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German Pages 268 Year 1881
9°^
EINLEITUNG IN
DAS
STUDIUM DER STATISTIK. VORLESUNGEN GEHALTEN AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN VON
Professor Dr.
J.
E.
WAPPÄUS.
HERAUSGEGEBEN VON
De.
O.
G AND IL.
LEIPZIG, J.
C.
HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG. 1881.
Druck von Hundertstund
stracten Segriff
von Staat.
Und
sprach.
Namen
unter diesem
sind dann
auch schon
Vorlesungen lange vor Achenwall auf deutschen Universitäten gehalten worden.
Es
ist interessant,
verfolgen.
dies
noch etwas weiter rückwärts zu
Es wird dadurch
die Einsicht
in
die Genesis
unserer Wissenschaft angebahnt; es geht daraus hervor, dass nicht zufällig entstanden, nicht willkürlich gemacht
sie
ist,
sondern mit der Entwickelung der Staatswissenschaften eng
zusammenhängt, dass
wirklich
sie
hervorgegangen
ist
aus
einem wissenschaftlichen Bedürfniss der Zeit Solche akademische statistische Vorlesungen, wie Achenwall sie in Göttingen eingeführt hat, wurden vor ihm nament-
schon in Jena und Halle gehalten.
lich
Aus den
Lections-
katalogen dieser beiden Universitäten geht hervor, dass unmittelbar
vor Achenwall's
Zeit
seiner Zeit
ein
berühmter
Gelehrter, der bereits genannte Prof. Martin Schmeitzel, mit
grossem Eifer ein solches
zwar von seinem
statistisches Colleg gelesen hat
ersten Auftreten in Jena
und
an, im Winter-
semester 1723/24 bis zu seiner Berufung nach Halle im Jahre 1731 und darauf in Halle bis zu seinem Tode 1747.
Siebenbürgener von Geburt, kündigte
ein
Schmeitzel,
das Colleg fast
jedes Semester an, aber unter etwas verschiedenem Titel,
bald einfach
als:
Collegium politico-statisticum, bald
Notitia politico-historica Statuum
Schmeitzel brauchte hier Status ein-
erklärenden Zusätze. fach
für
Staat
als:
Europae, bald mit einem
und
ebenso
das
Adjectiv
statisticus
für
statistisch.
Nun wissen wir,
dass Achenwall in Jena und darauf in Halle
studirt hat
und zwar
dort sein
statistisches Colleg gelesen
Annahme
sehr nahe, dass Achenwall die bei Schmeitzel ge-
in
den Semestern, in welchen Schmeitzel
hörte Disciplin nach Marburg,
wo
hat und da liegt die
er zuerst Statistik gelesen
und darauf nach Göttingen verpflanzt
1)
Siehe hierüber den Exkurs
zum zweiten
Bevölkerungsstatistik von Wappäus.
hat.
Aus dem Mit-
Theile der allgemeinen
-
—
9
getheilten geht auch mit Sicherheit hervor,
den
Namen
wenigstens
als
;
ist
Dagegen
Adjectivum.
lateinisches
Achenwall allerdings das
Hauptwort zu haben
dass Achenwall
für diese Wissenschaft (Vorlesung) schon vorfand,
deutsche
scheint
populär gewordene
so
für die Wissenschaft zuerst gebraucht
Statistik
er hat es in die deutsche
Sprache eingeführt und
deshalb als der Vater der Statistik angesehen worden.
Uebrigens
ist
hier noch zu bemerken, dass Achenwall
Bildung des lateinischen Wortes
sich der unclassischen ticus
statis-
wohl bewusst war und sich desselben auch niemals
im Lateinischen bedient
hat,
wie Schmeitzel es gethan.
seinen lateinischen Schriften, sowie in der
Ankündigung
In
seiner
Vorlesungen im lateinischen Lectionskataloge nannte Achenwall seine Wissenschaft nicht Statistik, sondern immer: Notitia (oder
notitia
hodicrnarum) und das
Ausdruck als
Reruin
politica)
ist
-
Durch
oder
auch gewiss der richtige lateinische
durch seine Vorlesungen der fügte er
(Europae
Erst in den beiden letzten Semestern,
für Statistik.
geworden,
publicorum
in
Name
Klammer
diese Bezeichnung weist
Statistik sehr populär
hinzu:
vulgo
Statistica.
Achenwall aber auch schon
auf den eigentlichen Gründer der Wissenschaft hin, den er übrigens auch sonst express als solchen bezeichnet, indem er
von ihm
sagt, er sei
academiis tractandae
*)
näher sehen werden,
parens notitiae rerum publicarum in
gewesen.
Das war
aber, wie wir noch
der berühmte Helmstädter Prof. der
Medicin und Politik Hermann Conring, ein Ostfriese, geb. zu Norden 1606, gest. zu Hclmstädt 1681. Dieser berühmte Polyhistor, ein versalität, der
Mann von
seltener
wissenschaftlicher Uni-
auf manchen Gebieten der Wissenschaft eine
balmbroeheiide Thätigkeil entwickelt bat, der jetzt auch als Begründer der deutschen Rechtsgeschichte anerkannt ist 2 ), hat zuerst ein statistisches Colleg zu Hclmstädt gegen das Jahr 1660 gelesen unter dem Titel: Notitia rerum publicarum Siehe Wappäus, Bevölkerungs-Statistik. Bd. II p. 548. Stobbe: Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1870. 8°. 1)
2)
0.
10
(Europae) hodiernarum und
seit
der Zeit
die
ist
Statistik
akademische Disciplin auf deutschen Universitäten heimisch geworden. Achenwall hat sich des Namens Statistik als
eine
auch niemals auf dem Titel seiner Bücher bedient, während er ihn
in seinen
Vorlesungen
druckt findet sich bei ihm der für seine Vorlesungen, welches
unter
dem
erschien.
Achenwall 1790.
Es
von der in:
2.
stets
gebrauchte.
Name
in
Zuerst ge-
seinem Compendium
im Jahre 1749 zu Göttingen
„Abriss der neuesten Staatswissenschaft"
Titel:
Das Compendium erlebte 7 Auflagen: 5 durch selbst, die 6. und 7. durch Schlözer und Sprengel ist
aber auch bemerkenswerth,
dass
Achenwall
Auflage an den Titel dieses Compendiums änderte
„Staatsverfassung der heutigen vornehmsten Europäischen
Es
Reiche und Völker im Grundrisse".
giebt diese Ver-
änderung des Titels uns Aufschluss über die AchenwalPsche Auffassung der Wissenschaft. Staatskunde,
als Verhältnisse,
wichtigsten
Er verstand darunter
einfach
nämlich Staatsverfassung im weiteren Sinne,
Zustände des Staates,
Verhältnisse
des
d. h.
wirklichen
Darstellung der
concreten
Staates
oder des StaatesN wie er in der Gegenwart besteht.
Ob und
wie weit nun diese Auffassung der Wissenschaft
gerecht-
war durch die damaligen Anforderungen der wissenschaftlichen Entwicklung der Staats Wissenschaft, und ob und auf welche Weise daran noch heute anzuknüpfen sein
fertigt
wird,
das
sich über
ist
eine Hauptfrage, die zu beantworten
den gegenwärtigen Streit zu orientiren.
ist,
um
Wir müssen
zu diesem Zwecke in der geschichtlichen Rückschau, in der wir begriffen sind, noch etwas weiter gehen.
Sie wird uns
dann auch zum bestimmteren Erkennen der wahren wissenschaftlichen Anforderungen und Aufgaben sowohl jener wie der heutigen Zeit in Bezug auf die Staatswissenschaft führen.
Von Göttingen
aus
ist
alsbald
der durch Achenwall's
Vorlesungen sehr populär gewordene in
alle
Name
europäischen Sprachen übergegangen.
Statistik rasch
Dieser
aller-
dings nicht übelklingendc, aber eigcntlieh doch schlecht ge*
—
11
Name
bildete
hat indess auch viel beigetragen zu der Ver-
welche später über den Begriff der Statistik
wirrung, gerissen
ein-
ist.
Der neue Name drang nämlich auch bald nach Frankreich und England und wurde namentlich im ersteren Lande sehr populär.
um
Dort hatte man
diese Zeit
und
Ende
seit
des
17.
Jahrhunderts schon verhältnissmässig viel Schriften zur Belehrung über die staatlichen Einrichtungen und Verhältnisse
Frankreichs,
wo
weiter
deshalb
der
bei
stärkeren Centralisation und der
fortgeschrittenen
Bücher überhaupt schon länger waren.
Man kann
sogenannten
-
Verwaltung solche
ein praktisches Bedürfniss
vergleichen mit unseren gegenwärtigen
politischen
Geographien oder unseren Staats-
Diese Art Bücher führten nicht selten den
liandbüchern. Titel:
sie
Staats
„Etat de
lichen Zustände
Sie belehrten über die staat-
France".
la
des Landes und sind auch gewissermassen
Vorläufer der Statistiker gewesen, wie sich denn auch Achenwall in seiner Habilitationsschrift ausdrücklich auf den Ver'
fasser
eines
Werkes
bezieht; nämlich auf
auf einen Vorgänger
als
den Comte de Boulainvilliers mit seinem
Etat de la France (1727 2
nun gern der neue
Art
dieser
Name
fol.).
Für
Werke wurde
solche
Statistik, statistische
Beschreibungen,
angenommen. Es entstanden dort viele Statistiken, der Name wurde sogar für die politischen Berichte der Intendanten gebraucht,
Jahren eine
wurde
in
es
bildete
statistische
sich in Paris
Gesellschaft.
schon
Genug,
die
vor 100 Statistik
Frankreich schnell ungemein populär. Entsprechend
der nationalen Neigung aller romanischen Völker,
bei
der
Betrachtung und Darstellung der Staatsverhältnisse die so-
genannten
Staatskräfte hervorzuheben, entfernten sich die Franzosen von Anfang an in ihrer Behandlung und Aus-
bildung der Statistik
von der AchenwaH'schcn Auffassung
dieser Wissenschaft.
Sie entfernten
dadurch, dass
sie
sich
davon namentlich
nicht gleichmässig alle Verhältnisse des
Staates, sondern vorzugsweise nur dasjenige berücksichtigten,
— was
sich leicht übersichtlich in
So
lässt.
—
12
Maass und Zahl ausdrücken
B. die numerischen Verhältnisse der Bevölkerung
z.
nach ihren verschiedenen Kategorien (Zahl,
Alter, Geschlecht,
Ständen); ferner die Production, die Handelsbewegung, die
Staatseinnahmen und Ausgaben, die Stärke der Armee
Auf
Weise kamen
diese
was
dahin, nur dasjenige als statistisch anzusehen,
zugsweise in lässt, als
Dabei geschah
Tableau, Etat.
s.
w.
mehr
sich vor-
Zusammenstellungen behandeln
tabellarischen
die französischen
u.
nach und nach immer
sie
bei
Statistiker
ihrer
es
denn
dass
leicht,
geringen Beachtung
der ausländischen und insbesondere der deutschen Literatur
Bedeutung des Namens aufgenommen hatten, vergassen und nun gradezu Statistik ableiteten von Status in der Bedeutung von Zustand. (Etat, Situation, ConUnd dabei verharren sie der Mehrzahl dition des choses.)
und
den wirklichen Ursprung den
Statistik,
nach noch gar
sie
jetzt in der naivsten
eine
für
um
Statistik
Weise und erklären
Abgeschmacktheit,
zu behaupten,
nach Frankreich gekommen
von da
Moreau de Jonnes,
Statistiker,
einer der namhaftesten französischen
zu nennen, der viele Jahre Chef des französischen
statistischen
Bureaus zu Paris war und
grossen Verdienste hat.
als
solcher
Statistique
in einer ganzen Reihe von Foliobänden, die
nichts als Zahlen
seine
Diese bestehen in der Herausgabe
der ersten Serien der grossen offiziellen
France
.
die
Als Repräsentant dieser französisch- statistischen Schule
sei.
rt»
wohl
es
dass
die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutsch-
land ausgebildet und
ist
die
zuerst doch aus Deutschland
enthalten.
Er
de
la
freilich
hat auch ein statistisches
Lehrbuch geschrieben unter dem Titel: Elements de Statistique, Paris 1847. In diesem Buche nennt er es eine Prätension
der Deutschen,
zu behaupten,
dass ein gelehrter
Professor zu Göttingen, wie er sich ausdrückt tistik
entdeckt habe (en
sei uralt
zwar
sei
fit
und der Name dafür er
zur Zeit
der
wieder hervorgesucht, aus
p. 10,
die Sta-
Die Wissenschaft neueren Ursprungs und
la decouverte). sei
französischen Revolution
dem
lateinischen
Status,
dafür in
der
— S.
—
13
12 ausgeführten Bedeutung.
Das
ist allenfalls
begreiflich
bei einem französischen Director der administrativen Statistik.
Zu verwundern
ist
aber gewiss, dass namhafte deutsche
es
über die Theorie der Statistik sich auf diesen
Schriftsteller
Franzosen gegen die Achenwairsche
statistische
Schule be-
rufen haben.
Ebenso wie die Franzosen haben sich die Engländer nach Aufnahme der Statistik von der deutschen Auffassung entfernt. Auch in England hat man vorzugsweise die Zahlenstatistik ausgebildet, wenn auch nicht in so ganz einseitigem Interesse
für
die Darstellung
der sogenannten materiellen
Staatskräfte wie in Frankreich.
man
entsprechend, bildete
des Volkswohles aus, statistischen
man
d. h.
englischen Character
vornehmlich zum Nutzen
suchte vorzugsweise nach
Thatsachen, welche über
den Grad der Pros-
der Bevölkerung Aufschluss
perität
zu geben geeignet erDie Engländer haben von Anfang an mit der
schienen.
Ilerübernahme Statistik
die
Dem
die Statistik
des
Namens
angenommen.
nicht
die
Idee
der deutschen
Praktisch und nüchtern
haben
sie
Bezeichnung „statistisch" nur angenommen für die Be-
trachtung derjenigen Verhältnisse
der Staaten,
die
sich in
Zahlen ausdrücken lassen und über welche somit eineRechnung,
Buchführung angestellt werden kann. So haben die Engländer die Statistik zu einer Buchhaltung der Nation
eine Art
gemacht.
Dass
sie
nicht die deutsche
geht auch daraus hervor,
gebrauchen.
Eine Statistik
Idee erfasst haben,
dass sie Statistik nur im Plural als
besondere Wissenschaft kennen
sie nicht.
Sie haben nur Statistics (St. of commerce, St. of
population
etc.)
Di*'
d. h.
einzelne statistische Uebcrsichten.
Man
England der Statistik als Hauptaufgabe: Darstellung der Zustände der Bevölkerung und die Er-
stellte
darnach
in
forschung der Mittel zur weiteren Verbesserung des materiellen Volkswohlfahrt.
Das
ist
nun
freilich
auch eine der Aufgaben
der Statistik, die Zustände des Volkes in Bezug auf die
all-
gemeine Prosperität darzulegen, wie diese sich ausdrücken
—
—
14
Production,
Bewegung der Bevölkerung, im Handel, in der dem Einkommen des Volkes, dem Armen-
wesen
Wenn
z.
B. in der
etc.
aber die Statistik einseitig darauf allein
ausgeht und insbesondere auch darauf, die Mittel zur Ver-
besserung jener Institute zu entdecken, so verliert
sie sich
Untersuchung und käme überdies ebenFrankreich, nur auf anderem Wege, zu einer Uebei
leicht in theoretische
so wie in
-
Schätzung und alleinigen, abgerissenen Fortbildung derjenigen Theile der Statistik, in welchen Zahlen die Hauptrolle spielen,
und dahin
ist
sie
auch vornehmlich treten,
auch
in
England gekommen,
sie
ist
dort
den Dienst der Nationalökonomie ge-
in
gewissermassen nur ein Hülfsmittel derselben geworden.
Die
Ausbildung, welche so
einseitige
Statistik
die
in
Frankreich und England fand, wirkte nun auch auf Deutsch-
Mehr jedoch noch und allgemeiner als diese Rückwirkung der nationalen Tendenzen der Franzosen und der Engländer, hat die Errichtung und Vervielfältigung der land zurück.
Bureaus gewirkt, von der Achenwairschen Idee abzuführen. Nach anderer Richtung ist diese Errichtung und
sog. statist.
Vervielfältigung genannter Bureaus für die Statistik von der
Förderung gewesen. Bureaus sind eigene
allergrössten
Die
statistischen
die ihre Thätigkeit lediglich der
Staates zu keit
Statistik
Staats-Institute,
des betreffenden
widmen haben. Ihre Nützlichkeit und Nothwendig-
stellte
sich
sowie
heraus,
die
Staatsverwaltung
eine
und künstlichere wurde, weshalb sich auch die ersten Anfänge solcher Institute in Frankreich zeigen und zwar schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Keine geordnete Verwaltung kann der Statistik entbehren. centralisirtere
Jeder Verwaltungsbeamte sogar muss sich eine Statistik seines Ressorts bilden,
ordnete seines
d. h.
Uebersicht
er
der
muss
factisch
Verwaltungskreises
macht auch
ein jeder
sich eine Kenntniss, eine ge-
bestehenden
verschaffen.
Beamte
Und
Verhältnisse in
sich seine Statistik,
der
Thaf
nenn auch
-
—
15
ganz unbewusst, und mehr oder minder oder minder er statistisch geschult
ist
rationell, je
mehr
oder statistisches Talent
Je complicirter, je vollkommener nun die Staatsverwal-
hat.
tung wurde, desto weniger genügte dafür auch die Privatstatistik, desto
für den Staat
mehr entstand
das Bedürfniss
nach Sammlung und Zusammenstellung von Nachrichten über die thatsächlichen Zustände der zu verwaltenden Angelegenheiten; sie konnte nicht mehr nur nebenbei von dem Einzelnen zu
seinem Privatgebrauche
geschehen.
Anfangs sammelte
nun jede Verwaltungsbehörde für ihren besonderen Ressort. Nach und nach häufte sich aber das statistische Material der Art, dass dafür die gewöhnlichen Arbeitskräfte der einzelnen Verwaltungsbehörden nicht
mehr
Da-
ausreichten.
neben entstand auch immer mehr das Bedürfniss nach Ver-
vollkommnung und Ausdehnung der Beobachtungen, und nach einer mehr zweckentsprechenden Bearbeitung des gesammelten Materials. Diese Aufgabe wurde nun besonderen Beamten übertragen, die sich vorzugsweise oder allein damit •
Zunächst hatten diese nur für das
zu beschäftigen hatten.
jedesmalige praktische Bedürfniss der Regierungsbehörden zu arbeiten und zu Anfang wurden solche statistische
lungen allgemein
als
Staatsgeheimniss
der praktischen Staatsmänner
gab
man
indess
diese
Sehr nahe
Staaten.
es
es
— bewahrt.
Scheu
lag
—
wenigstens
auf,
nun,
solche
Samm-
Arcana Nach und nach
waren
die
in
Arbeiten,
einigen
deren
Wichtigkeit für Jeden, der sich für das Staatsleben interessirte,
auf der
Hand
lag, nicht blos in
den Registraturen der
einzelnen Ministerien, blos zur gelegentlichen Benutzung für einen
bestimmten Zweck der Verwaltung liegen
sondern
sie
durch Vervielfältigung durch
weitere Kreise zugänglich zu machen,
zu lassen,
den Druck für
zunächst für solche,
welche ein besonderes Interesse daran hatten, wie Staats-
behörden und Ständemitglieder, auch wohl für das grössere Publikum.
Angeregt wurde nun
zur
Ausdehnung solcher
Arbeiten und Publikationen auch vorzüglich durch das
gemeine Interesse, welches sich
seit
all-
Achenwalls Vorlesungen
— und die seiner Nachfolger,
—
16
in Göttingen namentlich Schlözer's,
für Statistik unter den Staatsbeamten vornehmlich in Deutsch-
man denn auch allmählig jedem Ministerium besonders bestehenden statistischen Abtheilungen zu vereinigen, und so entstanden namentlich seit Anfang dieses Jahrhunderts viele land verbreitet hatte.
So ging
dazu über, die bis dahin meist
in
dem Namen
eigene Institute für Landesstatistik meist unter
von
statistischen Bureaus, Centraibureaus etc.
sation,
wie
sie sich in
gebildet hat,
Ihre Organi-
den einzelnen Staaten allmählig heraus-
war verschieden.
gemeinsame Aufgabe aber
Eine
ist die:
die
allen diesen Instituten
gesammelten
statistischen
Thatsachen zusammenzustellen, zu ordnen und mehr oder weniger verarbeitet zu publiciren.
Bureaus
ist
nun
seit
Anfang
Durch
solche statistische
dieses Jahrhunderts
un-
eine
geheure Masse von statistischen Daten und Specialarbeiten
angesammelt worden und solches Material wird noch während gleichsam mit Riesenarmen angehäuft. Es ist ein Schatz,
fort-
dies
der für die Wissenschaft noch lange nicht voll-
ständig verwerthet werden konnte.
Für
dieselbe
ist
diese
üeberfülle von Material sogar keineswegs fördernd gewesen, sie ist ihr
geworden.
gewissermassen zu einem „embarras de richesse"
Der Natur der Sache nach beschränken
sich aber
Bureaus im Wesentlichen auf die verwaltenden Staatsbehörden von
die Arbeiten der statistischen
welche für
solche,
Wichtigkeit sind zur Uebersicht der thatsächlichen Verhältnisse.
Daher beschränkt
operiren, auch ganz
sich
das Material,
mit
überwiegend oder vielmehr
dem
sie
fast einzig
auf solches, welches sich in Zahl und Maass und in tabellarischer
Form ausdrücken und zusammenstellen
nothwendige Folge davon officielle
ist
gewesen,
dass
lässt.
dadurch
Eine die
oder administrative Statistik und zugleich die Zahlen-
grossem Ansehen gelangten. Und dies geschah um mehr, weil auch in den wissenschaftlichen Arbeiten die statistischen Bureaus" dadurch vor den Statistikern von Fach statistik zu
so
den Vorrang erhielten, dass nun zur Bearbeitung und vollen
Verwerthung der
in so reicher Fülle
gesammelten
statistischen
Daten meistentheils Arbeitskräfte erfordert wurden, über das Vermögen des Einzelnen,
die weit
B. eines Universitäts-
z.
professors hinausgingen, die nur einem Direktor eines statistischen Bureaus mit seinen zahlreichen Calculatoren, Hülfs-
arbeitern
etc.
zu Gebote standen.
Und dadurch mit
dass
der
wissenschaftliche
ausgegangen
es
denn auch vorzüglich gekommen,
Statistik,
der
sich
Bureaus
statistischen
wie
immer mehr
ist,
Man gewöhnte blos
ist
Ausbildung
sie
von den
in
den
Hintergrund
trat.
daran, unter Statistik mehr und mehr
administrative Statistik zu verstehen,
die
die
Universitäten
den statistischen Bureaus ausgeht und wie voluminösen Publikationen dieser
sie
wie
sie
von
aus den sehr
Institute, meist
jedoch nur
mehr oder weniger fragmentarisch, in die statistischen Schriften von Privaten, ja man kann sagen von Dilettanten übergeht.
Denn
mit der raschen Entwickelung der offiziellen Statistik
ist die
nicht officielle Statistik
ganz
fast
in
die
Hände von
Dilettanten gerathen.
Daraus erklärt
sich
denn auch, dass je höher die Statistik
dem allgemeinen Ansehen stieg, desto mehr der Geschmack am wirklichen Studium der wissenschaftlichen Statistik ab-
in
nahm, weil eben
und Verarbeitung
in der Mittheilung
eines
wichtigen Theiles des statistischen Materials die Gelehrten
mit den statistischen Bureaus nicht gleichen Schritt halten
Gegenwärtig können
konnten.
mehr
Vorlesungen
über
auf keiner Universität
fast
„Allgemeine
Statistik "
gehalten
werden, während diese Disciplin in ihrer ersten Kindheit zu
den
beliebtesten
akademischen Disciplinen
zur -#eit von Heeren waren die Auditorien klein
für die Vorlesungen
hieb von
den Universitäten, auf denen die
in
statistischen
und mehr bureaukratisch. statistischen
Bureaus die
pflegten,
Göttingen zu
ausgebildet worden,
Bureaus zurück und wurde mehr
Damit entstand dann,
zugleich
weil in den
nur einseitig ausgebildet
Statistik
wurde und sonst nur Dilettanten schäftigen
sie
in
Noch
Die Statistik zog
über Statistik.
ganz
gehörte.
sieh
eine
niii
grosse
ihr
noch zu be-
allgemeine Ver-
— wirrung
in
18
den Ansichten über den Begriff und die Aufgabe
der Statistik als Wissenschaft.
Gegen die bezeichnete einseitige rein bureaukratische Behandlung und Ueberhebung der Statistik erfolgte nun in neuerer Zeit eine mehr wissenschaftliche Reaction, wenn zwar auch wiederum nur eine einseitige. Diese Reaction ging von Belgien aus, dem neuen kleinen der nach seiner Constituirung ganz auf seine innere
Staate,
Entwickelung angewiesen, mit der ganzen Frische der Jugend sich auf seine innere Entwickelung, auf die volkswirthschaft-
und
Arbeit
liche
Dazu waren
Vervollkommnung
die
auch
grosse
Neuerungen nothwendig.
warf.
und
Reformen
Diese konnten aber,
Zwecke entsprechen, nur auf der Basis niss
derselben
administrative
dem
sollten sie
einer genauen Kennt-
der thatsächlichen Verhältnisse des Landes ausgeführt
In
werden.
richtiger
Erkenntniss
dieses
Erfordernisses
wandte nun auch die Regierung des jungen Staates von Anfang an ein Hauptaugenmerk auf die genaueste statistische Erforschung
des
Landes.
