of the Greek Numbers, Göttingen 1982 — Wevers, J. W., An Early Revision of the Septuagint of Numbers, in: Eretz-Israel 16 (1982), 235*-239* — Wevers, J. W., Notes on the Greek Text of Numbers, Atlanta/GA 1998 — Wevers, J. W., The Balaam Narrative according to the Septuagint, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), Leuven 1999, 133-144 — Wright, B. G., The Quantitative Representation of Elements: Evaluating »Literalism« in the LXX, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCS 23, Atlanta/GA 1987, 310-335.

2. Textüberlieferung und Editionen Die editio minor von A. Rahlfs (1935) gibt dem Vaticanus (B) zu Ungunsten des Alexandrinus (A) den Vorzug. Die kritische Edition von J. W. Wevers (1982) weist einhundertfünfzig Abweichungen gegenüber jener von Rahlfs auf. All diese Lesarten müssen festgehalten werden. Die Zahl einhundertfünfzig mag bedeutend erscheinen, doch haben die Entscheidungen von Wevers in den allermeisten Fällen keine Folgen für die Bedeutung. Tatsächlich handelt es sich um orthographische Varianten (sie betreffen insbesondere die Eigennamen), um Elisionen, um Varianten der Reihenfolge der Wörter (die Ziffer der Einerstelle vor der Ziffer der Zehnerstelle anstelle der umgekehrten Reihenfolge in 29,13 und 29), um die Verwendung eines Substantivs anstelle eines anderen, synomymen (4,25 und fünf weitere Beispiele) oder mit nahe verwandter Bedeutung (11,5 und vier weitere Beispiele), um den Gebrauch eines Verbes anstelle eines synonymen Verbes (15,1 und 21,32), um die Benutzung einer Wendung anstelle einer anderen mit gleicher Bedeutung (7,85 und sieben weitere Beispiele), um dieVerwendung einer Präposition anstelle einer Wendung mit gleicher Bedeutung (11,33 und sechs weitere Beispiele), um die Verwendung des Singulars anstelle des Plurals bei den Nomina und Pronomina (7,3 und sieben weitere Beispiele) und bei den Verben (1,44 und drei weitere Beispiele), um die Benutzung des Artikels vor θεός im Nominativ (Rahlfs lässt ihn in 2. Textüberlieferung und Editionen

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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

23,22 und 24,8 weg), um das Fehlen des Artikels vor κυριός (Rahlfs nimmt ihn in 21,7 und in zwei anderen Fällen auf), um das Vorhandensein oder Fehlen des Artikels vor den Eigennamen (36,10 und drei weitere Beispiele) und Gattungsnamen (3,10 und zwölf andere Beispiele), um die Verwendung eines Casus anstelle eines anderen (6,15 und fünf weitere Beispiele), um das Vorhandensein des anaphorischen αὐτός (2,22 und drei weitere Fälle) oder des Personalpronomens (18,3), um die Verwendung von ὁσος anstelle von ὁς in Entsprechung zu πάς (1,54 und zwei weitere Beispiele), um das Vorhandensein oder Fehlen der Verbindungspartikel καί (4,3 und sieben andere Beispiele) oder ἠ (15,16), um die Verwendung des zweiten Aorist anstelle von anderen Formen (12,5 und vier weitere Beispiele), um eine kontrahierte anstelle einer nicht kontrahierten Form (10,3 und 30,13), um Variationen in der Zeitform (32,6 und fünf weitere Beispiele), um die Auslassung eines Wortes oder einer Wortgruppe, die für den Kontext nicht unverzichtbar sind (4,14 und sieben weitere Beispiele), um die Hinzufügung eines Wortes oder einer Wortgruppe von geringem Nutzen (2,31 und acht weitere Beispiele), um die Unterteilung bestimmter Verse (6,24).

Insgesamt sind unter den für Wevers eigentümlichen Lesarten nur etwa 20 zu finden, die einen Einfluss auf die Bedeutung haben: der Nominativ φυλή anstelle des Genitivs in 2,5 und sechs weitere Beispiele; 4,19.31.32; 9,21-22; 11,8; 13,1; 14,28; 16–17; 18,32; 20,27; 26,44; 31,54; 33,6-7. Doch die interessantesten Fälle betreffen die Unterteilung des Textes: Der Vers 1 des 13. Kapitels bei Wevers bildet den Vers 16 des 12. Kapitels bei Rahlfs, der dem masoretischen Text folgt. Anstatt das 12. Kapitel mit der Erwähnung eines Ortswechsels zu beschließen, beinhaltet der Septuaginta-Text von Wevers (dem auch die Einteilung in der Vulgata entspricht) einen Abschluss mit einem »guten Ende«, der Reinigung Mirjams. Ein ähnliches gutes Ende wird von der Septuaginta für die Kapitel 16 und 17 geboten: 16,36-50 entspricht 17,1-15 des masoretischen Textes. Letzterer schließt mit der Bestrafung der zweihundertfünfzig aufrührerischen Männer. An diese Bestrafung fügt die Septuaginta die Erinnerung an die Bestrafung (16,36-40), die Vernichtung von 14.700 Hebräern (16,41-49) und die Besänftigung des Zornes Gottes durch Mose und Aaron (16,50) an. Hat Wevers das Ziel, das er sich gesetzt hat, nämlich den ältestmöglichen griechischen Text zu edieren, tatsächlich erreicht? Auf der Grundlage des Studiums der 17 Varianten, die sich in der sehr lückenhafen Schriftrolle 4QLXXNum finden, behauptet E. Ulrich (Septuagint Manuscripts from Qumran) das Gegenteil. Ihm zufolge bezeugen diese Varianten den ältesten griechischen Text von Numeri. Letzterer biete das Verb ἀριθμεῖν, »zählen«, und nicht ἐπισκέπτεσθαι, »mustern«, um ‫ פקד‬zu übersetzen; ἀρτήρ, und nicht ἀναφορεύς zur Bezeichnung der Stangen, mit deren Hilfe die Bundeslade emporgehoben wurde; ὑακίνθινος, und nicht ὁλοπόρφυρος, zur Bezeichnung der Farbe des Stoffes über dem ausgestellten Tisch; τὰ σπονδεῖα, »die Trankopferschalen«, und nicht ὁ καλυπτήρ, »der Deckel«, um das zu bezeichnen, womit die Opferstätte ausgerüstet ist. Muss man Ulrich folgen und zum Beispiel systematisch ἐπισκέπτεσθαι, ἐπισκοπή und ἐπίσκεψις durch ἀριθμεῖν und ἀριθμός ersetzen? Etwa hundert solcher Ersetzungen müssten vorgenommen werden. Sie hätten den Vorteil, dass sie dem Titel des Buches Numeri selbst besser entsprächen. Doch Ulrichs Vorschlag ist einem starken Einwand ausgesetzt. In den anderen Büchern des Pentateuch entspricht ἀριθμεῖν / ἀριθμός normalerweise der Wurzel ‫ספר‬ (20 Belege); und im Buch Numeri selbst ist diese Entsprechung 34 Mal bezeugt. Tat148

2. Textüberlieferung und Editionen

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

sächlich ist in diesem Buch ‫ פקד‬mit ἀριθμεῖν / ἀριθμός nur im Alexandrinus (zwölf Beispiele) wiedergegeben. Es gibt also eine Beziehung zwischen 4QLXXNum und dem Alexandrinus, die noch genauer zu bestimmen wäre. Von daher gälte: Wenn die Qumranrolle das Zeugnis des ältesten griechischen Textes ist, dann gälte dies konsequenterweise auch für den Alexandrinus. Dies ist in dem Maße eine paradoxe Behauptung, als die Abhängigkeit des Numeri-Textes im Alexandrinus im Hinblick auf den origenischen Septuaginta-Text von Wevers (TH-Num, 73-76) überzeugend herausgearbeitet wurde. Tatsächlich weist 4QLXXNum die Merkmale eines rezensierten Textes auf, wie dies J. W. Wevers (TH-Num) selbst und U. Quast (Wortvarianten) aufgezeigt haben. So ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand über die Handschriften von Numeri die kritische Edition von J. W. Wevers diejenige, die dem ursprünglichen Septuaginta-Text am nächsten kommen kann. 1 Worin bestand die hebräische Vorlage des ursprünglichen Septuaginta-Textes? Unterschied sie sich vom aktuellen masoretischen Text? Sofern man den Forschern hierin Glauben schenkt, hat der Septuaginta-Text von Numeri lediglich eine einzige Änderung gegenüber dem hebräischen Text vorgenommen, nämlich in 16,15, wo der Esel durch ἐπιθύμημα, »Objekt der Begierde« ersetzt wurde (vgl. dazu Tov, Alterations, und Dorival, Intertextualité, 91-92). Doch die rabbinischen Auflistungen erheben nicht den Anspruch, vollständig zu sein, und man kann vermuten, dass die Abweichungen zahlreicher sind. Sie betreffen vor allem die Unterteilung der großen Texteinheiten von Numeri: Die LXX ist mit dem masoretischen Text identisch, abgesehen von drei Ausnahmen: Die ersten beiden wurden weiter oben bereits angedeutet und gehen auf die Absicht zurück, mit einem guten Ende zu schließen (13,1LXX = 12,16MT und 16,13-50LXX = 17,1-15MT); die dritte betrifft 25,19 (»Und es geschah nach der Plage«, ohne dass im masoretischen Text gesagt wird, was geschehen war, der Satz also in der Luft hängt); dieser Vers bildet den Vers 26,1 der Septuaginta (»Und es geschah nach der Plage, dass der Herr sprach«). Der Targum Neofiti ist mit dem masoretischen Text identisch, Targum Jonathan und Targum Onkelos sind dagegen der LXX ähnlich: Beide Textunterteilungen können gut und gerne sehr alt sein. Die Abweichungen betreffen sodann die Anordnung der Verse. Die LXX ist mit dem masoretischen Text identisch, bis auf vier Fälle: Die Verse 1,24-25 des masoretischen Textes werden 1,36-37 in der Septuaginta, und zwar aus einem Grund, der weiter unten erläutert wird; dieser Fall muss zusammen mit den Versumstellungen im Kapitel 26 behandelt werden. Im priesterlichen Segen von 6,22-27 wird der V. 27 des masoretischen Textes, wo Gott seinen dreifachen Segen aus den Versen 24-26 bestätigt, zu Vers 24 der Septuaginta-Version gezogen, wo er schlecht platziert erscheint. Diese Versumstellung ist vermutlich absichtlich vorgenommen worden und mit dem Verbot 1.

Diese Argumentation beruht auf traditionellen aber problematischen Annahmen sowohl bezüglich des masoretischen wie auch des griechischen Textes: Auch wenn 4QLXXNum (gegenüber MT und Codex Vaticanus?) als überarbeiteter Text erscheint, so bleibt das Faktum, dass dieser Text der älteste griechische Textzeuge ist. Die Annahme einer davon verschiedenen älteren und ursprünglicheren Septuaginta beruht auf der Hochschätzung des Codex Vaticanus und bleibt hypothetisch. Alternativ könnte man annehmen, dass die Gemeinsamkeiten von 4QLXXNum und Codex Alexandrinus (und ähnlicher Texte) auf ihre gemeinsame Grundlage in der ursprünglichen Septuaginta zurückgehen und die anderen Textformen auf eine (frühe) Rezension. [SK] 2. Textüberlieferung und Editionen

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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

in Verbindung zu bringen, den Segen zu übersetzen, wie es die Mischna Megillah 4,1 formuliert hat (vgl. Dorival, Intertextualité, 251). Schließlich ist in 10,33-36 die Reihenfolge in der Septuaginta 33, 35, 36, 34; im masoretischen Text enden die Verse 34 und 36 jeweils mit einem umgekehrten Nun (nun inversum), das Anlass für vielfältige Erklärungsversuche zu allen Zeiten gewesen ist. Man kann sich die Frage stellen, ob dies nicht anzeigt, dass die beiden Verse zu vertauschen sind, wie es die LXX auch genau getan hat. Damit ginge auch diese Besonderheit der LXX auf die hebräische Textvorlage bzw. Tradition zurück. Die bei weitem zahlreichsten Abweichungen bestehen in den »Mehr« bzw. »Plus« und den »Weniger« bzw. »Minus« der Septuaginta im Vergleich zum masoretischen Text. Dorival, Intertextualité, 41-44 zufolge handelt es sich um mehr als zweihundert »Plus« und etwa fünfzig »Minus«. Oft können sie als Harmonisierung erklärt werden: Der Übersetzer harmonisiert mit vorhergehenden Versen aus den Büchern Genesis, Exodus, Levitikus und Numeri selbst. In anderen Fällen sind die »Plus« und die »Minus« redaktionelle Varianten, die aus einer der LXX eigentümlichen Exegese entspringen oder das Verständnis erleichtern sollen. Schließlich können bestimmte »Plus« oder »Minus« auf eine vom masoretischen Text verschiedene hebräische Vorlage zurückgehen. In ungefähr einhundertvierzig Fällen stimmt die LXX mit dem samaritanischen Text und nicht mit dem masoretischen Text überein. Doch es kommt vor, dass die LXX dem masoretischen Text näher kommt als dem samaritanischen (dafür gibt es mindestens sechs Beispiele). Es gibt auch Übereinstimmungen der LXX mit einigen (mittelalterlichen) Handschriften des masoretischen Textes, die vom Codex Leningradensis abweichen (sie sind im textkritischen Apparat der Biblia Hebraica 2 verzeichnet). Es kommt auch vor, dass die LXX gegen den masoretischen Text (in Gestalt des Codex Leningradensis) mit der Peshitta übereinstimmt, und zwar in fast einhundert Fällen. Die Peshitta kann dann mit dem samaritanischen Text und bestimmten hebräischen Handschriften übereinstimmen (siehe den textkritischen Apparat der Biblia Hebraica (s. dazu Dorival, Intertextualité, 45-47). Es ist nicht leicht, diese Tatsachen zu deuten. So bedeuten zum Beispiel die Überschneidungen mit der Peshitta möglicherweise nichts anderes, als dass diese im Lauf der Jahrhunderte auf der Grundlage der LXX überarbeitet worden ist. Insgesamt scheint es so zu sein, dass höchstens 70 der der LXX eigentümlichen Lesarten auf eine hebräische Vorlage zurückgehen können, die sich leicht vom masoretischen Text, vom samaritanischen Text und von der Vorlage der Peshitta unterscheidet. Doch der Großteil dieser Fälle scheint nicht dem Bereich der Textkritik, sondern der Redaktionskritik zuzuordnen zu sein und seine Erklärung in exegetischen Motiven zu finden, wie wir weiter unten sehen werden. Es ist zuweilen schwierig, zwischen Textvarianten und redaktionellen Varianten klar zu unterscheiden. So fügt die LXX in 33,36 eine zusätzliche Wegstrecke in der Wüste hinzu. Wollte sie den masoretischen Text korrigieren, der zu Unrecht die Wüste Zin mit der Wüste Kadesch gleichsetzt? Oder ist die LXX hier von einer hebräischen Vorlage abhängig, die den Irrtum nicht enthielt und die sich leicht rekonstruieren lässt (vgl. Barthélemy, CTAT 3, CCXXXIX, und Dorival, Intertextualité, 152-153)? 2.

Die ältere Biblia Hebraica, hg. von R. Kittel (BHK) verzeichnet mehr solcher Varianten als BHS.

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2. Textüberlieferung und Editionen

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

Dennoch sieht es so aus, dass die LXX es zuweilen ermöglicht, zum älteren hebräischen Text vorzudringen, wie zum Beispiel in 26,59, wo der masoretische Text aus moralischen Gründen das ursprüngliche Wort ‫ אתם‬in ‫ אתה‬abgeändert haben könnte. 3

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzungstechniken sind im Fall des Buches Numeri dieselben wie im Fall der anderen Bücher des Pentateuch. Der Septuaginta-Text von Numeri hält sich treu an die Entscheidungen der Übersetzer der voraufgehenden Bücher, was das Vokabular aus den Bereichen Kult, Sünde und Farben betrifft. Er legt denselben Geschmack für die Variation an den Tag: Ein und dasselbe hebräische Wort kann auf mehrfache Weise übersetzt werden. Dieses Phänomen findet seine Erklärung nicht darin, dass es unterschiedliche Übersetzer gab, sondern in einem Bemühen um Abwechslung. Eine solche Übersetzungstechnik hat den großen Nachteil, tatsächlich Verwirrung zu stiften. So wird mit dem Wort σκηνή, »Zelt«, sowohl ‫אהל‬, »Zelt«, als auch ‫משכן‬, »Wohnstatt«, übersetzt, und mit dem Wort μαρτύριον,»Zeugnis«, einerseits ‫עדות‬, »Zeugnis«, und andererseits ‫מועד‬, »Verabredung«. Daraus ergibt sich, dass die Septuaginta nicht zwischen dem Zelt der Begegnung und der Wohnstatt der Bundesurkunde unterscheidet. ‫מלאך‬, Bote, wird mit ἄγγελος übersetzt, wenn es um einen Engel Gottes geht, und mit πρέσβυς, wenn es sich um einen Gesandten des Königs handelt. Dies ermöglicht es auch, die Bedeutung eines Wortes klarer zu erfassen, das keine griechische Entsprechung hat. Das Wort ‫ מגרש‬im Kapitel 35, das den Bereich unmittelbar vor der Stadt bezeichnet, wo die Bewohner ihre Herden auf die Weide führen, wird auf vier verschiedene Arten wiedergegeben, die zusammengenommen eine gute Annäherung an die mit dem hebräischen Wort zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit darstellen. Diesem Sinn für Variation steht der Sinn für Vereinheitlichung gegenüber: Ein und dasselbe griechische Wort dient als Übersetzung für mehrere hebräische Wörter. So steht ἄρτος zugleich für ‫חלה‬, »Pfannkuchen«, und ‫לחם‬, »Brot«. Die Kombination von Variation und Vereinheitlichung führt zu einem komplexen Geflecht von Entsprechungen zwischen hebräischen und griechischen Lexemen. So steht zum Beispiel in Numeri, aber auch in den Büchern Exodus und Levitikus νόμος, »Gesetz«, für ‫חקה‬, »(schriftlicher Befehl«, und ‫תורה‬, »Gesetz«, während ‫ חקה‬auch mit δικαίωμα, νόμιμος und πρόσταγμα übersetzt wird. Wie in den anderen Büchern des Pentateuch wählt der Septuaginta-Text von Numeri manchmal ein griechisches Wort, das phonetisch an seine hebräische Entsprechung erinnert σειρομάστης, »Lanze, Sonde, Siloprüfstock«, gibt ‫רמח‬, »Pfahl, Schwert, Lanze« wieder (25,7). Er bewahrt manchmal, aber nicht immer, Anklänge und etymologische Wortspiele des Hebräischen: ‫ עמד‬wird durch παρίστασθαι (16,9) dann ἱστάναι(16,18) übersetzt. Umgekehrt schafft der Septuaginta-Text eigene Zusammenhänge: So ist zum Beispiel in 7,14 die etymologische Beziehung zwischen θυίσκη und θυμίαμα eine Besonderheit des griechischen Textes. Es gibt einige Beispiele für eine zweifache Übersetzung: In 14,21 wird ‫ חי אני‬durch 3.

Dorival, Intertextualité, 82-83, und ders., Moses, 107. Zum Problem und den Lösungsvorschlägen s. auch LXX.E I, 498. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

ζῶ έγώ, »so wahr ich lebe«, und durch ζῶν τὸ ὄνομά μου, »so wahr mein Name lebt« übersetzt; diese Verdoppelung verleiht Gottes Schwur mehr Feierlichkeit (vgl. auch 3, 15; 13,29; 15,19; 21,4; 25,15; 34,28) und erleichtert zugleich die schwierige Aussage, dass Gott bei sich selbst schwört. Einige Vorgehensweisen der Übersetzung, wie Variationen, Vereinheitlichungen und Doppelübersetzungen gehen in die Richtung einer »relativ freien« SeptuagintaVersion von Numeri, was der Einschätzung von E. Tov / B. G. Wright, Literalness, entspricht, die sich vor allem in die Frage vertieften, ob die Übersetzung von ‫ ב‬und ‫ כי‬sowie des männlichen Pronomens der dritten Person systematisch sind oder nicht, sowie in die Frage der Hinzufügung bzw. Nichthinzufügung von Präpositionen. Doch B. G. Wright, Representation, verfeinerte diese Kriterien und kam zu einer anderen Einschätzung: Die Septuaginta-Version des Buches Numeri sei »relativ wörtlich«. Die Studien von A. Aejmelaeus und R. Sollamo weisen in dieselbe Richtung. Tatsächlich ist es, wie J. Bajard und R.-F. Poswick gezeigt haben, eine heikle Angelegenheit, stichhaltige Indikatoren für die Wörtlichkeit einer Übersetzung zu finden. 4 Darüberhinaus hat auch die wörtlichste Übersetzung nicht-wörtliche Teile. In gewisser Hinsicht erscheint die Septuaginta-Version von Numeri allzu wörtlich: Insbesondere versucht sie die Wortfolge des Hebräischen nachzuahmen. Doch wenn man die Aufmerksamkeit den lexikalischen Phänomenen zuwendet, dann muss man von einer relativ freien Übersetzung sprechen. Numeri wurde etwa zur selben Zeit und am selben Ort wie die anderen vier Bücher des Pentateuch übersetzt. Die alten Quellen bringen die Übersetzung entweder mit Ptolemäus I. Lagos (323–282) oder mit Ptolemäus II. Philadelphos (285–246) in Verbindung. Sie erwähnen auch den Bibliothekar Demetrois von Phaleron. Da Letzterer sich mit Philadelphos überworfen hatte, hält man im Allgemeinen den Zeiraum 285-282 fest, welcher von der Ko-Regentschaft der beiden Ptolemäer geprägt ist. Doch das Zerwürfnis ist vielleicht weniger erwiesen, als es den Anschein hat, und auf der Grundlage von Megillat Taanit 13 hält N. Collins, Library, Ende Dezember 281 v. Chr. als Zeitpunkt für die Verlesung vor den Juden fest. Die Lesung vor dem König datiert sie auf Anfang 280 oder auf den Frühling oder Sommer desselben Jahres. Doch wird diese Argumentation von vielen in Zweifel gezogen. In diesem Fall kann die Übersetzung irgendwann im Lauf des 3. Jahrhunderts gemacht worden sein, doch es spricht alles dafür, dass es vor 220 war: Demetrios der Chronograph, der um diese Zeit seine Abhandlung Über die Könige Judas geschrieben hat, benutzt den Text der Septuaginta. Was den Ort der Übersetzung betrifft, stimmen die Quellen – mit Ausnahme von Michael dem Syrer, der von der Insel Zypern spricht – überein: Die Insel des Pharos vor Alexandrien. Die modernen Forscher haben diese Lokalisierung nicht in Frage gestellt, außer Gaster, der in seinem Buch über die Samaritaner behauptet, dass nur ein judäischer Ursprung der Septuaginta diese in der Diaspora mit der erforderlichen Legitimität ausgestattet hätte. 5 Das Buch Numeri ist nach den Büchern Genesis, Exodus und Levitikus übersetzt worden. Dies geht aus der Tatsache hervor, dass es den lexikalischen Entscheidungen 4. 5.

Aejmelaeus, Parataxis, 1982; Sollamo, Pleonastic use, 1991; Bajard / Poswick, Aspects statistiques, 1991. M. Gaster, The Samaritans, London 1925 (Chapter III).

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

dieser Bücher treu folgt. Es wurde vor dem Deuteronomium übersetzt, selbst wenn der Septuaginta-Text von Num 27,12-14 auf Dtn 32,49-51 anspielt. Mose erhält den Befehl, auf den Berg zu steigen, wo er sterben wird. Im Vers 12 sagt ihm Gott dem masoretischen Text zufolge: »Steig auf diesen Berg der ‫ עברים‬und schau auf das Land, das ich den Söhnen Israels gegeben habe.« Die LXX gibt dies folgendermaßen wieder: »Steig auf den Berg auf der anderen Seite – es ist der Berg Nebo – und schau auf das Land Kanaan, das ich den Söhnen Israels zum Besitz gebe.« Die LXX fügt also zwei geographische Details hinzu, die im masoretischen Text fehlen: den Berg Nebo und Kanaan. Sie enthält einige Worte mehr: »ich« (ἐγώ) und »zum Besitz« (ἐν κατασχέσει). Darüber hinaus spricht sie im Präsens »ich gebe« (δίδωμι). All diese Elemente sind auch in Dtn 32,49 vorhanden, und zwar sowohl im masoretischen Text als auch in der Septuaginta. In gleicher Weise bietet der Vers 13 in der Septuaginta eine Präzisierung, die im masoretischen Text fehlt: Aaron wird mit seinen Vorfahren »auf dem Berg Hor« vereint. Dieses geographische Detail findet man in Dtn 32,50. Schließlich fügt der Vers 14 der LXX über den masoretischen Text hinaus hinzu: »Ihr habt nicht meine Heiligkeit verkündet«. Diese Worte finden sich in Dtn 32,51. Heißt das, dass Numeri hier eine bereits existierende Übersetzung von Deuteronomium zitiert? Dagegen spricht, dass Numeri für ‫»( לאחזה‬zum Besitz«) ἐν κατασχέσει (Num 27,12; 32,5.22.29) sagt, wohingegen dies im Deuteronomium εἰς κατάσχεσιν (Dtn 32,49) lautet. In diesem Beispiel veranschaulicht die LXX eine Exegese, derzufolge es unmöglich ist, Num 27,12-14 ohne Bezug auf Dtn 32,49-51 zu lesen. Die Übersetzer haben einfach die Übersetzung dieser Verse des Buches Deuteronomium vorweggenommen.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Das Griechisch des Buches Numeri entspricht dem der anderen Bücher des Pentateuch. Einige bemerkenswerte, die Syntax betreffende Charakteristika wurden von Dorival, Intertextualité, herausgearbeitet. Sie beziehen sich auf die Übereinstimmung in Geschlecht und Zahl (18,21; 19,2; 19,15), die Angleichung des Kasus des Subjekts an den Kasus des Relativpronomens, dem es vorangeht (13,33; 1922; 35,6 und 7), den präpositionellen Gebrauch von ἐχόμενον (34,3) und ὁδὸν (14,25; 21,), die Präposition πλὴν, die normalerweise vor einem Genitiv, doch manchmal vor dem Nominativ (26,65; 29,6 und 11) oder dem Akkusativ (29,39) steht, den adverbiellen Gebrauch der Partizipien im Neutrum τὸ ἐξέχον (21,13), τὸ βλέπον (21,20), τὸ παρατεῖνον (23,28), auf den absoluten Nominativ (22,2; 23,27; 33,40) sowie auf die Nominalsätze (12,9; 16,22; 32,17). Numeri weist vier hapax legomena auf: das Adjektiv λαμπηνικός (7,3) und die Verben ἐπαξονεῖν (1,18), καταρρεμβεύειν oder καταρρομβεύειν (32,13), συγκατακληρονομεῖσθαι (32,30); ihnen kann man noch zwei »quasi« hapax legomena hinzufügen: ἀκουσιάζεσθαι (15,28) und ἐκσπερματίζω (5,28). Acht Wörter werden im Buch Numeri zum ersten Mal benutzt: αἰνιγματιστής (21,27), ἀναθεματίζω (18,14; 21,2.3), πορνεύειν (25,1), ἐπικαταλαμβάνεσθαι (15,23), κατακληρονομεῖν (13,30), καταπρονομεύειν (21,1), ὀπτάζεσθαι (14,14) und προσοχθίζειν (21,5). Das Vokabular von Numeri ist weitgehend den Entscheidungen verpflichtet, wel4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

che die Übersetzer der Bücher Genesis, Exodus und Levitikus hinsichtlich der Vokabel getroffen haben, die sich auf die Gottheit, auf die göttlichen Gebote, die Landverheißung, den Kult, die Opfer, das Priestertum, die Heiligkeit, die Feste und den gesellschaftlichen Status beziehen. Doch enthält Numeri auch lexikalische Neuerungen. So teilt zum Beispiel das Buch Numeri, was die politische und gesellschaftliche Organisation betrifft, die Gemeinschaft in »Stämme«, φυλαί, dann in »Sippen«, συγγενείαι, dann in δῆμοι, »Volksgruppen«, dann in »Häuser väterlicher Abstammung«, οἶκοι πατριῶν ein. Der Ausdruck δῆμος ist Numeri eigentümlich, wo er mehr als einhundertfünfzigmal verwendet wird. Er gibt das ‫ משפחה‬des masoretischen Textes wieder, welches die alten und modernen Übersetzer mit »Clan«, »Familie« oder »Sippe« übersetzen. Dieses Wort kommt zwölf Mal in den Büchern Genesis und Levitikus vor, wo es mit φυλή übersetzt ist. Die Neuerung im Buch Numeri besteht also in der Unterscheidung zwischen dem Stamm und dem δῆμος. Diese Unterscheidung verweist auf eine ganz bestimmte griechische politische Realität: Mehrere Städte der klassischen oder hellenistischen Epoche sind in Stämmen oder Volksgruppen organisiert, so etwa Athen seit der Zeit des Kleisthenes, Rhodos und Alexandrien. Durch die Verwendung der Wörter φυλή und δῆμος, haben die Übersetzer von Numeri das Organisationsmodell der Sesshaftigkeit der Bürger, wie es in einigen berühmten Städten üblich war, für die Beschreibung übernommen, welche die Bibel von einer nomadischen, in der Wüste umherirrenden Bevölkerung bietet. Letztere wird als eine wahrhaftige Stadt gesehen, die sich auf Wanderschaft befindet. Hier ist also eine besonders interessante Auslegung eingeflossen.

4.2 Inhaltliches und theologisches Profil Einige der sehr zahlreichen Unterschiede zwischen der LXX und dem masoretischen Text finden ihre Erklärung in der Tatsache, dass die LXX von einem hebräischen Text abhängt, der sich leicht vom masoretischen Text unterscheidet. Doch in der Regel entspringen diese Abweichungen einer spezifischen Exegese der Bibel, der ältesten, die uns zugänglich ist. Diese Exegese steht zuweilen der der Targumim und der Weisheitsliteratur nahe. Sie betrifft die Personen, welche in Numeri eine Rolle spielen: Gott, Mose, Aaron (den die LXX öfter mit den Taten des Mose in Verbindung bringt als der masoretische Text), Mirjam, Josua, Kaleb, Eleasar, die Ältesten, Eldad und Modad, Korach, Datan und Abiram, Pinchas, das Volk der Hebräer, die Fremden, Bileam (von dem die LXX deutlicher als der masoretische Text sagt, dass er kein Prophet für Gott ist). Die LXX bietet ebenso eine spezifische Exegese der Aufgaben der Priester und Leviten. Sie betrifft gleichermaßen Kultgegenstände, Riten, Gelübde, Orakel (insbesondere die Bileams), Orte, Wüstenwanderungen, das verheißene Land. Zuweilen sind auch die Anthropomorphismen der LXX originell: In 20,24 tilgt die LXX den »Mund« Gottes, doch sie schreibt Gott Gereiztheit zu. 6 Auf der inhaltlichen Ebene ist ein charakteristischer Zug der Septuaginta-Version des Buches Numeri ihre historisierende Tendenz: Alle Verse des masoretischen Textes, welche Bezugnahmen auf frühere Passagen der Tora enthalten, sind in der LXX vorhanden, doch diese bietet etwa 40 zusätzliche Verse oder Versgruppen, die sich auf 6.

Vgl. Dorival, Intertextualité, 78-157.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

frühere Passagen der Tora beziehen und im masoretischen Text entweder fehlen oder in weniger häufigen Fällen vom masoretischen Text abweichen. Bereits der masoretische Text bemüht sich darum, die Ereignisse von Numeri in die vergangene Geschichte Israels einzufügen, die LXX akzentuiert diese Tendenz jedoch stärker. Dieselbe historisierende Tendenz bezeugen die Targumim, doch auf weniger entwickelte Weise als die LXX. Dieses Phänomen der Intertextualität entspringt dem exegetischen Grundsatz, demzufolge die Bibel die Bibel erklärt, und sie kann als ein Sonderfall der Harmonisierung betrachtet werden. In dem Maße, in dem sich der Text, auf den Bezug genommen wird, nicht außerhalb der Bibel befindet, sondern im Pentateuch, kann die Intertextualität als eine interne verstanden und Intratextualität genannt werden. Der spektakulärste Fall von Intratextualität ist der der Söhne Jakobs und der Stämme. Im masoretischen Text gibt es 15 Textabschnitte, in denen die Söhne Jakobs oder die Stämme, die von ihnen ihre Namen beziehen, aufgezählt werden: Gen 29,21–30,24 + 35,16-18; 35,22-26; 46,8-26; 49; Ex 1,2-4; Num 1,5-15; 1,20-43; 2,3-31; 7,12-83; 10,14-28; 13,415; 26,5-50; 34,18-28 und Dtn 27,12-13; 33. In 13 dieser 15 Listen zählt die Septuaginta die gleichen Namen auf wie der masoretische Text, und auch in der gleichen Reihenfolge. Doch einzig im Buch Numeri unterscheiden sich zwei Listen in der LXX von den im masoretischen Text enthaltenen. In Num 1,20-43 zählen Mose und die Stammesoberhäupter die Stämme durch. Im masoretischen Text steht Gad an dritter Stelle, in der LXX hingegen an der neunten. Im weiteren Verlauf lehnt sich der masoretische Text sehr nahe an die Liste von 2,3-31, welche das Heer im Lager und auf dem Marsch beschreibt, und an die Liste in 10,14-28, welche das Heer beim Aufbruch schildert. Die Septuaginta lehnt sich sehr nahe an die Liste in Num 1,5-15 und vor allem in Gen 35,2226 und 49 an. Was die Liste in Num 26,5-50 betrifft, wo Mose und Eleasar eine Generation später im moabitischen Aravot wieder die Zahl der Israeliten ermitteln, so ist die Reihenfolge des masoretischen Textes identisch mit der von Gen 41,51-52, während die Reihenfolge der LXX der Liste in Gen 46,8-26 ähnlich ist. Mit anderen Worten: Im masoretischen Text, der sich auf das Heer im Lager und während des Marsches konzentriert, ist die Zählung des Mose vor allem ein militärischer Akt. In anderer Weise will die Septuaginta daran erinnern, dass es zwischen den Söhnen Jakobs und dem Heer in der Wüste eine historische Kontinuität gibt: Das Durchzählen erfolgt nicht nur militärisch, sondern diese Handlung macht aus Mose einen neuen Jakob und aus den Stämmen Israels neue Söhne Jakobs. Unter den 38 weiteren Beispielen der Intratextualität des Buches Numeri ist ein Abschnitt, der sich auf Bileam bezieht, besonders interessant. Allgemein gesprochen ist die Septuaginta Bileam gegenüber weniger wohlwollend als der masoretische Text (Wevers, Balaam). Sie sieht in ihm einen Inspirierten und nicht einen Propheten Gottes (Dorival, Intertextualité). In 23,18-24 verkündet Bileam seine zweite Prophezeiung oder sein zweites »Gleichnis«. Im Vers 21a heißt es im masoretischen Text: »Er bemerkte kein Unrecht in Jakob, er sah keinen Aufruhr in Israel.« Im Allgemeinen nehmen die modernen Kommentatoren an, dass mit »er« Gott gemeint ist. Doch die Targumim haben eine andere Auffassung: Das Subjekt der Verben ist Bileam, der behauptet, dass er in Jakob und Israel keine Götzendiener sieht. Die Septuaginta bietet folgenden Text: »Es wird keine Qual in Jakob geben, und man wird keine Bedrückung in Israel sehen.« Es ist klar, dass die LXX nicht die hebräischen Substantive übersetzt, sondern sie deutet: μόχθος, »Qual«, verweist auf Ex 18,8 und Num 20,14, wo dieses 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

155

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

Wort die Qualen der Hebräer in Ägypten bezeichnet. Was πόνος, »Bedrückung«, betrifft, so erinnert dieses Wort an Ex 2,11, wo es die Bedrückung des Volkes in Ägypten beschreibt. Folgerichtig kümmert sich die LXX nicht um die Götzen, wie es die Targumim tun. Sie macht aus Bileam einen Inspirierten, der vorhersagt, dass die Hebräer, sobald sie sich im verheißenen Land niedergelassen haben werden, weder Qual noch Bedrückung kennen werden, so wie sie sie in Ägypten durchgemacht haben. Von da an wird das Leben das Gegenteil des Lebens in Ägypten sein. Die Unterschiede in der Vorstellung des Messianismus zwischen dem masoretischen Text und der LXX haben die Aufmerksamkeit von J. Lust (Oracles), G. Dorival (Intertextualité), J. Collins (Messianism), W. Horbury (Messianism) und M. Rösel (Interpretationen) auf sich gezogen. Sie analysieren unter anderem die Weissagungen Bileams. Zum Beispiel bietet der masoretische Text für die dritte Weissagung des Bileam (24,3-9) folgende Variante: »Wasser werden wie Bäche aus seinen Gefäßen fließen, und seine Nachkommenschaft wird in zahlreichen Wassern sein, und sein König wird höher gepriesen als Agag, und sein Reich wird erhoben werden.« Die messianische Perspektive des masoretischen Textes, wie sie in den Targumim wieder aufgenommen wird, ist ein Reich nach dem Modell des davidischen, wie dies die Bezugnahme auf Agag deutlich macht: Dieser König von Amalek wird von Saul besiegt, der ihn aber entgegen dem Befehl Gottes verschont (1Sam 15,7-33). Gott bereut es, Saul zum König Israels gemacht zu haben, und beschließt, ihn durch David zu ersetzen. Letzterer ist Sieger über die Amalekiter, die er bis zum letzten Mann tötet (1Sam 30,120). So erfüllt David durch seine militärischen Siege die Weissagung Bileams. Nichts davon findet sich in der Septuaginta, die nicht das Wort »König« verwendet, sondern wo die Rede von einem Menschen ist, der Herr der Völker sein wird und ein Reich bekommen wird: »Ein Mensch wird aus seiner Nachkommenschaft hervorgehen, und er wird Herr zahlreicher Völker sein, und sein Reich wird höher gepriesen als Gog und sein Reich wird sich mehren.« Die Erwähnung Gogs verweist auf die Weissagungen aus Ezechiel 38 und 39. Dieselbe Bezugnahme auf Gog findet sich im samaritanischen Text, der also eine Auffassung vom Messianismus bezeugt, welcher die Rolle Davids beschränkt. Doch die Septuaginta geht noch weiter, denn bei ihr ist das Wort Mensch geeigneter als das Wort König, um vom Messias zu sprechen. So wertet die Septuaginta gegenüber einem Messiaskönig des masoretischen Textes und der Targumim einen Menschen / Herren auf, dessen genaue Bedeutung allerdings umstritten bleibt.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 5.1 Die Buchüberschriften Wie die anderen Bezeichnungen der Bücher des Pentateuch in der Septuaginta (Genesis, Exodus, Levitikus und Deuteronomium) nimmt auch die Buchüberschrift Arithmoi, lat. Numeri, deutsch Zahlen bzw. Zählungen, Bezug auf den Inhalt, auch wenn die Zählungen nur einen Teil des Inhalts bieten. Dagegen zitieren die hebräischen / masoretischen Bezeichnungen nur formal aus den Anfangsworten: Genesis heißt Berêšît, »Am Anfang«; Exodus = Šemôt, »Namen«; Levitikus = Wayyiqrâ’, »Er rief«; 156

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

Numeri = Bemidbar, »In der Wüste«; Deuteronomium = Debârîm, »Worte«. Dabei ergeben sich nur eher zufällige Beziehungen zum Inhalt. Allerdings sind die Buchtitel der Septuaginta nicht erst Schöpfungen des griechischen Bereichs, sondern kannte auch die rabbinische Tradition 7 entsprechende Buchtitel: Sêfär yeṣirat ha’ôlâm, »Buch der Erschaffung der Welt«; Sêfär yeṣi’at Miṣrayim, »Buch des Auszugs aus Ägypten«, Sêfär tôrat hakkôhanîm, »Buch der Priestergesetze« (faktisch gleichbedeutend wie Levitikus, weil die Priester Nachkommen Levis sind), Ḥômêš happiqqûdîm, »Fünfter Teil [= Buch] der Zählungen« und Sêfär mišnäh tôrâh, »Buch des zweiten Gesetzes«. Die Bezeichnung happiqqûdîm ist von der Wurzel pâqad, gebildet, die in der Septuaginta normalerweise mit episkepthesthai, »mustern« wiedergegeben wird. Somit würde man Episkepseis, »Musterungen«, oder Epeskemmenoi, »Gemusterte« erwarten. Trotz dieser kleinen Differenz spiegelt auch diese Bezeichnung deutlich die rabbinische Tradition. Allerdings bezieht sich diese Bezeichnung nicht auf den ganzen (vielfältigen) Inhalt des Buches, sondern nur auf die Musterungen und Zahlen in Kap. 1 und 26 (speziell 1,45-46 und 26,51).

5.2 Philo von Alexandrien Philo kommentiert fast ausschließlich den Pentateuch. Im Zentrum seiner Werke steht das Buch Genesis, das nach J. Allenbach et al., Biblia Patristica. Supplément. Philon d’Alexandrie, Paris 1982, 77-82 über 4.000 Mal zitiert wird. Danach folgt das Buch Exodus mit 1.600 Zitierungen, während Levitikus, Numeri und Deuteronomium in etwa gleich jeweils zwischen 600 und 700 Mal zitiert werden. Allerdings haben die beiden ersten Kapitel nicht die Aufmerksamkeit von Philo erlangt. Philo legt die Texte sowohl wörtlich als auch – häufiger – allegorisch aus. Manchmal spiegeln sich auch zeitgenössische Auslegungen oder juristische Regelungen. Markante Beispiele sind folgende: 3,11-13 (Die Leviten, die als der »Zehnte« gelten, den Gott an Stelle der Erstgebornen annimmt, symbolisieren den besten Teil der menschlichen Seele, der Gott zugewandt ist; Congr. 98, Her. 124, Sacrif. 118-134); 5,11-31 (Das Wasserordal für die des Ehebruchs verdächtigte Frau: In Spec. III 52-62, fügt Philo Details hinzu, die in der Septuaginta nicht vorhanden oder davon verschieden sind, etwa, dass vor dem Ordal der Mann und die verdächtigte Frau zuerst dem Gericht vorgeführt werden, so wie es auch in Mishna Sota I 4 geregelt ist); 6,1-8 (Philo kommentiert wiederholt das große Reinheitsgelübde, z. B. in Deus 87 et Spec. I, 247-254, wobei das große Gelübde darin besteht, alles Gute, das der Mensch erfährt, als Gabe Gottes zu erkennen, und Gott nicht irgendwelche materiellen Dinge zu opfern, sondern sich selbst Gott hinzugeben); 9,1-5 (nach Decal. 159, Mos. II 224-225 et Spec. II 145, unterscheidet sich das Passa von allen anderen Festen dadurch, dass hier dem Volk die Ehre und Würde des Priestertums zuteil wird, während bei den anderen Festen nur die Priester Opfer darbringen); 10,29-32 (In Ebr. 36-40 identifiziert Philo implizit Hobab mit Iothor / Jethro, wie es manchmal in der rabbinischen Literatur geschieht, wobei für Philo Iothor der Prototyp des Weisen ist, während er für die Rabbinen der Prototyp des Proselyten ist); 13,1825 (In Somn. II 170-171, ist Kanaan das Gebiet der Tugend; die Wüste ist die Philoso7.

S. die Belege bei Orlinsky, H. M., Essays in Biblical Culture and Bible Translation, New York 1974, 368. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

157

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

phie, das Land bezeichnet den Unterricht und die Lehre; die Städte sind die Taten, das Volk die Stärke und Macht, die Weinrebe und die Trauben sind Knospen und die Frucht der moralischen Vollkommenheit); 15,17-21 (in Sacrif. 107-111, kommentiert Philo die Erwähnung des Teiges und die Erstlingsgabe vom Brot allegorisch: Der Teig ist die Gesamtheit des Menschen, die Erstlingsgabe sind die gesunden, guten Äußerungen der Seele und des Körpers, etc.); 20,14-21 (in Mos. I 240-249, verwandelt Philo die Geschichte vom Misserfolg des Mose in eine Geschichte des Sieges der Gutmütigkkeit des Mose über die Eifersucht der Edomiter); 22-25 (Philo kommentierte wiederholt die Balaam-Episode und die Ereignisse um Beelphegôr, sei es wörtlich wie in Deter. 71; Migr. 113-115 und Mos. I 263-318, wo er die Schlechtigkeit Balaams anspricht, sei es allegorisch wie in Cher. 32-38 und Confus. 55-57, 64-66, 159, wo Balaam für nichtige Menschen steht; diese Sicht von Bileam steht im Gegensatz zum Liber Antiquitatum Biblicarum XVIII 2-14, wo er viel positiver gezeichnet wird); 27,1-11 (in Mos. II 233-245, gibt Philo eine wörtliche Auslegung der Erzählung vom Erbe der Töchter des Salpaad; in Migr. 205 macht er daraus eine moralische Allegorie: Die fünf Töchter sind die fünf Sinne, die vom Vergessen geprägt sind und nicht von der Erinnerung); 27,12-23 (in Virt. 55-71, zeigt sich die Menschenfreundlichkeit des Mose darin, dass er alles Gott überlässt, auch die Frage seiner Nachfolge); 28,1-8 (in Spec. II 39-214, gibt es zehn Feste und nicht nur neun, weil Philo zwischen Passa und Mazzenfest ein fünftes Fest einführt, nämlich das Fest der Erstlinge der Gerste, das er das »Garbenfest« nennt.); 28,910 (in Spec. II 56-64, zitiert Philo weitere Namen des Sabbat: »die Jungfrau« [wegen seiner Reinheit], »der Mutterlose [Tag]« [weil der Sabbat alleine von Gott, dem Vater, gegeben ist), »die Zeit« [weil der Sabbat die Grundstruktur der Zeit angibt]; diese Bezeichnungen beziehen sich auf den griech. Text und auf Zahlenspekulationen nach Plato und Pythagoras).

5.3 Josephus Flavius Josephus paraphrasiert das Buch Numeri in den Büchern III und IV der Antiquitates; der Text, den er kommentiert, steht dem MT nahe; spezifische Linien der LXX sind nicht zu erkennen. Es fällt auf, dass er so wie Philo zahlreiche, im biblischen Text noch nicht enthaltene Präzisierungen bietet, die wahrscheinlich auf alte Auslegungstraditionen zurückgehen. Vor allem ist die chronologische Abfolge der in Num erzählten Episoden interessant. Bekanntlich entspricht die Reihenfolge der Kapitel nicht immer der chronologisch plausiblen Abfolge der Ereignisse, die sich im Wesentlichen auf den ersten Monat des zweiten Jahres und dann auf die Zeit zwischen dem ersten Tag des zweiten Monats und dem letzten Tag des letzten Monats des 40. Jahres verteilen. In AJ III 286-287, sagt Josephus, dass Mose zuerst die Fragen der Gesetzgebung regelte, und dass er sich den militärischen Angelegenheiten erst in einem zweiten Schritt zuwandte, was allerdings mit den Erzählungen ebenfalls schwer in Einlang zu bringen ist. (Für Einzelheiten s. Dorival, Nombres, 178-182).

5.4 Das Neue Testament Das Neue Testament bietet kein explizites Zitat, aber es gibt klare Anspielungen: Auf Num 12,7 in Hebr 3,2 (Treue des Mose im Haus Gottes); auf Num 14 in Hebr 3,16-18 158

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

(die Revolte des Volkes in der Wüste); auf Num 14,3 in Apg 7,39 (der Wunsch des Volkes, nach Ägypen zurückzukehren); auf Num 16 und 22,7 in Judas 11 (»der Aufstand Korachs« und »der falsche Lohn Bileams«); auf Num 16,5 in 2Tim 2,19 (»der Herr kennt die Seinen«); auf Num 16,22 und 27,16 in Hebr 12,9 (»Gott / Vater der Geister«); auf Num 17,8 in Hebr 9,4 (der blühende Stab Aarons); auf Num 18,21 in Hebr 7,5 (der Zehnte für die Priester); auf Num 19 in Hebr 9,13 (die Asche der jungen Kuh); auf Num 21,9 in Joh 3,14 (die von Mose erhöhte Schlange in der Wüste); auf Num 22,28 in 2Petr 2,16 (die sprechende Eselin Balaams); auf Num 24,17 in Mt 2,2 (der Stern der Magier; s. G. Dorival, L’astre de Balaam et l’étoile des mages, Res Orientales XII. La science des cieux. Sages, mages et astrologues, Leuven 1999, 93-111); auf Num 25,1-2 und 31,16 in Offb 2,14 (Balaam, Balak und die Hebräer, die die Götzen verehren); auf Num 27,17 in Mt 9,36 und Mk 6,34 (die verlassene Menge, verglichen mit den Schafen, die keinen Hirten haben); auf Num 28,9-10 in Mt 12,1-8 (s. BdA, 494). In 1Kor 10,1-10 wird auf mehrere Episoden des Numeribuches angespielt: V. 5 bezieht sich auf 14,16 (mit dem gleichen Verb καταστρώννυμι); V. 6 bezieht sich auf 11,4 (der Wunsch nach Nahrung); V. 8 bezieht sich auf 25,1-9 (die Prostitution mit den Moabitern); V. 9 bezieht sich auf 21,5-6 (der Tod durch die Schlangen); V. 10 auf 14,26-37 (das Murren der Hebräer und ihr Tod). Lk 1,15; Apg 18,18 und 21,23-26 könnten sich auf Num 6,1-8 (der große Reinigungseid) beziehen. Die Aufnahmen von Num 23,19cd in Hebr 6,18 (Gott kann nicht lügen) und 24,6c in Hebr 8,2 (das Zelt, das der Herr gestiftet hat) sind weniger sicher. Die Gebote in Mt 5,33 sind ein Echo auf Num 30,2, wie auch auf andere Verse des Pentateuch. Weitere Anspielungen wurden vermutet, bleiben aber fraglich: Z. B. spricht 2Petr 2,15 von einem »ungerechten Lohn« des Balaam; dabei ist der Ausgangspunkt sicher Num 22,7 (»der ungerechte Lohn der Prophezeiung«), aber das Thema Ungerechtigkeit spielt in der Septuaginta keine Rolle. 2Petr schwärzt die Rolle des Balaam so wie es Philo (s. o.) und andere jüdische und christliche Autoren machten. Ein schwieriger Fall ist Joh 19,36, wo die Formel »das geschah, damit die Schrift erfüllt würde« ein Schriftzitat einführt, das an Num 9,12, aber auch an Ex 12,45 und an Ps 33 (34),21 erinnert.

5.5 Kirchenväter und pagane Autoren Vor Origenes gibt es keinen fortlaufenden Kommentar zu Numeri. Aber das Buch wurde in den ersten zwei Jahrhunderten häufig zitiert. So ist zum Beispiel nach Barnabas 8-12 die junge Kuh von Num 18 ein Typos für Jesus, und die bronzene Schlange von Num 21,4-9 ist die Figuration für das Heil durch Jesus am Kreuz (vgl. Joh 3,14). Irenäus sieht in Nadab und Abioud, die in Num 3,1-4 fremdes Feuer ins Lager bringen, als Figuration der Häretiker, die fremde Lehren einführen (Contra heireseis IV 26, 2). Er interpetiert die Personen von Num 12 allegorisch: Mose steht für den Logos; die Äthiopierin, die er heiratet, ist die Kirche aus den Heidenvölkern; Mariam, die aus dem Lager gejagt wird, stellt die Häretiker dar, die aus der Kirche vertrieben werden (Contra heireseis IV 20, 12). Origenes hat dem Buch Numeri 28 Homilien gewidmet. Er vermischt die historisch-wörtliche und die allegorische Auslegung. Z. B. sind die 42 Etappen der Wüstenwanderung die Figuration der geistlichen Fortschritte (Homilie 1, 1-2), sei es in diesem Leben oder nach der Auferstehung (Homilie 27); die (Ordnung der) Stämme 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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1.4 Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose

veranschaulicht die Ordnung der Auferstandenen nach der Auferstehung (Homilie 1, 3); die Wolke und das Feuer von Num 9,15-23 sind der Sohn Gottes und der Heilige Geist (Homilie 27, 5). In Num 12 ist Mose das geistliche Gesetz Gottes, die Äthiopierin ist die Kirche, Mariam und Aaron, die sich über deren Heirat empören, stellen die Synagoge und die Pharisäer dar. Ihre Strafe präfiguriert die tragische Situation der Juden zur Zeit des Origenes. Der Aussatz, der Mariam befällt, ist die Sünde, die am jüdischen Volk hängt; ihre Heilung vom Aussatz kündigt die künftige Bekehrung des jüdischen Volkes an (Homilie 6, 4 und Homilie 7, 1-5); in Num 16 sind Korach und seine Parteigänger die Figuration der Häretiker; die Kohlebecken sind die Schrift, das fremde Feuer ist der fremde Sinn, den die Häretiker in die Schrift hineinlegen. Eleazar und die Priester stehen für die Kirche (Homilie 9). Auch nach Origines wird Numeri häufig von den Vätern zitiert; s. dazu BdA. Die Schwierigkeiten des Buches bilden den Gegenstand der Fragen und Antworten bei Theodoret von Cyrrhus im 5. Jh. und bei Maximus dem Bekenner im 7. Jh. Nur selten wird Numeri bei heidnischen Autoren zitiert: Der Kaiser Julian kritisiert Num 12,8 weil sich dieser Vers zu körperlich ausdrückt (»von Mund zu Mund werde ich mit ihm reden«), um von der Gottheit sprechen zu können (Contra Galilaeos I, zitiert bei Kyrill, Contra Julianum II 18). Julian zitiert auch Num 25,11, wo Gott von seinem Zorn und von seiner Eifersucht spricht, um zu zeigen, dass der Gott des Mose weit davon entfernt ist, gerecht zu sein, und dass er Böses mit Bösem vergilt (Contra Galilaeos I bis = Kyrill von Alexandrien, Contra Julianum V bis).

6. Perspektiven der Forschung [SK] Die Forschung an der Septuaginta der Buches Numeri partizipiert an den Fragen der Pentateuch-Septuaginta ingesamt. Speziell genannt werden können: 6.1 Die Frage der Textgrundlage. Wie unter 2. angesprochen, scheint es sinnvoll, die Frage der Bedeutung der Qumranfunde, und zwar sowohl der griechischen (4QLXXNum) als auch der hebräischen, für die Rekonstruktion der ältesten Textgestalt (Old Greek) und das Problem früher Bearbeitungen neu zu prüfen. Dabei sind auch die Zitate bei Philo und Josephus zu beachten. 6.2 Die in jüngerer Zeit wieder aufgenomme Frage der Reihenfolge der Übersetzungen der Bücher des Pentateuch. Reichen die vorgelegten Argumente für eine Abweichung der Reihenfolge der Übersetzungen von der erzählerischen und kanonischen Reihenfolge der Bücher? Andererseits: Wie tragfähig ist z. B. die Annahme einer vorweggenommenen Übersetzung von Dtn 32,49-51 für Num 27,12-14 (und wie verhalten sich diese Stellen zu Lev 25,45 sowie Ez 45,5.8 und zu Lev 14,34)? 6.3 Einzelexegetische Fragen wie etwa die Formulierungen und die Deutung der Bileamsprüche (Num 23 f.), die Wiedergabe der kultischen Terminologie oder realienkundliche Aspekte wie etwa die Erwähnung eines Siloprüfstocks (25,7).

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6. Perspektiven der Forschung [SK]

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose Melvin K. H. Peters

1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 1887 — BML I/3, 1909 — RaHa 1935/2006 — Wevers, J. W., Deuteronomium. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum III/2, Göttingen 1977 (Für einige spätere, abweichende editorische Entscheidungen siehe Wevers, N-Dtn).

1.2 Qumran-Texte 1QDtna.b = 1Q4.5 (DJD I) — 2QDtna.b.c = 2Q10.11.12 (DJD III) — 4QDtna-k1.k2.k3-q = 4Q2838.38a.38b-44 (DJD XIV) — 4QpalDtnr.s = 4Q45.46 (DJD IX) — 5QDtn = 5Q1 — 6QpapDtn = 6Q3 — 6QDtn = 6Q20 (DJD III) — 11QDtn = 11Q 3 (DJD XXIII) — 4QLXXDtn = 4Q122 (DJD IX) — MurDtn = Mur 2 (DJD II) — XḤevSeDtn = XḤev/Se3 (DJD XXXVIII) — MasDtn = Mas 1c (Masada 6). BQS 175-246 – HTTM 35-183. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Dogniez, C. / Harl, M., La Bible d’Alexandrie: Le Deutéronome. Traduction du texte grec de la Septante, Introduction et Notes, Paris 1992 — Peters, M. K. H., Deuteronomy, NETS, Oxford / New York 2007, 141-173 — den Hertog, C. G. / Labahn, M. / Pola, T., Deuteronomium, LXX. D, Stuttgart 20102, 175-215 — den Hertog, C. G. / Labahn, M. / Pola, T., Deuteronomium, LXX.E, Stuttgart 2011, 523-601.

1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A., Die Septuaginta des Deuteronomiums, in: T. Veijola (Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SFEG 62, Göttingen 1996, 1-22 — Ausloos, H., LXX’s Rendering of the Numeruswechsel in the Book of Deuteronomy. Deuteronomy 12 as a Test Case, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 303-314 — Dion, P-E., Early Evidence for the Ritual Significance of the ›Base of the Altar‹ around Deut. 12:27 LXX, JBL 106 (1987), 487-492 — Dion, P-E., The Greek Version of Deut 21:1-9 and its Variants: A Record of Early Exegesis, in: A. Pietersma / C. E. Cox (Hg.), De Septuaginta (FS J. W. Wevers), Mississauga, ON 1984, 151-160 — Dion, P-E., Deuteronomy 19:3 Prepare the Way, or Estimate the Distance?, ET 25 (1994), 333-341 — Feldman, L. H. Use, Authority and Exegesis of Mikra in the Writings of Josephus, in: M. J. Mulder / H. Sysling (Hg.), Mikra, Assen / Maastricht 1988, 455-518 — Harl, M., La Péché irrémissible de l’idolâtre arrogant: Dt 29,19-20 dans la Septante et chez d’autres témoins, in: G. Norton / S. Pisano (Hg.), Tradition of the Text (FS D. Barthélemy), OBO 109, Fribourg / 1. Wichtige Literatur

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

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2. Textüberlieferung und Editionen Die Textgeschichte des griechischen Dtn wurde in Wevers, TH-Dtn, ausführlich behandelt und in Wevers N-Dtn weiter vertieft. Die Standardausgaben des griechischen Pentateuchs, Dtn natürlich eingeschlossen, sind oben unter 1.1. genannt. In den letzten Jahrzehnten gab es hauptsächlich zwei große Projekte, die sich mit der Edition der LXX befasst haben, eines in Cambridge und eines in Göttingen. Das erstgenannte stellt eine diplomatische Ausgabe des Codex Vaticanus (B) dar, wobei die anderen Textzeugen in einem umfangreichen Apparat aufgeführt werden. Die Göttinger Septuaginta (Gö), die noch nicht vollständig vorliegt, druckt als Obertext einen kritisch rekonstru162

2. Textüberlieferung und Editionen

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

ierten Text. Alle weiteren Zeugen, einschließlich Zitate und Tochterübersetzungen werden umfassend im Apparat aufgeführt. Die weiterhin am häufigsten benutzte Ausgabe der LXX ist die von A. Rahlfs herausgegebene Handausgabe, die von Hanhart durchgesehen wurde (RaHa 1935/2006). Diese populäre Ausgabe basiert im Wesentlichen auf den drei Hauptunizialen B, S und A. Weil für Dtn S nicht vorhanden ist, nennt Rahlfs am Anfang von Dtn nur B und A als laufende Zeugen; allerdings finden sich auch einzelne Hinweise auf andere Kodices (V und F) und mit dem Siglum O auch auf hexaplarische Lesarten.

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Sprachliches Profil Die Analyse einer Übersetzung der Septuaginta und der Übersetzungstechniken beruht auf Vorannahmen über die noch erhaltenen hebräischen und griechischen Texte, die nicht immer explizit dargelegt und auch nicht immer ausreichend hinterfragt werden. Bei den meisten Büchern der LXX, speziell bei solchen, die ein »Übersetzungsgriechisch« wiedergeben, ist es akzeptierte Praxis, das Hebräische des sog. Masoretischen Textes – auf der Basis des vom Anfang des 11. Jh. n. Chr. stammenden Codex Leningradensis, der in St. Petersburg aufbewahrt wird – als Vorlage anzunehmen. Dies gilt, auch wenn allgemein akzeptiert wird, dass auf der einen Seite die Septuagintaübersetzungen mehrere Jahrhunderte vor dem Kopieren dieses Textes fertiggestellt wurden, auf der anderen Seite viele Bücher der LXX deutlich Vorlagen mit erheblichen Abweichungen gegenüber dem Codex Leningradensis darstellen. Hinzu kommt, dass die meisten Forschenden der heutigen Zeit den Text der Göttinger kritischen Ausgaben als Basis verwenden, obwohl im Apparat noch eine riesige Zahl von Lesarten aus den Handschriften attestiert ist. Bei allem Respekt gegenüber den Bearbeitern der großen kritischen Ausgaben sind daher immer wieder auch die im Apparat bezeugten alternativen Lesarten zu beachten. Wie kann man demgegenüber verantwortungsvoll die Übersetzungstechniken eines bestimmten LXX-Buches kommentieren, wenn weder seine hebräische Vorlage noch auch seine originale griechische Form mit absoluter Sicherheit bestimmt werden können (und noch nicht bestimmt wurden)? Die Antwort ist meiner Auffassung nach folgende: Jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin sollte, noch vor Beginn irgendeiner Diskussion der Übersetzungstechnik, seine Voraussetzungen bezüglich des verwendeten Textes sowohl der Ausgangs- wie auch der Zielsprache, darlegen. Im Folgenden setze ich daher voraus, dass der Übersetzer des griechischen Dtn eine unvokalisierte hebräische Quelle verwendete, die dem masoretischen Text des Codex Leningradensis zwar ähnlich, aber nicht mit ihm identisch ist. Ich nehme zudem an, dass der Übersetzer allein arbeitete, ohne Kontakt zu Übersetzern irgendeines anderen Buches der LXX, zudem ehrlich, kompetent und gewissenhaft seine Aufgabe ausführte, sich eng an die Vorlage hielt und sich nur gelegentlich auf eine Interpretation oder Erklärung einließ. D. h., während die Wortwahl der Übersetzung des Dtn die Übersetzer folgender Bücher beeinflusst haben könnte, ist das Gegenteil nicht voraus3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

gesetzt. Dies bedeutet zudem, dass Varianten gegenüber dem Codex Leningradensis nicht automatisch als Werk des Übersetzers erklärt werden können, sondern eher als Beleg für abweichende Formen des hebräischen Textes der Vorlage des Übersetzers zu verstehen sind. Es ist beinahe unmöglich, stets sicher zwischen Varianten, die das Ergebnis von Exegese und von innergriechischen Entwicklungen sind, und solchen, die auf einer anderen hebräischen Vorlage basieren, zu unterscheiden. Viele Befunde aus Qumran haben jetzt gezeigt, dass Dinge die zuvor als »auslegende Interpretationen« der LXXÜbersetzer angesehen wurden, in Wirklichkeit Lesarten der hebräischen Vorlage waren. Es ist meine Überzeugung, dass das auch für Varianten gilt, für die keine konkrete hebräische Quelle, etwa in Form eines Qumrantextes, vorhanden ist. Für die Seite des griechischen Textes wird im Folgenden vom Text der Göttinger Septuaginta (Gö) als Repräsentant des ältesten erreichbaren griechischen Texts ausgegangen und für den hebräischen Text der MT nach der BHS bzw. der BHQ. Dass der griechische Text des Dtn aus dem Hebräischen übersetzt wurde, ist unstrittig. Das zeigen neben den gewöhnlichen Merkmalen wie Lehnübersetzungen, Stereotype u. a. die strenge Bindung an die hebräische Wortstellung auf Kosten der griechischen Standardausdrucksweise bis hin zu Entsprechungen in der Anzahl der Wörter. Hebraismen, beispielsweise Infinitive vor oder nach verwandten finiten Verben oder pleonastische Ausdrücke, die im Dtn sehr häufig vorkommen, belegen sehr deutlich die Dominanz des Hebräischen in den Gedanken des Übersetzers. Das »literarische Profil« von LXX-Dtn und die »Techniken« seines Übersetzers können hier nicht umfassend dargestellt werden. Die folgende Skizze der beobachteten Tendenzen dieses Buches verwendet daher exemplarisch Stellen, an denen zweifelsfrei davon ausgegangen werden kann, dass die hebräische Vorlage dem MT ähnlich oder sogar mit ihm identisch ist, und andererseits werden Beispiele der verschiedenen linguistischen Elemente wie Verben und Nomen als ein repräsentativer Querschnitt ausgewählt. Das Verb ‫» שחת‬beschädigen, zerstören« kommt innerhalb des Buches zehn Mal vor. Der Übersetzer scheint in seiner Auswahl der Entsprechungen kontextsensitiv vorzugehen. Bei den ersten beiden Vorkommen (in 4,16 und 4,25) hat er eine Form gewählt, die seine Standardwiedergabe dieses hebräischen Wortes zu sein scheint, nämlich ἀνομέω, »gesetzlos handeln«. Sicherlich hatte er den ganzen Vers gelesen, der die Herstellung von Bildern behandelt, bevor er ἀνομέω als Wiedergabe von ‫שחת‬ festlegte. Er wählte dieses Wort auch in zwei weiteren Zusammenhängen (9,12 und 31,29) an denen der Kontext gleichermaßen auf die Übertretung mosaischer Gesetze hinweist, an der einen Stelle deutlicher als an der anderen. Die erste behandelt die Gesetzlosigkeit der Herstellung des goldenen Kalbs, die letztere befasst sich mit der Anordnung Moses an die Leviten, in der er die Sorge ausdrückt, dass sie nach seinem Tod gesetzwidrig handeln und sich von dem Weg, den er befohlen hatte, abwenden würden. Der griechische Übersetzer betont die »Übertretung« durch die Wortwahl an diesen Stellen. An einer Stelle (32,5) wählte er in einem poetischen Zusammenhang ein nahe stehendes Synonym, ἁμαρτάνω, und unter Beibehaltung eines Kontexts, der sich mit dem Kollektiv »Kinder« befasst, übersetzte er die Form Pi‘el 3. Pers. Singular mit einer Form der 3. Pers. Plural. Dennoch wählte er in einem anderen Zusammenhang 164

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

(4,31), wo das Hebräische ausdrücklich in die Richtung von »Zerstörung« zielt, angemessenerweise ἐκτρίβω »ausrotten«. Neben diesen sechs Belegen gibt es vier (9,26; 10,10; 20,19; 20,20), in denen einheitlich ἐξολεθρεύω »vollständig zerstören, ausrotten« verwendet ist. In den ersten beiden Fällen ist der aktiv Handelnde der Gott Israels, die Objekte des Handelns sind die Israeliten; in den letzten beiden Fällen sind die aktiv Handelnden die Israeliten und die Objekte des Handelns Bäume. Bei 9,26 ist es darüber hinaus bemerkenswert, dass gegenüber dem MT alle Textzeugen der Septuaginta βασιλεῦ τῶν θεῶν »O König der Götter!« als eine zusätzliche Beschreibung für JHWH bezeugen. Als Argument kann angeführt werden, dass die hebräische Vorlage der LXX zeitlich gesehen vor derjenigen lag, die sich im MT spiegelt und zwar aus folgenden Gründen: Es erscheint wahrscheinlicher, dass eine polytheistische Lesart durch eine theologisch sensible Gemeinschaft aus einem vorliegenden Text gestrichen würde, als dass sie später hinzugefügt wurde, um die Macht und die Autorität des Gottes Israels zu verstärken. Das Gegenteil kann natürlich genauso so engagiert vorgetragen werden, in jedem Fall aber ist dieses Beispiel eines von vielen Merkmalen für die Unabhängigkeit der LXX-Vorlage gegenüber der Tradition des MT. 1

Diese zehn Vorkommen derselben Verbalwurzel mit vier unterschiedlichen griechischen Äquivalenten, die jeweils eine große Sensibilität sowohl gegenüber der hebräischen Bedeutung des Verbes haben, als auch mit einiger Freiheit seinen Sinn interpretieren, eröffnen einen ersten Zugang zu der Methode des Übersetzers. Er geht nicht sklavisch Wort für Wort vor, ist aber auch nicht radikal in seinem Übersetzungsansatz. Die häufig vorkommende Wurzel ‫ירשׁ‬, »in Besitz nehmen«, kann den Eindruck vertiefen. Sie kommt innerhalb des Dtn etwa 71mal vor und wird bis auf acht Male durch κληρονομέω oder dazugehörige Komposita wiedergegeben. Die Grundbedeutung der hebräischen Wurzel ist »berauben, übernehmen, besetzen, erben«. Da im Verlauf der Besetzung eine Person oder Gruppe notwendigerweise ihrer vorherigen Besitztümer »beraubt« wurde, könnte dieser Raubzug offenkundige Gewalt oder Zerstörung beinhalten. Diesen Aspekt des hebräischen Verbs hat der Übersetzer des Dtn an acht Stellen (2,12; 4,38; 7,17; 11,23; 9,4; 9,5; 18,12; 28,42) aufgegriffen und verstärkt, indem er für ‫ ירשׁ‬Verben verwendete, die Gewalt in jeglicher Form darstellen. Das erste Kompositum zur Standardwiedergabe begegnet in 2,12. An dieser Stelle sind die Söhne Esaus das Subjekt, der im Hebräischen verwendete Verbstamm ist der einfache Impf. im Qal. Ausschließlich hier hat der Übersetzer das Verb ἀπόλλυμι, »vernichten« als Wiedergabe von ‫ ירשׁ‬gewählt; das er normalerweise für ‫ אבד‬verwendet. Zwei Mal, in 4,38 und 7,17, wurde der kausative Aspekt des Hiph’il Inf. ‫להורישׁ‬ wiedergegeben und vielleicht erweitert durch den Aorist Aktiv Inf. von ἐξολεθρεύω, »ausrotten, vernichten«. An einer dritten Stelle, in 11,23, wurde Hiph’il Perf.cons mit Futur Aktiv ἐκβαλεῖ als Ausdruck der Zerstörung wiedergegeben; innerhalb desselben Verses wird jedoch auch Qal Perf.cons. durch eine Verbform von κληρονομέω im Indikativ Futur angemessen wiedergegeben. Die Wurzel ‫ ירשׁ‬kommt in Dtn 9, 4 und 5 je zweimal vor, zunächst im Infinitiv ‫לרשׁת‬, der durch Infinitive im Aorist Aktiv von κληρονομέω wiedergegeben wird. In 1.

Siehe dazu die Diskussion in BdA 5, 179 und LXX.E, 558 mit Belegen für die Entwicklung dieser Gottesbezeichnung. 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

den anderen Fällen jedoch handelt es sich – wie beispielsweise auch in 18,12 – um Partizipien mit Suffix im Hiph’il, ‫(» מורישׁם‬ihr) raubt sie aus«. Diese werden als Indikative des Futur Aktiv von ἐξολεθρεύω »wird sie ausrotten« übersetzt. Der letzte Fall von »Interpretation« liegt in 28,42 vor. Hier steht das Verb im Pi’el, das Subjekt ist ein ‫הצלצל‬, vermutlich ein Insekt, das der Übersetzer als ἐρυσίβη »(Getreide-)Rost«, eine Pilzart, auffasst, der Übersetzer gibt das Verb hier mit einem Kompositum von ἀναλίσκω »verzehren oder zerstören« wieder. Es zeigt sich, dass der Übersetzer sowohl Hebräisch als auch Griechisch gut beherrschte und in der Regel angemessene und nuancierte Wortbedeutungen auswählte. Die vier griechischen Verben ἀπόλλυμι, ἀναλίσκω, ἐκβάλλω und ἐξολεθρεύω werden in speziellen Kontexten zusätzlich zum Standardwort κληρονομέω verwendet, um eine singuläre, allgemeine hebräische Wurzel anzuzeigen. Dennoch ist nicht immer ganz klar, ob und wann der Übersetzer sinnerhaltend interpretierte oder sich einer anderen Vorlage bediente. Der Umgang mit dem pleonastischen Ausdruck (‫(» )באים שמה לרשתה‬sie kamen) dorthin, um es einzunehmen« ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Insgesamt taucht die Wendung im Dtn 15 Mal auf (4,5.14.26; 6,1; 7,1; 11,8.10.11.29; 23,21; 28,63; 30,16.18; 31,13; 32,47), meistens nach Verben der Bewegung wie gehen, durchqueren, eintreten etc. Die durch das Suffix ‫ = ה‬αὐτήν angezeigte dritte Person wird im Griechischen nur an einer Stelle (7,1) nicht genau wiedergegeben. Hier entschieden sich Rahlfs und Wevers, der Lesart von B zu folgen (Wevers vermerkt weitere Hss. sowie das augenscheinliche Zeugnis von P 963), wo αὐτήν fehlt. Gleichzeitig wiesen sie alle Unzialen zurück, die dieses bezeugen könnten. Angesichts der sonst konsistenten Wiedergabe dieser Phrase kann sicherlich plausibel gezeigt werden, dass die zurückgewiesene Lesart in den Majuskeln A, F und M belegt ist. Wenn Rahlfs und Wevers im Recht wären, hätte entweder untypischerweise die hebräische Vorlage eher ‫ לרשׁת‬als ‫ לרשׁתה‬enthalten. Alternativ könnte der Übersetzer einzig in diesem Fall entschieden haben, über das Suffix hinwegzusehen. Etwas mehr Klarheit kann man durch die Untersuchung der Übersetzung von ‫( לרשׁתה‬und anderer verwandter Suffixformen) erreichen, wenn sie in Dtn nicht nach ‫ שׁמה‬stehen. Das ist mindestens 16 Mal der Fall. Ungefähr bei der Hälfte (7) wird das Suffix akkurat wiedergegeben, während es fünfmal entweder übersehen oder ignoriert wird. Das bereits behandelte Beispiel in 7,1 ist also kein Einzelfall. In fünf Fällen jedoch wird ‫ לרישׁתה‬nicht als κληρονομῆσαι (αὐτήν), sondern als ἐν κλήρῳ übersetzt. Dies scheint eine relativ große Abweichung von der Norm zu sein. Wollte der Übersetzer an dieser Stelle eine Interpretation seines Quellentextes vornehmen oder gab es eine Berechtigung für diese Entscheidung aufgrund der Vorlage? Ein Schlüssel zu dieser Frage scheint in 25,19 sowie in 26,1 zu liegen, hier stehen ἐν κλήρῳ und κληρονομῆσαι nebeneinander. Die Vorlage, repräsentiert im MT, hat in diesen Versen ‫ – נחלה‬ein Nomen welches in beiden Fällen mit ἐν κλήρῳ übersetzt wird, gefolgt von einer Form von ‫ ירשׁ‬mit Suffix, also beispielsweise ‫ לרישׁתה‬in 25,19 und ‫ וירשׁתה‬in 26,1. Im ersten genannten Vers ist das Suffix αὐτήν nicht abgebildet, im zweiten schon; in einem Vers wird die einfache Form κληρονομῆσαι verwendet, in dem anderen die komplexe Form κατακληρονομῆσῃς. Diese Verse sind aufschlussreich und könnten auf verschiedenen Ebenen befragt werden. Könnten die untypischen Übersetzungen in 3,18; 5,31; 12,1 und 19,14 auf ein ‫( נחלה‬oder ein ähnliches Nomen) in der Vorlage hindeuten oder handelt es sich ein166

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

fach um stilistische Varianten des Übersetzenden? Würde ein Übersetzer, der so sorgfältig jedes Suffix in einem Buch wie Dtn, das viele Wiederholungen hat, wiedergibt, an fünf wahllosen Punkten ohne offensichtlichen Grund von der Standardübersetzung abweichen? Ich denke nicht. Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass ἐν κλήρῳ auf eine nominale hebräische Form im Quellentext hinweisen könnte, gibt es, wenn man jedes Vorkommen dieser Phrase in Dtn näher untersucht. Schnell wird dann klar, dass die Wortverbindung ἐν κλήρῳ in der großen Mehrheit der Fälle ein Nomen übersetzt, nämlich meistens ‫נחלה‬, da ‫ נחלה‬im Dtn in der Regel als κλήρος übersetzt wird. Von den 18 Vorkommen von ἐν κλήρῳ in Dtn, haben drei (11,31; 17,14; 25,15) keine Entsprechung im MT; in 11,31 enthält Dtn den hinzugefügten Teilsatz πάσας τὰς ἡμέρας, der keine Entsprechung im MT hat. Von den 15 verbliebenen Vorkommen des Verbs beziehen sich elf auf abstrakte Nomina – ‫נחלה‬ 8 Mal (4,21; 15,4; 19,10; 21,23; 24,4; 25,19; 26,1; 29,7) und ‫ ירשׁה‬3 Mal (s. u.). Damit bleiben nur vier Stellen übrig (s. o.), an denen ‫ לרישׁתה‬als ἐν κλήρῳ wiedergegeben ist. Es erscheint als eine plausible Annahme, dass der Übersetzer durch die fehlende Vokalisation eine Form von ‫ רישׁתה‬gelesen haben könnte, in diesem Fall ein abstraktes Nomen im Sinne von ‫ ירשׁה‬und ‫נחלה‬. Dies könnte die Übersetzung von ἐν κλήρῳ in diesen Fällen erklären. Das Nomen ‫ ירשׁה‬von der Wurzel ‫ ירשׁ‬kommt in Dtn nur fünf Mal vor (2,5; 2,9 [2�]; 2,19 [2�]). Drei Mal ist es als ἐν κλήρῳ wiedergegeben, einmal als ἐν κληρονομία und einmal mit dem Infinitiv κληρονομεῖν, wobei der Sinn der Passage beibehalten wird. Dies scheint die Annahme zu bestätigen, dass nach Ansicht des Übersetzers ἐν κλήρῳ eine hebräische nominale Form wiedergibt. An jenen Stellen, wo eine Verbform vorausgesetzt zu sein scheint, ist es daher sinnvoll, eine andere hebr. Vorlage anzunehmen. Zwei letzte Beispiele legen die Genauigkeit des Übersetzers in der Ausführung seiner Aufgabe nahe. Am Ende von 19,2 endet MT mit ‫ לרישׁתה‬nach ‫נתן לך‬, d. h. »er gibt dir, es zu besitzen«. Kein vorhexaplarischer Zeuge unterstützt an dieser Stelle ‫לרישׁתה‬. Falls der Übersetzer von einem dem MT entsprechenden Text ausgegangen wäre, könnte von ihm erwartet werden, diese populäre Bezeichnung aus einer Parallelpassage übernommen oder aus dem Gedächtnis eingefügt zu haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auf gleiche Weise stellt sich die Wiedergabe von ‫» אותם‬sie« (Objekt) als τὴν γὴν αὐτῶν »ihr Land« in 12,29 (2x) dar. Dies könnte als eine »Interpretation« des Übersetzers gesehen werden, aber aufgrund seiner im Allgemeinen recht großen Genauigkeit könnte es sich um eine Spiegelung des dem Übersetzer vorliegenden Textes handeln. Dieses close reading eines begrenzten Ausdrucks zeigt die Unsicherheiten, die bestehen, wenn letztgültige Lösungsansätze zur Übersetzungstechnik beim gegenwärtigen Wissensstand vertreten werden. Auch die Art, wie der Übersetzer mit dem Verb ‫ אבד‬umgegangen ist, illustriert seine Methode. Seine Standardwiedergabe dieses Verbs ist sicherlich ἀπολλύω, das er in 16 von 20 Fällen gewählt hat. Nur in vier Fällen hat er sich für eine andere Wiedergabe entschieden. Am meisten zitiert wird 26,5, hier wird »gab auf« gewählt. Zwei Mal (7,10 und 28,63) wählt er ἐξολεθρεύω und einmal (7,20) ἐκτρίβω. Sein Umgang mit der Wurzel ‫חרם‬, die nur neun Mal im Buch vorkommt, zeigt ein ähnlich kontextsensibles Muster. Die Verbalform kommt sechs Mal vor, in drei dieser Fälle begleitet ein verwandter freier Infinitiv die Verbalwurzel. In den ersten drei Fällen (2,34; 3,6 [2�]) 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

wählt er ἐξολεθρεύω als neutrales Lieblingsäquivalent. Wäre er sich der konsequenten Wahl des Übersetzers von Num zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, hätte er dessen Spur folgen und ἀναθεματίζω auswählen können. Seine Entscheidung ἐξολεθρεύω zu wählen, scheint bedacht zu sein und spricht für seine Unabhängigkeit. Um die vierte erwähnte Stelle, 7,2, zu übersetzen (eine der Formen mit einem verwandten Infinitiv), wählt er ἀφανίσμω »völlig vernichten« als präzisere Wiedergabe. Die verbleibenden zwei Fälle 13,16 und 20,17, beide mit verwandten Infinitiven, sind mit ἀναθεματίζω wiedergegeben. Die drei verbliebenen Stellen, an denen diese Wurzel auftritt (7,26 [2�] und 13,18) sind Nominalformen und werden gleichermaßen mit ἀνάθεμα (bzw. ἀνάθημα) wiedergegeben. Alle diese Wiedergaben spiegeln Nuancen der hebräischen Wurzel und geben Grund zu der Annahme, dass der Übersetzer in seinem Ansatz kompetent, sensibel und zurückhaltend vorgegangen ist. In Dtn tauchen mehrere neue Wörter auf. Einige dieser Neologismen 2 sind durch praktische Probleme veranlasst. Beispielsweise kann eine hebräische Wurzel, die sowohl über eine Nominal- als auch eine Verbalform verfügt, im Griechischen nur in Form des Nomens auftreten. Wenn der Übersetzer dann die hebräische Verbalform der Wurzel antrifft, würde er eine neue Verbform des bereits als Nomen oder Adjektiv im Griechischen bekannten Wortes schaffen. Die Verben μακροχρονίζω, μακροημερέω und πολυχρονίζω als Übersetzungen des hebräischen Idioms ‫ יאריך ימים‬sind Beispiele für diese Art von Neologismen. Außerdem kreierte er neue Wörter durch das Zusammenfügen zweier bereits existerender – der griechische Titel des Buches Δευτερονόμιον, eine Kombination von δεύτερος, νόμος und -ιον ist eine Interpretation, nicht bloß eine Übersetzung des hebräischen Ausdrucks ‫ משנה התורה‬und ein Beispiel dieser Art von Neologismen. So wie es bei vielen Übersetzungen, auch bei den als wortwörtlich bezeichneten, der Fall ist, kann das Dtn unterschiedlich auf der semantischen Ebene eingreifen: Vereinheitlichend durch die Benutzung eines einzelnen Wortes, um mehrere hebräische Wörter zu übersetzen, und differenzierend durch die Verwendung von mehreren griechischen Wörtern zur Wiedergabe eines einzelnen hebräischen Wortes. Ein Beispiel für die erste Art dieses Eingreifens ist das Verb ἐξολεθρεύω, »zerstören«, das nicht weniger als sechs verschiedene hebräische Verben übersetzt; für die zweite Art das hebräische Nomen ‫» גר‬Fremder«, welches in Dtn sowohl als προσήλυτος als auch als πάροικος übersetzt ist. Ein weiteres spannendes Merkmal des dtn. Übersetzers im Bezug auf Nomen ist das Verhältnis von Übersetzung und Transliteration. Schon im ersten Vers des Buches transliteriert er die Ortsnamen Pharan, Tophol und Lobon, übersetzt ‫ חצרת‬jedoch als Αὐλῶν »Höfe« und ‫ די זהב‬als καταχρύσεα »Goldenes«. ‫» בגי‬im Tal« wird in 3,29 und 4,46 mit zwei verschiedenen Wörtern übersetzt und in 34,6 als Eigenname gelesen und als ἐν Γαι transliteriert. Insgesamt gibt es eine Reihe weiterer Vorkommen von Transliteration und Übersetzung, die kein einheitliches Muster ergeben. Andere Nominalformen werden im weiteren Verlauf in Abschnitt 5 behandelt.

2.

Zur Diskussion einiger dieser vgl. NETS, 142-143. Eine komplette Liste der Neologismen, sowohl der nur in Dtn vorkommenden als auch der, die auch in anderen Büchern des Pentateuch vorkommen, findet sich bei BdA 5, 64-65; vgl. auch Schröder, Neologismen.

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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung In Übereinstimmung mit den bestehenden Übersetzungen des griechischen Pentateuchs gibt es keinen Zweifel daran, dass die Übersetzung des Dtn aus dem 3. Jh. v. Chr. stammt und in Ägypten hergestellt wurde. Sollte jemand anderer Auffassung sein, liegt die Beweislast bei ihm. In neuerer Zeit wurde die Frage der Reihenfolge der Übersetzung der einzelnen Bücher diskutiert. Die einzelnen Bücher des Pentateuch müssen nicht notwendiger Weise in der kanonischen Reihenfolge übersetzt worden sein. Es ist durchaus möglich, dass das Buch Dtn wegen seines Inhalts vor dem Buch Numeri oder auch vor Levitikus übersetzt wurde. Sprachliche Beziehungen etwa zwischen Dtn 32,49-51 und Num 27,1214 könnten darauf hinweisen. Allerdings ist die Frage umstritten (s. dazu in 1.4, Numeri, und in 1.0, Einleitung, 2.4 Datierungen).

4. Inhaltliches und theologisches Profil Die Frage der theologischen Interpretation durch einen Übersetzer ist direkt mit zwei bereits genannten Themen verknüpft. Zum einen, dass Übersetzer mehr taten als einfach nur Texte zu übersetzen – eine Sichtweise die hier bestritten wird – und zum anderen, dass wir einen sicheren Zugang zum Ursprungstext haben, von dem aus der Übersetzer arbeitete. Die Diskussion um die Theologie innerhalb einer Übersetzung setzt in der Regel voraus, dass die Vorlage der Septuaginta-Übersetzer MT war. Daher war bei offensichtlicher theologischer Abweichung zwischen dem Text der Septuaginta und dem MT meistens die erste Frage, in welchem Text sich eine »theologische« Interpretation befände. Die Antwort hängt von den Voraussetzungen ab. In der Regel wird angenommen, dass die Interpretation auf der griechischen Seite zu finden ist. Das beste Beispiel, um dies zu zeigen, ist Dtn 32,4.15.18.30 und die Reihe der entsprechenden Belege im Rest der hebräischen Bibel. MT benutzt die Metapher ‫צור‬, Fels, während LXX mit θεός durchgehend den expliziten Namen ‫ אלהים‬voraussetzt. In der Regel wird argumentiert, dass der LXX-Übersetzer an der groben Metapher für das Göttliche Anstoß nahm und versuchte, sie durch die Verwendung des konkreten Namens zu vermeiden. Das heißt, dass der Übersetzer der LXX eine »Interpretation« aus theologischen Gründen vorgenommen haben soll. An anderer Stelle 3 habe ich für das Gegenteil plädiert, nämlich dass der LXX-Übersetzer einen älteren hebräischen Text als Vorlage hatte, der später durch die Tradenten des MT aus theologischen Gründen verändert wurde. Von daher gibt es hier keine theologische Interpretation durch die Übersetzer des Dtn, sondern nur eine genaue Wiedergabe eines anderen, eventuell früheren Ursprungstextes, der von dem in MT gezeigten Textbestand abweicht. Als Argument dafür kann angeführt werden, dass die Tendenz, den göttlichen Namens zu vermeiden und das Tetragramm durch die allgemeine Bezeichnung ‫אלהים‬ zu ersetzen, vielfach beobachtet werden kann. Der sogenannte »elohistische« Psalter 3.

»Translating a Translation. Some Final Reflections on the Production of the New English Translation of Greek Deuteronomy«, in: R. Hiebert (Hg.), »Translation is Required«: The Septuagint in Retrospect and Prospect, SCS 56, Atlanta/GA 2010, 119-134. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

(Ps 42-83) zeigt dieses Phänomen innerhalb der hebräischen Bibel, wie dann später die gut bekannten Ersatz-Epitheta für den Gott Israels in der rabbinischen Literatur. Angenommen wird, dass die Veränderung von ‫ אלהים‬zu ‫ צור‬dieser Art ist. Ein besonderes Indiz dafür scheint Dtn 32,30 zu sein. Dort steht in der LXX θεός parallel zu κύριος. Demgegenüber hat MT ‫צורם‬, ihr Fels, womit sich nicht nur das Wort sondern auch die Aussage ändert, indem betont wird, dass es ihr eigener Gott ist, der sie verkauft hat. Damit lassen sie die mögliche Bedeutung zu, dass es der Gott der Verfolgten ist, der sie an die Verfolger verkauft hatte. Es ist darüber hinaus nicht unwahrscheinlich, dass das finale Mem von ‫ אלהים‬das Suffix an ‫ צורם‬ausmacht, d. h. dass bei der Ersetzung von ‫ אלהים‬durch ‫ צור‬nur die Konstruktusform ‫ אלהי‬ersetzt wurde und das ‫ם‬ stehen blieb. 4 Auch die Differenzen in 32, 37 und 42 sowie das bekannte Problem in 32,8 führen zu der Annahme, dass eine theologische Veränderung in der Vorlage des griechischen Textes nicht so offensichtlich ist, wie weithin angenommen. Solche Veränderungen sind deutlich besser im Hebräischen des MT zu zeigen. Es gibt aber doch auch einige schwache Anhaltspunkte für eine (theologische) Interpretation in Dtn an Stellen, an denen der Quellentext mit MT identisch zu sein scheint. Einige kurze Beispiele müssen genügen. Bei ‫ הרע‬in 13,6; 17,7.12; 19,19; 21,22; 22,22.24; 24,7) bleibt offen, ob »der Böse« oder »das Böse« aus dem Volk Israel entfernt werden solle, der Übersetzer konkretisiert aufgrund der Möglichkeit bzw. Notwendigkeit des Griechischen, dass die böse Person τὸν πονηρόν, nicht das Böse als Abstraktum τὸ πονηρόν, entfernt werden solle. Die hebräische Wurzel für »entfernen« in jedem dieser Fälle ist ‫ בער‬und in allen Fällen außer dem ersten (13,6) wählte der Übersetzer ἐξαίρω »komplett fortnehmen, entfernen«. Als er zum ersten Mal ‫ בער‬im Bezug auf böse Person begegnete, wählte er zunächst das »weichere« Verb ἀφανίζω »aus dem Weg schaffen, verstecken«, überdachte jedoch dann seine Entscheidung und behielt im Folgenden eine härtere Linie bei. Ein anderes mögliches Beispiel für Interpretation betrifft die Übersetzung von ‫מלך‬. Die Könige der benachbarten Völker werden entsprechend der Standardwiedergabe als βασιλεύς bezeichnet (1,4; 2,24 … 29,6). Aber in 17,14.15 (2x) und 28,26, wo ‫מלך‬ auf einen König Israels verweist, wählt der Übersetzer ἄρχων. Der Sinn könnte sein, dass aus dem Blickwinkel des Übersetzers Israel nur einen βασιλεύς hatte, nämlich κύριος, seinen Gott. (Ähnlich begründet ist wohl auch die Wiedergabe von ‫ מלך‬mit ἄρχων in Num 23,21.) Auf der anderen Seite können wir nicht sicher sein, dass an diesen Stellen der Unterschied nicht schon in der Vorlage lag und er diese gewissenhaft wiedergab. In 33,5 verwendet der Übersetzer einheitlich ἄρχων um das wiederzugeben, was im MT an einer Stelle ‫ מלך‬ist und an anderer Stelle ‫ראש‬. Anderswo im Dtn ist ἄρχων auch die Wiedergabe von ‫( פרעות‬20,9), ‫( שר‬32,42) und sogar ‫( קדקד‬33,20). In 28,36 wird der Singular ‫ מלך‬des MT als der Plural ἄρχοντες wiedergegeben. In 33,21 scheint ἄρχοντες ‫( מחקק‬oder ‫ )?ספון‬wiederzugeben. – Die Beobachtungen zeigen, dass die Behaup-

4.

Vergleiche unter diesem Gesichtspunkt Ps 80,5: Dort scheint ‫ צבות אלהים יהוה‬eine spätere, hastige Ersetzung von ‫ אלהים‬für ‫ אלהי‬zu sein, selbst wenn das Ergebnis ein grammatisch nicht korrektes Hebräisch ist.

170

4. Inhaltliches und theologisches Profil

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

tung theologischer Interpretation auf der Seite des Übersetzers von Dtn (und anderer) zwar aufgestellt, jedoch nicht immer mit Sicherheit belegt werden kann.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte [SK] Die in einem der Papyri von Herakleopolis (P.Polit. Iud. 4) 5 geforderte Ausstellung eines Scheidebriefes (vgl. Dtn 24,1-4) ist vielleicht nicht nur ein Appell an das Gewohnheitsrecht, sondern setzt wohl die Bekanntheit der Regelung auch in griechischer Form voraus. Sie ist aber schwerlich ein Beleg dafür, dass das Buch Deuteronomium bzw. der ganze Pentateuch für juristische Zwecke und auf Veranlassung des Königs in Griechische übersetzt wurde. Philo nimmt über 600 Mal auf Dtn Bezug, d. h. ähnlich häufig wie auf Lev und Num. In der Regel interpretiert er die Texte allegorisch, so wie es schon im Aristeasbrief für die Gebote bezeugt ist. Philo bezieht sich zwar auf den griechischen Text und er entfaltet die allegorische Auslegung, er steht aber zugleich in der frühjüdischen Auslegungstradition. In den vier Büchern de legibus specialibus geht er auf praktisch alle Bestimmungen des Dtn. ein, wobei er in der Darstellung der Themen der Reihenfolge der Gebote des Dekalogs folgt. 6 Philo unterstreicht natürlich die monotheistischen Forderungen des Dtn. Er hebt auch die prophetische Rolle des Mose hervor, aber der künftige (»messianische«) Prophet (vgl. Dtn 18,15) spielt keine Rolle bei ihm. Philo preist die Menschenfreundlichkeit der Gesetze des Mose und die Zuwendung und die Liebe Gottes zu den Menschen. Der Satz von Dtn 1,17 »das Urteil ist Sache Gottes« wird in Somn II, 17-30 zugespitzt: »Das Urteil gehört allein Gott.« Wiederholt greift Philo die Aussage »Gott ist nahe« (Dtn 4,7) auf und ebenso die Aussage, dass das Gesetz nahe ist (Dtn 30,11-14). Weiteres zu Philo s. BdA 5, 69 f. und zu den genannten Stellen. Josephus paraphrasiert die biblischen Bücher als Historiker aber auch als Verteidiger des Judentums. Zum Dtn bzw. zum Gesetz insgesamt betont er so wie Philo die Menschenfreundlichkeit der Gebote. Josephus bezieht sich auch auf Gebote des Dtn, aber nicht als Zitate sondern in allgemeiner Hinsicht. Eine Besonderheit ist, dass er die Bedeutung der grundsätzlich allgemeinen Verständlichkeit und Zugänglichkeit der Gebote für das Judentum hervorhebt. Weiteres siehe BdA 5, 79 f. sowie Feldman, Josephus. Das Lied des Mose in Dtn 32 wurde als zweite in die Sammlung der Oden aufgenommen. Ob das bereits in einer früheren jüdischen Sammlung geschah oder ob die Oden erst und nur eine christliche Sammlung sind, ist umstritten (siehe 4.2 Oden). In den christlichen Bezugnahmen auf die Schrift spielt Deuteronomium eine wichtige Rolle. Zu nennen sind Dtn 21,23 (»Verflucht der am Holz hängt«) und die 5. 6.

Cowey, J. M. S. / Maresch, K. (Hg.), Urkunden des Politeum a der Juden von Herakleopolis (144/3–33/2 v. Chr.) (P. Polit. Iud.), Papyrologica Coloniensia 29, Wiesbaden 2001, 56-71. Dieser Gedanke taucht in der Neuzeit wieder auf, z. B. bei Martin Luther, demzufolge Mose ab Dtn 6 den Dekalog auslegt. In der neueren Exegese z. B. bei Georg Braulik, der die Parallele auf das deuteronomische Gesetz, d. h. auf Dtn 12–26 bezieht. Vgl. dazu Kreuzer, S., Dekalog und Deuteronomium in der Auslegung Martin Luthers, in: Altes Testament und Moderne 15, Münster 2004, 67-82. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte [SK]

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1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

schon im Judentum (besonders bei den Samaritanern) wichtige, an Dtn 18,15 anknüpfende prophetisch-messianische Erwartung, die in der Rede des Petrus (Apg 3,22 f.) sowie in Joh 1,45; 6,14; 7,40 auf Jesus bezogen wird. In Mt 22,37; Mk 12,29 f. und wohl auch in Lk 11,28 wird Dtn 6,4 f. zitiert bzw. darauf angespielt. Sowohl die theologische Argumentation wie auch die Aufnahme zahlreicher sozialer und ethischer Mahnungen zeigen die Bedeutung, die das Deuteronomium wohl auch in seiner griechischen Form und in der Diaspora hatte: Dtn 8,3 (»der Mensch lebt nicht vom Brot allein«) wird in Mt 4,4 zitiert. Mt 26,11 zitiert das Wort bezüglich der Armen aus Dtn 15,11. Das Verbot der Auslieferung eines Sklaven von Dtn 23,17 wird in Phil 8–10 aufgenommen. In Hebr 12 wird die Forderung von Dtn 29,17, in der Gemeinschaft »keine bittere Wurzel« 7 aufwachsen zu lassen, aufgenommen. Röm 2,29 nimmt die Metapher von der Beschneidung des Herzens aus Dtn 30,6 auf. Wichtig ist auch die Argumentation, dass das Wort (Gottes) den Menschen nahe ist (Dtn 30,11-14, vgl. Röm 10,6-8). Dtn 32,35, dass sich Gott die Rache vorbehält, wird in Hebr 10,30 aufgenommen. Hebr 12,29 spricht wie Dtn 4,24 von Gott als einem verzehrenden Feuer. Hebr 4,811 deutet die in Dtn 12,9 f. angekündigte Ruhe im verheißenen Land eschatologisch. In Offb 22,18 f. wird auf die sog. Kanonsformel (»du sollst nichts hinzutun und nichts wegnehmen«) von Dtn 4,2 und 13,1 angespielt. Während bei Philo und später ähnlich bei Hesychius von Jerusalem Dtn 28,66 »dein Leben wird vor deinen Augen hängen« im Sinn der Unsicherheit bzw. (bei Hesychius) als Drohung (gegen die Juden) gedeutet wird, wurde der Vers spätestens ab Irenäus von Lyon (Adv. haer. 4, 10,2 und 5 und 5, 18,3) in Verbindung mit Joh 14,16 und teilweise auch Ps 95,10 auf das Heil durch Christus am Kreuz bezogen (Barn 8,5; Justin, 1. Apologie 41,4 und Dialog 73,1). 8 Die Verheißung für Juda in Dtn 33,7 ist bei Origenes (zusammen mit Gen 49,8-10 und Num 24,7-9) eine der prophetischen Ankündigungen des Kommens Jesu aus dem Stamm Juda. (com Jo XIII, 154-159); ähnlich bei Theodoret von Cyrrhus, Questiones in Deuteronomium 44).

6. Perspektiven der Forschung Es bleiben viele Punkte offen, an denen eine genauere Untersuchung erfolgen könnte. Diese Arbeit ist zum einen in Form von Kommentaren zu erwarten, die sich speziell auf die griechische Form des Textes beziehen. Ein Anfang in dieser Richtung ist ge-

7.

8.

Die in den Codizes A und F (gegenüber B) bezeugte Lesart stammt wohl nicht »ex Hebr 12,15« (so Wevers, Dtn, 321), sondern bezeugt wohl, wie auch andere Belege im Hebräerbrief (vgl. Kreuzer, S., Die Bedeutung des Antiochenischen Textes für die älteste Septuaginta [Old Greek] und für das Neue Testament, in: M. Karrer / S. Kreuzer, Von der Septuaginta zum Neuen Testament: Textgeschichtliche Erörterungen, ANTF 43, Berlin 2010, 13-38: 33 f. zu Hebr 1,7) die ältere, noch nicht formal an den hebräischen Text angepasste Lesart. Zum Thema s. Daniélou, J., »La Vie suspendue au bois« (Deut., 28,66), in: ders., Études d’exégèse judéo-chrétienne (les Testimonia), Paris 1966, 53-75.

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6. Perspektiven der Forschung

1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose

macht und liegt in LXX.E vor. Weitere Kommentierungen sind im Rahm der geplanten Kommentarreihen zur LXX zu erwarten. Ein wichtiger Forschungsbereich wird die Frage der Textgeschichte und der ältesten Textformen sein. Bisher wird dazu in der Regel von einer Priorität der Lesarten des MT ausgegangen. Die Beziehungen zwischen den Funden aus Qumran, LXX-Lesarten, Targumen und dem samaritanischen Pentateuch bedürfen genauerer und systematischerer Erforschung. In Verbindung damit kann es notwendig werden, die textkritischen Entscheidungen zu überprüfen und die Rekonstruktion der Original-Septuaginta für Dtn und andere Bücher auf der Basis dieser zusätzlichen Befunde zu revidieren. Bei dieser auch gegenüber bestehenden Ausgaben kritischen Arbeit, bei der auch die editorischen Grundannahmen zu überprüfen sind, handelt es sich gewiss um eine gewaltige Aufgabe. Mit Hilfe moderner technischer Möglichkeiten sowohl zur Untersuchung als auch zur Archivierung historischer Manuskripte könnten diese Aufgaben vielleicht dennoch einfacher durchgeführt werden als bisher.

6. Perspektiven der Forschung

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2. Geschichtsbücher

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua Cornelis G. den Hertog

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006 — Margolis, M. L., The Book of Joshua in Greek According to the Critically Restored Text Containing the Variants of the Principal Recensions of the Individual Witnesses, Publications of the Alexander Kohut Memorial Foundation in Trust at the American Academy for Jewish Research, Paris 1931-1938; Philadelphia 1992.

1.2 Qumran-Texte 4QJosa.b = 4Q47.48 (DJD XIV) — XJos = XJos1 = Schoyen MS 2713 (DJD XXXVIII) — 4QpaläoParaJosua 0 4Q123 (DJD IX) — Mird APHM 100 (Arabic Papyri from Hirbet el Mird; Jos 22,67.9-10, christl. paläst. aramäisch). BQS 247-253 — HTTM 187-201. Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Moatti-Fine, J. (mit Roqueplo, T), Jésus / Josué, BdA 6, Paris 19992 — Auld, A. G., Joshua. Jesus son of Nauē in Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series 1, Leiden 2005 — Greenspoon, L., Iesous, NETS, Oxford / New York 20092, 174-194 — Hertog, C. G. den / Kreuzer, S., Jesus / Das Buch Josua, LXX.D, Stuttgart 20102, 218-242 — Hertog, C. G. den / Kreuzer, S., Jesus / Josue / Das Buch Josua, LXX.E, Stuttgart 2011, 605-656.

1.4 Weitere Literatur Barthélemy, D., Critique Textuelle de l’Ancien Testament. 1. Josué, Juges, Ruth, Samuel, Rois, Chroniques, Esdras, Néhémie, Esther, OBO 50/1, Fribourg / Göttingen 1982 (= CTAT I) — Benjamin, C. D., Variations Between the Hebrew and Greek Texts of Joshua: Chapters 1-12, (Diss. Philadelphia), Leipzig 1921 — Bieberstein, K., Lukian und Theodotion im Josuabuch. Mit einem Beitrag zu den Josuarollen von Hirbet Qumran, BN.B 7, München 1994 — Greenspoon, L. J., Textual Studies in the Book of Joshua (Diss. Harvard), HSM 28, Chico/CA 1983 — Gooding, D. W., Tradition and Interpretation of the Circumcision at Gilgal, in: A. Shinan (Hg.), Proceedings of the Sixth World Congress of Jewish Studies (Jerusalem 1973), 1977, 149-164 — den Hertog, C. G., The Geographical Shape of the Unconquered Land in Joshua 13:2-5 MT and LXX, in: J. van Ruiten / J. C. de Vos (Hg.), The Land of Israel in Bible, History, and Theology, VT.S 124, Leiden 2009, 51-60 — Karrer, M., The New Leaves of Sinaiticus Judges, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta. Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 600-617 — Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser, Die Septuaginta. Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116 — Orlinsky, H. M., The Hebrew Vorlage of the Septuagint of the Book of Joshua, VT.S 17, Leiden 1969, 1871. Literatur

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2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

195 — Rofé, A., The End of the Book of Joshua According to the Septuagint, Henoch 4 (1982), 17–36 — Rösel, M., Die Septuaginta-Version des Josuabuches, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 1, BWANT 153, Stuttgart 2001, 197-211 — Sigismund, M., Der Text des Buches JosuaLXXVg zwischen ‫ מדנחאי‬und ‫מערבאי‬, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 315-332 — Sipilä, S., Between Literalness and Freedom. Translation Technique in the Septuagint of Joshua and Judges Regarding the Clause Connections introduced by ‫ ו‬and ‫כי‬, Publications of the Finnish Exegetical Society 75, Helsinki 1999 — Troyer, K. de, Joshua, in: R. Pintaudi (Hg.), Papyri Graecae Schøyen, PSchøyen I, Papyrologica Florentina, XXXV / Manuscripts in the Schøyen Collection, V, Florenz 2005, 79-145 und Plates XVI-XXVII — van der Louw, Th. A. W., Translator’s Competence and Intention in LXX-Joshua 2, in: J. van Ruiten / J. C. de Vos (Hg.), The Land of Israel in Bible, History, and Theology, VT.S 124, Leiden 2009, 3-18 — van der Meer, M. N., Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses, VT.S 102, Leiden 2004 — van der Meer, M. N., Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, in: M. K. H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden 2004, SCSt 54, Atlanta/GA 2006, 55-80.

2. Textüberlieferung und Editionen 2.1 Textüberlieferung Dank seiner Stellung nach dem Pentateuch (und somit weder am Buchanfang, noch am Buchende, wo leichter Beschädigungen auftreten) ist der griechische Text dieses Buches in nahezu allen großen Codizes überliefert. Außerdem stehen einige Dutzend Minuskelhandschriften zur Verfügung, allerdings nur zwei Papyruszeugen von geringem Umfang. Von den Majuskelhandschriften ist ein Blatt des Codex K (11,17–12,2) in den bisherigen Textausgaben durch ein Versehen nicht berücksichtigt worden. Der relativ alte (2. Jh. n. Chr.) Papyrus Schøyen (9,27[33]–11,3) ist erst kürzlich veröffentlicht worden (De Troyer, Joshua) und für die Textausgaben daher ebenfalls noch nicht ausgewertet worden. In den bedeutenden Tochterübersetzungen ist das Josuabuch relativ gut bezeugt. Die sahidische Übersetzung liegt in zwei, voneinander anscheinend unabhängigen Fassungen vor (davon eine nur fragmentarisch bezeugt). Die Syrohexapla und die altlateinische Übersetzung sind jeweils fragmentarisch erhalten. Der griechische Text ist im Allgemeinen gut überliefert. Eine Ausnahme stellen die Ortsnamen dar, die in einigen Kapiteln in extremer Häufung vorkommen. Anders als in der hebräischen Textüberlieferung waren diese Namen in ihrer griechischen Transkriptionsform etymologisch nicht mehr durchsichtig. Sie erlitten daher in der griechischen Textüberlieferung teilweise sehr starke Verstümmelungen, besonders dann wenn sie in (sinnarmen) Listen und Grenzbeschreibungen und nicht in erzählerischen Zusammenhängen vorkamen (siehe 15,21b-62a und 18,21–19,45).

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2. Textüberlieferung und Editionen

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

2.2 Editionen Für das Josuabuch liegen drei Textausgaben mit kritischem Apparat vor: eine diplomatische (Brooke / McLean / Thackeray 1917) und zwei eklektische (Margolis 19311992 und Rahlfs-Hanhart 2006).

2.2.1 Die diplomatische Ausgabe Die diplomatische Ausgabe erschien im Rahmen des Cambridger Editionsprojektes. Sie berücksichtigt eine beträchtliche Anzahl von Minuskelhandschriften. Da der Text des Codex Vaticanus integral abgedruckt wird und die Varianten im ersten Apparat zusammengestellt sind (der zweite Apparat enthält hexaplarisches Material), werden durch regelmäßig wiederkehrende Bezeugungsmuster einzelne Handschriftengruppen rasch sichtbar. 2.2.2 Die eklektischen Ausgaben Die von Hanhart revidierte Handausgabe von Rahlfs verzichtet naturgemäß auf einen ausführlichen Apparat, bietet aber einen gut begründeten eklektischen Text. In den Kapiteln 15, 18 und 19 wird der Text der beiden für das Josuabuch wichtigsten Zeugen (d. h. A und B) zum Teil parallel abgedruckt. Damit sollte nicht behauptet werden, dass für diese Abschnitte zwei selbständige Übersetzungen vorliegen, wie etwa im Danielbuch. Vielmehr ist in diesen Abschnitten das allgemeine Ziel dieser Ausgabe, möglichst nah an den ursprünglichen Text der Übersetzung heranzukommen, auf Grund der extremen Divergenzen im vorhandenen Handschriftenmaterial nicht zu erreichen. Es war sinnvoll, den Text des Codex Alexandrinus zusätzlich abzudrucken, weil diese Handschrift (zusammen mit ihren zahlreichen Satelliten) regelmäßig eine (z. T. prähexaplarische) Rezensionstätigkeit bezeugt, die den griechischen Text einem hebräischen Text protomasoretischer Prägung angleicht. Die 1975 im Katharinenkloster am Sinai gefundenen Teile des Codex Sinaiticus enthalten Jos 12,2–13,10 und 13,11–14,1 und wurden 2009 unter www.sinaiticus.org zugänglich gemacht. Der Text stimmt eng mit dem Text des Codex Vaticanus überein, enthält aber auch eigene Lesarten. 1 Die eklektische und größtenteils posthum erschienene Textausgabe von Max L. Margolis ordnet und bewertet das Überlieferungsgut nach dem Göttinger Editionsprinzip, das in der Nachfolge de Lagardes von einer Aufspaltung der Textüberlieferung in drei von Hieronymus bezeugte Rezensionsstränge (verbunden mit den Namen des Origenes, Hesychius und Lukian) ausgeht. Margolis hat in seiner Ausgabe diesem hypothetischen Modell ein größeres Gewicht eingeräumt als dem tatsächlichen Befund der sehr disparaten Textüberlieferung. Er war dadurch gezwungen, mit einem komplizierten System von Apparaten zu arbeiten; ein sinnvoller Gebrauch seiner Textausgabe ist für einen gelegentlichen bzw. mit der Septuagintaforschung weniger vertrauten Benutzer dadurch eigentlich nicht möglich. Eine weitere gravierende Unzulänglichkeit bezieht sich auf die Zuordnung des Handschriftenmaterials. Es liegt seiner Textrekonstruktion hinsichtlich der Bewertung der Handschriftengruppen eine Entscheidung zugrunde, die eher einer vorgefassten Meinung entstammt als einer am Handschriftenmaterial selbst erarbeiteten Einsicht in die Abhängigkeiten und Zusam1.

Siehe Karrer, Sinaiticus. 2. Textüberlieferung und Editionen

179

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

menhänge der verschiedenen Gruppen. Konkret geht es darum, dass die hexaplarische Handschriftengruppe (von Margolis als ›P‹ bezeichnet, weil sie von Origenes in Palästina erstellt wurde) von Margolis als Basis für die Textform seiner Gruppe ›C‹ (so bezeichnet, weil sie im konstantinopolitanischen Raum zu Hause gewesen sein soll) angesehen wurde und nicht umgekehrt. K. Bieberstein 2 gebührt die Anerkennung dafür, dass er als erster auf dieses Problem hingewiesen und die Rekonstruktion von Margolis falsifiziert hat. Vor allem aus diesen beiden Gründen wurde die von Margolis erarbeitete Ausgabe wohl nicht in die Göttinger Editionsreihe aufgenommen. 3 (Die wichtigsten Lesarten aus der Ausgabe von Margolis sind in LXX.D in den Fußnoten referiert).

3. Zeit und Ort der Übersetzung und eventueller Revisionen 3.1 Die Zeit der Übersetzung Die Frage der Datierung der griechischen Übersetzung des Josuabuches wurde zuletzt von van der Meer, Provenance, eingehend diskutiert. Er setzt sie im späten 3. oder frühen 2. Jh. v. Chr. an und führt dafür verschiedene Gründe an. Zum einen argumentiert er mit einer – allerdings recht unsicheren – Abhängigkeit Aristobuls vom griechischen Josua. Zum anderen bezieht er sich auf diverse Hinweise im griechischen Text, die eher zu der Zeit ptolemäischer Oberhoheit in Palästina als zu den Verhältnissen nach der seleukidischen Machtübernahme passen, wie sie durch den Siegeszug Antiochos’ III. in Jahre 198 v. Chr. entstanden. Diese Hinweise entstammen dem Bereich der historischen Geographie und gehören eng mit der nunmehr zu behandelnden Frage nach dem Ort der Übersetzung zusammen.

3.2 Der Ort der Übersetzung Van der Meer, Provenance, hat sich auch mit den Fragen der Lokalisierung gründlich auseinandergesetzt. Im Großen und Ganzen können wir seiner Argumentation folgen. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Wiedergabe geographischer Angaben eine auch nur oberflächliche Vertrautheit mit den Verhältnissen in etlichen Teilen des Landes vermissen lässt. Es wurde beispielsweise in der Forschung bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die drei vom Übersetzer verwendeten typisch ptolemäischen -ῖτις -Bildungen zur Bezeichnung von mittleren Verwaltungseinheiten gegen eine genauere Kenntnis des Landes sprechen. Zwei von ihnen stehen unter dem Verdacht, reine Phantasieprodukte zu sein. Zwar sollte man vorsichtig sein mit einer solchen Argumentation, denn der im Josuabuch figurierende Teil Palästinas ist recht umfangreich, und auch ein in Palästina arbeitender Übersetzer konnte über die geographischen Verhältnisse in weiter entfernten Landesteilen weniger gut informiert sein. Für den international relevanten 2. 3.

Bieberstein, Lukian und Theodotion, 32 ff. Vgl. hierzu auch den Hertog, C. G., Einige Briefe von Max Leopold Margolis an K. Marti und A. Rahlfs, ZAW 111 (1999), 234-252, hier 251 f.

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3. Zeit und Ort der Übersetzung und eventueller Revisionen

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

Küstenbereich 4 und auch für Judäa und seine nächste Umgebung sollten allerdings genauere Kenntnisse vorausgesetzt werden dürfen. Wenn nun für das judäische Bergland mit Μαδβαρῖτις eine Phantasiebezeichnung verwendet wird, spricht das gegen eine palästinische Herkunft der Übersetzung. Haben wir den Übersetzer somit außerhalb Palästinas zu suchen, so gibt es einige Hinweise darauf, dass er im ägyptisch-ptolemäischen Bereich zu Hause war. Dazu zählen erneut die -ῖτις-Bildungen, aber auch einige andere Einzelheiten. Van der Meer hat nun aber versucht, noch einen Schritt weiter zu gehen. Der Sprachgebrauch des Übersetzers ist besonders sorgfältig gewählt in den Bereichen des Militärs, der Verwaltung und der Landvergabe. Diese Beobachtung führt ihn zu der ansprechenden Vermutung, dass der Übersetzer möglicherweise der Gruppe der (relativ wohlhabenden) jüdischen Söldner angehörte, die nach Beendigung ihrer militärischen Laufbahn Landbesitz (κλῆροι, ein vom Übersetzer wiederholt verwendeter Begriff) erlangten (van der Meer, Provenance, 74).

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Wenn wir versuchen, das sprachliche Profil des griechischen Josuabuches zu bestimmen, müssen wir klar zwischen dem lexikalischen und dem syntaktischen Aspekt der Übersetzung unterscheiden. In lexikalischer Hinsicht vermag der Übersetzer höheren Ansprüchen zu genügen als in syntaktischer Hinsicht.

4.1.1 Das lexikalische Profil Seine Wortwahl ist differenziert und dem Kontext bzw. der Sache angepasst. Sein griechischer Wortschatz ist sehr groß. So verwendet er in 1,6 etwa das äußerst seltene ἀποδιαστέλλω für die Zuteilung des verheißenen Landes (für ‫ נחל‬hif.); es ist ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben, ebenso wie das in der Septuaginta seltene μερισμός, 11,23 – vgl. καταμερισμός (hapax legomenon) 13,14 –, σχοινισμός 17,5 und ἐμβατεύω 19,49. In 2,15 bildet er ein bisher nur hier in der gesamten Gräzität belegtes, gut passendes καταχαλάω (für ‫ ירד‬hif.); weitere zu vermutende Neologismen sind 9,5 καταπελματόω, 11,13 χωματίζω, 18,8 χωροβατέω, περισπόρια 21,2 und κληρωτί 21,4. In 3,12 verwendet er für das blasse ‫ לקח‬sehr passend das in der Septuaginta seltene προχειρίζομαι ›vorher auswählen‹. In 4,3 und 8 wird ‫ עבר‬hif. mit dem nur hier in den übersetzten Teilen der Septuaginta belegten διακομίζω ›hinüberbringen‹ wiedergegeben und auch στρατοπεδεία für ‫ מלון‬in 4,3 ist einzigartig (vgl. καταστρατοπεδεύω für ‫ חנה‬in 4,19). In 4,12 erscheint ein Partizip von διασκευάζομαι für ‫› חמושים‬in Fünfzigschaften geordnet‹ (HALAT, 317b). In 6,8 ff. werden mit σημαίνω (8), οὐραγέω (9) und ἀλαλάζω (20) offenbar mit Bedacht verschiedene militärische Begriffe verwendet; ebenso ἐκπολιορκέω in 7,3, 10,5 (vgl. 10,29.31.34), αὐτομολέω 10,1 und ἐπιπαραγί(γ)νομαι in 10,9. In 7,1 verwendet der Übersetzer das in der Septuaginta äußerst seltene, aber sehr passende νοσφίζομαι ›für sich auf die Seite schaffen‹, ›ent4.

Vgl. in diesem Zusammenhang den Hertog, Geographical Shape, 51-60. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

181

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

wenden‹, in 24,32.33a das ebenfalls sehr seltene κατορύσσω. Das in 8,6 verwendete ἀποσπάω kommt nur wenige Male in der Septuaginta vor, fast jedesmal für ein anderes hebräisches Verb, ebenso ἀμύνομαι in 10,13, στενοχωρέω in 17,15, εὐλαβεία in 22,24, ἀπαλλοτριόω in 22,25 und ἐπιγαμία ποιέω in 23,12. Mit der Äquivalenz ‫ ערמה‬// πανουργία in 9,4 hat der Übersetzer innerhalb der Septuaginta offenbar Schule gemacht. Die Beherrschung der griechischen Sprache zeigt sich auch darin, dass der Übersetzer seine Übersetzungsäquivalente oft vielfältig abgewechselt und bisweilen sehr frei gewählt hat. So hat er 13 Äquivalente für ‫ נכה‬hif.: ἀναιρέω (11,12.17; 12,1.7), ἀποκτείνω (7,5; 10,26; 11,11), ἐκκόπτω (15,16), ἐκπολεμέω (10,4), ἐκπολιορκέω (7,3), ἐξολεθρεύω (11,14), κατακόπτω (11,8), κόπτω (10,20; 11,8), μάχομαι (9,18), παίω (20,9), πατάσσω (8,21.24; 10,33.37.39.40; 12,6; 13,12.21; 19,47; 20,3), συντρίβω (7,5, 10,10), φονεύω (10,28.30.32.35). Für ‫ עבר‬hat er 16 verschiedene Äquivalente: ἀπέρχομαι (10,29.31.34), διαβαίνω (1,2.11.14; 3,1.11.14.17; 4,1.7.10.11.12.13.22.23; 5,1; 24,11), διεκβάλλω (15,7), διέρχομαι (3,2; 18,13.18), εἰσέρχομαι (1,11), ἐκπεριπορεύομαι (15,3), ἐκπορεύομαι (15,3), ἵστημι (3,16; 18,5), παραβαίνω (7,11.15; 23,16), παραπορεύομαι (6,7; 15,6), παρέρχομαι (15,10.11; 16,2.6; 24,17), περιέρχομαι (6,7; 19,13), πορεύομαι (3,4; 15,4), προάγω (4,5 [+‫)]לפני‬, προπορεύομαι (3,6 [+‫)]לפני‬, χωροβατέω (18,9). Für ‫ עמד‬hat er 6 verschiedene Äquivalente: ἀνθίστημι (23,9), ἵστημι (3,8.13.16.17; 4,10; 5,13.15; 10,13.19), καθίστημι (20,9), παραπορεύομαι (9,2d), ὑπολείπομαι (10,8), vgl. ‫ עמד על תלם‬// χωματίζω Pass. (11,13). In 14,7-8 hat er die Wiedergabe von ‫ לב‬idiomatisch variiert: einmal νοῦς, einmal διάνοια. In wenigen Fällen war der Übersetzer offenbar von seinen hebräischen Sprachkenntnissen her seiner Vorlage nicht gewachsen, so etwa in der Wiedergabe von ‫ערבה‬. 5 In Jos 17,5 war der Text seiner Vorlage womöglich unleserlich.

4.1.2 Das syntaktische Profil Im Bereich der Syntax weist der Übersetzer nach heutiger Einschätzung eine sehr viel geringere Kompetenz auf. Auf vielfältige Weise verstößt er gegen die Regeln der griechischen Syntax und des (gehobenen) griechischen Sprachstils. 6 Hier seien nur das starke Vorherrschen der Parataxis und die häufige (fehlerhafte) Verwendung des apodotischen καί genannt. Dieser Befund erklärt sich daraus, dass der Übersetzer den äußeren Aufbau der hebräischen Sprache beibehalten hat. Für einige andere Erscheinungen müssen hingegen andere Gründe vorliegen. In den geographischen Abschnitten findet sich nämlich wiederholt ein Übergang in den Akkusativ, wo dieser syntaktisch nicht angezeigt war (so in 12,3: 13,5.16 f.21.27.30; 16,3.5, aber auch in 22,8). Einige Male wechselte er wohl auch in einen unzulässigen Genitiv (so in 16,7 und 18,13). 4.1.3 Die sprachliche Kompetenz des Verfassers Auf Grund seines Wortschatzes müssen wir dem Übersetzer eine erhebliche griechische Sprachkompetenz einräumen, auf Grund seiner Syntax und seines Stils eine 5.

6.

Vgl. Wevers, J. W., The Attitude of the Greek Translator of Deuteronomy Towards His Parent Text, in: H. Donner u. a. (Hg.), Studien zur Theologie der alttestamentlichen Überlieferungen (FS W. Zimmerli), Göttingen 1977, (498-506) 499 f. Beispiele bei van der Louw, Competence.

182

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

ebenso geringe. Angesichts seiner differenzierten und feinfühligen Wortwahl dürfen wir getrost die Möglichkeit ausschließen, dass er zu besserem Griechisch nicht fähig gewesen sei. Van der Louw, Competence, 17 f., vermutet, dass die mangelhafte Syntax dadurch zustandekam, dass der Übersetzer seinen griechischen Text auf Grund eines Diktats verfasst habe. Dagegen spricht aber die lexikalische Vielfalt des von ihm produzierten Textes. Dann bleibt nur die Schlussfolgerung, dass er sich entweder bewusst für einen hebraisierenden Sprachbau entschieden hat (mit welcher Absicht oder Begründung?) oder dass er den Fragen der Syntax und des Stils eine so geringe Bedeutung beigemessen hat, dass er auf ihre korrekte Handhabung keine Mühe verwandt hat. Beim derzeitigen Stand der Forschung kann über diese Alternative keine begründete Entscheidung getroffen werden.

4.2 Inhaltliches und theologisches Profil 4.2.1 Das inhaltliche Profil der Übersetzung Die – für einzelne Bereiche – differenzierte Wortwahl zeigt, wo die eigenen Interessen des Übersetzers liegen. Moatti-Finé (BdA, insbes. 53-66) hat als erste der Frage nach der Eigenheit des Übersetzers Beachtung geschenkt. Sie beobachtet eine besondere Aufmerksamkeit für militärische und administrative Angelegenheiten. Van der Meer, Provenance, hat zudem die mit der Verteilung des Landes zusammenhängenden Begriffe als einen gesonderten Bereich herausgelöst (s. o. 3.2 Schluss). An verschiedenen Stellen im Josuabuch finden sich Ergänzungen aus den späteren Büchern des deuteronomistischen Geschichtswerkes, auf die im hebräischen Text lediglich vorbereitet wird. Diese Hinzufügungen verleihen dem griechischen Josuabuch eine größere Geschlossenheit, so dass es leichter als ein abgerundetes Werk gelesen werden kann. Gleichzeitig verweisen sie aber auf einen übergeordneten geschichtlich-erzählerischen Zusammenhang. Soweit das Sondergut des griechischen Josuabuches nicht aus den späteren Büchern geschöpft ist, zeigt es ein besonderes Interesse an den steinernen Messern, mit denen Josua die Beschneidung der Israeliten vorgenommen hat. Es kann kein Zufall sein, dass das Verhältnis des hebräischen und des griechischen Textes zueinander gerade in dem von dieser Beschneidung handelnden Kapitel 5 eine Vielzahl schwieriger Fragen aufwirft. Die Beschneidung muss für den Übersetzer ein besonderes Gewicht gehabt haben. Der Schluss des hebräischen Josuabuches berichtet, dass die Israeliten nach dem Tode Josuas dem Herrn so lange treu blieben, wie die Generation Josuas noch am Leben war. In der Umkehrung heißt das: danach wurden sie ihm untreu. Das griechische Josuabuch macht diese Umkehrung explizit, indem es den nachmaligen Abfall ausdrücklich erwähnt. Aus dem offenen Ende des hebräischen Josuabuches ist dadurch ein spannungsgeladener Ausklang geworden. 4.2.2 Das theologische Profil der Übersetzung Es ist hinlänglich bekannt, dass die Septuaginta-Übersetzer ihre Übersetzungsäquivalente in den Bereichen des Kultes, der Ethik und der Frömmigkeit mit besonderer Sorgfalt gewählt haben. Für eine ganze Reihe von Begriffen kann man geradezu von standardisierten Wiedergaben sprechen. Auch der Übersetzer des Josuabuches hat sich dieser Tradition angeschlossen, wie die sorgfältige Differenzierung zwischen der 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

183

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

legitimen Opferstätte θυσιαστήριον und dem illegitimen Altar βωμός in Kap. 22 zeigt (vgl. Rösel, Septuaginta-Version, 208 f.). Aus diesem Befund allein kann man allerdings kein besonderes theologisches Interesse des Übersetzers ableiten und da es sich um geprägte Übersetzungsäquivalente handelt, sagt er auch über sein individuelles theologisches Profil nicht notwendig etwas aus. Dennoch gibt es (gegen van der Meer, Provenance, 73) einige Hinweise darauf, dass der Übersetzer auch eine eigenständige theologische Prägung vornahm. Das Buch Josua enthält die ersten biblischen Belege für den Namen Jerusalems; im Pentateuch kommt zwar der Name Salem (Σαλημ Gen 14), nicht aber Jerusalem vor. Die hellenistische Namensform Jerusalems war offenbar Ἱεροσόλυμα (anscheinend mit spiritus asper, nicht spiritus lenis). Diese Prägung zeugt von einer gewissen – auch heute noch nachvollziehbaren – Tiefsinnigkeit. Sie gibt den Klang des hebräischen Namens in griechischen Buchstaben einigermaßen zutreffend wieder. Gleichzeitig berücksichtigt sie (gewissermaßen ›volksetymologisch‹), dass die Stadt durch das in ihr vorhandene Heiligtum eine besondere Bedeutung hat. 7 Bei Josephus ist Ἱεροσόλυμα die gängige Namensform, ebenso wie in den deuterokanonischen Büchern. ›Heiligkeit‹ ist ein kultischer Begriff. Ähnlich wie in anderen Fällen haben die Septuaginta-Übersetzer den Wortstamm ›heilig‹ bewusst nicht mit dem gängigen griechischen ἱερός wiedergegeben, sondern mit dem viel selteneren ἅγιος, um damit anzuzeigen, dass die Art und Weise wie der Gott Israels ›heilig‹ ist, sich von der Heiligkeitsqualität aller anderen Götter unterscheidet. Deshalb konnte die von der Prägung Ἱεροσόλυμα hervorgerufene Assoziation ihnen nicht recht sein. So findet sich denn auch als Standardwiedergabe die Transkription Ιερουσαλημ (vermutlich mit spiritus lenis). Sie macht die innergriechische Assoziation mit ἱερός zwar nicht unmöglich, aber doch weniger naheliegend. Ob der Übersetzer des Josuabuches als erster den Namen Ιερουσαλημ (faktisch die Transkription des hebräischen Namens) verwendet hat, wissen wir nicht. Der Psalmenübersetzer könnte ihm vorangegangen sein, weil die vermutete Zeit beider Übersetzungen annähernd gleich ist. Auch so ist es aber bemerkenswert und einer Erklärung bedürftig, dass der Übersetzer des Josuabuches im Zusammenhang mit der Eroberung Jerichos von ›geweihten‹ (ἱερός) Posaunen spricht. In dem gleichen Kapitel wird gesagt, dass die Mauern der Stadt Jericho ›von selbst‹ (αὐτόματος) fallen werden. Auld (Joshua, xxiv und 134) hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine subtile Verknüpfung mit Lev 25,5.11 stattfindet. Auch Rösel (Septuaginta-Version, 208 ff.) hat auf einige theologisch motivierte Übersetzungen hingewiesen. Ein schönes Beispiel ist die Umdeutung des zukünftigen Abfalls der Israeliten in einen endzeitlichen Abfall in der Übersetzung von 24,27.

7.

Darüber hinaus ist ein Anklang an den Namen der Stadt Solyma denkbar, die ihren Ursprung auf die bei Homer genannten Solymier zurückführte. Hierosolyma wäre dem gegenüber ein heiliges Solyma. Dazu: Kreuzer, S., Die Septuaginta im Kontext alexandrinischer Kultur und Bildung, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zu Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 174, Stuttgart 2007, 28-56: 37; vgl. Kreuzer in LXX.E, 11.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Josuabuch als Ganzes steht für die Schenkung des verheißenen Landes und somit für den Aspekt der Treue Gottes. Darauf wird – pauschal – sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Tradition vielfach Bezug genommen. Die einzelnen Themen und Erzählstoffe des Buches haben dagegen eine eher geringe Wirkung gezeitigt. Das liegt auch daran, dass sich die geographischen Ausführungen, die einen beträchtlichen Teil des Gesamtbuches ausmachen, weder für die gläubige Reflexion noch für den vor Gott verantworteten Lebensvollzug als sehr fruchtbar erwiesen haben. Im Einzelnen hat das fünfte Kapitel des Josuabuches, das von einer neuerlichen (?) Beschneidung und der Feier des Passafestes spricht, in der jüdischen Tradition besondere Aufmerksamkeit gefunden. Dies zeigt sich bereits auf der Ebene des griechischen Josuabuches, in dem – über den hebräischen Text hinausgehend – die steinernen Messer, mit denen Josua die Israeliten beschnitten haben soll, noch zweimal erwähnt werden: 21,42d und 24,31a. Die Bedeutung, die dem fünften Kapitel beigemessen wird, zeigt sich aber auch darin, dass es in der späteren jüdischen Tradition die HaphtaraLesung für keinen geringeren Tag als den ersten Tag des Passah-Festes wurde. 8 In der christlichen Tradition hat die Geschichte Rahabs und Jerichos (Jos 2 und 6) besondere Beachtung gefunden. Auf sie wird bereits in der frühesten Tradition – Hebr 11,31, Jak 2,25 sowie 1Clem 12,1.4-6 – Βezug genommen. Die griech. Namensform der Hauptperson, Jesus, und das Gesamtthema des Buches hatten offensichtlich auch eine Auswirkung auf die Darstellung des Wirkens Jesu im Hebräerbrief: So wie Josua die Israeliten ins verheißene Land führte, führt Jesus die Seinen in die himmlische Heimat Weiteres zur Wirkungsgeschichte ist zu finden bei Moatti-Finé, BdA, 27 ff.

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Die Beschreibung der Textgeschichte und die Erstellung eines kritischen Textes Die kritische Edition des griechischen Josuabuches im Rahmen der Göttinger Ausgabe steht noch aus. 9 Zwar werden in ihr nicht alle verfügbaren Textzeugen aufgeführt werden, wohl aber ihre übergroße Mehrheit. Dadurch wird die Einteilung des Handschriftenmaterials weiter verfeinert werden können. Auf dieser Grundlage lässt sich dann auch die Textgeschichte noch detaillierter beschreiben als es heute möglich ist. Auch im Bereich der Tochterübersetzungen können noch erhebliche Fortschritte erzielt werden. So hat die Zahl der bekannten Textzeugen für die koptische / sahidi8. 9.

Vgl. zu diesem Textabschnitt und seiner Bedeutung auch Gooding, Circumcision, 149-164. Das Josuabuch sollte von Udo Quast herausgegeben werden, der intensiv an der Herausgabe des griechischen Pentateuchs durch J. W. Wevers mitgearbeitet hat. Als Pilotprojekt hat er die vorbildliche Ausgabe des Buches Ruth besorgt. Leider ist er jedoch verstorben, bevor er die Edition des Josuabuches auf den Weg bringen konnte, vgl. Wevers, J. W., U. Quast, Ruth: An Appreciation, BIOSCS 39 (2006), (147-148) 147. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

185

2.1 Jesus / Josue / Das Buch Josua

sche Tochterübersetzung in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Auch auf dem Gebiet der koptischen Sprachwissenschaft sind seit dem Erscheinen der beiden großen wissenschaftlichen Ausgaben erhebliche Fortschritte erzielt. Dadurch sind wir heute besser in der Lage, den der koptischen Übersetzung zugrundeliegenden griechischen Text zu rekonstruieren.

6.2 Das Verhältnis zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text Aus verständlichen Gründen hat sich die Erforschung der Beziehung zwischen dem hebräischen und dem griechischen Josuabuch bisher vor allem auf Abschnitte konzentriert, in denen quantitative Abweichungen zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text vorliegen. Wo in der einen textlichen Überlieferung gegenüber der anderen eine Lücke vorlag, versuchte man zu ermitteln, ob eine bewusste Kürzung in der einen oder Erweiterung in der anderen Textform oder eine unbewusste Dublette oder ein unbewusster Textverlust durch Homoioarkton bzw. Homoioteleuton vorlag. Daraus wurden Rückschlüsse abgeleitet hinsichtlich des relativen Wertes der jeweiligen Texttradition. Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text bleibt damit allerdings ein erheblicher Teil des Textmaterials ungenutzt. In diesem Bereich bietet eine von dem finnischen Textforscher SoisalonSoininen und seinen Schülern entwickelte Forschungsrichtung ganz neue Perspektiven. Sie haben in vielen kleinen Studien den (unbewussten) Gesetzmäßigkeiten in der Arbeit der einzelnen Übersetzer (ihrer ›Übersetzungstechnik‹) nachgespürt. Soisalon-Soininen und seine Schüler richteten ihr Augenmerk vor allem auf den Pentateuch. Vor einigen Jahren hat ein Forscher der dritten Generation einen Anfang gemacht für das Buch Josua (Sipilä, Between Literalness and Freedom). Es handelt sich dabei einstweilen um nicht mehr als einen bescheidenen Ansatz. Weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet werden helfen, die Beziehungen der hebräischen und griechischen Texttraditionen genauer zu beschreiben. Dabei wird, mehr als dies in der Vergangenheit geschehen ist, auch die Tatsache berücksichtigt werden müssen, dass die Übersetzung des Josuabuches nicht einheitlich ist. In dem außerordentlich schwierigen Abschnitt 5,4-6 beispielsweise liegt der Anteil der auffällig freien Übersetzungen in Vergleich zum restlichen Buch besonders hoch. Diese Erscheinung kennen wir auch aus anderen Bibelbüchern (etwa die poetischen Kapitel 32-33 im griechischen Deuteronomium). Sie sollte nicht dazu verführen, mit mehr als einem Übersetzer zu rechnen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der griechische Übersetzer bei einer – in welcher Hinsicht auch immer – schwierigen Vorlage gezwungen war, mit mehr Bedacht vorzugehen als sonst. Dadurch hatte er mehr Gelegenheit, die Wahl seiner Übersetzungsäquivalente genau abzuwägen. Auf diese Weise gelangte er zu Übersetzungen, die weniger naheliegend waren, dafür aber oft sehr treffend. Auf jeden Fall ist es erforderlich, mehr als bisher üblich auf die Verteilung freierer Übersetzungen über das Buch zu achten. Für diese Untersuchungen wird es auch wichtig sein, die Unterschiede zwischen der ursprünglichen Septuaginta und dem Text der kaige-Bearbeitung zu berücksichtigen.

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6. Perspektiven der Forschung

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6.3 Die historische Geographie Palästinas in hellenistischer Zeit Die vermutete Zeit der Abfassung der griechischen Übersetzung des Josuabuches fällt leider in eine Epoche, für die uns nur wenige und dürftige Quellen zur Verfügung stehen. Dadurch wissen wir zwar, dass der Übersetzer nur über begrenzte Kenntnisse der Geographie Palästinas verfügte, aber wir sind einstweilen nicht in der Lage, zu bestimmen, wie begrenzt seine Kenntnisse waren. Allerdings darf vermutet werden, dass seine Vertrautheit mit der Geographie des Binnenlandes geringer gewesen ist als mit derjenigen des Küstengebietes. Dort verliefen ja die internationalen Verkehrswege. In der bisherigen Forschung am griechischen Josuabuch ist der historischen Geographie nicht sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Es ist durchaus zu erwarten, dass in diesem Bereich noch manche Fortschritte erzielt werden können.

6. Perspektiven der Forschung

187

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter Natalio Fernández Marcos

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006.

1.2 Qumran-Texte 1QRi = 1Q6 (DJD I) — 4QRia.b = 4Q49.50 (DJD XIV) — XRi = X6 DJD XXVIII. BQS 254-258 — HTTM 203-211. Siehe auch die in BHS (Richter in BHQ) vermerkten Varianten.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harlé, P., Les Juges, BdA 7, Paris 1999 — Satterthwaite, P. E., Judges, NETS, Oxford / New York 20092 — Kabiersch, J. / Kreuzer, S. / Schmeller, T. / Weber, E., Das Buch Josua, LXX. D, Stuttgart 20102, 243-294 — Kabiersch, J. / Kreuzer, S. / Schmeller, T., Kritai / Judices / Das Buch der Richter, LXX.E 1, Stuttgart 2011, 657-700.

1.4 Weitere Literatur Auner, T., Septuagint Illustrations of the Book of Judges in Manuscripts of the Court School of Saint Louis, BF 13 (1988), 297-317, pl. XXV-XLI — Billen, A. V., The Old Latin Texts of the Heptateuch, Cambridge, 1927 — Billen, A. V., The Old Latin Version of Judges, JTS 43 (1942), 140-149 — Billen, A. V., The Hexaplaric Element in the LXX Version of Judges, JTS 43 (1942), 12-19 — Bodine, W. R., The Greek Text of Judges. Recensional Developments, HSM 23, Chico/ CA 1980 — Bodine, W. R., Kaige and Other Recensional Developments in the Greek Text of Judges, BIOSCS 13 (1980), 49-50 — Feldman, L. H., Josephus’ Version of Samson, in: World Union of Jewish Studies (Hg.), Proceedings of the ninth world congress of Jewish studies, Jerusalem 1986, 231-238 — Feldman, L. H., Josephus’ Portrait of Deborah, in: A. Caquot (Hg.), Hellenica et Judaica (FS V. Nikiprowetzky), Paris 1986, 115-127 — Fernández Marcos, N., Theodoret’s Biblical Text in the Octateuch, BIOSCS 11 (1978), 27-43 — Fernández Marcos, N., The Use of the Septuagint in the Criticism of the Hebrew Bible, Sefarad 47 (1987), 59-72 — Fernández Marcos, N., The Hebrew and Greek Texts of Judges, in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible. The Relationship between the Masoretic Text and the Hebrew Base of the Septuagint Reconsidered, SCS 52, Atlanta/GA 2003, 1-16 — Fernández Marcos, N., Héros et victime: Samson dans la LXX, in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, Paris 2005, 119-133 — Fernández Marcos, N., L’histoire textuelle: les livres historiques (Juges), in: A. Schenker / P. Hugo (Hg.), L’enfance de la bible hébraïque. Histoire du texte de l’Ancien Testament, Genève 2005, 148-169 — Fernández Marcos, N., Jephthah’s Daughter in the Old Greek (Judges 11:29-40), in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 478-488 — Harlé, P., Flavius Josèphe et la Septante des Juges, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Selon les Sep-

188

1. Literatur

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

tante (FS M. Harl), Paris 1995, 129-132 — Karrer, M., The New Leaves of Sinaiticus Judges, in: S. Kreuzer / M. Meiser / S. Sigismund, Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 268, Tübingen 2012, 600-617 – Kreuzer, S., Eine Schrift, zwei Fassungen: Das Beispiel des Richterbuches, Bibel und Kirche 50 (2001), 88-91 — Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta — Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116 — Lee, J. A. L., A Lexical Study of the Septuagint Version of the Pentateuch, SCS 14, Chico/CA, 1983 — Lindars, B., Some Septuagint Readings in Judges, JTS 22 (1971), 1-14 — Lindars, B., A Commentary on the Greek Judges?, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCS 23, Atlanta/GA 1987, 167-200 — Mez, A., Die Bibel des Josephus untersucht für Buch V-VIII der Archäologie, Basel 1895 — Pretzl, O., Septuaginta Probleme im Buch der Richter, Bib 7 (1926), 233269.353-383 — Robert, U., Heptateuchi partis posterioris versio latina antiquissima e codice Lugdunensi. Version latine du Deutéronome, de Josué et de Juges, Lyon 1900 — Rørdam, T. S., Libri Judicum et Ruth secundum versionem syriaco-hexaplarem, Hauniae [= Kopenhagen] 1861 — Sáenz-Badillos, A., Tradición griega y texto hebreo del Canto de Débora (Jue 5), Sefarad 33 (1973), 245-257 — Satterthwaite, P. E., Some Septuagintal Pluses in Judges 20 and 21, BIOSCS 24 (1991), 25-35 — Schreiner, J., Septuaginta-Massora des Buches der Richter, AB 7, Rom 1957 — Schreiner, J., Zum B-Text des griechischen Canticum Deborae, Bib 42 (1961), 333-358 — Soisalon-Soininen, I., Die Textformen der Septuaginta-Übersetzung des Richterbuches, Helsinki 1951 — Stichel, R., Die Inschriften des Samson-Mosaiks in Mopsuestia und ihre Beziehung zum biblischen Text, BZ 71 (1978), 50-61, pl. 9-10 (Ri 16,1-4) — Targarona, J., Le texte grec du livre de Juges presenté par les manuscrits (d)ptv, in: P. Casseti / O. Keel / A. Schenker (Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy. Études bibliques offertes à l’occasion de son 60e anniversaire, OBO 38, Fribourg / Göttingen 1981, 531-552 — Targarona, J., Historia del texto griego del libro de los Jueces, Diss., Madrid: Universidad Complutense, 1983 — Tov, E., The Textual History of the Song of Deborah in the A Text of the LXX, VT 28 (1978), 224-233 — Wevers, John W., The Use of Versions for Text Criticism: The Septuagint, in: N. Fernández Marcos (Hg.), La Septuaginta en la investigación contemporánea, TECC 34, Madrid 1985, 15-24.

2. Text und Editionen Obwohl die Kollation der griechischen Handschriften des Richterbuches im Göttinger Septuaginta-Unternehmen bereits fertiggestellt wurde, gibt es bis dato keine kritische Edition. Die Handausgabe von Rahlfs (Stuttgart 1935 mit wiederholten Nachdrucken bis Hanharts Editio altera, Stuttgart 2006 1) druckte den A-Text (ein kritischer Text, basierend auf den Codex Alexandrinus und Gruppen von Handschriften bzw. Rezensionen: O, d. h. hexaplarisch, und L, Lukianisch bzw. Antiochenisch) und den B-Text (faktisch identisch mit Codex Vaticanus) in den jeweils oberen bzw. unteren Bereich der Seite, offensichtlich in der de Lagarde’sche Überzeugung, dass sie zwei unterschiedliche Übersetzungen darstellten. 2 Vor Rahlfs wurden die Unterschiede der bei1. 2.

Der einzige Unterschied zwischen den Editionen von Rahlfs und Hanhart im ganzen Buch befindet sich in 9,11A: ἄρχειν ἐπὶ ξύλων (Rahlfs); ἄρχειν ξύλων (Hanhart). Diese Ansicht bzw. die Meinung, dass der Codex Alexandrinus den ältesten Text bietet, geht vermutlich auf J. E. Grabe, Epistola Ad Clarissimum Virum, Dn. Joannem Millium … Quâ ostenditur, Libri Iudicum Genuinam LXX. Interpretum Versionem eam esse, quam MS. 2. Text und Editionen

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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

den Texttraditionen betont, doch heutzutage betont man den großen Umfang der Gemeinsamkeiten; viele Passagen von A und B sind sich sehr ähnlich. Wahrscheinlich steht A der Old Greek näher, jedoch enthält auch er Beispiele der kaige-rezension und des hexaplarischen Einflusses. Auf Grund des Vokabulars kam Lee, Lexical Study, zur Überzeugung, dass der von Ms. A bezeugte Text älter als der von B bezeugte Text sei. Zu erwähnen ist, dass die im Jahre 1975 im St. Katharinen-Kloster auf dem Sinai neugefundenen Fragmente des Codex Sinaiticus, die aus dem Richterbuch Ri 2,20; 4,6 sowie 4,7–11,12 umfassen, seit Juli 2009 online zur Verfügung stehen (www.codexsinaiticus.org). Trotz einiger spezifischer Lesarten kann gesagt werden, dass Sinaiticus im Richterbuch deutlich ein Mitglied der Vatikanusgruppe darstellt. 3 Eine Reihe von Studien von Pretzl; Billen, The Old Latin; Soisalon-Soininen; Schreiner; Bodine, The Greek Text; Targarona, Historia, und Lindars, A Commentary, haben demonstriert, dass, obwohl die Textgeschichte des Buches extrem kompliziert ist, es auf eine einfache bzw. einmalige Übersetzung zurückgeführt werden kann. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die kritische Edition des griechischen Richterbuches als ein Haupttext erscheinen, der weder mit dem A- noch mit dem B-Text identisch sein wird, sondern das Ergebnis einer Stratifikation und eklektischen Rekonstruktion der gesamten Evidenz. Auf Grund der oben genannten Studien und der umfangreichen Edition von Brooke / McLean mit ihrem ausführlicheren Apparat ist es möglich die folgenden Textgruppen, mit einem hohen Konsensgrad in der Forschung, zu etablieren 4: L = K Z 54 59 75 (82) 314 (= L1) + (44) 106 134 344 (= L2) O = (A) G 15 19 (58) 108 376 426 Syh M = M N 29 (55) 121 B = B S 52 53 56 57 (72) 85 120 129 130 407 509 5 Es bleibt unklar, in welchem Verhältnis diese Gruppen zu den von Hieronymus in seinem Vorwort zur Chronik erwähnten Textformen 6 stehen. Bekanntlich wurde die Textform des Hesychius bis heute nicht identifiziert. Die lukianische Textform kann im Pentateuch nicht identifiziert werden, zumindest nicht mit den von den historischen und prophetischen Büchern bekannten Charakteristika dieser Textform. Im Richterbuch jedoch wurde die hexaplarische Rezension in manchen Handschriften mit Hilfe der Syrohexapla, die die aristarchischen Zeichen enthält (s. Rørdam), identifiziert. Der antiochenische bzw. lukianische Text wurde anhand der Übereinstimmung mancher Handschriften mit den biblischen Zitaten Theodorets identifiziert (s. Fernández Marcos, Theodoret’s Biblical Text).

3. 4.

5. 6.

Codex Alexandrinus exhibit, London 1705, zurück, die auch in BML durch Präsentation des Alexandrinus-Textes in Fettdruck berücksichtigt ist. [SK] Siehe dazu jetzt auch Karrer, New Leaves. Die Siglen der Minuskeln wurden von Buchstaben aus der Liste von Brooke / McLean zu den Nummern der Göttinger Edition konvertiert. Für die Äquivalenzen, s. die Konversionstabellen in Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968, 362-369, sowie in LXX.E, 660. Fragmente von Ms. G existieren nur für Kap. 9–10 und 15–21; Fragmente von Ms. K gibt es nur für Kap. 10; 11 und 18; Fragmente für MS. Z existieren für Kapitel 16–21. Gemeint sind die von Hieronymus in der Vulgata in seiner Vorrede zur Chronik erwähnten drei Textformen: Hesychianischer Text in Ägypten, Lukianischer Text in Antiochien bzw. Syrien und der [hexaplarische] Text des Origenes in Palästina. [SK]

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2. Text und Editionen

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

Im Richterbuch ist es äußerst schwierig, die Old Greek zu rekonstruieren. Die Textgeschichte wurde zuerst durch die Kaige-Rezension und zweitens durch starken Einfluss der origenischen bzw. hexaplarischen Rezension beeinflusst. Es kann gesagt werden, dass keine Gruppe der Handschriften von dem Einfluss der letzteren Gruppe frei blieb. Doch mit einer detaillierten Studie der Textgeschichte erscheint es möglich, auf einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit in der Rekonstruktion des ursprünglichen Textes zu kommen. Heute wird meistens angenommen, dass dieser für das Richterbuch im lukianischen bzw. antiochenischen Text (L1) zu finden ist. Diese Gruppe, vor allem wenn sie von der Vetus Latina gestützt wird, kann sehr alte Lesarten überliefern und zeigt weniger Einfluss der Kaige-Rezension und weniger hexaplarische Kontamination (s. Soisalon-Soininen, Textformen, 112-114; Bodine, The Greek Text, 134-136, und Lindars, A Commentary, 173). Die Übereinstimmungen zwischen dem antiochenischen Text und Josephus (s. Harlé, Flavius Josèphe) und der Vetus Latina (s. Billen, The Old Latin Version) führen uns zurück zur Old Greek bevor sie von hexaplarischen Lesarten kontaminiert wurde. Darüber hinaus mag an manchen Stellen die Vetus Latina die Old Greek besser bezeugen als alle griechischen Handschriften. Doch auch mit dieser Gruppe muss man vorsichtig sein, denn sie erfuhr eine innergriechische Revision mit Veränderungen des Stils (z. B. Attizismus), erklärenden Additionen und Doppelungen, sowie Umtauschen von Synonymen. Trotz der buchstäblichen Art der Übersetzung des Richterbuches fügt oft diese Gruppe ein Subjekt, komplimentierende Informationen oder einen kurzen Satz – wenn einer in der Zielsprache im Gegensatz zum Hebräischen benötigt wird – hinzu (s. 8,16.18.19.29.35 und passim in der Edition von Brooke / McLean). Diese Eigenschaften beeinträchtigen seinen Wert als Zeuge der Old Greek. Traditionellerweise wurde in der Wissenschaft diese Gruppe mit der lukianischen bzw. antiochenischen Rezension identifiziert. Tatsächlich wenn sie für sich genommen wird, vor allem in den Lesarten die sie gemeinsam mit L2 bietet, hat sie manche Eigenschaften die als lukianisch in den anderen Büchern der Septuaginta bezeichnet werden (Targarona, Texte grec) und sie ist am nächsten zu Theodorets Text bezüglich seiner spezifischen Lesarten. Aber die letzte Entscheidung, ob es sich bei diesen Charakteristika um die Auswirkung einer lukianischen Bearbeitung handelt, oder ob sie bereits zur Old Greek gehörten, kann nur getroffen werden, wenn die gesamte griechische Evidenz in der kritischen Edition des Göttinger Septuatinta-Unternehmens stratifiziert wird und die Klassifizierungskriterien überprüft sind. O repräsentiert die hexaplarische Rezension, wie durch seine häufige Übereinstimmung mit der Syrohexapla gesehen werden kann, wo auch die Asterisken und Obelisken tradiert sind. Obwohl MS A stark von der origenischen Rezension beeinflusst wurde, ist es die Gruppe als Ganzes, und nicht bloß diese Handschrift, die den besten Zeugen dieser Rezension darstellt. Codex M kann als Mischtext bezeichnet werden, der von der Kaige-Rezension beeinflusst wurde, der aber gelegentlich manche alte Lesarten bieten mag. Letztendlich ist es klar, dass B einen revidierten Text, der dem Hebräischen sehr nahe steht, überliefert. In dieser Gruppe sieht die griechische Übersetzung des Richterbuches sehr wörtlich aus. Aber, wie vorher schon erwähnt wurde, war die ursprüngliche griechische Version, die in vielen Fällen von L1 bezeugt wird, nicht so wortwörtlich. Bodine (The Greek Text) stellte fest, dass die Gruppe B viele Kaige-Eigenschaften 2. Text und Editionen

191

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

aufweist, d. h. der alte Text wurde einer bewussten Revision unterzogen, durch die er in nähere Übereinstimmung mit dem Hebräischen gebracht wurde (ein Prozess, der seinen Höhepunkt im extremen Literalismus des Aquila im zweiten nachchristlichen Jahrhundert erreichte). Obwohl einzelne Phänomene der Kaige nicht nur im B-Text, sondern auch im A-Text vorkommen, enthält nur B ἐγώ εἰμι plus finites Verb als Übersetzung für hebräisches ‫ אנכי‬plus finites Verb (5,3; 6,18; 11,27.35). Die Old Greek des Richterbuches ist, mit Ausnahme des Deboraliedes, die Wiedergabe eines dem masoretischen Text nahe stehenden, jedoch nicht mit ihm identischen hebräischen Textes. Aber die ursprüngliche griechische Version war nicht so wörtlich wie ältere Studien, die auf dem (kaige-) Text des Codex Vaticanus (B) basiert waren, angenommen haben. Eine Reihe von kleineren Zusätzen, unterschiedlichem Hyperbaton und stilistischen Unterschieden, Subordination anstatt Koordination, usw. wurde der ursprünglichen Übersetzung hinzugefügt, oft um die grammatikalischen und syntaktischen Notwendigkeiten der Zielsprache zu erfüllen. Andere griechische Varianten können als (gegenüber MT) unterschiedliche Auffassung desselben Konsonantentextes oder durch spätere innergriechische Textverderbnis erklärt werden, ohne eine andere Vorlage postulieren zu müssen. Für den A-Text und den B-Text stellt die Rahlfs / Hanhart Edition das beste Referenzwerk dar. Für die gesamte Evidenz, vor allem bezüglich der antiochenischen und hexaplarischen Textform, ist die beste verfügbare Edition die von Brooke / McLean mit ihrem reichhaltigen Apparat.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik In der Analyse des Übersetzungsprofils muss man zwischen dem A-Text und antiochenischem Text einerseits und dem B-Text andererseits unterscheiden. Im Allgemeinen wurde der hebräische Text des Richterbuches – mit der Ausnahme der archaischen Dichtung des 5. Kapitels – sorgfältig überliefert. Das Minus des hebräischen Textes in 16,13-14 und 19,30 ist wahrscheinlich als Ausfall auf Grund von Homoioteleuton zu erklären (s. dazu LXX.E I, z.St.). Man kann bei der Übersetzung von einem Wort-für-Wort-Muster sprechen, welches die Struktur des Hebräischen ins Griechische überträgt, z. B. den Gebrauch des Infinitivus Absolutus um eine Tätigkeit zu bestärken, den hebräischen Gebrauch von Partikeln und Präpositionen, die häufige Wiederholung des Personalpronomens, den Gebrauch von Parataxis anstatt Hypotaxis, die konstante Nutzung von προστίθημι plus finites Verb um das hebräische ‫ יסף‬plus finites Verb wiederzugeben und den Gebrauch von ἀνήρ als Kollektiv und Distributiv. Der griechische Übersetzer entschied sich, dass seine Übersetzung möglichst nahe an seiner Vorlage sein soll. Jedoch beschreibt dieser Literalismus besser den B-Text, als Beispiel der Kaige-Rezension, als den A-Text und den antiochenischen Text. Wie an manchen theologischen (s. u.) und an anderen kreativen Änderungen – vor allem im Simsonzyklus – gesehen werden kann, kann der ursprüngliche Überset192

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

zer als kreativer Schreiber verstanden werden, der ein reiches Vokabular mit einem hohen Grad an hapax legomena verwendete. Auf jedem Fall ist es schwierig, eine pauschale Beschreibung der Übersetzungstechnik des Richterbuches zu geben. Es bleibt nötig, die unterschiedlichen Texttypen zu unterscheiden. Der L-Text, wenn er von der Vetus Latina und Josephus unterstützt wird, mag das Old Greek darstellen, aber in seiner überlieferten Form hat er die Mehrheit der Doppelübersetzungen aufgenommen (39), manche von ihnen aus der hexaplarischen Rezension, vierzehn von ihnen gemeinsam mit dem A-Text und eine hat er gemeinsam mit dem B-Text. Diese Doppelungen sind besonders häufig im Deboralied (14), ein Zeichen der schwierigen Deutung eines obskuren hebräischen Textes. Ein weiterer Charakterzug des griechischen Textes des Richterbuches ist die große Anzahl der Transliterationen über die Transliterationen der Eigennamen hinaus. Diese stehen nicht nur anstelle von hapax legomena oder anderen schwierigen Wörtern, sondern können als bewusstes Stilmittel der Übersetzungstechnik gesehen werden: Βααλίμ wird in beiden Texttypen transliteriert, A und B in 2,11; 3,7; 8,33; μοσφαθάιμ in 5,16A, ἀμαδαρώθ in 5,22A; βαρκοννίμ in 8,7A (ἀβαρκηνίν in 8,7B); ἐφούδ in 8,27A (ἐφωθ in 8,27B); θεραφίν in beiden Texttypen, A und B in 17,5; 18,14.17.18.20. Häufig werden Toponyme, die im Hebräischen aus zwei Elementen bestehen, im B-Text transliteriert, während die hexaplarische Rezension und L den ersten Teil des Kompositums übersetzen, wie man in 9,6.37; 11,33; 16,4 und 20,33 sehen kann. Alle drei Texttypen stimmen in der Übersetzung von 15,17 überein: Ἀναίρεσις σιαγόνος für den Ort Ramat-Lehi, aber öfter unterscheiden sich die Übersetzungen: 1,17A: Ἐξολέθρευσις (B: Ἀνάθεμα); 2,5A: Κλαυθμών (B: Κλαυθμῶνες); 4,11A: ἀναπαυομένων (B: πλεονεκτούντων); 15,19: Πηγὴ ἐπίκλητος (B: Πηγὴ τοῦ ἐπικαλουμένου). Bezüglich des Vokabulars folgt der B-Text den spezifischen Optionen der KaigeRezension, aber die drei Texttypen haben viele Wörter gemeinsam, eine Tatsache die nur erklärt werden kann, wenn alle Texte von einem gemeinsamen Urtext stammen. Dieser stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Ägypten des frühen 2. Jh.s v. Chr. Wenn man alle drei Texttypen wahrnimmt, kann man ca. 50 hapax legomena der LXX im Richterbuch entdecken, von denen 15 im Deboralied zu finden sind. 7 Für eine konkrete Analyse der hapax legomena, Neologismen und lexikalische Innovationen, s. Harlé, Les Juges, 53-58. Eine interessante Variante in den Realien bietet die Wiedergabe des Mühlsteines in 9,53: Während MT den Oberstein einer Handmühle meint, hat der griechische Übersetzer den großen Mühlstein einer Mühle der hellenistischen Zeit vor Augen und spricht daher von einem Bruchstück eines Mühlsteines. Diese Lesart ist auch in B beibehalten. 8 [SK] Zuletzt sollte man auch die innergriechischen Textverderbnisse wahrnehmen, die entweder in einem Teil oder in der gesamten Tradition vorhanden sind: 2,15A: ἐπόρνευον »würden sich prostituieren« für ἐπορεύοντο »würde gehen« (dagegen B: ἐξε7.

8.

Für die Interpretation dieses Sachverhalts ist zu berücksichtigen, dass auch von den 30 hapax legomena in der hebräischen Fassung des Richterbuches fünfzehn im Deboralied zu finden sind. Kreuzer, Übersetzung, 110 f. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

πορεύοντο); 5,15B: ἐξικνούμενοι, »reichen« für ἐξιχνευόμενοι, »aussuchen« (dagegen A: ἀκριβασμοί); 6,34B: ἐφοβήθη, »wurde von Angst begriffen« für ἐβόησεν, »rief aus« (A); 9,7B: ἔκλαυσεν, »er weinte« für ἐκάλεσεν, »er rief aus« (A).

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Für die Eingrenzung der Zeit und des Ortes der Übersetzung ist es nochmal nötig die ursprüngliche Übersetzung von den späteren Revisionen zu scheiden. Im Falle des Richterbuches wird der wiederherzustellende älteste Text (Old Greek) aus einem vor allem aus dem A-Text und L rekonstruierten eklektischen Text bestehen. Der B-Text ist ein Beispiel der Kaige-Rezension, welche aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Ende des 1. Jh.s v. Chr. geschah. Bezüglich der ursprünglichen Übersetzung haben wir keine externe Evidenz für die Zeit oder den Ort; beide müssen durch eine Reihe von inneren und äußeren Kriterien erschlossen werden. An Hand der Sprache hat Lee, Lexical Study festgestellt, dass das Vokabular des A-Textes älter ist als das des B-Textes. Aus dem Vergleich mit dem Griechisch der anderen Bücher der Septuaginta erschloss Barthélemy, dass die Übersetzung des Richterbuches in dieselbe Periode gehört wie die Old Greek des Königebuches. In meiner Studie »Héros et victime« erschloss ich aus dem griechischen Zyklus der Simsonerzählung, dass die subtilen Änderungen, die vom Übersetzer eingebracht wurden, wahrscheinlich die Interessen und Ängste der jüdischen Bevölkerung während der Verfolgung durch die Seleukiden widerspiegeln. Deshalb ist es meiner Meinung nach plausibel, die ursprüngliche Übersetzung des Richterbuches im ersten Teil des 2. Jh.s v. Chr. in Alexandrien zu verorten. Dagegen erfolgte die Revision des B-Textes im Sinn der Kaige-Tradition wahrscheinlich in Palästina zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. Doch ist zu beachten, dass wir dabei von plausiblen Wahrscheinlichkeiten sprechen und nicht von Sicherheiten. 9 An einigen Stellen ist zu erkennen, dass der hebräische Text bezüglich der geographischen, sozioreligiösen und politischen Gegebenheiten der Zeit des Übersetzers aktualisiert wurde. Ein paar Beispiele sollte reichen: In 1,27 transliterieren beide Texte, sowohl A als auch B, den Namen von Beth-Schean als Βαιθσάν und fügen die erklärende Glosse ἥ ἐστιν Σκυθῶν πόλις, den Name der Stadt in hellenistischer-römischer Zeit, hinzu; in 5,3 übersetzen beide Texte, A und B, das hebräische ‫רזנים‬, »Prinzen«, mit σατράπαι, dem Titel der Gouverneure persischer Provinzen. Es soll betont werden, dass in 1,1, die Lesart »und lies sich bei dem Amalekiter nieder« nur in der Vetus Latina (cum eo Amalec) erhalten ist, während der masoretische Text und mit ihm alle bekannten Versionen »mit dem Volk« lesen. Vermutlich handelt es sich dabei um eine theologische Korrektur im masoretischen Text, um den Namen Amaleks, des Feindes Israels, aus einem Satz zu tilgen, in dem es mit dem Namen Juda verbunden wurde. 9.

Freilich ist zu beachten, dass schon die sog. syrischen Kriege ab der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. auch Palästina und die Juden betrafen. Harlé, Juges, 35, ist der Meinung, dass aus Gründen des Sprachgebrauchs und der Übersetzungsweise gegenüber dem Pentateuch und Josua ein Abstand von mindestens zwei Generationen besteht, was an das Ende des 3. Jh.s führen würde. [SK]

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

Es gibt noch einen Indikator, dass die Übersetzung des A-Textes und L älter ist also die des B-Textes. In 2,13; 3,7 und 10,6.10 AL wird der Name des Gottes Baal mit dem femininen Artikel versehen (τῇ Βάαλ, ταῖς Βααλίμ), wahrscheinlich um – in Analogie zur hebräischen Ersetzung von Baal durch ‫בשת‬, »Schande« – auch im Griechischen eine solche Ersatzlesung, nämlich durch αἰσχύνη, Schande, anzuzeigen. 10. Der B-Text bietet in allen diesen Fällen den eigentlich zu Baal passenden maskulinen Artikel (τῷ Βάαλ, τοῖς Βααλίμ). In 18,30 bewahren der A-Text und L die alte Lesart Μωυσῆ, die im B-Text zu Μανασσή nach dem Nun-Suspensum des masoretischen Textes korrigiert wurde, und zwar als eine bewusste Veränderung des Namen Moses um eine Verbindung des Namen Moses mit dem abgöttischen Priester der Daniter zu meiden und weil Manasseh ein ungehorsamer König von Juda war. Die ursprüngliche Septuaginta bezeugt hier einen vormasoretischen Text, während kaige an den (proto-) masoretischen Text anpasste.

4. Inhaltliches und theologisches Profil Jenseits der Kompositionsgeschichte des Richterbuches auf Hebräisch 11 bearbeitet der griechische Übersetzer eine letzte Redaktion des Buches, welche eine strukturierten und einheitlichen Text präsentiert, ein komplettes literarisches Werk, das sich um manche sich wiederholende Probleme dreht. A) Die förmliche Sprache: »Die Israeliten taten das Böse in den Augen des Herrn« (2,11; 3,7.12; 6,1) oder »die Israeliten taten wiederum das Böse in den Augen des Herrn« (4,1; 10,6 und 13,1); B) Die Interventionen des Herrn durch einen Richter, der Israel rettet (2,16.18; 3,9.15; 5,12); und C) die häufige Deklaration, dass Gott Menschen mit der Formel »Ich werde dich nicht mehr erlösen« ablehnt (2,3.21 und 10,13). In den letzten Kapiteln kommt eine neue Formel hervor, die die gegenwärtige Situation Israels in den Zeiten der Richter als Vorbereitung und Einleitung der Bücher der Könige mit der Formel »in jenen Tagen gab es keinen König in Israel« (18,1; 19,1 und 21,25) beschreibt. Die griechischen Texte folgen der Struktur des masoretischen Hebräisch sehr eng. Jedoch bezeugt eine Reihe subtilerer Änderungen in der Übersetzung das theologische Profil des Übersetzers: In der Erzählung um Gideon (6,11-24) spricht der masoretische Text manchmal vom »Engel des Herrn / Gottes« (V. 11.12.20-22) und manchmal von »dem Herrn« (V. 14.16.23), während die LXX immer –mit der einen Ausnahme in V. 23 – »Engel des Herrn« liest, was die Transzendenz Gottes mehr betont als im hebräischen Text. 12 10. So bereits Dillmann, A., Über Baal mit dem weiblichen Artikel. Monatsberichte der Kön. preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1881, 601-620; siehe jetzt Kreuzer, Eine Schrift, und ders. Entstehung, 108-110; sowie LXX.D, 248, Fn. zu Ri 2,13. 11. S. Mayes, A. D. H., Judges, Sheffield 1985, 19892. 12. Die Septugintafassung setzt darüber hinaus eine entwickeltere Engellehre mit einer größeren Zahl von Engeln voraus: In allen drei Engelerzählungen wird sowohl im A- wie im B-Text zunächst (ohne Artikel) von einem Engel (des Herrn) gesprochen (2,1; 6,11; 13,3), während danach (mit Artikel) von dem (zuvor erschienen) Engel gesprochen wird; siehe dazu LXX.E, 671: Exkurs Engel im Richterbuch. [SK] 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

In der Jotamsfabel in 9,13 lehnt der Weinstock die Herrschaft der Bäume mit folgender rhetorischen Frage ab: »Sollte ich aufhören, meinen Wein zu erzeugen, der Götter sowie Sterbliche erfreut … ?« Der B-Text liest wörtlich nach dem hebräischen Text: … τὸν εὐφραίνοντα θεὸν καὶ ἀνθρώπους. Aber der ursprüngliche Text von L tilgt θεόν und liest einfach καὶ τὴν εὐφροσύνην τῶν ἀνθρώπων, während der A-Text paraphrasiert: τὴν εὐφροσύνην τὴν παρὰ τοῦ θεοῦ τῶν ἀνθρώπων, »die Freude des Menschen, die von Gott kommt«. Die Intention der letzten beiden Übersetzungen ist, jegliche Spuren des Anthropomorphismus im biblischen Text, insbesondere die Vorstellung, dass Wein Gott fröhlich machen kann, zu vermeiden. Im Simson-Zyklus wurde das Hebräische, soweit es die griechische Sprache erlaubt, treu übersetzt. Doch in Kap. 16 wird der Übersetzer zu einem Erzähler bzw. einem kreativen Schreiber und verwandelt die Gesprächsszene des masoretischen Textes zu einer spöttischen Szene. Der Held Simson wird als Opfer und Spielzeug der Philister dargestellt (Fernández Marcos, Héros et victime). Die Erforschung der Theologie steckt tatsächlich noch in den Kinderschuhen, aber die nähere Betrachtung einer Reihe von kleineren Änderungen ermöglicht die Entdeckung der theologischen Gedanken der ersten Übersetzung und zugleich der ersten Interpretation der hebräischen Bibel.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Rezeptionsgeschichte des Richterbuches ist gering. Im Alten Testament gibt es einige Echos des Buches in Form eines expliziten Zitates oder einer Anspielung im Königebuch, in Jesaja und in den Psalmen. Gideons Sieg über die Midianiter wird in Jes 9,3 (τῇ ἠμέρᾳ τῇ ἐπὶ Μαδιάμ) und 10,26 (τὴν πλήγην τὴν Μαδιάμ) erwähnt. In Ps 82,10-13 LXX gibt es eine Anspielung auf den Sieg Balaks über Sisera und Jabin: ἐν τῷ χειμάρρῳ Κισών (Ri 4,13) und Gideons Sieg über die zwei Anführer (Ri 7,25) und die beiden Könige von Midian (Ri 8,21). In Sir 46,11-12 gibt es einen allgemeinen Hinweis auf die Richter, und die Aussage, dass die, »deren Herzen nicht in Abgötterei gefallen sind«, besonders gesegnet werden. Im Neuen Testament werden Gideon, Barak, Simson und Jiphtach ohne weiteren Kommentar und zusammen mit Samuel, David und den Propheten in Hebr 11,32 als Paradigmen des Glaubens genannt. In Ant. V bietet Josephus eine Paraphrase des Buches, die die Tapferen und heroischen Taten der Richter betont, wobei er jene Dinge tilgt, welche die glänzende Erscheinung dieser Personen beeinträchtigen könnten, z. B. die Erzählung von Ri 19-21. Ri 4 ist bei Josephus neu gestaltet, wobei er offensichtlich das Deboralied ignoriert. Simson präsentiert er als Prophet und tapferen Held. Das Opfer von Jiphtachs Tochter missbilligt er als konträr zum Gesetz bzw. als von Gott abgelehnt. Neben dem hebräischen Text kennt und zitiert Josephus den antiochenischen Text, was von erheblicher Bedeutung für das Alter dieser Textform ist. Etwa gleichzeitig mit Josephus ist der Liber Antiquitatum Biblicarum von PseudoPhilo, welcher das Richterbuch praktisch neu schreibt, und zwar mit besonderem Nachdruck auf den schwierigen Passagen, die der Autor im Anklang an rabbinische Interpretationen zu lösen versucht. Weil er sich auf die Exegese der Tora konzentrier196

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

te, zitiert Philon nur einmal das Richterbuch (Ri. 8,8-9), und zwar in De confusione linguarum 128, wo er den Turm Phanuel nennt, um ihn mit dem Turm von Babel zu vergleichen. Unter den Kirchenvätern wird Richter selten zitiert oder kommentiert, vielleicht weil sie das Buch nicht besonders geeignet für die Frömmigkeit ihrer christlichen Gemeinden hielten. Von Origenes sind (in der lateinischen Übersetzung von Rufinus) neun Predigten erhalten, in denen Origenes seine allegorischen und typologischen Interpretationen anwendet; offensichtlich benutzt er dabei den alexandrinischen Texttyp vor den hexaplarischen Korrekturen. Theodoret von Kyrrhos kommentiert das ganze Buch in seinen Fragen zum Oktateuch. Er verwendet einen antiochenischen Texttyp und folgt der historischen und typologischen Exegese im Sinn der antiochenischen Schule. Simson als Typos für Jesus ist bei den Vätern nicht häufig belegt. Wenige isolierte Passagen des Zyklus werden seit Origenes allegorisch interpretiert. Jedoch wird Simson gebunden und auf wundersamer Weise befreit, wie in Ri 15,14, was von Arias Montano als Typos für Jesu Tod und Auferstehung gedeutet wurde. 13 Die oben in 3.1 erwähnte Wiedergabe des Mühlsteins als Bruchstück eines Mühlsteins (9,53) wurde von Hieronymus in der Vulgata beibehalten (fragmen[tum] molae). Sie findet sich auch noch in der Lutherbibel von 1545 sowie in der King James Version und beeinflusste auch künstlerische Darstellungen dieser Szene. 14 [SK]

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Das erste Desideratum ist eine Fertigstellung der kritischen Edition des Buches für die Editio maior von Göttingen. Da alle Kollationen der Varianten in den Handschriften vom Septuaginta-Unternehmen abgeschlossen wurden, bleibt nun die Frage nach dem richtigen Herausgeber. Nur diese kritische Edition kann alle Evidenzen stratifizieren, den ursprünglichen Text erstellen und eine Textgeschichte des Buches nachzeichnen, die wesentlich anders sein wird, als das Bild, das von Rahlfs in seiner Handausgabe mit seinem doppeltem Text vermittelt wird. 6.2 Wegen der Komplexität der Textüberlieferung sind weitere Studien zur Geschichte des Textes, konkret zum proto-lukianischen Text (identifiziert anhand der Übereinstimmungen des antiochenischen Textes mit der Vetus Latina und mit Zitaten bei Josephus), zur Kaige-Rezensionen, zu den christlichen Rezensionen des Origenes und (umstritten) Lukians aus Antiochen, sowie zu den jüngeren Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion (erhalten in den hexaplarischen Materialien) dringend notwendig. 6.3 Die Analyse der Übersetzungstechnik des Buches muss anhand des ursprünglichen Textes revidiert werden, da die Mehrheit der bisherigen Studien auf dem B-Text basie13. B. Arias Montano, De Varia Republica sive Commentaria in Librum Judicum, Antverpiae: Ex officina Plantiniana, 1592, 540. 14. Kreuzer, S., κλάσμα μύλου – Fragmentum molae (Ri 9,53). Ein realienkundliches Detail in der Septuaginta und seine Rezeption (im Druck). 6. Perspektiven der Forschung

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2.2 Kritai / Iudices / Das Buch der Richter

ren, der eine revidierte und spätere Phase des Textes, und nicht die ursprüngliche Übersetzung darstellt. 6.4 Schließlich verspricht die Erforschung der Sprache des Buches wichtige Ergebnisse. Das Buch ist voll mit hapax legomena und Neologismen. Es ist nötig, diesen Wortschatz innerhalb des Rahmens der ganzen Septuaginta sowie der Geschichte der griechischen Sprache erforschen.

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6. Perspektiven der Forschung

2.3 Ruth / Das Buch Rut Eberhard Bons

1. Literatur 1.1 Textausgaben Swete, OT I, 19013 — BML I/4, 1917 — RaHa 1935/2006 — Rahlfs, A., Das Buch Ruth griechisch, als Probe einer kritischen Handausgabe der Septuaginta, Stuttgart 1922 — Quast, U., Ruth, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum IV,3, Göttingen 2006.

1.2 Qumran-Texte 2QRutha.b = 2Q16.17 (DJD III) — 4Q Rutha.b = 4Q104.105 (DJD XVI). BQS 735-738 — HTTM 473-476

1.3 Übersetzungen und Kommentare Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Ruth, BdA 8, Paris 2009 — Knobloch, F. W., Routh, NETS, Oxford / New York 20092, 239-243 — Bons, E., Ruth. Das Buch Rut, LXX.D, Stuttgart 20102, 294-299 — Bons, E., Ruth. Das Buch Rut, LXX.E, I, Stuttgart 2011, 701-713.

1.4 Weitere Literatur Beattie, D. R. G., Jewish Exegesis of the Book of Ruth, JSOT.S 2, Sheffield 1977 — Bons, E., Die Septuaginta-Version des Buches Ruth, BZ 42 (1998), 202-224 — Bons, E., Le vocabulaire de la servitude dans la Septante du livre de Ruth, JSJ 33 (2002), 153-163 — LaMontagne, N., LXX Ruth: Translation, Interpretation, Characterization, in: M. K. H. Peters (Hg.), XIV Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Helsinki 2010, SBL.SCS 59, Atlanta/GA 2013, 59-71 — Rahlfs, A., Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, MSU 3,2, Berlin 1922 — Thornhill, R., The Greek Text of the Book of Ruth: A Grouping of Manuscripts According to Origin’s Hexapla, VT 3 (1953), 236-249 — Turner, K.-J., A Study of Articulation in the Greek Ruth, BIOSCS 34 (2001), 95-114 — Waard, J. de, Translation Techniques Used by the Greek Translators of Ruth, Biblica 54 (1973), 499-515 — Ziegert, C., Das Buch Ruth in der Septuaginta als Modell einer integrativen Übersetzungstechnik, Biblica 89 (2008), 221-251.

2. Text und Editionen Im Vergleich zu anderen Büchern der LXX sind die Handschriften und Papyri, die den griechischen Text des Buches Rut teilweise oder vollständig enthalten, relativ jungen Datums. Unter den Handschriften aus Qumran und Umgebung finden sich keine griechischen, sondern nur vier hebräische Fragmente (2QRutha = 2Q16, 2Q Ruthb = 2Q17, 4Q Rutha = 4Q104; 4QRuthb = 4Q105), die jedoch wohl keinen Text überliefern, 1. Literatur

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Ruth / Das Buch Rut

der mit der LXX gegen den MT übereinstimmt. 1 Die ältesten derzeit bekannten Textzeugen sind Fragmente aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai (4. Jh. n. Chr.) 2 sowie die Codices B (4. Jh. n. Chr.) und A (5. Jh. n. Chr.), die den Text des Buches vollständig überliefern. Dabei gilt B als »Hauptzeuge für den alten LXX-Text« 3; denn diese Handschrift erweist sich als unbeeinflusst von den späteren Rezensionen und lässt die für letztere typischen Angleichungen an den MT noch nicht erkennen (vgl. ebd., 19). Unter den Rezensionen unterscheidet Rahlfs (1922, 15-18) die hexaplarische, die antiochenische sowie eine, die er mit dem Buchstaben R bezeichnete. Der griechische Text des Buches Rut wurde in der Antike schon in andere Sprachen des Mittemeerraums übersetzt (Lateinisch, Koptisch, Syrisch usw.). Seit der Sixtina (1587), die den Codex B zugrunde legt, ist das Buch Rut in den kritischen LXX-Ausgaben enthalten. In seiner Textausgabe von 1922 orientiert Rahlfs sich im Allgemeinen am Codex B (vgl. 18-19), ebenso in der Handausgabe der LXX von 1935. Quast (2006) bietet einen kritischen Text, der dem von Rahlfs weitgehend entspricht. Die wenigen Abweichungen (ebd., 132-136) haben keine Auswirkungen auf das Verständnis des Textes (Ausnahme: 4,11 ποίησαι).

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Sprachliches Profil Die griechische Übersetzung des Buches Rut folgt in der Regel ihrer hebräischen Vorlage. Dies gilt besonders für die Bereiche der Syntax, der Wortfolge und des Präpositionsgebrauchs. Das für die Rut-LXX typische Übersetzungsgriechisch 4 ist gekennzeichnet durch zahlreiche Parataxen, wenige konjunktivische Nebensätze (1,13.16; 2,9; 3,11), das Fehlen des genitivus absolutus sowie des accusativus cum infinitivo, weiterhin durch den sehr sparsamen Gebrauch des participium coniunctum an den Stellen, wo der hebräische Text finite Verben hat (1,18; 2,18; 4,15), sowie den weitgehenden Verzicht auf Partikeln (Ausnahmen: δέ vor allem bei Kasuswechsel [s. u.], δή nach Aufforderungen [1,8.11 u. ö.] und γέ [s. u. 4.]). Zu notieren sind außerdem die Übernahme von Nominalsätzen aus dem Hebräischen (1,16; anders 2,6.10; 3,11), die Konstruktion ἐγένετο (+ fakultative Satzglieder) + καί + finites Verb (1,1; 3,8), die Wiedergabe des hebräischen Verbs mit inf. abs. durch ein griechisches Verb mit Partizip (2,16; ähnlich 2,11), der Gebrauch von εἰς nach Formen von εἶναι (statt Nominativ, 4,15), pleonastisches ἐκεῖ im Relativsatz (1,7), der Komparativ mit ὑπέρ (3,12 [in der LXX steht trotzdem eine Komparativform!]; 4,15) sowie der possessive Dativ (z. B. 1,2; 2,1). Für das

1. 2. 3. 4.

Vgl. Bons, Septuaginta-Version, 2006; BdA 8, 34 f.; anders Lange, HTTM, 475. Vgl. Quast, Ruth, 11. So Quast, Ruth, 19. Vgl. Hierzu Mussies, G., Greek in Palestine and the Diaspora, in: S. Safrai / M. Stern (Hg.), The Jewish People in the First Century, Bd. 2, CRI I/2, Assen / Amsterdam 1976, 1040-1064, hier 1048 f. Zum Buch Rut vgl. Bons, Septuaginta-Version, 206-207; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 223-224.

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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

Ruth / Das Buch Rut

biblische Griechisch ist ferner die Formel καὶ ἰδού für hebräisches ‫ והנה‬charakteristisch 2,4.13; 3,2; 4,1). Die Tendenz, den hebräischen Text – der wohl mit dem Konsonantentext dem späteren MT im wesentlichen entsprach – möglichst wortgetreu zu übersetzen, zeigt sich nicht zuletzt an der wörtlichen Wiedergabe von Wendungen wie ‫כה יעשה יהוה‬ ‫לי וכה יסיף‬, »so soll mir YHWH tun und so hinzufügen« (1,17). Ein hebräisches Vorbild haben auch die Ausdrücke ποιέω ἔλεος μετά + gen. (1,8), ἐπαίρω τὴν φωνήν + gen. (1,9.14), εὑρίσκω χάριν ἐν ὀφθαλμοῖς + gen. (2,2.10.13) und ἀποκαλύπτω τὸ οὗς + gen. (4,1). Trotzdem ist die Rut-LXX keine konkordante Übersetzung ihres Originals, sondern weicht in mehrfacher Hinsicht vom hebräischen Text ab. Offenbar versuchte der Übersetzer, dem Text in der Zielsprache eine größtmögliche Klarheit und Verständlichkeit zu verleihen, und ging dazu sehr systematisch vor. 5 Zwei Beispiele seien zitiert: 1. Gerade bei einem Subjektswechsel ergänzt er einen Eigennamen, um deutlich zu machen, von welcher Person die Rede ist (1,15.18; 2,14.18 u. ö.). Dabei markiert er mehrfach den Subjektswechsel durch die Partikel δέ (1,16.18 u. ö.), während der hebräische Text ein waw einsetzt. Außerdem wird hier und da in Redeeinleitungen der Adressat ergänzt (z. B. 1,15; 3,15; 4,1). 6 Kleinere Zusätze finden sich noch in 1,14 (καὶ ἐπέστρεψεν εἱς τὸν λαὸν αὐτῆς); 4,7 (καὶ τοῦτο δικαίωμα); 4,8 (τὴν ἀγχιστείαν μου). Alle diese Maßnahmen dienen dazu, Eindeutigkeit herzustellen und Verständnisschwierigkeiten zu beseitigen. Dabei ist es jedoch schwer zu entscheiden, ob der Übersetzer selbst die Ergänzungen vorgenommen oder ob er sie in einer vom späteren MT abweichenden Vorlage vorgefunden hat. 7 Entsprechendes gilt auch für einige kleinere Auslassungen. So fehlen in der LXX Übersetzungen für »und es geschah, als sie in Betlehem ankamen« (1,19) sowie für »halte sie [sc. die Schürze] her« (3,15). Diese Formulierungen hat der Übersetzer vielleicht als redundant empfunden – oder sie waren schon nicht mehr in seiner Vorlage enthalten. 8 2. Wenn von Personen, ihren Funktionen und Eigenschaften die Rede ist, neigt die LXX dazu, Differenzierungen einzuführen, die dem hebräischen Text fremd sind. So besitzt Rut δύναμις (3,11; 4,11), Boas dagegen ἰσχύς (2,1), während der MT dasselbe Substantiv (‫ )כח‬verwendet. Auffällig ist auch das Vokabular aus dem Wortfeld des Dienstes und der Knechtschaft, das in Kap. 2–3 zur Bezeichnung der Bediensteten des Boas dient. 9 Der MT verwendet insgesamt sechs verschiedene Substantive, ohne dass in ihrem Gebrauch eine bestimmte Logik erkennbar wäre. Die LXX übersetzt diese Termini keineswegs konkordant. In der Wahl ihrer Begriffe legt sie vielmehr großen Wert darauf, exakt zwischen Rut und den übrigen Frauen zu differenzieren: Die auf dem Feld des Boas arbeitenden Mägde werden als κοράσια dargestellt (2,8.22.23; 3,2). Rut dagegen wird als νεᾶνις (2,5) oder als παῖς (2,6) bezeichnet, benennt jedoch sich selbst als Boas’ δούλη (2,13; 3,9 [2x]); ja sie kündigt an, wie eine von 5. 6. 7. 8. 9.

Vgl. Bons, Septuaginta-Version, 221; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 234.248 Vollständige Übersichten bei Bons, Septuaginta-Version, 208-209; Ziegert, Das Buch Ruth in der Septuaginta, 227.230-234. Vgl. Quast, Ruth, 125. So Quast, Ruth, 125; oder sie wurden erst im Proto-MT ergänzt. Vgl. hierzu Bons, Le vocabulaire de la servitude. 3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

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Ruth / Das Buch Rut

Boas’ παιδίσκαι zu sein (2,13). Diese Bezeichnung ist keineswegs bedeutungslos, wenn man 2,13 im Licht von 4,12 liest (s. u. zu 5.). Was das Rechtsvokabular angeht, führt 4,7 den Begriff δικαίωμα ein, der im MT keine Entsprechung hat (s. o.). Dieser terminus technicus bezeichnet in den Papyri Dokumente, die als rechtsgültiges Beweismittel dienen, vor allem Urkunden, Verträge und Rechtsvorschriften. 10 Die LXX verwendet δικαίωμα meist für Vorschriften des göttlichen Gesetzes (Ex 15,25 u. ö.), seltener auch – ähnlich wie im Buch Rut – für Vorschriften oder Gebräuche menschlichen Ursprungs (vgl. auch 1Kgt 8,11).

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Die Rut-LXX weist einige stilistische Besonderheiten auf, auf die sich die neueren Versuche der Datierung des Textes stützen 11: 1. ‫ איש‬im Sinne von »jemand« wird zu ἀνήρ (3,14; 4,7), 2. ‫ )ו(גם‬wird zu καί γε (1,5; 2,15.21; 3,12; 4,10) und 3. ‫ )ו(אנכי‬zu (καὶ) ἐγώ (bzw. κἀγώ) εἰμι (2,10; 3,9.12; 4,4; anders 2,13; 3,13); dabei kommt in 4,4 die ungewöhnliche Konstruktion Ἐγώ εἰμι ἀγχιστεύσω zustande. Derartige hebraisierende Tendenzen gelten als Indizien für die sogenannte καί γε-Rezension, d. h. eine Übersetzungs- bzw. Rezensionsaktivität, für die man jüdische Schriftgelehrte Palästinas verantwortlich glaubt. Diese hätten im 1. Jh. n. Chr. vorhandene griechische Bibeltexte stärker an hebräische Vorbilder angeglichen. Entsprechendes gelte auch für neue Übersetzungen wie die Rut-LXX, die in diesem Kontext entstanden sei. Doch inzwischen werden Zweifel an einer solchen Theorie geäußert. Zunächst sind beim derzeitigen Erkenntnisstand genauere Aussagen über den Entstehungsort der Rut-LXX (Palästina? Alexandrien?) schwierig. 12 Ebenso erwägt man eine frühere Datierung der καί γε-Rezension, da diese – wenigstens im Zwölfprophetenbuch – schon für das 1. Jh. v. Chr. bezeugt ist. 13 Zuletzt ist fraglich, ob der der καί γε-Rezension zugeordnete Text die erste griechische Übersetzung des Buches Rut darstellt 14 oder ob zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schon eine ältere griechische Version des Buches bekannt war.

10. Vgl. Cadell, H., Vocabulaire de la législation ptolémaïque. Problème du sens de dikaiôma dans le Pentateuque, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), ΚΑΤΑ ΤΟΥΣ Οʾ Selon les Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 207-221, bes. 214; Montevecchi, O., La lingua dei papiri e quella della versione dei LXX: due realtà che si illuminano a vicenda, Annali di scienze religiose 1 (1996), 71-80, bes. 80. 11. Vgl. zu der folgenden Theorie Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963, 34.47.49.69; BdA 8, 29-32. 12. Vgl. Fernández Marcos, N., The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible, Leiden 2000, 152; Bons, Le vocabulaire de la servitude, 163. 13. Vgl. Fernández Marcos, Septuagint, 152; Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116, bes. 112. 14. Harl, M. / Dorival, G. / Munnich, O., La Bible grecque des Septante, Paris 1988, 159.

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3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Übersetzung

Ruth / Das Buch Rut

4. Inhaltliches und theologisches Profil Die Gliederung der Rut-LXX weicht nicht von derjenigen ab, die der MT überliefert. Unverändert bleibt auch die Abfolge der Szenen sowie der Passagen, in denen der Erzähler das Wort ergreift. Dennoch setzt der Übersetzer eigene Akzente: Nach 1,15 sind die Götter, zu denen Orpa zurückkehrt, eindeutig im Plural (πρὸς τοὺς θεοὺς αὐτῆς). Im Gegensatz zu ihrer polytheistischen Schwägerin schließt Rut sich dem Gott ihrer Schwiegermutter an (»dein Gott ist mein Gott«); vgl. auch 2,12. Den Gott Israels bezeichnet sie zwar nicht explizit als den einzigen, sondern – so die seltene Übersetzung des hebräischen Gottestitels Schaddaj – als »den Genügenden« (ὁ ἱκανός, 1,20.21). Dieser Gottestitel, der noch in Ijob 21,15; 31,2; sowie in ParJer 6,3 15 vorkommt, beruht auf der Ableitung des hebräischen Wortes von aramäischem ‫ די‬+ ‫ש‬ »der genügend [ist]«. Drei kleinere Auslassungen sollen wohl den Text von Elementen zu befreien, die vielleicht als anstößig empfunden werden konnten. 16 So fehlt in 1,12 ein Äquivalent für ‫[» הלילה‬noch] in [dieser] Nacht«, d. h. die Nacht, in der Noomi mit einem beliebigen Mann Söhne zeugen könnte. In 3,7 wird nicht gesagt, Boas habe getrunken, damit auf ihn nicht der Verdacht fallen soll, infolge des Alkoholgenusses unbesonnen zu handeln. Weiterhin verschweigt 3,7, dass Rut sich »hinlegte«; d. h. ihr soll nicht unterstellt werden, eine sexuelle Begegnung mit Boas zu provozieren. Durch die Wahl des Substantivs παιδίσκη »junge Frau« (auch im Sinne von Ehefrau) in 2,13 nimmt Rut proleptisch eine Bezeichnung vorweg, die sie erst in 4,12 nach der Heirat mit Boas erhält. Als eine solche Frau soll sie die Hoffnung erfüllen, die seit Kap. 1 unerfüllt geblieben ist: einen Nachkommen zu gebären. 17

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 18 Eine ausführliche, zugleich sehr freie Nacherzählung des Buches Rut liefert Flavius Josephus (AJ V, §§ 318-337). Dieser streicht einen großen Teil der Dialoge, betont den Gehorsam Ruts gegenüber ihrer Schwiegermutter (§ 329) und erklärt, er habe die Geschichte erzählt, da sich in ihr die Fähigkeit Gottes zeige, gewöhnlichen Menschen großes Ansehen zu verschaffen (§ 337) 19 – denn die Genealogie 4,18-22 macht sie ja zur Ahnfrau Davids. Diese Information wird von Mt 1,5; Lk 3,32 im Zusammenhang des Stammbaums Jesu aufgenommen. Die patristische Rezeption – so schon Hippolyt von Rom – hebt Aspekte wie die nichtjüdische Herkunft Ruts hervor und sieht hierin einen Typos für die aus Juden und Heiden bestehende Kirche. Die nichtjüdische Her-

15. Paralipomena Jeremiae bzw. 4. Baruch, eine jüdische Schrift aus der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. 16. Vgl. hierzu ausführlich de Waard, Translation Techniques, 511-512; Bons, Septuaginta-Version, 213-215. 17. Vgl. Bons, Le vocabulaire de la servitude, 161-162. 18. Ausführliche Darstellungen und Nachweise bei Fischer, I., Rut. Übersetzt und ausgelegt, HThKAT, Freiburg i. Br. 2001, 95-111; Scaiola, D., Rut. Nuova versione, introduzione e commento, Mailand 2009, 229-240. 19. Zu weiteren Einzelheiten vgl. auch BdA 8, 54-56. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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Ruth / Das Buch Rut

kunft Ruts und ihre freiwillige Unterwerfung unter das Gesetz (vgl. die Paraphrase von 1,16 im Targum) ist ebenfalls ein wichtiges Element der rabbinischen Rut-Interpretation.

6. Perspektiven der Forschung Seit 2006 liegt eine kritische Textausgabe der Rut-LXX vor, die für die weitere Forschung ein unverzichtbares Hilfsmittel ist. Zu den Fragen, die diese aufgreifen sollte, zählt das Problem der Datierung und der Herkunft der Übersetzung. Dabei lassen sich drei Teilfragen unterscheiden: Lässt sich hinter der Terminologie der Rut-LXX, etwa hinter den Begriffen aus dem Wortfeld des Dienstes und der Knechtschaft, ein ägyptisches Milieu erkennen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Beantwortung dieser Frage für die Datierung der Übersetzung sowie für deren Stellung in der Geschichte der Entstehung der LXX? Lassen sich die wenigen neuen theologischen Akzente, die die Rut-LXX kennzeichnen, in den größeren Kontext zeitgenössischer jüdischer Theologie einordnen?

204

6. Perspektiven der Forschung

2.4 Die Bücher der Königtümer

2.4.1 Basileion I und II / Das erste und zweite Buch der Königtümer / Das erste und zweite Buch Samuel Philippe Hugo

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML II/1, 1927 — RaHa 1935/2006 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El Texto Antioqueno de la Biblia Griega, I 1-2 Samuel, TECC 50, Madrid 1989 — Taylor B. A., The Lucianic Manuscripts of 1 Reigns, Vol. 1, Majority Text, HSM 50, Atlanta/GA 1992.

1.2 Qumrantexte 1QSam = 1Q7 (DJD I) – 4QSama.b.c = 4QSam 51.52.53 (DJD XVIII).

BQS 259-322 — HTTM 213-247. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Grillet, B. / Lestienne, M., Premier livre des Règnes. Traduction, introduction et notes, BdA 9.1, Paris 1997 — Taylor, B. A., 1 Reigns, NETS, Oxford / New York 20092, 244-270 — Taylor, B. A., 2 Reigns (Old Greek), NETS, Oxford / New York 20092, 271-283 — McLean, P. D., 2 Reigns (Kaige), NETS, Oxford / New York 20092, 283-296 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion I / Das erste Buch der Königtümer / Das erste Buch Samuel, LXX.D, Stuttgart 20102, 301334 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion II / Das zweite Buch der Königtümer / Das zweite Buch Samuel, LXX.D, Stuttgart 20102, 335-383 — Kreuzer, S. / Meiser, M., Basileion I / Das erste Buch der Königtümer / Das erste Buch Samuel, LXX.E I, Stuttgart 2011, 745-807 — Kreuzer, S. / Meiser, M., M., Basileion II / Das zweite Buch der Königtümer / Das zweite Buch Samuel (Antiochenischer Text und Rahlfs-Text), LXX.E I, Stuttgart 2011, 808-897.

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Zitate und Tochterübersetzungen, andere Texteditionen Ambroise de Milan, Apologie de David. Introduction, texte latin, notes et index par P. Hardot. Traduction par M. Cordier, SC 239, Paris 1977 — Augustin, Cité de Dieu. Livres XV-XVIII, hg. v. G. Bardy / G. Combès, BA 36, Paris 1960 — Baars, W., New Syro-Hexaplaric Texts, Leiden 1968 — Dillmann, A., Veteris Testamenti Aethiopici. Tomus Secundus sive Libri Regum, Paralipomenon, Esdrae, Esther, Leipzig 1861 — Degering, H. / Boeckler A., Die Quedlinburger Italafragmente, Berlin 1932 — Drescher, J. (Hg.), The Coptic (Sahidic) Version of Kingdoms I-II (Samuel I-II), Vol. 1 (Critical Edition), Vol. 2 (Translation), CSCO 313-314, Leuven 1970 — Eusèbe de Césarée, Histoire Ecclésiastique, Vol. 1 / Vol. 2, hg. v. G. Bardy, SC 31/41,

1. Literatur

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

Paris 1952/1955 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R. (Hg.), Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Reges et Paralipomena, TECC 32, Madrid 1984 — Fischer, B. (Hg.), Palimpsestus Vindobonensis, in: Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, AGLB 12, Freiburg i. Br. 1986, 308-438 — Garitte, G. (Hg.), Traités d’Hippolyte sur David et Goliath, sur le Cantique des cantiques et sur l’Antéchrist, Vol. I Edition, Vol. II Traduction, CSCO 263-264, Leuven 1965 — Haupt, M., Veteris antehieronymianae versionis libri II Regum sive Samuelis fragmenta Vindobonensia, Wien 1877 — Iohannis Chrysostomi, De Dauide et Saule: homiliae tres, hg. v. F. P. Barone, CCSG 70, Turnhout 2008 — Lagarde, P. de, Bibliothecae Syriacae quad ad philologiam sacram pertinent, Göttingen 1892 — Lagarde, P. de, Bruckstücke der koptischen Übersetzung des Alten Testaments, in: Orientalia, 1. Bd., Berlin 1879, 63-104 — Levin, I., The Quedlinburg Itala. The Oldest Illustrated Biblical Manuscript, Leiden 1985 — Morano Rodríguez, C. (Hg.), Glosas marginales de Vetus Latina en las Biblias Vulgatas españolas, 1-2 Samuel, TECC 48, Madrid 1989 — Origene, Eustazio, Gregorio di Nissa, La Maga di Endor, a cura di M. Simonetti, Biblioteca patristica 15, Florenz 1989 — Origène, Homélies sur Samuel. Edition critique, introduction, traduction et notes par P. et M.-T. Nautin, SC 328, Paris 1986 — Petit, F. (Hg.), Autour de Théodoret de Cyr. La Collectio coisliniana sur les derniers livres de l’Octateuque et sur les Règnes. Le commentaire sur les Règnes de Procope de Gaza, TEG 13, Leuven 2003 — Petit, F. / Rompay, L. van (Hg.), Sévère d’Antioche. Fragments grecs tirés des chaines sur les derniers livres de l’Octateuque et sur les Règnes, TEG 14, Leuven 2006 — Pseudo-Philo, Les Antiqutiés Bibliques. Tome I, Introduction et texte critique éd. par D. J. Harrington, Traduction par J. Cazeaux. Tome II, Introduction littéraire, commentaire et index par Ch. Perrot / P.-M. Bogaert avec la collaboration de D. J. Harrington, SC 229-230, Paris 1976 — Salvesen, A., The books of Samuel in the Syriac version of Jacob of Edessa, MPIL 10, Leiden 1999 — Vercellone, C., Variae lectiones vulgatae latinae Bibliorum editionis, vol. 2, Rom 1864 — Weber, R. / Gryson, R. (Hg.), Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, Stuttgart 20075.

1.4.2 Übrige Literatur Aejmelaeus, A., A Kingdom at Stake: Reconstructing the Old Greek — Deconstructing the Textus Receptus, in: A. Voitila / J. Jokiranta (Hg.), Scripture in Transition. Essays on Septuagint, Hebrew Bible, and Dead Sea Scrolls in Honour of Raija Sollamo, JSJ.S 126, Leiden 2008, 353-366 — Aejmelaeus, A., David’s Return to Ziklag: A Problem of Textual History in 1 Sam 30:1, in: M. K. H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden 2004, SBL.SCS 54, Atlanta/GA 2006, 95-104 — Aejmelaeus, A., Lost in Reconstruction? On Hebrew and Greek Reconstructions in 2 Sam 24, BIOSCS 40 (2007), 89106 — Aejmelaeus, A., The Septuagint of 1 Samuel, in: dies., On the Trail of the Septuagint Translators, CBET 50, Leuven 20072, 123-141 — Auld, G. / Ho, C. Y. S., The Making of David and Goliath, JSOT 56 (1992), 19-39 — Auld, G., The Story of David and Goliath: A Text Case for Synchrony Plus Diachrony, in: W. Dietrich (Hg.), David und Saul im Widerstreit — Diachronie und Synchronie im Wettstreit. Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuchs, OBO 206, Fribourg / Göttingen 2004, 118-228 — Avalos, H., δεῦρω – δεῦτε and the Imperatives of ‫הלך‬. New Criteria for the Kaige Recension of Reigns, EstBib 47 (1989), 165-176 — Barthélemy, D. / Gooding, D. W. / Lust, J. / Tov, E., The Story of David and Goliath. Textual and Literary Criticism, OBO 73, Fribourg 1986 — Barthélemy, D., Redécouverte d’un chaînon manquant de l’histoire de la Septante, RB 60 (1953), 18-29 (= in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 38-50) — Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélemy, D., Les problèmes textuels de 2 Sam 11,2-1 Rois 2,11 reconsidérés à la lumière de certaines critiques des »Devanciers d’Aquila«, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 218-242 — Barthélemy, D., Origène et le texte de l’Ancien Testament, in: ders., Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978, 203-221 — Barthélemy, D., La qualité du Texte Massorétique de

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1. Literatur

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

Samuel, in: E. Tov (Hg.), The Hebrew and Greek Texts of Samuel, Jerusalem 1980, 1-44 — Bogaert, P.-M., La Bible latine des origines au moyen âge. Aperçu historique, état de la question, RTL 19 (1988), 137-159.276-314 — Bogaert, P.-M., Septante et versions grecques. 10. I-IV Règnes, DBS 12 (1993), 590-601 — Bogaert, P.-M., Luc et les Écritures dans l’Évangile de l’enfance à la lumière des Antiquités bibliques, in: C. M. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 243-270 — Bogaert, P.-M., Les bibles d’Augustin, RTL 37 (2006), 513-531 — Brock, S., Lucian redivivus. Some Reflections on Barthélemy’s Les Devanciers d’Aquila, in: F. L. Cross (Hg.), Studia Evangelica, Bd. 5, TU 103, Berlin 1968, 176-181 — Brock, S., The Recensions of the Septuaginta Version of I Samuel [Diss. Oxford 1966], Quaderni di Henoch 9, Turin 1996 — Caird, G. B., Ben Sira and the Dating of the Septuagint, in: E. A. Livingstone (Hg.), Studia Evangelica, Bd. VII, TU 126, Berlin 1982, 95-100 — Cowe, S. P., The Armenian Version, in: N. Fernández Marcos / J. R. Busto Saiz, El Texto Antioqueno de la Biblia Griega. I 1-2 Samuel, TECC 50, Madrid 1989, lxxi-lxxix; Cross, F. M., The History of the Biblical Text in the Light of Discoveries in the Judaean Desert, HTR 57 (1964), 281-299 — Devresse, R., Les anciens commentateurs grecs de l’Octateuque et des Rois, Studi e testi 201, Vatican 1959 — Feldman, L. H., Josephus’s Interpretation of the Bible, Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley/CA 1998 — Fernández Marcos, N., Der antiochenische Text der griechischen Bibel in den Samuel- und Königsbüchern (1–4 Kön LXX), in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 177-213 — Fernández Marcos, N., Scribes and Translators. Septuagint and Old Latin in the Book of Kings, VT.S 54, Leiden 1994 — Fernández Marcos, N., The Lucianic Text in the Books of Kingdoms: From Lagarde to the Textual Pluralism, in: A. Pietersma / C. Cox (Hg.), De Septuaginta (FS J. W. Wevers), Mississauga 1984, 161-174 — Fischer, B., Lukian-Lesarten in der Vetus Latina den vier Königsbüchern, in: A. Metzinger (Hg.), Miscellanea Biblica et Orientalia A. Miller oblata, Studia Anselmiana 27-28, Rom 1951, 169-177 — Greenspoon, L., Recensions, Revision, Rabbinics: Dominique Barthélemy and Early Developments in the Greek Traditions, Textus 15 (1990), 153-167 — Greenspoon, L., The Kaige Recension: The Life, Death, and Postmortem Existence of a Modern- and Ancient-Phenomenon, in: M. K. H. Peters (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Sudies, Leiden 2004, SBL. SCS 54, Atlanta/GA 2006, 5-16 — Hanhart, R., Vierzig Jahre Septuagintaforschung, ThR 73 (2008), 247-281.375-403 — Harrington, D. J., The Biblical Text of Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum, CBQ 33 (1971), 1-17 — Hendel, R., Plural Texts and Literary Criticism: For Instance, 1 Samuel 17, Textus 23 (2007), 97-114 — Herbert, E. D., The Kaige Recension of Samuel: Light From 4QSama, in: ders. / E. Tov (Hg.), The Bible as Book. The Hebrew Bible and the Judaean Desert Discoveries, London 2002, 197-208 — Hugo, P. / Schenker, A. (Hg.), Archaeology of the Books of Samuel. The Entangling of the Textual and Literary History, VT.S 132, Leiden 2010 — Hugo, P., Die Septuaginta in der Textgeschichte der Samuelbücher. Methodologische Prinzipien am Beispiel von 2 Sam 6,1-3, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta — Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen, 2008, 336-352 — Hugo, P., Abner der Königsmacher versus David den gesalbten König (2 Sam 3,21.39). Die Charakterisierung Abners und Davids als Merkmale der literarischen Abweichung zwischen dem masoretischen Text und der Septuaginta, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta: Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 489-505 — Hugo, P., L’archéologie textuelle du Temple de Jérusalem. Étude textuelle et littéraire du motif théologique du Temple en 2 Samuel, in: ders. / A. Schenker (Hg.), Archaeology of the Books of Samuel. The Entangling of the Textual and Literary History, VT.S 132, Leiden 2010, 161-212 — Hugo, P., Le Grec ancien des Livres des Règnes. Une histoire et un bilan de la recherche, in: Y. A. P. Goldman / A. van der Kooij / R. D. Weis (Hg.), Sôfer Mahîr. Essays in Honour of Adrian Schenker Offered by Editors of Biblia Hebraica Quinta, VT.S 110, Leiden 2006, 113-141 — Hugo, P., Retour sur les lieux du crime. Enquête textuelle sur le meurtre d’Avner (2 Samuel 3), Semitica et classica 1 (2008), 97-104 — Hugo, P., Text History of the Books of Samuel: An Assessment of the Recent Research, in: ders. / 1. Literatur

209

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

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210

1. Literatur

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

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211

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

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212

1. Literatur

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

2. Überlieferung des Textes 2.1 Titel und Einteilung der Bücher Der Titel der »(Bücher der) Königtümer«, βασιλειῶν, wie er von der gesamten Handschriftenüberlieferung bezeugt wird, taucht seit dem 2. Jh. n. Chr. in den Listen des biblischen Kanons des Meliton von Sardes (βασιλειῶν τέσσερα) und des Origenes (βασιλειῶν α’–δ’) auf. 1 Dieser Titel ist möglicherweise alexandrinischen Ursprungs und vorchristlich, denn Philon (ca. 20 v. Chr.–50 n. Chr.) benutzt bereits dieselbe Bezeichnung im Nominativ, Βασιλεῖαι. 2 Unter diesem Titel werden also vier Bücher der LXX zusammengefasst, die zwei Büchern des hebräischen Kanons, Samuel und Könige, entsprechen. Diese Einteilung in vier Bücher (I–IV Regnum) wird sich auch in der Vulgata durchsetzen, obwohl Hieronymus auch die zwei Bezeichnungen Samuel–Könige (Samuhel–Malachim) und Königtümer (Regnorum) erwähnt. 3 1–2Königtümer gibt also ein einziges hebräisches Buch wieder 4, woran Origenes (zitiert bei Eusebius) erinnert: Βασιλειῶν α’ β’, παρ’ αὐτοῖς ἕν, Σαμουὴλ, »ὁ θεόκλητος«, »(die Bücher) der Königtümer 1, 2, sind bei ihnen [den Hebräern] ein einziges, Samuel, ›der Auserwählte Gottes‹«. 5 Wenn die Einteilung in zwei (bzw. vier) Bücher auch alt ist, so ist sie wahrscheinlich nicht ursprünglich. 6 Man muss deren Ursprung offensichtlich in der Größe der Schriftrollen suchen. 7 1Kgt endet mit dem Tod und der Bestattung des Königs Saul (1Kgt 31,13). 2Kgt handelt von der gesamten 1. 2. 3.

4.

5.

6. 7.

Vgl. Swete, 203: Eusebius, Hist. eccl., IV, 26 und VI, 25. Swete, 215. Tatsächlich liest man in seinem Prolog in Libro Regum (Weber, Biblia sacra, 364-365): »Tertius [nach Josua und Richter] sequitur Samuhel, quem nos Regnorum primum et secundum dicimus. Quartus Malachim, id est Regum, qui tertio et quarto Regnorum volumine continetur.« Es folgt eine Bemerkung darüber, dass die Bezeichnung Königtümer oder Könige wohlbegründet ist, was offensichtlich der Grund dafür ist, dass sich die Bezeichnung Regum schließlich in der Vulgata durchgesetzt hat: »Meliusque multo est Malachim, id est Regum, quam Malachoth, id est Regnorum dicere, non enim multarum gentium regna describit, sed unius israhelitici popolu qui tribubus duodecim continetur.« In der hebräischen Bibel tauchte die Einteilung in zwei Samuelbücher und zwei Bücher Könige spät unter dem Einfluss der griechischen Bibel und der Vulgata auf. Sie ist zum ersten Mal in der in Venedig im Jahr 1517 veröffentlichten Bibel des Felix de Prato bezeugt. Eusebius, Hist. eccl., VI, 25. In der Hexapla findet man am Ende von 1Königtümer ebenfalls eine Anmerkung, die erwähnt, dass die Hebräer die beiden Bücher nicht voneinander trennten, worin ihnen Aquila folgte: Τέλος σὺν θεῷ τῆς πρώτης τῶν Βασιλειῶν ὁ δὲ Ἀκύλας, Ἑβραίοις ἑπόμενος, οὐ διεῖλεν, ἀλλὰ μίαν τὰς δύο τετοίηκεν (Field, Origenis Hexaplorum, Vol. I, 554). Bogaert, Septante, 591. Auch wenn Sam–Kön bzw. 1–4Kgt einen erzählerischen Zusammenhang bilden, war ihr Text vermutlich nie auf einer einzigen riesigen Rolle enthalten sondern auf mehrere Rollen verteilt. Leider sind bei den Samuel- und Könige-Rollen aus Qumran die entsprechenden Passagen nicht erhalten, so dass nicht erkennbar ist, ob die Übergänge innerhalb von Samuel und Könige bereits irgendwie markiert waren. Dazu und zur Frage, ob sich durch das hellenistische Kleinrollensystem die Abgrenzung der kaige-Abschnitte und die Probleme in 1Sam 17 f. erklären lassen, siehe jetzt Kim, Kleinrollensystem. [SK] 2. Überlieferung des Textes

213

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

Herrschaft Davids über Juda und Israel. Die große Mehrzahl der Textzeugen schließt 2Kgt am Ende des Kapitels 24 ab, welches das Ende des Buches Samuel in der hebräischen Bibel ist. 8 Dagegen findet sich im antiochenischen Text (L, vgl. weiter unten 2.3) das Ende von 2Kgt nach dem Tode Davids, in 1Kön 2,11. 9 Dies entspricht gleichermaßen dem Ende des Abschnittes βγ der Königtümer (2Kgt 10,2–3Kgt 2,11; s. u. 2.3 zum καίγε-Text) im Codex Vaticanus, was bedeutet, dass dem Codex Vaticanus (bzw. dessen Vorläufer) Schriftrollen zugrunde lagen, die ebenfalls diese Abgrenzung hatten. Diese Indizien könnten auf eine alte Einteilung hinweisen. 10

2.2 Handschriftenüberlieferung, moderne Editionen und Problematik des Textes Etwas mehr als sechzig Handschriften enthalten 1–2Königtümer, darunter vier UnzialCodices: Codex Vaticanus (B, 4. Jh.), Codex Alexandrinus (A, 5. Jh.), Codex Coislianus (M, 7. Jh.) und Codex Venetus (V [N in Ra], 8. Jh.). 11 Man zählt einige seltene PapyrusFragmente des 4. Jh.s (842) bzw. 5. Jh.s (860 934) und einige Pergament-Fragmente des 4.–5. Jh.s (845 846), aber die Mehrheit der handschriftlichen Zeugen erstreckt sich zeitlich vom 9. bis ins 16. Jh. Unsere Bücher werden ebenso durch die altlateinische, 12 äthiopische, 13 armenische, 14 koptische (bzw. sahidische), 15 georgische 16 Übersetzungen und durch die Syrohexapla 17 bezeugt wie durch Zitate der griechischen und lateinischen Kirchenväter (siehe unten 5.). Es gibt zurzeit keine Edition von 1–2Königtümer oder von 3–4Königtümer, die den Erfordernissen der jüngsten Forschungsergebnisse gerecht würde. In der Tat sind die hauptsächlichen modernen Editionen (20. Jh.) zeitlich den letzten Entdeckungen vorgelagert – insbesondere den Entdeckungen der Manuskripte in der Wüste Juda, die 8. Der masoretische Text fügt hier die Zahl der Verse des Buches ein. 9. Flavius Josephus schließt ebenfalls mit dieser Episode das Buch VII der Antiquitates Judaicae ab. 10. Thackeray, Greek Translation, 265-267. Dagegen Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 188-189. 11. Zur Beschreibung der Handschriften bis zum 8. Jh. vgl. Rahlfs / Fraenkel, Verzeichnis, 477-478 (Verzeichnis der Handschriften der Königtümer); für den Rest vgl. Rahlfs, Verzeichnis, 374385 (Verzeichnis der Handschriften des Oktateuch und der Königtümer); zur Beschreibung der bei Brooke / McLean / Thackeray verwendeten Textzeugen siehe die gute Darstellung von Kim, Textformen, 37-69. Siehe auch die Einleitung in diesem Band. 12. Für die Zeugen der Vetus latina siehe die folgenden Editionen: Lat 91-95: Morano Rodríguez, Glosas marginales; Lat 115: Fischer, Palimpsestus Vindobonensis; Lat 116: Degering / Boeckler, Die Quedlinburger Italafragmente, und Levin, The Quedlingurg Itala; Lat 117: Haupt, Veteris antehieronymianae versionis. 13. Dillmann, Libri Regum. 14. Der Text der armenischen Version von 1–2Königtümer wurde von S. P. Cowe in der Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz, Texto Antioqueno, kollationiert. Man kann davon ausgehen, dass diese Arbeit vollständiger ist als die bis dahin verfügbaren Editionen; vgl. die Einleitung dieser Edition: Cowe, Armenian Version. 15. Drescher, Coptic Versions. Es gibt nur einige bohairische Fragmente: Lagarde, Bruchstücke. 16. Vgl. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 259-261. 17. Lagarde, Bibliothecae Syriacae; Brock, Recensions, 5-13; Baars, New Syro-Hexaplaric, 104-114; Liljeström, Fragments.

214

2. Überlieferung des Textes

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

unser Verständnis der Geschichte dieses Textes revolutioniert haben (vgl. weiter unten 2.3), oder sie beschränken sich auf eine besondere Texttradition. Die Edition Brooke / McLean / Thackeray (1927) ist eine diplomatische Edition von B. Der derzeitige Forschungsstand zeigt auf, dass sie nicht immer der ältesten Fassung der Königtümer von LXX entspricht. Dennoch bleibt diese Edition bis heute die beste insofern, als sie die größte Anzahl von Informationen über Textvarianten bietet: Ihr textkritischer Apparat umfasst, wenn auch nicht alle sechzig heute verfügbaren Handschriften, so wenigstens die bedeutendsten unter ihnen sowie die Lesarten der Übersetzungen und einer großen Zahl von Zitaten der Kirchenväter. 18 Die Edition von Rahlfs (Ra 1935 und RaHa 2006) stellt sich selbst als Vorbereitung der kritischen Ausgabe dar, 19 Allerdings hat sie hauptsächlich die Unziale A und B zur Grundlage. Zwar notiert Rahlfs auch die Textzeugen der Rezension von Origenes (O: A 247 [x] und 376 [c]) 20 und des antiochenischen (oder »lukianischen«) Textes (L: 19 82 93 108 127 [in der Reihenfolge b’ o e2 b c2]) 21, aber diese Heranziehung bleibt unsystematisch und folglich nicht repräsentativ. Darüber hinaus hatte Rahlfs seinerzeit die Tendenz, den Wert von L zu unterschätzen und den Lesarten den Vorzug zu geben, die dem MT entsprechen, was heute zu einem hauptsächlichen Hindernis für die Rekonstruktion des ältesten Textes geworden ist. Die Textüberlieferung von L wurde für sich selbstständig zuerst in Gestalt der kritischen Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz (1989) und dann in Gestalt der Edition des »Mehrheits-Textes« von 1Königtümer durch Taylor (1992) herausgegeben. Die Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz fügt abgesehen von der handschriftlichen Überlieferung wichtige Daten der indirekten antiochenischen Tradition hinzu – Zitate der antiochenischen Kirchenväter, die Vetus Latina, die armenische Übersetzung – und stellt dieses gesamte Material anderen, möglicherweise verwandten Zeugen, wie Josephus und den Qumran-Handschriften, gegenüber. Die Frage, die im Fokus der aktuellen Forschung steht, lautet: Wo innerhalb der Textvielfalt, die von den verschiedenen Strängen der griechischen Überlieferung bezeugt wird, findet sich die älteste Textform?

2.3 Geschichte des Textes Der Text von 1–2Königtümer hat eine komplexe und bewegte Geschichte durchgemacht. 22 Seine ursprüngliche Gestalt wurde nach und nach Rezensionen und Revisionen unterzogen, deren Ziel es nicht nur war, Irrtümner zu korrigieren und grammatikalische sowie stilistische Verbesserungen vorzunehmen, sondern den griechischen Text an die hebräische Vorlage anzugleichen, die sich durchzusetzen begann (seit dem 18. Als Vorarbeit für ein Forschungsprojekt zum Septuagintatext der Samuelbücher wurde von S. Kreuzer / M. Sigismund und Mitarbeitenden der Text mit dem gesamten Apparat in das aktuelle Rahlfs-Göttinger Siglensystem transponiert. Der Text steht elektronisch auf http:// www.kiho-wb.de/ISBTF/brooke-mclean_elektronisch zur Verfügung und ist zudem auf einzelne Handschriftennummern durchsuchbar. [SK] 19. RaHa, XVII-XVIII. 20. Die Nummerierung der Handschriften entspricht Rahlfs, Verzeichnis, die Sigeln in eckigen Klammern sind diejenigen von BML. 21. RaHa, 502. 22. Für eine detailliertere Zusammenfassung vgl. Hugo, Le grec ancien. 2. Überlieferung des Textes

215

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

1. Jh. v. Chr.), nämlich an den protomasoretischen (oder rabbinischen) Text. 23 Diese Überarbeitungen hatten eine Distanzierung des Textes von der ursprünglichen Übersetzung zur Folge. Zu diesem Phänomen muss man das der wechselseitigen Verderbnis der Textüberlieferungen hinzunehmen. Die allgemeine Perspektive der jüngsten Forschung ist es, die unterschiedlichen Rezensionen und Revisionen zu identifizieren, denen die ursprüngliche Übersetzung unterzogen wurde, um so weit wie möglich zur nicht überarbeiteten und nicht verdorbenen Fassung der ursprünglichen Überlieferung vorzudringen. Die jüngsten Forschungsergebnisse ermöglichen es, drei hauptsächliche Überarbeitungen der Königtümer herauszustellen: 1. Die Rezension (bzw. Revision) καίγε (zweite Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts), 2. die Rezension des Origenes oder der Hexapla (Anfang 3. Jh. n. Chr.) und 3. die sogenannte lukianische Rezension oder der antiochenische Text (4. Jh. n. Chr.). 1. Die Rezension, oder genauer die Revision καίγε, wurde von Dominique Barthélemy im Jahr 1953 24 herausgearbeitet und 1963 im Detail beschrieben. 25 Das Studium des Dodekapropheton, das in Naḥal Ḥever im Jahr 1952 entdeckt worden war (8ḤevXIIgr, auf das Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts datiert 26), hat es ihm in der Tat möglich gemacht, eine alte jüdische Überarbeitung zu identifizieren, die vor der von Aquila anzusiedeln ist und in ihren Merkmalen der Fassung Theodotion gleicht; er bezeichnete sie als »Gruppe καίγε«. Tatsächlich weist der Text linguistische Merkmale auf, wie sie auch in anderen Büchern oder Textzeugen der griechischen Bibel gefunden werden, unter anderem in bestimmten Abschnitten der Bücher der Königtümer. 27 Bereits im Jahr 1907 hatte Thackeray im Text des Codex Vaticanus zwei unterschiedliche Übersetzungsweisen festgestellt und so die Bücher der Königtümer in fünf Abschnitte gegliedert. 28 Er nahm an, dass die Abschnitte 2Kgt 11,2–3Kgt 2,11 (genannt βγ) und 3Kgt 22–4Kgt 25,30 (genannt γδ) das Werk eines späteren Übersetzers seien. Barthélemy wies nach, dass es sich nicht um eine vom Rest des Buches abweichende Übersetzung, sondern um eine hebraisierende Revision derselben Art wie im Dodekapropheton handelt, welche von dem sorgfältigen Bemühen um 23. Vgl. Kreuzer, From »Old Greek«. 24. Barthélemy, Redécouverte d’un chaînon manquant de l’histoire de la Septante. 25. Barthélemy, Devanciers d’Aquila. Siehe die Synthese durch McLean, The Kaige Text of Reigns, NETS, 271-276. Für eine Einführung in den aktuellen Forschungsstand zur Revision καίγε vgl. Fernández Marcos, Septuagint, 142-154; Bogaert, Septante, 560-562; Dines, Septuagint, 81-84; Greenspoon, Recensions; Greenspoon, The Kaige Recension. 26. Datierung vorgeschlagen von Peter J. Parsons, The Scripts and their Date, in: E. Tov (Hg.), DJD VIII, 19-26. 27. Außer diesen Abschnitten der Königtümer konnte Barthélemy dieser Gruppe die Übersetzung der Klagelieder, des Hohenliedes und des Buches Rut, die Rezension des Buches der Richter (Mss i r u a2 und B e f s z), die Rezension des Theodotion zu Daniel, die Hinzufügungen des Theodotion zum Ijob-Text der Septuaginta und die oftmals anonymen Hinzufügungen zur Septuaginta-Fassung des Buches Jeremia, die Spalte Theodotion der Hexapla und die Quinta (fünfte Spalte) der Psalmen zuordnen: Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 47. 28. Abschnitte α = 1Reg; ββ = 2Reg 1,1–11,1; βγ = 2Reg 11,2–3Reg 2,11; γγ = 3Reg 2,12–21,43; γδ = 3Reg 22–4Reg: Thackeray, Greek Translation. Siehe auch seine Schweich Lectures im Jahr 1923: Thackeray, The Septuagint and Jewish Worship, 16-281.114-115.

216

2. Überlieferung des Textes

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

größtmögliche, insbesondere formale Treue zum MT geprägt ist. 29 Auf diese Weise arbeitete er eine bestimmte Anzahl von Charakteristika heraus, die in Verbindung zur rabbinischen und palästinischen Hermeneutik stehen 30 und von denen hier die wichtigsten benannt werden können: das Ersetzen des historischen Präsens durch den Aorist, die Übersetungen von ‫ גם‬mit καίγε, ‫ אנכי‬mit ἐγώ εἰμι, ‫ איש‬mit ἀνήρ (und zwar auch dort, wo es »jeder« bedeutet, ebenso wie ‫ אין‬mit οὐκ ἔστι, von ‫ מעל‬durch ἐπάνωθεν und ‫ שופר‬mit κερατίνη. 31 Das Studium der Revision καίγε im Abschnitt βγ ließ Barthélemy also zur Schlussfolgerung gelangen, dass L nicht von dieser Überarbeitung betroffen war und daher ein Stadium präsentiere, das der alten LXX näher steht bzw. sie faktisch repräsentiert (vgl. weiter unten). 32 Die Beobachtungen von Barthélemy über die Königtümer wurden von James Donald Shenkel weiterentwickelt und verfeinert. 33 Abgesehen davon, dass er einige zusätzliche Charakteristika der Gruppe καίγε herausarbeitete, zeigte er auf, dass der überarbeitete Abschnitt βγ mit 2Kön 10,1 begann. In der Folge wurden andere Merkmale der Revision in den Königtümern herausgearbeitet. 34 Nicht zuletzt hat Siegfried Kreuzer die Hypothese formuliert, dass die καίγε Rezension die Verwendung des Artikels korrigiert hat – meistens getilgt, aber manchmal ergänzt –, um zu einer isomorphen Wiedergabe des protomasoretischen Textes zu kommen. 35 2. Die zweite Rezension des Textes der Königtümer ist diejenige, die wir Origenes (185–253/4) verdanken. 36 Die Rezension des Origenes – auch hexaplarische Rezension genannt – ist seit Langem bekannt und war Anlass mehrerer Studien, von denen man hinsichtlich von 1–2Königtümer die von Bo Johnson (1963) und Sebastian Brock (1966) erwähnen kann. 37 Das Prinzip der Rezension des Origenes bestand darin, die Unterschiede zwischen MT (bzw. dem Origenes zugänglichen hebräischen Text) und der LXX hervorzuheben. Ein Plus der LXX wurde durch Obeli gekennzeichnet, wohingegen das Minus der LXX entsprechend dem MT – im Allgemeinen unter Zuhilfenahme des Textes von Theodotion – ergänzt und durch Asterisken gekennzeichnet

29. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, bes. 91-143; siehe auch die Ergänzungen in: Barthélemy, Les problèmes textuels, 218-254. 30. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 3-30. Der Einfluss des palästinischen Rabbinats auf die Revision καίγε und insbesondere die hergestellte Verbindung zwischen Aquila und der Hermeneutik des Rabbi Akiba haben eine Debatte hervorgerufen, die zusammengefasst wird von: Greenspoon, Recensions, und Fernández Marcos, Septuagint, 148-153. Vgl. auch Munnich, Première révision de la Septante, der den Einfluss des griechischen Psalters stärker betont als den des Rabbinats. 31. Vgl. die Studie zu diesen und noch weiteren Besonderheiten Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 31-80. 32. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 139-143 sowie 127: »… c’est la vielle septante, plus ou moins abatardie« 33. Shenkel, Chronology, 113-120. 34. Z. B. Avalos, New Crieteria; Talshir, Divine Epithet; McLean, The Greek Kaige Version. 35. Z. B. Kreuzer, Towards the Old Greek; Kreuzer, Das frühjüdische Textverständnis; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen; LXX.E I, 718. 36. Vgl. Neuschäfer, Origenes als Philologe, 85-138; Bogaert, Septante, 572-573; Dines, Septuagint, 95-103. 37. Johnson, Hexaplarische Rezension; Brock, Recensions. 2. Überlieferung des Textes

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

wurde. 38 Die Autorität des Origenes hat Kopisten und Korrektoren dazu verleitet, von seiner Rezension, die heute in der griechischen Fassung verlorengegangen ist, reichlich Gebrauch zu machen, um die LXX dem hebräischen Text anzugleichen. Allerdings hat das Weglassen bzw. der schlechte Umgang mit seinen textkritischen Zeichen in der späteren Übertragung eine fortschreitende Verderbnis der gesamten Textüberlieferung bewirkt, die auf diese Weise einen zutiefst eklektischen Charakter bekam. 39 Was die Königtümer betrifft, sind die am meisten betroffenen Textzeugen A 247 [x] und 376 [c], die zusammen die sogenannte Origenische Gruppe, O, bilden. 40 Andere Gruppen, wie 106 107 120 134 370 554 [in der Reihenfolge p d q t l z], zu der man heute noch 44 74 610 hinzufügen kann, und die Gruppen der patristischen Kommentarketten sind gleichfalls betroffen. 41 Was L betrifft, so beinhaltet der Text mehrere Angleichungen an den MT, die auch von den origenischen Textzeugen bestätigt werden. 42 Er stellt allerdings keinen eigenständigen Textzeugen der Hexaplarischen Rezension dar. Doch er weist gleichermaßen Angleichungen anderer Art auf, die sich entweder aus anderen Spalten der Hexapla – hauptsächlich aus dem Text des Symmachus – ergeben oder ihren Ursprung in anderen Rezensionsaktivitäten haben. Die Eigenart von L muss aber genauer analysiert werden (vgl. weiter unten). Schließlich haben B und die auf ihn folgenden Minuskeln 121 509 [y a2] der origenischen Verderbnis besser standgehalten 43 und erschließen einen Zugang zu einem vorhexaplarischen Text, der der alten LXX nahekommt, wenigstens abgesehen von den Abschnitten καίγε. B steht dem Basistext, auf dessen Grundlage Origenes seine Rezension vorgenommen hat, nahe. 44 Man muss noch einen weiteren Zugang zur Rezension des Origenes erwähnen: die syro-hexaplarische Version, die dafür letztlich den direktesten Textzeugen darstellt. 45 Wenn auch, was die Königtümer betrifft, relativ wenige Fragmente erhalten sind, 46 so scheint doch die Identifikation neuer, d. h. bisher noch nicht bekannter, Lesarten noch möglich zu sein. 47 3. Die dritte Rezension ist die, die man traditionellerweise dem Märtyrer Lukian von Antiochien (ca. 250–311/12) zuschreibt, die »lukianische Rezension« (L), die heute allgemein als antiochenischer Text bezeichnet wird. 48 Was die Königtümer betrifft, 38. Man kann vernünftigerweise annehmen, dass die fünfte Spalte (Quinta) der Hexapla die origenische Rezension mit Obeli und Asterisken enthielt. Vgl. die Diskussion bei Brock, Recensions, 39-43; Munnich, Les Hexaples, 174-177. 39. Vgl. Barthélemy, Origène et le texte de l’Ancien Testament, 203. 40. Für 1Kgt vgl. die Analyse von Johnson, Hexaplarische Rezension, 88 und 89-106. 41. Vgl. Johnson, Hexaplarische Rezension, 107-110. 42. Brock, Recensions, 171. 43. Vgl. die Schlussfolgerungen von Johnson, Hexaplarische Rezension, 53-54 und Brock, Recensions, 171. 44. Taylor, Lucianic Manuscripts, Vol. 2, 127. 45. Vgl. Jellicoe, 124-127, und den hervorragenden Beitrag von Law, La version syro-hexaplaire. Law zeichnet ein differenziertes Bild, was die Vorstellung der absoluten Treue des syro-hexaplarischen Textes gegenüber der origenischen Rezension betrifft, doch er betont den Einfluss, den er auf die lukianische Rezension ausgeübt hat. 46. Vgl. Brock, Recensions, 5-13 (mit Bibliografie); Baars, New Syro-Hexaplaric, 104-114. 47. Vgl. Liljeström, Fragments. 48. Vgl. die Einführungen von Metzger, The Lucianic Recension, in: Chapters in the History of

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2. Überlieferung des Textes

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

wird dieser Text von den Handschriften 19 82 93 108 127 [in der Reihenfolge b’ o e2 b c2] und durch die Zitate der antiochenischen Kirchenväter, insbesondere von Theodoret von Kyrrhos, bezeugt. 49 Die Bewertung dieser Texttradition in den Königtümern ist und bleibt eine der schwierigsten Fragen der Septuaginta-Forschung, die keinen Konsens gefunden hat. Die zeitgenössische Forschung bewegt sich zwischen zwei gegensätzlichen Positionen: Einerseits die Tendenz L als eine umfangreiche und erklärende innergriechische Überarbeitung – mit anderen Worten weitgehend sekundär – zu betrachten, und andererseits diejenige L insgesamt als die ursprüngliche LXX zu erwägen. Obwohl beide Positionen gute Argumente für sich haben, wird dennoch jede Vereinfachung oder Generalisierung der Komplexität der Daten nicht gerecht. Wenn L im 4. Jh. angesiedelt wird, beruht er in Wahrheit auf einer sehr alten Textbasis – protolukianischer Text genannt –, die möglicherweise im 1. Jh. n. Chr. von der Mehrheits-LXX herausgelöst wurde. 50 L weist in der Tat zahlreiche Verwandtschaften zur Vetus Latina (Ende des 2. Jh.) auf 51, wie aus den Randglossen der spanischen Vulgata-Ausgaben (Lat 91–94) 52, dem Palimpsest Vindobonensis (Lat 115) 53 und den Zitaten der Kirchenväter 54 ersichtlich wird. Ebenso scheint es, dass Flavius Josephus im 1. Jh. – wahrscheinlich neben anderen Quellen – einen Text benutzt hat, der spezifische Merkmale von L aufweist (siehe unten 5.). 55 Die armenische und georgische Version weisen gleichfalls bestimmte Ähnlichkeiten mit L auf. 56 Die Hinweise auf das Vorhandensein eines Textes L vor dem 4. Jh. werden zusätzlich durch die Fragmente von Samuel aus den Qmran-Texten bes. 4QSama (ca. 50–25 v. Chr.) bestätigt: 57 Tatsächlich findet man nicht selten darin Lesarten, die mit L, der Vetus Latina, den Büchern der Chronik und 4QSama im Gegensatz zum MT und der rezensierten LXX übereinstimmen. 58 Diese Ergebnisse bestätigen sowohl die Existenz der Rezension καίγε als auch das hohe Alter vom L Texttyp, 59 in den Abschnitten, in denen B rezensiert wird. Die Verwandtschaft zwischen L und 4QSama hat Frank Moore Cross dazu veranlasst, den protolukianischen Text als eine Rezension der alten LXX nach einer

49. 50. 51.

52. 53. 54. 55.

56. 57. 58. 59.

