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German Pages 135 [136] Year 2005
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Michael Tilly
Einführung in die Septuaginta
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
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Im Andenken an Günter Mayer (1936–2004)
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2005 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Satz: Setzerei Gutowski, Weiterstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de
ISBN 3-534-15631-5
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Inhalt Vorwort Einleitung
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I. Der Text der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die handschriftliche Überlieferung der Septuaginta 2. Die gebräuchlichen modernen Textausgaben . . . 3. Titel, Umfang, Anordnung und Inhalt . . . . . . .
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II. Die Entstehung der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die griechische Übersetzung der Tora . . . . . . . . . . . a) Frühe Erwähnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehungslegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aristeasbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philon von Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . Flavius Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Anhaltspunkte zur Datierung . . . . . . . . . . 2. Die Übersetzung der Tora ins Griechische im ptolemäischen Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Juden in Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die hellenistische Großstadt Alexandria . . . . . . . . c) Die Bedeutung der Tora für die alexandrinischen Juden d) Der Hellenismus als Herausforderung und Chance . . . e) Die Koine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Synagoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründe und Funktion der griechischen Toraübersetzung . . 4. Ursprüngliche Gestalt und Abfolge der Toraübersetzung . . 5. Die griechische Übersetzung von Prophetenbüchern und Hagiographen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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26 26 26 27 27 30 33 36
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37 37 39 40 42 43 44 45 49
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IV. Die Überlieferungsgeschichte der Septuaginta . . . . . . . . . . 1. Jüngere Übersetzungen und Überarbeitungen des griechischen Bibeltextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Hexapla des Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachhexaplarische Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tochterübersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Septuaginta als Übersetzung . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der hebräische Bibeltext . . . . . . . . . . . . . . b) Vorlage und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . c) Die Frage nach dem „Urtext“ der griechischen Bibelübersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übersetzungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übersetzungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
V. Die Septuaginta in christlicher Tradition . . . . . . . . . . . . . 100 1. Die Septuaginta und das Neue Testament . . . . . . . . . . . 100 2. Der Gebrauch der Septuaginta in der Alten Kirche . . . . . . . 108 VI. Die Distanzierung des rabbinischen Judentums von der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Literatur
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Personen, Orte, Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
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Vorwort Die vorliegende Einführung in die Septuaginta behandelt den Inhalt und die Geschichte der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel. Dabei kommen auch zahlreiche Aspekte der Religion und Literatur des antiken Judentums und des frühen Christentums zur Sprache, die einerseits zum Verständnis dieser im 3. Jahrhundert v. Chr. begonnenen Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften beitragen und andererseits ohne die Septuaginta oftmals nicht in umfassender Weise zu verstehen sind. Die Idee zu diesem Buch geht zurück auf eine Reihe von durchgeführten Lehrveranstaltungen am Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bei der gemeinsamen vergleichenden Lektüre des hebräischen und des griechischen Bibeltextes als wichtigster Quellen für die Weltdeutung und für die Glaubenshoffnungen ihrer antiken Autoren und Adressaten erarbeiteten sich die beteiligten Studentinnen und Studenten einen Einblick in zahlreiche wichtige Aspekte des antiken Schriftverständnisses in Judentum und Christentum. Ein großer Teil der in diesem Buch angeführten Textbeispiele wurde dabei gemeinsam übersetzt, analysiert und interpretiert. Dabei wurde allen Beteiligten schnell deutlich, daß die im Theologiestudium geforderten Sprachkenntnisse eine immense Bedeutung für die umfassende Durchdringung der Bibel sowohl als Glaubensurkunde der Menschen, die sie uns überlieferten, als auch als Grundlage der eigenen religiösen Identität haben. Zu danken ist zunächst den Studentinnen und Studenten des Mainzer Fachbereichs, stellvertretend den engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des im Sommersemester 2004 stattgefundenen judaistischen Seminars „Antike Bibelübersetzungen“. Der Mühe der Anfertigung der Register unterzog sich Herr stud. theol. et phil. Karl Weyer-Menkhoff. Herzlich gedankt sei auch meinen Kolleginnen und Kollegen, die mir in zahlreichen interdisziplinären Gesprächen und während gemeinsamer Lehrveranstaltungen viele wichtige Hinweise und Anregungen gaben. Mein besonderer Dank gilt den Freunden PD Dr. Katharina Greschat, PD Dr. Marco Frenschkowski, Dr. Norbert Jacoby, PD Dr. Jörg Lauster, Dr. Reinhard Lehmann, apl. Prof. Dr. Martin Meiser, Dr. Paul Metzger und Prof. Dr. Tobias Nicklas, die die Entstehung dieses Buches begleitet und das Manuskript kritisch gelesen haben. Ich widme dieses Buch meinem verstorbenen Lehrer Günter Mayer. Den größeren Teil von dem, was ich über die Septuaginta weiß, habe ich von ihm gelernt. Nicht nur dafür sei ihm herzlich gedankt. Mainz, im Juli 2005
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Einleitung In allen europäischen Sprachen heißen die ersten Menschen nicht wie in der hebräischen Bibel Adām und Hawwāh, sondern wie in der Septua˙ ginta Aδαµ und Ευα („Adam und Eva“). Gleiches gilt für die Propheten Ησαιας und Ιερεµιας („Jesaja“ und „Jeremia“), deren Namen auf Hebräisch Jēšājāhū und Jirmejāhū lauten. Allein schon diese kleinen Beispiele aus dem Bereich der biblischen Eigennamen verdeutlichen die Selbstverständlichkeit des intensiven Einflusses, den die griechischen Übersetzung der hebräischen Heiligen Schriften des Judentums auf das Christentum und auf die gesamte europäische Geistesgeschichte ausübte. Die Septuaginta enthält die erste schriftliche und wirkungsgeschichtlich bedeutendste zusammenhängende Übersetzung der hebräischen Bibel in eine andere Sprache. Sie diente der Übertragung ihrer religiösen Botschaft in eine ganz andersartige Sprach-, Denk- und Lebenswelt und ermöglichte durch diese gewaltige kulturelle Transferleistung das tiefe Eindringen hebräischer Terminologie und orientalischer Ideen- und Bilderwelt in die europäischen Sprachen und Kulturen. In der Septuaginta, eigentlich einem gewachsenen Ensemble voneinander unabhängiger Übersetzungen und Schriften, schlagen sich die zeitgeschichtlichen Umstände ihrer Entstehung nieder; vor allem spiegelt sich in dieser Schriftensammlung die ereignisreiche kulturgeschichtliche Epoche des Hellenismus wider. Außerhalb des Judentums und des Christentums hat die Septuaginta in der Antike kaum als bemerkenswerte „Literatur“ gegolten. Obgleich sie aus heutiger Perspektive als die bedeutendste Übersetzungsleistung der hellenistischen Epoche bezeichnet werden kann, blieb die Septuaginta in der paganen antiken Welt weitgehend unbeachtet; allein in De sublimitate („Über die Erhabenheit“) IX 9, dem Werk eines anonymen Autors aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., das unter dem Namen des griechischen Rhetorikers und Philosophen Cassius Longinus (ca. 213–273 n. Chr.) überliefert ist, wurde der griechische Text von Gen 1,3.9 zitiert. Dennoch gilt die griechische Bibelübersetzung als eines der wichtigsten literarischen Dokumente zu einem umfassenden Verständnis des vielfältigen und sich fortwährend entwickelnden religiösen, intellektuellen und politischen Lebens – bzw. der unterschiedlichen Lebensbedingungen – des antiken Judentums im palästinischen Mutterland und in der westlichen Diaspora. Zugleich ermöglicht die Septuaginta einen tiefen Einblick in die Entstehung und Entwicklung des christlichen Glaubens. Übersetzung in eine andere Sprache bedeutet immer auch Aneignung eines neuen Denkens. Als eine imponierende eigenständige Neuinterpretation ihrer Vorlage beleuchtet die Septuaginta die frühe Geschichte der Auslegung und Anwendung der hebräischen Bibel; insbesondere ist sie ein herausragender Zeuge eigenständiger und kreativer jüdisch-hellenistischer Exegese, Ethik und Theologie. Auf ihrer Basis entwickelten sich unterschiedliche Frömmigkeitsformen und theologische Systeme; durch sie erfolgte die schöpferische Aneignung griechischen Denkens bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Tradition. Ausgehend von ihrer verbreiteten Verwendung im griechischsprechenden antiken Judentum wurde die Septuaginta als Sammlung von Übersetzungen der jüdischen Bibel und weiteren
Bedeutung der Septuaginta
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Einleitung
Verwendung der Septuaginta
erzählenden, weisheitlichen und poetischen Büchern zu der Heiligen Schrift der judenchristlichen Gemeinden und bildete bald eine wesentliche Grundlage der frühchristlichen Mission unter Juden und Nichtjuden. Zusammen mit den neutestamentlichen Schriften wurde die Septuaginta zur verbindlichen Bibel der entstehenden christlichen Kirchen, in deren Überlieferungsbereich sich ihre anfangs höchst heterogene Textgestalt allmählich verfestigte und in denen sie bis heute teilweise kanonische Geltung genießt. Nicht nur die hebräische Bibel, sondern auch die Septuaginta ist gemeinsame theologische Basis für Judentum und Christentum. Das Alte Testament, das das Bild des christlichen Schrifttums der ersten vier Jahrhunderte geprägt hat, war fast ausschließlich das Alte Testament in griechischer Gestalt. Als Teil der Bibel der griechisch-orthodoxen Christen stellt die Septuaginta zugleich einen Ansatzpunkt des christlichen ökumenischen Gesprächs der Gegenwart dar. Die orthodoxen Kirchen betonen die Einheit beider Testamente als der Hauptquellen ihres Glaubens und zugleich die soteriologische Bedeutung auch der vorneutestamentlichen Gottesoffenbarung und Gotteserkenntnis; sie verwenden dabei die Septuaginta als Grundlage der reichen Liturgie und der Ikonographie, und sie haben auch die apokryphen bzw. deuterokanonischen Schriften (s. u. 18) in ihrer Tradition bewahrt. Ungeachtet dieser wichtigen Tatsachen und auch ihrer immensen kulturgeschichtlichen Bedeutung wurde die Septuaginta noch im vorigen Jahrhundert überwiegend dazu benutzt, einen als fehlerhaft beurteilten hebräischen Bibeltext auszubessern. Tatsächlich ist die griechische Bibelübersetzung auch eine wertvolle Quelle für Textänderungen vor der Standardisierung der hebräischen Bibel. Bis zur Entdeckung der Bibliothek von Qumran und den Textfunden aus der Wüste Juda war sie die älteste Quelle für den Text des Alten Testaments; ein Jahrtausend lag zwischen ihr und dem ältesten bis dahin bekannten hebräischen Bibelmanuskript, dem Codex Cairensis (s. u. 64). Jedoch tritt in jüngerer Zeit neben das textgeschichtliche Interesse an der Septuaginta zunehmend ein überlieferungsund wirkungsgeschichtliches Interesse, das nach den Glaubensüberzeugungen und Lebensumständen der jüdischen und christlichen Menschen fragt, die sie übersetzten, abschrieben, überarbeiteten, lasen, auslegten, lehrten, beteten und sangen, und denen sie als grundlegender Orientierungspunkt ihrer frommen Lebensgestaltung diente. Die vorliegende Einführung in die Septuaginta ist gedacht als eine grundlegende Information für alle, die an ihrem Inhalt und ihrer Geschichte interessiert sind. Ihr erster Hauptteil beginnt mit einer knappen Darstellung der verwickelten handschriftlichen Überlieferung der Septuaginta, stellt die im deutschsprachigen Raum verbreiteten und verfügbaren Textausgaben vor, und bietet einen Überblick über ihren Aufbau und Inhalt. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der Entstehung der griechischen Bibelübersetzung anhand der antiken Quellen und geht dabei in ausführlicher Weise auf deren zeitgeschichtliche Hintergründe ein. Im dritten Hauptteil wird anhand zahlreicher Textbeispiele ein umfassender Einblick in die „Werkstatt“ der antiken Bibelübersetzer geboten. Der vierte Hauptteil enthält einen Überblick über das, was man über die
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Einleitung
jüngeren jüdischen und christlichen Übersetzungen und Überarbeitungen der griechischen Bibel gegenwärtig weiß. Im fünften und im abschließenden sechsten Haupteil wird auf die jeweils unterschiedliche Bedeutung der Septuaginta für das frühe Christentum und für das antike Judentum eingegangen. Griechische Sprachkenntnisse werden bei der Lektüre dieser Einführung nicht vorausgesetzt; mit der Fertigstellung der philologisch zuverlässigen und zugleich gut lesbaren „Septuaginta Deutsch“ (LXX.D) wird eine leicht verfügbare deutsche Übersetzung vorliegen. Jedoch sind die Textbeispiele für alle, die die griechische Bibel in der Sprache lesen können, in der sie geschrieben wurde, durchweg nicht nur in deutscher Übersetzung, sondern auch im Original geboten. Verzichtet wurde auf eine wissenschaftliche Garnierung in Form von gelehrten Fußnoten, die die intensive aktuelle Fachdiskussion aufgreifen; hierzu gibt es einige in jüngerer Zeit erschienene umfassende Überblicksdarstellungen und instruktive Einzeluntersuchungen zu zentralen Themenbereichen, auf die am Ende dieses Buchs in einer ausführlichen thematisch geordneten Bibliographie verwiesen wird.
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I. Der Text der Septuaginta 1. Die handschriftliche Überlieferung der Septuaginta Die sehr umfangreiche handschriftliche Überlieferung der Septuaginta bietet eine größere Vielfalt von Varianten als die Textüberlieferung aller anderen Bibelübersetzungen zusammen. Bekannt sind bislang ca. 2000 verschiedene erhaltene Textzeugen der griechischen Bibel. Aufgrund der günstigen lokalen klimatischen Bedingungen stammt ein großer Teil dieser erhaltenen Texte aus Ägypten, gefolgt von der Wüste Juda. Keine der darin überlieferten Textformen hat jedoch die Urgestalt der Übersetzung der entsprechenden Schrift bewahrt. Bereits um die Zeitenwende kursierte jedes hebräische Buch in mindestens einer griechischen Übersetzung. Die komplizierte Textüberlieferung der Septuaginta nimmt ihren Anfang in den Umständen, daß sich der hebräische Bibeltext auch nach der Entstehung griechischer Bibelübersetzungen im Judentum noch weiterhin veränderte (s. u. 57) und daß auch deren Textbestand sich – zumindest in weiten Teilbereichen – ausgehend von einer ursprünglichen textlichen Vielfalt erst im Verlauf seiner Tradierung im Judentum und im Christentum nach und nach verfestigte und in einheitliche Traditionsströme mündete (s. u. 57 f.). Auch danach wurden die kirchlichen Bibelcodices weiterhin aus unterschiedlichen Vorlagen zusammenkopiert; selbst eine einzelne Handschrift konnte dabei durchaus verschiedenen älteren Texten folgen. Auch ein spätes und generell unzuverlässiges Manuskript kann deshalb gute und alte Lesarten enthalten. Insgesamt muß aber festgehalten werden, daß die Rekonstruktion einer bestimmten – christlichen oder jüdischen – Textwachstumsstufe der griechischen Bibel oder gar des Originals eines Buchs aus der Hand seines Übersetzers aus dem Hebräischen mit einer Sicherheit, die alternative Deutungen ausschließt, nicht zu erzielen ist. Schon zur Zeit des frühen Christentums gab es wohl keine zwei textidentischen Exemplare eines ins Griechische übertragenen Buchs der hebräischen Heiligen Schriften des Judentums. Als die ältesten erhaltenen direkten materiellen Zeugen des griechischen Bibeltextes, die bereits die Vielfalt seiner vorchristlichen Überlieferung (bzw. eine rege vorchristliche Rezensionstätigkeit; s. u. 82) unter Beweis stellen, gelten die in Ägypten und der Wüste Juda gefundenen Handschriftenfragmente aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. Allesamt sind sie in Rollenform, aus Papyrus, Leder oder Pergament, und nur einseitig beschrieben (bei Papyri auf der inneren Seite [recto] mit waagerecht verlaufenden Fasern; bei Leder- oder Pergamentrollen auf der Fleischseite). Bereits aus der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. stammen die aus zwei Stücken Mumienkartonage herausgelösten Rollenbruchstücke des Papyrus Rylands Greek 458 (Sigel bei Rahlfs 957; sie enthalten Teile von Dtn 23,24–24,3; 25,1–3; 26,12.17–19; 28,31–33) und die griechische Übersetzung des Dodekapropheton („Zwölfpropheten[rolle]“) in dem am Westufer des Toten Meers gelegenen Bachtal Wadi el Habra (s. u. 83). Beide neuzeit˘ lichen Handschriftenfunde gelten als die ältesten gegenwärtig bekannten Zeugen des von ihnen gebotenen Bibeltextes. Etwa ein knappes Jahrhun-
Textüberlieferung
frühe Textzeugen
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Der Text der Septuaginta
Majuskeln
dert jünger sind die griechischen Textfunde in den Höhlen von Qumran (s. u. 36) und der Papyrus Fouad Inv. 266 (Sigel bei Rahlfs 942; hilfreiche Vergleichstabellen der verschiedenen Handschriftensigla finden sich bei S. Jellicoe, The Septuagint in Modern Study, Oxford 1968 [Ndr. Winona Lake, In. 1989], 360–369), ein Konvolut aus Fragmenten von drei aus dem Fajjum (ca. 90 km südwestlich vom heutigen Kairo) stammenden Rollen (sie enthalten Gen 3,10–12; 4,5–7.23; 7,17–20; 37,34–38,1.10–12; Dtn 10,22; 11,1.10 f.16; 17,14 ff.; 31,26–29; 32,2.4; 33,14–19.22 f.26 f.). Als einer der ältesten christlichen Septuagintapapyri gilt der Papyrus Yale I 1 (Sigel 814 bei Rahlfs; enthält Gen 14,5). Aufgrund ihres hohen Alters und ihres Umfangs sind auch die aus christlichen ägyptischen Bibelcodices aus dem 2.–4. Jahrhundert n. Chr. stammenden Papyri aus der Sammlung Chester Beatty/Scheide (enthalten sind Gen 8,13–9,1; 9,1–44,22; 24,13– 25,21; 30,24–46,33; Num 5,12 ff.; 25–34; Dtn 1,20–12,17; 18,22–34,12; Jes 8,18–19,13; 38,14–45,5; 54,1–60,22; Jer 4,30–5,1; 5,9–14.23 f.; Ez 11,25–17,21; 19,12–39,29 [mit Lücken]; Dan 3,72–8,27; Est 2,20–8,6; Sir 36,28–37,22; 46,6–11; 46,16–47,2) von besonderer Bedeutung für die Erhellung der frühen Textgeschichte. Die Textform gerade der ägyptischen Papyri gilt in besonderer Weise als „ursprünglich“ (d. h. als am wenigsten durch spätere Eingriffe verändert), weil weder die von Palästina ausgehenden jüdischen Rezensionen der griechischen Bibel noch deren christliche Überarbeitung durch Origenes (ca. 185–253/54) vollständig bis nach Oberägypten vorgedrungen sind (s. u. 93). Seit frühchristlicher Zeit erfolgte die kirchliche Texttransmission der griechischen Bibel nicht mehr ausschließlich in Rollenform, sondern zunehmend in Gestalt von gebundenen Codices. Deren praktische Vorteile gegenüber einer Buchrolle bestanden u. a. darin, daß sie beidseitig (recto und verso) beschreibbar und somit preisgünstiger waren, zahlreiche Schriften in einem Band vereinigen konnten, Textsammlungen von bestimmten Autoren oder zu bestimmten Themen ermöglichten, und schließlich auch das bequemere Auffinden eines Zitats ermöglichten. Mehr oder weniger vollständig erhalten sind davon über 300 Manuskripte und Manuskriptfragmente. Hiervon gelten die drei alten und halbwegs vollständigen, in Majuskeln (Großbuchstaben) geschriebenen Großhandschriften S (bzw. a), A und B als besonders wichtige Hauptzeugen der frühen christlichen Texttradition der griechischen Bibel: S Der von drei Händen geschriebene, von dem Theologen und Paläographen Lobegott Friedrich Constantin Freiherr v. Tischendorf (1815–1874) im St. Katharinenkloster auf dem Sinai entdeckte Codex Sinaiticus, (größtenteils) British Library, Add. 43725, stammt aus dem 4.–5. Jahrhundert. A Der vierbändige, stark von der Hexapla (s. u. 84) beeinflußte Codex Alexandrinus, British Library, Royal, 1 D. V–VIII, datiert auf das 5. Jahrhundert. B Der von Einflüssen späterer Überarbeiter bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Jesaja) relativ freie und deshalb als besonders wichtig geltende, in Reihenfolge und Umfang der Schriften der Liste im 39. Osterfestbrief des alexandrinischen Bischofs Athanasius (s. u. 20) entsprechende Codex Vaticanus, Vat. gr. 1209, stammt aus dem 4. Jahrhundert.
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Gebräuchliche moderne Textausgaben
Diese drei Großhandschriften enthalten allesamt den Text des Alten und des Neuen Testaments in Scriptura continua (d. h. in unstrukturiertem Fließtext ohne Satz- und Worttrenner, Akzente, und Hauchzeichen). Die Abweichungen dieser drei bedeutenden christlich tradierten Majuskelcodices bzw. Unzialhandschriften (von lat. uncia [„Zoll“], der ursprünglichen Größe eines Majuskelbuchstabens) voneinander sind von Buch zu Buch beträchtlich schwankend, jedoch deutlich genug, um die Herkunft des jeweiligen Textes aus verschiedenen Rezensionen erkennen zu lassen (s. u. 82). Die Hauptmasse der Textzeugen der Septuaginta bilden die ca. 1500 christlichen Minuskelhandschriften aus dem 9. bis 16. Jahrhundert, die in einer – mehr oder weniger graphisch ausgebildeten – Kursiven geschrieben sind, und die trotz ihres relativ geringen Alters mitunter überaus wertvolle Textzeugen sein können, wenn sie auf gute untergegangene Majuskeln zurückgehen. Als Erstdruck der griechischen Bibel gilt der im Jahre 1517 fertiggestellte und fünf Jahre später erschienene, nicht selten auf eine andernorts nicht mehr erhaltene Vorlage zurückgehende Septuagintatext in der Complutensischen Polyglotte, einer unter der Leitung des Kardinals und Erzbischofs von Toledo Francisco Ximenes (1436–1517) in Alcalá de Henares (Complutum) verfertigten synoptischen Gegenüberstellung des hebräischen, aramäischen, griechischen und lateinischen Textes des Alten Testaments.
Minuskeln und Erstdruck
2. Die gebräuchlichen modernen Textausgaben Eine „diplomatische“ Textausgabe (wie z. B. die Biblia Hebraica Stuttgartensia) bietet den urkundengetreuen Text einer bestimmten Bibelhandschrift und fügt zu jedem Bibelvers alle varianten Lesarten der anderen Textzeugen in einem textkritischen Apparat an. Die verbreitetste diplomatische Edition der Septuaginta ist die von den englischen Gelehrten Alan E. Brooke (1863–1939), Norman McLean (1865–1947) und Henry St. John Thackeray (1869–1930) herausgegebene „Cambridger Ausgabe“ (The Old Testament in Greek According to the Text of Vaticanus, Cambridge 1906– 1940; sie enthält Genesis – Nehemia; Esther; Judit; Tobit). Ihr Text beruht auf dem Codex Vaticanus (B); wo dieser fehlt, wurde nach den Codices Alexandrinus (A) und Sinaiticus (S) ergänzt (s. o. 14). Eine vollständige Handausgabe dieser Edition (Cambridge 1887–1894) wurde herausgegeben von Henry B. Swete (1835–1917). Eine „eklektische“ Ausgabe nimmt dagegen immer wieder eine Auswahl vor, welcher Textzeuge an der jeweiligen Stelle als der zuverlässigste gelten kann. Eine „kritische“ Ausgabe (wie z. B. das Novum Testamentum Graece) trägt zudem auch auf einer Reihe von textkritischen Plausibilitätskriterien beruhende „Konjekturen“ (verbessernde Textänderungen) der Herausgeber ein. In den beiden letzteren Fällen führt die Erweiterung der Quellenbasis durch neue Textfunde prinzipiell immer wieder zu Neubewertungen des erreichbaren Textbestands, die von Auflage zu Auflage in kleinere und größere Änderungen des rekonstruierten mutmaßlich ursprünglichen Bibeltextes münden können.
diplomatische Textausgaben
eklektische und kritische Textausgaben
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Der Text der Septuaginta
Aufgabe des großen Septuaginta-Unternehmens der Göttinger Akademie der Wissenschaften (bisher 24 Bände) ist die Edition einer großen kritischen Textausgabe der Septuaginta. Das eigentliche Hauptanliegen und Ziel der im Jahre 1931 begonnenen gründlichen Editionsarbeit der an dem Unternehmen beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht in der Rekonstruktion des ursprünglichen (bzw. des ältesten erreichbaren) jüdischen griechischen Bibeltextes anhand des gesamten verfügbaren handschriftlichen Materials. Die Ermittlung der ältesten bekannten Lesarten einer Perikope als Ausgangspunkt bzw. zur Absicherung weiterer Rekonstruktionen (z. B. des Charakters der hebräischen Vorlage oder jüngerer griechischer Überarbeitungsstufen) geschieht dabei mittels Erhebung und Beseitigung aller im Verlauf seiner Transmission eingedrungenen Fehler und vor allem sämtlicher erkennbarer Spuren christlicher Rezensionstätigkeit. Um der hiermit gestellten überaus schwierigen Aufgabe der Synthetisierung des im Haupttext aller Einzelbände gebotenen „ältesten“ griechischen Bibeltextes gerecht zu werden, die Originale der einzelnen jüdischen Übersetzungen durch die Ausscheidung aller sekundären Bestandteile wiederherzustellen bzw. ihnen möglichst nahe zu kommen, werden alle verfügbaren Handschriften und sonstige Textbezeugungen gesichtet, einer eingehenden Beurteilung unterzogen und beschrieben, nach charakteristischen Merkmalen gruppiert und anhand ihrer formalen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in eine relative Abfolge gebracht. Da die „verbessernde“ sekundäre Angleichung des griechischen Bibeltextes an die bestimmende hebräische Texttradition das am häufigsten vorkommende Merkmal für seine redaktionelle Überarbeitung ist (s. u. 61 f.), werden dabei Lesarten, die vom Wortlaut des hebräischen Textes weiter entfernt sind, bei der Textrekonstruktion generell vorgezogen. Seit der Edition des Jesajabuchs im Jahre 1939 haben die Textbände des Göttinger Septuaginta-Unternehmens entgegen der bisherigen editorischen Praxis einen doppelten und streng voneinander geschiedenen textkritischen Apparat. Unterhalb des rekonstruierten griechischen Haupttextes und einer Kopfleiste, in der die auf der entsprechenden Seite herangezogenen Handschriften verzeichnet sind, finden sich zum einen (im Oberteil des Apparats) die eigentlichen Überlieferungsvarianten aus den einzelnen Septuagintahandschriften, Handschriftengruppen, Zitaten bei antiken christlichen oder paganen Autoren sowie alten Bibelübersetzungen verzeichnet, und wird zum anderen (im separaten Unterteil) der Text der erhaltenen Fragmente von jüngeren griechischen Alternativübersetzungen (Aquila, Symmachus, Theodotion [α σ θ]; s. u. 87–91) geboten. Beide textkritische Apparate verzeichnen dabei allein die Abweichungen vom Haupttext der entsprechenden Seite. Als nicht nur im deutschsprachigen Raum verbreitete „Handausgabe“ des Göttinger Septuaginta-Unternehmens, die zwar auf deren System beruht, aber im Gegensatz zu diesem bereits abgeschlossen ist, kann die bemerkenswerte Edition des griechischen Bibeltextes durch den Alttestamentler Alfred Rahlfs (1865–1935) gelten. Das im Todesjahr seines Autors erschienene Werk bietet ebenso wie die „große“ Ausgabe einen synthetisch rekonstruierten Text, dessen handschriftliche Basis sich jedoch in der Regel auf die Majuskelcodices S, A und B beschränkt. Hinsichtlich des Umfangs
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Titel, Umfang, Anordnung, Inhalt
und der Anordnung der einzelnen Schriften folgte Rahlfs der bereits erwähnten Liste im 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius (s. u. 20), die er noch um die Oden und um die Psalmen Salomos (deren Bearbeitung in der Göttinger Ausgabe nicht vorgesehen ist) ergänzte. Das sich hieraus ergebende Problem, daß der Textbestand der Septuagintaausgabe von Alfred Rahlfs hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer Ordnung keiner jemals im Judentum oder im Christentum existierenden verbindlichen „kanonischen“ Sammlung griechischer Heiliger Schriften entspricht, und auch die Tatsache, daß sowohl die Handausgabe als auch die umfangreichere Edition des Göttinger Septuaginta-Unternehmens einen synthetisch rekonstruierten Mischtext bieten, der in dieser Form niemals benutzt wurde (wobei auch Lesarten begegnen, die kaum oder gar nicht tradiert sind), führen dazu, daß man sich bei der textkritischen Arbeit mit beiden unverzichtbaren Werken stets vor Augen halten muß, daß man es hier keinesfalls mit dem „Urtext“ der Septuaginta zu tun hat, zumal immer auch an die Möglichkeit zu denken ist, daß die ursprüngliche Lesart einer Bibelstelle in keinem einzigen der erhaltenen bzw. von den Editoren verarbeiteten Manuskripte mehr existiert.
3. Titel, Umfang, Anordnung und Inhalt Die vorliegende Septuaginta ist ein christliches Buch. Der griechische Begriff ο βδοµκοντα bzw. seine lateinische Entsprechung Septuaginta (nach dem lateinischen Zahlzeichen für 70 auch „LXX“) zur Bezeichnung der christlich tradierten Sammlung von griechischen Übersetzungen Heiliger Schriften mitsamt den Büchern, die nicht zu den verbindlichen jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften gehören, sondern sich allein in kirchlichen Handschriften und Drucken finden (s. u. 18–25), stammt von einem christlichen Autor; er findet sich in keiner vorchristlichen jüdischen Quelle. Das hellenistische Judentum bezog die Septuagintalegende (s. u. 27 ff.) ausschließlich auf die Tora. Vor dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurde kein griechischer Bibeltext „Septuaginta“ genannt. Erst der frühchristliche Schriftsteller Justin (gest. 165) verwendete den Begriff zur Bezeichnung der von ihm zitierten gesamten Übersetzung von Tora und Propheten (Dialog mit Tryphon 137,3). Die bislang ältesten griechischen Bibelhandschriften, an deren Ende die Bezeichnung in Kolophonen (Schlußformeln) zu finden ist (vgl. z. B. die Hinzufügung hinter Gen 50,26 in Codex Vaticanus ([B; s. o. 14]: γνεσις κατ τος βδοµκοντα [„Genesis nach der Septuaginta“]), stammen erst aus dem 4. Jahrhundert. Der alexandrinische christliche Theologe Origenes gebrauchte den Namen „Septuaginta“ sowohl für den griechischen Bibeltext, den er nach dem ihm zugänglichen hebräischen Text und den ihm zugänglichen „wörtlicheren“ griechischen Alternativversionen überarbeitete, als auch für das monumentale Produkt seiner umfänglichen Überarbeitungstätigkeit, nämlich der hexaplarischen Rezension als der griechischen Textausgabe des christlichen Alten Testaments, die zunächst in seinem Traditionsbereich (Jerusalem und der Osten des Römischen Reichs) und später dann in der griechischen Kirche bestimmend wurde (s. u. 84 ff.).
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Üblicherweise und im weiteren Sinne werden die griechischen Übersetzungen der gesamten hebräischen Bibel (ursprünglich in aramäischer Sprache geschrieben sind Esr 4,8–6,18; 7,12–26; Dan 2,4–7,28; Jer 10,11 sowie zwei Wörter in Gen 31,47) mitsamt den (in den Manuskripten hinsichtlich ihrer Anordnung und ihres Umfangs uneinheitlich überlieferten) sogenannten „Apokryphen“ („Verborgenen [Büchern]“; reformatorische Tradition) bzw. „deuterokanonischen Schriften“ (katholische Tradition), den Büchern Judit, der Weisheit Salomos, Tobit, Sirach, Baruch, dem Brief Jeremias, dem 1. und dem 2. Buch der Makkabäer, sowie den Stücken zu Esther und den Zusätzen zu Daniel als Septuaginta bezeichnet (s. u. 21 ff.). Nach der Lutherbibel letzter Hand, Wittenberg 1545, gehört zu den hier zwischen den alt- und neutestamentlichen Schriften eingeordneten „Apocrypha: Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind“ auch noch das – 2. Chr 33,11–19 auffüllende, anfangs allein in der syrischen Didaskalia und den apostolischen Konstitutionen (II 22,12–14) bezeugte, nur in wenigen griechischen Bibelhandschriften überlieferte und erst im 13. Jahrhundert in Vulgatacodices aufgenommene – Gebet Manasses, das von dem Wittenberger Reformator als Muster eines Beicht- und Bußgebets besonders geschätzt wurde. Die verbreitete griechische Textausgabe von Alfred Rahlfs (s. o. 16) bietet daneben einige Bücher, die in der Editio Sixto-Clementina von 1592 hinter dem Neuen Testament stehen und hier ausdrücklich als extra seriem canonicorum librorum („außer der Reihe der kanonischen Schriften“) bezeichnet werden. Zu diesen Büchern gehören: – das wohl unvollständig überlieferte 1. Buch Esdras (= 3. Ezra in der Vulgata [s. u. 98 f.]), eine für ihre griechischsprechenden jüdischen Adressaten gut lesbare eigenständige Geschichtserzählung auf der Basis des hebräisch-aramäischenen Textes von 2. Chr 35 f., Esra und Nehemia, die den Wert der Weisheit hervorhebt. In der lateinischen Bibel wird das Buch gefolgt von 4. Ezra, einer jüdischen Apokalypse aus der Zeit nach der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr.; nicht wenige lateinische Handschriften enthalten daneben auch noch ein 5. und 6. Ezrabuch); – das 3. Buch der Makkabäer, das seinem Inhalt nach nicht im Zusammenhang mit der Geschichte der Makkabäer steht. Als Ätiologie eines jährlichen Diasporafestes erzählt es die von Gott bewirkte wunderbare Errettung der alexandrinischen Juden vor ihrer Ermordung auf Betreiben des ptolemäischen Königs; – das der philosophischen Literatur zuzurechnende 4. Buch der Makkabäer, eine Abhandlung in Redenform, deren vordringliches Ziel die religiöse Erziehung ist und die anhand von Exempla aus der biblischen Überlieferung und dem 2. Buch der Makkabäer lehrt, wie die fromme Vernunft die Affekte und Triebe zu beherrschen vermag; – der Psalm 151, eine auf 1. Sam (= LXX 1. Kön) 16,1–13; 17,14; 2. Sam (= LXX 2. Kön) 7,8; 2. Chr 29,26, Ps 78 (LXX 77),70; 89 (LXX 88),20 basierende Dichtung aus vorchristlicher Zeit, die wohl der Auffüllung der – ihrem Umfang nach bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. feststehenden – Psalmensammlung diente und bei der in der Forschung umstritten ist, ob es eine hebräische Vorlage gegeben hat;
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– die erst von einer christlichen Redaktion aus Liedern in verschiedenen alt- und neutestamentlichen Büchern (Ex 15,1–19; Dtn 32,1–43; 1. Sam 2,1–10; Jes 26,9–20; Jona 2,3–10; Hab 3,1–19; Jes 38,10–20; Dan 3,26–45.52–88; Lk 1,46–55.68–79; 2,29–32), dem Gebet Manasses (s. o. 18) sowie einem christlichen Bußgebet zusammengestellten 14 Oden (nicht zu verwechseln mit den 42 Oden Salomos, einer großenteils in syrischer Sprache überlieferten christlichen Sammlung von Hymnen); – 18 Psalmen Salomos, ursprünglich wohl in hebräischer Sprache verfaßte Dichtungen antihasmonäischer frommer Juden, die unter dem Eindruck der römischen Einnahme Jerusalems im Jahre 63 v. Chr. eine pessimistische Geschichtsdeutung mit Ansätzen messianischer Hoffnungen seines Trägerkreises verbanden. Im antiken Judentum, dem sie (mit Ausnahme eines Teils der Oden) entstammen, scheinen alle diese „apokryphen“ bzw. „deuterokanonischen“ Schriften überwiegend lehrhaften Charakters nur separat tradiert worden zu sein; als Bestandteil von Sammlungen begegnen sie allein in christlichen Bibelhandschriften. Keine von ihnen war jemals Bestandteil eines jüdischen bzw. „alexandrinischen“ Septuagintakanons. Der Name „Septuaginta“ verweist zunächst allein auf die Entstehungsgeschichte und insbesondere auf die antike jüdische (von kirchlichen Autoren aufgegriffene und ausgestaltete) Entstehungslegende der griechischen Toraübersetzung, in der wiederholt von 72 jüdischen Übersetzern (je 6 Männer aus den 12 Stämmen Israels) die Rede ist (s. u. 28). Die vereinfachte Zahl 70 (in griechischen Zahlzeichen: ο ο) als Rundung bzw. Abkürzung der 72 (ο οβ) setzte sich bereits früh in der christlichen Tradition durch; sie begegnet allerdings auch in einigen jüdischen Quellen, wo sie wahrscheinlich der Angleichung dieser Legende an die biblisch Erzählung von den 70 Ältesten diente, die Moses zum Sinai begleiteten (Ex 24,1–11) und auf die später ein Teil seines Geistes überging (Num 11,16–25), indem sie anzeigte, daß die jüdischen Septuagintaübersetzer gleichsam als bevollmächtigte Gehilfen des Offenbarungsempfängers Moses erscheinen und an seiner Autorität teilhaben (vgl. den Traktat Sefer Tora [I 8], eine in ihrem Grundbestand auf das 3. Jahrhundert n. Chr. zurückgehende rabbinische Sammlung von Vorschriften über das Schreiben von Torarollen). Im eigentlichen und engeren Sinne der jüdischen Übersetzungslegende bezieht sich der Begriff „Septuaginta“ also allein auf die im 3. Jahrhundert v. Chr. im ptolemäischen Alexandria entstandene älteste griechische Übersetzung der Tora, der fünf Bücher Moses, im Unterschied sowohl zu den verschiedenen nach dieser entstandenen jüdischen Übersetzungen der Prophetenbücher und der Hagiographen ins Griechische als auch zu den jüngeren (jüdischen und christlichen) Überarbeitungen sämtlicher übersetzten biblischen Bücher. Erst im frühen Christentum wurde der Begriff auf Prophetenbücher und Hagiographen ausgedehnt; das griechische Zahlwort wuchs als inscriptio („Überschrift“) dem Gesamtwerk zu und prägte fortan seinen Namen. Um zwischen dieser als christliches Altes Testament tradierten, mittlerweile vielfach redigierten und bereits durch die Anordnung (s. u. 23 f.) der tradierten Einzelschriften theologisch deutenden Sammlung und den älteren Bibelübersetzungen aus dem Traditionsbereich des vorchristlichen an-
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tiken Judentums in der gebotenen Weise zu differenzieren, haben sich für die letztere in der Septuagintaforschung auch die Bezeichnungen „alexandrinische Übersetzung“ oder „alte griechische Übersetzung“ (bzw. die auch in der deutschsprachigen Fachliteratur wohl aufgrund des erwünschten Verfremdungseffekts nicht seltene anglophone Benennung „Old Greek“) eingebürgert. Die Septuaginta ist eine gewachsene Sammlung von Übersetzungen aus dem Hebräischen (bzw. Aramäischen) und von Schriften, die in griechischer Sprache abgefaßt wurden. Sie enthält neben den griechischen Übersetzungen der 22 bzw. 24 Bücher der hebräischen Bibel auch eine Anzahl jüdischer Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, von denen man bis in die späte Neuzeit keine hebräische bzw. aramäische Fassung kannte und die im antiken Judentum zum größeren Teil nur innerhalb einiger Gruppen gelesen und tradiert wurden. Es ist anzumerken, daß diese Schriften auch im frühen Christentum erkennbar seltener zitiert und in der gottesdienstlichen Lesung auch in geringerem Maße verwendet wurden als die im Judentum späterhin kanonisch gewordenen Bücher. Ebenso ist ihre handschriftliche Bezeugung geringer und sie wurden weniger in den kirchlichen Lektionaren (Vorlesebüchern für den gottesdienstlichen Gebrauch) verwendet. Der Abschluß dieser Sammlung wurde irgendwann vorausgesetzt, aber nie wirklich festgelegt. Erst seit Origenes (s. u. 84 ff.) läßt sich von einer einigermaßen klaren Fixierung sprechen. Doch auch sie änderte nichts daran, daß die Grenzen des christlichen Kanons lange beweglich waren und bis heute ein offener Rand bleibt, da es nie zu einer eindeutigen und definitiven Entscheidung über den Umfang der Septuaginta gekommen ist. Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. bildete sich im Christentum überhaupt die Auffassung heraus, es müsse einen allgemein anerkannten „Kanon“, d. h. ein Verzeichnis aller biblischen Bücher geben, die endgültig und verbindlich in allen Kirchen als Heilige Schriften gelten sollten, und die Kirchen begannen, den Umfang der Sammlung dieser griechischen jüdischen Schriften für sich festzulegen. Der 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius von Alexandria (295–373), der keinesfalls als ein verbindliches „kirchenamtliches“ Schreiben mißverstanden werden darf, zählte im Jahre 367 alle Bücher der – nach persönlichem Dafürhalten seines Verfassers – kirchlich verbindlichen Bibel namentlich auf und differenzierte in dieser Liste zwischen den unbestritten gültigen, den nur vorzulesenden und den „apokryphen“ Schriften. Letztere waren seines Erachtens zwar zum kirchlichen Gebrauch zugelassen, aber von geringerer Bedeutung; der Begriff „apokryph“ ist hier also nicht identisch mit seinem späteren Gebrauch (s. u. 109 f.). Die Synoden von Hippo (393) und Karthago (397), die auch in diesem Punkt unter dem Einfluß des Augustinus standen (s. u. 110), hielten an der bisherigen kirchlichen Tradition fest und bestimmten, daß der erweiterte Umfang der Septuaginta mitsamt einer Auswahl von Büchern, die sich in der hebräischen Bibel nicht finden, für den christlichen Westen fortan verbindlich sei. Als canonicae scripturae („kanonische Schriften“) des Alten Testaments, deren Verwendung im Gottesdienst nichts im Wege stand, wurden auf dem dritten afrikanischen Plenarkonzil von Karthago aufgeführt:
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Titel, Umfang, Anordnung, Inhalt Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Josua Richter Rut 4 Bücher der Königreiche 2 Chronikbücher Hiob Psalter Sprüche Kohelet (Prediger; lat.: Ecclesiastes; nicht zu verwechseln mit Jesus Sirach [lat.: Ecclesiasticus; s. u. 22]) Hoheslied Weisheit Salomos Sirach Dodekapropheton (in den wichtigsten Majuskelhandschriften in folgender Reihenfolge: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi) Jesaja Jeremia Ezechiel Daniel Tobit Judit Esther 2 Esrabücher 2 Bücher der Makkabäer
Zwar wurde diese Entscheidung der Synode von Karthago auf dem (in der Kuppel [in trullo] des kaiserlichen Palasts in der byzantinischen Metropole tagenden) ökumenischen Konzil von Konstantinopel (692) von den östlichen Kirchen übernommen, aber das Trullanum II, das im Osten als Teil des vorangehenden Konzils von Konstantinopel (681) betrachtet wurde, erkannte neben dieser nordafrikanischen Kanonliste auch noch fünf verschiedene andere Listen an. Der „Septuagintakanon“ blieb auch hier noch immer offen. Die Tatsache, daß das christliche Alte Testament um einen nicht unbeträchtlichen Teil umfangreicher war als die jüdische Bibel, galt den kirchlichen Lehrern mehrheitlich als größerer Reichtum und nicht als das wesentliche Kriterium der wertenden Unterscheidung der biblischen Schriften im Hinblick auf ihre unterschiedliche Autorität und Bedeutung als „vor-“ und „nachrangige“ Bücher. Zu den Büchern, die keinen Eingang in die verbindlichen jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften fanden, sondern neben diesen im antiken Judentum vor allem der moralisch-pädagogischen Erbauung und frommen Unterhaltung sowie der religiösen Propaganda dienten, von hier aus in die Literatur der jungen christlichen Kirche eingingen und sich – in wechselndem Umfang – allein in kirchlichen griechischen Bibelhandschriften und Drucken finden, gehören: – das bereits gegen Ende der Perserherrschaft abgefaßte Buch Judit, dessen Syntax und Sprachgebrauch anzeigen, daß es auf ein hebräisches Origi-
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nal zurückgeht. Die belehrende Erzählung handelt von der Rettung einer Stadt Betulia (d.i. Jerusalem) vor dem assyrischen Heer des Holofernes durch die junge, reiche, schöne und gottesfürchtige Witwe Judit; die Weisheit Salomos, die ihre Bezeichnung dem Umstand verdankt, daß das Buch, besonders in den Kapiteln 7–9, als eine Lobrede Salomos auf die Weisheit gelten will. Das in griechischer Sprache verfaßte Werk des hellenistischen Diasporajudentums will zu einem frommen und gottgefälligen, d. h. von der Tora als göttlicher Weisheit bestimmten Leben anleiten; das Buch Tobit, von dem in Qumran hebräische und aramäische Fragmente gefunden wurden, und das als eine komplexe weisheitlich-theologische Lehrerzählung mit märchenhaften Zügen bezeichnet werden kann. Die in zwei unterschiedlichen griechischen Textformen vorliegende Schrift (s. u. 96 f.) führt ihren Lesern in Form einer anschaulich gestalteten Familiengeschichte ein vorbildliches jüdisches Leben vor Augen; das Buch Jesus Sirach (lat.: Ecclesiasticus) ein aus zahlreichen Einzelsprichwörtern bestehendes weisheitliches Spruchbuch zu unterschiedlichen Themen, das auf ein hebräisches Original zurückgeht (s. u. 53); das aus disparaten Teilen kompilierte pseudepigraphische Buch Baruch, in dem unter dem Namen des Sekretärs des Propheten Jeremia (vgl. Jer 36; 45) tradierte Bußgebete und Verheißungen stehen; der vor Assimilationsbestrebungen warnende Brief Jeremias, der in der Vulgata mit dem Baruchbuch (Bar 6) verbundenen ist. Sein Inhalt thematisiert vor allem die Verwerfung des – in karikierender Weise dargestellten – törichten und sinnlosen Götzendienstes; das 1. Buch der Makkabäer, dessen hebräisches Original dem Hieronymus wohl noch vorgelegen hat, aber seitdem verschollen ist. Es schildert den lang andauernden Konflikt zwischen den judäischen Juden und den hellenistischen Herrschern und den Aufstieg des hasmonäischen Herrscherhauses von der Thronbesteigung des Seleukidenherrschers Antiochos IV. Epiphanes bis zum Tod des Makkabäerbruders Simon; das 2. Buch der Makkabäer, das in Gestalt pathetischer Geschichtsschreibung ebenfalls die jüdischen Auseinandersetzungen mit den Seleukiden behandelt. Die ursprünglich griechische Schrift enthält zwei Briefe der Jerusalemer Juden und eine Epitome (d. h. einen Auszug) eines fünfbändigen griechischen Werks eines ansonsten unbekannten Jason von Kyrene; das 3. und 4. Buch der Makkabäer (s. o. 18); Stücke zu Esther, die in erbaulich-novellistischer Weise den religiösen Gehalt des biblischen Estherbuchs steigern und den Mangel beheben, daß Gott hier nirgends ausdrücklich erwähnt wird (s. u. 94 f.); Zusätze zu Daniel (Susanna; Bel und der Drache; Gebet Asarjas; Gebet der drei Männer im Feuerofen). Die beiden erbaulichen Tendenzerzählungen, das Klagelied und der Hymnus stellen als Zusätze zum griechischen Danielbuch die anfangs große Freiheit bei dessen Überlieferung unter Beweis (s. u. 91); das 1. Buch Esdras (s. o. 18); die Psalmen Salomos (s. o. 19); die Sammlung der Oden (s. o. 19).
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Erhalten sind alle diese hellenistisch-jüdischen Schriften fast ausschließlich in der Überlieferung der Alten Kirche. Als Dokumente der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen im Judentum zu hellenistisch-römischer Zeit sind sie von großem Wert für die Erhellung der Gedankenwelt der Antike. Bereits im Neuen Testament finden sich zahlreiche Zitate aus und Bezugnahmen auf die Apokryphen (z. B. Mk 10,19, vgl. Sir 4,1; Mt 9,36, vgl. Jdt 11,19; 2. Tim 2,19, vgl. Sir 17,26), und auch Josephus hat sie in seinen Werken als Quellen benutzt. Während die katholische Kirche, die sich hinsichtlich der Zahl und Länge der verbindlichen alttestamentlichen Schriften seit dem ersten Konzil von Trient (s. u. 99) am Bestand der Septuaginta orientierte, einige der genannten Texte als „deuterokanonisch“ übernahm, lehnten die Reformatoren, die sich aufgrund von sachkritischen Argumenten und vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Auseinandersetzungen primär am rabbinischen Kanon orientierten, sie als „apokryph“ ab, wenn auch Martin Luther (1483–1546) nirgendwo in seinem umfangreichen Werk einen expliziten Grund für ihre pauschale Ausgrenzung nannte. Auch Ansätze Zürcher Reformatoren, die Septuaginta doch in die deutsche Bibelübersetzung einzubeziehen, setzten sich nicht durch. Die Kirchen der Reformation, deren Wortführer durch den humanistischen Drang zu den Quellen („ad fontes“) beeinflußt waren, beschränkten sich seitdem auf den Inhalt der hebräischen Bibel und orientierten sich an ihrem Text. In der Reihenfolge der einzelnen Bücher entsprachen ihre Bibelausgaben allerdings gegen die traditionelle Anordnung der Heiligen Schriften im Judentum dem römisch-katholischen Kanon. Hinsichtlich der Benennung der biblischen Bücher weicht die Septuaginta grundsätzlich von der im Judentum üblichen Zitation nach dem Anfangswort eines Buchs ab und folgt der Gewohnheit der griechischen Bibliothekare, seinen Verfasser und/oder seinen Inhalt anzugeben. Der griechische Titel des fünften Buchs Moses ∆ευτερονµιον („zweites Gesetz“) entspricht dabei allerdings der Zitation des Buchs als Mišne ha-Tora („Wiederholung des Gesetzes“) in der rabbinischen Literatur. Auffällig sind besonders die in den Septuagintacodices begegnende gemeinsame Bezeichnung von 1.2. Samuel und 1.2. Könige als (βιβλ α) βασιλει!ν („[Bücher] der Königreiche“) und die Bezeichnung von 1.2. Chronik als (βιβλ α) παραλειποµνων βασιλων Ιουδα („[Bücher] der ausgelassenen [Ereignisse] der Könige von Juda“). Während die Wahl des ersteren nach inhaltlichen Kriterien zusammenfassenden Begriffs vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß die Tradenten der griechischen Bibel ein ganz besonderes Interesse an der politischen Geschichte der Königszeit hatten, beruht die letztere Umbenennung darauf, daß die Chronikbücher nicht als eine eigenständige Neuschreibung der Geschichte des Südreichs Juda angesehen wurden, sondern als ein ergänzender Nachtrag zu den bereits in 1.2 Samuel und 1.2. Könige (LXX 1.–4. Königreiche) berichteten Geschehnissen aus der Königszeit. Die Titel der Bücher in der Septuaginta wurden später von der Vetus Latina und von der Vulgata (s. u. 97–99) übernommen und gelangten von hier aus im Bereich der Kirchen in alle europäischen Sprachen. Die grobe Einteilung der Bücher in den jüdischen Sammlungen hebräischer Heiliger Schriften entsprach der Bedeutungsentwicklung bzw. dem Zeitraum des Abschlusses der Teilsammlung im antiken Judentum, orien-
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tierte sich vor allem an der Chronologie der erzählten Zeit und beruhte daneben auch auf praktischen Bedürfnissen (Auffüllung der Buchrollen). Die Abfolge von Tora, Propheten und Hagiographen stand im antiken Judentum bereits früh fest, wenn auch die vorgegebene Reihenfolge der einzelnen biblischen Bücher von den jüdischen Schreibern häufig nicht als verbindlich angesehen wurde (Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Hagiographen; z. B. finden sich die Chronikbücher bald an letzter [Codex British Museum, Add. 15252]), bald an erster Stelle [Codex Leningradensis bzw. Petropolitanus; die Biblia Hebraica Stuttgartensia von 1977 weicht in ihrer Anordnung von ihrer Textvorlage ab]). Erst der Buchdruck sorgte hier für eine Vereinheitlichung. Die veränderte Einteilung der Bücher in der Septuaginta zeugt dagegen von einem christlichen Blickwinkel. Durch die sich bald aushärtende Anordnung ihrer Buchteile in der Abfolge von Gesetzbüchern, Geschichtsbüchern, Lehrbüchern und Propheten wurden drei zentrale theologische Aussagen transportiert, nämlich die christozentrische heilsgeschichtliche Deutung der Vergangenheit des Gottesvolkes, die hohe Bedeutung der in Anspruch genommenen jüdischen Heiligen Schriften für die fromme christliche Daseinsgestaltung in der Gegenwart, und die Interpretation der biblischen Schriftpropheten (unter Einschluß der Psalmen als Dichtungen Davids) als Künder der Zukunft bzw. die Deutung ihrer Botschaft als voraussagende Weissagung „auf Christus hin“ (s. u. 103). Innerhalb dieser grundlegenden Ordnung finden sich weitere Unterschiede gegenüber der hebräischen Bibel, wobei auch in Bezug auf die Septuaginta einschränkend festzustellen ist, daß die handschriftliche Überlieferung in diesem Punkt nicht einheitlich ist (z. B. findet sich das Buch Hiob in den Manuskripten an unterschiedlichen Stellen). Die Chronikbücher stehen hier zwischen 1.–4. Königreiche und 1.2. Esdras und werden so – in chronologischer Abfolge des erzählten Geschehens – als Geschichtsbücher in die Gruppe der übrigen Geschichtscorpora integriert. Auch findet sich das Buch Rut in der griechischen Bibel nicht bei den Hagiographen, sondern nach dem Richterbuch, wohl weil Rut 1,1 seine Handlung in die Zeit der Richter datiert (durch diese Ordnung wird auch die Übereinstimmung der Ahnenreihe Jesu [Mt 1,6; Lk 3,32] mit der davidischen Genealogie akzentuiert [vgl. Rut 4,17]). In der Septuagintaüberlieferung fand wieder eine Verknüpfung der Übersetzung des hebräischen Esrabuchs mit der folgenden Nehemiaerzählung statt, deren frühe Abtrennung wohl durch den Neueinsatz in Neh 1,1 mit der Überschrift „Bericht Nehemias, des Sohns Hachaljas“ angeregt wurde. Als 2. Esdras wurde die kombinierte Version (Neh 1,1 entspricht LXX 2. Esdr 11,1) – wohl in Entsprechung der ursprünglichen Gestalt als zusammenhängendes Buch – im Christentum schließlich kanonisch. Während die Versteilung der Psalmen in den neuzeitlichen Textausgaben der Septuaginta in der Regel mit dem hebräischen Bibeltext übereinstimmt, weicht die Zählung der einzelnen Psalmendichtungen an mehreren Stellen vom hebräischen Psalter ab. Aufgrund der Zuordnung von Ps 10 (LXX 9,23–39) zum vorangehenden Ps 9 und der Teilung von Ps 147 (LXX 146,1–11; 147,1–9) im frühen Verlauf der christlichen Überlieferung veränderte sich die gesamte Zählung, was zur Folge hat, daß sich die Nume-
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rierung der einzelnen Psalmen im hebräischen und im griechischen Bibeltext seitdem allein bei Ps 1–8 und 148–150 entspricht, wohingegen sie zwischen Ps 10 und 147 in der Septuaginta immer um 1 nach unten abweicht. Ps 114,1–8 und 115,1–18 werden im griechischen Psalter zu Ps 113, 1–26 zusammengefaßt und Ps 116,1–19 wird in die Psalmen 114,1–9 und 115,1–10 zerlegt. Das Danielbuch wurde in die christlich tradierte Septuaginta bald als eines der vier großen prophetischen Bücher eingeordnet; seine Endstellung entsprach dabei seiner Deutung als eines eschatologischen (bzw. auf die Christusoffenbarung hinführenden) Abschlusses des Alten Testaments (s. u. 104). Die Apokryphen bzw. deuterokanonischen Schriften sind in den erhaltenen christlichen Septuagintacodices in Entsprechung ihrer jeweiligen literarischen Gattung in die verschiedenen Teilsammlungen der alttestamentlichen Schriften eingeordnet; ihre Stellung in den einzelnen Codices variiert. Durch ihre Hinzufügung veränderte sich der Charakter der Septuaginta als Gesamtwerks, denn mit der Weisheit Salomos stieg der Anteil salomonischer Pseudepigraphie, und durch Baruch und den Brief Jeremias wurde die Bedeutung des Propheten Jeremia akzentuiert. Die Aufnahme des 1. und 2. Makkabäerbuchs bedeutete eine Verlängerung der Darstellung der Heilsgeschichte bis in die jüngere Zeit hinein, und die Eingliederung von Tobit, Judit, und Sirach verstärkte das erbauliche und das weisheitliche Element der Sammlung.