Zu diesem Zwecke wurde
statistisches Institut errichtet, in einer
Vollkommenheit der Organisation,
Ausdehnung und
wie
sie
bis
ein
einer
dahin noch
waren und wodurch das Institut, das statisBureau von Brüssel, in der That zu einer Musteranstalt Möglich wurde aber diese vollkommene seiner Art wurde. Errichtung nur dadurch, dass man dabei von der einseitigen nicht gekannt tische
administrativen Statistik abging, dass allein
man
sich dabei nicht
an die praktischen Verwaltungsbeamten wandte, son-
dern für die Errichtung und Leitung des Instituts von Anfang
an auch der wissenschaftlichen Statistik eine sehr
einfluss-
Stimme gab. Schon bei der ersten wurden Gelehrte zu Rathe gezogen, u. A. vornehmlich auch
Organisation
reiche
ein gelehrter
Mathematiker, der sich bereits durch wissen-
Namen gemacht
hatte.
dies der Director der Sternwarte zu Brüssel,
Adolf
schaftliche statistische Arbeiten einen
Es war
Quetelet,
und ihm
ist
auch nach der Errichtung des
statis-
—
—
19
Bureaus die Hauptleitung der Arbeiten dieses Inanvertraut worden. Dadurch erhielten auch die Arbeiten
tischen stituts
des statistischen Bureaus zu Brüssel im Gegensatz
früheren Arbeiten solcher Institute einen Character.
lichen
der belgischen
Durch
diese
Verbindung Quetelets mit
Statistik
officiellen
Methoden zur Erhebung der
wurden nicht allein die Daten und ihre
statistischen
Bearbeitung ausserordentlich vervollkommnet. stand es auch, die ermittelten
ständigen
Werken
vielfach
zu den
mehr wissenschaft-
statistischen
Quetelet ver-
Daten
wissenschaftlich
und zwar mit so grossem Erfolg, dass
in
selb-
zu verwerthen
er bald allgemein als
der Meister in der Statistik anerkannt wurde.
Deshalb haben sich auch allmählig die wissenschaftlich strebsamen Statistiker vorzugsweise an Quetelet angeschlossen
und noch gegenwärtig müssen wir Quetelet, obgleich er in seinen letzten Arbeiten nicht mehr in dem Maasse wie früher die Führung in der Statistik hat behaupten können, noch hoch verehren.
Die gegenwärtige wissenschaftliche
Statistik hat sich mit
Recht der durch Quetelet gestifteten neuen Schule der Statistik
Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die von Quetelet speciell bearbeiteten und durch ihn zu grosser wissenschaftlicher Bedeutung erhobenen Theile angeschlossen.
der Statistik nicht den ganzen Inhalt der von den Universi-
ausgegangenen Wissenschaft begreifen.
täten
sich dessen auch bewusst
dass
die
von
gewesen und
Quetelet
ist
er hat nie behauptet,
ihm vorzugsweise bearbeiteten
Theile
der
ganze Statistik ausmachten.
Statistik die
Als Mathematiker von Fach wendete Quetelet seine Auf-
merksamkeit vorzüglich solchen statistischen Thatsachen die
leicht
Calcül
zu
in
Zahlen auszudrücken
unterwerfen
waren.
Behandlung dieses Theiles der neue Bahn gebrochen.
In
und unmittelbar der
Statistik
hat Quetelet eine
Insbesondere hat er durch
Gesellschaft,
die
dem
wissenschaftlichen
Anwendung
der mathematischen Methode auf solche Erscheinungen
menschlichen
zu,
scheinbar ohne 2*
alle
der
Regel-
—
20
—
u\ässigkeit ;
nach blossem Zufall vor sich gehen, wie Tod
und Leben,
ferner
vom
auf die sogenannten willkürlichen oder des Menschen
freien Willen
abhängigen Handlungen
(wie Schliessung und Auflösung von Ehen, die verschiedenartigen sittliche
Uebertretungen der
Handlungen überhaupt)
Gesellschaft
alle
scheinungen,
wenn man
ein für
Gesetze,
diese
—
zufälligen
Verbrechen
w.,
der
willkürliehen
Er-
die Gesellschaft in
dass
einem Staate
bestehendes Ganzes betrachtet,
sich
s.
in
bewiesen,
und
u.
als
sich mit einer
Regelmässigkeit vollziehen, welche jeden Gedanken an eine Zufälligkeit oder an eine Willkürlichkeit in diesen Erschei-
nungen
ausschliesst.
Quetelet
ist
dadurch der Begründer einer Social- oder
moralischen Statistik geworden, die fortan einen wichtigen Platz in der Statistik einnehmen muss. let
vorzüglich durch die geniale
tischen
Methode
erreichte,
in
die
ist
Erneuerung der
der
Statistik
von ihm
Statistik
Indem aber Q,ueteder mathema-
Anwendung so
glänzende Resultate
ausgegangene wissenschaftliche
doch nur eine einseitige geworden.
Durch Quetelet sind wissenschaftliche Ideen in der Statistik zwar wieder mehr zu Ansehen gebracht, indem durch seine Arbeiten die unberechtigte Ueberhebung der einseitigen administrativen Statistik gebrochen worden ist. Zugleich ist dadurch aber die einseitige Hochschätzung der Zahlenstatibtik wiederum gesteigert worden. Eben weil Quetelet durch Berechnung so überraschende Resultate erreicht hat, wurden nun seine Anhänger und Bewunderer dazu veranlasst, das Operiren mit Zahlen in der Statistik vor Allem als wissenschaftliche statistische
Aufgabe anzusehen.
Das
ist
aber in
solchem Maasse geschehen, dass gegenwärtig viele Statistiker es
geradezu
als
Grundsatz aufgestellt haben,
dass jedes für
Factum von einer exacten Zahlenmüsse und dass deshalb grundsätzlich von der Behandlung in der Statistik alle Thatsachen ausgeschlossen w erden müssen. Mit anderen Worten, diese die Statistik brauchbare
angabe
begleitet sein
r
Statistiker verwerfen
grundsätzlich die
Aufnahme und Vor-
—
21
wendung jeder andern Mittheilung über Staat und als
solche,
die
sich in
Zahlen ausdrücken lassen.
Grundsatz haben zuerst die Franzosen
haben sich aber auch
mehr zugewandt. Das
Gesellschaft,
die
ist,
Diesen
Darauf Deutschen demselben mehr und
um
aufgestellt.
hier nur die wichtigsten Arbeiten
dieser Art zu nennen ; namentlich geschehen von
dem
genannten Nationalökonomen Knies in Heidelberg
bereits
einer
in
eigenen, übrigens, wie wir noch sehen werden, sehr beachtens-
dem
werthen Schrift unter
Titel
„Die
Statistik als selbstän-
dige Wissenschaft. Zur Lösung des Wirrsals in der Theorie und Praxis dieser Wissenschaft (zugleich ein Beitrag zur
Geschichte
kritischen
Und
Wissenschaft
der
seit
Achenwall).
noch neuerer Zeit von einem sehr geistreichen Publicisten, dem ehemaligen württembergischen Cultus-
Kassel 1850."
minister,
in
dem heutigen Kanzler der
Universität zu Tübingen,
Rümelin, in einem Aufsatze in der (Tübinger) Zeitschrift für die
gesammte Staatswissenschaft
Theorie der Statistik."
)
unter
dem
Factum von
sein muss, ist
„Zur
Titel:
Mit dieser Auffassung:
für die Statistik brauchbare
angabe begleitet
l
dass jedes
einer exacten Zahlen-
nun der wissenschaftlichen
Stati-
von den Universitäten ausgegangen und auch im Wesentlichen, wenn auch mehr oder minder unklar und unbewusst, bis in die neueste Zeit festgehalten ist, und namentlich auch, was wohl zu beachten ist, von den Praktikern, die wie
stik,
wichtige
sie
statistische
Länderbeschreibungen
geliefert
haben,
der wissenschaftlichen Statistik ein ungerechtes Todesurtheil
Es lässt sich dies klar nachweisen. Auf Rümelin, der in einem späteren Aufsatze in derselben
gesprochen.
Zeitschrift 1874 seine
kommen
Behauptung wesentlich modificirt
hat,
wir später zurück.
Der von Knies gegen die Achenwall'sche Statistik erhobene Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit darf hier nicht Erst dann wird es möglich sein, den Weg, ignorirt werden.
1)
sätzen.
Jahrg. 1803.
S.
053— 090. abgedruckt
in seinen
Reden und Auf-
—
22
den wir für den richtigen erkennen ; genauer zu bezeichnen
und auf demselben mit Zuversicht vorzuschreiten. Knies und seine Nachfolger sagen: Die Statistik im Sinne Achenwall's und seiner Nachfolger sei nichts weiter als ein loses, willkürlich zusammengehäuftes Aggregat von Wissen, welches seinen Haupttheilen nach wissenschaftlich längst vor Achenwall in den Disciplinen ?
behandelt
worden.
zu
welchen
Bestimmter
eigentlich gehöre,
es
formulirt
Knies,
der
am
Bedenken gegen die wissenschaftliche Statistik zusammenfasst und am eingehendsten zu begründen gesucht hat, diesen Vorwurf folgendermassen: Zu der von Achenwall „Statistik" genannten Wissenschaft haben sich von Anfang an zwei wesentlich verschiedene Gruppen oder Richtungen neben einander ausgebildet, die nichts mit einander gemein haben, als den Namen, und haben sich ohne klares Bewusstsein des Unterschiedes mit einander vermischt. Die eine von Achenwall begründete Richtung habe sich aus der Geschichte der neuesten Zeit entwickelt, sie sei von Anfang an eine historische Disciplin gewesen und dies alle Zeit hindurch verblieben. Diese Disciplin schildere mit der Wortschärfsten die
phrase wie die Geschichtsschreibung die staatsmerkwürdigen
Zustände der Gegenwart. Die zweite Richtung sei ausgegangen von der politischen Arithmetik. Sie lässt, sagt Knies, als
Fundament
für alle Operationen nur das
Zahl begleitete exacte Factum zu.
Hier
soll nichts
von der mit der
Wortphrase geschildert und beschrieben, sondern Alles mir der Zahlenangabe gemessen und berechnet werden; es soll ein exactes Facit gewonnen werden. Um nun aus dem Wirrsal, zu welchem diese bisherige Vermischung dieser beiden Richtungen oder Disciplinen geführt hatte,
herauszukommen,
hält Knies
nothwendig — und damit spricht er Zahl namentlich bisher unter
es für
die Ansicht einer
offizieller Statistiker
bestimmter aus
dem gemeinsamen Namen
in
großen
—
die
der Statistik hervor-
getretenen Disciplinen vollständig zu scheiden.
Knies
unbedingt
Sie sind nac h
zwei Disciplinen zu trennen, von denen die zuletzt
—
—
23
geschilderte, d. h. die, welche aus der politischen Arithmetik
hervorgegangen sein Statistik zu belegen
soll
Achenwall-(Schlözer'sche) Richtung
und
verlieren
als
Namen
mit dem
auch fernerhin
,
wogegen
ist,
die andere, die historische ist,
ihren
Namen
Statistik
Staatenkunde oder Gegenwartskunde oder
Staatszustandskunde der Gegenwart bezeichnet werden
Es
soll.
gewiss für die Wissenschaft nur erfreulich, dass
ist
ein sonst scharfsinniger
Kopf und
ein Gelehrter, der mit der
Literatur der Statistik seit Achenwall bekannter
als
ist,
das
die meisten Statistiker zu sein pflegen, in einer scharfsinnigen
Durchmusterung der statistischen Literatur die zahlreichen und grossen Widersprüche und Un-
kritischen allerdings
genauigkeiten
den bisherigen Definitionen
in
schaft einmal zusammengestellt
gegen die Statistik
einzeln
Alles,
was
der Wissen-
bis dahin schon
worden,
vorgebracht
Im
Hauptangriff concentrirt.
und
sinnigen Kritik wird es erst recht ermöglicht, Streit
diesen
sich in
Kern unserer Wissenschaft klar und
zufälligen
Beimischungen zu erkennen.
Kern gegen den Angriff von Knies
man
theidigen, so wird
auf
einen
dem
über die Statistik vollkommen zu orientiren und den
eigentlichen
mehr
in
Lichte dieser wirklich scharf-
dem Nun
als richtig ist
in
um
Zukunft
erkannten
Wege
rein
von
Gelingt es nun, siegreich zu ver-
so
zuversichtlicher
fortschreiten können.
zuerst ohne Weiteres zuzugeben,
dass unsere
Wissenschaft der Statistik nicht erst von Achenwall, der ihr
den Namen gab oder
vielmehr denselben populär
oder auch von Conring,
Sie
wenn
hatte
auch
Moreau de Jonnes schon lange
sieh
nicht
selbständig,
neueren Wissenschaften der Fall dass
die
Disciplinen
der
machte,
Achenwall's, neu-
gemacht oder erfunden worden
gebildet, gleichsam
früher angeführte
dem Vorgänger
ist,
wie der
urtheilte.
Zeit
wie ist.
Geschichte
vorher das
Auch
entwickelt,
ja
mit
ist
es
und der
allen
richtig,
politischen
Arithmetik einen grossen Einfluss auf die Statistik ausgeübt haben, jene auf ihre erste Entwicklung, diese auf ihre neuere Gestaltung.
Dieser Einfluss
ist
doch aber ganz anderer Art
—
—
24
angenommen
gewesen,
als
er gewöhnlich
zunächst
die
sogenannte Achenwall'sche
Was nun
wird. Statistik
im Ver-
hältniss zur Geschichte betrifft, so hat darauf allerdings die
Geschichtswissenschaft eingewirkt. Die Achenwall'sche Statistik
ging jedoch keineswegs
vor, wie Knies
annimmt,
aus derselben hervor.
aus der Geschichte allein her-
ging nicht einmal überwiegend
sie
Statistik
ist
vielmehr entstanden mit der Geographie und
weiteren Ausbildung der Politik ;
der
der Geschichte, und sie hat sich von diesen drei Disciplinen
nachdem
allmählig abgelöst,
natürlichste heit der
ist es ;
auch Knies
lich
ist dies
Weise geschehen.
Sache
irre
nach
Gerade die grosse Einfach-
geführt hat ;
dem Chaos
in
der Statistik
mehr selbständigen
auf die einfachste und
die so viele Theoretiker,
besonderem Scharfsinn und wickelungen
einen
sie
Und zwar
Inhalt gewonnen.
in
indem
sie
künstlichen
und namentnämlich
mit
logischen Ent-
der verschiedenen Definitionen
einem philosophischen Begriff für
die
Wissenschaft suchen zu müssen gemeint haben.
Die
Statistik
ist
nicht,
wie gezeigt, durch Achenwall
Im Gegen-
neugebildet oder als etwas ganz Neues hingestellt. theil,
man kann
ihre Bildung
oder ihre Anfänge sehr weil
zurückführen.
Wenn man gethan,
die
auch
Statistik
zurück datiren
will,
nicht,
wie Moreau de Jonnes
u.
A. es
auf die Hebräer oder Aegypter
bis
nämlich auf das
4.
Buch Mosis, Numeri
genannt, wegen der darin enthaltenen Volkszählung, so kann
man
doch, wie dies namentlich von Conring geschehen, die Idee
derselben auf Cicero zurückführen. Schrift de oratore, liber II:
dum
caput est ;
Ad
Cicero
sagt
in
seiner
consilium de Republica dan-
nosse Rempublicam.
führen gern dieses Dictum Cicero's an.
Die
alten
Statistiker
Wir haben
in
dem-
That die Bezeichnung unserer Wissenschaft rerum publicarum, und dieser Satz, der von Cicero
selben in der als notitia
auch durch Ausfüllung dessen, was man von
kennen müsse, noch weiter gefasst
dem
Staate
erläutert wird, enthält richtig auf-
und ausgelegt wirklieh schon den wahren Begriff der
— Statistik
Wir haben
Staatskunde.
als
—
25
bereits gesehen,
wie
das praktische Bedürfniss einer Erkenntniss der staatlichen
Zustände
so lange bestand, als es Staatsverwaltung
und Staats-
männer gab, und wie dasselbe um so grösser wurde, je comVerwaltung wurde. Gerade darin hat auch immer
plicirter die
zu einem wesentlichen Theile das Genie der hervorragendsten und einflussreichsten Staatsmänner bestanden, dass sie es verdie für
standen,
Regierung nothwendige Kenntniss der
die
factischen Zustände des Staates sich gründlicher
der Staatsmann,
und
syste-
So sehen wir denn auch, dass Sully
matischer anzueignen.
der in vieler Beziehung
der modernen, centralisirteren
als
der Gründer
Verwaltungskunst anzusehen
auch das erste eigentliche statistische Bureau gründete.
ist,
Sully errichtete schon im Jahre 1609 ein sogenanntes Cabinet
welches, wie er es selbst
d'Etat,
was
Alles umfassen sollte ,
schreibt, ferntere
Beziehung haben könnte:
Armee, werke u.
die s.
w.,
kurz auf
blieb,
den
Ruhm
gewesen zu in
Sully's, sein.
starb,
der Gründer der sein
die
die Berg-
Institut nicht zur
eigentlich
IV schon 1610
Denn
Polizei,
Dass das
Entvvickelung kam,
weil Heinrich
die
Theile der Verwaltung, sowohl
alle
der inneren wie der äusseren.
wirklichen
be-
eine nähere oder ent-
auf die Finanzen,
den Handel,
Marine,
Memoiren
seinen
in
nur ein Project schmälert nicht
statistischen
Plan hat den später
in
Bureaus
Frankreich
den einzelnen Ministerien errichteten Cabinets d'Etat zum
Vorbild gedient.
Allmahlig
verbreitete
sich
nun
das
Bedürfniss
einer
genaueren Kenntniss von den bestehenden Staatsverhältnissen auch über weitere Kreise.
Diese Kenntniss wurde wichtig
einmal für die Gelehrten, besonders diejenigen, welche Geschichte
und
Politik trieben,
ausserdem aber für den Kreis
Für das Bedürfniss der Letzteren dem mehr praktischen Frankreich ge-
der Gebildeten überhaupt.
wurde zuerst wieder in sorgt. Dort erschienen zuerst im politischen Geographien,
ähnliche
17.
Jahrhundert die sogen,
Bücher,
wie unsere geo-
graphischen Oompendien und Lehrbücher es bis auf die neuste
— Zeit gewesen
—
26
nämlich Compilationen geographischen,
sind,
geschichtlichen und politischen Inhalts zu einem praktischen
Zweck, zur Befriedigung des allgemeiner gewordenen Bedürfnisses für den
Gebildeten
überhaupt,
sich
ohne besondere
Fachstudien und auch ausserhalb der Schule des praktischen Staatsdienstes über die staatlichen Zustände eines bestimmten
Das
Landes zu unterrichten. dagegen, sich unterrichten,
wissenschaftliche
über die bestehenden
ward
Bedürfniss
Staatsverhältnisse
zu
und zwar auf den Hauptimpulse zu neuen Rich-
zuerst in Deutschland
Universitäten, von denen die
tungen in der Wissenschaft ausgegangen Wissenschaft fing zuerst
in
sind, erkannt.
Deutschland an,
sich mit
Die den
Kenntnissen zu beschäftigen, die zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten nöthig sind und vorzüglich war
dies
die
Wissenschaft der praktischen Politik und des Staatsrechtes.
Es lag nahe,
den Vorlesungen über Politik,
in
theoretischer Disciplin,
nachdem das Interesse
als
allgemeiner
für die genauere
Kenntniss der bestehenden Staaten allgemeiner erwacht war,
mehr und mehr den Blick auf den concreten Staat zu richten, denselben nach seinen politischen und staatsrechtlichen Verhältnissen zu schildern, gleichsam als Beispiel hinüberzuziehen bei der theoretischen Darstellung.
Zuerst geschah dies mit und neben der Politik und anfangs fasste Seite
man
Auge.
in's
vorzugsweise auch dabei nur die formale Allmählig
durch die vorzüglich
in
und wesentlich mit veranlasst
Frankreich und Italien aufblühende •
Literatur der politischen Geographie, wendete
man denn auch
den materiellen Verhältnissen des Staates mehr Aufmerksamkeit zu. Man nahm genauere Notiz von der Einwohnerzahl des
von
Staates,
seinen
dass,
zu können,
Auf
von seinem
Es wurde mehr und mehr um mit Nutzen Geschichte und Politik treiben
Handel, seiner Production betont,
Finanzverhältnissen,
man
diese
u.
s.
w.
die wirklichen Staaten genauer
Weise fand
kennen müsse.
sich denn allmählig ein
Complex
von Wissen über die concreten Staaten angesammelt, welchen
man nun
anfing,
auch in besonderen Vorlesungen g el rennt
27
von dem über Politik und Staatsrecht, vorzutragen. Dies geschah, wie bereits angeführt, wenn auch vielleicht nicht zu doch zuerst mit Erfolge
allererst,
durch Conring
in
in Helmstädt, unter
publicarum hodiernarum.
Und
akademischen Vorlesungen
dem Namen
Notitia
Rerum-
dass darauf auch vornehmlich
das erwachte regere Interesse für die bestehenden Verhältnisse dafür giebt es noch andere Be-
der Staaten gewirkt habe,
So
weise.
die
damals auf den Universitäten entstehenden
sogen. Zeitungs-Collegien,
Nova
publica,
die sich
noch sehr
Es waren dies Vorlesungen, die ge„Publica" Sonnabends gehalten wurden, in
lange erhalten haben.
wöhnlich
als
welchen über die wichtigsten politischen Ereignisse, welche die
Zeitungen während
der
theilungen gemacht wurden.
wie "
das angeführte von Conring,
gemeiner.
Und
Woche gemeldet
Damals wurden
Mit-
hatten,
Solche Collegia über Statistik,
sie
in
wurden
nach ihm
so hatte sich bereits diese Disciplin als eine
ständige von der Politik, mit der
all-
Jena und Halle gelesen.
zusammen
behandelt worden, abzulösen angefangen.
sie
mehr
selb-
zuerst
war
Sie hatte allmählig
immer reicheren Inhalt erhalten, als nun Achenwall sie nach Inhalt und Zweck bestimmter als eine selbständige Disciplin hinstellte, die ihre Methode aus sich selbst erzeugte. einen
Und
deshalb konnte es einen so grossen Erfolg haben,
als
nun Achenwall dieser Disciplin auch einen eigenen populären Namen beilegte und ihr dadurch ein bestimmtes Bürgerrecht unter den akademischen Disciplinen gab.
So sind wir denn nun endlich wieder auf Achenwall, von dem wir zuerst ausgingen, zurückgekommen, zwar auf einem grossen Umwege, der für uns aber nöthig war,
um
uns auf demselben etwas weiter umzusehen, und nun nach alledem,
was wir dabei gesehen haben,
Auffassung der Statistik Jetzt
die Achenwall'sche
allseitiger beurtheilen
zu können.
werden wir entscheiden können, was von der Achen-
wall'schen Auffassung der Statistik, die wir als eine wissen-
Frucht der Zeit erkannt haben, noch Gültigund ob und wie dieselbe überhaupt noch festzuhalten
schaftliche
keit hat,
—
—
28
oder abzuändern, zu modificiren oder
zu erweitern
ist,
um
den wissenschaftlichen Anforderungen der gegenwärtigen Zeit zu entsprechen. Wir müssen nun zuerst noch einen Augen-
AchenwalFschen Auffassung und Definition vernun erst recht verständlich sein wird. Achenwall gebrauchte synonym mit Statistik den Ausdruck Staatsblick bei der
weilen, die
verfassung im weiteren Sinne,
nämlich
als
umfassend
alle
beachtenswerthen Verhältnisse, Zustände des concreten Staates
Deshalb
überhaupt.
Achenwall die
definirt
wickelung dieser Disciplin entsprechend,
Statistik, der
Ent-
die
Lehre von
dann
Achenwall
als
den Staats-Merkwürdigkeiten. Als Alles
Staatsmerkwürdigkeiten
begreift
das im Staate, was seine
Wohlfahrt im merklichen
Grade angeht.
Den
Staat als Gegenstand der Statistik definirt Achen-
von Familien, welche zur Beförderung gemeinsamen Glückseligkeit unter einem Oberhaupte miteinander auf einem bestimmten Bezirke des Erdbodens wall: eine Gesellschaft
ihrer
vereinigt leben.
Zweck wärtigen
der Statistik
ist
ihm darnach:
der Verfassung und
Kenntniss
die systematische
des wirklichen
oder gegen-
Zustandes der einzelnen Staaten, eine Kenntniss,
wie Achenwall hinzusetzt, wie
sie
erfordert wird,
zunächst
von einem Politico oder Staatsmanne, dann aber auch notwendig ist, für Jeden, der auf höhere Bildung Anspruch macht. ist
Diese Auffassung, wie wir
denn auch
in
rechtigte, wie sie
der That
sie bei
Achenwall
durch Entwicklung der Staatswissenschaft
bedingt worden, wie wir gesehen haben, sondern eine
in
finden,
nicht nur eine geschichtlich be-
ihrer Einfachheit
correcte.
völlig
Sie
sie ist
war
auch
völlig
gerechtfertigt durch die damaligen Anforderungen der Staats -
Wissenschaften und
man
muss,
um
der allgemeinen Bildung
der Zeit und
den analogen Anforderungen zu entsprechen,
auch heute noch an jene einfache Auffassung Achenwall's bei der
Bestimmung des
Achenwall starb
am
Begriffes 1.
Mai
der Statistik
anknüpfen.
1772, beträchtliche Zeit vor
—
—
29
der grossen französischen Revolution ,
auch
Zu
in
die eine
Umwälzung
der Auffassung des Staates zur Folge gehabt hat.
Aehenwall's Zeit ward, wie auch in der Geschichte, bei
der Betrachtung des
Staates
das Hauptgewicht gelegt auf
die staatsrechtlichen Verhältnisse
man
die Verfassungsverhältnisse;
im engeren Sinne,
also auf
behandelte vornehmlich bei
der Darstellung der sogenannten Staatsmerkwürdigkeiten das
Formale, weniger die materiellen und die socialen Zustände.
Das kann
mehr
natürlich nicht
so fest gehalten werden.
Staates
worden,
viele
Elemente des socialen Lebens hineingezogen
welche früher
sich
in
eigenen,
von
der
Staats-
mehr oder weniger unabhängigen Kreisen
verwaltung wegten, so
Seit
Sphäre des
der grossen französischen Revolution sind in die
z.
B. das ganze
be-
Unterrichtswesen, ferner die sog.
socialen Organisationen.
Andere Verhältnisse, welche früher vom Staate wenig sind jetzt Hauptgegenstand seiner Aufmerksamkeit und Sorge geworden, z. Handel, Industrie, die
beachtet wurden,
Der
numerischen Verhältnisse der Bevölkerung. Staates,
den die Statistik kennen zu lehren geworden.
ein erweiterter Statistik ihr
geworden.
Begriff des
hat,
ist
mithin
Die Gegenstände, auf welche die
Augenmerk zu richten hat, sind mannigfaltiger Damit ist aber das Object der Statistik doch
kein anderes geworden.