New Testament Textual Criticis, NTTS 4, Leiden 1963, 1-41; Fernández Marcos, Septuagint, 223-238; Fernández Marcos, Der antiochenische Text. Theodoret, Quaestiones in Reges et Paralipomena (hg. v. Fernández Marcos / Busto Saiz). Brock, Recensions, 299. Eine Einführung in die Vetus Latina (Lat) und ihre Bedeutung für die LXX bietet: Bogaert, Les bibles d’Augustin, 514-517; Bogaert, La Bible latine, 143-156. Zu den Königtümern insbesondere: Fischer, Lukian-Lesarten; Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions. Vgl. auch die viel zurückhaltendere Position von Fernández Marcos, Scribes and translators, 53-70. Zuerst identifiziert von Vercellone, Variae lectiones, bes. XXI-XXII, dann ediert von Morano Rodríguez, Glosas marginales. Fischer, Palimpsestus Vindobonensis. Vgl. Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 138-161; Fischer, Lukian-Lesarten. Mez, Die Bibel des Josephus, bes. 79-84. Rahlfs, Septuaginta-Studien III, 471, nimmt an, dass Josephus hauptsächlich den hebräischen masoretischen Text und nur wenig einen Text von der Art der lukianischen Tradition bezeugt. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions. Cross, DJD XVII, 4-5.25-27. Cross, History, 292-297; Ulrich, Qumran Text, 257-259; Ulrich, Old Latin Translation, 270. Vgl. Herbert, Kaige Recension. 2. Überlieferung des Textes

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

hebräischen Textvorlage analog zu 4QSama zu erklären. 60 Laut Dominique Barthélemy hingegen weist L nicht die Spezifität einer Rezension auf, die auf eine größere Übereinstimmung mit der hebräischen Vorlage abzielt, obwohl man anerkennen muss, dass L sehr früh hebraisierenden und gräzisierenden protolukanischen, vorhexaplarischen Rezensionen unterzogen wurde, die nicht καίγε entsprechen. 61 Es scheint so, also sollte man es vorziehen, den protolukianischen Text als eine Textform zu betrachten, die der alten LXX nahekommt. 62 Im Gegensatz dazu denken andere Autoren, dass diese alte Überlieferung im 4. Jh. in Antiochia einer redaktionellen oder editorischen Arbeit unterzogen wurde. Für diese antiochenische Ausgabe waren grammatikalische und lexikografische Korrekturen im Sinne einer Anpassung ans attische Griechisch ebenso kennzeichnend wie die Harmonisierung und Anpassung des Textes – sowohl Ergänzungen als auch Streichungen – für eine öffentliche Lesung. 63 Gemäß diesen Autoren ist L weitgehend als sekundär zu betrachten. Ohne so extrem zu sein, haben allerdings neueste Forschungen den etablierten Zusammenhang von L mit proto-lucianischen Zeugen nuanciert: Zunächst bezeugt L zweifellos hexaplarisches Material, obwohl meistens indirekt und durch Interpolationen. 64 Dann haben jüngste Forschungsarbeiten die Tendenz, die Übereinstimmung sowohl zwischen L und der Vetus Latina 65 als auch zwischen L und 4QSama66 als relativ begrenzt zu bewerten. Die Diskussion bleibt aber offen. Allerdings scheinen mir diese Beobachtungen nicht in der Lage zu sein, die Hypothese von Barthélemy als ungültig zu erklären, sondern führen dazu, Lesarten von L mit großer Achtsamkeit zu überprüfen. In neuerer Zeit hat Siegfried Kreuzer in mehreren Studien 67 dieselben spezifischen Merkmalen der antiochenischen Tradition – z. B. Ergänzungen und Streichungen der Artikel – überprüft, und kommt zu der Schlussfolgerung, dass sie sich »konsistent erklären lassen, wenn man von der Priorität des Ant [= L] ausgeht und die von der kaige-Rezension vorgenommenen Änderungen auf dem Hintergrund der frühjüdischen Hermeneutik versteht.« 68 Er kommt dadurch auf anderem Weg zu einem 60. Vgl. insbesondere Cross, History, 295-296; Ulrich, Qumran Text, 258. Diese Hypothese stützt sich in Wahrheit auf die Theorie lokaler alexandrinischer, palästinischer und babylonischer Texte. 61. Barthélemy, Les problèmes textuels, 220-225. 62. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 139-143; so auch Tov, Lucian and Proto-Lucian, 110. 63. Brock, Recensions, 297-299; Brock, Lucian redivivus, 180; Fernández Marcos, Scribes and translators, 27-37; Fernández Marcos, Lucianic Text, 172-174; Fernández Marcos, Septuagint, 235-236; Taylor, Lucianic Manuscripts, Vol. 2, 127-128. 64. Brock, Recensions, 297; Law, Symmachus in Antioch; Hugo, Antiochenische »Mischung«. Kreuzer in LXX.E I, 719 Fn. 6 vertritt als alternative Erklärung die Annahme: »Symmachus hat in diesen Fällen (so wie Ant) Wörter aus der Old Greek bewart«. Siehe auch Kim, Textformen, 409. 65. Kauhanen, Proto-Lucianic Problem. 66. Saley, Greek Lucianic Doublets; Saley, Proto-Lucian. 67. Kreuzer, S., Das frühjüdische Textverständnis; Kreuzer, From »Old Greek« to the Recension; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen; Kreuzer, Towards the Old Greek; Kreuzer, Übersetzung – Revision – Überlieferung; Kreuzer ›Lukian redivivus‹; Kreuzer, Der Antiochenische Text. 68. Kreuzer, in: LXX.E I, 718.

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2. Überlieferung des Textes

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

ähnlichen Ergebnis wie Barthélemy, nämlich dass der Vorläufer des antiochenischen Textes (bzw. der sog. proto-lukianische Text) der Bezugstext für die kaige-Rezension war und dass dieser Text der ursprünglichen Septuaginta am nächsten steht, wenn auch natürlich mit im Zuge der Überlieferung eingetretenen Textverderbnissen und gelegentlichen Korrekturen oder Revisionen. 69 Die zwei Gegenpositionen der Textgeschichte scheinen unvereinbar. 70 Allerdings liegen sie faktisch nicht so weit auseinander, als auch die Vertreter der lukianischen Rezension insbesondere auf Grund der Qumrantexte von einem großen Anteil an vorlukianischem Text ausgehen. Der entscheidende Unterschied ist, ob man prinzipiell an der Annahme einer lukianischen Rezension um 300 n. Chr. festhält. Letzten Endes muss man sowohl das hohe Alter der antiochenischen Überlieferung betonen, als auch die Möglichkeit gewisser Bearbeitungen in Betracht ziehen. In anderen Worten besteht die antiochenische Tradition aus zwei textlichen Schichten: der sog. »proto-lukianische« Text, der sehr nahe bei der ursprünglichen LXX liegt, und eine antiochenische Überabeitung. 71 Die zentrale Frage ist infolgedessen, den Umfang dieser Bearbeitung zu bestimmen. Die Unterscheidung zwischen diesen Schichten kann allerdings nur mit der Erforschung und Gewichtung jeder einzelnen Lesart durchgeführt werden. 72 Abschließend kann festgehalten werden: Die textgeschichtliche Hypothese Barthélemys bleibt die stichhaltigste Erläuterung der Daten. Die besseren Zeugen der ursprünglichen LXX sind B und L, jedoch keiner von ihnen in reiner Form. Wenn B (mit 121 509 [y a2]) ein vor-hexaplarischer Zeuge ist, wird er in gewissen Sektionen der καίγε Rezension unterzogen. Selbst ausserhalb dieser Sektionen kann er ebenfalls alte Korrekturen bezeugen. 73 L ist durchgehend ein einziger Texttyp. Nicht nur innerhalb der sog. καίγε Sektionen sondern auch außerhalb bietet L ursprüngliches Material in dem Maße, als man diesen Text aus seiner Hülle von innergriechischen Revisionen herauszulösen vermag. Um diese alte Schicht freizulegen, muss man die Bedeutung der abgeleiteten Übersetzungen, insbesondere die Vetus Latina, die armenische 74 und die geor69. Barthélemy, les Devanciers, hatte festgestellt, dass die καίγε-Rezension eng mit dem antiochenischen Text zusammenhängt und dass dieser die Basis für die καίγε-Rezension darstellt. Barthélemy gab die Annahme einer lukianischen Rezension auf (er spricht 126 f. von »La pretendue Recension Lucianique«), er wusste aber natürlich auch, dass der Text nicht unverändert erhalten blieb, sondern im Lauf der Überlieferung Fehler erlitt oder Veränderungen erfuhr (vgl. 117: Der antiochenische Text »est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue.«). Diese Stellungnahme hat Barthélemy 1972 nuanciert, wenn er eine gräzisierende Rezension dieses Textes annahm, siehe unten Fn. 71. 70. Vgl. Law / Kauhanen, Methodological Remarks, und Kreuzer, A Reply to M. Law and T. Kauhanen. 71. Selbst Barthélemy geht von dieser Tatsache aus: »Nous devons nous attendre à trouver dans la section βγ une situation textuelle beaucoup plus complexe que celle que j’avais envisagée en DA [Devanciers d’Aquila]: L’élément secondaire le plus notable demeure, comme je l’avais énergiquement souligné, la révision hébraïsante καίγε subie par le texte de B et de ses alliés. Mais il faut ajouter vraisemblablement à cela une recension grécisante assez étendue subie par le texte de boc2e2 [L]« (Barthélemy, Les problèmes textuels, 224). 72. Hugo, Antiochenische »Mischung«. 73. Aejemlaeus, Kingdom; Kreuzer, Old Greek und Semi-kaige; ders., Books of Samuel. 74. Vgl. Cowe, Armenian Version: Der aktuelle Zustand der armenischen Version (Arm 2) ist ein 2. Überlieferung des Textes

221

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

gische 75 Version betonen. 76 Die Verwandtschaft zwischen L und deren unterschiedlichen Versionen könnte wohl den Königsweg zur alten LXX erschließen. 77

3. Übersetzung (alte LXX) 3.1 Übersetzungstechnik Die alte Textgestalt der Königtümer ist eine sehr wörtliche Übersetzung, 78 wahrscheinlich eine der wörtlichsten Übersetzungen der LXX. 79 Die Treue zur hebräischen Vorlage wird nicht nur an der Regelmäßigkeit lexikalischer Äquivalente, sondern mehr noch an der skrupulösen Beachtung der syntaktischen Satzordnung deutlich. 80 So ist der Gebrauch von Partikeln von diesem Willen bestimmt, der Anordnung der Worte im Hebräischen zu folgen: 81 Z. B. wird ‫ כי‬allgemein mit καί oder ὅτι und nicht mit γάρ übersetzt; ebenso wird ‫ ו‬normalerweise mit καί und nicht δέ wiedergegeben; man stellt auch fest, dass die Partikel δή immer ‫ נא‬übersetzt. Darüber hinaus enteckt man mehrere grammatikalische Charakteristika wie etwa den schwachen Gebrauch des participium coniunctivum, um der hebräischen Syntax besser zu entsprechen, 82 hingegen die große Häufigkeit des genitivus absolutus. 83 Was die Konjugation betrifft, so weist die alte Schicht (nicht-καίγε) einen häufigen Gebrauch des historischen Präsens

75.

76.

77.

78. 79.

80.

81. 82. 83.

Text hexaplarischer Art, doch er ist die Revision einer älteren Fassung (Arm 1), die ins Griechische übersetzt wurde und viele Lesarten von L teilt. Vgl. auch Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 258. Nach Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 259-261, ist die georgische Version ein hervorragender Textzeuge für L; in vielen Fällen kann sie einen antiochenischen Text bewahren, selbst wenn die Gruppe der griechischen Handschriften dem Einfluss des Mehrheitstextes ausgesetzt war. Einige Experten vertreten die Hypothese, dass diese Version eine Übersetzung der armenischen Version ist. Die koptische und äthiopische Version haben ihre Grundlage in einem Text, der B nahekommt, doch sie wurden gleichermaßen späteren Rezensionen hexaplarischer Art unterzogen. Aber sie scheinen auch protolukianische Lesarten zu enthalten. Johnson, Aramäische Bibelübersetzungen, 96: Er stellt tatsächlich Verwandtschaften zwischen L, der Vetus Latina und den armenischen, äthiopischen und koptischen Versionen fest. Desgleichen in 3–4Königtümer: Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Septuagint Versions, 261-270. Siehe die gute Synthese von Meiser, M., Übersetzungstechnik, in: LXX.E I, 728-731. Vgl. Aejmelaeus, Septuagint, 124. Man muss anmerken, dass ein großer Teil der Studien zur Übersetzung B oder die Edition von Rahlfs zur Grundlage hat, was nicht immer für die alte LXX repräsentativ ist, auch wenn man die textkritischen Apparate in Betracht zieht (vgl. Aejmelaeus, Septuagint, 127-128). Vgl. Marquis, G., Word Order as a Criterion for the Evaluation of Translation Technique in the LXX and the Evaluation of Word Order Variants as Exemplified in LXX-Ezechiel, Textus 13 (1986), 59-84, vgl. insbesondere seine Tabellen auf den Seiten 64-65, die die Annahmen zu 1Samuel und 2Königtümer enthalten. Aejmelaeus, Septuagint, 128-133; Lestienne, Règnes, 42-44, mit der sehr nützlichen Tabelle auf Seite 42. Soisalon-Soininen, I., Infinitive in der Septuaginta, AASF B 132,1, Helsinki 1965, 177-178; Aejmelaeus, Septuagint, 133-134. Soisalon-Soininen, Infinitive, 178-179; Aejmelaeus, Septuagint, 135.

222

3. Übersetzung (alte LXX)

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

und des Indikativs auf, während die Revisionen zur Benutzung des Aorist tendieren. 84 Das Studium der Übersetzung der Halb-Präpositionen ordnet auch die Königtümer den Büchern zu, die ihrer hebräischen Vorlage so treu wie möglich folgen. 85 Es scheint so, als würde 1Königtümer (Abschnitt α) – unabhängig von den Revisionen oder Rezensionen – diese Charakteristika in größerer Regelmäßigkeit aufweisen als die anderen Bücher. Dies hat bestimmte Autoren zur Frage veranlasst, ob dieser Abschnitt nicht aus einer anderen Hand stamme als die Übersetzung der darauf folgenden Bücher. 86 Diese Hypothese wird durch die Regelmäßigkeit der lexikalischen Äquivalente in 1Kön gestützt, die sich innerhalb der Gesamtheit der vier Bücher nicht fortsetzt. 87 Im Übrigen weist L linguistische Eigenheiten auf, die wahrscheinlich nicht aus der lukianischen Revision herrühren, sondern die möglichwerweise die alte Schicht bezeugen. Man kann einen spezifischen Gebrauch der Verbzeiten (z. B. historisches Präsens und Perfekt) 88 ebenso wie einen bestimmten Gebrauch von Artikeln und bestimmter »erläuternder« Wörter feststellen (siehe oben 2.3). 89 In der alten LXX zählt man einige Neologismen: ἐπακρόασις (1Kgt 15,22), αὐλάρχης (2Kgt 8,18), κολλυρίζω (2Kgt 13,6.8), παραζώνη (2Kgt 18,11), ἐξηλιάζω (2Kgt 21,6.9.13). 90 Andere Neologismen müssen vermutlich dem καίγε Revisor zugeteilt werden: παραβιβάζω (2Kgt 12,13; 24,10), επιστήριγμα (2Kgt 22,19), μονόζωνος (2Kgt 22,30) et ἐξέλευσις (2Kgt 15,20). 91

3.2 Übersetzung und Frage der hebräischen Vorlage bzw. Vorlagen Aus der sehr wörtlichen Weise der Übersetzung folgt, dass sie in den Fällen, in denen die älteste LXX vom MT abweicht, im Allgemeinen von einer anderen hebräischen Quelle als vom protomasoretischen Text (vgl. weiter unten, 4.) abhängt. Die Autoren, die von einer bedeutsamen interpretativen Rolle des Übersetzers ausgehen, unterschätzen tendenziell den Wert der Vorlage. 92 84. Thackeray, Septuagint, 20-22; Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 63-65; Aejmelaeus, Septuagint, 136; Voitila, Use of tenses. 85. Sollamo, R., Rendering of Hebrew Semipropositions in the Septuagint, AASF B Diss. 19, Helsinki 1979, bes. 280-289: Die Abschnitte καίγε sind klarerweise noch viel wörtlicher. 86. Vgl. Lestienne, Règnes, 44. Vgl. auch Kelly, Septuagint Translators: Er vertritt auf einer im Wesentlichen lexikografischen Grundlage die Meinung, dass man 1Sam 1,1–2Sam 3,5 und 2Sam 3,6–11,1 zwei Übersetzern derselben »Schule« zuordnen müsse (235). Muraoka, Greek Texts, nimmt an, dass man die These von den zwei Übersetzern mit der These verbinden müsse, dass einer dieser beiden Übersetzer die Revision (καίγε) vorgenommen habe. 87. Siehe die Liste der Beispiele, die zwischen 1Königtümer und 2–4Königtümer vergleicht, von Lestienne, Règnes, 44-50. 88. Aejmelaeus, Septuagint, bes. 136.138.141. 89. Kreuzer, Towards the Old Greek, 252; Kreuzer, Textformen und Bearbeitungen, 105-110; Kreuzer, Frühjüdisches Textverständnis, 27-28. 90. Taylor und McLean in: NETS, 246 und 272: McLean teilt einige Neologismen der καίγε Rezension zu, die in Wahrheit zur alten LXX gehören. 91. McLean in: NETS, 272. 92. Vgl. Gehman, H. S., Exegetical Methods Employed by the Greek Translator of I Samuel, JAOS 70 (1950), 292-296; Wevers, Exegetical Principles. 3. Übersetzung (alte LXX)

223

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

Die Problemstellung ist aber komplexer, weil die Fragmente aus Qumran (1QSam, 4QSama.b.c) die Vielfältigkeit des Samuel-Textes in der hellenistischen Zeit beweisen. Die Frage besteht darin zu wissen, inwiefern die interne Vielfalt der griechischen Überlieferung (alte LXX, L, καίγε, usw.) auf verschiedene hebräische Vorlagen zurückgeht. Der springende Punkt ist das Verhältnis zwischen 4QSama und der griechischen Überlieferung bzw. L. Muss man denken, dass 4QSama und die ursprüngliche LXX einem gleichen Texttyp gehören, 93 oder dass die Qumran-Fragmente das Muster oder die Vorlage einer proto-lukianischen Rezension der ursprünglichen LXX sind? 94 Anders gesagt: Man kann entweder zwei textliche Haupttypen vermuten, nämlich die Vorlage der ursprünglichen LXX (mit 4QSam, Josephus, Chronik und der Vetus Latina verwandt) und der proto-MT, Muster der sukzessiven Rezensionen (bes. καίγε und der hexhaplarischen Rezension), oder von drei parallelen Texttypen ausgehen: die Vorlage der LXX, 4QSama-L und der proto-MT, 95 oder eine Vielfalt von verschiedenen hebräischen Texten annehmen, die sich auf die Geschichte der griechischen Überlieferung ausgewirkt haben. Die Studie von Jong-Hoon Kim 96 vertritt eine nuancierte Auffassung einer Vielfältigkeit des biblischen Textes. Wenn er drei hebräische Haupttraditionen feststellt, 97 erkennt er bis zu fünf verschiedene Texte: die hebräische Vorlage der ursprünglichen LXX, der protomasoretische Text und die mit ihm verwandte Vorlage der καίγε Rezension, die Texttradtion aus Qumran und die mit ihr verwandte Vorlage des proto-lukianischen Textes. Die erwähnten Positionen sind allerdings nicht zwingend widersprüchlich, aber die Frage der Vorlage(n) – und der Vielfältigkeit des biblischen Textes – bedarf noch weiterer Erforschung, um – wenn möglich – eine endgültige Lösung zu finden. Eine weitere Fragestellung, die damit verknüpft ist, betrifft das genetische Verhältnis zwischen diesen Textformen. Für viele Autoren ist die Entwicklung der Textgeschichte bis zum proto-MT ein zufälliger Prozess der Vielfalt von parallelen Formen ohne erkennbare literarische Absicht. 98 Andere denken im Gegensatz dazu, dass es möglich ist, eine Chronologie zwischen den Textgestalten zu rekonstruieren, bes. zwischen der Vorlage der LXX und der proto-MT, und die literarischen bzw. theologischen Grundzüge der Umgestaltung zu identifizieren (siehe unten 4.). 99 Die Frage bleibt allerdings umstritten.

93. Cross / Parry / Saley / Ulrich, DJD XVII, 25: »The Study of the full manuscript has reinforced our early conclusion that 4QSama stands in the same general tradition as the Hebrew text upon which the Old Greek translation was based«; Ulrich, Qualitative Assessment, 161: »4QSama and the Old Greek are close members of one text tradition of Samuel, a tradition that was used by the Chronicler and by Josephus«. 94. Cross, History, 295-296. 95. Lange, 1 Samuel–2 Könige, HTTM, 244. 96. Kim, Textformen, bes. 414-416. 97. Kim nimmt an, dass diese Vielfalt auf eine einzige Vorlage (oder Urtext) zurückgeht. 98. Vgl. Ulrich, Qualitative Assessment, 159-160; Kreuzer, Zeit und Ort der Übersetzung, in: LXX. E I, 735. 99. Vgl. Schenker, Ursprung des massoretischen Textes; Hugo, Text History.

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3. Übersetzung (alte LXX)

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

3.3 Zeit und Ort der Übersetzung Wir sind recht spärlich über Zeit und Ort der Übersetzung von 1–2Königtümer unterrichtet. 100 Man muss einen terminus a quo mit der Übersetzung des Pentateuch (Anfang des 3. Jh.s v. Chr.) und einen terminus ante quem mit dem Auftauchen der Rezension καίγε (2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr.) setzen. Einige äußere Indizien ermöglichen eine etwas präzisere Datierung, denn Jesus Sirach (übersetzt zwischen 132 und 117 v. Chr. 101) scheint 1Königtümer zu zitieren, aber die Übersetzung von 2–3Königtümer nicht zu kennen. 102 Einige lexikografische Kriterien scheinen darauf hinzuweisen, dass die Übersetzung des Psalters (wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr.) die καίγε Rezension beeinflusst hat. 103 Man muss also wahrscheinlich die Übersetzung von 1–2Königtümer vor dem Beginn des 2. Jh.s v. Chr. datieren. Übrigens muss man aller Wahrscheinlichkeit nach die Übersetzung in Alexandrien verorten. 104

4. Inhalt und theologisches Profil 1–2Königtümer 105 weisen eine große Zahl von Besonderheiten im Vergleich zum MT auf. 106 Die Mehrzahl der jüngsten Forschungen vertreten diesbezüglich die Meinung, dass sie im Allgemeinen auf der Ebene der hebräischen Vorlage (vgl. weiter oben 3.2) anzusiedeln sind. 107 Wenn auch einige dieser Besonderheiten auf Fehler bei der handschriftlichen Überlieferung zurückzuführen sind, so ist ein guter Teil von ihnen bewusste Veränderung des literarischen und theologischen Gehalts der Erzählung. 108 Ein erster Erzählabschnitt, der wegen seiner Unterschiede zum MT berühmt ist, ist die Erzählung von Hanna in 1Kgt 1–2, für die 4QSama gleichfalls eine andere Textgestalt bietet. Das von Hanna entworfene Bild, ihre Einbeziehung in den Kult, ihre prophetischen Züge und ihr Gelübde an den Herrn, die mehr oder weniger aktive Rolle, die ihr Mann Elkana in der Erzählung spielt, und das Urteil gegen den Sohn Elis 100. Vgl. die hervorragende Zusammenfassung von Dorival, L’achèvement de la Septante, in: Harl / Dorival / Munnich, Bible grecque, 83-125; siehe auch die Synthese von Kreuzer, Zeit und Ort der Übersetzung, in: LXX.E I, 735. 101. Dorival, L’achèvement, 88. 102. Caird, Ben Sira, 100. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Übersetzungen nicht existierten. In der Tat kannte Eupolemos, der zur selben Zeit lebte, 3Kgt, das er in seinem Werk »Über die Könige Judas« mit 2Paralipomena zu harmonisieren versuchte (vgl. Dorival, L’achèvement, 90). 103. Munnich, O., Etude lexicographique du Psautier des Septante, Diss., Paris-Sorbonne 1982, 465469; vgl. Munnich, Première révision de la Septante, 200-205. 104. Vgl. Thackeray, Septuagint, 9-28. 105. Wir sprechen hier immer von der ältesten Gestalt. 106. Siehe dazu die gute Synthese von Meiser, in: LXX.E I: Differenzen in Umfang und Anordnung, 719-721, und Differenzen im Wortlaut, 721-726. 107. Zu 1Kgt vgl. die Zusammenfassung von Lestienne, Règnes, 51-69; vgl. auch Bogaert, Septante, 594-596; Munnich, Le texte de la LXX, in: Harl / Dorival / Munnich, Bible grecque, 175-176. 108. Vgl. Hugo, Text History, 7-13. Eine Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze hinsichtlich der Besonderheiten der verschiedenen Textüberlieferungen bieten die Beiträge in: Hugo / Schenker, Archaeology. 4. Inhalt und theologisches Profil

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

sind auf unterschiedliche Weise formuliert. Die drei Textzeugen (mit 4QSama) stünden für drei Editionen der Erzählung, die nach und nach ihre gemeinsame Quelle verändert hätten. 109 Die Geschichte von David und Goliat (1Kgt 17–18) hat die Aufmerksamkeit der Forschung ebenfalls auf sich gezogen, denn der MT bietet einen um etwa 45 % längeren Text im Vergleich zur alten LXX 110, ganz abgesehen von den Variationen in den gmeinsamen Erzählteilen. Die Frage, die sich stellt, ist, ob die LXX eine verkürzte Version bietet, die einige Spannungen oder Wiederholungen vermeidet (Barthélemy, Gooding, van der Kooij, Pisano 1), oder ob der MT die Kombination zweier vorher existierender Erzählungen darstellt (Hendel, Lust, Pisano 2, Tov, Trebolle), oder aber ob die masoretische Textgestalt das Ergebnis einer literarischen Entwicklung ist, die von der kurzen Version ihren Ausgang nahm (Auld / Ho, Auld). 111 Wie dem auch sei: Die beiden Textvarianten weisen jeweils besondere Züge auf, was das Bild Davids als jungen Hirten und tapferen Krieger, das Bild Sauls und die Konfrontation beider betrifft. Neben diesen beiden berühmten Erzählabschnitten weist die LXX eine große Zahl von einzelnen Varianten, Plus, Minus, und Doubletten, auf. Insgesamt sind 1–2Königtümer ein längerer Text als der MT, doch Letzterer enthält auch Elemente, die in der LXX fehlen. Es stellt sich die Frage nach der Identifikation des Ursprungs dieser Unterschiede. Einige vertreten die Meinung, dass der MT, teilweise verdorben, viele Haplographien erfahren hat, 112 während andere annehmen, dass die Vorlage der LXX (oder in Einzelfällen der Übersetzer) eher die Tendenz hatte, zu erläutern, zu harmonisieren und Schwieirgkeiten ihres Quellentextes zu unterdrücken. 113 Bei den in 1–2Königtümer enthaltenen Plus stellt man viele Doubletten fest. Entweder ist deren Ursprung das Ergebnis von Revisionen und Rezensionen (z. B. in L), die die alte LXX der revidierten Lesart des MT gegenüberstellen, oder sie gehören bereits der alten LXX, ja bereits deren hebräischem Substrat an. 114 All diese Phänomene (Hinzufügungen, Auslassungen, Harmonisierungen oder Fehler) können wechselseitig für die LXX oder für den MT belegt werden, und es ist eine Analyse jedes einzelnen Falles nötig, um die Geschichte des Textes zu rekonstruieren. Dennoch tendiert in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Richtung der Forschung dazu, dass eine große Zahl der Unterschiede zwischen dem MT und der hebräischen Quelle der LXX willentlich herbeigeführt ist und dass sie ein literarisches und theologisches Vorhaben zum Ausdruck bringen. Die Texte 1Sam 1–2 und 17–18 wären demnach keine isolierten Fälle einer 109. Vgl. Hutzli, Erzählung von Hanna; Tov, Different Editions; Walters, Hanna. Was 4QSama betrifft, vgl. die Beiträge von Aejmelaeus und Parry in: Hugo / Schenker, Archaeology. 110. Die in der Kurzform fehlenden Verse sind: 1Sam 17,12-31.41.50.55-58 und 18,1-5.10-11.17-19.30. 111. Auld / Ho, The Making; Auld, Story of David and Goliath; Barthélemy / Gooding / Lust / Tov, David and Goliath; Pisano, Additions or Omissions, 78-86; Pisano, Alcune osservazioni; Hendel Plural Texts; van der Kooij, David and Goliath; Trebolle, David and Goliath. 112. Gordon, R. P., The Problem of Haplography in 1 and 2 Samuel, in: G. J. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings, SBLSCS 33, Atlanta/GA 1992, 131-158. 113. Barthélemy, La qualité du Texte; Pisano, Additions or Omissions, 284-285. 114. Vgl. Barthélemy, Les problèmes textuels, 221-223; Brock Recensions, 158-166; Lestienne, Règnes, 53-57; Pisano, Additions or Omissions, 119-156. Kim, Textformen, bietet einige Beispiele unterschiedlicher Art; siehe auch die verschiedenen Beiträge von Kreuzer.

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4. Inhalt und theologisches Profil

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

doppelten Tradition oder Edition. Diese Problematik zeigt, dass die Besonderheiten der Vorlage der LXX und des protomasoretischen Textes an der Schnittstelle zwischen Literargeschichte (Komposition) und Textgeschichte (Transmission) der Samuelbücher anzusiedeln sind. Ein erstes Indiz für unterschiedliche Editions-Vorhaben kommt mit den Unterschieden in der Einteilung von Perikopen und Abschnitten zum Vorschein, z. B. mit dem Ende von 2Königtümer gemäß L nach dem Tod Davids (3Kgt 2,11), das dem Ende der Revision καίγε entspricht, oder mit der Verbindungen zwischen den Perikopen in 1Kgt 1–4. 115 Dann scheint die LXX in der Erzählung von der Bundeslade (2Sam 6) eine ältere literarische Form zu bieten (die teilweise mit 1Chr 13 übereinstimmt), und der MT eine editoriale Revision. 116 Im Gesamttext des Buches stellt man auch bedeutende Unterschiede im Bild, das von David gezeichnet wird, fest: In vielen Fällen scheint der MT eine ideologische Korrektur zugunsten des Königs zu bezeugen. 117 Schließlich taucht ein letztes Bündel von wichtigen Unterschieden im Zusammenhang der religiösen Thematik des Monotheismus, der Kultpraktiken und der zentralen Rolle des Tempels auf: Wenn man hier vielleicht auch punktuelle Korrekturen vonseiten der LXX erkennt, 118 so scheinen umfangreiche theologische Revisionen den protomasoretischen Text zu betreffen. 119 Abschließend lässt sich sagen, dass gemäß dieser Forschungsströmung 1–2Königtümer wahrscheinlich in vieler Hinsicht den Zugang zu einer älteren literarischen Gestalt als der protomasoretische Text von 1–2Samuel erschließen.

5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte 120 Die textliche Vielgestaltigkeit der Samuelbücher um die Zeitenwende spiegelt sich auch in der Rezeption der Bücher. Dabei ist es nicht immer leicht, die genaue Textgestalt zu bestimmen, derer sich die antiken jüdischen Autoren bedienten. Die Antiquitates Biblicarum 121 in denen die biblische Geschichte von der Genesis bis zum Ende von 1Sam berichtet wird, sind ein im 1. Jh. v. Chr. auf Hebräisch verfasstes Werk, das gegen Ende des 1. Jh.s ins Griechische übersetzt wurde, das aber nur in der lateinischen Version des 2. oder 3. Jh.s n. Chr. erhalten ist. 122 In seiner dem Inhalt von 1Sam entsprechenden Darstellung bezeugt das Buch einen Text, der der

115. Trebolle, Samuel/King, bes. 99-100; Trebolle, Textual Criticism. 116. Rezetko, Source and Revision. Siehe auch Hugo, Septuaginta; Hutzli, Theologische Textänderungen, 230-234. 117. Hugo, Retour; Hugo, Abner; Hugo, The King’s Return; Hugo, Dreißig Jahre war David alt; Hugo, Unique Messiah; Hutzli, Mögliche Retuschen; Lust, David; Schenker, Die Verheissung Natans; Walters, Childless. 118. Hutzli, Theologische Textänderungen; Schniedewind, Textual Criticism. 119. Hugo, L’archéologie textuelle; Hutzli, Theologische Textänderungen; Lust, David; Schenker, Die Verheissung Natans; Schenker, Textverderbnis. 120. Siehe die Synthese von Meiser, Hinweise zur Rezeptionsgeschichte, in: LXX.E I, 735-737. 121. Pseudo-Philon, Antiquitates Biblicarum. 122. Harrington, The Biblical Text of Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum. 5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

hebräischen Vorlage von 1Kgt entspricht; die griech. Übersetzung scheint dagegen Kennzeichen der καίγε-Théodotion-Tradition zu enthalten. 123 Die Frage der biblischen Quellen betrifft besonders die Werke des Historikers Flavius Josephus (37–ca. 100). In den Büchern VI und VII der Antiquitates, die den Inhalt von 1–2Samuel wiedergeben, bezeugt Josephus häufig Lesarten die in der Septuaginta (besonders L bzw. Ant), in 4QSama, in der Chronik und selbst in den Antiquitates Biblicarum vorkommen. Während bereits A. Mez 124 und H. St. J. Thackeray 125 der Meinung waren, dass die wichtigste – wenn auch nicht einzige – Quelle des Josephus der antiochenische (bzw. L-) Text war, vertrat Ulrich 126 die Meinung, dass Josephus »continuously and predominantly« einen griechischen – und keinen hebräischen Text – verwendete, und zwar vom gleichen Texttyp wie 4QSama, d. h. einen protolukianischen Text. 127 In umgekehrtem Sinn vertrat E. Nodet in jüngster Zeit die erstaunliche – und aleine schon aus chronologischen Gründen wenig wahrscheinliche – These, dass der Bericht des Josephus die erste griechische Version von 1–2Sam gewesen sei (auf Basis eines offfiziellen hebräischen Textes, der 4QSama nahe stand) und dass dieser Text damit älter als die Septuagintaübersetzung von 1–2Kgt sei. 128 Demgegenüber ist es wahrscheinlicher, 129 dass Josephus verschiedene Quellen zur Verfügung hatte und verwendete (mehrere hebräische Texte – der proto-MT, die Vorlage der LXX oder einen Text, der 4QSama nahe stand –, die alte griechische Übersetzung und die aramäische Targumtradition). Das Neue Testament macht (gegenüber Pentateuch, Psalmen und Propheten) von 1–2Kgt wenig Gebrauch. Neben einigen Anspielungen, die nicht immer leicht zu identifizieren sind, gibt es einige klare Zitate: Z. B. bei der Rede des Paulus in Antiochien, wo er an die Anfänge des Königtums (Apg 13,21) und an die Erwählung Davids (V. 22) erinnert. Der Autor der Apg zitiert dabei explizit 1Kgt 13,14 in Verbindung mit Ps 89,21. Im folgenden V. 23, wo es um die Abstammung Davids geht, aus der auch Jesus, der Retter Israels, hervorgehen wird, nimmt Bezug auf 2Kgt 7,12 und 22,51. Die Fortsetzung über die göttliche Erwählung des Sohnes Davids in 2Kgt 7,14 wird in Hebr 1,5 zitiert, und in Offb 21,7 in allgemeiner Hinsicht für jene, die »überwinden«. In Röm 15,9 zitiert Paulus im Rahmen der Ermahnung zur wechselseitigen Annahme den Lopreis von 2Kgt 22,50 (oder Ps 18[17],49). Die patristische Tradition rezipierte 1–2Kgt in Kommentaren, Homilien und theologischen Abhandlungen. Neben Hanna, Samuel oder Nathan findet vor allem David großes Echo bei den Kirchenvätern, die die Gestalt Davids als Typos für Christus ent-

123. Bogaert, P.-M., Luc et les Écritures dans l’Évangile de l’enfance à la lumière des Antiquités bibliques, in: C. M. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 243-270, bes. 247-248. 124. Mez, Die Bibel des Josephus. 125. Vgl. BML, ix. 126. Ulrich, Qumran Text; Ulrich, Josephus’ Biblical Text for the Books of Samuel. 127. Ulrich, in der Nachfolge von Cross, nimmt an, dass der protolukianische Text eine Rezension der alten Septuaginta ist die dem hebr. Texttyp von 4QSama folgt; siehe dazu oben 2.3 und 3.2. 128. Nodet, Josephus and the Books of Samuel. 129. Vgl. Brock, Recensions, 210; Feldman, Josephus’s Interpretation, 32-34.

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5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

wickeln. 130 Jenseits punktueller Bezugnahmen, die sich in der ganzen patristischen Literatur finden, gibt es eine Reihe von Werken, die bestimmte Passagen unserer Bücher aufgreifen. Hippolyt von Rom (170–235) ist der Autor einer Abhandlung über David und Goliath, die jedoch nur in einigen armenischen Fragmenten sowie in einer georgischen Fassung erhalten ist. 131 David, der Priester, Prophet und König ist, erscheint hier als Präfiguration Christi in seinem Sieg über das Böse (Goliath). Von Origenes (185–253/4) kennt man mehrere Homilien über Texte aus dem Samuelbuch. 132 Eine davon, die Erzählung von Anna in 1Kgt 1–2 ist nur in lateinisch erhalten, und eine andere, berühmtere, nämlich die über die Totenbeschwörerin von Endor (1Kgt 28,225) ist die einzige griechische, die vollständig erhalten ist. Dieser biblische Text, der die Frage nach Magie, Dämonen und Prophetie sowie nach dem Schicksal der Seelen der Verstorbenen in der Zeit vor Jesus Christus stellt, hat eine gewisse Bekanntheit in der patristischen Literatur erreicht, 133 nicht zuletzt auch, weil die Position des Origenes von Eustatius von Antiochia (Ende 3. Jh. bis 338) und Gregor von Nyssa (ca. 331/340– ca. 395) bestritten wurde. 134 Von Johannes Chrysostomus (344/349/354–407), gibt es drei Homilien über David und Saul 135 und fünf Homilien über Anna (PG 54,675-708). Diese Homilien sind Aufforderungen, dem tugendhaften und tüchtigen Leben dieser biblischen Personen nachzueifern. Theodor von Mopsuestia (ca. 352–428) schrieb einen Kommentar über Samuel, den man für ganz verloren hielt bevor dann doch einige Fragmente in den Katenen identifiziert wurden. 136 Einer anderen Art von Kommentar begegnet man in den Quaestiones in Reges et Paralipomena des Theodoret von Cyrrhus (ca. 393–ca. 460), 137 weil es sich um eine Abhandlung in Form von Fragen und Antworten zu einer Auswahl von schwierigen Stellen handelt, wobei sowohl textliche Fragen als auch wörtliche, allegorische und typologische Auslegung erörtert werden. Weil dabei der biblische Text in Form des antiochenischen Textes zitiert wird, handelt es sich um eine sehr wichtige Quelle für die Textgeschichte der Königtümer. Mit dem 6. Jh. setzt eine neue Art der Schriftauslegung ein, nämlich in Form der Zusammenstellung ausgewählter Zitate der Väter, die in Reihenfolge des biblischen Textes Vers für Vers zusammengestellt werden und die man als Katenen bezeichnet. In den Katenen zu den Königtümern finden sich die Fragmente zahlreicher Kommentare durch die Kirchenschriftsteller wie etwa Diodoros von Tarsos (330–393/394), Theodor von Mopsuestia (ca. 352–428) oder Severus von Antiochia (ca. 465–538). 138 130. Vgl. Meloni, P., David, in: A. Di Bernardino (Hg.), Encyclopedia of the Early Church, Vol. 1, Cambridge 1992, 220-221. 131. Garitte, Traités d’Hippolyte, CSCO 263-264. 132. Origenes, Homélien sur Samuel, SC 328. 133. Ähnlich in der rabbinischen Literatur und bei mehreren christlichen Autoren wie Justin, Tertullian, Ambrosius, Augustin und andere; siehe Smelik, K. A. D., The Witch of Endor. I Samuel 28 in Rabbinic and Christian Exegesis Till 800 A.D., Vigiliae Christianae 33 (1977), 160-179. 134. Vgl. Origene, Eustazio, Gregorio di Nissa, La Maga di Endor, hg. v. Simonetti. 135. Iohannis Chrysostomi, CCSG 70. 136. Vgl. Petit, Autour de Théodoret de Cyr, xix. 137. Theodoreti Cyrensis, Quaestiones in Reges et Paralipomena hg. v. Fernández Marcos / Busto Saiz. 138. Devresse, Les anciens commentateurs grecs; Petit, Autour de Théodoret de Cyr; Petit /van Rompay, Sévère d’Antioche. 5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte

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2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

Auch die lateinischen Väter bezeugen – über Vermittlung der Vetus Latina 139 – die Rezeption der Bücher der Königtümer. Ambrosius (340–397) ist der Autor einer Apologie für David, 140 die im Wesentlichen ein Kommentar von Ps 50LXX ist. Der Bischof von Mailand bemüht sich, die Sünde des Königs zu entschuldigen, indem er sein Buße (2Kgt 11–12) unterstreicht und aus der Geschichte ein Beispiel über die Erlangung des Heils in Jesus Christus macht. Augustinus (354–430) zitiert die Bücher der Königtümer vor allem in den Büchern XVII und XVIII des Gottesstaates. 141 In der syrischen Tradition ist das Buch über Samuel des Jakob von Edessa (ca. 633– 708) 142 zugleich ein interessanter Zeuge für den Einfluss des Textes der (griechischen) Königtümer: Es basiert zwar auf dem Text der Peschitta, Jakob führt aber zugleich viele Varianten der Septuaginta, insbesondere nach dem antiochenischen Text, ein und präsentiert auch einen leicht hexaplarischen Einfluss, der direkt aus der griechischen Tradition oder aus der Syro-Hexapla kommt. 143 Er ist damit zugleich ein Zeuge des Eklektizismus, der für die (weitere) Überlieferung der griechischen Bibel typisch ist.

6. Perspektiven der Forschung Die Bücher der Königtümer haben noch nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. Bedeutende Forschungen sind insbesondere über die literarischen und theologischen Besonderheiten ihrer hebräischen Quelle im Vergleich zum protomasoretischen Text zu erwarten. Diese Forschungen an der Schnittstelle von Literar- und Textgeschichte sind in der Lage, unsere Kenntnisse der ältesten Geschichte des Textes der hebräischen Bibel tiefgehend zu erneuern. Sie könnten dazu beitragen, ein neues Licht auf die endgültige kanonische Gestalt der Samuelbücher – den protomasoretischen Text –, auf die Durchsetzung dieses Textes in seinem historisch-theologischen Kontext sowie auf die Verbindungslinien zwischen den innerbiblischen literarischen Bearbeitungen und der außerbiblischen Literatur der Zeit des Zweiten Tempels zu werfen. Der Vergleich mit dem MT kann nur auf der Grundlage der kritischen Rekonstruktion der ältesten LXX der Königtümer erfolgen. Im Hinblick auf eine künftige kritische Edition sind noch Studien in diesem Bereich erforderlich. Man kann auf Forschungen über die Besonderheiten des antiochenischen Textes, über die Revisionen, die er bezeugt, und vor allem über die Identifikation seiner alten Quelle hoffen. Ebenso sind die Beziehungen von L zu 4QSama nicht geklärt: Handelt es sich um die alte LXX, um eine Rezension oder um andere Phänomene? Der Beitrag der Tochterübersetzungen zur Wiederherstellung des Originals ist ebenfalls verheißungsvoll. Schließlich verlangt der gesamte Prozess aufeinanderfolgender Rezensionen ebenfalls 139. Vgl. Bogaert, Les bibles d’Augustin, 513-531. 140. Ambroise de Milan, Apologie de David, SC 239. 141. Augustin, Cité de Dieu. Livres XV-XVIII. Vgl. La Bannardière, A.-M., Les livres de Samuel et des Rois, les livres des Chroniques et d’Esdras dans l’œuvre de saint Augustin, Études Augustiniennes 2 (1956), 335-364. 142. Salvesen, The books of Samuel in the Syriac version of Jacob of Edessa. 143. Vgl. Saley, The Samuel Manuscript of Jacob of Edessa.

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6. Perspektiven der Forschung

2.4.1 Basileion I und II / 1 und 2Königtümer / 1 und 2Samuel

nach einer Vertiefung, ob es sich nun um die ersten (vorhexaplarischen und vor-καίγε) oder um spätere Harmonisierungen handelt. Schließlich: Während die linguistischen Besonderheiten der Revision καίγε bereits gut bearbeitet worden sind, wurde bis heute noch keine systematische Studie zur Übersetzungstechnik der ältesten Schicht unternommen.

6. Perspektiven der Forschung

231

2.4.2 Basileion III / Das dritte Buch der Königtümer / Das erste Buch der Könige Martin Meiser

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT I, 19013 — BML II/2, 1930 — RaHa 1935/2006 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El Texto Antioqueno de la Biblia Griega, Bd. II, 1-2 Reyes, TECC 53, Madrid 1992.

1.2 Qumran 4QKön = 4Q54 (DJD XIV) — 5QKön = 5Q2 — 6QpapKön = 6Q4 (DJD III). BQS 323-328 — HTTM I, 224-247. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Taylor, B. A. / McLean, P. D., 3Reigns (Kaige / Old Greek), NETS, Oxford / New York 2007, 1-42 — Bösenecker, J. / Kreuzer, S., Basileion III. 3 Königtümer, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 383-424 — Kreuzer, S. / Meiser, M. / Winter, F., Basileion I-IV. Die Bücher der Königtümer, Einleitung, LXX.E, Stuttgart 2011, 714-744 — Bösenecker, J., Basileion III. Das 3. Buch der Königtümer, LXX.E, Stuttgart 2011, 898-945.

1.4 Weitere Literatur Auld, A. G., Kings without Privilege, Edinburgh 1994 — Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 — Bogaert, P.-M., La Septante, témoin de la plus ancienne forme conservée de l’histoire de Salomon. 1 Rois (III Règnes) 2-14, RTL 34 (2003), 212-217 — Bösenecker, J., Text und Redaktion. Untersuchungen zum hebräischen und griechischen Text von 1 Könige 1-11, Diss. theol. masch., Rostock 2000 — Busto Saiz, J. R., On the Lucianic Manuscripts in 1-2 Kings, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCSt 23, Atlanta/GA1987, 305-310 — Cogan, M., 1 Kings, AncB 10, 2001 — Debus, J., Die Sünde Jerobeams, FRLANT 93, Göttingen 1967 — Fernández Marcos, N., Der antiochenische Text der griechischen Bibel in den Samuel- und Königsbüchern, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 177-213 — Fernández Marcos, N., Literary and Editorial Features of the Lucianic Text in Kings, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SCSt 23, Atlanta/GA 1987, 287-304 — Fernández Marcos, N., On double readings, pseudo-variants and ghost-names in the historical books, in: S. M. Paul / R. A. Kraft (Hg.), Emanuel. Studies in Hebrew Bible, Septuagint and Dead Sea scrolls in honor

232

1. Literatur

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

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233

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

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234

1. Literatur

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

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2. Textüberlieferung und Editionen Neueren Forschungen zufolge repräsentiert häufig der antiochenische Text (= Ant) den ältesten erreichbaren griechischen Text (Kreuzer, Old Greek, 252), gefolgt von der Fassung des Vaticanus, die in den nicht-kaige-Abschnitten, also in 3Kgt 2,12–21,43 den prähexaplarischen Text widerspiegelt, während die Textfassung des Codex Alexandrinus in den Königebüchern oft bereits von hexaplarischen Lesarten beeinflusst ist (letzteres bereits Šanda, Könige, XIII). Die Wiederentdeckung des hohen Alters vieler antiochenischer Lesarten greift ältere Einsichten (Wellhausen, J., Der Text der Bücher Samuelis, Göttingen 1871, 221-224; Driver, S. R., Notes on the Hebrew Text of the Books of Samuel, Edinburgh 19132, xxx-xxxi) auf, die durch den Einfluss der Septuagintastudien von Alfred Rahlfs an den Rand gedrängt waren (Kreuzer, Old Greek, 241 f.; Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Versions, 251 f.). Josephus (Mez, Josephus, passim; Spottorno, Josephus’ Text, passim) und die Vetus Latina (Fischer, Lukianlesarten) bezeugen die vorhexaplarische Präsenz vieler Lesarten des antiochenischen Textes. 1 Da die Vetus Latina aber nicht durchgehend dieser Texttradition folgt, kann sie nicht generell zu dessen Rekonstruktion herangezogen werden (Kraus, Hebraisms, 488 Fn. 10); auch ist sie keine unmittelbare Übersetzung einer hebräischen Vorlage (Fernández Marcos, Scribes, 84-87). Neuerdings werden auch die armenische sowie die georgische Version stärker beachtet, die gerade in den kaige-Abschnitten oft mit protolukianischen Lesarten koinzidieren (vgl. Piquer / Torijano / Trebolle Barrera, Versions, 260-270), ebenso die gotische Übersetzung (Sigismund, passim). Der antiochenische Text ist in der Ausgabe von Natalio Fernández Marcos und José Ramon Busto Saiz (Fernández Marcos / Busto Saiz, Texto Antioqeno) erschlossen, der Codex Vaticanus in der Ausgabe von Aland E. Brooke / Norman McLean (BML, 1906-1940); Alfred Rahlfs folgt ihm in der Handausgabe (= Ra) weithin, wenn auch nicht durchgehend (Mulder, 1 Kings, 4). Im dritten Buch der Königtümer divergieren MT und Ra an mehreren Stellen 1.

Die Beobachtung, dass die Samueltexte von Qumran, insbesondere 4QSama, häufig den Lesarten des antiochenischen Textes entsprechen, widerlegt die durch Rahlfs, Lucians Text, vertretene Abwertung dieser Textzeugen und bestätigt das hohe Alter dieser Textform. Entsprechendes kann man für die Königebücher annehmen, auch wenn hier die Qumrantexte sehr fragmentarisch sind. 2. Textüberlieferung und Editionen

235

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

hinsichtlich der Textfolge; auch lassen beide Textformen größere Abschnitte erkennen, die im Hinblick auf ihre Gesamtkomposition als Sondergut gelten müssen. Divergenzen der Textfolge betreffen vor allem die Stellung des Berichtes über den Palastbau Salomos 1Kön 7,1-12 MT inmitten (MT) oder am Ende (LXX; Josephus) des Tempelbauberichtes (in 2Chr 2 fehlt ein Palastbaubericht völlig) sowie die Stellung von 1Kön 20 und 21 (sie erscheinen in LXX in umgekehrter Reihenfolge). Der Tempelweihspruch 8,12 f. ist in der LXX nach dem Tempelweihgebet eingeordnet (8,53). Zu 1Kön 9,15-25 MT finden sich im griechischen Text, zu 3Kgt 2,35a-o; 2,46a-l; 3Kgt 12,24az (»Miscellanies«) im hebräischen teilweise an anderen Stellen Parallelen, während andere Motive jener Texte in der Parallelversion unberücksichtigt bleiben. Umstellungen sind ferner in den Abschnitten 1Kön 4,20–5,9 und 1Kön 11,1-8 festzustellen. Nach 16,28 wird in LXX 1Kön 22,41-51 MT vorausgenommen, ohne dass die LXX den Text an dieser Stelle insgesamt auslässt; es fehlen nur V. 47-50. Doch auch im MT finden sich Texte, die in LXX nicht geboten werden, so vor allem 1Kön 6,11-14.17b.18.21a.22b-d.37 f. und 1Kön 11,38b.39. Unterschiedlich wird die Geschichte der Textkomposition rekonstruiert. Einem Teil der Forschung zufolge ist die älteste Anordnung diejenige des MT; unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob die Textumstellungen bereits im hebräischen (Tov, Miscellanies, 568; Talshir, Alternate Tradition, passim) oder erst im griechischen Traditionsbereich (Wevers, Principles; van Keulen, Two versions, 303) erfolgt ist. Einem anderen Teil der Forschung zufolge liegt die älteste Anordnung in der hebräischen Vorlage der Septuaginta vor (Trebolle Barrera, Redaction, passim; Polak, Solomon’s Reign, 141-143; Schenker, Älteste Textgeschichte, passim). Auld, Kings, passim, erklärt die Divergenzen zwischen 1Kön / 3Kgt und Chronik durch die Annahme eines vorausliegenden Textes, der das allen drei Büchern gemeinsame Material enthalten habe und in jedem der drei Bücher in hellenistischer Zeit sukzessiv ergänzt worden sei. Turkanik, Kings, 7 f., zufolge lässt sich zwischen der Aktivität des Übersetzers und redaktionellen Prozessen in der Vorlage nicht wirklich unterscheiden. Zu den Texten im Einzelnen: Die Sondergutpassagen haben wohl eine hebräische Vorlage (s. u.). Bei 4,20–5,8 rechnen Montgomery-Gehman, Kings, 126 f.; Noth, Könige, 61, van Keulen, Two versions, 85 mit der Ursprünglichkeit des MT, während Gray, I & II Kings, 140, die Ursprünglichkeit des LXX-Textes erwägt (weitere Vertreter bei van Keulen, Two versions, 84, Fn. 4). Für die ursprüngliche Stellung des Palastbauberichtes an der in MT sichtbaren Stelle votieren Noth, Könige, 145; Gray, I & II Kings, 158 f.; van Keulen, Two versions, 142, während Mulder, 1 Kings, 285, mit dem Umlauf mehrerer, unterschiedlich strukturierter Erzählungen rechnet. 1Kön 9,15-25 MT ist in der LXX auf verschiedene Stellen verteilt, vgl. 3Kgt 2,35r-k; 2,46d; 5,14b; 9,9a und 10,22a-c. Nach Polak, Solomon’s Reign, 161, ist die MT-Anordnung sekundär; sie soll wohl Salomo als nicht in allem von Hiram abhängig erscheinen lassen. Als spätere Ergänzungen gelten zumeist 3Kgt 16,28a-h sowie 3Kgt 12,24a-z (für Letzteres vgl. z. B. Talshir, Alternative Story, passim, anders Schenker, Jérobeam et la division, 171 sowie Schenker, Jeroboam and the Division, 214-257; siehe jetzt auch Ueberschaer, Gründungsmythos). Über die ursprüngliche Anordnung von 1Kön 20–21 hat sich kein Konsens gebildet (zur Forschungslage vgl. Schenker, Älteste Textgeschichte, 86 f., der mit einer Umstellung im MT rechnet). Die im MT, aber nicht in LXX gebotenen Texte 1Kön 6,11-14; 11,28b.39 gelten häu236

2. Textüberlieferung und Editionen

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

fig als sekundär vgl. Polak, Solomon’s Reign, 145, für 6,11-14; Würthwein, 1. Könige 1-16, 140 mit Anm. 4 und Mulder, 1 Kings, 597, für 11,38.39b. Für die Differenz der chronologischen Systeme über lange Strecken hinweg hat sich bisher noch keine Erklärung als konsensfähig erwiesen.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzung von 3Kgt ist an der Ausgangssprache orientiert; auch die Sondergutstücke 3Kgt 2,35a-o; 2,46a-k; 12,24a-z werden daher zumeist als Übersetzungen aus dem Hebräischen beurteilt (Krautwurst, Studien, 311 f.; Talshir, Nature of the Edition, 257267; Tov, Miscellanies, 568, Polak, Solomon’s Reign, 145; anders nur Gooding, Miscellanies, 111). Typisch ist der parataktische Stil: δέ findet sich nur selten (3Kgt 9,6Ant+Ra; 3Kgt 2,13; 12,11Ra gegen 3Kgt 1,2; 12,11Ant καί), ebenso selten ist der Genitivus absolutus (3Kgt 12,6; 14,20Ant = 13,20Ra (man beachte aber die Fortsetzung in 13,20 mit καί als Beginn der Apodosis!); immerhin steht ἕκαστος 4,21 f.Ant = 5,1Ra (2x); 8,66Ant+Ra (ohne Pendent im MT); 22,36Ant+Ra für ‫איש‬, wo in anderen Teilen (d. h. in den kaige-Abschnitten) von 1–4Kgt ἀνήρ steht. Die Apodosis wird mit καί eingeleitet nach einem Fragesatz 3Kgt 22,20Ant+Ra, nach einem Imperativ 17,10Ant+Ra, nach einem Konditionalsatz 3,14Ant+Ra; 8,39Ant+Ra; 9,5.7Ant+Ra; typisch sind auch die Konstruktionen ἐν ᾧ αὐτὸς ἐκεῖ 17,19Ant+Ra und ἐν τῷ ταφῷ τούτῳ, οὗ ὁ ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ τέθαπται ἐν αὐτῷ 3Kgt 14,31Ant = 13,31Ra (vgl. 3Kgt 14,9Ant = 13,17Ra); typisch ist die wörtliche Wiedergabe hebräischer Idiomatik: die Wendungen ἐν ἐμοί 3,17.26Ant+Ra, υἱὸς … ἐτῶν in 3Kgt 12,26; 13,3Ant = 3Kgt 12,24a.hRa; 3Kgt 14,35Ant = 3Kgt 14,21Ra und δώσω ὑετὸν ἐπὶ πρόσωπον τῆς γῆς 18,1Ant+Ra sind dem Hebräischen nachgebildet; εἰ dient als Einleitung eines Schwursatzes 17,1Ant+Ra; λαμβάνειν hat in 3Kgt 3,24Ant+Ra Anteil am erweiterten Bedeutungsumfang von ‫ ;לקח‬häufiger noch begegnet χεῖρ wie ‫ יד‬in der Wendung ἐν χειρί für »durch«, so in 1,14Ant = 2,25Ra; 8,56Ant+Ra; 16,1Ra.7Ant+Ra; 17,16Ant+Ra; 20(21),28Ant+Ra. Transkriptionen finden sich im Bereich der Baubeschreibung für den Tempel und den Königspalast, aber auch darüber hinaus, nämlich σαταν 11,14Ant+Ra als persönlichen Widersacher (nicht als Teufel) – auch die Übersetzung ἐπίβουλος ist bekannt, vgl. 5,7Ant = 5,18Ra – und die Pflanzensorte ῥαθμ in 3Kgt 19,4Ant+Ra. Gelegentlich finden sich in Ant stilistisch bessere Sätze, die in Ra an MT angeglichen sind; so wird 3Kgt 12,6Ant ἵνα durch 3Kgt 12,6Ra καί ersetzt, ebenso in 11,34; statt 3Kgt 22,10Ant ἕκαστος steht in 3Kgt 22,10Ra ἀνὴρ (typisches Kennzeichen der kaige-Rezension). Zeit und Ort der Übersetzung lassen sich nicht genau festlegen. Die Datierung ins 2. vorchristliche Jh. ist dadurch bedingt, dass im 3. Jh. v. Chr. zuerst der Pentateuch übersetzt wurde, während die übrigen Bücher erst später folgten. Ob sich die Spätdatierung von 3Kgt 12,24a-z in die Zeit des Alexander Jannäus durch Sweeney, Reassessment, passim, durchsetzen wird, bleibt abzuwarten, aber auch Frühdatierungen dieses Textes (Debus, Sünde Jerobeams, 90) haben Kritik erfahren (Talshir, Alternate Tradition, passim). Auch zur Lokalisierung der Übersetzung ergeben sich keine Evidenzen aus dem Text. Die für LXX bisher geltend gemachten Ägyptizismen sind meist im Pentateuch anzutreffen, so dass die Frage für den Ort der Übersetzung für die Septuaginta-Bücher 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

237

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

jenseits des Pentateuchs jeweils gesondert gestellt werden muss (Tov, Reflections, 715). Immerhin ist in 3Kgt 21,11 statt des wohl hebräischen Sprichwortes »Wer die Rüstung anlegt, soll sich noch nicht des Sieges rühmen« ein vielleicht in Ägypten geläufiges Sprichwort aufgenommen: »Der Bucklige rühme sich nicht wie der Aufrechte« (Bösenecker / Kreuzer, 3Kgt, LXX.D 418), wie auch für 4Kgt Ägyptizismen festzustellen sind.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches Profil Das Griechisch von 3Kgt ist ein Koine-Griechisch mit gelegentlichen Vulgarismen (ἀνάμεσον in 5,15Ant; 15,7.16.19; 18,42; 22,1.34Ant; ἀνὰ μέσον in 5,26Ra etc.; μεταξύ begegnet erst in den von Origenes aus dem Hebräischen ergänzten und mit Asterikos versehenen Zusätzen 15,6 [2x].32 [2x]). Hinweise auf diesen Koine-Charakter sind der neue Akk. Pl. νήες statt ναῦς in 3Kgt 22,49 (wird nur von LXXA geboten), die Bevorzugung der Dreiendigkeit von Adjektiven bei φρόνιμος 3Kgt 3,12Ant+Ra (Helbing, Grammatik, 57), ferner gewisse Besonderheiten der Konjugation: δεδώκειν steht statt ἐδεδώκειν als Plusquamperfekt in 3Kgt 10,13Ra (Helbing, Grammatik, 70); ἀνέκραξα ist Beispiel für den vordringenden sigmatischen Aorist in 3Kgt 13,27Ant = 12,24tRa; 22,32 (Helbing, Grammatik, 90). μηθείς 18,40Ra bzw. οὐθέν 18,43Ant+Ra sind die jüngeren Formen gegenüber μηδείς bzw. οὐδέν (3Kgt 18,40Ant: μηδείς). Gelegentlich werden in Ant noch die klassischen, in Ra bereits die koine-griechischen Formen verwendet (so begegnen in 3Kgt 3,6; 8,23Ant der alte Akkusativ ἔλεον μέγαν, in 3Kgt 3,6; 8,23Ra der koine-griechische Akkusativ ἔλεος μέγα [weitere Beispiele bei Helbing, Grammatik, 78.95]), aber die Tendenz ist nicht einlinig: so begegnen der alte Imperativ ἀνάστηθι 13,2.4Ant = 12,24g.hRa; 17,9Ant+Ra; 19,5Ant+Ra 19,7Ant neben dem neuen Imperativ ἀνάστα 19,7Ra; 20,15Ant+Ra (Helbing, Grammatik, 104). Rückschlüsse auf sprachliche Veränderungen lassen sich aber kaum ziehen; alte Schreibweisen können sich auch attizistischen Gewohnheiten späterer Schreiber verdanken.

4.2 Inhaltliches Profil Angesichts der unentschiedenen Prioritätsfragen ist mit Verschiebungen sowohl vom MT zur (hebräischen Vorlage der) LXX als auch in umgekehrter Richtung zu rechnen. Zunächst seien Beispiele im ersten Sinne angeführt; die meisten davon sind bereits im hebräischen Traditionsbereich denkbar: In manchen Zusätzen wird das angesprochene (3Kgt 3,23) bzw. von einer Handlung betroffene (3Kgt 11,20aAnt+Ra) Subjekt geklärt. Daneben treten Korrekturen aufgrund des Erzählverlaufes. 1Kön 12,20 bietet die Wendung »über ganz Israel«, 3Kgt 12,20 die Worte »über Israel«, wohl mit Rücksicht darauf, dass Jerobeam nur über die zehn Nordreichsstämme König geworden ist. Erzählerische Widersprüche werden vermieden: Die Bemerkung »und Salomo vollendete sein ganzes Haus« ist von der Stelle 7,38 an das Ende des Abschnittes in 7,50 gerückt, um nicht danach doch noch von dem Bau zu erzählen. In den Sondergutstücken zeigt sich die Tendenz zur Verherrlichung Salomos und zur Perhorreszierung Jerobeams, 238

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

ähnlich wie nach Tov, 3 Kingdoms, 357 f. in 3Kgt 11 die Sünde Salomos etwas gemildert wird; der Bericht über den Palastbau Salomos wurde an das Ende von 3Kgt 7 gerückt, um Salomo vor allem als Erbauer des Tempels zu Ehren kommen zu lassen. Umgekehrt legt sich in anderen Fällen der Schluss nahe, dass eine der Textformen der Septuaginta dem ursprünglichen Text am nächsten kommt, weil im MT Widersprüche zu Toravorschriften und andere theologische Anstößigkeiten vermieden werden. Schenker, Altar, 107 f. zufolge handelt Elia in 3Kgt 18,29-33 im Widerspruch zu Dtn 12: Er fordert die Baalspriester zum Altarbau für Baal auf und errichtet abseits von Jerusalem einen Altar für den Gott Israels; beides ist in MT vermieden. Die von LXX differierende Chronologie des Krieges mit Josaphat in 1Kön 22 MT ist, so Schenker, Tiqqûn Sôferîm, 124, von der Absicht bestimmt, Ahabs Tod entgegen dem göttlichen Strafaufschub 1Kön 21,29 als noch nicht während seiner eigenen alleinigen Regierungszeit eintreten zu lassen

4.3 Theologisches Profil Manchmal werden die Namen fremder Götter vermieden. So ist in 3Kgt 11,5.33Ra (τῷ βασιλεῖ αὐτῶν) die Konsonantenfolge ‫ מלכם‬nicht wie in Ant als Hinweis auf den fremden Gott Melchom, sondern als ‫ מלך‬+ Suffix der 3. Pl. (‫ )ם‬interpretiert worden. Auch der Name Baal wird gelegentlich durch ἡ αἰσχύνη umschrieben (3Kgt 18,19.25), was auf die hebräische Vorlage ‫ בשת‬oder – wahrscheinlicher – auf die entsprechende »Ersatzlesung« zur Vermeidung des Baalnamens zurückweisen kann; 2 doch wird diese Tendenz nicht konsequent durchgehalten: Neben αἰσχύνη stehen die βααλειμ (3Kgt 18,18 etc.).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Inwieweit 3Kgt die Übersetzung der Chronikbücher beeinflusst hat, kann man fragen, immerhin ist dort in manchen Bereichen der Einfluss des Pentateuch-Vokabulars größer als bei den Parallelen in 3Kgt (Meynadier, Eléments de lexicographie comparée, passim). Für Ez 40 f. zeigt die dortige größere Variationsbreite der Transkriptionen αιλαμ, αιλευ etc., dass 3Kgt 6–7 nicht stilbildend waren. Von Bedeutung ist das Zitat von 19,10.14.18 in Röm 11,3 f. und zwar auch als Nachweis, dass Paulus hier noch die ursprüngliche Septuaginta (mit dem weiblichen Artikel bei Baal) verwendete (zur ursprünglichen Lesart siehe die Angaben in BML).

2.

Ein Hinweis auf eine solche Lesepraxis ist der feminine Artikel vor Baal in 19,18, der offensichtlich darauf hinweist, dass statt des Baalnamens ἡ αἰσχύνη gelesen werden soll. Das Phänomen findet sich im ursprünglichen Text der Septuaginta ab Ri 2,13 und häufig im Jeremiabuch. Die der kaige-Rezension ähnliche Bearbeitung (»semi-kaige«) hat zur wörtlichen Widergabe mit maskulinem Artikel geändert. Die ältere Lesart mit femininem Artikel in 3Kgt 19,18 ist in Ra nicht vermerkt, siehe BML zur Stelle. Im Zitat in Röm 11,4 ist die Stelle mit femininem Artikel für Baal wiedergegeben. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

239

2.4.2 Basileion III / 3Königtümer / 1Könige

6. Perspektiven der Forschung Die Divergenzen in der Beschreibung der Textentwicklung verweisen auf Klärungsbedarf hinsichtlich der Kriterien der Rekonstruktion. In der Diskussion um linguistische und narratologische Kriterien (Polak, Solomon’s Reign, 145) ist umstritten, ob die größere Harmonie einer Darstellung eher Ursprünglichkeit anzeigt (Schenker, Jérobeam et la division, 175) oder das Ergebnis sekundärer Überarbeitung ist (Talshir, Literary Design, 47; Trebolle, Kings and Chronicles, 497). Ansatzpunkte einer historisch plausiblen Kriteriologie werden sich am ehesten unter Beachtung schriftgelehrter Arbeit im frühen Judentum entwickeln lassen (Talshir, Literary Design, 47 f.; Tov, 3 Kingdoms, passim), bei der theologische Kriterien (Anpassung an Vorschriften der Thora, vgl. Schenker, zwei Erzählungen, 28 f.; ders., Altar, 109-111; Beseitigung theologischer Anstößigkeiten, vgl. Schenker, Tiqqûn Sôferîm, 123-125; unter Umständen Abmilderungen wie beim chronistischen Salomo-Bild) und Tendenzen der innerbiblischen Verknüpfung (Tov, 3 Kingdoms, 362; Meynadier, Eléments de lexicographie comparée, passim; Kreuzer, Übersetzung, 103 f.) und Harmonisierung vermutlich wichtiger sind als narrative Neuorganisation als solche. Doch sind auch dann noch Korrekturen in beiden Richtungen denkbar: 3Kgt 6,1Ra legt den Beginn des Tempelbaus auf das 440. Jahr nach dem Exodus fest, 1Kön 6,1MT+Ant auf das 480. Jahr. Die Lesart von LXXRa könnte sich dem Interesse verdanken, jeder der in 1Chr 5,29-34 genannten elf Priestergenerationen von Aaron bis Zadok I. (vgl. 2Sam 8,17; 1Chr 27,17) eine Amtsdauer von 40 Jahren zukommen zu lassen, so dass MT den ursprünglichen Text bietet (Cogan, 1 Kings, 236; van Keulen, Two versions, 127); aber auch die Zahl 480 (MT) ist als Symbolzahl denkbar und kann daher sekundär sein (Mulder, 1 Kings, 231). In 1Kön 11,7 / 3Kgt 11,6Ant / 11,5 f.Ra wird davon berichtet, dass Salomo Kultstätten für fremde Gottheiten errichtet habe; im MT werden diese durch den Vermerk »bei dem Berg in der Nähe Jerusalems« lokalisiert. Hat LXX diesen Vermerk ausgelassen, um den Gedanken der Nähe dieser Kultstätten zu Jerusalem zu vermeiden (Noth, Könige, 241), oder wurde in MT sekundär an 4Kgt 23,13 angeglichen (Bösenecker, 1 Könige 1-11, 238)? In 3Kgt 18,45; 20,16.25.27 wird Ahab in einem günstigeren Licht dargestellt als in MT; ist deshalb LXX sekundär (Gooding, Miscellanies, 107) oder wurde das Bild in MT nachträglich verdunkelt? In 3Kgt 19,12 bietet Ra gegenüber Ant und MT am Ende die Worte κἀκεῖ κύριος. Wurden sie hinzugesetzt, um eine erzählerische Lücke zu füllen, oder wurden sie in MT aus Scheu vor der Transzendenz Gottes getilgt? Die Gefahr der Eintragung allzu moderner Erwägungen ist zu beachten.

240

6. Perspektiven der Forschung

2.4.3 Basileion IV / Das vierte Buch der Königtümer / Das zweite Buch der Könige Julio Trebolle

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT I, 19013 — BML II/2, 1930 — RaHa 1935/2006 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El Texto Antioqueno de la Biblia Griega, Bd. II, 1-2 Reyes, TECC 53, Madrid 1992.

1.2 Qumran 6QpapKön = 6Q4 (DJD III). BQS 328-329 — HTTM I, 224-247. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare McLean, P. D., 4Reigns, NETS, Oxford / New York 2007, 320-341 — Werlitz, J. / Winter, F., Basileion IV. 4 Königtümer, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 424-489 — Kreuzer, S. / Meiser, M. / Winter, F., Basileion I-IV. Die Bücher der Königtümer, Einleitung, LXX.E, Stuttgart 2011, 714-744 — Werlitz, J. (/ Kreuzer, S.), IV (antiochenischer Text), LXX.E, Stuttgart 2011, 946-977 — Winter, F. / Kreuzer, S., Basileion IV (Rahlfs-Text), LXX.E, Stuttgart 2011, 978-1037.

1.4 Weitere Literatur Abate, E., La fine del regno di Sedecia, TECC 76, Madrid 2008 — Burkitt, F. C., Fragments of the Books of Kings According to the Translation of Aquila, Cambridge 1897 — Catastini, A., Isaia ed Ezechia. Studio di storia della tradizione di II Re 18-20/Is 36-39, SS.N.S. 6, Rom 1989 — Deboys, D. G., Recensional Criteria in the Greek Text of II Kings, JSSt 31 (1986), 135-139 — Diercks, D. F., Luciferi Calaritani Opera quae supersunt, CChr.SL VII/7, Turnhout 1978 — Fernández Marcos, N., Scribes and Translators: Septuagint and Old Latin in the Books of Kings, VT.S 54, Leiden 1994 — Eynikel, E., The Reform of King Josiah 2 Kings 23:1-24. Textual Criticism, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 394-425 — Fischer, B. / Ulrich, E. / Sanderson, J. E., Palimpsestus Vindobonensis. A Revised Edition of L 115 for Samuel-Kings, in: B. Fischer, Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte, Freiburg i. Br. 1986, 308-438 — Kreuzer, S., Translation and Recensions: Old Greek, Kaige, and Antiochene Text in Samuel and Reigns, BIOSCS 42 (2009), 34-51 — Kreuzer, S., B or not B? The Place of Codex Vaticanus in textual history and in Septuagint research, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Text-critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 69-96 — Moreno Hernández, A., Las glosas marginales de Vetus Latina en las Biblias vulgatas españolas: 1-2 Reyes, Madrid 1992 — Piquer, A., / Tori1. Literatur

241

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

jano, P. / Trebolle Barrera, J., Septuagint Versions, Greek Recensions and Hebrew Editions. The Text-Critical Evaluation of the Old Latin, Armenian and Georgian Versions in III-IV Regnorum, in: H. Ausloos / J. Cook / F. García Martínez / B. Lemmelijn / M. Vervenne (Hg.), Translating a Translation. The LXX and its Modern Translations in the Context of Early Judaism, BEThL 213, Leuven 2008, 251-281 — Rahlfs, A., Lucians Rezension der Königsbücher, Septuaginta-Studien III, Göttingen 1911 (Nachdruck Göttingen 19652) — Robker, J. M., Elements of Lucianic Recension in 2 Kings?, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 367-384 — Schenker, A., Älteste Textgeschichte der Königsbücher. Die hebräische Vorlage der ursprünglichen Septuaginta als älteste Textform der Königsbücher, OBO 199, Fribourg / Göttingen 2004 — Shenkel, J. D., Chronology and Recensional Development in the Greek Text of Kings, HSM 1, Cambridge/MA 1968 — Thackeray, H. S. J., The Greek Translators of the Four Books of Kings, JThS 8 (1907), 262-278 — Tov, E., Three Strange Books of the LXX: 1 Kings, Esther, and Daniel Compared with Similar Rewritten Compositions from Qumran and Elsewhere, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebeswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 369-393 — Trebolle Barrera, J., From the Old Latin, through the Old Greek to the Old Hebrew (2 Kings 10:23-25), Textus 11 (1984), 17-36 — Trebolle Barrera, J., The Text-Critical use of the Septuagint in the Books of Kings, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 285-299 — Ulrich, E., Characteristics and Limitations of the Old Latin Translation of the Septuagint, in: N. Fernández Marcos (Hg.), La Septuaginta en la investigación contemporánea, TECC 34, Madrid 1985, 67-80 — Wevers, J. W., A Study in the Textual History of Codex Vaticanus in the Books of Kings, ZAW 64 (1952), 178-189 — Wevers, J. W., Principles of Interpretation Guiding the Fourth Translator of the Books of the Kingdoms (3 K. 22:1 – 4 K. 25:30), CBQ 14 (1952), 40-56.

2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen 2.1 Die Geschichte der Textüberlieferung von 4Kgt ist die Geschichte einer ersten Übersetzung, die einer Reihe von Revisionen unterworfen war: Der sog. kaige-Revision, den Revisionen von Theodotion, Aquila und Symmachus, der hexaplarischen Rezension des Origines sowie – vielleicht – der Lukian zugeordneten Revision. Der Text von 4Kgt gehört zur Gruppe der Bücher, deren Text im ersten Jh. v. Chr. in den rabbinischen Kreisen Palästinas revidiert wurde, um sie an den proto-masoretischen hebräischen Text anzupassen, der zunehmend als Standardtext angesehen wurde. Den Text dieser kaige- bzw. proto-theodotionischen Revision ist der B-Text, der v. a. durch den Codex Vaticanus (B) aus dem 4. Jh. n. Chr., sowie durch die Hss. 121, 509 und die äthiopische Übersetzung repräsentiert wird. Die hexaplarische Rezension des Origines fügte die hexaplarischen Ergänzungen in den Text der alten Übersetzung ein. Dazu übernahm er aus den Übersetzungen Theodotions, Aquilas und Symmachus’ Textbestandteile für jene Passagen, die nicht der alten Übersetzung entsprachen. Dieser Text (A) wird durch eine Textgruppe repräsentiert, die sich aus dem Codex Alexandrinus aus dem 5. Jh. n. Chr., den Hss. 247 und 376, sowie der Armenischen Übersetzung und der Syrohexapla zusammensetzt. Der Lukianische Text, der dem Märtyrer Lukian (ca. 240–311/2 n. Chr.) zugeordnet wurde, wird durch die Hss. 19, 108, 82, 127, 93 (LXXL) aus dem 10.–14. Jh. n. Chr. repräsentiert, die offensichtlich auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen (siehe 242

2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

das Stemma bei Fernández Marcos, El texto antioqueno, XXVIII). Dieser Text ist außerdem durch die Zitate bei den antiochenischen Kirchenschriftstellern (Theodoret von Kyrrhos u. a.) bekannt und wird daher in neuerer Zeit häufig neutral (d. h. ohne Bezug auf Lukian und eine lukianische Rezension) nach seinem Verbreitungsgebiet als antiochenischer Text bezeichnet. Nach der traditionellen Theorie nahm Lukian (bzw. ein Bearbeiter um ca. 300 n. Chr.) Elemente der hexaplarischen Rezension auf und führte, um einen korrekteren und einheitlicheren griechischen Text zu erhalten, eine stilistische Revision durch. Der Wert von LXXL besteht darin, dass hinter den hexaplarischen Korrekturen und den lukianischen Elementen ein Text verborgen ist, der einer alten Textstufe noch vor der ersten kaige-Rezension entspricht. Daher ist innerhalb dieses kaige-Bereichs 1 der Antiochenische Text der einzige erhaltene Text, der einen Zugang zur ursprünglichen Septuaginta (Old Greek) erlaubt. Die Texte aus Qumran, insbesondere 4QSama, machen eine erneute Auseinandersetzung mit Alfred Rahlfs’ Studie zum Lukianischen Text der Königebücher notwendig. Obwohl Rahlfs die Nähe von LXXL zur Vetus Latina und zu Josephus erkannte, ging er davon aus, dass LXXL hauptsächlich von LXXB abhängig ist. Demgegenüber zeigte Barthélemy, Devanciers, dass der kaige-Text von 2Sam den antiochenischen Text voraussetzt, was wohl auch für 2Kön zutrifft (siehe dazu Kreuzer, Translation). Die heutige Septuagintaforschung ist gekoppelt an die Erforschung der biblischen Handschriften von Qumran. Die Lesarten von 6Q4 (6QpapKön) in 2Kön 7,20–8,5, die teilweise mit LXX, Syr und Vulg übereinstimmen, sind daher durchaus bedeutsam. In 2Kön 7,8 entspricht die Lesart ‫ משאם‬dem von LXXL bezeugten ἄρσιν αὐτῶν gegen ‫משם‬ in MT, LXXB, Syr, Vulg und Targ. Die in Naḥal Ḥever gefundene Zwölfprophetenrolle war ebenso entscheidend für die Forschung zur kaige-Rezension, wie es 4QSama für die Forschung zum proto-Lukanischen und zum Old Greek-Text und 1QJesa für den Vergleich der parallelen Passagen 2Kön 18–20 // Jes 36–39 war. Der Vergleich der verschiedenen Texttraditionen, von denen diese Handschriften zeugen, zeigt, dass das proto-Lukianische Stratum von 4Kgt die älteste Textstufe darstellt, die wir erreichen können, wobei diese dem Text von 1QJesa und dem OG Text von Jesaja sehr nahe kommt. In 2Kön 20,11 // Jes 38,8 entwickelte sich die Textüberlieferung in folgenden Schritten: 1QJesa ‫עלית אחז את השמש‬, LXX Jes τοῦ ὄικου τοῦ πατρός σου ἀποστρέψω τὸν ἥλιον, MT Jes ‫במעלות אחז בשמש‬, VL 2Kön in gradus et detenta est in sole, LXXB 2Kön καὶ ἐπέστρεψεν ἡ σκιά, bis schließlich die abschließende Form von MT 2Kön ‫ במעלות אחז‬erreicht war. Der verbale Ausdruck ‫אחז‬, ἀποστρέψω / ἐπέστρεψεν, detenta est und das »Innehalten« des Schattens wurden umgeformt in den Namen Ahaz und in die »Stufen« bzw. in die »Sonnenuhr des Ahaz«. Die parallelen Texte von Könige und Jeremia in 2Kön 24,18–25,30 // Jer 52 machen es möglich, auch in diesem Fall die Entwicklung der Textüberlieferung zu erkennen. Der LXX-Text von Jeremia stellt die älteste erkennbare Textschicht dar, die MT Jer 52,2 f.15 und Teile der Verse 52,7.18 f.27 nicht kannte. Auch wenn sich in LXXB, LXXL und MT in 2Kön 24,18–25,30 nicht viele Varianten finden, bietet L einige, die in mittel-

1.

Nach der alten Bezeichnungsweise von Thackeray, Translators, der Abschnitt γδ, das ist 3Kgt 22 bis 4Kgt 25. 2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen

243

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

alterlichen hebräischen Handschriften (Kennicott) 2 bezeugt werden und die eine nichtmasoretische Vorlage voraussetzen, wie 25,6 τὸν βασιλέα = 25,8, ‫ המלך‬οὗτος = ‫הוא‬, und 25,16 ἐν οἴκῳ = ‫בבית‬. MT Jer 52 bildet die letzte und am stärksten entwickelte Textform. Sie stellt Lesarten von 2Kön neben andere, die für die Texttradition des Jeremiabuchs charakteristisch sind (vgl. MT Jer 18–23). 2.2 Die lateinischen, armenischen und georgischen Tochterübersetzungen spiegeln die griechische Textgeschichte wieder. In jeder dieser Sprachen wurde die erste Übersetzung auf Grundlage des vorhexaplarischen Textes angefertigt, der im Nachhinein dem hexaplarischen Modell entsprechend korrigiert wurde. Die Vetus Latina ist die wortgetreue Übersetzung eines vorhexaplarischen griechischen Textes, der demjenigen ähnelte, der der lukianischen Textform zugrunde liegt. Auch wenn nur isolierte Lesarten und einige bedeutendere Abschnitte erhalten sind, ist der textkritische Wert der Vetus Latina ziemlich groß, da sie vorlukianische Lesarten bewahrt, die auf den ursprünglichen Text der Septuaginta zurückgehen und die im griechischen Mehrheitstext nicht bezeugt werden. Die Erforschung der Texttradition der Vetus Latina erfordert in einem vorangehenden Schritt die Unterscheidung zwischen »kaige-ähnlichen« Lesarten, die mit Varianten des B-Textes korrespondieren, und solchen Lesarten, die einen protolukianischen Text widerspiegeln, der auf den ursprünglichen griechischen Text zurückgeht. So korrespondiert in 17,2 die Lesart non sicut reges Israel qui fuerant (so in Codex Legionensis) mit der kaigeLesart οὐχ ὡς οἱ βασιλεῖς Ἰσραηλ οἳ ἦσαν (LXXAB), wohingegen prae omnes qui fuerant ante eum (Codex palimpsestus Vindobonensis) das protolukianische παρὰ πάντας τοὺς γενομένους widerspiegelt und die ursprüngliche Lesart der Vetus Latina darstellt. 3 Das Vindobonensis-Palimpsest, sowie unter den Kirchenvätern Lucifer von Cagliari, sind bedeutende Zeugen, ebenso die Randlesarten der Vulgatacodizes von León. Der Wortwörtlichkeit der Vetus Latina bezüglich des griechischen Textes und die Verwendung von Vulgarismen boten Anlass für Hieronymus’ neue Übersetzung des hebräischen Textes, deren Stil stärker mit dem der lateinischen literarischen Tradition übereinstimmte. Der verbreitete Text der armenischen Version folgt meist der hexaplarischen Tradition, die Erstübersetzung hingegen wurde anhand von griechischen Handschriften angefertigt, die viele Lesarten mit der lukianischen Tradition gemeinsam hatten; daher bewahrt die alte armenische Übersetzung vorlukianische Lesarten von hohem textkritischen Wert. Ebenso zeigt die georgische Übersetzung, die entweder anhand des armenischen oder direkt eines griechischen Textes angefertigt wurde, Spuren eines lukianischen Textes, wo dies im armenischen Text nicht der Fall ist, und bezeugt manchmal eine prälukianische Lesart, insbesondere, wenn sie mit der alten lateinischen Übersetzung übereinstimmt. Übereinstimmungen der Tochterübersetzungen 2.

3.

Kennicott, B., Vetus Testamentum Hebraicum cum variis lectionibus, Oxford 1776-1780. Die Varianten dieser und der analogen Sammlung von J. B. de Rossi, Variae lectiones Veteris Testamenti, Parma 1786 sind zum Teil in den verschiedenen Ausgaben der Biblia Hebraica verzeichnet. Als weiteres Beispiel für die Bedeutung des Vetus-Latina-Textes siehe die Analyse von 6,8-19 in Kreuzer, Translation.

244

2. Textüberlieferung, Tochterübersetzungen und Editionen

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

(VL, Arm, Georg, Aeth, Sahidisch und Koptisch) mit einem Old Greek-Text gegenüber einem rezensionellen Text (d. h. gegenüber dem kaige-Text) treten relativ häufig auf. 2.3 Die Ausgabe von H. B. Swete (1887, 19013) ist eine diplomatische Ausgabe, ebenso die Ausgabe in der Cambridge Septuaginta von Brooke / McLean / Thackeray (Bd. 2; Teil 2, 1930). Letztere bietet einen Apparat, der jede damals bekannte Variante der ca. 30 wichtigsten Handschriften und einige Lesarten der Übersetzungen auflistet. In einem gesonderten Apparat bietet sie die Lesarten, die Aquila, Symmachus und Theodotion zugeordnet werden. Rahlfs Ausgabe (1935, durchgesehen 2006) basiert ebenfalls auf dem Codex Vaticanus, korrigiert aber den Text mithilfe von Lesarten der Gruppen A und L. Die kritische Ausgabe in der Göttinger Reihe wird durch Pablo Torijano und Julio Trebolle besorgt. Die Hauptschwierigkeit einer kritischen Edition von 4Kgt ist, wie schon oft festgestellt wurde, den Text der protolukianischen und der OG Schicht herauszuarbeiten und gleichzeitig die Textkohärenz zu wahren, wie sie durch den Codex Vaticanus und die Mehrheit der Texttradition überliefert ist.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Charakteristika der rabbinischen kaige-Revision sind eine Tendenz, den griechischen Text an die semitische Syntax und die Wortfolge des hebräischen Textes anzupassen, häufige Transliteration hebräischer Begriffe (26 Mal unter Auslassung von Onomastiken und Toponymen), die Ergänzung von Begriffen ohne Entsprechung in LXX, die Meidung des historischen Präsens zur Wiedergabe des hebräischen Imperfekt consecutivum und der Gebrauch einer Reihe von spezifischen Ausdrücken, die an die Stelle der in der alten Übersetzung ursprünglich verwendeten treten: So wird ‫ בעיני‬nun mit ἐν ὀφθαλμοῖς anstelle von ἐνώπιον wiedergegeben. Entgegen der Tendenz der kaigeRevision, einige hebräische Wörter – insbesondere Fachbegriffe – zu transkribieren, behält der protolukianische Text meist die griechische, auf OG zurückgehende Formulierung bei. So bietet in 2Kön 15,10 der B-Text die Transkription Κεβλααμ als einen Personennamen an (MT ‫קבלעם‬, »vor dem Volk«), wohingegen L die Formulierung von OG beibehält und die Ortsbezeichung ἐν Ιεβλααμ (‫ )ביבלעם‬einsetzt. In gleicher Weise transkribiert in 23,10 B das hebräische Kunstwort Μóλοχ, eine deutlich abwertende Bezeichnung des ammonitischen Gottes Milkom, wohingegen L die Lesart der ursprünglichen Septuaginta, nämlich Μελχομ bewahrt. In ähnlicher Weise steht der Transkription μαναα des kaige-Textes in L die OG Übersetzung δῶρα (vgl. VL munera) gegenüber, wobei in der weiteren Überlieferung manchmal beides zusammen als Dublette vorkommt. Die Varianten von LXXB im Vergleich zu MT sind meist morphologisch, nur sehr selten inhaltlich oder erweiternd. LXXB lässt MT 25,10 aus, L hingegen bietet den Text in einer von der hexaplarischen abweichenden Wiedergabe. Typisch für den antiochenischen Text ist die tendenziell größere stilistische Sorgfalt, die sich in der Bevorzugung von lexikalen und morphologischen Formen des Attischen gegenüber hellenistischen oder semitisierenden Ausdrücken, die gegenüber der semitischen Syntax freiere Wiedergabe der Sätze, die Vorliebe für zusammenge3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

245

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

setzte Formen oder die Abwechslung im Gebrauch von Synonymen. Er bemüht sich um größere Verständlichkeit des Textes für den Leser, wie der Gebrauch des Artikels, die Ersetzung von Pronomen durch die jeweiligen Namen und die Ergänzung von anderen Elementen deutlich zeigen. Ein wichtiges Charakteristikum der Textüberlieferung ist das Vorhandensein von Dubletten, bestehend aus der alten bzw. ursprünglichen Lesart und der rezensionellen kaige-Lesart. So überliefert die Dublette οὐχ ούτως διὰ τοῦτο die kaige-Lesart οὐχ ούτως und die ursprüngliche Lesart διὰ τοῦτο, die sich im ideo oder propter hoc der VL, im Armenischen Վասն այսորիկ [vasn aysorik] und dem Georgischen ამის თჳს [amis t’vis] widerspiegelt (vgl. 1Kön 22,17.19; 2Kön 1,16; 19,32; 21,12; 22,20). Der Stil der ursprünglichen griechischen Übersetzung lässt vermuten, dass der Übersetzer sich eng an den Text seiner Quelle hielt, jedoch mit einem anderen hebräischen Text als MT arbeitete. Wevers hatte den Anspruch, die Übersetzungstechnik von 4Kgt zu untersuchen, tatsächlich untersuchte er jedoch die hauptsächlich theologischen Motive, die seiner Meinung nach hinter den Varianten der griechischen Version gegenüber MT stehen. Er erklärte diese Divergenzen als die hermeneutischen Prinzipien des Übersetzers, während die Wissenschaft heute zu der Ansicht tendiert, diese Divergenzen seien eher auf die gegenüber dem masoretischen Text unterschiedliche hebräische Vorlage der griechischen Übersetzung zurückzuführen. Die ursprüngliche griechische Übersetzung selbst könnte in der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. entstanden sein, bevor sich die neue proto-masoretische hebräische Ausgabe herausgebildet hatte (Schenker, Älteste Textgeschichte, 9). Aber es wäre auch möglich, dass sie bereits auf das 3. Jh. zurückgeht und in Alexandria entstand, da die Geschichtsschreiber Demetrius und Eupolemus den Text von 3/4Kgt offenbar kannten. Die kaige-Rezension wurde im 1. Jh. v. Chr. durchgeführt, wahrscheinlich in Palästina, auch wenn es dafür bislang keinen eindeutigen Nachweis gibt.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Der kaige-Text ist in koine-Griechisch verfasst (das sich von der literarischen Sprache unterscheidet). Er enthält Neologismen, wie μονόζωνος, »ein Leichtbewaffneter«, das an die Stelle der vermuteten alten Lesart πειρατής/πειρατήριον, OL piratae tritt (5,2; 6,23; 13,20.21; 24,2). Der kaige-Text nimmt hebräische Ausdrücke wie τῶν δυνάμεων wieder auf, anstelle der Bezeichnung παντοκράτωρ in OG. Der antiochenische / proto-Lukianische Text bewahrt alte Texteigenschaften wie den Gebrauch des historischen Präsens zur Übersetzung des hebräischen Waw-Imperfekts. Der Text von 4Kgt weist scheinbar weniger weitreichende und bedeutsame Unterschiede zum MT auf als 3Kgt, insbesondere in den Kapiteln 2-14, wo man vermuten könnte, dass der protomasoretische Text und die hebräische Vorlage der LXX zwei unterschiedlichen Ausgaben von 1Kön bzw. 3Kgt darstellen. Allerdings ist dieser Eindruck davon bestimmt, dass in 4Kgt, anders als in 3Kgt, der Codex Vaticanus und die Mehrheit der Texttradition einen Text überliefern, der (durch die kaige-Rezension) bereits auf einen proto-masoretischen Text hin revidiert wurde. Nur in 4Kgt 1,18a-d bewahren sie einen OG Text, der von MT (3,3-1) abweicht. Gleichermaßen war der Text von 3Kgt 22,41-51 in dem kaige γδ-Abschnitt nicht Teil von OG, wie das Fehlen 246

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

dieser Verse in L belegt. Ursprünglich war dieser Abschnitt in 16,28a-h in dem γγAbschnitt angesiedelt, wie sowohl der B- als auch der L-Text bezeugen. Der proto-lukianische Text und die Vetus Latina bewahren Textabschnitte und -varianten der ursprünglichen Septuaginta, die einer anderen als der von MT überlieferten Textform des Buches entsprechen. So bewahren sie im Plus von 10,36 die Geschichte von Jehus Verschwörung in ihrer typischen und ursprünglichen Struktur, während der Text dieser Einheit in B (= MT) offenbar auf verschiedene Stellen in den Kapiteln 8–9 verstreut ist. Gleichermaßen überliefern der antiochenische Text und die Vetus Latina in 10,23-25 eine ältere Textform als die vom MT bezeugte. In Kapitel 13 tragen sie zur Rekonstruktion einer anderen Anordnung der literarischen Einheiten bei. Die Geschichte von Elischas Tod ist in Kapitel 10 angesiedelt, zwischen den Versen 30 und 31, sodass sie während der Herrschaft Jehus stattfindet und nicht während der des Joas wie in B (= MT). Auch in 17,1-23 ermöglichen es der antiochenische Text und die Vetus Latina, den Text der ursprünglichen Septuaginta und damit eine mögliche andere Anordnung der Bestandteile des Kapitels zu rekonstruieren. Der theologische Charakter des griechischen Textes wird im Vergleich zu dem des MT ersichtlich: Der (jüngere) masoretische Text legt verstärktes Gewicht auf theologische Motive, die in der hebräischen Vorlage der Septuaginta nur angedeutet waren, wie die anti-samaritanische Polemik in Kapitel 17. Außerdem bemüht sich der masoretische Text um eine größere theologische Kohärenz im Gottesbild (Schenker, Älteste Textgeschichte, 191). Die Septuaginta spiegelt somit einen weniger pointierten aber auch weniger polemischen Text.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die erste Rezeption von 4Kgt ist die, deren Spuren wir in den Schriften jüdischer Autoren wie Demetrius dem Geschichtsschreiber, Eupolemus und Josephus finden. Weitere Bezüge finden sich in 2Baruch (Baruch-Apokalypse) Abschnitt 62 mit dem Verweis auf den Fluch der Isebel sowie in der Erwähnung Salomos, Elijas, Elischas und Hiskias in den Hellenistischen Synagogalgebeten und im Testament des Salomo. Im Neuen Testament gibt es keine Zitate aus 4Kgt, im Gegensatz zu 3Kgt. Allerdings scheint der Ausdruck von 1,10 καταβήσεται πῦρ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καὶ καταφάγεταί in Lk 9,54 πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ καὶ ἀναλῶσαι nachzuhallen, ebenso in Offb 20,9 καὶ κατέβη πῦρ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καὶ κατέφαγεν. Die griechischen, lateinischen und syrischen Kirchenväter neigen dazu, sich auf bestimmte Teile des Buchs, die für eine wörtliche, typologische oder moralische Auslegung geeignet waren, zu konzentrieren. In 2Kön boten sich für eine typologische Interpretation vor allem die Episoden über Elischa, Jehu und Josia an. Der einzige umfassende griechische Kommentar ist derjenige von Theodoret von Kyrrhos, De Quaestionibus Ambiguis in Libros Regnorum et Paralipomenon, der vor alle jene Stellen berücksichtigt, die für den Leser undurchsichtig und problematisch waren. Theodoret bevorzugt, entsprechend der vorherrschenden Tendenz der Antiochenischen Schule, eine Auslegung des wörtlichen Sinnes des Textes. Die Katenen, die man Procopius von Gaza und Nikephoros Hieromonachos Theotokis zugeschrieben hat, bilden eine Sammlung von exegetischen Passagen vieler verschiedener Autoren. In Kommentaren 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

247

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

zu anderen Bibelbüchern oder in lehrhaften Werken oder in Predigten kann man verschiedene interessante Interpretationen entdecken: Typologische Auslegung bei Justin dem Märtyrer, der in seinem Dialog mit Tryphon bekräftigt, dass das Stück Holz, das Elischa in den Fluss wirft, das Kreuz symbolisiert, während das Wasser die Erlösung durch die Taufe schattenhaft vorzeichnet; allegorische Auslegung, besonders bei Origines und auch bei Methodius, für den der Feigenbaum und seine Früchte in 20,7-11 Symbole für den Heiligen Geist und dessen Liebe für die Menschheit sind; oder moralische Auslegung, wie bei Kyrill von Jerusalem, der in den Ereignissen um 25,1-11 ein Beispiel für das Leben neuer Christen entdeckt, nämlich in der Hinsicht, dass Gott sogar gegenüber Nebukadnezar gnädig war. 4 Die lateinischen Kirchenväter zeigen größeres Interesse an den Königebüchern als die griechischen, sicherlich aufgrund der Bedeutung der politischen Dikussionen um die Macht von Königen und Kaisern. Unter ihnen sind Tertullian, Cyprian, Novation, Ambrosius, Hieronymus, Prudentius, Augustin, Johannes Cassian, Gregor der Große, Beda Venerabilis, und im Frühmittelalter Rabanus Maurus und sein Schüler Walafrid Strabo zu erwähnen. Ein umfassender Kommentar, der Ephraim dem Syrer zugeschrieben wurde und ungefähr auf die Wende vom fünften zum sechsten Jahrhundert datiert wird, entwickelt ausgiebig die Figuren Elijas und Elischas. Der Kommentar von Ischodad von Merw Mitte des 9. Jh.s ist dem Kommentar des Theodoret von Kyrrhos sehr ähnlich, da auch dieser schwerpunktmäßig diejenigen Passagen behandelt, die besonders unverständlich oder grammatisch schwierig erscheinen. Entsprechend der vorherrschenden Tendenz der syrischen Auslegung bevorzugt er eine wörtliche Auslegung. Andere syrische Autoren, die die Königebücher erwähnen, sind Aphrahat, Sahdona und Isaak von Ninive.

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Seit der Entdeckung und Erforschung der biblischen Handschriften von Qumran ist die Septuagintaforschung offener geworden für die Einsicht, dass der Septuagintatext der Königebücher eine Textform vertritt, die nicht nur von der im MT überlieferten abweicht und kürzer ist, sondern die älter und ursprünglicher ist als der (proto-) masoretische Text. Das ergibt sich vor allem daraus, dass die Übereinstimmungen vor allem des antiochenischen Textes mit den Qumrantexten nicht als sekundäre Beeinflussungen beiseite geschoben werden können. Das hat auch die Einschätzung der Zitate bei Josephus sowie der Vetus Latina und anderer Tochterübersetzungen verändert. Dass der älteste Septuagintatext von 4Kgt kürzer war als MT, zeigen auch die hexaplarischen Ergänzungen, die in den Old Greek-Text jene Passagen einarbeiten, die – im Vergleich mit dem MT – im ursprünglichen Septuagintatext fehlten. Auch diese Kürze könnte auf ein höheres Alter hinweisen. Entsprechend diesen Erkenntnissen der Forschung wird die Göttinger Ausgabe proto-lukianischen Lesarten, die

4.

Conti, M. (Hg.), 1-2 Kings, 1-2 Chronicles, Ezra, Nehemiah, Esther, ACCS.OT 5, Downers Grove/IL 2008, z.St.

248

6. Perspektiven der Forschung

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

auf den Old Greek-Text oder jedenfalls auf eine Entwicklungsstufe vor dem kaige-Text zurückgehen, die angemessene Beachtung zukommen lassen müssen. (Dagegen hatte Rahlfs in seine Handausgabe keine lukianischen Lesarten aufgenommen, die er für unabhängig von der Mehrheitsüberlieferung hielt, und von denen er vermutete, dass sie einen anderen hebräischen Text als den masoretischen widerspiegelten.) 6.2 Bei der Untersuchung der Textgeschichte muss den Tochterübersetzungen der Septuaginta verstärkt Bedeutung beigemessen werden, da diese einen hohen kritischen Wert für die Rekonstruktion der Old Greek und ihrer Rezensionen besitzen. Außerdem sind sie von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung der Versionen selbst aus linguistischer und exegetischer Sicht wie auch bezüglich der von ihnen bezeugten religiösen Traditionen. Auch die armenische und syrische Übersetzung sowie die Vulgata und die abweichenden Lesarten mittelalterlicher hebräischer Handschriften müssen stärker berücksichtigt werden. Die Übereinstimmungen zwischen diesen Texten und mit protolukianischen Lesarten sind in 4Kgt proportional häufiger als im nicht-kaige-(γγ)-Abschnitt der Königebücher. 6.3 In Verbindung mit diesen Beobachtungen ist im Anschluss an D. Barthélemy und dessen Entdeckung der kaige-Rezension auch die Frage zu stellen, ob nicht nur der antiochenische Text der beste Zeuge für die ursprüngliche Septuaginta ist, sondern ob damit tatsächlich auch die Annahme einer lukianischen Rezension um 300 n. Chr. aufzugeben ist, weil sich die Differenzen zwischen Old Greek und kaige-Text aus den Bearbeitungsprinzipien der kaige-Rezension erklären lassen und darüber hinaus nur Textverderbnisse und kleinere Änderungen (z. B. die oben erwähnten scheinbaren Doppelübersetzungen durch Kombination der unterschiedlichen Überlieferungen) erkennbar sind, die nicht die Annahme einer weitreichenden Bearbeitung rechtfertigen. 5 [S. K.] 6.4 Eine Verbindung der Textkritik mit der Literarkritik kann zu einem besseren Verständnis der Entstehungsprozesse der Texte beitragen, insbesondere in Passagen, die Parallelen in den Chronikbüchern, Jesaja und Jeremia haben. In diesen Passagen geht es nicht nur um textgeschichtliche Entwicklungen, sondern zum Teil auch um bewusste literarische Gestaltung, so dass sich hier Textkritik und Literarkritik überschneiden. Durch einen solchen Vergleich lässt sich z. B. beobachten, wie Verweise auf Mose und Jeremia sowie auf die Tora als »Buch der Weisungen« in einer späten Stufe des literarischen Prozesses in den Text eingeführt wurden. Diese Verweise werfen Licht auf das zunehmende Bewusstsein für die Autorität des Buches. 6.5 Detaillierte Studien zum griechischen Vokabular, sowohl theologisch als auch bezüglich der Realien, fehlen bislang. Ebenso existiert noch keine gut fundierte Analyse der 5.

So Barthélemy, Les Devanciers, 126 f.: »La prétendue recension lucianique« und 127: Der antiochensiche Text »C’est essentiellement la Septante ancienne, plus ou moins abâtardie et corrompue«. Sie dazu in neuerer Zeit auch die Untersuchungen von S. Kreuzer, z. B. Kreuzer, Translation and Rezensions. Die Frage verbindet sich mit dem Problem, ob und inwiefern die erkennbaren späteren Änderungen punktuell sind oder auf eine durchgehende Bearbeitung zurückgehen und ab wann von einer Rezension zu sprechen ist. 6. Perspektiven der Forschung

249

2.4.3 Basileion IV / 4Königtümer / 2Könige

Interpretation der hebräischen Vorlage in der griechischen Übersetzung. Bislang wurden die meisten Untersuchungen unter der Annahme durchgeführt, dass das Griechische einen proto-masoretischen Text übersetzte und deutete, der in Wirklichkeit eine andere textliche und exegetische Tradition vertritt.

250

6. Perspektiven der Forschung

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik Adrian Schenker

1. Wichtige Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1930 — BML II/3,1932 — RaHa 1935/2006 — Vannutelli, P., Libri synoptici Veteris Testamenti s. librorum Regum et Chronicorum loci paralleli, Rom 1931 — Fernández Marcos, N. / Busto Saiz, J. R., El texto antioqueno de la Biblia griega III, 1-2 Crónicas, Madrid 1996 — Hanhart, R., Paralipomenon Liber II, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum VII,2, Göttingen 2014.

1.2 Qumran-Texte 4QChr = 4Q118 (DJD XVI). BQS 778 — HTTM 527-529. Die drei Abweichungen gegenüber MT sind in BHS nicht vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Jager, J. N., Vetus Testamentum Graecum cum Latina translatione, t. 1, Paris s.d. — Cowe, S. P., 1 and 2 Supplements, NETS, Oxford/New York 2007, 342-391 — Labahn, A., Paralipomenon I / 1 Chronik, LXX.D, Stuttgart 20102, 489-518 — Sänger, D., Paralipomenon II / 2 Chronik, LXX. D, Stuttgart 20102, 518-550 — Labahn, A. / Sänger, D., Paralipomenon I und II / Die Bücher der Chronik. Einleitung, LXX.D, Stuttgart 2011, 1038-1050 — Labahn, A., Paralipomenon I / Das erste Buch der Chronik, LXX.D, Stuttgart 2011, 1051-1104 — Sänger, D., Paralipomenon II / Das zweite Buch der Chronik, LXX.D, Stuttgart 2011, 1105-1164 — Cañas Reillo, J. M., 1-2 Paraleipómena, La Biblia griega Septuaginta, II Libros históricos, Salamanca 2011, 431-454.

1.4 Weitere Literatur Allen, L. C., The Greek Chronicles I. The Translator’s Craft, VT.S 25, Leiden 1974 — Allen, L. C., Textual Criticism, VT.S 27, Leiden 1974 — Barr, J., The Typology of Literalism in Ancient Biblical Translations, MSU 15, Göttingen 1979 — Barthélemy, D., Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélmy, D., CTAT – Biblia Sacra iuxta Latinam vulgatam versionem VII: Verba dierum, Rom 1948 — (Botte, B. /) Bogaert, P.-M., Septante et versions grecques, I-II Paralipomènes, DBS XII, 601-603 — Brunet, A., Paralipomènes (Livres des) ou des Chroniques, DBS VI, 1220-1261 — Carmignac, J., Les devanciers de S. Jérôme: Une traduction latine de la recension καιγε dans le second Livre des Chroniques, in: Keel, O. / Schenker, A. (Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy, OBO 38, Fribourg / Göttingen 1981, 31-50 — Gerleman, G., Studies in the Septuagint II. Chronicles, Lund 1946 — Goettsberger, J., Die Bücher der Chronik oder Paralipomenon, HSAT 4,1, Bonn 1939 — Grotius, H., Annotata ad Lib. II Paralipomenon, in: Critici sacri, t. II, Frankfurt a. M. 1695 — Hognesius, K., The Text of 2 Chronicles, 1-10. 1. Wichtige Literatur

251

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

A Textual Critical Edition with Textual Commentary, CB.OTS 51, Lund 2003 — Himbaza, I., Le roi Manassé (Essais bibl. 40), Genf 2006 — Howorth, H., Some Unconventional Views on the Bible, I-IV, PSBA 23, London 1901, 147-159 u. 305-330; 24, London 1902, 147-172 u. 332-340; 25, London 1903, 15-22 u. 90-98 — Jellicoe, S., The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 — Kalimi, I., Das Chronikbuch und seine Chronik. Zur Entstehung und Rezeption eines biblischen Buches, Fuldaer Studien 17, Freiburg i. Br. 2013, 11-131 — Klein, R. W., New Evidence for an Old Recension of Reigns, HThR 60 (1967), 93-105 — Japhet, S., I-II Chronicles, OTL, London 1993 — Japhet, S., 1 Chronik, HThK.AT, Freiburg i. Br. 2002 — Labahn, A., Gab es unterschiedliche Übersetzer der Paralipomena? ASR 1 (2008), 45-76 — Léonas, A., Recherches sur la langue de la Septante, OBO 211, Fribourg / Göttingen 2005 — Léonas, A., L’aube des traducteurs. De l’hébreu au grec: traducteurs et lecteurs de la Bible des Septante (IIIe s. av. J.-Chr.– IVe s. apr. J.-Chr.), Paris 2007 — Marquis, G., Word Order as a Criterion for the Evaluation of Translation Technique in the LXX and the Evaluation of Word-Order Variants as Exemplified in LXX-Ezechiel, Textus 13 (1986), 59-84 — Meynadier, B., Eléments de lexicographie comparée des Règnes et des Paralipomènes, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 37-51 — Movers, F. C., Kritische Untersuchungen über die biblische Chronik, Bonn 1834, 91-94 — Nestle, E., Zum Gebet Manasses, Septuaginta-Studien III, Stuttgart 1899, 3-22 u. 28-35 — Nestle, E., Zum Gebet Manasses, Septuaginta-Studien IV, Stuttgart 1903, 5-9 u. 23 — Passoni dell’Acqua, A., La prière de Manassé. Une fantaisie linguistique pour chanter la miséricorde de Dieu, in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, LeDiv 203, Paris 2005, 221-228 — Rahlfs, A., Studien zu den Königsbüchern, SeptSt 1, Göttingen 1904 — Rahlfs, A., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, MSU 2, Berlin 1914 — Rahlfs, A. / Fraenkel, D., Verzeichnis der griechischen Handschriften des Alten Testaments, Bd. 1: Die Überlieferung bis zum VIII. Jahrhundert, Göttingen 2004 — Rahlfs, A., Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, MSU 3,2, Berlin 1922 — Rahlfs, A., Das Buch Ruth griechisch, Stuttgart 1922 — Rehm, M., Textkritische Untersuchungen zu den Parallelstellen der Samuel-Königsbücher und der Chronik, ATA 13,3, Münster 1937 — Richard, J., 2 Par 34,29-33: L’Alliance du roi Josias: nature et protagonistes, ASR 1 (2008), 77-99 — Rudolph, W., Chronikbücher, HAT 21, Tübingen 1955 — Schenker, A., Die Verheissung Natans in 2 Sam 7 in der Septuaginta, in: M. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 177-192 — Schenker, A., Est-ce que le livre de Jérémie fut publié dans une édition refondue au 2e siècle? La multiplicité textuelle peut-elle coexister avec l’édition unique d’un livre biblique?, in: I. Himbaza / A. Schenker (Hg.), Un carrefour dans l’histoire de la Bible, OBO 233, Fribourg / Göttingen 2007, 58-74 — Schenker, A., Der Ursprung des massoretischen Textes im Licht der literarischen Varianten im Bibeltext, Textus 23 (2007), 51-67 — Schenker, A., Hebraica veritas bei den Siebzig? Die Septuaginta als älteste greifbare Ausgabe der hebräischen Bibel (erörtert am Beispiel von 2 Chr 1,13), in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 426-438 — Schenker, A., Le psautier – livre de la prière chrétienne, in: M. Klöckener / B. Bürki / A. Join-Lambert (Hg.), Présence et rôle de la Bible en Liturgie, Fribourg 2006, 125-136 — Schenker, A., Pourquoi donc tenir compte de la Bible grecque? Les deux formes de la dissimulation du roi d’Israël dans 1 Rois 22 et 2 Chroniques 18, in: O. Artus / J. Ferry (Hg.), L’identité dans l’Ecriture (FS J. Briend), LeDiv 228, Paris 2009, 297-309 — Schenker, A., Salomon, Gibeon und Jerusalem, in: ders., Anfänge der Textgeschichte des Alten Testaments, BWANT 194, Stuttgart 2012, 75-97 — Schwemer, A., Eupolemos, New Pauly 5, 2004, 192 — Shenkel, J. D., A Comparative Study of the Synoptic Parallels in I Paralipomena and I-II Reigns, HThR 12 (1969), 63-85 — Thackeray, H. St. J., The Greek Translators of the Four Books of Kings, JThS 8 (1906-1907), 262-278 — Torrey, C. C., The Greek Versions of Chronicles, Ezra and Nehemia, PSBA 25, London 1903, 139-140 — Torrey, C. C., The apparatus for the Textual Criticism of Chronicles, Ezra, Nehemia, in: Old Testament and Semitic Studies in Memory of W. R. Harper, Chicago 1908, 55-111 — Tov, E., Approaches towards Scrip-

252

1. Wichtige Literatur

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

ture Embraced by the Ancient Greek Translators, in: U. Mittmann-Richert u. a. (Hg.), Der Mensch vor Gott (FS H. Lichtenberger), Neukirchen-Vluyn 2003, 213-228 = Tov, E., Hebrew Bible, Greek Bible, and Qumran. Collected Essays, FAT 121, Tübingen 2008, 325-338 — Vahrenhorst, M., Mehr als ein Wörterbuch, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 52-63 — Walter, N., Eupolemos, JSHRZ 1,2, Gütersloh 1976, 93-108 — Weber, R., Les versions latines du deuxième livre des Paralipomènes, CBLa 8, Rom 1945 — Weber, R. / Gryson, R., Biblia Sacra, Stuttgart 20075, 546-637 — Zipor, M., The Greek Chronicles, Bib 61 (1980), 561571.

2. Textüberlieferung und Editionen 2.1 Namen, Bucheinteilung Der Name Paralipomena (das in den Büchern Samuel und Könige Ausgelassene, Übergangene) oder Paralipomenon (Genitiv Plural: Bücher der Paralipomena) ist schon bei Melito von Sardes (2. Hälfte 2. Jh.) und Origenes (185–253) belegt. 1 Swete nimmt zu recht für den Titel alexandrinischen, vorchristlichen Ursprung an. 2 Der Name ist auch in der lateinischen Bibel (Vetus Latina, Vulgata) 3 neben dem aus dem Hebräischen übersetzten Titel Verba dierum übernommen worden. Die Einteilung in zwei Bücher wird von Anfang an immer erwähnt, wobei Origenes jedoch die Einheit des hebräischen Werkes speziell hervorhebt. 4 Die Teilung der hebr. Chronik in zwei Bücher geschah unter dem Einfluss der LXX am Anfang der neuzeitlichen Bibeldrucke.

2.2 Kritische Textausgabe Hieronymus beklagte schon die zahllosen Verderbnisse des griech. Textes, besonders in den vielen Eigennamen, welche der Chronist zitiert. 5 Die besten Textzeugen für die Paralipomena sind die Unzialen B und S und die Minuskel 127 (Moskau, Synodalbibliothek, Gr 31, 10. Jh.) 6, die dem ursprünglichen Text am nächsten kommen. 7 Eine moderne vollständige kritische Textausgabe ist bis jetzt in der Göttinger LXX nur für 2Par erschienen. 1.

2. 3.

4. 5. 6. 7.

Swete, Introduction, 203; seine Quelle: Eusebius, Kirchengeschichte 4, 26, 14 (Ausgabe Bardy I, 211); 6, 25, 2 (Ausgabe Bardy II, 126). Zu verschiedenen Deutungen des Namens: Brunet, Paralipomènes, 1222; Bogaert, I-II Paralipomènes, 601. Swete, Introduction, 215. Titel des Prologs: Prol. S. Hieronymi in Libro Paralipomenon; Titel des Buches: Liber Dabreiamin id est Verba dierum qui graece dicitur Paralipomenon: Biblia Sacra iuxta Latinam vulgatam versionem, 3 u. 27; Weber-Gryson, Biblia Sacra, 546. Eusebius, Kirchengeschichte, 6, 25, 2 (Ausgabe Bardy II, 126). Hieronymus, Prologus in libro Paralipomenon, Biblia Sacra VII, 6-7; Weber / Gryson, Biblia, 547. Rahlfs, Verzeichnis, 144. Bei Brooke-McLean ist die Sigel der Hs c2. Bogaert, I-II Paralipomènes, 602; Rehm, Untersuchungen, 13; Goettsberger, Chronik, 19; Barthélemy, Devanciers, 42 u. 62. 2. Textüberlieferung und Editionen

253

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

2.3 Textgeschichte B S 127 stellen zwar nach allgemeiner Auffassung die älteste Gestalt des Textes dar, sind aber auch nicht frei von Fehlern, Überarbeitungen und Veränderungen. 8 Drei Rezensionen des Textes lassen sich unterscheiden: die hexaplarische Edition (A N und Minuskeln sowie die armenische Übersetzung), die antiochenische oder lukianische Bearbeitung (die Minuskeln 19 108 93 121 9 sowie eine dritte Rezension, welche die charakteristischen Züge der beiden von Rahlfs im Buche Ruth identifizierten Rezensionen, nämlich der Catenen- und der R-Rezension, aufweist. 10 Ihre Zeugen sind in den Paralipomena Minuskelhandschriften. 11 Die drei Bearbeitungen sind an ihren typischen Merkmalen erkenntlich und revidieren den Text von B S 127. 12 In der lateinischen Vulgata-Handschrift der sog. ersten Bibel von Alcalá, dem cod. Latinus Complutensis 1 ist 2Par nicht der Vulgata des Hieronymus entnommen, sondern entspricht der VL. 13 2Par entspricht hier ebenfalls einer rezensierten griechischen Vorlage. 14

2.4 Hebräische Vorlage, ihr textkritischer Wert für die hebräische Bibel Der älteste griechische Text unterscheidet sich an zahlreichen Stellen von MT. Die Unterschiede können textlichen oder literarischen Ursprungs sein. Textlich sind sie, wenn sie Fehlern der Schreiber in der hebr. Vorlage der Paralipomena oder der griechischen Übersetzer und Kopisten entspringen. Literarische Unterschiede sind das Ergebnis von redaktionellen Eingriffen im hebr. Vorläufertext des MT (prämasoretischer Text) oder in der hebr. Vorlage der Septuaginta. 15 Solche literarischen Veränderungen sollten nicht als das Werk von Schreibern, sondern als die Initiative der autorisierten Buchherausgeber oder Editoren angesehen werden. 16 Der Text der Paralipomena weist sowohl textliche Varianten (Fehler, Verderbnisse auf den beiden Ebenen der hebr. Vorlage und jener des griechischen Wortlauts) als auch solche literarische Lesarten auf, die ursprünglicher sind als die entsprechenden Lemmata des MT. 17 Auf die literarischen Unterschiede, die eine andere hebr. Vorlage für die Septuaginta voraussetzen, haben Movers, 18 Allen 19 und entschiedener noch Zipor 20 aufmerksam 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Bogaert, I-II Paralipomènes, 602; Goettsberger, Chronik, 19. Fernández Marcos / Busto Saiz, 1-2 Crónicas, LXII. Rahlfs, Text des Buches Ruth, 103-119; Rahlfs, Ruth griechisch, 14, 17-20. Bogaert, I-II Paralipomènes, 602. Es sind für die Catenen-Rezension: 74 144 236 346 243 und für die Rezension »R«: 107 106 120 134 554. Allen, Chronicles, I, 142-172. Weber, Versions. Weber ediert hier diesen complutensischen Text der VL, der für 2Par vollständig ist. (In der complutensischen Polyglotte hingegen ist 2Par aus der Vulg übernommen.) Weber, Versions, XLVIII, und in anderer Weise Carmignac, Devanciers; Rudolph, Chronikbücher, VI. Schenker, Ursprung. Schenker, Livre de Jérémie. Japhet, Chronicles, 30; Japhet, 1 Chronik, 56-57; Rudolph, Chronikbücher, VI. Movers, Biblische Chronik, 93. Allen, Chronicles II, 81-168. Zipor, Chronicles.

254

2. Textüberlieferung und Editionen

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

gemacht. Die Forschung beginnt erst, diese Kategorie von Differenzen wahrzunehmen, die für die älteste Textgeschichte besonders wichtig sind, weil sie zur Identifizierung von zwei hebräische Rezensionen (oder Editionen) führen können, von denen die eine im MT bewahrt ist, während die andere der hebräische Vorlage der Paralipomena entspricht. Die Textgeschichte und Textkritik muss dann das Verhältnis dieser beiden hebräischen Rezensionen bestimmen. Diese Aufgabe erheischt die Einzeluntersuchung der Lesarten, wo MT und hebr. Vorlage der Paralipomena nicht wegen Textverderbnissen auf der Ebene des hebräischen oder des griechischen Textes, sondern wegen literarischer Veränderungen des hebräischen Textes auseinandergehen. Solche Unterschiede sind sehr zahlreich! Sie betreffen meistens quantitativ kleine Einzelheiten des Textes, die aber für das literarische Profil folgenreich sein können. Untersuchungen solcher literarischer Differenzen sind unentbehrlich, um das Verhältnis zwischen dem MT und der hebr. Vorlage der Paralipomena zu bestimmen. Derartige Einzeluntersuchungen gibt es zu bestimmten Stellen in den Paralipomena: zur Natanverheissung in 1Chr 17,10, 21 zu den Sängern als Propheten, 1Chr 25, 22 zum Ort des Traumgesichtes Salomos mit der Theophanie in 2Chr 1,13, 23 zur Schlacht von Ramot in Gilead, 2Chr 18, 24 zum Bund des Königs Joschija in 2Chr 34,29-33. 25 Da in allen diesen Beispielen die literarische Fassung der Paralipomena ursprünglicher zu sein scheint als jene des MT, entsteht die begründete Vermutung, dass die hebr. Vorlage der Paralipomena eine ältere Textgestalt darstellt, die später in einer Rezension bearbeitet wurde, welche in den MT eingegangen und jetzt in ihm erhalten ist. Daher entspricht der Text der Paralipomena möglicherweise an vielen Stellen der literarisch ursprünglicheren Fassung der Chronikbücher, wie das in andern Büchern und Teilen der hebräischen Bibel der Fall ist. Das bekannteste und von vielen Forschern anerkannte Beispiel ist das Buch Jeremia. Die Paralipomena erlangen dadurch Bedeutung für die hebr. Textgeschichte und Textkritik der Chronikbücher. 26

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungsstil Die Übersetzung der Paralipomena kann und muss unter semantischer und unter syntaktischer Hinsicht beurteilt werden. Die Untersuchung der semantischen Seite zeigt Eigentümlichkeiten der griechischen Wiedergabe von hebräischen Wörtern (Lexemen). Man darf jedoch nie die mögliche Beeinflussung des Textes der Paralipomena durch die Parallelstellen der grie21. 22. 23. 24. 25. 26.

Schenker, Verheissung Natans. Schenker, Psautier, 127-129. Schenker, Hebraica veritas bei den Siebzig; Schenker, Salomo, Gibeon und Jerusalem. Schenker, Deux formes. Richard, L’alliance du roi Josias. Es ist daher unverständlich, dass die Textgeschichte von 1–2Chr ohne ausdrückliche Untersuchung des Verhältnisses der hebr. Vorlage der Paralipomena zum MT von 1–2Chronik gezeichnet wird wie z. B. bei Hognesius, Text of 2 Chronicles. Die wenigsten Kommentare der Chronikbücher sind sich dieser textgeschichtlichen Sachlage bewusst. Sie wird selten erwähnt. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

255

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

chischen Samuel- und Königsbücher (1–4Kgt) aus den Augen verlieren. Die Partien der Paralipomena ohne Seitenstücke in 1–4Kgt eignen sich daher am besten für die Untersuchung des spezifischen griechischen Vokabulars der Paralipomena. 27 Der Einfluss der griechischen Übertragung des Pentateuch ist in den Paralipomena greifbar, aber nicht im Sinn eines Glossars von hebr. Ausdrücken mit gleichen griechischen Wiedergaben, sondern als Modell oder Inspiration für die eigenständige literarische Gestaltung der griechischen Übertragung. 28 Nach dem Vorgang von Thackeray hat Gerlemann auf die ägyptische Herkunft bestimmter griechischer Wendungen hingewiesen. 29 In syntaktischer Hinsicht gehört die Übersetzung der Chronikbücher zu jener großen Gruppe von Übertragungen der sog. geschichtlichen und prophetischen Bücher sowie von 2Esdr, Ruth, Hld, Klgl, welche die hebr. Wortfolge im Griechischen genau reproduzieren. 30 Ebenso werden die hebr. Verbalformen und Partizipien nach genauen Regeln wiedergegeben. Diese Eigentümlichkeit der Übersetzung erklärt sich aus der Auffassung von Sprache, heiliger Schrift und Übersetzung in der hellenistischen und jüdischen Welt des 3. und 2. Jh. v. Chr. 31 Dieser Aspekt der Übersetzung ist viel strenger durchgeführt als die semantische Gleichmäßigkeit von griechischen Äquivalenten für hebr. Ausdrücke, wo die Variationsbreite bedeutend grösser ist. Daher ist es v. a. diese linguistische Methodik der Übersetzer, welche es erlaubt, eine abweichende hebr. Vorlage für die griechische Übersetzung zu diagnostizieren. In diesem Sinne ist die Übersetzungsweise der Paralipomena nicht »frei«. 32

3.2 Einheit der Übersetzung von 1–2Chr Die Übersetzung der Paralipomena ist einheitlich. Hinweise, die für mehrere Übersetzer sprechen sollen, und die in der Forschung vorgebracht wurden, beruhen auf dem semantischen Argument von wechselnden Übertragungen bestimmter Ausdrücke. 33 Gerade diese genügen aber nicht, um mehrere Übersetzer wahrscheinlich zu machen, weil die Übersetzung von 1–2Chr hier zu variieren liebt. 34 Wie überall in der LXX mit Ausnahme von Jesus Sirach ist die Identität des Übersetzers unbekannt. Man vermutet manchmal in einer generellen Annahme, es seien in den verschiedenen Büchern jeweils mehrere Übersetzer gleichzeitig am Werk gewesen. 35 Für 1–2Chr gibt es keine Anzeichen dafür. Wechselnde Wiedergaben von gleichen hebräischen Termini genügen nicht als Beweis für verschiedene Übersetzer. Die Konstanz der Übersetzung unter syntaktischer und linguistischer Hinsicht (Wort27. 28. 29. 30. 31. 32.

Meynadier, Eléments. Gerleman, Studies, 22-29; Meynadier, Eléments; Vahrenhorst, Wörterbuch. Gerleman, Studies, 14-21; Thackeray, Greek Translators, 276-277. Marquis, Word Order. Léonas, Recherches; Léonas, L’aube. Barr, Typology, geht erstaunlicherweise nicht auf die Abbildungen der hebräischen Wortfolge in der griechischen Übertragung ein. 33. Labahn, Unterschiedliche Übersetzer (die Untersuchung geschieht auf einer zu schmalen Basis: 1Chr 26,29-32; 28,14-17: insgesamt nur 8 Verse! Ferner ist sie nur unter Hinsicht der semantischen hebr.-griech. Äquivalente durchgeführt). 34. Gerleman, Studies, 22-29; Meynadier, Eléments; Vahrenhorst, Wörterbuch. 35. Tov, Approaches, 327-328.

256

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

folge, Verbalformen, Tempora, Partizipien, Relativsätze und dgl. mehr) in 1–2Chr deutet eher auf einen einzigen Übersetzer hin. Die Übertragung von 1–2Chr kann daher bis auf weiteres einem einzigen Übersetzer zugeschrieben werden. Für 2Chr 35–36 gibt es jedoch eine zweite Übersetzung in 1Esdr 1–2,5. Diese Übertragung entspricht in ihrem Stil der Übertragung von 1Esdr. Es wurde daher vermutet, dies sei der übriggebliebene Rest einer alten verlorengegangenen Übersetzung von 1–2Chr, die durch eine zweite, im Gefolge von LXX-Rezensionen wie z. B. jener Theodotions, neu geschaffene Übertragung ersetzt worden wäre. 36 Diese Hypothese hat sich nicht bewährt. 37 Ferner stehen in 2Par 35 und 36 Überschüsse, die in MT fehlen. Die Differenz wird entweder als Übernahme der Stücke durch den Übersetzer von 1–2Chr aus 1–2Kön erklärt, 38 oder aber als eine gegenseitige Assimilierung von 1–2Chr und 1–2Kön im Laufe der Textüberlieferung. 39 In einigen gedruckten Ausgaben der LXX steht am Ende der Paralipomena das apokryphe Gebet Manasses wegen 2Chr 33,18. 40

3.3 Ort und Zeit Thackeray, Gerleman und andere haben die zahlreichen sprachlichen Berührungen zwischen den griechischen Chronikbüchern und dem Griechischen des ptolemäischen Ägypten hervorgehoben. 41 Diese machen es nach allgemeiner Ansicht wahrscheinlich, dass 1–2Chr in Ägypten übertragen wurde. Gerleman hat neu auf eine Stelle beim jüdischen Historiker Eupolemos 42 aufmerksam gemacht, welche die griech. Übersetzung von 2Chr 4,13 voraussetzt, dergemäß Schellen oder Glöckchen, κώδωνες, an einem Netz über den Säulen im Tempel hingen. 43 Das ist die einzige Stelle in der Bibel, wo solche Schellen in der Tempelarchitektur vorkommen. Eupolemos’ Schrift kann auf das Jahr 158 v. Chr. datiert werden 44. Gerleman folgt in dieser Argumentation Jakob Freudenthal, Hellenistische Studien, Breslau 1875. 45 Die Übertragung stammt demnach aus der 1. Hälfte des 2. oder aus 36. Howorth, Chronicles; Torrey, Chronicles, Ezra and Nehemia; Torrey, Apparatus; Jellicoe, 290294. Der erste Vertreter dieser Hypothese scheint Hugo Grotius gewesen zu sein, der zu 2Chr 35,6 bemerkt, dass 1–2Par der Übertragung Theodotions entspreche, Critici sacri II, 278. 37. Gerleman, Studies, 3-13; Rudolph, Chronikbücher, VI; Japhet, I & II Chronicles, 30; Japhet, 1 Chronik, 57. Jellicoe hingegen hält diese Hypothese für wohlbegründet. 38. Rehm, Parallelstellen, 48-52; Shenkel, Synoptic Parallels; Klein, New Evidence. 39. Gerleman, Studies, 30-43, aber Gerleman behandelt die Assimilationen in 1-2Paralipomena nicht nur hier, sondern generell; Allen, Chronicles I, 175-184 u. 214-216; Übersicht in Bogaert, I-II Paralipomènes, 603. 40. Nestle, Gebet Manasses; Himbaza, Le roi Manassé; Passoni dell’Acqua, Prière de Manassé. 41. Siehe Anm. 29; HDM, 101-106; Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 431. 42. Schwemer, Eupolemos. 43. Gerleman, Studies, 11-12. Die Stelle bei Eupolemos ist aus Eusebius, Praeparatio evangelica 9,34,11 (Ausgabe Des Places, 320-321), bekannt. 44. Walter, Eupolemos, 95. 45. S. 119-120 u. 185 (mir unzugänglich); Meynadier, Eléments, 45. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

257

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

dem 3. vorchristlichen Jahrhundert, denn es gibt kein triftiges Argument dafür, dass nur das 2. Jh. für die Übersetzung der Chronik in Frage kommen kann. 46

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die griechische Übersetzung folgt dem hebräischen Text in größter Treue. Sie bildet ihre hebräische Vorlage im Griechischen ab. Daher ist ihr inhaltliches und theologisches Profil auf weiteste Strecken dasselbe wie jenes der hebräischen Chronikbücher. Das spezifische Profil der Paralipomena im Gegensatz zu der hebräischen Chronik tritt in den literarischen Differenzen zwischen der hebräischen Vorlage des Übersetzers der Paralipomena und dem proto-masoretischen/ masoretischen Text von 1–2Chr zutage. Da sich der griechische Übersetzer aber nicht von seiner Vorlage entfernen will (das folgt aus seinem extrem literalistischen Übersetzungsstil, der syntaktische Deckungsgleichheit zwischen hebräischem Ausgangs- und griechischem Zieltext anstrebt), sind die literarischen Unterschiede nicht das Werk dieses griechischen Übersetzers. Sie spiegeln vielmehr die Unterschiede zwischen zwei hebräischen Fassungen wider, nämlich jener des proto-masoretischen/masoretischen Textes und jener der hebräischen Vorlage der griechischen Wiedergabe. Die Eigenart dieser Vorlage wird ihre Konturen jedoch erst gewinnen, wenn alle literarischen Unterschiede der beiden Fassungen untersucht und in ihrem gegenseitigen zeitlichen Verhältnis bestimmt sind. Denn erst der Vergleich der Fassungen und die Prüfung ihres Verhältnisses zueinander (will eine Fassung die andere korrigieren, oder sind sie unabhängig voneinander entstanden?) erlaubt es, die für jede der beiden spezifischen Merkmale herauszuarbeiten. Auf diesem Gebiet ist noch fast alles zu tun. Bisher hat sich die Textkritik praktisch seit Hieronymus den zahlreichen Textverderbnissen in den Paralipomena zugewandt. 47 Das ist eine ganz notwendige textkritische Aufgabe, weil insbesondere die zahlreichen Eigennamen zu Verderbnissen des Textes geführt haben. An ihrer Behebung war Hieronymus verzweifelt. 48 Doch gibt es Variationen, welchen keine Textverderbnisse zugrundeliegen, sondern absichtliche Bearbeitungen im Dienste einer neuen literarischen Gestalt der Chronik-Bücher. Schon Movers hat 1834 festgestellt, dass die Paralipomena ältere und daher vielleicht ursprünglichere Textformen enthalten als 1–2Chronik im MT. 49 Ein herausragendes Beispiel eines literarischen Unterschiedes ist Gestalt und Schicksal von König Manasse. 50 Diese Differenzen sind indessen wie gesagt Unterschiede zwischen zwei hebräischen Fassungen. Sie sind nicht das Werk des griechischen Übersetzers von 1–2Chr. Dieser wollte kein eigenes inhaltliches und theologisches Profil schaffen, sondern dasjenige seiner hebräischen Vorlage in griechischem Gewand reproduzieren. Es sind die semantischen Entscheide, welche griechischen Ausdrücke er für hebräische Wörter und Wendungen wählt, die in einem gewissen beschränkten Ausmaß seinen Horizont 46. 47. 48. 49. 50.

Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 431. Repräsentativ dafür ist Allen, The Greek Chronicles. Verba dierum, Prologus S. Hieronymi, 3-7. Movers, Biblische Chronik, 93. Himbaza, Le roi Manassé.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

2.5 Paraleipomenon I und II / Das erste und zweite Buch der Chronik

enthüllen. Seine Übertragung ist von besonderer Qualität des Griechischen gekennzeichnet 51. Sein griechischer Stil ist gut und sein Wortschatz reich. Er schöpft aus dem griechischen Pentateuch mehr als es 1–4Kgt tun. Das offenbart einen Verfasser, dem gleichzeitig größte Nähe zum hebräischen Original und eine schöne griechische Sprache wichtig sind, und der den Bezug zur Pentateuch-Übersetzung herstellt. Damit unterstreicht er die Zusammengehörigkeit von Tora und 1–2Chronik: Sie sollen eine gemeinsame literarische und theologische Welt bilden, deren hebräischer Charakter deutlich werden muss (wie die zahlreichen Transkriptionen hebräischer Wörter zeigen) 52 und dennoch auf die griechischsprachige Leserschaft anziehend wirken soll. Darin zeigt sich das doppelte Bestreben des Übersetzers, die besondere, für Griechen fremde Welt der hebräischen Bibel zur vollen Geltung zu bringen und sie ihnen dennoch mit Hilfe einer subtil verwendeten griechischen Sprache zu vermitteln, zwischen schönem Griechisch und hebraisierendem Sprachkolorit hin- und hergehend.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Paralipomena wurden wie die Chronik in der ganzen Rezeptionsgeschichte mit 1–2Sam und 1–2Kön zusammen gelesen. Diese synoptische Verwendung der Chronikbücher ist nicht spezifisch für die Paralipomena, sondern wurde in der hebr. wie in der griech. Form des Werkes gleichermaßen geübt. Einige der Chr eigene Stellen haben eine besondere Wirkungsgeschichte entfaltet, wie König Manasses Reue und die Ermordung des Priesters Sacharja, 2Par 24,20-22 und Mt 23,35. 53 Diese Rezeption lief hauptsächlich über die griechischen und dann über die altlateinischen Paralipomena.

6. Perspektiven der Forschung Die wichtigsten Perspektiven der Forschung sind 1) die Erstellung einer kritischen Gesamtausgabe im Sinn der Göttinger Septuaginta, sowie in Verbindung damit und als wichtige Voraussetzung 2) die oben dargelegte weitere Erforschung des Verhältnisses des Chroniktextes zum Text in Samuel–Könige bzw. 1–4Kgt und 3) die Differenzierung zwischen textkritischen und literarischen Varianten.

51. Movers, Biblische Chronik, 93; Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 436. In Movers’, eines Kenners der Materie, eigenen Worten: »die sorgfältig und mit vielem Geschick bearbeitete, streng wörtliche Übersetzung der Chr in den LXX (ist) eine der besten Arbeiten dieser Übersetzer, und bei weitem die von einem andern Verf. herrührende der Bücher Sam. und der Kön. übertreffend«, 93. 52. Cañas Reillo, 1-2 Paraleipómena, 435. 53. Kalimi, Chronikbuch, 55-76 und 97-100. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

259

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra Dieter Böhler

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 19073 — BML II/4, 1935 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R. (Hg.), Esdrae Liber I, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum VIII/1, Göttingen 19912.

1.2 Qumran-Texte Die aramäischen Fragmente 4Q550 wurden gelegentlich mit 1Esdras in Verbindung gebracht, sind aber ein selbständiger Text (4QTales of the Persian court).

1.3 Übersetzungen und Kommentare Pohlmann, K.-F., 3. Esra-Buch, JSHRZ I 5, Gütersloh 1980 — Wooden, R. G., 1Esdras, NETS, Oxford / New York 2007, 392-404 — Böhler, D., I. Esdras, LXX.D, Stuttgart 20102, 551-566 — Böhler, D., 1Esdras / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra, LXX.E, Stuttgart 2011, 11651197 — Bird, M., 1Esdras, SCS, Leiden 2012 — Böhler, D., 1Esdras, IEKAT, Stuttgart 2015.

1.4 Weitere Literatur Baars, W. / Lebram, J. C. H., I (III) Ezrae, OTSy IV/6, The Peshitta Institute Leiden, Leiden 1972 — Bayer, E., Das dritte Buch Esdras und sein Verhältnis zu den Büchern Esra-Nehemia, BSt (F) 16/1, Freiburg i. Br. 1911 — Böhler, D., Die heilige Stadt in Esdras A und Esra-Nehemia, OBO 158, Fribourg / Göttingen 1997 — Böhler, D., On the Relationship between Textual and Literary Criticism. The Two Recensions of the Book of Ezra: Ezr-Neh (MT) and 1Esdras (LXX), in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible. The relationship between the Masoretic text and the Hebrew base of the Septuagint reconsidered, SCSt 52, Atlanta/GA 2003, 35-50 — Böhler, D., »Treu und schön« oder nur »treu«? Sprachästhetik in den Esrabüchern, in: ders. / H.-J. Fabry (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 174, Tübingen 2007, 97-105 — Böhler, D., Literarischer Machtkampf. Drei Ausgaben des Esrabuches im Streit um das wahre Israel und die Legitimation von Herrschaft, in: U. Dahmen / J. Schnocks (Hg.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit (FS H.-J. Fabry), BBB 159, Göttingen 2010, 125-145 — Böhler, D., Übersetzungstechnik und Textkritik in den Esdrasbüchern: Hendiadyoin, Doppelübersetzungen und Wiederholungsvariationen in 1 Esdr, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 97-125 — Cross, F. M., A Reconstruction of the Judean Restoration, JBL 94 (1975), 4-18 — Denter, T., Die Stellung der Bücher Esdras im Kanon des Alten Testamentes, Marienstatt 1962 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des 1. Esrabuches, MSU 12, Göttingen 1974 — Hanhart, R., Ein unbekannter Text zur griechischen

260

1. Literatur

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra

Esra-Überlieferung, MSU 22, Göttingen 1995 — Hilhorst, A., The Speech on Truth in 1 Esdras 4,34-41, in: F. García Martínez / A. Hilhorst / C. J. Labuschange (Hg.), The Scriptures and the Scrolls (FS A. S. van der Woude), VT.S 49, Leiden 1992, 135-151 — Jahn, G., Die Bücher Esra (A und B) und Nehemja textkritisch und historisch untersucht, Leiden 1909 — Kaiser, O., Die alttestamentlichen Apokryphen, Gütersloh 2000 — Klein, R. W., Studies in the Greek Texts of the Chronicler, unveröffentlichte Diss., Harvard Univ., Cambridge/MA 1966 — Mittmann-Richert, U., 3. Esra-Buch, in: dies., Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ VI/1, Gütersloh 2000, 4-19 — Mittmann-Richert, U., Theologie als Schüssel zur Historie. Neue Wege zur Datierung frühjüdischer Schriften, in: H. Lichtenberger / G. S. Oegema (Hg.), Jüdische Schriften in ihrem antikjüdischen und urchristlichen Kontext, Studien zu den jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit 1, Gütersloh 2002, 75-101 — Mowinckel, S., Studien zu dem Buche Ezra-Nehemia I-III, SNVAO.HF 3/5/7, Oslo 1964/65 — Myers, J. M., I & II Esdras, AB 42, New York 1974 [Achtung: II Esdr ist hier die Apokalypse 4Esdr!] — Pohlmann, K.-F., Studien zum dritten Esra, FRLANT 104, Göttingen 1970 — Rudolph,W., Esra und Nehemia samt 3. Esra, HAT I 20, Tübingen 1949 — Sabatier, P. (Hg.), Bibliorum Sacrorum Latinae Versiones Antiquae seu Vetus Italica, Bd. III, Paris 1751, 1041-1067 (= LaC) — Schenker, A., La relation d’Esdras A’ au texte massorétique d’Esdras-Néhémie, in: P. J. Norton / S. Pisano (Hg.), Tradition of the Text (FS D. Barthélemy), OBO 109, Fribourg / Göttingen 1991, 218-249 — Talshir, Z. / Talshir, D., The Story of the Three Youths (1 Esdras 3-4), Textus 18 (1995), 135-155 — Talshir, Z., The Milieu of IEsdras in the Light of its Vocabulary in: De Septuaginta, Studies in Honour of J. W. Wevers, Mississauga 1984, 129-147 — Talshir, Z., 1 Esdras. From Origin to Translation, SCSt 47, Atlanta/GA 1999 — Talshir, Z., 1 Esdras. A Text Critical Commentary, SCSt 50, Atlanta/GA 2001 — Torrey, C. C., Ezra Studies, Chicago 1910, repr. New York 1970 — van der Kooij, A., Zur Frage des Anfangs des 1. Esrabuches, ZAW 103 (1991), 239-252 — van der Kooij, A., On the Ending of the Book of 1 Esdras, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 37-49 — Walde, B., Die Esdrasbücher der Septuaginta, ihr gegenseitiges Verhältnis untersucht, BSt (F) 18/4, Freiburg i. Br. 1913 — Weber, R., Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 19833, 1910-1930 — Williamson, H. G. M., The Problem with First Esdras, in: J. Barton / D. J. Reimer (Hg.), After the Exile (FS R. Mason), Macon/GA 1996, 201-216.

2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 1Esdr findet sich in den großen Unzialen Codex Vaticanus (4. Jh., Rom), Alexandrinus (5. Jh., London), Venetus (8. Jh., Rom). Im Sinaiticus ist 1Esdr nicht erhalten (auch 2Esdr nur ab 9,9), aber wohl doch Teil gewesen, da 2Esdr Ἔσδρας β’ heißt, woraus folgt, dass dem Ἔσδρας α’ vorausging. Die Unzialen bezeugen »einen alten, von rezensionellen Überarbeitungen verhältnismäßig noch wenig berührten Text« (Hanhart, Textgeschichte, 18). Origenes hat nur 2Esdr, nicht 1Esdr bearbeitet. Die Minuskeln überliefern den Text in drei Rezensionen bzw. Textformen: der »lukianischen«, deren Text dem MT nahe steht, und den beiden Rezensionen »a« und »b«, die jeweils in eigener Weise vor allem stilistische Glättungen vornehmen. Diese beiden Textformen sind auch im Esterbuch bekannt. Einige Minuskeln bezeugen einen Mischtext (Hanhart, Textgeschichte, 18.28-32). Die lateinische Textüberlieferung liegt in zwei Übersetzungen vor: die ältere »Versio Vulgata« (LaV), die Hieronymus nicht angetastet hat, wird seit Cyprian zitiert gefunden (Hanhart, Esdrae Liber I, 15). Sie enthält immer wieder »lukian.« Lesarten. Die andere, im Codex Colbertinus 2. Textüberlieferung und Editionen

261

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra

(9. Jh., Paris) enthaltene (Sabatier, Vetus Italica, 1041-1067), Version LaC ist ein treuer Zeuge der »lukian.« Textform (Hanhart, Textgeschichte, 19; Hanhart, Esdrae Liber I, 32). Die syrische Übersetzung ist »Lukian« verwandt, die äthiopische bezeugt den B-Text. Außerdem gibt es eine armenische Version. Unter den indirekten Zeugen ist Josephus, der in Ant. 11,1-158 eine Paraphrase von 1Esdr 2–9 bietet (den Chronikstoff von 1Esdr 1 bringt er nicht, da er die Königszeit ohnehin an anderer Stelle referiert), sehr bedeutend, da er einen vorrezensionellen Text hatte (Hanhart, Textgeschichte, 18). Die griechischen und lateinischen Kirchenväter bieten immer wieder Zitate und Anspielungen auf 1Esdr (meist die Pagenerzählung!) (Denter, Kanon, 1-13.53-67), aber doch so knapp, dass auf Textformen nicht zurückgeschlossen werden kann (Hanhart, Textgeschichte, 19).

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die griechische Fassung von 1Esdr gehört (ebenso wie 2Esdr) zur Welt der Septuaginta. Kultische Fachausdrücke entstammen dem griechischen Pentateuch (Böhler, »Sprachästhetik«, 98). Die Technik des griechischen Übersetzers von 1Esdr unterscheidet sich aber wesentlich von der der meisten anderen LXX-Übersetzer. Der Übersetzer von 1Esdr pflegt ganze Satzgefüge zu übertragen, nicht einzelne Wörter (Talshir, Origin, 181-247; Böhler, Sprachästhetik, 99-103). Die Übertragung ist elegant, und doch auf ihre Weise wörtlich und genau. Wo sie kann, ersetzt sie Parataxen durch Hypotaxen, oft aktive durch passive Konstruktionen. In der Äquivalentenwahl zeigt sie bei manchen (öfter technischen) Ausdrücken Konsistenz, aber gewöhnlich kann sie für dieselbe hebräische (oder aramäische) Vokabel verschiedene griechische Äquivalente einsetzen, und umgekehrt kann dasselbe griechische Wort für mehrere Vorlagevokabeln stehen. So erlaubt die Genauigkeit der Übersetzung und die teilweise Konsistenz der Wortwahl meist ziemlich genau zu erkennen, ob der Vorlagetext dem heutigen MT gleich war oder nicht. Talshir, Commentary, bietet eine durchgängige Rückübersetzung ins Hebräische und Aramäische. Die beiden Übersetzungen 1Esdr und 2Esdr sind unabhängig voneinander entstanden, wobei die »sklavischere« Übertragung von 2Esdr jedenfalls die jüngere ist (vgl. Hanhart, Textgeschichte, 17; Pohlmann, Studien, 379). 1 Der terminus ante quem der Abfassung und Übersetzung von 1Esdr (einschließlich der interpolierten Pagenerzählung) ist Flavius Josephus. Vieles deutet jedoch auf eine wesentlich frühere Übersetzung. Torrey, Studies, 83-85, datierte sie um 150 v. Chr. und lokalisierte sie in Ägypten. Wegen auffälliger Berührungen mit DanLXX (vgl. 1Esdr 2,7 mit Dan 1,2; 6,31 mit Dan 2,5 und 3,29; 3,14 mit Dan 3,2) identifizierte er die beiden Übersetzer (ebenso denselben Theodotion für DanTh und 2Esdr: Ezra Studies, 66). En1.

Die Beobachtung von J. Kabiersch, dass in 2Esdr 9,9 αὐτῆς (»… wieder aufzurichten aus ihrer Verwüstung«) ein feminines Bezugswort voraussetzt, das dort fehlt, aber in 1Esdr 8,78 mit Σιων (»… aufzurichten die verwüstete [Stadt] Sion«) vorhanden ist (s. dazu Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 115 f.), bestätigt die zeitliche Reihenfolge bzw. kann auf eine Bezugnahme von 2Esdras auf 1Esdras verweisen, wenn nicht die Vorlage von 2Esdras ein fem. Suffix gelesen hat.

262

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra

ge Berührungen bestehen auch mit Esther und den Makkabäerbüchern (vgl. Talshir, Origin, 250 f. und Talshir, Milieu, 132 f.). All das weist in das 2. Jh. v. Chr. Indizien für ptolemäischen Sprachgebrauch (Talshir, Origin, 254. 258) könnten an Ägypten als Ort der Übersetzung denken lassen, aber ein Ausdruck wie »Cölesyrien und Phönizien« (2,16; 4,48) für ‫ עבר נהרה‬weist in die seleukidische Zeit für die Übersetzung (Talshir, Origin, 268: »second century«) und nach Palästina als den Ort derselben. Auch für die Entstehung des hebräisch-aramäischen Buches 1Esdr (vor der Interpolation der aramäischen Pagenerzählung) dürfte wegen der Unkenntnis über die genaue Abfolge der Perserkönige nicht mehr die Perserzeit, sondern die ptolemäische Zeit (3. Jh.) in Frage kommen. Entsprechend erfolgte die Einfügung der Pagenerzählung später, aber noch auf der hebräisch-aramäischen Sprachebene (Z. und D. Talshir, Story, 152-155). So dürften die Abfassung des hebräisch-aramäischen Buches 1Esdr (ohne Pagenerzählung) um 250/200, die Einfügung der aramäischen Pagenerzählung (nebst Vorschaltung von 1Esdr 1) um 130 und schließlich die Übersetzung ins Griechische bald nach 130 v. Chr. erfolgt sein.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Hinter der griechischen Übersetzung von 1Esdr steht eine Übersetzungsphilosophie, die das hebräisch-aramäische Original in die Strukturen der Zielsprache übertragen will. So kommt ein eleganter Text zustande, den man für ein original griechisches Werk halten könnte. Zum theologischen Profil von 1Esdr gehört, dass diese Restaurationserzählung den Tempel, die davidische Dynastie und eine Lebensordnung nach der Tora für israelkonstitutiv hält. Esra–Nehemia MT (2Esdr) vertritt eine prohasmonäische Konzeption und hält den Tempel, die Tora und ein unabhängiges Gemeinwesen für konstitutiv, nicht aber die davidische Dynastie. 1Esdr ist durch die Interpolation der Pagenerzählung (1Esdr 3,1–5,6) und die Vorschaltung von Joschijas Pascha (1Esdr 1 = 2Chr 35–36) zu einer antihasmonäischen Buchfassung geworden. Sie spricht der hasmonäischen als einer nichtdavidischen Dynastie jede Legitimität ab und erwartet von ihr insbesondere nicht die Wiederherstellung des legitimen Kults und eines gerechten Königreichs. 1Esdr legt bereits in der hebräisch-aramäischen Fassung durch die Interpolation der Pagenerzählung und weitere damit zusammenhängende Textanpassungen Serubbabel die Titel »Statthalter« und »Knecht des Herrn« bei, die ihm 2Esdr (Esr–Neh MT) konstant verweigert, die ihm aber Haggai zuspricht. Die Pagenerzählung bringt als aramäischer Midrasch auf Sach 8 (»Jerusalem als Stadt der Wahrheit«) auch das Serubbabel-Bild des Propheten Sacharja in die Konzeption von 1Esdr ein. Auf der griechischen Sprachebene scheint das (vom Übersetzer unterstellte) Hohepriestertum Esras hervorgehoben zu werden, da der Übersetzer für ‫ כהנא‬/ ‫»( הכהן‬der Priester«) bisweilen ὁ ἀρχιερεύς schreibt (1Esdr 9,40.49), aber keineswegs immer (1Esdr 8,8.19; 9,16). Insbesondere macht er aus Jeschua, dem Gefährten Serubbabels, keinen Hohenpriester. Für eine königlich-hohepriesterliche Doppelspitze tritt er nicht ein (Böhler, Machtkampf). Die griechische Übersetzung verfolgt keine andere Tendenz als die hebräisch-aramäische Vorlage.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

263

2.6.1 Esdras I / Das erste Buch Esdras / Das dritte Buch Esra

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Flavius Josephus benutzt in Ant. XI 1-158 1Esdr für seine Erzählung von der nachexilischen Restauration. Im Neuen Testament verweist Nestle-Aland bei Mt 6,29 und 1Kor 13,13 auf bestenfalls entfernte Anspielungen auf 1Esdr 1,4 und 4,38. Im Josippon, einer mittelalterlichen jüdischen Chronik aus dem 10. Jh., die stark auf Josephus zurückgreift, erscheint in VI 129-134 die Erzählung vom Pagenwettstreit 1Esdr 3–5, freilich in anderer Anordnung der Reden: König, Wein, Frauen, Wahrheit. Die griechischen und lateinischen Kirchenväter spielen seit dem 2. Jh. n. Chr. immer wieder auf 1Esdr an, meist auf die philosophische Pagenerzählung (Denter, Kanon, 1-13; 53-67). Kommentare zu 1Esdr gibt es jedoch nicht, nur kurze Bezugnahmen. So zitiert etwa Augustinus in De Civitate Dei XVIII 36 die Pagenerzählung und deutet Serubbbabels Rede auf die Wahrheit als Christusprophetie. Im Mittelalter hat Thomas von Aquin eine seiner Quaestiones quodlibetales (XII q 14 a 20) der Frage aus der Pagenerzählung gewidmet, »Utrum veritas sit fortior inter vinum et regem et mulierem«. In der Westkirche verliert 1Esdr nach Hieronymus an Autorität und ist spätestens seit dem Tridentinum nicht mehr im Kanon. Die Ostkirche (ohne die Russische) liest 1Esdr in ihrem Kanon. Die letzte Spur liturgischer Verwendung von 1Esdr in der lateinischen Kirche fand sich im Tridentinischen Messbuch: In der Missa pro eligendo summo pontifice stammte der Offertoriumsvers aus 1Esdr 5,40.

6. Perspektiven der Forschung Was die hebräischen/aramäischen Vorlagen von 1Esdr und 2Esdr (2Esdr = Esr–Neh) angeht, die beide Kompilationen (von Joschija-Serubbabel-Esra- bzw. Serubbabel-Esra-Nehemia-Erzählungen) sind, ist nach wie vor umstritten, wie diese Kompilationen entstehungsgeschichtlich zueinander stehen. Die Frage nach einem eigenen literarischen und theologischen Profil der heute vorliegenden Gesamterzählung 1Esdr, auf semitischer wie auf griechischer Sprachebene, die lange gar nicht ernstgenommen wurde (so noch bei Talshir, Origin, 270), wird jüngst erst aufgeworfen und in unterschiedlicher Weise angegangen (Mittmann-Richert, Theologie; Böhler, Machtkampf).

264

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia Dieter Böhler

1. Literatur 1.1 Text und Editionen BML II/4, 1935 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R. (Hg.), Esdrae Liber II, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum VIII/2, Göttingen 1993.

1.2 Qumran-Texte 4QEzra = 4Q117 (DSD 16). BQS 776 f. — HTTM 523-526.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Wooden, R. G., 2Esdras, NETS, Oxford / New York 2007, 405-423 — Kabiersch, J., Esdras II, LXX.D, Stuttgart 20102, 567-590 — Kabiersch, J., Esdras II, LXX.E, Stuttgart 2011, 1198-1252 — Janz, T., Deuxième livre d’Esdras, BdA 11.2, Paris 2010.

1.4 Weitere Literatur Vgl oben zu 1Esdr. Dazu: Hanhart, R., Ursprünglicher Septuagintatext und lukianische Rezension des 2. Esrabuches im Verhältnis zur Textform der Vetus Latina, in: R. Gryson (Hg.), Philologia Sacra (FS H. J. Frede / W. Thiele), AGLB 24/1 u. 2, Freiburg i. Br. 1993, 90-115 — Hanhart, R., Zur griechischen und altlateinischen Textgeschichte des 1. und 2. Esrabuches in ihrem Verhältnis zueinander, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS M. Bogaert), BEThL CXLIV, Leuven 1999, 145-164 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des 2. Esrabuches, MSU 25, Göttingen 2003 — Janz, T., The Second Book of Ezra and the »Καίγε Group«, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SCSt 45, Atlanta/GA 1997, 153-170 — Janz, T., Le deuxième livre d’Esdras: Traduction et réception, Paris (Masch. Diss.) 1998 — Janz, T., Le deuxième livre d’Esdras: clef de l’histoire textuelle de la Septante?, in: ASR 1 NF (2008), 101-117 — Sigismund, M., Die gotischen Nehemia-Fragmente, in: S. Kreuzer / M. Sigismund (Hg.), Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung, DSI 4, Göttingen 2013, 211-265 — Wooden, G., Interlinearity in 2 Esdras: a test case, in: W. Kraus / G. Wooden (Hg.), Septuagint Research. Issues And Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SCSt 53, Atlanta/GA 2006, 119-144.

1. Literatur

265

2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia

2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 2Esdr findet sich (wie 1Esdr) in den großen Unzialen Codex Vaticanus, Alexandrinus, Venetus und – anders als 1Esdr – ab 2Esdr 9,9 auch im Sinaiticus. Die Unzialen bezeugen »einen alten, von rezensionellen Überarbeitungen noch relativ unberührten« Text (Hanhart, Textgeschichte, 13). Dieselben Minuskeln, die den Text von 1Esdr in drei Rezensionen/Textformen: überliefern, der »lukianischen« und den beiden Rezensionen »a« und »b«, sowie einen Mischtext, tun dies auch für 2Esdr (Hanhart, Textgeschichte, 13 f.). Die äthiopische Übersetzung bezeugt den B-Text. Die lateinische Textüberlieferung liegt in zwei Zeugen vor: La123 (Vercelli, 11. Jh.). Die Hs überliefert den ganzen Text von 2Esdr, lässt nur die Wiederholung der Heimkehrerliste 2Esdr 17 (= Neh 7) aus und weist eine (mechanische) Textumstellung auf (1,1-4,5; 7,11-10,2; 4,6-7,11; 10,2-Ende). La125 (St. Gallen, 8. Jh.) enthält nur Fragmente (Hanhart, Esdrae Liber II, 12 f.). La123 steht zu La125 wie bei 1Esdr LaC zu LaV: La123 bezeugt (wie LaC) den lukianischen Text, La125 enthält (wie LaV) immer wieder »lukianische« Lesarten (vgl. Hanhart, Textgeschichte, 220 f. und 256 f.). »Lukianischen« Text bezeugen für 2Esdr auch Fragmente einer gotischen Übersetzung (Hanhart, Esdrae Liber II, 31; Sigismund, Nehemia-Fragmente). »Die eigentliche Sonderstellung der Textgeschichte von Esdr II im Verhältnis zu Esdr I besteht aber darin, dass die hexaplarische Herkunft von zweien ihrer Zeugen, dem Korrektor des codex Sinaiticus (= Sc bzw. Smg) und den Syrohexaplarischen Fragmenten (= Syh), eigens überliefert ist« (Hanhart, Textgeschichte, 14). Auf der Ebene der »lukianischen« Rezensionen von 1Esdr und 2Esdr kommt es dadurch mehrfach zu Textberührungen zwischen den beiden, dass meist der MT-konforme Text von 2Esdr in 1Esdr eingetragen wurde (Hanhart, Textgeschichte, 7 und 11). Die sekundäre Textüberlieferung bei Josephus und den Kirchenvätern spielt keine Rolle, da sie 2Esdr so gut wie nicht benutzen.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Während 1Esdr das beste Griechisch der ganzen LXX bietet, steht 2Esdr am anderen Ende der Skala als die bei weitem pedantischste Übertragung. Der Übersetzer war ein unmittelbarer Vorgänger von Aquila. Der Text, der dem Übersetzer vorlag, entsprach weitestgehend dem (Proto-) MT, nur in 2Esdr 14,6; 21,12-35; 22,2-9.25.29 weist MT Textüberschüsse auf (Wooden, NETS, 405-407). Die Übertragung gleicht einer Interlinearübersetzung (Wooden, Interlinearity, 143), die selbst die Wortstellung des Originals sklavisch nachahmt, möglichst standardisierte Äquivalente wählt, fast ausnahmslos jedes ‫ ו‬durch καί übersetzt und Hebraismen bis zur Unverständlichkeit produziert. Ungewöhnlich oft hat der Übersetzer gar nicht übersetzt, sondern transkribiert (Wooden, Interlinearity, 125-129; Wooden, NETS, 406; Janz, clef de l’histoire, 101-105). Zwar wird καίγε für ‫ וגם‬nur einmal in 2Esdr 1,1 (Esr 1,1) gesetzt, normalerweise aber nicht (Neh 5,8.10.16; 6,7.14; 12,43). Dennoch zeigt die Übersetzungstechnik von 2Esdr so viele charakteristische Kennzeichen der καίγε-Rezension, dass Janz den Übersetzer späten Kreisen im 1. Jh. n. Chr. um jene Revisoren zuschreibt (Janz, Traduction, 167; Janz, clef de l’histoire, 110; kritisch: Wooden, Interlinearity, 123 f.). Anders als etwa bei den Bü266

2. Textüberlieferung und Editionen

2.6.2 Esdras II / Das zweite Buch Esdras / Esra-Nehemia

chern der Königtümer, wo der Mehrheitstext der καίγε-Rezension unterzogen wurde, die »lukianischen« Zeugen aber gerade nicht, liegt bei 2Esdr in gewisser Weise ein umgekehrter Fall vor: die »lukianischen« Textzeugen (Mss 19, 93, 108) zeigen noch mehr καίγε-Charakteristiken als der Mehrheitstext. Der »lukianische« Text macht hier den Eindruck eines »textkritischen Apparats«, der jede Variante aufbewahrt (Janz, Second Book of Ezra, 156; Janz, Clef de l’histoire, 113-117). Da der Übersetzer sich in Jerusalem offenbar nicht auskennt und hie und da Ausdrücke benutzt, die besser zum ptolemäischen und römischen Ägypten passen, denkt man eher an Alexandrien als Palästina (Kabiersch, LXX.D).

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Wort-für-Wort-Übersetzung 2Esdr prägt inhaltlich kein eigenes Profil aus, sondern deckt sich völlig mit Esr-Neh MT (Janz, Clef de l’histoire, 102): Sie erzählt die nachexilische Restauration als Wiederaufbau des Tempels durch Serubbabel, Ordnung der Verhältnisse gemäß der Tora durch Esra und Wiederaufbau Jerusalems durch Nehemia. 2Esdr gibt Esr-Neh MT sklavisch wieder. Theologisch ist in dieser »Übersetzungsphilosophie« die Überzeugung von der Mysterienhaltigkeit des hebräisch-aramäischen Textes mit seiner »Hebraica veritas« impliziert, den die Übersetzung nicht ersetzt, sondern auf den sie, wie eine Interlinearübersetzung bleibend verweist (Böhler, Sprachästhetik, 103-105; Wooden, Interlinearity, 143). Zu Einzelheiten der Wiedergabe, u. a. zu semantischen Problemen und zum Phänomen, dass homophone Wurzeln homonym übersetzt werden, siehe Kabiersch, LXX.D, 1199-1201.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 2Esdr wird von Josephus nicht benutzt und vom NT nie und auch von den Vätern praktisch nie zitiert (Janz, Clef de l’histoire, 101). Insofern steht diese Version im Schatten von 1Esdr. Origenes zitiert 2Esdr 11,11 in seinem Matthäuskommentar (in Mt 15,5; PG 13, 1264).

6. Perspektiven der Forschung Da 2Esdr den Schlusspunkt der LXX-Übersetzungen darstellt (vor Aquila) und dabei in den beiden zentralen Fragenkomplexen, was ist die καίγε-Gruppe und was ist der »lukianische« Text, charakteristische Eigenheiten aufweist (Janz, clef de l’histoire, 116117) bis hin zu Spuren von Aquila (Janz, Second Book of Ezra, 168), könnte diese Übersetzung einen »Schlüssel zur Textgeschichte der LXX« bieten (Janz). Die Frage, ob es ein Zufall ist (Janz, Clef de l’histoire, 108), dass jene beiden Bücher, von denen es alte, in sehr gutem Griechisch gehaltene Fassungen gibt (DanLXX und 1Esdr), sehr viel später komplette Neuübersetzungen erfuhren, die ebenso wie jene eng miteinander verwandt sind (DanTh, 2Esdr), bietet noch Stoff für weitere Untersuchungen (Böhler, Sprachästhetik, 97 f. und 103-105). 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

267

3. Erzählwerke und jüngere Geschichtsbücher

3.1 Esther / Das Buch Ester Kristin De Troyer

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Fritsche, O. F., ΕΣΘΗΡ. Duplicem libri textum ad optimos codices emendavit et cum selecta lectionis varietate edidit, Zürich 1848 — Swete, OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — BML III/1, 1940 — Hanhart, R., Esther, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,3, Göttingen 1966; 19832.

1.2 Qumran 4QPrEsthera-f ar = 4Q550, 550a-e (DJD XXXVII) [Es handelt sich um Königshoferzählungen. Ein konkreter Esthertext aus Qumran oder der Wüste Juda ist nicht identifiziert. Aus Anspielungen ergibt sich jedoch, dass das hebräische Buch in Qumran wahrscheinlich bekannt war; s. De Troyer, Once more.] HTTM 497-502.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Bardtke, E., Zusätze zu Esther, JSHRZ I, Gütersloh 19772 — Kottsieper, I., Zusätze zu Esther, ATD Apokryphen 5, Göttingen 1998, 109-207 — Jobes, K. H., Esther, NETS, Oxford / New York 2007, 424-440 — De Troyer, K. / Wacker, M.-Th, Esther, LXX.D, Stuttgart 20102, 593-618 — De Troyer, K./Wacker, M.-Th, Esther (LXX und A-Text), LXX.E I, Stuttgart 2011, 1253-1296.

1.4 Weitere Literatur Bickermann, E., Notes on the Greek Book of Esther, PAAJR 20 (1950), 101-133 — Boyd-Taylor, C., Esther’s Great Adventure: Reading the LXX Version of the Book of Esther in Light of Its Assimilation to the Conventions of the Greek Romantic Novel, BIOSCS 30 (1997), 81-113 — Candido, D., I Testi del libro di Ester. Il caso dell’introitus TM 1,1-22, Rom 2006 — LXX A 1-17; 1,1-22 — Tα A 1-19; 1,1-21, AnBib 160, Rom 2005 — Cavalier, C., Le »colophone« d’Esther, RB 110 (2003), 167-177 — Clines, D. J. A., The Esther Scroll: The Story of the Story, JSOT.S 30, Sheffield 1984 — Cook, H., The A Text of the Greek Version of the Book of Esther, ZAW 81 (1969), 369-376 — Day, L., Three Faces of a Queen. Characterization in the Books of Esther, JSOT.S 186, Sheffield 1995 — De Troyer, K., An Oriental Beauty Parlour: An Analysis of Esther 2.8-18 in the Hebrew, the Septuagint and the Second Greek Text, in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to Esther, Judith and Susanna, Sheffield 1995, 47-70 — De Troyer, K., Once More the So-called Esther Fragments of Cave 4, RdQ 75/19 (2000), 401-422 — De Troyer, K., The End of the Alpha-Text of Esther. Translation and Narrative Technique in MT 8:1-17; LXX 8:1-17, and AT 7:14-41, SCS 48, Atlanta/GA 2000 — De Troyer, K., The Letter of the King and the Letter of Mordecai. An Analysis of MT & LXX 8.9-13 and AT 7.33-38, in: Textus 21, Jerusalem 2002, 175-207 — De Troyer, K., Esther in Text- and Literary-Critical Paradise, in: L. Greenspoon / S. White Crawford (Hg.), The Book of Esther in Modern Research, JSOT.S 380, Shef1. Literatur

271

3.1 Esther / Das Buch Ester

field 2003, 31-49 — De Troyer, K., Der lukianische Text. Mit einem Beitrag zum sogenannten lukianischen Text des Estherbuches, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Die Septuaginta: Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 161, Stuttgart 2004, 229246 — De Troyer, K., Die Septuaginta und die Endgestalt des Alten Testaments, UTB 2599, Göttingen 2005 — De Troyer, K. / Rediger Schulte, L., Is God Absent or Present in the Book of Esther? An Old Problem Revisited, in: I. D. Dalferth (Hg.), The Presence and Absence of God, RPT 42, Tübingen 2009, 35-40 — Dorothy, C. V., The Books of Esther. Structure, Genre and Textual Integrity, JSOT.S 187, Sheffield 1997 — Ego, B., Die Theologie der Estererzählung in der Septuaginta. Eine narratologische Annäherung, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 225-244 — Fox, M., The Redaction of The Books of Esther: On Reading Composite Texts. SBL. MS 40, Atlanta/GA 1991 — Greenspoon, L. / White Crawford, S. (Hg.), The Book of Esther in Modern Research, JSOT.S 380, Sheffield 2003 — Haelewyck, J.-C., Le texte dit »lucianique« du livre d’Esther. Son étendu et sa cohérence, Le Muséon 68 (1985), 5-44 — Harvey, C. D. (Hg.), Finding morality in the Diaspora? Moral Ambiguity and Transformed Morality in the Books of Esther, BZAW 328, Berlin 2003 — Jacob, B., Das Buch Esther bei den LXX, ZAW 10 (1890), 241298 — Jobes, K., The Alpha-Text of Esther. Its Character and Relationship to the Masoretic Text, SBL.DS 153, Atlanta/GA 1996 — Kossmann, R., Die Esthernovelle. Vom Erzählten zur Erzählung, VT.S 79, Leiden 2000 — Kreuzer, S., Papyrus 967 – Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Stuttgart 2008, 65-81 — Martin, R. A., Syntax-Criticism of the LXX Additions to the Book of Esther, JBL 94 (1975), 65-72 (auch in: Moore, 1982, 595–602) — Mittmann-Richert, U., Zusätze zu Esther, in: dies., Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI, 1,1, Gütersloh 2000, 97–113 — Moore, C. A. (Hg.), Studies in the Book of Esther, New York 1982 — Moore, C. A., A Greek Witness to a Different Hebrew Text of Esther, ZAW 79 (1967), 351-358 (auch in: ders. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 521-528) — Moore, C. A., On the Origins of the LXX Additions to the Book of Esther, JBL 92 (1973), 382393 (auch in: ders. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 583-594) — Moore, C. A., Daniel, Esther, and Jeremiah: The Additions, AB 44, Garden City/NY 1977 — Moore, C. A., The Greek Text of Esther, Baltimore 1965 — Schmitz, B., »am Ende ihres Weges Den zu schauen, an dem man stirbt, wenn man ihm naht« (Rainer Maria Rilke). Die Rede von Gott in den Estererzählungrn, in: R. Egger-Wenzel / K. Schöpflin / J. F. Diehl (Hg.), Weisheit als Lebensgrundlage (FS F. V. Reiterer), DCLS 15, Berlin / Boston 2013, 275-296 — Torrey, C. C., The Older Book of Esther, HThR 37 (1944), 1-40 (auch in: Moore, C. A. [Hg.], Studies in the Book of Esther, New York 1982, 448-487) — Torrey, C. C., Review of A. E. Brooke / N. McLean / H. St. J. Thackeray, Esther, Judith, Tobit (The Old Testament in Greek III/1, Cambridge 1940), JBL 61 (1942), 130-136 — Tov, E., The »Lucianic« Text of the Canonical and the Apocryphal Sections of Esther. A Rewritten, Biblical Book, Textus 10 (1982), 1-25 — Van Henten, J. W., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People, JSJ.S 57, Leiden / New York / Köln 1997 — Vialle, C., Une analyse comparée d’Esther TM et LXX. Regard sur deux récits d’une meme histoire, BEThL 233, Leuven 2010 — Wacker, M.-T., »Three Faces of a Story«. Septuagintagriechisches und pseudolukianisches Estherbuch als Refigurationen der Esther-Erzählung, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 64-89 — Wacker, M.-T., Mit Tora und Todesmut dem einen Gott anhangen. Zum Estherbild der Septuaginta, in: F. Crüsemann u. a. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel (FS L. Schottroff), Gütersloh 2004, 312-332 — Wacker, M.-T., Tödliche Gewalt des Antisemitismus – mit tödlicher Gewalt gegen Antisemitismus? Bibelhermeneutische Überlegungen zu Est 9, in: F.-L. Hossfeld u. a. (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger), HBS 44, Freiburg i. Br. 2004, 609-

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1. Literatur

3.1 Esther / Das Buch Ester

637 — Wechsler, M. G., The Appellation ΒΟΥΓΑΙΟΣ and Ethnic Contextualization in the Greek Text of Esther, VT 51 (2001), 109-112.

Bei der Erforschung des Estherbuches gibt es zwei Hauptbereiche: Im ersten geht es um die Beziehung zwischen dem Masoretischen Text, der Old Greek (manchmal, aber nicht ganz genau als die Septuaginta bezeichnet) und dem sogenannten Alpha-Text (oder AText) 1. Seit C. C. Torrey vermutete, dass hinter dem zweiten griechischen Text eine ältere hebräische Fassung des Estherbuches liegen könnte, hat sich die Forschung mit dem Verhältnis zwischen den verschiedenen Fassungen beschäftigt. Dabei gibt es zwei hauptsächliche Richtungen: Die eine verteidigt die Ursprünglichkeit und das höhere Alter des kürzeren hebräischen Estherbuches, das hinter dem zweiten griechischen Text von Esther liegt (so z. B. Torrey, Moore, Clines und, wenn auch mit Differenzen im Einzelnen, Fox, Jobes, Haelewyck; ähnlich aber mit Fokus auf der Vetus Latina, Dorothy, Kossman, Candido, und Kahana). Die andere Forschungsrichtung betrachtet den Septuagintatext als Übersetzung des MT und den A-Text als Bearbeitung der Septuaginta (so Hanhart, wobei dieser einige Lesarten vermerkt, wo der zweite Text dem Text des Josephus und der Vetus Latina entspricht; so auch De Troyer sowie Tov, der allerdings auch Einflüsse einer etwas anderen hebräischen Vorlage annimmt). Ein zweiter großer Forschungsbereich untersucht den Septuagintatext (und auch den A-Text) als Literatur. Diese Forschungen wurde vor allem durch Linda Day, Three Faces of a Queen, in Gang gesetzt. Inspiriert von Clines und seiner Unterscheidung der verschiedenen Formen des Estherbuches, untersuchte sie die Darstellung der Hauptpersonen des Buches und stellte fest, dass jede Form des Estherbuches ein spezifisches Bild von Esther und den anderen Hauptpersonen präsentiert. Markante Untersuchungen in diesem Bereich sind die Beiträge von Boyd-Taylor (1997), der die Entsprechungen zwischen den Zusätzen zu Esther und hellenistischen Erzählungen herausstellte, sowie die vergleichende Analyse der Charaktere in Esther und der abschließenden Ereignisse im Estherbuch durch M.-T. Wacker (2004a und b). Die erwähnten Arbeiten sind jedoch keine Kommentare zum griechischen Estherbuch (LXX oder A-Text) im Ganzen. Bisher gibt es nur einen solchen Kommentar, nämlich jenen von Fritzsche von 1871. Ein kurzer Kommentar von Reinhartz erschien 2001 im Oxford Bible Commentary. De Troyer widmete in ihrem Kommentar von 2001 ein Kapitel dem Estherbuch der Septuaginta. Einen kurzen Kommentar von De Troyer und Wacker enthält LXX.E. Derzeit sind vier Kommentare zum griechischen Text von Esther in Vorbereitung: De Troyer im Septuaginta-Kommentar von Brill, Jobes für den NETS-Kommentar, Uehlinger für Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament und Cavalier für La Bible d’Alexandrie. Für die Zusätze zu Esther gibt es bereits vier Kommentare: von H. Bardtke (1973), C. A. Moore (1977), I. Kottsieper (1998) und U. Mittmann-Richter.

1.

Die im Englischen übliche Abkürzung »AT« ist im Deutschen nicht brauchbar, weil sie zur Verwechslung mit »Altes Testament« führen würde. Daher wird hier wie auch in LXX.D und LXX.E »A-Text« verwendet. 1. Literatur

273

3.1 Esther / Das Buch Ester

2. Textüberlieferung und Editionen Neben der Handausgabe von Rahlfs(/ Hanhart) gibt es zwei große kritische Ausgaben. Einerseits die diplomatische Ausgabe von Brooke / McLean / Thackeray, Cambridge 1940, basierend auf dem Codex Vaticanus mit umfangreichem textkritischen Apparat, andererseits die Ausgabe von Hanhart im Rahmen der Göttinger Septuaginta von 1966 (19832). Die Einleitung zu diesem Band enthält eine umfangreiche Beschreibung der Textzeugen und der Textgeschichte. Die Textgeschichte des griechischen Estherbuches unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Septuagintabüchern. Der alte griechische Text ist in den großen Kodizes (Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus und Venetus), in Minuskeln und im berühmten Chester Beatty Papyrus 967 (der der älteste Textzeuge ist) überliefert. Zudem sind die alten Übersetzungen von Bedeutung: Die Vetus Latina, die koptisch-sahidische, die äthiopische und die georgische Übersetzung. Es gibt auch eine slawische Übersetzung, die allerdings bei Hanhart nicht berücksichtigt ist. Wichtig ist auch der Text des Josephus (Buch 11 der Antiquitates) und Zitate der Kirchenväter (allerdings nur von Hippolyt und Origenes). Der zweite griechische Text ist in den Minuskeln 19, 93, 108 und 319 erhalten. Die ersten drei sind normalerweise Zeugen des Antiochenischen Textes, daher wurde diese Textform oft als lukianischer bzw. jetzt: antiochenischer Text bezeichnet. Allerdings bieten die Ms. 93 und 108 nicht nur den zweiten Esthertext, sondern auch den ersten (Old Greek). Beide haben zuerst den Old Greek Text und dann den A-Text, und zwar in 108 unmittelbar anschließend, in 93 durch 44 Seiten getrennt. (Ob die Reihenfolge die Bedeutung ausdrückt oder ob die Schreiber nach dem ersten Esthertext dann doch noch den »richtigen« Text bringen wollten, wird man kaum entscheiden können). Darüber hinaus hat Ms 93 ca. neun Lacunen, die mit Text aus der Septuaginta-Version gefüllt wurden. Der älteste griechische Zeuge des A-Textes ist Ms. 319, das auf 1021 n. Chr. datiert wird und sich im Vatopedi-Kloster auf dem Berg Athos befindet – ein älteres Georgisches Manuskript ist jetzt auch bekannt, leider noch nicht ediert. Zu erwähnen ist, dass die in das 10. Jh. datierte Minuskel 392 einen »Mischtext« enthält, d. h. einen Text, der Lesarten aus beiden Textformen enthält. Das ist ein Beleg dafür, dass beide Textformen spätestens im 10. Jh. existierten, bevor sie dann J. Ussher 1655 wieder entdeckte. Die ursprüngliche griechische Übersetzung erfuhr die folgenden Bearbeitungen: Die Rezension des Origenes und eine weitere Rezension, die in der älteren Literatur oft als Lukianische Rezension bezeichnet wurde (s. u.). Die Rezension des Origenes ist ab dem Codex Alexandrinus in vielen Handschriften überliefert. Dass es eine zweite Textform gab, ist durch die o. g. vier Manuskripte bezeugt. Die Identifikation bzw. Zuordnung dieser Rezension ist umstritten. Zuerst wurde sie als lukianisch bezeichnet. Diese Bezeichnung wurde in Frage gestellt, weil sich kaum Spuren dieses Textes bei den antiochenischen Kirchenvätern fanden. Im Anschluss an die von N. Fernandez Marcos bei Samuel, Könige und Chronik verwendete Bezeichnung wird auch vom Antiochenischen Text gesprochen. Andere Bezeichnungen sind Alpha-Text, A-Text (im Englischen oft abgekürzt »AT«) oder Agrippa274

2. Textüberlieferung und Editionen

3.1 Esther / Das Buch Ester

Text 2. – Wie immer bei Rezensionen stellt sich die Frage der Vorlage und wieweit sich die Vorlage vom masoretischen Text unterschied. Da die Mehrheit der Forscher den ursprünglichen Esther-Text als Übersetzung aus dem Hebräischen betrachtet, stellt sich die Frage nach Differenzen zwischen dem (proto)masoretischen Text und dem etwas älteren hebräischen Text der Vorlage. Der zweite griechische Esther-Text ist vielleicht eine Rezension (bzw. nur eine Revision) des griechischen Textes. Andernfalls müsste man ihn als rewritten text bzw. als literarische Bearbeitung verstehen. Eine in der Praxis wichtige Frage ist die Kapitel- und Verszählung des griechischen Esther-Textes. In der Göttinger Ausgabe folgt beides eng der Zählweise im Masoretischen Text. Es gibt jedoch sechs (in den römisch-katholischen Ausgaben sieben) Abschnitte, die im hebräischen Text fehlen. Hieronymus fügte diese Abschnitte als Ergänzungen seiner Übersetzung hinzu. Daher beginnt in der Vulgata die Zählung dieser Zusätze mit Kap. 11, nach Kap. 10 des hebräischen Textes. Das Hinzufügen der zusätzlichen Passagen am Ende des Buches machte deutlich, dass diese Verse nicht zu dem ursprünglichen hebräischen Text gehörten. Doch die neue Abfolge unterbrach nun die Logik der griechischen Erzählung. Eine Auflistung der Zusätze mag die Situation erhellen: 3 Hanhart

Vulgata

Position im Verhältnis zur Erzählung in MT

Inhalt

A

11,2-12 12,1-8

vor 1,1

Traum des Mordechai

B

13,1-7 15,1-3

nach 3,13, vor 3,14 nach 4,8, vor 4,9

Erlass des Haman Ergänzung zu Mordechais Alarm

C

13,8-18 14,1-19

nach 4,17, vor Zus. D

Gebet des Mordechai Gebet der Esther

D

15,4-19

nach Zus. C, ›vor‹ 5,1

Esthers Audienz beim König

E

16,1-24

nach 8,12, vor 8,13

Erlass von Esther und Mordechai

F

10,4-13 11,1

Traumdeutung Unterschrift

Die Unterteilung der Zusätze selbst wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt. In der Cambridge Edition (BML) sind die Hinzufügungen als Kapitel behandelt und nummeriert, nicht als Zusätze. Dagegen bezieht sich Clines auf die Hinzufügungen als Zusätze, unterbricht aber nicht die Nummerierung innerhalb des Textes. Auch die Nummerierung des zweiten griechischen Textes wird mindestens auf zwei unterschiedliche Weisen geboten. Hanhart hat sich bemüht, so weit wie möglich den zweiten griechischen Text parallel zum ersten zu nummerieren. Wo immer der zweite griechische Text eigene Unterteilungen aufweist, fügt Hanhart die parallele Position der LXX in Klammern hinzu. Erwähnenswert ist, dass im zweiten griechischen Text bestimmte Verse fehlen, z. B. 1,17.18; 2,3; 6,10-13.15-16; 3,12. Außerdem stehen 3,7 2. 3.

Diese Bezeichnung basiert auf der von De Troyer, Ende, 400-403 vorgeschlagenen Einordnung dieses Textes in die römische Zeit bzw. Zeit des Herodes Agrippa. Der folgende Abschnitt ist aus De Troyer / Wacker, LXX.E, übernommen. 2. Textüberlieferung und Editionen

275

3.1 Esther / Das Buch Ester

nach 3,10, und 3,11 vor 3,10. Darüber hinaus »fehlen« dem zweiten griechischen Text zahlreiche »Enden« von Kapiteln und Zusätzen: 2,19-23; Zusatz C 30. Vor allem aber ist bedeutsam, dass der zweite griechische Text sich von LXX 7,9 (10) an fortsetzt. Nach Hanhart entspricht LXX 7,9 dem AT 7,12(b), und der Text setzt sich von 7,12 an bis 21 fort. Die Verse 7,22-32 bilden den Zusatz E. Der Rest des zweiten griechischen Textes findet sich in 7,33 (par. LXX 8,14) bis 7,59. Hanhart (Gö) zufolge schließt der zweite griechische Text auch Zusatz B als die 3,13 folgenden Verse ein, nämlich 3,14-18 (par. Zus. B,1-7). AT 3,19 ist dann parallel zu LXX 3,14. Dasselbe passiert mit Zusatz C, im AT 4,12b.13.29. Zusatz D ist bekannt als AT 5,1-12. Danach fährt AT mit 5,13, parallel zu LXX 5,3, fort. Kapitel 5 vom AT hat 24 Verse (Gö und BML). Von Kapitel 6 an geht der AT wieder parallel mit der LXX, obgleich nicht sehr lange. Kapitel 6 hat 23 Verse im AT, aber nur 14 in der LXX. LXX 8,1 ist AT 7,12b (Gö). So viel zur Textnummerierung des zweiten griechischen Textes im Vergleich zum ersten. Von Bedeutung ist hier die Nummerierung der Zusätze. Wie bereits bemerkt, halten Clines und BML Zusatz A für Kapitel 1. LXX 1,1 ist parallel zu A-Text 2,1. Nach 4,13 (par. zu LXX 3,13) stellt Zusatz B den Abschnitt 4,14-19 dar; Zusatz C ist 5,13-29; A-Text 6,1-12 besteht aus LXX Zusatz D; Zusatz E ist 8,22-32 und steht nach 8,21 (8,12 in LXX); und Zusatz F besteht aus 8,53-59 (nach 10,3 LXX). Darüber hinaus benutzt BML römische Zahlen für Kapiteleinteilungen, Clines aber arabische. Fox benutzt dagegen römische Zahlen für die Einteilungen des A-Textes, und arabische Zahlen für den MT und die LXX. Gleichzeitig aber übernimmt Fox Hanharts (Gö) in Klammern gesetzte Nummerierung. Mit anderen Worten: Der Text von MT und LXX 8 ist parallel zu A-Text VIII und nicht zu VII, wie in der Cambridge Edition. Nicht zuletzt sind auch noch die Zusätze in Verse unterteilt, und diese wiederum auf zwei verschiedene Weisen bezeichnet: entweder mit Buchstaben (z. B. bei Rahlfs von 8,12a bis 8,12x) oder mit Zahlen (z. B. bei Hanhart von E,1 bis E,24; BML: E,1 bis E,24; Clines: E,22 bis E,32). Genauer: Nach Hanhart ist MT 8,13 auch 8,13 in der LXX, aber 7,33 im A-Text; nach BML ist hier der A-Text jedoch VIII,33 und nach Clines 8,33. Darüber hinaus ist MT 5,3 nach Hanhart 5,3 auch in der LXX und im AT; nach Cambridge aber ist der A-Text hier VI,13, und nach Clines 6,13. Solch ein Durcheinander hat zur Folge, dass man bei der Erforschung der Literatur jeden Verweis in jeder der Texteditionen gesondert auffinden muss, um dann zu ermitteln, auf welche Passage sich der Verweis des jeweiligen Verfassers bezieht.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Frage nach dem Ursprung der Zusätze und die damit verbundene Frage, ob diese auf Griechisch entstanden oder aus dem Hebräischen übersetzt wurden, führte zu einer Reihe Untersuchungen zur Übersetzungstechnik des LXX- und des A-Textes. Während Untersuchungen zur Übersetzungstechnik erst in neuerer Zeit in Mode kamen, wurden sie für das Buch Esther und die Frage, ob die kürzere hebräische Textform die ältere ist (so Eichhorn, Leipzig 1795) oder die längere Griechische mit ihren Zusätzen (so De Rossi, Rom 1782), schon seit langem durchgeführt. Darüber hinaus 276

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

3.1 Esther / Das Buch Ester

verwendete Martin 1974 das Estherbuch als Testfall für die Frage nach syntaktischen Kennzeichen für semitische Vorlagen griechischer Texte. Sehr wahrscheinlich ist die Septuaginta des Estherbuches (abgesehen von den Zusätzen) eine Übersetzung eines hebräischen Textes, der ziemlich genau dem masoretischen Text entsprach. Diese Übersetzung entspricht auch in ihrer Abfolge jener des hebräischen Textes, wenn auch mit einzelnen Auslassungen (4,6; 9,5; 9,30) und kleineren Umstellungen (3,10-12, und auch 8,11-12). Ein Kennzeichen in der Syntax ist, dass der griechische Text mehr Hypotaxen verwendet als der hebräische Text. Ein inhaltliches Kennzeichen ist, dass die eher unpersönliche Beziehung des Königs zu seinen Untertanen in der griechischen Übersetzung mehr zu einer Ich-Du-Beziehung wird, insbesondere im Blick auf Esther. Bezüglich der Datierung der griechischen Übersetzung des Estherbuches ist festzuhalten, dass es das einzige biblische Buch mit einem richtigen Kolophon ist. Dort wird gesagt, wo das Buch übersetzt wurde und wer es an einen bestimmten Platz brachte: Im vierten Jahr der Regierung des Ptolemaios und der Kleopatra überbrachten Dositheos, der behauptete, ein Priester und Levit zu sein, und Ptolemaios, sein Sohn, den vorliegenden Phrurai-Brief. Sie sagten von ihm, er sei (echt) und Lysimachos, (Sohn des) Ptolemaios, von denen in Jerusalem, habe ihn übersetzt. (LXX.D, 618)

Das Buch wurde also in Jerusalem übersetzt und nach Ägypten gebracht. In der Diskussion, um welche Ptolemäer es sich handelt, folgen die meisten der Meinung von Bickermann, dass sich die Datierung auf das 4. Jahr von Ptolemäus XII. Auletos und Kleopatra V. bezieht, d. h. auf das Jahr 78/77 v. Chr. Bezüglich des zweiten griechischen Textes stellt sich die Frage, ob er in Griechisch verfasst ist oder die Überarbeitung des LXX-Textes oder die Übersetzung einer bislang unbekannten hebräischen Vorlage. Die Nähe des zweiten Textes zum LXX-Text spricht jedenfalls für eine enge Beziehung zwischen beiden. Allerdings gibt es einige Ausdrücke, die näher am Semitischen liegen, was auf eine hebräische Vorlage hinweisen könnte. Zu beachten ist auch, dass manchmal Material des LXX-Textes an anderer Stelle auftaucht. Der Ort der Übersetzung des zweiten Textes hängt davon ab, ob man ihn als eine originale Übersetzung oder als Revision betrachtet. Beachtenswert ist, dass es einige Parallelen zur Vetus Latina gibt und auch zur Darstellung der Esthergeschichte bei Josephus. Der zweite griechische Text existierte also spätestens im 1. Jh. n. Chr. De Troyer hat auf einen möglichen Kontext in der römischen Zeit hingewiesen.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Auch hier haben die Zusätze wesentliches Gewicht für die Bewertung. Die beiden Zusätze B und E sind in beinahe klassischem Griechisch verfasst und haben zudem Anklänge an Edikte von Antiochus IV. Epiphanes aus dem 2. Jh. v. Chr. Die anderen Zusätze haben eine mehr semitische Färbung und können als Übersetzungsgriechisch bezeichnet werden. Von der Übersetzerin wurden bestimmte Züge der Darstellung leicht aber doch 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

277

3.1 Esther / Das Buch Ester

deutlich verändert. So ist Haman in der griechischen Fassung nicht mehr (nur) der Feind Mardochais, sondern er wird zum Prototyp der Judenfeindes. In der Übersetzung wird auch unterstrichen, dass es für die Juden auch um die Erlaubnis geht, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, und nicht nur um die Verteidigung gegenüber den Feinden (s. besonders LXX 8,11-13). Es gibt auch eine Betonung des Patriotischen, die im hebräischen Text fehlt. Auch die Charaktere ändern sich: Der König wahrt Distanz gegenüber Hamans Plan und unterstützt Esther und Mardochais bei der Umkehrung der Ereignisse. Der König hat hier auch eine engere Beziehung zu Esther als in der hebräischen Erzählung und Mardochai wird schließlich der »Nachfolger« des Königs, d. h. wohl: der zweite Mann im Staat. Die LXX-Version des Estherbuches unterscheidet sich von der masoretischen Vorlage vor allem durch die Präsenz religiöser Elemente, wie die Gebete Esthers und Mardochais im Zusatz C. Im zweiten griechischen Text finden sich dieselben griechischen religiösen Elemente, allerdings ist dort das Bild Gottes auf den Aspekt des Richters konzentriert, während im LXX-Text Gott König und Richter ist (De Troyer / Rediger Schulte, God absent or present). Interessant ist die (sekundäre?) Stellung des Estherbuches im Papyrus 967 und im Kanongedicht des Amphilochios (Kreuzer, Papyrus 967).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Der hebräische und auch der griechische Text enthalten die blutigen Szenen am Ende der Erzählung, in denen eine große Zahl an Menschen getötet wird. Diese Szenen haben zur negativen Meinung über das Buch bzw. die Kanonizität des Buches Esther geführt. Der alte griechische Text des Estherbuches, wie er besonders in der orthodoxen Kirche tradiert wurde, hat ein Nachleben sowohl in der Liturgie wie auch in der Kunst. So findet sich die Szene des Zusatzes D, wo Esther vor dem König erscheint, von der Darstellung in der Synagoge von Dura Europos bis hinein in die moderne Literatur. 4

6. Perspektiven der Forschung Zum Estherbuch gibt es zwei große offene Forschungsbereiche: Zum einen das weite Problemfeld der Beziehung zwischen dem masoretischen Text und den beiden griechischen Versionen, zum anderen die Analyse und Interpretation der griechischen Fassung in ihrer jeweiligen literarischen und theologischen Eigengestalt. 5

4. 5.

Siehe Dalley, S., Esther’s Revenge at Susa. From Sennacherib to Ahasuerus, Oxford 2007. Siehe dazu zuletzt Schmitz, Gott, und Ego, Theologie.

278

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

3.2 Judith / Das Buch Judit Helmut Engel SJ

1

Literatur

1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R., Iudith, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,4, Göttingen 1979.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Zenger, E., Das Buch Judit, JSHRZ I,6, Gütersloh 1981 — Boyd-Taylor, C., Ioudith, NETS, Oxford / New York 20092, 441-455 — Engel, H., Judit / Das Buch Judith, LXX.D, Stuttgart 20102, 618-635 — Engel, H., Judith / Das Buch Judit, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1297-1315. Miller, A., Das Buch Judith, HSAT IV,3, Bonn 1940 — Enslin, M. S. / Zeitlin, S., The Book of Judith, JAL 7, Leiden 1972 — Gera, D. L., Judith, CEJL, Berlin / Boston 2014 — Moore, C. A., Judith, AncB 40, Garden City/NY 1985 — Schmitz, B. / Engel, H., Judit, HThK 40, Freiburg 2014 (Lit!).

1.3 Weitere Literatur 1.3.1 Aufsätze und Monographien zum Text der Erzählung Bogaert, P.-M., Le calendrier du livre de Judith et la Fête de Hanukka, RTL 15 (1984), 67-72 — Craven, T., Artistry and Faith in the Book of Judith, SBL.DS 70, Chico/CA 1983 — Day, L., Faith, Character and Perspective in Judith, JSOT 95 (2001), 71-93 — Delcor, M., Le livre de Judith et l’époque grecque, Klio 49 (1967), 151-179 — Dubarle, A. M., Judith: Formes et senses des diverses traditions, AnBib 24/1-2, Rom 1966 — Dubarle, A. M., Les textes hébreux de Judith et les étapes de la formation du livre, Bib 70 (1989), 255-266 — Engel, H., Der Herr ist ein Gott, der Kriege zerschlägt. Zur Frage der griechischen Originalsprache und der Struktur des Buches Judit, in: K.-D. Schunck / M. Augustin (Hg.), Goldene Äpfel in silbernen Schalen, BEATAJ 20, Frankfurt 1992, 155-168 — Engel, H., Das Buch Judit, in: E. Zenger u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 362-375 — Gardner, A. E., The Song of Praise in Judith 16:2-17 (LXX 16:117), HeyJ 29 (1988), 413-422 — Grintz, Y. M., Judith, Book of, EJ 10 (1971), 451-459 — Haag, E., Studien zum Buche Judith. Seine theologische Bedeutung und literarische Eigenart, TThSt 16, Trier 1963 — Hanhart, R., Text und Textgeschichte des Buches Judith, MSU 14, Göttingen 1979 — Milne, P. J., What Shall We Do With Judith? A Feminist Reassessment of a Biblical »Heroine«, Semeia 61 (1993), 38-48 — Mittmann-Richert, U., Einführung zum Buch Judith, JSHRZ VI/1, Gütersloh 2000, 82-96 — Rakel, C., Judit – über Schönheit, Macht und Widerstand im Krieg. Eine feministisch-intertextuelle Lektüre, BZAW 334, Berlin 2003 — Schmitz, B., Männlichkeit im Mückennetz. Gendering und Crossgendering der Holofernesfigur in der Juditerzählung, Forschungsforum Bamberg 11 (2003), 21-26 — Schmitz, B., Zwischen Achikar und Demaratos. Die Bedeutung Achiors in der Juditerzählung, BZ NF 48 (2004), 19-38 — Schmitz, B., Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBS 40, Freiburg i. Br. u. a. 2004 — Skehan, P. W., The Hand of Judith, CBQ 25 (1963), 94-110 — Stummer, F., Geographie des Buches Judith, Stuttgart 1947 — VanderKam, J. C. (Hg.), »No One Spoke Ill of Her.« Essays on 1 Literatur

279

3.2 Judith / Das Buch Judit

Judith, SBL.Early Judaism and Its Literature 2, Leiden u. a. 1992 — van Henten, J. W., Judith as Alternative Leader: A Rereading of Judith 7-13, in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to Esther, Judith and Susanna, Sheffield 1995, 224–252 — Zenger, E., »Wir erkennen keinen anderen als Gott an …« (Jdt 8,20). Programm und Relevanz des Buches Judit, rhs 39 (1996), 17-30.

1.3.2 Darstellungen in Kunst und Literatur Bayer, B., Judith in the Arts, EJ 10, Jerusalem 1971, 459-461 — Efthimiadis-Keith, H., Text and Interpretation: Gender and violence in the Book of Judith, scholarly commentary and the visual arts from the Renaissance onward, OTEssays 15 (2002), 64-84 — Friedman, M., The Metamorphosis of Judith, Jewish Art 12/13 (1986/87), 225-246 — Hellmann, M., Judit – eine Frau im Spannungsfeld von Autonomie und göttlicher Führung, EHS.T 444, Frankfurt a. M. 1992, 166206 — Purdie, E., The Story of Judith in German and English Literature, Bibl.RLC 39, Paris 1927 — Seibert, J., Judith, LCI II, Freiburg i. Br. u. a. 1970, 454-458 — Stocker, M., Judith. Sexual Warrior. Women and Power in Western Culture, New Haven / London 1998 — Stone, N., Judith and Holofernes: Some Observations on the Development of the Scene in Art, in: J. C. VanderKam (Hg.), »No one spoke Ill of her«. Essays on Judith, SBL. Early Judaism and its Literature 2, Atlanta/GA 1992, 73-93 — Lempges, A., Bilder Judits nach dem biblischen Buch und in der darstellenden Kunst (unveröff. Diplomarbeit, Frankfurt Sankt Georgen 1999).

2. Textüberlieferung Robert Hanhart hat den gut bezeugten griechischen Text des Buches Judit 1979 vorzüglich kritisch ediert und dabei die alten Übersetzungen berücksichtigt, die sich an den griechischen Text anschließen (VL, Syr, Sa, Aeth, Arm). Nach Hanharts Analyse bieten die Majuskeln B (Vaticanus, 4. Jh.; nah verwandt ist die Hs. 55 und die äthiopische Übersetzung), A (Alexandrinus, 5. Jh.; verwandt ist die Hs. 542), V (Venetus, 8. Jh.) und in geringerem Maße S (Sinaiticus, 4. Jh.; von dem Blatt mit dem Text 11,13– 13,9 ist nur ein Bruchstück erhalten) einen von rezensionellen Überarbeitungen noch wenig beeinflussten Text. Die übrigen griechischen Handschriften, 35 Minuskeln und zwei Majuskelfragmente, ordnet Hanhart vier Gruppen zu. Dabei schließen sich die altlateinische und die syrische Übersetzung weithin an die »hexaplarisch« genannte Rezension (58.583) an. Eine fünfte Gruppe, codices mixti, enthält je in verschiedenem Umfang unterschiedliche rezensionelle Elemente. Meistens ist Jdt in den Handschriften zusammen mit Ester und Tobit an zweiter oder an dritter Stelle überliefert. In Ganzbibelhandschriften hat diese Dreiergruppe aber keinen festen Platz, z. B. steht sie in B hinter den Liedern und Weisheitsschriften (Ps-Spr-Koh-Hld-Ijob-Weish-Sir) und vor den Prophetenbüchern, in S dagegen hinter 1.2Chr–Esdr und vor 1–4Makk, in V hinwiederum befindet sich Est hinter Chronik und vor Esdras (im vatikanischen Teil der Handschrift) und Tob-Jdt (im venezianischen Teil der Handschrift) hinter den Weisheits- und den Prophetenbüchern (12+4) und vor 1–4Makk. Ein eigenes Problem stellt der Text der Vulgata dar, der lateinischen Übersetzung des Hieronymus (um 398), die nicht nur um ca. ein Fünftel kürzer ist als die griechische Textfassung, sondern auch Erweiterungen enthält und insgesamt nur zur Hälfte mit dem griechischen Text genauer übereinstimmt. Hieronymus schreibt in seiner Vorrede, das Buch Judit sei auf Aramäisch verfasst und werde bei den Juden 280

2. Textüberlieferung

3.2 Judith / Das Buch Judit

unter den hagiographa (Erbauungsschriften) gelesen. Er habe nur eine einzige kleine Nachtschicht (unam lucubratiunculam) auf seine Übertragung verwendet und mehr sinngemäß als wortwörtlich übersetzt. Die »äußerst fehlervolle Verschiedenheit der vielen Handschriften« (gemeint sind wohl die altlateinischen) habe er beschnitten und nur, was er in verbis chaldaeis voll verständlich vorgefunden habe, lateinisch ausgedrückt. Ein aramäischer Text, der Hieronymus vorgelegen haben könnte, ist jedoch nicht einmal in einem Fragment erhalten. Um 245 hatte Origenes in seinem Antwortbrief an Julius Africanus zwar geschrieben, die »Hebräer« hätten die Bücher Tobit und Judit nicht in Gebrauch und besäßen sie auch nicht unter den Apokryphen auf Hebräisch; daraus lässt sich aber wohl nicht zweifelsfrei folgern (obwohl es denkbar ist), dass der aramäische (»chaldäische«) Text, der Hieronymus 150 Jahre später vorlag und der ihm als zu den nichtkanonischen Hagiographen zählend bezeichnet wurde, erst ein »nachorigenisches Produkt« sei (A. Miller; so auch M. S. Enslin). Den Gewährsleuten des Origenes mögen Schätze der Überlieferung unzugänglich gewesen sein, die rabbinischen Lehrern zur Zeit des Hieronymus bekannt waren. A. M. Dubarle hat in mehreren Veröffentlichungen seine Auffassung dargelegt, die mittelalterlichen hebräischen Langfassungen der Juditerzählung (Texte nach Handschriften aus dem 11.–14. Jh.) seien weder Übersetzung der Vulgata noch freie Umformung des griechischen Textes, sondern Übersetzung oder Bearbeitung des aramäischen Textes, der Hieronymus vorlag. Angesichts der durchgehenden Übereinstimmung mit der Vulgata bei nur wenigen Abweichungen, die z. T. griechischer Sekundärüberlieferung entsprechen (R. Hanhart), hat diese These wenig Zustimmung gefunden. Erst recht ist über die Midraschim, die A. M. Dubarle übersichtlich aufgeführt hat, kein Zugang zur Vorlage des Hieronymus mehr zu gewinnen.

3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches 3.1 Aramäische oder hebräische Vorformen? Griechische Neugestaltung Der griechische Text enthält einerseits, besonders in den narrativen Abschnitten, zahlreiche Elemente in Syntax und Wortwahl, die ihn als Übersetzung aus einem semitischen Original zu kennzeichnen scheinen. E. Zenger hatte 1981 als »Indizien für einen hebräischen Urtext« im Anschluss an L. Soubigou und Y. M. Grintz aufgezählt: Die häufige Parataxe von Sätzen mit καί statt einer Zuordnung durch Konjunktionen; die häufige Satzstellung Verb–Subjekt–Objekt; die Verwendungsvielfalt von ὅτι (wie hebräisches ‫ ;)כי‬καὶ νῦν in Entsprechung zu ‫ ;ועתה‬Hebraismen im Gebrauch von σφόδρα (πολύ,), πᾶς, ἐν μέσῳ, υἱός (zur Bezeichnung der Zugehörigkeit), πρόσωπον in Verbindung mit einer Präposition für hebräisches ‫מלפני‬, ‫לפני‬, wo im Griechischen die Präposition allein genügen würde; die Gottesbezeichnung κύριος θεός für ‫;יהוה אלהים‬ Fehlen der im Griechischen häufigen Partikeln ἄρα, γε, τε, οὖν; u. a. Andererseits ist aber der griechische Text, besonders in den Reden und Gebeten, von der Septuaginta und nicht vom hebräischen Text des AT her formuliert und verwendet Stilfiguren, die Original- und nicht Übersetzungsgriechisch sind (ausführlich dazu Engel, Originalsprache). Da die Reden, die Gebete und der Schlusshymnus je3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches

281

3.2 Judith / Das Buch Judit

doch den Buchaufbau und die theologische Leitidee der Erzählung entscheidend bestimmen, ist als Originalsprache des vorliegenden Juditbuches das Griechische anzunehmen. Falls aramäische oder hebräische Vorformen des Erzählstoffes existierten, ist zu beobachten, dass der Verfasser des griechischen Juditbuches sie noch viel tiefgreifender umgestaltete, als es durch die griechischen Erweiterungen beim Buch Ester geschah.

3.2 Verwendete Überlieferungen und literarische Form Schon von den ersten Worten des Buches an werden die Leser darauf aufmerksam gemacht, dass im Folgenden nicht in der Art der Königs-, Chronik- oder Makkabäerbücher erzählt wird, sondern eher wie z. B. im Jona- oder im Danielbuch: Aus verschiedenen Epochen stammende historische und geographische Überlieferungen werden in einer neuen paradigmatischen Erzählung zusammengeführt. Nebukadnezzar, König des Neubabylonischen Reiches (605–562 v. Chr.) – in der LXX wird er immer mit der Namensform »Nabuchodonosor« genannt – ist in der jüdischen Tradition der Inbegriff eines Feindes und Unterdrückers, der Zerstörer Jerusalems und des Tempels und der Verantwortliche für die Verschleppung der Bevölkerung nach Babylonien. Durch die Lokalisierung Nabuchodonosors in Ninive (diese Hauptstadt des Neuassyrischen Reiches war 612 v. Chr., noch vor dem Regierungsantritt Nebukadnezzars, unter seinem Vorgänger zerstört worden) und seine Bezeichnung als »König der Assyrer« werden mit dieser Gestalt im Juditbuch auch die Erinnerungen an das Neuassyrische Reich verbunden, die brutalste Kriegsmacht des Alten Orients, die 722 v. Chr. den Staat Israel und seine Hauptstadt Samaria zerstört und unter Sanherib 701 v. Chr. Juda verwüstet und Jerusalem eingekesselt hatte (2Kön 18– 19; Jes 36–37). Die Erfahrungen mit diesen Großmächten erzählt das Juditbuch so, dass der König Nabuchodonosor für sich unbedingten Gehorsam (2,5-13) beansprucht und sein Repräsentant Holofernes diesen Anspruch noch zur Behauptung der Göttlichkeit (6,2) steigert. Die persischen Namen des Feldherrn Holofernes und des Eunuchen Bagoas, die Bezeichnung von Gouverneuren als Satrapen u. a. verknüpfen zudem noch die Ereignisse während der persischen Oberherrschaft (z. B. den großen Feldzug des Artaxerxes III. Ochos über Syrien, Phönizien bis nach Ägypten in der Mitte des 4. Jh. v. Chr.) mit Nabuchodonosor, dem großen Feind. Aus dieser Perspektive werden innerhalb des Schlusshymnus die in der voraufgehenden Erzählung und in 16,3 »Assur/Assyrer« Genannten in 16,10 als »Perser und Meder« bezeichnet. Zugleich aber ist die im Juditbuch beschriebene Situation transparent auf den Alexanderzug (vgl. in 1,6 die Erwähnung des Hydaspes) und die Not in der seleukidischen Zeit unter den syrischen Königen Antiochos IV. Epiphanes und Demetrios I. – bei »Assyrien« soll wohl auch Syrien anklingen. Das Auftreten und das Schicksal des Holofernes wird in Entsprechung nicht nur zu Sisera, dem Heerführer des Kanaanäer-Königs Jabin von Hazor in der fernen Richterzeit (Ri 4–5), und zum Philistervorkämpfer Goliat, der die »Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnte« und dem der kleine David mit dessen eigenen Schwert den Kopf abschlug (1Sam 17), sondern auch und besonders zum seleukidischen General Nikanor erzählt, dessen Kopf und rechte Hand als Siegestrophäen in Jerusalem aufgehängt worden waren (1Makk 7; 2Makk 15). 282

3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches

3.2 Judith / Das Buch Judit

Wie der Erzähler in Nabuchodonosor und seinem Repräsentanten Holofernes Überlieferungen von militärisch weit überlegenen Eroberern und Unterdrückern aus vielen Jahrhunderten verdichtet, so stattet er auch die beiden anderen Hauptfiguren seines Werkes, den Ammoniterführer Achior und die schöne, kluge und gottesfürchtige Witwe Judit, mit Zügen von großen Gestalten der biblischen Überlieferung und der griechischen Literatur aus, jedoch mit bezeichnenden Veränderungen. Durch seine von der Rettungsmacht des Gottes Israels überzeugte Rede erscheint Achior dem Holofernes wie ein (abzulehnender) Prophet (6,2), so wie einst Bileam dem Balak (Num 23–24). Zugleich leuchtet in diesem zum festen Glauben an den Gott Israels gelangten Nichtjuden, der so vorzüglich die Geschichte Israels als Spiegel der Treue des Volkes zu seinem Gott erkannt hat, das Proselytenideal in der hellenistischen Zeit durch. Nach Vollzug der Beschneidung wurde er »dem Haus Israel hinzugefügt« (14,10). Angesichts des Verbotes in Dtn 23,4, jemals einen Ammoniter oder Moabiter aufzunehmen, ist das eine pointierte Aussage. In der Achior-Rede im Abschnitt über die Vorfahren Israels (5,6-9) wird deren Abstammung von Chaldäern und ihre Vertreibung aus Chaldäa wegen ihres Religionswechsels wohl deshalb so ausführlich dargestellt, um die »richtige« Auslegung der Torabestimmung in Dtn 23,4 zu zeigen: Ein Proselyt, selbst einer von ammonitischer Herkunft, ist kein »Ammoniter« mehr, wie Abraham kein »Chaldäer« mehr war. Schon in seinem Namen klingt Achior an den weisen Achikar an, den Berater und Siegelbewahrer der assyrischen Könige Sanherib und Asarhaddon. Die Rolle Achiors im Buch Judit zeigt mehrere Parallelen zur Achikar-Gestalt sowohl in der außerbiblischen Überlieferung als auch im Tobitbuch. Über die Strukturverwandtschaft der Juditerzählung im Ganzen mit der Bedrohung Griechenlands durch den Perserkönig Xerxes in der Darstellung Herodots (Hist. VII-IX) hinaus hat insbesondere das Gespräch, das Xerxes gleich nach der Überquerung des Hellesponts mit dem ihn begleitenden abgesetzten Spartanerkönig Demaratos führt (Herodot, Hist. VII,101-104), eine ähnliche Funktion wie die Rede Achiors vor Holofernes in Jdt 5 (zu den Bezugnahmen auf die Achikar-Überlieferung und auf den Xerxes-Zug bei Herodot s. Schmitz, Achikar). In Judit, der herausragenden Gestalt des Buches, verdichtet der Erzähler Züge großer Frauengestalten der biblischen Überlieferung: Wie einst Mirjam (Ex 15) nach der Rettung am Meer, so führt Judit die Frauen bei der Sieges- und Dankprozession an, dazu noch die Männer (15,14), und ist Vorsängerin. Wie die Prophetin und Richterin Debora, die den Kampf gegen die Kanaanäer durch Barak leitete und mit ihm das Siegeslied anstimmte (Ri 4–5), gibt Judit dem Heer Anweisungen, wie vorzugehen ist; und wie Jaël ist sie es, die den Feldherrn ganz unmilitärisch im Zelt tötet. Über diese biblischen Frauenbilder hinaus jedoch ist Judit als persönlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich unabhängige, selbständig und klug handelnde Frau, als überzeugend argumentierende Weisheitslehrerin und als ermutigende Theologin gezeichnet, die sich in Schrift und Tradition Israels hervorragend auskennt. Wie eine wahre Prophetin zeigt sie die Schuld und das Versagen der politisch und religiös verantwortlichen Männer auf (8,11; vgl. Mi 3,8). In ihren Gebeten wird sie als vorbildlich Glaubende und auf Gott Vertrauende erkennbar, die von ihm alle Hilfe für sein Volk erhofft. Ihre staunenswerte körperliche Schönheit wird in 10,10.14. 18 f.23; 11,21.23 wie die der Helena in einer Weise dargestellt, die der griechischen Welt seit Homer geläufig ist, nämlich 3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches

283

3.2 Judith / Das Buch Judit

im Spiegel der sie erblickenden Männer (vgl. die Teichoskopie in der Ilias III, 146-160). Die Freilassung ihrer Leibmagd vor Judits Lebensende zeigt ein in hellenistischer Zeit ideales Verhalten. Die Darstellungstechnik, eine umfassende Geschichtserfahrung und -deutung in individuellen Begebenheiten und in einer Vielfalt von literarischen Formen, im Zusammenspiel kontrastierender Gestalten und Szenen auszudrücken, entspricht der des antiken Romans (E. Zenger). Zugleich geben aber die zahlreichen Reden und Gebete, die für das Gesamtgefüge des vorliegenden Juditbuches tragende Bedeutung haben, der Erzählung ein lehrhaftes Gepräge. Von daher kann bezüglich seiner literarischen Form das Juditbuch als romanhafte theologische Lehrerzählung bezeichnet werden.

3.3 Aufbau, Erzählfaden und theologische Anliegen des Buches 3.3.1 Der Gang der Erzählung Der erste Abschnitt (Kap. 1–3) des ersten Buchteils (Kap. 1–7) umschreibt in großen Zügen den Herrschaftsanspruch des »Nabuchodonosor, Königs der Assyrer in der großen Stadt Ninive« und seine Forderung gottgleicher Verehrung gegenüber der gesamten bewohnten Welt (in den Ausmaßen, wie sie sich im 2. Jh. v. Chr. ein palästinischer Erzähler und seine Leser vorstellten). Den Auftakt bildet eine militärische Machtdemonstration im Osten gegen König Arphaxad von Medien. Da die Völker im Westen ihn »nur als einen Menschen« (1,11) betrachten und ihm bei seinem willkürlichen Vorhaben die Gefolgschaft verweigern, plant Nabuchodonosor einen grausamen Unterwerfungszug, den sein Feldherr Holofernes, angefangen von Obermesopotamien über Kleinasien und Syrien bis hin nach Ägypten und Äthiopien, führen soll. Ziel ist die Anerkennung Nabuchodonors als einzige Macht und als »Gott« (3,8). Mit der Errichtung eines Lagers für das Riesenheer am Gebirgsabhang von Juda ist die Situation gegeben, von der aus dann im Folgenden erzählt wird. Der zweite Abschnitt des ersten Buchteils (Kap. 4–7) entfaltet das Problem der Erzählung: Werden auch die Israeliten, ebenso wie die anderen Völker ringsum, nach anfänglichem Widerstand in der äußersten Not durch Unterwerfung schließlich doch Nabuchodonosors Anspruch anerkennen, oder werden sie trotz allem ihrem Gott, dem Herrn, die Treue halten und sich auf die Macht des Herrn, sie zu retten, verlassen? Umrahmt von Ausmalungen der furchtbaren Notsituation der Israeliten (Kap. 4 und 7) beantwortet ein Nichtjude, der Ammoniter Achior, die Frage des Holofernes: »Wer ist dieses Volk?« (5,3) durch einen dreiteiligen Geschichtsrückblick auf die Rettungstaten ihres Gottes: Nur wenn die Israeliten sich von ihm abwendeten, könnten sie bezwungen werden. Holofernes und sein Heer weisen diese Sichtweise als mit dem Anspruch Nabuchodonosors unvereinbar zurück; der Erfolg werde entscheiden. Der zweite Buchteil (Kap. 8–16) ist in seinen drei Großabschnitten ganz bestimmt durch die überragende Gestalt der Judit, ihre Reden, Bitt- und Dankgebete. Zu Beginn des ersten Abschnitts (Kap. 8–9) wird Judit »biographisch« vorgestellt, dann tadelt sie in einer prophetisch-theologischen Lehrrede die Verantwortlichen und bewegt sie zum Umdenken. Ihr großes Gebet lässt die Leser ihre auf die Überlieferungen des Volkes Israel gegründete Hoffnung und ihr Vertrauen auf den Israel errettenden Gott 284

3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches

3.2 Judith / Das Buch Judit

erkennen, der durch ihre Hand auch jetzt Hilfe schenken wird. Im zweiten Abschnitt (10,1–13,10) wird das Gelingen des Vorhabens der schönen, klugen und gottesfürchtigen Frau erzählt: Holofernes, der Repräsentant des Gewalt und Tod verbreitenden »Gottes« Nabuchodonosor verliert seinen Kopf – im doppelten Sinn. Der Schlussabschnitt (13,11–16,25) schildert Freude und Dank über die Rettung bei den Israeliten, Verwirrung und Flucht bei den Feinden, und gipfelt im Gesang Judits und des Volkes während der Prozession nach Jerusalem zum Dankfest. Mit einigen Notizen über das lange Leben der hochgeachteten, heldenhaften Witwe und das ihren Tod weit überdauernde Unbehelligtbleiben der Israeliten endet die Erzählung.

3.3.2 Theologische Themen Das Anliegen des Buches ist es, erzählend darzulegen, wer und wie Gott ist, wie die Menschen sich im Reden und Handeln »richtig« (8,11) gegenüber dem Herrn, dem Gott Israels, verhalten und welche Beziehung zwischen menschlichem Einsatz und der Rettung durch Gott besteht. Gegenüber einem »Gottheitserweis« durch unwiderstehliche Macht, verkörpert in Holofernes mit seinem Heer, verbunden mit Furcht und Schrecken, Gewalt, Versklavung, Verwüstung und Tod bezeugt Judit eine völlig andere Gottesvorstellung in Gebet und Lied und Verhalten: »Deine Macht stützt sich nicht auf große Zahl und deine Herrschaft nicht auf Starke; sondern der Erniedrigten Gott bist du, der Unterlegenen Helfer bist du, Beistand der Schwachen, der Verachteten Beschützer, der Verzweifelten Retter« (9,11). An zwei hervorgehobenen Stellen, in 9,7 im großen Gebet Judits und in 16,2 im Schlusshymnus, zitiert sie Ex 15,3 nach der Septuaginta: Dort ist die Aussage »Jhwh ist ein Kriegsmann/-held« (so der hebräische Text) ersetzt durch κύριος συντρίβων πολέμους: »Der Herr ist einer, der Kriege zerschlägt« (eine ähnliche antimilitärische Umdeutung des hebräischen ‫ יהוה איש מלחמה‬geschieht in Jes 42,13LXX). Von solchen Bekenntnisaussagen her ist die zweite Buchhälfte konzipiert: Gott kämpft nicht, er lässt auch nicht die Israeliten die besseren Soldaten oder überlegen bewaffnet sein, seine Hilfe und rettende Macht passt überhaupt nicht in militärische Kategorien, ironisiert diese vielmehr: Er rettet »durch die Hand einer Frau« (9,10; 13,15; 16,5-9; unverkennbar wird mit dieser Wendung auf die Ur-Rettungstat beim Exodus »durch die Hand des Mose« bzw. durch die »Hand Gottes« zurückverwiesen, vgl. P. W. Skehan). Durch das nach militärischen Maßstäben Schwächste und zu Angriff oder Verteidigung Ungeeignetste kann Gott einer verheerenden Weltmacht Einhalt gebieten. Der Anspruch des gewalttätigen Nabuchodonosor und seines »Propheten« Holofernes ist damit als Selbstüberhebung (ὑπερηφανία) aufgedeckt (6,19; 9,9). Die Tat Judits ist in vorbereitendes, begleitendes und dankendes Gebet eingebettet und wird Gott als Rettungstat mit Preis und Dank zugeschrieben (9,10; 13,14 f.; 14,10; 15,8; 16,2.5). Nirgends im Buch steht diese Zuschreibung jedoch in Konkurrenz dazu, dass die wohlhabende, kluge, schöne und gottesfürchtige Frau in eigener Initiative mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln handelt und persönlich voll das Risiko ihrer Unternehmung trägt (so ausdrücklich: 13,20; 15,10; vgl. 8,24.32 f.). Die Erzählung verzichtet auf jedes »Wunder«, d. h. Gott wird nicht als ein Faktor neben anderen, die die Ereignisfolge beeinflussen, benannt. Der Verfasser verkörpert in Judit, was »gottesfürchtig leben« bedeutet, nämlich: in grenzenlosem Vertrauen auf den Gott Israels eigenverantwortlich, klug abwägend und mutig handeln. Die Niederlegung ihres ge3. Sprache, Stil und Erzählweise des Juditbuches

285

3.2 Judith / Das Buch Judit

samten Beuteanteils als Weihegabe im Jerusalemer Tempel (16,19) drückt die Überzeugung aus, dass das Gelingen der Rettung im Letzten jedoch nicht dem hohen persönlichen Einsatz, der ganz unverzichtbar ist, sondern Gott allein verdankt wird. Zu der Beurteilung des Fehlverhaltens der Ältesten und der Einwohner Betulias in Judits theologischer Lehrrede (8,11-27), zu den Umkehrungen der Gender-Erwartungen in der zweiten Buchhälfte, zu den ständigen und verschiedenartigen Bezugnahmen auf Figuren, Episoden, Motive und Texte aus den älteren biblischen Büchern und deren kreative Umgestaltung zu einer Erzählung, in der die gegenwärtigen Verhältnisse und Ereignisse der Hasmonäerzeit theologisch-kritisch gespiegelt und nach den der Heiligen Schrift entnommenen Maßstäben beurteilt werden, und zur ambivalenten Rezeption des Buches s. den Kommentar Schmitz / Engel, Judit.

4. Zeit und Ort der Entstehung Der Hinweis auf die Juditgestalt mit Wendungen, die nur in Jdt 9,11 vorkommen, im Brief des Clemens von Rom (1Clem 55,3-5; um 96 n. Chr.) bietet einen sicheren terminus ad quem. Eine Reihe von Angaben innerhalb der »erzählten Welt« des Buches lassen aber auch den historischen Standort des Erzählers und einen terminus a quo erschließen, wann frühestens das vorliegende griechische Juditbuch verfasst wurde. Durch den Abriss der Geschichte Israels, mit dem Achior die Holofernesfrage beantwortet, wer dieses Volk sei, das im Bergland wohnt (5,3), werden die Leser in die Zeit geführt, von der die Erzählung handelt: Nach vielen Kriegen, Deportation, Zerstörung des Tempels und Fremdherrschaft über ihre Städte sind sie aus der Diaspora zurückgekommen, haben Jerusalem mit dem Tempel wieder in Besitz genommen und sich im »öden Bergland« angesiedelt (5,18-19; vgl. dazu die Verheißung in Ez 36,33-38 und grundlegend: Ex 15,17). Dass aber nicht nur die Perserzeit im Blick ist, wird aus der Einführungsbeschreibung der »Israeliten« deutlich: Sie waren vor kurzem von der Deportation zurückgekommen, das ganze Volk hatte sich versammelt, und die entweihten Geräte, Altar und (Tempel-) Haus waren geheiligt worden (4,3). Im Esrabuch (Esra 1–6) ist zwar vom Zurückbringen der Geräte aus Babylon, wohin Nebukadnezzar sie 587 mitgenommen hatte, von einer Versammlung des ganzen Volkes und vom Wiederaufbau des Altars und des Tempels die Rede, nicht aber von einer Heiligung, weil sie entweiht gewesen seien. Die Erzählung nimmt also Bezug auf die Vorgänge im Jahre 516 v. Chr., um auf die Ereignisse des Jahres 164 v. Chr. zurückzuschauen: Einnahme des Tempelbezirks und der Stadt durch Judas Makkabäus, Reinigung des Tempels und Einführung des »ḥanukkā-Festes (1Makk 4,36-59; 2Makk 10,1-10). Die Handlung in Kap. 4–16 lokalisiert die »Israeliten, die in Judäa wohnen«, im Bergland, das sich von Jerusalem bis an den Abhang zur Jesreel-Ebene erstreckt. Die Provinz Jehud, der Jerusalemer Tempelstaat, hatte in der Perserzeit noch nicht diese Ausdehnung. An der Meeresküste (erwähnt werden Sidon, Tyrus, Akko, Jamnia, Aschdod, Aschkelon und deren Hinterland) wohnen Nichtjuden (2,28–3,8). Damit ist vielmehr die politische Lage am Ende des 2. Jh. v. Chr. gekennzeichnet, nachdem Johannes Hyrkan (135–104) Sichem mit dem Garizim erobert (nach 129 v. Chr.) und Samaria annektiert hatte (um 107 v. Chr.) und bevor Judas Aristobulos 104/103 Galiläa judaisierte und Alexander Jannaios die Küstenregion mit Gaza hinzugewann (um 96 v. Chr.). 286

4. Zeit und Ort der Entstehung

3.2 Judith / Das Buch Judit

Die Angabe, dass der Hohepriester die administrative und militärische Leitung hatte und ihm in Jerusalem ein Senat (γερουσία) zur Seite stand (4,8; 11,14; 15,8), weist auf die Hasmonäerzeit nach Judas Makkabäus und Jonatan als Standort des Erzählers. Der Name der Hauptfigur Ιουδειθ bzw. Ιουδηθ (Itazismus) dürfte als Kontrast zu Ιουδας Μακκαβαῖος gewählt sein. Auch die Frage nach der Identität von Βαιτυλουα ist von der programmatischen Fiktionalität her zu klären. Die Lage Betulias an der Passstraße von der Jesreelebene hinauf ins Bergland von Samaria und Judäa ist wohl angeregt durch die Jaël-Geschichte (Ri 4–5) und die Nikanorerzählung (2Makk 15). Es ist ein Programmname, vielleicht gräzisiert aus ‫ בית אלוה‬bēt ’ælóah »Gotthausen«. Der Verfasser hält eine kritische Distanz zum amtierenden Hohenpriester und seinen Tätigkeiten, auch wenn der Jerusalemer Tempel mehrfach als zentrales Heiligtum der Verehrung des Gottes Israels bezeichnet wird, dorthin am Ende die Dankprozession führt und dort die Weihgeschenke Judits niedergelegt werden. Über den Entstehungsort der Erzählung (nördlich von Juda?) lässt sich jedoch nichts Sicheres ausmachen.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Eine einschneidende Veränderung durch Kürzungen, Einfügungen und Umformulierungen erfuhr die Juditerzählung durch die Bearbeitung des Hieronymus (s. oben 2.), der offenbar ein besonderes Problem mit den Frauenrollen in der Erzählung hatte. Schon im Prolog verengt die Vulgata-Fassung die Bedeutung der Judit-Figur auf ein exemplum castitatis. »Diese hat nämlich nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern derjenige zur Nachahmung gegeben, der ihr als Belohner ihrer Keuschheit solche Stärke zuteilte, dass sie den von allen Menschen Unbesiegten besiegte, den Unüberwindlichen überwand.« Dieser einschränkenden Deutung entstammen auch die Zusätze durch Hieronymus z. B. in 10,4Vg und 16,25Vg. Er errichtete aus freien Stücken für die von ihm gezeichnete Iudith in 8,5 statt eines Zeltes auf dem Flachdach ein cubiculum und gibt ihr dahinein puellas »Mägde« mit, weil er das wohl für »schicklicher« hielt. Auch dass der ἅβρα »Obermagd« des griechischen Textes die gesamte Güterverwaltung, die vorher der Mann der jetzt reichen Witwe Judit innehatte, als einer Art Geschäftsführerin übertragen und sie damit auch die Dienstvorgesetzte der Knechte und Mägde war, findet in IdtVg keine Erwähnung (Hieronymus »übersieht« Jdt 8,10LXX oder »schneidet es weg« amputavi). Dass die Stadtältesten nach 8,10LXX einer Vorladung Judits folgen, wird in 8,9Vg entschärft, und während in 15,9LXX der Hohepriester und die Gerusia Judit in ihrem Hause aufsuchen, lässt Hieronymus sie zu diesen Männern in die Stadt Betulia herausgehen. Da das Buch Judit in der westlichen Kirche in der Vulgatafassung gelesen wurde, blieben viele Charakteristika der griechischen Originalfassung unbekannt. Auch die Umsetzungen in Theaterdramen, z. B. in und nach der Barockzeit, hatten die Vulgata als Grundlage. Die literarischen Neugestaltungen wählten oft nur die eine Szene der Tyrannentötung durch die Hand einer Frau als Vorlage für freie Änderungen und Weiterführungen. In der darstellenden Kunst (Gemälde und Skulpturen) wird ebenfalls in der Regel diese Szene zu unterschiedlichen Zwecken verschieden gestaltet, z. B. Judit als Personi5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

287

3.2 Judith / Das Buch Judit

fikation der humilitas, die die superbia besiegt, oder unter den Rettergestalten als weibliche Entsprechung zu David, der Goliat erschlug, oder als Symbol städtischer Freiheit (Bronzegruppe Donatellos), oder als demütige Siegerin und Friedensbotin (Botticelli), oder säkularisiert als Aktfigur der siegreichen Heldin (Hans Baldung, gen. Grien; Lucas Cranach d. Ä.), als Manntöterin (Caravaggio; Artemisia Gentileschi; Cristofano Allori) oder auch als Femme fatale (Gustav Klimt), s. dazu A. Lempges.

6. Perspektiven der Forschung Gegenüber vielen früheren Auslegungen werden künftige Kommentare zum einen die ausdrückliche und programmatische Fiktionalität der Erzählung und zum anderen Griechisch als Originalsprache des vorliegenden Juditbuches zum Ausgangspunkt der Auslegung machen (so bereits Schmitz / Engel, Judit). Die Bezugnahmen auf Ereignisse, einzelne große Figuren und Wendungen in den älteren biblischen Büchern und ihre kreative Umgestaltung sind dabei ständig zu beachten. Große Aufmerksamkeit beanspruchen werden außer der Septuaginta als Bezugstext auch jüdische Auslegungstraditionen, die sich teilweise noch in den erhaltenen nichtbiblischen Texten erkennen lassen. Es wird noch eingehender zu erforschen sein, inwieweit zur Zeit der Abfassung verbreitete hellenistische Literatur Einfluss auf die Struktur des Buches, Motive und Darstellungsweisen hatte, und wodurch die in der zweiten Buchhälfte beobachtbaren Umkehrungen der Gender-Erwartungen angeregt wurden. Eine all dies einbeziehende Auslegung wird das Profil der Theologie des Buches, die besonders in den in die Erzählung eingeflochtenen Reden und Gebeten zu erkennen ist, noch klarer und umfassender darstellen können. Bei der Untersuchung der Rezeptionsgeschichte müssten die Einzelheiten der Veränderungen, die die Vulgata-Fassung gegenüber JdtLXX zeigt, systematisch erfasst werden. Im Anschluss daran könnten die Auffassungen von A. M. Dubarle, der auch die mittelalterlichen hebräischen Fassungen des Juditstoffes zusammengestellt hat, nochmals gründlich geprüft werden.

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6. Perspektiven der Forschung

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias Katrin Hauspie

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — BML III/1, 1940 — Hanhart, R., Tobit, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum VIII,5, Göttingen 1983.

1.2 Qumran 4QpapToba aram = 4Q196 — 4QTobb-d aram = 4Q 197-199 — 4QTobe = 4Q200 (DJD 19)

1.3 Übersetzungen und Kommentare Ego, B., Tobit, JSHRZ II/6, Gütersloh 1999, 873-1007 — Di Lella, A. A., Tobit, NETS, Oxford / New York 2007, 456-477 — Ego, B., Das Buch Tobit (Tobias), LXX.D, Stuttgart 20102, 635-663 — Das Buch Tobit (Tobias), LXX.E I, Stuttgart 2011, 1316-1352.

1.4 Weitere Literatur Auwers, J.-M., La tradition vieille latine du livre de Tobie: un état de la question, in: G. G. Xeravits / J. Zsengellér (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005, 1-21 — Deselaers, P., Das Buch Tobit, OBO 43, Fribourg / Göttingen 1982 — Di Lella, A. A., The Deuteronomic Background of the Farewell Discourse in Tob 14:3-11, CBQ 41 (1979), 380-389 — Engel, H., Das Buch Tobit, in: E. Zenger, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 350-361 — Ewald, H., Geschichte des Volkes Israel bis Christus, Anhang zum zweiten und dritten Teil, Göttingen 18542 — Farmer, W. R. (Hg.), The International Bible Commentary, Collegeville/PA 1998. — Fitzmyer, J. A., The Aramaic and Hebrew Fragments of Tobit from Cave 4, CBQ 57 (1995), 655-675 — Fitzmyer, J. A., Tobit, DJD 19, Oxford 1995 — Fitzmyer, J. A., Tobit, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin / New York 2003 — Fritzsche, O. F., Die Bücher Tobia und Judith erklärt, Leipzig 1853 — Gamberoni, J., Die Auslegung des Buches Tobias in der griechisch-lateinischen Kirche der Antike und der Christenheit des Westens bis um 1600, SANT 21, München 1969 — Gross, H., Tobit. Judit, NEB 19, Würzburg 1987 — Hallermayer, M., Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin 2008 — Hartmann, M., Unterwegs mit dem Engel: Das Buch Tobias nach der Übersetzung Martin Luthers mit Illustrationen vom Rembrandt, Stuttgart 1992 — Levine, A.-J., Tobit: Teaching Jews How to Live in the Diaspora, Bible Review 8 (1992), 42-51, 64 — Littman, R. J., Tobit: The Book of Tobit in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2008 — Miller, G. D., Marriage in the Book of Tobit, DCLS 10, Berlin 2011 — Moore, C. A., Tobit. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 40A, Garden City/NY 1996 — Nowell, I., Tobit: Attitude toward the Nations, TBT 25 (1987), 283-288 — Poehlmann, W., Book of Tobit, Dictionary of Biblical Interpretation (1989), 577-581 — Reischert, A., Kompendium des musikalischen Sujets. Ein Werkkatalog, Kassel / Basel 2001 — Simpson, D. C., The Book of Tobit, APOT 1, Oxford 1913 — Skemp, V. T. M., The Vulgate of Tobit Compared with other Ancient Witnesses, SBL.DS 180, 1. Literatur

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3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

Atlanta/GA 2000 — Spencer, R. A., The Book of Tobit in Recent Research, Currents in Research: Biblical Studies 7 (1999), 147-180 — Stuckenbruck, L. T., The »Fagius« Hebrew Version of Tobit: An English Translation Based on the Constantinople Text of 1519, in: G. G. Xeravits / J. Zsengellér (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005, 189-219 — Thomas, J. D., The Greek Text of Tobit, JBL 91 (1972), 463-471 — Toloni, G., L’originale del libro di Tobia. Studio filologico-linguistico, Madrid 2004 — Wagner, C. J., Polyglotte TobitSynopse. Griechisch – Lateinisch – Syrisch – Hebräisch – Aramäisch, Göttingen 2003 — Weeks, S. / Gathercole, S. / Stuckenbruck, L. (Hg.), The Book of Tobit. Texts from the Principal Ancient and Medieval Traditions, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 3, Berlin 2004 — Weigl, M., Die rettende Macht der Barmherzigkeit. Achikar im Buch Tobit, BZ 50 (2006), 212-243 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Book of Tobit: Text, Tradition, Theology, SJSJ 98, Leiden 2005.

2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text des Buches Tobit ist uns in mehr als nur einer Form überliefert. Die beiden wichtigsten Formen sind bekannt als GI und GII. 1 Eine dritte Textform, GIII, ist weniger verbreitet und ist nur in wenigen Kapiteln erhalten. Das griechische Tobitbuch ist in einer längeren und in einer kürzeren Form erhalten. Der kürzere Text GI, offensichtlich eine frühe Revision und gekürzte Adaption von GII, liegt in den Unzialen B, A und V und in einer großen Zahl von Minuskeln, sowie im OxyrhynchusPapyrus 1594, und in jenen Versionen, die auf der Septuaginta basieren (Syrisch, Koptisch-Sahidisch, Äthiopisch, Armenisch), vor. 2 GII bzw. der längere Text, wird von vier Textzeugen repräsentiert: S, 319, 910 sowie die Vetus Latina. S enthält zwei Lakunen (4,7 δικαιοσύνη – 19 δώσει und 13,6 αἰώνων – 10 καὶ πάλιν). Ms 319 (von 1021 n. Chr.) enthält nicht mehr als drei Kapitel: 3,6–6,16; Die übrigen Verse (1,1–3,5 und 6,16–14,15) bieten den Text von GI. Ms 910, der aus dem 6. Jh. stammende Papyrus 1076 aus Oxyrhynchus, bewahrt den kleinen Teil 2,2–5,8. Die Vetus Latina ist ein wichtiger indirekter Zeuge für die längere Textform: Sie umfasst den ganzen Text des Buches und bietet oft einen besseren Text als S. Moderne Übersetzer legen S zu Grunde und ergänzen die Lakunen aus B und A. Auwers vertritt dagegen die Meinung, dass zur Ergänzung der Lakunen in S die Vetus Latina und die Fragmente aus Qumran herangezogen werden sollen, weil beide den langen Text repräsentieren. 3 GIII, nimmt eine Mittelstellung ein und ist am besten von Ms 106 repräsentiert, zudem auch von Ms 107, das allerdings einige signifikante Kürzungen aufweist, sowie von der syrischen Übersetzung. Im Vergleich zu GI und GII ist GIII eine sekundäre Textform, die vor allem von GII (und der in Vetus Latina vorausgesetzten Textform) abhängt. 4 Die Minuskeln 106-107 enthalten nur einige Kapitel des Textes von GIII (6,9– 12,22), die übrigen Verse (1,1–6,8 und 14,15) reproduzieren den Text von GI. 5 1. 2. 3. 4. 5.

Diese Siglen stammen aus der Göttinger Edition. Für eine diplomatische Edition von V, S, 106 und die Papyri siehe Weeks, Book. Auwers, Tradition, 17. Hanhart, Tobit, 33-34. NETS, Tobit, 457.