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II. Die Entstehung der Septuaginta 1. Die griechische Übersetzung der Tora a) Frühe Erwähnungen Demetrios
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Der älteste bekannte Zeuge für die Existenz bzw. für die Benutzung einer griechischen Toraübersetzung ist der jüdisch-hellenistische Exeget Demetrios. Seine nur in fragmentarischen Exzerpten erhaltene, in Alexandria zur Zeit des Ptolemaios IV. Philopator (221–204 v. Chr.) entstandene knappe Toraauslegung, in der er chronologisch geordnete Sacherklärungen zu „schwierigen“ Bibelstellen gab, beruhte durchgehend und ausschließlich auf einer griechischen Übersetzung der Tora, die er als einen historisch schlüssigen normativen Text verstand und um dessen umfassende exegetische Erklärung es ihm ging. Wenn hier keine sekundäre Angleichung an die Septuaginta vorliegt, verwendete Demetrios in seiner Auslegung allein die griechischen Formen der biblischen Orts- und Personennamen (z. B. Χαρραν [Haran]; Βαλλα [Bilha]; Συµεων [Šim‘on]; Συχεµ [Sichem]; Εµµωρ [Hamor] usw.). Auch deckte sich das von ihm vorausgesetzte chronographische System durchweg – und zuweilen gegen die Angaben der hebräischen Bibel – mit der griechischen Texttradition. Seine Bemerkung, Moses sei Verfasser „des Heiligen Buchs“ gewesen (Fragment 4 [Übers. N. Walter, JSHRZ III 2]), entsprach hellenistischem und insbesondere zeitgenössischem ägyptischem Sprachgebrauch. Bereits gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. lag also eine griechische Toraübersetzung in der ägyptischen Diaspora vor. In seiner an einen ptolemäischen Herrscher gerichteten freien zusammenhängenden Reproduktion des Inhalts der Tora nahm Jahrzehnte später der alexandrinisch-jüdische Bibelausleger Aristobulos um 175–150 v. Chr. explizit auf ihre Übersetzung bezug, die er zur Zeit des Königs Ptolemaios II. Philadelphos (282–246 v. Chr.) ansetzte. „Es ist offenbar, daß Platon sich an das bei uns geltende Gesetz angeschlossen hat, und er hat sich offensichtlich um jede Einzelheit in ihm sorgfältig bemüht. Denn schon vor Demetrios von Phaleron, schon vor der Einnahme Ägyptens durch Alexander, ja vor der durch die Perser, ist von anderen die Erzählung vom Auszug der Hebräer, unserer Landsleute, aus Ägypten und die anschauliche Schilderung aller ihnen widerfahrenen Ereignisse sowie die Inbesitznahme des Landes und die ausführliche Darlegung der ganzen Gesetzgebung in Übersetzung zugänglich gemacht worden. (…) Die vollständige Übersetzung aller Stücke im Gesetz jedoch geschah unter dem König mit dem Beinamen Philadelphos, deinem Vorfahren, der diesem Vorhaben ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendete, während Demetrios von Phaleron alles dafür Nötige ins Werk setzte.“ (Fragment 3)
Aristobulos scheint wesentliche Züge einer Legende von der griechischen Bibelübersetzung unter der Herrschaft und auf Betreiben des Ptolemaios II. gekannt zu haben, deren Entstehung Jahrzehnte später ausführlich im Aristeasbrief geschildert wird (s. u. 28); ebenso wie bereits bei Demetrios erstreckt sich diese Übersetzung nach seinen Angaben allein auf die fünf Bücher Moses, den Pentateuch (von ( πεντ)τευχος β βλος „das Buch in fünf [Rollen]“).
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Die griechische Übersetzung der Tora
Der antike Exeget versuchte seinen Lesern, bei denen er einen hellenistischen Bildungshorizont voraussetzte, in seinem einstmals umfangreichen Werk zu zeigen, daß die Tora, das autoritative schriftliche Grunddokument des Judentums von ehrwürdigem Alter, aus dem schon die klassischen griechischen Philosophen abgeschrieben hätten, auch mit der hellenistischen Popularphilosophie seiner Zeit übereinstimme. Mit Hilfe der allegorischen Auslegungsmethode (den Begriff kannte Aristobulos allerdings noch nicht), die in der zeitgenössischen hellenistischen Homerexegese und apologetischen Mythendeutung üblich war (Homers Epen galten vielen Griechen als inspirierte Texte und Orakel), wollte Aristobulos dem Pentateuch dabei seinen (eigentlichen) tieferen Sinn abgewinnen, indem er z. B. die Anthropomorphismen sachgemäß zu erklären versuchte. Auch der Wortlaut der in seiner Bibelauslegung in den Fragmenten 2 und 4 (Übers. N. Walter, JSHRZ III 2) zitierten Stellen aus dem Pentateuch basierte dabei ganz auf einer griechischen Toraübersetzung. Schließlich kann der palästinische jüdische Historiker Eupolemos (vgl. 1. Makk 8,17 f.) als ein früher Zeuge für die Benutzung der Tora in griechischer Übersetzung herangezogen werden. In seiner um 150 v. Chr. abgefaßten „Geschichte der Könige von Juda“, die auf den biblischen Berichten aufbaut, scheint sich Eupolemos besonders auf eine solche Übersetzung gestützt zu haben. Insbesondere scheint die Chronologie für die Zeit zwischen Adam und Mose in Fragment 5 (Übers. N. Walter, JSHRZ I 2) einer ihm bekannten griechischen Texttradition zu folgen. Nahezu alle von Eupolemos, von Aristobulos und von Demetrios angesprochenen Aspekte der Übertragung der Tora ins Griechische begegnen auch im Aristeasbrief, dem Hauptzeugen der Entstehungslegende der Septuaginta.
Eupolemos
b) Entstehungslegenden Der Aristeasbrief Ausführlich schildert der Brief des Aristeas (bzw. Aristaios, so Flavius Josephus) an seinen Bruder Philokrates (insbesondere in den Abschnitten 9–11.15.28–50.172–180.301–321) in legendarischer Weise die bereits beim Exegeten Aristobulos erwähnte und von Demetrios und Eupolemos benutzte Übersetzung der Tora ins Griechische zur Zeit des Ptolemaios II. Philadelphos. Es wird hier zunächst davon berichtet, wie der ägyptische König auf Anraten seines Hofbeamten Demetrios von Phaleron beschließt, die alexandrinische Bibliothek auch mit den jüdischen Gesetzen auszustatten, die allerdings zuvor aus dem Hebräischen übersetzt werden müssten, und sich zu diesem Zweck an den Hohenpriester Eleazar nach Jerusalem wendet. (9) Der Vorsteher der königlichen Bibliothek, Demetrios von Phaleron, war mit großen Summen ausgestattet worden, um nach Möglichkeit alle Bücher der Welt zu sammeln; und was an ihm lag, erfüllte er den Auftrag des Königs durch Ankäufe und Abschriften. (10) In meiner Gegenwart einmal gefragt, wieviel Bücher denn vorhanden seien, antwortete er: „Über 200 000, mein König! Ich will aber in kurzer Zeit die restlichen beschaffen, um die Zahl von 500 000 zu erreichen. Es wurde mir aber
Ptolemaios II. und die alexandrinische Bibliothek
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Die Entstehung der Septuaginta berichtet, daß auch die jüdischen Gesetze einer Abschrift und der Aufnahme in deine Bibliothek wert seien.“ (11) „Was hindert dich, dies zu tun?“ fragte der König. „Alles ist dir doch zu diesem Zweck unterstellt!“ Demetrios aber erwiderte: „Sie bedürfen einer Übersetzung. In Judäa gebraucht man nämlich eigene Buchstaben, die wie die ägyptischen gesetzt werden; dementsprechend haben sie auch eine eigene Sprache. Man nimmt immer an, daß sie aramäisch sprechen; das stimmt aber nicht, sondern es ist ein anderer Dialekt.“ Als nun der König über alles informiert war, befahl er, an den Hohenpriester der Juden zu schreiben, damit das oben genannte Vorhaben ausgeführt werde.
Betonung der besonderen Weisheit der Übersetzer
Der die Entstehungslegende der Übersetzung betreffende Teil des Aristeasbriefs läßt sich wie folgt zusammenfassen: König Ptolemaios II. bittet den Jerusalemer Hohenpriester in einem ausführlichen Schreiben um die Entsendung von 72 erfahrenen und sprachkundigen jüdischen Greisen mit besonders ehrbarem Lebenswandel (d. h. je 6 Männer aus den 12 Stämmen Israels), die sich gut in ihrem Gesetz auskennen. Um den hohenpriesterlichen Adressaten dieses Bittschreibens gnädig zu stimmen, sollen über 100 000 jüdische Kriegsgefangene in Ägypten freigelassen werden. Daß der Leser dabei an die Exodusgeschichte (Ex 5) erinnert wird, ist sicher kein Zufall. Eine ägyptische Delegation bringt den Brief sowie wertvolle Geschenke und Weihegaben an den Tempel nach Jerusalem. In den folgenden Abschnitten schildert der gemeinsam mit der alexandrinischen Gesandtschaft nach Jerusalem gereiste Aristeas ausführlich seine Reiseeindrücke, wobei er eine idealisierende Beschreibung der Stadt und des Tempels bietet, wohl um ihre besondere, bis an die ägyptische Mittelmeerküste nach Alexandria reichende Autorität zu betonen. Aristeas wird vom Jerusalemer Hohenpriester sodann über einige jüdische Speise- und Reinheitsgebote und deren – allegorische – Bedeutung belehrt. Mit einer Torarolle und den Übersetzern kehrt die ptolemäische Delegation wieder in ihre Heimatstadt Alexandria zurück und wird (entgegen dem üblichen Hofzeremoniell) aufgrund der außerordentlich hohen Bedeutung ihrer Aufgabe sofort vom König selbst empfangen. Während eines von diesem in einem großen Festzelt veranstalteten siebentägigen prächtigen Mahls bekommen die jüdischen Gäste zunächst ausführliche Gelegenheit, ihre – auch nach hellenistischen Normen – mustergültige Weisheit unter Beweis zu stellen. Ihre Übersetzungsarbeit verrichten die 72 Übersetzer sodann gemeinsam in einem geräumigen Gebäude im Norden der nur durch einem Damm (Heptastadion) mit dem Festland verbundenen vorgelagerten Insel Pharos. Die durch Lektüre und Interpretation gewonnenen Einzelübersetzungen werden von ihnen durch Vergleichung und Mehrheitsentscheidung zur Übereinstimmung gebracht. Nach der öffentlichen Verlesung der innerhalb von 72 Tagen fertiggestellten und von Demetrios aufgezeichneten Gesamtübersetzung der Tora approbieren die Exponenten der alexandrinischen Juden das Werk der 72 Übersetzer als „gut und fromm (…) und völlig genau“ (310). Erst nach dieser Approbation durch die jüdische Gemeinde kommt das Werk vor den ägyptischen König, der die außerordentliche Qualität seiner Übersetzung und seines Inhalts lobt. Die Übereinstimmung der Zahl der Übersetzer und der Zahl der von ihnen für ihre Arbeit benötigten Tage betont den inspirierten Charakter des Werks. Aus diesem Grund solle fortan auch keine Änderung
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des griechischen Heiligen Textes gestattet sein. Diese Absicherung der Unveränderlichkeit der angefertigten Übersetzung der Tora für alle Zukunft geschieht durch einen öffentlichen Verfluchungsakt, der fortan jegliche Zusätze, Umstellungen oder Auslassungen verhindert, „wie es bei ihnen Sitte ist“ (311). Die Beantwortung der Frage nach dem Wahrheitsgehalt dieser ausführlichen Schilderung beginnt mit einer näheren Betrachtung der Schrift, in der sie überliefert ist. Der Aristeasbrief ist ein pseudepigrapher Briefroman, der starke Gattungsähnlichkeit mit der zeitgenössischen hellenistischen περ* βασιλως-Literatur aufweist. Solche „Fürstenspiegel“ stellten das Musterbild eines hellenistischen Fürsten dar, besonders hinsichtlich der geläufigen Idealvorstellungen über seine Rechte, Pflichten und die Befugnisse bzw. Begrenzungen seiner Macht. Die in recht kunstvollem Griechisch verfaßte Schrift ist das Werk eines unbekannten Verfassers aus der dünnen Oberschicht des alexandrinischen Judentums. Der anonyme Autor des Aristeasbriefs hat jedoch mit Sicherheit nicht zu der Zeit gelebt, in der er zu schreiben vorgab. Sein zeitlicher Abstand zum erzählten Geschehen zeigt sich zum einen darin, daß einige der von ihm – in fingierten Dokumenten im ptolemäischen Kanzleistil – verwendeten Ausdrücke (z. B. Titel und formelhafte Wendungen) in der Amtssprache des Ptolemäerreichs erst nach ca. 150 v. Chr. belegt sind, und ist zum anderen daran zu erkennen, daß er entgegen der von ihm beanspruchten Identität wiederholt seine Distanz gegenüber der erzählten Zeit betonte (28.182). Dieser zeitliche Abstand führte ihn zuweilen zu historischen Irrtümern. So war z. B. der aus der athenischen Hafenstadt Phaleron stammende peripatetische Philosoph Demetrios (ca. 350–280 v. Chr.) nicht Bibliothekar und Hofbeamter des Ptolemaios II. Philadelphos, sondern ein enger Vertrauter von dessen Vater Ptolemaios I. Soter (323–282 v. Chr.), des Begründers des Ptolemäerreichs. Tatsächlich soll dieser Demetrios von Phaleron einen anderen Kandidaten als Nachfolger auf dem Thron favorisiert und deshalb offen gegen Ptolemaios II. opponiert haben, weshalb er von diesem sofort nach seinem Herrschaftsantritt als König und Pharao aus Alexandria ins ferne Oberägypten verbannt wurde. Entgegen den Angaben seines Verfassers gilt heute gemeinhin die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. als die wahrscheinlichste Entstehungszeit des Aristeasbriefs. Die Bedeutung der legendarischen Schilderung der inspirierten Übersetzung der Tora ins Griechische (bzw. ihre hierdurch akzentuierte Legitimität) darf gegenüber der propagandistischen und apologetischen Gesamttendenz dieser Schrift nicht überbewertet werden, denn sie steht weder hinsichtlich des Textumfangs noch in Bezug auf die Thematik im alleinigen Mittelpunkt des Darstellungsinteresses ihres Verfassers. Der Aristeasbrief, der einen Nichtjuden als seinen Autor nennt, ist geprägt von dem apologetischen Bemühen, jüdische Gebote und jüdischen Kult dem hellenistischen Denken nicht nur als unantastbar und ehrwürdig, sondern auch als sinnvoll und vernünftig darzulegen, indem er die überlegene Weisheit der Tora demonstriert und das Judentum mit Hilfe zeitgenössischer popularphilosophischer Kategorien als attraktiv darstellt. Die Gebote der Tora gelten gleichsam als ideale Verwirklichung der hellenistischen Tugendlehre. Daneben war dem jüdischen Anonymus vor allem an der Betonung der kul-
Einleitungsfragen zum Aristeasbrief
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tischen Position Jerusalems und der engen Beziehung dieser Stadt zur alexandrinischen Gemeinde gelegen. Dennoch kann nach dem historischen Kern seiner anachronistischen Schilderung des Übersetzungsunternehmens gefragt werden, denn auch fiktive Texte sind zuweilen Reaktionen auf bestimmte historische Vorgänge, Situationen oder Kontroversen. Hierbei ist zunächst festzuhalten, daß im Aristeasbrief allein von einer Übersetzung der Tora ins Griechische die Rede ist. Von griechischen Übersetzungen anderer Heiliger Schriften des Judentums erfahren wir dagegen überhaupt nichts. Es wird weiterhin vorausgesetzt, daß der Hohepriester in Jerusalem in diesem Kontext die maßgebliche Autorität ist, die die Legitimität und Autorität einer Übersetzung der Tora bzw. ihrer Textvorlage gewährleistet. Sowohl die zur Übersetzung bestimmte Torarolle als auch ihre jüdischen Übersetzer werden auf Kosten des Königs aus Jerusalem nach Ägypten geholt. Als Instanzen der Anerkennung der Übersetzung werden Jerusalem, die alexandrinische Diasporagemeinde und der ptolemäische Königshof genannt. Indem er in seinem Werk den Jerusalemer Ursprung der hebräischen Vorlage des Übersetzungswerks und ähnliche Begleitumstände wie bei der Gabe der Tora am Sinai behauptet, wollte der alexandrinische Verfasser des pseudepigraphen Briefromans offenbar einer bestimmten traditionellen griechischen Toraübersetzung Anerkennung und Autorität verleihen. Dies geschah entweder um Widerstände bei der jüdischen Rezeption dieser Übersetzung zu beseitigen oder um sie gegenüber anderen zu seiner Zeit kursierenden griechischen Pentateuchübersetzungen als die älteste, von höchsten Stellen autorisierte und deshalb alleingültige zu legitimieren und sie vor „Verbesserungen“ bzw. vor Erweiterungen oder Veränderungen zu schützen.
Philon von Alexandria In der vom jüdischen Religionsphilosophen Philon von Alexandria festgehaltenen Version der Entstehungslegende der Septuaginta erfährt diese eine neue Akzentsetzung, denn er verstand die treue Übersetzung der Tora ins Griechische im Gegensatz zur im Aristaesbrief ausgeführten Darstellung als das eigentliche Leitthema des gesamten erzählten Geschehens. Insbesondere wurde dabei der Gedanke der göttlichen Inspiration des Werks vom hebräischen Original auf die griechische Übersetzung übertragen. „Ptolemaios mit dem Beinamen Philadelphos war der dritte Herrscher seit Alexander, dem Eroberer Ägyptens, an Herrschertugenden der tüchtigste nicht nur seiner Zeitgenossen, sondern aller, die seit alter Zeit gelebt haben (…). Dieser König also bekam Interesse und Verlangen nach unserer Gesetzgebung und beschloß den chaldäischen Text in die hellenische Sprache zu übertragen. Sofort schickte er Gesandte an den Hohenpriester und König des jüdischen Landes – er war beides in einer Person –, teilte ihm seine Absicht mit und forderte ihn auf, die tüchtigsten Männer auszuwählen, die das Gesetz übersetzen könnten. Dieser, begreiflicherweise erfreut und überzeugt, daß nicht ohne den göttlichen Willen der König sich für ein solches Werk interessiere, sucht die angesehensten Männer seiner Hebräer aus, die neben der einheimischen auch hellenische Bildung besaßen, und sendet sie mit Vergnügen dahin. Als sie dort ankamen, wurden sie zum Gastmahl geladen, bei dem sie dem Gastgeber zum Entgelt seiner Gastlichkeit mit feinen und weisen Reden bewirteten.
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Die griechische Übersetzung der Tora Während er nämlich jedes einzelnen Weisheit durch Aufwerfung von neuen und ungewöhnlichen Fragen zu erforschen suchte, lösten sie die vorgelegten Fragen zielbewußt und treffend, da die Zeit ihnen ausführliche Reden nicht gestattete, gleichsam in kurzen Sinnsprüchen. Nach dieser Prüfung gingen sie sofort daran, die Aufgabe ihrer ehrenvollen Gesandtschaft zu erfüllen. In Abgeschiedenheit (…) verdolmetschten sie wie unter göttlicher Eingebung nicht jeder in anderen, sondern alle in gleichen Ausdrücken Begriffe und Handlungen, als ob jedem von ihnen ein unsichtbarer Lehrer diktierte. Und doch weiß jeder, daß jede Sprache, ganz besonders aber die griechische, an Ausdrucksformen reich ist und daß man denselben Gedanken verschieden wiedergeben und umschreiben und mannigfach gestalten kann, indem man jedes Mal andere Ausdrücke verwendet. Dies soll bei dieser Gesetzgebung nicht geschehen sein. Vielmehr soll der griechische Text mit dem hebräischen derart in Einklang gebracht worden sein, daß alles in den zutreffenden Ausdrücken wiedergegeben wurde und die Worte den bezeichneten Dingen vollständig entsprechen. (…) Wenn Hebräer die griechische Sprache oder Hellenen die hebräische erlernt haben und beide Schriften, die hebräische und ihre Übersetzung, lesen, so erkennen sie mit Bewunderung und Ehrfurcht, daß sie wie Schwesterschriften oder vielmehr gleichsam ein und dieselbe sind in den Dingen und den Ausdrücken, so daß sie jene Männer nicht Übersetzer, sondern Oberpriester und Propheten nennen, denen es gelungen sei, durch sonnenklares Denken mit Moses reinem Geist gleichen Schritt zu halten. Daher wird auch noch bis auf den heutigen Tag alljährlich ein Fest und eine Festversammlung auf der Insel Pharos abgehalten, zu der nicht bloß Juden, sondern auch andere in sehr großer Menge hinüberfahren, um den Ort zu verherrlichen, an dem zum ersten Mal das Licht dieser Übersetzung erstrahlte, und um der Gottheit den Dank für die alte, stets jung bleibende Wohltat darzubringen.“ (De vita Mosis [„Über das Leben Mosis“ ] II 29–41)
Ob Philon den Aristeasbrief überhaupt kannte, ist in der gegenwärtigen Septuagintaforschung nicht unumstritten. Jedoch erscheint auch bei ihm der ptolemäische Herrscher als der eigentliche Auftraggeber der Übersetzung; ebenso wie in dem pseudepigraphen Briefroman bezieht sich das Übersetzungswerk hier allein auf die Tora. Auch nennt der jüdische Religionsphilosoph den Jerusalemer Hohenpriester als den „natürlichen“ Ansprechpartner des ägyptischen Königs bei der Durchführung eines solchen Unternehmens. Besondere Betonung erfährt die Charakterisierung der Übersetzer als angesehene jüdische Männer, die über ebenso große Kenntnisse in der Tora (bzw. ihrer schriftgelehrten Deutung und Auslegung) wie auch über ein hohes Maß an hellenistischer Bildung verfügen. Anders als im Aristeasbrief steigert Philon jedoch die Wunderhaftigkeit des gesamten Geschehens, indem er bereits das Interesse des Ptolemaios II. an der Tora auf den Willen Gottes zurückführt und sodann der Darstellung der wörtlichen Übereinstimmung der (unabhängig voneinander entstandenen) einzelnen Übersetzungen breiten Raum gewährt. Als deutliches Zeichen der Inspiriertheit der griechischen Toraübersetzung sollte diese wundersame Übereinstimmung wohl ihre Gleichrangigkeit gegenüber dem hebräischen Bibeltext sicherstellen. Auch berichtete Philon als erster von einem jährlichen Fest der jüdischen Gemeinde Alexandrias zur Feier des Tages des Abschlusses der Toraübersetzung, das auch von Nichtjuden begangen wird. Philon entstammte einer angesehenen jüdischen Familie in Alexandria und erhielt dort eine gründliche griechisch-hellenistische Ausbildung. Seine Muttersprache war Griechisch; die hebräische Sprache scheint er
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Bibelübersetzung als Gottesgabe
hingegen kaum beherrscht zu haben. Philons Lebensdaten lassen sich nur ungenau bestimmen. Wohl zwischen 20 und 15 v. Chr. geboren, war er im Winter 39/40 n. Chr. Leiter einer Gesandtschaft der alexandrinischen Juden an den Hof des römischen Kaisers Caligula (reg. 37–41 n. Chr.). Er dürfte um 50 n. Chr. gestorben sein. Philon von Alexandria war ein überzeugter Anhänger der jüdischen Religion. Vorwiegend unter systematischer Anwendung der Allegorese legte er die Tora und besonders die mosaische Gesetzgebung aus, um ihren zugrunde liegenden tieferen Sinn zu ermitteln und auf diese Weise ihren vernünftigen Charakter zu beweisen. Die mythischen Überlieferungen insbesondere im Buch Genesis wurden von ihm zumeist rationalisierend interpretiert. Beispielsweise deutete er den listigen Verführer Evas in der biblischen Urgeschichte (Gen 3,1 ff.) als „Sinnbild der Wollust“ (De opificio mundi [„Über die Weltschöpfung“] 157 f.), da es keine sprechenden Schlangen gibt. Philon verstand es in seinem umfangreichen theologischen und philosophischen Werk mit Grundgedanken der platonischen und stoischen Philosophie zu verbinden, ohne dabei seinen jüdischen Glauben preiszugeben. Für Philon hatte die griechische Übersetzung der von ihm als Einheit verstandenen Tora den gleichen autoritativen Rang wie der traditionelle hebräische Bibeltext. Dabei betrachtete er allein den Text der fünf Bücher Moses, des besten aller Gesetzgeber, als verbindlich und auslegungswürdig (nur ca. 40 direkte Schriftzitate in seinem umfangreichen Werk entstammen nicht der Tora). Nur sie kommentierte der alexandrinische jüdische Gelehrte; die anderen jüdischen Heilige Schriften (hiervon vor allem den Psalter) zog er durchweg nur zur Illustration bzw. als Erklärungshilfen heran. Ein wesentliches Problem bei der textkritischen Verwendung der philonischen Schriftzitate besteht darin, daß die Kopisten seiner Werke sie im Verlauf ihrer (kirchlichen) Überlieferung häufig nachträglich an den für sie mittlerweile bestimmenden Septuagintatext anglichen, der seinerseits von der masoretischen Texttradition (s. u. 61 f.) beeinflußt wurde. Für Philon war die griechische Bibelübersetzung letztendlich eine Gottesgabe für Juden und Nichtjuden; von daher entspricht das Verdikt, während der Übersetzung der Tora den ursprünglichen Gedanken des Gesetzgebers zu bewahren und nichts davon wegzunehmen oder hinzuzufügen (De vita Mosis II 34), der Perfektion des durch göttliche Verkündigung offenbarten Gesetzes. Seiner Überzeugung von der wörtlichen Inspiration der Übersetzung, die völlig identisch mit ihrer Vorlage ist, entspricht auch die geradezu enthusiastische Bezeichnung der Übersetzer als „Oberpriester und Propheten“, die mit dem reinsten Geist des Moses hätten Schritt halten können (De vita Mosis II 40). Später benutzten auch christliche Schriftsteller das Motiv zum Erweis der Inspiriertheit der griechischen Übersetzung des gesamten christlichen Alten Testaments (s. u. 110 f.). An anderer Stelle (De specialibus legibus [„Über die Einzelgesetze“] IV 143– 147) verurteilte Philon jede formale oder inhaltliche Änderung an der Gesamtheit des gerechten Gesetzes, sei sie noch so geringfügig und vordergründig unbedeutend. Die griechische Tora sollte fortan jeder Revision entzogen sein. Jeder Eingriff in ihren prinzipiell perfekten Text (für ihn nur denkbar als Hinzufügung ungerechter Vorschriften oder als Wegnahme ge-
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rechter Satzungen) bedeutete seines Erachtens die radikale Aufhebung ihrer Wahrheit und Vollkommenheit und führte zu Aberglauben oder zu Unglauben.
Flavius Josephus Der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus ist in seinem breit ausgeschriebenen Bericht von der griechischen Übersetzung der Tora in Alexandria in Antiquitates Iudaicae („Jüdische Altertümer“ [= Ant.]) XII 12–118 deutlich erkennbar vom Aristeasbrief abhängig. Ebenso wie bereits Philon von Alexandria gilt auch ihm Ptolemaios II. Philadelphos, der die Absicht seines Hofbibliothekars unterstützte, die königliche Büchersammlung in der alexandrinischen Bibliothek zu ergänzen, als der eigentliche Auftraggeber der griechischen Übersetzung der Tora. „Nachdem Alexander zwölf und sein Nachfolger Ptolemaios Soter vierzig Jahre regiert hatte, bestieg Philadelphos den Thron Ägyptens und behielt die Herrschaft neununddreißig Jahre lang. Er ließ die Gesetze der Juden ins Griechische übertragen und setzte die in ägyptischer Knechtschaft schmachtenden Jerusalemer, hundertzwanzigtausend an der Zahl, in Freiheit.“ (Ant. XII 11)
In ganz ähnlicher Weise wie bereits Philon berichtet Josephus im Folgenden zunächst vom Beschluß des Königs, die jüdischen Kriegsgefangenen freizulassen und ihre Eigentümer zu entschädigen, vom Schreiben an den Hohenpriester, von dessen Überbringung durch eine ägyptische Gesandtschaft und dem Antwortschreiben des Eleazar, und auch vom prächtigen Festmahl, das Ptolemaios II. für seine jüdischen Gäste ausrichten läßt. Anders als im Aristeasbrief, wo die Zahl der Übersetzer mit 72 beziffert wird (bei Philon von Alexandria taucht die Zahl der Übersetzer an keiner Stelle auf), schreibt Josephus sowohl von 72 als auch von 70 Greisen, die Eleazar auf die Bitte des ägyptisches Königs hin mit den Gesetzbüchern aus Jerusalem nach Ägypten schickt. Anders als Philon verzichtet Josephus bei seiner Schilderung des eigentlichen Übersetzungsgeschehens auf alle wunderhaften Züge, wobei er im Unterschied zu Arist 310 f. die aus Dtn 4,1 f.; 13,1 übernommene „Textsicherungsformel“ (eine ausdrücklichen Bestimmung, an der Übersetzung keine Hinzufügungen oder Auslassungen vorzunehmen) nicht mit einem Verfluchungsakt verbindet, sondern in – ähnlicher Weise wie Philon – abschließend auf die besondere Perfektion des inspirierten Werkes verweist (Ant. XII 108 f.). „Nach drei Tagen holte Demetrios sie ab, führte sie sieben Stadien weit über einen in das Meer nach einer Insel hin sich erstreckenden Damm, schritt mit ihnen über die Brücke nach dem nördlichen Teil der Insel und ließ sie hier in ein nahe beim Strand erbautes Haus eintreten, welches die zum Studium erwünschte Stille darbot. Dann bat er sie, sie möchten, da alles zur Übertragung Notwendige vorhanden sei, nunmehr mit dem Werke beginnen. Die Greise gaben sich hierauf mit größtem Fleiß daran, eine genaue Übersetzung anzufertigen, und arbeiteten täglich bis zur neunten Stunde. (…) Alsdann ließ Demetrios an der Stelle, wo die Übersetzung stattgefunden hatte, alle Juden sich versammeln und las die Arbeit in Gegenwart der Übersetzer vor. Die Menge bezeigte darauf den Übersetzern ihren Beifall und lobte auch den Demetrios wegen seines vortrefflichen Einfalls, wodurch er ihnen vieles Gute erwiesen habe. Sie baten ihn dann, auch ihren Vorstehern das Gesetz zur Le-
Josephus akzentuiert die besondere Perfektion der Übersetzung
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Die Entstehung der Septuaginta sung zu übergeben, und alle, sowohl die Priester und Ältesten aus den Übersetzern als auch die Vorsteher der Gemeinde, drückten den Wunsch aus, die Übersetzung möge, weil sie so gut ausgefallen sei, nun auch unverändert bleiben. Diesem Wunsch traten alle Anwesenden bei und bestimmten, daß, wenn jemand bemerke, daß etwas Überflüssiges sich in das Gesetz eingeschlichen habe oder etwas weggelassen worden sei, er sich nochmals gründlich davon überzeugen und dann auf Verbesserung bedacht sein solle. Daran taten sie klug, denn nachdem die Übersetzung nun einmal als richtig befunden war, sollte sie es auch bleiben.“ (Ant. XII 103–110)
Flavius Josephus, geboren 37/38 n. Chr. in Jerusalem als Sohn des Mattatiahu, Abkömmling vornehmer Eltern aus dem Priesteradel, und gestorben nach 100 n. Chr. in Rom, verdanken wir eine Reihe von Werken, die für die Erhellung der Geschichte des antiken Judentums von unschätzbarem Wert sind. Josephus war ein erstklassig ausgebildeter und vielseitig begabter Mensch. Selbstbewußt bis hin zur Eitelkeit, war er in seinem bewegten Leben nacheinander Musterschüler, „Aussteiger“, Diplomat, Gouverneur und Militärbefehlshaber der aufständischen Juden in Galiläa, Kriegsgefangener, ortskundiger Dolmetscher der römischen Truppen und schließlich Schriftsteller und Pensionär der flavischen Kaiserdynastie, deren Familiennamen er annahm. Erhalten sind vier seiner Schriften in griechischer Sprache. Als sein erstes Werk gilt der „Jüdische Krieg“ (De bello Iudaico), in dem er von dessen Vorgeschichte und Verlauf berichtet. Jüngeren Datums sind die „Jüdischen Altertümer“ (Antiquitates Iudaicae), in denen er, ganz im Stil der zeitgenössischen kaiserzeitlichen historischen Schriftsteller und geprägt von der stoischen Philosophie, anhand einer Nacherzählung der hebräischen Heiligen Schriften darstellt, wie sich das Judentum im Verlauf seiner langen und bewegten Geschichte entwickelte, wie seine Gesetze und Sitten beschaffen waren und auf wen diese zurückgehen. Übereinstimmungen zwischen Septuaginta und Josephus
Josephus stützt sich im ersten, bis XI 303 reichenden Teil der Antiquitates durchweg auf die biblische Tradition. Ein Vergleich seines Geschichtswerkes mit existierenden Textformen ergibt die folgenden Übereinstimmungen mit der Septuaginta: Ant. I 67 (Gen 6,3); I 73 (Gen 6,4); I 182 (Gen 14,24); I 205 (Gen 19,37 f.); I 324 (Gen 31,45); III 163 (Ex 28,15); III 283 (Ex 25,10); III 294 (Num 10,6); III 299 (Num 11,34); IV 67 (Num 35,4); IV 79 (Num 19,3); V 125 (Ri 1,10); V 197 (Ri 3,30); V 311 (RiA 16,11); V 318 ff. (Rut 1,1 ff.); V 346 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 1,21); VI 3 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 5,6); VI 4 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 5,10); VI 18 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 7,1); VI 40 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 9,25 f.); VI 58 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 10,14); VI 68 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 11,1); VI 115 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 14,18); VI 116 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 14,24); VI 118 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 14,25); VI 155 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 15,32); VI 166 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 16,14); VI 171 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 17,4); VI 186 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 17,43); VI 191 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 17,52); VI 195 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 18,10 f.); VI 217 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 19,13); VI 233 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 20,20); VI 244 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 21,8); VI 251 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 22,6); VI 291 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 24,23); VI 296 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 25,3); VI 237 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 28,3); VI 351 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 29,2); VI 370 (1. Sam [= LXX 1. Kön] 31,3); VII 71 (1. Chr 14,9); VII 76 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 5,24); VII 85 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 6,13); VII 98 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 8,2); VII 172 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 13,20); VII 290 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 20,20); VII 293 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 20,25); VII 299 (2. Chr 20,6); VII 326 (2. Sam [= LXX 2. Kön] 24,15); VII 343 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 1,2); VII 364 (1. Chr 23,4); VIII 13 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 2,28); VIII 18 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 2,37); VIII 25 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 3,15); VIII 42 (1. Kön [= LXX
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Die griechische Übersetzung der Tora 3. Kön] 4,27); VIII 76 (1. Kön 7,13 ff. [= LXX 3. Kön 7,1 ff.]); VIII 77 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 7,3); VIII 85 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 7,24); VIII 88 (2. Chr 4,16); VIII 140 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 10,19); VIII 164 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 8,18); VIII 176 (2. Chr 9,11); VIII 203 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 11,22); VIII 206 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 11,29); VIII 226 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 12,28); VIII 259 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 14,26); VIII 336 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 18,19); VIII 345 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 18,44); VIII 349 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 19,5); VIII 351 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 19,11); VIII 355. 363 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 20,1; 21,1); VIII 392 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 20,43); VIII 412 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 22,30); VIII 414 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 22,34); VIII 416 (1. Kön [= LXX 3. Kön] 22,36); IX 15 (2. Chr 20,26); IX 19 (2. Kön [= LXX 4. Kön] 1,2); IX 77 (2. Kön [= LXX 4. Kön] 7,6); IX 122 (2. Kön [= LXX 4. Kön] 9,32); X 216 (Dan 4,22 [= LXX 4,16]).
Weiterhin zu nennen sind seine „Biographie“ (Vita), in der er in Auseinandersetzung mit seinem Rivalen Justus von Tiberias von seiner Herkunft, seinem Werdegang und seinem Wirken erzählt, und schließlich eine Verteidigung des Judentums in der Schrift „Gegen Apion“ (Contra Apionem), in der er sich gegen böswillige Angriffe zeitgenössischer judenfeindlicher Autoren zur Wehr setzt und den Autoritätsanspruch der nichtjüdischen Geschichsschreibung generell überbieten will. Josephus hat nicht nur den Aristeasbrief in sein im Jahre 93/94 n. Chr. abgeschlossenes Geschichtswerk eingearbeitet. Für ihn ist die griechische Toraübersetzung geradezu das Vorbild seiner eigenen Nacherzählung der jüdischen Heiligen Schriften, wie aus dem Vorwort der Antiquitates Iudaicae hervorgeht. „Ich fand ferner heraus, daß der zweite der Ptolemäer, ein bekanntermaßen außerordentlich an Gelehrsamkeit und Sammlung von Büchern interessierter König, seinen Ehrgeiz geradezu daran setzte, unser Gesetz und die in ihm dargelegte Staatsverfassung in die griechische Sprache übersetzen zu lassen, und daß Eleazar – unter den Hohenpriestern bei uns gab es keinen zweiten von solcher Tugend – es dem ihn anweisenden König nicht mißgönnte, diese Kenntnis zu nutzen, zumal er sicher widersprochen hätte, wenn es bei uns nicht Tradition wäre, nichts Gutes geheimzuhalten. Folglich urteile ich, daß es sich auch für mich schickt, die Hochherzigkeit des Hohenpriesters nachzuahmen und anzunehmen, daß ähnlich dem König auch heute viele wißbegierig sind. Denn zudem ist jener mir nicht zuvorgekommen, die gesamte Aufzeichnung (der Heiligen Schriften) zu nehmen, sondern allein das Gesetz übergaben die, die zum Übersetzen nach Alexandria geschickt worden waren.“ (Ant. I 10–12)
Josephus verstand sein eigenes Werk in der Tradition der Übersetzung der Tora ins Griechische. Von besonderem Interesse ist die Bezugnahme auf die „Textsicherungsformel“ (Dtn 4,1 f.; 13,1) in De bello Iudaico („Über den jüdischen Krieg“ [= Bell.]). I 26 und Ant. I 17. In beiden Fällen verwendete Flavius Josephus diese Wendung als dem jeweiligen Werk vorangestellte Programmformel seiner eigenen Schriftstellerei. In seiner apologetischen Schrift Contra Apionem („Gegen Apion“ [= Ap.]) kennzeichnete er – im Anschluß an die Behandlung der jüdischen Heiligen Schriften als zuverlässiger historischer Quellen – das strikte Bemühen um deren exakte Überlieferung als Spezifikum der jüdischen Religion (Ap. I 42 f.). Auf den ersten Blick scheint diese Betonung der akribischen Genauigkeit beim Umgang mit den (insbesondere biblischen) Quellen im Widerspruch zu deren kreativer und mitunter recht „freier“ Interpretation durch den an-
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tiken jüdischen Schriftsteller zu stehen, der hier in kunstvoller Weise das zeitgenössische Genre der rhetorischen Historiographie gebrauchte, um eine griechische Version der jüdischen Geschichte mit speziell religiösen Implikationen zu verfassen. Jedoch wollte Josephus sicher nicht sagen, daß er seine Quellen nur sklavisch wiederholt, sondern betonen, daß er ihre eigentliche Bedeutung treu wiedergibt, ohne dabei durch eigene Affekte beeinflußt oder gar „parteiisch“ zu sein. Wahrscheinlich ging er bei seiner religiösen Interpretation der jüdischen Geschichte, die er wohl zu einem großen Teil aus dem Gedächtnis zitierte, sogar davon aus, daß er bei seiner eigenen Arbeit als Geschichtsschreiber und Übersetzer der jüdischen Heiligen Schriften (ebenso wie die biblischen Propheten) bevollmächtigter Tradent und prophetischer Verkünder des verbindlichen Gotteswortes ist (vgl. Bell. III 403; V 362–419 [insbesondere 391–393]). Für diese Annahme spricht auch die bekräftigende erneute Bezugnahme auf Ant. I 17 als Abschluß seiner Paraphrase von Dan 4 in Ant. X 218.
c) Weitere Anhaltspunkte zur Datierung
älteste direkte Textzeugen
Auf der Basis der frühen schriftlichen Erwähnungen und legendarischen Ausgestaltungen der griechischen Bibelübersetzung ist festzuhalten, daß 1. sich diese in der alexandrinischen Diaspora entstandene Übersetzung zunächst allein auf die Tora erstreckte, daß 2. wiederholt sowohl von ihrer Veranlassung durch Ptolemaios II. Philadelphos als auch vom Mitwirken der Jerusalemer Priesterschaft an ihrer Entstehung und von ihrer Approbation durch die alexandrinischen Juden die Rede ist, und daß 3. sie bereits im beginnenden 2. Jahrhundert v. Chr. den hebräischen Text der Tora in der alexandrinischen Diaspora verdrängt zu haben scheint bzw. auch in Judäa nicht unbekannt war. Wenn es daneben weitere bzw. frühere, mehr oder minder private Übertragungen jüdischer Heiliger Schriften ins Griechische gegeben hat, was durchaus denkbar ist, so ist von diesen jedenfalls nichts erhalten geblieben. Diesem vorläufigen Befund auf der Grundlage der literarischen Quellen entsprechen die Textfunde sowie einige Indizien im Text der Übersetzung selbst. Als die ältesten direkten Textzeugen der griechischen Pentateuchübersetzung können einige Papyrus- und Lederfragmente aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. aus Ägypten und aus den Höhlen 4 und 7 in Qumran gelten, deren Text in auffälliger Weise mit dem der großen (die alexandrinische Texttradition bezeugenden) Majuskelcodices S, A und B (s. o. 14) übereinstimmt (4QLXXLeva [4Q119; enthält Lev 26,2–16]; 4QpapLXXLevb [4Q120; enthält Teile von Lev 2–5]; 4QLXXNum [4Q121; enthält Teile von Num 3,30–4,14]; 4QLXXDtn [4Q122; enthält Dtn 11,4]; 4QpapParaExgr [4Q127; enthält Fragmente mit Mose- und Exodusstoffen]; 7QLXXEx [7Q1; enthält Ex 28,4–7]; Papyrus Fouad Inv. 266; Papyrus Rylands Greek 458 [s. o. 13 f.]). Hieraus kann man schließen, daß diese Übersetzung der Tora bereits zu dieser Zeit nicht nur in den jüdischen Diasporagemeinden, sondern auch im Mutterland in Gebrauch war und dort eine gewisse, wenn auch vielleicht relativ geringe Verbreitung fand (Nur ein Bruchteil der knapp 1000 Handschriften aus den elf Höhlen rund um Qumran ist nicht in hebräischer oder aramäischer, sondern in
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griechischer Sprache geschrieben). Für diejenigen, die diese Handschriften hier deponierten, kann es jedoch als wahrscheinlich gelten, daß sie die griechische Sprache beherrschten. Die Verwendung der griechischen Tora außerhalb Ägyptens um 100 v. Chr. wird auch bezeugt durch die griechischen Inschriften zweier jüdischer Marmorstelen aus Rheneia auf der Kykladeninsel Delos, deren Diktion eine deutliche Abhängigkeit vom Bibeltext zeigt. Daneben weisen verschiedene griechische Übersetzungsäquivalente Berührungspunkte mit der Kultur und Religion der ptolemäischen Epoche auf. Beispielsweise wird im Kontext einer Liste unreiner Tiere in Lev 11,17 das hebräische Wort für „Eule“ mit „Ibis“ übersetzt, was als Anspielung auf den allgegenwärtigen Tierkult bzw. den ibisköpfig dargestellten ägyptischen Gott Thot verstanden werden kann, der als Herr des Mondes galt, als Gott der Schreibkunst und als Schutzpatron der Schreiber verehrt wurde, und den die Griechen mit Hermes gleichstellten. Ebenso läßt sich der Numeruswechsel in Ex 22,27, wo es in der hebräischen Bibel heißt: „Gott sollst du nicht lästern, und einem Obersten in deinem Volk sollst du nicht fluchen“, die griechische Texttradition aber am Satzanfang den Plural +εο,ς („Götter“) liest, als umsichtige Anpassung des Toragebots an die nicht ungefährdete Diasporasituation interpretieren, in der die offene Diffamierung des in der unmittelbaren Umwelt der alexandrinischen Juden bildhaft repräsentierten und verehrten ägyptischen Pantheons durchaus verhängnisvolle Folgen für die jüdische Minorität haben konnte (s. u. 40). Ägyptisches Kolorit ist im Übersetzungstext weiterhin erkennbar im Kontext von Aussagen über das Wetter (z. B. Ex 10,13), bei Berufen (z. B. Gen 41,34; 50,2; Ex 3,7 ff.) und Namen (z. B. Gen 41,45).
Berührungspunkte mit der frühhellenistischen und ägyptischen Kultur
2. Die Übersetzung der Tora ins Griechische im ptolemäischen Alexandria a) Juden in Ägypten Bereits seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. ließen sich aramäischsprechende Juden, von denen es einen Teil als Flüchtlinge und freigelassene Sklaven aus dem Mutterland nach Ägypten verschlagen hatte (vgl. Jer 42–44), von denen die Mehrheit allerdings aus eigenem Entschluß als Söldner oder Siedler gekommen war, in geschlossenen Kolonien im ganzen Land nieder, so z. B. in Leontopolis, Oxyrrhynchos, Theben, Arsinoë und auch auf der Nilinsel Elephantine (Jebu), einer großen Garnison an der Südgrenze des Landes. Der Perserkönig Kambyses II. (reg. 530–522), der sich unmittelbar nach seinem Sieg über Ägypten nach pharaonischem Zeremoniell zum König von Ober- und Unterägypten erheben ließ und zur Legitimation seiner Herrschaft eine ägyptische Königstochter heiratete, führte Ägypten und damit eine recht große jüdische Diasporagemeinde, zumeist Bauern, Händler, Handwerker und Söldner, im Jahre 525 v. Chr. der wohlwollenden Kontrolle durch das persische Großreich zu. Nach seinem Sieg über den Perserkönig Darius III. rückte der junge Alexander d.Gr. mit seinen Truppen entlang der Küste nach Ägypten vor; im
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Coilesyrien als Teil des Ptolemäerreichs
Jahre 331 v. Chr. wurde das Land von ihm widerstandslos besetzt. Auch Alexander ließ sich zum Pharao krönen und wurde damit zum Sohn des obersten ägyptischen Gottes Amun-Re. Noch im selben Jahr gründete er an der Stelle der ägyptischen Siedlung Rakotis im Nildelta die nach ihm benannte Stadt Alexandria (s. u. 39). Josephus (Ap. II 42; vgl. Bell. II 487) weiß zu berichten, der makedonische Herrscher habe wegen der anfangs unbefriedigend geringen Einwohnerzahl Alexandrias zahlreiche jüdische Bewohner des Landes in der Stadt angesiedelt. Tatsächlich wollte Alexander d.Gr., daß die einheimische Bevölkerung Ägyptens politisch schwach bleibt. Die von ihm initiierte hellenistische Kolonisation seines Herrschaftsbereichs, die sich bald auch auf die Städte der Cyrenaica erstreckte, zog nicht nur zahlreiche Griechen und Makedonen, sondern auch viele Juden als Siedler in die neuen Städte im Kernlands Ägyptens und insbesondere nach Alexandria. Dabei wurden Privilegien, die ihnen als Religionsgemeinschaft in Judäa zustanden, auch auf die jüdischen Diasporagemeinden übertragen. Nach dem Tod Alexanders d.Gr. im Jahre 323 v. Chr. in Babylon teilten seine Generäle das makedonische Großreich unter sich auf. Bald herrschte die makedonische Dynastie der Ptolemäer (Lagiden) über Ägypten und die von Alexander beherrschten Gebiete, zu denen lange Zeit auch das strategisch bedeutende Coilesyrien/Palästina gehörte. Im Jahre 312 v. Chr. besiegte Ptolemaios, der Satrap und Statthalter von Ägypten, in der Schlacht bei Gaza seinen Widersacher Demetrios und rückte in Coilesyrien ein, wo ein Teil der Führungsschicht das Kräfteverhältnis zwischen den konkurrierenden Feldherrn falsch eingeschätzt und sich auf die Seite der Gegner des Ptolemaios geschlagen hatte. Nachdem Jerusalem nahezu kampflos gefallen war, deportierte Ptolemaios zahlreiche jüdische Anhänger der gegnerischen Partei nach Ägypten. Von 306 v. Chr. an herrschte er als Ptolemaios I. Soter, König und Pharao, über Ägypten, das unter seiner Regierung bald wirtschaftlich und kulturell aufblühte. Er und seine Nachfolger wurden in der alten Landeshauptstadt Memphis, einem der ältesten und wichtigsten religiösen Zentren Ägyptens, vom Hohenpriester des Ptah nach altägyptischem Ritus gekrönt. Die Regierungszeit der von ihm begründeten ptolemäischen Dynastie, der erst die römische Eroberung Ägyptens im Jahre 30 v. Chr. ein Ende machte und die mit dem Suizid Kleopatras VII. verlosch, stand von Anfang an in ständigem Konflikt mit den anderen Nachfolgern Alexanders d.Gr., insbesondere dem in Nordsyrien ansässigen hellenistischen Herrscherhaus der Seleukiden. Nach dem Sieg des Ptolemaios über Alexanders General Antigonos in der Schlacht bei Ipsos im Jahre 301 v. Chr. wurde auch Coilesyrien Teil des Ptolemäerreichs und als Bastion Ägyptens ausgebaut. Bis zur Eroberung Judäas durch den Seleukidenherrscher Antiochos III. (223–187 v. Chr.) stand das jüdische Kernland unter ununterbrochener ptolemäischer Herrschaft. Während die anderen Teilgebiete der phönizisch-syrischen Provinz der direkten königlichen Verwaltung des zentralistisch regierten Ptolemäerreichs unterstanden, behielt der jüdische Tempelstaat auch unter ägyptischer Herrschaft seine autonome Stellung. Für die inneren Angelegenheiten und für das zuverlässige regelmäßige Eintreiben der Kronsteuer für Volk und Land war der Hohepriester verantwortlich. Unmittelbares Eingreifen der
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Ptolemäer hatte Jerusalem dabei nur zu befürchten, falls die fiskalisch-ökonomischen Erwartungen Ägyptens nicht erfüllt wurden. Die enge Anbindung Coilesyriens an das Ptolemäerreich im 3. Jahrhundert v. Chr. begünstigte den regen kulturellen Austausch zwischen Juden im Mutterland und in der ägyptischen Diaspora. Nicht nur Kreise der Oberschicht des jüdischen Tempelstaats bemühten sich wiederholt um einen engen politischen Kontakt mit den ägyptischen Herrschern, sondern auch in breiteren Bevölkerungsschichten Alexandrias galt Jerusalem als das erfahrbare religiöse Zentrum des Judentums. Viele alexandrinische Juden kamen als Pilger zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem, übereigneten dem Tempel kultische Abgaben und Weihegeschenke, und wohnten am Zielort ihrer Pilgerreise gemäß dem biblischen Gebot (Ex 23,17; Dtn 16,16) den von den Priestern vollzogenen Opfern bei. Später hatten die Alexandriner auch in Jerusalem eine eigene – griechischsprechende – Synagoge (Apg 6,9; Tosefta Megilla III 6).
b) Die hellenistische Großstadt Alexandria Die westlich der Nilmündung Kanopas zwischen dem Mittelmeer und dem Mareotissee auf einer schmalen hügeligen Landzunge gelegene Stadt Alexandria wurde, wie bereits erwähnt, im Jahre 331 v. Chr. von Alexander d. Gr. gegründet. Binnen kurzer Zeit wurde Alexandria zu einer der größten Städte im Mittelmeerraum, zu einer bedeutenden Kulturhauptstadt und zu einem geistigen Zentrum der hellenistischen Welt. Erst in arabischer Zeit verfiel die Stadt wieder und kam schließlich zu einem unbedeutenden Dorf herunter. Die antike Nilmetropole übte seit ihrer Gründung eine starke Anziehungskraft insbesondere auf „Intellektuelle“ im gesamten Mittelmeerraum aus. In Alexandria, das von Anfang an eine selbständige Polis war und in administrativer Hinsicht nicht zu Ägypten gehörte (der als unägyptisch empfundene Charakter der Stadt wurde in Dokumenten aus der Ptolemäerund Kaiserzeit oft mit dem Zusatz „bei Ägypten“ ausdrücklich hervorgehoben), lebte bald nach der Gründung der hellenistischen Metropole die größte und einflußreichste jüdische Gemeinschaft außerhalb des Mutterlands. Griechische Synagogen- und Grabinschriften aus dem frühen 3. Jahrhundert v. Chr. belegen das hohe Alter dieser jüdischen Ansiedlung. Nach Ausweis der zeitgenössischen ägyptischen Papyrusurkunden ließen die ersten Ptolemäer den jüdischen Bevölkerungsteil Ägyptens in Frieden gewähren. In diesen historischen Kontext läßt sich die im Aristeasbrief begegnende Schilderung der Freilassung jüdischer Sklaven als Gunstbeweis für den Jerusalemer Hohenpriester Eleazar einordnen. Tatsächlich förderte der angesichts der Konflikte zwischen den Diadochenreichen um dauerhafte innenpolitische Stabilität bemühte Ptolemaios II. Philadelphos die Freilassung der von seinem Vater während der vergangenen Diadochenkriege aus Jerusalem deportierten Juden. Verstärkt wurde der jüdische Bevölkerungsanteil auch durch die zahlreichen Einwanderer, die im Zusammenhang mit den militärischen Feldzügen der Ptolemäer aus Coilesyrien nach Ägypten kamen.