Wir haben dazu ein Analogon Zu
Aehenwall's Zeiten behandelte
die
politische
sogen,
war
in der
Geschichtsschreibung.
man auch
in
der Geschichte
Entwickelung vorzugsweise oder
grossen
Staats- Actionen
waren
die
politische Geschichte im engeren Sinne.
allein.
Hauptsache,
Die es
Mit der tieferen
Erkenntniss der Wichtigkeit anderer Elemente für das öffentliche Leben, namentlich aller der, welche wir unter der Be-
zeichnung der sogen. Culturzustände zusammenfassen, ist die Aufgabe der Geschichtsschreibung eine viel mannigfaltigere
geworden. irre
An
geworden.
letzterer
selbst
ist
aber Niemand
darüber
Die gegenwärtige Geschichtsschreibung ver-
läugnet, obgleich ihr ein weit höheres Ziel vorschwebt, nämlich
30
wahrhafte Culturgeschichte zu werden, nicht die frühere Geschichte mit ihrer beschränkteren Auffassung;
Continuität
fest.
sie
hält
die
Die neueren, vorzüglich von England (Buckle)
ausgegangenen Versuche, die Darstellung der Culturentwickelung von der Geschichte, wie
früher behandelt worden,
sie
welche eigentlich Staatsgeschichte sie
die Materie zu
ist,
ganz zu trennen und
der Herrschaft des Menschen über
zu einer Geschichte
machen, und dafür dann sogen. Naturgesetze
zu construiren, gleichsam wie die sogen, exacte ihrer
Behandlung
zuleiten,
Geschichte
Zahlen sociale Gesetze
statistischer
sind von
der Wissenschaft zurückgewiesen.
verwerthet
die
Resultate
Wissenschaften und berücksichtigt aber der
von
alle Seiten
vielen
ab-
Die
neueren
des Volkslebens;
alte historische Begriff ist festgehalten.
So müssen wir auch
und
tiefer
der Statistik das Gebiet
jetzt in
für die Erforschung ausdehnen,
abtheilen
Statistik aus
es
verfolgen.
im Einzelnen bestimmter
Zweck und Aufgabe
der
Dabei kann eine gewisse Freiheit eingeräumt werden, wie denn zuletzt der geschärfte
Wissenschaft bleiben dieselben. wissenschaftliche Blick darüber
zu entscheiden
hat,
w ie das T
Ebenso wie das Gebiet gegen früher
Gebiet abzugrenzen
ist.
sich erweitert hat,
sind auch unsere Mittel zur Erreichung
Zweckes mannigfaltiger und vollkommener geworden. Zu Achenwall's Zeit war an statistischen Daten über jene Theile der Statistik, die sich vollkommen nur in Zahl und Maass ausdrücken lassen, im Verhältniss zur Gegenwart äusserst wenig vorhanden und was darüber in den einzelnen Staaten gesammelt war, wurde dem Publikum ängstlich entzogen. Solche Daten wurden damals noch allgemein als Arcana Status von den Staatsmännern betrachtet und sorgsam des
Deshalb konnten diese Theile der Statistik damals auch nicht gebührend berücksichtigt werden in den statisgehütet.
tischen
Compendien
Darstellung aus die
etc.
Sie
mussten
dem Grunde schon
der. staatsrechtlichen
in
der
statistischen
sehr zurücktreten gegen
und politischen Verhältnisse der
Staaten, die wie in der Geschichtsschreibung durch das Ref
;
„
„
77
77
77
25 9Q ^°
;?
77
1
*
die letzteren beiden Fälle sind
77
77
77
Q 77
77
46
77 X
77
77
77 1/
2
77
14 1 lb
77
'
nur mit Hülfe starker Ein-
wanderung möglich. Die Angabe der Verdoppelungsperiode
1)
Süssmilch Bd.
II, p.
Verdoppelung
l
6 77
niedrigsten,
286.
für die Bevölke-
— rung eines Staates
ist
186
-
nun wohl geeignet, das Verhältniss der
dermaligen Bewegung der Bevölkerung anschaulich zu machen
und bei Vergleichung verschiedener Staaten der relativen Geschwindigkeit der
Man
rungen zu dienen.
Bewegung
Ausdruck
als
ihrer Bevölke-
darf indess nicht glauben
dass solche
;
Berechnungen irgend etwas Sicheres für die Zukunft aussagten oder gar irgend ein sogenanntes Bevölkerungsgesetz
ausdrückten, wie Malthus es annahm. irrig.
Denn
selbst
angenommen,
Das wäre durchaus
es treten für die
einer Bevölkerung gar keine ausserordentlichen ein,
Vermehrung
Hemmungen
wie verheerende Kriege, Epidemien und andere ausser-
ordentliche Nothstände, so bleibt doch für eine solche Be-
rechnung der Verdoppelungsperiode noch eine Voraussetzung übrig,
die statistisch ganz unzulässig
eine Bevölkerung
in
ist,
nämlich
Folge ihres natürlichen
die,
dass
Zuwachses
in
zunehmen werde, gleichwie ein Capital zunimmt, dessen Zinsen hinzugeschlagen werden und ihrerseits wieder zur Vermehrung von Capital und Zinsen beitragen. Das ist eine rein theoretische Annahme, eine
geometrischer Progression
Voraussetzung, die
man
wenn
bei mathematischen Untersuchungen
Problem nicht allgemein lösen und deshalb die Lösung für specielle Fälle versucht, oft unbekümmert darum, ob diese Fälle eine Realität haben oder nicht. Dies ist der Unterschied zwischen der Behandlung statistischer Daten in der politischen Arithmetik und
häufig macht,
sich ein
lässt,
schieden
angenommene Fall aber entDenn die genaueren UnterBewegung der Bevölkerung unserer
Hier hat
der Statistik.
keine
suchungen über Staaten zeigen,
der
Realität.
die
dass dieselbe nicht in der einfachen Weise
geschieht wie die
Zunahme
eines Capitals mit Zinses-Zinsen,
von einer grossen Mannigfaltigkeit von Factoren sowohl physischer wie sittlicher Natur bedingt ist, und dass diese Factoren mit dem Culturstande wiederum so sehr wechseln, dass die Hoffnung aufgegeben werden muss, das wirkliche Bevölkerungsgesetz in einer mathematischen Formel fassen zu können, Nur so viel zeigt die Beobachtung sondern dass
sie
—
187
—
mit Bestimmtheit, dass überall mit
dem Dichterwerden der
um
Bevölkerung die Zuwachs-Rate abnimmt, dass,
den Ver-
gleich festzuhalten, gewissermassen der Zinsfuss mit der An-
sammlung des Capitals
sinkt.
Unter den europäischen Staaten
ist
gegenwärtig keiner,
dessen Bevölkerung nach ihrer gegenwärtigen Zuwachs-Rate sich innerhalb eines halben Jahrhunderts verdoppeln könnte.
Vor etwa 50 Jahren hatten nach der damaligen Bewegung Bevölkerung 2 grössere Staaten, Preussen und Gross-
ihrer
britannien, Aussicht, ihre Bevölkerung in weniger als diesem
Nach dem Durchschnittsverhältnisse der Zunahme von 1817 —1828 betrug in Preussen die mittlere jährliche Zunahme 1,71 % und darnach würde Preussen ungefähr schon in 40 Jahren, etwa im Jahre 1856, die doppelte Bevölkerung vom Ende des Zeitraum
auf
das Doppelte steigen
zu sehen.
Jahres 1816 erreicht haben, nämlich 20,700,000 Seelen, indem die
Zählung Ende 1816 10,349,301 ergeben
ergab aber die Zählung
am Ende
Dagegen
hatte.
des Jahres 1867, also nach
50 Jahren, nur 19,588,221 Seelen und selbst nach der Zählung
von 1871 hatte
in Preussen,
völkerung noch nicht
von 1816
erreicht.
Das
1846
— 55
die
Verdoppelung derjenigen
inclus.
rührt daher, dass die
0,68,
1855—61 1861—67 1867—71 ist
freilich
befindliches
Zunahme-Rate zurück-
sie
,
Wirren von 1848 mit ihren Folgen wieder etwas gestiegen, von
Das
auswärts
nur noch 1,35 °/0 1840—46 die Periode, in welche die politischen
ging; von 1828—1840 betrug 1,27;
ohne die Annexionen, die Be-
Sie betrug nämlich erst 20,181,088 Seelen
Bevölkerung,
(ortsanwesende Militär).
völlig
wenig,
fielen.
Darauf
ist
sie
= 0,73° = = 0,74%. o
0,69°/ 0
muss aber doch für
ein
günstiges
Zeichen angesehen werden.
Ebenso wie
in
Preussen versprach Grrossbjritannien vor
etwa 50 Jahren eine Verdoppelung seiner Bevölkerung innerhalb eines
halben Jahrhunderts.
Dort betrug
die
initiiere
— jährliche Zunahme-Rate von 1821 — 1831 —
Grunde zu
nicht zu
ist
188
legen,
da
in
(eine frühere Periode
Irland erst 1821 die
Zählung ausgeführt ist) l,40°/ 0 und darnach hätte die Verdoppelung in etwa 49 Jahren erfolgen müssen. Dort ist aber die Zunahme-Rate noch viel bedeutender geerste zuverlässige
sunken
Sie betrug von
als in Preussen.
1831—1841 nur noch 1841-1851 „ „ 1851—1861 „ „ 1861—1871 „ „ Deshalb bis
ist
1,07
0,23
0,55 0,83.
dort die Bevölkerung in den Jahren von 1821
1871 auch nur von 21 auf 31,817,108 gestiegen, also in
50 Jahren weit unter
der
Dagegen
man
hat,
wenn
Verdoppelung zurückgeblieben. Grossbritannien
allein
nimmt
(England, Schottland und die Inseln in der britischen See),
ohne Irland, dort allerdings die Bevölkerung in 50 Jahren sich
genau verdoppelt. Sie ist gestiegen von 10,578,956 Seelen im Jahre 1801, auf 20,959,477 im Jahre 1851. Zu dieser Verdoppelung haben England und Schottland in gleichem Ver-
fast
hältniss beigetragen.
Indess
ist dies
doch nur ein Theil des
Staates, der nicht als Beispiel für das Ganze angeführt werden kann, weil das grosse Wachsen in einem Theile in der Regel auf Kosten des anderen stattfindet. In Grossbritannien ist dies ohne Zweifel auch auf Kosten Irlands
geschehen.
Die Zunahme-Rate war nach den neuesten Zählungen
in
den europäischen Staaten:
= = Länder des Reichsraths = Ungarn und Länder der Stephanskrone =
Dänemark 1860—70 1857—69
Oesterreich a)
b)
— 71
1,09 °/0
0,89% 0,85% 0,93
°'
0
England und Wales
=
% 1,24 %
Schottland
===
0,93%
Irland
=—
0,69 °/|
Grossbritannien ohne Irland 1861
0,83
—
—
189
Niederlande 1859—69
0,78%
Deutsches Reich 1867
—71
% % 0,25 %
0,65
Preussen 1867—71
0,69
Bayern 1867—71 Sachsen 1867—71 Würtemberg 1867—71 Belgien 1856—66
— —
Schweden 1865 75 Norwegen 1865 75 Frankreich 1866—72
man
Vergleicht
-
dieselben sehr verändert haben. grösste
mit denjenigen, die
diese Verhältnisse
vor 20 Jahren berechnet wurden
Zunahme (1,15%
*),
so rindet
Damals
jährlich),
-
1,20% 0,61% 0,64% 0,63% 0,60% 1,29%
man, dass sich
zeigte
Norwegen
Frankreich
(0,14)
die
die
von Hannover hier abzusehen, das nur 0,022% Man findet bei diesem Vergleich, dass im Allgemeinen
geringste, hatte.
die
Zunahme-Rate
klären
ist,
Nur Dänemark
sich vermindert hat.
eine auffallend grosse
dass nach
Zunahme,
dem
zeigt
die wohl mit daraus zu er-
Verluste von Schleswig -Holstein
aus diesen Theilen eine grosse Einwanderung stattgefunden hat.
Man
hat
angenommen
(Villerme') 2),
dichter bevölkerten Staaten nach treten werde, in
welchem
die
dass für die schon
und nach
Bewegung
ein
Zustand
aufhört, in
ein-
welchem
Schwingungen innerhalb sehr Es wäre dies anzunehmen, wenn
sich nur in Intervallen leichte
genäherter Grenzen zeigen.
es wahrscheinlich wäre, dass eine
Bevölkerung längere Zeit
ruhig beharren könne auf einer gewissen Culturstufe, ohne einen
neuen Aufschwung
selbst oder
oder ohne
durch den Stillstand
von aussen bewirkte Krisen.
Frankreich schien
längere Zeit einem solchen stationären Zustand nahe zu sein.
Ohne Zweifel aber wird das Jahr 1870 hervorgebracht haben.
Allgemein
gilt,
eine grosse Störung
dass mit
dem
werden der Bevölkerung die Bewegung abnimmt. 1)
Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
2) Villerme':
De
(•lopc'diquo) 75 Cah.
la popul.
T XXV.
I,
p.
en France (Extrait de
Dichter-
Es hat
115. la
Revue Ency-
-
—
bestimmt nachweisbaren, nothwendigen Gründe, angegeben werden sollen.
seine
dies
190
die weiter unten
Die Zunahme der Bevölkerung durch natürlichen Zuwachs hat eine bestimmte Grenze, die ihr durch die Natur der socialen Verhältnisse der civilisirten Gesellschaft gesetzt
Die Grenze
ist.
Wenn man
die
ist
man meinen
beschränkter als
durch die Verhältnisse der
sollte.
civilisirten Staaten-
gesellschaft gegebenen Bedingungen untersucht (siehe Wappäus,
Bevölkerungsstatistik) so findet man,
was
ist,
die
dass
Bevölkerung eines grösseren
das Höchste
3°/ 0
civilisirten Staates
im Durchschnitte und einige Zeit hindurch jährlich durch Zuwachs gewinnen kann und das auch nur in
natürlichen
Die euro-
noch nicht dichter bevölkerten jungen Staaten.
päischen Staaten sind, wie gezeigt worden, unter den günstigsten Verhältnissen hinter diesem als äusserste Grenze anzunehmen-
den Zuwachs von
3°/ 0
noch sehr bedeutend zurückgeblieben.
den
Preussen, welches in
endigung
der
Napoleonischen
ersten Decennien
wohl
Kriege
die
nach Begrössten
Fortschritte gemacht hat, wesentlich auch in Folge der ihm
durch die Wiener Verträge
doch
als grössten jährlichen
zugestandenen Stellung,
Zuwachs nur
l,71°/0
hatte
und Gross-
britannien, welches ebenfalls nach der Wiederherstellung des
Friedens einen ausserordentlichen Aufschwung gewiss
um
diese Zeit nicht
Besonders interessant
nahm,
hat
mehr gehabt.
ist es
aber zu sehen, dass selbst
Entwicklung die allergünstigChancen gehabt hat, die der Vereinigten Staaten von Nord- Amerika, diesen natürlichen Zuwachs nicht einmal in die Bevölkerung, die für ihre
sten
ihrer glücklichsten Periode, in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Freiwerdung,
völlig erreicht hat.
Staaten hat die jährliche
—
von dieser kann
Zunahme
allein die
Rede
In
den Vereinigten
der weissen Bevölkerung sein,
da für die Sklaven-
—
durch abnorme Verhältnisse natürlichen Zuwachs betragen von 1790—1800 durchschnittlich 2,89% pro Jahr und seitdem ist diese natürliche Zuwachs-Rate auch dort mit
bevölkerung
stattfanden
—
—
191
dem Dichterwerden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt regelmässig Dieselbe betrug von
gesunken.
1800—1810 noch 2,83% 1810—1820 ?? 1820—1830 2,64% 1830—1840 n 2,52% 1840—1850 2,39% 1850—1860 » 2,20% 1860—1870 1,43% 1870—1880 liegen die genauen Publicationen noch nicht vor; mit Sicherheit kann man voraussagen, dass der Census von 1880 wiederum eine Abnahme zeigen wird (d.
auf den
h,
wanderung).
Gebieten
betreffenden
exclusive
der
bildeten Staaten bedingte Sinken der Zuwachs-Rate,
Dichterwerden
das
der
Bevölkerung
Zunahme
Ursachen, welche die
stösst
nothwendig
indem
auf die
hervorbringen, reagiren muss,
hat Malthus noch nicht gekannt.
rung
Ein-
Dieses durch die socialen Verhältnisse der ge-
Diese feststehende Erfah-
nothwendig das sogenannte Bevölkerungsgesetz^
dass eine Bevölkerung von Periode zu Periode in einer geo-
metrischen Progression zunehme, um. geht auch hervor, wie verkehrt
Bevölkerung für die Zukunft oft
So
grossen Prunk z.
B.,
wenn
in
treibt,
dem
alle
sind, mit
selbst
in
offiziellen
Aus dem Gesagten
Vorausberechnungen der denen
man manchmal
offici eilen
Statistiken.
Census der Vereinigten
von 1850 aus der bisherigen Zunahme ihrer Bevölkerung die Behauptung hergeleitet wird, dass in 40 Jahren die Bevölkerung der Vereinigten Staaten diejenige von GrossStaaten
britannien, Frankreich,
der Schweiz
Spanien, Portugal, Schweden und
zusammengenommen
übertreffen werde.
Schon
der nächste Census zeigte, dass daran nicht zu denken war
1
).
Mit Hülfe der Einwanderung kann die Grenze von 3° /0 überschritten werden. Das ist in den Vereinigten Staaten geschehen.
1)
Dort hat
sich die weisse
Bevölkerung innerhalb
Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
I,
p.
142.
— der ersten 50 Jahre nach
—
192
dem
ersten Census von 1790
— 1840
dem schon 1790 innegehabten Gebiete (ohne Lousiana, 1803 gekauft) nicht allein durch Hülfe der Einwanderung auf
verdoppelt,
mehr
sondern
vervierfacht.
als
Sie
ist
von
3,172,464 auf 14,047,238 Seelen gestiegen. Durchschnittlich hat
aber
jährliche
die
doch nur etwa 3
Zunahme
72°/o
der Einwanderung
inclusive
Nach der gegenwärtigen
betragen.
natürlichen Zunahme-Rate ohne Einwanderung,
1860
— 1870,
wird
in
50—52 Jahren
sich in ungefähr
d. h.
der von
den Vereinigten Staaten die Bevölkerung verdoppeln.
Dass mit Hülfe von Einwanderung die Bevölkerung noch viel über das von Nord- Amerika gezeigte Mass jährlich zunehmen kann, leuchtet ein und wirklich ist die jährliche Zunahme-Rate auch noch viel grösser gewesen in einigen Indess britischen Colonien (Obercanada und Australien). können diese Länder hier nicht in Betracht kommen, da es nicht selbständige Staaten, sondern als Colonien nur Neben-
länder
des Mutterlandes
Ueberflusse abgiebt.
sind,
welches ihnen
Ueberhaupt
völkerung durch Einwanderung
ist
die
immer
von seinem
Zunahme der BeAusnahme an-
als
zusehen.
Die Betrachtung
der
Zunahme
der
Bevölkerung
im
Ganzen, der Bewegung der Bevölkerung im engeren Sinne, führt
von
selbst auf die der
Bewegung der Bevölkerung im
und zunächst auf
weiteren Sinne
burten und Sterbefälle
die Betrachtung der Ge-
bei einer Bevölkerung,
von deren
Zunahme derselben Der Ueberschuss der Geburten über bewirkt die Zunahme der Bevölkerung und
gegenseitigem Verhältniss die natürliche
zunächst abhängt die Sterbefälle
1
).
umgekehrt.
Das
1)
Verhältniss
Siehe hier
Gr.
der Zahl
der
Geburten zu der der
Hopf, Ueber die allgemeine Natur des Geburts- und
Sterblichkeitsverhältnisses, Zeitschrift des preuss. statistischen Bureaus. 9.
Jahrgang, Nr.
1.
—
—
193
Lebenden bei einer Bevölkerung nennt man das Geburtenverhältniss oder die Geburtenziffer
Man
).
drückt nun dieses Verhältniss aus entweder durch
Angabe, auf wie
die
1
viel
Lebende eine Geburt oder
kommt,
Todesfall während eines Jahres
ein
also in einer Pro-
oder wie viele Geburten und Todesfälle auf je 100
portion ,
Lebende kommen
,
also in Procenten.
20 Lebende eine Geburt kommt, so hat
Wenn man
jährlich auf
die Proportion
1:20, dasselbe Verhältniss wird ausgedrückt durch 5°/ 0
Beachtenswerth
ist
.
nun zunächst, dass diese Verhältnisse,
die Geburten- und SterblichkeitszifFer, an sich sehr verschieden sein
können
bei gleicher natürlicher
wenn
Zunahme der Bevölkerung.
Bevölkerung jährlich auf 100 Individuen 5 Geborene und 3 Gestorbene kommen, so wird daSo
B.
z.
bei einer
durch die Bevölkerung jährlich
um
2°/0
wachsen.
Derselbe
Zuwachs erfolgt aber auch, wenn jährlich nur 4 Geburten vorkommen, aber auch nur 2 Sterbefälle auf 100. Der natürliche Zuwachs ist also nicht abhängig von der Höhe der Geburten- und der SterblichkeitszifFer an sich. In der Wirklichkeit zeigen sich nun in diesen Ziffern grosse Unterschiede ohne dass ihre wirkliche Zunahme
bei den Bevölkerungen,
Die Höhe der Geburten- oder
erheblich verschieden wäre.
der Sterblichkeitsziffer
ist
der Bevölkerung, dennoch
Denn wenn
Bedeutung.
völkerung ganz gleich 5 Geburten so
ist
und
nicht ist
es
ist,
massgebend für die Bewegung von grosser statistischer
dieselbe
auch für die Zunahme der Beob jährlich auf 100 Einwohner
3 Sterbefälle
kommen, oder resp. 4 und 2, Höhe dieser Ziffern doch
dieser Unterschied in der
von grossem Einfluss auf die Gestaltung der Bevölkerung nach dem Alter, von welchem die Kraft der Bevölkerung
abhängig (4:2)
nach. I)
ist.
Im Allgemeinen
ist
das letztere Verhältniss
das günstigere sowohl seinen Ursachen wie* Wirkungen
Es
gilt
mit Recht für ein Zeichen höherer Cultur.
Auch wohl Nativität oder Natalität (Natalitö) analog wie Mordoch nicht zu billigen, da darunter allgemein etwas
talität aufgefasst,
Anderes verstanden wird.
W
a.
p p üu
s
.
13
— a)
Wenn man das
—
194
Das Geburtenverhältniss.
Menschen und der Frauen in
blos die physische Natur des
stattfindende
numerische
Verhältniss
unseren Bevölkerungen in Betracht ziehen wollte, so burten
sollte
man
dass sehr wohl jährlich auf 100 Lebende 10 Ge-
meinen,
vorkommen könnten,
dass eine Geburtenziffer
d. h.
1:10 oder 10°/0 etwas sehr Gewöhnliches sein würde. Inder
Wirklichkeit zeigt sich nun aber in keinem Lande dies Ver-
Es schwankt bei grösseren Bevölkerungen zwischen 1:20 und 1:40 oder zwischen 5 und 2 1/2°/o> cL h. 5 Neugeborene kommen auf 100 oder auf 200 hältniss auch nur halb so hoch.
Lebende und sind diese Zahlen als nach oben und unten anzunehmen.
die äussersten
Grenzen
In Oesterreich-Ungarn 1870/75 1:24,10 ohne Todtgeborene,
Rechnung gezogen werden müssen, 100 Geborene auf 2410 Lebende; in Procenten
die eigentlich mit in
d. h.
also
aus-
gedrückt beträgt die Geburtenziffer 4,15%. In
Ungarn
„ Oesterreich
1:23,43
4,27%
1:25,11
3,98%
Im deutschen Reich 1867--71 incl.
Todtgeborener
1
26,91
In Preussen
1
26,06
„ Bayern
1 25,25
„ Sachsen
1
23,93
1
22,91
„ „
Würtemberg England u. Wales
„ Schottland
28,38
1 1
:
28,73
1 41,1 „ Frankreich betrug daselbst das Verhältniss
1801—1869 im
1)
vergl.
Mittel
1
1801 war es noch
1
1869
1
3,72% 3,83% 3,96% 4,71% 4,37% 3,53% 1S67 72 3,48% 2,43%
•37,88
2,640/ 0
30,25
3,34% 2,57% 2,55%
:
38,90
1870
1
1871
1 .44,2
:39,4
2,26%')
Ueber die Ursachen der niedrigen Geburtenziffer in Frankreich, Revue des deux niondes v. 15. März 1S74. Lagneau in der Ab-
— Das
—
195
Mittelverhältniss bei 3
1
/2
Mill. jährlichen
Geburten be-
trug nach
Wappäus' Berechnung vor 20 Jahren (Bevölkerungs-
statistik
I,
1:29,54
150)
Todtgeborene)
(incl.
=
3,38°/0
.
Es erstreckt sich diese Berechnung auf Europa mit Ausnahme von Russland, Portugal, Spanien, Türkei und den südlichen Theil Italiens.
halb der betrachteten
Selbst die Extreme, welche inner-
10jährigen Periode in den einzelnen
vorgekommen Das höchste war
Staaten in einzelnen Jahren viel weiter auseinander.
in
Sachsen 1849, das niedrigste 1:37,95
reich 1847
=
sind, liegen nicht 1
:
23,09
=
2,63°/ 0 in
4,33°/0
Frank-
,
).
b) "Das Sterblichkeitsverhältniss.
Für
dieselben Staaten nach lOjähriger Periode:
Oesterreich-Ungarn 1870/75 1:26,67 Oesterreich
1867/70 1:31,73
Ungarn
1870/75 1:23,03
Deutsches Reich
1867/71 1:35,34
Preussen
1:34,89
Bayern
1:29,88
Sachsen
1:33,20
Würtemberg
1:29,24
England
u.
Wales
1861/70 1:28,49 1867/72 1:45,25
Frankreich
))
1869
1:42,73
1870
1:35,34
1871
1:28,73
1801/69
1:43,47
handlung der Academie de Medecine
3,75% 3,19% 4,34% 2,83% 2,87% 3,35% 3,01% 3,42% 3,51% 2,21% 2,34% 2,83% 3,48% 2,30%
1874. A. A. Zeitung 1874, No. 80,
p. 1204. 1)
Toner
Siehe für die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Dr. med. Washington: Statistische Tabellen und Karten über die Ge-
in
burten und Todesfalle in den Vereinigten Staaten.