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2. Textüberlieferung und Editionen

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

Zwischen GI und GII besteht eine klare Abhängigkeit. Trotz einiger Entsprechungen zwischen den beiden Texten gibt es auch deutliche Divergenzen. Die beiden Textformen können nicht auf eine Form zurückgeführt werden, sondern sie sind selbständige (d. h. literarisch gestaltete) Textformen. 6 Aus diesem Grund werden in den neueren Editionen die Texte GI and GII als separate Texte gedruckt, von denen jeder seine eigene textkritische Rekonstruktion braucht. 7 Die ersten Ausgaben des griechischen Tobitbuches reproduzierten den Text von GI (S wurde erst später entdeckt). 8 So verfahren die Aldina, die Complutensis und die Sixtina, die jeweils eine Handschrift zu Grunde legten. Holmes / Parsons (1827), Fritzsche (1871), Swete (1891) und Brooke / McLean / Thackeray (1940) legen B zu Grunde. Seit der Entdeckung des Codex Sinaiticus (S) durch Tischendorf im Jahr 1844 reflektieren die meisten Editionen die Pluriformität des griechischen Tobitbuches auch in ihrem Layout. BMT drucken zuerst den Text von B (S. 85-110), gefolgt vom Text von S (S. 111-122). Rahlfs (1935) druckt den kürzeren Text TobBA, der aus B und A rekonstruiert ist, oben und den kürzeren Text nach S als TobS darunter. Damit lag hier die erste textkritische Edition des Textes von Tobit vor. Im Prinzip ebenso verfuhr Hanhart in seiner Göttinger Edition von 1983: Oben steht der Text GI, und zwar als eklektischer Text mit kritischem Apparat auf Basis der oben genannten Textzeugen, darunter steht GII (im Wesentlichen der Text von S) mit dessem kritischen Apparat, der die Ms 319 und 910 sowie die Vetus Latina und GIII umfasst. 9

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik Vor der Entdeckung der Tobit-Fragmente in Qumran war die Forschung– mit einer Bandbreite von sicher bis wahrscheinlich – der Meinung, dass Tobit von Haus aus auf Griechisch verfasst wurde. 10 Durch die Qumranfunde ist die Frage eindeutig zugunsten einer semitischen Vorlage entschieden. 11 Allerdings vertritt Deselaers nach wie vor einen original griechischen Ursprung. 12 Ebenfalls entgegen der allgemeinen Meinung betrachtet er GI gegenüber GII als ursprünglich. 13 Nach seiner Sicht ist GI die ursprüngliche Form der Tobiterzählung und GII eine Überarbeitung auf Basis von GI, verfasst für eine neue Hörergruppe, und zwar eventuell zuerst auf Aramäisch. Zur Begründung werden sowohl inhaltliche als auch literarische und linguistische Argumente ange6. 7. 8. 9. 10.

Hanhart, Tobit, 31-36. Hanhart, Tobit, 34. Hanhart, Tobit, 29. GIII ist herausgegeben von Wagner, Polyglotte. Für bibliographische Angaben siehe Moore, Tobit, 56, Fn. 144. Fritzsche, Bücher, 7-8, argumentierte für ein Griechisches Original, aber zu seiner Zeit waren die semitischen Belege aus Qumran noch nicht bekannt. 11. Moore, Tobit, 34. 12. Deselaers, Buch, 19-20. So auch Gross, Tobit. 13. Deselaers, Buch, 19-20. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

291

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

führt. 14 GII steht dem Original aller Texte, die wir haben, am nächsten und hatte eine semitische Vorlage. 15 Die Qumrantexte von Tobit, ein hebräisches und vier aramäische Fragmente, zeigen tatsächlich Übereinstimmungen mit GII. 16 Alle Tobitfragmente aus Qumran wurden erstmals von J. T. Milik in den Jahren 1953 bis 1960 identifiziert und zusammengefügt; publiziert wurden sie 1995 von Fitzmyer. 17 Die semitische Vorlage von GII steht zwar den Qumrantexten nahe, ist aber nicht identisch mit ihnen. Daher gibt es nach wie vor die Diskussion, ob die Vorlage ein hebräischer oder ein aramäischer Text war. 18 Ebenso bleibt es offen, ob die allererste Form der Tobitgeschichte in aramäischer oder hebräischer Sprache verfasst war. Die meisten Forscher sprechen sich für einen aramäischen Urtext aus, 19 während andere die Priorität des Hebräischen vertreten. 20 Allgemein angenommen wird, dass GI die Revision eines schriftlich vorhandenen griechischen Textes darstellt. 21 Der semitisierende Charakter von GII ist manifest: Typisch semitische Wiederholungen, ausführliche Dialoge, 22 parataktischer Stil, semitische Idiome. 23 Andererseits ist GI gekennzeichnet durch stilistisch elegantes Griechisch, geschrieben für ein gebildetes griechisch sprechendes Publikum. 24 Wegen seiner besseren sprachlichen Qualität wurde es die populärere Fassung gegenüber der älteren GII-Fassung 25; dagegen erlangte GI Popularität bei den Bibelwissenschaftlern, und zwar auf Grund der Qumranfunde. Es gibt mittelalterliche aramäische (Neubauer 1878) und hebräische (Münster 1516, Fagius 1517 und Gaster 1896–1897) Versionen von Tobit. Diese sind jedoch sekundäre Übertragungen aus den griechischen (und lateinischen) Fassungen. 26

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Es gibt nur wenige Studien, die sich auf Zeit und Ort der Übersetzung beziehen. Die meisten Erörterungen von Zeit und Herkunft des Buches Tobit basieren auf der griechischen Version. Nur die griechische Version umfasst den ganzen Text des Buches. Fitzmyer zeigte, dass alle Qumran-Fragmente nicht mehr als ein Fünftel der Tobiterzählung abdecken und dass sie fast kein Material enthalten, das nicht durch den Text von S und Vetus Latina vorhanden wäre. 27 Daher sind Inhalt und literarische Eigen14. Moore, Tobit, 56; NETS, Tob, 457. Für die Textgeschichte siehe Fitzmyer, Tobit CEJL. 15. Thomas, Greek, 470. 16. Für einen sorgfältigen Vergleich von GI und GII mit den aramäischen und hebräischen Fragmenten siehe Hallermayer, Text. 17. Fitzmyer, Tobit, DJD 1. 18. Moore, Tobit, 57-58. 19. Thomas, Greek, 471. Siehe auch Toloni, L’originale. 20. Moore, Tobit, 60. 21. Thomas, Greek, 467. 470. 22. NETS, Tobit, 457. 23. Thomas, Greek, 471. 24. NETS, Tob, 457. 25. Dines, 19; HDM, 178. 26. Stuckenbruck, »Fagius«, 189-219. 27. Fitzmyer, Aramaic, 675.

292

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

heiten des griechischen Textes stichhaltige Kriterien, um Zeit und Herkunft zu bestimmen 28. Die Tobiterzählung wird zwischen 250 und 175 v. Chr. datiert. 29 Die Diskussion um die Herkunft hält weiterhin an, wobei eine Herkunft aus Ägypten, aus Palästina oder aus der östlichen (mesopotamischen) Diaspora vertreten werden. 30 Datum und Herkunft des semitischen Originals und der griechischen Übersetzung müssen deutlich unterschieden werden. 31 Ewald datierte die griechische Übersetzung in das 1. Jh. v. Chr. oder etwas später. 32 Andere Forscher datieren sie in das 2. Jh. v. Chr., und zwar auf Grund des ptolemäischen Vokabulars, 33 was zugleich eine ägyptische Herkunft der griechischen Version unterstützt. 34

4. Inhalt und Theologie In diesem Buch erzählt Tobit seine Lebensgeschichte. Tobit, ein frommer Israelit aus dem Stamm Naphtali in Obergaliläa, lebt mit seiner Frau Hannah und ihrem Sohn Tobias im Exil in Ninive, wohin sie von den Assyrern deportiert worden waren. Auch in Ninive folgt er den Geboten Gottes und hilft er weiterhin den mit ihm deportierten Israeliten. Zunächst führt er ein wohlhabendes Leben als für den König reisender Kaufmann, aber später fällt er in Ungnade, weil er ein königliches Edikt ignorierte, das nur Begräbnisse gestattete, die offiziell von der Krone erlaubt waren. Um sein Leben zu retten, musste er fliehen und sein Besitz wurde beschlagnahmt. Mit der Einsetzung seines Neffen Achiqar als Finanzminister des Königs kam auch Tobit wieder in seine Stellung. Abermals rettete Tobit den Leichnam eines Juden vom Marktplatz. Nachdem er ihn begraben hatte, musste Tobit außerhalb der Stadtmauern übernachten. Dabei fiel der Kot eines Vogels auf sein Auge, wodurch er erblindete. Er erfährt Leiden und Beleidigungen, so sehr, dass er um seinen Tod betet. Zur gleichen Zeit betet auch Sarah, die Tochter Raguels, eine Jüdin, die in Ekbatana in Medien lebt, um ihren Tod, denn sie war siebenmal verheiratet und jedes Mal verlor sie ihren Bräutigam, weil der Dämon Asmodeus ihn während der Hochzeitsnacht tötete. Gott hört die Gebete von Tobit und Sarah und sendet den Engel Raphael, um ihnen zu helfen. Überzeugt, dass er bald sterben werde, schickt Tobit seinen Sohn Tobias nach Rages in Medien, um Geld abzuholen, das er dort bei einer seiner Reisen deponiert hatte. Tobias macht sich in Begleitung des Engels Raphael, der sich als ein gewisser Azariah ausgab, auf die Reise. Unterwegs fängt er einen Fisch, dessen Herz, Leber und Galle er auf den Rat Azariahs hin aufbewahrt. Vor ihrer Ankunft in Ekbatana schlägt Azariah Tobias vor, Sarah zu heiraten. Im Wissen um das, was den früheren Ehemännern der Sarah wie28. 29. 30. 31.

Für einen Überblick siehe Moore, Tobit, 40-42. Moore, Tobit, 40-42. Moore, Tobit, 42-43. Z. B. ergeben die Erwähnung des Engels Raphael und das etwa gleichzeitige Buch 1Henoch keinen Anhaltspunkt für die Datierung des griechischen Tobitbuches ins 2. Jh. v. Chr. (HDM, 97. 111). 32. Ewald, Geschichte, 237. 33. HDM, 97. 34. HDM, 102. 105. 4. Inhalt und Theologie

293

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

derfuhr, lehnt er zunächst ab, geht aber dann doch darauf ein, wobei ihn Azariah instruiert, im Brautgemach das Herz und die Leber des Fisches zu verbrennen. Der Geruch vertrieb den bösen Dämon, und das junge Paar war in Sicherheit. Während Tobias mit den vierzehntägigen Hochzeitsfeierlichkeiten beschäftigt war, zog Azariah weiter nach Rages um das Geld zu holen. Nach seiner Rückkehr kehrten Azariah und die frisch vermählten Tobias und Sarah gemeinsam nach Ninive zurück. Nach der freudigen Wiederbegegnung mit seinen Eltern behandelt Tobias die Augen seines Vaters mit der Fischgalle und Tobit kann wieder perfekt sehen. Als Azariah für seine Dienste entlohnt werden sollte, enthüllt dieser seine wahre Identität als Engel Raphael. Tobit dankt und preist Gott, den Herrn, für seine Gnade und Güte. Er singt einen Hymnus auf Jerusalem, in dem er bekennt, dass Gott treu zu seinen Verheißungen steht und dass er nach Strafe Vergebung und Wiederherstellung schenkt. Die grundlegende Perspektive des Buches ist die Theologie der Vergeltung, wie sie vom Buch Deuteronomium hergeleitet wird: Belohnung für den Gerechten und Strafe für den Bösen. 35 Darüber hinaus zeigt das Buch die Probleme der jüdischen Diaspora im 2. Jh. v. Chr. 36 Das Buch Tobit ist ein Beispiel für frommes Leben in der Diaspora, für Bewahrung des Glaubens und der jüdischen Identität in einer heidnischen Umgebung (siehe z. B. Tobits Anweisung an seinen Sohn, innerhalb seines Stammes zu heiraten, worin sich die Befürchtung spiegelt, dass sich andernfalls die Gemeinschaft auflösen könnte). 37 Evident sind Einflüsse biblischer Elemente aus der Genesis (die Erschaffung von Mann und Frau, die Brautwerbungs- und Verlobungsszene bei Isaak und Jakob sowie die Josefgeschichte), weiterhin Einflüsse aus den prophetischen Büchern und der Weisheitsliteratur. 38 Neben diesen biblischen Themen und Elementen verwendete der Autor auch weltliche Erzählungen, die in der antiken Welt gut bekannt waren, die Geschichte vom dankbaren Toten, vom Monster im Brautgemach, die AchiqarGeschichte und den Traktat des Chons. 39

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Buch Tobit wird im Neuen Testament nicht zitiert, aber einige seiner Vorstellungen könnten die neutestamentlichen Autoren beeinflusst haben. 40 Zum Tobitbuch wurden keine Kommentare verfasst, aber die Kirchenväter verwendeten es als Quelle für die christliche Lehre von den Engeln und als Beispiel für ein Gott wohlgefälliges Leben. 41 Das Buch spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Hochzeitsliturgie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart wurde Raguels Segen über Tobias und

35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.

Di Lella, Deuteronomic; Moore, Tobit, 20-21. Nowell, Tobit, 283-288. Levine, Tobit, 44-46. Moore, Tobit, 20-21. Moore, Tobit, 11-14. Moore, Tobit, 46. Farmer, Commentary, 742. Zur christlichen Rezeption des Buches Tobit siehe Poehlmann, Tobit, 578-579, und – ausführlicher – Gamberoni, Auslegung.

294

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

3.3 Tobit / Das Buch Tobit / Tobias

Sarah als Teil des Hochzeitssegens verwendet und er klingt noch immer in der heutigen Segensformel für Neuvermählte an (8,15-17). 42 Die Geschichte von der Hochzeit von Tobias und Sarah (7,9-15) und das Gebet des Tobias in der Hochzeitsnacht (8,57) sind Teil der Lektionare für Hochzeiten. 43 Viele Künstler wurden von der Tobitgeschichte inspiriert. Verschiedene Szenen aus dem Buch wurden von Rembrandt und anderen Malern dargestellt 44 oder wurden zu Motiven in der Musik, z. B., Il ritorno di Tobia von Haydn. 45

6. Pespektiven der Forschung 6.1 Entgegen einer viel verbreiteten Meinung spielte das Tobitbuch wie auch andere der sog. Apokryphen auch in der protestantischen Frömmigkeit und Theologie lange Zeit durchaus eine wichtige Rolle. Zu einer Änderung, im Wesentlichen bei den Bibelausgaben, kam es erst durch den sog. Apokryphenstreit um 1820. In der exegetischen Forschung standen allerdings die Apokryphen und damit auch das Tobitbuch eher im Hintergrund und wurden vor allem von römisch-katholischen Gelehrten kommentiert. Die Entdeckung des Codex Sinaiticus durch Tischendorf (1844), die Veröffentlichung mittelalterlicher semitischsprachiger Textfassungen des Buches am Ende des 19. Jh.s und die Publikation des aramäischen Achiqartextes (1911) weckten das Interesse am Tobitbuch bei protestantischen wie bei katholischen Gelehrten (z. B. Simpson). 46 6.2 Insbesondere die textkritische Arbeit von Hanhart für die Göttinger Edition führte zu verstärktem Interesse am Buch Tobit und lieferte zugleich eine gute Grundlage für vielfältige weitere Untersuchungen. 47 Es entstanden mehrere neue Kommentare zu Tobit (z. B. Deselaers, Moore, Littman) und Studien zum zeitgeschichtlichen Hintergrund und zu bestimmten Themen (z. B. Hochzeit im Frühjudentum). 48 Von besonderer Bedeutung für die Entstehung und Übersetzung des Buches wurden nicht zuletzt die aramäischen und hebräischen Fragmente aus Qumran. 6.3 Das entstehungsgeschichtliche Problem, das textgeschichtliche und literarische Verhältnis der verschiedenen Textformen wie auch deren individuelles Profil werden weiterhin Themen der Forschung sein.

42. Farmer, Commentary, 742. 43. Farmer: Commentary, 742. 44. Hartmann, Unterwegs; siehe auch: Weskott, H., Tobias, Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i. Br. 1972, 320-326. 45. Für eine Übersicht zu den von Tobith / Tobias inspirierten Kompositionen siehe Reischert, Kompendium, 951-953. 46. Moore, Tobit, 15-16. 47. Für einen Überblick siehe Spencer, Tobit. 48. Xeravits / Zsengellér, Tobit. 6. Pespektiven der Forschung

295

3.4 Die Bücher der Makkabäer

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer Michael Tilly

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935/2006 — Kappler, W., Maccabaeorum liber I, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX,1, Göttingen 1936; 19672.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Schunck, K. D., 1. Makkabäerbuch, JSHRZ I/6, Gütersloh 1980, 288-373 — Zervos, G. T., 1Maccabees, NETS, Oxford / New York 20092, 478-502 — Tilly, M., Makkabaion I. Das erste Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 664-694 — Tilly, M., Makkabaion I. Das erste Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1353-1375. Bévenot, H., Die beiden Makkabäerbücher, HSAT IV, 4, Bonn 1931 — Abel, F.-M., Les livres des Maccabeés, Paris 19613 — Goldstein, J. A., I Maccabees, AncB 41, New York u. a. 1976 — Dommershausen, W., 1 Makkabäer, NEB.AT 12, Würzburg 19952 — Tilly, M., 1 Makkabäer, HThKAT, Freiburg i. Br. u. a. 2015.

1.3 Weitere Literatur Bar-Kochva, B., Judas Maccabeus. The Jewish Struggle Against the Seleucids, Cambridge 1989 — Bickermann, E., Der Gott der Makkabäer, Berlin 1937 — Bringmann, K., Hellenistische Reform und Religionsverfolgung in Judäa, AAWG.PH 132, Göttingen 1983 — Engel, H., Die Bücher der Makkabäer, in: E. Zenger / C. Frevel (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 387-404 — Fischer, Th., Seleukiden und Makkabäer, Bochum 1980 — Martola, N., Capture and Liberation. A Study in the Composition of the First Book of Maccabees, AAAbo.H 63,1, Åbo 1984 — Mittmann-Richert, U., Einführung zu den historischen und legendarischen Erzählungen, JSHRZ VI,1,1, Gütersloh 2000, 20-39 — Neuhaus, G. O., Studien zu den poetischen Stücken im 1. Makkabäerbuch, FzB 14, Würzburg 1974 — Schunck, K.-D., Die Quellen des I. und II. Makkabäerbuches, Halle 1954 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Books of the Maccabees: History, Theology, Ideology, JSJ.S 118, Leiden u. a. 2007 — Williams, D. S., The Structure of 1 Maccabees, CBQ.MS 31, Washington, D.C. 1999 — Williams, D. S., Recent Research in 1 Maccabees, in: Currents in Research: Biblical Studies 9 (2001), 169-184.

2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text von 1Makk 1 wurde allein im christlichen Traditionsbereich überliefert. Er ist enthalten in den Majuskelcodices ‫( א‬Sinaiticus; 4. Jh.), A (Alexandrinus; 1.

Berkowitz, L. / Squitier, K. A., Thesaurus Linguae Graecae, New York 31990, zählen in 1Makk 19535 Wörter. 1. Literatur

299

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

5. Jh.) 2 und V (Venetus; 8. Jh.) sowie in insgesamt 37 Minuskeln bzw. Minuskelfragmenten. 3 Zumindest die (in ihrem Text nur gering voneinander abweichenden) Großhandschriften basieren auf einer gemeinsamen griechischen Vorlage. Im Codex B (Vaticanus, 4. Jh.) fehlt 1Makk. 4 Den Erstdruck enthält die Complutensische Polyglotte (1514–1517). Die lateinische Übersetzung von 1Makk 5 zeichnet sich gegenüber den erhaltenen griechischen Manuskripten durch eine gewisse Eigenständigkeit aus. Die erhaltenen lateinischen Zeugen unterscheiden sich an zahlreichen Stellen durch kleinere Abweichungen, Auslassungen und Zusätze voneinander, scheinen aber eine gemeinsame griechische Textform wiederzugeben. Zitate aus 1Makk bei Cyprian (ca. 200–258) und Lucifer von Calaris (gest. vor 375) deuten darauf hin, dass die (alt-)lateinische Übersetzung von 1Makk in der Vulgata nicht von Hieronymus selbst stammt, sondern (möglicherweise unter Verwendung auch eines hebräischen Textes [s. u.]) bereits im 2. Jh. entstanden ist. 6 Die syrische Übersetzung von 1Makk aus dem Griechischen liegt in zwei unterschiedlichen Textformen vor. Die in der Peschitta enthaltene Form (Sy I) beruht auf einer Vorlage, die Charakteristika des lukianischen Textes aufweist (Glättung des Textes und sinngemäße Ergänzungen zur Verdeutlichung des Textsinns). 7 Die vom Codex Ambrosianus Syrohexaplaris repräsentierte Form (Sy II; erhalten bis 1Makk 14,25) hat Sy I als Grundlage genommen und nach dem Griechischen verbessert; sie entspricht deshalb eher dem Text der griechischen Majuskeln. 8 Eine in zahlreichen 2. 3.

4.

5.

6. 7.

8.

Vgl. Gryglewicz, F., Le codex alexandrinus du premier livre des Machabées, Teologiszno-Kanoniczne 8 (1961), 23-37. Für die Herstellung des Textes bei Kappler benutzt wurden die Minuskelhandschriften 19, 29, 46, 55, 56, 58, 62, 64, 71, 74, 93, 98, 106, 107, 120, 130, 134, 236, 243, 311, 340, 381, 534, 542, 728, 731. Nicht durchgehend herangezogen oder ausgeschieden wurden die Minuskeln 44, 52, 68, 122, 125, 332, 379, 442, 610, 631, 671. Den Unzialen entsprechen insbesondere die Minuskeln 52, 56, 62, 106 und 107, während 19, 64, 93 der lukianischen Textform entsprechen. Dass die Makkabäerbucher im Codex Vaticanus fehlen, ist der Grund dafür, dass sie in der Ausgabe von Swete, OT, die konsequent dem Codex Vaticanus folgt, als Nachtrag in Band III am Ende stehen. Der lateinische Text von 1Makk ist erhalten in den Handschriften Lyon 356 (L; 9. Jh.), Madrid Univ. 31 (X; 9. Jh.), Paris Bibl. Nat. 11553 (G; 9. Jh. [bis 1Makk 14,1]), Bologna Univ. 2571/ 628 (11.–12. Jh.) sowie im pseudo-augustinischen Speculum peccatoris (Migne PL 49, 983-992 [1Makk 2,49-64]). Eine kritische Ausgabe des lateinischen Textes von 1Makk bieten de Bruyne, D. / Sodar, B. (Hg.), Les anciennes traductions latines des Machabées (Anecdota Maredsolana 4), Maredsous 1932. Vgl. de Bruyne, D., Le texte grec des deux premiers livres des Machabées, in: RBen 31 (1922), 31-54; Stummer, F., Einführung in die lateinische Bibel, Paderborn 1928, 42. Vgl. Bogaert, P. M., Les livres des Maccabées dans la Bible latine: contribution à l’histoire de la Vulgate, in: RBen 118 (2008), 201-238. Kritische Ausgabe bei de Lagarde, P. A. (Hg.), Libri Veteris Testamenti Apocryphi Syriace, Leipzig 1861, 162-213. Vgl. Schmidt, G., Die beiden Syrischen Übersetzungen des I. Maccabäerbuches, ZAW 17 (1897), 1-47. 233-262. Fotographische Reproduktion der Mailänder Peschittahandschrift B 21 inf. (7. Jh.) bei Ceriani, A. M., Translatio Syra Pescitta Veteris Testamenti ex codice Ambrosiano, Mailand 1876. Vgl. Schmidt, Übersetzungen, 234 f.

300

2. Textüberlieferung und Editionen

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

Handschriften erhaltene armenische Übersetzung aus dem 5. Jh. 9 geht wohl ebenfalls auf eine griechische Textvorlage zurück. Die neuzeitliche arabische Übersetzung ist ohne textkritischen Wert.

3. Sprache, Stil und theologisches Profil 3.1. Sprache und Stil und die Frage einer hebräischen Vorlage Obwohl es keine erhaltenen hebräischen Textzeugen oder direkten Zitate in der rabbinischen Traditionsliteratur gibt, wird die Existenz eines verschollenen hebräischen (oder aramäischen) Originals von 1Makk nahegelegt durch das Zeugnis des Hieronymus (Prologus galeatus in libro Regum: »Machabeorum primum librum hebraicum repperi«). 10 Dem entsprechen sowohl der Hinweis des Origenes in der Kirchengeschichte des Eusebius auf eine ursprüngliche hebräische Bezeichnung der Schrift 11 als auch sprachliche Gründe. Nicht selten verstößt das Griechische in 1Makk gegen Regeln der »klassischen« literarischen griechischen Sprache (häufige Verwendung parataktischer Konnektoren, Rückgang hypotaktischer Periodenbildung, gelockerte Bindung der narrativen Tempora an den Aspekt). Ebenso weicht es in einigen Punkten vom zeitgenössischen literarischen Sprachgebrauch der levantinischen Koine ab. Zuweilen wurde dabei die hebräische Phraseologie und Diktion ohne Rücksicht auf das Griechische nachgeahmt (z. B. 1Makk 1,5 f.16.19.28 f.44.61; 2,29.42; 3,3.6.15.27; 4,19.24.31; 5,45.62; 7,2; 8,1; 9,7.72; 10,8.33.60; 12,10.42; 14,27; 16,16). Dies betrifft nicht nur die erzählenden und hymnischen Partien der Schrift (parataktischer Satzbau bzw. Parallelismus membrorum), sondern auch die in 1Makk überlieferten, für die hebräische Erstfassung des Buches ins Hebräische übersetzten Urkunden (Briefe, Bündnisverträge, Dekrete). 12 Der Grund hierfür ist sicher nicht in der mangelnden zielsprachlichen Kompetenz des Übersetzers zu suchen. Ebensowenig ist die Sprache von 1Makk ein Beleg für die Existenz eines besonderen »judengriechischen« Dialektes. 13 Vielmehr zeigt die Schrift das Streben ihres Übersetzers nach Treue gegenüber der literarischen Vorlage und zugleich eine gesuchte Affinität zur – ihrerseits semitisch beeinflussten – Sprache der 9. Text bei Zohrapean (Zohrab), Y., Venedig 1805 (Repr. Delmar/NY 1986). Vgl. Amalyan, H. M., The Critical Text of 1-3 Maccabees, in: Saint Nersess Theological Review 2 (1997), 33-38. 10. Migne, PSL 28, 602 f. 11. Hist. Eccl. VI 25,2: »ἐστὶ τὰ Μακκαβαϊκὰ, ἃπερ ἐπιγέγραπται Σαρβηθσαβαναιελ«. Die Transkription Σαρβηθσαβαναιελ könnte auf hebräisches ‫ספר בית ישראל‬, ‫ספד בית חשמונאים‬ oder ‫( שרבת שר־בני אל‬vgl. Sy I) zurückgehen. Allerdings werden die Hasmonäer (vgl. Josephus, Bell. 1, 3; Ant. 12, 265) in 1Makk an keiner Stelle namentlich erwähnt. Vgl. Schunck, 1. Makkabäerbuch, 289. 12. Vgl. z. B. 1Makk 8,25. Hier begegnet im Kontext des von Rom nach Jerusalem gesandten Staatsvertrags (8,23-32) die Wendung καρδίᾳ πλήρει als Wiedergabe von hebräischem ‫בלבב שלם‬ (vgl. 2Kön 20,3; 1Chr 29,9; 2Chr 16,9 u. ö.). 13. Vgl. Walser, G., The Greek of the Ancient Synagogue. An Investigation on the Greek of the Septuagint, Pseudepigrapha and the New Testament, Studia Graeca et Latina Lundensia 8, 2001. 3. Sprache, Stil und theologisches Profil

301

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

älteren Übersetzung von Tora, Propheten und Geschichtsbüchern. 14 Gerade hierdurch sollte der Gegenstand der eigenen Darstellung in eine bestimmte geistesgeschichtliche bzw. theologische Tradition eingeordnet und ihm dadurch zugleich ein besonderes Gewicht gegeben werden, um der eigenen Legitimation und Selbstvergewisserung mittels der Betonung der Traditionsgebundenheit und der kulturellen und religiösen Eigenständigkeit zu dienen.

3.2 Inhalt und theologisches Profil In Form einer Aneinanderreihung von einzelnen Geschichten schildert 1Makk den lang andauernden Konflikt zwischen den judäischen Juden und den hellenistischen Herrschern, den heldenhaften und siegreichen Kampf der drei Makkabäerbrüder Judas, Jonathan und Simon um die Befreiung des jüdischen Volkes von der seleukidischen Vorherrschaft und den Aufstieg des hasmonäischen Herrscherhauses bis zur Ermordung Simons (175–135 v. Chr.). Im Mittelpunkt des erzählten Geschehens steht der Versuch eines prohellenistischen Teils der Jerusalemer Tempelaristokratie, den Tempelstaat mit Unterstützung des syrischen Herrschers Antiochus IV. Epiphanes unter Außerkraftsetzung der Tora als Verfassung in eine hellenistische Polis zu verwandeln, um so die eigene Machtposition zu festigen. 1Makk stellt diesen gescheiterten Umsturzversuch einer Minderheit als eine allgemeine Religionsverfolgung dar und setzt zugleich die Ziele der Hasmonäer denen des ganzen Volkes gleich. Der Verfasser der propagandistischen Geschichtserzählung sieht den eigentlichen Ausgangspunkt der Verwicklungen in den ausufernden Assimilationsbestrebungen eines Teils seiner Landsleute, die er als bedrohliches Anzeichen einer religiösen und kulturellen Erosion begreift und deshalb als widergesetzlich brandmarkt (vgl. 1Makk 1,11). 15 In seiner hasmonäerfreundlichen zusammenhängenden Darstellung der militärischen und diplomatischen Ereignisse will er zeigen, wie es den Makkabäerbrüdern gelang, eine antihellenistische Sammelbewegung zu führen und die gewaltsamen kulturellen und religiösen Modernisierungsbestrebungen innerhalb der Jerusalemer Oberschicht abzuwehren. 16 Er betont dabei insbesondere die politisch-nationale Seite des Geschehens und zitiert zu diesem Zweck auch eine Reihe von Briefen, Bündnisverträgen und Dekreten, deren historischer Wert von der Mehrheit der Ausleger nicht bestritten wird. 17 Eine wesentliche Funktion des Buches besteht in der Legitimation der Hasmonäerdynastie, die sich weder auf davidische (königliche) noch auf zadokidische (priesterliche) Abstammung als Begründung ihrer gesellschaftlichen Machtposition berufen 14. Das Vokabular von 1Makk ist deutlich umfangreicher als das der Geschichtsbücher (1–4Kgt; 1– 2Chr). 15. Vgl. Volgger, D., 1 Makk 1: der Konflikt zwischen Hellenen und Juden – die makkabäische Reichspropaganda, in: Ant. 73 (1998), 459-481. 16. In 1Makk werden direkte Beschreibungen des Wesens und des Handelns Gottes durchweg vermieden (vgl. 1Makk 3,18 f.; 4,10 u. ö.). Vgl. Tilly, M., Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, 75 f. 17. Vgl. Bickermann, E., Der seleukidische Freibrief für Jerusalem (1935), in: A. Schalit (Hg.), Zur Josephus-Forschung, WdF 84, Darmstadt 1973, 205-240; ders., Ein Dokument zur Verfolgung Antiochus IV. Epiphanes (1937), ebd., 241-277; Schunck, Quellen.

302

3. Sprache, Stil und theologisches Profil

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

konnte. In 1Makk wird das (nicht unumstrittene) jüdische Herrscherhaus deshalb durchweg als den väterlichen Gesetzen verpflichteter religiöser Streiter für Tora, Tempel und Kult dargestellt. So wird die Machterhebung Simons (1Makk 13,1-9) in idealisierender Weise als Erfüllung der Hoffnungen der »altgläubigen« Frommen und Rebellen gezeichnet, obwohl sie tatsächlich die demonstrative Selbständigkeitserklärung eines hellenistischen Fürsten war. Die bei Josephus (Ant. 13, 288-292) dargestellten Konflikte zwischen Johannes Hyrkan I. und Anhängern der pharisäischen Bewegung, die seine Amtsführung offen kritisierten, lassen 1Makk als Versuch einer literarischen Bewältigung des Auseinanderbrechens der antihellenistischen Gefolgschaft der Makkabäerbrüder erscheinen.

4. Zeit und Ort der Abfassung und Übersetzung Der unbekannte Verfasser von 1Makk ist, obgleich kein direkter Augenzeuge der Geschehnisse, ein der überkommenen jüdischen Tradition verpflichteter gebildeter Parteigänger der Hasmonäerfürsten mit weitreichenden und detaillierten geographischen und historischen Kenntnissen. Als terminus a quo der Abfassung der Schrift kann der Regierungsantritt Johannes Hyrkans I. (135 v. Chr.) gelten, wobei der (den Abschlussformeln der biblischen Geschichtsbücher nachgebildete) 18 Buchschluss in 1Makk 16,23 f. nahelegt, dass dieser bereits eine längere Zeit herrschte. Das erkennbare Bemühen um eine legitimierende Verankerung der Hasmonäerherrschaft (s. u.) in der biblischen Tradition spricht für die Zeit vor oder kurz nach seinem Tod (104 v. Chr.). Der terminus ante quem ist aufgrund der durchgängig positiven Darstellung Roms (vgl. insb. 1Makk 8; 14–16) 19 die römische Eroberung Jerusalems durch Pompeius Magnus (63 v. Chr.). Die griechische Übersetzung entstand wohl bald nach der Fertigstellung des Originals. 20

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Überliefert wurde 1Makk fast ausschließlich in kirchlichen Bibelhandschriften und Drucken. Wegen seiner relativ späten Entstehung und wegen seiner griechischen Sprache wurde es niemals dauerhafter Bestandteil eines jüdischen Kanons (selbst der Name »Makkabäer« taucht in der rabbinischen Literatur an keiner Stelle auf); zu keiner Zeit fand es Eingang in die verbindlichen rabbinischen Sammlungen Heiliger Schriften oder wurde hier explizit zitiert, obgleich die in 1Makk erzählte Geschichte im Zusammenhang mit der jüdischen Identität durchaus relevant ist, was sich bereits bei Josephus, in traditionellen jüdischen Festkalendern, im Talmud und insbesondere in der Liturgie widerspiegelt. 21 In Ant. 12, 242-13, 212 (vgl. Bell. 1, 31-54) findet sich eine 18. Vgl. 3Kgt 11,41; 14,19.29; 1Chr 29,29 f.; 2Chr 9,29; 12,15 u. ö. 19. Vgl. Hidal, S., Rombilden i 1 Mackabeerboken 8, in: SEÅ 70 (2005), 101-105. 20. Vgl. Steiner, R., On the Dating of Hebrew Sound Changes (*H > Ḥ and *Ġ >῾ ) and Greek Translations (2 Esdras and Judith), JBL 124 (2005), 229-267 (hier: 256). 21. Vgl. Stemberger, G., The Maccabees in Rabbinic Tradition, in: F. García Martínez (Hg.), The 4. Zeit und Ort der Abfassung und Übersetzung

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3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

vielfach erweiterte Paraphrase von 1Makk, wobei der antike Historiker (vor allem ab Ant. 13, 230) in seiner Darstellung der Geschehnisse auch anderen Quellen (Polybios, Nikolaus von Damaskus) zu folgen scheint. Die von den Rabbinen ausgestalteten Festlegenden gründen in der in 1Makk 4,3659 geschilderten und mit einem jährlichen Fest verbundenen Reinigung des von den Syrern durch Opfer an den Zeus Olympios entweihten Jerusalemer Tempels durch Judas Makkabäus, der den heidnischen Altar entfernte und auf dem neuen Altar wieder toragemäße Brandopfer darbringen ließ. 22 Im synagogalen Gottesdienst des aschkenasischen, jemenitischen und sefardischen Ritus preist man bis heute am Chanukkafest (25. Kislew bis 2. Tevet) Gott für diese wunderbare Errettung des jüdischen Volkes. 1Makk ging bereits früh vom jüdischen Traditionsbereich in die christliche Literatur über. Zwar finden sich keine direkten Zitate im Neuen Testament, 23 doch wurde die Schrift in den Kirchen des Ostens und des Westens aufgrund ihres praktischen Wertes für die Gestaltung der christlichen Frömmigkeit als Zeugnis der unerschütterlichen Glaubenshaltung und des unbedingten Gottvertrauens geschätzt, gelesen und zitiert (vgl. z. B. Eusebius, Hist. Eccl. V 1; Tertullian, Adversus Judaeos IV 10; Augustinus, Civ. Dei XVIII; Contra Gaudent. I 31,38). Die Vulgata, die lateinische Bibelübersetzung des Hieronymus (347–429), die seit dem 9. Jahrhundert im ganzen lateinischen Christentum des Westens in Gebrauch war, übernahm das erste und zweite Makkabäerbuch, wenn auch auffallenderweise nicht bei den Geschichtsbüchern sondern wie ein Anhang ganz am Ende des Alten Testaments, nach den prophetischen Büchern. Dass die faktische Bedeutung der Makkabäerbücher abgestuft war, zeigt das Fehlen im Codex Vaticanus und im Lehrgedicht des Amphilochios von Ikonium vom Ende des 4. Jh.s. 24 Martin Luther ordnete das Buch wie die anderen Schriften, von denen (zu seiner Zeit) kein hebräischer Text bekannt war, bei den sog. Apokryphen ein. Allerdings hielt er 1Makk (im Unterschied zu 2Makk) für sehr bedeutsam, weil es einerseits hilft, das 11. Kap. des Danielbuches zu verstehen, und andererseits ein wichtiges Beispiel und Zeugnis für die göttliche Bewahrung und Rettung gegenüber allen Anfeindungen des Glaubens darstellt. 25

22. 23.

24. 25.

Scriptures and the Scrolls (FS A. S. van der Woude), VT.S 49, 1992, 193.203; Mayer, R. / Rühle, I., Die makkabäische Bewegung im Talmud und im jüdischen Gebetbuch, BiKi 57 (2002), 8992. Vgl. VanderKam, J. C., Hanukkah: Its Timing and Significance According to 1 and 2 Maccabees, JSPE 1 (1987), 23-40. Das Novum Testamentum Graece27, 800 f. listet insgesamt 22 inhaltliche Bezugnahmen auf: Mt 4,15 (1Makk 5,15); 6,10 (1Makk 3,60); 9,38 (1Makk 12,17); 16,22 (1Makk 2,21); 24,15 (1Makk 1,54); 24,16 (1Makk 2,28); Lk 13,27 (1Makk 3,6); 15,12; (1Makk 10,29[30]); Joh 3,29 (1Makk 9,39); 10,22 (1Makk 4,59); Apg 5,21 (1Makk 12,6) 9,2 (1Makk 15,21); 10,22 (1Makk 10,25; 11,30.33 etc.); 12,23 (1Makk 7,41); 21,26 (1Makk 3,49); Röm 15,4 (1Makk 12,9); 2Thess 4,17 (1Makk 2,60); Hebr 5,6 (1Makk 14,41); 11,17 (1Makk 2,52); 12,21 (1Makk 13,2); Jak 4,2 (1Makk 8,16). Vgl. Bedenbender, A., Simon, Johannes und Alexander – drei Hasmonäer im Neuen Testament, in: Texte und Kontexte 24 (2001), 171-175. Oberg, E., Das Lehrgedicht des Amphilochios von Ikonion, JAC 16 (1973), 67-97 [Amphilochios nennt allerdings generell die Schriften des hebräischen Kanons. SK]. Siehe dazu die »Vorrede auff das erste Buch Maccabeorum«.

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

3.4.1 Makkabaion I / Das erste Buch der Makkabäer

Gegenüber diesen Abstufungen der Kanonizität erklärte bekanntlich das erste Konzil von Trient (Tridentinum) alle Bücher der Vulgata zur authentischen, hinsichtlich ihres Umfangs genau feststehenden und für alle dogmatischen Lehraussagen maßgeblichen Bibel der römisch-katholischen Kirche, wozu somit auch 1Makk gehörte. In heutigen katholischen Bibelausgaben begegnet 1Makk unter den alttestamentlichen Geschichtsbüchern. Von den Kirchen des Ostens wurde die Kanonliste des Konzils von Karthago mitsamt 1Makk auf dem ökumenischen Konzil von Konstantinopel (692 n. Chr.) übernommen, aber das Konzil erkannte neben dieser nordafrikanischen Liste auch noch verschiedene andere Listen an. 26 In den Kanonverzeichnissen der armenischen, koptischen, äthiopischen und ostsyrischen Kirchen ist das Buch generell erhalten. Die griechisch-orthodoxe Kirche neigt bis heute dazu, es als kanonisch anzusehen. Hingegen hat die russisch-orthodoxe Kirche 1Makk im 19. Jahrhundert aus ihrem Kanon entfernt.

6. Perspektiven der Forschung Die religionsgeschichtliche Bedeutung der Entwicklungen und Ereignisse, von denen in 1Makk die Rede ist, ist gewaltig, denn durch den gescheiterten Versuch der hellenistischen Reformer, verschiedene grundlegende Bestimmungen der Tora mit Gewalt zu korrigieren, konzentrierte sich die weitere geistige Entwicklung des Judentums gegenläufig auf die Tora. 27 Impulse für die weitere Forschung ergeben sich zudem aus der Beobachtung, dass der griechische Text von 1Makk zum einen von dem durchgehenden Bemühen um zielsprachliche Verdeutlichung der jüdischen Traditionsbindung und zum anderen von der kulturellen Prägung seines Übersetzers geprägt ist. Schließlich bedeutet diese besondere Form der Übertragung des hebräischen Textes von 1Makk in die allgemeine Verkehrs- und Standardsprache des östlichen Mittelmeerraums während der hellenistisch-römischen Zeit auch eine besondere Wahrnehmung der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk bis in die Gegenwart des Übersetzers hinein.

26. Vgl. Schneider, A. B., Jüdisches Erbe in christlicher Tradition. Eine kanongeschichtliche Untersuchung zur Bedeutung und Rezeption der Makkabäerbücher in der Alten Kirche des Ostens, Diss. Heidelberg 2000. 27. Vgl. Hengel, M., Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 31988, 565-570. 6. Perspektiven der Forschung

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3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer Tobias Nicklas

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935/2006 — Kappler, W. / Hanhart, R., Maccabaeorum liber II, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX,2, Göttingen 1959; 19762.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Habicht, C., 2. Makkabäerbuch, JSHRZ I/3, Gütersloh 1976 (mit Bibliographie zur älteren Literatur, 288-373) — Schaper, J., 2 Makkabees, NETS, Oxford / New York 20092, 503-520 — Brodersen, K. / Nicklas, T., Makkabaion II. Das zweite Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 694-717 — Nicklas, T., Makkabaion II. Das zweite Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1376-1416. Bévenot, H., Die beiden Makkabäerbücher, HSAT IV, 4, Bonn 1931 — Abel, F.-M., Les livres des Maccabeés, Paris 19613 — Goldstein, J. A., II Maccabees, AncB 41A, Garden City/NY 1983 — Dommershausen, W., 1 und 2 Makkabäer, NEB.AT 12, Würzburg 19952.

1.3 Weitere Literatur Abel, F.-M., Les livres des Maccabees, ÉtB, Paris 1949 — Bar-Kochva, B., Judas Maccabaeus: The Jewish Struggle Against the Seleucids, Cambridge 1989 — Doran, R., Temple Propaganda: The Purpose and Character of 2 Maccabees, CBQ.MS 12, Washington, D.C. 1981 — Engel, H., Die Bücher der Makkabäer, in: E. Zenger / C. Frevel (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 387-404 — Hanhart, R., Zum Text des 2. und 3. Makkabäerbuches. Probleme der Überlieferung, der Auslegung und der Ausgabe, NAW 1961, no. 13, Göttingen 1961 — Kellermann, U., Auferstanden in den Himmel: 2 Makkabäer 7 und die Auferstehung der Märtyrer, Stuttgart 1979 — Nicklas, T., Aus erzählter Geschichte »lernen«. Eine narrative Analyse von 2 Makk 8, JSJ 32 (2001), 25-41 — Nicklas, T., Der Historiker als Erzähler. Zur Zeichnung des Seleukidenkönigs Antiochus in 2 Makk. ix, VT 51 (2002), 80-92 — Schmitz, B., Auferstehung und Epiphanie: Jenseits- und Körperkonzepte im Zweiten Makkabäerbuch, in: T. Nicklas / F. V. Reiterer / J. Verheyden (Hg.), The Human Body in Death and Resurrection, DCLY 2009, Berlin / New York 2009, 105-142 — Schmitz, B., Geschaffen aus dem Nichts? Die Funktion der Rede von der Schöpfung im Zweiten Makkabäerbuch, in: T. Nicklas / K. Zamfir (Hg.), Theologies of Creation in Early Judaism and Ancient Christianity, DCLS 6, Berlin / New York 2010, 61-79 — Schwartz, D. R., 2 Maccabees, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin / New York 2008 (ausführliche Bibliographie mit v. a. englischsprachiger Literatur) — Van Henten, J. W., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ. Supp 57, Leiden u. a. 1997 — Xeravits, G. G. / Zsengellér, J. (Hg.), The Books of the Maccabees: History, Theology, Ideology. Papers of the Second International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 9-11 June, 2005, JSJ.Supp 118, Leiden u. a. 2007 — Ziadé, R.,

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1. Literatur

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

Les martyrs Maccabées: de l’histoire juive au culte chrétien: Les homélies de Grégoire de Nazianze et de Jean Chrysostome, VigChr.S 80, Leiden / Boston 2007.

2. Textüberlieferung In seinem griechischen Original ist das zweite Makkabäerbuch in zwei großen Majuskelhandschriften überliefert, dem Codex Alexandrinus (A) des 5. Jh.s sowie dem Codex Venetus (V) des 8. Jh.s, in anderen bedeutenden Majuskeln wie Codex Sinaiticus des 4. Jh.s fehlt es. Darüber hinaus bieten, beginnend mit dem 9. Jh., einunddreißig griechische Minuskeln, die sich verschiedenen Textformen zuordnen lassen, den Text des 2Makk oder Ausschnitte davon. 1 Unter den alten Versionen des Textes kommt am ehesten der erstmals im Jahr 1932 von D. De Bruyne publizierten Vetus Latina eine gewisse Bedeutung zu, 2 bietet sie doch an vielen Stellen offensichtlich einen vorlukianischen Text; allerdings macht die Tatsache, dass wir es hier mit einer Übersetzung zu tun haben, die textkritische Argumentation manchmal schwierig. Weitere Versionen ins Syrische, Armenische – und zumindest fragmentarisch erhalten – ins achmimische Koptisch sind bisher wenig untersucht und vor allem im Hinblick auf die Rezeptionsgeschichte des Buches interessant. Für die Rekonstruktion des Originals sind sie jedoch von geringer Bedeutung. Die bis heute entscheidende, erstmals im Jahr 1959 erschienene und in folgenden Ausgaben nur leicht veränderte kritische Edition des Texts von 2Makk von Robert Hanhart basiert auf Vorarbeiten des im Jahre 1944 im 2. Weltkrieg gefallenen Werner Kappler und stützt sich in erster Linie auf A sowie die Minuskeln 55, 347 und 771. Diese bis heute unverzichtbare Ausgabe wurde aber mehrfach, vor allem von Christian Habicht, 3 scharf kritisiert, entscheidet sie sich doch an einer Reihe von Stellen (z. B. 2Makk 4,34; 6,29; 7,30; 8,33) für sicherlich schwierige, wohl auch alte, gleichwohl aber kaum verstehbare Lesarten, die in Einzelfällen selbst die Möglichkeit von Konjekturen nahe legen.

3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil 3.1 Sprachliches Profil Abgesehen von den beiden dem Text vorangestellten Festbriefen 2Makk 1,1–2,18, welche wohl aus dem Aramäischen oder Hebräischen übersetzt sind, ist der Text in literarischem Koine-Griechisch verfasst, dessen Qualität sich etwa mit der eines Polybios vergleichen lässt. 4 Dass die Sprache des Textes sich damit deutlich von jener in Schriften der Septuaginta, die aus einem hebräischen Original übersetzt wurden, unterscheidet, ist somit klar. Dies zeigt sich ganz deutlich bereits in der ungleich komplexeren Syntax des 2Makk. 1. 2. 3. 4.

Genaue Angaben bei Kappler / Hanhart, Maccabaeorum liber II, 7-9. Edition: De Bruyne, D., Les anciennes traductions latines des Machabées, Maredsous 1932. Vgl. Habicht, 2 Makk, 191-194. Vgl. Schwartz, 2 Macc, 67. 2. Textüberlieferung

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3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

Der reiche Wortschatz des 2Makk bietet eine Vielzahl von LXX-Hapaxlegomena und Wörtern, die in der LXX neben 2Makk nur in 3 und / oder 4Makk begegnen. Darunter sind auch viele im gesamten antiken Griechisch selten sowie mehr als fünfundzwanzig bisher nur einmal belegte Wörter. Dies verdankt sich der Tendenz des Autors zur Variation in der Darstellung, die wohl bis hin zur Spontanbildung von Begriffen geht. Besonders gerne variiert er bei Ausdrücken des Kämpfens, Sterbens, Folterns oder Tötens, bei der Differenzierung von Waffengattungen, bei der Beschreibung der Tapferkeit der jüdischen Krieger und dem Edelmut der Märtyrer, dem Hochmut ihrer Gegner, aber auch bei den Hoheitstiteln, die im Zusammenhang mit Gott verwendet werden. 5 Gerade bei Präfixbildungen geht der Text immer wieder so weit, dass der Übersetzer an die Grenzen semantischer Differenzierungsmöglichkeiten stößt.

3.2 Inhalt Im Zentrum der Erzählung des zweiten Makkabäerbuchs stehen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen glaubenstreu-konservativen Juden unter der Führung der makkabäischen Bewegung und der seleukidischen Oberherrschaft in der Zeit der Könige Antiochos IV. Epiphanes (175–164 v. Chr.) bis Demetrios I. Soter (162–150 v. Chr.). Protagonist des Buches ist Judas Makkabäus, nach dem Tode seines Vaters Mattatias der erste wichtige Anführer des bewaffneten jüdischen Widerstandes gegen das Verbot, gemäß der Gebote der Tora zu leben. Im Zentrum der Erzählung steht die Entweihung, die Rückeroberung und Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem sowie anschließende kriegerische Auseinandersetzungen, die in der siegreichen Schlacht des Judas gegen die seleukidische Armee unter Nikanor (2Makk 15) gipfeln. Das zweite Buch der Makkabäer setzt, wie bereits angedeutet, mit zwei wohl aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzten Briefen (2Makk 1,1-10a // 2Makk 1,10b–2,18) ein. In beiden fordern Jerusalemer Juden die Mitglieder der ägyptischen Diaspora dazu auf, mit ihnen das Tempelweihfest zu begehen. Das Interesse der Briefe an diesem Fest, dessen Einführung ja in 2Makk selbst beschrieben wird (vgl. 2Makk 10,1-9; s. u.), zeigt wohl auch, in welcher Perspektive 2Makk im Judentum seiner Zeit eine Rolle gespielt haben mag. Der mit einer Vorrede des Epitomators (2Makk 2,19-32) einsetzende Auszug (ἐπιτομή = Auszug 2,26.28 vgl. auch 2,23.32) aus dem Geschichtswerk Jasons lässt sich, je nachdem, welche Kriterien angewandt werden, auf unterschiedliche Weisen gliedern. (1) Der Text beschreibt einerseits eine als Abfall von Gott verstandene Bewegung zur Hellenisierung zumindest einiger Teile des Judentums, die im Zusammenhang mit der seleukidischen Oberherrschaft zu sehen ist. Diese findet in den in Kapitel 6–7 beschriebenen Ereignissen um die Entweihung des Tempels wie dem Verbot der Ausübung jüdischen Glaubenslebens (6,1-17) und den damit verbundenen Verfolgungen und Martyrien des Eleasar (6,18-31) sowie der »sieben Brüder und ihrer Mutter« (Kap. 7) ihren Höhepunkt. Dieser führt zu einer Wende, die in 2Makk 8,5 explizit thematisiert ist: Der Text spricht nun davon, dass »der Zorn des Herrn sich in Erbarmen gewandelt hat«. Mit Kapitel 8 beginnt in diesem Verständnis des Buches die Erzählung vom Aufstieg des Judas Makkabäus und seiner erfolgreichen Feldzüge, deren 5.

Beispiele bei Schwartz, 2 Macc, 69-71.

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3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

erster Höhepunkt in der Rückeroberung Jerusalems und Wiedereinweihung des Tempels besteht (2Makk 10,1-9). Ein zweiter Höhepunkt ist dann im Sieg des Judas über Nikanor (2Makk 15) zu sehen. Für eine derartige Leseweise des Buches spricht auch die Inklusion zwischen Kapitel 8 und 15 – in beiden, auch aufeinander verweisenden Texten ist von erfolgreichen Kämpfen des Judas gegen Nikanor die Rede. (2) Aber auch eine andere Möglichkeit der Gliederung unseres Textes ist nicht von der Hand zu weisen. Der Text der Kapitel 3–15 lässt sich auch als eine Art doppelter Festätiologie lesen. In einem derartigen Verständnis legt sich eine Gliederung in zwei Teile nahe. Der erste Abschnitt, die Kapitel 3–10, befassen sich in diesem Verständnis mit einem Ringen um den von den seleukidischen Ansprüchen bedrohten Tempel. Sie gipfeln dann in der Erzählung von der Wiedereinweihung des Tempels am 25. Kislev (2Makk 10,5), die zur Einführung des jährlich zu begehenden Tempelweihfestes führt. Der zweite, dann sicherlich weniger organisch zusammenhängende Teil könnte als Kampf des Judas um die heilige Stadt und das Land gegen Bedrohungen von außen angesehen werden. Auch dieser zweite Teil fände dann seinen Gipfel in einer Festätiologie, der Einführung des Nikanortags am 13. Adar (vgl. 2Makk 15,36). Ein Epilog des Epitomators (2Makk 15,37-39) rundet das Buch ab.

3.3 Theologisches Profil Obwohl wir es beim zweiten Makkabäerbuch mit einem historiographischen Text zu tun haben, sollte sein theologisches Gewicht nicht unterschätzt werden. Immer wieder wird dabei die Rolle des Tempels und das Ringen um ihn als zentralem Ort der Gottesverehrung als zentral angesehen. 6 Demgegenüber kann aber auf 2Makk 6,19 als Schlüsselpassage für das Verständnis unseres Textes hingewiesen werden: Entscheidend ist nicht der Tempel als Ort der Verehrung Gottes an sich, sondern im Fokus des Buches steht, auch wenn Überlegungen zur Tora eher zurücktreten oder auch der Begriff »Bund« kaum einmal begegnet, das Verhältnis Gottes zu seinem Volk, das als Erwählung bezeichnet werden kann. Dieses Verhältnis kann von Zorn bestimmt sein, wenn sich das Volk nicht als treu erweist, dies kann aber alleine schon aufgrund des Glaubenszeugnisses einiger, in diesem Falle der Märtyrer der Kapitel 6–7, von Gottes Gnade und Erbarmen bestimmt sein. Alleine auf Gottes Erbarmen sind für 2Makk letztlich auch die militärischen Erfolge des Judas zurückzuführen. Wie sehr dies der Fall ist, machen nicht nur die regelmäßigen Gebete der jüdischen Kämpfer vor und nach der Schlacht deutlich. Es zeigt sich auch in einer kurzen Episode nach der Schlacht gegen Gorgias, in der einige jüdische Kämpfer fallen und sich zeigt, dass diese alle auf Amulette fremder Götzen vertraut hatten (2Makk 12,40). Dieses Fehlverhalten einiger führt dazu, dass das ganze Volk, das offensichtlich als Einheit im Gegenüber zu Gott stehend verstanden ist, entsühnt werden muss (12,42-45). Das Gottesbild des zweiten Makkabäerbuchs lässt sich einerseits anhand einer Vielfalt von ansonsten wenig verwendeten Hoheitstiteln bestimmen, von denen einige wie »Pantokrator« in 5,20; 6,26 u. a., »allmächtiger Herr« in 3,26 oder »großer Fürst« in 5,20 durchaus auch aus politischen Gründen bewusst gewählt sein dürften: Deutlich gemacht wird in ihnen, dass trotz aller Ansprüche der seleukidischen Herrscher der Gott Israels als eigentlicher Hand6.

Vgl. hierzu v. a. Doran, Temple Propaganda. 3. Sprache, Inhalt und theologisches Profil

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3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

lungssouverän der Weltgeschichte zu sehen ist. Ob hierin aus späterer Perspektive vielleicht auch versteckte Hasmonäerkritik zu erkennen ist, wäre der Untersuchung wert. Wichtig ist zudem vor allem das Bild des gerechten Gottes, der Untaten in einer Weise vergilt, die häufig bis ins Detail dem begangenen Vergehen entspricht. Das vielleicht deutlichste Beispiel dafür zeigt sich in der Beschreibung der Qualen, die Antiochus IV., welcher die sieben Brüder und ihre Mutter aufs Grausigste foltern ließ (Kap. 7), laut Kap. 9 bei seinem Sterben am eigenen Leibe erfährt. 7 Der gerechte und souveräne Gott Israels steht Israel im Moment seines Erbarmens auch als Bundesgenosse im Kampf bei, wie der Text in Schilderungen von Epiphanien im Zusammenhang mit den Kampfeshandlungen zeigt. In diesem Zusammenhang spielen auch Engelsgestalten immer wieder eine Rolle. Gottes Gerechtigkeit macht für 2Makk auch an den Grenzen des Todes nicht halt: So bezeugt der Text zwei Aspekte frühjüdischer Auferstehungsvorstellungen: die Idee einer endzeitlichen Erhöhung der Toten zum Himmel und (vor allem im Zusammenhang mit der Zerstörung des Körpers der Märtyrer) die Vorstellung ihrer körperlichen Restitution nach dem Tode. 8 Der Gedanke der Auferstehung der Toten in Verbindung mit der Idee, dass Israel als Kollektiv Gott gegenüber steht, führt auch zur Möglichkeit des fürbittenden Gebets bzw. der Sühne für die Toten, wie er in 2Makk 12,42-45 begegnet. Daneben bezeugt eine in 2Makk 15,12-16 erzählte Vision des Judas auch den Gedanken, dass besondere Tote wie der Hohepriester Onias oder der Prophet Jeremia die Möglichkeit haben, bei Gott Fürbitte für das Volk einzulegen. Auferstehungstheologie verbindet sich in 2Makk aber auch mit Schöpfungstheologie (vgl. 2Makk 7,28-29). Vor allem im Zusammenhang mit 2Makk 7,28 wurde diskutiert, ob hier bereits der in Schriften mancher altkirchlicher Autoren entwickelte Gedanke einer Creatio ex nihilo zu erkennen sei. 9

4. Zeit und Ort der Abfassung Die Frage nach Zeit und Ort der Abfassung der Schrift ist schwerer zu beantworten, als dies auf den ersten Blick der Fall scheint, ist der vorliegende Text doch sicherlich nicht in einem Guss entstanden. Differenziert werden muss zumindest zwischen drei Ebenen, (1) der Entstehung des dem Text zugrunde liegenden Geschichtswerks des Jason von Kyrene, (2) der Entstehung der Epitome unseres unbekannten Autors sowie (3) der Kombination dieses Textes mit den beiden vorangestellten Festbriefen. Wie der Verfasser in seiner Vorrede (2Makk 2,19-32) ausdrücklich zu erkennen gibt, versteht sich das ab Kapitel 3 vorliegende Werk als erbaulicher Auszug eines ursprünglich fünfbändigen Geschichtswerks des ansonsten unbekannten Jason von Kyrene (2Makk 2,23). Obwohl der Epitomator zurückweist, einen allzu genauen Bericht der historischen Zusammenhänge vorlegen zu wollen (2Makk 2,28), übernimmt er in seiner Zu7. 8. 9.

Vgl. ausführlicher auch Nicklas, Historiker. Zu den Gedanken im Zusammenhang mit »Epiphanie« und »Auferstehung« vgl. v. a. Schmitz, Auferstehung. Weiterführend zur Schöpfungstheologie im 2Makk vgl. Schmitz, Geschaffen aus dem Nichts.

310

4. Zeit und Ort der Abfassung

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

sammenfassung etwa in Kapitel 11 ältere, offensichtlich bereits dem Jason vorliegende historische Dokumente. Umstritten ist zudem die Frage, ob Kapitel 7, die Erzählung vom Martyrium der sieben Söhne und ihrer Mutter, dem Text des Jason von Kyrene angehört hat oder erst vom Epitomator in einen bestehenden Kontext eingefügt wurde: 10 Vor allem aber die Tatsache, dass Kapitel 9 regelmäßig Bezug auf Kapitel 7 zu nehmen scheint, spricht dafür, dass beide Texte schon im Jason’schen Werk vorlagen. Recht wahrscheinlich auf den Epitomator gehen zudem Abschnitte wie 2Makk 4,17; 5,17-20 und vor allem 6,12-17 zurück, wo – in Kapitel 6 gar in der Ich-Form – zusammenfassende Erzählerkommentare geboten sind. Umfangreichere literar- und quellenkritische Überlegungen zu der Frage, welches Material aus 2Makk 3–15 zusätzlich vom Epitomator in Jasons Text eingefügt wurde und mit welchen späteren Redaktionen zu rechnen ist, legte zuletzt D. R. Schwartz vor. 11 Trotz vieler Hinweise auf eine komplexe Entstehungsgeschichte des Textes ist hier allerdings kaum Sicherheit zu gewinnen. So scheint es sinnvoll, die historische Einordnung des Textes anhand des eingangs beschriebenen Dreischritts zu bestimmen: (1) Das Werk des Jason von Kyrene, das ja im Sieg des Judas über Nikanor (2Makk 15) gipfelt, einem Sieg, der durch den Fortgang der Ereignisse schnell überholt wurde (Tod des Judas in der Schlacht gegen Bakchides), macht sicherlich am besten Sinn, wenn es noch kurz vor dem Tode des Judas Makkabäus (160 v. Chr.) verfasst wurde. (2) Die Epitome wiederum kann wegen der Bedeutung des erfolgreichen jüdischen Ringens um den Tempel für den Text keinesfalls mehr nach 70 n. Chr., der Zerstörung des Zweiten Tempels, verfasst sein. Sie bietet auch, anders als etwa die Psalmen Salomos, keine Spuren, die an den Einmarsch des Pompejus in Jerusalem (63 v. Chr.) und die damit verbundene Schändung des Heiligtums denken lassen. Die im Text mehrfach erkennbare Tendenz, Judas als Vorbild herauszuheben, gegenüber seinen Brüdern (und damit den Hasmonäern) jedoch eine kritische Haltung einzunehmen, lässt eine Entstehung des Textes in hasmonäischer Zeit, eventuell im Zusammenhang mit der Expansionspolitik Johannes Hyrkans (134–104 v. Chr.) wahrscheinlich erscheinen. 12 Letzte Sicherheit ist dabei allerdings nicht mehr zu gewinnen. (3) Die beiden dem Text vorangestellten Briefe wiederum lassen sich genauer datieren: Der erste der beiden Texte (2Makk 1,1-10a) ist auf das Jahr 188 seleukidischer Herrschaft datiert (2Makk 1,10a), also das Jahr 124 v. Chr. unserer Zeitrechnung. Der zweite der beiden Briefe wiederum erwähnt Judas als Absender (2Makk 1,10b) und blickt bereits auf den Tod Antiochus’ IV. Epiphanes im Jahre 164 v. Chr. zurück. Sollten diese Angaben echt sein, muss dieser Text zwischen 164 und 160 v. Chr. entstanden sein. Das Gesamtwerk des 2. Makkabäerbuchs kann damit frühestens im Jahr 124 v. Chr. vorgelegen haben; wahrscheinlich ist die tatsächliche Entstehungszeit nur wenig später anzusetzen.

10. Vgl. z. B. die unterschiedlichen Statements bei Habicht, 2 Makk, 171, und Engel, 2 Makk, 325, der allerdings ebenfalls die Sonderstellung des Textes erkennt. 11. Vgl. Schwartz, 2 Macc, 16-37. 12. Ähnlich auch das Fazit von Engel, 2 Makk, 327. 4. Zeit und Ort der Abfassung

311

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Zeichen jüdischer Rezeption des Textes sind dünn gesät. Dass dem Text des Epitomators zu einem bestimmten Punkt die beiden Festbriefe der ersten Kapitel zugefügt wurden, ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass beim offiziellen Jerusalemer Judentum wohl aufgrund seiner Aussagen zur Entstehung des Tempelweihfestes ein gewisses Interesse an der Verbreitung des 2Makk bestand. Eine eindeutige nichtchristlich-jüdische Rezeption des Textes in der Antike ist allerdings nur durch das 4. Makkabäerbuch bezeugt, welches eine Fortschreibung der Märtyrererzählungen aus 2Makk 6–7 bietet. Dass der Text trotzdem einen gewissen Bekanntheitsgrad genoss, zeigt die Tatsache, dass der Text im frühen Christentum immer wieder angespielt oder zitiert wird. 13 Als frühestes und wohl einziges neutestamentliches Zeugnis ist wohl an Hebr 11,35-36.38 zu denken, wo mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Motive der Märtyrererzählungen des 2Makk angespielt ist (2Makk 6,19.28; 7,7.29; vgl. aber auch 10,6 in Hebr 11,38). In der außerkanonischen Literatur ist zunächst an den Hirten des Hermas (Herm. 26,1 in Anlehnung an 2Makk 7,28) zu denken. In antiken Kanonlisten wird das Buch häufig ausgeschlossen: so scheinen etwa Origenes, Hieronymus und Augustinus das Buch als nicht-kanonisch betrachtet zu haben, alle drei Autoren ziehen es in ihren Argumentationen aber doch immer wieder heran. Das Interesse der meisten antikchristlichen Autoren richtete sich vor allem auf die in 2Makk erhaltenen Märtyrererzählungen und hier wiederum besonders auf das Martyrium der sieben Brüder und ihrer Mutter (2Makk 7), dem Autoren wie Gregor von Nazianz oder Johannes Chrysostomus (im Antiochien des 4. Jahrhunderts!) mehrere Homilien widmeten. 14 Von Luther und Calvin wurde das zweite Makkabäerbuch wegen seiner aus 2Makk 12,42 ff. zu entnehmenden Lehre von der Fürbitte für die Toten und der möglichen Auswirkungen auf die Lehre eines Fegefeuers abgelehnt, das Konzil von Trient (1541) bestätigte den deuterokanonischen Status des Buches in der katholischen Kirche. 15

6. Perspektiven der Forschung Dem zweiten Makkabäerbuch wurde in den vergangenen Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, vor allem der große Kommentar von D. R. Schwartz hat in jüngster Zeit (2008) den Stand der Forschung auf den Punkt gebracht. Trotzdem fehlen weiterhin auf einigen Gebieten grundlegende Untersuchungen. Von besonderer Wichtigkeit wären Arbeiten, die genauer als bisher das sprachliche und stilistische Profil des Textes bearbeiten und in Bezug zu vergleichbaren Texten der Zeit – aus der LXX etwa 3 und 4Makk, aber auch Polybios – setzen. Vor diesem Hintergrund könnte wohl auch die bis heute umstrittene Frage nach Quellen und Redaktionstendenzen des Textes klarer als bisher beantwortet werden. 13. Eine ausführliche Übersicht bietet Abel, Maccabees, viii-xi, sowie Schwartz, 2 Macc, 85-90. 14. Ausführlich hierzu Ziadé, Les martyrs Maccabées. 15. Ausführlichere Hinweise bei Schwartz, 2 Macc, 60.

312

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

3.4.2 Makkabaion II / Das zweite Buch der Makkabäer

In Untersuchungen zur Geschichte der Zeit hat das zweite Makkabäerbuch, das gegenüber 1Makk häufig eher ein Schattendasein führte, in den vergangenen Jahrzehnten eine Aufwertung erfahren; vor allem wurde die Bedeutung des 2Makk für das Verständnis der Vorgeschichte der Konflikte, die zur makkabäischen Erhebung führten, hervorgehoben. Daneben aber könnte in den kommenden Jahren durchaus auch das theologische Profil des Textes stärker ins Blickfeld rücken. Von großem Interesse wäre es, noch klarer als bisher das Profil des Judentums, das hinter der Entstehung dieses Textes steht, vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes herauszuarbeiten und dieses als Aspekt der Vielfalt jüdischen Denkens seiner Zeit zu verstehen. Noch weiter zu klären wäre zudem, inwiefern Darstellungstendenzen des Buches sich der Auseinandersetzung mit hellenistischen Idealen oder politischen Gegebenheiten seiner Zeit verdanken. Es fehlt zudem eine zusammenfassende Untersuchung der Rezeptionsgeschichte des Textes. Die wenigen bisher vorliegenden Studien konzentrieren in erster Linie auf Aspekte der Rezeption von 2Makk 7, zum Teil auch auf die Diskussion um die Fürbitte für die Toten in 2Makk 12,42-44.

6. Perspektiven der Forschung

313

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer Wolfgang Orth

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1930 — RaHa 1935/2006 — Hanhart, R., Maccabaeorum liber III, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX / 3,2, Göttingen 19802.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Boyd-Taylor, C., 3 Maccabees, NETS, Oxford / New York 20092, 521-529 — Mélèze Modrzejewski, J., Troisième livre des Maccabées, BdA 15,3, Paris 2008 (Lit.) — Knöppler, T., Makkabaion III. Das dritte Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 717-729 — Knöppler, T., Makkabaion III. Das dritte Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1417-1444. Kautzsch, E., Das sogenannte dritte Buch der Makkabäer, in: E. Kautzsch (Hg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments I, Tübingen 1900, Nachdruck Hildesheim 2002, 119-135 — Emmet, C. W., The Third Book of Maccabees, in: R. H. Charles (Hg.), The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament in English with Introductions and Critical and Explanatory Notes to the Several Books, Vol. I: Apocrypha, Oxford 1913, Nachdruck 1978 u. ö., 155-173 — Hadas, M., The Third and Fourth Books of Maccabees, New York 1953 — Anderson, H., 3 Maccabees. A New Translation and Introduction, in: J. H. Charlesworth (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha, Vol. 2, New York 1985, 509-529 — Passoni dell’Acqua, A., Terzo libro dei Maccabei, in: P. Sacchi (Hg.), Apocrifi dell’Antico Testamento, IV, Brescia 2000, 571-664 (Lit.) — Croy, N. C., 3 Maccabees, Septuagint Commentary Series, Leiden 2006.

1.3 Weitere Literatur Alexander, Ph. / Alexander, L., The Image of the Oriental Monarch in the Third Book of Maccabees, in: T. Rajak / S. Pearce / J. Aitken / J. Dines (Hg.), Jewish Perspectives on Hellenistic Rulers, Berkeley/CA 2007, 92-109 — Denis, A.-M., Le Livre 3 des Machabées, in: A.-M. Denis (Hg.), Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique I, Pseudépigraphes de l’Ancien Testament, Turnhout 2000, 547-559 — Grimm, C. L. W., Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testamentes, Vierte Lieferung. Das zweite, dritte und vierte Buch der Maccabäer, Leipzig 1857, 211-282 — Gruen, E. S., Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition, Berkeley/CA u. a. 1998, 222-236 — Johnson, S. R., Historical Fictions and Hellenistic Jewish Identity: Third Maccabees in Its Cultural Context, Berkeley/CA 2004 — Mélèze Modrzejewski, J., The Jews of Egypt, Princeton/NJ 1997, 141-153 — Motzo, R. B., Esame storico-critico del III libro dei Maccabei, in: Entaphia. In memoria di E. Pozzi, Turin 1913, 209251 — Motzo, R. B., Il rifacimento Greco di »Ester« e il »III Macc.«, in: Saggi di Storia e Letteratura Giudeo-Ellenistica, Florenz 1924, 272-290 — Parente, F., The Third Book of Maccabees as Ideological Document and Historical Source, Henoch 10 (1988), 143-182 — Passoni dell’Acqua, A., Elementi sociali e politici nel III libro dei Maccabei, in: Timai (FS. J. Trianta-

314

1. Literatur

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

phyllopoulos), Athen / Komotini 2000, 223-237 — Rajak, T., The Angry Tyrant, in: T. Rajak / S. Pearce / J. Aitken / J. Dines (Hg.), Jewish Perspectives on Hellenistic Rulers, Berkeley/CA 2007, 110-127 — Tromp, J., The Formation of the Third Book of Maccabees, Henoch 17 (1995), 311-328.

2. Textüberlieferung und Editionen Grundlage der Textüberlieferung des dritten Makkabäerbuchs, auf dessen Existenz bereits in der Chronik des Eusebios hingewiesen wird, 1 sind die Handschriften des Codex Alexandrinus (A; 5. Jh.) und des Codex Venetus (V; 8.–9. Jh.); demgegenüber tritt an Bedeutung zurück die Minuskeltradition, in der im Besonderen die Ergebnisse zweier untereinander unabhängiger Textformen ihren Niederschlag gefunden haben: der lukianischen und einer weiteren (mit q bezeichneten), deren Provenienz nicht zu bestimmen ist. Die Konstitution des griechischen Textes bietet vom handschriftlichen Befund her nirgendwo außerordentliche Probleme. 2 Am Anfang freilich fehlt eine Partie, 3 Indizien dafür sind der abrupte Beginn des Werks (1,1) und ins Leere gehende Rückbezüge (1,2 und 2,25). Eine lateinische Übersetzung scheint im Altertum nicht erarbeitet worden zu sein, in der Vulgata ist das Buch nicht enthalten. Hingegen gibt es alte Übersetzungen ins Syrische und ins Armenische; beide erlauben sich relativ viele Freiheiten. 4

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Abfassung Im Rahmen der LXX stellt 3Makk eine Ausnahme dar, da es sich bei dem Text nicht um eine Übersetzung handelt. Nichts spricht dafür, dass hier jemals ein hebräisches Original existiert hätte; uns liegt hier vielmehr ein auf Griechisch verfasster Text vor, gestaltet von einem Autor, der eine sehr gute Bildung, wie sie nur einer Elite unter der jüdischen Bevölkerung zugänglich gewesen sein kann, genossen hatte; er war mit den Regeln der Rhetorik vertraut und hatte auch zahlreiche Werke der griechischen Lite-

1. 2.

3.

4.

Eusebius Werke, VII: Die Chronik des Hieronymus, hg. von R. Helm, Berlin 1984, p. 134, Z. 916. Dazu Hanhart, Liber und ders., Zum Text des 2. und 3. Makkabäerbuches. Probleme der Überlieferung, der Auslegung und der Ausgabe, Nachr. der Akad. d. Wissenschaften in Göttingen, I. Philolog.-Historische Klasse, Jg. 1961, Nr. 13, Göttingen 1961. Dazu Grimm, Handbuch, 219 f.; Reuss, E., Das dritte Buch der Makkabäer, in: Das Alte Testament VII: Die politische und polemische Litteratur der Hebräer, Braunschweig 1891, 249-268, speziell 254; Büchler, A., Die Tobiaden und die Oniaden im II. Makkabäerbuche und in der verwandten jüdisch-hellenistischen Litteratur, Wien 1899 (Nachdruck Hildesheim 1975), 201; Torrey, Ch. C., in: Encyclopaedia Biblica III, London 1902, 2879; Parente, Book, 145; Croy, Maccabees, XVIIf. Syrische Übersetzung: Libri Veteris Testamenti Apocryphi Syriace, ed. P. A. de Lagarde, Leipzig 1861, Nachdruck Osnabrück 1972, XXXVII-XXXIX und 255-273. Zur armenischen Übersetzung siehe die kurzen Hinweise bei Passoni dell’Acqua, Libro, 578 und 618. 2. Textüberlieferung und Editionen

315

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

ratur kennengelernt. 5 Stilistisch weist das Werk eine ganze Reihe von Besonderheiten auf, ungewöhnliche Wortbildungen und elaborierte Wendungen sind zahlreich. 6 Die Abfassungszeit des Textes lässt sich nur ungefähr eingrenzen. Historische, literaturwissenschaftliche und sprachliche Gesichtspunkte spielen bei der Festlegung eines terminus post quem und eines terminus ante quem eine Rolle. 7 Das Buch ist nach der Regierungszeit Ptolemaios’ IV. (222/1–205/4 v. Chr.), von der es handelt, und vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. entstanden: die Vorstellung, dass der Tempel in Jerusalem nicht mehr existiere, ist ausgeschlossen (5,43). Innerhalb dieses Zeitraums von fast 300 Jahren ist aber noch genauere Eingrenzung möglich. Der Autor kennt Texte der Septuaginta-Überlieferung, vor allem das zweite Makkabäerbuch (vgl. 2,21-24 mit 2Makk 3,9 ff. [Heliodor-Geschichte]; auffallend sind auch Übereinstimmungen im Sprachgebrauch) und die griechischen Zusätze zu Daniel (vgl. 6,6 mit Dan 3,46-50). Demzufolge kann 3Makk nicht vor dem Ende des 2. Jh.s v. Chr. geschrieben worden sein. Nichts deutet darauf hin, dass das Imperium Romanum in der Gegenwart des Autors den historischen Rahmen bilde. Von daher ist die früher häufig vertretene Ansicht, das Buch spiegele die antijüdischen Tendenzen der Zeit des Kaisers Caligula, 8 nicht haltbar; es gibt dafür nicht den mindesten Anhaltspunkt, zumal auch von der in römischer Zeit aufbrechenden Spannung zwischen Griechen und Juden in Ägypten hier noch keine Rede ist. Aber auch die Steuergesetzgebung des Augustus muss noch nicht existiert haben, als das Buch geschrieben wurde. 9 Wenn man sich die Frage stellt, mit welchem geistig-gesellschaftlichen Umfeld die in der Schrift erkennbaren Tendenzen am ehesten in Einklang stehen, dann spricht besonders viel für die Zeit um 100 v. Chr. oder bald danach: zu berücksichtigen sind 5. 6.

7.

8.

9.

Vgl. allgemein zum Bildungsprofil des Autors Modrzejewski, Livre, 113-115. Emmet, Book, 161; Passoni dell’Acqua, Libro, 578-581 und 629-664 (Anmerkungsapparat); Modrzejewski, Livre, 115-118 (dort auch Liste von unüblichen Wörtern bzw. von hapax legomena). Siehe etwa Bickermann, E., RECA XIV(1928), Sp. 797-800, s. v. Makkabäerbücher (III), speziell 798; Passoni dell’Acqua, Elementi, 232, Fn. 25. Zur Sprache als Datierungskriterium Emmet, Book, 156-158. So Ewald, H., Geschichte des Volkes Israel bis Christus, Bd. III 2, Göttingen 1852, 520-539; ihm folgten u. a. Reuss, Buch (s. o. Fn. 3), 252-254; Willrich H., Der historische Kern des III. Makkabaeerbuches, Hermes 39 (1904), 244-258, speziell 255 f.; Graetz, H., Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. III, Leipzig 19055 (Nachdruck Berlin 1996), 615 f. Bedenken gegenüber der These formulierte bereits Grimm, Handbuch, 219. Die Ansicht, es habe vor der Einrichtung eines Census für die Provinz Ägypten im Jahre 24/23 v. Chr. im Nilland keine λογογραφία gegeben und man könne deshalb aus der Erwähnung einer solchen in 2,28 einen terminus post quem für die Abfassung der Schrift gewinnen (so Hadas, Books, 3 und 18-21; Tcherikover, V., The Third Book of Maccabees as a Historical Source of Augustus Time, in: A. Fuks / I. Halpern [Hg.], Studies in History, Jerusalem 1961, 1-26; Parente, Book, 175-177; Barclay, J. M. G., Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan [323 BCE-117 CE], Edinburgh 1996, 448), kann als widerlegt gelten (vgl. etwa Huß, W., Untersuchungen zur Außenpolitik Ptolemaios’ IV. [Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, H. 69], München 1976, 54; Gruen, E. S., Diaspora. Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge/MA / London 2002, 76 f.).

316

3. Sprachliches Profil, Zeit und Ort der Abfassung

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

dabei die Bewertung der ptolemäischen Herrschaft, die Situation der jüdischen Diaspora in Alexandreia und ihre Haltung gegenüber der hasmonäischen Politik. 10 Ein zeitlicher Ansatz dieser Art harmoniert gut mit der Tatsache, dass 3Makk deutliche Parallelen oder Korrespondenzen zu zwei anderen Schriften aufweist: zum Buch Esther und zum Aristeas-Brief. 11 Dass gewisse formelhafte Wendungen in den in 3Makk wiedergegebenen königlichen Verlautbarungen dem Sprachgebrauch gerade dieser Zeit entsprechen, kommt als stützendes Argument hinzu. 12 Alles spricht dafür, Ägypten als das Gebiet anzunehmen, in dem der Text entstand. Die Hauptstadt Alexandreia hat als Abfassungsort die größte Wahrscheinlichkeit. 13

4. Inhaltliches und theologisches Profil Thema des Buches ist die Geschichte der Errettung ägyptischer Juden vor gefährlicher Verfolgung. Der Titel ist irreführend: Mit der Erhebung der Makkabäer haben die hier berichteten Ereignisse nichts zu tun; sie haben sich ca. 50 Jahre früher zugetragen als das, was im Ersten und Zweiten Makkabäerbuch geschildert wird. Der junge König Ptolemaios IV., allem, was Religion und Kult betrifft, sehr zugetan, ist im Vierten Syrischen Krieg bestrebt, nach seinem überraschenden Sieg über den Seleukidenherrscher Antiochos III. in der Schlacht bei Raphia (217 v. Chr.) Städten und Heiligtümern in Koilesyrien Wohltaten zu erweisen. Als er in Jerusalem nach Darbringung von Opfern im Tempelbereich das Allerheiligste betreten will, stößt er auf schroffe Ablehnung. Für die Demütigung, die ihm dadurch widerfahren ist, möchte er sich in der Folgezeit an den Juden im Nilland rächen. Da sich die jüdischen Untertanen in Alexandreia mehrheitlich der königlichen Anweisung widersetzen, am Staatskult, insbesondere an der von Ptolemaios favorisierten Dionysos-Verehrung, teilzunehmen, beschließt er die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in ganz Ägypten. Die Juden sollen als Staatsfeinde in grausamer Weise zu Tode kommen, dadurch, dass sie der Attacke wildgewordener Elephanten im Hippodrom in Alexandreia ausgesetzt werden. Die Durchführung des Plans stößt allerdings auf verschiedene Schwierigkeiten und erweist sich schließlich als unmöglich. Am Ende werden die Juden durch göttliches Eingreifen in wunderbarer Weise errettet, die aggressiven Elephanten wenden sich um und greifen königliche Militärabteilungen an. Der König sieht ein, dass er sich 10. Für eine solche Datierung Emmet, Book, 155; Motzo, Rifacimento, 274; Bickermann, Makkabäerbücher (s. o. Fn. 7), 798; Cohen, J., Judaica et Aegyptiaca. De Maccabaeorum libro III quaestiones historicae, Diss. Groningen 1941, 23-25; Anderson, Maccabees, 510-512; Passoni dell’Acqua, Libro, 613; Alexander, Image, 92; Modrzejewski, Livre, 119 f. und 123. 11. Dazu Motzo, Rifacimento, 274-282; Hadas, Books, 6-10; Passoni dell’Acqua, Libro, 592-596 und 598-601; Hacham, N., 3Maccabees and Esther: Parallels, Intertextuality, and Diaspora Identity, JBL 126 (2007), 765-785; Modrzejewski, Livre, 36 f. und 118 f. Zurückhaltendes Urteil bei Anderson, Maccabees, 515 f. 12. Siehe Modrzejewski, Livre, 119. 13. Vgl. Grimm, Handbuch, 220; Hadas, Books, 22 f.; Anderson, Maccabees, 512; Alexander, Image, 92; Modrzejewski, Livre, 113-115. Entstehung im Fajjum-Gebiet nimmt hingegen Knöppler, Erläuterungen, 1419 an. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

317

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

– unter dem Einfluss schlechter Ratgeber – falsch verhalten hat; in großzügiger Wiedergutmachung lässt er die Juden in ihre Heimat in den arsinoitischen Gau (Fajjum) zurückkehren und sichert dort die Grundlagen einer zukünftigen friedlichen Existenz. Die aus Todesgefahr wunderbar Geretteten beschließen – einer königlichen Anregung folgend – die Einrichtung eines Dankfestes. So sehr man selbst Gnade erfahren hat, so streng verhält man sich gegenüber denjenigen unter den Juden, die sich in der vorhergehenden Zeit hinsichtlich der königlichen Politik als zu kompromissbereit gezeigt haben: Sie werden einem erbarmungslosen Strafgericht unterworfen. Wie eine ganze Reihe vergleichbarer Schriften thematisiert 3Makk den Konflikt zwischen Judentum und hellenistischer Herrschaft. Der Autor erhebt den Anspruch, ein Geschichtswerk vorgelegt zu haben, dem soll auch durch die Einfügung ›amtlicher Dokumente‹ Rechnung getragen werden, denen formale Korrektheit 14 nicht abzusprechen ist; in ihrem Hauptteil (ab 2,25) freilich nähert sich die Darstellung der literarischen Gattung des Romans an. Erzählerische Wirkung, die ohne Zweifel angestrebt ist, ist dem Ziel untergeordnet, Aussagen zu vermitteln, die Glaubensüberzeugungen ebenso betreffen wie politisches Verhalten. Es ist nicht immer leicht zu unterscheiden zwischen Absichten, die vom Autor bewusst verfolgt wurden, und Wirkungen, die sich – auch ohne dass sie intendiert waren – im Blick auf verschiedene Adressaten ergeben konnten. Den Kern des Ganzen bildet die rühmende Schilderung göttlicher Hilfe in auswegloser Situation. In ihren Gebeten (2,1-20; 6,2-15) kreisen die Priester der Juden immer wieder um das Thema der Macht Gottes. Gott, der Herr der ganzen Schöpfung, δεσπότης πάσης κτίσεως (2,2), wird mit einer Vielzahl von Beinamen belegt. Unter ihnen finden sich auch solche, die sonst in der LXX nirgends vorkommen wie »Alleinherrscher« (μόναρχος 2,2), »Vorvater« (προπάτωρ 2,21), »Großherrscher« (μεγαλοκράτωρ 6,2), »Hochberühmter« (μεγαλόδοξος 6,18 und 6,39), »Heiliger unter Heiligen« (ἅγιος ἐν ἁγίοις 2,2 und 2,21) oder »der die Überheblichkeit Hassende« (μίσυβρις 6,9). 15 Das auserwählte Volk Israel kann die Gewissheit haben, dass es von Gott geschützt und gerettet wird. Die göttliche Vorsehung (πρόνοια 4,21 und 5,30) ist es, die den Juden immerwährende Bewahrung verheißt, mag sich die Bedrohung auch noch so extrem darstellen. 16 Daraus ergibt sich für alle Juden die fundamentale Bedeutung der Treue zu Gott und seinem Gesetz. 17 Die Gesetzestreue hat ihre Hauptelemente in der Ablehnung der Götzenverehrung und in der Brandmarkung von Apostasie. Die Kompromisslosigkeit, mit der der Autor, der selbst griechische Bildung mit Schwerpunkten in Literatur, Phi-

14. Siehe dazu Modrzejewski, Livre, 47 und 62 f. 15. Zu diesen und weiteren Beinamen Modrzejewski, Livre, 88. 16. Mit dem Begriff πρόνοια greift der Autor einen zentralen Terminus der zeitgenössischen stoischen Philosophie auf (vgl. dazu Modrzejewski, Livre, 89). Während verschiedene Erzählungen des Alten Testaments Gottes vorausplanendes Handeln in der Geschichte thematisieren (insbesondere Gen 45,7; 50,20), wird hier nun die Sache auf den Begriff gebracht. 17. Dazu Cousland, J. R. C., Reversal, Recidivism and Reward in 3 Maccabees: Structure and Purpose, Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period 34 (2003), 39-51; Schimanowski, G., Juden und Nichtjuden in Alexandrien. Koexistenz und Konflikte bis zum Pogrom unter Trajan (117 n. Chr.), Münster 2006, 92 f.; Knöppler, Erläuterungen, 1419.

318

4. Inhaltliches und theologisches Profil

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

losophie und Rhetorik genossen hatte, synkretistische oder auf stärkere Assimilation hinauslaufende Tendenzen ablehnt, darf als erstaunlich bezeichnet werden. 18 Abgesehen von dieser zentralen Botschaft, die Trost und Stärkung schaffen wollte, konnten Lesern von 3Makk in späthellenistischer Zeit weitere Einsichten vermittelt werden: Das Buch bot eine Erklärung des historischen Hintergrunds einer Festesfeier im Fajjum; damit wurde einem aitiologischen Anliegen Rechnung getragen. Wenn im übrigen Juden in Jerusalem den Text lasen, dann konnten sie zu der Erkenntnis gelangen, dass man es in Ägypten an Glaubensmut und Leidensbereitschaft nicht habe fehlen lassen – auch schon Jahrzehnte vor den Auseinandersetzungen der Makkabäer mit den seleukidischen Herrschern. 19 Und schließlich sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen, wie es die Forschung gelegentlich getan hat, 20 dass der Verf. von 3Makk auch an griechische Leser seines Textes gedacht haben könnte. An mehreren Stellen wird jedenfalls das im Grunde gute Verhältnis zwischen Juden und Griechen betont. 21 Das ptolemäische Königshaus hat sich gegenüber den Juden keineswegs immer richtig verhalten; der Staatsform der Monarchie steht der Autor von daher eher kritisch gegenüber; 22 das soll aber nichts ändern an der Haltung grundsätzlicher Loyalität gegenüber den Herrschern. 23 So enthält der Text durchaus auch eine politische Botschaft. 24 Beachtung verdient schließlich auch der Aspekt, welche Themenkreise in 3Makk ausgespart werden: Fragen apokalyptischer Literatur (Leben nach dem Tod, Endgericht, messianische Hoffnungen) werden hier gänzlich ausgeklammert. 25

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Erstaunlicherweise wird 3Makk in der späteren jüdischen Tradition nicht rezipiert, im Gegensatz zu anderen Texten, die die standhafte Verteidigung jüdischer Werte gegenüber fremden Machthabern und die Erfahrung, dass Gott auch in größter Not Rettung gewähren kann, zum Inhalt haben. Auch in der christlichen Überlieferung spielt das dritte Makkabäerbuch nur eine ganz periphere Rolle. Zwar hat es als biblische Schrift Anerkennung gefunden in weiten Teilen der östlichen Kirchentradition, 26 doch haben ihm weder die Lutherbibel noch das Konzil von Trient kanonischen Rang zugestanden.

18. So Modrzejewski, Livre, 87 und 106-109. 19. Als Motiv des Verf. herausgearbeitet vor allem von Alexander, Image, 92-94; ferner Schimanowski, Juden (s. o. Fn. 17), 105 f. 20. Zuletzt etwa Williams, D. S., 3 Maccabees: A Defense of Diaspora Judaism?, Journal for the Study of the Pseudepigrapha 13 (1995), 17-29; de Silva, D. A., 3 and 4 Maccabees, in: Dictionary of New Testament Background, Downers Grove/IL 2000, 661-666, speziell 663. 21. Siehe Tromp, Formation, 324-326. 22. Dazu Alexander, Image, 92 und 95-100; 104; Rajak, Tyrant. 23. Vgl. dazu Gruen, Diaspora (s. o. Fn. 9), 70 und 218-220. 24. Dazu auch Tromp, Formation; Passoni dell’Acqua, Elementi. 25. Dazu Anderson, Maccabees, 514. 26. Kanonizität, wenn auch nie ganz unangefochten, in der griechisch-orthodoxen und der russisch-orthodoxen Tradition. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

319

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

Ins Lateinische ist der Text erst zu Beginn der Neuzeit übersetzt worden: erstmals erscheint eine lateinische Version von 3Makk 1517 im vierten Band der spanischen Complutensischen Polyglotte; 27 Beachtung findet das Buch in der Folgezeit dann beispielsweise bei Hugo Grotius; er hat einen sprachlich-sachlichen Kommentar zu 3Makk ausgearbeitet. 28

6. Perspektiven der Forschung Der Wert des dritten Makkabäerbuches wurde in der älteren Forschung fast ausnahmslos extrem negativ beurteilt. 29 Ausschlaggebend war dafür eine Sichtweise, die nur danach fragte, ob die vom Autor geschilderten »Fakten« stimmten. Dass es eine von Ptolemaios IV. angeordnete allgemeine Judenverfolgung gegeben haben könnte, ist praktisch einhellig abgelehnt worden. Und auch die Vorstellung, man könne Elephanten dazu bewegen, eine riesige Menschenmenge totzutrampeln, ist nirgendwo akzeptiert worden. Dass von Massakern dieser Art auch in ganz anderen Kontexten erzählt wurde, 30 hat zur Stärkung der Glaubwürdigkeit von 3Makk nicht beigetragen, im Gegenteil: Man warf dem Autor vor, er habe in phantasiereicher Weise den Inhalt von in seiner Zeit umlaufenden Horrorgeschichten auf die Herrschaft Ptolemaios’ IV. zurückprojiziert. Heute hat sich eine andere Einschätzung durchgesetzt: Mehr und mehr hat man das erfolgreiche Bemühen des Autors anerkannt, seine fiktive Erzählung durch sorgfältig recherchierte historische Elemente zu bereichern. 31 Als Beispiele sind etwa zu nennen, wie der Verlauf der Schlacht bei Raphia geschildert wird, wie Ptolemaios IV. als Mensch und Herrscher charakterisiert wird, welche Bedeutung der Förderung des

27. Dazu Parente, Book, 148; Passoni dell’Acqua, Libro, 576. Eine Zusammenstellung der in der Zeit von 1517 bis 1977 gedruckten Textausgaben und Übersetzungen (in 14 Sprachen) findet sich bei Metzger, B. M., An Early Protestant Bible Containing the Third Book of Maccabees. in: M. Brecht (Hg.), Text-Wort-Glaube. Studien zur Überlieferung, Interpretation und Autorisierung biblischer Texte. Kurt Aland gewidmet, Berlin / New York 1980, 123-133, speziell 128133. 28. Hugo Grotius, Annotata ad Vetus Testamentum, III, Lutetiae Parisiorum 1644, 469-488. 29. Vgl. etwa Grimm, Handbuch, 215; Reuss, Buch (s. o. Fn. 3), 250 f.; Niese, B., Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chaeronea, II, Gotha 1899, 407, Fn. 4; Kautzsch, Buch, 120 f.; Torrey (s. o. Fn. 3), 2879 f.; Willrich, Kern (s. o. Fn. 8), 244 (»das am tiefsten stehende Erzeugnis der hellenistisch-jüdischen Literatur«); Schürer, E., Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, III, Leipzig 19094, 489; Meyer, E., Ursprung und Anfänge des Christentums, II, Stuttgart / Berlin 19255, 138, Fn. 1 (»ein ganz armseliges Machwerk«); Tcherikover, Book (s. o. Fn. 9), 74; Eißfeldt, O., Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 19643, 789. Die nicht immer glückliche Gegenargumentation von Abrahams, I., The Third Book of Maccabees, Jewish Quarterly Review 9/Oct. 1896 (1897), 39-58, konnte sich dagegen nicht durchsetzen. 30. Etwa für Ptolemaios VIII. (vgl. diesbezügliche Überlieferung bei Ios. c. Ap. 2,53-55). 31. Versuche, in 3Makk einen historischen Kern zu finden, haben nach Abrahams (s. oben Fn. 29) vor allem Büchler, Tobiaden (s. o. Fn. 3), 173-179, Motzo, Esame, 222-249 und Kasher, A., The Jews in Hellenistic and Roman Egypt, Tübingen 1985, 211-232 unternommen.

320

6. Perspektiven der Forschung

3.4.3 Makkabaion III / Das dritte Buch der Makkabäer

Dionysos-Kults im damaligen Ägypten 32 beigemessen wird und wie auf Besonderheiten der Urkundensprache geachtet wird. Sachliche Zusammenhänge und terminologische Details haben durch Vergleich mit außerbiblischen Quellentexten Bestätigung erfahren, wobei vor allem durch die Auswertung des Papyrusmaterials Fortschritte erzielt werden konnten. 33 Aufgrund solcher Befunde ist man heute mehr als früher auch geneigt, Angaben des Autors ernst zu nehmen, für die es keine ausdrückliche Beglaubigung von außen gibt; ein Besuch Ptolemaios’ IV. in Jerusalem beispielsweise, den die ältere Forschung in der Regel als Erfindung abgetan hat, wird heute überwiegend als historisch möglich angesehen. 34 Im Gegensatz zu einer älteren Forschung, die hier nur Unglaubwürdiges und Unwahrscheinliches feststellen zu können glaubte, ist man in neuerer Zeit mit Erfolg um den Nachweis bemüht gewesen, dass es in der fiktiven Erzählung von 3Makk kaum eine Aussage gibt, die nicht doch als plausibles Echo auf historische Realität aufgefasst werden könnte. 35 Einen wirklichen Umbruch bedeutete es allerdings, dass sich die einschlägige Forschung vor etwa 20 Jahren intensiv mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen zuwandte. 36 3Makk wurde als sehr wertvolles Quellenzeugnis für das Thema ›Jüdische Identität in der Diaspora‹ erkannt. 37 Der Text vermittelt Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt des Judentums im ptolemäischen Ägypten; das Zusammenleben mit Ägyptern und Griechen wird in facettenreicher Darstellung gespiegelt. Die vom Autor deutlich zum Ausdruck gebrachte Überzeugung, dass strengste Bewahrung eigener Tradition nicht im Widerspruch stehen müsse zum friedlichen Miteinander verschiedener Völker und Religionen auf engem Raum, 38 hat dem viel geschmähten dritten Makkabäerbuch in jüngerer Zeit verstärkte Wertschätzung zuteil werden lassen. 39

32. Dazu Hacham, N., 3 Maccabeees: An Anti-Dionysian Polemic, in: J.-A. A. Brant / Ch. W. Hedrick / C. Shea (Hg.), Ancient Fiction: The Matrix of Early Christian and Jewish Narrative, Atlanta/GA 2005, 167-183; Renaut, L., Ptolémée Philopator et le stigmate de Dionysos, Mètis N. S. 4 (2006), 211-238, speziell 220-224 und 228-238; Modrzejewski, Livre, 93-96. 33. Siehe dazu im einzelnen Passoni dell’Acqua, Libro, 588-605 (mit Liste der parallelen epigraphischen und papyrologischen Überlieferung: 601-604; vgl. dazu dies., Il III libro dei Maccabei e l’amministrazione tolemaica, in: Akten des 21. Internationalen Papyrologenkongresses [Berlin 13.-19. 8. 1995], Stuttgart / Leipzig 1997, 786-794) und Modrzejewski, Livre, 46-59. 34. So u. a. Huß, Untersuchungen (s. o. Fn. 9), 70 f. 35. Vgl. vor allem Passoni dell’Acqua, Libro, 605-613. 36. Vgl. vor allem Gruen, Heritage; Johnson, Fictions (2004), passim; siehe auch Alexander, Image, 92. 37. Gruen, Heritage, 231-234, Johnson, S. R., Third Maccabees: Historical Fictions and the Shaping of Jewish Identity in the Hellenistic Period, in: Brant, Fiction (s. o. Fn. 32), 185-197. 38. Dazu Modrzewjeski, Livre, 85-87. 39. Sehr positive Bewertung der Schrift z. B. bei Passoni dell’Acqua, Libro, 613 und bei Modrzewjeski, Livre, 10 f., 13 und 127. 6. Perspektiven der Forschung

321

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer Robert J. V. Hiebert

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935/2006 — Hiebert, R. J. V., Maccabaeorum liber IV, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum IX,4, Göttingen (in Vorbereitung).

1.2 Übersetzungen und Kommentare Klauck, H.-J., 4. Makkabäerbuch. JSHRZ 3,6, Gütersloh 1989 — Westerholm, S., 4Makkabees, NETS, Oxford / New York 20092, 530-541 — Klauck, H.-J., Makkabaion IV. Das vierte Buch der Makkabäer, LXX.D, Stuttgart 20102, 730-746 — Klauck, H.-J., Makkabaion IV. Das vierte Buch der Makkabäer, LXX.E I, Stuttgart 2011, 1445-1475. Grimm, C. L. W., Das zweite, dritte und vierte Buch der Maccabäer, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testaments, Bd. 4, Leipzig 1857-1860, 283-370 — Fritzsche, O. F. ΜΑΚΚΑΒΑΙΩΝ ΤΕΤΑΡΤΟΣ, in: Libri apocryphi Veteris Testamenti graece. Leipzig 1871, 351-386 — Deissmann, A., Das vierte Makkabäerbuch, in: E. Kautzsch (Hg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. 2, Tübingen 1900 = Hildesheim 1962, 149-176 — Hadas, M., The Third and Fourth Books of Maccabees, Jewish Apocryphal Literature, New York 1951 — Anderson, H., 4 Maccabees (First Century A.D.). A New Translation and Introduction, in: J. H. Charlesworth (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, Garden City/NY 1985, 531-564 — deSilva, D. A., 4 Maccabees: Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden / Boston 2006.

1.3 Weitere Literatur Aune, D. C., Mastery of the Passions: Philo, 4 Maccabees and Earliest Christianity, in: W. Helleman (Hg.), Hellenization Revisited: Shaping a Christian Response within the Greco-Roman World, Lanham/MD 1994, 125-158 — Bammel, E., Zum jüdischen Märtyrerkult, ThLZ 78 (1953), 119-126 — Bensly, R. L. / Barnes, W. E., The Fourth Book of Maccabees and Kindred Documents in Syriac, Cambridge 1895 — Bickerman, E. J., The Date of Fourth Maccabees, in: Studies in Jewish and Christian History: A New Edition in English, Leiden 2007, 266-271 — Breitenstein, U., Beobachtungen zu Sprache, Stil und Gedankengut des Vierten Makkabäerbuchs, Basel / Stuttgart 1976 — Campbell, D. A., Appendix 3: The Date of 4 Maccabees, in: ders., The Rhetoric of Righteousness in Romans 3.21-26, JSNTSup 65, Sheffield 1992, 219-228 — Collins, J. J., Between Athens and Jerusalem, New York 1983 — de Jonge, M., Jesus’ Death for Others and the Death of the Maccabean Martyrs, in: ders., Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs. Collected Essays, Leiden 1991, 125-134 — de Silva, D. A., The Noble Contest: Honor, Shame, and the Rhetorical Strategy of 4 Maccabees, JSP 13 (1995), 31-57 — deSilva, D. A., 4 Maccabees. Guides to Apocrypha and Pseudepigrapha, Sheffield 1998 — deSilva, D. A., Introducing the Apocrypha: Message, Context, and Significance,

322

1. Literatur

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

Grand Rapids/MI 2002 — Dörrie, H. Passio SS. Machabaeorum, AGW.PH 3.22, Göttingen 1938 — Dupont-Sommer, A., Le quatrième livre des Machabées, Paris 1939 — Freudenthal, J., Die Flavius Josephus beigelegte Schrift Ueber die Herrschaft der Vernunft (IV Makkabäerbuch), Breslau 1869 — Grappe, C., De l’intérèt de 4 Maccabées 17.18-22 (et 16.20-21) pour la christologie du NT, NTS 46 (2000), 342-357 — Hiebert, R. J. V. / Dykstra, N. N., Septuagint Textual Criticism and the Computer: 4 Maccabees as a Test Case, in: M. K. H. Peters (Hg.), XIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Ljubljana, 2007, SBL.SCSt 55, Leiden u. a. 2008, 167-181 — Hiebert, R. J. V., Preparing a Critical Edition of IV Maccabees: The Syriac Translation and Passio Sanctorum Machabaeorum as Witnesses to the Original Greek, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation (FS Johan Lust), BEThL 192, Leuven 2005, 193-216 — Hiebert, R. J. V., 4 Maccabees 18,6-19 – Original Text or Secondary Interpolation?, in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 439-449 — Hiebert, R. J. V., The Greek Pentateuch and 4 Maccabees, in: A. Voitila / J. Jokiranta (Hg.), Scripture in Transition (FS Raija Sollamo), JSJS 126, Leiden u. a. 2008, 239-254 — Hiebert, R. J. V., Establishing the Textual History of Greek 4 Maccabees, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 117-139 — Lebram, J. C. H., Die literarische Form des vierten Makkabäerbuches, VC 28 (1974), 81-96 — Lucchesi, E., Découverte d’une traduction copte du quatrième livre des Maccabées, (BHG 1006), AnBoll 99 (1981), 302 — Lucchesi, E., Encore trois feuillets coptes du Quatrième Livre des Maccabées, Écritures et traditions dans la littérature copte: Journée d’études coptes, Strasbourg, 28 mai 1982, Cahiers de la Bibliothèque Copte 1 (1983), 21-22 — Maas, M., Die Maccabäer als christliche Heilige (Sancti Maccabaei), MGWJ 44 (1900), 145-156 — Miroshnikov, I., The Sahidic Coptic Version of 4 Maccabees, VT 64 (2014), 69-92 — Musurillo, H., The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972 — O’Hagan, A., The Martyr in the Fourth Book of Maccabees, SBFLA 24 (1974), 94-120 — Perler, O., Das vierte Makkabäerbuch, Ignatius von Antiochien und die ältesten Märtyrerberichte, Revista di Archeologia Christiana 25 (1949), 47-72 — Redditt, P. D., The Concept of Nomos in Fourth Maccabees, CBQ 45 (1983), 249-270 — Renaud, B., La loi et les lois dans les livres des Maccabées, RB 68 (1961), 39-67 — Renehan, R., The Greek Philosophic Background of Fourth Maccabees, Rheinisches Museum für Philologie 115 (1972), 223-238 — Scarpat, G., Quarto libro dei Maccabei, Biblica testi e studi 9, Brescia 2006 — Schaller, B., Das 4. Makkabäerbuch als Textzeuge der Septuaginta, in: D. Fraenkel / U. Quast (Hg.), Studien zur Septuaginta (FS R. Hanhart), Göttingen 1990, 323-331 — Schatkin, M., The Maccabean Martyrs, VC 28 (1974), 97-113 — Seeley, D., The Noble Death: Graeco-Roman Martyrology and Paul’s Concept of Salvation, JSNTSup 28, Sheffield 1990 — Shaw, B. D., Body/Power/Identity: Passions of the Martyrs, JECS 4 (1996), 269312 — Surkau, H. W., Martyrien in jüdischer und frühchristlicher Zeit, FRLANT NF 36, Göttingen 1938 — van Henten, J. W., A Jewish Epitaph in a Literary Text: 4 Macc 17:8-10, in: J. W. van Henten / P. W. van der Horst (Hg.), Studies in Early Jewish Epigraphy, AGJU 21, Leiden 1994, 44-69 — van Henten, J. W., Datierung und Herkunft des Vierten Makkabäerbuches, in: J. W. van Henten / H. J. de Jonge, Tradition and Reinterpretation in Jewish and Early Christian Literature, Leiden 1986, 136-149 — van Henten, J. W., The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, Leiden / New York 1997 — van Henten, J. W., The Martyrs as Heroes of the Christian People, in: M. Lamberigts / P. van Deun, Martyrium in Multidisciplinary Perspective, BEThL 117, Leuven 1995, 303-322 — Weber, R., Eusebeia und Logismos. Zum philosophischen Hintergrund von 4. Makkabäer, JSJ 22 (1991), 212-234 — Winslow, D. F., The Maccabean Martyrs: Early Christian Attitudes, Judaism 23 (1974), 78-86 — Young, R. D., The ›Woman with the Soul of Abraham‹: Traditions about the Mother of the Maccabean Martyrs, in: A.-J. Levine (Hg.), Women Like This: New Perspectives on Jewish Women in the Greco-Roman World, SBLEJL 1, Atlanta/GA 1991, 67-81.

1. Literatur

323

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

2. Text und Editionen Die Geschichte der makkabäischen Märtyrer war in der frühjüdischen und christlichen Tradition gut bekannt. Der Bericht über das Martyrium des jüdischen Schreibers (γραμματεύς) Eleazar, seiner sieben Brüder und ihrer Mutter während der Regierung des seleukidischen Herrschers Antiochus IV findet sich in 2Makk 6,18–7,42. Diese Erzählung scheint die Grundlage einer beträchtlich erweiterten Darstellung im 4. Buch der Makkabäer zu sein, wobei diese zu einer philosophisch-theologischen Abhandlung wird, in der Eleazar – in 5,4 als Priester (ἱερεύς) und Anwalt (νομικός) identifiziert – und seine Gefährten zu einem hervorragenden Beispiel für die zentrale These des Autors werden, dass fromme Vernunft die Gefühle beherrschen kann (1,1-9). Die mehr als 70 griechischen Handschriften und die frühen Übersetzungen ebenso wie die Zitate bei den frühen christlichen Schriftstellern bezeugen, dass diese im 1. Jh. n. Chr. entstandene Schrift sich in der Antike großer Beliebtheit erfreute. Eine gedruckte Ausgabe von 4Makk gab es erstmals bereits 1526. Die gedruckten Ausgaben basierten typischer Weise auf einer oder zwei Handschriften. Ein erster Schritt zur Schaffung einer kritischen Edition geschah durch O. F. Fritzsche’s Libri Apocryphi Veteris Testamenti Graece von 1871. Diese Edition basierte vor allem auf den Unzial-Codices Alexandrinus (A) und Sinaiticus (S), wobei in der Einleitung auf ein Dutzend weiterer Manuskripte Bezug genommen wurde und im Apparat Varianten aus den meisten dieser Handschriften mitgeteilt werden. 1894 veröffentlichte Henry Barclay Swete die erste Auflage von The Old Testament in Greek according to the Septuagint, wobei Bd. 3 das 4. Makkabäerbuch enthält. Sein Text ist eine diplomatische Ausgabe des Codex Alexandrinus (A), wobei auch die Varianten des Codex Sinaiticus (S) sowie des aus dem 8. oder 9. Jh. stammenden Codex Venetus (V) mitgeteilt werden. Die aktuelle Standardversion von Alfred Rahlfs erschien 1935 (leicht bearbeitet von Robert Hanhart 2006). Sie enthält einen eklektischen Text, der auf A und S basiert und die wesentlichen Varianten dieser beider Handschriften sowie aus V vermerkt. Dieser Text von Rahlfs wird auch in dem Band von Moses Hadas von 1953 wiedergegeben, verbunden mit einer englischen Übersetzung. Giuseppe Scarpat (2006), der auch eine italienische Übersetzung bietet, übernimmt meistens den Text von Rahlfs, weicht aber an 30 Stellen auch davon ab, wobei er auch einige Konjekturen übernimmt. Der Kommentar von David deSilva zu 4Makk von 2006 basiert auf dem Codex Sinaiticus und bietet dazu diverse textlichen Varianten und Notizen. Hans-Josef Klaucks deutsche Übersetzung von 4Makk von 1989 wurde in Absprache mit Robert Hanhart erstellt und reflektiert den Fortschritt in der textgeschichtlichen Erforschung des Buches, der durch die im Göttinger Septuaginta-Unternehmen durchgeführte Kollation aller erhaltenen Manuskripte möglich geworden war. Von Klauck stammen auch die Übersetzung und die Erläuterungen in Septuaginta-Deutsch (LXX.D, 20102; LXX.E, 2011). Die Arbeiten von Klauck und Hanhart haben zu einer vorläufigen Gruppierung der Textzeugen geführt, die vom Verfasser dieses Beitrags, der eine kritische Edition für die Göttinger Septuaginta vorbereitet, aufgenommen und modifiziert wurde. Solche Gruppierungen basieren im Wesentlichen auf der Übereinstimmung bei 324

2. Text und Editionen

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

speziellen Lesarten, die vom originalen Text abweichen. Die folgende Übersicht zeigt die aktuelle Auffassung der Textgeschichte des Buches. Unzialen: A S V A 542 (11:5-fin libri) L: 236 491 534 728 q: 71 74 120 370 380 452 731 3002 q1: 44 107 610 q2: 55 747 m: 316 317 322 325 391 397 446 457 467 472 473 586 591 592 594 595 596 597 607 617 639 640 641 656 677 682 683 686 695 699 713 714 774 778 782 789 m1: 455 585 m2: 587 738 m3 (init libri – 11:4): 62 542 747c/mg Codices mixti: 46 52 332 58 340 577 668 690 741 771 773 930 Zu dieser Liste sind einige Erklärungen zu geben: Zunächst ist zu sagen, dass die Unzialen die verlässlichsten Zeugen für den ursprünglichen Text von 4Makk sind. Wenn sie nicht den ursprünglichen Text bezeugen, divergieren sie normalweise auch untereinander. Dementsprechend bilden sie miteinander keine eigene Gruppe. Eine zweite Beobachtung ist, dass Ms 542 ein erhebliches Maß an Übereinstimmung mit Codex A zeigt, und zwar von 11,5 bis zum Ende des Buches; zuvor gehört Ms 542 zu Ms 62 und zum Korrektor von Ms 747 und bildet mit diesen die Gruppe m3. Eine dritte Beobachtung ist, dass die m–Gruppen Textzeugen umfassen, die entweder Menologien – das sind Texte, die das Leben von Heiligen beschreiben, angeordnet in der Reihenfolge ihrer Gedenktage – sind oder Handschriften, die der entsprechenden Texttradition nahe stehen. Viertens: Ms 491, das Klauck seinerzeit mit Ms 577 690 und 741 zur Gruppe c zusammengefasst hatte, ist eng mit der L-Gruppe verbunden, während die übrigen Handschriften keine signifikanten Übereinstimmungen zeigen. Fünftens: Bei den sog. codices mixti ist deutlich, dass 46, 52 und 332 eng zusammengehören, wobei 52 (14. Jh.) und die fragmentarische Handschrift 332 (15. Jh.) offensichtlich von 46 (13. Jh.) abhängig sind. Sechstens: Jene Manuskripte und Gruppen, die normalerweise den ursprünglichen Text bezeugen, sind A S V L q q1 q2 46 52 332 58 340 577 668 690 741 771 773 930 während m m1 m2 and m3 einen Text bezeugen, der auf eine sorgfältige redaktionelle Aktivität zurückgeht. Die L und q Traditionen zeigen ebenfalls typische Merkmale, wobei ihre Abweichungen vom ältesten Text keineswegs so stark und häufig sind wie jene der m-Gruppen. Kennzeichen der L und m-Gruppen sind Textplusse verschiedener Art (z. B. Pronomen, Konjunktionen und die Partikel ὦ mit Vokativ) sowie lexikalische und semantische Varianten, wobei die Varianten dieser Gruppen normalerweise nicht übereinstimmen. Die q und die q1-Gruppen stimmen an zahlreichen Stellen in der Auslassung von Partikeln oder Präpositionen und bei der Ersetzung οὕτω für οὕτως vor Worten, die mit Konsonanten beginnen, überein. Die Syrische Version von 4Makk ist die einzige in vollem Umfang erhaltene Übersetzung. Die Ausgabe von R. L. Bensly und W. E. Barnes von 1895 bietet einen eklektischen Text auf der Basis von neun Handschriften.

2. Text und Editionen

325

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

A B C a b c d e f

= Bibliotheca Ambrosiana, Mailand, B 21 (9.–10. Jahrhundert). = Cambridge University Library, Oo.1.1,2 (keine Altersangabe). = British Museum, Add. 12174 (1197). = Bibliotheca Ambrosiana, Mailand, (keine Altersangabe). = Bodleian Library, Poc. 391 (1614). = Bodleian Library, Or. 141 (1627). = Bibliothèque Nationale, Anc. fonds 6 A Syr. (keine Altersangabe). = British Museum, Cod. Egerton 704 (17. Jahrhundert). = fragment, vielleicht ein Ms aus Florenz (keine Altersangabe). Die syrische Übersetzung ist relativ frei, daher ist es manchmal schwierig, auf eine bestimmte Textform der griechischen Vorlage zurückzuschließen. Wenn die syrische Version vom originalen griechischen Text abweicht, zeigt sie keine signifikante Übereinstimmung mit einer anderen griechischen Textform. Bezüglich anderer Übersetzungen spricht Klauck von Hinweisen auf eine koptische und eine slawische Version, und Enzo Lucchesi berichtet von der Existenz koptischer Fragmente. Ivan Miroshnikov hat diese Fragmente mit einer Transkription und englischer Übersetzung kürzlich veröffentlicht. Außerdem gibt es einen lateinischen Text aus dem 4. Jh. mit dem Titel Passio Sanctorum Machabaeorum, der von 4Makk inspiriert ist. Heinrich Dörries Ausgabe der Passio von 1938, für die 39 Manuskripte kollationiert wurden, sollte eine Grundlage für die kritische Edition von 4Makk in der Göttinger Septuaginta werden. Weil jedoch die Passio mehr eine freie Bearbeitung als eine Übersetzung ist, hat sie wenig textkritische Bedeutung für den Septuagintatext; sie gibt aber einen interessanten Einblick in die frühe Rezeptionsgeschichte der makkabäischen Märtyrererzählung.

3. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Als Beweis für seine Behauptung, dass fromme Vernunft (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) die Gefühle und Leidenschaften (τὰ πάθη) überwindet, konzentriert sich der Verfasser des vierten Makkabäerbuches in Kap. 5–18 auf das Beispiel von glaubenstreuer Frömmigkeit und Standhaftigkeit der makkabäischen Märtyrer. Den natürlichen Lebenstrieb überwindend starben sie, nachdem sie die barbarischen Grausamkeiten von König Antiochus und seinen Schergen erlitten hatten, die sie zwingen wollten, ihre »Lebensweise« zu ändern und die »griechische Lebensweise« zu übernehmen (8,8) und – als klares Zeichen dafür – »Schweinefleisch und Götzenopferfleisch zu essen« (5,2). Indem sie – obwohl sie Verlockendes gehört und Grausiges gesehen hatten – an ihren Überzeugungen festhielten, »ließen sie sich nicht nur keinen Schrecken einjagen, sondern argumentierten philosophisch gegen den Tyrannen, und durch ihr verständiges Denken machten sie seine Tyrannenherrschaft zunichte« (8,15). Die makkabäischen Märtyrer sind allerdings nicht die einzigen, die als Beispiel dafür angeführt werden, dass sie ihre natürlichen menschlichen Emotionen überwanden, um Gott die Treue zu halten. Die Liste der Helden umfasst auch Joseph (2,2-3; 18,11), Moses (2,17), Jakob (2,19-20), David (3,16-18), Isaak (7,13-14; 16,20; 18,11), Abraham (16,19-20), Daniel, Ananias, Azarias, und Misael (16,21; 18,12-13). Es liegt vielleicht eine gewisse Ironie darin, dass die Art von Philosophie, die der 326

3. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

Verfasser verwendet, auf die Verbindung von griechischer Gedankenwelt und Jüdischer Theologie zurückgeht. Diese zeigt sich sehr schön im folgenden Zitat, in dem einerseits Vernunft, Weisheit und die vier griechischen Kardinaltugenden, wie sie Plato formulierte, und andererseits die Weisungen der Thora miteinander verbunden werden: Denkkraft (λογισμός) ist nun also Verstand, der mit richtigem Urteil (ὀρθὸς λόγος) das Leben der Weisheit (σοφία) wählt. 16Weisheit wiederum ist Erkenntnis der göttlichen und der menschlichen Dinge und der Ursachen von diesen. 17Sie besteht näherhin in der Erziehung durch das Gesetz (ἡ τοῦ νόμου παιδεία), durch die wir ehrfürchtig die göttlichen Dinge und zu unserem Nutzen die menschlichen erlernen. 18 An Arten von Weisheit existieren Klugheit (φρόνησις), Gerechtigkeit (δικαιοσύνη), Tapferkeit (ἀνδρεία) und Besonnenheit (σωφροσύνη). 19Die wichtigste von ihnen allen ist die Klugheit (φρόνησις), durch welche ja die Denkkraft (λογισμός) die Leidenschaften (τὰ πάθη) beherrscht. (1,15-19; LXX.D)

15

Bezüglich der literarischen Gattung von 4Makk wurden verschiedene Ansichten vertreten. De facto gibt es Parallelen zu verschiedenen Arten des Diskurses (z. B. Diatribe [Lehrdiskussion], Encomium [Lobrede], Begräbnisansprache, Protreptische Anrede [Mahnrede]). Die Struktur des Buches zeigt folgende Bestandteile: 1) Exordium: Präsentation der grundlegenden These des Autors (1,1-12). 2) Definition der philosophischen Begriffe und Erklärung der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen (1,13-30a). 3) Beweis der These durch Beispiele aus den Heiligen Schriften (1,30b–3,18). 4) Weitere Demonstration der These durch das Beispiel der makkabäischen Märtyrer (3,19–17,6). 5) Peroratio: Zusammenfassung der siegreichen Leistung der Märtyrer, Aufforderung, ihrer Tapferkeit und Frömmigkeit nachzueifern, Beschreibung ihres Sieges und der endgültigen Überwindung des Tyrannen, abschließender Lobpreis. (17,7–18,24). Der Stil des Autors erweist seine ausgezeichnete Beherrschung der griechischen Sprache. Er verwendet ein umfangreiches Vokabular, das eine erhebliche Zahl von Neologismen umfasst; er verwendet eine ausgefeilte Syntax, und er schafft lebendige Metaphern und Vergleiche. Seine Vorliebe für gewählte Ausdrucksweise und seine blumige Prosa erwachsen vermutlich aus der Absicht, frommes Gedenken für die Märtyrer hervorzurufen und die Leser dazu zu motivieren, deren Frömmigkeit nachzuahmen.

4. Zeit und Ort der Abfassung 4Makk ist eher eine eigene Komposition als eine Übersetzung. Über Verfasserschaft und Abfassungszeit wird im Text nichts Explizites gesagt. Eusebius in seiner Kirchengeschichte (Historia ecclesiastica 3.10.6) und Hieronymus in seiner Darstellung berühmter Personen (De viris illustribus 13) schreiben 4Makk Josephus zu, eine Tradition, die durch Über- bzw. Unterschriften in den folgenden Textzeugen fortgeführt wird: L-236 q-370c 3002 q1 747 m-473 686(714*[inc]) 455c m2 62 58 340 577 668 741 SyBC a-f. Jose4. Zeit und Ort der Abfassung

327

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

phus als Autor ist jedoch wegen der Differenzen im Stil und bezüglich des Inhalts sowie der politischen und theologischen Perspektiven, die sonst aus seinen Werken bekannt sind, unwahrscheinlich. Der Autor bleibt somit namentlich unbekannt. Er war aber offensichtlich ein thora-treuer Jude, der von der hellenistischen Philosophie beeinflusst war und der sehr geschickt im Umgang mit der griechischen Sprache und Rhetorik war. Bezüglich der Herkunft wurden Alexandria, Antiochien in Syrien und Kleinasien am meisten diskutiert. Die Tatsache, dass ein Kult der makkabäischen Märtyrer in Antiochien bestand, wo angeblich auch ihre Reliquien aufbewahrt wurden, und dass die Grabinschrift in 4Makk 17,9-10 eine gewissen Nähe zu Grabinschriften in Kleinasien aufweisen, machen es wahrscheinlicher, für die Herkunft an diese nördlichen Gebiete zu denken, als an Ägypten. Bezüglich der Datierung werden das 1. und 2. Jh. n. Chr. diskutiert. Für das spätere Datum wurden verschiedene Argumente angeführt, darunter auch die Meinung, dass die gegenüber 2Makk geringere Bedeutung des Tempels in die Zeit nach dessen Zerstörung verweist. Ein geringes Interesse am Tempel könnte allerdings auch darauf zurückgehen, dass 4Makk – anders als 2Makk – in der Diaspora verfasst wurde. Man hat auch damit argumentiert, dass der philosophische Eklektizismus der Autors, der platonische, stoische und peripatetische Gedanken aufnimmt, typisch für die sog. zweite sophistische Epoche sei, die im späten 1. und im 2. Jh. ihre Blüte hatte. Aber es scheint, dass es diesen philosophischen Eklektizismus auch schon früher gab. Weitere Argumente basieren auf dem Wortgebrauch im Vergleich mit dem Neuen Testament und mit den Apostolischen Vätern. Allerdings kann man auch diese Argumente sowohl im Blick auf eine spätere als auch eine frühere Datierung verwenden. Einige Forscher meinen, ein internes Argument zur Datierung in das 1. Jh. entdeckt zu haben: In 4,2 wird Apollonius als der στρατηγός von Syrien, Phönizien und Kilikien bezeichnet. Diese drei Territorien standen gemäß historischen Quellen nur in den Jahren 18–72 n. Chr. unter einer gemeinsamen Herrschaft. Die Angabe in 4,2 steht allerdings im Gegensatz zu 2Makk 3,5, wo Apollonius als der στρατηγός von »Koile-Syrien und Phönizien« bezeichnet wird. Die Gelehrten sind sich uneinig über die Relevanz des Begriffs στρατηγός und der Gebietsangabe in 4,2 für die Datierung von 4Makk. Eine Argumentationslinie ist, dass der Begriff »gouverneur« bedeutet und dass von einem Bezirk der römischen Provinzadministration die Rede ist, über den Apollonius herrscht, und dass der Autor von 4Makk die Angabe aus 2Makk an die Verhältnisse zu seiner Zeit angepasst habe. Die andere Theorie ist, dass der Begriff »General« bedeutet, und dass Apollonius nur die militärische Aufsicht über die Region hatte, und dass daher die erwähnte Angabe sich nicht eindeutig auf die oben erwähnte Zeitspanne von ca. einem halben Jahrhundert beziehen lässt. Viele Gelehrte kommen zu dem Schluss, dass die verfügbare Evidenz für ein Datum vor der erwähnten administrativen Veränderung des Jahres 72 spricht, aber auch die andere Meinung wird vertreten.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Es scheint, dass 4Makk im frühen Christentum einflussreicher war als im Judentum. Die Erzählungen über die Makkabäerzeit, einschließlich des in diesem Traktat erörter328

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

3.4.4 Makkabaion IV / Das vierte Buch der Makkabäer

ten Martyriums, waren natürlich im Judentum wohl bekannt, wobei allerdings die in 2Makk überlieferte Version der Ereignisse stärker verbreitet war. Unabhängig davon, ob man eine frühere oder eine spätere Entstehungszeit des Buches vertritt, gibt es deutliche Parallelen zwischen 4Makk und neutestamentlichen Texten. Das betrifft vor allem die Vorstellung von der sühnenden und reinigenden Bedeutung des Todes der Märtyrer für ihr Volk und die Darstellung des Todes Jesu, der eine ähnliche Bedeutung hat. Auch die Betonung der Überwindung des Leidens hat eine gewisse Entsprechung in neutestamentlichen Briefen (z. B. 1 und 2Timotheus und Titus). Darüber hinaus ist die Standhaftigkeit in der Verfolgung bis hin zum Tod auf Grund des Festhaltens an Gott ein gemeinsames Thema für 4Makk und das Buch der Offenbarung. Bezeichnende Parallelen kann man auch zwischen 4Makk und christlichen Märtyrererzählungen wie dem Martyrium des Polykarp, den Märtyrerakten des Carpus, des Papylus und der Agathonike sowie von Perpetua und Felicitas und den Märtyrern von Lyon erkennen. Man sieht dieselben Versuche, die Gläubigen zum Widerruf zu bringen, sei es durch Versprechungen, durch Drohungen oder durch grausame Folter, und deren unbeirrbare Entschlossenheit, standhaft zu bleiben. Der Einfluss von 4Makk ist unbestreitbar vorhanden in Reden und Schriften der Kirchväter wie Origenes (Exhortatio ad martyrium), Gregor von Nazianz (In Machabaeorum laudem), Johannes Chrysostomus (De Maccabeis, De Eleazaro et septem pueris), und bei Ambrosius (De officiis minoribus, De Jacob et vita beata). Es ist bemerkenswert, in welchem Maß in diesen Texten und in der Passio (Passio Sanctorum Machabaeorum, s. o., Abschnitt 2.), die sie mit den »fortes milites Christi« (1,9) verbindet, die Protagonisten von 4Makk faktisch wie christliche Märtyrer aufgefasst werden.

6. Perspektiven der Forschung Ein offensichtliches Desiderat ist die Erstellung einer kritischen Edition, die derzeit in Vorbereitung ist und die die Basis für weitere textgeschichtliche und literarische Studien sein wird. In der Reihe der Septuaginta-Kommentare der Society of Biblical Literature (SBLCS) ist auch ein Kommentar geplant. Dieser wird sich auf die Erklärung des Textes zum Zeitpunkt seiner Entstehung konzentrieren und die erwähnte kritische Edition als Grundlage nehmen. Er wird sich daher vom Kommentar von deSilva unterscheiden, der auf dem Text des Codex Sinaiticus aus dem 4. Jh. basiert.

6. Perspektiven der Forschung

329

4. Psalmen und Oden

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen Eberhard Bons / Ralph Brucker

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1891, 19073 — RaHa 1935/2006 — Rahlfs, A., Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum X, Göttingen 1931 = 19793.

1.2 Qumran-Texte 1QPsa.b.c = 1Q10.11.12 (DJD I) — 2QPs = 2Q14 (DJD III) — 3QPs = 3Q2 (DJD III) — 4QPsa.b.c.d.e.f.g.h. j.k.l.m.n.o.p.q.r.s.t.u.v.w.x = 4Q83.84.85.86.87.88.89.90.91.92.93.94.95.96.97. 98.98a.98b. 98c.98d.98e.98 f.98g (DJD XIV) — 5QPs = 5Q5 — 6QpapPs? = 6Q5 — 8QPs = 8Q2 (DJD III) — 11QPsa = 11Q5 (DJD IV, XXII) — 11QPsb.c.d.e? = 11Q6.7.8.9 (DJD XXIII) — 5/6 ḤevPs = 5/6Ḥev 1b (DJD XXVIII) — MasPsa.b = Mas 1e.1f (Masada VI). BQS 627-726 — HTTM 373-450. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS (und künftig in BHQ) verzeichnet.

1.3 Übersetzungen und Kommentare 1.3.1 Griechische Texte mit Übersetzung Brenton, L. C. L., The Septuagint With Apocrypha, Greek and English, London 1851; Nachdruck Peabody/MA 1986 u. ö. — I canti di lode dei Padri. Esapla dei Salmi, La Piccola Famiglia dell’Annunziata, Bologna 2009 [Synopse von hebr., griech. und lat. Text jeweils mit ital. Übersetzung] — A Comparative Psalter. Hebrew (Masoretic Text) — Revised Standard Version Bible — The New English Translation of the Septuagint — Greek (Septuagint), ed. J. R. Kohlenberger III, New York / Oxford 2006 — Psalter-Synopse. Hebräisch – Griechisch – Deutsch, hg. v. W. Gross und B. Janowski unter Mitwirkung von T. Pola, Stuttgart 2000.

1.3.2 Übersetzungen Băltăceanu, F. / Broşteanu, M., Psalmii, Septuaginta, IV, Bukarest 2006 — Bons, E. / Brucker, R. / Bauks, M. / Kraus, T. J. / Seiler, S. / Siffer-Wiederhold, N., Die Psalmen, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102 — Giguet, P., Les Psaumes, La Sainte Bible, III, Paris 1872 — Nicolotti, A., Ψαλμοί / Salmi, La Bibbia dei Settanta, III, Brescia 2013 — Pietersma, A., Psalms, NETS, New York / Oxford 2007, 20092 — Spottorno Díaz-Caro, M. V., Salmos, La Biblia griega – Septuaginta, III, Salamanca 2013 — Thomson, C., Psalms, The Holy Bible, II, Philadelphia 1808. Das Buch der Psalmen. Nach der deutschen Übersetzung von J. F. Allioli (1851), für den ostkirchlichen liturgischen Gebrauch redigiert nach der Septuaginta von H. Tilmann, Veröffentlichungen des Vereins für Ostkirchliche Musik 531, Gersau 1989 — Deseille, P., Les Psaumes. Prières de l’Église. Le Psautier des Septante, Paris 1979 — The Eastern/Greek Orthodox Bible based on the Septuagint and Patriarchal Text [EOB] (in Vorbereitung; vgl. http://www.orthodox-church.info/ eob/) — Guillaume, D., Psaumes et cantiques, Diaconie Apostolique, Rom 1990 — Livre des psaumes, Abbaye Saint Michel de Bois-Aubry, Luzé 1993 — Moore, L., The Holy Psalter. The 1. Literatur

333

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

Psalms of David from the Septuagint, Madras 1966, 2nd revised printing 1971 — Mortari, L., Il Salterio della tradizione. Versione del Salterio greco dei LXX, Turin 1983 — Pietersma, A., The Psalms. A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included under That Title, New York / Oxford 2000 — The Psalter, translated and published by the Monks of New Skete, Cambridge/NY 1984 — The Psalter According to the Seventy, translated by the monks of the Holy Transfiguration Monastery, Boston/MA 1974 — The Psalter of the Prophet and King David with the Nine Biblical Odes and an Explanation of How the Psalter Should Be Recited Throughout the Orthodox Liturgical Year. Arranged and compiled from the King James Version. Emended and versified according to The Septuagint, Center for Traditionalist Orthodox Studies, Etna/CA 2008 (Arranged and compiled by M. Asser, edited by Saint Gregory Palamas Monastery — Schütz, D., Psalter. Aus dem Griechischen übersetzt, München 1999 — Vinck, J. M. de / Contos, L. C., The Psalms Translated from the Greek Septuagint, Allendale/ NJ 1993 — Wagenaar, C., Het Boek der Psalmen naar de Septuagint. Uit het Grieks vertaald, ingeleid en van aantekeningen voorzien (Schrift en Liturgie 12), Abdij Bethlehem, Bonheiden 1988.

1.3.3 Kommentare Altkirchliche Kommentare Griechisch Apollinaris von Laodicea: Fragmenta in Psalmos, ed. E. Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, Bd. 1, PTS 15, Berlin 1975 — Asterios von Antiochia: Asterii sophistae commentariorum in Psalmos quae supersunt, ed. M. Richard, SO.S 16, Oslo 1956 (Übersetzung: W. Kinzig, Asterius, Psalmenhomilien, BGL 56/57, Stuttgart 2002) — Athanasius: Epistula ad Marcellinum de interpretatione Psalmorum, PG 27, Paris 1857, 12-45 (Übersetzung: H. J. Sieben, Ausgestreckt nach dem, was vor mir ist. Geistliche Texte von Origenes bis Johannes Climacus, Trier 1998, 143-179) — Athanasius: Expositiones in Psalmos, PG 27, Paris 1857, 60-545. 548-589 (Syrische [+ englische] Übersetzung: Athanasiana Syriaca 4: Expositio in Psalmos, ed. R. W. Thomson, CSCO 386/387, Leuven 1977) — Basilius von Caesarea: Homiliae super Psalmos, PG 29, Paris 1857, 209-494 — Didymos der Blinde: Psalmenkommentar (Tura-Papyrus), ed. M. Gronewald, PTA 4-8, Bonn 1968-1970; Nachträge: M. Gronewald, Didymos der Blinde, Psalmenkommentar (Nachtrag der Seiten 248/49 des Tura-Papyrus), ZPE 46 (1982), 98-110 (Kommentar zu Ps 36,15-19); T. W. MacKay, Didymos the Blind on Psalm 28 (LXX). Text from Unpublished Leaves of the Tura Commentary, StPatr 20 (1989), 40-49 (Übersetzungen: E. Prinzivalli, Didimo il Cieco, Lezioni sui Salmi. Il Commento ai Salmi scoperto a Tura, LCPM 37, Mailand 2005; A.-K. Geljon, Didymos the Blind: Commentary on Psalm 24 (23 LXX), VigChr 65 [2011], 50-73) — Didymos der Blinde: Fragmenta in Psalmos, ed. E. Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, PTS 15/16, Berlin 1975/1977 — Diodor von Tarsus: Commentarii in Psalmos, I: Commentarii in Psalmos I-L, ed. J.-M.Olivier, CCG 6, Turnhout 1980 (Übersetzung: R. C. Hill, Diodore of Tarsus, Commentary on Psalms 1-51, SBL.WGRW 9, Atlanta/GA 2005) — Eusebius von Caesarea: Commentaria in Psalmos, PG 23, Paris 1857, 66-1396; PG 24, Paris 1857, 976 (Übersetzung: M. B. Artioli, Eusebio di Cesarea, Commento ai Salmi 1, Testi patristici 176, Rom 2004) — Eustathios von Antiochia: Oratio in inscriptione psalmorum graduum (Frg.); Commentarius in Psalmum 92 (Frg.); Commentarius in Psalmum 15 (Frg.), in: M. Spanneut, Recherches sur les écrits d’Eustathe d’Antioche avec une édition nouvelle des fragments dogmatiques et exégétiques, Lille 1948 — Gregor von Nyssa: In inscriptiones Psalmorum, ed. J. McDonough, GNO 5, Leiden 1962, 24-175 (Übersetzungen: J. Reynard, Grégoire de Nysse, Sur les titres des psaumes, SC 466, Paris 2002; R. E. Heine, Gregory of Nyssa’s Treatise on the Inscriptions of the Psalms, Oxford 1995; C. McCambley, Gregory of Nyssa, Commentary on the Inscriptions of the Psalms, Brookline/MA 1995) — Gregor von Nyssa: In sextum Psalmum, ed. J. McDonough, GNO 5, Leiden 1962, 187-193 — Hippolyt: Fragmenta in Psalmos, ed. H. Achelis, Hippolyt’s kleinere exegetische und homiletische Schriften, GCS 1,2, Berlin 1897; P. Nautin, Le dossier

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1. Literatur

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

d’Hippolyte et de Méliton dans les florilèges dogmatiques et chez les historiens modernes, Patr. 1 (1953), 167–183 — Johannes Chrysostomos: Expositiones in Psalmos, PG 55, Paris 1862, 39-498 (Übersetzung: R. C. Hill, St. John Chrysostom, Commentary on the Psalms, Brookline/MA 1998) — Kyrill von Alexandria: Expositio in Psalmos, PG 69, Paris 1864, 717-1273 — Origenes: Fragmenta in Psalmos 1-150, ed. J. B. Pitra, Analecta sacra spicilegio Solesmensi parata, Bd. 2, Paris 1884 (repr. Farnborough 1966), 444-483; Bd. 3, Venedig 1883, 1-236, 242-245, 248-364 — [Origenes: Psalmenhomilien:] Origène, Homélies sur les Psaumes 36 à 38, ed. E. Prinzivalli, Übersetzung v. H. Crouzel / L. Brésard, SC 411, Paris 1995 — Origenes: Die neuen Psalmenhomilien. Eine kritische Edition des Codex Monacensis Graecus 314, ed. L. Peronne, GCS.NF 19 (= Origenes Werke XIII), Berlin/München/Boston 2015 — Theodor von Mopsuestia: R. Devreesse: Le Commentaire de Théodore de Mopsueste sur les Psaumes (I–LXXX), StT 93, Rom 1939; Lat. Übersetzung: Expositionis in Psalmos Iuliano Aeclanensi interprete in Latinum versae quae supersunt, ed. L. de Coninck, CCL 88A, Turnhout 1977 (Übersetzung: R. C. Hill, Theodore of Mopsuestia, Commentary on Psalms 1-81, SBL.WGRW 5, Atlanta/GA 2006) — Theodoret von Cyrus: Interpretatio in Psalmos, PG 80, Paris 1860, 857-1997 (Übersetzung: R. C. Hill, Theodoret of Cyrus, Commentary on the Psalms, FaCh 101/102, Washington, D.C. 2000/2001).

Lateinisch Ambrosius: Expositio de Psalmo CXVIII, ed. M. Petschenig / M. Zelzer, CSEL 62, Wien 1913/ 1999 — Ambrosius: Explanatio super Psalmos XII, ed. M. Petschenig / M. Zelzer, CSEL 64, Wien 1919/1999 – Arnobius: Commentarii in Psalmos, ed. K. D. Daur, CCL 25, Turnhout 1990 — Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. E. Dekkers / J. Fraipont, CCL 38/39, Turnhout 1956; Enarrationes in Psalmos 1-50, ed. C. Weidmann, CSEL 93, Wien 2003ff.; Enarrationes in Psalmos 51-100, ed. H. Müller / A. Primmer, CSEL 94, Wien 2004ff.; Enarrationes in Psalmos 101-150, ed. F. Gori, CSEL 95, Wien 2001ff. (Übersetzungen: H. Weber, Die Auslegungen der Psalmen. Christus und sein mystischer Leib, Paderborn 1955; Die Auslegungen der Psalmen [Aurelius Augustinus’ Werke in deutscher Sprache], Paderborn 1964; J. E. Rotelle / M. Boulding, St. Augustine, Expositions of the Psalms [The Works of Saint Augustine: A Translation for the 21st Century, III, 15], 6 Bde. Hyde Park/NY, 2000-2004) — Cassiodorus: Expositio Psalmorum, ed. M. Adriaen, CCL 97/98, Turnhout 1958 (Übersetzung: P. G. Walsh, Cassiodorus, Explanation of the Psalms, ACW 51-53, Mahwah/NJ 1990-1991) — Hieronymus: Commentarioli in Psalmos, ed. G. Morin, CCL 72, Turnhout 1959 (Übersetzung: S. Risse, Hieronymus, Commentarioli in Psalmos / Anmerkungen zum Psalter, FChr 79, Turnhout 2005) — Hilarius von Poitiers: Tractatus super Psalmos, ed. J. Doignon, CCL 61/61A, Turnhout 1997/2002 (Übersetzungen: M. Milhau, Hilaire de Poitiers, Commentaire sur le Psaume 118, SC 344/347, Paris 1988; P. Descourtieux, Hilaire de Poitiers, Commentaires sur les Psaumes I, SC 515, Paris 2008) — Prosper von Aquitanien: Expositio Psalmorum (100-150), ed. P. Callens / M. Gastaldo, CCL 68A, Turnhout 1972.

Sammlungen Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament, vol. 7: Psalms 1–50, hg. v. C. A. Blaising / C. S. Hardin, Downers Grove/IL 2008 — Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament, vol. 8: Psalms 51–150, hg. v. Q. F. Wesselschmidt, Downers Grove/IL 2007 — La Chaîne Palestinienne sur le Psaume 118 (Par Apollinaire de Laodicée – Athanase d’Alexandrie – Didyme l’Aveugle – Eusèbe de Césarée – Origène – Théodoret de Cyr), hg. u. übs. v. M. Harl / G. Dorival, SC 189/190, Paris 1972 — Reemts, C., Schriftauslegung. Die Psalmen bei den Kirchenvätern, NSK.AT 33/6, Stuttgart 2002.

Moderne Kommentare Bons, E. / Brucker, R. / Bauks, M. / Kraus, T. J. / Seiler, S. / Siffer-Wiederhold, N., Die Psalmen, LXX.E, Stuttgart 2011, 1479-1885. 1. Literatur

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4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

1.4 Weitere Literatur Aejmelaeus, A. / Quast, U. (Hg.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, MSU 24, Göttingen 2000 — Aejmelaeus, A., »Rejoice in the Lord!« A Lexical and Syntactical Study of the Semantic Field of Joy in the Greek Psalter, in: M. F. J. Basten / W. T. van Peursen (Hg.), Hamlet on a Hill (FS T. Muraoka), OLA 118, Leuven 2003, 501-521 — Aejmelaeus, A., Faith, Hope and Interpretation. A Lexical and Syntactical Study of the Semantic Field of Hope in the Greek Psalter, in: P. W. Flint / J. C. Vanderkam / E. Tov (Hg.), Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint (FS E. Ulrich), VT.S 101, Leiden 2006, 360-376 — Austermann, F., Von der Tora zum Nomos. Untersuchungen zur Übersetzungsweise und Interpretation im Septuaginta-Psalter, MSU 27, Göttingen 2003 — Barthélemy, D. [Hulst, R. / Ryan, S. D. / Schenker, A.], Critique textuelle de l’Ancien Testament, 4. Psaumes, OBO 50/4, Fribourg / Göttingen 2005 (= CTAT IV) — Bons, E., Comment le psaume 32LXX parle-t-il de la création?, in: F. García Martínez u. a. (Hg.), Interpreting Translation (FS J. Lust), BEThL 192, Leuven 2005, 55-64 — Bons, E., Beobachtungen zur Übersetzung und Neubildung von Parallelismen im Septuaginta-Psalter, in: A. Wagner (Hg.), Der Parallelismus membrorum, OBO 224, Fribourg / Göttingen 2007, 113-126 — Bons, E., Der Septuaginta-Psalter – Übersetzung, Interpretation, Korrektur, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 450-470 — Bons, E., Rhetorical Devices in the Septuagint Psalter, in: E. Bons / T. J. Kraus (Hg.), Et sapienter et eloquenter. Studies on Rhetorical and Stylistic Features of the Septuagint, FRLANT 241, Göttingen 2011, 69-79 — Brucker, R., Schritte auf dem Weg zu einer dokumentierten Übersetzung der Septuaginta. Ein Werkstattbericht am Beispiel des Psalters, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 247258 — Brucker, R., La Wirkungsgeschichte de la Septante des Psaumes dans le judaïsme ancien et dans le christianisme primitif, in: J. Joosten / P. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, LeDiv 203, Paris 2005, 289-308 — Brucker, R., Observations on the Wirkungsgeschichte of the Septuagint-Psalms in Ancient Judaism and Early Christianity, in: W. Kraus / R. G. Wooden (Hg.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SCSt 53, Atlanta/GA 2006, 355-369 — Brucker, R., Textgeschichtliche Probleme des Septuaginta-Psalters, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 79-97 — Brucker, R., Zum ›Sitz im Leben‹ des Septuaginta-Psalters, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT, Tübingen 2016 (im Druck) — Cimosa, M., Il vocabolario della preghiera nella tradizione greca (LXX) dei Salmi, EL 105 (1991), 89-119 — Cordes, A., Die Asafpsalmen in der Septuaginta. Der griechische Psalter als Übersetzung und theologisches Zeugnis, HBS 41, Freiburg i. Br. 2004 — Colomo, D. / Henry, W. B., Oxyrhynchus Papyrus 5101 [= Ra 2227]. LXX, Psalms xxvi 9-14, xliv 4-8, xlvii 13-15, xlviii 6-21, xlix 2-16, lxiii 6-lxiv 5, in: A. Benaissa (Hg.), The Oxyrhynchus Papyri, vol. 77, Graeco-Roman Memoirs 98, London 2011, 1-11 — Cox, C., Εἰσακούω and Ἐπακούω in the Greek Psalter, Bib 62 (1981), 251258 — Daly-Denton, M., David in the Fourth Gospel. The Johannine Reception of the Psalms, AGJU 47, Leiden 2000 — Dorival, G., Autour des titres des Psaumes, RevSR 73 (1999) 165-176 — Dorival, G., Septante et Texte Massorétique. Le cas des Psaumes, in: A. Lemaire (Hg.), International Organization for the Study of the Old Testament. Congress Volume, Basel 2001, VT.S 92, Leiden 2002, 139-161 — Emmenegger, G., Der Text des koptischen Psalters aus al-Mudil. Ein Beitrag zur Textgeschichte der Septuaginta und zur Textkritik koptischer Bibelhandschriften, mit der kritischen Neuausgabe des Papyrus 37 der British Library London (U) und des Papyrus 39 der Leipziger Universitätsbibliothek (2013), TU 159, Berlin 2007 — Ervin, H. W., Theological Aspects of the Septuagint of the Book of Psalms, Diss. Princeton Theological Seminary 1962 — Flashar, M., Exegetische Studien zum Septuagintapsalter, ZAW 32 (1912), 81-116. 161-189. 241-

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4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

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337

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

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2. Textüberlieferung und Editionen Der Psalter ist das am meisten rezipierte und daher auch am häufigsten abgeschriebene Buch des Alten Testaments. Es ist in weit über 1000 Handschriften überliefert. Hierzu zählen nicht nur vollständige Bibeln (wie die Codices B, S und A), sondern auch Psalterien (meist zusammen mit den »Oden«) sowie Handschriften, die das NT und die Psalmen enthalten. Durch die Papyrusfunde ab dem Ende des 19. Jh. liegen zahlreiche Fragmente mit kleinen Teilen des Psalters vor, die z. T. nur aus wenigen Versen bestehen. Unter diesen Fragmenten befinden sich gerade bei den Psalmen auch »Gebrauchstexte« aus verschiedenen Materialien wie z. B. Amulette (besonders beliebt als Schutzamulett war Ps 90), Bleitäfelchen, Steinplatten, Holztafeln oder Krüge mit Psalmversen. Zu den griechischen Handschriften kommen die antiken Übersetzungen, die auf dem LXX-Text basieren, als wichtige Textzeugen hinzu, v. a. die beiden koptischen 338

2. Textüberlieferung und Editionen

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

(die unterägyptische bohairische und die oberägyptische sahidische), die lateinischen (die altlateinische Übersetzung sowie das sog. »Psalterium Gallicanum« oder »Psalterium iuxta LXX« des Hieronymus) und die syrische Übersetzung des Paulus von Tella (616/17 n. Chr.). Da die Psalmen überaus häufig zitiert werden (vgl. Abschnitt 5.), stellen die zahlreichen Zitate im Neuen Testament und der frühen christlichen Literatur, und hier insbesondere die Psalmenkommentare der Kirchenväter, ebenfalls Zeugen für den griechischen Text dar. Von den umfangreicheren griechischen Handschriften sind als wichtigste zu nennen: Bibelcodices: B »Codex Vaticanus«, Rom (4. Jh.). Es fehlt Ps 105,27–137,6a. Diese Lücke (wie auch der verlorene Anfang bis Gen 46,28) ist im 15. Jh. von einer anderen Hand ergänzt worden, die im Charakter von B abweicht. S »Codex Sinaiticus«, St. Petersburg (Leningrad) / Leipzig / London / Katharinenkloster, Sinai (4. Jh.). A »Codex Alexandrinus«, London (5. Jh.). Es fehlt Ps 49,20–79,11. 55 Bibl. Vat., Regin. graec. 1, Rom (10. Jh.). Psalterien: R Griech.-lat. Psalter, Verona; griech. Text in lat. Umschrift (6. Jh.). Von jüngerer Hand ergänzt sind Ps 1,1–2,7b; 65,20–68,3a; 105,43–106,2. T Purpurhandschrift, Zürich (7. Jh.). Es fehlen Ps 1,1–26,1; 30,2b–36,20; 41,6b–43,3; 58,14b–59,5; 59,9–10a; 59,13b–60,1; 64,12–71,4; 92,3–93,7; 96,12–97,8. U Papyrusbuch, London (7. Jh.). Enthält Ps 10,2b–18,6 und 20,14–34,6 mit einigen Lücken. Z »Codex Zuqninensis rescriptus«, Rom, syrische Hs. auf abgewaschenem Pergament, unter der Reste eines griech. Psalters (6. Jh.) erhalten sind. Enthält Ps 8–37 mit einigen Lücken. 1098 Codex rescriptus, Mailand, dessen untere Schrift Bruchstücke der Hexapla zum Psalter enthält (10. Jh.). Erhalten sind Ps 17,26-48; 27,6-9; 28,1-3; 29,1–30,10; 30,2025; 31,6-11; 34,1-2; 34,13–35,6; 45,1-12; 48,1-15; 88,26-53 mit kleineren Lücken. 1219 Hs. aus der Freer-Collection, Washington (5. Jh.), stark verstümmelt. 2013 Fragment einer Papyrusrolle, Leipzig (4. Jh.). Enthält Ps 30,5–35,3a mit größeren Lücken sowie Ps 35,3b–55,14 annähernd vollständig. Die gedruckten LXX-Ausgaben bis ins 19. Jh. folgen zumeist der Editio Sixtina von 1587, die insofern den »textus receptus« darstellt. 1 Sie legt im Prinzip den Codex Vaticanus (B) zugrunde, zieht jedoch auch andere (jüngere) Handschriften für Ergänzungen und Korrekturen heran. Dieser Text wird auch in der Ausgabe von Holmes / Parsons (1823) abgedruckt und durch einen sehr umfangreichen Varianten-Apparat ergänzt. Die Cambridger Septuaginta-Ausgabe löst sich vom textus receptus der Sixtina und legt 1.

Eine Ausnahme bildet die Ausgabe von Grabe (1707–1720), die den Codex Alexandrinus zugrundelegt. 2. Textüberlieferung und Editionen

339

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

grundsätzlich den Text des Codex Vaticanus zugrunde, der im Sinne einer diplomatischen Textausgabe abgedruckt werden soll. Die Psalmen sind allerdings nur in der Handausgabe von H. B. Swete erschienen (OT, vol. II, 1891, 19073). Swete druckt den Text von B und gibt die Varianten von S (‫ )א‬und A sowie R, T und U einschließlich der Korrekturen innerhalb dieser Handschriften im Apparat an. Wo B im Psalter Lücken hat, werden diese durch S geschlossen. Erst A. Rahlfs legt 1931 nach umfangreichen Vorarbeiten im Rahmen der »Göttinger Septuaginta« eine kritische Textausgabe vor, die versucht, den mutmaßlich ältesten Text zu rekonstruieren. Hierzu zieht er außer den o. g. umfangreicheren griechischen Handschriften noch 50 kleinere griechische Fragmente (bis zum 10. Jh.) heran. Daneben berücksichtigt er die bohairische (Bo), die sahidische (Sa) und die syrische Übersetzung (Sy) sowie die lateinischen Übersetzungen: die altlateinische Übersetzung (La), das Psalterium Gallicanum (Ga) und die Vulgata (Uulg). Von den Kirchenvätern sind Augustin (Aug), Hesychius von Jerusalem (He), Hieronymus (Hi) und Theodoret (Tht) komplett verglichen, andere sporadisch. Die Masse der jüngeren griechischen Handschriften, die den Mehrheitstext oder »Vulgärtext« (L) bieten, wird nicht einzeln ausgewertet, sondern aufgrund der Daten von Holmes / Parsons, die etwas mehr als 100 Handschriften (allerdings ungenau) kollationiert hatten, mit ungefähren statistischen Angaben berücksichtigt. Rahlfs setzt diese Textform mit der im 3. Jh. erfolgten Rezension des antiochenischen Presbyters Lukian gleich, die Hieronymus zufolge bereits um 400 in Kleinasien vorherrschend war und mit der Zeit alle übrigen Textformen verdrängt hat. Aufgrund der ältesten Handschriften und der Übersetzungen unterscheidet Rahlfs insgesamt sechs verschiedene Gruppen, denen er jeweils die Textzeugen zuordnet: drei alte Textformen, zwei jüngere »Rezensionen« und eine Gruppe mit »Mischtexten«. Diese Textgruppen sind (mit ihren Hauptvertretern, zu denen jeweils noch verschiedene Fragmente hinzukommen): (1.) Der unterägyptische Text: B, S und Bo. (2.) Der oberägyptische Text: U, 2013 und Sa (sehr häufig nur durch Sa vertreten). (3.) Der abendländische Text: R/LaR, LaG (incl. Augustin). (4.) Die Rezension des Origenes (»hexaplarische Rezension«): 2005 (7. Jh.; enthält nur Ps 21,20-24), 1098, Ga, Hi + Uulg. (5.) Die Rezension Lukians: L, Tht, Sy sowie Z, T, He; Bc, Sc, Rc. (6.) Mischtexte und nicht ganz sicher einzureihende Texte: A, 1219, 55. Zur Herstellung seines Textes stellt Rahlfs vier Kriterien auf: 1.) Wenn die drei alten Textformen zusammengehen, ist ihre Lesart i. d. R. aufgenommen. 2.) Wenn die alten Zeugen gegen die jüngeren mit dem MT zusammengehen, untereinander aber uneins sind, ist i. d. R. die Lesart bevorzugt, die dem MT entspricht. 3.) Wenn die alten Zeugen vom MT abweichen, aber die jüngeren mit dem MT zusammengehen, folgt der Text den alten Zeugen, da eine Korrektur nach dem MT durch Origenes und Lukian angenommen wird. 4.) In zweifelhaften Fällen wird der Lesart von B + S der Vorzug gegeben, wenn diese übereinstimmen. In Kontinuität mit den älteren Editionen behält somit der Codex Vaticanus (B) eine führende Position, teilt diese nun jedoch mit dem Codex Sinaiticus (S). Gleichwohl ist der Text nicht einfach eine »diplomatische« Reproduktion dieser Leithandschriften, 340

2. Textüberlieferung und Editionen

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

sondern das Ergebnis einer »kritischen« Rekonstruktion des mutmaßlich ältesten Wortlautes, die auch in B und S mit der Möglichkeit fehlerhafter Lesarten rechnet. Gemäß dem Kriterium 2 wird manchmal sogar eine dem MT entsprechende Lesart gewählt, die nur in den alten Übersetzungen erhalten ist, nicht aber in den griechischen Handschriften. An dreizehn Stellen folgt der Text des LXX-Psalters von Rahlfs überhaupt nicht der handschriftlichen Überlieferung, sondern zieht eine Konjektur vor (zehn davon gehen bereits auf die Ausgabe von Grabe [1709] zurück; drei stammen von Rahlfs selbst, der von diesem Mittel insgesamt eher zurückhaltend Gebrauch macht). Der Text der Göttinger Ausgabe von 1931 (Psalmen und Oden) ist nahezu unverändert in die Handausgabe von 1935 übernommen worden; nur der textkritische Apparat beschränkt sich bei der Handausgabe weitgehend auf die Handschriften B, S und A. Grundsätzliche Kritik an der Edition von Rahlfs (vgl. dazu bes. Pietersma, Critical Text) richtet sich insbesondere auf die Zuordnung zu den sechs »Texttypen«, bei der oft Lücken der Überlieferung ignoriert werden und die Übereinstimmungen der Handschriften nicht danach differenziert werden, ob sie sich dem ursprünglichen Text oder einer sekundären Variante verdanken (nur letzteres kann aussagekräftig sein). Die Behandlung der jüngeren Handschriften als monolithischer Block ist ebenfalls methodisch fragwürdig, da in einzelnen dieser Handschriften durchaus ältere Lesarten bewahrt sein könnten. Dies gilt umso mehr, als sich die Einschätzung der »Lukianischen Rezension« oder besser der »Antiochenischen Textform« in den letzten Jahren gewandelt hat. So oder so ist die vollständige Kollationierung der über 900 Handschriften, die bei Rahlfs aus pragmatischen Gründen (Zeit und Kosten) unterblieben ist, ein Desiderat. Im Göttinger Septuaginta-Unternehmen ist sie mittlerweile in Arbeit. Zudem sind seit 1931 zu den 50 von Rahlfs benutzten Fragmenten auf Papyrus, Pergament usw. über 100 neue hinzugekommen (meistens sehr klein). Sie sind vom Göttinger Septuaginta-Unternehmen in die von Rahlfs begründete Zählung mit aufgenommen (s. Rahlfs / Fraenkel, Verzeichnis). Nach dieser Zählung sind vierstellige Nummern für reine Psalmen-Handschriften reserviert, wobei die Nummern 1001-1400 älteren Psalterien bis zum 12. Jh., die Nummern 1401-2000 den jüngeren Psalterien und die Nummern ab 2001 den alten Psalterfragmenten zugewiesen werden. Drei umfangreichere und daher besonders wichtige Papyri sind hier zu nennen: P.Bodmer XXIV = Ra 2110 (3./4. Jh., vielleicht sogar 2. Jh., ediert 1967): Ps 17,45–118,44 (wegen seines Umfangs und Alters der wichtigste neuentdeckte Zeuge). P.Chester Beatty XIII = Ra 2149 (4. Jh., ediert 1978): Ps 72,6–88,2. P.Chester Beatty XIV = Ra 2150 (4. Jh., ediert 1978): Ps 2; 8–14; 26; 31. Neu hinzugekommen ist jetzt außerdem als ältester bisher bekannter Textzeuge: P.Oxyrhynchus 5101 = Ra 2227 (1./2. Jh., ediert 2011; enthält keine abgekürzten nomina sacra und bietet das Tetragramm in althebräischen Buchstaben, daher wahrscheinlich jüdischer Herkunft): Ps 26,9-14; 44,4-8; 47,13-15; 48,6-21; 49,2-16; 63,6–64,5. 2 Ein wichtiger Textzeuge ist auch der 1984 entdeckte koptische Psalmencodex aus 2.

Edition: Colomo / Henry, Oxyrhynchus Papyrus 5101; zu den Lesarten Smith, Text-Critical Significance. 2. Textüberlieferung und Editionen

341

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

al-Mudil (spätes 4. Jh., ediert 1995, Neuedition: Emmenegger, 2007, verbunden mit einer kritischen Neuedition der beiden griechischen Handschriften U und 2013). Im Bereich der Kirchenväter ist v.a der Psalmenkommentar von Didymos dem Blinden († 398) aus dem Papyrusfund von Tura bei Kairo 1941 zu erwähnen (ediert 1968–1970), von dem die Auslegung der Psalmen 20–44 weitgehend erhalten ist. Eine Neuedition der Psalmen im Rahmen der Göttinger Septuaginta ist in Vorbereitung. Bis zu ihrem Erscheinen bleibt die Ausgabe von Rahlfs die beste, die zur Verfügung steht. In Umfang und Reihenfolge sowie in der Aufteilung in fünf »Bücher« stimmt der Psalter der LXX grundsätzlich mit dem des MT überein. Er unterscheidet sich jedoch in folgenden Punkten: Die Zählung der Psalmen in der LXX (der auch die lateinischen Übersetzungen folgen) weicht von der des MT insofern ab, als in der LXX einerseits Ps 9/10 und Ps 114/ 115 des MT jeweils als ein einziger Psalm angesehen und andererseits Ps 116 und 147 des MT auf jeweils zwei Psalmen aufgeteilt werden. Daraus ergibt sich eine leichte Differenz der Zählung, die beim Zitieren zu beachten ist 3: MT

LXX

Ps 1–8

Ps 1–8

Ps 9,1-21

Ps 9,1-21

Ps 10,1-18

Ps 9,22-39

Ps 11–113

Ps 10–112

Ps 114

Ps 113,1-8

Ps 115

Ps 113,9-26

Ps 116,1-9

Ps 114

Ps 116,10-19

Ps 115

Ps 117–146

Ps 116–145

Ps 147,1-11

Ps 146

Ps 147,12-20

Ps 147

Ps 148–150

Ps 148–150 Ps 151

Über den MT hinaus bietet die LXX am Ende einen zusätzlichen Psalm (Ps 151, laut Überschrift »außerhalb der Zählung«), der auch in der Peschitta und den lateinischen Übersetzungen bezeugt ist und ein etwas abweichendes hebräisches Gegenstück in Qumran hat. Schließlich gibt es eine Reihe von Fällen, in denen der Text der LXX-Psalmen kleine Zusätze (bis hin zu einem ganzen Stichos) gegenüber dem MT aufweist. Am auffälligsten ist dies in den Überschriften: Während im MT etliche Psalmen ohne 3.

Im vorliegenden Beitrag folgen alle Stellenangaben der LXX-Zählung, sofern nichts anderes vermerkt ist.

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2. Textüberlieferung und Editionen

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

Überschrift überliefert sind, haben in der LXX außer Ps 1 und 2 alle Psalmen eine Überschrift. Im Einzelfall ist schwer zu entscheiden, ob die Zusätze schon auf hebräische Traditionen zurückgehen oder ob sie bei der Übersetzung oder sogar erst in der späteren Textgeschichte hinzugefügt wurden.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik Der LXX-Text des Buches der Psalmen setzt eine hebräische Vorlage voraus, die mit dem Konsonantentext des späteren MT wohl weitgehend übereingestimmt hat. Dieser Vorlage folgt die griechische Übersetzung in vielfacher Hinsicht. So ist auch der LXXPsalter durch ein sogenanntes Übersetzungsgriechisch (vgl. hierzu Mussies, Greek, 1048 f.) gekennzeichnet, das zwei wesentliche Eigenschaften hat: Einerseits bildet es die sprachlichen Charakteristika des hebräischen Ausgangstextes weitgehend im Griechischen ab, auch die oft formelhafte Sprache des Psalters; andererseits verzichtet es auf die Verwendung vieler sprachlicher Elemente, die für nicht übersetzte griechische Texte der klassischen und der hellenistischen Epoche kennzeichnend sind. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Syntax sowie des Vokabulars. Folgende Phänomene seien hier genannt: a) Der Übersetzer gibt seine hebräische Vorlage in der Regel Wort für Wort wieder. Auf der Ebene der Wortfolge und des Satzbaus weicht die LXX daher selten vom hebräischen Text ab (vgl. Austermann, Von der Tora zum Nomos, 42-106). So entspricht meistens jedem hebräischen Wort oder Morphem ein griechisches, das eine analoge Funktion im Satz hat, z. B. die des Subjekts oder des Prädikats. Eine solche Übersetzungstechnik hat zur Folge, dass die zahlreichen Pronomina des hebräischen Textes im Griechischen im allgemeinen exakt wiedergegeben werden, selbst auf die Gefahr einer gewissen Redundanz hin (vgl. etwa Ps 36,31; 40,3-4). Die genaue Nachahmung des Satzbaus führt manchmal dazu, dass Inkongruenzen entstehen (z. B. die Partizipien im Nominativ in Ps 32,7, wo man den Genitiv erwarten würde; vgl. BDR § 136). b) Geringfügige Abweichungen im Satzbau sind in den Fällen zu notieren, wo ein Pronomen anders gedeutet wird als im hebräischen Text (vgl. ἐμοῦ am Satzanfang in Ps 40,13; 72,2 sowie ἡμῶν in Ps 45,2) oder wo hebräische Relativsätze ohne ‫ אשׁר‬vorliegen (vgl. Ps 19,10b; 55,10a; 101,3a; 137,3a). Darüber hinaus fallen Besonderheiten in der griechischen Wortstellung kaum auf. Zu notieren sind hier etwa die wenigen Hyperbata des LXX-Psalters, die dem hebräischen Text fremd sind (Ps 33,13b; 37,16b; vielleicht Ps 109,6b). c) Wie der hebräische Ausgangstext weist auch der LXX-Psalter verhältnismäßig wenige Hypotaxen auf. Er gibt vielmehr die zahlreichen Parataxen – besonders in den Parallelismen – parataktisch wieder. Abgesehen von den wenigen Stellen, an denen der LXX-Psalter Hypotaxen einführt (so die mit ἵνα gebildeten Finalsätze in Ps 38,5.14; 68,15; 77,7.8), haben die Hypotaxen eine Entsprechung im hebräischen Text. So steht die Konjunktion ὅτι gewöhnlich für die hebräische Partikel ‫כי‬. Außerdem kennt die LXX eine Anzahl von Konditionalsätzen (εἰ oder ἐάν in Ps 7,4.5.13 usw., meist für 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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hebr. ‫ כי‬oder ‫ )אם‬und Finalsätzen (ὅπως in Ps 9,15 u. ö., meist für hebr. ‫למען‬, und nur in Ps 91,8 anstelle eines hebräischen Infinitivs). Die übrigen Konjunktionen werden spärlich verwendet: Das Wort ὡς wird meist als Vergleichspartikel gebraucht (Ps 2,9 u. ö.) und leitet nur selten einen Temporalsatz (Ps 77,43) oder einen Komparativsatz (Ps 131,2) ein. Selten sind auch ἐπεί (Ps 37,21; 77,20; 118,136 für verschiedene hebräische Äquivalente), ὥστε (nur in Ps 36,8; 103,35, jeweils mit Infinitiv und für verschiedene hebräische Äquivalente) und ἵνα (Ps 9,39; 15,8; 16,5 für ‫ ;)בל‬ὅτε begegnet nur in den Psalmenüberschriften, die keine Entsprechung im MT haben (Ps 64,1; 92,1; 95,1; 96,1; 142,1; 151,1). Die Konjunktion ἐπειδή fehlt sogar völlig. d) Genauso selten wie der LXX-Psalter Hypotaxen einführt, wo sie dem hebräischen Text fremd sind, genauso selten verwendet er Partizipialkonstruktionen, wo sie möglich wären (z. B. Ps 33,15) – es sei denn, sie sind durch den hebräischen Ausgangstext vorgegeben (z. B. Ps 55,2). Eine Ausnahme stellen dagegen die participia coniuncta dar, die der hebräische Text nicht kennt (so in Ps 3,7; 25,1c; 37,14-15; 48,13a.21a; 49,20a; 65,9b; 72,3b). Noch spärlicher wird der genitivus absolutus gebraucht, der in der hebräischen Sprache bekanntlich nicht gebildet werden kann (vgl. Ps 7,3; 86,7; 100,4; 103,28-29). e) Im Vergleich zu nicht übersetzten griechischen Texten sind die Partikeln relativ selten. Formulierungen wie οἱ μέν … οἱ δέ sind dem griechischen Psalter völlig unbekannt (vgl. Fälle wie Ps 19,8a; 74,8b, wo man derartige Ausdrücke erwarten würde). Weiterhin verwendet der LXX-Psalter nur in geringem Maße die Partikel δέ, ohne dass der hebräische (masoretische) Text ein entsprechendes Wort hat, etwa das sogenannte Waw adversativum (vgl. Stellen wie Ps 32,8.10.11; 35,5; 43,10; 59,14; 70,24). Die Partikel δή findet sich mehrmals für hebr. ‫( נא‬z. B. Ps 7,10; 79,15; 121,8; 123,1), aber auch ohne ein entsprechendes hebräisches Wort (Ps 121,6-7). Eine Partikel wie τέ kommt kaum vor (nur in Ps 48,3; 57,6), γέ schließlich ist im LXX-Psalter überhaupt nicht belegt. f) Der LXX-Psalter weist eine Vielzahl sprachlicher Phänomene auf, die gern als Hebraismen bezeichnet werden (zur Problematik des Begriffs vgl. schon Thackeray, § 4). Unter diesem Ausdruck versteht man die Nachahmung eines spezifisch hebräischen Sprachgebrauchs im Griechischen, ohne dass die Sprachkonventionen der Zielsprache berücksichtigt werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien folgende Beispiele genannt: – An zahlreichen Stellen fällt eine unübliche Verwendung von Verben auf, z. B. εὑρίσκομαι (auch verneint gebraucht) im Sinne von »vorhanden sein« bzw. »nicht (mehr) vorhanden sein« (Ps 16,3; 20,9; 37,36). Bemerkenswert ist weiterhin ein ungewöhnlicher Gebrauch von Präpositionen in Verbindung mit Verben (s. dazu Helbing, Ks) der nur durch eine Nachahmung der hebräischen Vorlage zu erklären ist, z. B. εἰμί bzw. γίνομαι + εἰς in der Bedeutung »werden zu« (Ps 111,6; 117,14; vgl. BDR § 145), ἀποκαλύπτω mit πρός statt mit Dat. in Ps 36,5, ἐκκλίνω mit ἀπό + Gen. statt Akk. (Ps 33,15; 36,27), παρασιωπάω mit ἀπό in Ps 27,1, συνίημι mit εἰς in Ps 27,5; 32,15; 72,17 und φοβέομαι mit ἀπό statt Akk. (Ps 3,7; 90,5). Wie auch anderswo in der LXX werden zwei Verben als Hilfsverben verwendet: ἐπιστρέφω im Sinne von »etwas noch einmal tun« (für ‫שׁוב‬, so Ps 103,9; ähnlich Ps 84,7) sowie προστίθημι im Sinne von »fortsetzen, etwas zu tun« (für ‫ יסף‬hi., so Ps 9,39; 40,9 u. ö.). 344

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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Wie auch in anderen übersetzten Texten der LXX sind Besonderheiten im Gebrauch der Präpositionen zu nennen. So kann ἐν zur Angabe des Grundes sowie instrumental verwendet werden (z. B. Ps 6,8; 32,2; 88,33), und die Präposition ὑπέρ dient auch zum Ausdruck des Komparativs, und zwar sowohl nach der Grundform des Adjektivs (Ps 118,72.103) als auch nach dem Komparativ (Ps 36,16; 62,4; 83,11). Hebräische Vorbilder hat auch der Gebrauch von μετά mit Gen. (bes. mit ποίεω) im Sinne von »an jemandem (etwas tun)« (Ps 85,17; 118,65; vgl. BDR § 227,3). Dasselbe gilt auch für den präpositionalen Gebrauch von bestimmten Substantiven: πρόσωπον in Wendungen wie ἀπό προσώπου (Ps 37,4; 59,6) und κατὰ πρόσωπον (Ps 34,5; 82,14) sowie χείρ in Wendungen wie εἰς χείρας (Ps 30,6), ἐκ χειρός (z. B. Ps 17,1; 70,4) und ἐν χειρί (Ps 94,4). – Verneinungen werden gelegentlich anders formuliert, als die Konventionen griechischer Syntax erwarten lassen: Das Adjektiv πᾶς wird auch nach einer Verneinung verwendet (Ps 33,11b, statt τινός), und οὐκ/μή … ἄνθρωπος ist wohl im Sinne von »niemand« zu verstehen (Ps 9,39; 104,14; vgl. auch Stellen wie Jos 1,5). – Verschiedene metaphorisch gebrauchte hebräische Formulierungen werden ohne jegliche Änderung ins Griechische übertragen, z. B. »sein Angesicht von jemandem abwenden« (Ps 9,32 u. ö.), »sein Angesicht leuchten lassen« (Ps 30,17; 66,2), »sein Ohr jemandem zuwenden« (Ps 16,6 u. ö.), »das Horn erhöhen« (Ps 74,5b.6a.11b; 88,18b.25b). – Wie auch in anderen aus dem Hebräischen übersetzten Schriften finden sich im LXX-Psalter Beispiele der sogenannten figura etymologica (vgl. Ps 39,2a; 42,1b; 78,12b; 117,18a; 126,6a) sowie der Interjektion (καὶ) ἰδού (Ps 7,15; 10,2; 32,18 u. ö.). – Gelegentlich finden sich im LXX-Psalter Wendungen, die wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt werden, so Schwurformeln (Ps 7,5a; 88,36; 94,11; 131,3-4), Bezeichnungen für Wochentage (Ps 23,1), ferner Ausdrücke wie υἱὸς ἀνθρώπου (Ps 8,5; 79,16.18; 143,3) oder υἱὸς ἀνομίας (= ein gesetzloser Mensch, Ps 88,23). Insgesamt fällt auf, dass die im Wesentlichen am Ausgangstext orientierte Übersetzungstechnik dazu führt, dass der LXX-Psalter gelegentlich schwer verständliche, ja rätselhafte Formulierungen enthält, die sich oft nur noch in den Kommentierungen der entsprechenden Stellen durch die griechischen Kirchenväter finden, kaum aber griechische Sprachpraxis widerspiegeln. Manche von ihnen sind zwar nicht völlig unverständlich, aber doch ungewöhnlich (vgl. Ps 12,3a; 16,10a; 20,13a; 40,4b; 72,9a; 73,2b; 74,3b), während andere als elliptisch gelten müssen (vgl. Ps 53,9b; 73,11b; 83,4c; 91,12). Wie schon die ältesten griechischen Kommentare zeigen, ist eine Paraphrase notwendig, um diese Stellen zu erhellen. Die Nähe zur hebräischen Vorlage bedeutet aber keineswegs, dass der LXX-Psalter nicht auch durchaus geglückte freie Übersetzungen enthält. Denn genauso wie der Übersetzer gewisse Standardäquivalente kennt, so etwa das Verb ταράσσω und seine Derivate für mehrere hebräische Begriffe aus dem Wortfeld der Erschütterung und des Erschreckens (vgl. Ps 2,5 u. ö.), so greift er zu individuellen Lösungen, wenn er mit seltenen hebräischen Begriffen konfrontiert ist. In der Regel wählt er dann griechische Wörter, die im LXX-Psalter ebenfalls singulär sind, aber sehr gut in den Kontext passen, z. B. Ps 43,17 παραλαλέω, Ps 79,11 ἀναδενδράς, Ps 108,8 ἐπισκοπή. Weiterhin enthält der LXX-Psalter einige Merkmale, die darauf schließen lassen, dass dem Übersetzer der Sinn für guten Stil sowie für Verständlichkeit keineswegs 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

fremd war (vgl. hierzu Bons, Beobachtungen, und Bons, Rhetorical Devices). Dies kann man an folgenden Beispielen aufzeigen: – Der LXX-Psalter vereinheitlicht das Vokabular, etwa wenn der hebräische Bibeltext verschiedene Begriffe aus demselben Wortfeld verwendet, z. B. die Terminologien des Unrechts (vgl. Ps 7,4.15.17; 58,3-6; 72,6-8; 93,4.16.20.23), der Feindschaft (vgl. Ps 6,8.11; 40,3.6.8.12; 88,23.24.43), der Erschütterung (vgl. Ps 6,3.4.8.11), der Macht (vgl. Ps 67,13.29.34-36; 109,2-3) usw. In diesen Fällen verwendet der LXX-Psalter ein einziges Wort und nicht verschiedene mehr oder weniger synonyme Begriffe. Dadurch entsteht eine größere stilistische Homogenität. Gleichzeitig werden Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen eines Psalms hergestellt, die im hebräischen Text höchstens impliziert sind. – Der LXX-Psalter hat die Tendenz, auf der Lautebene, etwa durch Anapher, die Parallelität mehrerer Elemente zu unterstreichen (z. B. Ps 48,11: ἄφρων καὶ ἄνους, 62,2: ἐν γῇ … ἀβάτῳ καὶ ἀνύδρῳ). Weiterhin stellt er mehrmals Paronomasien her, die nicht durch die hebräische Vorlage vorgegeben sind (z. B. Ps 16,8 ἐν σκέπῃ τῶν πτερύγων σου σκεπάσεις με [ähnlich Ps 60,5]; Ps 101,4b: καὶ τὰ ὀστᾶ μου ὡσεὶ φρύγιον συνεφρύγησαν). Schließlich ist festzustellen, dass der LXX-Psalter gelegentlich die parallele Struktur eines oder mehrerer Verse verstärkt (z. B. Ps 25,4-6) und dabei auch zum Mittel der freien Übersetzung eines schwer verständlichen hebräischen Textes greift (z. B. Ps 64,2; 70,3). Das Interesse an sprachlicher Gestaltung geht allerdings nicht so weit, dass der Übersetzer versucht hätte, den hebräischen Text nach den Regeln der griechischen Metrik wiederzugeben. Im Falle des LXX-Psalters wird man höchstens von einer rhythmischen Prosa sprechen können. Ebensowenig wird ein formales Phänomen nachgeahmt, das sich mehrmals im hebräischen Psalter findet: das Akrostichon, bei dem jeder Vers (oder jede Strophe) mit einem Buchstaben in der Reihenfolge des hebräischen Alphabets beginnt (vgl. Ps 9[9–10]; 24[25]; 33[34]; 36[37]; 110[111]; 111[112]; 144 [145]; etwas anders Ps 118[119], wo jeweils der hebräische Buchstabe genannt wird).

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung In Ermangelung literarischer Zeugnisse über die Entstehung des LXX-Psalters ist es derzeit nicht möglich, die Übersetzung genau zu datieren. Die Nähe zur Jesaja-LXX ist seit langem bekannt (vgl. vor allem Jes 29,1 und Ps 59,5LXX; Jes 26,14 und Ps 87,11LXX; Jes 1,8 und Ps 78,1LXX; vgl. Williams, Date). Fraglich ist nur, ob der LXX-Psalter die Jesaja-LXX voraussetzt oder umgekehrt. Aufschlussreich sind einige Berührungspunkte des LXX-Psalters mit 1Makk (vor allem Ps 78,2-3 und 1Makk 7,17; Ps 109,4 und 1Makk 14,41; vgl. van der Kooij, Septuagint of Psalms), die zu der Schlussfolgerung veranlassen, dass eine Nähe des Psalmenübersetzers zu promakkabäischen Kreisen denkbar, wenn auch schwer zu beweisen ist. Wenn diese Aussage zutrifft, müsste der LXX-Psalter im Laufe der ersten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. entstanden sein. Jedenfalls muss er spätestens um die Zeitenwende als Sammlung eine gewisse Autorität genießen, so dass Philon (s. u. Aspekte der Wirkungsgeschichte) ihn zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. zitieren, d. h. aber auch eine entsprechende Kenntnis des Textes bei seinem Publikum voraussetzen kann. Über die Herkunft des LXX-Psalters kann man ebensowenig sichere Aussagen 346

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

treffen. Zwar sprechen einige sprachliche Kriterien, vor allem die Gottesprädikate ἀντιλήμτωρ und καταφυγή, für eine ägyptische Herkunft, da dieses Vokabular in den Papyri, vor allem in Petitionen, belegt ist (vgl. Passoni Dell’Acqua, Metafora, 431.433). Vielleicht kann man auch in Ausdrücken wie »Sommer und Frühling« (statt »Sommer und Winter«) in Ps 73,17 sowie in »Südwind« (statt »Ostwind«) in Ps 77,26 diskrete Hinweise auf ägyptisches Lokalkolorit erkennen (vgl. Siegert, 186 f.). Und schließlich würde die theologische Korrektur, die der LXX-Psalter in Ps 83,12 vornimmt, sehr gut in einen ägyptischen Kontext passen. Während der hebräische Text nämlich Gott die Attribute »Sonne und Schild« zueignet, was wiederum zu einer Identifizierung des Gottes Israels mit dem Sonnengott veranlassen konnte, bietet der LXX-Psalter einen Text, der keinen Anstoß erregt: ὅτι ἔλεον καὶ ἀλήθειαν ἀγαπᾷ κύριος ὁ θεός. Zweifellos weisen diese Indizien alle auf einen ägyptischen Ursprung des LXX-Psalters hin, bewiesen ist er damit aber nicht. Für einen palästinischen Ursprung werden nämlich vor allem folgende Argumente angeführt (vgl. Venetz, Quinta, Kap. 1–2; van der Kooij, Place of Origin): 1. die Nähe des LXX-Psalters zur kaige-Rezension, die ihrerseits in einen palästinischen Kontext eingeordnet wird, 2. die Verwendung des Begriffs βᾶρις in der Bedeutung »Palast, Festung«, der nach Auskunft des Hieronymus palästinischen Sprachgebrauch widerspiegelt (Ps 44,9; 47,4.14), 3. die Zusätze in den griechischen Psalmenüberschriften, die einen bestimmten Wochentag nennen, anscheinend den Tag, dem der Psalm liturgisch zugeordnet war (Ps 23,1; 47,1; 80,1 [SaLa]; 91,1; 92,1; 93,1). Eine Entscheidung zwischen den beiden gegensätzlichen Positionen zu treffen, ist mangels weiterer Argumente problematisch. Zu fragen bleibt vor allem, ob alle Argumente dasselbe Gewicht haben. Denkbar wäre schließlich auch, dass der LXX-Psalter zwar in Ägypten, aber von jüdischen Gelehrten mit einem palästinischen Hintergrund übersetzt wurde (vgl. van der Kooij, Septuagint of Psalms, 246).

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die bisherigen Beobachtungen konnten den Eindruck entstehen lassen, dass der Übersetzer sich gegenüber seiner hebräischen Vorlage nur wenige Freiheiten erlaubt. Im Zusammenhang von theologischen Inhalten im weiteren Sinne weicht der Übersetzer aber beträchtlich von seinem Ausgangstext ab. Zwar kennt der LXX-Psalter ebenso wie der hebräische Text eine große Anzahl von Anthropomorphismen, z. B. hat Gott Augen, Ohren, Hände, Mund und Stimme (vgl. Ps 17,1.14; 30,6; 32,18; 104,5 usw.), ebenso kann er lachen (Ps 2,4) und zornig sein (Ps 17,8). Dennoch hat die wörtliche Übersetzung der Anthropomorphismen ihre Grenzen: Während nach dem hebräischen Text Gott fähig ist, Feinde oder Frevler zu verschlingen (Ps 22,10; 55,10MT), vermeidet der LXX-Psalter den Hinweis auf die Körperlichkeit Gottes: Gott erschüttert (Ps 21,10LXX) bzw. versenkt (Ps 54,10LXX) Feinde und Frevler. Ähnliches gilt auch für Gefühle: Konnte Gott den Zion als seine Wohnstätte »begehren« (Ps 132,13MT), so übersetzt die LXX hier nicht mit ἐπιθυμέω, wie zu erwarten wäre (vgl. etwa Ps 44,12LXX), sondern mit αἱρετίζω: Gott hat den Zion auserwählt – eine Begierde (man beachte die philosophischen und anthropologischen Implikationen von ἐπιθυμία!) ist ihm fremd. Der Versuch, die Anthropomorphismen an einer entscheidenden Stelle zu redu4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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zieren, lässt sich auch in der systematischen Umdeutung der Stellen erkennen, die von Gottes »Sichtbarkeit« sprechen. Der hebräische Psalter sieht offenbar kein theologisches Problem darin, dass der Psalmist Gott sehen kann (Ps 17,5; 42,3 [MT vokalisiert anders]; 63,3MT). Der LXX-Psalter dagegen lässt den Psalmisten vor Gottes Angesicht erscheinen (Ps 16,15a; 41,3) oder Gottes δόξα sehen (Ps 62,3) bzw. diese dem Psalmisten erscheinen (Ps 16,15b). Damit setzt der LXX-Psalter eine Tendenz fort, die sich schon im Pentateuch zeigt, vgl. Num 12,8; 14,22; Dtn 5,24 (vgl. Hanson, Seeing God, bes. 561563). Bemerkenswert ist eine weitere systematisch vorgenommene Neuinterpretation der Gottesvorstellungen (vgl. Passoni Dell’Acqua, Metafora; Olofsson, God is my Rock): Wenn im hebräischen Psalter von Gott als ‫» צור‬Fels«, ‫» סלע‬Fels«, ‫» מצודה‬Festung«, ‫» משׂגב‬Hochburg« oder ‫» מעוז‬Bergfeste« die Rede ist, wählt der LXX-Psalter immer Begriffe, die Gott mit menschlichen Funktionen beschreiben sollen, z. B. ἀντιλήμπτωρ »Beistand«, βοηθός »Helfer« und ὑπερασπιστής »Beschützer« (z. B. Ps 3,4; 17,3; 30,3; 41,10; 58,17-18; 61,3.7; 90,2). Ähnliches gilt auch für den Begriff ‫(» מגן‬Klein-) Schild«, der meist mit ὑπερασπιστής übersetzt wird (Ps 17,3.31; 27,7; 32,20 u. ö.). Die zitierten Begriffe sind dem Übersetzer durchaus bekannt, denn wo sie nicht auf Gott bezogen sind, gibt er sie wörtlich wieder (z. B. Ps 39,3; 77,15.20; 103,18). Man kann darüber spekulieren, ob die hebräische Fels- und Festungsmetaphorik zu sehr palästinisches Lokalkolorit widerspiegelte und darum in der Hafenstadt Alexandria – sollte dort der LXX-Psalter entstanden sein – nicht mehr verständlich war. Oder sollte vermieden werden, der Identifikation Gottes mit einem Stein, d. h. einem materiellen Gegenstand, Vorschub zu leisten? Die genauen Gründe für die Wahl des griechischen Vokabulars bleiben im Dunkeln. Fest steht nur, dass die Begrifflichkeit in der Sprache der Petitionen einen Hintergrund hat. Wenn schon Gott keine Festung mehr darstellt, zu der man Zuflucht nehmen kann, erklärt sich auch eine weitere systematisch vorgenommene Neuerung im LXXPsalter. Die in diesem Zusammenhang verwendeten Verben ‫» חסה‬sich bergen«, ‫בטח‬ »vertrauen« und ‫» יחל‬hoffen« werden mit ἐλπίζω »hoffen« übersetzt, das – zusammen mit dem zugehörigen Substantiv ἐλπίς »Hoffnung« – zu einem Schlüsselwort vieler Psalmen wird, das das tiefe Vertrauen des Glaubenden auf Gott bezeichnet (vgl. etwa Ps 90,2b.4b.9a.14a). Mehrfach dient das Verb dazu, Psalmen zu rahmen (Ps 30,2a.25b; 36,3a.40c), während der hebräische Text verschiedene Verben verwendet. Das bedeutet: Die Beter der Psalmen werden nicht so sehr als Menschen dargestellt, die sich zu Gott – wie zu einer Festung – flüchten, sondern als Gläubige, die auf seine Hilfe hoffen. Der hebräische Psalter erwähnt gelegentlich Götter im Plural. Mit diesen Stellen verfährt der LXX-Psalter differenziert: – Die Rede von Göttern bereitet offenbar keine theologischen Probleme, sofern nicht die Besonderheit und Andersartigkeit des Gottes Israels in Frage steht. Der LXXPsalter kann daher von θεοί sprechen, wenn von fremden Göttern die Rede ist (z. B. Ps 81,1.6-7; 85,8; 94,3; 95,4; 134,5). Nähere Aussagen über diese werden jedoch nicht getroffen. Die rhetorische Frage in Ps 17,32 τίς θεὸς πλὴν τοῦ θεοῦ ἡμῶν »wer ist ein Gott außer unserem Gott?« (MT: »Wer ist ein Fels [‫]צור‬, wenn nicht unser Gott?«) legt aber die Antwort nahe, dass nur der Gott Israels Gott im engen Sinne ist, für die anderen Götter also diese Bezeichnung nicht angebracht ist. 348

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen



Korrekturen erfolgen an mehreren Stellen, wo mit den Göttern zumindest keine explizit negativen Aussagen verknüpft sind: die im Vergleich zu den Göttern nur geringfügig niedrigere Stellung des Menschen in der Schöpfung (Ps 8,6), die Huldigung JHWHs durch die Götter (Ps 97,7MT), das Lob Gottes vor den Göttern (Ps 138,1MT). Der LXX-Psalter gibt hier θεοί jeweils durch ἄγγελοι wieder, ersetzt also die Götter durch eine Gattung himmlischer Wesen, die einen untergeordneten Status besitzen. – In Ps 29,1; 89,7MT ist schließlich von den ‫ בני אלים‬die Rede. Bei der Übersetzung dieses Begriffs orientiert sich der LXX-Psalter an Stellen wie Gen 6,2.4 und übersetzt mit υἱοὶ θεοῦ (also Gott im Singular). Nach Aussage von Dtn 32,43 sind die υἱοὶ θεοῦ aber wiederum mit den ἄγγελοι gleichzusetzen (vgl. auch Dan 3,25.28 MT, wo die vierte Gestalt im Feuerofen sowohl als ‫ בר אלהין‬als auch als ‫ מלאך‬bezeichnet wird). Sind also die υἱοὶ θεοῦ Engel, bereitet die Auslegung der beiden Psalter-Stellen keine Schwierigkeiten: In Ps 28,1LXX erweisen die Engel Gott die Ehre, während in Ps 88,7LXX Gott weder mit den Dingen in den Wolken noch mit den Engeln verglichen werden kann (V. 7). Zwar formuliert der LXX-Psalter nirgendwo ein explizites monotheistisches Bekenntnis. Doch er setzt gegenüber dem hebräischen Psalter-Text einen eigenen Akzent, indem er – gleichsam auf der Linie Deuterojesajas (vgl. Jes 40,18; 44,7) – nicht die Einzigkeit, sondern die Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit des Gottes Israels betont. So lautet die Ps 82LXX einleitende Frage abweichend vom MT: Ὁ θεός, τίς ὁμοιωθήσεταί σοι; »Gott, wer kann mit dir verglichen werden?« Zum theologischen Profil des LXX-Psalter gehört schließlich, dass die hebräische Terminologie der Sünde immer wieder mit griechischen Begriffen wiedergegeben wird, die von νόμος abgeleitet sind: ἀνομία, ἄνομος, παρανομία u. a. Dadurch wird möglicherweise nahegelegt, dass die Sünde einen Verstoß gegen das göttliche Gesetz bedeutet (vgl. etwa Ps 5,5-6; 35,3-5.13; 58,3-5). An zahlreichen Stellen lassen sich weiterhin punktuelle Neuinterpretationen feststellen, ohne dass diese sich in ein systematisches Bild einfügen, etwa die Aussagen über Gottes Langmut in Ps 7,12-13, die in Ps 32,8-9 implizierte Schöpfungstheologie (vgl. Bons, Psaume 32LXX), die an die Völker gerichtete Einladung, im Jerusalemer Tempel Opfer darzubringen (Ps 95,8b; vgl. Seiler, Konzepte), schließlich die verschiedenen Hinweise auf die »Erziehung« oder »Unterweisung« (Ps 2,12; 17,36; 89,10; 104,22; 118,66; 140,5). Dass der gesamte LXX-Psalter eschatologische oder messianische Züge erkennen lässt, ist jedoch kaum nachzuweisen.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Philon von Alexandria, der in seiner Bibelauslegung die LXX-Fassung zugrundelegt, zitiert auch einige Verse aus den Psalmen. Seine Standard-Einleitung ἐν ὕμνοις »in den Hymnen« legt eine Kenntnis des ganzen Psalters als Sammlung nahe, wenngleich die später gängigen Bezeichnungen ψαλμοί (Cod. B) und ψαλτήριον (Cod. A u. a.) in seinen Werken nicht zu finden sind. Die häufig verwendete Einführungsformel γέγραπται »es steht geschrieben« bezieht sich stets auf Zitate aus dem Pentateuch, der für Philon die Hauptquelle seiner (allegorischen) Schriftinterpretation darstellt (von 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

1161 Bibelzitaten stammen nur 41 nicht aus dem Pentateuch!). Die wichtigsten biblischen Lieder sind für Philon daher auch die des Mose in Ex 15 und Dtn 32 (der Terminus ᾠδή bezieht sich bei ihm fast immer auf einen dieser beiden Texte). Auf dieser Linie liegt auch seine Wahrnehmung der Psalmen: Sie werden an keiner Stelle mit David in Verbindung gebracht, dafür aber – wenn überhaupt eine Zuschreibung erfolgt – einigemal mit Mose und seinen Gefährten. Josephus zitiert die Psalmen nicht, bringt sie aber mit David als Erfinder diverser Musikinstrumente in Verbindung (Ant. 7,305 f.); in diesem Zusammenhang findet sich die kuriose Mitteilung, David habe seine »Lieder und Hymnen auf Gott« in verschiedenen Metren verfertigt – teils Trimeter, teils Pentameter (305). Diese Angabe dient, ebenso wie die analoge Behauptung, Ex 15 und Dtn 32 hätten den Hexameter als Versmaß (Ant. 2,346; 4,303), dem apologetischen Interesse, die Erwartungshaltung der hellenistischen Leserschaft zu befriedigen. Die angeblichen Metren der »biblischen Poesie« finden sich dann später bei christlichen Autoren wie Origenes, Euseb, Hieronymus und Augustin wieder. Im Neuen Testament spielen die Psalmen eine herausragende Rolle. Lukas kennt die ψαλμοί als Buch (Lk 20,42; 24,44; Apg 1,20; 13,33) und bezeugt in diesem Zusammenhang die Formierung des dreiteiligen jüdischen Kanons aus »Gesetz des Mose, Propheten und Psalmen« (Lk 24,44). Bei den alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen im Neuen Testament stehen die Psalmen an erster Stelle; dabei heben sich die Psalmen 2; 8; 21[22]; 109[110] und 117[118] noch einmal besonders hervor, deren Rezeption z. T. von wenigen Versen dominiert ist. In den synoptischen Evangelien werden die Psalmzitate den handelnden Personen (v. a. Jesus) in den Mund gelegt. Die meisten von ihnen sind mit Jerusalem verbunden: Ps 117,26 als Ruf der Menge bei Jesu Einzug, Ps 117,22 f. und Ps 109,1 in Jesu Verkündigung und schließlich Ps 21,2 als Ausruf des sterbenden Jesus am Kreuz. Anspielungen auf Ps 21 durchziehen die ganze Passionserzählung; Ps 109,1 klingt beim Verhör vor dem Hohen Rat an. Daneben finden sich Anspielungen auf Ps 2,7 in den Erzählungen von Jesu Taufe und Verklärung. – Im Johannesevangelium gibt es mehr förmliche Zitate statt Anspielungen, und sie sind gleichmäßiger über das Buch verteilt. Bei Paulus sind Schriftzitate nur in seinen »Hauptbriefen« zu finden, Psalmzitate sogar nur in Röm, 1Kor und 2Kor. Besonderes Interesse verdient Röm 3,10-18, wo der Zitierung von Ps 13,1-3 einige weitere inhaltlich ähnliche Verse ohne erneute Zitationsformel folgen (Ps 5,10; 139,4; 9,28; Jes 59,7 f.; Ps 35,2). Diese Erweiterung von Ps 13,1-3 (die Paulus wohl schon vorgegeben war) hat sogar Eingang in einen Teil der Textüberlieferung gefunden. Aus den übrigen neutestamentlichen Schriften seien folgende Stellen hervorgehoben: In der Pfingstpredigt des Petrus in Apg 2 wird Ps 15,8-11 zitiert und als Weissagung Davids auf Jesus (als κύριος und Christus) ausgelegt (vgl. Apg 13,35). Der Hebräerbrief hat besonders viele Psalmzitate zu verbuchen. Er beginnt mit einer feierlichen Einleitung (Hebr 1), in der mehrere Psalmverse aufgenommen werden (Ps 2,7; 96,7; 103,4; 44,7 f.; 101,26-28; 109,1). Einzigartig im NT ist die Zitierung einer Psalmstelle von fünf Versen (Ps 94,7b-11), die anschließend ausgiebig ausgelegt werden (Hebr 3,7-4,11). 350

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

Ein längeres Psalmzitat bietet auch 1Petr 3,10-12, wo Ps 33,13-17a zur Unterstützung der Argumentation dient, aber nicht durch eine Zitationsformel markiert wird. In 2Petr 3,8 wird Ps 89,4 (»tausend Jahre wie ein Tag«) aufgegriffen, um den Einwand der ausbleibenden Parusie zu entkräften. Von den sog. »Apostolischen Vätern« basieren Barn und 1Clem stark auf Schriftzitaten, und so finden sich hier auch viele Psalmstellen. Besondere Erwähnung verdienen die längeren Psalmzitate in 1Clem 18 (Ps 50,3-19); 22 (Ps 33,12-18); 35,7-12 (Ps 49,16-23). Unter den frühchristlichen Apologeten sticht Justin heraus, auch was die Zitierung der Psalmen angeht. Insbesondere sein »Dialog mit Tryphon« ist voll von Psalmzitaten. Er gibt mehrmals auch die Nummer eines Psalms (nach der LXX-Zählung) an und ist der erste Autor, der Psalmen in voller Länge zitiert: Ps 23 (Dial. 36,3-4); 44 (Dial. 38,3; vgl. 63,4); 49 (Dial. 22,7); 71 (Dial. 34,3; 64,6); 81 (Dial. 124,2); 95 (Dial. 7374); 98 (Dial. 37,2; vgl. 64,4); 109 (Dial. 32,6; vgl. 83,2); vgl. auch Ps 21,2-24 (als »ganzen Psalm« in Dial. 98 zitiert und anschließend ausgelegt) sowie die Zitierungen von Ps 1 und 2 in Apol. 40 und großen Teilen von Ps 95 in Apol. 41. Das interessanteste Zitat ist wohl das von Ps 95 in Dial. 73-74 (vgl. Apol. 41): Justins Text hat in V. 10 einen Zusatz gegenüber dem seines jüdischen Gesprächspartners, und zwar folgt auf die Worte ὁ κύριος ἐβασίλευσεν (»der Herr ist König geworden«) hier noch ἀπὸ τοῦ ξύλου (»vom Holze her«, d. h. »aufgrund des Kreuzes«). Damit wird die Proklamation des Königtums Gottes auf Christus übertragen. Dies ist ein offensichtlich christlicher Zusatz (überliefert im oberägyptischen und abendländischen Text sowie der bohairischen Übersetzung, aber nicht in B und S). Justin behauptet jedoch, die jüdischen Lehrer hätten die auf den gekreuzigten Jesus verweisenden Worte aus dem ursprünglichen Text gestrichen. Bei den Kirchenvätern werden die Psalmen zumeist in allegorischer Weise auf Jesus Christus hin gedeutet. Eine Ausnahme bildet allerdings die sog. »antiochenische Schule« (Diodor von Tarsus; Theodor von Mopsuestia; Theodoret von Cyrus): Diese Autoren versuchen grundsätzlich, die Psalmen historisch zu interpretieren und sie mit Situationen in der Geschichte Israels in Verbindung zu bringen; gleichwohl finden sich aber auch bei ihnen christologische Psalmendeutungen. Abgesehen von unzähligen Einzelzitationen von Psalmversen im Rahmen von Schriftbeweisen in den Werken der Kirchenväter sind v. a. die fortlaufenden Auslegungen in exegetischen Kommentaren oder Homilien hervorzuheben (s. Literatur). Für eine liturgische Verwendung der LXX-Psalmen im jüdischen Synagogengottesdienst wie auch im frühesten Christentum gibt es keine sicheren Belege. Daher wird heute vielfach mit einer ursprünglichen Verwendung des Psalters als Gebets- und Erbauungsbuch gerechnet (vgl. bes. Füglister, Verwendung). Unter Verweis auf die LXX-Psalmenüberschriften, die den jeweiligen Psalm einem bestimmten Wochentag zuordnen (s.o. 3.2), wird von einigen Forschern jedoch auch die liturgische Verwendung der betreffenden Psalmen postuliert (van der Kooij, Place of Origin, 71-74; Schaper, Septuaginta-Psalter, 177-179); dies ist freilich nicht unwidersprochen geblieben (s. z.B. Pietersma, Critical Text, 29f.; Rösel, Psalmüberschriften, 143-145). Unsicher ist auch, ob sich das Stichwort ψαλμός an NT-Stellen wie 1Kor 14,26 und Kol 3,16 = Eph 5,19 auf LXX-Psalmen bezieht und somit für deren liturgische Verwendung ins Feld geführt werden kann (der Kontext deutet eher auf inspirierte christliche Schöpfun5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

351

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

gen). Die Heranziehung der LXX-Psalmen zur schriftgelehrten Argumentation seit dem NT (wie auch schon bei Philon) ist hingegen unstrittig. Gegen Ende des 2. Jh. ist die Verwendung alttestamentlicher Psalmen in der christlichen Liturgie erstmals eindeutig belegt; im 4. Jh. wurde der Psalter zum offiziellen Gesang- und Gebetbuch der Kirche. Daneben ist die Verwendung von LXX-Psalmversen in der privaten Frömmigkeit (Grabinschriften, Schutzamulette) hervorzuheben. Kunstgeschichtlich interessant ist der sog. Chludov-Psalter aus dem 9. Jh. (= Ra 1101), die älteste bekannte illuminierte Psalmenhandschrift nach Überwindung des Bildersturmes (843). Sie befand sich bis 1847 auf dem Berg Athos, gelangte dann nach Moskau in den Besitz des Kaufmanns Alexei Ivanovič Chludov und befindet sich seit 1917 im Staatlichen Historischen Museum in Moskau. Die über 200 Bilder, auf die meistens durch kleine Pfeile aus dem Text heraus verwiesen wird, beziehen sich sowohl auf alttestamentliche als auch auf neutestamentliche Szenen und sogar auf historische Personen der Zeit des Byzantinischen Bilderstreits, wobei die Ikonoklasten durch karikaturhafte Darstellung polemisch verzerrt werden. Der Textwert des Psalters ist jedoch eher gering, da im 12. Jh. die ursprünglichen Unzialen des 9. Jh. weitgehend getilgt und durch Minuskeln mit dem byzantinischen Text ersetzt wurden.

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Trotz der in den letzten ca. 30 Jahren geleisteten Erforschung des LXX-Psalters bleiben nach wie vor viele Fragen offen. Die vielen Stellen, die immer noch unklar oder rätselhaft sind, wurden schon erwähnt. Es ist durchaus möglich, dass eine bessere Erforschung der griechischen Sprache, wie sie in Ägypten im 3. Jh. v. Chr. gesprochen und geschrieben wurde, zur Erklärung schwer verständlicher Formulierungen beitragen kann. Dasselbe gilt für das Sondervokabular des LXX-Psalters, das Bezüge zu verschiedenen Fachsprachen erkennen lässt (u. a. zur Verwaltungssprache). Auch hier dürfte eine intensivere Untersuchung des ägyptisch-hellenistischen Hintergrunds des LXX-Psalters zu neuen Ergebnissen führen. 6.2 Eine wichtige Aufgabe der Forschung ist die Neuedition des Psalters im Rahmen der Göttinger Septuaginta. Ziele dieser Ausgabe sind (im Einklang mit den inzwischen vorliegenden anderen Editionen des Göttinger Septuaginta-Unternehmens) die vollständige Auswertung des erreichbaren griechischen Handschriftenmaterials (also auch der von Rahlfs 1931 nicht berücksichtigten oder ihm noch nicht bekannten Handschriften), die umfassende Berücksichtigung der Tochterübersetzungen unter Heranziehung der neuesten Texteditionen (einschließlich der von Rahlfs nicht oder nur sporadisch herangezogenen Versionen) und die Ausdifferenzierung des von Rahlfs als monolithischen Block behandelten jüngeren (»Lukianischen«) Textes in Richtung auf seine Überlieferungsgeschichte. In diesem Zusammenhang wird auch der Psalmenkommentar des Theodoret von Cyrus, als wichtigster Zeuge dieser Textform, neu ediert werden. Auch wenn im Haupttext des Psalters gegenüber der Edition von Rahlfs mit nicht allzuvielen Änderungen zu rechnen ist, wird doch die umfassende Dokumentation der Textüberlieferung für die künftige Beschäftigung mit dem LXX-Psalter und seiner Wirkungsgeschichte von unschätzbarem Wert sein. 352

6. Perspektiven der Forschung

4.1 Psalmoi / Das Buch der Psalmen

6.3 Ein weithin unerforschtes Gebiet ist der Einfluss des LXX-Psalters auf die christliche Literatur der ersten Jahrhunderte, gerade wenn diese Interpretation nicht in erster Linie durch das Neue Testament vermittelt ist. Hier stellt sich vor allem die Frage, inwieweit die spezifischen Aussagen des LXX-Psalters die christliche Wirkungsgeschichte des Psalters über Jahrhunderte geprägt und wiederum zu neuen theologischen Überlegungen geführt haben (z. B. veranlasst die LXX-Variante ἐν μέσῳ σκιᾶς θανάτου [Ps 22,4] die Ausleger zu Reflexionen über den Beistand, den Gott seinen Getreuen im Tod gewährt, sowie über das Leben post mortem). Dabei ist nicht zu vergessen, dass der SeptuagintaPsalter, vermittelt durch das lateinische »Psalterium Gallicanum« (= »Psalterium iuxta LXX«), einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Theologie und Spiritualität der westlichen Kirche ausgeübt hat. Auf diesem Gebiet eröffnet sich der Forschung noch ein weites Feld, das erst wenig bearbeitet ist.

6. Perspektiven der Forschung

353

4.2 Odai / Das Buch der Oden Ioan Chirilă / Siegfried Kreuzer

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 19053 — RaHa 1935 / 2006 — Rahlfs, A., Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum X, Göttingen 1931 = 19793.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Băltăceanu, F. / Bechet, F. / Costa, I. / Gaşpar, C. / Munteanu, E. / Pătrulescu, I., Odai, in: C. Bădilit, ă / F. Băltăceanu / M. Broşteanu / I. F. Florescu, Septuaginta [Übersetzung ins Rumänische], 7 Bände, Bukarest 2004-2008 — Pietersma, A, Prayer of Manasses (Rahlfs Ode 12), NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 620 — Engel, H. / Lattke, M., Odai / Das Buch der Oden, LXX.D, Stuttgart 20102, 899-914 — Engel, H. / Lattke, M., Odai / Cantica / Das Buch der Oden, LXX.E, Stuttgart 2011, 1886-1899.

1.3 Weitere Literatur 1.3.1 Zu den Oden insgesamt Brueggeman, W., Great Prayers of the Old Testament, Louisville/KY 2008 — Cabrol, F., Cantiques, Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie (DACL) 2, Paris 1909, 1975-1994 — Davila, J. R., Is the Prayer of Manasseh a Jewish Work?, in: L. Lidonnici / A. Lieber (Hg.), Heavenly Tablets: Interpretation, Identity and Tradition in Ancient Judaism, JSJ.S 119, Leiden 2007, 75-85 — DeLange, N. R. M., Apocrypha: Jewish Literature of the Hellenistic Age, New York 1978 — Elbogen, I., Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1913 — Engelbregt, J. H. A., Cantica, LCI 1, Freiburg i. Br. 1968, 347-348 — Felmy, K. C., Ode III. Orthodoxer Gottesdienst, RGG4 6, Tübingen 2003, 456 — Halmo, J., Cantica, RGG4 2, Tübingen 1999, 56–57 — Harl, M., Voix de Louange. Les antiques bibliques dans la liturgie chrétienne; avec la collaboration de B. Meynadier et A. Pietrobelli, Paris 2014 — Jenny, M., Cantica, TRE 7, Berlin 1981, 624-628 — Margulis, B., The Psalm of Habakkuk: A Reconstruction and Interpretation, ZAW 82 (1970), 409-442 — Mearns, J., The Canticles of the Christian Church Eastern and Western in Early and Medieval Times, Cambridge 1914 — Munteanu, E., Introducere la Ode, in: C. Bădilit, ă / F. Băltăceanu / M. Broşteanu / I. F. Florescu, Septuaginta [Übersetzung der Septuaginta ins Rumänische] 4/I. Ps, Oden, Spr, Koh, Hld, Bukarest 2006, 351-355 — Nickelsburg, G. W. E., Jewish Literature Between the Bible and the Mishnah: A Historical and Literary Introduction, Philadelphia/PA 1981 — Pacik, R., Canticum, LThK3 2, Freiburg i. Br. 1994, 928929 Schneider, H., Die biblischen Oden im christlichen Altertum, Biblica 30 (1949), 28-65 — Schneider, H., Die biblischen Oden seit dem 6. Jh., Biblica 30 (1949), 239-272 — Schneider, H., Die biblischen Oden in Jerusalem und Konstantinopel, Biblica 30 (1949), 433-452 — Schneider, H., Die biblischen Oden im Mittelalter, Biblica 30 (1949), 479-500.

354

1. Literatur

4.2 Odai / Das Buch der Oden

1.3.2 Zu einzelnen Oden Zu Ode 7 (Der Hymnus des Azaria) und Ode 8 (Das Lied der drei Männer im Feuerofen) Bennett, W. H., The Prayer of Azariah and the Song of the Three Children, in: R. H. Charles (Hg.), Apocrypha of the Old Testament, I, Oxford 1913, 625-631 — Koch, K., Daniel-Zusätze, RGG4 2, Tübingen 1999, 560 — Kulczak-Rudiger, F. M. / Terbuyken, P. / Perkams, M. / Brakmann, H., Jünglinge im Feuerofen, RAC 19, Stuttgart 1999, 346-388 — Plöger, O., Zusätze zu Daniel, JSHRZ 1/1, Gütersloh 1973, 63-87.

Zu Ode 9 (Magnificat und Benedictus) Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas I, EKK 3/1, Neukirchen-Vluyn 1989, 78-112 — Eham, M., Magnificat II. Liturgisch und kirchenmusikalisch, RGG4 5, Tübingen 2002, 680-681 — Heininger, B., Benedictus I. Neues Testament, Tübingen RGG4 1, 1998, 1290 — Heininger, B., Magnificat I. Neues Testament, RGG4 5, Tübingen 2002, 679-680 — Kaut, T., Benedictus. I. Im Neuen Testament, LThK3 2, Freiburg i. Br. 1994, 198 — Kaut, T., Magnificat. I. Neutestamentlich, LThK3 6, 1997, 1191-1192 — Mittmann-Richert, U., Magnifikat und Benediktus: Die ältesten Zeugnisse der judenchristlichen Tradition von der Geburt des Messias, WUNT 2/90, Tübingen 1996, 194-222 — Wolter, M., Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 95-118.

Zu Ode 12 (Das Gebet des Manasse) Ryle, H. E., Prayer of Manasses, in: R. H. Charles (Hg.), Apocrypha of the Old Testament, I, Oxford 1913, 612-624 — Charlesworth, J. H., Prayer of Manasseh, in: ders. (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha II, Garden City/NY 1985, 625–637 — Knittel, T., Gebet Manasses, Wibilex (www.wibilex.de) 2007 — Leicht, R., Manasse-Gebet, RGG4 5, Tübingen 2002, 724-725 — Osswald, E., Das Gebet Manasses, JSHRZ 4/1, Gütersloh 1974, 15-27 — Schneider, H., Der Vulgata-Text der Oratio Manasse — eine Rezension des Robertus Stephanus, BZ NF 4 (1960), 277-282 — Schniedewind, W. M., A Qumran Fragment of the Ancient »Prayer of Manasseh«? ZAW 108 (1996), 105-107 — Volz, H., Zur Überlieferung des Gebetes Manasse, ZKG 70 (1959), 293-307.

Zu Ode 13 (Nunc dimittis; Lk 2,29-32) Bovon, F., Das Evangelium nach Lukas I, EKK 3/1, Neukirchen-Vluyn 1989, 143-146 — MaasEwerd, T., Nunc dimittis, LThK3 7, Freiburg i. Br. 1998, 947 — Ruff, A. W., Nunc dimittis, RGG4 6, Tübingen 2003, 434-435 — Wolter, M., Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 133145.

Zu Ode 14 (Gloria in excelsis deo) Blume, C., Der Engelhymnus Gloria in excelsis Deo. Sein Ursprung und seine Entwicklung, Stimmen aus Maria Laach 73 (1907), 43-62 — Capelle, B., Le texte du »Gloria in excelsis«, RHE 44 (1949), 439-457 — Flynn, W., Gloria, RGG4 3, Tübingen 2000, 288-289 — Gerhards, A. / Lurz, F., Gloria in excelsis Deo, LThK3 4, Freiburg i. Br. 1995, 751-752 — Kranemann, B., Gloria, Lexikon der Antiken Christlichen Literatur (LACL) 3, Freiburg i. Br. 2002, 288-289 — Lebreton, J., La forme primitive du Gloria in excelsis: Prière au Christ ou prière à Dieu Père?, RSR 13(1923), 322-329 — Stapelmann, W., Der Hymnus angelicus. Geschichte und Erklärung des Gloria, Philologia sacra 1, Heidelberg 1948.

1. Literatur

355

4.2 Odai / Das Buch der Oden

2. Text und Editionen Oden (Ὠδαί, Canticum, Canticulum) ist eine Zusammenstellung von Liedern und Gebeten, die sich im Alten Testament außerhalb der Psalmen vor allem in den erzählenden Büchern finden und zu denen noch einige sonst nicht überlieferte Texte gehören. In den Ausgaben von Swete und Rahlfs besteht die Sammlung (im Anschluss an Codex Alexandrinus, aber in etwas abweichender Reihenfolge) aus 14 Texten. In der Reihenfolge von Rahlfs sind dies: 1 1) Das erste Lied von Mose / Das Lied nach der Rettung am Meer (Ex 15,1-19); 2) Das (zweite) Mose-Lied (Dtn 32,1-43); 3) Das Lied der Anna / Hannah (1Sam 2,2-10); 4) Das Lied des Ambakum (Hab 3,2-19); 5) Das Lied des Esaias / das Lied auf die Gerechtigkeit Gottes Jes 26,9-20; 6) Das Lied des Jona (Jona 2,3-10); 7) Der Hymnus des Azaria (DanTh 3,26-45); 8) Das Lied der drei Männer im Feuerofen (DanTh 3,52-88); 9) Magnificat und Benedictus (Lk 1,46-55.68-79); 10) Das Weinberglied (Jes 5,1-9); 11) Das Lied des Ezekias / Gebet Hiskijas (Jes 38,10-20); 12) Das Bußgebet des Manasse; 13) Nunc dimittis (Lk 2,29-32); 14) Gloria in excelsis deo. Die Oden sind nicht im Codex Vaticanus (4. Jh.) enthalten (in dem allerdings auch 1– 4Makk fehlen), 2 aber im Codex Alexandrinus (5. Jh.) sowie in vielen weiteren Handschriften wie dem Codex Turicensis (7. Jh.; enthält die Oden 3*. 7*. 10-13 und 14*) und Ms 55 (10. Jh.). In den (erhaltenen) syrischen und koptischen Handschriften sind die Oden nicht an die Psalmen angefügt, es gibt aber eine koptische Handschrift bereits aus dem 6. Jh., die nur die Oden enthält. In der zweisprachigen griechisch-lateinischen Psalterhandschrift R stehen die Oden (in der Reihenfolge 8.1.2.3.5.7.9 [nur V. 46-55, das Magnificat]) nach dem Psalterium Gallicanum, andererseits sind noch weitere biblische Texte (Klgl 5 und Jdt 16) sowie 21 Kirchenlieder hinzugefügt. 3 Die wechselnde Zahl der Oden lässt auf ihr allmähliches Wachsen, die unterschiedliche Reihenfolge auf unterschiedliche gottesdienstliche Traditionen in den verschiedenen Kirchengebieten schließen. 4 Durch die Editionen von Swete und Rahlfs (und im Anschluss an Codex Alexandrinus) sind die Oden heute auf die Zahl von 14 Texten festgelegt, wobei sie Rahlfs wie A und weitere antike und mittelalterliche Handschriften sowie antike Nachrichten nach den Psalmen einordnet.

1. 2.

3. 4.

Swete, folgt der anderen Reihenfolge von A, die vermutlich älter ist. Aus diesem Grund finden sich die Oden (so wie die Makkabäerbücher) in der Ausgabe von Swete, die dem Codex Vaticanus folgt, erst im Band 3, praktisch als Anhang, und sind dort nach dem Text des Codex Alexandrinus wiedergegeben. Engel / Lattke, Odai, LXX.D, 898. Für eine ausführliche Diskussion und eine eigene These zur Entwicklung siehe Harl, Voix.

356

2. Text und Editionen

4.2 Odai / Das Buch der Oden

In der inneren Anordnung folgte Rahlfs allerdings nicht A, sondern er nimmt zunächst jene 9 Oden, die in der griechischen Kirche den Psalmen hinzugefügt wurden; mit R setzte er dann das in A, T und 55 nicht enthaltene Weinberglied auf Platz 10, und mit Ms 55 das Gebet des Manasse auf Platz 12. 5 Die meisten neueren Übersetzungen der Septuaginta folgen der Einordnung und der Reihenfolge von Rahlfs; so LXX.D und die rumänische Übersetzung. Dagegen wird in NETS nur das Gebet des Manasse geboten, offensichtlich weil man sich auf die jüdischen Schriften beschränken und die an anderen Stellen bereits vorliegenden Texte nicht wiederholen wollte. 6 Der griechische Text der Oden ist weithin mit den Bezugstexten identisch. Es fällt aber doch auf, dass es in A durchaus einige, wenn auch kleine Unterschiede gibt, die innerhalb des Codex nicht ausgeglichen wurden.

3. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil. Bis auf wenige Ausnahmen wiederholen die Oden vorliegende biblische Texte. Insofern teilen sie das sprachliche, inhaltliche und theologische Profil der Primärtexte. Zumindest die Anfänge der Sammlung gehen wohl darauf zurück, dass man die in den erzählenden und prophetischen Büchern enthaltenen Psalmen und Gebete sammeln und dem Psalter an die Seite stellen wollte. Insofern haben die Oden als Sammlung gewissermaßen ein eigenes »kanonisches Profil«. Dazu würde auch passen, dass man sie in der Tradition mit Esra in Verbindung brachte, dem man seinerseits große Bedeutung für den Abschluss des Kanons zuschrieb. Zu diesem »kanonischen« Aspekt passt andererseits auch, dass diese Sammlung später eine wichtige Rolle im Gottesdienst zugeschrieben erhielt. Das Gebet des Manasse geht wohl auf das chronistische Manassebild zurück. Auf Grund seiner langen Regierungsdauer kann Manasse nicht nur böse gewesen sein. Die Chronik geht daher von einer Bekehrung des Manasse aus und spricht ausdrücklich von einem Gebet des Manasse und dessen Erhörung durch Gott (2Chr 33,13). Das Gebet des Manasse formuliert Gedanken, die diese Hinwendung bzw. Rückkehr zum Gott Israels zum Ausdruck bringen. Dabei wird der Gott Israels als der besonders barmherzige und gnädige, ja als der »herzensgute«, »wohlerbarmende« (εὔσπλαγχνος) Gott angesprochen. Durch die Einbeziehung der neutestamentlichen Texte erhielten die Oden ihren christlichen bzw. gesamtbiblischen Bezug. Ode 14 geht von Lk 2,14 aus, formuliert den Lobpreis Gottes unter Aufnahme zahlreicher alt- und neutestamentlicher Texte und

5. 6.

»Ordo odarum in mss. diuersus est; ego primo loco eas nouem Odas posui, quas ecclesia graeca Psalterio addit; sequuntur reliquae, quae in antiquis mss. inueniuntur.« RaHa II, 164. »Since the Odes as literary unit have no pre-Christian integrity and since, of the Old Testament odes, all but Prayer of Manasses appear in any case in their native setting, only the prayer of Manasses has been added. NETS therefore is based on the principle of the critical text, and as such also reaches where deemed possible beyond Rahlfs’ Psalmi cum Odis«, Pietersma, A., Translating the LXX Psalms, in: H. Ausloos / J. Cook (Hg.), Translating a translation, BEThL 213, Leuven 2008, 169-182. 3. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil.

357

4.2 Odai / Das Buch der Oden

Wendungen und kommt in V. 12-15 und deren Fortsetzung zu explizit trinitarischen Aussagen und Anrufungen. Die Überschrift von Ode 14 mit »Morgenhymnus« nennt als einzige nicht den Bezugstext bzw. die Person des Beters sondern den gottesdienstliche Ort des Gebrauchs dieser Ode.

4. Zeit und Ort der Abfassung Die Entstehung der Oden als Sammlung von Liedern und Gebeten ist noch unklar; da wir nur wenige schriftliche Zeugnisse zur Verfügung haben. Ein christlicher Verfasser des frühen 6. Jh.s, nämlich Verecundus (Bischof in Nordafrika, † 552) schrieb in seinem Commentarium super cantica ecclesiastica 1, 1, dass alle in der Bibel verstreuten Lieder / Gesänge vom Verfasser des Esra-Buches versammelt und an den Schluss der Psalmen gesetzt wurden. Diese Nachricht muss sich auf den vorchristlichen Teil der Oden beziehen und verknüpft also die Oden mit der Autorität des Esra, der das Gesetz brachte und proklamierte, und dessen Wirken nach frühjüdischem Verständnis die Zeit der Offenbarung abschloss. Diese Nachricht widerspricht dem Textbefund, sie könnte aber – wie einzelne weitere Beobachtungen – ein Indiz dafür sein, dass die Zusammenstellung der Oden als Sammlung der Psalmen und Gebete außerhalb des Psalters schon im Judentum begonnen wurde. 7 Offensichtlich wurden schon früh die in den kanonischen Schriften an verschiedenen Stellen eingebundenen Lieder und Gebete zusammengestellt und in den Gottesdiensten oder zu Studienzwecken und erbaulicher Lektüre verwendet. Eine gewisse Analogie könnten die Sammlung der Hodayot in Qumran und weitere extrakanonische Psalmen darstellen, 8 die jedenfalls das Bedürfnis nach weiteren Hymnen und Gebeten, 9 auch über die kanonischen Psalmen hinaus, bezeugen (I. Chirila). Über eine eventuelle jüdische Vorgeschichte der Oden und das wahrscheinliche sukzessive Wachstum der Sammlung lässt sich bisher kaum etwas sagen. Hinweise könnten sich aus der genaueren Vergleichung der Textgestalt und einer vielleicht möglichen Einordnung in die Überlieferungsgeschichte des Septuagintatextes ergeben. Die Existenz der Oden als Sammlung ist jedenfalls für das 3. Jh. durch Origenes und dessen Commentarium in Canticum canticorum belegt, 10, ebenso durch Niketas von Remesiana (ca. 335–414 in Remesiana, heutiges Serbien) in dessen De laude et

7. Vgl. Munteanu, E., Introducere la Cartea Odelor (Rum.) Einführung zu dem Oden- Buch (Übs. IC), in: C. Bădilit, ă / F. Băltăceanu / M. Broşteanu / I. F. Florescu, Septuaginta Band IV, 2006, 352; so auch Harl, Voix. 8. Neben den Hodayot (1QH), siehe 1Q35, 4Q427-432I. S., vgl. Cross, The Ancient Library of Q, 182-183. 9. Für einen analogen Bedarf dann im christlichen Bereich könnte man auf die Aufforderung in Eph 5,19 (λαλούντες ἑαυτοῖς ψαλμοῖς καὶ ὑμνοῖς και ᾠδαῖς πνευματικαῖς, »Lasst in euer Mitte Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder [Oden!] erklingen«) hinweisen. 10. Origenes (im 3. Jh.) hat auch die folgenden Lieder eingeschlossen: Ex 15, Num 21, Dtn 32, Ri 5, Jes 5, 1Sam 2, 2Sam 22, 1Chr 16, Das Lied der Morgenstunden.

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4. Zeit und Ort der Abfassung

4.2 Odai / Das Buch der Oden

utilitate canticorum 11. Im Codex Alexandrinus hat jede Ode eine Überschrift und am Ende wird im Kolophon die Gesamtzahl von 14 Oden genannt. 12 Verecundus führt in seinem Commentariorum super Cantica ecclesiastica libri neun Oden an 13 und hat die oben erwähnte Nachricht über die angebliche Rolle des Esra bei der Sammlung der Cantica. Dass die Oden in B und S nicht enhalten sind, hat wenig Bedeutung für die Existenz und das Alter der Sammlung, weil, wie oben erwähnt, in B auch die Makkabäerbücher fehlen (S enthält 1Makk und 4Makk), sondern eher für den Gebrauch der Oden. Offensichtlich ist aber das Maß der gottesdienstlichen Verwendung der Oden in dieser Zeit so stark gestiegen, dass sie ab dem Codex Alexandrinus bzw. dem 5. Jh. in die biblischen Codices aufgenommen wurden. Für das Gebet des Manasse wird überwiegend eine jüdische Entstehung angenommen, und zwar in der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. Der Text ist wahrscheinlich von Haus aus in Griechisch verfasst. Ein dem Gebet ähnlicher Text aus Qumran hängt nicht damit zusammen (Schniedewind, Qumran?).

5. Wirkungsgeschichte Die Oden sind in sich selbst ein bedeutendes Stück der Wirkungsgeschichte der jeweiligen alt- und neutestamentlichen Texte. Durch die Aufnahme in die Oden und durch deren gottesdienstliche Verwendung wurden nicht nur die jeweiligen Texte ins Bewusstsein gerückt, sondern auch die damit verbundenen biblischen Erzählungen (Exodus, Hanna und Geburt Samuels, der Prophet Jesaja, die Geburt Jesu etc.). Mit der Verwendung im Gottesdienst zeigten die Oden einen wichtigen Bereich der Überlieferung zumindest bestimmter biblischer Traditionen. In der Ostkirche wurden die Oden unter dem Titel Lieder des Mose (vgl. die Überschriften von Ode 1 und 2 in A) gottesdienstlich verwendet, im Westen wurden die Oden in das Breviarum Romanum aufgenommen. Über die weitere Verwendung der Oden siehe vor allem die ausführliche Darstellung in den Beiträgen von Schneider, Die biblischen Oden, und Harl, Voix.

11. Niketas von Remesiana: Ex 15, Dtn 32, 1Sam 2, Jes 26, Hab 3, Jona 2, Klgl 5, Dan 3,57, Lk 1,46, vgl. Munteanu, Ode, 353. 12. Der Codex Alexandrinus hat folgende Oden mit folgenden Überschriften: Erstes Loblied des Mose (Ex 15,1-19), Zweites Loblied von Mose (Dtn 32,1-43), Gebet der Hanna (1Sam 2,2-10), Gebet Jesajas (Jes 26,9-20), Jonasgebet (Jona 2,3-10), Gebet des Habakuk (Hab 3,2-19), Hiskijas Gebet (Jes 38,10-20), Gebet des Königs Manases, Gebet des Hasarjas (Dan 3,26-45), Das Loblied der drei jungen Männer (Dan 3,52-88), Das Gebet Mariae / Gebet der Gottesmutter (Lk 1,46-55), Simeons Gebet (Lk 2,29-32), Gebet des Sacharja (Lk 1,68-79), Gebet der Morgenstunden. 13. Verecundus führt neun Lieder / Oden an: Ex, Dtn, Jer, Asarja, Hesekija, Hab, das Gebet des Königs Manasses, Jona, Deborah, vgl. Pitra, J. B., Spicilegium solesmense: complectens sanctorum patrum scriptorumque ecclesiasticorum anecdota hactenus opera, Bd. 4, Paris 1858, 1131. 5. Wirkungsgeschichte

359

4.2 Odai / Das Buch der Oden

6. Perspektiven der Forschung. Die Erforschung der Oden geschieht im Wesentlichen im Zusammenhang der Erforschung der betreffenden Primärtexte. Für das Gebet des Manasse ist weiterhin die Frage der Entstehung und frühen Überlieferung von Interesse. Für das gloria in excelsis deo bzw. den Morgenhymnus ist die dichte Aufnahme alttestamentlicher Sprache und die Entwicklung der trinitarischen Aussagen von Interesse. Eine detaillierte Erforschung der Textform und der Textgeschichte der einzelnen Oden, insbesondere im Verhältnis zum Text der Primärstellen, und die Einordnung der Lesarten in die Geschichte des Septuagintatextes könnte zu interessanten Erkenntnissen zur Entstehungsgeschichte der Oden aber auch zur Textgeschichte der Primärtexte führen.

360

6. Perspektiven der Forschung.

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos Felix Albrecht

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete OT III, (1894) 19124 — RaHa 1935/2006. Albrecht, F., Psalmi Salomonis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XII, 4, Göttingen (in Vorbereitung). Ryle, H. E. / James, M. R., ΨΑΛΜΟΙ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ. Psalms of the Pharisees, Commonly Called the Psalms of Solomon. The Text Newly Revised from all the Mss. Edited, With Introduction, English Translation, Notes, Appendix, And Indices, Cambridge 1891 — von Gebhardt, O., ΨΑΛΜΟΙ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ, Die Psalmen Salomos. Zum ersten Male mit Benutzung der Athoshandschriften und des Codex Casanatensis herausgegeben, TU 13,2, Leipzig 1895 — Harris, J. R., The Odes and Psalms of Solomon. Now First Published from the Syriac Version, Cambridge 1909 (19112) — Harris, J. R. / Mingana, A., The Odes and Psalms of Solomon. Re-edited for the Governors of the John Rylands Library, Bd. 1, Manchester 1916, Bd. 2, Manchester 1920 — Baars, W., Psalms of Solomon, OTSy IV,6, Leiden 1972 — Wright, R. B., The Psalms of Solomon. A Critical Edition of the Greek Text (Jewish and Christian Texts in Contexts and Related Studies 1), New York u. a. 2007.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Holm-Nielsen, S., Die Psalmen Salomos, JSHRZ IV, Gütersloh 1977, 49-112 — Atkinson, K., Psalms of Salomon, NETS, Oxford / New York 2007, 763-776 — Scholtissek, K. / Steins, G., Psalmoi Salomontos. Die Psalmen Salomos, LXX.D, Stuttgart 20102, 915-931 — Steins, G., Psalmoi Salomontos. Die Psalmen Salomos, LXX.E II, Stuttgart 2011, 1900-1940 [Lit.]. Viteau, J., Les Psaumes de Salomon. Introduction, Texte grec et traduction, Avec les principales variantes de la version syriaque par F. Martin, Documents pour l’étude de la Bible I,4, Paris 1911 — Gray, G. B., The Psalms of Solomon, APOT 2, Oxford 1913, 625-652 — Wright, R. B., Psalms of Solomon (First Century B.C.). A New Translation and Introduction, in: J. H. Charlesworth (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha 2, New York u. a. 1985, 639-670.

1.3 Weitere Literatur Albrecht, F., Zur Notwendigkeit einer Neuedition der Psalmen Salomos, in: W. Kraus u. a. (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 110-123 — Atkinson, K., I Cried to the Lord. A Study of the Psalms of Solomon’s Historical Background and Social Setting, JSJ.S 84, Leiden u. a. 2004 — Begrich, J., Der Text der Psalmen Salomos, in: ZNW 38 (1939), 131164 — Bons, E. / Pouchelle, P. (Hg.), The Psalms of Solomon. Language, History, Theology, Society of Biblical Literature. Early Judaism and Its Literature 40, Atlanta/GA 2015 —Hann, R. R., The Manuscript History of the Psalms of Solomon, SCSt 13, Chico/CA 1982 — Kuhn, K. G., Die älteste Textgestalt der Psalmen Salomos insbesondere auf Grund der syrischen Übersetzung neu untersucht, Stuttgart 1937 — Schreiber, S., Gesalbter und König, BZNW 105, Berlin 2000, 161-190 — Schröter, J., Gerechtigkeit und Barmherzigkeit: Das Gottesbild der Psalmen Salomos in sei1. Literatur

361

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

nem Verhältnis zu Qumran und Paulus, NTS 44 (1998), 557-577 — Schüpphaus, J., Die Psalmen Salomos. Ein Zeugnis Jerusalemer Theologie und Frömmigkeit in der Mitte des vorchristlichen Jahrhunderts, ALGHJ 7, Leiden 1977 — Trafton, J. L., The Syriac Version of the Psalms of Solomon. A Critical Evaluation, SCSt 11, Atlanta/GA 1985 — Wellhausen, J., Die Pharisäer und die Sadducäer. Eine Untersuchung zur inneren jüdischen Geschichte, Greifswald 1874 — Zahn, Th., Geschichte des Neutestamentlichen Kanons, Bd. II,1, Erlangen u. a. 1890.

2. Textüberlieferung und Editionen Bei den Psalmen Salomos (PsSal) handelt es sich nach gängiger Meinung um eine Sammlung von 18 ursprünglich hebräischen Psalmen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, die unter dem Namen König Salomos im Kontext der Septuaginta überliefert sind. Das vermutete hebräische Original ist verloren, erhalten sind die griechische und die syrische Übersetzung. Elf griechische Minuskel-Handschriften überliefern die PsSal, und zwar mehrheitlich im Rahmen der Weisheitsbücher der Septuaginta. 1 Die Libri sapientiales ergeben im Hauptstrom der Überlieferung ein Hexasophion aus den Protocanonica Spr, Koh, Hld, Ijob und den Deuterocanonica Weish, Sir, innerhalb dessen Spr, Koh, Hld einen erratischen Block der von alters her König Salomo zugeschriebenen Schriften bilden. 2 Die Stellung der übrigen Bücher variiert, wobei Weish und Sir ebenfalls eine feste Einheit darstellen, die lediglich in einem Nebenarm der Überlieferung durch die PsSal aufgespalten wird: Handschriften 253; 260 [= 149], 471, 606. Eine Ausnahme bildet Handschrift 336, in der die PsSal auf Sir folgen. In einem Substratum der Überlieferung ist die Schrift ferner der Ps-Oden-Gruppe zugeordnet (Handschriften 629, 769). Aus der Reihe fallen die drei spätesten Textzeugen aus dem 16. Jh. (Handschriften 655, 659, 3004), welche die PsSal aus ihrem ursprünglichen Überlieferungskontext herausgelöst in Sammelhandschriften separat überliefern. Handschriften 655 und 659 sind dabei direkt von 253 abhängig 3 und daher – ebenso wie 149 als Apograph von 260 sowie 471, 606 und 3004 als Tochterhandschriften von 260 4 – auszuschalten. Somit sind lediglich die bereits von O. von Gebhardt verwendeten Handschriften für die Textkonstitution der griechischen Überlieferung von Belang. Nach Rahlfs’scher Nomenklatur handelt es sich um: 253 Cod. Vaticanus gr. 336, Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, 11./12. Jh.

1.

2. 3.

4.

Nach Rahlfs’schem Sigelsystem sind dies: Hss. 149; 253; 260; 336; 471; 606; 629; 655; 659; 769; 3004. – Hs. 3004 enthält lediglich PsSal 17,2b–18,14. – Hs. 253 (655, 659) führt die PsSal unter dem Titel Σοφία Σολομῶντος. Zur Einheit von Spr, Koh, Hld vgl. nur Origenes (in der Übers. Rufins) im Prolog seines HldKommentars (CPG 1433; ed. GCS 33, S. 61-241, hier S. 75-79 vgl. S. 83-86). Hanns Vermutung einer Unzialvorlage für 655 und 659 beruht auf falscher Lesung von PsSal 1,4a; 14,5b. Vgl. Hann, Manuscript History, 60-63. Hanns Arbeit stützt sich dem Vorwort zufolge auf die Kollationen R. B. Wrights, die allerdings fehlerhaft sind. Von Gebhardt, Psalmen Salomos, 25: »Für die Überlieferung des Textes kommt also nur H [sc. 260] als Zeuge in Betracht. Die Lesarten der drei übrigen Hss. [sc. 149, 471, 606] haben im günstigsten Falle den Werth von Emendationen«.