Gründung Alexandrias
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Die Entstehung der Septuaginta Juden in Alexandria
Gegen Ende der ptolemäischen Epoche waren zwei der fünf Stadtbezirke Alexandrias mehrheitlich von Juden bewohnt; die Zahl der jüdischen Bewohner der Großstadt belief sich auf ca. 300 000 (Jerusalem hatte dagegen um 50 n. Chr. höchstens 100 000 Einwohner). Die monumentale alexandrinische Hauptsynagoge, zerstört im Jahre 115 n. Chr. während der Aufstände unter Trajan (98–117 n. Chr.), nach deren blutiger Niederschlagung das ägyptische Judentum fast vollständig vernichtet wurde (s. u. 116 f.), galt als das nach dem Jerusalemer Tempel größte religiöse Bauwerk des antiken Judentums. Ihre jüdischen Untertanen galten den Ptolemäern als besonders loyal und zuverlässig; sie dienten deshalb häufig in „sicherheitsrelevanten“ Bereichen als Soldaten und Polizisten. Papyrusurkunden belegen, daß die jüdischen Kolonie in der ägyptischen Stadt Herakleopolis (und wahrscheinlich auch in Leontopolis) als ein eigenständiges „Politeuma“ organisiert war, als eine religiöse Vereinigung mit eigener Verwaltung und eigenen Funktionsträgern. Es kann als wahrscheinlich gelten, daß auch der ökonomisch wie kulturell bedeutende jüdische Bevölkerungsanteil der Hauptstadt der ägyptischen Satrapie in gleicher Weise die Stellung eines Politeumas hatte. Eingebunden in das ptolemäische Verwaltungssystem war die jüdische Körperschaft mit bestimmten Selbstverwaltungsrechten ausgestattet und damit zwar in ihren inneren Angelegenheiten autark und gegenüber der unterworfenen autochthonen ägyptischen Bevölkerung sozial privilegiert (diese hatten weniger Rechte und mußten auch noch eine zusätzliche Kopfsteuer [λαογραφ α] zahlen), jedoch nicht der griechisch-makedonischen städtischen Oberschicht gleichberechtigt. Die Juden Alexandrias zählten bis auf wenige Ausnahmen nicht zu den Vollbürgern der (am Modell der griechischen Polis orientierten) Stadt und hatten deshalb keinen direkten politischen Einfluß. Autonom hinsichtlich ihrer Selbstverwaltung und der Rechtsprechung war die bedeutende (zwar unterschiedlichen sozialen Strata zuzuordnende, aber vergleichsweise gebildete) jüdische Minderheit in der hellenistischen Großstadt wahrscheinlich auch vom staatlichen Kult befreit, hob sich von der eingeborenen Bevölkerung ab, feierte eigene religiöse Feste und durfte die jährliche Schekelsteuer für den Jerusalemer Tempel erheben. Nach Strabo (bei Josephus, Ant. XIV 114 ff.) führte ein gewählter „Ethnarch“ als höchste Autorität die alexandrinischen Juden an. Jedoch scheint der Verfasser des Aristeasbriefes dieses Amt nicht gekannt zu haben, denn er erwähnte allein einen Ältestenrat als Leitungsgremium der Gemeinde.
c) Die Bedeutung der Tora für die alexandrinischen Juden Das wesentliche Kennzeichen der jüdischen Religion besteht in der grundlegenden Orientierung an der Tora, der Lebensweisung Gottes, die nach dem biblischen Zeugnis (Ex 20 ff.) von Mose am Sinai empfangen wurde. Die Tora gilt als die verbindliche schriftliche Erwählungs- und Bundesverpflichtung für das ganze Volk Israel. Eng hiermit verbunden ist die Vorstellung, in der Tora sei die Schöpfungsordnung, der Bauplan der ganzen Welt enthalten und somit auch alle schlechthin mögliche Erkenntnis verborgen.
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Übersetzung im ptolemäischen Alexandria
In der hellenistischen Metropole Alexandria hatte die im synagogalen Gottesdienst verlesene Tora nicht nur eine konstitutive Bedeutung als schriftliche Offenbarungsgrundlage der frommen Lebensgestaltung und der religiösen Praxis. Die grundlegend an der Tora orientierte eigenständige interne Organisationsform des alexandrinischen Judentums förderte auch das Bewußtsein der eigenen kulturellen und religiösen Eigenständigkeit in der multiethnischen und multireligiösen (bzw. polytheistischen) hellenistischen Großstadt. Der Rekurs auf die Tora als Basis der inneren Selbstverwaltung des jüdischen Politeumas war deshalb gerade in Alexandria nicht nur ein liturgisch-religiöser Akt, sondern bedeutete für die in der Metropole lebenden Juden zugleich die feierliche Proklamation der eigenen politischen und rechtlichen Existenzgrundlage. Darüber hinaus rückten gerade in einem von einer Mischbevölkerung bewohnten städtischen Diasporazentrum wie Alexandria das Bewußtsein der Bindung an den einen Gott Israels und die Orientierung an der Tora als Grunddokuments des jüdischen Glaubens im Rahmen der Auseinandersetzung einer Minorität mit der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft mehr und mehr in den Mittelpunkt des Lebens dieser Gemeinschaft. Die jüdische Religion befriedigte sozusagen auch eine Identitätssuche; die Tora wurde gerade in der Diaspora zum Träger der jüdischen Identität. Ebenso wie die Juden in Antiochia, Ephesus oder Rom lebte auch die jüdische Gemeinschaft in Alexandria in der Spannung zwischen der Bindung an die Religion der Väter und der Öffnung gegenüber der nichtjüdischen und fremdreligiösen Mehrheitsgesellschaft. Auch sie waren immer wieder zu existentiell bedingten Konzessionen gegenüber der andersgläubigen Mehrheit genötigt. Auch sie strebten nach Konsolidierung oder Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse und nach gesellschaftlicher Anerkennung, d. h. nach Gleichberechtigung ihrer Gemeinschaft mit den privilegierten griechischen Bürgern der Stadt. Gesellschaftliche Akzeptanz und individueller sozialer Aufstieg erforderten allerdings ein gewisses Maß an Assimilation an die Lebensformen der nichtjüdischen Umwelt. Das Durchlaufen der griechischen Institutionen und der Erwerb griechischer Bildung waren für Juden mit einer Reihe von gravierenden Problemen verbunden. Die üblichen griechischen Schultexte wie die Epen Homers waren voller polytheistischer Mythologie, nahezu alle öffentlichen Handlungen in der Nilmetropole waren mit Opferriten verbunden, und der gemeinsame Sport in Gymnasion und Ephebeion erforderte Nacktheit (vgl. 1. Makk 1,15 f.; 2. Makk 4,9 ff.; Buch der Jubiläen 3,31; Josephus, Ant. XII 241). Vor diesem Hintergrund ermöglichten den alexandrinischen Juden gerade ihre akzentuierte Toraorientierung und ihre heilsgeschichtlich begründete Selbstvergewisserung die Wahrung der eigenen Gruppenidentität trotz aller Akkulturation im Alltag, trotz der mehr oder weniger latenten Aggression seitens der minderprivilegierten autochthonen Stadtbevölkerung gegenüber der jüdischen Minderheit und trotz des latenten Assimilationsdrucks und den Konformitätserwartungen der paganen Umwelt, die auf jedem einzelnen von ihnen lasteten. Die Toragebote galten auch für das hellenisierte alexandrinische Diasporajudentum als verbindliche Lebensnorm. Ihre unbedingte Erfüllung war Ausdruck des eigenen Erwählungsbewußtseins und zugleich Unterschei-
Bedeutung der Tora in der Diaspora
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dungsmerkmal von der paganen Umwelt. Mit der Übersetzung der Tora ins Griechische, der Alltags- und Verkehrssprache des alexandrinischen Diasporajudentums, wurde die Aufwertung der identitätstiftenden schriftlichen Basis seiner Selbstverwaltung und der Bewußtwerdung des kollektiven Selbstbilds in seinem Verhältnis nach außen zur gesamtjüdischen Offenbarungsurkunde entscheidend vorangetrieben.
d) Der Hellenismus als Herausforderung und Chance
Einfluß der hellenistischen Kultur
Von den Juden im Mutterland und in der Diaspora wurde das Aufeinandertreffen von traditionellen Lebensformen bzw. Toraorientierung und der dominierenden Kultur der Umwelt je nach individuellem Standpunkt und persönlicher Lebenssituation als Bedrohung, als Herausforderung oder als Bereicherung empfunden. Im Rahmen dieser dauerhaften und vielfältigen kulturellen Begegnung entwickelte sich aus den Formen biblischer Religion das Judentum, wie es sich in den folgenden Jahrhunderten in seiner Vielfalt darstellte. Seit den Eroberungen durch Alexander d.Gr. lebte die große Mehrheit der Bevölkerung des östlichen Mittelmeerraums unter dem grundlegenden Einfluß des Hellenismus, des Eindringens griechischer Kultur in alle Bereiche des Lebens: in Sprache und Literatur, Religion und Philosophie, Wissenschaft und Kunst, Politik und Wirtschaft, Bildung und Erziehung. Josephus (Ap. I 179 f.) gibt ein Beispiel für die Intensität des hellenistischen Einflusses bei seinen jüdischen Zeitgenossen, indem er aus dem Werk des Klearchos von Soloi (ca. 342–255), eines Schülers des Aristoteles, zitiert. Klearchos berichtet hier in beispielhafter Weise von einem Juden aus Coilesyrien, der „nicht nur seiner Sprache, sondern auch seiner geistigen Bildung nach fast ein Grieche gewesen“ sei (vgl. Apg 9,29; 11,20). Seine maßgebliche Prägung erfuhr der Epochenbegriff „Hellenismus“ durch den klassischen Philologen und Althistoriker Johann Gustav Droysen (1808–1884), der ihn in seiner „Geschichte Alexanders des Großen“ (Berlin 1833) und im 1. Teil seiner „Geschichte des Hellenismus“ (Hamburg 1836) zur Bezeichnung der mit den siegreichen Feldzügen Alexanders d.Gr. beginnenden Epoche der Ausbreitung des Griechentums im Orient einführte. Kennzeichnend für die hellenistische Epoche sind die wachsende politische Bedeutung der Monarchien, die erhöhte Mobilität der Menschen, die Entstehung größerer Wirtschafts- und Währungsräume und nicht zuletzt die Entwicklung einer eigenen „Stadtkultur“ in – nach griechischem Polismuster organisierten – Metropolen wie Alexandria mit säulenbestandenen Prachtstraßen, die die Stadt durchzogen, einem Theater, einem Gymnasion, einem Stadion und vor allem mit seiner gewaltigen Bibliothek (späteren Quellen zufolge enthielt sie mindestens 500 000 Schriftrollen) und dem Museion, das nicht nur als Kultzentrum für die Verehrung der Musen diente, sondern vor allem als Mittlerinstanz der hellenistischen Bildung und Kultur und als Zentrum der akademischen Begegnung von Gelehrten und Künstlern. Das bis heute ungeklärte Ende der alexandrinischen Bibliothek wurde zu einem Symbol für das Verschwinden antiker Weisheit und Wissenschaft.
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Übersetzung im ptolemäischen Alexandria
Der Hellenismus als allgemeines Zivilisationsmuster, das den Mittelmeerraum in einem langwierigen Prozeß zu einer kulturellen Einheit zusammenfaßte, prägte zunächst die führenden Gesellschaftsschichten. Ebenso machte er sich in den städtischen Metropolen ungleich stärker bemerkbar als im Hinterland. Jedoch konnte sich niemand auf Dauer der allgemeinen Hellenisierung der Sprache, der Lebensform, aber auch der Religion völlig entziehen. Die Kulturen verflochten sich bald auf nahezu allen Ebenen. Die griechische Lebensart wurde Mode; in allen Städten machten die Menschen von den persönlichen Bildungschancen, die sich ihnen nun boten, auch von der durch die Öffnung gegenüber der hellenistischen Umwelt ermöglichten individuellen gesellschaftlichen Mobilität, regen Gebrauch. Den bemerkenswerten Bildungshunger der ägyptischen Könige reflektiert der Bericht des römischen Arztes und Schriftstellers Claudius Galenus (ca. 130–200 n. Chr.), ein Ptolemäerherrscher hätte die Anordnung erlassen, sämtliche Bücher auf ausländischen Schiffen, die vor Alexandria ankerten, zu beschlagnahmen und abschreiben zu lassen (In Hippocratis Epidemiarum librum III commentarius II 411 ff. [Kühn 17.1, S. 601 ff.]). Die assimilatorischen Tendenzen erfaßten auch das antike Judentum. Nicht nur hellenistisch-jüdische Philosophen und Schriftsteller wie Philon, die sich ohne jegliche Vorbehalte in vieler Hinsicht der griechischen Philosophie bedienten, sondern auch „traditionell“ gesonnene Tempelfunktionäre und jüdische Schriftgelehrte, die jede Nachahmung des griechischen Denkens als Zerstörung der eigenen religiösen und kulturellen Identität ablehnten und ihrerseits eine strikte Orientierung an der Tora forderten, waren darum bemüht, das Vernunftgemäße, Einsichtige und Logische an den Geboten der Tora zu betonen. Diese wie auch jene wandten bei ihrer Schriftauslegung Methoden an, die sie von den zeitgenössischen römischen Rhetorikern, Juristen und (insbesondere stoischen) Homerauslegern übernommen hatten.
e) Die Koine Die allgemeine Verkehrs- und Standardsprache des gesamten östlichen Mittelmeerraums zur Zeit der griechischen Bibelübersetzung im ptolemäischen Ägypten war die Koine (( κοιν. δι)λεκτος [„die allgemeine, gemeinsame Sprache“]) von Philon als „unsere Sprache“ bezeichnet (De congregatione eruditionis gratia [„Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung wegen“] 44; vgl. De confusione linguarum [„Über die Verwirrung der Sprachen“] 129). Die Septuaginta gilt als einer ihrer Hauptzeugen. Entstanden auf der Basis der attischen Umgangssprache, in die gewisse Elemente des Ionischen und einige Dorismen eingeflossen sind, fand die Koine, das „hellenistische Griechisch“, rasche Ausbreitung im Zuge der makedonischen Eroberungen durch Alexander d. Gr. Als kosmopolitisch verstandenes Idiom wurde die Koine zum internationalen Verständigungsmittel; auch in Ägypten war sie bald in regem Gebrauch am ptolemäischen Hof und als Alltagssprache eines Großteils der Bevölkerung. Besondere Kennzeichen der griechischen Gemeinsprache der hellenistischen Zeit sind ihre Tendenz zu Vereinfachung, Glättung, Vereinheitlichung und Verdeut-
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lichung der Morphologie und der Syntax (z. B. durch die Zunahme verdeutlichender Präpositionen, durch die Verwendung von parataktischen Konnektoren und durch den Rückgang hypotaktischer Periodenbildungen) sowie der merklichen Zunahme von Neologismen und des Eindringens von Fremdwörtern als literarischen Gestaltungsmitteln (hier ist anzumerken, daß in hellenistischer Zeit auch zahlreiche griechische Lehnwörter in die hebräische und in die aramäische Sprache eindrangen). Hinzu kommen einige mehr oder weniger gravierende Bedeutungsverschiebungen. So steht beispielsweise das Verb /λπ ζειν im klassischen Griechisch für „hoffen“ und „befürchten“; in den Texten aus hellenistischer Zeit hat sich hier allein die erstere Wortbedeutung erhalten. Die zahlreichen erhaltenen literarischen und nichtliterarischen griechischsprachigen Quellen aus hellenistischer Zeit weisen eine große Variationsbreite des sprachlichen Niveaus auf. Hingegen finden sich nur relativ wenige lokale Eigentümlichkeiten der Koine, der zeitgenössischen Form der griechischen Weltsprache des gesamten zivilisierten Kulturraums rund um die östliche Hälfte des Mittelmeers. Die Koine ist nicht nur die ursprüngliche Sprache der griechischen Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften und des Neuen Testaments, sondern auch des Großteils der zeitgenössischen jüdischen Literatur. Erst im späteren Verlauf der Textgeschichte machte sich in gebildeten Schichten – möglicherweise als Gegenbewegung zum Vordringen der morphologischen Reduktionsbestrebungen der Koine als Gemeinsprache des Volkes – ein verbreitetes Bemühen um „klassische“ Sprach- und Stilreinheit des literarischen Griechisch („Attizismus“) auch in der Überlieferung der griechischen Bibel bemerkbar. Die beiden berühmtesten antiken jüdischen Schriftsteller Philon von Alexandria und Flavius Josephus schrieben ihre Werke in griechischer Sprache. Die meisten Juden in der hellenistischen Antike beherrschten einen ihrer Dialekte, wohingegen das Hebräische insbesondere in der Diaspora im täglichen Leben kaum noch gesprochen wurde. Der ägyptische Dialekt der Koine war die Alltagssprache der Juden vor allem in hellenistischen Metropolen wie Alexandria; für viele war er sogar die Muttersprache. Strittig ist, ob die jüdische Landbevölkerung im Ptolemäerreich daneben auch Ägyptisch bzw. dessen demotischen („volkstümlichen“) Dialekt gesprochen hat.
f) Die Synagoge
Funktionen des Synagogeninstituts
Der hauptsächliche Ort der Vermittlung der Toragebote innerhalb der alexandrinischen jüdischen Gemeinschaft war die Συναγωγ, („Synagoge“; besonders in der ägyptischen Diaspora begegnet zur Bezeichnung von Synagogen häufig das griechische Wort Προσευχ, in der Bedeutung „Gebetsstätte“), denn neben dem gemeinschaftlichen Gebet war (und ist) die Verlesung der Tora zentraler Bestandteil des regelmäßigen jüdischen Gottesdienstes, wenn sich auch eine fortlaufende zyklische Leseordnung, die die gesamte Tora umfaßt, erst in späterer Zeit herausbildete. Gerade fernab von Jerusalem und seinem Tempel, wo jüdische Kolonien in einer mehr-
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heitlich nichtjüdischen Umgebung lebten, fand das Bedürfnis nach einem solchen zentralen gemeinschaftlichen Versammlungsort früh (viel früher als in Palästina) seinen Ausdruck in der Entstehung von Synagogen. Vergegenwärtigt man sich die Situation der kleinen jüdischen Kolonien in der ägyptischen Diaspora, die sich umgeben von fremden Kulturen und fremden Religionen als eigenständige Gruppen behaupten mußte, dann wird deutlich, warum gerade hier die ersten Synagogengebäude errichtet wurden. Prachtbauten wie die große und prunkvoll ausgestattete Synagoge Alexandrias waren dabei die große Ausnahme. Zur Verlesung der Tora und zum gemeinschaftlichen Gebet versammelte man sich häufig in privaten und gewöhnlichen öffentlichen Räumen oder man richtete sein Gemeindezentrum in einem ehemaligen Privathaus ein. Daß einige dieser Synagogen den ägyptischen Herrschern gewidmet wurden, deutet darauf hin, daß sie in ihrem Reich eine gewisse hoheitliche Anerkennung besaßen. An jedem Sabbat, so Philon, kamen die alexandrinischen Juden in den Synagogen der verschiedenen Stadtbezirke zusammen, um sich mit „Weisheit, Mannhaftigkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Heiligkeit und jeglicher Tugend“ zu beschäftigen (De vita Mosis II 216). Die Herausbildung der gottesdienstlichen Funktionen der Synagoge hängt vorwiegend mit der hohen Bedeutung der Tora und ihrer Verlesung als grundlegender Bestandteile der jüdischen Religion zusammen (vgl. Dtn 31,10–13). Doch dienten Synagogen – gerade fernab vom Jerusalemer Tempel – nicht allein religiösen Bedürfnissen. Nicht nur die gemeinsame religiöse Betätigung förderte und sicherte den Bestand der Gruppe. Der Synagoge kam auch ein hoher Stellenwert bei der Aufrechterhaltung und Gestaltung des gemeinschaftlichen jüdischen Lebens zu. Das alltägliche Leben der alexandrinischen Juden als einer Minderheit in einer fremden bzw. als fremd empfundenen Umwelt erforderte immer wieder von neuem gemeinsame Beratungen und Entscheidungen, eine gemeinsame Verwaltung und Organisation und auch einen Ort, an dem dies alles stattfinden konnte. Der synagogalen Lesung des Toratextes im antiken Judentum folgte ein Targum („Übersetzung“), eine frei vorgetragene Auslegung des vorgetragenen hebräischen Leseabschnitts bzw. jedes einzelnen Satzes in der Alltagssprache, die (in etwa vergleichbar mit der Predigt im christlichen Gottesdienst) dessen traditionsgebundener Interpretation und Applikation durch Erklärungen, Änderungen und Aktualisierungen diente. Diese aktualisierende Auslegung, die in Judäa in aramäischer, in Ägypten wohl in griechischer Sprache erfolgte, entsprach der lokalen Verständnistradition der Tora und zugleich der Notwendigkeit ihrer unmittelbaren Bezugnahme auf die Lebensvollzüge und den Erfahrungshorizont ihrer jüdischen Adressaten.
3. Gründe und Funktion der griechischen Toraübersetzung Der Aristeasbrief gibt als den alleinigen Grund der Übersetzung der Tora ins Griechische den Wunsch des ptolemäischen Königshofs nach der Eingliederung des jüdischen Gesetzes in die alexandrinische Bibliothek an. Dieser Darstellung scheint die Überlegung zu entsprechen, daß für die
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Bedeutung der Septuaginta für die alexandrinischen Juden
ägyptischen Herrscher aufgrund der Größe der jüdischen Siedlungsgruppe in ihrem Reich oder aufgrund der hohen strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung Coilesyriens und insbesondere Jerusalems, wo mehrheitlich Juden lebten, eine Klärung ihrer Rechtsgrundlage wünschenswert war und sie deshalb für Verwaltungszwecke ein Interesse an der Übersetzung hatten. Es gibt aber keine antiken Belege für die Annahme, daß die griechische Toraübersetzung als institutionelles Dokument des Ptolemaios II. Philadelphos im Sinne eines „Nationalrechts“ für die ägyptischen Juden galt. Entgegen dem Aristeasbrief hatte der ägyptische König, der übrigens nicht nur Buchrollen, sondern auch auch seltene Tiere sammelte, höchstens ein zweitrangiges Bedürfnis nach dem Übersetzungswerk; allenfalls wurde das Unternehmen – in Entsprechung der allgemeinen Bereitschaft des griechisch-hellenistischen Kulturraums, Geistesgut aus dem Orient aufzunehmen – von seinem Wohlwollen begleitet. Zu denken wäre auch an ein gewisses bildungs- und kulturpolitisches Interesse des hellenistischen Herrschers (bzw. der an seinem Hof wirkenden Intellektuellen) an der Erschließung von traditionellen Rechtsordnungen, die außerhalb des griechischmakedonischen Kulturkreises gewachsen waren. Dieses Interesse könnte ihn auch dazu bewogen haben, die Übersetzung in die Sprache des ägyptischen Herrscherhauses im Kontext seiner enzyklopädischen Kulturpolitik zu fördern. Mehr als eine Annahme ist auch das nicht, denn in der zeitgenössischen griechischen Literatur hatte das Übersetzen fremdsprachiger Schriften durchweg auffallend wenig Bedeutung. Als eigentlicher Beweggrund der Übersetzung wahrscheinlicher ist das Bedürfnis der jüdischen Gemeinde Alexandrias nach einem solchen Werk. Die Tatsache, daß ein großer Teil der Juden in der ägyptischen Diaspora bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr genug Hebräisch konnte, um die Lesung der Tora zu verstehen und ihre Aussprache- und Verständnistradition zu konservieren, stand in einem krassen Mißverhältnis zu der immensen Bedeutung des Pentateuchs als Gesetzbuchs und Trägers der gefährdeten religiösen und kulturellen Gruppenidentität der alexandrinischen jüdischen Gemeinschaft. Das altehrwürdige „väterliche Gesetz“, das Gott dem Moses am Sinai geoffenbart hatte, war den Juden in der Hauptstadt des Ptolemäerreichs im hebräischen Original nicht mehr verständlich. Um die Tradition dennoch zu bewahren, mußte das Grunddokument der jüdischen Religion zur Überwindung der Sprachbarriere ins Griechische übersetzt werden. Neben dieses grundlegende sprachliche Problem trat der bestimmende Einfluß des „Zeitgeists“ – d. h. der dominierenden hellenistischen Kultur – auch auf die alexandrinischen Juden, der die direkte Bezugnahme auf den Wortsinn der autoritativen Weisungen der Tora und ihre unmittelbare Übertragung auf das Gemeindeleben des jüdischen Politeumas in der antiken Weltstadt zunehmend erschwerte. Nicht nur war ihre Alltagssprache nunmehr die ägyptische Form der Koine (s. o. 43 f.), sondern auch ihr Erfahrungshorizont und ihre Weltsicht, ihre Denkweisen, ihre religiösen Bedürfnisse und ihre kulturellen Ausdrucksformen stimmten nicht mehr mit den überlieferten Weisungen der hebräischen Tora überein. Die Übersetzung der Tora ins Griechische bot aus diesen Gründen die Möglichkeit einer – für ihren dauerhaften Bestand durchaus notwendigen – Vergewisserung und Stabilisierung der kollektiven Identität der Diasporagemeinde.
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Durch sie wurden der Pentateuch und seine Gebote nicht nur allgemein verständlich, sondern auch durch die durchgängige und vielgestaltige Eintragung zeitgenössischen hellenistischen Denkens in den Lebenshorizont bzw. in die Ideen- und Bilderwelt ihrer Adressaten übertragen. Die Übersetzung war somit ein Akt der Bewahrung des jüdischen Glaubens in der Auseinandersetzung mit der hellenistischen Einheitskultur, nicht jedoch dessen Preisgabe. Dem Aristeasbrief ist dahingehend Recht zu geben, daß die Übersetzung der Tora von einer Gruppe von „Schriftgelehrten“ (vgl. Sir 38,24– 39,11), d. h. von professionellen jüdischen Abschreibern mit ausreichenden Kenntnissen sowohl des hebräischen Bibeltextes mitsamt seiner Aussprache- und Verständnistradition als auch der griechischen Sprache vorgenommen wurde, begleitet vom „wohlwollenden Interesse“ der Ptolemäer. Ob es wirklich 72 Übersetzer mit hebräischer und griechischer Sprachkompetenz waren, die an dem Werk beteiligt waren, wie man im Aristeasbrief erfährt, ist nicht zu belegen und kann als höchst unwahrscheinlich gelten (s. o. 28). Geschichtlich wahrscheinlicher ist eine kleinere Zahl. Möglicherweise hat die Praxis des Targumvortrags, der die Toralesung im synagogalen Gottesdienst komplementär ergänzte und der im hellenistischen Alexandria auf Griechisch stattfand, hier bereits einen Fundus von äquivalenten Begriffen und Wendungen geschaffen, auf den die Übersetzer aufbauen konnten. Für die Existenz eines solchen rudimentären „Wörterbuchs“ spricht auch die Tatsache, daß die Übersetzer im griechischen Pentateuch in Entsprechung zum mündlichen Vortrag des Meturgeman („Übersetzers“) in der Synagoge zumeist Satzeinheit für Satzeinheit von der Ausgangssprache in die Zielsprache übertrugen. Die auffallende sprachliche Geschlossenheit schon der Genesis, die wahrscheinlich als erstes Buch übersetzt wurde (s. u. 50 f.), wäre durch die Existenz dieser philologischen „Vorarbeiten“ (z. B. in Form von Wortlisten, d. h. festgeprägten griechischen Übersetzungen für hebräische Wörter und Wurzeln) zu erklären. Das von zahlreichen Semitismen geprägte Griechisch, das die Übersetzer geschrieben haben, entsprach nicht notwendigerweise dem Griechisch, das sie auch in ihrem Alltag gesprochen haben, sondern ist in erster Linie auf den prägenden Einfluß der Tora als schriftlicher Vorlage zurückzuführen. Ungewöhnlich war eine solche Unterscheidung zwischen Literaturund Umgangssprache in der Antike nicht. Dem entspricht die Beobachtung, daß Einflüsse semitischer Syntax und Semantik auf die hellenistische Weltsprache außerhalb der Septuaginta ungleich seltener zu finden sind als hier. Ob das Übersetzerteam aus Judäa kam, wie der Verfasser des Aristeasbriefs und auch Philon und Josephus wissen wollen, ist hingegen fraglich. Neben dem seit persischer Zeit im jüdischen Mutterland als Umgangssprache verwendeten Aramäischen, der offiziellen Verwaltungssprache im Westen des Achämenidenreiches, die dieses selbst überdauerte, war dort zwar auch (nachbiblisches) Hebräisch eine in einer Reihe von Kommunikationssituationen noch immer gesprochene Sprache und der allgemeine Hellenisierungsprozeß war auch in Jerusalem im 3. Jahrhundert v. Chr. bereits weit genug fortgeschritten, um dort kundige Übersetzer zu finden
Schriftgelehrte als Übersetzer
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ägyptisches Kolorit
(dies zeigen die bei Qumran gefundenen zahlreichen Briefe, Verträge, Quittungen und Inschriften in griechischer Sprache, griechische Namen und eine Reihe von sprachlichen Entlehnungen aus dem Griechischen), doch wurde der hebräische Konsonantentext der jüdischen Heiligen Schriften zunächst auch in der jüdischen Diaspora abgeschrieben und in Schule und Synagoge gelesen und gelehrt. Vor allem das ägyptische Kolorit des übersetzten Textes (immer wieder stößt man auf spezifische Begriffe aus der ägyptisch-alexandrinischen Umwelt der Übersetzer; vgl. z. B. Ex 5,6.10.13) spricht dafür, daß das Werk von einer Gruppe griechischsprachiger jüdischer Gelehrter aus Alexandria (d. h. aus einer Stadt, in der Zweisprachigkeit wohl geradezu die Regel war) für die lokale Gemeinde geleistet wurde. Schreiber gehörten generell zum Personal eines Politeumas. Die Sprache der griechischen Toraübersetzung ist in lexikographischer und stilistischer Hinsicht am ehesten mit zeitgenössischen griechischen Papyri aus Ägypten zu vergleichen. Die Semitismen im griechischen Bibeltext, der für jeden Griechen, der mit dem hebräischen Bibeltext nicht vertraut war, geradezu „exotisch“ geklungen haben muß, lassen sich deshalb zumeist als Ausdruck ihres Bemühens um eine seiner literarischen Vorlage entsprechende „biblische“ Sprache verstehen. Es erscheint als plausibel, daß der solcherart entstandene griechische Pentateuch weniger aus administrativem oder aus „akademischem“ Interesse übersetzt wurde, sondern aufgrund des dringlichen Bedürfnisses der Diasporajuden, auf die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Herausforderungen der frühptolemäischen Zeit zu reagieren. Hinsichtlich einer Beantwortung der Frage, ob der „Sitz im Leben“ der Übersetzung 1. vor allem ihr gottesdienstlich-liturgischer Gebrauch war, ob sie 2. in erster Linie eine halachisch-rechtliche Regulierungsfunktion für die Bewältigung des Alltagslebens im jüdischen Politeuma hatte, oder ob sie 3. vorwiegend als Basistext und Argumentationsgrundlage beim Studium in den Schulen bzw. bei der privaten Lektüre zur religiösen Erbauung diente, ist eine Entscheidung für eine dieser drei Möglichkeiten, die die anderen Alternativen jeweils ausschließt, nicht zu fällen. Zu eng sind die Funktionen der Tora als religiöses Basisdokument der zeugnisgemäßen Auseinandersetzung insbesondere des Diasporajudentums mit der griechischen Geisteswelt, als Grundlage und Regulativ der jüdischen Selbstorganisation, und als identitätstiftende Quelle von Selbstvergewisserung und Abgrenzung gegenüber dem Assimilationsdruck der paganen Umwelt miteinander verwoben. Es ist zu berücksichtigen, daß die solcherart entstandene griechische Toraübersetzung zunächst eine Angelegenheit der alexandrinischen Gemeinde war und keine normierende Bedeutung für Juden außerhalb der Hauptstadt des Ptolemäerreiches hatte. Es gab in Alexandria keine autorisierte jüdische „Zentralinstanz“, die auf den Rest der Diaspora hätte Einfluß nehmen können.
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Gestalt und Abfolge der Toraübersetzung
4. Ursprüngliche Gestalt und Abfolge der Toraübersetzung Wie bereits gesagt kann es als wahrscheinlich gelten, daß die Tora gegen Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. in Alexandria ins Griechische übertragen wurde und somit der zuerst übersetzte Teil der griechischen Bibel war. Bedingt durch die besonderen Lebensverhältnisse der alexandrinischen Diaspora stand der Pentateuch hier wohl mehr im Vordergrund als im Mutterland; wenn man überhaupt von einem „alexandrinischen Kanon“ als einer fest umrissenen normativen Größe sprechen kann (s. o. 20), dann ist das die Tora. Die Übersetzungen der fünf Bücher Moses (Josephus, Bell. VII 150, scheint davon ausgegangen zu sein, daß sie auf eine Buchrolle paßten) sind unterschiedlicher Natur. Sie differieren hinsichtlich ihres Sprachstils, ihrer Bindung an das hebräische Original und ihrer exegetisch-theologischen Tendenzen. Ein charakteristisches Merkmal des gesamten griechischen Pentateuchs besteht allerdings darin, daß die antiken Übersetzer darum bemüht waren, ihr Werk (in Entsprechung der mündlichen Vortragsweise des Targums in den Synagogen) Satz für Satz der hebräischen Textvorlage anzugleichen. Auch begegnen in den Übersetzungen der einzelnen Bücher der Tora immer wieder die gleichen griechischen Wortfolgen, Formulierungen und Wendungen. Dieser sich im Verlauf des Übersetzungsprozesses verstärkende „konservative“ Umgang mit dem Bibeltext beruhte offenbar auf der wachsenden Überzeugung von seiner besonderen Offenbarungsqualität, die eine möglichst exakte Übertragung in die griechische Sprache erforderte, ging es doch um nicht weniger als um die Schaffung eines allgemein verständlichen Basistextes für die Orientierung aller griechischsprechenden Juden an dem Wort Gottes in allen Lebensbereichen. Eine eingehende Untersuchung des sprachlichen und stilistischen Verhältnisses der einzelnen Bücher des griechischen Pentateuchs widerlegt die zunächst naheliegende Vorstellung, die Übersetzer hätten ihr Werk mit Gen 1,1 begonnen und mit Dtn 34,12 abgeschlossen. Ein relativ plausibler Lösungsversuch des komplexen und in der gegenwärtigen Septuagintaforschung intensiv diskutierten Problems der Entstehung der Übersetzung beruht auf den Beobachtungen, daß die Bücher Genesis und Exodus auffällig freier übersetzt wurden als die folgenden Bücher Leviticus, Numeri und Deuteronomium, und daß Syntax, Stil, Lexikographie und Phraseologie der Genesis die folgenden Übersetzungen erkennbar beeinflußt haben. Deren (unterschiedlich qualifizierten) Übersetzer scheinen die vorangehenden Bücher schon in einer griechischen Form gekannt zu haben und benutzten sie als Hilfe an schwierigen Stellen in ihrer hebräischen Vorlage, aber auch als Quellen ihrer Textinterpretation. Obgleich ein Vergleich der Bücher Genesis und Exodus kein einheitliches Bild ergibt (insbesondere in Ex 35–40 ist der griechische Text hinsichtlich seiner Anordnung und seines Inhalts auffällig eigenständig), wird das erste Buch der Bibel auch als erstes übersetzt worden sein. Zum einen lassen sich die Jahreszahlen der Genealogien Gen 5 und 11 im griechi-
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Beginn der Übersetzung mit dem Buch Genesis
schen Text nur dann plausibel erklären, wenn man davon ausgeht, daß das Buch Exodus noch nicht übersetzt war (vgl. Ex 12,40). Zum anderen wird das Übersetzungsunternehmen im ptolemäischen Alexandria schwerlich mit einem Buch begonnen haben, das mit der Darstellung der Befreiung der jüdischen Ahnen aus Ägypten einsetzt. Es ist weiterhin zu erkennen, daß die Übersetzung der Bücher Leviticus, Numeri und Deuteronomium generell präziser ist als die griechische Wiedergabe der ersten beiden Teile des Pentateuchs, was darauf hindeutet, daß sich in zunehmendem Maße Vokabeläquivalenzen und Techniken der wörtlichen Entsprechung herausbildeten. Die zunehmende Wörtlichkeit der Übersetzung kann somit als ein erstes Kriterium der relativen Chronologie verwendet werden. Schließlich ist eine einseitige Abhängigkeit der Übersetzung des Buchs Leviticus von derjenigen des Deuteronomiums festzustellen. Obgleich das letzte Buch der Tora, wurde das Deuteronomium wahrscheinlich nicht als letztes ins Griechische übersetzt. Ein Grund für seine Übersetzung vor den beiden im Pentateuch vorangehenden Büchern scheint mit der Sonderstellung des Deuteronomiums im antiken Judentum zusammenzuhängen. Nicht zufällig nimmt der anonyme Verfasser des Aristeasbriefs bei seiner Erklärung der jüdischen Speisegebote (Arist 153–160) durchgehend auf das Deuteronomium Bezug (vgl. Dtn 6,7–9; 7,18; 10,21; 11,18.20; 14,6); nicht ohne einen Anlaß begegnen zahlreiche – und mitunter sehr ausführliche – Fortschreibungen und aktualisierende Interpretationen des Deuteronomiums in den Texten von Qumran, und entfällt schließlich auch ein beträchtlicher Teil der biblischen Zitate, Anspielungen, Motive, Wendungen und Formeln im Neuen Testament auf diese Schrift. Ein weiterer Grund für die besondere Stellung des Buchs Deuteronomium besteht womöglich darin, daß die minutiösen Verordnungen hinsichtlich des Opferkults und der priesterlichen Reinheit in den Büchern Leviticus und Numeri für Diasporajuden, die nur anläßlich der Wallfahrtsfeste (und oft wohl nur einmal in ihrem Leben) nach Jerusalem kamen, nur von nachrangigem Interesse waren. Zu diskutieren wäre schließlich auch, ob die identitätstiftende Bedeutung von Texten wie Dtn 7,7–11, wo Gottes Bundestreue und Israels Erwählung gerade während der Zeit der Knechtschaft in Ägypten eine besondere Betonung erfahren, zur vorrangigen Übersetzung des Deuteronomiums beigetragen hat. Ein besonderes Problem stellt die Frage dar, warum gerade die Genesis zuerst übersetzt wurde, wenn doch anzunehmen ist, es sei insbesondere die orientierungstiftende Bedeutung der Toragebote in den Büchern Exodus bis Deuteronomium für die Diasporagemeinde gewesen, die das eigentliche Motiv ihrer Übersetzung in die griechische Alltags- und Verkehrssprache darstellte (s. o. 46 f.). Das erste Buch Moses enthält ungleich mehr narrative als normative Passagen, viele Erzählungen und nur wenige Gebote. So existiert in der gegenwärtigen Forschung auch die Auffassung, der eigentliche Grund für die Übersetzung des ersten Buchs der hebräischen Bibel, das die Toragebote in eine mit der Weltschöpfung einsetzende Geschichtsdarstellung einbindet, seien weder liturgische noch administrative Bedürfnisse gewesen, sondern ein im gebildeten hellenistischen Judentum Alexandrias vorherrschendes Interesse am orientalischen Weltordnungsdenken. Wenn die Genesis als erstes übersetzt wurde, könne demnach das
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Übersetzung von Prophetenbüchern und Hagiographen
Interesse an der griechischen Tora als einem Gesetzbuch für die Diasporagemeinde nicht im Vordergrund gestanden haben. Gegen eine solche Überlegung spricht jedoch die Quellenlage. Es gibt für das 3. Jahrhundert v. Chr. kaum Zeugnisse dafür, daß man im Diasporajudentum an kosmologischen Fragestellungen besonders interessiert war. Wahrscheinlicher als diese Auffassung ist eine andere Deutungsvariante: Wenn die fünf Bücher Moses von den Schriftgelehrten rasch hintereinander übersetzt wurden, ist es durchaus vorstellbar, daß die kosmologischen und heilsgeschichtlichen Texte der Genesis von ihnen und ihren Adressaten als Beweis der Ursprünglichkeit (und damit der Autorität) der im Folgenden ausgeführten Einzelgesetze angesehen wurden. Als ein weiteres Argument kommt hinzu, daß sich die Genesis von der Weltschöpfung bis zur Ankunft der Patriarchen in Ägypten erstreckt. Durch ihre Übersetzung in die aktuelle gesprochene Sprache konnten die ägyptischen Juden die Ursprünglichkeit bzw. den hohen Rang ihrer Traditionen dokumentieren und zugleich ihre Anwesenheit und Bedeutung im Ptolemäerreich in theologisch deutender Weise legitimieren. Das Buch Genesis definiert somit im Rahmen der Völkerwelt jüdische Identität. Die Frage, welche Bedeutung der Reihenfolge der Übersetzungen der einzelnen Bücher des Pentateuchs hinsichtlich der Funktion des gesamten Unternehmens zukommt, läßt sich also insgesamt dahingehend beantworten, daß der Beginn der Toraübersetzung mit dem Buch Genesis, dem in diesem Kontext eine Sonderstellung zukommt, und auch die vorrangige Übersetzung des nicht minder bedeutenden Buchs Deuteronomium daraufhin weisen, daß der Verlauf der griechischen Übersetzung der Tora in Alexandria erkennbar den religiösen Bedürfnissen und der gesellschaftlichen Situation seiner jüdischen Leser entsprach. Die griechische Tora war kein Archivstück für die ptolemäische Verwaltung; ihre eigentlichen Adressaten waren Juden.
5. Die griechische Übersetzung von Prophetenbüchern und Hagiographen Obwohl die Entstehungslegende des griechischen Pentateuchs erst im 2. Jahrhundert n. Chr. von christlichen Autoren auch auf die Prophetenbücher und Hagiographen ausgedehnt wurde, und obgleich auch die Akzentuierung der Eigenbedeutung dieser Schriften zunächst nur in Randbereichen des antiken Judentums faßbar ist (s. u. 54), fanden bereits im 2. und 1. vorchristlichen Jahrhundert – zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten – Übersetzungen der übrigen hebräischen Heiligen Schriften des Judentums ins Griechische statt, deren Verfasser allein hinsichtlich ihrer Sprachkenntnis, Übersetzungstechnik und Stilistik überaus verschieden waren. Nach und nach ins Griechische übertragen wurden die anderen der – neben der Tora – für die jüdische Religion maßgeblich gewordenen Schriftwerke (Geschichtswerke, Prophetenbücher, Psalmendichtungen und einige Weisheitsschriften, soweit letztere nicht von vornherein in griechischer Sprache verfaßt waren). Wenn auch eine genaue Rekonstruktion der historischen Abfolge dieser einzelnen Übersetzungen unter
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Die Entstehung der Septuaginta
Entstehungsorte der Übersetzungen
der Annahme ihrer Abhängigkeit voneinander („Stemmatisierung“) aufgrund der überaus verwickelten Textüberlieferung hypothetisch bleiben muß, so läßt sich auf der Basis einer Reihe externer und interner Kriterien der Datierung doch eine grobe Reihenfolge ihrer Entstehung erkennen. Den Anfang des Übersetzungsprozesses machten wohl die „hinteren Propheten“ (Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Dodekapropheton). Gerade im Jesajabuch tritt dabei eine Reihe von „Ägyptismen“, d. h. sprachlichen und sachlichen Eigentümlichkeiten aus dem ptolemäisch-alexandrinischen Milieu auf (vgl. z. B. die griechische Übersetzung der „Modepredigt“ Jes 3,18–24), was auf einen ägyptischen Ursprung der Übersetzung einer ursprünglichen Version oder zumindest eines Teils dieses Prophetenbuchs hindeutet (auf einen eigenen Übersetzer scheint Jes 36–39 zurückzugehen). Für spätere Bestandteile der griechischen Bibel (z. B. Rut; Hohes Lied; Klagelieder; Kohelet; Esther) ist aufgrund des fehlenden ägyptischen Einflusses und einiger bei der Übersetzung eingedrungenen Aramaismen hingegen Judäa als Entstehungsort (oder als Heimat der Übersetzer) anzunehmen. Daß die jüdischen Heiligen Schriften im 2. Jahrhundert auch dort in griechischer Sprache gelesen, gelehrt und ausgelegt wurden, wird spätestens durch die griechischen Textfunde von Qumran und aus der Wüste Juda unter Beweis gestellt (auffällig ist deren Nähe zu ihrer hebräischen Textvorlage). Sprachliches Vorbild für die meisten dieser jüngeren Übersetzungen, deren Schöpfer bestrebt waren, die Botschaft ihrer Vorlage auch im Griechischen möglichst treu und genau zu bewahren, war die griechische Übersetzung der Tora, auch wenn sich neben ihrem normativen Einfluß immer wieder individuelle stilistische und lexikographische Vorlieben und Freiheiten der Bearbeiter der einzelnen Bücher erkennen lassen. Es fällt auf, daß die „Textsicherungsformel“ (s. o. 35 f.), bei der Übersetzung keine Hinzufügungen oder Auslassungen vorzunehmen, im Gegensatz zur Übersetzung der Tora im Zusammenhang mit der Rezeption und Tradition der griechischen Prophetenbücher und Hagiographen an keiner Stelle begegnet. Der Grad der Orientierung der Textübertragung am Wortschatz und am Stil des griechischen Pentateuchs konnte sich dabei zuweilen auch verringern; z. B. das Hohelied und Kohelet sind relativ eigenständig, dafür aber auffällig eng nach ihren hebräischen Textvorlagen übersetzt. An den einzelnen Schriften bzw. Schriftkomplexen, die nach der Tora übersetzt wurden und die somit an ihrem Stil (und ihrer Dignität) teilhatten, arbeitete man bis in die frühchristliche Zeit hinein weiter. So läßt sich beispielsweise hinsichtlich des Textes und der Zusammensetzung des Bestands der jüdischen Psalmendichtungen in griechischer Übersetzung, deren Ursprung im 2. Jahrhundert v. Chr. zu suchen ist, bis weit ins 1. Jahrhundert n. Chr. hinein noch keine einheitliche fixierte Ordnung beobachten. Dieser auf aktualisierende Deutung hin offene Charakter der Psalmen entspricht ihrem lebendigen Gebrauch im Gottesdienst und zur persönlichen Erbauung der Frommen. Daß die Psalmen mehrheitlich in Judäa übersetzt wurden, erschließt sich durch eine Reihe von Hinweisen auf die Auseinandersetzungen der Makkabäerzeit; es gibt allerdings auch Forscher, die im Psalmenbuch Reflexe ägyptischer Phänomene und Gegebenheiten er-
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Übersetzung von Prophetenbüchern und Hagiographen
kennen und deshalb von seiner Entstehung in der alexandrinischen Diaspora ausgehen. Bereits lange Zeit bevor die Übersetzung aller in den späteren christlichen Septuagintacodices enthaltenen Schriften zum Abschluß kam, entstanden (zunächst vage definierte) Teilsammlungen von Büchern – aufgrund der verschiedenen Interessen ihrer Trägerkreise zunächst vermutlich in verschiedener Gestalt –, die nach und nach im griechischsprechenden Judentum den Rang Heiliger Schriften erhielten. Der Abschluß dieses Prozesses der griechischen Bibelübersetzung wurde nie richtig festgelegt. Erst der in Alexandria geborene Kirchenvater Origenes (s. u. 84 ff.) bezeugt eindeutig eine ihrem Umfang nach „abgeschlossene“ Sammlung der Schriften des griechischen Alten Testaments. Grobe Anhaltspunkte für die Datierung solcher Sammlungen jüdischer Heiliger Schriften in griechischer Sprache geben der Sirachprolog und die Esthernachschrift. In der Vorrede des (mit Sicherheit ursprünglich in hebräischer Sprache abgefaßten) Buchs Jesus Sirach, dessen Original vom namenlosen Enkel des Verfassers ins Griechische übersetzt wurde, ist die Rede vom „Gesetz und den Propheten und den anderen Büchern der Väter“ (8–10). Der Sirachenkel gibt hier an, im 38. Regierungsjahr des Ptolemaios VIII. Euergetes (170–116 v. Chr.) von Palästina nach Ägypten gekommen zu sein. Falls im griechischen Sirachprolog von der Mitregentschaft des ptolemäischen Königs ab gerechnet wurde, entspricht dieser Datumsangabe des schriftgelehrten Weisen das Jahr 132 v.Chr; falls sich die Angabe hingegen auf den Beginn seiner Alleinherrschaft bezieht, ist das Jahr 107 v. Chr. gemeint. Nimmt man an, daß das aufgrund seiner langen Entstehungsgeschichte uneinheitlich überlieferte weisheitliche Spruchbuch sich hier explizit auf die griechischen Heiligen Schriften bezieht (was in der Forschung nicht unumstritten ist), würde das bedeuten, daß bereits zu dieser Zeit außer der Tora auch Schriften aus den beiden anderen Teilen des späteren jüdischen Kanons in Übersetzung vorlagen. Im Nachwort des griechischen Estherbuchs (Est 10,3l), das ebenso wie die Vorrede des Buchs Jesus Sirach dem Zweck diente, jüdisches Bildungsgut aus Palästina nach Ägypten zu verpflanzen, und das Mitteilungen über die palästinische Herkunft der Übersetzung, über die Übersetzer und über die Überbringer dieser Übersetzung in das spätptolemäische Ägypten enthält, wird als Datum „das vierte Jahr des Königs Ptolemaios und der Kleopatra“ genannt. Wenn hier Ptolemaios XII. Neos Dionysos (80–51 v. Chr.) und seine Schwester und Gattin Kleopatra VI. Tryphaina (gest. 57 v. Chr.) gemeint sind, entspräche das dem Jahre 78/77 v. Chr. als Zeitpunkt der griechischen Übersetzung der Estherrolle. Der jüdische Historiker Eupolemos (s. o. 27) hat neben dem hebräischen Bibeltext offenbar auch eine griechische Version der Chronikbücher als Quelle benutzt, was durch wiederholte Anklänge an den griechischen Wortlaut dieser Schriften deutlich wird. In Fragment 2 basieren seine Angaben über das Alter Salomos bei seinem Herrschaftsantritt auf dem griechischen Bibeltext, der hier über die hebräische Texttradition von 1. Kön (= LXX 3. Kön) 2,12 hinaus angibt, er sei „12 Jahre alt“ (υ2ς /τ!ν δ3δεκα) gewesen. Auch der hellenistisch-jüdische Exeget Aristeas – er ist nicht mit dem (als Nichtjude vorgestellten) angeblichen Verfasser des Aristeasbriefs
Teilsammlungen
Sirachprolog
Esthernachschrift und Eupolemos
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Die Entstehung der Septuaginta
Textbeobachtungen als Datierungshilfen
Schriftrolle und Codex
zu verwechseln – hat in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bei seiner (insbesondere an genealogischen Fragen interessierten) Auslegung des Hiobbuchs wiederholt dessen griechischen Text zitiert. Eine Reihe von Textbeobachtungen stützt die oben genannten Zeitangaben anhand der externen Quellen. In der griechischen Übersetzung von Jes 23,1 werden beispielsweise die „Tarsis-Schiffe“ in der Wiedergabe des hebräischen Textes durch die πλο4α Καρχηδνος („Schiffe Karthagos“) ersetzt, was das unspezifische Toponym „Tarsis“ deutete und auch dem zeitgenössischen „Image“ der phönizisch-karthagischen Städte als typischer Umschlagplätze wertvoller Handelswaren im fernen Westen entsprach (vgl. 1. Kön [= LXX 3. Kön] 10,22; 2.Chr 9,21 f.; Ps 72 [LXX 71],10; Jon 1,3). Der seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. schwelende Konflikt des karthagischen Staates mit dem expandierenden römischen Reich führte jedoch letztendlich zu seiner Vernichtung und zu der völligen Zerstörung seiner Hauptstadt im Jahre 146 v. Chr.; das Jesajabuch (oder zumindest ein Teil davon) muß also zuvor übersetzt worden sein. Schließlich könnte die Beobachtung, daß Josephus sich in seiner Nacherzählung der frühnachexilischen Geschichte (Ant. XI 1–158) zumeist auf 1. Esdras beruft, eine griechischsprachige Zusammenstellung der entsprechenden biblischen Abschnitte, die mehrheitlich aus Teilen der hebräischen Bücher Esra und Nehemia (= LXX 2. Esdr) besteht (s. o. 18), bedeuten, daß noch im 1. Jahrhundert n. Chr. von den Büchern Esra und Nehemia keine eigenständige griechische Version kursierte bzw. überall bekannt war. Anders als die alexandrinische Übersetzung der Tora entsprachen die einzelnen im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. in der westlichen Diaspora und im Mutterland entstandenen griechischen Übersetzungen von Prophetenbüchern und Hagiographen keinem allgemeinen religiösen Interesse bzw. Bedürfnis einer bedeutenden, mehr oder weniger geschlossenen jüdischen Siedlungsgruppe, sondern entstanden wohl im wesentlichen aufgrund privater Initiativen und innerhalb partikularistischer jüdischer Gemeinschaften vor jeweils wechselndem geschichtlichem Hintergrund. Das Interesse dieser Gemeinschaften insbesondere an den Prophetenbüchern, deren Inhalte sie als Weissagungen lasen und in deutender Weise auf ihre Wahrnehmung der sie umgebenden Welt bezogen, fußte auf ihren gruppenspezifischen Geschichtsdeutungen und stand nicht selten in enger Verbindung mit endgeschichtlich orientierten Zukunftshoffnungen. Man muß sich in diesem Zusammenhang vergegenwärtigen, daß bis zur Durchsetzung der Buchform des Codex frühestens im 3. Jahrhundert n. Chr. jeder übersetzte Bibeltext aus einer separaten Buchrolle übersetzt und auf eine ebensolche separate Buchrolle geschrieben wurde, was einerseits die Entstehung und Tradierung verschiedener – unabhängig voneinander übersetzter – Versionen ermöglichte, andererseits aber auch dazu beitrug, daß die verschiedenen griechischen Textzeugen gerade der Prophetenbücher und Hagiographen immer wieder bemerkenswerte Abweichungen voneinander aufweisen. Solange diese Bücher im Judentum auf Schriftrollen zirkulierten, war eine feste Ordnung kaum einzuhalten. Erst der im Christentum verbreitete Codex (s. o. 14), der aus einer Mehrzahl gefalteter und gehefteter Blätter bestand, die zu ihrem Schutz einen Einband erhielten, erleichterte eine relativ feste Abfolge; erst der christliche Kanon wurde zu einem physischen
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Übersetzung von Prophetenbüchern und Hagiographen
Objekt. Es muß allerdings einschränkend festgestellt werden, daß eine völlig fixierte Reihenfolge der biblischen Bücher auch in der handschriftlichen Überlieferung der Septuagintacodices zu keiner Zeit ganz erreicht worden zu sein scheint. Die anfänglich verbreitete Form der Textreproduktion auf einzelnen Buchrollen erschwerte eine direkte und synchrone „intertextuelle“ Bibellektüre als Bestandteil des Übersetzungsvorgangs erheblich. Hinsichtlich der – zumal theologisch gezielten – inhaltlichen Bezugnahmen eines ins Griechische übertragenen Buchs auf andere Heilige Schriften ist eher daran zu denken, daß die Übersetzer, die wir uns als gebildete fromme Juden vorzustellen haben, einen bestimmten (und nicht zu gering zu veranschlagenden) Teilbereich der religiösen Tradition, sicher aber die Tora, memoriert und bei ihrer Arbeit „auswendig“ gegenwärtig hatten. Die wesentlichen Beweggründe dieser schriftlichen Übersetzungen (und auch ihrer Sammlung und Abschrift) waren ihre Notwendigkeit zum Gebrauch im Schul- und Studienbetrieb der Gruppe und als erbauliche Privatlektüre griechischsprechender Juden. Die Geschichtswerke und die Prophetenbücher dienten dabei in ganz besonderem Maße der eigenen historischen bzw. heilsgeschichtlichen Standortbestimmung; die Dichtungen und Weisheitsschriften trugen vor allem zur kollektiven und individuellen Erbauung, Vergewisserung und Tröstung der Frommen bei.