Auszug daraus
in
der Illinois-Staats-Zeitung, mitgetheilt im preuss. Staats- Anzeiger 1872, 16.
Mai (Nr.
114), p. 2807.
13*
—
—
196
Die grösseren Schwankungen ) bei der Mortalität; welche sich auch innerhalb eines und desselben Staates den einzelnen Jahren nach zeigen, können nicht auffallen. Sie kommen l
daher,
dass alle störenden Ereignisse, wie Missernten und
entstehende Theuerung 2 ),
daraus
Störungen
in
der
materiellen
Epidemien und sonstige Entwicklung, z. B. durch
Handelskrisen, politische Stürme, Krieg lichkeit viel als
3 )
etc.
auf die Sterb-
unmittelbarer und intensiver einwirken müssen
auf das Geburtenverhältniss.
Nun
ist
aber erst die Hauptfrage zu beantworten: was
können diese Verhältnisse lehren?
Was
zunächst die Geburtenziffer
statistische
Werth derselben nur
Sie giebt uns keinen
betrifft,
ist
der
passenden Massstab zur Bestimmung
der relativen Prosperität der Bevölkerungen.
zwar kann
so
ein sehr untergeordneter.
Im Allgemeinen
ein hohes Geburtenverhältniss für ein günstiges
Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd. I, p. 160. Siehe hier Dr. Bela Weisz, „Der Einfluss von theueren und billigen Zeiten auf die Sterblichkeit", Supplement IV der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Jena 1880. Die vom Verfasser angestellte Untersuchung über den Zusammenhang der Sterblichkeit mit den Ge1)
2)
treidepreisen erscheint
um
so wahrscheinlicher,
da
sie sich
auf 326 Be-
obachtungsjahre mit 108,106,980 Sterbefällen in 7 Ländern erstreckt. Siehe dagegen v. Scheel, Untersuchungen über den Einfluss der Fruchtpreise auf die Bevölkerungsbewegung (aus Hildebrand's Jahrbüchern für Nationalökonomie u. St. VI, S. 185). Der jedesmalige Stand der Kornpreise übte während der 30 Jahre von 1835—1864 dadurch, dass er die jährlichen Zahlen der Trauungen und der Geburten modificirte, auf die
Schwankungen der Volksvermehrung einen bestimmten Einweit aus, als letztere nicht durch das Sterblichkeitsverhältniss alterirt wurde, auf welches eine jährliche Einwirkung der Kornpreise statistisch nicht nachzuweisen war. Cf. hier auch Anzeige von Laspeyre's
jährlichen fluss so
Wechselbeziehungen zwischen Volksvermehrung und Höhe dos Arbeitslohnes in G. G. Anz. Nr. 165, p. 1641 ff. 1 den 3) Zunahme der Mortalität durch Seuchen bei Kriegen, sieh» Krieg von 1866 und die Seuchenstatistik in der A. A. Zeitung L869, 87 p. 1331, auch Mittheilungen aus dem Gebiet der herausgegeben von der k. k. statistischen Centralcommission. Beil.
gang,
3.
Heft.
Statistik, 15.
Jahr-
—
—
197
Zeichen gelten, indem dasselbe ceteris paribus mit der Prosperität einer
Bevölkerung
Wenn
steigt.
Bevölkerung eine günstige
eines
neuen Hauswesens verhältnissmässig
davon
ist,
so ist die
ist,
Lage Gründung
die allgemeine
einer
leicht.
Die Folge
dass von der grossen Masse der Bevölkerung ver-
Ehen
hältnissmässig viele sich verheirathen können und die verhältnissmässig früh geschlossen werden.
Die Folge davon
Zunahme der Geburtenziffer sein und inkann man von einer hohen Geburtenziffer auf die günstige Lage einer Bevölkerung schliessen. Allein von dieser Regel giebt es viele und wichtige Ausnahmen. Das allgemeine Geburtenverhältniss kann auch gesteigert werden wieder wird eine sofern
Umstände,
durch
welche
für
die
völkerung ganz gleichgültig sind,
Prosperität
sogar durch
Es kann
geradezu ungünstige Factorcn.
perität
der der z.
Be-
ProsB. ge-
werden durch leichtsinniges oder zu frühes Heirathen, wie das unter den Fabrikbevölkerungen vielfach der Fall ist, wo schon Unmündige häufig, ökonomisch im gewissen steigert
Grade selbständig, untereinander sich statistisch
nachweisen
lässt,
heirathen.
Das
ist,
wie
unbedingt nachtheilig für die
Bevölkerung und hat namentlich nachtheilige Folgen für die nachhaltige Zunahme oder die Kraft der Bevölkerung. Ueber-
kann das Geburtenverhältniss sogar durch absolut ungünstige Verhältnisse gesteigert werden, durch zunehmenden Leichtsinn und sittliche Verwilderung, wie durch Zunahme der unehelichen Geburten, was ebenfalls sittlich und volksdies
wirthschaftlich für die Bevölkerung nachtheilig
unten gezeigt werden eine
viel
Ausnahmen ziffer
nicht
immer im
wie weiter
ehelich geborenen,
weniger das produetive Alter.
zeigen also schon, dass die
Bevölkerung
Was nisses
viel
ist,
Solche Kinder zeigen allgemein
grössere Sterblichkeit als die
von ihnen erreichen
einer
soll.
Diese
Höhe der Geburten-
directen Verhältniss zur Prosperität
steht.
aber den statistischen Werth des Geburten Verhält-
vorzüglich
unsicher
macht
als
Massstab zur Beur-
teilung der relativen Prosperität der Bevölkerung,
ist
der
—
—
198
Umstand, dass das Verhältniss ganz wesentlich mit bedingt und beherrscht wird durch die Natur der volkswirthschaftlichen Arbeit der Bevölkerung. Die Untersuchungen über die bestimmenden Factoren für die Geburtenziffer zeigen nämlich deutlich, dass das Geburtenverhältniss durchgängig
höher
Bevölkerung
industrieller
Nun kann man aber gewiss
bauender. die
bei
ist
Natur der Arbeit an industrielle
acker-
nicht annehmen, dass
die Prosperität der Bevölke-
sich
rung bedinge und vollends widersinnig wäre dass eine
bei
als
es,
anzunehmen,
an sich schon wegen ihrer Arbeits-
verhältnisse glücklicher
wohlhabender,
(d. h.
sittlicher)
wäre
als eine ackerbautreibende.
Zu allem diesen kommt aber noch Eins hinzu, weshalb Höhe der Geburtenziffer statistisch an und für sich wenig Werth haben und nur sehr bedingungsweise als Massstab für die Prosperität dienen kann. Es kommt nämlich für das die
Wohl
einer Bevölkerung, für ihre Erhaltung, sowie für ihre
ganze Culturkraft nicht sowohl darauf an, dass viele geboren werden,
als darauf,
Wenn
werden.
dass viele von den Geborenen erhalten
viele
Kinder geboren werden, von diesen
aber auch viele bald wieder absterben, bevor der Gesellschaft geworden,
Mitglieder in jeder
Beziehung ein
so
sie
ist
productive
das offenbar
viel ungünstigeres Verhältniss,
als
wenn weniger Kinder geboren werden, von diesen aber ebensoviele als in einem anderen Lande bei einer höheren Geburtenziffer erhalten werden und in ein höheres, productives Alter übergehen.
wie
wir
noch
Unterschiede, industriellen
In der Wirklichkeit bestehen nun aber,
sehen werden,
insbesondere
Bevölkerungen.
in
dieser Beziehung grosse
ackerbauenden
und
Aus allem Angeführten
geht
zwischen
nun wohl klar hervor, dass die Geburtenziffer für sich allein ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Mortalität fast gar keinen statistischen Werth hat,
d. h.
zur Vergleichung
Massstab für die Prosperität nicht brauchbar
Ganz anders verhält es Hier kann man behaupten:
sich
als
ist.
aber mit der
Mortalität.
eine niedrige Mortalität
ist
un-
— bedingt und
199
immer günstiger
die Geburtenziffer erhöht
—
als eine höhere.
Denn während
werden kann durch der Prosperität
gleichgültige, ja sogar ungünstige Factoren, wirkt
Mortalität j ede Art der Factoren
bei der
immer nach derselben Richtung.
Alle Umstände, welche ungünstige, sogar negative Zeichen der
Prosperität sind, wirken materiellen alle
und
sittlichen
erhöhend auf die Mortalität;
alle
Nothstände erhöhen die Mortalität;
wirklichen materiellen und sittlichen Fortschritte dagegen
wirken
Mit einem Worte: die
auf dieselbe.
erniedrigend
dem Grade Bevölkerung. Das
Mortalität wird überwiegend beherrscht von
Wohlstandes und der
Sittlichkeit der
des ist
ein wichtiger Satz; es folgt daraus, dass die Sterblichkeits-
verhältnisse einer Bevölkerung einen sehr viel zuverlässigeren
Massstab für den Grad der Prosperität der Bevölkerung ab-
zugeben im Stande sind
um
mit
J.
(Wohlstand hältnissen
als die Geburtenziffer.
G. Hoffmann zu
und
sprechen,
Sittlichkeit)
sich
niedrigere Mortalität
immer
in
den
So gewiss
zählbar ausspricht.
ein günstigeres
Prosperität der Bevölkerung
ist,
Es folgt daraus,
dass die Gesittung Mortalitätsver-
nun
aber eine
Zeichen für die darf
als eine hohe, so
doch bei Vergleichung verschiedener Bevölkerungen die
meine Mortalität nicht gleichsam allein
als
als einen absoluten Massstab
wenn das
anwenden,
Sterblichkeitsverhältniss
der Prosperität proportional wäre.
nicht etwa sagen: von zwei
Man
man
allge-
für
darf
sich z.
B.
Ländern mit verschiedenem Mor-
talitätsverhältniss ist dasjenige mit der niedrigeren Mortalität
immer unbedingt das glücklichere und in demselben Grade, Die Höhe in welchem seine Mortalität die niedrigere ist. nämlich
auch noch von
einem nothwendigem Causalnexus mit der Prosperität der Bevölkerung steht. Das ist das Geburtenverhältniss und zwar so, dass ein hohes Geburtenverhältniss nothwendig auch das Mortalitätsvcrhältniss der Sterblichkeitsziffer
ist
Umstände abhängig, welcher
im übrigen in ihren die Mortalität beherrschenden materiellen und sittlichen Zuständen gleichstehen, müssen doch in ihrer Mortalitätsziffer erhöht.
Zwei Bevölkerungen,
nicht in
die
— einen Unterschied zeigen,
schieden
—
200
wenn
ihr Geburtenverhältniss ver-
ist.
Und zwar
hängt das folgendermassen zusammen:
In
Ländern finden wir unter der Gesammtheit der Gestorbenen verhältnissmässig sehr viele Kinder und zwar ist
allen
ihr Verhältniss zu den Gestorbenen überhaupt so hoch, dass
die
allgemeine Mortalität wesentlich abhängig
von der
ist
Zahl der Kinder, welche bei einer Bevölkerung sterben.
Wie
gross das Verhältniss der Kinder unter den Gestorbenen
ist,
geht schon daraus hervor, dass im Durchschnitt in unseren
Staaten allein die vor storbenen Kinder
dem Ablauf
reichlich
74
storbenen ausmachen und wenn
des
man
1.
Lebensjahres ge-
Zahl
der
sämmtlicher Ge-
Kinder
die todtgeborenen
mit zu den Gestorbenen rechnet, so wird die Zahl der unter
Jahr gestorbenen Kinder sogar auf 30 ^/o erhöht ). Diese höhere Kindersterblichkeit hat aber wieder ihren 1
1
Hauptgrund
kommt
so
menschlichen Natur
in der
hülflos auf die Welt,
selbst.
Der Mensch
der Neugeborene und die
kleinen Kinder noch für längere Zeit sind so vielen Gefahren ausgesetzt, dass ihre Erhaltung nur durch wirkliche Pflege
und Sorge möglich ein
grosser Theil
ist
und
selbst bei dieser
derselben doch
nicht
Voraussetzung
am Leben
erhalten
werden kann. Nach Berechnungen, welche 15 europäische Staaten mit einer Geburtenzahl von 35 Millionen umfassen, ist im Durch-
4%
schnitt der Betrag der Todtgeborenen von denLebendgeborenen sterben dann im „ dann übrig gebliebenen im 2. und „
1.
Lebensjahr
3.
„
und
o.
„
„
„
so dass
„
„
,,
1)
2)
4.
stirbt
dem Ablaufe
des
5.
34%
Lebensjahres
2 ).
Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd. I, p. 188, 186. In Leipzig hat nach Knapp, „Mittheilungen des statist Bureaus zu
Leipzig", Heft 8 (1874) die Sterblichkeit der Kinder 1751
7°/0
von sämmtlichen Geborenen im Durchschnitt
oder über ein Drittheil vor
wieder
„
19°/0
— 1870
sehr
abgenommen und noch
von
0
—
1
Jahr von
mein- in der Altersciasso von
—
201
—
Das ist aber eine sehr viel grössere Sterblichkeit als dem höheren Lebensalter, wie das schon daraus hervor-
die in
geht, dass bei der Gesamratbevölkerung ohne Unterschied
der Altersclassen die mittlere Mortalitätsziffer nur 2,76% De "
Daraus
trägt.
folgt, dass in einer
Bevölkerung nothwendig
um
das allgemeine Mortalitätsverhältniss
unter den Lebenden das Verhältniss der Kinder
je grösser ist.
Nun
hohe
ist,
die der
Von
so höher sein muss,
dass da,
leuchtet ein,
wo
die Geburtenziffer eine
auch dadurch die Zahl der Kinder und insbesondere
ganz kleinen Kinder
in
Bevölkerung
einer solchen
der Bevölkerung gross fällt
grössere Theil auf Kinder und davon
ist.
der verhältnissmässig ist
denn die notwen-
dige Folge, dass schon deshalb das allgemeine Mortalitätsverhältniss höher sein
muss
,
als bei einer
Bevölkerung mit
niedrigerer Geburtenziffer, eben weil bei der ersteren unter
den Lebenden das Verhältniss der Kinder grösser
ist
als
unter der letzteren und weil die Kindersterblichkeit überall so gross
ist,
dass sie vornehmlich das allgemeine Sterblich-
Man
keitsverhältniss bestimmt.
hat den
Zusammenhang von
und Geburtenziffer oder das Nebeneinandersein hoher Sterbe- und Geburtenziffer schon lange gekannt. Man
Mortalität
Der Um-
hat aber ihren Causalnexus unrichtig aufgefasst. stand, dass da,
wo
die Sterblichkeitsziffer gross
Geburtenziffer gross
ist,
hat zu der
Annahme
ist,
auch die
geführt, dass
eine hohe Sterblichkeit auch viele Geburten bewirke, gleich-
sam
als
wenn durch
ein Naturgesetz der Verlust
durch hohe
Mortalität durch Steigung der Natalität erhöht werde.
gerade das Umgekehrte talität
— 10
ist
das Richtige.
Aber
Nicht hohe Mor-
bewirkt hohe Geburtenziffer, sondern hohe GeburtenFerner A. Wolff,
„Untersuchungen über die KinderMit 7 Erläuterungstafeln. M. Hemmer, „Münchens Sanitätskarten", bearbeitet mich 1. der allgemeinen Sterblichkeit, 2. der Sterblichkeit der Kinder im 1. Lebensjahre, 3. der Sterblichkeit der Personen über die 1. Lebensjahre, 4. der Sterblichkeit an zymotischen Krankheiten. München 1877, 8. Mit 2 Karten. 1
Jahren.
sterblichkeit" ete. Erfurt 1874,
8.
ziffer
bewirkt hohe Mortalität.
Durch
die angeführte grosse
Kindersterblichkeit wird bewiesen, dass das allgemeine Mortalitätsverhältniss einer
Bevölkerung auch von dem Geburten-
verhältniss bei derselben abhängt,
so
dass
z.
zwei
B. in
Staaten mit verschiedener Geburtenziffer deshalb schon das allgemeine Mortalitätsverhältniss verschieden sein muss,
auch sonst die Lebenschancen dieselben
wenn
Es geht
sind.
zu-
nächst hieraus hervor, dass auch die allgemeine Mortalitätsziffer
ohne Berücksichtigung der Geburtenziffer nicht
zuverlässiger Massstab
für
als
die relative Prosperität der Be-
völkerung dienen kann.
Genau genommen müsste
bei
solchen Vergleichungen
das Sterblichkeitsverhältniss bei allen verglichenen Staaten
auf ein- und dasselbe Geburtenverhältniss reducirt werden, d. h.
das zu vergleichende Mortalitätsverhältniss dürfte nicht
das allgemeine sein, sondern es müsste die Mortalität un-
abhängig von dem Unterschiede verhältnisses
der
in der
vergleichenden
Höhe
des Geburten-
Staaten sein.
dann
Dieses
so
ohne
Zweifel
einen vorzüglichen Massstab für die Vergleichung.
Leider
reducirte Mortalitätsverhältniss
bildet
aber lässt sich dasselbe in dieser Unabhängigkeit von der Geburtenziffer mit den sehr
vorhandenen Hülfs mittein nur für
wenige Bevölkerungen ermitteln
nur auf Umwegen.
und
für
diese auch
Siebentes Capitel.
Die mittlere Lebensdauer.
Unter mittlerer Lebensdauer einer Bevölkerung versteht man, wie schon weiter oben gezeigt, wo der Unterschied des mittleren Lebensalters von dem der mittleren Lebensdauer hervorgehoben werden sollte, die Zahl von Jahren, welche von einer Bevölkerung im Durchschnitte jedes Individuum von seiner
Geburt
bis
zu seinem Tode zu verleben
hat.
Diese mittlere
Lebensdauer, oder besser die Vitalität der Bevölkerung, bildet einen viel besseren Massstab für
die allgemeine Prosperität
der Bevölkerung, als das allgemeine Mortalitätsverhältniss.
Ja
sie bildet
wohl den zuverlässigsten Massstab dafür.
kommt nur darauf an, sie richtig zu Man fasst noch allgemein den
Begriff der
Lebensdauer der Bevölkerung nicht richtig
'
die
berechnet nämlich noch allgemein dieselbe
gleichmässig vertheilt, also ebenso wie
der Lebenden berechnet nach aller
Mass-
so,
dass
Zahl der Jahre, welche die innerhalb eines Jahres
Gestorbenen zusammen durchlebt haben, auf
Jahr.
ist als
wie wir ihn bedürfen, nicht brauchbar.
Man
man
mittleren
Die mittlere
auf.
Lebensdauer nach der gewöhnlichen Berechnung stab,
Es
berechnen.
Lebenden durch Diese so
nicht brauchbar
man
alle
Gestorbenen
das mittlere Alter
der Ermittelung
des Alters
eine Volkszählung für ein bestimmtes
berechnete
mittlere
Lebensdauer
zur Beurtheilung der
wirklichen
ist
aber
Vitalität
der Bevölkerung und namentlich nicht zur Vergleichung ver-
—
—
204
schiedener Länder nach diesem Massstabe, weil
sie
wie das
wesentlich
allgemeine Mortalitätsverhältniss ganz
abhängig
von der Höhe der Geburtenziffer.
ist
leicht einzusehen.
In einer Bevölkerung,
wo
ebenso
Es
ist
das
Neuge-
viele
borene fortwährend zu den Lebenden hinzukommen, muss in
Folge davon auch unter den gleichzeitig Lebenden, welche
zusammen sein, d. h.
die
Bevölkerung bilden, die Zahl der Kinder gross
grösser als bei einer Bevölkerung mit einer niederen
In Folge davon werden auch bei übrigens
Geburtenziffer.
gleichen Lebenschancen bei der Geburtenziffer
unter
den
Jahren Verstorbene sein,
der
von
als
unter
mehr
jüngeren
in
der mit niedriger Ge-
eben weil dort mehr im jugendlichen Alter sich
burtenziffer,
befinden, die
man nun
Bevölkerung mit höherer
Gestorbenen
vom Tode
getroffen
werden können.
das mittlere Alter, indem allen
Gestorbenen
man
die
Berechnet
Gesammtsumme
zusammen durchlebten Jahre
durch die Zahl der Gestorbenen dividirt und nennt dies die mittlere
Lebensdauer der Bevölkerung, so
liegt
auf der Hand,
dass diese sogenannte mittlere Lebensdauer bei der Bevölke-
rung mit hoher Geburtenziffer schon
allein
wegen
höheren Geburtenziffer eine niedrigere sein muss,
dieser als
bei
der Bevölkerung mit niedrigerer Geburtenziffer, ohne dass deshalb die wirkliche mittlere Lebensdauer eine kürzere zu sein braucht.
Man kann
sich die
wirklichen mittleren Lebensdauer
wenn man
sich einen
Wirkung
am
der so berechneten
besten deutlich machen,
äussersten Fall denkt.
Nimmt man
an, dass bei einer Bevölkerung in einem Jahre gar keine
Geburten vorkämen, so wäre die Folge, dass dann
in
dem
darauf folgenden Jahre unter dieser Bevölkerung gar keine
Kinder im Alter unter einem Jahre vorhanden sein würden. Es könnten mithin in diesem Jahre keine Kinder unter einem Jahre
sterben.
Nothwendig müsste alsdann das
mittlere
Alter der Gestorbenen viel höher sich herausstellen, als
im vorhergehenden Jahre Kinder geboren wären.
man nun
wenn
Nennte
dieses so berechnete mittlere Alter der Gestorbenen
die mittlere Lebensdauer, so
würde
diese mit einem
mal sehr
—
205
—
gesteigert erscheinen, obgleich die Vitalität der
überhaupt gegen sonst
gar
vielleicht
Bevölkerung
nicht verändert
ist.
Dieser Fall, dass irgendwo in einem Jahre gar keine Kinder
geboren werden, wird allerdings nie vorkommen; es geht aber daraus hervor, dass die
Höhe
der Geburtenziffer wieder
auf die so berechnete mittlere Lebensdauer nothwendig ein-
Das ist so einfach, dass man kaum darauf aufmerksam zu machen brauchte, wenn nicht es doch fortwährend und selbst von namhaften Statistikern übersehen und aus der so berechneten mittleren Lebensdauer sehr irrige Schlüsse gezogen würden. So hat z. B. in dieser Weise ein wirken muss.
sehr angesehener französischer Statistiker de Chateauneuf in
den Memoires de l'Academie des Sciences mor. eine Arbeit
(1850)
et polit.
T.
VI
über die mittlere Lebensdauer in ver-
schiedenen Ländern bekannt gemacht, nach welcher dieselbe in Preussen 29,66 in Frankreich
38,77
Jahre beträgt und
daraus den Schluss gezogen, dass die Bevölkerung in Frankreich
im Ganzen
viel glücklicher sei als in Preussen,
dieser Unterschied burtenziffer beider
Will
man
allein in
Länder seinen Grund die
folglich
während
der grossen Differenz der Gehat.
wirkliche mittlere
Lebensdauer
Bevölkerung ermitteln, so darf man dafür nicht einfach das mittlere Alter aller Gestorbenen nehmen, sondern man muss einer
sie
berechnen unabhängig von der Höhe der Geburtenziffer.
man
Diese wirkliche mittlere Lebensdauer, die die Vitalität der
Bevölkerung nennt,
Ihre Zu- oder
Abnahme
Bevölkerung
bei einer
widerleglichste Zeugniss des Vorin
legt das un-
oder Rückschrittes einer
der Cultur ab.
Bisher statistisches
tistikern so
1) Cf.
besser
der allerzuverlässigste
Massstab für die Prosperität der Bevölkerung.
statistische
Nation
ist
ist
diese
wirkliche
mittlere
Lebensdauer
als
Element sehr wenig beachtet und von den Stagut wie gar nicht ermittelt worden ). Ihre Er1
G.Meyer, Die mittlere Lebensdauer ix Eildebrand's Jahrbüchern und Statistik, Bd. S (IS(J7). knapp, Kriniti.elunLV
für Nationalökonomie
— mittelung
ist
statistischer
206
—
jedoch möglich unter Voraussetzung gewisser Daten.
Schon La Place hat dafür
rationelle Anleitung gegeben.
aus den Geburtslisten
Diese
ist
folgende:
einer Bevölkerung
eine
ganz
Man nimmt
eine hinreichend
grosse Zahl von gleichzeitig Geborenen
(z. B. die Geborenen und verfolgt diese vermittels der Sterbelisten derselben Bevölkerung in ihrem allmählichen Absterben, indem man notirt, wie viele von ihnen in jedem Jahre successive gestorben und wie viele von ihnen davon
eines bestimmten Jahres)
noch
am Ende
nimmt
jedes Jahres übrig geblieben sind.
Z. B.
man
im Jahre 1800 Geborenen und verfolgt sie in ihrem allmählichen Absterben, indem man aus der Liste der Gestorbenen auszieht im Jahre 1801 die Gestorbenen unter 1 Jahr alt, aus der Sterbeliste von 1802 die Gestorbenen im Alter von 1 2 Jahren, aus der von 1803 die im Alter von 2 3 Jahren, welches jedesmal solche sind, die im Jahre 1800 die
—
—
geboren wurden.
Wenn man
das so weiter fortsetzt bis zum Tode der im Jahre 1800 Geborenen, so erhält man für diese, wenn man die Zahl der von ihnen in jedem Jahre Gestorbenen mit der von ihnen in dem Jahre noch vorhanden Gewesenen vergleicht, eine auf wirklicher Beobachtung beruhende wahre letzten der
Absterbeordnung
für
die betrachtete Zahl
im Jahre 1800 Geborenen.
Aus
der gleichzeitig
einer so angefertigten Liste
nun das mittlere Alter der Gestorbenen einfach berechnen, indem man die Gesammtzahl der von allen durchlebten Jahre gleichmässig auf jeden Einzelnen vertheilt und lässt sich
dies ist die wirkliche mittlere Lebensdauer,
der
Höhe
der Geburtenziffer
unabhängig von
1
).
der Sterblichkeit. 1868. (S.72.) C. Brasche, Sterblichkeitsrechnung, Würzburg 1870, besprochen von Knapp in Hildebrand's Jahrbüchern. Bd. 14 (1870), S. 422.
auch Becker, Preuss. Sterbetafeln, in der Zeitschrift des Bureaus 1869 (Nr. 4—6) p. 125 ff. Desgleichen Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik, herausgegeben von dem Statistischen Bureau von Berlin 1870, 4. Jahrgang. Artikel darüber in der A. A. Zeitung 1871, Beilage No. 41, p. 687. 1)
preuss.