362

2. Textüberlieferung und Editionen

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

260

Cod. Hauniensis Gamle Kongelige Samling 6, Kopenhagen, Kongelige Bibliotek, 10./11. Jh. 336 Cod. Athous Iberon 555, Mönchsrepublik Athos, Kloster Iberon, 14. Jh. 629 Cod. Casanatensis 1908, Rom, Biblioteca Casanatense, 13. Jh. 769 Cod. Benaki Museum 5, Athen, Library of the Benaki Museum, olim Cod. Athous Laura Θ 70, 11. Jh. In syrischer Übersetzung sind die PsSal unvollständig in fünf Handschriften überliefert. Drei dieser Textzeugen sind stärker fragmentiert (S, 14k1, 16g7). In den übrigen beiden Handschriften werden die PsSal im Anschluss an die OdSal überliefert (10h1, 16h1 [»H«]). Der syrische Überlieferungskontext ist demnach ein anderer als der griechische. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Handschriften: S Cod. British Museum Add. 17134, London, British Libr., 7. Jh., Randnote, PsSal 3,1-6 10h1 Cod. British Museum Add. 14538, London, British Libr., 10. Jh., PsSal 1,1–3,5; 10,2–18,7a 14k1 Cod. Cambridge University Libr. Add. 2012, 14. Jh., PsSal 16,6-13 16g7 Cod. Mingana syr. 331, Woodbrooke, Selly Oak Colleges Libr., 16. Jh., PsSal 16,6-13 16h1 [»H«] Cod. Rylands syr. 9, Manchester, John Rylands Libr., 15./16. Jh., PsSal 1,1–17,38 Das Verhältnis von syrischer und griechischer Übersetzung ist bislang unzureichend geklärt. J. R. Harris zog den Schluss, die syrische Übersetzung basiere auf einem griechischen Text. 5 S. Holm-Nielsen nimmt eine gelegentliche Konsultation des Hebräischen bei der Übersetzung vom Griechischen ins Syrische an. 6 Anders argumentierte K. G. Kuhn, der die syrische Version für eine direkte Übersetzung aus dem Hebräischen hielt. 7 Letzteres vertritt J. L. Trafton in einer leicht modifizierten Variante, indem er die zusätzliche Benutzung des Griechischen durch den syrischen Übersetzer nicht kategorisch ausschließt. 8 Auffallend ist die deutliche Nähe der syrischen Überlieferung zu Handschrift 253. 9 Laut J. R. Harris und A. Mingana ist die syrische Übersetzung in den Zeitraum 400–700 n. Chr. einzuordnen. 10 Der transmissionsgeschichtliche Befund ergibt kein einheitliches Bild: (I) Den griechischen Handschriften zufolge gehören die PsSal im Anschluss an die Weish zu den deuterokanonischen Weisheitsbüchern der Septuaginta (Weish, Sir). Hierfür spricht der übereinstimmende Überlieferungskontext der Handschriften 253 und 260, die je unterschiedliche Arme der Textüberlieferung bilden. 11 5. 6. 7. 8.

Harris, Odes, 46. Vgl. ferner u. a. Begrich, Text, 144. Holm-Nielsen, Psalmen Salomos, 55. Kuhn, Textgestalt. Trafton, Version, 217 f. Leider stützt sich Trafton auf Hanns fehlerhaftes Stemma (s. o. Anm. 3); zudem stimmt – misslicherweise – Traftons eigenes Stemma nicht mit seiner Beschreibung der handschriftlichen Filiation überein (264). 9. Begrich, Text, bes. 153 f.; Trafton, Version, 257-262. 10. Harris / Mingana, Odes, Bd. 2, 106 f. 11. Vgl. das Stemma bei von Gebhardt, Psalmen Salomos, 90. Auch O. von Gebhardt ordnet die PsSal nach dem Zeugnis der griech. Überlieferung zwischen Weish u. Sir ein (S. 71 f.) und meint, dass diese Stellung erst nach dem 5. Jh. (Codex Alexandrinus) zustande kam, da ansonsten das Zeugnis des Codex Alexandrinus »vollends räthselhaft« sei. 2. Textüberlieferung und Editionen

363

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

(II) Die Kanonverzeichnisse hingegen bezeugen eine unspezifische Einordnung der PsSal: (1) Zum einen werden die PsSal ohne festen Ort unter den Apokryphen (ἀπόκρυφα) genannt. Dies belegen einerseits der Index des Cod. Alexandrinus, f. 4r (5. Jh.), der andeutet, dass die PsSal ursprünglich Bestandteil desselben und somit im Alexandria des 5. Jh.s bekannt waren 12, und andererseits der Katalog der 60 Bücher im Anhang an die Quaestiones et responsiones des Anastasius Sinaita (7. Jh.). 13 (2) Zum anderen werden die PsSal unter den Antilegomena (ἀντιλεγόμενα) — unter den Schriften, denen nach kirchlicher Lehrauffassung »widersprochen« wird — im Zusammenhang der OdSal überliefert. In Analogie zu den kanonischen Psalmen und Oden der Septuaginta entstand so die Gruppe der Psalmen und Oden Salomos. Zwar besitzen wir keine entsprechenden griechischen Textzeugen, doch kennen neben der syrischen Überlieferung zwei griechische Kanonverzeichnisse, nämlich die Synopse der Heiligen Schriften des Ps.-Athanasius (6. Jh.) 14 und die Stichometrie des Nicephorus (9. Jh.) 15, die Verbindung von PsSal und OdSal. Handschrift 260 [= 149] enthält in der subscriptio die Stichenangabe ἔχουσιν ἔπη α’ (= χίλιοι, 1000), die mit dem Umfang dieser Handschrift nicht übereinstimmt, da sie eine höhere Anzahl an Stichen als in der Handschrift wirklich enthalten angibt. Sollte diese Stichenangabe richtig sein, hieße dies, dass die PsSal in ihrem heutigen Zustand unvollständig sind. 16 Die griechische Version wurde erstmals 1626 von J. L. de la Cerda veröffentlicht. 17 Es folgten Neueditionen durch A. Hilgenfeld, O. F. Fritzsche, E. E. Geiger, H. E. Ryle und M. R. James, H. B. Swete sowie O. von Gebhardt, dessen Edition der SeptuagintaHandausgabe von A. Rahlfs zugrunde gelegt wurde. 2007 legte R. B. Wright eine Neuedition vor, die gegenüber O. von Gebhardt keinerlei Fortschritt erzielt und zudem gravierende Fehler aufweist. 18 Die syrische Version wurde 1909 von J. R. Harris entdeckt und veröffentlicht (Handschrift »H« [16h1]). 19 In den darauffolgenden Jahren wurden neue Handschriften von W. E. Barnes (14k1), E. W. Brooks (S), F. C. Burkitt (10h1) und W. Baars (16g7) entdeckt. Eine Neuedition, ohne Berücksichtigung von S, legte W. Baars 1972 im Rahmen der Leidener Peshitta-Ausgabe vor (OTSy IV,6). 12. Zahn, Kanon, 288 f. (Nr. 18). Codex Alexandrinus gibt die Reihenfolge Apk, 1–2Clem, ὁμοῦ βιβλία, Ψαλμοὶ Σολομῶντος ιη’. 13. Zahn, Kanon, 289-293 (Nr. 19). Der Katalog der 60 Bücher listet die PsSal unter den Apokryphen des Alten und Neuen Testaments und gibt als Reihenfolge ApkMos, PsSal, ApkElia an. 14. Zahn, Kanon, 302-318 (Nr. 23); CPG 2249. Die Synopse der Heiligen Schriften des Ps.-Athanasius listet die PsSal unter den atl. Antilegomena: 1–4Makk, Ptolemäische Schriften (?), PsSalOdSal und Sus. 15. Zahn, Kanon, 295-301 (Nr. 22). Die Stichometrie des Nicephorus führt PsSal-OdSal unter den Antilegomena auf, und zwar als einziges Kanonverzeichnis im direkten Anschluss an die Weisheitsbücher der Septuaginta: Weish, Sir, PsSal-OdSal (2100 Verse, στίχοι βρ’). 16. Vgl. Ryle / James, Psalms of the Pharisees, XXVI. 17. J. L. de la Cerda, Adversaria sacra […], Lyon 1626. 18. Vgl. Albrecht, Notwendigkeit. 19. J. R. Harris, An Early Christian Hymn-Book, in: Contemporary Review 95 (1909), 420 f. Die editio princeps folgte im selben Jahr: Harris, Odes. Eine Neuedition unter Berücksichtigung der neuen Hss.-Funde erschien in Zusammenarbeit mit Alphonse Mingana: Harris / Mingana, Odes.

364

2. Textüberlieferung und Editionen

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Abfassung 3.1 Übersetzungstechnik Die griechische Version der PsSal ist dem Forschungskonsens zufolge eine sehr wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen. 20 Häufig ist sie parataktisch konstruiert und überwiegend im parallelismus membrorum gestaltet. Das semitische Kolorit ist durchweg unverkennbar, was Formulierungen wie ἠκούσθη […] ἐνώπιόν μου für »ich hörte« (PsSal 1,2) oder ἐβεβήλωσαν […] ἐν βεβηλώσει (»durch Entweihung entweihten sie«, PsSal 1,8; vgl. 9,10) zeigen. Das letztgenannte Beispiel deutet ein weiteres Charakteristikum der PsSal an, nämlich die häufige Verwendung der Präposition ἐν (hebr. ‫)ב‬, vornehmlich am Ende einer Phrase: ἐξύβρισαν ἐν τοῖς ἀγαθοῖς (»sie wurden übermütig im Wohlstand«, PsSal 1,6), ἐν ἀποκρύφοις (»im Verborgenen«, PsSal 1,7), oder auch in Verbindung mit dem substantivierten Infinitiv: ἐν τῷ θλίβεσθαί με (»in meiner Bedrängnis«, PsSal 1,1a), ἐν τῷ ἐπιθέσθαι (»beim Angriff«, PsSal 1,1b). 21 Mit dem hebräischen Verbalsystem scheint der Übersetzer insgesamt wenig vertraut gewesen zu sein, denn mitunter begegnet uns eine falsche Wiedergabe des hebräischen Impf. cons.; beispielsweise in PsSal 2,10: γνώσεται (Fut.) anstelle eines zu erwartenden ἔγνω (Aor.); 2,18: θαυμάσει (Fut.) anstelle von ἐθαύμασεν (Aor.); 3,8: ταπεινώσει (Fut.) anstelle von ἐταπείνωσεν (Aor.). Gelegentlich, etwa in PsSal 13,1, ist eine Verwechslung der hebräischen Personalsuffixe anzunehmen. Möglicherweise war bereits die hebräische Vorlage fehlerhaft. Jedenfalls ist das Griechische an zahlreichen Stellen dunkel, was die Konjekturalkritik beförderte. 22 O. von Gebhardt etwa konjiziert an über 20 Stellen. Der Wortschatz ist mit rund 750 Wörtern verhältnismäßig klein. 23 Sprachlich orientieren sich die PsSal im Wesentlichen am kanonischen Psalter. Für die Theologie der PsSal grundlegende Begriffe wie ἔλεος (Barmherzigkeit) 24 oder χρηστότης (Güte) 25 entstammen der Sprache des kanonischen Psalters. 26 Darüber hinaus besteht eine Abhängigkeit von den Propheten, insbesondere vom Jesajabuch. In der Beschreibung der Gesetzesübertretung ist eine terminologische Nähe zu 4Makk unverkennbar. 27 20. Den ausführlichen Nachweis einer hebräischen Vorlage führt Viteau, Psaumes, 105-125. Demgegenüber stellt Joosten, J., Reflections on the Original Language of the Psalms of Solomon, in: Bons / Pouchelle, Psalms, 31-47, den Forschungskonsens neuerlich infrage. 21. Ganze 283mal begegnet uns die Präposition ἐν innerhalb der PsSal. Zu diesem Charakteristikum vgl. Viteau, Psaumes, 118 f. 22. Vgl. hierzu schon Wellhausen, Pharisäer, 131-138. 23. Viteau, Psaumes, 126, Anm. 2. 24. Das Substantiv »Barmherzigkeit« (ἔλεος) begegnet uns in der LXX 334mal, davon allein 125mal im Psalter und 25mal in den PsSal. 25. Das Substantiv »Güte« (χρηστότης) begegnet uns in der LXX 26mal und dabei, abgesehen von den PsSal (7mal), fast ausschließlich im Psalter (15mal; LXX Ps 20,4; 24,7; 30,20 passim). Ausnahmen sind nur 1Esdr 5,58; Est 16,3.10; Oden 12,11. 26. Sprachmotivliche Nähe zu den PsSal weisen ferner bes. LXX Ps 102; 117 f.; 135 auf. 27. Das Substantiv παρανομία (»Gesetzwidrigkeit«; PsSal 4,1.12; 8,9; 17,20) begegnet uns abgesehen von Ps 36,7 ausschließlich in 4Makk (2,11; 4,19; 5,13; 9,3) u. Spr (5,22; 10,26). Das Motiv der Gesetzwidrigkeit bestimmt insbesondere PsSal 4 und 12. Weitergehende Gemeinsamkeiten 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Abfassung

365

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

Bereits 80 n. Chr. dürfte eine griechische Übersetzung vorgelegen haben, da sich das Baruchbuch auf die PsSal bezieht (s. u. zur Wirkungsgeschichte).

3.2 Zeit und Ort der Abfassung Die PsSal sind über einen längeren Zeitraum entstanden. Anhaltspunkte für eine Datierung bieten insbesondere PsSal 2; 8 und 17,7.11-14. Diese spielen auf die Eroberung Jerusalems durch Pompeius im Jahr 63 v. Chr. an: 28 »Und du, Gott, wirst sie niederwerfen und ihren Samen von der Erde wegnehmen, indem sich gegen sie ein Mensch erhebt, der unserem Geschlecht fremd ist« (PsSal 17,7). Zudem deutet PsSal 17 die Deportation Aristobuls II. nach Rom an: »er sandte sie fort bis zum Westen« (PsSal 17,12 vgl. PsSal 2,6; 8,21). 29 Da jedoch die Schändung des Jerusalemer Tempels im Jahr 63 v. Chr. durch Pompeius nicht erwähnt wird 30, ist es wahrscheinlich, zumindest für PsSal 8 und 17 eine Datierung kurz vor diesem Ereignis anzunehmen. Anders verhält es sich mit PsSal 2, der sich als direkter Reflex auf den Tod des Pompeius in Ägypten, am 28. September 48 v. Chr., erklärt: »durchbohrt auf den Bergen Ägyptens, geringer geschätzt als der Geringste zu Wasser und zu Land; sein Körper trieb auf den Wellen in großer Schande, und es gab niemanden, der ihn begrub« (PsSal 2,26 f.). Dieser ›Bericht‹ stimmt im Wesentlichen mit der von Plutarch in seinen Vitae parallelae gebotenen Schilderung überein: τοῦ δὲ Πομπηΐου τὴν μὲν κεφαλὴν ἀποτέμνουσι, τὸ δὲ ἄλλο σῶμα γυμνὸν ἐκβαλόντες ἀπὸ τῆς ἁλιάδος (»Und den Kopf des Pompeius schnitten sie ab, den restlichen Körper aber warfen sie nackt aus dem Boot«, Plut, Pomp 80,1). 31 Da die antiken Quellen einhellig vom Tod des Pompeius auf dem Nil berichten, dürfte die Angabe ἐπὶ τῶν ὀρέων Αἰγύπτου (»auf den Bergen Ägyptens«) entweder auf abweichender Überlieferung oder Verschreibung beruhen. 32 Ein Teil der PsSal ist sodann vermutlich vor den Ereignissen des Jahres 63 v. Chr. entstanden (PsSal 4; 7; 12 f.; 15). 33 Insgesamt ergibt sich demnach für die PsSal eine Datierung in das erste vorchristliche Jahrhundert. Als Entstehungsort ist Jerusalem anzunehmen. Dies ergibt sich aus dem durchweg

28. 29.

30.

31. 32.

33.

zwischen 4Makk u. PsSal lassen sich nicht erkennen; der für 4Makk zentrale Begriff der εὐσέβεια (»Frömmigkeit«) etwa spielt in PsSal keine Rolle. Vgl. Ios, Ant 14,54-79; BellIud 1,141-158; Dio Cassius 37,15,2-16,4. Ios, Ant 14,79: Πομπήιος […] ἐπὶ Κιλικίας ᾤχετο ἐπειγόμενος εἰς Ῥώμην. ἐπήγετο δὲ μετὰ τῆς γενεᾶς καὶ Ἀριστόβουλον δεδεμένον (»Pompeius […] ging nach Kilikien, um nach Rom zu eilen. Den Aristobul aber und dessen Sippschaft nahm er gefangen mit«); vgl. BellIud 1,157 f.; Dio Cassius 37,16,4. Ios, Ant 14,71-73; vgl. ebd. 14,71 f.: παρηνομήθη δὲ οὐ σμικρὰ περὶ τὸν ναὸν ἄβατόν τε ὄντα ἐν τῷ πρὶν χρόνῳ καὶ ἀόρατον (»der Tempel aber, der bislang unzugänglich und unsichtbar war, wurde schwer geschändet«); vgl. BellIud 1,152 f. Vgl. Caesar, BellCiv 3,104; Dio Cassius 42,4,4; Appian, BellCiv 2,12,85 f. Die Reminiszenz einer abweichenden Überlieferung könnte in der Angabe bei Dio Cassius 42,5,5 liegen, Pompeius sei in Ägypten »nahe dem Berg Kasios« (πρός τε τῷ Κασίῳ ὄρει) ermordet worden. Darüber hinaus wäre eine hebr. Verschreibung von ‫ ָה ֵרי‬und ‫ ַנֲה ֵרי‬denkbar (Hinweis S. Kreuzer). Atkinson, Lord, 127 nimmt eine Entstehung dieser Psalmen im Zeitraum 67–63 v. Chr. an. Der überwiegende Teil der PsSal erlaubt keine sichere Datierung (PsSal 1; 3–6; 9–11; 16; 18), vgl. ebd. S. 209.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Abfassung

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

deutlichen Bezug der PsSal auf Jerusalem: 34 Das personifizierte Jerusalem spricht (PsSal 1) und wird angesprochen (PsSal 11). Auch ist die Stadt Sitz des großen Synedriums, auf das PsSal 4 Bezug nimmt. Als Sitz im Leben der PsSal wäre eine Verwendung im Gottesdienst der Gemeinde denkbar. Hierfür sprechen nicht nur die Aufforderungen zu Dank, Preis und Anrufung Gottes, sondern auch der aus dem kanonischen Psalter bekannte liturgische Begriff des »Zwischenspiels« (διάψαλμα) in PsSal 17,29 und 18,9. Möglicherweise bildeten die »Synagogen der Frommen« (συναγωγαὶ ὁσίων, PsSal 17,16) dabei den Ort des liturgischen Vollzugs (vgl. PsSal 10,6 f.; 17,43 f.). Der bisweilen paränetische Charakter könnte ferner darauf hindeuten, dass die PsSal auch in der religiösen Erziehung Verwendung fanden.

4. Inhaltliches und theologisches Profil Die Klage Jerusalems über ihre sündhaften Kinder eröffnet das Buch (PsSal 1). Grob lassen sich individuelle (1–3; 6; 12; 15–16) und kollektive Psalmen (4; 7; 9–11; 13–14; 17– 18,9) unterscheiden, wobei eine strikte Trennung nicht möglich ist (5; 8; vgl. 2,24; 13,1). 35 PsSal 18,10-12 bildet den, vermutlich sekundären, hymnischen Abschluss der Sammlung. Die Zuschreibung der Schrift an Salomo ist literarische Fiktion und entspricht der im hellenistischen Zeitalter zu beobachtenden Entfaltung pseudo-salomonischer Literatur, die sich beispielhaft an 1Kön 5,12 ablesen lässt: Während der Masoretische Text von 1005 Liedern Salomos spricht, ›vermehrt‹ die Septuaginta die Zahl derselben auf 5000. 36 Salomo selbst wird in den PsSal, abgesehen von den Überschriften der einzelnen Psalmen, nirgends explizit erwähnt. Allerdings erinnert die Vorstellung des messianischen Davidssohnes als gerechter Richter (PsSal 17 f.) an Grundzüge der kanonischen Salomogestalt; man denke nur an das »Salomonische Urteil« (1Kön 3,16-28). Julius Wellhausen wollte in den PsSal den innerjüdischen Gegensatz einer pharisäischen und einer sadduzäischen Grundhaltung erkennen und prägte durch seine Einordnung der Schrift als »pharisäisch« die weitere Diskussion in entscheidendem Maße. 37 In der Tat zeichnet sich in den PsSal eine anti-hasmonäische und damit einhergehend anti-sadduzäische Haltung ab. 38 Die PsSal begrüßen den Untergang der 34. Allein 20mal wird Jerusalem wörtlich erwähnt. Vgl. bes. PsSal 2; 8; 11; 17. 35. PsSal 5 trifft individuelle (V. 1-4.8-18) und kollektive Aussagen (V. 5-7.19); PsSal 8 ist deutlich zweigeteilt in einen individuellen (V. 1-24) und einen kollektiven Teil (V. 25-34). 36. Bezeichnend für die gesteigerte Bedeutung Salomos in hellenistischer Zeit ist Aristobuls Lob des Salomo im Vergleich zu den Exponenten der peripatetischen Schule: σαφέστερον δὲ καὶ κάλλιον τῶν ἡμετέρων προγόνων τις εἶπε Σολομῶν (»klarer und schöner aber sprach Salomo, einer unserer Vorfahren«). So das Aristobulzitat des Euseb, PraepEv 13,12,10 f. im Rahmen einer Auslegung zu Spr 8,22 ff. – Eus, PraepEv 13,9,2-16,9 = Aristobulus, Frgm. 5. Zu Eus, PraepEv 13,9-12 vgl. Clemens Alexandrinus, Strom 6,137,4-138,4 liberrime. Vgl. ferner die Betonung des salomonischen Ruhmes εἰς νήσους πόρρω (»bis zu fernen Inseln«) bei Jesus Sirach, Sir 47,13-23. 37. Wellhausen, Pharisäer, 112-120 u. 131-164. 38. Vornehmlich unter den Hasmonäern Alexander Jannäus (103–76 v. Chr.) und Aristobul II. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

367

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

hasmonäischen Dynastie infolge der Streitigkeiten zwischen Johannes Hyrkan II. und Aristobul II. als Ausdruck gerechter göttlicher Strafe (PsSal 8; 17,5-9). Besonders PsSal 4 lässt sich dabei als anti-sadduzäische Polemik verstehen: 39 »Warum sitzt du, Entweihter (βέβηλος), in der Versammlung der Frommen?« (PsSal 4,1). Den Vorwurf, hart zu urteilen (PsSal 4,2), macht auch Josephus den Sadduzäern im Unterschied zu den Pharisäern (Ios, Ant 13,294 u. bes. 20,199). Möglicherweise deutet sich eine solche gegen die Sadduzäer gerichtete Haltung bereits an der durchgängigen und für die Theologie der PsSal konstitutiven Unterscheidung zwischen den Gerechten (δίκαιοι), Frommen (ὅσιοι) und Gottesfürchtigen (οἱ φοβούμενοι κύριον) 40 einerseits und den Heiden (ἔθνη, bes. PsSal 17), Sündern (ἁμαρτωλοί, PsSal 1–4; 12–17) und Ungerechten (ἄδικοι) andererseits an. Die neuere Forschung distanziert sich von der Einordnung der PsSal als pharisäisch und spricht von der »Gemeinde der PsSal«, ohne eine Identifizierung mit einer der bekannten Gruppierungen des vorrabbinischen Judentums vorzunehmen. 41 Wesentlich für die PsSal ist die Theodizee-Problematik, die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leids der Frommen. 42 Die Antwort der PsSal ist dabei eindeutig: Gottes Gerechtigkeit steht außer Frage. Gott ist in Anlehnung an die Sprache des kanonischen Psalters ein Gott der Barmherzigkeit 43, der »am Tag der Barmherzigkeit« (ἐν ἡμέρᾳ ἐλέους, PsSal 14,9 vgl. 18,5.9) gerecht richten wird. Die Treue Gottes zu den Gerechten und Frommen ist unverbrüchlich und folgt dem Ge-

39. 40.

41.

42.

43.

(66–63 v. Chr.) fand die sadduzäische Partei Unterstützung. Deshalb kann eine anti-hasmonäische Haltung zugleich als anti-sadduzäische Haltung verstanden werden. So schon Wellhausen, Pharisäer, 145-147. Unter den »Gottesfürchtigen« sind pagane Anhänger des Judentums zu verstehen, ohne dass diese einer konkreten Gruppe zuzuordnen wären. Vgl. F. Siegert, Gottesfürchtige und Sympathisanten, JSJ 4 (1973), 109-164, 163: »Sie waren religiöse Anhänger des Judentums, aber nicht Glieder der Synagogengemeinden; sie zeigten ein gewisses jüdisches Ethos, lebten aber nicht nach Maßgabe des Gesetzes und der Traditionen«; vgl. B. Wander, Gottesfürchtige und Sympathisanten, WUNT 104, Tübingen 1998, bes. 80-86. Atkinson, Lord, bes. 220-222, spricht von der »community of the Psalms of Solomon« und charakterisiert diese als »unknown Jewish sectarian community that resided in Jerusalem«, ebd. 211. Vgl. den Forschungsüberblick bei R. B. Wright, Psalms of Solomon (2007), 8-11. – Aufschlussreich könnte die Frage nach dem Verhältnis der PsSal zu den Schlusspsalmen des kanonischen Psalters sein, in denen – ebenso wie in den PsSal – überproportional häufig von den »Frommen« (ὅσιοι) die Rede ist; vgl. Ps 144 (145MT),10.13.17; 148,14 und vor allem Ps 149,1.5.9. Insbesondere bei Ps 149, der von der ἐκκλησία ὁσίων spricht (V. 1), ist seit Theodoret wiederholt, und m. E. zu Recht, ein Bezug zur Makkabäerzeit hergestellt worden; vgl. Theodoret, In Ps 149,1 (PG 80,1992). Wie verhält sich demnach die Endredaktion des kanonischen Psalters zu den PsSal? Interessant ist überdies das Verhältnis zu Qumran: Der Zusammenhang zwischen den »Frommen« und »Gerechten« und der Messiaserwartung in 4Q521, der gleichermaßen für die PsSal bezeichnend ist, wirft weitere Fragen zur »Gemeinde der PsSal« auf. Bereits am Wortschatz lässt sich dieser Grundkonflikt als zentral für die PsSal ablesen. 79mal begegnen uns Derivate des Wortfeldes »Gerechtigkeit«: δίκαιος (34mal), δικαιοσύνη (25mal), δικαιόω (siebenmal), δικαίωσις (einmal) sowie ἀδικία (siebenmal), ἄδικος (fünfmal). Eine Ausnahme bilden PsSal 6; 7 und 11, doch auch diese thematisieren, und zwar implizit, die Gerechtigkeit Gottes. PsSal 2,8.33.36; 4,25; 5,12.15; 6,6; 8,27 f.; 9,8; 10,3 f.; 11,9; 13,12; 16,3.6; 17,3.15.45; 18,1.3 vgl. 5,2; 7,5; 10,7.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

setz seines ewigen Bundes (νόμος διαθήκης αἰωνίου, PsSal 10,4). 44 Bereits in den kanonischen Psalmen kann die Barmherzigkeit (ἔλεος, hebr. ‫ )חסד‬als Bezeichnung der göttlichen Bundestreue zugleich Ausdruck der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη, hebr. ‫ )צדקה‬Gottes sein (LXX Ps 35,11; 39,11; 142,11 f. vgl. 84,11; 88,15; 102,17 passim). Entsprechend verwendet die Septuaginta neben ἔλεος mitunter gar δικαιοσύνη zur Wiedergabe des hebräischen ‫חסד‬. 45 Dem Zeugnis der PsSal zufolge bedingen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes einander. Auf derselben Linie liegt die gepriesene Güte (χρηστότης, hebr. ‫ )טוב‬46 Gottes, die die Frommen von der strafenden Gerechtigkeit Gottes zwar nicht ausnimmt, aber das Urteil gütig und barmherzig ausfallen lässt: »denn deine Gerichte über uns sind gütig« (PsSal 8,32 vgl. 2,33; 18,3). Dabei erscheint Gott als Zuchtmeister (παιδευτής, PsSal 8,29), der die Frommen züchtigt 47, und – soteriologisch prädiziert – als Heilsgarant (σωτήρ). 48 Eine abschließende Antwort auf die Frage nach göttlicher Gerechtigkeit findet der Psalmist in seiner an Gott gerichteten Bitte um Sendung eines neuen Königs aus der davidischen Dynastie: »Richte ihnen auf ihren König, den Sohn Davids« (PsSal 17,21). Auch diese Bitte an Gott lässt sich nur vor dem Hintergrund des Vertrauens auf Gottes Gerechtigkeit verstehen, welche im Sinne der PsSal im Übrigen selbst den Begriff der Weisheit wesentlich konstituiert, wie der Genitivus subiectivus des Syntagmas ἐν σοφίᾳ δικαιοσύνης (PsSal 17,23.29 vgl. 18,7) verdeutlicht. Wie alles ist auch die Weisheit somit in den Augen des Psalmisten wesentlich am Maßstab göttlicher Gerechtigkeit ausgerichtet. PsSal 17 und 18 zeichnen sodann ein Bild des erwarteten königlichen Messias, des χριστὸς κύριος (PsSal 17,32; 18 inscriptio; 18,7 vgl. 18,5): 49 Er wird sich 44. Immerhin begegnet uns die Wendung »in Ewigkeit« (εἰς τὸν αἰῶνα) als Ausdruck der beständigen Treue Gottes 28mal in den PsSal, vgl. PsSal 2,34.37; 3,11 f.; 7,8 passim. Wie die fromme Gemeinde ewig Bestand haben wird, so erwartet auch den Frommen ewiges Leben (PsSal 14,35). Entsprechend ist auch die Scheidung der Frommen und der Sünder als ewige gedacht (PsSal 3,11 f.; 13,11; 14,3-7). 45. Gen 19,19; 20,13; 21,23; 24,27; 32,11; Ex 15,13; 34,7; Spr 20,28b. 46. PsSal 5,13-18; 8,28; 9,7; 18,1 vgl. 2,36; 5,2.12; 8,32; 10,2.7. 47. PsSal 7,9; 8,26; 10,2 f.; 13,7-10; 14,1; 18,4.7 vgl. διδακτὸς ὑπὸ θεοῦ (PsSal 17,32) [vgl. Jes 54,13]. 48. PsSal 3,5 f.; 8,33; 16,4 f.; 17,3 vgl. 10,8; 12,6; 13,1-4; 15,1. 49. Sowohl in PsSal 17,32 als auch in Threni 4,20 stehen die textkritischen Entscheidungen (d. h. die Konjekturen gegen den einheitlichen Wortlaut der Handschriften) von Rahlfs (PsSal, Threni) und Ziegler (Threni) auf tönernen Füßen; man vergleiche mit guten Gründen gegen diese Lesart der Stellen bereits Wellhausen, Pharisäer, 132. Im Falle von Threni 4,20 argumentiert Rahlfs mit dem Genesis-Papyrus 911 und behauptet eine seines Erachtens paläographisch zu erklärende Verwechslung von κύριος und κυρίου. Allerdings stellt Ra 911 einen Sonderfall dar, der m. E. nicht ohne Weiteres auf andere Fälle übertragbar ist: Die (direkte oder indirekte) Vorlage von Ra 911 dürfte eine graphische Suspension in der Schreibung des Wortes κύριος gehabt haben: κυ oder κυ für κυ[ριος], κυ[ριου] usw. Der Schreiber von Ra 911 deutete dieses κυ/κυ anfänglich irrtümlicherweise als graphische Kontraktion, im Sinne der ihm vertrauten Schreibung des Nomen sacrums κυ für κ[υριο]υ. Er las demnach die Suspension κυ/κυ (= κυ[ριος]) und fasste sie als Kontraktion κυ (= κ[υριο]υ) auf. Zu dieser Besonderheit von Ra 911 vgl. A. Rahlfs, Genesis, Stuttgart 1926, 21; Sanders, H. A. / Schmidt, C., The Minor Prophets in the Freer Collection and the Berlin Fragment of Genesis, New York 1927, 238.240; zu Suspension und Kontraktion vgl. Gardthausen, V., Griechische Paläographie. Bd. 2, Die Schrift, Unterschriften und Chronologie im Altertum und im byzanti4. Inhaltliches und theologisches Profil

369

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

mit eisernem Stab (ῥάβδος σιδηρᾶ) und dem Wort seines Mundes (λόγος στόματος αὐτοῦ) gegen Sünder und Heiden durchsetzen (PsSal 17,24). Bestimmend ist dabei seine Unterordnung unter den wahren Herrn und König, nicht seine Autonomie. 50 Die beiden letzten Psalmen sind demnach von großer Bedeutung für die frühjüdische und auch die neutestamentliche Messianologie, nicht zuletzt, weil sie ein aussagestarkes zeitgenössisches Dokument der konkreten Hoffnung auf einen Messias aus dem Hause Davids sind. 51 Die Scheidung von Frommen und Sündern ist in den PsSal in letzter, und das heißt eschatologischer, Konsequenz gedacht. Laut PsSal 3,9-12 erben die Frommen das Leben, die Sünder die Verdammnis: »der Sünder […] ist gefallen, wahrlich furchtbar ist sein Fall, und er wird nicht wieder auferstehen« (ἁμαρτωλὸς […] ἔπεσεν, ὅτι πονηρὸν τὸ πτῶμα αὐτοῦ, καὶ οὐκ ἀναστήσεται, PsSal 3,9 f.). Die Frommen hingegen werden zu ewigem Leben auferstehen (οἱ δὲ φοβούμενοι τὸν κύριον ἀναστήσονται εἰς ζωὴν αἰώνιον, PsSal 3,12 vgl. 13,11; 14,3; 15,13). Die Auferstehung erscheint somit als Voraussetzung zur Teilnahme der Frommen am ewigen Heil. 52 Dies entspricht der pharisäischen Lehre nach dem Zeugnis des Josephus (Ios, Ant 18,14 f.) 53, derzufolge nur die Gerechten auferstehen werden. Auferstehung zum ewigen Leben bedeutet in den Augen des Psalmisten alsdann Leben im Licht des Herrn (PsSal 3,12 vgl. 1Hen 58,3). Insgesamt ist die Vorstellung des Endgeschehens allerdings nicht gänzlich konzinn gestaltet: Einerseits scheidet der Tod zwischen Frommen und Sündern 54, andererseits gibt es das Endgericht 55 oder fortwährende Gerichte. 56

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Während die beiden Deuterocanonica Weish und Sir zumindest in byzantinischer Zeit eine Kommentierung erfuhren (Malachias Monachus, Matthaeus Cantacuzenus) 57,

50. 51.

52.

53. 54. 55. 56. 57.

nischen Mittelalter, Leipzig 19132, 325. Jene Besonderheit von Ra 911 bildet freilich nicht die Regel, sondern die Ausnahme, so dass der Verweis auf Ra 911 wohl kaum geeignet ist, an anderen Stellen weitreichende Konjekturen hinreichend zu begründen. So schon Wellhausen, Pharisäer, 132. Für die Titulatur des Messias als »Davidssohn« ist PsSal 17,21 vgl. 17,4.6 ältester Beleg. Vgl. aus der zweiten Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. noch 4Q252 V,1-4 sowie aus dem 1. Jh. n. Chr. 4Esdr 12,32. Im NT wird diese Titulatur auf Jesus übertragen, vgl. abgesehen von Mk 10,47 f. parr vor allem das Zeugnis des Matthäusevangeliums mit seinem dezidiert davidischen Stammbaum Jesu Mt 1,117 u. Mt 9,27; 12,23; 15,22; 21,9.15; 22,42. Eher implizit erwähnt das Lukasevangelium die davidische Abstammung Jesu: Lk 1,27.32.69; 2,4.11; 3,31. Vgl. ferner Röm 1,3; 2Tim 2,8; Apk 5,5; 22,16. Zu dieser Vorstellung einer Auferstehung im Blick auf die Teilnahme der Frommen am Heil vgl. 2Makk 7,14; Dan 12,2. Im NT vgl. etwa Mt 25,31-46, bes. 46; Joh 5,29. Vergleichbar ist die Vorstellung der Frommen als Lebensbäume (ξύλα τῆς ζωῆς) in PsSal 14,3 vgl. 1Hen 25,5. Mit geringer Abweichung in der Darstellung Ios, BellIud 2,162-165. Ganz ähnlich ist die Vorstellung der syr. Baruchapokalypse (2Bar 30,4 f.). PsSal 14,9; 15,10; 16,2 vgl. 3,11 f.; 12,4. PsSal 2,33-35; 15,12 f. vgl. 14,9. PsSal 2,15; 8,7 f.23-25 vgl. 4,24; 5,1; 9,2; 10,5; 17,10. Vgl. Albrecht, F., Malachias Monachus, in: BBKL 34, Nordhausen 2013, 882-884; Matthaeus Asanes Cantacuzenus, in: BBKL 33, Nordhausen 2012, 212-216.

370

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

fehlen Auslegungen der PsSal gänzlich. Ihre Wirkungsgeschichte ist erstaunlich kurz. Die erste und einzige direkte Bezeugung der PsSal findet sich im Baruchbuch: Bar 4,36–5,9 erweist sich als von PsSal 11,2-7 abhängig. 58 Unter rezeptionsgeschichtlichem Aspekt ist ferner auf eine Randnote zu PsSal 2,25b, der Schilderung des Pompeius als Drache 59, in Handschrift 769 zu verweisen, die bei von Gebhardt zur Stelle noch in Gänze zitiert wird, heutzutage aber aufgrund eines Beschnitts der Handschrift nicht mehr vollständig zu lesen ist: »Drache heißt der abtrünnige Teufel. Denn oft bezeichnet die Heilige Schrift diesen wegen seines unersättlichen Hochmuts als Drache. Hochmütig nämlich ist der Drache und dreist das Laster des Hochmuts, wie wir schon oben gesagt haben« (Δράκοντα λέγει τὸν ἀποστάτην διάβολον. Πολλαχοῦ γὰρ ἡ θεία γραφὴ δράκοντα τοῦτον ἐπονομάζει, διὰ τὸ ἄπληστον τῆς ὑπερηφανίας. Ὑπερήφανον γὰρ ὁ δράκων καὶ ἰταμὸν τὸ πάθος τῆς ὑπερηφανίας ὡς προείπομεν). Hierbei handelt es sich um eine Auslegung zum Stichwort »Hochmut des Drachen« (ὑπερηφανία τοῦ δράκοντος), die vor dem Hintergrund von Apk 12 zu lesen ist. 60

6. Perspektiven der Forschung Für die weitere Forschung an den PsSal ergeben sich im Wesentlichen folgende Fragestellungen: (1) Wie ist das Verhältnis der syrischen zur griechischen Version zu bestimmen? Da O. von Gebhardt das Syrische nicht berücksichtigen konnte, ist eine angemessene Einarbeitung des Syrischen ein wichtiger Fokus der zur Zeit in Göttingen vorbereiteten Edition der PsSal im Rahmen der Göttinger Septuaginta-Ausgabe. (2) Für Weish und Sir kommt Handschrift 253 neben der Syrohexapla herausragende Bedeutung zu, insofern diese für Weish und Sir einziger griechischer Textzeuge der origeneischen Rezension ist. Lässt sich anhand von Handschrift 253 auch für die PsSal eine Bearbeitung durch Origenes, respektive Eusebius oder Pamphilus nachweisen? (3) Die PsSal weisen enge Berührungspunkte zur Psalmenliteratur der Qumrangemeinde auf. Wünschenswert wäre deshalb eine historische Kontextualisierung der PsSal,

58. Vgl. Pesch, W., Die Abhängigkeit des 11. salomonischen Psalms vom letzten Kapitel des Buches Baruch, ZAW 67 (1955), 251-263. Eine umgekehrte Abhängigkeit ist etwa von Gunneweg, A. H. J., Das Buch Baruch, in: H. Lichtenberger (Hg.), Unterweisung in lehrhafter Form, JSHRZ III, Gütersloh 19802, 165-181, 168 vertreten worden. 59. In Ez 29,3; 32,2 wird der Pharao und in Jer 51[28],34 Nebukadnezar als Drache bezeichnet. Zur geläufigen Vorstellung eines bösen Tyrannen als Drache vgl. auch Plutarchs Schilderung des mythischen Kekrops, des ersten Königs von Attika, der, halb Mensch halb Drache, am Anfang tückisch und furchtbar war, ein »wilder und drachenhafter Tyrann« (ἄγριος καὶ δρακοντώδης τύραννος), später aber milde und menschlich geherrscht hat (Plut, De sera 551F). 60. Vgl. bereits Bousset, W., Die Offenbarung des Johannis, KEK, Göttingen 1896, 395 [vgl. 19062, 337] zu Apk 12,3: »Unsrer Stelle zeitlich am nächsten steht Ps. Sal. 2,25-31, die Schilderung des Pompejus als des Drachenungeheuers«. Vgl. alsdann Dochhorn, J., Schriftgelehrte Prophetie, WUNT 268, Tübingen 2010, 361. 6. Perspektiven der Forschung

371

4.3 Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomos

die vor allem das Verhältnis zu Qumran in den Blick nimmt und darüber hinaus das Profil der »Gemeinde der PsSal« zu schärfen sucht. (4) Eine kritische Neuedition der PsSal zählt zu den besonderen editionsphilologischen Herausforderungen der Septuagintaforschung. Der vielfach verderbte Text bedarf einer gründlichen Prüfung, auch und insbesondere vor dem Hintergrund der Konjekturalkritik. Beispielsweise ist die verbreitete, auf Konjektur beruhende Lesart χριστὸς κυρίου anstelle von χριστὸς κύριος in PsSal 17,32 zu hinterfragen. (5) Schließlich ist in der neueren Forschung die Frage nach der Abfassungssprache der PsSal erneut aufgeworfen worden: Beruhen die PsSal auf verlorener hebräischer Vorlage – so die gängige Forschungsposition – oder handelt es sich möglicherweise nicht doch, gänzlich oder zumindest in Teilen, um einen genuin griechischen Text, der die Sprache der Septuaginta lediglich nachzuahmen trachtet?

372

6. Perspektiven der Forschung

5. Weisheitsbücher

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos Hans-Winfried Jüngling

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1896 — RaHa 1935/2006.

1.2 Qumran-Texte 4QProva.b.c = 4Q101.103.103a (DJD 16) — 6QpapProv? = 6Q30 (DJD III). BQS 732-734 — HTTM 467-471. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare D’Hamonville, D.-M. / Dumouchet, E., Les Proverbes, BdA 17, Paris 2000 — Cook, J., Proverbs, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 621-647 — Jüngling, H.-W. / Lips, H. von / Scoralick, R., Paroimiai / Sprichwörter / Sprüche Salomos, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 935-977 — Jüngling, H.-W. / Lips, H. von / Scoralick, R., Paroimiai / Sprichwörter / Sprüche Salomos, LXX.E, Stuttgart 2011, 1950-2000.

1.4 Weitere Literatur Barr, J., ‫ – בארץ‬μόλις: Prov XI 31; I Petr IV 18, JSS 20 (1975), 149-164 — Baumgartner, A. J., Étude critique sur l’état du texte du Livre des Proverbes d’après les principales traductions anciennes, Leipzig 1890 — Bonnardiere, A.-M. la, Anima iusti sedes sapientiae dans l’oeuvre de saint Augustin, in: C. Kannengiesser / J. Fontaine (Hg.), Epektasis (FS J. Daniélou), Paris 1972, 111-120 — Cook, J., The Septuagint of Proverbs. Jewish and/or Hellenistic Proverbs? Concerning the Hellenistic Colouring of LXX Proverbs, VT.S 69, Leiden 1997 — Delitzsch, F., Salomonisches Spruchbuch, BC IV.3, Leipzig 1873 (repr. 1985) — De Waard, J., 4QProv and Textual Criticism, Textus 19 (1998), 87-96 — De Waard, J., Proverbs, BHQ 17, Stuttgart 2008 — Fox, M. V., Proverbs 1-9. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 18A, New York 2000 — Fox, M. V., Proverbs 10-31: A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 18B, New York 2009 — Gerlemann, G., Studies in the Septuagint, 3. Proverbs, LUA. NF 1,52,3, Lund 1956 — Giese, R. L., Qualifying Wealth in the Septuagint of Proverbs, JBL 111 (1992), 409-425 — Jäger, J. G., Observationes in Proverbiorum Salomonis Versionem Alexandrinam, Meldorf / Leipzig 1788 — Jüngling, H.-W., Der Mensch in Schöpfung und Zeit. Gedanken zur Anthropologie der SprichwörterLXX, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, Bd. 3, BWANT 174, Stuttgart 2007, 203-225 — Lagarde, P. de, Anmerkungen zur griechischen Übersetzung der Proverbien, Leipzig 1863 — Lips, H. von, Beobachtungen zur griechischen Überset1. Literatur

375

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

zung des Proverbia-Buches, in: W. Kraus / K.-W. Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie (FS T. Holtz und N. Walter), WUNT 162, Tübingen 2003, 36-49 — Loader, W., The strange woman in Proverbs, LXX Proverbs and Aseneth in: J. Cook (Hg.) Septuagint and reception: Essays prepared for the Association for the Study of the Septuagint in South Africa, VT.S 127, Leiden 2009, 209-227 — Loader, W., Proverbs’ »strange woman«: Image and reality in LXX Proverbs and Ben Sira, Hebrew and Greek, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse WUNT 252, Tübingen 2010, 562-575 — Mezzacasa, G., Il Libro dei Proverbi di Salomone. Studio critico sulle aggiunte greco-alessandrine, Scripta PIB, Rom 1913 — Rothstein, D., The Book of Proverbs and Innerbiblical Exegesis at Qumran: The Evidence of Proverbs 24,23-29, ZAW 119 (2007), 75-85 — Scoralick, R., Einzelspruch und Sammlung. Komposition im Buch der Sprichwörter Kapitel 10-15, BZAW 232, Berlin 1995 — Scoralick, R., Salomos griechische Gewänder. Beobachtungen zur Septuagintafassung des Sprichwörterbuches, in: K. Löning (Hg.), Rettendes Wissen. Studien zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Frühjudentum und im frühen Christentum, AOAT 300; Veröffentlichungen des AZERKAVO 3, Münster 2002, 43-76 — Toy, C. H., A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Proverbs, ICC, Edinburgh 1899 (repr. 1988).

2. Text und Editionen [S. K.] Der griechische Text der Proverbia ist in den Codices Vaticanus (B), Sinaiticus (S) und Alexandrinus (A) erhalten, die auch die wesentliche Grundlage für die eklektische Handausgabe von A. Rahlfs wie zuvor auch für die diplomatische Ausgabe von Swete (die als Obertext B wiedergibt, aber die Varianten notiert) waren. Im aus dem 5. Jh. stammenden Codex Ephraemi rescriptus sind einzelne Blätter, insgesamt weniger als ein Viertel des Textes erhalten. Wichtig sind auch die Notizen der Korrektoren in den Kodizes, insbesondere Korrektor c im Codex Sinaiticus, der die Lesarten einer offensichtlich alten Textform vermerkt. Darüber hinaus ist Proverbia im Codex Venetus (8. Jh.) erhalten sowie in einer Reihe von Minuskeln, deren Auswertung noch offen ist. Rahlfs vermerkt auch hexaplarische Lesarten. Die kritische Edition im Rahmen der Göttinger Septuaginta steht noch aus. Es gibt drei bzw. vermutlich vier Handschriften des Sprüchebuches aus Qumran, die allerdings sehr fragmentarisch sind. Sie erlauben immerhin die Annahme, dass die Differenzen zwischen MT und LXX des Sprüchebuches nicht nur auf die Übersetzer, sondern zumindest zum Teil auch bereits auf die hebräische Vorlage zurückgehen (HTTM, 470). Für weitere textgeschichtliche Angaben siehe BdA 17.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Die Eigenart der Übersetzung Die Eingriffe beim Überschriftensystem und bei der Neugestaltung des Buches durch die Umsetzung ganzer Abschnitte (s. dazu unten, 4.) deuten darauf, dass der/die Übersetzer mit der hebräischen Vorlage kreativ umgeht/umgehen. Der produktive Umgang der Übersetzung mit dem hebräischen Text zeigt sich allein in den nicht unbeträcht376

2. Text und Editionen [S. K.]

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

lichen Zufügungen zur Vorlage: 1,7bc.14c.21b.27d; – 2,2b.3b.17a.19c.21cd; – 3,6c.15bc.16A. 22A.28c; – 4,10b.27AB; – 5,3a.5c.23b; – 6,8ABC.11A.25b; – 7,1A; – 8,10b.21A; – 9,6b. 10A.12ABC.18ABCD; – 10,4A; – 11,16bc; – 12,11A.13A.26; – 13,9A.11c.12b.13A.15b; – 14,22ab; – 15,1a.6cd.18ab; – 16,7.8.17.30c; – 17,5c.6A.16.17.21c; – 18,22A; – 19,7cde; – 22,8A.9A.14A; – 23,31b; – 24,22ABCDE; – 30,31b; – 31,2b; – 25,10c.10A.20A; – 26,11A; – 27,21A; – 28,10d.17A; – 29,25cd; – 31,29b.30b. 1 Die Eigenart der LXX lässt sich am besten am ersten größeren Zusatz der Übersetzung zum hebräischen Text veranschaulichen: Den zwei Zeilen, mit denen der programmatische Prolog schließt, Die Furcht des Herrn ist der Anfang des Wissens, Weisheit und Zucht verachten die Toren entsprechen die vier Zeilen Anfang der Weisheit ist die Furcht Gottes, gutes Verständnis für alle, die sie tun; Ehrfurcht gegenüber Gott ist der Anfang des Wahrnehmens Weisheit und Erziehung aber werden die Ehrfurchtslosen verachten In der Erweiterung werden Anliegen des hebräischen Textes zweifellos weiterentwickelt: Die Gottesfurcht wird als Ehrfurcht und Frömmigkeit gegenüber Gott verdeutlicht 2, gleichzeitig werden hier sachliche und stilistische Anliegen aus dem griechischen Ambiente verfolgt. Stilistisch ist die Wiederaufnahme von »Ehrfurcht« (εὐσέβεια) durch »Ehrfurchtslose« (ἀσεβεῖς) ganz im Sinne griechischen Stils der Gegensatzbildung. Die einmalige Wiedergabe des hebräischen Wortes »Tor« (‫)אויל‬, das fast exklusiv im Buch der Sprichwörter vorkommt 3, durch ἀσεβής betont diesen Gegensatz. 4 Außerdem wird durch die Verwendung von ἀσεβής die religiöse Dimension unterstrichen. Stilistisch ist durch die Erweiterung eine elegante Inklusion geschaffen worden: »Weisheit« (σοφία) steht am Anfang und Ende des Vierzeilers. Diese Inklusion ist ganz bewusst gewollt. Die exakte Übersetzung von ‫ ראשית דעת‬mit ἀρχὴ αἰσθήσεως wird erst im dritten Stichos gebracht. 5 Der Übersetzer stellt an den Anfang des Verses eine eigene Entwicklung des Gedankens der Vorlage, indem er in 1,7ab Ps 111/110,10ab mit einer Abweichung (statt κύριος schreibt er θεός) zitiert. Durch das Zitat von Ps 111/110 gelingt ihm die Betonung 1.

2.

3.

4. 5.

Die Liste nach D’Hamonville, BdA, 49. Die Kleinbuchstaben bezeichnen das Plus der LXX, das sich innerhalb eines Verses findet und den Gedanken der hebräischen Vorlage weiter führt, die Großbuchstaben bezeichnen ganz neu eingefügte Verse, die auch bei R angezeigt sind. – Gering ist dagegen das Minus der LXX gegenüber MT. An den folgenden Stellen hat MT mehr als LXX: 4,7; 8,33; 15,31; 16,1.3.4.6; 18,23.24; 19,1.2; 20,14-22; 21,5; 22,6; 23,23. Diese Liste nach von Lips, Beobachtungen, Anm. 7. Das Substantiv εὐσέβεια kommt im griechischen Text der Sprichwörter nur noch 13,11 vor, wo es ebenfalls keine Korrespondenz im hebräischen Text hat. Die Übersetzung von ‫ יראת יהוה‬mit εὐσέβεια δὲ εἰς θεόν dürfte ihr Vorbild in Jes 33,6 und Jes 11,2 haben. Außer 19-mal in Spr noch Jes 19,11; 35,8; Jer 4,22; Hos 9,7; Ps 107,17; Ijob 5,2.3. Das Wort wird in Spr mehrfach mit ἄφρων wiedergegeben (Spr 10,21; 11,29; 12,15.16; 14,3.9(?); 15,5; 16,22; 20,3; 27,3.22). ἀσεβής ist das Übersetzung für den »Frevler« (‫)רשׁע‬. Die Zeile c in V. 7LXX bildet auch in der Wortstellung V. 7aMT ab.Vgl. die Übersetzung von ‫ ַדַּעת‬durch αἴσθησις in 1,4. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

377

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

des wichtigen Wortes »Weisheit« (σοφία). Mit der ganz und gar griechischen Verbindung von »Weisheit und Erziehung« (σοφία δὲ καὶ παιδεία) ist eine Rahmung des Prologs gegeben. Von Weisheit und Erziehung ist auch in 1,2 die Rede. Allerdings ist diese Inklusion auch im hebräischen Text gegeben. 6 In 9,10aLXX findet sich eine Wiederaufnahme von 1,7a, allerdings ist das Appellativum »Gott« aus 1,7a zum Gottesnamen geworden: ἀρχὴ σοφίας φόβος κυρίου. Dieser Satz entspricht wörtlich Ps 110/ 111,10aLXX. Damit ist der erste Teil des Buches gerahmt. 7 An dieser ersten Erweiterung zeigt sich der überlegte Umgang der Übersetzung mit der Vorlage. Die vorgegebenen Themata werden zuverlässig wiedergegeben, zugleich tief verständig entwickelt und das im Stil der Sprache der Übersetzung. Ein immer wieder zitiertes Beispiel ist die Erweiterung 6,6-8. Dem Faulen wird das Beispiel der Ameise als Vorbild vorgehalten. Die Verse des hebräischen Textes erhalten in LXX eine parallele Gestaltung durch die Einfügung des Beispiels der Biene. Die Sequenz »Ameise – Biene« als Vorbilder der Arbeitsfreude ist von Aristoteles her bekannt. 8 Da es in der Schrift eigentlich sonst nur sehr reservierte Erwähnungen der Biene gibt, ist eine innerbiblische Ableitung der Hochschätzung der Biene nicht sehr wahrscheinlich. Sie gilt als gefährliches Tier (Dtn 1,44; Ps 118/117,12; Jes 7,18). In Sir 11,3 findet sich eine ambivalente Erwähnung der Biene. Die Biene ist »klein unter den Flugtieren«, aber ihre Frucht ist die beste aller Süßigkeiten (LXX.D). 9 Diese Einschätzung im Buch Ben Sira mag selbst eine Übernahme griechischen Denkens sein. Die Erweiterung in Spr 6,6-8ABC ist also wahrscheinlich keine Übersetzung einer hebräischen Vorlage, sondern ein Reflex der griechischen Bildung des Übersetzers, ohne dass näher zu sagen wäre, er hätte Aristoteles gelesen. 10 Wichtig ist aber erneut die

6. ‫ ָחְכָמה וּמוָּסר‬in 1,2a und 1,7b, bzw. σοφία καὶ παιδεία 1,2a.7d. 7. Die Rahmung zwischen Prolog und Epilog ist zwar auch im MT gegeben. Doch stehen sich 1,7a und 9,10a des hebräischen Textes ferner als man denkt: ‫( יראת יהוה ראשית דעת‬1,7a) gegen ‫תחלת‬ ‫( חכמה יראת יהוה‬9,10a). Die Unterordnung von ‫ דעת‬unter ‫ יראת יהוה‬in Spr 1,7a ist einmalig, parallel stehen die beiden Konzepte jedoch mehrfach: Jes 11,2 (πνεῦμα γνώσεως); 33,6 (ἐπιστήμη); Spr 1,29 (σοφία); 2,5 (ἐπίγνωσις); 9,10 (βουλή). 8. Aristoteles, Hist. An.627a 12. Vgl. ferner HA 622a.20-21; PN 444b,11-12; PA650b.26. Vgl. dazu D’Hamonville, BdA, 193. 9. μικρὰ ἐν πετεινοῖς μέλισσα καὶ ἀρχὴ γλυκασμάτων ὁ καρπὸς αὐτῆς. Die hebräischen Manuskripte schwanken zwischen der Charakterisierung als »klein« (‫ )קטנה‬oder als »nichtig« (‫)אליל‬. Der Zusammenhang, der die Warnung enthält, keinen Menschen nach dem bloßen Aussehen zu beurteilen, insinuiert, dass hier ein sehr hohes Lob auf die Biene ausgesprochen ist. 10. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das Staunen über die Organisation der Bienen nicht nur in der griechischen Welt verbreitet ist und dass auch im Alten Testament Bienen und vor allem ihr Produkt, der Honig, durchaus positiv erwähnt werden (der Bienenschwarm und der Honig im Kadaver des Löwen bei Simson, Ri 13,8; 14,9.18; der Honig, mit dem sich Jonathan für den Kampf stärkt und der seine Augen leuchten lässt, 1Sam 14,27.29). Zudem findet sich das, was Spr 6,8b besonders hervorhebt, nämlich die Gesundheit des von der Biene produzierten Honigs auch in Spr 16,24; ähnlich 24,13. Auch in der Psalmensprache wird Honig sehr positiv bewertet (Ps 18,11; 118,3), zudem wird das Land Israels von Ex 3 bis zu den Propheten Jeremia und Ezechiel und bis zu den Psalmen an zahlreichen Stellen als Land in dem Milch und Honig fließen, gepriesen, was schwerlich ohne Wertschätzung für die Bienen gedacht sein kann. Dtn

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

Gestaltung dieser Erweiterung. Sie wird nämlich durch das Stilmittel der Rahmung (inclusio) mit dem aus dem Hebräischen Übersetzten verknüpft: »Weisheit« (σοφία) in V. 8C nimmt das σοφώτερος aus V. 6 auf. Das griechische Buch der Sprichwörter ist keine sklavische, literalistische Übersetzung. Sie bietet bisweilen ein elegantes Griechisch. Sie nutzt die stilistischen Mittel der griechischen Sprache. Hebräische Ambivalenzen und Missverständliches verdeutlicht sie (z. B. 26,4-5), sie stellt Gott oder den Herrn als Subjekt heraus (17,11; 23,11). Sie schätzt die Wiederholung von Wörtern gegen die Variation des Hebräischen (2,8), andererseits spiegelt sie den Wechsel im Hebräischen (2,11). Sie variiert ein viermal vorkommendes »Weg« (‫ )דרך‬mit vier verschiedenen griechischen Wörtern (30,19). Häufig sind Wortanklänge im selben Vers (1,14; 3,10; 4,2). Wörter von derselben sprachlichen Wurzel werden gern zur Bildung von Gegensätzen verwendet (17,23; 31,1). Auch wenn die Sprache des griechischen Sprichwörterbuches nicht an die Sprache der griechischen Tragiker und der klassischen Sprache überhaupt heranreicht, so stellt sie doch in vieler Rücksicht etwas Originelles dar. Man darf ihr literarische Qualitäten zuschreiben. 11

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Gelegentliche Bezugnahme auf die hebräische Fassung des Buches der Sprichwörter in den Qumranschriften beweist, dass das Buch spätestens in herodianischer Zeit in Qumran bekannt ist. 12 Es muss aber schon einige Zeit vorher vorgelegen haben. Da Sir 47,17 mit der Zusammenstellung von ‫חידה‬, ‫ משׁל‬und ‫ מליצה‬Spr 1,6 wohl voraussetzt bzw. darauf anspielt, muss als terminus ante quem für die Existenz des hebräischen Buches der Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelten. 13 Seine Übersetzung ins Griechische wird verschieden angesetzt: Zur Auswahl stehen um 100 v. Chr. (H. St. J.

1,44 und Ps 117,12 wie auch Jes 7,18 sind Vergleichsworte, die sich auf das Schwarmverhalten und Stechen der Bienen beziehen, geben aber kein Gesamturteil über die Bienen. Jes 7,18 nimmt zudem Bezug auf Assyrien als Land ausgedehnter Bienenzucht. [SK] 11. Die Sprache des griechischen Buches der Sprichwörter als »un grec raffiné«, die Übersetzung als »traduction littéraire« ist ausführlich bei D’Hamonville, BdA, 57-112 beschrieben. 12. Vgl. Maier, J., Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, München / Basel 1995, Bd. 1, 24 f.73; Bd. 2, 130 ff. Auf Spr 7 (4Q184); Spr 15,8 (CD XI 20 f.) und Prov 19,21 (1QH XII [IV],13) wird Bezug genommen. Vgl. ders., Die Qumran-Essener, Die Texte vom Toten Meer, Bd. 3, München / Basel 1996, 178. 13. Griechisch werden die drei Substantive so wiedergegeben: ἐν … παροιμίαις καὶ παραβολαῖς καὶ ἐν ἑρμηνείαις. Dabei überrascht die korrekte Wiedergabe von ‫ משׁל‬durch παροιμία. Spr 1,6 wird ‫ משׁל‬dagegen mit παραβολή übersetzt. – Ein ähnlicher Ternar findet sich Sir 39,2-3: παραβολή, παροιμία und αἴνιγμα. Leider fehlt an dieser Stelle der hebräische Text. Doch die Wendung ἐν αἰνίγμασι παραβολῶν in 39,2 hat in der von 47,15 (ἐν παραβολαῖς αἰνιγμάτων) eine Parallele. Im übrigen nimmt der Ternar »Gesetz des Höchsten«, »Weisheit aller Alten« und »Prohezeiungen« (Sir 38,34c.d; 39,1) die Kombination von »Gesetz«, »Propheten« und »andere Schriften«, wie sie mehrfach in der dem Enkel zugeschriebenen Vorrede vorkommt (Z. 1.2; 8-10; 24-25), vorweg (allerdings in der Reihenfolge der Septuaginta). 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

Thackeray), um 150 v. Chr. (G. Gerleman) und um 170 v. Chr. (M. Hengel; D.-M. D’Hamonville). 14 Die Übersetzung ist wohl in Alexandrien gemacht worden. 15

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Der Name des Buches Das Buch trägt die Über- und Unterschrift »Sprichwörter« (παροιμίαι). 16 Der Name »Sprichwörter« (παροιμίαι, proverbia) entspricht dem Titel, den das Buch auch in der hebräischen Bibel trägt: ‫משׁלי‬. Dieser Name des Buches ist bemerkenswert. Denn im Korpus der griechischen Fassung des Buches kommt das Substantiv παροιμίαι nur einmal vor: im ersten Vers des ersten Kapitels. 17 Die zwar wenigen, doch wichtigen, weil strukturierenden, selbstreferentiellen Belege des Wortes ‫ משׁל‬im hebräischen Text (Spr 1,1; 10,1 und 25,1) haben bis auf 1,1 keine Entsprechung im Griechischen. Die strukturierenden Fügungen »die Sprichwörter Salomos« im hebräischen Text nehmen zwar den Großteil des Buches für Salomo in Anspruch. Doch ist Salomo nicht der einzige, dem weise »Worte« im hebräischen Proverbientext zugeschrieben werden (vgl. 22,17; 24,23; 30,1; 31,1). Obwohl die Salomo nennenden Struktursignale in Spr 10,1 und 25,1 in der LXX fehlen, werden hier die »Sprichwörter« in sehr viel stärkerer Weise für Salomo reklamiert, als es die hebräische Vorlage tut. Das hat seinen Grund darin, dass die mit Salomo konkurrierenden Zuschreibungen in der LXX getilgt sind. Spr 1,1, die Form der Überschrift im Codex A und die Unterschrift in den Codices A und S plädieren sehr nachdrücklich für eine Zugehörigkeit der Sprichwörter zu Salomo. Die Fügung 14. Vgl. D’Hamonville, BdA, 22-24. D’Hamonville, BdA, 124 vermutet, dass die griechische Übersetzung von Spr zeitlich in die Nähe der Entstehung des Buches Ben Sira eingeordnet werden muss. Die für die griechischen Fassungen von Spr und Sir charakteristischen Wendungen στροφὰς λόγων bzw. ἐν στροφαῖς παραβολῶν (Spr 1,3; Sir 39,2) und γυνὴ ἀνδρεία (Spr 31,10; Sir 26,2; 28,15) sind auffällig und legen eine gewisse Bekanntheit der griechischen Fassung von Spr beim Übersetzer von Sir nahe, erlauben aber wohl kaum den Schluss, dass die griechische Übersetzung von Sir sich wesentlich an der von Spr orientiert. Vgl. D’Hamonville, BdA, 145. 15. Zur Alternativposition, die Übersetzung sei in Palästina hergestellt worden, wie sie von Gerleman, Studies, Gammie, J. B., The Septuagint of Job. Its Poetic Style an Relationship to the Septuagint of Proverbs, CBQ 49 (1987), 14-31, und Cook, Concerning the Hellenistic couloring of LXX Proverbs vertreten wird, vgl. D’Hamonville, BdA, 24. 16. Codex A fügt zur Über- und Unterschrift den Namen σολομωντος, Codex S nur bei der Unterschrift σαλομωντος hinzu. 17. Die Codices A und Sc lesen in 25,1 ebenfalls παροιμίαι, während Vaticanus παιδείαι liest. – Spr 26,7 liest Rahlfs zwar im Anschluss an O παροιμία. Die großen Handschriften BSA haben statt dessen παρανομία. Das Substantiv ‫ משׁל‬kommt im hebräischen Buch sechsmal vor. Drei Belege sind zu den intratextuellen Gliederungsmarkern zu zählen (1,1; 10,1; 25,1), einer gehört noch in den Prolog des Buches (1,6), die beiden verbleibenden stehen in 26,7.9, in Sentenzen, die drastisch das Unpassende eines Maschal im Munde des Toren konstatieren. In 26,9 steht statt hebräischem ‫משׁל‬ griechisches δουλεία.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

»die Sprichwörter Salomos« ist das Echo auf die traditionelle Wertschätzung des Davidssohnes Salomo als des weisen Menschen schlechthin. 1Kön 3,4-15.16-28; 5,9-14; 10,113 dürften die erzählerische Basis für diese Zuschreibung bilden.

4.2 Stellung im Kanon Das griechische Vorwort zum Buch Ben Sira spricht von einem Ternar, der den Fundus des Lehrers ausmachte: »das Gesetz, die Propheten und die anderen/übrigen Schriften« (Z. 1-2; 8-10.24-25). Aller Wahrscheinlichkeit gehört zu den »anderen/übrigen Schriften« auch schon zu dieser Zeit das Buch der Sprichwörter. Dennoch wird man wohl um 135 v. Chr. noch keine feste Stellung unseres Buches im sich erst formierenden Kanon der hebräischen Bibel postulieren dürfen. 18 Der freie Umgang des Übersetzers mit dem hebräischen Text beweist, dass das Buch der Sprichwörter weder den Rang der Tora noch auch den der Propheten innehatte. Seine Autorität war nicht so groß, dass die hebräische Vorlage als unantastbar galt. Die Aufzählung im Lukasevangelium »Gesetz des Mose, Propheten und Psalmen« (Lk 24,44) nennt die Psalmen möglicherweise als wichtigstes Buch »der Schriften«, ohne die Existenz anderer Bücher im Bereich »aller Schriften« auszuschließen (vgl. Lk 24,27). Die Zitate des Buches der Sprichwörter im Neuen Testament 19, bisweilen wie in Röm 12,19-20 mit einer Zitationsformel eingeleitet 20, legen nahe, dass das Buch der Sprichwörter als Autorität und zum Kanon des Frühjudentums gehörig angesehen wurde. 21 Im hebräischen Kanon steht das Buch »Sprichwörter« im Teil »die Schriften«. 22 In der griechischen Bibel wird die Buchfolge der hebräischen Bibel durch mehrere Fak18. Ob 2Makk 2,8-12.13-15 in dem Sinne ausgewertet können, dass in der Aufzählung »die Bücher der Könige und der Propheten und die des David und die Briefe der Könige über Weihegaben« auch die »Sprichwörter« impliziert sind – so die Vermutung D’Hamonvilles, BdA, 27 f. –, scheint mir trotz der dreimaligen namentlichen Nennung Salomos in V. 8.10.12 nicht sicher. Zwar wird Salomo als Weiser apostrophiert (V. 9), doch wird ihm maßgeblich im Kult eine Rolle zugewiesen. 19. Nestle-Aland27 stellt unter den doch recht zahlreichen Anspielungen die folgenden direkten Zitate heraus: Mt 16,27 (Spr 24,12); Röm 2,6 (Spr 24,12); Röm 12,20 (Spr 25,21 f.); 2Kor 9,7 (Spr 22,8a LXX); Hebr 12,5 f. (Spr 3,11 f.); Jak 4,6 (Spr 3,34); Jak 5,20 (Spr 10,12MT); 1Petr 4,8 (Spr 10,12MT); 1Petr 4,18 (Spr 11,31); 1Petr 5,5 (Spr 3,34). D’Hamonville spricht von 12 direkten Zitaten, von denen die folgenden dem griechischen Text folgen: Röm 12,17; 12,20; 2Kor 8,21; 2Kor 9,7; Eph 5,18; Hebr 12,5-6; Hebr 12,13; Jak 4,6; 1Petr 4,18; 5,5. Zwei Zitationen folgen nicht dem griechischen Text: 1Petr 4,8 (Spr 10,12) und 2Petr 2,22 (Spr 26,11). Vgl. D’Hamonville, BdA, 27.148. 20. Die Zitationsformel γέγραπται γάρ bezieht sich zwar direkt auf das Zitat aus Dtn 32,32-35 (MT), das noch einmal unterstrichen wird durch λέγει κύριος, doch könnte sie auch das Zitat aus Spr 25,21 f. unter die Autorität der Schrift bringen. Vgl. ferner Jak 4,5 f. 21. Zur Bücherliste des Flavius Josephus (contra Apionem 1,37-41), in der unter dem Ausdruck »die vier übrigen« (1,40: αἱ δὲ λοιπαὶ τέσσαρες ὕμνους εἰς τὸν θεὸν καὶ τοῖς ἀνθρώποις ὑποθήκας τοῦ βίου περιέχουσιν) sicherlich die Psalmen und die Sprichwörter zu subsumieren sind, vgl. D’Hamonville, BdA, 27 f. 22. Die Reihenfolge ist nicht konstant. Es gibt Zeugnisse, die einmal die Reihenfolge Psalmen – Ijob – Sprichwörter dokumentieren (bBB 14b; modern BHS), dann aber auch die Sequenz Psalmen – Sprichwörter – Ijob (schon Melito von Sardes; Origines; dann: Rabbinerbibel und modernere hebräische Bibelausgaben wie Letteris, Ginsburg, Cassuto, Snaith, Koren, Sinai, 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

toren verändert. Der große Block der »hinteren Propheten« wird an das Ende gestellt und zwar in der Weise, dass das Zwölfprophetenbuch den Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel vorgeordnet wird. Auch Daniel wird diesem Prophetenblock eingefügt. Damit ist bereits ein zweiter Sachverhalt angesprochen: Der Block der »Schriften« in der hebräischen Bibel wird aufgelöst. Die Rollen Ruth und Esther werden ebenso wie die Bücher der Chronik und Esra und Nehemia den historischen Büchern (Jos–2Kön) zugeordnet und zwar so, dass Ruth vor 1Sam zu stehen kommt und die Chroniken unmittelbar nach den Königsbüchern ihren Platz finden. Esdras Alpha folgt ihnen. Diesem Ensemble sind Esra und Nehemia als Esdras Beta angefügt. Ihnen folgt das Buch Esther. Trotz dieser Neuordnung in großem Stil verbleibt das Buch der Sprichwörter in seiner vertrauten Umgebung. Es steht unmittelbar nach den Psalmen. Der Vater David geht dem Sohn Salomo voran. Dieses Verhältnis wird noch dadurch unterstrichen, dass dem Salomo zugeschriebenen Buch der Sprichwörter noch weitere »salomonische« Bücher folgen: Kohelet und das Hohelied. Erst dann folgt das Buch Ijob. 23

4.3 Die Struktur des Buches Das hebräische Buch der Sprichwörter ist durch Überschriften klar in sieben ungleich lange Teile gegliedert. Durch die Überschriften 1,1; 10,1; 22,17; 24,23; 25,1; 30,1 und 31,1 ergeben sich die Teile: I. Sprichwörter Salomos, des Sohnes Davids: 1,1–9,18 II. Sprichwörter Salomos: 10,2–22,16 III. Worte der Weisen: 22,27–24,22 IV. Den Weisen zugehörig: 24,23-34 V. Sprichwörter Salomos: 25,1–29,27 VI. Worte Agurs: 30,1-33 VII. Worte Lemuel zugehörig, von seiner Mutter stammend: 31,1-31 Die Großteile I, VI und VII können mit großer Sicherheit untergliedert werden. 1,19,18 enthält einen programmatischen Prolog (1,1-7), dem dann 10 Lehrreden folgen: (1) 1,10-19; (2) 2,1-22; (3) 3,1-12; (4) 3,21-35; (5) 4,1-9; (6) 4,10-19; (7) 4,20-27; (8) 5,1-23; (9) 6,1-19 und (10) 6,20–7,27. Die Reihe 10 weisheitlichen Lehrreden, strukturiert durch Lehreröffnung / Aufruf zum Hören, Korpus der Lehre/Mahnungen und Warnungen (Anrede), generalisierender Schluss, wird durch eine Rede der personifizierten Weisheit unterbrochen (1,20-33) und beendet (8,1-36). Ein Makarismus (3,13-20) und Epilog (9,1-18), der mit dem Prolog eine Inklusion bildet, lassen sich ebenfalls in diesem wohlgestalteten Teil identifizieren. Der Teil VI, die Worte Agurs, bietet eine Lehrrede (30,1ebenso wie die jüdischen Bibelübersetzungen von Zunz, Buber und Tur-Sinai). Hieronymus, auf jüdische Überlieferung sich stützend, bezeugt nochmals eine andere Folge der Bücher: Ijob zuerst, dann Psalmen und Sprichwörter. Das ist auch die Bücherfolge in der Vulgata (und Lutherbibel; Zürcherbibel; Einheitsübersetzung). Zur Bücherfolge und ihrer kanonischen Wertung vgl. Brandt, P., Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel, BBB 131, Hamburg 2001, bes. 63 f. 74. 125 f. 148 ff. 23. Jedenfalls ist das der Fall in den großen Codices B und S. In Codex A steht Ijob nach den Psalmen und den Cantica vor dem Buch der Sprichwörter. Die Vorordnung des Ijobbuches vor den davidisch-salomonischen (Ps, Spr, Koh, Hld) ist ebenfalls bezeugt. Vgl. Brandt, Endgestalten des Kanons, 172-217. bes. 205 f. – D’Hamonville, BdA, 29.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

14), der eine Sammlung von Zahlensprüchen angehängt ist. Ebenso leicht zu durchschauen ist Spr 31: Den Worten für Lemuel, wiederum eine weisheitliche Lehrrede darstellend, deren Autorin die Mutter ist (31,1-9), folgt das alphabetische Gedicht über die fähige Frau (31,10-31). Die Struktur der Teile II bis V ist im hebräischen Text sehr viel schwieriger zu durchschauen und gibt Anlass zu kontroversen Diskussionen. In der LXX finden sich von den sieben Überschriften zu den Großteilen des hebräischen Buches nur noch zwei: Spr 1,1 und Spr 25,1. Die Struktur der nun umfangmäßig stark angereicherten Teile ist nur mehr durch interne Analyse zu erheben, dabei spielen gattungstypische Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle. Während sich auch im griechischen Text von 1–9 die großen Reden der Weisheit und weisheitliche Lehrreden als Einheiten verifizieren lassen, werden von Spr 10,1–22,16 an maßgeblich Sentenzen vorgetragen. Mahnungen oder Warnungen gibt es kaum. In 22,17 ff. findet sich eine Lehreröffnung, die eine Lehrrede einleitet. Sie erstreckt sich bis 24,22. Durch fünf über den hebräischen Text hinausgehende Verse wird der Schluss der Lehre betont gesetzt. Es folgt im griechischen Text die Lehrrede 30,1-14, die aber nicht mehr als Lehrrede des Agur gekennzeichnet ist, in der sich vielmehr ein betontes »Ich« Geltung verschafft. Wiederum mit »ich« eingeleitet, ohne Korrespondenz zu dem hebräischen Einsatz »den Weisen zugehörig«, folgt dann der Abschnitt 24,23-34. Diesem angehängt sind die Zahlensprüche aus 30,15-33 und die Lehrrede 31,1-9, in der wiederum ein »Ich« spricht. Tabellarisch seien Abweichungen der LXX von MT unter der Rücksicht von Überschriften und Textfolge zusammengestellt: Vergleich der Textfolge und der Überschriften von Spr MT und Spr LXX LXX-Folge (Zählung nach MT) LXX-Überschriften 1–9

MT-Überschriften (in LXX-Folge)

Sprichwörter Salomons, des Sohnes Da- Sprichwörter Salomos, des Sohnes Davids, der König war in Israel vids, des Königs von Israel

10,1–22,16 22,17–24,22

Sprichwörter Salomos Den Worten von Weisen nähere dein Ohr und höre meine Rede …

… Worte von Weisen

bis hierher gleiche Folge wie MT 30,1-14

Meine Worte, Sohn, fürchte …

24,23-34

Dies aber rate ich euch, den Weisen, zu Auch diese Weisen zugehörig erkennen …

30,15-33

Die Worte Agurs, des Sohnes von Jake, aus Massa

[Zahlensprüche]

31,1-9

Meine Worte sind von Gott mitgeteilt, Worte Lemuel zugehörig, dem König Ausspruch eines Königs, den seine Mut- von Massa, mit denen ihn seine Mutter ter unterwies belehrte

25–29

Dies sind die Erziehungsgrundsätze Sa- Auch dies sind Sprüche Salomos, die die lomons, die vermischten(?), welche die Männer Hiskijas, des Königs von Juda Freunde Ezechias, des Königs von Judäa zusammengetragen(?) haben niedergeschrieben haben.

31,10-31

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

[Lob der fähigen Frau]

383

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

Es ergibt sich also für das Buch der Sprichwörter in der griechischen Fassung die folgende Gliederung: I. Dem Salomon zugeschriebene Lehrreden: 1,1–9,18 II. (Dem Salomon zugeschriebene) Sentenzen: 10,1–22,16 III. (Dem Salomon zugeschriebene) Mahnungen und Sentenzen: 22,14–24,22; 30,1-14; 24,23-34; 30,15-33; 31,1-9 IV. 25,1–31,31: Dem Salomon zugeschriebene Erziehungsgrundsätze. Die Auslassungen von Überschriften, die Umformulierungen von Überschriften durch die Einführung eines redenden »Ich« und die Neuorganisation des Stoffes durch die Umstellung ganzer Abschnitte haben den Sinn, Salomon als den Weisen schlechthin darzustellen und ihn als Autor des gesamten Buches zu präsentieren.

4.4 Neue sachlich-thematische Akzente im griechischen Text Die Übersetzung vermeidet den hebräischen Realismus. Z. B. werden Organe und Teile des menschlichen Körpers übergangen. Die präpositional verwendeten hebräischen Substantive »Kopf«, »Hand« und »Mund« in 8,2-3 werden vom griechischen Text nicht geboten. »Hand« ist auch 17,16 nicht übersetzt, auch in 1,24 ist die »ausgestreckte Hand« zu »ausgestreckten Worten«, d. h. zu Worten, die lange geredet worden sind, geworden. Der realistische Sinn des hebräischen Textes, wenn er von »dem Weg des Mannes bei der Jungfrau« spricht (Spr 30,19) wird zu »Wegen des Mannes in der Jugend«. »Brot« wird entweder gar nicht wiedergegeben (25,21) oder wird durch abstraktere, generelle Ausdrücke ersetzt (30,8; 28,3; 4,17; 31,14.27; 23,3 und 27,27). Psychologisierende Deutungen sind erkennbar. So wird der drastische Gestus, mit dem der Gierige sich ein Messer an den Hals setzen soll, zu einer Handbewegung, die begleitet ist von der Überlegung, dass er solches, was ihm vorgesetzt wurde, selbst bereiten muss (23,1-2). Dass es sich bei der LXX um eine Übersetzung handelt, die auf »Geistiges« mehr Wert legt als auf Materielles und Körperliches, wird an vielen Stellen deutlich. Die Erziehung ist ein Lohn für die, die sie anwenden. Der hebräische Text spricht von der Bestechung als dem Zauberstein in den Augen derer, die sie üben: 17,8. »Kraft« ist der Schmuck der Jungen im hebräischen Text, »Weisheit« im griechischen (20,29). Überhaupt es ist wohl »Weisheit«, die als Wert mit Vorzug von der Übersetzung zur Geltung gebracht wird. Das fängt beim Ende des Prologs (1,7) an und zieht sich durch das gesamte Buch. Wenn der hebräische Text sagt, der weise sei »Mann in Kraft«, das heißt er ist kräftig und stark, so deklariert die Übersetzung: ein Weiser ist besser als ein Starker (24,5). Die griechische Fassung des Buches stellt die Weisheit immer wieder in den Vordergrund. Sie ist für sie der grundlegende Wert. Das geschieht in der Rede der Weisheit selbst (8,21A-31), aber auch in Einzelversen: Weisheit ist der wahre Reichtum (3,15; 14,24; 21,20; 23,4) in der Weisheit liegt die wahre Macht eines Menschen (17,2; 21,22; 28,22). Die Hochschätzung der Weisheit in der LXX entspricht natürlich auch dem Duktus der hebräischen Vorlage. Aber dieses »Foregrounding« der Weisheit ist doch bemerkenswert. Neben der Weisheit betont die Übersetzung vor allem die Gerechtigkeit. Der Gerechte ist dem »Gottlosen«, dem ἀσεβής, gegenübergestellt. Der Gegensatz gewinnt durch die Wiedergabe von ‫ רשׁע‬durch ἀσε384

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

βής ein Plus an Religiosität. Im Rahmen der Gerechtigkeit stellt die Übersetzung die barmherzig-solidarische Zuneigung zum anderen heraus, so in der LXX eigenen Stichen (12,13A, 12,26b; 13,9A.11; 17,5), als auch in mancher Transformation der hebräischen Vorlage (12,10; 18,27; 19,11; 19,22; 21,26; 28,22). 24 An Spr 20,6 sei das noch etwas erläutert: Spr 20,6LXX lautet: μέγα ἄνθρωπος καὶ τίμιον ἀνὴρ ἐλεήμων ἄνδρα δὲ πιστὸν ἔργον εὑρεῖν (Etwas) Großes ist der Mensch und (etwas) Kostbares ist der barmherzige Mann, aber ein (anstrengendes) Werk ist es, einen verlässlichen/treuen Mann zu finden.

Der zweite Stichos der griechischen Fassung ist eine elegante Wiedergabe der rhetorischen Frage im hebräischen Text: :‫ואישׁ אמונים מי ימצא‬ aber einen Mann, auf den Verlass ist, wer wird ihn finden?

Der erste Stichos dagegen scheint völlig eigene Wege zu gehen. Im Hebräischen lautet dieser:

‫רב־אדם יקרא אישׁ חסדו‬ Der Stichos ist nicht eindeutig. Er kann übersetzt werden: Viele Menschen rufen sich selbst als solidarischen Mann aus. 25

Buber übersetzt den Versteil: Die Menschenmenge ruft aus, jedermann seine Holdschaft.

Eine andere Übersetzung ist möglich: Die Menge der Menschen rufen den Mann seiner/ihrer Solidarität (?).

Doch hier interessiert die griechische Fassung des Stichos. Gibt es eine Erklärung dafür, dass die griechische Version aus der Feststellung eines wohl negativ gemeinten Tatbestandes, eine generelle Aussage über den Menschen macht, deren Positivität ihresgleichen sucht? Die Verbform ‫ יקרא‬ist offensichtlich als Adjektiv aufgefasst worden: ‫ = יקר‬kostbar, teuer. Zweifellos hat der Übersetzer das Verbum ‫» קרא‬rufen« gekannt. Mehrfach hat er es zutreffend übersetzt. 26 Der Übersetzer hat aber nicht nur das Ver24. Die besonderen Züge der LXX sind durch D’Hamonville, BdA, 113-132 sehr schön und überzeugend herausgestellt. 25. In diesem Sinne auch EÜ; Elberfelder; LuthB; TOB; FBJ. Vgl. Vulgata: multi homines misericordes vocantur virum autem fidelem quis inveniet. Doch kann der Vers anders übersetzt werden: Zunz-Bibel: Eine Menge Menschen nennt man Freunde, aber wer findet den getreuen Mann? – Tur Sinai: Viel Menschen nennt der Mann als seine Freundschaft, den treuen Mann jedoch – wer findet ihn? – Vgl. die Diskussion der Übersetzung bei Meinhold, A., Die Sprüche. Teil 2: Sprüche Kapitel 16-31, Zürich 1991, 334. Er übersetzt: »Eine Menschenmenge – jeder ruft seine Güte aus.« Als Alternative bietet er »Die Menschenmenge ruft den Mann ihrer Güte«. (331 mit Anm 87). 26. Spr 1,21 mit κηρύσσειν; 1,24 mit καλεῖν; 1,28 mit ἐπικαλεῖν; 2,3 mit ἐπικαλεῖν; 8,1 mit κη4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

385

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

bum ‫ קרא‬zu dem Adjektiv ‫ יקר‬gemacht, sondern er setzt auch für das Substantiv/Adjektiv ‫ רב‬/ ‫ = רב‬πολύς das Adjektiv ‫ = גדול‬μέγας. Das deutet auf einen ganz bewussten Eingriff hin. Dass die griechischen Adjektive im Neutrum gebraucht sind (μέγα, τίμιον), verrät griechischen Stil. Der Satz Spr 20,6a könnte einem gebildeten Griechen den Anfang eines Chorliedes aus der Antigone des Sophokles in Erinnerung bringen: Vieles ist ungeheuer, nichtsungeheurer als der Mensch. 27

Ein Wort noch zum Thema »Gesetz«: Das Wort ‫ תורה‬begegnet im hebräischen Text nur 13-mal (1,8; 3,1; 4,2; 6,20.23; 7,2; 13,14; 28,4 (2-mal).7.9; 29,18; 31,26). Von diesen Belegen entfallen drei auf die Weisung, die die Mutter dem lernenden Menschen gibt: 1,8; 6,20; 31,26. In anderen Fällen ist es der Lehrende, der seine Weisung anpreist (3,1; 4,2; 7,2;), so dass geradezu von »der Weisung des Weisen« gesprochen werden kann (13,14). LXX gibt nur an den folgenden Stellen ‫ תורה‬mit νόμος wieder 4,2; 6,23; 13,14; 28,4 (zweimal).7.9; 29,18. In 3,1 gibt sie eine Ableitung von νόμος: νόμιμος, auch 31,25.28 — beide Verse variieren 31,26 MT — liegen Ableitungen vom Nomen νόμος vor. Dagegen hat LXX das Substantiv νόμος an Stellen gesetzt, wo es im Hebräischen nicht steht: 3,16A; 9,10A; 13,15 28. Aus diesem Tatbestand einen Nomismus des griechischen Buches herauszulesen, scheint nicht angebracht. Die im grundsätzlichen Zusammenhang untergebrachten Sätze über das Gesetz (3,16A) stellen neben dem Gesetz Gerechtigkeit und Erbarmen heraus. Die Übersetzung stellt eine gelungene Verbindung biblischer Konzepte mit griechischem Stil und Geist dar. Die Intentionen der Vorlage werden nicht aufgegeben, werden im Gegenteil verstärkt, doch geschieht das in der Weise, dass Griechisches nur selten beeinträchigt wird. In dem Punkt, in dem die LXX das auffälligste Zeichen ihrer Produktivität und Kreativität hinterlassen, in der Vereinnahmung des ganzen Buches für Salomon, mag sich eine apologetische Tendenz zu erkennen geben: König Salomon ist wirklich der weiseste aller Menschen (1Kön 5,11). Nicht menschliche Weisheit vertritt er (Spr 30,2LXX), von Gott belehrt, tritt er mit seiner Unterweisung hervor (Spr 30,3LXX; 31,1aLXX; vgl. 1Kön 5,9).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die innerbiblische Rezeptionsgeschichte hat D’Hamonville unter den Stichworten »Sirach«, »Weisheit Salomons« und »Neues Testament« skizziert. 29 Seine Bemerkungen seien hier referiert. Das Verhältnis von Proverbia zu Sirach wird einmal durch einen ρύσσειν; 8,4 mit παρακαλεῖν; 9,3 mit συνκαλεῖν; 9,15 mit προσκαλεῖσθαι; 18,6 mit επικαλεῖσθαι; 21,13 mit επικαλεῖσθαι. Spr 9,18; 12,23 versteht LXX das Verbum ‫ קרא‬im Sinne von ‫» = קרה‬begegnen«. In 7,4 verändert LXX das Rufen in ein Tun/Machen: περιποιεῖν. 27. Sophokles, Antigone 332-333: πόλλα τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀνθρώπου δεινότερον πέλει. Zu weiterem Anthropologischen vgl. Jüngling, Der Mensch. 28. Die beiden Stichoi in Spr 9,10A und 13,15b sind fast identisch: τὸ … γνῶναι νόμον διανοίας ἐστὶν ἀγαθῆς. 29. D’Hamonville, BdA, 144-149.

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

bewussten Gegensatz hergestellt. Die Salomonisierung der griechischen Proverbia wird vom griechischen Sirach auf grandiose Weise unterlaufen. Das Vorwort des Übersetzers, der sich als Enkel des Verfassers des hebräischen Originals bezeichnet, genauso wie die Zuschreibung des Werkes an Jesus, den Sohn des Sirach (Sir 50,27) setzt zur auschließlichen Autorschaft durch Salomon als des Weisen schlechthin, wie sie die griechischen Proverbia herausstellt, einen bemerkenswerten Kontrapunkt. Hinzu kommt die nicht gerade vorteilhafte Präsentation Salomos im »Lob der Väter« (Sir 47,19-21). Trotz dieses Unterschieds entwickelt Sirach dann die im Prolog von Proverbia 1,1-7 gegebenen Themata »Weisheit« und »Gottesfurcht« im großen Eingangstraktat Sir 1-2 auf originelle Weise weiter. Seine eigene Leistung besteht darin, dass er die Weisheit mit der Tora identifiziert (Sir 24). Eine Einzelheit: Es kann sogar sein, dass der Ausdruck στροφαὶ λόγων aus Spr 1,3 einen Nachklang bei Sirach hat (Sir 39,2: ἐν στροφαῖς παραβολῶν). 30 Dasselbe könnte für den zweimal im griechischen Sirach gebrauchten Ausdruck γυνὴ ἀνδρεία (Sir 26,2; 28,15) gelten. Er steht wie in Spr 31,10 für die hebräische Fugung ‫אשׁת־חיל‬. Nochmals als Kontrast: Die Behandlung des Weins in Spr 23,29-35 und Sir 31,25-31. Das Buch der Weisheit stellt, wie es die Proverbia mit Salomon tun, einen König als Träger der Weisheit vor (Weish 7,1–9,18). Er wird traditionell und schon in den Titeln und Unterschriften der Handschriften mit Salomon identifiziert wird. Das Buch setzt also in dieser Hinsicht die Linie der Proverbia fort. Wie Proverbia identifiziert das Buch der Weisheit die Sophia nicht mit der Tora. Im Buch der Weisheit lassen sich Formulierungen finden, die ihren Ursprung wohl in den Proverbia haben. Die Fügungen πάρεδρον … τῶν πυλῶν αὐτοῦ in 6,14 und τὴν τῶν σῶν θρόνων πάρεδρον in 9,4 sind auf Proverbia zurückzuführen. Ohne Korrespondenz im Hebräischen ist dort von ἐπὶ δὲ πύλαις δυναστῶν παρεδρεύει (Spr 1,21) und παρὰ γὰρ πύλαις δυναστῶν παρεδρεύει die Rede (8,3). Das Verbum παρεδρεύειν kommt sonst nicht mehr in der LXX vor. Ähnliches gilt für das Verbum συμπαρεῖναι in Spr 8,27 und Weish 9,10. 31 Ferner Prov 4,6 ist ἐράσθητι αὐτῆς mit Weish 8,2 ἐραστὴς ἐγενόμην τοῦ κάλλους αὐτῆς. Die theologisch gewichtige zweimal in Tobit vorkommende Sentenz ἐλεημοσύνη ἐκ θανάτου ῥύεται in Tob 4,10 (BA) und 12,9 (BA und S) geht allem Anschein auf die hebräische Fassung von Spr 10,2 zurück. Die griechische Fassung von Spr 10,2 lautet δικαιοσύνη δὲ ῥύσεται ἐκ θανάτου. Der Index der Ausgabe des Neuen Testaments von Nestle-Aland weist etwa 85 Bezugnahmen des Neuen Testaments auf das Buch der Sprichwörter aus. 32 Doch bei den meisten Stellen sind die Bezüge tatsächlich nur Anspielungen, bisweilen handelt sich gar nur um eine Übereinstimmung eines einzelnen Wortes. So wird z. B. bei Apg 2,2 auf Spr 1,23 verwiesen. Sie haben aber nur das Wort πνοή gemeinsam. D’Hamonville identifiziert 10 direkte Zitate: Röm 12,17 – Spr 3,4; Röm 12,20 – Spr 25,21 f.; 2Kor 8,21 – Spr 3,4; 2Kor 9,7 – 30. So D’Hamonville, BdA, 145. 31. Zum Verhältnis von Proverbia zu Weisheit vgl. D’Hamonville, BdA, 145-147. Er folgert, dass die lexikalischen Berührungen eine theologische Vertiefung der Proverbia durch das Buch der Weisheit darstellen. 32. Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece271998,788 f. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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5.1 Paroimiai / Proverbia / Sprichwörter / Sprüche Salomos

Spr 22,8a; Eph 5,18 – Spr 23,31; Hebr 12,5-6 – Spr 3,11 f.; Hebr 12,13 – Spr 4,26; Jak 4,6 – Spr 3,34, 1Petr 4,18 – Spr 11,31; 1Petr 5,5 – Spr 3,34. 33 Ein Vergleich der Liste mit dem Index bei Nestle-Aland ist aufschlussreich. Die Stellen Röm 12,17; 2Kor 8,21; Eph 5,18 und Hebr 12,13 sind im Index bei Nestle-Aland aufgeführt, jedoch nicht als direkte Zitate durch Kursivdruck kenntlich gemacht. Die verbleibenden sechs Stellen sind jedoch als solche herausgehoben, sie kongruieren mit den Stellen bei D’Hamonville. Der Beleg Röm 2,6 (Mt 16,27) mit dem Zitat von Spr 24,12 ist insofern interessant, als Spr 24,12 identisch ist mit Ps 61(62),13. Man kann mutmaßen, dass der Römerbrief sich eher auf den Psalm als auf den Sprüchetext bezieht. 34 Weder bei D’Hamonville noch im Index bei Nestle-Aland als Zitat ausgewiesen ist Röm 3,15, das Spr 1,16 zitiert. Es könnte sich aber auch um das Zitat des gleichlautenden Verses in Jes 59,7 handeln. In 1Petr 4,8 (vgl. Jak 5,20) wird Spr 10,12 zitiert. Der griechische Wortlaut entspricht der hebräischen Fassung von Spr 10,12, nicht der griechischen. 2Petr 2,22 spielt auf Spr 26,11 an, und fügt dem Beispiel des Hundes, der zu seinem Gespei zurückkehrt, noch das der gewaschenen Sau hinzu, die sich erneut im Dreck suhlt. Die Zitate der Proverbia finden sich in den paränetischen Passagen der neutestamentlichen Briefliteratur. Allerdings ist für die hymnischen Aussagen von Kol 1,15-20 auch der Abschnitt Spr 8,22-30 von großem Gewicht. Spr 8,22 ff. ist dann in der Exegese der Kirchenväter wichtig. Der Abschnitt spielt in der christologischen Argumentation eine große Rolle.

6. Perspektiven der Forschung Für die Forschung bleibt eine zunächst eine basale Aufgabe. Es gibt noch keine kritische Ausgabe der Proverbia LXX. Die andere Aufgabe aber besteht in der Anerkennung der griechischen Form des Sprüchebuches als eines jüdisch-hellenistischen Dokuments eigenen Rechts. Das Buch bietet nicht nur eine Möglichkeit, zweifelhaften hebräischen Textbestand zu sichern. Nur zu lange hat die Proverbia-LXX als Steinbruch zur Wiederherstellung schwieriger hebräischer Textpassagen gedient. Es ist an der Zeit, nachdem erkannt worden ist, dass die Übersetzer des hebräischen Textes keine sklavisch-literalistische Fassung des Buches im Sinn hatten, sondern durchaus positiv und kreativ ihre hebräische Vorlage bearbeiteten, dieses Dokument als solches zu würdigen. Zum Ende hierzu noch ein Beispiel: Was bedeutet es, dass in einem Kontext, der sehr eindeutig auf das Hauptgebot Dtn 6,4 ff. verweist, die hebräische Version ‫ בכל־דרכיך דעהו‬zu ἐν πάσαις ὁδοῖς σου γνώριζε αὐτήν geändert wird? Gott wird durch die Weisheit ersetzt (Spr 3,6). Diese Änderung müsste im Kontext gewürdigt werden — zunächst auch ohne Zuhilfenahme der Kirchenväterexegese. 35

33. D’Hamonville, BdA, 148. Vgl. schon oben Anm. 18. 34. So D’Hamonville, BdA, 148. 35. Vgl. dazu D’Hamonville, BdA, 174 f. Er verweist auf Clemens von Alexandrien und Evagrius.

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6. Perspektiven der Forschung

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo Peter J. Gentry (mit Yun-Yeong Yi)

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1896 — RaHa 1935/2006 — Gentry, P., Ekklesiastes, Vetus Testamentum Graecum, Göttingen (in Bearbeitung).

1.2 Qumran-Texte 4QQoha.b = 4Q109.110 (DJD 16). BQS 746-748 — HTTM 483-487. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Vinel, F., L’Ecclesiaste, BdA 18, Paris 2002 — Gentry, P., Ecclesiast, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 648-656 — Backhaus, F. J., Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 978-997 — Backhaus, F. J., Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.E, Stuttgart 2011, 2001-2028.

1.4 Weitere Literatur Aitken, J. K., Phonological Phenomena in Greek Papyri and Inscriptions and their Significance for the Septuagint, in: J. Corley / V. Skemp (Hg.), Studies in the Greek Bible (FS F. T. Gignac, S. J.), Washington, D.C. 2008, 256-277 — Bertram, G., Hebräischer und griechischer Qohelet. Ein Beitrag zur Theologie der hellenistischen Bibel, ZAW 54 (1952), 26-49 — Cannon, W. W., Jerome and Symmachus: Some Points in the Vulgate Translation of Koheleth, ZAW 45 (1927), 191199 — Euringer, S., Der Masorahtext des Koheleth kritisch untersucht, Leipzig 1890 — Géhin, P., Évagre le Pontique: Scholies a l’Ecclésiate, Sources Chrétiennes 397, Paris 1993 — Gentry, P. J., Hexaplaric Materials in Ecclesiastes and the Rôle of the Syro-Hexapla, Aramaic Studies 1 (2003), 5-28 — Gentry, P. J., The Relationship of Aquila and Theodotion to the Old Greek of Ecclesiastes in the Marginal Notes of the Syro-Hexapla, Aramaic Studies 2.1 (2004), 63-84 — Gentry, P. J., Propaedeutic to a Lexicon of the Three: The Priority of a New Critical Edition of Hexaplaric Fragments, Aramaic Studies, 2.2 (2004), 145-174 — Gentry, P. J., The Role of the ›Three‹ in the Text History of the Septuagint: Aspects of Interdependence of the Old Greek and the Three in Ecclesiastes, Aramaic Studies, 4.2 (2004), 153-192 — Gentry, P. J., Issues in the Text-History of LXX Ecclesiastes, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien und Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 201-222 — Gentry, P. J., New Ultra-Literal Translation Techniques in kaige-Theodotion and Aquila in: Jan Joosten Volume — Gentry, P. J., The Distinctive Aims of the Göttingen Apparatus: Examples from Ecclesiastes. An Edition in Preparation, in: R. Kratz / B. Neuschäfer (Hg.), Die Göttinger Septuaginta. Ein editorisches Jahrhundert-Projekt, MSU 30, Göttingen 2013, 73-106 — Klostermann, E., De libri Coheleth versione Alexandrina, Diss. Kiel 1892 — Klostermann, E., Analecta zur Septuaginta, Hexapla 1. Literatur

389

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

und Patristik, Leipzig 1895 — Leanza, S., Le tre versioni geronimiane dell’Ecclesiaste, Annali di storia dell’esegesi 4 (1987), 87-108 — McNeile, A. H., An Introduction to Ecclesiastes, London 1904 — Mercati, G., Nuove Note di Letteratura Biblica e Cristiana Antica, Studi e Testi 95, Città del Vaticano 1941 — Salters, R. B., Notes on the History of the Interpretation of Koh 5 5, ZAW 90 (1978), 95-101 — Strothmann, W., Das syrische Fragment des Ecclesiastes-Kommentars von Theodor von Mopsuestia: Syrischer Text mit vollständigem Wörterverzeichnis, GOF I.28, Wiesbaden 1988 — Strothmann, W., Syrische Katenen aus dem Ecclesiastes-Kommentar des Theodor von Mopsuestia: Syrischer Text mit vollständigem Wörterverzeichnis, GOF I.29, Wiesbaden 1988 — Strothmann, W., Kohelet-Kommentar des Johannes von Apamea: Syrischer Text mit vollständigem Wörterverzeichnis, GOF I.30, Wiesbaden 1988 — Strothmann, W., KoheletKommentar des Dionysius bar Ṣalibi: Auslegung des Septuaginta-Textes, GOF I.31, Wiesbaden 1988 — de Waard, J., The Translator and Textual Criticism (with Particular Reference to Eccl 2,25), Biblica 60 (1979), 509-529 — Yi, Yun-Yeong, Translation Technique of the Greek Ecclesiastes, Ph.D. diss. Southern Baptist Theological Seminary, Fort Worth/TX 2005 — Ziegler, J., Die Wiedergabe der nota accusativi ’et, ’aet- mit σύν, in: Lebendige Forschung im Alten Testament, Supplement zu ZAW 100 (1988), 222-233 — Ziegler, J., Der Gebrauch des Artikels in der Septuaginta des Ecclesiastes, in: D. Fraenkel / U. Quast / J. W. Wevers (Hg.), Studien zur Septuaginta (FS R. Hanhart), MSU XX, Göttingen 1990, 83-120.

2. Textüberlieferung und Editionen Derzeit ist die sog. Handausgabe von A. Rahlfs die beste zur Verfügung stehende Edition. Für die Göttinger Septuaginta ist eine von Peter J. Gentry erarbeitete kritische Gesamtausgabe in Vorbereitung. Diese kritische Edition wird basieren: auf der Analyse von fünf Papyri (818 870 969 992 998), sechs Unzialhandschriften (A B C S V 3010), 92 Minuskeln (Mss von Olympiodorus ausgenommen), vier griechischen Kommentaren (Didymus [IV], Gregor von Nyssa [IV], Olympiodorus [VI], Metrophanes von Smyrna [XI]), patristischen griechischen und lateinischen Zitaten, acht Tochterversionen und vier frühen Drucken (Aldina, Complutensis, Sixtina, Grabe). Textgruppen und Verbindungen können folgendermaßen dargestellt werden: Verwandte von B (B-68; B-68' = B-68-534; 534' = 534-613'; 613' = 613-602) Rezensionen und Gruppen: O = V-253-637 + 411 L = 106-125-130-261-545 125' = 125-261 C = 139-147-159-299-390-415-503-504-522-540-560-563-571-574-732-798 cI = 157-425-601-609-797 157' = 157-797 cII = 295(ab 312)-371-561 (CCSG 11: 295 = O; 371 = E; 561 = P) a = 46-337-631 46' = 46-631 d = 254-342-357-754 254' = 254-754 Codices mixti: 68 125II 149 155 161 248 252 260 296 311 336 338 339 359 443 534 539 542 543 547 548 549 602 613 645 698 705 706 728 766I 766II 770 795

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2. Textüberlieferung und Editionen

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

Manuskriptpaare, Kopien und Derivate: 125II = Kopie von 542 248' = 161-248 260' = 260-149 296' = 296-548 336' = 336-728 534' = 534-613 (602 ist eine Kopie von 613) 766 = 766I-766II Versionen: Arm Aeth Co (Fa Sa) CPA La Pesch Syh Gedruckte Editionen: Ald (= 68) Compl (= 248) Sixt (= B) Gra Das früheste Manuskript ist die Nummer 998, ein Papyrus datiert etwa auf das Jahr 300, welcher den gesamten Text auf Fayyumisch und Griechisch enthält. Es ist der Vorläufer von B. Beide, 998 und B, bezeugen schon sowohl stilistische Korrekturen als auch prähexaplarische Lesarten der jüdischen Revisoren. Während die O-Gruppe zwei Hinzufügungen noch nicht bezeugt, sind diese Handschriften gute Zeugen der frühen LXX. Die O-Gruppe war der Ausgangspunkt für die späteren Korrekturen in S und Chrysostomos (Chr). Die lukianische Reezension (L), beeinflusst durch den ο'-Text, fügte hauptsächlich auf Grammatik und Stil basierende Korrekturen hinzu. Als Gruppe teilt L auffällige Varianten mit Chr, welche selten mit O übereinstimmen. Wo L geteilt wird, stimmt 261 am dichtesten mit Chr überein. Wahrscheinlich bewahrt Chr lukianische Lesarten, die in der L-Gruppe verloren gegangen sind. Es gibt Beweise für prä-hexaplarische Lesarten in L. Die L-Gruppe bewahrt Doubletten, die von Lesarten der jüdischen Revisoren stammen an Stellen, wo der griechische Text schwer verständlich ist. »Protolukianische« Lesarten nachzuweisen ist derzeit wegen der dürftigen Zeugnisse nicht möglich, weil die Vetus Latina zu wenig erhalten ist. Das Buch Kohelet war in der Alten Kirche beliebt und die Katenen-Tradition ist reich und vielseitig. Der »Kommentar« des Olympiodorus ist eigentlich der Anfang einer Katene aus derselben Zeit. C repräsentiert die Polychronis-Katene; cI repräsentiert Manuskripte ohne Katene, deren biblischer Text von C abgeleitet ist. cII ist die »Drei-Väter-Katene« und 260 die Catena Hauniensis, deren biblischer Text eine Weiterentwicklung von cII zu sein scheint. Die O-Gruppe hat die Katenen-Tradition beeinflusst, besonders CII, durch 411. 733 und 754 tragen die Procopius-Katene weiter, während 299 und 342 Katenen-Traditionen vermischten. 336 und 338 sind Handschriften, die die Polychronius-Katene weiterführen, aber ihr Bibeltext ist verschieden und weniger bearbeitet als der von C. MS 539 enthält nur Exzerpte, hexaplarische Lesarten und Scholien und repräsentiert möglicherweise den Beginn der Katenen-Tradition. MSS 161 248 (= 248') sowie 252 repräsentieren gelehrte Traditionen, deren Texte voll von Korrekturen auf diese Tradition hin sind. Eine große Anzahl von Minuskeln ist kaum rezensiert und vermittelt verlässlich eine frühe Form des Textes (155 296' 311 339 336' 338 359 443 542 543 547 549 645 698 705 706 766I 766II 770 795). Arm scheint von einer frühen Form des Textes zu stammen, während Aeth aus der Zeit nach 800 stammt und mit den Katenen MSS 539 and 574 verbunden ist. Die Überreste der koptischen (fayyumischen und sahidischen) Versionen, die au2. Textüberlieferung und Editionen

391

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

ßer in drei Manuskripten nur fragmentarisch erhalten sind, repräsentieren verschiedene Übersetzungen, die in mehreren Anläufen zu unterschiedlichen Zeiten entstanden und die daher gewisse Unterschiede zeigen. Die Version in christlich-palästinischem Aramäisch ist zu fragmentarisch, um ihre Verbindungen bestimmen zu können. Normalerweise ist sie eine Wiedergabe, die direkt auf der LXX basiert. Zeugen der Vetus Latina sind sehr dürftig: MS 160 enthält 26 Verse, während Mss 94, 95, und 96 den Text von 13 Versen in Form von Randnotizen überliefern. Hieronymus erstellte drei Übersetzungen: (1) eine hexaplarische Rezension (387 n. Chr.), (2) den Lemma-Text seines Kommentars (388 n. Chr.) und (3) die Vulgata-Übersetzung aus dem Hebräischen (398 n. Chr.). Weil die Vetus Latina verschiedene Versionen hat, liegen vermutlich auch dem Lemma-Text des Kommentars verschiedene Textformen zu Grunde, die Hieronymus außerdem auch noch selber korrigierte, wobei er entweder die jüngeren jüdischen Übersetzungen (hauptsächlich Symmachus) oder den hebräischen Text benutzte. Somit hat sein Text eine Vielzahl von Verbindungen mit anderen Zeugen und kann daher (anders als es in der Edition von Rahlfs der Fall zu sein scheint) kaum als zuverlässige Orientierungshilfe hinsichtlich Vetus Latina angesehen werden. Die Syro-Hexapla (Syh) ist dem Text von 542 am Nächsten und scheint entfernt verwandt mit den Repräsentanten der O-Gruppe zu sein. In 45 % aller Fälle stimmt Syh mit mindestens einem Mitglied von O überein (Syh und Standard-O-Text: 25 %). Normalerweise repräsentiert die Peschitta eine Version, die unabhängig von der LXX entstanden ist, aber im Buch Kohelet gibt es einige eindeutige Beispiele von sporadischem Gebrauch der LXX. Da diese Übersetzung im vierten Jahrhundert zitiert wird, muss sie aus dem dritten/zweiten Jahrhundert stammen; sie bezeugt somit einen alten (vorhexaplarischen) griechischen Text von vor dem Jahr 200.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik Die Übersetzung der griechischen Version des Buches Kohelet ist generell als wörtlich zu charakterisieren, aber nicht als mechanisch. Der Übersetzer gebraucht sowohl funktionale als auch eher wörtliche Entsprechungen. Variationen der Wiedergabe finden sich auch in einheitlichen Mustern. Solche Variationen rühren von kontextueller Interpretation, stilistischen Variationen oder dem Anspruch an die Zielsprache her. Nomen: Ein Vergleich zwischen dem griechischen Buch Kohelet und seinem mutmaßlichen Ursprungstext zeigt, dass ungefähr 86 % der hebräischen Nomina wörtlich wiedergegeben werden. Die 47 Fälle von Eigennamen im MT werden alle mit ihrem korrespondierendem Eigennamen im Griechischen übersetzt (z. B. ‫ > דוד‬Δαυιδ, 1,1a). Für allgemeine Nomina verwendet der Übersetzer in 86 % aller Fälle entsprechende griechische Wörter (z. B. ‫ > דברי‬ῥήματα in 1,1a); in 14 % benutzt er zweckmäßige Entsprechungen, wie substantivierte Adjektive oder idiomatische Wiedergaben. Beispiele sind z. B. ἀκούσιον für ‫ שגגה‬in 10,5b oder εἰς τάφους für ‫ קברים‬in 8,10a. In 87 % aller Fälle verwendet er im Griechischen Adjektive für Adjektive im He392

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

bräischen (z. B. ‫ > יגעים‬ἔγκοποι). In 7,24a gibt der Übersetzer das prädikative Adjektiv ‫( רחוק‬MT) mit dem Adverb μακράν wieder. Dies kann mit dem unterschiedlichen Konsonantentext begründet werden. Der Übersetzer scheint ‫ משהיה‬in seiner Vorlage gehabt zu haben statt ‫מה שהיה‬, und der Übersetzer schien das ‫ מ‬für ein komparatives ‫מן‬ gehalten zu haben. Aus diesem Grund zählt auch dieser Fall zu den wörtlichen Übersetzungen. Für andere hebräische Adjektive benutzte er zweckmäßige Äquivalente genauso wie substantivierte Partizipien und finite Verben. Die Wiedergabe von Nomen in Fachworten von Zahlen, Grenzstrukturen, attributiven Adjektiven aber auch die Artikelsetzung zeigt eine extreme quantitative Annäherung des Übersetzers. Der Übersetzer gibt Nomina, die im Hebräischen im Singular stehen, in 98 % aller Fälle im Griechischen ebenfalls im Singular wieder, und Nomina im Plural in 85 % aller Fälle durch einen Plural im Griechischen. In 12 Fällen gebraucht der Übersetzer ein Nomen im Plural im Griechischen für ein Nomen im Singular im Hebräischen. Diese Fälle schließen kollektive Nomina ein (z. B. ‫ בהמה‬in 3,18b durch κτήνη), grammatikalische Anpassungen (z. B. der Plural κοιτώνων für den distributiven Singular ‫ משכב‬in 10,20a) und Textprobleme (z. B. λόγων für ‫ דבר‬in 7,8a). Es gibt einige Fälle, in denen theologische Anpassungen beteiligt sind. Zum Beispiel bei der Wiedergabe von ‫מעשה‬: Wenn es als nomens regens im Sinn von Werke Gottes fungiert, benutzt der Übersetzer normalerweise einen Plural ποιήματα, wenn es im Sinn von »Werke von Menschen« gemeint ist, verwendet er dagegen den Singular ποίημα (z. B. 8,14a und 8,17a). Für das nomen rectum einer hebräischen Genitivverbindung benutzt der Übersetzer normalerweise einen Genitiv im Griechischen (97 %, z. B. ‫ > לב חכם‬καρδία σοφοῦ in 8,5b). Der Übersetzer macht das aber nicht sklavisch, sondern er folgt auch der Bedeutung; so z. B. in 8,1b (προσώπῳ). Wo der Artikel im Konsonantentext auftaucht, wird dieser in mehr als 92 % aller Fälle wörtlich übersetzt. Aber wenn der Artikel nicht explizit im Konsonantentext erscheint, stimmt er mit dem MT hinsichtlich Artikeln in 65 % aller Fälle überein. Interessanter Weise versieht der Autor determinierte Formen mit pronominalem Suffix nur in 35 % aller Fälle mit einem Artikel. Die Wiedergabe von Personalpronomen im Hebräischen geschieht mit 100-prozentiger Entsprechung. Für Demonstrativa bedient sich der Autor normalerweise genauer formaler Äquivalente, aber in einigen Fällen berücksichtigt er vorsichtig die grammatikalische Verbindung mit anderen Wörtern. Wenn zum Beispiel ‫ הוא‬keinen Artikel hat, gibt er es mit dem Demonstrativpronomen τοῦτο (z. B. 2,1b) wieder. Auf der anderen Seite, wenn im Hebräischen ‫ הוא‬einen Artikel hat und als ein attributives Adjektiv fungiert, benutzt der Übersetzer ἐκεῖνος (z. B. 5,13a). Die Entsprechungen für hebräische Interrogative sind ebenfalls wörtlich, aber nicht mechanisch. So zeigt z. B. die Wiedergabe von ‫למה‬, wie der Übersetzer die Tiefenstruktur von hebräischen Sätzen wahrnimmt. Er scheint die Fälle in 5,5b, 7,16b, and 7,17b als rhetorische Fragen zu interpretieren und erwartet eine negative Antwort. Daher benutzt er ἵνα μή oder die stilistische Variante μήποτε, um den negativen Sinn dieser Fälle wiederzuspiegeln. Bei Relativsätzen gebraucht der Autor verschiedene Wege, aber alle sind genau nach ihrer Funktion konstruiert und zeigen einen guten griechischen Sprachstil. Ein Beispiel wäre ‫שׁ‬, welches 68-mal im Buch Kohelet vorkommt. Nach seiner grammatikalischen Funktion im Satz wird es gemeinhin mit ὅς, ὅς ἑάν oder ὅστις wiedergegeben. 74 % aller Vorkommnisse von Nomen und Adjektiven auf dem lexikalischen Level 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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können als stereotype Wiedergaben betrachtet werden (eins-zu-eins Entsprechungen oder viele-zu-eins Entsprechungen). Die Variationen können durch drei Faktoren erklärt werden: (1) idiomatisches Griechisch (z. B. ‫ > בני־בית‬οἰκογενεῖς in 2,7), (2) durch den Kontext bestimmte Übersetzungen (z. B. ‫ > ארץ‬πόλις in 10,16. In den vorangehenden Versen wird ‫ עיר‬mit πόλις übersetzt), und (3) stilistische Variation (z. B. ‫בקשׁ‬ ‫ > חשׁבון‬ζητῆσαι ψῆφον in 7,25 und ἐζήτησαν λογισμούς in 7,29). Bei der Wiedergabe von finiten Verben berücksichtigt der Übersetzer sowohl den Aspekt als auch den temporalen Bezug. Um zum Beispiel yqtl wiederzugeben, bedient er sich verschiedener Formen, wie Futur Indikativ, Aorist Indikativ oder Präsens Indikativ, jeweils entsprechend Aspekt oder temporalem Bezug. Wo er yqtl in abhängigen Sätzen übersetzt, bedient er sich des Subjunktivs. Der Übersetzer behandelt die weyqtl Formen und die yqtl Formen auf gleiche Weise, während er wayyqtl wie qtl wiedergibt. Wie für qtl Formen bedient er sich dabei normalerweise des Aorist Indikativs. Der Präsens Indikativ im Griechischen wird für gnomische Rede gebraucht und das substantivierte Partizip wird für Relativsätze verwendet. Das Futur Indikativ wird sowohl für die Zukunft als auch oder für Variationen des Aorist Subjunktiv gebraucht. Für alle hebräischen Imperative gebraucht der Übersetzer Imperative und für andere Modalformen berücksichtigt er den Kontext, um zu bestimmen, ob sie modal gebraucht werden, oder nicht. Bei der Übersetzung von Verboten benutzt er entweder μή plus Aorist Subjunktiv oder μή plus Imperative als stilistische Variation. In 98 % aller Fälle gibt es eine Übereinstimmung in Numerus und Person. Für die übrigen Verben verändert der Übersetzer generell den Numerus des Verbs, um dem Anspruch der Zielsprache zu genügen (z. B. ‫ > היה‬ἐγένετο, in 2,7). Bei Verbbeugungen werden sieben hebräische Stämme mit zwei griechischen Diathesen wiedergegeben (Aktiv und Medium-Passiv). Eine erwartete Übereinstimmung trifft in 32 % aller Fälle zu. Zum Beispiel gebraucht der Übersetzer griechische Medium- bzw. Passiv-Formen für Qal in 136 Fällen. Dies geschieht generell, da die Medium-Passiv Form für den Übersetzer die einzige Möglichkeit im hellenistischen Griechisch ist. In anderen Fällen ist entweder eine semantische Entsprechung oder eine kontextuelle Interpretation im Spiel. Partizipien im Hebräischen werden im Griechischen in 53 % aller Fälle als Partizipien wiedergegeben, in allen anderen Fällen durch funktionale Äquivalente. Hinsichtlich Numerus, Artikel oder Diathese entsprechen sich Griechisch und Hebräisch in mehr als 90 % aller Fälle. Jede Nichtübereinstimmung rührt von der lexikalischen Natur entweder der Zielsprache oder der Ursprungssprache her. Die Übersetzung von Infinitiven erfolgt ebenfalls in streng quantitativer Entsprechung. Auch auf lexikalischem Niveau ist die literarische Annäherung des Autors an seine Vorlage zu erkennen. Trotzdem gebraucht er auch einige Variationen, um die Eintönigkeit einer stereotypen Übersetzung auszugleichen. Dies schließt stilistische Variationen (z. B. ‫ > בוא‬ἥκω in 5,14 und παραγίνομαι in 5,15) und kontextuelle Interpretationen (z. B. ‫ > שׁמר‬normalerweise φυλάσσω, aber τηρέω in 11,4) mit ein.

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Die vorliegende Fassung des Buches Kohelet ist, wie dargestellt sehr nahe am hebräischen Text. Von daher und insbesondere wegen der teilweise zu beobachtenden Wie394

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

dergabe von ‫ את‬mit σύν hat man sie in der Forschung sogar mit Aquila verbunden (Graetz, H., Kohelet oder der Salomonische Prediger, Leipzig 1871; Barthélemy, Devanciers. Alternativ dachte man an eine rabbinische Überarbeitung einer älteren griechischen Übersetzung, die dann nocheinmal im Stil von Aquila bearbeitet wurde oder einfach an eine Aquila nahe stehende Übersetzung (Hyvärinen, K., Die Übersetzung von Aquila, CB.OT 10, Uppsala 1977). Im einen wie im anderen Fall käme man für den vorliegenden Text in das 2. Jh. n. Chr., und dann eher nach Palästina/Jerusalem als nach Ägypten. (Für Einzelheiten dieser Positionen siehe Vinel, BdA und Backhaus, LXX.E, sowie unten 4.). Im Ganzen der Septuagintatexte ist man damit doch in einer sehr späten Zeit. Von da her stellt sich die Frage, ob nicht die ursprüngliche Übersetzung (Old Greek) früher war, und die uns erhaltene – bzw. die üblicher Weise rekonstruierte – Fassung eher eine kaige-artige Bearbeitung darstellt (in diesem Sinn auch Backhaus, LXX.E, 2004). [S. K.]

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Nach Aitken deuten einige sprachliche Merkmale in eine Übersetzungsperiode des Buches Kohelet, die später liegt als die der anderen Bücher der LXX. In 3,13 folgt eine Konjunktiv-Form einem Futur, und dem Konjunktiv in 9,15 folgt ebenfalls ein Futur (vgl. 9,14; 12,5.7?). Dies könnte andeuten, dass Futur und Konjunktiv in dieser Zeit als gleichwertig erachtet wurden. Der Rückgang des Infinitiv und die Ersetzung durch ein ἵνα plus Konjunktiv ist auch nachweisbar (z. B. ἵνα πορευθῇ »um zu gehen«). Man könnte auch ἐποίησεν ἵνα φοβηθῶσιν in 3,14 (»er machte, dass sie sich fürchteten«) mit Hiob 5,18 ἀλγεῖν ποιεῖ vergleichen. Trotz der wörtlichen Übersetzung und der ungelenken Syntax gibt es bei der Arbeit einen bestimmten hellenistischen Touch und sogar eine Beachtung der metrischen Gesichtspunkte des damaligen Griechisch (vgl. Bertram). Da die Übersetzung des Buches Kohelet durch eine sehr formale Übereinstimmung charakterisiert ist und viele Charakteristiken mit einer Annäherung an Aquila übereinstimmen (so wie z. B. die Wiedergabe der nota accusativi und der Personalpronomen, Partizipien, der Präpositionen ‫ כ‬und ‫מן‬, sowie der Konjunktionen ‫ אם‬und ‫)כי‬, haben Wissenschaftler vermutet, dass es sich um die Arbeit Aquilas selbst handle, einem Revisor der Septuaginta, der um 120 n. Chr. wirkte. Die Wahl desselben Lexems im Griechischen für jedes Vorkommen eines bestimmten Lexems im Hebräischen ohne Rücksicht auf seine Bedeutung im Kontext resultiert in einem hohen Grad an Stereotypien. Wie bei Aquila ist die Einheitlichkeit und Übereinstimmung in hebräisch-griechischen Äquivalenten sehr starr, allerdings geht sie nicht ganz so weit. Der Übersetzer versucht auch nicht, das Wurzelsystem des Hebräischen abzubilden, indem er eine Zusammenstellung von Äquivalenten eines einzelnen griechischen Stammes benutzt, um Nomen und Verben von einer einzelnen Wurzel her zu bilden. Eine weitere Differenz besteht in der Wiedergabe von ‫אשׁר‬, finiter Verben (yqtl und wqtl), freie und gebundene Infinitive, den Präpositionen ‫ ל‬und ‫ אל‬als verbale Modifikatoren und der Konjunktion ‫ו‬. Bemerkenswerte Ähnlichkeiten gibt es auch zu Theodotion: Übereinstimmung in der Wiedergabe von Nomina, unabhängigen Pronomen, finiten 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

Verben (yqtl und kurz yqtl), Partizipien, den Präpositionen ‫ כ‬und ‫ אחרי‬sowie der Konjunktion ‫כי‬. Unterschiede bestehen in der Wiedergabe von Genitivverbindungen, Attributivsätzen, und bei der nota accusativi, um einige zu nennen. Weiterhin übernimmt der Übersetzer generell Wiedergaben der kaige-Tradition wie ‫וגם‬/‫ גם‬mit καίγε. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die griechische Übersetzung von Ecclesiastes eindeutig zur kaige-Tradition gehört. Typologisch passt sie zwischen Theodotion im frühen ersten Jahrhundert und Aquila im Jahre 120 n. Chr. Möglicherweise ist sie hier auch zu datieren.

5. Rezeptionsgeschichte Die früheste Form von Rezeptionsgeschichte liegt in der Analyse von innergriechischen Verderbnissen der originalen Übersetzung, d. h. Schreiber, die versuchten, einen Sinn aus dem starren, gestelzten Text herauszulesen, ohne Zugang zu dem Muttertext zu haben, von dem er abstammte. Ein Beispiel ist 4,9/10a: 4.09 4.10a

ἀγαθοὶ οἱ δύο ὑπὲρ τὸν ἕνα, ὅτι ἐὰν πέσωσιν, ὁ εἷς ἐγερεῖ τὸν μέτοχον αὐτοῦ

In Vers 10a ist das Ende des Vordersatzes (protasis) und der Anfang des Nachsatzes (apodosis) im MT eindeutig markiert durch die Tatsache, dass das Verb ‫ יפלו‬in Pausa steht. Nach der kritischen Rekonstruktion des griechischen Textes ist die Übersetzung wörtlich und der Übersetzer ist penibel der Wortreihenfolge in seinem Quelltext gefolgt. Nichtsdestotrotz war für Schreiber, die den griechischen Text ohne eine Kenntnis des Hebräischen kopierten, die Abgrenzung zwischen Vordersatz und Nachsatz nicht eindeutig. Statt, dass beide Menschen hinfallen und jeder einen Partner hat, der ihm wieder auf hilft, lässt die Position von ὁ εἷς normalerweise ein singuläres Verb vermuten, so dass einer von beiden fällt und die andere Person stehenbleibt und diejenige ist, die ihrem Kameraden aufhilft. In diesem Falle gehört ὁ εἷς zu dem Vordersatz und ist als Subjekt von πέσωσιν konstruiert. Diese Form ist korrigiert von der dritten Person Plural zur dritten Person Singular πέσῃ. Da ὁ εἷς nicht mehr länger als Subjekt von ἐγερεῖ verstanden wurde, ergänzte derselbe Schreiber ὁ ἕτερος als ein erklärendes Subjekt. Es ist nun mehr als deutlich, dass entgegen dem Quelltext, der Vorteil von zweien ist, dass wenn nur einer fällt, die andere noch stehende Person dem gefallenen Kameraden aufhelfen kann. Die frühesten Kommentare der christlichen Kirche stammen von Hippolyt von Rom (170-235) sowie Origenes (185-254), von denen nur Fragmente überliefert sind. Origenes’ Schüler, Dionysius von Alexandria und Gregor Thaumaturgos schrieben gegen Ende des 3. Jh.s ebenfalls Werke über das Buch Kohelet. Von letzterem überlebte eine freie Übersetzung und die interpretative Wiedergabe spiegelt sein Verständnis. Aus dem vierten Jahrhundert haben wir den Kommentar von Didymus dem Blinden, die Homilien von Gregor von Nyssa und den Kommentar von Hieronymus (388). Auch haben wir Scholien des Evagrius von Pontus. Die Katene sowie der Kommentar des Olympiodorus (VI) haben einige Fragmente von verlorenen Werken anderer Schreiber überliefert. Die Auslegung ist in all diesen Werken entweder mystisch oder auf Schöpfung und Natur sowie ethische Lehren fixiert. 396

5. Rezeptionsgeschichte

5.2 Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo

6. Perspektiven für weitere Untersuchungen Das Erscheinen von kritischen Editionen wird zum ersten Mal eine genaue Forschung hinsichtlich der frühesten Stadien der Rezeptionsgeschichte möglich machen, wie sie in Veränderungen deutlich werden, die in der frühen Textgeschichte stattfanden, als kein Zugang zum hebräischen Muttertext mehr möglich war, um die intendierte Bedeutung des Übersetzers zu prüfen. Versuche, etwas über den Zeitpunkt, Herkunft und Person des Übersetzers herauszufinden, können durch Studien des kritischen Textes verbessert werden. Die Klärung der Geschichte der Katenen wird im Wissen um die Rezeptionsgeschichte helfen.

6. Perspektiven für weitere Untersuchungen

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5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied Eva Schulz-Flügel

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1896 — RaHa 1935/2006 — Schulz-Flügel, E., Asma / Canticum, Vetus Testamentum Graecum, Göttingen (in Bearbeitung).

1.2 Qumran-Texte 4QHhlda.b.c. = 4Q106.107.108 (DJD 16) — 6QHhld = 6Q6 (DJD 3,1). BQS 739-745 — HTTM 477-481. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Treat, J. C., Song of Songs, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 657-666 — Herzer, J. / Maier, C. M., Asma / Das Hohelied, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 998-1006 — Herzer, J. / Maier, C. M., Asma / Das Hohelied, LXX.E, Stuttgart 2011, 2029-2040.

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Textausgaben Ceulemans, R., A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of the Book of Canticles, with Emphasis on their Reception in Greek Christian Exegesis, Diss. Katholieke Universiteit Leuven, Leuven 2009 — De Bruyne, D., Les anciennes versions latines du Cantique des cantiques, RB 38 (1926), 97-122 — Tov, E., Three Manuscripts (Abbreviated Texts?) of Canticum from Qumran Cave 4, JSS 46 (1995), 88-111 — Treat, J. C., Lost Keys. Text and Interpretation in Old Greek Song of Songs and Its Earliest Manuscript Witnesses, Diss. University of Pennsylvania, Philadelphia/ PA 1996. Gregorii Nysseni in Canticum Canticorum, ed. H. Langerbeck, Gregorii Nysseni opera 6, Leiden 1986 — Traités d’Hippolyte sur David et Goliath, sur le Cantique des cantiques et sur l’Antichrist. Version géorgienne traduite par G. Garitte, CSCO 264, Scriptores Iberici tom.16, Louvain 1965 — Richard, M. (Hg.), Une paraphrase grecque résumée du commentaire d’Hippolyte sur le Cantique des cantiques, Le Muséon 77 (1964), 137-154 — Nilus von Ancyra, Schriften Bd. 1: Kommentar zum Hohelied, bearbeitet von H.-U. Rosenbaum, PTS 57, Berlin / New York 2004 — Origenes, Homilien zu Samuel I, zum Hohenlied und zu den Propheten, Kommentar zum Hohelied in Rufins und Hieronymus’ Übersetzungen, hg. von W. A. Baehrens, GCS 33, Origenes 8, Leipzig 1925 — Barbàra, M. A. (Hg.), Origene. Commentario al Cantico dei Cantici. Testi in lingua greca. Introduzione, testo, traduzione e commento, Bologna 2005 — Giacomelli, M. (Hg.), Philonis episcopi Carpasii enarratio in Canticum canticorum, Rom 1772 — Salutatus, S., Philonis episcopi Carpathii in Canticum Canticorum interpretatio, Paris 1537 — Theodoreti episcopi Cyrensis interpretatio in Canticum canticorum, PG 81, Paris 1864, 49-214

398

1. Literatur

5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied

1.4.2 Weitere Untersuchungen Ausloos, H. / Lemmelijn, B., Praising God or Singing of Love? From Theological to Erotic Allegorisation in the Interpretation of Canticles, Acta Theologica 30,1 (2010), 1-18 — Ausloos, H. / Lemmelijn, B., Canticles as allegory? Textual criticism and Literary criticism in dialogue, in: H. Ausloos / B. Lemmelijn / M. Vervenne (Hg.), Florilegium Lovaniense (FS F. Garcia Martinez), Leuven u. a. 2008, 35-48 — Ausloos, H. / Lemmelijn, B., Rendering love. Hapax Legomena and the characterization of the translation technique of Song of Songs, in: H. Ausloos / J. Cook / F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Translating a translation. The Septuagint and its modern translations in the context of early Judaism, Leuven u. a. 2008, 43-61 — Auwers, J.M., L’interpretation du Cantique des cantiques à travers les chaînes exegetiques grecques (Epitomé de Procope, chaîne de Polychronios, chaîne dite d’Eusebe, Catena Barberiniana), Diss. Université catholique de Louvain, Louvain-laNeuve 2007 — Barthelemy, O., Comment le Cantique des cantiques est-il devenue canonique?, in: A. Caquot / S. Légasse / M. Tardieu (Hg.), Mélanges bibliques et orientaux (FS M. Delcor), AOAT 215, Kevelaer 1985, 13-22 — Bossina, L., Teodoreto restituito, Ricerche sulla catena dei Tre Padri e la sua tradizione, Studi e Ricerche 68, Alessandria 2008 — Ceulemans, R. / De Crom, D., Greek Renderings of the Hebrew Lexeme ‫ צמה‬in LXX Canticles and Isaiah, VT 57 (2007), 511-523 — De Crom, D., The LXX Text of Canticles. A Descriptive Study in Hebrew Greek Translation, Diss. Katholieke Universiteit Leuven 2009 — Elliott, M. T., The Literary Unity of the Canticle, EHS 23, Frankfurt a. M. u. a. 1989 — Faulhaber, M., Hohelied-, Proverbien- und Prediger-Catenen, Theologische Studien der LeoGesellschaft 4, Wien 1902 — Feuillet, A., La drame d’amour du Cantique des cantiques remis en son contexte prophétique, NV 62 (1987), 81-126 — Fischer, S., Das Hohelied Salomos zwischen Poesie und Erzählung. Erzähltextanalyse eines poetischen Textes, BHTh 72, Tübingen 2010 — Garbini, G., Cantico dei cantici. Testo, traduzione, note e commento, Bib. Testi e Studi 2, Brescia 1992 — Gerleman, G., Ruth. Das Hohelied, BK 18, Neukirchen-Vluyn 1965 [Lit.] — Harl, M., La version LXX du Cantique des cantiques et le groupe Kaige-Theodotion — quelques remarques lexicales, Textus 18 (1995), 101-120 — Heinevetter, H. J., »Komm nun, mein Liebster, Dein Garten ruft Dich!« Das Hohelied als programmatische Komposition, BBB 69, Frankfurt a. M. 1988 — Herder, J. G., Lieder der Liebe. Die ältesten und schönsten aus dem Morgenlande nebst vier und vierzig alten Minneliedern, Zürich 1992 (Leipzig 1778) — Joüon, P., Le Cantique des Cantiques. Commentaire philologique et exegetique, Paris 1909 — Karo, G. / Lietzmann, J., Catenarum graecarum catalogus, NGWG, Phil. hist. Klasse, Göttingen 1902, Heft 3, 312-319 — Katz, P., Frühe hebraisierende Rezensionen der Septuaginta und die Hexapla. Bemerkungen zu der Arbeit von G. Zuntz (ZAW 1965, 124-184), ZAW 69 (1957), 77-84 — Keel, O., Das Hohelied, Zürcher Bibelkommentare, Zürich 19922 — Keel, O., Hohelied, NBL 2 (1992), 183-191 — Klostermann, E., Eine alte Rollenverteilung zum Hohenliede, ZAW 19 (1899), 158-162 — Müller, H.-P., Das Hohelied, ATD 16/2, Göttingen 19922, 3-90 — Murphy, R. E., The Unity of the Song of Songs, VT 29 (1979), 436-443 — Ohly, F., Hoheliedstudien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958 — Pelletier, A. M., Lectures du Cantique des cantiques: De l’enigme du sense aux figures du lecteur, Analecta Biblica 121, Rom 1989 — Pope, M. H., Song of Songs. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 7C, New Garden City/NY 1977 — Preisigke, F., Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden mit Einschluss der griechischen Inschriften, Aufschriften, Mumienschilder usw. aus Ägypten, Bd. I A-K, Berlin 1925 — Robert, A. / Tournay, R. J. / Feuillet, A., Le Cantique des cantiques. Traduction et commentaire, EtB, Paris 1963 — Zakovitch, Y., Das Hohelied, HThK.AT, Freiburg i. Br. / Basel / Wien 2004 [Lit.].

1. Literatur

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5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied

2. Textüberlieferung und Editionen Der griechische Text des Hohenliedes ist in zahlreichen Textzeugen auf uns gekommen; das Handschriftenverzeichnis des LXX-Unternehmens Göttingen bietet rund 150 Fragmente, Voll-und Teilbibeln, sowie Katenen-Manuskripte. Als Teil der hebräischen Bibel 1 wurde das Hld in den christlichen Kanon aufgenommen und im Kontext der Weisheitsbücher, bzw. Salomonischen Bücher überliefert. Die ältesten Zeugen sind Fragmente des 3. und 4. Jh.s, 2 sowie die Unzialen A B C S; 3 neben vielen Exemplaren der Weisheitsbücher bilden die Katenen-Handschriften ca. die Hälfte der gesamten Überlieferung. Dies ist das Ergebnis der seit Hippolyt und Origenes zunehmenden Verwendung des Hld in der patristischen Literatur. Während in der ersten Zeit des Christentums dieses biblische Buch offenbar gemieden wurde – es fehlen sowohl neutestamentliche als auch patristische Zitate oder Anspielungen 4 bis zum Beginn des 3. Jh. –, machten die Kommentare des Origenes und Hippolyt das Hld zu einem viel benutzten Text 5 und ließen weitere Kommentare folgen, 6 aus denen die Katenen ihr Material bezogen. 7 Der Text des griechischen Hld ist, abgesehen von den üblichen Verschreibungen und orthographischen Abweichungen, sehr einheitlich überliefert. Die hexaplarische Rezension des Origenes hat außer der Einfügung der gegenüber dem hebräischen Text fehlenden Teile 8 relativ wenige Spuren hinterlassen, gewiss auch dadurch, dass die Übersetzung aus dem Hebräischen um Genauigkeit bemüht war 9 und keine durchgreifenden Korrekturen nötig machte. 10 Ob Lukian das Buch überhaupt oder aber nur sehr oberflächlich bearbeitet hat, oder ob die wenigen Varianten der antiochenischen Autoren, die als wichtigste Zeugen des sog. Lukiantextes gelten, 11 nicht viel-

1. Zum Hld im hebräischen Kanon s. Barthélemy, Cantique, und Zakovitch, Hohelied, 91 f.; 104 f.; Keel, Hohelied, 16 f. 2. London 209 u. 223 / Barcelona 84 (Rahlfs 952); Berlin 263a; Berlin Pap. 18196 (Rahlfs 838); Damaskus, verl. (Rahlfs 825). 3. B 4. Jh.; A 5. Jh.; S 4. Jh.; C 5. Jh. 4. Versuche, neutestamentliche Spuren nachzuweisen, z. B. Hengel, Septuaginta; Garbini, Cantico, sind nicht überzeugend, s. Keel, Hohelied, 17. Eventuell finden sich Anklänge in den Oden Salomos; das erste explizite Zitat bei Tertullian, Adversus Marcionem 4,11,8 (um 207/8) mit allegorischer Deutung, deren Kenntnis offenbar von Tertullian vorausgesetzt wird. 5. Zur Hld-Literatur s. Ohly, Hoheliedstudien. 6. Den Kommentaren des Hippolyt (um 200) und Origenes (nach 246) folgen die des Gregor von Nyssa (um 390) und im 4./5. Jh. die des Nilus Sinaitica, Philo von Karpasia und Theodoret. 7. Zu den Hld-Katenen s. Karo / Lietzmann, Catalogus, und Ceulemans, Hexaplaric Fragments, 121-201. 8. Die hexaplarischen Zusätze finden sich in 3,11; 4,6; 4,13; 7,2; 7,14; 8,2; 8,12, wobei 4,6 fraglich ist; zu Plus und Minus gegenüber der hebräischen Vorlage s. Gerleman, Hohelied, 77 f. und Treat, Keys, 376-380. 9. S. Kap. 3. 10. Es finden sich einige Änderungen bezüglich Numerus, Artikel und Tempus, dazu ἀδελφιδοῦς statt ἀδελφιδός sowie ein Zusatz aus MT in 8,2 und zwei aus der Übersetzung des Symmachus in 7,14; 8,6. 11. Die dem Lukian (gest.312) zugeschriebene Textform, erkennbar in einigen biblischen Büchern,

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2. Textüberlieferung und Editionen

5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied

mehr einer natürlichen Entwicklung des antiochenischen Texttyps zu verdanken sind, wird sich nicht abschließend sagen lassen. Der Katenen-Text ist aus dem antiochenischen hervorgegangen, wobei Elemente der hexaplarischen Rezension aufgenommen wurden. Die ursprüngliche Gestalt der LXX, bzw. ihre älteste uns erreichbare, vermitteln am ehesten B S A (vor Korr.), während ein Fragment 12 zusammen mit den ältesten Tochter-Übersetzungen (lateinisch und koptisch) und vereinzelten Spuren bei christlichen Autoren eine alte fehlerhafte Version bezeugt, die in der späteren Tradition verlorenging. 13 Die Tochterübersetzungen (lateinisch, koptisch, armenisch und deren Abkömmlinge äthiopisch, georgisch) 14 werden nach heutigem Kenntnisstand 15 kaum Zugang zu einer Textgestalt verschaffen, die hinter die der Unzialen zurückreicht; sie sind aber für die Geschichte des Hld-Textes aufschlussreich. Die wichtigsten Editionen berücksichtigten hauptsächlich die Unzialtexte. Die 1548 erschienene Aldina beruht im Wesentlichen auf einer Abschrift von B (Rahlfs 68); die Complutensis (1520) dagegen gibt den »lukianischen«, besser antiochenischen Text der Minuskel Rahlfs 248 wieder; die Sixtina, erschienen 1587, bietet den Text von B, vermutlich verglichen mit weiteren Handschriften; die Ausgabe Grabes vom Anfang des 18. Jh. stützt sich auf A. Die erste Edition mit umfangreichem textkritischen Apparat besorgte Parsons 1818; sie berücksichtigt außer den damals verfügbaren Manuskripten auch frühere Editionen, patristische Zitate und die Tochterübersetzungen. Dagegen beruht die Ausgabe von Swete (1896) wieder nur auf der Unziale B, im Apparat ergänzt durch die Lesarten von A S C. Rahlfs verfährt in seiner Handausgabe 1935 ähnlich: zu den drei Unzialen B S A – wobei B meist den Ton angibt – zieht er als Vertreter der origeneischen Rezension die Hs. V und die Syh hinzu; 16 die kritische Edition des LXX-Unternehmens Göttingen wird alles zugängliche Material berücksichtigen. 17

12.

13.

14. 15. 16. 17.

wird hauptsächlich bezeugt von Chrysostomus und Theodoret. Hld-Zitate bei Chrysostomus sind allerdings nicht sehr zahlreich. Das Frg. Rahlfs 952 (zusammengesetzt aus London Inv. Nr. 2486 und Barcelona Inv. Nr. 84; 3./ 4. Jh.) enthält Hld 5,12b-6,11 LXX. In dem kurzen Abschnitt findet sich eine Halbversvertauschung (5,14b vor 5,13a), die offensichtlich bereits in der Vorlage vorhanden war. Aus dieser frühen Vorlage entnahmen auch die frühen Tochterübersetzungen (Vetus Latina und eine sahidische) diesen Fehler. Einige weitere gemeinsame Fehler, wie die Verlesung von ἡδύντης zu ἡδυνήτης (7,7 LXX), stammen wahrscheinlich aus dieser Vorlage. Vereinzelte Spuren sind jedoch in späten Zeugen (Vulgatahandschriften) und patristischen Werken (Kosmas Indikopleustes; indirekt zu erschließen auch aus dem Kommentartext des Philo von Karpasia) erhalten geblieben. Zu den Tochterübersetzungen s. Schulz-Flügel / Juckel, Bibelübersetzungen I 2.3, RGG4 1, 14911497, sowie Reichmann u. a., Bibelübersetzungen I, TRE 6, 172-210. Dies ist das Ergebnis der Vorarbeiten an der Edition von Hld im Rahmen der Göttinger Ausgabe. Zu Syh. s. Brock, Bibelübersetzungen I 4,1,2, Syrohexapla; TRE 6, 185-187. Berücksichtigt werden alle bekannten Handschriften, die frühen Tochter-Übersetzungen; patristische Zeugen (griechische und lateinische) und die jüngeren griechischen Übersetzungen. 2. Textüberlieferung und Editionen

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5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die LXX-Übersetzung aus dem hebräischen Original bemüht sich in auffälliger Weise um eine möglichst getreue Wiedergabe sämtlicher Elemente der Vorlage, einschließlich der Wortfolge, soweit es die griechische Sprache erlaubt. Allerdings erreicht diese Übersetzungstechnik nicht das Maß eines Aquila oder des Übersetzers von Kohelet. Die angestrebte Wörtlichkeit der Übertragung rückte den griechischen Hld-Text, besonders durch die Arbeiten von Katz 18 und Barthélemy, 19 in den Umkreis der sog. Gruppe Kaige-Th oder in spätere Zeit. Einige Merkmale dieser Gruppe (z. B. πρός adv. bzw. καίγε für ‫אף‬, ‫גם‬, ἀνήρ für ‫ = אישׁ‬jeder) finden sich zwar im griechischen Hld, sind jedoch nicht durchgehend zu beobachten. 20 Zu neuen Ergebnissen führte die Untersuchung Harls 21. Sie wies darauf hin, dass einerseits unter den Lesarten der jüngeren Übersetzer Aquila, Symmachus und Theodotion auffällig wenige Theodotion zugeschrieben wurden, 22 andererseits das Vokabular der Übersetzung häufig mit dem Theodotions übereinstimmt und überdies dessen Vorliebe für Transliteration der Eigennamen auffällt, 23 so dass es naheliegt, in Theodotion einen Revisor, wenn nicht sogar den Übersetzer selbst zu vermuten. Andererseits machte Harl auf die außergewöhnliche Verwendung einiger Vokabeln aufmerksam, die in Palästina nicht verwendet wurden, sich jedoch durch eine Herkunft aus dem agrarischen Milieu Ägyptens herleiten lassen. 24 Eine eindeutige Datierung und Lokalisierung der LXX-Übersetzung des Hld ist bisher nicht gelungen; Übereinstimmung in der neueren Forschung herrscht jedoch bezüglich einer relativ späten Datierung, d. h. im 1. Jh. n. Chr. Die Verwendung ägyptischer termini technici könnte eine Entstehung im Umkreis Alexandrias vermuten lassen 25 sowie eine nachfolgende durchgreifende Revision Theodotions, die die erwähnte Übereinstimmung mit dessen Vokabular nahelegt. Diese Annahme muss jedoch einstweilen nur als Hypothese angesehen werden. Die oben skizzierte, sich eng an die hebräische Vorlage haltende Übersetzungstechnik hat nicht verhindern können, dass der griechische Text einen anderen Charakter aufweist als das Original. Dafür gibt es verschiedene Gründe: – ein lyrisches Werk ist grundsätzlich kaum adäquat zu übersetzen, am wenigsten aber durch erstrebte Wörtlichkeit, 26

18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

Katz, Rezensionen. Barthélemy, 47. Harl, Version LXX, 102 mit Anm. 3. Harls Arbeit gründet auf Wortschatzuntersuchungen, zu deren Fortführung sie auffordert, Version LXX, 120. Harl, Version LXX, 104. Theodotion werden nur 12 echte Varianten zugeschrieben; Ceulemans, Hexaplaric Fragments, bestätigt die geringe Zahl. Harl, Version LXX, 105-112; 115 f. Harl, Version LXX, 115-118; zu den von Harl genannten Wörtern kann man evtl. das ungewöhnliche ἀδελφιδός (statt ἀδελφιδοῦς) hinzufügen, s. Preisigke, Papyrusurkunden Bd. 1, 19. Unterstützt wird eine Entstehung in Ägypten evtl. auch durch die frühe Existenz koptischer Übersetzungen. Dazu Müller, Hohelied, Einleitung, 4.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied



diese Schwierigkeit vergrößert sich bei der Übertragung aus einer semitischen Sprache in eine indoeuropäische, – bietet eine nicht vokalisierte hebräische Vorlage, von der auszugehen ist, stets Anlass zu Verlesungen und Fehldeutungen, 27 – ist der hebräische Text – die Vorlage scheint dem des MT sehr nahegestanden zu haben – selbst an vielen Stellen schwer- bis unverständlich, 28 für den Übersetzer noch verstärkt durch zahlreiche Hapaxlegomena, seltene Wörter und Fachausdrücke aus dem botanischen Bereich und dem der Luxusgüter. 29 Die Folge all dieser Hindernisse bedeutet für das griechische Hld einen Verlust an poetischer Qualität und zugleich durch Sprache und Begrifflichkeit einer anderen kulturellen Sphäre einen veränderten Grundton: Obwohl die Übersetzung keine Anzeichen einer absichtlichen Allegorisierung enthält, 30 hat die griechische Textgestalt eine allegorische Interpretation im christlichen Kontext erleichtert, 31 wobei allerdings zu beachten ist, dass eine solche auch im hebräischen bzw. jüdischen Kontext geschah.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Durch seinen Inhalt nimmt das Hld eine singuläre Stellung sowohl in der hebräischen wie in der griechischen Bibel ein. Ursprünglich eine Sammlung von Liebeslyrik verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Alters 32 – so die vorherrschende Meinung neuerer Forschung 33 –, ließ das Hld jeglichen expliziten Bezug zur Theologie vermissen, dennoch blieb es, geschützt durch die fiktive Verfasserschaft Salomos (und auch durch die allegorische Auslegung), stets innerhalb des Kanons. 34 Allerdings scheint schon der hebräische Text einer oder mehrerer Redaktionen unterworfen worden zu sein, durch die mit Umstellungen, leitmotivähnlichen Wiederholungen und evtl. auch Abmilderungen des erotischen Charakters ein scheinbar homogener Text entstand, 35 der ›die Hände verunreinigt‹ 36 und das Verhältnis Gott-Mensch abbildet. Die grie27. Zu Fehlern und Verlesungen s. Gerleman, Hohelied, 77-82 und passim im Kommentar; Müller, Hohelied, passim im Kommentar. 28. Abgesehen von Stellen wie Cant 6,12; 7,6c bedeutet bereits das Faktum, dass es sich um Lyrik – dazu aus anderer Sprache, Kultur und Zeit – handelt, dass ein eindeutiges Verständnis oft kaum möglich ist. 29. Eine Sammlung der Hapaxlegomena und seltenen Wörter bei Zakovitch, Hohelied, 64-66. 30. Auwers, Traduction; Keel, Hohelied, 14; Ausloos / Lemmelijn, Allegory; dies., Praising God, 47. 31. Siehe das folgende Kapitel. 32. Zur Entstehung des hebräischen Textes s. Keel, Hohelied, 9-14; Müller, Hohelied, 3-8. 33. Keel, Hohelied, 27. 34. Theodor von Mopsuestia (ca. 350–428) bestritt eine allegorische Bedeutung des Hld und wollte es nicht im Kanon belassen; seine als häretisch verurteilte Ansicht konnte sich jedoch nicht durchsetzen; s. auch Keel, Hohelied, 18. 35. Zu den Anzeichen für eine oder mehrere Rezensionen s. Zakovitch, Hohelied, 67-70; Keel, Hohelied, 27; Garbini, Cantico, passim. 36. Keel, Hohelied, 40 mit Anm. 57. Dass das Hhld. »die Hände verunreinigt« (vielleicht im Sinn von: »die Unreinheit erweist«), also eine heilige Schrift ist, steht im Talmudtraktat Yadajim [Hände] in mYad 3,5 und in tYad 2,14. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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chische Übersetzung bot, wie oben angedeutet, durch Irrtümer und kulturelle Akzentverschiebungen zusätzliche Anhaltspunkte für eine Theologisierung und Interpretation im übertragenen Sinn. Beispiele dafür sind u. a. die Benennung der Protagonisten und Bedeutungsänderungen durch kulturell bedingte Wortwahl bzw. Wortverständnis. So entbehrt die Benennung des Geliebten mit ἀδελφιδός der erotischen Konnotation des hebr. ‫ ;דוד‬37 die Kennzeichnung der Geliebten durch νύμφη (das Wort kommt im hebr. wie griech. Text übrigens nur sechsmal und nur im Abschnitt 4,8–5,1 LXX vor), im Hebräischen eher Koseform, evoziert die Bezeichnung der ganzen Sammlung als Epithalamion. 38 Die an sich wörtliche Übersetzung von ‫( שׁאהבה נפשׁי‬den ich liebe) 39 mit ὁν ἠγάπησεν ἡ ψυχή μου (den meine Seele liebt) ebenso wie ‫( שׁושׁנה‬evtl. Lotusblüte) 40 mit κρίνον (Lilie) sublimieren und romantisieren den Text gegen die Vorlage. Ebenso führt die Übersetzung des seltenen 41 ‫ צמת‬mit σιώπησις zu einer Vergeistigung; und πίστις 42 für den eindeutig geographischen Begriff ‫( אמנה‬Amana, südlicher Teil des Antilibanongebirges, 4,8) fordert eine theologische Interpretation geradezu heraus. 43 Dazu konnte an manchen Stellen der Wegfall des im Hebräischen eindeutig grammatisch bestimmten Geschlechts zusammen mit der unklaren Abgrenzung der Einzellieder zu einer veränderten Rollenzuweisung führen. 44 So begünstigt die griechische Übersetzung unabsichtlich die allegorische Interpretation, die die christliche Wirkungsgeschichte weithin bestimmen sollte.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Bereits Tertullian bezeugt mit dem ersten bisher bekannten expliziten Hld-Zitat 4,8 ein allegorisches Verständnis; 45 offenbar hat das Christentum von Beginn an den Text

37. Zur erotischen Konnotation von ‫ דוד‬s. Müller, Hohelied, 19 f. mit Anm. 31-34; Keel, Hohelied, 68. 38. So Origenes am Anfang des Prologs zu seinem Hld-Kommentar: »Epithalamium libellus hic, id est nuptiale carmen, dramatis in modum mihi videtur a Salomone conscriptus.« Unterstützt wurde die Behandlung als »Hochzeitslied« durch die Beifügung der sog. Rubriken, d. h. die Rollenverteilung an Braut und Bräutigam; s. Anm. 49. 39. Keel, Hohelied, zu Hld 1,7 (S. 57 f.) und Hld 3,1-5 (S. 115) fügt »leidenschaftlich« ein. 40. So Keel, Hohelied, 79-84; 107-109. 41. Dazu Gerleman, Hohelied, 79 f. Ausführlich dazu Ceulemans, Greek Renderings. 42. ‫ אמנה‬offenbar gelesen als ‫ֱאֻמנה‬, Vertrauen, Glaube. 43. Leider sind die Interpretationen des Hippolyt und des Origenes zu Cant 4,8 nicht überliefert; die spätere Exegese benutzt jedoch den »Anfang des Glaubens« (statt »Gipfel des Amana«) betont allegorisch. 44. So wird z. B. Cant 2,1 ›ich bin die Blume der Ebene‹ teils als Selbstaussage Christi, teils als die der Ecclesia verstanden; ebenso 7,6c-9 teils als an die Ecclesia gerichtet, teils an Christus. 45. »Diese Braut hat Christus sich auch, Salomon folgend, aus der Berufung der Heiden zu sich gezogen, nämlich wenn man liest: Komm, Braut, vom Libanon; wobei natürlich elegant die Erwähnung des Libanon eingefügt ist, der bei den Griechen als Wort für Weihrauch steht; aus der Abgötterei heraus hat er sich nämlich die Kirche anverlobt.« Tertullian, Adversus Marcionem 4,11,8.

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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als dialogische fortlaufende Handlung verstanden; 46 die ersten beiden Hld-Kommentare des Hippolyt und des Origenes prägen durch ihre Deutung des Textes auf das Verhältnis zwischen Christus und der Synagoge und Ecclesia bzw. der christlichen Einzelseele 47 das Verständnis dieses Bibeltextes sowohl im Osten als auch im lateinischen Westen. Die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn, von Origenes befördert, erlaubt auch die Ausweitung der Deutung auf asketische Ideale und lässt das Hld zu einem Schlüsseltext der Mariologie werden. 48 Eine früh entstandene Rollenverteilung, die sog. Rubriken 49, die den Text in Bibel-Hss begleitet – zuerst nachweisbar in den Unzialen S und A, auch übernommen und teilweise abgewandelt in der lat. Tradition –, unterstützt die ausschließlich allegorische Deutung und führt dazu, dass das Hld im Mittelalter zu den meistgelesenen und kommentierten Bibeltexten, besonders der Klöster, gehörte. 50 Erst im 18. Jh. setzte mit Herders Beurteilung des Hohenliedes als Sammlung von profanen Liebesliedern 51 das Interesse am Wortsinn und damit auch am hebräischen Original ein, wobei auch die altorientalischen, vielleicht auch hellenistischen Einflüsse auf die Bildwelt berücksichtigt werden. 52 Dabei fehlt es nicht an Versuchen, den Text wieder als homogenes Ganzes zu verstehen, 53 an einer allegorischen Bedeutung festzuhalten 54 oder eine neue theologische Relevanz zu konstruieren. 55

6. Perspektiven der Forschung Die vordringliche Aufgabe ist die kritische Edition des Hld Textes, der nach heutigem Wissensstand und Verfügbarkeit des Materials der ersten griechischen Übersetzung so nahe wie möglich kommt. Diese Edition wird zurzeit im Rahmen der Göttinger LXX46. So Origenes bereits in seinem – verlorenen – Jugendwerk (s. PG 13,36), aber auch im Kommentar zum Hld (Buch 1,89,4-10 Ed. Baehrens). 47. Origenes, Kommentar zum Hld 1,89,10-13: »das geistliche Verständnis … wird entweder über die Kirche an Christus unter der Bezeichnung ›Braut und Bräutigam‹ oder über die Verbindung der Seele mit dem Wort Gottes ausgerichtet«. 48. Die schon bei Origenes anklingende Verbindung zur Askese wird durch Ambrosius und Hieronymus verstärkt zur Geltung gebracht. 49. Zu den Rubriken s. Treat, Keys, Kapitel III. Die Rubriken der Hss. A u. S sind in Ra und RaHa als Corollarium am Ende des Hld-Textes abgedruckt; s. auch Klostermann, Rollenverteilung. 50. Ohly, Hoheliedstudien, 64 ff. 51. Herder, Lieder der Liebe. 52. Hellenistischen Einfluss betont bes. Garbini, Cantico, passim; wird aber auch von Müller, Hohelied, 8 f. nicht ausgeschlossen; Keel, NBL, 189 spricht sich dagegen aus. Er weist bes. Parallelen mit der vorderorientalischen und ägyptischen Bildwelt nach (Keel, Hohelied). 53. An einer durchgehenden Handlung, ursprünglich oder durch Redaktion entstanden, halten u. a. fest. Elliott, Unity; Feuillet, Drame d’amour; Murphy, Unity; Heinevetter, Komposition. Auch Zakovitch geht in seinem Kommentar von einer – redaktionellen – Komposition aus, ebenso Fischer, Erzähltextanalyse, obwohl er 1 f. sagt, von einer einheitlichen Struktur ausgegangen zu sein, diesen Ansatz aber revidieren musste. 54. So z. B. Joüon, Cantique, sowie Robert / Tournay / Feuillet, Cantique. 55. Ausloos / Lemmelijn, Praising God, weisen auf die Gefahr einer neuen Allegorisierung in der anthropologisch-erotischen Auslegung hin; s. auch Keel, Hohelied, 24.39.46. 6. Perspektiven der Forschung

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5.3 Asma / Canticum Canticorum / Das Hohelied

Ausgabe erarbeitet. 56 Obwohl sich der Hld-Text nicht wesentlich von dem der Rahlfs’schen Handausgabe unterscheiden wird, ermöglichen die Apparate 57 einen Einblick in den Reichtum der Tradition. Die von Harl angestoßenen Untersuchungen zu Datierung und Lokalisierung der LXX Übersetzung, 58 fortgeführt von De Crom, 59 versprechen wichtige Erkenntnisse. Auf dem Gebiet der Wirkungsgeschichte stehen Untersuchungen des Verhältnisses zwischen jüdischer Interpretation und derjenigen Hippolyts an, 60 ebenso des Verhältnisses zwischen Hippolyts und Origenes’ Kommentaren. 61 Die Suche nach dem Hintergrund der Hld-Deutung Tertullians, 62 d. h. auch nach Zeugnissen für eine christliche Beschäftigung mit dem Hld in den ersten beiden Jahrhunderten, evtl. auch in der apokryphen Literatur, steht weiterhin im Raum.

56. S. Anm. 17. 57. Neben dem textkritischen Apparat, der möglichst vollständig die direkte, begleitet von relevanter indirekter, Überlieferung bietet, führt der zweite Apparat auch die erschlossenen Lesarten der sog. jüngeren Übersetzungen auf; dieses Material bei Ceulemans, Hexaplaric Fragments. 58. Harl, Version LXX. 59. De Crom, LXX Text. 60. Parallelen in der Struktur jüdischer Auslegung (Überblick bei Zakovitch, Hohelied, 97-101) und derjenigen Hippolyts sind nicht zu übersehen. 61. Dazu bereits Pelletiers, Lectures. 62. S. Anm. 4 und 45.

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6. Perspektiven der Forschung

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob Markus Witte

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Meade, J. D., A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 22–42, Ph.D. — Swete, OT II, 1896 — RaHa 1935/2006 — Woods, N. Th., A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 1–21, Ph.D. The Southern Baptist Theological Seminary, Louisville 2009 — Ziegler, J., Iob, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XI,4, Göttingen 1982.

1.2 Qumran-Texte 2QHi = 2Q15 (DJD III) — 4QHia.b = 4Q99.100 (DJD XVI) — 4QpaläoHic = 4Q101 (DJD IX) — 4QTgHi = 4Q157 (DJD VI) — 11QTgHi = 11Q10 (DJD XXIII). BQS 727-731 — HTTM 451-466. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und künftig in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Cox, C. E., Iob, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 667-696 — Kepper, M. / Witte, M., Job / Hiob, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1007-1056 — Kepper, M. / Witte, M., Job / Hiob, LXX.E, Stuttgart 2011, 2041-2126. Giguet, P., Le livre de Job, précédé des livres de Ruth, Tobith, Judith et d’Esther. Traduit du grec des Septante, Paris 1859 [vgl.: http://ba.21.free.fr/septuaginta/cover.html].

1.4. Weitere Literatur Baudissin, W. W. Graf, Kyrios als Gottesname im Judentum und seine Stelle in der Religionsgeschichte, hg. v. O. Eissfeldt, I, Gießen 1929 — Beer, G., Der Text des Buches Hiob, Marburg 1895/97 — Beer, G., Textkritische Studien zum Buche Job, ZAW 16 (1896), 297-314; ZAW 17 (1897), 97-122; ZAW 18 (1898), 257-286 — Bertram, G., ῾ΙΚΑΝΟΣ in den griechischen Übersetzungen des Alten Testaments als Wiedergabe von schaddaj, ZAW 70 (1958), 20-31 — Bickell, G., Der ursprüngliche Septuagintatext des Buches Job, ZKTh 10 (1886), 557-564 — Budde, R., Job, LCI 2, Freiburg 1970 [Nachdr. 1994], 407-414 — Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques (Hg.), Le livre de Job chez les Pères, CBiPa 5, Strasbourg 1996 — Cimosa, M., L’intercessione di Giobbe in LXX Gb 42,7-10, Salesianum 49 (1986), 513-538 — Cook, J., Aspects of the Relationship between the Septuagint Versions of Proverbs and Job, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of IOSCS Cambridge 1995, SCSt 45, Atlanta/GA 1997, 309-328 — Cook, J., Aspects of Wisdom in the Texts of Job (Chapter 28) – Vorlage(n) and/or Translator(s), OTE 5 (1992), 2645 — Cook, J., Were the LXX Versions of Proverbs and Job Translated by the Same Person, Hebrew Studies 51 (2010), 129-156 — Cook, J., Contextuality in Wisdom Literature. The Provenience of LXX Proverbs and Job as Case Studies, in: L. Jonker (Hg.), Texts, Contexts and Readings in Postexilic Literature, FAT II/53, Tübingen 2011, 149-168 — Cox, C. E., Elihu’s Second Speech According to the Septuagint, in: W. E. Aufrecht (Hg.), Studies in the Book of Job, SR.S 16, 1. Literatur

407

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

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408

1. Literatur

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

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409

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV, Gütersloh 1983, 173-278 — Wessel, K., Hiob, Reallexikon der byzantinischen Kunst III, Stuttgart 1972, 131-152 — Wevers, J. W., Septuaginta-Forschungen, ThR 22 (1954), 85-138.171-190 — White, W. A., A Devil in the Making: Isomorphism and Exegesis in OG Job 1:8b, in: W. Kraus / R. G. Wooden (Hg.), Septuagint Research Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SCSt 53, Atlanta/GA 2006, 145-156 — Witte, M., Vom Leiden zur Lehre. Der dritte Redegang (Hiob 21-27) und die Redaktionsgeschichte des Hiobbuches, BZAW 230, Berlin 1994 — Witte, M., The Greek Book of Job, in: Th. Krüger / M. Oeming / K. Schmid / Chr. Uehlinger (Hg.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen, AThANT 58, Zürich 2007, 32-52 — Witte, M., Hiob und seine Frau in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, in: H. Lichtenberger / U. Mittmann-Richert (Hg.), Biblical Figurs in Deuterocanonical and Cognate Literature, DCLY 2008, Berlin 2009, 355-394 — Witte, M., Vom El Schaddaj zum Pantokrator. Ein Überblick zur israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte, in: J. F. Diehl / M. Witte (Hg.), Studien zur Hebräischen Bibel und ihrer Nachgeschichte, Kleine Untersuchungen zur Sprache des Alten Testaments (KUSATU) 12.13, Mainz 2011, 211-256 — Witte, M., Hiob und die Väter Israels. Beobachtungen zum Hiobtargum zum Buch Hiob, in: M. Witte (Hg.), Hiobs Gestalten. Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs in Judentum und Christentum, SKI.NF 2, Leipzig 2012, 39-61 — Ziegler, J., Beiträge zum griechischen Job, MSU 18, AAWG 3/147, Göttingen 1985 — Zimmermann, Chr., Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont, AJEC 69, Leiden / Boston 2007.

2. Textüberlieferung und Editionen Das griechische Ijobbuch wird von den großen Codizes A, B und S vollständig geboten, von C und V nur fragmentarisch. 1 Hinzu kommt ein umfangreicher Bestand an vollständigen und fragmentarischen Minuskelhandschriften aus der Zeit zwischen dem 7. und dem 14. Jh. Textgeschichtlich besonders interessant sind Papyri-Fragmente aus der Zeit zwischen dem 1. Jh. und dem 6. Jh. n. Chr. 2 Der derzeit älteste Papyrus mit Fragmenten des griechischen Ijobbuchs ist der Pap. Oxyrhynchos Nr. 3522 (= P 857) aus dem 1. Jh. n. Chr. mit der Passage Ijob 42,11-12. 3 Der Papyrus bietet, wie einige aus Qumran bekannte Handschriften oder die griechische Zwölfprophetenrolle (8ḤevXIIgr), das Tetragramm in althebräischen Buchstaben, 4 während in den anderen bekannten Handschriften der Ijob-LXX das Tetragramm zumeist mit dem Wort κύριος übersetzt ist. Der Berliner Pap. Nr. 11778 (= P 974) aus der Zeit um 220 n. Chr. enthält den Abschnitt Ijob 33,23-24; 34,10c-15b. 1.

2.

3.

4.

Der Codex Ephraemi rescriptus (C) bietet Ijob 2,12c-4,12a; 5,27c-7,7; 10,9-12,2a; 13,18b-18,9a; 19,27b-22,14a; 24,7-30,1b; 31,6-35,15a; 37,5-38,17a; 40,25b-42,17. Der Codex Venetus (V) beginnt mit Ijob 30,8. Zu den bei Ziegler, Iob, 14, 62-64, genannten Papyri sind zu ergänzen: 1) Pap. Oxyrhynchos Nr. 3522 und 2) Chester Beatty Appendix zu Pap. 962 (3. Jh. n. Chr., mit Resten von Ijob 9,2 und 9,12-13); Pietersma, Papyri, 175 (Appendix A); Parsons, Papyri, 1-3. Minimale Reste könnten Ijob 42,15*; 42,17c*; 42,17d* bezeugen (Parsons, Papyri, 2 f.). Zu einer frühen summarischen Nennung des griechischen Ijobbuchs (δέρμα Ἰώβ) im Rahmen einer Aufzählung alt- und neutestamentlicher Bücher siehe den unter SGUÄ Nr. 16340 genannten Papyrus aus dem 4. Jh. n. Chr. Vgl. dazu Tov, Use, 180.

410

2. Textüberlieferung und Editionen

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

Insgesamt ist zwischen mindestens fünf verschiedenen griechischen Ijobbüchern der Spätantike zu unterscheiden. Entstehungsgeschichtlich an erster Stelle steht die vororigenistische Fassung, der sogenannte »Old Greek Text« (OG) oder die »IjobLXX«. 5 Diese Version repräsentiert den griechischen Urtext im Sinn der ältesten tradierten Textgestalt. Ihr treten die griechischen Übersetzungen des Aquila (um 130 n. Chr.), des Symmachus (um 170 n. Chr.) und des Theodotion (traditionell auf das Ende des 2. Jh. n. Chr. datiert) zur Seite. Dabei dürfte im Fall des Ijobbuchs das Th zugeschriebene Material auf eine im frühen 1. Jh. n. Chr. entstandene Neuübersetzung des hebräischen Texts zurückgehen und Th zumindest hier der Aq zugewiesenen Übertragung zeitlich vorausgehen. 6 Hinzu kommen die in ihrer Herkunft umstrittenen Fragmente der bei einzelnen Kirchenvätern als ὁ ἑβραῖος oder τὸ ἑβραϊκόν (= Ebr) bezeichneten Übersetzung(en). 7 Die Ijobzitate bei Paulus, die jüdisch-hellenistische Schrift des TestIjob, 8 der Pap. Oxyrhynchos Nr. 3522 und der Berliner Pap. Nr. 11778 zeigen, dass bereits im 1./2. Jh. n. Chr. unterschiedliche Rezensionen der griechischen Ijobübersetzung im Umlauf waren. 9 Rezeptionsgeschichtlich wirkte die von Origenes (215/245 n. Chr.) angefertigte Fassung, die eine aus dem OG und vornehmlich aus der Übersetzung des Th kombinierte Mischform darstellt, der sogenannte »kirchliche Text«. Übersetzungs- und sprachgeschichtlich handelt es sich um eine problematische Kombination, da zwei unterschiedlich geartete Übersetzungen ineinander geschoben sind. Die von Origenes aus Th übernommenen Stücke sind mittels eines Asteriskos (⁘ X ) als Zusätze markiert. Ein Metobelos ( ) zeigt das Ende der ergänzten Passage an. Überschüsse, die Origenes im griechischen Text gegenüber dem MT erkannte, sind mittels eines Obelos (�) gekennzeichnet. Nach der textkritischen Standardausgabe der Ijob-LXX von J. Ziegler sind 389 Stichen asterisiert. 10 Bezogen auf die Anzahl der Stichen des MT entspricht dies T

5. Die Kürzel LXX und OG werden in der Forschung nicht einheitlich gebraucht; die hier verwendete Terminologie folgt Cook, Wisdom, 26-27; Fernández Marcos, Job, 251-252; Cox, Vocabulary, 119 ff.; Cox, Iob. 6. Gentry, Materials, 494-499. 7. FMI, 161-163; Hagedorn / Hagedorn, Katenen, IV, 108 f. Für das Ijobbuch verzeichnet Ziegler, Iob, Überreste des Ebr zu 1,15a.c.22; 2,3.5.8.13; 3,3; 4,15; 7,12.20; 9,9.13; 10,16; 13,8.11.19.20.27; 14,8.9..11a.b; 15,7.14.21.27; 16,12; 18,15; 19,6.28; 20,5a.b.14; 28,2; 36,30; 38,30; 40,27. 8. Siehe dazu Schaller, JSHRZ, 303-387; Splitter, Testament, 829-868; van der Horst / Knibb, Studies; Oberhänsli-Widmer, Hiob, 59-93; Witte, Frau, 355 ff. 9. Wevers, Septuaginta-Forschungen, 133 f.; Schaller, Septuaginta, 377-406; ders., Textcharakter, 21-26. 10. Ziegler, Iob, 133-151: 7,8; 9,3b; 9,15b; 9,24b.c; 10,4b; 11,5b; 12,8b; 12,9; 12,18b; 12,21; 12,23; 13,19b; 13,20b; 14,12c; 14,18; 14,19; 15,10; 15,26b; 15,27; 16,3b; 16,8; 16,21b; 17,3b; 17,4; 17,5a; 17,10aβ; 17,12; 17,16b; 18,9b; 18,10; 18,15; 18,16; 18,17b, 19,24a; 19,28b; 20,3; 20,4a; 20,9; 20,11; 20,12; 20,13; 20,14b; 20,20b; 20,21a; 20,23a; 20,25c; 21,15; 21,19b; 21,21; 21,23; 21,28; 21,29; 21,30; 21,31; 21,32; 21,33; 22,3b; 22,13; 22,14; 22,15; 22,16; 22,20; 22,24; 22,29; 22,30; 23,9; 23,15cd; 24,4b; 24,5c; 24,8a; 24,14b; 24,15; 24,16; 24,17; 24,18a; 24,25b; 25,6b; 26,5; 26,6; 26,7; 26,8; 26,9; 26,10; 26,11; 26,14ab; 27,19b; 27,21; 27,22; 27,23; 28,3bc; 28,4a; 28,5; 28,6; 28,7; 28,8; 28,9a; 28,14; 28,15; 28,16; 28,17; 28,18; 28,19; 28,21b; 28,22a; 28,26b; 28,27a; 29,10b; 29,11a; 29,13a; 29,19; 29,20; 29,24b; 29,25; 30,1c; 30,2; 30,3; 30,4a; 30,7a; 30,11b; 30,12; 30,13a; 30,16a; 30,18b; 30,20b; 30,22b; 30,27; 31,1; 31,2; 31,3; 31,4; 31,18; 31,23b; 31,24a; 31,27a; 31,35a; 32,4b; 32,5; 32,11b; 32,12; 32,15; 32,16; 33,8a; 33,19b; 33,20b; 33,28; 33,29; 33,31b; 33,32; 33,33; 34,3; 34,4; 34,6b; 34,7; 34,11b; 34,18b; 34,23a; 34,25b; 34,28; 34,29; 34,30; 34,31; 34,32; 2. Textüberlieferung und Editionen

411

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

einem Anteil von 18 %. D. h. im Vergleich zum masoretischen Ijobbuch stellt die älteste (erreichbare) griechische Gestalt eine Kurzfassung dar, womit ein ähnlicher Fall wie bei der Überlieferung des Jeremiabuchs vorliegt. Wichtige spätantike und mittelalterliche Übersetzungen, die auf der Basis eines griechischen Ijobtextes angefertigt wurden, sind 1) die nur in Fragmenten erhaltene altlateinische Version der Vetus Latina (VL), 2) eine von Hieronymus erstellte lateinische Übersetzung (La), 11 3) die syrohexaplarische Übersetzung (Syh), 4) die sahidische (Sa) und bohairische Übersetzung (Bo), 5) die äthiopische Übersetzung (Aeth) und 6) die armenische Übersetzung (Arm). 12 Mit Ausnahme von Sa und VL repräsentieren alle griechischen Handschriften und Codices sowie alle Tochterübersetzungen den durch Origenes angereicherten (hexaplarischen) Text.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Die Ijob-Septuaginta als Übersetzungswerk Das griechische Ijobbuch stellt die Übersetzung eines hebräischen Textes dar. Hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem griechischen und dem hebräischen Ijobbuch konkurrieren in der Forschung drei Positionen: 1) Die griechische Fassung repräsentiere eine ältere, vormasoretische Gestalt. 13 2) Die griechische Fassung basiere auf einer weitgehend mit dem Grundtext des MT identischen Vorlage. Die Differenzen zwischen der LXX und dem MT werden in diesem Fall mit der Annahme der bewussten literarischen und theologischen Arbeit der Übersetzer erklärt. Diese Position stellt zur Zeit die Mehrheitsmeinung dar. 14 3) Für eine vermittelnde Position stehen die Arbeiten von Johann Cook (1992 ff.). 15 Die Tatsachen, dass die »Kürzungen« 1) im Verlauf des Buchs stetig zunehmen, 16

11. 12. 13. 14. 15. 16.

34,33; 35,7b; 35,8; 35,9; 35,10a; 35,12a; 35,15; 35,16; 36,5b; 36,6; 36,7; 36,8; 36,9; 36,10b; 36,11; 36,13; 36,16; 36,19c; 36,20; 36,21b; 36,22a; 36,24b; 36,25a; 36,26; 36,27b; 36,28a; 36,29; 36,30; 36,31; 36,32; 36,33; 37,1; 37,2; 37,3; 37,4; 37,5a; 37,6b; 37,7a; 37,10a; 37,11; 37,12abc; 37,13; 37,18; 37,21b; 38,26; 38,27; 38,32; 39,1a; 39,3b; 39,4; 39,6b; 39,8; 39,13; 39,14; 39,15; 39,16; 39,17; 39,18; 39,28; 39,29b; 40,1; 40,2; 40,23b; 40,24; 40,26a; 40,31b; 41,4; 41,8a; 41,9; 41,15b; 41,18b; 41,21a; 41,24b; 42,8e; 42,16cd; 42,17. Nach Gentry, Materials, 537, sind allerdings 9,3b und 12,21b nicht zu asterisieren, während 27,19a asterisiert werden muss. Hauptzeugen für den mit Asteriskoi, Obeloi und Metobeloi versehenen Text der Hexapla sind die griech. Minuskeln 248 (13. Jh.) und 252 (10. Jh.) sowie die syrische Übersetzung (Syh), die lateinische Übersetzung (La) und die armenische Übersetzung (Arm). Von dieser lateinischen Übersetzung des Hieronymus ist dessen lateinische Übersetzung des hebräischen Ijobbuchs zu unterscheiden, die dann in der Vulgata (Vg) tradiert wurde. Ziegler, Iob, 37-54. Hatch, Origen’s, 220 ff.; Orlinsky, HUCA 35, 58; Siegert, Bibel, 324. Cox, Methodological Issues, 80; Küchler, Weisheit, 124; Fernández Marcos, Job, 254; FMI, 80; vgl. bereits Gerleman, Studies, 22 ff.; Gard, Method, 91 ff.; Heater, Technique, 131. Cook, Wisdom, 26-45; ders., Relationship, 309-328; tendenziell auch Tremblay, Job, 421-493. Im Bereich von Kap. 1–14 ist der griechische Text um ca. 4 % kürzer, im Bereich der Kap. 15–21 um ca. 16 %, im Bereich der Kap. 22–31 um 25 %, im Bereich der Kap. 32–37 um 35 % und im Bereich der Kap. 38–42 um 16 % (Statistik nach Driver / Gray, Job, lxxv).

412

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

2) v. a. sprachlich schwierige Stellen betreffen, 3) die Redundanzen in den Elihureden (Kap. 32-37) vermindern und dadurch die Stringenz der Argumentation steigern sowie 4) mitunter die poetische Struktur beeinträchtigen 17, sprechen für die Annahme, dass im Wesentlichen die Übersetzer für den Kurztext verantwortlich sind. Die Kürzungen sind aber nicht das Ergebnis einer durchgehenden theologischen Redaktion, die systematisch Anthropomorphismen im Gottesbild getilgt oder Anklagen Ijobs gegen Gott entschärft hätte, auch wenn sich einzelne »Auslassungen« und Differenzen gegenüber dem hebräischen Text so erklären lassen. 18 Insofern die »Auslassungen« auch sekundäre Abschnitte des hebräischen Ijobbuchs betreffen (24,14-18; 28,14-19; 39,13-18), 19 liegt gleichzeitig die Annahme nahe, dass die Übersetzer eine oder mehrere Gestalten des hebräischen Buchs vor sich hatten, die mit der Vorlage des MT nicht voll identisch ist. Weitere mikrotextliche Differenzen zwischen dem MT und der LXX, die nicht übersetzungstechnisch oder inhaltlich bedingt sind, gehen darauf zurück, dass die griechischen Übersetzer 1) den Konsonantentext anders vokalisiert haben als die Masoreten, 2) Buchstaben verlesen haben oder 3) den Text anders gegliedert haben. Insgesamt stellt die Ijob-LXX eher eine literarische als eine wörtliche Übersetzung dar. 20 An Stellen, an denen die Übersetzer den hebräischen Text offensichtlich nicht verstanden haben oder eine nicht unversehrt erhaltene Vorlage hatten, übersetzen sie kontextuell; mitunter fügen sie formelhafte Wendungen aus anderen Teilen des Ijobbuchs oder auch aus anderen Büchern der LXX ein. 21 Dadurch ist an einigen Stellen, an denen der MT bis heute philologisch umstritten ist, ein leichter lesbarer Text entstanden. Demgegenüber weisen die aus Th eingetragenen Verse die Tendenz auf, den hebräischen Text möglichst wortgetreu wiederzugeben, was bisweilen zu Lasten des griechischen Stils geht (vgl. 22,24; 27,23) oder zur einfachen Transkription hebräischer Wörter führt. 22 Die mechanische Auffüllung von Lücken der Ijob-LXX durch Origenes mit Text aus Th hat darüber hinaus zu Doppelübersetzungen geführt. 23

3.2 Die Ijob-Septuaginta als eigenständiges literarisches Werk Das griechische Ijobbuch stellt auch ein selbständiges literarisches Werk mit einer eigenen Struktur und Aussage, einem spezifischen Adressatenkreis und einer eigenständigen Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte dar. Wie die anderen Bücher der LXX ist

17. Vgl. Ijob 10,4; 20,14; 31,27; 33,8; 34,6; 34,11; 34,18; 37,6; 37,7; 39,6. 18. Vgl. Ijob 7,8; 9,24c; 11,5b; 12,23; 21,15; 21,19b; 22,13-16; siehe dazu Gard, Method, 32 ff.71 ff. Gegen Gards These des Antianthropomorphismus der Ijob-LXX hat Orlinsky, HUCA 30, 153-167; HUCA 32, 239-268, eine prinzipiell zutreffende, im Einzelnen aber überzogene Kritik erhoben. 19. Witte, Leiden, 116 ff.162 ff.180 ff. 20. Gerleman, Studies, 5 ff.; Heater, Technique; Gammie, Job, 13-31; Cox, Vocabulary, 121; Fernández Marcos, Job, 256-257; Tov, Use, 18; zur Problematik der Differenzierung zwischen einer freien und einer wörtlichen Übersetzung siehe White, Devil, 145 ff. 21. Vgl. dazu Heater, Technique, 11 ff., der in dieser Hinsicht von »anaphoric translation« spricht, und Cox, Context, 116, der den Terminus »associative translation« bevorzugt. 22. Vgl. ἀραβά (39,6; Jes 41,19[Th]; Jer 39,4[Th]); ἀσιδά (39,13; Jer 8,7); ἀχί (8,11 MT: ‫ ;)אָחוּ‬ἠδώ (36,30); θεεβουλαθώ (37,12); μαζουρώθ (38,32); νεέλασα, νεσσά (39,13); ῥαθαμίν (30,4). 23. Siehe die Zusammenstellungen bei Cox, Origen’s Use, 92 ff., und bei Gentry, Materials, 517-530. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

die Ijob-LXX damit auch ein Gegenstand der griechischen Literaturgeschichte. 24 Über die Wiedergabe hebräischer Begriffe mit Äquivalenten, die in der paganen griechischen Mythologie und Philosophie verankert sind, ist die Ijob-LXX ein Teil des griechisch-hellenistischen religiösen und philosophischen Diskurses. 25 Zum außerbiblischen griechischen Referenzrahmen tritt das Corpus der gesamten griechischen Bibel, unter Einschluss der Deuterokanonen und der Pseudepigraphen (v. a. der weisheitlichen Bücher Sir, Weish, Bar, 4Makk, PsPhok, Arist) und des Neuen Testaments. Bestimmte motivische Beziehungen zwischen dem Ijobbuch und einzelnen biblischen Büchern sind auf der Ebene des griechischen Textes verstärkt bzw. erst im Kontext der griechischen Bibel erzeugt. 26

3.3 Zeit und Ort der Übersetzung Der terminus ante quem für die Entstehung der Ijob-LXX (exklusive der vorhexaplarischen »Zusätze« in 2,9 und 42,17a-e) wird durch vier äußere Bezeugungen markiert: 1) durch den Pap. Oxyrhynchos Nr. 3522 (1. Jh. n. Chr.), 2) durch die Zitation von Ijob 14,4-5 bei Philo von Alexandria (etwa 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) in Mut. 48,4, 27 3) durch die Zitation von Ijob 5,12-13 in 1Kor 3,19, von Ijob 13,16 in Phil 1,19 und von Ijob 41,3 in Röm 11,35 und 4) durch das literargeschichtliche Verhältnis zur Ijob-Paraphrase des jüdisch-hellenistischen Exegeten Aristeas, der aufgrund der Benutzung durch Alexander Polyhistor (etwa 100–40 v. Chr.) noch vor 100 v. Chr. zu datieren ist. 28 Wenn Aristeas von der ursprünglichen Ijob-LXX abhängt, 29 muss diese im ausgehenden 2. Jh. v. Chr. vorgelegen haben. Nimmt man das hebräische Ijobbuch, das ausweislich seiner Benutzung durch Ben Sira und des Qumranfragmentes 4Q101 im ausgehenden 3. Jh./frühen 2. Jh. v. Chr. abgeschlossen war, als terminus post quem, dann dürfte die älteste Fassung des griechischen Ijobbuchs aus dem 2. Jh. v. Chr. stammen, wobei eher die zweite Hälfte des Jahrhunderts in Frage kommt. 30 Auf diese Zeit könnten auch punktuelle Parallelen mit dem Ijobtargum aus Qumran (11Q10) führen, falls dieses noch aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. stammt. 31 Damit steht die Ijob-LXX im zeitlichen Umfeld der grie24. Vgl. dazu in Ansätzen Stählin, Literatur, 535 ff.; Dihle, Literaturgeschichte, 342-352. Im Mittelpunkt der Griechischen Literaturgeschichten dominiert aber (immer noch) die Darstellung der LXX als Übersetzungswerk. Zur Problematik siehe Cox, Wrath, 196-197, und ausführlich Tremblay, Job, 23-61. 25. Cox, Context, 105 ff.; Witte, Book, 38 ff. 26. Witte, Book, 40 f. 27. Dabei handelt es sich zugleich um das einzige explizite Zitat aus dem Ijobbuch bei Philo; hinzu kommen Anspielungen auf Ijob 1,21 in Spec. I,295; auf Ijob 28 in Prob. 65; auf Ijob 28,24 in Det. 61 und QG. I,69 sowie auf Ijob 38,4 in Migr. 136. 28. Freudenthal, Studien, 138 ff.; Denis, Fragmenta, 195-196; Walter, Fragmente, 293-296; Doran, Aristeas, 855-859. Dieser Aristeas (Exegeticus/Historicus) ist nicht identisch mit dem Verfasser des Aristeasbriefs. 29. Freudenthal, Studien, 139; Gerleman, Studies, 74; Walter, Fragmente, 293-296; Tilly, Einführung, 61-62; Cox: Context, 106. 30. Gerleman, Studies, 74; Fernández Marcos, Job, 251. 31. Sokoloff, Targum, 9; Shepherd, Targum, 3-6.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

chischen Übersetzung des Sirachbuchs und des Baruchbuchs. Für die Nachträge kommt, sofern 42,17b-e nicht seinerseits von Aristeas abhängig ist, die Zeit zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. in Frage, da zumindest 42,17b-e von Th vorausgesetzt wird. Das TestIjob (2. Jh. n. Chr.) kennt beide Zusätze. Aufgrund der Vertrautheit der griechischen Übersetzer mit klassischer griechischer Literatur (Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides), aber auch mit Vertretern der alexandrinischen Dichter- und Philologenschule (Kallimachos, Apollonios von Rhodos) spricht einiges dafür, dass die Übersetzung und ihre frühesten Bearbeitungen in Alexandria entstanden sind.

4. Inhaltliches und theologisches Profil Der Aufbau des griechischen Ijobbuchs entspricht im Wesentlichen dem des hebräischen Buchs: Auf einen narrativen Prolog folgt eine lange Eingangsklage Ijobs, die einen aus acht Freundesreden und acht Ijobreden bestehenden Redewechsel hervorruft, an den sich zwei Monologe Ijobs, vier bzw. fünf Monologe Elihus und endlich drei bzw. zwei Gottesreden mit jeweils einer kurzen Antwort Ijobs anschließen. Den Abschluss bildet ein narrativer Epilog. Im Detail zeigen sich charakteristische Differenzen. Im Gegensatz zum hebräischen Ijobbuch ist der Dialogteil des griechischen Ijobbuchs nicht poetisch. Die griechischen Übersetzer wahren mit wenigen Ausnahmen den Parallelismus membrorum, 32 überführen den Text aber nicht in eine für die griechische Poesie übliche Form. Kompositionell stehen den »Kürzungen« im Dialogteil umfangreiche »Zusätze« in den Rahmenteilen gegenüber.

4.1 Die »Zusätze« Aus der im hebräischen Text nur zwei Stichen umfassenden Rede der Frau Ijobs in 2,9 ist im griechischen Ijobbuch eine sich über 13 Stichen erstreckende Klage geworden. Die Herkunft dieses Textstücks ist unsicher. Erwogen werden 1) eine Übernahme aus einem hebräischen oder aramäischen Ijob-Midrasch, 33 2) eine innergriechische Erweiterung aus dem Umkreis einer jüdisch-hellenistischen Schule, 34 3) eine buchimmanente genuin griechische Komposition 35 oder 4) eine Entlehnung aus dem breiten Strom der Ijob-Haggada, wie er sich im TestIjob niedergeschlagen hat. Wie einzelne nur hier in der Ijob-LXX gebrauchte Begriffe zeigen, gehörte die Rede der Frau Ijobs aber nicht zur ältesten griechischen Fassung. 36 32. Nur gelegentlich wird ein Bikolon zu einem Stichos zusammengezogen (vgl. z. B. Ijob 3,22; 18,18; 21,27; 22,2; 30,6; 33,8.13; 34,11; 39,6). Die Mehrzahl der griechischen Handschriften bietet einen nicht-stichisch geschriebenen Text. Stichisch geschrieben ist z. B. die Minuskel 252 (10. Jh.). 33. Beer, Text, 11; Horst, Hiob, 22. 34. Peters, Job, 28. 35. Heater, Technique, 31-36. 36. Vgl. λάτρις, μόχθος, αἴθριος, διανυκτερεύω (Driver / Gray, Job, lxxiii-lxxvi; Fernández Marcos, Job, 261). Zu einer ausführlichen inhaltlichen Analyse von Ijob 2,9LXX siehe Witte, Frau. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

415

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

Das ursprüngliche griechische Ijobbuch endete mit einem Pendant zu Ijob 42,16. Daran schließt sich ein dreiteiliger Epilog, der keine Entsprechung im hebräischen Ijobbuch hat. Ein erstes Nachwort (42,17a) verweist darauf, dass Ijob unter denen sei, die der Herr einst auferstehen lasse. Da das griechische Ijobbuch sonst keine Spuren einer Auferstehungsvorstellung aufweist, 37 dürfte es sich in 42,17a um einen vorhexaplarischen Zusatz handeln. Ein zweites Nachwort gibt als Quelle der Übersetzung ein »Syrisches Buch« (Συριακὴ βίβλος) an. Unklar ist, ob sich dieser Hinweis auf das gesamte Buch (d. h. »Ijob« als Chiffre für das Buch wie in der inscriptio von B und anderer Codices) bezieht, 38 nur auf die Auferstehungsnotiz in 42,17aα 39 oder auf die folgende geographische und genealogische Verortung Ijobs. 40 Im ersten Fall würde das griechische Ijobbuch entweder auf einer aramäischen Grundlage basieren, was sich aber nicht nachweisen lässt, 41 oder der Übersetzer hätte den Begriff Συριακός geographisch verstanden. 42 Im dritten Fall wäre das griechische Demonstrativum οὗτος vorweisend gebraucht (vgl. V. 17dα). Der Hinweis könnte dann eine Herkunftsangabe sein, mittels derer der Epilog als Exzerpt aus einem aramäischen Ijob-Midrasch markiert würde, wobei die Frage offen ist, ob diese Herkunftsangabe real 43 oder fiktiv 44 ist. Die Herkunft dieses dritten Teils des Epilogs, in dem u. a. Ijob zunächst mit dem aus Gen 36,33 bekannten edomitischen König Jobab identifiziert wird, ist umstritten. Die Gleichsetzung von Ijob (Ιωβ) mit Jobab (Ιωβαβ) erklärt sich sprachlich leichter als eine genuin griechische Erläuterung denn als eine bereits in einer vermeintlichen aramäischen Vorlage vorgefundene Gleichsetzung von ‫ ִאיּוֹב‬und ‫יוָֹבב‬. Dies spricht gegen die Annahme, der Abschnitt 42,17b-e stamme (vollständig) aus einer aramäischen Quelle. J. Freudenthal vertrat daher die These, die Passage stelle ein Exzerpt aus der griechischen Ijobparaphrase des Exegeten Aristeas (und aus einem syrischen oder aramäischen Targum) dar. So bietet der von Euseb über die Vermittlung des Alexander Polyhistor gebotene Auszug aus dem Werk des Aristeas »Über die Juden« im Wesentlichen eine Nacherzählung des Ijob-Rahmens ohne Himmelsszenen unter Nennung der vier Freunde Ijobs und geneaologischer Angaben zu Ijob aus Gen 36,33. 45 Demgegenüber votieren B. Schaller und A. Y. Reed für die Abhängigkeit des Aristeas von Ijob 42,17b-e. 46 Nach Reed ist Ijob 42,17b-e ein genuin griechischer Midrasch, der auf 37. Vgl. 3,21-22; 7,9-10; 14,12; so mit Orlinsky, HUCA 32, 245-246. Anders Gard, Life, 137-143; Dassmann, Hiob, 373; Tremblay, Job, 206-219 u. ö.; Schnocks, Rettung, 48. 38. Peters, Job, 503. 39. Walter, Fragmente, 293-296. 40. Frankl, Zusätze, 306-315; Freudenthal, Studien, 139; Reed, Job, 32. 41. Das Wort Συριακός kann für eine Sprache, die in Quadratschrift geschrieben wurde, verwendet werden (Siegert, Bibel, 36). Zur Frage, ob die Juden in Palästina in hellenistisch-römischer Zeit Syrisch sprachen, vgl. bereits Arist 11,6 sowie zum Verhältnis von Syrisch und Hebräisch im Blick auf Ijob 42,17 Julian, Kommentar, 311,15 ff. 42. Vgl. Strabo, 2,1,31. 43. Frankl, Zusätze, 312-313; Swete, 257; Dhorme, Job, xv; Gentry, Materials, 536. 44. Reed, Job, 39 ff. 45. Der Position von Freudenthal haben sich in neuerer Zeit u. a. Gerleman, Studies, 74; Fohrer, Hiob, 542; Walter, Fragmente, 293; FMI, 260-261, angeschlossen. 46. Schaller, Septuaginta, 402; Reed, Job, 38 ff.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

die fortschreitende Annäherung zwischen Juden und Idumäern am Ausgang des 2. Jh. v. Chr. reagiere. Wie im Fall des Zusatzes in Ijob 2,9 ist aber auch hier zu erwägen, ob 42,17b-e nicht auf eine mündliche Tradition zurückgeht, auf die auch Aristeas zurückgegriffen hat. 47 Zu den beiden umfangreichen Überschüssen der LXX gegenüber dem MT kommen kleinere übersetzungstechnisch bedingte, verdeutlichende Ergänzungen, aber auch inhaltlich relevante »Zusätze« einzelner Wörter (z. B. 1,1 δίκαιος) oder einzelner Stichen (z. B. 1,5d oder 1,21d). 48

4.2 Kompositionelle Besonderheiten im Dialogteil An fünf Stellen weist die Ijob-LXX Kürzungen auf, die das dramaturgische Profil des Buchs berühren. 49 1) Die Ijobrede in Kap. 26 ist von 27 Stichen auf 11 Stichen reduziert, wodurch zwischen der kurzen Rede Bildads/Baldads in Kap. 25 (9 Stichen, der zehnte Stichos stammt aus Th) und der darauf folgenden Ijobrede ein größeres quantitatives Gleichgewicht besteht. 2) Kap. 28 ist in der Ijob-LXX auf die V. 1-3a.4b.9b-13.20-21a.22b-26a.27b-28 beschränkt. 50 Die »Auslassung« von V. 14-19 teilt die älteste griechische Fassung mit dem (allerdings nur fragmentarisch erhaltenen) 11QTgIjob, so dass hier ein weiterer Hinweis auf einen von der Vorlage des MT verschiedenen Basistext vorliegt. Durch die Auslassung von 27,21-23 und 28,3b-4a ist der Anschluss von 28,1-3a an Kap. 27 enger als im MT. Da anders als im MT in 28,10 nach den wichtigsten LXX-Handschriften das Auge Ijobs Subjekt ist, wird Kap. 28 eindeutig als Ijobrede qualifiziert und eine Verbindung zwischen Ijob 13,1, 19,27 und 42,5 hergestellt. Das Verständnis von Kap. 28 als Rede wird auch an V. 22b deutlich, der in der LXX ein Bekenntnis der mit besonderer Erkenntnis begabten Weisen, zu denen sich Ijob zählt, ist. 3) Ijob 31,1-4 ist »ausgelassen«. Dadurch werden zwar 30,28-31 und 31,5-6 motivisch enger aneinander gerückt (vgl. Ps 1,1); es fehlt aber die Einleitung zu Ijobs abschließendem Unschuldsbekenntnis (vgl. 31,4). 51 Die LXX-Fassung von 31,35-37 bietet anders als der MT keine ultimative Herausforderung Gottes, die mit 3,3 und 38,3 korrespondiert, sondern ein weiteres moralisch-rechtliches Feld, auf dem sich Ijob bewährt hat. 4) Die Reden des Elihu/Elius in Kap. 32-37 sind von 334 Stichen auf 218 Stichen vermindert. Dadurch entspricht der Umfang der Reden des vierten Freundes ungefähr dem Umfang der Gottesreden (211 Stichen). Hinzu kommt eine neue Segmentierung. Nach dem MT wird der Block dieser Reden durch Überschriften in 32,6; 34,1; 35,1 und 36,1 in vier Monologe gegliedert. Dies entspricht kompositionell den vier zuvor auf-

47. Doran, Aristeas, 856-857. 48. Weitere kleine, nicht übersetzungstechnisch bedingte Zusätze finden sich u. a. innerhalb folgender Verse: 1,3 f.; 1,9a; 1,22a.b; 2,10a; 5,4b; 5,27c; 7,16a; 7,19b; 13,25a.b; 15,28c; 24,4a; 31,9a; 33,23c. e; 38,1a; 42,5a; 42,10b; 42,11a.b; 42,16a. 49. Gezählt sind jeweils die Stichen in der Ausgabe von Ziegler, Iob, exklusive der Redeeinleitungen wie 26,1; 32,1-6; 32,17; 34,1; 35,1; 36,1; 38,1; 40,(1).3.6. 50. Siehe dazu auch Küchler, Weisheit, 125 ff.; Cook, Aspects, 26 ff. 51. Zur literarkritischen Einschätzung von Ijob 31,1-3 siehe Witte, Leiden, 184-186. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

getretenen Rednern Ijob, Eliphas, Bildad/Baldad und Zophar/Sophar. In der LXX findet sich in 32,17 eine zusätzliche Redeeinleitung, so dass Elihu/Elius nun fünf Monologe hält. Kompositionell lässt sich damit die erste Rede Elihus/Elius als Antwort auf den ersten Redegang (Kap. 4–14), die zweite Rede als Antwort auf den zweiten Redegang (Kap. 15–21), die dritte Rede als Antwort auf den dritten Redegang (Kap. 22–26), die vierte Rede als Antwort auf Ijobs erste Abschlussrede (Kap. 27–28) und die fünfte Rede als Antwort auf Ijobs zweite Abschlussrede (Kap. 29–31) verstehen. Dieses kompositionelle Muster wird durch Aufnahme zentraler Begriffe und Motive aus den jeweiligen Redegängen in den jeweils darauf bezogenen Elihu-/Eliusreden verdeutlicht. 52 In Parallele zu der Notiz in 31,40, die das Ende der Reden Ijobs markiert, klassifiziert die LXX, über den hebräischen Text hinausgehend, in 38,1 die Elihu-/Eliusreden inhaltlich und formal als »Rede« (λέξις) 53 und bindet diese stärker in das Buch ein, als dies im MT der Fall ist. 5) Die kurze Gottesrede in 40,1-2 ist »ausgelassen«, wodurch die Reaktion Ijobs (40,3-5) unmittelbar an die erste Gottesrede angeschlossen wird (38,1–39,30*) und ein stärkeres strukturelles Gleichgewicht zwischen den beiden Gottesreden und den sich jeweils anschließenden Ijobreden hergestellt wird.

4.3 Theologische Besonderheiten Ijob erhält in der Septuaginta ausdrücklich den Titel eines Gerechten (δίκαιος, 1,1), den er im hebräischen Text an keiner Stelle trägt (vgl. aber Ez 14,14.20 und Sir 49,9[H]). Die Linie des gerechten Ijob zieht sich durch die gesamte griechische Version des Buchs 54 und hat sich in der Ijob-Paraphrase des Exegeten Aristeas sowie in den Überschriften der griechischen Minuskeln 250 (13. Jh.) und 46 (13.–14. Jh.) niedergeschlagen, in denen das Buch mit ιωβ δικαιου βιος (»Leben des gerechten Ijob«) bzw. mit η βιβλος του δικαιου ιωβ (»das Buch des gerechten Ijob«) überschrieben ist. 55 Auf der Linie, die Gerechtigkeit Ijobs zu betonen, liegen auch die Hinweise auf die »Werke Ijobs« und auf die »Wege der Gerechtigkeit«, 56 was dem jüdisch-hellenistischen Frömmigkeitsideal mit der Tora als Maßstab der Gerechtigkeit entspricht. Die besondere Frömmigkeit Ijobs wird weiterhin dadurch betont, dass entgegen dem hebräischen Text die Kennzeichnung als »Knecht« Gottes (‫ )ֶעֶבד‬in 1,8 und 2,3 im griechischen Buch variiert wird. So erscheint Ijob in der ersten Rede Gottes mit dem Satan, der in der griechischen Fassung als διάβολος (»Verleumder«) bezeichnet wird, noch unspezifisch als παῖς (»Knecht«), während er nach den ersten Schlägen, die ihn Besitz und Familie kosten, θεράπων (»Diener«) genannt wird (vgl. 42,7-8). Ausdrücklich wird in 1,5 über den hebräischen Text hinausgehend herausgestellt, dass Ijob in seiner skrupulösen Frömmigkeit für die möglichen Sünden seiner Söhne ein Kalb opferte (vgl. Lev

52. Vgl. 1) 32,8 mit 4,15; 2) 32,18 mit 15,2; 3) 34,5 mit 22,4; 4) 35,2-3 mit 27,6 und 5) 36,5a mit 29,2 ff. 53. Vgl. 36,2; 38,1; Aristoteles, Rh. 1408b21; 1414a8.18. Zum Aufbau einer λέξις in der klassischen Rhetorik siehe Lausberg, Rhetorik, § 449-452. 54. Vgl. 1,21d; 6,92; 12,4; 30,19; 32,1; 42,6. 55. Ähnliche Abschlussnotizen finden sich in den Minuskeln 130 und 261 sowie in Syh. 56. Vgl. 1,3.10; 4,17; 5,27; 11,4.11; 13,27; 22,3; 34,21.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

4,8 ff.). Schließlich erscheint Ijob in der griechischen Version des Buchs nicht nur als Fürbitter für seine Freunde wie im hebräischen Text (42,9-10), sondern erwirkt ausdrücklich die Sündenvergebung für diese (vgl. 11QTgIjob Kol. XXXVIII,2-3; TestIjob 42,8; 43,1-2.17). 57 Charakteristisch für die Theologie des griechischen Ijobbuchs ist der Gebrauch der Gottesbezeichnungen. Das hebräische Ijobbuch verwendet in den narrativen Passagen in Kap. 1–2 und 42,7-17 das Tetragramm und das Appellativum ‫»( ֱאל ִֹהים‬Gott«) bzw. ‫»( ָהֱאל ִֹהים‬die Gottheit«), während im poetischen Teil der Kap. 3,1–42,6 ‫»( ֵאל‬El/ Gott«), ‫»( ֱאלוַֹח‬Eloah/Gott«), ‫»( ֱאל ִֹהים‬Gott«), ‫»( ַשַׁדּי‬Schaddaj / Allwalt«) und ‫ֲאדֹ ָני‬ (»Herr«) begegnen. Das Tetragramm findet sich in den poetischen Stücken nur einmal in dem vermutlich sekundären Vers 12,9 sowie in den Überschriften der Gottesreden in 38,1; 40,1.3.6; 42,1. Die mit Abstand häufigste Gottesbezeichnung im griechischen Ijobbuch ist ὁ κύριος bzw. κύριος (»[der] Herr«), was in der LXX das Standardäquivalent für das Tetragramm ist, im griechischen Ijobbuch aber einen Übersetzungsbegriff für sämtliche im hebräischen Ijobbuch verwendeten Gottesbezeichnungen darstellt. 58 Durch die Eintragung des Begriffs ὁ κύριος wird die Vorstellung des außerbzw. vorisraelitischen Milieus des Ijobbuchs aufgebrochen, insofern Ijob und seine Freunde nun ausdrücklich als Verehrer des einen Gottes Israels gekennzeichnet sind, andererseits erscheint das Ijobbuch nun auch als Teil der hellenistischen religiösen Literatur, in der unterschiedliche Götter den Titel (ὁ) κύριος tragen. 59 Eine zweite Besonderheit im Gebrauch der Gottesbezeichnung stellt die Verwendung des Begriffs (ὁ) παντοκράτωρ (»[der] Allherrscher«) bzw. zweimal κύριος παντοκράτωρ dar. 60 Ausschließlich im griechischen Ijobbuch wird damit ‫ ַשַׁדּי‬wiedergegeben. 61 In den asterisierten, aus Th stammenden Versen 21,15; 31,2 und 40,2 erscheint als Äquivalent für ‫ ַשַׁדּי‬ὁ ἱκανός (»der sich selbst Genügende«, übertragen »der Allmächtige«). 62 Die damit verbundene Betonung der Allmacht Gottes findet sich auch in spezifischen Abweichungen vom hebräischen Text in 10,13. Eine dritte Besonderheit stellt die, wenn auch einmalige Wiedergabe von ‫ ֵאל‬mit ἐπίσκοπος (»Aufseher«) in 20,29 und mit ἄγγελος (»Engel«) in 20,15 dar. Diese Übersetzung entspricht der auch sonst im grie57. Zum Motiv vgl. auch 2Makk 7,37-38; 4Makk 6,27 ff.; Dan 3,39-40 (LXX/Th); syrBar 85,2 und dazu Janowski, Sündenvergebung, 251-280, sowie Cimosa, L’intercessione, 513-538. 58. Siehe dazu noch immer Baudissin, Kyrios, I, 246-260. 59. Zu spezifischen Unterschieden zwischen jüdischem und paganen Gebrauch von κύριος in religiösem Kontext siehe Rösel, Adonaj, 6-7. 60. Siehe dazu ausführlich Zimmermann, Vater, 233 ff.; Witte, El Schaddaj. 61. Ijob 5,17; 8,5; 11,7; 15,25; 22,17.25; 23,16; 27,2.11.13; 32,8; 33,4; 34,10.12; 35,13; 37,22(23). Einmalig wird in 8,3 ‫ ;ַשַׁדּי‬mit ὁ τὰ πάντα ποιήσας umschrieben. 62. Vgl. weiterhin Th zu Ijob 27,13; Jer 51(28),58; Ez 1,24; 10,5; Aq zu Gen 17,1; Ex 6,3; Ps 90(91),1; Jer 51(28),58; Ez 1,24; 10,5; Sym zu Ijob 22,3; 34,10; 37,23; Ps 67(68),15; 90(91),1; Prov 30,8; Jer 51 (28),58; Ez 1,24; 10,5 wie Rt 1,20-21 und Ez 1,24(A); Bertram, ’ΙΚΑΝΟΣ, 20-31; Tov: Dimensions, 540. Die Wiedergabe von ‫ ;ַשַׁדּי‬mit ὁ ἱκανός entspringt einerseits einem etymologischen Interesse, insofern ‫ שדי‬als Zusammensetzung aus der Relativpartikel ‫ ֶשׁ‬und dem Nomen ‫ַדּי‬: (»das Ausreichende« / »das Hinreichende«) gedeutet wird, andererseits einer theologischen Intention, insofern ὁ ἱκανός der hellenistischen Vorstellung von der Selbstgenügsamkeit Gottes entspricht; in ähnlichem Sinn erfolgt bei Th die Wiedergabe von ‫ ֵאל‬mit ὁ ἰσχυρός »der Starke« (vgl. ‫» אול‬stark sein«) in Ijob 22,13; 33,29; 34,31; 36,22.26; 37,5.10. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

419

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

chischen Ijobbuch nachweisbaren, gegenüber dem hebräischen Text verstärkten Angelologie. 63 Insgesamt zeigt sich im griechischen Ijobbuch die Tendenz, Begriffe für himmlische und mythische Wesen zu vereinheitlichen und die Funktion der »Engel« als strafende Werkzeuge Gottes zu betonen. Demgegenüber kennt das griechische Ijobbuch nicht die Vorstellung des »Fürspracheengels« des hebräischen Textes (Hi 33,22 f.). 64 Die Ijob-LXX hat die für die religiöse Sprache des Alten Orients und der Antike charakteristischen, mitunter stark anthropomorphen Bilder in der Rede von Gott und zu Gott grundsätzlich bewahrt, wenngleich die Übersetzer tendenziell die Souveränität Gottes unterstreichen, 65 den Abstand zwischen Gott und Mensch betonen und besonders heftige Vorwürfe gegen Gott abschwächen. 66

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die neutestamentliche Ijobrezeption basiert, wie die Mehrzahl der neutestamentlichen Bezugnahmen auf das Alte Testament, auf der LXX bzw. LXX-Versionen. 67 Eine besondere Rolle spielt das Motiv von der »Geduld Ijobs« (vgl. Jak 1,12 ff.; 5,11). 68 Eine eigenständige Rezeptions- und Auslegungsgeschichte besitzt das griechische Ijobbuch weiterhin in der auf Hieronymus zurückgehenden altlateinischen Übersetzung (La) sowie in den Auslegungen der griechischen Kirchenväter. Unter diesen ragen die Homilien des Origenes und die Ijob-Kommentare von Julian dem Arianer, Didymus dem Blinden, Johannes Chrysostomos und Olympiodor von Alexandrien sowie die in Catenenkommentaren erhaltenen Fragmente der Auslegung durch Polychronios heraus. 69 Zur literarischen Rezeptions- und Auslegungsgeschichte tritt die Aufnahme in der christlichen Kunst, die sich von den Darstellungen Ijobs in den römischen Katakomben über mittelalterliche Bibelillustrationen bis in die Neuzeit auf dessen griechische Gestalt(en) bezieht. So gehen die Darstellungen Ijobs und seiner Freunde als Könige (Ijob 2,11; 42,17d-e), des außerhalb der Stadt auf einem Misthaufen sitzenden Ijobs (Ijob 2,8) oder der Auferstehung Ijobs (Ijob 42,17a) in christlichen Bibelhandschriften des Mittelalters auf entsprechende Passagen im griechischen Ijobbuch zu-

63. Ijob 1,6; 2,1; 4,18; 5,1; 33,23; 36,14; 38,7; 40,11.19; Gard, Method, 55 ff.; Wevers, Septuaginta-Forschungen, 133-134; Gammie, Angelology, 5 64. Vgl. auch die Differenz zwischen LXX und MT in Hi 5,1; zu den starken Unterschieden zwischen griechischer und hebräischer Fassung von Hi 33,22 f. siehe Pilger, Erziehung, 150 f. 65. Ijob 10,13; 21,22; 22,2; 40,8; 42,7. 66. Ijob 6,9; 9,13; 10,2; 16,13-14; 19,6; 22,17; 24,12; 34,24-26; Gehman, Approach, 231-240; Gard, Method; Ders., Character, 182-186; Wevers, Septuaginta-Forschungen, 188-190; kritisch dazu Orlinsky, HUCA 28 ff. 67. Hainthaler, Ausdauer; Jobes / Silva, Invitation, 202-203; McLay, Use; Herzer, Jacobus, 329 ff. 68. Vgl. Ijob 1,21 f.; 2,9a; 6,11; 7,3; 9,4; 14,14; 17,13; 22,21, die Buchüberschriften in den Minuskeln 130 und 261 (»die Ehrensäule der Geduld des gerechten Ijob«) sowie TestIjob 1,5; Tob 2,12 (Vg); 1Clem 26,3; Tertullian, De patientia 14,5; Clemens von Alexandria, Strom. 4,17,106,3; u. a. und dazu Schaller, JSHRZ, 326-327; Dassmann, Akzente, 40-45, und Hainthaler, Ausdauer. 69. Dassmann, Hiob, 380 ff.; Ders., Akzente, 40 ff.; Centre d’Analyse, Job; Tremblay, Job, 281-380.

420

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

5.4 Job / Das Buch Ijob / Hiob

rück. 70Außerliterarisch findet der Name Ιωβ seine Verwendung z. B. in Ägypten in spätantiken und frühmittelalterlichen Besucherinschriften in Medinet Habu (SGUÄ Nr. 1310; 1311) und in Listen von Verschenkungen von Kindern an Klöster (SGUÄ Nr. 5606) Der im Neuen Testament hervorgehobene Aspekt der Geduld Hiobs führte zur Rede von Hiob als dem Dulder, die besonders in der katholischen Tradition und auch in der Literatur verwendet wurde. Siehe dazu Huber, Dulder, sowie die ungedruckt gebliebene Arbeit von J. Hügelsberger: »Der Dulder Hiob in der deutschen Literatur«. 71

6. Perspektiven der Forschung Die Erforschung des griechischen Ijobbuchs als Übersetzung und als eigenständiges literarisches Werk kann auf den wegweisenden Forschungen von H. Orlinsky, H. Heater und C. E. Cox aufbauen. Der Sprachgebrauch und die Technik der Übersetzer, die traditions- und literaturgeschichtlichen Kontexte, das literarhistorische Verhältnis zu anderen Büchern der Septuaginta, die Lokalisierung und Datierung sowie die Theologie des griechischen Ijobbuchs bedürfen aber weiterer Untersuchungen. Diese sind dann in einen noch zu schreibenden modernen Kommentar der Ijob-LXX zu überführen. Wichtige Vorarbeiten dazu wären 1) systematische Untersuchungen der Beziehungen zwischen der Ijob-LXX und der griechisch-hellenistischen Literatur, wobei die eigentlich literarischen Texte (Tragödien, Traktate, Hymnen und Lehrdichtungen) ebenso wie profane und religiöse Alltags- und Gebrauchstexte (Inschriften, Papyri und Ostraka) zu berücksichtigen sind, 72 2) umfassende Analysen der Rezeption der IjobLXX im Neuen Testament, die über die Interpretation von Einzelstellen oder Einzelmotiven hinausgeht, 3) die konsequente Berücksichtigung der griechischen Kirchenväter und — soweit die Auslegung auf Tochterübersetzungen basiert — der armenischen, syrischen und lateinischen Kirchenväter, wobei hier auch die Interdependenzen zwischen patristischer und rabbinischer Exegese genauer zu bestimmen wären. 73

70. Budde, Job 407 ff.; Wessel, Hiob, 131 ff.; Huber, Hiob, 112-113; 240-241; 246; Seow, Job’s Wife, 351 ff. 71. Diss. Phil., Graz 1930. 72. Vgl. dazu exemplarisch für Ijob 1,8 White, Devil, 145 ff. 73. Vgl. dazu Kalman, Job, 371 ff. und Witte, Väter Israels. 6. Perspektiven der Forschung

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5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos Helmut Engel

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1930 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Sapientia Salomonis, Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum XII,1, Göttingen 1962; 19802.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Georgi, D., Weisheit Salomos, JSHRZ III,4, Gütersloh 1980 — Knibb, M., Wisdom of Salomon, NETS, Oxford / New York 20092, 697-714 — Engel, H., Sophia Salomonos / Weisheit Salomos, LXX.D, Stuttgart 20102, 1057-1089 — Engel, H., Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Weisheit Salomos, LXX.E II, Stuttgart 2011, 2127-2157. (Weitere Kommentare s. 1.3.3)

1.3 Weitere Literatur 1.3.1 Textausgaben Thiele, W. (Hg.), Sapientia Salomonis, Vetus Latina 11/1, Freiburg 1977-85 (kritische Edition der lateinischen handschriftlichen Überlieferung). In der Edition von J. Ziegler sind folgende Majuskel-Handschriften noch nicht berücksichtigt: Treu, K., Sap 10,19–11,11, in: K. Treu, Majuskelbruchstücke der Septuaginta aus Damaskus, MSU VIII, Göttingen 1966, 19-21 (Pergament-Palimpsest 5./6. Jh.; der Text stimmt fast vollständig mit dem codex Vaticanus B überein). — Sparks, I. A., A Fragment of Sapientia Salomonis from Oxyrhynchus, JSJ 3 (1972), 149-152 (P.Oxy.Inv.[8]1B.199/K3 Pergament, 4. Jh.; enthält teilweise Weish 4,17-19 und 4,19–5,1; ist in Kola geschrieben; bis auf ἐξελέγξει in 4,20b (statt ἐλέγξει) stimmt der Text völlig mit B überein) — Römer, C., Sapientia Salomonis 17,5–17,20b, in: Kölner Papyri (P. Köln), Bd. 4, bearb. v. B. Kramer, C. Römer und D. Hagedorn, ARWAW Sonderreihe: Papyrologica Coloniensia, Bd. VII, Opladen 1982, 11-16 (Pergamentblatt [Seitenzahl »65«] eines Codex [mit Weisheitsschriften? Reihenfolge?] aus dem frühen 4. Jh.; an fünf Stellen von der üblichen Kola-Einteilung abweichend; der hexaplarischen Rezension zuzuordnen).

1.3.2 Literaturübersichten Gilbert, M., in: C. Larcher, Le livre de la Sagesse ou La Sagesse de Salomon, Études bibliques ns 1, Paris 1983, 11-48 (Zusammenstellung der Literatur zum Buch der Weisheit seit dem kirchlichen Altertum bis 1982) — Mazzinghi, L., Notte di Paura e di Luce. Exegesi di Sap 17,1–18,4, Analecta Biblica 134, Roma 1995 (diese methodisch und inhaltlich vorbildliche Studie führt S. 309-316 die zwischen 1982 und 1995 erschienene wichtige Literatur zum Buch der Weisheit auf).

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1. Literatur

5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

1.3.3 Kommentare (Auswahl) Grimm, C. L. W., Das Buch der Weisheit, KEH.Apokr.AT 6, Leipzig 1860 (grundlegend für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Buch der Weisheit seitdem) — Fichtner, J., Weisheit Salomos, HAT II/6, Tübingen 1938 (knapper, reichhaltiger Kommentar) — Winston, D., The Wisdom of Solomon, AncB 43, Garden City/NY 1979 (Kommentar mit vielen Verweisen auf hellenistische philosophische und jüdische Literatur, bes. auf Philon und auf rabbinische Schriften, wo sie dem Buch der Weisheit verwandte Gedanken äußern) — Larcher, C., Le Livre de la Sagesse ou La Sagesse de Salomon (3 Bde.), Paris 1983-85 (minutiöser Kommentar mit umfassender Betrachtung der Beziehungen zum AT und zur frühjüdischen wie auch zur hellenistischen Literatur und zur Auslegung des Weisheitsbuches von der Patristik bis in die Neuzeit) — Vílchez Líndez, J., Sabiduría, Nueva Biblia Española, Estella 1990 (anregende Auslegung, die die literarische Form des Weisheitsbuches aufmerksam beachtet und den für das Verständnis wichtigen politischen und kulturellen alexandrinischen Hintergrund in ausführlichen Anhängen darlegt) — Engel, H., Das Buch der Weisheit, NSK.AT 16, Stuttgart 1998 (nimmt die neueren Forschungsbeiträge auf, mit besonderer Berücksichtigung der literarischen Gestalt des Buches und seines Weiterwirkens in Liturgie und Frömmigkeit) — Scarpat, G., Libro della Sapienza (3 Bde.), Brescia 1989-99 (sehr ausführlicher, besonders philologisch herausragender Kommentar, der Gedanken und Sprache der Septuaginta, hellenistischer Schriftsteller, insbesondere des als Zeitgenosse angenommenen Philon von Alexandria, und des Neuen Testaments miteinbezieht).

1.3.4 Ausgewählte Forschungsbeiträge Bizzeti, P., Il libro della Sapienza. Struttura e genere letterario, Suppl.Riv.Bibl. 11, Brescia 1984 (gute Beobachtungen zur literarischen Form des Buches) — Dumoulin, P., Entre la Manne et l’Eucharistie. Étude de Sg 16,15–17,1a, Analecta Biblica 132, Rom 1994 (sorgfältige exegetische Erschließung dieses Textabschnitts) — Engel, H., Die Sapientia Salomonis als Buch. Die gedankliche Einheit im Buch der Weisheit, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 135-143 — Enns, P., A Retelling of the Song at the Sea in Wis 10,20-21, Biblica 76 (1995), 1-14 (beispielhafter Aufweis, wie das Buch der Weisheit zeitgenössische Auslegungsweisen der Bibel verwendet) — Fichtner, J., Die Stellung der Sapientia Salomonis in der Literatur- und Geistesgeschichte ihrer Zeit, ZNW 36 (1937), 113-132 (forschungsgeschichtlich einflussreicher Aufsatz) — Gilbert, M., La critique des dieux dans le Livre de la Sagesse (Sg 13–15), Analecta Biblica 53, Rom 1973 (methodisch Maßstäbe setzende, gründliche Erschließung von Weish 13-15) — Kasher, A., The Jews in Hellenistic and Roman Egypt, Texte und Studien zum Antiken Judentum 7, Tübingen 1985 (zur differenzierten rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation von Juden in Ägypten unter Ptolemäern und Römern) — Kloppenborg, J. S., Isis and Sophia in the Book of Wisdom, HThR 75 (1982), 57-84 (untersucht den Einfluss der Isis-Religion und ihrer Texte auf die Neugestaltung der Weisheitsvorstellung im Buch der Weisheit) — Larcher, C., Études sur le Livre de la Sagesse, Paris 1969 (Verwendung von Weish in der Kirche seit den Anfängen, Stellung des Buches im Kanon; Verhältnis zu den Büchern des übrigen Alten und des Neuen Testaments, zu anderen jüdischen Schriften und hellenistischer Literatur bezüglich Form und Inhalt; über die anthropologischen und theologischen Vorstellungen in Weish) — Maneschg, H., Gott, Erzieher, Retter und Heiland seines Volkes. Zur Reinterpretation von Num 21,4-9 in Weish 16,5-14, BZ NF 28 (1984), 214-229 — Marböck, J., »Denn in allem, Herr, hast du dein Volk großgemacht«. Weish 18,5–19,22 und die Botschaft der Sapientia Salomonis, in: G. Hentschel / E. Zenger (Hg.), Lehrerin der Gerechtigkeit, ErfThSchr 19, Leipzig 1991, 156-177 (zur Struktur des letzten Abschnitts und seiner inhaltlichen Bedeutung für das Verständnis des Buches) — Reese, J. M., Hellenistic Influence on the Book of Wisdom and Its Consequences, Analecta Biblica 41, Rom 1970 (zum Einfluss der hellenistischen Umwelt auf Wortwahl, Stil, Redeformen und Argumentationsmuster im Buch der Weisheit; zur Einheit des Buches, seiner Gattung und den Adressaten) — 1. Literatur

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5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

Scarpat, G., Ancora sulla data di composizione della Sapientia Salomonis. Il termine διάγνωσις (Sap 3,18; At 25,21), RivBiblIt 36 (1988), 363-375 (insbesondere die Fachausdrücke διάγνωσις »(kaiserlicher) Entscheid« 3,18 und κράτησις »Herrschaftsübernahme« 6,3 sprechen neben anderen sprachlichen Anhaltspunkten für eine Entstehung von Weish nach 30 v. Chr.) — Schmitt, A., Struktur, Herkunft und Bedeutung der Beispielreihe in Weish 10, BZ NF 21 (1977), 1-22 — Schmitt, A., Weisheit 1,1–6,21, in: ders., Wende des Lebens. Untersuchungen zu einem Situations-Motiv der Bibel, BZAW 237, Berlin / New York 1996, 12-48 (knappe Neufassung mehrerer früherer Beiträge).

2. Textüberlieferung und Editionen Der Text des Buches der Weisheit wurde von Joseph Ziegler 1962 vorzüglich kritisch ediert. Er benutzte dafür außer den Unzialhandschriften B-S A C V auch 45 Minuskelhandschriften aus dem 9.-16. Jh., 2 kleine Papyrusfragmente, die griechischen Kommentare des Malachias Monachus und des Matthaeus Cantacuzenus (beide 14. Jh.), die erreichbaren Handschriften der alten Übersetzungen (VL, kopt, syr, aeth, arab, arm), die indirekte Überlieferung in Zitaten der alten Kirchenschriftsteller und die Druckausgaben. Auch die von Ziegler noch nicht berücksichtigten Handschriften (s. o.) führen nicht zu einer Änderung seines Textes. Nach J. Ziegler wird »die ursprüngliche Gestalt des Textes am besten durch die alten Unzialen B-S A überliefert. Wenn sie zusammengehen und von der Mehrzahl der Minuskeln begleitet werden, kann ihre Lesart ohne weiteres den Anspruch erheben, in den Text aufgenommen zu werden« (61 f.). Er gruppiert die Handschriften nach ihren Abhängigkeiten und den Rezensionen des Origenes und des Lukian. Besonders wertvoll ist die Vetus Latina, deren griechische Vorlage aus der zweiten Hälfte des 2. Jh. stammt und damit älter als die erhaltenen griechischen Handschriften ist. Sie »erreicht die Bedeutung einer alten griech. Unziale«. Eine hervorragende kritische Edition der lateinischen handschriftlichen Überlieferung wurde 1985 durch Walter Thiele veröffentlicht. In den griechischen Bibelhandschriften steht das Buch der Weisheit in der Regel bei den auf die Psalmen und das Ijob-Buch folgenden fünf »Salomo- (= Weisheits-) Büchern«, und zwar als vierte Schrift: Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied, Weisheit, Sirach. Eine etwas andere Reihenfolge bieten der Codex B »Vaticanus« (Ijob steht dort unmittelbar vor Weish-Sir) und der Codex S »Sinaiticus« (Ijob nach Weish–Sir). Die großen griechischen Handschriften (z. B. B und S) bieten den Text des gesamten Weisheitsbuches wie auch den der anderen poetischen Bücher des AT (Ijob, Ps, Spr, Koh, Hld, Sir) in Kola (Sinnzeilen unterschiedlicher Länge). Dass das ganze Buch der Weisheit einschließlich des dritten Buchteils so gelesen wurde und werden sollte, zeigen ebenso die zu den ältesten Handschriften gehörenden Pergamentblätter P. Köln 167 und P. Oxy.: Da viele Kola länger sind als die Zeilen (Stichoi) dieser Kodizes, haben die Schreiber den jeweiligen Rest eines Kolons eingerückt in die folgende Zeile geschrieben, der Zeilenanfang ist aber immer der Beginn eines Kolons.

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2. Textüberlieferung und Editionen

5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil 3.1 Sprachliches Profil und literarische Eigenart Das Buch der Weisheit ist weder eine Sammlung von Sprichwörtern noch eine Komposition von Spruchsammlungen, sondern als thematisch zusammenhängende Schrift, als Buch, konzipiert. Es wurde auf Griechisch verfasst und ist vom Anfang bis zum Ende in poetischer, gebundener Sprache gestaltet, aber nicht in durchgehendem griechischem Versmaß (also nicht in Hexametern, Jamben, Spondäen, Elegischen Distichen o. ä.). Wohl sind zum Teil die Kola-Enden paarweise oder in Dreiergruppen im gleichen Metrum gestaltet; vgl. z. B. L. Mazzinghi zu 17,16-20. Anstelle griechischer Metrik verwendet das Buch der Weisheit meist parallele Verszeilen, wie es in semitischer Poesie üblich war. Dieser am häufigsten zwei-, gelegentlich auch drei- (und mehr-) gliedrige Parallelismus membrorum ist ein Hauptmerkmal dichterischer Sprache im Alten Orient und in der Bibel. Dabei bilden zwei bzw. drei (oder mehr) Zeilen zusammen einen ›Gedankenreim‹ oder eine Bildentsprechung derart, dass sie das Gleiche mit jeweils anderen Wörtern oder durch Verneinung des Gegenteils ausdrücken und als eine Aussage verstanden werden wollen. Die Schreibweise in Kola ist darum eine wichtige Verstehenshilfe, die auch in der zweiten Buchhälfte dem Leser oder Hörer nicht unkenntlich gemacht werden darf. Wie die kynisch-stoischen Philosophen der hellenistischen Zeit, jüdische Schriftsteller (z. B. im Aristeasbrief) und wohl auch Redner in den Synagogen und Lehrer verwendet der Sprecher die rhetorischen Mittel der διατριβή: Formulierung von Reden und Einwänden fingierter Gegner und deren Widerlegung, rhetorische Anreden, Imperative, Scheltworte, rhetorische Fragen, Anführung von Beispielen aus Natur, Technik und Geschichte, Zitate, literarische Personifikationen, Vergleiche und profilierende Gegenüberstellungen. Von den verwendeten Stilmitteln seien beispielhaft genannt: – λιτότης: In der griechischen Rhetorik bedeutet diese Redefigur (»Schlichtheit«), dass weniger gesagt wird als gemeint ist. Zum Beispiel 1,2 »nicht misstrauen« = fest vertrauen; 11,17 »nicht in Ausweglosigkeit sein« = sehr wohl in der Lage sein, Wissen und Mittel besitzen; 12,9 »nicht nichtkönnen« = durchaus können; 12,10 »nicht in Unkenntnis sein« = genau kennen, wissen. – παρονομασία (leichte Veränderung eines Wortes, Wortspiel): z. B. 12,25 f. ὡς παισίν – εἰς ἐμπαιγμόν – παιγνίοις »wie Kindern – zur Verkinderung – mit Kinderspielzeugen« (hier mit Alliteration: die bedeutungtragenden Wort[teil]e beginnen mit demselben Konsonanten) oder 14,5a ἀργά – ἔργα (nicht) »un-wirkend« sollen sein die »Werke« der Schöpfung. – ὑπερβατόν (gespreizte Wortstellung: Attribute werden durch andere Wörter von ihrem Bezugswort getrennt): z. B. 14,1 καὶ ἄγρια μέλλων διοδεύειν κύματα wörtlich »und wilde beabsichtigend zu durchfahren Wellen«. Da die ältesten Handschriften die uns geläufigen Gestaltungsmöglichkeiten zur Aufgliederung eines Textes nicht kannten (Absätze, Vergrößerung des Zeilenabstands, Einrückungen, Fett- oder Kursivschrift u. ä.), musste man den Text auf andere Weise

3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

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5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

übersichtlich machen und in Abschnitte einteilen. Dazu dienten folgende literarische Signale: – Inklusionen: Gleiche Wörter oder Wendungen am Anfang und am Ende eines Absatzes »schließen ihn ein« und markieren ihn so als Einheit, z. B. 1,1a[…]15 δικαιοσύνη »Gerechtigkeit« oder 1,16d[…]2,24b τῆς ἐκείνου μερίδος εἶναι »zum Anteil von jenem gehören«. – Stichwortverkettungen: Ein am Ende des vorhergehenden Abschnitts vorkommendes Wort wird in den ersten Kola des folgenden wiederaufgenommen. Stichwortverkettungen verknüpfen den Text über Abschnittsgrenzen hinweg, z. B. γογγυσμῶν 1,10_11; σοφία 6,9-11_12-13; εὐόδωσεν – διώδευσαν 11,1_2. – Themawörter (Leitwörter) wiederholen ein sinnbestimmendes Wort eines Abschnitts mehrfach und markieren so einen Abschnitt, z. B. in 11,4-14: δίψα/δίψος/ διψάω »Durst / dürsten« kommen im ganzen Buch nur hier vor: 11,4[2x]. 8.14. – Themenvorankündigungen können mehrere Kola umfassen und nennen Leitgedanken des jeweils folgenden Abschnitts am Ende des vorhergehenden: z. B. 1,11-15; 2,2224; 3,12; 4,20; 5,23; 8,21; 9,18; 11,1. Seltener ist die Einleitung zu einem Abschnitt oder Buchteil: z. B. 6,22-25. – Modus- und Subjektwechsel dienen zur Abschnittskennzeichnung: z. B. 1,11-15 nach 1,6-10; 6,1-11 gegenüber Kap. 5 und 6,12-20. – Verschränkungen zeigen kleinere Unterabschnitte als zusammengehörig an, z. B. 12,8b-11: 8c κατὰ βραχύ »nach und nach« – 10a κρίνων κατὰ βραχὺ ἐδίδους »nach und nach (richtend) gabst du« – 11b ἐδίδους »du gabst«. – Anaphern dienen zur Bildung eindrücklicher Reihen: z. B. Kap. 10 oder 13,17-19. Dabei beginnen mehrere Kola oder Absätze jeweils mit einem oder mehreren gleichen Wörtern. – Der Kettenschluss (σωρείτης, climax): Aus A folgt B, aus B folgt C … also folgt aus A … X) ist nur einmal verwendet: 6,17-20. Dass das Buch der Weisheit auch diese Form anwendet, ist einer der vielen Hinweise darauf, dass es ihm nicht um streng logische Aufweise, sondern mehr um eine rhetorisch einprägsame »werbende« Darstellung geht. – Katalogartige Aufzählungen finden sich zweimal: Die 21 Eigenschaften des »Geistes in der Weisheit« (3 x 7 = ganz vollkommen: 7,22-23) und die 22 Laster und Vergehen, die sich aus dem Götzendienst ergeben, d. h. alle möglichen Verkehrtheiten von Z bis A, denn das hebräische Alphabet hatte 22 Buchstaben (14,23-26). Diese Aufzählungen sind eine Steigerung der im Text gern verwendeten Siebenerreihen (accumulatio), z. B. 7,8-10 (7 Dinge, denen der Sprecher die Weisheit vorgezogen hat); 7,17b20 (7 Kola als Ausdruck der Gesamtheit, die in der »Erkenntnis des Seienden« erfasst wird); 10,1-21 (Beispielreihe mit 7 Gliedern); 17,18b-19d (7 Elemente, die lähmende Furcht auslösen); in 11,2–19,22 sieben Gegenüberstellungen. Auch die Partikeln δέ, γάρ, ὅτι u. a. dienen der Gliederung der Gedankenfolge. Die Textanordnung bietet Hilfen dazu an, wie der Text gelesen und verstanden werden sollte: Kola oder Verse in der Mitte eines größeren oder kleineren Abschnitts scheinen dort öfters bewusst als Höhepunkte platziert zu sein (z. B. 11,10 in 11,6-14; 11,20c in 11,15– 12,2; 12,12 in 12,3-21; 14,21 in 13–15). Paolo Bizzeti hat hierzu zahlreiche wichtige Beobachtungen beigetragen. 426

3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

Ringkompositionen (konzentrisch symmetrische Textanordnung) sind ein Gestaltungsmittel sowohl in der hebräischen Bibel wie auch in griechischen Texten (κύκλος, παλινδρομία): Kurze (z. B. 1,1-5; 9,7-12; 9,13-17a) oder längere Abschnitte (z. B. 1,1–6,21; 7,1–8,21; 9,1-18; 13,10–15,13) sind nach dem Schema A-B-A’ oder A-B-C-B’-A’ aufgebaut, d. h. Anfang und Ende, zweiter und vorletzter Absatz entsprechen sich (inhaltlich, oder durch Wiederaufnahme von Wörtern, oder formal) und erläutern sich gegenseitig. Dabei liegt meist ein besonderer Akzent auf dem mittleren Glied, das Schlussglied hat oft zusammenfassende Funktion (Achterlast). Übergangs-/Binde-Perikopen am Ende eines Abschnitts oder Buchteils haben eine ähnliche Funktion wie in kleinerem Rahmen die Themenankündigung. Zum Beispiel gehört 6,1-21 als Ganzes noch zum ersten Buchteil (6,1-11[.21] bildet in der Ringkomposition eine inclusio mit 1,1-15); zugleich ist 6,12-20.21 schon Übergang zum Thema des zweiten Buchteils »Weisheit«. Ein anderes Beispiel einer Bindeperikope ist Kap. 10. Es bildet formal und inhaltlich eine Einheit. Im Blick auf die ἐγκώμιον-Struktur von 6,22–11,1 und wegen des durchgehenden Subjekts σοφία »(die) Weisheit«, die immer wieder durch Anaphern αὕτη »sie« aufgenommen wird, gehört Kap. 10 zu diesem zweiten Buchteil. Dem Vokabular nach, und von 10,15 an auch thematisch, erscheint Kap. 10 jedoch bereits den Erzählungen zugewandt, die im dritten Buchteil (Kap. 1119) meditiert werden. In 10,20 wird die in Kap. 9 begonnene Gebetsform wieder ausdrücklich gemacht, die das Buch weiterhin bis zum Ende prägt. Der zusammenfassende Schlussabschnitt des dritten Buchteils greift in 19,9 deutlich auf dieses in 10,20 genannte betende Lob zurück. Wichtig für das Verständnis des Buches der Weisheit ist die Darstellungsweise der Gegenüberstellungen in den verschiedensten Formen: das Gegensatzpaar Gerechte(r) – Gottlose (mit Teil-Synonymen) prägt das Buch besonders in Teil I und III (im ἐγκώμιον-Teil II gattungsentsprechend nur in der σύγκρισις Kap. 10). Solche Gegenüberstellungen geben den Gedanken scharfe Konturen und machen sie einprägsam (z. B. Anschein – Wirklichkeit; richtig – falsch; gut – böse).