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III. Die Septuaginta als Übersetzung 1. Das Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext Der Text der Septuaginta weicht in zahllosen Einzelfällen vom Text der hebräischen Bibel ab. Inwieweit sich diese mehr oder weniger gravierenden Abweichungen zur Beschreibung des eigenständigen Charakters der griechischen Bibelübersetzung oder zur Rekonstruktion einer älteren hebräischen Vorlage dieser Übersetzung auswerten lassen, ist ebenso strittig wie die Frage, ob die in dieser Übersetzung zu erkennenden Textänderungen erst im griechischen Bibeltext oder bereits im Verlauf der Überlieferung seiner hebräischen Vorlage vorgenommen wurden. Zu beantworten sind hier zunächst die Fragen nach dem Charakter des Textes, der der griechischen Bibelübersetzung zugrunde lag, und nach seinem Einfluß auf den weiteren Verlauf ihrer Überlieferung.
a) Der hebräische Bibeltext frühe Vielfalt unterschiedlicher Textformen
Die bislang identifizierten Textfunde aus Qumran und aus der Wüste Juda (von den Schriften, die in den folgenden Jahrhunderten im Judentum kanonische Geltung erlangten, fehlt hier allein Esther) haben gezeigt, daß zur Zeit der griechischen Übersetzungen der hebräischen Heiligen Schriften diese im Judentum noch mehrfach kreativ bearbeitet wurden (vgl. z. B. den paraphrasierenden Pentateuchtext 4Q 158) und bereits in der Antike in einer Vielfalt von unterschiedlichen Textformen und Rezensionen vorlagen. Grundsätzlich lassen sich aufgrund signifikanter gemeinsamer Merkmale drei verschiedene Textformen bzw. Lokaltypen der hebräischen Bibel unterscheiden: eine alexandrinische, eine palästinische und eine babylonische Rezension (Neben diesen drei im ägyptischen, palästinischen und babylonischen Judentum entstandenen Rezensionen steht noch die von diesen unabhängige Texttradition des samaritanischen Pentateuchs). Während die alexandrinische Textgestalt nach der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr. und dem Untergang der ägyptischen Diaspora zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. (s. u. 116 f.) durch die von der neuen Elite des Rabbinats vehement geförderte palästinische Tradition (s. u. 115 f.) fast völlig verdrängt wurde, konnte der babylonische Text im Osten wohl fortbestehen, wenn es auch im Verlauf seiner Überlieferung immer wieder Angleichungen gegeben haben wird, bis sich die palästinischen jüdischen Gelehrten von Tiberias schließlich durchsetzen konnten. Der heute vorliegende hebräische Bibeltext beruht grundlegend auf dem palästinischen Lokaltypus der jüdischen Heiligen Schriften. Was bei einem Vergleich zwischen den erhaltenen hebräischen und griechischen Zeugen zunächst als eine Textänderung durch den Übersetzer bzw. durch spätere Redaktoren der griechischen Bibel erscheint, kann also bereits auf die Verwendung einer differenten hebräischen Vorlage bzw. auf deren eigenständige Verständnistradition zurückgehen. Es darf keinesfalls
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Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext
als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß im antiken Judentum überall und immer der gleiche Text gelesen wurde wie zur heutigen Zeit. Auch die breite und heterogene Überlieferung des (im antiken Judentum zumeist in aramäischer Quadratschrift geschriebenen) hebräischen Konsonantentextes im palästinischen Überlieferungsbereich war jahrhundertelang in Bewegung. Diese Textfluktuation und das Nebeneinander verschiedener hebräischer Textgestalten verfestigten sich erst um die Zeitenwende zu einer Textform, die als „protomasoretisch“ (oder als „protorabbinisch“) bezeichnet wird. Die verschiedenen protomasoretischen Kopien, Rezensionen und Überlieferungen der hebräischen Bibel beruhen jedoch ihrerseits auf keinem ursprünglichen und eindeutig zu fixierenden literarischen Ort im Sinne eines „Urtextes“. Vielmehr stellen sie alle jeweils eine redaktionelle Auswahl unterschiedlicher hebräischer Textformen mit eigenständigem Charakter dar, an denen bisweilen jahrhundertelang redigierend gearbeitet wurde und die in keine eindeutige genetische oder gar chronologische Abfolge zu bringen sind. Ein auf den Annahmen einer eindeutigen redaktionellen Identität und einer einheitlichen Text- und Verständnistradition „des“ Bibeltextes beruhendes lineares literarisches Entwicklungsmodell ist vor diesem Hintergrund nicht mehr als eine Glaubensüberzeugung. Mit anderen Worten: Es gibt keinen buchstäblich rekonstruierbaren „Urtext“ der hebräischen Bibel; ihre Entstehungsgeschichte und ihre Textgeschichte überschneiden sich. Jede vergleichende Untersuchung der Septuaginta mit dem hebräischen Bibeltext muß deshalb nicht nur die textkritische Frage nach dem zuverlässigsten bzw. „ursprünglichen“ Text auf der Grundlage aller verfügbaren Textzeugen umfassen, sondern auch literarkritische und historische Fragestellungen. In der Spätzeit des Zweiten Tempels begann sich in Palästina die protomasoretische Textform allmählich durchzusetzen (ca. 40% der hebräischen Textfunde von Qumran entsprechen dem masoretischen Text [MT]); sie härtete jedoch (ebenso wie die Abgrenzung des „kanonischen“ Inhalts der Hebräischen Bibel) erst im 2. Jahrhundert n. Chr., u. a. aufgrund des Kulturdrucks durch das sich formierende und ausbreitende Christentum, zu einer konstanten und fortan auch im Diasporajudentum sehr einheitlich und stabil überlieferten Textgröße aus: der für das Judentum maßgeblich gewordenen masoretischen Texttradition. Gleichzeitig verfestigten sich die hermeneutischen Regeln der jüdischen Textauslegung. Im Verlauf eines jahrhundertelangen kontinuierlichen Standardisierungsprozesses wurden fortan (durch Ergänzung von Matres lectionis, Hinzufügung von konkretisierenden Personennamen oder Suffixen und Aktualisierung von schwer verständlichen Lexemen) sprachlich vereinfachende hebräische „Vulgärtexte“ zugunsten traditioneller (bzw. als traditionell erachteter) Texttraditionen aufgegeben, wurden aramäische Wörter und Textpassagen durch hebräische ersetzt. Hiervon abweichende Texttraditionen wurden vom Hauptstrom der Textüberlieferung im rabbinischen Judentum zunächst entweder durch Korrektur angeglichen oder gänzlich verworfen. Dieser lang andauernde Prozeß fand seinen Abschluß in der Vereinheitlichungsarbeit der schriftgelehrten Masoreten („Tradenten“). In den Masoretenschulen wurde seit dem 8. Jahrhundert eine auch in der Aussprache und Phrasierung des maßgeblichen hebräischen Bibeltextes überlieferte
Textfluktuation
protomasoretischer Text
masoretischer Text
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Die Septuaginta als Übersetzung
Verständnistradition des gesicherten Konsonantenbestands des palästinischen Lokaltypus mittels eines detaillierten Vokalisationssystems (infralineare oder supralineare Punktation) für den synagogalen Gebrauch vereinheitlicht, fixiert und gesichert. Dem MT folgten nahezu alle späteren hebräischen jüdischen Bibelhandschriften und Drucke sowie die Bibelzitate in der rabbinischen Traditionsliteratur. Eine Ausnahmestellung kommt dabei allein den Schriftzitaten in der Tosefta (s. u. 116) zu. Die Tatsache, daß die Zitate aus der hebräischen Bibel hier nicht so wie in der (im Judentum maßgeblich gewordenen) Mischna (s. u. 116) und im babylonischen Talmud an die masoretische Textgestalt angeglichen wurden, sondern Gemeinsamkeiten mit älteren Zeugen der protomasoretischen, alexandrinischen und babylonischen Textformen aufweisen, ist darauf zurückzuführen, daß das Interesse, die (etwa zeitgleich mit der Mischna entstandene, jedoch hinsichtlich ihrer Bedeutung für den halachischen Prozeß eher randständige) Tosefta im Verlauf ihrer Überlieferung zu aktualisieren, weitaus geringer war als bei der Mischna. Im Gegensatz zu den Schriftzitaten in der Mischna weisen die von der Tosefta vertretenen Textformen der Bibelzitate deshalb in nicht wenigen Fällen gegen den masoretischen Text Übereinstimmungen sowohl mit von diesem abweichenden, anderen Lokaltypen zuzurechnenden frühen Zeugen als auch mit dem Text (bzw. mit Vorlagen) der griechischen Bibel auf.
b) Vorlage und Übersetzung langer Übergabebereich der biblischen Schriften
Die dynamische Entwicklung des hebräischen Bibeltextes verlief von der Vielfalt zur weitgehenden Einheit; erhalten ist er zudem nicht mehr im Original, sondern nur noch in Abschriften. Die Überlieferung dieser Abschriften reicht in eine Periode zurück, in der der Text der hebräischen Bibel bereits partiell ins Griechische übersetzt worden war, aber noch weiterhin redaktionell bearbeitet wurde. Es muß einen langen Übergabebereich der als verbindlich geltenden biblischen Schriften gegeben haben, innerhalb dessen die Übersetzungsarbeiten lokalisiert werden müssen. Die Bücher der hebräischen Bibel lagen also zu keinem Zeitpunkt ihrer Textgeschichte in einer faßbaren „ursprünglichen“ Gestalt vor, die das fertige Produkt einer abschließenden Redaktion darstellte und zugleich noch nicht durch Kopierung (absichtlich oder unabsichtlich) verändert wurde. Zugespitzt gesagt: Eine generelle – gar dogmatisch begründete – Aporie zugunsten des MT ist zugunsten einer textkritischen Analyse und Bewertung seiner textgeschichtlichen Stellung innerhalb des komplexen Transmissionsprozesses jedes einzelnen Buchs aufzugeben. Eine erste weitreichende Konsequenz dieser Beobachtungen für die Arbeit am griechischen Bibeltext besteht darin, daß seine Vorlagen nicht ohne Weiteres als identisch mit der „heutigen“ hebräischen Bibel angesehen werden dürfen, auch wenn große Teile (z. B. die Vorlage des griechischen Psalmenbuchs) zum großen Teil mit dem MT übereinzustimmen scheinen. Zwischen der Basis der späterhin normativ gewordenen hebräischen Texttradition und der heterogenen Textvorlage der vom 3. bis zum 1. vorchristlichen Jahrhundert entstandenen griechischen Übersetzung der
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Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext
jüdischen Heiligen Schriften muß unterschieden werden. Läßt sich eine Abweichung der Septuaginta vom masoretischen Bibeltext nicht als das offensichtliche Resultat von: 1. übersetzungsimmanenter traditionsgeleiteter oder „freier“ Textauslegung (z. B. eröffnet die Konsonantenschrift einige Möglichkeiten durchaus sinnvoller alternativer Lesarten; vgl. Hld 1,2, wo die Braut im hebräischen Konsonantentext zu ihrem Geliebten sagt: „denn deine Liebe ist süßer als Wein“, während die griechische Übersetzung denselben Konsonantenbestand als Aussage des Mannes versteht: 7τι 8γαθο* µαστο* σου 9π:ρ ο;νον [„denn deine Brüste sind süßer als Wein“]), von 2. Übersetzungsfehlern (Konsonantenverlesung, Fehlinterpretation der hebräischen Syntax oder fehlerhafte Vokalisation; vgl. z. B. ; Ri 6,13.15; Ps 91 [LXX 90],3) oder von 3. Textverderbnis und Versehen während des Transmissionsprozesses erklären (z. B. Auslassung oder Hinzufügung eines griechischer Buchstabens oder Wortes, Verwechslung ähnlicher Buchstaben oder Wörter), dann ist prinzipiell in Betracht zu ziehen, daß die griechische Übersetzung an dieser Stelle auf einer anderen Vorlage bzw. Texttradition beruhte als der hebräischer Bibeltext, wie wir ihn heute besitzen; sei es, weil der sich allgemein durchsetzende hebräische Text auch in der Zeit nach Fertigstellung der Übersetzung noch Veränderungen erfuhr, sei es, weil dem Übersetzer eine andere Textversion vorlag (auch Fehler wie z. B. Konsonantenverlesungen konnten dabei bereits Bestandteil der Vorlage sein; gerade die Laryngale [Gutturale] Aleph, Ajin, He, Chet wurden im zeitgenössischen Hebräisch immer weniger differenziert, was nicht selten zu Vertauschungen führte). So wurde die im MT erhaltene Texttradition des Josuabuchs wahrscheinlich durch eine Reihe von Glossen erweitert, die der recht uneinheitlich überlieferte griechische Text (bzw. dessen Vorlage) noch nicht hatte (z. B. Jos 8,12 f.; 20,4–6). Auch die Tatsache, daß 1. Sam (= LXX 1. Kön) 17 in der griechischen Überlieferung einen erheblich kürzeren Text hat als in der hebräischen Tradition, könnte dadurch erklärt werden, daß der hebräische Text bis zu seiner Fixierung noch in seinem Umfang gewachsen ist (insgesamt weicht die Vorlage von 1.2 Samuel [= LXX 1.2. Königreiche] durchgängig vom MT ab). Hingegen scheint die Vorlage der Übersetzung von 1. Könige (= LXX 3. Königreiche) länger gewesen zu sein als die Textfassung im MT. Ebenso geht man heute mehrheitlich davon aus, daß die griechische Jeremiaübersetzung, die gegenüber dem Prophetenbuch in der hebräischen Bibel um ca. 1/8 (das sind mehr als 2700 Wörter) kürzer ist und deren Text an manchen Stellen anders angeordnet wurde (Jer 46,1–51,64, die Fremdvölkerorakel Jeremias, wurden in stark abweichender Reihenfolge dieser Kapitel zwischen Jer 25,13 und 15 [MT] eingeordnet [V. 14 fehlt im griechischen Text]), auf eine eigenständige verkürzte (bzw. von Anfang an kürzere) hebräische Vorlage zurückgeht, deren Textanordnung zudem nicht die des MT ist. Rollenfragmente der kürzeren Fassung des Buchs begegnen unter den hebräischen Textfunden von Qumran (4QJera–c [4Q70–72]). Offenbar wurde der durch die griechische Jeremiaübersetzung repräsentierte hebräische Text in der Zeit nach der Fertigstellung der Übertragung ins Griechische noch einmal von einer vormasoretischen Redaktion umgeord-
Kürzerer Text des griechischen Jeremiasbuches
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Die Septuaginta als Übersetzung
Unterschiede zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext
Beschreibung des Verhältnisses zwischen masoretischem Bibeltext und Septuaginta
net und erweitert. Die nicht von der Septuaginta gedeckten Passagen des Prophetenbuchs wären somit jüngeren Datums als die Vorlage der Übersetzung. Ob das stark von hellenistischem Denken geprägte und – vom Übersetzer offenbar als adäquat empfundene – homerisches Vokabular enthaltende (vgl. z. B. Hi 3,21; 4,17; 22,12; 38,17) griechische Hiobbuch ebenfalls auf einer kürzeren Vorlage basiert, ist hingegen strittig. Die Beobachtung, daß der Text der griechischen Hiobhandschriften gerade an solchen Stellen, die von besonderer theologischer Bedeutung sind, Einfügungen aus späteren Übersetzungen bietet (z. B. Hi 35,7 f.), läßt sich entweder als Hinweis auf absichtliche Auslassungen durch den ursprünglichen Übersetzer des Buchs oder als Beweis für einen ihm vorliegenden kürzeren hebräischen Text deuten. Wie bereits mehrfach angesprochen, können die Unterschiede zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext nicht nur auf die absichtliche Interpretationsleistung der Übersetzer und auf Schreibfehler oder sonstige Versehen bei der weiteren Texttransmission der griechischen Bibel zurückgehen, sondern auch auf die Verwendung differenter hebräischer Vorlagen. Die griechischen Übersetzungen bewahren manchmal ein älteres Entwicklungsstadium des betreffenden Buchs auf als der MT. Durch das Vorhandensein – zumal früher – hebräischer Zeugen, die vom MT abweichen und der Lesart des griechischen Bibeltextes entsprechen, gewinnt die Annahme an Wahrscheinlichkeit, daß auch die Vorlage dieser Lesart eine solche vom MT unabhängige (bzw. ältere) Texttradition repräsentiert. Man kann die Septuaginta (bzw. die ihr zugrundeliegenden hebräischen Vorlagen) allerdings nicht in pauschalierender Weise als den älteren (oder gar als den ursprünglichen) Bibeltext dem MT vorziehen. Die Rekonstruktion ihres ursprünglichen Textbestands auf der Basis der erhaltenen griechischen Zeugen wird immer mit einem gewissen Maß an Unsicherheit behaftet bleiben. Direkte „Rückübersetzungen“ ins Hebräische auf der Basis der griechischen Zeugen, wie sie der textkritische Apparat der Biblia Hebraica Stuttgartensia mitunter nahezulegen scheint, sind deshalb in hohem Maße spekulativ, zumal viele textgeschichtliche Zwischenglieder unwiederbringlich verloren sind und auch in Rechnung gestellt werden muß, daß die hebräische Vorlage (insbesondere dort, wo der Text problematisch war) vom jeweiligen Übersetzer nicht durchweg wortwörtlich und konkordant, sondern mehr oder weniger „frei“ wiedergegeben wurde. Es ist nicht sicher, ob der älteste erhaltene handschriftliche griechische Zeuge eines Buchs auch seine älteste Übersetzung aus dem Hebräischen wiedergibt. Das dergestalt komplexe Verhältnis zwischen MT und griechischem Bibeltext läßt sich wie folgt beschreiben: – Wo die griechische Bibelübersetzung hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalts der masoretischen Textgestalt entspricht und diese Entsprechung auch durch handschriftliche Zeugen der protomasoretischen Texttradition gedeckt wird, war mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ihre hebräische Vorlage mit dem MT identisch. – Haben wir allein den MT und einen griechischen Text, der ihm durchweg entspricht, ist zunächst auch dessen Angleichung im Verlauf der Textüberlieferung in Rechnung zu stellen (was natürlich nicht ausschließt, daß diese Entsprechung bereits von Anfang an bestanden haben kann).
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Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext
– Wo sich der Text der Septuaginta vom MT unterscheidet, besteht wiederum die Alternative, daß diese Differenzen entweder auf einer – vom MT unabhängigen – hebräischen Vorlage der Übersetzung beruhen oder Ausdruck absichtlicher Veränderungen und unabsichtlicher Übermittlungsfehler während des Übersetzungs- und Überlieferungsprozesses der griechischen Bibel sind. – Wo hingegen der Unterschied zwischen MT und Septuaginta mit den Eigentümlichkeiten der griechischen Übersetzung konform geht, ist eine eigenständige hebräische Vorlage nicht wahrscheinlich. Prinzipiell sind je nach Buch kleinere oder größere Unterschiede zwischen dem MT und der Vorlage der griechischen Bibelübersetzung anzunehmen. Die Auswertung der zahlreichen hebräischen Textfunde von Qumran hat jedoch deutlich gezeigt, daß die Abweichungen des MT von der in der Spätzeit des Zweiten Tempels im Judentum mehrheitlich verwendeten palästinischen Texttradition in den meisten Büchern geringer sind als erwartet. Unter der Voraussetzung der stetigen Vergegenwärtigung, daß wir es in beiden Fällen mit Texten zu tun haben, die nicht den Ursprung, sondern den Verlauf bzw. das heterogene Resultat eines jahrhundertelangen Übersetzungs- und Überarbeitungsprozesses reflektieren, und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß jüngere griechische Versionen immer wieder an ihrer gesteigerten Übereinstimmung mit dem MT kenntlich sind, kann dieser MT in vielen Fällen durchaus als Ausgangspunkt der Rezeptionsgeschichte und damit als Basis eines textkritischen Vergleichs mit der Septuaginta dienen, der zu verwertbaren textgeschichtlichen, historischen und theologischen Ergebnissen führt. Ein oberflächlicher Vergleich des Mischtextes z. B. der Ausgabe von Rahlfs (s. o. 16 f.) und der diplomatischen Textausgabe der Biblia Hebraica Stuttgartensia kann jedoch in die Irre führen. Nur unter der strikten Berücksichtigung aller oben erwähnten Vorbehalte ist die Septuaginta für die Textkritik der hebräischen Bibel (und ist die hebräische Bibel als Anhaltspunkt der Beschreibung des Septuagintatextes und seiner Entwicklung) von Wert. An dieser Stelle taucht jedoch noch das Problem des Einflusses der hebräischen Bibel auf den Verlauf der Textgeschichte der Septuaginta auf. Gleichzeitig mit der Verfestigung der protomasoretischen Textform ist nämlich bereits in vorchristlicher Zeit in den griechischen Zeugen ein methodisches Bestreben erkennbar, die dem antiken Abschreiber vorliegende griechische Fassung der jeweils bestimmenden Texttradition der hebräischen Heiligen Schriften möglichst anzugleichen (Beispiele bietet der Papyrus Fouad Inv. 266 [s. o. 14]). Der griechische Text wurde also bereits zu Beginn seiner Transmission durch die methodischen sprachlichen und sachlichen Eingriffe zweisprachiger Abschreiber oder durch die absichtliche Rezensionstätigkeit der Tradenten nachträglich nach bestimmten Gesichtspunkten „korrigiert“. Bereits im antiken Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels begegnen solche mehr oder weniger systematischen Harmonisierungen mit dem hebräischen Text der Heiligen Schriften; später wurden die griechischen Bibelhandschriften auch von ihren christlichen Abschreibern korrigiert, um sie dem anzugleichen, was man als Hebraica veritas ansah (s. u. 96). An manchen Stellen ist diese frühe Rezensionstätigkeit derart gravierend, daß eine
Einfluß der hebräischen Bibel auf die Textgeschichte der Septuaginta
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Die Septuaginta als Übersetzung
Rekonstruktion der ihr vorangehenden griechischen Textform oder gar einer ursprünglichen Übersetzung nicht mehr möglich erscheint, zumal auch hinter einer offensichtlich unverständlichen Textänderung eine Intention stecken kann, die für uns nur nicht mehr nachvollziehbar ist. Insgesamt ist davon auszugehen, daß nicht nur die antiken Übersetzer selbst im Verlauf ihrer Arbeit bestimmte Text- und Verständnistraditionen des hebräischen Bibeltextes rezipiert und gedeutet haben, sondern daß sich die Abhängigkeit der griechischen Übersetzung von ihrer Vorlage auch auf den weiteren Verlauf der Textüberlieferung erstrecken konnte. „Holprige“ Lesarten, die das Hebräische widerspiegeln, sind demnach entgegen der bekannten textkritischen Regel, wonach der schwieriger zu verstehende Text im allgemeinen als der bessere gelten kann, keineswegs automatisch zuverlässiger oder älter als alternative Lesarten, die einen „glatteren“ griechischen Text bieten.
c) Die Frage nach dem „Urtext“ der griechischen Bibelübersetzung
P. A. de Lagarde und die „Einheitshypothese“
P. Kahle und die „Targumhypothese“
Die Rekonstruktion der Geschichte eines Textes verlangt die Annahme eines Ausgangspunktes seiner Überlieferung. Bereits der Orientalist und Theologe Paul Anton de Lagarde (1827–1891; ursprünglich Paul Anton Boettiger – den Namen de Lagarde legte er sich 1854 nach dem Namen seiner Adoptivmutter zu) vertrat die Auffassung, daß alle existierenden Septuagintacodices auf eine der großen christlichen Rezensionen des Origenes, des Lukian und des Hesychius (s. u. 96) als „Archetypus“ zurückzuführen seien. Erste Aufgabe einer methodischen Septuagintakritik sei daher die Ermittlung dieser drei kirchlichen Rezensionen. Als „archetypische“ Basis dieser Rezensionen sei sodann eine früheste Fassung der Bücher der griechischen Bibel rekonstruierbar, so wie sie aus den Händen ihrer jüdischen Übersetzer in die Hände der ersten Abschreiber überging („Urtext-Theorie“ bzw. „Einheitshypothese“). Auch heute noch gibt es entschiedene Befürworter dieser These, die davon ausgeht, daß es einen griechischer Text der jüdischen Heiligen Schriften gegeben haben muß, der als faßbarer Ausgangspunkt der pluriformen Entwicklung der späteren Textgeschichte bezeichnet werden kann. In der Tat ist zu beobachten, daß die erhaltenen Einzelmanuskripte und (aufgrund ihrer gemeinsamen Charakteristika, d. h. der ihnen gemeinsamen Varianten und Schreibfehler zusammengestellten) Überlieferungsgruppen und Textfamilien der Septuaginta durchgängig das Resultat eines mehr oder weniger eklektischen Verfahrens bieten, dessen Rekonstruktion mittels der Textkritik eine relative chronologische Ordnung der Zeugen ergibt, die ihrerseits einen Anfang haben muß. Seit langem strittig ist jedoch die These, die Textgeschichte eines jeden Buchs ließe sich auf eine einzige „Urübersetzung“ zurückführen. Die Gegenposition zur Auffassung de Lagardes ist verbunden mit dem Namen des Alttestamentlers und Orientalisten Paul Kahle (1875–1964), der vehement die Meinung vertrat, es seien von Anfang an gleichzeitig an verschiedenen Orten mehrere unterschiedliche Übersetzungen der jüdischen
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Verhältnis zwischen hebräischem und griechischem Bibeltext
Heiligen Schriften angefertigt worden, entstanden als „griechische Targumim“ aus dem liturgischen Bedürfnis der Synagogengemeinden heraus, den unverständlich gewordenen hebräischen Text dieser Schriften zu aktualisieren („Vulgärtext-Theorie“ bzw. „Targumhypothese“). Als Beispiel für die frühe Erwähnung solcher älteren differenten Übersetzungen führt Kahle den Aristeasbrief an, dessen anonymer jüdischer Verfasser vom „Gesetz, das schon früher, aber ungenau übersetzt worden war“ (Arist 314), schreibt. Der pseudepigraphe Briefroman sei, so Kahle, als Apologie eines alexandrinischen „Standardtextes“ der jüdischen griechischen Bibelübersetzung zu interpretieren, der die zur Zeit seiner Abfassung nebeneinander existierenden und kursierenden älteren Übersetzungen zusammenfaßte und revidierte. Der einheitliche Text der griechischen Bibel sei demnach nicht der Beginn, sondern das Resultat ihrer Entstehungsgeschichte; Varianten in der Textüberlieferung seien also in Wahrheit auf die von Beginn an plurale Quellensituation zurückzuführen. Gegen die These de Lagardes spricht vor allem, daß aufgrund des Fehlens eines normativen hebräischen „Urtextes“ der jüdischen Heiligen Schriften als Vorlage ihrer Übertragung ins Griechische auch eine „Urübersetzung“ nicht zu erwarten ist. Zudem gab es im Judentum zu keiner Zeit eine zentrale Kontrollinstanz, die in der Lage gewesen wäre, einen autoritativen und normativen griechischen Standardtext gegenüber den alternativen Übersetzungen durchzusetzen. Richtig und wichtig ist seine Beobachtung, daß sich mit dem Fortschreiten des Überlieferungsprozesses der Septuaginta einige durchgängige Tendenzen der Textentwicklung erkennen lassen, so etwa eine zunehmende wörtliche Nähe zu der im Umfeld der Abschreiber gebräuchlichen hebräischen Textform bzw. späterhin zum standardisierten MT. Griechische Manuskripte, deren Text dieser Tendenz nicht entspricht, sondern deren idiomatische Textwiedergabe sich im Vergleich mit den alternativen Lesarten als besonders eigenständig erweist, können deshalb den Anspruch erheben, dem Ausgangspunkt der Texttransmission relativ nahe zu kommen. Aber auch die de Lagardes Auffassung entgegengesetzte These Kahles bedarf angesichts der Textfunde aus der Wüste Juda einer differenzierenden Modifikation. So wurde zwar von den Prophetenbüchern und Hagiographen zunächst wohl nur das übersetzt, was im Leben der jüdischen Gemeinschaften, die diese Schriften lasen und tradierten, von Interesse war bzw. was eine aktuelle Funktion im Kontext ihrer Weltdeutung und Lebensgestaltung hatte. Hier ist tatsächlich an manchen Stellen mit großer Sicherheit anzunehmen, daß unabhängig voneinander an mehreren Orten und auf der Grundlage unterschiedlicher Vorlagen desselben Buchs geleistete eigenständige Übersetzungsarbeiten erst nachträglich zu Textfamilien zusammengeflossen sind. Hinsichtlich der Tora, deren identitätstiftende Bedeutung für die Gesamtheit der jüdischen Gemeinden (insbesondere in der Diaspora) von weitaus höherer Bedeutung war, könnte es sich aber auch so verhalten haben, daß sich hier im antiken Judentum bereits sehr früh bestimmte Verständnistraditionen des hebräischen Konsonantentextes mehrheitlich durchgesetzt haben (wenngleich auch hier noch kein „Standardtext“ vorlag), was dazu führte, daß seine idiomatische Übertragung ins Griechische in größerem Umfang und viel früher, als es bei den Überset-
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Die Septuaginta als Übersetzung
Daniel als Prophet
zungen von Propheten und vor allem bei den Weisheitsbüchern der Fall war, durch ihre hebräische Textvorlage (bzw. durch dessen traditionellen Textsinn) determiniert wurde, welche ihrerseits der protomasoretischen Textform entsprach. Als direkter Gegensatz zu einer solchen betonten Orientierung der griechischen Übersetzungen an ihren hebräischen Vorlagen, die bereits zuvor als inspiriert bzw. als Prophetie verstanden wurden, kann die große übersetzerische Freiheit der – wahrscheinlich bald nach seiner Entstehung noch im 2. Jahrhundert v. Chr. durchgeführten – ursprünglichen Übertragung des Danielbuchs angeführt werden (Daniel galt im antiken Judentum zunächst noch nicht als ein Prophet, was sich auch in der Stellung des Buchs in den späteren Sammlungen jüdischer Heiliger Schriften widerspiegelt; Codex Cairensis [geschrieben von Mosche ben Ascher im Jahre 895 n. Chr.], eine der nach den Textfunden vom Toten Meer wohl ältesten bislang bekannten hebräischen Bibelhandschriften, bietet die sog. vorderen und hinteren Propheten ohne das Danielbuch). In den christlichen Septuagintacodices gehört Dan hingegen grundsätzlich zu den prophetischen Schriften). Auch die Einschaltungen, Zusätze und „imitativen“ Fortschreibungen im unmittelbaren Überlieferungsbereich dieser Schrift (s. o. 22) können in diesem Zusammenhang angeführt werden. Erst nachträglich, als auch Daniel in Judentum (vgl. Josephus, Ant. X 266 f.) und Christentum (vgl. Mk 14,62; Mt 24,15) als ein Werk prophetischer Weissagung galt, wurde diese bemerkenswert „freie“, targumartig übersetzende griechische Bearbeitung (vgl. z. B. Dan 6,4.6; 9,27; 12,13) nach einem protomasoretischen hebräischen Danieltext revidiert. Durch die nachhexaplarische kirchliche Rezeption dieser genaueren, dem jüdischen Bibelübersetzer Theodotion zugeschriebenen Version wurde der „offene“ ältere griechische Danieltext fast völlig verdrängt (s. u. 91). In den modernen Textausgaben der Septuaginta (und in LXX.D) finden sich beide Versionen des Danielbuchs. Berücksichtigt man sowohl die prinzipielle Pluriformität der hebräischen Vorlagen und die Uneinheitlichkeit des jahrhundertelangen Übersetzungsprozesses, als auch die normgebende Bedeutung der bestimmenden Verständnistraditionen des hebräischen Textes insbesondere auf die griechische Übersetzung des Pentateuchs, dem eine ganz besondere Offenbarungsqualität zuerkannt wurde, ist es möglich, die existierenden Septuagintamanuskripte zu analysieren, die Varianten anhand ihrer gemeinsamen formalen und inhaltlichen Charakteristika in eine geordnete Beziehung zu bringen, und nach den Ursprüngen der Textentwicklung zu fragen. Auf dieser Basis und anhand eines systematischen Vergleichs der griechischen Übersetzungen der jüdischen Heiligen Schriften mit ihren hebräischen Vorlagen lassen sich (unter der Arbeitshypothese einer einheitlichen Entstehung der Übersetzung des betreffenden Buchs bzw. Buchteils) weiterführende Aussagen über die kulturellen Rahmenbedingungen und theologischen Anliegen der antiken Übersetzer und ihrer unmittelbaren Adressaten treffen.
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2. Übersetzungstechniken Eine schriftliche Übersetzung ist die fixierte Form der Bedeutungsvermittlung eines Textes durch seine Wiedergabe in eine andere Sprache. Die Voraussetzungen einer idealen Übersetzung, die sowohl Äquivalenzforderungen berücksichtigt als auch verständliche Texte produziert, sind zum einen ein möglichst umfassendes Textverständnis bzw. die Fähigkeit zur adäquaten Interpretation der ausgangssprachlichen Vorlage und zum anderen Präzision und optimale Ausdrucksfähigkeit unter weitestgehender Berücksichtigung der konkreten Rezeptionsbedingungen ihrer zielsprachlichen Wiedergabe. Auch die Übersetzung der hebräischen Heiligen Schriften verlangte von den Ausführenden im Idealfall nicht nur einen hohen Grad an ausgangssprachlicher und zielsprachlicher Kompetenz, sondern auch die genaue Kenntnis der Verständnistradition des übersetzten Textes und des Verwendungszwecks seiner Übertragung in die Zielsprache. Während bei ausgangssprachlich orientierten Übersetzungen, für die der Sprachgebrauch der Vorlage maßgeblich ist, immer wieder das Problem ihrer mangelnden Verständlichkeit besteht, sind zielsprachlich orientierte (idiomatische) Übersetzungen, die sich nach dem Sprachgebrauch der Adressaten richten und von ihnen ohne weitere Vorkenntnisse zu verstehen sind, stets davon bedroht, den Textsinn ihrer Vorlage zu verfehlen. Das hierdurch skizzierte Grundproblem der komplexen Beziehung zwischen Ausgangstext und Zieltext betrifft auch die griechische Bibelübersetzung. Bereits eine oberflächliche vergleichende Lektüre der verschiedenen Bücher der Septuaginta zeigt, daß jeder ihrer jeweiligen Übersetzer, die ihr Werk zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten vollbracht haben, bestimmte charakteristische Eigenheiten hatte, die ihn von den anderen Übersetzern unterscheiden, sei es hinsichtlich seiner ausgangs- bzw. zielsprachlichen literarischen Kompetenz, sei es hinsichtlich seiner Bildung und Ausdrucksfähigkeit, oder sei es hinsichtlich seiner kulturellen Prägung, Gruppenzugehörigkeit und theologischen Überzeugung. Die Septuaginta ist also keine homogene Größe wie etwa die lateinische Vulgata, die Übersetzungsleistung des Hieronymus (s. u. 98 f.). Es scheint, als ob keiner der Übersetzer mehr als eine Schrift bearbeitet hat, auch wenn in manchen Partien die Existenz von „Übersetzerschulen“ mit gemeinsamen Charakteristika anzunehmen ist. Ein einheitliches sprachliches Profil solcher Schulen ist allerdings nicht deutlich zu erkennen. Die griechische Übersetzung eines jeden Buchs ist deshalb zunächst als ein individuelles Dokument zu betrachten; die Form des Codex, in dem sie im späteren Verlauf ihrer kirchlichen Überlieferung zusammengestellt und unter Anfügung des neutestamentlich gewordenen Schrifttums gemeinsam tradiert wurden (s. o. 14 f.), bot ihren christlichen Tradenten und Rezipienten den gewollten Eindruck einer kontinuierlichen Offenbarung Gottes im Alten und Neuen Testament (s. u. 103), vermittelte ihnen dabei jedoch den unzutreffenden Eindruck von literarischer Einheitlichkeit. Zur Zeit der Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften gab es keine „Übersetzungstheorie“; vielmehr war die Übertragung fremdsprachiger Bücher ins Griechische in der Antike unüblich. Die Übersetzer konnten also nicht auf Bewährtes zurückgreifen, sondern mußten eigene Richtlinien für
Grundprobleme des Übersetzens
Methoden der Übersetzer
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ihre Textübertragung entwickeln. Die Übersetzer der jüdischen Heiligen Schriften waren bestrebt, jüdische Dinge auf Griechisch so zum Ausdruck zu bringen, daß sie jüdisch bleiben und dennoch von Griechen verstanden werden. Es ist deutlich zu erkennen, daß die von ihnen bei diesem diffizilen Unternehmen angewandten Methoden (von denen sich einige später auch in der rabbinischen Exegese finden) ganz wesentlich durch den individuellen Charakter der verschiedenen Ausgangstexte bestimmt wurden. Zu berücksichtigen waren zunächst die Textgattung und die (angenommene) Funktion ihres Ausgangstextes. Je und je unterschiedlich waren auch die formgebenden Anforderungen, die an den Zieltext, das literarische Produkt ihrer Übersetzungsarbeit gestellt wurden. So waren bei einer zuverlässigen Übersetzung für den Gebrauch im Lehrbetrieb, der vor allem Traditionsgebundenheit und Genauigkeit erforderte, andere Eigenschaften notwendig als bei einer Übersetzung zur liturgischen Verwendung im Gottesdienst, bei der auch ästhetische Kategorien eine Rolle spielten. Bereits durch die Auswahl des griechischen Äquivalents für ein einzelnes hebräisches Wort oder einen Ausdruck war hierbei ein deutender Zugriff des Übersetzers möglich. Es bedarf deshalb einer möglichst umfassenden Erhebung der jeweils angewandten Übersetzungsmethoden, um das anfängliche Profil einer solchen Übersetzung eines Buchs zu erkennen und um spätere Änderungen und Eingriffe im Verlauf seiner Textgeschichte hiervon unterschieden zu können. Zudem gilt es hierbei stets zu berücksichtigen, daß sich unser Bestreben nach Kohärenz und Konkordanz des übersetzten Textes durchaus nicht in jedem Fall mit den Fähigkeiten, Arbeitstechniken und Interessen der antiken Bibelübersetzer deckt. Die Grammatik eines Textes regelt die Anordnung seiner sprachlichen Elemente und ihre Interaktionen. Sie legt mögliche Bezüge und dadurch entstehende Veränderungen der einzelnen Elemente fest. Notwendige Interpretationsschritte bei der Anfertigung der griechischen Bibelübersetzung waren deshalb zunächst die morphologische, syntaktische und semantische Analyse der jeweiligen Vorlage. Der linguistischen Identifizierung des hebräischen Textes bzw. der Feststellung aller Formen und der strukturellen Beziehungen der Wörter untereinander folgte deren semantische Bestimmung. Erst auf dieser Basis konnte ihre stilistische Durchdringung und die inhaltliche Interpretation des transportierten „Sinns“, d. h. der spezifischen Aussage- und Wirkabsicht, und schließlich die Suche nach passenden griechischen Äquivalenten erfolgen. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der formale Bestand des als Sequenz von hebräischen Konsonanten festgelegten Textes wurde dabei (in Anlehnung an die stoische Vorstellung, daß die Sprache das wahre Wesen der Dinge abbildet) häufig als Sinnträger gesehen. Diese Vorstellung von der Sinnhaftigkeit sämtlicher sprachlicher Formen in den heiligen Schriften konnte sich auf die Art, Zahl und Anordnung von Wörtern, Teilsätzen und ganzen Sätzen beziehen. Erschien dem jüdischen Übersetzer eine Aussage, eine Phrase oder auch nur ein Buchstabe innerhalb des literarischen Kontexts als scheinbar überflüssig und unnötig, wurde dem vorfindlichen hebräischen Bibeltext dennoch (bzw. gerade deshalb) eine – eben verborgene – tiefere Bedeutung zuerkannt, die während des Übersetzungsprozesses, auch
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unter Ausschluß des Wortsinns, mittels geeigneter Auslegungsverfahren erhellt werden mußte. Eine treffende Übersetzung enthält den Textsinn (d. h. das Sinnpotential) des übersetzten Textes und das Verständnis, das sein Übersetzer von ihm hat bzw. die während des Übersetzungsvorgangs durch die Aktivierung gespeicherten Wissens erzeugt wird. Beides muß durchaus nicht deckungsgleich sein, sondern der Übersetzungsprozeß kann zu sinnverändernden Unterschieden zwischen Ausgangstext und Zieltext führen, zumal dann, wenn die Übersetzer größere Texteinheiten vor sich hatten als die Verfasser der hebräischen Originale. Wenn es in ihrer Vorlage ein bestimmtes Wort für einen Gegenstand gab, den die Welt der Zielsprache nicht kannte, kamen sie beim Übersetzen um einen Abstrich beim Inhalt nicht herum. Mußten sie einen solchen Gegenstand oder die jeweiligen Vorstellungen über ihn erst einführen, gingen sie nicht selten über den Inhalt des Originals hinaus und fügten zusätzliche Erläuterungen ein, die die Differenz zwischen den verfügbaren Vorstellungen über diesen Gegenstand ausglichen. Die Übersetzer der jüdischen Heiligen Schriften standen grundsätzlich vor der Entscheidung, entweder den verbindlichen hebräischen Text (der im Falle der Tora als offenbartes Gotteswort galt) auch dort, wo er keinen Sinn zu ergeben schien, möglichst unverändert wiederzugeben oder aber die maximale Deutlichkeit und Verständlichkeit seiner Übersetzung gemäß der – auch für sie leitenden – sprachlichen, kulturellen und theologischen Kategorien ihrer griechischsprechenden Adressaten zu gewährleisten, ohne dabei eine eigenständige Auslegung zu produzieren. Ihre Arbeit konnte also entweder darauf abzielen, den Leser dem Original nahezubringen, oder darauf, das Original dem Leser nahezubringen. Während die erstere Zielsetzung dadurch erreicht werden konnte, daß man die hebräische Vorlage ohne jede Beachtung von Kontext, Stil und Textstruktur streng wörtlich nach dem Konkordanzprinzip (und möglichst auch in der Wortfolge des Originals) ins Griechische übertrug, wurde das letztere – rezeptionsorientierte – Vorhaben dadurch ermöglicht, daß der Ausgangstext unter grundlegender Berücksichtigung seiner Form, seines Inhalts, seines Makrokontexts, seines „ursprünglichen“ Sitzes im Leben und seiner bekannten Verständnistradition mittels Umstellungen, Auslassungen, Zusätzen und Einfügungen interpretativer Elemente, Paraphrasen, Verdeutlichungen, Spezifizierungen, literarischer Stilmittel usw. vom Übersetzer gedeutet, systematisch abgeändert und so in die Gedankenwelt seines Lesepublikums übertragen wurde. Die unterschiedlichen Übersetzungen der biblischen Bücher, die sich mitunter durchaus als Ausdruck des Bemühens um kulturelle Annäherung oder um Abgrenzung bewerten lassen, bewegen sich allesamt zwischen den durch diese modellhaften Übersetzungsweisen markierten Extremen. Hinzu kommt, daß die Übersetzer sich nicht selten von der bestimmenden Tradition leiten ließen, was sich in der Durchdringung des übersetzten Textes mit der Auslegung und in seiner fortschreitenden theologischen Reflexion konkretisiert. Um die hebräische Vorlage der griechischen Übersetzung eines Buchs charakterisieren zu können, ist deshalb nicht nur nach dem Ausgangspunkt der griechischen Textüberlieferung zu fragen, sondern es müssen auch die
Textsinn und Textverständnis
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Übersetzung ist immer Interpretation?