Cf.
statistischen
—
—
207
nun diese Vorschrift
Allein so richtig
Zweck dienen zu können.
so
ist,
doch nicht so durchführen,
sich leider praktisch
lässt sie
um unserem
Einmal schon deshalb
nicht, weil
wir für keine Bevölkerung Geburten- und Sterbelisten besitzen, welche so weit zurückgehen, dass man die Geborenen eines
bestimmten Jahres darin
zum Tode
bis
in
ihrem
allmählichen Absterben
des letzten von ihnen verfolgen könnte.
Dazu
wären Listen nothwendig, welche mindestens ein Jahrhundert umfassen, denn unter einer grösseren Anzahl gleichzeitig Geborener erreicht immer der eine oder der andere das höchste Ziel des menschlichen Lebens, 100 Jahre und darüber. Auch würde sich so die mittlere Lebensdauer richtig nur für ein
Land berechnen
lassen, das in seinem Territorialbestande
unverändert geblieben und keine oder doch nur sehr geringe
Aus- und Einwanderung während 100 Jahren gehabt t
Dazu kommt aber noch sehr wenig statistischen
hätte.
Eins, weshalb diese Methode an sich
Werth
hat;
nämlich dass
man
da-
durch nur die mittlere Lebensdauer einer schon ganz ausgestorbenen Generation kennen lernte, wogegen es doch für die Statistik vielmehr darauf
Lebenden kennen zu
lernen.
eingeschlagen werden. richtige
La
Und
ankommt, die Dazu muss dieses
ist
Vitalität der jetzt
ein
anderer
Weg
möglich, ohne das
Place'sche Princip aufzugeben.
Dieser
Weg
führt
auch durch einfache Rechnung zu einem geeigneten Resultat unter zwei Voraussetzungen, die eigentlich jede gute Landes-
gewähren sollte. Erforderlich nämlich ist dazu: genaue Kenntniss des Standes der Bevölkerung nach dem Alter von Jahr zu Jahr, wie sie durch genaue statistik 1.
die
Volkszählungen zu ermitteln 2.
dem 1
ist;
genaue Todes- oder Sterbelisten.
Kennt man genau die Vertheilung der Bevölkerung nach Alter, weiss man, wie viele von den Lebenden unter
Jahr,
1
— 2 Jahre, 3 —4 Jahre
u.
s.
w. alt sind, desgleichen
auch das Alter der Gestorbenen, so crgiebt die Vergleichung der Gestorbenen mit der Zahl der Lebenden jeder Altersclasse,
welche Quote der Personen jährlich
stirbt.
Diese
— Quoten lassen
—
208
Anzahl von Lebenden
sich auf eine bestimmte
jeder Altersciasse,
B. 10,000, reduciren und so erhält
z.
man
durch eine einfache Rechnung eine wirkliche Sterbetabelle für die gegenwärtige Generation,
welche
eine Mortalitätstafel,
d. h.
wie viele in jedem Alter von einer bestimmten
zeigt,
Man
Bevölkerung sterben.
dann leicht benen, indem man
erfährt aus einer solchen Sterbe-
die mittlere
tabelle
die
von
zusammen durchlebten Jahre Jahre durch die Zahl
Der Quotient die Vitalität einer
aller
die
ist
Lebensdauer dieser Gestor-
allen
Gestorbenen jedes Alters
addirt
und
Gestorbenen
Summe
die
dieser
dividirt.
wahre mittlere Lebensdauer oder
Bevölkerung für die Gegenwart unabhängig
von der grösseren oder geringeren Höhe der Geburtenziffer. Leider lässt
nur für wenige Länder berechnen, weil
sie sich
unsere Volkszählungen noch nicht genau den Stand der Be-
dem
völkerung nach
Alter vollständig
und
lehren und daher noch nicht erlauben,
nach directer Methode zu berechnen.
tafeln
eigentlich bis
dies
darnach erhält
jetzt
man
Lebensdauer
mittlere
Wir
allein
für dieses
für
Belgien
Land
Mortalitäts-
Genauer möglich,
38,9 Jahre als
ist
und
wahre
1 ).
sind auf diesen Gegenstand durch die Betrachtung
der Geburten- und Sterlichkeitsziffer geführt worden.
wir noch einmal
auf dieselbe zurück.
Höhe dieser Ziffern an sich Bewegung der Bevölkerung.
dass die für die
kennen
detaillirt
solche
Dagegen
ist
die
Höhe
Wir haben nicht
Kommen gesehen,
massgebend
ist
dieser Proportion in anderer Be-
ziehung für eine Bevölkerung von grosser Wichtigkeit, nämfür
lich
die
Gestaltung der Altersverhältnisse einer Bevöl-
kerung und zwar sowohl der Lebenden wie der Gestorbenen.
Ueber diesen Gegenstand hat Wappäus ausführlicher gehandelt besonderen Abhandlung „über den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren Lebensdauer" im VIII. Bande der Abhand1)
in einer
lungen der Societät der Wissenschaften zu Güttingen aus dem Jahre desgl.
im Bd.
II seiner
Bevölkerungsstatistik.
1860,
— In einer Bevölkerung,
—
bei der die Geburtenziffer eine
dagegen aber auch
ist,
209
hohe
vorkommen, muss
viele Sterbefälle
sowohl das mittlere Alter der Lebenden, wie auch das der
Gestorbenen kürzer sein
als da,
wo weniger Geburten
vor-
kommen, aber auch weniger dieses Einflusses in ersterer
Sterbefälle. Die Bedeutung Beziehung auf das mittlere Lebens-
Wir haben
einer Nation ist schon angedeutet worden.
alter
gesehen, welche Bedeutung die alters hat,
Zunahme
Höhe
des mittleren Lebens-
wie eine Abnahme desselben einen Verlust, eine
Gewinn für die Cultur anzeigt. nun auch für das mittlere Alter der Ge-
desselben einen
Dasselbe
gilt
Ist dasselbe ein niedriges, so zeigt dies an, dass
storbenen.
das Verhältniss der jüngeren Personen unter den Gestorbenen ein hohes
ist,
also die
Zahl derjenigen unter den Gestorbenen
verhältnissmässig hoch sein muss,
welche in ihrem Leben
entweder noch gar keinen oder nicht hinreichenden Ersatz
haben geben können für
die
während ihrer Jugend auf
sie
durch die Gesellschaft verwandten Opfer. In dieser Beziehung insbesondere
ist
die
von bedeu-
auch
Kindersterblichkeit
tendem volkswirtschaftlichen
Einfluss.
Individuen, welche sterben, bevor sie durch ihre Arbeit
haben Ersatz geben können für die ihnen gewidmete Sorge und Opfer, sind volkswirthschaftlich anzusehen wie Fremde, welche ohne Vermögen ins Land
gekommen
sind,
um
an den
Früchten der Arbeit der Gesellschaft Theil zu nehmen, und wieder geschieden sind, ohne dafür durch ihre Arbeit Ersatz
gegeben und die contrahirte Erziehungsschuld zu haben. licher
Welche grosse Opfer aber
abgetragen
in volkswirtschaft-
Beziehung, worauf hier die Betrachtung beschränkt
werden
soll,
einer Nation durch das Absterben
von Kindern
vor Erreichung des productiven Alters erwachsen und wie wichtig in dieser Beziehung die
Höhe
der Geburtenziffer
ist,
lässt sich leicht zeigen.
In Preussen bei
z.
B. wurden in den 26 Jahren von 1816
einer mittleren Geburtenziffer
von
1
:
24,3
=
— 1841
4,11% im
Ganzen 13,415,574 Kinder geboren. Der grösseren Einfachheit Wappäus.
14
— der Rechnung wegen
210
—
wollen wir die Todtgeborenen ausser
Betracht lassen, obgleich auch diese schon der Gesellschaft grosse Opfer und Kosten
Rechnen wir
verursachen.
also
Todtgeborenen ab, so reducirt sich jene Zahl auf 12,892,367 Kinder. Wir wollen in runder Zahl nur 12 3 4 Millionen andie
/
Von
nehmen.
diesen lebend Geborenen starben
nun vor dem
vollendeten 14. Lebensjahre durchschnittlich 35
von jenen 12
3 /4
Millionen 4
1
/-
2
des
1.
Lebensjahres gestorben
ist,
also
man
nun,
Rechnet
Millionen.
da ein grosser Theil dieser Kinder, 18° /0
— 36%,
,
vor der Vollendung
im Durchschnitt auf
die
Unterhaltungs- und Erziehungskosten für jedes ganz niedrig,
worauf jedoch für den Beweis nichts ankommt, 200 Thlr., dann beträgt die Ausgabe, welche diese vor dem 14. Lebensjahr gestorbenen Kinder der Gesellschaft während der angegebenen 26jährigen Periode verursacht haben, lionen
Thlr. oder jährlich
ppt.
diese
Summe
ist
Diese
anzusehen.
sind volkswirthschaftlich als ein reiner Verlust
Denn
900 Mil-
35 Millionen Thlr.
wie eine Schuld zu betrachten, welche
jene Kinder bei der Gesellschaft contrahirt hatten und welche
durch ihre Arbeit später wieder abzutragen,
Tod
verhindert wurden
sie
durch ihren
l
).
Hätte Preussen in der genannten Periode seinen natürlichen
Zuwachs der Bevölkerung mit
burtenziffer 1
:
30
=
erreicht,
3,3°/ 0
,
so
z.
B. mit
würden
einer
derjenigen
in denselben 26
kleineren Ge-
von
Norwegen
Jahren nur un-
gefähr 10 V2 Millionen Kinder lebend geboren sein.
man nun
für diese
Nimmt
Kinder dieselbe Sterblichkeit an, so würden
davon nur wenig über 3 2 Millionen unter dem Alter von 14 Jahren gestorben sein. Durch einen solchen Unterschied in der Geburtenziffer würde mithin der Bevölkerung ein Verlust von ungefähr 200 Millionen Thlr. in der angegebenen 1
/
Periode erspart worden sein oder jährlich nahe S Millionen.
Daraus
1)
gestellt
Cf. ist.
folgt
nun
Süssmilch, Bd.
als
I,
allgemeine Regel: dass dasjenige
S. 439,
wo
das schon ganz gründlich daß
— Verhältniss der bei
welchem
—
211
Bewegung der Bevölkerung das günstigste ist, Zunahme der Bevölkerung mit der
eine gewisse
geringsten Geburtenziffer erreicht wird.
In dieser Beziehung finden wir nun einen durchgreifenden
Gegensatz
zwischen
völkerungen,
die
bei jenen
Das
günstigere.
ackerbauenden und
Be-
allgemein
das
schon deutlich zeigen, wenn
man
das Verhältniss
ist
lässt sich
industriellen
Bevölkerung unserer Staaten nur nach den beiden Haupt-
classen ihrer
Damit
ist
Wohnplätze
betrachtet,
nach Stadt und Land
1
).
zugleich ein Gegensatz der Bevölkerung nach der
vorwiegenden Arbeit ausgedrückt.
noch repräsentirt
in
Wenigstens gegenwärtig
den meisten unserer Staaten die Be-
völkerung des platten Landes die ackerbauende Bevölkerung, die der Städte die der übrigen Berufsclassen die industrielle
und insbesondere
Der geogra-
Bevölkerung im engeren Sinn.
phische oder topographische Gegensatz drückt gegenwärtig
noch zugleich einen volkswirtschaftlichen
Es wird
Arbeit aus.
in der
dies freilich allmählich
vorwiegenden durch die un-
beschränkte Gewerbefreiheit und Freizügigkeit in Verbindung 1)
Siehe hier Brasche, Die Rigaer Volkszählung von 1867 in der
Baltischen Monatsschrift,
19.
Bd. (N. F.
Das Gesetz der Bevölkerung und
Bd.) 1870, p. 532.
1.
die Eisenbahnen.
— G. E. Witt,
Siehe besondere
—
Beilage Nr. 32 des preuss. Staats-Anzeigers 1872. Berlin und seine Eni wickelung. Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik. Jahrgang 1869, herausgegeben vom statistischen Bureau der Stadt. Desgl. 5. Jahrgang 1871. G. F. Knapp, Leipzig's Bevölkerung 1868. Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. December 18G7, beA. Legoyt, Du progres des arbeitet von H. Schwabe. Berlin 1869. agglomerations urbaines et de l'emigration rurale en Europe et particulierement en France. Marseille 1870. Schwabe, Statistik des preuss. )».
—
—
—
—
Städtewesens in Hildebrand's Jahrbüchern für Nationalökonomie u. St., Tl. Bd. und im Berliner Stadt- und Gemeindekalender für 1867 „über die Quellen des Wachsthums der grossen Städte im preuss. Staate" und „Stadt
und Land" (Nr.
21).
besonderen Beilage zum preuss. Staats- Anzeiger 1872 Kirchhon, Beiträge zur Bevölkerungsstatistik etc. Engel, Die moderne Wohnungsnoth. Signatur, Ursachen
in der
—
Erfurt 1871.
A.
—
—
und Abhülfe. Leipzig 1873. Statistique internationale publice sur fordre du. congresde statistique. T. 1, 1. Scct. Statistique internationale des graudes villes. Mouvement de la populatioh, redigee par Cörösi. 14*
—
212
—
mit der Mobilisirung aller hergebrachten historischen Institutionen anders werden müssen,
gegenwärtig besteht jedoch noch jener allgemeiner Gegensatz:
Land
Stadt Geb.- Sterbeziffer Differenz
Niederlande 3
Geb.- Sterbeziffer Differenz
0,88%
3,45%
2,31»o
1,14%
Schweden
3,24 „
3,45„
0,21,,
3,28,,
2,13,,
1,15,,
Belgien
3,39,,
2,91 „
0,48,,
3,01,,
2,26,,
0,75,,
Frankreich
3,05,,
3,17,,
0,12,,
2,55,,
2,37,,
0,18,,
;
69°/ 0
2,81
°/
0
Aus diesen Zahlen geht zunächst Folgendes hervor: 1. Die Geburten- und Sterblichkeitsziffern sind in den durchgängig höher
Städten
Geburtenziffer
als
dem Lande.
auf
kommen Ausnahmen
Lande, nämlich 3,24%
in ersteren,
3,28°/ 0
Bei der Sterblichkeitsziffer aber keine, in
den Städten und das 2.
ist
die
In Schweden
vor.
den Städten etwas höher
die Geburtenziffer in
ist
Mortalität
auf
als
ohne Ausnahme überall auf dem
in
die
Geburtenziffer
dem Lande, dennoch
Staates
Staaten nach
dem
sein
ist als in
die Erhaltung
vorzüglich
den Städten.
und Zunahme der
auf
der
ländlichen
Betrachten wir die obigen Zahlen noch
etwas mehr im Detail.
fällen in
dass, ob-
grösser zu
hier der Ueberschuss der
Geburten über die Gestorbenen grösser
Daraus geht hervor, dass Bevölkerung beruht.
höher
das Entscheidende;
gleich
Bevölkerung eines
ist
dem
dem Lande.
so bedeutend geringer als in den Städten,
pflegt als auf
auf
sie ist überall
Lande
den Städten
Bei der
Darnach würde
in
den angeführten
Verhältniss der Geburten zu den Sterbe-
den Städten
allein
nur eine sehr geringe Zunahme
der Bevölkerung stattfinden, ja
in zwei dieser Staaten, in sogar zurückBevölkerung Schweden und Frankreich, gehen. Das günstigere Verhältniss auf dem Lande muss
die
das Deficit ersetzen. 3.
Hieraus
folgt:
dass die Bevölkerungen des platten
rascher zunehmen müssen, als die der Städte,
und städtische Bevölkerungen von
Landes überall
wenn
ländliche
einander abgeschlossen
—
213
—
wenn nicht die Städte fortwährend vom Lande erhielten. Dass nun ein solcher blieben,
einen Zufluss Zufluss
statt-
Dienstboten, Hand-
findet, zeigt schon das tägliche Leben.
werden den Städten vornehmlich vom Lande dass aber dieser Zuschuss sehr stark sein muss,
arbeiter etc. geliefert;
Zunahme dem Lande,
geht daraus hervor, dass in Wirklichkeit überall die der Bevölkerung
wenn man
in
den Städten grösser
diese wirkliche
Zunahme
ist als
auf
ermittelt durch die Ver-
gleichung der verschiedenen Volkszählungen.
In den hier betrachteten Staaten betrug nämlich für dieselbe Zeit, für welche wir die mittleren Geburten-
jährliche
Zunahme
der Bevölkerungen Stadt
den Niederlanden
in
und Sterb-
angegeben haben, die wirkliche mittlere
lichkeitsverhältnisse
1,81
°/
0
Land 0,74%
„ Schweden „ Belgien
1,50 „
0,81 „
0,78 „
0,31 „
„ Frankreich
1 ; 53
0,35 „ ,, Diese statistischen Ergebnisse sind in mehrfacher Be-
ziehung interessant.
Sie
lehren:
1.
dass
der Beruf
des
Landmanns, wie er denselben dem Städter gegenüber in politischer und socialer Beziehung conservativ zu machen Die ackerbauende pflegt, auch an sich soliderer Art ist. Bevölkerung
stellt
bei sonst
gesunden Zuständen
in politischer
Beziehung das mehr passive, beharrende Element im Staate
Es hängt das mit der Natur ihrer Arbeit innig zusammen. Der Landmann ist damit ganz wesentlich an Mächte dar.
gebunden, liegen,
die
der menschlichen
Willenssphäre
Der Erfolg seiner Arbeit ist ebenfalls wesentlich mit abhängig von solchen allgemeinen höheren Ordnungen. Das ist auf die ganze Lebensanschauung von grossem Dem analog bildet die ackerbauende Bevölkerung Einfluss. auch physisch das beharrende Element der Bevölkerung. Sie bildet somit statistisch den eigentlichen Kern der Bevölkerung und trägt zur Erhaltung und Vermehrung derselben verhältnisse.
•
ausserhalb
an den Verlauf der Jahreszeiten, an die Witterungs-
— mehr
viel
als
bei,
—
214
der Städte.
die
Ueberdies bildet die
auch noch dadurch den Kern der Bevölkerung, als ihr die Kraft der Bevölkerung (sowohl die Productions-
erstere in
wic die Wehrkraft) in weit höherem Verhältniss vorhanden als in der städtischen. Das ergiebt sich, wenn man die Zusammensetzung der beiden Kategorien der Bevölkerung nach dem Alter vergleicht. Die Yertheilung der Bevölkerung nach dem Alter ist auf dem Lande günstiger, es braucht das ist,
nicht besonders nachgewiesen zu werden, es folgt schon aus
der grösseren Proportion der Geburten in den Städten zeigen
2.
mitgetheilten
die
Daten,
statistischen
überall ein Zufluss der Bevölkerung
1
);
dass
vom Lande nach den
Es ist das auch in der Ordnung, weil mehr Arbeitskräfte bedürfen, als sie selbst proAus dem viel ungünstigeren Mortalitätsverhältniss
Städten stattfindet. die Städte
duciren.
der Städte geht aber auch hervor, dass dieser Zufluss von
dem Lande
in
die
Städte doch eine gewisse Grenze nicht
wenn dadurch
übersteigen darf,
tingent, welches die ländliche
der Bevölkerung
liefert,
nicht das ganze höhere Con-
Bevölkerung für die Zunahme
absorbirt
werden
soll.
Die Ver-
setzung der ländlichen Bevölkerung in die Städte muss
niedrigend auf die
Zunahme
weil die Mortalität in
Wenn nun
Lande.
ein
er-
der Gesammtbevölkeruug wirken,
den Städten grösser
ist
als
auf
dem
zu grosser Theil der ländlichen Be-
völkerung den ungünstigeren Lebenschancen der Städte ausgesetzt wird,
so wird
dadurch schon
allein
eine
Zunahme
der Gesammtbevölkerung eines Staates aufhören, ja unter Umständen sogar die Zunahme in eine Abnahme umschlagen
können.
Unter den vorher aufgeführten Staaten zeigt Frank-
reich den grössten Zufluss der ländlichen Bevölkerung nach
den Städten.
1)
Die städtische Bevölkerung hat daselbst von
und freiheitsliebend. Siehe W. v. Hum„Wie weit darf die Sorgfalt des Staates Bürger sich erstrecken?" Gesammelte Werke Bd. II,
Der Ackerbauer
ist friedlich
boldt in seiner Abhandlung:
um
das
p. 257.
Wohl
seiner
— 1851
— 56 jährlich
—
215
um mehr
als l72°/o
Bevölkerung gleichzeitig
die ländliche
zugenommen, während
um
V3°/o
abgenommen mehr
obgleich in den Städten für sich in dieser Zeit
hat,
Menschen gestorben
Das
als
geboren sind.
gewiss ein nicht normales Verhältniss und mit
ist
Recht schreiben einsichtige französische Statistiker die so auffallend geringe
Zunahme
der Gesammtbevölkerung Frank-
dem
reichs in den letzten Decennien ganz wesentlich
neuer-
dings in Frankreich eingetretenen ausserordentlich grossen
Zudrang
der
Städten (Paris) zu.
scheinung
,
Zuständen mit der
Bevölkerung
ländlichen
Es
ist
Frankreich
in
den
grossen
das eine krankhafte sociale Er-
welche übrigens in
nach
mit den
allgemeinen socialen
innigem Zusammenhang
Zunahme der allgemeinen Genusssucht,
steht,
die
sich
namentlich auch in der Sehnsucht nach den Herrlichkeiten der grossen Städte ausspricht.
In Frankreich wurde übrigens dieser Zuzug auch noch aus politischen Gründen befördert.
Indem man nämlich unter
der Kaiserlichen Regierung
auch
u.
a.
in Paris
gesetzlich
den Preis des Brotes regelte, in Zeiten der Theuerung das Brot unter dem Marktpreise des Mehles abgab und indem in Paris
Luxusbauten in den
um
blos
man
den Arbeiter zu beschäftigen ungeheuere
herstellte,
veranlasste
man
eine Entvölkerung
Dörfern und bewirkte dadurch unbewusst eine Ver-
Zunahme der Gesammtbevölkerung ). man freilich in Deutschland nicht vorgegangen, doch fördern auch jetzt bei uns die Regierungen das Wachsen der grossen Städte. Sie freuen sich über die rasche Zunahme ringerung der In der Art
1
ist
der Bevölkerung in den Hauptstädten, über die Annäherung der
Bevölkerungszahl
derselben
Englands und Frankreichs.
Wer
an
die
der Riesenstädte
sich aber mit der Statistik
der grossen Städte, wie diese neuerdings ausgebildet worden ist,
eingehender beschäftigt hat,
Riesenstädten,
1)
in
der weiss,
dass in diesen
der übermässigen Agglomeration der Be-
Büchele, Gewerbe-
und Handelsgeographie Bd.
I,
S.
400 Note.
—
—
216
völkerung an einzelnen Punkten (Pariser
Commune
gerade eine Hauptgefahr für unsere Zukunft
Aus den
1871)
liegt.
mitgetheilten statistischen Ergebnissen lässt sich
auch noch eine allgemeine praktische Lehre ziehen, nämlich dass es für eine weise Staatsregierung eine Hauptauf-
die,
gabe sein
sollte,
die
ackerbauende Bevölkerung, diesen eigent-
Kern der Bevölkerung, soviel wie möglich in seiner Kraft und Integrität zu erhalten. Es sollten bei allgemeinen gesetzlichen und administra-
lichen
tiven Massregeln nicht, wie das so häufig geschieht,
z.
B. bei
Einrichtung von Wahlämtern, die Interessen der ländlichen
Bevölkerung denen der Industrie nachgesetzt werden und
am
wenigsten
sollte
der Staat direct dazu beitragen, dass
der Industrialismus, der eigentlich in die Stadt gehört, auch Besitz
vom
platten
Bevölkerung eine
Lande nehme,
so dass der
ackerbauenden
industrielle beigemischt oder dieselbe
wohl
gar angereizt werde, zu fabrikmässig betriebenen Gewerben überzugehen.
Damit würden
Bevölkerung
verloren
alle die
Vorzüge der ländlichen
durch
gehen,
welche
dieselbe
als
ackerbauende Bevölkerung den wahren Kern der Bevölkerung bildet,
indem
sie
zur Erhaltung und Vermehrung der Be-
völkerung mehr beiträgt
und das
ist
Gegensatz, dergl.,
der
wohl
als
die
zu beachten
,
industrielle.
nicht
Denn
es
ist,
der geographische
etwa die grössere Stärkung der Landluft und
dem Lande
Städten gewährt,
die hervorgehobenen
sondern es
ist
der
Vorzüge vor den
volkswirtschaftliche
Gegensatz, die Natur der Arbeit und der damit zusammen-
hängende
sociale Gegensatz.
Auch darüber haben wir schon statistische Erfahrungen. So im Königreich Sachsen, wo in einigen Theilen die Invasion der Industrie auf dem platten Lande soweit gediehen, dass es dort eigentliche Industriedörfer giebt, nicht
der
Ackerbau,
sondern
die
Industrie
in
welchen
(namentlich
Weberei) die überwiegende Arbeit der Bevölkerung
Geman solche ländliche Bevölkerungen und Sterblichkeitsverhältnissen den städtischen gegen-
Stellt
burts-
bildet.
in ihren
—
217
—
über, so verschwinden die statistischen Gegensätze, welche sich sonst zwischen
damit auch
und Vorzüge
herausstellen, völlig
hier hervorgehobenen statistischen
alle
der ländlichen
Land und Stadt
Dasselbe
Bevölkerung.
ist
u.
auch der
a.
Fall mit der ländlichen Bevölkerung derjenigen Gegenden, in
welchen
grosse
Runkelrübenzucker- Fabriken
errichtet
worden, womit der bäuerliche Grundbesitzer zum Rentier geworden und der ländliche Arbeiter zum Fabrikarbeiter. Die Geburten- und Mortalitätsverhältnisse solcher ländlichen Bevölkerung
nehmen den ungünstigeren
Dort
Character an.
stellen sich
ebenso Strikes
städtischen
wie bei
ein,
städtisch-industrieller Bevölkerung.
kommt Denn in
Freilich
zu
spät.
diese statistische
unserer
Lehre
Entwickelung
volkswirthschaftlichen
ist
Strömung zu stark,
sation gerichtete
jetzt
wohl schon
gegenwärtigen politischen und
als
die
auf Centrali-
dass an eine Er-
haltung eines besonderen Bauernstandes noch geglaubt werden könnte.