3.2 Inhaltliches und theologisches Profil Dem Verfasser lag daran, seine Leser in einem für die Werte der hellenistischen Literatur und Gelehrsamkeit offenen, in Denken und Verhalten an den 10 Geboten orientierten, selbstbewussten Judentum zu bestärken. Er zeigt einen angstfreien Umgang mit hellenistischen Errungenschaften und verteufelt sie nirgends. Wie er selber gehören auch seine Adressaten zwei Kulturen an. Deren Verbindung ist existentiell nur möglich, wenn jüdische religiöse Überzeugung, Weltsicht und Ethos nicht nur den hellenistischen philosophischen und naturwissenschaftlichen Plausibilitätsanforderungen genügen, sondern gezeigt werden kann, dass eine gebildete und religiös treue jüdische Lebensweise anderen in der hellenistischen Welt vertretenen Sinnangeboten und Religionsformen wie der Verehrung kosmischer Mächte, der Anfertigung und Anbetung von Götterstatuen und -bildern, der ägyptischen Tierverehrung, dem Herrscherkult, den Mysterienreligionen und der Magie überlegen ist. In der ägyptischen Diaspora, in einer kulturell herausfordernden Umwelt, stehen die priesterlichen, tempelorientierten Reinheitsbestimmungen bezüglich Essen und Kleidung und die Sabbat- und Festvorschriften, wie sie im rabbinischen Zweig des 3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

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Judentums später aufgegriffen und bis heute weiterentwickelt wurden, weniger im Vordergrund. Abgesehen von der Zentralstellung des großen Gebets Salomos und der durchgehenden Gebetsform in der zweiten Buchhälfte, erwähnt der Sprecher nur wenige Einzelheiten jüdischer religiöser Praxis, z. B. das Dankgebet vor Sonnenaufgang in 16,24, die Pascha-Liturgie in 18,6-9 (mit dem »Gesetz der Gottheit«, auf das sich die Teilnehmenden verpflichten, sind dort wohl die Pascha-Vorschriften nach Ex 12 gemeint einschließlich der bei allen männlichen Teilnehmern erforderlichen Beschneidung als Zeichen der Zugehörigkeit zum Bund), Gebet, Räucheropfer und Kleidung des Hohenpriesters Aaron in 18,21-24. Die Hauptaufmerksamkeit richtet sich auf die Verehrung des einen wahren Gottes, der sich in der Geschichte seinem Volk geoffenbart und ihm seinen Willen mitgeteilt hat. Er will das Heil aller Menschen und hat sie dazu berufen, am Leben und an seiner eigenen Unvergänglichkeit teilzuhaben. Aber die Menschen können sich der Anerkennung dieses einen wahren Gottes verschließen und sich stattdessen für Gottlosigkeit, für Genuss auch auf Kosten von Schwächeren, für Geltung und Macht entscheiden. Damit erkennen sie letztlich den Tod als die einzig verlässliche Wirklichkeit an. In diesen selbstgewählten Tod werden sie dann auch endgültig versinken. Es geht dem Verfasser weder um Apologetik gegenüber Außenstehenden noch um direkte Polemik gegen tatsächliche Apostaten. Er diskutiert oder argumentiert in seinem Buch auch nirgends unmittelbar mit einer gegnerischen Auffassung oder mit konkreten Personen. Vielmehr möchte er seinen jungen Lesern die Erfahrung vermitteln, dass es sich »lohnt«, das eigene jüdische geistige und religiöse Erbe mit Hilfe der in der hellenistisch-römischen Gegenwart verbreiteten Philosophie, Psychologie, Literatur, Naturerkenntnis und Rhetorik neu zu betrachten und sogar tiefer zu verstehen. Er zeigt ihnen, dass die auch von den Zeitgenossen höchstgeschätzten Werte (z. B. Gerechtigkeit, Weisheit, Bildung, Freimut, Recht, Tugend, Freundschaft) in der eigenen jüdischen Religion seit je grundlegende Bedeutung hatten. Andere zeitgenössische Autoren wählten für einen λόγος προτρεπτικός, eine Werbeschrift, mit der für eine bestimmte Philosophie und ganzheitliche Lebensführung geworben wurde, die Form der argumentierenden Abhandlung, eines Briefes oder eines fingierten Dialogs. Der Verfasser des Buches der Weisheit, der selbst immer im Hintergrund bleibt, wirbt für die »Gerechtigkeit« (das Buch beginnt programmatisch: ἀγαπήσατε δικαιοσύνην), d. h. eine Gott vertrauende, trotz aller Schwierigkeiten und Infragestellungen treu jüdische Lebensweise, in einer originellen anderen Form: Er erzählt eine fiktive Mahnrede des alten, weisen Salomo an die Maßgeblichen der Welt (Kap. 1–6). Innerhalb dieser Rede blickt Salomo auf seine Jugend zurück und erzählt, wie er seine sprichwörtliche Weisheit, der er ein ἐγκώμιον (Preisgedicht) widmet (Kap. 7–10), als Geschenk von Gott durch das Gebet erlangt hat. Er zitiert sein Gebet vom Anfang seiner Regierungszeit und verbleibt in dieser betenden Sprachform bis zum Ende des Buches (Kap. 11–19). Diese Form der Werbung nötigt die Lesenden nicht, sondern lässt ihnen die Freiheit der Zustimmung. Wollen sie sich für den Tod als letzt-maßgebliche Wirklichkeit oder für den zu unvergänglichem Leben berufenden Gott entscheiden? Das Buch mit seinem offenen Schluss (19,22) muss durch die Reaktion derer, die es lesen, »fertiggestellt« werden. Der erste Buchteil (1,1–6,21) ist als große Ringkomposition gestaltet: Mahnungen und Warnungen (Imperative mit Begründungen) in Kap. 1 und 6 bilden den äußeren 428

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Ring. Reden der »Gottlosen« mit Kommentierungen durch den Sprecher in Kap. 2 (ihre Einstellung und ihre Vorhaben) und Kap. 5 (ihre veränderte Selbstbeurteilung bei der »Zusammenrechnung« angesichts des ewigen Lebens der »Gerechten« und dem in den Endsieg Gottes einbezogenen Kosmos) stellen einen inneren Ring dar. In der Mitte erwägen Kap. 3 und 4 die Infragestellungen einer »gerechten«, sich vorbehaltlos Gott anvertrauenden Lebensweise (Unterdrückung, Leiden und Entehrung; Kinderlosigkeit; früher Tod), die die Menschen seit je bewegen. Wer den Tod für die einzige letzte Gewissheit hält, schließt sich von der Wahrnehmung aus, dass trotz und in all dem der Leben schaffende und verheißende Gott die einzige auf Dauer machtvolle Wirklichkeit ist. Der Schöpfer und Retter lässt die genannten Infragestellungen nicht zu einer Katastrophe des »Gerechten« werden, ihre Erfahrung ist zeitlich begrenzt, der Anschein des Endgültigen besteht nur in den Augen der »Gottlosen«. Armin Schmitt (1996) hat deutlich gemacht, wie sehr auch Elemente des griechischen Dramas den Aufbau dieses Buchteils mitbestimmen. Dadurch erhalten Kap. 1–6 innerhalb der Ringkomposition zusätzlich eine starke Längsspannung. Das 1. Kap. bildet zugleich das προοίμιον (Einleitung mit Vorblick auf das ganze Buch). Darin klingen viele im Buch wichtige Themen in ihrer Verbindung mit der »Gerechtigkeit« an: richtige Gottesvorstellung; Geist und Weisheit als Weisen der Nähe Gottes und der Gemeinschaft mit ihm; Bildung und Zucht; Menschenfreundlichkeit der Weisheit (und damit Gottes selbst); unrechtes und richtiges Denken-Reden-Handeln; Leben-Tod-Unsterblichkeit; das Heil für alle als Ziel des Schöpfers von Anfang an. In der Form (Parallelismen) und in den verwendeten Motiven lehnt sich die Mahnrede weitgehend an mehrere Bücher der Heiligen Schrift, besonders an die Psalmen (z. B. Ps 2. 89. 94. 148–149), an das Jesajabuch (bes. Jes 40–66) und an das Sprichwörterbuch an, ohne sie aber je ausdrücklich zu zitieren. Auch in der Apokalyptik verwendete Motive, vor allem ein Endgericht (ἐπισκοπή »Heimsuchung«; συλλογισμός »Zusammenrechnung«), das den ganzen Kosmos in die Belohnung und Bestrafung einbezieht, stellt der Sprecher ganz in den Dienst seiner Mahnung. Dabei wahrt er aber die größte Zurückhaltung, konkrete Vorstellungen vom »Jenseits des Todes« derart auszumalen, wie es z. B. in Dan 12 oder in 2Makk 7 für die leibliche Auferstehung der Gerechten geschieht. Ebenso stehen die Verheißungen für die Gerechten, die eine Hoffnung »voll Unsterblichkeit« haben dürfen, im Dienst seiner Werbung und Mahnung. Diese Hoffnung wird beschrieben als Ende der Diskriminierung und der Leiden, als Frieden, Ruhe, in der Hand Gottes sein, bei ihm bleiben, in Ewigkeit leben (3,1-9; 5,15-16). Die »Gottlosen« dagegen haben ein Bündnis mit dem Tod geschlossen und halten ihn für die einzig sichere Realität – er wird ihnen auch zuteil (1,16; 2,21-24; 3,10-12; 4,19–5,14). Der zweite Buchteil (6,22–11,1) ist ein kunstvoll gestaltetes Lob auf die Weisheit in drei Abschnitten: Nach einer Einleitung (6,22-24) legt der nunmehr in der Ich-Form Redende, der für den Leser immer deutlicher als der weise König, nämlich Salomo, erkennbar wird, seinen Umgang und seine Erfahrungen mit der Weisheit dar (7,1– 8,21). Die Salomo-Überlieferungen in 1Kön und 1Chr, vielleicht auch das Hohelied, dienen dabei als der (unausgedrückt bleibende) Schrifthintergrund. Die Darstellung wird aktualisiert durch die Verwendung von Begriffen aus dem mittelplatonischstoischen Allgemeinwissen der hellenistischen Zeit. Zugleich ist dieser Abschnitt eine 3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

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begründende Hinführung zur Mitte des zweiten Buchteils, dem großen Gebet um die Weisheit (9,1-18), das die Herkunft der Weisheit aus Gott als reines Geschenk erkennen lässt. Der dritte Abschnitt (10,1–11,1), zu dem der Schluss des Gebets in 9,18 schon überleitet, skizziert Erzählungen über Gottes Wirken nach den Büchern Genesis und Exodus in Form einer Beispielreihe für die Rettungs- und Erlösungstaten der Weisheit. Die feierliche Einleitung in 6,22-24 nennt einige wesentliche Stichworte, die nach den zeitgenössischen Rhetoriklehrbüchern die Gattung ἐγκώμιον (Preisgedicht, Lob, Hymnus) kennzeichnen. Für sein Lob der Weisheit schöpft der Sprecher aus zwei Überlieferungszusammenhängen. Einerseits greift er Texte zum Lob der Weisheit aus der Heiligen Schrift auf, vor allem die große Selbstempfehlung und Selbstvorstellung der Weisheit in Spr 8 und das »Lob der Weisheit« in Sir 24; eher im Hintergrund bleibt das Lied Ijob 28 auf die verborgene, dem Menschen unzugängliche Weisheit, deren ›Ort‹ Gott allein kennt. Andererseits stehen ihm die von den Rhetorikern in der Schule gelehrten Regeln für ein kunstfertiges Lob zur Verfügung und nach diesen Regeln verfasste ἐγκώμια und Götterhymnen, darunter besonders die überall im östlichen Mittelmeerraum verbreiteten Preisungen der Göttin Isis und Gebete zu ihr (»Isis-Aretalogien«). Ähnliche Hymnen auf Sarapis, Harpokrates und andere Götter sind auf Papyrus, als Steininschriften oder als Zitate in literarischen Werken erhalten. Der Sprecher greift das ἐγκώμιον-Schema zwar auf, variiert und erweitert es aber in origineller Weise und in beträchtlichem Ausmaß. Besonders die ungewöhnlich breite, typisierend-idealisierend-»biographische« Darstellung des Verhältnisses »Salomo« – Weisheit fällt auf. Der Grund dafür ist einerseits die Textpragmatik, also das, was der Text bei seinen Hörern und Lesern bewirken will: Wenn junge Juden innerhalb einer hellenistischen Umwelt in ihrer jüdischen Identität gestärkt werden sollen, muss das ihnen vorgestellte Ideal attraktiv (ein »weiser König«, anderen auf allen nur denkbaren Gebieten gewachsen und überlegen) und zugleich für alle, die sich darum bemühen (lernen, suchen), erreichbar sein (von Zeugung und Geburt an bis zum Tod war auch dieser allerweiseste König ein Mensch wie jeder andere). Andererseits ist die Ausführlichkeit der Darstellung inhaltlich begründet: Der Anfang der Weisheit ist, sie zu begehren (6,12-16). Weisheit ist nicht als gegenständliches Ziel vorzustellen, vielmehr ist der Weg zu ihr, die Suche nach ihr, bereits ihr Besitz: daher in Kap. 7–8 die breite »autobiographische« Ausfaltung des προοίμιον (6,22-24) innerhalb des ἐγκώμιον. Zu den ἐγκώμιον-Elementen Wesen, Herkunft und Wirken der Weisheit wird bereits vieles in 7,7-22a ausgeführt. Ausdrücklich zu erwähnen sind die Verweise darauf, dass die Weisheit Geschenk Gottes ist, um das man ihn bitten muss, und darauf, dass sie zur Freundschaft mit Gott hinführt. Auch wenn dann in 7,22–8,1 von der Weisheit hymnisch wie sonst von Göttern gesprochen wird (was die Weisheit ist, ihre Natur: 6,22; 7,22 f.24; wie sie entstand, ihre Herkunft 7,25 f.; ihr Wirken 7,27–8,1), bleibt doch nicht einmal der Schatten einer Frage, ob sie nicht auch (wie Isis) etwa eine »Göttin« sei. Es gibt nur einen Gott und Schöpfer von allem, der auch die Weisheit schenkt, die als sein Geschöpf (Spr 8,22; Sir 1,4.9) an seinen Eigenschaften und Titeln teilhat (8,2-9). Dass in 8,2-21 wieder die »autobiographische« Darstellung in den Vordergrund tritt, ist sowohl durch die Ringkomposition (als solche sind die Kap. 7–8 gestaltet), als auch durch die genannte Textpragmatik bedingt. Der Sprecher schaut betont auf den jungen Salomo zurück und erzählt von ihm. 430

3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

Die Elemente Wirken, Wunder und Vergleich des ἐγκώμιον-Schemas und das am Ende zu erwartende Gebet werden in der Reihenfolge vertauscht. Das Gebet richtet sich nicht an die hymnisch gepriesene Weisheit, sondern selbstverständlich an Gott, der allein sie schenken kann. Innerhalb des ἐγκώμιον hat das Gebet 9,1-18, auf das schon 7,1–8,21 hingeführt hatten, die Funktion, indirekt weiter Herkunft, Wesen und Fähigkeit der Weisheit zu preisen. Ihre Rettungstaten in der Geschichte werden dann in Kap. 10 vor Augen gestellt, wobei das Element σύγκρισις »Vergleich« eigenständig umgestaltet wird. Der dritte Buchteil (11,2–19,22), der umfangmäßig die Hälfte des Buches ausmacht, ist in Aufbau und Vorgehen originell und lässt sich keiner damals geläufigen literarischen Gattung einfach zuordnen. Der aktualisierend auslegende Umgang mit der Heiligen Schrift hat manche dazu veranlasst, diesen Buchteil als »Midrasch« zu bezeichnen. Aber ein Midrasch kann recht verschiedene literarische Formen annehmen und ist keine »Gattung« im eigentlichen Sinne (wie z. B. Brief, Sentenzensammlung, Lehrerzählung, Bußgebet, Hymnus, Abschiedsrede, Klagelied, u. ä.). Im dritten Buchteil erzählt Salomo, wie er in seiner Jugend die Geschichte Gottes mit seinem Volk beim Auszug aus Ägypten und während der Führung durch die Wüste betend meditiert hat. Dabei berichtet er aber nicht über sein Betrachten der Geschichte und daraus gezogene Lehren, sondern bleibt in der Sprechweise der betenden Anrede an Gott. Der aufmerksame Leser kann an Wort- und Gedankenübereinstimmungen erkennen, dass der junge Salomo bei diesem betenden Nachsinnen mit Hilfe der Weisheit, die ihm auf seine Bitte hin geschenkt wurde, die Einsichten und Gewissheiten gewonnen hat, die der hochgeachtete alte Salomo im ersten Buchteil als Summe seiner Lebenserfahrung den Königen der Welt und damit jedem, der wirklich ein König, nämlich ein δίκαιος, ist, mahnend, warnend und zur Hoffnung ermutigend vorgetragen hat. Auf den »Weg der Gerechtigkeit«, der im ersten Buchteil in mehrfachen Gegenüberstellungen zum Denken und Verhalten der »Gottlosen« ausgeleuchtet wird, führt die im zweiten Buchteil besungene und erbetete Weisheit: Sie ist die »Innenseite« der Gerechtigkeit. Jeder Mensch kann sie lernen, soll sie begehren, mit ihr zusammenleben und sie als Geschenk von Gott erbitten. Dann wird er die konkrete Gegenwart und seine Aufgaben darin verstehen und wird Gott nahe kommen – das ist es, was »Königsein« eigentlich bedeutet. Die in vergleichenden Gegenüberstellungen fortschreitende Darstellung trägt Züge der rhetorischen Figur der σύγκρισις. Der »Vergleich« ist oft das Schlusselement eines ἐγκώμιον (so bereits Kap. 10). Wie in einer üblichen σύγκρισις steht auch in Weish 11–19 der schwächere Teil in der Regel voran. Eine einfache Zuordnung zu dieser rhetorischen Form würde aber sowohl die ständige, jedoch nie ausdrückliche Bezugnahme auf die Heilige Schrift (bes. Ex, Num, Dtn), die für Weish 11–19 so charakteristisch ist, als auch den eigentümlichen Wechsel zwischen Darlegung und direkter Anrede Gottes außer Acht lassen. Außerdem haben die Gegenüberstellungen nicht die in einer σύγκρισις zu erwartende Absicht, die Überlegenheit einer Person, Eigenschaft oder Leistung gegenüber den zum Vergleich herangezogenen Taten oder Personen hervorzukehren, vielmehr geht es um den Lobpreis der Macht Gottes, der beim Exodus und während der Führung seines Volkes in der Wüste dieselben Elemente seiner Schöpfung zur Bestrafung (der »Gottlosen«) oder aber als Wohltat (an seinem Volk, seinen Söhnen und Töchtern, den »Gerechten«) wirken lassen konnte. 3. Sprachliche und literarische Eigenart, inhaltliches und theologisches Profil

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Der dritte Buchteil ist in fünf Abschnitte mit sieben Gegenüberstellungen gegliedert. Dabei schließen sich an den ersten Abschnitt zwei grundsätzliche Darlegungen an und leiten den zweiten ein. Der fünfte Abschnitt mündet in eine Art Summarium (19,6-21) mit einem hymnischen Schlussvers (19,22). Zwei Prinzipien leiten die Darstellung im dritten Buchteil: (a.) Die gleichen Naturkräfte können nach dem Plan Gottes entgegengesetzte Wirkungen haben; dieselben Elemente, durch die die Feinde bestraft werden, wirken bei den Gerechten als Wohltat 11,5. (b.) »Wodurch jemand sündigt, dadurch wird er bestraft« 11,16. Durch die erste Gegenüberstellung (11,4-14: wohltuende und strafende Wirkung von Wasser) hatte sich für den Gedankengang des Buches ein doppeltes Problem ergeben: (1) Was kann »Strafe/strafen«, wenn es von Gott ausgesagt wird, überhaupt bedeuten? Er ist doch der Schöpfer und Retter/Erlöser, der alles zum Sein und zu unvergänglichem Leben geschaffen hat (1,13-15; 2,22-24)! Wozu ist Gottes Strafen gut oder sinnvoll? Diese Frage behandelt die theologische Überlegung I (11,15–12,27): »Über die Milde Gottes« oder »Über die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, seine Gerechtigkeit und seine Menschenfreundlichkeit«. (2) Das andere Problem: Weshalb, für welche Vergehen, straft Gott diejenigen, ›die in Lebenstorheit unrecht leben‹ (12,23)? Hierauf antwortet die ausführliche Überlegung II (13,1–15,19): »Über die Verweigerung der Anerkennung des wahren Gottes« oder »Über die ›Torheit‹ des Götzendienstes«. Durch rahmende Hinweise (11,15-16; 12,23-27 und 15,18-19) sind die beiden Überlegungen I und II als Einleitung zu den Gegenüberstellungen 2 und 3 gekennzeichnet (16,1-4.514: die strafenden und heilsamen Wirkungen von Tieren) und unlöslich mit ihnen verknüpft. Bei den ausführlichen theologischen Überlegungen I und II handelt es sich also nicht um beliebige Einschübe oder um »Exkurse«, die Nebenthemen behandeln, sondern um prinzipielle theologische Begründungen für die Darstellungsweise im dritten Buchteil, ja sogar im ganzen Buch der Weisheit. In 16,15–19,5 folgen vier weitere Gegenüberstellungen: 4. Vom Himmel Geschicktes: Hagel-Regen-Feuer oder Manna; 5. Nacht: Finsternis und Angst oder Feuersäule, Führung und Licht; 6. und 7. Tod: Gericht, Untergang oder Rettung. Der Schlussabschnitt 19,6-21.22 blickt betend zusammenfassend auf die Geschichte zurück, in der der Kosmos immer wieder den Befehlen des Schöpfers zur Rettung seiner Söhne und Töchter diente. Deren Feinde aber zogen sich Sehunfähigkeit zu und gerieten in tiefe Finsternis, den Tod. Auch im dritten Buchteil lässt der Sprecher den Bezug zu dem, wovon die Leser abgehalten werden sollen, immer wieder durchscheinen: Ablehnung der Geltung und Wirksamkeit des Wortes Gottes; Teilnahme an magischen Praktiken und Mysterienreligionen, Aufkündigung der Gemeinschaft mit dem Volk Gottes (Feste, Gebete, Beschneidung) und der Solidarität mit ihm, kurz: Er warnt vor »Apostasie« (3,10). Innerhalb des Buches als λόγος προτρεπτικός hat der dritte Teil die Aufgabe, das Werbeziel, eine Lebensgestaltung, die von dankbarer Anerkennung des wahren Gottes geprägt ist, in der Form einer Gott preisenden Erinnerung an den Exodus und an die Führung in der Wüste zu begründen und damit zugleich die Berechtigung der Hoffnung für alle, die der Einladung zur δικαιοσύνη in ihrer Lebensführung nachkommen, zu veranschaulichen. Wie einst beim Exodus und in der Wüste die Natur und der Kosmos den »Gerechten«, dem Volk Gottes, zur Wohltat wurden, während 432

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dieselbe Natur den »Feinden« Strafe, Qual und Untergang gebracht hatte, so wird auch einst (vgl. 5,1) der von Gott in Dienst genommene Kosmos je verschieden auf die Gerechten und die Gottlosen wirken – zur Rettung oder zur Bestrafung. Die in allen Buchteilen durchgehaltene, im dritten besonders auffällige Vermeidung aller Namen (außer »Rotes Meer« in 10,18; 19,7) soll es ermöglichen, dass Erfahrungen, die an Einzelpersonen und Ereignissen der biblischen Erzählungen abgelesen und illustriert wurden, verallgemeinert werden können. Die Personen der heiligen Geschichte werden so zu Typen und Charakteren; an ihnen wird aufgezeigt, was für jeden Menschen und immer, also auch in der Gegenwart, gilt. Der Verfasser drückt seine, die ganze Welt und die Menschheit umfassende Hoffnung nicht als Lehre, behauptend und »beweisend«, sondern in der Form eines Gott anredenden Gebetes, meditierend, theologisch reflektierend und lobpreisend aus. So gipfelt dieses zur »Gerechtigkeit« einladende Buch nicht in Lehrsätzen oder Imperativen, vielmehr in betend-dankendem Blick auf die Geschichte als Ermutigung für die Gegenwart.

4. Verfasser und Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung Obwohl die drei Buchteile in Redeweise und Stil, Anordnung und Argumentation recht unterschiedlich sind und der Sprecher auf verschiedene biblische und auf hellenistische philosophische und religiöse Texte, auf jüdische Auslegungstraditionen und auf Zustände und Vorgänge in seiner ägyptisch-hellenistischen Umwelt vielfältig Bezug nimmt, wird heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt, dass das Buch der Weisheit als ein Werk einem Verfasser zuzuschreiben ist. Der sich durch alle Buchteile hindurchziehende eigentümliche Wortgebrauch, die variiert wiederkehrenden theologischen Grundgedanken, die Technik der Gegenüberstellungen, die gegenseitigen Verzahnungen der Buchteile und Abschnitte und die besonders im dritten Buchteil zahlreichen inhaltlichen und wörtlichen Rückbezüge auf den ersten und zweiten Teil erweisen das Buch als komplexe, von einem Verfasser zu einem λόγος προτρεπτικός (Werbeschrift) gestaltete Einheit. Der λόγος προτρεπτικός richtet sich »nach innen«, er wirbt bei jungen Juden. Das Alte Testament hat selbstverständliche Autorität, und zwar in einer griechischen Übersetzung, die gelegentlich vom Text der uns bekannten Septuaginta-Handschriften abweicht. Jüdische Auslegungstraditionen, die auch in anderen Schriften erkennbar sind, z. B. bei Philon oder Flavius Josephus, im Neuen Testament oder in rabbinischen Schriften, sind als bekannt vorausgesetzt. Für seine Beispiele aus der Vergangenheit genügen dem Sprecher häufig knappste Anspielungen auf Erzählungen im Pentateuch. Für die Verheißungen und die Begründung der Hoffnung bezieht er sich auf die Prophetenbücher, darunter besonders auf das Jesajabuch, und vor allem auf die Psalmen, aber immer in eigener Wiedergabe ohne längere Zitate – im Unterschied z. B. zu den langen kommentierten Schriftzitaten im Hebräerbrief, der wenige Jahrzehnte später im gleichen Raum und Milieu verfasst sein dürfte. Die Argumentation ist durchgängig nur für Juden schlüssig, sie will bestätigen und stärken. Ziel ist nirgends das verstehen wollende und klärende Gespräch mit jemandem, der von anderen Voraussetzungen und Plausibilitäten herkommt oder in einer anderen echten Religiosität lebt. Daher liegen dem Verfasser auch alle endgülti4. Verfasser und Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung

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gen Be- und Verurteilungen von Nichtjuden als solchen fern. Er legt eine Werbeschrift, keinen dogmatischen Lehrtraktat vor. Wohl könnte das Verhalten der griechischen und römischen Bürger und der jüdischen Apostaten gegenüber den Juden in Ägypten in ihrer schwächeren Position, besonders seit der Machtübernahme des Augustus, die Kennzeichnung z. B. der ἀσεβεῖς (der »Gottlosen«) in 2,10-20 und der ἁμαρτωλοί (der »Sünder«) in 19,13-17 mitbeeinflusst haben. Als Entstehungsraum kommt von Sprache, Stil und bevorzugten Themen her am ehesten die auch zahlenmäßig große jüdische Diaspora in Ägypten und darin als Ort die Großstadt Alexandria in Betracht. Die Juden bildeten dort ein eigenes πολίτευμα, d. h. eine staatlich anerkannte Vereinigung von Ausländern zu religiösen, sozialen und kulturellen Zwecken mit eigener Verwaltung, Schulrecht und Gerichtsbarkeit innerhalb der staatlich verbindlichen Gesetze. Wie die zahlreichen noch namentlich oder sogar durch ihre Werke bekannten jüdischen Schriftsteller zeigen (Historiker, Dichter, Exegeten, Philosophen), war es dem πολίτευμα der Juden in Alexandrien dennoch gelungen, ein Bildungssystem auf höchstem Niveau aufzubauen. Die Abfassungszeit lässt sich ebenfalls nur durch eine Konvergenz von Beobachtungen bestimmen. Die Makkabäerzeit und das Entstehen apokalyptischer Literatur (Buch Daniel, Henochliteratur) liegen schon weit zurück, ebenso die Übersetzungen des Pentateuch, der Prophetenbücher und der meisten übrigen Schriften des Alten Testaments ins Griechische. Bemerkenswert viele griechische Wörter, die in der datierbaren übrigen hellenistischen Literatur erst vom 1. Jh. n. Chr. an verwendet werden, kommen im Buch der Weisheit vor (Belege bei D. Winston und in den Veröffentlichungen von G. Scarpat); 6,3 dürfte die im Jahre 30 v. Chr. erfolgte Machtübernahme des Octavian in Alexandria und Ägypten schon voraussetzen (ein erhaltener ägyptischer Papyrus ist nach dieser Ära der κράτησις datiert). Falls 19,13-17 die Situation durchscheinen lässt, die seit der λαογραφία 24/23 v. Chr. (Erhebung der Kopfsteuer; Gleichbehandlung der Juden mit der ägyptischen Untertanenbevölkerung) immer feindseliger und gewalttätiger wurde, ergibt sich ein weiterer Anhaltspunkt. Ebenso passen die Bemerkungen in 14,16-20 über den Herrscherkult, wobei der Herrscher selbst weit entfernt wohnt, gut zu einer Datierung in die römische Zeit zwischen Augustus und Caligula, vor dem Brief des Claudius 41 n. Chr. Der jüdisch-römische Krieg 66–70 n. Chr. ist jedenfalls noch nicht im Blick, und erst recht ist die Ausmordung des alexandrinischen Judentums nach den diasporajüdischen Aufständen in Ägypten und der Cyrenaika, auf Zypern und in Mesopotamien unter Trajan in den Jahren 115–117 n. Chr. noch nicht geschehen. Weitere Hinweise ergeben sich aus der Nähe, die der Verfasser in Vorstellungen, Ausdrucksweise und Kenntnis von Auslegungstraditionen zu seinem Zeitgenossen zeigt, dem jüdischen Exegeten und Philosophen Philon von Alexandrien (zwischen ca. 10 v. Chr. und 40 n. Chr.), der methodisch ganz anders als der Verfasser des Weisheitsbuches versuchte, durch Allegorien den Sinn der Tora zugänglich und verständlich zu machen. Zitate oder Anspielungen vom einen zum anderen gibt es jedoch nicht, sie sind aber angesichts der verschiedenen sozialen Position auch kaum zu erwarten. Philon stammte aus einer der reichsten jüdischen Familien in Ägypten; sein Bruder war ἀλαβάρχης (Steuerpächter der Römer), dessen Sohn Tiberius Julius Alexander, ein Apostat vom Judentum, wurde unter Kaiser Claudius römischer Procurator (Statthalter, Repräsentant des Kaisers) über ganz Palästina (46–48 n. Chr.). Philon 434

4. Verfasser und Adressaten, Zeit und Ort der Abfassung

5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

selbst besaß das römische Bürgerrecht, das sein Großvater unter Caesar erhalten hatte. Er gehörte der höchsten gesellschaftlichen und politischen Schicht an und war Leiter der jüdischen Delegation an Kaiser Caligula. Der Verfasser des Buches der Weisheit war demgegenüber wohl »nur« ein Schriftgelehrter, der möglicherweise an einem Lehrhaus bei einer der zahlreichen Synagogen in Alexandria wirkte. Der Verfasser hat sein Werk vermutlich nicht in einem Zuge niedergeschrieben, eher ist es Frucht einer längeren nachsinnenden Beschäftigung mit der Heiligen Schrift oder einer Lehrtätigkeit, ohne dass sich aber die Buchteile der Jugend oder dem Alter des Verfassers zuordnen lassen. Bei der Frage nach den Adressaten des Buches ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen denen, die literarisch ausdrücklich angesprochen werden, und den tatsächlich angezielten Lesern. Ausdrücklich angeredet werden die »Richter der Erde, Könige, Herrscher über Völker«. Diese literarischen Adressaten für die tatsächlichen zu halten, wäre zunächst und vor allem ein arges Missverständnis der Buchgattung, aber es wäre auch sachlich unwahrscheinlich und würde dem Verfasser eine kaum überbietbare Naivität zuschreiben: Gegenüber nichtjüdischen Herrschern und Königen wäre die Argumentation des Verfassers und seine Darstellung der kritisierten Auffassungen und Verhaltensweisen weder für eine politische noch für eine philosophische Diskussion geeignet; die fraglose Autorität der Bibel kann dort auch nicht einfach vorausgesetzt werden. Ebensowenig werden Apostaten selbst unmittelbar angesprochen. Sie sind nur eine dunkle Hintergrundfolie, vor ihrem Schicksal wird gewarnt (2,12; 3,10 u. ö.). Durch die literarischen Adressaten wird vielmehr der Geltungsbereich, den die Sentenzen, Weisungen und Mahnungen des Weisen beanspruchen, als alle Welt umfassend umschrieben. Zu den tatsächlichen Adressaten führt eine andere Überlegung: Wer war überhaupt in der Lage, die Feinheiten des Stils und der Komposition und die vielseitigen Anspielungen auf die Heilige Schrift, auf klassische griechische Literatur und auf hellenistische philosophische Diskussionen in diesem Buch wahrzunehmen und zu würdigen? Wer konnte den komplizierten und beziehungsreichen Ausführungen mit Verständnis und Zustimmung folgen? Dafür in Frage kommen nur Juden griechischer Muttersprache, die sowohl in der griechischen Bibel und in jüdischen Auslegungstraditionen als auch in griechischer Literatur und in der zeitgenössischen Popularphilosophie, bei der die Stoa eine führende Rolle spielte, in Rhetorik und in naturwissenschaftlichem Allgemeinwissen bewandert waren.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Texte aus dem Buch der Weisheit wurden immer wieder in Liedern und Gebeten der kirchlichen Liturgie verwendet, oft, ohne dass ihre Herkunft und der Kontext im Buch der Weisheit kenntlich gemacht wurden. Einige Beispiele seien hier genannt: 1,7 dient als Eröffnungsvers in der Liturgie des Pfingstsonntags, und Pfingstlieder verwenden diesen programmatischen Gedanken: »Der Geist des Herrn erfüllt das All« (vgl. 12,1). Die die ganze Menschheit einbeziehende Tendenz des Weisheitsbuches wird durch die Aufnahme unter die Pfingsttexte sachlich richtig erfasst. 2,10-20 boten sich schon in der Alten Kirche an, in Jesus von Nazareth, seiner 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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5.5 Sophia Salomonos / Sapientia Salomonis / Die Weisheit Salomos

Passion und seiner Auferweckung den »leidenden Gerechten« wiederzuerkennen, an dem die »Geheimnisse Gottes« offenbar geworden sind. 3,1-9 hat die Ikonographie inspiriert und ist seit je eine der trostvollsten Lesungen bei einem christlichen Begräbnis. 11,17–12,2 werden im Tagesgebet des 26. Sonntags im Jahreskreis knapp und präzise aufgenommen. Nur anbetend und Gott preisend kann theologisch richtig über die innere Zusammengehörigkeit von Allmacht, liebender Schonung und Gerechtigkeit gesprochen werden. 16,20 hat eine geradezu grundlegende Bedeutung für die seit dem 12. Jh. wachsende Verehrung der Eucharistie und die Texte des damals eingeführten Fronleichnamsfestes. Die Brotrede Jesu in Joh 6, aus der das Festevangelium an Fronleichnam genommen ist, bezeugt eine Auslegung der Mannatradition, die der in Weih 16 und 19 sehr verwandt ist. 18,6-9 »Jene Nacht« (Ex 12,42) und die mit ihr verbundenen jüdischen Traditionen prägen in besonderer Weise das Osterlob des Exsultet und die Auswahl der Lesungen des Wortgottesdienstes der Osternacht: Schöpfung, Gottes Bund mit Abraham, Exodus und Befreiung am Meer, Prophetentexte über die Erwartung endgültigen Heils. Die Osternachtfeier war seit je der bevorzugte Ort der Aufnahme in die Kirche und der Erneuerung der Taufversprechen (vgl. Weish 18,8b-9). 18,14-15a Eine im Blick auf ihren Kontext ganz überraschende Verwendung haben diese drei Kola schon sehr früh gefunden als Eröffnungsgesang und als Antiphon zu Magnificat und Benedictus an mehreren Tagen der Weihnachtszeit: »Als tiefes Schweigen das All umfing / und die Nacht in ihrem Lauf die Mitte erreicht hatte, / sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron.« Vielleicht schon am Ende des 1. Jh. n. Chr. hat ein Christ Weish 18,14-15a aus seinem Kontext genommen und den in der Pascha-Nacht richtend kommenden Logos auf die Inkarnation gedeutet. Dazu könnten ihn jüdische Traditionen, dass das Kommen des Messias in einer Pascha-Nacht geschehen werde, angeregt haben.

6. Perspektiven der Forschung Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Buch der Weisheit könnte die auch in anderen späten Büchern der Heiligen Schrift beobachtbare präzisierende und aktualisierende Auslegung der älteren biblischen Bücher noch näher untersucht werden. Möglicherweise lassen sich auch die Kenntnisse über jüdische Ausbildungstraditionen in den Lehrhäusern und die Möglichkeiten von Juden in Alexandria in der frühen römischen Zeit, sich hellenistische Bildung anzueignen, noch erweitern.

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6. Perspektiven der Forschung

5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach Frank Ueberschaer

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT II, 1896 — Hart, J. H., Ecclesiasticus. The Greek Text of Codex 248. Edited with a Textual Commentary and Prolegomena [1909], Cambridge 2012 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Sapientia Iesu Filii Sirach, Vetus Testamentum Graecum XII,2, Göttingen 1965; 19802 — Wahl, O., Der Sirach-Text der Sacra Parallela, fzb 16, Würzburg 1974.

1.2 Qumran-Texte und Verwandtes Qumran und Massada 2QSir = 2Q18 (DJD III) — 11QPsa = 11Q5 (DJD IV) — Mas I-VII (Yadin, Y., The Ben Sira Scroll from Masada, Jerusalem 1965; Übersetzung von: Yadin, Y., ‫[ מגילת בן סירא ממצדה‬megîllat Ben Sîra’ mimmaṣadâ], EI 8 [1965], 1-45).

Texte aus der Kairoer Geniza Ms A: Adler, E. N., Some Missing Chapters of Ben Sira, JQL 12 (1900), 466-480 (Sir 7,29b-12,1) — Schechter, S. / Taylor, C., The Wisdom of Ben Sira, Cambridge 1899 (Sir 3,6b-7,29a; 11.34b16,26a). Ms B: Cowley, A. E. / Neubauer, A., The Original Hebrew of a Portion of Ecclesiasticus (XXXIX.15 to XLIX.11), Oxford 1897 (Sir 40,9-49,11) — Margoliouth, G., The Original Hebrew of Ecclesiasticus XXXI.12-31 and XXXVI.22-XXXVII.26, JQR 12 (1899-1900), 1-33 (Sir 31,12-31,31; 36,22-37,26) — Schechter, S. / Taylor, C., The Wisdom of Ben Sira, Cambridge 1899 (Sir 30,1131,11; 32,1b-33,3; 35,11-36,21; 37,27-38,27b; 49,12c-51,30) — Schechter, S., A Fragment of the Original Text of Ecclesiasticus, Expositor 4 (1896), 1-15 (Sir 39,15b-40,8) — Schirmann, J., ‫דף חדש‬ ‫[ מתוך ספר בן סירא‬dap ḥadaš mittôk seper ben Sîra’ ha-ʿ ibri], Tarbiz 27 (1957-1958), 440-443 (Sir 15,1-16,7) — Schirmann, J., ‫[ דפים נוספים מתוך ספר בן סירא‬dappîm nôspîm mittôk seper ben Sîra’], Tarbiz 29 (1959-1960), 125-134 (Sir 10,19-11,10). Ms C: Elizur, Sh., Two New Leaves of the Hebrew Version of Ben Sira, DSD 17 (2010), 13-29 (Sir 20,30-25,7) — Gaster, M., A New Fragment of Ben Sira, JQR 12 (1900), 688-702 (Sir 18,31b-33; 19,1 f.; 20,5-7.13; 37,19.22.24.26) — Lévi, I., Fragments de deux nouveaux manuscrits hébreux de l’Ecclésiastique, REJ 40 (1900), 1-30 (Sir 6,18bf.28.35; 7,1.4.6.17.320 f.23-25; 8,7a) — Schechter, S., A Further Fragment of Ben Sira, JQR 12 (1900), 456-465 (Sir 4,23b.30 f.; 5,4-7.9-13; 25,8.13.17-24; 26,1-2a; 36,19a) — Schirmann, J., ‫[ דפים נוספים מתוך ספר בן סירא‬dappîm nôspîm mittôk seper ben Sîra’], Tarbiz 29 (1959-1960), 125-134 (Sir 3,14-18.21-22; 4,21-23a; 20,22 f.; 26,2b-3.13.15-17; 36,2226; 41,16) — Schreiber A., A Leaf of the Fourth Manuscript of the Ben Sira from the Geniza, Magyar Könyvszemle 98 (1982), 185 (Sir 25,8.20 f.). Ms D: Lévi, I., Fragments de deux nouveaux manuscrits hébreux de l’Ecclésiastique, REJ 40 (1900), 1-30 (Sir 36,24-38,1a) — Elizur, Sh. / Rand, M., A New Fragment of the Book of Ben Sira, DSD 18 (2011), 200-205 (Sir 7,18-8,18). 1. Literatur

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5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

Ms E: Marcus, J., A Fifth Ms of Ben Sira, JQR 21 (1931), 223-240 (Sir 32,16-34,1). Ms F: Schreiber A., A Leaf of the Fourth Manuscript of the Ben Sira from the Geniza, Magyar Könyvszemle 98 (1982), 179-185 (Sir 31,24-32,7; 32,12-33,8).

1.3 Übersetzungen und Kommentare Sauer, G., Jesus Sirach (Ben Sira), JSHRZ III/5, Gütersloh 1981, 477-644 — Wright, B. G., Sirach, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 715-762 — Becker, E. M. / Fabry, H.-J. / Reitemeyer, M., Sophia Sirach / Jesus Sirach, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1090-1163 — Becker, E. M. / Fabry, H.-J. / Reitemeyer, M., Sophia Sirach / Ben Sira / Jesus Sirach, LXX.E, Stuttgart 2011, 2158-2272.

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Textausgaben Hebräisch: Beentjes, P. C., The Book of Ben Sira in Hebrew. A Text Edition of All Extant Hebrew Manuscripts and A Synopsis of All Parallel Hebrew Ben Sira Texts, Atlanta 2006/GA (korrigierter Nachdruck von VT.S 68, Leiden 1997) — ‫ספר בן סירא‬. The Book of Ben Sira. Text Concordance and an Analysis of the Vocabulary, hg. v. Academy of the Hebrew Language, Jerusalem 1973 — Segal, M. Z., ‫[ ספר בן סירא השלם‬sefer ben Sîra’ ha-schalem], Jerusalem 19974 — Smend, R., Die Weisheit des Jesus Sirach. Hebräisch und deutsch, Berlin 1906 — Strack, H. L., Die Sprüche Jesus’, des Sohnes Sirachs. Der jüngst gefundene hebräische Text mit Anmerkungen und Wörterbuch, Leipzig 1903. Syrisch: Calduch-Benages, N. / Ferrer, J. / Liesen, J. (Hg.), La Sabiduría del Escriba — Wisdom of the Scribe. Diplomatic Edition of the Syriac Version of the Book of Ben Sira according to Codex Ambrosianus, with Translation in Spanish and English, Estella (Navarra/Spanien) 2003. Lateinisch: Weber, R. / Gryson, R. (Hg.), Biblia Sacra Vulgata. Iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 20075, 1029-1095 — Zu Sir 1–25: Thiele, W., Sirach (Ecclesiasticus), Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel 11/2, Freiburg 1989. Mehrsprachig: Vattione, F. (Hg.) Ecclesiastico. Testo ebraico con apparato critico e versioni greca, latina e siriaca, Neapel 1968.

1.4.2 Übrige Literatur Adams, S. L., Rethinking the Relationship between 4QInstruction and »Ben Sira«, RdQ 24 (2010), 555-583 — Aitken, J. K., The Literary Attainment of the Translatorof Greek Sirach, in: J.-S. Rey / J. Joosten (Hg.), The Texts and Versions of the Book of Ben Sira, JSJ.S 150, Leiden / Boston 2011, 95-126 — Auwers, J.-M., Concordance du Siracide (Grec II et Sacra Parallela), CRB 58, Paris 2005 — Auwers, J. M., L’apport du texte long du Siracide au lexique du grec biblique, in: F. Garzía Martínez u. a. (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 33-44 — Bar-Asher Siegal, M., The Treatment of Poverty and Theodicy in the Syriac Translation of Ben Sira, Aramaic Studies 7 (2009), 131-154 — Becker, E.-M., Jesus Sirach und das Luthertum des 16. Jahrhunderts. Über Inhalt und Funktion eines schlesischen Katechismus von 1561, in: R. Egger-Wenzel (Hg.), Ben Sira’s God. Proceedings of the International Ben Sira Conference Durham — Ushaw College 2001, BZAW 321, Berlin / New York 2002, 352-360 — Beentjes, P. C., A Closer Look at the Newly Discovered Sixth Hebrew Manuscripts (Ms. F) of Ben Sira, EstB 51 (1993), 171-186 — Beentjes, P. C., Ben Sira 36,26d according to Ms. C. A new proposal, EstB 52 (1994), 535-539 — Beentjes, P. C., Hermeneutics in the Book of Ben Sira. Some Observations on the Hebrew Ms. C, EstB 46 (1988), 45-61 — Beentjes, P. C., In de marge van Manuscript B. Kanttekeningen bij de Hebreeuwse Tekst van Sirach 30:12 e, Bijdr. 48 (1987), 132-138 — Beentjes, P. C., Some Major Topics in Ben

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1. Literatur

5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

Sira Research, Bijdr. 66 (2005), 131-144 — Beentjes, P. C., Some Misplaced Words in the Hebrew Manuscript C. of the Book of Ben Sira, Bib. 67 (1986), 397-401 — Beentjes, P. C., The Hebrew Texts of Ben Sira 32[35].16-33[36].2, in: T. Muraoka / J. F. Elwolde (Hg.), Sirach, Scrolls, and Sages. Proceedings of a Second International Symposium on the Hebrew of the Dead Sea Scrolls, Ben Sira and the Mishna, Held at Leiden University, 15.-17. December 1997, StTDJ 33, Leiden 1999, 53-67 — Beentjes, P. C., The Reliability of Text-Editions in Ben Sira 41,14-16. A Case Study in Repercussions on Structure and Interpretation, Bijdr. 49 (1988), 188-194 — Begg, C. T., Ben Sirach’s Non-Mention of Ezra, BN 42 (1988), 14-18 — Boccaccini, G., Where does Ben Sira belong? The Canon, Literary Genre, Intellectual Movement, and Social Group of a Zadokite Document, in: G. Xeravits u. a. (Hgg.), Studies in the Book of Ben Sira. Papers of the Third International Conference on the Deuterocanonical Books, Shime’on Centre, Pápa, Hungary, 18-20 May, 2006, JSJ.S 127, Leiden 2008, 21-41 — Bohlen, R., Zu einer neuen Übersetzung des Buches Jesus Sirach, TThZ 92 (1983), 149-153 — Böhmisch, F., Die Blattvertauschung (Lage 12 und 13) im griechischen Sirachbuch, PzB 14 (2005), 17-22 — Böhmisch, F., Die Textformen des Sirachbuches und ihre Zielgruppen, PzB 6 (1997), 87-122 — Camp, C. V., Becoming Canon. Women, Texts, and Scribes in Proverbs and Sirach, in: R. L. Troxel u. a. (Hg.), Seeking out the Wisdom of the Ancients (FS M. V. Fox), Winona Lake/IN 2005, 371-387 — Camp, C. V., Honor, Shame, and the Hermeneutics of Ben Sira’s Ms C., in: M. L. Barré (Hg.), Wisdom, You are My Sister (FS R. E. Murphy), CBQ.MS 29, Washington, D.C. 1997, 157-171 — Carella, B., Reconstructing a Lost Latin Homily on Ecclesiasticus (Sirach) 5.8, RBen 117 (2007), 261-286 — Corley, J., Seeds of Messianism in Hebrew Ben Sira and Greek Sirach, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 301-312 — Corley, J., An Alternative Hebrew Form of Ben Sira: the Anthological Manuscript C, in: J.-S. Rey / J. Joosten (Hg.), The Texts and Versions of the Book of Ben Sira, JSJ.S 150, Leiden / Boston 2011, 3-22 — De Bruyne, D., Étude sur le texte latin de l’Écclésiastique, RBén 40 (1982), 9-48 — Dihi, H., Amoraic Hebrew in the Light of Ben Sira’s Linguistic Innovations, in: J. Joosten (Hg.), Conservatism and Innovation in the Hebrew Language of the Hellenistic Period, StTDJ 73, Leiden 2008, 15-27 — Dihi, H., NonBiblical Verbal Usages in the Book of Ben Sira, in: T. Muraoka (Hg.), Diggers at the Well. Proceedings of a Third International Symposium on the Hebrew of the Dead Sea Scrolls and Ben Sira, StTDJ 36, Leiden 2000, 56-64 — DiLella, A. A., The Hebrew Text of Sirach. A Text-Critical and Historical Study, London / Paris 1966 — DiLella, A. A., The Newly Discovered Sixth Manuscript of Ben Sira from the Cairo Geniza, Bib. 69 (1988), 226-238 — DiLella, A. A., The Wisdom of Ben Sira. Resources and Recent Research, CRBS 4 (1996), 161-181 — Egger-Wenzel, R., Ein neues Sira-Fragment des MS C, BN 138 (2008), 108-114 — Egger-Wenzel, R., The Change of the Sacrifice Terminology from Hebrew into Greek in the Book of Ben Sira, BN 140 (2009), 69-93 — Eshel, H. / Eshel, E., 4Q448, Psalm 154 (Syriac), Sirach 48:20, and 4QpIsa a, JBL 119 (2000), 645-659 — Fabry, H.-J., Fehler, die es eigentlich nicht geben sollte. Anmerkungen zum Text des Griechischen Sirach, in: F. Garzía Martínez u. a. (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 139-149 — Feder, F., The Coptic Version(s) of the Book of Ben Sira, in: G. Xeravits u. a. (Hg.), Studies in the Book of Ben Sira. Papers of the Third International Conference on the Deuterocanonical Books, Shi-me’on Centre, Pápa, Hungary, 18-20 May, 2006, JSJ.S 127, Leiden 2008, 11-20 — Féghali, P., Le texte syriaque de Ben Sirach, fidèle témoin de l’hébreu, ParOr 31 (2006), 47-55 — Féghali, P., Versions arabes de Ben Sira, ParOr 30 (2005), 65-78 — Forte, A. J., The Old Latin Version of Sirach: Editio Critica and Textual Problems, in: J.-S. Rey / J. Joosten (Hg.), The Texts and Versions of the Book of Ben Sira, JSJ.S 150, Leiden / Boston 2011, 199-214 — Forte, A. J., Veteris Latinae Ecclesiastici. Apologia pro interprete latino, JSCS 47 (2014), 69-92 —Gilbert, M., L’addition de Siracide 1,21. Une énigme, in: V. C. Bertomeu (Hg.), Palabra, prodigio, poesía (FS L. A. Schökel), Rom 2003, 317-325 — Gilbert, M., Les additions grecques et latines à Siracide 24, in: J. M. Auwers u. a. (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), BEThL 144, Leuven 1999, 195-207 — Gilbert, M., The Vetus Latina of Ecclesiasticus, in: G. Xeravits u. a. (Hg.), Studies in 1. Literatur

439

5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

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5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

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5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

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2. Textüberlieferung und Editionen Das Buch Ben Sira / Jesus Sirach (Sir) ist in der LXX ein Sonderfall. Es wurde ursprünglich auf Hebräisch verfasst (zeitlich sogar noch vor dem Danielbuch), ist aber nicht Bestandteil des hebräischen Kanons der Bibel geworden. Es wurde nach einem eigens dazu geschriebenen Vorwort (dem sog. Prolog) schon früh nach seiner Entstehung vom Enkel des Verfassers ins Griechische übersetzt. Von da an muss die Überlieferung beider Textversionen parallel zueinander, aber nicht unabhängig voneinander geschehen sein, wie insbesondere die Erweiterungen in beiden Traditionen von H I bzw. Gr I zu H II bzw. Gr II zeigen (s. dazu unten). Auf Griechisch wurde das Buch im christlichen Kontext durch die Aufnahme in den LXX-Kanon weiter überliefert. Der hebräische Text bzw. die hebräischen Texte wurden zwar noch von den Rabbinen und auch noch von Saadja Gaon (882–942 n. Chr.) zitiert (siehe dazu die zahlreichen Belege bei Vattioni), sind danach aber verloren gegangen. Erst durch die Funde in der Geniza der Karäer-Synagoge von Kairo Ende des 19. Jh. und ein halbes Jahrhundert später durch weitere Funde in Qumran und auf Massada sind Ausschnitte der hebräischen Textüberlieferung (ca. 68 %) wieder ans Tageslicht gekommen. Leider divergieren die verschiedenen Textzeugen stellenweise erheblich. Im Vergleich von hebräischer und griechischer Texttradition besteht also immer die Schwierigkeit, dass erstere nur zu einem Teil vorliegt und dann auch noch in sich selbst uneinheitlich ist, was bei nur wenigen Textzeugen zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Varianten führt. Damit sind die Übersetzungen die einzigen Versionen, in denen das Buch vollständig erhalten ist. Eine weitere Schwierigkeit ist dadurch gegeben, dass sich zwei unterschiedliche 442

2. Textüberlieferung und Editionen

5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

Textversionen nachweisen lassen, die quer zu den sprachlichen Grenzen laufen. So gibt es sowohl in der hebräischen als auch in den weiteren Texttraditionen einen kürzen und einen längeren Text, der bezogen auf das Hebräische und das Griechische mit H I (kurzer Text) und H II (längerer Text) bzw. Gr I und Gr II bezeichnet wird. Insbesondere im Blick auf die längere Textfassung gibt es keinen einzigen Textzeugen, der Gr II vollständig bietet. Möglicherweise handelt es sich nicht um eine einzige Revision der Übersetzung Gr I, sondern um das Ergebnis von mehreren. Insgesamt steht Gr II aber der origeneischen Rezension und dem Antiochenischen Text nahe und wurde dann auch von den Kirchenvätern rezipiert. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es eben auch ein H II gibt, das die Vorlage für Gr II gewesen ist. Möglicherweise ist Gr I die Übersetzung des Enkels Ben Siras, der H I zugrunde lag, und H II eine spätere Revision, aus der Gr II entstanden ist, wobei H II wiederum eine Summe mehrerer Handschriften darstellt. Der griechische Text für Sir wurde im Kontext der LXX überliefert. Er ist bezeugt in den Unzialhandschriften Alexandrinus (A, 5. Jh.), Vaticanus (B, 4. Jh.), Sinaiticus (S, 4. Jh.), dem Codex Ephraemi Syri rescriptus (C, 8. Jh.) und dem Codex Venetus (V, 8. Jh.) sowie in 57 Minuskelhandschriften und vier Papyrusfragmenten. Während der Text in A, B, S und V vollständig erhalten ist, bezeugen C, die Minuskeln und die Papyri mehr oder weniger umfangreiche Textpassagen (Ziegler, Sir, 7-10, listet die jeweils fehlenden Abschnitte auf), Mss 421, 429, 575 enthalten lediglich Exzerpte. In der Regel bietet B den besten LXX-Text mit nur wenigen Zufügungen und Auslassungen. Zwar gibt es grammatikalisch-stilistische Varianten, die aber inhaltlich nur wenig bedeutend sind. Als Sonderlesarten bezeugt S v. a. Wortlautänderungen, die allerdings in einem breiten Konsens als sekundär beurteilt werden und in den textkritischen Ausgaben entsprechend im Apparat vermerkt werden (Ziegler, RaHa, Peters, Ecclesiasticus; s. Ziegler, Sir, 54). Auch S bietet im Allgemeinen einen guten Text. Es gibt unwesentliche Zufügungen, allerdings auch einige wenige Auslassungen. Dazu gehört die unerklärliche Auslassung in 5,2-3a und die beiden durch Homoioteleuton entstandenen in 6,9 f. und 44,21; vor allem aber fällt auf, dass an einigen Stellen der Artikel fehlt (Ziegler führt an: 12,16; 23,18; 27,16.29; 47,24) sowie in 12,5 und 46,6 das Possessivpronomen, was beides als ursprünglich bewertet werden kann (ebd.). Grammatikalisch-stilistische Varianten sind, wenn auch zahlenmäßig größer, ebenso unwesentlich wie in B. Wortlautänderungen listet Ziegler, Sir, 55, neun auf. A bietet ebenfalls nur unerhebliche Zufügungen und Auslassungen, meist handelt es sich um kurze Wörter oder Partikel. Auch die grammatikalisch-stilistischen Varianten sind unbedeutend. In allen Fällen handelt es sich nach Zieglers Einschätzung um Schreibfehler (Ziegler, Sir, 55). Insgesamt nennt er aber die Anzahl von über 200 Sonderlesarten, die er im Apparat für A verzeichnet hat (ebd.). Viele davon stammen aus verwandten Textstellen. C bezeugt einige wenige Sonderlesarten, die aber nicht weiter ins Gewicht fallen. Demgegenüber ist V wiederum ein wichtiger Zeuge für die Textgeschichte von Sir, finden sich hier doch zusammen mit der origeneischen Rezension (O) die Zufügungen von Gr II. Bei den weiteren Abweichungen handelt es sich zumeist um Schreibfehler, auch wenn V an manchen Stellen die ursprünglichere Lesart bewahrt hat (Ziegler, Sir, 56). 2. Textüberlieferung und Editionen

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Eine hexaplarische Rezension für Sir (Ziegler: O) liegt in Ms 253 und Syh vor. So ist Syh in Sir 1-13 auch gekennzeichnet von Asterisken. Insbesondere weisen aber Wortlautänderungen, Wortumstellungen und Auslassungen auf hexaplarische Bearbeitungen hin. Dabei haben 253 und Syh bei aller Verwandtschaft jeweils auch ihr eigenes Gesicht (eine Liste mit Abweichungen bietet Ziegler, Sir, 62 f.). Auch bei Sir scheint sich die hexaplarische Rezension an der hebräischen Texttradition ausgerichtet zu haben, allerdings wohl nicht unmittelbar am hebräischen Text selber, sondern an griechischen Übersetzungen, die in Anlehnung an diesen revidiert worden waren. Manche Abweichungen lassen sich nach Ziegler, Sap, 55, auch durch eine freiere Wiedergabe erklären, die dadurch zustande kam, dass Sir nicht denselben Rang einnahm wie z. B. die Prophetenbücher. Der Textgruppe aus 245 und Syh schließen sich häufig weitere Zeugen an: V, Sc (Swete: ca) und die armenische Übersetzung. Die lukianische Rezension (Ziegler: L) bzw. der Antiochenische Text liegt für Sir in 248,493 und 637 vor, für den Teil bis Sir 15,17 auch in 694 und bis Sir 27,3 auch in 743. Dem schließen sich oft 315 und 672 an. Hinzu kommen die von Ziegler »Untergruppe l« genannten Minuskeln 106, 130, 545 und 705, zu denen möglicherweise auch 261 hinzu zu zählen ist. In der Regel ist diese Untergruppe l selbstständig, schließt sich allerdings der von Ziegler unter L zusammengefassten Zeugengruppe an (bei Ziegler, Sir, dann L’). Allerdings sind auch die Zeugen der Hauptgruppe L nicht ganz einheitlich. Am ehesten entspricht 248 dem Antiochenischen Text. Daneben steht das Paar aus 493 und 637, die zumeist auch dann den Antiochenischen Text bieten, wenn 248 abweicht. Eine bedeutende Besonderheit von 248 besteht noch in dem dem Buch vorangestellten Prolog, der den sonst bekannten ersetzt; der »Prolog« von 248 ist allerdings kein Prolog im eigentlichen Sinne, sondern aus einer anscheinend vorangestellten Einleitung in den Text hineingerutscht. Als Editionen sind die einschlägigen Ausgaben von Ziegler und Rahlfs zu nennen, eine ältere textkritische Ausgabe auf der Basis von B bietet Swete. Für die VL greift Ziegler, der sie mit dem Siglum La bezeichnet, auf die Arbeiten von Thielmann (1893) und de Bruyne (1928) zurück. Mit Thielmann geht er davon aus, dass VL von drei Übersetzern stamme: Sir 1–43 und 51 wären im 3. Jh. in Afrika angefertigt worden, dagegen Sir 44–50 in Europa (die Datierung für das Väterlob lässt er offen). Demgegenüber datiert de Bruyne Sir 1–43; 51 in die zweite Hälfte des 2. Jh. und Sir 44–50 erst in das 5. Jh., weil es von keinem Kirchenvater zitiert werde. Im Unterschied dazu geht Thiele als Editor der Vetus Latina von Sir (1987) von nur einer Übersetzung aus dem Griechischen aus (Thiele, 121). Dem folgt Gilbert, der ebenso de Bruynes Datierung aufnimmt und seinerseits für die griechische Vorlage der VL von einer Entstehung zwischen 80 v. und 80 n. Chr. ausgeht. Bei dieser griechischen Vorlage handelt es sich um Gr II. Zudem bietet sie zahlreiche Varianten, die sonst in der griechischen Textüberlieferung nicht bezeugt sind, diesen überlieferten Lesarten jedoch in Schriftbild oder lautlich ähnlich sind (Thiele, 102). Da es ähnliche Phänomene auch in der griechischen Überlieferung gibt, warnt Thiele davor, diese Abweichungen dem Übersetzer der VL zuzuschreiben, und stellt dagegen VL als relevante Zeugin der griechischen Textüberlieferung dar. VL ist in Ziegler, Sir, nach folgender Vulgata-Ausgabe kollationiert: Liber Filii Sirach. Biblia Sacra iuxta latinam Vulgatam versionem XII, Rom 1964, 105-375. Hinzu kommen zahlreiche Zitate bei den Kirchenvätern. Der Rückgriff auf die Vulgata ist 444

2. Textüberlieferung und Editionen

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insofern berechtigt, weil offensichtlich Vg den Text von VL mit nur marginalen Veränderungen übernommen hat (vgl. auch Thiele, 117). Die bedeutendste Ergänzung gegenüber der weiteren Textüberlieferung ist die Oratio Salomonis als 52. Kapitel des Sir-Buches in weiten Teilen der lateinischen Texttradition (vgl. Thiele, 124f.). Die koptische Textüberlieferung umfasst die sahidische Übersetzung (Sa), die bohairische (Bo) und die achmimische (Ach). Editionen sind für Sa: P. A. de Lagarde, Aegyptica, Göttingen 1883, 107-206, sowie H. Thompson, The Coptic (Sahidic) Version of Certain Books of the Old Testament from a Papyrus in the British Museum, Oxford 1908, 126-191 (der zugrunde gelegte Papyrus endet jedoch in Sir 40,18 und hat insgesamt viele Lücken); für Bo: O. H. E. Burmester, The Bohairic Pericopae of Wisdom and Sirach, Biblica 15 (1934), 451-465; 16 (1935), 33-47.157-174 (diese Ausgabe umfasst nur Ausschnitte von Sir); für Ach: U. Bouriant, Mémoires publiés par les membres de la mission archéologique française au Caire sous la direction de M. Maspero I/II, Paris 1885, 255 (für Sir 22,16-23,6). Sa bildet die Grundlage der koptischen Texttradition, Bo und Ach stammen beide aus Sa. Insgesamt entspricht die koptische Texttradition im Wesentlichen den alten Unzialhandschriften und ist ein guter Zeuge für den Texttyp Gr I. Die syrische Übersetzung gibt es in drei Textüberlieferungen: in der syro-palästinischen (Syp; Ausgabe: Fr. Schulthess, Christlich-Palästinische Fragmente aus der Omajjaden-Moschee zu Damaskus, AGWG. Philol.-hist. Kl. NF VIII 3, 1905, 39 f. [bietet Sir 45,25-46,8]; H. Duensing, Christlich-palästinisch-aramäische Texte und Fragmente, Göttingen 1906, 126 [bietet Sir 12,18; 13,3-4a; 13,7]), der syrohexaplarischen (Syh; Ausgabe: Codex Syro-Hexaplaris Ambrosianus photolithographice, hg. v. A. M. Ceriani, Monumenta sacra et profana VII, Mailand 1874) und der altsyrischen (Syr = Peschitta; Ausgabe: Brian Walton, Biblia Sacra Polyglotta (»Londoner Polyglotte«), Bd. 4, London 1654-57, und P. A. de Lagarde, Libri Veteris Testamenti apocryphi syriace, London 1861, 2-51; letztere ist auch wiedergegeben in der Textausgabe von Vattioni). Dabei geht Syr unmittelbar auf die hebräische Texttradition und nicht auf LXX zurück. Syh ist dagegen ein wesentlicher Zeuge der hexaplarischen Rezension (s. o.). Grundlegende Bedeutung hat der Codex Ambrosianus (7a1), den Ceriani in einer Faksimileausgabe publiziert hat und der von Calduch-Benages / Ferrer / Liesen ediert und ins Spanische und Englische übersetzt wurde. Die äthiopische Übersetzung (Aeth; Ausgabe: A. Dillmann, Veteris testamenti aethiopici tomus quintus, quo continentur libri apocryphi, Berlin 1894, 54-117) weist zum einen wertvolle Lesarten auf, denen Ziegler sogar den Anspruch zugesteht, ursprünglich zu sein (s. Ziegler, Sir, 32 f.). Zum anderen aber ist sie dadurch gekennzeichnet, dass sie Wörter frei wiedergibt und Zusätze macht, die wahrscheinlich auf eine freiere Übersetzungstätigkeit und nicht auf eine Vorlage zurückgehen. Die armenische Übersetzung (Arm; Ausgaben: Zohrab, Quartausgabe, Venedig 1805 [im Anhang S. 1-13 und Bd. 4, 4-40; unvollständig]; Bagratuni, Armenische Bibel, Venedig 1860, 681-704 [unvollständig]; ohne Autorenname, Neue Entdeckungen einiger Kapitel des Buches Sirach nach einer alten Übersetzung, Sion 1 (1927), 246-250) ist von zahlreichen Auslassungen geprägt, die z. T. aus Versehen (z. B. wegen Homoioteleutoi), z. T. aber auch durch Zusammenziehen zweier Versteile zu einem und durch freie Übersetzung entstanden sind. Auf diese freie Übersetzung gehen auch einige Zufügungen zurück, aber daneben gibt es auch solche (z. B. hinter 17,14 und 34,15), die wahrscheinlich schon in der Vorlage standen. Da Arm aus dem Griechischen über2. Textüberlieferung und Editionen

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setzt wurde, muss es noch eine weitere Texttradition gegeben haben, die heute nicht mehr bekannt ist (Ziegler, Sir, 36, führt Sir 11,8a.30a.31 als Beispiele an). Die arabische Übersetzung für Sir (Ausgabe: Brian Walton, Biblia Sacra Polyglotta (»Londoner Polyglotte«), Bd. 4, London 1654-57) ist von Syr abhängig und geht damit indirekt auf die hebräische Texttradition zurück, ist also für LXX nicht weiter interessant.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Im Unterschied zu vielen anderen Büchern lassen sich Ort und Zeit der Übersetzung ins Griechische bei Ben Sira relativ einfach und mit großer Sicherheit bestimmen. Der Übersetzer selber, ein Enkel des Verfassers, hat seiner Übersetzung nämlich einen Prolog vorangestellt, in dem er seine Tätigkeit darstellt, sie begründet und darüber reflektiert. So schreibt er, dass er im 38. Jahr des Königs Euergetes nach Ägypten gekommen sei (Prol 27). Zwar gibt es zwei ptolemäische Könige mit dem Beinamen Euergetes, Ptolemaios III. und Ptolemaios VIII., doch hat ersterer nur 24 Jahre regiert, sodass er nicht gemeint sein kann. Der Enkel Ben Siras kam also im 38. Jahr des Königs Ptolemaios VIII. Euergetes II. nach Ägypten; das entspricht bei der sehr langen Regierungszeit von 170-117 dem Jahr 132. Nimmt man nun an, dass der Enkel einige Zeit gebraucht hat, um sich über die Bildungslandschaft in seiner neuen Heimat zu informieren, wie er in Prol 28 f. schreibt, dann wäre der terminus a quo etwa um 130 anzusetzen. Der Terminus ad quem wird in der Regel aus der Nennung Ptolemaios VIII. erschlossen, indem man annimmt, dass er wegen dieser Nennung noch lebte; damit wäre der Terminus ad quem das Jahr 117. Für den Zeitpunkt der Abfassung des Buches selber gibt es neben diesem Hinweis noch einen weiteren, nämlich die Nennung des Hohenpriesters Simon II. Es ist davon auszugehen, dass Ben Sira selber ihn kannte bzw. seine Auftritte erlebt hatte; in der Regel wird aber aus der Art und Weise, mit der Ben Sira über Simon II. spricht, geschlossen, dass dieser schon tot war. So kann die Abfassungszeit des Buches selber zwischen dem Tod Simon II. 196 und den im Buch durch nichts festzustellenden Spannungen, die sich später in den Makkabäeraufständen niederschlagen sollten, angesetzt werden. Meist wird der Zeitraum 190-180 angenommen. Während das Buch selber sehr sicher in Jerusalem verfasst wurde (vgl. die Bedeutung des Tempels und der Auftritte Simons II.), steht für die Übersetzung des Enkels nach seinen eigenen Angaben Ägypten als Übersetzungsort fest, wahrscheinlich Alexandria, wo er gute Chancen hatte, eine jüdische Gemeinde mit dem von ihm im Prolog beschriebenen Grad an Bildung zu finden. Zu den vielen Besonderheiten des Buches Ben Sira gehört auch, dass der Enkel seine Tätigkeit als Übersetzer des Buches selber reflektiert. Im Prolog hält er fest, dass es nicht dasselbe sei, etwas im Original oder in einer Übersetzung zu haben (Prol. 2326; ein gutes Beispiel für den Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist 46,1, wo der Anklang von ‫ תשועה גדלה‬an den Namen ‫ יהושע‬nicht ins Griechische übersetzt werden konnte). Ausdrücklich bittet er für seine Übersetzung um Nachsicht (Prol. 15-22; auch wenn diese Bitte als »ein überzeugender Weg, auch auf die eigene Leistung hinzuweisen« [Sauer, 2000, 39; s. auch Kreuzer, 2009] verstanden werden kann). 446

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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Aus heutiger Sicht stellt sich die Überlieferungsgeschichte des Buches Ben Sira wesentlich komplizierter dar, als lediglich von einer hebräischen Originalschrift und einer Übersetzung ins Griechische auszugehen. Neben den zahlreichen weiteren Übersetzungen, aus denen die syrische besonders herauszuheben ist, gibt es ganz offensichtlich auch Beeinflussungen aus dem Griechischen wieder ins Hebräische »zurück«. Dass für das Hebräische die meisten Textzeugen aus dem Mittelalter stammen und damit viel jünger sind als die griechischen (und wohl von diesen auch beeinflusst), erleichtert die Situation nicht. So verworren die Textsituation, so offen ist zur Zeit noch die Textforschung an Sir. Daher soll an dieser Stelle einzelnen Spuren nachgegangen werden, die als exemplarisch zu betrachten sind und die ein Licht auf die Übersetzungstätigkeit des Enkels – und einiger anderer Personen – werfen. Um sich dem Übersetzungsstil der griechischen Übersetzung zu nähern, ist trotz allem der hebräische Text die Referenzgröße. Da von diesem nur ca. 68 % bekannt sind, muss sich diese Darstellung darauf beschränken und im folgenden einzelne Texte exemplarisch besprechen. Insgesamt ist zur griechischen Übersetzung (G) zu sagen, dass sie im Wesentlichen den hebräischen Text (H) in einer guten Übersetzung wiedergibt. Die bei 51 Kapiteln Umfang durchaus zu erwartenden Abweichungen lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Grundlegend ist zu unterscheiden einerseits zwischen Abweichungen, die sich auf der Ebene der Übersetzungstätigkeit zeigen – dazu gehören deutende Übersetzungen, Verschiebungen im Verständnis und auch kulturelle Unterschiede, die sich zwischen Original und Übersetzung widerspiegeln – und andererseits Differenzen, die sich aus der Materialität der Texte ergeben, wie dem Phänomen, dass G einer Handschrift von H folgt, der aber eine andere von H entgegensteht, oder auch manche Verlesung. Hinzu kommen Ergänzungen sowie schlicht falsche Übersetzungen und einige Differenzen, deren Ursachen unklar sind. Deutende Übersetzungen versuchen, den Ursprungstext zu präzisieren, oder interpretieren ihn, letzteres entweder bewusst für den Leser oder möglicherweise auch unbewusst durch den Übersetzer, indem er sein eigenes Verständnis einträgt. Beispiele solcher bewusster »Präzisierungen« durch die Übersetzung, bei denen oftmals der Ausgangstext als unklar empfunden worden zu sein scheint: In 3,14 wird ‫( צדקה‬Gerechtigkeit) als Erbarmen (ἐλεημοσύνη) übersetzt, was von seiner Bedeutung möglicherweise schon damals den Charakter eines Almosens hatte. In 7,6 wird aus dem Herrscher (‫ )מושל‬in G ein Richter (κριτής); hier könnte ein Präzisierung vorliegen (siehe Calduch-Benages, Minissale). Ein Beispiel für eine als unklar empfundene Wendung bietet 8,2: ‫ = חרש( אל תחרש‬pflügen, handeln, schweigen) wird aus dem Kontext heraus zu μὴ ἔριζε (ἐρίζω = streiten) präzisiert. Ähnlich wird in 26,17 aus dem offenbar als undeutlich empfundenen ‫ על קומת תובן‬in G ἐπὶ ἡλικίᾳ στασίμῃ, sodass statt von einer Gestalt nun vom Alter die Rede ist. Ein Beispiel für eine Konkretisierung eines als zu allgemein empfundenen Begriffs stellt 11,30 dar, wo aus »Vogel« in H (‫)עוף‬ ein Rebhuhn in G (πέρδιξ) geworden ist. Der umgekehrte Fall liegt in 34[31],19b vor, wo G das schwierige ‫( ועל יצועיו לא ישיק‬und auf seinen Lagern strömt nichts über) mit καὶ ἐπὶ τῆς κοίτης αὐτοῦ οὐκ ἀσθμαίνει (und auf seinem Lager atmet er nicht schwer) übersetzt, sodass aus der Konkretion des Sich-nicht-Übergebens die abstraktere und zurückhaltendere Form des schwer Atmens wird. Gelegentlich findet sich der Austausch von Worten, um etwas zu verdeutlichen: In 16,1 wird aus dem im Kontext 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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schwierig anmutenden »Anblick« (‫ )תואר‬nichtsnutziger Kinder deren »Menge« (πλῆθος), und in 10,22 ersetzt G die genannten Gruppen durch andere, wohl um konkrete, vor Augen stehende Gruppierungen zu nennen. Zu Beginn der Gegenüberstellung der Berufe der Handwerker und des Weisen in 38,24 ersetzt G den hebräischen Ausdruck ‫ חסר עסק‬durch das präzisere σχολή; G führt damit zugleich einen philosophischen Fachterminus ein (vgl. Arist.e.N. X 7,1177b), der dem Hebräischen und dem weisheitlichen Denken so nicht zur Verfügung stand. Ein stärkerer Eingriff findet sich in 39,18, wo G zwar aus H die Rede vom »Wohlgefallen« übernimmt, dann aber Worte und Syntax so ändert, dass aus der Aussage von H, dass das Wohlgefallen Gottes Gelingen bringe, in G wird, dass aus dem Befehl Gottes das Wohlgefallen resultiere. G scheint dabei aus dem Kontext heraus aus V. 17 den Gedanken von der Kraft des göttlichen Wortes aufzunehmen und sieht in V. 18 nun einen Befehl Gottes, wogegen H in V. 18 noch der Frage nach der Beurteilung der göttlichen Werke nachgeht und hier bei aller Gleichwertigkeit (V. 16 f.) doch ein besonderes Gelingen erkennen kann. In 30[33],29 [21] scheint die Wendung »Lass niemanden über dich herrschen« im Kontext von Erbschaftsregelungen unklar gewesen zu sein, sodass G (ebenfalls schwierig) übersetzt: »Ersetze dich durch niemanden«. Hypothetisch erschlossen, weil H fehlt, aber durchaus plausibel, ist die Erklärung des aus dem Kontext heraus ungewöhnlichen ὡς φῶς in 24,27 mit einer als ‫ כאור‬gelesenen Schreibweise von ‫כיאור‬. Beispiele von Präzisierungen, bei denen Dinge enger gefasst werden als in H: Hat H in 7,15 allgemein Arbeit vor Augen, konkretisiert G sie in eine mühevolle Tätigkeit und Ackerbau. In 25,18 werden aus den in H allgemein genannten Freunden des Mannes (‫ )רעי‬in G durch die Ergänzung des Personalsuffixes seine konkreten Nachbarn (τῶν πλησίον αὐτοῦ). In 43,5 wird die Wendung ‫ודבריו ינצח אביריו‬, bei der im Kontext mit ‫ אביריו‬die Sonne und mindestens auch der Mond gemeint sind, in G zurückgenommen auf eine allgemeine Formulierung, bei der der Lauf der Gestirne im Zentrum steht; so macht G den Text von H eindeutiger und passt ihn theologischen Normen an. In 47,1 charakterisiert H Nathan als Diener Davids, G dagegen betont seine Funktion als Prophet; so wird die Tätigkeit Nathans präzisiert, wenn auch um den Preis der Reduktion seiner Rolle in den Davidserzählungen. In 34[31],8.11 wird die allgemeine Nennung eines jeden Mannes, der glücklich zu preisen ist, in G auf einen Reichen hin enger gefasst, der seinen Reichtum wohltätig einsetzt und deshalb geehrt wird. Beispiele, in denen durch die Übersetzung ein weiterer Sinnhorizont eröffnet wird: In 26,15 wird bei der Charakterisierung der Frau aus dem präzisen ‫( לצרורת פה‬für einen verschlossenen Mund) ein allgemeineres ἐγκρατοῦς ψυχῆς (für eine [Frau], die ihre Seele im Griff hat); so wird die Frau durch die Übersetzung nicht nur in ihrem Wesen neu bestimmt, sondern erhält auch ein noch engeres Korsett, was ihren gesellschaftlichen Spielraum angeht. Eine beinahe heilszeitliche Aufwertung erfährt der Beruf des Apothekers, wenn in 38,8c vom Frieden (allgemein ohne Artikel) und der ganzen Erde die Rede ist, während H bodenständiger vom Gelingen von Menschenseite her spricht. Weitere Beispiele für Sinnveränderungen: Während in 25,17 H die Folgen der Schlechtigkeit einer Frau für den Mann bedenkt, tut dies G im Blick auf die Frau selbst: lässt in H die Schlechtigkeit der Frau die Erscheinung des Mannes sich verfinstern, verändert sich in G die Erscheinung der Frau. Die Bezugsgröße ändert die Über448

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setzung auch in 30[33],34[26]: steht in H der Sklave im Mittelpunkt (»damit er nicht Ruhe sucht«), ist dies in G mehrheitlich (Ausnahme: der Antiochenische Text, der hier H folgt) der Sklavenbesitzer (»und du wirst Ruhe haben«). In 46,1 wird aus Josua, dem Diener des Mose in seinem Prophetenamt, der Nachfolger des Mose in den Prophezeiungen; richtet sich H also ganz an den Mose und Josua miteinander verbindenden biblischen Erzähltraditionen aus, hebt G den Gedanken der Abfolge in den Vordergrund, was möglicherweise dem ganzen Duktus des Väterlobs als Geschichtsabfolge geschuldet ist, sodass G hier aus dem eigenen gedanklichen Kontext heraus übersetzen würde, aber auch Dtn 18,15 im Blick haben könnte. In 34[31],8.11 wird aus der Nennung eines glücklich zu preisenden Mannes in G ein Loblied auf einen wohltätigen Reichen, sodass daraus gewissermaßen ein Verhaltenskodex für Vermögende wird (s. o.). Eine Verheißung führt G in 36[33],4 ein, wenn es καὶ οὕτως ἀκουσθῆσῃ statt ‫ואחר תעשה‬ heißt; während in H »profan« der Mensch im Blick ist und sein Handeln, zu dem er aufgefordert wird und für das er selbst Verantwortung trägt, führt G ein Erhört-Werden ein, bei dem durch das Passiv schillernd bleibt, ob es sich dabei um ein ErhörtWerden durch Gott oder Menschen, beispielsweise in der Volksversammlung, handelt. In 38,16 spricht G im letzten Stichos des Verses nicht mehr davon, dass man sich um eine Beerdigung kümmern möge, sondern davon, dass man einen Verstorbenen an dessen Grab ehren solle; so wird der Fokus weg vom Akt der Beerdigung hin auf das Totengedenken gerichtet. Beispiele für Interpretationen aus dem Kontext der biblischen Tradition: In 36,29 [26] spielt G deutlich auf Gen 2,18 an (wörtliche Entsprechung beider griechischer Texte), was in H nicht der Fall ist. In 11,28 und 16,3 folgt die Übersetzung parallelen Stellen in Ps 108[109],13 und Jer 38[31],17, in denen ‫ אחריתו‬nicht mit »Ende«, sondern mit »Kinder« übersetzt wird, sodass Kinder als der unmittelbare Ausdruck des Lebens eines Verstorbenen verstanden werden, hier in Sir durchaus im Sinne eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Beispiele für Interpretationen aus dem Kontext des Buches heraus: Im Abschnitt 4,15-19 wird aus der Rede der Weisheit in H eine Fortsetzung der Werberede des Weisheitslehrers selber (4,11-14); G schafft damit einen einheitlichen Duktus des Abschnitts 4,11-19, lässt aber die Weisheit als Person nicht zu Wort kommen. In 37,24 geht es um den Vorteil, den der Weise genießt: G spricht dabei ganz im Sinne des weiteren Duktus des Buches vom guten Ruf, den ein Weiser genießt, H jedoch allgemeiner vom Wohlleben (‫ ;)תענוג‬schaut G mithin auf die Außenwirkung, richtet sich H auf das Leben des Weisen selber. G interpretiert also im Kontext weiterer Aussagen des Buches (vgl. 44,12 f., auch 30,2 f.) und übersetzt von dort her. Beispiele weiterer theologischer Veränderungen: In 7,17 spricht H von der Sterblichkeit als einer Grundkonstitution des Menschen, G jedoch vom Tod als einer Strafe für die Gottlosen, sodass G einen Gerichtsgedanken in den Vers einträgt. G übersetzt in 10,14 ‫ עניים‬mit πραεῖς und führt damit nicht nur eine ethische Kategorie ein, sondern spiritualisiert und theologisiert die realgeschichtliche Rede von Armen. In 26,16 wird aus dem Ausdruck »in den Höhen oben« (‫ )במרומי מעל‬in der Übersetzung »in den Höhen des Herrn« (ἐν ὑψίστοις κυρίου), obwohl dies keineswegs durch den Kontext nahe gelegt wird; so wird der Himmel klar als Gottes Bereich apostrophiert. Während G in 35[32],14 vom Gottesfürchtigen (φοβοῦμενος κύριον) spricht, redet H allgemeiner (und gegenüber G in weiteren Stichoi) von einem, der Gott sucht, wenn 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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auch in dem genannten Stichos etwas konkreter von einem, der Gottes Wohlgefallen sucht (‫ ;)דורש חפצי אל‬G führt damit aus dem Gesamtduktus des Buches gleich zu Beginn des Abschnitts in VV 14-24 mit dem Begriff der Gottesfurcht ein zentrales Theologumenon Ben Siras ein. Ähnliches geschieht in 35[32],24 mit einem weiteren zentralen theologischen Topos Ben Siras, wenn in G die Wendung ‫ שומר נפשו‬mit προσέχει ἐντολαῖς übersetzt und damit die Achtung der Gebote eingeführt wird. In 32 [35],23 wird durch die Zufügung eines Stichos und damit durch die Eintragung des Begriffs der Frevler theologisiert. Im Abschnitt über das Wohl-Geordnet-Sein der Welt geht H in 39,25 davon aus, dass Gott für die Guten Gutes und für die Bösen Gutes und Böses geschaffen hat; G spricht demgegenüber nur von dem Guten, das Gott geschaffen hat, das sich dann aber von der Wirkung her den Bösen als böse zeigt; G geht also von einem Schöpfungsgut aus, das sich unterschiedlich auswirkt, H dagegen von unterschiedlichen Schöpfungsgütern. In 40,20 theologisiert G die ganz konkrete und lebenspraktische Freundesliebe in H auf die Weisheit hin und spricht von der Weisheitsliebe. Eine theologische Glättung liegt in 41,4 vor, wenn G die theologische Aussage aus H, der Todeszeitpunkt sei eine ‫תורת עליון‬, nicht aufnimmt, sondern stattdessen vom Wohlgefallen (εὐδοκία) und damit vom Willen Gottes spricht. Möglicherweise nimmt G in 43,27 einen neuen theologischen Gedanken auf, wenn ‫ הוא הכל‬mit τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός übersetzt wird; ein pantheistisches Verständnis bliebe im Buch angesichts insbesondere des nachfolgenden V. 28 allerdings ein Fremdkörper. In 45,5 reduziert G die Aussage, Gott habe Mose die Gebote unmittelbar in die Hand gegeben, auf die weniger konkret vorstellbare Aussage, er habe sie ihm vor seinem Angesicht gegeben. Eine Ausweitung erfährt die Gestalt des Aaron, wenn G in 45,7 schon in den Eingangssätzen des Abschnitts über Aaron für diesen das Priestertum reklamiert, obwohl es dem Duktus nach sowohl in G als auch in H um seine Erscheinung und Pracht (so H an dieser Stelle) geht. Das gleiche geschieht in 45,17, wenn G Aaron die Macht zuspricht, das Volk Israel durch seine Lehre zu erleuchten (φωτίσαι Ισραηλ), wogegen H bei der Lehre bleibt und für diese Überhöhung an der Stelle keinen Anlass gibt. Bemerkenswert ist, dass der Bereich des Kultes, der für Ben Sira noch vor Augen stand, von G stellenweise gelöscht wird, wohl um auf die neue Situation fern des Tempels zu reagieren (vgl. 3,14; 4,14; 30,18 f.; 50,24). An manchen Stellen zeigen sich kulturelle Unterschiede zwischen der Welt des Autors und der des Übersetzers. So ist das griechische Buch Ben Sira auch ein Zeugnis einer kulturellen Übersetzung. Ein bekanntes Beispiel ist 3,9 (ähnlich auch 10,16), in dem G die agrarische Welt des Hebräischen in städtisch-bauliche Metaphern übersetzt: so wird aus der »Wurzel« in der Übersetzung das »Haus« und aus dem »Ausreißen der Pflanze« das »Entwurzeln« (ἐκριζοῖ; beim Verb erhält G das Bild aus H) der Fundamente (vgl. Sauer, 33). Ebenfalls in der ländlichen Welt, diesmal im Kontext der Jagd, befindet sich H in 6,29, wogegen G Begriffe aus dem Rechtsleben verwendet. In 7,19 ersetzt G den Begriff ‫פנינים‬ (Perlen, Korallen) durch Gold; möglicherweise war dies geläufiger für die Zielgruppe der Übersetzung (ähnlich auch 30,15). In 10,5 spricht H vom Gesetzgeber (‫)מחוקק‬, G dagegen vom Schriftgelehrten (γραμματεύς); möglicherweise steht G der religiöse Lehrer näher als ein staatlicher Gesetzgeber. In 11,5 geht es zwar beiden Texttraditionen um eine Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, doch H drückt dies anhand eines »Kopfbundes« (‫ )צניף‬aus und G mit »Diadem« (διάδημα), sodass beide 450

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zwar dieselbe Metapher nutzen, sie aber doch anhand der Insignien ausdrücken, die ihnen jeweils vor Augen standen. In 34[31],24 scheint G die gesellschaftliche Funktion des Stadttores nicht mehr verstanden zu haben oder meinte, dass die Zielgruppe sie nicht mehr verstehen würde: aus dem Stadttor, in dem der Böse zu zittern hat, wird in der Übersetzung die Stadt(-bevölkerung), die sich über den Bösen ereifert. In 33[36],12 sind aus dem konkreten Feindbild Moab, das in Ben Siras Zeit ein Synonym für die Seleukiden gewesen sein kann (Sauer, ATD, 250), in G allgemein die Feinde geworden (eine Tendenz, die allerdings auch der Korrektor von Ms B hat, der ‫ מואב‬zu ‫ אויב‬korrigiert). Ein weiteres Beispiel für kulturelle Differenzen, die sich in der Übersetzung niederschlagen, ist der oben besprochene Vers 38,24, wo G den hebräischen Ausdruck ‫ חסר עסק‬durch σχολή ersetzt und damit zugleich einen philosophischen Fachterminus der griechischen Tradition einführt (s. o.). In 45,10 versucht G, der Aufzählung der anscheinend unbekannten Kleidungsstücke des Hohenpriesters (Brusttasche, Ephod, Gürtel: ‫אפוד ואזור‬, ‫משפט‬, ‫ )חשן‬einen Sinn abzugewinnen und überträgt ziemlich frei etwas im weitesten Sinn Passendes: λογείῳ / λογίῳ κρίσεως δήλοις ἀληθείας (Brustschild / Orakel des Urteils, Lose der Wahrheit). In 47,11 übersetzt G ‫ וכסאו הכין על ירושלם‬mit θρόνον δόξης ἐν τῷ Ισραηλ und nimmt damit zum einen eine Entlokalisierung des Königtums in Jerusalem vor und zum anderen eine Überhöhung, durch die sowohl der Thron und damit evtl. auch Israel spiritualisiert werden, sodass der Begriff auch in der Diaspora passt und das Königtum Davids seine Bedeutung behält. In 50,1 f. kann ein Einfluss des Enkomions als Literaturgattung gesehen werden, denn G fokussiert viel stärker auf die individuelle Leistung Simons II. als H. Bei all den Verschiebungen des Sinns, die sich durch die Übersetzung ergeben, gibt es auch Stellen, in denen zwar ein anderer Ausdruck verwendet wird, aber doch dasselbe ausgesagt werden soll. Ein klassisches Beispiel ist 3,9 (s. o.), dessen Metapher auch (oder gerade) funktioniert, obwohl (oder weil) die Begriffe ausgetauscht wurden. In 8,16 rät G davon ab, mit einem Jähzornigen die Wüste zu durchwandern, wogegen H nur davon spricht, mit ihm nicht (gedacht ist wohl: gemeinsam) auf demselben Weg zu gehen; damit steigert G das Bild zwar, sagt aber letztlich dasselbe aus. In 10,28 wird aus der Demut in H (‫ )ענוה‬die Sanftmut in G (ἐν πραΰτητι), doch soll wohl auch hier trotz der inhaltlichen Verschiebung dasselbe ausgesagt werden. In 30,12 (gehört zur längeren Textfassung II) spricht G vom Nacken, H dagegen vom Haupt; es geht aber in beiden Fällen darum, den Nacken / das Haupt zu beugen. Ähnlich werden im selben Vers aus den Lenden in H nun Rippen in G. In 36,22 verändert G »alle Enden der Erde« in H zu »alle, die auf Erden sind«, nimmt also konkret Menschen in den Blick, bewahrt aber die Universalität der Aussage. In 36,30 nimmt G zwar die wörtliche Bedeutung der Ausdrücke ‫ … נע ונד‬auf, übernimmt aber nicht die Anspielung an Gen 4. In 38,1 wird aus der Aufforderung »Sei befreundet mit dem Arzt« (H) die distanziertere, aber in die gleiche Richtung gehende Aufforderung »Ehre den Arzt« (G). In 43,19 gehen die Textzeugen auseinander (Ms B: er lässt Eisblumen wie Saphir blühen; Ms M: er lässt Eisblumen wie Dornen wachsen; G: er lässt den Frost wie spitze Dornen sein), doch bewahren alle das Bild der reflektierenden spitzen Eisblumen. In 46,10 spricht G von den »Söhnen Israels«, während H »Nachkommen Jakobs« bezeugt. In 50,4 übersetzt G »Feind« aus H mit »Belagerung«. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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Eine der grundlegenden Schwierigkeiten der textkritischen Arbeit an Sir ist die Divergenz auch der hebräischen Handschriften untereinander. So gibt es zahlreiche Fälle, in denen G mit einem der Textzeugen von H zusammen geht. So scheint G in 3,16 Ms C und nicht Ms A zu folgen. In 4,30 ist dies eindeutig der Fall. In 37,7 entspricht G eher Ms D als Ms B. In 40,13.15 ist Ms M zwar nur fragmentarisch erhalten, scheint aber G näher zu stehen als B; eindeutig ist dies der Fall in 40,30; 41,5.6.17; 42,16; 43,2.12.25; 44,13 (Ms B entspricht hier der syr. Texttradition) und auch in 43,19. Häufig entsprechen G auch die Korrekturen in H, so in 34[31],1 (Ms B), ebenso in 41,4 (Ms B); 44,3 (Ms B); 47,10 (Ms B). In 35[32],17 stimmt G neben Ms Bmarg auch mit Ms F überein, nicht jedoch mit Ms B*, und in 42,15 mit Ms M und Ms Bmarg und wiederum nicht mit Ms B*. Neben den inhaltlichen Veränderungen bei der Übersetzung, die sich auf unterschiedliche Faktoren zurückführen lassen, stehen zahlreiche ganz klassische Verlesungen durch G. In 7,33 hat G ‫ חן מתן‬statt ‫ תן מתן‬gelesen. In 36[33],7 kann die Zufügung des πᾶν in G darauf zurückgeführt werden, dass ‫ כלו‬als ‫ כל‬verlesen und auf den nachfolgenden Stichos bezogen wurde. In 36[33],12 hat G wahrscheinlich ‫ ממעמד]יה[ם‬statt [‫ממעבד]יה‬ ‫ ם‬gelesen und mit ἀπὸ στάσεως αὐτῶν übersetzt. In 33[36],6 hat G im unpunktierten Text ‫ שנה‬von ‫ שנה‬I (verändern) statt von ‫ שנה‬II (wiederholen) abgeleitet und ἀλλοίωσον übersetzt. Im nachfolgenden V 7 hat G das »und« in H übersehen und statt »Arm und [die] Rechte« »rechter Arm« gelesen. In 37,8 hat G bei ‫ נפל‬wahrscheinlich Hifil statt Qal gelesen. In 38,2 scheint ebenfalls eine falsche Lesung vorzuliegen, deren Grundlage eine Verwechslung von ‫( רופה‬Arzt) und ‫( רפואה‬Heilung) ist. In 38,17 hat G wahrscheinlich ‫( ִדָּבּה‬Gerede, Nachrede) statt ‫( דמעה‬Tränen) gelesen und so einen nur schwer verständlichen Text entstehen lassen. In 38,22 hat G ‫ לי‬statt ‫ לו‬gelesen und in 39,23 bei ‫ ירש‬Qal statt Hifil. In 45,18 hat G ‫ יחד‬statt ‫ יחר‬gesehen, in 47,7 ‫ צרים‬statt ‫ערים‬. In 47,13 liest G ‫ שלום‬statt ‫ שלוה‬und in 47,17 ‫ ערים‬statt ‫עמים‬. In 49,13 kann G ‫יארך‬ statt ‫ יאדר‬gelesen haben. In 50,3 hat G ‫ כים‬statt ‫ בם‬und damit ‫ כ‬und ‫ ב‬verlesen und möglicherweise zur Harmonisierung ein ‫ י‬eingefügt. In 51,7 hat G ‫ ואפנה‬zu ‫ אפפוני‬geändert. Neben diesen exemplarisch besprochenen Abweichungen zwischen G und H gibt es noch einige wenige, deren Gründe unklar sind, weil G und H so stark differieren, dass eine Herleitung kaum möglich ist (so z. B. 14,11; 34[31],6.12; 38,15; 41,1; 45,24 und der Schlussvers des Buches 51,30). Hinzu kommt das Problem von Texten, die zwar in H, nicht aber in G enthalten sind (z. B. 51,12a-o, aber auch Einzelstichoi wie in 34 [31],22), und Abschreibefehler in der hebräischen Texttradition (z. B. 38,10). Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass nicht alle Abweichungen besprochen wurden, so liegt der Anteil dieser 107 Stellen von insgesamt 921 erhaltenen hebräischen Versen bei 11,6 %. Damit kann die Übersetzung trotz der Vielzahl der oben besprochenen Abweichungen doch als eine ziemlich gute und am Text orientierte Übersetzung gelten. In dieser Texttreue und gerade vor dem Hintergrund des Eingeständnisses des Enkels in Prol. 23-26 sticht die Tendenz heraus, unklare Stellen zu deuten und zu präzisieren. So treten an manchen Stellen neue Bedeutungen hervor, doch gerade die in der Übersetzung zu Tage tretenden kulturellen Unterschiede zwischen H und G sowie die unterschiedlichen Ausdrucksweisen bei gleichem Inhalt zeigen deutlich, dass hier ein überlegter Übersetzer am Werk ist, der die Botschaft des Buches in eine neue Spra452

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che und einen neuen Kulturkreis übersetzen möchte. So stehen Texttreue im Sinne einer sprachlichen und im Sinne einer inhaltlichen Treue nebeneinander.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Im Prolog, dem von ihm selbst verfassten Text, zeigt der Enkel Ben Siras, dass er die griechische Sprache beherrscht – und seine langen und verschachtelten Sätze geben zu verstehen, dass er dies auch bewusst zeigen möchte. Für die Übersetzung selber ist eine Beurteilung insofern schwierig, als das Buch in Stichoi geschrieben ist, die kaum Möglichkeiten zu eigener sprachlicher Gestaltung geben. Wie der Enkel im Prolog selber schreibt, ist ihm jedoch bewusst, dass es sich bei seinem Werk um einen Akt der Über-Setzung handelt, der das Original verändert (Prol 23-26). So ist bei den oben genannten Differenzen zwischen hebräischer und griechischer Texttradition damit zu rechnen, dass zumindest ein Teil auch bewusst gestaltet worden ist. Insbesondere gilt dies wahrscheinlich für Abweichungen, bei denen in unterschiedlicher Formulierung der Sinngehalt der Aussage bewahrt wird, aber auch bei solchen, in denen die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe deutlich werden oder wo sich theologische Verschiebungen ergeben, auch wenn bei diesen letzten beiden Punkten nicht ausgeschlossen werden darf, dass diese erst durch spätere Abschreiber entstanden sein können. So gibt der Überblick über die Differenzen zwischen hebräischer und griechischer Texttradition mehrere Tendenzen für G zu erkennen: G 1) aktualisiert (z. B. 3,14; evtl. 25,18; 34[31],8.11; 38,16), 2) kontextualisiert kulturell (z. B. 3,9; 6,29; 10,16; 7,6.19; 11,5; 30,15; 34[31],24; 45,10; 47,11; evtl. auch 46,1 und 50,1 f. vor dem Hintergrund der gr. Literaturgattung des Enkomions), 3) führt neue Begrifflichkeiten ein sowie neue Konzepte und Verstehenshorizonte (z. B. 10,5; 38,24 und die thematisch verwandten Stellen 3,14; 4,14; 30,18 f.; 50,24), 4) präzisiert unklare oder als unklar empfundene Aussagen (z. B. 8,2; 11,30), 5) glättet aber auch Aussagen (z. B. 34[31],19b; 33[36],12), auch theologische (z. B. 41,4; 43,5; 45,5), 6) setzt jedoch auch theologisch eigene, neue Akzente (z. B. 7,17; 10,14; 26,16; 35[32],14; 36[33],4; 32[35],23; 38,8c; 39,25; 45,7.17 und evtl. 43,27) und 7) übersetzt aus seinem eigenen Verständnis des Buches heraus (z. B. 35[32],14.24). All das kann als ein Versuch einer wirklichen Über-Setzung des Buches in einen neuen Kulturraum verstanden werden. Meist geschehen diese Aktualisierungen und Kontextualisierungen nämlich erkennbar, um den Aussagegehalt zu wahren. Eigene theologische Akzente der Übersetzung betreffen verschiedene Themenkreise. Im Blick auf Gott gibt es die Tendenz, ihn weniger anthropomorph darzustellen (45,5; 39,25). Möglicherweise steht hier eine Auseinandersetzung mit der (ägyptisch-) hellenistischen Götterwelt und -vorstellung im Hintergrund. So wird auch in 43,5 eine Aussage verändert, die im griechischen Kontext als Anklang an Gestirngottheiten verstanden werden konnte. Evtl. steht auch die betonte Reklamierung des Himmels für Gott in 26,16 in diesem Zusammenhang. Ist in 43,27 τὸ πᾶν tatsächlich als

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

»das All« (so LXX.D) zu verstehen, dann wäre dies eine massive Ausweitung des Gottesbegriffs gegenüber H. Im Blick auf den Alltag werden Aussagen aus H spiritualisiert (10,14; 36[33],4) und z. T. in ganz konkrete Bahnen des religiösen Lebens gelenkt (35[32],14). Alltagsdinge können in einer Weise theologisch konnotiert werden, die ihnen H nicht zugesteht (38,8c). Wenn in 7,17 »Feuer und Gewürm« als Strafe für die Gottlosen bezeichnet werden, dann steht in G zumindest ein Gerichtsgedanke implizit im Raum. Schließlich weist G eine noch stärkere Betonung des Priestertums auf als Ben Sira selber (vgl. 45,7.17).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Obwohl Sir nicht in den jüdischen Kanon gelangt ist, ist seine hebräische Textfassung, wie die Funde in der Kairoer Geniza zeigen, zumindest bis ins Mittelalter hinein in Gebrauch gewesen. Danach verliert sich innerhalb des Judentums ihre Spur. Das Christentum hat sich von Anfang an auf die griechische und nicht auf die hebräische Textversion gestützt. Für das frühe Christentum kann einerseits gesagt werden, dass es zahlreiche Sir-Anspielungen im NT gibt (vgl. Novum Testamentum Graece27, 504 f.), andererseits gibt es keine echten Zitate. In jedem Fall hat die griechische Textversion durch die Aufnahme in die LXX und deren Verwendung innerhalb der Kirche eine weite Verbreitung gefunden. Zwar haben Athanasius und Cyrill von Jerusalem Sir nicht anerkannt, aber Johannes Chrysostomos und Augustin sehr wohl; Hieronymus hat in diesem Punkt eine Wandlung von Ablehnung zu Anerkennung vollzogen. So bescheinigt Martin Luther dem Buch für das ausgehende Mittelalter in der Vorrede seiner Übersetzung Ben Siras, dass es »fast wol getrieben und gebraucht [ist] inn den Kirchen, mit lesen, singen und predigen«, und beklagt einzig das priesterliche Monopol bei der Predigt des Buches. Dem Buch selber bescheinigt er: »Es ist ein nützlich Buch, fur den gemeinen man«, in dem dieser Unterweisung für alle Lebensbereiche finde (WADB 12, 146 [Ausg. Von 1533]. 147 [Ausg. Von 1545]). Die große Beliebtheit des Buches in der lutherischen Tradition zeigt auch, dass Luther es noch vor seiner Bibel mit Apokryphen von 1534 im Zeitraum 1532/33 zusätzlich als selbstständigen Druck herausgegeben hat (WADB 12, XXX-XXXIV), der bis 1545 zwölfmal aufgelegt wurde (Becker, Luthertum, 352; die Übersetzungen von 1533 und 1545 sind dokumentiert in WADB 12, 144-289). Auch in der reformierten Tradition erfreute sich Sir der Beliebtheit: zwar verwendet Calvin Sir in der Institutio nur wenig, Bullinger in seinen Werken dafür aber umso ausführlicher. Auch im reformatorischen Liedgut hat Sir seinen Niederschlag gefunden (vgl. »Nun danket alle Gott« von M. Rinckart [siehe dazu Sauer, Lobpreis] und »Nun danket all und bringet Ehr« von P. Gerhardt). Die römisch-katholische Kirche hat Sir im Konzil von Trient 1546 als kanonisch bezeichnet.

454

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

5.6 Sophia Sirach / Ben Sira / Das Buch Jesus Sirach

6. Perspektiven der Forschung Sir hat in der Forschung lange ein Schattendasein gefristet. Um 1900 und nach 1948 ging es in zeitlicher Nähe zu den Textfunden in Kairo und der judäischen Wüste meist um die Texte und die Textgestalten der neu gefundenen hebräischen Texte. Seit dem Ende der 1960er Jahre erfreut sich Sir aber einer immer größeren Beliebtheit, insbesondere seit den 1990er Jahren, und nach und nach werden theologische Aspekte des Buches bearbeitet. Dabei steht oftmals der griechische Text im Vordergrund (so auch bei neueren Bibelübersetzungen wie »Bibel in gerechter Sprache«, bei der entstehenden überarbeiteten Einheitsübersetzung und der ebenfalls entstehenden Neuübersetzung der Apokryphen für die Zürcher Bibel). Nur wenige Arbeiten stellen sich der schwierigen textlichen Situation des Buches; an dieser Stelle ist bei der Beschäftigung mit Sir weitere Forschung wünschenswert und notwendig, nicht nur im Rahmen von thematisch bezogenen Einzelstudien, sondern insbesondere speziell zur Textgeschichte und der Entwicklung des Verhältnisses der Texttraditionen zueinander.

6. Perspektiven der Forschung

455

6. Prophetische Bücher

6.1 Dodekapropheton/ Das Zwölfprophetenbuch

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick Cécile Dogniez

1. Literatur Detailangaben siehe jeweils bei den einzelnen Büchern.

1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte Tov, E. / Kraft, R. A. / Parsons, P. J., The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr). The Seiyâl Collection I. DJD VIII, Oxford 1990, reprint with corrections Oxford 1995 — Ego, B. / Lange, A. / Lichtenberger, H. / De Troyer, K. (Hg.), Minor Prophets. Biblia Qumranica, no. 3B, Leiden 2005. BQS 590-626 — HTTM 335-369. — Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS (Elliger, K., Liber XII Prophetarum, Biblia Hebraica Stuttgartenesia 10, 1970) und in BHQ (de Waard, J. u. a., Biblia Hebraica Quinta 13, Stuttgart 2010) vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare BdA — NETS — LXX.D — LXX.E (Detailangaben siehe bei den einzelnen Büchern).

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Bibliographien Brock, S. P. / Fritsch, C. T. / Jellicoe, S., A Classified Bibliography of the Septuagint, ALGHJ 6, Leiden 1973, 134-136 — Dogniez, C., Bibliography of the Septuagint — Bibliographie de la Septante (1970-1993), VT.S 60, Leiden 1995, 243-251 — Weitere Bibliographien in den einzelnen Bänden von BdA sowie jeweils in LXX.E.

1.4.2 Übrige Literatur Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélemy, D., Critique textuelle de l’Ancien Testament. 3. Ezéchiel, Daniel et les Douze Prophètes, OBO 50/3, Fribourg / Göttingen 1992 — Brottier, L., L’obscurcissement du soleil en plein jour. Quelques réflexions des pères commentateurs de la Septante des prophètes, VC 51 (1997), 339-358 — Dogniez, C., Le Dieu des Armées dans le Dodekapropheton: quelques remarques sur une initiative de traduction, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the IOSCS, Cambridge 1995, SCS 45, Atlanta/GA 1997, 19-36 — Dogniez, C., Fautes de traduction ou bonnes traductions? Quelques exem1. Literatur

461

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

ples pris dans la LXX des Douze Petits Prophètes, in: B. A. Taylor (Hg.), X Congress of the IOSCS, Oslo 1998, SCS 51, Atlanta/GA 2001, 241-261 — Dogniez, C., Le traducteur d’Isaïe connaissait-il le texte grec du Dodekapropheton?, Adamantius 13 (2007), 29-37 — Duval, Y.-M., Jérôme et les prophètes. Histoire, prophétie, actualité et actualisation dans les commentaires de Nahum, Michée, Abdias et Joël, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Salamanca 1983, XI Congress IOSOT, VT.S 36, Leiden 1985, 108-131 — Guinot, J. N., Théodoret de Cyr. Une lecture critique de la Septante, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Selon les Septante. Hommage à Marguerite Harl, Paris 1995, 393-405 — Harrison, C. R. Jr., The Unity of the Minor Prophets in the LXX: a Reexamination of the Question, BIOSCS 21 (1988), 55-72 — Herrmann, J. / Baumgärtel, F., Beiträge zur Entstehungsgeschichte der Septuaginta. Berlin / Stuttgart / Leipzig 1923 — Howard, G., Lucianic readings in a Greek Twelve Prophets scroll from the Judaean Desert, JQR 62 (1971-1972), 51-60 — Howard, G., The Quinta of the Minor Prophets: a first century Septuagint, Bib 55 (1974), 15-22 — Joosten, J., A Septuagintal Translation Technique in the Minor Prophets: The Elimination of Verbal Repetitions, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 217-223 — Kaminka, A., Studien zur Septuaginta an der Hand der zwölf kleinen Prophetenbücher, MGWJ 72 (1928), 49-60; 242-273 — Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht an Hand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: J. deVries / J. Elschenbroich (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung (FS M. Karrer), ABG 47, Leipzig 2014, 17-56 — Muraoka, T., In Defense of the Unity of The Septuagint Minor Prophets, Annual of the Japanese Biblical Institute 15 (1989), 25-36 — Muraoka, T., Hebrew Hapax Legomena and Septuagint Lexicography, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the IOSCS, Leuven 1989, Atlanta/GA, 1991, 205-222 — Muraoka, T., Introduction aux Douze Petits Prophètes, in: E. Bons / J. Joosten / S. Kessler (Hg.), Les Douze Prophètes, Osée, BdA 23,1, Paris 2002, i-xxiii — Polak, F. H., The Interpretation of kulloh / kalah in the LXX: Ambiguity and Intuitive Comprehension, Textus 17 (1994), 57-76 — Puech, E., Les fragments non identifiés de 8KhXIIgr et le manuscrit des Douze Petits Prophètes, RB 98 (1991), 161-169 — Puech, E., Notes en marge de 8KhXIIgr, RQ 15 (1992), 583-593 — Schaart, A., Die Septuagintafassung des Zwölfprophetenbuches, LXX.E II, Stuttgart 2011, 2275-2286 — Simoneti, M., Note sull’esegesi veterotestamentaria di Teodoro di Mopsuestia, Vetera Christianorum 14 (1977), 69-102 — Simoneti, M., Note sul commento di Cirillo d’Alessandria ai Profeti Minori, Vetera Christianorum 14 (1997), 301-330 — Straub, A., Die exegetische Methode des Hieronymus im Kommentar zum Zwölf-Prophetenbuch, Uznach, 1978 — Thackeray, H. St. J., The Greek Translators of the Prophetical Books, JTS 4 (1902-1903), 578585 — Tov, E., The Septuagint Translation of Jeremiah and Baruch. A Discussion of an Early Revision of Jeremiah 29-52 and Baruch 1:1-3:8, HSM 8, Missoula/MT, 1976 — Tov, E. / Wright, B. G., Computer-Assisted Study of the Criteria for Assessing the Literalness of Translation Units in the LXX, Textus 12 (1985), 149-187 — Utzschneider, H., Flourishing Bones. The Minor Prophets in the New Testament, in: W. Kraus / G. Wooden (Hg.), Contemporary Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL.SCS 53, Atlanta / Leiden 2006, 273-292 — Ziegler, J., Die Einheit der Septuaginta zum Zwölfprophetenbuch, Braunsberg, 1934, repr. in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU X, Göttingen 1971, 29-42 — Ziegler, J., Beiträge zum griechischen Dodekapropheton, NAW, Göttingen, 1943 — Ziegler, J., Studien zur Verwertung der Septuaginta im Zwölfprophetenbuch, ZAW 60 (1944), 107-131, = in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU X, Göttingen 1971, 243-267 — Ziegler, J., Zur Dodekapropheton-LXX, EThL 38 (1962), 904-906 = in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU X, Göttingen 1971, 587-589.

462

1. Literatur

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

2. Textüberlieferung und Editionen Ein Ereignis von außerordentlicher Bedeutung, und zwar nicht nur für das Dodekapropheton an sich, sondern darüber hinaus für die Textkritik der Bibel insgesamt, stellt das Schicksal des Textes des Zwölfprophetenbuches dar: Es geht um die Entdeckung eines griechischen Manuskripts, das man in das 1. Jh. n. Chr. datierte. 1 Es wurde in einer Höhle bei Naḥal Ḥever, südlich von Qumrân gefunden und im Jahr 1952 von Beduinen nach Jerusalem verkauft. Unter der Bezeichnung 8ḤevXIIgr (= Rahlfs 943) enthält diese Schriftrolle sehr lange Textabschnitte einer griechischen Version der Kleinen Propheten; und zwar aus den Büchern Jona, Nahum, Habakuk, Zefanja und Sacharja. Die Reihenfolge der Bücher entspricht der Anordnung des masoretischen Textes und nicht der Septuaginta. Diese Entdeckung ist in mehrfacher Hinsicht revolutionär. Diese 25 fragmentarischen Textspalten, die sich in der Höhle zusammen mit den Briefen Simon Bar Kochbas, des Anführers des zweiten jüdischen Aufstandes gegen die Römer in den Jahren 132–135, erhalten haben, wurden von zwei Schreibern angefertigt und umfassen für sich genommen wahrscheinlich insgesamt etwa zehn Meter – das ist mehr als alle Fragmente, die wir aus Qumran vom Pentateuch besitzen. Sie bezeugen vor allem, dass das Griechische neben dem Hebräischen und dem Aramäischen eine Sprache war, die zu Beginn unserer Zeitrechnung unter den Juden Judäas noch stark im Gebrauch war. D. Barthélemy, der im Jahr 1963 als Erster diese Fragmente des Zwölfprophetenbuches in seinem Werk Les Devanciers d’Aquila veröffentlichte, sah in diesem griechischen Pergament übrigens keine neue Übersetzung, sondern vielmehr eine alte Überarbeitung des Septuaginta-Textes, der da und dort korrigiert wurde, um ihn stärker an einen hebräischen vormasoretischen Text anzugleichen. Obwohl die hebräische Vorlage für die LXX dem masoretischen Text bereits sehr nahe kommt, arbeitete Barthélemy die besonderen Merkmale dieser hebraisierenden Überarbeitung heraus, zum Beispiel die Übersetzung des hebräischen ‫גם‬, »auch«, mit καί γε, des hebräischen ‫איש‬, auch wenn es in distributivem Sinn gebraucht wurde, durch ἀνήρ und nicht ἕκαστος, die Verwendung des ἐγώ εἰμι, »ich bin«, für das hebräische ‫אנכי‬, »ich«. Und er stellte fest, dass sich diese hebraisierenden Korrekturen auch in anderen Büchern der LXX finden und Teil eines umfassenderen Überarbeitungsprozess der LXX bildeten, der unter der Oberaufsicht des palästinischen Rabbinats stattfand und seinen Höhepunkt bei Aquila erreichte. Vor Aquila und Symmachus und in enger Verbindung mit Theodotion musste diese von der »Gruppe Kaigé«, wie sie Barthélemy nennt, herausgegebene jüdische Überarbeitung ein bekanntes und bedeutendes Unternehmen dargestellt haben, denn im Falle der Zwölf Kleinen Propheten benutzt Justin in seinem Dialog mit Tryphon eben diesen Text und nicht den der LXX. Origenes hat diese überarbeitete Textversion des Zwölfprophetenbuches in der Spalte der Hexapla, welche die Septuaginta aufführt, der Quinta, wiedergegeben. Diese jüdische Überarbeitung der alten griechischen Version des Dodekapropheton wurde im Jahr 1990 von E. Tov innerhalb der Sammlung DJD veröffentlicht. Sie stellt ein Zeugnis höchsten Ranges für die Geschichte des Textes der LXX dar. Abge1.

So die Datierung von Barthélemy, Devanciers. Aus paläographischen Gründen wird der Text jetzt in das 1. Jh. v. Chr. datiert; vgl. Tov / Kraft / Parsons, Greek Minor Prophets Scroll. 2. Textüberlieferung und Editionen

463

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

sehen von der Tatsache, dass sie die der LXX 2 eigentümlichen Lesarten bestätigt, bewahrt sie zuweilen alte Elemente der LXX 3, die uns in den späteren griechischen Textzeugen nicht mehr erhalten sind, weil der Text im Zuge seiner Übermittlung verdorben wurde. 4 Das Korpus der Zwölf Kleinen Propheten ist uns in den fünf späteren Unzialhandschriften, den Kodizes B, S, V, A, Q, bei denen es nicht immer leicht fällt, die Beziehungen zueinander zu bestimmen, und dem Papyrus W erhalten, der aus dem dritten Jahrhundert stammt und Spuren einer hebraisierenden Überarbeitung aufweist, die möglicherweise genau in Abhängigkeit zur jüdischen Überarbeitung 8ḤevXIIgr zu sehen sind, wie dies auch bei den koptischen Textversionen (der achmimischen, der sahidischen) der Fall ist. Der Codex Alexandrinus (A) aus dem 5. Jahrhundert und der Codex Q aus dem 6. Jahrhundert weisen eine deutlich alexandrinische Eigenart auf. Dieser alexandrinische Text ist in gleicher Weise in zahlreichen Minuskeln, im koptisch-bohaïrischen Text, bei Kyrill von Alexandrien und dem Sacharja-Kommentar von Didymus dem Blinden gegeben. Die Rezension des Origenes wird in den Randglossen und den Korrekturen der Syrohexapla von Q, in den Manuskripten und Minuskeln und in dem Text bezeugt, den Hieronymus in seinem Kommentar zu den Zwölf Kleinen Propheten zitiert. Die Anordnung kommt der Rezension der Hexapla nahe. Die lukianische Rezension, oder genauer: der antiochenische Text, findet sich in einer Reihe von Minuskeln und im Schrifttext, der von den antiochenischen Vätern, insbesondere von Johannes Chrysostomos, Theodoret von Mopsuestia und Theodoret von Kyros zitiert wird. 5 Die Entdeckung von 8ḤevXIIgr vertieft also unsere Kenntnis der Geschichte des Textes des Dodekapropheton, indem sie uns Zugang zu einem griechischen Text vor dessen Revision auf der Grundlage des Hebräischen gibt. Was das Lied im dritten Kapitel des Buches Habakuk betrifft, bieten einige Textzeugen, darunter eine Unzialhandschrift, der Venetus aus dem 8.–9. Jahrhundert, und 2.

3.

4.

5.

Zum Beispiel bestätigt in Nah 3,8, die Benutzung von ἰσχύς in 8ḤevXIIgr die vokalisierte Lesart der LXX, ‫חיל‬, »Kraft«, gedeutet im Sinne von bewaffneter Gewalt, des »Reiches«, ἀρχή. Siehe auch das gleiche Phänomen in Hab 2,3 mit der Lesart ἐνφανήσεται. Ebenso hat 8ḤevXIIgr in Nah 3,12 das Griechische nicht korrigiert, um zum hebräischen Text zurückzukehren, sondern das Wort σκὀπος in seinem landwirtschaftlichen Sinn von »(Feigenbäumen mit) frühen Früchten« gedeutet. Vgl. auch Hab 1,7 mit der Verwendung von λῆμμα, »Orakel«. So geben in Nah 2,7 nur 8ḤevXIIgr und die erste Fassung des Sinaiticus ποταμῶν wieder («die Flusstore» = MT) während die Mehrzahl der Manuskripte und die Kommentare der Kirchenväter die leichtere Lesart πολεων (»die Stadttore«) bieten. Zum gleichen Phänomen vgl. Hab 2,6, wo 8ḤevXIIgr ohne Zweifel die ursprüngliche Lesart λήψεται anstelle von λήμψονται bezeugt; Letzteres findet sich in der Mehrzahl der Textzeugen der LXX. Vgl. auch die sechs anderen Fälle, die von D. Barthélemy (OBO 50/3, cxli-cxliv) untersucht wurden, in denen es uns 8ḤevXIIgr ohne Zweifel ermöglicht, »zu einer früheren Etappe von G Zugang zu bekommen als die, welche Ziegler herausgegeben hat«. Nach D. Barthélemy (OBO 50/3, cxli) ist es tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass der griechische Text, den J. Ziegler herausgab, »im Laufe seiner Überlieferung an das Hebräische angeglichen wurde, möglicherweise mittels Ausgangsmaterial, das die Hexaplas boten«; d. h. dass der so edierte Text nicht den ältesten griechischen Text von Dodekapropheton darstellt. Für eine allgemeine Darstellung der Geschichte des Textes vgl. die Einleitung von J. Ziegler, Duodecim Prophetae, 7-145.

464

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

fünf Minuskeln, darunter der Barberini gr. 549 genannte aus dem 9.–10. Jahrhundert, einen besonderen Text. N. Fernández Marcos 6 zufolge ist diese versio Barberini von Hab 3 keine Überarbeitung, sondern eine eigenständige griechische Übersetzung, die möglicherweise von der Schule von Symmachus stammt und zweifelsfrei für liturgische Zwecke erstellt wurde. Die Anordnungen der Kleinen Propheten im masoretischen Text und in der LXX weichen voneinander ab. Die Septuaginta bietet vier Dreiergruppen: 1. Hosea, Amos und Micha, also die Propheten, die man historisch ins 8. Jahrhundert einordnen kann; 2. Joël, Obadja und Jona, die schwieriger zu datieren sind, aber zweifelsfrei der Perserzeit zuzuordnen sind (zumindest gilt dies für Joël und Jona); 3. Nahum, Habakuk und Zefanja, die sich im masoretischen Text und in der LXX an derselben Stelle finden; mehrere Fakten legen deren historische Einordnung ins 7. Jahrhundert nahe; 4. Haggai und Sacharja, zwei Propheten der Wiederherstellung, und Maleachi, den man gut in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts datieren kann; diese letzte Dreiergruppe findet sich in dieser Reihenfolge sowohl im masoretischen Text als auch in der LXX. 7 Die chronologische Homogenität der ersten Dreiergruppe der LXX bildet einen Gegensatz zu den Unsicherheiten der Datierung der zweiten Dreiergruppe, findet aber ihre Entsprechung in derselben Homogeneität der dritten und vierten Dreiergruppe. Dies lässt es als naheliegend erscheinen, dass die Anordnung der LXX älter als die des masoretischen Textes ist. 8

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Im Allgemeinen ordnet man die griechische Version des Dodekapropheton dem zu, was man »gemischte« Übersetzungen nennt. 9 Darunter versteht man Übersetzungen, die weder völlig wörtlich noch völlig frei sind. Tatsächlich vermittelt eine vergleichende Lektüre des masoretischen Textes und der griechischen Version des Zwölfprophetenbuches auf den ersten Blick den Eindruck, dass sich die beiden sehr wenig voneinander unterscheiden und dass die LXX eine treue Übersetzung des hebräischen Textes in dem Sinne darstellt, dass sie möglichst oft die Reihenfolge der hebräischen Worte exakt wiedergibt und dass die Zahl der Worte in beiden Texten nahezu gleich ist, weil einem hebräischen Wort in den allermeisten Fällen ein griechisches entspricht. Abgesehen von einigen »Mehr« [»Textplus«] oder »Weniger« [»Textminus«] in der LXX sind die quantitativen Abweichungen im Dodekapropheton im Vergleich zu anderen Büchern der LXX gewiss gering. Doch die griechische Version des Zwölf6.

7.

8. 9.

Fernández Marcos, N., El Texto Barberini de Habacuc III reconsiderato, Sefarad 36 (1976), 336; siehe auch Fabry, H.-J., »Der Herr macht meine Schritte sicher« (Hab 3,19 Barb.). Die Versio Barberini, eine liturgische Sondertradition von Hab 3?, in: W. Kraus / M. Karrer, Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 223-237. Die historische Reihenfolge der Entstehung wird für die anfängliche Sammlung von Einfluss gewesen sein, daneben wird natürlich – in unterschiedlichem Maß – auch die in der jeweiligen Schrift vorausgesetzte erzählte Zeit von Bedeutung gewesen sein. [SK] Für diese Frage zu beachten ist auch, das 4QXIIa noch eine weitere, möglicherweise ältere Anordnung bezeugt, Lange, HTTM, 336 f. 359-361. [SK] Tov / Wright, Computer-Assisted Study, 181. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

465

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

prophetenbuches ist nicht nur eine inhaltliche Reproduktion des hebräischen Textes. Ihr gelingt es, in einem durchaus beachtlichen Griechisch eine Reihe von den profetischen Texten eigentümlichen Merkmalen wiederzugeben: Der rätselhafte Charakter bestimmter Orakelsprüche, der zum Beispiel auf die Unbestimmtheit des Adressaten zurückzuführen ist, 10 der überwältigende Effekt der kosmischen Erschütterungen, welche mit den Theophanien einhergehen 11, der klagende Ton 12 oder der beißende Spott bestimmter Fragen, 13 die Klage- und Verzweiflungsschreie, 14 die lebhafte Schilderung der Schlachtszenen, 15 oder der Realismus in der Beschreibung der Tierwelt 16 werden in beiden Texten gleichermaßen kraftvoll zum Ausdruck gebracht. Der betont poetische Stil des Originals stellt sich im griechischen Text genauso spontan ein. So zum Beispiel findet sich in beiden Texten gleichermaßen eine Überfülle von literarischen Effekten, welche Lärm, 17 Hass, 18 Farben, 19 die Bewegung und Spannung bestimmter Textpassagen ebenso wie ein klangvolles Echo, 20 Alliterationen, 21 Wortspiele, 22 etymologische Figuren, 23 Wiederholungen, 24 Chiasmen, 25 Parallelismen und Bilder 26 zur sprachlichen Darstellung bringen. Als eine »Übersetzung formaler Äquivalenz« 27, weist der Septuaginta-Text des Zwölfprophetenbuches dennoch eine bedeutende Zahl von Abweichungen, nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht auf. Wenn der griechische Text des Zwölfprophetenbuches sich vom masoretischen Text entfernt, dann ist daraus nur äußerst selten der zwingende Schluss auf eine Textvariante zu ziehen. Die Geschichte des hebräischen Textes weist in der Tat eine hervorragende Qualität der Textüberlieferung bei einer großen Stabilität der Überlieferung der Konsonantenschrift auf. 28 Und der Septuaginta-Text des Zwölfprophetenbuches bestätigt diesen Tatbestand zusammen mit anderen Zeugnissen, 29 denn 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

28. 29.

Z. B. Nah 1,9-14; Zef 3,2 (MT 3,1). Z. B. Joel 2,10; Nah 1,2-8; Hab 3,6-15. Z. B. Joel 3(4),4; Hab 1,2-3. Z. B. Obd 5; Jona 4,4.9; Nah 2,12. Z. B. Joel 1,15; Nah 3,1; Hab 2,6. Z. B. Nah 2,4-6; 3,2-3; Hab 1,6-8. Z. B. Nah 2,12-13; Zef 2,14. Z. B. Joel 2,5; 3,14; Nah 3,2; Zef 1,10; Hab 2,11. Z. B. Joel 2,20; Zef 1,17. Z. B. Joel 1,7 für das weiße; 2,31 (MT 3,4) für das rote Blut; Joel 2,11 und Nah 2,4 für das Schwarz und das Rot. Z. B. Nah 2,5; Hab 1,6; 3,2. Z. B. Nah 1,2. Z. B. Hab 3,2. Z. B. Nah 1,3 und 3,13. Z. B. Nah 1,2; 2,3; 2,10; 3,2 und 3,15; Hab 3,5; Zef 1,8.10.12. Z. B. Nah 1,2.4.6.13; 2,13; 3,1.8; Hab 3,3. Z. B. Nah 1,10; 2,5.8 und 3,15; Hab 2,5; 3,4.6 Nach dem von J. De Waard benutzten Ausdruck, in: ders., La Septante: une traduction, in: R. Kuntzmann / J. Schlosser (Hg.), Etudes sur le judaïsme hellénistique. Congrès de Strasbourg (1983), Lectio Divina 119, Paris 1984, 140. Vgl. Barthélemy, OBO 50/3, xcviii-cii. Darunter die Schriftrollen der Zwölf Propheten von Murabbaʾ ât (Mur 88) für das Hebräische

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

vergleicht man ihn mit dem masoretischen Text, so weist er eine große Nähe, zumindest aber sehr wenige Unterschiede zu ihm auf. Gewiss – so hat es den Anschein – haben einige Abweichungen zwischen dem Septuaginta-Text und dem masoretischen Text des Zwölfprophetenbuches ihren Ursprung in einer Vorlage des Griechischen. So etwa erscheint Gott als Schöpfer des Universums im großen »Plus« von Hosea 13,4 30 in einer Weise, die an Jesaja oder Jeremia erinnert. Und tatsächlich wird diese Variante der LXX im Fragment 4QXIIc31 bezeugt. Andererseits könnte man hinsichtlich der beiden »Plus« bei Haggai 2,9 und 2,14 nicht sagen, ob sie in ihrer Substanz auf einen hebräischen Ursprung zurückgehen oder ob es sich um zwei erläuternde Zusätze handelt. 32 Andere Abweichungen können auf die Lektüre des hebräischen Textes durch den Übersetzer, so wie er ihn vor Augen hatte, zurückgehen. In der Tat: Da der hebräische Text weder vokalisiert noch unterteilt war, wie es der masoretische Text dann sein wird, konnte die Lesart des Übersetzers eine andere sein als die, welche sich der masoretische Text aneignete. So wird zum Beispiel von einer anderen Vokalisation ausgegangen in Nah 1,13 (LXX »sein Stock«; MT »sein Joch«); 3,3 (LXX »für seine Völker«; MT »für die Leichen«), Hab 1,9.15 (LXX »Zerstörung«; MT »Gesamtheit«); 2,15 (LXX »Höhlen«; MT »Nacktheit«), eine andere Einteilung des Textes liegt vor in Obd 10 (das griechische »wegen des Mordens« bildet den Beginn des Verses 10), in Nah 1,3 (das griechische »Herr« beendet die erste Verszeile), in 1,14 (die Worte »denn schnell« sind mit dem darauf folgenden Vers verbunden), in 2,3 (»man hat zerstört« bildet den Anfang des darauf folgenden Verses), die Zurückführung auf eine andere hebräische Wurzel ist der Fall bei Obd 20 (LXX »Reich«, MT »Vor-Mauer«?); Hos 2,17 und 12,7 (LXX »versammeln«, MT »hoffen«), Hos 10,5 (LXX »sich aufhalten«, MT »fürchten«), oder es wird von einer anderen Syntax ausgegangen wie in Obd 1,3.9; 2,4. Solche Unterschiede im Vergleich zum masoretischen Text sind keineswegs alles Irrtümer oder Verwechslungen, die dem Übersetzer zuzuschreiben wären. Sie entspringen manchmal einer Lesart, die zu seiner Zeit üblich war. Auf diese Weise bietet er eine Deutung, welche die Art und Weise der Exegese widerspiegelt, wie wir sie in den Targumim, der Mischna und anderen rabbinischen Schriften finden. Die Abweichungen der LXX vom masoretischen Text haben in den allermeisten Fällen einen eigenständigen Sinngehalt, der innerhalb der LXX eine Kohärenz aufweist. Vergessen wir nicht, dass die LXX ein jüdisches Werk ist, das für Juden geschrieben wurde. Die Charakteristika des griechischen Textes des Zwölfprofetenbuches sind so eher geeignet, den Stil des Übersetzers als seine Übersetzungstechnik auszumachen. Der Ausdruck »Technik« unterstellt ja ein bewusstes und systematisches Vorgehen, wobei man sich auf einen verlässlichen Quellentext stützt, der seit seiner Entstehung nicht verändert wurde. Doch die Arbeit des Übersetzers bleibt sehr häufig intuitiv und experimentell, was manchmal zu einer Unausgewogenheit der Übersetzung ein und des(Benoît, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R., Les Grottes de Murabbaʾ ât, DJD 2, Oxford 1961, 80-85) und der von Naḥal Ḥever (8Ḥev) für das Griechische. 30. Vgl. Barthélemy, OBO 50/3, ccxxiii. 31. Fuller, R., A Critical Note on Hosea 12:10 and 13:4, RB 98 (1991), 343-357. 32. Zu diesen Hinzufügungen vgl. z. B. Dogniez, C., Aggée et ses suppléments (TM et LXX) ou le développement littéraire d’un livre biblique in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’Apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, Lectio Divina, Paris 2005, 197-218. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

467

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

selben Buches und zu wechselnden Vorgehensweisen führt. Und in neuerer Zeit weiß man, dass die Benutzung des masoretischen Textes als Referenztext nicht dazu führen darf, dass man die große Beweglichkeit und Mehrgestaltigkeit des hebräischen Textes seit ältester Zeit aus den Augen verliert. Übrigens ist communis opinio seit J. Ziegler 33 und bereits vor ihm H. St. J. Thackeray 34 zufolge die Übersetzung der Kleinen Propheten das Werk eines einzigen Übersetzers – oder derselben Gruppe von Übersetzern. Trotz einiger Versuche, eine solche Hypothese zu widerlegen, 35 hat man die konstant bleibenden Charakteristika der Übersetzung bemerkt, wie den Wechsel in der Wahl der Wörter, um einen einzigen hebräischen Ausdruck wiederzugeben, die »bevorzugte« Verwendung bestimmter Äquivalente oder das Vorkommen von recht seltenen Wörtern oder Ausdrücken, die nur in der griechischen Version des Zwölfprofetenbuches zu finden sind. Dies alles scheint eine Vielzahl von Übersetzern für das Dodekapropheton auszuschließen. 36 Es bleibt sehr schwierig, die Übersetzung genau zu datieren. Man weiß lediglich, dass der griechische Übersetzer des Buches Jesus Sirach um 130 v. Chr. bereits über die griechische Version des Zwölfprofetenbuches verfügte. Darüber hinaus hat man aufgrund von lexikalischen Übereinstimmungen, die A. Kaminka 37, J. Ziegler 38 und dann I. L. Seeligman 39 zwischen dem griechischen Jesaja-Text und dem Text des Zwölfprophetenbuches herausgearbeitet haben, die Schlussfolgerung gezogen, dass dieses früher zu datieren sei als jener – was es, so scheint es, dennoch nicht rechtfertigt, mit Sicherheit zu behaupten, der Übersetzer des Jesaja-Buches sei mit dem Zwölfprophetenbuch vertraut gewesen. 40 Ohne Zweifel ist die Übersetzung des Zwölfprophetenbuches zeitlich später anzusiedeln als die der Psalmen und ist wohl in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung zu datieren. 41 Doch die Frage der zeitlichen Einordnung bleibt ebenso offen wie die nach dem Ort der Übersetzung, und neue diesbezügliche Forschungen wären sehr verdienstvoll.

33. 34. 35. 36. 37. 38.

Ziegler, Die Einheit, 1934. Thackeray, The Greek Translators, 579. Vgl. Harrison, Unity. Vgl. Muraoka, Unity, 1989. Kaminka, Studien zur Septuaginta. Ziegler, J., Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias. Alttestamentliche Abhandlungen, XII, 3, Münster 1934, 31-46. 39. Seeligman, I. L., The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, FAT 40, Tübingen 2004 (1. Aufl. 1948). 40. Vgl. zum Beispiel Dogniez, Traducteur. 41. Vgl. zum Beispiel Harl, M. / Dorival, G. / Munnich, O., La Bible grecque des Septante, Paris 19942, 97 und, noch jünger, Fernández Marcos, N., Septuaginta. La Biblia griega de judios y cristianos, Bibliotheca de Estudios Biblicos Minor 12, Salamanque 2009, 45. T. Pola (»Sach 9, 917LXX – Indiz für die Entstehung des griechischen Dodekaprophetons im makkabäischen Jerusalem?«, in: W. Kraus / O. Munnich [Hg.], La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 238-251) hat für das Dodekapropheton einen Jerusalemer Ursprung zur Zeit der Makkabäer als wahrscheinlicher als einen Ursprung in Alexandrien vorgeschlagen.

468

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Lektüre des griechischen Textes des Zwölfprophetenbuches lässt auf den ersten Blick erkennen, dass das Griechisch der Übersetzung ein recht gutes Niveau aufweist. Obwohl sich der Übersetzer sehr eng an seinen Quellentext hält, zeigt er viel Geschick, eine gute Auffassungsgabe und Kompetenz. Trotz der Abweichungen, die auf Lesarten zurückzuführen sind, die sich von denen des masoretischen Textes unterscheiden, ist die sprachliche Qualität des Zwölfprophetenbuches unbestritten. Der Übersetzer übersetzt seinen Text nicht in mechanischer Weise, sondern achtet sehr aufmerksam auf dessen möglichen Sinn. Wenn der Text, den er übersetzt, Schwierigkeiten bietet und Unklarheiten aufweist – dergleichen Probleme sind im hebräischen Text des Zwölfprophetenbuches zahlreich –, dann sind seine Übersetzungsentscheidungen sicherlich manchmal das Ergebnis eines Zufalls oder spiegeln die Verlegenheit des Übersetzers wider, doch der Übersetzer ist stets bestrebt, diese Schwierigkeiten zu überwinden, und behilft sich dabei oft weitgehend durch Rückgriff auf den Kontext, um die Verwirrung des Lesers in Grenzen zu halten, selbst wenn er dabei im Vergleich zum Originaltext eine Neuerung bietet und so das Griechische mit seiner eigenen Note versieht. Abgesehen von diesem guten Griechisch und diesem »auch verfeinerten Stil 42« ist die griechische Version des Zwölfprophetenbuches zweifelsfrei vom hebräischen Stil geprägt. Die Syntax lässt in der Tat die des Hebräischen erkennen und reproduziert eine Reihe von deren Merkmalen. Der parataktische Stil mit καί zum Beispiel, der sich durch die gesamte Jona-Erzählung durchzieht, der zu Beginn einer jeden Verszeile in Nah 2,6-9 und 3,3 zu sehen ist, der aber fast gar nicht bei Obadja zu finden ist; die Verwendung von ἰδού, um eine Präposition zu nennen, zum Beispiel in Obd 2, oder einfach mit dem Pronomen ἐγώ wie in Joel 2,19; 3,1.7; weiter der absolute Infinitiv, der ins Griechische mit einem Partizip übersetzt wird, wie zum Beispiel in Hos 1,2.6; Nah 1,3; 2,3; 3,13; die etymologischen Figuren wie in Zef 1,2; 2,7; 3,20; Hag 1,6; bestimmte Anthropomorphismen wie die Eifersucht, die Rache, der Zorn, der Weg und die Füße des Herrn in Nah 1,2-3; die Verwendung von Semi-Präpositionen, die sich aus einer Präposition und einer darauf folgenden Bezeichnung für einen Körperteil zusammensetzen wie πρόσωπον in Hos 5,5 oder Hag 1,12 oder χείρ in Hos 2,12 oder Hag 1,1.3); der Gebrauch von προστίθημι mit darauf folgendem Infinitiv im Sinne von »fortsetzen», zum Beispiel in Hos 13,2; Am 5,2; Jona 2,5 oder Zef 3,11. All diese syntaktischen Besonderheiten sind mit Sicherheit Nachbildungen des Hebräischen, die dem griechischen Text eine gewisse fremdartige Färbung verleihen, aber aufgrund ihrer Häufigkeit kann sie schließlich jeder Griechisch sprechende Leser leicht verstehen. Auf lexikalischer Ebene benutzt der Übersetzer neben dem Rückgriff auf Wörter aus dem klassischen Griechisch Termini, die vor ihrem Gebrauch in der Septuaginta nicht nachgewiesen sind, doch im Griechisch der Spätzeit auftauchen. Das ist zum Beispiel der Fall bei μεγιστᾶνες (Jona 3,7 und Nah 2,6), παλαίωσις (Nah 1,15), συσσεισμός (Nah 1,3), ἐντρυφάω (Hag 1,10) oder ἐδαφίζω (Hos 14,1). Es passiert ihm oft, dass er wahre Neologismen erfindet, wie etwa πνευματοφόρος in Hos 9,7, ἀνεμοφθορία in Hag 2,17, oder semantische Neoligismen wie πραΰς in Joel 3,11 und Zef 3,12 42. Muraoka, Intr. Osée, in: BdA 23.1, ix. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

469

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

oder σπουδή in Zef 1,18. Neben dem charakteristischen Rückgriff auf Termini technici oder selten auftauchende Wörter und einem speziellen Vokabular, das besonders auf den Gebieten Militär, Bekleidung, Architektur, Medizin, Tierkunde, Jagd- oder Pflanzenkunde von Bedeutung ist, sind bestimmte Übersetzungen aus dem Zwölfprophetenbuch dem zuzurechnen, was J. Ziegler 43 vom Übersetzer in bevorzugter Weise benutzte Übersetzungen nennt. In Verbindung mit anderen sprachlichen Phänomenen sprechen diese »Lieblingswörter« für einen einzigen Übersetzer des Zwölfprophetenbuches: ἐκδικέω, ἐξάλλομαι, εὐλαβέομαι, καταφρονέω, ὁρμάω, ὑπομένω, ἐπιφανής, θλῖψις, παντοκράτωρ, ταλαιπωρία. Ebenso sind gewisse Wendungen wie τὰ ὕψη τῆς γῆς (Am 4,13; Mi 1,3), πρόσκαυμα χύτρας (Joel 2,6; Nah 2,11), oder βάλλω κλήρους (Joel 3,3; Obd 11; Nah 3,10) dem Übersetzer des Zwölfprophetenbuches eigentümlich. Angesichts der Tatsache, dass die Zusammenfassung der Zwölf Kleinen Propheten möglicherweise aus dem praktischen Grund erfolgte, unterschiedliche Bücher in einer einzigen Sammlung zu vereinigen, ist es sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen unmöglich, ein literarisches Genus oder eine einzigartige, dem Zwölfprophetenbuch eigentümliche Botschaft zu erkennen. Dennoch kommt es vor, dass der Übersetzer dieses oder jenes Thema betont, das bei anderen Propheten oder anderen biblischen Büchern nachzulesen ist. So ist die Erkenntnis Gottes ein Begriff, der in der griechischen Version von Hosea an Gewicht gewinnt. 44 Das sehr deutlich im Vordergrund stehende Motiv des »Tages des Herrn« erhält zum Beispiel im Buch Joel eine originelle Bedeutung, da es immer wieder unter dem negativen Aspekt der Bestrafung, aber auch unter dem positiven Aspekt der Heilsverheißung für Juda vorkommt. Der Terminus technicus des »kleinen Rests Israels«, der von den Propheten häufig als Bezeichnung für die Überlebenden des Exils oder von Katastrophen benutzt wird, wird im Griechischen beibehalten, um das Heil für eine kleine Zahl zum Ausdruck zu bringen, zum Beispiel am Ende von Zef 3,14-20, oder um den Rest Jakobs anzusprechen, der mächtig unter den Völkern sein wird (Mi 5,7). Dabei kann man jedoch nicht auf eine fixierte oder homogene lexikalische Bedeutung zurückgreifen, da dieser theologische Begriff mehrdeutig und komplex ist. Das Motiv des Universalismus wird in der griechischen Übersetzung gewissenhaft bewahrt. Dies findet zum Beispiel einen sehr starken Ausdruck in der universalen Anerkennung Gottes bei Zef 2,11 oder in der Sorge des Herrn für die Gesamtheit der Erde (Sach 1,11), die das ganze Sacharja-Buch durchzieht, bis hin zur Feier des Laubhüttenfestes für alle Völker (Sach 14,18). Was den Messianismus betrifft, den man als die Erwartung eines Retters definiert, welcher am Ende der Zeit Gottes Reich auf Erden errichten wird, kann man nicht sagen, dass es in der Septuaginta und damit auch in der LXX-Version des Zwölfprophetenbuches, 45 eine besondere Hervorhebung dieses Motivs gäbe. Man kann sogar hinzufügen, dass bestimmte Textabschnitte, die in der Septuaginta für eine messianische Deutung offen sind, möglicherweise ganz einfach eine unterschiedliche Lesart 43. Ziegler, Die Einheit, 37. 44. Vgl. BdA 23,1, 28-29. 45. Zum Messianismus innerhalb der LXX, s. insbesondere die zahlreichen Studien von J. Lust.

470

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

bezeugen und keine theologische Stellungnahme. So etwa bei Am 4,13, wo die griechische Version anstelle von »welches seine Bestimmung ist« im masoretischen Text »seine Salbung« aufweist, weil der Übersetzer ‫ משיחו‬anstelle von ‫ מה־שחו‬liest. Gewiss: Selbst wenn der Übersetzer überhaupt nicht die Absicht verfolgte, dem hebräischen Text eine bestimmte Richtung zu geben – wie beispielsweise im Falle von Hab 3,2 f., wo die griechische Übersetzung in Bezug auf die Ankündigung der Erneuerung des Werkes JHWHs lautet »inmitten von zwei Lebenden wirst du erkannt werden« – wird sie von christlichen Lesern ohne Zweifel als eine Prophetie auf Christus hin gelesen. Dies gilt auch für Sach 9,9, wo die Ankunft des Königs in Jerusalem angekündigt wird. Diese Stelle kann sich in den historischen Kontext einordnen und auf Serubbabel als Messias beziehen, sie kann aber bei den Christen auch die Ankunft Jesu in Jerusalem sechs Tage vor Ostern vorausbilden. Der griechische Ausdruck ἀνατολή, der in Sach 3,8 und 6,12 begegnet, wird ebenfalls zur messianischen Bezeichnung, einem Titel Christi, während er in der LXX eine strenge Entsprechung zum hebräischen ‫ צמח‬bildet, welches die doppelte Bedeutung von »Spross« aus dem pflanzlichen Bereich und von »Aufgang« bezogen auf die Sonne hat, doch welches in der Bibel vor allem zur Bezeichnung des legitimen Thronfolgers benutzt wird. Ohne also leugnen zu wollen, dass die zufälligen oder absichtlich herbeigeführten Abweichungen vom masoretischen Text Auswirkungen auf den theologischen Inhalt des Zwölfprophetenbuches haben, kann man, da der Übersetzer die Gesamtheit der hebräischen Ausdrücke getreu wiedergibt, in den allermeisten Fällen, so scheint es jedenfalls, nicht behaupten, dass die Septuaginta-Version des Zwölfprophetenbuches ihre eigene Theologie habe. Außer in den äußerst seltenen Fällen von theologischen Korrekturen oder exegetischen Deutungen, in welchen sich die Auffassung der Zeit oder der Schule widerspiegeln, welcher der jüdische Übersetzer des Zwölfprophetenbuches angehört, lässt sich die theologische Deutung der griechischen Version des Zwölfprophetenbuches dem normalen sprachlichen Übersetzungsvorgang zuordnen und lässt keine bestimmte Absicht des Übersetzers erkennen, bewusst theologische Begriffe einzuführen, die im Quellentext nicht vorkommen. 46

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Im Neuen Testament werden von den Kleinen Propheten Hosea, Joël, Amos, Micha, Habakuk, Haggai, Sacharja und Maleachi zitiert, doch manchmal ohne den Namen des Propheten zu erwähnen, wie es zum Beispiel bei Habakuk der Fall ist. Während es keine einzige Anspielung auf Obadja gibt, werden die anderen Bücher gleichwohl in Erinnerung gerufen oder liegen unausgesprochen bestimmten neutestamentlichen Textabschnitten zugrunde. So etwa Jona im Fall des »Zeichens des Jona«, Nahum, was die Beschreibung Ninives als Prostituierte angeht, und Zephanja bezüglich des Motivs des »Tags des Herrn« und seines Zorns. Die Rezeption des Dodekapropheton 46. Zu diesen Fragen in Verbindung mit der Theologie der LXX, vgl. zum Beispiel Joosten, J., Une théologie de la Septante?, Revue de Théologie et de Philosophie 132 (2000), 31-46 mitsamt der Bibliographie. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

471

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

erfolgt in griechischer Sprache, doch der Wortlaut der Zitate weicht sehr häufig von dem der ursprünglichen Septuaginta ab, wie wir sie in den modernen Textausgaben vor uns haben. Es handelt sich um einen bereits überarbeiteten Text der Septuaginta, der manchmal Lesarten enthält, die denjenigen des masoretischen Textes nahekommen. Darüber hinaus stellt man gewisse textliche Differenzen der Verse aus dem Dodekapropheton fest, was beweist, dass der Text der Septuaginta ständig in Gebrauch war. Doch jede Textform hat bei diesen ersten christlichen Autoren eine Bedeutung; sie benutzen die Verse des Dodekapropheton im Allgemeinen dazu, um Christus und seine Mysterien, das Heil der Menschen, die Stiftung der Kirche und ihrer Sakramente zu verkünden. Da die Septuaginta die Bibel der Christen war, haben die Väter, bevor sie sie kommentierten, zu einem sehr großen Teil an ihrer Vermittlung mitgewirkt, an erster Stelle Origines. Dieser versuchte angesichts der Vielfalt der vorhandenen Textvarianten und im Gegensatz zu den jüdischen Überarbeitungen, welche den alten griechischen Text abänderten, um ihn an den hebräischen Text anzugleichen, in seinem monumentalen Werk der Hexapla eine gute Textgrundlage zu bieten. Was den griechischen Text des Zwölfprophetenbuches betrifft, so weiß man tatsächlich, dass die Quinta, das heißt die siebente Spalte der Hexapla – oder die fünfte griechische Übersetzung, wie der Name sagt – während sie in Bezug auf bestimmte biblische Bücher, darunter den Pentateuch, Lücken aufweist – einen Text enthält, den D. Barthélemy als den Text vom Typ Kaigé identifiziert hat, welchen man in den Fragmenten von Naḥal Ḥever gefunden hat. 47 Doch die Debatte um die wahre Identität dieser Rezension ist noch nicht endgültig abgeschlossen. 48 In Bezug auf die Sexta, eine gleichfalls anonyme Version, die Origines nur für einige Bücher aufnimmt, erwähnt Hieronymus, dass sie einen Text der Kleinen Propheten enthalte. Neben Origines macht Hieronymus auf die christliche Bibelrezension aufmerksam, die man Lukian von Antiochia zuschreibt und die gleichfalls die Kleinen Propheten betrifft. Einige Manuskripte weisen in der Tat eine textliche Verwandtschaft mit dem Bibeltext auf, wie er von den antiochenischen Vätern, Theodoret von Mopsuestia, Theodoret von Kyros und Johannes Chrysostomos zitiert wird, und andere, wie das Manuskript 86 (= Barb. Gr. 549), erwähnen am Rand das Kürzel λ; doch J. Ziegler 49 hat hinsichtlich des Zwölfprophetenbuches die 22 Fälle gut herausgearbeitet, wo das Kürzel »Lukian» bedeutet, und die 23 anderen, wo es οἱ λοιποί, »die anderen (Übersetzer)« 50 meint. Wie für die anderen biblischen Bücher gilt auch für den antiochenischen Text des Zwölfprophetenbuches in seinen unterschiedlichen Etappen, dass es leider nicht immer leicht ist, ihn in den Manuskripten gut zu analysieren – trotz seiner offenkundigen Charakteristika. Neben dem gelegentlichen Gebrauch der Verse des Zwölfprophetenbuches durch die Väter, sei es für polemische, apologetische oder paränetische Zwecke, schickten sich die Exegeten seit Origenes an, Kommentare zu den Zwölf Propheten zu verfassen. 47. Barthélemy, Les Devanciers, 213-227. 48. Vgl. zum Beispiel Howard, G., The Quinta of the Minor Prophets, Biblica 55 (1974), 15-22, und Gentry, P., The Asterisked Materials in the Greek Job, Atlanta/GA 1995, 497. 49. Ziegler, Duodecim Prophetae, 71-73. 50. Gemeint sind die jüngeren jüdischen Übersetzungen.

472

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.0 Dodekapropheton – Überblick

Der des alexandrinischen Theologen, der 25 Bücher umfasste, aber nicht auf Obadja einging, ist verloren gegangen, doch die anderen Werke des Origenes und auch von von ihm abhängigen Autoren wie zum Beispiel Hieronymus, 51 haben Spuren seiner Interpretation bewahrt. Was den griechischen Sprachraum betrifft, hat man drei weitere Kommentare, welche das Dodekapropheton mit berücksichtigen: die der beiden Antiochener Theodoret von Mopsuestia 52 und Theodoret von Kyros 53 sowie den des Kyrill von Alexandrien 54. Darüber hinaus wurden unter dem Namen Hesychius von Jerusalem eine Gruppe von Scholien 55 sowie eine Gruppe von kephalaia 56 zusammengefasst. Die Lektüre des Dodekapropheton durch die Väter fördert eine Vielfalt von Interpretationen zutage – historische, allegorische, typologische oder theologische –, doch sie erhellt ebenso den griechischen Text durch die wissenschaftliche Arbeit dieser Gelehrten, sei es nun zum Beispiel durch philologische Randbemerkungen, die Hinzufügung von Textvarianten, die Übermittlung von jüdischen Übersetzungen oder durch die Herstellung des Bezugs der Verse zu Katechese oder Liturgie.

6. Perspektiven der Forschung Ein vertieftes Studium der Veränderungen, die man im griechischen Text der Zwölf Propheten im Vergleich zum hebräischen Text feststellen kann, würde ohne jeden Zweifel zur besseren Kenntnis des spezifischen Umfeldes des Übersetzers beitragen und es ermöglichen, die Zeit der Abfassung der Übersetzung genauer zu bestimmen.

51. Commentarii in Prophetas Minores, hg. v. M. Adriaen, CC Series Latina 76-77 A, Turnhout 1969-1970. 52. Commentarius in XII Prophetas, hg. v. H. N. Sprenger, Wiesbaden 1977. 53. PG 81, 1545-1988. 54. Sancti Patris Nostri Cyrilli Archiepiscopi in XII Prophetas, hg. v. P. E. Pusey, Brüssel 1965. 55. Interpretatio in prophetas minores, hg. v. M. Faulhaber, Die Prophetenkatenen nach römischen Handschriften, Freiburg im Breisgau 1899, für Obadja. Für Jona, vgl. Duval, Y.-M., Le livre de Jonas dans la littérature chrétienne grecque et latine, EAug, Paris 1973, t. II, 629-644. Für Joel, Stark, M., »Hesychius von Jerusalem, Scholien zum Propheten Joel«, JAC 37 (1994), 36-44. 56. Capita XII prophetarum, PG 93, 1339-1370. 6. Perspektiven der Forschung

473

6.1.1 Osee / Hosea Jan Joosten

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Die Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2

Qumran-Texte

4QXIIc.d.g = 4Q78.79.82 (DJD XV) — 4QpHosa.b = 4Q166.167 (DJD V). BQS 590-598 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3

Übersetzungen und Kommentare

Bons, E. / Joosten, J. / Kessler, S., Les Douze Prophètes: Osée, BdA 23.1, Paris 2002 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Hosee, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.782-789 — Bons, E., Osee / Hosea, LXX.D, Stuttgart 20102, 1166-1177 — Bons, E., Osee / Hosea, LXX.E, Stuttgart 2011, 2287-2338 — Glenny, W. E., A Commentary based on Hosea in Codex Vaticanus, Leiden 2013.

1.4

Weitere Literatur

Barthélemy, D., Critique textuelle de l’Ancien Testament. Tome III: Ezéchiel, Daniel et les Douze Prophètes, OBO 50/3, Fribourg / Göttingen 1992, 497-627 — Bons, E., La signification de ἄρκος ἀπορουμένη en LXX Os xiii 8, VT 51 (2001), 1-8 — Bons, E., Geschichtskonzeptionen des Hoseabuches – Ein Vergleich von Masoretentext und Septuaginta, BZ 48 (2004), 251-262 — Bons, E., «Je suis votre éducateur» (Os 5,2 LXX). Un titre divin et son contexte littéraire, in: ders. (Hg.), Le jugement divin dans l’un et l’autre testament, Vol. 1 (FS R. Kuntzmann), Paris 2004, 191-206 — Bons, E. (Hg.), «Car c’est l’amour qui me plaît, non le sacrifice …». Recherches sur Osée 6:6 et son interprétation juive et chrétienne, JSJ.S 88, Leiden 2004 — Bons, E., Une vache folle dans la Bible ? La comparaison ὡς δάμαλις παροιστρῶσα παροίστρησεν Ισραηλ (Os 4,16LXX) et son arrière-fond littéraire, in: D. Böhler et al. (Hg.), L’Écrit et l’Esprit. Études d’histoire du texte et de théologie biblique en hommage à Adrian Schenker, OBO 214, Fribourg / Göttingen 2005, 30-37 — Carbone, S. P. / Rizzi, G., Il libro di Osea secondo il texto ebraico Masoretico, secondo la traduzione greca della Settanta, secondo la parafrasi aramaica del Targum, Bologna 1992 — Harrison, C. R. The Unity of the Minor Prophets in the Septuagint, BIOSCS 21 (1988), 55-72 — Joosten, J., Exegesis in the Septuagint Version of Hosea, in: J. C. de Moor (Hg.), Intertextuality in Ugarit & Israel, OTS 40, Leiden 1998, 62-85 — Joosten, J., Osée 1,2: Texte hébreu et texte grec, Revue des Sciences Religieuses 280 (1999), 202-206 — Kaminka, A., Studien zur LXX an Hand der Zwölf Kleinen Propheten, MGWJ 72 (1928), 49-60.242-273 — Kessler, St., Le mariage du prophète Osée (Osée 1, 2) dans la littérature patristique, Revue des Sciences Religieuses 280 (1999), 223-228 — Meadowcroft, T. J., καταστροφή: A Puzzling LXX Translation Equivalent in Hosea viii 7A, VT 46 (1996), 539-543 — Mulzer, M., Satzgrenzen im

474

1. Literatur

6.1.1 Osee / Hosea

Hoseabuch im Vergleich von hebräischer und griechischer Texttraditionen, BN 79 (1995), 37-53 — Muraoka, T., Notes on the Septuagint Version of Hosea, in C. Rabin (Hg.), FS M. Wallenstein, Jerusalem 1979, 180-187 (Hebrew) — Muraoka, T., Hosea IV in the Septuagint Version, AJBI 9 (1983), 24-64 — Muraoka, T., Hosea V in the Septuagint Version, Abr-Nahrain 24 (1986), 120-138 — Muraoka, T., Hosea III in the Septuagint Version, in: J. Davies et al. (Hg.), Words Remembered, Texts Renewed (FS J. F. A. Sawyer), Sheffield 1995, 242-252 — Neef, H. D., Der Septuaginta-Text und der Masoreten-Text des Hoseabuches im Vergleich, Bib 67 (1986), 195220 — Nyberg, H. S., Das textkritische Problem des Alten Testaments am Hoseabuche demonstriert, ZAW 52 (1934), 241-254 — Nyberg, H. S., Studien zum Hoseabuche, Uppsala Universitets Årsskrift 6, Uppsala 1935 — Patterson, G. H., The Septuagint Text of Hosea compared with the Massoretic Text, Hebraica 7 (1890-91), 190-221 — Pennachio, M. C., Propheta insaniens. L’esegesi patristica di Osea tra profezia e storia, Studia Ephemeridis Augustinianum 81, Rom 2002 — Pennachio, M. C., Quasi ursa raptis catulis Os 13,8 nell’esegesi di Gerolamo e Cirillo di Alessandria, Vetera christianorum 32 (1995), 143-161 — Pennachio, M. C., Mysteria sunt cuncta quae scripta sunt: Una ricostruzione dell’esegesi origeniana di Osea, Adamantius 6 (2000), 26-50 — Pisano, S., »Egypt« in the Septuagint Text of Hosea, in: G. J. Norton / S. Pisano (Hg.), Tradition of the Text (FS D. Barthélemy), OBO 109, Fribourg / Göttingen, 1992, 301-308 — Schuurmans Stekhoven, J. Z., De alexandrijnse vertaling van het Dodekapropheton Leiden 1887 — Vollers, K., Das Dodekapropheton der Alexandriner. 1 Teil, ZAW 3 (1883), 219-272.

2. Textüberlieferung und Editionen Der Text der Zwölf Kleinen Propheten wurde in der Göttinger Septuaginta von Joseph Ziegler erstmals 1943 herausgegeben. Zieglers Werk übertrifft alle früheren Edition der Septuaginta des Hoseabuches. Der Text der Ausgabe von Ziegler steht jenem der Ausgabe von Rahlfs sehr nahe, die ihrerseits sehr eng dem Codex Vaticanus folgt. An zahlreichen Stellen hat allerdings Ziegler Lesarten bevorzugt, die dem hebräischen Grundtext, wie er durch den masoretischen Text gut repräsentiert ist, nahe stehen. 1 Einige dieser abweichenden Lesarten stammen aus Manuskripten des Hoseabuches, wie z. B. συμβούλοις in 4,12 oder der Singular ἐμέρισεν in 10,2. Eine kleine Zahl der von Ziegler angenommenen Lesarten beruhen lediglich auf der Autorität des Herausgebers (d. h. sind Konjekturen von Ziegler oder älteren Autoren) 2 wie z. B. in 2,14(16); 7,4, 5; 10,10; 12,6(7); 13,13. 3 Einige dieser Konjekturen haben gute Gründe, aber wegen des Fehlens handschriftlicher Belege bleibt immer eine gewisse Unsicherheit. Zumindest an einer Stelle fällt es schwer, Zieglers Konjektur zu folgen: In 12,6(7) ist es unwahrscheinlich, dass der ursprüngliche Text ἔλπιζε, »hoffe« gelesen habe an Stelle von ἔγγιζε, »komme nahe«, wie es in den Handschriften bezeugt ist. Das hebräische Verb qwh bedeutet »hoffen«, aber in der griechischen Ver1. 2. 3.

Eine Liste der Differenzen von Ziegler gegenüber dem Text von Rahlfs findet sich in Ziegler, Duodecim Prophetae, 134. Siehe die differenzierten Angaben bei Kreuzer, S., Verzeichnis der Konjekturen, in LXX.E, 123 f. Im Apparat der Göttinger Ausgabe sind diese Lesarten mit der Formuel scripsi, »Ich habe geschrieben«, gekennzeichnet. In der deutschen Übersetzung von LXX.D sind alle Stellen, wo Rahlfs oder Ziegler eine Konjektur in ihren Text übernommen haben, gekennzeichnet (»Cj.«). 2. Textüberlieferung und Editionen

475

6.1.1 Osee / Hosea

sion des Zwölfprophetenbuches wird dieses Verb systematisch mit Wörtern wie »sich versammeln« oder »zusammenkommen« wiedergegeben, und zwar im Sinn des viel selteneren Homonyms, das in Gen 1,9 und Jer 3,17 bezeugt ist (für weitere Diskussion siehe BdA XXIII/1, 150). Auch wenn Zieglers Ausgabe die beste zur Verfügung stehende ist, muss man sie vollständig, d. h. mit ihren beiden Apparaten und der wichtigen Einleitung, und kritisch heranziehen. (Wie oben vermerkt, wird in naher Zukunft eine Überarbeitung durch F. Albrecht erscheinen.) Vom hebräischen Text des Hoseabuches gibt es einige Fragmente aus Qumran. In der griechischen Zwölfprophetenrolle aus Naḥal Ḥever, an Hand derer Barthélemy die kaige-Rezension identifizierte, ist Hosea nicht erhalten. 4

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Kleinen Propheten wurden ziemlich sicher von einem Übersetzer oder einer (eng zusammengehörenden) Gruppe von Übersetzern übersetzt. 5 Durch das ganze Buch hindurch findet sich dieselbe Übersetzungsweise: Die Übersetzung ist wörtlich, aber nicht in übertriebener Weise. Einerseits folgt die Übersetzung Wort für Wort dem hebräischen Text, wobei die Wortfolge beachtet wird und die Wörter durch jeweils gleiche Äquivalente wiedergegeben werden. Insbesondere wo der Text schwer verständlich ist, was in Hosea nicht selten der Fall ist, nehmen die Übersetzer Zuflucht zu einer Wortfür-Wort-Wiedergabe, was zu einem nur schwer verständlichen Text führen kann. Auf Grund der sehr wörtlichen Übersetzungsweise lässt sich erkennen, dass die hebräische Vorlage dem masoretischen Text – jedenfalls im Konsonantentext – sehr nahe stand. 6 Andererseits sind auch gewisse Freiheiten auf Seiten des Übersetzers unübersehbar. Manchmal fügt der Übersetzer ein Wort hinzu, um den Text besser verständlich zu machen, 7 oder er lässt ein scheinbar überflüssiges Wort aus. 8 Manchmal führt der Kontext den Übersetzer zu einer besonderen oder gar einzigartigen Wortwahl. 9 Eine bestimmte Redefigur kann aufgelöst oder ein Wort hinzugefügt werden, um den im Hebräischen gemeinten Sachverhalt besser zum Ausdruck zu bringen. 10 Die Spannung zwischen Wortwörtlichkeit und Freiheit ist kennzeichnend für die Arbeitsweise des Übersetzers. Das übergreifende Anliegen des Übersetzers ist es, den Sinn des hebräischen Textes möglichst genau zum Ausdruck zu bringen. 4. Siehe DJD VIII; BQS und HTTM. 5. Muraoka, T., Introduction aux Douze Petits Prophètes, in BdA XXIII/1, I-XXIII. 6. Allerdings geht dieser Eindruck z. T. auch darauf zurück, dass sich Ziegler in seiner Ausgabe noch häufiger als Rahlfs für die dem masoretischen Text am nächsten stehende Lesart entschied. 7. Siehe 4,2.17. Andere Beispiele in BdA XXIII/1, 35-36. 8. Siehe Joosten, J., A Septuagintal Translation Technique in the Minor Prophets: The Elimination of Verbal Repetitions, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 217-223. 9. Siehe z. B., 4,16 (Joosten, Exegesis, 71); 13,8 (Bons, Signification). 10. Für Beispiele siehe Joosten, Exegesis.

476

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.1 Osee / Hosea

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Septuaginta des Hoseabuches generell eine genaue Wiedergabe des proto-masoretischen Textes ist. Im Gegenteil, der genaue Vergleich zwischen hebräischem und griechischem Text zeigt viele und auch gewichtige Differenzen. Die meisten Abweichungen scheinen zufällig zu sein. In schwierigen Passagen spiegelt die Septuaginta oft eine abweichende Lesung oder eine andere grammatische Auffassung des hebräischen Textes als jene, die im masoretischen Text überliefert sind. Es zeigen sich auch diverse Differenzen, die auf die Verwechslung ähnlich geschriebener oder ähnlich klingender Buchstaben: yod und waw (9,3; 11,7.7; 12,11; 13, 2.5.15), daleth und resh (2,14[12]; 7,14; 9, 2.7.13; 10,7.11.14; 11,7; 13,5), kaph and beth (7,12; 8,6; 14,3) und andere. Solche Verwechslungen können prinzipiell sowohl auf die hebräische Textüberlieferung als auch auf den Übersetzer zurückgehen. Die bei diesen Verwechslungnen zu bevorzugende Lesart ist allerdings in den meisten Fällen der masoretische Text. Im Blick auf das Verständnis der Wörter zeigt sich häufig eine Verwechslung homonymer oder beinahe homonymer Wurzeln, z. B.: ʿ nh II, »erniedrigen«, »bedrücken« und ʿ nh I, »antworten«, (2,15; 5,5; 7,10; 14,9); dmh I, »ähnlich sein«, und dmh II, »zerstören«, (4,5-6); ḥlq II, »teilen« und ḥlq I, »glatt / trügerisch sein« (10,2); gwr I, »wohnen«, »sich aufhalten«, und gwr III, »fürchten«, (10,5); hrš I, »pflügen«, und hrš II, »still sein«, (10,11.13); nyr II, »Neues pflügen«, und nyr I, »leuchten«, (10,12); ḥebel, »Strick«, und ḥbl III, »verderben«, (11,4). Die dadurch entstehende »zufällige Exegese« ist manchmal schwer zu verstehen (z. B. 10,13 »Weshalb habt ihr die Gottlosigkeit verschwiegen und ihre Ungerechtigkeiten geerntet?«), aber nicht immer. In manchen Fällen führt die abweichende Formulierung zu einem überraschenden Gedanken (z. B. 10,12 »Entzündet für euch ein Licht der Erkenntnis«). Solche Lesarten gehen wahrscheinlich nicht auf etablierte exegetische Traditionen zurück, und bedeuten auch nicht, dass der Übersetzer bewusst einen neuen Text schaffen wollte, sondern sie haben – absichtlich oder unabsichtlich – ihren Ursprung in den Schwierigkeiten des Textes: Der Übersetzer hatte kein HebräischWörterbuch zur Verfügung, möglicherweise auch keine klare Tradition der Vokalisation und vielleicht auch keine exegetische Tradition für das ganze Hoseabuch. Die Übersetzungstechnik des Hoseabuches ist in verschiedener Hinsicht jener des Pentateuch ähnlich. Auch wenn der Übersetzer den Pentateuch nicht als Wörterbuch verwendete, wie es bei den Psalmen und anderen Büchern der Fall gewesen zu sein scheint, 11 so kennt er doch den griechischen Pentateuch sehr gut. Das könnte darauf hinweisen, dass die Übersetzung in Ägypten gemacht wurde, wo man die heiligen Schriften auf Griechisch las.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil So wie sich die Übersetzungstechnik der Hosea-Septuaginta zwischen Wortwörtlichkeit und Freiheit bewegt, so bezeugt auch seine Sprache eine Spannung zwischen He11. Siehe Joosten, J., The Impact of the Septuagint Pentateuch on the Greek Psalms, in: M. K. H. Peters (Hg.), XIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies. Ljubljana 2007, SCS55, Atlanta/GA 2008, 197-205. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

477

6.1.1 Osee / Hosea

braismen und den Feinheiten des griechischen Stils. Auf der einen Seite imitiert der Übersetzer die hebräische Syntax und Phraseologie bis hin zu einer sehr ungriechischen Ausdrucksweise. So wird z. B. die hebräische Konstruktion mit dem Infinitivus absolutus mit Partizip zum Ausdruck gebracht: ἀντιτασσόμενος ἀντιτάξομαι, »widerstehend werde ich widerstehen« (1,6, siehe auch 1,2 und vgl. 4,18; 13,6). Solche Kombinationen sind im Griechischen nicht ganz unbekannt, aber sie sind doch auffallend. Die Kombination von Hebräisch ysp + Infinitiv, »etwas weiterhin tun«, wird etymologisch mit προστίθημι, »hinzufügen« wiedergegeben (1,6; 9,15; 13,2). Andererseits beobachtet man, dass der Übersetzer durchaus fähig ist, gute griechische Ausdruckweise zu wählen, selbst dort, wo der hebräische Text keinen Anlass dafür gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie der Übersetzer mit den verschiedenen Vorsilben für ein griechisches Wort umgeht, um verschiedene Bedeutungsnuancen zum Ausdruck zu bringen: ʾ kl, »essen«, ist entweder ἐσθίω oder κατεσθίω; qrʾ , »rufen«, ist καλέω, ἐπικαλέω oder μετακαλέω; für znh, »Hurerei treiben«, wechselt der Übersetzer kunstvoll zwischen πορνεύω und ἐκπορνεύω, wobei das zweite Verb eine Steigerung ausdrückt: πορνεύοντες ἐξεπόρνευσαν, »Hurerei treibend haben sie ausschweifend gehurt« (Hos 4,18; cf. 3Makk 6,27, λύσατε ἐκλύσατε, »löse und löse vollständig auf«, und Hhld 2,7). Ein anderes Beispiel für die Sensibilität des Übersetzer für die griechische Sprache ist, wie manchmal das übliche Äquivalent eines hebräischen Wortes wegen des Kontextes verlassen wird: Hebräisch ʿ sh, »machen, tun«, wird fast immer mit ποιέω wiedergegeben, aber im Ausdruck »Frucht bringen« wird das stärker idiomatische φέρω verwendet (9,16); in ähnlicher Weise wird der hebräische Ausdruck für »Wurzeln schlagen« mit βάλλω τὰς ῥίζας αὐτοῦ verwendet (14,6). Die stilistischen Ausdruckweisen der LXX Hosea sind nicht jene der griechischen Literatur, sondern stehen der Sprache der dokumentarischen Papyri näher, so wie es für die meisten Bücher der Septuaginta, die aus dem Hebräischen übersetzt sind, der Fall ist. So ist zum Beispiel das seltene Wort καθόρμιον, »Schmuck [zum Umhängen] / Halsschmuck« (2,15[13]), im klassischen Griechisch unbekannt, es begegnet aber in den Papyri. Das bedeutet aber nicht, dass das griechische Hoseabuch einen vulgären Wortschatz verwendet. Wörter wie πανήγυρις, »öffentliches Festival« (2,13; 9,5), oder ἀγάπησις, »Liebe« (11,4), gehören zur gehobenen Sprache. Die – im hebräischen Text nicht beabsichtigte – Assoziation des Verbs παροιστράω, »durch den Stich oder das Gebumme von Bremsen wild werden / außer sich geraten«, mit dem Nomen δάμαλις, »Kuh« kann auf Vertrautheit mit der griechischen Literatur (Mythos von Io) hinweisen. 12 Im Blick auf den Inhalt stellte das Hoseabuch vermutlich in mancher Hinsicht ein Problem für den Übersetzer dar. Gottes Auftrag an den Propheten, eine Hure zur Frau zu nehmen (1,2) ist erstaunlich, ebenso wie die Vergleiche, in denen Gott mit einem Raubtier (5,14; 13,7), einer Motte (5,12), oder einem Baum (14,9) verglichen wird. Viele spätere Übersetzer und Kommentatoren hatten mit diesen Texten ihre Mühe. Der griechische Übersetzer des Dodekapropheton übersetzt diese Abschnitte genau so, wie er sie verstand, ohne zu versuchen, sie zu erklären oder in ihrem Ton abzumildern. Die Wieder-

12. Siehe Bons, Vache folle.

478

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.1 Osee / Hosea

gabe von ʿ aš, »Motte« mit ταραχή, »Verwirrung«, in 5,12 geschah vermutlich aus mangelnder Vertrautheit mit diesem seltenen hebräischen Wort und nicht, um die Aussage des Verses abzumildern. Wo der Übersetzer den Inhalt des Textes im Blick auf seine eigene Kultur oder Ideologie ändert, geschieht dies eher als unbewusste Anpassung denn als absichtliche Interpretation. Ein mögliches Beispiel dafür ist 8,4, wo der hebräische Text sagt: »Sie setzen Prinzen ein, aber ich weiß es nicht (weloʾ yadaʿ ti)«, dagegen liest die Übersetzung »Sie haben geherrscht und es mir nicht kundgetan«. Die Bemerkung, dass Gott nicht wusste, ist geändert im Sinn der Allwissenheit Gottes. Vielleicht nahm der Übersetzer den Ausdruck »Ich wusste es nicht« als Redefigur. Weitere kleine Änderungen können da oder dort entdeckt werden, aber sie summieren sich nicht zu einer »Theologie des Übersetzers«. Die Theologie muss vielmehr in seiner Übersetzungsweise gesucht werden: Er glaubte, dass der Text, den er übersetzte, Gottes Wort ist und es daher verdient, Wort für Wort genau wiedergegeben zu werden, auch dort, wo es schockierend ist oder unverständlich. 13

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Der erste Fall einer klaren Verwendung der Septuaginta des Hoseabuches liegt im Neuen Testament vor: Hos 1,10 wird in Röm 9,26 zitiert, Hos 6,6 in Mt 9,13; Hos 10,8 in Lk 23,30 und in Apk 6,16. In anderen Passagen wird Hosea in einer nicht-Septuaginta-Version zitiert (Hos 11,1 in Mt 2,15; Hos 13,14 in 1Kor 15,55). 14 In der Alten Kirche zogen die Kleinen Propheten viel Aufmerksamkeit auf sich, und es sind ihnen einige volle Kommentare gewidmet. Den ersten vollständigen Kommentar schrieb Origenes, vielleicht in den Jahren 245–246, aber er blieb nicht erhalten, vielleicht wegen des in kirchlichen Kreisen umstrittenen Status seines Verfassers. Ein Teil des Kommentars von Orgines kann aus der Philocalia und anderen Quellen wiedergewonnen werden (Pennachio). Der Kommentar übte vermutlich großen Einfluss auf spätere Kommentatoren aus, insbesondere auf Hieronymus. Didymus der Blinde schrieb ebenfalls einen Kommentar zu Hosea. Dieser ist ebenfalls nur durch Zitate in anderen Kommentaren bekannt. Hieronymus verfasste um die Wende vom 4. zum 5. Jh. einen Kommentar zu den Kleinen Propheten, der erhalten blieb. Hieronymus kommentierte den protomasoretischen Text und den Text der Septuaginta, die er beide ins Lateinische übersetzte. Trotz der großen Differenzen, die er gelegentlich zu erklären versuchte, vermittelten für ihn beide Versionen die göttliche und inspirierte Wahrheit. Kommentare zu den Kleinen Propheten von Kyrill von Alexandria, Theodor von Mopsuestia und 13. Joosten, Exegesis. 14. Hierbei ist Septuaginta im Sinn der Edition von Ziegler bzw. Rahlfs bzw. des Codex Vaticanus definiert. Dass andere Lesarten bereits im Neuen Testament zitiert sind, berührt die Frage der Bewertungskriterien von Rahlfs und Ziegler. Zu den Lesarten aus Dodekapropheton im NT siehe Kim, J.-H., Zu den Textformen der neutestamentlichen Zitate aus dem Zwölfprophetenbuch, in: S. Kreuzer / M. Sigismund (Hg.), Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung, DSI 4; Göttingen 2013, 163-178; sowie Kreuzer, Zitate. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

479

6.1.1 Osee / Hosea

Theodoret von Kyrrhos blieben ebenfalls vollständig erhalten. Es gibt auch Scholien von Hesychius von Jerusalem, deren Text allerdings noch nicht ediert ist. Patristische Autoren legen den oft schwierigen Text häufig typologisch oder allegorisch aus. Die Antiochener Theodor und Theodoret jedoch versuchen, viele Passagen im Blick auf den historischen Hintergrund des Propheten zu verstehen, den sie auf Basis des Königebuches zu rekonstruieren versuchen. Während Vieles aus dem Hoseabuch im Griechischen (wie auch im Hebräischen) nur schwer einen Sinn machte, brachten die ersten Kapitel des Buches eigene Probleme. Der griechische Text von Hos 1 ist leicht zu verstehen, aber aus moralischen und religiösen Gründen skandalös. Der göttliche Auftrag an seinen Propheten, eine hurerische Frau zur Ehefrau zu nehmen, war schockierend. Typologische Auslegung ermöglichte es, den Text so zu verstehen, dass er in der Kirche akzeptabel war: »Indem Hosea eine Frau aus der Hurerei nahm, prophezeite er, dass die Erde – d. h. ihre Bewohner – sich vom Herrn entfernen würden und dass Gott aus solchen Menschen seine Kirche nehmen würde.« (Irenaeus, Adv. Haer. 4.20.12). 15 Ein weiterer Passus, der viel Aufmerksamkeit auf sich zog, war Hos 6,6. 16 Im Hebräischen spricht dieser Vers von der größeren Bedeutung der Frömmigkeit gegenüber dem Ritual: »Denn ich habe Wohlgefallen an Liebe und nicht an Opfer, an Erkenntnis Gottes und nicht an Brandopfer.« Die durchgehende Übersetzung des hebräischen Wortes ḥesed mit griechisch ἔλεος, »Erbarmen« in der Septuaginta führt zu einer Veränderung: Neben wahrer Frömmigkeit verlangt Gott auch Erbarmen, d. h. Taten der Barmherzigkeit gegenüber den Mitmenschen. Mit anderen Worten: Hos 6,6 wird ein Vers, der große Ähnlichkeit zum Doppelgebot der Liebe bekommt. Die Septuagintaversion ist zweimal im Matthäusevangelium zitiert (s. o.) und spielt eine wichtige Rolle in anderen christlichen Schriften.

6. Perspektiven der Forschung Eine interessante Frage, die insgesamt noch wenig erforscht ist, ist der Einfluss der Septuaginta auf die nachbiblische jüdische Literatur in griechischer Sprache. Im Blick auf Hosea ist es interessant festzustellen, dass der auffallende Ausdruck φῶς γνώσεως, der durch eine »falsche« Lesung des hebräischen Textes, der etwas ganz anderes bedeutet, entstand, im Test. Lev. 4,3 und 18,3 und im Test. Benj. 11,2 auftaucht. Zwar ist es schwer zu beweisen, dass die genannten Texte auf Hosea anspielen, aber es ist durchaus möglich. Es wäre lohnend, die griechischen Apokryphen und Pseudepigraphen daraufhin zu durchforsten, ob noch weitere Bezüge auf Hoseaworte zu finden sind.

15. Weiteres siehe bei Kessler, Le mariage du prophète Osée. 16. Siehe Bons, «Car c’est l’amour qui me plait».

480

6. Perspektiven der Forschung

6.1.2 Amos Eberhard Bons*

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Die Neubearbeitung durch Albrecht, F., ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIc.g = 4Q78.82 (DJD XV) — 5QAmos = 5Q4 (DJD III). BQS 603-609 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Howard, G. E., The Twelve Prophets: Amos, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.789-795 — Daphni, E. G. / Schart, A., Amos, LXX.D, Stuttgart 20102, 1177-1184 — Daphni, E. G. / Schart, A., Amos, LXX.E, Stuttgart 2011, 2339-2361 — Glenny, W. E., Amos. A Commentary based on Amos in Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2013 — Bons, E. / Dines, J. M., Les Douze Prophètes: Amos, BdA 23.2, Paris 2016.

1.4 Weitere Literatur Arieti, J. A., The Vocabulary of Septuagint Amos, JBL 93 (1974), 338-347 — Bons, E., Le vin filtré. Quelques remarques concernant les textes hébreu et grec d’Amos 6,6a et le sens de la tournure «οἱ πίνοντες τὸν διυλισμένον οἶνον», in: H. Ausloos / B. Lemmelijn / M. Vervenne (Hg.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honour of Florentino Garcia Martinez, BEThL 224, Leuven 2008, 71-82 — Bons, E., Seltene Wörter in der Septuaginta des Amosbuches (Am 3,5.15): ἰξευτής, σχάζομαι, θερινός, περίπτερος, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 404-415 — Bons, E., Amos 5,26 – Überlegungen zur Textkritik, Textgeschichte und Übersetzung eines schwierigen Bibelverses, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 297-308 — Carbone, S. P. / Rizzi, G., Amos. Lettura ebraica, greca e aramaica, Bologna 1993 — Dafni, E., Παντοκράτωρ in Septuaginta Amos 4,13, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 443-454 — Dines, J. M., The Septuagint of Amos. A Study in Interpretation, Diss. London, 1992 — Dines, J. M., Stylistic Invention and Rhetorical Purpose in the Book of the

*

Für wichtige Hinweise zu diesem Artikel danke ich Jennifer M. Dines (Cambridge) und Jan Joosten (Oxford). 1. Literatur

481

6.1.2 Amos

Twelve, in: E. Bons / Th. J. Kraus (Hg.), Et sapienter et eloquenter. Studies on Rhetorical and Stylistic Features of the Septuagint, FRLANT 241, Göttingen 2011, 23-48 — Dogniez, C., Le traducteur d’Isaïe connaissait-il le texte grec du Dodekapropheton?, Adamantius 13 (2007), 29-37 — Fischer, J., In welcher Schrift lag das Buch Amos den LXX vor?, ThQ 106 (1925), 308-335 — Gelston, A., Some Hebrew misreadings in the Septuagint of Amos, VT 52 (2002), 493-500 — Glenny, W. E., Hebrew Misreadings or Free Translations in the Septuagint of Amos, VT 57 (2007), 524-547 — Glenny, W. E., Finding Meaning in the Text. Translation Technique and Theology in the Septuagint of Amos, VT.S 126, Leiden / Boston 2009 — Howard, G., Some Notes on the Septuagint of Amos, VT 20 (1970), 108-112 — Kraus, W., The Role of the Septuagint in the New Testament: Amos 9:11-12 as a Test Case, in: R. J. V. Hiebert (Hg.), »Translation is Required«. The Septuagint in Retrospect and Prospect, SBL.SCS 56, Atlanta/GA 2010, 171-190 — Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht an Hand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: J. deVries / J. Elschenbroich (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung (FS M. Karrer), ABG 47, Leipzig 2014, 17-56 — Lössl, J., Amos 6:1. Notes on Its Text and Ancient Translations, JNSL 28 (2002), 43-61 — Muraoka, T., Is the Septuagint Amos viii 12–ix 10 a Separate Unit?, VT 20 (1970), 496-500 — Nägele, S., Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine auslegungsgeschichtliche Studie zu Amos 9,11 in der jüdischen und christlichen Exegese, AGJU 24, Leiden 1995 — Park, A. W., The Book of Amos as Composed and Read in Antiquity, Studies in Biblical Literature 37, New York 2001 — Pierri, R., Parole del profeta Amos. Il libro di Amos secondo i LXX, Studium Biblicum Franciscanum. Analecta 59, Jerusalem 2002 — Sawyer, J. F. W., »Those Priests in Damascus«. A possible example of anti-sectarian polemic in the Septuagint Version of Amos 3,12, ASTI 8 (1970-1971), 123-130 — Schart, A., The Jewish and the Christian Greek Versions of Amos, in: W. Kraus / R. G. Wooden (Hg.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL.SCS 53, Atlanta/GA 2006, 157-177 — van der Kooij, A., De tent van David. Amos 9:11-12 in de Griekse Bijbel, Door het oog van de profeten. (FS C. van Leeuwen), Utrecht 1989, 49-56 — Waard, J. De, Translation Techniques used by the Greek Translators of Amos, Bib 59 (1978), 339-350 — Waard, J. De, A Greek Translation-Technical Treatment of Amos 1:15, in: M. Black / W. A. Smalley (Hg.), On Language, Culture and Religion (FS E. A. Nida), La Haye 1974, 111-118 — Ziegler, J., Die Einheit der Septuaginta im Zwölfprophetenbuch (1934), in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, Göttingen 1971, 29-42.

2. Textüberlieferung und Editionen In der griechischen Zwölfprophetenhandschrift von Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr), die in die Epoche um die Zeitenwende datiert wird, sind keine Reste des Amosbuches mehr erhalten. 1 Weiterhin liegen weder Papyri aus vorchristlicher Zeit noch aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten vor, die Teile des griechischen Amosbuches überliefern. Für die Herstellung eines kritischen Textes muss man daher im Wesentlichen die Unzialhandschriften christlicher Herkunft heranziehen, darüber hinaus die Minuskeln, antike Übersetzungen, schließlich Zitate im Neuen Testament sowie in der altchristlichen Literatur. Die letzte kritische Edition der Amos-LXX liegt in Joseph Zieglers Ausgabe des Zwölfprophetenbuches (19431) vor, die alle damals bekannten direkten oder indirekten Textzeugen berücksichtigt und einen eklektischen Text bie1.

Vgl. allgemein zu 8ḤevXIIgr: HTTM, 343.

482

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.2 Amos

tet. Als Hauptzeugen gelten dabei die sogenannte A-Gruppe (vertreten u. a. durch die Unzialen A und Q) sowie die sogenannte B-Gruppe (vertreten u. a. durch die Unzialen B, S und V). Das Amosbuch ist jedoch nicht in S enthalten. Zu den Grundsätzen der Texterstellung muss auf Zieglers Einleitung verwiesen werden (bes. 119-140). Von der LXX-Handausgabe, die Alfred Rahlfs 1935 herausgebracht hat, weicht Zieglers Text mehrfach ab. 2 Ziegler tendiert dazu, Varianten zu bevorzugen, die dem hebräischen Text näher stehen, z. B. 5,22 προσδέξομαι (so u. a. Codex B; MT: ʾ rṣh »ich habe Gefallen [daran]«) statt προσδέξομαι αὐτά (so Rahlfs unter Berufung auf die meisten griechischen Codices). In vielen Fällen sind die Unterschiede aber minimal, z. B. 1,11 εἰς νῖκος »zum Sieg« (so Ziegler; MT lnṣḥ »für immer«, das der Übersetzer jedoch von der aramäischen Wurzel nṣḥ »siegen« ableitet 3) statt εἰς νεῖκος »zum Streit« (so Rahlfs). Hinzuweisen ist darauf, dass der von Ziegler erstellte kritische Text nicht frei von Konjekturen ist (so in 3,15 συγχέω als einziges Verb anstatt von συγχέω και πατάξω [so Cod. W, vgl. auch Rahlfs] oder andere Varianten). 4

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik und sprachliches Profil Die griechische Übersetzung des Buches Amos folgt in vielfacher Hinsicht ihrer hebräischen Vorlage, d. h. einem Konsonantentext, der demjenigen des MT weitgehend entsprochen hat. Dies gilt besonders für die Wortfolge, die im Wesentlichen übernommen wird (Ausnahme: 5,26), sowie für die Syntax. So entsprechen dem hebräischen Text die verschiedenen konditionalen oder finalen Hypotaxen, die vor allem durch ἐάν und ὅπως eingeleitet werden. Eine Ausnahme bildet 4,1 (ὅπως πίωμεν, MT: wnšth). Etwas mehr vom hebräischen Text entfernt sich die Amos-LXX im Fall der griechischen Partizipialkonstruktionen. Zwar sind viele von ihnen auch dem hebräischen Text zu eigen (z. B. in 4,1). Jedoch führt die Amos-LXX einige neue Partizipialkonstruktionen ein, z. B. bei Negationen (3,4: θήραν οὐκ ἔχων, 5,20: οὐκ ἔχων φέγγος); sie kennt aber keine genitivi absoluti. Anderswo findet man Partizipien, während der hebräische Text finite Verben hat (5,5: ὡς οὐκ ὑπάρχουσα, 5,8: ἐκχέων, 5,9: ἐπάγων, 5,12: ἐκκλίνοντες, 6,3: ἐγγίζοντες, 6,6: χριόμενοι, 8,4: καταδυναστεύοντες, 8,12: ζητοῦντες, 9,6: θεμελιῶν … ἐκχέων). Dabei weicht die Amos-LXX gelegentlich stark vom hebräischen Text ab (z. B. 6,5: ὡς ἑστῶτα … καὶ οὐχ ὡς φεύγοντα). Im Übrigen ist die Amos-LXX durch verschiedene Elemente des sogenannten 2.

3. 4.

Eine Liste der Unterschiede liefert Ziegler in der Einleitung seiner Textausgabe, 134 f., eine Synopse der Unterschiede in den LXX-Ausgaben von Swete, Rahlfs und Ziegler findet sich bei Park, Book of Amos, 140-142. Vgl. u. a. Tov, E., The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, Jerusalem 19972, 179. Für eine vollständige Übersicht zu den Konjekturen in Amos bei Rahlfs und Ziegler s. jetzt: Kreuzer, S., Verzeichnis der Konjekturen, LXX.E I, Stuttgart 2011, 122-125.140. Zur Kritik an den Grundsätzen der Texterstellung in den Bänden der Göttinger LXX-Ausgabe vgl. u. a. Siegert, F., Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Ein Einführung in die Septuaginta, MJS 9, Münster 2001, 117 f. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

483

6.1.2 Amos

Übersetzungsgriechisch 5 gekennzeichnet. Auf dem Gebiet des Verbgebrauchs sind folgende Phänomene auffällig: die Wiedergabe des hebräischen Verbs mit inf. abs. durch ein griechisches Verb mit Partizip (5,5: αἰχμαλωτευομένη αἰχμαλωτευθήσεται), die Verwendung von Nominalsätzen ohne Formen von εἰμί (5,12: ἰσχυραὶ αἱ ἁμαρτίαι ὑμῶν [MT leicht anders]; 5,20: οὐχὶ σκότος ἡ ἡμέρα τοῦ κυρίου καὶ οὐ φῶς; anders 5,13: ὅτι καιρὸς πονηρός ἐστιν, ähnlich 5,18; 6,2), schließlich der Gebrauch von προστίθημι mit folgendem Infinitiv im Sinne von »weiterhin etwas tun« für das hebräische Verb ysp hi. mit Infinitiv (5,2; 7,8.13; 8,2). Charakteristisch für das aus dem Hebräischen übersetzte Griechisch sind weiterhin die redundante Verwendung des Personalpronomens im Genitiv unmittelbar nach einem Substantiv (z. B. 3,7: αὐτοῦ, 4,9: ὑμῶν) der pleonastische Gebrauch des Personalpronomens in einem Relativsatz (2,9: τὸ ὕψος αὐτοῦ, 4,7: ἐπ᾽ αὐτήν), die präpositionale Verwendung von ἐκ / ἀπὸ προσώπου (2,9; 5,19; 9,8), ἐπὶ προσώπου (5,8, 9,6) sowie πρό προσώπου (9,4), die Schwurformel εἰ ἐπιλήσθήσεται (8,7), der sparsame Gebrauch der Partikeln (z. B. δή nach Imperativen nur in 7,5; 8,4; selten ist δέ, aber ohne vorausgehendes μέν, etwa bei einem Gegensatz, so in 4,7), zuletzt die Formel (καί) ἰδού für hebräisches (w)hnh (2,13 u. ö.). Die Amos-LXX lässt zwar eine große Nähe zum hebräischen Ausgangstext erkennen. Trotzdem weisen das Vokabular und der Stil einige Besonderheiten auf, aus denen man schließen kann, dass dem Übersetzer ein Interesse an literarischer Qualität und inhaltlicher Präzision keineswegs unbekannt war. 6 Das Vokabular der Amos-LXX ist reich an seltenen termini technici, die zumeist LXX-Hapaxlegomena sind oder in der LXX nur spärlich vorkommen. Genannt seien hier Wörter aus drei Bereichen: 7 1. Jagd, Landwirtschaft und Weinbau (3,5; 8,2: ἰξευτής »Vogelsteller«, 6,6: διυλίζω »filtern«, 7,14: αἰπόλος »Ziegenhirt«, 9,13: περκάζω »dunkel werden« [von Früchten, hier Trauben, die reifen]), 9,13: σύνφυτος, »fruchtbar, üppig«, 2. Medizin (4,6: γομφιασμὸς ὀδόντων »Zähneknirschen«, 4,9: ἴκτερος »Gelbsucht« (?), 3. Architektur und Hauseinrichtung (2,8: παραπέτασμα »Vorhang«, 3,15: περίπτερος »mit Säulen umgebener Raum«, 8,3: φάτνωμα »Kassettendecke«, 9,1: πρόπυλον »Vorhalle«). Dazu kommt in 5,26 der Begriff τύπος, der offenbar nur hier in der LXX ein Götterbild bezeichnet (vgl. noch Josephus, Ant., I, 322; zu τύπος im Sinne von »Abbild« vgl. Herodot, Historien, II, 86; III, 88). Im Bereich der Stilistik und Rhetorik kann man ebenfalls an zahlreichen Stellen beobachten, dass die Amos-LXX keineswegs eine Wort-für-Wort-Übersetzung darstellt: So werden stereotyp gebrauchte Ausdrücke verschieden wiedergegeben (z. B. in den Fremdvölkersprüchen Am 1,3–2,6). 8 Hier und da verleiht der Übersetzer dem Zieltext einen bestimmten ornatus, der sich nicht (oder nur teilweise) durch den hebräischen Text erklären lässt, z. B. durch Wortspiele (2,14: ὁ κραταιὸς οὐ μὴ κρατήσῃ, 9,9: λικμιῶ … λικμᾶται … λικμῷ) sowie durch Alliteration und Homoioteleuton 5.

6. 7. 8.

Vgl. hierzu Mussies, G., Greek in Palestine and the Diaspora, in: S. Safrai / M. Stern (Hg.), The Jewish People in the First Century, Bd. 2 (CRI I/2), Assen / Amsterdam 1976, 1040-1064, hier 1048 f. Vgl. hierzu Dines, Stylistic Invention, 43-48. Die folgende Aufzählung ist keineswegs vollzählig. Vgl. vorerst Arieti, Vocabulary; Dines, Septuagint of Amos, passim; Bons, Le vin filtré; ders., Seltene Wörter. Vgl. Dines, Stylistic Invention, 34-37.

484

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.2 Amos

(5,6: ἐκζητήσατε … ζήσατε, 6,11: θλάσμασιν … ῥάγμασιν 9, 8,3: πολὺς ὁ πεπτωκὼς ἐν πάντι τόπῳ, 8,5: μικρὸν μέτρον, 9,14: κατοικήσουσιν … καταξυτεύσουσιν … φυτεύσουσιν κήπους … φάγονται … κάρπον).

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Die Amos-LXX ist Teil der LXX-Übersetzung des Dodekapropheton und somit ein Werk desselben Übersetzers. Eine solche auf Joseph Ziegler zurückgehende Hypothese 10 gilt nach wie vor als wahrscheinlich. 11 Weitaus schwieriger ist die Frage zu beantworten, wann und wo die Amos-LXX entstanden ist. So ist umstritten, ob man aus textinternen Kriterien eine relative Chronologie aus dem Vergleich mehrerer Bücher der LXX ableiten kann. Seeligmann etwa versuchte, die Hypothese zu begründen, dass das Dodekapropheton früher als das Jesajabuch übersetzt worden sei. Diese Folgerung zieht er aus zahlreichen parallelen Übersetzungen, z. B. von Am 9,14 (ἐπιστρέψω τὴν αἰχμαλωσίαν λαοῦ μου Ισραηλ) und Jes 45,13 (τὴν αἰχμαλωσίαν λαοῦ μου Ισραηλ ἐπιστρέψει), während die jeweiligen hebräischen Texte voneinander abweichen. 12 Allerdings lässt sich die Ähnlichkeit der griechischen Formulierungen auch anders erklären: In Jes 45,13 hat sich der Übersetzer der gebräuchlichen Wiedergabe der Wendung von der Rückkehr aus dem Exil bedient (vgl. Ps 13,7LXX). 13 Die absolute Chronologie führt ein wenig weiter. Einerseits ist das griechische Dodekapropheton dem Sirachbuch bekannt (Sir 49,10), was bedeutet, dass es in der 2. Hälfte des 2. Jh. v. Chr. vorgelegen haben muss. Andererseits ist es kaum möglich, einen terminus post quem für die Entstehung der Übersetzung anzugeben. Eine gewisse Nähe zum Vokabular des Martyriums (z. B. 4,2: εἰς λέβητας ὑποκαιομένους ἐμβαλοῦσιν, vgl. 2Makk 7,3; 4Makk 8,13; 18,20) lässt vielleicht darauf schließen, dass dem Übersetzer die Verfolgungen in der Makkabäerzeit nicht unbekannt waren. 14 Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass die Amos-LXX in Palästina entstanden ist. Vielmehr deuten mehrere Indizien darauf hin, dass die Übersetzung ein ägyptisches Milieu widerspiegelt. Als Argument wird verschiedentlich angeführt, dass »On« in 1,5 eine Anspielung auf Heliopolis und sein Heiligtum sei. 15 Aber dann stellt sich die Frage, warum der Übersetzer diesen griechischen Namen nicht eingesetzt hat (vgl. Gen 41,45.50LXX). 16 Vielleicht sind folgende beiden Indizien beweiskräftiger: 9. Zu diesem Beispiel s. Dines, J. M., Stylistic Features of the Septuagint, in: E. Bons / J. Joosten (Hg.), Handbuch zur Septuaginta, Bd. III: Sprache, Gütersloh (im Druck). 10. Ziegler, Einheit. 11. Vgl. noch Glenny, Finding Meaning, 261 f. 12. Vgl. Seeligmann, I., The Septuagint Version of Isaiah and Cognates Studies (1948), FAT 40, Tübingen 2004, 225. Dieselbe relative Chronologie wird auch vertreten von Dorival, G. / Harl, M. / Munnich, O., La Bible grecque des Septante. Du judaïsme hellénistique au christianisme ancien, Paris 1988, 97. 13. So Dogniez, Traducteur, 30. Vgl. zur Fragestellung auch dies., L’indépendance du traducteur grec d’Isaïe par rapport au Dodekapropheton, in: M. N. van der Meer et al. (Hg.), Isaiah in Context: Studies in Honour of Arie van der Kooij, VT.S 136, Leiden 2010, 229-246. 14. Vgl. Dines, Septuagint of Amos, 129-131.311; Park, Book of Amos, 171. 15. So etwa A. Schart in der Einleitung zum Buch Amos, LXX.D, Stuttgart 20102, 1177. 16. Vgl. auch die vorsichtige Argumentation bei Dines, Septuagint of Amos, 55. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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6.1.2 Amos

1. In 9,13 findet sich die Formulierung καταλήμψεται ὁ ἀλοητὸς τὸν τρύγητον »das Dreschen wird die Weinlese einholen«. Diese Aussage stimmt fast wörtlich mit Lev 26,5LXX überein, während die hebräischen Texte voneinander abweichen. Daher liegt die Annahme nahe, dass der Übersetzer des Dodekaprophetons den LXX-Pentateuch nicht nur bestens kannte (s. dazu auch die Ausführungen zum Buch Hosea in 6.1.1), sondern auch auf ihn zurückgreifen konnte, gerade im Kontext einer Heilsaussage. 17 Ein solches Vorgehen ist nur dann plausibel, wenn die Übersetzung sich an ein griechischsprachiges Publikum wendet, das in Ägypten beheimatet war und dem auch der LXX-Pentateuch zugänglich war. 2. Auch 7,14 lässt einen ägyptischen Hintergrund vermuten 18: Die vom Propheten beschriebene landwirtschaftliche Tätigkeit (κνίζων συκάμινα wörtlich »der Maulbeerfeigen einschneidet / einritzt«) ist speziell in Ägypten bezeugt. Dort ist nämlich der entsprechende Baum beheimatet, und das Einschneiden gilt als notwendig, damit die Früchte reifen können (vgl. Theophrast, Hist. plant. 4.2.1; Plinius, Hist. nat. 13.14). Schließlich bezeichnet in Ägypten das Substantiv τὸ συκάμινον die Maulbeerfeige, ἡ συκάμινος dagegen den Maulbeerfeigenbaum (vgl. Ps 77,47LXX; Jes 9,9). 19

4. Inhaltliches und theologisches Profil Da die Amos-LXX einen hebräischen Text voraussetzt, der dem Konsonantentext des späteren MT nahesteht, weicht auch die Gliederung der griechischen Übersetzung nicht grundsätzlich von derjenigen des MT ab. Es fällt jedoch auf, dass die LXX in 3,1 und in 5,1 jeweils Gottesworte ankündigt, während 5,1 im MT nur liest »Hört dieses Wort«. Das bedeutet: Nach der Amos-LXX ist die in Kap. 3–6 an Israel gerichtete Prophetie durchgängig Gotteswort und nicht (wenigstens stellenweise auch) Prophetenwort. 20 Das spezifische inhaltliche Profil der Amos-LXX zeigt sich besonders an den Stellen, wo die Vorlage entweder umfangreicher war als der spätere MT, wo sie vom Übersetzer anders interpretiert wurde oder wo sie mehrdeutig oder kaum mehr verständlich war und daher eine freiere Interpretation notwendig machte. Insgesamt gesehen, kann man die spezifischen Aussagen der Amos-LXX wie folgt zusammenfassen: 1. Die Gottesbezeichnung ʾ lhy ṣbʾ wt »Gott Zebaot / Gott der Heere« wird im Dodekapropheton mit θεὸς παντοκράτωρ wiedergegeben. Dies gilt auch für die zehn Belege im Amosbuch (3,13; 4,13; 5,8.14.15.16.27; 9,5.6.15); in drei Fällen hat jedoch παντοκράτωρ kein Äquivalent ṣbʾ wt im MT (5,8; 9,6.15). Mehrfach stellt die Amos-LXX einen Bezug zwischen dem θεὸς παντοκράτωρ und seiner Schöpfertätigkeit her (4,13; 5,8; 9,6). Daher liegt die Folgerung nahe, dass der Übersetzer mit der Wahl des Begriffs παντοκράτωρ dem Text eine universalistische Färbung verleihen wollte. Zugleich 17. Vgl. Borgonovo, G., Da Genesi a Re: differenze tra LXX e testo massoretico, AScRel 4 (1999), 157-170, bes. 164; Pierri, Parole del Profeta Amos, 149. 18. Vgl. zum Folgenden Dines, Septuagint of Amos, 242. 19. Vgl. zu den Bezeichungen für die Maulbeeren in Ägypten: Fournet, J.-L., Alexandrie: une communauté linguistique? Ou la question du grec alexandrin, Kairo 2009, 39 f. 20. Vgl. Rudolph, W., Joel – Amos – Obadja – Jona, KAT XIII/2, Gütersloh 1971, 187; Schart, The Jewish and the Christian Greek Version of Amos, 167.

486

4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.1.2 Amos

werden die nationalen und kriegerischen Untertöne der hebräischen Gottesbezeichnung abgeschwächt. 21 2. Die übrigen Stellen, die Rückschlüsse auf Gottesvorstellungen 22 erlauben, erfahren eine differenzierte Wiedergabe: a) Keine Korrektur erfolgt im Fall des Anthropomorphismus in 9,1 (»ich sah Gott auf dem Altar stehend«) 23 sowie der Anthropopathismen in 5,21 (»ich will die Opfer [so u. a. B und A] an euren Feiertagen gewiss nicht riechen [ὀσφρανθῶ]«) und 6,8 (»ich verabscheue« [βδελύσσομαι]). Weiterhin werden nicht die Stellen verändert, wo von Gottes Hand (z. B. 7,7) oder Augen (9,3.4.8) die Rede ist. b) Eine Korrektur erfolgt dagegen in 1,2, wo der MT eine zoomorphe Aussage bietet: Gott hat (wie ein Löwe) gebrüllt (yšʾ g, vgl. Joel 4,16MT/LXX). Die Amos-LXX verzichtet hier auf eine exakte Wiedergabe des Verbs und setzt ein neutrales Wort ein: ἐφθέγξατο »er hat geredet«. Ebenso bedarf wohl die Aussage Gottes in 8,7, er könne die Taten Israels nicht vergessen (so der MT), einer Korrektur. Wohl um keine Zweifel an Gottes umfassendem Wissen 24 hervorzurufen, formuliert die Amos-LXX passivisch (εἰ ἐπιλήσθήσεται). c) Eine monotheistische Tendenz ist vielleicht in 5,8 erkennbar: Gott wird hier nicht als Schöpfer von Sternbildern (Plejaden und Orion) vorgestellt, die man als Gottheiten ansehen konnte, sondern als jemand, der alles erschafft und verändert. Offen bleibt allerdings, warum die Amos-LXX in 8,9 nicht Gott als den Verursacher der Finsternis versteht (so MT; ähnlich auch 5,8). 25 d) Unsicher ist, ob die Abweichung in 4,4 beabsichtigt oder nur durch ein anderes Verständnis des Konsonantentextes zu erklären ist: Dort fordert Gott nicht explizit zur Sünde auf (so MT), sondern konstatiert, dass die Sünden Israels in der Vergangenheit stattgefunden haben. 3. An einer Stelle wird besonders deutlich, wie die Amos-LXX den Inhalt der Prophetie und die Rolle des Propheten mit einem Begriff zu erfassen sucht: Nach 3,7 unternimmt Gott nichts, ohne seine »Erziehung« (παιδεία – MT: swd »Ratschluss«) seinen Dienern, den Propheten, zu offenbaren. Das Thema der παιδεία wird an 21. Ausführlich hierzu Dogniez, C., Le Dieu des armées dans le Dodekapropheton. Quelques remarques sur une initiative de traduction, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, Atlanta/GA 1997, 19-36, bes. 25-29. 22. Zum Folgenden vgl. u. a. Dines, Septuagint of Amos, 313 f.; Glenny, Finding Meaning, 185-199. 23. Anders etwa Num 12,8LXX; Ps 16,15; 41,3b; 62,3bLXX. Vgl. zum Problem auch Hanson, A., The Treatment in the LXX of the Theme of Seeing God, in: G. J. Brooke / B. Lindars (Hg.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings. Papers Presented to the International Symposium on the Septuagint and Its Relations to the Dead Sea Scrolls and Other Writings, Manchester 1990, SCS 33, Atlanta/GA 1992, 557-568, bes. 561-563; Himbaza, I., Voir Dieu: LXX d’Exode contre TM et LXX du Pentateuque, in: D. Böhler u. a. (Hg.), L’Écrit et l’Esprit. Études d’histoire du texte et de théologie biblique en hommage à Adrian Schenker, OBO 214, Fribourg / Göttingen 2005, 100-111, bes. 107. 24. Vgl. etwa Aristeasbrief § 132; Hos 8,4LXX (s. dazu die Einleitung zu Hosea im vorliegenden Band). 25. Vielleicht liegt hier ein Bezug auf Gen 1 vor, wo ebenfalls nur das Licht ausdrücklich geschaffen wird. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.1.2 Amos

verschiedenen Stellen in der Hosea-LXX entfaltet, und zwar abweichend vom MT (vgl. Hos 5,2 [Gott als παιδευτής Israels!]; 7,12.14.16; 10,10LXX). Die sehr allgemein gehaltene Formulierung in Am 3,7LXX erlaubt es, ähnlich wie in der Hosea-LXX vergangenes und künftiges Handeln Gottes, Strafe und Heil, aus der Perspektive der »Erziehung« zu deuten. Aus dem Blickwinkel des Übersetzers betrachtet, bedeutet das Unglück, das Israel in der Vergangenheit getroffen hat, nicht den endgültigen Bruch zwischen Gott und seinem Volk. Vielmehr erfährt Israel von Gott eine Begleitung, die Heil oder Unheil umfassen kann. 26 In jedem Fall sind es aber die Propheten, die Israel Auskunft geben über die παιδεία, die es von Gott erwarten darf. Amos selbst bezeichnet sich in der LXX als αἰπόλος »Ziegenhirt« (7,14; MT: bôqer »Rinderhirt«). Mehr noch als ein Rinderhirt hat ein Ziegenhirt seinen Platz am Rand der zivilisierten Gesellschaft. Damit kontrastiert, dass Amos als jemand dargestellt wird, der Demonstrationen anzettelt (7,10: συστροφὰς ποιεῖται [vgl. auch Apg 19,40; 23,12]; MT: qāšar »macht einen Aufruhr«) und das Volk aufwiegelt (7,16: οὐ μὴ ὀχλαγωγήσῃς »verführe nicht das Volk«; MT: loʾ taṭṭîp »weissage nicht«). Diese Aktivitäten passen eher zum politischen Leben einer Stadt, in der Individuen im Interesse ihrer politischen Ziele die Menge hinter sich zu bringen suchen. Stellt Amos sich also in der LXX als Ziegenhirt dar, gibt er damit indirekt zu verstehen, dass ihm politische Ambitionen fremd sind. 4. Offen bleibt (wenigstens teilweise) die Frage, welche spezifischen eschatologischen Hoffnungen die Amos-LXX formuliert. Manche der Aussagen, an die eine solche Hoffnung anschließen könnte, bleiben vage. Zudem fällt es schwer, einen inneren Zusammenhang unter ihnen zu erkennen. So kündigt 4,13 einen χριστός an; doch ist unklar, welche messianische Gestalt der Übersetzer vor Augen hat. Dass hier an eine eschatologische Sendung des Messias an die Völker angespielt wird, ist dem Text kaum zu entnehmen. 27 Auch die Gestalt des Gog, der nach 7,1 eine Heuschrecke unter den Eindringlingen ist, die von Osten kommen, bleibt mangels weiterer Angaben konturlos. 28 Eine deutlichere Zukunftshoffnung kommt dagegen in 9,12 zum Ausdruck: Die Übriggebliebenen der Menschen (τῶν ἀνθρώπων, was *ʾ ādām entspricht; MT: æ ʾ dôm »Edom«) und alle Völker, über denen der Name Gottes ausgerufen wird, werden den Herrn (so A) suchen (ἐκζητήσουσιν, was *ydršw entspräche; MT hat yyršw »sie werden in Besitz nehmen«). Statt hier von einer Wiedereroberung der an Edom verlorenen Gebiete zu sprechen (so der MT), 29 deutet die Amos-LXX eine Verehrung des universalen Gottes durch die fremden Völker an, die vielleicht Parallelen in Sach 14,16 hat. 30 26. Vgl. hierzu ausführlich Bons, E., Geschichtskonzeptionen des Hoseabuches – Ein Vergleich von Masoretentext und Septuaginta, BZ 48 (2004), 251-262. 27. Anders Glenny, Finding Meaning, 239. Vorsichtiger dagegen Dines, Septuagint of Amos, 153. Kreuzer, S., Die Septuaginta im Kontext alexandrinischer Kultur und Bildung, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 3, BWANT 174, Stuttgart 2007, 50, vertritt die Meinung, dass die Vorlage der Septuaginta ursprünglich war und vom Gesalbten = König sprach, während MT durch die Aufteilung in zwei Wörter (mah-siaḥ) gezielt eine nichtmessianische Interpretation schuf. 28. Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten vgl. Dines, Septuagint of Amos, 220 f. 29. Ausführlich hierzu Rudolph, Joel – Amos – Obadja – Jona (s. Anm. 21), 282 f. 30. Vgl. Dines, Septuagint of Amos, 302.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.1.2 Amos

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte In der nichtkanonischen jüdischen Literatur in griechischer Sprache finden sich so gut wie keine Spuren der Amos-LXX. Die Vitae prophetarum fabulosae (7,1-2) wissen zwar von einem Martyrium des Amos zu berichten, der infolge einer Misshandlung durch Amasja und seinen Sohn in seiner Heimat gestorben sei. Aber diese Tradition wird kaum auf die Amos-LXX zurückgehen. Philo scheint nirgendwo auf Amos hinzuweisen, und auch in den Jüdischen Altertümern des Flavius Josephus findet Amos keine Erwähnung. 31 Das Neue Testament zitiert dagegen zweimal die Amos-LXX, und zwar Am 5,25-27 und Am 9,11-12. Die erste Stelle begegnet in der Verteidigungsrede des Stephanus. Mit Hilfe des Prophetenzitates unterstreicht dieser, dass die Abwendung der Israeliten von Gott und die Verehrung fremder Gottheiten auf die Wüstenzeit zurückgeht, jedoch Gottes Willen nicht entsprach (Apg 7,42-43). Die zweite Stelle dient ebenfalls zu argumentativen Zwecken: Auf dem sogenannten Apostelkonzil sieht der Apostel Jakobus die endzeitliche Hinwendung der Völker zu Gott als erfüllt an, die in Am 9,12LXX angekündigt wird (Apg 15,16-17). In der frühchristlichen Literatur 32 wird die Amos-LXX von Justin aufgegriffen, der mit einem langen Zitat von Am 5,18–6,7 zu begründen sucht, dass die Opfer nicht um ihrer selbst willen von Gott gefordert worden seien, sondern wegen der Sünde Israels und wegen seines Götzendienstes (Dial. 22,1-5). Insgesamt gesehen, konzentrieren sich die christlichen Autoren der ersten Jahrhunderte auf die Kap. 3–6, wobei eine Stelle wie 4,13 eine besondere Rolle in der christologischen und trinitätstheologischen Debatte spielt. 33

6. Perspektiven der Forschung In der Forschung der letzten etwa drei Jahrzehnte stand das Verhältnis der Amos-LXX zu den übrigen Textzeugen des Amosbuches im Vordergrund (bes. MT und Qumranfragmente). Die Erforschung des Vokabulars (einschließlich der termini technici) sowie der Sprache der Amos-LXX steht dagegen erst an ihren Anfängen. Möglicherweise erlaubt eine intensive Untersuchung dieser Phänomene genauere Aussagen über das Milieu des Übersetzers und seiner Adressaten. Die zukünftige Forschung an der Amos-LXX sollte auch zwei weitere Fragen nicht aus den Augen lassen: 1. Ist es möglich, die Amos-LXX genauer zu datieren und sie somit besser in die Geschichte der Entstehung der LXX einzuordnen? 2. Wie verhalten sich die neuen inhaltlichen Akzente, die die Amos-LXX setzt, zu Fragestellungen, die in der nichtkanonischen hellenistisch-jüdischen Literatur angeschnitten werden (z. B. Gottesbild, Eschatologie, Universalismus)?

31. Vgl. die Einleitung in Ziegler, Duodecim prophetae, 28 und ebd., Anm. 1. 32. Vgl. hierzu detailliert Dassmann, E., Amos, RAC Supplementband 1, Stuttgart 1985, 333-350. 33. Nachweise bei Martin-Achard, R., Amos. L’homme, le message, l’influence, Genf 1984, 203206. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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6.1.3 Michaias / Micha Cécile Dogniez / Jan Joosten

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F., ist für 2016angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIf.g = 4Q81.82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 1QpMi = 1Q14 (DJD I) — 8HevXIIgr (DJD VIII, 19952). BQS 615-616 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Glenny, W. E., Micah. A Commentary Based on Micah in Codex Vaticanus, Leiden 2015 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Michaias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.795-800 — Utzschneider, H., Michaias / Micha, LXX.D, Stuttgart 20102, 1185-1190 — Utzschneider, H., Michaias / Micha, LXX.E, Stuttgart 2011, 2362-2380.

1.4 Weitere Literatur Barthélemy, D. Critique textuelle de l’Ancien Testament. Tome III: Ezéchiel, Daniel et les Douze Prophètes, OBO 50/3, Fribourg / Göttingen 1992, 497-627 — Büchner, D. Micah 7:6 in the Ancient Old Testament Versions, JNSL 19 (1993), 159-168 — Carbone, S. P. / G. Rizzi, Il libro di Michea secondo il texto ebraico Masoretico, secondo la versione greca della LXX, secondo la parafrasi aramaica targumica, Bologna 1996 — Dogniez, C., L’independance du traducteur grec d’Isaïe par rapport au Dodekapropheton, in: M. van der Meer (Hg.), Isaiah in Context (FS A. van der Kooij), VT.S 138, Leiden 2010, 229-246 — Hanhart, R. Der Prophet, die Septuaginta und Platon, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 32 (1990), 113-114 — Harrison, C. R., The Unity of the Minor Prophets in the Septuagint, BIOSCS 21 (1988), 55-72 — Heil, C., Die Rezeption von Micha 7,6 LXX in Q und Lukas, ZNW 88 (1997), 211-222 — Joosten, J., L’ondée et les moutons. La Septante de Michée 5,6 et l’exégèse juive traditionnelle, Revue des Études Juives 162 (2003), 357-363 — Kaminka, A., Studien zur LXX an der Hand der Zwölf Kleinen Propheten, MGWJ 72 (1928), 49-60.242-273 — Lust, J., Micha 5,1-3 in Qumran and in the New Testament, and Messianism in the Septuagint, in: C. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the Gospels, Leuven 1997, 65-88 — Roukema, R., Patristic Interpretation of Micah: Micah read as a book about Christ, in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta — Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 702-719 — Schuurmans Stek-

490

1. Literatur

6.1.3 Michaias / Micha

hoven, J. Z., De alexandrijnse vertaling van het Dodekapropheton, Leiden 1887 — Stipp, H.-J., Bemerkungen zum griechischen Michabuch aus Anlass des deutschen LXX-Übersetzungsprojekts, JNSL 29 (2003), 103-132 — Taylor, J., The Massoretic Text and the Ancient Versions of the Book of Micah, London, 1890 — Tov, E., The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr) (The Seiyal Collection I), DJD VIII, Oxford 1990, 19952 — Utzschneider, H., Auf Augenhöhe mit dem Text. Überlegungen zum wissenschaftlichen Standort einer Übersetzung der Septuaginta ins Deutsche, in: H.-J. Fabry / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, BWANT 153, Stuttgart 2001, 11-50 — Van der Meer, M., The Question of the Literary Dependence of the Greek Isaiah upon the Greek Psalter Revisited, in: W. Kraus / M. Karrer / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 162-200 — Vollers, K., Das Dodekapropheton der Alexandriner. 1. Teil, ZAW 3 (1883), 219-272. Für weitere Literatur siehe: Dogniez, C., Bibliographie de la Septante (1970-1993), VT.S 60, Leiden 1995, 247-248.

2. Textüberlieferung und Editionen Der Text des Zwölfprophetenbuches wurde in der Göttinger Septuaginta 1943 von Joseph Ziegler publiziert. Seine Edition übertrifft alle früheren. Sie basiert auf einer großen Zahl von Textzeugen und bietet einen eklektischen griechischen Text, der nach strengen textkritischen Kriterien erstellt ist. Dennoch ist die Ausgabe natürlich kritisch zu verwenden. 1 Eine Besonderheit im Michabuch, die es sonst in den Kleinen Propheten nicht gibt (außer vielleicht Joel 1,5), sind die Doppelübersetzungen von einem oder mehreren Wörtern. Ein klares Beispiel begegnet in Mi 6,3, wo das hebräische mah hälʾ eytika, »womit habe ich dich ermüdet« mit τί ἐλύπησά σε ἤ τί παρηνώχλησά σοι; »Womit habe ich dich betrübt oder womit dich geärgert?« übersetzt ist. Ähnliche Fälle gibt es in 4,10 (doppelte Wiedergabe von goḥi, vielleicht um das krasse Bild von einer Frau in Geburtswehen abzumildern), in 7,4 (yašar) und in 7,12 (leminni). Weniger klar sind die Fälle in 3,4; 5,6; 6,1.10. Solche Dubletten können als die Kombination der ursprünglichen Lesart und einer Korrektur verstanden werden, 2 aber vielleicht sind die genannten Beispiele auch bereits dem Übersetzer zuzuschreiben. Das Phänomen könnte exegetische Überlegungen widerspiegeln (d. h. das Bemühen, beide Verständnismöglichkeiten wiederzugeben), oder auch Unsicherheit bezüglich der genauen Bedeutung eines bestimmten hebräischen Wortes. Es fällt jedenfalls auf, dass die Dubletten in der Textüberlieferung sehr homogen bezeugt sind; wo in einzelnen Textzeugen nur eine einfache Lesart steht, kann dies auf sekundäre Anpassung an den hebräischen Text zurückgehen (siehe den Apparat der Göttinger Ausgabe zu 4,10; 6,3 und 7,12). Unter diesem Aspekt ist Zieglers Entscheidung, Ἀσσυρίων in 7,12 wegen zweifelhafter Ursprünglichkeit in eckige Klammern zu setzen, fraglich. Die Wörter εἰς ὁμαλισμὸν καὶ εἰς διαμερισμὸν geben nicht leminni ʾ aššur wieder, sondern nur leminni.

1. 2.

Vgl. Stipp, Bemerkungen, 108. Vgl. Stipp, Bemerkungen, 107-108. 2. Textüberlieferung und Editionen

491

6.1.3 Michaias / Micha

Eine Dublette anderer Art begegnet in 6,15-16 und zwar nach dem Text der Ausgabe von Rahlfs. 3 Die ersten drei Wörter des hebräischen Textes von 6,16 sind zuerst mit καὶ ἀφανισθήσεται νόμιμα λαοῦ μου »und es werden abgeschafft werden die Ordnungen meines Volkes« wiedergegeben und dann mit καὶ ἐφύλαξας τὰ δικαιώματα Ζαμβρι »und du hieltest dich an die Gesetze Zambris.« Die zweite Wiedergabe fehlt allerdings in einer Reihe von Textzeugen. Darüber hinaus unterscheidet sich die hebräische Textgrundlage der ersten Wiedergabe von jener der zweiten: ἀφαινισθήσεται geht vermutlich auf die Wurzel šamad zurück, ἐφύλαξας dagegen auf die Wurzel šamar [MT]; λαοῦ μου entspricht ʿ ammi, Ζαμβρι dagegen dem Namen des israelitischen Königs ʿ omri [MT]). Es ist zweifelhaft, dass ein und derselbe Übersetzer diese Dublette produzierte — außer Sie war bereits in seiner Vorlage vorhanden. Insgesamt gesehen erscheint es am wahrscheinlichsten, dass hier eine sekundäre Korrektur (hin zum MT) vorliegt, die dann zusätzlich zur ursprünglichen Wiedergabe in die Textüberlieferung geriet. Folgerichtig wurde die zweite Wiedergabe nicht in den Text von Ziegler aufgenommen. Das Michabuch ist in der Zwölfprophetenrolle von Naḥal Ḥever, deren Text von Barthélemy als kaige-artige Revision identifiziert wurde, 4 gut repräsentiert. In den Kolumnen III bis IX dieser Rolle sind Fragmente von Mi 1,1-8; 2,7-8; 3,5-6; 4,3-10 und 5,1-6 erhalten. Barthélemy hat auch gezeigt, dass derselbe Texttyp noch von Justin dem Märtyrer (2. Jh. n. Chr.) verwendet wurde. 5 Dieser Texttyp scheint aber später verloren gegangen zu sein. Kontaminationen des ursprünglichen Septuagintatextes mit auf Grundlage des Hebräischen revidierten Texten, die in verschiedenen Textzeugen häufig vorkommen, scheinen eher auf die Hexapla des Origenes zurückzugehen. 6

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die hebräische Vorlage des Septuagintatextes stand anscheinend dem Konsonantentext des masoretischen Textes relative nahe. In quantitativer Hinsicht ist die Übereinstimmung zwischen der Septuaginta und dem MT durchaus eindrucksvoll. Kürzere Lesarten (Minuses) im griechischen Text gibt es wenige: Einige hebräische Partikeln haben keine formale Entsprechung (2,2; 6,4 we; 7,17 ke); das Nomen »Land« fehlt zweimal in Ausdrücken von der Art »Land des X« (5,5; 7,15); zwei Auslassungen in 4,1 (bayit, huʾ ) können mit dem Einfluss eines Paralleltextes (Jes 2,2) erklärt werden; in 6,15 hat das Nomen yayin »Wein« keine Entsprechung, vielleicht weil man es neben tiroš, das mit Wein übersetzt wurde, für überflüssig hielt. Nur in einem Fall geht ein Minus vielleicht auf einen ursprünglich kürzeren Text zurück: in ʿ eryah bošet (1,11), könnte das zweite Wort eine Glosse sein, die die Bedeutung des ersten Wortes anzeigt, welches ebenfalls »Schande« bedeutet. Längere Lesarten (Pluses) sind etwas häufiger, können aber meistens leicht erklärt 3. 4. 5. 6.

Vgl. Stipp, Bemerkungen, 109-112. Siehe Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963. Edition: Tov, Greek Minor Prophets. Barthélemy, Devanciers, 205 f., 210 f. Siehe aber das oben referierte Beispiel aus 6,16 [SK].

492

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.3 Michaias / Micha

werden. Oft ist die Ergänzung des Verbums »sein« durch die griechische Syntax gefordert (2,7.10; 3,6.11; 5,1). An anderen Stellen wurden Wörter hinzugefügt, offensichtlich um den griechischen Text klarer und korrekt zu machen (1,14, 2,2; 3,1.7; 4,4.13; 5,6); in ähnlicher Weise wurden auch Partikel hinzugefügt (2,6.9; 7,2.9); andere Wörter wurden aus Paralleltexten übernommen (1,5; 3,1). Nur wenige Hinzufügungen gehen vielleicht auf ein Plus in der Vorlage zurück: 2,3 ἐξαίφνης »plötzlich«; 7,4 οὐαὶ οὐαὶ »ʿ wehe, wehe«. Die Wortfolge entspricht genau jener des masoretischen Textes, außer dort, wo die griechische Syntax das nicht erlaubt. (siehe dazu 2,3; 4,3; 5,12; 6,12; 7,8). Damit soll keineswegs gesagt werden, dass die Septuaginta eine simple wörtliche Wiedergabe des MT bietet. Auf der semantischen Ebene sind die Differenzen zwischen den beiden Texten durchaus beachtlich. Zum größten Teil spiegeln die Differenzen unterschiedliche Möglichkeiten, den Konsonantentext zu verstehen. Dabei führten insbesondere Buchstabenverwechslungen oder Lesefehler in der hebräischen Textüberlieferung zu einem vom MT verschiedenen Text. Häufige Verwechslungen gibt es bei daleth und resh (z. B. 2,9 MT hadārī »mein Schmuck« versus LXX ὄρεσιν (entsprechend hārerē »Berge«), yod und waw (z. B. 2,1 MT hoy »wehe« versus LXX ἐγένοντο (entsprechend hāyū »sie waren«), kaph und mem (z. B. 1,12 MT mi gegenüber LXX τίς), und viele weitere, wobei nicht immer leicht zu sagen ist, auf welcher Seite (MT oder Vorlage der Septuaginta) die Veränderung geschah. Häufig ist auch die Wiedergabe hebräischer Wörter nach einer homonymen oder fast homonymen Wurzel, z. B.: 6,13 MT häḥelētī »ich bin krank« (Wurzel ḥlh) gegenüber LXX ἄρχομαι »ich beginne« (von ḥll, Hiphil); 7,4 MT mebūkāh »Verwirrung« (Wurzel bwk) gegenüber LXX κλαυθμοί »weinend« (von der Wurzel bkh). An einigen Stellen führte die Interpretation der Septuaginta zu einer unterschiedlichen Anordnung von Sätzen und Versen (siehe z. B. die unterschiedliche Verseinteilung in 1, 10-11; 2,10-11; 6,9-10; 7,3-4.11-12). Unterschiedliche Lesungen des Konsonantentextes und unterschiedliche Deutung von Wörtern gehen zum größten Teil auf die Schwierigkeiten des hebräischen Textes von Micha zurück und nicht auf tendenziöse Exegese. Stärker exegetisch im engeren Sinn ist die Art, wie der Übersetzer kontextuelle Faktoren in seinen Zugang zum hebräischen Text einbringt. An vielen Stellen kann man erkennen, dass die griechische Wiedergabe nicht der Standardwiedergabe des hebräischen Wortes entspricht, sondern vom Kontext her beeinflusst ist. So wird z. B. der Ausdruck »den Krieg heilig erklären« in 3,5 mit »den Krieg erwecken« (ἤγειραν … πόλεμον; gegenüber Joel 4,9) wiedergegeben; in 7,19, ist das Verb kabaš »unterdrücken« wiedergegeben mit καταδύω »versenken«, vielleicht deswegen, weil im zweiten Teil des Verses davon die Rede ist, dass etwas in die Tiefen des Meeres versenkt wird. Auch die Grammatik ist manchmal an die Funktion im Kontext angepasst. So wird z. B. ein plötzlicher Wechsel in der Person in der Übersetzung manchmal nicht mitvollzogen (siehe 1,8; 2,11), oder ein hebräisches Perfekt wird in Übereinstimmung mit dem Kontext als Futur übersetzt (z. B. 7,8). An manchen Stellen wurde anscheinend die Bedeutung eines seltenen hebräischen Wortes aus dem Kontext erschlossen. So wurde in 2,4 das schwierige (vgl. den Apparat in BHS und BHQ) nehî nihyā »bittere Klage (?)« wiedergegeben mit θρῆνος ἐν μέλει »Klage in einem Lied«. Typisch ist auch, dass in 7,2 das hebräische Wort ʿ aḥ »Bruder« mit πλησίον »Nächster« wiedergegeben wird, was sinnvoll ist, weil das Wort »Bruder« im Griechischen eine engere Bedeutung hat als im Hebräischen (anders die Wiedergabe in Joel 2,8; Hag 2,22; Sach 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

493

6.1.3 Michaias / Micha

7,9-10; Mal 2,10); in 6,2, werden die harim »Berge« zu λαοί »Völker« (siehe aber den Apparat für andere Lesarten, die näher am MT sind; siehe auch RaHa) 7.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Auch wenn der Übersetzer den Kontext beachtete, so war er doch bemüht, seine Quelle Wort für Wort wiederzugeben. Die Beachtung der Wortfolge und der grammatischen Struktur des hebräischen Textes führte zu einem griechischen Text, der sehr eigenartig ist, jedenfalls vom Standpunkt der klassischen griechischen Literatur. Hebraismen wie τίθημι εἰς, »etwas zu etwas (anderem) machen« (1,6.7), oder »vor dem Angesicht (πρὸ προσώπου) von jemandem gehen« (2,13) sind häufig. Manchmal bietet die griechische Übersetzung aber auch eine sehr gelungene Wortwahl: 4,8 αὐχμώδης »verödet«; 7,5 ἀνατίθημι (im Medium) »jemandem etwas darlegen, genaue Kenntnis vermitteln« (eine späte Ausdruckweise, aber sehr idiomatisch und im Kontext gut passend); Mi 4,11; 7,10 ἐφοράω »auf jemanden hinunter schauen« (vielleicht ein Ausdruck aus der Umgangssprache, siehe BdA XXIII/4-9, 105 zu Ob 12); 6,15 πιέζω »(Oliven) pressen«. In 6,9 verwendet der Übersetzer den idiomatischen Ausdruck κοσμέω πόλιν »eine Stadt regieren«, obwohl der Weg, wie er vom hebräischen Text zu dieser Aussage kam, etwas geheimnisvoll bleibt (vielleicht Verwechslung der Wurzeln yaʿ ad »zuweisen, bestimmen« und ʿ adah »schmücken«?). Eine nette grammatische Konstruktion, die abweichend vom hebräischen Text formuliert ist, findet sich in 2,1: ἅμα τῇ ἡμέρᾳ »bei Tagesanbruch« (hebräisch: beʾ or habboqer »im Morgenlicht«). In vielen Details entspricht die Ausdrucksweise des Michabuches jener des Pentateuch. Auffallendes Beispiel ist die Transkription de Namens Nimrod als Νεβρωδ in 5,5 (siehe Gen 10,8.9), die Übersetzung des Ausdrucks histîr panāw »sein Angesicht verbergen« mit ἀποστρέφω τὸ πρόσωπον αὐτοῦ »sein Angesicht abwenden« in 3,4 (siehe z. B. Dtn 32,20); die Übersetzung von ʾ ašerim »Ascheren, Kultpfähle (?)« mit ἄλση »heilige Haine« in 5,14 (siehe z. B. Ex 34,13). Die Wiedergaben von rebibim »Regen« in 5,7 mit ἄρνες »Lämmer« könnte mit der Auslegungstradition von Dtn 32,2 zusammenhängen, auch wenn diese im Septuagintatext an jener Stelle nicht auftaucht. 8 Ein weiterer Bezug besteht zu Jesaja-Septuaginta, wie der Vergleich zwischen Mi 4,1-3 und Jes 2,2-4 zeigt (siehe dazu Muraoka in BdA XXIII 1, XI). Das auffallende Wort ὀπωροφυλάκιον »Wachhütte«, das in 1,6 in Bezug auf Samaria und in 3,12 in Bezug auf Jerusalem verwendet wird, ist vielleicht abhängig von der Verwendung in Jes 1,8 für Jerusalem (vgl. Ps 78,1). 9 Echos anderer Septuagintabücher können ebenfalls gefunden werden, aber es ist nicht immer sicher, in welche Richtung der Einfluss geht. Die Übersetzung des Partizips ṣōlēʿ ah »hinkend« mit συντετριμμένη »(die) Zerschlagenen« in 4,6-7 kann auch auf Ez 34,4 zurückgehen. Die klaren Verbindungen zum Pentateuch und zu Jesaja zeigen, dass Micha und das ganze Dodekapropheton in einem Umfeld übersetzt wurden, wo der Text der hei7. 8. 9.

Die Abweichung könnte auch auf eine Verschreibung ‫הרים‬, hārîm, Berge, zu ‫דרים‬, dōrîm, Geschlechter, zurückgehen [SK]. Joosten, L’ondée et les moutons. See Dogniez, L’independance, 231-233; van der Meer, Question, 192-199.