Eigenständigkeit der Übersetzung
Arbeitsweise seines Übersetzers und die (historischen, kulturellen und insbesondere religiösen) Rahmenbedingungen seiner Arbeit so umfassend und so genau wie möglich erhoben werden. Anzumerken ist an dieser Stelle, daß ein oberflächliches Verständnis des geläufigen Verdikts: „Übersetzung ist immer Interpretation“ eine differenzierende Sicht auf die unterschiedlichen Funktionen antiker Bibelübersetzungen versperrt. Zwar schließt die Tätigkeit des Übersetzens selbstverständlich die Tätigkeit des verstehenden Interpretierens ein und können deshalb auch Textveränderungen, die nicht in einer bestimmten Absicht getätigt werden, inhaltlich aussagekräftig sein, doch wurden mit der Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften andere Ziele verfolgt als mit ihrer Auslegung. Die literarischen Produkte ihrer Übersetzung und ihrer Interpretation gehören unterschiedliche Texttypen an und verfolgen unterschiedliche Absichten. Während nämlich eine Übersetzung, der ein normativer Anspruch zuerkannt wird, ihre Vorlage ersetzen will und sogar ihre Autorität beansprucht, dient der auslegende Text prinzipiell allein der komplementären Ergänzung seiner Vorlage, denn er nimmt auf sie Bezug und bringt sie in deutender Weise mit externen Faktoren in Zusammenhang (s. u. 119 f.). Die Übertragung der jüdischen Heiligen Schriften ins Griechische ist ihrem Wesen nach zunächst keine eigenständige Textauslegung, sondern Übersetzung. Nicht hinter jeder Differenz zwischen dem vorliegenden griechischen Text und seiner hebräischen Vorlage muß deshalb deren absichtliche Interpretation durch den Übersetzer (oder einen späteren Abschreiber) stecken, zumal die Vorstellung völliger Übereinstimmung von Vorlage und Übersetzung in der Antike unbekannt war. Die Bibelübersetzer waren bestrebt, die Botschaft des hebräischen Textes (bzw. das, was sie als seine Botschaft ansahen) in griechischer Sprache wiederzugeben und ihrer durch den Hellenismus geprägten Leserschaft zugänglich zu machen. Sie fühlten sich dabei zwar ihrer jeweiligen literarischen Vorlage verpflichtet und an ihren Wortlaut gebunden, nutzten bei ihrer Übersetzungspraxis aber auch die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten, die ihnen das Griechische ermöglichte; sollte das Produkt ihrer Arbeit doch den individuellen Verstehensmöglichkeiten ihres jeweiligen Leserkreises entsprechen und innerhalb unterschiedlicher Gemeinschaftsformen und Lebensvollzüge Verwendung finden. Der übersetzte Text sollte dabei (mit Ausnahme späterer jüdischer Alternativübersetzungen; s. u. 87 ff.) auch ohne den hebräischen Text verständlich sein. Mit der Sprache der zeitgenössischen Mehrheitskultur, der Koine, stand ihnen hierfür ein aufgrund ihres großen Vokabulars und differenzierten Syntax überaus leistungsfähiges und flexibles Medium zur Verfügung. Die griechische Übersetzung machte den Bibeltext oft kohärenter und widerspruchsfreier als das hebräische Original; allerdings scheint dabei an manchen Stellen eine schwer verständliche Vorlage von ihrem Übersetzer auch unter bewußter Beibehaltung ihrer Problematik übertragen (bzw. von einer späteren Hand nachträglich an den hebräischen Text angeglichen) worden zu sein, was als Ausdruck der angestrebten Treue gegenüber dem maßgeblichen hebräischen Original der jüdischen Heiligen Schriften zu verstehen ist. Eine grundlegende Schwierigkeit bei der Übersetzungstätigkeit bestand
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zunächst darin, daß die semitische Sprache des Ausgangstextes und die indogermanische Zielsprache hinsichtlich ihrer Ausdrucksmöglichkeiten und Strukturen in mehrfacher Hinsicht differierten. Hebräisch und Griechisch weisen unterschiedliche grammatische Strukturen auf. Beispielsweise besitzt die griechische Sprache ein anderes Tempussystem als das Hebräische. Weiterhin werden Substantive im Griechischen nicht durch den Status constructus und durch Präpositionen flektiert, sondern durch den Kasus. Wird ein hebräisches Substantiv durch den Artikel determiniert, kann es andere syntaktische Funktionen als das griechische Substantiv mit Artikel haben. Bei grammatischen Konstruktionen, die es im Griechischen nicht gab, mußten die antiken Bibelübersetzer deshalb immer wieder vom Wortlaut ihrer Vorlage abweichen, wenn die Zielsprache ihnen sonst keine andere Möglichkeit ließ, einen verständlichen Text zu produzieren. So werden z. B. kausative hebräische Verbformen häufig unter Hinzufügung des Hilfsverbs ποιε4ν übersetzt (z. B. Ex 23,33). Ein „kunstvoller“ Stil begegnet auch in poetischen Partien eher selten, da es den Übersetzern eher auf den Inhalt als auf die Form ankam. Allein einige Texte in gebundener Sprache, deren besonders feierlicher Charakter betont werden sollte (einzelne Psalmen und kleinere Partien der Prophetenbücher), wurden im pathetisch überladenen Stil der späten griechischen Kunstprosa übersetzt. Nicht selten verstößt das Griechisch der Septuaginta gegen „klassische“ Regeln und weicht in manchen Punkten vom zeitgenössischen literarischen Sprachgebrauch der levantinischen Koine ab; auf gebildete griechische Leser wird diese eigentümliche Sprache sicher recht fremdartig und von geheimnisvoller Exotik (vgl. Pseudo-Longinus, De sublimitate IX 9 [s. o. 9]), zuweilen wohl auch einfach „holprig“ gewirkt haben. Zu diesem Eindruck tragen auch zahlreiche syntaktische und lexikalische Hebraismen (z. B. Gen 4,5) sowie einige Aramaismen (z. B. Ex 12,19) im griechischen Text bei. Zuweilen wurde die hebräische Diktion ohne Rücksicht auf das Griechische nachgeahmt (vgl. z. B. Ri 4,4; Ps 82 [LXX 81],2; 1. Makk 1,29). Gerade an Stellen wie diesen begegnet dem Leser, der des Hebräischen unkundig ist, gehäuft das Problem mangelnder Verständlichkeit der Übersetzung. Beispielsweise basiert der eigenwillige griechische Text von 1. Makk 1,44 κα* 8πωτειλεν < βασιλε=ς βιβλ α /ν χειρ* 8γγλων „Und der König sandte Briefe durch (wörtlich: „in der Hand von”) Boten“ auf einer hebräischen Wendung, die zwar dem Wortsinn nach „in der Hand von“ lautet, aber oft im Sinne der Präposition „durch“ verwendet wurde (vgl. Gen 38,20; Lev 16,21; Num 4,28). Ebenso beruht der griechische Text von 1. Makk 3,15 κα* προσ+ετο κα* 8νβη µετ> α?το παρεµβολ. 8σεβ!ν @σχυρ) „Und wiederum zog (wörtlich: es fügte sich hinzu und es zog“) ein gewaltiges Heer von Gottlosen mit ihm herauf“ auf einer analogen hebräischen Verbindung zweier Verben, von denen das erste das wiederholte Geschehen der durch das zweite ausgedrückten Handlung zum Ausdruck bringt (vgl. Gen 37,8; Ri 3,12; 4,1; 10,6; 1. Sam [= LXX 1. Kön] 7,13; 2. Sam [= LXX 2. Kön] 2,28; 5,22; 1. Chr 14,13; Ps 78 [LXX 77],17). Während das Verb Aµνυµι („schwören“) im klassischen Griechisch generell mit dem Akkusativ oder mit der Präposition πρς („bei“) steht, zieht es in der Septuaginta regelmäßig die Partikel /ν nach sich, was als gewollte Übersetzung der Verbindung des bedeutungsglei-
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Hebraismen
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Die Septuaginta als Übersetzung
Wortwahl
chen hebräischen Verbs ŠBAB nif. mit der nachfolgender Präposition Be zu verstehen ist. Die häufigen Verbindungen eines griechischen Partizips mit einer folgenden finiten Form desselben Verbs wie βασιλε,ων βασιλε,σεις („du wirst als König herrschen“; wörtlich: „als König herrschend wirst du herrschen“ [Gen 37,7]), /λθντες /λευσµεθα („wir werden gelaufen kommen“; wörtlich: „laufend werden wir laufen“ [Gen 37,10]) oder φυλ)σσων φυλ)ξDη („halte genau ein“; wörtlich: „einhaltend wirst du einhalten“ [Dtn 6,17]) entsprechen dem hebräischen Gebrauch des absoluten Infinitivs als inneren Objekts zur verstärkenden Näherbestimmung einer unmittelbar folgenden finiten Verbform der gleichen Wurzel (Figura etymologica). Es wurde bereits angesprochen, daß die durchgängig anzutreffenden Hebraismen in der Septuaginta nicht als Belege für die Existenz eines besonderen „judengriechischen“ Dialekts zu verstehen sind, sondern in erster Linie durch das Streben der jüdischen Übersetzer nach Treue gegenüber ihrer literarischen Vorlage bzw. der hebräischen Ausgangssprache bedingt sind (s. o. 63 f.). Die Sprache der Septuaginta ist kein eigenes, sich von der Koine unterscheidendes Idiom, sondern entspricht mehrheitlich der zeitgenössischen griechischen Alltagssprache in großen Teilen des Mittelmeerraums. Es ließe sich indes darüber mutmaßen, ob solche und ähnliche Hebraismen (ausgehend von ihrer biblischen Verwendung) gerade in der Diaspora auch im Alltag des griechischsprachigen Leserkreises der jüdischen Heiligen Schriften aktiv gebraucht wurden, um als Bestandteil der Sprache einer „In-Group“ in der Kommunikation mit Juden und Nichtjuden der eigenen Selbstvergewisserung durch Betonung der kultischen und religiösen Eigenständigkeit zu dienen. Die Übersetzer der Septuaginta verfolgten zumeist nicht bewußt die Absicht, ihre schriftlichen Vorlagen zu interpretieren. Dennoch enthält bereits ihre Wortwahl ein gutes Stück Interpretation, denn sie überträgt den tradierten hebräischen Text unter Verwendung der zeitgenössischen griechischen Umgangssprache und der durch sie transportierten Weltdeutung. Der Wortschatz dieser Sprache ist in seinem semantischen Gehalt weitgehend von den gesellschaftlichen und kulturellen Zuständen sowie von den theologischen Entwicklungen geprägt, die diese Übersetzer umgaben und beeinflußten. Bei ihrer Auswahl von zielsprachlichen Übersetzungsäquivalenten mußten sie sich daher immer wieder von neuem entscheiden, welches griechische Wort und welche Wendung sowohl eine möglichst große Teilmenge des zuvor determinierten Bedeutungsspektrums eines hebräischen Wortes oder einer Wendung wiederzugeben vermochte als auch dem jeweiligen literarischen Kontext und den Verstehensmöglichkeiten der Adressaten möglichst angemessen war. Je exakter ein solcher semantischer Gehalt eines Wortes oder einer Wortverbindung bereits im Hebräischen definiert war, desto eher waren Vokabelgleichungen möglich; je mehr die Übersetzung festgelegte Äquivalente benutzte, desto wörtlicher war sie. Sehr häufig bestimmte der Gebrauch eines Wortes im Pentateuch seine Bedeutung in den später übersetzten Büchern; die griechische Toraübersetzung wurde sukzessive zu einem sprachlichen System, mit dessen Bausteinen und Sprachmöglichkeiten man kreativ umgehen konnte; man kann sie geradezu als „Wörterbuch“ der Mehrzahl der späteren „nachpentateuchischen“ Bibelübersetzungen bezeichnen, die weitgehend aus ihrem Sprach-
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reservoir schöpften. Ihre eigene relative lexikographische Homogenität, die wohl darauf beruhte, daß die Toraübersetzer in Alexandria bereits auf Wörterlisten aus dem synagogalen Schriftgebrauch zurückgreifen konnten (s. o. 47), scheint auch darin begründet zu sein, daß ihr Charakter als normatives Gesetzeswerk das Bemühen provozierte, bereits gefundene Definitionen möglichst einheitlich in die Zielsprache zu übernehmen und hier umfassend wiederzugeben. Beispielsweise stammt die Vorstellung, daß die in 1. Chr 28,18 erwähnten goldenen Cheruben die Bundeslade „überschatten“ (σκιαζντων), sicher aus der Tora (Ex 25,20; 38,8; vgl. dagegen 1. Kön 8,7). Einem solchen Streben nach Vereinheitlichung der Übersetzung nach den Maßgaben bereits vorliegender Texteinheiten entgegen stand das Bemühen um eine möglichst adäquate und genaue Wiedergabe des Sinngehalts der hebräischen Vorlage. Nicht nur in den Übersetzungen der Prophetenbücher und Hagiographen wurde ein häufiges hebräisches Wort mit einem breiten und deshalb (insbesondere in theologisch bedeutsamen Kontexten) als nicht hinreichend präzise empfundenen Bedeutungsspektrum bei seiner Wiedergabe zuweilen unter Berücksichtigung seiner jeweiligen kontextuellen Verwendung inhaltlich konkretisiert oder differenziert. So gehen beispielsweise die griechischen Begriffe 8γγελ α „Botschaft“ (Spr 12,25); γρ)µµα „Buchstabe“ (Est 4,3); Eργον „Werk“ (1. Kön [= LXX 3. Kön] 18,36); κρ µα „Gericht“ (Ex 18,22); λγος „Wort“ (Gen 34,18); πρFγµα „Sache“ (Ex 1,18); τρπος „Art und Weise“ (Num 18,7) und φων „Laut, Stimme“ (Gen 15,4) allesamt auf dasselbe hebräische Substantiv Dabar zurück. Diese Einengung der Wortbedeutung diente zumeist der von den Übersetzern als notwendig erachteten Präzisierung und Deutung des hebräischen Textsinns. So läßt sich im griechischen Psalter deutlich erkennen, daß verschiedene Arten von Sünde, die mit unterschiedlichen hebräischen Wörtern bezeichnet werden (Ps 5,6: „Falschheit“; Ps 18 [LXX: 17],5: „Nichtsnützigkeit“; Ps 26 [LXX: 25],10: „Sünde der Unzucht“; Ps 139 [LXX: 138],24: „Kränkung“; Ps 55 [LXX: 54],10: „Gewalttat“; Ps 49 [LXX: 48],6: „Verkehrtheit“; Ps 37[LXX: 36],1: „Ungerechtigkeit“; Ps 31 [LXX: 30],19: „Frechheit“ und Ps 7,15: „Lüge“) allesamt durch den Begriff 8νοµ α („Gesetzlosigkeit“) wiedergegeben werden, was darin begründet ist, daß der Übersetzer sämtliche Sünden als Sünden gegen den νµος, d. h. gegen die Tora verstand. Besonders augenfällig wird diese interpretierende, theologisch reflektierende Wortwahl auch in der Ersetzung des hebräischen Wortes acharit („was danach kommt“) in Jes 46,10 durch τ Eσχατα („was zuletzt kommt“). Auch aus dem generellen Bedeutungsumfang eines bestimmten griechischen Wortes wurde bei seinem speziellen Gebrauch bei der Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften häufig nur ein Teilbereich ausgewählt. Während etwa δξα im allgemeinen Wortgebrauch der Koine auch für „Ansicht“, „Meinung“ oder „Vermutung“ stehen kann, bedeutet das Wort in der Septuaginta (und hiervon beeinflußt später auch im Neuen Testament und in der frühchristlichen Literatur) allein „Ansehen“, „Ehre“ oder „Ruhm“. Ebenso konnte im zeitgenössischen allgemeinen Wortgebrauch νµος für „Brauch“, „Sitte“ oder „Gewohnheit“ stehen, während das Wort in der griechischen Bibel zumeist „Satzung“ oder „Gesetz“ (bzw. die Mo-
Streben nach Vereinheitlichung der Übersetzung
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„problematische“ Begriffe
Neologismen
segesetzgebung in ihrer Gesamtheit) bedeutet. Andere griechische Wörter (viele Bücher der griechischen Bibel haben bestimmte Lieblingsvokabeln, in deren charakteristischer Verwendung sich die Einheit des Textes spiegelt) haben ihre Bedeutung unter dem Einfluß des übersetzten hebräischen Begriffs zum Teil erheblich verändert, so etwa das Wort Gγγελος, das in der Koine zunächst nur den „Boten“ bezeichnet. Unter dem Einfluß des hebräischen Wortes zur Bezeichnung eines „Boten Gottes“, eines „Engels“, bekommt der Begriff im Kontext der griechischen Bibel eine neue (und hier fortan bestimmende) religiöse Bedeutung. Weitere Beispiele solcher Verschiebungen des semantischen Gehalts eines Wortes in der Septuaginta (und in der von ihr geprägten Literatur) sind σ)ρξ („Fleisch“), δικαιοσ,νη („Gerechtigkeit“), συναγωγ („Versammlung“) oder διαθκη („Vertragsverfügung“). Es ist bemerkenswert, daß in der Septuaginta zur Bezeichnung des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel durchgängig nicht das gebräuchliche griechische Wort für „Bund“ (συνθκη), sondern der Begriff διαθκη Verwendung findet, der im Gegensatz zu jenem den einseitigen Charakter eines Rechtsverhältnisses zum Ausdruck bringt. Diese Akzentsetzung scheint beabsichtigt, wollte man sich doch den allmächtigen Gott Israels nicht als „gleichberechtigten Vertragspartner“ vorstellen. Hinsichtlich ihrer allgemeinen Verwendung als problematisch empfunden wurden von den Übersetzern wohl auch griechische Ausdrücke, die in der hellenistischen Philosophie bestimmte fixierte Bedeutungen hatten. Es fällt auf, daß solche Termini in der Septuaginta fast ausschließlich in die Bereiche der Ethik und der Psychologie aufgenommen wurden; z. B. bedeutet der Begriff δι)νοια in der antiken Philosophie speziell das „reflektierende Bewußtsein“, wohingegen er in der griechischen Bibel in Entsprechung des allgemeinen Wortgebrauchs generell für das „Denkvermögen“ steht. Insbesondere das griechische Psalmenbuch folgt nicht der dualistischen Anthropologie der griechischen Philosophie, wonach der Mensch aus σ!µα („Körper“) und ψυχ („Seele“) besteht, sondern verwendet diese beiden Begriffe in Entsprechung der traditionellen biblischen Anthropologie durchweg als Termini für die eine menschliche Gesamtperson. Zu beachten ist an dieser Stelle, daß die vom Übersetzer intendierte „Spezialbedeutung“ einer Vokabel von seinem Lesepublikum nicht unbedingt in der von ihm beabsichtigten Weise verstanden wurde, zumal es im Gegensatz zu jenem zumeist kein Hebräisch verstand und deshalb die ursprünglich intendierte Wortbedeutung der Vorlage nicht kannte. Wahrscheinlich ist ein Traditionsprozeß, in dessen Verlauf sich ein solcher spezieller Gebrauch des Septuagintavokabulars innerhalb des griechischsprechenden antiken Judentums (bzw. später dann auch im christlichen Traditionsbereich) allmählich durchsetzte, verfestigte und alternative Sinngehalte verdrängte. Manche griechische Übersetzungsäquivalente in der Septuaginta vereinigen verschiedene hebräische Begriffe in sich, so z. B. Iµαρτ α, das die hebräischen Wörter für „Schuld“ (Num 5,15), „Vergehen“ (Gen 41,9) und „Frevel“ (Ps 10,15 [LXX 9,36]) wiederzugeben vermag. Hatten hebräische Ausdrücke keine passende Entsprechung im zeitgenössischen griechischen Wortschatz oder wollte man ihre unvergleichliche Einzigartigkeit zum Ausdruck bringen, bildeten die Übersetzer zuweilen Neuschöpfungen (z. B.
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Iγ ασµα „Heiligtum“ [Ex 15,17 u. ö.]; θυσιαστριον „Altar“ [Gen 8,20 u. ö.]; παντοκρ)τωρ „Allherrscher“ [2. Sam 5,10 u. ö.]). Es ist allerdings auch in Betracht zu ziehen, daß manche dieser angeblichen biblischen Neologismen (Wörter, die vor bzw. außer ihrer biblischen Verwendung nicht belegt sind) in Wirklichkeit geläufige Wörter waren, die außer in der Septuaginta an keiner anderen Stelle mehr bezeugt sind. Im Verlauf der Auswertung der in den beiden vergangenen Jahrhunderten (vor allem in Ägypten) entdeckten Papyri in der griechischen Umgangssprache verringerte sich die Anzahl solcher „originär“ bibelgriechischer Wörter bereits beträchtlich. Eine problematische Vorlage provozierte ihre interpretierende Übersetzung; die Bedeutung hebräischer Ausdrücke und Sprachfiguren, die der Übersetzer nicht (mehr) verstand, mußte von ihm in einem solchen Fall aus ihrem Kontext erschlossen oder durch eine bestimmte Vokalisation des betreffenden Konsonantentextes erhellt werden. Gleich beide Übersetzungsmethoden begegnen in Ri 9,31, wo in einem Teil der griechischen Textüberlieferung die (in der Bibel ausschließlich an dieser Stelle begegnende und hier wohl auf einen Ort „Torma“ o. ä. verweisende) hebräische Konsonantenfolge (B)TRMH in dem Satz „und er sandte (…) zu Abimelech“ durch veränderte Vokalisation (biTerumah = µετ δ3ρων „durch Geschenke“) gedeutet wird, während ein anderer Strang der Textüberlieferung die Übersetzung des – hinsichtlich seines Sinngehalts dem Übersetzer zunächst wohl völlig unklaren – Ausdrucks anhand seines unmittelbaren Kontexts (im folgenden Vers geht es um einen Hinterhalt) mit den Worten /ν κρυφDJ („heimlich“) festhält. Derartige Erklärungen eines Details anhand eines anderen aus seinem Kontext begegnen in der Septuaginta gehäuft. Insbesondere in poetischen Texten deutete man ein unklares Wort häufig mittels des verstandenen parallelen Glieds im Parallelismus membrorum (z. B. Jes 5,11; 21,4; 59,1). An manchen Stellen scheint der hebräische Text auch einfach wörtlich übersetzt oder transliteriert worden zu sein, weil man den Sinn der Vorlage nicht begriff oder er als anstößig erschien. So scheint ein Übersetzer des Richterbuchs die Ortsbezeichnung „Terebinthe der Wahrsager“ in Ri 9,37 nicht mehr verstanden zu haben, was ihn dazu bewog, die beiden hebräischen Wörter zusammenzuziehen und einfach in griechische Buchstaben („Ηλωνµαωνεν鵓) zu übertragen, die für das griechischsprechende Lesepublikum wohl eher unverständlich waren. Gerade solche unbekannten oder als veraltet empfundenen Ortsbezeichnungen, Kultgegenstände und Personennamen wurden entweder in ihrem Konsonantenbestand transliteriert oder durch erklärende Zusätze und die Einsetzung „moderner“ bzw. als äquivalent empfundener Namen deutend wiedergegeben. Zuweilen stößt man im übersetzten Text auch auf eine absichtliche Alliteration (z. B. Ps 74 [LXX 73],6: Kς /ν δρυµL! ξ,λων 8ξ ναις /ξκοψαν τς θ,ρας α?τJς [„sie haben wie in einem hölzernen Dickicht mit Äxten seine Türen aufgebrochen“]) oder einen gewollten Gleichklang, eine Assonanz (d. h. ein hebräisches Wort wurde durch ein ähnlich klingendes griechisches Wort ersetzt). So entspricht die Lautung des griechischen Worts σχ ζα („Holzscheit“) in 1. Sam (= LXX 1. Kön) 20,20–22 der des hebräischen Ausdrucks Chez („Pfeil“).
wörtliche Wiedergabe und Transliteration
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An einigen Stellen scheinen dem Übersetzer zwei verschiedene Lesarten bzw. Verständnistraditionen des hebräischen Textes vorgelegen zu haben; der Übersetzer des 1. Samuelbuchs löste das Problem, daß im hebräischen Konsonantentext von 1. Sam (= LXX 1. Kön) 14,24 eine semantisch polyvalente Verbform begegnet, die sowohl als das Verb „töricht handeln“ identifiziert als auch von der Kausativform einer ganz anderen Wurzel abgeleitet werden kann und dann „eine Verfluchung auferlegen“ bedeutet, dadurch, daß er die beiden möglichen Übersetzungen einfach beide übernahmen und sie hintereinander stellte (ebenso z. B. 1. Sam [= LXX 1. Kön] 8,19; 23,14).
3. Übersetzungstendenzen aktualisierende Tendenz der Bibelübersetzung
Die Übersetzer der griechischen Bibel lasen ihre hebräischen Vorlagen mit dem Wissensstand und vor dem kulturellen und religiösen Hintergrund ihrer Epoche. Nicht nur jeder einzelne von ihnen, sondern auch die späteren Abschreiber ihrer Arbeiten (diese allerdings in weitaus geringerem Ausmaß) brachten ihre eigenen individuellen – gesellschaftlich und kulturell bedingten – Denkkategorien, ihren Wissenshorizont und ihre religiöse Identität in den von ihnen übersetzten griechischen Bibeltext ein. Gerade weil die Septuaginta die ebenso vielfältigen wie eigenständigen Denkweisen und Interessen ihrer Übersetzer und Tradenten widerspiegelt, enthält sie wertvolle Informationen darüber, wie die Heiligen Schriften des Judentums bzw. das christliche Alte Testament von diesen Menschen verstanden und seine normativen, narrativen und poetischen Inhalte mit der eigenen Weltdeutung und der eigenen Lebensgestaltung in Beziehung gesetzt wurden. In einem großer Teil der griechischen Bibelübersetzungen kommt das Bedürfnis ihres Lesepublikums nach aktualisierenden Übertragungen der hebräischen Vorlagen zum Ausdruck (s. o. 41). Ebenso begegnet in der Tiefenstruktur dieser Texte durchgängig das Problem der Vermittlung zwischen dem Streben nach Bewahrung der kulturellen und religiösen Eigenheit durch Festhalten an der jüdischen Tradition und dem Streben nach Annäherung an den Hellenismus durch Übertragung der Bibel in die zeitgenössische Kultur. Die antiken Bibelübersetzer verrichteten ihre Arbeit nicht „mechanisch“ und ohne jede (absichtsvolle oder unabsichtliche) Einflußnahme auf das Produkt ihrer Arbeit. Der Vergleich der griechischen Übersetzungen der Heiligen Schriften des Judentums mit ihren hebräischen Vorlagen bzw. die Erhebung von charakteristischen inhaltlichen Akzentuierungen und theologischen Interpretationen des Ausgangstextes dient deshalb keinesfalls nur der textkritischen Rekonstruktion eines hebräischen „Urtextes“, einer „Urübersetzung“, oder der bloßen Beschreibung der Textentwicklung bei der Reproduktion des griechischen Bibeltextes. Vielmehr ist grundlegend zu berücksichtigen, daß die Übersetzer der Septuaginta nicht nur um Äquivalenz bemüht waren, sondern auch zur verdeutlichenden und klärenden Interpretation des von ihnen übersetzten hebräischen Bibeltextes neigten. Die antiken Übersetzer der jüdischen Heiligen Schriften ins Griechische verband ein exegetisches Eigeninteresse, denn sie strebten mehrheitlich da-
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nach, diese Heiligen Schriften für Juden in einem (gegenüber Zeit und Ort ihrer Abfassung bzw. ihrer anfänglichen Überlieferung) veränderten sozialen, kulturellen und sprachlichen Umfeld so deutlich und so verständlich wie möglich zu machen. Die Erwartung ihrer unmittelbaren Rezipienten bestand dementsprechend darin, daß der übersetzte Text auf die eigene Lebens- und Welterfahrung Bezug nimmt. Die griechische Bibelübersetzung wurde zum Vehikel der absichtsvollen Verstärkung der zeitgemäßen Verständlichkeit, der Praktikabilität, der Relevanz und der Akzeptanz der hebräischen Textvorlage. Die Septuaginta enthält also produktive Auslegung und nicht nur adäquate Reproduktion ihrer hebräischen Textvorlagen, auch wenn die antiken Übersetzer und Tradenten dies wohl so sahen. Die Funktionen dieser absichtsvollen Textveränderungen, die sich in allen Büchern der Septuaginta finden, sind beispielsweise die Spezifizierung und Erklärung undeutlicher Sachverhalte, die Verstärkung und Betonung von Bedeutungsnuancen, die Glättung von terminologischen Unklarheiten und semantischen Schwierigkeiten (unklare Worte und Begriffe, als zu weit oder zu eng erachtete Bedeutungsfelder, unverständliche Vokalisation, Formen und Syntax), die Harmonisierung sowohl sich widersprechender Textaussagen innerhalb der biblischen Überlieferung als auch des Bibeltextes mit der akzeptierten Tradition bzw. der geltenden Halacha (der normativen Applikation der Toragebote im Judentum), und schließlich die Einführung gruppenspezifischer Intentionen und wesentlicher theologischer Aussagen. Die antiken griechischen Bibelübersetzungen sind allesamt Zeugnisse bestimmter jüdischer Auslegungstraditionen. Einige Beispiele sollen diese traditionsgebundenen Übersetzungstendenzen verdeutlichen: So finden sich wiederholt Änderungen, die aus der Sicht der Übersetzer zum richtigen Verständnis des Bibeltextes notwendig erschienen (z. B. Gen 2,2, wo die Übersetzung des Satzes „am siebenten Tag vollendete Gott sein Werk“ durch κα* συνετλεσεν < θε2ς /ν τDJ (µρLα τDJ MκτDη τ Eργα α?το [„am sechsten Tag vollendete Gott sein Werk“] sicherstellen sollte, daß auch Gott die Sabbatruhe einhält). Erkennbar ist auch die Tendenz, allzu dinghafte Vorstellungen des hebräischen Textes zu spiritualisieren, was formal dem Ausschluß des Wortsinns bei der allegorischen Textinterpretation und inhaltlich einer verbreiteten zeitgenössischen philosophischen Tendenz entsprach. Von manchen Übersetzern besonders vermieden bzw. abgeändert wurden vor allem Anthropomorphismen und Anthropopathismen, Beschreibungen des Wesens und des Handelns Gottes in menschlichen Zügen. In der Übersetzung von Ex 4,24 etwa wird Moses entgegen der hebräischen Vorlage nicht von Gott selbst überfallen, sondern von einem Gγγελος κυρ ου „Engel des Herrn“. In Dtn 1,26 wird aus dem „Mund“ Gottes sein NJµα („Ausspruch“). In diesen Zusammenhang gehört auch die Vermeidung der unmittelbaren Begegnung des Menschen mit dem (in hellenistischer Zeit zunehmend transzendent gedachten) Gott Israels. So steigt Moses in der griechischen Übersetzung von Ex 19,3 nicht hinauf „zu Gott“, wie es in der Vorlage heißt, sondern ε@ς τ2 Aρος το θεο („auf den Berg Gottes“; vgl. noch Gen 6,6 f.; Ex 24,10 f.; Num 12,8; Jos 4,24). Dem hebräischen Text von Ps 7,12 („Gott ist ein gerechter Richter, und ein Gott
Funktionen der Textveränderung
traditionsgebundene Übersetzungstechniken
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liturgische Hinweise
messianische Erwartungen
der täglich zürnt“) geradezu entgegengesetzt ist die Übertragung des Verses ins Griechische (< θε2ς κριτ.ς δ καιος κα* @σχυρ2ς κα* µακρθυµος µ. Oργ.ν /π)γων καθ> κ)στην (µραν [„Gott ist ein gerechter, starker und langmütiger Richter, der nicht jeden Tag seinen Zorn aufkommen läßt“]). Der Betonung der Langmut Gottes durch die Erweiterung des ersten Versteils entspricht die Interpretation des (unvokalisierten) hebräischen Wortes El „Gott“ als Negationspartikel al „nicht“, der diese (dem ursprünglichen Sinngehalt des zweiten Versteils widersprechende) Übersetzung ermöglichte. In der griechischen Psalmenübersetzung, die wahrscheinlich im synagogalen Gottesdienst griechischsprechender Juden verwendet wurde, finden sich mitunter liturgische Hinweise. So begegnet ganz am Anfang von Ps 24 [LXX 23],1 (ψαλµ2ς τL! ∆αυιδ [„Ein Psalm Davids“]) die Ergänzung τJς µιFς σαββ)των „am ersten (Tag) der Woche“ (manche griechische Handschriften lesen „für den ersten [Tag] der Woche“). Nach späteren rabbinischen Quellen war im Jerusalemer Tempelgottesdienst jedem Wochentag ein bestimmter Psalm zugeordnet, und zwar in der Reihenfolge der sieben Tage Ps 24 (LXX 23); 48 (LXX 47); 82 (LXX 81); 94 (LXX 93); 81 (LXX 80); 93 (LXX 92); 92 (LXX 91). Diese (wohl auch der synagogalen Gottesdienstordnung zugrundegelegte) Zuordnung wird in Bezug auf den 1., 2., 4., 6. und 7. Tag in den überlieferten (und wohl ursprünglichen) Psalmenüberschriften in der Septuaginta bestätigt. Gerade in den griechischen Übersetzungen der Prophetenbücher finden sich Interpretationen und Textzusätze, die ein betont eschatologisches Textverständnis zum Ausdruck bringen. Die Übersetzer trugen hier zeitgenössische eschatologische oder messianische Konzepte als Kontrastdarstellungen der – von ihnen als defizitär und bedrohlich erlebten – sozialen und politischen Verhältnisse ihrer Gegenwart in den Bibeltext ein, wobei sie diese Konzepte ihrem eigenen Verständnis nach natürlich der hebräischen Vorlage entnahmen. Der Übersetzer des Sacharjabuchs verband die eschatologische Gerichtstheologie der Kapitel 9–14 des Prophetenbuchs mit der Heilsbotschaft von Kapitel 1–8 (z. B. scheint in dem in Sach 1,6 überraschenden militärischen Terminus παρατ)σσοµαι [„rüsten“] eine intertextuelle Bezugnahme auf Sach 14,3 zu stecken, der eine das Buch inkludierende Struktur andeutet). Ein weiteres charakteristisches Beispiel ist Ps 1,5, der in der hebräischen Bibel lautet: „Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten“. Die griechische Übersetzung des Psalmverses läßt sich hingegen wie folgt verstehen: „Deshalb werden Gottlose im Gericht nicht auferstehen (ο?κ 8ναστσονται), auch nicht Sünder im Rat der Gerechten.“ Während es also in der Vorlage um das Bestehen der Sünder im Gericht Gottes geht, spricht der übersetzte Text davon, daß sie in Folge des Gerichts (bzw. zu ihrer Bestrafung) nicht auferstehen werden. Ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang dieser deutenden Übersetzung des Psalmverses mit den sich im zeitgenössischen Judentum entwickelnden (höchst heterogenen) Auferstehungshoffnungen ist wahrscheinlich, wenn auch stets beachtet werden muß, daß hiermit vergleichbare „eschatologische“ oder „messianische“ Stellen (z. B. Am 4,13; Jes 26,19; vgl. Gen 49,10; Num 24,17) nicht generell vom Übersetzer beabsichtigt (oder von einem jüdischen Revisor einge-
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tragen) sein müssen, sondern auch nachträglich während der christlichen Texttransmission eingedrungen sein können. Messianische Erwartungen sind kein generelles Kennzeichen der jüdischen griechischen Bibelübersetzung. Manche Textänderungen dienen der Klärung und Verdeutlichung des Textinhalts. In Jer 33,16 machte der Übersetzer des Buchs aus den von Jeremia wegen ihrer Habgierigkeit gescholtenen „Propheten“ kurzerhand (ψευδοπροφJται [„Lügenpropheten“]; vgl. Jer 6,13; 33,7 f.; 35,1 u. ö.), um sie von den autoritativen Verkündern des Gotteswillens zu unterscheiden. In 1. Sam (= LXX 1. Kön) 25,3 machte der Übersetzer den „rohen und boshaften Kalebiter“ Nabal zu einem Gνθρωπος κυνικς „Kyniker“, wohl um seine Ablehnung dieser zeitgenössischen Philosophenschule (bzw. der vom ihm mit ihrem Namen assoziierten Geisteshaltung, die primitive Bedürfnislosigkeit zu feiern, zu der sie die Umstände zwangen) in deutlicher Weise zum Ausdruck zu bringen (vgl. Dtn 26,5; Ex 1,11; Jes 27,12; Est 8,12k; sowie Josephus, Ant. VI 296). Eine hiermit vergleichbare deutliche Übertragung einer religiös bedeutsamen hebräischen Bezeichung in eine andere kulturelle Welt stellt auch die Übersetzung von Sche>ol („Totenreich“) durch den der griechischen Mythologie entstammenden Begriff LQδγς („Hades“) dar, der ursprünglichen Bezeichnung eines der drei Kronossöhne, des Gottes der Unterwelt (LXX Gen 37,35; Ps 6,6; Spr 1,12 u. ö.). In 1. Sam [= LXX 1. Kön] 7,3 f. werden die „Astarten“ (d. h. Darstellungen der kanaanäischen Fruchtbarkeitsgöttin Astarte) mit dem offenbar verständlicheren griechischen Begriff Gλση („Götzenhaine“) übersetzt. In Jes 9,11 wird aus „Aram von vorn und die Philister von hinten“ im griechischen Bibeltext Συρ αν 8φ> (λ ου 8νατολ!ν κα* το=ς RΕλληνας 8φ> (λ ου δυσµ!ν („Syrien von Osten und die Griechen von Westen“); an Stelle der Namen der Feinde Israels zur Zeit des Propheten Jesaja sind hier die Namen der Feinde in hellenistischer Zeit eingetragen. In Jes 65,11 begegnen an Stelle der beiden im ptolemäischen Ägypten unbekannten alten kanaanäischen Lokalgottheiten „Gad“ und „Meni“ mit δα µων („Daimon“) und τ,χη („Tyche“) zwei populäre Gottheiten der hellenistisch-ägyptischen Welt mit großenteils vergleichbarer Funktion (Agathos Daimon, häufig mit Agathe Tyche verbunden, genoß gerade in Alexandria als Beschützer der Nilmetropole besondere kultische Verehrung). Der aus dem letzteren Beispiel ersichtliche Standort des jüdischen Übersetzers in der alexandrinischen Diaspora geht auch aus dem griechischen Text von Jes 19,25 hervor, wo der Wortlaut des prophezeiten Gotteswortes in der Vorlage („Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk, und du, Israel, mein Erbe!“) eine nicht unerhebliche Umstellung erfährt, was den folgenden griechischen Text ergibt: ε?λογηµνος < λας µου < /ν Α@γ,πτLω κα* < /ν >Ασσυρ οις κα* ( κληρονοµ α µου Ισραηλ („Gesegnet ist mein Volk, das in Ägypten und das unter den Assyrern ist, und mein Erbe Israel“). Das Beispiel zeigt nicht nur, daß der Übersetzer (der durchgängig eher „frei“ übersetzte und ein recht hohes Maß an theologischer Modifikation in den Text einbrachte) und sein Lesepublikum sich mit den Adressaten der Prophetie Jesajas identifiziert zu haben scheinen (vgl. Jes 11,16). Sie läßt sich auch dahingehend verstehen, daß im antiken Judentum die
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Auffassung bestand, die (als Voraussage verstandene) Schriftprophetie Jesajas sei durch die zurückliegenden geschichtlichen, politischen und militärischen Entwicklungen und Ereignisse bereits erfüllt worden. Eine ähnliche aktualisierende Tendenz weist bereits die theologisch deutende Übersetzung von Gen 4,26b auf. Wenn der Wortlaut ihrer Vorlage dem MT („Zu der Zeit fing man an, den Namen Jahwes anzurufen“) entsprach, wurde die Übersetzung an dieser Stelle mit der maßgeblichen biblischen Tradition vom Ergehen der Offenbarung des Jahwenamens erst an Moses (vgl. Ex 3,14; 6,3) in Einklang gebracht, indem man die Worte auf den ersten Teil des Verses bezog und οTτος Uλπισεν /πικαλε4σθαι τ2 Aνοµα κυρ ου το θεο („Dieser hoffte darauf, den Namen des Herrn anzurufen“) übersetzte. Ermöglicht wurde eine solche heilsgeschichtlich harmonisierende Übersetzung dadurch, daß man die (sprachlich ungewöhnliche) hebräische Vorlage ohne weitergehende Eingriffe in den Textbestand durch eine alternative Vokalisation der drei Konsonanten HHL entweder von der Wurzel HLL ˙ („fing man an“; so der MT) oder von JHL˙ („hoffte darauf“; so die griechi˙ ableiten konnte. sche Übersetzung; vgl. Ps 38 [LXX 37],16) Bestreben nach Bestärkung der religiösen Identität
Monotheismus
Überhaupt war die identitätstiftende Aktualisierung der engen Bindung Israels an seinen geschichtsmächtigen Gott ein besonderes Anliegen der Übersetzer. Ihrem Bestreben nach Bestärkung der religiösen Identität mittels betonter Abgrenzung von der multireligiösen (und insbesondere in Ägypten polytheistischen) paganen Umwelt entsprach eine Tendenz zur Betonung der Gefahren des Irrglaubens. Im griechischen Text von Dtn 23,18 wurde das biblische Verbot „Es soll keine Hure von den Israelitinnen geben und von den Israeliten soll es keinen geben, der Hurerei treibt“ durch den Zusatz „und es soll von den Israelitinnen keine geben, die (in Geheimkulte) einführt und von den Israeliten soll es keinen geben, der (in die Geheimkulte) eingeführt ist“ ergänzt. Die aktualisierende Ergänzung bezog sich wohl auf die unerlaubte Teilnahme an den in der Umwelt des antiken Judentums (und vermutlich auch bei manchen Juden; vgl. 3. Makk 2,30 f.) beliebten hellenistischen Mysterienkulten, die auf eine göttliche Persönlichkeit wie z. B. Isis als „Heilsbringer“ ausgerichtet waren und dem (oder der) Eingeweihten „Erlösung“, d. h. persönliche Existenzsicherung in (oder Befreiung aus) der gegenwärtigen Welt und zukünftiges Heil versprachen. Auffällig ist auch die sichtliche Vermeidung des Terminus @ερς („heilig“) in der griechischen Bibelübersetzung. Das Adjektiv scheint mit den zeitgenössischen paganen Kulten und Mysterien konnotiert worden zu sein, was dazu führte, daß es (insbesondere in der Tora und den Prophetenbüchern) durchweg durch seine als unverfänglich betrachtete semantische Entsprechung Qγιος ersetzt wurde. Es wäre auch zu überlegen, ob die durchgängige Übersetzung des hebräischen Wortes Nābi B, das die berufenen Verkünder des Gotteswillens bezeichnet (z. B. Jer 1,5; Ez 2,5; Hag 1,1; Sach 1,7 u. ö.), durch den nahezu inhaltsleeren griechischen Begriff προφτης, der ganz unspezifisch für einen „Verkünder“ steht, bewußt gewählt wurde, um die Wiedergabe durch einen „vorbelasteten“ Terminus (z. B. µ)ντις oder 9ποφτης) zu vermeiden, der aus dem Bereich des paganen Orakelwesens und der Mantik (Wahrsagekunst) stammt. Die lebensweltlich bedingte Betonung der exklusiven monotheistischen Gottesverehrung durchzieht die griechischen Übersetzungen der jüdischen
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Heiligen Schriften wie ein roter Faden. In Num 25,2 und 1. Kön (= LXX 3. Kön) 11,2 wurden die paganen „Gottheiten“ zu εVδωλα („Schattenbildern; „Figürchen“); in 2. Kön (= LXX 4. Kön) 1,2 wurde die (an sich schon pejorative) Bezeichnung der Lokalgottheit Ekrons als „Herr der Fliegen“ durch Voranstellung des femininen Artikels τDJ vor den Akkusativ Βααλ µυ4αν zu „Baal, die Fliege“. Wo das hebräische Wort für „Altar“ für eine legitime Opferstätte stand, gebrauchten die Übersetzer der Tora zumeist den speziellen Ausdruck θυσιαστριον, eine sprachliche Neubildung („Neologismus“; s. o. 72 f.). Wo hingegen ein Altar gemeint ist, der zur Verehrung fremder Götter errichtet wurde, wurde von ihnen durchweg der inhaltlich vergleichbare (klassische griechische) Begriff βωµς verwendet. In Gen 6,2 wurde aus dem archaischen Ausdruck „Söhne der Götter“ im hebräischen Text das unverfänglichere υο* το θεο „Söhne Gottes“, in Hi 1,6 gar Gγγελοι το θεο „Engel Gottes“ (vgl. Dan 2,11; 3,25). Wo die hebräische Pluralform Elohim „Gott“ in der Vorlage nicht in singularer Bedeutung als appellative Bezeichnung des einen und einzigartigen Gottes Israels gebraucht wurde, sondern in Entsprechung des Numerus, wurde das als anstößig empfunden und abgeändert, weil sich die eigentliche Wortbedeutung „Götter“ im jeweiligen Kontext mit dem kanaanäischen Pantheon bzw. mit aktuellen polytheistischen Vorstellungen verbinden ließ. In Ps 8,6 heißt es im hebräischen Text über den Menschen: „Du (gemeint ist Gott) hast ihn nur um weniges niedriger gemacht als einen Gott“ (oder: „als Götter“). Indem der Übersetzer des Psalms die mißverständliche Pluralform mit singularer Bedeutung Elohim („Gott“ bzw. „Götter“) durch 8γγλους („Engel“) ersetzte, vermied er zum einen die Möglichkeit einer polytheistischen Interpretation des Verses und zum anderen eine zu starke Annäherung des Menschen an den transzendenten Gott Israels (vgl. noch Ps 97 [LXX 96],7; Ps 138 [LXX 137],1). Der Steigerung der Transzendenz Gottes diente auch die Übersetzung von Lev 24,16. Das Verdikt im hebräischen Text der Tora („Wer den Namen des Herrn lästert, der soll des Todes sterben“) wurde vom Übersetzer durch die Wiedergabe des Wortes „lästert“ in der Vorlage durch das Partizip Oνοµ)ζων („nennt“) dem im zeitgenössischen Judentum gemeinhin geltenden Verbot angepaßt, den Gottesnamen, d. h. das Tetragramm (JHWH), überhaupt auszusprechen (vgl. Josephus, Ant. II 276). In Bezug auf die Übersetzung des Gottesnamens läßt sich beobachten, daß das – in der hebräischen Texttradition mit der ungewöhnlichen Pluralvokalisation von Adonai („mein Herr“) versehene – Tetragramm in der Septuaginta zumeist (d. h. außerhalb des Psalters) mit artikellosem κ,ριος („Herr“, „Herrscher“) wiedergegeben wurde (an ca. 7000 Stellen!), der Gottesname Adonai hingegen mit < κ,ριος („der Herr“). Daß die titulare Bezeichnung κ,ριος mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erst auf das Werk christlicher Abschreiber zurückgeht, sondern während des mündlichen Vortrags des griechischen Bibeltextes zur Wiedergabe des Gottesnamens verwendet wurde und sich wohl bereits während des Entstehungsprozesses der griechischen Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften in vorchristlicher Zeit als schriftlicher Ersatz des Tetragramms durchgesetzt hat, zeigt sein durchgängiger Gebrauch bei Philon von Alexandria und Flavius Josephus.
Gottesnamen
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Der griechische Kyriostitel prägte fortan das monotheistische jüdische Gottesbild im Sinne einer machtvollen Herrschaftsausübung; durch seinen Gebrauch wurde die gesellschaftlich, rechtlich und politisch definierte Rolle des mächtigen und rechtmäßigen hochgestellten „Herrn“ auf die jüdische Gottheit übertragen und sein religiöser Bedeutungsgehalt in entschränkender Weise auch der gesamten griechischsprachigen Umwelt des antiken Judentums zugänglich. Anzumerken ist an dieser Stelle, daß das Tetragramm in den eindeutig jüdischen griechischen Bibelhandschriften auch durch Schreibung nicht in der üblichen aramäischen Quadratschrift, sondern in althebräischen Schriftzeichen (z. B. Papyrus Oxyrrhynchos 1007 u. 3522 [bzw. dieser Schrift nachempfunden; vgl. 8HevXIIgr; s. u. 83 f.]) ˙ sichtlich vom literarischen Kontext abgegrenzt, in Entsprechung der Laub tung mit IAW wiedergegeben (z. B. 4QLXXLev Frgm. 20,4 [Lev 4,27] sowie zahlreiche griechische Zauberpapyri) oder aufgrund der graphischen Ähnlichkeit mit den hebräischen Konsonanten ΠΙΠΙ geschrieben werden konnte (auch hier wurde bei der gottesdienstlichen Verlesung sicher κ,ριος ausgesprochen). Neben der Buchform (die Form des Codex läßt im Gegensatz zur Rolle auf christliche Herkunft schließen [s. o. 14]) hat sich der Einsatz des Tetragramms statt κ,ριος in jüdischen Handschriften als ein wichtiges Kriterium zur Scheidung von jüdischen und christlichen Texten in der gegenwärtigen Septuagintaforschung weithin durchgesetzt. Ob allerdings der Gebrauch des Titels κ,ριος seinerseits auf christliche Texttradition hindeuten muß, ist höchst unsicher.
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IV. Die Überlieferungsgeschichte der Septuaginta 1. Jüngere Übersetzungen und Überarbeitungen des griechischen Bibeltextes Die hoffnungslos verwickelte Textüberlieferung der Septuaginta verdankt sich zu einem großen Teil dem fortwährenden Streben der Tradenten nach ihrer „Verbesserung“ anhand der hebräischen Bibel. Jedoch lagen deren einzelne Teile bis zur Herausbildung eines hebräischen Standardtextes im 2. Jahrhundert n. Chr., also erst mehrere Jahrhunderte nach der Übertragung der Tora ins Griechische in Alexandria, noch nicht in einer großenteils einheitlichen und verfestigten Gestalt vor (s. o. 56 f.), die als Referenzwerk hätte dienen können. Nachdem die erste griechische Übersetzung eines biblischen Buchs „fertig“ war, veränderte sich der übersetzte hebräische Text an vielen Stellen immer noch weiter. Woran eine als „verbesserungswürdig“ empfundene Übersetzung anzugleichen war, hing deshalb jeweils davon ab, welchen hebräischen Text man gerade besaß. Zudem gab es im antiken Judentum keine bindende Instanz, die eine bestimmte griechische Textform als die einzige fortan normative Bibelübersetzung mit generellem Referenzcharakter allgemein durchzusetzen in der Lage gewesen wäre. Insbesondere hinsichtlich der Geschichtsbücher, Propheten und Hagiographen ist zudem damit zu rechnen, daß es in einigen Fällen von Anfang an verschiedene voneinander unabhängige Übertragungen ins Griechische gab. Viele biblische Bücher – und insbesondere die Tora – enthalten normative und narrative Passagen. Bei ihrer Übersetzung waren diese hinsichtlich des konsequenten Gebrauchs geprägter Übersetzungsäquivalente anders zu behandeln als jene, was dazu führte, daß die ersten Übertragungen der hebräischen Heiligen Schriften ins Griechische einen Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Anforderungen innerhalb ihrer Vorlagen darstellten. Dieser Kompromißcharakter provozierte wiederum früh das Bedürfnis nach „genaueren“ Überarbeitungen. Unmittelbar nach der ersten Übersetzung eines biblischen Buchs in der Diaspora oder im Mutterland setzten deshalb bereits in vorchristlicher Zeit „rehebraisierende“ Rezensionsaktivitäten ein; einzelne Schriften wurden dabei in Richtung einer exakteren, möglichst wortgetreuen Wiedergabe ihrer hebräischen (protomasoretischen) Vorlagen überarbeitet. Es läßt sich beobachten, daß nahezu sämtliche griechischen Bibelübersetzungen seit dem Zeitpunkt ihrer erstmaligen Entstehung im Judentum einer kontinuierlichen Kontrolle am – jeweiligen – Stand des als ursprünglich und authentisch betrachteten (d. h. des zu dieser Zeit bzw. in der jeweiligen Gemeinschaft bekannten und gebräuchlichen) hebräischen Textes und einer korrigierenden Angleichung an diesen unterworfen waren. Nach dem Aufkommen des Christentums, das die Septuaginta auf breiter Front rezipierte und eigenständig – nämlich christologisch – deutete (s. u. 103), verstärkte sich im Judentum das Bedürfnis nach Abgrenzung auch mittels eigener griechischer Neuübersetzungen und umfangreicher Rezensionen der ganzen griechischen Bibel, die eine
früh einsetzende Rezensionstätigkeit
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frühe jüdische Überarbeitungen
Rückführung zur hebräischen Texttradition erreichen wollten, die man als einzig authentische betrachtete. Im Verlauf solcher früher sekundärer Überarbeitungen der einzelnen Übersetzungen bzw. der späteren umfassenden Rezensionen der als verbindlich erachteten Sammlungen griechischer Heiliger Schriften mit einheitlicher leitender Absicht und Methode sollte ihr vorliegender als unvollkommen und ungenau empfundener – da manchmal interpretierend und „frei“ übersetzter – Text mit seiner Vorlage (bzw. mit dem, was man darunter verstand) synchronisiert werden. Zugleich wurde aber auch die jeweils aktuelle (bzw. gruppenspezifische) Verständnistradition des Bibeltextes eingearbeitet; in späterer Zeit ging es den jüdischen Gelehrten, die sich mit der Überarbeitung der griechischen Bibel befaßten, zudem um die Beseitigung solcher Textbestandteile, die sie als christliche Interpolationen ansahen. Allerdings entstand hierbei auch das theologisch nicht unbedeutende Problem, daß zwar die Ursprünglichkeit (bzw. die Inspiration) des eigenen griechischen Bibeltextes behauptet wurde, der als authentisch geltende Text jedoch seinerseits wiederholt Korrekturen erfuhr. Dieser jahrhundertelange komplexe Entwicklungsprozeß der griechischen Übersetzungen der jüdischen Heiligen Schriften (auch die rezensierten Texte wirkten im Verlauf des Überlieferungsprozesses im jüdischen und im christlichen Traditionsbereich wiederholt aufeinander ein) war zu keiner Zeit formal abgeschlossen. In den Hauptströmungen der Tradition des Septuagintatextes, die in der kirchlichen Überlieferung späterhin bestimmend wurden und handschriftlich erhalten sind, sind deshalb sowohl Teile der „ursprünglichen“ jüdischen Bibelübersetzungen als auch deren spätere (jüdische und christliche) Überarbeitungen enthalten, oft ohne daß beides noch eindeutig voneinander zu unterschieden ist. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, daß Übersetzungen, die in der alexandrinischen Diaspora entstanden sind, zuweilen den Einfluß palästinischer Halacha (s. o. 52) und Haggada (der narrativen Explikation und Illustration der Halacha) aufweisen. Die frühen jüdischen Überarbeitungen der griechischen Bibelübersetzungen glichen diese zumeist an die verbreitete protomasoretische Texttradition an (s. o. 57). Sie wiesen dabei im Gegensatz zu den ältesten Übertragungen der einzelnen hebräischen Heiligen Schriften ins Griechische, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten von verschiedenen Übersetzern vorgenommen worden waren, einen relativ homogenen sprachlichen und stilistischen Charakter auf. Besonders deutlich zu erkennen ist die Existenz solcher frühen methodischen Bearbeitungen der griechischen Bibelübersetzungen in der Textüberlieferung des Richterbuchs; hier zeigen die beiden – vollständig erhaltenen – alten und wichtigen griechischen Textzeugen Codex Alexandrinus (A) und Codex Vaticanus (B; s. o. 14) durchgängig eine Reihe von Gemeinsamkeiten (z. B. Übersetzungsfehler, vgl. Ri 10,1), unterscheiden sich aber auch in zahlreichen Fällen deutlich voneinander. So bietet A für den Volksnamen Pelištim („Philister“) in Ri 10,6 das generalisierende (bzw. eine deutliche Aktualisierung ermöglichende) 8λλφυλοι („Fremdvölker“), während B hier wieder die griechische Entsprechung des hebräischen Ausdrucks Φυλιστιιµ liest (was als Bemühen um Annäherung an den hebräischen Bibeltext gewertet werden kann).
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Jüngere Übersetzungen und Überarbeitungen
Daß in der Handausgabe von Alfred Rahlfs beide Handschriften synoptisch nebeneinander abgedruckt sind, beruhte auf der Annahme des Herausgebers, daß die beiden erhaltenen Fassungen des Richterbuchs zwei unterschiedliche und voneinander unabhängige Übersetzungen aus dem Hebräischen repräsentieren. Diese Theorie wird allerdings in der gegenwärtigen Septuagintaforschung kaum noch vertreten. Man geht heute mehrheitlich davon aus, daß die beiden im Judentum entstandenen griechischen Versionen des Richterbuchs (wie auch die spätere christliche systematische Überarbeitung des Origenes und die lukianische Rezension [s. u. 93–96]) auf eine gemeinsame alte griechische Textform zurückgehen, wobei sich keine der erhaltenen sekundären Versionen durchweg als der „verläßlichere“ bzw. „ursprünglichere“ Text kennzeichnen läßt, zumal sich die verschiedenen Überarbeitungen im Verlauf der weiteren Texttransmission immer wieder gegenseitig beeinflußt haben (bereits antike jüdische und christliche Autoren zitierten die in A und B erhaltenen Fassungen promiscue, d. h. ohne Unterschied). Die Entdeckung von größeren zusammenhängenden Fragmenten einer 24 Kolumnen umfassenden (wohl von zwei Schreibern mit unterschiedlicher „Handschrift“ verfertigten) Buchrolle aus dünnem, feingegerbtem Leder mit einer von der jüngeren griechischen Texttradition signifikant abweichenden einheitlichen Übersetzung des Dodekapropheton („Zwölfprophetenrolle“) im ca. 4,5 km südlich von En-Gedi gelegenen Wadi el Habra ˘ im Jahre 1952 hat bewiesen, daß es solche frühe jüdische Bearbeitungen des griechischen Bibeltextes gegeben hat, die insbesondere nach dessen größerer innerer Kohärenz und engerer Bindung an die hebräischen Heiligen Schriften strebten. Die griechische Buchrolle (nicht zu verwechseln mit den kurz zuvor ebenfalls unter einer Steinplatte in einer Höhle in der Wüste Juda gefundenen, fast völlig mit dem MT übereinstimmenden Fragmenten einer hebräischen Zwölfprophetenrolle Murabba>at 88) bezeugt eine Zwischenstufe zwischen der anfänglichen Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften ins Griechische und der origenistischen Rezension der Septuaginta. Der archäologische Kontext ihres Fundes in der (aufgrund der Skelettfunde auch „Schreckenshöhle“ genannten) Höhle 8 zeigt, daß die in Judäa hergestellte Schriftrolle von den ca. 40 Personen, die sich während des Bar Kochba-Aufstandes (132–135 n. Chr.) hier versteckten, vergraben wurde. Damals suchten zahlreiche Juden mit ihren Habseligkeiten in Höhlenverstecken in dem unzugänglichen Wüstengebiet Judäas zwischen Qumran und Masada Zuflucht und Schutz vor den römischen Soldaten. Als späteste Entstehungszeit dieser recht gut erhaltenen Handschrift (8Hev ˙ XIIgr) wird gemeinhin das ausgehende 1. Jahrhundert n. Chr. angenommen, aber auch ihre Entstehung bereits in vorchristlicher Zeit ist durchaus denkbar. Aufgrund der in 8HevXIIgr durchgängigen stereotypen Wiedergabe der hebräischen Partikel ˙gam („auch“) mit κα γε sowie einer Reihe weiterer Vokabelgleichungen, die dem üblichen griechischen Sprachgebrauch der Koine widersprechen, jedoch auch in einem (sprachlich mehr oder weniger homogenen) Segment der griechischen Textüberlieferung in Teilen der Bücher 1.2 Samuel und 1.2 Könige (= LXX 1–4 Königreiche), sowie in weiteren Büchern (Richter [B]; Daniel; Hiob; Jeremia; Psalmen) begegnen,
Richter
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wird der genannte Handschriftenfund der sogenannten „Kaige-Rezension“ einer mit Sicherheit älteren traditionsgebundenen griechischen Übersetzung der Prophetenbücher und Hagiographen zugeordnet (Die Tora wurde von dieser Rezension nicht erfaßt). Auch der Text der griechischen Zitate aus dem Dodekapropheton im Werk des Kirchenlehrers Justin (gest. 165) ähnelt 8HevXIIgr. Andererseits entspricht der Text der Prophetenrolle (im ˙ zu der Anordnung der Bücher in einer etwa gleichzeitigen in Gegensatz Qumran aufgefundenen hebräischen Prophetenhandschrift [4Q76]) exakt dem späteren MT hinsichtlich der Reihenfolge der einzelnen Propheten. Die griechische Zwölfprophetenrolle aus dem Wadi el Habra ist deshalb ˘ des Bibeltextes ein wichtiger Zeuge für bestimmte Verständnistraditionen im palästinischen Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels. Die Kaige-Rezension, die eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit der späteren Überarbeitung Aquilas (s. u. 87–89) aufweist, legte besonderen Wert auf die Erkennbarkeit hebräischer Sprachphänomene auch im griechischen Bibeltext. So wurden von den „Vorgängern Aquilas“ beispielsweise ani und anoki, die beiden hebräischen Ausdrücke für die 1. Person Singular ¯ des Personalpronomens („ich“), durchweg differenzierend mit /γ3 und /γ3 ε@µι wiedergegeben. Möglicherweise repräsentiert diese – durch ein entwickeltes Textverständnis gekennzeichnete – systematische Rezensionsarbeit, die in einigen Büchern die vorangehenden griechischen Übersetzungen aus dem Hauptstrom der Textüberlieferung zu verdrängen vermochte, das Werk einer palästinischen Schule von jüdischen Schriftgelehrten, die eine Reihe von reflektierten Übersetzungsmethoden vertrat und benutzte, welche zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem exegetischen Instrumentarium der sich bald nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. formierenden rabbinischen Bewegung aufwies. Wirklich sicher ist das allerdings nicht, können diese Gemeinsamkeiten doch auch Ausdruck des vergleichbaren kulturellen Umfelds und insbesondere des gemeinsamen Methodenrepertoires sein. Die nach der Zerstörung des Zweiten Tempels fertiggestellten jüdischen Ausgaben der griechischen Bibel sind vor allem aus dem Bedürfnis heraus entstanden, die christlich okkupierte Septuaginta (s. u. 114 f.) durch einen eigenen authentischen Text zu ersetzen, dessen Gestalt dem hebräischen Bibeltext eher entsprach als diese. Sie zeigen deutliche Querverbindungen zur Hermeneutik der rabbinischen Schülerkreise; erhalten sind diese jüngeren massiven Überarbeitungen allesamt jedoch nicht in jüdischer Tradition, sondern allein in christlicher Überlieferung, hier vor allem in dem monumentalen Werk des Origenes, der Hexapla.