Gleichwohl
ist
gewiss nothwendig,
es
die
Wirkungen
solcher Veränderungen, wie die Statistik sie in Zahlen dar-
zulegen vermag, sich klar zu machen, damit nicht
unbewusst
schleunigt licher lässt,
und
dieselben
und gedankenlos noch fortwährend beDie Nebenwirkung neuer gesetz-
verstärkt.
man
unbeachtet
sind oft von grösserer Bedeutung als die,
auf welche
und administrativer Massregeln,
es zunächst dabei
weittragenden
abgesehen
Wirkung
schiedes von Stadt und
durch die Revolution
1 )
man
ist.
Das
die
hat sich auch in der
der Aufhebung des politischen Unter-
Land
gezeigt, welche in Frankreich
von 1789 decretirt worden
Die Eintheilung in Departements
ist
ist
1
).
ebenso eine revolutionäre
Massregel, welche gleichwohl die alte historische Eintheilung noch nicht
wegwischen können. „Das Departement ist nicht ein wirkund eigenthüniliches Wesen wie die Gemeinde: diese abstractcn, von der Verwaltung gezogenen Grenzen sprechen nicht zum Herzen. Noch heute hört man wohl sagen: Ich bin Provence, ich bin Burgunder oder Normanne (eine Stimme; oder Gaseonger! [Heiterkeit]), aber niemand völlig hat
liches
In Frankreich
—
218
kennt
man
— seitdem
officiell
noch
nur
Gemeinden (Commimes) ohne Unterschied von Dorf, Flecken, Stadt. Die französische Statistik kennt deshalb nicht den Unterschied von städtischer und ländlicher Bevölkerung in unserem Sinne nach dem politischen Unterschiede von städtischer und ländlicher Verfassung, sie unterpolitische
scheidet nur, da eine Unterscheidung der Bevölkerung nach
Stadt und
Land doch
statistisch nicht entbehrt
werden kann,
populations agglomerees und populations rurales, je
nachdem mehr oder weniger zusammengehäuft wohnt. Alle Gemeinden unter 2000 Seelen rechnet sie zur population rurale 1). Diese Aufhebung des politischen Unterschiedes zwischen Stadt und Land ist auch sonst von grossem die
Bevölkerung
örtlich
Einfluss geworden.
Darnach
ist
es
B. leicht möglich, je nach
z.
dürfniss der Regierung bei politischen lative
Versammlung
die
Wahlbezirke
Wahlen so
dem Be-
für die legis-
einzurichten, dass
entweder die städtische oder die ackerbauende Bevölkerung in
ihrem durch den politischen Gegensatz bedingten Einfluss
auf die in
Wahl ganz
paralysirt wird.
Bei den letzten Wahlen
Frankreich unter dem Kaiserreich
worden,
dass mehrfach
Städte, die theilt
die
ist
dadurch erreicht
Bevölkerung selbst grösserer
überwiegend republikanisch gesinnt war, so
und mit der ackerbauenden Bevölkerung,
listisch
zer-
die imperia-
war, vermischt wurde, dass in den meisten einzelnen
Wahldistricten die imperialistische Partei die Majorität
er-
und der Regierungscandidat gewählt wurde 2 ). Es ist auf diese Weise gelungen, die Bevölkerung grosser Städte, wie z. B.Bordeaux mit seinen 160 —170,000 Einwohnern, als hielt
ich bin aus dem Departement Ille- et- Vilaine oder aus dem Departement de TAin". (Rede von L. Blanc in der französischen Nationalsagt:
versammlung am
31. Juli
1871.
—
Siehe A. A. Zeitung
vom
5.
Nr. 217, p. 3862.) 1)
Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
II,
2) Historisch-politische Blätter Bd. 63 (1S69 Bd.
p. I),
513. p, 1005.
August.
—
219
—
städtische d. h. als überwiegend republikanische Bevölkerung in
den Wahlen ganz verschwinden zu
lassen.
Solche weittragende Beeinflussung der politischen
durch die Regierung, geübt wird
;
wo der
die überall
mehr oder weniger
politische Unterschied
Landbevölkerung nicht festgehalten
Wahlen
ist,
aus-
von Stadt- und
wodurch dann grosse
Minoritäten ganz todt gemacht werden und wodurch schliesslich
das Volk
demoralisirt
kann
wird,
nicht
vorkommen,
wo man den politischen Unterschied zwischen Stadt und Land festgehalten hat, wo, wie z. B. im ehemaligen Königreich Hannover, für die Wahlen zur IL Kammer eine gewisse Anzahl von Deputirten von den Städten für sich und ebenso
von den ländlichen Gemeinden gewählt wurden und für diese
Wahlen
die
städtischen,
Wahlbezirke auf der einen Seite nur von der auf der anderen nur
von der ländlichen Be-
völkerung gebildet werden konnten.
Und man
gewiss
gesetzen für die die
ist
es ein grosser
politischer Fehler,
wenn
neuerdings mehr und mehr in Verfassungen und Wahl-
Wahlen zu den
einzige noch festzuhaltende
Gesellschaft, der
städtischen
legislativen
Versammlungen
organische Gliederung der
und ländlichen Bevölkerung,
aufgiebt und dafür allein eine neue Eintheilung des Terri-
toriums nach der Einwohnerzahl an die Stelle setzt. Allgemein wird dadurch das ländliche Element benachtheiligt, da die ländliche Bevölkerung,
Vermischung mit der
als
politisch
die mehr passive, in ihrer mehr rührigen städischen Be-
völkerung überstimmt zu werden
pflegt.
Achtes Capitel.
Numerisches Verhältniss der beiden Geschlechter bei den Geborenen. Wir haben kerungen
schon bei der Betrachtung des numerischen
der
Verhältnisses
177
(S.
beiden
— 178)
Geschlechter
numerische
Verhältniss
man
Süssmilch hat zuerst das
Geschlechter unter
der
Er
geborenen genauer beachtet. auf 100 Mädchen 104
unseren Bevöl-
gesehen, dass überall mehr Knaben
Mädchen geboren werden.
als
in
— 105 Knaben
geboren werden und dass
das Verhältniss von 20 Mädchen zu 21
den Neugeborenen
als
ein
Man
Knaben
dem wahren Gesetze
kommendes annehmen könne
den Neu-
fand, dass durchschnittlich
unter
sehr nahe
1
).
hat in neuerer Zeit sich viel damit beschäftigt, das
Wappäus
Zahlenverhältniss noch genauer zu ermitteln. als Mittelverhältniss für
Rechnung gründet 58 Vi Millionen
sich
hat
Europa 100 106,31 gefunden. Diese auf die Beobachtung einer Zahl von
Geborenen
:
in
den
grösseren
europäischen
Ländern, in welchen hinlänglich genaue Geburtenlisten geführt werden, so dass das Verhältniss als ziemlich feststehend
anzusehen
Das
chen. als die
1)
ist.
ist
Das wären
also
nahe 17 Knaben auf 16 Mäd-
eine etwas grössere Proportion der
von Süssmilch gefundene.
Doch
Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
Knaben
erscheint seine Be-
II,
p.
150,
—
221
rechnung sehr genau, wenn
Kinder
in
Kechnung
—
man nur die lebendgeborenen ist kaum noch nöthig, hierbei
Es
zieht.
zu bemerken, dass diese Regel sich nur bei grösseren Be-
völkerungen herausstellen kann.
Bei einzelnen Familien zeigt
davon bekanntlich keine Spur. Auch bei kleinen Bevölkerungen, z. B. der einer massigen Stadt, zeigen sich in sich
den einzelnen Jahren unter den Geborenen die grössten Un-
Je weiter man aber die Beobachtung der und dem Räume nach ausdehnt, desto bestimmter tritt
regelmässigkeiten. Zeit
das gesetzliche Verhältniss hervor.
Z. B. in
Göttingen in
den einzelnen Kirchspielen.
Die bisherigen genaueren Untersuchungen beziehen
sich
auf die europäischen Staaten, also auf Bevölkerungen
alle
der gemässigten Zone und ein- und derselben Racö.
Es
fragt sich noch, ob dies Verhältniss für alle Menschen-
racen und sich
auch für
alle
Klimate
gilt.
noch nicht so sicher beantworten.
Diese Frage lässt Indess
ist
nach den
bisherigen Untersuchungen wohl schon mit grösster scheinlichkeit anzunehmen, dass auch in tropischen
mehr Knaben
überall
als
auch die Regel bei allen
Die Resultate,
die
statistik mitgetheilt hat,
Ländern
Mädchen geboren werden und das Racen ist 1 ).
Wappäus
in
seiner Bevölkerungs-
sind durch die neueren Daten be-
welche seitdem publicirt worden sind.
stätigt,
Das angegebene
Verhältniss
ist
ein allgemeines Mittel-
Die genauen Untersuchungen haben ergeben,
verhältniss.
1)
Wahr-
Laplacc, Theorie des propabilites (Oeuvres T. VII, introduction
—
Heureusement Humboldt n'a point neglige cet objet dans Timmensite des choses nouvelles qu'il a observees et recueillies en Amerique avee tant de sagacite, de constance et de courage. II a retrouve p.
LV.
entre les tropiques le
meme
rapport des naissances des garcons et celles
que Ton observe a Paris, ce que doit faire regarder la superiorite des naissances masculines comme une loi generale de Fespece Siehe Anzeige von Keferstein von M. Thury, Ueber humaine. das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter bei den Pflanzen, den Thieren und den Menschen etc. Leipzig 1864, 8. in G. G. Anzeigen des
filles
—
L864, S.
269
ff.
—
222
—
und auch nicht demselben und Staate ganz constant in einem ist, dass aber die Abweichungen von dem Mittelverhältniss sich innerhalb sehr enger Grenzen halten. Am höchsten hat es sich nun dass das Verhältniss nicht in allen Staaten
nach Durchschnitten von 20 Jahren ergeben in Hannover, nämlich 107,18 100, am niedrigsten in England 105,5 100. Ebenso schwankt es in einem und demselben Lande in :
:
verschiedenen Perioden. Trotz dieser Schwankungen behalten
doch die einzelnen Länder ihren besonderen, mehr duellen Character.
Lande
kleine
Ferner
constante
kommen
in
indivi-
einem und demselben
Abweichungen
verschiedenen
in
Kategorien der Geburten vor, bei ackerbauender und in-
Bevölkerung, bei ehelichen und unehelichen Ge-
dustrieller
burten.
Bei der ackerbauenden Bevölkerung
hältniss
der
Knaben
durchschnittlich
grösser
ist
als
das Verbei
der
und ebenso findet sich allgemein unter den ehelich Geborenen das Verhältniss der Knaben durchschnittlich Die merkwürdige Ergrösser als unter den unehelichen. scheinung, dass überall mehr Knaben als Mädchen geboren werden, hat, seitdem dieselbe als vollkommen sicher festgestellt worden, viele Untersuchungen und Hypothesen über Durch die die Ursachen dieses Verhältnisses hervorgerufen. Beobachtung, dass in England in Gegenden mit niedriger Heirathsfrequenz d. h. wo im Verhältniss zur Bevölkerung industriellen
,
wenig Heirathen geschlossen werden, das Verhältniss der
Knaben unter den Geborenen grösser sich stelle als in Gegenden mit höherer Heirathsfrequenz, wurde der Engländer Sadler auf die Vermuthung geführt, dass der Unterschied in
dem
relativen Alter der Eltern
bestimmend
schlecht der erzeugten Kinder sein könne.
nämlich so
:
da,
wo
die Heirathsfrequenz niedrig
seinen
Grund vornehmlich
wird.
Die Verspätung der Heirath
geheirathet weil
die
geschieht
zur Ernährung
Ge-
ist,
hat dies
darin, dass dort später geheirathet trifft
wiegend nur den Mann, nicht die Frau. wird,
für das
Sadler schloss
einer
dies
aber ganz über-
Denn wo
hauptsächlich
Familie
später
darum,
nothwendigen
Be-
—
—
223
dingungen und Mittel schwer zu erlangen
sind.
Die Ver-
spätung der Verheirathung der Frau wird durch dieselbe
Ursache nicht bei solchen
bewirkt wie beim
so
Manne und
folglich wird
Bevölkerungen mit geringer Heirathsfrequenz die
Differenz im Alter zwischen den beiden Ehegatten grösser sein
als
Wenn
da,
wo
durchschnittlich früher
geheirathet
Knaben
geringer Heirathsfrequenz das Verhältniss der
den Geborenen grösser seinen
wird.
nun, schloss Sadler weiter, bei einer Bevölkerung mit
ist,
so könnte das
unter
wohl eben darin
Grund haben, dass dort in der Ehe der Mann durchan Alter die Frau übertrifft. Um diesen Einfluss
schnittlich
des relativen Alters der Eltern auf das Geschlecht der er-
zeugten Kinder näher zu untersuchen,
stellte
Sadler nach
den Geschlechtsregistern der Peerage des britischen Reiches
von 381 Ehen zusammen, bei welchen sich
das Ergebniss
das Alter der Ehegatten angegeben fand und aus welchen
2068
Kinder
population.
hervorgegangen
London
1830).
waren
The law
(vergl.
of
Diese Untersuchung ergab, dass
Mann jünger war als Knaben und 141 Mädchen geboren wurden,
auf 54 dieser Ehen, in welchen der die Frau,
auf
122
18 Ehen,
in
welchen die Eheleute
gleich
alt
waren,
54 Knaben und 57 Mädchen und auf 309 Ehen, in denen der
Mann
Frau an Es zeigte
die
765 Mädchen. das
Geschlecht
Geschlecht der
Das
Resultat
einstimmte
des
Alter übertraf,
929 Knaben und
sich also in der
That darnach, dass
älteren Theils
erzeugten Kinder
war um
mit einer
der Ehegatten in
dem
das Uebergewicht hatte.
so interessanter,
als
es
ähnlichen Untersuchung,
ganz überwelche
um
dieselbe Zeit Prof. Hofacker in Tübingen, ganz unabhängig
von der Untersuchung Sadlers nacli den Familienregistern Tübingens angestellt hatte („Ueber Eigenschaften, welche sich bei
Menschen und Thieren vererben." Tübingen 1828). Indess war gegen das übereinstimmende Ergebniss dieser
Untersuchungen noch einzuwenden, dass
sie
beide doch nur
eine zu kleine Zahl von Koobachtungen umfassten, eine allgemeine Regel
festzustellen.
um
darnach
Deshalb nahm Göhlert
— in
Wien
—
224
diese Untersuchung wieder auf.
Er unterzog
sich
der mühevollen Arbeit, aus 25 Jahrgängen des Gothaischen
953 Ehen aus
genealogischen Kalenders das Resultat von
den fürstlichen Familien der europäischen zustellen ,
Und
in
Länder zusammen-
welchen 4584 Kinder geboren worden waren.
Untersuchung,
den
Sitzungs-
berichten der historisch-philosophischen Classe der
Akademie
diese
zu Wien,
12.
Band
veröffentlicht
1854, stimmte
von Sadler und Hofacker
in
In vergleichender Darstellung
in
dann auch wieder mit der zusammen.
ihrem Ergebniss
ist
das Ergebniss dieser Unter-
suchung folgendes:
Auf 100 Mädchen wurden geboren: Hofacker
Sadler
Mittel nach allen beobach-
Gölilert
teten Fällen
Mann jünger als Frau 90,6% Mann und Frau gleich alt 92,0 „ Mann älter als Frau 117,8,, Später hat Göhlert in
86,5
%
82,6
0 0
88,2
°/
0
94,8 „
93,9 „
93,5 „
121,4,,
108,2,,
113,0,,
dieser Beziehung
noch
nahezu
2300 Ehen aus der Landbevölkerung in Oesterreich nach
Kirchenbüchern untersucht und diese Regel wieder bestätigt gefunden. Siehe kleine Broschüre: Statistische Untersuchungen
über die Ehen.
Nach diesen
Wien
1870.
in wirklich überraschender Weise so sehr über-
einstimmenden Ergebnissen dieser Untersuchungen dürfte man als
höchstwahrscheinlich annehmen: dass die Altersdifferenz
der Eltern in der Art auf das Sexual- Verhältniss unter den
erzeugten Kindern einwirkt, dass unter diesen das Geschlecht
Ehegatten das Uebergewicht
des
älteren Theiles
Man
hat dies das Sadler-Hofacker'sche Gesetz genannt. Dar-
der
hat.
nach würde das allgemeine Uebergewicht der Knaben unter den Neugeborenen überhaupt dadurch zu erklären sein, dass allgemein in unseren Staaten der die Frau.
Dies
ist
Mann
später heirathet als
wiederum begründet einmal
in der
phy-
sischen Natur des Menschen, indem das männliche Geschlecht
später zur Reife gelangt als das weibliche, vorzüglich aber.
— oder praktisch eigentlich
—
225
allein, in
den socialen Verhältnissen in
Staatsgesellschaften,
der civilisirten
Mann
welchen der
wegen der zur Ausbildung für einen bestimmten Lebensberuf erforderlichen Zeit und wegen der zur Ernährung einer Familie nothwendigen Ansammlung von Mitteln und Kenntnissen durchschnittlich
erst
viel
später
zur Verheirathung
gelangt, als das weibliche Geschlecht.
Es
soll
aber nun nicht behauptet werden, dass hiermit
das sogenannte Sadler-Hofacker'sche Gesetz schon wirklich
Beobachtungen des Prof. Breslau, Directors
bewiesen wäre.
Dank
der Entbindungsanstalt zu Zürich, die sehr den Statistiker verdienen,
ten Beobachtungen
haben,
eröffnet
weil
über
sind
für
sie
den
diesen
Weg
der
zu ferneren direc-
Gegenstand
interessanten
ungünstig
obiges Resultat
aus-
gefallen.
Auf Veranlassung
Breslaues wurden nämlich, als im Jahre
1860 im Canton Zürich neue Tabellen für die Berichte sämmtlicher
Hebammen
schoben,
ausgefertigt wurden, zwei
betreffend
das Geburtsjahr
Mutter der Geborenen.
des
Rubriken einge-
und der
Vaters
Auf Grund der durch
diese Tabellen
erhobenen Daten unterwarf Breslau die im Jahre 1861 im
Canton Zürich vorgekommenen Geburten einer Untersuchung in Betreff des Einflusses der Altersverschiedenheit der Eltern
auf das Geschlecht der Kinder. Diese mit einer allgemeinen Revision
des
sogenannten
Sadler-Hofacker'schen
verbundene gründliche Untersuchung von Breslau
abge-
vom Jahre Band XXI, Supplementheft, herausgegeben von Crede
druckt 1863,
Gesetzes ist
der Monatsschrift für Geburtskunde
in
Die Zahl sämmtlicher Geburten war 8084 und der Mädchen zu den Knaben wie 100:106,6, also ganz normal. Die Zahl der geborenen Kinder, von deren Eltern der Vater älter war als etc. Berlin.
bei diesen das allgemeine Verhältniss
die Mutter, betrug 5797
100:103,9.
und dabei war das Verhältniss wie
Die dagegen, deren Vater und Mutter gleich
alt,
wo
der
585, das Verhältniss 100:103,1
Vater jünger
Wapp
il
u
s
als
die
Mütter,
und
die derjenigen,
1702
und
das 15
Verhältniss
—
—
226
Diese Untersuchung bestätigte nicht das soge-
100:i 17,6.
nannte Sadler-Hofacker'sche Gesetz, es zeigte vielmehr gerade
Es
das Gegentheil.
Hofacker'sche
fragt sich nun, ist dadurch das Sadler-
Gesetz
Das
widerlegt?
ist
durchaus nicht
der Fall; es folgt höchstens daraus, dass noch weitere Beob-'
achtungen
nöthig
sind,
um
Frage nach dem Einfluss
die
des relativen Alters der Eltern auf das Geschlecht der Kin-
Die
der zu entscheiden.
bis jetzt der
Beobachtung unter-
worfenen Zahlen sind jedenfalls noch zu klein, eine allgemeine Regel als bewiesen abzuleiten.
daraus
und Göhlert beobachteten Fälle umfassen
ler-Hofacker
sammen
um
Die von Sadzu-
8648, mit Hinzurechnung der 1870er Untersuchung
von Göhlert 23,000, die von Breslau 8084. Die ersten sind zahlreicher, überdies beziehen sich die von Breslau nur auf ein einzelnes Jahr.
kann die
Wie
sich aber auch bei
bei den
dem
Geborenen überhaupt,
Regel wohl in einzelnen Jahren verbergen.
fortgesetzte Beobachtung,
so
hier untersuchten Verhältniss
Erst eine
die Operation mit viel grösseren
Zahlen, kann hier entscheiden.
Schliesslich
muss das Sad-
ler-Hofacker'sche Gesetz für höchst wahrscheinlich gehalten
Einmal weil
werden.
wo
es dafür
auch indirecte Bestätigungen
nämlich durch die Erscheinung, dass in den Ländern,
giebt,
der
Mann
durchschnittlich spät heirathet, die allgemeine
Proportion der Knaben unter den Geborenen grösser
ist, als
den Ländern, wo die Männer durchschnittlich früh heirathen
Zum tigkeit
ist.
in 1
).
andern, weil das Gesetz teleologisch von Wiclftig-
Dasselbe giebt uns einen deutlichen Fingerzeig
über den eigentlichen Zweck der Ueberzahl der männlichen Geburten, wie wir noch sehen werden. Hier möge des allgemeinen Interesses wegen beiläufig die physiologische Seite
Frage berührt werden, nämlich die, ob physische Factoren und welche bestimmenden Einfluss haben auf das numerische Sexualverhältniss der Geburten. Es ist dies freilich eine Aufgabe der Naturwissenschaften und nicht der dieser
1)
Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
II,
p.
306. 307.
—
227
—
Die Statistik kann aber die darüber aufgestellten
Statistik.
Wappäus
Lehren der Naturforscher prüfen.
hat dies mit
Hypothese des Physiologen Ploss ausgeführt, welche
einer
letzterer
über die Factoren aufgestellt
hat, die das
Geschlecht
Embryo bestimmen. Erschienen in der angeführten Monatsschrift Band XH, 1858, und daraus in einer besonderen Abhandlung unter dem Titel: Ueber die das Gedes erzeugten
schlechtsverhältniss der Kinder bedingenden Ursachen. Berlin
1859.
Ploss
nimmt
an, dass
auf die Bestimmung des Geschlechts
mehr Einfluss sei als wiederum bedingt würde
des erzeugten Kindes die Mutter von
der Vater und dass dieser Einfluss
durch die Ernährung während der Schwangerschaft.
Nach Beobachtungen an Thieren glaubt Ploss
schliessen
zu müssen, dass auch beim Menschen die besonders gute Ernährung, welche die Mutter ihrer Frucht gewährt, mehr Aussicht auf ein Mädchen, minder gute aber auf einen Kna-
ben
Da
giebt.
vorzüglich auch
genommen, zu prüfen.
Ploss
zur Untersuchung dieser Hypothese
bevölkerungsstatistische Beweise
so hatte
auch die Statistik die Aufgabe,
Dazu fand
sich völlig
zu Hülfe sie
näher
genügendes Material
in
den Publicationen über die schwedische Bevölkerungsstatistik.
Wir haben nämlich
ein volles Jahrhundert umfassende jährDaten über die Geburten und über die Ernteergebnisse in Schweden, von welchen letzteren die Ernährung eines grossen Theils der Bevölkerung unmittelbar abhängig ist und zwar in Schweden viel mehr als bei uns. liche
Wappäus hat nun durch Vergleichung für eine Periode von 20 Jahren (1770 90), in welchen Schweden wirklich durch Hungersnoth heimgesucht worden, als Ergebniss ge-
—
Zusammenhang zwischen der ErnähProportion der Knaben zu entdecken ist, ob-
funden, dass gar kein
rung und der
gleich er Einflusjgjftuf die Geburtenzahl zeigt.
Darnach sie
ist
ist'
diese
Hypothese
durchaus
nicht
haltbar;
übrigens später auch von physiologischer Seite zu-
rückgewiesen, namentlich in einer interessanten Abhandlung 15*
—
—
228
von Breslau in der von Öesterlen in Zürich herausgegebenen Zeitschrift Hygieine Bd. I
und
ist jetzt
auch von Ploss auf-
gegeben.
Es
sei hier
dass noch andere
darauf hingewiesen,
pothesen über die Erzeugung
der Geschlechter
Hy-
aufgestellt
worden sind. So in einer Schrift von Thury, Professor an der Akademie zu Genf. Die Schrift ist von Professor Pagenstecher (Heidelberg) unter dem Titel herausgegeben: „Ueber das Gesetz der Erzeugung der Geschlechter bei den Pflanzen, Thieren und den Menschen". Leipzig 1864. Die hierin aufgestellte Hypothese weicht total von der von Ploss ab, sie ist fast das Umgekehrte. Sie ist u. A. von Keferstein widerlegt in einer Anzeige in den Göttinger Gelehrten Anzeigen, Jahrgang 1864, die auch für den Statistiker sehr lesenswerth
Diese
ist
der
1 ).
Statistik
eigentlich
fern
liegenden
physio-
logischen Hypothesen oder Lehren über die Entstehung der
Geschlechter Statistik
sind
hier
erwähnt worden,
von der grössten Wichtigkeit
ist,
weil
es
für
die
daran festzuhalten,
dass das numerische Verhältniss der beiden Geschlechter bei der Geburt
durch ein Gesetz geregelt wird, über welches
der Mensch direct keine Macht hat.
Nach den angeführten
Hypothesen sowie nach den älteren physiologischen Lehren
würde
es
dem Menschen möglich
sein, einen Einfluss
geschlechtsbedingenden Factoren auszuüben. die
ganze
welche
zukommt,
in sich zusammenfallen.
Seit
haben Naturforscher wie Philosophen über die
Aristoteles
Gründe und
Verhältnisse, welche das Geschlecht des
bestimmen, vergeblich geforscht.
Mag nun
in
Embryo
Zukunft die
immer tiefer eindringen, so dürfte doch festdass das Problem niemals in der Weise gelöst werden
Forschung
1)
Bedeutung,
Verhältniss der Geschlechter bei der Geburt, wie
es sich ergeben hat,
stehen,
Damit würde
statistische oder vielmehr teleologische
dem
auf die
Siehe
hier
hier
auch
die
überwiegend physiologische Schrift von Entwicklung des männlichen und
E. Banst: Die Ursachen, welche die
weiblichen Geschlechts bedingen.
Stuttgart 1871.