494

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.3 Michaias / Micha

ligen Schriften auf Griechisch studiert wurde. Das weist eher auf die Diaspora als auf das jüdische Mutterland. Die Theologie des Übersetzers drückt sich zum Teil in seiner Übersetzungstechnik aus, die zumindest von ihrer Intention her wörtlich ist. 10 Offensichtlich betrachtete der Übersetzer seinen Quelltext als inspiriertes Wort Gottes: Selbst dort, wo ihm die genaue Bedeutung unklar ist, versucht er, den Text Wort für Wort wiederzugeben. Absichtliche Änderungen aus theologischen Gründen sind extrem selten, auch wenn sie nicht ganz fehlen. Ein interessantes Beispiel dafür ist 4,5, wo der Satz »alle Völker wandeln im Namen ihres Gottes« geändert ist zu »alle Völker werden wandeln, ein jedes auf seinem Weg«, und zwar vielleicht um die Anerkennung der Existenz anderer Götter auszuschließen.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Auch wenn der griechische Text der kleinen Propheten für die Leser zumindest zum Teil unklar gewesen sein muss, so war er doch sehr bekannt. Selbst innerhalb der Septuaginta findet man Hinweise, dass einzelne Passagen aus Micha unter griechisch sprechenden Juden gut bekannt gewesen sein müssen. Ein interessantes Beispiel dafür ist das Gebet des Asarja, das in Dan 3,3 eingefügt wurde. In Dan 3,39.40a betet Asarja: »Aber mit zerbrochener Seele und niedergeschlagenem Geist mögen wir angenommen werden (προσδεχθείημεν)! Wie beim Ganzopfer von Widdern und Stieren und (wie bei) Zehntausenden von fetten Lämmern, … (ὡς ἐν ὁλοκαυτώμασι κριῶν καὶ ταύρων καὶ ὡς ἐν μυριάσιν ἀρνῶν πιόνων).« Das verbindet Elemente von Ps 50(51),19 LXX mit Elementen aus Mi 6,7 LXX, und zwar in einer Weise, die sehr gut in den Zusammenhang des Gebetes passt. 11 Im Neuen Testament wird Mi 5,1 in Mt 2,6 zitiert, und zwar in einer Form, die wenig Verbindung zum Septuagintatext zeigt. Vielleicht wurde der Septuagintatext nicht verwendet, weil er der messianischen Interpretation des Evangelisten zu wenig entgegenkam. Mi 7,6 ist in Mt 10,35 par. Lk 12,53 zitiert, wiederum in einer Form, die sich von der Textform der Septuaginta unterscheidet. Ausgehend von Mt 2,6 las und interpretierte die frühe Kirche das Michabuch generell als Zeugnis für Jesus Christus. 12 Die kurze Notiz über Micha in der Schrift »die Leben der Propheten« (vitae prophetarum) ist interessant, weil sie Micha von Moreschet mit Micha ben Jimla, der zur Zeit Ahabs lebte (3Kgt 22,28), verbindet. Dieselbe Verbindung kann der Ergänzung »Höre, Volk« in 3Kgt 22,28 zugrunde liegen, die aus Mi 1,2 stammt. Möglicherweise ging auch der Übersetzer des Michabuches von dieser Identifikation aus, was sich daran zeigen könnte, dass der erste Vers des Buches an jene des Buches Jona angeglichen wurde, der ebenfalls im Buch der Könige erwähnt wird. 10. Joosten, J., Une théologie de la Septante? Réflexions méthodologiques sur l’interprétation de la version grecque, Revue de Théologie et de Philosophie 132 (2000), 31-46. 11. Das ganze Gebet ist eine Kombination von Zitaten und Anspielungen (ein »cento«) aus biblischen Texten auf Basis der Septuaginta, siehe Joosten, J., The Prayer of Azariah (DanLXX 3): Sources and Origin, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception, VT.S 127, Leiden 2009, 5-16. 12. Roukema, Patristic Interpretation. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

495

6.1.3 Michaias / Micha

6. Perspektiven der Forschung Helmut Utzschneider hat eine faszinierende Theorie bezüglich der Entstehung des Michabuches in der Zeit nach der makkabäischen Krise vorgetragen. Er bezieht sich dafür auf Mi 6,15-16 und 7,11, wo von der Ablehnung und Aufhebung des Gesetzes die Rede ist. 13 Hermann-Josef Stipp hat jedoch gezeigt, dass beide Stellen einfach den hebräischen Text wiedergeben, wie ihn der Übersetzer verstand, und dass davon nicht die Zeit der Übersetzung hergeleitet werden kann. 14 Es gibt wenig Zweifel, dass Stipp an dieser Stelle Recht hat. Trotzdem bleibt die Erforschung des allgemeinen Hintergrundes und der Mentalität des griechischen Übersetzers ein wichtiges Thema der Forschung.

13. Utzschneider, Augenhöhe, 24-26. 14. Stipp, Bemerkungen, 109-112.

496

6. Perspektiven der Forschung

6.1.4 Joel Cécile Dogniez

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIc.g = 4Q78.82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 — MS Schøyen 4612/1 (Joel 4,1-4; noch unveröffentlicht, vgl. HTTM 346). BQS 598-602 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandvoir, P., Les Douze Prophètes: Joël, BdA 23.4-9, Paris 1999, 21-79 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Ioel, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.800-803 — Deeg, A. / Eberhardt, B. / von Stockhausen, A., Joel, LXX.D, Stuttgart 20102, 1191-1194 — Eberhardt, B. / von Stockhausen, A., Joel, LXX.E, Stuttgart 2011, 2381-2387.

1.4 Weitere Literatur Bogaert, P.-M., L’organisation des grands recueils prophétiques, in: J. Vermeylen (Hg.), The Book of Isaiah. Le livre d’Isaïe. Les oracles et leurs relectures; unité et complexité de l’ouvrage, BEThL 81, Leuven 1989, 147-153 — Buis, P., Joël annonce l’effusion de l’esprit, Spiritus 7 (1961), 145-152 — Dogniez, C., Fautes de traduction ou bonnes traductions? Quelques exemples pris dans la LXX des Douze Petits Prophètes, in: B. A. Taylor (Hg.), X Congress of the IOSCS, Oslo 1998, SCS 51, Atlanta/GA 2001, 241-261 — Duval, Y.-M., Vers le commentaire sur Joël d’Origène, in: G. Dorival / A. Le Boulluec (Hg.), Origeniana Sexta. Origène et la Bible / Origen and the Bible, BEThL 118, Leuven 1995, 393-340 — Fitzer, G., σκιρτάω, ThWNT 7, Stuttgart 1964 — Harl, M., L’usage des commentaires patristiques pour l’étude de la Septante, Revue des Sciences Religieuses 73 (1999), 183-201 (zu Joel 2, 28) — Reitzenstein, R., Origenes und Hieronymus, ZNW 20 (1921), 90-93 (Joel 1, 6-8) — Rodgers, P. R., Acts 2: 18 καὶ προφητεύσουσιν, JTS 38 (1987), 95-97 — Romano, P., Nobile, M., Appunti di un giornata di studio: I Reinterpretazione cristologica in Paulo di alcuni testi veterotestementari con YHWH of a Study Day: I. Christological Reinterpretation of Some OT Texts with YHWH as Subject in Paul. II. Concluding Comments, Antonianum 69 (1994), 322-327 (zu Joel 3,5 / Röm 10,13) — Steyn, G. J., Septuagint Quotations in the Context of Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, Kampen 1995 (ch. 4) — Von Stockhausen, A., Die Übersetzungstechnik der Joel-Septuaginta und ihre Kon1. Literatur

497

6.1.4 Joel

sequenzen für die Übersetzung des Joel-Buches im Rahmen der Septuaginta Deutsch, in: S. Kreuzer / J.-P. Lesch (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 259-268.

2. Textüberlieferung Das Buch Joel ist im Zwölfprophetenbuch im griechischen und im hebräischen Text nicht an der gleichen Stelle zu finden. Während es in MT an zweiter Stelle zwischen Hosea und Amos steht, ist es in der Septuaginta an vierter Stelle zu finden, nach Hosea, Amos und Micha, die sich vor allem mit Israel und Juda beschäftigen, und vor Obadja, Jona, Nahum und Habakuk, von denen jeweils ein Volk in Blick genommen wird: Edom von Abdias (Obadja), Ninive von Jona und Nahum und die Chaldäer/ Babylonier von Habakuk. In der dreigeteilten Anordnung des Dodekapropheton, wie sie P. M. Bogaert 1 vorgeschlagen hat, steht das Buch Joel, das so wie das Buch Sophonias eine Prophetie über den Tag des Herrn ist und das ebenfalls Worte zugunsten Israels und gegen die Völker (Joel 3,1-17) enthält, im Bereich des Übergangs zwischen dem ersten Teil und dem dritten Teil, der mit den Büchern Haggai, Sacharja und Maleachi, Ankündigungen der Wiederherstellung enthält. Die Gliederung des Textes des Joelbuches zeigt Unterschiede. Im hebräischen Text werden 4 Kapitel gezählt, wobei Kap. 3 nur fünf Verse umfasst. Beim griechischen Text gibt es unterschiedliche Einteilungen. Alfred Rahlfs teilt den Text in vier Kapitel, so wie der hebräische Text. Joseph Ziegler teilt das Buch in drei Kapitel, wobei er die fünf Verse von Kap. 3 zu Kap. 2 zieht, so dass dieses nicht mit V. 27 sondern mit V. 32 endet. Die Editionen des griechischen Textes reproduzieren nicht die Gliederungssignale, die im masoretischen Text zu finden sind, z. B. Setuma in 1,13, wo dadurch das Wort Jhwhs vom Wort des Propheten unterschieden wird. Andererseits bietet der griechische Text bei 2,18 einen neuen Abschnitt, um so das göttliche Erbarmen hervorzuheben (»er hat sein Volk verschont«) und beschließt den Abschnitt mit dem Bekenntnis zu dem einzigen Gott in V. 27 (»ihr werdet erkennen, dass ich der Herr euer Gott bin und dass es keinen gibt außer mir«), wobei im masoretischen Text hier das Ende von Kap. 2 ist. Diese Differenzen in der Gliederung bleiben nicht ohne Auswirkung auf das Verständnis des Buches. So erhält die Ausgießung des Geistes, die im Griechischen am Ende von Kap. 2, nämlich in V. 28-32 angekündigt wird, eine stärker historisch-prophetische, und nicht eine eschatologische Dimension wie im hebr. Text. Im Allgemeinen wird das Buch in zwei Teile geteilt: Der eine Teil beschreibt die Bedrohung durch eine bevorstehenden Invasion durch Insekten, die entweder real sind oder die die Feinde Israels symbolisieren; der andere Teil kündigt das Gericht

1.

Bogaert, P. M., L’organisation des grands recueils prophétiques, in: J. Vermeylen (Hg.), The Book of Isaiah. Le livre d’Isaïe. Les oracles et leurs relectures; unité et complexité de l’ouvrage, BEThL 81, Leuven 1989, 147-153.

498

2. Textüberlieferung

6.1.4 Joel

über die Völker an, wobei in beiden Teilen der Tag des Herrn herbeigerufen/erwartet wird. Von der griech. Zwölfprophetenrolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr) ist kein Fragment des Joelbuches erhalten.

3. Übersetzungstechnik Wie in den anderen Schriften des Zwölfprophetenbuches bietet Joël eine Übersetzung, die der hebr. Vorlage recht genau folgt. Die quantitativen Differenzen sind gering. Man findet gegenüber dem masoretischen Text einige zusätzliche Wörter: ἐξ οἴνου αὐτῶν, »von ihrem Wein«, in 1,5, ist zweifellos eine erklärende Glosse, die in den Text geraten ist; πρός με, »bei mir« in 1, 8 ist vielleicht eine Doppelübersetzung; das Adverb ἐκτενῶς, »kräftig/inbrünstig«, unterstreicht den betenden Ruf um Hilfe in 1, 14. Einige »Plus« sind Harmonisierungen mit Parallelstellen: πολύς, »zahlreich«, in Bezug auf das Volk, das nach 2,5 ins Land Juda kommen wird, ist eine Anpassung an 2,2; μεγάλη, »groß« in 2,11, kennzeichnet des Tag des Herrn so wie in 2, 31 (MT 3,4); die Präzisierung ὁ θεὸς ὑμῶν, »euer Gott« in 2, 12, entspricht der üblichen Ausdrucksweise, wie sie in V. 13 und 14 zu finden ist. Das Adjektiv πάντα, »alle (Nationen)«, am Anfang von 3,12 (MT 4, 12), ist eine Harmonisierung mit dem Ende dieses Verses in dem das Gericht über »alle Nationen« angekündigt wird. Einige Divergenzen gegenüber dem MT sind qualitativer Art und gehen auf den Vorgang der Übersetzens zurück: Im letzten Stichos von 1,12 las der Übersetzer dieselben hebräischen Wörter, aber er wählte eine andere Bedeutung des Verbs und stellte die Abfolge im Satz um. Er übersetzt »zuschanden machten die Söhne der Menschen die Freude«, während der MT »vertrocknet ist für die Menschen die Freude« liest. Dadurch betont er die Verantwortlichkeit der Menschen. In 2,20 liest der Übersetzer denselben hebräischen Text wie MT, aber er teilt die Wörter anders ein. Anstatt »ich verjage ihn in ein dürres und verwüstetes Land, seine Vorhut ins östliche Meer« hat der griechische Text »ich vertreibe ihn in ein wasserloses Land und lasse sein Angesicht/seine Vorhut verschwinden«, womit die Vernichtung des Feindes aus dem Norden noch stärker betont wird. Manchmal liest der Übersetzer andere hebräische Wurzeln als der MT, z. B. in 1,7, wo infolge einer Metathese von ‫חשף‬, abschälen, ‫חפש‬, suchen, übersetzt wird. Das Wort ἐρευνάω gehört im Griechischen zum juristischen Bereich, wodurch der Invasion der Feinde noch ein inquisitorischer Aspekt hinzugefügt wird. In 1,18 unterscheidet sich der griechische Text erheblich vom hebräischen, den der Übersetzer offensichtlich nicht verstand oder wo er die Möglichkeiten einer Modifikation der Konsonanten und der Vokalisation nutzte. Ganz im Sinn des Kontextes, wo das Vieh keine Nahrung findet, wird im Griechischen gefragt: »Was sollen wir ihnen aufbewahren?« und wo der MT vom Klagen der Tiere spricht heißt es »Wie sehr doch das Vieh stöhnt!« In 2,8 gibt es eine Verwechslung von Daleth und Resch. Während MT mit ‫» דחק‬niemand wird an seinen Bruder anstoßen/steht seinem Bruder im Weg« hat, bedeutet das Griechische »niemand wird von seinem Bruder ablassen«, was aber durchaus in den griechischen Kontext passt. Absichtlich oder unabsichtlich verwischt der griechische Übersetzer bestimmte 3. Übersetzungstechnik

499

6.1.4 Joel

Züge des MT. So wird z. B. in 1,15 mit »wie Mühsal aus Mühsal wird er kommen« die Härte der Aussage über das zerstörerische Kommen des Tages des Herrn (MT: »wie eine Zerstörung durch Schaddaj«) abgeschwächt. In ähnlicher Weise wird in 3,11 (MT 4,11) die zu anthropomorphe und kriegerische Beschreibung des Eingreifens Gottes abgemildert: MT hat »dorthin, Herr, führe deine Helden hinab«, während LXX liest: »der Sanfte soll ein Kämpfer sein«. Andererseits führt der Übersetzer auch neue Aspekte ein; so werden in 2,32 (MT 3,5), die Geretteten zu berufenen »Boten der guten Nachricht des Heils« (εὐαγγελιζόμενοι); in 3,16 (MT 4,16) erklärt der Übersetzer das Erbarmen und das göttliche Vertrauen in sein Volk (»der Herr wird sein Volk verschonen [φείσεται], er wird stark machen [ἐνισχύσει] die Söhne Israels«), anstatt die im MT verwendeten Bilder von der Zuflucht und von der Festung aufzugreifen.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Übersetzung des Buches Joel ist trotz der Differenzen, seien es Übersetzungsfehler oder absichtliche Änderungen, von guter Qualität. Sie enthält relativ wenige Hebraismen, wie den Ausdruck »Sohn des Menschen« in 1,2; die figura etymologica »suchend suchte es [das feindliche Volk] ihn [den Weinstock, d. h. das Gottesvolk) in 1,7; oder den Infinitiv finalis (ἐμεγάλυνεν κύριος) τοῦ ποιῆσαι, wörtlich »der Herr hat groß gemacht, um zu tun« in 2,21. Wie etwa C. Robert Harrison 2 gezeigt hat, ist das Vokabular vielfältig, für ein gewöhnliches hebräisches Wort bietet der Übersetzer mehrere Äquivalente. Dagegen verwendet der Übersetzer dort, wo er die Namen von Insekten wiedergibt, eine einheitlichere Wortwahl als in Nahum: βροῦχος, »(ungeflügelte) Heuschrecke/Käfer«, steht immer für ‫ ילק‬und ἀκρίς, »Heuschrecke«, immer für ‫ ;ארבה‬die Wahl dieser Bezeichnungen, wie etwa auch die von κάμπη, »Raupe«, und von ἐρυσίβη, »Mehltau«, scheint, auch wenn sie nicht genau den vier Entwicklungsstadien der Heuschrecke von 1,4 entsprechen, einem poetischen Anliegen zu folgen, den Klang, die Alliterationen und den Rhythmus des Hebräischen wiederzugeben. Dasselbe Bemühen zeigt sich auch in 2,2, wo es darum geht, die poetische Kraft in der Ankündigung des Tages des Herrn als »Tag der Dunkelheit und der Finsternis, Tag der Wolke und des Nebels« (ἡμέρα σκότους καὶ γνόφου, ἡμέρα νεφέλης καὶ ὁμίχλης) zum Ausdruck zu bringen. Im Text des griechischen Joelbuches sind die drei großen Themen des Propheten aufgenommen: die Heuschreckenplage in 1,4; 2,25; der Tag des Herrn, auf den in 1,15, 2,1-2.11.31 (MT 3,4) wiederholt Bezug genommen wird, und die Ausgießung des Geistes auf alle Menschen in 2,28-29. Gegenüber der Milderung der zerstörerischen Rolle Gottes beim Tag seines Kommens in 1,15, kann man sich fragen, ob nicht der Übersetzer die Gabe des Geistes Gottes an die Menschen in 2,28-29 (MT 3,1-2) durch die Hinzufügung der Präposition ἀπό

2.

Harrison, C. R., The Unity of the Minor Prophets in the LXX: a Reexamination of the Question, BIOSCS 21 (1988), 58-59, 67 Anm. 17.

500

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.4 Joel

reduziert: ἐκχεῶ ἀπὸ τοῦ πνεύματός μου ἐπὶ πᾶσαν σάρκα, »Ich werde von meinem Geist ausgießen auf alles Fleisch«.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Der Prophet Joel ist im Neuen Testament wenig präsent, aber in Apg 2,17-21 zitiert ihn Petrus ausführlich, wenn auch ohne den Namen zu nennen. Gegenüber jenen, die sich zu Pfingsten bei der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die versammelten Jünger über die Glossolalie lustig machen, zitiert Petrus die fünf Verse von Joel 2,28-32, und zwar in einer der Septuaginta nahe stehenden Textform, um zu beweisen, dass das, was da geschieht die Erfüllung der Prophezeiung des Joel »für die letzten Tage« ist: »ich werde meinen Geist ausgießen … und sie werden prophezeien«. In Röm 10,13 zitiert Paulus nur den Anfang von Joel 2,32 (MT 3,5), »wer auch immer den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet«, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen gibt: der Herr ist für alle derselbe. 3 In der Offenbarung des Johannes schließlich gibt es eine Reihe von impliziten Bezugnahmen auf das Buch Joel: Dass bei der Öffnung des sechsten Siegels in Offb 6,12 die Sonne schwarz wird und der Mond wie Blut, nimmt Bezug auf Joel 2,31 (MT 3,4). Die Metaphern mit den Heuschrecken in Offb 9,3.7 und mit der Sichel in Offb 14,14-18, mit den gleichen Begriffen wie in der Septuaginta, lassen Joel 1,4; 2,25 et 3,13 widerhallen. Die Kirchenväter zitieren nur wenige isolierte Verse aus Joel, abgesehen von Joel 2,28-29, was aus Apg 2 aufgenommen ist, und zwar um die Gabe des Geistes mit der Gabe des Geistes zu Pfingsten zu vergleichen. In ihren Kommentaren interessieren sie sich vor allem für die drei großen Themen des Joelbuches, die sie in unterschiedlicher Weise, historisch, geistlich, christologisch und eschatologisch, interpretieren. Auch wenn die Invasion der Heuschrecken für manche, u. a. für Kyrill von Alexandrien und Theodoret von Kyrros, ein historisches Geschehen ist, werden die Insekten doch häufiger als Bild für die Feinde Israels verstanden, seien es die Babylonier wie für Kyrill von Alexandrien, seien es Gog und Magog wie für Theodor von Mopsuestia, seien es die Römer, wie für Hieronymus. Der Tag des Herrn erfährt bei den Vätern unterschiedliche Interpretationen. Historisch gesehen kann es der Tag der Einnahme Jerusalems durch die Babylonier sein (so nach Hieronymus und Kyrill von Alexandrien), oder die Einnahme Jerusalems durch die Römer (so Johannes Chrysostomos). Origines sieht darin den Tag der Passion Christi, aber auch, so wie auch andere patristische Autoren, den Tag des jüngsten Gerichts, der ein Tag des Zornes ist und von kosmischen Umstürzen begleitet wird. Schon in den paulinischen Schriften wird der Tag des Herrn zum Tag der Wiederkunft Christi und des Endes der Welt. 3.

Zu den Joel-Zitaten im Neuen Testament s. Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht an Hand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: J. deVries / J. Elschenbroich (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung (FS M. Karrer), ABG 47, Leipzig 2014, 30.40-43. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

501

6.1.4 Joel

Schließlich geben die Väter der partitiven Präposition ἀπό in Joel 2,28 großes Gewicht im Sinn einer sehr restriktiven oder totalen Interpretation: Origenes stellt eine partielle Ausgießung des Geistes einer völligen Ausgießung des Geistes gegenüber, wobei er eine Steigerung der Gabe von der teilweisen Ausgießung des Geistes in der Zeit vor und nach Christus unterscheidet. Johannes Chrysostomus scheint sich darauf zu beziehen, wenn er zwischen der partiellen Gabe des Geistes nach Joel 2,28 und der vollständigen Gabe des Geistes seit der Taufe Christi unterscheidet. Aber am häufigsten sieht die Alte Kirche hierin die Bestätigung der universalen und unbegrenzten Ausgießung des Geistes.

502

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.5 Abdiu / Obadja Cécile Dogniez

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIg = 4Q82 (DJD XV) — MurXII = Mur88. BQS 609 f. — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes: Abdiou, BdA 23.4-9, Paris 1999, 81-113 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Abdias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.803 f. — Schmoll, H. / Utzschneider, H., Abdiu/Obadja, LXX.D, Stuttgart 20102, 1195 f. — Schmoll, H. / Utzschneider, H., Abdiu/Obadja, LXX.E, Stuttgart 2011, 2388-2393.

1.4 Weitere Literatur Siehe die allgemeine Bibliographie zum Dodekapropheton unter 6.1.0.

2. Textüberlieferung Während in der hebräischen Bibel das Buch Obadja (MT ‫ )עבדיה‬innerhalb des Zwölfprophetenbuches an vierter Stelle, hinter Amos, steht, nimmt das Buch Abdiou (Αβδιου) in der griechischen Version den fünften Platz innerhalb des Textcorpus der Kleinen Propheten ein. Es steht zwischen Joel und Jona und eröffnet die Reihe der Bücher, von denen ein jedes einen ganz bestimmten Feind zum Thema hat: bei Jona und Nahum ist dies Ninive, bei Habakuk sind es die Chaldäer und bei Obadja ist es Edom. Obadja ist das kleinste prophetische Buch der Bibel. Es umfasst lediglich einundzwanzig Verse, doch es folgt dem traditionellen Schema der Prophetie gegen eine fremde Nation: auf die Ankündigung einer Strafe gegen Edom am Tag Jhwhs, die voller Hass und Rachegefühle ist, folgt eine Heilsverheißung für Jakob. Die literarische Einheit des kleinen Buches liegt nicht klar zutage: Handelt es sich 1. Literatur

503

6.1.5 Abdiu / Obadja

um die Erinnerung an genau angebbare historische Begebenheiten oder um eine Vision eschatologischen Charakters? Ist es ein Racheschrei im nationalistischen Geist oder wird Edom als ein Beispiel aufgefasst, das stellvertretend für alle Nationen steht? Wie dem auch sei, A. Rahlfs und J. Ziegler unterteilen den griechischen Text in drei Abschnitte: 1. V. 1-10, Ankündigung des Untergangs Edoms wegen dessen Treulosigkeit gegenüber Jakob; 2. V. 11-16, Erinnerung an die Verfehlung Edoms und das Gericht über Edom sowie über die anderen Völker; 3. Heilsprophetie für Zion und Jakob, Prophetie eines neuen Reiches für die Söhne Israels und der Königsherrschaft des Herrn über Zion. Die Vision des Propheten Obadja gegen Edom, dessen Konflikte mit den Hebräern die gesamte Geschichte Israels durchziehen, fasst in Wahrheit zahlreiche andere Orakelsprüche gegen Edom zusammen. Doch die Verfluchungen aus Jer 29,8-10 treten in den Drohungen von Obd 1-9 am deutlichsten zutage. Was den griechischen Text betrifft, scheint es keinen Einfluss des einen Übersetzers auf den anderen gegeben zu haben. Die Wortwahl des Übersetzers von Jeremia und die des Übersetzers von Obadja sind zum Beispiel unabhängig voneinander. Dies scheint die Hypothese zu stützen, dass der Übersetzer von Jeremia β (Kap. 29,1–51,35) nicht mit dem von Jeremia α (Kap. 1,1–28,64) identisch ist, von dem man annimmt, dass er auch das Zwölfprophetenbuch übersetzt hat. Man sollte festhalten, dass in der griechischen Schriftrolle von Naḥel Ḥever kein einziges Bruchstück von Obadja erhalten ist. Die hebräische Schriftrolle von Murabbaʿ at hingegen entspricht der hebräischen Vorlage der LXX, die im Vers 17 interpretiert: τοὺς κατακληρονομήσαντας αὐτούς, »diejenigen, die von ihnen geerbt haben werden«, anstatt wie im masoretischen Text »ihre Besitzungen«, ‫מורשיהם‬.

3. Übersetzungstechnik Für die griechische Übersetzung von Obadja gilt möglicherweise mehr noch als für die der anderen Bücher der Kleinen Propheten, dass sie sich sehr eng an den hebräischen Text hält. Einem hebräischen Wort entspricht ein griechisches, und die Reihenfolge der griechischen Wörter gibt die des hebräischen Textes wieder. Abweichungen in quantitativer Hinsicht sind praktisch nicht vorhanden. Im Vers 7 möchten wir auf ein wichtiges Minus hinweisen: das hebräische Wort ‫לחמך‬, »dein Brot« (das man wahrscheinlich im Sinne von »derjenige, der mit dir isst«, »dein Bundesgenosse« verstehen muss), wird nicht ins Griechische übersetzt. Doch der Leser stellt Unterschiede zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text fest, die auf bewusste interpretierende Entscheidungen oder auf Irrtümer zurückgehen können, aber auch auf eine vom masoretischen Text abweichende Vorlage. Die Verwechslung oder Vertauschung von zwei Konsonanten, ob sie nun bewusst vorgenommen wird oder nicht, bewirkt in der Tat eine Veränderung der Bedeutung. So liest zum Beispiel der Übersetzer im Vers 5 die Wurzel ‫«( רמה‬wärest du hinabgestürzt worden») anstatt ‫»( דמה‬du wirst verloren sein«); im Vers 13 kann man die Abweichung in Bezug auf τὴν συναγωγήν dadurch erklären, dass ‫עדה‬, »Versammlung«, anstelle von ‫רעה‬, »Unglück«, gelesen wurde, wobei dieselbe Verwechslung von Daleth und Resh vorliegt wie in Vers 5; nur im Vers 3 setzt das griechische ἐπῆρεν, 504

3. Übersetzungstechnik

6.1.5 Abdiu / Obadja

«ud hast erhoben«, die Lesart ‫נשא‬, »erheben«, anstelle von ‫נשא‬, im Hiphil, »verführen« voraus, wobei Sin und Schin verwechselt werden; und das Partizip ὑψῶν kann man im Sinne einer Lesart verstehen, die aus dem Waw ein Jod macht: ‫מרום‬, »Höhe« als Partizip interpretiert, ‫מרים‬, »erhoben«. Da die hebräische Vorlage nicht vokalisiert war, ergeben sich bestimmte Abweichungen zwischen dem griechischen und dem hebräischen Text durch eine Lesetradition, die andere Vokale zugrunde legt: Im Vers 12 ergibt sich die Wendung ἐν ἡμέρᾳ ἀλλοτρίων, »am Tag der Fremden«, aus dem Wort ‫נכר‬, »Unheil«, das als ‫נכרי‬, »fremd« gelesen wird. Die Unterteilung des hebräischen Textes weicht ebenfalls von jener des griechischen ab: Der Zusatz »wegen des Mordens« beschließt im masoretischen Text den Vers 9 (»… jeder im Bergland Esaus wird vernichtet durch einen Mord«), während der griechische Text den Vers 10 mit diesem Wort beginnen lässt (»… wegen des Mordens …«), was vom Sinn her dennoch passend an das Vorhergehende anschließt. Der griechische Text von Obadja weist noch weitere Unterschiede gegenüber dem masoretischen Text auf, welche manchmal auch zu einer unterschiedlichen Bedeutung führen. So spricht der griechische Text von Vers 1 an nicht von einem »Boten, der zu den Völkern geschickt wurde«, sondern vom Herrn selbst, der »einen Befehl zur Umzingelung (περιοχή) gesandt hat«; auf diese Weise wird der militärische Auftrag zur Belagerung explizit gemacht und der mythologische Aspekt des hebräischen Textes durch die Erwähnung des Boten JHWHs in gewisser Weise getilgt, um die Allmacht Gottes umso stärker zu betonen. In Vers 8 ersetzt der Übersetzer die rhetorische Frage des masoretischen Textes »Werde ich denn die Weisen Edoms nicht vernichten … ?« durch einen einfachen Satz im Futur »Ich werde vernichten … (ἀπολῶ)«, was den prophetischen Charakter des Spruchs betont. Im Vers 18 ist im griechischen Text nicht im eigentlichen Sinne vom »Überlebenden« die Rede, sondern vom »Feuerträger«, πυρφόρος, das heißt von dem, der in einem Heer nicht das Recht hat, zu fliehen.

4. Sprachliches Profil Sprachlich zeichnet sich die Übersetzung von Obadja durch ihre Wörtlichkeit aus, sie ist aber dennoch nicht mechanisch. So kontrastiert im Vers 7 die wörtliche Wiedergabe von ‫ אנשי ברית‬mit οἱ ἄνδρες τῆς διαθῆκης σου, »die Männer deines Bundes« als Ausdruck für die Verbündeten mit der stilistischen Variation ἄνδρες εἰρηνικοί σου, »die Männer, die mit dir im Frieden sind«, was in diesem Fall den sogenannten »hebräischen« Genitiv ‫ אנשי שלמך‬mit einem Adjektiv wiedergibt. In gleicher Weise wandelt der Übersetzer die Übersetzung des hebräischen ‫ביום‬, »am Tag«, ab, das in dieser feststehenden Form zehnmal in den Versen 11 bis 16 vorkommt. Um den sehr konkreten hebräischen Ausdruck »den Mund aufreißen« im Vers 12 wiederzugeben, kopiert der Übersetzer nicht einfach, sondern verwendet eine seltene und ausdrucksstarke Vokabel, welche vor ihrer Benutzung in der LXX nicht belegt ist: μεγαλορρημονέω, was die abwertende Bedeutung von »betont, aufschneiderisch reden« hat. Das abwechslungsreiche und reichhaltige griechische Vokabular bringt die unterschiedlichen Aspekte des hebräischen Textes zur Geltung. Der kriegerische Tonfall, dessen der Text sich bedient, um die Bestrafung Edoms zu beschreiben, wird im grie4. Sprachliches Profil

505

6.1.5 Abdiu / Obadja

chischen Text durch eine Anhäufung von militärischen Vokabeln erhalten, wie etwa περιοχή, »Umzingelung« (V. 1), ἔνεδρον, »Hinterhalt« (V. 7), μαχητής, »Kämpfer« (V. 9), δύναμις, »Heer« (V. 11.13), διεκβολή, »Durchgang» (V. 14), πυρφόρος, »Feuerträger« (V. 18) und Verben wie αἰχμαλωτεύω, »gefangennehmen« (V. 11), συγκλείω, »die Ausgänge verschließen« (V. 14). Die Prägnanz griechischer Termini aus dem Bereich des Psychologischen wie ἀτιμόω, »verachten« (V. 2), ὑπερηφανία, »Überheblichkeit« (V. 3), ἐπιχαίρω, »Schadenfreude an den Tag legen«, μεγαλορρημονέω, »großtuerisch sprechen« (V. 12), passt zum Klima von Hass und Rache, welches der masoretische Text dem Leser darbietet. Und nicht zuletzt, indem der Übersetzer technisches Vokabular mehrfach wieder aufgreift, wie zum Beispiel ἐξερευνάω, »durchstöbern, durchsuchen«, im Vers 6, oder μετοικεσία, »Verpflanzung«, im Vers 20, reproduziert er die literarischen Effekte des kleinen Buches unter Bewahrung der Bilder des Adlers, des Motivs der Diebe und Räuber (V. 5) und der verschiedenen Bezugnahmen auf das bäuerliche Leben, wenn er die Winzer (V. 5) oder die Stoppel (V. 18) erwähnt. Trotz dieses guten Griechisch entziehen sich manche Abschnitte der LXX-Version von Obadja dem Verständnis: Im Vers 16 bietet der masoretische Text eine seltene Form, die im Sinne von »sie (die Völker) werden sich betrinken« oder »sie werden stammeln« verstanden wird; ihr entsprechen mehrere Lesarten in den Handschriften, wie etwa »sie werden hinabsteigen«, »sie werden hinaufsteigen« oder sogar, wie im masoretischen Text, »sie werden trinken«. In Wirklichkeit verleiht keine dieser Lesarten dem Satz einen in sich stimmigen Sinn. Die Verse 18 und 19 sind im Hebräischen und im Griechischen gleichermaßen schwer zu verstehen. Es handelt sich um eine geografische Beschreibung zweier Reiche. Doch im Griechischen widerstreitet der Eigenname Benjamin im Akkusativ ohne Artikel, gefolgt von einem καί, der griechischen Syntax und der Bedeutung im masoretischen Text. Man erfasst den Sinn besser, wenn man daraus ein Subjekt macht, im Sinne von: »und auch Benjamin wird vom Land Gilead (erben)«.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Buch Obadja kommt im Neuen Testament nicht vor, es wird nie zitiert, ja es gibt nicht einmal eine Anspielung darauf. Die Väter kommentieren dieses Buch kaum. Theodoret von Mopsuestia, Theodoret von Kyros und Kyrill von Alexandrien haben in ihren großen Kommentarwerken dennoch den historischen Kontext zu erhellen versucht, um die Verfehlung Edoms und seine Bedeutung für die Geschichte Israels zu erläutern. Sie riefen dabei die Feindschaft zwischen den Brüdern Jakob und Esau, dann den Bund Edoms mit den Assyrern und den Babyloniern und schließlich den Sieg Israels über Edom bis hin zu Joschafat (V. 6.15) in Erinnerung. Als unmenschliche, hasserfüllte Wesen voller Widerwillen beschrieben, werden die Edomiter von den Vätern manchmal als Gegenbeispiel für die Christen benutzt. Und einer allegorischen Deutung zufolge, wie man sie in den Scholien von Hesychius von Jerusalem lesen kann, steht die Prophetie des Obadja für den Sieg Christi über den Teufel, welcher von Edom repräsentiert wird. Oder mehr noch: Bei Hieronymus bedeuten sie die Häretiker, die die Kirche verachten. 506

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.6 Jonas / Jona Cécile Dogniez

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIa.f.g = 4Q76.81.82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII). BQS 610-614 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes: Jonas, BdA 23.4-9, Paris 1999, 117-161 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Ionas, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.804 f. — Heckel, T. K., Jonas, LXX.D, Stuttgart 20102, 1195 f. — Heckel, T. K., Jonas, LXX.E, Stuttgart 2011, 2394-2404.

1.4 Weitere Literatur Allenbach, J., La figure de Jonas dans les textes préconstantiniens, ou l’histoire de l’exégèse au secours de l’iconographie in: A. Benoit u. a. (Hg.), La Bible et les Pères, Paris 1971, 97-112 — Bickerman, E., Les deux erreurs du prophète Jonas, RHPR 45 (1965), 232-264, wiederabgedruckt in: ders., Studies in Jewish and Christian History I, Leiden 1976, 33-71 — De Troyer, K., The Freer Twelve Minor Prophets Codex — A Case Study: The Old Greek Text of Jonah, Its Revisions, and Its Corrections, in: L. W. Hurtado (Hg.), The Freer Biblical Manuscripts, SBL Text Critical Studies 6, Atlanta/GA 2006, 75-85 — Duval, Y.-M., Le livre de Jonas dans la littérature chrétienne grecque et latine; sources et influence du Commentaire sur Jonas de St. Jérôme, 2 vol. Etudes Augustiniennes, Paris 1973 — Feldman, J., Josephus’ Interpretation of Jonah, Association for Jewish Studies Review 17 (1992), 1-29 — Perkins, L., The Septuagint of Jonah: Aspects of Literary Analysis Applied to Biblical Translation, BIOSCS 20 (1987), 43-53 — Roldanus, J., Usages variés de Jonas pour les Premiers Pères, Cahiers de Biblia Patristica 2, Strasbourg 1989, 159-188.

1. Literatur

507

6.1.6 Jonas / Jona

2. Textüberlieferung und Editionen In der Septuaginta ist das Buch Jona zwischen Obadja und Nahum, dem anderen Buch aus dem Dodekapropheton, das von Ninive handelt, eingeordnet. Im masoretischen Text ist die Reihenfolge anders: Jona findet sich hier zwischen Obadja und Micha. Eine Handschrift aus Qumram, 4Q76 (4QXIIa) 1, ordnet Jona ausnahmsweise am Ende des Dodekapropheton, nach Maleachi, ein. Innerhalb der rabbinischen Tradition macht Numeri Rabbah 18,21 aus Jona sogar ein eigenständiges Buch unabhängig von der Sammlung der Kleinen Propheten. Sowohl im Griechischen als auch im Hebräischen unterscheidet sich das Buch Jona tatsächlich von anderen prophetischen Büchern: Es hat keinen Titel und enthält keine Vision und keine Weissagung. Es ist eine Erzählung, nämlich die Erzählung der Sendung, die Jona, der nicht Prophet genannt wird, von Gott übertragen bekam. Und das Volk, von dem die Rede ist, ist nicht das von JHWH auserwählte Volk, sondern eine heidnische Nation, die Niniviten. Die Person im Mittelpunkt ist aufgrund ihres Ungehorsams gegenüber dem göttlichen Befehl und ihres Zorns angesichts der Güte Gottes eine Art Antiheld in dieser Parabel. Gott selbst ist kein rächender Gott oder einer, der gut für Israel wäre, sondern im Namen seiner Freiheit und seiner universalen Milde ist er ein Gott, der sein Erbarmen selbst den Heiden zuteil werden lässt. Das Buch setzt sich aus vier Kapiteln zusammen. Das zweite Kapitel enthält in den Versen 3 bis 10 das Lied Jonas, von dem man annimmt, dass es ein späterer Zusatz ist. Der griechische Text dieses poetischen Psalms, der in die Prosaerzählung eingefügt ist, ist auch als »Ode« überliefert, die in der griechischen Kirche ab dem 5. Jahrhundert dem Psalter beigefügt wurde. In der griechischen Schriftrolle von Naḥal Ḥever sind lediglich einige Fragmente des griechischen Textes des Jona-Buches erhalten. Die Einordung des Buches entspricht hier der Reihenfolge des masoretischen Textes, das heißt es steht vor Micha. Der Name Jona erhält hier die Form Ιωνα (4,1). Abgesehen von einigen Korrekturen, die eine »Rehebraisierung« des Textes beabsichtigen, entspricht dieser griechische Text dem der Septuaginta.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Wenn man vom Psalm im zweiten Kapitel absieht, dessen manchmal schwer verständlichen hebräischen Text der Übersetzer oftmals auf seine Weise neu zusammensetzen musste, ist der hebräische Text des Jona-Buches im Vergleich zu den anderen Kleinen Propheten leicht und scheint dem griechischen Übersetzer keine besonderen Probleme bereitet zu haben. Die Septuaginta-Version ist eine ihrer hebräischen Vorlage treue Übersetzung. Sie weist sehr wenige quantitative Abweichungen auf, worunter es nur einige »Plus« (μᾶλλον in 1,11; Ιωνας in 1,12 und 4,4; die Präzisierung τὸν θεὸν μου in 2,3; die Worte κατὰ … τὸ ἔμπροσθεν in 3,2 und δέσποτα in 4,3) und einige »Minus« 1.

Vgl. Steck, O. H., Zur Abfolge Maleachi-Jona in 4Q76 (4QXIIa), ZAW 108 (1996), 249-253; Guillaume, Ph., The Unlikely Malachi-Jonah Sequence (4QXIIa), Journal of Hebrew Scriptures 7 (2007) Beitrag 15 (http://www.jhsonline.org/).

508

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.6 Jonas / Jona

(»groß« in 1,4; die Wiederholung des »er wird wiederkommen« in 3,9 und die Präzisierung »beim Aufsteigen« in Bezug auf die Morgenröte) gibt. Dennoch kommt es vor, dass einige redaktionelle Unterschiede die Bedeutung des Buches selbst betreffen. Zum Beispiel drückt in 2,7 das griechische ἀναβήτω φθορὰ ζωῆς μου (»dass das Verderben sich von meinem Leben hinweghebe«) anstelle des masoretischen Textes ‫ותעל משחת חיי‬ (»Du hast mein Leben vom Grab erstehen lassen«) eine Bitte für die Zukunft aus, eine Sehnsucht nach dem, was noch nicht eingetreten ist, während in der hebräischen Version das Heil bereits geschenkt wurde. In 3,4 umfasst der den Niniviten gewährte Aufschub im griechischen Text »drei Tage« und nicht »vierzig Tage« wie im masoretischen Text. In 4,1 und 4,4 zeigt Jona Schmerz und nicht Zorn wie im masoretischen Text. Schließlich wird man feststellen, dass der »große Fisch« des masoretischen Textes im Griechischen ein »Seeungeheuer« (κῆτος) und der »Rizinus« in 4,6 im Griechischen eine »Koloquinte« (κολόκυνθα) ist. Ob bewusst oder nicht liest der Übersetzer manchmal etwas anderes als das, was wir im Allgemeinen im masoretischen Text lesen. So liest er zum Beispiel in 1,9 das hebräische Wort für »Knecht« und nicht für »Hebräer«, oder in 2,6 das hebräische Wort für »äußerst« und nicht »Binse«. Mehrmals, und zwar in 2,6; 2,10 und 3,8, unterteilt er den hebräischen Text anders und erzeugt auf diese Weise eine andere Bedeutung als der masoretische Text.

4. Inhaltliches und theologisches Profil Das Griechisch des Buches Jona enthält einige Hebraismen, die dem Leser der Septuaginta hinreichend vertraut sind, wie den pleonastischen Gebrauch des anaphorischen Pronomens in 2,7 und 4,10; das Verb προστιθέναι, dem ein Infinitiv folgt, um zum Ausdruck zu bringen »fortsetzen zu …« in 2, 5; die Formel zum Auftakt der Erzählung καὶ ἐγένετο … καὶ, »und es geschah damals, dass …« in 4,8. Im Gegenzug werden allzu fremdartige Hebraismen zugunsten von an das Griechische besser angeglichenen Ausdrucksweisen zurückgewiesen. So werden etwa die »nichtigen Eitelkeiten«, die in 2,9 im masoretischen Text die Götzen bezeichnen, durch zwei einander zugeordnete Adjektive ersetzt: μάταια καὶ ψευδῆ, »Eitelkeiten und Lügen«. In 4,8, wird der Satz des masoretischen Textes, welcher wörtlich »Er wünschte sich, dass seine Seele sterbe« bedeutet, nicht Wort für Wort wiedergegeben wie in 3Kgt 19,4, sondern in korrekterer Weise mit ἀπελέγετο τὴν ψυχήν αὐτοῦ, »er verzichtete auf seine Seele« übersetzt. Abgesehen von Eigennamen findet man kein transliteriertes hebräisches Wort, nicht einmal das Hapax mit ungewisser Bedeutung (4,6-10) ‫קיקיון‬. Das Vokabular des Buches Jona bietet keine Besonderheiten. Einige griechische Ausdrücke haben natürlich eine ein wenig andere Bedeutung als im klassischen Griechisch: das substantivierte Adjektiv ἡ ἄβυσσος bezeichnet den »Abgrund« und der Ausdruck κακία, in einem passiven Sinne verwendet, bezeichnet »das Unglück«, »das Leid«. Doch das Wort ψυχή zum Beispiel bietet an den zahlreichen Stellen, an denen es begegnet (1,14; 2,6; 2,8; 4,3; 4,8), eine ebensolche Bedeutungsvielfalt wie das hebräische Wort ‫נפש‬. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

509

6.1.6 Jonas / Jona

Der Übersetzer hat, ohne Zweifel aus einem literarischen Bestreben heraus, den Erzählcharakter der Geschichte zu verstärken, darauf geachtet, das griechische Vokabular zu vereinheitlichen, wo der masoretische Text eine Vielfalt der Wortwahl aufweist. Zum Beispiel gibt in 1,3.4.5 einzig das Wort πλοῖον, »Schiff«, das typisch für das Koiné-Griechisch ist, zwei hebräische Substantive wieder. In 2,1.2.3, entspricht κοιλία, »Bauch«, zwei Wörtern des masoretischen Textes. Der Übersetzer benutzt dasselbe Verb ἐκβάλλειν, »erbrechen« in 1,15 und 2,11, für die Seeleute, die Jona ins Meer »werfen« und für das Ungeheuer, das Jona »ausspeit«. Umgekehrt kommt es vor, dass der Übersetzer aufgrund von religiösen Skrupeln eine lexikalische Vielfalt einführt, die im masoretischen Text nicht vorhanden ist. Um zum Beispiel die Angst, die die Seeleute verspürten, von der Gottesfurcht zu unterscheiden, benutzt der Übersetzer nacheinander φοβεῖσθαι in 1,5.10 und σέβεσθαι in 1,9. In gleicher Weise ist der Ausdruck ὀργή dem Zorn des Herrn in 3,9 vorbehalten und bezeichnet nicht den Zorn des Jona in 4,1, für den man im Griechischen liest: συνεχύθη, »er wurde verwirrt« (im masoretischen Text: »er geriet in Zorn«). Angesichts einer Verständnisschwierigkeit aufgrund einer syntaktischen Unklarheit, einer Leseschwierigkeit oder unbekannter bzw. seltsamer Wörter gilt allgemein, dass der Übersetzer stets versucht, einen griechischen Text zu bieten, der sich kohärent in den Kontext einfügt. Im Gebet des Jona, welches die poetische Form des Originals bewahrt, hat die Wortwahl mehrmals keine Entsprechung im masoretischen Text (wie »mein Schrei« in 2,3 oder »die Riegel« in 2,7), sie fügt sich jedoch vollkommen in die griechische Syntax ein und verleiht den Versen einen Sinn. Selbst wenn sich der Übersetzer poetischer Stilmittel bedient, die ihm eigentümlich sind, wie zum Beispiel ein verbaler Widerhall oder ein sehr markanter Rhythmus durch die Wiederholung des Pronomens μου in 2,3, gelingt es ihm, ein neues Gedicht zu gestalten, dessen Musikalität vollkommen mit der Spiritualität des Gebetes übereinstimmt.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Aufgrund des Reichtums seiner Themen — die Flucht des Jona, die Bekehrung der Niniviten, die Reue Gottes und seine Barmherzigkeit — hat das kleine Buch Jona in der Antike ein besonderes Interesse hervorgerufen. Flavius Josephus kommentiert es in seinen Jüdischen Altertümern IX, 205-214, obwohl er den Propheten der Bibel ansonsten wenig Beachtung schenkt. Doch anscheinend benutzt er nicht den Septuaginta-Text, sondern den hebräischen Text, welchen er nicht als Legende deutet, sondern als eine Episode aus der politischen Geschichte Israels. Philon von Alexandrien zitiert weder Jona noch irgendeinen anderen der Kleinen Propheten, doch die Tradition schreibt ihm eine Predigt zu, die Pseudo-philonische Homilie über Jona, die aus der hellenistischen jüdischen Predigt hervorgegangen ist. Jona verkörpert darin den Gerechten, der trotz des Sturms gerettet wird – ein Beweis für die Auferstehung des Leibes –, und die Niniviten sind das Beispiel für die Völker, denen der Allerhöchste seine Liebe zuteil werden lässt. Im Neuen Testament findet man keine Zitate aus dem Buch Jona, doch die Bezugnahme Jesu auf die Geschichte des Jona ist von höchster Bedeutung für die Deutung dieses Buches bei den Christen. Mt 12,38-39 und Lk 11,29-30 berichten in der Tat, dass 510

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.6 Jonas / Jona

die Schriftgelehrten und Pharisäer von Jesus ein Zeichen verlangen. Dieser antwortet: »Dieses böse und treulose Geschlecht! Es fordert ein Zeichen, und als Zeichen wird ihm kein anderes gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jona.« In Mk 8,11-13 wird anlässlich derselben Erzählung der Forderung eines Zeichens vonseiten der Pharisäer das Zeichen des Jona nicht erwähnt. Matthäus bestimmt die Bedeutung des Zeichens genauer: »So wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Inneren der Erde sein.« Hier ist es eine Ankündigung der Auferstehung Jesu »am dritten Tag«. Im Übrigen fordert Jesus nach Mt 12,41 seine Zeitgenossen auf, sich zu bekehren, so wie es die Niniviten getan haben, denn mit dem Menschensohn ist hier einer, der »mehr ist als Jona«. Doch der Großteil der Väter, wie Origenes 2, Kyrill von Jerusalem 3, Athanasius 4, Theodoret 5 oder Basilius von Caesarea 6, machen aus Jona deswegen kein Vorbild Jesu. Jona ist ein »Typos«, der Jesus nur durch seine Geschichte, nicht in seiner Person, vorwegentwirft. Dennoch behauptet Hesychios von Jerusalem in den Scholien, die jedem Vers des Buches Jona folgen, und ebenso in der Zusammenfassung, dass Jona der »Typos Christi« ist. Seine Lesart des Jona-Buches verfolgt eine polemische Absicht: Das prophetische Buch wird als eine Ankündigung der Taten Jesu im Angesicht der Synagoge und an die Völker gerichtet gedeutet. Für Eusebius von Caesarea 7 ist Jona ein Bild des »Menschen« Adams, und seine Geschichte ist die des universalen Heils, »welche das Wort mittels des Zeichens des Jona gewirkt hat«. Doch Eusebius versäumt es nicht, den Aufenthalt des Jona »in den Tiefen des Innersten des Meeres« in eine enge Verbindung zu bringen zum Abstieg des Menschenssohns »in den Schoß der Erde« (Mt 12,40), das heißt in die Unterwelt. Eine solche Deutung sollte von zahlreichen Vätern aufgegriffen werden. Für Methodios von Olympos 8 ist die Geschichte des Jona auch die des gefallenen Adam, der nach den »drei« Teilungen der Zeit auferweckt wurde. Von den ersten Christen reichlich kommentiert, hat das Buch Jona wegen zahlreicher anderer Motive als dem des »Zeichen des Jona« die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was Clemens von Rom, einen der ersten Zeugen einer christlichen Deutung des Buches Jona, erstaunt, ist die Bekehrung der Niniviten und ihr Heil, »obwohl sie in Bezug auf Gott Fremde waren« 9. Dies sind auch die beiden Themen, die bei Justin dem Märtyrer 10 im Vordergrund stehen, der ebenfalls die Anspielung Jesu auf Jona in ihrem historischen Kontext interpretiert und in einem polemischen Geist mit Blickrichtung auf die Juden unterstreicht, dass sich die Zeitgenossen Jesu im Unterschied zu den Niniviten nicht bekehrt hätten. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Contra Cels. 7, 57. Cat. 14, 17-20. Contra Arianos 3, 22-23. PG 81, ad loc. Eclogae propheticae 3, 16. Adv. Haer. III, 20, 1. De resur. 2, 25. Ep. ad Cor. 7, 7. Dial. 107-108. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

511

6.1.6 Jonas / Jona

Zahlreich sind die – christlichen und jüdischen – Lesarten, die zu verstehen versuchen, warum Jona die Flucht ergriffen hat. Ihre Erklärungen psychologischer oder religiöser Art sind vielfältig. Jona ist geflohen, weil es keine andere Prophetie gibt als »vor dem Angesicht Gottes«, das heißt nur im Land Israel; weil er einem Volk, das ein Feind Israels ist, nicht das Heil, und damit die Verwerfung Israels, zugestehen konnte; weil er es ablehnt, als ein Lügner dazustehen, oder fürchtet, ein Opfer von Gewalt zu werden. Was auch immer der Grund für die Flucht des Jona gewesen sein mag, sie ist beschämend, und er verdient also den Tod. Von daher versteht man, dass Jona schwerlich der »Typos« Christi sein kann. Im Gegensatz dazu wird das Gebet des Jona im Bauch des Seeungeheuers von gewissen Kommentatoren 11 als das Vorbild des Gebetes Jesu, nicht bei dessen Abstieg ins Totenreich, sondern bei seinem Sterben, betrachtet. Die Exegeten haben sich auch in eine andere, theologische, Frage vertieft, nämlich die nach der Reue Gottes, die in Jona 3,9 aufgeworfen wird. Origenes 12 zum Beispiel zitiert dieses »bereuen« Gottes im Hinblick auf die Niniviten als ein Beispiel einer anthropomorphen Sprache von pädagogischem Wert. In seiner Sprechweise passt sich Gott so den Menshen an, damit sie sich bekehren. Doch das Buch Jona dient allen Kommentatoren vor allem als ein Beispiel für Buße und Umkehr. Clemens von Alexandrien 13 ruft das Heil der Niniviten dank ihrer aufrichtigen Reue selbst dann in Erinnerung, wenn er dazu ermahnt, das »vernünftige Wasser«, das heißt die Taufe, zu empfangen. In ihren Homilien versäumen es die Prediger nicht, den Christen die Buße der Niniviten und zugleich das Opfer des Jona, um die Matrosen im Sturm zu retten, und schließlich seinen Gehorsam Gott gegenüber als Vorbild für ihr Leben vor Augen zu stellen. Neben dem überbordenden Bilderreichtum, der in der alten Kirche die Gestalt des Jona in Szene setzte (vor allem als ihn die Matrosen ins Maul des Seeungeheuers werfen, als ihn das Seeungeheuer wieder ausspeit und schließlich als er sich unter der Koloquinte niederlegt) bemisst sich die Bedeutung dieses kleinen Buches der Bibel an seinem Stellenwert innerhalb der Liturgie. Das Buch Jona wurde zitiert und reichlich kommentiert vor denen, die die Taufe am Tag der Auferstehung Christi empfingen, wie uns Kyrill von Jerusalem 14 berichtet. Es wurde ebenso in der Ostervigil und während der Fastenzeit als Bußakt verlesen.

11. Vgl. Origenes, Com. Series in Matth. 136; Basilius von Caesarea, In Ps. 68, 2-3 und Hesychios von Jerusalem. 12. Hom. Num. 16, 4. 13. Protreptikos 99, 1-5. 14. Cat. 14, 17-20.

512

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.7 Naum / Nahum Heinz-Josef Fabry

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIg = 4Q82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII). BQS 616 f. — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes: Naoum, BdA 23.4-9, Paris 1999, 163-230 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Naoum, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.805-807 — Fabry, H.-J., Naum / Nahum, LXX.D, Stuttgart 20102, 1199-1202 — Fabry, H.-J., Naum / Nahum, LXX.E, Stuttgart 2011, 2405-2412.

1.4 Weitere Literatur Barthélémy, D., Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963, bes. 161-272 — Carrez, M., Naoum Septante, RHPhR 70 (1990/91), 35-48 — Dingermann, F., Masora-Septuaginta der Kleinen Propheten, Diss. Würzburg 1948 — Fabry, H.-J., Die griechischen Handschriften vom Toten Meer, in: ders. / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 131-153 — Fabry, H.-J., Die Nahum- und Habakuk-Rezeption in der LXX und in Qumran, in: E. Zenger (Hg.), »Wort JHWHs, das geschah …« (Hos 1,1). Studien zum Zwölfprophetenbuch, HBS 35, Freiburg 2002, 159-190 — Fabry, H.-J., The Reception of Nahum and Habakkuk in the Septuagint and Qumran, in: S. M. Paul / R. A. Kraft / L. H. Schiffman / W. W. Fields (Hg.), Emanuel. Studies in Hebrew Bible, Septuagint, and Dead Sea Scrolls (FS E. Tov), VT.S 94, Leiden 2003, 241-256 — Fabry, H.-J., Nahum, HThK AT, Freiburg 2006 — Kaminka, A., Studien zur Septuaginta an der Hand der Zwölf Kleinen Propheten, Frankfurt/M. 1928 — Schulz, H., Das Buch Nahum. Eine redaktionskritische Untersuchung, BZAW 129, Berlin 1973 — Ziegler, J., Studien zur Verwertung der Septuaginta im Zwölfprophetenbuch, ZAW 60 (1944), 107-131.

1. Literatur

513

6.1.7 Naum / Nahum

2. Textüberlieferung und Editionen Das Buch Nahum, griech. Ναουμ, ist das 7. Buch des Dodekaprophetons. Sein Verfasser ist unbekannt, scheint aber aufgrund textinhärenter Merkmale im Vorfeld der Niederlage Assyriens (Zerstörung Ninives 612 v. Chr.) in Jerusalem (?) aufgetreten zu sein. Er richtet sich gegen die sprichwörtliche Grausamkeit der Assyrer und droht ihnen – konzentriert auf ihre Hauptstadt Ninive (Nah 1,1; 2,9; 3,7) – eine von Gott bewirkte spektakuläre Vernichtung an. Der hebr. Text des Nahum-Buches liegt in drei antiken Versionen vor: Neben dem Masoretischen Text (MT) bezeugt eine Handschrift aus Qumran (4Q82[XIIg]) 1 den Nahum-Text von Nah 1–3, und ein Qumran-Pesher (4Q169[4QpNah]) enthält einen fortlaufenden Kommentar zu Nah 1,3–3,14. Der hebr. Text ist auch in der Zwölfprophetenrolle aus Wadi Murabbaʿ at (Mur 88) 2 bezeugt, die zur proto-masoretischen Textlinie gehört. Der griech. Text des Nahumbuches ist zuerst in der Zwölfpropheten-Rolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr; 1. Jh. n. Chr.) 3 bezeugt (s. w. u.). Die ältesten LXX-Fassungen liegen jedoch in den Kodizes B, S und A vor, die gegen MT 4 die Bücher neu arrangieren, indem sie das Duo Obadja – Jona den Platz mit dem Michabuch tauschen lassen, so dass LXX nun gegen MT die Abfolge Jona-Nahum bietet. LXX gibt auf diese Weise dem Dodekapropheton eine triadische Struktur: Hosea – Micha (Drohworte gegen das eigene Volk), Nahum – Zefanja (Drohworte gegen Fremdvölker), Haggai – Maleachi (Heilsankündigungen). 5 Zudem lässt die LXX durch die Konjunktion von Jona und Nahum 6 zwei völlig konträre Ninive-Ästimationen aufeinander stoßen, wobei sie die theologische Absicht verfolgt, die Ambivalenz im Gottesbild zu profilieren: zuerst Gottes Gnade, die auch seinen größten Zorn überwinden kann, wenn die »Hure Ninive« zu ihm umkehrt. Vielleicht hat die Aussage von der überbordenden Gnade Gottes im Jonabuch sogar einmal am Schluss des ganzen Dodekaprophetons gestanden, wie es aus dem fragmentarischen Manuskript 4Q76(XIIa) hervorgehen könnte. 7 Die komplizierte Struktur des Buches zeigt nach der zweigeteilten Überschrift (Nah 1,1) einen Theophaniepsalm (Nah 1,2-8), der im MT als alphabetisches Akrostichon angeordnet ist und den Blick auf JHWH als den Weltenherrscher lenkt. Der Ab1.

2. 3. 4. 5. 6. 7.

4Q82(XIIg) aus dem letzten Drittel des 1. Jh. v. Chr. (vgl. DJD 15, 1997, 271-318) ist in einem textlich sehr schlechten Zustand, enthält Teile aus Nah 1-3 und steht dem MT nahe, auch wenn er 8mal mit der LXX gegen MT liest (vgl. Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2010, 340 f.). Daneben existiert ein Kommentar 4Q169(pNah) aus Qumran (vgl. DJD 5, 37-42; dazu Strugnell, J., Notes on Marge du Volume V des »Discoveries in the Judaean Desert of Jordan«, RdQ 7 (1970),204-210. Bennoit, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R. (Hg.), Les Grottes de Murabbaʿ at, DJD 2, Oxford 1961, 181-205. Tov, E., The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr), The Seyal Collection I, DJD VIII, Oxford 1990. Mur und 8ḤevXIIgr bleiben bei der Anordnung des MT. Dazu vgl. Spronk, K., Nahum. Historical Commentary on the Old Testament, Kampen 1997, 9. Diese Verbindung haben auch die Targume übernommen. Zur Diskussion vgl. Lange, Handbuch, 336 f.

514

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.7 Naum / Nahum

schnitt Nah 1,9-2,3 besteht aus einer Verschachtelung von vier ehemals selbständigen Sprüchen. Den Hauptteil des Buches bilden drei Gerichtsreden (Nah 2,1bβ-2.4-14; 3,17; 3,8-19) gegen Ninive, vom Propheten selbst wohl z. Zt. des judäischen Königs Manasse verfasst. Gegen seine assyrienfreundliche Haltung und synkretistische Religionspolitik verkündet Nahum das sichere Ende Ninives und der leidvollen Besatzung Judas. Durch diese Komposition – gezielt spiegelbildlich zum folgenden Habakuk-Buch – wurde das Nahum-Buch zum »Buch von der Geschichtsmächtigkeit Gottes«, die paradigmatisch im Sturz der Weltmacht Ninive, dem Vorspiel des endzeitlichen Weltgerichtes erkennbar wird.

3. Übersetzungstechnik, Ort der Übersetzung Der teilweise sehr desolate Zustand des MT – besonders drastisch in Nah 1,2-8.10.12; 2,2-14 – hat den Übersetzer erkennbar vor große Probleme gestellt, die er durch unterschiedliche Abtrennung der lectio continua und Modifikation der Zählung der Verse um Halbverse (Nah 1,12.15), Annahme homophoner Wurzeln (Nah 1,12; 2,1) und Metathese und/oder Austausch von Konsonanten (Nah 1,6; 2,4) löste und so sinnvolle Verbesserungen (Nah 2,4.8.9), Explikationen (Nah 2,2.11; 3,1.8.17) und Ästhetisierungen (Nah 1,7; 3,12) erreichte. 8 Andere Abweichungen lassen sich erklären aus der Annahme einer anderen Vokalisation (z. B. Nah 1,13.14; 2,8). Der Übersetzer arbeitete möglicherweise im Alexandria des ausgehenden 2. Jh. v. Chr., obwohl nichts zwingend darauf hinweist. Es darf nicht übersehen werden, dass er die geographischen Begriffe pût »Punt« und noʾ -ʾ amôn »Theben« (Nah 3,8 f.) nicht als solche erkannt hat und durch eine phantasievolle Übersetzung ersetzte. Das im LXX-Text verbliebene Αμων wird seit den Kirchenvätern und den Targumim mit dem hellenistischen Alexandria im Kontext des Ägyptenfeldzuges des Antiochus IV. (170–169 v. Chr.) identifiziert. Ob er mit dem/den Übersetzer/n des sonstigen Dodekaprophetons identisch ist, ist in der Forschung umstritten. 9

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Sprache des Übersetzers zeigt einige Eigentümlichkeiten; er formulierte z. T. asyndetisch, mit harten Übergängen und Änderungen in der consecutio temporum, er prägte einige Neologismen (z. B. παλαίωσις »Altersschwäche« für belijaʿ al [Nah 1,15], ἐκτιναγμός »Herausstoßen«, ἀνατιναγμός »Wegstoßen«, ἐκβρασμός »Aufwallen«, θραυσμός »Herzzerreißen« und ὑπόλυσις »Knieschlottern« [Nah 2,11]) und war gut bewandert in der militärischen Terminologie. Trotz der Nähe zum MT zeigt NahLXX einige theologische Spezifikationen: Der Übersetzer konzentrierte den Text auf das göttliche Subjekt, gestaltete ihn von Beginn an (Verlesung von sûpah »Sturmwind« als sôp »Ende« [συντέλεια; Nah 1,3]; 1,7) konsequent eschatologisch durch und fügte apokalyptische Metaphern (z. B. das »Schmel8. 9.

Vgl. Fabry, Nahum (HThK AT), 77-79. Vgl. Fabry, Die Nahum- und Habakuk-Rezeption, 159-190, bes. 161. 3. Übersetzungstechnik, Ort der Übersetzung

515

6.1.7 Naum / Nahum

zen der Mächte« [Nah 1,6], den messianischen Titel »Herrscher über mächtige Wasser« [Nah 1,12]) und kosmologische Motive ein. Er betonte die verheißene Befreiung und Wiederherstellung Judas (z. B. Nah 1,12; 2,2.3). Die in Nah 3,5MT angesprochene Gewalt Gottes gegen Frauen (»Scham«) 10 wurde vom Übersetzer ästhetisierend vollständig aus dem Text entfernt (»was hinter dir ist«), um auf diese Weise das Gottesbild von Anthropopathismen zu purgieren.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 1.) Die Wirkungsgeschichte des Nahumbuches setzte wohl bereits unmittelbar nach seiner Abfassung ein, insofern das Habakbuch spiegelbildlich zum Nahumbuch strukturiert worden ist. 11 Der Einfluss von Nahum auf Deuterojesaja zeigt sich in der Ansage der Freudenboten (Nah 2,1 // Jes 52,7). 2.) Zur Rezeptionsgeschichte des NahLXX ist die Zwölfpropheten-Rolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr XIII-XVI; 1. Jh. n. Chr.) 12 zu rechnen, die als frühe jüdische Rezension des griech. Textes aus der Kaige-Textlinie wohl eine eigene griech. Textlinie 13 kennt, die aber interlinear auf den MT hin korrigiert worden ist. Ohne Zweifel hat der Text Gemeinsamkeiten mit Symmachus, Aquila, Theodotion, der Quinta und der LXX-Version des Codex Freer (Papyrus W; 3. Jh. n. Chr.), ist damit älter als der Text der großen LXX-Handschriften, enthält aber einen typologisch späteren Text. Wegen der pseudo-paläographischen Schreibung des Tetragrammes (statt κύριος; Nah 1,14; 2,14 rekonstr.) scheint er in einem orthodoxen Kontext entstanden zu sein. Der Übersetzer war bestrebt, einerseits den Text möglichst nahe an die proto-masoretische Textlinie heranzuführen, andererseits eine weitgehend konkordante Übersetzung herzustellen, wobei er im Vergleich zur LXX den Text von Lesefehlern bereinigte. 3.) Der Nahum-Pesher aus Qumran (4Q169[4QpNah]) 14 aus dem 1. Jh. v. Chr. steht dem MT sehr nahe; zugleich gehört er aber in die Rezeptionsgeschichte der LXX, insofern er sich in Einzelfällen auch auf die LXX stützt. 15 Dem Pesher liegt daran, die Botschaft des Propheten Nahum auf die unmittelbare Gegenwart der Gemeinde von Qumran zu beziehen, wenn er die Drohworte des Propheten auf die zeitgenössischen Pharisäer und Sadduzäer auslegt. 16 Der Pesher gehört zu den bes. wichtigen Rollen

10. Vgl. Baumann, G., Gott als vergewaltigender Soldat im Alten Testament? Ein Vergleich von Jes 47,2 f. und Nah 3,4-7, in: B. Heininger u. a. (Hg.), Machtbeziehungen, Geschlechterdifferenz und Religion, Geschlecht – Symbol – Religion 2, Münster 2004, 55-67. 11. Spronk, Nahum, 8 nennt als Entsprechungen: Nah 1 // Hab 3; Nah 1,1 // Hab 2,2: Nah 2,4 f.; 3,1 ff. // Hab 1,8 f.; 2,12; Nah 1,5 // Hab 3,6.10; Nah 1,4 // Hab 3,8 f.; Nah 1,7 // Hab 3,16 u. ö. 12. Tov, The Greek Minor Prophets Scroll (s. Anm. 3). 13. »… keine Neuübersetzung, sondern eine auf eine protomasoretische Vorlage zurückgreifende LXX-Revision«; vgl. Lange, Handbuch, 344. 14. Vgl. Berrin, S. L., The Pesher Nahum Scroll from Qumran. An Exegetical Study of 4Q169, StTDJ 53, Leiden 2004, der MT sehr nahe steht, aber in Einzelfällen auch LXX-Lesarten belegt (Lange, Handbuch, 349). 15. Vgl. Lange, Handbuch, 349. 16. Vgl. Fabry, Die Nahum- und Habakuk-Rezeption, 159-190, bes. 179 f.

516

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.7 Naum / Nahum

Qumrans, weil er – zwar kodifiziert – Auskünfte über die Anfänge und die Geschichte der Qumrangemeinde gibt. 4.) Die syrische Textüberlieferung (Peshitta) entstand in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. und zeigt eine große Textnähe zur LXX. 5.) Das Neue Testament hat – wie die spätere christliche Liturgie – das Nahumbuch nicht zur Kenntnis genommen. Das Zitat in Röm 10,15 17 von den »Schritte (n) des Freudenboten, er verkündet Gutes« wird wegen der Wortentsprechung auf Jes 52,7 zurückgeführt. Paulus hat jedoch die Verkündigung des Friedens (εἰρήνη) durch den Freudenboten uminterpretiert zu einer Verkündigung des Guten (τὰ ἀγαθά). Jes 52,7 wiederum geht auf Nah 2,1MT.RA; 1,15GÖ zurück 18, wo der Freudenbote ursprünglich die frohe Botschaft vom Untergang Ninives überbrachte und für Jerusalem den Frieden ansagte. – Die Darstellung der »Hure Babylon« in Offb 17,1-18 (vgl. Jer 51,13) zur Umschreibung Roms scheint viele Elemente aus der Charakterisierung Ninives durch Nahum (z. B. Nah 3,4) rezipiert zu haben. 6.) Die Kirchenväter haben das Nahumbuch meistens im Horizont des Jonabuches gelesen, wenn sie den angedrohten Untergang Ninives immer wieder als Ermöglichung der Umkehr und Bekehrung der Welt (z. B. Hieronymus zu Nah 3,19) sehen. Die anthropopathischen Schilderungen der Macht Gottes in Nah 1,2-8 werten sie als heilsgeschichtliche Anspielungen auf die Sintflut (auch Nah 1,12) und auf den Exodus und deuten den Text allegorisch auf das Ende der Welt (Hieronymus). Das in Nah 1,3.5 genannte Erdbeben wird von Cyrill von Alexandrien gar auf die mit der Inkarnation sich ereignende Entmachtung des Todes gedeutet. Die Aussage von Nah 1,9LXX, dass Gott nicht zweimal strafen wird, hat ihre große Aufmerksamkeit gefunden. Origenes hat von hier aus eine Theologie der Strafe entwickelt, die besonders für die Entwicklung seiner Lehre vom Fegefeuer wichtig wurde. In dem Epitheton »Herr über gewaltige Wasser« (Nah 1,12LXX) sahen die Kirchenväter eine Allegorie für die Vielzahl der Laster, die als Zeichen für das nahe Weltende gedeutet werden muss (Didymus). Die Beliebigkeit der allegorischen Deutung zeigt sich bei anderen Vätern, die hier einen Hinweis auf die vielen Heidenvölker, auf die Babylonier, auf die Mächte der Engel (Hieronymus) oder gar auf das Wasser der Taufe (Hesychius) sehen. Die »Ankündigung der Freudenboten« (Nah 1,15; 2,1) wurde durchwegs messianisch verstanden und auf die Parusie gedeutet. Der anschließende V. 2LXX »er bläst in dein Gesicht« galt dann als Hinweis auf den Leben ermöglichenden Schöpfungshauch und auf die Geistsendung durch den Auferstandenen.

6. Perspektiven der Forschung Die LXX hat ohne Zweifel das Nahumbuch lesbar gemacht, indem sie manche Perhorreszierungen ausgebügelt hat. Das dem Buch nach wie vor inhärente Gewaltproblem aber bedarf der weiteren Erforschung. Textgeschichtlich wird eine Rückprüfung

17. Nestle, E. / Aland, K. (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 282012 (III. Loci citati vel allegati), 868. 18. Zur redaktionsgeschichtlichen Frage der Priorität vgl. Fabry, Nahum, 151-154. 6. Perspektiven der Forschung

517

6.1.7 Naum / Nahum

des LXX-Textes an seiner prä- oder gar extra-masoretischen Textvorlage nötig sein, um auf diese Weise einer Entwicklung von Anthropomorphismen und Anthropopathismen im Gottesbild auf die Spur zu kommen.

518

6. Perspektiven der Forschung

6.1.8 Ambakum / Habakuk Heinz-Josef Fabry

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt — Baars, W., A New Witness to the Text of Barberini Greek Version of Habakkuk III, VT 15 (1965), 381 f.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIg = 4Q82 (nur Hab 2,4?) (DJD XV) 1QpHab (nicht in DJD) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII). BQS 617 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes: Ambakoum, BdA 23.4-9, Paris 1999, 233-310 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Habbakoum, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.807-810 — Fabry, H.-J., Ambakum / Habakuk, LXX. D, Stuttgart 20102, 1202-1208 — Fabry, H.-J., Ambakum / Habakuk, LXX.E, Stuttgart 2011, 24132428.

1.4 Weitere Literatur Barthélémy, D., Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963, bes. 161-272 — Carrez, M., Ambakoum Septante, RHPhR 72 (1992), 129-141 — Cleaver-Bartholomew, D. G., An Analysis of the Old Greek Version of Habakkuk (Ph.D.) The Claremont Graduate University 1998 — Fabry, H.-J., Die griechischen Handschriften vom Toten Meer, in: ders. / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 131-153 — Fabry, H.-J., Die Nahum- und Habakuk-Rezeption in der LXX und in Qumran, in: E. Zenger (Hg.), »Wort JHWHs, das geschah …« (Hos 1,1). Studien zum Zwölfprophetenbuch, HBS 35, Freiburg 2002, 159-190 — Fabry, H.-J., The Reception of Nahum and Habakkuk in the Septuagint and Qumran, in: S. M. Paul / R. A. Kraft / L. H. Schiffman / W. W. Fields (Hg.), Emanuel. Studies in Hebrew Bible, Septuagint, and Dead Sea Scrolls (FS E. Tov), VT.S 94, Leiden 2003, 241-256 — Fabry, H.-J., »Der Herr macht meine Schritte sicher« (Hab 3,19 Barb.) – Die Versio Barberini, eine liturgische Sondertradition von Hab 3?, in: W. Kraus / M. Karrer. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 223-237 — Fernández Marcos, N., El Texto Barberini de Habacuc III Reconsiderado, Sefarad 36 (1976), 3-36 — Fernández Marcos, N., Der Barberini-Text von Hab 3 – eine neue Untersuchung, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 3: 1. Literatur

519

6.1.8 Ambakum / Habakuk

Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart 2007, 151-180 — Good, E. M., The Barberini Greek Version of Habakkuk III, VT 9 (1959), 11-30 — Haak, R. D., Habakkuk, VT.S 44, Leiden 1991 — Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes 4-9, La Bible d’Alexandrie XXIII, 4-9, Paris 1999, 233-255 — Kaminka, A., Studien zur Septuaginta an der Hand der Zwölf Kleinen Prophetenbücher, Frankfurt/M. 1928 — Kim, J.-H., Die hebräischen Textformen der hellenistisch-frühjüdischen Zeit. Ausgehend vom Habakuk-Text der griechischen Zwölfprophetenrolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr), in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 357-358 — Koch, D.-A., Der Text von Hab 2,4b in der Septuaginta und im Neuen Testament, ZNW 76 (1985), 68-85 — Kraus, W., Hab 2:3-4 in the Hebrew Tradition and in the Septuagint, with its Reception in the New Testament, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception, VT.S 127, Leiden 2009, 101-117 — Strobel, A., Habakuk, RAC 13, 1986, 203-226 — Thackeray, H. S. J., The Septuagint and Jewish Worship, London 21923, 47-55 — Witte, M., Vom Glauben in der (End-)Zeit – Ein exegetischer Spaziergang durch das Buch Habakuk, in: G. Linde / R. Purkarthofer / H. Schulz / P. Steinacker (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken (FS H. Deuser), Marburger Theologische Studien 90, Marburg 2006, 323-337.

2. Textüberlieferung und Editionen Der hebr. Text des Habakukbuches ist schon seit der Antike verderbt, entsprechend ist auch der griech. Text in weiten Bereichen problematisch. Umstritten ist, ab wann Hab 1–2 und Hab 3 miteinander verbunden sind. Die Forschung am Dodekapropheton sieht in den Hymnen Hab 3 und Nah 1 redaktionelle Texte, die z. Zt. der LXX-Übersetzung zwar schon zum jeweiligen Prophetenbuch gehörten, für Hab 3 sich aber eine gewisse Unsicherheit ergibt, weil 1QpHab (um 50 v. Chr.) wie das gesamte Qumrankorpus nur Hab 1–2 kennen, während in der versio Barberini (vielleicht 1. Jh. n. Chr.) eine eigenständige, von der LXX unabhängige griech. Textversion nur von Hab 3 vorliegt.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Es scheint gut begründet, dass die Habakuk-Übersetzung bereits dem Jesaja-Übersetzer (um 140 v. Chr. in Ägypten) vorlag. Eine genauere Datierung ist jedoch schwierig: die Umdeutung der prophetischen Botschaft zur Ankündigung des eschatologischen Endgerichtes an einem unbekannten Zeitpunkt spricht dafür, die Übersetzung des Habakuk-Buches im Kontext apokalyptischer Geschichtsdeutung anzusiedeln; die über MT hinausgehende Erwähnung der Furcht in 2,4a und 2,13 weist auf eine Situation der Verfolgung hin, wie sie unter Ptolemaios IV. Philopator (221–204 v. Chr.; vgl. 3Makk 2,25-30) und Antiochus IV. Epiphanes (um 175 v. Chr. in Jerusalem) bezeugt sind. Da mehrere Ägyptizismen (z. B. Hab 3,4 »die Strahlen, die von ihm [d. h. von seiner Hand] ausgehen«; dazu vgl. die Aton-Ikonographie der Amarna-Zeit; 2,11: κάνθαρος »Skarabäus«) als Ort der Übersetzung Alexandria oder eine andere jüdische Gemeinde in Ägypten vermuten lassen, ist eine Datierung um 200 v. Chr. angemessen. Die LXX spiegelt die Schwierigkeiten ihrer hebr. Textvorlage wider: Verlesungen 520

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.8 Ambakum / Habakuk

und Annahme von Homonymen (z. B. in 3,4MT šam »dort« wird mit ἔθετο [= śîm] wiedergegeben); Hilfskonstruktion mittels approximativer Doppelübersetzungen zur Umgehung einer Textunsicherheit (z. B. in 3,3), Allegorese (z. B. in 3,10MT harîm »Berge« werden als λάοι »Völker« gedeutet) spiegeln die Mühen des Übersetzers. Von einer konkordanten Übersetzung war er weit entfernt. Ansonsten macht er durch mehrfache Einfügungen von Syndesen (z. B. Hab 3,7-15) den Text gefälliger. In ihrer – obwohl textnahen – Übersetzung setzt die LXX durchaus neue theologische Akzente: So gestaltet sie das negativ drohende Visionswort Hab 1,5-11 zu einer positiven Verheißung in der Situation der Bedrückung um. In Hab 2,3 f. nimmt LXX eine entscheidende Uminterpretation vor (s. w. u.). – In Hab 2,17 übersetzt LXX ḥamas »Schandtat, Gewalt« mit ἀσέβεια »Gottlosigkeit« und hat dabei wohl einen Seleukiden (Antiochus III. im 4. Syrischen Krieg?) im Blick, der durch den Ausdruck »Gottlosigkeit des Libanon« abqualifiziert wird. – Im textlich schwierigen Hymnus Hab 3 hat der Übersetzer sich weitestgehend am hebr. Konsonantenbestand gehalten und mühsam einen Sinn gesucht. Dabei hat er den Text von Anthropopathismen (Hab 3,5) befreit und versucht, das Gottesbild zu purgieren und die guten Seiten Gottes ins Blickfeld zu rücken. In dem Parallelismus daebar – ræšæp »Pest – Seuche« interpretierte der Übersetzer den Ausdruck ræšæp als Hinweis auf den Wettergott Reschef und desavouierte ihn aus monotheistischer Überzeugung als etwas, was man mit den Füßen tritt. – Beachtlich ist die Textkorrektur in Hab 3,13b: LXXA und die drei Ms. von Ode 4 (s. w. u.) lesen übereinstimmend den Pl. τοὺς χριστούς σου »(um zu retten) deine Gesalbten«, dagegen bieten LXXB.S mit MT den Sg. τὸν χρ(ε)ιστόν σου »deinen Gesalbten«. Damit nimmt die LXXA dem Text jede Möglichkeit einer messianischen Aussage: aus dogmatischen Gründen konnte eine Rettung des »Messias« durch Gott nicht gedacht werden, wohl aber die der von Gott durch die Salbung (Priester, Könige, Propheten) besonders Auserwählten. – Eine theologisch relevante Umdeutung geschieht in Hab 3,18b, wo der Übersetzer den »Gott meines Heils« messianisch als »Gott, meinen Retter (σωτήρ)« eschatologisch interpretiert.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Das sprachliche Profil des Textes zeigt abgesehen von wenigen Ägyptizismen keine Besonderheiten. Der Text ist grammatisch und syntaktisch kompliziert gestaltet, was allerdings weniger Hinweis auf einen besonderen Idiolekt ist, als der verderbten hebr. Vorlage geschuldet ist. Die LXX hat die hebr. Vorlage respektiert und Aufbau, historische und theologische Stoßrichtung des Prophetenbuches großflächig beibehalten. Der zunächst gegen innerjudäische Gewalt vorgehende Prophet (1,2-4.12a.13 f.; 2,6-15) sah in Babylon das Strafwerkzeug Gottes (1,5-11.12b), das dann aber seine Gewalt-Kompetenz erheblich überschritt (vgl. Nahum). Deshalb wechselte Habakuk von der Klage zur Schelte, zu Drohund Weheworten, denn das Werkzeug Gottes hat sich von seinem Auftrag gelöst und richtete nun hemmungslos Unheil an. Darin sah Habakuk das Prinzip der Gerechtigkeit, bes. der Gerechtigkeit und Göttlichkeit des Gottes Israels in Frage gestellt. Die LXX stellt dieses Buch nun in einen ptolemäisch-seleukidischen Kontext, der bis zur Übersetzung des Habakukbuches bereits durch insgesamt fünf Syrische Kriege 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

521

6.1.8 Ambakum / Habakuk

von Kriegsnot und Gewalt so gezeichnet war, dass die Gegenwart nur noch über eine eschatologische Hermeneutik interpretiert werden konnte. Man wusste sich in der Endzeit, in der die Gerechtigkeit als alleiniges Kriterium für die Unterscheidung der Geister galt (Hab 2,4). An dieser für das Verständnis des ganzen Buches wohl entscheidenden Stelle gehen MT und LXX erheblich auseinander: Der MT-Lesung »Seine Seele ist nicht rechtschaffen in ihm / aber ein Gerechter wird durch seine Treue am Leben bleiben« stellt die LXX die Übersetzung entgegen: »Sollte er sich zurückhalten (d. h. nach Kraus 1: sollte er kein Vertrauen in die Ankündigung des kairos haben), hat meine Seele keine Freude an ihm / der Gerechte aber wird aus dem Glauben an mich leben« (LXXS.B); anders LXXA: »… mein Gerechter wird aus dem Glauben leben«. Durch die Änderung der Suffixe baut der Übersetzer gegenüber MT einen expliziten Gottesbezug ein. Die im hebr. Text von Gott angekündigte Vision kann sich verzögern, aber wird sicher eintreffen, nach Hab 2,3LXX bald. Dem Ungerechten wird der Getreue gegenübergestellt, der aufgrund seines Glaubens leben wird. Die LXX präzisiert dahingehend, dass gerade die eschatologische Verzögerung ein besonders starkes Vertrauen erfordert, das implizit mit »Gerechtigkeit« gleichgesetzt wird, weil es nur vom Gerechten geleistet werden kann. In diesen Zeiten der Not hat der Gerechte eine Zukunft, aber nur, wenn er auf Gott vertraut und darin nicht nachlässt. In dieser Hinsicht ist er mit Abraham vergleichbar (Gen 15,6; Neh 9,8; Sir 44,20; 1Makk 2,52). Mag dies der »meister spruch« (Luther) des ganzen Buches sein, so fällt der Übersetzer mit der Vorlage wieder in eine Gewaltklage zurück. Der Prophet scheint in dieser Frage um sich selbst zu kreisen und vermag nicht, sich zu öffnen für eine nachhaltig befreiende Botschaft. So erscheint dann der Theophanie-Hymnus in Hab 3, der die Größe des göttlichen Weltenrichters preist, künstlich angefügt als eine Antwort »von außen« auf die Fragen des Propheten.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 1) Das Habakukbuch hat bereits eine innerbiblische Wirkungsgeschichte, insofern bereits der Daniel-Anhang »Bel kai Drakon« durch die Überschrift »Aus der Weissagung Habakuks, des Sohnes Jesus, aus dem Stamm Levi« (Beginn 2. Jh. v. Chr.; vor Antiochus IV. Epiphanes) mit dem Propheten Habakuk verbunden wird. 2 Die dabei avisierte Levi-Genealogie verweist auf priesterliche bzw. tempeltheologische Implikate, 3 die im Habakukbuch selbst noch nicht zu erkennen waren. Habakuk wird im Auftrag Gottes zum Retter der Gerechten (Bel 38) und verwirklicht damit die Verheißung von Hab 2,4. 2) Obwohl der Habakuk-Kommentar (1QpHab) aus Qumran primär der protomasoretischen Textlinie verpflichtet ist, steht doch gut ein Drittel der Varianten der LXX-Vorlage nahe. 4 Qumran hat sich selbst einen Habakuktext (nur Hab 1-2) zusam1. 2. 3. 4.

Kraus, Hab 2:3-4 in the Hebrew Tradition and in the Septuagint, 101-117, bes. 106.112. LXX.D, 1462-1465. Witte, Vom Glauben in der (End-)Zeit, 323-337, bes. 325. Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2010, 349 f. Siehe dazu auch: Kim, J.-H., Intentionale Varianten der Habakuk-Zitate im Pescher Habakuk, Biblica 88 (2007), 23-37.

522

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.8 Ambakum / Habakuk

mengestellt und dabei gerade an essentiell wichtigen Stellen die LXX beigezogen. Der Pesher legt den Text des Propheten aktualisierend für seine Gegenwart unter römischer Besatzung aus, sieht in den Gerechten die Geschichte der Qumrangemeinde vorabgebildet, die nun über einen vormals errechneten und inzwischen verstrichenen Zeitpunkt des Endgerichtes sich neu orientieren muss und deshalb aus Hab 2,3 f. eine klare Verzögerung des Eschatons ableitet, die nicht auf Fehlberechnungen, sondern auf theonome Verfügung zurückzuführen ist. 3) Die »Vita Prophetarum« (1. Jh. n. Chr.) 5 geht wohl auf eine hebr. Quelle zurück, vertritt aber im Grunde dasselbe Habakuk-Bild wie »Bel kai Drakon« der LXX. Sie legt Habakuk eine Weissagung über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels in den Mund und eine Verheißung für die verfolgten Gerechten. 4) Die Versio Barberini (Barb.; Ziegler 272-275) findet sich im Codex Barberini gr. 549 (Vat. Bibliothek), Venetus (Sigel V; 8. Jh.) und in vier mittelalterlichen Minuskeln (Ms. 407 [9. Jh.]; Ms. 86 [9./10. Jh.]; Ms. 62 [11. Jh.; lukianisch]; Ms. 147 [12. Jh.; lukianisch]). Das Ms. »Fondo San Salvatore 118« (11. Jh.) 6 bezeugt den Text Hab 3,13-38 nach Barb. Barb. enthält nur den Text Hab 3. Da sie der versio Koptica nahesteht, ist mit einer Entstehung in Ägypten zu rechnen. Die Datierung ist völlig unbestimmt, könnte aber ins 1. Jh. n. Chr. zurückreichen. Die Kantillation des Textes weist Barb. möglicherweise als einen liturgischen Text aus. N. Fernández Marcos 7 rechnet Barb. zur lukianischen Tradition (Kleinasien) und ihre Subscriptio weise in Richtung Hexapla. Neuere Analysen (Fabry) 8 bestätigen, dass der Verf. der Barb. den LXX-Text nicht gekannt hat und zudem eine andere hebr. Vorlage hatte. Die mehr als 20 Varianten gehen vielleicht auf eine Textverderbnis der hebr. Vorlage zurück oder signalisieren intentionale Tendenzen des Übersetzers, das Erscheinen Gottes als liturgisch geprägten Triumphzug im Eschaton zu profilieren. Gegen MT und LXX kommt für Barb. JHWH nicht von »Teman« (Hab 3,3), sondern unbestimmt und richtiger »aus dem Süden« (so auch Theodotion), was den rezenten Forschungsansichten entspricht. Die Sprache der Barb. neigt zu gewissen Idiosynkrasien durch Verwendung von in der Profangräzität relativ ungebräuchlichen Vokabeln (z. B. Hab 3,2a: εὐλαβεῖσθαι statt φοβεῖν) und Hapaxlegomena und weist den Übersetzer als hochgebildeten Literaten aus, der in der Literatur des Xenophon, Aischylos, Euripides und Aristophanes bewandert war. Weitere sprachliche Eigenarten weisen in den Sprachgebrauch des Origenes (μεταβολὴ διαψάλματος; 3,3a) oder des Cyrill von Alexandrien (ἀσφαλεῖς; 3,19a); die Verwendung der Vokabel οἰκουμένη (3,6) statt γῆ könnte auf einen römisch-kulturpolitischen Hintergrund verweisen. 5) Zur Rezeptionsgeschichte des HabLXX ist die Zwölfpropheten-Rolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr; 1. Jh. n. Chr.) zu rechnen, die wie das Dodekapropheton aus Wadi Murabbaʿ at (Mur 88; hebr.; um 135 n. Chr.) 9 das ganze Buch enthält und von einer evtl. 5. 6. 7. 8. 9.

Vgl. Schwemer, A. M., Vita Prophetarum, JSHRZ I/7, Gütersloh 1997, 626-628. Baars, W., A New Witness to the Text of Barberini Greek Version of Habakkuk III, VT 15 (1965), 381 f. Fernández Marcos, 151-180. Fabry, »Der Herr macht meine Schritte sicher«, 223-237. Bennoit, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R. (Hg.), Les Grottes de Murabbaʿ at, DJD 2, Oxford 1961, 181-205. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

523

6.1.8 Ambakum / Habakuk

Sonderrolle von Hab 3 nichts weiß. Der Text ist eine frühe jüdische Rezension der LXX aus der Kaige-Textlinie. Ohne Zweifel hat der Text Gemeinsamkeiten mit Symmachus, Aquila, Theodotion, der Quinta und der LXX-Version des Codex Freer (Papyrus W; 3. Jh. n. Chr.), ist also älter als der Text der großen LXX-Handschriften, enthält aber einen typologisch späteren Text. Wegen der pseudo-paläographischen Schreibung des Tetragrammes (statt κύριος) scheint er in einem orthodoxen Kontext entstanden zu sein. Der Übersetzer war bestrebt, einerseits den Text möglichst nahe an die proto-masoretische Textlinie heranzuführen, andererseits eine weitgehend konkordante Übersetzung herzustellen, wobei er im Vergleich zur LXX den Text von Lesefehlern bereinigte und ernüchterte. In wenigen Fällen hat er den verderbten hebr. Text fortgeschrieben und eigenständige theologische Gedanken eingebracht. 6) Das »Buch der Oden« (LXX.D 899-914) hat Hab 3,2-19 als Ode 4 aufgenommen. Die Handschriften des 4. Jh. (LXXB.S) und das lateinische Psalterium Gallicanum des Hieronymus (4. Jh.) scheinen das Buch noch nicht zu kennen. Zum ersten Mal sind die Oden als eigenes Buch den Psalmen angehängt in LXXA (5. Jh. n. Chr.), dann im Codex R (Verona, 6. Jh.) und im Codex T (Zürich, 7. Jh.; in T fehlt allerdings u. a. Ode 4). 10 Der Text ist bis auf winzige Unterschiede mit der LXX-Fassung von Hab 3 identisch. Leichte Verlesungen (z. B. in V. 4: τέρατα »Wunderzeichen« statt κέρατα »Hörner, Strahlen«) deuten an, dass das Buch dem Schreiber diktiert worden ist. In V. 13b liest Ode 4 mit LXXA gegen LXXB.S und MT den Pl. »deine Gesalbten« 7) In der apokalyptisch geprägten Umwelt der frühchristlichen Literatur genossen die Propheten (v. a. Jesaja) große Aufmerksamkeit; daneben wurde Hab 2,3 f. zu einem locus classicus, der bereits in der Täuferfrage Mt 11,3; Lk 7,19 thematisiert wird. Paulus spitzt in Röm 1,17 und Gal 3,11 das Zitat aus Hab 2,3 f.LXX weiter zu und gestaltet es zur Basis für seine Rechtfertigungslehre: durch Auslassung des Genitivs μου zentriert Paulus das Zitat ganz auf den Ausdruck πίστις, die den Menschen zum Gerechten macht. 11 Der Hebräerbrief (10,37) versteht Hab 2,4 im Kontext der Ankündigung der »kurzen Zeit« (Jes 26,20). Durch die Determinierung des ἐρχόμενος aus Hab 2,4LXX gewinnt das Zitat eine Christozentrierung 12: »der Kommende« wird plötzlich kommen und nicht ausbleiben. Durch die Umstellung der beiden Halbverse von Hab 2,4a und b wird das Verständnis erleichtert und die Haltung des Gerechten dem Kommenden gegenüber in einem Aufruf zur eschatologischen Ausdauer verdeutlicht. 8) Das Kommen Gottes zum Gericht in Hab 3 wird schon bald als Hinweis auf die Geburt Jesu Christi (Theodoret von Cyros) oder als Vorabbildung der Parusie Christi (Irenäus) verstanden. Die merkwürdige Aussage »Inmitten zweier Lebewesen wirst Du erkannt« (Hab 3,2LXX) wird auf den gekreuzigten Jesus zwischen beiden Schächern (Hippolyt), auf die Verklärung Jesu auf dem Tabor (Tertullian) oder gar trinitarisch (Origenes) gedeutet.

10. Vgl. Engel, H. / Lattke, M., LXX.E, Bd. 2, 1886-1899. 11. Kraus, Hab 2:3-4, 115. Siehe auch Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, in: FS M. Karrer, ABG 47, Leipzig 2014, 32-35. 12. Kraus, Hab 2:3-4, 114.

524

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.8 Ambakum / Habakuk

6. Perspektiven der Forschung Das Habakukbuch wird sowohl für die hebr. wie auch für die griech. Textforschung auf unabsehbare Zeit ein reiches Betätigungsfeld bleiben. Es wird darum gehen, die Texte weiter zu sichern, um ihre theologischen Nuancen besser zu erkennen. Dabei sind die rezenten Vorschläge einer extremen Spätdatierung des hebr. Habakuk 13 und die daraus resultierende mögliche zeitliche Koinzidenz von HabMT und HabLXX kritisch zu prüfen. Die versio Barberini ist nach wie vor nur oberflächlich analysiert. Tiefgreifende Analysen könnten weiteres Licht werfen auf eine vermutlich jüdische und/oder frühchristliche liturgische Rezeption des Habakuk-Hymnus und seine Einbettung in das liturgische Manuale des Wochenfestes (Thackeray; Strobel), an dem die Erscheinung Gottes auf dem Sinai gefeiert wird. Und schließlich bedarf die Beziehung der versio Barberini zur versio Koptica in Ägypten der Aufarbeitung.

13. Witte, Vom Glauben, 336 f. 6. Perspektiven der Forschung

525

6.1.9 Sophonias / Zefanja Jong-Hoon Kim

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIb.c.g = 4Q77.78.82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII). 1QpZeph = 1Q15 (DJD XV) — 4QpZeph = 4Q170 (DJD V). QBS 617 f. — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Harl, M. / Dogniez, C. / Brottier, L. / Casevitz, M. / Sandevoir, P., Les Douze Prophètes: Sophonie, BdA 23.4-9, Paris 1999, 311-375 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Sophonias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.810-813 — Schmoll, H. / Seitz, G., Sophonias / Zefanja, LXX.D, Stuttgart 20102, 1208-1211 — Schmoll, H. / Seitz, G., Sophonias / Zefanja, LXX.E, Stuttgart 2011, 2429-2439.

1.4 Weitere Literatur Ben Zvi, E., A Historical-Critical Study of the Book of Zephaniah, BZAW 198, Berlin / New York 1991 — Cimosa, M., Observations on the Greek Translation of the Book of Zechariah, in: B. A. Taylor (Hg.), IX. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge, 1995, SBL.SCS 45, Atlanta/GA 1997, 91-108 — Dogniez, C., La Bible d’Alexandrie: II. Select passage: Sophonie (Zephaniah) 3,8-11, in: B. A. Taylor (Hg.), X. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Oslo 1998, SBL.SCS 51, Atlanta/GA 2001, 199-216 — Elliger, K., Das Ende der »Abendwölfe« Zeph 3,3 Hab 1,8, in: L. Rost (Hg.), FS A. Bertholet, Tübingen 1950, 158-175 — Gerleman, G., Zephanja. Textkritisch und literakritisch untersucht, Lund 1942 — Harl, M., Sophonie 3,7b-13 selon la Septante et dans la tradition chrétienne ancienne, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), BEThL 144, Leuven 1999, 209-229 — Irsigler, H., Zefanja, HThK. AT, Freiburg im Breisgau [u. a.] 2002 — Jongeling, B., Jeux de mots en Sophonie III 1 et 3?, VT 21 (1971), 541-547 — Zandstra, S., The witness of the Vulgate, Peshitta and LXX to the text of Zephaniah, New York 1909.

526

1. Literatur

6.1.9 Sophonias / Zefanja

2. Textüberlieferung und Editionen Der griech. Text von Zefanja ist, wie der Text der übrigen Bücher des Dodekapropheton, vor allem in den großen Kodizes BS und A sowie Q und W überliefert, außerdem durch mehrere Handschriften der lukianischen/antiochenischen Textform. Die Naḥal-Ḥever-Rolle bietet Reste von Zeph 1,2-6.1318; 2,9 f.; 3,6 f. Neben MT ist der hebr. Text in drei Handschriften aus Qumran sowie in der Rolle von Wadi Murabbaʿ at, aber durchwegs nur in wenigen Fragmenten, überliefert. Auch die Lemmata in den Pescharim sind sehr fragmentarisch. Zum Text von 8ḤevXIIgr: Die etwa in die Mitte des 1. Jh. v. Chr. zu datierende Rolle hat große Bedeutung für die Geschichte der Überlieferung der Septuaginta. Nach Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila, 161-202, repräsentiert sie eine isomorph-hebraisierende Bearbeitung, die von ihm als »kaige-Rezension« bezeichnet wurde. Von Zephanja sind nur wenige Verse und nur fragmentarisch erhalten. Trotzdem ist auch hier gut zu erkennen, dass die hebr. Vorlage der Rolle MT sehr nahe steht: 1,4 ‫ את־שאר‬MT = ὑπόλειμμα 8ḤevXIIgr 6¼ τὰ ὀνόματα LXX; 1,4 ‫הכמרים עם־הכהנים‬ MT = τῶν χωμαρειμ μετὰ τῶν ἱερέων 8ḤevXIIgr 6¼ τῶν ἱερέων LXX. Auch bei der Wiedergabe von ‫ צבאות‬zeigt sich das Bemühen um möglichste Nähe zum Hebräischen: 2,10 ‫ עת־עם יהוה צבאות‬MT = ἐπὶ λαὸν ‫ יהוה‬τῶν δυνάμεων 8ḤevXIIgr 6¼ ἐπὶ τὸν κύριον τὸν παντοκράτορα LXX. Die Ausgaben von RaHa und Gö unterscheiden sich an folgenden Stellen: 1,2; 1,4; 2,9; 3,5.6.14 (siehe die Anmerkungen in LXX.D).

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Das Griechisch des Zephanjabuches ist typische Übersetzungssprache, die von der Ausgangssprache geprägt ist. Dabei verfährt der Übersetzer nicht ganz einheitlich, besonders beim Gebrauch des Artikels (z. B. vgl. 3,6 ‫פנותם‬, γωνίαι αὐτῶν, mit 3,6 ‫חוצותם‬, τὰς ὁδοὺς αὐτῶν; auch 1,7 ἡ ἡμέρα τοῦ κυρίου mit 1,14 ἡ ἡμέρα κυρίου für ‫יום יהוה‬ usw.) oder der Wiedergabe der Präpositionalkonstruktionen (z. B. 3,3 ἐν αὐτῇ / 3,5 ἐν μέσῳ αὐτῆς für ‫ ;בקרבה‬3,12.17 ἐν σοὶ / 3,15 ἐν μέσῳ σου für ‫)בקרבך‬. Die hebräische Vorlage des griechischen Zephanjabuches war zwar MT sehr ähnlich, es lassen sich aber gegenüber MT einige Varianten erkennen, die zum Teil auf eine andere Lesetradition und zum Teil auch auf Schreibfehler in der einen oder anderen Richtung zurückgehen (s. LXX.E zu 1,2.10.11.12.14; 2,9.11.14; 3,6.8.9.15.18.20). An einigen (schwierigen) Stellen geht das Verständnis des Textes darauf zurück, wie ihn sich der Übersetzer erklärte (z. B. 2,14; 3,17-19). Der griech. Text bietet kaum Anhaltspunkte für eine zeitliche oder geographische Einordnung. Schmoll und Seitz (LXX.D, Bd. I, 1208) nehmen an, dass dem Übersetzer die örtlichen Verhältnisse Jerusalems nicht genau bekannt waren, was auf eine Abfassung in Ägypten hinweisen kann. Ob man aus der Wiedergabe von z. B. 2,14 ‫ קאת‬mit χαμαιλέοντες in 2,14, von ‫ ערב‬mit Ἀραβία in 3,3 und von ‫ כושׁ‬mit Αἰθιοπία in 3,10 Schlüsse ziehen kann, ist fraglich. Die kaige-Bearbeitung fand wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. in Palästina statt (vgl. Barthélemy, »recension palestinienne«). 2. Textüberlieferung und Editionen

527

6.1.9 Sophonias / Zefanja

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Im griechischen Text des Zephanjabuches gibt es nicht wenige Fälle, die offensichtlich einen von MT verschiedenen Text voraussetzen: 1,8 ‫ ]ועל־בני המלך‬καὶ ἐπὶ τὸν οἶκον τοὺ βασιλέως (= ‫ ;)ועל בית המלך‬1,14 ‫ ]שׁם‬τέτακται (= ‫ ;)שׂם‬1,17 ‫ ]ולחמם‬καὶ τὰς σάρκας αὐτῶν (= ‫ ;)ולחם‬2,1 ‫ ]וקושׁו‬καὶ συνδέθητε (= ‫ ;)וקשרו‬2,5 ‫ ]גוי כרתים‬πάροικοι Κρητῶν (= ‫ ;)גרי כרתים‬2,9 ‫ ]ממשׁק‬καὶ Δαμασκός (= ‫ ;)ודמשׁק‬2,9 ‫( גוי‬Ketib)] ἔθνους μου (= ‫ ;גויי‬Qere); 3,6 ‫ ]גוים‬ὑπερηφάνους (= ‫ ;)גאים‬3,7 ‫ ]מעונה‬ἐξ ὀφθαλμῶν αὐτῆς (= ‫ ;)מעיניה‬3,7 ‫ ]אכן‬ἑτοιμάζου (= ‫ ;)הכן‬3,9 ‫ ]ברורה‬εἰς γενεὰν αὐτῆς (= ‫ ;)בדורה‬3,18 ‫נוגי‬ ‫( ]ממועד‬17) ὡς ἐν ἡμέρα ἑορτῆς (= ‫ ;)כיום מועד‬οὐαί (= ‫)הוי‬. Bei diesen Fällen gibt es keine handschriftlichen Varianten in LXX, d. h. diese Varianten gehen sehr wahrscheinlich auf die ursprüngliche Septuaginta zurück, die aufgrund einer gegenüber MT anderen Texttradition die Wiedergabe herstellte. Weiter erkennt man folgende Textzusätze und -auslassungen: 2,7 ‫ ]חבל‬τὸ σχοίνισμα τῆς θαλάσσης (vgl. 2,6); 2,7 ‫ ]ירעון‬καταλύσουσιν ἀπὸ προσώπου υἱῶν Ιουδα; 2,11 ‫ ]את כל־אלהי הארץ‬πάντας τοὺς θεοὺς τῶν ἐθνῶν τῆς γῆς; 3,5 om ] καὶ οὐκ εἰς νεῖκος ἀδικίαν; 3,6 om ] ἐν διαφθορᾷ; 3,16 ‫ ]יאמר‬ἐρεῖ κύριος; 3,19 ‫ ]בעת ההיא‬ἐν τῷ καιρῷ ἐκείνῳ λέγει κύριος (Hexapla mit Obel); 2,9 ‫ ]יהוה צבאות אלהי ישׂראל‬κύριος ὁ θεὸς Ισραηλ; 3,5 ‫ ]בשׁת לאור לא נעדר ולא־יודע עול‬om (Hex. mit Ast.). In den folgenden Stellen sind zwar die griechischen Wiedergaben gegenüber MT unterschiedlich, aber sie setzen keinen anderen Konsonantentext voraus, sondern nur eine andere Vokalisation: 1,11 ‫ ]ָתַּמִּכֵתּשׁ‬τὴν κατακεκομμένη (= ‫ ;) ַהְמּכָּתּשׁ‬1,12 ‫]ַעל־ִשְׁמ ֵריֶהם‬ ἐπὶ τὰ φυλάγματα αὐτῶν (= ‫)ַעל־ִשְׁמ ֵריֶהם‬. Manchmal las der Übersetzer denselben Konsonantentext wie MT aber mit einer unterschiedlichen Etymologie. Z. B. steht im MT von 1,11 »‫«נדמה‬, was eine Niphal-Form von ‫ דמה‬II (»vertilgen«) darstellt. Dagegen übersetzte die Septuaginta mit ὡμοιώθη. Der Übersetzer verstand das Wort vermutlich als ‫ דמה‬I (»ähnlich sein«). In 3,1[3,2] liest man »‫»( «העיר היונה‬die tyrannische Stadt«), was aber die Septuaginta mit ἡ πόλις ἡ περιστερά (»die Stadt, die Taube«) wiedergibt. Diese Wiedergabe setzt offensichtlich nicht das Partizip von hny wie MT voraus, sondern das Substantiv ‫יוֹ ָנה‬. Ferner fügte er auffallend oft die Kopula καί hinzu, um den Zusammenhang des Textes zu verdeutlichen: 1,14 ‫ ]צרח‬καὶ σκληρά; 2,4 ‫ ]אשׁדודי‬καὶ Ἄζωτος; 2,9 ‫שׁארית‬ ‫ ]עמי‬καὶ οἱ κατάλοιποι λαοῦ; 2,11 ‫ ]כי רזה‬καὶ ἐξολεθρεύσει; 2,15[3,1] ‫ ]יניע ידו‬καὶ κινήσει τὰς χεῖρας αὐτοῦ; 3,4 ‫ ]חמסו‬καὶ ἀσεβοῦσιν; 3,5 ‫ ]לא יעשׂה‬καὶ οὐ μὴ ποιήσῃ. Die Beispiele zeigen, dass der Übersetzer den ihm vorliegenden Text angemessen wiedergeben wollte, auch wenn er dabei diverse Probleme zu lösen hatte. Trotzdem gibt es auch gewisse neue Akzente. Die Übersetzung verstärkt den universalistischen Zug (u. a. durch die Wiedergabe von ‫ארץ‬, »Land«, mit γῆ, »Erde«) sowohl der Unheilsankündigungen als auch der Heilsankündigung (Harl / Dogniez et al., BdA, 23/9, 326-328). Die Aussagen werden durch veränderte oder zusätzliche Pronomina (1,7: sein Opfer; 2,9 mein Volk, meine Völker) oder eine hinzugefügte Apposition (1,9: ihres Herrn, ihres Gottes) direkter auf Gott bezogen (diese Änderungen können auch schon auf die hebr. Vorlage oder die Lesetradition zurückgehen: Wie oben gezeigt, setzt in 2,9 das Qere bereits ‫גויי‬, also ein weiteres ‫ י‬voraus). Die Verwendung von Imperativen statt Indikativ (2,3; 3,7) und bestimmte Wortwahl lässt ein »pädagogisches, ethisierendes Moment« erkennen (Schmoll / Seitz, LXX.E, 2429). Vielleicht ebenfalls in diesem 528

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.9 Sophonias / Zefanja

Sinn – und auch zur Aktualisierung der Verheißung der Rückkehr – schließt das Buch mit dem Präsens λέγει κύριος.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Nach Neslé-Aland, Novum Testamentum Graece28, soll »καὶ ἐν τῷ στόματι αὐτῶν οὐχ εὑρέθη [ψεῦδος]« in Offb 14,5 ein Zitat von Zef 3,13 (vgl. Jes 53,9; Ps 32[31],2) sein: καὶ οὐ μὴ εὑρηθῇ ἐν τῷ στόματι αὐτῶν [γλὼσσα δολία]. Auch wenn die Platzierung des Verbums unterschiedlich ist, setzt das Zitat gewiss die Tradition der Septuaginta, wahrscheinlich des Zephanjabuches voraus. Sonst lassen sich bei folgenden Stellen des Neuen Testaments Anspielungen auf das Zephanjabuch erkennen: Zef 1,7 // Offb 8,1 – Zef 1,14 f. // Röm 2,5; Offb 6,17 – Zef 1,18 // Hebr 10,27 – Zef 3,8// Offb 16,1 – Zef 3,14 f. // Joh 12,15 – Zef 3,15 (»Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte« // Mt 27,42 Mk 15,32 Joh 1,49; 12,13. Wie im Neuen Testament wird auch in der Alten Kirche wiederholt auf den Titel »König Israels« aus Zef 3,15 Bezug genommen. Eine jüdische Apokalypse, die unter dem Einfluss der neutestamentlichen Offenbarung überarbeitet wurde, wird von Clemens von Alexandrien zitiert und dem Propheten Sophonias zugeschrieben. Die in 1,12 erwähnte Lampe (»ich werde Jerusalem mit einer Lampe durchsuchen«) ist vermutlich der Grund, dass eine Lampe das ikonographische Kennzeichen für Zefanja wurde.

6. Perspektiven der Forschung Wichtige Aufgabe der Zukunft wird die Erstellung eines kritischen Textes sein, der in seinen Auswahlkriterien der Entdeckung der kaige-Rezension Rechnung trägt. Für die weitere Erarbeitung des sprachlichen und theologischen Profils der Übersetzung wird es wichtig sein, zwischen Differenzen in der hebräischen Vorlage und der eigentlichen Übersetzung zu unterscheiden. Außerdem wird es sinnvoll sein, die Querbeziehungen zwischen Sophonias und dem griech. Text von Dodekapropheton und weiteren Schriften herauszuarbeiten.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

529

6.1.10 Aggaios / Haggai Thomas Pola

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. – Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIb.e = 4Q77.80 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II). 1QpZeph = 1Q15 (DJD XV) — 4QpZeph = 4Q170 (DJD V). BQS 618 f. — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Casevitz, M. / Dogniez, C. / Harl, M., Les Douze Prophètes: Aggée, Zacharie, BdA 23.10-11, Paris 2007 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Sophonias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777781.813-814 — Pola, T., Aggaios / Haggai, LXX.D, Stuttgart 20102, 1211-1213 — Pola, T., Aggaios / Haggai, LXX.E, Stuttgart 2011, 2440-2445.

1.4 Weitere Literatur Ackroyd, P. R., Some Interpretative Glosses in the Book of Haggai, JJS 7 (1956), 163-167 — Brooke, G. J., The Twelve Minor Prophets and the Dead Sea Scrolls, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden, 2004, VT.S 109, Leiden 2006, 19-43 — Dogniez, C., Aggée et ses suppléments (MT et LXX) ou le développement littéraire d’un livre biblique, in: J. Joosten / Ph. Le Moigne (Hg.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, LD 203, Paris 2005, 197-218 — Dogniez, C., Fautes de traduction, ou bonnes traductions?, in: B. A. Taylor (Hg.), X. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Oslo 1998, SBL.SCS 51, Atlanta/GA 2001, 241-261 — Dogniez, C., Le Dieu des armées dans le Dodekapropheton, in: B. A. Taylor (Hg.), IX. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SBL.SCS 45, Atlanta/GA 1997, 19 ff. — Fabry, H.-J., Die griechischen Handschriften vom Toten Meer, in: ders. / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 131-153 — Haupt, P., The Septuagintal addition to Haggai 2:14, JBL 36 (1917), 148-150 — Jones, B. A., The Formation of the Book of the Twelve. A Study in Text and Canon, SBL.DS 149, Atlanta/GA 1995 — Kaminka, A., Studien zur Septuaginta an der[!] Hand der zwölf kleinen Prophetenbücher, MGWJ 72 (1928), 49-60. 242-273 — Lys, D., The Israelite Soul According to the LXX, VT 16 (1966), 180-228 — Pola, T., Das Priestertum bei Sacharja, FAT 35, Tübingen 2003 — Pola, T.,

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1. Literatur

6.1.10 Aggaios / Haggai

Von den Engeln für die Völker zum metallenen Koloß. Wahrnehmung und Beurteilung der Religionen im Alten Testament, GlLern 24 (2009), 118-128 — Rudolph, W., Haggai / Sacharja 1-8 / Sacharja 9-14 / Maleachi, KAT XIII/4, Gütersloh 1976 — Schenker, A., Gibt es eine graeca veritas für die hebräische Bibel? Die »Siebzig« als Textzeugen im Buch Haggai als Testfall, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Band 3: Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart 2007, 57-77 — Seeligmann, I. L., Problems and Perspectives in Modern Septuagint Research, Textus 15 (1990), 169,232; jetzt in: R. Hanhart / H. Spieckermann (Hg.), The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, FAT 40, Tübingen 2004, 23-80 — Sellin, E., Das Zwölfprophetenbuch übersetzt und erklärt, KAT XII, Leipzig 1922 — Slomovic, E., Toward an Understanding of the Formation of Historical Titles in the Book of Psalms, ZAW 91 (1979), 350-380 — Tov, E., Die biblischen Handschriften aus der Wüste Juda – Eine neue Synthese, in: U. Dahmen / A. Lange / H. Lichtenberger (Hg.), Die Textfunde vom Toten Meer und der Text der Hebräischen Bibel, Neukirchen-Vluyn 2000, 1-34 — Treitel, L., Wert und Bedeutung der Septuaginta zu den 12 kleinen Propheten, MGWJ 73 (1929), 232-234 — Ziegler, J., Studien zur Verwertung der Septuaginta im Zwölfprophetenbuch, ZAW60 (1944), 107-131; jetzt in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 243-267 — Ziegler, J., Zur Dodekapropheton-LXX, EThL 38 (1962), 904-906; jetzt in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 587-589 — Ziegler, J., Die Einheit der Septuaginta zum Zwölfprophetenbuch (1934/35), in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 29-42.

2. Textüberlieferung und Editionen Während der hebr. Grundtext des Buches Haggai noch vor der Tempelweihe im Jahre 515 v. Chr. in redaktioneller Verbindung mit Sach 1-6 entstanden sein dürfte, 1 wird sein Abschluss wie der Abschluss des hebr. Dodekapropheton insgesamt gegen die Mitte des 3. Jh. v. Chr. erfolgt sein. Die bisher ältesten Fragmente des hebr. Textes des Haggaibuches stammen aus Qumran: 4Q77 = 4QXIIb bietet Reste von Hag 1,1 f.; 2,2-4, stammt von ca. 150-125 v. Chr., und stimmt bis auf eine orthographische Variante (‫ לדריהש‬statt ‫» לדריוש‬von Darius« in 1,1) mit dem masoretischen Text überein. 2 4Q80 = 4QXIIe; enthält Buchstabenreste von Hag 2,18-21), entstand ca. 75-50 v. Chr. und hat keine Abweichungen von HagMT, 3 In den besser erhaltenen Teilen ist die Handschrift Tov zufolge Repräsentant einer selbständigen Texttradition, 4 Fuller sieht eine Nähe zur Septuaginta, 5 Lange zufolge ist sie protomasoretisch. 6 Mur88 = MurXII bietet Hag: 1,12-15; 2,1-8.10.12-23), stammt aus der zweiten Hälfte des ersten Jh.s n. Chr., weist, wie auch sonst, große Nähe zum MT auf. 7 »Insgesamt stehen alle Textzeugen M wesentlich näher als dies etwa bei Jer, Ez oder auch Jos, Ri und Sam der Fall ist« (A. Lange). 8 Im erhaltenen »Qumrān«-Schrift1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Pola, Priestertum, 40-42. DJD XV, 233-236; vgl. Biblia Qumranica 3B, 158-162. DJD XV, 257-265; Biblia Qumranica 3B, 164 f. Tov, Synthese, 26. Fuller, Minor Prophets, 555 f. Lange, HTTM, 339 f. (mit weiterer Lit.). 354. DJD II, 181-205; Fuller, Minor Prophets, 556. Lange, HTTM, 351. 2. Textüberlieferung und Editionen

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6.1.10 Aggaios / Haggai

tum gibt es trotz der eschatologischen Ausrichtung von Hag 2 und der Spuren der dyarchischen Konzeption im gemeindeeigenen Schrifttum (1QS 9,11 u. m.) keine Zitate aus dem Haggaibuche. Auch liegen bislang keine Fragmente der griech. Version des Haggaibuches aus frühjüdischer Zeit vor. 9 Seit den Arbeiten von Ziegler besteht ein Konsens darüber, dass die Septuaginta des Dodekaprophetons von einem einzigen Übersetzer stammt. 10 Die Sammlung als solche muss dem Übersetzer also vorgegeben gewesen sein. 4Q77 bestätigt die auch im MT anzutreffende Abfolge Zeph – Hag, 4Q80 die Abfolge Hag – Sach. Zwischen den Editionen von Rahlfs und Ziegler bestehen nur kleine Differenzen in 1,1,12.13. Eine Neubearbeitung der Göttinger Ausgabe ist angekündigt.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzung des Buches Haggai bietet insgesamt ein für griechische Ohren der jüdischen Diaspora verständliches Griechisch, sieht man von den zahlreichen Hebraismen ab, die auf die wörtliche Übersetzung zurückzuführen sind (s. u.). Hag 2,16LXX dürfte allerdings für griech. Ohren schwer verständlich gewesen sein. (Diese Charakterisierung bezieht sich auf den von Rahlfs und von Ziegler edierten Text. Die Entdeckung der kaige-Rezension an Hand der Zwölfprophetenrolle von Naḥal Ḥever führt zur Frage, ob diese Beschreibung tatsächlich auch für die älteste Septuaginta zutrifft, oder ob hier ein hebraisierend bearbeiteter Text vorliegt. SK) Die Hapax legomena des kurzen Buches sind: κοιλόσταθμος (»verziert«) in 1,4 (sonst nur noch in Papyri aus dem dritten Jh. v. Chr. belegt), sowie κυψέλη »Behälter« in 2,16 und das transkribierte Wort σάτον (‫ ;ָסְאָתא‬Gewichtsmaß). Die HagLXX zeigt gegenüber dem KT eine vergleichsweise wörtliche, jedoch nicht immer konsequente Übersetzung. Da das Buch von Formeln und sich wörtlich wiederholenden Elementen durchzogen ist, fällt die gelegentlich auftretende Inkonsequenz in der LXX auf. Die Wortereignisformel in 1,1; 2,1.10.20 und die Wendung ‫ִשימוּ ְלַבְבֶכם ַעל־ַדּ ְרֵכיֶכם‬ in 1,5.7; 2,15.18 werden nicht konsequent übersetzt: »Richtet (τάξατε, wörtl.: »ordnet«) doch eure Herzen auf eure Wege!« (1,5); dagegen »Und nun nehmt (θέσθε) es (euch) doch in eure Herzen« (1,7; 2,15) und »Ordnet (ὑποτάξατε) doch eure Herzen unter … !« (2,18). Die LXX gleicht in 1,9 auch die hebr. Gottesspruchformel durch Einfügung von τάδε an die hebr. Botenspruchformel (1,2.5.7; 2,6.11) an (wörtl. dagegen in den übrigen Belegen der Gottesspruchformel 1,13; 2,4.8 f.14.17.23). Aus der Abfolge von Scheltwort und Drohwort in V. 9 f.KT (»weil … kein Wunder, dass …«) wird in der LXX ein einziger, mit wiederholtem »deswegen« eingeleiteter Satz. In 1,4.9.11 entgeht der LXX die dem hebr. Wortlaut zugrunde liegende, sprachlich signalisierte innere Logik: Der Übersetzer las in Hag 1,11 ‫» חֹ ֶרב‬Dürre« (so MT) mit ‫» ֶח ֶרב‬Schwert« (anders in 1,4!). Daher wird in der LXX die Logik der Spiegelstrafe in V. 4.9.11MT nicht mehr deut-

9. DJD VIII, 66 f. 10. Ziegler, Einheit, 1-16 (= Sylloge, 29-42), wiederholt in späteren Veröffentlichungen, besonders in: Zur Dodekapropheton-LXX, 904-906 (= Sylloge, 587-589).

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.10 Aggaios / Haggai

lich: Weil der Tempel ‫» ָח ֵרב‬verwüstet« ist, ruft Jahwe ‫» חֹ ֶרב‬Dürre« über das Land. 11 Darüber hinaus ist es in der LXX unlogisch, wieso ein Schwert Getreide, Wein und Öl vernichten kann, wenn V. 9 zufolge die Erde ihre Erträge verweigert (vgl. τὰ ἐκφόρια und ἐκφορέω in V. 10 f.). Über Zeit und Ort der Entstehung der LXX des Dodekaprophetons lassen sich, auch bedingt durch den geringen Umfang des Buches, aus der HagLXX keine Hinweise finden, abgesehen von einem auffallenden Interesse an den eschatologischen Ankündigungen von Kap. 2 (s. u.). Die Septuaginta des Dodekaprophetons muss einige Zeit vor der in der Naḥal-Ḥever-Rolle bezeugten kaige-Rezension, die ihrerseits vor 50 v. Chr. erfolgte, entstanden sein (vgl. konkreter die Einl. zum griech. Zwölfprophetenbuch und die Einl. zur SachLXX).

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Das Buch Haggai steht innerhalb des Zwölfprophetenbuches wie im MT zwischen den Büchern Zephanja und Sacharja. Das griechische Haggaibuch weist analog zum MT eine Gliederung anhand der Datumsangaben (1,1; 2,1.10) auf. Das Buch zeigt einen zweiteiligen Aufbau: Der Ausgangspunkt, die Notsituation vor Aufnahme des Tempelbaus 1,1-2,9, erscheint in 2,10-23 überwunden. Durch seine Chronologie ist auch das griech. Haggaibuch mit der von Sach 1–6 verzahnt. Während es bei Ηaggai ursprünglich vor allem um die Wiedererrichtung des Tempels ging, sprechen einige Indizien dafür, dass der HagLXX weniger die Legitimierung des Tempelbaus am Herzen lag (Hag 1) als eine aktualisierende Hervorhebung der eschatologischen Ankündigungen von Hag 2. Die Form der Ankündigung 2,6LXX hat gegenüber dem KT ihren Charakter einer Naherwartung zugunsten einer deutlichen Eschatologisierung verloren: Während der hebr. Text die Naherwartung betont (»es ist nur noch eine kleine Weile …«), legt der kürzere Text der LXX (»noch ein einziges Mal werde ich … erschüttern«) korrigierend 12 Wert auf den eschatologischen Charakter der Welterschütterung. Schenker hält dagegen die kürzere LXX-Vorlage für ursprünglich und nimmt den gegenüber dem (späteren) MT gesteigerten Sinn einer »Nächsterwartung« an. 13 Ein gegenüber MT deutlich längerer Text findet sich auffälliger Weise nur im über den Tempelbau der frühpersischen Zeit hinaus in das Eschaton blickenden Kap. 2, dort in den Versen 9.14.22: Im Falle von 2,9 handelt es sich um eine Ergänzung in Anlehnung an 2Esdr 9,9, 14 wobei das dort vorausgesetzte ‫» ִמְח ָיה‬Lebenserhaltung« mit

11. 12. 13. 14.

Rudolph, Haggai, 36 Anm. 24. Sellin, Zwölfprophetenbuch, 411. Schenker, graeca veritas, 62; ähnlich BdA 23.10, 82. S. BdA 23/10, 84. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

533

6.1.10 Aggaios / Haggai

περιποίησις aus 2Chr 14,12 wiedergegeben wird. Schenker, 15 der hier mit Dogniez 16 eine gegenüber dem MT längere und dennoch ältere Vorlage annimmt, betont, dass sich »Seelenfrieden« auf die am Tempelbau beteiligten Individuen ohne Ausnahmen bezieht. 2,14LXX ist gegenüber dem hebr. Text erheblich länger: »Und wer auch immer sich dorthin nähert, wird befleckt werden wegen ihrer morgendlichen Gewinne: Sie werden Schmerzen leiden wegen ihrer Mühe. Und ihr hasstet im Tor die, die euch strafen«: Der Numeruswechsel im längeren Text der LXX weist entweder auf sukzessiv erfolgte Ergänzung hin oder ist ein Signal, das die Hinzufügung als solche kenntlich machen soll. Wellhausen und Sellin zufolge kommentieren die Ergänzung πάντα τὰ ἔργα τῶν χειρῶν αὐτῶν im Lichte von Am 5,10 f., 17 so dass hier eine über die redaktionellen Buchredaktionen des hebr. Dodekaprophetons hinausgehende intertextuelle buchinterne Verknüpfung zu Tage tritt. Verschiedentlich wurden dabei Textfehler angenommen: »wegen ihrer morgendlichen Gewinne« (‫ )על־שׂמתא שׁחר‬setze ursprünglich »wegen ihrer Erhebung von Bestechungsgeld« (‫ )על־שׂמתע שׁחד‬voraus. Auch sei πλημμέλημα (»Vergehen«) im Vergleich mit λῆμμα (»Gewinn«) nur eine innergriech. Variante, ebenso sei πόνος (»Mühe«) Schreibfehler gegenüber πονηρά (»Schlechtigkeit«), so dass Rudolph übersetzt: »Sie werden Schmerzen leiden wegen ihrer Schlechtigkeit«. 18 Schenker nimmt jedoch eine gegenüber dem MT ältere LXX-Vorlage mit abweichender syntaktischer Gliederung an, derzufolge »und ihr hasstet im Tor die, die euch strafen« zu V. 15 gehört. 19 Die bedeutendste Ergänzung im griech. Wortlaut gegenüber dem MT weisen der Codex Alexandrinus und zwei Minuskelhandschriften in 2,22 auf: Der Vers enthält zwischen V. 22bα (endend mit ἀναβάτας »Reiter«) und bβ den universalistischeschatologischen Zusatz και καταστρεψω πασαν την δναμιν αυτων και καταβαλω τα ορια αυτων και ενισχυσω τους εκλεκτους μου (»Ich werde ihre [= »der Königsthrone«] ganze Macht umstürzen, ihre Grenzen niederreißen und meine Auserwählten stärken«). Die Einleitung και καταστρεψω (»ich werde umstürzen«) ist V. 22bα und bβLXX entnommen. Zugleich unterbricht die Ergänzung den das Wortfeld »Pferd«, »Reiter« und »Wagen« thematisierenden Grundtext. Auf diese Weise wird der längere Wortlaut dieser Gottesrede (!) als Ergänzung markiert, die sich dem Grundtext unterordnet. Was sagt sie Neues? Dtn 32,8LXX zufolge sind die Grenzen zwischen den Völkern, denen ihrerseits nach dem ursprünglichen Willen Gottes jeweils eine eigene Religion zu eigen ist, vom Schöpfergott gesetzt. 20 Die Ankündigung der Niederreißung dieser Grenzen durch Gott ist also als eschatologische Revokation von Gottes Schöpfungshandeln zu verstehen. Angekündigt wird hier also nach apokalyptischem Vorbilde eine Verwandlung der Schöpfung und damit einhergehend das Verschwinden der nationalen Religionen– wohl zugunsten einer universalen Anerkennung des Ky15. 16. 17. 18. 19.

Schenker, graeca veritas, 65 f. Dogniez, Aggée, 209-213. Wellhausen, Propheten, 176; Sellin: Zwölfprophetenbuch, 414 f. Rudolph, Haggai, 45. Schenker, graeca veritas, 62-65. Vgl. auch die Hypothesen von Wellhausen, Propheten, 176; Haupt, Addition, und Ackroyd, Glosses, 165 f. 20. Pola, Völker, 122 f.

534

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.1.10 Aggaios / Haggai

rios des alttestamentlichen Gottesvolkes bzw. des Frühjudentums. Ob dabei mit den εκλεκτοι (»Erwählten«) die Dyarchie von Serubbabel und Josua, von Serubbabel allein (so könnte man V. 23 verstanden haben, wo allerdings αιρετιζω statt εκλεγω gebraucht wird) oder als Korrektur gegenüber V. 23 ein Kollektivum gemeint ist, muss offen bleiben. Casevitz / Dogniez / Harl sehen in der Ergänzung einen Einfluss von Kyrill v. Alexandrien. 21 Auffallend ist die regelmäßige Wiedergabe von ‫» ַּפַחת ְיהוּ ָדה‬Statthalter« bzw. »Kommissar Judas« in Hag 1,1.14; 2,2.21 durch ἐκ φυλῆς Ἰουδα = ‫» ממשׁפחת יהודה‬aus der Sippe Judas«. Das könnte eine Unsicherheit im Verständnis des persischen Fremdwortes ‫ פחה‬und andererseits eine Betonung der davidischen Legitimität Serubbabels auszudrücken (vgl. 2,23). Casevitz / Dogniez / Harl nehmen dagegen eine vom MT abweichende Vorlage an und führen damit die Differenz nicht auf den Übersetzer sondern bereits auf die hebr. Überlieferung zurück. 22 Jedenfalls erschien in der LXX die judäische Herkunft Serubbabels (1Chr 3,17 ff.) wichtiger als sein (wie auch immer beschaffenes) Amt. Schenker zufolge drückt die LXX eine Reduktion Serubbabels zu einem Privatmann aus (das ändert sich erst in 2,20-23), so dass Josua als Hoherpriester aller Israeliten in den Vordergrund rückt. 23

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Innerhalb der Septuaginta erhielten die jeweils ersten Verse der Psalmen 146–149LXX als midraschartige Überschrift (αλληλουια) Αγγαιου και Ζαχαριου »Alleluia; von Haggai und Sacharja« (fehlt allerdings in einigen Hss.). 24 Hag 2,6.21 sei Slomovic zufolge in Ps 145,6LXX und Ps 146,10LXX rezipiert worden. 25 Siehe mehr dazu in der Einleitung zur SachLXX. Das NT hat eigentümlicher Weise nur aus den frühapokalyptischen Ankündigungen aus Hag 2 zitiert bzw. darauf angespielt: Hag 2,6.21 ist in Lk 21,26 und in Hebr 12,26 f. aufgenommen; 26 Hag 2,9 in Joh 14,27; Hag 2,23 in Mt 12,18. Obwohl die LXX ein messianologisches Verständnis der Gestalt Serubbabels gegenüber dem hebr. Text betont (bes. in 2,23), hat das Neue Testament Hag 2,20-23 nicht zur messianischen Beweisführung herangezogen, obwohl der Tempelbau vorneutestamentlich zum obligaten messianischen Werk geworden war (Sach 6,12 f.; Jes 53,5 Tg; 4Q522 Frg. 9, Kol. ii, Z. 1-6). Bei den Schriftstellern der Alten Kirche kommt Haggai eher selten und nur punktuell vor. Erst ab Eusebius wird die Aufnahme von Hag 2,6.21 in Hebr 12,26 beachtet und wird diskutiert, worauf sich die erste und worauf sich die neuerliche Erschütterung bezieht. 21. 22. 23. 24.

BdA 23/10, 92. BdA 23/10, 29.73. Schenker, graeca veritas, 59. Ps 137LXX wird in einigen Hss. und in der orthodoxen Lesart (wohl wegen V. 4 f.) nicht nur auf David, sondern auch auf Haggai und Sacharja zurückgeführt (S. 362). 25. Slomovic, Understanding, 363 f. mit 364, Anm. 45. 26. S. dazu BdA 23/10, 45 f. 54-57. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

535

6.1.10 Aggaios / Haggai

Für die Alte Kirche bot das Haggaibuch im Rahmen ihrer Hermeneutik den (im Unterschied zu Jes 40–66) greifbaren Punkt des Anbruches der Heilszeit: »Von diesem Tage (= der Grundsteinlegung des Tempels) an werde ich segnen« (Hag 2,19). Im Tempel sah man die Kirche, in Serubbabel Christus präfiguriert. 27

6. Perspektiven der Forschung Eine wichtige Aufgabe und zugleich Grundlage für künftige Forschung wird die Erstellung einer kritischen Ausgabe sein, in der die Entdeckung der kaige-Rezension und damit die Unterscheidung zwischen ursprünglicher Septuaginta und hebraisierender Bearbeitung für die Bewertung der Textzeugen berücksichtigt ist.

27. S. dazu BdA 23/10, 45-69.

536

6. Perspektiven der Forschung

6.1.11 Zacharias / Sacharja Thomas Pola

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIa.e.g = 4Q76.80.82 (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII).

BQS 619-623 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Casevitz, M. / Dogniez, C. / Harl, M., Les Douze Prophètes: Aggée, Zacharie, BdA 23.10-11, Paris 2007 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Sophonias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777781.814-820 — Pola, T., Aggaios / Haggai, LXX.D, Stuttgart 20102, 1214-1225 — Pola, T., Aggaios / Haggai, LXX.E, Stuttgart 2011, 2446-2474.

1.4 Weitere Literatur Ahearne-Kroll, P., LXX/OG Zechariah 1-6 and the Portrayal of Joshua Centuries after the Restoration of the Temple, in: W. Kraus / R. G. Wooden (Hg.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL.SCS 53, Atlanta/GA 2006, 179192 — Bentzen, A., Der[!] Sichel, VT 1 (1951), 216 f. — Brooke, G. J., The Twelve Minor Prophets and the Dead Sea Scrolls, in: A. Lemaire (Hg.), Congress Volume Leiden, 2004, VT.S 109, Leiden 2006, 19-43 — Cimosa, M., Observations on the Greek Translation of the Book of Zechariah, in: B. A. Taylor (Hg.), IX. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SBL.SCSt 45, Atlanta/GA 1997, 91-108 — Dogniez, C., Fautes de traduction, ou bonnes traductions?, in: B. A. Taylor (Hg.), X. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Oslo 1998, SBL.SCS 51, Atlanta/GA 2001, 241261 — Dogniez, C., Le Dieu des armées dans le Dodekapropheton, B. A. Taylor (Hg.), IX. Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SBL.SCS 45, Atlanta/GA 1997, 19-36 — Dogniez, C., L’arrivee du roi selon la LXX de Zacharie 9,9-17, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Textes de la Septante à traduction double ou à traduction très littérale. Septuaginta Deutsch und Bible de l’Alexandrie. Texte der Septuaginta in Doppelüberlieferung oder in wörtlicher Übersetzung, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 217-237 — Dogniez, C., L’intertextualité dans la LXX de 1. Literatur

537

6.1.11 Zacharias / Sacharja

Zacharie 9-14, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2006, 81-96 — Dogniez, C., Some Similarities between the Septuagint and the Targum of Zechariah, in: H. Ausloos et al. (Hg.), Translating a Translation: The LXX and Its Modern Translations in the Context of Early Judaism, BEThL 213, Leuven 2008, 89-102 — Fuller, R., Early Emendations of the Scribes: The Tiqqun Sopherim in Zechariah 2:12, in: H. W. Attridge et al. (Hg.), Of Scribes and Scrolls. Studies on the Hebrew Bible, Intertestamental Judaism, and Christian Origins Presented to J. Strugnell on the occasion of his sixtieth birthday, CTSSR 5, Lanham/MD 1990, 21-28 — Hanhart, R., Sacharja, BK XIV/7, Neukirchen-Vluyn 1999 — Hitzig, F., Die zwölf kleinen Propheten, KEH 1, Berlin 41881 (11838) — Jansma, T., Inquiry into the Hebrew Text and the Ancient Versions of Zechariah ix–xiv, OTS 7, Leiden 1950, 1-142 — Jauhiainen, M., The Use of Zechariah in Revelation, WUNT II/199, Tübingen 2005 — Kaminka, A., Studien zur Septuaginta an der Hand der zwölf kleinen Prophetenbücher: MGWJ 72 (1928), 49-60. 242-273 — Menken, M. J. J., Die Redaktion des Zitates aus Sach 9,9 in Joh 12,15, ZNW 80 (1989), 193-209 — Menken, M. J. J., The Textual Form and the Meaning of the Quotation from Zechariah 12:10 in John 19:37, CBQ55 (1993), 494-511 — Muraoka, T., Introduction aux douze petits prophètes: BdA 23.1, Paris 2002, I-XXIII — Pola, Th., Das Priestertum bei Sacharja, FAT 35, Tübingen 2003 — Pola, T., Von Juda zu Judas. Das theologische Proprium von Sach 14,12-21 LXX, in: M. Karrer / W. Kraus / M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung, veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.-23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 572-580 — Pola, T., The Greek Text of Zechariah: A Document From Maccabean Jerusalem?, in: M. J. Boda / M. H. Floyd (Hg.), Tradition in Transition. Haggai and Zechariah 1-8 in the Trajectory of Hebrew Theology, The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies 475, New York / London 2008, 291-300 — Pola, T., Sach 9,9-17LXX – Indiz für die Entstehung des griechischen Dodekaprophetons im makkabäischen Jerusalem? in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Textes de la Septante à traduction double ou à traduction très littérale. Septuaginta Deutsch und Bible de l’Alexandrie. Texte der Septuaginta in Doppelüberlieferung oder in wörtlicher Übersetzung, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 238-251 — Rudolph, W., Haggai – Sacharja 1-8 – Sacharja 9–14 – Maleachi, KAT XIII/4, Gütersloh 1976 — Stekhoven, J. Z. S., De alexandrijnsche vertaling van het Dodekapropheton, Leiden 1887 — Treitel, L., Wert und Bedeutung der Septuaginta zu den 12 kleinen Propheten: MGWJ 73 (1929), 232-234 — van der Kooij, A., The Septuagint of Zechariah as Witness to an Early Interpretation of the Book, in: Chr. Tuckett (Hg.), The Book of Zechariah and its Influence, Farnham 2003, 53-64 — Vollers, K., Das Dodekapropheton der Alexandriner. Erste Hälfte: Naûm, Ambakûm, Sophonias, Angaios, Zacharias, Malachias, Halle 1880 — Wolters, A., Semantic Borrowing and Inner-Greek Corruption in LXX Zechariah 11:8, JBL118 (1999), 685-690 — Ziegler, J., Die Einheit der Septuaginta zum Zwölfprophetenbuch: Beilage zum Vorlesungsverzeichnis der Staatlichen Akademie zu Braunsberg im WS 1934/35; jetzt in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 29-42 — Ziegler, J., Studien zur Verwertung der Septuaginta im Zwölfprophetenbuch: ZAW60 (1944), 107-131; jetzt in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 243-267 — Ziegler, J., Zur Dodekapropheton-LXX, EThL38 (1962), 904-906; jetzt in: ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 587-589.

2. Textüberlieferung und Editionen Die Textgeschichte des Sacharjabuches hängt eng mit der des hebr. Dodekaprophetons als Sammlung zusammen, die sich erstmals in Sir 49,10 (um 180 v. Chr.) bezeugt findet und daher der Übersetzung ins Griechische vorgegeben war. Die bisher ältesten 538

2. Textüberlieferung und Editionen

6.1.11 Zacharias / Sacharja

Fragmente des hebr. Textes des Sacharjabuches stammen aus Qumran. Es handelt sich um Fragmente aus folgenden Handschriften: 4Q76 = 4QXIIa; aus Sach nur Reste aus 14,18; ca. 150 und 125 v. Chr., bietet eine eigenständige Textform. 1 4Q80 = 4QXIIe; aus Sach Teile von 1,4-6.9 f.13 f.; 2,10-14; 3,2-10; 4,1-4; 5,8-11; 6,1-5; 8,2-4.6 f.; 12,7-12), ca. 75-50 v. Chr.; 2 Tov zufolge Repräsentant einer selbständigen Texttradition, 3 Fuller sieht insgesamt eine Nähe zur Septuaginta, 4 dagegen für Lange insgesamt protomasoretisch. 5 4Q82 (= 4QXIIg; aus Sach: 10,11 f.; 11,1 f.; 12,1-3 nur Buchstabenreste), letztes Drittel des 1. Jh. v. Chr., 6 Tov zufolge Repräsentant einer selbständigen Texttradition, 7 Fuller zufolge insgesamt Nähe zu einer protomasoretischen Texttradition, 8 Lange zufolge insgesamt semimasoretisch. 9 Mur88 (= MurXII; aus Sach: 1,1-4), 10 Ende 1. Jh. n. Chr. 11 oder Anfang des 2. Jh. n. Chr.; (A. Lange), 12 steht MT sehr nahe. 13 »Insgesamt stehen alle Textzeugen M wesentlich näher als dies etwa bei Jer, Ez oder auch Jos, Ri und Sam der Fall ist« (Lange). 14 Trotz der kultischen und eschatologischen Thematik gibt es in den Qumrantexten nur wenige Zitate aus dem Sacharjabuch: Sach 3,8 in 1QH XV (VII) 21; 3,9 in 4Q177 II,1-2; 4,14 in 4Q254 Frg. 4; 6,8 in CD VII,14; 11,11 in 4Q163 Frg. 21,7 f.; 13,7 in CD XIX,7 f.; 13,9 in 4Q176a Frg. 15.

8ḤevXII (Mitte 1. Jh. v. Chr.) enthält aus Sach folgende Fragmente des griech. Textes: 1,1-4.12-14; 2,2-4.7-9.11 f.16 f.; 3,1 f.4-7 (Schreiber A); 8,19-9,7 (Schreiber B). Das nur wenige griech. Buchstaben umfassende Fragment 7Q5 ist nicht mit Sach 7,4 f.LXX zu identifizieren. 15 Seit den Arbeiten von Ziegler besteht ein Konsens darüber, dass die Septuaginta des Dodekaprophetons von einem einzigen Übersetzer stammt. 16 Die zwölfteilige

1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

DJD XV, 221; Fuller, Minor Prophets 555; Tov, E., Die biblischen Handschriften aus der Wüste Juda – Eine neue Synthese, in: U. Dahmen / A. Lange / H. Lichtenberger (Hg.), Die Textfunde vom Toten Meer und der Text der Hebräischen Bibel, Neukirchen-Vluyn 2000, 1-34: 26; HTTM, 336 f. DJD XV, 258. Tov, Synthese, 26. Fuller, Minor Prophets, 555 f. HTTM, 339 f. (mit weiterer Lit.). 354. DJD XV, 272; HTTM, 340 f. Tov, Synthese, 26. Fuller, Minor Prophets, 556. HTTM, 341. DJD II, 181-205; vgl. Biblia Qumranica 3B, 170 f. DJD II, 69. HTTM, 346. DJD II, 183; Fuller, Minor Prophets, 556; HTTM, 346. HTTM, 351. Spottorno, M. V., Can Methodological Limits Be Set in the Debate on the Identification of 7Q5?, DSD 6, 1999, 66-77: 75-77. Vgl. HTTM, 111 f. mit Fn. 574. Ziegler, Einheit, 1-16 (= Sylloge, 29-42), wiederholt in späteren Veröffentlichungen, besonders in: Zur Dodekapropheton-LXX, 904-906 (= Sylloge, 587-589). 2. Textüberlieferung und Editionen

539

6.1.11 Zacharias / Sacharja

Sammlung war dem Übersetzer also vorgegeben, wenngleich die Abfolge der Bücher im 1. Jh. v. Chr. noch Variationen aufweist (in 4Q76 steht Jona nach Mal). Der Text ist in den großen Handschriften B, S und A sowie in Q und W überliefert. Dazu kommen verschiedene Gruppen von Minuskeln, von denen allerdings in den Editionen von Rahlfs-Hanhart und Ziegler der lukianische bzw. antiochenische Text wenig berücksichtigt ist. Es ist zu erwarten, dass in der angekündigten Neubearbeitung die sich aus der Entdeckung der kaige-Rezension ergebenden Erkenntnisse berücksichtigt sind. [SK]

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik Der Übersetzer des Dodekaprophetons war um größtmögliche Nähe zu seiner hebr. Vorlage bemüht. Die SachLXX weist daher zahlreiche Hebraismen auf. Er hat aber trotz aller Wörtlichkeit eine eigene aktualisierende theologische Akzentsetzung eingebracht (s. u.). Die Übersetzung ist stark isomorph geprägt (z. B. in der Wortstellung oder der Wiedergabe von Partikeln). – In Sach 7,14LXX wird sogar die Paronomasie des hebr. Textes imitiert. – Hendiadyoin wird in 1,11 und 7,7 wörtl. wiedergegeben. – Die auch liturgisch gebrauchte Interjektion ‫» הס‬Pst!« (GEs18) in 2,13[17] hat die LXX entweder nicht mehr verstanden oder diese zumindest im Dodekapropheton (Hab 2,20; Zef 1,7) einheitlich mit εὐλαβέομαι »sich in Acht nehmen« wiedergegeben (anders in Am 6,10). – Auch die Interjektion ‫» קול‬horch!« in Sach 11,3 übersetzt die LXX wörtlich mit »eine Stimme«. – Die sogenannte Formel des Sendungserweises (»ihr werdet erkennen, dass der Herr mich gesandt hat«) in Sach 2,13.15; 4,9; 6,15 hat der Übersetzer des Dodekaprophetons als Formel erkannt und einheitlich übersetzt. – Die Hinzufügung des Personalpronomens zum finiten Verb zwecks Betonung ist auch im Griechischen nachgeahmt (so in Sach 1,9.15; 2,9[13]; 8,7.11; 9,11; 11,6.16; 12,2; 13,9; vgl. 13,5). – Die Figura etymologica wird in einigen Fällen imitiert (1,2.14 f.; 7,7 u. ö.), in anderen nicht (12,3; 14,12 u. ö.). Diese markanten Kennzeichen gelten für den von Rahlfs und Ziegler rekonstruierten Text. Durch die Naḥal-Ḥever-Rolle und die Identifikation der kaige-Rezension hat sich gezeigt, dass die angeführten Kennzeichen des Textes in etwa den Kennzeichen der kaige-Rezension entsprechen. Es stellt sich daher die Frage, ob hier die ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) vorliegt, oder eine hebraisierend-isomorph bearbeitete Textform. [SK] Neologismen sind die Hapaxlegomena κατακάρπως »dicht« (2,4[8]) und ῥονῶς »Granatapfelbaum« (12,11), möglicherweise auch die Hapaxlegomena innerhalb der LXX ἀπο-

540

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.1.11 Zacharias / Sacharja

τύφλωσις »Blindheit« (12,4) und πεποιθότως »in Vertrauen« (14,11). Auch παροικεσία »Fremdlingschaft« (Sach 9,12; Ez 20,38) könnte ein Neologismus sein (BdA 23/10-11, 133). Einige seltene hebr. Wörter scheint der Übersetzer nicht verstanden zu haben. Seine Übersetzungstechnik bestand darin, diese Wörter semantisch vom Kontext her zu füllen: – κατακάρπως »dicht« für ‫» ְּפ ָרזוֹת‬offen« (2,4[8]); 17 – in 12,3 λίθον καταπατούμενον »Stein (der) Zertretung« für das hebr. Hapax legomenon ‫» ַֽמֲעָמָסה‬Last, Hebestein« (oder die Vorlage wies eine Form von ‫» רמס‬mit Füßen treten« auf). Die wenigen Beispiele eines gegenüber dem hebr. Text längeren Wortlauts betreffen in der Regel nur einzelne Wörter 18 und pflegen das Ergebnis einer Harmonisierung mit dem engeren oder weiteren Zusammenhang zu sein. 19 Es entsteht in allen diesen Fällen durch das Textwachstum kein markant neuer Sinn gegenüber dem MT. 20 Den Sinn des Satzes 13,4MT »nie mehr werden sie [die Propheten] einen härenen Mantel anlegen, um zu lügen« kehrt die LXX durch Auslassung der Negation schlichtweg um: »und sie werden einen haarigen Ledermantel anziehen, weil sie gelogen haben«.

3.2. Zeit und Ort der Übersetzung Da Tritosacharja (Sach 12–14) in die Diadochenzeit, 21 und andererseits 4Q76 auf 150 bis 125 v. Chr. datiert wird, ist mit dem Abschluss des hebr. Textes bis ca. 200 v. Chr. und mit der Entstehung der SachLXX im 2. Jh. v. Chr. zu rechnen. Hellenistische Realien erlauben keine genauere Datierung; ebensowenig die Beobachtung, dass es die Philister als Volk nicht mehr zu geben scheint (Sach 8,6LXX; auch in Am 1,8; 6,2; Obd 19; Zef 2,5), oder dass ‫ כנעני‬in Sach 11,7.11 und 14,21 nicht wie im MT »Händler«, sondern (wohl als Chiffre) »Kanaanäer« bedeutet. Falls wirklich Sach 8,21LXX an die Anbetung im (um 170 errichteten) Onias-Tempel von Leontopolis (Jes 19,16 ff.) »als … Ort der Versammlung für den Aufbruch nach Jerusalem« (Hanhart, 1999, 547) denkt, wäre dies ein zeitlicher Anhaltspunkt post quem. Entstehungszeit und -ort lassen sich innerhalb der hell. Zeit möglicherweise noch präzisieren: »Judas« statt »Juda« könnte in Sach 14,14LXX eine Anspielung auf Judas 17. Das Wort bedeutet eigentlich »fruchtreich« und könnte auf die Lesung ‫ ִּפ ִריוֹת‬zurückgehen. [SK] 18. Z. B. παντοκράτωρ in 1,13; 8,17; 12,4 und 14,20; s. zur Wiedergabe von ‫ ְצָבאוֹת‬die Einleitung zum Dodekapropheton und Dogniez, Dieu. 19. Sach 1,2 μεγάλην (Harmonisierung mit 1,15 und 7,12; 8,2); 1,6 ἐν πνεύματί μου (ebenfalls Harmonisierung mit 7,12); 1,17 καὶ εἶπεν πρός με ὁ ἄγγελος ὁ λαλῶν ἐν ἐμοί (aus V. 9.14); 1,21 [2,4] καὶ τὸν Ισραηλ κατέαξαν (hat im Sinne von Ez 37 u. ö. die Restitution von Nordund Südreich im Blick); τέσσαρα (aus 1,18 [2,1]); 6,5 ὁ λαλῶν ἐν ἐμοί (aus 6,4); 8,2 τὴν Ιερουσαλημ καί (aus V. 3 und den ersten Buchteil inkludierende Harmonisierung mit 1,14); 8,20 πολλοί (aus V. 22); 8,21 προσώπου (aus dem Beginn des Verses); 10,12 θεῷ αὐτῶν (aus V. 6); 12,8 καὶ ἔσται (Harmonisierung mit den Versen 3 und 9). 20. So auch in 1,6.8.21; 2,4 f.; 8,10 f.19; 10,3. 21. Gese, Anfang, 224 f. (Sach 12–14 aus dem 3. Jh.); zuletzt Willi-Plein, I., Haggai, Sacharja, Maleachi, ZBK 24/4, Zürich 2007, 152 (Sach 9–14 ab dem 4. Jh.). 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

541

6.1.11 Zacharias / Sacharja

Makkabäus (gest. 161/160 v. Chr.), den ersten Makkabäer sein (s. u.), so dass ein terminus post quem für die Entstehung der SachLXX gegeben wäre; 22 allerdings setzt das voraus, dass es sich nicht nur um eine punktuelle Änderung im Text handelt. M. Casevitz 23 denkt an die erste Hälfte des 2. Jh.s, zwischen der Übersetzung des Psalters und der des Jesajabuches. Damit erschiene die Erwähnung des Sukkoth-Festes (Sach 14,16.18 f.) im Lichte des in 2Makk 10,6 genannten Laubhüttenfestes unmittelbar nach der erneuten Tempelweihe. Anscheinend hat man in Alexandria die durch Antiochus IV. in Jerusalem ausgelöste Krise und ihre makkabäische Überwindung verfolgt. Dafür spräche auch die Ankündigung des endzeitlichen Fehlens eines Altars in Hos 3,4LXX (statt der im MT genannten Mazzebe) 24 vor der in V. 5 genannten endzeitlichen Restitution von Volk und Königtum. Judas Makkabäus wäre dann Sach 14,14LXX zufolge das Subjekt der Herrscherankündigung von 9,10, er stünde auch hinter dem als aktiven Retter verstandenen König von 9,9a (s. u.). A. van der Kooij sieht dagegen auf Grund von Bezügen zu Hos 3,5; Am 9,11 f.; Tob 13,13; 14,5 f. und v. a. 1Makk 14,4-15.36 den Hohenpriester Simon (gest. 134 v. Chr.) als den König von Sach 9,9 f. an. 25 Dann wäre die SachLXX frühestens im letzten Drittel des 2. Jh. v. Chr. entstanden.

Auf Grund des Interesses an den Vorgängen in Palästina hat man gefragt, ob nicht außer dem ägyptischen Alexandria auch Jerusalem als Ort der Übersetzung des Sacharjabuches und damit des Dodekaprophetons insgesamt in Frage kommt. 26

4. Inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Aufbau Die das hebr. Sacharjabuch gliedernden Überschriften in 1,1.7; 7,1 (jeweils mit Datumsangabe); 9,1 und 12,1 hat das griech. Sacharjabuch mit ihrer das Buch strukturierenden Signalbedeutung übernommen. Der Visionszyklus in 1,7–6,8, gerahmt durch den einleitenden Umkehrruf 1,2-6 und den Auftrag zu einer Zeichenhandlung in 6,9-15, bildet zusammen mit den Wortsammlungen in Kap. 7 f. den ersten Teil des Buches. Dabei wird das den hebr. Text inkludierende Motiv der Pferde (1,8: drei; 6,2 f.: vier) in der LXX in Bezug auf eine Vierzahl von Pferden in 1,8 gegenüber dem Konsonantentext weitergebildet (vgl. auch 14,20). Die auch in Mal 1,1 verwendete Überschrift λῆμμα λόγου κυρίου in 9,1 und 12,1 (»Botschaft« oder »Ausspruch des Wortes des Herrn«) setzt Kap. 9–11 als den zweiten Hauptteil des Buches, Kap. 12–14 als den dritten ab.

22. Vgl. ähnlich Schaper, J., Eschatology in the Greek Psalter, WUNT II/76, Tübingen 1995, 44 f., zum LXX-Psalter. 23. BdA 23/10-11, Paris 2007, 116. 24. Der Brandopferaltar wurde unter Antiochus IV. 1Makk 1,54.59 (Dan 9,27; 11,31; 12,11) durch den Aufsatz des »Gräuel(s) der Verwüstung« entweiht, vgl. 1Makk 4,38; 2Makk 10,3. 25. Van der Kooij, Witness, 57-63. Zweifellos ist 1Makk 14,4-14.36 der Meinung, mit Simon sei die in Sach 3,10 angekündigte endzeitliche Heilszeit angebrochen. Aber gilt dies ebenfalls für den Übersetzer des Dodekaprophetons? 26. Vgl. die Einl. zum Dodekapropheton und Schaper, Eschatology, 44 f.; Pola, Indiz.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.1.11 Zacharias / Sacharja

4.2 Theologisches Profil Das theologische Ziel des hebr. Sacharjabuches wird in der SachLXX durch eine aktualisierende Konkretisierung überlagert. Die Gesamtaussage des Buches verschiebt sich deutlich: Sach 1–8MT waren auf die kurze Zeit zwischen der Grundsteinlegung des Tempels (520 v. Chr.) und der Weihe des Zweiten Tempels (515 v. Chr.) bezogen einschließlich der Erwartung eines »Spross« genannten künftigen idealen Herrschers, der unsichtbar bereits im Tempel gegenwärtig ist (6,9-15). 27 Bereits in diesen Kapiteln ist eine globale Dimension durch den Tempel als Mittelpunkt der Welt, in dem JHWH Wohnung nimmt (2,1417), gegeben. Sach 9–11MT formuliert angesichts der 332 v. Chr. in Syrien siegreich zu Pferde auftretenden Gestalt Alexanders d. Gr. (9,1-8) in 9,9 f. den idealen Herrscher geradezu als anti-Alexander (der ein Gericht durchschritten hat und demütig auf einem Esel, dem königlichen Reittier in Juda, nach Jerusalem einzieht). In Sach 12–14MT wird vor dem Hintergrund der Diadochenkämpfe das Thema des gerichteten idealen Herrschers Judas gesteigert zu dessen von JHWH befohlenem Märtyrertod (12,10–13,1; 13,7-9). In Verbindung damit wird, mehrfach variiert, die eschatologische Überwältigung Jerusalems durch die Völker und der endgültige Anbruch der Herrschaft von JHWH in einer verwandelten Schöpfung zum Ausdruck gebracht. Hinsichtlich der Rolle der Völker bei diesem Geschehen finden sich im MT sowohl partikularistische (10,3-12; 11,1-3; 12,1-8. 9-14; 13,2-6. 7-9; 14,1-11.12.14 f.17-19) als auch universalistische (14,16) Aussagen (das Motiv der sich gegenseitig umbringenden Heiden in 14,13 ist wie in Ez 38,21 und Hos 2,22 ein Kompromiss zwischen Partikularismus und Universalismus). Das Ziel der Geschichte ist 14,20 f. zufolge die Sakralisierung Jerusalems. Insgesamt kündigt das Sacharjabuch also das unmittelbar bevorstehende Kommen des endzeitlichen Heils an bzw. erläutert (in Kap. 9– 14) den schmerzhaften Weg bis zu dessen Eintreffen. Mangels Erfüllung dieser Erwartungen wurde das Sach besonders offen für Deutungen aus späteren Situationen.

Demgegenüber zeichnet sich die SachLXX durch eine Aktualisierung und Konkretisierung der erwarteten Herrschergestalt aus, die im Gegensatz zum »Spross« (3,8MT; 6,12MT) und zum Friedensherrscher von 9,9 f.MT das Mittel der militärischen Gewalt benutzt. Das griech. Sacharjabuch wird mit dem Verbum παρατάσσομαι »sich aufstellen, sich rüsten«, also mit militärischer Terminologie umschlossen (vgl. BdA 23/10-11, 131): Aus Sach 14,3LXX (vgl. auch V. 14!) ist παρατάσσομαι gegen den Konsonantentext nach Sach 1,6bLXX eingedrungen (vgl. 8,15): Der Übersetzer verbindet offensichtlich die eschatologische Gerichtstheologie der Kap. 9–14 mit der Heilsbotschaft von Kap. 1–8. Für ihn ist es derselbe Kyrios, der für sein Volk eschatologisch Heil bewirkt, aber auch handfest militärisch kämpft. Auf diese Weise hat die LXX die Heilsbotschaft für ihre eigene Zeit aktualisiert. Wenn es in der Gegenwart eine Hoffnung gab, dann war sie militärischer Art! In Sach 14,14 wird darüber hinaus παρατάσσομαι mit Judas (Makkabäus) als Subj. verwendet. Der eschatologisch verstandene Krieg wird der SachLXX zufolge sowohl in der unsichtbaren Welt des Kyrios als auch in der sichtbaren Welt durch dessen Repräsentanten, Judas (Makkabäus), geführt.

27. Pola, Priestertum, 224-264. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.1.11 Zacharias / Sacharja

Die SachLXX hält 14,12-21 zufolge eine Gestalt namens »Judas« für den militärisch operierenden Retter Jerusalems (V. 14). 28 Aus dem Stamm »Juda« wird in 14,14LXX die Person »Judas«. Dies wird nicht nur durch die Endung (-ας), sondern bei RA in Aufnahme der Lesart von LXXA v. a. durch den vorangestellten Artikel (ὁ Ιουδας) signalisiert. Die LXX versteht ‫»( יהוּ ָדה‬Juda«) als Personennamen »Judas« auch in Ps 60[59],9 = 108 [107],9. Das Wort ‫» ְמחְֹקֵקי‬mein Kommandostab, Szepter« wird dort in der Septuaginta mit βασιλεύς μου (»mein König«) wiedergegeben. 29 In diesem Sinn könnte auch die SachLXX die Gestalt von Judas Makkabäus (gest. 161/160 v. Chr.) als Rettergestalt vor Augen haben. Hat dann die SachLXX auch in der Herrschergestalt von Sach 9,9 f. Judas Makkabäus gesehen? Dafür spricht, dass die SachLXX in V. 9a nämlich den passiv (aus dem Gericht) geretteten Herrscher des MT in einen aktiven Retter verwandelt. Der Konsonantentext formuliert in V. 9 f. das unmittelbar bevorstehende Kommen des menschlichen Königs bzw. Messias in der Form des Kommens JHWHs zum Zion, wie es bei Deuterojesaja vorgegeben ist: JHWH ist der ‫ = ֵאל־ַצִדּיק וּמו ִֹשיַע‬δίκαιος καὶ σωτήρ (Jes 45,21). Dass die LXX aus dem Geretteten einen aktiven Retter macht und in V. 10 ihn (statt JHWH!) zum Subj. der eschatologischen Waffenvernichtung und der Weltherrschaft im Sinne von Ps 71[72],8 macht, könnte darauf hindeuten, dass die LXX in der genannten Gestalt eine nur menschliche Größe gesehen hat. 30 Doch ist dies vor dem skizzierten traditions- und formgeschichtlichen Hintergrund von Jes 45,21 (Konsonantentext und LXX) sowie des »eschatologischen Zionsliedes« (Zef 3,14 f.; Sach 2,14-17; Jes 12,6) nicht zwingend. Anscheinend sah die LXX in Judas Makkabäus die in Sach 9,9 f. LXX angekündigte aktiv rettende (σώζων) Königsgestalt. Er soll eschatologisch die Waffen vernichten und vom Zion aus seine Weltherrschaft aufrichten! Für das aktualisierende Verständnis der LXX auf Judas Makkabäus spräche auch, dass der Kyrios in Sach 12,6LXX »die Anführer einer Tausendschaft Judas wie eine Feuerfackel …« machen will, die gegen die umgebenden Völker gerichtet ist. Aus der »Feuerpfanne« des hebr. Wortlautes wird in der LXX eine »Feuerfackel«, nun intertextuell verknüpft mit Sach 3,2LXX (dort seinerseits aus Am 4,11 zitiert), aber hier mit umgekehrter Bedeutung: Hatte Juda in Sach 3,2LXX, repräsentiert durch den Hohenpriester, als »Feuerfackel« das Gericht JHWHs im Exil erlitten, so wird in 12,6LXX nun Juda selber zur »Feuerfackel«, zum eschatologischen, eine Art von Weltenbrand in Gang setzenden Gerichtswerkzeug gegen die Völker – anscheinend angeführt von Judas Makkabäus. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Krise unter Antiochus IV. und dem Makkabäeraufstand überrascht es nicht, dass sich ein motivischer Einfluss von Dan 7 in der SachLXX zeigt. In Sach 2,13 [17] ist Dan 7,13 rezipiert. Bereits die Vorlage von Sach 2,13 [17] las anstelle von ‫» מעון‬Wohnung« eine Form von ‫» )?מענני( ענן‬Wolke(n)« und schlug damit die Verbindung zu Dan 7,13. 31 Hat man also gar das Kommen des Herrn als des Menschensohnähnlichen »auf den Wolken« erwartet? Zumindest wird hier eine Apokalyptisierung deutlich, die sich auch in Sach 5,1 f.LXX zeigt: Dort wird die 28. 29. 30. 31.

Pola, Juda. Schaper, Eschatology, 42-45. Van der Kooij, Witness, 57-63. Hanhart, Sacharja, 120.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.1.11 Zacharias / Sacharja

fliegende Buchrolle (‫ )מגלה‬durch »Sichel, Krummschwert« (‫ )ַמ ָגּל‬ersetzt. In einer Zeit, in der Tora und Propheten längst kanonische Wertschätzung erfuhren, wollte die LXX (oder ihre Vorlage) anscheinend die Buchrolle von Sach 5,1 f.MT nicht als Fluch hinstellen. Möglich war dies auf Grund des apokalyptischen Gerichtskontextes der Sichel von Joel 3,13LXX (4,13MT). Bentzen zufolge wurde in Sach 5,1 f.LXX apokalyptisch eine Insignie aus der Königsideologie rezipiert. 32 Jedenfalls ergab sich in der LXX auf diese Weise eine Parallele zur Zerstörung der Hörner in Sach 1,18-21LXX. 33 Auch die Rolle der Völker wird in der SachLXX teilweise als Umkehrung des (bis auf 14,16) partikularistischen MTs gedeutet, es bleibt aber insgesamt bei einer Gegenüberstellung von Partikularismus und Universalismus, zumal die SachLXX in 14,20 f. gegenüber dem MT dualistisch endet (s. u.). Diese Umkehrung hängt mit der Deutung des erwarteten Herrschers auf Judas Makkabäus zusammen, der auf diese Weise den universalen Anspruch im Sinne des vorexilischen Zionskönigs stellt (Ps 71[72],8). Besonders beachtenswert ist daher die Verwandlung partikularistischer Ankündigungen des hebr. Wortlauts in universalistische: – In Sach 2,6[10] setzt συνάξω ὑμᾶς »ich werde euch einsammeln« hebr. ‫ כנשׂתי‬bzw. ‫ כנסתי‬voraus (dagegen KT: ‫» פרשׁתי אתכם‬ich werde euch zerstreuen«). Diese universalistische Deutung schließt im nachfolgenden V. 7[11] sogar die Bewohner Babylons »ein« (statt »aus« wie im KT)! – Besonders in Kap. 14 wird gegen den KT ein universalistisches Verständnis formuliert: Liegt in 14,13MT mit dem Motiv der Selbstvernichtung der Heiden bereits ein Kompromiss zwischen Dualismus und Universalismus vor (wie in Hag 2,22; Ez 38,21), so verkehrt die LXX unter Lesung von ‫»( אל‬zu«) statt ‫»( על‬gegen«, KT, Tg, Vg) das Anliegen des KT in eine universalistische Aussage. Wie in V. 13 wird in V. 17 (trotz V. 18) der Dualismus des KT durch LXX oder ihre Vorlage in eine universalistische Sicht verwandelt, bei der ähnlich wie in Dtn 32,43LXX gegen die Intention des KT das Proselytentum gewürdigt wird. 34 Die SachLXX kann auch eine im Hebr. angelegte universalistische Tendenz noch verstärken: – In Sach in 2,15LXX wird über den Sinn von 2,15aαMT hinaus in den Rest des Verses (Bundesformel und Einwohnungsankündigung mit JHWH als Subjekt) durch Übertragung der Subjekte auf die Nationen eine universalistische Zionshoffnung im Sinne einer eschatologischen Völkerwallfahrt wie in Jes 2,2 ff. ausgedrückt. – Statt »und das ganze Land wird verwandelt werden in eine Ebene« (14,10MT) wendet die LXX die Grundbedeutung von ‫ סבב‬an: »er (der Herr) wird das ganze Land rings nach der Wüste hin umschließen« (Gö). Anscheinend will die LXX am Buchende die in Sach 2,5 [9] auf Jerusalem bezogene Aussage auf das ganze Land ausdehnen. Der Buchschluss 14,20 f. wird in der LXX jedoch gegenüber dem neutral formulierten MT zu einer dualistischen Aussage, wenn dort (unter Einwirkung von Ez 44,6 f.9 f.?) festgestellt wird, im Hause des Herrn gäbe es endzeitlich keinen Kanaanäer mehr (statt »Händler« im MT).

32. Bentzen, Sichel, 216 f.; Hanhart, Sacharja, 324 f. Vgl. Offb 14,14 ff.; Mk 4,29. 33. Hanhart, Sacharja, 325. 34. Bellas, B. M., Tα χωρια Deut. 32,43 και Σαχ 14,17, Theologia 13 (1935). 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.1.11 Zacharias / Sacharja

Schließlich sucht die SachLXX eine über den MT hinausgehende buchübergreifende Verknüpfung mit dem vorderen Teil des Dodekaprophetons: Der Pl. ἡμέραι ἔρχονται in Sach 14,1LXX will zu Beginn des Schlusskapitels des Buches die Gerichtsbotschaft des ersten Schriftpropheten, Amos, aktualisierend assoziieren, da der seltene Pl. bei Amos in 4,2; 8,11 und 9,13 (jeweils Konsonantentext) belegt ist: 35 Das Ziel der einst gegen das Nordreich verkündeten Gerichtsbotschaft von Amos ist innerhalb des griech. Dodekaprophetons das apokalyptisch verstandene Weltgericht (Sach 14; vgl. die Einleitung zur AmLXX). In Sach 14,6 f. nimmt die LXX darüber hinaus auf Grund der wörtl. verstandenen Formel »an jenem Tage« (V. 6) in Verbindung mit dem Satz »Und jener Tag ist dem Herrn bekannt« aus V. 7 an, es handele sich (nur) um einen einzigen Tag, so dass die Einl. von V. 7 (»Es wird einen Tag lang [so] sein«) im Unterschied zum KT zurück auf V. 6 bezogen wird. Hier drückt sich eine späte Rezeption des Motivs des Tages JHWHs (vgl. innerhalb des Dodekaprophetons Am 5,18-20 und Zef 1) aus. Patricia Ahearne-Kroll hat darauf aufmerksam gemacht, dass bes. die LXX von Sach 3 die Einsetzung Jesu (MT: Josuas) mit der Investitur Aarons in der Priesterschrift zu parallelisieren sucht. 36

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte 5.1 Innerhalb bestimmter Hss. (s. den App. von Gö) der Psalmen-Septuaginta finden sich Überschriften, in denen ohne Entsprechung im MT Haggai und Sacharja (oder Sacharja allein) als Sänger 37 oder Urheber genannt werden: – Ps 110,1LXX und 111,1LXX: »Alleluia; von der Rückkehr Haggais und Sacharjas« (nur in einigen Hss.); – Ps 137,1LXX: »Ein Psalm, bezogen auf David, von Sacharja« o. ä. (nur in einigen Hss.; wegen V. 4 f.?); 38 – Ps 138,1LXX: »Ein Psalm, bezogen auf David, von Sacharja in der Diaspora« (nur in wenigen Hss. und der orthodoxen Lesart); – Ps 145,1LXX, 146,1LXX, 147,1LXX und 148,1LXX: »Alleluia; von Haggai und Sacharja« (fehlt allerdings in einigen Luk-Hss. und war nach Theodoret von Cyrus, PG 80, 1973, auch in der Hexapla nicht als Lesart der LXX aufgeführt); – Ps 149,1LXX und 150,1LXX: »Alleluia; von Haggai und Sacharja« (nur in einigen Hss., die dann aber das ganze »Kleine Hallel« auf Haggai und Sacharja zurückführen). Was führte zur Herausbildung dieser Erweiterungen in den Überschriften der Septuaginta oder ihrer Vorlage? Slomovic zufolge steht die in Ps 146–148LXX zu Tage tretende Gottes- und Schöpfungslehre in Beziehung zum Wort des »Allherrschers« in Sach 4,6 (»weder mit großer Kraft noch mit Stärke, sondern durch meinen Geist!«). Auch neh35. Jansma, Inquiry, 128 f. 36. Ahearne-Kroll, Portrayal, 183. 37. Rösel, M., Die Psalmüberschriften des Septuaginta-Psalters, in: E. Zenger (Hg.), Der Septuaginta-Psalter. Sprachliche und theologische Aspekte, HBS 32, Freiburg 2001, 125-148: 140. 38. Slomovic, E., Toward an Understanding of the Formation of Historical Titles in the Book of Psalms, ZAW 91 (1979), 350-380: 362.

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.11 Zacharias / Sacharja

men Ps 145,7-9LXX und 147,6LXX für Slomovic Sach 7,9 f. auf; Ps 148,11 den Vers Sach 8,21. Hag 2,6.21 sei Slomovic zufolge in Ps 145,6LXX und Ps 146,10LXX rezipiert worden. 39 Pietersma hält dagegen Ps 146,2LXX für den Kristallisationskern der Ergänzungen: »Der Herr ist der, der Jerusalem aufbaut, und die Zerstreuungen (τὰς διασποράς) Israels wird er zusammenführen.« Dieses Handeln des Kyrios hat sich laut Ps 146,1LXX geschichtlich in der erfolgreichen Verkündigung Haggais und Sacharjas niedergeschlagen. Pietersma zufolge sind die Ergänzungen also von der hebr. Vorlage von Ps 146,1LXX aus inhaltlich bedingt und sukzessive in die Überschriften der Psalmen 145LXX und 147– 150LXX, 110 f.LXX und 137 f.LXX eingedrungen. 40 M. Rösel stellt nun an der PsLXX als einer interpretierenden Übersetzung zweierlei fest: Das eine ist eine über den MT hinausgehende »Prophetisierung«, die sich außer in Ps 145–148LXX auch in der Nennung Jeremias und Ezechiels in Ps 64,1LXX zeigt 41 (bestärkt durch eine »Davidisierung«) und das andere ist (damit einhergehend) eine ebenfalls über den MT hinausgehende Eschatologisierung, die auch in Ps 1,5LXX, 31,1LXX, 48,10.16LXX und 65,1LXX zu finden sei. Die PsLXX sei daher in der 1. Hälfte des 2. Jh. v. Chr., unter dem Eindruck der überstandenen Krise unter dem Seleukiden Antiochus IV. entstanden (zu »Judas« statt »Juda« in Ps 60[59],9 = 108[107],9 s. o.). 42 Jedenfalls hängt die Herausbildung der Ergänzung von Haggai und Sacharja in den oben aufgelisteten Überschriften mit Sach 6,14LXX zusammen: Der diademartige Kranz soll »zu einem Psalm im Haus des Herr(n)« werden (MT: »zum Gedächtnis …«): Haggai und Sacharja hatten von JHWH her den Anstoß zu Bau und Weihe des Zweiten Tempels und damit dem Beginn einer Heilszeit gegeben (2Esdr 5,1 f.; 6,14), die im Kult erfahrbar war, was sich in den gesungenen Gebeten niedergeschlagen hat. 43 Es könnte gut sein, dass man sich dessen nach der Tempelweihe im Jahre 164 v. Chr. neu besonnen hat. 5.2 Die Formulierung »eine Witwe und ein Waisenkind und einen Hinzugekommenen und einen Bedürftigen« in Sach 7,10 scheint als Formulierung auf Dtn 24,19LXX (Ra) eingewirkt zu haben. 44 5.3 Eine Liste von übereinstimmenden Lesarten zwischen der SachLXX und den Targumen findet sich in BdA 23/10-11, 136. 45 Bemerkenswert ist die explizit messianische Interpretation des »Sprosses« im Targum von Sach 3,8 und 6,12. Der Verzicht auf eine messianische Deutung von Sach 12,10 im Targum könnte dagegen eine Reaktion auf die frühe passionstheologische Rezeption dieses Verses und seines Zusammenhangs sein.

39. 40. 41. 42. 43.

Slomovic, Understanding, 363 f. mit 364, Fn. 45. Pietersma, Exegesis, 113-118. So bereits in 1Chr 25. Rösel, Psalmüberschriften. Ähnlich E. Zenger, in: Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., Psalmen 101-150, HThK.AT, Freiburg 2008, 809. – Vgl. auch die im MT fehlende Überschrift des Hymnus Ps 95LXX »Als das Haus aufgebaut wurde nach der Gefangenschaft; ein Lied, bezogen auf David«. 44. Hanhart, Sacharja, 480. 45. Siehe auch Dogniez, Similarities. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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6.1.11 Zacharias / Sacharja

5.4 Die SachLXX ist auch vom Neuen Testament rezipiert worden: – Die Bedeutung »Schuldmaß« für μέτρον in Sach 5,6LXX ist in Mt 23,32 aufgenommen worden. 46 – Aus den Zitaten der SachLXX im NT ist besonders Lk 1,78 hervorzuheben: »(Sonnen-) Aufgang« (statt »Spross«, im hebr. Text botanisch verstanden) in Sach 3,8LXX und 6,12LXX wird bei Lukas (und im Judentum) auf Grund der messianisch interpretierten Stelle Num 24,17LXX zu einer messianischen Chiffre, deren Kenntnis Lukas bei seinen Lesern voraussetzt. – Sach 9,9 wurde in der Einzugsperikope Joh 12,12 ff. bzw. Mk 11,1 ff. (Mt 21,1 ff.; Lk 19,28 ff.) in Form einer szenischen Darstellung rezipiert und bei Mt darüber hinaus in 21,5 zitiert. Die erheblichen Abweichungen des Zitates in Joh 12,15 gehen mit Menken auf schriftgelehrte Kombinierungen mit anderen Stellen zurück. 47 Die Annahme zweier Tiere in Mt 21,2.7 setzt ein additives Verständnis des και explicativum der LXX (bzw. schon des KT) im letzten Satz von V. 9 voraus. – Sach 12,3LXX wurde in Lk 21,24 aufgenommen. 5.4.1 Bemerkenswert sind die zahlreichen Zitate und Anspielungen in der Johannes-Offenbarung. 48 Könnte das am apokalyptischen Charakter der SachLXX liegen? Es handelt sich um: – Sach 1,8-17 wird von Apk 6,1-8 aufgenommen; 49 – besonders Sach 4 und 6 finden sich in der Apk rezipiert (Apk 4–7.11 und 19); – auf Sach 12,10 wird in Apk 1,7 angespielt; – Kap. 14,7-11 wird in Apk 11. 19 und 21 f. rezipiert. Jauhiainen läßt es in seiner Monographie zur Sach-Rezeption in der Apk jedoch (mit Ausnahme von Apk 1,7) offen, ob die Apk auf die LXX oder eher den MT zurückgreift. 50 5.4.2 Andererseits zitiert das Neue Testament verschiedentlich eine von der SachLXX abweichende Form. Dass das NT sich auf Grund seiner Christologie die Deutung der Erwartung eines idealen Herrschers auf Judas Makkabäus nicht zu Eigen machen konnte, liegt auf der Hand. Von der SachLXX weichen im NT ab: – Mt 24,30 »und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes (καὶ τότε κόψονται πᾶσαι αἱ φυλαὶ τῆς γῆς)« rezipiert nicht den Wortlaut von Sach 12,10LXX (καὶ κόψονται ἐπ’ αὐτὸν κοπετόν), – Die Belege Joh 19,37 und Apk 1,7 zitieren nicht die bei Ra und Gö übernommene, sondern eine sich eng an den KT anlehnende Version: 51 Dabei steht in Joh 19,37 und Apk 1,7 (außer der Ersetzung von ἐπιβλέψονται durch ὄψονται oder ähnlich) die Lesung von ‫» אלו‬auf ihn« statt ‫» אלי‬auf mich« (MT) in Verbindung mit der Vokalisation des MT ‫»( ָדָּקרוּ‬sie haben durchbohrt«) als ֹ‫( ְדָּקרו‬statt ‫ְדָּק ֻרהוּ‬, wie in 13,3) »sie 46. 47. 48. 49. 50. 51.

Hitzig, Propheten, 353. Menken, Textual Form. BdA 23,10-11, 206-214. Jauhiainen, Use, 63-65. Jauhiainen, Use, 165 f. u. ö. Apk 1,8 soll sich auf ein urchristliches Testimonium beziehen. Jauhiainen, Use, 153 (zu Apk 1,7).

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.11 Zacharias / Sacharja

haben ihn durchbohrt« (Joh 19,37: ὅν ἐξεκέντησαν; Apk 1,7: αὐτὸν ἐξεκέτησαν). Auf diese Weise wird vermieden, »mich« auf JHWH als Durchbohrten zu beziehen. 52 Dies erscheint in der Zeit der Alten Kirche als spezifisch christliche Version von Sach 12,10, 53 die der johanneischen Schule vorgegeben war. 54 – Da in Sach 13,4LXX der traditionelle prophetische Ziegenhaarmantel zu einem Büßergewand für Falschpropheten geworden war (s. o.), können die ntl. Darstellungen von Johannes dem Täufer kaum auf 13,4LXX beruhen. – Auch Sach 13,7 wurde nicht in Mt 26,31; Mk 14,27 übernommen, sondern eine näher zum hebr. Text stehende Übersetzung. – Die Bedeutung »Händler« für ‫ כנעני‬wird in 14,21 auch von Tg und Vg bestätigt. Das NT hat daher mit der Darstellung der Erfüllung von 14,21 in der sog. Tempelreinigung Jesu nicht auf den (überlieferten) Wortlaut der LXX zurückgegriffen (Mk 11,15 f. par.; Joh 2,14). In Bezug auf den traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Mt 23,35 herrscht noch immer keine Klarheit. 55 Die Stelle verweist auf »das Blut Sacharjas, des Sohnes Berechjas (Ζαχαρίου υἱοῦ Βαραχίου), den ihr getötet habt zwischen Tempel und Altar«. Sowohl die lukanische Parallelstelle (11,51) als auch der Sinaiticus von Mt 23,35 weisen dagegen keinen Vaternamen auf. Die Forschungsmehrheit nimmt in jedem Falle eine Verwechslung an, 56 ob sie als Hintergrund die Tötung Sacharja ben Jojadas im Vorhofe des Tempels 2Chr 24,20 ff. oder das in Jos.bell IV,5,4 berichtete und gegenüber dem Evangelisten fast zeitgenössische Ereignis der Ermordung von Sacharja ben Bareis (Ζαχαρίας υἱὸς Βάρεις) im Tempel kurz vor der Zerstörung des herodianischen Tempels für wahrscheinlich hält. 57 Nun bietet der Targum zu Thr 2,20, wo im MT nur vom Erschlagenwerden von Priester und Prophet im Tempel die Rede ist, eine Explikation, die dies auf ein Martyrium des »Hohenpriesters und Propheten« Sacharja ben Iddo im Tempel und auch noch am großen Versöhnungstage deutet. Angesichts der derzeitigen Quellenlage ist diese Notiz singulär. Besäße das angebliche Martyrium Sacharjas ben Berechjas einen historischen Hintergrund, wäre dies gewiß auch anderwärts im antiken Judentum rezipiert worden. Wird man jedoch sowohl Matthäus als auch Thr 2,20 Tg bloße Verwechslung unterstellen können? Eher scheint in der in Thr 2,20 Tg und Mt 23,35 zu Tage tretenden Tradition die an der Spitze der Epoche des zweiten Tempels stehende Figur Sacharjas ben Berechja zu einer Art Urbild geworden zu sein, in das man das in 2Chr 24,20 ff. für die vorexilische Zeit berichtete Martyrium des ebenfalls prophetisch begabten Priesters gleichen Namens hineingelesen hat. So erscheint die Ermordung des Priesters und Propheten Sacharja im Tempel und in Thr 2,20 Tg zum Hohenpriester gesteigert, zeitlich auch noch am großen Versöhnungstage, in Mt 23,35 hinsichtlich des Schauplatzes gegenüber 2Chr 24,21 gesteigert zum Raum »zwischen Tempel und Altar« als ein so gravierendes Sakrileg, dass es end-

52. 53. 54. 55. 56. 57.

Deissler, Sach 12,10. Menken, Textual Form, 497. Menken, Textual Form, 504. Der folgende Absatz ist eine Fortführung von Pola, Priestertum, 48 f. Rudolph, Haggai, 68 et al. Baeck, Secharja et al. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

549

6.1.11 Zacharias / Sacharja

zeitlich der urzeitlichen Bluttat Abels mit seiner anthropologischen und hamartiologischen Dimension entspricht. 5.5 Sach 5,2-4LXX findet sich in den Inschriften zweier jüdischer Gräber in Akmonia in Phrygien rezipiert. 58 5.6 Die Kirchenväter haben die ihnen vorliegende rezensierte SachLXX mit dezidiert christologischem Interesse ausgelegt. 59 Ihrer Meinung nach hat die SachLXX umfassend das Kommen Christi und dessen irdisches Werk angekündigt (insbesondere Sach 1,8-12; 2,10 f.; 3,1-9; 4,6-10; 6,9-14; 9,9-11; 11,12 f.; 12,8.10; 13,7). Eine Ausnahme bildet der philologische Kommentar zum Dodekapropheton von Theodor von Mopsuestia (350–428), der die Deutung auf Christus auf die neutestamentlichen Zitate aus der SachLXX beschränkt, ansonsten hat er die SachLXX als ein prophetisches Zeugnis hinsichtlich der Geschichte des Frühjudentums angesehen: Dem noch in Babylon ansässigen Propheten Sacharja wurden Tempelbau und Restauration des Königtums angekündigt. Darauf soll die Heilszeit anbrechen, sobald Zorobabel Gog und (später) die Makkabäer die Seleukiden besiegt haben (!). – Zur Rezeption der SachLXX bei den Kirchenvätern insgesamt s. ausführlich BdA 23,10-11, 137-214.

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Da das hebr. Sacharjabuch im 3. Jh. v. Chr. abgeschlossen war, bedeutete die Krise unter Antiochus IV. eine über die Schrecken von Sach 12–14 hinausgehende Erfahrung. Sie hat sich bekanntlich apokalyptisch in Dan 7–12 niedergeschlagen. Die SachLXX trug nun vor diesem Hintergrund nach, was man auf Grund der von den Makkabäern erreichten und zugleich als gottgegeben verstandenen Wende sowohl im hebr. Sacharjabuche als auch im hebr.-aram. Danielbuche vermisste: Die SachLXX weist gegenüber dem MT eine Aktualisierung unter dem Vorzeichen apokalyptischer Wirklichkeitsauffassung auf, vorausgesetzt, man definiert Apokalyptik auf Grund inhaltlicher (und nicht formaler) Kriterien. Hier besteht nun Forschungsbedarf: – Gibt es über die Beobachtungen von van der Kooij 60 hinausführende Spuren dieser Aktualisierung in den anderen Büchern der DodekaprophetonLXX? – Welche Kennzeichen weist diese in der SachLXX anzutreffende, über DanMT hinausgehende, aber noch »präqumranische« Apokalyptik auf? – Wie verhalten sich hier kultische und apokalyptische Wirklichkeitsauffassung zueinander? 6.2 Alle Überlegungen hängen wesentlich von der Textgrundlage ab. Durch die NaḥalḤever-Rolle und die Identifikation der kaige-Rezension hat sich gezeigt, dass viele der bisher herausgestellten Kennzeichen des Textes in etwa den Kennzeichen der kaige-Re58. CIJ II, 769; MAMA VI, 316; siehe bei Feissel, D., La Bible dans les inscriptions grecques, in: Mondésert, C. (Hg.), Le monde grec ancien et la Bible, Paris 1984, 223-231: 225 (3. Jh. n. Chr.). 59. BdA 23/10-11, 146 ff. 60. Van der Kooij, Witness, 57-63.

550

6. Perspektiven der Forschung

6.1.11 Zacharias / Sacharja

zension entsprechen. Damit stellt sich die Aufgabe, Kriterien für die Unterscheidung zwischen der ursprünglichen Übersetzung und späteren Bearbeitungen zu entwickeln und diese bei einer neuen Edition des Textes zu berücksichtigen.

6. Perspektiven der Forschung

551

6.1.12 Malachias / Maleachi Cécile Dogniez

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Duodecim Prophetae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIII, Göttingen 1943, 19843. Eine Neubearbeitung durch Albrecht, F. ist für 2016 angekündigt.

1.2 Qumran-Texte 4QXIIa = 4Q76 (QXIIc = 4Q78, Frg 35?) (DJD XV) — MurXII = Mur88 (DJD II) — 8ḤevXIIgr. = 8Ḥev1 (DJD VIII). BQS 623-626 — Biblia Qumranica 3B, Leiden 2005 — HTTM 335-369. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Vianès, L., Les Douze Prophètes: Malachie, BdA 23.12, Paris 2012 — Howard, G. E., The Twelve Prophets: Malachias, NETS, Oxford 2007, 20092, 777-781.820-822 — Müller, M. / Schorn, U., Malchias / Maleachi, LXX.D, Stuttgart 20102, 1226-1229 — Müller, M. / Schorn, U., Malchias / Maleachi, LXX.E, Stuttgart 2011, 2475-2483.

1.4 Weitere Literatur Fuller, R., Text-Critical Problems in Malachi 2:10-16, JBL 110 (1991), 47-57 — Himbaza, I., La finale de Malachie sur Élie (Ml 3,23-24). Son influence sur le livre de Malachie et son impact sur la littérature postérieure, in: ders. / A. Schenker (Hg.), Un carrefour dans l’histoire de la Bible. Du texte à la théologie au IIème siècle avant J.-C., OBO 233, Fribourg / Göttingen 2007, 21-44 — Jones, D. C., A Note on the LXX of Malachi 2:16, JBL 109 (1990), 683-685 — O’Keefe, J. J., Christianizing Malachi: Fifth-Century Insights from Cyril of Alexandria, Vigiliae Christianae 50/2 (1996), 136-158 — Kugler, R. A., A Note on the Hebrew and Greek Texts of Mal 2,3aα, ZAW 108 (1996), 377-394 — Tilly, M., Leben nach den Geboten Gottes. Betrachtungen zur grieschischen Übertsetzung von Mal 2,1-9.10-16, in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2000, 267-280 — Trumbower, J. A., The role of Malachi in the Career of John the Baptist, in: C. A. Evans / W. R. Stegner (Hg.), The Gospels and the Scriptures of Israel, JSNT Suppl. Series 104, Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity 3, Sheffield 1994, 28-41 — Utzschneider, H., Künder oder Schreiber? Eine These zum Problem der Schriftprophetie auf Grund von Maleachi 1,6-2,9, BEAT 19, Frankfurt 1989 — Utzschneider, H., Die Schriftprophetie und die Frage nach dem Ende der Prophetie. Überlegungen anhand von Mal 1,6-2,16, ZAW 104 (1992), 377-394 — Van der Woude, A. S., Malachi’s Struggle for a Pure Community. Reflections on Malachi 2:10-16, in: J. W. van Henten / H. J. de Jonge / P. T. van Rooden / J. W.

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1. Literatur

6.1.12 Malachias / Maleachi

Wesselius (Hg.), Tradition and Reinterpretation in Jewish and Early Christian Literature. Essays in Honour of Jürgen C. H. Lebram, Leiden 1986, 65-71 — Vianès, L., L’épaule comme part des lévites: le Rouleau du Temple et Ml 2, 3, RB 104 (1997), 512-521 — Vianès, L., Lévites fautifs et prêtre parfait dans la LXX de Malachie 2,3-9 in: W. Kraus / O. Munnich (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg / Göttingen 2009, 252-266. Siehe auch die allgemeine Bibliographie zum Dodekapropheton in 6.1.0.

2. Textüberlieferung Das Buch Malachias / Maleachi 1 schließt in der Septuaginta ebenso wie in der hebräischen Bibel das Zwölfprophetenbuch ab. 2 Aber während es im Hebräischen das letzte der Prophetenbücher ist, wonach die Schriften folgen, steht Maleachi in der Septuaginta vor Jesaja, weil hier das Zwölfprophetenbuch den großen Propheten vorangeht. Der Name des Buches ist im MT von V. 1 abgeleitet, wo sich das Wort ‫מלאכי‬, »mein Bote« findet. ‫ מלאך‬könnte aber auch einfach nur ein Nomen sein, das Bote oder Engel, also einen gewöhnlichen Boten oder ein übernatürliches Wesen bezeichnet. Der griech. Übersetzer des Buches hat das hebr. Wort nicht als Name wiedergegeben, die Bedeutung »Bote« bewahrt: ἄγγελος. Daher ist in der Septuaginta dieses Buch eigentlich anonym. Der Name erscheint in den Handschriften nur in der Überschrift des Buches, allerdings in unterschiedlichen Formen, Μαλαχιας, Μαλαχιου, Μαλαχιηλ oder »der Prophetenbote« oder »Malachias, der auch Bote genannt wird«. Das Buch präsentiert sich in der Form eine Dialogs zwischen Jhwh, seinem Volk und den Priestern, eingeteilt in sechs Diskussionen (1,2-5; 1,6–2,9; 2,10-16; 2,17–3,5; 3,612; 3,13-21). Diese bestehen aus jeweils vier gleichen Elementen: Eine Behauptung, der ein Widerspruch folgt, eine Argumentation und die Ankündigung der Konsequenzen. Die Verse in 3,22-24 mit der Erwähnung des Propheten Elia werden als Hinzufügung betrachtet. Die erste Kontroverse bezieht sich auf den Unglauben Israels, während sich die Liebe Jhwhs zu Israel in der Zerstörung Edoms gezeigt hat. Bei den anderen Themen geht es um falsches kultisches Verhalten der Priester (1,6–2,9), um Ehescheidung, die mit Götzendienst gleichgesetzt wird (2,10-16), um Nachlässigkeit bei der Darbringung des Zehnten (3,6-12). Dazwischen eingefügt sind zwei Ankündigungen des Tages Jhwh’s (2,17–3,5 und 3,13-21) als Tag des Gerichtes für die »Ungesetzlichen« aber auch für die Gerechten.

1. 2.

Für die Erstellung dieses Artikels waren die Gespräche mit Laurence Vianès, die den Band zu Malachie in La Bible d’Alexandrie erarbeitete, sehr hilfreich. Das Fragment 4QXIIa aus Qumran ist der einzige hebräische Text, in dem Maleachi nicht am Ende des Zwölfprophetenbuches steht, sondern dort folgt offensichtlich noch das Buch Jona. Siehe Steck, O. H., Zur Abfolge Maleachi-Jona in 4Q76 (4QXIIa), ZAW 108 (1996), 249-253. Guillaume, P., The Unlikely Malachi-Jonah Sequence (4QXIIa), Journal of Hebrew Scriptures 7 (2007), article 15. Vorsichtig dazu auch Lange, HTTM 336 f. 2. Textüberlieferung

553

6.1.12 Malachias / Maleachi

Die Absatzgliederungen des griech. Textes entspricht nicht genau den Einteilungen des MT, aber sie zeigen dieselbe literarische Komposition. Jedoch sind die letzten drei Verse des MT in der Septuaginta an anderer Stelle eingeordnet. Die Ankündigung der Sendung Elias (V. 22 f. LXX = V. 23 f. MT) erweitert im Griechischen die Beschreibung des Tages des Herrn und die kurze Erinnerung an die Gabe des Gesetzes des Mose am Horeb für ganz Israel beschließt das Buch. Die griech. Zwölfprophetenrolle von Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr) hat keine Fragmente von Maleachi erbracht.

3. Übersetzungstechnik Die griech. Übersetzung des Buches Maleachi hat weithin die gleichen Kennzeichen wie sie bereits für die anderen der Kleinen Propheten aufgezeigt wurden. Auch das Bemühen um eine gewisse Variation in der Wortwahl ist ähnlich und führt dazu, dass z. B. das Verb ‫בזה‬, »verachten«, mit zwei verschiedenen aber gleichbedeutenden griech. Wörtern wiedergegeben wird, φαυλίζειν en 1,6 und ἐξουδενοῦν in 1,7; ebenso wird ‫חלה‬, »krank« in 1,8 mit ἄρρωστος, »kraftlos«, und in 1,13 mit ἐνοχλούμενος, »bedrückt«, wiedergegeben. Der Übersetzer zögert auch nicht, ein einfaches Verb und ein Kompositum für die Wiedergabe desselben hebr. Wortes zu verwenden, z. B. οἰκοδομεῖν und ἀνοικοδομεῖν; φέρειν und εἰσφέρειν; καταρᾶσθαι und ἐπικαταρᾶσθαι oder auch ἀποστέλλειν und ἐξαποστέλλειν. Auch wenn es keine Lehnwörter aus dem Hebräischen sind, so bietet Maleachi doch manchmal eine syntaktische Konstruktion, die dem »biblischen« Stil der Septuaginta entsprechen, z. B. die Verdoppelung des Verbs bei ἀποβλέποντες ὑμεῖς ἀποβλέπετε in 3,9; das Substantiv in Verbindung mit dem Verbum ἐν φόβῳ φοβεῖσθαι in 2, 5, die (dem Hebräischen entsprechende) Wiederholung von ἀνὰ μέσον, »zwischen« in 3,18. Die beinahe vollständige Wiedergabe der zahlreichen Personalpronomina als Subjekt, auch dort, wo es im Griechischen nicht notwendig ist, unterstreicht die Kraft der prophetischen Ausdrucksweise. Andererseits modifiziert der Übersetzer den Text indem er die Person ändert. Er schafft dadurch eine größere Kohärenz und beseitigt Spannungen. Damit nicht der Herr manchmal in der ersten und manchmal in der dritten Person erscheint, schreibt er in 1,1 »sein Bote« (MT: »mein Bote«). In 2,10, wo sich der Prophet mit »wir« ausnahmsweise mit einbezieht, betont die Übersetzung das Gegenüber zu den Priestern und sagt »ihr«, so dass die Kritik nicht ganz Israel gilt, sondern insbesondere den Priestern (so jedenfalls in der Edition von Rahlfs, Ziegler in Gö wählte die dem MT entsprechende Lesart). In 2,15-16, wo die dritte Person unpassend erscheint, vereinheitlicht er den Text durchgehend zur zweiten Person. Durch seine Wortwahl produziert der Übersetzer manchmal eine Bedeutungsverschiebung: In 3,10 ist τὰ ἐκφόρια, »die hervorgebrachten (Früchte)«, eine merkwürdige Übersetzung des geläufigen hebr. ‫מעשר‬, »Zehnter«, das sonst fast immer mit ἐπιδέκατον übersetzt wird. Zwar hat ἐκφόριον die Nebenbedeutung »Steuer«, aber im Kontext versteht man es in seiner Hauptbedeutung »Früchte«. In 1,3 entfernt sich die Wiedergabe δόματα, »Gaben«, von hebr. ‫תנות‬, »Schakale«; diese Wiedergabe kommt 554

3. Übersetzungstechnik

6.1.12 Malachias / Maleachi

vielleicht davon, dass ‫ תנות‬als eine Form des Verbums ‫נתן‬, geben, aufgefasst wurde. (L. Vianès in BdA 23,12,103 versteht δόματα als Schreibvariante zu δῶματα, das ist eine Dachterrasse. Sie übersetzt daher »terrasses«). Gewisse Plus des griech. Textes könnten Dubletten sein: In 2,2 bei der Ankündigung »Ich werde euren Lobpreis aufheben, er wird nicht bei euch sein« könnte der zweite Satz auf ‫ כי אין בכם‬neben ‫ כי אניכם‬zurückgehen; in 2,13 entsprechen ἐκ κόπων, »infolge von Mühen«, und ἄξιον, »(ist es noch) würdig?«, einerseits ‫( מאון‬4QXIIa) und andererseits ‫( מאין‬MT). Mit Ausnahme der sieben weiteren »Plus« (1,1.7; 3,2.5 [bis 3].6.19), gibt es nur wenige quantitative Differenzen.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Einige Wörter, die der Übersetzer der »Zwölf« bevorzugt, wie ἀπορρίπτω, ἐπιφανής, καταδυναστεύω, κονδυλίζω, finden sich auch im griech. Text von Maleachi. Dieser bietet ein qualitätsvolles Griechisch, in dem sich auch seltene Wörter und literarische Techniken finden und das sich sorgfältig bemüht, die vorgegebenen Themen treu und klar wiederzugeben. So ist z. B. der Bote im Maleachibuch eine wichtige Figur; jenseits des Propheten sind drei andere Pesonen als ἄγγελος bzeichnet: Der Priester in 2,7, derjenige, der auf den Weg achtet (»der sich der Weg ersieht«), und der »Bote des Bundes« in 3,1. Um auszudrücken, dass der Bote ein von Gott Gesandter ist, verwendet der Übersetzer in 3,1 das Doppelkompositum ἐξαποστέλλω, das mit 30 Belegen ein bevorzugtes Wort des Übersetzers der »Zwölf« ist, das aber zugleich auch an das Wort ἀποστέλλω erinnert, das in 3,22 für die Sendung des Elia verwendet wird. Diese Entsprechungen erlauben es zweifellos, diese Boten – mit Ausnahme des Propheten – in einem einzigen zu vereinen: Der Priester von 2,5-7, den man manchmal mit Pinchas, dem Sohn des Eleazar und Enkel Aarons verbindet, und zwar wegen des Ausdrucks »Bund des Friedens« in Num 25,12 und Mal 2,5 wäre dann zu verbinden mit Elia, dessen Rückkehr in 3,22 versprochen wird, aber auch schon in 3,1 angekündigt ist. So verstanden könnte diese große priesterliche Gestalt, die »vor dem Namen« des Herrn kommt (2,5, in die eschatologische Zeit eingeordnet werden (BdA übersetzt hier: »et de venir lui-même de devant mon nom.« NETS jedoch: »that he avoid the presence of my name« und LXX.D: »und sich vor meinem Namen zu scheuen.«) In der Septuaginta sind die Priester länger die Zielscheibe der Kritik als im MT, wo sie ab 2,9 nicht mehr im Mittelpunkt des Gotteswortes stehen. Wie im Targum aber mit anderer Begründung wird den Priestern angedroht, dass sie die Einkünfte aus den ihnen zustehenden Teilen der Opfer verlieren werden (2,3). Darüber hinaus hat man vermutet, dass der Übersetzer unter Bezug auf Ez 44 eine Unterscheidung zwischen Priestern und Leviten (wieder)eingeführt hat, während der Prophet in Aufnahme der deuteronomistischen Perspektive beide zusammengenom-

3.

Der Übersetzer von 3,5 ergänzt seinen Text durch Verbindungen mit Dtn 24,14-27 und Lev 19,12-13. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

555

6.1.12 Malachias / Maleachi

men hat. Die schlechten Priester werden auf den Rang von Leviten degradiert. Andererseits ist das Bild, das ab 2,5 herausgestellt wird, das eines Priesters und nicht das Bild des Patriarchen Levi. Im Griechischen ist die Verbindung zwischen 2,11-12 und 2,14-16 aufgelöst und werden zwei unterschiedliche Vorwürfe formuliert: Der Satz »Juda … hat die Tochter eines fremden Gottes geheiratet« in 2,11MT lässt an Götzendienst oder an Mischehen denken, steht aber in der Beziehung mit der folgenden Verurteilung von Ehescheidung. Die Formulierung der Septuaginta hat dagegen nur Götzendienst im Blick. Aber wie im Hebräischen bringt Mal 2,13-16 eine unmissverständliche Kritik an Ehescheidung zum Ausdruck, die einzige in der ganzen Bibel. Trennungen sind vielleicht für den Fall ehelicher Unstimmigkeiten erlaubt, aber sie dürfen nicht mit dem Vorwand gerechtfertigt werden, dass eine zweite Ehe sich fruchtbarer erweisen könnte (»Was sonst als Nachkommen sucht Gott?«, 2,15). Das eschatologische Thema vom Tag des Herrn, das das ganze Kapitel 3 außer den Versen 6-12 beschäftigt, wird in Begriffen dargestellt, die ungefähr jenen des MT entsprechen. Die eschatologischen Verheißungen, die mit dem Aufgehen der »Sonne der Gerechtigkeit« in 3,20 angekündigt werden, hat der Übersetzer so formuliert, dass man darin die Ankündigung der Auferstehung finden kann, denn an Stelle von »Mastkälbern« spricht er von »Kälbern, die von ihren Stricken befreit (ἀνειμένα) sind«.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das Zitat aus Mal 1,2-3 »Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst« in Röm 9,13 erlaubt Paulus die Ankündigung von Gen 25,23 »der Ältere wird dem jüngeren Dienen« erfüllt zu sehen. Aber es ist vor allem die Ankündigung eines Boten in 3,1 und des Elia in 3,22, die die Autoren des Neuen Testaments interessiert hat. Für sie sind beide Personen identisch. In Anspielung auf Mal 3,22-23 lassen die Synoptiker (Mt 11,14 und 17,10-13, Mk 9,11-13 und Lk 1,17) Jesus sagen, dass Johannes der Täufer der Elia ist, der kommen muss. An anderer Stelle wenden sie Mal 3,1 in Verbindung mit Ex 23,20 an: Siehe ich sende meinen Boten vor dir her um deinen Weg vor dir zu bereiten« (Mt 11,10; Mk 1,2; Lk 7,27). Die ersten Christen haben Mal 1,11 in Anspruch genommen, wo, um die Ablehnung der unreinen Opfer zu begründen, darauf Bezug genommen wird, dass Gott bei den Völkern von Ost bis West gepriesen wird, und dass »man überall seinem Namen … reine Opfer darbringt«. Die Verehrung des Herrn wird sich überall hin ausbreiten. Die christlichen Exegeten haben diesen Vers im Futur gelesen und als Ankündigung der Ausbreitung ihrer Religion gelesen; mit Ausnahme von Theodor von Mopsuestia, der dieses Wort als Anerkennung des Wertes der Religion der Heiden verstand. Nach einer jüdischen Auslegung, die über Justin den Märtyrer bekannt wurde (Dialog mit Tryphon 117,2-4), sind die Gebete, die in den Häusern oder in den Synagogen der Diaspora gesprochen werden, die »Opfer der Lippen«, die die in Jerusalem dargebrachten Opfer ersetzen. Im christlichen Milieu wurde dieser Vers seit der Didache (Kap. 14) ganz selbstverständlich als Aufforderung zur Eucharistie verstanden. Die Verse Mal 1,10-12 wur556

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.1.12 Malachias / Maleachi

den in der antijüdischen Polemik verwendet, um zu zeigen, dass der jüdische Kult als unrein verworfen ist und dass der Alte Bund durch den Neuen Bund ersetzt ist. Die Person des idealen Priesters von 2,5-7 hat immer wieder die Aufmerksamkeit der Väter auf sich gezogen und wurde in verschiedener Weise identifiziert: Für Kyrill repräsentiert er jeden verdienstvollen Priester, für Theodor von Mopsuestia und für Theodoret von Cyrrhus ist es Aaron; für Hieronymus Pinchas. Die Aussage von 3,6 »Ich bin der Herr, euer Gott, und ich habe mich nicht verändert« hat bekanntlich in den theologischen Debatten eine große Rolle gespielt. Obwohl Maleachi im Griechischen mit einer Erinnerung an das Gesetz des Mose endet, haben die meisten christlichen Kommentatoren das Ende des Maleachibuches nach der Abfolge im MT gelesen. Maleachi wird dabei ein Bote, der kommt, um die Juden, die Christus nicht anerkannt haben, zu bekehren und sie vor dem Untergang im Endgericht zu bewahren.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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6.2 Esaias / Isaias / Jesaja Arie van der Kooij

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Isaias, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV, Göttingen 1939, 19833.

1.2 Qumran-Texte 1QJesa [ohne Nummer] (Burrows, M., The Dead Sea Scrolls from St. Mark’s Monastery I: The Isaiah Manuscript and the Habakkuk Commentary, New Haven 1950 — Parry, D. W. / Qimron, E., The Great Isaiah Scroll [1QJesa]. A New Edition, StTDJ 32, Leiden 1999) — 1QJesb = 1Q8 (DJD I) — 4QJesa.b.c.d.e.f.g.h.i.j.k.l.m.n.o = 4Q55.56.57.58.59.60.61.62.62a.63.64.65.66.67.68 4Qpap Jesp = 4Q69; 4QJesq.r = 4Q69a.b (DJD XV) — 5QJes = 5Q3 (DJD III) — MurJes = Mur 3. (DJD II) — 3QpJes = 3Q4 (DJD III) — 4QpJesa.b.c.d.e = 4Q161.162.163.164.165 (DJD 5) — 4QTanh = 4Q176 (DJD 5). BQS 330-464.465-557 — HTTM 257-296. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und künftig in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Silva, M., Esaias, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 823-875 — Baltzer, K. / Kabiersch, J. / Koenen, K. / Kooij, A. van der / Wilk, F., Esaias / Jesaja, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1230-1286 — Baltzer, K. / Kabiersch, J. / Koenen, K. / Kooij, A. van der / Wilk, F., Esaias / Jesaja, LXX.E, Stuttgart 2011, 2488-1690.

1.4 Weitere Literatur Baer, D. A., When We All Go Home. Translation and Theology, in: LXX Isaiah 56-66, JSOT SS 318, The Hebrew Bible and Its Versions 1, Sheffield 2001 — Brockington, L. H., The Greek translator of Isaiah and his interest in δόξα, VT 1 (1951), 23-32 — Buitenwerf, R., Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting, with an introduction, translation, and commentary, Leiden 2003 — Collins, J. J., Isaiah 8:23-9:6 and Its Greek Translation, in: A. Voitila / J. Jokiranta (Hg.), Scripture in Transition (FS R. Sollamo), JSJSup 126, Leiden 2008, 205-221 — Coste, J. M., Le texte grec d’Isaïe XXV 1-5, RB 61 (1954), 36-66 — Ekblad Jr., E. R., Isaiah’s Servant Poems According to the Septuagint. An Exegetical and Theological Study, CBET 23, Leuven 1999 — Euler, K. F., Die Verkündigung vom leidenden Gottesknecht aus Jes 53 in der Griechischen Bibel, BWANT 66, Stuttgart / Berlin 1934 — Evans, C. A., To See and Not Perceive. Isaiah 6.9-10 in Early Jewish and Christian Interpretation, JSOT SS 64, Sheffield 1989 — Fischer, J., In welcher Schrift lag das Buch Isaias den LXX vor? Eine textkritische Studie, BZAW 56, Gießen 1930 — Fritsch, C. T., The Concept of God in the Greek Translation of Isaiah, in: O. Reimherr / J. M. Myers / H. N. Bream (Hg.), Biblical Studies in Memory of H. C. Alleman, New York 1. Literatur

559

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

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560

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6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

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561

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

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2. Textüberlieferung und Editionen Der Text der LXX-Version des Jesajabuches liegt in fünf Unzialhandschriften (A, B, Q, S und V), in zahlreichen Minuskelhandschriften, sowie in griechischen Väterkommentaren (Eusebius von Cäsarea, Basilius, Johannes Chrysostomus, Theodoret von Cyrus und Cyrill von Alexandrien) vor. Indirekt ist er durch alte Übersetzungen (ins Altlateinische, Koptische und Syrische) bezeugt. Der »alexandrinische« Text, dessen Hauptzeugen die Handschriften A und Q sowie Cyrill sind, hat wohl »am besten den ursprünglichen alten Sept[uaginta]-Text bewahrt« 1. Diesem Text stehen (u. a. von den Handschriften B und V sowie Eusebius bezeugt) die hexaplarische und (v. a. von etlichen Minuskeln sowie Theodoret vertreten) die lukianische oder antiochenische Rezension gegenüber. Beide Rezensionen sind u. a. dadurch gekennzeichnet, dass sie einen Text bieten, der an vielen Stellen nach dem hebräischen Text verbessert ist. Editionen: A. Rahlfs (jetzt RaHa); J. Ziegler, Septuaginta Gottingensis.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik und sprachliches Profil Die LXX-Version des Jesajabuches hat ein besonderes Profil, denn, anders als bei den meisten Büchern in der LXX, handelt es sich um eine Übersetzung, deren Wortlaut überaus häufig, des Öfteren weitreichend, von den Zeugen für den hebräischen Text dieses Buches (MT, Qumran-Handschriften) abweicht. Die Frage ist, wie diese Unter1.

Ziegler, Isaias, 25.

562

2. Textüberlieferung und Editionen

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

schiede zu erklären sind. Man hat dabei mit mehreren Faktoren zu rechnen, und da die meisten Forscher der Meinung sind, dass die Vorlage der LXX-Jesaja weitgehend mit dem MT (jedenfalls dem Ketib) übereinstimmt, 2 geht es dabei um Faktoren, die eine bestimmte Übersetzungstechnik widerspiegeln. Als ganzes ist LXX-Jesaja, dem Targum zu Jesaja vergleichbar, durch eine Mischung von wörtlicher und ›freien‹ Übersetzungen gekennzeichnet. Diese Freiheit lässt sich auf der Wort- wie auch auf der Satz(teil)ebene beobachten. Auf Wortebene haben u. a. folgende Faktoren zu einer Abweichung vom Sinn oder Wortlaut der hebräischen Vorlage geführt: 3 – Andere Vokalisation (9:8[7]: »Tod«, d. h. deber, »Pest«; MT dabar, »Wort«); – Assoziation formähnlicher Konsonanten (29,3: »wie David« [‫ ;]כדוד‬MT ‫» כדור‬im Kreis«); – Assoziation lautähnlicher Konsonanten (8,15: »und sie werden sich nähern«, d. h. ‫ ;ונגשו‬MT ‫;)ונוקשו‬ – Umstellung von Konsonanten (14,12: »der schickt«, d. h. ‫ ;שולח‬MT ‫;)חולש‬ – Zerlegung eines Wortes (24,14: »das Wasser des Meeres«, d. h. ‫ ;מי ים‬MT ‫;)מים‬ – Assoziation einer anderen Wurzel (8,11: »sie verweigern sich«, über ‫ ;סרר‬MT ‫;)סור‬ – Wortdeutung über das nachbiblische Hebräisch bzw. das Aramäische (4,2: »er wird erstrahlen«, über ‫ צמח‬im Aram.); – Interpretation eines bildlich aufgefassten Wortes (22,23: »Herrscher« für »Pflock«) 4. In der älteren Forschung nahm man meist an, dass es sich in solchen Fällen um Verlesungen und Irrtümer handelt. 5 Diese Einschätzung wird dem Sachverhalt in den meisten Fällen aber nicht gerecht, wie von späteren Forschern dargelegt worden ist. 6 Wichtig ist in dieser Hinsicht die Beobachtung, dass die Übersetzer im alten Judentum wohl zu den Kreisen der Sachkundigen, d. h. der Schriftgelehrten (Priester, Leviten und Laien [Älteste, Weise]), gehörten. Sie waren also mit den genannten Faktoren, die auch als Methoden von Textinterpretation aus den Targumim und den rabbinischen Midraschim bekannt sind, vertraut. Dazu sei auch darauf hingewiesen, dass es Berührungspunkte zwischen diesen Methoden und der Arbeitsweise der alexandrinischen »grammatici« gibt. 7 Weiterhin sind auf Satzebene folgende Faktoren zu nennen: Streben nach gutem Koine-Griechisch in syntaktischer, stilistischer und idiomatischer Hinsicht; 8 Auslassungen (Minus), zumal von syntaktischen Ausdrücken oder Wiederholungen im hebräischen Text; 9 Ergänzungen (Plus), zumal zum Zweck der Explikation und Erläuterung einzelner Aussagen sowie zur Erzeugung eines stilistisch gutlaufenden oder kohärenten Textgefüges; 10 andere Textsegmentierung (z. B. in 6,5: »weil ich, der ich 2. Zur Geschichte der Forschung, s. van der Kooij, Textzeugen, 23-32. Zur Frage der Vorlage neuerdings auch Troxel, LXX-Isaiah, 73-85. 3. Nachstehend wird jeder Faktor anhand eines Beispiels illustriert. 4. Zu diesem Phänomen, vgl. auch van der Kooij, Metaphorical Language. 5. Dazu vor allem die Arbeiten von Scholz, Ottley und Fischer. 6. Vgl. die Arbeiten von Ziegler, Seeligmann, Das Neves, van der Kooij, Ekblad und Troxel. 7. Dazu Troxel, LXX-Isaiah, 111; van der Kooij, Review, 148. 8. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 80-103; Le Moigne, Esaie, 431-575 (zur Vorliebe für Chiasmen). 9. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 46-56; van der Vorm-Croughs, Old Greek of Isaiah. 10. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 56-80; van der Vorm-Croughs, Old Greek of Isaiah. Zur Text3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

563

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

ein Mensch bin und unreine Lippen habe«; MT »denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen«); Angleichungen an den direkten Kontext; Einflüsse sinnverwandter Stellen aus der (LXX-)Jesaja oder anderen biblischen Büchern (Hebr. oder LXX); 11 Vorliebe für das Wiederholen desselben griechischen Wortes in einem Satz bzw. Perikope (z. B. in 10,33 f.; 21,15); Variationen bei der Wiedergabe von im MT wiederholten Wörtern, Wendungen und Sätzen (vgl. z. B. 11,11 mit 11,16 [s. unten]; 18,2 mit 18,6; 35,10a mit 51,11a); Streben nach Erklärung von Bildern und Vergleichen; 12 Paraphrasen (vgl. z. B. 27,2-5; 30,15). 13 Mit Hilfe von diesen (und anderen) Faktoren lässt sich erklären, wie der Übersetzter zu seiner Wiedergabe gekommen sei. Gewissermaßen machen einige Faktoren, vor allem das Streben nach gutem Koine-Griechisch in syntaktischer, stilistischer und idiomatischer Hinsicht, auch klar, warum er seinen Text so gestaltet hat. Dennoch reichen sie nicht aus, um zu wissen, was der griechische Text meint. Dazu soll man den griechischen Text, so wie er dasteht, ernstnehmen, d. h. untersuchen, was er inhaltlich besagt (s. dazu Kap. 4). Zum Beispiel: In Jes 9,6[5] findet sich die Wiedergabe von »ich werde bringen« für MT »Vater«. Es ist klar, wie der Übersetzer zu dieser Deutung des Hebräischen (‫)אבי‬ kam: Er hat es als eine Verbalform (zu dieser Kurzform, vgl. 1Kön 1,29) gelesen. Um zu wissen, warum er dies getan habe, soll man zuerst untersuchen, was der griechische Text – »denn ich werde Frieden bringen über die Herrscher« (MT: »Vater der Zukunft, Friedefürst« [als Namen des Messias]) – meint. Bei der inhaltlichen Analyse von Texten und Abschnitten in LXX Jesaja ist vor allem die Frage nach der Bedeutung von bestimmten Wörtern und Wendungen wichtig. Man hat schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass der Übersetzer mit Wörtern und Ausdrücken aus den Bereichen der Landwirtschaft, der Botanik, des Bewässerungswesens, der Wirtschaft, der politischen-wirtschaftlichen Verwaltung Ägyptens, der Berufe, der Beamten und vor allem auch der Jurisdiktion vertraut war. 14 Neuere Arbeiten zum Vokabular der LXX Jesaja im Lichte von griechischen Papyri und anderen hellenistischen Schriften haben dies bestätigt. 15 Die Analyse nach dem Inhalt des griechischen Textes ist auch von großer Bedeutung, um herauszufinden, wie der Übersetzer den hebräischen Text gelesen und gedeutet hat. All dieses führt zur weiter gehenden Frage: Warum und wozu wurde dies alles so gelesen und interpretiert, wie es von der griechischen Version bezeugt wird?

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Allgemein wird angenommen, dass die LXX Jesaja im 2. Jh. v. Chr. verfasst worden ist. Wenn man davon ausgeht, dass diese Übersetzung von einem Bemühen geprägt sei,

11. 12. 13. 14. 15.

kohärenz durch zusätzliche Adverbien, Konjunktionen und Partikeln, s. Le Moigne, Esaie, 159428. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 134-175; Troxel, LXX-Isaiah, 133-172 (›contextual interpretation‹). Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 80-103. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 84-91. Vgl. Ziegler, Untersuchungen, 175-212. Vgl. van der Meer, Bridge; ders., Trendy Translations; ders., Papyrological Perspectives.

564

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

herauszufinden, auf welche Personen und Ereignisse in der aktuellen Zeitgeschichte die alten Prophezeiungen bezogen werden könnten (s. dazu unten), liegt es nahe, diesen Text zu datieren wie man es beim Danielbuch gewöhnt ist. Das heißt also, dem nachzugehen, welche Prophezeiungen von Jesaja als erfüllt betrachtet, und welche im Sinne einer Erwartungsinterpretation verstanden wurden. Da einerseits Kap. 23 wohl den Untergang von Karthago voraussetzt, 16 und andererseits die Übersetzung der jesajanischen Prophezeiungen schon vorlag, als der Enkel von Jesus Sirach nach Ägypten kam, darf man annehmen, dass sie zwischen 146 und 132 v. Chr. entstanden ist. Wie bekannt, spielt die Zerstörung von Babel (›Babylon‹ auf Griechisch) eine sehr wichtige Rolle im Jesajabuch (Kap. 13–14; 21,1-9; 47); denn der Untergang dieser Stadt setzt den Weg für Jerusalems Heil frei. In der Zeit zwischen 146 und 132 v. Chr. wurde Babylon durch den parthischen König Mithridates I. um 140 eingenommen. Von einer Erfüllungsinterpretation her gesehen, dürfte es klar sein, dass es dabei für den Verfasser der LXX Jesaja um ein entscheidendes Ereignis handelte, das man eine ›Stunde der Wahrheit‹ nennen könnte, analog zum Geschehen im 6. Jh. v. Chr. als Kyros der Große dieselbe Stadt einnahm. Daher ist es wahrscheinlich, dass LXX Jesaja um 140 v. Chr. verfasst worden ist. Meistens geht man davon aus, dass die LXX Jesaja, wie andere Bücher der LXX, in Alexandrien entstanden sei. Dabei liegt es nahe, an Juden zu denken, die zu den Gelehrtenkreisen in dieser Stadt gehörten. 17 Aber zur Frage der Verfasserschaft von LXX Jesaja liegen Indizien vor, die auf einen anderen Ort hinweisen. Texte wie 10,24; 11,16; und 19,18 f.24 f. lassen ein besonderes Interesse an einer in Ägypten lebenden Gruppe von Juden erkennen. 18 10,24: »Darum sagt dies der Herr Sabaoth: Fürchte dich nicht, mein Volk, das in Sion wohnt, vor den Assyrern, weil er dich mit dem Stock schlagen wird; denn ich führe einen Schlag gegen dich, damit ihr den Weg nach Ägypten seht.« 11,16: »… und es wird einen Durchgang geben für mein übrig gebliebenes Volk in Ägypten, und es wird für Israel sein wie der Tag, als es aus dem Land Ägypten auszog.« 19,18-19: »An jenem Tag wird es fünf Städte in Ägypten geben, wo man die kanaanäische Sprache spricht und beim Namen des Herrn schwört; Stadt Asedek wird die eine Stadt genannt. An jenem Tag wird es einen Altar geben für den Herrn im Gebiet der Ägypter und eine Säule an seiner Grenze für den Herrn.« 19,24-25: »An jenem Tag wird Israel Dritter bei den Assyrern und bei den Ägyptern sein, gesegnet auf der Erde, die der Herr Sabaoth segnete: Gesegnet ist mein Volk, das in Ägypten und das unter den Assyrern, und mein Erbe Israel.«

In 10,24 ist davon die Rede, dass eine Gruppe – »mein Volk« »in Sion« genannt – geschlagen wird, damit sie den Weg nach Ägypten sieht, d. h. dass sie nach Ägypten gehen, oder fliehen, werden. Aus der Prophezeiung von 11,16 geht hervor, dass »mein (übrig gebliebenes) Volk in Ägypten« (MT »aus Assur«) nach Sion zurückkehren wird. Und schließlich liegt in Jes 19 eine Passage vor, wo es ebenfalls um ein jüdische Gruppe in Ägypten geht: Es wird Städte in Ägypten geben, wo man »beim Namen des Herrn schwört«. Anders als MT, wo es heißt, dass man »sich dem Herrn zuschwört«, d. h. 16. Vgl. dazu van der Kooij, Oracle. 17. Vgl. Troxel, LXX-Isaiah, 20-25. 18. Vgl. van der Kooij, Servant, 390-394; ders., Septuagint of Isaiah. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

565

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

zum Herrn bekennt (vgl. 45,23), lässt die LXX an Juden denken (vgl. 48,1 sowie Dtn 6,13; Jer 12,16). Eine der Städte heißt »Stadt Asedek«, d. h. Stadt der Gerechtigkeit (MT »Stadt der Zerstörung«; Qumrantexte »Stadt der Sonne«). Die LXX überträgt hier eine Bezeichnung von Jerusalem aus 1,26 auf eine Stadt in Ägypten, und zwar mittels einer Transkription des zweiten Wortes. Letzterem scheint jedoch eine Beziehung zu 1,26 zu widersprechen; denn dort hat der Übersetzer das zweite Wort nicht transkribiert, sondern ins Griechische übertragen. 19 Aber die Transkription passt einerseits zur »kanaanäischer Sprache« in V. 18a, und andererseits dient sie auf diese Weise dem Zweck der Namengebung. Man vergleiche dazu die Wiedergabe »der Herr Sabaoth« als Name Gottes in LXX Jesaja. Es liegt wohl nahe, bei diesen Texten in LXX Jesaja an die Gruppe um Onias (IV. oder III.?), Mitglied der hohepriesterlichen Familie, zu denken, da diese Gruppe Flavius Josephus zufolge nach ihrer Flucht aus Jerusalem im ägyptischen Leontopolis im Gau von Heliopolis einen Tempel errichtete (vgl. Bell 1,33 u. ö.); zu dessen Legitimation berief er sich auf Jes 19,19 (vgl. Ant. 13,64.68 [Zitat Jes 19,19a]; Bell. 7,432 [»Es war Jesaja, der vorausgesagt hatte, dass einst ein Tempel in Ägypten entstehen werde, und zwar als Bau eines jüdischen Mannes«). Diese Legitimation, mit dem Namen von Jerusalem aus 1,26, setzt voraus, dass Jerusalem und der Tempel als illegitim betrachtet wurden. Dennoch bezeugt Jes 1,26 die Erwartung, dass Sion einst wieder die »treue Hauptstadt« sein wird (1,26), d. h. eine Stadt von Recht und Gerechtigkeit, und das passt zur Hoffnung auf Heimkehr nach Sion (11,16). Von dieser Sicht der Dinge her darf man annehmen, dass Leontopolis der Ort gewesen sei, wo LXX Jesaja verfasst worden ist, obwohl man nicht ausschließen kann, dass die Arbeit in Alexandrien gemacht wurde, da, soweit wir wissen, Onias gute Beziehungen zum König in Alexandrien unterhielt.

4. Inhaltliches und theologisches Profil Die LXX Jesaja ist nicht nur eine Übersetzung, sondern stellt auch eine frühe Interpretation des Jesajabuches dar. Sie bezeugt also eine Etappe in der Rezeptionsgeschichte des hebräischen Jesajatextes – ein Sachverhalt, der selbstverständlich von der Rezeptionsgeschichte des griechischen Textes zu unterscheiden ist. Die Forscher sind sich darüber einig, dass LXX Jesaja auch von Interpretation geprägt ist. Allerdings gehen die Meinungen zur Frage der Art und Umfang der Exegese im griechischen Text auseinander. Dabei handelt es sich um eine methodische Frage. Ein wichtiger Punkt ist, ob man vorwiegend die Differenzen zwischen dem Griechischem und dem Hebräische untersucht und analysiert, 20 oder ob man, wie oben dargelegt, daneben auch den griechischen Text in seiner eigenen Bedeutung ernst nimmt. 21 Was LXX Jesaja angeht, bezieht sich ›Interpretation‹ auf verschiedene Ebenen der Deutung eines Textes –

19. Vgl. Seeligmann, Septuagint Version, 69; Troxel, LXX-Isaiah, 171. 20. So weitgehend Seeligmann, Septuagint Version; Troxel, LXX-Isaiah. 21. Vgl. Coste, Das Neves, van der Kooij, Oracle und Ekblad.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

Wörter, Ausdrücke, Wendungen, einerseits, und Sätze und Abschnitte, andererseits. Dazu sind auch Deutungen auf thematischer und theologischer Ebene von großem Interesse. Für Themen und Motive, die für LXX Jesaja bezeichnend sind, seien folgende Beispiele genannt: (a) Bezeichnungen Gottes: Wie bekannt, wird LXX Jesaja durch die Wiedergabe »der Herrr Sabaoth« für »JHWH/der Herr der Heerscharen« gekennzeichnet. Abgesehen von einigen Stellen in 1Kgt (LXX) und 1Esdr 9,46 findet man in der übrigen LXX zwei andere Wiedergaben dieser Bezeichnung Gottes: »der Herr Pantokrator«, und »der Herr der Heerscharen« (so im Psalter). Die Transliteration »Sabaoth« weist darauf hin, dass man im Milieu des Übersetzers die Bezeichnung »der Herr Sabaoth« als einen Namen betrachtete und als solchen markieren wollte. (Zur Namenbildung, die teils Griechisch teils Hebräisch ist, vgl. auch Jes 7,3: »der übrig gebliebene Jasub« [Sohn des Jesaja]!) Die Vorstellung von Gott als »Richter« findet sich schon im hebräischen Text (33,22). Dieser Aspekt ist in LXX Jesaja doch etwas stärker betont, wie aus Stellen wie 30,18 und 63,7 hervorgeht. An einigen Stellen im Alten Testament wird Gott als »groß« bezeichnet (u. a. Dtn 7,21; Jer 32,18). Obwohl der hebräische Jesajatext diesen Ausdruck nicht enthält, hat LXX Jesaja ihn an zwei Stellen aufgenommen: 26,4 (»du großer, ewiger Gott«) und 33,22 (»Denn mein Gott ist groß«). Das mag damit zusammenhängen, dass dieser Name in der hellenistischen Zeit ziemlich beliebt war, wie wir aus zeitgenössischen jüdischen Schriften wissen (siehe u. a. Dan 2,45; 9,4; Sirach 39,6; 43,5.29; vgl. dazu auch Henoch Apok und Sib Or III). Zuletzt sei zur Frage der Anthropomorphismen bemerkt, dass LXX Jesaja nicht anti-anthropomorph ist; denn die Anthropomorphismen wurden zum Teil wörtlich, zum Teil auch frei übersetzt. 22 (b) Das Gesetz: Anders als im hebräischen Text kommt in der LXX Jesaja ein großes Interesse am Gesetz (Mose) zum Ausdruck. 23 Wichtige Stellen in dieser Hinsicht sind 8,16.20; 24,5.16; 33,6. Es wird betont, dass das Gesetz »zur Hilfe« gegeben ist (8,20) und zur Rettung (vgl. 33,6), dass hingegen die Gottlosen aufgrund ihrer Untreue und ihres Ungehorsams (vgl. 33,1 f.) nach dem Gesetz ausgeliefert werden: »Nach dem Gesetz werden sie ausgeliefert werden« (33,6). Die »Anordnungen« (προστάγματα; 24,5; 26,9) des Gesetzes (vgl. 24,5) werden auf der Erde »Licht« sein (26,9). Die Knechtsgestalt (s. u.) wird als Vermittler dieses Lichts dargestellt, wie aus 49,6 hervorgeht. Das Gesetz gilt also nicht nur für das jüdische Volk, sondern auch für die Völkerschaften auf Erde (vgl. 2,3!), eine Vorstellung, die auch von SibOr III bezeugt ist (III,719 f.757 f.). 24 In seinem Kern handelt das Gesetz von der »Gerechtigkeit« (δικαιοσύνη), und demgemäß werden in 33,6 »Weisheit, Kenntnis und Frömmigkeit gegenüber dem

22. Vgl. Fritsch, Concept. 23. Vgl. Seeligmann, Septuagint Version, 104-108; Troxel, LXX-Isaiah, 234-246 (vorwiegend zur Deutung von LXX Jes 8,11-16). 24. Vgl. dazu Buitenwerf, Book III, 342. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

Herrn« als »die Schätze der Gerechtigkeit (d. h. des Gesetzes)« genannt. Diese Charakterisierung des Gesetzes in 33,6 entspricht anderen zeitgenössischen jüdischen Quellen, wie: – Aristeas: »Gebote … die Frömmigkeit und Gerechtigkeit betreffen« (131); – »dass alles zum Zwecke der Gerechtigkeit gesetzlich geregelt ist … jedes Wort zielt auf … das gerechte Zusammenleben der Menschen« (168 f.); – Aristobulus: »Die Anlage unseres Gesetzes ist … ganz auf Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und die übrigen der Wahrheit gemäßen Güter ausgerichtet« (Frg. 4 in Eus.praep. XIII 12,8); und – Pseudo-Phokylides: »die Geheimnisse der Gerechtigkeit«: So bezeichnet der Dichter in 229 seine moralischen Lehrsätze. 25 In 8,16 spielt die LXX auf (führende) Leute in Israel an, die das Gesetz außer Kraft zu setzen versuchten: »Dann werden offenbar sein, die das Gesetz versiegeln, um nicht zu lernen (zu müssen)«. Vgl. dazu auch 24,16: »Und man wird sagen: Wehe denen, die untreu sind, die dem Gesetz untreu sind«. Gemeint sind wohl, wie in 1Makk 1,11-15, hellenisierende Kreise in Jerusalem. (c) Jerusalem/Sion: Die Stadt Jerusalem bzw. Sion spielt im Jesajabuch bekanntermaßen eine sehr wichtige Rolle. In der LXX Jesaja erhält das Bild von ihr folgende besondere Akzente: Sie ist die »Hauptstadt« (1,26), wird auch »mächtige Stadt« genannt (27,3; vgl. 26,1). Interessant ist ferner, dass sie als Stadt der »Sicherheit« bezeichnet wird: »Es wird Sicherheit geben in meiner Stadt« (18,4; vgl. dazu 8,16: »Menschen die in Sicherheit sind«). Sie wird zwar nach Gottes Ratschluss von Feinden eingenommen und ihrer Reichtümer beraubt (vgl. 22,8 f.; 25,6 f.; 27,3-5; 32,13 f.), wird aber danach (vgl. 32,15a) ein Ort von »Frieden«, »Ruhe«, und »Reichtum« sein (32,18). (d) Der erwartete Herrscher (Messias): In LXX Jesaja 9,6[5] wird der Name des neuen Herrschers im Vergleich zur geläufigen Deutung des hebräischen Textes ganz kurz gehalten: »Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns sogar geschenkt, auf dessen Schulter die Herrschaft (gelegt) wurde und dessen Name lautet ›Bote großen Ratschlusses‹ ; denn ich werde Frieden bringen über die Herrscher, Frieden und Gesundheit für ihn«. Die Deutung dieser Stelle ist umstritten. 26 LXX Jesaja enthält jedoch Indizien dafür, dass die messianische Gestalt aus 9,6 nicht als König, sondern als Hohepriester mit königlicher Würde zu betrachten ist. 27 So wird in 22,15-19 Sebna nicht wie im MT als ein hoher Beamter am Königshof, sondern als Hohepriester dargestellt, dem wie aus V. 22 hervorgeht, auch königliche Würde (»die Herrlichkeit Davids«) zukommt. Für dieses Motiv in zeitgenössischen Quellen sei u. a. auf Sirach 45,24 f. (H) hingewiesen, und für »Bote« als Bezeichnung eines Priesters auf Mal 2,7. Der Name »Bote großen Ratschlusses« weist wohl darauf hin, dass er ganz besondere Kenntnisse hat, und zwar Kenntnisse des »eschatologischen« Ratschlusses Gottes (vgl. 25,1). Wie der Priester/

25. Vgl. ferner Sib Or III, 234 ff., und dazu Buitenwerf, Book III, 341. 26. Vgl. Collins, Isaiah 8:23-9:6; Hanhart, Septuaginta; Lust, Messianism; Schaper, Messianism; De Sousa, Eschatology, 103-137; Ngunga, Messianism, 86-97. 27. Van der Kooij, Messias; ders., Old Greek of Isaiah 9,6-7.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

Lehrer der Gerechtigkeit von Qumran ist er also imstande diese Kenntnisse zu vermitteln. 28 Nach LXX Jesaja 40,1-2 ist es Sache der Priester, das Volk Gottes zu trösten: »Ihr Priester, redet zum Herzen Jerusalems, tröstet sie (die Stadt)«. »Trösten« ist hier wie in 11Q13 II,20 wohl als ein eschatologischer Terminus zu werten. Das passt zum Boten großen Ratschlusses in 9,6: als Hohepriester mit besonderen Kenntnissen ist er ein Herrscher, der das Volk in Jerusalem trösten kann. 29 Wie aus 32,2 hervorgeht, handelt es sich bei dem neuen Herrscher um einen »Menschen, der seine Worte verbirgt«, da er sich (für eine kurze Zeit) verbergen wird, der dann aber »erscheinen« wird in Sion, »wie ein reißender Fluss herrlich (erscheint) in dürstendem Land«. Hier liegt wohl derselbe Gedanke vor: die vorhergesagte messianische Gestalt wird nach Sion kommen, um das Volk Gottes in der Stadt mit seinen Worten zu trösten. Vgl. dazu auch V. 4: »Und das Herz der Schwachen wird sich dem Hören zuwenden, und die stammelnden Zungen werden schnell lernen, Frieden zu sprechen«. Von daher lässt sich verstehen, dass es in 31,9b heißt: »Selig, wer in Sion einen Samen hat und Verwandte in Jerusalem«. (e) Der Knecht des Herrn bzw. der Restgedanke: Die vier sogenannten Gottesknechtlieder in LXX Jesaja haben viel Beachtung gefunden, und zwar vor allem Kap. 53. 30 1985 wurde das Ergebnis der damaligen Untersuchungen wie folgt zusammengefasst: »Die uns in der LXX greifbare Auslegung der EJL [Ebed-Jhwh-Lieder] durch das hellenistische Judentum zeigt für das 1. und 2. Lied eindeutig ein kollektives Verständnis des Ebed, für das 3. lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Das 4. Lied scheint individuell auf den Propheten bezogen zu sein«. 31 In 42,1 stellen »Jakob« und »Israel« Zusätze in der LXX dar; es heißt also: »Jakob, mein Knecht, … Israel, mein Erwählter«, ganz in Übereinstimmung mit einem Text wie 44,1. Diese Texte spiegeln wohl ein kollektives Verständnis wider, aber die Frage ist, was damit gemeint sei. Man könnte dabei an das ganze Volk Israel denken, wie nach Origenes jüdische Schriftgelehrte seiner Zeit die Knechtgestalt von Jes 53 auslegten (Contra Celsum I,55). Es liegen aber Indizien vor, dass der Übersetzer anderer Meinung war. In 49,6 liest man: »Und er [der Herr] sprach zu mir [dem Knecht Israel, V. 3]: Es ist etwas Großes für dich, dass du mein Knecht genannt wirst, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die (Gemeinschaft der) der Zerstreuten Israels zurückzubringen«. Der Knecht Israel soll also die Stämme heimkehren lassen, und das bedeutet, dass der Knecht nicht das ganze Volk sein kann. Zugleich verhält es sich in 49,1-6 so, dass der Knecht selber keine individuelle Gestalt ist, sondern eine bestimmte Gruppe; denn in V. 5b heißt es: »ich werde versammelt werden und werde verherrlicht werden vor dem Herrn«. Im Lichte sinnverwandter Stellen in LXX Jesaja darf man annehmen, dass die Sammlung bzw. die Verherrlichung der Knechtgruppe, die eine Rückkehr voraussetzt, in Sion stattfinden wird (vgl. 4,2; 26,1-2; 57,14; 62,10-12). Erst dann wird sie in der Lage sein, die Zerstreuten zurückzubringen (49,6; vgl. auch 27,12). Eine ähnliche 28. Zur Deutung von ἄγγελος als »Engel« in der frühchristlichen Exegese, vgl. van der Kooij, Messias, 167. 29. Vgl. auch 61,1-3. 30. Vgl. Ekblad, Servant Poems; Euler, Verkündigung; Grelot, Poèmes, 98-111; Hengel, Jesaja 53. 31. Haag, Gottesknecht, 47. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

Differenzierung scheint auch von 11,11-16 bezeugt zu sein. Ganz anders als im MT, wo es in den Versen 11 und 16 um »den Rest seines Volkes, der aus Assur (und anderen Orten, V. 11) übrig bleiben wird« handelt, liegt in der LXX ein klarer Unterschied vor: in 11,11 ist von den Zerstreuten des ganzen Volkes die Rede (»den übrig gebliebenen Rest des Volkes, das übrig geblieben wurde von den Assyrern und von Ägypten und Babylonien und Athiopien und von Ailamitern und vom Sonnenaufgang und aus Arabien«), in 11,16 aber geht es offenbar um eine spezifische jüdische Gruppe in Ägypten, die von dort her zurückkehren wird (»und es wird einen Durchgang geben für mein übrig gebliebenes Volk in Ägypten« [zu dieser Stelle, s. oben]). Diese beiden Stellen in Jes 11 machen zugleich klar, dass man nicht von »dem« Restgedanken in LXX Jesaja sprechen kann; 32 man muss unterscheiden, und zwar zwischen einem Rest in Ägypten (11,16), einem Rest in Sion (4,3; vgl. 10,20-21), und dem Rest im Sinne der Diaspora (d. h. des Volkes als Ganzes) (11,11; 49,6 [»Diaspora«]). Im Lichte von 49,5-6 lässt sich die Differenzierung in 11,11-16 wohl am besten so verstehen, dass die Knechtgruppe bzw. der Rest aus Ägypten 33 zuerst nach Sion zurückkehrt, um dort verherrlicht zu werden, und dass sie/er dann die Zerstreuten sammelt, um die Stämme Jakobs aufzurichten. Es gibt aber auch einige Stellen, wo der Knecht wohl individuell gemeint ist, wie in 49,7 und 52,13–53,12. 34 Das heißt also, dass »der Knecht« eine Gruppe bezeichnen kann, aber auch eine einzelne Gestalt. Dies Nebeneinander von Individuum und Gruppe ist nicht ohne Parallele; man vergleiche dazu Texte, die auf die Führerschaft anspielen, wie 9,6 und 32,1-2. In 9,6 ist von Herrschern (Plural) die Rede, und zugleich auch von einem Herrscher (Singular): »ich werde Frieden bringen über die Herrscher, Frieden und Gesundheit für ihn«. Das ist auch in 32,1-2 der Fall: »Herrscher werden mit Recht herrschen« (V. 1), während V. 2 (»der Mensch«; s. dazu oben) auf eine einzelne Gestalt anspielt. (f) Auferstehung: Im Allgemeinen nimmt man an, dass im Judentum der hellenistischen Zeit der Glaube an die Auferstehung aus dem Tode, sei es leiblich, sei es geistlich, bezeugt ist. Wichtiger Text in dieser Hinsicht ist Dan 12,2, ein Text, der teilweise wohl auf Jes 26,19 zurückgeht. Diese Jesajastelle lautet in der LXX: »Die Toten werden auferstehen, und die in den Gräbern werden auferweckt werden, und freuen werden sich die auf der Erde«. Die Toten sind hier wohl metaphorisch gemeint; denn die wirklichen Toten werden nicht aufstehen, wie aus 26,14 und 38,11.19 hervorgeht. Es handelt sich vermutlich um diejenigen, die in der Diaspora leben (zu »die in den Gräbern« vgl. Ez 37,12 f.), und daher auch als »die auf der Erde« bezeichnet werden. 35 Wie oben angedeutet, ist LXX Jesaja von einer gegenwartsbezogenen Deutung geprägt. So gibt es einige Stellen, die interessanterweise auf die Steuerpolitik der Seleukiden anspielen. 36 In 3,12 heißt es: »Mein Volk, eure Geldeintreiber beuten euch aus, und die die 32. So Seeligmann, Septuagint Version, 115-117; Das Neves, Teologia, 134-156. 33. Zur Beziehung zwischen dem Knecht und dem Rest in Ägypten, vgl. van der Kooij, Servant, 394. 34. Vgl. Ekblad, Servant Poems, 281 bzw. 250. 35. Vgl. van der Kooij, Afterlife, 96-98. 36. Vgl. dazu Troxel, Economic Plunder; ders., LXX-Isaiah, 201-209.