2. Die Hexapla des Origenes Unter den durchgängigen systematischen Rezensionen der Septuaginta ist die Hexapla („die Sechsfache“) des alexandrinischen christlichen Theologen Origenes (ca. 185–253/54) die bedeutendste. Nur wenige erhaltene Septuagintamanuskripte sind älter als die Hexapla; wo sie es sind, sind sie unvollständig. Origenes hatte als Schüler des Clemens von Alexandria (ca. 150–215) nahezu drei Jahrzehnte lang selbst an der Katechetenschule in
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seiner ägyptischen Heimatstadt unterrichtet. Er sah sich bei seiner Schriftauslegung in zunehmendem Maße mit dem Problem konfrontiert, an der altüberlieferten Texttradition der in seinem Umfeld gebräuchlichen griechischen Bibelübersetzung festzuhalten, obwohl diese sich von anderen umlaufenden griechischen Versionen, vor allem aber von dem hebräischen Bibeltext, der sich im zeitgenössischen Judentum durchgesetzt hatte, an zahlreichen Stellen unterschied. An manchen Stellen war der griechische Text länger als der hebräische, an manchen wiederum kürzer, an manchen wichen beide Texte hinsichtlich ihrer Ordnung und ihres Inhalts voneinander ab. Nicht nur die jüdischen Gesprächspartner der christlichen Apologeten, sondern auch zeitgenössische Vertreter der christlichen Gnosis beriefen sich in ihrer Argumentation vor allem auf die Autorität der ursprünglichen und unveränderten hebräischen Heiligen Schriften. Um christliche Lehrer und Missionare vor diesem Hintergrund mit einer zuverlässigen Basis für ihre Diskussionen mit heterodoxen Christen und insbesondere mit Juden über Wahrheit und Verfälschung bei der Auslegung der jüdischen Heiligen Schriften (bzw. des christlichen Altes Testaments) zu versorgen, strebte der Gelehrte die Erstellung eines „korrekten“ griechischen Textes für den apologetischen Gebrauch an. Wie gut Origenes Hebräisch konnte, ist in der Forschung umstritten, auch wenn jüngere kirchliche Autoren sein besonderes Bemühen um das Erlernen der hebräischen Sprache rühmten. In einem Brief an den zeitgenössischen christlichen Schriftsteller Sextus Julius Africanus (ca. 170–240) schreibt Origenes: „Wir bemühen uns, über das bei ihnen Überlieferte nicht in Unkenntnis zu bleiben, damit wir nicht im Streitgespräch mit den Juden das vorbringen, was in ihren Handschriften nicht überliefert ist, und daß wir mit ihnen das bei ihnen Überlieferte beiziehen, auch wenn es in unseren Büchern nicht überliefert ist. Denn wenn wir auf diese Weise vorbereitet sind, werden sie uns nicht verachten.“ (Epistula ad Iulium Africanum 9)
Origenes hielt es für notwendig, den bekannten, von den christlichen Gemeinden angenommenen und dort gebräuchlichen griechischen Bibeltext, dessen unbefriedigend unübersichtliche Überlieferungslage ihm wohl bekannt war, mit der von den Juden verwendeten hebräischen Textform in Übereinstimmung zu bringen, indem er die Septuaginta mit Hilfe anderer, ihrem Charakter nach wörtlicherer Übersetzungen dem hebräischen Original anglich. Er war sich der theologischen und kirchlichen Probleme wohl bewußt, die daraus resultierten, daß die verschiedenen kirchlichen Provinzen ihre eigenen, sich voneinander unterscheidenden Bibeltexte in Gebrauch hatten. Es ist allerdings zu betonen, daß der nach dem Hebräischen „korrigierte“ Text von ihm nicht einfach als Verbesserung des altehrwürdigen heiligen Schrifttums der christlichen Kirche empfunden wurde, welches er als die einzige autoritative Offenbarungsquelle verstand. Der christliche Lehrer verband mit seinem Werk vielmehr in erster Linie dessen Funktion als brauchbare Basis der christlichen Exegese und Apologetik gegenüber dem Judentum und gegenüber kirchlichen Strömungen, die von ihm als häretisch beurteilt wurden. Hand in Hand mit seiner textkritischen Arbeit ging die allegorische Auslegung der Bibel, die sich in vielen Scholien (kurze zusammenfassende „Erklärungen“ der Bedeutung schwieriger
Beweggründe der Rezension
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Entstehung der Hexapla
Anordnung der Kolumnen
Transliteration einer hebräischen Texttradition
Passagen), Kommentaren über einzelne biblische Bücher und für den Laien bestimmten Homilien niederschlug. Für die immer weniger werdenden Christen, die Hebräisch verstanden, ermöglichte bereits eine synoptische Gegenüberstellung von griechischem und hebräischem Bibeltext einen Vergleich beider Texttraditionen. Wollten Heidenchristen ohne Hebräischkenntnisse, deren Anteil in den Gemeinden stetig stieg, ihren gewohnten griechischen Bibeltext mit seiner hebräischen Vorlage vergleichen, ging dies nur durch Nachschlagen in einer alternativen Übersetzung, die als wörtlicher galt. Um 220 begann unter der Leitung des Origenes in der palästinischen Hafenstadt Caesarea maritima die mühevolle Arbeit an einer solchen durchgängigen synoptischen Gegenüberstellung der traditionellen kirchlichen Texttradition der griechischen Bibel mit dem zeitgenössischen hebräischen Text und verschiedenen jüdischen Konkurrenzübersetzungen. In sechs parallelen Kolumnen wurden in unaufhörlicher Arbeit für fast das gesamte Alte Testament der hebräische Text palästinischen Typs („Prima“), dessen Transliteration in griechische Buchstaben („Secunda“), zwei unter den Namen der jüdischen Übersetzer Aquila und Symmachus tradierte eigenständige Versionen der griechischen Bibel („Tertia“ und „Quarta“), eine von Origenes „annotierte“ Ausgabe des kirchlich überlieferten Textes („Quinta“) sowie das separate Übersetzungswerk des Juden Theodotion („Sexta“) gegenübergestellt. Einzelne Teile der Hexapla (sicher die Psalmen, möglicherweise auch einige andere Bücher) wurden mit mehr Spalten versehen, da Origenes hier noch drei weitere griechische Versionen aus dem Judentum (von denen er allerdings nie mehr als zwei auf einmal benutzte) zum Textvergleich zur Verfügung standen; das Werk wird in diesen Partien dementsprechend „Octapla“ genannt. Neben der Hexapla (ob als Vorarbeit zu dieser oder als eine spätere, verkürzte Auflage, ist nicht sicher) schuf Origenes noch eine auf vier Spalten verkürzte Abschrift seines Werkes („Tetrapla“); von dieser kürzeren Version (in ihr fehlten durchgehend die beiden ersten Kolumnen) ist jedoch so gut wie nichts mehr erhalten. Die synoptische Anordnung der Kolumnen in der (von Origenes selbst nie so bezeichneten) Hexapla entspricht vermutlich dem angenommenen Verhältnis der einzelnen Übersetzungen zum Urtext. Die Anfangsstellung des im Judentum seiner Zeit gebräuchlichen hebräischen Konsonantentextes entspricht dem Bemühen des Kirchenschriftstellers um eine möglichst präzise Bestimmung des Verhältnisses der christlich tradierten griechischen Bibel gegenüber den jüdischen Heiligen Schriften. Der von Origenes verwendete palästinische Text war dem späteren jüdischen Textus receptus (dem allgemein angenommenen Bibeltext), der in den MT mündete, nahe verwandt (s. o. 57 f.). Die Funktion der zweiten Spalte („Secunda“) scheint darin bestanden zu haben, eine bestimmte Vokalisation (und damit auch eine bestimmte Verständnistradition) der hebräischen Bibel in verständlicher Weise darzustellen und zu fixieren. Ihr Text ermöglicht einen kleinen Einblick in eine (vom Standard abweichende) Aussprachetradition des Hebräischen (bzw. des sich etablierenden MT) im 3. Jahrhundert. Ob eine solche Transliteration in griechische Buchstaben, die die Möglichkeit bot, den Bibeltext vorzulesen, ohne das Gelesene zu verstehen, bereits auf das antike Diasporajudentum
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zurückgeht, das angesichts der Verdrängung der hebräischen Sprache durch die allgegenwärtige Koine auf diese Weise die Kontinuität der Aussprachetradition der hebräischen Heiligen Schriften für ihren mündlichen Vortrag im synagogalen Gottesdienst sicherstellen wollte, ist nicht auszuschließen, läßt sich aber auch nicht belegen. In der dritten Spalte der Hexapla („Tertia“) findet sich die Rezension Aquilas (α), ein Versuch konsequent ausgangssprachlicher Übertragung der hebräischen Heiligen Schriften ins Griechische. Eine Rekonstruktion des Lebenslaufs Aquilas ist nicht mehr möglich, denn die jüdischen und christlichen Nachrichten über ihn wurden allesamt nicht aus historischem oder gar biographischem, sondern allein aus apologetischem Interesse überliefert. Angeblich stammte Aquila aus der gebirgigen kleinasiatischen Küstenlandschaft Pontus, sei gar ein Neffe des römischen Kaisers Titus (reg. 79–81 n. Chr.) gewesen und zunächst zum Christentum, später dann zum Judentum konvertiert. Aquilas wohl gegen Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. fertiggestellte intensive systematische Überarbeitung einer bestehenden griechischen Vorlage, möglicherweise eines Traditionsstrangs der Kaige-Rezension (s. o. 83 f.), war nach dem übereinstimmenden Zeugnis aller Quellen (altkirchliche Schriften, rabbinische Traditionsliteratur, Textfragmente und Marginalien in Septuagintamanuskripten) charakterisiert durch ihre außergewöhnliche Wörtlichkeit, durch ihre Konkordanz (jede Vokabel des Ausgangstextes wurde von ihm konsequent mit einem bestimmten Äquivalent der Zielsprache wiedergegeben) und durch ihre Tendenz zur Etymologisierung. Er hat bei seiner griechischen Wortwahl wohl auch bewußt solche Ausdrücke vermieden, die im christlichen Sprachgebrauch mittlerweile eine spezielle Bedeutung bekommen hatten. Vergleicht man die Übersetzung von Gen 1,1 in der Septuaginta /ν 8ρχDJ /πο ησεν < θε2ς τ2ν ο?ραν2ν κα* τ.ν γJν („Am Anfang machte Gott den Himmel und die Erde“) mit der Version Aquilas, die /ν κεφαλα Lω Eκτισεν < θε2ς ο=ν τ2ν ο?ραν2ν κα* σ=ν τ.ν γJν (wörtlich: „In der Hauptsache erschuf Gott mit den Himmel und mit die Erde“) lautet, wird deren besonderer Charakter deutlich. Während Aquila das hebräische Substantiv Reschit („Anfang“), das tatsächlich von Rosch („Haupt“) abgeleitet ist, betont etymologisierend übersetzte, gab er das Verb bara> (bzw. bero>), das in der hebräischen Bibel allein das Schöpfungshandeln Gottes bezeichnet, nicht wie die Septuaginta mit dem Allerweltswort ποιω („machen“) wieder, sondern er verwendete das ihm in diesem theologisch bedeutsamen Kontext wohl angemessener erscheinende κτ ζω („erschaffen“). Das in agrammatischer Weise gebrauchte σ,ν repräsentiert bei Aquila durchweg die hebräische Nota accusativi, die in der Septuaginta gemeinhin durch die Flektion des Akkusativobjekts und seines Artikels formal und sachgemäß übersetzt wurde (vgl. z. B. 1. Kön [= LXX 3. Kön] 20,12 f.; 2. Kön [= LXX 4. Kön] 23,21). Für griechische Leser zumindest ungewöhnlich war auch Aquilas Übersetzung der hebräischen Präposition Le („für“; „hinsichtlich“; „zu“) vor einem Infinitiv durch το und wiederholte Wiedergabe der hebräischen Partikel wegam („und auch“) durch κα* κα*γε (wörtlich: „und auch“ mit Verstärkung des „auch“; z. B. 2. Kön [= LXX 4. Kön] 23,15.19). Aquila, den Origenes in seinem Brief an den aus Jerusalem stammenden Africanus in wenig schmeichelhafter Weise als „Sklaven des hebräischen
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Wortes“ bezeichnete (es störte den Kirchenvater ungemein, daß ein Jude es gewagt hatte, nach der kirchlich maßgeblichen Septuaginta noch eine weitere Übersetzung anzufertigen), wollte also für seine griechischsprechenden jüdischen Adressaten den Duktus des hebräischen Textes der Heiligen Schriften in allen seinen Nuancen nachahmend übertragen. Daß sein Stil, der für gebildete griechische Leser unmöglich gewesen sein mußte, nicht auf sein mangelndes Sprachvermögen zurückgeht, sondern Zeichen seines bewußten Bemühens um konsequente Repräsentation jedes hebräischen Wortes, jeder Partikel und jedes Morphems durch einen äquivalenten griechischen Ausdruck war, wird darin deutlich, daß er bei seiner Arbeit durchweg die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten des Griechischen nutzte. Aquila teilte die Auffassung vieler zeitgenössischer jüdischer Weiser, daß sämtliche linguistischen Details der hebräischen Bibel grundsätzlich bedeutungsvoll waren. Dieses besondere Übersetzungsverständnis (bzw. seine hermeneutische Methodik) entsprach dem rabbinischen Schriftgebrauch in der Mischna, der Tosefta und den tannaitischen Midraschim (Schriftauslegungen aus den rabbinischen Schulen Palästinas bis zum Abschluß der Mischna), was eine enge traditionsgeschichtliche Beziehung der Arbeit Aquilas zum Schulbetrieb der Tannaiten, der zeitgenössischen palästinischen Toragelehrten, nahelegt (s. u. 115 f.). Die Beobachtung, daß Aquilas extrem „buchstäbliche“ Überarbeitung der griechischen Bibelübersetzung der rabbinischen Schulpraxis nahe stand, gibt auch Anlaß zu Mutmaßungen, sie sei von ihrem Verfasser nicht als traditionsgebundene Rezension der maßgeblichen jüdischen Heiligen Schriften gedacht gewesen, wie ihrerseits die alexandrinische Übersetzung der Tora ins Griechische, sondern gleichsam als ein Targum, der nicht die Autorität seiner bereits standardisierten Vorlage beansprucht, sondern diese nur in ergänzender Weise für seine Adressaten verständlich machen will (s. u. 119 f.). Obgleich es streckenweise kaum lesbar wirkt, fand Aquilas Werk bald eine breite Rezeption durch die jüdischen Gemeinden und wurde bis in die Zeit Kaiser Justinians I. (527–565) hinein in vielen Synagogen verwendet. Die im 3. Jahrhundert n. Chr. in Babylonien redigierte Übertragung der Tora ins Aramäische, der Targum Onkelos, den der babylonische Talmud als „offiziellen“ Targum zur Tora zitiert, trägt sekundär Aquilas Namen (vgl. b [= babylonischer Talmud] Megilla 3a). Sein Werk ist überaus dürftig überliefert; erhalten sind allein sporadische Randbemerkungen in späteren Hexaplahandschriften und einige (ausradierte und überschriebene) Bruchstücke der Bücher 1.2. Könige [= LXX 3.4. Königreiche] und der Psalmen aus der Geniza (einer zum Synagogengebäude gehörigen Kammer, in der beschädigte und alte, aus dem Gebrauch gekommene Schriftstücke religiösen Inhalts gelagert wurden, weil man sie wegen des in ihnen niedergeschriebenen Gottesnamens nicht einfach vernichten durfte) der Ben Esra-Synagoge in Fustat (Altkairo). Gegen die Annahme, auch die in der Septuaginta überlieferte griechische Übersetzung von Kohelet sei der Übersetzung Aquilas zuzurechen bzw. das Produkt einer sehr späten jüdischen Überarbeitung (tatsächlich zeigt die Übertragung des skeptizistischen Buchs eine Reihe von auffälligen Eigenheiten, in denen sie mit den Übersetzungsprinzipien der „Tertia“ übereinstimmt), spricht vor allem die Beobachtung, daß dieses Buch im frühen Christentum
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bereitwillig und ohne irgendwelche erkennbaren Vorbehalte rezipiert wurde (vgl. Röm 3,10). Die vierte Spalte der Hexapla („Quarta“) enthielt eine anonyme Überarbeitung des griechischen Bibeltextes, die dem um 200 n. Chr. in Caesaea maritima lebenden jüdischen (oder judenchristlichen) Gelehrten Symmachus (σ) zugeschrieben wurde. Vielleicht ist er mit einem von den jüdischen Weisen in b Erubin 13b; b Baba Batra 73a; b Ketubbot 81a erwähnten „Somchos“, einem Schüler des Rabbi Me>ir, identisch. Ebenso wie das Werk Aquilas war diese sprachbewußte Rezension um eine lexikalisch konsistente und genaue Wiedergabe des hebräischen Bibeltextes bemüht, ebenso wie bei diesem sollte der Sinn der Vorlage in seiner Übersetzung möglichst umfassend erhalten bleiben. Im Gegensatz zum Vorgehen des Verfassers der „Tertia“ wurde derselbe hebräische Ausdruck hier aber unter Berücksichtigung seines jeweiligen literarischen Kontexts mit verschiedenen griechischen Wörtern wiedergegeben und wurde auch nicht jedes lexikalische Element analog übersetzt. Ebenso war „Symmachus“ um ein akzeptables Griechisch gemäß den stilistischen Anforderungen seiner Epoche bemüht. Dies zeigt sich unter anderem in seiner Vorliebe für griechische Partizipialkonstruktionen, durch die er die parataktische Beiordnung der hebräischen Sätze wiederholt in eine hypotaktische Unterordnung verwandelte (z. B. 1. Kön 2,46–3,1 [= LXX 3. Kön 2,46a–l]). Ihr erkennbares Bemühen um die akkurate Wiedergabe des hebräischen Wortlauts bei gleichzeitigem Verzicht auf eine (bei Aquila zuweilen in die Unverständlichkeit mündende) übertriebene Wörtlichkeit zeigt, daß die unter dem Namen des Symmachus tradierte systematische Bearbeitung der griechischen Bibelübersetzung, die als die literarisch anspruchsvollste der Hexapla gilt, hinsichtlich ihrer angleichenden Orientierung an der hebräischen Texttradition eine mittlere Position zwischen der kirchlich überlieferten Septuaginta und der Rezension Aquilas einnahm. Die fünfte Kolumne des berühmten Werks bot die („hexaplarische“) Rezension des Origenes und enthielt seine „Verbesserungen“ anhand des ihm zugänglichen hebräischen Bibeltextes und dessen alternativen griechischen Übersetzungen. Strittig ist, ob die „Quinta“ bereits die fertige Überarbeitung der griechischen Bibelübersetzung für den öffentlichen liturgischen Gebrauch enthielt, oder eine Vorarbeit zu dieser darstellte. Zur Markierung sowohl der Textdifferenzen, d. h. der Wörter und Sätze, die nicht in der Septuaginta, sondern allein in der hebräischen Bibel geboten werden, als auch des Textes, der sich in dieser nicht findet und nur in der griechischen Übersetzung begegnet, benutzte der christliche Lehrer die in der antiken alexandrinischen Philologie gebräuchlichen sogenannten „aristarchischen Zeichen“, benannt nach dem in der Nilmetropole lehrenden Homerexegeten, Textkritiker und Vorsteher der königlichen Bibliothek Aristarchos von Samothrake (217–145 v. Chr.). Mit ihrer Hilfe konnte Origenes die Divergenzen in der „Quinta“ kennzeichnen, indem er diejenigen überschüssigen Stellen markierte, für die der hebräische Text keine Entsprechung bot. Die Kennzeichnung eines überschüssigen Wortes erfolgte durch Obelus (÷); mehrere überschüssige Wörter wurden durch Obelus und Metobelus (:) eingeklammert. Die Tatsache, daß der griechische Kirchenvater solche Textüberschüsse nicht einfach löschte, beruht sicher auf seiner Überzeu-
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Rezension des Origenes
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gung der Heiligkeit (bzw. der göttlichen Inspiration) der kirchlich tradierten griechischen Bibel. Einzelne Wörter und Passagen, die in der Septuaginta gegenüber dem Hebräischen fehlten (bzw. dem Bearbeiter als unverständlich oder als unpassend erschienen), weshalb er den entsprechenden Text aus den alternativen jüdischen Versionen (Aquila, Symmachus und vor allem Theodotion [s. u.]; in einigen Büchern auch aus weiteren Konkurrenzübersetzun· ·) bzw. mit Asterisgen) einfügte, wurden mit vorangestelltem Asteriskus (· ˙ kus und nachfolgendem Metobelus markiert. Der Asteriskus scheint zudem auch Stellen zu bezeichnen, an denen Origenes selbst die Übersetzung modifiziert hat. Allerdings wurde dieses Verfahren der Kennzeichnung seiner eklektischen Bearbeitung nicht konsequent durchgehalten. Origenes hat zuweilen auch in den Text der „Quinta“ eingegriffen, ohne dies kenntlich zu machen; an zahlreichen Stellen läßt sich eine Bearbeitung (zumeist in Form kleinerer Angleichungen; z. B. Änderungen des Lautbestands der Eigennamen) nachweisen, ohne daß sie markiert wurden. Die aristarchischen Zeichen in der „Quinta“ sind nur noch zum Teil erhalten; sie wurden von späteren kirchlichen Kopisten der Septuaginta nur noch unvollständig oder überhaupt nicht mehr mit abgeschrieben und in manchen Fällen nur noch als graphische Verzierungen des Bibeltextes betrachtet. Allein der Codex Colberto-Sarravianus (5. Jahrhundert), der den griechischen Text der Bücher Genesis bis Richter enthält, überliefert durchgängig die systematischen textkritischen Markierungen des Origenes, deren Existenz von manchen Septuagintaforschern auch als ein Argument für den „vorläufigen“ Charakter der Hexapla als Arbeitsgrundlage der weiteren textkritischen Arbeit gewertet wird. Der Text der „Quinta“ wurde bald separat in vielen handschriftlichen Kopien verbreitet und entwickelte sich rasch zum autoritativen und als inspiriert geltenden Standardtext der Kirchen des Ostens von Alexandria bis nach Antiochia. Die liturgischen Bücher der griechisch-orthodoxen Kirche bieten bis auf den heutigen Tag einen Text, der aus der hexaplarischen Rezension hervorgegangen ist. In Ägypten war der Einfluß der „Quinta“ dagegen erheblich geringer, was die hier entstandenen bzw. gefundenen griechischen Handschriften (insbesondere die alten christlichen Majuskelcodices Sinaiticus [S], Alexandrinus [A] und Vaticanus [B]; s. o. 14) besonders wertvoll für die Rekonstruktion eines vorhexaplarischen Überlieferungsstadiums des betreffenden Buchs macht. Hieronymus (347–429), der begabteste Sprachgelehrte der Alten Kirche, überarbeitete ein gutes Jahrhundert nach Origenes die alte lateinische Übersetzung der Hagiographen nach diesem hexaplarischen Bibeltext und legte ihn später auch (neben dem hebräischen Text und den altlateinischen Versionen) seiner umfassenden lateinischen Übersetzung des gesamten Alten Testaments zugrunde (s. u. 98 f.). In der letzten Kolumne der Hexapla („Sexta“) findet sich die Version Theodotions (θ), der als jüdischer Konvertit im ausgehenden 2. Jahrhundert in Ephesus gelebt haben soll. Theodotions Werk, das von Origenes bei der Herstellung des Textes der „Quinta“ zumeist den anderen Übersetzungen vorgezogen wurde, war sicher keine unabhängige Neuübersetzung aus dem Hebräischen, sondern eine komplette Überarbeitung eines älteren
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griechischen Bibeltextes, den man heute aufgrund zahlreicher vergleichbarer Merkmale zumeist mit der Kaige-Rezension (die deshalb auch „Proto-Theodotion“ genannt wird) identifiziert (s. o. 83 f.). Unter erkennbarer Verwendung des vorausgegangenen Werkes Aquilas überarbeitete Theodotion seine griechische Vorlage nach dem hebräischen Standardtext, wobei er ihre Textüberschüsse zumeist bewahrte und ihre Lücken nach Aquilas „buchstäblicher“ Übersetzung auffüllte. Auch Theodotion war sehr um eine Angleichung der griechischen Bibel an den hebräischen Text bemüht. Er gebrauchte deshalb für viele hebräische Ausdrücke stereotype griechische Äquivalente, ohne dabei auf semantische Verschiebungen Rücksicht zu nehmen, die durch den jeweiligen literarischen Kontext bedingt waren. Ebenso transliterierte er insbesondere Pflanzen- und Tiernamen sowie Bezeichnungen von priesterlichen Kleidungsstücken und jüdischen Kultgegenständen, also solche Wörter, von denen er annahm, daß es im Koinegriechischen keine exakt passende Entsprechung gebe. Die Version des Theodotion enthielt wohl alle biblischen Bücher außer den Klageliedern Jeremias (seine Bearbeitung erstreckte sich auch auf Schriften, die keinen Eingang in den späteren Kanon verbindlicher jüdischer Heiliger Schriften fanden, nämlich Baruch und Zusätze zu Daniel [s. o. 22]). Ein großer Teil des Textes des Hiobbuchs in der „Quinta“ gibt seine Rezension wieder. Die Theodotion zugeschriebene Übersetzung von Daniel ist in der Hexapla zur Gänze überliefert; Origenes scheint ihr den Vorzug gegenüber der (ihren hebräischen bzw. aramäischen Ausgangstext streckenweise sehr frei paraphrasierenden) kirchlich ebenfalls gebrauchten und tradierten älteren Septuagintaversion (s. o. 64) gegeben zu haben, was sich auch darin zeigt, daß er bei seiner Bibelauslegung zumeist den genaueren Danieltext der „Sexta“ zitierte. Beide griechische Versionen des Danielbuchs haben einen ähnlichen Grundaufbau; beide fußen auf einer gemeinsamen Vorlage, die sie mit je und je eigenen Motiven erweitert haben. Der Septuagintaversion merkt man noch an, daß das Danielbuch im antiken Judentum zunächst noch nicht als ein in seinem inspiriertem Wortlaut unveränderliches Werk angesehen wurde, das prophetische Voraussagen enthält. Bereits im 4. Jahrhundert hat die weitaus wortgetreuere jüngere Version des griechischen Danielbuchs seine vorhexaplarische Übersetzung so vollständig aus der Textüberlieferung verdrängt, daß von dieser heute (neben einer Reihe von Kirchenväterzitaten) nur noch die Danielübersetzung in der Syro-Hexapla (s. u. 92) und zwei griechische Kopien existieren, der Papyrus 967 aus der Handschriftensammlung Chester Beatty/Scheide (ca. 4. Jahrhundert) und der römische Minuskelcodex Chisianus aus dem 10. Jahrhundert (Vaticanus gr. R VII 45; Sigel 88 bei Rahlfs). Die Hexapla des Origenes lag in der von ihm begründeten bedeutenden bischöflichen Bibliothek von Caesarea maritima, die der spätere Märtyrer Pamphilos (ca. 240–309) ausgebaut und katalogisiert hatte, zur Einsicht und Abschrift aus. Diese Bibliothek in der von Herodes dem Großen (reg. 37–4 v. Chr.) gegründeten Hafenstadt, die wohl vor allem philosophische Werke und Manuskripte biblischer Schriften enthielt (eine im engeren Sinn exegetische Literatur war erst im Entstehen begriffen), könnte im Zuge der islamischen Eroberung Palästinas im Jahre 638 vernichtet worden sein; spä-
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Caesarea maritima und seine Bibliothek
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Die Überlieferungsgeschichte der Septuaginta
Textüberlieferung der Hexapla
tere arabische Historiker wollen von der Einnahme der Stadt nach langer Belagerung durch den Verrat ihres jüdischen Bevölkerungsanteils wissen. Allerdings gibt es für die Zerstörung der bischöflichen Bibliothek durch die muslimischen Eroberer keine zuverlässigen Quellen; denkbar ist auch ihre – lange zuvor begonnene – allmähliche Verwahrlosung bzw. ihr langsamer Schwund über einen längeren Zeitraum. Das überaus umfangreiche Gesamtwerk der Hexapla (es soll insgesamt 50 Bände mit insgesamt 6000 Blättern umfaßt haben) zu kopieren erwies sich als überaus schwierig; in Form von Abschriften in Auszügen und Einzelzitaten tradiert wurde deshalb zumeist nur der Text der „Quinta“ mit sporadischen Hinweisen auf alternative Einzellesarten an den Seitenrändern; handschriftliche Zeugen der anderen hexaplarischen Kolumnen existieren kaum noch. Ein bedeutender Tradent hexaplarischen Stoffes ist der Patriarch von Konstantinopel Johannes Chrysostomus (344/45–407), insbesondere in seinen Homilien zu den Psalmen und zum Propheten Jesaja. Viele altkirchliche Schriften mit hexaplarischen Lesarten gingen wohl verloren; nur wenige erhaltene Manuskripte (insbesondere in Katenen [„Kettenkommentaren“], seit dem 6. Jahrhundert verbreiteten Zusammenstellungen von Bibelauslegungen verschiedener Kirchenväter) setzten bei der Zitation von Alternativlesarten an Stelle der anonymen griechischen Bezeichnungen Gλλος („ein anderer“) und Mτερος („ein weiterer“) die Namen ihrer Übersetzer ein. Erst im Jahre 1895 wurde mit den „Mailänder Fragmenten“ (Codex Rescriptus Bybliothecae Ambrosianae O 39 sup. [Sigel 1098 bei Rahlfs]; ca. 9.–11. Jahrhundert) eine großenteils ausradierte und als Schreibunterlage für liturgische Texte verwendete Abschrift der Hexapla in fünf Spalten mit ca. 150 Psalmversen (ohne aristarchische Zeichen) entdeckt und entziffert. Gut zwei Jahrzehnte vor der Entdeckung dieser bedeutenden Hexaplabruchstücke durch Kardinal Giovanni Mercati (1866–1957) war im Jahre 1874 der syrische Codex Ambrosianus Syrohexaplaris (C. 313 inf.; 9. Jahrhundert) veröffentlich worden. Dieser enthält den Text der Prophetenbücher und Hagiographen in der vom ostsyrischen nestorianischen Bischof Paul von Tella (Constantina) um das Jahr 616 angefertigten syrischen Übersetzung der „Quinta“ mitsamt der Mehrzahl der aristarchischen Zeichen und auch viele wertvolle alternative Randlesarten von Aquila, Symmachus und Theodotion. Der (noch in einer Anzahl weiterer Handschriften erhaltene) Text der „Syro-Hexapla“ kann als geradezu sklavisch genau charakterisiert werden, weshalb er textgeschichtlich von hohem Wert ist.
3. Nachhexaplarische Rezensionen Auch nach der Bearbeitung der griechischen Bibel durch Origenes gab es weitere christliche Septuagintarezensionen. Bereits im 4. Jahrhundert existierten die meisten Bücher der Septuaginta in mehreren unterschiedlichen Gestalten; jede dieser differenten Textformen wurde mit einem bestimmten kirchlichen Zentrum verbunden. In seinem Prolog zu den Chronikbüchern in der Vulgata (s. u. 98 f.) erwähnte der Kirchenvater und Bibelübersetzer
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Nachhexaplarische Rezensionen
Hieronymus (in eher abfälliger Weise) drei verschiedene Bearbeitungen des zeitgenössischen griechischen Bibeltextes, die er jeweils mit einer bestimmten geographischen Herkunft assoziierte: „Alexandria und Ägypten loben in ihren Ausgaben der Septuaginta den Hesychius als Verfasser. Konstantinopel erkennt bis nach Antiochia hin die Abschriften des Märtyrers Lukian an. Die zwischen diesen gelegenen Provinzen lesen die palästinischen Bücher, die Origenes angefertigt und Eusebius und Pamphilus verbreitet haben, und alle Welt streitet sich wegen dieser dreifachen Vielgestaltigkeit.“ (Prologus in libro Paralipomenon; Übers. M.T.)
Die Notwendigkeit, daß Hieronymus seine Übersetzung ins Lateinische unternahm, wurde demnach aus dem Unheil erwiesen, das andere zuvor angerichtet hatten. Nach seinem Zeugnis besaßen die verschiedenen kirchlichen Provinzen jeweils ihren eigenen griechischen Bibeltext, und durch diese trifaria varietas („dreifache Vielgestaltigkeit“) wurde ihre tadelnswerte Uneinigkeit befördert. Dem ägyptischen Christentum wurde die Version des Hesychius zugeordnet, den syrischen Christen die Ausgabe des Lukian, Jerusalem und den östlichen Kirchen schließlich der hexaplarische Text des Origenes. Es ist anzunehmen, daß neben diesen drei genannten Bearbeitungen in den verschiedenen Reichsteilen noch eine ganze Reihe weiterer Rezensionen kursierte (z. B. kann die eigenwillige griechische Textform von Hab 3,1–19 in der Septuaginta keiner bekannten Rezension zugeordnet werden). Ebenso ist es wahrscheinlich, daß in keinem der erwähnten Gebiete nur eine einzige Version des christlichen Alten Testaments (s. u. 108) in Gebrauch oder gar absolut vorherrschend war. Ägypten und Palästina, nach Auskunft des Hieronymus die Sitze der hesychianischen und der lukianischen Textform, wurden im 8. Jahrhundert von den Muslimen erobert; der Text der Hauptstadt Konstantinopel wurde nunmehr bestimmend für das Christentum im gesamten oströmischen Reich. Die wichtigste dieser nachhexaplarischen Rezensionen ist die Überarbeitung der Geschichtsbücher, Propheten und Hagiographen (das Bestreben nach einer Überarbeitung des Pentateuchs scheint im Christentum eine weitaus geringere Rolle gespielt zu haben als vormals im Judentum) durch den gelehrten Presbyter und Bibelausleger Lukian von Antiochien (250–312); er gilt als der Begründer der antiochenischen Exegetenschule. Seine Ausgabe, die er möglichweise mit Unterstützung eines christlichen Gelehrten namens Dorotheus erstellte, der über umfangreiche Kenntnisse der hebräischen Sprache verfügte, wurde von späteren antiochenischen kirchlichen Schriftstellern wie Johannes Chrysostomus (344/45–407) und Theodoret von Kyros (393–460) regelmäßig benutzt und ausführlich zitiert (allein die Zitate beider christlicher Autoren aus dem Buch Josua scheinen auf einer anderen Textversion zu beruhen). Hinsichtlich der varianten Randlesarten in griechischen und syrischen Septuagintahandschriften, die mit dem griechischen Buchstaben λ (bzw. seiner syrischen Entsprechung) markiert sind, muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob es sich hier wirklich um einen Hinweis auf den lukianischen Text handelt, denn das λ kann auch in pauschalierender Weise auf alternative Lesarten (ο λοιπο „die übrigen [Übersetzer]“) verweisen. Ältere Überlieferungen wurden von Lukian harmonisiert, geglättet und unter Einfügung des in der ihm bekannten griechischen Überlieferung Fehlenden
Hieronymus als Zeuge der trifaria varietas
lukianische Rezension
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1.2 Samuel; 1.2 Könige
Esther
zu einem neuen „Einheitstext“ geformt. Er hat dabei offenbar nicht nur die Hexapla des Origenes, sondern in manchen Büchern auch eine andere alte jüdische Übersetzung einer vom MT streckenweise unabhängigen Vorlage bearbeitet. Auffällig sind vor allem die Übereinstimmungen nicht nur mit den altlateinischen Versionen (s. u. 97 f.) und den Bibelzitaten bei den Kirchenschriftstellern Tertullian (ca. 155–230) und Cyprian (ca. 200–258), sondern auch mit 4QSama ([4Q51] ca. 200 v. Chr.; das Manuskript bietet ebenso wie der griechische Text einen kürzeren Text als der MT), dem von Flavius Josephus verwendeten Text (z. B. Ant. VII 23 [vgl. LXX 2. Kön 3,7]; VII 196 [vgl. LXX 2. Kön 15,7]; VII 197 [vgl. LXX 2. Kön 15,12]; VII 207 [vgl. LXX 2. Kön 16,5]; VII 274 [vgl. LXX 2. Kön 19,38]; VII 301 [vgl. LXX 2. Kön 21,18]; VIII 31 [vgl. LXX 3. Kön 3,25]; IX 48 [vgl. LXX 4. Kön 4,2]; IX 88 [vgl. LXX 4. Kön 8,8]; IX 121 [vgl. LXX 4. Kön 10,36]; IX 148 [vgl. LXX 4. Kön 11,10]) und einigen Schriftzitaten im Neuen Testament (z. B. Lk 4,26 f. [vgl. LXX 3. Kön 17,9]). Insbesondere der griechische Text der Bücher 1.2. Samuel und 1.2. Könige (= LXX 1–4. Königreiche) weist gegen die Hexapla zahlreiche Übereinstimmungen mit den Zitaten antiochenischer Kirchenväter auf; über weite Strecken scheint hier die lukianische Rezension erhalten zu sein. Verbreitet ist die Annahme, der Text dieser Geschichtsbücher sei aufgrund der textlichen Entsprechungen der Qumranfunde als von der jüdischen Kaige-Rezension (s. o. 83 f.) abhängig zu betrachten. Insbesondere zwischen 2. Sam (= LXX 2. Kön) 11 und 1. Kön (= LXX 3. Kön) 2 sowie von 1. Kön (= LXX 3. Kön) 22 bis zum Ende von 2. Kön (= LXX 4. Kön) 25 wurden die Partikel gam („auch“) mit κα γε und das Personalpronomen >anoki ¯ („ich“) mit /γ3 ε@µι übersetzt, und finden sich noch zahlreiche weitere Angleichungen an die hebräische Vorlage. Daneben existiert die Auffassung, daß die lukianische Rezension hier möglicherweise sogar auf einem älteren griechischen Texttyp beruht, der noch nicht durch die Kaige-Rezension kontaminiert wurde, dem sogenannten „protolukianischen“ Text. Begründet wird diese These vor allem durch den Hinweis darauf, daß der „protolukianische“ Text hinsichtlich seines Stils und seiner Grammatik eine erkennbar größere Nähe zur hebräischen Vorlage aufweise als die KaigeRezension. Allerdings kann ein Teil der wesentlichen Charakteristika des lukianischen Texttyps durchaus auch auf eine eigenständige hebräische Vorlage des in Antiochia überarbeiteten Bibeltextes zurückgeführt werden. Ob auch der von Paul de Lagarde (s. o. 62) veröffentlichte sogenannte „A-Text“ des (ebenso wie die „apokryphen“ [bzw. „deuterokanonischen“] Bücher Tobit, Susanna und Judit [s. o. 21 f.] in zwei griechischen Textformen vorliegenden) Estherbuchs als lukianisch betrachtet werden kann, ist hingegen in der gegenwärtigen Septuagintaforschung umstritten. Der A-Text des Estherbuchs wird von einigen frühmittelalterlichen Manuskripten (dem unvollständigen Pergamentcodex London, British Museum, Reg. 1 D II [Sigel 93 bei Rahlfs] sowie den von Rahlfs unter den Sigeln 19, 108, 319 und 392 verzeichneten Codices) bezeugt. Den (ca. 100 Verse längeren) traditionellen Septuagintatext („B-Text“) mit sechs größeren ausschmückenden und zahlreiche Ergänzungen bietenden zusätzlichen Stücken, die auch eine Reihe von Stilelementen des hellenistischen Romans aufnehmen, bietet z. B. der Codex Vaticanus (B):
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Nachhexaplarische Rezensionen
– Zusatz A (Traumvision des Judäers Mordechai und Aufdeckung der Verschwörung) vor 1,1 (MT); – Zusatz B (Wortlaut des judenfeindlichen Dekrets des Perserkönigs) nach 3,13 (MT); – Zusatz C (aus verschiedenen Elementen der biblischen Literatur komponierte lange Gebete Mordechais und Esthers) nach 4,17 (MT); – Zusatz D (ausführliche dramatisierende Darstellung des Verlaufs der Audienz Esthers beim König, während der sie um das Leben ihres Volkes bittet) statt 5,1–2 (MT); – Zusatz E (Gegenerlaß des Perserkönigs zum Schutz seiner rechtschaffenen jüdischen Untertanen) nach 8,12 (MT); – Zusatz F (Deutung des Traums Mordechais und beglaubigender Unterschrift zum griechischen Estherbuch) nach 10,3 (MT). Der kürzere A-Text des Estherbuchs, der in vielen sprachlichen und inhaltlichen Details vom Wortlaut der Langversion abweicht und an manchen Stellen eher dem Wortlaut des MT entspricht als die traditionelle Version, ist wohl eine frühe Rezension des B-Texts, könnte aber auch die Übersetzung einer eigenständigen, vom MT unabhängigen hebräischen Vorlage sein. Die längere Version dürfte bereits zur Zeit des Zweiten Tempels entstanden sein; bereits Josephus scheint sie in seiner Nacherzählung der Esthergeschichte (Ant. XI 184–296) gekannt zu haben. Vielleicht ist aber auch gerade in Bezug auf das Estherbuch, das sich bereits im antiken Judentum großer Beliebtheit erfreute, der Versuch einer Rekonstruktion der historischen Abfolge der einzelnen Übersetzungen zugunsten der Annahme aufzugeben, daß mit einem nicht klar konturierten bzw. hinsichtlich seines Umfangs fixierten Reservoir diverser haggadischer Einheiten („narrative pool“) zu rechnen ist, aus dem die einzelnen Stränge der Überlieferung geschöpft und sie in je und je unterschiedlicher Weise theologisch gedeutet haben (Die Estherversion der Vetus Latina [s. u. 97 f.] geht auf eine dritte, uns nicht mehr erhaltene Vorlage zurück). Es wäre daran zu denken, daß insbesondere das durchgängige Fehlen des Gottesnamens im Estherbuch, das im Judentum später die Festrolle des Purimfests geworden ist, von Anfang an eine solche vielgestaltige theologische Deutung der Traditionsstoffe bzw. ihre Auswahl und interpretierende Ergänzung insbesondere durch die akzentuierte Darstellung von Gottes sichtbarem Eingreifen in das menschliche Geschehen begünstigte. Zu den Charakteristika der lukianischen Rezension der griechischen Bibel (sie wird auch „antiochenische“ Textform genannt, weil sie den im 4. Jahrhundert in Antiochia verwendeten Text der Septuaginta darstellt) gehören die glättenden Abweichungen von ihrer griechischen Vorlage an Stellen, an denen die geltenden Gesetze der griechischen Grammatik und Stilistik keine wörtliche Wiedergabe des ursprünglichen hebräischen Textes zulassen, die Ergänzung des Artikels, die Hinzufügung von Eigennamen und Pronomina, die Vermeidung von Semitismen und die Tendenz, zur Verdeutlichung des Textsinns seltene und als altertümlich empfundene Wörter und Wendungen durch gängige umgangssprachliche oder „vornehme“ attische Formen und Formbildungen zu ersetzen. Daneben begegnen das Bemühen um Variation von Synonymen, die Markierung von Auslassungen im griechischen Text sowie präzisierende und erklärende Zusätze.
Charakteristika der lukianischen Rezension
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hesychianische Rezension
Tobit
Letztere Textüberschüsse gegenüber dem MT und der „Quinta“ führten dazu, daß die Geltung dieser Rezension, die auch das Neue Testament umfaßte, bereits von manchen altkirchlichen Autoritäten bestritten wurde. Insgesamt läßt sich beobachten, daß keine der Textänderungen in der lukianischen Rezension, die später zum einzigen offiziellen Text der griechischsprechenden Christenheit geworden ist, in stringenter Weise durchgeführt wurde. Ihr Hauptcharakterzug ist das Fehlen eines erkennbaren Prinzips. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Lukian den griechischen Bibeltext nach der Hebraica veritas überarbeiten wollte, handelte es sich doch bei seiner Rezension in erster Linie um einen Versuch, eine „bessere“ Septuaginta für den praktischen kirchlichen Gebrauch zu schaffen, sachliche Spannungen mittels verdeutlichender und erklärender Zusätze auszugleichen und stilistisch zu glätten (Der Begriff Hebraica veritas wurde ursprünglich allein in philologischem Kontext genutzt und erst in einem zweiten Schritt auf die Kanonfrage übertragen). Es ging ihm sicher nicht darum, einen möglichst engen Anschluß an den hebräischen Text zu gewinnen. Allerdings ließ sich der christliche Bibelausleger in der Wahl seiner Formulierungen häufig von den akzentuiert ausgangssprachlich orientierten Werken Aquilas, Symmachus´ und Theodotions inspirieren und kam so an manchen Stellen auch zu indirekten Angleichungen an den sich im zeitgenössischen Judentum durchsetzenden MT, ohne diesen jedoch für autoritativ oder gar für besonders „inspiriert“ zu halten. Außer der oben zitierten Notiz des Hieronymus, daß es sie einmal gegeben hat, wissen wir fast nichts mehr über die von Hesychius vorgenommene Rezension des im 4. Jahrhundert im ägyptischen Raum kursierenden Bibeltextes. Welche Rolle sie hier gespielt hat, muß als ganz unsicher gelten. Auch ihr Umfang und ihr Charakter bleiben ebenso dunkel wie die Identität ihres Verfassers, dessen Identifizierung mit dem von Eusebius von Caesarea (Historia ecclesiastica [„Kirchengeschichte“] VIII 13) erwähnten gleichnamigen ägyptischen Bischof und Märtyrer nicht gesichert ist. Die Beantwortung der Fragen, ob und welche griechische Bibelmanuskripte den hesychianischen Text in seinen verschiedensten Brechungen enthalten, ist noch immer ein Desiderat der Septuagintaforschung. Ein erstes Kriterium zur Eingrenzung des umfangreichen Handschriftenbestandes ist allenfalls die Übereinstimmung einer nichthexaplarischen Lesart mit der ägyptischen Texttradition und mit den Schriftzitaten der in Ägypten lebenden und lehrenden Kirchenväter (z. B. Cyrill von Alexandria [ca. 380–444]), wobei jedoch stets auch damit gerechnet werden muß, daß sämtliche frühchristliche Schriftsteller mitunter aus dem Gedächtnis zitierten und daß die kirchlichen Kopisten ihrer Werke die in ihnen enthaltenen Bibelzitate jeweils der bestimmenden griechischen Texttradition angeglichen haben. Ein Beispiel für die gleichzeitige Existenz differenter Texttraditionen derselben Schrift ist das in (mindestens) zwei unterschiedlichen griechischen Textformen vorliegende Buch Tobit. Sein durch ein flüssiges Griechisch gekennzeichneter Kurztext (G I) wird repräsentiert durch Codex Vaticanus (B), Codex Alexandrinus (A), den jüngeren Codex Venetus (V) sowie eine Anzahl von Minuskelhandschriften. Den griechischen Langtext (G II), dem auch die hebräischen und aramäischen Qumranfragmente (4Q 196–199) und die Vetus Latina entsprechen und der im Gegensatz zu G I eine stärker
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Tochterübersetzungen
semitisierende Sprachform aufweist, bieten der Codex Sinaiticus (S) und zwei Minuskeln. Einen schwer einzuordnenden Mischtext bieten die spätmittelalterlichen Handschriften 106 und 107 (Tob 6,9–12,22). Während die Tobitforschung im 19. Jahrhundert davon überzeugt war, daß G II als eine bewußte Ausgestaltung der kürzeren Textform G I anzusehen sei, geht man aufgrund der Übereinstimmungen der Qumranfragmente mit G II heute mehrheitlich davon aus, daß diese Version des Tobitbuchs mit großer Wahrscheinlichkeit die ältere ist und G I somit ihre glättende und kürzende Überarbeitung darstellt. Vielleicht ist aber auch hier in ähnlicher Weise wie beim Estherbuch (s. o. 94 f.) mit einer prinzipiellen Pluriformität des populären Erzählstoffes der Tobitüberlieferung bereits in deren ältesten Strata der Tradition zu rechnen; eine definitive Entscheidung für einen bestimmten Traditionsstrang als den „ältesten“ griechischen Tobittext ist angesichts der unübersichtlichen Quellenlage wohl nicht zu erreichen. Die großen altkirchlichen Rezensionen der Septuaginta bedeuteten noch längst nicht das Ende der Entwicklung ihres Textes. Die verschiedenen christlichen Überarbeitungen (mit Kenntnis und unter gelegentlichem Einfluß des Hebräischen) beeinflußten sich im Verlauf des Transmissionsprozesses während der folgenden Jahrhunderte gegenseitig; das Ergebnis waren höchst heterogene, geradezu „verwilderte“ Mischtexte in nahezu allen Handschriften, deren Abschreiber sowohl verschiedenen Vorlagen folgten als auch selbst immer wieder nachträgliche vereinheitlichende Textänderungen vornahmen. Alle kirchlich überlieferten Textformen der Septuaginta sind deshalb Mischtexte, uneinheitliche Produkte einer langen und komplizierten Überlieferungsgeschichte des griechischen Bibeltextes, dessen anfängliche Gestalt nicht mehr mit völliger Sicherheit zu rekonstruieren ist.