— wird, dass der die dabei
—
229
Mensch dadurch irgend
niss der beiden Geschlechter bei steht,
eine Herrschaft über
Denn
wirkenden Factoren erlangt.
das Verhält-
den Geburten, wie
dem muss. Es
hat offenbar einen bestimmten Zweck, der
des einzelnen Menschen entzogen bleiben
es be-
Einfluss
hat den
Zweck
der Erhaltung des menschlichen Geschlechts und ein
solcher
Zweck kann
Individuums
nicht
wiederum
gegeben
selbst
in die
Machtsphäre des
Es herrscht
werden.
Sexualverhältniss der Geburten ein höheres Gesetz, es
nun
ein Naturgesetz
Der Zweck
in
dem
mag man
oder ein göttliches Gesetz nennen.
aber, der durch die Proportion der Geschlechter
unter den Geborenen zunächst erreicht Avird,
Herstellung
ist:
und Erhaltung des numerischen Gleichgewichtes zwischen den beiden Geschlechtern innerhalb der wichtigsten Altersclassen.
Es
ist
schon früher bei der Betrachtung des Standes
der Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht, dass bei der
Gesammtbevölkerung das weibliche Geschlecht etwas überimmer nur wenige Procente beträgt. leicht einzusehen, von welchem Es ist wiegt, dass aber das Uebergewicht doch
Nachtheil es physisch
wie
sittlich
sein
würde,
wenn das
numerische Gleichgewicht der beiden Geschlechter dauernd sehr
würde und besonders wenn
erheblich gestört werden
diese Störung diejenigen Altersclassen träfe, welche physisch
und
social die wichtigsten sind,
nämlich die mittleren.
Um
in diesen Altersclassen das Gleichgewicht zu erhalten ist es
nothwendig, dass mehr Knaben als Mädchen geboren werden
und zwar deshalb, grösser
ist
weil die Sterblichkeit unter den
als unter
Knaben
den Mädchen, was seinen bestimmten
physischen Grund zu haben scheint, auf den hier nicht weiter
eingegangen werden kann. der
Knaben
statistischen
grösser
ist
Dass aber überall die Mortalität als die der Mädchen, zeigen die
Untersuchungen
Bestimmteste.
auf das
Uebergewicht der Mortalität der Knaben
Geburt und nimmt
ist
am
Das
grössten vor
Dass
und
bei der
dies
der Fall, zeigt schon die sehr grosse Proportion der
erst
Knaben unter den Todtgeborenen.
allmählich ab.
Von den todtgeborenen
— Kindern 140
:
ist
—
Knaben zu den Mädchen wie
die Proportion der
während
100,
230
den Geborenen über-
die Proportion unter
haupt nur wie 106,31
100
:
Diese grössere Sterblichkeit
ist.
dauert auch unter den lebend Geborenen längere Zeit
fort,
das Missverhältniss nimmt aber fortwährend von Monat zu
Monat ab. Durch diese grössere Sterblichkeit unter den Knaben in den ersten Lebensjahren wird das Missverhältniss Die
allmählich ausgeglichen.
Zeit,
zu welcher
somit
ein
dem
wirkliches numerisches Gleichgewicht dadurch zwischen
männlichen und weiblichen Geschlecht in
gewiss,
dass
der Altersperiode
in
physischen Reife Verhältniss
man
der beiden
aber
nach
der
unmittelbar
das numerische
Geschlechter
dem Gleichgewicht am nächsten kommt, so dass Zweck des in diesen Verhältnissen
diese Periode.
ist:
Auch
Herstellung des Gleichgewichtes für
den nächsten Jahren nach Ein-
ist in
der Pubertät die Sterblichkeit eine gleiche bei beiden
Geschlechtern und 20.
viel scheint
sagen kann, der
waltenden Gesetzes
tritt
So
dabei
eine
sehr
Etwa vom
niedrige.
Jahre an wird die Sterblichkeit wieder grösser, vornehm-
lich
aber beim männlichen
Es
Geschlecht.
diese Altersperiode diejenige, welche für den
bedeutende Rolle schaftlichkeit,
sich
spielt.
Es
es ist die
ist
sich
und selbständig
Es
ist die Zeit,
Tendenz zu Verbrechen, oder besser
ausgedrückt, die Gefahr, Verbrechen zu begehen,
Physische und
ge-
wie wir noch sehen werden,
in der Moralstatistik auszeichnet.
in der die sogenannte
eine sehr
Sturm- und Drangperiode, in der
der Character erst durcharbeiten
auch
überhaupt
ist
Mann
das Alter der grössten Leiden-
stalten soll; ein Alter, welches,
ist.
wohl
variirt
eintritt,
den einzelnen Bevölkerungen etwas.
Factoren wirken
sittliche
diese Altersperiode für das
am
grössten
zusammen,
männliche Geschlecht zu einer
der gefährlichsten zu machen.
Nach dem
24.
Jahre wird dagegen die Sterblichkeit beim
weiblichen Geschlecht wieder ungünstiger
und das dauert der Wochenbetten in
lichen
fort bis
dieser
als
beim männ-
etwa zum
45.
Periode.
Dadurch wird der
Jahre
als
Folge
231
—
Unterschied in der numerischen Vertheilung der beiden Geschlechter,
der durch die grössere Sterblichkeit des männ-
lichen Geschlechts in den bezeichneten vorhergehenden Alters-
stufen hervorgebracht wurde, wieder ausgeglichen,
im Ganzen
in
so
dass
den Altersclassen zwischen 17 und 45 Jahren,
also in der wichtigsten Periode in
Bezug auf das Zusammen-
leben beider Geschlechter, nahezu numerisches Gleichgewicht unter ihnen zu herrschen pflegt.
Das
ist
freilich nicht so
zu verstehen, dass in jedem Alter vollkommene Gleichheit der Zahl zwischen beiden Geschlechtern stattfindet, das
ist
unmöglich wegen der störenden Factoren, deren Wirkung
werden kann, das wäre auch zwecklos für das, was durch das Gleichgewicht im Allgemeinen erreicht werden soll. Das ist aber gewiss, dass während dieser wichtigsten Altersperiode, als ein Ganzes genicht unmittelbar wieder aufgehoben
nommen, grössere
Gleichheit stattfindet,
lichen Gleichheit viel in
d. h.
ein der wirk-
mehr genährtes Verhältniss besteht als Das bestätigen
den höheren und niedrigen Altersclassen.
Volkszählungen überall, wo nicht ausserordentliche Stö-
die
rungen stattgefunden haben, und das Verhältniss zu erreichen
muss eben
als
das Hauptwerk der ganzen, das Sexualver-
Geborenen und den Sterbenden regulirenden Ordnung hervorgehoben werden. Wir haben schon früher gesehen, dass bei der Gesammt-
hältniss unter den
bevölkerung mit wenigen
als
Ganzes betrachtet das weibliche Geschlecht in der Mehrzahl zu sein pflegt,
Ausnahmen
obgleich überall weniger den.
Das kommt
Mädchen
als
Knaben geboren wer-
daher, dass, weil in unseren Bevölkerungen
der Beruf der Männer im Ganzen aufreibender der Frauen, nach
dem
45.
ist,
als
der
Lebensjahre sich das Sterblich-
keitsverhältniss überall wieder zu Gunsten der
Frauen wendet
und das dauernd bleibt. Die mitgetheilte Regel oder das Gesetz über die Vertheilung der beiden Geschlechter in unseren Bevölkerungen ist einfach ein Resultat der Beobachtungen und als solches feststehend,
unabhängig von Hypothesen.
Können wir nun
—
232
—
noch die Hypothese über die Ursachen des Uebergewichtes der
Knaben
unter
den Geborenen, das sogenannte Sadler-
für mehr als eine blose Hypothese annehmen, so würden wir dadurch auch Aufschluss über die
Hofacker'sche Gesetz,
Mittel erhalten, welcher die sich bedient,
da,
worden, dasselbe
Natur oder die höhere Ordnung
wo das Gleichgewicht erheblich gestört wieder herzustellen. Denken wir uns nun
eine bedeutende Störung des natürlichen numerischen Gleich-
gewichtes, viele
z.
B. in Folge langer verheerender Kriege, die
Männer weggerafft haben.
Davon
ist
die Folge, dass,
abgesehen von der Minderzahl der Männer, diese auch durchschnittlich
bedeutend
später
heirathen
werden
als
die
Die Auswahl ist für die Männer grösser als für Mädchen, es werden deshalb viel mehr ältere Männer auf junge Frauen Anspruch machen können als in gewöhnlichen Zeiten. Es werden deshalb mehr Ehen geschlossen werden, in welchen der Mann die Frau mehr an Alter übertrifft als sonst und die Folge muss sein, dass das Verhältniss der Knaben unter den Geborenen grösser wird. Nach den Napoleonischen Kriegen war in Frankreich und Deutschland in der Gesammtbevölkerung die Ueberzahl des weib-
Mädchen. die
lichen Geschlechts
Missverhältniss
sehr gestiegen
mehr und mehr
1
).
Ueberall hat sich das
ausgeglichen.
Wodurch
geschehen, könnten wir uns nach unserer Hypothese
kommen
das voll-
wenn wir annehmen, dass mehr ältere Männer junge Mädchen geheirathet haben, als dies sonst der erklären,
Fall zu sein pflegt.
Durch das Sadler-Hofacker'sche Gesetz würde sich auch noch die merkwürdige Erscheinung erklären, dass in Ländern, wo Vielweiberei im grösseren Umfange herrscht, wo also vielfach der Vater
1)
viel
älter
als die
Mutter sein wird,
Nach verheerenden Kriegen soll die Fruchtbarkeit des weiblichen und vermehrte Fälle von Zwillingsgeburten
Geschlechts grösser werden
Das wird als ein Beweis des Unbewussten (oder des lnangeführt in einer interessanten Anzeige von Hartmann's Philosophie des Unbewussten im Neuen Reich 1871, Nr. 3$, S. 44.
eintreten. stinctes)
— unter
-
233
der Gesammtbevölkerung
das
männliche Geschlecht
wenn nach der Präsidentschaft Agrae im bri-
das weibliche sehr zu übertreffen pflegt. einer Volkszählung
in
tischen Indien das Verhältniss
zur weiblichen wie 100
Das die
:
88
80
z.
B.
der männlichen Bevölkerung
ist.
zeigt aber auch wieder, wie die Vielweiberei
Natur
ist,
denn
durch diese
weiblichen Geschlechts verletzt.
gegen
wird die Proportion des
Neuntes Capitel.
Verhältniss der Heirathen zur
Gesammt
bevölkerung.
Bei der
noch
ist
Man
Bewegung der Bevölkerung im weiteren Sinne
das
nennt
Verhältniss
der Heirathen
das Verhältniss
der
zu betrachten
1
).
Heirathen zur Gesamnit-
bevölkerung die Trauungsziffer oder die Heirathsfrequenz, (Matrimonialite der neuen
französischen
Verhältniss wird in derselben
ausgedrückt. pflegt
man
Den
Weise Werth
statistischen
sehr hoch anzuschlagen.
sehr genau aus, indem
geschlossenen
Ehen
immer
Das
wie die Geburtenziffer
die Heirathsfrequenz drücke
lich,
Statistiker).
die
dieses Verhältnisses
Man
behauptet gewöhn-
den Grad der Prosperität Zahl der in einer Periode
die Wahrscheinlichkeit ausdrücke, welche
Bezug auf das Gedeihen einer neuen (Vergl. v. Hermann, Ueber die Bewegung der Bevölkerung im Königreich Bayern. München 1863.) Im Allgemeinen ist das zwar richtig. Im Ganzen wird sich die Zahl der Trauungen vornehmlich richten nach
zu
dieser Zeit
in
Familie im Lande bestehe.
der grösseren oder geringeren Leichtigkeit, mit welcher die
zur Unterhaltung mittel
1)
zu
einer Familie
beschaffen
sind."
nothwendigen Subsistenz-
Demzufolge
zeigt
ein
grosses
Siehe hier: Die Eheschliessungen in Elsass - Lothringen in den 1876. Ein Beitrag zur vergleichenden Statistik der Ehe-
Jahren 1872
—
schliessungen in Europa von Wilhelm Stieda.
Strassburg 1879.
—
—
235
Verhältniss der jährlichen Trauungen allerdings einen gün-
volkswirthschaftlichen Zustand
stigen
man
an und insofern hat
nicht ganz mit Unrecht die Heirathsfrequenz ein sicheres
Barometer für die
in
Bezug auf das Gedeihen
Familie bestehenden Hoffnungen genannt.
einer neuen
Allein ganz ab-
gesehen davon, dass es auch leichtsinnige Hoffnungen giebt, ist
das Verhältniss der Trauungen doch auch wieder von
Factoren abhängig, welche allgemeine Prosperität
theils
gleichgültig sind für
einer Bevölkerung,
theils
die
sogar als
negative Zeichen derselben angesehen werden müssen. Erstens
nämlich zeigen die Untersuchungen, dass die Heirathsfrequenz unter
die
allen
Bewegung der Bevölkerung
Verhältnissen
am
Nationalität.
So zeigt
in
Europa
in
meisten es
abhängig sich,
dass
ist
die
betreffenden
von Klima, Race, Heirathsfrequenz
den südlichen wärmeren Ländern mit Bevöl-
kerungen romanischen Stammes durchgängig grösser ist als Es ist dies bei nördlichen germanischen Bevölkerungen. zu erklären. Einmal gehört in jenen Ländern und Bevölkerungen des südlichen Europas in Wirklichkeit nicht so viel dazu, um eine neue Familie zu gründen und zu erleicht
Die nothwendigsten Lebensbedürfnisse sind dort und weniger und schon deshalb kann dort die Heirathsfrequenz grösser sein, ohne das deshalb die allgemeine Prosperität grösser ist. Ueberdies wird aber auch wohl dort nähren.
einfacher
allgemein leichter, mit weniger Ueberlegung die eines
neuen Hausstandes unternommen,
wo
wäre, die Verheirathung aufzuschieben oder
es
Gründung gerathener
ganz
unver-
heirathet zu bleiben.
Es
und unberechtigte Gründe für die Es lässt sich nicht verkennen, dass die Ehelosigkeit im Ganzen zunimmt. Dies geschieht auch zum Theil wohl aus unberechtigten Motiven. Es kommt immer mehr vor, dass Männer nicht heirathen, um, wie sie zu sagen pflegen, so das Leben besser gemessen zu können, bequemer giebt berechtigte
Ehelosigkeit.
leben zu können, der Sorge überhoben zu sein, welche die
Familie fordert und so ihr Leben zu verlängern.
Dazu
ist
i
—
236
—
bemerken, dass solche egoistische Rechnung eine Rechnung ist. Statistische Untersuchungen, sowohl ältere wie von Caspar in Berlin, wie neuere von William Farr in London ergeben, dass die Sterblichkeit der Hagebeiläufig zu
falsche
stolzen
grösser
als
ist
die
der Familienväter,
trotz
ihrer
vollkommen berechtigte und
selbst
grösseren Sorgen und Lasten. Indess, es giebt auch
gebieterische, in den socialen Verhältnissen tive
für den
Mann,
die
gegründete Mo-
Verheirathung aufzuschieben oder
Dazu berechtigt und verpflichtet Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, bei den immer steigenden Ansprüchen des Lebens eine Familie zu ernähren. Auch aus solchen Gründen nimmt die Ehelosigkeit zu und solchen Motiven wird in nördlichen Ländern mit germanischer Bevölkerung gewiss viel öfter das gebührende Recht gegeben, ganz darauf zu verzichten. die
als in südlichen
mit romanischer Bevölkerung, was die Hei-
rathsfrequenz in diesen, jenen gegenüber, steigern muss.
Endlich
ist
eine grössere Heirathsfrequenz in den süd-
Ländern auch mit dadurch bedingt, dass dort überhaupt etwas früher geheirathet wird wegen der früher ent-
lichen
wickelten physischen Reife.
Aus allem diesem
folgt
schon,
dass die Heirathsfrequenz nicht als gleichnamiger Massstab
von Ländern mit wesentlich verschiedenem klimatischen und nationalen Character dienen kann. Zu diesem kommt nun aber noch ein Umstand hinzu, weshalb die Trauungsziffer überhaupt nicht geradezu der ProsEs ist dies perität proportional angesehen werden darf. der Umstand, dass die Trauungsziffer auch von der Morta-
für die Vergleichung
lität
abhängig
ist
und zwar
in der
Weise, dass eine ver-
grösser te Mortalität geradezu eine Steigerung der Heiraths-
frequenz bewirken kann, somit also eine
Zunahme
der
letz-
teren geradezu durch einen negativen Factor der Prosperität
bewirkt wird.
Die Untersuchungen über
die
Veränderungen
in
der
Heirathsfrequenz ergeben nämlich, dass unmittelbar nach ver-
heerenden Epidemien und wenn dieselben länger andauern
—
237
—
schon während der Herrschaft derselben die Heirathsfrequeriz
wächst und her,
oft sehr
bedeutend.
Das
rührt vornehmlich da-
dass durch die gesteigerte Mortalität auch viele
Ehen
werden durch den Tod des einen der beiden Ehegatten, wodurch dann viele Wiederverheirathungen des verwittweten Theiles bewirkt werden, was eine Steigerung Eine bewirkte Steigeder Heirathsfrequenz zur Folge hat. frühzeitig
aufgelöst
rung der
Heirathsfrequenz
ist
aber
unbedingt
nicht
ein
günstiges, sondern ein negatives Zeichen der allgemeinen Prosperität.
Zusammenhang der Heirathsfrequenz
Dieser Mortalität,
mit
der
wie wir ihn hier sehen, macht auch darauf auf-
merksam, dass die Heirathsfrequenz mit der mittleren Lebensdauer einer Bevölkerung im Zusammenhang stehen muss. In
dem
hier betrachteten Fall wird eine Steigerung der
Heirathsfrequenz verursacht durch ungewöhnlich viele Wiederverheirathungen.
Diese Wiederverheirathungen sind die
Folge davon, dass durch die allgemeine gesteigerte Mortalität viele
zeitige
der
Ehen
frühzeitig aufgelöst werden; durch diese früh-
Auflösung der Ehen wird aber die mittlere Dauer
Ehen überhaupt verkürzt und
gleichzeitig natürlich die
wirkliche mittlere Lebensdauer der Bevölkerung überhaupt.
Und
so sehen wir hier eine Steigerung der Heirathsfrequenz
im umgekehrten Verhältniss der mittleren Lebensdauer stehen und das ist ein klarer Beweis, dass die Heirathsfrequenz nicht als zuverlässiger Massstab der Prosperität dienen kann.
Endlich
ist
noch zu bemerken, dass
eigentlich der Heirathsfrequenz nicht
um
man doch auch
ihrer selbst willen,
sondern nur wegen ihrer Wirkung so grosse Bedeutung beizulegen pflegt und dass
Nicht darauf,
man
über diese Wirkung sich täuscht.
dass viele neue Trauungen
vorkommen und
Hochzeiten gefeiert werden, kann es ankommen,
sondern
dass durch diese neuen Trauungen die Proportion der Verheiratheten
unter
der Bevölkerung
erhöht
werde,
Grund der Werthschätzung hoher Heirathsfrequenz.
ist
der
Wer
nun aus einer hohen Heirathsfrequenz auf eine hohe Propor-
— tion der
Verheiratheten
frequenz
für
allerdings
ein
ein
238
schliesst,
hohe Heiraths-
hält eine
Zeichen der Prosperität,
günstiges
hohes
—
Verhältniss
der Bevölkerung jedenfalls
etwas
weil
der Verheiratheten unter
Wünschenswerthes
und
Günstiges ist. Nun geht aber aus dem vorhin Mitgetheilten auch schon hervor, dass das Verhältniss der stehenden Ehen keineswegs allein abhängig ist von den Trauungen oder
Wenn
Dauer der Ehen ist, werden weniger neue Trauungen erforderlich sein, um eine grössere Proportion der stehenden Ehen zu bewirken und diese auf derselben Höhe zu erhalten. Wenn die mittlere Dauer der Ehen zunimmt, so kann die Heirathsfrequenz sogar abnehmen, ohne dass deshalb das Verhältniss der stehenden Ehen ungünstiger wird, und somit kann unter Umständen eine niedrige Heirathsfrequenz der Heirathsfrequenz.
die mittlere
eine längere
sogar
günstiges
ein
Zeichen der Prosperität
längere mittlere Dauer
eine
derselben
ist
Prosperität,
überhaupt.
der
Ehen und
Denn Zunahme
sein.
eine
ebenso unbedingt ein günstiges Zeichen für die
wie eine Zunahme der mittleren Lebensdauer
Ja
sie ist dies
wohl noch
in
erhöhterem Masse.
Was, wie wir gesehen haben, von dem mittleren Lebensalter gilt, dass es nämlich eine gewisse Höhe haben muss, damit die Cultur nur erhalten werde und dass seine Zunahme einen Fortschritt in der Cultur anzeigt, das
gilt
eben so für
die mittlere Dauer der Ehen.
Sie muss lang genug sein, um die vollständige Erziehung und Ausstattung der darin erzeugten Kinder zu ermöglichen. Ist sie dazu nicht hinreichend, so ist das ein im höchsten Grade nachtheiliges Verhältniss.
Aus allem diesem geht ziffer
also hervor, dass die
Trauungs-
oder Heirathsfrequenz nur einen sehr untergeordneten
statistischen sicht als
Werth hat und namentlich nur mit grosser Vordarf, wenn man durch
Massstab angewendet werden
Vergleichung verschiedene Länder in ihrer relativen Prosperität
beurtheilen will.
die Specialstatistik.
Grösseren Werth hat
sie
nur für
— man
239
—
Die Heirathsfrequenz ist statistisch sehr interessant, wenn die Trauungen in ihrer Vertheilung auf das Alter der
Getrauten betrachtet und nach trauten Paare
Nur
dem
relativen Alter der ge-
1
).
in einer
Beziehung
erwähnt werden, weil
sie
soll
dem Einzelnen
lungen, die bei
diese Vertheilung hier noch
geeignet
ist,
zu zeigen, wie Hand-
(ganz oder wenigstens über-
wiegend) das Resultat freier Willensentschliessungen
dennoch, wenn
man
völkerung betrachtet,
zeigen und der Willensfreiheit entzogen
Das
ist
zu sein scheinen.
aber deshalb besonders interessant, weil es die Be-
rechtigung der moralischen Statistik beweist, lässigkeit, solche
Gesellschaft bei
dem
)
d.
h. die
Zu-
Erscheinungen im Leben der menschlichen statistischen Calcül
dem Einzelnen auf freier 1
sind,
Handlungen bei einer Staatsbeeine ganz bestimmte Regelmässigkeit
solche
sittlicher
zu unterwerfen, welche Entschliessung beruhen.
Siehe Wappäus, Bevölkerungsstatistik Bd.
II,
S.
269
u.
ff.
Zehntes Capitel.
Die Moralstatistik.
Die moralische Statistik wird gegenwärtig viel besprochen.
Darüber
aber,
was unter derselben zu verstehen
vielfach noch grosse Unsicherheit. für die Statistik zieht
Niemand
sei,
herrscht
Ihre grosse Wichtigkeit
in Zweifel.
Die Betrachtung der Heirathsfrequenz und insbesondere die des Verhältnisses der Verheirathungen in den verschiedenen Altern zur Zahl der Heirath sfähigen in den betreffenden Altern zeigt
am
Es möge
Statistik.
Besten die Möglichkeit der moralischen hier
dafür nur ein Beispiel aus einem
Lande angeführt werden, .welches Quetelet zum Ausgangspunkt bei seiner Begründung der moralischen Statistik gedient hat und welches sich leicht auch für alle Bevölkerungen nachweisen
lässt.
In den Städten Belgiens betrug nach
der 5 Jahre
1841—45 nach Quetelet
den Männer im Alter von 25
dem Durchschnitt
die Zahl der heirathen-
— 30 Jahren
jährlich im Durchund von diesem Durchschnitt entfernten sich die Extreme nur wenig. Dabei war zu derselben Zeit die durchschnittliche Zahl sämmtlicher unverheiratheter Männer schnitt 2642
in
dem
Alter von 25
Daraus jährlich
2642
— 30
Jahren ungefähr 30,000. von 30,000 Männern dieses Alters heirathen, oder mit anderen Worten, die
folgt,
dass
Heirathsfrequenz oder Trauungsziffer für die Männer dieser
—
241
—
oder 0,088 und das
Altersclasse beträgt
scheinlichkeit sich zu verheirathen für einen
von 25
— 30
Jahren.
Wenn
=
wäre diese Zahl qa'aÜa
ist die
Wahr-
Mann im
Alter
alle sich verheirathet hätten, 1
gewesen,
so
Wahrschein-
d. h. die
wäre gleich Gewissheit. Ebenso fand Quetelet für die folgende Altersclasse, für die Männer von 30 35 Jahren, durchschnittlich bei einer Gesammtzahl von 16,708 1554 Heirathen und darnach war lichkeit
—
die Heirathswahrscheinlichkeit für einen
1554 „
„ „, n
16,708
=
25—30
also
0,093,
etwas grösser
Mann
dieses Alters
für
Männer von
als
Jahren.
Diese Zahlen, welche die Heirathswahrscheinlichkeit aus-
nun
die einzelnen Jahre
drücken,
sind
constant,
dass nach Quetelet's Untersuchungen die jährlich
geschlossenen theilung
in Belgien
für
Ehen der Zahl nach und auch nach
auf die verschiedenen Alter
so
ihrer Ver-
sogar mit grösserer
Regelmässigkeit erfolgen als die Zahl und die Vertheilung der Todesfälle.
Man kann die Zahl und die Vertheilung der dem Einzelnen doch auf dem freien
Verheirathungen, die bei
Willen beruhen, mit grösserer Sicherheit voraussagen,
als die
Zahl und die Vertheilung der Todesfälle, auf die doch der menschliche Wille unmittelbar ohne allen Einfluss
Ausnahme heit
des Selbstmordes, der aber gegen die
der Todesfälle in
seiner
Wirkung auf
ist,
mit
Gesammt-
die allgemeine
Mortalität verhältnissmässig ganz verschwindet.
Diese Regel-
mässigkeit findet sich nun auch bei anderen Bevölkerungen 1).
Hieraus geht nun hervor, dass bei einer grösseren Masse
von zusammenlebenden Menschen Handlungen, welche bei
Am ausführlichsten 1) Siehe hier Wappäus, Bevölkerungsstatistik. hat Quetelet diese Untersuchung behandelt in einer Abhandlung: Sur l'äge et
du T.
l'etat civil
des maries en Belgique pendant
siecle: Extrait des Bullet,
XXV,
No.
Wappäus.