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4. Inhaltliches und theologisches Profil

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

(Schulden) einfordern, beherrschen euch«. Im Klagelied auf den König von Babylon findet sich folgender, aufschlussreicher Ausruf: »Wie ist zur Ruhe gebracht, der Schulden einforderte, und zur Ruhe gebracht der Antreiber!« Die Seleukidischen Herrscher waren seit 190 v. Chr. in ständiger Geldnot, und das führte dazu, dass man die Steuerschraube anzog. Man vergleiche dazu Dan 11,20 (MT): »Und an seiner Statt wird einer emporkommen, der wird einen Kämmerer das herrliche Land durchziehen lassen, um Abgaben einzutreiben«. Es handelt sich im diesem Text um Seleukos IV. (187–174). Ferner sei auch 9,4[3] zitiert: »Denn weggenommen wird das Joch, das auf ihnen liegt, und der Stock auf ihrem Nacken; denn der Stock derer, die (Schulden) einfordern, hat der Herr zerbrochen wie an dem Tag bei Madiam«. 37 Manche Forscher sind der Meinung, dass diese und andere Deutungen in LXX Jesaja ein Verständnis der im Jesajabuch überlieferten Prophezeiungen und Visionen im Sinne einer sog. Erfüllungsinterpretation — und die mit ihr zusammenhängende Erwartungsdeutung — widerspiegeln. 38 Diese Annahme ist auch kritisiert worden. 39 Wichtig ist, dass es sich um ein Interpretationsverfahren handelt, das in der damaligen Zeit in gelehrten Kreisen des Judentums geläufig war (vgl. Dan 9; Tob 14,4-9 und die Pescharim von Qumran). Prophezeiungen wie im Jesajabuch wurden als Vorhersage betrachtet, und man versuchte herauszufinden, auf welche Personen oder Ereignisse in der aktuellen Zeitgeschichte die alten Texte bezogen werden konnten. Es liegt daher nahe, davon auszugehen, dass auch die LXX Jesaja von diesem Bemühen geprägt sei. Es gibt ja Texte und Abschnitte in dieser Version, die von dieser Sicht der Dinge her einen guten Sinn ergeben. 40 Doch kann man nicht davon ausgehen, dass der Übersetzer alle Prophezeiungen im Jesajabuch so gedeutet habe. Es gibt prophetische Passagen, wie z. B. in Kap. 36–39, die nicht auf die Zeit des Übersetzers anspielen, sondern für die Zeit von Hiskia und Jesaja gemeint sind. Dies gilt auch für einen interessanten Text wie 7,14: Wie aus dem Kontext hervorgeht, handelt es sich hier um eine Prophezeiung für Achas. Es liegt in der LXX Jesaja ein Passus vor (8,9), der angibt wie der Übersetzer das Verhältnis zwischen der Zeit von Jesaja und Hiskia einerseits, und der aktuellen Geschichte seiner eigenen Zeit betrachtete. Die Stelle lautet: »Erkennt (das), (ihr) Völkerschaften, und gebt euch überwunden, hört (das) bis ans Ende der Erde; (wenn ihr) mächtig geworden seid, gebt euch überwunden! Denn wenn ihr wieder mächtig werdet, werdet ihr erneut überwunden werden«. Dieser Text spiegelt den Gedanken wider, dass mächtige Völkerschaften überwunden werden, und dass dies zweimal geschehen wird, einmal zur Zeit von Jesaja und ein zweites Mal, in der Zukunft (»wieder«, »erneut«). Dieser Stelle unterliegt ein Analogiedenken, d. h. die Idee einer Analogie zwischen der Gegenwart und der Zukunft, oder vom Übersetzer her gesehen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wie auch 37. Zu diesem Vers, vgl. van der Kooij, Mode of Reading, 607-610. 38. Seeligmann, Septuagint Version; Das Neves, Teologia; van der Kooij, Textzeugen; Koenig, L’herméneutique; Hanhart, Septuaginta; van der Kooij, Oracle; Wilk, »Vision«; ders., Between Scripture and History. 39. Troxel, LXX-Isaiah; Wagner, Prophecies. Zur Kritik an Troxel vgl. van der Kooij, Review. 40. Vgl. z. B. Van der Kooij, Oracle (zu Kap. 23). 4. Inhaltliches und theologisches Profil

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6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

von anderen jüdischen Texten bezeugt ist (vgl. Dan 9; 1Makk 7,41-42). Wie die Assyrer in der Zeit von Jesaja von Gott überwunden worden sind, wird das auch zur Zeit des Übersetzers geschehen, wobei es sich dann um die Seleukiden handelt. 41

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Wie aus dem Neuen Testament und aus den Schriften der Kirchenväter hervorgeht, war die LXX Jesaja eines der bedeutendsten Bücher der Heiligen Schriften. Ihre Wirkungs- bzw. Rezeptionsgeschichte ist sehr reichhaltig, aber im Großen und Ganzen sind es zwei Themenfelder, die die frühchristliche Rezeption markieren: Jesus als der von Jesaja vorhergesagte Messias (Christus), und damit zusammenhängend, die Christusgläubigen aus den Völkerschaften als die Fortsetzung des jüdischen Volkes als Volk Gottes. Zum Neuen Testament sei auf folgende Publikationen hingewiesen: Moyise, S. / Menken, M. J. J. (Hg.), Isaiah in the New Testament, London / New York 2005; Wilk, F., Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998. Für die frühchristliche Exegese sind vor allem die Kommentare von Origenes, Eusebius von Cäsarea, Cyrill von Alexandrien, Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Cyrus, und Hieronymus wichtig. Folgende Studien seien hier genannt: Gryson, R. / Szmatula, D., Les commentaries patristiques sur Isaïe d’Origène à Jérôme, REAug 36 (1990), 3-41; Milhau, M., Commentaires de Jérôme sur le prophète Isaïe, REAug 41 (1995), 131-143; Sawyer, J. F. A., The Fifth Gospel, Isaiah in the History of Christianity, Cambridge 1995, 42-64 (»The Early Church«); Jay, P., Jesaja, RAC 17, 1996, 764-821; Markschies, Chr., Der Mensch Jesus im Angesicht Gottes. Zwei Modelle des Verständnisses von Jesaja 52,1353,12 in der patristischen Literatur und ihre Entwicklung, in: B. Janowski / P. Stuhlmacher (Hg.), Der leidende Gottesknecht, FAT 14, Tübingen 1996, 197-247; Hollerich, M. J., Eusebius of Caesarea’s Commentary on Isaiah. Christian Exegesis in the Age of Constantine, Oxford 1999; Childs, B. S., The Struggle to Understand: Isaiah as Christian Scripture, Grand Rapids/MI 2004, Blenkinsopp, J., Opening the Sealed Book: Interpretation of the Book of Isaiah in Late Antiquity, Grand Rapids/MI 2006; Siquans, A., Die alttestamentlichen Prophetinnen in patristischer Rezeption? Texte, Kontexte, Hermeneutik, HBS 65, Freiburg (Breisgau) u. a. 2011, 255-290 (zu Jes 8,3). Ein anderer Aspekt, der Beachtung verdient, ist die Tatsache, dass die Väter, vor allem Eusebius und Hieronymus, nicht nur die ihnen vorliegenden griechischen Version von Jesaja benutzten, sondern manchmal auch die anderen griechischen Übersetzungen (Theodotion, Aquila, und vor allem Symmachus) zur Deutung eines Jesajatextes heranzogen. So bemerkt z. B. Eusebius in seinem Jesajakommentar zum Namen des Kindes in LXX Jesaja 9,6[5], »Bote großen Ratschlusses« (s. o.), dass das Kind nicht nur von menschlicher, sondern auch von »engelhafter« Natur sei; es kennt »den großen Rat41. Van der Kooij, Mode of Reading, 601-605.

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5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.2 Esaias / Isaias / Jesaja

schluss« Gottes, seines Vaters. Aber das Kind sei mehr als ein Engel: die »Herrschaft« auf seiner Schulter weise auf seine Göttlichkeit hin. Eusebius fährt dann fort, dass der Messias nach dem hebräischen Text »höher« geachtet werde als ein Engel, und zitiert zum Beleg, wie der Name von Symmachus, Aquila und Theodotion übersetzt wird. 42

6. Perspektiven der Forschung Das Verhältnis zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text des Jesajabuches stellt eine komplizierte Sachlage dar, und es ist noch ein langer Weg zu gehen, bevor die vielen Einzelheiten analysiert und evaluiert sind. Weitere Arbeiten müssen geleistet werden. Was die Übersetzungstechnik angeht, sind z. B. umfassende Untersuchungen zu den ›pluses‹ und den ›minuses‹, 43 oder zu den Bildern und Vergleichen, wünschenswert. Eine wichtige Frage wird sein, ob und wieweit (vom MT) abweichende Lesarten auf die hebräische Vorlage zurückgehen oder auf die Übersetzer. Weiter zu treiben ist auch die Erforschung des Vokabulars der griechischen Version. 44 Diese und andere Studien werden sicherlich dazu beitragen, den griechischen Text besser zu verstehen, und von daher auch herauszuarbeiten, welcher hebräische Text dem Übersetzer vorlag, und wie er diesen Text gelesen und interpretiert hat.

42. Van der Kooij, Messias, 167 f. 43. Vgl. dazu Van der Vorm-Croughs, Old Greek of Isaiah. 44. Vgl. Troxel, BOYLH, und van der Kooij, To Settle and to Dwell. 6. Perspektiven der Forschung

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6.3 Jeremiaschriften

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia Pierre-Maurice Bogaert

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XV, Göttingen 1957, 20063.

1.2 Qumran-Texte 2QJer = 2Q13 (DJD III) — 4QJera.b.c.d.e = 4Q70.71.72.72a.72b (DJD XV) BQS 558-583 — HTTM 297-324. — Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS und (künftig) in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Pietersma A. / Saunders, M., Ieremias, NETS, Oxford 2007, 20092, 876-924 — Fischer, G. / Vonach, A., LXX.D, 20102, 1288-1342 — Vonach, A. / Engel, H., Ieremias / Jeremia, LXX.E, 2011, 2696-2814.

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Arbeiten zum griechischen Text und zur Sprache Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 — Bogaert, P.-M., Rez. zu: Tov, E., The Septuagint translation of Jeremiah and Baruch [s.o], RThL 9 (1978), 342-347 — Bogaert, P.-M., Baal au féminin dans la Septante, in WUNT 252, Tübingen 2010, 416-434 — Caird, G. B., Ben Sira and the dating of the Septuagint, in: E. A. Livingstone (Hg.), Studia Evangelica VII: Papers Presented to the Fifth International Congress on Biblical Studies Held at Oxford, 1973, TU 126, Berlin 1982, 95-100 — Head, P. M., A new manuscript of Jeremiah in Greek according to the Lucianic Recension (de Hamel MS 391; Rahlfs 897), BIOSCS 36 (2003), 27-37 — Michael, T. S. L., Bisectioning of Greek Jeremiah: A problem to be revisited?, BIOSCS 39 (2006), 93-104 — Pietersma, A., ʾ Επίχειρον in Greek Jeremiah, JNSL 28 (2002), 101-108 — Pietersma, A., Greek Jeremiah and the land of Azazel, in: P. W. Flint (Hg.), Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint presented to Eugene Ulrich, VT.S 101, Leiden 2006, 402-413 — Polak, F. H., The interpretation of kullah/kalah in the LXX: ambiguity and intuitive comprehension, Textus 17 (1994), 57-77 — Rofé, A., The name yhwh şĕbaʾ ôt and the shorter recension of Jeremiah, in: R. Liwak / S. Wagner (Hg.), Prophetie und geschichtliche Wirklichkeit im alten Israel (FS S. Herrmann), Stuttgart 1991, 307-315 — Smith, J., Jeremiah 52: Thackeray and beyond, BIOSCS 35 (2002), 55-96 — Stipp, H.-J., Zur aktuellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 630-653 — Thackeray, H. S. J., The Greek translators of Jeremiah, JThS 4 (1902-1903), 245-266 — Thackeray, H. S. J., The Greek translators of the Prophe1. Literatur

577

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

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1.4.2 Zu den Unterschieden zwischen masoretischem Text und Septuaginta 1.4.2.1 Allgemeines Bogaert, P.-M., De Baruch à Jérémie. Les deux rédactions conservées du livre de Jérémie, in: ders. (Hg.), Le Livre de Jérémie: Le Prophète et son Milieu, les Oracles et leur Transmission, BEThL 54, Leuven 1981, 19972, 168-173, 430-434 — Bogaert, P.-M., Le livre de Jérémie en perspective: les deux rédactions antiques selon les travaux en cours, RB 101 (1994), 363-406 — Dassmann, E., Jeremia, RAC 17 (1996), 543-631 — Fischer, G., Die Diskussion um den Jeremiatext, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.-23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 612-629 — Goldman, Y., Prophétie et royauté au retour de l’exil. Les origines littéraires de la forme massorétique du livre de Jérémie, OBO 118, Fribourg / Göttingen 1992 — Goldman, Y., Juda et son roi au milieu des nations. La dernière rédaction du livre de Jérémie, in: A. H. W. Curtis / T. Römer (Hg.), The Book of Jeremiah and its Reception, BEThL 128, Leuven 1997, 151-182 — Gosse, B., The masoretic redaction of Jeremiah: an explanation, JSOT 77 (1998), 75-80 — Hubmann, F. D., Bemerkungen zur älteren Diskussion um die Unterschiede zwischen MT und G im Jeremiabuch, in: H. Gross (Hg.), Jeremia und die «deuteronomistische Bewegung», BBB 98, Hamburg 1995, 263-270 — Joosten, J., L’excédent massorétique du livre de Jérémie, in: ders. / J.-S. Rey (Hg.), Conservatism and Innovation in the Hebrew Language of the Hellenistic Period, STDJ 73, Leiden 2008, 93-108 — Laberge, L., Nabuchodonosor, Jérusalem et Dieu dans le texte de Jérémie, in: R. David / M. Jimbachian (Hg.), Traduire la Bible hébraïque. De la Septante à la Nouvelle Bible Segond, Sciences Bibliques 25 (2005), 173-196 — Schenker, A., La rédaction longue du livre de Jérémie doit-elle être datée au temps des premiers Hasmonéens?, EThL 70 (1994), 281-293 — Schenker, A., Est-ce que le livre de Jérémie fut publié dans une édition refondue au 2e siècle? La multiplicité textuelle peut-elle coexister avec l’édition unique d’un livre biblique?, in: I. Himbaza / A. Schenker (Hg.), Un carrefour dans l’histoire de la Bible. Du texte à la théologie au IIe siècle avant J.-C., OBO 233, Fribourg / Göttingen 2007, 58-74 — Stipp, H.-J., Das masoretische und alexandrinische Sondergut des Jeremiabuches. Textgeschichtlicher Rang, Eigenarten, Triebkräfte, OBO 136, Fribourg / Göttingen 1994 — Tov, E., Some aspects of the textual and literary history of the book of Jeremiah, in: P.-M. Bogaert (Hg.), Le Livre de Jérémie, BEThL 54, Leuven 1981, 19972, 145-167.

1.4.2.2 Nach der Ordnung des masoretischen Textes Fischer, G., »Ich mache dich … zur eisernen Säule« (Jer 1,18). Der Prophet als besserer Ersatz für den untergegangenen Tempel, ZKTh 116 (1994), 447-450 — Goldman, Y. A. P., Crispations théologiques et accidents textuels dans TM de Jérémie 2, Bib 76 (1995), 25-52 — Bogaert, P.-M.,

578

1. Literatur

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Les mécanismes rédactionnels en Jér 10,1-16 (LXX et TM) et la signification des suppléments, in: ders. (Hg.), Le Livre de Jérémie: Le Prophète et son Milieu, les Oracles et leur Transmission, BEThL 54, Leuven 1981, 19972, 222-238, 430-434 — Bogaert, P.-M., Jérémie 17,1-4 TM, oracle contre ou sur Juda propre au texte long, annoncé en 11,7-8.13 TM et en 15,12-14 TM, in: Y. Goldman / Chr. Uehlinger (Hg.), La double transmission du texte biblique (FS A. Schenker), OBO 179, Fribourg / Göttingen 2001, 59-74 — Laberge, L., Jérémie 25,1-14 : Dieu et Juda ou Jérémie et tou; les peuples, ScEs 36 (1984), 45-66 — Aejmelaeus, A., Jeremiah at the turning point of history: the function of Jer. XXV 1-14 in the book of Jeremiah, VT 52 (2002), 459-482 — van der Kooij, A., Jeremiah 27:5-15: How do MT and LXX relate to each other?, JNSL 20 (1994), 59-78 — Aejmelaeus, A., »Nebuchadnezzar, my servant« Redaction history and textual development in Jer 27, in: F. García Martίnez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 1-18 — Schenker, A., Der nie aufgehobene Bund. Exegetische Beobachtungen zu Jer 31,31-34, in: E. Zenger (Hg.), Der neue Bund im Alten, Freiburg u. a. 1993, 85-112 — Goldman, Y. A. P., Le Seigneur est fidèle à son alliance. Continuité et rupture dans l’histoire d’Israël d’après la forme longue du livre de Jérémie (TM Jr 31,31-37 ; 17,1-4 ; 11,7-8), in: A. Schenker / Ph. Hugo (Hg.), L’enfance de la Bible hébraïque. Histoire du texte de l’Ancien Testament, MoBi 52, Genève 2005, 199-219 — Wacholder, B. Z., The »sealed« Torah versus the »revealed« Torah: an exegesis of Damascus Covenant V, 1-6 and Jeremiah 32, 10-14, RdQ 12/3, no 47 (1986), 351-368 — Bogaert, P.-M., Les documents placés dans une jarre. Texte court et texte long du Jr 32 (LXX 39), in: Dorival, G. / Munnich, O. (Hg.), Κατὰ τοὺς ο' «Selon les Septante» (FS M. Harl), Paris 1995, 53-77 — Shead, A. G., The open book and the sealed book. Jeremiah 32 in its Hebrew and Greek Recensions, JSOT.S 347, Sheffield 2002 — Bogaert, P.-M., Urtext, texte court et relecture: Jérémie XXXIII 14-26 TM et ses préparations, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Leuven 1989, VT.S 43, Leiden 1991, 236-247 — Lust, J., The diverse text forms of Jeremiah and History writing with Jer 33 as a test case, JNSL 20 (1994), 31-48 — Sérandour, A., Jr 33, 14-26 TM. Contribution pour dater la forme longue TM du livre de Jérémie, in: A. Chehwan / A. Kassis (Hg.), Études Bibliques et Proche-Orient ancien (FS P. Feghali), 2002, 247-261 — Piovanelli, P., JrB 33,14-26 ou la continuité des institutions à l’époque maccabéenne, in: A. H. W. Curtis / T. Römer (Hg.), The book of Jeremiah and its reception, BEThL 128, Leuven 1997, 255-276 — Ferry, J., «Je restaurerai Juda et Israël» (Jr 33,7.9.26). L’écriture de Jérémie 33, Transeuphratène 15 (1998), 69-82 — Bogaert, P.-M., La libération de Jérémie et le meurtre de Godolias: le texte court (LXX) et la rédaction longue (TM), in: D. Fraenkel / U. Quast / J. W. Wevers (Hg.), Studien zur Septuaginta (FS R. Hanhart), MSU 20, Göttingen 1990, 312-322 — Bogaert, P.-M., Relecture et déplacement de l’oracle contre les Philistins. Pour une datation de la rédation longue (TM) du livre de Jérémie, in: H. Cazelles (Hg.), La Vie de la Parole (FS Pierre Grelot), Paris 1985, 139-150 — Bogaert, P.-M. Heshbon entre Moab et Ammon. La finale ajoutée à l’oracle sur Moab en Jr 48,45-47tm, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 45-54.

1.4.3 Zur Septuaginta und ihrer hebräischen Vorlage 1.4.3.1 Allgemeines Bogaert, P.-M., «Vie et paroles de Jérémie selon Baruch». Le texte court de Jérémie (LXX) comme œuvre biographique, in: E. Bianchi u. a. (Hg.), La Parola edifica la comunità (FS J. Dupont), Bose 1996, 15-29 — Gonçalves, Fr. J., Baruc e Jeremias nas duas edições mais antigas do Livro de Jeremias conhecidas, Didaskalia 35 (2005), 85-115 — Janzen, J. G., Studies in the text of Jeremiah, HSM 6, Cambridge/MA 1973 — Janzen, J. G., A critique of Sven Soderlund’s The Greek text of Jeremiah: A revised hypothesis, BIOSCS 22 (1989), 16-47 — Lust, J., Messianism and the Greek version of Jeremiah, in: C. E. Cox (Hg.), VII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies Leuven 1989, SCSt 31, Atlanta/GA 1991, 87-122 — 1. Literatur

579

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Schenker, A., Nebukadnezzars Metamorphose vom Unterjocher zum Gottesknecht. Das Bild Nebukadnezzars und einige mit ihm zusammenhängende Unterschiede in den beiden JeremiaRezensionen, RB 89 (1982), 498-527 = Schenker, A., Text und Sinn im Alten Testament. Textgeschichtliche und bibeltheologische Studien, OBO 103, Fribourg / Göttingen 1997, 136-165 — Soderlund, S., The Greek text of Jeremiah. A revised hypothesis, JSOT.S 47, Sheffield 1985.

1.4.3.2 Nach der Ordnung der Septuaginta Talmon, S. / Tov, E., A commentary on the text of Jeremiah. I. The LXX of Jer. 1:1-7, Textus 9 (1981), 1-15 — Talmon, S., Amen as an introductory oath formula, Textus 7 (1969), 124-129 (zu Jer 15,11) — Bogaert, P.-M., La liste des nations dans l’oracle de la coupe (Jr 25,16-26): Juda, les peuples voisins et les grandes puissances, in: D. Böhler / I. Himbaza / Ph. Hugo (Hg.), L’Écrit et l’Esprit (FS A. Schenker), OBO 214, Fribourg / Göttingen 2005, 1-14 — Sharp, C. J., «Take another scroll and write»: A study of the LXX and the MT of Jeremiah’s oracles against Egypt and Babylon, VT 47 (1997), 487-516 — Tov, E., Exegetical Notes of the Hebrew Vorlage of the LXX of Jeremiah 27 (34), ZAW 91 (1979), 73-93 — Bogaert, P.-M., Loi(s) et alliance nouvelle dans les deux formes conservées du livre de Jérémie (Jr 31,31-37 TM ; 38, 31-37 LXX), in: C. Focant (Hg.), La Loi dans l’un et l’autre Testament, LeDiv 168, Paris 1997, 80-92 — Schenker, A., Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel, FRLANT 212, Göttingen 2006 — Schenker, A., Was übersetzen wir? Fragen zur Textbasis, die sich aus der Textkritik ergeben, in: J. Gnilka / H. P. Rüger (Hg.), Die Übersetzung der Bibel — Aufgabe der Theologie, TAzB, 2, Bielefeld 1985, 65-80 = ders., Text und Sinn im Alten Testament. Textgeschichtliche und bibeltheologische Studien, OBO 103, Fribourg / Göttingen 1991, 247-262 (zu Jer TM34,8-22 = LXX41,8-22) — Wijesingue, S. L. G., Tracing the shorter version behind the short text (LXX). A new approach to the redaction of Jeremiah 34,8-22, Muséon 110 (1997), 293-328 (zu LXX 43) — Wijesinghe, S. L. G., Jeremiah 34,8-22. Structure and redactional history of the Masoretic Text and of the Septuagint Hebrew Vorlage (Diss. Leuven 1987), Colombo, Centre for Society and Religion, Colombo, Sri Lanka 1999 — Weis, R. D., The textual situation in the book of Jeremiah, in: Y. A. P. Goldman / A. van der Kooij / R. D. Weis (Hg.), Sôfer Mahîr (FS A. Schenker), VT.S 110, Leiden 2006, 269-293 (spéc. LXX 44-45 = TM 37-38) — Piovanelli, P., La condamnation de la diaspora égyptienne dans le livre de Jérémie (JrA 50,851,30 / JrB 43,8-44,30), Transeuphratène 9 (1995), 35-49 — Bogaert, P.-M., La vetus latina de Jérémie: texte très court, témoin de la plus ancienne Septante et d’une forme plus ancienne de l’hébreu (Jer 39 et 52), in: A. Schenker (Hg.), The earliest text of the Hebrew Bible. The relationship between the masoretic text and the Hebrew base of the Septuagint reconsidered, SCSt 52, Leiden 2003, 51-82.

2. Textüberlieferung und Editionen Wir sprechen vom langen bzw. masoretischen Text, vom kurzen bzw. SeptuagintaText und vom sehr kurzen Text, wenn die Vetus latina und andere Argumente darauf hinweisen, dass die Textzeugen der LXX auf der Grundlage des langen Textes punktuell überarbeitet wurden, es also ursprünglich einen noch kürzeren Text gab. Gewisse hebräische Fragmente aus Qumran bestätigen Besonderheiten der LXX, insbesondere 4QJerb. Zusammen mit zahlreichen anderen Exegeten gehen wir hier davon aus, dass der in den großen Unzialschriften überlieferte griechische Text in seiner Grundsubstanz eine wörtliche, aber nicht mechanische Übersetzung einer hebräischen Vorlage ist, deren Besonderheiten er beibehalten hat. Es ist der (sehr) kurze Text. 580

2.Textüberlieferung und Editionen

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Es gibt also zwei Versionen des Jeremia-Buches. D. Barthélemy und sein Team haben im Zuge ihrer Untersuchung des Textes von Jeremia diesen besonderen Charakter des Buches Jeremia bestätigt, und sie greifen für die Rekonstruktion des besten protomasoretischen Textes für gewöhnlich nicht auf die LXX zurück. Wir gehen auch davon aus – auch wenn dies von manchen bestritten wird –, dass der kurze Text in seiner hebräischen Form der Ausgangspunkt für die Überarbeitung war, wie sie vom masoretischen Text (Aquila, Symmachus, die Vulgata, die Peshitta, der Targum) bezeugt wird.1 Diese Entscheidung ist keine unabdingbare Voraussetzung dafür, um den kurzen Text der Septuaginta-Version für sich entsprechend zu untersuchen. In der Tat ist es in beiden Fällen angemessen, den kurzen Text für sich zu verstehen und nicht, inwiefern er sich vom überkommenen Text unterscheidet. Wenn der lange Text – und ich glaube, dass man dies nachweisen kann – eine Relektüre des kurzen darstellt, dann haben die Unterschiede Folgen für die Exegese allein des langen Textes. Wenn man davon ausgeht, dass der kurze Text, der Septuaginta-Text oder dessen hebräische Vorlage, sekundär ist, dann bleibt es von Nutzen, seine eigene Logik zu verstehen. Dennoch muss man hinzufügen, dass das Dominieren des langen Textes Kontaminationen im kurzen griechischen Text nach sich gezogen hat, sodass eine genaue Abgrenzung des kurzen Textes einen Vergleich mit dem langen Text und der Vorgehensweise des Überarbeitungsprozesses voraussetzt. Darüber hinaus ist der Exeget so sehr daran gewöhnt, sich Jeremia dem langen Text entsprechend anzueignen, dass er diesen selbst dann liest, wenn er den kurzen Text vor Augen hat. Dies trifft vor allem auf die immer wiederkehrenden und strukturellen Phänomene zu. Man kann es also nicht vermeiden, sich über Unterschiede zwischen der Septuaginta und dem masoretischen Text Gedanken zu machen. Die besten griechischen Textzeugen sind S und B. Alle Textzeugen, darunter auch S und B, wurden wenigstens geringfügig vom Hebräischen beeinflusst, am häufigsten entsprechend der Überarbeitung Theodotion-kaige (s. zum Beispiel zwei καίγε für ‫ גם‬in MT 33,21 und 26 in den Ergänzungen zu LXX 40,13 in den editorischen Anmerkungen von J. Ziegler, S. 379-380). Dieser Einfluss kommt in der Überarbeitung vor der Hexapla zum Tragen, wie sie in den Handschriften Q, V und 26 zu finden ist. Er ist in der Revision von Origenes systematisch (mit einem Asteriskus gekennzeichnete Abschnitte) und – selbstverständlich dadurch bedingt – in der lukianischen Ausgabe vorhanden. Diese beiden Rezensionen haben sogar die Anordnung des Hebräischen übernommen, allerdings nicht ganz fehlerfrei. A geht oft mit S und B konform und ist kaum vom masoretischen Text beeinflusst. Einige Elemente der Überarbeitung von Theodotion auf der Grundlage des Hebräischen finden sich in

1.

Die Richtung des kurzen zum langen Text kann man an der Struktur aufzeigen: 1. durch die Häufung des Titels mit ‫ אשר‬zu Beginn der Sprüche über die Völker (LXX 25,14 = MT 25,13 Ende // MT 46,1 // MT 49,34), was die Umstellung des Abschnitts der Sprüche über die Völker beweist; 2. durch das Hinzufügen von Übergängen zwischen den Sprüchen über Ägypten und über die Philister (MT 46,25f. und MT 47,1), zwischen den Sprüchen über Moab und über Ammon (MT 48,45f. mit Heschbon als gemeinsamem Element), was die Umstellung der Sprüche innerhalb des Abschnitts beweist; 3. durch die Umgestaltung von MT 31,25-37, um das programmatische Hinzufügen von MT 33,14-26 vorzubereiten; 4. durch das Hinzufügen eines positiven Teils an den Spruch über den Götzendienst in 10,2-10. 2.Textüberlieferung und Editionen

581

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

allen Textzeugen, so etwa LXX 46(MT 39),1-2, dennoch in den origenischen Handschriften durch Asteriskus gekennzeichnet (also dem Hebräischen eigentümlich) und in der Vetus latina nicht vorhanden. Es gibt andere, weniger offensichtliche und schwerer nachzuweisende Fälle. Häufig findet man koptische, insbesondere sahidische Textzeugen und die Vetus latina, die mit B und S übereinstimmen. Die Vetus latina kann sich als sehr bedeutend erweisen, denn in ihrer ersten Fassung ist sie älter als die Verbreitung der Rezension des Origenes. Doch was Jeremia betrifft, ist sie recht schlecht erhalten, und man muss mit jüngeren Überarbeitungen auf der Grundlage griechischer Textzeugen von Origenes und Lukian rechnen. Dennoch gibt es wenigstens zwei Beispiele, für die die Vetus latina mit Sicherheit das ältere Stadium des Textes erhalten hat: Der Palimpsest von Würzburg enthält nicht MT 39,1-2 = LXX 46,1-2, die in den origenischen Textzeugen mit Asteriskus gekennzeichnet sind. Für 10,2 findet sich die A und Clemens von Alexandrien bekannte Lesart πορεύεσθε / πορεύσησθε auf Lateinisch wieder bei Zyprian (Ad Quirinum III,34 und 59), im Speculum des Pseudo-Augustinus (CSEL 12, S. 492, Zeile 2) und in einer vor Kurzem entdeckten Predigt des Augustinus (S Dolbeau 24, § 10). Diese Lesart, die sich von MT unterscheidet, passt perfekt zum kurzen Text des Spruchs gegen die Götzen. Man muss also die Lesarten der Vetus latina stets entsprechend würdigen. Die zwei verfügbaren griechischen Ausgaben haben die Prinzipien der Göttinger Schule zur Grundlage: Einen Text zu rekonstruieren, der keine Überarbeitungsspuren, weder von Origenes noch von Lukian, aufweist. Die kritische Ausgabe von J. Ziegler ist unverzichtbar, doch sie arbeitet zuweilen mit zweifelhaften Mutmaßungen. Man muss übrigens andere Veröffentlichungen von Ziegler heranziehen, um deren Begründung zu erfassen. Die Ausgabe von A. Rahlfs bleibt bequem und nützlich. In einem wichtigen Punkt unterscheidet sie sich von Ziegler, nämlich auf Seite 712, bei dem Vers JerLXX 32,13, den Rahlfs beibehielt, obwohl er in B und S fehlt, (was Rahlfs im textkritische Apparat anzeigt). Zudem ist der Becherspruch (LXX 32,15-38) noch Teil des Abschnitts der Sprüche über die Völker, der mit LXX 25,14 beginnt. Die aktuelle Forschung legt dennoch nahe, auch bestimmte Varianten in Betracht zu ziehen, die bei J. Ziegler nur im textkritischen Apparat und in der Vetus latina auftauchen. Die Rezensionen oder die Handschriften von Origenes (O) und Lukian (L) sowie die »gemischten« Textzeugen konnten sehr alte Lesarten unverändert bewahren, so etwa die Textvarianten, die sich weder durch eine Angleichung an den überkommenen hebräischen Text (MT) noch durch literarische oder editorische Gewohnheiten des Lukian (zum Beispiel Erläuterung der Pronomina) erklären lassen. Auch wenn sie sich manchmal anderweitig erklären lassen (Übertragungsfehler), sind sie ernst zu nehmen, sofern sie zur Vorbereitung oder Fortschreibung wichtiger Unterschiede passen, welche der kurze Text bezeugt. Allgemein gilt, dass man sich, aufgrund dessen, was über den kurzen und den langen Text gesagt wurde, davor hüten soll, den masoretischen Text mithilfe der Septuaginta zu korrigieren und umgekehrt. Es gibt keine Fassung, die besser wäre als die andere, wobei zu bedenken ist, dass das Hebräische dem Griechischen über weite Teile hinweg entspricht. Man kann also versuchen, die hebräische Vorlage der LXX mit 582

2.Textüberlieferung und Editionen

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Hilfe des masoretischen Textes zu rekonstruieren (wie dies E. Tov für das Kapitel LXX 34 unternommen hat). Andererseits bezeugen die alten Überarbeitungen, Theodotion-kaige, Aquila, Symmachus, zuweilen signifikante Abweichungen im Vergleich zum masoretischen Text in den ergänzten, dem langen Text zuzurechnenden Abschnitten. Die Ausgabe von Ziegler weist sie im zweiten Apparat aus. Theodotion-kaige ist auch fast immer der Text, demgemäß die Rezensionen von Origenes und Lukian dazu gedient haben, den ursprünglichen kürzeren Text zu ergänzen. Nach der Edition von J. Ziegler wurden einige neue griechische Textzeugen publiziert; vgl. DBS XII, 637-638; 671; hinzuzufügen wäre Rahlfs 897, von P. M. Head im Jahr 2003 veröffentlicht. Eine praktische Schwierigkeit ergibt sich aus dem Unterschied in der Zählweise (Kapitel und/oder Verse) zwischen der kritischen Ausgabe von J. Ziegler und der Ausgabe von Rahlfs. Sie bereitet lediglich bei einigen Völkersprüchen und beim Becherspruch (LXX 32) Probleme.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Beobachtungen von H. St. J. Thackeray, dem Ersten, der von der Konkordanz von Hatch / Redpath ab 1903 profitieren konnte, bleiben grundlegend. Ich behalte davon zwei Elemente bei: Die Zweiteilung des Buches und die Zugehörigkeit des JeremiaBuches zu einer umfassenderen Gruppe, zu der auch Ezechiel und die Zwölf Kleinen Propheten gehören.

3.1 Übersetzungstechnik Thackeray hat eine Reihe von Beobachtungen zur Übersetzungstechnik der verschiedenen Bücher und Buchteile gemacht. 2 Bei Jeremia unterscheidet er zwei Teile: 1,1– LXX 29,7, Jer α, und LXX 29,8–51,35, Jer β, wobei er sich bezüglich des genauen Übergangs und bezüglich des Kapitels 52 unsicher zeigt. Das wichtigste Argument ist die Tatsache, dass ‫ כה אמר יהוה‬etwa sechzigmal mit τάδε λέγει κύριος im ersten Teil und etwa siebzigmal mit οὕτως εἶπεν κύριος im zweiten Teil übersetzt wird. Weitere Besonderheiten gleicher Art, die weniger häufig oder selten anzutreffen sind, stützen diese Beobachtung. Die von Thackeray vorgeschlagene Erklärung dafür ist die Aufteilung der Übersetzungsarbeit zwischen zwei einander ähnlichen, aber dennoch unterschiedlichen Übersetzern. Bei der Behandlung des Buches Baruch werden wir auf die von ihm beobachtete Verwandtschaft zwischen dem Übersetzer von Jer β und Bar 1,1– 3,8 zurückkommen. Die ergänzenden Überlegungen Thackerays sind nicht mehr ganz stichhaltig, doch seine grundlegenden Beobachtungen bleiben fundamental. Im Jahr 1976 hat E. Tov eine neue Untersuchung vorgeschlagen. 3 Er legt den Übergang zwischen den beiden Teilen auf den Beginn des Kapitels LXX 28 fest. Er erklärt ihn mit einer Über2. 3.

Thackeray, Greek translators of Jeremiah; ders., Greek translators of the Prophetical Books. Tov, Septuagint Translation. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

583

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

arbeitung des zweiten Teils (Jer 52 stellt ein Problem eigener Art dar); er vervollständigt die Liste der Besonderheiten des Bearbeiters des zweiten Teiles, von denen sich mehrere auch in Bar 1,1–3,8 finden. Zwei Übersetzer oder ein Übersetzer und ein Bearbeiter? Die Frage bleibt offen, doch man kann die grundlegende Verwandtschaft der beiden Teile nicht leugnen. Nach Thackeray und Tov sind einige Arbeiten erschienen, welche bestimmte Besonderheiten genauer fassen oder in Frage stellen (A. Pietersma). Diese Anmerkungen sind nicht ohne Grundlage: Man kann von den ersten Übersetzern und Bearbeitern nicht dieselbe Beständigkeit und Strenge erwarten, wie sie Theodotion-kaige und Aquila an den Tag legen. Die Untersuchung von Jer 52 durch Jannes Smith (Jeremiah 52, 2002) berücksichtigt die Tasache nicht, dass die älteste Septuaginta-Fassung dieses Kapitels wahrscheinlich kürzer war als der edierte griechische Text. Sie widerspricht übrigens nicht der These Tovs. Die Untersuchung der Doubletten (T. S. L. Michael, Bisectioning, 2006) eröffnet Perspektiven, aber mit Einschränkungen. Einerseits sollte man die Möglichkeit eines Beweises in der Sache nicht überschätzen, andererseits muss man die Unterscheidung der beiden Teile des Buches zugeben, wie immer man sie erklärt. Eine mögliche Ursache könnte sein, dass die griechische Fassung des Jeremia-Buches ursprünglich auf zwei Schriftrollen abgeschrieben wurde, von denen die zweite einer Überarbeitung unterzogen wurde. In diesem Fall, wie auch im Falle der Hypothese von zwei verwandten Übersetzern, die nach wie vor möglich bleibt, musste die hebräische Vorlage die besondere Gestalt aufgewiesen haben, welche die LXX vom masoretischen Text unterscheidet. Diese ist nicht das Werk der Übersetzer und noch weniger des Bearbeiters. Nach allgemeinem Urteil gibt die Übersetzung über sehr weite Teile den Text hinweg wörtlich wieder. Man kann dies auch da annehmen, wo sie sich vom masoretischen Text unterscheidet, und den Rückschluss auf eine andere Vorlage ziehen. Doch es wäre ein Irrtum, von der Übersetzung einen systematischen Automatismus in der Wiedergabe des hebräischen Textes zu erwarten. Es ist auch sicher, dass sie anders vokalisiert und bestimmte Worte anders versteht als der masoretische Text (F. H. Polak, ambiguity, 1994). Der Übersetzer konnte vor Rätseln gestanden sein und sie so recht und schlecht gelöst haben. Er konnte auch einer anderen Lesetradition verpflichtet gewesen sein. Die kleinen Abweichungen zwischen der Septuaginta und dem masoretischen Text, die nicht quantitativer oder organisatorischer Natur sind, sind häufig auf mehrfache Weise zu rechtfertigen, und es bleibt legitim, Initiativen und Erfindungen vonseiten der Übersetzung zuzugestehen. Ein interessantes Merkmal der Übersetzung ist das Bemühen um einen ähnlichen Klang, die Homophonie. Sie ist nicht nur für das Buch Jeremia bezeichnend, doch sie hat unerwartete Effekte, deren man sich bewusst sein muss. In bestimmten Fällen könnte eine Entstellung einer einfachen Transliteralisation vorliegen. So heißt es in der Edition von Ziegler in LXX 38,21 σιωνιμ (Lesart des Origenes), τιμρωριμ (Mutmaßung von Spohn); doch die nicht revidierten Textzeugen haben hier σιων, τιμωρίαν stehen, was einen Sinn ergibt. Man muss sich zwischen dem Streben nach Homophonie und der Transliteralisation des Hebräischen entscheiden. 4 4.

Tov, E., Loan-words, homophony and transliterations in the Septuagint, Bib 60 (1979), 216-236: Jer 6,29 (225); LXX38,9 (225); 10,18 (226), 4mal ‫ילל‬/ ἀλαλάζω (226), LXX38,21 (236).

584

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

3.2 Jeremia, Ezechiel und die Zwölf Kleinen Propheten Thackeray und Tov zufolge muss man zugeben, dass diese drei Bücher bedeutende Ähnlichkeiten aufweisen. Dies trifft insbesondere auf Jer α zu, denn Jer β bleibt oftmals gesondert für sich, doch man muss auch an die grundlegende Verwandtschaft der beiden Teile des Buches erinnern. Die Übersetzer der Zwölf Kleinen Propheten in La Bible d’Alexandrie (BdA) haben verschiedene spezifische Phänomene bemerkt, die aber meiner Meinung nach nicht im Widerspruch dazu stehen, dass diese drei Bücher insgesamt ein und derselben Schule zuzuordnen sind. Diese zeichnet sich tatsächlich durch die bereits erwähnten Ähnlichkeiten und durch die Unterschiede zum Übersetzer des Jesaja-Buches aus.

3.3 Zeit und Ort der Übersetzung G. B. Caird (Ben Sira, 1982) hat darauf aufmerksam gemacht: Wenn der griechische Übersetzer des Buches Jesus Sirach im Werk seines Ahnen ein Zitat erkannte, griff er auf verfügbare Übersetzungen, unter anderem auf die der Bücher Jeremia, Ezechiel und der Zwölf Kleinen Propheten zurück. Diese Beobachtung legt es nahe, die Übersetzung des Jeremia-Buches (und ohne Zweifel damit auch des Ezechiel-Buches und der Zwölf Kleinen Propheten) spätestens in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren. Ein orthografisches Indiz zeigt, dass man nicht bis zum 1. Jh. n. Chr. gehen kann: Die Übersetzungshandschrift des Jeremia-Buches hat für gewöhnlich die Verwendung der Formen mit θ für οὐθείς etc. bewahrt, die in der römischen Zeit verloren gingen (Ziegler in Gö 15, 115-116; Thackeray, 58-60). 5 Auch wenn es schwer sein mag, es unwiderleglich zu beweisen, ist der Ursprung in Ägypten und Alexandrien von vornherein wahrscheinlich und wird durch gute Indizien gestützt. Mit S. Morenz wird man zum Beispiel auf die Abänderung von »Ostwind« in »brennender Wind« (Jer 18, 17) hinweisen, was dann erklärbar wird, wenn der Ostwind nicht typischerweise der brennende Wind in Ägypten ist. 6 Es wäre wahrscheinlich leichter zu beweisen, wenn man dies nur für Jeremia, Ezechiel und die Zwölf Kleinen Propheten in Betracht ziehen könnte. Die allgemeine Verwendung des weiblichen Artikels vor Baal, die man auch bei den Zwölf Kleinen Propheten wiederfindet (Ezechiel erwähnt Baal nicht), könnte ägyptischen und also alexandrinischen Ursprungs sein. 7 Der Übersetzer gibt ‫ חרב היונה‬des masoretischen Textes (MT 46,16) durch μαχαίρα ἑλληνική, »das hellenische Schwert«, in LXX 26,16 (im Spruch über Ägypten) und in LXX 5.

6. 7.

Zu dieser phonetischen Frage vgl. Mayser, E. / Schmoll, H., Grammatik der griechischen Papyri aus der Ptolemäerzeit. Bd. I/1, Berlin 1970, 148-149; Gignac, F. T., Grammar of the Greek papyri of the Roman and Byzantine periods, I. Phonology, Mailand 1976, 97. Morenz, S., Ägyptische Spuren, in: A. Stuiber (Hg.), Mullus (FS Th. Klauser), JAC.E 1, Münster 1964, 250-258: 255. So Vonach, Baal, und Bogaert, Baal, unter der Annahme, dass es sich bei dem Phänomen um Polemik gegen die Göttin Isis handle; anders jedoch Dillmann, A., Über Baal mit dem weiblichen Artikel, Monatsberichte aus der Berliner Akademie 1881, Berlin 1892, 601-620; Kreuzer, S., Übersetzung – Revision – Überlieferung, WUNT 252, Tübingen 2010, 108-110. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

585

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

27,16 (im Spruch über Babylon) wieder, doch nicht in LXX 32,24 (Becherspruch), wo man es erwartet (var. ‫ חרב‬/ ‫ ;)חרון‬dies wäre also eine Besonderheit von Jer α. Der Übersetzer ist vom Wort ‫ יון‬ausgegangen, das Griechenland (und zuvor Jonien) bezeichnet. Es spricht absolut nichts dagegen, dass dies bereits die vom hebräischen Text intendierte Bedeutung ist, denn die anderen Erklärungen sind innerhalb des Kontextes wenig überzeugend und die Feindschaft zwischen dem Perserreich und den griechischen Stadtstaaten geht bis auf die Mederzeit zurück. Die Erwähnung von Jawan in den Sprüchen über Ägypten und Babylon sowie am Ende des Becherspruches, das heißt ganz am Ende des Abschnitts über die Völker, könnte bedeuten, dass der kurze Text bereits die Bekanntheit des Sieges Alexanders voraussetzte. Doch in jedem Fall hat der Übersetzer die Wahl getroffen. Er weiß, dass Griechenland Persien besiegt hat. Er lebt unter den Ptolemäern, Herren griechischen Ursprungs also, und die Seleukiden sind in Babylon. Wenn man von der Hypothese ausgeht, dass Jer β das Ergebnis einer Überarbeitung ist, dann stellt sich auch hierfür die Frage nach deren Ort und Zeit. Man muss feststellen, dass Jer β noch nicht alle Charakteristika der Rezension Theodotion-kaige aufweist und offensichtlich nicht um Entsprechung zum protomasoretischen Text bemüht ist, der bereits in einem Teil der Textzeugen von Qumran (vor allem 4QJera) vorhanden ist. Die immer noch ausstehende Antwort hängt von den Umständen der Hinzufügung von Bar 1–5 (ohne sie Baruch zuzuschreiben) an das Buch Jeremia ab. Siehe unten Punkt 6.3.2.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil 4.1 Sprachliches und inhaltliches Profil Das Wesentliche wurde bereits im Abschnitt 3 gesagt.Der griechische Übersetzer bemüht sich gewöhnlich sehr um Wörtlichkeit, doch man muss mit seiner Erfindungsgabe rechnen. Thackeray urteilt in Bezug auf Jer β streng, vielleicht übertrieben streng, wenn er die bis zum Exzess betriebene Wörtlichkeit der Übersetzung und deren vielfaches Unverständnis hervorhebt. 8 Das Werk von E. Tov kann durch Nuancen und Vorbehalte ergänzt werden, doch es bleibt grundlegend. Es wirft den Großteil der Fragen bezüglich Vokabular und Sprache auf, die unser Interesse verdienen.

4.2 Inhaltliches Profil Es ist hinreichend bekannt, dass der Septuagintatext des Jeremiabuches viel kürzer ist als der überkommene Text. Dies trifft umso mehr zu, wenn man das Zeugnis betrachtet, welches die Vetus latina über die älteste Septuaginta-Fassung bieten kann. Vor allem ist dort der Text in anderer Weise angeordnet. Eine Zusammenstellung der größeren Unterschiede ist nützlich. 8.

Allerdings ist zu beachten, dass Thackerays Analysen auf Septuagintatexten basierten, die diplomatische Ausgaben des Codex Vaticanus waren. Was Thackeray herausstellte, waren faktisch die Kennzeichen der später von Barthélemy (Les Devanciers, 1963) identifizierten kaigeRezension und damit Kennzeichen einer formalistisch-hebraisierenden Bearbeitung. [SK]

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

a. Die – sehr kurze – Beschreibung der Götzen (10,2-10) ist ausschließlich negativ (»fürchtet die Götzen nicht«), und weist einen einfachen symmetrischen Aufbau auf (a b a). Der Text ist nahe verwandt mit dem von 4QJerb. b. Die Kapitel LXX 34 = MT 27, LXX 36 = MT 29, LXX 40 = MT 33, LXX 46 = MT 39, LXX 52 = MT 52 sind in der griechischen Version deutlich kürzer. c. Die Kapitel LXX 34 = MT 39 (zusätzlich fehlen hier die Verse 1-2) und vor allem 52 (Fehlen der Verse 17-23) sind in der Vetus latina, welche die ältese Form der Septuagina wiedergibt (das trifft sicher auf LXX 46,1-2 zu), noch kürzer. d. Die Gerichtsworte über die Völker sind in die Mitte des Buches zwischen 25,1-13 und MT 25,15-38 platziert, und zwar in folgender Reihenfolge: Elam, Ägypten, Babylon, Allophyles (Philister), Edom, Ammon, Kedar, Damas, Moab. e. Fast alle Kapitel weisen Abweichungen auf, am häufigsten einen kürzeren Text (»Minusse«). Eine solche Aufzählung genügt, um zu zeigen, dass es sich um eine andere Fassung des Jeremia-Buches handelt. Es ist deshalb angebracht, auch die weniger wichtigen Abweichungen in Betracht zu ziehen, die man ansonsten leicht als Fehler erklären oder dem Übersetzer zuschreiben würde, die jedoch in dieselbe Richtung gehen können wie die bedeutenderen Abweichungen. Zahlreiche Arbeiten haben aufgezeigt und bewiesen, dass die »Plus« des masoretischen Textes sich nur als Hinzufügungen erklären lassen. Einige dieser »Plus« gehen mit Umstellungen einher (insbesondere bei den Gerichtsworten über die Völker), was nur den einen Sinn ergibt: Die Hinzufügung erklärt die Umstellung. Die Sprache der Hinzufügungen ist identifizierbar. Es ist das späte Hebräisch, das sich vom Hebräisch des übrigen Buches unterscheidet. Diese Fragen betreffen nicht direkt die SeptuagintaFassung des Jeremiabuches, doch sie müssen in Betracht gezogen werden, will man nicht dem griechischen Übersetzer, der in den meisten Fällen sehr wörtlich übersetzt, weitreichende Kürzungen und Änderungen unterstellen. Bislang ist die kurze Fassung für sich kaum untersucht worden. Es war normal, dass die Bemühungen sich vor allem darauf konzentrierten, was der Vergleich zum Verständnis des langen Textes, sofern er sich vom kurzen unterscheidet, beitragen könnte. Es ist darüber hinaus für den Leser des griechischen Textes nicht leicht, sich von der Vorstellung des überkommenen Textes zu lösen. Die folgenden Beobachtungen zielen auf die allgemeine Struktur des kurzen Textes, der weniger den Fährnissen der Übersetzung und späteren Überarbeitungen unterworfen war. Sie sind in besonderer Weise bedeutsam. Die Gesamtdisposition vermittelt ein überraschendes Bild des Textes.

a. Baruch erscheint als der Notar und Garant der Echtheit, der Aufbewahrung und der Erfüllung der Weissagungen Jeremias. In dieser Hinsicht ist der Ort des Trostspruches für Baruch (MT 45 = LXX 51,31-35), der auch die Unterschrift des Schreibers ist (vgl. weiter unten, d), das bedeutendste Element (vgl. auch die Unterschiede in der Kopie der Schriftrolle, LXX 43 = MT 36: Baruch ist in der LXX selbstständiger). b. Der biographische Erzählstrang zieht sich durch das gesamte Buch und tritt sehr deutlich hervor, von der Berufung (Kap. 1) bis zum Exil in Ägypten (LXX 51,1-30). In dieser Lesart haben die Bekenntnisse ihren selbstverständlichen Ort als Verbin4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

587

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

dungsstücke zwischen der Geburt (1,5) und der Erinnerung daran (20,14-18). Das Schicksal des Volkes und das Jeremias sind miteinander verknüpft. c. Die Verbindung der in a und in b erwähnten Gegebenheiten legt für das gesamte Buch einen Titel nahe wie etwa »Leben und Worte Jeremias nach Baruch«. Der Überlebende (Baruch) muss zeigen, dass Jeremia ein wahrer Prophet ist, und die Erhaltung der Weissagungen bis zu deren Erfüllung garantieren. d. Die Unterschrift und die Datierung durch Unterzeichnung (am Ende) spielen eine wichtige Rolle für den Aufbau des Buches und seiner Teile: Spruch für Baruch (vgl. weiter oben); Spruch über Elam, am Schluss datiert LXX Rahlfs 25,20 (= LXX Ziegler 26,1) im masoretischen Text ist er am Anfang datiert), Spruch über Babylon (LXX 27–28 = MT 50–51), datiert durch die prophetische Zeichenhandlung (LXX 28,59-64 = LXX 51,59-64); wahrscheinlich auch 25,1-3 zu Beginn von 25,1-13, was wenigstens symbolisch das Vorhergehende insgesamt datiert (1–24). Diese Beobachtung hat ihre Bedeutung für das Verständnis der Kapitel MT 26 und MT 27–28 = LXX 33 und LXX 34–35. e. Einige Überschriften, die im masoretischen Text die Gliederung in Abschnitte anzeigen, fehlen im kurzen Text. Der Kommentator darf sich nicht durch die Einteilung des masoretischen Textes beeinflussen lassen. So ist die Unterscheidung zwischen den Kapiteln 1 und 2 sehr locker; das Kapitel 7 (Wort über den Tempel) wird sehr kurz eingeführt, ohne nähere Angaben zu den Umständen; die Kapitel LXX 34 und 35 sind viel weniger voneinander getrennt und bilden eine einzige Erzählung; die Kapitel LXX 42 und 43 sind redaktionell nicht voneinander unterschieden. f. Die Kapitel LXX 44–46 (Letzteres sehr kurz) bilden eine einzige Erzähleinheit. Man muss die Beobachtungen von R. D. Weis, textual situation, 2006, ergänzen: LXX 44–45 setzt sich ganz natürlich in 46,3.14-18 fort. Es sind die babylonischen Generäle, und nicht Nabuchodonosor, die Jeremia befreien. g. Die Weissagungen über die Völker sind in die Mitte des Buches platziert (wie in Ezechiel und bei den Zwölf Kleinen Propheten nach der LXX), und die Reihenfolge dieser Sprüche ist anders. Elam, wo Gott seinen Thron hingestellt hat, kommt am Anfang, was die Rolle des Kyros und des Darios bei der Rückkehr und der Wiedererrichtung des Tempels, und im weiteren Sinne die persische Vormachtstellung deuten kann. h. Der kurze Text interessiert sich nur für das erste Exil (die darauf folgenden Exilierungen werden im Kapitel 52 nicht erwähnt, vgl. auch LXX 34,16-17). i. Der kurze Text interessiert sich kaum für die heiligen Gegenstände, und nur für die Tempelgefäße, nicht für die schweren Gegenstände (LXX 34,16-17; die Vetus latina lässt in ihrer Kurzform des Kapitels 52 alle heiligen Gegenstände weg). j. Das Kapitel 52, das an die Einnahme Jerusalems, den Brand des Tempels und schließlich die Begnadigung Jojachins (ohne die nachfolgenden Exilierungen und die Entfernung der heiligen Gegenstände zu erwähnen) erinnert, nimmt im kurzen Text eine bedeutende Stellung ein. Dieser erzählt in der Tat nicht die Einnahme Jerusalems im Kapitel LXX 46 (Fehlen von MT 39,4-13), obwohl dieses Ereignis als Beweis dafür, dass Jeremia Prophet ist, von grundlegender Bedeutung ist. k. Der Spruch für Baruch (LXX 51,31-35 = MT 45) und die Begnadigung Jojachins, der nur König der Judäer ist (52,32 nach der Vetus latina) würden die Hinzufügung der Lektüre des Buches Jeremia durch Baruch vor dem König Jechonias (Jojachins) und dem Volk im Exil ermöglichen (Bar 1–5). 588

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Es ist nützlich, einen Plan des Jeremia-Buches zu bieten, wobei in kursiver Schrift die kleinen Bücher hervorgehoben werden, welche der Redakteur ausdrücklich durch Nennung eines Datums zusammengefügt hat: das vierte Jahr Jojakims, das mehrmals wiederholt wird und in das er die Abschrift der Schriftrolle und den Spruch an Baruch datiert, wobei die Präsenz des Baruch deutlich gemacht wird, der implizit als Zeitgenosse Jeremias und der letzten Redaktion des Buches in seiner Gesamtheit vorgestellt wird. 1,1-3: Titel: »Wort Gottes an Jeremia«, ab dem dreizehnten Jahr des Joschija und zur Zeit des Jojakim (vgl. 25,1) bis zum elften Jahr des Zidkija (vgl. 52,5) Erster Teil (1,1–25,13): Das Buch / die Rolle der Gerichtsworte über Juda A. Prolog 1,4-19: Geburt und Berufung für Juda und die Völker (vgl. 20,14-18) B. Unter Josia (vgl. 3,6): der Feind aus dem Norden 2,2–3,5: an Jakob und Jerusalem, die untreue Braut 3,6–6,29 (3,8 βίβλιον ἀποστασίου): auf Juda und Jerusalem angewandt 7,2–8,3: gegen dem Tempel und gegen den Aberglauben 8,4–9,24 (23): Unausweislichkeit des Gottesgerichtes; Totenklage über Jerusalem 9,25(24)-26(25): Bestrafung Judas zusammen mit den benachbarten Völkern 10,1-16: gegen die Götzenbilder 10,17-22: Gefahr von Norden 10,23-25: Gebet des Jeremias C. Verweigerung des Bundes 11,1-17: ein Bund mit dem Haus Israel, abgelehnt 11,18–12,6: erste Konfession 12,7-17; 13,1–14: der Gürtel und der Krug (Euphrat) 13,15-27; 14,1–15,9: Weissagung der Dürre 15,10-21: zweite Konfession (Erinnerung der Berufung) 16,1-13: Ehelosigkeit Jeremias 16,14–17,11: Versprechungen und Drohungen 17,12-18: dritte Konfession 17,19-27: der Sabbat 18,1-17: im Haus des Töpfers 18,18-23: viertes Bekenntnis 19,1–20,6: der zerschlagene Krug; Auseinandersetzungen mit dem Priester Paschor (20,4 erstmalig wird Babylon erwähnt) 20,7-18: letzte Konfession; Erinnerung an Geburt und Berufung (vgl. 1,4-10; 15,10-21) Anhang: Kontrast zwischen Juda und den Verbannten (Exilanten) 21,1-10: gegen Jerusalem unter Sedekias 21,11–23,6: »gegen das Königshaus von Juda« (Schellem, Joakim, Jojachin [Jechonias]) 23,6 Ende [ἐν τοῖς προφήταις].9-40.7-8 »gegen die Propheten« 24: die guten Feigen in der Verbannung (24,1: zum ersten Mal werden Nebukadnezar und die Verbannung unter Jojachin [Jechonias] erwähnt). D. Schluss 25,1-13: das vierte Jahr Joakims, als Zusammenfassung des »Büchleins« (ἐν τῷ βιβλίῳ τουτῷ), das die Worte seit dem dreizehnten Jahr des Joschija wiedergibt (vgl. 1,2); die Reiche des Nordens gegen Jerusalem (vgl. 1,14); 70 Jahre (unbestimmter Zeitraum der Bestrafung)

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Zweiter Teil (25,14–31,44): Fremdvölkersprüche A. Die Reiche 25,14–26,1 Ailam (Datierung durch Subskription: Beginn der Regierung des Sedekias): die persische Vorherrschaft wird anerkannt 26,2-24.27-28: Ägypten: das vierte Jahr Joakims; 27–28 »Büchlein« über Babylon: (28,60.63: ἐν βιβλίῳ; das vierte Jahr des Sedekias) B. Die Nachbarvölker 29,(1)2-7: Allophyles (Philister); 29,8-23 (Ra 30,1-6): Idumäer; 30,1-5 (Ra 30,17-21): Ammon; 30,6-11 (Ra 30,23-28): Kedar, von Nebukadnezar besiegt; 30,12-16 (Ra 30,29-33): Damaskus; 31,1-44: Moab C. Schluss 32,1-24 (Ra 32,15-38): Worte vom Zornwein (Becherspruch), ohne Erwähnung Babylons 33,1 (die Subskription ist an die Worte vom Zornbecher anzuschließen): zu Beginn der Regierung Joakims Dritter Teil: Die Verheißungen A. Jeremia angesichts der falschen Propheten 33,2-24: unter Joakim (33,31): Prozess gegen Jeremias nach seiner Tempelrede 34,1-18 (kurzer Text) und 35: unter Sedekias (im vierten Jahr): die prophetische Zeichenhandlung des Jochs; die Rückkehr der Tempelgefäße ist nicht vorhersehbar (das schwere Gerät wird nicht erwähnt) 36,1-13.14 9.15.21-32: Brief nach Babylon an die ersten Exilanten; 70 Jahre; Zeitraum fast abgelaufen: es ist eine Verheißung B. Die Verheißungen 37–38: das »Trostbüchlein« (ἐπὶ βιβλίου) an Israel 39 der Neue Bund: das zehnte Jahr des Sedekias; der Kauf des Ackers (V. 11: Baruch, Aufbewahrer des Schriftstücks; V. 11: βιβλίον ἐσφαγισμένον, V. 14: βιβλίον ἀνεγνωσμένον 10) 40,1-13: zweites Wort (der Verheißung) Gottes an Jeremia Vierter Teil: Der verfolgte Prophet; sein Misserfolg 41,1-7: während der Belagerung; Worte gegen Sedekias 41,8-22: unter Sedekias; der Bund für die Befreiung der Sklaven wird gebrochen (vgl. Ex 32) 42–43: (unter Jojakim): das Vorbild der Rechabiter; das vierte Jahr Joakims, Niederschrift der »Buchrolle« (χαρτίον βιβλίου); das achte Jahr Joakims, 11 die Buchrolle wird verbrannt und neu geschrieben

9. Der V. 4 der LXX schreibt ἐπιφανοῦμαι, »ich erscheine«, Nifal von ‫ ;גלה‬der MT hat, im Sinn seiner eigenen Entwicklung gelesen: »ich habe euch verbannt«, Hifil Perfekt von ‫גלה‬. 10. So die Lesart nach den Manuskripten und Rahlfs gegen Ziegler, der der Konjektur von Schleusner folgt. 11. Vier Jahre liegen also zwischen der Abfassung und der öffentlichen Verlesung: Das Szenarium ist von dem, welches der MT darstellt, sehr verschieden.

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

44; 45; 46,3.14.15-18 (sehr kurzer Text) 12: die Gefangenschaft des Jeremias unter Sedekias; Abdemelech gegen Sedekias; Jeremias Befreiung durch die babylonischen Heerführer 47,1-51,30: die Ermordung Godolias und die Flucht nach Ägypten (50,3: Baruch) Allgemeiner Schluss 51,31-35: das vierte Jahr Joakims; Verheißung an Baruch anlässlich der Niederschrift der Buchrolle, ἐν βιβλίῳ (LXX 43) und gültig für das gesamte Buch Erfüllung der Weissagungen 52,1.4-11: Einnahme Jerusalems im elften Jahr des Sedekias (vgl. 1,3); Sedekias stirbt in Babylon 52,12-16.(19).24-25.27: Nabuzardan brennt den Tempel und die Stadt nieder; er schleppt die Reichtümer fort (die Vetus latina erwähnt keinen Tempelgegenstand); die hochgestellten Persönlichkeiten werden in Babylon getötet; keine Erwähnung der folgenden Exililierungen 52,31-33: Begnadigung des Joakim in Babylon (Vetus latina: über die Judäer).

4.3 Theologisches Profil Die jüngsten Arbeiten heben vor allem die theologischen Besonderheiten der langen Fassung (MT) hervor, sofern sie sich von der kurzen Fassung (LXX) unterscheidet. Ein Hauptpunkt ist die Hinzufügung von MT 33,14-26, die durch mehrere punktuelle Veränderungen vorbereitet wurde, darunter die Veränderung von LXX 38,35-37 in MT 31,35-37. Auch die Rolle Nebukadnezars (Nabuchodonosors) ist im masoretischen Text bedeutender. Er ist der »Knecht Gottes« als Scharfrichter, er ist es, der Jeremia befreit (MT 39). Es würde zu weit gehen, alles aufzuzählen, was sich noch nicht im kurzen Text findet und im langen Text vorhanden ist, denn davon profitiert vor allem die Exegese des langen Textes. Die Organisation der Inhalte des kurzen Textes lässt das Scheitern des Propheten und dementsprechend sein Profil als Verfolgter klarer hervortreten. Die Haltung gegenüber den Völkern ist auf andere Weise zu lesen. Der Becherspruch (LXX 32,15-38) und das Gerichtswort über Elam (Ailam), welches an den Anfang der Gerichtsworte über die Völker gesetzt wurde, führen ein anderes Verhältnis zu den Völkern ein. Die Predigt des Jeremia fasst die kleinen Nachbarvölker Israels in ein und derselben Warnung zusammen, und zunächst ist Ägypten der einzige Feind (im langen Text wird Reichen und Nachbarvölkern zusammen dieselbe Verachtung zuteil). Es scheint sehr wohl so zu sein, dass die Vorherrschaft der Perser als der

12. Weis, Textual Situation, untersucht LXX 44–45 als ein einziges Ganzes; er hat recht, doch man muss hier unbedingt LXX 46,3.14.15-18 hinzufügen, sehr kurz nach der Septuaginta und der Vetus latina, die übrigens die Geschichte Abdemeleks zum Abschluss bringt. In dieser Erzählung sind es die babylonischen Generäle, die Jeremia befreien. Die Zeitangabe LXX 46,1-2 bildet keinen Bestandteil des ursprünglichen Septuaginta-Textes (vgl. 2. Textüberlieferung); es ist ein Zusatz, der zu den Versen 4-13 gehört. 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

Vorsehung entsprechend aufgefasst wird. Der Herr hat seinen Thron in Elam errichtet (LXX 25,18), was die Rolle der Perserkönige bei der Rückkehr aus dem Exil aufwertet. Im Becherspruch ist die Bestrafung Judas nicht von der der anderen Völker losgelöst wie in MT 25,18 (Hinzufügung des »wie heute«), und Babylon wird nicht erwähnt. Nur der lange Text macht aus Nabuchodonosor den Knecht Gottes (MT 25,9; MT 27,6, LXX zu lesen nach Schenker; MT 43,10); der kurze Text erwähnt ihn seltener. Die Rolle der Schrift ist sehr wichtig; sie mag die »Urrolle« sein, die der Redaktor mit den Kapiteln 1,4 bis 25,13 (wenn ich mich nicht täusche) identifiziert. Er erzählt die Umstände der Verschriftlichung (LXX 43) im vierten Jahr des Jojakim und er hebt den Trostspruch für Baruch hervor (LXX 51,31-35), um einen Abschluss und den Echtheitsnachweis für das gesamte Werk zu liefern. Diese Grundstruktur kommt im kurzen Text besser zum Ausdruck als im langen, doch sie unterscheidet die prophetische jeremianische Sammlung von allen anderen. Alles geht so vor sich, als ob sich der Redakteur mit Baruch identifiziere. Es sieht nicht so aus, als dürfe man dem Autor die Absicht unterstellen, die Anthropomorphismen abzumildern. Die Fälle einer wörtlichen Übersetzung sind so zahlreich (Zlotowitz), dass es besser ist, die offensichtlichen Ausnahmen anders zu erklären. Die Ankündigung des neuen Bundes (LXX 38,31-34), dem der göttliche Schwur folgt (38,35-37), muss neu gelesen werden. Gott ergreift die Initiative, den Bund wieder aufzunehmen. Er schreibt nicht das Gesetz, sondern die Gesetze ins Herz. Wie könnte man hier nicht an die Zehn Worte denken, die vom Finger Gottes geschrieben wurden (Ex 31,18; Dtn 9,10), selbst wenn Jeremia mit Sicherheit einen weiteren Blick hat? Gott setzt dann in einem Schwur all seine Macht ein, um den Bestand des Bundes zu garantieren, doch ohne Bezugnahme auf kosmische Kreisläufe. Ein Bruch des Bundes im eigentlichen Sinne wird an dieser Stelle nicht erwähnt. Zahlreiche theologische Beobachtungen, die ausgehend vom langen Text gemacht wurden, behalten ihre Gültigkeit auch für den kurzen Text, doch in dem Maße, wie man den kurzen Text für sich besser versteht, muss eine Neubewertung vorgenommen werden. So hat Adrian Schenker im Kapitel LXX 41,18 = MT 34,18 beobachtet, dass der kurze Text nicht auf Gen 15 (Bundesritus), sondern auf die Erzählung vom goldenen Kalb, also auf Ex 32 (das goldene Kalb und die zerbrochenen Tafeln) Bezug nimmt. c. Die Übersetzung. Der Übersetzer geht für gewöhnlich sehr wörtlich vor. Man kann einige Ausdrücke bemerken, die er sehr gern hat und die dem gesamten übersetzten Werk eine spezifishe Färbung geben. παντοκράτωρ 13 für ‫ ;צבאות‬χρηματίζω, »eine Weissagung verkünden«, da, wo das hebräische ein banales Verb verwendet: ‫ דבר‬Pi; ψευδοπροφήτης, »falsche Propheten«, da, wo das Hebräische einfach ‫ נביא‬sagt und allein der Kontext ein qualitatives Urteil zulässt. Die Polemik gegen die Götzen nimmt einen gewissen Platz im Buch ein. Die Septuaginta-Version des Jeremia-Buches behandelt Baal durchgehend als ein weibliches Wort: ἡ Βααλ, wahrscheinlich in pejorativer Weise. 14 13. Dogniez, C., Le Dieu des armées dans le Dodékapropheton: quelques remarques sur une initiative de traduction, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies Cambridge 1995, Atlanta/GA 1997, 21-36. 14. So Vonach, Βααλ, und Bogaert, Baal au féminin. Alternativ kann der weibliche Artikel als

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4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

In LXX 37,6 und LXX 38,22 enthalten zwei »Plus« der Septuaginta, nämlich den Begriff σωτηρία. Ich meine, dass es sich um zwei Begriffe handelt, die ursprünglich Randglossen des griechischen Textes darstellten, nicht um eine originelle Besonderheit der Septuaginta.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Speziell für die griechische Bibel muss man festhalten, dass das Buch 1Esdras (1,30.45; 2,1), das zweite Makkabäerbuch (2,1.7; 15,15-16), Susanna und die alten Männer (diese Erzählung wird von alters her in Beziehung zu LXX 36,21-23 gesetzt), der Brief des Jeremia und vor allem Baruch 1–5 das Buch Jeremia als bekannt voraussetzen. Dies trifft auch auf die griechischen Pseudepigraphen zu. Die Person des Jeremia blieb über sein Buch hinaus lebendig und musste in Ägypten populär gewesen sein. Der biblische Text lässt die Annahme zu, dass er dort gestorben sei. Die Paralipomena Jeremiae 9,2730 und die Vitae Prophetarum, Jer 1–5, erzählen von seiner Steinigung. Alexander der Große soll seine Überreste nach Alexandrien bringen haben lassen. Die Person des Abimelech hat ihren Ursprung in Jeremias Abdemelech, welchen die Manuskripte auch Ab(d)imelech schreiben (LXX 45,7.10.11; 46,16) und an den Jeremia eine Weissagung richtet (LXX 46,15-18), die dem an Baruch adressierten Spruch (LXX 51,31-35) sehr ähnlich ist. Das Neue Testament hat drei Aspekte der Person und des Buches festgehalten. Es ist wahrscheinlich die Gestalt des verfolgten Propheten, die die Redaktion des Matthäusevangeliums beeindruckt hat. 15 Die Weissagung des neuen Bundes (gemäß der LXX) bildet das Herzstück des Hebräerbriefes (8,8-12; 10,16-17). Die Offenbarung des Johannes hat vor allem die Gerichtssprüche über die Völker, die beiden Teile des Kapitels MT 25 (in der LXX getrennt) und den Gerichtsspruch über Babylon festgehalten, den sie nach dem auf der Grundlage des hebräischen (Theodotion-kaige) überarbeiteten griechischen Text zitiert. Offb 18,23, der Lärm der Mühle, setzt Jer 25,10 nach der auf der hebräischen Grundlage überarbeiteten griechischen Version voraus. Ebenso zitiert Offb 15,4 Jer 10,67, das dem langen Text angehört. Der Wermut in Offb 8,11 verweist auf Jer 9,15 nach der Überarbeitung auf der Grundlage des Hebräischen. Die Väter kannten für gewöhnlich nur den kurzen Text. Origenes war die sehr unterschiedliche Anordnung des Buches gemäß der Septuaginta bzw. dem hebräischen Text bewusst (Brief an Africanus, § 7) 16; Hieronymus sah hier nichts als Unordnung. 17 Wenn Signal verstanden werden, dass statt des Namens »Baal« αἰσχύνη, Schande, gelesen werden soll; vgl. Anm. 6. 15. Menken, M. J. J., The reference to Jeremiah in the Gospel according to Matthew, BEThL 60, Leuven 1984, 5-24. 16. De Lange, Ν., Lettre à Africanus, in: SC 302, Paris, 1983, 530-531: πολλὴν μετάθεσιν καὶ ἐναλλαγὴν τῆς λέξεως »große Veränderungen und Umstellungen des Textes«. 17. (Ordo) apud Graecos et Latinos omnino confusus; »Bei den Griechen und Lateinern ist die Ordnung völlig verworren« (Prologus in libro Hieremiae; hg. v. R. Weber, 1166). 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

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6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

er die griechische Version kommentiert, tut er es nach der Rezension des Origenes. Theodoret kommentiert den lukianischen Text und folgt daher der Ordnung des masoretischen Textes. Charles Kannegiesser hat die patristische Rezeption des Jeremia-Buches kurz, Ernst Dassmann sehr ausführlich dargestellt. 18 Beide würdigen die Predigten des Origenes, der kein Vorbild hatte und dem dennoch eine originelle Auslegung gelungen ist, in welcher Jeremia die Gestalt Christi vorausprägt. Die Sendung des Propheten universalisiert und aktualisiert sich mit dem Faktum der Erfüllung in Jesus. Sie wird dadurch nicht überholt. Die Nachfolger des Origenes, darunter auch Hieronymus, bieten eher erläuternde Kommentare als ein Gesamtverständnis des Buches und seiner Botschaft.

6. Perspektiven der Forschung Eine vorrangige Aufgabe der Exegese des Jeremiabuches ist das Studium des kurzen Textes für sich. Diese Textgestalt ist im Wesentlichen diejenige, die – von der Septuaginta aufbewahrt – dem Überarbeitungsungsprozess des langen Textes zugrunde liegt. Sie musste eine offizielle Anerkennung genossen haben, wenn es stimmt, dass sie dem griechischen Übersetzer und seinem Überarbeiter (Jer β) beim Überarbeitungsprozess des langen Textes (MT) als Vorlage gedient hat und in Qumran verfügbar war (4QJerb). Sie ist dennoch nicht die ursprüngliche Gestalt des Buches. Für uns ergibt sich die Schwierigkeit aus vielfachen Überlagerungen. Einerseits konnte der Übersetzer keinen hebräischen Text vor Augen haben, der in all seinen Einzelheiten dem entsprach, der dem langen Text als Vorlage diente. Andererseits wurde die griechische Übersetzung sehr bald überarbeitet, wenigstens stellenweise. Wer zum historischen Jeremia vordringen will, der muss den Weg über den kurzen Text nehmen. Doch dieser kurze Text ist eine griechische Übersetzung. Die Vorgehensweisen des Übersetzers, die Zugehörigkeit zur Übersetzergruppe der Bücher Jeremia, Ezechiel und des Dodekapropheton, die Überarbeitung des zweiten Teils des Buches (LXX 28– 51), der Sonderfall des Kapitels 52 sowie die gemäß der Gruppe Theodotion-kaige überarbeiteten Abschnitte verdienen ebenfalls untersucht zu werden. Die Wiederherstellung des kurzen Textes muss von der Septuaginta aus erfolgen, wobei der Apparat von Ziegler und der Vetus latina herangezogen werden müssen. Unzählige Einzelheiten müssen in Betracht gezogen werden, ohne dass man »vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht«. Abweichungen, die manchmal so unscheinbar sind, dass man versucht ist, sie beim ersten Anlauf zu vernachlässigen, können innerhalb der neuen Perspektiven, die das Studium des kurzen Textes für sich bieten, bedeutend werden. Dasselbe gilt für die Auslegung des langen Textes, für den D. Barthélemy die Bedeutung der griechischen Überarbeiter (Theodotion-kaige, Aquila, Symmachus) aufgezeigt hat. Die Verwandtschaft der griechischen Übersetzung des zweiten Teils des Buches (LXX 28–51,52) mit Baruch (insbesondere 1,1–3,8) ist noch nicht voll verstanden. Man

18. Kannengiesser, C., Jérémie. II. Chez les Pères, DSp 8 (1974), 889-901; Wolff, C., Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum, TU 118, Berlin 1976; Dassmann, E., Jeremia, RAC 17 (1996), 543-631.

594

6. Perspektiven der Forschung

6.3.1 Jeremias / Ieremias / Jeremia

erklärt sie, wie ich meine (vgl. den Beitrag 6.3.2 »Baruch«), gut damit, dass diese fünf Kapitel dem kurzen Text nicht als ein kleines Buch des Baruch, sondern als ein »Deutero-Jeremia« angefügt wurden. Dann gäbe es also drei alte Fassungen des Buches Jeremia: den kurzen Text, den kurzen Text gefolgt von Baruch 1–5, und den langen Text.

6. Perspektiven der Forschung

595

6.3.2 Baruch Pierre-Maurice Bogaert

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XV, Göttingen 1957, 20063.

1.2 Übersetzungen und Kommentare Steck, O. H., Das Buch Baruch, ATD Apokryphen 5, Göttingen 1998, 11-68 — Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie, BdA 25.2, Paris 2005 — Michael, T. S. L., Barouch, NETS, Oxford 2007, 20092, 925-931 — Kraus, W. / Gäbel, G., Baruch, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1343-1348 — Gäbel, G. / Kraus, W., Baruch, LXX.E, Stuttgart 2011, 2815-2826.

1.3 Weitere Literatur Bergren, Th. A., Biblical figures outside the Bible, Harrisburg/PA 1998, 264-288 — Bogaert, P.-M., Le personnage de Baruch et l’histoire du livre de Jérémie. Aux origines du Livre deutérocanonique de Baruch, in: E. A. Livingstone (Hg.), Studia Evangelica VII: Papers Presented to the Fifth International Congress on Biblical Studies Held at Oxford, 1973, TU 126, Berlin 1982, 73-81 — Bogaert, P.-M., Le livre de Baruch dans les manuscrits de la Bible latine. Disparition et réintégration, RBen 115 (2005), 286-342 — Bogaert, P.-M., Qui exerce la royauté dans le livre de Jérémie (et Baruch 1-5)? Du trône de David au trône de Dieu dans sa ville, in: M. A. Knibb (Hg.) The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 381-415 — Burke, D. G., The Poetry of Baruch. A Reconstruction and analysis of the original Hebrew Text of Baruch 3:9-5:9, Septuagint and Cogante Studies 10, Chico/CA 1982 — Feuerstein, R., Das Buch Baruch. Studien zur Textgestalt und Auslegungsgeschichte, Europäische Hochschulschriften XXIII/614, Frankfurt u. a. 1997 — Kabasele Mukenge, A., L’unité littéraire du livre de Baruch, EB, NS 38, Paris 1998 — Martin, R. A., Some syntactical criteria of translation Greek, VT 10 (1960), 295-310 — Schmid, A. / Speyer, W., Baruch, RAC. Suppl. I, Stuttgart 2001, 962-993 — Thackeray, H. S. J., The Greek translators of Jeremiah, JThS 4 (1902-1903), 245-266 — Tov, E., The relation between the Greek versions of Baruch and Daniel, in: M. E. Stone (Hg.), Armenian and Biblical Studies, Jerusalem 1976, 27-34 — Tov, E., The Septuagint translation of Jeremiah and Baruch. A Discussion of an early revision of the LXX of Jeremiah 29-52 and Baruch 1:1-3:8, HSM 8, Missoula/MO 1976 — Wambacq, B. N., L’unite du livre de Baruch, Bib 47 (1966), 574-576 — Wénin, A., Y a-t-il un «livre de Baruch» ?, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), BEThL 144, Leuven 1999, 231-243 — Wright, J. E., Baruch. His Evolution from Scribe to Apocalyptic Seer, in: M. E. Stone / Th. A. Bergren (Hg.), Biblical figures outside the Bible, Harrisburg/PA 1998, 264-288.

596

1. Literatur

6.3.2 Baruch

2. Textüberlieferung und Editionen Nach Jer 52 folgt in den meisten griechischen Handschriften: Bar 1–5, Klgl, EpJer. In S hingegen findet sich die Reihenfolge Jer, Klgl (folgt eine große Lücke); in 106 Jer, Klgl, Bar 1–5, EpJer; in 538 Jer, Klgl, EpJer, Bar 1–5. Bar 1–5 und EpJer (Bar 6) sind getrennt zu betrachten, auch wenn die Überlieferung in den Handschriften eng verwandt ist. In der Vetus Latina folgte Bar 1–5, ohne eigenen Titel, auf Jer 52, also unter Jeremias’ Namen; ebenso zitieren ihn die lateinischen Kirchenväter und die lateinische Liturgie. Genauso musste es sich im griechischen Text verhalten haben, denn die ältesten griechischen Kirchenväter zitieren Bar 1–5 unter dem Namen Jeremia. Die Hexapla hat Origenes dazu veranlasst, diesen Text als Ergänzung zu unterscheiden, der seitdem und infolge dessen den Titel »Baruch« erhielt. Bar 1–5 ist also ein Zusatz zu Jeremia, eine Art »Deutero-Jeremias«. Theodoret (PG 81,760) war der Ansicht, dass οὗτοι ὁι λόγοι (Bar 1,1) auf das vorangehende Buch Jeremia verweist. Auf Grund der bereits dargelegten äußeren Kritik wie auf Grund der Literarkritik (siehe unten), meine ich, er hat Recht. οὗς ἔγραψε in Bar 1,1 kann mit »das er abgeschrieben hat« übersetzt werden und setzt nicht voraus, dass er selbst verfasst hat, was geschrieben steht und was folgt. Es ist das Verb, das immer für die Schreibtätigkeiten Baruchs unter Jeremias Leitung gebraucht wird. Die Kontinuität von Jer ß und Bar 1,1–3,8 lässt sich deutlich in der griechischen Übersetzung feststellen (siehe unter Punkt 3); sie ist auch inhaltlich fassbar (siehe unter Punkt 4).

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Zunächst müssen die vier Abschnitte gesondert beurteilt werden. Die narrative Einleitung (1,1-14) scheint aus dem Hebräischen übersetzt zu sein, könnte aber auch ein in Griechisch verfasstes »Stückwerk« sein (Wambacq); das Bußgebet 1,15–3,8 scheint ebenfalls aus dem Hebräischen übersetzt zu sein und ist weitgehend parallel zu Dan 9,4-19, ist aber nicht abhängig von einer der beiden griechischen Versionen, LXX oder Theodotion (E. Tov). Die Mahnrede (3,9–4,4) und die Verheißungsrede (4,5–5,9) sind eher griechisch, ihnen können aber semitische Vorlagen zu Grunde liegen. Das Partikel γάρ findet sich ausschließlich und sehr häufig (20 mal) in 4,4–5,9 (vielleicht nach dem Vorbild des Übersetzers von Jesaja); der Partikel δέ begegnet man nur in diesem selben Abschnitt. Thackeray und Tov haben auf zahlreiche Ähnlichkeiten des Vokabulars zwischen Jer ß und Bar 1,1–3,8 hingewiesen. Es besteht, weniger deutlich, für das gesamte Buch eine Verwandtschaft zwischen Jeremias und Baruch (so Jer 23,9 εὐπρεπείας δόξης; und Bar 5,1 εὐπρέπειαν τῆς παρὰ τοῦ θεοῦ δόξης). Wenn die narrative Einleitung ein griechisches Stückwerk ist (Wambacq, 1966), dann ist Bar 1–5 ein griechischer Zusatz zu Jeremias in Griechisch, was keineswegs ausschließt, dass die folgenden Abschnitte Übersetzungen oder Bearbeitungen aus dem Hebräischen oder Aramäischen sein können. In diesem Fall ist es ein und dieselbe Person, die diese Kapitel an Jeremia angefügt hat und die Jer ß revidiert hat. Man kann ebenso annehmen, dass diese Kapitel schon in Hebräisch existierten und dass der Revisor (oder Übersetzer) von Jer ß der Übersetzer von Bar 1,1–3,8 ist; dann aber muss man sowohl die ganzheitliche literarische Einheit von Bar 1–5 (Kabasele, Steck) als 2. Textüberlieferung und Editionen

597

6.3.2 Baruch

auch die Verschiedenartigkeit der griechischen Sprache der einzelnen Abschnitte erklären. Um noch weiter zu kommen, muss man auch den Inhalt in Betracht ziehen (siehe unter 4). Insgesamt halte ich es für wahrscheinlicher, dass der Zusatz zu Jeremia nicht nur für die Diaspora sondern auch in der Diaspora abgefasst wurde. Deshalb schließe ich die These von Wambacq nicht aus, dass, seiner Ansicht nach, der erste Abschnitt ein in Griechisch abgefasstes Stückwerk ist, das dazu dient, in die anderen drei Abschnitte einzuführen. Wo und wann? Ich habe bereits eine Lösung vorgeschlagen. Der baruch’sche Anhang ist in Griechisch an den griechischen Text von Jeremias angefügt worden, im römischen Reich unter Augustus und Tiberius (es gibt keine andere Parallele zu der Verbindung Nebukadnezzar – Belschazzar in 1,11-12); der Unterschied zwischen Jer α und Jer ß erklärt sich also als die Revision des zweiten Teils durch den Verfasser des Zusatzes. Viele Familienmitglieder des Herodes wurden in Rom groß gezogen, gleichsam Geiseln und Gäste von Rang; sie sind »die Söhne der Könige« (Bar 1,4). Die griechischen Spracheigentümlichkeiten der verschiedenen Abschnitte erklären sich besser aus der Hypothese einer Endabfassung in griechischer Sprache, aber bezüglich dieses Punktes besteht keine Gewissheit. Sollte der Zusatz in Hebräisch abgefasst worden sein, um den hebräischen Text von Jeremia zu ergänzen, dann muss man Abfassung und Übersetzung unterscheiden. Der Text wurde später als Dan 9 abgefasst, frühestens Mitte des zweiten Jahrhunderts; die Kommentatoren geben einem Ursprung in Palästina den Vorzug. Die Übersetzung, ihrerseits, wäre dann alexandrinisch wie Jer ß.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Folgende Beobachtung ist wesentlich: einerseits ist es, wie in Dan 9, die Lesung aus dem Jeremiabuch, die das Bußgebet nach sich zieht und dieses Gebet ist weitgehend parallel zu jenem in Daniel; andererseits verhält sich die Szene, die in Baruch 1,1-14 erzählt wird, antithetisch zum Vorlesen der Urrolle vor Jojakim in Jer LXX43 = MT36: in beiden Fällen verliest Baruch vor dem König die Worte des Jeremia, die er zuvor kopiert hat, das Vorlesen mündet entweder in eine Ablehnung oder in eine Konversion. Demzufolge ist es offensichtlich, dass Bar 1,1–3,8 die absichtliche Fortsetzung des Jeremiabuches ist. Im Übrigen ist die Gesamtstruktur des Baruchanhangs in sich kohärent, und man muss alle Elemente gleichzeitig in den Blick nehmen: Bar 1–5 als Ganzes, mit seinen Buß-, Weisheits- und prophetischen (tröstenden) Abschnitten, wird, wie in Bar 1,1-14 berichtet, durch das Vorlesen des Jeremiatextes eingeführt. Es ist das älteste Zeugnis des Vorlesens eines prophetischen Buches in einem liturgischen Kontext. Am Ende erhält Jerusalem einen neuen Namen: εἰρήνη δικαιοσύνης και δόξα θεοσεβείας »Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht«, worin man die beiden Elemente seines Namens wiederfindet: Ieru- angeglichen an die Wurzel »‫ ירא‬fürchten« und -salem »‫ שלם‬Friede« (Bar 5,4). Die Verbindung Gerechtigkeit und Herrlichkeit findet man auch in Bar 2,17 und 18 vor. Die lange Textfassung von Jeremia interpretierte den königlichen Namen auf gleiche, nicht aber identische Weise (Jer 23,5-6), indem er diesen in MT 33,16 auf Jerusalem anwendet.

598

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.2 Baruch

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die griechischen und lateinischen Kirchenväter zitieren sehr häufig Bar 3,36-38, meistens unter dem Namen Jeremias. In der byzantinischen Liturgie wird Bar 3,36–4,4 in der Weihnachtsnacht oder am Vortag gelesen und Bar 3,9-38 ist, in der lateinischen Liturgie, in den Vigilien von Pfingsten, dann in denen von Ostern gelesen worden. Clemens von Alexandrien und Irenäus zitieren vielfach dieses Buch. Die fünf tituli, die in den lateinischen Text, der späteren Vulgata (Biblia Sacra, t.14, Rom 1972, 44), eingefügt wurden und die wahrscheinlich afrikanischen Ursprungs sind, stellen eine Art Leitfaden für ein Buch dar, das sonst kaum kommentiert wurde. In den Kanonlisten wird Baruch meistens erwähnt. Diejenigen, die ihn nicht nennen, können ihn nichtsdestoweniger stillschweigend unter Jeremia mit einbeziehen. Hieronymus, in den Prologen zu seiner Übersetzung und zu seinem Jeremiakommentar, schließt ihn kategorisch aus. Er hat Baruch nicht übersetzt.

6. Perspektiven der Forschung Kohärenz und Einheit des Buches sind heute anerkannt. Aber es bleibt unklar, wie der Anhang entstanden ist. Die Interpretation von 1,1-14 ist dazu der Schlüssel. Ob diese Einleitung ein Stückwerk ist oder nicht, ist schwierig darzulegen. Zudem gilt zu beachten, dass in Jerusalem der Tempelkult ausgeübt wird und es einen Hohenpriester gibt, dass die beiden Könige, Nebukadnezzar und sein Sohn Belschazzar, beide gemeinsam (Koregentschaft) und positiv erwähnt, aber ansonsten nicht zusammen genannt werden.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

599

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder Frank Ueberschaer

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XV, Göttingen 1957, 20134.

1.2 Qumran-Texte 3QKlgl = 3Q3 (DJD III) — 4QKlgl = 4Q111 (DJD XVI) — 5QKlgla.b = 5Q6.7 (DJD III).

BQS 749-754 — HTTM 489-495. Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS und in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie, BdA 25.2, Paris 2005 — Gentry, P., Lamentations, NETS, Oxford 2007, 20092, 932-941 — Hirsch-Luipold, R. / Maier, C. M., Threnoi / Klagelieder, LXX.D, 20102, 1349-1358 — Hirsch-Luipold, R. / Maier, C. M., Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder, LXX.E, 2011, 2827-2841.

1.4 Weitere Literatur Albrektson, B., Studies in the Text and Theology of the Book of Lamentations. With a critical Edition of the Peshitta Text, STL 21, Lund 1963 — Assan-Dhôte, I., La version grecque des Lamentations de Jérémie, Paris 1996 — Barthélemy, D., Les Devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963 — Barthélemy, D., Critique Textuelle de l’Ancien Testament, Bd. 2: Isaïe, Jérémie, Lamentations, OBO 50/2, Fribourg / Göttingen 1986, 863-914 — Berges, U., Klagelieder, HThKAT, Freiburg 2002 — Fernández Marcos, N., The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Version of the Bible, Leiden u. a. 2000 — Koenen, K., Die Klagelieder Jeremias. Eine Rezeptionsgeschichte, BThSt 143, Neukirchen-Vluyn 2013 — Kotzé, G., The Greek Translation of Lamentations: Towards a More Nuanced View of Its »Literal« Character, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception. Essays prepared for the Association for the Study of the Septuagint in South Africa, VT.S 127, Leiden / Boston 2009, 77-95 — Kreuzer, S., Der Antiochenische Text der Septuaginta. Forschungsgeschichte und eine neue Perspektive, in: ders. / M. Sigismund (Hg.), Der Antiochenische Text der Septuaginta in seiner Bezeugung und seiner Bedeutung, De Septuaginta Investigationes (DSI) 4, Göttingen 2013, 23-56 — Louw, T. van der, The Dictation of the Septuagint Version, JSJ 39 (2008), 211-229 — Rudolph, W., Der Text der Klagelieder, ZAW 56 (1938), 101-122 — Rudolph, W., Die Klagelieder, KAT 17/3, Gütersloh 1962 — Tov, E., Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart u. a. 1997 — Youngblood, K. J.,

600

1. Literatur

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder

Translation Technique in the Greek Lamentations (PhD, The Southern Baptist Theological Seminary, 2004) — Youngblood, K. J., The Character and Significance of LXX Lamentations, in: R. A. Parry / H. A. Thomas (Hg.), Great is Thy Faithfulness? Reading Lamentations as Sacred Scripture, Eugene/OR 2011, 64-69.

2. Textüberlieferung und Editionen Der Septuagintatext der Klgl ist in allen großen Unzialhandschriften vollständig enthalten: B und S, beide 4. Jh., A, 5. Jh., sowie Codex Marchalianus (Q), 6. Jh., und Codex Venetus (V), 8. Jh. Hinzu kommen 37 Minuskelhandschriften aus dem 8.14. Jh., die Klgl vollständig oder fragmentarisch bezeugen (siehe Ziegler, 8-10), sowie weitere griechische Belege in der Literatur der Kirchenväter. In der Regel bietet B gemeinsam mit S den besten LXX-Text. Sonderlesarten von B gegenüber MT sind in der Regel unbedeutend und hängen mit Grammatik und Stil des Griechischen zusammen. Insgesamt zeigt B nach der Einschätzung von Ziegler, 48, keine Spuren von Korrekturen nach MT, sodass er ihn als ursprünglichsten und besten Text von LXX bewertet. S ist gegenüber B gekennzeichnet durch einige Sonderlesarten, die aber kaum ins Gewicht fallen. Sie erweisen sich zudem als unabhängig von MT. B und S zeigen sich aufgrund ihrer Sonderlesarten eng verwandt. Weitere Verwandtschaften zu B: 106, 410, 538; weitere Verwandtschaften zu S: 130 und 239. A bietet einige Sonderlesarten, meist grammatikalisch oder stilistisch bedingt und kaum von Bedeutung. Unerklärlich ist allerdings das Fehlen der drei Verse 3,55-57. A geht oft zusammen mit B und S, sodass bei einem solchen Zusammengehen davon auszugehen ist, »dass die drei Unzialen B S A … den alten unrezensierten Text überliefern« (Ziegler, 56). Korrekturen nach MT hin lassen sich bei A keine feststellen, sodass Übereinstimmungen mit MT der ursprünglichen Übersetzung entsprechen. A hat 106, 410 (wie B) und oft Arab. an der Seite, wobei Arab. den besseren Text zu bezeugen scheint (z. B. 1,12; 5,10) (Ziegler, 53). Wenn A nicht mit B-S zusammengeht, dann meist mit Q-V. Q bietet wenige Sonderlesarten, gewöhnlich grammatikalisch-stilistischer Art. Am engsten an Q angelehnt ist 613. V bezeugt ebenfalls wenige Sonderlesarten, meist Schreibfehler. Gemeinsam werden Q und V mit 26 46 86 147 534 544 613 710 zur Gruppe des Q-Texts zusammengefasst. Der Q-Text geht oft mit dem hexaplarischen Text zusammen, wobei aber jener noch genauer an MT angeglichen ist. Daher ist anzunehmen, dass der Q-Text älter ist und eine vorhexaplarische Rezension der LXX bezeugt, die bereits auf MT zugeht. Hex. ist bezeugt in 88 und Syh. Beide weisen am Ende von Klgl eine Unterschrift auf, nach der sie aus der Hexapla abgeschrieben wurden. Weitere Zeugen für den hexaplarischen Text sind: 233 445 Qmg 86mg und Arm., für Klgl aber auch 26 538. Der lukianische Text (Antiochenischer Text) ist durch die Hauptgruppe L der Minuskeln 22-36-48-51-96-231-763 bezeugt. Eine Untergruppe l bilden 62-198-407-449; sie zeigen nicht dieselbe Geschlossenheit wie L, was z. T. aber auch an ihrer fragmentarischen Überlieferung liegt. In Klgl zeigt auch 26 eine Nähe zum lukianischen Text, ebenso wie die Korrektoren in Sca, dagegen Qmg und 86mg nur wenig, Syhmg bietet immerhin 60 Stellen. 2. Textüberlieferung und Editionen

601

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder

Die Catenen-Gruppe C’ besteht aus der Hauptgruppe C, d. i. 87-91-490, deren gemeinsame fehlerhafte Lesarten (für Klgl z. B. 4,3) auf einen gemeinsamen Urtext hinweisen, und der Untergruppe c, d. i. 49-90-764. 239 und 613 schließen sich mal C, mal c an. Die meisten Besonderheiten von C’ sind grammatikalisch-stilistischer Art. Immer wieder gibt es gemeinsame Bezeugungen von C mit A, Q, S, B oder L, aber nur selten mit Hex. (nur über den Umweg von L). Die Vetus Latina (bei Ziegler: La) ist nur in Ausschnitten erhalten: 2,16–3,41 im Codex Wirceburgensis (LaW; Edition: Ranke, Ernst, Par Palimpsestorum Wirceburgensium, Vindobonae 1871) und Kap. 5 bei Verecundus von Iunca (gest. 552; Edition: Pitra, Jean B., Spicilegium Solesmense IV, Paris 1858, 40-49) sowie im cod.Reg.lat.11 der Vatikanischen Bibliothek in Rom. Zumindest in Jer bietet die VL oft »freie, umschreibende und erweiternde Wiedergaben« (Ziegler, 18). Vg ist vollständig bezeugt in Biblia Sacra Vulgata, 1248-1255. Von den kopt. Übersetzungen ist die bohairische vollständig erhalten (Edition: Tattam, Henry, Prophetae majores, in dialecto linguae aegypticae memphitica seu coptica, Oxford [GB] 1852, Bd. 1, 540-571), von der sahidischen dagegen nur Fragmente (Editionen und Aufstellung s. Ziegler, 23-26). Die fajumische Übersetzung ist nur in einzelnen Fragmenten für Klgl 5 bezeugt (Edition: Quatremère, Étienne, Recherches critiques et historiques sur la langue et la littérature de l’Egypte, Paris 1808; aufgenommen in Till, W., Koptische Chrestomathie für den fayumischen Dialekt, Wien 1930). In syrischer Übersetzung ist Klgl nur in der Syh erhalten (Edition: Ceriani, Antonio M., Monumenta sacra et profana, Bd. 1/1, Mailand 1861); die syropalästinische Übersetzung ist verloren. Syh gibt ihre Vorlage so zuverlässig wieder, dass Ziegler sie neben Minuskel 88 als »griechische Handschrift« wertet (Ziegler, 27). Am Rand sind Wendungen nach der Hexapla festgehalten, allerdings in Syr. Der äthiopische Text ist in drei Rezensionen bezeugt. Für die LXX ist die altäthiopische wichtig (enthalten in den Mss. Ms.orient.fol. 3067 Geez [Berlin] und Ms.d’Abbadie 55 [Paris]). Daneben gibt es eine sog. vulgäre Rezension, die zahlreiche Erweiterungen aufweist, und eine sog. akademische Rezension, die die altäthiopische entweder nach der hexaplarischen oder lukianischen LXX korrigiert (textkritische Edition für Klgl: Bachmann, J., Die Klagelieder Jeremiae in der aethiopischen Bibelübersetzung, Halle a. S. 1893). Die alt-äth. Rezension geht oft zusammen mit S. Äth. übersetzt in der Regel wörtlich, doch in Klgl auch schon einmal freier. Der arabische Text gibt seine Vorlage im Allgemeinen gut wieder (Edition: Walton, B., Biblia Sacra Polyglotta [»Londoner Polyglotte«], Bd. 3, London 1654-57). Fehler liegen meist an der Vorlage. Zusätze und Auslassungen sind unbedeutend. Gelegentlich stimmt der arabische Text mit MT überein (Ziegler, 37 f.). Der armenische Text (Edition: Zohrab-Bibel, Venedig 1805) gibt seine (hexaplarische) Vorlage in der Regel gut wieder, sodass er für diese ein wichtiger Zeuge ist. Es gibt wenig Hinzufügungen und Auslassungen. Dabei zeigt Arm. deutliche Bearbeitungsspuren auf MT hin (Ziegler, 38-40).

602

2. Textüberlieferung und Editionen

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die Übersetzung von Klgl ins Griechische ist im Großen und Ganzen eine sehr wörtliche Übersetzung. Sie überträgt fast Wort für Wort ins Griechische. Dies geht nicht nur auf Kosten des Satzbaus, der ja durch die Kunstform des Akrostichons bereits in MT ungewöhnlich ist, sondern gelegentlich auch auf Kosten des Sinnzusammenhangs (vgl. 2,10; 3,5.21; 4,3.14; 5,4). Hinzu kommen zahlreiche Hebraismen (vgl. 1,2.5.6.8.14; 2,5.14; 3,18.21.46.53; 4,7; 5,14). Andererseits geht der Übersetzer nicht so weit, jedes hebräische Wort durch dasselbe griechische wiederzugeben (vgl. die unterschiedlichen Übersetzungen von ‫בחור‬ in 1,14; 5,13 und 1,18; 2,21, von ‫ עון‬in 4,6.13 sowie die unterschiedlichen Ursprungsworte von πόλις in 2,11 / 2,12, von ἀνῳκοδόμησε in 3,5 / 3,7.9, von χολή in 3,15 / 3,19, von ἀνομία in 4,6). Daneben gibt es Abweichungen von MT, die sich durch andere Vokalisierungen erklären lassen (vgl. 1,3.6.9.14.21; 2,8.11.22; 3,5.33.40.47.48; 4,16), aber auch durch Konsonantenvertauschung oder einen anderen, optisch ähnlichen Konsonantenbestand (vgl. 1,2; 2,13.18; 3,56; 4,3). Gelegentlich gibt es auch falsche Ableitungen von Wortbedeutungen (vgl. 1,4.7.18; 2,2.22; 3,5.45; 4,3.14.20; 5,4). Ergänzungen betreffen v. a. Personalpronomina (vgl. 1,3; 2,2.3.4.16.19; 3,5; 4,14) und Präpositionen, die aufgrund des griechischen Sprachgebrauchs nötig sind (vgl. 1,5; 3,2). Auslassungen sind sehr selten (besonders auffallend ist 3,22-24); ihnen liegen in der Regel Lesefehler zugrunde oder evtl. sogar spätere Ergänzungen in MT (vgl. 1,3; 2,5; 3,3.42.51.61; 4,7.21; 5,4.12.22). Grundsätzlich »freiere« Übersetzungen, d. h. wesentliche Abweichungen von MT, finden sich in 1,5.9; 2,7.10, Umstellungen von Satzteilen in 1,7; 4,13 (vgl. auch Koenen, Klagelieder, 34-39). Seit jüngster Zeit umstritten ist die Frage, wie diese Wort-für-Wort-Übersetzung zu erklären ist. Albrektson macht dafür in seiner grundlegenden Studie das Unvermögen des Übersetzers verantwortlich. Die Übersetzung sei »extremely slavish« (208), und »in some places it was doubtless unintelligible« (ebd.). Der Übersetzer sei »not a very good Hebraist« (209) gewesen, der »not a good translation« angefertigt habe (210). Albrektson geht davon aus, dass es sich um einen Übersetzer handelt, der schriftlich gearbeitet habe. Kotzé sieht dagegen im Anschluss an van der Louw, 223-226, in der Art der Übersetzung einen Reflex auf die Arbeitsweise. Man habe aus der hebräischen Vorlage vorgelesen, das Vorgelesene wurde laut übersetzt und von mehreren Schreibern aufgeschrieben. Die dabei nötigen Entscheidungen beim Lesen des unvokalisierten hebr. Textes, die mündliche Übermittlung mit zahlreichen Möglichkeiten für Sprech-, Hör- und Verständnisfehler und der zeitgenössische sprachliche Hintergrund des Aramäischen erklären für ihn zahlreiche Abweichungen von MT, ohne dass er die grundsätzliche Tendenz zur Wort-fürWort-Übersetzung bestreiten möchte. Barthélemy, Devanciers d’Aquila, 33, hat KlglLXX der kaige-Rezension zugeordnet (vgl. 1,8; 2,9; 3,8; 4,3.15.21), die er in das 1. Jh. n. Chr. datierte und in Palästina lokalisierte (271; so auch LXX.D, 1349). Letztlich ist dies jedoch nicht zu belegen. Gegen Barthélmy datieren sie Tov, 121, und Fernández Marcos, 152, in das 1. Jh. v. Chr., und nehmen wahrscheinlich ebenfalls Palästina als Ursprungsort an. Demgegenüber hat Youngblood, Technique, 283-361, herausgestellt, dass die von Barthélemy angeführten Beispiele nicht ausreichten, um eine solche Zuordnung vornehmen zu können, und 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

603

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder

gleichzeitig auf die Nähe zur Ps-Übersetzung der LXX hingewiesen. Youngblood geht dementsprechend davon aus, dass KlglLXX eine Zwischenstellung zwischen den alten »freieren« Übersetzungen und Aquila einnimmt.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil KlglLXX ist eine sehr wörtliche Übersetzung. Die wenigen Abweichungen sind meist Fehler oder dem griechischen Sprachgebrauch geschuldet. In der Syntax folgt sie dem hebräischen Satzbau und bietet nur wenige Abweichungen (vgl. 1,7; 4,13). Diese starke Orientierung am hebräischen Text geht sogar so weit, dass sie an einigen Stellen die Form des Akrostichon nachahmt (3,25-27.31-33.34-36); sonst wird den Akrosticha erst durch spätere Hand durch Ergänzung der hebräischen Buchstaben in griechischer Transkription Rechnung getragen (vgl. bei den Psalmen Ps 119). Dafür spricht, dass die hebräischen Buchstaben der auch heute gebräuchlichen Reihenfolge nach an den Text geschrieben wurden, während Klgl Pe vor Ajin bietet. Ein wesentlicher Punkt theologischer Interpretation der Klgl stellt das Vorwort dar, durch das zum einen Klgl historisch zugeordnet und zum anderen als Worte Jeremias charakterisiert werden. Darüber hinaus setzt die Übersetzung kaum eigene Akzente, sodass man wohl gerade diesen Vorsatz der Treue zur hebr. Vorlage als inhaltliches und auch theologisches Profil betrachten muss. Der Übersetzer tritt hinter den zu übersetzenden Text zurück und möchte diesen nicht nur übersetzen, sondern möglichst treu nachbilden, inklusive Satzbau. Vielleicht zeigt sich daran bereits ein Verständnis der Heiligkeit des Ursprungstextes. Eine darüber hinaus gesonderte Theologisierung der Übersetzung kann allenfalls an vereinzelten Stellen in Erwägung gezogen werden, z. B. 1,6 (ἐξήρθη statt ‫ יצא‬als passivum divinum, wobei zu beachten ist, dass es mit ἐξήλθεν auch eine andere sehr gut bezeugte Lesart gibt, die MT entspricht). Daneben können an wenigen Stellen christliche Einflüsse diskutiert werden, z. B. 4,3 (ἀνίατον statt ‫ אכזר‬könnte möglicherweise durch die Betonung der Unheilbarkeit eine Verwerfung der Städte Judas andeuten); 4,19 (die Übersetzung von ‫ קץ‬mit καιρός gibt der Aussage eine positivere Wertung und kann als Ausdruck einer Heilshoffnung verstanden werden); 4,20 (die Wendung χριστός κυρίου ist die wahrscheinlichere Lesart, bezeugt wird allerdings von fast allen Mss χριστὸς κύριος, was christologisch deutbar ist); 4,21 (in der Wendung ποτήριον κυρίου ist κυρίου ein Zusatz gegenüber MT, der durch einen Anklang an 1Kor 10,21; 11,27, aber auch durch eine Dittographie der zweiten Worthälfte von ποτήριον erklärt werden könnte).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Das hebräische Buch der Klagelieder hat im Judentum durch die liturgische Verwendung am 9. Aw eine bedeutende Stellung erlangt (belegt ab dem 8. Jh. n. Chr.). In der Patristik wird Klgl zu Jer gesellt (Origines, Eusebius historia ecclesiastica VI,25,2) und bald so eng mit Jer zusammengefasst, dass es in Kanonlisten sogar fehlen kann (Augustin, De Doctrina Christiana II,13; später auch im Trienter Konzil, das erst604

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.3.3 Threnoi / Threni seu Lamentationes / Klagelieder

mals für die röm.-kath. Kirche die Schriften des Alten Testaments festlegte). Klgl wird so zu einer »unselbstständigen« Schrift. In der röm.-kath. Tradition haben die (lat.) Klgl ihren Ort bei Trauermetten und an den drei Kartagen; hierbei werden sie durch Umformung deutlich christianisiert und erhalten sogar eine antijüdische Wendung. So wird aus Klgl 5,21: »Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum, Deum tuum« (Berges, 34). In der orth. Tradition wird Klgl im Gottesdienst nicht gelesen (vgl. LXX.D, 1501).

6. Perspektiven der Forschung Die Arbeit an KlglLXX fristet ein Schattendasein und geschieht in der Regel allenfalls im Kontext textkritischer Überlegungen zu MT. Dabei hat sie allerdings einen zu Recht hohen Stellenwert. Zum LXX-Text selber hat in jüngster Zeit der Beitrag von Kotzé in Auseinandersetzung mit der gängigen Beurteilung der Übersetzung als »sklavisch« und rein technischer Wort-für-Wort-Übersetzung dieses Urteil durch einen Blick auf die Übersetzungspraxis noch einmal differenzieren wollen. Zudem könnte durch die Neubewertung des lukianischen bzw. antiochenischen Textes in der neueren Forschung (vgl. Kreuzer) auch in KlglLXX eine Neubewertung der Textgrundlage möglich werden.

6. Perspektiven der Forschung

605

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia Benjamin G. Wright

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Ieremias, Baruch, Threni, Epistula Ieremiae, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XV, Göttingen 1957, 20063.

1.2 Qumran 7QpapEpIer gr = 7Q2 (DJD 3)

1.3 Übersetzungen und Kommentare Ball, C. J., Epistle of Jeremy, in: R. H. Charles, The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament, Oxford 1913, 596-611 — Gunneweg, A. H. J., Der Brief Jeremias, JSHRZ III/2, Gütersloh 1975, 19802, 183-192 — Kratz, R. G., Der Brief des Jeremia, in: O. H. Steck / R. G. Kratz / I. Kottsieper, Das Buch Baruch. Der Brief des Jeremia. Zu Ester und Daniel, ATD.A 5, Göttingen 1998, 69-108 — Assan-Dhôte, I. / Moatti-Fine, J., Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie, BdA 25.2, Paris 2005 — Wright, B., Letter of Ieremias, NETS, Oxford 2007, 20092, 942-945 — Kraus, W. / Gäbel, G., Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia, LXX.D, 20102, 1358-1361 — Gäbel, G. / Kraus, W., Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia, LXX.E, 2011, 2842-2848.

1.4 Weitere Literatur Adams, S. A., Epistle of Jeremiah or Baruch 6? The Importance of Labels, JSCS 44 (2010), 26-35 — Alexander, P. S., Epistolary Literatur, in: M. E. Stone (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period, CRINT II/2, Assen / Philadelphia 1984, 579-596 — Bogaert, P.-M., De Baruch à Jérémie. Les deux rédactions conservées du livre de Jérémie, in: ders. / W. A. M. Beuken (Hg.), Le Livre de Jérémie. Le pophète et son milieu, les oracles et leur transmission, BEThL 54, Leuven 1981, 168-173 — Büllesbach, C., Jeremia, Brief des, www.wibilex.de (Stuttgart 2007) — Feder, F., Biblia Sahidica – Ieremias, Lamentationes (Threni), Epistula Jeremiae et Baruch, TU 147, Berlin 2002 — Kaiser, O., Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments 2, Gütersloh 1994 — Kellermann, D., Apokryphes Obst. Bemerkungen zur Epistula Jeremiae (Baruch Kap. 6), insbesondere zu Vers 42, ZDMG 129 (1979), 23-42 — Kratz, R. G., Die Rezeption von Jer. 10 und 29 im pseudepigraphen Brief des Jeremia, JSJ 26 (1995), 1-31 — Meyer, I., Das Buch Baruch und der Brief des Jeremia, in: E. Zenger u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart 20087, 484-488 — Moore, C. A., Daniel, Esther and Jeremiah: The Additions, AncB 44, 1977 — Naumann, W., Untersuchungen über den apokryphen Jeremiasbrief, BZAW 25, Berlin 1913, 1-53 — Rothstein,

606

1. Literatur

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

W., Der Brief Jeremias, in: E. Kautzsch (Hg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments 1, Tübingen 1900 = Darmstadt 1975, 226-229 — Rüger, H.-P., Apokryphen I. Apokryphen des Alten Testaments, TRE 3, 1978, 289-316 — Schreiner, J., Baruch, NEB.AT 14, Würzburg 1986 — Thackeray, H. S., Some Aspects of the Greek Old Testament, London 1927, 51-64 — Wénin, A., Y a-t-il un ›Livre de Baruch‹ ? À propos du livre récent d’André Kabasele Mukenge, in: J.-M. Auwers / A. Wénin (Hg.), Lectures et relectures de la Bible (FS P.-M. Bogaert), BEThL 144, Leuven 1999, 231-243 — Wolff, C., Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum, TU 118, Berlin 1976 – Wright, B., The Epistle of Jeremiah: Translation or Composition?, in: G. G. Xeravits / J. Zsengellér (Hg.), Deuterocanonical Editions to the Old Testament Books: Selected Studies, Berlin 2010, 126-142

2. Textüberlieferung und Editionen Die Epistel des Jeremia (EpJer) besteht aus kargen 73 Versen. In einigen LXX-Handschriften erscheint sie als ein separates Werk zwischen den Jeremiatexten, normalerweise in der Reihenfolge Jer, Bar, Klgl und Epistel. In anderen Handschriften, sowohl in den syr., als auch in den lat. folgt sie direkt auf Baruch. Nach Hieronymus wird sie als das sechste Kapitel des Baruchbuches gezählt. EpJer ist hauptsächlich auf Griechisch übermittelt, die beste und aktuellste Ausgabe ist die der Göttinger Edition Joseph Zieglers von 1957 (Nachdruck 2006). Die vielfältigen Tochterübersetzungen sind ähnlich und haben nur eine geringe Bedeutung für die Textkritik. RaHa und Gö unterscheiden sich, ebenso wie manche modernen Übersetzungen, in der Verszählung, je nachdem, ob die Überschrift separat gezählt wird.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzung einer hebräischen Vorlage oder griechische Komposition Im 19. Jh. vertrat die theologische Wissenschaft überwiegend die Auffassung, dass EpJer eine ursprünglich griechische Komposition sei. Im frühen 20. Jh. brachte C. J. Ball starke Argumente vor, die für eine Übersetzung sprechen. Fast zeitgleich mit Ball fertigte W. Naumann eine Studie über das Griechisch der EpJer an, das er als gutes hellenistisches Koine-Griechisch einstufte. Dieser Aussage zum Trotz vertrat er weiterhin die Auffassung, dass es sich um einen übersetzten Text handele. Diese Lösung ist in Fachkreisen allgemein akzeptiert worden. 1 C. Moore nennt drei Hauptargumente für eine Übersetzung aus einem semitischen Original: (1) »das Vorhandensein korrupter griechischer Lesarten, die ein bestimmtes hebräisches Wort mit zwei sehr unterschiedlichen Bedeutungen voraussetzen von denen der griechische Übersetzer offensichtlich die falsche gewählt hat«; (2) »Lesarten die sich am besten als Hebraismus erklären lassen« (3) »syntaktische 1.

Ein Grund für die Plausibilität dieser Annahme war auch, dass sich der Brief offensichtlich an Juden in der babylonischen Diaspora wendet, wo eher ein semitischsprachiger Hintergrund angenommen werden kann. [SK] 2. Textüberlieferung und Editionen

607

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

Hebraismen, wie die wiederholte Verwendung eines griechischen Futurtempus für das Präsens und die wortwörtliche Wiedergabe hebräischer Konstruktionen mit dem Infinitivus absolutus« (Moore, Additions, 326). Trotz der weithin akzeptierten Ansicht, dass es sich bei EpJer um eine Übersetzung handelt, gibt es im Text auch Anhaltspunkte für eine von Haus aus griechische Komposition. Allgemein kann gesagt werden, dass das Griechische der EpJer von dem anderer Bücher der LXX und des OG in verschiedenen Punkten abweicht: (1) es ist reich an verbindenden Partikeln wie τε oder οὖν, die in unstrittigen Übersetzungen seltener vorkommen; (2) der/die Autor/in verwendet deutlich weniger Parataxen als sie in den meisten übersetzten Büchern vorkommen. (3) EpJer enthält nur einen geringen Gebrauch von Strukturwörtern [bzw. »Formwörtern«] wie Präpositionen die im idiomatischen griechischen Gebrauch selten sind; (4) sie benutzt Verbaladjektive, die in anderen übersetzten Büchern nicht vorkommen; (5) sie fügt häufig Wörter oder Teilsätze zwischen Elementen ein, die im Hebräischen nicht getrennt werden können, z. B. zwischen den bestimmten Artikel und das von ihm bestimmte Nomen; (6) sie benutzt Wörter und Teilsätze die nicht an anderen Stellen der LXX / des OG vorkommen oder sehr selten sind. Man kann mit Naumann folgern, dass EpJer gut in den Rahmen des Koine-Griechisch passt. Die als starker Beweis für eine Übersetzung vorgebrachten Passagen scheinen deutlich weniger beweiskräftig zu sein, wenn man sie aus der Perspektive einer Komposition herausbetrachtet. Die Probleme werden im Folgenden anhand jeweils eines Beispiels aus den drei Kategorien von Moore erläutert: (1) Nach der Beobachtung wie die nichtjüdischen Heiden ihre Götterbilder »wie Menschen« schmücken, liest EpJer: οὗτοι δὲ οὐ διασῴζονται ἀπὸ ἰοῦ καὶ βρωμάτων, »aber sie werden nicht sicher vor Rost und Nahrung geschützt« (V. 11). 2 Moore vertritt die Auffassung, dass dieses Wort eine Falschlesung des originalen hebräischen. Wortes mit den Konsonanten ‫ מאכל‬sei. Der/die Übersetzer/in las sie als maʾ akal, »Nahrung«, statt meʾ okel, »von einem Gierigen« oder vielleicht auch »Motten« (cf. Mal 3,11 LXX). Diese Passage kann nichtsdestotrotz in den Rahmen einer Komposition verortet werden. Naumann schlug 1913 einen Weg vor: Obwohl das Wort βρῶμα im klassischen Griechisch in der Regel als »Nahrung« oder »Brot« aufgefasst wird, wenn es in dieser Passage mit ἰός verwendet wird, muss es in etwa »Verfälschung, Verfall« bedeuten. Diese Bedeutung findet sich bei Hippokrates und [Pedanios] Dioskorides [1. Jh. n. Chr.], wo es den Verfall (eines Zahns) oder ein Krebsgeschwür bezeichnet. PseudoGalen (2. Jh. n. Chr.) benutzt das Wort als »fauler Geruch« oder »Dreck«. Naumann schlägt aus lexikographischen Erwägungen heraus vor, dass βρωμάτων der früheste Nachweis in der griechischen Literatur für eine Bedeutung sei, die erst später regulär so verwendet wurde. Aber selbst wenn man das Wort mit »Nahrung« übersetzt, passt die Passage in den 2.

LXX.D übersetzt mit dem hier doppeldeutigen Wort »Fraß«; auf das Problem wird in der Fn. hingewiesen

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

Kontext: Vers 7 beginnt mit der Behauptung, dass die mit Gold und Silber überzogenen hölzernen Zungen der Götzenbilder zwar poliert werden, aber dennoch nicht sprechen können. Zudem stehlen die Priester die Verzierungen der Götzenbilder um Gold und Silber für sich selbst und Prostituierte zu verwenden. V. 10 endet parenthetisch mit »Göttern/Göttinnen aus Silber und Gold und Holz«. Durch V. 11 wird dargelegt, dass die Götzenbilder nicht »vor Rost und βρώματα« geschützt sind. Die Objekte dieses Satzteiles sind die Götter/Göttinen aus Silber und Gold und Holz, wie es in V. 10 erwähnt wurde. Die zerstörenden Auswirkungen von Rost und βρώματα betreffen sie. »Rost« bezieht sich am wahrscheinlichsten auf Metalle und βρώματα auf die Hölzer in Vorwegnahme von V. 19, in dem »kriechende Dinge« die hölzernen Ausstattungen auffressen. Der/die Autor/in parallelisiert Metalle – sie korrodieren – und Holz – es ist Nahrung von Schädlingen. D. h. aber: keine der Erklärungen erfordert die Annahme einer Falschlesung eines unbekannten hebräischen Textes. (2) V. 54 liest: »Sie sind wie Krähen zwischen Himmel und Erde« (ὥσπερ γὰρ κορῶναι ἀνὰ μέσον τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς). Aufgrund der augenscheinlich unangemessenen Art des Bildes berief Ball sich auf die syrische Übersetzung, die »wie die Raben«, kʿ rbym, liest. Auf dieser Grundlage argumentierte er, dass das »originale« Hebräisch kʿ bym »wie die Wolken«, gelautet haben müsse, wobei sich der griech. Übersetzer verlesen habe. Bei Berücksichtigung aller Argumente ergibt sich jedoch, dass die syrische Übersetzung nach einer griechischen Vorlage hergestellt wurde; in diesem Fall ist die Lesart »wie die Raben«, das was der syrische Übersetzer unter den griechischen »Krähen« verstand. Jede Ähnlichkeit mit dem hebräischen Wort für »Wolken« ist zufällig. Über die Bedeutung des Bildes muss auf der Grundlage des griechischen Textes gesprochen werden, eine Aufgabe die dadurch verkompliziert wird, dass der Satz kaum Verbindung zu dem ihm umgebenden Text aufweist. (3) V. 4 enthält eine Passage, von der allgemein angenommen wird, dass sie den hebräischen Infinitivus absolutus abbildet: »Nehmt euch nun in Acht, damit nicht auch ihr den Fremdstämmigen ganz und gar gleich werdet« (εὐλαβήθητε οὖν μὴ καὶ ὑμεῖς ἀφομοιωθέντες τοῖς ἀλλοφύλοις ἀφομοιωθῆτε), der doppelte Gebrauch des ἀφομοιόω zeigt die hebr. Konstruktion an. Zwei Argumente stehen dieser These entgegen: Zunächst stehen die zwei Elemente des hebr. Infinitivus absolutus, ein finites Verb und eine Infinitiv, direkt hintereinander, ohne Wörter dazwischen. In der EpJer trennt der Teilsatz τοῖς ἀλλόφυλοις das Partizip vom Verb ab und weicht somit von der hebräischen Reihenfolge der Wörter ab. Die Wendung stimmt damit nicht mit der üblichen Wiedergabe des Infinitivus absolutus in der LXX überein, die Elemente in der Regel unmittelbar miteinander verbunden bleiben. Außerdem kann der Gebrauch eines Partizips und eines finiten Verbs mit derselben Wurzel als ein Beispiel für eine Paranomasie, ein Wortspiel, das auch ein typisches Merkmal der griechischen Rhetorik ist, interpretiert werden. (4) In der Regel wird als Beweis einer Übersetzung von EpJer eine weitere Passage genannt: V. 69 enthält den Teilsatz »eine Vogelscheuche im Gurkenfeld«, der von Jer 10,5 abgeleitet ist, und nur in der hebräischen, nicht aber in der OG Version des Jeremiahtextes zu finden ist. Selbst wenn man annimmt, dass der Autor den Satz aus der hebr. Version des Jeremiah kenne (und es gibt weitere Möglichkeiten), zeigt sein Vorkommen jedoch nur, dass der Autor Hebräisch konnte; es beweist nicht, dass es sich bei dem gesamten Werk um eine Übersetzung handelt. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

609

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

Betrachtet man die gesamte Beweislage, ist die Behauptung einer Übersetzung durchaus problematischer als in den letzten Jahren angenommen wurde und eine Komposition auf Griechisch scheint gut möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich zu sein. Im besten Fall sind die Beweise vermischt oder nicht beweiskräftig.

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Um das Datum des griech. Textes zu bestimmen, verließ sich die Forschung meistens auf zwei Beweise außerhalb der LXX. Zum einen wurde in Qumran ein kleines Fragment (7Q2) des (griechischen!) EpJer-Textes, bestehend aus 22 vollständigen oder teilweise vollständigen Buchstaben gefunden. 3 Dieser Text scheint mit der Ausgabe des Lukianischen Texts von Ziegler und dem syrischen Text übereinzustimmen. Baillet / Milik / DeVaux schlagen für das Fragment ein Datum um 100 v. Chr. vor. Außerdem stellt 2Makk 2,2 fest, dass Jeremia die Nachgeborenen (bzw. die Deportierten), 4 aufgefordert habe, »die Gebote des Herrn nicht zu vergessen und in ihrer Einstellung nicht abzuirren, wenn sie goldene und silberne Kultbilder und den sie umgebenden Schmuck sähen.« Dieser Satz erinnert an die Polemik gegen die Kultbilder in EpJer und könnte eine Anspielung darauf sein. In 2Makk finden sich keine unmittelbaren sprachlichen Bezüge, die diese Identifikation bestätigen könnten und das umgebende Textmaterial stammt auch nicht aus der Epistel. Selbst dann, wenn 2Makk und EpJer mindestens der gleichen Tradition angehören und man zusätzlich das Qumran-Fragment und Naumanns Feststellungen über den Charakter des verwendeten Griechischs heranzieht, kann EpJer vermutlich irgendwann aus dem zweiten Jh. v. Chr. stammen. Diejenigen, die annehmen, dass EpJer auf Hebr. (oder Aram.) komponiert wurde blicken in der Regel auf V. 2 um einen Anhaltspunkt für das Alter des hebräischen Texts zu erhalten. Der Autor mahnt die Deportierten, einen langen Aufenthalt in Babylon zu erwarten, »bis zu sieben Generationen«. Diese Angabe würde auch die Erfahrung aufnehmen, dass sich Jeremias Prophezeiung einer Wiederherstellung in 70 Jahren (29,10) als falsch erwiesen hatte. Wenn man eine Generationendauer von 40 Jahren annimmt, käme man, von der Deportation 587 v. Chr. an gerechnet, auf ungefähr 317 v. Chr. für die Entstehung des Briefes. Im Text finden sich jedoch keine Anhaltspunkte für solch eine spezifische Berechnung. Unter der Berücksichtigung des Datums der Entstehung des griech. Textes wahrscheinlich im 2. Jh. wäre ein hebräisches Original (sofern eines existierte), aus dem 3. Jh. v. Chr. gut denkbar. Die Herkunft von EpJer scheint nur schwierig einwandfrei feststellbar zu sein. Der Brief richtet sich an die, »die […] gefangen nach Babylon weggeführt werden« (V. 1); in Analogie zu Jer 29 könnte damit Palästina als Entstehungsort vorausgesetzt sein. Der Text konzentriert sich auf mesopotamische Religionen, der einzige direkt genannte Gott ist Bel (V. 40). Andere kultische Bezüge zeigen zumindest gewisse Kenntnisse religiöser Praktiken in Babylon, die mit der Verehrung von Tammuz einhergehen. Der Brief zeigt keinen Einfluss oder Kenntnis religiöser Praktiken Ägyptens. Am ehesten 3. 4.

Baillet, M. / Milik, J. T. / de Vaux, R. (Hg.), Les ›petites grottes‹ de Qumrân, DJD 3, 1962 (= DJD 3). Hier gibt es zwei unterschiedliche Lesarten (Nachgeborene / Verschleppte), die sich im Griechischen nur wenig unterscheiden; s. LXX.D 696, Fn. zu 2,1.

610

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

möglich scheint es, dass EpJer in Palästina beheimatet ist, auch wenn eine babylonische Herkunft nicht ausgeschlossen werden kann.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Die Juden in der Zeit des zweiten Tempels besaßen eine Reihe von Traditionen über den Propheten Jeremias, darunter die Paraleipomena Jeremias [= 4Baruch], 2Makk 2,1-4, 4QApokryphon Jeremias und Traditionen, die bei Eupolemus berichtet werden. Auch wenn V. 1 EpJer als einen Brief ausweist, polemisiert der Text gegen Götzenbilder und spottet über ihre Anbetung. Moore charakterisiert ihn als eine »Tirade« (317). Der Text ist in zehn Strophen aufgeteilt, von denen jede mit demselben Refrain endet, der die Adressaten ermuntert diese sogenannten Götter nicht zu fürchten (vgl. Vv. 14.22.28.39.44.51.56.64.68.72), gefolgt von einem abschließenden Teil. In diesem kurzen Text ist kein klares Muster und kein klarer Gedankengang erkennbar. Auch wenn EpJer unter dem Einfluss einer Reihe von Texten gegen Götzenverehrung steht (vgl. Dtn 4,27-28; Jes 46,6-7; Ps 115,3-8), ähnelt sie doch am meisten dem Text Jer 10,2-15, der ihr zum Vorbild dient. Der Autor nimmt einen grob vereinfachenden Blick auf nichtjüdische/heidnische Götzenverehrung ein, indem er das Götzenbild mit dem Gott, den es repräsentiert gleichsetzt, eine Sichtweise die auch in anderen jüdischen Texten gegen Götzenverehrung, wie Bel und der Drache und der Weisheit Salomos, zu finden ist. Mehrere Strophen bilden Variationen dieses einen Themas und erklären, wieso Juden diese Götter nicht als echt ansehen sollten: sie sind sogar hilflos sich selbst zu erhalten, zu schützen und zu verteidigen und können daher keine echten Götter sein. Der Autor bemerkt beispielsweise, dass die Priester sich beim Brand eines Tempels in Sicherheit bringen, die Götzenbilder jedoch »werden wie Balken mittendurch verbrennen […] Wie nun darf man annehmen oder meinen, sie seien Götter?« (V. 54.56).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Auch wenn viele Kirchenväter EpJer als kanonisch ansahen und es als christliche Schrift akzeptierten, gab es trotzem einige, die widersprachen, vor allem Hieronymus, der die Schrift als pseudepigraph bezeichnete. Sie scheint keinen klar erkennbaren Einfluss auf spätere jüdische Texte gehabt zu haben und auch nur einen sehr geringen auf christliche. Die Apologie des Aristides, die aus dem 2. Jh. n. Chr. stammt, scheint sie gekannt zu haben, auch wenn sie nicht direkt zitiert ist. Tertullian zitiert in Scorpiace 8 die V. 3-5 und schreibt die Worte Jeremia zu. Cyprians De dominica oratione 5 enthält einen Satz, der als eine Paraphrasierung von V. 5 angesehen werden könnte. In seinem Werk De errore profanarum religionum zitiert Firmicus Maternus, ein Autor des 4. Jh., größere Passagen von EpJer.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

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6.3.4 Epistole Jeremiu / Epistula Ieremiae / Der Brief des Jeremia

6. Perspektiven der Forschung Die wohl spannendste, aber ohne neues Material oder neue Zugänge kaum lösbare Frage ist die nach der ursprünglich Griechischen oder Hebräischen (bzw. Aramäischen) Abfassung des Textes. Weiter stellt sich, vor allem auf Grund des Qumranfundes, die Frage nach den Textformen. Welche Bedeutung hat die Übereinstimmung des Qumranfundes mit dem Antiochenischen Text für die Textgeschichte und die Kriterien für die Textrekonstruktion und wie kam es zu den unterschiedlichen Textformen? [SK]

612

6. Perspektiven der Forschung

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel Johan Lust

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Ezechiel, Mit einem Nachtrag von Detlef Fraenkel, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XV, Göttingen 1957, 20063.

1.2 Qumran-Texte 1QEz = 1Q9 (DJD I) — 3QEz = 3Q1 (DJD III) — 4QEza.b.c. = 4Q73.74.75 (DJD XV) — 11QEz = 11Q4 (DJD XXIII) — MasEz = Mas1d (Talmon, S. / Yadin, Y., Massada VI. Final Reports, Jerusalem 1999) — (Zu den ca. 30 Zitaten und Anspielungen siehe HTTM 330-333). BQS 584-589 — HTTM 325-334. — Die wesentlichen Varianten sind auch in BHS und (künftig) in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Jahn, G., Das Buch Ezechiel auf Grund der Septuaginta hergestellt, übersetzt und kritisch erklärt, Leipzig 1905 — Hubler, J. N., Iezekiel, NETS, Oxford 2007, 20092, 946-985 — Olley, J. W., Ezekiel. A Commentary based on Iezekiel in Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2009, 3-64 — Hammerstaedt-Löhr, A. / Konkel, M. / Löhr, H. / Usener, K., Jezekiel / Hesekiel, LXX.D, Stuttgart 20102, 1362-1416 — Hammerstaedt-Löhr, A. / Konkel, M. / Löhr, H. / Stolle, V. / Usener, K., Jezekiel / Hesekiel, LXX.E, Stuttgart 2011, 2849-3007.

1.4 Weitere Literatur 1.4.1 Textausgaben Fernandez-Galiano, M., Nuevas Paginas del codice 967 del A.T. griego, S Pap 10 (1971), 7-76 — Fränkel, D., Nachtrag (mit Angaben zu Ms 988 und voller Kollation von P 967) in: J. Ziegler, Ezechiel, Gö XVI,1, Göttingen 2006, 331-352 — Jahn, L. G., Der griechische Text des Buches Ezechiel, nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, PTA 15, Bonn 1972 — Johnson, A. C. / Gehman, H. S. / Kase, E. H., The John H. Scheide Biblical Papyri: Ezekiel, Princeton 1938 — Kenyon, F. G., Ezekiel, The Chester Beatty Biblical Papyri 7. Text, London 1937 — Kenyon, F. G., Ezekiel, The Chester Beatty Biblical Papyri 7. Plates, London 1938.

1.4.2 Übrige Literatur Aejmelaeus, A., Parataxis in the Septuagint. A Study of the Renderings of the Hebrew Coordinate Clauses in the Greek Pentateuch, AASF, Helsinki 1982 — Barr, J., ›Thou art the Cherub‹ : Ezekiel 28.14 and the Post-Ezekiel Understanding of Genesis 2-3, in: E. Ulrich (Hg.), Priests, Prophets and Scribes. Essays on the Formation and Heritage of Second Temple Judaism (FS J. Blenkinsopp), JOTS 149, Sheffield 1992, 213-223 — Barr, J., Did the Greek Pentateuch Really Serve as 1. Literatur

613

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

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614

1. Literatur

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

and His Book, BEThL 74, Leuven 1986 — Lust, J., The Use of Textual Witnesses for The Establishment of The Text. The Shorter and Longer Texts of Ezekiel. Ein Beispiel: Ez 7, in: ders. (Hg.), Ezekiel and His Book, BEThL 74, Leuven 1986, 7-20 — Lust, J., Exegesis and Theology in the Septuagint of Ezekiel. The Longer »Pluses« and Ezek 43:1-9, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SBL.SCS 23, Atlanta/GA 1987, 201-232 — Lust, J., And I shall Hang Him on a Lofty Mountain. Ezek 17:22-24 and Messianism in the Septuagint, in: B. A. Taylor (Hg.), IX Congress of the IOSCS. Cambridge 1995, SBL.SCS 45, Atlanta/GA 1997, 231-250 — Lust, J., Gathering and Return in Jeremiah and in Ezekiel. Updating Notes, in: P.-M. Bogaert (Hg.), Le Livre de Jérémie, BEThL 54, Leuven 1972, 119-142 und 428-430 — Lust, J., A Lexicon of the Three and the Transliterations in Ezekiel, in: A. Salvesen (Hg.), Origen’s Hexapla and Fragments. Papers presented at the Rich Seminar on the Hexapla, Oxford Centre for Hebrew and Jewish Studies, 25th July – 3rd August 1994, TSAJ 58, Tübingen 1998, 274-301 — Lust, J. / Hauspie, K. / Ternier A., Notes to the Septuagint: Ezekiel 6 and The Double Name, ETL 76 (2000), 396-403 — Lust, J., Syntax and Translation Greek, ETL 77 (2001), 395-401 — Lust, J., Textual Criticism of the Old Testament and of the New Testament: Stepbrothers?, in: A. Denaux (Hg.), New Testament Textual Criticism and Exegesis (FS J. Delobel), BEThL 161, Leuven 2002, p.15-31 — Lust, J., Major Divergences Between lxx and mt in Ezekiel, in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible. The Relationship between the Masoretic Text and the Hebrew Base of the Septuagint Reconsidered, SBL.SCS 52, 2003, Leiden 83-89 — Lust, J., Collected Essays, BEThL 178, Leuven 2004 — Lust, J., Edom – Adam in Ezekiel, in MT and in LXX, in: P. W. Flint / E. Tov / J. C. Vanderkam (Hg.), Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint (FS E. Ulrich), Leiden 2006, 387-401 — Lust, J., The Spirit of the Lord, or the Wrath of the Lord? Ez 39,29, ETL 78 (2002), 148-155 — Lust, J., Multiple Translators in LXX-Ezekiel and Modern Translations of the Septuagint, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen, 654669 — Lust, J., The King of Tyre, in: A. Piquer Otero / P. A. Torijano Morales (Hg.), Textual Criticism and Dead Sea Scrolls (FS J. Trebolle Barrera), JSJ.S 157/158, Leiden 2012, 223-239 — Lust, J., Ezekiel in the Old Greek and in the ›Recentiores‹, with Special Emphasis on Symmachus, in: S. Kreuzer / M. Meiser / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 167-181 — Marquis, G., Word Order as a Criterion for the Evaluation of Translation Technique in the LXX and the Evaluation of Word Order Variants as exemplified in LXX-Ezekiel, Textus 13 (1986), 59-84 — Marquis, G., Consistency of Lexical Equivalents for the Evaluation of Translation Technique as Exemplified in LXX-Ezekiel, in: C. E. Cox (Hg.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Jerusalem 1986, SBL.SCS 23, Atlanta/GA 1987, 425-444 — Marquis, G. / McGregor, J. L., The Greek Text of Ezekiel, JQR 83 (1993), 440-444 — McGregor, J. L., The Greek Text of Ezekiel. An Examination of Its Homogeneity, SBL.SCS 18, Atlanta/GA 1985 — Munnich, O., Le messianisme à la lumière des livres prophétiques de la Bible grecque, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 327-355 — Olley, J. W., Ezekiel LXX and Exodus Comparisons, VT 59 (2009), 116-122 — Patmore, H., Did the Masoretes Get it Wrong? The Vocalisation and Accentuation of Ezekiel xxviii 12-19, VT 58 (2008), 145-257 — Pohlmann, K.-F., Ezechiel. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2008, 23-27.127-130 — Raurell, F., ›Doxa Kuriou‹ in Ez-LXX: Between Nationalism and Unversalism, EstFranc 85 (1984), 287-312 — Raurell, F., The Polemical Role of the ἄρχoντες and ἀφηγούμενοι in Ez LXX, in: J. Lust (Hg.), Ezekiel and His Book, BEThL 74, Leuven 1986, 85-89 — Rösel, C., JHWHs Sieg über Gog aus Magog, WMANT 132, Neukirchen-Vluyn 2012 — Scatolini Apóstolo, S. S., Ezek 36, 37, 38 and 39 in Papyrus 967 as a Pretext for Re-Reading Ezekiel, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 331-358 — Schenker, A., Das Allerheiligste in Ezechiels Tempel war ein Hof. Die Tragweite der Ursprünglichen Septuaginta in Ez 41,1-4, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in 1. Literatur

615

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 359-369 — Schwagmeier, P., Untersuchungen zur Textgeschichte und Entstehung des Ezechielbuches in masoretischer und griechischer Überlieferung (Inauguraldiss.), Zürich 2004 (ungedruckt) — Sedlmeier, F., Studien zu Komposition und Theologie von Ezechiel 20, SBB 21, Stuttgart 1990 — Sollamo, S., Renderings of Hebrew Semiprepositions in the Septuagint, Annales Acad. Scientiarum Fennicae. Diss. hum. lit., 19, Helsinki 1979 — Spottorno, V., La omisión de Ez 36b-38 y la transposicion de capitulos en el papiro 967, Emerita 50 (1982), 93-98 — Thackeray, H. St. J., The Greek Translators of Ezekiel, JTS 4 (1903), 398-411 — Thackeray, H. St. J., The Septuagint and Jewish Worship. The Schweich Lectures 1920, London 1921 — Tov, E., The Septuagint Translation of Jeremiah and Baruch, Missoula/MT 1976 — Tov, E., The Impact of the LXX Translation of the Torah on the Translation of the Other Books, in: P. Caseti / O. Keel / A. Schenker (Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy, OBO 38, Fribourg / Göttingen 1981, 577-592 — Tov, E., The Hebrew and Greek Bible: Collected Essays on the Septuagint, Leiden 1999 — Turner, N., The Greek Translators of Ezekiel, JTS 7 (1956), 12-24 — Turner, P. D. M., The Septuagint Version of Chapters i-xxxix of the Book of Ezekiel (Oxford thesis 1970 and 1995) — Turner, P. D. M., The Translator(s) of Ezekiel Revisited. Idiosyncratic Renderings as a Clue to Inner History, in: R. Sollamo / S. Sipilä (Hg.), Helsinki Perspectives on the Translation Technique of the Septuagint, Publ. of the Finnish Exegetical Soc. 82, Helsinki / Göttingen 2001, 279-307 — van der Kooij, A., The Oracle of Tyre: The Septuagint of Isaiah XXIII As Version and Vision, Leiden 1998 — van der Kooij, A., The Septuagint of Ezekiel and Hasmonaean Leadership, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 437-446 — van der Kooij, A., The Septuagint of Ezekiel and the Profane Leader, in: H. J. de Jonge / J. Tromp (Hg.), The Book of Ezekiel and Its Influence, Aldershot 2007, 43-52 — van Rooy, H. F., The Peshitta of Ezekiel and the Septuagint: A Study of the two Traditions in Ezekiel 1, OTE 18 (2005), 394-205 — van Rooy, H. F., The Treatment of hapax legomena in MT Ezekiel, in LXX Ezekiel and Peshitta: A Comparative Study, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception, VT.S 127, Leiden 2009, 263-279 — Wifstrand, A., Die Stellung der enklitischen Personalpronomina bei der Septuaginta, K. Humanistiska Vetenskapssamfundets i Lund 1949-1950, II, Lund 1950, 44-70 — Wevers, J., Evidence of the Text of the John H. Scheide Papyri for the Translation of the Status Constructus in Ezekiel, JBL 70 (1951), 211-216 — Wilson, R. R., The Death of the King of Tyre: The Editorial History of Ezekiel 28, in: J. H. Marks / R. M. Good (Hg.), Love and Death in the Ancient Near East (FS Marvin H. Pope), Guilford/CT 1987, 221217 — Wong, K. L., The Masoretic and Septuagint Texts of Ezekiel 39,21-29, ETL 78 (2002), 130147 — Wong, K. L., The prince of Tyre in the Masoretic and Septuagint Texts of Ezekiel, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johan Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 447-461 — Ziegler, J., Die Bedeutung der Chester Beatty–Scheide Papyrus 967 für die Textüberlieferung der Ezechiel-Septuaginta, ZAW 61 (1945-48), 74-96 = ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 321-339 — Ziegler, J., Zur Textgestaltung der Ezechiel-Septuaginta, Bib 34 (1953), 435-455 = ders., Sylloge. Gesammelte Aufsätze zur Septuaginta, MSU 10, Göttingen 1971, 394-414 — Zimmerli, W., Ezechiel, BKAT 13/1 & 13/2, Neukirchen-Vluyn 1969.

2. Textüberlieferung und Editionen 2.1 Handschriften Die frühesten Septuaginta-Gesamttexte Ezechiels sind im Codex Vaticanus (B; 4. Jh. n. Chr.), im Codex Alexandrinus (A; 5. Jh. n. Chr.), im Codex Marchalianus (7. Jh. n. Chr.) und im Codex Venetus (V, 8. Jh. n. Chr.) überliefert. Der Großteil des Textes, 616

2. Textüberlieferung und Editionen

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

von 11,25 bis zum Ende (48,35) findet sich auch im Unzialschrift-Papyrus 967 (P967, 2.– 3. Jh. n. Chr.). Leider findet sich Ez nicht im noch vorhandenen Teil des Codex Sinaiticus. Eine ausgezeichnete kritische Edition des griechischen Textes wurde von Ziegler bereitgestellt. 1 Als er seine Arbeit 1952 innerhalb der Göttinger Septuaginta-Reihe publizierte, verfügte er jedoch noch nicht über die Ez-Fragmente des Antinoopolis Papyrus (P988, 4. Jh. n. Chr.), die die Teile 33,27-31 und 34,1-5.18-24.26.30 enthalten. Zusätzlich waren ihm nur die Teile, die zu Chester Beatty und dem John H. Scheide Papyrus von P967 2 gehören zugänglich. Ziegler selbst kollationierte die Indizien für die Antinoopolis-Fragmente gemeinsam mit seiner Ez-Ausgabe und publizierte die gewonnenen Daten in Susanna, Daniel, Bel et Draco. 3 Die später entdeckten substantiellen Abschnitte von P967 wurden durch D. Fraenkel kollationiert und gemeinsam mit der Zusammenstellung der Antinoopolis-Fragmente als »Nachtrag« in die zweite Ausgabe von Zieglers Ez-Edition 4 aufgenommen. Ziegler ordnete die Zeugen fünf Gruppen zu: 1. Der B-Text. Diese Gruppe enthält B, P967, P988 und die frühen Tochterübersetzungen: die Vetus Latina (La), den koptischen Text und einige Zitationen in den Kirchenvätern, speziell bei Tyconius. Nach der Auffassung Zieglers sind diese Texte, speziell B und P967, die vertrauenswürdigsten Zeugen des vorhexaplarischen alten griechischen Textes (LXX*) von Ez. 5 2. Der A-Text. Der hauptsächliche Repräsentant dieser Gruppe ist A. Die Handschriften dieser Gruppe weisen häufig Veränderungen auf, die den Text an die Bedürfnisse griechischer Grammatik und Stil anpassen. 6 3. Die hexaplarische Rezension. Hier sind die hauptsächlichen Zeugen der Codex Marchalianus (Q, 6. Jh. n. Chr.), der Codex Chisianus (88, 10. Jh. n. Chr.) und die Syrohexapla. In mehreren Fällen passen sie den Text an den Masoretischen Text an (M). 4. Die lukianische Textform. Diese ist in einer Reihe von Minuskeln, im Codex Venetus (V, 7. Jh. n. Chr.) und im ältesten patristischen Kommentar zu Ez von Theodoretus Cyrensis (5. Jh. n. Chr.) bewahrt. 5. Die Katenengruppe. Die Entdeckung und die Edition der noch erhaltenen Teile von P967 gaben der Erforschung von LXX-Ez einen neuen Impuls. Die bewahrten Teile des Papyrus enthalten den Großteil von Ez 11,25-48,35. Der Text des 37. Kapitels folgt auf Kapitel 39. Zudem hat der Papyrus keine Entsprechung zu 36,23c-38. Daraus ergibt sich, dass das Orakel gegen Gog in den Kapiteln 38 und 39 direkt auf 36,23b folgt und die Vision der Revitalisierung der verdorrten Gebeine in Kapitel 37 einleitet. Der einzige andere Textzeuge für diese Kapi1. 2. 3. 4. 5. 6.

Ziegler, Ezechiel. Die Edition von P967 ist über mehrere Bücher und Zeiträume verteilt; s. Literaturverzeichnis 1.4.1 und Kreuzer, Papyrus 967, 65 f. Gö xvi, 2, 1954, 77-88. Ziegler, Ezechiel, 331-332 und 332-352. Ziegler, Ezechiel, 28. Ziegler, Ezechiel, 81. 2. Textüberlieferung und Editionen

617

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

telanordnung und das Fehlen des genannten Passus aus Kap. 36 ist der altlateinische Codex Wirceburgensis.

2.2 Tochterübersetzungen 2.2.1 Vetus Latina (VL) Große Teile der alten lateinischen Übersetzung sind im Rahmen dreier Handschriften erhalten geblieben: dem Codex Wirceburgensis (6. Jh.), 7 dem Codex Constantiensis (5. Jh.) und den Fragmenta Sangallensia (9. Jh.). Eine Übersicht über die verfügbaren Texte findet sich bei Ziegler in der Septuagintaausgabe. 8 In seinem Kommentar gibt auch Hieronymus 9 den VL-Text wieder, wenn dieser signifikante Unterschiede zum Vg-Text (Vulgata, durch Hieronymus direkt aus dem Hebräischen übersetzt) aufweist. VL unterstützt den vorhexaplarischen Text. Genauer gesagt stimmt der Codex Wirceburgensis mit dem in P967 bezeugten Text überein. Nach einer überzeugenden Rekonstruktion durch P.-M. Bogaert 10 entspricht die Reihenfolge der Kapitel in diesem Codex der des Papyrus. 2.2.2 Koptische, syrische und weitere antike Übersetzungen Es sind zwei Versionen der koptischen Übersetzung zu unterscheiden. Die sahidische Version ist nur teilweise erhalten. Die bohairische Version ist vollständig, es sind jedoch nur die Kapitel 1–36 aus dem Griechischen übersetzt, während die Kapitel 37–48 direkt aus dem Hebräischen übersetzt zu sein scheinen. 11 Die syrohexaplarische Übersetzung ist ein wichtiger Zeuge des hexaplarischen Texts. Sie enthält zudem eine Anzahl von Zitaten der Recentiores Aquila, Symmachus und Theodotion. 12 Die äthiopische Version ist ein relativ freier Text. Die arabische Übersetzung stellt eine sorgfältige Wiedergabe des griechischen A-Textes dar. Die armenische Übersetzung ist nicht einheitlich, in der Regel gibt sie jedoch den hexaplarischen Text wieder.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1 Übersetzungstechnik und sprachliches Profil 3.1.1 Wortschatz und Homogenität Eine ausgezeichnete Übersicht zum Wortschatz von LXX-Ezechiel bietet Olley. 13 An dieser Stelle beschränken wir uns auf seine Homogenität. Im 20. Jahrhundert ist die 7. Die bibliographischen Verweise der drei Mss sind in Zieglers Ausgabe der Zwölf Propheten gegeben: Gö xiii, 19843, 15. 8. Ziegler, Ezechiel, 13-14. 9. Glorie, Hieronymi. 10. Bogaert, Le témoignage; etwas zurückhaltender Kreuzer, Papyrus 967, 73, Fn. 19. 11. Für bibliographische Verweise zu den Ausgaben vgl. Ziegler, Ezechiel, 15-16. 12. Vgl. Ziegler, Ezekiel, 17 und 34. 13. Olley, Ezekiel, 19-31. Bei seiner Behandlung des Gottesnamens sollte beachtet werden, dass er

618

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Frage nach der Homogenität der Übersetzung das hauptsächliche Interesse der Erforschung LXX-Ezechiels. 1903 stellte Thackeray seine Auffassungen zu den drei Teilen der LXX-Version Ezechiels vor. 14 Seitdem sind die Debatten in diesem Themenbereich größtenteils durch die Theorie mehrerer Verfasser bestimmt worden. Eine 1985 von McGregor verfasste Monographie 15 befasst sich ausschließlich mit dieser Problematik. Seiner Auffassung nach ist die griechische Übersetzung Ezechiels nicht homogen. Es existierten drei große, von einander unterschiedene Abschnitte, nämlich 1–25, 26–39 und 40–48. Die beste Erklärung für die Unterschiede zwischen den ersten beiden großen Abschnitten (Kapitel 1–25 und 26–39) ist nicht die Revision eines dieser Abschnitte, sondern die Übersetzung der beiden Abschnitte durch verschiedene Personen. 16 Die Frage der Kapitel 40–48 wird als weniger ausschlaggebend betrachtet. In den meisten früheren Studien, die sich auf einer Linie mit Thackeray befanden, wurde Textvarianten keine große Bedeutung zugemessen. Dies änderte sich mit der Veröffentlichung von Teilen des Papyrus 967 17. Nach der Meinung Kases, eines Herausgebers, 18 zeigt der durch den Papyrus bezeugte Text deutlich, dass es zunächst nur einen einzigen Übersetzer gegeben hat, aber dass die Kapitel 1–27 einer sporadischen Revision unterzogen wurden. Innerhalb seiner detaillierten Untersuchungen des griechischen Ez-Textes, tendiert Ziegler 19 zur Haltung Kases, der die Theorie eines Einzelübersetzers vertritt. Er betont, dass der Übersetzer dasselbe hebräische Wort auf verschiedene Weisen ausdrückt, auch wenn diese Wörter mit nur wenigen Versen Abstand voneinander auftauchen. Peter Katz (= P. Walters) wiederum unterstützt Zieglers Methode der Untersuchung insoweit die Homogenität betroffen ist. 20 Muraokas Besprechung der Monographie McGregors bietet auf der anderen Seite interessante methodologische Überlegungen und lexikographische Hinweise, die der Annahme mehrerer Übersetzer neue Nahrung geben. 21 Insgesamt scheinen die Argumente, die eine Homogenität der Übersetzung nahe legen, die gewichtigeren zu sein.

3.1.2 Bemerkenswerte Varianten Die Mehrheit der Übersetzungsbeispiele, die für die Annahme verschiedener Übersetzungen herangezogen werden, befasst sich mit individuellen Wörtern. McGregor listet sie in der Reihenfolge ihrer Bedeutungskraft auf. 22 Die meisten dieser Listenbestandteile sind jedoch irrelevant, da sie auch auf einen Übersetzer, der seine Meinung ge-

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

seine Beobachtungen ausschließlich auf Ms B beschränkt. Ein Vergleich mit den Daten aus P967 unterstreicht die Homogenität der Übersetzung des Namens. Vgl. Thackeray, Translators, 398-411; zudem vgl. Worship, 37-39; 118-129. Vgl. McGregor, Greek Text. Greek Text, 136. McGregor unterscheidet außerdem zwei kleinere Abschnitte: Kap. 16 und 36, 23c-38 (197). Bzgl. dieses Papyrus, vgl. z.B Lust, Oldest Greek; Kreuzer, Papyrus. Translator(s) of Ezekiel, in: Johnson / Gehman / Kase, Scheide-Papyri, 52-73, spez. 73. Ziegler, Textgestaltung, 435-455 (= ders., Sylloge, 1971, 394-414), spez. 440 ff. Katz, Studies, 176-208, spez. 196-197. Muraoka, McGregor, 84-87. McGregor, Greek Text, 96. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

ändert hat oder etwas Variation bevorzugte, hindeuten können. In seiner Besprechung lenkt Muraoka die Aufmerksamkeit auf die von ihm als »bemerkenswert« und »signifikant« bezeichneten Varianten. Diese reflektierten die theologische Tendenz eines bestimmten Übersetzers beziehungsweise seine Ignoranz dem Hebräischen gegenüber. Die interessantesten Beispiele sind jene, in denen Ez α ein hebräisches Wort korrekt wiedergibt, Ez β seine Bedeutung jedoch zu ignorieren scheint. 23 Theoretisch bieten die bemerkenswerten Varianten überzeugendes Material zur Unterstützung des Modells mehrerer Übersetzer. In der Praxis schwindet ihre überzeugende Kraft jedoch in dem Moment, in dem man den Kontext der berücksichtigten Beispiele mit einbezieht. Als ein Beispiel beziehen wir uns auf die Verwendung von ‫ מכלול‬bei Ez. Muraoka folgend wird dieses Wort in Abschnitt α (23,12) korrekterweise mit εὐπάρυφα wiedergegeben, θώρακας in Abschnitt β als Wiedergabe für das identische hebräische Wort zeugt jedoch von Ignoranz. Das Nomen kommt in Ez allerdings auch nur zwei Mal vor. Seine Wurzel ‫» כלל‬perfekt, vollständig« impliziert, dass seine grundlegende Bedeutung »Perfektion« sein muss. In 23,12 heißt es, dass Oholibas Liebhaber in wunderschönen Kleidungsstücken perfekt gekleidet sei. In 38,4 handelt es sich um einen anderen Kontext. Der Hintergrund ist ein Krieg. In diesem Kontext heißt es auch, dass die Soldaten Gogs perfekt gekleidet seien, jedoch nicht in guten Kleidern, sondern in voller Rüstung: (ἐνδεδυμένους) θώρακας. Es scheint an dieser Stelle nicht um Unkenntnis zu gehen. Eine nähere Untersuchung der anderen von Muraoka aufgeführten Beispiele führt zu ähnlichen Ergebnissen. 24 Theoretisch sollte den »bemerkenswerten Varianten«, die in Ez α korrekt übersetzt sind, mehr Gewicht als den in Ez β erwähnten gegeben werden und andersherum. Unstrittige Varianten dieser Art sind jedoch äußerst selten oder existieren gar nicht.

3.1.3 Syntaktische und stylistische Varianten Etwas mehr Aufmerksamkeit sollte wohl syntaktischen und semantischen Hinweisen geschenkt werden. Während ein Übersetzer eine Vielzahl lexikalischer Äquivalente verwenden kann, ist es ihm nicht so einfach möglich, seine stilistischen und syntaktischen Optionen zu verändern. Das erste Beispiel der Veränderung einer Übersetzung in der Liste von McGregor ist tatsächlich kein einzelnes Wort, sondern eine größere Formulierung, die lexikalische, stilistische und syntaktische Aspekte vereint. Es konzentriert sich auf die Wiedergabe der Bestätigungsformel »erkennen dass ich der Herr bin«. Eine nähere Untersuchung der vorliegenden Daten ist an dieser Stelle erforderlich. Bei allgemeiner Bezugnahme auf Handschrift B und auf die Editionen von Rahlfs und Ziegler fällt auf, dass das Vokabular des β-Abschnittes sich klar von dem des α–Abschnittes unterscheidet. Bei Mitberücksichtigung von P967 ist das einzige übrige Element, das für eine klare Trennung zwischen 1–25 und 26–39 spricht, allerdings eher stilistischer und syntaktischer Natur. In 1–25 lässt die Formel konsequent das Hilfsverb

23. Muraoka, McGregor, 86-87. 24. Für eine Diskussion weiterer Beispiele vgl. Lust, Multiple Translators?, 663-665.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

ἐιμί aus und setzt es genauso konsequent in 26–39 ein. Dies setzt nicht notwendigerweise die Arbeit zweier verschiedener Übersetzer voraus. Es könnte auch einfach bedeuten, dass der Übersetzer im ersten Teil der Wortfolge und dem Stil des Hebräischen enger gefolgt ist, als er es im zweiten Abschnitt getan hat, auch wenn es seine griechische Prosa in ein Übersetzungsgriechisch veränderte. Es ist nicht auszuschließen, dass die systematische Vermeidung der Einfügung des Verbs ἐιμί auf einen Revisor konservativen Typs zurückging, der die LXX näher an MT bringen wollte. 25 Ein Vergleich mit den Büchern des Pentateuchs schwächt diese Hypothese jedoch. In diesen Schriften wechseln sich Fälle in denen die Formel mit ἐιμί niedergeschrieben ist, mit denen ab, in denen das Verb fehlt. 26 Meines Wissens hat bisher niemand daraus geschlossen, dass zwei unterschiedliche Übersetzer am Werk waren oder dass ein Revisor interveniert habe. Die Übersetzung der Kombination ‫יהוה אדני‬, die in der Erkenntnisformel und anderswo in Ez regelmäßig verwendet wird, hat in der Diskussion um die Anzahl der Übersetzer eine wichtige Rolle gespielt. Die uniforme Verwendung eines alleinstehenden κύριος in P967 in diesen Fällen in den Abschnitten α und β zeigt, dass die Verteilung von Varianten in anderen Handschriften nicht für sich selbst genommen als Unterstützung einer Theorie mehrfacher Übersetzung oder Revision verwendet werden kann. 27 Ein Vergleich mit anderen stilistischen und syntaktischen Phänomenen in Ezechiel bestätigt die Uniformität der Übersetzung. Eine Erforschung der Behandlung der drei regelmäßig vorkommenden Rahmenformeln, der Wort-Ereignis-Formel, der Botenformel und der Deklarationsformel in den Kapiteln 1–39 durch LXX illustriert dies. 28 In diesen und anderen Belangen kann keine klare Unterscheidung zwischen Ez α und β festgestellt werden. A fortiori kann kein Nachweis für die Theorie mehrerer Übersetzer gefunden werden. Allgemein zeigt die Übersetzung Ezechiels eine bemerkenswerte Einheitlichkeit. Die generelle Folgerung dieses Abschnitts ist notwendigerweise, dass die Trennung zwischen Ez α und β weniger klar ist als normalerweise angenommen wird. Zudem weisen die meisten Indizien eher auf einen Übersetzer hin.

3.1.4 Übersetzungstechnik und Übersetzungsgriechisch In den letzten Jahren begannen wichtige Studienprojekte sich spezifischer mit den Übersetzungstechniken auseinanderzusetzen. Ein Vergleich mit den einschlägigen biblischen Büchern sowie mit nichtbiblischer griechischer Literatur führte zu dem Schluss, dass die LXX-Übersetzung Ezechiels als Ganzes relativ wortgetreu sei. Einige dieser Untersuchungen haben ein eher großes Betätigungsfeld. Für ein Beispiel kann auf die Arbeit Raja Sollamos verwiesen werden. 29 Andere konzentrieren sich speziell 25. Translator(s) of Ezekiel, in: Johnson / Gehman / Kase, Scheide Papyri, 52-73, spez. 73. 26. Die Hinweise in Exodus bieten ein gutes Beispiel: ὅτι ἐγὼ κύριος 6,7; 7,17; 10,2; 16,12; 31,13; ὅτι ἐγὼ εἰμι κύριος 7,5; 8,18; 14,4.18; 29,46; 31,13. 27. Vgl. McGregor, Greek Text, 75-93; Johnson / Gehman / Kase, Scheide-Papyri, 52-73. 28. Der Widerspruch, dass die griechische Sprache eine alternative Wiedergabe der Formeln nur schwer ermöglicht hätte, steht auf unsicheren Füßen. Vgl. Lust, Multiple Translators?, 658-659. 29. Vgl. spez. Sollamo, Semiprepositions, 286. Hier ist Ezechiel innerhalb derjenigen Bücher aufgelistet, die die meisten strikten Wiedergaben beinhalten. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

auf Ezechiel. Hier können John Wevers, Galen Marquis und Johan Lust genannt werden. 30 Ein auffallender Aspekt von LXX-Ezechiel ist, dass sein Griechisch im Charakter hebräisch ist. 31 Eine Illustration dieses Phänomens ist die Wiedergabe des hebräischen status constructus durch ein Nomen ohne den Artikel, obwohl die griechische Sprache diesen normalerweise verlangt. Ein Vergleich: ‫ בית יעקב‬wird in Jesaja nicht wortgetreu als τοῦ οἴκου Ιακωβ (Jes 8,17) wiedergegeben; in Ezechiel lautet die deutlich wortgetreuere Widergabe οἴκου Ιακωβ (Ez 20,5). 32 Das Hauptsymptom des hebräischen Charakters der LXX ist vielleicht die Aufrechterhaltung der hebräischen Wortfolge, auch wenn es die typische griechische Wortfolge durchaus beeinträchtigt. 33 Als ein Beispiel verweisen wir auf die Verwendung der Kopula. Im Hebräischen beginnen viele (Teil-)Sätze, Paragraphen und größere Abschnitte mit der Kopula ‫ו‬. 34 In Ezechiel folgt die Übersetzung in der Regel ihrer Vorlage: 64 Abschnitte beginnen mit der Konjunktion καί, gefolgt durch das Verb ἐγένετο. 35 In mehreren Kapiteln beginnen die meisten Verse mit καί und einem Verb im Indikativ. Von einem Übersetzer, der weniger mit der Wiedergabetreue zur hebräischen Wortfolge als mit griechischem Stil beschäftigt ist, würde man erwarten, dass er den wiederholten Gebrauch von καί zu Beginn eines Satzes vermeidet, vor allem aber zu Beginn eines Abschnittes.

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung 3.2.1 Absolute und relative Chronologie Der genaue Zeitpunkt der Übersetzung ist unsicher. Übersetzer anderer biblischer Bücher wie Jesaja neigen dazu, den Text an ihre eigene Zeit und ihren eigenen Ort anzupassen, was uns erlaubt, ihre Arbeit zu datieren. In LXX-Ezechiel sind historische Anspielungen, sofern überhaupt vorhanden, verschleiert. In 21,31 könnte eine Verbindung zum makkabäischen Hohepriester Jonathan gezogen werden, der den priesterlichen Turban »auszog« und die königliche Krone »anzog«. 36 Einleitungen und Kommentare die sich mit LXX-Ezechiel befassen, versuchen häufig, nicht einmal eine Datierung vorzuschlagen bzw. äußern sich zumindest sehr vage. Nuancierte Hinweise bietet Dorival, der auf das Buch Jesus Sirach verweist. Des30. Wevers, Status Constructus, 211-216; Marquis, Word Order, 59-84; Lust, Multiple Translators?. 31. Lust, Syntax, 395-401; Wevers, Evidence, 211; vgl. zudem Olley, Ezekiel, 17-19. 32. Zu beachten ist, dass für τὸν οἴκον Ισραηλ, im MT ‫ בישׂראל‬steht, und dass P967 τὸν Ισραηλ liest. 33. Wifstrand, Stellung, 44-70. 34. Aejmelaeus, Parataxis, stellt korrekterweise fest, dass die Verwendung von καί als einer Wiedergabe von ‫ ו‬am Beginn eines (Teil-)Satzes »could be found convenient in this respect: καί could be used for ‫ ו‬without deviating from the word order of the original, whereas e. g. δέ never takes the first position in a clause«; vgl. dazu Lust,: Syntax, 397. 35. In 2Makk, geschrieben auf Griechisch, ist dieses Merkmal gar nicht vorhanden. In 40 der 64 Fälle in Ezechiel beginnen die (Teil-) Satzmerkmale zu Beginn einer größeren Einheit in der Wort-Ereignis-Formel καὶ ἐγένετο λόγος κυρίου πρός με λέγων. Keine Komposition des klassischen oder des Koine-Griechischen beginnt neue Abschnitte auf diese Weise. 36. Vgl. Lust, Messianism, 2004, 20 (= 1985, 184); vgl. van der Kooij, Profane Leader, 49-51.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

sen Übersetzung, die von seinem Enkel verantwortet wurde, wird in das 2. Jh. v. Chr. datiert. Es enthält Anspielungen auf prophetische Bücher, speziell auf Ezechiel. Angenommen, dass Jesus Sirachs Enkel für seine Zitate und Anspielungen einen griechischen Text verwendete (40,8-9), dann kann davon ausgegangen werden, dass zu diesem Zeitpunkt eine griechische Übersetzung dieser Bücher vorhanden war. 37 Andererseits hat man den Eindruck, dass LXX-Psalmen der Ezechielübersetzung vorausging und diese beeinflusste. Der Ezechiel-Übersetzer hatte Zugang zu einer LXX-Version des Pentateuchs 38 und übernahm teilweise auch aus dieser. Um ein bedeutsames Beispiel heranzuziehen, verweisen wir auf die Namen der Edelsteine in der Beschreibung der Kleidung des Königs von Tyrus in Ez 28,13. 39 Allgemein wird angenommen, dass der griechische Pentateuch großen Einfluss auf die Übersetzer anderer biblischer Bücher hatte. Sie verwendeten sein Vokabular als Vorbild. 40 Solche Aussagen sollten jedoch mit Vorsicht behandelt werden, speziell wenn es sich um Ezechiel handelt. Der früheste Text LXX-Ezechiels, wie er in P967 bewahrt ist, scheint wesentlich weniger anfällig für Anleihen aus dem Pentateuch gewesen zu sein, als spätere Handschriften. Dies legt nahe, dass ein Revisor, nicht ein Übersetzer, den Pentateuch als Wörterbuch verwendet haben könnte. 41 Das Vokabular und der Stil LXX-Ezechiels zeigen viele auffällige Gemeinsamkeiten zum Zwölfprophetenbuch und dem ersten Teil Jeremias (Jer α). So wie Thackeray postuliert auch Tov, dass sie durch eine Person oder durch eine Gruppe hergestellt wurden. 42 Dies legt nahe, dass diese Kompositionen ungefähr zur gleichen Zeit und in derselben Umwelt entstanden sind. LXX-Jesaja scheint LXX-Ezechiel zu zitieren. Seeligmann findet in Jes 57,9 ein klares Beispiel. An dieser Stelle verursachte die hebräische Aussage über Israels Amoralität dem Übersetzer einige Schwierigkeiten. Er löste dieses Problem durch die Verwendung eines sehr allgemeinen Satzes, den er der griechischen Übersetzung von Ezechiels berühmten Kapiteln über dieses Thema entnahm (16,25; 23,19). 43 Zusammenfassend kann am Ende dieses Abschnittes gesagt werden, dass eine exakte Datierung der Übersetzung schwierig ist. Frühe und externe Zeugen sind rar. 37. Dorival, Bible grecque, 90. 38. Tov, Impact. 39. Bogaert, Montagne Sainte, 131-153; ders., Chérub, 29-38. Vgl. zudem Lust, King of Tyre, 239. Im Gegensatz dazu Barr, Cherub, 213-223. Vgl. Wilson, King of Tyre, 221-217; Gathmann, Im Fall gespiegelt; Patmore, Ezekiel xxviii 12-19, 145-257. 40. Vgl. Tov, Impact. 41. Lust, Vocabulary, 545; Tov, Impact, revised edition 1999. 42. Tov, E., The Septuagint Translation of Jeremiah and Baruch, HSM 8, Missoula/MT, 1976, 149150. Seinen Standpunkt bekräftigend verweist Tov auf das griechische Gegenstück zu ‫ כי‬in Jer α, in den Zwölfen und in Ez α. In diesen drei Schriftstücken scheinen ὅτι und δίοτι willkürlich verwendet worden zu sein, während es in Jer β und Ez β nur durch ὅτι wiedergegeben wird. Berücksichtigt man P967, scheint die Lage, was Ezechiel betrifft, anders zu sein. 43. Für diese und andere Beispiele, vgl. Seeligmann, J. L., The Septuagint version of Isaiah. A Discussion of Its Problems, Mededelingen en Verhabdelingen van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap »Ex Oriente Lux« 9, Leiden 1948, 74-75.80; vgl. zudem Ziegler, J., Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias (ATA xii/3), Münster, 1934, 133-134 und passim. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Der Enkel Sirachs ermöglicht uns eine Datierung ante quo. Ein Vergleich mit dem Vokabular anderer biblischer Bücher ergibt, dass LXX-Ezechiel vor der Übersetzung Jesajas existiert haben muss (oder existiert haben konnte). Versteckte Andeutungen innerhalb des Griechischen deuten auf die makkabäische Zeit.

3.2.2 Die kürzeren und längeren Texte. Die Vorlage der Septuaginta Oft wird angenommen, dass LXX-Ezechiel später als MT anzusetzen ist. In der Tat muss der Originaltext vor der Übersetzung komponiert worden sein. Die scheint eine Binsenweiheit zu sein. Dasselbe kann jedoch nicht über die im ersten Satz angesprochene Verbindung von LXX und MT gesagt werden. Es ist keineswegs klar, dass LXX direkt MT übersetzt. Die Tatsache, dass LXX-Ezechiel sich an die hebräische Wortfolge hält, legt nahe, dass der Übersetzer recht sorgfältig mit seiner Vorlage umging. Wenn es dennoch Abweichungen von MT gibt, kann dies daran liegen, dass die hebräische Vorlage von MT abwich. In den letzten Jahren bemühen sich eine Anzahl von Aufsätzen zu zeigen, dass LXX-Ezechiel der Zeuge eines hebräischen Textes ist, der von MT abweicht. Sie argumentieren, dass die älteste Form der Septuaginta (LXX*) sowohl im Papyrus 967 als auch in der Vetus Latina bzw. dem Codex Wirceburgensis bewahrt ist. LXX* ist deutlich kürzer als MT. Das größte Minus findet sich am Ende von Kapitel 36. Die Verse 23c-26 fehlen in P967 und Codex Wirceburgensis. Seine griechische Übersetzung in den anderen Handschriften offenbart eine Beteiligung Theodotions. Andere lange fehlende Passagen in den gleichen Handschriften sind 12,26-28 und 32,25-26. Sie wurden häufig als Auslassungen oder Korruptionen aufgrund von parablebsis bezeichnet. Eine nähere Untersuchung offenbart, dass sie wahrscheinlich Zeugen eines früheren hebräischen Textes sind, in dem diese Passagen noch nicht hinzugefügt wurden. 44 Eine Anzahl kürzerer fehlender Passagen, die in allen bedeutenden Handschriften der LXX belegt wird, unterstützt diese Auffassung. Die beeindruckende Liste und die überzeugenden Kommentare in Schwagmeiers Studie zeigen dies. 45 Außerdem ist die Kapitelanordnung von LXX* anders. Die Kapitel 38–39 folgen 36,23b wohingegen Kapitel 37 auf 39 folgt. In MT hat Kapitel 36 einen größeren Überschuss: die Verse 23c-38. Die Hypothese zufälliger Auslassung 46 von 36,23c-38 in P967 lässt implizit anklingen, dass diese sogenannte zufällige Auslassung mit einer genauso zufälligen Umstellung der Kapitel 38–39 einhergeht, was sehr unwahrscheinlich ist. Inzwischen ist allgemein anerkannt dass sowohl die Kapitelanordnung als auch die fehlenden Passagen gemeinsam untersucht werden müssen 47. Vergleichbares kann über die fehlenden Passa-

44. Vgl. Lust, Divergences, 83-89; 12,26-28 betreffend wurde zuletzt durch Lilly eine überzeugende Argumentation vorgelegt (Lilly, Two Books, 116-119). 45. Schwagmeier, Untersuchungen, 152-180. 46. Vgl. z. B., Filson, Omission, 27-32; Block, Ezekiel 25-48, 337-343; vgl. zudem Spottorno, La omissión, 93-98. 47. Vgl. z. B. Bogaert, Le témoignage, 384-395; Lust: v. a. 28-30 (mit weiteren Verweisen und einer Antwort auf Block); Pohlmann: Hesekiel 20-48, 490; derselbe: Der Stand, 23-7; 127-30; Schwagmeier, Untersuchungen, 183–186, bes. 186; Crane, Restoration, 249.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

gen und die Umstellung der Verse in den Kapiteln 7,1-11 48 sowie 12 und 32 (s. u. 4.4 und 4.5). Die Lösung muss sein, dass LXX*-Ezechiel nicht eine direkte Übersetzung von MT ist. Er basiert auf einer hebräischen Vorlage, die sich nicht nur von MT unterscheidet, sondern auch von einer früheren Version des Textes. MT repräsentiert eine spätere Entwicklung des Textes. Die originalere kürzere Version des Textes, bezeugt in LXX*, könnte über längere Zeit hinweg auch noch zeitgleich mit MT im Umlauf gewesen sein. Was sagt das über die Datierung von LXX*? Es zeigt, dass der griechische Text nicht notwendiger Weise später als MT sein muss.

3.2.3 Revisionen Die frühen Revisionen (Theodotion, Symmachus, Aquila) werden in der Forschung eher vernachlässigt, auch wenn sie wichtige, obgleich indirekte Zeugen für die Unterschiede zwischen MT und der Vorlage der LXX sind. 49 Für Ezechiel werden die Daten im zweiten Apparat von Zieglers Edition des Ezechiel-Textes kollationiert. Abgesehen von denjenigen, die sich in den frühen Kommentaren von Theodoret und Hieronymus finden, werden sie aus Marginallesarten in der hexaplarischen Gruppe der Septuagintamanuskripte entnommen. Der letzte Abschnitt von LXX-Ez 36, der in P967 fehlt, scheint aus Theodotion genommen worden zu sein. 50 Bei den drei jüngeren Übersetzungen ist ihr Umgang mit Transliterationen interessant: In vielen Fällen übersetzen die drei, speziell Symmachus, seltene architektonische und andere technische Begriffe die in LXX transkribiert wurden. 51

4. Inhaltliches und Theologisches Profil Die Differenzen zwischen MT und der hypothetischen Vorlage von LXX* zeigen gemeinsame Merkmale, die theologische Interessen offenbaren. Es ist nicht leicht eine unvoreingenommene Interpretation dieser Phänomene zu bieten. Vieles hängt von zuvor eingenommenen Positionen ab, die die Verbindungen zwischen LXX*, ihrer Vorlage und MT betreffen. Nach der hier vertretenen Sichtweise fügte der Editor des MT dem früheren, durch LXX* übersetzten Text, neue theologische Nuancen hinzu. Die Übersetzung brachte auch neue Akzente ein, die die theologischen Interessen dieser Zeit und der konkreten Umgebung der sie entstammt, reflektieren. Soweit sie nicht durch Fehler oder Unwissenheit der Kopierenden entstanden, spiegeln die Differenzen zwischen den jeweiligen Manuskripten, die alle in christlichen Kreisen entstanden, die Interessen bestimmter Zeiten und Trägerkreise. An dieser Stelle gehen wir jedoch auf die älteren Unterschiede zwischen MT und LXX* ein. Die bemerkenswertesten inhaltlichen Unterschiede sind mit Israels Zukunft und

48. 49. 50. 51.

Bogaert, Rédactions, 21-47. Lust, King of Tyre. Thackeray, Worship, 124-127. Lust, Transliterations, spez. 289-297. Gonzalez, Simaco, befasst sich nicht mit der Wiedergabe technischer Begriffe. 4. Inhaltliches und Theologisches Profil

625

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Eschatologie verbunden. Mehrere dieser Unterschiede hängen mit der Restrukturierung des Textes in den Kap. 36–39 zusammen.

4.1 Zwei unterschiedliche Kompositionen: Der längere und der kürzere Text Der kürzere Text von LXX* und der längere Text von MT sind unterschiedlich strukturiert, speziell in den Kapiteln 34–39. In LXX* formten die Orakel gegen die mythologischen Feinde Edom (35–36) und Gog (38–39) ein Diptychon, das von zwei Kapiteln umgeben ist, die eine davidisch-messianische Wiederbelebung Israels verkündigen (34–37). 52 Am Ende beider Abschnitte verschwindet der mythologische Feind aus der Szene während der Autor sich auf das Verhältnis Gottes zu seinem Volk konzentriert (36,8-23a; 39,21-29). Der Editor von MT hat den Text auf geschickte Art und Weise restrukturiert. Er entwickelte ein implizit verfügbares Wortspiel mit ‫( אדם‬Adam) und ‫( אדום‬Edom), das eine Inklusion bildet, die die Orakel gegen Edom (Kapitel 35–36) umgibt. Zudem verbindet sie das Kapitel sehr stark mit Kapitel 34. Er prägte den Ausdruck ‫צון אדם‬ (Schwarm von Menschen) und kündigte an, dass Israel durch den neuen Adam (‫אדם‬, ersetzt ‫)אדום‬, bevölkert werde und durch den Hirten-Herrn und seinen Diener David behütet. Innerhalb von 36,23c-28 wird die Wiedererschaffung Israels oder die Schöpfung Adams in 36,27 verkündet. Es wird durch die Eingießung des Geistes erreicht. So wie zu den Zeiten der ersten Schöpfung (Gen 1,22.28) wird dieser neue Adam »sich mehren« (36,37 ‫)רבה‬. Die unmittelbar folgende Szene der Wiederbelebung der verdorrten Knochen in 37,1-11 und ihre Interpretation in 34,11-14 beschreiben die Realisierung der Neuschöpfung. Die Rolle von 36,16-23a ist eine wichtige, aber sie unterscheidet sich in LXX* und MT. In LXX* beschließen diese Verse den Abschnitt über Edom (35–36) und leiten zum Abschnitt über Gog (38–39) über. Schwagmeier beobachtet richtig, dass Vers 22 in LXX* »nicht für euch handle ich, Haus Israel, sondern wegen meines Namens, des heiligen« die Handlung des Herrn gegen Gog einleitet. 53 Der Krieg gegen Gott wird mit dem Sieg seines heiligen Namens enden und in der Anerkennung des Herrn durch die Nationen. Andererseits bezieht die Handlung des Herrn in MT Israel direkt ein. Dies wird von Anfang an durch die Einfügung in den Versen 23b-38 klargestellt: »durch euch (Israel) werde ich meine Heiligkeit bestätigen«. Die Einfügung erklärt weiterhin, dass diese Intervention eine Neu-Schöpfung Israels und der Menschheit durch das Geschenk eines neuen Herzens, eines neuen Geistes und vor allem der Eingießung des Geistes Gottes erforderlich macht (36,27). Die Umstellung des Kapitels 37 erlaubt es dem Editor, diese Neu-Schöpfung näher zu beschreiben. Einen regelmäßig in vorigen Orakeln verwendeten Ausdruck nachahmend, stellt MT-Ez 36,18 fest: »Da habe ich meinen Grimm über sie ausgegossen«. Während die Formel in früheren Passagen als Drohung, die die Absicht des Herrn, seinen Grimm 52. Lust, Edom – Adam, 387-401. Zu beachten ist, dass das Diptychon von dem Versprechen des Herrn, dass Israel »sicher leben soll, und es wird keinen geben, der sie in Furcht versetzt« (34,28; 39,26) gerahmt wird. 53. Schwagmeier, Untersuchungen, 291-297, spez. 292-293.

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4. Inhaltliches und Theologisches Profil

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

auszuschütten, ausdrückte, fungierte, wird sie diesmal als anerkanntes Faktum hingestellt. 54 Die LXX*-Version des letzten Verses von Kap. 39 wiederholt die Formel. Hier beeinflusst jedoch eine wichtige Entwicklung ihre Bedeutung. In 36,18-21 musste der Prophet zugeben, dass das Ausschütten seines Grimms vergebens gewesen war. Israel hatte sein Verhalten nicht geändert. Daher musste der Herr erneut eingreifen, in diesem Fall nutzte er Gog als sein Bestrafungsinstrument. Die Intervention blieb nicht ohne Auswirkung, wie aus den am Ende von Kap. 39 verwendeten Gottesworten geschlossen werden kann: »Und ich werde mein Gesicht nicht mehr von ihnen abwenden dafür, dass ich meinen Grimm auf das Haus Israel ausgegossen habe«. In der Komposition von LXX* und ihrer Vorlage passt diese Aussage in den Kontext: Da der Herr seinen Grimm erfolgreich ausgegossen hatte, konnte er nun die Verfahrensweise verändern. Kap. 37 erzählt daraufhin, wie er verfährt: er schuf die Menschheit neu durch das Geschenk seines Geistes. Es schließt mit der Ankündigung des Herrn, dass ein Heiligtum für immer in ihrer Mitte sei. Diese Aussage ist eine perfekte Überleitung zur abschließenden Vision über den Tempel in Jerusalem. In der MT-Version von 39,29 ist die drohende Aussage »Ich habe meinen Grimm ausgegossen« zu einer deutlich positiveren Aussage verändert worden, nämlich ‫שפכתי את‬ ‫רוחי‬, »Ich habe meinen Geist ausgegossen«. Dieser Satz ist ein hapax in Ezechiel. 55 Nachdem er seinen Geist gegeben hat, wird der Herr sein Angesicht nun definitiv seinem Volk zuwenden. Der Bearbeiter von MT bezieht sich offensichtlich auf die Szene im Tal der verdorrten Gebeine, in der die Gabe des Geistes Gottes berichtet wird (37,14). Seine Neuinterpretation von 39,29 wird durch eine Nachbearbeitung des vorhergehenden Verses 28 vorbereitet. Im ersten Satz bevorzugte er ein hifil des Verbes ‫»( גלה‬Ich schickte sie ins Exil«), während der Übersetzer von LXX* ein nifal las (»wenn ich enthüllt worden bin«). Der drastischste Teil dieses Eingreifens besteht jedoch in einer Einfügung: »und ich will sie in ihrem eigenen Land versammeln. Ich werde keinen von ihnen weiterhin unter den Völkern lassen«. Die Aussage, dass niemand zurückgelassen werden wird, hat in der Bibel keine Parallele. Die Ausdrucksweise der Hinzufügung ist symptomatisch für das späte Hebräisch. 56 Dies bekräftigt die Sichtweise, dass es sich eher um eine Einfügung in MT handelt als um eine Auslassung von LXX*.

4.2 Der erwartete König David. Fortsetzung oder Auferstehung? Nach Schwagmeier erwartet MT-Ezechiel die Rückkehr von »ganz Israel« in ihr eigenes Land. Diese apokalyptische Rückkehr wird durch eine Reinigung, Neu-Schöpfung und das Wiedererwachen des Volkes vorbereitet (36,23c-38; 37,1-14) und wird unter der ewigen Herrschaft des historischen David realisiert (37,15-28). In MT ist die Bezeichnung »ganz Israel« nicht auf die exilierten, aus der Diaspora zurückkehrenden Men54. In LXX* ist der Vers auf diesen Terminus beschränkt. MT erweitert. 55. In der Bibel kommt es nur noch einmal vor: in Joel 3,1. Normalerweise verwenden Ausdrücke, die das Geschenk des / eines Geistes ausdrücken das Verb ‫נתן‬: Ez 11,19; 36,26.27; 37,6.14; Num 11,22; 1Kön 22,23; 2Kön 19,7; Jes 37,7; 42,1; 2Chr 18,22. Vgl. Wong, Texts, 130-147, spez. 142-143. 56. Hurvitz, Linguistic Study, 122-124; Lust, Spirit or Wrath, 148-155, spez. 152-153; im Gegensatz dazu Block, Ezekiel 25-48, 407. 4. Inhaltliches und Theologisches Profil

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6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

schen beschränkt; sie bezieht alle während der vergangenen Schwierigkeiten und Leidenszeiten gefallenen Israeliten ein und alle die, die seit dem Beginn der Geschichte Israels dazugehören. 57 Im Gegensatz dazu ist LXX* ein eher klassisches, diasporaorientiertes Buch, das die Rückkehr der Exilierten erwartet. In dieser Version ist die Identität des erwarteten Anführers David weniger deutlich, die Neu-Schöpfung Israels weniger drastisch und scheint auch keine Wiedererweckung der Verstorbenen Israels zu implizieren. 58 Die weitreichenden Behauptungen rufen Fragen hervor. Viel hängt von der Identifikation der Davidsfigur in den Kapiteln 34 und 37 des MT und in der LXX ab, sowie von der Interpretation der Auferweckungsszene in Kapitel 37. In der Wissenschaft früherer Zeiten war die Identität des David in Ezechiel ein vieldiskutiertes Thema. Ist er der historische David, ein David redivivus oder einfach ein neuer König der zum davidischen Haus gehört? Schwagmeier bevorzugt die erste Möglichkeit. Das Hauptargument, das für diese Sichtweise spricht, ist die Akzentuierung des Namens »David« in 34,23.24. Der verwandte Text Jer 23,5 nennt den erwarteten Anführer einen davidischen Spross (‫)צמח לדויד‬. Im Gegensatz dazu benutzt Ezechiel die absolute Form David, die sich auf den wiederauferstandenen historischen König bezieht. Die Verwendung der absoluten Form David ist überraschend. Aber sie impliziert nicht notwendigerweise eine Auferstehung. Das Verb (‫)והקמתי‬, das in MT-Ez 34,23 verwendet wird, lässt nicht seine Auferstehung anklingen, sondern eher seine Einsetzung als König, wie in Dtn 28,36; 1Kön 14,14 und Jer 23,5; 30,9. Die Behauptung der Einsetzung dieses David bleibt merkwürdig: Wie kann seine Inthronisierung in die Zukunft projiziert werden? Am wahrscheinlichsten ist dies im Lichte des sehr speziellen Blicks des Propheten auf Israels Geschichte zu verstehen: Seiner Meinung nach hat der Eintritt in das verheißene Land noch nicht stattgefunden. In Kapitel 20 wird das erwählte Volk von Beginn seiner Existenz in Ägypten an als verderbt beschrieben (20,5). Sie werden aus diesem Land herausgenommen, um in eines gebracht zu werden, in dem Milch und Honig fließen (20,6). Sie jedoch setzen ihre sündige Existenz fort und werden in die Wüste verbracht ohne das verheißene Land zu betreten (20,10 ff.). 59 Natürlich weiß Ezechiel, dass das Gottesvolk schon in Israel gewesen ist, aber dies war nicht das verheißene Land. Dies erklärt auch, wieso er an keiner Stelle von einer »Rückkehr« (‫ )שׁוב‬in das Land spricht, sondern immer von einer »Verbringung« (‫ בוא‬hifil 20,42; 34,13; 36,24; 37,12.21) dorthin. Aus der Sicht des Propheten hat die Geschichte des erwählten Volks im verheißenen Land noch nicht begonnen und sein echter König David wird noch kommen. 60 Diese Sichtweise als solche ist MT und LXX* gemeinsam.

57. Schwagmeier, Untersuchungen, 272-91, spez. 280-281. 58. Schwagmeier, Untersuchungen, 291-312. 59. In 20,27-29 versuchte ein später Bearbeiter diese Textlücke zu füllen. Zum sekundären Charakter dieser Verse vgl. Zimmerli, Ezechiel, 450-451; Sedlmeier, Studien, 98-105; Pohlmann, Hesekiel 20-48, 309. 60. Vgl. Lust, Gathering, 119-142 und 428-430.

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4. Inhaltliches und Theologisches Profil

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

4.3 Der finale Kampf und historisierende Tendenz A. S. Crane, der seine These zu Ez 36–39 im Jahr 2006 in Unkenntnis der Arbeit Schwagmeiers verteidigte, kommt zu gegensätzlichen Schlüssen: In MT gibt es keine Notwendigkeit für eine physische Wiederauferstehung Israels. Die Kapitelneuanordnung in MT impliziert einen Ruf zu den Waffen in Vorbereitung für den eschatologischen Kampf gegen Gog. Israel benötigt Reinigung (26,23c-38) und eine Widerbelebung der Nation (37,1-14), genauso wie eine Vereinigung unter einem Anführer, nämlich David (37,15-28), um dem Feind gegenüberzutreten. Dem Kampf folgt keine Auferstehung. Die Leichname Gogs und seiner Armee bleiben tot und begraben (39,11-16). In der originalen Reihenfolge, die in LXX* bewahrt ist, ist die Situation eine andere. Das Orakel in 36,16-23b erklärt, wieso der Herr sein Volk bestrafen musste: sie beschmutzten seinen heiligen Namen und mussten daher das Land und den unmittelbaren Präsenzbereich des Herrn verlassen. Die Kap. 38 und 39 bieten eine Antwort auf die Frage, wie Gott seine Heiligkeit etablieren und die Nationen wissen lassen wird, dass er der Herr ist: er wird Gog und seine Horden bezwingen. Die Interpretation des finalen Kampfes ist in 39,21-24 klar formuliert, dieser Abschnitt muss als eine Inklusion gesehen werden, die diese Kapitel mit 36,16-23b verknüpft. Das abschließende Orakel in 39,25-29 verkündet, dass er nun Jakob aus der Gefangenschaft zurückbringen wird und schafft den Rahmen für die Vision der Auferweckung der verdorrten Gebeine (37,1-14). In dieser Kapitelanordnung scheinen die verdorrten Gebeine der auf dem Schlachtfeld gefallenen Israeliten (39,11-16) im Kampf gegen Gog miteinbezogen zu sein. Daher muss die folgende Auferweckung eine physische sein. 61 Soweit sie sich auf das Fehlen eines Gedankens einer physischen Auferstehung in MT bezieht, ist Cranes Argumentation überzeugender als Schwagmeiers. Crane verankert den Kampf gegen Gog fest auf historischem Boden. Seine Verteidigung der Notwendigkeit einer physischen Auferweckung in LXX* bleibt jedoch eher schwach. Selbst wenn die verstorbenen Israeliten implizit in den auf dem Schlachtfeld verstorbenen eingeschlossen sind, impliziert dies nicht automatisch, dass die Wiederbelebung Israels, die in Ezechiels Vision bildhaft beschreiben wird, meint, dass diese Toten physisch wiedererweckt werden. Die Folgerungen aus diesem Abschnitt könnte folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Es gibt keine ausreichenden Gründe, eine physische Wiedererweckung Israels und Davids in MT (Schwagmeier) oder LXX (Crane) zu verteidigen. Ezechiels David braucht keine Widererweckung: er wird noch kommen. 2. In MT hat der finale Kampf eine historischere Dimension als in LXX*.

4.4 Die Ṣepîrah in Ez 7,7.10 An dieser Stelle könnte ein Blick auf das Orakel über die letzten Geschehnisse in 7,1-11 hilfreich sein. In MT ist dieser Abschnitt länger als in LXX* und die Reihenfolge der Verse ist eine andere. 62 Seine bemerkenswerteste Eigenschaft findet sich in den Ver61. Crane, Restoration, 310-315. 62. Vgl. Bogaert, Rédactions, 21-47; Lust, Witnesses, 7-20, spez. 17-20. 4. Inhaltliches und Theologisches Profil

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6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

sen 7 und 10, die das Kommen der ṣepîrah (‫ )צפירה‬ankündigen. In V. 5 wird dieses rätselhafte Wesen als das »eine« (äußerste, letzte?) Übel (‫ )רעה אחת‬charakterisiert, das am Ende der Zeiten über Israel kommt. Die ‫ צפירה‬und ihre Charakterisierung haben kein Äquivalent in LXX*. Der Name ‫ צפירה‬kommt nur selten in der Bibel vor 63. In Daniels Vision der letzten Tage ist der männliche ṣapîr (‫ )צפיר‬bzw. »Ziegenbock« eine Metapher für den griechischen König Alexander (8,5.8.21). Die weibliche Form ṣepîrah in Ezechiel könnte eine Metapher für das griechische Volk und die Erben Alexanders sein. Die Spezifizierung ‫אחת‬, die wörtlich »eins« bedeutet, hinzugefügt zu ‫רעה‬, könnte sich auf Antiochus IV. beziehen, der in Dan 8,9 das »eine« bestimmte Horn des ṣapîr ist. Sowohl in Dan 8 als auch in Ez 7 ist dieses kommende Übel äußerst stolz (Ez 7,10) und überhöht sich (Dan 8,11). Mit den Zusätzen in Kapitel 7, könnten die Editoren von MT einen Schlüssel zur Interpretation Gogs und der in 37–39 beschriebenen Ereignisse geboten haben. Die Vision in Kapitel 8 leitet das Verständnis in dieselbe Richtung. Dort spezifiert MT die im Tempel erblickte Abscheulichkeit: es ist »das Abbild des Neides« (‫)סמל הקנה‬. Dieses Abbild bzw. diese Statue könnte sich auf die Entweihung des Tempels durch Antiochus IV. beziehen, so wie es in 1Makk 1,44-61 beschrieben wird. Wenn dies so sein sollte, kommt die Datierung der Ausgabe von MT der von LXX* nahe, einer Übersetzung, die auf einer früheren Form des hebräischen Textes basiert.

4.5 Andere bedeutende Unterschiede und ihre gegenseitige Abhängigkeit Es gibt weitere Beispiele, bei denen der Eindruck entsteht, dass der längere den kürzeren Text beeinflusst hat. Eventuell ist es möglich, gegenseitige Abhängigkeiten zwischen diesen Abänderungen zu finden, die belegen, dass die beiden Texte sich in wechselseitiger literarischer Abhängigkeit entwickelten, wobei aber jeder seine eigenen literarischen Charakteristika aufweist. 64 Kapitel 12 endet mit zwei Auseinandersetzungen. Die erste thematisiert den Mangel an wahrer Prophetie und führt allgemein in das Thema falscher Prophetie ein, das im folgenden Kapitel entwickelt wird. Die zweite (12,26-28), fehlend in P967, unterbricht die Verbindung zwischen den Kapiteln 12 und 13 und stellt recht unerwartet Ezechiels Orakel und Visionen der letzten Tage in Frage. Die Antwort in Vers 28 »historisiert« seine Worte und Visionen und verdeutlicht, dass sie sich auf die Gegenwart oder die unmittelbare Zukunft beziehen. Kapitel 32 ist in MT deutlich länger als in LXX*. Das größte Plus findet sich in den Versen 25 und 26. Diese Verse sind veränderte Varianten des Verses 24. Sie erwähnen zusätzlich die mythologischen Königreiche Mosoch und Thobel, die sich auf eine Linie mit Israels historischen Feinden Assur (Vers 22) und Elam (Vers 24) bringen lassen. Dadurch könnte der Bearbeiter zu zeigen gewünscht haben, dass Nationen wie Mosoch und Thobel, die besonders im letzten Kampf in den Kapiteln 38 und 39 herausgestellt werden, keine mysteriösen, apokalyptischen Größen sind, sondern historische

63. In Jes 28,5 hat ‫ צפירה‬eine ganz andere Bedeutung. 64. Lust, Divergencies, 83-89, spez. 84.

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4. Inhaltliches und Theologisches Profil

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Handlungsträger. Andere Divergenzen im unmittelbaren Kontext verstärken diesen Eindruck. 65

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte. Der Messias 5.1 Spuren christlichen Einflusses in LXX Relativ klare Spuren christlich messianischer Interpretation finden sich in LXX-Ez 17,22-24: »Und ich werde ihn aufhängen auf einem hochragenden Berg Israels« (17,23). Die alte griechische Form des Textes (LXX*) jedoch hat nicht die Form der ersten Person Singular »ich werde aufhängen«; zudem hat sie das Adjektiv κρεμαστός, ein perfektes Äquivalent des Adjektivs »hoch, hochaufragend« in MT. Die alte griechische Version ist für eine messianische Interpretation deutlich weniger offen als MT. An Stellen, an denen die Bildsprache in MT von einem »knospenden Spross« spricht, hat LXX* kein direktes Äquivalent. Der Übersetzer dachte sicherlich an eine Vielfalt (καρδίας oder κράδας, λήμψονται). Die Lesart και κρεμάσω αὐτόν in der Mehrheit der Handschriften scheint einer christlichen Überarbeitung des Textes geschuldet sein. Dies passt zu seiner Reihe von Bezugnahmen der Kirchenväter, die diese Texte auf den Tod Christi bezogen, am Holz des Kreuzes »hängend« 66. Andere Stellen zeigen sich im Vergleich in der MT-Version deutlich empfänglicher für christlich-messianische Interpretation als in der von LXX*. In traditioneller christlicher Exegese wurden folgende Stellen als messianische Versprechen klassifiziert: 17,22-24; 21,30-32; 34,23-24; 37,22-25. 67

5.2 LXX-Ezechiel in der christlichen Kirche In den ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters wurde die Septuaginta die Bibel der christlichen Kirche. Ezechiel scheint kein populäres Buch gewesen zu sein. 68 Das Neue Testament erwähnt Ezechiel nicht, direkte Zitate existieren nicht. Am ehesten noch findet man Andeutungen, vor allem in der Offenbarung des Johannes. Die Reihenfolge der letzten Geschehnisse in der Apokalypse könnte durch LXX*-Ezechiel beeinflusst sein. 69 Wenige der seltenen frühen Kommentare zu Ezechiel wurden bewahrt und haben uns erreicht. Der einzige vorhandene ist die Arbeit Theodorets (4. Jh.). Origenes beschäftigte sich offensichtlich ausführlicher mit Ezechiel, aber erhalten ist nur ein Fragment aus einem seiner 25 Bände zu Ezechiel, nämlich jenes zu 34,17-19 (Philocalia xi; PG 13, 663-666). 14 seiner Predigten zu Ezechiel kamen in Form der lateinischen Übersetzung des Hieronymus bis in die Gegenwart. 70 65. 66. 67. 68. 69. 70.

Lust, Divergences, 89. Lust, I Shall Hang Him, 2004, 113-127 (= 1997, 231-250). Lust, Messianism and Septuagint; Munnich, Messianisme, 269-299. Eine gute Übersicht findet sich bei Olley, Ezekiel, 34-37, und Joyce, Ezekiel, 53-60. Lust, Order; vgl. Kowalski, Rezeption. Bzgl. Hinweisen zu Veröffentlichungen dieser Fragmente vgl. Olley, Ezekiel, 5-6. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte. Der Messias

631

6.4 Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel

Anhaltspunkte dafür, wie Ezechiel in den frühen Jahrhunderten durch die Kirche gelesen wurde, sind nur wenige vorhanden und finden sich in vereinzelten Anklängen der frühen Kirchenväter. Abgesehen von den Visionen in den apokalyptischen Teilen waren die beliebtesten Texte Ez 11,19 und 36,25 (»steinernes Herz … fleischernes Herz«, aufgenommen in Ep. Barnabas 6,14); Ez 47,1-14 (»Strom des Lebens«, aufgenommen in Ep. Barnabas 11,10-11). Weiter: Ez 33,11 (»ich will nicht den Tod des Gottlosen, sondern Bekehrung«, in 1Clem 8,2); ein Zitat, das sich auf Ez 37,12 bezieht (»eure Gräber öffnend …« in 1Clem 50,4; das griechische Vokabular unterscheidet sich hier von dem der LXX); ein ausdrückliches Zitat von Ez 14,14 (»Noah, Hiob und Daniel«, 2Clem 6,8) 71 und noch deutlicher die Vision der Wiedererweckung der verdorrten Gebeine.

6. Perspektiven der Forschung 6.1 Eine literarische Komposition als eigenständige Einheit Es wird zunehmend akzeptiert, dass LXX wahrscheinlich eine sich von MT unterscheidende Ausgabe des hebräischen Texts widerspiegelt. Für Ezechiel wurde dies durch die Entdeckung von P967 zusätzlich unterstützt. Dennoch konzentrieren sich die meisten Kommentare auf MT. Jene Kommentare, die den Septuagintatext berücksichtigen, tendieren dazu, diese Übersetzung nur im Licht ihres Wertes für die Rekonstruktion des »korrekten« hebräischen Textes zu sehen. Demgegenüber wäre es wichtig, die Septuaginta-Textform des Ezechielbuches in ihrer eigenen Form und Aussage zur Kenntnis zu nehmen. In dieser Hinsicht besteht Bedarf nach Studien und Kommentaren, die den Septuagintatext nicht nur als Hinweis auf die hebräische Vorlage verwenden, sondern als frühe Exegese des Ezechielbuches verstehen. Olley hat ein hervorragendes Modell für einen solchen Kommentar vorgelegt. Aufgrund des Konzepts der Reihe, innerhalb der er veröffentlicht wurde, beschränkt er sich auf die Exegese eines einzelnen Manuskriptes. Weiterführend könnten die Manuskripttradition und die Unterschiede zwischen Manuskripten als Hinweis auf fortlaufende exegetische Entscheidungen weiter untersucht werden. 72

6.2 LXX* als Zeuge eines vormasoretischen Texts Es sind weitere Studien zu den Unterschieden zwischen LXX* und MT nötig. Sie sollten zeigen (oder die Hypothese bezweifeln), dass LXX* und MT neben ihrer Übereinstimmung literarische Gestaltungen zeigen, die in zwei unterschiedliche Texte mit jeweils eigenen logischen und literarischen Charakteristika mündet. Für ein korrektes Verständnis der Differenzen sind darüber hinaus Untersuchungen zu den drei jüngeren jüdischen Übersetzungen, insbesondere zu Aquila und Symmachus, willkommen.

71. Olley, Ezekiel, 37; de Jonge, Bones. 72. Olley, Ezekiel, spez. 38-39.

632

6. Perspektiven der Forschung

6.5 Danielschriften

6.5.1 Daniel Marco Settembrini

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 1954 — Ziegler, J. / Munnich, O., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 19992. Hamm, W. (Hg.), Der Septuagintatext des Buches Daniel, Kap. 1-2, Papyrologische Texte und Abhandlungen (PTA) 10, Bonn 1969 — Hamm, W. (Hg.), Daniel, Kap. 3-4, PTA 21, Bonn 1977 — Geissen, A., Der Septuaginta-Text des Buches Daniel Kap. 5-12, zusammen mit Susanna, Bel et Draco sowie Esther Kap. 1,1a-2,15. Nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, PTA 5, Bonn 1968.

1.2 Qumran-Texte 1QDana.b = 1Q71.72 = DJD I — 4QDana.b.c.d.e = 4QDan112.113.114.115.116 (DJD XVI) — 6QpapDan = 6Q7 (DJD III). BQS 755-775 — HTTM 505-521. Die wichtigsten Varianten sind auch in BHS und künftig in BHQ vermerkt.

1.3 Übersetzungen und Kommentare McLay, R. T., Daniel, NETS, Oxford/New York 2007, 20092, 991-1022 — Engel, H. / Neef, H.D., Das Buch Daniel, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1423-1462 — Engel, H., Danielschriften, LXX.E, Stuttgart 2011, 3008 f. — Neef, H.-D., Das Buch Daniel, LXX.E, Stuttgart 2011, 3016-3051.

1.4 Weitere Literatur Albertz, R., Der Gott des Daniel. Untersuchungen zu Daniel 4-6 in der Septuagintafassung sowie zu Komposition und Theologie des aramäischen Danielbuches, SBS 131, Stuttgart 1988 — Amara, D., The Third Version of the Story of Belshazzar’s Banquet (Daniel 5), in: A. Rofé / M. Segal / S. Talmon / Z. Talshir (Hg.), Text-Criticism and beyond (FS I. L. Seeligmann), Textus XXIII, Jerusalem 2007, 11’-41’ (hebr.) — Bludau, A., Die Alexandrinische Übersetzung des Buches Daniel und ihr Verhältnis zum massoretischen Text, BSt(F), Freiburg 1897 — Bogaert, P.M., Relecture et refonte historicisantes du livre de Daniel attestées par la première version grecque (Papyrus 967), in: R. Kuntzmann / J. Schlosser (Hg.), Études sur le judaïsme hellénistique, LeDiv 119, Paris 1984, 197-224 — Collins, J. J., Daniel. A Commentary on the Book of Daniel, Hermeneia, Minneapolis 1993 — Di Lella, A., The Textual History of Septuagint-Daniel and Theodotion-Daniel, in: J. J. Collins / P. Flint (Hg.), The Book of Daniel. Composition and Reception, VT.S 83, Leiden 2001, 586-607 — Delcor, M., Le livre de Judith et l’époque grecque, Klio 49 (1967), 151-179 — Dines, J., The King’s Good Servant? Loyalty, Subversion and Greek Daniel, in: T. Rajak / S. Pearce / J. Aitken / J. Dines (Hg.), Jewish Perspectives on Hellenistic 1. Literatur

635

6.5.1 Daniel

Rulers, Berkeley / Los Angeles / London 2007, 205-224 — Grélot, P., Les versions grecques de Daniel, Bib. 47 (1966), 381-402 — Grélot, P., La Septante de Daniel IV et son substrat sémitique, RB 81 (1974), 5-23 — Grélot, P., Daniel VI dans la Septante, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Kata tous o’. Selon les Septante: trente études sur la Bible grecque des Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 103-118 — Gzella, H., Cosmic Battle and Political Conflict. Studies in Verbal Syntax and Contextual Interpretation of Daniel 8, BibOr 47, Rom 2003 — Jeansonne, S. P., The Old Greek Translation of Daniel 7-12, CBQMS 19, Washington 1988 — Jobes, K. H., A Comparative Syntactic Analysis of the Greek Versions of Daniel: A Test Case for a New Methodology, BIOSCS 28 (1995), 19-41 — Koch, K., Daniel 1-4, BK XX/1, Neukirchen-Vluyn 2005 — van der Kooij, A., A Case of Reinterpretation in the Old Greek of Daniel 11, in: J. W. van Henten / H. J. de Jonge / P. T. van Rooden / J. W. Wesselius (Hg.), Tradition and Re-Interpretation in Jewish and Early Christian Literature (FS J. Lebram), StPB 36, Leiden 1986, 72-80 — Kreuzer, S., Papyrus 967. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 64-82 — Mark, M., Der Lobgesang der drei jungen Männer, TThZ 107 (1998), 45-61 — McLay, T., The OG and Th Versions of Daniel, SBL.SCS 43, Atlanta/ GA 1996 — McLay, T., The Old Greek translation of Daniel IV-VI and the formation of the book of Daniel, VT 55 (2005), 304-323 — McLay, T., The Relationship between the Greek Translations of Daniel 1-3, BIOSCS 37 (2004), 29-53 — McLay, T., Double Translations in the Greek Versions of Daniel, in: F. García Martínez / M. Vervenne (Hg.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel (FS J. Lust), BEThL 192, Leuven 2005, 255-267 — Meadowcroft, T. J., Aramaic Daniel and Greek Daniel. A Literary Comparison, JSOT.S 198, Sheffield 1995 — Montgomery, J. A., A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel, ICC, Edinburgh 1927 — Munnich, O., Les nomina sacra dans les versions grecques de Daniel et leurs suppléments deutérocanoniques, in: G. Dorival / O. Munnich (Hg.), Kata tous o’ selon les Septante: trente études sur la Bible grecque des Septante (FS M. Harl), Paris 1995, 145-167 — Munnich, O., Texte Massorétique et Septante dans le Livre de Daniel, in: A. Schenker (Hg.), The Earliest Text of the Hebrew Bible: The Relationship between the Masoretic Text and the Hebrew Base of the Septuagint Reconsidered, SCS 52, Atlanta/GA 2003, 93-120 — Munnich, O., La Peshitta de Daniel et ses relations textuelles avec la Septante, in: D. Böhler / I. Himbaza / P. Hugo (Hg.), L’Écrit et l’Esprit. Études d’histoire du texte et de théologie biblique (FS A. Schenker), OBO 214, Fribourg / Göttingen 2005, 229-247 — Neef, H.-D., Menschliche Hybris und göttliche Macht. Dan 4 LXX und Dan 4 Th im Vergleich, JNWSL 31 (2005), 59-89 — Nihan, C., Judith, in: T. Römer / J.-D. Macchi / C. Nihan (Hg.), Introduction à l’Ancien Testament, Genève 2004, 622-636 — Passoni Dell’Acqua, A, Ricerche sulla versione dei LXX e i papiri: note lessicali, Aeg. 62 (1982), 173-194 — Rösel, M., Der Herr des Daniel. Zur Übersetzung der Gottesnamen in der Daniel-LXX, in: T. Wagner / J. M. Robker / F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung (FS S. Kreuzer), AOAT 419, Münster 2015, 399-412 — Schmitt, A., Die griechischen Danieltexte (»θ’« und o’) und das Theodotionproblem, BZ 36 (1992), 1-29 — Spangenberg, I. J. J., The Septuagint Translation of Daniel 9, in: M. A. Knibb (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 431-442 — Tov, E., The Relation between the Greek Versions of Baruch and Daniel, in: ders., The Greek and Hebrew Bible, VT.S 72, Leiden 1999, 519-526 — Tov, E., Three Strange Books of the LXX: 1 Kings, Esther, and Daniel Compared with Similar Rewritten Compositions from Qumran and Elsewhere, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta — Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 369-393 — Wooden, R. G., The Recontextualization of Old Greek Daniel 1, in: C. A. Evans (Hg.), Of Scribes and Sages. Studies in Early Jewish Interpretation and Transmission of Scripture, JSPE.S 50, Sheffield 2004, 47-68.

636

1. Literatur

6.5.1 Daniel

2. Textüberlieferung Das Buch Daniel ist in zwei wichtigen griechischen Übersetzungen überliefert: In der LXX und in einem Theodotion zugeschriebenen Text, synoptisch wiedergegeben sowohl in der Ausgabe von Ra/RaHa als auch in der Ausgabe von Gö (1954, 19992). Während der LXX-Text bis ins 2./3. Jh. n. Chr. überliefert wurde – einer Zeit, der ihr ältester Zeuge zugeordnet wird –, setzte sich seit dem 4. Jh. der »Th«-Text durch, der sich mehr an die hebr.-aram. Fassung anlehnt. Er ist wiedergegeben im Codex Vaticanus und wurde tatsächlich von der kirchlichen Überlieferung bevorzugt. Der LXX-Text ist hauptsächlich von p967 bezeugt. Die (für Daniel) fast vollständige Handschrift besteht aus 37 Blättern, die in drei verschiedenen Sammlungen in Dublin, Köln und Barcelona aufbewahrt werden. Auf Dan 1–12 (fol. 62r.–fol. 93r.) folgt BelDr (fol. 93v.–fol. 95v.) und Sus (fol. 96r.–fol. 98v.), eingeordnet zwischen den Büchern Ez und Est. 1 Im Jahr 1931 wiederentdeckt, wurde p967 zwischen 1937 und 1977 sukzessive veröffentlicht und erlaubte Munnich, der sie als Textgrundlage übernahm, eine, im Vergleich zur Ausgabe von Ziegler (1954), völlig neue kritische Ausgabe zu erstellen. Zwei weitere zur Texterstellung nützliche Handschriften aus hexaplarischer Überlieferung sind der Codex Chisianus (88), aus dem 10. Jh., und der Codex SyroHexaplaris Ambrosianus. Diesen stehen einige fragmentarische Zeugen gegenüber, namentlich die Hs. 813 (5. Jh.), die Hs. 875 (3. Jh.) und die Hs. 613 (13. Jh.). Dazu kommen Zeugnisse aus 1Makk, aus Zitaten antiker Autoren, wie Flavius Iosephus, Barnabas, Clemens von Rom, Hermas, Iustin dem Märtyrer, Origenes, Eusebius von Cäsarea, Tertullian, Cyprian, Hieronymus und aus der Vetus Latina. 2 Größere Bezeugung findet der »Th«-Text. Sein ältester Zeuge, der pBodmer XLV/ XLVI, p861 (Ende 3./Anfang 4. Jh.) enthält Sus 1–53 (pXLV, foll. 3-6) und Sus 53–64 + Dan 1,1-20 (pXLVI, foll. 7-9). Vollständig oder in bedeutenden Teilen ist der Text »Th« wiedergegeben in den griech. Majuskel-Hss. A, B, Q, V, Z, 921 (4.–5. Jh.), 925 (4. Jh.) und von zahlreichen Minuskel-Hss. 3 In der patristischen Literatur haben besondere Bedeutung die Zitate in den Kommentaren des Hippolyt von Rom († 235), des Johannes Chrysostomos († 407), des Polychronius von Apamea († um 430) und des Theodoret von Cyrus († um 460). Von dieser griechischen Übersetzung hängen grundsätzlich die alten lateinischen Übersetzungen ab, ebenso die koptischen (vor allem die sahidische), bedeutende äthiopische und arabische Exemplare; außerdem, was die deuterokanonischen Teile betrifft, die Vulgata und die syrische Übersetzung. Während wir für Dan den Ausnahmefall haben, dass der »Th«-Text vollständig erhalten ist, sind von den anderen jüngeren griechischen Übersetzungen nur wenige Reste erhalten im Codex Marchalianus, Syh, 88, Minuskeln 36, 233, 449, 87, in den Kommentaren des Hieronymus, des Theodoretus von Cyrus und des Polychronius von Apamea zu Daniel, im Brief des Origenes an Africanus, in der Demonstratio fidei

1. 2. 3.

Um die einzelnen Blätter zu lesen, s. http://www.uni-koeln.de/phil-fak/ifa/NRWakademie/ papyrologie/PTheol2.html. Im einzelnen s. Montgomery, Daniel, 47-50; Ziegler (Hg.), Daniel, 1999, 93-100. Ausführlicher s. Ziegler (Hg.), Daniel, 1999, 179-213. 2. Textüberlieferung

637

6.5.1 Daniel

und den Eclogae des Eusebius, in Catenenfragmenten, in den Talmudischen Schriften und älteren Ausgaben der hexaplarischen Fragmente. 4

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung 3.1. Übersetzungstechnik und sprachliches Profil Der Text der LXX hatte, wie bereits angedeutet, nicht viel Glück. Bludau fasst das einvernehmliche Urteil der Kritiker folgendermaßen zusammen: »Fast alle Beurtheiler der alexandrinischen Danielübersetzung machen dem Übersetzer zum Vorwurf Willkür, Unkenntnis, Tendenzkrämerei, Fälschung u. s. w.«. 5 Andererseits heben sorgfältigere Analysen hervor, die Übersetzung sei dadurch charakterisiert, dass sie auf die Wiedergabe eines gepflegten Textes bedacht ist, im Wesentlichen treu gegenüber der hebr.-aram. Vorlage, ziemlich nahe am Text der masoretischen Überlieferung. An Stellen, wo dies nicht verifizierbar ist, glaubt man dennoch einen ersten Kommentar zum Buch Daniel entdecken zu können, der sich in besonderer Weise mit den Ereignissen der Makkabäerzeit befasst, oder, bes. in den Kap. 4–6, Material unterschiedlicher Herkunft, das eingefügt wurde, weil es bereits maßgeblich war oder sogar der Abfassung der aramäischen Erzählungen zeitlich vorausgeht. Das Studium der ersten drei Verse des Buches führt trefflich in die Eigenart der Übersetzung der LXX ein. »Th« gibt einen ziemlich wortgetreuen Text wieder, nur in V. 3 fügt er eine Präzisierung ein (der König lässt sich Israeliten »der Gefangenschaft« vorführen) und vermeidet im selben Vers die Übersetzung des hebräischen happartemîm, das wiedergegeben, d. h. praktisch transkribiert wird mit φορθομμιν. Die LXX formt Sätze um und verbessert dadurch ihren Stil. Wenn »Th« mit ἐν ἔτει τρίτῳ τῆς βασιλείας Ιωακιμ βασιλέως Ιουδα (V. 1) übersetzt, zieht sie ἐπὶ βασιλέως τῆς Ιουδαίας Ιωακιμ ἔτους τρίτου vor. Analog dazu wird aus der Wendung »in seine Hand« (im Hebr.: Sg., ebenso in »Th«) εἰς χεῖρας αὐτοῦ (V. 2), und den semitischen Ausdruck »aus königlichem Samen« ersetzt ἐκ τοῦ βασιλικοῦ γένους (V. 3). In V. 1 wird die Parataxe durch die Einführung eines Part. vereinfacht: παραγενόμενος […] ἐπολιόρκει. Der Stil des Textes wird weiter verbessert durch die Wahl von Synonymen, wie aus V. 2 hervorgeht, wo καὶ ἤνεγκεν […] εἰσήνεγκεν (»Th«) die Wendung καὶ ἀπενέκας […] ἀπηρείσατο entspricht. Die LXX sorgt für einen besseren Übergang von V. 1 zu V. 2, indem sie ein Pronomen einführt, das sich auf Jerusalem bezieht (»und belagerte es und der Herr gab es und Jehojakim«). In V. 2 wird die dreifache Wiederholung von »Haus Gottes« vermieden; die Geräte des Tempels werden »die heiligen Geräte«. Der hebr. Text ist gut enthalten sowohl in der Wiedergabe von Sennaar (so transkribiert in »Th«) mit Βαβυλωνία (V. 2), wie in der Übersetzung von happartemîm mit ἐπίλεκτοι (V. 3). Die Vereinfachung des Textverständnisses betrifft nicht nur einzelne Ausdrücke. Wo der Eigenname Ašpenaz (V. 3) im Handlungsgeflecht Schwierigkeiten bereitet, gibt die LXX Αβιεσδρι wieder, eine Person, die auch in V. 11 eingeführt wird. Die Übersetzung bietet andererseits ein Plus: 4. 5.

Ziegler (Hg.), Daniel, 1999, 160-161. Bludau, Die Alexandrinische Übersetzung, 30.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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zu Nebukadnezzar müssen Knaben aus der Reihe der Söhne der Prominenten Israels geführt werden (ἐκ τῶν υἱῶν τῶν μεγιστάνων τοῦ Ισραηλ, V. 3). In V. 2 kann man noch zwei weitere Charakteristika des griech. Textes beobachten, die nomina sacra finden keine genauen Entsprechungen: ʾ adōnāy ist κύριος, wie auch ʾ elōhîm, mit Ausnahme der Schlusswendung »in das Schatzhaus seines [Nebukadnezzar] Gottes (ʾ elōhāyw)«, wo wir lesen ἐν τῷ εἰδωλείῳ αὐτοῦ. In der Fortsetzung des Kapitels finden sich Zusätze, die nützlich sind, um den Sinn des MT zu erklären: »unter den Israeliten von Juda waren […]« (V. 6), »im Vergleich zu den jungen Männern τῶν ἀλλογενῶν« (V. 10), »das Gemüse τῆς γῆς« (V. 12), »Verständnis […] ἐν πάσῃ γραμματικῇ τέχνη« (V. 17). Der Zusatz am Schluss von V. 20 (»der König ehrte sie und trug ihnen die Geschäfte seines ganzen Reiches auf«) verbindet dagegen die erste Episode des Buches mit der folgenden, die ähnlich schließt (2,48-49). Das semitische Original wird sogar interpretiert, in der Absicht, die Bedeutung unzweifelhaft wiederzugeben: »ich würde meinen Kopf aufs Spiel setzen« (V. 10). Der seltene Begriff zoʿ apîm wird paraphrasiert: διατετραμμένον καὶ ἀσθενές (V. 10). Die babylonischen Zauberer (hāʾ aššāpîm) sind φιλόλογοι (V. 20). 6 Im 2. Kap. ist besonders interessant, wie Begriffe und Formeln übersetzt sind, mit denen die Handlung der Geschichte erzählt wird. Nebukadnezzar verlangt, dass seine Weisen ihm den Traum, der ihn verwirrte, erzählen und ihn damit von ihrer Fähigkeit überzeugen, den Traum zu deuten. Dem feststehenden Ausdruck ʾ amar ḥälmāʾ (V. 4.7.9) entsprechen verschiedene Weisen der Wiedergabe, sowohl beim Verb (ἀνάγγέλλω in V. 4, λέγω in den V. 7.9) als auch beim Substantiv (ἐνύπνιον in V. 4, ὅραμα in den V. 7.9). ḥälmāʾ , »Traum«, ist übrigens nicht unterschieden von ḥäzwāʾ , »Vision« (vgl. V. 19.28.36). Sowohl für das Bekanntmachen des Traumes als auch für die Mitteilung der Deutung wird eine Vielfalt an Verben verwendet. Auch die Fachleute, die vom Herrscher zusammengerufen werden, sind nicht an feste Begriffe gebunden. kaśdîm/kaśdāʾ ê sind die Χαλδαῖοι (2,2.10), ḥakkîmîn die σοφοί (2,27), gāzerîn die γαζαρηνοί (2,27) während ʾ aššāp und ḥarṭōm mit unterschiedlichen Begriffen wiedergegeben und in gewisser Weise assimiliert werden können. In 2,2 sind ḥarṭummîm und ʾ aššāpîm: ἐπαοιδοί und μάγοι; in 2,10 sind ḥarṭōm und ʾ ašāp: σοφόςund μάγος; in 2,27 sind ʾ āšepîn und ḥarṭummîn: ἐπαοιδοί und φάρμακοι. φάρμακοι wird andererseits in 2,2 verwendet, um die mekaššēpîm zu bezeichnen. Die hebräisch-aramäischen Begriffe, die vielleicht gehäuft sind, um alle religiösen Fachleute des Hofes aufzurufen, bezeichnen im Einzelnen die ägyptischen Traumdeuter (ḥarṭummîm/ḥarṭummîn), die babylonischen Zauberer (ʾ aššāpîm/ʾ āšepîn), diejenigen, welche die Magie ausüben (mekaššepîm), die, welche das Schicksal bestimmen und die Astrologen (gāzerîn). Die feststehende Formel »und antwortete(n) und sagte(n)«, unvermeidlicherweise mit den Wurzeln ʿ nh und ʾ mr, ist mit verschiedenen grammatikalischen Strukturen und unterschiedlichen Verben übersetzt: ἀποκριθείς + εἶπε in den V. 5.26, ἀπεκρίθησαν + λέγοντες in V. 7, ἐπυνθάνετο + λέγων in V. 15, φωνήσας + εἶπεν in V. 19, ἐκφωνήσας + εἶπεν in den V. 27.47, nur mit den Verben εἶπεν (Ind.) in V. 8 und ἀπεκρίθησαν in V. 10. 6.

RaHa liest hier mit Ms. 88 und Syh φιλόσοφοι, Für detailliertere Beobachtungen s. Wooden, Recontextualization, 47-68. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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Im Allgemeinen bemerkt man im Kap. 2 die Auslassung von Wiederholungen oder Sätzen, die als pleonastisch angesehen werden, wie z. B. in V. 5 (»mein Befehl steht fest«). Dagegen werden an einigen Stellen Erklärungen geliefert, wie in V. 11 (καὶ ἐπίδοξος … ὅθεν οὐκ ἐνδέχεται γενέσθαι καθάπερ οἴει). Die aramäische Vorlage wird jedoch oft mit Gewissenhaftigkeit abgebildet: der königliche Beamte (rab ṭabbāḥayyāʾ ) ist ἀρχιμαγείρος (V. 14), niṣbetāʾ ist wortgetreu wiedergegeben mit ῥίζα 7 (V. 41), obwohl der Sinn schwer zu verstehen ist, κατάλυσις (V. 22) entspricht der Wurzel šrʾ . Die Reaktion des Königs, der, statt zornig zu werden, traurig wird (V. 12) kann sich von einer (akkadischen) Deutung der Wurzel nss herleiten. Entsprechend einer neuen Sensibilität, ist die Strafe, die die babylonischen Weisen erwartet, nicht grausam wie jene, die ihnen im Aramäischen bevorsteht: παραδειγματισθήσεσθε, καὶ ἀναλημφθήσεται ὑμῶν τὰ ὑπάρχοντα εἰς τὸ βασιλικόν (V. 5). »Der Gott des Himmels« (V. 19.37 MT) ist demnach ὁ κύριος ὁ ὕψιστος (V. 19), ὁ κύριος τοῦ οὐρανοῦ (V. 37), ὁ κύριος ὁ μέγας (V. 20; MT: ʾ elāh), ὁ κύριος τῶν πατέρων μου (V. 23; MT: ʾ elāh ʾ abāhātî), κύριος ἐν οὐρανῷ φωτίζων μυστήρια 8 (V. 28; MT: ʾ elāh […] gālēʾ rāzîn), κύριος τῶν κυρίων (> MT, V. 47). Schließlich ist die Wiedergabe von māh dî lehewēʾ mit ἃ / ὅσα δεῖ γενέσθαι zu nennen (Dan 2,28.29), ein Ausdruck, der in Mt 26,54; Mk 13,7; Apk 1,1; 4,1; 22,6 weiterwirkt. Im 3. Kap. beschleunigt der griechische Autor insgesamt die Lektüre der Erzählung. Er vermeidet die Wiederholung der Aufzählung der hohen Würdenträger, die vom König zusammengerufen werden (in V. 3 beschränkt er sich auf οἱ προγεγραμμένοι), und ebenso die detaillierte Nennung aller Musikinstrumente (V. 7.10.15). Andererseits lässt er sich bei ihrem ersten Auftreten eine wohl durchdachte Wiedergabe einfallen. Den sieben Klassen von Würdenträgern (V. 2) lässt er sechs entsprechen, die sich am ägyptisch-ptolemäischen System orientieren: 9 ʾ aḥašdarpenayyāʾ (»Satrapen«) – σατράπαι, signayyāʾ (»Präfekten«) – στρατηγοί, paḥawātāʾ (»Herrscher«) – τοπάρχαι, ʾ adargāzerayyāʾ (»Berater«) – ὕπατοι, gedāberayyāʾ (»Schatzmeister?«) – διοικηταί(»führende Verwalter«), detāberayyāʾ (»Richter«) tiptāyēʾ (»Beamte«) wekōl šilṭōnê (»Autoritäten«) medînātāʾ – οἱ ἐπ᾽ ἐξουσιῶν κατὰ χώραν. Was die Instrumente betrifft (V. 5), sucht er im Allgemeinen echt griechische Wörter: mašrôqîtāʾ (»Flöte«) – σύριγξ, qîtārôs (Kt., »Zither«) – κιθάρα, śabkāʾ (»Leier«) – σαμβύκη, pesantērîn (»Psalter«) – ψαλτήριον. qarnāʾ (»Horn«) ist dagegen σάλπιγξ, während sûmpōneyāh (»Sackpfeife«) mit dem Folgenden verbunden zu συμφωνίας παντὸς γένους μουσικῶν wird. Im selben Kapitel wird hervorgehoben, wie die Kleidungsstücke, von persischer Art und zum Teil heute noch schwer identifizierbar, zu verstehen sind (V. 21): sarbālêhôn paṭṭešêhôn (Qr.) wekarbelātehôn ûlebūšêhôn (bzw. »Hosen«, »Kleidungsstücke?«, »Kopfbedeckung« und »Kleider«) sind τὰ ὑποδήματα αὐτῶν καὶ τὰς τιάρας αὐτῶν ἐπὶ τῶν κεφαλῶν αὐτῶν σὺν τῷ ἱματισμῷ αὐτῶν. sarbālayyāʾ wird dagegen passender wiedergegeben mit σαράβαρα (»Hosen«) in V. 94, wie bereits in V. 21 in »Th«. 7. 8. 9.