4. Tochterübersetzungen Außer der bereits erwähnten syrischen Übersetzung der „Quinta“ in der Syro-Hexapla (s. o. 92) entstanden – teilweise bereits in frühchristlicher Zeit – Übertragungen der Septuaginta in die Sprachen der verschiedenen sich formierenden Kirchen. In der wachsenden Christenheit des Westens, z. B. in Südgallien und Nordafrika, wo zumeist Latein gesprochen wurde, entstand schon im 2. Jahrhundert das Bedürfnis nach Übersetzungen der griechischen Bibel in die Landessprache für gottesdienstliche Zwecke und für die private Bibellektüre der Frommen. Ebenso wie bei der Septuaginta existierte auch bei diesen lateinischen Übersetzungen, der Vetus Latina („alte lateinische [Fassung]“; in älteren Veröffentlichungen begegnet auch die Bezeichnung Itala) von Anfang an wohl eine Vielzahl unterschiedlicher Textformen; die Existenz eines einzigen lateinischen „Urtexts“ ist ebenso unwahrscheinlich wie die Annahme einer „Ur-Septuaginta“ (s. o. 63). Ebenso wie bei der Septuaginta liegen uns die heterogenen Vorlagen der Übersetzung nicht mehr vor, kontaminierten sich die verschiedenen lateinischen Übersetzungen schon früh gegenseitig und wurden zudem auch von ihren Abschrei-
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Vulgata
bern immer wieder an denjenigen griechischen Bibeltext angeglichen, der von ihnen jeweils als maßgeblich betrachtet wurde. Die alten lateinischen Übersetzungen wurde seit dem 5. Jahrhundert durch die Vulgata (s. u.) verdrängt. Sie sind uns nur noch bruchstückhaft in vereinzelten Textfragmenten und Zitaten erhalten, die sich in ihrem Wortschatz und ihrer Übersetzungsart – zum Teil erheblich – von späteren Textformen unterscheiden (insbesondere bei Cyprian von Karthago [ca. 200– 258], aber auch bei dem bedeutendsten lateinischen Kirchenvater Aurelius Augustinus [354–430]). Die Vetus Latina (unter dieser Sammelbezeichnung werden heute sämtliche lateinischen Übersetzungen der alt- und neutestamentlichen Bücher zusammengefasst, die vor [und auch neben] der Vulgata in Gebrauch waren) enthält viele alte Lesarten, die zu einem großen Teil auf griechische Textformen zurückgehen, welche ihrerseits oft älter sind als die bestimmend gewordene origenistische Rezension des Septuagintatextes. Die Rekonstruktion und Untersuchung ihrer Textgestalt leistet deshalb einen wichtigen Dienst bei der Sicherung des vorhexaplarischen Textbestands. Das Kursieren einer schier unübersichtlichen Menge lateinischer Ausgaben des Alten und Neuen Testaments mit unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Qualität der Übersetzung veranlaßte Papst Damasus I. (366–384) wohl bereits im Jahre 382, seinen Freund und Sekretär Sophronius Eusebius Hieronymus mit der Erstellung eines zuverlässigen Textes, d. h. einer umfassenden vereinheitlichenden und korrigierenden Revision der zahlreichen vorhandenen lateinischen Bibelübersetzungen, zu beauftragen. Nachdem Hieronymus dieses gewaltige Werk in Angriff genommen und zunächst die neutestamentlichen Bücher bearbeitet hatte, wandte er sich im Jahre 390 dem Alten Testament zu. Den Anfang machte die (in der römischen Liturgie bis heute verwendete) Überarbeitung des Psalters, des Buchs also, das vom Klerus auswendig gelernt wurde und den frommen Laien bekannter war als irgendein anderes Buch des Alten Testaments. Die altlateinischen Psalmenübersetzungen wurden von ihm behutsam nach einem griechischen Text vereinheitlich; sollten doch die traditionellen Lieder und Gebete im Gottesdienst auch nach ihrer Bearbeitung noch wiederzuerkennen sein. Es folgte eine weitere Rezension des Psalmenbuchs nach der „Quinta“ des Origenes, die ihrerseits bald im Gottesdienst der christlichen Gemeinden Galliens Verwendung fand („Psalterium Gallicanum“). Im Gegensatz zu diesen „Vorarbeiten“ basierte die eigentliche gründliche Überarbeitung des gesamten Alten Testaments durch Hieronymus in seinem Kloster bei Bethlehem auf einem protomasoretischen hebräischen Bibeltext, nach dem er die verfügbaren altlateinischen Textformen (unter Zuhilfenahme der Hexapla und mit Unterstützung jüdischer Gewährsleute) vereinheitlichte (seit dem 13. Jahrhundert begegnet für das Werk des Hieronymus die Bezeichnung Vulgata („die Allgemeine [sc. Bibelübersetzung]“). Die Vulgata benötigte einige Jahrhunderte, bis sie die Vetus Latina überall abgelöst hatte. Heftiger Widerstand schlug ihrer Verbreitung besonders von Seiten kirchlicher Autoritäten wie Augustinus entgegen, der (obwohl er selbst nach eigenen Angaben wohl nur wenig Griechisch konnte) den ausschließlichen Gebrauch der Septuaginta forderte, allein die seit der Zeit der Apostel tradierte griechische Bibelübersetzung als inspiriert ansah und
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Tochterübersetzungen
deshalb nur sie als die einzige maßgebliche Autorität akzeptierte (s. u. 110). Erst seit dem 9. Jahrhundert war die (ihrerseits mittlerweile mehrfach revidierte) Vulgata im ganzen lateinischen Christentum des Westens im Gebrauch (und verdrängte hier auch die Septuaginta). Am 8. April 1546 wurde sie auf dem ersten Konzil von Trient (Tridentinum) in Sessio IV zur authentischen, hinsichtlich ihres Umfangs genau feststehenden und für alle dogmatischen Lehraussagen maßgeblichen Bibel der katholischen Kirche erklärt. Von den altkirchlichen Bibelübersetzungen für die Verwendung in den orientalischen Gemeinden ist vor allem die koptische Übersetzung von hoher Bedeutung. Zwar war gerade in Alexandria, wo das Christentum zunächst Fuß faßte, keine andere Version als die Septuaginta nötig, doch erforderte die Ausweitung der christlichen Mission bald Übersetzungen in die Landessprache. Die für den Bedarf der koptisch-orthodoxen Christen im Inneren Ägyptens bereits seit dem 2. Jahrhundert in die verbreiteten ägyptischen Dialekte Sahidisch (S. wurde in Oberägypten gesprochen) und Bohairisch (B. war später in Unterägypten verbreitet) übertragenen biblischen Bücher des koptischen Christentums, die bis zum 9. Jahrhundert standardisiert wurden, waren im Verlauf ihrer handschriftlichen Überlieferung zumeist nicht im Einflußbereich der origenistischen Rezension und sind deshalb wichtige Zeugen der vorhexaplarischen Stadien des Septuagintatextes. Noch nicht hinreichend geklärt ist das Verhältnis zwischen der Septuaginta und der gegen Ende des 4. Jahrhunderts entstandenen syrischen Peschitto („die Einfache“), der Übertragung der gesamten hebräischen Bibel in die Volkssprache Edessas, ihrer ältesten schriftlichen Übersetzung in eine andere semitische Sprache. Die Mehrzahl der Übereinstimmungen zwischen den beiden Bibelübersetzungen gegen den MT scheint nicht auf eine beiden gemeinsame eigenständige hebräische Vorlage zurückzugehen, sondern wohl darauf, daß die Übersetzer der Peschitto bzw. spätere christliche Abschreiber hier nachträgliche Angleichungen nach dem griechischen Bibeltext vorgenommen haben. Zu erwähnen sind schließlich noch die armenischen Bibelübersetzungen des beginnenden 5. Jahrhunderts (Armenien hatte bereits im Jahre 304 n. Chr. unter König Tiridates [287–324] das Christenum als „offizielle“ Religion angenommen); ihr Mischtext, der in den folgenden Jahrhunderten noch mehrere Überarbeitungen erfuhr, basiert sowohl auf der griechischen (hexaplarischen) Texttradition als auch auf der Peschitto.
altkirchliche Bibelübersetzungen des Orients
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V. Die Septuaginta in christlicher Tradition 1. Die Septuaginta und das Neue Testament
„Altes Testament“ und „Neues Testament“
Schriftgebrauch im frühen Christentum
Die neutestamentlich gewordenen Texte wurden vor allem deshalb aufgeschrieben, um Orientierungspunkte für die Verkündigung und Lehre in den frühen christlichen Gemeinden zu schaffen. Die Bezeichnung der Sammlungen dieser Schriften als καιν. διαθκη („Neues Testament“; 2. Kor 3,6) begegnet zuerst in heilsgeschichtlich-bundestheologischen Zusammenhängen im ausgehenden 2. Jahrhundert bei den bedeutenden christlichen Theologen Melito von Sardes (gest. um 180) und Irenäus von Lyon (ca. 140–200) im Zusammenhang mit der Auslegung von Jer 31,31–34 im Lichte von 2. Kor 3,4–18. Sie sollte eine theologisch begründete Beziehung der frühchristlichen Literatur zu den als παλαι διαθκη („Altes Testament“; 2. Kor 3,14) bezeichneten jüdischen Heiligen Schriften herstellen. Der deutsche Begriff „Testament“ ist hergeleitet aus der Vulgata (s. o. 98 f.), in der testamentum dem griechischen Begriff διαθκη entspricht, der seinerseits im Kontext der Septuaginta den „Bund (Gottes mit seinem Volk)“ bezeichnet. Die Antonyme „Altes“ und „Neues Testament“ enthalten also eine perspektivische christlich-theologische Aussage über die Heiligen Schriften des Judentums, nämlich die Relativierung ihrer normativen und heilstiftenden Geltung als jüdische Offenbarungs- und Glaubensurkunden angesichts der grundlegenden Bedeutung des Christuszeugnisses. Unbeschadet der prinzipiellen Gültigkeit des religionshistorischen Urteils, wonach die jüdischen Heiligen Schriften als in sich abgeschlossene Größe die eigenständige Offenbarungs- und Glaubensurkunde des Judentums darstellen, beansprucht aus christlicher Perspektive das theologische Urteil Geltung, wonach zwischen Altem und Neuem Testament ein offenbarungsgeschichtlicher Bezug besteht. Die Schriftverwendung im Neuen Testament dient dazu, das christologische Heilsereignis theologisch zu identifizieren. Die einzelnen Werke der griechischsprechenden und -schreibenden Autoren des Neuen Testaments unterscheiden sich dabei nicht nur hinsichtlich ihrer theologischen Perspektive, sondern auch hinsichtlich der grammatischen Struktur und der literarischen Qualität ihrer Sprache, bedingt unter anderem durch die verschiedene ethnische Herkunft, den differenten Bildungsgrad und die unterschiedliche Traditionstreue ihrer Verfasser. Für nahezu alle christlichen Autoren bzw. Redaktoren gilt jedoch, daß sie nicht die hebräischen Heiligen Schriften des Judentums als die entscheidende Textbasis ihrer literarischen Produktion ansahen, sondern ihre griechische Übersetzung. Die neutestamentlichen Schriftzitate weichen dementsprechend in 212 Fällen vom MT ab, während sie sich in 185 Fällen von der LXX unterscheiden. Bis in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts hinein war das Christentum eine innerjüdische Entwicklung. Jesus und seine Jünger waren Juden und betrachteten deshalb die jüdischen Bibel fraglos als ihre Heiligen Schriften; der Rückbezug auf die jüdischen Heiligen Schriften gehört – insbesondere in der Passionstradition – zu den Charakteristika schon der Jesusüberlieferung. Die ersten Judenchristen benutzten durchweg die hebräi-
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Septuaginta und Neues Testament
schen und griechischen Schriftrollen der örtlichen Synagogen. Spätestens seit Beginn der paulinischen Mission unter den Völkern und der sukzessiven Ablösung der frühchristlichen Gemeinden vom Judentum hatte dabei der Gebrauch des griechischen Textes den Gebrauch der hebräischen Bibel fast vollständig verdrängt; sowohl die Kommunikation zwischen diesen christlichen Gemeinden im gesamten östlichen Mittelmeerraum als auch deren religiöse Belehrung sowie die Verkündigung und narrative Deutung der Christusbotschaft fanden seitdem in griechischer Sprache statt. Sämtliche frühchristliche Evangelien, Sendschreiben, Predigten und Gemeindeordnungen bezogen sich auf die Septuaginta. Die Septuaginta bildet den speziellen geschichtlichen Erfahrungs- und Sprachhorizont, aus dem heraus die frühchristlichen Texte weitgehend geformt wurden. Das theologische und religionsgeschichtliche Verstehen des Neuen Testaments setzt deshalb die umfassende Kenntnis der griechischen Bibelübersetzung unabdingbar voraus. Insbesondere in den von ihnen redaktionell gebildeten oder umformulierten Partien imitierten die Evangelisten und andere neutestamentliche Autoren den Sprachstil der Septuaginta (z. B. durch die einleitende Wendung κα* /γνετο [„und es geschah“] Mk 1,9; Mt 7,28; Lk 1,23 u. ö.; vgl. noch Lk 3,6; Apg 13,24). Sie zitierten sie explizit (erkennbar durch Zitationsformeln wie z. B. γγραπται [„es steht geschrieben“], ( γραφ. λγει [„die Schrift sagt“], oder τοτο δ: Xνα πληρωθDJ τ2 Nηθν [„dies geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist“]) und spielten implizit auf sie an (insbesondere Apk). Aus der griechischen Bibelübersetzung schöpften sie einen nicht geringen Teil der von ihnen verwendeten literarischen Formen (vgl. z. B. Lk 1,46–55.68–79; 2,14.29–32) und ihres spezifischen Vokabulars, insbesondere aber ihre – durch das antike Judentum in entscheidender Weise geprägte – theologische Begrifflichkeit bzw. „christliche“ Redewendungen. Diese „Septuaginta-Mimesis“ der frühchristlichen Schriftsteller entsprach dem verbreiteten hellenistischen Streben nach formaler und inhaltlicher Nachahmung der griechischen Klassiker als eines qualitativ und autoritativ anerkannten literarischen Vorbilds. Die gesuchte Affinität zur griechischen Bibel sollte den Gegenstand der eigenen Darstellung in eine bestimmte geistesgeschichtliche, vielleicht sogar schriftprophetische Traditionskontinuität einordnen und ihm dadurch zugleich ein besonderes Gewicht geben. Der jeweilige literarische Kontext und die argumentative Funktion der neutestamentlichen Septuagintazitate weist deshalb auf den frühchristlichen Gebrauch bzw. auf den „Sitz im Leben“ der verschiedenen biblischen Bücher hin. Viele vermeintliche lexikalische und syntaktische „Hebraismen“ im Neuen Testament (z. B. Lk 16,9; Joh 3,29; 2. Thess 1,9), die gehäuft im Zusammenhang mit der Darstellung jüdischer Sitten und Gebräuche (bzw. judenchristlicher Themen) begegnen, sind entgegen früherer Annahmen keine Beweise für die Benutzung des hebräischen Bibeltextes oder gar für eine hebräische bzw. aramäische Grundform einer neutestamentlich gewordenen Schrift, sondern lassen sich als „Septuagintismen“ erklären, als Reflexe der ihrerseits semitisch beeinflußten Sprache der griechischen Bibel. Der Gebrauch der Septuaginta beeinflußte aber nicht nur die Sprache, sondern auch die theologische Gedankenführung der christlichen
„Hebraismen“ oder „Septuagintismen“ im Neuen Testament?
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Die Septuaginta in christlicher Tradition
Paulus und der griechische Bibeltext
Autoren (vgl. z. B. Mt 15,9 [Jes 29,13]; Apg 15,16–18 [Am 9,11 f.]; Hebr 1,6 [Dtn 32,43]). Insbesondere reflektiert der häufige neutestamentliche Gebrauch von Wörtern und Wendungen, die durch die griechische Bibelübersetzung in ihrem besonderen semantischen Gehalt bestimmt wurden, deren starken Einfluß auf die Verfasser der frühchristlichen Schriften. Zahlreiche zentrale und theologisch höchst bedeutsame neutestamentliche Begriffe (z. B. νµος [„Mosegesetzgebung“ bzw. das gesamte Alte Testament; vgl.1. Kor 14,21; Röm 3,19; Joh 10,34]; διαθκη [„Bund“]; δικαιοσ,νη [„Rechtfertigung“]; πνεµα [„Geist“]; κληρονοµ α [„Heilsbesitz“]) erschließen sich nur über ihre traditionelle „bibelgriechische“ Spezialbedeutung in der Septuaginta. Insgesamt kann gesagt werden, daß die Septuaginta und das Neue Testament zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen, die von keinem anderen bekannten Koinetext bezeugt werden. Im Kontext der Aussageabsicht der frühchristlichen Autoren erschien ihnen der griechische Bibeltext an vielen Stellen wohl passender als die hebräische Texttradition; manches neutestamentliche Zitat läßt sich nur in Kenntnis des griechischen Bibeltextes und seiner Theologie verstehen. So wurde der Apostel Paulus sicher nicht erst durch seine heidenchristlichen Adressaten zum Gebrauch der allgemeinverständlichen Septuaginta genötigt, sondern scheint die ihm zur Verfügung stehende griechische Version bewußt gewählt bzw. dem hebräischen Bibeltext, den er sicher auch sehr gut kannte, vorgezogen zu haben. Eine Ausnahme stellen allein die paulinischen Zitate aus dem Buch Hiob dar (1. Kor 3,19; Röm 11,25), die gegen die Septuaginta dem MT entsprechen (möglicherweise stand dem Heidenapostel kein griechischer Hiobtext zur Verfügung). Die paulinische Gedankenführung bei der Zitation von Gen 15,6 in Röm 4,3 baut erkennbar auf dem theologisch reflektierten griechischen Bibeltext auf, der die Aktionsart des hebräischen Verbs weheemin („er glaubte“) bei seiner Übertragung ins Griechische veränderte. Während die hebräische Verbform in Gen 15,6 nämlich eine Grundhaltung oder ein längeres bzw. wiederholtes Verhalten Abrahams zum Ausdruck bringt, steht der griechische Aorist /π στευσεν im Römerbrief eher für einen punktuellen Vorgang in einer bestimmten erzählten Handlung („er fand zum Glauben“ o. ä.). Damit rückte der Wortlaut des Schriftzitats im zielsprachlichen Kontext der Argumentation des Heidenapostels Paulus der geprägten Sprache der urchristlichen Mission näher, in der der Aorist von πιστε,ω häufig den entscheidenden Schritt zum Glauben bezeichnete (vgl. 1. Kor 15,2; Röm 10,14; 13,11; Apg 4,4.32; 8,12 f.; 9,42). Auch die paulinische Argumentation in Röm 11,26 f. baute nicht auf dem hebräischen Text von Jes 59,20 auf, der eine ethisch konditionierte Verheißung an die Bußfertigen bot und innerhalb des erwählten Gottesvolkes differenzierte („Doch für Zion kommt er als Erlöser und für alle in Jakob, die umkehren von ihrer Sünde“; im literarischen Kontext des Tritojesajabuchs waren wohl bestimmte Gruppen in Israel gemeint [vgl. 65,13–15; 66,5]). Sie basierte vielmehr auf der Septuaginta, die Gott zum Subjekt des „Abwendens“ und damit den Satz zu einer unbedingten Zusage an ganz Israel machte (κα* Yξει Mνεκεν Σιων < Nυµενος κα* 8ποστρψει 8σεβε ας 8π2 Ιακωβ [„Und um Zions willen wird der Retter kommen und er wird Gottlosigkeiten von Jakob abwenden“]). Hierdurch erfuhr
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Septuaginta und Neues Testament
Gottes rettendes Eingreifen zugunsten des gesamten Volkes eine deutliche Akzentuierung (vgl. die Zitation von Jes 53,1 in Röm 10,16). Der Evangelist Matthäus (1,23) bezog sich in seiner schriftgelehrten Deutung der Geburt Jesu auf die Ankündigung der Geburt des Messias durch eine „Jungfrau“ bereits im Alten Testament (Jesaja 7,14). Im hebräischen Bibeltext ist hier allerdings nur von der Schwangerschaft einer Alma („jungen Frau“) die Rede. Die Septuaginta bot an dieser Stelle den äquivalenten, allerdings mehrdeutigen griechischen Begriff παρθνος, der auch die Übersetzung „Jungfrau“ bzw. „Virgo intacta“ erlaubt, und ermöglichte so die Verankerung christologischer Spekulationen über ein biologisches Wunder in der Schrift. Bereits die ersten Christen beriefen sich auf die jüdischen Heiligen Schriften als Autoritäten, um die Geschichte Jesu aus Nazaret mit dem Gott Israels in Verbindung zu bringen. Sie deuteten die Septuaginta also aus der Perspektive der Christusoffenbarung bzw. „auf Christus hin“, d. h. als Schlüssel für das Verstehen der Person Jesu und für das in Jesus geschehene Handeln Gottes (vgl. auch 1. Kor 15,3b–5, wo Paulus [bzw. das von ihm an dieser Stelle aufgegriffene frühchristliche Traditionsgut] Jesu Leben und Sterben explizit in den Horizont der Heiligen Schriften des Judentums stellt). Die frühchristlichen Autoren suchten auf der Basis dieser hermeneutischen Prämisse zu zeigen, daß die Botschaft von Jesus als dem Christus, dem Messias Israels, schriftgemäß (bzw. die Erfüllung der Schrift) war, daß sie also in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes stand und dem ursprünglichen biblischen Zeugnis entsprach. Die fraglose Anerkennung der jüdischen Heiligen Schriften als autoritativer und normativer Glaubenszeugnisse durch die Adressaten der urchristlichen Verkündigung lag darin begründet, daß die Jerusalemer Urgemeinde ihrerseits zunächst noch an den Tempel gebunden blieb und ihre Anhängerschaft anfangs allein aus Juden und Proselyten (ehemaligen Nichtjuden, die zum Judentum übergetreten waren) bestand (vgl. Mt 23,15; Apg 2,11; 6,5; 13,43). Die urchristliche Mission unter „Juden und Judengenossen“ (Apg 2,11) konnte also von der unangefochtenen Geltung der jüdischen Bibel ausgehen. Erst mit der paulinischen Heidenmission verließ das Christentum den jüdischen Traditionsbereich. Da die Septuaginta anders als der hebräische Bibeltext im gesamten römischen Reich problemlos verstanden wurde, bekam sie nunmehr auch hier einen besonderen Rang als allgemeinverständliches Medium der Vermittlung der christlichen Botschaft an die nichtjüdische griechischsprechende Welt. Der Einbezug von Nichtjuden in das Gottesvolk konnte zudem mittels der Septuaginta biblisch legitimiert werden (vgl. Gal 3,8; Apg 3,25). Zugespitzt formuliert: Die jüdische Übertragung der jüdischen Bibel ins Griechische wurde zur Voraussetzung der Kirche aus Juden und Heiden. Die (verglichen mit den unbestritten paulinischen Briefen, den Evangelien und der Johannesoffenbarung) erkennbar geringere Bedeutung der jüdischen Heiligen Schriften für die Pastoralbriefe (1.2. Timotheus; Titus) und die Allegorisierung der Opfervorschriften der ausführlich zitierten Septuagintatora ohne erkennbares Interesse am tatsächlich vollzogenen Opferkult im Hebräerbrief zeigen an, daß das – anfangs offenbar recht starke – christ-
Deutungen der Septuaginta „auf Christus hin“
unterschiedliche Bedeutungen der Septuaginta in den verschiedenen neutestamentlichen Schriften
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Die Septuaginta in christlicher Tradition
Verteilung der Septuagintazitate im Neuen Testament
Septuaginta und Schriftbeweis
liche Bedürfnis nach der direkten heilsgeschichtlichen Verankerung aktueller Lebensordnungen, ethischer Weisungen und theologischer Positionen mittels der jüdischen Auslegungs- und Verständnistradition des Bibeltextes mit der Zeit zurückgegangen bzw. einer eigenen christologischen Neukontextualisierung und applizierenden Auslegung gewichen war. Aus dem jüdischen Gesetz- und Geschichtsbuch war nunmehr ein christliches Erwartungsbuch geworden. Für die Christen waren immer weniger die rituellen Weisungen der Tora bedeutsam, denen bald nur noch eine relative und temporäre Geltung zuerkannt wurde, sondern besonders solche Schriftstellen, die als prophetisches Zeugnis „auf Christus hin“ heilsgeschichtlich gedeutet werden konnten. Frühe christliche Auslegung der vorchristlichen Offenbarung war dementsprechend zumeist auf die gegenwärtige Erfüllung der (als Weissagung verstandenen) biblischen Prophetie bezogen. Die spätere christliche Ausdehnung der Auffassung der Inspiriertheit auf sämtliche Bücher der griechischen Bibelübersetzung (s. u. 109), die im Judentum zunächst allein hinsichtlich der Tora vertreten wurde, hat hier ihren Ort. Die meisten Septuagintazitate im Neuen Testament entstammen dem Psalter und dem Jesajabuch (gefolgt von Exodus und Deuteronomium), deren als christologisch besonders bedeutsam verstandene Aussagegehalte zahlreiche Anhaltspunkte für ihre begründende Verknüpfung mit dem apostolischen Kerygma ermöglichte. Es wird darüber spekuliert, ob gerade Jesaja und die Psalmen auch deshalb eine herausragende Geltung beanspruchen konnten, weil sie die Teilsammlungen der Prophetenbücher und der Hagiographen einleiteten. Solange die Heiligen Schriften im Judentum noch in Rollenform überliefert wurden, ist eine solche fixierte Reihenfolge jedoch schwerlich denkbar. Es ist allerdings anzumerken, daß auch die Textfunde von Qumran in auffallend ähnlicher Weise ein besonderes Interesse an diesen beiden biblischen Büchern bezeugen. Das geistgewirkte Christuszeugnis wurde für den christlichen Zugang zu den heiligen Schriften des Judentums hermeneutisch konstitutiv. Allein von Christus her erschloß sich ihr Vollsinn als Wort Gottes (vgl. Hebr 1,1 f.; 4,2). Ein deutliches Beispiel für die eigenständige Interpretation bzw. christliche Neukontextualisierung der griechischen Texttradition der Prophetenbücher, die von deren ursprünglichem Aussagegehalt (und auch von dessen interpretierender Fortschreibung im antiken Judentum) abwich, ist der paulinische Schriftbeweis für die totale Vernichtung des Todes in Christus (1. Kor 15,54–55; es wird bisweilen vermutet, daß der folgende Vers 56 auf einen frühchristlichen Glossator zurückgeht), wo es zunächst heißt: κατεπθη < θ)νατος ε@ς ν4κος („Der Tod ist verschlungen in den Sieg“). Mittels des Stichworts ν4κος („Sieg“), das im hebräischen Bibeltext kein Äquivalent als Kriterium der Zuordnung beider Prophetenworte hat, wird der Ausspruch Jesajas (Jes 25,8) aus seinem literarischen Kontext gelöst und der Prophetie Hoseas (13,14) zugeordnet: πο σου, θ)νατε, τ2 ν4κος; πο σου, θ)νατε, τ2 κντρον („Wo ist, Tod, dein Sieg; wo ist, Tod, dein Stachel?“). Der Versteil aus der Jesaja-Apokalypse, auf dem ein Teil der christozentrischen paulinischen Argumentation aufbaut, lautet in der hebräischen Bibel „Und er vernichtet für immer den Tod …“. Da das Verb „vernichtet“ hier in Parallele zu „vernichtet“ im vorangehenden Vers (Jes
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Septuaginta und Neues Testament
25,7) steht, ist es wahrscheinlich, daß die aktive Form in der hebräischen Vorlage ursprünglich ist. Die Wendung wurde in der kirchlich tradierten Version der Septuaginta mit den (von 1. Kor 15,54 sichtlich abweichenden) Worten κατπιεν < θ)νατος @σχ,σας („Der Tod hat, mächtig geworden, verschlungen …“) wiedergegeben. Hingegen findet sich bei Theodotion (und in ähnlicher Weise auch bei Aquila) der Text, den auch der Heidenapostel kannte und zitierte: κατεπθη < θ)νατος („Der Tod wird verschlungen …“). Auch die von Paulus aus seiner griechischen Vorlage übernommene Übersetzung der hebräischen Wendung lānes ah („für ˙ ˙ immer“) durch ε ς ν4κος („in den Sieg“) geht dabei auf eine eigenständige Interpretation des hebräischen Konsonantentextes zurück, die das Wort von der Wurzel NSH („siegen“) her verstand (vgl. Jer 3,5; Klgl 5,20). Die ˙˙ paulinische Interpretation und Zuordnung der beiden Prophetenworte in seinem Auferstehungszeugnis, die allein durch den Theodotiontext ermöglicht wurde, zeigt zum einen, wie das Christusgeschehen als eschatologische Erfüllung und Verwirklichung von Schriftworten verstanden wurde, deren Verknüpfung im Horizont einer konsequent christologisch bestimmten Geschichtsdeutung als sachgemäße Textauslegung galt, und stellt zum anderen unter Beweis, daß frühchristlichen Autoren wie Paulus mitunter andere griechische Texte (bzw. Stränge der pluriformen Texttradition) zur Verfügung standen als die späterhin kirchlich dominierte Überlieferung. Der christologische Schriftbeweis bedingte auch die besondere Bedeutung des griechischen Psalters in der frühchristlichen Literatur. Als erfüllte prophetische Weissagungen dienten die Psalmendichtungen der theologischen Deutung der Hoheit Jesu Christi. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist Ps 110 (LXX 109), eine der wesentlichen Wurzeln der urchristlichen Bekenntnisbildung. Kaum einen anderen biblischen Text zitieren die Autoren der neutestamentlichen Schriften häufiger oder nehmen auf ihn solcherart Bezug. Im Mittelpunkt der komplexen frühchristlichen Auslegungstradition des Psalms stehen das Motiv des Sitzens des erhöhten Christus zur Rechten Gottes, die Erhöhungsvorstellung als Deutungskategorie für die Auferstehung Jesu, seine Verbindung mit der Menschensohnchristologie unter Bezugnahme auf Dan 7,9.13 (bzw. die Interpretation der Auferweckung des Gekreuzigten als Erfüllungsgeschehen, nämlich als Aufstieg in den Himmel und Inthronisierung zur Rechten Gottes) und die Deutung der biblischen Melchisedekgestalt (Gen 14,18–20) als typologischer Entsprechung des treuen Hohenpriesters Christus in Übertreffung des levitischen Priestertums. Die literarisch ältesten neutestamentlichen Zeugnisse für eine christologische Reflexion unter Bezugnahme auf Ps 110 (LXX 109),1 begegnen in den paulinischen Briefen. In 1. Kor 15,25 heißt es, der erhöhte Christus werde herrschen, „bis er alle Feinde unter seine Füße legt“, um nach der Vernichtung aller widergöttlichen Mächte sodann die ihm anvertraute βασιλε α dem Vater zurückzugeben. In der kerygmatischen Formel Röm 8,34 verleiht Paulus seiner Hoffnung auf das Heilshandeln des auferwekkten Christus als rettenden Weltenrichters „zur Rechten Gottes“ Ausdruck. In den synoptischen Evangelien zeigt Mk 12,35–37parr, wo der markinische Jesus in indirekter Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten im
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Textbestand und Schriftdeutung in frühchristlicher Zeit
Jerusalemer Tempel den vermeintlichen Widerspruch auflöst, daß David seinen Nachkommen als seinen Herrn bekennt, und damit zugleich die Berechtigung seines Anspruchs auf den zentralen Hoheitstitel Χριστς darlegt, die akzentuierte messianische Deutung des Davidpsalms 110 (LXX 109) durch den Evangelisten und seine gedachten Leser: Wenn König David selbst die erwartete messianische Gestalt seinen Herrn nennt, um wieviel mehr muß diese Gestalt bedeutender sein als er selbst. Das Interesse an einer Übertragung der oben genannten Vorstellungen aus den jüdischen Heiligen Schriften in den Kontext aktueller eschatologischer Erwartungen teilten die frühchristlichen Schriftsteller mit traditionsbewußten Autoren innerhalb des antiken Judentums, wie sie bereits in älteren jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit zu Wort kommen, insbesondere aber mit Vertretern akzentuiert glaubenstreuer Strömungen, die angesichts einer als bedrohlich empfundenen Diskrepanz zwischen ihren individuellen Glaubensüberzeugungen und ihrer krisenhaften Wahrnehmung der Gegenwart (bzw. ihrer enttäuschten eschatologischen Hoffnungen) ihren Blick auf das baldige siegreiche und endgültig rettende Eingreifen Gottes selbst oder seines Mandatars in das bedrohliche Weltgeschehen richteten. Das Proprium der neutestamentlichen Verständnistradition des griechischen Psalters bestand dabei in der Übertragung seiner zeitgenössischen Auslegungstraditionen vom religiösen Funktionsbereich der Aufrechterhaltung endzeitlicher Naherwartungen auf die Hoheit des gekreuzigten und auferweckten Jesus aus Nazaret als messianischen Königs und eschatologischen Hohenpriesters. Die Verfasser der neutestamentlichen Schriften beriefen sich bei der Explikation ihres eigenen christlichen Anliegens durchweg auf die Septuaginta, deren Texte, Themen und Motive sie aufgriffen und auf ihre Gegenwart hin interpretierend neu erzählten. Allerdings ist die Annahme verfehlt, die heutigen Septuagintaausgaben seien mit der „Bibel der ersten Christen“ identisch (s. o. 17). Weder gab es zur Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Literatur in der zweiten Hälfte des 1. und im beginnenden 2. Jahrhundert bereits einen differenzierten, hinsichtlich seines Umfangs klar umrissenen oder gar allgemein verbindlichen Kanon jüdischer oder christlicher Heiliger Schriften (zu erkennen an der frühchristlichen Kenntnisnahme und insbesondere am argumentativen Gebrauch von Büchern, die keinen Eingang in die spätere Sammlung verbindlicher Heiliger Schriften des Judentums fanden [z. B. 1–4. Makkabäerbuch; Tobit; Susanna; Baruch; Brief Jeremias; Sirach; Weisheit Salomos; Henoch, Jubiläenbuch; Psalmen Salomos; Assumptio Mosis; Baruchapokalypse; Testamente der zwölf Patriarchen]; hingegen wurde mit Ausnahme der Psalmen im Neuen Testament nur wenig aus den Hagiographen zitiert), noch entsprach der griechische Bibeltext, den die christlichen Autoren kannten und verwendeten, in allen Einzelheiten dem (erst in den folgenden Jahrhunderten einen Vereinheitlichungsprozeß durchlaufenden) kirchlich tradierten Text des griechischen Alten Testaments. Es ist deshalb von Fall zu Fall zu prüfen, ob eine Abweichung in der neutestamentlichen Zitation eines Septuagintaverses eine Innovation durch den frühchristlichen Autor darstellt oder ob sie eine von ihm herangezogene eigenständige griechische Texttradition bezeugt.
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Septuaginta und Neues Testament
In vielen Fällen sind die frühchristlichen Zitate die ältesten Zeugen des griechischen Bibeltextes überhaupt. Wo der neutestamentliche Text bei einem Septuagintazitat sicher überliefert ist, ist er durchaus ein guter Zeuge für die Erhellung ihrer frühen – höchst heterogenen – Textgeschichte (vgl. z. B. Röm 9,33, wo Paulus ein von der hexaplarischen Textgestalt unabhängiges Mischzitat aus Jes 8,14 und 28,16 bietet, oder das Reflexionszitat Mt 12,18–21, wo der erste Evangelist die Verse Jes 42,1–4 in einer am hebräischen Text orientierten, mit dem späteren MT vergleichbaren Textform zur christologischen Erschließung der Schriftprophetie heranzieht). Allerdings ist der Gebrauch des Neuen Testaments als einer Quelle für die Textkritik der Septuaginta nur mit einer Reihe von Vorbehalten und Einschränkungen möglich. Zunächst ist festzustellen, daß die meisten neutestamentlichen Zitate aus der griechischen Bibel Gedächtniszitate sind, die den Bibeltext bei seiner Neukontextualisierung mehr oder weniger frei paraphrasieren und an seinen neuen literarischen Kontext anpaßten, wobei die christlichen Autoren im Rahmen ihrer kreativen schriftstellerischen Tätigkeit immer wieder kleinere Modifikationen der von ihnen applizierten biblischen Traditionsstoffe vornahmen. Wie bereits erwähnt, ist ebenso damit zu rechnen, daß den frühchristlichen Schriftstellern ein Bibeltext vorgelegen hat, der nicht mehr erhalten ist. Zudem wurden Septuaginta und Neues Testament seit der Durchsetzung der Buchform des Codex in der Alten Kirche gemeinsam tradiert, was zum Ausdruck brachte, daß die frühchristlichen Schriften an der Autorität der griechischen Bibel partizipieren sollten. Im weiteren Verlauf der Texttransmission als einheitliches Buch führte diese gemeinsame Überlieferung zunächst zu sekundären harmonisierenden Angleichungen der Textform der Zitate an die – mehrheitlich am MT orientierte – aktuelle Gestalt der ihnen zugrundeliegenden Bibelstellen (bereits Paulus griff nicht nur in Hinsicht auf Hiob [s. o. 102], sondern auch bei seinen Zitaten aus Jesaja und 1. Könige [LXX 3. Königreiche] auf eine am hebräischen Text orientierte Rezension zurück). Der wesentliche Grund hierfür lag darin, daß man anfangs dem Alten Testament eine höhere Autorität beimaß als den frühchristlichen Schriften, deren kirchlicher Kanonisierungsprozeß erst mit der normierenden Zusammenfassung und Abgrenzung des für Lehre und Verkündigung fortan bestimmenden Schriftbestands im 4. Jahrhundert zu einem Abschluß kam. Später kehrte sich dies um und die christlichen Schreiber harmonisierten die Septuaginta häufig nach den Zitaten im Neuen Testament, damit sie mit dem traditionsgebundenen Gebrauch dieser Texte in der für sie maßgeblichen christlichen Offenbarungsurkunde übereinstimmten, die nunmehr zum tragenden Grund und zur normativen Glaubensquelle der Kirche geworden war (z. B. weist die Textgeschichte von Ps 69 [LXX 68],10 und Joh 2,17 deutliche Spuren gegenseitiger Beeinflussung auf). Die Autorität der neuen christlichen Schriften, des Neuen Testaments, wurde zum Ausgangspunkt für die theologische Bewertung und Interpretation der überkommenen alttestamentlichen Zeugnisse.
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Die Septuaginta in christlicher Tradition
2. Der Gebrauch der Septuaginta in der Alten Kirche Septuaginta als Quelle der kirchlichen Lehre
Bedeutung der Septuaginta für die Alte Kirche
Die Septuaginta war als erster Teil der christlichen Bibel zur Quelle der kirchlichen Lehre geworden. Diese Entwicklung lag nicht nur darin begründet, daß die griechische Bibelübersetzung ihrer Vorlage allein deshalb vorgezogen wurde, weil immer weniger Christen die hebräische Sprache verstanden oder gar mit jüdischen Verständnistraditionen des hebräischen Konsonantentextes vertraut waren. Vielmehr kamen die Lesarten der Septuaginta häufig dem christlichen Denken besonders nahe. Zudem wurde durch den Gebrauch der griechischen Bibel ihre christlicherseits postulierte Verbindung mit dem ebenfalls auf Griechisch abgefaßten Neuen Testament stärker deutlich. Dabei hatte sich das Konzept ihrer Eigenständigkeit aufgrund ihres neuen Kontextes innerhalb der entstehenden Corpora christlichen Schrifttums dramatisch gewandelt. Auf der Grundlage ihrer maßgeblichen Bedeutung für die Theologie der neutestamentlichen Autoren – und insbesondere für ihre Christologie – entwickelte sich die griechische Übersetzung der jüdischen Heiligen Schriften zum christlichen Alten Testament, dessen vom christlichen Kerygma her verpflichtende Auslegung grundsätzlich über den Zuständigkeitsbereich der rationalen Interpretation hinausgeht. Als inspirierte Übersetzung der schriftlichen Offenbarungszeugnisse „auf Christus hin“ galt die Septuaginta ihren griechischsprechenden christlichen Tradenten und Kommentatoren mehrheitlich als vollwertiger Ersatz ihrer unverständlichen hebräischen Vorlage und ermöglichte der Kirche zugleich ein Festhalten am alttestamentlichen Schrifttum als christlicher Offenbarungsgrundlage. Auch in der (in den christlichen Codices gegenüber der hebräischen Bibel veränderten) Anordnung der einzelnen Bücher in der Septuaginta (s. o. 24) zeigte sich dieser neue, nämlich christliche Blickwinkel, denn sie stellte, gleichsam als ein systematischer geschichtstheologischer Entwurf, die – als Künder der Zukunft verstandenen – Propheten durchweg an das Ende der Sammlungen und verknüpfte so deren Verheißungen mit dem Neuen Testament, das sich später in den mittelalterlichen Codices unmittelbar anschloß. Die Septuaginta war neben den frühchristlichen Schriften die Hauptquelle der griechischen Kirchenväter sowie der konziliaren Debatten und Lehrentscheidungen; sie blieb auch nach der Verbreitung des Lateinischen (s. o. 97) Bestandteil der Bibel der Ostkirchen, die bis heute an ihr als inspirierter Heiliger Schrift festhalten. Die kirchlich tradierte griechische Bibelübersetzung schuf die Grundlage für die kirchliche Interpretation des Alten Testaments und beeinflußte auch in deutlicher Weise die Sprache der kirchlichen Schriftsteller. Diese Autoren benutzten bei ihrer literarischen Produktion nicht nur den griechischen Bibeltext, der in ihrer Umgebung bzw. in ihrer Kirchenprovinz verbreitet und gebräuchlich war, sondern sie kannten neben diesem oft auch abweichende Texttraditionen, die sie ihrer Schriftauslegung und ihren Predigten gerade an „schwierigen“ Stellen zugrundelegten. Die christliche Liturgie wurde maßgeblich vom griechischen Psalter geprägt; biblische Geschichten wurden als literarische Modelle für die Gestaltung christlicher Heiligenviten und Märtyrerberichte herangezogen. Besonders augenfällig wird die immense Bedeutung der griechischen Bibel-
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Gebrauch in der Alten Kirche
übersetzung für die Alte Kirche auch im Werk des kirchlichen Schriftstellers Eusebius von Caesarea (gest. 339), bezeichnete er doch seine Darstellung der Geschichte Israels auf der Basis der Septuaginta im Kontext seiner apologetischen Behandlung der Frage, warum die Christen den Judengott nicht in jüdischer Weise verehrten, in programmatischer Weise als Praeparatio evangelica („Vorbereitung auf das Evangelium“). Die solcherart christlich tradierte und erweiterte griechische Übersetzung der hebräischen Heiligen Schriften des Judentums unterlag einer kontinuierlichen Überarbeitung; insbesondere die großen christlichen Rezensionen der Septuaginta (s. o. 84 ff.) unternahmen dabei den Versuch der Herstellung eines einheitlichen „korrekten“ Bibeltextes aus der vorhandenen Textvielfalt. Die im Judentum zunächst allein auf die Übersetzung der Tora bezogene Entstehungslegende der Septuaginta wurde von einigen christlichen Autoren unter besonderer Verstärkung der wunderbaren Züge weiter ausgeschmückt, auf die gesamte Bibel, d. h. auf alle kirchlich anerkannten Heiligen Schriften des Alten Testaments (insbesondere auf die Propheten und Psalmen als Hauptquellen der auf Christus bezogenen Weissagungen) ausgedehnt, und zur begründenden Rechtfertigung ihrer unbedingten Autorität und ihres ausschließlichen Gebrauchs eingesetzt (vgl. z. B. Justin, Apologie I 31). Ein derartiges Bestreben nach Betonung des göttlichen Ursprungs der griechischen Bibelübersetzung zwecks Begründung ihrer Verbindlichkeit war allerdings nicht allen Kirchenlehrern bekannt; beispielsweise erwähnt selbst Origenes nirgends die Entstehungslegende der Septuaginta. Der Umfang dessen, was in den verschiedenen Traditionsbereichen der Alten Kirche als eine solche verbindliche Sammlung inspirierter Offenbarungsurkunden akzeptiert, in griechischer Sprache tradiert und zitiert wurde, war (ebenso wie die Reihenfolge der in diesen Sammlungen enthaltenen Bücher) deutlichen Schwankungen unterworfen; bereits die alten großen Majuskelcodices Sinaiticus (S), Alexandrinus (A) und Vaticanus (B) (s. o. 14) scheinen keineswegs den gleichen Umfang aufgewiesen zu haben; z. B. fehlen in ihrem erhaltenen Textbestand das 1.–4. Makkabäerbuch in B, und 2. und 3. Makkabäerbuch, Baruch, 1. Esdras und der Brief Jeremias in S. Auch der Umgang der Kirchenväter mit diesen „Spätschriften“, die teils palästinischer Herkunft sind, teils der Diaspora entstammten, war zunächst uneinheitlich. Während sie in den ersten beiden Jahrhunderten als „Apokryphen“ bzw. „deuterokanonische“ Schriften, die im Judentum nicht in den Rang Heiliger Schriften erhoben wurden (Baruch; Tobit; Judit; Weisheit Salomos; Sirach; 1.–4. Makkabäer [4. Makkabäer wurde im Christentum allerdings nie kanonisiert]; Brief Jeremias; Stücke zu Esther; Zusätze zu Daniel), unbeanstandet Eingang in weite Teilbereiche der kirchlichen Tradition fanden (s. o. 18 f.; auch die Vulgataausgaben, deren Textbestand sich nach dem der Septuaginta ausrichtete, lassen keinen Unterschied zwischen „proto-“ und „deuterokanonischen“ Schriften erkennen), kannte und zitierte sie der Kirchenvater Origenes zwar noch, doch er kommentierte allein die „protokanonischen“ Bücher, die er wohl als allein maßgeblich ansah. Wie die handschriftlich erhaltenen Zeugen dieser heterogenen christlichen Sammlungen und die Zitate der Kirchenväter (sie bieten zumeist den nachorigenistischen Text) unter Beweis stellen, hatten auch diese be-
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Die Septuaginta in christlicher Tradition
Kirchliche Versuche der theologischen Begründung des Gebrauchs der Septuaginta
reits im antiken Judentum überlieferten Bücher, die nicht in den verbindlichen Kanon jüdischer Heiliger Schriften eingegangen sind, oftmals eine recht hohe Popularität, einen eingebürgerten kirchlichen Gebrauch und praktischen Wert für die Gestaltung der christlichen Frömmigkeit bzw. der rechten Lebensführung. Die Problematik, die sich nun daraus ergab, daß die Kirche die Septuaginta als eine gegenüber der hebräischen Bibel hinsichtlich ihres Umfangs erweiterte Schriftensammlung tradierte, ist evident. Die kirchlichen Schriftsteller, die sich auch aus diesem Grund mit dem Vorwurf der Verfälschung der Bibel auseinandersetzen mußten, betonten zur Begründung bzw. zur Verteidigung des Autoritätsanspruchs der Septuaginta vor allem ihr hohes Alter und ihren prophetischen Charakter als Ausweis ihrer göttlichen Beglaubigung; die griechische Bibel sollte – zumal gegenüber den Juden – als von Gott selbst legitimiert ausgewiesen werden. Zur Zeit der ersten Christen scheint das Verhältnis von hebräischem und griechischem Bibeltext noch nicht problematisiert worden zu sein. Erst im Verlauf des Ablösungsprozesses des Christentums vom Judentum und seiner allmählichen Konsolidierung erfolgten Versuche der theologischen Begründung des kirchlichen Gebrauchs der griechischen Bibelübersetzung. Während Justin im 2. Jahrhundert noch kein Inspirationswunder bei der Septuagintaübersetzung kannte und auch Origenes in dieser Hinsicht schweigt, griff der lateinische Kirchenvater Aurelius Augustinus (354–430) die im Judentum entstandene (s. o. 27 ff.) Übersetzungslegende der griechischen Bibel auf und modifizierte sie, indem er insbesondere ihre unbedingte Autorität als „göttliche Schrift“ begründete: „Diese Heiligen Schriften kennenzulernen und zu besitzen, war der Wunsch auch eines der Ptolemäerkönige Ägyptens. (…) Obendrein sandte er auch königliche Geschenke in den Tempel Gottes und erbat sich von dem damaligen Hohenpriester Eleazar die Schriften, von deren göttlichem Ursprung er sicherlich Kunde bekommen hatte, und die er deshalb in der von ihm begründeten berühmten Bibliothek zu besitzen wünschte. Nachdem der Hohepriester sie ihm in hebräischer Sprache zugestellt hatte, verlangte der König auch Übersetzer. Man stellte ihm zweiundsiebzig zur Verfügung, je sechs aus den zwölf Stämmen, lauter in beiden Sprachen, der hebräischen und griechischen, sehr beschlagene Männer, deren Übersetzung jetzt allgemein die Septuaginta heißt. Es wird überliefert, die Übereinstimmung in ihrem Wortlaut sei so wunderbar und verblüffend, ja geradezu göttlich gewesen, daß, obwohl die zweiundsiebzig Männer jeder für sich und getrennt voneinander bei der Arbeit saßen – denn auf diese Weise wollte Ptolemaios ihre Zuverlässigkeit erproben –, keiner vom anderen auch nur in einem Worte, hätte es auch die gleiche Bedeutung gehabt, ja sogar in der Wortstellung abwich. Als wäre es nur ein Übersetzer gewesen, übersetzten alle ein und dasselbe, denn es war tatsächlich der eine Geist in ihnen allen. Und deshalb wurde ihnen eine solche wunderbare Gottesgabe zuteil, damit auch hierdurch das hohe Ansehen dieser nicht etwa menschlichen, sondern in Wahrheit göttlichen Schriften verbürgt werde. Das sollte den künftig glaubenden Heiden zugute kommen, und so ist es auch geschehen.“ (De civitate Dei [„Vom Gottesstaat“] XVIII 42)
Nicht nur wurde hier von Augustinus der bereits bei Philon von Alexandria (s. o. 30–33) vorbereitete und durch einen unbekannten kirchlichen Schriftsteller des 3. Jahrhunderts (Pseudo-Justin, Cohortatio ad Graecos [„Ermunterung an die Griechen“] bzw. Ad Graecos de vera religione [„An die Griechen über die wahre Religion“] 14; der anonyme Verfasser dieser
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Gebrauch in der Alten Kirche
Schrift behauptet andernorts sogar, die Ruinen der 72 Zellen der Übersetzer auf der Insel Pharos mit eigenen Augen gesehen zu haben) formulierte Gedanke eines Inspirationswunders bei der Bibelübersetzung ausgeführt, sondern dieses mirakulöse Geschehen (vgl. Apg 2,1–13) auch vom griechischen Pentateuch auf die Übersetzung aller Schriften der hebräischen Bibel (bzw. des christlichen Alten Testaments) übertragen, sollte der gesamte kirchlich tradierte Bibeltext doch als ursprünglich erscheinen und dadurch Autorität erlangen (vgl. 2. Tim 3,16). Trotz ihrer völligen Isolation hätten die 72 sprachkundigen Übersetzer (allein der Bischof Epiphanius von Salamis [ca. 315–403] will wissen, daß die jüdischen Weisen in 36 Kammern paarweise lebten und arbeiteten) getrennt voneinander einen völlig identischen Text produziert. Bei christlichen Autoren wie Augustinus, der von seinem Zeitgenossen Hieronymus forderte, nicht den hebräischen Bibeltext, sondern deren inspirierte griechische Übersetzung zur Grundlage seiner lateinischen Übersetzung (s. o. 98 f.) zu machen, tauchte auch zum ersten Mal die explizite Bezeichnung „Septuaginta“ für die christlich tradierte und hinsichtlich ihres Umfangs erweiterte griechische Übersetzung der hebräischen Heiligen Schriften auf (s. o. 19). Die im Judentum entstandene griechische Bibelübersetzung wurde seit dem 1. Jahrhundert auch von Christen tradiert. Dieser Umstand hat eine sehr große Bedeutung für die Textgeschichte der Septuaginta. Obwohl es keine Belege für eine durchgehende gezielte christliche Einflußnahme auf den griechischen Bibeltext bei seiner kirchlichen Transmission gibt, haben doch immer wieder einzelne christliche Abschreiber christliche Exegese in den Bibeltext eingetragen und lassen sich auch einige Beispiele früh verbreiteter christlicher Textveränderung (z. B. das Heilswort Ez 17,22 f.) als deutlicher Ausdruck der Abgrenzung von bzw. der Auseinandersetzung mit dem Judentum verzeichnen. Hiervon betroffen sind insbesondere solche Stellen, an denen der Titel Messias bzw. Χριστς in seinem literarischen Kontext problematisch ist, sowie Stellen, an denen Begriffe begegnen, die in der kirchlichen Sprache mittlerweile eine Spezialbedeutung bekommen hatten. Insbesondere einzelne Psalmen wurden in Anlehnung an die neutestamentliche oder kirchenväterliche Texttradition leicht umgestaltet und ergänzt, um sie hierdurch noch beweiskräftiger zu machen. So findet sich z. B. der lange Überschuß im griechischen Text des prophetischen Ps 14 (LXX 13),3 („Ein offenes Grab ist ihre Kehle, mit ihren Zungen haben sie betrogen. Schlangengift ist unter ihren Lippen. Ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit. Schnell sind ihre Füße, wenn es gilt, Blut zu vergießen; Verderben und Elend sind auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt. Keine Gottesfurcht ist vor ihren Augen.“) in keinem Strang der hebräischen Textüberlieferung des Psalters im Judentum. Vielmehr wurde er erst von christlicher Hand auf der Basis von Röm 3,13–18 in den Psalm eingefügt. Die in dem Paulusbrief als Florilegium aneinandergereihten Bibelverse (dem einleitenden Zitat von Ps 14 [LXX 13],3, das den Bezugspunkt zwischen beiden Texten darstellt, folgen Ps 5,10; 140 [LXX 139],4; 10,7 [LXX 9,28]; Jes 59,7 f.; Spr 1,16; Ps 36 [LXX 35],2; die Verse scheinen wohl von Paulus selbst nach dem formalen Gesichtspunkt zusammengestellt worden zu sein, daß hier die Sünde an einer Reihe von Körperteilen und ihrer Funktion im Menschenleben festgemacht wird),
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Die Septuaginta in christlicher Tradition
wurden fortan in die christliche Textüberlieferung des griechischen Psalters übernommen, offenbar weil seinen christlichen Tradenten die Entsprechung des griechischen Bibeltextes mit der neutestamentlichen Überlieferung bedeutsamer schien als die Übereinstimmung mit seiner hebräischen Vorlage. In dem hymnischen Ps 96 [LXX 95],10 findet sich in einer Reihe von alten griechischen Handschriften sowie in einigen Übersetzungen, die auf der Septuaginta basieren, als Ergänzung der preisenden Proklamation < κ,ριος /βασ λευσεν („Der Herr ist König geworden!“) der Zusatz 8π2 το ξ,λου („vom Holze her“), wodurch sich die ganze Wendung nicht auf Gott, sondern auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus bezieht. Bereits der Kirchenlehrer Justin (gest. 165) erklärte das Fehlen dieses christologisch deutenden Zusatzes in der hebräischen Texttradition mit der gewagten Hypothese, jüdische Polemiker hätten die – als Weissagung auf den gekreuzigten Jesus aus Nazaret verweisenden – Worte aus dem ursprünglichen Text gestrichen (Dialog mit Tryphon 71,2; 72,1 ff.).