2,
Mars
le
dernier quart
de l'Academie Roy. de Belgique.
1868.
Iß
2.
Serie.
— dem Einzelnen von in ihrer
242
—
der freien Willensentschliessung abhängen,
Gesammtheit
bis
zu einem gewissen Grade der freien
Willensentschliessung des Menschen entzogen und auf ganz
bestimmte
Weise
noch
von
Anderem bedingt
etwas
er-
scheinen.
Um
bei
ganz gewiss oder etwa
von 25
— 30
unserem Beispiel stehen zu bleiben, so hegen in den belgischen Städten weit mehr als 0,088 der dort lebenden unverheiratheten Männer
Jahren den Wunsch, sich zu verheirathen, aber
Der Wunsch oder
die Verhältnisse erlauben es ihnen nicht.
der Wille, sich zu verheirathen und die in den socialen Verhältnissen liegenden
sind i
es,
Hemmungen
zusammen mehr und Gegen diese
des Heirathens
welche bewirken, dass gerade
\
x
,
nicht
Männer jährlich heirathen. Erklärung dürfte wohl Niemand etwas einzuwenden haben. Betrachten wir nun auf dieselbe Weise rein sittliche Handlungen, gute und böse Thaten, so finden wir darin ganz nicht weniger, dieser
dieselbe Regelmässigkeit. statistik
Bis jetzt
noch eine beschränkte.
Wir können
der Statistik allgemeiner nur böse,
die Moral-
indess
ist
bis jetzt in
widerrechtliche
Hand-
lungen, welche in der Gesellschaft erscheinen, so betrachten,
nämlich
diejenigen,
welche
durch
das
Gesetz
controlirt
werden, die Uebertretungen der Gesetze, die Vergehen und die Verbrechen, weil nur darüber vollständigere statistische
Daten gesammelt werden. Deshalb ist unsere moralische Statistik bis jetzt der Hauptsache nach nur Criminalstatistik. Diese Beschränkung ist jedoch keineswegs eine nothwendige. Man kann auch eine Statistik der guten Handlungen sich denken und ist damit auch schon der Anfang gemacht, z. B. mit einer Statistik der Beiträge zu wohlthätigen Anstalten,
zu milden Zwecken, zur Armenunterstützung, testamentarische
Verfügungen für milde Stiftungen
etc.
In der Bevölkerungsstatistik kann nur kurz auf diesen
Gegenstand eingegangen werden.
Es
ist
dies
aber noth-
wendig, weil er in innigster Verbindung mit der Bevölkerungsstatistik steht, obgleich er
neuerdings auch für sich vielfach
—
—
243
behandelt worden und eine grosse Bedeutung erlangt hat.
Es
ist
darüber schon viel geschrieben, auch
viel
ganz Miss-
Deshalb mögen hier einige der wichtigsten Schriften folgen, aus denen man sich über den gegenwärtigen Stand dieses Zweiges der Statistik und die dadurch ange-
verständliches.
regten wichtigen Fragen und Probleme vollkommen unterrichten kann.
Die
erste
bedeutende Schrift
A. M. Guerry, Essai
ist:
sur la statistique morale de la France.
Guerry
sam
ist
die Moralstatistik nur ein Hülfsmittel,
statistique
Jahrbüchern 1872,
morale
4.
um
Nach gleich-
bestimmen (Knapp
die culturhistorischen Constanten zu
in Hildebrand's
la
Paris 1833.
p. 99).
Quetelet:
Sur la
qui doivent en former
et sur les principes,
base (Memoires de l'Academie Roy. des sciences
etc.
de
XXI. 1848.) In demselben Bande 2 Abhandlungen von de Decker und van Meeren: De Tinfluence du libre arbitre de Thomme sur Belgique.
T.
les faits sociaux.
Auf Grund
dieser Arbeiten
und
die statistischen Unter-
suchungen weiter führend hat Wappäus im
II.
Bande der
Bevölkerungsstatistik in einem Excurs eine allgemeine Uebersicht über
die Criminalstatistik gegeben.
Seitdem
ist
viel
darüber geschrieben und hat sich seitdem bei uns namentlich
auch die periodische Presse dieses Gegenstandes bemächtigt.
Das Wichtigste beschränkt sich auf folgende Schriften: A. Wagner: Die Gesetzmässigkeit in den scheinbar
will-
vom Standpunkt
der
kürlichen
menschlichen Handlungen
Statistik.
Hamburg
eine
allgemeine
1864, in 2 Theilen.
statistische
1.
Theil enthält
anthropologische Untersuchung
über die Gesetzmässigkeit in den menschlichen Handlungen.
Der
Der
2.
scheinbar Theil
soll
willkürlichen eine Statistik
der willkürlichen Handlungen bringen, beschränkt sich aber
auf die vergleichende Selbstmordstatistik Europas und einen Abriss der Statistik der Trauungen. sind wie alle Arbeiten
Wagners
Diese Untersuchungen
sehr fleissig und interessant.
Die aufgeworfene Frage über das Verhältniss der Gesetz16*
— mässigkeit
244
—
diesen socialen Erscheinungen
in
zur Willens-
Menschen wird aber darin nicht gelöst. Drobisch: Die moralische Statistik und die menschliche Willensfreiheit. Leipzig 1867, 8. Es ist dies eine kleine freiheit des
vortreffliche Schrift.
Deutschland
zuerst
Moralstatistik
immer in
Drobisch hat auch das Verdienst, in auf die Arbeiten von Quetelet über
aufmerksam gemacht zu haben
den Abhandlungen der Brüsseler Akademie in Oersdorfs
Leipziger Repertorium im Alex. für
in einer noch
sehr lesenswerthen Recension von Quetelet's Schrift
v.
7.
Jahrgang 1849, Heft
eine christliche Socialethik.
2.
neu bearbeitete Auflage
(Erlangen 1874) der 1868/73 erschienenen Moralstatistik
und die
1.
christliche Sittenlehre.
Socialethik auf empirischer Grundlage: Sittenlehre.
1.
Oettingen: Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung
2.
Theil.
Auflage.
Die
Versuch einer
Die
christliche
Erlangen 1874.
Es können
hier nur
einige
Andeutungen über
die bis-
herigen Ergebnisse der Criminalstatistik gegeben werden und einige Erläuterungen zur
Aufklärung über
die Irrthümer
und
Missverständnisse, welche darüber noch herrschen.
Was betrifft,
nun das Resultat der bisherigen Untersuchungen lässt sich dasselbe folgendermassen zusammen-
so
fassen:
So lange der Gang der Justiz bei Verfolgung der Verbrechen in einem Staate sich nicht ändert, wiederholen sich
und Bestrafung kommenden Verbrechen Bevölkerung mit der grössten Regelmässigkeit,
die zur Verfolgung
bei
dieser
sowohl nach ihrer Zahl und Art, sowie nach ihrer Vertheilung auf die beiden Geschlechter und auf die verschiedenen Altersclassen der Bevölkerung.
Quetelet hat nun diese verschiedene Wahrscheinlichkeit für die verschiedenen Lebensalter,
Verbrechen zu begehen,
den Hang zum Verbrechen (le penchant au crime) genannt. Das kann leicht zu Missverständnissen Anlass geben, man gebraucht deshalb dafür wohl besser den Ausdruck Zugänglichkeit für Verbrechen.
Die Gesetzmässigkeit
für die
Verbrechen
— ersten
Das
die Mortalität.
grösser als für
ist
—
245
erscheint auf den
Blick als ein erschreckliches Resultat dieser Unter-
suchungen;
es
wenn das nothwendig zur Anunabänderlichen Fatums führen müsste. Es
scheint , als
erkennung eines
das allgemein so aufgefasst worden und dass man diese Untersuchungen theils als einen directen Beweis gegen die menschliche Willensfreiheit aufgeführt hat, theils, weil man eine solche Consequenz nicht
zu bedauern, dass
ist
ist,
ziehen wollte, die Richtigkeit der Beobachtungen, auf welche sich diese
Untersuchungen gründen, angezweifelt
solcher Auffassung
Bei
ganz
statistischen Gesetzes
Gesetz im Sinne eines
wie
gesetzes,
B.
z.
falsch.
des ein
allgemeinen unabänderlichen Naturphysikalischen
des
Das
ziehenden und abstossenden Kraft. ist
hat.
man den Begriff Man denkt dabei an
versteht
Gesetzes
der
an-
Gesetz
statistische
aber nicht ein Gesetz in diesem Sinne, sondern ein Gesetz
der Wahrscheinlichkeit,
die Voraussetzung eines be-
d. h.
welcher unter allen scheinbar möglichen
stimmten Falles,
Fällen eintreten wird.
Es
fragt sich nun,
ob
man
eine solche mathematische
Wahrscheinlichkeit, in unserem Falle die Gesetzmässigkeit der menschlichen Handlungen,
nennen
darf.
Dies kann
lichkeit, die sich
setz
immer wieder
genannt werden.
La
für uns.
analytique
auch wirklich
man wohl
Eine Wahrschein-
bestätigt,
darf wohl ein Ge-
Wir haben
dafür eine grosse Autorität
Place behandelt in seiner berühmten Theorie
des probabilites (Paris 1812, p. 363
Ereignisse
nach
beobachteten
dem
in
ff.)
Capitel über die Wahrscheinlichkeit der Ursachen
zukünftigen
Gesetz
ein
thun.
und der
Erscheinungen
auch die Erscheinung der männlichen Mehrgeburten unter
den Neugeborenen.
Beobachtungen sich scheinlichkeit
des
Und da
findet
ergebende
er,
Resultat
Uebergewichtes
der
dass das aus
den
die
Wahr-
männlichen
Mehr-
(d.
h.
geburten für die Zukunft) sich zur Gewissheit verhält, wie 1
— 1/m
ist
:
eine
1,
wobei
m
unendlich
eine
72stellige
kleine
Grösse,
Zahl also
bildet. 1
— 1/m
Dieses 1/m fast
=
1,
— d.
Worauf
Gewissheit.
i.
er
dann
donc etre une
resultat parait
—
246
Ce doch
schliesslich hinzufügt:
generale.
loi
Indess
ist
das Gesetz wohl zu unterscheiden von einem Naturgesetz. In diesem Sinne sind
Es
Statistik aufstellt. sie
alle
Gesetze zu verstehen, die die
sind Wahrscheinlichkeiten, die,
wenn
auf eine hinlängliche Zahl von Beobachtungen gegründet
sind,
sich
der Gewissheit so sehr nähern,
genannt werden
immer
so gut
können,
wie gewiss
weil
dass sie Gesetz
Voraussagungen denn
ihre
So verhält es sich
eintreffen.
z.
B.
mit den sogenannten Mortalitätsgesetzen.
Aus den Beobachtungen über fälle leitet
man
die sogenannte
die Vertheilung der Sterbe-
Absterbeordnung ab, welche
nachweist, wie viele von einer gewissen Anzahl von Personen gleichen Alters in
jedem folgenden Jahre
sterben werden.
Die Zahl dieser Personen ist bestimmt anzugeben; damit ist aber keineswegs gesagt, dass dieses oder jenes bestimmte Individuum in dem und dem Alter sterben werde. GleichWahrscheinlichkeit, dass Menschen in
dem und
wohl
ist die
dem
Alter nur noch so und so viele Jahre zu leben haben,
so gross, dass sich auf diese Voraussetzung der
Lebensdauer
für die verschiedenen Alter zuverlässige Versicherungspläne
für das menschliche
Zahl der an
Leben gründen
lassen;
nur muss die
solchen Versicherungen Theilnehmenden
hin-
länglich gross sein, damit sich dabei die Regel herausstellen lässt, die für
den Einzelnen gar nicht
gilt
und
für eine kleine
Anzahl von Personen sehr unsicher ist, ebenso wie dies der Fall ist mit dem Uebergewicht der Knaben und Mädchen unter den Geborenen.
Es
sind Gesetze, welche
nen, das concrete Individuum,
sammtheit von Individuen,
nicht gelten für den Einzel-
sondern allein für eine Ge-
als ein
Ganzes betrachtet,
für den
sogenannten mittleren Menschen.
Und
so
kann auch nur
eine oberflächliche Betrachtung
der Moralstatistik zu der Furcht führen, dass die darin aufgestellten Gesetze,
wonach man
z.
B. voraussagen kann, dass
unter dieser oder jener Bevölkerung in
dem nächsten Jahre
—
247
—
werden begangen werden, für den einzelnen Menschen eine Läugnung Sodann ist aber menschlicher Willensfreiheit involvirten. so viel Verbrechen, Diebstähle, Mordthaten etc.
noch ein anderes Missverständniss hervorzuheben, was noch mehr zu beachten ist, indem, wenn man sich darüber erst klar
die Moralstatistik sogar
ist,
zu einem Beweise für die
Es wird nämlich gewöhnlich
Willensfreiheit dienen kann.
übersehen, dass das statistische, in Zahlen ausgedrückte Ge-
immer nur
setz
wird, für
Es
die,
für eine bestimmte
Bevölkerung
aufgestellt
auf welche sich die Beobachtungen beziehen.
mithin nur für eine Gesellschaft auf einer bestimm-
gilt
ten Culturstufe, es gilt nicht für die Gesellschaft überhaupt,
das
festzuhalten für alle Untersuchungen der moralischen
ist
Statistik.
Das Gesetz
hat
immer einen nationalen Character.
Die weitergehenden Untersuchungen ergeben bestimmt, dass z. B. das Gesetz über die Vertheilung der Verbrechen nicht dasselbe
ist
für jedes
Land.
Jedes Land hat vielmehr sein
besonderes Gesetz und ferner auch innerhalb der Bevölke-
rung eines und desselben Landes zeigt sich das Gesetz wieder modificirt, es zeigt constante Abweichungen von
dem
all-
gemeinen Gesetz nach verschiedenen Kategorien der Bevölkerung, nämlich nach Vermögensclassen, Ständen, Berufs-
und namentlich nach der Religion und der Confession. Gruppe der ist für jede besondere
arten
Die Regelmässigkeit
menschlichen Gesellschaft eine andere; das weist schon darauf hin, dass wir es hier nicht mit einem allgemeinen Gesetz
sondern dass dies sogenannte Gesetz auch
zu thun haben,
bedingt wird durch Factoren, die veränderlich sind.
man
dieser
Weisung
wir Zugänglichkeit anderes
ist als
weiter,
Folgt
so ergiebt sich, dass das,
zum Verbrechen genannt haben,
was
nichts
Es drückt nur ein VerhältMenschen zu den Verlockungen
ein Verhältniss.
niss der moralischen Kraft des
zum Verbrechen aus, welche theils bei ihm, in seiner unvollkommenen Natur, seinem Egoismus, theils in den zu der Zeit in der
Das
Bevölkerung bestehenden socialen Zuständen
Verhältniss,
die Zugänglichkeitszitfer,
ist
liegen.
das Product
—
—
248
und diese Factoren sind nicht abAuf der einen Seite haben wir Unvollkommenheit der socialen Zustände und die eigene
dieser beiden Factoren solut
die
unveränderliche.
moralische Unvollkommenheit, auf der anderen
die relative
Fähigkeit des Menschen, den darinliegenden Versuchungen
zu widerstehen.
Der Mensch kann innerhalb der Sphäre
seiner freien Willenskraft
um
falten,
lehrt,
Kräfte seiner Vernunft ent-
der Versuchung zu widerstehen, er kann sie
gedacht
ideal
alle
—
wirklich
Aber
besiegen.
dass während der Eine den Sieg
Andere
die
davon
—
Erfahrung trägt,
der
So zeigt das von uns gefundene Gesetz, dass in der Gesammtheit dieselben Wirkungen sich periounterliegt.
disch und constant wiederholen, so
lange die socialen Zu-
stände und das Verhältniss der moralischen Kraft des Men-
schen zu den auf ihn verlockend einwirkenden socialen Zu-
Und dadurch
ständen dieselben bleiben.
ist die
Moral- und
Socialstatistik für die Statistik so wichtig, nämlich als
Aus-
druck der zu der Zeit bestehenden
einer
sittlichen Cultur
Bevölkerung.
Vor solchen Thatsachen, wie
die Criminalstatistik sie in
der Gesetzmässigkeit der moralischen Handlungen bei einer
Gesammtheit darlegt,
fällt
luten
der
Willensfreiheit
allerdings die Theorie der abso-
Menschen,
eine Theorie,
welche
consequent zur Negation aller sittlichen Entwicklung führen muss.
Denn
die
Willensfreiheit ist
keine Willkür.
Jede
Freiheit folgt wieder einem sich selbst gegebenen, aus sich selbst herausentwickelten Gesetze.
Das erkennt auch im
täglichen
Leben
eigentlich ein
So z. B. beim Creditgeben, sowohl beim materiellen, wie beim moralischen. Einem als ordentlich, fleissig und sparsam bekannten Menschen giebt ein Jeder mehr Credit, als einem unordentlichen und leichtsinnigen Schwindler. Man vertraut seine Kinder zur Erziehung mit Jeder fortwährend an.
Zuversicht nur einem
Manne von
bisher unbescholtenem,
lichem Lebenswandel an, nicht einem
sitt-
leichtfertigen, frivolen
Lebemann oder einem Phantasten. Warum? Kraft
der Frei-
— heit des
249
—
Willens könnte jeder Solide jeden Augenblick ein
Verschwender werden und umgekehrt.
Ist die Freiheit des
Handelns eine absolute, an kein Gesetz gebundene, so giebt es gar keine Garantie für das Vertrauen, welches man einem
Menschen schenkt. Das nimmt aber kein vernünftiger Mensch an, weil man einen jeden Menschen in. seiner vollkommenen Willensfreiheit doch zugleich wieder mehr oder weniger ge-
bunden weiss durch Entwickelungsgang.
seine ganze Vergangenheit, durch seinen
Es
besteht dadurch für jeden
Menschen
wieder eine gewisse nothwendige Gebundenheit (Determinis-
mus) für seine Handlungen. Ohne solchen Determinismus wäre gar kein Character möglich. Dieser Determinismus ist aber weit verschieden von der Wirkung eines Fatums, denn er wird für Jeden durch die Freiheit des Willens selbst gebildet. Dem analog ist der Mensch der Gesellschaft in den äusseren Verhältnissen, in welchen er steht, in Bezug auf seinen Character im Allgemeinen von der Cultur der Gesellschaft abhängig, er ist, wie man mit Recht sagt, ein Kind seiner Zeit und seines Volkes. Dennoch aber hängt es von dem Einzelnen ab, sich in sich unabhängig von seiner Zeit zu gestalten. Darin besteht seine selbständige Persönlichkeit, sein
Character.
Indem aber der Character der absoluten Willensfreiheit, in jedem Augenblick ganz voraussehungslos zu handeln, vor fällt,
den Thatsachen, wie die Criminalstatistik
sie lehrt,
führen dieselben keineswegs zur Läugnung der Ein-
wirkung der Willensfreiheit auch auf diese Thatsachen. Denn, und das ist sehr wichtig festzuhalten, die beiden Factoren, von deren Product die in Zahlen ausgedrückte Wahrscheinlichkeit der Verbrechen, die Verbrechensziffer
abhängt,
lie-
gen wiederum innerhalb der Machtsphäre des menschlichen Willens, sie können durch den Menschen verändert, verbessert
werden.
Der Mensch hat
Gesetz zu beherrschen.
es
dadurch
Denn ändern
Hand,
in seiner
dies
sich die Factoren, oder
auch nur einer von ihnen, so ändert sich damit auch das Gesetz,
Dafür nur
ein Beispiel. *
—
250
—
Unter den Verlockungen zu Verbrechen bei einer Bevölkerung bildet eine der allgemeinsten und wirksamsten: materielle Noth. In der ganzen Periode, für welche seiner Bevölkerungsstatistik die
in
Wappäus
Zahl und den Gang der
Verbrechen in Frankreich betrachtet hat, in der 32jährigen Periode von 1826 57, fällt die grösste Zahl der Verbrechen auf das Jahr 1847, nicht, wie man erwarten sollte, auf die
—
Revolutionsjahre 1830 und 1848.
Verbrechen
als
Periode vor.
in
Es
haupt auszeichnet
Im Jahre
1847
kamen mehr
irgend einem anderen Jahre der ganzen ist
das dasselbe Jahr, welches sich über-
als
ein ungünstiges Jahr, nämlich durch
Erhöhung der Mortalität und grosse Erniedrigung der Geburtsziffer und der Heirathsfrequenz und zwar nicht allein in Frankreich, sondern in allen Staaten Europas und namentlich auch Deutschlands. Es war dies die Folge der allgemeinen Missernte von 1846 und der dadurch über alle Länder Europas herbeigeführten grossen Theuerung der Lebensmittel. So viel für einen Factor, den der Versuchung. Die Wirkung der Veränderungen in dem anderen, dem moralischen Factor, können wir bis jetzt nicht so einfach statistisch nachweisen, weil diese Wirkung sich mehr verbürgt, d. h. nicht unmittelbar in Zahlen zu fassen ausserordentliche
ist.
Doch
ist
auch diese Wirkung nicht
zunehmen, sondern auch durch
allein
statistische
wohl nachzuweisen, wobei man aber muss, was hier zu weit führen würde.
in
a priori an-
Untersuchungen
Details
eingehen
Im Allgemeinen
be-
darf es auch keines weiteren Beweises, dass beide Hauptfactoren,
von welchen
die Criminalitätsziffer abhängt, nicht
absolut unveränderliche sind,
sondern innerhalb der Macht-
sphäre des Menschen liegen und deshalb haben die Menschen
auch wieder eine Herrschaft über dies Gesetz. Es kann durch die Menschen verbessert und verschlimmert werden. Verbessert kann es einmal werden durch die Gesammtheit,
wenn
fehlerhafte,
den socialen Zuständen schädliche Ein-
richtungen in Staat, Kirche und Schule verbessert werden
und damit der Factor der Versuchung von aussen gemindert
V
-
251
—
Somit steht namentlich auch der Gesetzgebung ein grosser Einfluss zu. Die Gesetzgebung soll aber eine weise wird.
sein, nicht eine blos
augenblicklich utilitarische.
Anderenfalls aber muss
werden,
um
Wir haben
den.
sittlich
der Versuchung gegenüber wahrhaft zweierlei Mittel zur
also
Wegräumung
allgemeinen Zustände:
von dem
die Besserung auch
Einzelnen ausgehen, es muss der Einzelne
gekräftigt
frei
zu wer-
Aenderung der
der Versuchung, Kräf-
tigung des sittlichen Willens, sowohl durch bessere Erziehung
Verstärkung der
der Jugend wie durch
sittlichen
des Einzelnen.
Und
sphäre des Menschen.
somit erhält, tiefer aufgefasst,
sondern im Gegentheil die
nicht die Lehre des Fatalismus,
durch
der
menschlichen Perfectibilität
eine
neue und zwar sehr beachtenswerthe
Wie
Energie
Beide Mittel liegen innerhalb der Willens-
die
Moralstatistik
Stütze.
weit diese Perfectibilität der menschlichen Gesell-
schaft möglich,
das
ist
freilich
eine
andere grosse Frage,
deren Beantwortung aber nicht in das Gebiet der Statistik
Wir werden
Probleme geführt, an deren Lösung zu arbeiten immer die Aufgabe des Menschengeschlechts bleiben wird. Wir werden vor die Frage von der Wirklichkeit der Sünde geführt. Doch die Statistik hat es nur mit der Moralstatistik zu thun, nicht mit der Ethik. Die Statistik hat die Facta darzulegen und die in Zahlen ausgedrückten Verhältnisse richtig lösen zu lehren. Nur noch andeutend möge hinzugefügt werden, dass statistisch sich auch nachweisen lässt, dass unter den beiden gehört.
hier auf die grossen
angedeuteten Mitteln die wichtigste
ist.
Förderung der
Ueberall
sittliche
Kräftigung des Willens das
ist die Sitte
stärker als das Gesetz. Die
intellectuellen Bildung hat
zwar einigen Einfluss
auf die Verbrechensstatistik, jedoch einen nur sehr geringen.
Es
zeigt sich
dadurch nur mehr eine Verschiebung
Zahlenverhältnissen als
Durch
statistische
eine
wirkliche
Untersuchungen hat sich bereits so
geben, dass viele Arten von Verbrechen von intellectuellen
Bildung nicht abhängig
in
positive Besserung. viel er-
dem Grade
sind. **
der
— Am folgt in
252
—
eingehendsten sind diese Beziehungen bis jetzt ver-
den Untersuchungen über den Selbstmord.
dem berühmten französischen zu dem Resultate gekommen ist, dass
mentlich von
der
nicht
im umgekehrten Verhältniss
Grade der Volksbildung,
d.
h.
steht
So na-
Irrenarzt Lisle,
der Selbstmord
mit
dem höheren Er
des Unterrichtswesens.
spricht es aus, dass der Selbstmord noch relativ selten
ist
in
Ländern, welche ihren religiösen Glauben unberührt erhalten,
und wo die modernen Neigungen zur religiösen Gleichgülund zur vollständigen Emancipation des Gedankens noch wenig Fortschritte gemacht haben. Und damit stimmt
tigkeit
auch Ad. Wagner
(II,
198),
der sich
am
eingehendsten mit
Selbstmordstatistik beschäftigt hat, überein.
Man muss
allgemein sagen und auch der Statistiker wird
man
darauf geführt: das blose Wissen, wie
rung lange Zeit
allein
dessen Erweite-
durch die sogenannte Hebung des
Volksunterrichts erstrebt hat, macht
für
sich
allein
nicht
Das Wissen ist nur ein Mittel, es kann zum Guten wie zum Schlechten angewendet werden. Es muss hinzukommen die sittliche Erziehung, die Erweckung und
nothwendig besser.
Ausbildung der
durch die Religiosität möglich durchaus ein
welche allgemein nur
sittlichen Willenskraft,
religiös-sittlicher!
ist.
Es
Der ist
sittliche
Factor
ist
der Factor des Ge-
wissens nach christlichem Begriffe, im innigsten Zusammenhange mit der Gottesbezogenheit des Menschen gedacht. Eine weise Gesetzgebung kann durch Hinwegräumung offenbarer Schäden in der socialen Organisation, durch Be-
förderung der Bildung und durch
Hebung
der materiellen
Wohlfahrt mannigfach die Versuchungen zu Verbrechen
mil-
dern; dadurch kann aber lange nicht wirklich geholfen werden.
Es muss vielmehr der
aussprechende Gesammtwille
in Sitte
und
Religiosität
sich
des Volkes das Beste thun.
Druck von Hundertstund & Pries
in Leipzig.