ῥίζα fehlt bei RaHa so wie in Ms. 88. Es wurde von Ziegler in Gö konjiziert und ist durch P 967 (siehe den in Köln aufbewahrten Teil) bestätigt. [SK] RaHa folgt hier wieder Ms. 88; Gö folgt P 967. Vgl. Koch, Daniel 1-4, 245.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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Am meisten charakterisieren jedoch die deuterokanonischen Teile das 3. Kap., namentlich die Einfügung des Gesangs von Asarja und der drei Gefährten im Feuerofen (V. 24-91a). Die Verschiedenheit der Inhalte, zusammen mit einigen stilistischen und lexikalischen Differenzen, verweist wahrscheinlich auf das Werk eines Übersetzers, der sich von demjenigen unterscheidet, dem die vorangehenden Kapitel zugeschrieben werden. Die Wendung ʿ nh + ʾ mr z. B. wird in V. 16 noch mit ἀποκριθέντες + εἶπαν wiedergegeben, jedoch mit neuen Ausdrücken wie ὑπολαβόντες + εἶπαν in den V. 9.95(28), συνιδών + εἶπεν in V. 14 oder mit den Verben ἐπέταξε (V. 19), εἶπεν (V. 91[24]), ἐκάλεσεν (V. 93). In den Kap. 4-6 weicht der Text der LXX grundlegend vom MT und »Th« ab. Da der griechische Text gewöhnlich einer hebräisch-aramäischen Vorlage gegenüber treu ist, scheint auch hier die Hypothese naheliegend, dass dieser einer semitischsprachigen Vorlage folgt, die vielleicht der Vorlage von MT vorausgeht. 10 Was den Wortschatz im 4. Kap. anbelangt, kann man die Präferenz des Substantivs ὅρασις (4,7.8.16.17.20) beobachten, das vorher nur in 3,92 vorkam, und den ungewohnten Gebrauch von ἔτη für ʿ iddānayyāʾ (4,13.29.30a.b.c), von τὸ βασίλειον für malkûtāʾ (4,30c.34c) statt entsprechend ὅραμα (vgl. 2,28), καιροί (vgl. 2,21) und βασιλεία (vgl. 2,37.39.40.41.42.44). Der Gott Israels wird demnach ὁ ἅγιος(4,22) oder ὁ ὕψιστος (4,11.21.30c.34) genannt, in einem substantivierten absoluten Gebrauch. Im 5. Kap. geht dem Gastmahl Belschazzars eine Zusammenfassung voraus, dann wird das Folgende gekürzt, abgesehen von einigen Stellen, an denen sogar noch Einzelheiten hinzugefügt werden (V. 4b.6.7.9.17). Der verwendete Wortschatz enthält charakteristische Besonderheiten: der Wunsch des Königs, die Bedeutung der geheimnisvollen Schrift zu erfahren – wie in Kap. 2 in Aramäisch formuliert mit den Verben ḥwh und ydʿ und dem Subst. pišrāʾ –, zeichnet sich durch den neuartigen Gebrauch von ὑποδείκνυμι (V. 7.9.12.16) und σύγκριμα (V. 7.8.9.12.16.26.30) aus. Von 2,27 wird dagegen in 5,7.8 die Wendung aufgegriffen, die die theologischen Fachleute bezeichnet (ἐπαοιδοί, φάρμακοι, γαζαρηνοί). Gott wird als ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος (V. 4) und als ὁ θεὸς ὁ ζῶν 5,23 (vgl. 4,19; 6,26; 12,7) benannt. In Kap. 6 ist der griech. Text weder kürzer noch länger als MT und dennoch erscheint dort die Erzähltechnik neu gestaltet. Stilistisch gesehen bemerkt man eine gewisse Vorliebe für Wiederholungen, sei es einzelner Wörter, sei es ganzer Sätze, ganz anders als oben in den Kap. 1–2 beobachtet: Die regelmäßigen Gebete des glaubenstreuen Daniel werden in den V. 5.8.13 betont, seine Standhaftigkeit (τρὶς τῆς ἡμέρας) kehrt in V. 5.8.10.11.13.16 wieder, in den V. 5.7.8.12.14.17.22.24 wird beschrieben, wie er in die Löwengrube geworfen wird. Der Gebrauch von figurae etymologicae, wie εὔχομαι εὐχήν und ἀξιόω ἀξίωμα in V. 5.7.12, βουλεύομαι βουλήν in V. 4, ὁρίζω ὁρισμόν in V. 12 wird nicht vermieden. In der Semantik des Gebetes wird die Wurzel bʿ h anders übersetzt als in den vorhergehenden Kap.: mit βουλεύομαι (V. 4), mit Hilfe einer doppelten Wiedergabe mit εὔχομαι εὐχήν und ἀξιόω ἀξίωμα (V. 7) oder mit εὔχομαι und δέομαι (V. 13), und mit εὔχομαι (V. 11.12). 11 Zwei Ausdrücke stellen sich als eigentümlich heraus: προσεύχομαι (V. 5.8, nirgends sonst im Buch verwendet), und ὁρισμός für das aramäische dāt (V. 6.9.13.16) oder qeyām (V. 8.16.27). Wäh10. Siehe dazu insbesondere Albertz, Untersuchungen zu Daniel 4-6. 11. Die betreffende Wurzel entspricht ζητέω in 2,13.18 und ἀξιόω in 2,16.23.49. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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rend Kap. 3 Entsprechungen für die Würdenträger des Reiches suchte, werden die Aufgaben der hohen Beamten (V. 8 im MT) nicht ausgedrückt. Der griechische Text der Kap. 7–12, wie bereits in den Kap. 1–2, kann leichter mit dem MT verglichen werden. 12 In Kap. 7 bemüht sich der Übersetzer, die unmittelbare Sprache der Erzählung der Vision nachzuahmen, und gebraucht weitgehend Beiordnungen. Die Formeln, die die Visionen einleiten, sind getreu wiedergegeben: ḥāzēh hawêt (V. 2.4.6.7.9.11.13.21) ist übersetzt mit ἐθεώρουν (V. 2.4.6.7.9.11a.13) und κατενόουν (V. 21), 13 die Partikel waʾ arû/waʾ alû ist wiedergegeben mit ἰδού, wenn sie die Wahrnehmung von etwas Überraschendem ankündigt (V. 2.5.8.13), während sie ausgelassen wird, wenn sie nur den Inhalt der Beobachtung einführt (V. 6.7). 14 Hinsichtlich der Dynamik jeder Szene der V. 2-14 zielt die Wahl der Tempora im Allgemeinen darauf, die Handlung so wiederzugeben, wie sie im Aramäischen dargestellt ist. Die unpersönlichen Ausdrücke, im Aramäischen mit aktiven Verben im Plural gebildet (ʾ āmerîn, heʿ dîw, V. 5.12) sind in Aktivformen verwandelt in der 3. Sg. (εἶπεν, ἀπέστησε). Der Gebrauch des Artikels schließlich entspricht gewöhnlich einem aramäischen Substantiv im status emphaticus, von wenigen Ausnahmen abgesehen. leyammāʾ rabbāʾ darf nicht in Bezug auf das Mittelmeer noch auf den urweltlichen Abgrund einer gewissen Tradition verstanden werden und ist dennoch εἰς μεγάλην θάλασσαν (V. 2) während »die Heiligen«, die im MT im status constructus (V. 18.22a.25.27) oder unbestimmtem Zustand erscheinen (V. 21.22b), in V. 8 mit dem Artikel eingeführt werden; in den V. 21.22.25 werden sie durch den Artikel bestimmt, während sie in V. 18 unbestimmt geblieben sind. Der Übersetzer scheint sich damit minutiös an die Vorlage zu halten, auch wenn er versteht, dass eine unbestimmte Form auf eine bestimmte Identifizierung verweisen kann. 15 Die historischen Bezugspunkte der Vision tauchen übrigens auch in den V. 12.19 deutlich auf, wo die wilden Tiere (θηρία) mit männlichen Formen verbunden sind (τούς, V. 12; κατέσθοντες, καταπατοῦντες, V. 19). In den Kap. 8–12, in denen der MT einen hebräischen Text bewahrt, bemerkt man eine große Sorgfalt, die Vorlage wiederzugeben. Das wird in einigen Sätzen deutlich, in denen einige typisch semitische Ausdrücke beibehalten werden (wie καὶ ἔδωκα τὸ πρόσωπόν μου ἐπὶ κύριον τὸν θεόν in 9,3); des weiteren in der sorgfältigen Rekonstruktion der Bedeutung von unklaren Wendungen. In solchen Fällen werden Transliterationen angeboten, wie z. B. für Ωλαμ (8,2.16), φελμουνι (8,13), φας (10,5), θαρσις (10,6); werden Konsonanten auf besondere Weise segmentiert, werden einzelne Buchstaben wiederholt oder liest man umgekehrt analoge Zeichen (manchmal kann man nicht ausschließen, dass das Original in schlechtem Zustand war); gleichlautende Wurzeln werden gedeutet, bis hin zu doppelten Übersetzungen. ʾ ûbal (»Fluss«) wird daher in 8,2 mit πύλη (vgl. das akkadische abullu), ketem ʾ ûpāz in 10,5 mit ἐκ μέσου 12. Eine unaufdringliche Zäsur zum vorhergehenden Kap. erscheint schon in der Art der Wiedergabe von aryēh, nicht mehr mit leōn (wie in 6,8.13.17.20.21.23.25.28) sondern mit leaina (7,4). 13. Nur 7,11b LXX lässt er die Formel aus. 14. Vgl. den Unterschied zwischen wehinnēh für »contents of sensual perception« und für »excited perception (surprise particle)« verwendet für die Sprache der Vision Daniels in Gzella, Cosmic Battle, 93-94. 15. Vgl. die sog. »Nichtdeterminierung zum Behuf der Amplifizierung« (GK § 125b). In 7,25 wird die Wendung zimnîm wedāt (eine ungewohnte unbestimmte Form, die auf den kultischen Kalender verweisen will) wörtlich mit kairus kai nomon wiedergegeben.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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αὐτοῦ φας 16 (= mittōkô pāz), hôdî in 10,8 mit πνεῦμα (= rûḥî), ṣîray in 10,16 mit τὸ πλευρόν μου (= ṣadî), nôgēš mit τύπτων (11,20), während hrym in 8,11 sich dazu eignet, entweder τὰ ὄρη oder ἐρράχθη gelesen zu werden. 17 Neben diesen Erscheinungsformen, die Zeugen der Akribie und Sorgfalt einer buchstabengetreuen Übersetzung sind, bemerkt man Zusätze und Erweiterungen verschiedener Art und mit unterschiedlichem Ziel, erklärende Paraphrasen (typisch dafür das Ersetzen von negeb mit Αἴγυπτος 18 und von kittîm mit Ῥωμαῖοι in 11,30), wiederkehrende lexikalische Veränderungen (wie βασιλεύς statt βασιλεία, 19 Πέρσαι statt Περσίς), 20 kleine Auslassungen, neue innertextliche Verbindungen. 21 Von Bedeutung ist, im Umfeld der nomina sacra, die Weise, den besonderen Gebrauch des Tetragramms in Dan 9 mit Hilfe von δέσποτα (V. 8.15.16.17.19; immer im Vokativ der Anrede im Gebet) wiederzugeben. In ihrer Gesamtheit sind diese Kapitel durch eine bestimmte lexikalische Wahl zu einer Einheit verbunden. Der Häufigkeit der Wurzel byn entspricht die beständige Wiederkehr von διανοέομαι, 22 rʾ h wird mit ὁράω wiedergegeben, 23 dābār mit πρόσταγμα, 24 qēṣ vor allem mit συντέλεια. 25 Die Worte ṣābāʾ und ṣebî erkennt man dagegen nicht wieder: das erste wird mit ἀστήρ (8,10) übersetzt, αἰχμαλωσία (= šby? 8,11), πλῆθος (10,1), nicht wiedergegeben (8,12) oder jedenfalls falsch verstanden mit ἐρημόω (= ṣdʾ ? 8,13). Das zweite, eine Bezeichnung Palästinas, wird durch den Verweis auf eine Himmelsrichtung ersetzt, βορρᾶς, was der Kontext nahelegt (8,9); wird ausgelassen (11,41) oder verbunden mit ṣbh in θέλησις (11,16.45). Δυνάστης scheint der bevorzugte Ausdruck für die Anführer und Beamten eines Volkes zu sein (8,24; 9,6.8; 11,5.15). Was die Übersetzung von »Th« betrifft, so bemerkt man, dass diese insgesamt versucht, eine Entsprechung zwischen den semitischen und griechischen Formen zu erreichen, und zwar sowohl auf der Ebene der grammatischen Formen, als auch auf der Ebene des Wortschatzes. Zugleich bemüht sie sich um eine klare Lesart und greift deshalb auf dynamische Entsprechungen zurück oder lässt Wiederholungen aus, die sie für überflüssig hält. Obwohl sie einen Text bietet, der näher an dem im MT erhaltenen Text bleibt, bringt sie in einigen Fällen unterschiedliche Lesarten, die nicht immer auf eine überset-

16. RaHa liest mit Ms. 88 φῶς (so übrigεns auch Swete, OT III, 562). Diese Lesart ist jetzt durch P 967 eindeutig bestätigt. Die Lesung φας in Gö ist eine Konjektur, die auf Ziegler und faktisch schon auf Schleusner zurückgeht und aus MT und Th abgeleitet ist. [SK] 17. Weitere Fälle von doppelter Übersetzung in Dan 8,16; 9,26; 10,5.13; 11,27; 12,2.8. 18. 11,5.6.9.11.14.15.25.29.40. 19. 10,13; 11,2.20.21. 20. 8,20; 10,1.13.20. In 12,4 wird das Verb šwṭ (»vor und zurück laufen«) eindrucksvoll übertragen mit ἀπομαίνομαι. 21. In 8,1 bestätigt βασιλεύοντος die Datierung in 7,1. In 8,4 ahmt μετὰ δὲ ταῦτα den Stil von 7,7 nach, während die Einfügung von καιρός in 8,17.19 an 7,12.22.25 erinnert. 22. In 8,5.15.17.23.27; 9,2.13.23.24.25; 10,1.11.12; 11,24.25.30.35; 12,8.10. 23. In 8,1.2.3.4.6.7.20; 9,18.21; 10,5.7.8; 12,5. 24. In 8,16; 9,2.4.12.23.25; 10,1.11.15; 12,4.9. 25. S. 8,19; 9,26; 11,6.13.27.35.40.45; 12,4.6.13. 3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

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zerische Option zurückzuführen sind. 26 Das Fehlen einiger für Th typischer Charakteristika – darunter eben ihre Übereinstimmung mit dem MT – hat einige Gelehrte dazu geführt, diese Übersetzung unter die Zeugen eines Textes kaige prae-Th einzuordnen; diese Meinung wird jedoch nicht einstimmig vertreten. 27 Ausgehend vom Studium der Abweichungen wird zur Zeit eine Abhängigkeit von LXX angenommen (manche beschreiben geradezu »Th« als eine Rezension dieses Textes), 28 eine besondere Nähe zum MT und die Kenntnis eines weiteren Textes. 29

3.2 Zeit und Ort der Übersetzung Wenn – wie man begründeterweise annimmt – das hebräisch-aramäische Buch von Dan seine Endfassung zwischen 167 und 164 v. Chr. fand, erreicht die griechische Übersetzung ihren aktuellen Zustand einige Jahrzehnte später. Sie scheint in der Tat von den Psalmen beeinflusst 30 und ist gekennzeichnet durch besondere Übereinstimmungen in Sprache und Stil mit 1Esdr. 31 Bei Judit und 1Makk ist das Buch bereits bekannt. 32 In diesem Rahmen wäre die Datierung ad quem festgelegt durch die Datierung von 1Makk, anzusetzen wahrscheinlich im ersten Viertel des 1. Jh. v. Chr. 33 Der Standpunkt des griechischen Übersetzers von Dan, der ein Befürworter der Ptolemäer gewesen zu sein scheint, würde übrigens eine Zeit vor 145 v. Chr. nahelegen, das Jahr, in welches die erste Verfolgung der Hebräer fiel. 34 Der »Th«-Text wäre demnach dreißig oder fünfzig Jahr später herausgekommen. 35 Was den Entstehungsort der Übersetzung anbelangt, ist es schwierig, genaue Angaben zu machen. Sowohl das ägyptische Alexandria als auch Palästina können nicht ausgeschlossen werden. Zu Gunsten Alexandrias sprechen die Hinweise auf die ptolemäische Verwaltung in Dan 3,2, die Verwendung eines in den ägyptischen Papyri bezeugten Begriffs wie ἀνδρίζομαι (Dan 10,19; 11,1), 36 eine Umdeutung des hebräischen

26. Vgl. Meadowcroft, Aramaic Daniel, 281-288; McLay, The OG, 212-217. 27. S. die Zusammenstellung der unterschiedlichen Positionen bei Bogaert, Relecture, 202; HDM, 151-156, 182; Collins, Daniel, 9-11. Di Lella schlägt vor, der Übersetzer – aus Palästina oder Kleinasien – hätte eine neue Wiedergabe des hebräisch-aramäisch Originals angeboten, unter ständiger Berücksichtigung von LXX (Textual History, 595-596). 28. Darunter lesen einige »Th« als Rezension von LXX, s. Jeansonne, Old Greek, 22. Anderer Meinung sind Grelot, Les versions, 394-395; McLay, The OG and Th Versions, 15. 29. Vgl. Jeansonne, Old Greek, 6-7; Collins, Daniel, 2-3. 30. S. HDM, 96. 31. S. BBS, 604. Wahrscheinlich wurde 1Esdr vor 100 v. Chr. verfasst (HDM, 97). 32. Delcor, 174-177; BBS, 609. 33. Die hier erzählten Ereignisse lassen in der Tat an die ersten Regierungsjahre Alexanders Ianneus, um 100 v. Chr., denken. Das Werk, in einem semitischen Original, sei kurz darauf überssetzt. worden. In Judit stellt man eine sozio-politische Situation in Palästina fest, die auf das Ende des 2. Jh. weist (zwischen 129 und 100 v. Chr.). s. die Beweisführung von Nihan, Judith, 630-632. 34. Grelot, La Septante, 5-23. Di Lella legt die Abfassungszeit zwischen das Ende des 2. und den Anfang des 1. Jh. v. Chr. (Di Lella, Textual History, 590). 35. So HDM, 97. 36. Passoni Dell’Acqua, Note lessicali, 178-194.

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3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung

6.5.1 Daniel

Originals zu Gunsten Ptolemäus V. (vgl. Dan 11,14) 37 und insgesamt eine grundsätzlich pro-ptolemäische Ausrichtung. Die vielen Stellen in Dan 11, in denen die Ereignisse, die den König des Nordens und den König Ägyptens betreffen, unverstanden oder missverstanden bleiben, und insbesondere die fehlende Kenntnis des Schicksals von Berenike und Laodike (V. 6-9), lassen jedoch an einen Ort denken, der von den Schauplätzen der Auseinandersetzungen und von den im Streit liegenden Familien entfernt ist. 38

4. Inhaltliches und theologisches Profil Der griechische Dan-Text verbindet die Erzählungen des Hofes enger mit den Visionen, was bei der Betrachtung einiger Erweiterungen deutlich wird. In 2,18, als sich Daniel mit Hananja, Mischael und Asarja zurückzieht, »um den Gott des Himmels um Erbarmen zu bitten«, liest man von der Ansage eines Fastens (νηστεία), das dem des Protagonisten in 9,3 völlig gleicht. Dann wird in 2,43 (οὐκ ἔσονται δὲ ὁμονοοῦντες οὐδὲ εὐνοοῦντες) im Hinblick auf die Füße der Statue, die aus Eisen und Ton sind – Elemente, die sich nicht verbinden –, ein Hinweis auf die Ptolemäer und Seleukiden erklärt – Dynastien, die vergeblich versuchen, sich durch Heiraten zu verbinden (vgl. 11,6). Das Gebet Asarjas in 3,26-45, eine Antizipation des Bittgebets in 9,3-19, erwähnt »einen ungerechten König, den schlechtesten auf der ganzen Erde« (V. 32), eine deutliche Anspielung auf Antiochus IV. Dieser letzte König scheint auch im Hochmut auf, mit dem sich Nebukadnezzar gegen den Tempel und die himmlischen Wesen wendet (4,19; vgl. 8,10-11). Die Umstellung der Kap. 7–8, in p967 zwischen Kap. 4 und Kap. 5 eingefügt, 39 nimmt die Visionen in die Erzählungen hinein und trägt gleichzeitig zu einer klaren historisierenden Absicht bei. Die Erlebnisse des weisen Israeliten finden sich so in einer engen Abfolge: nach der Einnahme von Jerusalem ist die Erzählung im 12. und 18. Jahr Nebukadnezzars anzusiedeln (2,1; 3,1 = 4,1), also zur Zeit Belschazzars (7,1; 8,1; 5,1), des Darius (6,1; 9,1) und schließlich im ersten Jahr des Kyrus (10,1 und 11,1, in Übereinstimmung mit 1,21). Die griechische Abfassung des Buches, mit den deuterokanonischen Teilen merklich angereichert, bietet in seiner Gesamtheit eine neue Lehre, die ein junger Mann, 37. van der Kooij, Reinterpretation, 72-80; Dines, The King’s, 205-224. 38. Vgl. BBS, 645-650; HDM, 105-106. 39. Es bleibt schwierig zu entscheiden, ob eine solche Anordnung ein früheres, zeitgleiches oder späteres Stadium im Verhältnis zu dem in MT widerspiegelt. Bogaert, Relecture, 199, vertritt die Meinung, dass die Kapitelfolge auf eine Korrektur des erhaltenen, nicht mehr verstandenen Textes ziele, entsprechend der historisierenden Tendenz, die für die LXX charakteristisch ist; Meadowcroft, Aramaic Daniel, 274, bekräftigt die Möglichkeit, dass die Anordnung der Kap. in 967 der Ordnung im MT zeitlich vorausgeht oder gleichzeitig ist. Kreuzer, Papyrus 967, 75 f., weist darauf hin, dass eine Reihenfolge wie in P 967 einen zusätzlichen Sprachenwechsel hebräisch / aramäisch voraussetzten würde, was unwahrscheinlich ist, und dass daher die Änderung wahrscheinlich im Griechischen erfolgt ist, und zwar um das chronologische Problem (Kap. 7 und 8 MT werden in die Regierungszeit Belsazzars datiert, obwohl dieser nach 5,31 bereits verstorben ist) zu lösen. 4. Inhaltliches und theologisches Profil

645

6.5.1 Daniel

der mit dem Geist der Unterscheidung begabt ist, erteilt (Sus 44–45.62b), 40 ein nirgends sonst erwähnter Priester (BelDr 2). Das Werk, das seinen Namen trägt, variiert eindrücklich das Lob des einzigen Herrn, zögert nicht, in den fremden Göttern bloße Götzen aufzuzeigen (3,12.18; 5,4.23; 6,27), von Händen gebildete Götzen, für die man Gaben spendet, obwohl sie nicht essen (BelDr 6-7), Ungeheuer, die zwar verschlingen, aber nur, um zu sterben (BelDr 24.27). Der »lebendige Gott« (vgl. Dan 4,19.23; 5,23; 6,26) ist im Gegensatz dazu fähig, zu retten (3,17) und am Leben zu lassen (4,34a 6,20.21); er nimmt das Opfer eines zerknirschten Herzens und eines demütigen Geistes an, als sei es begleitet von zahlreichen Opfern (Dan 3,39-40), kostbar geworden durch ein gerechtes und ehrfurchtsvolles Verhalten (V. 41). Vor diesem Gott ist Kyrus von Persien nahe daran, Jude zu werden (BelDr 1.28).

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte [SK] 5.1 Daniel als Prophet: In Qumran (4QFlor = 4Q174 IV) und bei Josephus (Ant 10, 249.266-269) wird Daniel als Prophet bezeichnet. Dem entspricht die Einordnung des Danielbuches in der Septuaginta bei den großen Propheten (diese Einordnung ist auch bereits in dem – in dieser Hinsicht wohl auf jüdische Tradition zurückgehenden – p967 bezeugt) 41. Ob die masoretische Einordnung des Danielbuches unter die Schriften demgegenüber älter ist oder auf eine (rabbinische) antiapokalyptische Reaktion zurückgeht, kann gefragt werden. 42 Die Bezeichnung Daniels als Prophet findet sich auch im Neuen Testament und zwar in Mt 24,15. 5.2 Während die Wirkungsgeschichte von Susanna und von Bel et Draco bei den betreffenden Artikeln erörtert wird (siehe 6.5.2 und 6.5.2), bleibt auch für den Stammteil des Danielbuches festzuhalten, dass es, jedenfalls für den christlichen Bereich, im Wesentlichen über die griechische Textform und deren Tochterübersetzungen wirksam wurde. 5.3 Die viel diskutierte (Selbst-)bezeichnung Jesu als Menschensohn 43 geht wohl auf das Aramäische zurück, und ist hier nicht zu erörtern. Die griechische Textform ist aber von Bedeutung für die literarische Fassung in den Evangelien und der Apokalypse des Johannes. Die Vision vom Menschensohn, der nach Dan 7,13 mit den Wolken des Himmels kommt, spielt vor allem in den apokalyptischen Texten der Synoptiker eine wichtige Rolle (Mt 24,30; Mk 13,26; Lk 21,27) sowie im Verhör Jesu bei der Frage nach seiner Rolle als der Menschensohn (Mk 14,62; Mt 26,64). In der Apokalypse spielt das Danielbuch eine Rolle bei der Beschreibung des er40. In der wörtlichen Überlieferung von »Th« dient Susanna zu Beginn des Buches, als Berufungsgeschichte des jungen Daniel (vgl. supra). 41. Kreuzer, Papyrus 967, 79-81. 42. Dass Daniel im Lob der Väter (Sirach 44–49) nicht erwähnt wird, erklärt sich daraus, dass Ben Sira ca. 190-185 v. Chr. verfasst wurde, während das Danielbuch erst um 165 v. Chr. entstand, und kann für die Kanonfrage nicht ausgewertet werden. 43. Siehe dazu Karrer, M., Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998, 287-306.

646

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.5.1 Daniel

höhten Christus (1,13-15 vgl. Dan 7,9.13), bei der Beschreibung des Engels Michael (12,7 vgl. Dan 10,13.21; 12,1) und eines weiteren Engels (10,5-6 vgl. Dan 12,7) sowie bei dem aus dem Meer aufsteigenden Tier (13,1-2 vgl. Dan 7,4-7). Dass der erhöhte Christus als Menschensohn in Apk 1,14 als alt dargestellt ist (»sein Haupt und sein Haar waren weiß«), könnte auf die von MT (und vom sog. Theodotion-Text) abweichende, wahrscheinlich ursprüngliche (siehe RaHa zur Stelle; gegen Ziegler und Munnich in Gö), jetzt auch in p967 bezeugte Lesart ὡς gegenüber ἕως in Dan 7,13 zurückgehen (»der Menschensohn kam wie ein Uralter« statt »der Menschensohn kam bis zu dem Uralten«). 44 5.4 Die Vorstellung von der Abfolge der vier Weltreiche (Dan 2 und Dan 7) entfaltete eine enorme, bis in die Gegenwart reichende und sogar den Europagedanken prägende Wirkung. 45 Nachdem entgegen der Naherwartung des Danielbuches das Weltende noch nicht gekommen war, wurde die Identifikation des vierten und letzten Reiches vom syrischen auf das römische Reich übertragen. Als auch das (West-)römische Reich zu Ende ging, wurde der Gedanke des letzten Reiches auf die (europäische) Christenheit als das »heilige römische Reich« übertragen (translatio imperii); später eingeengt auf das »heilige römische Reich deutscher Nation«. Verständlicher Weise war die Frage der Identifikation und der Repräsentation dieses Reiches in der Neuzeit insbesondere zwischen Katholiken und Protestanten, aber auch im Blick auf die Identifikation der Hörner des, das letzte Reich symbolisierenden Tieres umstritten. In anderer Weise wurde die Aussage von dem die vierfältige Statue zerschmetternden Stein (Dan 2,45) gedeutet. Dieser Stein, der parallel zum Kommen des Menschensohnes in Dan 7 steht, und der ohne Zutun von Menschenhand kommt, wurde auf das Kommen Jesu aus dem göttlichen Bereich gedeutet. Dieser Stein bzw. Fels, der dann anwächst und die ganze Welt füllt, wurde in weiterer Folge von einigen Kirchenvätern auf die von Christus her kommende weltweite Kirche gedeutet. Da dieser Stein nach Dan 2 das Ende der weltlichen Reiche bewirkt, konnte diese Vorstellung auch als Gegenpol zur Erstreckung der Weltreicheidee verwendet werden. Durch den zerschmetternden Stein waren die Weltreiche zu ihrem Ende gekommen und war der Weltreichsgedanke – jedenfalls in dieser Form – nicht mehr relevant. Diese Vorstellung konnte auch mit Dan 7, die Ablösung der »tierischen« Reiche durch das Reich des Menschensohnes, verbunden werden. 46

44. Siehe dazu bereits Lust, J., Daniel 7,13 and the Septuagint, EThL 54 (1978), 62-69; Kreuzer, Papyrus 967, 76-78. 45. Siehe dazu Koch, K., Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel, Göttingen 1997. 46. Zu diesen verschiedenen Vorstellungen und ihrer weiteren Geschichte siehe Bracht, K. / du Toit, D. S. (Hg.), Die Geschichte der Daniel-Auslegung in Judentum, Christentum und Islam, BZAW 371, Berlin / New York 2007; Bracht, K. / Delgado, M. / McGinn, G., Daniel (Book and Person), IV. Christianity, Encyclopedia of the Bible and its Reception (EBR) 6, Berlin / Boston 2013, 109-120. 5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

647

6.5.1 Daniel

6. Perspektiven der Forschung [SK] 6.1 In der Göttinger Septuaginta sind zum Danielbuch über 200 Konjekturen zum Text vermerkt, von denen der weit überwiegende Teil in den Obertext übernommen wurde. Ein Teil der älteren Konjekturen hat sich durch p967 bestätigt. Angesichts dieser ungewöhnlich hohen Zahl stellt sich die Frage, wie berechtigt sie sind und welche Bedeutung und Auswirkung sie für das Textverständnis haben. 6.2 Von Bedeutung für die Geschichte des Septuagintatextes wie auch für die neutestamentliche Textgeschichte könnte eine Untersuchung sein, welche der Textformen des Danielbuches in den jeweiligen Zitaten und Anspielungen des Neuen Testaments und ggf. auch darüber hinaus bei den Autoren des 2. Jh. vorauszusetzen sind. 6.3 Ein weiteres interessantes Thema ist die Frage der Beziehungen des griechischen Danielbuches zu und der Einflüsse auf eschatologisch-apokalyptische Texte und Vorstellungen des frühen Judentums und Christentums.

648

6. Perspektiven der Forschung

6.5.2 Susanna Heinz-Dieter Neef

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 1954 — Ziegler, J. / Munnich, O., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 19992. Geissen, A., Der Septuaginta-Text des Buches Daniel Kap. 5-12, zusammen mit Susanna, Bel et Draco sowie Esther Kap. 1,1a-2,15. Nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, Papyrolog. Texte und Abhandlungen Band 5, Bonn 1968.

1.2 Qumran-Texte Die von J. T. Milik, Daniel et Susanne, vorgeschlagene Identifikation von 4Q551 als aramäischer Text von Susanna (4QDanSus ar) wird von E. Puech in DJD XXVII, 47-56 abgelehnt und der Text anders identifiziert.

HTTM 511 f.515.

1.3 Übersetzungen und Kommentare Plöger, O., Zusätze zu Daniel, JSHRZ I/1, Gütersloh 1973, 63-87 — McLay, R. T., Sousanna, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 986-990 — Engel, H., Susanna, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1418-1423 — Engel, H., Susanna / Daniel 13, LXX.E, Stuttgart 2011, 3009-3016. Moore, C. A., Daniel, Esther and Jeremiah: The Additions, AncB 44, Garden City / NY 1977 — Kottspieper, I., Zusätze zu Daniel, ATDA 5, Göttingen 1998, 288-328.

1.4 Weitere Literatur Baumgartner, W., Susanna. Die Geschichte einer Legende (1927), in: ders., Zum Alten Testament und seiner Umwelt, Leiden 1959, 42-66 — Clanton, D. W., (Re)dating the Story of Susanna: A Proposal, JSJ 34 (2003), 121-140 — Collins, J. J., Daniel, Hermeneia, Minneapolis 1993, 420-439 — Delcor, M., Le livre de Daniel, Sources bibliques, Paris 1971 — Engel, H., Die Susanna-Erzählung, OBO 61, Fribourg / Göttingen 1985 — Koenen, K., Von der todesmutigen Susanna zum begabten Daniel. Zur Überlieferungsgeschichte der Susanna-Erzählung, ThZ 54 (1998), 1-13 — Koenen, K., Susanna, Susanna-Erzählung, www.wibilex.de (März 2012) [Lit.!] — Leisering, C., Susanna und der Sündenfall der Ältesten. Eine vergleichende Studie zu den Geschlechterkonstruktionen der Septuaginta- und Theodotionfassung von Dan 13 und ihren intertextuellen Bezügen, Exegese in unserer Zeit 19, Wien u. a. 2008 — Leisering, C., Susanna »im Garten«: Eine feministisch-intertextuelle Lektüre der Susannaerzählung, in: lectio difficilior 2008, Ausgabe 1 — Milik, J.-T., Daniel et Susanne à Qoumran, in: M. Carrez u. a. (Hg.), De la 1. Literatur

649

6.5.2 Susanna

Thora au Messie (FS H. Cazelles), Paris 1981, 336-359 — Niehr, H., Die Susanna-Erzählung Daniel 13, in: E. Zenger / C. Frevel (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 20128, 618 f. — Schüpphaus, J., Das Verhältnis von LXX- und Theodotion-Text in den apokryphen Zusätzen zum Danielbuch, ZAW 83 (1971), 49-72 — Spolsky, E. (Hg.), The Judgement of Susanna. SBL. EJL 11, Atlanta/GA 1996 (zur Wirkungsgeschichte in Theologie, Kunst und Literatur).

2. Textüberlieferung und Editionen Die Susanna-Erzählung liegt in zwei Fassungen vor: LXX-Text und Theodotion-Text. Zur Zeit des Origenes waren noch beide griechischen Fassungen im kirchlichen Gebrauch. Die frühe christliche Kirche nach Origenes aber gab den Septuagintatext auf, und verwendete die weitaus wortgetreuere griechische Übersetzung Theodotions. 1 Der Kirchenvater Hieronymus spekuliert über die Gründe: Vielleicht entferne sich die LXX-Übersetzung zu weit vom aramäischen Wortlaut oder es handle sich um eine nur unter dem Namen der LXX überlieferte Übersetzung eines Unbekannten, der des Aramäischen nicht mächtig war. Die Folge der Bevorzugung des Theodotion-Textes war, dass der LXX-Text fast völlig in Vergessenheit geriet. Er war bis ins 17. Jh. hinein nur in kleinen Fragmenten aus Kirchenväter-Zitaten bekannt. Erst durch die Entdeckung einer Minuskelhandschrift des 10. Jh.s (Codex Chisianus = 88) wurde der Text der Septuaginta wieder auf eine bessere Grundlage gestellt. Durch die Entdeckung des Papyrus 967 im Jahr 1931 bei Aphroditopolis in Ägypten konnte Susanna komplettiert werden. 967 kann nunmehr wie eine vollständige Handschrift behandelt werden. Der Susanna-Teil wurde 1968 durch A. Geissen veröffentlicht. Eine kritische Ausgabe liegt in dem von O. Munnich verantworteten Band »Susanna, Daniel, Bel et Draco« im Rahmen der Göttinger Septuaginta-Ausgabe vor.

3. Konzept, Zeit und Ort des Textes Dem Autor der Theodotion-Fassung lag der LXX-Text vor. Er hat ihn teilweise neu formuliert, ergänzt und dadurch wesentlich verändert. Dass er dies unter Benutzung einer von der LXX-Vorlage verschiedenen hebräischen oder aramäischen Fassung der Susanna-Erzählung unternommen haben soll, ist eher unwahrscheinlich. Die LXXVersion lässt sich als eine Richtergeschichte verstehen, Theodotion formte diese in eine Susanna-Erzählung um. Dabei nimmt Theodotion stilistische Glättungen vor: V. 13-14.23.32.34.48.51.53.55.56 f.61 f. Ein Problem bietet die Einleitung in V. 1-5, mit der beide Textversionen einsetzen, die aber primär nur den Eingang des Th-Textes bildete. Wahrscheinlich setzte LXX 1.

Es ist umstritten, ob der sog. Theodotion-Text der Danielschriften mit dem sog. jüngeren jüdischen Übersetzer Theodotion (ca. 180 n. Chr.?) verbunden werden darf. Siehe dazu besonders: Schmitt, A., Die griechischen Danieltexte (»θ’« und o’) und das Theodotionproblem, BZ 36 (1992), 1-29. Das Siglum »Th« wird in der Forschung aus praktischen Gründen beibehalten. Die Theodotion-Fassung wird heute wesentlich früher datiert.

650

2. Textüberlieferung und Editionen

6.5.2 Susanna

mit V. 5 ein, der weitgehend mit Th übereinstimmt. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass die LXX-Version Susanna und ihren Mann Jojakim erst in V. 7 f. vorstellt, was kaum erst nachträglich eingeschoben worden sein kann. Von daher ist die Einleitung des Th-Textes deutlich eine nachträgliche Bearbeitung des Eingangs der LXXVersion. Th hat offensichtlich bewusst die Vorstellung Jojakims mit seiner Frau Susanna vorgezogen, weil er von Anfang an einen Susanna-Geschichtszusammenhang entfalten wollte. Auch in V. 7 f. stellt Th im Unterschied zu LXX die Susannathematik in den Vordergrund. In V. 12 LXX berücksichtigt Th nur Material aus dem letzten Satzteil. Er vereinfacht den Satz in: »Sie waren eifrig darauf bedacht, sie täglich zu sehen.« In V. 14b-21 komponierte Th unter Berücksichtigung des spärlichen LXX-Materials eine neue Badeszene. In V. 24-27 gestaltete Th diese weiter dramatisch aus, um die Beschämung und Demütigung Susannas besonders drastisch zum Ausdruck zu bringen. In V. 28-35 hält sich Th wieder eng an LXX. Allerdings setzt er in V. 28 mit neuen Akzenten ein. In V. 29-35 strafft er die Darstellung. Es fällt auf, dass Th dort, wo LXX von Ältesten und Richtern spricht, nur die Ältesten erwähnt. Offenbar lag bei ihm auf dem Richtermotiv kein besonderer Akzent. In V. 37-39 gestaltete er die Schilderung des »Ehebruchs« Susannas dramatischer und spannender. Gottes Eingreifen in V. 42-44 durch den Gottesengel (LXX) wird bei Th stärker als Gottes selbst vorgenommene Verleihung des Heiligen Geistes an Daniel gedeutet. In V. 46 f. erzählt er breiter als LXX von dem Eingreifen Daniels und der staunenden Reaktion des Volkes. In V. 51 f. orientiert er sich wesentlich an LXX. Auch ab V. 54 hält sich Th mit Ausnahme von kleineren Änderungen an LXX. Beachtenswert ist in V. 60 der Zusatz bei Th, wodurch seine theologische Gewichtung sichtbar wird. In V. 60-62 tilgt Th den wunderhaften Zug vom strafenden Einschreiten des Gottesengels. Den Schluss in V. 63 f. ändert er jedoch um. Th lässt die Geschichte als Susannageschichte enden, indem er von dem dankbaren Lobpreis der Angehörigen angesichts der untadelig erfundenen Susanna erzählte und noch einen kurzen Hinweis auf Daniel anfügte. Die Grundlage der Theodotion-Rezension ist wohl zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. zu datieren. Die LXX-Version dagegen ist in die Hasmonäerzeit (ab 160 v. Chr.) zu datieren, denn in dieser Zeit war es am ehesten denkbar, dass Susanna einer jüdischen Autorität ausgesetzt war, die alle Macht hatte und Verbrecher, Ankläger, Zeuge und Richter zugleich sein konnte (H. Engel).

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Inhalt: Susanna ist die schöne und gottesfürchtige Frau des angesehenen Jojakim. Zwei Älteste der jüdischen Gemeinde sehen sie in ihrem Garten spazieren gehen. Sie bedrängen sie und erpressen sie mit der Anschuldigung, sie hätten sie mit einem jungen Mann im Garten beim Ehebruch ertappt. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung und aufgrund der Falschaussage der Ältesten wird Susanna zum Tod verurteilt. Gott erweckt daraufhin einen jungen Mann namens Daniel, der gegen das Urteil protestiert und eine Wiederaufnahme der Verhandlung fordert. Dies gelingt und auf die Frage 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

651

6.5.2 Susanna

Daniels, unter welchem Baum sie das Liebespaar gesehen hätten, geben die Ältesten unterschiedliche Antworten. So werden sie überführt und zum Tod verurteilt. Gliederung und sprachliches Profil: Susanna-LXX: V. 5-10: Exposition: Die Begierde der Ältesten mit dem Leitmotiv »Gesetzlosigkeit« (V. 28.32.35); Stilfigur der inclusio V. 6-9; 7+9. V. 12-28a: 1. Akt: Susannas Belästigung durch die Ältesten; viele Verben der Bewegung. V. 28b-41: 2. Akt: Verhör Susannas und Verurteilung zum Tod; Verben der Bewegung am Anfang der Szene: V. 29.30.34. V. 44-62: 3. Akt: Die Überführung der Ältesten durch Daniel und Susannas Errettung; Neueinsatz mit καὶ ἰδού (V. 44); inclusiones in V. 44+62; 45+62b; wieder Verben der Bewegung am Anfang der Szene: V. 48.52.62. V. 63a-b: Epilog mit der Lehre aus der Erzählung: διὰ τοῦτο … Susanna-Th: V. 1-6: Exposition: Personen und Ort der Handlung. V. 7-27: Parkszene: V. 7-14 Plan der Ältesten; V. 15-18 Badevorbereitungen; V. 19-27: Belästigung Susannas. V. 28-63: Verurteilung und Rettung: V. 28 f. Vorladung der Susanna; V. 30-33 Entehrung Susannas; V. 34-44 Die Lüge der Ältesten; V. 45-51 Auftreten Daniels; V. 52-60 Verhör der Ältesten; V. 61 f. Verurteilung der Ältesten; V. 63 Gotteslob; Überleitung zum Danielbuch. Gattung: Sus-LXX und Sus-Th erzählen die Geschichte in verschiedenen historischen Situationen und damit mit veränderten Perspektiven und Anliegen. Man hat beide Fassungen als Kriminalnovelle, Märchen, Rechtslegende, folk-tale oder weisheitliche Lehrerzählung bezeichnet. Im Anschluss an H. Engel trifft für Sus-LXX am besten die Charakterisierung als »novellistische Lehrerzählung« zu. Sus-Th kann dagegen als »Lehrerzählung mit aretologischem Gepräge« beschrieben werden. Typisch für die aretologische Erzählung ist die Darstellung des machtvollen göttlichen Eingreifens als Abschluss und Ziel der Erzählung. Zum Motivbestand solcher Erzählungen zählen: Vorstellung der Helden, Charakterisierung seiner Tugend, Tatsymbol seiner Tugend, Einführung eines Antihelden, Konflikt, Bewältigung des Konflikts, Bestrafung des Antihelden, Belohnung des Helden. Theologisches Profil: Das Ziel von Sus-LXX liegt in der Hinwendung zu Jahwe und der Überzeugung, dass er sein Volk Israel-Juda retten kann, auch wenn die eigenen Machthaber dabei sind, sein Gesetz zu missachten und zu vergewaltigen. Sus-LXX liest sich wie ein Aufruf zum Leben aus der Tora und somit zum Träger des göttlichen Geistes zu werden. Es geht um das gesetzlose Verhalten der beiden alten Richter, ihre durch Gott veranlasste Überführung und den klugen Daniel. LXX setzt den Kontrast »Gesetzlosigkeit der alten Richter« gegen »Klugheit und Einsicht der Jugend.« Nach LXX bedarf gerade die von Gott mit Weisheit beschenkte Jugend der Bewahrung durch Gott. Nur so kann sie Hüter des Rechtes werden. In Sus-Th wird Susanna stärker als in LXX aufgrund ihrer Gottesfurcht und Ge652

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

6.5.2 Susanna

setzestreue als tugendhafte junge Frau beschrieben. In gleicher Weise wird der junge Daniel als nachahmenswertes Vorbild beschrieben. In Sus-Th geht es zudem um den dankbaren Lobpreis der Angehörigen angesichts der untadeligen Susanna. Th rückt die böswillige Bedrohung, Demütigung und beabsichtigte Vernichtung einer untadeligen Frau, ihre Errettung durch Gott und den Erweis ihrer Unschuld in den Vordergrund. Th will zeigen, dass derjenige, der trotz aller Anfeindungen seine Hoffnung auf Gott setzt, durch diesen bewahrt wird. Rechtsgeschichtlich gesehen wird die alte Zwei-Zeugen-Regel (Dtn 17,6; 19,15; Num 35,30) durch das Prinzip der getrennten Befragung der Zeugen ergänzt. [SK]

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Susanna-Erzählung hat seit den Anfängen der christlichen Kirche bis in die Gegenwart eine reiche Auslegungsgeschichte hervorgebracht. So deutet Hippolyt in seinem Danielkommentar (202–204 n. Chr.) Susanna als Typus der Kirche und den jungen Daniel als Typus des jungen Jesus im Tempel. Die zwei Ältesten seien eine Allegorese auf Juden und Heiden als die ständigen Feinde der Kirche. Susanna erscheint als Vorbild für die Kirche und den einzelnen Christen. In mittelalterlichen Kommentaren wird Susannas Schönheit hervorgehoben (Albert der Große, um 1200–1280; Nikolaus von Lyra, um 1270–1349). In jüngster Zeit sieht man in der Susanna-Erzählung eine haggadische Interpretation von Jer 29,21-23 mit der Aussage, dass Gott nie diejenigen verlässt, die seinem Gesetz treu sind. In der Kunstgeschichte haben die beiden Motive »Susanna beim Bade« und »Susanna als zweite Eva« das Bild der Erzählung von den Kirchenvätern bis in die Moderne geprägt. So malte Albrecht Altdorfer (1480–1538) Susanna mit einer Frucht in den Händen. Ludovico Carracci zitiert in seinem Gemälde »Susanna und die Ältesten« (1616) mit Susannas Pose Michelangelos Eva aus der Verführungsszene der Sixtinischen Kapelle. In jüngster Zeit beschäftigt sich die feministische Exegese intensiv mit Susanna im Rahmen der Untersuchung des Frauenbildes im Judentum der hellenistischen Zeit.

6. Perspektiven der Forschung Die Forschung der Susanna-Erzählung beschäftigt sich mit vier Problemkreisen. Der erste Problemkreis betrifft die traditionsgeschichtliche Frage. Hier hat Walter Baumgartner 1927 in einer einflussreichen Studie die These aufgestellt, dass die Susannageschichte in den Kreis orientalischer Erzählungen hineingehöre. Sie sei ursprünglich eine profane Volkserzählung gewesen, die eine Umgestaltung in dem Sinn erfahren habe, dass zu dem unterhaltenden Moment das erbauliche hinzugekommen sei: das Gottvertrauen, Susannas Gebet, die Berufung auf Gottes Gebot sowie die Gegenüberstellung der Judäerin und der israelitischen Frauen. Der zweite Problemkreis fragt nach dem Verhältnis von Sus-LXX und SusTh. H. Engel konnte zeigen, dass dem Autor der Th-Fassung der LXX-Text schriftlich vor-

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

653

6.5.2 Susanna

lag. Er habe ihn zum Teil neu formuliert, ergänzt und dadurch insgesamt wesentlich verändert. Der dritte Problemkreis fragt nach dem Werden der Susanna-Erzählung. Hier stellte I. Kottsieper 1998 die These auf, dass man dabei mehrere Wachstumsstufen unterscheiden müsse. Die ursprüngliche Erzählung (E) handelte von dem weisen Daniel, der wohl nicht den im babylonischen Exil lebenden, sondern den in Ez 28,3 begegnenden Weisen vor Augen hatte. Eine genaue Lokalisierung und historische Einordnung von E sei nicht möglich. Der erste Bearbeiter habe E mit dem frühmakkabäischen Textstück (P/PrMakk) zur Gesamterzählung (EMakk) verbunden. EMakk stamme aus einer jüdischen Gruppe, für die die rechte Auslegung der Tora auf das Leben der Gemeinschaft im Mittelpunkt stand. Erst EHasm habe Daniel mit dem gleichnamigen Frommen des babylonischen Exils identifiziert. Der dreistufigen Entstehungsgeschichte des Textes entsprechend habe Daniel drei verschiedene Rollen: Weiser, Lehrer (V. 48b.51.51A. 60-62), Prophet (V. 52 f.56 f.). Eine Neubearbeitung von EHasm liege in ESadd (d. h. in sadduzäischen Kreisen) vor. Demgegenüber verweist Koenen darauf, dass beide Versionen jüngere und ältere Element haben, und vermutet dass sie nicht direkt voneinander abhängen, sondern auf eine gemeinsame Grundlage zurückgehen. Der vierte und jüngste Problemkreis nimmt feministisch-intertextuelle Fragen auf. Hier wird nach der Rolle Susannas in der damaligen Gesellschaft sowie der Geschlechterkonstruktion von Sus-LXX und Sus-Th gefragt.

654

6. Perspektiven der Forschung

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache Heinz-Dieter Neef

1. Literatur 1.1 Text und Editionen Swete, OT III, 1894, 19124 — RaHa 1935/2006 — Ziegler, J., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 1954 — Ziegler, J. / Munnich, O., Susanna, Daniel, Bel et Draco, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum XIV/2, Göttingen 19992. Geissen, A., Der Septuaginta-Text des Buches Daniel Kap. 5-12, zusammen mit Susanna, Bel et Draco sowie Esther Kap. 1,1a-2,15. Nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, Papyrolog. Texte und Abhandlungen Band 5, Bonn 1968.

1.2 Qumran-Texte Keine relevanten Texte

1.3 Übersetzungen und Kommentare Plöger, O., Zusätze zu Daniel, JSHRZ I/1, Gütersloh 1973, 63-87 — McLay, R. T., Bel and the Dragon, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 1023-1027 — Engel, H., Bel kai Dracon (Bel und Drache), LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 1462-1465 — Bergmann, C. D., Bel kai Draco / Bel und Drache / Daniel 14, LXX.E, Stuttgart 2011, 3051-3055. Moore, C. A., Daniel, Esther and Jeremiah: The Additions, AncB 44, Garden City/NY 1977 — Collins, J. J., Daniel. A Commentary on the Book of Daniel, Hermeneia, Minneapolis / MN 1993 — Kottspieper, I., Zusätze zu Daniel, ATDA 5, Göttingen 1998, 288-328.

1.4 Weitere Literatur Bergmann, C., The Ability/Inability to Eat: Determining Life and Death in Bel et Draco, JSJ 35, 2004; 262-283 — Bergmann, C., Idol Worship in Bel and the Dragon and Other Jewish Literature from the Second Temple Period, in: W. Kraus et al. (Hg.), Septuagint Research: Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL.SCS 53, Atlanta/GA 2006, 207-223 — Collins, J. J., »The king has become a Jew«. The perspective on the gentile world in Bel and the Snake (1992), in: ders., Seers, sybils and sages in hellenistic-roman Judaism, JSJ.S 54, Leiden / New York / Köln 1997, 167-177 — Fenz, A. K., Ein Drache in Babel. Exegetische Skizze über Daniel 14, 23-42, Svensk Exegetisk Arsbok 35, 1970, 5-16 — Haag, E., Bel und Drache. Tradition und Interpretation in Daniel 14, TThZ 110 (2001), 20-46 — Koch, K., Deuterokanonische Zusätze zum Danielbuch, AOAT 38/I/II, Neukirchen-Vluyn 1987 — Plonz, S., Vom Bel zu Babel. Populäre Götzenkritik. Stücke zu Daniel 2 bzw. Daniel 14, in: M. Keuchen / H. Kuhlmann (Hg.), Die besten Nebenrollen. 50 Porträts biblischer Randfiguren, Leipzig 2006, 178-182 — Schüpphaus, J., Das Verhältnis von LXX- und Theodotion-Text in den apokryphen Zusätzen zum Danielbuch, ZAW 83 (1971), 49-72 — Trotter, J. R., Another stage in the redactional history of the 1. Literatur

655

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache

Bel story (Dan 14:1-22): The evidence of polemic against foreign priests and the focus on Daniel in the Old Greek, JSJ 44 (2013), 481-496 — van der Bergh, R. H., Reading »Bel and the dragon« as narrative. A comparison between the Old Greek and Theodotion, Acta patristica et Byzantina 20 (2009), 310 — 323 — Wysny, A., Die Erzählungen von Bel und dem Drachen. Untersuchungen zu Dan 14, SBB 33, Stuttgart 1996 — Zimmermann, F., Bel and the Dragon, VT 8 (1958), 438440.

2. Textüberlieferung und Editionen Die Erzählungen von Bel und dem Drachen liegen in zwei Fassungen vor: LXX-Text und Theodotion-Text. In der frühen christlichen Kirche wurde der LXX-Text nach und nach durch die weitaus wortgetreuere griechische Übersetzung Theodotions ersetzt, so dass der LXX-Text fast völlig in Vergessenheit geriet und bis ins 17. Jh. n. Chr. nur in kleinen Fragmenten aus Kirchenväter-Zitaten bekannt war. Erst durch die Entdeckung einer Minuskelhandschrift des 10. Jh.s. n. Chr. (Codex Chisianus = 88) wurde der Text der Septuaginta wieder auf eine bessere Grundlage gestellt. Durch die Entdeckung des Papyrus 967 im Jahr 1931 bei Aphroditopolis in Ägypten konnte Daniel komplettiert werden. Der Papyrus ist eingearbeitet in die Textedition von Susanna, Daniel, Bel et Draco von J. Ziegler und O. Munnich in der Reihe der Göttinger Septuagintaausgabe.

3. Übersetzungstechnik, Zeit und Ort der Übersetzung Die LXX ist sowohl in der Bel- als auch in der Drachenerzählung länger als die ThVersion. Der Vergleich beider Versionen zeigt, dass Th durch bewusste Auslassung bzw. Kürzung einzelner Satzteile den Textzusammenhang sprachlich gestrafft und durch Verkürzung überflüssiger Angaben und Passagen im Ganzen gerafft hat. (vgl. V. 1.7.15 ff.). So verschweigt Th in V. 18 die Tatsache, dass die Gaben verzehrt und die Tische leer waren. Th kürzt den Satzteil »und der König freute sich und sprach zu Daniel« in »und er rief mit lauter Stimme.« (vgl. noch V. 19) Die hohe Zahl wörtlicher Entsprechungen spricht für die Annahme einer literarischen Abhängigkeit. Allerdings finden sich in der Belerzählung weniger Entsprechungen und Ähnlichkeiten als in der Drachenerzählung. Vergleicht man LXX und Th genauer, so lassen sich folgende Beobachtungen machen: Th hat eine größere Ausgewogenheit bei den Verbformen und bei der wörtlichen Rede. Th hat den besseren Stil und Ausdruck sowie die genauere zeitliche Abfolge. Th ersetzt die Partizipien der LXX und korrigiert die schwierigen Perfektformen. Th hat bestimmte Wörter und Ausdrücke durch ihm geläufigere ersetzt und sich zugleich einer gewählteren und feineren Ausdrucksweise bedient. Geht man von diesen Beobachtungen aus, so lässt sich annehmen, dass die LXX-Fassung sowohl bei der Bel- als auch bei der Drachenerzählung die ursprünglichere Version bietet. Th hat beide Erzählungen überarbeitet. Die Divergenz von LXX und Th in der Syntax lässt sich am besten so erklären, dass Th den Text von LXX glättet, vereinfacht und verbessert. (vgl. V. 8). Ein semitisches Original lässt sich zwar nicht mit Sicherheit 656

2. Textüberlieferung und Editionen

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache

ausschließen, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Erzählungen wurden wahrscheinlich deshalb nie Teil des jüdisch-masoretischen und (regulären) evangelischen Kanons, weil sie nicht in semitischer Sprache vorlagen. Was die Frage der Datierung betrifft, so kann man von zwei in der Forschung mehr oder weniger unumstrittenen Beobachtungen ausgehen: die Datierung des Danielbuches um 165 v. Chr. und die Tatsache, dass LXX vor Th entstanden ist. Nach A. Wysny ist als entstehungsgeschichtlicher Kontext für die LXX-Erzählung Alexandria zwischen 145–88 v. Chr. gut denkbar. Der Autor scheint in Alexandria beheimatet zu sein und gehörte wohl zu den gebildeten Kreisen der jüdischen Oberschicht. Th hat wohl zwischen 80 v. Chr. und 50 n. Chr. die LXX in seinem Sinn in Palästina bearbeitet.

4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil Inhalt: Die Erzählungen von Bel und dem Drachen erzählen zunächst davon, wie der fromme, nur den einen Gott verehrende und am Hof des Königs lebende Daniel die betrügerischen Machenschaften der Belpriester aufdeckt. Sie bereichern sich bei den für ihren Gott bestimmten Opfergaben. Sie werden daraufhin vom König getötet, während Daniel die Statue und den Tempel Bel zerstörte (V. 1-22). Hieran schließt sich die Erzählung von der Tötung eines von den Babyloniern verehrten Drachens durch Daniel an. Sieben Tage muss er deshalb in einem Löwenkäfig verbringen. Dort wird Daniel auf Gottes Befehl durch den Propheten Ambakum (Habakuk) mit Speisen versorgt und am siebten Tag durch den König befreit. Daraufhin werden Daniels Feinde den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Gliederung: I V. 1-2 Einleitung, Daniel am Hof des Königs; II V. 3-22 Die Erzählung von Bel: V. 3-4a Die Verehrung Bels; V. 4b-9 Dialog Daniel und König; V. 10-15 Die Vorbereitungen zum Test; V. 16-21 Die Überführung der Priester; V. 22 Zerstörung des Bel durch Daniel; III V. 23-27 Die Erzählung von dem Drachen: V. 23 Einleitung; V. 24-26 Daniel und der König; V. 27 Der Tod des Drachen; IV. 28-42 Die Erzählung von Daniel und den Löwen: V. 28-32 Misstrauen gegenüber dem Juden Daniel; V. 33-39 Habakuk; V. 40-41 Daniel und der König; V. 42: Schluss Gattung: Die Erzählung von Bel und dem Drachen hat viele Gemeinsamkeiten mit Daniel 1–6. Von daher kann man sie als eine Hoflegende beschreiben, die das Ziel der Anerkennung des wahren Gottes hat. Es wird beschrieben, dass die Juden in der Diaspora unter der Regentschaft eines durchaus toleranten Königs leben, von daher gehören die Erzählungen in den Kontext der Diaspora-Erzählungen wie Dan 1–6; Esther, 3Makkabäer. Theologisches Profil: Es geht in den Erzählungen von Bel und dem Drachen sowohl in LXX als auch bei Th um die Darstellung der Klugheit Daniels sowie der Torheit des Götzendienstes. Daniel erweist sich als treuer Anhänger seines Gottes, der auch in einer fremden Umgebung nicht von ihm abweicht. Sowohl LXX als auch Th knüpfen an die alttestamentliche Rede vom Kult der Fremdvölker an. Gleichzeitig steht bei ihnen der Dekalog im Vordergrund. Es geht um den Alleinverehrungsanspruch Jahwes, der keine 4. Sprachliches, inhaltliches und theologisches Profil

657

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache

Götter neben sich duldet. Mit dieser Überzeugung wollen LXX und Th ihr Volk trösten und ermutigen, an diesem Gott festzuhalten. In der Ausgestaltung differieren hier LXX und Th. Bei LXX wird Jahwes Einzigartigkeit betont. Nach LXX hat Daniel den Beweis zu führen, dass weder Bel noch der Drache, sondern nur der Herr der wahre Gott ist. Daniel muss diesen Beweis mutig erkämpfen, womit er im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht. Der Erzähler möchte verdeutlichen, dass dieser geführte Kampf mit Gottes Hilfe zu einem guten Ende geführt werden kann. Th betont dagegen stärker die Lebendigkeit Jahwes. Th beschreibt den Gegensatz »lebendiger Gott – lebloser Gott«. In der LXX-Version wird Daniel als ein Priester eingeführt, als Sohn von Abal. Die Th-Version, die als eine Weiterführung von LXX verstanden werden kann, nennt als König Kyrus (V. 1). Damit stellt sie eine Verbindung zum Danielbuch her (6,28; 10,1). Der in den Erzählungen begegnende König anerkennt die Autorität des Gottes Daniels. Die babylonischen Priester werden dagegen als verlogen und korrupt beschrieben. Th will den Hörern versichern, dass die Heiden den Kampf gegen die für den Herrn eintretenden Glaubenden nicht zu ihren Gunsten entscheiden und sich dem Glauben an den einen lebendigen Gott letztlich nicht verschließen können.

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte Sie wurde zu allen Zeiten in den jüdischen Gemeinden gelesen, wie ihre Aufnahme in späterer Zeit durch den Midrasch zeigt. Allerdings kam es hier nicht zur Aufnahme in den Kanon, vielleicht wegen des Fehlens eines semitischen Originals. Die Erzählung wird im christlichen Bereich zum ersten Mal von Irenäus (gest. 202; Haer 4.5.2) zitiert. In Dan 14,3 f.24 erkennt er Bezüge zwischen dem »lebendigen Gott« des Alten Testaments als dem gleichen Gott des Neuen Testaments. Cyprian (gest. um 250) zitiert Dan 14 als Beispiel zur Nachahmung des mutigen Bekenntnisses des Daniel. Ephraim der Syrer (gest. 373) deutet die Löwengrube als Grab Jesu. Im christlichen Bereich bestanden zunächst keine Hemmungen, die Erzählung in den Kanon aufzunehmen. Das Trientiner Konzil markiert einen Einschnitt, denn die katholische Kirche nahm die Erzählung in den Kanon auf, während die evangelische Kirche die Erzählung zu den Apokryphen zählte.

6. Perspektiven der Forschung Ein schwieriges Problem ist die Frage der Datierung. Diese ist abhängig von der Frage nach ihrem Verhältnis der Erzählung zu Dan 6, dem Alter des Habakukbuches und der religionsgeschichtlichen Einordnung der Verspottung der Praxis der Speisung der Götter. Ausgangspunkt der zukünftigen Forschung werden u. a. die Thesen von I. Kottsieper sein, der in der Bel-Erzählung einen Reflex auf die Zerstörung des Marduktempels durch Xerxes I. 482 v. Chr. sieht. Nach Kottsieper geht es in der älteren LXX-Fassung um den Nachweis, dass Bel kein lebendiger Gott sei, in der jüngeren Th-Fassung um den der Nichtigkeit der Götterbilder. Der Erzähler kenne den babylo658

5. Aspekte der Wirkungsgeschichte

6.5.3 Bel kai Drakon / Bel und Drache

nischen Kult nicht aus eigener Anschauung, von daher sei eine Entstehung in Palästina nicht ausgeschlossen. Die weitere Forschung wird sich zudem mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob den Erzählungen von Bel und dem Drachen ein semitisch-aramäisches Original zugrunde liegt (K. Koch). Die Frage nach dem Verhältnis von »Tradition und Interpretation« in der Erzählung wird in der Forschung intensiv diskutiert, ohne dass hier ein Konsens erkennbar ist. So geht E. Haag davon aus, dass in der Erzählung an die Stelle der apokalyptisch ausgerichteten Eschatologie der Verfolgungszeit das Glaubensbewusstsein von einer sich realisierenden präsentischen Eschatologie getreten sei.

6. Perspektiven der Forschung

659

Septuaginta und Neues Testament

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum Martin Karrer

1. Einleitung Die frühen christlichen Gemeinden lebten mit und aus den Schriften Israels. Sie sprachen vornehmlich griechisch und bevorzugten deshalb Fassungen der Schriften nach der Septuaginta samt deren sich verbreitenden Revisionen und den aufkommenden sog. jüngeren Übersetzungen. 1 Der die Einzelschriften übergreifende Name »Septuaginta« darf dabei nicht täuschen. Die Schriften liefen noch in Rollen um und waren nur partiell zu Sammlungen verbunden. Am beliebtesten waren Psalter, Jesajabuch sowie das Gesetz (bes. Ex und Dtn), 2 und dies nicht nur im frühen Christentum, sondern mutatis mutandis auch im hebräischen Sprachkreis, wie die Verteilung der biblischen Handschriften in den Funden bei Qumran zeigt. Andere Bücher fanden umgekehrt weniger Beachtung, als wir heute erwarten würden, 3 und an der Grenze der als heilig geltenden Schriften gibt es einen gewissen Spielraum. Im Einzelfall wurde so das damals weit verbreitete 1Hen zitiert, 4 während das mindestens bis zum Ende des 1. Jh. (und örtlich noch länger) in seinem Rang umstrittene Estherbuch (wie in einem Respekt vor der Umstrittenheit) lediglich in Anspielungen begegnet. 5 Das spricht für ein lebendiges, nicht zu rasch vom Judentum zu trennendes Rezeptionsverhalten. 6 Dazu passt, dass die entstehenden Gemeinden Jesu ihre Schriftquellen grundlegend aus jüdischen Gemeinden bezogen (jenseits der jüdischen Gemeinden hatten sich Israels Schriften kaum verbreitet). Kein einziger frühchristlicher Autor berichtet, 1.

2. 3. 4. 5. 6.

Die Forschung zählte mehr Abweichungen des kritisch hergestellten ntl. Textes zum MT als zur kritischen LXX-Ausgabe (nach Fernández Marcos, Septuagint, beträgt das Verhältnis der Abweichungen 212:185). Die Abhängigkeit vom Griechischen ist noch eindrucksvoller zu belegen, wenn wir die Septuaginta-Nebentexte und jüngeren Textentwicklungen des 1. Jh.s einbeziehen sowie beachten, dass griechische Entsprechungen zum MT in den meisten Fällen über eine griechische Vorlage vermittelt sind. Den Forschungsstand fassen Beiträge in de Vries / Karrer, Textual History, zusammen. Vgl. Moyise / Menken, Psalms; dies., Isaiah; dies., Deuteronomy. Cant und Thren sind im NT nie und das Hiobbuch ist im Vergleich zu seiner Länge relativ selten zitiert. Jud 14 f. zitiert 1Hen 1,9 wahrscheinlich nach einer griechischen Vorlage: s. Vögtle, Judasbrief / Zweiter Petrusbrief, 71-77. Bes. Mk 6,23 / Est 5,3.6; 7,2. – Est ist örtlich noch bis zum 4. Jh. umstritten; Nachweise bei Kreuzer, Papyrus 967, 79-81. Einzeluntersuchungen zu den Evangelien bei Holtz, Untersuchungen; Menken, Fourth Gospel; ders., Matthew’s Bible; New, Old Testament Quotations; Rese, Alttestamentliche Motive; Schuchard, Scripture u. a. 1. Einleitung

663

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

dass es dabei Schwierigkeiten gegeben hätte. Diese Weitergabe der Schriften ist eines der sichersten Indizien für die weithin bis zum Ende der ntl. Zeit andauernde Einbettung der Gemeinden Jesu ins Judentum. Wohl am Anfang des 2. Jh. brach dann ein innergemeindlicher Streit auf, wieweit Schriftverweise trügen. Denn Ignatius berichtet, Kritiker antworteten auf die Behauptung, etwas stehe geschrieben, das sei der Prüfung vorzulegen (IgnPhld 8,2). 7 Erst Justin aber ordnet Gegensätze um strittige Schriftstellen wie LXX Ps 95,10 scharf in einen Disput zum Judentum ein (Justin, dial. 73,1.4). 8 Die Kontroversen des frühen Christentums mit den jüdischen Gemeinden über die Schrift erwachsen demnach sekundär gegenüber innergemeindlichen Disputen und der gemeinsamen Schriftgrundlage und betreffen das Neue Testament noch nicht. Die in der Mitte des 20. Jh. vorübergehend erwogene These, es habe eine Art ›Bibel der Apostel‹ mit einer sich intern vereinheitlichenden Textbildung gegeben (zu rekonstruieren von den Sondertexten frühchristlicher Zitate aus), 9 setzte sich angesichts dieser Befunde aus gutem Grund nicht durch. Die frühchristliche Rezeption der LXX gehört samt ihren Besonderheiten in die übergreifende Geschichte von Israels Schriften. Wir müssen sogar damit rechnen, dass wichtige Autoren frühchristlicher Schriften nicht nur neben dem von ihnen bevorzugten Griechischen das Hebräische kannten, sondern dass sie auch mehrere Schriftfassungen benützten. 10 Die überkommene Auswahl von Zitaten aus Israels Schriften darf außerdem keinesfalls dazu verführen, die im Neuen Testament zurücktretenden Schriftpassagen geringer zu achten. 11 Vielmehr eröffnet die erkennbare Rezeption zugleich den größeren Raum der Schriften Israels, der als Ganzes vom Christentum wahrzunehmen ist, auch wenn die heutigen Sammlungen von MT und LXX erst nach der Entstehung des Christentums zum Abschluss kamen (die kirchliche Sammlung der Septuaginta mit einem größeren Umfang von jüdischen Schriften als im Hebräischen).

2. Mündliche und schriftliche Überlieferung – das Beispiel des Dekalogs 12 Worte aus den Schriften Israels waren den frühen Judenchristen und den Sympathisanten des Judentums aus den Völkern, der zentralen Gruppe unter den ersten Völ-

7. Vgl. Paulsen, Briefe, 85 f.; Uebele, Verführer, 76-79 und Isacson, Letter, 146-150, insb. 147. 8. Vielleicht in inszenierter Instruktion; vgl. Heyden, Transformation, 207-209.213-217. Weiteres bei Rudolph, Gottesverehrung, 92-96 und Skarsaune, Proof, 35-42 (differenzierte Betrachtung der Rezeption von Ps 95 LXX in 1apol. 41 und dial. 73). Text bei Marcovich, Dialogus. 9. Sperber, New Testament (bes. 204 f.238) identifizierte die »Bible of the Apostles« mit dem asteristierten Typ der hexaplarischen LXX. 10. Besonders wird das für das Mt und die Apk diskutiert. 11. Die jüngeren Konzepte eines Vetus Testamentum in Novo receptum sind selbstredend nicht so gemeint, unterstreichen vielmehr die Bedeutung der LXX für die Auslegung des NT, wobei der Schrifthermeneutik der ntl. Verfasser eine größere Rolle als der Überlieferung eingeräumt wird (vgl. Hübner, Vetus Testamentum und weitere Arbeiten). 12. Vgl. bes. U. Schmid, Law.

664

2. Mündliche und schriftliche Überlieferung

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

kerchristen, 13 nicht allein aus Rollen, sondern gleich- oder vorrangig aus dem Hören und mündlicher Weitergabe vertraut. Daher sind die antike Oralität 14 und das Nebeneinander von mündlicher und schriftlicher Überlieferung zu beachten. Nehmen wir als Beispiel den Dekalog, auf dessen Abfolge die Memoriertechnik schon Jahrhunderte vor dem Neuen Testament Einfluss nahm (Tabelle 1). In dessen masoretischem Text folgen dem Gebot zur Ehrung der Eltern die Verbote von Mord, Ehebruch und Diebstahl. Die LXX dagegen verschriftete den mnemotechnisch einfacheren Fortgang von den in der Ehe lebenden Eltern zum Verbot des Ehebruchs, in Dtn 5 (kritischer Text) mit der weiteren Abfolge Ehebruch – Mord – Diebstahl und in Ex 20 mit dem Fortgang Ehebruch – Diebstahl – Mord. 15 Tabelle 1: Abfolge im Dekalog MT Ex 20 / Dtn 5 (und danach Vulgata) 16

LXX kritisch hergestellter Text Ex 20

LXX kritisch hergestellter Text Dtn 5

Philo, decal. 121-135

NT I kritisch hergestellter Text Mk 10,19; Mt 19,18 f. (vgl. MT)

NT II kritisch hergestellter Text Lk 18,20; Röm 13,9 sowie im Ausschnitt Jak 2,11 (vgl. Dtn und Philo) 17

Reihenfolge: – Ehrung der Eltern – Mord – Ehebruch – Diebstahl

Reihenfolge: – Ehrung der Eltern – Ehebruch – Diebstahl – Mord

Reihenfolge: – Ehrung der Eltern – Ehebruch – Mord – Diebstahl

Reihenfolge: – Ehrung der Eltern – Ehebruch – Mord – Diebstahl

Reihenfolge:

Reihenfolge:

– Mord – Ehebruch – Diebstahl […]

– Ehebruch – Mord – Diebstahl […]

Der schriftlich überkommene Text spiegelt insofern nicht zuletzt mündliche Entwicklungen, und doch wird er zum entscheidenden Instrument, um Rezeptionen und Zitate festzustellen: Im 1. Jh. benutzte Philo (decal. 121-135) die Fassung des Dtn, um den Ehebruch zum größten Verbrechen (noch vor dem Mord) zu stilisieren (decal. 121). Im NT klingt sie in Lk 18,20 (kritisch hergestellter Text) und in kleinerem Ausschnitt in Röm 13,9 sowie Jak 2,11 nach (unter rhetorischer Achterstellung des Elterngebots). Die Reihenfolge des protomasoretischen Textes setzte sich in der durchnummerierten Dekalogparaphrase des Josephus (Ant. III, 91 f.) sowie in Mk 10,19 und Mt 19,18 f. (kritisch hergestellter Text) durch. 18 Schriftfassungen erlauben mithin die Identifizierung der Bezugstexte. Das Neue Testament wird, selbst wenn es in der Aufnahme des Dekalogs vor oralem Hintergrund zu lesen ist (die große Zahl der Belege spricht dafür, dass der Dekalog primär 13. Vgl. Sänger, Heiden. 14. Zur Oralitätsdiskussion vgl. Thompson, Voice; Benz, ScriptOralia; Mackay, Orality. 15. Auch der hebräische Nash-Papyrus gibt die zehn Gebote in der Reihenfolge der LXX (kritischer Text) in Dtn 5 wieder (vgl. F. C. Burkitt, The Hebrew Papyrus). 16. Ebenso Samaritanus sowie Peschitta. 17. Beide Fassungen der Evangelien erwähnen darüber hinaus die Ehrung der Eltern erst als letztes, worauf wir hier nicht eingehen können. 18. Die komplizierte Situation der Handschriften zu den Einzelstellen der LXX und der ntl. Rezeption stellen wir hier zurück. 2. Mündliche und schriftliche Überlieferung

665

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

nach dem Gedächtnis und nicht nach Rollen zitiert wurde), zum Zeugen der LXXÜberlieferung gegen den MT und zugleich für das allmähliche Vordringen von indirekten Einflüssen des letzteren Textes. 19 Hieronymus und Vulgata richteten die christliche Rezeption des Dekalogs dann ab der Spätantike an der hebräischen Abfolge aus. Der protomasoretische Text wurde zu einer Basis der jüdisch-christlichen Gemeinsamkeit, so gewiss Einflüsse der Septuaginta über viele Jahrhunderte fortbestanden. 20 Die wachsende Liebe zum hebräischen Text bewährte sich in der späteren Begegnung von Christentum und Judentum, da die Septuaginta im Judentum außer Gebrauch geriet. Das NT aber ging dieser Entwicklung voraus. Es erinnert – um zusammenzufassen – an den jüdischen (mit Philo gemeinsamen) Text des 1. Jh.s und an die Ausstrahlung mnemotechnischer Gesichtspunkte in die schriftliche Überlieferung der Septuaginta. Es gewinnt, methodisch kontrolliert, indirekten Wert für die Septuagintaüberlieferung auch, wo es sich nicht unmittelbar auf Handschriften, sondern zunächst auf mündliche Überlieferung stützt.

3. Mündlichkeit, Schriftlichkeit und jüngere Überlieferung Verbreitern wir die Beobachtungen. Schriftrollen waren im 1. Jh. höchst ungleich distribuiert und standen den frühchristlichen Autoren bei der Abfassung ihrer Werke nur eingeschränkt zur Verfügung. Z. B. besaß der Autor des lukanischen Doppelwerks ein deutliches rechtliches Interesse, ohne umfangreich aus den Rechtssätzen des Pentateuch zu zitieren; nach Ansicht eines Teils der Forschung fehlten ihm bei der Endredaktion Rollen des Gesetzes (zumindest des Dtn) zum Abgleich. 21 Oder nehmen wir den Hebr, dessen Autor besonders häufig und bei seinen umfangreichen Zitaten aus den Psalmen und Jer mit höchster Wahrscheinlichkeit aus Rollen zitiert: 22 Im Bereich des Dodekaprophetons sind seine Verweise überraschend ungenau (10,37 f. / Hab 2,3 f.; 12,26 / Hag 2,6), was sich am einfachsten erklärt, wenn er den Text kannte, ohne ihn an einem Manuskript verifizieren zu können. 23

19. Die Überlieferung hält die Möglichkeit offen, dass die Abfolge des MT jünger als die der LXX ist: s. Schenker, Gebote; vgl. Himbaza, Décalogue. 20. Beispielhaft gilt das für den Dekalog: Augustin schuf eine im Mittelalter besonders wirksame Auslegung und orientierte sich dabei an der Septuaginta (sermones 8 und 9 und quaestiones in Heptateuchum zu Ex 20). Noch bis zur Dekalogtafel L. Cranachs d. Ä. in Wittenberg variiert daher die Abfolge der Gebote. – Ein zweites wichtiges Beispiel bietet der Psalter. Denn in ihm hielt sich christlich-liturgisch der Septuagintatext, mancherorts inklusive Ps 151 (letzterer steht auch in wichtigen lateinischen Handschriften), und dies interessanterweise, obwohl Ps 151 keinerlei Rolle für das NT spielt. Das NT eröffnete, wie sich bestätigt, die Rezeption der LXX, ohne sie einschränkend zu lenken. 21. So Fernández Marcos, Septuagint, 326 (unbeschadet der Referenzen in Lk 1,15; 2,24; 20,28; Apg 3,23), nach Holtz, Untersuchungen, 169. 22. Übersichten bei Schröger, Verfasser; Rüsen-Weinhold, Septuagintapsalter; Docherty, Use; Steyn, Quest; Walser, Background. 23. Kraus sieht als Grund für Abweichungen von Hab2,3 f. allerdings keine Ungenauigkeit, sondern stilistische bzw. theologische Gründe. (Kraus, Hab 2:3-4, 169).

666

3. Mündlichkeit, Schriftlichkeit und jüngere Überlieferung

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

Tabelle 2: Dtn 18,15 in Apg (LXX Ra und Gö: προφήτην ἐκ τῶν ἀδελφῶν σου ὡς ἐμὲ ἀναστήσει σοι κύριος ὁ θεός σου) Apg 3,22 krit. Text

Apg 7,37 krit. Text

Hinweis

προφήτην ὑμῖν ἀναστήσει κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν ἐκ τῶν ἀδελφῶν ὑμῶν ὡς ἐμέ

προφήτην ὑμῖν ἀναστήσει ὁ θεὸς ἐκ τῶν ἀδελφῶν ὑμῶν ὡς ἐμέ

Alle ntl. Handschriften (auch die Papyri) stimmen in der Syntax προφήτην ὑμῖν ἀναστήσει gegen LXX überein. Ansonsten variieren sie leicht.

Tatsächlich beleuchtet die mündliche, memorierte Weitergabe wiederum manche Freiheit der Überlieferung. So weichen die Sonderlesarten des einzigen Zitats aus dem Dtn (18,15) in der Apg (3,22 / 7,37) – passend zur These mangelnden Abgleichs mit einer Schriftrolle – sowohl vom Dtn-Text als auch untereinander leicht ab (Tabelle 2). Der zitierende Autor verwendet eine alternative, vielleicht mündlich verbreitete Textform und gibt dem aktuellen Redezusammenhang Priorität vor der Genauigkeit des Buchstabens. 24 Das auffällige Phänomen schließlich, dass die Apk in ihren vielen Anspielungen nie explizit zitiert, sachlich vornehmlich eine griechische Vorlage voraussetzt und dennoch in einigen wenigen Passagen das Hebräische aufgreift, könnte auf den doppelten Einfluss des Gedächtnisses und physischer Texte unter Priorität des Gedächtnisses verweisen. 25 Dieser Vorgang reizt zur Reflexion. Namentlich wirft er die Frage auf: Ist der frühchristliche Sachverhalt mit Platos berühmter Kritik des geschriebenen Wortes im Phaidros zu vergleichen? Der Buchstabe verdichte gesprochenes Wort, schlug dieser Dialog vor. Der Buchstabe als verschrifteter Text eigne sich zur Erinnerung für den, der wisse, wovon die Sache handle. Indes besitze der Buchstabe keine Deutungssicherheit. Im Gegenteil, er werde Verstehenden wie Nichtverstehenden beliebig verfügbar, so dass nicht einmal ein Missbrauch auszuschließen sei (Phaidros 275a.c-e). Würde das frühe Christentum sich an eine solche Kritik anlehnen, erhielte das Zitat aus schriftlicher Quelle nur sekundäre Bedeutung. Das frühe Christentum verfuhr differenzierter. Es kannte die Dilemmata einer Verschriftung gegenüber der lebendigen Wirkung des Geistes (2Kor 3,3.6-11). Die Schrift »spreche«, wurde zu einem Topos des Joh, 26 und der Autor des Hebr ließ Gott, Christus und den Geist sogar stets und ausschließlich nur »sprechen«. 27 Dennoch bildete es keine sich an den Phaidros anschließende Theorie überlegener Oralität aus. 24. Die Ergänzung von ὑμῖν und die an beiden Stellen identische syntaktische Umstellung von ὡς ἐμέ fallen auf (Weiteres bei Steyn, Quotations, 140-153). Diese Besonderheiten deuten auf eine relativ stabile, geprägte Textform hin, die der Autor der Apg dann innerhalb seines Werks dann leicht variiert. Beide Besonderheiten stehen zudem dem Hebräischen ferner als der gegenwärtige kritische Text. Früher wäre das als Indiz einer jungen Sonderentwicklung gewertet worden. Angesichts der jüngeren Umbrüche der Septuaginta-Forschung könnte es auch eine alte, freie Textform spiegeln. 25. Zur Diskussion Labahn, Macht des Gedächtnisses. 26. Joh 7,38.42; 19,37; dazu Labahn, Scripture. 27. Die Zitatformeln des Hebr verwenden durchgängig Verben des Redens, bes. λέγειν. Die einzige scheinbare Ausnahme, γράφειν in Hebr 10,7, ergibt sich durch den zitierten Text (LXX Ps 39,8). Der Autor des Hebr führt auch dieses Zitat durch λέγειν ein (10,5). 3. Mündlichkeit, Schriftlichkeit und jüngere Überlieferung

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

Es verzichtete auf eine Zuspitzung, die ihm erlaubt hätte, die Schriften Israels nicht nur sachlich, sondern auch textlich selbständig weiterzuentwickeln. 28 Statt dessen zitierte der erwähnte Autor des Hebr gerade das durch die Schrift verfestigte Wort als lebendiges Wort Gottes, am umfangreichsten im Jer-Zitat Hebr 8,8-12, dessen geringe Abweichungen vom LXX-Text sich sämtlich durch jüngere Übersetzungsentwicklungen erklären (die semantisch relevanteste Abweichung, συντελέσω in 8,8, entspricht Symmachus Jer 38,31). 29 Paulus griff bei der Niederschrift seiner Briefe für seinen Lieblingsautor Jes auf die von ihm je vor Ort erreichbaren Jes-Rollen zurück, die manchmal divergieren, so dass reizvolle Varianten in seinen Zitaten entstehen (trotzdem entsprechen zahlreiche Zitate dem heutigen kritischen LXX-Text und unterstreichen dessen Verbreitung in ntl. Zeit) 30 usw. Tabelle 3: Sach 9,9 im frühen Christentum (LXX Ra und Gö: ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἔρχεταί σοι, δίκαιος καὶ σῴζων αὐτός, πραῢς καὶ ἐπιβεβηκὼς ἐπὶ ὑποζύγιον καὶ πῶλον νέον) Mt 21,5 krit. Text

Joh 12,15 krit. Text

Justin, dial. 53,3 (Abweichungen zu LXX Ra-Gö unterstrichen)

ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἔρχεταί σοι

ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἔρχεται,

πραῢς καὶ ἐπιβεβηκὼς ἐπὶ ὄνον καὶ ἐπὶ πῶλον υἱὸν ὑποζυγίου (Verknappung im Zitat)

καθήμενος ἐπὶ πῶλον ὄνου

ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἥξει σοι, δίκαιος καὶ σῴζων αὐτός, καὶ πραῢς καὶ πτωχός, ἐπιβεβηκὼς ἐπὶ ὑποζύγιον καὶ πῶλον ὄνου

(noch stärker verknappt)

Theologisch wie textgeschichtlich ist das von hohem Gewicht. Denn es sorgte dafür, dass die Gemeinde Jesu nicht nur keine eigene ›Bibel der Apostel‹ schuf, sondern im Gegenteil den Kontakt zur jüdischen Schriftüberlieferung, wie geschildert, bis weit in nachneutestamentliche Zeit aufrecht erhielt. Der schriftliche Text des Judentums blieb Referenz für die memorierten Worte. Die jüdische Übersetzungsgeschichte mit ihrem Weg vom Old Greek zu den sog. jüngeren Übersetzungen vermochte deshalb die christliche Rezeption bis hin zu Korrekturen in der schriftlichen Weitergabe zu beeinflussen. Signifikant ist der Vorgang beim genannten Zitat aus Hab 2,3 f. Das frühe Christentum liebte diesen Text und kannte ihn wahrscheinlich verbreiteter mündlich als schriftlich (vgl. oben zu Hebr 10,37 f.). Aber es verschriftete seine Bezugnahmen. Daraufhin nahm neben den Fassungen des Paulus (Röm 1,17; Gal 3,1) die jüdische Revision der griechischen Übersetzung (Aquila) auf die Überlieferung und Rezeption bis zum 4. Jh. Einfluss. Eine 28. Auch Papias spielt mit dem Topos, die lebendige Stimme sei den Büchern überlegen, lediglich für die Überlieferung der Apostel (Fr. 5 [nach anderen Zählungen Nummern zwischen 1 und 4],4 = Euseb, h.e. III 39,4), nicht bezogen auf die Schriften Israels. 29. Zu den theologischen Pointen in der Textentwicklung s. Schenker, Bund. 30. Dem kritischen LXX-Text entsprechen seine Zitate aus Jes 1,9; 1,10; 29,10.14; 45,23; 49,8; 52,5.15; 53,1; 54,1 und 65,2; partielle Rezensionen spiegeln die Zitate aus Jes 8,14; 10,22 f.; 25,8; 27,9; 28,11 f.16; 52,7; 59,20 f.; 65,1: s. Wilk, Bedeutung, bes. 17-42.

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3. Mündlichkeit, Schriftlichkeit und jüngere Überlieferung

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

erste Spur Aquilas findet sich vielleicht schon in βραδύνειν 2Petr 3,9 f.; 31 am Ende steht bei Euseb, demonstratio Evangelica VI 14 der Aquila-Text neben der LXX. Ein zweites Beispiel, das Zitat von Sach 9,9, verdeutlicht zugleich die theologische Position des oben angeführten Justin (Tabelle 3): Mt 21,5 und Joh 12,15 verknappten das Schriftwort, vielleicht grundgelegt durch mündliche Tradierungen des Jesus-Stoffes, und entfernten sich dadurch etwas von LXX. Justin aber gleicht das zum Text seiner Zeit aus. Er ergänzt in seinem »Dialog« die bei Mt und Joh fehlende Wendung δίκαιος καὶ σῴζων αὐτός (LXX) sowie πτωχός, das er in der sog. jüngeren jüdischen Übersetzung findet (nun bei Symmachus; vgl. außerdem die Quinta). Sein Futur ἥξει, das in der überkommenen LXX-Überlieferung keine Parallele besitzt, 32 entspricht zudem dem hebräischen Impf. ‫ ָיבוֹא‬, das die Übersetzung als Futur erlaubt. Demnach benützt Justin eine Symmachus-Nebenfassung mit Nähe zum hebräischen Text. Der literarische Disput veranlasst ihn nicht, sich vom Text seiner jüdischen Zeitgenossen zu entfernen, sondern dazu, sich um ihn zu bemühen.

4. Jesusüberlieferung und Septuaginta Mehrfach begegneten wir inzwischen der Jesusüberlieferung, die im frühen Christentum eine Zeit lang mündlich weitergegeben wurde und zahlreiche Zitate enthält. Deren Geschichte ist also für unsere Frage bedeutsam. Kehren wir, um ihre Eigenheit zu erfassen, nochmals zum Dekalog zurück. Mk 10,19, das älteste Evangelium, benützt ihn nach einer Überlieferung, die nicht nur – wie erwähnt – der protomasoretischen Reihenfolge der Weisungen nahe steht. Sie übersetzt zudem die hebräische Syntax von ‫ לא‬mit Imperfekt gut griechisch als verneinten Imperativ (μή …) gegen LXX. Das irritiert, falls dem Mk-Text ein aramäisches Überlieferungsstadium vorausging (die griechische Syntax weist eher auf eine in sich griechische Überlieferung hin 33) und bekundet gleichzeitig ein gegenüber der LXX relativ freies Überlieferungsstadium. Die Freiheit gegenüber LXX mindert sich im Fortgang der Verschriftung, wie das Verhalten der Seitenreferenten zeigt: Lk folgt Mk in der Syntax mit μή, nicht in der Abfolge der Weisungen, und Mt passt die Syntax an LXX (οὐ mit Indikativ Futur) an. Beide Eingriffe reduzieren komplementär die ursprüngliche Abweichung von der LXX (in deren Haupthandschriften bemerkenswerterweise die gut griechische und markinische Textbildung mit μή weder in Ex 20 noch in Dtn 5 eingeht). Aufmerksam werden wir für weitere Fälle, in denen die Jesusüberlieferung gute griechische Varianten aufbewahrt. Nennen wir zwei Beispiele: – LXX Ps 109,1 (MT 110,1), das verbreitetste Psalmzitat der frühchristlichen Literatur (Mt 22,44; Mk 12,36; Lk 20,42 f.; Apg 2,34 f.; Hebr 1,13; 1Clem 36,5; Barn 12,10 vgl. 1Kor

31. S. Vögtle, Judasbrief / Zweiter Petrusbrief, 231-232. 32. Es differiert auch zu Justin, apol. 35,11 (ἔρχεται). Nähere Besprechung bei Skarsaune, Proof, 74-76. 33. Josephus Ant. III, 92 paraphrasiert einige Gebote der zweiten Tafel Gebote mit μή + Infinitiv (ὁ δὲ ἕβδομος μὴ μοιχεύειν ὁ δὲ ὄγδοος μὴ κλοπὴν δρᾶν ὁ δὲ ἔνατος μὴ ψευδομαρτυρεῖν). 4. Jesusüberlieferung und Septuaginta

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

15,25), 34 begegnet in Mk 12,36 / Mt 22,44 (Jesus zugeschriebene Überlieferung) mit der Lesart ὑποκάτω, sonst mit ὑποπόδιον). Ὑποκάτω gibt den Ausgangstext ‫חדם‬ vorzüglich zielsprachlich (mit einem präpositional verstehbaren Adverb) wieder, während ὑποπόδιον (Nomen) die Ausgangssprache (»Schemel«) abbildet. In überkommene Septuagintahandschriften drang ὑποκάτω nicht ein, 35 aber es gibt kein spezifisch christliches Interesse für seine Wahl, eher eine nachträgliche Korrektur zugunsten von ὑποπόδιον (Lk 20,42 f. gegen die Parallelen). Daher stellt ὑποκάτω eine wichtige, über die Jesusüberlieferung mit einem oralen Stadium erhaltene Textform dar. – Mk 12,29-31 verschränken Lev 19,18 mit dem Schema von Dtn 6,4 f. Die Zitate aus Dtn 6,4 und Lev 19,18 stimmen dabei gänzlich mit dem kritischen LXX-Text (Gö) überein. Das Zitat aus Dtn 6,5 dagegen entspricht zwar in der Syntax dem kritischen LXX-Text (ed. Wevers), jedoch nicht in der Wortwahl: καρδία steht statt διάνοια für ‫– לבב‬ aber διάνοια wird später im Text nachgetragen –, und ἰσχύς steht statt δύναμις für ‫מאד‬. Beides sind vorneutestamentlich nachweisbare Sprachvarianten. Καρδία prägt die meisten Handschriften von Dtn 6,5 (weshalb Ra es als Obertext wählte); καρδία und διάνοια finden sich in den Handschriften des Rezeptionstextes LXX Jos 22,5, und ἰσχύς begegnet in der jüdisch-griechischen Rezeption von Dtn 6,4, nämlich LXX 4Kgt 23,25 (für ‫ מאד‬MT 2Kön 23,25). Die Jesusüberlieferung tritt also in den lebendigen jüdisch-griechischen Rezeptionsstrom des Schema ein, und die Kombination von καρδία und διάνοια bereichert die Textgeschichte. Denn καρδία (Herz) bildet die Ausgangssprache ab, und διάνοια setzt den zielsprachlichen Impuls, das hebräische Herz meine Verstand und Denken. Die Jesusüberlieferung kombiniert semantisch beides, die zielsprachliche Übertragung (nach heutigem Stand meist ein älterer Übersetzungsansatz) und die abbildenden Sprachtendenzen (die als vornehmlich jung gelten müssen, da sie die kaige-Rezension prägen). Die Tendenz ist für die Jesus- und für die LXX-Überlieferung in doppelter Hinsicht signifikant. Zum ersten wirft die Wiedergabe unter Bemühung um guten griechischen Stil ein Schlaglicht auf die frühe Gemeinde; die etwaige Fremdheit eines Aramäisch sprechenden und die Schrift auf Hebräisch zitierenden Jesus interessiert sie anders als die Nachgeborenen wenig, die gute griechische Verständlichkeit umso mehr. Zum zweiten ergeben sich Konsequenzen für die LXX: Auch scheinbar freie Wiedergaben können in der Textgeschichte gut vorbereitet sein (s. Mk 12,29-31 / Dtn 6,4 f.). Daher verdienen die ntl. Varianten textgeschichtliche Erörterung, selbst wenn sie durch die (jüngeren) LXX-Handschriften nicht gestützt werden; konkret mögen die Syntax mit μή im Dekalog und das ὑποκάτω in LXX Ps 109,1 durchaus vor der Gemeinde Jesu entstanden und in ihr gemäß einem LXX-Nebentext oder gar einem frühen, anderswo verlorenen, LXX-Text aufgegriffen worden sein.

34. Die Interpretationsgeschichte stellen wir zurück (zu ihr Hengel, Inthronisation Christi, 281-367). 35. Soweit sich das der Edition der Psalmen durch A. Rahlfs (Göttingen 1931) entnehmen lässt, die der Erneuerung bedarf.

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4. Jesusüberlieferung und Septuaginta

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

Tabelle 4: Das Schema in Mk 12,29-31 und in der LXX Mk 12,29-31

Dtn 6,4 f. (Ra)

Dtn 6,4 f. (Gö) Jos 22,5 B (= Ra) Jos 22,5 A

4Kgt 23,25 (Ra)

ἄκουε Ισραηλ κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν, καὶ ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς διανοίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ἰσχύος σου.

ἄκουε Ισραηλ κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν, καὶ ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς δυνάμεώς σου

ἄκουε Ισραηλ κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν, καὶ ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς διανοίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς δυνάμεώς σου

ὃς ἐπέστρεψεν πρὸς κύριον ἐν ὅλῃ καρδίᾳ αὐτοῦ

λατρεύειν αὐτῷ ἐξ ὅλης τῆς διανοίας ὑμῶν καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς ὑμῶν

λατρεύειν αὐτῷ ἐξ ὅλης τῆς καρδίας ὑμῶν καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς ὑμῶν

καὶ ἐν ὅλῃ ψυχῇ αὐτοῦ

καὶ ἐν ὅλῃ ἰσχύι αὐτοῦ

5. Rollen, Testimonien und griechische Textformen Sobald Autoren bewusst schriftliche Zeugnisse niederlegen, bevorzugen sie schriftliche Vorlagen. Viele der frühchristlichen Zitate ab Paulus lassen sich deshalb unmittelbar mit LXX-Fassungen vergleichen. Die Einbettung der Zitate in die Kontexte der neuen Schriften erzwang dabei in etlichen Fällen Anpassungen der Syntax, des Anfangs und der Abschlüsse der Zitate. Davon abgesehen änderten die Autoren aber den aufgegriffenen Text in der Regel weniger als früher angenommen. 36 Die Abweichungen vom heutigen rekonstruierten LXX-Text (dem Old Greek) erklären sich infolgedessen häufig durch Besonderheiten der Textüberlieferung um die ntl. Zeit, namentlich Fortschreibungen des Textes in LXX-Nebenformen und Revisionen auf dem Weg zu den sog. jüngeren Übersetzungen. Die Textüberlieferung der Alten Kirche bewahrte LXX- und ntl. Text zudem lange, teilweise noch bis zum frühen Mittelalter in beträchtlichem Maße unabhängig voneinander. Der von der Forschung bis vor kurzem vermutete starke Einfluss ntl. Zitate auf die nachntl. LXX-Überlieferung bestätigt sich nach neueren Untersuchungen nicht. 37 Verzichten wir darauf, das an Beispielen darzulegen, da ein eigener Beitrag des Handbuchs (von W. Kraus) herausragenden Zitaten gilt, und nennen lediglich noch einen Sonderfall: Zur Vorlage der frühchristlichen Zitate müssen (wo die Vorlage 36. S. die dazu erstellte Wuppertaler Datenbank; Beta-Version unter http://isbtf.de/datenbankseptuagintazitate-im-nt/. 37. S. die Untersuchungen in Karrer / Kreuzer / Sigismund (Hg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. 5. Rollen, Testimonien und griechische Textformen

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

schriftlich war) nicht immer ganze Schriften in Rollen gedient haben. Daneben gab es kleine Zitatzusammenstellungen und etwas umfangreichere Zeugnis-Listen (»Testimonia«), deren Distribution geringen Aufwand erforderte (vgl. die Phylakterien und Werke wie 4QTest im umgebenden Judentum). Leider blieb keine einzige christliche Zitatsammlung des 1. Jh. erhalten, weshalb die Rekonstruktion in allen Fällen umstritten ist. 38 Doch die Stellen, die die größte Aufmerksamkeit der Forschung finden, zeigen fast stets Abweichungen vom rekonstruierten kritischen LXX-Text zugunsten aktuell umlaufender Schriftfassungen. Am 9,11 f. in Apg 15,16 f. provoziert einen Vergleich mit Varianten gemäß 4QFlor = 4Q174 III 12 und CD VII 16. 39 Joh 19,37 / Apk 1,7 erinnert an Sach 12,10 ff. Theodotion (und partiell Aquila). 40 Und Hebr 1,5b-13, die dank der Parallele in 1Clem 36 plausibelste Rezeption eines Testimoniums, 41 verweist in zwei Varianten auf den sogenannten antiochenischen Psalmentext (s. πυρὸς φλόγα Hebr 1,7 neben Ps 103[104],4 und ἑλίξεις Hebr 1,12 neben Ps 101[102],27), 42 der lange als jung galt (spätes 3. Jh. n. Chr.), derzeit jedoch aufgewertet wird (nicht zuletzt dank Querlinien zu 1QPsa, die freilich nicht unsere Psalmen betreffen). 43 Schriftliche Quellen, die aktuell zusammengestellt wurden, bedienen sich demnach nicht erst im NT, sondern schon vor (und neben) ihm der je zuhandenen und damit nicht selten jungen Schriftfassungen. Ntl. Rezeptionen sind manchmal Zitate von bereits komplexen Zitaten.

6. Alte und junge Textformen Dieser Befund könnte den Eindruck erwecken, als repräsentierten das NT und die frühchristliche Literatur aufgrund des Textstandes ab dem 1. Jh. maßgeblich jüngere Textentwicklungen. Indes sind gegenüber einer solchen Vereinfachung Kautelen anzumelden. Alte Textformen der LXX blieben stets neben den Fortentwicklungen bewahrt. Die Vermutung ist zu prüfen, ob die ersten Gemeinden Jesu nicht oft mit älteren Schriftrollen arbeiteten; wie erwähnt, bezogen sie ihre Rollen zunächst von den jüdischen Nachbarn, und es steht offen, ob sie dort die jüngsten Abschriften oder ältere Rollen erwarben (die Abgabe letzterer fiel den Nachbarn vielleicht leichter). Und die materiale Textüberlieferung der LXX ist weithin jünger als die Entstehung des NT, so dass die Rekonstruktion des Old Greek schon deshalb material die Überlieferung 38. S. Albl, Scripture u. a. 39. Die Forschung verläuft hier nach weitgehenden älteren Thesen (Lit. Harl u. a., Bible, 276) inzwischen eher kritisch: Nägele, Laubhütte, 97-99; Stowasser, Qumranüberlieferung (Zusammenfassung auf S. 63). Vgl. auch Kraus, Wirkungsgeschichte. 40. Diese Stelle wurde (neben 1Kor 15,54 / Jes 25,8) zu einem Schlüssel für die Diskussion um die Datierung Theodotions bzw. einen Proto-Theodotion (vgl. Hanhart, Septuaginta, 31.202 f.). Rahlfs, Theodotion-Lesarten, kritisierte die Evidenz, aber ohne zureichende Gründe (vgl. Fernández Marcos, Context, 149 mit Anm. 28). Diskussionsstand bei Labahn, Johannesapokalypse, 184-188. 41. 1Clem 36 bestätigt πυρὸς φλόγα (36,3) und enthält Ps 101(102),27 nicht. Ein Teil der Forschung vertritt alternativ, der 1Clem habe den Hebr benutzt. 42. S. Docherty, Citations, 355-365. 43. S. Flint, Readings, 337-365. Weitere Lit. bei Docherty, Use, 128.

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6. Alte und junge Textformen

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

des NT einbeziehen muss. Die ntl. Varianten sind mithin auf alte Reminiszenzen ebenso wie auf jüngere Fortschreibungen in der Textgeschichte zu prüfen. Parallelen in Funden aus der Judäischen Wüste verweisen gegebenenfalls auf beträchtliches Alter der Lesarten. 44 Kaige, Theodotion, Symmachus und Aquila, die uns begegneten, helfen umgekehrt, die jüngeren Fortschreibungen zu bestimmen. Besonders reizvoll ist angesichts des gegenwärtigen Forschungswandels die Betrachtung sog. antiochenischer Lesarten, die – wie schon erwähnt – keineswegs immer jung sein müssen, obwohl dies früher angenommen wurde. 45 Das wirkt sich beim gerade eingeführten Beispiel Hebr 1 aus: Die prima manus des Codex Sinaiticus, eines Hauptzeugen für NT und LXX, enthält die antiochenische Form nur in Hebr 1,7, doch trägt der Korrektor ca, der in der Regel eine hervorragende Korrekturvorlage benutzt, die antiochenischen Lesarten in Ps 101[102],27; 103[104],4 und Hebr 1,12 ein. Der Fortgang der Forschung muss sich darum der Text- und Codexgeschichte gleichermaßen zuwenden. Es mag sein, dass Korrektor ca einen herausragenden alten Text bietet. 46 Die Untersuchung verlangt umso höhere Bedeutung, als derzeit die kritische Neuedition des LXX-Psalters vorbereitet wird. Die ntl. Zitate könnten dort im Einzelfall zu einer Korrektur führen: σῶμα in LXX Ps 39,7 ist durch Haupthandschriften, antiochenischen Text und Hebr 10,6 übereinstimmend bezeugt, so dass Rahlfs’ Entscheidung für ὠτία gegen das Zitat nicht mehr befriedigt. 47 Daneben kommt der Untersuchung von LXX Ps 13,3 (neben Röm 3,13-18) besondere Relevanz zu, wo die verbreitete Entscheidung für den Kurztext wiederum auf ca und antiochenischem Psaltertext (in Übereinstimmung mit Codex A) fußt, der Langtext aber gleichfalls alt ist. 48 Der antiochenische Text ist außer an diesen Stellen für die Geschichtsbücher (s. Röm 11,4 neben 3Kgt [MT 1Kön] 19,18) und Ez (s. 2Kor 6,16 neben Ez 37,27) im Neuen Testament nachgewiesen. 49 Die Aufwertung des antiochenischen Textes, die sich in der LXX-Forschung andeutet, ist nach dem Befund des NT unausweichlich.

7. Ausblick und Ergebnis Die Befunde ließen sich in mehrfacher Hinsicht erweitern. So zeigen Vergleiche mit Zitaten in der jüdisch-hellenistischen Literatur sonst unbekannte Parallelen (vgl. z. B. Hebr 13,5b mit Philo, conf. 166) und vermehren sich bei detaillierten Untersuchungen die Nachweise für (Proto-)Symmachus (s. Röm 12,19 = Hebr 10,30 neben Symmachus Dtn 32,35) wie für Aquila (s. Apk 21,3 neben Jer 7,3). Im Einzelfall dürften ntl. Autoren 44. Freilich nicht unbesehen: Das Dodekapropheton von Naḥal Ḥever bezeugt die Entstehung des jüngeren kaige-Textes. 45. S. allg. Kreuzer / Sigismund, Der Antiochenische Text. 46. So ein Tenor der Diskussionen auf der Sinaiticus-Konferenz London 2009. 47. Rahlfs kannte den herausragenden P. Bodmer = Hs. 2110 noch nicht, der σῶμα stützt, und vermutete, erst ein sekundärer Einfluss des Hebr habe σῶμα in den Psalter eingeführt (bes. Rahlfs, Psalmi, 30 f., 143). 48. S. einerseits Rahlfs, Psalmi, 30 f., 143, andererseits Karrer / Schmid / Sigismund, Beobachtungen, 143-156 z.St. 49. Relevanz für die Dodekapropheton-Zitate kommt hinzu: Kreuzer, Entwicklung. 7. Ausblick und Ergebnis

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

sogar mehrere Schriftfassungen nebeneinander gekannt und geschätzt haben (Apk 1,7 ist über Dan 7,13 Θ zu erklären, die Identifikation von Altem der Tage und Menschensohn in Apk 1,13 f. dagegen über Dan 7,13 LXX gegen Θ und MT). Den freien Umgang mit Schriftworten in der mündlichen Überlieferung und die Einpassung der Zitate in den jeweiligen Kontext der neuen Schriften darf dies nicht überdecken. Doch erlaubt eine methodisch kontrollierte Untersuchung die Korrelation zur Entwicklung des schriftlichen LXX-Textes und gewinnt dies hohen Rang, weil die frühchristliche Rezeption der LXX dem Einschnitt vorausgeht, den die Hexapla für den Text der LXX bedeutet. Im Einzelnen zeichnen sich eine Aufwertung des antiochenischen Textes in der Rekonstruktion des Old Greek und die Erkenntnis ab, dass Vorformen der in die Hexapla aufgenommenen jüngeren Zeugen (Theodotion, Symmachus und Aquila) in die Entstehungszeit des Christentums und punktuell vor sie zurückreichen. Die Diskussion, ntl. Zitate würden selbst ohne Parallelzeugen wesentliche Aspekte der LXX-Geschichte erhellen, hat begonnen. 50 Wenden wir uns den Codices nachhexaplarischer Zeit zu, führen sie im 4. Jh. ein zweihakiges Zeichen (die »Diplé«) ein, um Zitate im Neuen Testament am Rand von Handschriften zu kennzeichnen. 51 D. h. das Neue Testament verweist nach frühchristlicher Erkenntnis auf die rezipierten Schriften Israels. Zugleich verzichten die Codices auf ein analoges Zeichen bei der LXX. Die LXX kann, wenn wir das deuten, in sich gelesen werden, das Neue Testament dagegen nicht ohne Wahrnehmung der LXX. Unter den großen Deutungsschemata, die sich im Christentum für das Verhältnis zu Israels Schriften ausprägten, favorisiert das nicht das Schema von Verheißung und Erfüllung (wonach die Verheißung nie alleine lesbar wäre), sondern die paulinische These von Röm 15,8 f. (βεβαιοῦν), das Christusgeschehen bekräftige und mache fest, was geschrieben sei. 52

Literatur Albl, M. C., »And Scripture Cannot Be Broken«. The Form and Function of the Early Christian Testimonia Collections, NT.S 96, Leiden 1999 — Benz, L. (Hg.), ScriptOralia Romana. Die römische Literatur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, ScriptOralia 118, Tübingen 2001 — Burkitt, F. C., The Hebrew Papyrus of the Ten Commandments, JBQ 15 (1903), 392-408 (zu finden unter http://faculty.gordon.edu/hu/bi/Ted_Hildebrandt/OTeSources/02-Exodus/Text/ Articles/Burkitt-10Commands-JQR.pdf, abgerufen am 6. 2. 2015) — de Vries, J. / Karrer, M. (Hg.), Textual History and the Reception of Scripture in Early Christianity. Textgeschichte und Schriftrezeption im frühen Christentum, SBL.SCS 60, Atlanta/GA 2013 — Docherty, S. E., The Use of the Old Testament in Hebrews. A Case Study in Early Jewish Bible Interpretation, WUNT II 260, Tübingen 2009 — Dies., The Text Form of the OT Citations in Hebrews Chapter 1 and the Implications for the Study of the Septuagint, NTS 55 (2009), 355-365 — Fernández Marcos, N., La Biblia de los autores del Nuevo Testamento, in: V. Collado-Betromeu / V. Vilar-Huesco

50. Harl u. a., Bible, 277, verweisen dazu auf Lk 1,17 neben Mal 3,23 f., Tilly, Einführung, 107, auf Mt 12,18-21 neben Jes 42,1-4, Pokorny / Heckel, Einleitung, auf Eph 4,8 neben LXX Ps 67,19 usw. 51. S. Studien von M. Sigismund und U. Schmid zur Diplé in Karrer / Kreuzer / Sigismund (Hg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. 52. Vgl. Kraus, Volk, 329.

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Literatur

Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

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Der Septuaginta-Text im frühen Christentum

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Literatur

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Textgeschichte Wolfgang Kraus*

1. »Schrift«-Zitate im Neuen Testament Die neutestamentlichen Schriften sind nur in enger Relation zu den Schriften Israels zu verstehen. Letztere geben den Rahmen vor und bieten Belegstellen für Argumentationen. Die Autoren des Neuen Testaments fußen dabei in ihren Zitaten nicht ausschließlich, aber überwiegend auf der griechischen Texttradition (Old Greek) bzw. einer durch bestimmte Handschriften repräsentierten Form derselben 2 und nicht auf dem heute gebräuchlichen masoretischen Text. Dass dieser zitierte (griechische) Text von geringerer Dignität oder Autorität als das hebräische / aramäische »Original« sein sollte, wäre den ntl. Autoren 3 nicht in den Sinn gekommen. 4 Der weitaus größte Teil der Schriftzitate im Neuen Testament stammt aus Büchern, die wir heute unter dem Stichwort »kanonisch« zusammenfassen. Wie aus der Liste bei Nestle-Aland28 hervorgeht, stehen dabei der Psalter, das Buch Jesaja und die Bücher Exodus und Deuteronomium an vorderster Stelle. Indes zählen zu dem, was die frühchristlichen Autoren zitierten und damit zumindest als zitierfähig, wenn nicht auch als »Schrift« ansahen, mitunter solche Texte, die wir heute den Apokryphen oder Pseudepigraphen zurechnen: 5 In 1Kor 2,9 (vgl. mit kleinen Abweichungen 1Clem 34,8; 2Clem 11,7; MartPol 2,3) wird – eingeführt durch *

2.

3.

4.

5.

Der folgende Text nimmt u. a. einige Gedanken auf, die ich geäußert habe in: Kraus, W., Die hermeneutische Relevanz der Septuaginta für eine Biblische Theologie, in: W. Kraus / S. Kreuzer in Verbindung mit M. Meiser und M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 3-25. Gert Steyn, Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, CBET 12, Leuven 1995, konnte zeigen, dass viele Zitate in der Apg eine sehr große Nähe zu der durch Codex Alexandrinus bezeugten Texttradition aufweisen. Theoretisch könnte es sich auch um Autorinnen handeln – was aber, nach allem was wir wissen, eher unwahrscheinlich ist. Der enthusiastische Aufbruch in den frühen christlichen Gemeinden, wie er aus Röm 16,7; Gal 3,26-29 und wohl auch 1Kor 11,5 hervorgeht, wurde bald wieder zurückgedrängt, wie 1Tim 3,1-7 oder die (wahrscheinliche) Interpolation in 1Kor 14,33b35 zeigen. Vgl. Ulrich, E., The Dead Sea Scrolls and the Origins of the Bible, Grand Rapids/MI / Leiden 1999, 57: »It is the literary opus, and not the particular wording of that opus, with which canon is concerned. Both in Judaism and in Christianity it is books, not the textual form of the books, that are canonical.« Dazu auch Tov, E., The Authority of Early Hebrew Scripture Texts, Journal of Reformed Theology 5 (2011), 276-295, bes. 289-291. Zu den folgenden Beispielen s. Rüger, H. P., Das Werden des christlichen Alten Testaments, JBTh 3 (1988), 175-189: 177-179. Vgl. auch Oepke, A., Kanonisch und apokryph. II. Βίβλοι ἀπό-

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1. »Schrift«-Zitate im Neuen Testament

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

die Zitationsformel ἀλλὰ καθὼς γέγραπται – ein Satz zitiert, dessen Herkunft nach wie vor unklar ist: »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Wenngleich die genaue Herkunft des Zitats noch immer umstritten ist, so stammt es jedenfalls nicht (wörtlich) aus dem uns bekannten Alten Testament. 6 Hinter Jak 1,19: »Jeder Mensch sei schnell zum Hören« steht eine mit dem hebr. Text der Handschrift A von Sir 5,11 übereinstimmende Aussage. Der Satz wird jedoch ohne Zitationsformel angeführt. In Jud 14-15 wird mit: »Siehe, der Herr kommt mit seinen vielen Tausend Heiligen« auf eine Prophetie Henochs Bezug genommen, die ein nur geringfügig abweichendes Zitat aus 1Hen 1,9 darstellt. 7 In dem Gespräch mit dem reichen Jüngling, Mk 10,17-22, wird zwischen Geboten, die aus Ex 20 und Dtn 5 stammen, in Vers 19 ein Gebot zitiert: »Du sollst nichts unterschlagen / vorenthalten«, das sich so weder in Ex noch in Dtn findet, sondern mit Sir 4,1 LXX übereinstimmt. 8 Diese Stellen sind als Hinweise darauf anzusehen, dass wir zur Zeit der ntl. Autoren noch nicht von einem allgemein gültigen, fest umrissenen Kanon autoritativer und deshalb zitierfähiger Schriften ausgehen können. Vielmehr ist es so, dass wir einerseits Tendenzen zur Herausbildung eines solchen Kanons feststellen können, dass dieser aber für unterschiedliche Gruppen unterschiedlichen Umfang haben kann. 9 Ein stabiler Kern lässt sich wahrnehmen. Aber der spätere fest abgegrenzte (masoretische) Kanon befindet sich in einem noch nicht abgeschlossenen Stadium und es gibt daneben Schriften, die von bestimmten Gruppen als autoritativ betrachtet werden. 10

κρυφοι im Christentum, ThWNT III (1938), 987-999, bes. 988-992, dort weitere Details. Man darf allerdings die gravierenden zeitbedingten (1938!) Fehlurteile nicht übersehen: 999,29 ff. 6. Große Nähe besteht zu AscJes 11,34. Dieser Text stammt jedoch aus dem 2. Jh. n. Chr. Das habe ich in meinem Beitrag: Umfang und Text der Septuaginta (zusammen mit Martin Karrer), in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 6-63 (Beitrag Kraus: 6-39) fälschlicherweise anders gesehen. Zur Frage, ob das Zitat aus ApcEliae stammen könnte, wie Origenes meinte und bei Nestle-Aland27 angegeben wird, s. Rüger, Werden, 178 Fn. 4; Oepke, ThWNT III, 989,14 ff. Hieronymus geht von einem freien Zitat aus Jes 64,3-4 aus: Belege bei Oepke, ThWNT III, 989,20 ff. 7. Das Henochbuch gehört noch heute zum Kanon in der äthiopischen Kirche. 8. Die Aussage ist textkritisch umstritten. Doch selbst wenn sie sekundär sein sollte, würde dies nur bedeuten, dass derjenige, der die Ergänzung vornahm, ein Gebot, das in Sir 4,1 LXX belegt ist, anderen Dekaloggeboten gleich achtete. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Dtn 24,14 LXX. Die Seitenreferenten Mt und Lk haben diese Bestimmung in ihrer Gebotsliste ausgelassen. Lk hat eine Umstellung in der Reihenfolge vorgenommen. Zur Reihenfolge der Gebote s. den Beitrag von Martin Karrer in diesem Band, S. 664-668. 9. Vgl. zur Frage, welche Bücher in Qumran aufgrund welcher Kriterien Autorität genossen und damit quasi-»kanonischen« Status hatten, Tov, Authority, bes. 286-294. 10. Vgl. dazu auch den Beitrag: Umfang und Text der Septuaginta (zusammen mit Martin Karrer), s. o. Fn. 5. 1. »Schrift«-Zitate im Neuen Testament

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

2. Textliche Vielfalt Dass es zwischen der hebräischen/aramäischen (masoretischen) Textgestalt und den Texten der Septuaginta Differenzen gibt, kann nicht bestritten werden. 11 Aber wie sind diese zu erklären? Sind sie im Willen der Übersetzer begründet? Hatten die Übersetzer andere semitische Vorlagen? Und die weitere Frage: Will die LXX »nur« den hebräischen Text getreu wiedergeben oder stellt sie ein eigenständiges Literaturwerk dar? Unabhängig von hebräischen/aramäischen Vorlagen ist sie jedenfalls nicht entstanden, denn sie ist ja – bis auf jene Bücher, die von vornherein auf Griechisch geschrieben wurden – eine Übersetzung. Aber Übersetzung ist zugleich immer »Umsetzung in einen neuen Kulturkreis« und damit in einen anderen »Bewusstseinsstand«. 12 Die Frage lässt sich zudem nicht pauschal für »die« Septuaginta entscheiden, sondern Nähe und Distanz des Übersetzers zu seiner Vorlage kann nur von Buch zu Buch beurteilt werden. Der Bezug zur semitischen Vorlage und der Charakter als eigenständiges sprachliches Werk schließen sich nicht aus, sondern sind als komplementär zu betrachten. Das mit den Unterschieden zwischen MT und LXX bezeichnete Problem geht jedoch tiefer: Hat man in der Vergangenheit die LXX im Wesentlichen dazu benutzt, Lesarten des hebräischen/aramäischen Textes zu verifizieren, so hat sich das in jüngerer Zeit gewandelt. Die Forschungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass man der LXX nicht gerecht wird, wenn man sie »nur« als Übersetzung, den hebräischen Text (noch dazu in seiner masoretischen Form) dagegen als das »Original« ansieht – und die Lesarten der LXX hauptsächlich zur Begründung für textkritische Entscheidungen am hebräischen Text heranzieht. Diese Entwicklung in der LXXForschung hängt entscheidend mit dem Fortgang der Forschung zum Text des AT insgesamt zusammen. Ging man früher davon aus, dass es für alle biblischen Bücher einen hebräischen Prototyp gegeben habe, so wird diese Position zunehmend aufgegeben. Die Vorstellung einer einzigen (hebräischen) Urtextform ist seit der Erschließung der Qumranfunde, die eine Variabilität (»Fluidität«) auch des hebräischen Textes nahe legen, insgesamt ins Rutschen geraten. Die Texte der LXX werden daher zunehmend nicht mehr nur als griechische Repräsentanten einer (prä- oder proto-)masoretischen Textform angesehen, sondern ggf. einer anderen, aber gleichwohl alten Texttradition. Es wird inzwischen von den meisten Forschern zugestanden, dass es einen einzigen festgelegten hebräischen Text zur Zeit der Entstehung der LXX noch nicht gab. 13 Wir müssen vielmehr von einer Pluriformität der hebräischen Textüberlieferung ausgehen, die erst später einem Jahrhunderte dauernden Vereinheitlichungsprozess unterzogen wurde. 11. Verschiedene Positionen der Forschung zur Erklärung und Möglichkeiten zur Klassifikation bietet Rösel, M., Übersetzung als Vollendung der Auslegung (BZAW 223), Berlin u. a. 1994, 1315.16-20. 12. Stemberger, G., Hermeneutik der Jüdischen Bibel, in: C. Dohmen / G. Stemberger, Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, Studienbücher Theologie I.2, Stuttgart u. a. 1996, 23-132: 59. 13. Vgl. dazu Fabry, H.-J., Der Text und seine Geschichte, in: E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart 20128, 37-66. Vgl. auch Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und anderen Fundorten, Tübingen 2009.

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2. Textliche Vielfalt

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

Wenn es aber nicht den einen hebräischen Prototyp gab, dann wirkt sich das auf die Übersetzungen der biblischen Bücher in der Septuaginta aus. Dann ist auch nicht zu erwarten, dass es sich um Übersetzungen eines solchen Prototyps handelt. Vielmehr ist dann bei jedem einzelnen Buch der LXX die Frage nach der hebräischen / aramäischen Vorlage gesondert zu stellen. Vergleiche mit Texten aus Qumran haben deutlich gemacht, dass die LXX an vielen Stellen eine Texttradition bzw. ein Textstadium repräsentiert, das mit bestimmten Qumran-Texten übereinstimmt, die wiederum bis ins 3. Jh. v. Chr. zurückreichen und aus sprachlichen und textinternen Gründen älter sind als der jeweilige masoretische Text. Deshalb drängt sich die Einsicht auf, dass die LXX an vielen Stellen eine ältere hebräische Textvorlage gehabt haben muss. 14 Insofern ist die LXX auch hinsichtlich der Frage nach der Geschichte des hebräischen Textes von Bedeutung. 15 Der Sachverhalt soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Dtn 32,8. 16 V. 8 wird im MT, in der LXX und in dem Beleg aus Qumran, 4Q37 (Dtnj), unterschiedlich bezeugt: V. 8 MT (Übersetzung nach der Elberfelder Bibel) Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er die Menschenkinder (voneinander) schied, da legte er fest die Grenzen der Völker nach der Zahl der Söhne Israels. V. 8b nach 4Q37 (= 4Q Dtnj) 17: … der Höchste … legte die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Söhne Gottes / Göttersöhne.

14. Besonders schön lässt sich das am Jeremia-Buch nachvollziehen. Der Übersetzer des Jer in der LXX hatte eine kürzere Fassung vorliegen. Der heutige MT ist eine jüngere, an vielen Stellen erweiterte Fassung. Zur Forschungslage bei Jer s. die Diskussion zwischen Hermann-Josef Stipp und Georg Fischer: Stipp, H.-J., Zur aktuellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 630-653; Fischer, G., Die Diskussion um den Jeremiatext, in: a. a. O., 612-629. 15. Zur Frage der Textvielfalt in Ägypten und den Versuchen, diese zu reduzieren, vgl. den Beitrag von Armin Lange, Textpluralität und Textqualität im ägyptischen Judentum, in: Th. S. Caulley / H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 47-65, der auch die eigentliche Absicht des Aristeasbriefes zu erhellen vermag. 16. Dtn 32 bietet das »Lied des Mose«. Seine Entstehungszeit, Gattung und Disposition kann hier unberücksichtigt bleiben. Vgl. hierzu die Hinweise samt Literatur in: Kraus, W., Die Septuaginta als Brückenschlag zwischen Altem und Neuem Testament? Dtn 32 (Odae 2) als Fallbeispiel, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Band III: Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart 2007, 266-290: 268-270. 17. Der sehr fragmentarische Text ist in Ulrich, E. u. a., DJD XIV, 90 aufgeführt. Eindeutig ist allerdings die Erwähnung der »Söhne Gottes« in V. 8b. 2. Textliche Vielfalt

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

V. 8 LXX (Göttinger Edition, Wevers): ὅτε διεμέριζεν ὁ ὕψιστος ἔθνη ὡς διέσπειρεν υἱοὺς Αδαμ ἔστησεν ὅρια ἐθνῶν κατὰ ἀριθμὸν υἱῶν θεοῦ. (Rahlfs bzw. Rahlfs-Hanhart lesen ἀγγέλων anstelle von υἱῶν). V. 8 LXX-Übersetzung: Als der Höchste die Völker aufteilte während er die Kinder Adams zerstreute, legte er die Grenzen der Völker fest entsprechend der Zahl der Söhne Gottes / Göttersöhne (Rahlfs: Engel Gottes). 18 Hinsichtlich unserer Fragestellung ist v. a. der Schluss von V. 8 interessant. Der Halbvers in der Göttinger LXX stimmt überein mit 4Q37. 19 Hinter der Formulierung »gemäß der Söhne Gottes / Göttersöhne« steht die Vorstellung der »Weltaufteilung durch den ›Höchsten‹. Die Menschheit wird dabei nach der Zahl der Götter der Nationen gegliedert. Jeder Gott erhält sein Volk.« 20 Die göttlichen Wesen sind als »Protektoren der Völker« gedacht. 21 Dies dürfte die älteste Lesart sein. Die Lesart des MT »gemäß der Zahl der Söhne Israels« stellt eine spätere Änderung aus theologischen Gründen dar. 22 Auch die Lesart »Engel Gottes« stellt (wahrscheinlich) eine jüngere Korrektur dar, die allerdings älter sein kann als »Söhne Israels«. 23 Die Bedeutung der LXX für die hebräische Textgeschichte wird noch verstärkt, wenn man in Anschlag bringt, dass im Bezug auf das AT Literatur- und Kanongeschichte nicht zwei einander folgende, sondern sich »überlappen[de]« Prozesse dar-

18. Das Lied Mose findet sich auch unter den Odae in der LXX. Der Rahlfs-Text in Od 2,8b entspricht dem bei Rahlfs in Dtn 32,8: Engel Gottes. Diese Lesart wird auch beibehalten in der Ausgabe von Rahlfs-Hanhart. 19. Wobei anzumerken ist, dass die Lesart in den griechischen MSS nicht allzu gut bezeugt ist. Aufgrund der schwachen äußeren Bezeugung hält Robert Hanhart an »Engel« fest: Die Söhne Gottes, die Söhne Israels und die Engel in der Masora, in Qumran und in der Septuaginta. Ein letztes Kapitel aus ›Israel in hellenistischer Zeit‹, in: C. Bultmann / W. Dietrich / C. Levin (Hg.), Vergegenwärtigung des Alten Testaments (FS R. Smend), Göttingen 2002, 170-178. 20. Braulik, G., Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB.AT 2, Stuttgart 1988, 257-300: 298. 21. Karrer, M., Der Weltkreis und Christus, der Hohepriester. Blicke auf die Schriftrezeption des Hebräerbriefes, in: W. Kraus / K.-W. Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie, WUNT 162, Tübingen 2003, 151-179: 155. 22. Nach Emanuel Tov, The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, Jerusalem 1981, 194.290 f., handelt es sich um eine »entmythologisierende« Korrektur. 23. Details bei Dogniez, C. / Harl, M., Le Deutéronome, La Bible d’Alexandrie 5, Paris 1992, 326, sowie den Hertog, C., Deuteronomium, in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare I, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011, 594 (dort weitere Literaturhinweise).

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2. Textliche Vielfalt

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

stellen. 24 »Die Vorstellung eines kanonischen Textes im Sinne seiner buchstabengetreuen Fixierung ist erst nachalttestamentlich«. 25 Ein Verständnis der Bücher der LXX als Repräsentanten teilweise (!) anderer, nicht mit dem protomasoretischen Text identischer Textlinien kann dazu beitragen, das Bewusstsein um die biblische Text-Basis zu profilieren. Viele Argumentationen im NT, zu denen Zitate aus dem AT herangezogen werden, »funktionieren« nur mit der LXX. Eine einfache Gegenüberstellung von AT und NT ist damit ausgeschlossen. Aber auch der Versuch, ein Traditionskontinuum zu ermitteln, das vom MT über die LXX hin zum NT als dessen Abschluss fortschreitet, 26 ist aufgrund der Vielfalt der Textformen unangemessen. 27 Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament – oder speziell: von atl. Bezugstext und ntl. Aufnahme – wird damit komplexer und differenzierter. 28 Auf der Ebene der Einzelbelege kann nur eine Analyse, die von Beleg zu Beleg vorgeht, dem Sachverhalt angemessen sein. Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt werden.

24. Schmid, K., Literaturgeschichte des Alten Testaments, ThLZ 136 (2011), 243-262: 259. Vgl. dazu auch Stipp, H.-J., Das Verhältnis von Textkritik und Literarkritik in neueren alttestamentlichen Veröffentlichungen, BZ.NF 34 (1990), 16-37. 25. Schmid, Literaturgeschichte, 259; vgl. zur Sache die bei Schmid, a. a. O., in den Fn. 65-73 genannte Literatur. 26. So der Versuch von Hartmut Gese, Erwägungen zur Einheit der Biblischen Theologie, in: ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie (BevTh 64), München 1974, 11-30, dem sich Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie II, 287-348, bes. 306 f.335.338 f. ausdrücklich anschließt. 27. S. dazu unten am Schluss dieses Beitrages. 28. Aufgrund dieses komplexen Verhältnisses ist die Position von Frank Crüsemann, wonach das Alte Testament den »Wahrheitsraum« des Neuen abgebe, zu differenzieren. Hier wird die LXX als komplementäre Basis neben dem hebräischen AT abgelehnt (144-147). Die Typisierung, wonach die christliche Bibel für die einen »aus dem hebräsch-aramäischen Alten Testament, wie es im Judentum entstanden ist und überliefert wird, und dem griechischen Neuen Testament« bestehe, für die anderen die Septuaginta die »eigentliche christliche Bibel« sei, aus der im NT zitiert werde, simplifiziert die Sache (139). Mit seiner (anachronistischen) Forderung, die Kirche habe die Schrift aus der Hand des Judentums empfangen und sie deshalb »zuerst und zuletzt in der Gestalt anzuerkennen […], die sie in Israel angenommen hat« – d. h. als MT (151), hat Crüsemann die historische Sachlage verlassen und betreibt Ideologie. Seine Unterstellung, diejenigen, die die LXX als Schriftbasis akzeptieren, würden (versteckten) Antijudaismus fördern, trifft auch jüdische Forscher, die der LXX eine hohe Bedeutung zumessen; s. F. Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011. Leider spielt die LXX auch in dem verdienstvollen Buch zu einer biblischen Gotteslehre von Reinhard Feldmeier und Hermann Spieckermann (Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre [TOBITH 1], Tübingen 2011) noch keine wirklich eigenständige Rolle, wenngleich, und das soll ausdrücklich positiv vermerkt werden, sie vielfach explizit in den Horizont der Überlegungen gerückt ist. 2. Textliche Vielfalt

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

3. Beispiele 3.1 Dtn 32,43 in Röm 15,10 29 Innerhalb einer Zitatenkette führt Paulus mit jeweils eigener Zitationsformel versehen verschiedene alttestamentliche Belege an: Ps 17,50 LXX; Ps 116,1 LXX; Jes 11,10 und schließlich Dtn 32,43: εὐφράνθητε ἔθνη μετὰ τοῦ λαοῦ αὐτοῦ

(freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk).

Das Zitat steht an herausgehobener Stelle und bedeutet im Zusammenhang des paulinischen Argumentationsganges einen entscheidenden Beleg, den man nicht unterschlagen darf. Röm 15,7-13 stellt den sog. Briefcorpusabschluss des gesamten Römerbriefes dar. Paulus fasst hier noch einmal zentrale Gedanken seines Schreibens zusammen. In Röm 15,7-13 wird die Reichweite der paulinischen Rechtfertigungslehre deutlich, die ihr Ziel letztlich darin hat, das universale Gotteslob durch Israel und die Völker zu begründen. Das Zitat in Röm 15,10 entspricht der LXX-Version. Der hebräische Text lautet anders. Für Dtn 32,43 gibt es aber auch einen Beleg im Qumranschrifttum. Sehen wir uns die Texte an: V. 43 MT:

‫הרינו גוים עמו‬ ‫כי דם עבדיו יקום‬ ‫ונקם ישיב לצריו‬ ‫וכפר אדמתו עמו‬

preist ihr Völker, sein Volk denn er rächt das Blut seiner Knechte und Rache wendet er auf seine Gegner zurück und er entsühnt sein Land, sein Volk

V. 43 LXX: 30 1 εὐφράνθητε οὐρανοὶ ἅμα αὐτῶ 2 καὶ προσκυνησάτωσαν αὐτῷ πάντες υἱοὶ θεοῦ 3 εὐφράνθητε ἔθνη μετὰ τοῦ λαοῦ αὐτοῦ 4 καὶ ἐνισχυσάτωσαν αὐτῷ πάντες ἄγγελοι θεοῦ. 31 5 ὅτι τὸ αἷμα τῶν υἱῶν αὐτοῦ ἐκδδικᾶται 6 καὶ ἐκδικήσει ἀνταποδώσει δίκην τοῖς ἐχθροῖς

freut euch, ihr Himmel, zusammen mit ihm es sollen sich vor ihm niederwerfen alle Söhne Gottes freut euch, ihr Völker, mit seinem Volk stark werden sollen für ihn alle Engel Gottes denn [für] das Blut seiner Söhne verhängt er Strafe und er verhängt Strafe und vergilt den Feinden

29. Vgl. dazu auch Kraus, Brückenschlag (und die dort genannte Literatur); Cornelis den Hertog in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare I (LXX.E), hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011, 597 (dort weitere Literaturhinweise); s. daneben Dogniez, C. / Harl, M., Le Deutéronome, La Bible d’Alexandrie 5, Paris 1992, 340. 30. Göttinger Edition und Rahlfs bzw. Rahlfs-Hanhart. 31. In Odae 2,43 (Rahlfs) sind υἱοί bzw. ἄγγελοι jeweils umgekehrt verwendet.

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3. Beispiele

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

7 καὶ τοῖς μισοῦσιν ἀνταποδώσει 8 καὶ ἐκκαθαριεῖ κύριος τὴν γῆν τοῦ λαοῦ αὐτοῦ.

und denen, die ihn hassen, er vergilt und der Herr reinigt das Land seines Volkes

V. 43 in 4Q44 (Dtnq) 32: 1 ‫הרינו שׁמים עמו‬ 2 ‫והשׁתחוו לו בני אלהים‬ 3 ‫כי דם בניו יקום‬ 4 ‫ונקם ישיב לצריו‬ 5 ‫ולמשנאיו ישלם‬ 6 ‫יכפר אדמת עמו‬

jauchzet ihr Himmel zusammen mit ihm; möglich auch: [vor] seinem Volk werft euch vor ihm nieder, all ihr Göttersöhne; möglich auch: ihr Göttlichen denn er rächt das Blut seiner Söhne und Rache wendet er auf seine Gegner zurück und denen, die ihn hassen, vergilt er er entsühnt das Land seines Volkes

Was allein den Umfang des Verses angeht, fällt sofort auf, dass dieser in der LXX erheblich ausgeweitet ist: Vier Stichoi im MT stehen acht Stichoi in der LXX (und sechs Stichoi in 4Q44) gegenüber. Die Himmel werden in der LXX zur Freude aufgefordert. Die Aussage im ersten Stichos »zusammen mit ihm« bezieht sich wohl auf Gott. Alle Gottessöhne sollen niederfallend huldigen. Im dritten Stichos – in jenem, der von Paulus zitiert wird – werden die Völker aufgerufen, sich mit Israel zu freuen. Die Engel Gottes sollen für ihn stark werden. Gott zieht zur Rechenschaft wegen des Blutes seiner Söhne, er vergilt den Feinden, und reinigt das Land seines Volkes. Ein Vergleich der LXX mit 4Q44 ergibt, dass der Vers auch hier kürzer ist. Der dritte und vierte Stichos sowie der sechste der LXX haben keine Entsprechung in 4Q44. Der achte Stichos der LXX entspricht (diff. MT) dem letzten von 4Q44, ebenso entsprechen sich die jeweils ersten beiden Stichoi der LXX und von 4Q44 weitgehend. Der fünfte und der siebte Stichos des LXX-Verses hat ebenfalls eine Entsprechung in 4Q44. Die älteste Fassung dürfte – ähnlich wie in Dtn 32,8 – durch 4Q44 repräsentiert sein. Angeredet sind »die Himmel« und »die Göttlichen / Göttersöhne«. Der von Paulus zitierte Versteil fehlt hier. Der MT bietet im ersten Stichos: »preist, ihr Völker, sein Volk«. Das bedeutet, dass ‫ שׁמים‬in ‫ גוים‬geändert wurde, und dass die Konsonanten ‫עמו‬ anders vokalisiert wurden. 33 Der Übersetzer der LXX hat entweder bewusst interpretiert oder es handelt sich um eine Dittographie oder er hat das ‫ עמו‬aus dem ersten Stichos doppelt übersetzt (und so getan als stünde ‫ עם עמו‬da). 34 Hebräisch unvokalisiertes ‫ עמו‬lässt sich in doppelter Weise verstehen als »mit ihm« (ֹ‫ )ִעמו‬und als »sein Volk« (ֹ‫)ָעמו‬. Für die paulinische Argumentation in Röm 15,7-13 lässt sich allerdings nur der LXX-Text gebrauchen. Mit Dtn 32,43 MT könnte Paulus sein Argumentationsziel, das gemeinsame Gotteslob von Israel und den Völkern zu begründen, nicht erreichen.

32. Text in Ulrich, E. u. a., DJD XIV, 141. 33. Was die Lesung von ‫ עמו‬in 4Q44-Textes angeht, so besteht hier eine nicht zu beseitigende Unklarheit. Der Kontext legt es jedoch nahe, dass die Konsonanten ‫ עמו‬wie im LXX-Vers als »mit ihm« zu verstehen sind. 34. Doppelübersetzungen sind in der Dtn-LXX mehrfach belegt; vgl. den Hertog in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare I, 527.597. 3. Beispiele

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

3.2 Dtn 32,43 in Hebr 1,6 35 Im Rahmen der Darstellung der Erhabenheit des Sohnes gegenüber den Engeln (Hebr 1,5-14) zitiert der Hebräerbriefautor in 1,6 einen Stichos aus Dtn 32,43. Christus ist der Sohn, er ist der Erstgeborene, er ist der Thronerbe etc. In diesem Zusammenhang heißt es: »Die Engel sollen ihm (dem Sohn) huldigen.« (καὶ προσκυνησάτωσαν αὐτῷ πάντες ἄγγελοι θεοῦ.) Der Kontext des atl. Zitats ist für den Autor dabei irrelevant, denn den Bezug von αὐτῷ auf Christus und damit eine christologische Interpretation der Dtn-Stelle kann der Hebr nur erreichen, wenn er den Sprecherwechsel zwischen Dtn 32,42 und 43 übergeht. Im Unterschied zu Dtn 32,43 LXX (aber in Übereinstimmung mit Odae 2,43) spricht der Hebr von ἄγγελοι und nicht von υἱοὶ θεοῦ. 36 Falls der Autor nicht aus einer schriftlichen Vorlage, sondern aus dem Gedächtnis zitiert hat, könnte man daran denken, dass er das Verbum (προσκυνησάτωσαν) aus dem zweiten und die Adressaten (πάντς ἄγγελοι θεοῦ) aus dem vierten Stichos zusammengefügt hat. Im MT ist der zitierte Stichos nicht belegt; anders in 4Q44, dort allerdings mit den Göttersöhnen als denjenigen, die zur Verehrung aufgerufen werden. Mit dem MT könnte der Hebr sein Argumentationsziel nicht erreichen. Dazu benötigt er die LXX. Die christologische Verwendung ist jedoch aus dem zitierten Text nur schwer zu belegen. Der Hebr »zwingt« die von ihm zitierte Schrift, etwas zu sagen, was sie von sich aus so nicht enthielt. 37

3.3 Am 9,11 f. in Apg 15,16 f. 38 In der Rede des Jakobus beim Apostelkonvent (Apg 15,1-29) in Jerusalem zitiert der Sprecher eine Passage aus Am 9, um zu belegen, dass man den hinzukommenden Gläubigen aus den Völkern keine besonderen Barrieren in den Weg legen darf. 39 Die Aufnahme von Nichtjuden in das endzeitliche Gottesvolk soll als schriftgemäß begründet werden. Dazu bezieht sich Jakobus auf οἱ λόγοι τῶν προφητῶν (V. 15), die damit zusammenstimmen: καθὼς γέγραπται. Neben Am 9,11 f. LXX wird auf andere biblische Kontexte ebenfalls angespielt. Am 9,11 f. gehört in den Kontext des Amosschlusses, 9,11-15. Nach der Analyse von Nogalski sind in Am 9,11-15 zwei Sprecher zu unterscheiden: Ein erster in V. 11.12b.14-15

35. Vgl. dazu auch Kraus, Brückenschlag, 279-281. 36. Nach Weiß, H.-F., Der Brief an die Hebräer, KEK XIII, Göttingen 1991, 161, könnte es sich in Hebr 1,6 auch um ein Mischzitat aus Dtn 32,43 und Ps 96,7 LXX handeln. Dort steht aber nicht προσκυνησάτωσαν, sondern προσκυνήσατε, es empfiehlt sich daher nicht unbedingt, an ein Mischzitat zu denken. 37. Karrer, Weltkreis, 178. 38. Vgl. dazu auch Kraus, W., Die Aufnahme von Am 9,11 f. LXX in Apg 15,15 f. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte eines Textes aus hellenistischer Zeit, in: U. Dahmen / J. Schnocks (Hg.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit (FS H.-J. Fabry), BBB 159, Göttingen 2010, 297-322. 39. Sie müssen sich nicht beschneiden lassen und damit zunächst Juden werden, um dann auch Mitglieder des endzeitlichen Gottesvolkes sein zu können.

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und ein zweiter, späterer, in V. 12a.13. Ausgehend von dieser literarischen Unterscheidung lässt sich das zentrale Problem des Textes, das Verständnis dessen, was mit der zerfallenen ›Hütte Davids‹ in V. 11 gemeint ist, lösen: 40 Im Kontext der ersten literarischen Schicht (V. 11.12b.14-15) ist das davidische Königtum im Blick, das wieder erstehen soll. Damit verbunden sind die Wiedererrichtung der Städte Davids und die Rückkehr der Menschen (V. 14 f.). 41 Im Kontext der zweiten Schicht geht es nicht mehr nur um Restauration, sondern um politische Herrschaft über die früheren Herrschaftsgebiete, explizit über den Rest Edoms. 42 Der Text, den die LXX bietet, unterscheidet sich an einigen Stellen signifikant vom MT. Im Folgenden beschränken wir uns auf zwei Varianten in V. 12: Anstelle des hebräischen Verbums ‫ יירשׁו‬schreibt die LXX ἐκζητήσωσιν. Dies setzt im Konsonantenbestand des hebr. Textes ein ‫ ידרשׁו‬voraus. Drei Erklärungen sind denkbar: 1.) Es handelt sich schlicht um eine Jot-Dalet-Verlesung. 43 2.) Es liegt eine bewusste Interpretation vor. 44 3.) Die Vorlage der LXX lautete anders als der MT. 45 Der zweite Hauptunterschied zwischen LXX und MT findet sich im Wort ἄνθρωποι. Die Nachforschenden werden als οἱ κατάλοιποι τῶν ἀνθρώπων gekennzeichnet. Von Edom ist nicht die Rede. Auch hier sind wiederum drei Möglichkeiten für eine Erklärung denkbar: Bei Plene-Schreibung könnte 1.) eine Verlesung bzw. 2.) eine bewusste Interpretation vorliegen. Möglichkeit 3.) wäre: die Vorlage der LXX lautete anders als der MT. Das wäre am leichtesten möglich, wenn man von Defektiv-Schreibung des Wortes ‫›( אדם‬adam‹) ausgeht. Dann könnte eine unterschiedliche Vokalisation zu einem anderen Verständnis geführt haben. Vom hebr. Text her wäre dann allerdings noch ein weiteres Problem zu lösen: Das Akkusativobjekt des MT (der Rest Edoms) stellt in der LXX das Substantiv im Nominativ dar (die Übriggebliebenen der Menschen). Damit wird die nota accusativi ‫את‬ zum Problem. Allerdings hat Rudolf Meyer gezeigt, dass es »im MT einige literarisch sichere Belege [gibt], in denen ‫ את‬einwandfrei nicht den Objekts-Akk[usativ] regiert,

40. Für die zerfallene Hütte Davids werden verschiedene Möglichkeiten erwogen: Wolff, H. W., Joel Amos, BK XIV.2, Neukirchen-Vluyn 1969, 406 f.; vgl. weiterhin Nägele, S., Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine auslegungsgeschichtliche Studie zu Am 9,11 in der jüdischen und christlichen Exegese, AGAJU 24, Leiden 1995, 150-158; Ådna, Jostein, Die Heilige Schrift als Zeuge der Heidenmission. Die Rezeption von Amos 9,11-12 in Apg 15,16-18, in: J. Ådna / S. J. Hafemann / O. Hofius (Hg.), Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher), Göttingen 1997, 1-23: 14 f.; ders., James’ Position at the Summit Meeting of the Apostles and the Elders in Jerusalem (Acts 15), in: J. Ådna / H. Kvalbein (Hg.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles, WUNT 127, Tübingen 2000, 125-161: 152-154. 41. Nogalski, J. D., Literary Precursors in the Book of the Twelve, BZAW 217, Berlin u. a. 1993, 106. 42. Nogalski, Precursors, 108. Dabei kann überlegt werden, ob die Formulierung ›Rest Edoms‹ sich auf eine Zeit bezieht, »in which the Nabatean incursion into Edom had already begun« (ebd.). 43. Hierzu neigt Wolff, BK XIV/2, 403: »irrtümlich«. Das ist leicht möglich und auch anderwärts belegt, die Buchstaben ähneln sich. 44. Nach Rudolph, W., Joel – Amos – Obadja – Jona, KAT XIII.2, Gütersloh 1971, 279, handelt es sich um eine »universalistische Umdeutung«. Diese Ansicht entspricht einer gängigen – früheren – Einschätzung der LXX. 45. Dies ist die These von Barry Alan Jones, The Formation of the Book of the Twelve: A Study in Text and Canon, SBL.DS 149, Atlanta/GA 1995, 175-191. 3. Beispiele

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sondern den Nom[inativ] nach sich hat und damit das Subjekt hervorhebt«, und damit als eine Subjekt-Deixis verstanden werden muss. 46 In den Fällen 1.) Verlesung und 2.) bewusster Interpretation hätten wir den Sachverhalt vor uns, dass der LXX-Übersetzer den hebr. Text, wo eine Herrschaft über den Rest Edoms in Aussicht gestellt wird, in eine Aussage über das Verhalten der Übriggebliebenen der Menschen umdeutet. 47 Die folgende Phrase καὶ πάντα ἔθνη würde dann durchaus sachgemäß das Hebräische ‫ וכל הגוים‬wiedergeben und auch der Schluss des Verses ließe sich in dieser Weise als sachgemäße Übersetzung verstehen. Nun hat Siegfried Kreuzer allerdings noch eine andere Möglichkeit zur Diskussion gestellt: Nach seiner Auffassung hat der Übersetzer der LXX nicht modifizierend interpretiert, vielmehr hatte er eine andere Vorlage. 48 In dieser stand nicht ‫אדום‬, sondern ‫אדם‬. Der MT würde dann eine jüngere Fassung darstellen als die dem LXX-Übersetzer vorliegende Fassung. Die Änderungen wären dann nicht durch Verlesung oder bewusste Interpretation des Übersetzers entstanden, sondern durch eine Änderung am hebr. Konsonantentext auf dem Weg hin zur späteren masoretischen Textform. Wann wäre so etwas denkbar? Die Übersetzung des Dodekapropheton wird in der Regel ins 2. Jh. v. Chr. angesetzt. In der Mitte der 2. Hälfte des 2. Jh.s hatte sich das makkabäisch/hasmonäische Königtum inzwischen fest etabliert. ›Edom‹ steht in dieser Zeit für ›Idumäa‹. Ansprüche auf Idumäa bei den Makkabäern/Hasmonäern sind offensichtlich. Die Idumäer wurden von den Makkabäern zwangsjudaisiert. Josephus berichtet (Ant 13,257 f.318 ff.; 15,264), dass die Nachkommen des Mathatias, Hyrkan (135–104 v. Chr.) und Aristobul (104–103 v. Chr.), Zwangsbeschneidungen auch an den unterworfenen Idumäern und Ituräern durchführten. Kreuzer ist der Meinung: »Den Rest Edoms zu besitzen, passt zwar zur Wiedererrichtung der davidischen Herrschaft, ist aber im Rahmen dieser eher universalen Ankündigung auffallend punktuell. Die Lesart ›ʾ adam‹ bzw. τῶν ἀνθρώπων passt besser zum parallelen Begriff der Nationen. Die Lesart ›ʾ edom‹, wie sie im masoretischen Text durch die Hinzufügung des ‫ ו‬als mater lectionis angezeigt wird, würde dagegen gut zur hasmonäischen Eroberung Edoms im Jahr 128 v. Chr. passen.« 49 Die Einfügung in den Konsonantenbestand ließe sich dann erklären als Änderung, um die Zwangsjudaisierung der Idumäer biblisch zu legitimieren. Die LXX würde dann den früheren Text repräsentieren. Zwar bezeugt die Prophetenrolle aus

46. Meyer, R., Hebräische Grammatik III: Satzlehre, Berlin / New York 19723, 71 f. (§ 105,1b). S. auch HAL, 97 Ziff. c. Richtig gesehen bei Ådna, Schrift, 4 Fn. 12. 47. Keine Entscheidung der Sachfrage fällen Dafni, E. / Schart, A., Amos, in: Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare II, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011, 2339-2361: 2340 Fn. 3. 2361. 48. Kreuzer, S., Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit – wie kam es zur Vorherrschaft des masoretischen Textes?, in: A. Vonach / G. Fischer (Hg.), Horizonte biblischer Texte (FS J. M. Oesch), OBO 196, Fribourg / Göttingen 2003, 117-129: 125 Fn. 33. Vgl. auch Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung, in: J. Elschenbroich / J. de Vries (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung (FS M. Karrer), ABG 47, Leipzig 2014, 17-55: 48 f. 49. Kreuzer, Vielfalt, 125 Fn. 33.

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Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

Muraba’at (Mur88) 50 auch die Konsonanten des MT: ‫את שׁארית אדום‬, doch stammt diese aus dem 1. Jh. n. Chr. und lässt daher lediglich den Rückschluss zu, dass die spätere masoretische Textform zu dieser Zeit bereits etabliert war. Was die zeitgeschichtlichen Umstände angeht, so würde die Lesung als ›ʾ edom‹ durchaus in den Kontext der Zeit passen, in der aktualisierende Leseweisen gehäuft begegnen. 51 Mit einer vom MT differierenden hebr. Vorlage rechnet auch Jones. 52 S. E. muss Ursache für die Änderung auf der Ebene der Endredaktion des hebr. Zwölf-Prophetenbuches gesucht werden. Schon Nogalski hatte Am 9,12a als redaktionelle Einfügung erklärt, die die Verbindung der Bücher Amos und Obadja herstellen sollte. Jones geht nun davon aus, dass Amos und Obadja in der Vorlage des LXX-Übersetzers nicht aneinander stießen, sondern Joel und Obadja. 53 Beide seien durch das Stichwort ›Edom‹ miteinander verbunden (Joel 4,19; Obd 1). Dieses Stadium spiegele sich in der Reihenfolge der LXX. Nach Umstellung der kanonischen Reihenfolge sei die Stichwortverbindung weggefallen. Daher sei V. 12 geändert worden. Mit der Änderung von ›Adam‹ zu ›Edom‹ werde eine Verbindung des Amos-Schlusses zum Edom-Orakel des Obadja hergestellt. 54 In beiden Fällen würde es sich aber in Am 9,12 MT um eine jüngere Lesart handeln als in Am 9,12 LXX. In Apg 15,16 f. wird Am 9,11 f. (grosso modo) in der LXX-Fassung zitiert. 55 Allerdings gibt es Unterschiede zwischen dem Text in Am 9 LXX und dem Zitat in Apg 15. Wie sind die Differenzen zu erklären? Wenn Lukas nicht überhaupt aus dem Gedächtnis zitiert hat, dann bestünde eine Möglichkeit darin, davon auszugehen, dass Lukas ein anderer Amos-Text vorgelegen hat, als unser heutiger LXX-Text. 56 Eine andere 50. Milik, J. T., Les Grottes de Muraba’at, in: P. Benoit / J. T. Milik / R. de Vaux (Hg.), DJD II, Oxford 1961, 181-205: 188. 51. Vgl. etwa 1QpHab, wo aktualisierende Änderungen auch im Lemma-Text begegnen. Martin Rösel hat dafür argumentiert, dass die Chronologien des MT und der LXX in Gen 5 jeweils theologischen Bedürfnissen angepasst wurden: diejenige des MT der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 164 v. Chr.: Rösel, Übersetzung, 129-144. Trifft dies zu, so unterstützt dies die o. g. Position. 52. Jones, Formation, 183-191. 53. Vgl. die heutige Reihenfolge im XII-Prophetenbuch der LXX. Eine unterschiedliche Reihenfolge innerhalb der XII-Propheten spiegelt auch 4QXIIa (vgl. dazu Jones, Formation, 54). Allerdings sind aufgrund des fragmentarischen Charakters dort nur die letzten drei Bücher (Sacharja, Maleachi, Jona) belegt, mit dem Jona-Buch als Abschluss des Dodekapropheton. Joel, Obadja und Jona finden sich in MT, LXX und 4QXIIa an ganz unterschiedlichen Stellen. Die früheste Einheit der späteren Sammlung der XII-Propheten scheint aus Hosea-Amos-Micha (in dieser Abfolge, entsprechend der LXX) bestanden zu haben (Jones, Formation, 54 f.). Die unterschiedlichen Platzierungen von Joel, Obadja und Jona ergäben sich dann aus unterschiedlichem Einbau dieser Bücher in vorher bestehende Sammlungen. 54. Jones, Formation, 190. 55. Vgl. aber Holtz, T., Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, TU 104, Berlin 1968, 24.25. 56. Dies ist die These von Ådna, der sogar soweit geht, anzunehmen, dass Lukas einen von Jakobus verwendeten hebräischen Text auf Griechisch wiedergebe: Ådna, Schrift, 11; ders. Position, 142-144. Der historische Jakobus habe vielmehr eine andere hebräische Fassung benutzt, die dann übersetzt worden sei, weshalb man in Apg 15,16-18 ein »historisch glaubwürdiges Referat 3. Beispiele

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Erklärung bestünde in der Annahme eines Testimoniums, aus dem Lukas zitiert, in dem der Zitattext kleine Änderungen gegenüber dem heutigen LXX-Text aufwies. 57 Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, die Differenzen dadurch zu erklären, dass Lukas eine bestimmte handschriftliche Überlieferung benutzt hat und auch selbst redaktionell eingegriffen hat. Unterschiede zum Amos-Text bestehen an drei Stellen: V. 17a hat Lukas ein zusätzliches ἄν nach ὅπως vor dem Konjunktiv. 58 Er liest nach dem Wort ἀνθρώπων das Akkusativobjekt τὸν κύριον, und er lässt den Artikel ὁ vor ποιῶν aus. Zwei dieser Varianten werden jedoch durch LXX-Hss belegt, die zur Gruppe des Codex Alexandrinus gehören. Lediglich das ὁ vor ποιῶν ist durch keine handschriftliche Überlieferung der LXX belegt. 59 Entweder hat Lukas einen Text benutzt, der der durch Codex A vertretenden Texttradition nahe stand, 60 (dann wäre lediglich das ὁ vor ποιῶν redaktionell zu erklären 61) oder er hat aus dem Gedächtnis zitiert. Der Autor der Apg nimmt Am 9,11 f. in seinen Argumentationsgang auf, um zu belegen, dass die Propheten die Erweiterung des endzeitlichen Gottesvolkes bereits angekündigt haben. Er greift dabei durchaus gestaltend in den Text ein, jedoch nicht so, dass er ihn von der Sache her völlig verändern würde. Vielmehr lassen sich Änderungen aus redaktionellem Interesse des Lukas gut begründen. Es spielt in unserem Kontext keine Rolle, wie Lukas sich die Wiedererrichtung der zerfallenen Hütte Davids konkret gedacht hat. Das Argumentationsziel würde er allerdings mit dem MT (oder einer Vorform desselben) nicht erreichen können. Nur die LXX bietet hierfür die Basis. Dieser Sachverhalt, dass sich ntl. Argumentationen nur mit LXX-Zitaten durchführen lassen und der hebräische Text dies nicht ermöglichen würde, gibt es im NT an vielen Stellen. Die bekannteste ist das Zitat in Mt 1,23 aus Jes 7,14. Aber auch das Zitat aus Hab 2,(3-)4 in Röm 1,17; Gal 3,11 und Hebr 10,37-38 setzt den LXX-Text voraus. 62 Gleiches gilt für die berühmte Stelle vom Neuen Bund aus Jer 38 (31), die in Hebr

57.

58. 59. 60.

61. 62.

der ausschlaggebenden Stellungnahme des Herrenbruders« habe (Ådna, Schrift, 11.23, Zitat S. 23, dort kursiv). Dies ist die These von Martin Stowasser, Am 5,25-27; 9,11 f. in der Qumranüberlieferung und in der Apostelgeschichte. Text- und traditionsgeschichtliche Überlegungen zu 4Q174 (Florilegium) III 12 / CD VII 16 / Apg 7,42b-43; 15,16-18, ZNW 92 (2001), 47-63. Stowasser geht allerdings v. a. bezüglich V. 16 von sprachlichen Voraussetzungen aus, die man hinterfragen kann. Vgl. dazu im Detail: Kraus, Aufnahme, Fn. 79. S. wie oben BDR § 369,5. Vgl. Holtz, Zitate, 23. Dessen Vermutung, dass Lukas den Text gleichwohl in seiner – Codex A nahe stehenden – Vorlage genau so gelesen hat, ist jedoch sehr spekulativ. Der gleiche Sachverhalt gilt für die Zitate im Hebr, auch sie stehen einer durch Codex A repräsentierten Texttradition sehr nahe: vgl. Backhaus, K., Der Neue Bund und das Werden der Kirche, NTA.NF 29, Münster 1996, 171, Karrer, M., Der Brief an die Hebräer II, ÖTK 20/2, 104; Fuhrmann, S., Vergeben und Vergessen, WMANT 113, Neukirchen-Vluyn 2007, 153. Die Differenzen zwischen Apg 15,16 und Am 9,11 ließen sich dann auch auf diese Weise erklären. Vgl. dazu Kraus, W., Hab 2:3-4 in the Hebrew Tradition and in the Septuagint, with its Reception in the New Testament, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception, VT.S 127, Leiden 2009, 101-117, sowie ders., Hab 2,3-4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament, in: Th. S. Caulley / H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta

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3. Beispiele

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

8–10 den Hintergrund abgibt. 63 Mt hat in 13,13 das ἵνα aus Mk 4,12, das Ausdruck der sog. Gleichnisverstockungstheorie ist, in ein ὅτι verwandelt und bietet im Anschluss ein ausführliches Zitat aus Jes 6,9 f., das dem LXX-Text entspricht, wohingegen Mk 4,12 sachlich dem hebräischen Text in Jes 6,9 f. nahe steht. Aus Jes 53, dem vierten Lied über den Gottesknecht, haben wir regelrechte Zitate im NT nur aus der LXX vorliegen (Lk 22,37; Joh 12,38; Apg 8,32 f.; Röm 10,16; Röm 15,21; 1Petr 2,22.24 f.). 64 In diesem Text der LXX findet sich die zentrale Aussage des hebräischen Textes vom stellvertretenden Tod des Knechtes nicht, was zu der Frage Anlass gibt, ob Jes 53 wirklich Ausgangspunkt für das Verständnis des stellvertretenden Todes Jesu sein konnte.

4. Hermeneutische Konsequenzen Welche hermeneutischen Konsequenzen für unser Schriftverständnis lassen sich aus dem dargestellten Befund ziehen? 1. Es gibt nicht den biblischen Text, sondern wir haben die biblische Tradition in einer Pluriformität von Texttraditionen vor uns. Nicht das Bild eines geraden Kanals, sondern eher das eines breiten Stroms, der manchmal auch Biegungen macht, entspricht dem Sachverhalt. Was durch die biblischen Manuskripte, die in der judäischen Wüste gefunden wurden, deutlich geworden ist, wird durch die LXX erweitert: der masoretische Text stellt eine biblische Texttradition dar. Es ist die, die im Judentum später maßgeblich geworden ist. Aber es ist nicht die einzige Texttradition. Andere stehen daneben, darunter die LXX. 2. Wir haben die biblische Tradition nicht in einem seit eh und je festgelegten Text vor uns, sondern wir befinden uns mit den Bibeltexten selbst in einem Traditionskontinuum. Die Beschäftigung mit der LXX (und den anderen, etwa in den Qumranschriften belegten Textformen) zeigt uns, dass es nicht immer der einmal festgelegte Wortlaut war, auf den man sich bezog, sondern dass die biblische Tradition eine lebendige Überlieferung darstellt, die – neben der Bewahrung des israelitischen Erbes – offen war für Inkulturation, Aktualisierung und kreative Auslegung. 65 und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 153-173. Vgl. auch Kreuzer, Ursprüngliche Septuaginta, 32-35. 63. Vgl. dazu Kraus, W., Die Rezeption von Jer 38(31),31-34 LXX in Hebr 8-10 und seine Funktion in der Argumentationsstruktur des Hebr, in: J. Cook / H.-J. Stipp (Hg.), Textcritical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden u. a. 2012, 447-462. 64. Vgl. hierzu Kraus, W., Jesaja 53 LXX im frühen Christentum – eine Überprüfung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur frühchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, 149-182. Die einzige Ausnahme von der Regel stellt Mt 8,17 dar. Hier ist allerdings zu überlegen, ob es sich nicht um ein dem antiochenischen Text nahestehendes Zitat handelt. 65. Robert Hanhart nennt drei Aspekte, die mit der LXX gegeben sind: Bewahrung, Aktualisierung, Interpretation: ders., Die Bedeutung der Septuaginta für die Definition des ›hellenistischen‹ Judentums, in: ders., Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum, hg. v. R. G. Kratz, FAT 24, Tübingen 1999, 67-79: 70. In seinem Beitrag: Die Septuaginta als Interpretation und Aktualisierung, a. a. O., 95-109, zeigt er im Detail, wie Aktualisierung und Interpretation in Jes 9,1-7 (8,23–9,6 LXX) ihren Niederschlag finden. Der Anteil von Aktualisierung und Interpretation wird allerdings in dem Beitrag: Die Übersetzung der Septuaginta im Licht 4. Hermeneutische Konsequenzen

691

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

3. Das Bewusstsein um die verbreiterte Textbasis führt hermeneutisch gesehen unweigerlich zu der Frage, welcher Bibeltext denn maßgeblich sei für theologische Argumentation. Die einfache Auskunft »es steht geschrieben« reicht nicht mehr, denn sie muss sich die Rückfrage stellen lassen: »Wo steht das geschrieben, in einem in Qumran gefundenen Bibeltext, in der Septuaginta, dem MT, dem Zitat im NT?« 4. Bei konkreten theologischen Fragestellungen werden wir genötigt, »sachkritisch« vorzugehen. Die Aussage eines Textes ist in den Kontext weiterer Aussagen, anderer Bücher, des ntl. Kanons und schließlich der gesamten Bibel zu stellen. Die theologischen Entscheidungen, die dann zu erfolgen haben, werden nicht durch ein bestimmtes Lehramt ein für allemal gefällt, sondern sind nur im stetigen, fortgesetzten und herrschaftsfreien Diskussionsprozess zu erringen – und ggf. später, aufgrund besserer Einsicht, zu korrigieren. 5. Eine »Biblische Theologie« kann sich nicht damit zufrieden geben, das AT (in Form des MT) und das NT zueinander in Beziehung zu setzen. 66 Sie kann auch nicht eine vom MT ausgehende über die LXX ins NT fortschreitende Traditionslinie nachzeichnen wollen, wobei dann das NT als Weiterführung und kanonischer Abschluss auch des AT verstanden wird. 67 Sie kann aber auch nicht durch die Unterscheidung von ›vetus testamentum‹ und ›vetus testamentum in novo receptum‹ gelingen. 68 Biblische Theologie muss vielmehr nach theologischen (Denk-)Strukturen fragen 69 und kann dabei die vielfältigen Beziehungen (Aufnahme, Weiterführung, Korrektur), die es bereits innerhalb des AT 70 gibt, was sich dann im Verhältnis von AT und NT fortsetzt (auch in Form von LXX und MT) berücksichtigen. 71

66.

67. 68. 69. 70. 71.

ihr vorgegebener und auf ihr gründender Tradition, in: a. a. O., 110-133: 112, erheblich eingeschränkt und der Schwerpunkt auf Bewahrung gelegt. Soweit ich sehen kann, geht Hanhart auch nicht auf das Problem der Pluriformität der Texttraditionen ein. Er spricht stets von »dem« hebräischen Original (a. a. O., 30.68.196 u. ö.) und er geht außerdem davon aus, dass eine Kanonisierung der biblischen Schriften samt der Unterscheidung von kanonisch und apokryph sich bis ins 2. Jh. v. Chr. zurückverfolgen lässt (a. a. O., 26 ff.67 f.70.127.196). Dieses Problem empfinde ich bei dem Versuch von Childs, B., Die Theologie der einen Bibel I/II, Freiburg u. a. 194/1996. Zenger, E., Heilige Schrift der Juden und der Christen, in: ders. u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart u. a. 20128 (hg. von C. Frevel), 11-36, entwickelt sowohl eine Theologie des Tanach als auch des Ersten Testaments: 22-27.28-36. Hier findet die LXX Berücksichtigung. Dies kennzeichnet den Versuch von Gese, H., Einheit, und Stuhlmacher, P., Biblische Theologie II, 287-348. Beide messen allerdings der LXX eine maßgebliche Bedeutung zu. Dies war der Versuch von Hans Hübner, Biblische Theologie III, 206-215, Göttingen 1995. Unter diesem Stichwort hat Horst-Dietrich Preuß, Das Alte Testament in christlicher Predigt, Stuttgart u. a. 1984, 121-124, seinen Vorschlag unterbreitet. Vgl. dazu nur Dtn 23,2 ff. mit Jes 56,3 ff. Wie eine »Biblische Theologie« unter diesen Umständen aussehen könnte, habe ich an einem Beispiel skizziert: Kraus, W., Die theologische Bedeutung des ›Heiligen Landes‹ als Problem einer Biblischen Theologie, in: Frühjudentum und Neues Testament, Symposiumsband für Traugott Holtz und Nikolaus Walter zum 70. Geburtstag, hg. von W. Kraus und K.-W. Niebuhr, WUNT 162, Tübingen 2003, 251-274. Allerdings stand mir seinerzeit die Bedeutung der LXX noch nicht so deutlich vor Augen wie heute.

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4. Hermeneutische Konsequenzen

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

5. Literatur LXX.D: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. von W. Kraus / M. Karrer, Stuttgart 22010 – LXX.E: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament I u. II, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011. Ådna, J., Die Heilige Schrift als Zeuge der Heidenmission. Die Rezeption von Amos 9,11-12 in Apg 15,16-18, in: J. Ådna / S. J. Hafemann / O. Hofius (Hg.), Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher), Göttingen 1997, 1-23 — Ådna, J., James’ Position at the Summit Meeting of the Apostles and the Elders in Jerusalem (Acts 15), in: J. Ådna / H. Kvalbein (Hg.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles, WUNT 127, Tübingen 2000, 125-161 — Backhaus, K., Der Neue Bund und das Werden der Kirche, NTA.NF 29, Münster 1996 — Blass, F. / Debrunner, A. / Rehkopf, F., Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 197915 — Braulik, G., Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB.AT 2, Stuttgart 1988, 257-300 — Childs, B., Die Theologie der einen Bibel I/II, Freiburg u. a. 1994/1996 — Crüsemann, F., Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011 — Dafni, E. / Schart, A., Amos, in: Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare II, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011, 2339-2361 — den Hertog, C., Deuteronomium, in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare I, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011 — Dogniez C., / Harl, M., Le Deutéronome, La Bible d’Alexandrie 5, Paris 1992 — Fabry, H.-J., Der Text und seine Geschichte, in: E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart 20118 (hg. von C. Frevel), 37-66 — Fabry, H.-J., Die griechischen Handschriften vom Toten Meer, in: ders. / U. Offerhaus (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart u. a. 2001, 131-153 — Feldmeier, R. / Spieckermann, H., Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011 — Fischer, G., Die Diskussion um den Jeremiatext, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 612-629 — Fuhrmann, S., Vergeben und Vergessen, WMANT 113, Neukirchen-Vluyn 2007 — Gese, H., Erwägungen zur Einheit der Biblischen Theologie, in: ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie, BEvTh 64, München 1974, 11-30 — Hanhart, R., Die Söhne Gottes, die Söhne Israels und die Engel in der Masora, in Qumran und in der Septuaginta. Ein letztes Kapitel aus ›Israel in hellenistischer Zeit‹, in: C. Bultmann / W. Dietrich / C. Levin (Hg.), Vergegenwärtigung des Alten Testaments (FS R. Smend), Göttingen 2002, 170-178 — Hanhart, R., Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum, hg. v. R. G. Kratz, FAT 24, Tübingen 1999, 67-79 — Hanhart, R., Die Septuaginta als Interpretation und Aktualisierung, a. a. O., 95-109 — Holtz, T., Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, TU 104, Berlin 1968 — Jeremias, J., Der Prophet Amos, ATD 24/2, Göttingen 1995 — Hübner, H., Biblische Theologie des Neuen Testaments IIII, Göttingen 1990-1995 — Jones, B. A., The Formation of the Book of the Twelve: A Study in Text and Canon, SBL.DS 149, Atlanta/GA 1995 — Karrer, M., Der Septuaginta-Text im frühen Christentum, in diesem Band, 663-677 — Karrer, M., Der Brief an die Hebräer II, ÖTK 20/2, Gütersloh 2008 — Karrer, M., Der Weltkreis und Christus, der Hohepriester. Blicke auf die Schriftrezeption des Hebräerbriefes, in: W. Kraus / K.-W. Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie, WUNT 162, Tübingen 2003, 151-179 — Kraus, W., Die Aufnahme von Am 9,11 f. LXX in Apg 15,15 f. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte eines Textes aus hellenistischer Zeit, in: U. Dahmen / J. Schnocks (Hg.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit (FS H.-J. Fabry), BBB 159, Göttingen 2010, 297-322 — Kraus, W., Die hermeneutische Relevanz der Septuaginta für eine Biblische Theologie, in: W. Kraus / S. Kreuzer in

5. Literatur

693

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

Verbindung mit M. Meiser und M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 3-25 — Kraus, W., Die Rezeption von Jer 38(31),31-34 LXX in Hebr 8-10 und seinen Funktion in der Argumentationsstruktur des Hebr, in: J. Cook / H.-J. Stipp, Textcritical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden u. a. 2012, 447-462 — Kraus, W., Die Septuaginta als Brückenschlag zwischen Altem und Neuem Testament? Dtn 32 (Odae 2) als Fallbeispiel, in: H.-J. Fabry / D. Böhler (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Band III: Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart u. a. 2007, 266-290 — Kraus, W., Die theologische Bedeutung des ›Heiligen Landes‹ als Problem einer Biblischen Theologie, in: Frühjudentum und Neues Testament, Symposiumsband für Traugott Holtz und Nikolaus Walter zum 70. Geburtstag, hg. von W. Kraus / K.-W. Niebuhr, WUNT 162, Tübingen 2003, 251-274 — Kraus, W., Hab 2,3-4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament, in: Th. S. Caulley / H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 153-173 — Kraus, W., Hab 2:3-4 in the Hebrew Tradition and in the Septuagint, with its Reception in the New Testament, in: J. Cook (Hg.), Septuagint and Reception, VT.S 127, Leiden 2009, 101-117 — Kraus, W., Jesaja 53 LXX im frühen Christentum – eine Überprüfung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur frühchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin 2009, 149-182 — Kraus, W., Umfang und Text der Septuaginta (zusammen mit Martin Karrer), in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 6-63 (Beitrag Kraus: 6-39) — Kraus, W., Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen (1991) 20042 — Kreuzer, S., Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit – wie kam es zur Vorherrschaft des masoretischen Textes, in: A. Vonach / G. Fischer (Hg.), Horizonte biblischer Texte (FS J. M. Oesch), OBO 196, Fribourg / Göttingen 2003, 117-129 — Kreuzer, S., Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung, in: J. Elschenbroich / J. de Vries (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung (FS M. Karrer), ABG 47, Leipzig 2014, 17-55 — Kreuzer, S., Entstehung und Überlieferung der Septuaginta, in diesem Band 27-86 — Lange, A., Handbuch der Textfunde vom Toten Meer 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und anderen Fundorten, Tübingen 2009 — Lange, A., Textpluralität und Textqualität im ägyptischen Judentum, in: Th. S. Caulley / H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 47-65 — Meyer, R., Hebräische Grammatik III: Satzlehre, Berlin / New York 19723 — Milik, J. T., Les Grottes de Muraba’at, in: P. Benoit / J. T. Milik / R. de Vaux (Hg.), DJD II, Oxford 1961, 181-205 — Nägele, S., Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine auslegungsgeschichtliche Studie zu Am 9,11 in der jüdischen und christlichen Exegese, AGAJU 24, Leiden 1995 — Nogalski, J. D., Literary Precursors in the Book of the Twelve, BZAW 217, Berlin 1993 — Oepke, A., Kanonisch und apokryph. II. Βίβλοι ἀπόκρυφοι im Christentum, ThWNT III (1938), 987-999 — Rösel, M., Übersetzung als Vollendung der Auslegung, BZAW 223, Berlin u. a. 1994 — Rudolph, W., Joel – Amos – Obadja – Jona, KAT XIII.2, Gütersloh 1971 — Rüger, H.-P., Das Werden des christlichen Alten Testaments, JBTh 3, Neukirchen-Vluyn 1988, 175-189: 177-179 — Schmid, K., Literaturgeschichte des Alten Testaments, ThLZ 136 (2011), 243-262 — Stemberger, G., Hermeneutik der Jüdischen Bibel, in: C. Dohmen / G. Stemberger, Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, Studienbücher Theologie 1,2, Stuttgart u. a. 1996, 23-132 — Steyn, G., A Quest for the Assumed Vorlage of the Explicit Quotations in Hebrews, FRLANT 235, Göttingen 2011 — Steyn, G., Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, CBET 12, Leuven 1995 — Stipp, H.-J., Das Verhältnis von Textkritik und Literarkritik in neueren alttestamentlichen Veröffentlichungen, BZ.NF 34 (1990), 16-37 — Stipp, H.-J., Zur aktuellen Diskussion um das Verhältnis der Textformen des Jeremiabuches, in: M. Karrer / W., Kraus (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 630-653 — Stowasser, M., Am 5,25-27; 9,11 f. in der Qumranüberlieferung und in der Apostelgeschichte. Text- und

694

5. Literatur

Die Bedeutung der Septuagintazitate im Neuen Testament

traditionsgeschichtliche Überlegungen zu 4Q174 (Florilegium) III 12 / CD VII 16 / Apg 7,42b-43; 15,16-18, ZNW 92 (2001), 47-63 — Stuhlmacher, P., Biblische Theologie des Neuen Testamens II, Göttingen 1999 (20122) — Talmon, S., Text and Canon of the Hebrew Bible, Winona Lake/MI 2010 — Tilly, M., Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005 — Tov, E., Der Charakter der hebräischen Quellen der Septuaginta und ihr textkritisch-textgeschichtlicher Wert, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare I, Stuttgart 2011, 78102 — Tov, E., The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr), DJD VIII, Oxford 1990 — Tov, E., The Text-Critical Use of the Septuagint in Biblical Research, Jerusalem 1981 (3. überarb. Aufl. Winona Lake/MI 2015) — Ulrich, E., The Dead Sea Scrolls and the Origins of the Bible, Grand Rapids/MI / Leiden 1999 — Ulrich, E. / Cross, F. M. u. a., Qumran Cave 4 (IX Deuteronomy, Joshua, Judges, Kings), DJD XIV, Oxford 1995 — Weiss, H.-F., Der Brief an die Hebräer, KEK XIII, Göttingen 1991 — Wolff, H. W., Joel, Amos, BK XIV.2, Neukirchen-Vluyn 1969 — Zenger, E., Heilige Schrift der Juden und der Christen, in: ders. u. a., Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart u. a. 20128 (hg. von C. Frevel), 11-36.

5. Literatur

695

Register 1. Biblische Texte 1.1 Altes Testament / Septuaginta Erfasst sind jene Belege eines Buches, die außerhalb des Artikels zum betreffenden Buch vorkommen. Pentateuch 95-173, 623 Von der Tora zum Nomos 97-106 Genesis 79, 107-119 1–2 101 1 54, 487 1,1 63 1,9 476 1,22.28 626 2–3 80 2,1 53 2,18 449 4 105, 451 5 102, 679, 689 6 ff.LXX 131 6,2.4 349 6,6 105 6,18 102 8,20 102, 103, 142 10 102 10,6 49 10,8 f. 494 12,10-20 38 14 184 15 130, 592 15,6 522 15,18 131 17,1 Aq 419 19,19 369 20,13 369 21,23 369 24,27 369 25,23 556 26,5 102 29,21–30,24 155 31,30-32 105 32,11 369 35,2 105 1. Biblische Texte

35,16-18 155 35,22-26 155 36,33 416 38,7 105 41,45.50 485 41,45LXX 131 41,50LXX 131 41,51 f. 155 42–45 38 45,7 318 46,8-26 155 46,20LXX 131 46,28 339 49 99, 155 49,8-10 172 50,20 318 Exodus 120-135, 431, 663, 679 1,2-4 155 2,11 156 3 378, 419 4,6 104 6,3 419 12 428 12,26 f. 45 12,40 141 12,42 436 12,45 159 15 283, 350, 358 f. 15,1-19 356, 359 15,3 285 15,13 369 15,17 286 15,25 202 18,8 155 20 665, 669, 679 21,22 45 23,20 556 24,6 142 25 117, 142

29,13 140 30,7 140 30,8 140 31,18 592 32 590, 592 34,7 369 34,13 116, 143, 494 40,27 140 Levitikus 137-145 8,4 ff. 419 10,2 129 11,17 104 14,34 160 19,12 f. 555 19,18 670 23,36 103 25,5.11 184 25,45 160 26,5 486 Numeri 146-160, 431, 663 6,22-27 66 10,11 142 11,22 626 12,8 348, 487 12,10 130 14,22 348 16,36 ff. 134 17,1 ff. 134 21 358 23 f. 99, 283 23,1 143 23,21 170 24,7-9 172 24,17LXX 548 25,12 555 27,12-14 103, 169 29,35 103 35,30 653

697

Register Deuteronomium 79, 161-173, 431, 678 1,44 378 f. 4,2-8 49, 101 4,27 f. 611 4,27 611 5 665, 669, 679 5,24 348 6,4 ff. 388 6,4 f. 670 f. 6,4 102, 670 6,5 670 6,6-9.20-25 45 6,6 41 6,13 566 7,5 143 6,13 566 7,21 567 9,10 592 10,16LXX 129 12 239 16,8 103 17,6 653 17,16 38 18,15 171, 449, 667 19,15 653 23,2 ff. 692 23,4 283 24,1 43 24,14-77 555 24,14LXX 679 24,19LXX 547 26,5 119 27,4 66 27,12 f. 155 28,36 170, 628 31,10-13 45 32 f. 186 32 350, 358, 660, 681 32,1-43 356, 359 32,2 494 32,8 534, 681 f., 685 32,20 494 32,31 105 32,32-35 381 32,35 673 32,42 686 32,43LXX 349, 545, 684-686 32,49-51 103, 153, 160 32,49 153

698

32,50 153 32,51 153 33 155 Jesus / Josua 177-187 1,5 345 22 116 22,5 A,B 670 f. Kritai / Richter 188-198 2,13 45, 53, 239 4–5 282 f., 287 5 358 13,8 378 14,9.18 378 Ruth 199-204, 256, 382 1,20 f. 419 1–4Basileion / 1–4Königtümer 55, 66, 207-250, 256, 259, 302 1–2Basileion / 1–2Königtümer / 1–2Samuel 207231 1Samuel / 1Königtümer 2 358 f. 2,2-10 356, 359 8,11 202 14,27.29 378 15,7-33 156 17 282 28,7 141 30,1-20 156

2,12–21,43 55, 235 3,4-15 381 3,16-28 367, 381 5,9-14 381 5,9 386 5,11 386 5,12 367 6 ff. 132 6,1 240 10,1-13 381 11,17-21 38 11,40 38 11,41 303 14,14 628 14,19.29 303 19,4 509 19,18 45, 60, 673 22,17.19 246 22,23 627 22,28 495 25,30 55 2Könige / 4Königtümer 238, 241-250 9,9 69 10,1 217 18–19 282 19,7 627 20,3 301 23,25 670 f. 1–2Paralipomenon / 1–2Chronik 251-259, 382

3–4Basileion / 3–4Königtümer / 1–2Könige 257

1Chronik 3,17 ff. 535 5,29-34 240 13 227 16 358 25 547 26,29-32 256 27,17 240 28,14-17 256 29,9 301 29,29 f. 303

1Könige / 3Königtümer 232240 1,29 564 2,11 55

2Chronik 225 2 236 3 ff. 132 9,29 303

2Samuel / 2Königtümer 1,1–11,1 55 8,17 240 10,1 55 22 358

1. Biblische Texte

Register 12,15 303 14,12 534 16,9 301 18,22 627 24,20 ff. 549 24,21 549 33,13 357 35 f. 263 Esra 382 1–6 286 1Esdras 260-264, 382, 644 1,1–2,5 257 1,30.45 593 2,1 593 5,58 365 9,46 566 2Esdras 256, 262, 265-267, 382 5,1 f. 547 6,14 547 9,9 262, 533 Nehemia 8,1 98 9,8 522 9,9 533 Esther 271-278, 382 5,3.6 663 7,2 663 16,3.10 365 Judith 279-288, 644 16 356 Tobith / Tobias 2,12Vg 420 4,10 387 12,9 387 13,13 542 14,4-9 571 14,5 f. 542

1Makkabaion / 1Makkabäer 299-305, 637, 644 1,11-15 568 1,44-61 630 1,54.59 542 2,2 610 2,52 522 4,36-59 286 4,38 542 7 282 7,17 346 7,41 f. 572 14,4–15.36 542 14,4-14.36 542 14,41 346 2Makkabaion / 2Makkabäer 306-313, 328 f., 622 2,1.7 593 2,1-4 611 2,2 610 2,8-12.13-15 381 3,5 328 3,9 ff. 316 6,18–7,42 324 7 429 7,3 485 7,14 370 7,37 f. 419 10,1-10 286 10,3 542 15 282, 287 15,15 f. 593 3Makkabaion / 3Makkabäer 314-321 2,25-30 520 6,27 478

289-295

1–4Makkabaion / 1–4Makkabäer 299-329

1. Biblische Texte

4Makkabaion / 4Makkabäer 312, 322-329, 365 2,11 365 4,19 365 5,13 365 6,27 419 8,13 485 9,3 365 18,20 485

Psalmoi / Psalmen (LXX / MT) 79, 333-353, 365, 368, 429, 623, 663 1,1 417 1,5LXX 547 2 429 13,3LXX 673 13,7LXX 485 16,15 487 17,50LXX 684 17/18,49 228 18,11 378 20,4 365 24,7 365 30,20 365 31,1LXX 547 32/31,2 529 33,21 159 35,11LXX 369 36,7 365 39,7 673 39,8 667 39,11LXX 369 41,3 487 42–83 143, 170 48,10.16LXX 547 50/51 230 50/51,19 495 59/60,9 544, 547 61/62,13 388 62,3LXX 487 64,1LXX 547 65,1LXX 547 67/68,15 419 67,19LXX 674 71/72,8 544 f. 77,47LXX 486 78,1 494 80,5 170 82,10-13 196 84,11LXX 369 88,15LXX 369 89 429 89,21 228 90/91,1 419 94 429 95LXX 547, 664 95,10 172, 664 96,7 686 101/102,27 672 f.

699

Register 102 365 102,17LXX 369 103/104,4 60, 75, 672 f. 107/108,9 544, 547 107,17 377 108/109,13 449 109/110,1LXX 546 f., 669 f. 110/111,10 377 f. 111,1LXX 546 f. 115,3-8 611 116,1LXX 684 117 f. 365 118/117,12 378 118,3 378 119 604 135 365 137LXX 547 137,1LXX 535, 546 138,1LXX 546 142,11 f. LXX 369 144/145 368 145–148LXX 547 145,1LXX 546 145,6LXX 547 145,7-9LXX 547 146–149LXX 535 146–148LXX 546 146,1LXX 546 f. 146,2LXX 547 146,10LXX 547 147–150 547 147,1LXX 546 147,6LXX 547 148 f. 429 148,1LXX 546 148,11LXX 547 149,1.5.9 368 149,1LXX 546 150,1LXX 546 151 666 Odai / Oden 354-360 2,8 682 2,43 684, 686 4 521, 524 12,11 365 Psalmoi Salomontos / Psalmen Salomos 361-372

700

Paroimiai / Sprüche 375-388, 429 5,22 365 8 430 8,22 ff. 367 8,22 430 10,26 365 20,28 369 30,2LXX 386 30,3LXX 386 30,8 419 31,1 386

362,

Ekklesiastes / Kohelet 362, 389-397 Asma / Das Hohelied 256, 362, 398-406, 663 2,7 478 Job / Hiob 362, 407-421, 430, 663 21,15 203 28 430 31,2 203 Sophia Salomontos / Weisheit Salomos 362 f., 387, 422436 7,1–9,18 387 8,2 387 9,10 387 10,15 ff. 134 10,16 135 10,17 135 13,1 136 16,22 135 18,1 135 18,5 135 18,13 135 18,14 135 18,25 135 19 134 19,7 135 19,10 135 Sophia Sirach / Jesus Sirach 362 f., 386 f., 437-455, 623 f. Prolog 7 41 Prolog 8 98

1 f. 387 1,4.9 430 4,1 679 5,11 679 11,3 378 24 387, 430 26,2 380, 387 28,15 380, 387 31,25-31 387 38,34 76, 379 39,1 379 39,2 f. 379 39,2 387 9,2 380 39,6 567 43,5.29 567 44,20 522 45,24 f. 568 46,11 f. 196 47,13-23 367 47,17 379 47,19-21 387 49,9 418 49,10 485, 538 50,27 387 Dodekapropheton 382, 459557, 588, 623 Dodekapropheton – Überblick 461-473 Osee / Hosea 474-480 1,2.6 469 2,12 469 2,17 467 2,22 543 3,4LXX 542 3,5 542 5,2 488 5,5 469 7,12.14.16 488 8,4LXX 487 9,7 377, 469 10,5 467 10,10LXX 488 12,7 467 13,2 469 14,1 469

1. Biblische Texte

Register Amos 481-489 1,8 541 4,11 544 4,13 470 f. 5,2 469 5,10 f. 534 5,18-20 546 6,3 541 6,10 540 9 686 9,11-15 686 9,11 f. 542, 672, 686-690 Micha 490-496 1,3 470 3,8 283 5,7 470 Joel 497-502, 692 1,5 491 1,7 466 1,15 466 2,5 466 2,6 470 2,8 493 2,10 466 2,11 466 2,19 469 2,20 466 2,31/3,4 466 3,1.7 469 3,1 627 3,3 470 3(4),4 466 3,11 469 3,13/4,13 545 3,14 466 4,9 493 4,16 487 4,19 690 Abdiu / Obadja__501-504, 687 1 690 1,3.9 467 2 469 5 466 10 467 11 470 19 541 1. Biblische Texte

20 467 Jonas / Jona 507-512 2 359 2,3-10 356, 359 2,5 469 3,7 469 4,4.9 466 Naum / Nahum 513-517 1 520 1,1 466 1,2-8 466 1,2.4.6.13 466 1,2 f. 469 1,2 466 1,3 466 f., 469 1,9-14 466 1,13 467 1,15 469 2,3 466, 469 2,4-6 466 2,4 466 2,5.8 466 2,5 466 2,6-9 469 2,6 469 2,7 464 2,10 466 2,11 470 2,12 f. 466 2,12 466 2,13 466 2,20 540 3,1.8 466 3,1 466 3,2 f. 466 3,2 466 3,3 467, 469 3,8 464 3,10 470 3,12 464 3,13 469 3,15 466 Ambakum / Habakuk 519524, 658 1,2 f. 466 1,6-8 466 1,6 466

1,7 464 1,8 f. 516 1,9.15 467 2,2 516 2,3 f. 666, 668, 690 2,3 464 2,5 466 2,6 464, 466 2,11 466 2,15 467 2,20 540 3 359, 464 f., 516 3,2-19 356, 359 3,2 f. 471 3,2 466 3,3 466 3,4.6 466 3,5 466 3,6.10 516 3,8 f. 516 3,16 516 3,6-15 466 Sophonias / Zefanja 525-529 1 546 1,2 469 1,7 540 1,8.10.12 466 1,10 466 1,17 466 1,8 470 2,5 541 2,7 469 2,11 470 2,14 466 3,2/3,1 466 3,11 469 3,12 469 3,14-20 470 3,14 f. 544 3,20 469 Aggaios / Haggai 530-536 1,1.3 469 1,6 469 1,10 469 1,12 469 2,6.21 547 2,6 666 2,17 469

701

Register 2,22 493, 545 Zacharias / Sacharja 1–6 531, 533 1,11 470 3,8 471 3,9 98 4,6 546 6,12 f. 535 6,12 471 7,9 f. 493, 547 8 263 9,9-17LXX 468 9,9 471, 668 f. 12,10 ff. 672 14,16 488 14,18 470

537-551

Malachias / Maleachi 552-557 1,1 542 2,7 568 2,10 494 3,11LXX 608 3,23 f. 674 Esaias / Jesaja 79, 365, 382, 559-573, 597, 624, 678 1,8 346, 494 1,9 668 1,10 668 2,2 ff. 545 2,2-4 494 2,2 492 5 358 5,1-9 356, 358 5,10LXX 134 6,9 f. 691 7,14 62, 64, 690 7,18 378 8,14 668 8,17 622 8,23–9,6 691 9,1-7 691 9,3 196 9,9 486 9,11 377 10,22 f. 668 10,26 196 11,2 377 11,10 684

702

12,6 544 14,1LXX 134 19,6LXX 134 19,16 ff. 541 19,17-25 38 25,8 668, 672 26 359 26,9-20 356 26,14 346 26,20 524 27,9 668 28,5 630 28,11 f.16 668 29,1 346 29,10.14 668 33,6 377 35,8 377 36–39 243 36–37 282 37,7 627 38,8 243 38,10-20 356 40–66 429, 536 40,18 349 41,19 413 42,1-4 674 42,1 627 42,13LXX 285 43,16 f.LXX 134 44,7 349 45,13 485 45,21 544 45,23 668 46,6 f. 611 48,17LXX 134 48,21LXX 134 49,8 668 52,5 668 52,7 517, 668 52,15 668 53 691 53,1 668 53,3 535 53,9 529 54,1 668 54,13 369 56,33 ff. 691 56,3LXX 134 56,6LXX 134 57,9 623

58,4LXX 134 59,7 f. 350 59,7 388 59,20 f. 668 64,3 f. 679 65,1 668 65,2 668 Jeremia 382, 577-595 1,1–28,64 (Jer a) 504, 598, 623 3,17 476 4,22 377 7,3 673 8,7 413 10,2-15 611 10,15 609 12,16 566 18–23 244 23,5 f. 598 23,5 628 23,9 597 29,1–51,35 (Jer b) 504, 594, 598 29 610 29,8-10 504 29,10 610, 668 29,14 668 29,21-23 653 30,9 628 32,18 567 33,16MT 598 38/31 690 f. 38/31,17 449 38,31 668, 690 39,4 413 43LXX 598 44 38 51/28,34 371 51/28,58 419 51,13 517 52 243 f., 597 52,2 f.15 243 52,7.18 f.27 243 Baruch 415, 583, 586 f., 594, 596-599 1–5 586, 588, 593, 595 1,1–3,8 583 f., 594 4,36–5,9 371 1. Biblische Texte

Register Threnoi / Klaglieder 256, 600-605, 663 5 356, 359 Epistole Ieremiu / Der Brief des Jeremia (Bar 6) 593, 606-612 Ezechiel 382, 588, 613-632 1–25 (Ez a) 620 f. 1,24 419 10,5 419 14,14.20 418 20,38 541 26–39 (Ez b) 620 f. 28,3 654 29,3 371 32,2 371 34,4 494 36,33-38 286 37 541 37,12 f. 570 37,27 673 38,21 543, 545 40 ff. 132

40 f. 239 44 555 44,6 f.9 f. 545 45,5 160 45,8 160

Daniel 434, 598, 635-648 1–6 657 1,2 262 2,5 262 2,45 567 3,2 262 3,3 495 3,25.28MT 349 3,26-45Th 356 3,46-50 316 3,29 262 3,39 f. 419, 495 3,52-88Th 359 3,57 359 6 658 7–12 550 7 544 7,13 105, 544, 674

8 630 8,9 630 8,11 630 9 571 f., 598 9,4-19 597 9,4 567 9,13LXX 98 9,27 542 11,20 571 11,31 542 12 429 12,2 370, 570 12,11 542 14 658 14,3 f.24 658 Susanna 593, 645, 649-654 44 f.62b 646 1–53 637 53–64 637 Bel kai Drakon / Bel und Drache 522, 646, 655-659 38 522

1.2 Neues Testament Matthäus 593 1,1-17 370 1,5 203 1,23 690 2,2 159 2,6 495 2,15 479 4,4 172 4,15 304 5,33 159 6,10 304 6,29 264 8,17 691 9,13 479 9,27 370 9,36 159 9,38 304 10,35 495 11,3 524 11,10 556 11,14 556 12,1-8 159 1. Biblische Texte

12,18-21 674 12,18 535 12,23 370 12,38 f. 510 12,40 511 12,41 511 13,13 692 15,5 267 15,22 370 16,22 304 16,27 381, 388 17,10-13 556 19,4 f. 118 19,18 f. 665 21,1 ff. 548 21,2.7 548 21,5 548, 668 f. 21,9.15 370 22,37 172 22,42 370 22,44 669 f. 23,32 548

23,35 259, 549 24,15 304, 646 24,16 304 24,30 548, 646 25,31-46 370 26,11 172 26,31 549 26,54 640 26,64 646 27,10 135 27,42 529 Markus 1,2 556 4,12 691 6,23 663 6,29 264 6,34 159 8,11-13 511 9,11-13 556 10,7 118 10,17-22 679

703

Register 10,19 665, 669 10,47 f. 370 11,1 ff. 548 11,15 f. 549 12,29-31 670 f. 12,29 f. 172 12,36 669 f. 13,7 640 13,26 646 14,27 549 14,62 646 15,32 529 Lukas 1,15 159, 666 1,17 556, 674 1,27.32.69 370 1,46-55.68-79 356 1,46-55 359 1,46 359 1,68-79 359 1,78 548 2,4.11 370 2,14 357 2,24 666 2,29-32 355 f., 359 3,22 667 3,31 370 3,32 203 7,19 516 7,27 556 9,54 247 11,28 172 11,29 f. 510 12,53 495 13,27 304 15,12 304 18,20 665 19,28 ff. 548 20,28 666 20,42 f. 669 f. 20,42 350 21,24 548 21,26 535 21,27 646 22,37 691 23,30 479 24,27 381 24,44 98, 350, 381

704

Johannes 350 1,45 172 1,49 529 2,14 549 3,14 159 3,29 304 5,29 370 6 436 6,14 172 7,38 667 7,40 172 7,42 667 10,22 304 12,12 ff. 548 12,13 529 12,15 529, 548, 668 f. 12,38 691 14,16 172 14,27 535 19,36 159 19,37 548 f., 667, 672 19,39 159 Apostelgeschichte 678 1,20 350 2 350, 501 2,2 387 2,9-11 39 2,17-21 501 2,34 f. 669 3,22 f. 172 3,22 667 3,23 666 5,21 304 7,14 135 7,18 135 7,37 667 7,39 159 7,42 f. 489 8 61, 76 8,32 f. 691 9,2 304 10,22 304 12,11 135 12,23 304 13,15a 45 13,21 228 13,22 228 13,33 350 13,35 350

15,1-29 686 15,16-18 690 15,16 f. 489, 672, 686, 689 15,16 690 15,21 45 18,18 159 19,40 488 21,23-26 159 21,26 304 23,12 488 Römer 350 1,3 370 1,17 524, 668, 690 2,5 529 2,6 381, 388 2,29 172 3,10-18 350 3,13-18 673 3,15 388 4,3 118 4,8-11 172 9,13 556 9,15 135 9,26 479 10,6-8 172 10,13 501 10,15 517 10,16 691 10,30 172 11,3 f. 239 11,4 45, 60, 239, 673 11,35 414 12,17 381, 387 f. 12,19 f. 381 12,19 673 12,20 381, 387 12,29 172 13,9 135, 665 15,7-13 684 f. 15,8 f. 674 15,9 228 15,7-13 684 f. 15,10 684 15,21 691 16,7 678 1Korinther 350 2,9 678 3,19 414 1. Biblische Texte

Register 6,16 118 10,1-10 159 10,7 135 10,21 604 11,5 678 11,27 604 13,13 264 14,26 351 14,33-35 678 15,25 669 15,54 672 15,55 479 16,7 677 2Korinther 350 3,3.6-11 667 6,16 673 8,21 381, 387 f. 9,7 381, 387 Galater 3,1 668 3,6 118 3,11 524, 690 3,17 135 3,26-29 678 Epheser 4,8 674 5,18 381, 388 5,19 351, 358 6,2 f. 135 Philipper 1,19 414 8–10 172 Kolosser 1,15-20 388 3,16 351 1Timotheus 3,1-7 678

Hebräer 350, 666 1 350, 673 1,5-14 686 1,5b-13 672 1,5 228 1,6 686 1,7 60, 172, 228, 672 f. 1,12 672 f. 1,13 669 3,2 158 3,7–4,11 349 3,16-18 158 4,8-11 172 5,6 304 6,18 159 7,5 159 8–10 691 8,2 159 8,8-12 593, 668 9,4 159 9,13 159 10,6 673 10,7 667 10,16 f. 593 10,27 529 10,30 172, 673 10,37 f. 691 10,37 524, 666, 668 11,17 304 11,31 185 11,32 196 11,35 f.38 312 12 172 12,5 f. 381, 388 12,9 159 12,13 381, 388 12,21 304 12,26 f. 535 12,26 535, 666 12,29 172 13,5 673

329

2Timotheus 329 2,8 370 2,19 159 Titus 329

1. Biblische Texte

Jakobus 1,12 ff. 420 1,19 679 2,11 665 2,25 185 4,2 304 4,5 f. 381 4,6 381, 388

5,11 420 5,20 381, 388 1Petrus 2,9 135 2,22.24 f. 691 3,10-12 351 4,8 381, 388 4,18 381, 388 5,5 381, 388 2Petrus 2,15 159 2,16 159 2,22 381, 388 3,8 351 3,9 f. 669 Judas 11 159 14 f. 663, 679 Offenbarung / Apokalypse 329, 593, 631, 667 1,1 640 1,7 548 f., 672, 674 1,8 548 1,13-15 647 1,13 f. 674 1,14 647 2,14 159 4–7 548 4,1 640 5,5 370 6,1-8 548 6,12 501 6,16 479 6,17 529 8,1 529 8,11 593 9,3.7 501 10,5 f. 647 11 548 12 371 12,3 371 12,7 647 13,1-2 647 14,5 529 14,14 ff. 545 14,14-18 501

705

Register 15,4 593 16,1 529 17,1-18 516 18,23 593

19 548 20,9 247 21 f. 548 21,3 673

21,7 228 22,6 640 22,16 370 22,18 f. 172

2. Handschriften 2.1 Qumran und Wüste Juda (ohne die jeweils in 1.2 für das betreffende Buch angeführten Texte) Naḥal Ḥever 8ḤevXIIgr 55 f., 90, 216, 243, 410, 463 f., 467, 472, 476, 482, 492, 499, 504, 508, 514, 516, 523, 527, 539, 554 Wadi Murabba‘at Mur 88 466, 504, 514, 523, 527, 531, 539, 689 CD 379, 539, 672, 690 1QpHab 520, 522, 689 1QH 358, 379, 539 1QPsa 672 1QS 138, 532 1QSam 224 1QJesa 243 1Q35 = 1QHb 358 4Q1 = 4QGen-Exoda 131 4Q13 = 4QExodb 131 4Q23 = 4QLXXLeva 41, 61, 89 4Q24 = 4QLXXLevb 89 4Q37 = 4QDtnj 681 f. 4Q44 = 4QDtnk 685 f.

4Q51 = 4QSama 71, 219 f., 224226, 228, 230, 235, 243 4Q52 = 4QSamb 224 4Q53 = 4QSamc 224 4Q70 = 4QJera 586 4Q71 = 4QJerb 580, 587, 594 4Q76 = 4QXIIa 465, 508, 514, 539-541, 553, 689 4Q77 = 4QXIIb 531 f. 4Q78 = 4QXIIc 467 4Q80 = 4QXIIe 531 f., 539 4Q82 = 4QXIIg 514, 539 4Q101 = 4QpaleoJobc 414 4Q119 = 4QLXXLeva 89 4Q120 = 4QpapLXXLevb 90 4Q121 = 4QLXXNum 41, 90, 148, 149, 160 4Q122 = 4QLXXDeut 89 4Q127 = 4QpapParaExod gr 90, 123 4Q144 = 4QFlor 646 4Q156 132 4Q163 539 4Q169 = 4QpNah 514, 516

4Q174 646, 672, 690 4Q175 = 4QTst 672 4Q176a 539 4Q177 539 4Q252 370, 539 4Q254 539 4Q383 = 4QApocJer 611 4Q394-397.399 = 4QMMT 76 4Q427-432 358 4Q521 368 4Q522 535 4Q550 = 4QTales 260 4Q551 649 6Q4 = 6QpapKön 243 7Q1 = 7QLXXExPapyrus 89, 135 7Q2 = 7QLXXEpJer 89, 610 7Q5 539 11Q10 = 11QThIjob 414, 417, 419 11Q13 569 Pescharim 571

Berlin, Äg. Mus. 6772 91 fol 66 I/II 91 P. 11763 93 P.Bodleian 5 90 P.Bodmer XXIV = Ra 2110 91, 673 P.Bodmer XLV/XLVI (P861) 637 Cambridge, Taylor-Schechter 12.182 93

P.Chester Beatty V = Ra 962 91 VI 90 VII = Ra 965 91 VIII 91 XIII = Ra 2149 342 XIV = Ra 2150 342 Florenz P.Vitelli 92 Freer Gall. (Washington) V 91

2.2 Papyri P967 77, 80, 91, 106, 274, 617, 619, 624 f., 630, 632, 637, 640, 645 f., 650 Alexandria Gr.röm. Museum p 203 92 P. Alex. Inv. 95 123 P.Amherst 1.3 92 P.Antinoopolis = Ra 928 617 8 91

706

2. Handschriften

Register P.Fouad 266 41 a 90 b 90 c 90 Giessen, Univ.Bibl. 13.19.22.26 93 Gr.bibl.F.4 123, 125 Heidelberg, Pap.Gr. 8 90 P.Köln 167 424 P.Leipzig 170 91 P.Nash 665 New York P Feinberg 1. 92 P.Oxy 424 656 = Ra 905 91 1007 = Ra 907 80

1075 = Ra 909 91 1076 = Ra 910 290 1594 = Ra 990 290 3285 43 3522 90, 410, 414 4442 = Ra 993 91 4443 90 5101 = Ra2227 80, 90 P.Polit. Iud 4 171 Prag Nat. Bibl. Gr. II 301 92 Codex Purpureus Vindobonensis = Wiener Genesis = L 92 Rylands P 460 92 P.Rylands Gk 458 41, 89

Fragmenta Sangallensia 618 P.Schøyen 2648 90 2649 90 P.Vindob/Wien Rainer 8024 91 26035B 91 39.775 = Ra 2039 92 G 2312 92 K 9907 93 Washington, Freer Ms V = W 91 SIL Nr. 06.273 = Ra 1219 92 SIL Nr. 06.292 92 P.Yale 1 90

2.3 Handschriften nach »Rahlfs-Nummern« (in Auswahl) 19

69, 190, 215, 219, 242, 254, 267, 274, 300 64 125, 300 82 69, 116, 190, 215, 219, 242 88 601 f., 617, 637, 643, 650, 656 93 69, 126, 215, 219, 242, 254, 267, 274, 300 108 69, 125, 126, 190, 215, 219, 242, 254, 267, 274 121 190, 218, 221, 242, 254 127 69, 93, 125, 215, 219, 242, 253 f. 130 125, 190, 300, 390, 418, 420, 444 261 390 f., 418, 420, 444 319 274 392 274 613 390 f., 601 f., 637 707 125 708 125 804 = 7Q2 89, 610 805 89, 123, 125 808 123 813 637

814 90, 109 835 123 836 123 843 123 865 124 866 = 7Q1 124, 135 875 637 877 124 896 124 902 91 905 = P.Oxy 656 80, 91, 110 907 = P.Oxy 1007 110 908 123 909 91, 123 910 = P.Oxy 1076 290 911 91, 369 914 123 921 637 925 637 928 91 942 90, 109 943 90, 463 948 91 960 123 962 91, 410

963 90, 166 965 91 966 91 967 77, 80, 91, 106, 274, 278, 617-619, 624 f., 630, 632, 637, 640, 643, 645 f., 650, 656 970 90, 123 972 123 974 410 978 123 990 = P.Oxy 1594 290 993 91, 124 1000 123 1219 92, 339 f. 2005 340 2013 339 f., 342 2014 91 2039 92 2094 91 2110 91, 341, 673 2149 341 2150 341 2227 80, 90, 341

2.4 Codices (in Auswahl) Alexandrinus 50, 51, 55, 56, 59, 60, 77, 89, 92, 106, 109, 116, 147, 149, 179, 189, 214, 235, 242, 261, 265, 272, 274, 2. Handschriften

280, 299 f., 307, 315, 324, 338 f., 349, 356, 359, 363 f., 376, 382, 443, 464, 534, 561, 616, 678, 690

Al-Mudil 341 f. Ambrosianus 92, 123 Codex Ambrosianus Syrohexaplaris 300, 637

707

Register Codex Barberini gr. 549 465, 520, 523, 525 Chisisanus (=Ra 88) 617, 637, 650, 656 Coislinianus 67, 123, 214 Colberto-Sarravianus 92, 123 Constantiensis 618 Ephraemi rescriptus 92, 376, 410, 443 Codex Freer (Papyrus W.) 91, 369, 516, 524 Leningradensis 52, 76, 150, 163, 164 Marchalianus 67, 93, 601, 616 f., 637

Monacensis 125 f., 132 Codex Paris 127 Purpureus Vindobonensis 92 Sinaiticus 51, 55, 59 f., 78, 92, 106, 109, 179, 190, 261, 266, 274, 280, 290 f., 299 f., 324, 329, 338-340, 351, 363, 376, 382, 424, 443, 464, 549, 617, 673 Syrohexaplaris 3 Ambrosianus Turicensis 93, 356 Vaticanus 50-53, 55 f., 58-60, 70, 77 f., 92 f., 109, 147, 149, 162, 179, 189, 192, 214, 216,

235, 241 f., 245 f., 261, 274, 280, 290, 300, 304, 339 f., 349, 351, 356, 362, 376, 380, 382, 424, 443, 475, 479, 586, 616, 637 Venetus 93, 214, 261, 265, 274, 280, 290, 300, 307, 315, 324, 376, 410, 443, 464, 523, 601, 616 f. Veronensis 93 Washington 91, 516, 524, 527, 540 Wirceburgensis 126, 602, 618, 624

3. Autoren und Texte 3.1 Griechische und hellenistische Autoren und Texte Ailianos, varia historia III,17 34 Aischylos 35 f., 142, 523 Persae 205 142 Albinos 13 Alexander Polyhistor 112, 117, 414, 416 Apollonius von Rhodos 328, 414 f. Aristoteles 13, 378, 418 Aristophanes 523 Lysistrate 1130 142 Aristophanes von Byzanz 36, 41 Berossos 101 f. Demetrios von Phaleron 3436, 39, 42, 44, 48 Dio Cassius 366 Diodorus Siculus 37 [Pedanios] Dioskorides 608

Herodot, Historien II,86 484 II,178 31 III,86 484 VII–IX 283 VII,43 142 VII,101-104 283 Hesiod 36, 42, 415 Hippokrates 608 Homer 31, 33, 36 f., 42, 100, 142, 184, 283, 415 Ilias 37, 54 III,146-160 284 VI 184 37 VI 204 37 Odyssee V 283 37 X 518 142 Julian, Contra Galilaeos I 160 Kallimachos

Euripides

35 f., 44, 415

35 f., 415, 523 Lukian von Samosata

Hekataios von Abdera 100, 102

708

Peripatos 31 Plato (/ platonisch) 13, 36, 130, 158, 327 f., 429 Brief VII,326a-b 49 Phaidros 275 a.c-e 667 Plinius d. Ä., Naturgeschichte XIII, 14 486 XXX,2,4 42 Plutarch 371 Hist.Alex. 1.4.12 141 mor. 414E 141 Lykurg 2 142 Vitae parallelae 366 Porphyrius 13 Sophokles 35 f., 415 Antigone 332 f. 386 1016 142 Theophrast

36

Xenophon 523 Kyropaedie 8.3.12

142

69 Zoroaster 42

Manetho 34, 39, 42 f., 47, 49, 101 f., 104 2. Handschriften

Register

3.2 Jüdische Autoren und Texte Akmonia in Phrygien, Grabinschrift 549 Apokalypse Eliae 679 Aquila 54, 62-66, 79-82, 90, 93, 110, 125, 192, 197, 213, 216 f., 242, 245, 266, 267, 395 f., 402, 411, 419, 463, 516, 524, 572 f., 581, 583, 584, 594, 604, 618, 625, 632, 669, 672 f. Aristeas der Exeget 414-416, 418 Aristeasbrief 34 f., 37-44, 4649, 57, 98-102, 112 f., 171, 317, 425 131 568 132 487 168 f. 568 Aristobul 89, 132, 180, 367, 568 Ascensio Jesaiae 11,34 679 2Baruch 247 30,4 f. 370 4Baruch 3 Paralipomena Jeremiae Demetrius (Historiker) 246 f. Eupolemos 89, 225, 246 f., 257, 611 4Esdras 59, 370 Gebet des Manasse 50, 257, 355-357, 359 f. Grabinschrift (3 Akmonia) 39, 81, 328, 352, 550 1Henoch 50, 293, 434, 567, 679 1,9 679 25,5 370 58,3 370 Jason von Cyrene 89, 308, 310 f. Josephus 38, 52, 70-73, 90, 136, 158, 160, 171, 184, 191, 193, 2. Handschriften

197, 215, 219, 224, 228, 235 f., 243, 247 f., 262, 264, 267, 273, 327, 350, 368, 370, 433, 489, 637 Antiquitates 70, 489 I,322 484 II,346 350 III,92 669 III 158 III 286-287 158 IV 158 IV,303 350 V 196 V,318-337 203 V–VII 228 VI,305 f. 350 VII 214 IX,205-214 510 X,249.266-269 646 XI 274 XI, 1-158 262 f. XII,2 40 XII,242–XIII,212 303 XII,265 301 XIII,64.68 566 XIII,230 304 XIII,257 f. 688 XIII,288-292 303 XIII,294 368 XIII,318 ff. 688 XV,264 688 XVIII,14 370 XX,199 368 Bellum Judaicum I,3 301 I,33 566 II,162-165 370 IV,5,4 549 V, 432 566 Contra Apionem I, 26-31 47 I,37-41 381 II,53-55 320 Josippon 264 Liber Antiquitatum Biblicarum 196, 227 XVIII,2-14 158

Midrasch 658 Mischna jMegilla 74 a 118 Megilla 4,1 150 Taanit 13 152 Soferim 1,7 82 Sota I 4 157 Yadajim mYad 3,5 / tYad 2,14 403 Numeri Rabbah 18,21

508

Paralipomena Jeremiae (4Baruch) 203, 593, 611 Philo der Ältere 89 Philo von Alexandrien 90, 157, 160, 171 f., 349, 352, 414, 489, 510 De Cherubim 32-38 158 De Confusione linguarum 55–57 158 64–66 158 159 158 166 673 De Congressu 98 157 De Decalogo 25 135 26 135 121–135 665 159 157 Deterius ( quod deterius …) 71 158 160 136 Deus (quod Deus …) 87 157 De Ebrietate 36–40 157 Heres (quis rerum divinarum heres sit) 124 157 Legatio ad Gaium 281 39 De Migratione Abrahami 113–115 158 205 158 De Opificio Mundi 172 136 De Sacrificiis 107–111 158 118–134 157 De Somniis I 61-63 135

709

Register II 17-30 171 II 170-171 157 De Specialibus Legibus 171 I 247-254 157 II 39-214 158 II 56-64 158 II 145 157 III 52-62 157 De Virtutibus 55–71 158 De Vita Mosis I 75 135, 136 I 88 135 I 240-249 158 I 263-318 158 II 25-44 135 II 37 112 II 41 f. 41 II 224-225 157 II 233-245 158 Pseudo-Eupolemos 118 Pseudo-Galen 608

Pseudo-Philo 3 Liber Antiquitatum Biblicarum Pseudo-Phokylides 568 Saadja Gaon 442 Samareiticon 65 f. Sibyllinische Orakel III 567 f. Symmachus 54, 62-66, 79, 90, 125, 197, 218, 220, 242, 245, 392-400, 402, 411, 419, 463, 465, 516, 524, 572 f., 581, 583, 594, 618, 625, 632, 668 f., 672 f. Targumim 547 Targum Jonathan 149 Targum Neofiti 149 Targum Onkelos 149 Targum Threni 2,20 549 Testament Benjamin 11,2 480

Testament Ijob 411, 415, 420 Testament Levi 4,3 480 18,3 480 Testament Salomos 247 Theodotion 56, 62, 64-66, 79, 90, 125, 197, 216 f., 228, 242, 245, 257, 262, 395 f., 402, 411, 413, 415, 417, 419, 501, 463, 516, 523, 524, 572 f., 581, 583 f., 586, 593 f., 597, 602, 618, 624 f., 637 f., 640, 641, 643 f., 646 f., 650-654, 656-658, 672 f. Traktat Soferim 1,7 82 Traktat Yadajim mYad 3,5 / tYad 2,14 403 Vita Prophetarum (fabulosae) 488, 523, 593

3.3 Christliche Autoren und Texte 1Clemensbrief 351 8,2 632 9,9 511 12,1.4-6 185 18 351 22 351 26,3 420 34,8 678 36,5 669 35,7-12 351 36 672 49,16-23 351 50,4 632 55,3-5 286 2Clemensbrief 6,8 632 11,7 678 Ambrosius 229 f., 248, 329, 405 Anastasius Sinaita 364 Aphrahat 248 Aristides 611 Arrian, Einleitung in die göttlichen Schriften 13 Athanasius 334, 454, 511

710

Augustin 13, 110, 229, 248, 312, 340, 350, 454, 582, 604 Contra Gaudent I,31,38 304 De civatate dei / Gottesstaat 230, 264 XVIII 304 XVIII,36 264 De doctrina christiana 604 Quaestiones in Heptateuchum 666 Barnabas 351, 637 6,14 632 8–12 159 8,5 172 11,10 f. 632 12,10 669 Basilius von Caesarea 334, 511 f., 562 Beda Venerabilis 248 Breviarum Romanum 359 Chrysostomos 3 Johannes Chrysostomos

Clemens von Alexandrien 90, 367, 388, 420, 512, 529, 582, 599 Clemens von Rom (3 1Clemensbrief) 286, 511, 637 Cyprian 248, 261, 300, 582, 611, 637, 658 Cyrill (3 Kyrill) von Jerusalem 454 Didache 14 556 Didymos der Blinde 342, 390, 396, 420, 464, 479, 517 Diodor von Tarsos 229, 351 Dionysius von Alexandrien 396 Ephraim der Syrer 248, 658 Eusebius 350, 367, 511, 535, 572, 637 f. Catenenfragmente 3,15 136 Chronik 315 Vita Constantini IV,36 f. 78 Or.comm Joh 2,13 136

2. Handschriften

Register princ. I 3 136 5 136 Historia ecclesiastica III,10,6 327 IV,26 213 V,1 304 VI,25 213, 604 Demonstratio evangelica 669 Praeparatio evangelica 9,34,11 257 Eustatius von Antiochia 229 Evagrius 388, 396 Firmicus Maternus 611 Gregor von Nazianz 312, 329 Gregor von Nyssa 229, 390, 396, 400 Gregor der Große 248 Gregor Thaumaturgos 396 Hermas, Hirt des 26,1 312, 637 Hesychius (von Alexandrien) 68 f., 72 f., 75, 92, 124, 179, 190 Hesychius von Jerusalem 172, 340, 473, 480, 506, 511 f., 517 Hieronymus 13, 248, 261, 264, 275, 280, 287, 300, 304, 312, 339, 347, 350, 396, 412, 420, 454, 464, 479, 501, 506, 517, 524, 557, 572, 593, 599, 607, 611, 618, 625, 631, 637 De viribus illustribus 327 In euangelistas ad Damasum praefatio PL 29,527 73 Brief 106, § 2, 2 74 Vorwort zur Chronik 68 Hippolyt 229, 274, 396, 400, 404-406, 524, 653 Ignatius Ign. Philad. 664

2. Handschriften

Irenäus von Lyon 62, 81, 159, 524, 599 Adversus haereses III 23 65 IV,5,2 658 IV 10,2 172 IV 10,5 172 IV 20,12 159, 480 IV 26,2 159 V 18,3 172 Isaak von Ninive 248 Ischodad von Merw 248 Isisdor von Sevilla 15 Jakob von Edessa 230 Johannes Chrysostomos 229, 312, 329, 401, 420, 454, 464, 501 f. Johannes Cassian 248 Julian der Arianer 420 Julius Africanus 13 Justin 351, 489, 492, 511, 637, 669 Dialog mit dem Juden Tryphon 80, 247, 351, 489 73,1.4 664 73,1 172 117,2-4 556 Apologie 35,11 669 40 f. 351 41,4 172 73 f. 351 Justinian, Novella 146 82 Klemens 3 Clemens Kosmas Indikopleustes 401 Kyrill von Alexandrien 464, 479, 501, 506, 517, 523, 557 Kyrill von Jerusalem 248, 511 Contra Julianum II 18 160 V 160 Lukian 58, 64 f., 68-75, 92, 111, 124, 179, 189 f., 197, 215 f., 218221, 242, 249, 341, 352, 400, 424, 472, 582 f. Lucifer von Calaris 244, 300

Märtyrer von Lyon 329 Märtyrerakten 329 Martyrium des Polykarp 329 2,3 678 Malachias Monachus 370, 424 Matthaeus Cantacuzenus 370, 424 Melito von Sardes 253, 381 Methodius 248, 511 Metrophanes von Smyrna 390 Nikephoros Hieromonachos Theotokis 247, 364 Niketes von Remesiana 358 Nilus Sinaitica 400 Novatian 248 Olympiodor von Alexandrien 390 f., 396, 420 Origenes 36, 51, 62, 64-69, 7274, 80, 91, 110, 125, 159 f., 172, 179 f., 190, 197, 213, 215-218, 229, 238, 248, 253, 261, 274, 281, 301, 312, 329, 334 f., 340, 350, 358, 362, 371, 381, 396, 398, 400, 404-406, 411-413, 420, 424, 463 f., 472 f., 479, 492, 502, 511 f., 517, 523 f., 569, 572, 581-584, 593 f., 597, 604, 631, 637, 650 Commentarium in Canticum 358 Comm. in Mattheum 267 Comm. in Johannem XIII, 154-159 172 Epistula ad Africanum 637 5 66 7 593 Hexapla 36, 62-71, 74 f., 80, 91, 125-128, 190 f., 213, 216, 218, 339 f., 412, 463 f., 472, 492, 523, 528, 546, 581, 597, 601 f. Homilien 1,1-2 159 1,3 160 6,4 160

711

Register 7,1-5 160 9 160 27 159 27,5 160 Passio Sanctorum Machabaeorum 326, 329 Papias 668 Paulus von Tella 67, 339 Philo von Karpasia 400 f. Philocalia 479, 631 Polychronis von Apamea 391, 421, 637 Polykarp 3 Martyrium Procopius von Gaza 247, 391 Prudentius 248 Pseudo-Athanasius 364 Pseudo-Augustinus 300, 582 Rabanus Maurus 248

712

Sahdona 248 Severus von Antiochia 229 Speculum peccatoris 300, 582 Tertullian 81, 91, 229, 248, 404, 406, 524, 611, 637 Apologeticum XVIII 7 81 8 81 Adversus Judaeos IV,10 304 Adversus Marcionem 400, 404 De patientia 14,5 420 Scorpiacae 611 Theodor von Mopsuestia 229, 351, 403, 464, 479, 501, 506, 550, 557, 572 Theodoret von Cyrrhus 69,

92, 160, 172, 190 f., 197, 219, 229, 243, 247 f., 340, 351 f., 368, 400 f., 464, 472 f., 479 f., 501, 506, 511, 524, 546, 557, 562, 572, 594, 597, 617, 625, 631, 637 Questiones in Deuteronomium 44 172 Questiones in Reges et Paralipomena 229 Thomas von Aquin 264 Tyconius 617 Verecundus von Iunca 358 f., 602 Vitae prophetarum (fabulosae) 495 7,1-2 489 Walafrid Strabo

248

2. Handschriften

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Felix Albrecht, 2001–2008 Studium in Göttingen und Rom; 2008–2014 Assistent für Neues Testament in Göttingen; seit 2008 wiss. Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Dieter Böhler SJ, Professor für Exegese des Alten Testaments an der PhilosophischTheologischen Hochschule der Jesuiten Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Arbeitsund Forschungsschwerpunkte: Textkritik und Septuagintaforschung, gesamtbiblische Hermeneutik und »Bibel und Liturgie«. Piere-Maurice Bogaert OSB, Dr. theol. (Strasbourg), Lizentiat für Heilige Schrift (Rom), Professor em. der Theologischen Fakultät der Université Catholique de Louvain, zur Zeit geschäftsführender Herausgeber der Revue Bénédictine. Forschungsschwerpunkte: Septuaginta, Vetus Latina (Exodus, Esdras, Judith, Jeremia, Ezechiel, Hiob) sowie allgemein die Überlieferung des biblischen Textes aus dem Hebräischen ins Französische über die griechische und lateinische Sprache. Eberhard Bons, Studien in Deutschland und Italien; Promotion über Philosophie und Literatur in Italien in Mainz, theologische Promotion im Fach Altes Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt; seit 1995 Dozent, seit 2004 Professor für Altes Testament. Forschungen zu Psalmen, Weisheit und Prophetie mit Schwerpunkt Septuagintaforschung. Ralph Brucker, Studium der Evangelischen Theologie in Hamburg; 1996 Promotion; 2002–2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Assistent für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg; 2009–2010 Mitarbeit bei »Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare« in Wuppertal; 2010–2014 Lehrkraft für besondere Aufgaben (Altes und Neues Testament) an der Justus-Liebig-Universität Gießen; seit 2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Editor) an der Schleiermacher-Forschungsstelle Kiel. Ioan Chirilă, Ph.D. in Theologie, Professor für Biblische Studien und für Kirchengeschichte; derzeit Dekan der Orthodox-theologischen Fakultät der Universität ClujNapoca, Rumänien. Kristin De Troyer, 1998–2008 Professorin für Hebrew Bible / Altes Testament an der Claremont School of Theology und Claremont Graduate University, Claremont, Kalifornien, USA; 2008–2015 Professorin für Hebrew Bible an die Universität St Andrews, Schottland, GB; seit 2015 Professorin für Altes Testament an der Universität Salzburg. Cécile Dogniez, Dr. habil., Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 8167 Orient & Méditerranée (CNRS / Paris IV – Sorbonne), Verfasserin einer Bibliographie zur Septua-

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

ginta, zusammen mit M. Harl, G. Dorival und O. Munnich federführende Herausgeberin von La Bible d’Alexandrie und Mitautorin einiger Bände dieser Reihe (Deutéronome, Les Douze Prophètes). Gilles Dorival, 1975 Doktorat in griechischer Literatur an der Universität Paris IV – Sorbonne; Assistent und Dozent an der Universität von Tours; 1988–2010 Professor an der Universität von Aix en Provence, 2000–2010 auch Lehrstuhl für »judaïsme hellénistique et christianisme ancien« am Institut Universitaire de France; seit 2010 emeritiert. Helmut Engel SJ, 1964 Lizentiat der Philosophie (München), 1970 Lizentiat der Theologie (Frankfurt Sankt Georgen), 1973 Lizentiat und 1979 Doktorat in Bibelwissenschaften am Päpstlichen Bibelinstitut Rom, 1983 Habilitation in Theologie, (Frankfurt Sankt Georgen), 1977–1985 Dozent, 1985–2008 Professor für Einleitung in die Heilige Schrift und Exegese des Alten Testaments an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen Frankfurt; 2008 emeritiert, seit 2006 Studienpräfekt am Pontificio Collegio GermanicoUngarico Roma. Heinz-Josef Fabry, Studium der katholischen Theologie, Orientalistik und Pädagogik in Bonn. 1975 Promotion in Theologie mit einer Dissertation zum Thema der Umkehr in der Qumranliteratur; 1979 Habilitation für Alttestamentliche Wissenschaft und Qumranwissenschaft. Seit 1982 Professor für Einleitung in das Alte Testament und Geschichte Israels. Herausgeber des Theologischen Wörterbuchs zum Alten Testament und des Theologischen Wörterbuchs zu den Qumrantexten. Arbeiten zu Prophetie und Weisheit in der Septuaginta. Natalio Fernández Marcos, Forschungsprofessor (Prof. em.) beim Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC), Madrid. Publikationen (in Auswahl): Introducción a las versiones griegas de la Biblia (Übersetzungen ins Englische und Italienische); (mit Emilia Fernández Tejero) Biblia y Humanismo. Textos, talantes y controversias del siglo XVI español; (mit J. R. Busto Saiz), El texto antioqueno de la Biblia griega, I-III; (mit M. V. Spottorno und J. M. Cañas Reíllo) Biblia Hebraica Quinta. 7 Judges; La Biblia griega. Septuaginta I-IV. Peter J. Gentry, Studium und Doktorat an der University of Toronto; Graduate Studies am Dallas Theological Seminary und am Jerusalem University College; Lehrtätigkeit an verschiedenen Institutionen in Toronto. Seit 1999 Professor of Old Testament Interpretation am Southern Baptist Theological Seminary in Louisville/KY. Herausgeber des Buches Ecclesiastes für die Göttinger Septuaginta; Direktor des Hexapla Institute. Katrin Hauspie, Dr., ist Mitverfasserin von A Greek-English Lexicon of the Septuagint. Revised Edition (Stuttgart 2003) und bereitet für La Bible d’Alexandrie den Band über Ezechiel vor. Cornelis G. den Hertog, Studium der Evangelischen Theologie an verschiedenen niederländischen und deutschen Universitäten, u. a. in Göttingen. 1996 Promotion zum Dr.

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phil. an der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einer Arbeit über die Septuaginta des Buches Josua. Er arbeitet als Pfarrer in den Niederlanden. Robert J. V. Hiebert, Ph.D., Professor für Altes Testament und Septuaginta-Studien an der Graduate School of Theological Studies, Trinity Western University, Langley, B.C., Canada; Direktor des John William Wevers Institute for Septuagint Studies; Mitherausgeber des Society of Biblical Literature Commentary on the Septuagint, Vizepräsident der International Organization for Septuagint and Cognate Studies. Philippe Hugo, PD Dr. theol., Lehr- und Forschungsrat im Alten Testament an der theologischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz und Mitglied des »Instituts Dominique Barthélemy für Geschichte des Textes und der Exegese des Alten Testaments«. Forschungsschwerpunkte: Textkritik und Textgeschichte der hebräischen Bibel und der Septuaginta, insbesondere der Bücher Samuel und Könige. Jan Joosten, Studium der Theologie und der semitischen Sprachen in Belgien, USA und Jerusalem; Professor für Altes Testament an der Université de Strasbourg, seit 2014 Regius Professor of Hebrew an der Universität Oxford. Mitarbeit an »La Bible d’Alexandrie« und an »Septuaginta Deutsch«. Hauptherausgeber von Vetus Testamentum; Präsident der International Organization of Septuagint and Cognate Studies. Hans-Winfried Jüngling SJ, 1958 Eintritt in die Gesellschaft Jesu, 1968–1971 Studien am Päpstlichen Bibelinstitut Rom, Promotion zum Dr. in re biblica ebendort, seit 1976 Alttestamentler an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main, 2006 emeritiert. Martin Karrer, Studium der evangelischen Theologie und Germanistik. Seit 1990 Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel. Forschungsschwerpunkte zur Christologie des Neuen Testaments, dem Hebräerbrief, der Apokalypse, der Septuaginta und der biblischen Textgeschichte. Zusammen mit W. Kraus, Siegfried Kreuzer u. a. Leitung des Forschungsprojektes Septuaginta Deutsch: LXX-Übersetzung 2009, Erläuterungen und Kommentare 2011, Textgeschichte der Septuagintazitate im Neuen Testament 2007-2013, Sammelbände. Martina Kepper, Dr. theol., Dozentin für Biblisches Hebräisch und Altes Testament an der Philipps-Universität Marburg. Arbeitsschwerpunkt: philologische Studien zur Septuaginta; derzeitiges Forschungsprojekt: Die Wirkungsgeschichte der Genesis-Septuaginta. Jong-Hoon Kim, Studium der Germanistik und der Theologie in Seoul, Südkorea; 2008 Promotion im Fach Altes Testament in Wuppertal mit der Arbeit »Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher« (prämiert mit dem Armin Schmitt Preis 2009). 2009 Mitarbeiter am Hanim Übersetzungsinstitut in Seoul, seit 2010 Professor für Altes Testament an der Busan Presbyterian University in Gimhae, Südkorea.

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Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Arie van der Kooij, Professor em. für Altes Testament an der Universität Leiden (Niederlande). Forschungen zur Septuaginta des Jesajabuches, zu Ezechiel und Daniel und zum Judentum im Hellenismus. Wolfgang Kraus, Studium der Evangelischen Theologie in Neuendettelsau, Heidelberg, Göttingen und Erlangen. 1990 Promotion zum Dr. theol., 1994 Habilitation für das Fach Neues Testament an der Universität Erlangen-Nürnberg. 1996 bis 2004 Professor an der Universität Koblenz-Landau, seit 2004 Professor für Neues Testament an der Universität des Saarlandes. Forschungsschwerpunkte: Theologiegeschichte des frühen Christentums, Hebräerbrief, Septuaginta, christlich-jüdisches Gespräch, Dokumentation zerstörter Synagogen in Europa. Zusammen mit M. Karrer, S. Kreuzer u. a. Leitung des Forschungsprojektes Septuaginta Deutsch: LXX-Übersetzung 2009, Erläuterungen und Kommentare 2011; Sammelbände zur Septuaginta; Herausgeber von »Septuagint and Cognate Studies« (SBL.SCS). Siegfried Kreuzer, Studium in Wien, Zürich und in den USA. 1981 Promotion im Fach Altes Testament; 1987 Habilitation für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien; seit 1991 Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Mitarbeiter und Mitherausgeber von Septuaginta Deutsch; seit 2011 Herausgeber des Journal of Septuagint and Cognate Studies; Sammelbände zur Septuaginta. 2015 emeritiert. Johan Lust, Dr. theol., Master in Biblischer Philologie (KU Leuven); von HumboldtForschungsstipendium für das Göttinger Septuaginta-Unternehmen in Göttingen; ab 1985 Professor für Exegese des Alten Testaments an der Universität Göttingen; 2003 emeritiert. Martin Meiser, Studium der Evangelischen Theologie in Neuendettelsau, Hamburg, Tübingen und München; 1992 Promotion, 1996 Habilitation im Fach Neues Testament an der Universität Erlangen. Seit 2007 Professor für Neues Testament an der Universität des Saarlandes; Mitarbeit bei Septuaginta Deutsch und bei der Biblia Patristica; Forschungsschwerpunkte: Septuaginta, Altkirchliche Schriftauslegung, Antike Homerphilologie. Heinz-Dieter Neef, Studium der evangelischen Theologie in Marburg und Tübingen, 1979–1983 Studium semitischer Sprachen in Tübingen; 1985 Dr. theol.; 1993 Dr. theol. habil.; seit 2000 apl. Professor für Altes Testament und semitische Sprachen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Tobias Nicklas, Dr. theol., seit 2007 Professor für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments an der Universität Regensburg. Forschungsschwerpunkte: griechischsprachige Literatur des frühen Judentums, johanneische Literatur des Neuen Testaments, christliche Apokryphen, Verhältnis von Judentum und Christentum in der Antike. Wolfgang Orth, Professor em. für Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Studium der Klassischen Philologie und der Geschichte in München und 716

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Tübingen; 1970 Promotion; 1976 Habilitation in Alter Geschichte; 1977–1988 Professor für Alte Geschichte in Münster; seit 1988 in Wuppertal. Mitglied des DFG-Sonderforschungsbereichs »Tübinger Atlas des Vorderen Orients« 1975–1990. Mitherausgeber von »Septuaginta Deutsch« 2003–2011. Forschungsschwerpunkte: Hellenismus und römische Kaiserzeit; historische Geographie; Nachleben der Antike. Melvin K. H. Peters, Ph.D an der University of Toronto 1975; Professor für Altes Testament an der Duke University, Department of Religious Studies. Herausgeber der Septuagint and Cognate Studies, 2002–2010. Forschungen und Publikationen zur Septuaginta und zum Koptischen Text. Thomas Pola, Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen; 1993 Promotion mit der Arbeit, »Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg«; 2001 Habilitation mit der Arbeit »Das Priestertum bei Sacharja«. Seit 2001 Professor für Evangelische Theologie mit besonderer Berücksichtigung des Alten Testaments an der Technischen Universität Dortmund. Mitarbeit an Septuaginta Deutsch. Martin Rösel, Dr. theol., Akademischer Oberrat für Hebräisch, Altes Testament und Religionsgeschichte an der Universität Rostock. Forschungsschwerpunkte: Textgeschichte des Alten Testaments, Bibelübersetzungen, Gottesaussagen des Alten Testaments und das Danielbuch. Adrian Schenker, Professor em. für Altes Testament an der Universität Freiburg/ Schweiz. Arbeiten zur Textkritik; Koordinator der Herausgeberkommission der Biblia Hebraica Quinta. Eva Schulz-Flügel, Professorin em. für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen; Schwerpunkt Alte Kirche, Augustinus und Hieronymus; Mitarbeiterin am Vetus Latina Institut in Beuron; Herausgeberin des Buches Asma / Canticum in der Göttinger Septuaginta. Peter Schwagmeier, Dr. theol., Dozent für Hebräisch und Aramäisch an den Universitäten Zürich und Bern. 2004 Promotion zum Dr. theol. an der Universität Zürich mit der Arbeit »Untersuchungen zu Textgeschichte und Entstehung des Ezechielbuchs in masoretischer und griechischer Überlieferung. Übersetzer der neuen Zürcher Bibel (Zürich 2007). Marco Settembrini, Professor für Altes Testament in Bologna an der Facoltà Teologica dell’Emilia-Romagna. Verfasser einer Monographie über die sogenannten apokalyptischen Genres (Sapienza e storia in Dn 7-12) und einer Einführung in den Pentateuch. Zur Zeit arbeitet er an einem Kommentar über das Buch Daniel und ist beteiligt an dem Projekt Historical and Theological Lexicon of the Septuagint. Marcus Sigismund, Studium der Alten Geschichte und der Katholischen Theologie; 2002 Promotion im Fach Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal; 717

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Lehrtätigkeit in Bibelwissenschaft und in Alte Geschichte; Seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Forschungsprojekten an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, insbesondere Septuaginta und Text der Apokalypse. Michael Tilly, Dr. theol., Studium der Evangelischen Theologie in Mainz und Heidelberg, Promotion 2003 (Neues Testament), Habilitation 2001 (Judaistik), seit 2012 Professor für Neues Testament und Leiter des Instituts für antikes Judentum und hellenistische Religionsgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Julio Trebolle Barrera, Professor em. am Departamento de Estudios Hebreos y Arameos, Facultad de Filología, Universidad Complutense de Madrid. Publikationen zu Hebrew Bible, Qumran, Septuaginta. Zusammen mit Pablo A. Torjiano Herausgeber von Regnorum III und IV für die Göttinger Septuaginta. Frank Ueberschaer, Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal, Heidelberg und Bochum, Jüdische Studien in Heidelberg und Jerusalem. Promotion mit der Arbeit »Weisheit aus der Begegnung. Bildung nach dem Buch Ben Sira« (2006); 2015 Habilitation mit einer text- und literaturgeschichtlichen Studie zu 1Kön 11–14; Edition von Mischnatraktaten; Forschungen zur Septuaginta. Martin Vahrenhorst, Studium der evangelischen Theologie in Wuppertal, Göttingen, Jerusalem und Bochum. Promotion 2000 (Neues Testament), Habilitation 2007 (Neues Testament). Schulreferent der Kirchenkreise Saar-Ost und Saar-West und Privatdozent für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Markus Witte, 1993 Promotion zum Dr. theol. (Philipps-Universität Marburg), 1997 Habilitation im Fach Altes Testament (Philipps-Universität Marburg), 1997–1998 Vikar in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, 2001–2009 Professor für Altes Testament an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, seit 2009 Professor für Exegese und Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Humboldt-Universität zu Berlin. Benjamin G. Wright, Distinguished Professor am Department of Religious Studies der Lehigh University in Bethlehem, Pennsylvania, USA. Mitherausgeber von A New English Translation of the Septuagint (2007). Jüngste Publikation: The Letter of Aristeas (2015). Yun-Yeong Yi, 2005 Promotion mit der Arbeit »Translation technique of the Greek Ecclesiastes« bei Peter Gentry, Southern Baptist Theological Seminary, Louisville/KY.

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