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VI. Die Distanzierung des rabbinischen Judentums von der Septuaginta Während die griechischen Übersetzungen sämtlicher Bücher der hebräischen Bibel im antiken Judentum entstanden sind und die Übertragung der Tora in die griechische Weltsprache insbesondere in der Diaspora von Anfang an eine zentrale Bedeutung für die jüdische Identität im Umfeld der hellenistischen Kultur hatte, da durch sie traditionelles jüdisches Denken (bzw. die Lehr- und Verständnistraditionen des palästinischen Judentums) verbreitet, an die nichtjüdische Umwelt vermittelt und dieser gegenüber religiös und philosophisch verteidigt werden konnte, stellte die negative Sicht auf die Septuaginta im Judentum in den Jahrhunderten nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. die Hauptlinie dar. Bis zum 2. Jahrhundert entstanden im griechischsprechenden Judentum mehrere tiefgehende Überarbeitungen der ältesten jüdischen griechischen Übersetzung der Bibel ins Griechische in der erkennbaren Absicht, diese Übersetzung konsequent am Urbild des hebräischen Originals zu überprüfen und ihm anzugleichen (s. o. 82 ff.). Es wurde hier der Versuch unternommen, die älteren Bibelübersetzungen bzw. Rezensionen aufgrund neuer Erfordernisse der Liturgie und der Lehre zu aktualisieren. Aber selbst diese jüdischen Überarbeitungen vorangehender Übersetzungen sind nahezu ausschließlich in christlicher Überlieferung erhalten; die rabbinische Traditionsliteratur hat kaum etwas davon bewahrt (auch die fragmentarischen griechischen Bibelhandschriften aus der Kairoer Geniza waren im Besitz einer jüdischen Religionsgemeinschaft [Karäer], die ihrerseits die rabbinische Tradition ablehnte). Das erkennbare rabbinische Desinteresse an der Weitergabe der griechischen Texttradition schlug in der Folgezeit nach und nach um in die kategorische Ablehnung ihrer liturgischen Verwendung in der Synagoge. Im 8. Jahrhundert hielt der „außerkanonische“ Talmudtraktat Soferim („Schreiber“) I 6 f. fest: „Man schreibt nicht (die Heiligen Schriften) in (alt)hebräisch(er Schrift) oder in Aramäisch oder Medisch oder Griechisch. Sind sie in einer anderen Sprache oder in einer anderen Schrift (geschrieben), darf man sie nicht im Gottesdienst verlesen, weil sie in assyrisch(er Schrift [gemeint ist die aramäische Quadratschrift]) geschrieben sein müssen. Und da war ein Geschehnis mit fünf Ältesten, daß sie die Tora für den König Talmai in griechischer Sprache schrieben, und jener Tag war so bedrückend für Israel wie der Tag, an dem das (goldene) Kalb gemacht wurde, denn eine Übersetzung der Tora in der ihr angemessenen Weise ist unmöglich.“
Der gottesdienstliche Gebrauch der Tora in griechischer Sprache wird in dem frühmittelalterlichen rabbinischen Text, der die Entstehungslegende der Septuaginta grob umreißt, untersagt; die Vollendung ihrer Übersetzung durch fünf Älteste im ptolemäischen Alexandria (vgl. den „außerkanonischen“ Traktat Abot de Rabbi Natan [B 37, p. 94 f. Schechter]) gilt hier geradezu als ein Unglückstag (auch ein später Anhang zur Megillat Taanit [„Fastenrolle“], einem Verzeichnis von 36 freudigen Tagen in der jüdischen Geschichte, an denen nicht gefastet werden darf, bezeichnet den Tag der Fertigstellung der griechischen Übersetzung der Tora als einen Trauer- und
Desinteresse der Rabbinen an der griechischen Texttradition
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Ablehnung der Septuaginta in späteren rabbinischen Texten
jüdische Vorbehalte gegenüber der Septuaginta
Fastentag). Die deutliche Distanzierung von der griechischen Bibel für den „König Talmai“ (d.i. Ptolemaios [II. Philadelphos]; die griechische Konsonantenverbindung ΠΤ wurde durch Assimilation des Labials zu hebr. Taw) und das strikte Verbot ihrer liturgischen Verwendung, die in dem im Traktat Soferim tradierten rabbinischen Diktum und in seiner anschließenden Illustration durch ein „Geschehnis“ zum Ausdruck kommen, bedürfen einer Erklärung. Die sich in den vorgestellten späten rabbinischen Texten widerspiegelnde Ablehnung der Septuaginta reflektiert in ihrer Schärfe zunächst wohl kirchliche Versuche ihrer erzwungenen Durchsetzung im Judentum. Als prominentes Beispiel solcher Versuche gilt die berüchtigte Novella 146 „De Hebraeis“ als Teil der repressiven Judengesetzgebung des christlichen Kaisers Justinian I. (527–565), gegeben am 8. Februar 553. In dem anläßlich einer dem byzantinischen Herrscher vorgetragenen Meinungsverschiedenheit über die Verwendung des Hebräischen und des Griechischen bei der Verlesung der Heiligen Schrift an den Prätorianerpräfekten des Ostens Aerobindus gerichteten Nachtragsgesetz schrieb der christliche Herrscher unter Androhung massiver Strafen vor, daß bei der synagogalen Bibellesung fortan neben dem Hebräischen auch die griechische und die lateinische Sprache zuzulassen sei. In der Novelle lobte Justinian an den Septuagintaübersetzern, sie hätten „die heilbringende Erscheinung unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus als künftig eintretend vorausgesehen“. Die Wörtlichkeit des hebräischen Bibeltextes verberge das Evangelium Jesu Christi. Das byzantinische Nachtragsgesetz und insbesondere das darin enthaltene kaiserliche Plädoyer für den spirituellen, d. h. auf Jesus Christus zu beziehenden „eigentlichen“ Sinn des prophetisch inspirierten griechischen Bibeltextes dienten den Missionsinteressen der Kirche; von den Rabbinen wurde der Interventionsversuch des christlichen Kaisers in eine innerjüdische Diskussion dagegen als eine massive Bedrohung der religiösen Identität des Judentums wahrgenommen. Je mehr die Christen von der Septuaginta Gebrauch machten, desto mehr wurde sie in der Öffentlichkeit als eine christliche Übersetzung angesehen. Die jüdischen Vorbehalte gegenüber der Septuaginta waren jedoch weitaus älter als die kirchliche Reduktion des Alten Testaments auf eine chiffrierte Vorwegnahme der neutestamentlichen Heilswirklichkeit. Als ein Grund für ihre Abstoßung durch das antike Judentum und für die frühe Entstehung von jüdischen Konkurrenzübersetzungen ist bereits das Bedürfnis des antiken Judentums zu nennen, sich vom sich formierenden und ausbreitenden zeitgenössischen Christentum und von seinem besonderen Schriftverständnis abzugrenzen, d. h. seine christologischen Deutungen und Auslegungen der Schrift als nicht textgemäß und irrig zu widerlegen (bzw. ihnen jegliche Grundlage zu entziehen). Das vehemente Bestreben christlicher Lehrer wie Origenes, die altüberlieferte griechische Bibelübersetzung, auch dort, wo sie deutlich erkennbar von der hebräischen Vorlage abwich, als ehrwürdiges, einzig wahres und verbindliches Schrifttum der Kirche zu bewahren (bzw. gegenüber der „häretischen“ heterodoxen und der jüdischen Schriftauslegung zu behaupten), und auch die Tatsache, daß insbesondere im Kontext von kompendienartigen Zusammenstellungen christologischer Beweistexte („Testimonien“) seit dem 2. Jahrhundert tat-
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sächlich einige absichtliche christliche Veränderungen und Einfügungen in den griechischen Bibeltext stattfanden, um dessen Charakter als „Weissagung auf Christus hin“ zu akzentuieren und die Überholtheit des Alten Bundes zu beweisen (s. o. 103), mußten eine jüdische Reaktion provozieren, diese messianische Interpretation der Heiligen Schriften zurückzuweisen bzw. zu unterlaufen. Jüdische Gelehrte scheinen christlichen Schreibern vorgeworfen zu haben, die altehrwürdige Septuaginta bewußt zu verändern, um dadurch einen Text zu gewinnen, der der christlichen Lehre näher sei; christlicherseits wurde dies mit dem vehement vorgetragenen Vorwurf beantwortet, allein die Lesarten der kirchlich tradierten griechischen Bibel entsprächen der ursprünglichen Texttradition, die ihrerseits von den Rabbinen in den konkurrierenden jüdischen Übersetzungen verfälscht worden sei. Die Juden hätten die Testimonia Christi im Bibeltext ausgelöscht, um das Christentum als nichtjüdisch und seine Lehren als nicht schriftgemäß darstellen zu können (Es ist anzumerken, daß der Vorwurf der Schriftverfälschung prinzipiell nur gegenüber den Juden und den Gnostikern erhoben wurde; der Gedanke an großkirchliche Textveränderungen lag offenbar außerhalb des Horizonts der christlichen Autoren). Auch die Aneignung bzw. Inanspruchnahme der Septuaginta durch das Christentum trug so ihren Teil zur letztendlichen alleinigen Anerkennung der hebräischen Heiligen Schriften im Judentum bei. Festzuhalten ist hier jedoch, daß die jüdischen „wortwörtlichen“ Übersetzungen (bzw. Überarbeitungen) der Septuaginta wohl nichts gegen ihre „verfälschende“ christliche Interpretation auszurichten vermochten; hatten doch die Christen weder das Interesse an noch mehrheitlich die philologischen Fähigkeiten zu einem direkten Vergleich der griechischen Übersetzung mit der hebräischen Texttradition. Die Septuaginta wurde im Judentum also keineswegs nur deshalb verworfen, weil sie von der Kirche übernommen worden war. Ein weiterer bedeutender Grund für ihre Abstoßung bestand vielmehr darin, daß mit der sich nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels formierenden rabbinischen Bewegung – diese war anfangs noch keine fest institutionalisierte Gruppe oder Klasse, sondern ein aus ehemaligen Jerusalemer Kultbediensteten und frommen Laien bestehendes Netzwerk von Toragelehrten, die jeweils individuelle Schüler- und Sympathisantenkreise hatten – eine allmähliche Abwendung des palästinischen Judentums von den griechischsprachigen religiösen Überlieferung (bzw. von deren Trägerkreisen in der westlichen Diaspora) einherging. Zwar war das Griechische neben der aramäischen Alltagssprache als gesprochene Sprache im 2. Jahrhundert n. Chr. in Palästina durchaus noch weit verbreitet, wohingegen das Mischnahebräische hier mittlerweile in den Hintergrund getreten war bzw. in zunehmendem Maße nur noch als Schriftsprache verwendet wurde, doch scheint seine Verwendung gerade von solchen deutlich konturierten Gemeinschaften frommer Juden wie der pharisäischen Bewegung aktiv gefördert worden zu sein, die nach der Tempelzerstörung sukzessive einen bestimmenden und dauerhaften Einfluß auf die Gestaltung und Abgrenzung der jüdischen religiösen Tradition bekamen. Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n. Chr. und die verheerenden Folgen des Bar-Kochba-Aufstands (132–135) insbesondere für
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rabbinische Schülerkreise
Judäa, dem ehemaligen geistigen und wirtschaftlichen Zentrum des Judentums, verlangten einen radikalen Neuanfang. Mit dem rabbinischen Lehrhaus in Jabne (Jamnia), einer kleinen Stadt in der Küstenebene südlich von Jaffa, bildete sich als Bestandteil der jüdischen Restauration schon bald nach dem Jüdischen Krieg eine Institution heraus, die unter römischer Duldung Aufgaben der früher in Jerusalem angesiedelten jüdischen Selbstverwaltung an sich zog. Die jüdische Tradition verbindet die Gründung des rabbinischen Lehrhaus in Jabne mit Rabban Johanan ben Zakkai als Grün˙ jerusalemischer Talmud] dergestalt des rabbinischen Judentums (vgl. j [= Megilla 73d, 35 f.). Die rabbinischen Schülerkreise waren bald der wichtigste Ort der aktualisierenden Auslegung der Tora und der Tradierung der hebräischen Heiligen Schriften des Judentums. Hier gaben die schriftgelehrten Weisen ihr Wissen an ihre Schüler weiter, die selbst öffentlich lehrten und oft ihrerseits später an anderen Orten Schulen gründeten. Sie sorgten auf diese Weise für die Verbreitung der Text- und Verständnistraditionen der hebräischen Bibel und für ihre Weitergabe an die nächsten Generationen. Der Lehrstoff der Tannaiten („Lehrende“), der rabbinischen Schulen Palästinas in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr., wurde aufgeschrieben, zusammengestellt und nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet. Um 200 n. Chr. lag er als schriftliche Sammlung in der Mischna („Wiederholung“; „Lehre“), bald darauf auch in der Tosefta („Ergänzung“) vor. Die Sprache dieser in den galiläischen Orten Uscha und Bet Schearim auswählend redigierten und literarisch fixierten Werke ist Hebräisch mit vielen griechischen und lateinischen Fremdwörtern. Anfänglich scheint das aufkommende Christentum in Bezug auf das rabbinische Verständnis der Septuaginta zunächst noch keine besondere Rolle gespielt zu haben. In Mischnatraktat Megilla (I 8; vgl. j Megilla 71b, 63 ff.; b Megilla 9a/b) wird unter dem Namen des Rabban Schim’on ben Gamli’el ein Ausspruch überliefert, der besagt: „Auch die Bücher hat man nur griechisch niederzuschreiben gestattet.“
Krise des alexandrinischen Diasporajudentums
Wenn sich die vorliegende Mischna auf griechische Übersetzungen der Heiligen Schriften (und nicht auf Transliterationen wie die „Secunda“ der Hexapla [s. o. 86 f.]) bezieht, was durch die wiederholte unkritische rabbinische Erwähnung von (des Hebräischen unkundigen) „Synagogen von Fremdsprachigen“ (T [= Tosefta] Megilla IV 13; vgl. j Sot a 21b, 62 f.) im ˙ Mutterland und in der Diaspora gestützt wird, waren die Existenz und auch der liturgische Gebrauch griechischer Übersetzungen von Tora und Prophetenbüchern (bzw. des Griechischen als Gebetssprache) den Tannaiten bekannt, ohne daß dabei irgendwelche Vorbehalte gegenüber der Septuaginta zu erkennen sind. Auch Belege in der tannaitischen Überlieferung, an denen die jüdischen Gelehrten die Septuaginta als argumentative Stütze ihrer kontroversen halachischen Positionen heranzogen (z. B. T Berakot IV 1 [Dtn 26,12]; T Maaser scheni V 29 [Ez 48,1]; T Sukka III 9 [Ez 47,9]; vgl. M [= Mischna] Megilla IV 23 [Spr 1,21]), sprechen gegen die Auffassung, die Ablehnung der kirchlich tradierten griechischen Bibelübersetzung sei hier von Anfang an allgemein verbreitet gewesen. Die Abwendung der Rabbinen von der Septuaginta scheint zunächst eher damit zusammenzuhängen, daß das griechischsprechende alexandri-
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nische Diasporajudentums infolge der Aufstände in der Cyrenaica und in Ägypten seinen ehemals großen Einfluß verloren hatte. Nachdem der römische Kaiser Trajan (98–117) im Jahre 114 n. Chr. seine Legionen aufgrund der ständigen Bedrohung seines Reiches durch die Parther in Syrien zusammengezogen hatte, wodurch die Kontrolle der einheimischen Bevölkerung in den anderen Provinzen erheblich erschwert wurde, eskalierten in verschiedenen westlichen Reichsteilen, zunächst in der Cyrenaica und unmittelbar darauf auch in Alexandria, die seit längerer Zeit schwelenden Spannungen zwischen dem jüdischen Bevölkerungsanteil (mit privilegiertem Sonderstatus) und Teilen der autochthonen ägyptischen Bevölkerung. Bereits im Jahre 38 n. Chr. hatte dieser Konflikt in der Nilmetropole zu einem blutigen antijüdischen Pogrom geführt. Eine nichtjüdische Delegation aus Alexandria versuchte im Jahre 115 n. Chr. zunächst erfolglos, in Rom auf diplomatischem Wege das Ende des Sonderstatus der jüdischen Bevölkerung (bzw. letztendlich die Austreibung der Juden aus der Stadt) durchzusetzen. Aufgrund erster gewalttätiger Übergriffe auf alexandrinische Juden wurde Rom zum raschen Handeln genötigt und entsandte seine Truppen, ließ einige Rädelsführer mitsamt ihren Sklaven verhaften und entschied, daß die ägyptischen Juden fortan zwar ihren Sonderstatus (Selbstverwaltung und Privilegrecht) behalten durften, dieses Privileg aber ihren rechtlichen Status als hellenistische Polisbürger Alexandrias ausschloß. Unter den mit der Gesamtsituation unzufriedenen ägyptischen Juden kam es zu einer Erhebung, befördert wohl auch durch zahlreiche losgekaufte jüdische Kriegsgefangene aus Judäa, die nicht selten eine militant-apokalyptische Einstellung vertraten. Den Ausschreitungen in der Nilmetropole folgten blutige Aufstände der Juden in Mesopotamien und auf Zypern. Gruppen fanatischer jüdischer Eiferer führten gezielte Terroraktionen gegen öffentliche Einrichtungen und ägyptische Tempel in Ägypten durch und Trajan beauftragte den Feldherrn Marcius Turbo damit, den lästigen Aufstand niederzuschlagen. Turbo ging mit äußerster Härte vor; im Jahre 116 n. Chr. gelang ihm, die Ordnung im Westen gewaltsam wiederherzustellen. Das einstmals blühende alexandrinische Judentum, dessen Hauptcharakterzug in der tiefgreifenden und fruchtbaren Symbiose von biblischer und hellenistischer Kultur bestand, erholte sich nie wieder von dieser Katastrophe. Die Hauptsynagoge in der Nilmetropole war nunmehr zerstört; die jüdische Stadtbevölkerung war großenteils tot, geflohen oder versklavt. Die eigenständige kulturelle und religiöse hellenistisch-jüdische Tradition aufrechtzuerhalten und weiterzuführen, war den ägyptischen Juden fortan nur noch in sehr begrenztem Umfang möglich. Erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts ist wieder die Existenz vereinzelter jüdischer Ansiedlungen in Ägypten belegt. Die palästinischen Rabbinen, die ihre eigenen Lehrüberlieferungen und Texttraditionen durchzusetzen bestrebt waren, griffen die religiösen und kulturellen Traditionen des griechischsprechenden Diasporajudentums und seine literarische Produktion, zu der auch der Großteil der griechischen Bibelübersetzung gehörte, nicht auf, führten sie nicht weiter bzw. wandten sich bewußt von ihnen ab. Der alexandrinische Texttypus der hebräischen Heiligen Schriften wurde innerhalb ihres Einflußbereichs bald von der pa-
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rabbinische Kanonisierungsbestrebungen
lästinischen (bzw. protomasoretischen) Texttradition verdrängt (s. o. 57). Bald nach der Kodifizierung der Lehrstoffe der palästinischen rabbinischen Schulen in der hebräischen Mischna hatte die pharisäisch-rabbinische Tradition auch außerhalb Palästinas vollends die Oberhand gewonnen. Bereits in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts behandelten die Rabbinen die Mischna als ein verpflichtendes religiöses Gesetz. Gleichzeitig fand im palästinischen rabbinischen Judentum eine Fixierung des normativen Bestandes des hebräischen Kanons pharisäischen Ursprungs statt, nämlich der 22 (bzw. 24; die Zahlen entsprechen der Anzahl der Buchstaben im hebräischen bzw. im griechischen Alphabet) Heiligen Schriften des Judentums, deren Dreiteilung in Tora, Propheten und Hagiographen schon seit längerer Zeit bekannt war (vgl. Sirachprolog 8–10; Philon, De vita contemplativa [„Über das beschauliche Leben“] 25; Josephus, Ap. I 38–42) und deren Zusammensetzung und Umfang zur Zeit der Tannaiten bereits mit dem später in b Baba batra 14b/15a überlieferten Katalog aller (göttlich inspirierten und widerspruchsfreien) biblischen Bücher übereingestimmt zu haben scheinen. Die neben diesen biblischen Büchern im antiken Judentum entstandenen, anfangs teilweise zusammen mit der griechischen Bibel tradierten und von der Kirche als „Apokryphen“ übernommenen jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit zumeist lehrhaften Charakters, Übersetzungen aus dem Hebräischen sowie griechische Originalliteratur (s. o. 21 f.), gehörten bis auf wenige Ausnahmen, deren Rang noch eine Zeitlang der Gegenstand von Kontroversen war (z. B. Sirach [vgl. T Jadajim II 13]; seine Hochschätzung durch einige Rabbinen zeigt sich darin, daß er mit den gleichen Einleitungsformeln wie die unumstritten verbindlichen Heiligen Schriften zitiert wurde [vgl. b Berakot 116; b Nidda 16b]), nicht zu dieser verbindlichen gewordenen Auswahl. Außer der Endfassung des Danielbuchs und möglicherweise einigen späten Psalmen war keiner der zwischen ca. 200 v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. entstandenen, unterschiedlichen literarischen Gattungen angehörenden Texte (weisheitliche Literatur, Rechtsquellen, liturgische und poetische Schriften, Geschichtsschreibung, Geheimwissen, zeitgeschichtliche Kritik und Polemik, Prophezeiungen, Orakel und sogenannte „apokalyptische“, den Weltlauf deutende und das erwartete Weltende enthüllende Literatur) fortan in den Sammlungen von 22 bzw. 24 Heiliger Schriften des Judentums enthalten (Die der Anzahl der Buchstaben im griechischen Alphabet entsprechende Zählung von 24 jüdischen Heiligen Schriften scheint auf hellenistischem Einfluß zu beruhen). Das Hauptkriterium der Aufnahme eines Buchs in diese Sammlungen bzw. seiner Abstoßung war dabei weniger seine lehrmäßige Relevanz bzw. seine normative Bedeutung als autoritative Lehrgrundlage, als vor allem seine Sakralität, also seine Tauglichkeit für die liturgische Verwendung, die bestimmte rituelle Reinheitsanforderungen bedingte (vgl. M Jadajim III 5; T Jadajim II 13). Die mit dem Kanonisierungsprozeß im rabbinischen Judentum einhergehende Entwicklung des Inspirationsgedankens der von den jüdischen Gelehrten als verbindlich erachteten Auswahl hebräischer Heiliger Schriften, insbesondere aber der Tora, führte zur Ablehnung zahlreicher hellenistischjüdischer Schriften, die zuvor auch zusammen mit der griechischen Bibel tradiert wurden. Diese Entwicklung trug letztendlich auch dazu bei, daß
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die mitunter recht „freie“ Übersetzung der Septuaginta und ebenso die eigenständige griechische Auslegungstradition Anstoß erregten; konnte doch ein religiöses Lehrsystem, das auf dem Axiom basiert, daß Gott seinen Willen einzig und allein in der einen Tora geoffenbart hat, nicht zulassen, daß diese axiomatische Einheit durch eine Vielheit der Darstellungsformen aufgeweicht wurde. Unter dieses Verdikt fiel auch die Existenz mehrerer griechischer Bibelübersetzungen, die in ihrem Wortlaut sowohl untereinander als auch vom hebräischen Bibeltext abwichen, zumal die prophetische Tradition gemäß rabbinischer Theorie bereits mit Haggai, Sacharja und Maleachi aufgehört hatte (T Sot a XIII 2). Auch solche Bücher, ˙ die den Anspruch erhoben, vor Moses geschrieben worden zu sein (z. B. Henoch) wurden von den jüdischen Gelehrten abgelehnt. Der Gedanke daran, daß bereits die Vorlagen der griechischen Übersetzungen von der bestimmenden hebräischen Texttradition abwichen bzw. daß der eigene Bibeltext das geschichtliche Produkt eines langen Überlieferungsprozesses war und nicht dessen gottgegebenem Ursprung entsprach, lag den Rabbinen grundsätzlich fern. Ein dritter Grund, der mit der Verdrängung des Griechischen im jüdischen Gottesdienst auch in der Diaspora durch die Verlesung der hebräischen Heiligen Schriften zusammenhängt, ist in der Notwendigkeit zu suchen, deren altehrwürdigen und aufgrund seiner Inspiriertheit buchstäblich „unantastbaren“ Text den aktuellen (bzw. in einem stetigen Wandel begriffenen) Erfordernissen in der synagogalen Liturgie und in der rabbinischen Lehre anzugleichen, um so zu verhindern, daß sie unverständlich und funktionslos wurden. In dem Moment, in dem zum einen die Septuaginta als ein solcher feststehender Text galt und zum anderen die Bedeutung des hebräischen Bibeltextes eine massive Aufwertung erfuhr, hörte die griechische Bibel auf, den aktuellen Bedürfnissen ihrer jüdischen Rezipienten zu entsprechen. Die rabbinische Tradition spiegelt dieses Spannungsverhältnis zwischen der von der Tradition gestifteten Autorität der Septuaginta und ihrer Abwertung durch die jüdischen Weisen wider. Überliefert sind dabei solche Traditionen, die die Legende von der Entstehung der Septuaginta erzählen und solche, die die Übersetzung einzelner Stellen kommentieren. Die eingehende Untersuchung dieser rabbinischen Texte zeigt, daß die Septuaginta nach Ansicht der jüdischen Weisen eine speziell für den ägyptischen König Talmai (Ptolemaios II. Philadelphos) angefertigte, allein für ihn gültige (und nur in diesem ganz speziellen Sinne dem hebräischen Text gleichwertige) griechische Version der Tora darstellte. Alle Textänderungen geschahen allein aus Rücksichtnahme auf ihn. Von einem jüdischen Gebrauch dieser Übersetzung, deren Abweichungen vom hebräischen Original somit hinreichend erklärt waren, ist bei den Rabbinen hingegen keine Rede. Auch anhand der von den jüdischen Gelehrten verwendeten Terminologie kann nachgewiesen werden, daß die Septuaginta als schriftlich niedergelegte Übersetzung in anderer Weise als die jüngeren jüdischen Überarbeitungen und insbesondere als die aramäischen Targumim (s. o. 47) verstanden wurde. Ein besonders eindrückliches Bild von der rabbinischen Bewertung der Septuaginta erhält man im babylonischen Talmud (Megilla 9a). Hier wird auf den oben genannten Ausspruch des Rabban Schim’on ben Gamli’el in M Megilla I 8 (s. o. 116) Bezug genommen:
Funktionen des griechischen Bibeltextes im antiken Judentum
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Distanzierung des rabbinischen Judentums „R. Jehuda sagte: Wenn unsere Meister auch griechisch erlaubt haben, so haben sie es nur beim Buch der Tora erlaubt, wegen des Geschehnisses mit dem König Talmai. Es wird nämlich gelehrt: Einst berief der König Talmai zweiundsiebzig Älteste und setzte sie in zweiundsiebzig Häuser, ohne ihnen zu sagen, wozu er sie berufen habe. Alsdann ging er zu jedem besonders und sprach zu ihm: Schreibe mir die Tora eures Meisters Moses. Da gab der Heilige, gepriesen sei er, ein und denselben Gedanken in ihr Herz, daß sie alle in der gleichen Beschlußfassung übereinstimmten.“ Bewertung der Septuaginta als Relikt der Vergangenheit
Die Septuaginta wurde von den Rabbinen als eine für den Ptolemäerherrscher bestimmte Fassung der Tora eigener Berechtigung angesehen, keinesfalls jedoch als eine hinsichtlich ihrer Autorität und Bedeutung mit den hebräischen Heiligen Schriften vergleichbaren Bibel für das griechischsprechende Judentum. Im Anschluß an die von den jüdischen Gelehrten überlieferte Kurzfassung der Entstehungslegende der inspirierten schriftlichen Pentateuchübersetzung, die das schwierige Wort der Tora dem König Talmai in griechischer Sprache unmittelbar verständlich zu machen beabsichtigte, werden einige Torastellen aufgezählt, die von den jüdischen Übersetzern in Alexandria zum besonderen privaten Gebrauch des Ptolemäerherrschers verändert worden waren (Gen 1,1.26; 2,2; 5,2; 11,7; 18,12; 49,6; Ex 4,20; 12,40; 24,5.11; Lev 11,5; Num 16,15; Dtn 4,19; 17,3). So sei beispielsweise der „Hase“ in der Liste unreiner Tiere in Lev 11,5 in diplomatischer Weise mit δασ,ποδα („Pelzfüßiger“) wiedergegeben worden, weil das geläufige griechische Wort für „Hase“, λαγ3ς (so auch Aquila), an den Namen der Frau des ägyptischen Königs erinnerte (tatsächlich war sein Vater Ptolemaios I. Soter der Sohn eines gewissen ΛFγος [„Lagos“]). Nicht erst das Werk Aquilas, sondern bereits die Übersetzung der Tora im ptolemäischen Alexandria war für die jüdischen Gelehrten somit ein in einer ganz bestimmten historischen Situation ausgelegter und für diese Situation bestimmter Text und keine „zeitlose“ inspirierte Offenbarungsurkunde, die – wie die hebräischen Heiligen Schriften – ihrerseits einer fortwährenden aktualisierenden Auslegung bedurfte. Die Septuaginta galt als ein geachtetes Relikt der Vergangenheit, konnte aber keine autoritative Geltung für die Gegenwart beanspruchen. Die Rabbinen waren entschiedene Gegner der Überzeugung, die griechische Übersetzung insbesondere der Tora stelle einen feststehenden und unveränderbaren Bibeltext als Ersatz für die hebräischen Heiligen Schriften dar. Die aramäischen Targumim hatten eine erklärende, vom hebräischen Text unmittelbar abhängige Funktion und waren daher prinzipiell veränderlich (diese Vorläufigkeit gehörte geradezu zu ihrem Wesen); sie ermöglichten die Wandelbarkeit der Auslegung des Bibeltextes und letztendlich auch die fortwährende rabbinische Einflußnahme auf seine Verständnistradition und seine Vermittlung. Auch Aquilas Überarbeitung der griechischen Bibelübersetzung (s. o. 87–89) ließ sich in diesem Sinne als ein Targum interpretieren, denn auch sie war ohne den hebräischen Text kaum verständlich. Die Septuaginta als ein fixierter Text konnte diese notwendige Funktion keinesfalls dauerhaft erfüllen. Paradoxerweise diente dennoch die Formel „Diese Torastelle haben unsere Rabbinen für den König Talmai geschrieben (bzw. geändert)“ wiederum der Vermittlung aktueller Lehrmeinungen; mit dem Text der Septuaginta hatten sie jedoch in den seltensten Fällen zu tun.
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Distanzierung des rabbinischen Judentums
Es läßt sich zusammenfassend festhalten, daß die Distanzierung des rabbinischen Judentums von der Septuaginta mit Sicherheit mehrere Gründe hatte. Anzuführen sind: 1. der Niedergang der wesentlichen Trägerkreise ihrer Überlieferung in der ägyptischen Diaspora, 2. die Vereinheitlichungsbestrebungen der jüdischen Restauration nach der Tempelzerstörung und die betonte Hochschätzung der hebräischen Tradition durch die rabbinische Bewegung, die sich hierdurch zugleich gegenüber dem hellenistischen Judentum abgrenzte, 3. die zunehmend eigenständige theologische – und zuweilen dezidiert antijüdische – Inanspruchnahme der griechischen Bibel durch das sich stürmisch entwickelnde Christentum, 4. das Problem der Integration ihrer Existenz in die Konzeption der Tora als einziger und einheitlicher inspirierter Offenbarungsurkunde, und schließlich 5. das Vorhandensein der aramäischen Targumim als eines leistungsfähigen und verbreiteten Mediums der fortwährenden Aktualisierung und Applikation der biblischen Tradition in Schule und Synagoge. Alle diese Gründe trugen ihren Teil dazu bei, daß die palästinischen Rabbinen zunächst targumartige Konkurrenzübersetzungen förderten, ihrerseits nichts mehr für die Erhaltung der Septuaginta taten, die Intensität ihrer Tradition allmählich erlosch, und die griechische Bibelübersetzung letztendlich im Judentum gänzlich außer Gebrauch kam.
Gründe der rabbinischen Ablehnung der Septuaginta
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Literatur Die aufgeführten Titel verstehen sich als Bestandteile einer Arbeitsbibliothek zur Septuaginta, d. h., es wurde eine Auswahl getroffen, die dem Leser vor allem einen ersten Zugang und eine vertiefende Beschäftigung mit den Hauptaspekten der griechischen Bibelübersetzung ermöglichen soll.
1. Textausgaben und Übersetzungen
2. Wörterbücher
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Register Bibelstellen Genesis Buch 47. 49 f. 1,1 87. 120 1,26 120 1,3 9 1,9 9 2,2 75. 120 3,1 ff. 32 3,10–12 14 4,5 69 4,5–7 14 4,23 14 5 49 5,2 120 6,2 79 6,3 34 6,4 34 6,6 f. 75 7,17–20 14 8,13–9,1 14 8,20 73 9,1–44,22 14 11 49 11,7 120 14,5 14 14,18–20 105 14,24 34 15,4 71 15,6 102 18,12 120 19,37 f. 34 24,13–25,21 14 30,24–46,33 14 31,45 34 31,47 18 34,18 71 37,7 70 37,8 69 37,10 70 37,34–38,1 14 37,35 77 38,10–12 14 38,20 69 41,9 72 41,34 37 41,45 37 49,6 120 49,10 76 50,2 37 50,26 17
Exodus Buch 49 f. 104 1,11 77 1,18 71 3,7 ff. 37 4,20 120 4,24 75 5 28 5,6 48 5,10 48 5,13 48 10,13 37 12,19 69 12,40 50. 120 15,1–19 19 15,17 73 18,22 71 19,3 75 20 ff. 40 22,27 37 23,33 69 24,1–11 19 24,5 120 24,10 f. 75 24,11 120 25,10 34 25,20 71 28,4–7 36 28,15 34 35–40 49 38,8 71 Leviticus Buch 49 f. 2–5 36 4,27 80 11,5 120 11,17 37 16,21 69 24,16 79 26,2–16 36 Numeri Buch 49 f. 3,30–4,14 36 4,28 69 5,12 ff. 14 5,15 72 5,25–34 14 10,6 34
11,16–25 19 11,34 34 12,8 75 16,15 120 18,7 71 19,3 34 24,17 76 25,2 79 35,4 34 Deuteronomium Buch 23. 49 f. 104 1,20–12,17 14 1,26 75 4,1 f. 33. 35 4,19 120 6,7–9 50 6,17 70 7,7–11 50 7,18 50 10,21 50 10,22 14 11,1 14 11,4 36 11,10 f. 14 11,16 14 11,18 50 11,20 50 13,1 33. 35 14,6 50 17,3 120 17,14 ff. 14 18,22–34,12 14 23,24–24,3 13 25,1–3 13 26,5 77 26,12 13. 116 26,17–19 13 28,31–33 13 31,10–13 45 31,26–29 14 32,1–43 19 32,2 14 32,4 14 32,43 102 33,14–19 14 33,22 f. 14 33,26 f. 14
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Register Josua Buch 93 4,24 75 8,12 f. 59 20,4–6 59 Richter Buch 82 f. 1,10 34 3,12 69 3,30 34 4,1 69 4,4 69 6,13 59 6,15 59 9,31 73 9,37 73 10,1 82 10,6 82 10,16 69 16,11 34 Rut Buch 24. 52 1,1 24. 34 4,7 24 1. Samuel Buch 23 f. 59. 83. 94 1,21 34 2,1–10 19 5,6 34 5,10 34 7,1 34 7,3 f. 77 7,13 69 8,19 74 9,25 f. 34 10,14 34 11,1 34 14,18 34 14,24 34. 74 14,25 34 15,32 34 16,1–13 18 16,14 34 17 59 17,4 34 17,14 18 17,43 34 17,52 34 18,10 f. 34 19,13 34 20,20 34 20,20–22 73
21,8 34 22,6 34 23,14 74 24,23 34 25,3 34. 77 28,3 34 29,2 34 31,3 34 2. Samuel Buch 23 f. 59. 83. 94 2,28 69 3,7 94 5,10 73 5,22 69 5,24 34 6,13 34 7,8 18 8,2 34 13,20 34 15,7 94 15,12 94 16,5 94 19,38 94 20,20 34 20,25 34 21,18 94 24,15 34 1. Könige Buch 23 f. 59. 83. 88. 94. 107 1,2 34 2,12 53 2,28 34 2,37 34 2,46–3,1 89 3,15 34 3,25 94 4,27 34 f. 7,3 35 7,13 ff. 35 7,24 35 8,7 71 8,18 35 10,19 35 10,22 54 11,2 79 11,22 35 11,29 35 12,28 35 14,26 35 17,9 94 18,19 35 18,36 71
18,44 35 19,5 35 19,11 35 20,1 35 20,12 f. 87 20,43 35 21,1 35 22,30 35 22,34 35 22,36 35 2. Könige Buch 23 f. 83. 88. 94 1,2 35. 79 4,2 94 7,6 35 8,8 94 9,32 35 10,36 94 11,10 94 23,15 87 23,19 87 23,21 87 1. Chronik Buch 23 f. 53 14,9 34 14,13 69 23,4 34 28,18 71 2. Chronik Buch 23 f. 53 4,16 35 9,11 35 9,21 f. 54 20,6 34 20,26 35 29,26 18 33,11–19 18 35 f. 18 1. Buch Esdras Buch 18. 24. 54. 109 Esra Buch 24. 54 4,8–6,18 18 7,12–26 18 Nehemia Buch 24. 54 1,1 24
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Bibelstellen Esther Buch 52 f. 94 f. Stücke 18. 220. 94 f. 109 1,1 95 2,20–8,6 14 3,13 95 4,1 f. 95 4,3 71 4,17 95 8,12 77. 95 10,3 95 Judit Buch 18. 22 f. 25. 94. 109 11,19 23 Tobit Buch 18. 22. 25. 940. 96 f. 106. 109 6,9–12,22 97 1. Makkabäer Buch 18. 22. 25. 106. 109 1,15 f. 41 1,29 69 1,44 69 3,15 69 2. Makkabäer Buch 18. 22. 25. 106. 109 4,9 ff. 41
24,1 76 26,10 71 31,19 71 36,2 111 37,1 71 48 76 49,6 71 55,10 71 69,10 107 72,10 54 74,6 73 78,17 69 78,70 18 81 76 82 76 82,2 69 89,20 18 91,3 59 92 76 93 76 94 76 96,10 112 97,7 79 110 105 f. 114,1–8 25 115,1–8 25 116,1–19 25 138,1 79 139,24 71 140,4 111 147 24
35,7 f. 60 38,17 60 Weisheit Buch 18. 22. 25. 106. 109 Jesus Sirach Buch 18. 21. 22. 25. 106. 109. 118 Prolog 53 Prolog 8–10 118 4,1 23 17,26 23 36,28–37,22 14 38,24–39,11 47 46,6–11 14 46,16–47,2 14 Psalmen Salomos Buch 17. 19. 106 Hosea 13,14 104 Amos 4,13 76 9,11 f. 102 Jona 1,3 54 2,3–10 19
3. Makkabäer Buch 18. 106. 109
Oden Buch 17. 19
Habakuk Hab 3,1–19 19. 93
4. Makkabäer Buch 18. 106. 109
Sprüche 1,12 77 1,16 111 1,21 116 12,25 71
Sacharja Buch 76 1,6 76 14,3 76
Psalmen Buch 24 f. 51–53. 58. 83. 88. 98. 104. 109 1,5 76 5,6 71 5,10 111 6,6 77 7,12 75 f. 7,15 71 8,6 79 9 24 10 24 10,7 111 10,15 72 14,3 111 18,5 71 24 76
Prediger Buch 21. 52 Hoheslied Buch 52 1,2 59 Hiob Buch 24. 53 f. 60. 83. 102. 107 1,6 79 3,21 60 4,17 60 22,12 60
Jesaja Buch 52. 54. 104. 107 3,18–24 52 5,11 73 7,14 103 8,14 107 8,18–19,13 14 9,11 77 11,16 77 19,25 77 21,4 73 23,1 54 25,7 104 f. 25,8 104 26,9–20 19
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Register 26,19 76 27,12 77 28,16 107 29,13 102 36–39 52 38,10–20 19 38,14–45,5 14 42,1–4 107 46,10 71 53,1 103 54,1–60,22 14 59,1 73 59,7 f. 111 59,20 102 65,11 77 65,13–15 102 66,5 102
2,4–7,28 18 2,11 79 3,25 79 3,26–45 19 3,52–88 19 3,72–8,27 14 4 36 4,22 35 6,4 64 6,6 64 7,9 105 7,13 105 9,27 64 12,13 64
Neues Testament
Jeremia Buch 52. 59 f. 83 3,5 105 4,30–5,1 14 5,23 f. 14 5,9–14 14 6,13 77 10,11 18 25,13–15 59 31,31–34 100 33,7 f. 77 33,16 77 35,1 77 42–44 37 46,1–51,64 59
Matthäus 1,6 24 1,23 103 7,28 101 9,36 23 12,18–21 107 15,9 102 23,15 103 24,15 64
Baruch Buch 18. 22. 25. 106. 109
Lukas 1,23 101 1,46–55 19. 101 1,68–79 19. 101 2,14 101 2,29–32 19. 101 3,6 101 3,32 24 4,26 f. 94 16,9 101
Brief Jeremias Buch 18. 22. 25. 106. 109 Klagelieder Jeremias Buch 52 5,20 105 Ezechiel Buch 52 11,25–17,21 14 17,22 f. 111 19,12–39,29 14 47,9 116 48,1 116 Daniel Buch 22. 25. 64. 83. 91 Zusätze 18. 22. 64. 109
Markus 1,9 101 10,19 23 12,35–37 105 14,62 64
Johannes 2,17 107 3,29 101 10,34 102 Apostelgeschichte 2,1–13 111 2,11 103 3,25 103 4,4 102
4,32 102 6,5 103 6,9 39 8,12 f. 102 9,29 42 9,42 102 11,20 42 13,24 101 13,43 103 15,16–18 102 Römer 3,13–18 111 3,19 102 8,34 105 9,33 107 10,14 102 10,16 103 11,25 102 11,26 f. 102 13,11 102 1. Korinther 3,19 102 14,21 102 15,2 102 15,3b-5 103 15,25 105 15,54 f. 104 f. 2. Korinther 3,4–18 100 Galater 3,8 103 2. Thessalonicher 1,9 101 2. Timotheus 2,19 23 3,16 111 Hebräer 1,1 f. 104 1,6 102 4,2 104 Apokalypse des Johannes Buch 101
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Personen, Orte und Sachen
Personen, Orte und Sachen Ägypten 13 f. 26. 28. 30. 33. 37–39. 43. 48. 53. 730. 77 f. 90. 93. 96. 110. 117 Abgrenzung 67. 109. 115 Achämeniden, -reich 47 Adonai 79 Ägyptismen 52 Akkulturation 41 Alexander der Große 37–39. 42 f. Alexandria 19. 20. 27–31. 33. 36. 38. 53. 71. 770. 81 f. 89 f. 93. 99. 113. 117. 120 Allegorese, Allegorisierung 32. 75. 103 Alliteration 73 Alltagssprache 70 Alphabet 118 Altar 79 Alte Kirche 108–112 Amtssprache 29 Anordnung 19. 23 f. 49 Anthropologie 72 Anthropomorphismus 27. 75 f. Anthropopathismus 75 f. Antiochia 90. 94 Antiochos III. 38 Apokryphen 10. 18–20. 23. 25. 94. 109. 118 Apologetik 85 apostolische Konstitutionen 18 Aquila 16. 84. 87–92. 96. 105. 120 Äquivalenz 65. 70. 74. 88. 91 Aram 77 Aramäisch 18. 20. 22. 47. 52. 69. 80. 88. 91. 101. 113 Archetypus 62 aristarchische Zeichen 89 f. 92 Aristarchos von Samothrake 89 Aristeas (Exeget) 53 f. Aristeas, -brief 26. 27–30. 39. 45–47. 50. 63 Aristobulos 26 f. Armenien 99 Artikel 69. 95 Assimilation 41 f. 48. 114 Assonanz 73 Astarte 77 Athanasius 14. 17. 20 Attizismus 44 Auferweckung 105
Augustinus 20. 98. 110 f. Ausdrucksfähigkeit 65 Ausgangssprache, -text 65–70. 91 Auslassung 59. 67. 95 Auslegungstradition 75. 116 Aussprachetradition 86 f. Autorität 30. 68. 110 Baal 79 Babylonien 88 Bar Kochba 83. 115 f. Bedeutungsspektrum, -umfang 71 Bet Schearim 116 Bethlehem 98 Betulia 22 Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) 15. 60 f. Bibliothek 27. 33. 42. 45. 89. 91 f. Bohairisch 99 Buchdruck 21. 24 Buchrolle 14. 24. 49. 54 f. 83 Bund 72. 100. 102. 115 Bundeslade 71 Bundestreue 50 Caesarea maritima 86. 89. 91 Caligula 32 Cassius Longinus 9. 69 Christus 24. 103–105. 108. 111 f. 114 f. Christusbotschaft 101. 103 Christuszeugnis 100. 104. 115 Chronologie 27. 50 Clemens von Alexandria 84 Codex Alexandrinus 14 f. 82. 90. 96. 109 Codex Ambrosianus Syrohexaplaris 92 Codex Cairensis 10. 64 Codex Colberto-Sarravianus 90 Codex Leningradensis 24 Codex Sinaiticus 14 f. 90. 97. 109 Codex Vaticanus 14 f. 17. 82. 90. 94–96. 109 Codex Venetus 96 Codex 13 f. 54. 65. 80. 107 f. Complutensische Polyglotte 15 Cyprian von Karthago 94. 98
Cyrenaica 38. 117 Cyrill von Alexandria 96 Daimon 77 Damasus I. 98 Darius III. 37 David 24. 76. 106 Delos 37 Demetrios (Exeget) 26. 27. 38 Demetrios von Phaleron 27 f. 33 deuterokanonische Schriften 10. 18–20. 23. 25. 94. 109. 118 Dialekt 70 Diaspora 9. 18. 22. 26. 30. 36. 390. 41 f. 45 f. 48. 50 f. 53 f. 56 f. 63. 70. 760. 81 f. 86. 109. 115–117. 119. 121 diplomatische Textausgabe 15. 61 Dodekapropheton 13. 21. 52. 83 f. Dorotheus 93 Eigenname 9. 95 Einfügung 67 Einheitshypothese 62 Einheitstext 94 Einteilung 23 f. eklektische Textausgabe 15 Ekron 79 Elephantine 37 Elohim 79 En-Gedi 83 Ephebeion 41 Ephesus 90 Epiphanius von Salamis 111 Erbauung 21. 55 Erstdruck 15 Erwählung 50 Eschatologie 76. 106 Esthernachschrift 53 Ethik 72 Etymologisierung 87 Eupolemos 27. 53 Eusebius von Caesarea 93. 96. 109 Evangelium 101. 105 Exegese 9. 27. 85 Exodus 28 Fajjum 14 Fehlinterpretation 59
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Register Florilegium 111 Fortschreibung 104 Frömmigkeit 110 Fürstenspiegel 29 Fustat 88 Gad 77 Gallien 97 f. Gebet 22 Gebote 29. 41 f. 47. 50 Gemeinde 63 Gemeindeordnung 101 Genauigkeit 66 Genealogie 24. 49 Geniza 88. 113 Gericht 76 Geschichtsbücher, -werk 55. 81. 93 Geschichtsdeutung 54 Geschichtsschreibung 34. 118 Geschichtstheologie 76 Gesetz 27 f. 34. 63. 118 Gesetzbuch 51. 104 Glaubensurkunde 100 Glosse 59 Gnostiker 115 Gott 31. 72. 74 f. 79. 95. 103. 105. 110. 112 Gottesbild 80 Gottesdienst 20. 47 f. 52. 66. 76. 87. 97 f. 113. 119 Gottesname 78–80. 95 Gottesvolk 103 Götzendienst 22 Grammatik 94 f. Gruppenidentität 41. 46. 48. 65. 113 Gymnasion 41 f. Hades 77 Hagiographen 19. 24. 51 f. 54. 63. 71. 81. 84. 90. 92 f. 104. 106. 118 Halacha 75. 82. 116 Handschriftensigla 14 Harmonisierung 61 Hebraica veritas 61. 96 Hebräisch 69. 72. 84 f. 90 f. 97. 101. 108. 115 f. Hebraismus 69 f. 101 f. Heidenchristen 86 Heidenmission 103 Heiligenviten 108 Heilsbotschaft 76
Heilsgeschichte 25 Hellenisierung 47 Hellenismus 9. 42 f. 47. 68. 74. 77 Heptastadion 28 Hermeneutik 84 Hermes 37 Herodes der Große 91 Hesychius 62. 93. 96 f. Hexapla 17. 84–92. 94. 98. 107. 116 Hieronymus 22. 65. 90. 93. 96. 98 f. 111 Hinzufügung 59. 95 Hippo 20 Hoheitstitel 106. 111 Hoherpriester 27 f. 30. 33. 38 f. 105 f. 110 Holofernes 22 Homer 27. 60. 89 Homilien 86. 92 Identität → Gruppenidentität Infinitiv 70. 87 Inhalt 67 Inscriptio 19 Inspiration 29. 32. 82. 108–110. 120 Interpretation → Textinterpretation Irenäus von Lyon 100 Israel 19. 280. 40 f. 72. 77–79. 102 f. 109. 113 Jabne (Jamnia) 116 Jason von Kyrene 22 Jeremia 22. 25 Jerusalem 19. 22. 27. 28. 30 f. 39. 46 f. 76. 87. 93. 103. 105. 115 f. Jesus von Nazaret 103. 105 f. 112. 114 Johannes Chrysostomus 92 f. Josephus 23. 27. 33–36. 38. 42. 44. 47. 54. 77. 79. 83. 94 f. 118 Judäa 38. 52. 117 Jungfrauengeburt 103 Justin 17. 84. 109. 112 Justinian I. 88. 114 Kaige-Rezension 83 f. 87. 91. 94 Kairo 14 Kalebiter 77 Kambyses II. 37
Kanon 17. 19–21. 23. 490. 53 f. 56. 91. 106 f. 109 f. 118 Kapitelreihenfolge 59 Karäer 113 Karthago 20. 21 Katene 92 Kerygma 104. 108 Kirche 21. 23. 85. 90. 103. 107. 110 f. 114 Kirchenvater 92–94. 96. 98. 108 f. Kleopatra VI. Tryphaina 53 Kleopatra VII. 38 Kohärenz 66 Koine 43 f. 46. 68 f. 71 f. 83. 91. 102 Kolonie 45 Kolophon 17 Konkordanz 66. 87 Konkordanzprinzip 67 Konkurrenzübersetzung 90. 121 Konsonantenschrift, -text 57. 59. 74. 105. 108 Konsonantenverlesung 59 Konstantinopel 21. 92 f. Kontext 67. 73 Konzil 20–22. 99 Kopfsteuer 40 Kopie, Kopierung 57 f. Koptisch 99 kritische Textausgabe 15 Kult 29. 40 Kultgegenstand 73. 91 Kultur 74 Kunstprosa 69 Kyniker 77 Kyrios, -titel 79 f. Latein 97–99. 108. 111 Lebensgestaltung 63 Lebensordnung 104 Lehrbetrieb 66 Lektionar 20 Lesarten → Varianten Leseordnung 44 Lesepublikum 67 Lexikographie 49 Liturgie 10. 98. 108. 119 Lokalgottheit 79 Lokaltypus 56. 58 Lukian von Antiochien 62. 93–96 lukianische Rezension 93–96 Luther 23 Lutherbibel 18
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Personen, Orte und Sachen Mailänder Fragmente 92 Majuskel 14. 15. 16. 36 Makkabäer 18. 22 Makrokontext 67 Mantik 78 Marcius Turbo 117 Marginalie 87 Märtyrerbericht 108 Masada 83 Masoreten 57 masoretischer Text 57–61. 84. 86. 94–96. 99. 107 Mater lectionis 57 Melchisedek 105 Melito von Sardes 100 Memphis 38 Meni 77 Mesopotamien 117 Messias 19. 76 f. 103. 106. 111. 115 Metobelus 89 f. Meturgeman 47 Midrasch 88 Minuskel 15 Mischna 58. 88. 115 f. 118 Mischtext 61. 97 Mission 10. 102. 114 Monotheismus 78–80 Morphem 88 Morphologie 43 f. Mosegesetzgebung 102 Moses 19. 26. 31 f. 46. 49. 51. 78. 120 Museion 42 Muttersprache 31 Mysterienkult 78 Mythologie 41 Narrative Pool 95 Neologismus 44. 72 f. 79 Neues Testament 65. 71. 94. 96. 98. 100–108 Neukontextualisierung 104. 107 Neuübersetzung 81 f. Nichtjude 31 f. 103 Nordafrika 97 Obelus 89 Octapla 86 Offenbarung 19. 65. 67. 100. 104. 107 f. 120 f. Opferkult 50. 103 Opferstätte 79 Opfervorschrift 103 Orakel 27. 78. 118
Origenes 14. 17. 20. 53. 83–94. 98. 109 f. 114 orthodoxe Kirchen 10. 108 Ortsname 26. 73 Osterfestbrief 14. 17. 20 Palästina 53. 88. 91. 93. 109. 113. 115–118 Pamphilos 91. 93 Papyrus 13 f. 73 Parallelismus membrorum 73 Paraphrase 67 Parther 117 Partikel 88 Partizip 70 Passionstradition 100 Patriarch 51 Paul von Tella 92 Paulus 102–105. 107. 111 Pentateuch 26 f. 47. 49–52. 55. 64. 70 f. 93. 111. 120 Perserherrschaft 21 Personenname 26. 57. 73 Peschitto 99 Pflanzenname 91 Pharao 29. 38 Pharisäer 115 Pharos 28. 111 Philister 77. 82 Philon von Alexandria 30–33. 43–45. 47. 79. 110. 118 Philosophie 27. 72. 75. 77 Phraseologie 49 Platon 26 Politeuma 40 f. 46. 48 Polytheismus 79 Praktikabilität 75 Präposition 69 f. 87 Predigt 101 Priester, -schaft, -adel 34. 36. 39. 105 Prima 86 Pronomen 95 Propaganda 21 Prophetenbücher 19. 240. 51 f. 54. 63. 69. 71. 76. 81. 84. 92 f. 104. 109. 116. 118 Proselyt 103 protolukianischer Text 94 protomasoretischer Text 57. 60 f. 81. 98. 118 Proto-Theodotion 91 Pseudepigraphen 22. 25 Pseudo-Justin 110 Psychologie 72
Ptolemäer, -reich 18. 26. 29. 38 f. 43 f. 46–48. 51. 113 Ptolemaios I. Soter 29. 38 Ptolemaios II. Philadelphos 26. 27. 34. 36. 39. 46. 110. 114. 119 f. Ptolemaios I. Philopator 26 Ptolemaios VIII. Euergetes 53 Ptolemaios XII. Neos Dionysos 53 Quadratschrift 57. 80. 113 Quarta 86. 89 Quinta 86. 89–92. 96–98 Qumran 10. 14. 22. 36. 48. 50. 52. 55. 59. 61. 83 f. 94. 96. 104 Rabbi Jehuda 120 Rabbinen 56. 66. 84. 88. 113–121 rabbinische Literatur 23 Randlesart 93 Reformation 23 Reihenfolge 23 f. 51 Reinheit 50 Reinheitsgebot 28 Relevanz 75 Revision 32 Rezension 14–16. 56 f. 61 f. 82. 84 f. 87. 92. 97. 107. 113 Rezensionstätigkeit 81 ff. Rezeptionsbedingung 65 Rezipienten 65. 74 Rom, Römisches Reich 54. 830. 116 f. Rückübersetzung 60 Sabbat 45 Sahidisch 99 Sakralität 118 Salomo 22. 25. 53 samaritanischer Pentateuch 56 Sammlung 19 f. 109 Schekelsteuer 40 Sche’ol 77 Schim’on ben Gamli’el 116. 119 Schreckenshöhle 83 Schreiber 37. 48. 97. 107 Schreibfehler 60. 62 Schriftbeweis 104 f. Schriftdeutung 106 Schriftgebrauch 100
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Register Schriftgelehrter 47. 84. 105. 115 Schriftprophetie 107 Schriftverfälschung 115 Schriftzitat 100 Schule 48. 55. 57. 116. 121 Scriptura continua 15 Secunda 86. 116 Selbstverwaltung 41. 117 Seleukiden 22 Semantik 47 Semitismus 47 f. 95 Sendschreiben 101 Septuagintalegende 17. 19. 109. 120 Septuaginta-Mimesis 101 Septuagintazitat 104–107 Septuagintismus 101 f. Sexta 86. 90 f. Sextus Julius Africanus 85 Sinai 19. 30 Sinnpotential 67 Sitz im Leben 67 Somchos 89 Speisegebot 28. 50 Spezialbedeutung 72 Spezifizierung 67 Sprachbarriere 46 Sprache, -gebrauch 21. 43 Sprachkenntnis 51 Stadion 42 Stadtkultur 42 Standardisierungsprozeß 57 Standardtext 63. 81. 90 Status constructus 69 Stemmatisierung 52 Stil, Stilistik 49. 51 f. 67. 69. 88. 94 f. 101 Stoa 32. 34 Suffix 57 Sünde 71 Symmachus 16. 89 f. 92. 96 Synagoge 39. 44 f. 48. 58. 63. 71. 76. 87 f. 100. 113 f. 117. 121 Synonym 95 Syntax 21. 43 f. 47. 49. 68. 75 Syrien 77. 117 syrische Didaskalia 18 Syro-Hexapla 91 f. 97 Talmai 113 f. 120 → Ptolemaios II. Talmud 58. 88. 119 Tannaiten 88. 116. 118 Targum 45. 47. 63. 88. 119–121
Targum Onkelos 88 Targumhypothese 62 f. Tempel 28. 39 f. 45. 76. 103. 106. 110. 115 Tempelzerstörung 56. 113. 115. 121 Tempussystem 69 Tertia 86–88 Tertullian 94 Testimonium 114 f. Tetragramm 79 f. Tetrapla 86 Textänderung 56 Textdifferenz 89 Textentwicklung 63 Textfamilie 62 f. Textfluktuation 57 Textform, -formen 56. 58. 67. 81. 97. 117 Textgattung 66 Textgeschichte 66. 107 Textinterpretation 49. 65. 74 Textkritik 62. 107 Textreproduktion 55 Textsicherungsformel 33 f. 52 Textsinn 64 f. 67. 71. 95 Textstruktur 67 Texttradition 57 f. 61. 86. 106. 112. 117 Textüberlieferung 13. 60. 63. 67. 83 Textüberschuß 96 Textveränderung 75. 115 Textversion 59 Textverständnis 65. 67. 116 Theodoret von Kyros 93 Theodotion 16. 64. 86. 90–92. 96. 105 Thot 37 Tierkult 37 Tiername 91 Tiridates 99 Tochterübersetzung 97 Tora 17. 19. 22. 24. 26–33. 36 f. 40 f. 45 f. 50–55. 63. 75. 78 f. 81. 88. 104. 109. 113. 116. 118–121 Tosefta 58. 88. 116 Totenreich 77 Totes Meer 13 Tradenten 65. 74. 111 f. Tradition 34. 41. 72. 74 Traditionsgebundenheit 66 Traditionskontinuität 101 Traditionsliteratur 58. 87. 113
Traditionstreue 100 Trajan 40. 117 Transliteration 73. 86 Transmissionsprozeß 58–61. 107. 111 f. Trient 99 trifaria varietas 93 Tugendlehre 29 Tyche 77 Übergabebereich 58 Überlieferung 56–58. 65. 82 Überlieferungsvarianten 16 Übermittlungsfehler 61 Übersetzer 47. 56. 65–68. 74. 76 Übersetzerschulen 65 Übersetzungsäquivalent 81 Übersetzungsfehler 59 Übersetzungsprozeß 66–69 Übersetzungstechnik 51. 65–76 Übersetzungstendenz 74–80. 88 Umgangssprache 47. 70 Umstellung 67 Unzialhandschriften 15 Unterhaltung 21 Unterwelt 77 Urtext 17. 57. 62–64. 74. 97 Urtexttheorie 62 Urübersetzung 62. 74 Uscha 116 Variante 62. 64. 74 Verbalform 69. 74 Verdeutlichung 67. 95 Vereinheitlichung 71 Vernunft 18 Verständnistradition 56. 58. 62. 64. 67. 74. 82. 86. 113 f. 116 Verstehensmöglichkeit 70 Verwechslung 59 Vetus Latina 23. 95–98 Vokabeläquivalenz 50 Vokabular → Wortschatz Vokalisation, -ssystem 58. 86 Vorlage 56. 58–62. 64 f. 67 f. 71. 74. 81. 89. 95. 99 Vulgärtext 57 Vulgärtexttheorie 63 Vulgata 18. 22 f. 65. 92 f. 98–100. 109 Wadi el-Habra 13. 84 ˘ Wahrsagekunst 78
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Personen, Orte und Sachen Wallfahrtsfest 39. 50 Weisheit 18. 22. 28. 29 Weisheitsschrift 51. 55 Weissagung 54. 115. 118 Weltdeutung 63. 70 Weltschöpfung 51 Wirkabsicht 66 Wissenshorizont 74
Wörterbuch 70 Wörtlichkeit 87. 114 Wortliste 47 Wortschatz 52. 70. 101 Wortsinn 67. 75 Wüste Juda 13. 52. 56. 63. 83 Ximenes, Francisco 15
Zauberpapyrus 80 Zielsprache 65. 67. 71. 87 Zieltext 65–69 Zusatz 67 Zweisprachigkeit 48 Zweiter Tempel 57. 61. 84. 113 Zypern 117
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